Jüdische Politik und Presse in der frühen Bundesrepublik 9783666570315, 9783525570319, 9783647570310, 9783525570317, 9783647570318

136 12 9MB

German Pages [401] Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Jüdische Politik und Presse in der frühen Bundesrepublik
 9783666570315, 9783525570319, 9783647570310, 9783525570317, 9783647570318

Citation preview

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Jüdische Religion, Geschichte und Kultur

Herausgegeben von Michael Brenner und Stefan Rohrbacher Band 21

Vandenhoeck & Ruprecht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Andrea Sinn

Jüdische Politik und Presse in der frühen Bundesrepublik

Vandenhoeck & Ruprecht © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckt mit Unterstützung der Axel Springer Stiftung. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. Umschlagabbildung: Ó Jüdische Allgemeine. Die Autorin dankt allen Rechteinhabern und Institutionen für die freundliche Erteilung der Abdruckgenehmigung für die im Anhang aufgeführten Abbildungen. In einigen Fällen konnten trotz sorgfältiger Nachforschungen nicht alle Fotografen/Rechteinhaber ermittelt werden. Wir bitten gegebenenfalls um Mitteilung.

Mit 11 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-57031-7 ISBN 978-3-647-57031-8 (E-Book) Ó 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch Print und digitale Medien GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragestellung und Zielsetzung . . . . Aufbau und methodisches Vorgehen . Stand der Forschung und Quellenlage Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . I.

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

11 15 21 24 27

Die Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Entstehung und Organisation jüdischer DP-Komitees . . . 2. Zur Gründung und Repräsentanz jüdischer Gemeinden . . . . .

29 32 41

II. Die Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Karl Marx (1897 – 1966) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Kindheits- und Jugenderlebnisse in Kaiserreich und Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 „Refugee“ – Typus einer neuen jüdischen Lebensform . 1.3 Annäherungen und Aufbau jüdischer Strukturen im Nachkriegsdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hendrik G. van Dam (1906 – 1973) . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Entwicklungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . 2.2 „I came as a refugee“ – Stationen des Exils . . . . . . . 2.3 Rückkehr und Reorganisation jüdischen Lebens in der britischen Besatzungszone . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

9

. . . .

55 56

. . . .

57 61

. . . .

. . . .

74 84 84 90

. .

99

III. Die Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Jüdische Allgemeine – „Sprachrohr und Diener jüdischer Interessen in der breiten Öffentlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . 1.1 Vorgeschichte, Gründung und Organisation des Jüdischen Gemeindeblatts für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen . 1.2 Taktik des Schreibens – Taktisches Treiben. Zu Gehalt und Gestalt des Jüdischen Gemeindeblatts für die britische Zone 1.3 In eigener Sache – Eine Rückschau auf die Arbeit und den Ausbau der Redaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Zentralrat der Juden in Deutschland – „Alleinige Vertretung der in Deutschland lebenden Juden“ . . . . . . . . . 2.1 Vorgeschichte, Gründung und Organisation des Zentralrats der Juden in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

117 117 123 148 161 161

6

Inhalt

2.2 Koalition zwischen Konsens und Krise – Das Miteinander der Mitglieder des Zentralrats nach dem Zusammenschluss 173 2.3 Warum Düsseldorf ? – Der Versuch einer Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 IV. Die Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Gemeinsam? Bewährungsproben für die Einheit . . . . . . 1.1.1 Die Auerbach-Affäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Die „Bayern-Frage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Das Föhrenwald-Problem . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 „Innere Pluralität“ – Herausforderungen für die Einheit im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 „Selbstaufgabe oder zähes Ringen um die Existenz?“ Über notwendige Neuausrichtungen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Gegeneinander – Nebeneinander – Miteinander? Zur fraglichen Förderung eines zerbrechenden Zusammenhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Präsentieren und Positionieren? Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der Kampf um Anerkennung und Recht – Die Frage der Wiedergutmachung als Gradmesser . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Wiedergutmachungspolitik . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Partner oder Konkurrenten? Zum Verhältnis der deutschen Juden zu den ausländischen jüdischen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Zwischen Verantwortung und Verpflichtung – Zu den Forderungen der Juden in Deutschland an die deutsche Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Mahner oder Mittler? Jüdisches Leben im Spannungsfeld zwischen Schuldgefühlen und neuem Selbstbewusstsein . . 2.2.1 Symbolträchtiges in Südamerika – Zum Umgang mit Deutschland und den Deutschen . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der Blick geht nach Israel – Deutsche Juden und ihre Suche nach Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.

190 191 192 194 206 218 226 228 229 241 262 263 266 277 290 306 309 310 337

Schlussbetrachtung: Hendrik G. van Dam und Karl Marx als Repräsentanten jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945 . . . . 353

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

7

Inhalt

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . Archivverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Quellen (nicht publizierte Korrespondenzen) . Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur . . . . . . . . . Zeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

361 361 362 362 391

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Vorwort Von den Anfängen bis zur Veröffentlichung der leicht gekürzten und überarbeiteten Fassung meiner Dissertation, die im Frühjahr 2012 von der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde, habe ich auf vielfältige Art und Weise Unterstützung, Förderung und Anerkennung erhalten, für die ich an dieser Stelle sehr herzlich danken möchte. Meinem Doktorvater und Mentor, Michael Brenner, gilt dieser Dank in ganz besonderer Weise. Er hat mein Forschungsprojekt zu jedem Zeitpunkt uneingeschräkt unterstützt und den Fortschritt dieser Arbeit nicht nur mit großem Interesse begleitet, sondern mein Verständnis der deutsch-jüdischen Geschichte maßgeblich geprägt und durch Anregungen, Fragen und Kritik zu Form und Inhalt dieser Studie entscheidend beigetragen. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Hans Günter Hockerts, dem Zweitkorrektor meiner Dissertation, der mein Interesse frühzeitig auf Fragen der Wiedergutmachung gelenkt hat und mir seit vielen Jahren als wichtiger Ratgeber zur Seite steht. Gefördert wurde ich während meines Promotionsstudiums ferner durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes und erhielt zusätzlich Dissertations-, Reisekosten- und Auslandsstipendien des German Historical Institute London, des Leo Baeck Institutes, des Ministry of Foreign Affairs/State of Israel, der LMU München sowie des Freundeskreises des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur. Dank dieser finanziellen Unterstützung konnte ich mich in den vergangenen Jahren in vollem Maße auf notwendige Archivrecherchen und das Schreiben der Dissertation konzentrieren. Meinen besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle auch Eli, Maximilian, und Samy Teicher aussprechen, die mir durch die Verleihung des von ihnen gestifteten Leon und Lola Teicher-(Ulpan-)Stipendiums die hebräische Sprache näher gebracht und die Erschliessung der in dieser Sprache verfassten Archivdokumente möglicht gemacht haben. Der Axel Springer Stiftung und der VG Wort danke ich für die großzügige Förderung der Drucklegung, den Herausgebern für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe Jüdische Religion, Geschichte und Kultur sowie Christoph Spill für die gute Betreuung von Seiten des Verlags. Auf den Spuren von Karl Marx und Dr. Hendrik van Dam begegnete ich Weggefährten und Interessierten, die persönliche Erinnerungen mit mir geteilt und mich mit großem Einsatz auf der Suche nach unscheinbaren biografischen Details, zentralen institutionsgeschichtlichen Eckdaten oder wegweisenden politischen Entwicklungen der fünfziger und sechziger Jahre un-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

10

Vorwort

terstützt haben. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle sehr herzlich danken. Stellvertretend für die zahlreichen Rechteinhaber, Archive und Bibliotheken, die ich im Zuge dieser Arbeit kontaktiert und besucht habe, möchte ich den Zentralrat der Juden in Deutschland und die MitarbeiterInnen des Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Heidelberg – Dr. Peter Honigmann, Dr. Alon Tauber und Eva Blattner – sowie das Archiv der Jüdischen Allgemeinen in Berlin – Bettina Piper – nennen, ohne deren großartige Unterstützung das Projekt nicht in der vorliegenden Form hätte realisiert werden können. Den Verantwortlichen und Mitarbeitern des von der VWStiftung geförterten Forschungsprojekts „Deutsch-jüdische Geschichte seit 1945“ gilt mein Dank für die Erlaubnis, die im Rahmen des Projekts gesammelten Datenbestände einsehen und für meine Arbeit auswerten zu dürfen. Für ihr Interesse an meiner Forschung, ihre Rückmeldungen zum Manuskript sowie die vielfach gewährte praktische Unterstützung möchte ich schließlich meinen Gesprächspartnern, Kollegen und Freunden sehr herzlich danken, unter ihnen besonders Richard Cohen, Kierra Crago-Schneider, John Efron, Aya Elyada, Norbert Frei, Jay Howard Geller, Günther B. Ginzel, Anthony Grenville, Tobias Grill, Atina Grossmann, Joachim Hemmerle, Andreas Heusler, Boike Jacobs, Robin Judd, Anthony Kauders, Jens Kugele, Matthias Lehmann, Herbert Levy, Tamar Lewinsky, Wolfgang Piereth, Ellen Presser, Stefanie Schüler-Springorum, Adam Seipp, Wolfram Siemann, Björn Siegel, Max Strnad, Anna Szczepanek, Jim Tobias, Steve Whitfield, Ernst-Peter Wieckenberg, Christian Wiese, Cornelia Wilhelm sowie Mirjam und Noam Zadoff. Für ihre Anregungen und Ermutigungen, die Bereitschaft zum Zuhören sowie den wertvollen sprachlichen Feinschliff danke ich insbesondere Georg und Lisa Martin, Meron Mendel, Monika Müller, Raphael Rauch und Judith Ritter. Gemeinsam mit den anderen Maxvorstädtern, den Mädels sowie meinem Münchner Freundeskreis und meiner Familie wart Ihr mir eine große Stütze und habt den Schreibprozess zu einem spannenden und zu keinem Zeitpunkt einsamen Lebensabschnitt werden lassen. And most important, unquantifiable thanks go to Jonathan and to my goddaughter Clara, who supported me in so many ways. I could not have done it without you. Berkeley, im November 2013

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Andrea Sinn

Prolog Die jüdische Gemeinschaft stellt im Wesentlichen eine Gemeinschaft der Massenvernichtung entronnener, zufällig überlebender, ungewollt in der Bundesrepublik gestrandeter osteuropäischer Juden dar. Es ist eine Gemeinschaft, die in den Nachkriegsjahren auf gepackten Koffern gesessen hat und die heute bemüht ist, sich mit der Realität der Bundesrepublik zu arrangieren – wenn auch unter Schmerzen und Schuldgefühlen.1

Gut vierzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs charakterisierten vier nach dem Holocaust geborene Intellektuelle aus jüdischem Elternhaus, Micha Brumlik, Doron Kiesel, Cilly Kugelmann und Julius H. Schoeps, mit den einleitend zitierten Sätzen die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik kurz vor der deutschen Wiedervereinigung. Sie betonen darin zum einen die zentrale Bedeutung der ursprünglich aus Osteuropa stammenden Juden für die Formierung des Judentums in Westdeutschland nach 1945. Zum anderen beinhaltet diese Bestimmung jedoch auch – im Unterschied zu früher veröffentlichten Sammelbänden jüdischer Autoren wie etwa Henryk M. Broders und Michel R. Langs Fremd im eigenen Land. Juden in der Bundesrepublik (1979) – ein vorsichtig-positives Bekenntnis zu dem nach der Shoa langsam wieder wachsenden jüdischen Leben, auf das sich die Verfasser, selbst Kinder jüdischer DPs (Kugelmann) oder deutsch-jüdischer Emigranten (Brumlik, Kiesel und Schoeps), mit oder ohne Vorbehalte einließen und welches sie bis heute auf unterschiedliche Art und Weise unterstützen bzw. aktiv gestalten.2 Es ist die Geschichte der Anfänge, der Formierung und der Institutionalisierung dieser osteuropäisch geprägten jüdischen Gemeinschaft und ihrer Repräsentanz in der Bundesrepublik, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht. Tatsächlich setzte das Interesse für die Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945 erst mit großem zeitlichen Abstand zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein – und zwar zunächst hauptsächlich unter den Angehörigen der jüdischen Minderheit selbst.3 Genau diese Beobachtung machte Monika Richarz, Historikerin und „Pionierin der deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung“4, Ende der 1980er Jahre zum Ausgangspunkt ihres knappen Überblicks über die komplexe Geschichte der „Juden in der Bundesrepublik 1 2 3 4

Brumlik u. a., Vorwort, 8. Ebd.; Bodemann, Mentalitäten, 27 f. Richarz, Juden, 13. Schilde, Rezension zu: Kaplan/Meyer (Hg.), Jüdische Welten.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

12

Prolog

Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik seit 1945“. Erst vierzig Jahre nach Kriegsende, erklärt Richarz in ihrem Aufsatz, als offensichtlich wurde, dass die 1945 neu gegründeten jüdischen Gemeinden nicht in Kürze aussterben oder sich nach der Abwanderung der wenigen Jugendlichen auflösen würden, habe eine jüngere jüdische Generation auf der Suche nach positiver Identität begonnen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Nach Meinung der Autorin hatten Fragen wie diejenigen nach den Bedingungen dafür, „daß nach der Ermordung von Millionen jüdischer Menschen durch Deutsche Überlebende sich gerade wieder in Deutschland niederließen“5, die deutsche Öffentlichkeit bis zu diesem Zeitpunkt tendenziell weniger bewegt, „blieb doch die jüdische Minorität verschwindend klein, lebte meist zurückgezogen und trat nur durch politische Äußerungen ihrer offiziellen Vertreter gelegentlich ins Bewußtsein“6. Auch der Historiker Anthony Kauders, der mit seiner 2007 erschienenen deutsch-jüdischen Geschichte der Bundesrepublik Unmögliche Heimat den Versuch unternimmt, „eine Geschichte des schlechten Gewissens zu schreiben[,] des schlechten Gewissens der Juden, die in Deutschland leben“7, betont die Zurückgezogenheit und eine mit dieser einhergehende Anti-Intellektualität nach der Shoa als Kennzeichen der jüdischen Gemeinschaft im Nachkriegsdeutschland.8 In seinen zahlreichen Studien zur deutsch-jüdischen Realität nach 1945 unterstreicht auch der an der University of Toronto lehrende Soziologe Y. Michal Bodemann die zentrale Rolle der „unmittelbar nach der Schoa aus dem Osten hier gestrandeten Überlebenden“9. Fakt sei, so konstatiert er beispielsweise einleitend in seinem 2001 erschienenen Aufsatz „Mentalitäten des Verweilens“, was von der She’erit Hapleta nach einigen Jahren des Verweilens in Deutschland übrig geblieben war – dieses Überbleibsel des Überbleibsels –, bildet heute das institutionelle und kulturell-religiöse Rückgrat der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Die Kinder dieser ehemaligen DPs bestimmten und bestimmen heute den Ton und die Politik innerhalb der Mehrzahl der großen und vielen kleineren Gemeinden der alten Bundesrepublik.

Unmittelbar im Anschluss an diese Erläuterung macht Bodemann zudem auf ein Phänomen aufmerksam, das für die jüdische Gemeinschaft der frühen Bundesrepublik charakteristisch ist. Auf seine vorherigen Ausführungen Bezug nehmend schreibt er : Wenn ich hier diese ostjüdische Präsenz so sehr betone, mag das auf den ersten Blick überraschen, waren es doch von Anfang an Männer deutsch-jüdischer Herkunft – 5 6 7 8 9

Richarz, Juden, 13. Ebd. Vgl. auch Bodemann, Mentalitäten, 28 f. Kauders, Unmögliche Heimat, 9. Ebd. Bodemann, Mentalitäten, 23.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Prolog

13

und es waren fast nur Männer – wie etwa Norbert Wollheim, Hendrik G. van Dam, Werner Nachmann und Heinz Galinski, die Rabbiner Robert Raphael Geis und Nathan Peter Levinson oder der betont deutsch-jüdische Karl Marx, der ihre Zeitung, die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, gründete und über viele Jahre herausgab –, die die jüdische Gemeinschaft nach außen repräsentierten. Diese Führung sprach freilich für eine von ihnen gänzlich unterschiedene Gemeinschaft, von anderer kultureller Herkunft und religiöser Orientierung als sie selbst und als das Gros der deutschen Vorkriegsjudenheit.10

Aufgrund dieser offensichtlichen Diskrepanz zwischen deutsch-jüdischen Repräsentanten und osteuropäisch geprägten Repräsentierten bewertet Bodemann auch das Verhältnis der jüdischen Minderheit zur nichtjüdischen Mehrheit während der ersten zwei Jahrzehnte der Bundesrepublik kritisch.11 Bereits in seiner einige Jahre zuvor erschienenen Studie „,How can one stand to live there as a Jew….‘: Paradoxes of Jewish Existence in Germany“ (1996) hatte er seine Forschungsergebnisse zur deutsch-jüdischen Repräsentanz ausführlich diskutiert und in dem Zusammenhang eine Periodisierung der Geschichte des Wiederaufbaus der jüdischen Gemeinschaft in Westdeutschland in fünf Phasen vorgeschlagen: first, the period of the Sherit Hapletah, that is, temporary structures of collective life by the Eastern Jewish displaced persons, or DPs; second, a largely concurrent period of German Jewish survivors who lived side by side and partly in rivalry with the Eastern Jews; third, a period of bureaucratic reconsolidation; fourth, of representationism; and fifth, a period of the ,functionaries‘.12

Bereits Mitte der 1960er Jahre hatte der erste Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Dr. Hendrik G. van Dam, angeregt, die kurze Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945 in verschiedene Perioden der Entwicklung zu unterteilen, „in der sowohl die Zusammensetzung der Bevölkerung als auch die Tendenzen, die sie beherrschten, einem grundlegenden Wandel ausgesetzt waren“13. Entsprechend dieser Schwerpunktsetzung benannte er damals „die Periode der Sammlung, Betreuung und Auswanderung (vom Frühjahr 1945 bis etwa zur Gründung des Staates Israel im Mai 1948), die Periode der Konsolidierung (etwa bis 1953) und die Periode der Normalisierung, nach der die jüngste Gegenwart strebt“14. 10 Ebd. 11 Ebd. 12 Bodemann, „How can one stand to live there as a Jew…“, 23. Dieses Periodisierungsmodell erläutert Bodemann auch in seiner Studie Gedächtnistheater, 24 – 42. 13 Dieses und das nachfolgende Zitat stammen aus van Dam, Die Juden, 889. 14 Einzig der amerikanische Historiker Jay Howard Geller, der sich in seiner Studie Jews in PostHolocaust Germany, 1945 – 1953 mit der Entwicklung der überregionalen jüdischen Strukturen in Deutschland auseinandersetzt, erkennt wie van Dam eine Zäsur im Jahr 1953 (Geller, Jews, 293 f). Autoren weiterer wissenschaftlicher Arbeiten zur deutsch-jüdischen Nachkriegsgeschichte nehmen primär die Gemeindeentwicklungen zur Grundlage der von ihnen vorge-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

14

Prolog

Interessanterweise waren die Persönlichkeiten, die Bodemann in der zuvor zitierten Passage als Repräsentanten namentlich nennt, alle zu unterschiedlichen Zeitpunkten bzw. während unterschiedlicher Phasen und in verschiedenen Funktionen als Vertreter der jüdischen Gemeinschaft tätig: So wirkten der Holocaust-Überlebende Wollheim und der aus dem Exil zurückgekehrte Rabbiner Levinson bereits während der ersten Nachkriegsjahre im besetzten Deutschland; der Journalist Marx und der Jurist van Dam traten insbesondere während der 1950er und 1960er Jahre in Erscheinung, wohingegen der aus Frankreich zurückgekehrte Unternehmer Nachmann und der in Bergen-Belsen befreite Galinski verstärkt seit Beginn der 1970er Jahre die überregionale Vertretung der Interessen der jüdischen Gemeinschaft nach außen übernahmen.15 Trotz der zentralen Rolle deutsch-jüdischer Funktionäre als Repräsentanten der Juden in der Bundesrepublik, die in allen einschlägigen Studien gleichermaßen betont wird, fehlt bis heute eine detaillierte Analyse der politischen Positionierung und des Selbstverständnisses der verschiedenen Sprecher der westdeutschen jüdischen Gemeinschaft.16 Konkrete Antworten auf die Fragen, warum sich die Genannten entschieden, nach der Shoa für einige Zeit oder dauerhaft in Deutschland zu verbleiben bzw. dorthin zurückzukehren, wie sie in die Führungspositionen der neu gegründeten jüdischen Gemeinden und zentralen, überregional agierenden Institutionen gelangten und welche Ziele sie für sich und ihre Arbeit definierten, stehen noch aus. Dieses offensichtliche Forschungsdefizit hinsichtlich biografischer und institutionsgeschichtlicher Zusammenhänge jüdischer Repräsentanz erstaunt insbesondere deshalb, weil das Interesse an der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland inzwischen vergleichsweise hoch und der Zeitpunkt für eine historische Analyse ihrer Anfänge nach 1945 heute durchaus relevant scheint. Denn mit der Zuwanderung zahlreicher Juden aus den früheren GUS-Staaten seit 1990 hat ein neues, strukturell aber der Nachkriegssituation recht ähnliches Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte begonnen: Im nun wiedervereinigten Deutschland wird erneut eine gestrandete bzw. dorthin zugewanderte, stark osteuropäisch geprägte, jüdische Gemeinschaft von einer deutsch-jüdisch dominierten Repräsentanz nach außen vertreten. Bodemann und Brumlik, welche die Entwicklungen während der letzten zwanzig Jahre intensiv beobachtet haben, thematisieren in dem von ihnen 2010 herausgegebenen Sammelband Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden explizit, „was in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird“17: Mit der zweiten jüdischen Nachkriegsgeneration und der russischsprachigen Einwanderung schlagenen Periodisierungen, vgl. z. B. Richarz, Juden, 15 – 19; Strathmann, Auswandern, 25 f; Zieher, Im Schatten, 15 f. 15 Bodemann, „How can one stand to live there as a Jew…“, 23 – 38. 16 Das Desiderat der Forschung thematisiert u. a. Zieher, Im Schatten, 21 f. 17 Bodemann/Brumlik, Vorwort, 9 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Fragestellung und Zielsetzung

15

habe sich „eine reiche Palette jüdischer Lebensstile entwickelt, in denen insbesondere die jüdischen Frauen sichtbar geworden sind, Lebensstile, die jedoch ohne die jüdische Einwanderung aus Osteuropa – einer an sich schon höchst heterogenen Gruppe – nicht denkbar wären“18. Die seit 1990 zahlenmäßig stark angewachsene jüdische Gemeinschaft in Deutschland steht in der Kontinuität der unmittelbar nach Kriegsende gegründeten jüdischen Gemeinden. Allerdings sind die Rahmenbedingungen und die Akzeptanz für jüdisches Leben heute im Vergleich zur unmittelbaren Nachkriegszeit ungleich anders – entsprechend sind es neue Herausforderungen und andere Probleme, mit denen die Mitglieder der jüdischen Gemeinden und ihre gewählten Repräsentanten seit der deutschen Wiedervereinigung und infolge der kurze Zeit später einsetzenden Zuwanderung so genannter jüdischer Kontingentflüchtlinge konfrontiert werden. Es sind Fragen der Zugehörigkeit, der innergemeindlichen und bundesdeutschen Integration und vor allem der Identität, die viel diskutiert werden und noch nicht abschließend beantwortet wurden. Die Wahl von Dieter Graumann, einem Sohn osteuropäischer DPs, zum Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland – eine Position, die bis zu diesem Zeitpunkt deutsch-jüdischen Holocaustüberlebenden vorbehalten war – ist neben der Pluralisierung der Gemeinschaft und der damit einhergehenden Veränderungen der Gemeindestrukturen sichtbarer Ausdruck des sich vollziehenden Wandels und eines langsam wachsenden, neuen Selbstverständnisses der deutsch-jüdischen Gemeinschaft.19 Trotz der offensichtlichen Unterschiede, die zwischen der heutigen Situation der jüdischen Gemeinschaft und derjenigen nach dem Zweiten Weltkrieg bestehen, kann eine Analyse der Spannungen zwischen „Ost- und Westjuden“ während der ersten Jahrzehnte der alten Bundesrepublik mögliche Referenzpunkte für ein besseres Verständnis der heutigen Situation anbieten und die Grundlage für vergleichende wissenschaftliche Studien schaffen, die sich zu einem späteren Zeitpunkt mit den Parallelen und Unterschieden zwischen diesen beiden Kapiteln deutsch-jüdischer Geschichte befassen werden.

Fragestellung und Zielsetzung Die vorliegende Studie beleuchtet die Anfänge und die Institutionalisierung der deutsch-jüdischen Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und rückt dabei diejenigen Akteure ins Zentrum, die während der ersten zwei Jahrzehnte 18 Ebd., 10. 19 Zur Zuwanderung und dem Selbstverständnis russischer Juden vgl. u. a. Cohen/Kogan, Jewish Immigration; Gorelik, Russen; Kiesel, Neuanfänge; Mendel, Jüdische Jugendliche; Neumann, Gemeinschaft; Schoeps (Hg.), Russische Juden. Zur Wahl Dieter Graumanns vgl. z. B. Matthias Drobinski, Zentralrat der Juden wählt Präsidenten, in: SZ, 28. 11. 2010; Claudia Keller, Dieter Graumann. „Ich muss meinen eigenen Weg gehen“, in: Der Tagesspiegel, 28. 11. 2010.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

16

Prolog

der Bundesrepublik als deren Sprecher in Erscheinung traten und durch ihre Tätigkeit die Grundlage für die dauerhafte Existenz und die nachfolgende Entfaltung jüdischen Lebens in Deutschland schufen. Im Wesentlichen waren – neben den Lebensdaten der Protagonisten – drei Kriterien für die zeitliche Eingrenzung und bewusste Fokussierung auf das jüdisch-institutionelle Leben bis zum Ende der 1960er Jahre ausschlaggebend: 1) Wie zuvor erwähnt, existieren bis heute keine Arbeiten, in denen die neuen jüdischen Institutionen, welche nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gegründet wurden, oder die biografischen Hintergründe, persönlichen Schicksale und politischen Ambitionen der ersten Repräsentanten deutsch-jüdischen Lebens in der unmittelbaren Nachkriegszeit bzw. der frühen Bundesrepublik umfassend untersucht werden. Die vorliegende Arbeit möchte diesem Forschungsdefizit entgegenwirken und verbindet deshalb in ihrer Darstellung politischer Interaktionsprozesse die institutionsgeschichtlichen Aspekte jüdischen Lebens in der Bundesrepublik mit den Biografien der Repräsentanten. 2) Grundsätzlich können Wissenschaftler aufgrund der heute in Deutschland geltenden Archivschutzgesetze lediglich auf die Quellenbestände bis zum Ende der 1970er Jahre vergleichsweise frei zugreifen. Dokumente, die während der letzten 30 Jahre entstanden bzw. archiviert wurden, können nur in begründeten Ausnahmefällen und unter der Wahrung aller Persönlichkeitsrechte der in diesen Unterlagen Genannten eingesehen werden. Da sowohl die städtischen und staatlichen als auch die privaten Archive, die im Rahmen der Recherchen kontaktiert wurden, grundsätzlich nur entsprechend dieser Regelung Einsicht in ihre Bestände gewährten, konnte der Untersuchungszeitraum längstens bis 1980 ausgedehnt werden. 3) In Anlehnung an Ostrogorsky definierte der Historiker Hans Günter Hockerts in einem 1992 erschienenen Beitrag zur Gliederung der bundesrepublikanischen Geschichte Periodisierungsfragen als „Gradmesser unseres historischen Verständnisses“, die seiner Meinung nach „nicht so sehr der Beschreibung von Geschichte, [sondern] vielmehr ihrer Einordnung in größere Zusammenhänge“20 dienten. Im Sinne dieser Deutung nutzt die vorliegende Arbeit die von Bodemann vorgeschlagene Periodisierung der deutschjüdischen Geschichte in der Bundesrepublik als Verfahrensweise, „mit der Historiker ,das Material der historischen Überlieferung auswählen und organisieren‘“21, in diesem Falle konkret die administrativ-institutionelle Konsolidierung jüdischen Lebens in Deutschland. Entsprechend seiner Definition beginnt die Phase der „administrativen Konsolidierung“, welche die Zeitspanne von 1950 bis 1969 umfasst, „im wesentlichen mit dem Abzug internationaler jüdischer Hilfsorganisationen“ und endet mit dem Einsetzen „deutlich neue[r] Entwicklungen im deutschen Judentum“, die sich „um etwa 20 Hockerts, Das Ende, 461. 21 Ebd., 462. Vgl. auch Nipperdey, 1933, 197.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Fragestellung und Zielsetzung

17

1969 mit der Wahl von Werner Nachmann zum Vorsitzenden des Direktoriums des Zentralrats“ ergaben.22 Da Bodemann in seinem Periodisierungsmodell neben den strukturellen Veränderungen in der jüdischen Gemeinschaft auch die Wechsel innerhalb der Repräsentanz deutsch-jüdischen Lebens in der Bundesrepublik berücksichtigt, wird diese anderen möglichen Periodisierungsmodellen vorgezogen. Die hier vorgelegte Forschung versteht sich somit als Beitrag zur deutschjüdischen Geschichte bzw. zur Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945 und rückt erstmals die Biografien, Wirkungsstätten sowie Ideen und politischen Handlungen der jüdischen Hauptakteure in der Bundesrepublik bis zu Beginn der sozialliberalen Ära 1969 ins Zentrum der Untersuchung. Um die lebensgeschichtlichen Zusammenhänge sowie die sozialen und politischen Prozesse für den genannten Zeitraum zu erschließen, erfolgt eine parallele Betrachtung individueller und institutioneller Aspekte jüdischen Lebens, da ein bestimmtes soziales Handeln mit Lars Rensmann als ein komplexes und kontingentes Interaktions- wie Interdependenzverhältnis verstanden werden soll, in dem „das tätige Denken und Agieren von Akteuren eine gewichtige Rolle spielt, wiewohl es nachhaltig von strukturellen Gegebenheiten und spezifischen politisch-kulturellen Parametern bzw. Determinanten geprägt wird“23. In dem benannten Zeitraum waren es insbesondere zwei zunächst eher unbekannte deutsch-jüdische Rückkehrer aus dem Exil, welche die Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland nach außen vertraten: der Journalist Karl Marx (1897 – 1966) und der Jurist Hendrik G. van Dam (1906 – 1973). Tatsächlich heben Studien zur deutsch-jüdischen Nachkriegsgeschichte seit vielen Jahren die zentrale Rolle dieser zwei Personen als Sprecher der jüdischen Gemeinschaft in der frühen Bundesrepublik hervor. So erwähnte Harry Maor bereits 1961 in seiner Dissertation Über den Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinden in Deutschland seit 1945, dass es gemäß einer Umfrage unter Juden vielleicht ein halbes Dutzend Namen [gibt], die der Öffentlichkeit bekannt sind, aber bei näherem Befragen verbinden sich oft mit diesen Namen sogar ganz groteske Begriffe. So wurde Karl Marx, der verdienstvolle Herausgeber der ,Allgemeinen Wochenzeitung‘ u. a. als ,Präsident der Juden in Deutschland‘ bezeichnet. Dr. van Dam, der bekannte Generalsekretär des Zentralrats als ,Direktor der Wiedergutmachung‘ und der Verwaltungsbeamte einer Gemeinde als ,Vertreter des Staates Israel zur Betreuung der Israelis dieser Stadt‘.24

Während in dieser frühen wissenschaftlichen Auseinandersetzung Maors mit dem Organisationswesen des Judentums in Deutschland und den neuen jü22 Bodemann, Gedächtnistheater, 32, 37. 23 Rensmann, Demokratie, 41. 24 Maor, Über den Wiederaufbau, 122 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

18

Prolog

dischen Kultusgemeinden in erster Linie die zum Teil unzutreffende zeitgenössische Wahrnehmung Marx’ und van Dams innerhalb der jüdischen Gemeinschaft dargelegt wird, werden in späteren Studien vor allem die Bedeutung und Funktion dieser zwei Repräsentanten der Juden im Kontext der deutsch-jüdischen Beziehungen nach 1945 thematisiert. So konstatiert beispielsweise Jay Howard Geller, der sich in seiner Studie Jews in Post-Holocaust Germany, 1945 – 1953 ausführlich mit der politischen Wirklichkeit für Juden in West- und Ostdeutschland nach dem Holocaust auseinandersetzt, dass Jews in Germany relied in the ties forged to political leaders by the leaders of the Central Council. In fact, this strategy did bear fruit. In addition to the official role played by Hendrik George van Dam, secretary general of the Central Council, Karl Marx, publisher of the community’s principal newspaper, slowly became something of an unofficial adviser to West German president Theodor Heuss on Jewish matters.25

Jürgen Zieher, der sich u. a. mit den Kommunen und den jüdischen Gemeinden in Dortmund, Düsseldorf und Köln von 1945 bis 1960 befasste,26 betont in einem 2004 erschienenen Aufsatz über die Politik des Zentralrats ebenfalls, dass „der langjährige Generalsekretär […] bis zu seinem Tod einer der am meisten profilierten Vertreter der Juden in Deutschland“ gewesen sei.27 Michael Brenner schließlich widmet der Person van Dams neben den Gründervätern sowie den späteren Präsidenten Werner Nachmann, Heinz Galinski und Ignatz Bubis in seinem Artikel „Von den Hintertüren der Diplomatie auf die Bühne der Öffentlichkeit: Der Wandel in der Repräsentation des Zentralrats der Juden in Deutschland“ ein eigenes Unterkapitel – eine strukturelle Auffälligkeit, die ebenfalls auf die zentrale Bedeutung des Juristen für die jüdische Gemeinschaft nach 1945 hinweist.28 „Die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre waren für den Zentralrat eine Zeit der stillen Diplomatie und Politik hinter verschlossenen Türen“, erklärt Brenner dann zu Beginn seiner Ausführungen zur „Ära van Dam“ und erläutert die Charakteristika des 1950 gegründeten Dachverbands wie folgt: Zunächst ging es darum, einen Verhandlungspartner für die bundesdeutsche Regierung zu finden. Von großer Bedeutung war hierbei ein Gespräch mit Bundeskanzler Adenauer vom 1. April 1952, in dem dieser seiner Befriedigung darüber Ausdruck gab, daß mit der Etablierung des Zentralrats die Juden in Deutschland mit einer Stimme sprechen würden. Diese eine Stimme wurde in den kommenden zwei Jahrzehnten nicht von den Mitgliedern des Direktoriums personifiziert, sondern von dessen Generalsekretär Dr. Hendrik George van Dam.29 25 26 27 28 29

Geller, Jews, 13. Zieher, Im Schatten. Zieher, Weder Privilegierung, 190. Brenner, Von den Hintertüren, 126 – 128. Ebd., 126. Vgl. auch Brenner/Frei, Zweiter Teil, bes. 161.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Fragestellung und Zielsetzung

19

Als den zweitbekanntesten Vertreter jüdischer Interessen nach van Dam benennt Brenner in besagtem Beitrag für den Zeitraum, in der die rechtliche Ebene Priorität erfuhr, keinen gewählten Repräsentanten, sondern den Journalisten und Herausgeber der Jüdischen Allgemeinen, Karl Marx. „Wie van Dam verbreitete er Zuversicht unter den deutschen Juden und den Glauben an die deutsche Demokratie“, schreibt Brenner und verweist des Weiteren auf die „treffende Rollenbeschreibung“ durch Bodemann, der diese beiden wichtigen Repräsentanten des deutschen Judentums der 1950er und 1960er Jahre wie folgt charakterisiert: Während van Dam also den Wohlfahrtsapparat des organisierten deutschen Judentums repräsentierte, versuchte Karl Marx, die raison d’Þtre der Gemeinschaft in Deutschland den Juden in anderen Ländern zu erläutern. […] Kurzum, van Dam repräsentierte die institutionelle Struktur, Marx den ideologischen Überbau dieser neuen Gemeinschaft.30

Zweifellos steht der hohe Bekanntheitsgrad der beiden in Deutschland geborenen Juden in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer bereits mehrfach erwähnten beruflichen Tätigkeit während der ersten zwei Jahrzehnte der Bundesrepublik: Aufgrund der langjährigen Präsenz an der Spitze der Jüdischen Allgemeinen bzw. des Zentralrats – den zwei zentralen, überregional wirkenden jüdischen Institutionen, die für sich in Anspruch nahmen, die Interessen und Anliegen aller Juden in Deutschland zu repräsentieren –, heben sich Marx und van Dam deutlich von anderen Funktionären ab, die während der ersten zwei Jahrzehnte in der Bundesrepublik für kürzere oder längere Zeiträume als Mitglieder im Direktorium des Zentralrats, als Sprecher der regionalen Zusammenschlüsse jüdischer Gemeinden oder als Vertreter anderer jüdischer Interessengruppen in Erscheinung traten. Aus diesem Grund können Marx und van Dam, die zum Teil gemeinsam, zum Teil als Gegenspieler auf der politischen Bühne auftretenden Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft, als die politischen Hauptakteure deutsch-jüdischen Lebens während der 1950er und 1960er Jahre bezeichnet werden. In dieser Funktion stehen sie im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung. Ausgehend von der These, dass die jüdische Gemeinschaft in Westdeutschland von deutschen Juden repräsentiert und der Aufbau jüdisch-institutionellen Lebens hier maßgeblich von den Remigranten Karl Marx und Hendrik G. van Dam bestimmt wurde, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit sowohl mit deren Biografien als auch mit den institutionsgeschichtlich-politischen Dimensionen jüdischen Lebens in der frühen Bundesrepublik. Letztere interessieren hier vor allem hinsichtlich des schwierigen Bemühens während der ersten Jahrzehnte, „eine Haltung zu finden – gegenüber den Juden im Ausland, gegenüber den Deutschen und gegenüber sich selbst“31. 30 Bodemann, Gedächtnistheater, 33 – 35. 31 Kauders, Unmögliche Heimat, 160.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

20

Prolog

Unter Berücksichtigung der zugänglichen biografischen Angaben zu Marx und van Dam und bei gleichzeitiger Einbeziehung der bisherigen Forschungen zum jüdischen Leben in Deutschland ist es das Ziel der vorliegenden Studie, eine fundierte Geschichte der individuellen Rückkehr und der institutionellen Etablierung des deutschen Judentums nach 1945 aus Sicht der zwei zentralen Repräsentanten zu verfassen und die Rolle der Juden im politischen Leben der frühen Bundesrepublik differenziert darzustellen. Selbstverständlich gibt es im Zuge der Analyse zahlreiche Berührungspunkte und Überschneidungen mit der Geschichte der Besatzungspolitik in Deutschland, der allgemeinen politischen Geschichte der frühen Bundesrepublik sowie der Geschichte der internationalen jüdischen Organisationen und des Staates Israel. Es werden die Einflüsse vergangener jüdischer Lebenswelten auf die Zukunftsentwürfe für jüdisches Leben in Westdeutschland diskutiert, die Handelnden in den Kontext ihrer Wirkungsstätten eingeordnet und nach ihrer politischen Positionierung gefragt, um schließlich – ausgehend von der Situation, in der sich die jüdische Gemeinschaft 1945 bzw. 1949/50 befand – die Verwirklichung und den Ausbau jüdischen Lebens bis zu Beginn der 1970er Jahre in den Blick zu nehmen und mit den Vorstellungen der zwei politischen Hauptakteure zu kontrastieren. Der zeitliche Rahmen der vorliegenden Studie orientiert sich entsprechend dieser Schwerpunktsetzung nicht ausschließlich an der von Bodemann vorgeschlagenen Periodisierung jüdischer Geschichte in der Bundesrepublik, sondern umschließt in der biografischen Vorstellung der beiden Protagonisten die durch ihre Lebensgeschichte vorgegebenen Zeiträume. Die Analyse des institutionellen jüdischen Lebens in Westdeutschland konzentriert sich dann jedoch schwerpunktmäßig auf die 1950er und 1960er Jahre, d. h. die zwei Jahrzehnte, in denen Marx und van Dam als Sprecher der Juden in der Bundesrepublik öffentlich in Erscheinung traten. Grundsätzlich möchte die vorliegende Arbeit durch die Kombination von individual- bzw. gruppenbiografischer Perspektive mit der Analyse übergreifender Strukturen und Prozesse ein besseres Verständnis der individuellen und kollektiven Probleme und Herausforderungen beim Aufbau jüdischer Strukturen im Nachkriegsdeutschland fördern. Dabei zielt die parallele Untersuchung persönlicher, institutioneller und politischer Zusammenhänge insbesondere darauf ab, personelle und strukturelle Interdependenzen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft herauszuarbeiten, die im Falle einer isolierten Betrachtung der drei genannten Themenfelder nicht zum Vorschein kommen würden.32 Zur Vertiefung der historischen Analyse und zur Erhellung von Zusammenhängen, die ohne Kenntnis privater Beziehungsgeflechte nicht ausreichend erklärbar sind, integriert die vorliegende Studie außerdem die erfahrungsgeschichtliche Sinndimension und versucht durch dieses Vorgehen, eine zu einseitige Fokussierung auf „policy issues and the nation-state 32 Vgl. Hoffmann/Raupp, Politische Personalisierung, 473 – 475.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Aufbau und methodisches Vorgehen

21

system“33 zu vermeiden. Diese vor allem in zahlreichen Veröffentlichungen über das Schicksal von Holocaust-Überlebenden feststellbare Tendenz kritisiert die amerikanische Historikerin Margarete L. Myers, nicht ohne auf die dringende Notwendigkeit einer Aufarbeitung der innerjüdischen Entwicklungsprozesse und der Neuformierung jüdischer Organisationen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hinzuweisen.34 In Kombination mit den bis heute publizierten Forschungsergebnissen und der auffälligen Dominanz von Marx und van Dam innerhalb der jüdischen Funktionärselite der Bundesrepublik war Myers’ Aufforderung, die ursprünglich in Bezug auf DPs formuliert wurde, jedoch auch für Studien über deutsch-jüdische Rückkehrer aus dem Exil und ihr politisches Engagement Gültigkeit besitzt, Bestätigung, den Aufbau der Arbeit entlang der Biografien der beiden genannten Hauptakteure auszurichten. Die Entscheidung für diese Form der biografisch-institutionellen Verknüpfung war – neben den gegensätzlichen staatspolitischen Voraussetzungen für den Aufbau jüdischen Lebens in West- und Ostdeutschland – zudem entscheidender Grund dafür, die Entwicklung der jüdischen Gemeinschaft in der SBZ bzw. der DDR nur dann in die Untersuchung zu integrieren, wenn sich Berührungspunkte mit dem westdeutschen Judentum ergaben oder wenn sie für das Verständnis der von Marx und van Dam eingenommenen politischen Positionen von Bedeutung ist.35

Aufbau und methodisches Vorgehen In dem Bestreben, sowohl den Lebensgeschichten der beiden politischen Hauptakteure als auch den institutionellen Aspekten des jüdischen Lebens in der Bundesrepublik gerecht zu werden, erfolgt die Präsentation der Forschungsergebnisse im Hauptteil der vorliegenden Arbeit im Rahmen eines Dreischritts: die Akteure – die Institutionen – die Politik. Vervollständigt wird diese Analyse von einem einleitenden Überblick über die ersten Schritte jüdischer Überlebender zur Selbstorganisation in den westlichen Besatzungszonen bis 1949/50; abgeschlossen wird die Arbeit mit einer knappen Zusammenfassung der zentralen Forschungsergebnisse. Entsprechend der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung erfordert die Bearbeitung der jeweiligen thematischen Einheiten ein differenziertes methodisches Vorgehen, das an den jeweils behandelten Inhalten und Fragen ausgerichtet wurde. Da die Lebensgeschichten von Karl Marx und Hendrik G. 33 Myers, Jewish Displaced Persons, 303. 34 Ebd., 304. 35 Die Geschichte der Juden in der DDR analysieren u. a. Hartewig, Zurückgekehrt; Kessler, Die SED; Meining, Kommunistische Judenpolitik; Mertens, Davidstern; Offenberg, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

22

Prolog

van Dam und die Entstehung der von ihnen geleiteten Institutionen, der Jüdischen Allgemeinen und des Zentralrats der Juden in Deutschland, im Rahmen dieser Arbeit erstmals detailliert vorgestellt werden, ist es für das Verständnis der erarbeiteten Zusammenhänge notwendig und angemessen, die Biografien und Institutionen unter Anwendung einer historisch-deskriptiven Methode darzustellen. Zur Betonung der subjektiven Erfahrungsdimension erfolgt die Präsentation der Forschungsergebnisse zu den Akteuren in Kapitel II unter vielfacher Einbeziehung von Zitaten aus zeitgenössischen Quellen und Erinnerungen; ferner werden historische Ereignisse und politische Entscheidungen immer dann in die Abhandlung einbezogen, wenn sie unmittelbare biografische Relevanz besitzen oder für das Verständnis der geschilderten Entwicklungen von zentraler Bedeutung sind. Die Individualität der Einzelschicksale war letztlich ausschlaggebender Faktor dafür, trotz der biografischen Gleichzeitigkeit und der analogen (historischen) Bezugspunkte in beiden Lebensgeschichten eine getrennte Darstellung der Lebensläufe zu favorisieren; durch die chronologische Binnengliederung der individuellen Lebensläufe wird allerdings versucht, mögliche Orientierungspunkte für eine vergleichende Lesart der Entwicklungslinien anzubieten und so auch die parallelen Strukturen in den biografischen Erfahrungen zu berücksichtigen. Unterschiedliche Rahmenbedingungen während des Entstehungsprozesses und beim Aufbau der Institutionen begründen die Entscheidung, die Resultate der Recherchen zur Jüdischen Allgemeinen und zum Zentralrat der Juden in Deutschland in Kapitel III ebenfalls in getrennten Einheiten zu präsentieren. Die Binnenstruktur der Kapitel wiederum orientiert sich an den jeweils für die Organisationen relevanten strukturellen Entwicklungen während der ersten Jahre ihres Bestehens. Da Marx’ und van Dams inhaltliche Arbeit während der 1950er und 1960er Jahre eng miteinander verschränkt war, erfolgt deren vergleichende Analyse in Kapitel IV. Die von dem Historiker Quentin Skinner klar formulierte Warnung, dass „if we try to produce ,the full picture,‘ we are bound sooner rather than later to be reduced merely to coloring in the most boring and trivial details“36, war entscheidender Anstoß, intensiv darüber nachzudenken, wie die große Zahl aller im weitesten Sinne politischen Aspekte, zu denen sich Marx als Herausgeber der jüdischen Wochenzeitung und van Dam als Generalsekretär des Zentralrats äußerten, sinnvoll strukturiert und präsentiert werden könnten. Gemäß Skinners Forderung, „that the decisions we have to make about what to study must be our own decisions, arrived at by applying our own criteria for judging what is rational and significant“37, fiel die Entscheidung, die politische Position der Protagonisten exemplarisch anhand zentraler Ereignisse und den aus ihnen resultierenden Diskussionszusam36 Skinner, Some Problems, 281. 37 Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Aufbau und methodisches Vorgehen

23

menhängen zu verdeutlichen. Für die Auswahl der im Folgenden analysierten Beispiele waren drei Kriterien ausschlaggebend: 1) Da sich die an internen Prozessen orientierte jüdische Gemeindepolitik und die nach außen gerichtete Interessenpolitik der jüdischen Institutionen in der Bundesrepublik gegenseitig beeinflussten, wird zur umfassenden Charakterisierung der Politik, die Marx und van Dam in den 1950er und 1960er Jahren initiierten und verfolgten, eine Auswahl an Ereignissen ausgewertet, die beide Kategorien – die Politik nach innen und die Politik nach außen – gleichermaßen berücksichtigt. 2) Da es erklärtes Ziel dieser Studie ist, eine fundierte Geschichte der institutionellen Etablierung jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945 unter Einbeziehung der Biografien der Hauptträger der politischen Arbeit zu verfassen, werden in erster Linie solche Ereignisse in die Analyse einbezogen, in denen Marx und/oder van Dam bzw. der Zeitung und/oder dem Zentralrat eine entscheidende Rolle zugeschrieben werden kann. Am Beispiel einiger für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland zentraler Momente, z. B. der antisemitischen Welle des Jahres 1959/60, soll zudem gezielt nach der Reaktion und Positionierung von Marx und van Dam infolge dieser Ereignisse gefragt werden; auf diese Weise soll nicht nur ein möglichst ausgewogenes Bild ihrer Tätigkeiten entstehen, sondern es sollen auch jene Momente eingefangen werden, denen die beiden Repräsentanten möglicherweise keine Beachtung schenkten, obwohl sie für die Entwicklung und das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung waren. 3) Da die wesentlichen Charakteristika der politischen Zielsetzungen und Handlungen von Marx und van Dam im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen, werden verstärkt jene Vorgänge zur Dokumentation der Positionierung der beiden politischen Hauptakteure herangezogen, die sich auf Grundlage einer breiten Quellenbasis diskutieren lassen. Von besonderem Wert sind in diesem Zusammenhang erhaltene Ego-Dokumente, da aus diesen die individuellen Ansichten der Akteure besonders gut erarbeitet werden können. Auf Basis dieser Kriterien entstand ein Portrait zweier jüdischer Funktionäre und der politischen Interaktionsprozesse, das als Ausgangspunkt für die Diskussion darüber dient, in welchem Maße Marx und van Dam als Führungspersönlichkeiten (nach innen) bzw. Repräsentanten (nach außen) wirkten. Entsprechend der zuvor skizzierten Absichten bilden also nicht die biografischen bzw. institutionellen Zusammenhänge die Grundlage der Binnengliederung des Kapitels IV; vielmehr entspricht die Zweiteilung der Darstellung – anders als in den vorhergehenden Kapiteln – den thematischen Einheiten und dokumentiert die nach innen bzw. nach außen gerichtete politische Aktivität der beiden Akteure.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

24

Prolog

Stand der Forschung und Quellenlage Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sind das Resultat mehrjähriger Recherchen in Archiven und Bibliotheken. Die umfassende Forschungsliteratur zur deutsch-jüdischen Geschichte im 20. Jahrhundert und zur Geschichte der Bundesrepublik wurde hierbei nicht nur als Ausgangspunkt und Wegweiser, sondern auch kontinuierlich als wichtige Ergänzung und als Ratgeber konsultiert. Neben Forschungsarbeiten zu unterschiedlichen Aspekten der deutschjüdischen Geschichte berücksichtigt und integriert die vorliegende Arbeit zur Ergänzung der in den einzelnen Kapiteln diskutierten Sachverhalte Publikationen u. a. zur Geschichte der Bundesrepublik, den deutsch-israelischen Beziehungen oder aus dem Bereich der Remigrationsforschung. Auf eine ausführliche Darstellung der Forschungsliteratur zu diesen Themen wird hier verzichtet. Vielfach existieren jedoch anderenorts Überblicke über die Tendenzen der Forschung in diesen Bereichen.38 Die Fülle vorhandener Studien, in denen die Diskussion über die kollektive Identität der Juden in der Bundesrepublik einen deutlichen Schwerpunkt bildet, wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit gezielt im Hinblick auf die nach 1945 (neu) entstehenden Strukturen jüdisch-institutionellen Lebens ausgewertet. Besondere Aufmerksamkeit gilt hierbei den Biografien der zwei politischen Hauptakteure sowie dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Jüdischen Allgemeinen, die 1946 als Jüdisches Gemeindeblatt für die NordRheinprovinz und Westfalen gegründet wurde. Beim Studium der genannten Forschungsliteratur und einiger Lexikonartikel wurde schnell offenbar, dass die dort gemachten Angaben zu Marx und van Dam nur selten über die im Biografischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration39 zusammengetragenen Daten hinausgingen. Zur ersten Annäherung an die Biografien dieser zwei Akteure dienten folglich die ausgesprochen hilfreichen biografischen Skizzen von Werner Röder und Herbert A. Strauss.40 Da der heute zu verzeichnende Trend, die eigene Lebensgeschichte als Autobiografie der Öffentlichkeit zu präsentieren, unter den ersten Sprechern der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland nach 1945 nicht verbreitet war, liegen keine Selbstbeschreibungen von Marx und van Dam in Buchform vor, auf die in Ermangelung wissenschaftlicher Auseinandersetzungen zur Annäherung an die persönlichen Eindrücke während der ersten Nachkriegsjahre zurückgegriffen werden könnte.41 38 39 40 41

Für detaillierte Angaben zur verwendeten Sekundärliteratur vgl. das Literaturverzeichnis. Röder/Strauss (Hg.), Biografisches Handbuch, nachfolgend BHdE. Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479; Van Dam, Hendrik George, in: BHdE, Bd. 1, 778. Über die Sprecher der Juden im Nachkriegsdeutschland existieren bis heute nur vereinzelt biografische Studien. Eine der wenigen wissenschaftlichen Darstellungen ist die Biografie von Ludyga, Philipp Auerbach (1906 – 1952).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Stand der Forschung und Quellenlage

25

Ebenso wie biografische Skizzen fehlen wissenschaftliche Arbeiten, die den Aufbau der zentralen, überregional arbeitenden jüdischen Institutionen in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken und sich kritisch mit den Aufgaben, dem Selbstverständnis und der von diesen Einrichtungen ausgehenden bzw. von ihnen geförderten Politik auseinandersetzen. Bis zum heutigen Tag wandten sich einzelne Autoren nur im Rahmen größerer thematischer Abhandlungen zum jüdischen Leben in Deutschland seit 1945 oder in kürzeren Aufsätzen der administrativen Konsolidierung der jüdischen Gemeinschaft und der neuen zentralen Organisation der Juden, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, zu.42 Eine Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang die Monografie Jews in Post-Holocaust Germany, 1945 – 1953 von Jay Howard Geller. Der amerikanische Historiker verknüpft in seiner 2005 veröffentlichten Analyse die strukturellen Entwicklungen der jüdischen Gemeinschaft und der Politik in der Bundesrepublik und der DDR mit einer kurzen biografischen Vorstellung der politisch Handelnden; allerdings wird durch die zeitliche Begrenzung der Untersuchung auf den Zeitraum von 1945 bis 1953 vor allem die Phase der Wiedergutmachungsverhandlungen beleuchtet und auf eine weitergehende Betrachtung der späteren innerjüdischen Entwicklungen verzichtet.43 Zur einzigen überregionalen jüdischen Wochenzeitung, heute bekannt als Jüdische Allgemeine, existiert bisher nur ein Aufsatz von der deutschen Historikerin Susanne Schönborn. Unter dem Titel „Die Jüdische Allgemeine – ein Spiegel der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland?“ skizziert die Autorin an ausgewählten Momenten und entsprechend der Abfolge der Herausgeber die Geschichte der Jüdischen Allgemeinen von 1946 bis 1999. Mit dieser 2008 publizierten Zeitungsanalyse gelingt es der Autorin, die Ausrichtung der Zeitung und die Diskrepanzen, die zwischen Herausgeber und Leserschaft bestanden, in aller Kürze zu charakterisieren. Der geringe Umfang von 14 Seiten erfordert jedoch eine starke Fokussierung, weshalb beispielsweise die Darstellung der biografischen Hintergründe und persönlichen Einstellungen der Herausgeber stark reduziert wird; gänzlich verzichtet wird in der Untersuchung und Auswertung indes auf eine Vorstellung des Mitarbeiterstabs oder die Einbeziehung wirtschaftlicher Hintergründe des Unternehmens.44 In Anbetracht dieser wenigen Vorarbeiten stützt sich diese Studie zur Darstellung der Biografien und Ermittlung der Motive, Erwartungen, Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen in den Beziehungen zwischen jüdischer Repräsentanz und ihren Gesprächs- und Verhandlungspartnern fast ausschließlich auf schriftliche Quellen. Aussagen von Zeitzeugen wurden ledig42 Einzelne Aspekte jüdisch-institutionellen Lebens diskutieren u. a. Brenner, Von den Hintertüren; Bodemann, Gedächtnistheater; Geller, Die Entstehung; Zieher, Weder Privilegierung. 43 Geller, Jews, 1 – 16. 44 Schönborn, Die Jüdische Allgemeine.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

26

Prolog

lich zur Ergänzung der Darstellung herangezogen, wenn beispielsweise bei internen Streitigkeiten entsprechende schriftliche Quellen fehlten. Die wichtigste Grundlage dieser Untersuchung bilden – in Ermangelung persönlicher Nachlässe zu Marx und van Dam – die Aktenbestände in den Archiven des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Jüdischen Allgemeinen. Die dort aufbewahrten Berichte, Briefwechsel sowie Gesprächs- und Sitzungsprotokolle bieten neben vereinzelten persönlichen Aufzeichnungen, Redemanuskripten und Eingaben bzw. publizierten Stellungnahmen von Marx und van Dam, ihrem umfangreichen journalistischen Werk und den zu zentralen Ereignissen wie Jubiläen verfassten Beiträgen, Jubiläumsschriften oder Rückblicken eine Fülle von Informationen zu den offiziellen und inoffiziellen Verbindungen und Netzwerken der zwei Akteure. Sie vermitteln darüber hinaus Innenansichten und Stimmungen, geben Auskunft über Freundschaften und Abneigungen und schildern – wenn auch zum Teil lückenhaft – Handlungszusammenhänge und Entscheidungsprozesse, die in den bisher veröffentlichten Darstellungen zur deutsch-jüdischen Geschichte wenig Beachtung fanden.45 Infolge der dieser Arbeit zugrunde liegenden Fragestellung nimmt die Quellengattung der Presseorgane, unter diesen speziell die Jüdische Allgemeine, einen besonderen Stellenwert ein: Zum einen fungierte Marx gut 20 Jahre lang als Herausgeber und Chefredakteur dieser Zeitung und prägte ihr Profil nachhaltig. Zum anderen ist in der Zeitung die intensive journalistische Tätigkeit von Marx und van Dam dokumentiert, die über viele Jahre die Leitartikel der Zeitung untereinander aufteilten. Dieser Umstand verlangte eine systematische Auswertung der Zeitung, die von 1946 bis zum Ende des in den Blick genommenen Untersuchungszeitraums in Düsseldorf zunächst als Jüdisches Gemeindeblatt für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen, dann als Jüdisches Gemeindeblatt für die britische Zone und seit 1949 unter dem Titel Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland erschien und als einzige überregionale jüdische Wochenzeitung alle Bereiche jüdischen Lebens in ihre Darstellung einbezog. Die parallele Lesart und Zusammenführung der internen, innerjüdischen Kommunikation, wie sie sich in den unveröffentlichten Archivquellen präsentiert, und der nach außen, auch an eine nichtjüdische Leserschaft gerichteten Information, wie sie in der regelmäßig erscheinenden Zeitung Eingang findet, ermöglicht differenzierte Aussagen über die politische Positionierung der zwei Akteure im Spannungsfeld zwischen bundesdeutscher Politik und jüdischen Gemeindeinteressen. Durch die intensive Einbeziehung der Beiträge in der jüdischen Wochenzeitung wird der Fundus des unveröffentlichten Archivmaterials also um eine wichtige Facette bereichert: die Selbstdarstellung der jüdischen Repräsentanten bzw. jüdischen Lebens im öffentlichen 45 Zur Frage der Heranziehung des literarischen Werkes als Quelle vgl. Kurzke, Zur Rolle des Biographen, hier bes. 175 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Anmerkungen

27

Raum. Seit der Gründung des Jüdischen Presse Dienstes, von 1965 an das offizielle Mitteilungsorgan des Zentralrats, wurden auch die darin veröffentlichten Informationen in die Analyse einbezogen. Ergänzend wurden darüber hinaus Zeitungsartikel in die Darstellung integriert, die Marx und van Dam in anderen jüdischen und nichtjüdischen Tages- und Wochenzeitungen (z. B. Aufbau, Baseler Nachrichten) veröffentlichten; auf eine systematische Auswertung dieser Presseerzeugnisse musste aufgrund ihrer großen Anzahl jedoch verzichtet werden.46 Die Recherche beschränkte sich jedoch keineswegs allein auf die Quellenbestände dieser zwei genannten Archive und die Auswertung der Jüdischen Allgemeinen. Insgesamt wurden zur Erarbeitung der Lebensgeschichten von Marx und van Dam, ihrer beruflichen Tätigkeit in der Phase der „administrativen Konsolidierung“ sowie der Entstehung und Ausrichtung der zwei genannten Institutionen weit über 100 deutsche, europäische, amerikanische und israelische Archive und Bibliotheken kontaktiert und mehr als 40 von diesen Recherchen durchgeführt.47

Anmerkungen Seit vielen Jahren lässt der öffentliche Sprachgebrauch eine allgemeine Verunsicherung darüber erkennen, ob die Bezeichnung „deutsche Juden“ für die jüdische Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik, die Gegenstand der vorliegenden Betrachtung ist, angemessen sei. Ersatzweise spricht man von „jüdischen Mitbürgern“, „Juden in Deutschland“ oder „Juden deutscher Herkunft“, nicht selten ohne sich zu vergegenwärtigen, dass erst die nationalsozialistische Gesetzgebung von 1935 die deutschen Juden zu „Juden in Deutschland“ degradierte.48 In der vorliegenden Arbeit ist in klarer Abgrenzung zu diesem Kapitel der deutschen Geschichte von „deutschen Juden“ die Rede. Damit orientiert sie sich in erster Linie an dem Selbstverständnis von Marx und van Dam, die vor ihrer Flucht ins Ausland integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft waren und sich unabhängig von der Frage der Staatsbürgerschaft in ihrer Gesinnung und Einstellung als deutsche Bürger begriffen.49 Ohne jeglichen definitorischen Anspruch zu erheben, sei – um Missverständnissen vorzubeugen – an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Terminus „Jüdisches Leben“, der im Kontext dieser Arbeit vielfach zur An46 47 48 49

Eine Übersicht der konsultierten Zeitungen befindet sich im Anhang. Für detaillierte Angaben zum ausgewerteten Quellenmaterial vgl. das Quellenverzeichnis. Zimmermann, Die deutschen Juden 1914 – 1945, XIf. Zur Diskussion der Begrifflichkeit „deutscher Jude“ vgl. auch Lamm, Ein deutscher Jude, 5 f; Loewy, Jüdische Existenz; Kahn, Juden; Quast, Nach der Befreiung, 35 f; Sinn, „Und ich lebe wieder an der Isar“, 190 – 194.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

28

Prolog

wendung kommt, im Weiteren das organisierte jüdische Gemeinde- und Gemeinschaftsleben in der Bundesrepublik bezeichnet, nicht jedoch das Schaffen derjenigen berücksichtigt, die als Juden geboren oder verfolgt worden waren, sich aber nicht mit der jüdischen Gemeinschaft identifizierten. Ein weiterer klärungsbedürftiger Begriff ist der des „Exils“ bzw. der „Emigration“. Wie z. B. Julia Franke in ihrer Studie Paris – eine neue Heimat? ausführlich diskutiert, werden die Ausdrücke „Emigranten“, „Flüchtlinge“ und „Exilanten“ in der bisherigen Literatur meist synonym verwendet.50 In der vorliegenden Arbeit werden die beiden am häufigsten benutzten Begriffe – „Emigranten“ und „Flüchtlinge“ – in diesem Sinne gleichbedeutend zur Bezeichnung derjenigen verwendet, die wegen der nationalsozialistischen Diktatur Deutschland verlassen mussten. Während sich diese beiden Ausdrücke kaum voneinander unterscheiden lassen, kann der Begriff des „Exilanten“ deutlicher abgegrenzt werden: Er bezieht sich im engeren Sinn auf die politisch Verfolgten, deren Trennung von der Heimat von außen erzwungen war und das Warten auf eine Rückkehr mit einschloss.51 Wie die meisten Zeitzeugen sahen sich auch Marx und van Dam als Flüchtlinge, können aufgrund der politischen Motivation, die beide zum Verlassen ihrer Heimat veranlasste, jedoch ebenfalls als Exilanten bezeichnet werden. Aus der im April 1946 als Jüdisches Gemeindeblatt für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen (nachfolgend Jüdisches Gemeindeblatt bzw. JG) gegründeten Zeitung ging 1949 die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (nachfolgend Allgemeine bzw. AWJD) hervor, die seit 1973 als Allgemeine Jüdische Wochenzeitung (nachfolgend AJW) erschien. Seit 2002 heißt sie Jüdische Allgemeine, weshalb Referenzen mit Bezug zur gesamten Zeitung unter dieser aktuellen Bezeichnung erfolgen. Die zitierten Quellenauszüge werden im Original wiedergegeben, offensichtliche Rechtschreibfehler in den folgenden Dokumenten jedoch stillschweigend korrigiert. Hervorhebungen waren, soweit nicht anders vermerkt, im Originaltext enthalten.

50 Franke, Paris, 35 f. 51 Benz, Das Exil, 35; Stammen, Exil, 15.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

I. Die Anfänge Am „Victory in Europe Day“ hatten die Menschen je nach ihrer Situation die unterschiedlichsten Empfindungen. Während die Mehrheit der inzwischen in Trümmern lebenden „Volksgemeinschaftsdeutschen“1 das Ende des Zweiten Weltkriegs als totalen Zusammenbruch erlebte, wurde das Inkrafttreten der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 von den Alliierten als Triumph gefeiert.2 Die Reaktionen der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung auf die historischen Ereignisse in Europa im Frühjahr des Jahres 1945 divergieren ebenso wie die von ihnen während der NS-Zeit erlittenen Schicksale.3 So beurteilten die etwa sieben Millionen von den alliierten Armeen im späteren Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen vorgefundenen „Displaced Persons“ (DPs)4 den Einmarsch der Alliierten tatsächlich mehrheitlich als Moment der Befreiung. Insgesamt trafen die Alliierten bei Kriegsende zwischen 10 und 15 Millionen Flüchtlinge bzw. Vertriebene unterschiedlicher Nationalität in Zentral- und Westeuropa an.5 Für die, die Zwangsarbeit und Konzentrationslager überlebt hatten, aber auch für die außerhalb der Lager von den Nationalsozialisten Verfolgten, bedeutete das Eintreffen der siegreichen Streitkräfte das offizielle Ende ihrer Gefangenschaft bzw. der ständigen Bedrohung ihres Lebens durch die nationalsozialistischen Machthaber, welcher sie seit Beginn der NS-Diktatur im

1 Süss, Der lange Schatten, 8; Hahn, Repräsentationen, 150. 2 Zu den unterschiedlichen Wahrnehmungen vom Kriegsende vgl. z. B. Süss (Hg.), 1945; Fings, Kriegsenden; Stern, The Historic Triangle, bes. 47 – 49; Wyman, DP, 15 – 17. 3 Zur Definition und den Charakteristika nationalsozialistischer Verfolgung und ihren Auswirkungen in der Praxis vgl. Kuller, Dimensionen. 4 Die als „DPs“ bezeichnete Personengruppe wandelte sich im Laufe der Zeit und wird auch in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedlich definiert. Die vorliegende Arbeit betont in Übereinstimmung mit der Definition der Alliierten und den Studien von z. B. Wolfgang Jacobmeyer und Mark Wyman, dass es sich bei den DPs um „Zivilpersonen [handelt], die sich aus Kriegsfolgegründen außerhalb ihres Staates befinden; die zwar zurückkehren oder eine neue Heimat finden wollen, dieses aber ohne Hilfestellung nicht zu leisten vermögen.“ Vgl. hierzu das Administrative Memorandum Number 39 (Revised–16 April 1945) der Supreme Headquarters Allied Expeditionary Forces über Displaced Persons and Refugees in Germany, I.5 (b), abgedruckt bei Proudfoot, European Refugees, 446; Jacobmeyer, Vom Zwangsarbeiter, 16; Wyman, DP, 17. Zu Definition, Behandlung und Anzahl der sogenannten Displaced Persons vgl. Grossmann, Jews, 131 f, bes. 315 f, Anm. 8; Proudfoot, European Refugees, 450 – 460. 5 Realistischen Schätzungen zufolge konnten bis September 1945 etwa sechs Millionen der in den westlichen Besatzungszonen vorgefundenen DPs repatriiert werden. Vgl. Dinnerstein, America, 9; Mankowitz, Life, 11 – 14; Pinson, Jewish Life, 101 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

30

Die Anfänge

Januar 1933 in unterschiedlichem, jedoch stetig zunehmendem Maße ausgesetzt gewesen waren.6 Eine andere Perspektive auf die Geschehnisse hatten diejenigen, die der Verfolgung und dem drohenden Tod durch die rettende Flucht aus Deutschland ins europäische Ausland bzw. nach Übersee entkommen waren.7 Mit Skepsis und Sorge hatte die Mehrheit von ihnen aus dem Exil die Entwicklungen in der früheren Heimat verfolgt. Für viele Emigranten, die infolge der Auswanderung überlebten, stand aufgrund des Verlusts ihrer materiellen Existenz und der erlittenen Entrechtung und Entwürdigung im Vaterland fest, dass sie nie wieder deutschen Boden betreten wollten.8 Einige wenige beschlossen jedoch trotz oder gerade wegen ihres persönlichen Schicksals, aktiv an der Bekämpfung der Nationalsozialisten mitwirken zu wollen, und meldeten sich freiwillig zur Armee. Aufgrund dieser Entscheidung kehrte ein kleiner Teil der deutschstämmigen Emigranten als Soldaten oder Geistliche bzw. Feldrabbiner mit den alliierten Armeen nach Deutschland zurück und wurde auf Seiten der Siegermächte Zeuge des unvorstellbaren Grauens, dem die Befreier während des Einmarschs und in den ersten Wochen der Besatzung begegneten. Ihr neues Selbstverständnis als z. B. Amerikaner oder Brite verlieh einigen „ein Stück der bitter benötigten inneren Sicherheit“, das für sie in der Konfrontation mit der vormaligen Heimat wichtig war.9 Betrachtet man die unmittelbaren Nachkriegsjahre in Deutschland, so bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass jüdische Emigranten, die aus dem Exil zurückkehrten, bei großen Teilen der deutschen Bevölkerung nur wenig willkommen waren und häufig auf eine anti-jüdische, wenn nicht offen antisemitische Umgebung trafen. Dieses Schicksal teilten sie mit den in Deutschland lebenden jüdischen DPs, die mehrheitlich aus Osteuropa stammten und unter keinen Umständen in ihre Heimatländer zurückkehren oder in Deutschland verbleiben, sondern so schnell wie möglich nach Palästina oder in die USA auswandern wollten.10 Nach Nationalitäten gruppiert lebten diese nichtrepatriierbaren, in Deutschland, Österreich und Italien zu6 Kolinsky, Experiences; Lavsky, The Day After ; Patt, Living in Landsberg, 102 – 105; Reilly, Belsen, 148 – 152. Zu den Flüchtlingsströmen und den Anfängen des DP-Problems vgl. Wyman, DP, 15 – 37. 7 Mindestens 94 Prozent bzw. 470.000 der 500.000 aus Deutschland, Österreich und dem deutschsprachigen Teil der Tschechoslowakei emigrierten Männer, Frauen und Kinder waren Juden oder von den Nationalsozialisten wegen ihres Familienhintergrunds zu Juden erklärte Menschen. Nicht selten wurden die, die zunächst im europäischen Ausland Zuflucht fanden, dort zu einem späteren Zeitpunkt Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Vgl. Strauss, Introductions, XI – XXVI, bes. XIf; Krohn, Einleitung, 8. 8 Benz, Das Exil, 7 – 37. 9 Krauss, Heimkehr, 46 – 49, 62 – 72, Zitat 47. Vgl. auch Webster, Jüdische Rückkehrer. 10 Malcolm Proudfoot zufolge befanden sich 27.699 Juden in Deutschland und 9.492 Juden in Österreich. Insgesamt gibt er die Anzahl der jüdischen DPs in Europa mit 69.098, d. h. 3,7 Prozent der insgesamt 1.888.401 DPs an. Proudfoot, European Refugees, 238 f. Vgl. auch Grossmann, Jews, 132; Pinson, Jewish Life, 101 – 103; Lavsky, The Day After, 51 – 59.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Anfänge

31

rückgebliebenen DPs in „assembly centers“11. Sie waren nicht nur antisemitischen Übergriffen der nichtjüdischen DPs ausgesetzt, sondern wurden zum Hauptziel des in der deutschen Gesellschaft präsenten Nachkriegsantisemitismus.12 Erschwerend kam hinzu, dass eine dauerhafte Präsenz von Juden im „Land der Täter“ nicht nur von den Deutschen, sondern auch von internationalen jüdischen Organisationen abgelehnt wurde. Angesichts der jüngsten Vergangenheit und der nach wie vor unter Deutschen verbreiteten negativen Ansichten in den späten 1940er Jahren bezogen Juden und jüdische Organisationen weltweit unmissverständlich Stellung gegen die Rückwanderung in jenes Land, das die Ermordung von fast sechs Millionen Juden ausgeführt hatte.13 Der deutsche Rabbiner und führende Repräsentant des liberalen Judentums in Deutschland, Leo Baeck,14 war einer der ersten, der nach seiner Befreiung aus dem KZ die Unmöglichkeit einer Fortsetzung jüdischen Lebens in Deutschland zum Ausdruck brachte.15 Internationale jüdische Organisationen gingen in ihren Stellungnahmen noch einen Schritt weiter als Baeck: Ähnlich dem allgemeinen Konsens, eine jüdische Ansiedelung in Spanien nach 1492 zu unterlassen, äußerten sie, dass Deutschland nicht länger als sicherer Aufenthalts- bzw. Zufluchtsort für Juden angesehen werden könne. Wenn auch kein rabbinischer Bann gegen eine Wiederansiedelung von Juden in Deutschland ausgesprochen wurde, so drückte die Aufforderung des World Jewish Congress (WJC) in der im Juli 1948, kurz nach der Staatsgründung Israels verfassten Resolution von Montreux, sich „nie wieder auf deutschem blutgetränkten Boden anzusiedeln“, beispielhaft die entschiedene Ablehnung jüdischer Präsenz im „Land der Täter“ aus.16 Trotz dieser schwierigen Gesamtsituation begannen jüdische Gruppen in Deutschland schon bald nach der Befreiung mit ihrer Selbstorganisation.

11 In der amerikanischen und britischen Besatzungszone existierten im Mai 1945 etwa 500 „DP assembly centers“. Vgl. Grossmann, Jews, 132 f; Wyman, DP, 17; Pinson, Jewish Life, 105. 12 Zur Begegnung von Juden und Nichtjuden und der Rezeption jüdischer Überlebender vgl. z. B. Bergmann, „Wir haben sie nicht gerufen“; Myers Feinstein, Holocaust Survivors; Stern, Jews; Ders., Im Anfang; Zur Mühlen, Rückkehr unerwünscht? 13 Stern, The Historic Triangle, 54 f. Zur Verfolgung und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten vgl. Benz (Hg.), Dimension; Friedländer, Die Jahre; Hilberg, Die Vernichtung. 14 Zur Biografie von Rabbiner Leo Baeck (1873 – 1956) vgl. Homolka (Hg.), Leo Baeck; Homolka/ Füllenbach, Leo Baeck. 15 Vgl. Meyer, „Ich bin der Ewige, Dein Gott, Du sollst“, 42. 16 Zitiert nach Brenner, Nach dem Holocaust, 99. Vgl. auch Geller, Jews, 62; Shafir, Der Jüdische Weltkongress, 214 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

32

Die Anfänge

1. Zur Entstehung und Organisation jüdischer DP-Komitees Als Reaktion auf ihre schwierige, fremdbestimmte Situation während der ersten Monate nach Kriegsende gründeten jüdische Überlebende bereits am 18. April 1945 im DP-Lager Belsen17 das erste vorläufige Komitee, das sich zunächst auf vier Hauptaufgaben konzentrierte: die physische Genesung der Überlebenden, die Suche nach am Leben gebliebenen Verwandten, den politischen Kampf um die eigenen Rechte und die seelische Regeneration.18 Vorsitzender dieses neunköpfigen Rates ehemaliger Häftlinge war der 1911 im polnischen Bendzin geborene Josef (Jossel) Rosensaft, der die Konzentrationslager Auschwitz und Dora-Mittelbau überlebt hatte und Anfang April 1945 mit einem so genannten Todesmarsch in das KZ Bergen-Belsen gekommen war.19 Da das jüdische Komitee die zahlenmäßig stärkste Gruppe unter den Bewohnern Belsens vertrat,20 nahm es schon bald eine wichtige Stellung im Lager ein und zwang die Briten zu einer De-facto-Anerkennung ihrer Interessenvertretung, der allerdings keine offizielle Bestätigung folgte. In einer Gesprächsnotiz der britischen Militärregierung heißt es zu diesem Thema: „The Central Committee of Jewish D.Ps. at Hohne should not be recognised officially, but we should not refuse to receive representations put forward by them unofficially. We should, in fact, be open and free with the Committee.“21 Die Entscheidung der Briten gegen eine Anerkennung der Juden als besondere Volksgruppe und eine damit einhergehende Einrichtung von jüdischen DP-Lagern war vor allem von eigennützigen Interessen der Besatzungsmacht geleitet, die in erster Linie auf die klare Trennung zwischen den in Europa ausharrenden befreiten Juden und der britischen Palästinapolitik zurückführen war.22 Offiziell argumentierten die Besatzer jedoch, dass die Einrichtung separater jüdischer DP-Lager einer Fortführung der nationalso17 Während die britische Militärregierung die Bezeichnung „DP-Lager Hohne“ verwandte, gebrauchten die jüdischen Überlebenden die Bezeichnung „DP-Lager Belsen“. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 175 – 177. Zur Befreiung und Geschichte des Lagers vgl. Kemp, The British Army ; Schlichting, Öffnet die Tore. 18 Zur Situation nach der Befreiung vgl. Büttner, Not, 392 f; Myers, Jewish Displaced Persons, 309 – 311; Wollheim, „Wir haben Stellung bezogen“, 110 – 112. Vgl. auch Lady Rose L. Henriques, Central Britisch Fund for Jewish Relief and Rehabilitation: Patchwork and its Effect on British Prestige, 27. 12. 1945, in: WLL, MF Doc 27/24, 132/1 f. Zu den Aufgaben des Komitees vgl. Rosensaft, Our Belsen, 27; Wollheim, „Wir haben Stellung bezogen“, 110 f. 19 Zur Biografie und Charakterisierung von Josef Rosensaft (1911 – 1975) vgl. Brenner, Nach dem Holocaust, 48 f, 142 f; Kolinsky, After the Holocaust, 58 f; Königseder/Wetzel, Lebensmut, bes. 81 – 92, 177 – 182; Shephard, The Long Road Home, 398 f; Wetzel, Die Selbstverwaltung, 43 – 45; Wollheim, „Wir haben Stellung bezogen“, 109 f. 20 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 174, 178. 21 Gesprächsnotiz von J.E. Barrell, P.S. to the Chancellor, an Mr. Crawford, 25. 11. 1946, in: TNA: PRO FO 945/399. Vgl. auch Königseder/Wetzel, Lebensmut, 178. 22 Vgl. Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 21 sowie Pinson, Jewish Life, bes. 7.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Entstehung und Organisation jüdischer DP-Komitees

33

zialistischen Rassenideologie gleichkäme und deshalb abzulehnen sei.23 Durch eine vertrauliche Direktive wurde die bisherige Politik in der britischen Zone lediglich dahingehend modifiziert, dass es den jüdischen DPs erlaubt werden sollte, in den DP-Lagern separate Blocks zu beziehen. De facto entstanden infolge dieser Entscheidung in Hannover (zeitweilig über 1.200 Juden) und Belsen (zeitweilig bis zu ca. 13.000 Juden) jüdische DP-Lager. Rückblickend erinnert sich Rosensaft, dass it became clear to us from the very beginning that the political struggle took precedence over other tasks, even though people were still dying around us. For we soon had our first arguments with the British. We had requested discharge permits for the German Jews among us, and for the allocation of a couple of special blocks for Jewish inmates. We were told it could not be done. But when we insisted, we had our way. The first political victory in a new world.24

Die Durchsetzung eigener Häuserblocks trug wesentlich zur psychischen Stabilisierung der Juden im Lager bei, die in der britischen Zone nicht als eigene Gruppe von Verfolgten anerkannt wurden.25 Einen weiteren Sieg über die britischen Besatzer verzeichnete die politische Organisation der jüdischen DPs im Herbst 1945: Auf dem ersten Kongress der She’erit Hapleitah26 in der britischen Zone vom 25. bis 27. September 1945 im DP-Lager Belsen, der gegen den Willen der britischen Besatzungsmacht organisiert worden war, entstand aus dem zunächst nur lokal arbeitenden Komitee in Belsen die wichtigste Organisation der überlebenden Juden im Norden Deutschlands, das Zentralkomitee der befreiten Juden in der britischen Zone (ZKBZ).27 Siebzig Korrespondenten aus aller Welt berichteten von diesem Ereignis, an dem nicht nur mehrere hundert DPs und Juden deutscher Herkunft aus der britischen Zone, sondern auch Delegierte jüdischer Organisationen aus den USA, England und Palästina teilnahmen. Als einen der größten Erfolge des Kongresses bezeichnete Rosensaft, der zum Vorsitzenden des ZKBZ gewählt wurde, den Beginn der engen Zusammenarbeit zwischen den „camps and communities“28 der britischen Zone, die auch in der Wahl des Vizevorsitzenden des ZKBZ ihren Ausdruck fand: Norbert Wollheim,29 1913 in Berlin 23 Vgl. Memorandum from HQ. 30 Corps District on the Jewish D.P. situation, 22. 1. 1946, in: TNA: PRO FO 1032/2257. 24 Rosensaft, Our Belsen, 27. 25 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 177 – 182. 26 Der hebräische Begriff „She’erit Hapleitah“ (dt. Der Rest der Geretteten) bezeichnet alle überlebenden Juden in Europa, insbesondere jedoch diejenigen, die zwischen 1945 und 1949 auf deutschem Boden zusammenkamen. Während in der amerikanischen Zone der Begriff offenbar nur den jüdischen DPs als Selbstbezeichnung diente, verstanden sich in der britischen Zone auch deutsche Juden als Teil der She’erit Hapleitah. Zur Entstehung und historischen Bedeutung der Bezeichnung vgl. Mankowitz, Life, 1 – 10; Peck, „Our Eyes […]“, bes. 61 f. 27 Rosensaft, Our Belsen, 38; Wetzel, Die Selbstverwaltung, 49. 28 Rosensaft, Our Belsen, 38. 29 Zur Biografie von Norbert Wollheim (1913 – 1998) und seinem Prozess gegen die I.G. Farben

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

34

Die Anfänge

geboren und wie Rosensaft Auschwitz-Überlebender, vertrat sowohl die Interessen der DP-Lager als auch der wiedergegründeten Gemeinden und teilte mit Rosensaft die Auffassung, dass Deutschland nach der Katastrophe kein Aufenthaltsort für Juden sein könne.30 Wollheim war bereits vor dem Krieg in der deutsch-jüdischen Gemeindearbeit tätig gewesen. Er ließ sich nach seiner Befreiung aus der Gefangenschaft in Lübeck nieder, wo sich zur Zeit seiner Ankunft 1945 eine Gruppe von etwa 800 jüdischen DPs befand. Schnell übernahm er – nicht zuletzt deshalb, weil Rosensaft außer Jiddisch keine Sprache fehlerfrei beherrschte – die Aufgabe eines Vermittlers zwischen DPs bzw. deutschen Juden auf der einen und den britischen Besatzern und deutschen Behörden auf der anderen Seite. Nach dem Eintreffen der Mitarbeiter jüdischer Hilfsorganisationen aus England und Amerika, die sowohl die Sprache der Besatzer als auch der Überlebenden sprachen, bildeten diese das Verbindungsglied zwischen den Engländern und jüdischen DPs.31 Die wichtigste amerikanisch-jüdische Hilfsorganisation war das American Jewish Joint Distribution Committee (AJDC oder Joint), in der britischen Besatzungszone wirkte verstärkt auch die britische Jewish Relief Unit (JRU). Beide Organisationen bemühten sich trotz gewisser Behinderungen ihrer Arbeit durch die Besatzungsmächte, auf die persönlichen Bedürfnisse der jüdischen DPs einzugehen, unterstützten sie bei ihrer Suche nach überlebenden Angehörigen und bauten im Verlauf mehrerer Monate eine umfassende Versorgung auf.32 Offiziell jedoch war Rosensaft der „Repräsentant“, der „zur Vertretung aller in den Bereich der D.P. Division fallenden Fragen bis zur Spitze der Britischen Behörden“ berechtigt war, während Wollheim als „Sprecher“ für die „notwendigen Verhandlungen in den Fällen, bei denen es sich um Fragen der in der Stadt wohnenden jüdischen Menschen handelt“ 33, zuständig war. Eine mögliche Erklärung für die unangefochtene Position des ZKBZ innerhalb der jüdischen DP-Gemeinschaft in der britischen Zone ist die Tatsache, dass die Mitglieder der Interessenvertretung zum größten Teil aus dem DP-Camp

30 31 32

33

(Januar 1952–Februar 1957) vgl. Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 58 – 68; Benz, Der WollheimProzess; Brenner, Nach dem Holocaust, 141 – 147; John Hersey, Tatoo Number 107,907; Rumpf, Der Fall Wollheim; Wollheim, „Wir haben Stellung bezogen“; Biografie Norbert Wollheims, in: http://www.wollheim-memorial.de/de/norbert_ wollheim (22. 5. 2013). Brenner, Nach dem Holocaust, 147; Quast, Nach der Befreiung, 171. Schreiben der britischen Militärregierung, 23. 4. 1946, in: TNA: PRO FO 1049/417; Königseder/ Wetzel, Lebensmut, 182; Wollheim, „Wir haben Stellung bezogen“, 110 – 112. Die dritte Organisation, die später in der britischen Zone zugelassen wurde, war die Jewish Agency for Palestine. Vgl. hierzu Plan of Operations of Jewish Voluntary Agencies in British Zone, 20. 2. 1946, in: TNA: PRO FO 1013/1948. Zur Arbeit von Joint und JRU vgl. z. B. Bauer, Out of the Ashes; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 58 – 80; Quast, Nach der Befreiung, 221 – 254. Zur Geschichte der JRU vgl. auch Kapitel II.2.3. Yad Vashem, Rosensaft Archive, 0 – 70/5 Dok.7/5. Protokoll der Besprechung mit Chancellor of the Duchy of Lanchester Staatsminister Hynd, 25th November, 1946, zitiert nach: Wetzel, Die Selbstverwaltung, 51 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Entstehung und Organisation jüdischer DP-Komitees

35

Belsen kamen, das sich früh zum Zentrum jüdischer Aktivität in der britischen Zone entwickelt hatte. Immerhin lebten hier im Sommer 1946 nicht nur 9.304 von den insgesamt 11.702 jüdischen DPs der britischen Zone, sondern es befanden sich dort auch alle wichtigen jüdischen Einrichtungen und die Büroräume des Komitees.34 Oberstes langfristiges Ziel der zionistisch ausgerichteten Mitglieder des ZKBZ war die Gründung eines jüdischen Staates und die freie Einwanderung dorthin.35 Bis zur Realisierung ihres Traums, des Neubeginns in Palästina, entschieden die jüdischen DPs in der britischen Zone, das Miteinander aktiv zu gestalten, und so entwickelte sich mit zunehmender Dauer des Aufenthalts in den DP-Lagern der alliierten Besatzer bzw. in der Bundesrepublik eine klar von der deutschen Umgebung abgegrenzte jüdische Gesellschaft. Diese konzentrierte sich in ihren Bemühungen um einen Neuaufbau jüdischen Lebens und jüdischer Gemeinschaft zunächst auf „the most fundamental level, that of family“, feierte wieder jüdische Feste und begann kulturelle Angebote ins Leben zu rufen.36 Die vielfältigen Aktivitäten, die sich mit Unterstützung der Vertreter amerikanischer und britischer Hilfsorganisationen in den verschiedenen DPLagern in der britischen Zone in unterschiedlichem Umfang etablierten,37 trugen entscheidend zur Förderung des Gemeinschaftsgefühls der jüdischen Überlebenden bei und ließen die Lagerbewohner zumindest vorübergehend vergessen, dass sie nach wie vor in Deutschland lebten und der Tag der Ausbzw. Weiterwanderung noch ungewiss war.38 Aus dem reichen kulturellen Angebot besonders hervorzuheben ist das jüdische Pressewesen, das sich innerhalb der langsam zusammenwachsenden Gemeinschaft entwickelte.39 In den DP-Lagern und unter den außerhalb der Lager lebenden Juden herrschte nach den Jahren der Isolation ein dringendes Bedürfnis, sowohl die Ereignisse im besetzten Deutschland als auch die weltpolitischen Veränderungen, v. a. im Nahen Osten, zu verfolgen. Die große Anzahl der zwischen 1945 und 1950 34 Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 36. 35 Lavsky, Die Anfänge, 215; Wetzel, Die Selbstverwaltung, 44 f. 36 Myers, Jewish Displaced Persons, 306 – 308, Zitat 306; Galinski, Jüdisches Gemeindeleben, 41 f. Zur Situation im Lager Belsen vgl. u. a. die Beiträge in Irgun Sheerit Hapleita Me’Haezor Habriti (Hg.), Belsen; Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 35 – 38; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 185 – 218; Quast, Nach der Befreiung, 172 f; Schlichting, Das Glyn Hughes Hospital; Tobias, „Wir brauchen dringend Bücher aller Art“, bes. 52 f; Weintraub, Daily Life. 37 Am 29. 7. 1945 erreichte ein Joint-Team die Überlebenden; Anfang August unterstützten 12 Mitarbeiter der JRU die Arbeit der Amerikaner. Vgl. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 177 – 182. 38 Zum reichen kulturellen Leben in den DP-Lagern vgl. z. B. Brenner, Nach dem Holocaust, 28 – 46; Giere, Kulturelles Vermächtnis; Dies., Wir sind unterwegs; Grossmann/Lewinsky, Erster Teil, 67 – 121; Lewinsky, Displaced Poets; Yantian, „Aus der Versteinerung herausgetreten“. 39 In Belsen erschien z. B. vom 12. 7. 1945 bis zum 30. 10. 1947 als (zionistisch orientiertes) Mitteilungsorgan des ZKBZ die jiddische Zeitung Unzer Sztyme. Vgl. Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein in Kooperation mit dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg (Hg.), Unzer Sztyme.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

36

Die Anfänge

existierenden Zeitungen und Zeitschriften, die innerhalb der Lager entstanden und überwiegend in Jiddisch erschienen, trug diesem Anliegen Rechnung. Zugleich dienten sie den DPs jedoch auch als zentrales Kommunikationsmittel untereinander : Man publizierte selbst Erlebtes, verkündete Hochzeiten und Geburten, integrierte Fortsetzungsromane oder Feuilletonbeilagen und – für viele am wichtigsten – veröffentlichte Listen mit den Namen von Überlebenden sowie Suchanzeigen nach Angehörigen und Freunden. Schließlich wurden auch Bekanntmachungen der Lagerkomitees und Lagerpolizei auf den Seiten der Zeitungen abgedruckt, um auf diesem Weg möglichst viele DPs zu erreichen.40 Das Jüdische Gemeindeblatt für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen, dessen erste Ausgabe am 15. April 1946 in Düsseldorf gedruckt wurde, stellte in der britischen Zone die wichtigste Zeitung der jüdischen Gemeinden außerhalb der Lager dar, integrierte in seine Berichterstattung jedoch auch wichtige Entwicklungen und Ereignisse der jüdischen DP-Gemeinschaft. Dies verschaffte der später unter dem Namen Jüdische Allgemeine bekannt gewordenen Zeitung eine gemischte jüdische Leserschaft und trug entscheidend dazu bei, dass sich das anfänglich regional begrenzt erscheinende Blatt innerhalb kürzester Zeit zum zentralen Presseorgan der Juden in Deutschland entwickelte.41 Etwa zeitgleich mit dem ersten Zusammenschluss jüdischer DPs in der britischen Zone begannen auch jüdische Überlebende in der amerikanischen Besatzungszone, eigene Organisationen anzustreben und selbst organisierte Veranstaltungen zu initiieren. Die erste ihrer Art war am 27. Mai 1945 ein Konzert der Überlebenden des Kownoer Ghetto-Orchesters in dem DPKrankenhauslager in St. Ottilien.42 Zwischen 1945 und 1950 lebten in der amerikanischen Besatzungszone mehr als 200.000 jüdische DPs in zahlreichen größeren und kleineren jüdischen DP-Lagern, in denen die Lebensbedingungen unmittelbar nach der Befreiung den Zuständen in der britischen Zone vergleichbar waren: Der fremdbestimmten Situation ausgeliefert, kämpften die jüdischen DPs um die Anerkennung als eigene Nation, waren aufgrund der alliierten Politik demoralisiert und verzweifelten angesichts der ungewissen Zukunft. Ungeachtet der schwierigen Gesamtsituation begannen sie schon kurz nach der Befreiung, Familien zu gründen, und ließen zeitgleich eine autonome jüdische Kultur aufleben, die der der osteuropäischen, jüdischen „Shtetl“ sehr ähnlich war.43 Der Umstand, dass die jüdischen DPs in der amerikanischen Zone infolge des Berichts des amerikanischen Sonderbeauftragten Earl G. Harrison, einem im 40 Brenner, Nach dem Holocaust, 30 – 34; Harck/Harck, Vorbemerkung; Myers, Jewish Displaced Persons, 313 f. 41 Geller, Jews, 47; van Dam, Jüdische Presse, 28. 42 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 82 f; Kolinsky, Experiences, 262 f. 43 Myers, Jewish Displaced Persons, 306 – 308, Zitat 306. Vgl. auch Grossmann/Lewinsky, Erster Teil, 74 – 86; Eder, Flüchtige Heimat; Hilton, The Reshaping; Kolinsky, Experiences; Myers Feinstein, Holocaust Survivors; Tobias, Zeilsheim.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Entstehung und Organisation jüdischer DP-Komitees

37

Auftrag von Präsident Truman zur Begutachtung der Situation für jüdische Überlebende ins Nachkriegsdeutschland entsandten Rechtsanwalt aus Philadelphia, nunmehr amerikanischer Vertreter des Intergovernmental Committee on Refugees (IGCR)44, in separaten DP-Lagern untergebracht wurden, erleichterte den Ausbau der eigenen Strukturen und bot den Überlebenden „not only physical and political protection but also psychological comfort“45, was den Juden in der britischen und französischen Zone aufgrund der fehlenden Anerkennung als eigene Nation vorenthalten blieb.46 Aufgrund der großen Anzahl von DPs und der weiten Streuung der jüdischen DP-Lager im Süden Deutschlands kam der lokalen Selbstverwaltung in diesen „assembly centers“ sowie den Regionalkomitees benachbarter Lager eine deutlich wichtigere Funktion zu als dies in den von den Briten verwalteten Gebieten der Fall war. Frühzeitig gründeten sich in Bayern Lagerkomitees47; für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung war eine selbsternannte jüdische DP-Polizei zuständig; es entstanden zahlreiche religiöse, soziale und kulturelle Einrichtungen ebenso wie Erziehungseinrichtungen und viele Zeitungen bzw. Zeitschriften, die gezielt auf die Bedürfnisse der Gemeinschaften innerhalb der verschiedenen jüdischen DP-Lager abgestimmt waren.48 Das bekannteste Zentrum jüdisch-gesellschaftlicher Aktivität in der amerikanischen Zone entstand – anders als in dem von den Briten besetzten Gebiet – nicht in einem einzelnen DP-Lager, sondern im Münchner Stadtteil Bogenhausen. Die Büros des Joint, des Bayerischen Hilfswerkes für die von den Nürnberger Gesetzen Betroffenen und die Hebrew Aid Society (HIAS) befanden sich alle im Münchner Westen und zogen täglich einen Strom jüdischer DPs aus den Lagern der Umgebung49 in die Möhlstraße bzw. Siebertstraße. Dort hatten sich auch verschiedene jüdische Erziehungseinrichtungen, die jüdische Berufsschule (ORT-Fachschule), eine Bibliothek, die Zentrale Historische Kommission, aber auch der Schauspielerverband und der Schriftstellerverband niedergelassen. Neben zahlreichen kleinen Lebensmittelgeschäften und Geschäften mit Ritualgegenständen, die von der Laufkundschaft profitierten, etablierte sich in der Möhlstraße auch eines der Zentren des Münchner Schwarzmarktes. Zwar war der Prozentsatz der Juden, die tat44 Zur Geschichte des IGCR vgl. Intergovernmental Committee on Refugees, in: International Organization 1/1 (Februar 1947), 144 – 145; Shephard, The Long Road Home, IXf. 45 Myers, Jewish Displaced Persons, 305. 46 Zum Harrison-Bericht und seinen Folgen in der amerikanischen Zone sowie den Direktiven von General Eisenhower vgl. z. B. Bauer, Out of the Ashes, 45 – 70; Dinnerstein, America, 39 – 71, 291 – 305; Kolinsky, After the Holocaust, 105 – 133; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 35 – 46; Stern, The Historic Triangle, 53. Zur Situation in der britischen Zone und der Politik der britischen Militärregierung vgl. Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 18 – 22; Strathmann, Auswandern, 50 – 70. 47 Die ersten Sprecherwahlen in Deutschland wurden Anfang Juli 1945 im DP-Lager Feldafing durchgeführt. Vgl. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 87. 48 Ebd., 99 – 172, 194. 49 Im Umland existierten z. B. die DP-Lager Landsberg, Pocking, Feldafing und Föhrenwald.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

38

Die Anfänge

sächlich schwarz handelten, gegenüber jenem der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung oder anderer DP-Gruppen verschwindend gering. Doch ließ die starke Präsenz osteuropäischer, jiddischsprachiger DPs im Münchner Westen in der deutschen Öffentlichkeit „schnell wieder das alte Stereotyp des ,schachernden Juden‘ entstehen“, das in dieser Form bis zu dem Tag fortexistierte, an dem Tausch- und Schwarzmarkt durch die Einführung der Währungsreform im Mai 1948 ihre Grundlage verloren.50 Die Tatsache, dass es aufgrund der anders gelagerten DP-Situation in der amerikanischen Zone an keinem Ort eine mit dem DP-Lager Belsen vergleichbare Konzentration der Mehrheit jüdischer DPs gab, erschwerte die Gründung einer zentralen Organisation der jüdischen Überlebenden im Süden Deutschlands, verhinderte sie aber nicht. Ein erster, zunächst regionaler Zusammenschluss in der amerikanischen Zone erfolgte bei einem Treffen von jüdischen Repräsentanten aus 41 bayerischen DP-Lagern, die unterstützt von dem amerikanischen Reformrabbiner Abraham J. Klausner51 am 1. Juli 1945 in Feldafing zusammenkamen, wo zu dem Zeitpunkt das einzige jüdische DP-Lager in Bayern existierte.52 Trotz der internen politischen Meinungsvielfalt gründeten die Teilnehmer dieser Zusammenkunft das Zentralkomitee der befreiten Juden in Bayern (ZK), das „defined its major task as the representation and protection of She’erith Hapleitah. At the same time, a clause was inserted that promised close cooperation with the Zionist movement in Bavaria and, in point of fact, there was a large overlap in the leadership of the two groups both then and later.“53 Das ZK, das sich aufgrund der fehlenden Anerkennung durch die amerikanische Militärregierung bis auf Weiteres nur als „Informationsbüro“ bezeichnen durfte, bezog nach einem kurzen Aufenthalt in der ehemaligen Flak-Kaserne in München am 11. Juli 1945 Büroräume im Deutschen Museum und wählte den litauischen Arzt Dr. Zalman Grinberg zum Präsidenten.54 Grinberg, der nach der Befreiung den Aufbau des DP-Krankenhauses in St. Ottilien initiiert hatte und diese Einrichtung seit ihrer Gründung leitete,55 war Überlebender des Ghettos in Kowno. Er hatte sich bereits 1944, als der Krieg noch tobte, mit einigen anderen jüdischen Häftlingen in Litauen, unter ihnen z. B. der frühere Richter in Memel, Samuel Gringauz, über eine mögliche Organisation der Überlebenden nach Kriegsende Gedanken gemacht. Diese Gruppe osteuropäischer Juden setzte ihre Diskussionen über eine Gestaltung eines „Lebens danach“ auch fort, nachdem sie aus ihrer Heimat nach Kaufering bei Landsberg am Lech 50 Wetzel, Jüdisches Leben (2001), 84 f, 91 f, Zitat 92; Kauders/Lewinsky, Neuanfang, 189 – 192. 51 Zur Biografie und Arbeit von Abraham J. Klausner (1915 – 2007) vgl. z. B. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 22 – 24. 52 Mankowitz, Life, 47. 53 Ebd., 48. Vgl. auch Wyman, DP, 137 – 140; Pinson, Jewish Life, 117. 54 Brenner, Nach dem Holocaust, 50 f; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 81 – 85. 55 Zur Geschichte jüdischer DP-Hospitäler und der medizinischen Versorgung in jüdischen „assembly centers“ der US-Zone vgl. Geis, „Auf den ersten Blick […]“; Tobias, „Die Patienten […]“.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Entstehung und Organisation jüdischer DP-Komitees

39

transportiert worden war und sich später in den DP-Lagern der amerikanischen Zone wiederfand, ein Teil von ihnen als Vertreter im ZK.56 Obwohl alle 15 Repräsentanten des bayerischen Zusammenschlusses der jüdischen Überlebenden osteuropäischer Herkunft waren, erhob das ZK einen Alleinvertretungsanspruch, d. h. satzungsgemäß vertrat es alle Juden, die auf dem Gebiet des Landes Bayern ihren Aufenthalt oder Wohnsitz hatten. Diese Haltung verursachte Spannungen zwischen den osteuropäischen und deutschen Juden in der amerikanischen Besatzungszone; denn die vorwiegend außerhalb der DP-Lager lebenden deutschen Juden teilten häufig nicht die zionistische Einstellung der Überlebenden und Ostjuden, welche die Gründung eines jüdischen Staates und ihre Auswanderung dorthin zum Mittelpunkt ihrer Arbeit erklärt hatten.57 Während des ersten Kongresses der befreiten Juden in der US-Zone, der vom 27. bis 29. Januar 1946 im Münchner Rathaus stattfand, erweiterte sich das ZK zum Zentralkomitee der befreiten Juden in der amerikanischen Zone (ZKAZ), ohne dass jedoch entscheidende Veränderungen in den Führungspositionen eintraten. Dr. Zalman Grinberg blieb bis zu seiner Emigration nach Palästina im Juli 1946 auch in dieser Organisation der Überlebenden Präsident der jüdischen Interessenvertretung in der US-Zone.58 Ihm folgte der ebenfalls aus Kowno stammende Rechnungsprüfer und Publizist David Treger im Amt, während der Jurist und Präsident des DP-Lagers Landsberg, Samuel Gringauz, den Vorsitz des Rates übernahm, der nach dem Präsidium die zweite wichtige Institution innerhalb des ZKAZ war. Der 1947 zum Präsidenten gewählte David Treger wanderte am 1. November 1948 nach Israel aus und übergab sein Amt an den in Lodz geborenen Peisach Piekatsch, der den Krieg in Sibirien überlebt hatte.59 Anders als in der britischen Zone wurden die jüdischen Gemeinden zu keinem Zeitpunkt ins ZKAZ aufgenommen, das im September 1946, nach der Verabschiedung einer demokratischen Satzung, durch die amerikanischen Militärbehörden legalisiert wurde.60 Die offizielle Anerkennung des ZKAZ bedeutete für die Überlebenden zugleich den Beginn einer verstärkten Selbstbestimmung, wobei sich die Zugeständnisse von Seiten der Amerikaner fast ausschließlich auf das soziale Engagement beschränkten.61 Satzungsgemäß fand in jährlichem Abstand ein Kongress statt, auf dem – nach Art des amerikanischen Wahlsystems – von Delegierten das Präsidium und

56 Brenner, Nach dem Holocaust, 50; Mankowitz, Life, hier bes. 101 – 130. Zu Gringauz vgl. Mankowitz, Life, 161 – 191. 57 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 83 f. 58 Shephard, The Long Road Home, 397 f. 59 Brenner, Nach dem Holocaust, 51; Hyman, The Undefeated, 434 – 452; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 85, 96. 60 Zur frühen Entwicklung des ZKAZ vgl. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 89 f; Wetzel, Die Selbstverwaltung, 50 f. 61 Vgl. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 91.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

40

Die Anfänge

der Rat bestätigt oder neu gewählt wurden.62 Die bereits auf der Gründungssitzung eingeforderte Einigung der unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der jüdischen DP-Gemeinschaft konnte jedoch auch nach dem Zusammenschluss in München nicht wirklich erreicht werden. Die Gegensätze zwischen Religiösen und Nichtreligiösen, kulturelle Differenzen zwischen Ost- und Westjuden und die unterschiedlichen politischen Einstellungen machten sich immer wieder bemerkbar und sorgten für zahlreiche Auseinandersetzungen. Auf dem zweiten und dritten Kongress des ZKAZ, die 1947 bzw. 1948 in Bad Reichenhall stattfanden,63 trat die stärkere politische Ideologisierung der Überlebenden besonders deutlich hervor und führte schließlich zu ersten Auflösungserscheinungen. Nachdem viele Sprecher der jüdischen DPs in Bayern nach der Gründung des Staates Israel dorthin ausgewandert waren, entschieden die Vertreter auf der Ratssitzung im Februar 1949 im Münchner Hofbräuhaus, keinen vierten Kongress mehr einzuberufen. Stattdessen fassten die verbliebenen DPs ein Jahr später den Beschluss, eine „Liquidierungskommission“ einzusetzen, welche die einzelnen Abteilungen schließen und die Arbeit des ZKAZ beenden sollte. Die offizielle Auflösung des ZKAZ erfolgte am 17. Dezember 1950, die Schließung des letzten DP-Lagers Föhrenwald im Februar 1957.64 Das Zentralkomitee der französischen Zone (ZKFZ), dem je ein Vertreter aus den jüdischen Gemeinden und aus den DP-Lagern angehörte, wurde erst Anfang Dezember 1945 mit Amtssitz in Konstanz gegründet. Die etwas mehr als 600 ostjüdischen DPs lebten überwiegend im südlichen Distrikt der französischen Zone, während die überlebenden deutschen Juden im nördlichen Distrikt Gemeinden gründeten. Aufgrund der geringen Anzahl jüdischer DPs in dieser Zone kam dem ZKFZ im Vergleich zu den Zentralkomitees der zwei anderen westlichen Zonen jedoch kaum Bedeutung zu.65 Während das Ausbleiben von Kontakten der Komitees in der britischen bzw. amerikanischen Zone zum ZKFZ aufgrund dessen Bedeutungslosigkeit nicht weiter überrascht, ist die Tatsache, dass auch zwischen ZKAZ und ZKBZ bis zur Auflösung beider Organisationen 1950 bzw. 1951 „kaum mehr als eine nominelle Zusammenarbeit“66 bestand, umso erstaunlicher. Die Verhandlungen über eine gemeinsame Vertretung, die im Rahmen der im Juli 1945 von der Jüdischen Brigade organisierten Generalkonferenz der überlebenden Juden aller Zonen Deutschlands in St. Ottilien stattfanden,67 waren wohl der vielversprechendste Versuch, der unternommen wurde, um eine zonenübergreifende Interessenvertretung ins Leben zu rufen. Die Befürchtung auf Seiten des ZKBZ, insbesondere des Präsidenten Rosensaft, in einer Gesamtvertre62 63 64 65 66 67

Zur Zusammensetzung der Gremien des ZKAZ vgl. ebd., 91 f. Ebd., 93. Ebd., 97 f. Zur Geschichte des Lagers vgl. auch Kapitel IV.1.1.3. Ebd., 81. Ebd., 87. Geller, Jews, 31 f; Kolinsky, After the Holocaust, 108 – 110; Quast, Nach der Befreiung, 180 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Gründung und Repräsentanz jüdischer Gemeinden

41

tung gegenüber den Delegierten aus der amerikanischen Zone, die deutlich mehr Überlebende repräsentierten, an Einfluss zu verlieren, war vermutlich der Hauptgrund für das Scheitern der gemeinsamen Pläne.68 Neben dem vom ZKAZ eingeforderten Führungsanspruch machte Norbert Wollheim jedoch auch „gewisse persönliche Probleme“ für das Ausbleiben eines Zusammenschlusses der zwei Organisationen verantwortlich. Diese waren insbesondere bei einem Besuch von Josef Rosensaft, dessen Frau und Wollheim beim Vorsitzenden des ZKAZ, Dr. Zalman Grinberg, zum Vorschein gekommen: „Da war kein Funke, der sich hätte entzünden können.“69 Wollheim wies zudem darauf hin, dass sich die Juden in der britischen Zone, „wenn etwas über die lokale Politik hinausgehen wollte, […] nach London wenden [mussten]. Die Verbindung war gut, mit Hilfe des World Jewish Congress. Die amerikanische Zone mußte alles über Washington abwickeln“, was eine Zusammenarbeit auch auf organisatorischer Ebene erschwerte.70 Abgesehen davon stellte die Tatsache, dass das ZKAZ eine Einbeziehung der jüdischen Gemeinden konsequent ablehnte, während es in der britischen Zone von Beginn an eine Kooperation zwischen DPs und deutschen Juden gab, einen weiteren entscheidenden Unterschied in der Ausrichtung der beiden Komitees dar, der im Falle eines Zusammenschlusses nur schwer zu überwinden gewesen wäre.71

2. Zur Gründung und Repräsentanz jüdischer Gemeinden Die Juden außerhalb der DP-Lager organisierten sich seit 1945 in jüdischen Gemeinden, die sich vor allem in den größeren Städten formierten und im Allgemeinen als Liquidationsgemeinden angesehen wurden, denn eine dauerhafte Rückkehr jüdischer Einzelpersonen und jüdisch-institutionellen Lebens nach Deutschland schien unvorstellbar.72 Unter den Gründern der sich neu formierenden Gemeinden befanden sich einige deutsche Juden, die aus den Konzentrationslagern zurückgekehrt waren, und zahlreiche überlebende jüdische Partner aus sogenannten Mischehen, die der jüdischen Religion und Kultur weitgehend entfremdet waren.73 Im Laufe der Zeit vergrößerte sich die Anzahl der Mitglieder vor allem durch den Zuzug osteuropäischer Juden, die entweder die DP-Lager verlassen hatten oder mit der Gruppe der „Infiltrees“ in die westlichen Besatzungszonen kamen,74 aber auch durch den Beitritt Zu möglichen Gründen für das Scheitern vgl. Wetzel, Die Selbstverwaltung, 47. Brenner, Nach dem Holocaust, 145. Wollheim, „Wir haben Stellung bezogen“, 113. Ebd., 113 f; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 87 – 89. Galinski, Jüdisches Gemeindeleben, 42; Geis, Übrig sein, 409 – 437; Naujoks, Die Funktion, 180; Zieher, Von der „Liquidationsgemeinde“, 263 f. 73 Brenner, Nach dem Holocaust, 63 – 66; Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 24 – 27. 74 Bei den sogenannten „Infiltrees“ handelte es sich vorwiegend um polnische Juden, die der

68 69 70 71 72

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

42

Die Anfänge

einiger weniger jüdischer Emigranten, die aus dem Exil zurückkehrten.75 Allerdings traten längst nicht alle jüdischen Remigranten den neu gegründeten jüdischen Gemeinden bei. Häufig schlossen sich insbesondere deutsch-jüdische Rückkehrer, deren jüdisches Selbstverständnis weniger religiös, sondern in erster Linie kulturell begründet war (zu dieser Gruppe zählen vor allem die aus Israel zurückkehrenden Juden), nach ihrer Ankunft in Deutschland keiner jüdischen Gemeinde an. Monika Richarz schätzt ihre Zahl bis 1988 auf ungefähr 50.000 Personen.76 Die Anzahl der unterstützungsbedürftigen Gemeindemitglieder war sehr hoch und die junge Generation fast nicht repräsentiert. Dennoch waren die meisten Mitglieder der Gemeindeleitungen deutsche Juden, die zu Beginn ihrer Tätigkeit in der Gemeinde mit 30 – 40 Jahren relativ jung waren und deshalb in der Lage, „die schwere Bürde, für andere Sorge zu tragen, auf sich zu nehmen“. Der Großteil von ihnen verblieb bis zum Tod im Amt, nur ein sehr kleiner Teil entschied sich nach wenigen Jahren auszuwandern.77 Zu den wichtigsten Aufgaben der Gemeinden zählten in den ersten Monaten nach der Wiederbegründung die Zusammenfassung der in den Städten sowie in ihren Umkreisen lebenden Juden zu einer Gemeinschaft sowie ihre moralische und materielle Unterstützung.78 Bis 1948 hatten sich in der britischen Zone bereits 50, in dem von den Amerikanern verwalteten Gebiet 23 und in der französischen Zone 15 jüdische Gemeinden neu gegründet, die erste von ihnen im April 1945 in Köln.79 Die mit Abstand größte existierte mit etwa 8.000 Mitgliedern in Berlin.80 Die Gesamtsumme der Gemeindemitglieder in der amerikanischen Zone lag nur

75 76 77 78

79 80

antisemitischen Stimmung und den Pogromen in ihrem Heimatland durch Flucht zu entkommen versuchten. Ihr Eintreffen erhöhte die Anzahl der jüdischen DPs in Westdeutschland und Berlin im Laufe von kürzester Zeit auf weit über 100.000 Personen. Vgl. Bauer, Out of the Ashes, 71 – 82; Gross, Neighbors; Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 27 – 31; Stern, The Historic Triangle, 50; Wetzel, Westmächte, 162; Wyman, DP, 140 – 151. Vgl. Maor, Über den Wiederaufbau, 1 – 50. Für einen Überblick zur jüdischen Remigration vgl. Krauss, Jewish Remigration; Dies., Heimkehr ; Lissner, Den Fluchtweg zurückgehen; Lühe/ Schildt/Schüler-Springorum (Hg.), „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause“. Zur Anzahl israelischer Rückkehrer vgl. Richarz, Juden, 22; Burgauer, Jüdisches Leben, 12; Zieher, Von der „Liquidationsgemeinde“, 263 – 265. Lavsky, Die Anfänge, 209 f, Zitat 210. Vgl. hierzu Nathan Rosenberger, Freiburg; Draft Memorandum: German Jews in Germany, 20. 11. 1945, 1, in: WLL, MF Doc 27/12, 64/86; Geller, Jews, 60 f; Knufinke, Neue Synagogen, 98 – 101; Lavsky, Die Anfänge, 210 f; Wirsching, Jüdische Friedhöfe; Zieher, Von der „Liquidationsgemeinde“, 269 – 275; Ders., „Wer ein Haus baut, will bleiben“. Weitere Gemeindegründungen erfolgten u. a. in Bonn (Oktober 1945), Hamburg (September 1945) und Mainz (November 1945). Vgl. Brenner, Nach dem Holocaust, 66; Stern, The Historic Triangle, 51. Darüber hinaus listet der Verfasser der Statistik, Dr. E.G. Lowenthal, 11 jüdische Gemeinden in der sowjetischen Zone auf. E.G. Lowenthal, London/Düsseldorf, 100 Gemeinden – kaum mehr als 20 000 Juden, in: JG, 24. 12. 1948. Zur Jüdischen Gemeinde in Berlin vgl. Grossmann, Jews, bes. 15 – 46, 88 – 129.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Gründung und Repräsentanz jüdischer Gemeinden

43

wenig über dieser Anzahl, war damit aber – trotz der geringeren Anzahl an Gemeinden – fast doppelt so hoch wie in der kleineren, von den Briten kontrollierten Zone, wo sich knapp 5.000 Juden überwiegend deutscher Herkunft den Gemeinden zugehörig erklärten.81 In den Gemeinden im Süden Deutschlands stellte die Gruppe ehemaliger DPs die große Mehrheit unter den Mitgliedern, was vermehrt zu Konflikten führte.82 Spannungen entstanden insbesondere zwischen den in den Gemeinden aktiven DPs und den dort engagierten deutschen Juden aufgrund ihrer gegensätzlichen Vorstellungen über die Zukunftsaussichten einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, angesichts unterschiedlicher Meinungen die Integration in die deutsche Gesellschaft betreffend und nicht zuletzt anlässlich der Schwarzmarktaktivitäten, die vor allem osteuropäischen Juden nachgesagt wurden; hinzu kam die ungleiche Behandlung deutscher und osteuropäischer Juden durch die Besatzungsmächte.83 Erschwert wurde der Wiederaufbau jüdischer Gemeinden im Nachkriegsdeutschland darüber hinaus durch das Fehlen von Rabbinern, Kantoren und Religionslehrern. Außer einer kleinen Anzahl von Rabbinern aus Osteuropa, die sich vorwiegend im Umfeld der jüdischen DPs bewegten, waren nur wenige Militärrabbiner der Besatzungstruppen bzw. später einige Rabbiner mit den Hilfsorganisationen nach Deutschland eingereist. Der Wiederaufbau einer stabilen und dauerhaften religiösen Infrastruktur in den westlichen Synagogengemeinden hing somit zum guten Teil von der Rückkehrbereitschaft jüdischer Theologen ab, die jedoch nur zögerlich den Rückweg nach Deutschland antraten.84 Ungeachtet der vielfältigen Probleme, die den Auf- und Ausbau der einzelnen jüdischen Nachkriegsgemeinden zum Teil massiv beeinträchtigten, entstand in der britischen Zone bereits im Dezember 1945 die erste regionale, gemeindeübergreifende Organisation: der Landesverband Nord-Rheinprovinz. Vorsitzende dieser Interessenvertretung, die über 2.000 Menschen betreute und auch die Vertretung der Gemeinden Westfalens anstrebte, waren Julius Meier aus Köln, Alfred Lowenthal aus Aachen und Philipp Auerbach. Letztgenannter hatte sich nach seiner Befreiung aus mehrjähriger Gefangenschaft in den Lagern Sachsenhausen, Auschwitz und Buchenwald in Düsseldorf niedergelassen, wo er von September 1945 bis Dezember 1945 eine An81 E.G. Lowenthal, 100 Gemeinden – kaum mehr als 20 000 Juden, in: JG, 24. 12. 1948; Maor, Über den Wiederaufbau, 19; The Brotman-Viteles Report, March 1946, in: TNA: PRO FO 1032/2257. 82 Für März 1949, einem Zeitpunkt, in dem die Gesamtzahl aller jüdischen DPs innerhalb und außerhalb der Lager bereits auf 74.345 gesunken war, gab Harry Maor den Anteil der deutschen Juden innerhalb der Gemeinden mit 48 Prozent und der jüdischen DPs mit 52 Prozent an. Den Anteil der deutschen Juden innerhalb der Gemeinden in den unterschiedlichen Regionen beziffert er wie folgt (Angabe in Prozent): Baden: 50; Bayern: 6,3; Berlin: 71,4; Hamburg: 70,0; Hessen: 26,2; Niedersachsen: 76,6; Nordrhein-Westfalen: 86,2; Pfalz: 87,0; Schleswig-Holstein: 58,0; Württemberg: 18,4; Sowjetzone: 100,0. Maor, Über den Wiederaufbau, 19. 83 Vgl. z. B. Brenner, Nach dem Holocaust, 68 – 77. 84 Vgl. Brenner, Nach dem Holocaust, 103 – 108; Carlebach/Brämer, Rabbiner in Deutschland; Nothmann, Die religiöse Situation; Brämer, „…die Rückkehr […]“.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

44

Die Anfänge

stellung bei der Regierung in der Abteilung „Fürsorge für politisch, religiös und rassisch Verfolgte“ erhielt.85 Er vertrat darüber hinaus die erste zonenweite Organisation der deutschen Juden im Norden, die „Jüdische Wohlfahrt“, im Zonenwohlfahrtsausschuss des Zonenbeirats der britischen Zone, der ebenfalls in Düsseldorf angesiedelt war.86 Der Landesverband Nord-Rheinprovinz, der ein Zweig des ZKBZ in Belsen war, bemühte sich um die organisierte Form der Rückerstattung von ehemaligem Besitz der Gemeinden in Westfalen. Außerdem strebte man den Aufbau eines Erziehungs- und Fachbildungssystems (Hachschara) nach dem Vorbild in Belsen an, denn die Juden, die außerhalb des größten DP-Lagers in der britischen Zone lebten, konnten an den dortigen Angeboten insbesondere aufgrund der weiten Entfernungen nicht oder nur in begrenztem Umfang teilnehmen.87 Für die etwa 7.800 in der britischen Zone lebenden deutschen Juden war eine Vertretung ihrer Interessen insbesondere deshalb dringend notwendig, weil die Behandlung der deutschen Juden auf der Basis ihrer Nationalität zu der paradoxen Situation führte, dass viele von ihnen nicht zur Kategorie der Nazi-Verfolgten gezählt wurden. Sie wurden in jeder Hinsicht als Deutsche behandelt, d. h. als feindlich eingestuft, und bekamen lediglich das Existenzminimum zugesprochen.88 Der Landesverband versuchte daher Hilfsgüter von externen Organisationen zu zentrieren und entsprechend der Bedürfnisse seiner Mitglieder zu verteilen sowie Zuschüsse von Kommunen, Ländern und privaten Körperschaften zu erhalten, um die deutschen Juden, die außerhalb der Lager lebten, in ihrer Not und bei der Gründung von Existenzen zu unterstützen.89 Trotz der organisatorischen Angliederung des Landesverbandes NordRheinprovinz an das ZKBZ, dessen Unterstützung für die Durchsetzung der 85 Zur Biografie von Philipp Auerbach (1906 – 1952) vgl. Ludyga, Philipp Auerbach. Zu Auerbachs Tätigkeit in Düsseldorf vgl. ebd., 35 – 41; Ludyga, „Als Kamerad für Kameraden“. 86 Auerbach benennt den 2. 12. 1945 als Gründungstag des LV Nord-Rheinprovinz. Vgl. Philipp Auerbach an Mr. Geikie, Welfaredept. Headquarters Mil. Gov. North-Rhine-Region, 18. 5. 1946, und Philipp Auerbach an HQ Military Government, att/Mr. William Asbury, Regional Commissioner, 21. 6. 1946, beide in: TNA: PRO FO 1013/1948. Zur Arbeit des Wohlfahrtsausschusses vgl. TNA: PRO FO 1013/1948–FO 1013/1951, sowie Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 38; Lavsky, Die Anfänge, 216 f. Zum jüdischen Leben in Düsseldorf vgl. Strathmann, Jüdisches Leben; Dies., Auswandern; Zieher, Im Schatten; Ders., Von der „Liquidationsgemeinde“. 87 Lavsky, Die Anfänge, 216 f. 88 Vgl. The Brotman-Viteles Report of March 1946, in: TNA: PRO FO 1032/2257; Minutes of the Meeting of the Council and the Executive of the Appeal Committee of the Central British Fund, held on the 8th October, 1945, 1 f, in: WLL, MF Doc 27/3, 9/160 f; Draft Memorandum: German Jews in Germany, 20. 11. 1945, 1, in: WLL, MF Doc 27/12, 64/86; Büttner, Not, 382 – 384; Fritz Eschen, Die überlebenden Juden, in: JG, 27. 11. 1946; Lavsky, Die Anfänge, 212; Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 24 – 27; Strathmann, Jüdisches Leben, 239 – 245. 89 Protokoll der Sitzung [des LV Nord-Rheinprovinz], 9. 1. 1946, in: TNA: PRO FO 1013/1948; Lavsky, Die Anfänge, 216 f. Vgl. zum Inkrafttreten der „Zone Policy Instruction No. 20“, die Anfang Februar 1946 rassisch, religiös und politisch Verfolgten Sonderhilfen zugestand, z. B. Büttner, Not, 382; Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 25 – 27; Strathmann, Auswandern, bes. 53 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Gründung und Repräsentanz jüdischer Gemeinden

45

Interessen der Gemeinden zu diesem Zeitpunkt notwendig war, treten mit der Gründung dieser ersten übergemeindlichen Organisation die gegensätzlichen Vorstellungen über die Zukunftsaussichten einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland deutlich zum Vorschein: Zentrale Aufgabe einer überregionalen Organisation der jüdischen Überlebenden war auf der einen Seite in den Augen der DPs bzw. ihrer gewählten Vertreter, allen voran artikuliert von Norbert Wollheim, die Hilfestellung für die Auswanderung aus Deutschland. Auf der anderen Seite waren einige der deutschen Juden bzw. ihrer Repräsentanten, allen voran Philipp Auerbach, der Meinung, dass Juden in Deutschland eine Zukunft hätten, und deshalb darauf bedacht, ihre Interessen durch eine separate Organisation der Gemeinden zu vertreten. Hagit Lavsky deutet die Gegensätze zwischen Auerbach und Wollheim als politisch-strategisch: Auerbach, der den Schwerpunkt bei den britischen und deutschen Behörden sah, strebte eine Organisation der Gemeinden an, die diese gegenüber den Behörden auf die bestmögliche Weise vertreten würde, da hieran Wohlfahrt und Zukunft von Juden in Deutschland hing. Demgegenüber strebte Wollheim die Anerkennung und Zusammenarbeit mit den jüdischen internationalen Organisationen, zuallererst der Jewish Agency, an, da er in ihnen den Garanten für eine jüdische Zukunft sah. Auerbach wollte folglich eine Organisation für sich in Deutschland niederlassende Juden und Wollheim eine solche, um Deutschland verlassen zu können.90

Da sich aber beide Seiten kompromissbereit zeigten, konnte eine Zusammenarbeit ohne offene Auseinandersetzung stattfinden. Dennoch bestimmte die Diskrepanz zwischen der zionistischen bzw. nicht-zionistischen Haltung der Führungspersönlichkeiten die weiteren Entwicklungen auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vertretung der Überlebenden in der britischen Zone.91 Abgesehen von den Gemeinden Niedersachsens, die keine regionale Organisation schufen, folgten die weiteren jüdischen Gemeinden in der britischen Zone Anfang 1946 dem Beispiel der Provinz Nordrhein. Es entstanden der Landesverband Westfalen (1.000 zu betreuende Personen), der Verband der Gemeinden in Nordwestdeutschland, dem auch die Gemeinde Hannover angehörte (ca. 2.000 zu betreuende Personen), die Gemeinde Hamburg (1.400 zu betreuende Personen) sowie die jüdische Landgemeinde in SchleswigHolstein.92 In den ersten Monaten nach der Befreiung ließen die schlechten Verkehrsund Kommunikationsverhältnisse nur wenig Kontakt zwischen den verschiedenen Gemeinden und ihren regionalen Vertretungen in der britischen Zone zu. Ab dem Frühjahr 1946 hatte sich die Situation jedoch soweit ge90 Lavsky, Die Anfänge, 217. 91 Ebd., 217 f. 92 Philipp Auerbach an Major Watkins, Headquarters Mil. Gov., Welfare Section, Bünde, 16. 8. 1946, in: TNA: PRO FO 1050/720.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

46

Die Anfänge

bessert, dass die Vertreter der Gemeinden und Komitees in der britischen Zone begannen, über die Gründung einer überregionalen Interessenvertretung zu diskutieren. Zwischen dem Landesverband Nord-Rheinprovinz und dem Landesverband Westfalen gab es zu diesem Zeitpunkt bereits eine enge Kooperation. In beiden Ländern lebten nur wenige DPs und es gab keine Komitees.93 Unter den Vertretern der Landesverbände herrschte Einigkeit darüber, dass man sich durch ein einheitliches Vorgehen gegenüber den Behörden größeren Erfolg für die Durchsetzung jüdischer Interessen versprach. Die Repräsentanten votierten nach ausführlicher Erörterung verschiedener möglicher Organisationsformen schließlich für einen Zusammenschluss der Gemeinden in Form einer Arbeitsgemeinschaft, die am 9. Mai 1946 für die gesamte Zone mit Sitz in Bremen gegründet wurde.94 Norbert Wollheim wurde neben Carl Katz, dem Vorsitzenden der Gemeinde Bremen, zum Vorsitzenden dieses Dachverbands gewählt, verzichtete jedoch aufgrund der Entfernung zwischen seinem Wohnort Lübeck und dem Büro der Arbeitsgemeinschaft auf das Amt. In der Leitung waren Delegierte aus den Gemeinden Hannover, Bremen, Hamburg, Lübeck und Kiel, jedoch niemand aus Düsseldorf bzw. dem Landesverband Nordrhein-Westfalen vertreten.95 Im Verlauf der folgenden Monate und Jahre wandelten sich Zusammensetzung und Ausrichtung der überregionalen Gemeindeorganisation in der britischen Zone allerdings mehrfach. Bereits im Juni 1946 erfolgte die erste Veränderung, denn die Arbeitsgemeinschaft wurde dem von Philipp Auerbach gegründeten Zonenausschuss der jüdischen Gemeinden in der britischen Zone angeschlossen, der seinen Sitz in Düsseldorf hatte.96 Auch wenn Auerbach auf der ersten Sitzung des Zonenausschusses in Belsen die gute Zusammenarbeit mit dem ZKBZ und seinem Vorsitzenden Josef Rosensaft hervorhob, bedeutete dieser überregionale Zusammenschluss, der die im Norden und Süden gelegenen Gemeinden der britischen Zone vereinte, eine erste Distanzierung der deutschen Juden vom Belsener ZKBZ. Als treibende Kraft und einflussreicher Befürworter einer eigenständigen Vertretung deutsch-jüdischer Interessen bildete Philipp Auerbach ein Gegengewicht zur zionistischen Ausrichtung der Mitglieder des ZKBZ, die nach

93 Lavsky, Die Anfänge, 216; Quast, Nach der Befreiung, 174 f. 94 Obwohl das Land Bremen zur amerikanischen Zone gehörte, war die jüdische Gemeinde in der Hansestadt, eine so genannte „landesverbandfreie Gemeinde“, vollständig in die Organisation der britischen Zone integriert. Vgl. Protokoll über die Tagung der jüdischen Komitees und Gemeinden Nordwestdeutschlands, 9. 5. 1946, in: ZA, B.1/6, Nr. 626, zitiert nach Quast, Nach der Befreiung, 176. 95 Vgl. Philipp Auerbach an Major Watkins, Public Health I A&S, Welfare Section, Bünde, 11. 9. 1946. Quast, Nach der Befreiung, 176. Vgl. auch das Protokoll über die Tagung der jüdischen Komitees und Gemeinden Nordwestdeutschlands, 9. 5. 1946, in: ZA, B.1/6, Nr. 626. 96 Vgl. Der Zonenausschuss, in: JG, 10. 7. 1946.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Gründung und Repräsentanz jüdischer Gemeinden

47

wie vor einer Auswanderung aus Deutschland entgegenfieberten, was naturgemäß eine Entfremdung der beiden Organisationen bedingte.97 In den Reihen der Gemeindevertreter gab es durchaus einige, die Auerbachs Auffassung unterstützten und davon ausgingen, dass die deutsch-jüdischen Gemeinden ihre Interessen effektiver durchsetzen könnten, wenn eine stärkere Unabhängigkeit vom Belsener ZKBZ bestünde. Und auch der Legal Advisor der JRU, Dr. Georg Weis,98 teilte die Meinung, „that there are questions in which the Central Committee is not interested, i. e. requisitioning of houses, declaration of death, taxes etc.“. Er war sich jedoch zugleich sicher, dass „the real reason for this intention is to have a separate representation apart from the Central Committee. The Communities think that they are not satisfactorily represented by the Central Committee as far as supplies are concerned.“99 Nachdem Auerbach im Herbst 1946 als Staatskommissar für politisch und rassisch Verfolgte nach München gegangen war100 und Norbert Wollheim das Amt des Vorsitzenden übernommen hatte, kam es unter den Mitgliedern des Zonenausschusses, der sich am 30. Oktober 1946 in Rat der Jüdischen Gemeinden der britischen Zone umbenannt und seinen Sitz nach Lübeck verlegt hatte, zu einer intensiven Diskussion über die Ausrichtung ihrer zukünftigen Arbeit. Um politische Durchsetzungskraft zu gewinnen, entschied man sich schließlich, den Rat aufzulösen und erneut eine stärkere Anbindung an das ZKBZ in Belsen zu suchen.101 Auf dem zweiten Kongress der befreiten Juden in der britischen Zone vom 20. bis 22. Juli 1947 in Bad Harzburg kam es schließlich zur Gründung einer zentralen Einrichtung, in deren Gremien auch deutsche Juden aus den Gemeinden gewählt wurden, ohne dass jedoch die Autorität der führenden Repräsentanten des ZKBZ in Frage gestellt wurde: Josef Rosensaft wurde von den Delegierten erneut zum Präsidenten und Norbert Wollheim zum Vizepräsidenten des neunköpfigen Komitees gewählt, dem nun auch ein Generalsekretär, ein Rat aus 36 Mitgliedern sowie eine Kontrollkommission zur Seite standen.102 Nach dem zweiten Kongress der befreiten Juden in der britischen 97 Quast, Nach der Befreiung, 177. 98 Zur Biografie von Dr. Georg Weis (1898 – 1992) vgl. Adunka, Die vierte Gemeinde; Embacher, Die Restitutionsverhandlungen, 219; Jabloner, Schlussbericht, 93; Weis, Georg, in: Österr. Nationalbibliothek (Hg.), Handbuch, Bd. 3, 1443; Werner/Wladika, Die Tätigkeit, 22. 99 Vgl. dazu das Protokoll der Sitzung des Rates der jüdischen Gemeinden in der britischen Zone, 1./2. 6. 1946, in: YV 0 – 70/63 Dok. 66/23, zitiert nach: Quast, Nach der Befreiung, 178, Anm. 38; Report on the meeting in Belsen, 26th June 1946, by Dr. G. Wise, Legal Adviser JRU, Eilshausen, June 27th, 1946, in: WLL, 1367/18.1, Zitat 2. 100 Vgl. Ludyga, Philipp Auerbach, 41 f. 101 Vgl. Tagung des Rates der jüdischen Gemeinden der britischen Zone am 25./26. 2. 1947, in: JG, 19. 3. 1947; Sitzung des „Rates der Jüdischen Gemeinden in der britischen Zone“ am 1./2. 6. 1947, in: JG, 11. 6. 1947. Vgl. auch Lavsky, Die Anfänge, 220, 223 – 226. 102 Erst anlässlich des Zweiten Kongresses im Juli 1947 wurde im Zentralkomitee eine Gewaltenteilung eingeführt, die zuvor nicht existiert hatte. Vgl. zu den Wahlen z. B. Wetzel, Die Selbstverwaltung, 49; Leitung und Verantwortung, in: JG, 20. 7. 1947; Quast, Nach der Be-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

48

Die Anfänge

Zone fanden keine Wahlen mehr statt, so dass die Zusammensetzung des ZKBZ bis zu seiner Auflösung am 15. August 1951 konstant blieb bzw. nur intern, ohne die satzungsmäßig vorgeschriebenen Wahlen, verändert wurde. Die letzten DPs hatten das DP-Lager Belsen bereits am 10. Juli 1950 verlassen, das damit endgültig seine Tore schloss.103 In dieser neu geschaffenen Organisation der jüdischen Überlebenden, die sechs Dezernate besaß, waren fünfzig jüdische Gemeinden und vierzehn jüdische Komitees organisiert.104 Sofort nach dem Kongress, im August 1947, wurde zusätzlich zu den bestehenden ein neues Dezernat gegründet: Der Rat der Gemeinden beim ZKBZ, dem Wollheim vorstand, sollte die Arbeit des Rates der Jüdischen Gemeinden in der britischen Zone fortsetzen.105 Kurz nach dieser Neugründung des Rates unter der Schirmherrschaft des ZKBZ führte die „Exodus-Affäre“ kurzzeitig noch einmal zu einer Stärkung der jüdischen Einheit in Bezug auf die generelle national-jüdische Frage. Im Juli 1947 hatten die Briten in den internationalen Gewässern vor der Küste Palästinas das Auswandererschiff „Exodus 47“ mit etwa 4.500 jüdischen Flüchtlingen an Bord angegriffen und in den Hafen von Haifa geschleppt. Da die britischen Internierungslager für illegale Palästina-Einwanderer auf Zypern überfüllt waren, wurden die jüdischen Überlebenden auf dem Seeweg zurück nach Frankreich gebracht. Hier verweigerte die französische Regierung jedoch eine gewaltsame Räumung der drei Gefangenenschiffe, weshalb die Briten letztlich entschieden, die Flüchtlinge in die britische Zone zurückzubringen. Besonders die gewaltsame Ausschiffung der „Exodus“-Passagiere sowie ihr Zwangsaufenthalt in den bei Lübeck gelegenen Lagern Pöppendorf und Am Stau erregten weltweit Empörung und bedingten eine weitere Verschärfung der ohnehin angespannten Lage zwischen der Militärregierung und den jüdischen Interessenvertretungen in der britischen Zone.106 Aufgrund der Brisanz der Ereignisse, die auch in Belsen zu Demonstrationen für die „Exodus“ führten, verzögerten sich die Bemühungen der jüdischen Gemeinden nach einer erneuten Abtrennung. Vom Ratgeber für jüdische Angelegenheiten, Colonel Solomon, bedrängt und im Wissen um die bevorstehenden Veränderungen in Palästina, begannen die Briten jedoch langsam, ihre starre Haltung gegenüber der Repräsentanz der jüdischen Gemeinden zu lockern. Entsprechend war Wollheim schließlich bereit, im Gegenzug für die britische

103 104 105 106

freiung, 171 – 174, sowie die ausführliche Berichterstattung in Nummer 9 des Jüdischen Gemeindeblatts für die britische Zone, 13. 8. 1947. Das ZKBZ existierte noch bis zur Auflösung des letzten Lagers der britischen Zone in Jever am 15. 8. 1951. Vgl. van Dam, Legal Protection, 151; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 215 – 218; Wetzel, Die Selbstverwaltung, 52. Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 41. Lavsky, Die Anfänge, 228 – 232. Zur Repräsentation der German Jews vgl. auch Report of the Adviser of Jewish Affairs, November 1947, in: TNA: PRO FO 945/384. Halamish, The Exodus Affair ; Jochims-Bozic, „Lübeck […]“, 41 f, 192 – 204; Königseder/ Wetzel, Lebensmut, 208 – 211; Fahlbusch u. a. (Hg.), Pöppendorf statt Palästina.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Gründung und Repräsentanz jüdischer Gemeinden

49

Anerkennung des Status der Gemeinden im März 1949 einer Loslösung der Gemeinden vom ZKBZ und einer separaten Vertretung der deutschen Juden zuzustimmen.107 Zwei weitere Faktoren ließen eine eigene Vertretung der jüdischen Gemeinden in Deutschland zu diesem Zeitpunkt notwendiger erscheinen als in den Jahren zuvor : Zum einen begann der WJC auf seiner Tagung in Montreux im Juli 1948 über eine Entschädigung und die Vorbereitung der Claims Conference zu verhandeln. Dies machte eine gemeinsame Positionierung und Artikulation der spezifischen Forderungen der jüdischen Gemeinden in Deutschland notwendig, wollte man nicht zugunsten der internationalen jüdischen Organisationen auf jegliche Ansprüche gegenüber dem deutschen Staat verzichten.108 Zum anderen wanderten nach der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 viele der auf deutschem Boden festgehaltenen Überlebenden dorthin aus. Der Auflösungsprozess der DP-Lager und der jüdischen Komitees war infolge dessen in vollem Gange, „was das Problem der Juden in Deutschland schnell zu einem Problem der jüdischen Gemeinden schrumpfen ließ“109. Von Mai 1948 bis Juni 1949 verließen etwa 70.000 DPs den Wartesaal Deutschland: 57.033 Juden wanderten nach Palästina ein, weitere 12.950 emigrierten in die USA.110 Mit dem Einsetzen der Liquidation des ZKBZ wurde im Mai 1949 schließlich auch die stufenweise Abtrennung des Rates der Gemeinden vom ZKBZ beschlossen. Im Dezember desselben Jahres war der Moment erreicht, in dem der Rat der Gemeinden der britischen Zone wieder ein eigenständiges Gremium geworden war und die Weichen stellte, um sich erneut als Verband der jüdischen Gemeinden Nordwestdeutschlands zu formieren.111 Auch in den anderen beiden westlichen Besatzungszonen entstanden Vereinigungen auf überregionaler Ebene. In der französischen Zone schlossen sich die jüdischen Gemeinden im Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz und im Oberrat der Israeliten Südbadens zusammen, während sich in der amerikanischen Zone nach der Israelitischen Kultusvereinigung Württemberg und dem Oberrat der Israeliten Badens 1947 der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern gründete. Im Saarland und in Berlin fielen „Gemeinde“ und „Landesverband“ zusammen.112 Die Initiative für den Zusammenschluss der bayerischen Gemeinden kann wie im Falle der Gründung des ersten Landesverbandes in der britischen Zone auf Philipp Auerbach zurückgeführt werden, der seit Herbst 1946 als Staats107 108 109 110 111 112

Lavsky, Die Anfänge, 226 – 230. Shafir, Der Jüdische Weltkongress. Lavsky, Die Anfänge, Zitat 228. Zur Auswanderung nach der Staatsgründung Israels vgl. Sapir, Germany, 327. Lavsky, Die Anfänge, 231 f. Maor, Über den Wiederaufbau, 88, Anm. 1; Kaufmann, Der Oberrat, 154 – 157.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

50

Die Anfänge

kommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in München wirkte.113 Er selbst fasste nur einen Tag nach der Gründung der Organisation die Entwicklung in einem Schreiben an den Bayerischen Staatsminister des Innern wie folgt zusammen: Ich habe die Ehre Ihnen mitzuteilen, dass ich in der verfassungsgebenden Sitzung am Sonntag, den 12. Januar [1947], an der die Vertretung der traditionellen, deutschjüdischen Gemeinden von München, Augsburg, Nürnberg, Fürth und Würzburg114 teilnahmen, einen Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Bayerns gegründet habe. […] Satzungsgemäss wurde in geheimer, demokratischer Wahl zum Präsidenten des Landesverband der unterzeichnete Staatskommissar Dr. Philipp Auerbach gewählt, zum Vizepräsidenten Herr Rechtsanwalt Dr. Neuland, München, zum Schatzmeister Edmund Jonas, zum ersten Vorsitzenden des Landesausschusses Herr Dr. Spanier, München, zum zweiten Vorsitzenden des Landesausschusses Herr Rechtsanwalt Dr. Nürnberger, Nürnberg.115

Mit Fritz (Siegfried) Neuland116 und Julius Spanier117 hatte Auerbach den Präsidenten und Vizepräsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde in München an seiner Seite, die sich beide seit ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft bzw. dem Konzentrationslager intensiv um die Belange der überlebenden Münchner Juden bemühten.118 Wichtigster Zweck des Landesverbandes, dem im August 1947 die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen wurde,119 war die Aufgabe, „unter Wahrung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden die religiösen Interessen der Juden Bayerns gegenüber Staat und Öffentlichkeit zu wahren“120. Das Bedürfnis nach einer eigenen politischen Vertretung war unter den „traditionellen, deutsch-jüdischen Gemeinden“ insbesondere deshalb sehr groß, da das ZK bzw. das aus ihm hervorgegangene ZKAZ jegliche Form der Zusammenarbeit mit den jüdischen Gemeinden in dem von den Amerikanern verwalteten Gebiet ablehnte. Es hatte mit Beschluss vom Fe113 Lavsky, Die Anfänge, 221; Ludyga, Philipp Auerbach, 41 – 105. 114 IKG Würzburg 85 Mitglieder; IKG München 2.063 Mitglieder ; IKG Fürth 307 Mitglieder ; IKG Nürnberg 82 Mitglieder; IKG Augsburg 51 Mitglieder. Auerbach, Staatskommissar und Präsident des LV, an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Dr. Alois Hundhammer, 29. 1. 1947, in: Bay. HStA, MK 49561, Pagina 1. 115 Dr. Philipp Auerbach, Staatskommissar, an den Bayerischen Staatsminister des Innern, J. Seifried, München, 13. 1. 1947, in: Bay. HStA, MK 49561, Pagina 13. 116 Zur Biografie von Fritz (Siegfried) Neuland (1889 – 1969) vgl. Wetzel, Jüdisches Leben (2001), 82; Wetzel, Karriere, bes. 304. 117 Zur Biografie von Dr. med. Julius Spanier (1880–1959) vgl. Wetzel, Jüdisches Leben (2001), 82 f. 118 Zur Geschichte der jüdischen Gemeinschaft in München vgl. ebd., 82–86. 119 Dr. Dr. Alois Hundhammer an den Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern (fortan: LV Bayern), 11.8.1947, in: Bay. HStA, MK 49561, Pagina 19. 120 Satzung des LV Bayern, angehängt an das Schreiben von Dr. Philipp Auerbach, Staatskommissar, an den Bayerischen Staatsminister des Innern, J. Seifried, München, 13.1.1947, in: Bay. HStA, MK 49561, Pagina 14.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Gründung und Repräsentanz jüdischer Gemeinden

51

bruar 1946 die neu gegründeten jüdischen Gemeinden sogar aus der Organisation ausgeschlossen.121 Ganz so weit gingen die Gründungsmitglieder des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern nicht, differenzierten in ihrer Satzung jedoch gleichermaßen zwischen deutschen und osteuropäischen Juden. In Paragraph 3, der die Zugehörigkeit zum Verband regelt, heißt es diesbezüglich: Die jüdischen Gemeinden in Bayern, die nach Zweck und Zielsetzung als Nachfolger der früheren Israelitischen Kultusgemeinden Bayerns anzusehen sind, gehören ohne weiteres dem Verband an (Stammgemeinden). […] Diejenigen jüdischen Gemeinden Bayerns, die sich hauptsächlich aus früher nicht in Bayern ansässigen Glaubensgenossen zusammensetzen, steht der Zutritt zum Verband frei, wenn diese Gemeinden eine Seelenzahl von mindestens 50 männlichen Personen aufweisen. Erforderlich ist jedoch in diesem Falle die vorherige Zustimmung der beiden Organe des Landesverbandes und des Central-Committ¦es [Zentralkomitee] für die befreiten Juden in Bayern. Der Austritt der freiwillig beigetretenen Gemeinden ist mit Einhaltung einer 6 monatlichen Kündigungsfrist nur zum Ende des Jahres möglich.122

Der zwischen osteuropäischen DPs und den in den Gemeinden organisierten deutschen Juden ungeklärte Konflikt um die Frage, wer Rechtsnachfolger des früheren Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Bayerns sei und somit berechtigt, die Juden in Bayern gegenüber Behörden als Sprecher zu vertreten, muss als entscheidender Grund für die restriktive Regelung der Mitgliedschaft im Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Bayerns verstanden werden.123 Das beiderseitige Streben nach Kontrolle und Einfluss – sowohl von Seiten der DPs als auch der aus Deutschland stammenden Juden – verursachte nicht nur zwischen den regional agierenden politischen Vertretungen Spannungen, sondern führte auch innerhalb der einzelnen Gemeinden zu heftigen Auseinandersetzungen. Zwischen den eher liberalen deutschen Juden und den orthodox ausgerichteten Ostjuden verursachte insbesondere die Frage, in welcher religiösen Tradition die Nachkriegsgemeinden stehen sollten, Streitigkeiten, die nicht in allen Fällen beigelegt werden konnten. Dies führte teilweise zur Gründung von zwei unterschiedlichen jüdischen Gemeinden am selben Ort.124

121 Dieser Beschluss hatte bis zur Auflösung des ZKAZ Bestand. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 90; Wetzel, Jüdisches Leben (2001), 87 f. 122 Satzung des LV Bayern, angehängt an das Schreiben von Dr. Philipp Auerbach, Staatskommissar, an den Bayerischen Staatsminister des Innern, J. Seifried, München, 13.1.1947, in: Bay. HStA, MK 49561, Pagina 14. 123 Vgl. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 89 f; Wetzel, Jüdisches Leben (2001), 88 f. 124 Die Streitigkeiten zwischen den einzelnen Herkunftsgruppen waren unter den Mitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde München besonders stark ausgeprägt. In Augsburg und Frankfurt bestanden aufgrund der Unvereinbarkeit der Ansichten zwischen Ost- und Westjuden vorüberge-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

52

Die Anfänge

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es in der amerikanischen Zone – anders als in der britischen – zu keiner engen Zusammenarbeit zwischen den DP-Vertretern und den von den jüdischen Gemeinden gewählten Repräsentanten kam.125 Die Konzentration des ZKAZ auf die in den Lagern lebenden DPs führte frühzeitig zur Diskriminierung vor allem der deutschen Juden in diesem Gebiet, von denen einige tatsächlich erwogen, einen Neuanfang im „Land der Täter“ zu versuchen, und sich und ihre Interessen daher in dem zionistisch ausgerichteten Gremium der osteuropäischen Überlebenden nicht repräsentiert sahen. Die Gründung des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern unterstreicht das Bedürfnis der in den Gemeinden organisierten Juden nach einer Vertretung, die sich für ihre spezifischen Interessen stark machte. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung von Jay Howard Geller, der darauf hinweist, dass „German Jews, wishing to resume their pre-1933 lives as fast as possible, generally looked to German officials for support“126. Die jüdischen DPs hingegen „dealt exclusively with the Allied occupation authorities“127, um ihre zionistisch ausgerichteten Ziele im Nachkriegsdeutschland durchzusetzen. Die Einschaltung deutscher Behörden von Seiten des bayerischen Landesverbandes sicherte den aus Deutschland stammenden Juden schließlich kurzzeitig die Majorität innerhalb der Gemeindegremien, half jedoch keineswegs, die gravierenden Konflikte zwischen Ost- und Westjuden in der amerikanischen Besatzungszone zu lösen, die häufig kulturell bedingt waren und noch in den 1950er und 1960er Jahren den Gemeindealltag dominierten.128 Zu einer ersten Zusammenarbeit zwischen den jüdischen Gemeinden in Nord-, West- und Süddeutschland war es knapp ein Jahr vor der Gründung des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern gekommen. Im März 1946 hatte sich auf Initiative von Hans Lamm, der sich von November 1945 bis Mai 1946 als Vertreter der American Jewish Conference im Nachkriegsdeutschland aufhielt,129 die erste Interessenvertretung der Jüdischen Gemeinden und Kultusvereinigungen der drei Westzonen gegründet. Diese verstand sich nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung zum ZKAZ und nahm für sich in Anspruch, die Bedürfnisse, Anliegen und Forderungen der außerhalb der Lager lebenden Juden zu vertreten.130 Bei den Treffen dieser

125 126 127 128 129 130

hend sogar zwei Gemeinden. Vgl. hierzu Brenner, Nach dem Holocaust, 69–72; Kauders/Lewinsky, Neuanfang; Tauber, Die Entstehung; Ders., Zwischen Kontinuität. Vgl. van Dam, Die Juden, 892 f. Geller, Jews, 53. Ebd., 37. Vgl. z. B. Kauders/Lewinsky, Neuanfang; Wetzel, Jüdisches Leben (2001), 84. Zur Biografie von Hans Lamm (1913–1985) vgl. Sinn, „Und ich lebe wieder an der Isar“, bes. 48–59. Protokoll über die Sitzung der Vertreter der Jüdischen Vereinigungen der britischen Zone, der französischen Zone Süd-Badens, der amerikanischen Zone Nordbaden, Württemberg, Nürnberg, 19. 4. 1946, in: StadtAM, NL Lamm, Akt 262; Philipp Auerbach, Interessenvertretung der jüdischen Gemeinden und Kultusvereinigungen, Geschäftsstelle Stuttgart, in: JG, 7.6. 1946; Rundbrief von

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zur Gründung und Repräsentanz jüdischer Gemeinden

53

Vereinigung, die seit März 1946 regelmäßig in Stuttgart stattfanden, ging es neben anderen Problemen, die den Juden der drei Westzonen gemeinsam waren, hauptsächlich um die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts.131 In den zentralen Forderungen der Interessenvertretung wurde dieses Thema schließlich als Programm definiert: Man verlangte eine Gesamtaufstellung der wesentlichen Schäden der Juden in Deutschland, die wiedergutgemacht werden müssten, und ein in mehrere Einzelschritte unterteiltes Sofort-Programm für die Wiedergutmachung.132 Im Juni 1947 ging aus der Interessenvertretung die Arbeitsgemeinschaft der Jüdischen Gemeinden Deutschlands (AGJG) mit Sitz in Frankfurt hervor. Vertreter waren Auerbach für die amerikanische, Wollheim für die britische, Rosenberg für die französische und Julius Meier aus Ost-Berlin für die sowjetische Zone. Vertreter der internationalen jüdischen Organisationen wurden gebeten, als Ratgeber bei der Leitung dieses Gremiums mitzuwirken.133 Im Gegensatz zur Interessenvertretung wollten die Verantwortlichen der AGJG den Aufgabenkreis des gesamtdeutschen Zusammenschlusses ausweiten: Zu ihren erklärten Zielen gehörte somit nicht mehr allein die Durchsetzung der Ansprüche auf Entschädigung, sondern es rückten nunmehr auch die Klärung des Status der Gemeinden, die Sozialarbeit sowie die gemeinsame Erziehung und Kulturarbeit aller Juden in Deutschland in das Blickfeld. Erstmals existierte mit diesem Zusammenschluss ein gesamtdeutsches Gremium, das ausschließlich die Gemeinden und die Interessen der deutschen Juden vertrat. Weiterhin betonten die Mitglieder der AGJG selbstverständlich, in allen jüdischen Angelegenheiten den Zionismus zu unterstützen, wobei die Implikationen dieser Haltung für die Existenz einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland unterschiedlich definiert wurden. Für Wollheim, der die britische Zone in diesem Gremium repräsentierte, war die Präsenz von Juden in Deutschland nicht mehr als ein vorübergehender Zustand, während Auerbach, gewählter Vertreter der amerikanischen Zone, „in der Ansiedelung so etwas wie eine Mission des jüdischen Volkes sah – die Funktion eines Richters und eines Anklägers gegenüber den Deutschen“134. Schnell wurde jedoch deutlich, dass die gesamtdeutsche AGJG trotz intensiver

131

132

133 134

Lamm, 18. 6. 1946, in: StadtAM, NL Lamm, Akt 29; Max L. Cahn an die ZWST, 27. 2. 1954; Dr. Ostertag, Notar beim Landes- und Oberlandesgericht Stuttgart, an die ZWST, 1.3.1954, beide in: ZA, B.1/7, Nr. 110; Galinski, Jüdisches Gemeindeleben, 42; Geller, Jews, 49 f. Philipp Auerbach an die Jüdische Gemeinde Hamburg, z. Hd. des Herrn Goldstein, 23.4.1946 und Auerbach, 1. Vorsitzender des LV Nord-Rheinprovinz an die jüdische Gemeinde in Hamburg, z. Hd. der Herren Goldstein und Dr. Löffler, 4.6.1946, beide in: StAHH, 522–2, Akt 97 (Abl. 1999). Zum Begriff der Wiedergutmachung vgl. Kapitel II.2.3 und IV.2.1. Protokoll über die Sitzung der Vertreter der Jüdischen Vereinigungen der britischen Zone, der französischen Zone Süd-Badens, der amerikanischen Zone Nordbaden, Württemberg, Nürnberg, 19. 4. 1946, in: StadtAM, NL Lamm, Akt 262; Rundbrief von Lamm, 18.6. 1946, in: StadtAM, NL Lamm, Akt 29; Hans Lamm, Das deutsche Judentum lebt noch, in: Aufbau, 14. 6.1946. Galinski, Jüdisches Gemeindeleben, 42; Geller, Jews, 64 f. Lavsky, Die Anfänge, 223.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

54

Die Anfänge

Bemühungen nicht in der Lage war, sowohl den zionistischen Interessen als auch denen der deutschen Juden gleichermaßen gerecht zu werden. Die Bedeutung eines Zusammenschlusses der jüdischen Gemeinden, der sich ausschließlich um die Vertretung der Interessen der deutschen Juden kümmern würde, gewann auch deshalb an Bedeutung, da die Besatzungsmächte seit 1946 begannen, Zuständigkeiten an die Regierungen der neu entstandenen Bundesländer abzugeben.135 Die Anerkennung der Gemeinden war also nicht mehr allein Aufgabe der Briten, Amerikaner oder Franzosen, sondern wurde mehr und mehr von den regionalen deutschen Behörden abgewickelt. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 war außerdem deren erste Regierung nicht gewillt, mit den zahlreichen jüdischen Organisationen innerhalb Westdeutschlands einzeln zu verhandeln. Vielmehr suchte man ein Gegenüber, das die Interessen der Juden in Deutschland artikulieren und besonders im Zusammenhang mit den Wiedergutmachungsverhandlungen als verlässlicher Verhandlungspartner bereitstehen würde. Die dringende Notwendigkeit einer Repräsentanz aller jüdischen Gemeinden Deutschlands wurde schließlich auch vom Advisor on Jewish Affairs in der amerikanischen Zone, Harry Greenstein, auf der zweiten Konferenz über die Zukunft aller Juden in Deutschland in Heidelberg betont, zu der er Ende Juli 1949 Repräsentanten jüdischer DPs und deutscher Juden aller drei westlichen Zonen sowie der führenden jüdischen Organisationen aus den USA eingeladen hatte. Greenstein machte deutlich, dass es im Rahmen dieser Zusammenkunft nicht um die moralische Frage der jüdischen Ansiedelung in Deutschland gehe, und plädierte für „setting up an overall Jewish organization which will make it possible for us to plan together for all of the Jews in Germany“136. Die gemeinsame Veranstaltung gab letztlich den notwendigen Impuls für erneute Verhandlungen über eine gemeinsame Vertretung der jüdischen Gemeinden in Deutschland, die unmittelbar begannen. Nach mehreren Verhandlungstreffen des Organisationskomitees kam es nicht zuletzt als Reaktion auf die zunehmende Ausgrenzung und Isolierung der deutschen Juden durch internationale jüdische Organisationen am 19. Juli 1950 zur Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland (Zentralrat oder ZR), dem die Vertreter der jüdischen Gemeinden aller vier Zonen sowie der Zentralkomitees der DPs angehörten.137 135 Die englische Regierung setzte das Prinzip der indirekten Herrschaft vergleichsweise früh durch. Büttner, Not, 378 f. Vgl. auch Strathmann, Jüdisches Leben, 245; Fritz Eschen, Die überlebenden Juden, in: JG, 27. 11. 1946; Karl Marx/Julius Dreifuß, Fragen an die Militärverwaltung, in: JG, 6. 1. 1947. 136 „Introductory Remarks by Harry Greenstein, Adviser on Jewish Affairs“, in: Greenstein/Office of Adviser on Jewish Affairs (Hg.), Conference, 5. Die erste Konferenz hatte am 13./14. März 1949 in Heidelberg stattgefunden. Vgl. Geller, Jews, 73. 137 Protokoll der am 19. 7. 1950 in Frankfurt am Main stattgefundenen Sitzung zum Zwecke der Konstituierung einer Gesamtvertretung der Juden in Deutschland, in: ZA, B.1/7.221; Brenner, Nach dem Holocaust, 115 f; Brenner/Frei, Zweiter Teil, 153 –163; Geller, Jews, 70–89; Hans Lamm, Für die Einheit der Juden Deutschlands, in: Aufbau, 11. 7. 1947; Wetzel, „Mir szeinen doh“, 361–364.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

II. Die Akteure Die politische Zusammenarbeit zwischen jüdischen DPs und deutschen Juden, die sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland aufhielten, war keineswegs immer einfach. Kulturelle, sprachliche und religiöse Unterschiede sowie gegensätzliche politische Einstellungen belasteten die Beziehungen während der ersten Nachkriegsjahre, und auch nach der Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland bedurfte es nicht selten stundenlanger Diskussionen, um Einigung unter den Repräsentanten zu erzielen. Dass die Kooperation zwischen DPs und deutschen Juden in der britischen Zone schon frühzeitig vergleichsweise gut funktionierte, führte Norbert Wollheim auf persönliche Initiativen und die gute freundschaftliche Beziehung zu Josef Rosensaft und dessen Frau zurück.1 Er erklärte hierzu: „Wir haben verstanden, was Auschwitz uns lehrte: Es gibt ein jüdisches Schicksal, und man kann das nicht wieder zerteilen.“2 Die israelische Historikerin Hagit Lavsky stimmt dieser Beobachtung Wollheims grundsätzlich zu, wenn sie „die Anwesenheit einiger außergewöhnlicher Persönlichkeiten auf Seiten der DPs (Rosensaft) und auch der deutschen Juden (Wollheim, Marx, Auerbach) sowie seitens der JRU, die zu leitenden Personen des deutschen Judentums wurden (Lowenthal, van Dam)“, als einen Faktor für die frühe gemeindeübergreifende Organisation in der britischen Zone anführt.3 Auffällig ist, dass der Herausgeber des Jüdischen Gemeindeblatts für die britische Zone, Karl Marx, sowie die zwei Mitarbeiter der JRU, Hendrik G. van Dam und Ernst G. Lowenthal4, in den ersten Nachkriegsjahren im Schatten von Josef Rosensaft, Norbert Wollheim und Philipp Auerbach standen, die seit 1945 als wichtige Repräsentanten und Sprecher entweder der DPs oder der deutschen Juden öffentlich in Erscheinung traten. Die drei in Deutschland geborenen Juden Marx, van Dam und Lowenthal, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem britischen Exil in die britische Besatzungszone zurückkehrten, setzten sich zwar auch seit 1945 bzw. 1946 in ihren jeweiligen Funktionen intensiv für die Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ein; sie vertraten jedoch nicht DPs oder deutsche Juden, sondern unterstützten beide Gruppen in gleichem Maße. Aber obwohl Marx, van Dam 1 Zum Miteinander in der britischen Zone vgl. Brenner, Nach dem Holocaust, 144. Hannover war der einzige Ort in der britischen Zone, wo deutsche Juden und DPs getrennte Organisationen gründeten. Zur Situation in Hannover vgl. Quast, Nach der Befreiung; Dies., Jewish Committee. 2 Wollheim, „Wir haben Stellung bezogen“, 114. 3 Lavsky, Die Anfänge, 199 f, Zitat ebd. 4 Zur Biografie von Prof. Dr. e.h. Ernst Gottfried Lowenthal (1904 – 1994) vgl. Brenner, Nach dem Holocaust, 185 – 190; Lowenthal, Bloomsbury House; Hering, „Die Arbeit, […]“.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

56

Die Akteure

und Lowenthal während der Besatzungszeit politisch deutlich weniger exponiert waren als Rosensaft, Wollheim und Auerbach, die unmittelbar nach der Befreiung der Konzentrationslager als Repräsentanten der Überlebenden agierten, so hatten sie doch Anteil an den Entwicklungen in dieser Zeit: Ihr Einsatz im Nachkriegsdeutschland trug entscheidend dazu bei, dass zwei von ihnen, Karl Marx und Hendrik G. van Dam, nach dem Ausscheiden ihrer drei prominenten Kollegen zu Beginn der 1950er Jahre zu den politischen Hauptakteuren jüdischen Lebens in der Bundesrepublik avancierten. Während Lowenthal auch in den Folgejahren weiterhin für verschiedene britische und internationale Hilfsorganisationen arbeitete,5 entwickelten sich Marx und van Dam zu Führungspersönlichkeiten der zentralen, überregional agierenden Institutionen jüdischer Repräsentanz in der Bundesrepublik, der Jüdischen Allgemeinen bzw. des Zentralrats der Juden in Deutschland. Im Folgenden sollen die Lebensgeschichten dieser zwei Protagonisten zunächst bis zum Beginn ihrer Tätigkeit als Herausgeber des Jüdischen Gemeindeblatts bzw. als Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland nachgezeichnet werden. Neben den Kindheits- und Jugenderfahrungen gilt es die historischen Ereignisse seit 1933 und die individuellen Entscheidungen der zwei Charaktere im Exil als Vorgeschichte der Rückkehr und ihres späteren Engagements innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in den Blick zu nehmen; die Untersuchung ihrer ersten Schritte im Nachkriegsdeutschland erfolgt unter besonderer Berücksichtigung der Frage, wann und vor allem warum Marx und van Dam nach eigenen Angaben in die alte Heimat zurückkehrten.

1. Karl Marx (1897 – 1966) Die Geschwister Leopold und Erna waren drei bzw. sechs Jahre, als Karl Marx am 9. Mai 1897 in der Lindenstraße 113 in Roden im Saarland als drittes Kind von Sigmund und Pauline Marx geboren wurde.6 Ihre Kindheit und Jugend verbrachten die Kinder des Kaufmanns, dessen Familie seit mehreren hundert Jahren in Trier und im Hunsrück ansässig war, im deutsch-französischen Grenzgebiet.7 Die Familie Marx war Mitglied der jüdischen Gemeinde Saar5 Report for March and April 1949, 1, in: WLL, MF Doc 27/24, 129/97; Jewish Committee for Relief Abroad. Statement of Personell in the Committee’s Service, British Zones Germany and Austria, during the period 1st April 1948 to 30th September 1948, sowie Jewish Committee for Relief Abroad. Statement of Personell in the Committee’s Service, British Zones Germany and Austria, during the period 1st April 1948 to 31st March 1949, beide in: TNA: FO 944/1000. 6 Geburtsurkunde Karl Marx, in: OSS, Geburtenregister Nr. 261 (1897); Heiratsurkunde, Eheregister Nr. 477, in: SLD, Familienbuch „Alter Art“, Eheschließung Karl Marx mit Lilli Philippine Peritz geb. Behrendt. Erster Teil; Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479. 7 Ein großer Sohn der Stadt schloß seine Augen, in: Saarzeitung Saarlouis, 17. 12. 1966; Wilhelm Unger, Der Aussöhnung galt sein Wille, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 16. 12. 1966.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

57

louis, die zum Bezirksrabbinat in Trier gehörte,8 bevor sie von Roden zunächst nach Diedenhofen9 und später, im September 1907, in das damals deutsche Straßburg zog, wo Karl Marx die Oberrealschule besuchte.10 Drei unterschiedliche Ereignisse aus der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mögen stellvertretend verdeutlichen, wie Zeit und Umwelt formend auf den Bürgersohn Karl Marx eingewirkt haben, bevor sein Weg ins Exil und die ersten Annäherungen an die alte Heimat nachgezeichnet werden. 1.1 Kindheits- und Jugenderlebnisse in Kaiserreich und Weimarer Republik Als einen „stolzen Tag“ behielt Marx den Moment in Erinnerung, da Kaiser Wilhelm II. am 18. Mai 1906 die lothringische Stadt Diedenhofen, das heute zu Frankreich gehörende Thionville, besucht und im Rahmen eines Empfangs die Überzeugung geäußert hatte, „dass es auch fernerhin Mir gelingen wird, gestützt auf unsere Wehrkraft, dem Deutschen Reich den Frieden zu erhalten und zu verbürgen, dass die Lothringer ungestört ihrer Arbeit nachgehen können“11. In der später immer wieder gern vorgetragenen Anekdote spielte mitnichten die Aussage des Kaisers die entscheidende Rolle, sondern die für den Jungen einprägsame Begebenheit, dass er als Siebenjähriger „in Husarenuniform den zu Gast weilenden Kaiser so beeindruckte, daß dieser seine Hand nahm und ihn in den Empfangspavillon führte“12. Das beschriebene Erlebnis und die Tatsache, dass Marx sich diese Episode noch Jahre später gerne und voll Stolz ins Gedächtnis rief, lassen die deutsch-nationale Einstellung durchscheinen, mit der der junge Marx in seinem traditionell jüdischen Elternhaus erzogen wurde.13 In einem Nachruf auf den gebürtigen Saarländer notierte auch der deutsch-jüdische Remigrant und spätere Kulturdezernent des Zentralrats der Juden in Deutschland, Hans Lamm, diese Episode und resümierte etwas pathetisch, dass dieses „wohlwollend erscheinende Kaiserreich, das mit anderen Illusionen im Weltbrand verzehrt wurde“14, ihm Heimat war und seine kaisertreue Erziehung – wie sich spätestens beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 zeigen sollte – seinen weiteren Lebensweg entscheidend beeinflusste. 8 Vgl. Saarlouis, in: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (2001), Bd. 3, 1115; Festschrift anl. 100. Bestehen Gemeinde Saarlouis, in: CAHJP, D/Sa 3/2. 9 Über die jüdische Gemeinde in Diedenhofen berichtet z. B. Kohn, Zur Geschichte der Juden in Diedenhofen; Ders., Die Niederlassung der Juden in Diedenhofen. 10 Zu den wechselnden Wohnorten der Familie Marx vgl. z. B. AVS, Auszug aus dem Strasbourg City Home Card Index (603 MW 543: period 1919 – 1939), Siegmund Marx. 11 Tageseinträge für 18. 5. 1906, in: Chroniknet, http://www.chroniknet.de/daly_de.0.html? datum=18. 5. 1906& year=1906&month=5&day=18 (22. 5. 2013). 12 Gerda Kaltwasser, Ein Mann, der Brücken schlug, in: Rheinische Post, 16. 12. 1966. 13 Beitrag von Ernst Tauber [o.T.], 24. 10. 1959, 1 – 4, hier 1, in: Archiv JA, KM 1959 – 1962; Wiesemann, Marx, Karl, 346. 14 Lamm, Nachruf, 41.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

58

Die Akteure

Ein zweites Ereignis, das Marx lange in Erinnerung blieb, fand in Straßburg statt, wo er zum ersten Mal die Rassendiskriminierung erlebte, unter der ein Freund von ihm, „ein Neger“, litt. Seine Erfahrungen und Einsichten beschrieb Marx viele Jahre später in einem schöngefärbten (Lehr-)Beitrag für den Sammelband „Als wir noch Lausbuben waren – Berühmte und Prominente erzählen“, der trotz der darin enthaltenen Selbstinszenierung einen gewissen Einblick in die Welt des jungen Karl Marx vermittelt: Es sind mehr als fünfzig Jahre her, als zu Beginn des Schuljahres in der Oberrealschule in meine Klasse ein Negerjunge aufgenommen wurde. […] Unser Geschichtslehrer war ein guter Freund meines älteren Bruders, mit dem er in unserer Wohnung musizierte. Eines Tages saß ich im Nebenzimmer und hörte, wie unser Geschichtslehrer meinem Bruder von der Sorge erzählte, die er und seine Kollegen mit dem kleinen Negerjungen hätten. Die Eltern der anderen Schüler hätten sich beim Direktor der Schule darüber beschwert, daß ihren Jungen zugemutet werde, neben einem Schwarzen auf der Schulbank zu sitzen. Am späten Abend unterhielt ich mich lange mit meinem älteren Bruder über diesen Fall, weil ich wissen wollte, welchen Unterschied diese Eltern eigentlich zwischen einem schwarzen und einem weißen Jungen sahen. Man sollte, so sagte mir mein Bruder mit Nachdruck, nur unterscheiden zwischen guten und bösen Menschen, nicht aber nach Hautfarbe, nicht nach der Religion und nicht nach der Herkunft. Am nächsten Tag tat ich das, wozu ich mich nach dem Gespräch mit meinem Bruder verpflichtet fühlte. Zu Beginn des Unterrichts ging ich zu meinem Klassenlehrer und bat ihn, mir zu gestatten, von nun an neben dem Jungen aus Kamerun sitzen zu dürfen. Er sah mich erstaunt an, erlaubte es und strich mir über die Haare. ,Das ist nett‘, sagte er. Der Kontakt zwischen meinem Nachbarn und mir war sehr schnell hergestellt. […] Es wurde eine echte Freundschaft zwischen uns, und es gelang mir, einige meiner Schulkameraden davon zu überzeugen, daß dieser schwarze Junge gar nicht anders sei als wir, sondern uns im Gegenteil manches sagen könne, was wir noch gar nicht wussten.15

Dieses Erlebnis der Diskriminierung und Ausgrenzung benannte Marx als Grundlage und Anlass, sich schon in der Kindheit „intensiv mit Fragen der Toleranz und Völkerverständigung zu beschäftigen“16. Gemäß einer biografischen Vorstellung Karl Marx’ im Rahmen der Verleihung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern 1959 fällt in diese Zeit auch seine erste journalistische Arbeit, „die sich gegen die sinnlose Vernichtung der Kaffeeernte wandte, durch die die brasilianischen Farmer und Händler den Weltmarktpreis halten wollten“17. Ein drittes zentrales Ereignis in Marx’ Jugend fand am Wochenende des 11. 15 Marx, Karl Marx, 181 – 183. 16 Ebd., 183. 17 Beitrag von Ernst Tauber [o.T.], 24. 10. 1959, 1 – 4, hier 1, in: Archiv JA, KM 1959 – 1962.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

59

und 12. Oktobers 1913 auf dem Hohen Meißner statt. Etwa 2.000 bis 3.000 Teilnehmer, unter ihnen der in der jüdischen Jugendbewegung aktive Karl Marx, trafen sich im Kaufinger Wald bei Kassel und feierten gemeinsam den ersten Freideutschen Jugendtag, der als Gegenveranstaltung zum Jubiläumsfest der Völkerschlacht bei Leipzig konzipiert worden war.18 Marx gehörte „zu den jungen Männern, die an der Jugendbewegung des beginnenden 20. Jh. lebhaft Anteil nahmen, jener deutschen Jugendbewegung, die im Wandervogel, dem Alt-Wandervogel, der neuen Studentenschaft und anderen Jugendverbänden eine der Jugend entsprechende Lebens- und Kulturgestaltung suchte und die sich 1913 auf dem Fest auf dem Hohen Meißner bei Kassel zu der gemeinsamen Losung bekannte: ,Die freie deutsche Jugend will aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten‘“19, schrieb der spätere Bundesminister Ernst Lemmer20 rückblickend über diesen Moment. Der deutsche Politiker, dem Marx erst im November 1920 – nach einer Rede Walther Rathenaus im Nibelungen-Saal zu Mannheim – bewusst begegnete und seitdem in Freundschaft verbunden blieb,21 betonte in seinen Erinnerungen den prägenden Charakter dieses gemeinsamen Jugenderlebens: „Wie für mich, so war zweifellos auch für ihn der Einfluss der Jugendbewegung und der Eindruck des Jugendfestes auf dem Hohen Meißner im Jahre 1913 bestimmend für die weitere Entwicklung in der geistigen, kulturellen und demokratischen Haltung und in seinem Wirken.“22 Karl Marx blieb der Jugendbewegung auch während der 1920er Jahre verbunden, allerdings gaben ihm die zeithistorischen Ereignisse zunächst einen anderen Weg vor. Von der Schulbank meldete sich der Patriot als siebzehnjähriger Kriegsfreiwilliger und wurde trotz seiner „schmächtigen Gestalt“23 zum Militärdienst angenommen.24 Nachdem er 1914 in Straßburg das Notabitur abgelegt hatte, eilte Marx zu den Fahnen und gehörte zunächst dem Feld-Artillerie Regiment 84 und dann dem Feld-Artillerie Regiment 601 an.25 Vier Jahre stand er als Soldat im Feld und war im Fronteinsatz in Frankreich (Verdun, Somme, Arras), Flandern und Italien (Isonzo-Offensive).26 Nach Aussage verschiedener Zeitgenossen setzten Marx insbesondere die furchtbaren Erlebnisse des Gaskrieges am Isonzo in den letzten Monaten des Krieges 18 Zum ersten Freideutschen Jugendtag vgl. Mogge/Reulecke, Hoher Meißner 1913. 19 Lemmer, Aus gemeinsamem Jugenderleben, 71. Vgl. auch Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479; Briefabschrift vom Bundesminister a.D. Ernst Lemmer, in: AdJb, Personenmappe Karl Marx. 20 Zur Biografie von Ernst Lemmer (1898 – 1970) vgl. Lemmer, Manches war doch anders. 21 Trauerrede von Bundesminister a.D. Ernst Lemmer; Lamm, Nachruf, 41. 22 Lemmer, Aus gemeinsamem Jugenderleben, 72. 23 Lamm, Nachruf, 41. 24 Insgesamt dienten etwa 100.000 jüdische Männer in Heer, Marine und Schutztruppe. Vgl. Messerschmidt, Juden; Diekmann (Hg.), Juden, 151 – 160. 25 Eidesstattliche Erklärung, 27. 2. 1957, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824; Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479. 26 Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

60

Die Akteure

stark zu und wandelten ihn zu einem überzeugten Pazifisten.27 Als solcher kehrte er nach Kriegsende mehrmals verwundet und ausgezeichnet zu seinen Eltern zurück und begann sich unmittelbar nach seiner Rückkehr in Wort und Schrift für seine Ideale stark zu machen.28 Da die Familie sich weigerte, nach der Besetzung Elsass-Lothringens für Frankreich zu optieren, musste sie Straßburg verlassen und nahm im Herbst 1919 Wohnsitz in Baden-Baden.29 „Dort baute ich zusammen mit meinem Vater, der früher in Elsass-Lothringen wohl das bedeutendste Immobiliengeschäft hatte, seine Existenz wieder auf und bildete mich nebenbei zum Journalisten aus (Teilnahme an Kursen in Baden-Baden und Karlsruhe)“, erinnerte sich Marx später im Zusammenhang mit seinen Wiedergutmachungsverhandlungen.30 In dieser Zeit war er nach eigenen Angaben auch Mitglied beim jüdischen Jugendbund „Kameraden“ sowie „ehrenamtlich führend tätig in der Jugendherbergsbewegung […] und der Jugend-Bewegung (Deutsch-Demokratische Jugend, 2. Landesvorsitzender für das Land Baden und mit im Hauptvorstand der DDJ)“31. Die „Kameraden“ gehörten zu den jüdischen Jugendbewegungen, die ein Interesse daran hatten, auf ihren Mehrtageswanderungen die Jugendherbergen als Unterkunft benutzen zu können. Um dies zu gewährleisten, waren sie zumindest zeitweise durch ein jüdisches Mitglied im Vorstand der Ortsgruppen des Verbandes deutscher Jugendherbergen repräsentiert. Entsprechend dieser Gepflogenheit ist davon auszugehen, dass diese praktische Erwägung ein Grund für Marx’ Engagement im Jugendherbergsverband gewesen ist; ob und inwiefern Marx über die nominelle Mitgliedschaft hinaus die in weltanschaulicher und konfessioneller Hinsicht neutralen, integrativen Absichten des Verbandes unterstützte, lässt sich rückblickend nicht mehr rekonstruieren.32 In einzelnen biografischen Lebensbeschreibungen, in denen die Verfasser auch die Jugendjahre des Journalisten kommentieren, findet sich überdies die Aussage, 27 Lamm, Nachruf, 41; Ralph Giordano, Ein deutscher Demokrat jüdischer Religion. Zum 100. Geburtstag von Karl Marx, in: JA, 2. 5. 1997, in: ZA, A2. Personen. Karl Marx; Gerda Kaltwasser, Ein Mann, der Brücken schlug, in: Rheinische Post, 16. 12. 1966. 28 In späteren Zusammenhängen verwies Marx selbst auf die ihm verliehenen Tapferkeitsauszeichnungen, unter ihnen das Eiserne Kreuz zweiter Klasse und die Badische Verdienstmedaille. Eidesstattliche Erklärung, 27. 2. 1957, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824. Vgl. auch Beitrag von Ernst Tauber [o.T.], 24. 10. 1959, 1 – 4, hier 1, in: Archiv JA, KM 1959 – 1962; Vorkämpfer für Ausgleich und Versöhnung, in: Die Gemeinde, 31. 1. 1967. 29 AVS, Auszug aus dem Strasbourg City Home Card Index (603 MW 543: period 1919 – 1939), Siegmund Marx; Eidesstattliche Erklärung, 27. 2. 1957, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824; Beitrag von Ernst Tauber [o.T.], 24. 10. 1959, 1 – 4, hier 1, in: Archiv JA, KM 1959 – 1962. 30 Eidesstattliche Erklärung, 27. 2. 1957, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824. Zum Wohnort des „Immobilienagenten“ Siegmund Marx vgl. auch StadtABB, Adressbuch 1924. 31 Eidesstattliche Erklärung, 27. 2. 1957, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824; Gerda Kaltwasser, Ein Mann, der Brücken schlug, in: Rheinische Post, 16. 12. 1966; Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479; Lamm, Nachruf, 41; Wiesemann, Marx, Karl, 346. 32 Zu den jüdischen Jugendbewegungen vgl. Laqueur, Geboren in Deutschland, 20 – 23. Zur Mitgliedschaft jüdischer Jugendbewegungen in den Ortsgruppen des Verbandes deutscher Jugendherbergen vgl. Döpp, Jüdische Jugendbewegung, 149 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

61

dass vielen der damals in der deutsch-demokratischen Jugendbewegung Aktiven besonders der Aufruf von Karl Marx aus dem Jahre 1921 in Erinnerung geblieben sei, „als er eine Fahrt auf das mit deutschem und französischem Blut getränkte Schlachtfeld von Verdun vorschlug“, um die Sinnlosigkeit des Krieges zu bezeugen.33 Das Engagement in der Jugendarbeit während der Frühphase der Weimarer Republik deutete der spätere Bürgermeister von Düsseldorf, Karl Arnold,34 rückblickend als einen ersten Ausdruck des Marx’schen Demokratieverständnisses.35 Die nächsten Stationen seines beruflichen Werdegangs fasste Marx selbst in aller Kürze wie folgt zusammen: Ab 1921 begann ich nebenberuflich journalistisch tätig zu sein (Zeitungen der Jugendbewegungen, Neue Badische Landeszeitung). Ab etwa 1928 übte ich den Journalismus als Hauptberuf aus, und zwar belieferte ich meist ausländische Artikel- und Nachrichtendienste, war ausserdem freier Mitarbeiter einer Anzahl von Zeitungen.36

Um seine journalistische Tätigkeit voll zu entfalten, war Marx im Laufe der 1920er Jahre von Baden-Baden zunächst nach Wiesbaden und später in die Reichshauptstadt Berlin gezogen, wo er sich einerseits schreibend, andererseits aktiv als Parteimitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) in das politische Geschehen der Weimarer Republik einbrachte.37 Für die Reichstagswahl 1930 gelangte er sogar auf die Reserveliste der DDP, verzichtete letztlich jedoch zugunsten von Ernst Lemmer auf ein Mandat.38

1.2 „Refugee“ – Typus einer neuen jüdischen Lebensform39 Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 war die Außerkraftsetzung von Grundrechten durch die sogenannte Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 das erste einschneidende Ereignis, das vielen Funktionären und führenden Politikern demokratischer Parteien die Bedrohung für politische Opponenten deutlich vor Augen führte; die Folge 33 Lamm, Nachruf, 42; Beitrag von Ernst Tauber [o.T.], 24. 10. 1959, 1 – 4, hier 2, in: Archiv JA, KM 1959 – 1962. Marx selbst berichtet von diesem Ereignis in „Das ,Ghetto‘ des Jahres 1947“, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. 34 Zur Biografie von Karl Arnold (1901 – 1958) vgl. Hüwel, Karl Arnold; Landtag NordrheinWestfalen (Hg.), Karl Arnold. 35 Arnold, Freiheit und Recht, 13. 36 Marx arbeitete u. a. für die Agentur Havas, zuletzt in Berlin. Eidesstattliche Erklärung, 27. 2. 1957, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824; Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479. 37 Als freier Journalist schrieb Marx für in- und ausländische Tageszeitungen und Nachrichtenagenturen. Vgl. Marx, Karl, in: DBE, Bd. 6, 648; Lemmer, Aus gemeinsamem Jugenderleben, 71. 38 Lemmer, Aus gemeinsamem Jugenderleben, 72; Wiesemann, Marx, Karl, 346. 39 Diese Formulierung verwandte Robert Weltsch in seinem Beitrag Jüdische Presse vor 30 Jahren, um die jüdische Gesellschaft im Nazi-Deutschland zu charakterisieren, die „Gemeinschaft auf Abbruch“, die jedoch „nicht ohne Trost und moralische Stärke, nicht ohne Willen zu einem aktiven und bewussten Jude-Sein dahinfahren“ sollte. Weltsch, Jüdische Presse, 109.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

62

Die Akteure

war eine erste Fluchtwelle politischer Emigranten in die europäischen Nachbarstaaten.40 Auch für Karl Marx war der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 mit seinen Folgen das entscheidende Signal, ins Exil zu fliehen: Als politisch aktiver Journalist war er unmittelbar von der nationalsozialistischen Unterdrückung der freien politischen Betätigung betroffen und darüber hinaus als Jude den antijüdischen Diskriminierungen und rassistischen Gesetzen des Regimes ausgeliefert. Ferner war er bereits zu Beginn der 1920er Jahre mit dem Vorwurf der Spionage in die Kartei der Gestapo Frankfurt am Main aufgenommen worden,41 was ein weiterer Grund für ihn gewesen sein dürfte, seinem Heimatland bereits am 5. März 1933 den Rücken zu kehren.42 Marx entschied sich, zunächst in unmittelbarer Nähe zu Deutschland zu bleiben, und fand Zuflucht im Saargebiet, das zu der Zeit als Mandatsgebiet dem Völkerbund unterstand.43 Als Betreiber des Theater-Caf¦s in der Eisenbahnstraße 15 (Eckhaus Stengelstraße) in Saarbrücken,44 wo sich von 1933 bis 1935 Hunderte von Emigranten aufhielten, knüpfte Marx schnell Kontakte und genoss bei den Behörden des Völkerbundregimes an der Saar großes Ansehen. Nach Meinung des ebenfalls ins Saarland geflohenen späteren SPDBundestagsabgeordneten Heinz-Georg Ritzel konnte Marx deshalb „für viele Hilfesuchende manchen Stein aus dem Weg räumen“: In seinem Kaffeehaus, das in der unmittelbaren Nachbarschaft zum Stadttheater Saarbrückens lag, trafen sich Sozialisten und Liberale, konservative Hitlergegner und Kommunisten, hier kamen nicht selten ernste Gespräche zwischen Angehörigen der internationalen Polizeitruppe des Völkerbundes und Deutschen zustande. Immer war Karl Marx ein guter Wirt im besten Sinne des Wortes. Er brach manchen Zaun nieder und öffnete dem freien Wort eine Gasse.45

Marx’ Schicksalsgefährte berichtete darüber hinaus, dass die Namensgleichheit mit dem Vordenker des Staatskommunismus die Menschen im Umfeld von Karl Marx nicht selten verwunderte und verständlicherweise für eine zusätzliche Neugier dem Mann gegenüber sorgte, „der ohne selbst dafür 40 Möller, Die Emigration, 49 f. 41 Karteikarte der Geheimen Staatspolizei Frankfurt/Main, 29. 8. 1931, in: ITS Digitales Archiv, 1.2.3.1/MARTINEZ-MARX/0482, Doc. No. 12235136#1 und Doc. No. 12235136#2. 42 Karl Marx an A. Zimuki, Jerusalem, 7. 12. 1960, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958; Ralph Giordano, Ein deutscher Demokrat jüdischer Religion. Zum 100. Geburtstag von Karl Marx, in: JA, 2. 5. 1997. 43 Schock, Saargebiet, Sp. 367 f; Schneider, Saarpolitik; Zenner, Parteien. 44 Vgl. Adressbücher 1933 bis 1935, in: StadtAS; Überprüfung der bisher ausgesprochenen Anerkennung des Herrn Karl Marx, Kreissonderhilfsausschuss, 28. 2. 1950, Beweismittel 3, in: Bez.Reg. Düsseldorf, Akt 2824; Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479. 45 Ritzel, Weitsicht, 85 f. Vgl. auch Überprüfung der bisher ausgesprochenen Anerkennung des Herrn Karl Marx, Kreissonderhilfsausschuss, 28. 2. 1950, Beweismittel 3, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824. Zu den Emigrationswellen und den differierenden Anlässen für die Emigration vgl. z. B. Möller, Die Emigration, 49 – 51; Schock, Saargebiet, Sp. 368.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

63

verantwortlich zu sein, den weltbekannten Namen trug“46. Dabei hatte Marx, so erinnerte sich Ritzel, „politisch mit dem Begriff des Marxismus nichts gemein: der heutige Karl Marx ist eine durchaus undogmatische Natur, ein lebensbejahender, der Praxis zugeneigter, weitblickender Mann der Tat“47. In den historischen Meldeunterlagen der Stadt Saarbrücken lassen sich keine Hinweise auf Marx’ Anwesenheit im Saargebiet finden; es scheint, dass er – wie die Mehrheit der Geflohenen, die im Mandatsgebiet Zuflucht suchten – die amtliche Registrierung scheute. Aus eben diesem Grund lässt sich die Zahl der im Saargebiet niedergelassenen Emigranten im Zeitraum von 1933 bis 1935 nur schwer beziffern. Einzelne Erhebungen unterschiedlicher Stellen geben jedoch gewisse Anhaltspunkte: So zählt der Saarbrücker Landrat im März 1933 in seinem Landkreis insgesamt 828 Reichsemigranten und in einem Agentenbericht an das preußische Innenministerium wird davon berichtet, dass sich im Mai 1933 etwa 600 Juden im Saargebiet aufhielten, von denen jedoch einige ins Ausland weitergereist seien.48 Laut Schätzungen der Gestapo hatten sich im März 1934 zwischen 5.000 und 6.000 Emigranten aus Deutschland (vorübergehend) an der Saar niedergelassen, unter ihnen vor allem Sozialdemokraten und Kommunisten sowie Personen jüdischen Glaubens. Die Emigranten an der Saar lebten nicht selten unter falschem Namen bzw. getarnt in Sammelunterkünften und Wohnheimen, die von Parteiorganisationen, öffentlichen Stellen oder privaten Trägern unterhalten wurden. Trotz finanzieller Hilfe aus dem Ausland, beispielsweise durch befreundete Gewerkschaften, Parteien oder Hilfsorganisationen, war die materielle Lage der meisten Emigranten außerordentlich schwierig.49 Karl Marx, der sich aktiv im Kampf gegen den Unrechtsstaat beteiligte, setzte auch in dieser Phase seines Lebens seine journalistische Tätigkeit für ausländische Artikel- und Nachrichtendienste fort: Er schrieb als freier Mitarbeiter für eine Anzahl von Zeitungen und arbeitete an dem von Willi Münzenberg50 herausgegebenen „Braunbuch über den Reichstagsbrand“ mit.51 Wie Karl Marx später vermerkte, schwankte sein Verdienst in dieser Zeit zwischen 700,– und 900,–

46 Warum sich Siegmund und Pauline Marx entschieden, ihren zweiten Sohn nach dem im benachbarten Trier geborenen deutsch-jüdischen Philosophen und Gesellschaftstheoretiker zu benennen, mit dem die Familie nicht verwandt war, ist nicht überliefert. Eine Reaktion auf den Namen „Karl Marx“ beschreibt Ritzel, Weitsicht, 85. 47 Ebd. 48 Mallmann/Paul, Das zersplitterte Nein, 435; Zur Mühlen, „Schlagt Hitler […]“, 169 f. 49 Schock, Saargebiet, Sp. 368 f. 50 Zur Biografie von Willi Münzenberg (1889 – 1940) vgl. z. B. Gross, Willi Münzenberg; McMeekin, The Red Millionaire; Schlie/Roche (Hg.), Willi Münzenberg; Schulz, Münzenberg, Willi. 51 Eidesstattliche Erklärung, 27. 2. 1957, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824; Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479; Wiesemann, Marx, Karl, 346; Vgl. hierzu auch Überprüfung der bisher ausgesprochenen Anerkennung des Herrn Karl Marx, Kreissonderhilfsausschuss, 28. 2. 1950, Beweismittel 3, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

64

Die Akteure

Reichsmark pro Monat, was ihm ein vergleichsweise gutes Auskommen im Exil ermöglichte.52 In den turbulenten Zeiten, die nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler im damaligen Reich auch an der Saar einkehrten, hatte Heinz-Georg Ritzel oft Gelegenheit, mit Marx über die politische Lage und ihre wahrscheinliche Entwicklung zu sprechen. Rückblickend charakterisiert er seinen Gesprächspartner und dessen Einstellung wie folgt: Es war für ihn [Karl Marx] bezeichnend, mit welcher Klarheit er die kommenden Dinge voraussah und mit welcher Sorge er bemüht war, seinen Beitrag zur Erhaltung eines freien, von nationalsozialistischem Machtwahn bewahrten Saargebiet zu leisten. Ihm kam es in der damaligen Zeit darauf an, durch eine Verlängerung des Völkerbundr¦gimes die Eingliederung der Saar in das ,Dritte Reich‘ zu verhindern und damit ein noch vorhandenes Hindernis gegen den Hitlerschen Machtwahn und gegen die immer deutlicher werdende Kriegsgefahr solange aufrechtzuerhalten, wie es notwendig war. Zu keiner Stunde bestritt Marx die Zugehörigkeit der Saar zu Deutschland; aber er wollte dazu beitragen, dort einen Hort echten Deutschtums, eine Stätte demokratischer Freiheit und einen Raum des inneren Friedens zu erhalten.53

Für dieses Ziel kämpfte Marx keineswegs allein: Vor allem sozialdemokratische Politiker und eine große Zahl an die Saar emigrierter Autoren nahmen aktiv am Saarwahlkampf gegen Hitler teil. Je näher das Datum rückte, an dem die Einwohner des Saargebiets darüber abstimmen sollten, ob sie die im Saargebiet bestehende Rechtsordnung beibehalten wollten („Status quo“) oder die Vereinigung mit Frankreich bzw. mit Deutschland wünschten, um so intensiver bemühten sich die Emigranten, die rund 700.000 Saarländer zu einer Stimmabgabe für den Status quo zu gewinnen. Sie verfassten Gedichte, Reportagen, Erzählungen und Romane, in denen sie sich mit dem Saargebiet als Exilland und der politischen Situation des Saargebiets auseinandersetzten, und versuchten durch Veröffentlichungen in der antifaschistischen Presse, in Broschüren und Büchern über den Charakter des Hitler-Regimes aufzuklären.54 Das Ergebnis der Abstimmung, die der Völkerbund auf den 13. Januar 1935 festgesetzt hatte, war für die Emigranten und saarländischen Hitlergegner jedoch verheerend: Knapp über 90 Prozent der Abstimmenden sprachen sich für den Anschluss an Deutschland aus und so wurde das Saargebiet

52 Eidesstattliche Erklärung, 27. 2. 1957, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824. 53 Ritzel, Weitsicht, 85. Vgl. hierzu auch Überprüfung der bisher ausgesprochenen Anerkennung des Herrn Karl Marx, Kreissonderhilfsausschuss, 28. 2. 1950, Beweismittel 3, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824. 54 Schock, Saargebiet, Sp. 369 f; Maas, Handbuch, Bd. 4, 184 – 191, 497 – 512; Schock (Hg.), Haltet die Saar, Genossen! Zur Positionierung von Marx vgl. Marx an A. Zimuki, Jerusalem, 7. 12. 1960, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

65

zum 1. März 1935 an das Deutsche Reich zurückgegeben.55 Mit der „Machtergreifung“ an der Saar verließ Karl Marx den Ort, der ihm vorübergehend Ersatzheimat geworden war, und wanderte ebenso wie viele der gefährdeten Saarländer und die von Verfolgungsmaßnahmen noch stärker bedrohten Reichsemigranten nach Frankreich weiter. Bis zum Tag der Rückgliederung des Saarlandes, das als Gau Saarpfalz in das Deutsche Reich inkorporiert wurde, flohen mit Marx etwa 6.000 Personen (Reichs- und Saaremigranten) aus dem Saargebiet über die Grenze ins benachbarte Frankreich.56 Trotz aller Widrigkeiten konnte Marx auch in Frankreich seine journalistische Tätigkeit fortsetzen. Er lebte vorübergehend in Paris und später in Nizza, kam aber auch dort nicht zur Ruhe.57 Das von ständigen Krisen geprägte Frankreich hatte sich zu Beginn der 1930er Jahre noch nicht von den materiellen und menschlichen Verlusten und Folgen des Ersten Weltkriegs erholt. Es blieb für viele Hitler-Gegner und Nazi-Verfolgte aufgrund der herrschenden rechtlichen Unsicherheit für Flüchtlinge und der zunehmenden Aggressionspolitik Hitler-Deutschlands nur eine Durchgangsstation – so auch für Karl Marx.58 Er floh weiter nach Italien, wo ihm politisches Asyl gewährt wurde, und arbeitete zunächst in Mailand und später in Rom als freiberuflicher Journalist. Er schrieb für unterschiedliche nicht-deutsche, überwiegend jüdische Zeitungen und schaffte es nach eigenen Angaben in dieser schwierigen Zeit, dass sein Verdienst „nicht nur nicht zurückging, sondern sich steigerte“59. Dieser Umstand trug entscheidend dazu bei, dass ihm von den italienischen Machthabern eine Aufenthaltsgenehmigung gewährt wurde, die zu dieser Zeit an einen Nachweis ausreichender Mittel zum Unterhalt geknüpft war.60 Auch wenn die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Durchreise oder Niederlassung für Emigranten aus dem nationalsozialistischen Herrschaftsbereich trotz der faschistischen Diktatur in Italien deutlich günstiger waren als beispielsweise in Frankreich, so lässt sich auch hier eine zu den innenpolitischen Entwicklungen und der Zuspitzung der internationalen Konflikte parallel verlaufende Zunahme der Beschränkungen gegenüber den Emigranten feststellen. Erste Veränderungen im Umgang mit Hitler-Flücht55 Schmidt, Saarpolitik, Bd. 1, 121. Zu Vorbereitung, Durchführung und Ergebnis des Referendums vgl. z. B. bei Zur Mühlen, „Schlagt Hitler […]“; Schock, Einleitung. 56 Schock, Saargebiet, Sp. 370. Zur Entscheidung von Karl Marx vgl. Karl Marx, File No. 41150, in: Archiv des JRC; Ritzel, Weitsicht, 85. 57 Überprüfung der bisher ausgesprochenen Anerkennung des Herrn Karl Marx, Kreissonderhilfsausschuss, 28. 2. 1950, Beweismittel 3, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824; Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479. 58 Zur Situation in Frankreich und der immer restriktiveren Asylpolitik vgl. z. B. Franke, Paris; Poznanski, French Public Opinion; Vormeier, Frankreich. 59 Angeblich arbeitete Marx zu diesem Zeitpunkt für 17 ausländische Zeitungen. Eidesstattliche Erklärung, 27. 2. 1957, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824; Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479; Wiesemann, Marx, Karl, 346; Hilde Bold, Jüdischer Deutscher und Europäer. Verleger und Chefredakteur Karl Marx, in: Westfalenpost Hagen, 10. 5. 1959. 60 Voigt, Zuflucht, Bd. 1, 54 – 56, 189 – 191.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

66

Die Akteure

lingen wurden schon infolge des geheimen deutsch-italienischen Polizeiabkommens deutlich, das im April 1936 geschlossen wurde und gegenseitige Auslieferungen politischer Gegner vorsah.61 Während diese zunächst auf Einzelpersonen beschränkt blieben, wurde die voranschreitende Freiheitsbeschränkung der Emigranten beim Staatsbesuch Hitlers in Italien im Mai 1938 besonders deutlich, als mehrere Hundert vorübergehend in Haft genommen oder unter Hausarrest bzw. Polizeiüberwachung gestellt wurden. Die Gesamtzahl der Emigranten betrug zu diesem Zeitpunkt ungefähr 4.000, unter ihnen viele namhafte Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler.62 Grundlegend veränderte sich die Situation für die jüdischen Emigranten schließlich im Herbst 1938, als infolge der Einführung der italienischen Rassengesetze vom 7. September 1938 alle seit 1919 eingewanderten Juden – ungefähr 9.000 Personen – dazu aufgefordert wurden, Italien zu verlassen. Sollte dies nicht innerhalb von sechs Monaten geschehen, drohte ihnen die Ausweisung.63 Karl Marx lebte zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Gesetzesänderung in Rom, wo ihn nur zwei Monate später, am 9. November 1938, die Nachrichten und Berichte von der nächsten Katastrophe für Juden in Deutschland erreichten. In seinem Tagebuch notierte Marx am Freitag, den 11. November 1938 über die Ereignisse und Folgen der Reichspogromnacht: Erlebnisse, die wohl nie wieder vergessen werden können. Die gesamte Weltpresse berichtet über die Untaten, die Verbrechen, die am 9. und 10. November in Deutschland begangen wurden. Jüdische Gotteshäuser wurden in Brand gesteckt, die Scheiben und das Mobiliar jüdischer Geschäfte zertrümmert, und alles, was zu finden war, wurde von den Rowdys geraubt, so kann man in der ausländischen Presse lesen. Insgesamt 267 Synagogen sind angezündet, beraubt und vernichtet worden. Die deutsche Presse spricht von der ,kochenden Volksseele‘. Wir wurden heute, hier in Rom, von vielen Italienern gefragt, ob wir das glauben, ob es denn möglich sei, daß ein Kulturvolk, wie das deutsche, in seiner Gesamtheit oder zum größten Teil bereit gewesen sein könne, einer solchen Aktion zuzustimmen oder in ihr gar mitzuwirken. Meine Freunde und ich konnten diese Frage nur mit Kopfschütteln oder Achselzucken beantworten. Wir, die wir in der Emigration lebten, diskutierten, ob die Behauptung der deutschen Presse, das deutsche Volk hätte auf den Mord des Legionsrats vom Rath in Paris in dieser Weise ,spontan‘ reagiert, stimmen könne. Die Ansichten waren unterschiedlich. Weil nur wenige politisch dachten.64

Auch an den folgenden Tagen gab es für Marx nach seinen Angaben kein anderes Thema als die schrecklichen Vorfälle in der Heimat. Während der 61 Voigt, Italien, 276; Ders., Zuflucht, Bd. 1, 111 – 121. 62 Voigt, Zuflucht, Bd. 1, 122 – 140. 63 Zu den Entwicklungen für jüdische Emigranten in Italien nach Inkrafttreten der italienischen Rassengesetze vgl. Voigt, Italien, 277; Ders., Zuflucht, Bd. 1, 275 – 348. 64 Karl Marx, Aus meinem Tagebuch. Rom, Freitag, den 11. November 1938, in: AWJD, 8. 11. 1963.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

67

Eintrag vom Sonnabend, dem 12. November 1938, weiterhin vor allem die Anteilnahme des katholischen, italienischen Umfelds beschreibt, die Marx zufolge „Beileidsbesuchen“ glichen, spiegelt folgende deutlich längere Passage, von Marx eingetragen am Sonntag, dem 13. November 1938, in erster Linie die Sorgen der Emigranten in Italien wider, welche diese gemeinsam diskutierten: Heute früh gingen wir zu unserem Freund Rosenhaft, dessen Hobby es war, möglichst von allen politischen Ansprachen der Herrscher des Dritten Reiches Tonaufnahmen zu machen. Er spielte sie uns vor. Es war für uns alle erschütternd als wir zu hören bekamen, was ein Göring, ein Goebbels und ein Hitler von sich gaben. Es war erschütternd, als in den Nachrichten der deutschen Rundfunkstationen ständig wiederholt wurde, daß mit dem 9. November 1938 das deutsche Volk bewiesen hätte, daß es hinter seinem Führer stehe. Stundenlang herrschte Stille in dem Studio Rosenhafts. Keiner aber glaubte bei diesen Uebertreibungen, daß gläubige Christen, Katholiken und Protestanten in Deutschland in großer Anzahl das gebilligt hatten, was geschehen ist und was Schreckliches vorausahnen lässt. Nachmittags saßen wir in einem Caf¦ am Corso Umberto. Wir waren zu fünft und hatten nur das eine Thema: Was geschieht mit unseren Verwandten und Freunden in Deutschland? Was wird dann geschehen, wenn es keine Juden mehr in Deutschland gibt? Wird sich dann der Kampf der Verantwortungslosen gegen die Kirchen verschärfen? Werden diese Gesellen zu einem Krieg treiben?65

Da diese Einträge nicht im Originalzusammenhang erhalten sind, sondern von Karl Marx zum 25. Jahrestag des 9. November 1938 in der Jüdischen Allgemeinen abgedruckt wurden, lässt sich nicht rekonstruieren, welche Folgen sich unmittelbar für ihn aus diesen Ereignissen ergaben. Ferner ist in Betracht zu ziehen, dass Marx seine Aufzeichnungen vor der Veröffentlichung redigierte, und ggf. persönliche bzw. kritische Bemerkungen entfernte oder seine Notizen aus der Erinnerung heraus ergänzte. Nichtsdestotrotz bietet dieser Blick in die Vergangenheit eine Möglichkeit, die von ihm erinnerten Erfahrungen weiterzugeben, und verdient als solcher an dieser Stelle Berücksichtigung.66 Die Hoffnung, während seines Aufenthaltes in Italien ein Visum für die USA zu erhalten, ließen Marx noch einige Wochen in seinem unsicheren Zufluchtsort ausharren.67 Im Januar 1939 wurde er schließlich verhaftet und Berlin forderte seine Auslieferung. „Aber die Italiener benahmen sich sehr gut und pochten auf das Asylrecht“, zitiert die Journalistin Hilde Bold Marx, der sich dieser bedrohlichen Situation nach sechs Wochen Haft durch Flucht nach 65 Karl Marx, Aus meinem Tagebuch. Sonntag, den 13. November 1938, in: AWJD, 8. 11. 1963. 66 Zu dem Phänomen der erinnerten Erfahrung vgl. Platen (Hg.), Erinnerte und erfundene Erfahrung; Klaus, „Sie haben ein Gedächtnis wie ein Mann, Mrs. Cresspahl!“, 290 f. 67 Hilde Bold, Jüdischer Deutscher und Europäer. Verleger und Chefredakteur Karl Marx, in: Westfalenpost Hagen, 10. 5. 1959; Wiesemann, Marx, Karl, 346.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

68

Die Akteure

Tanger entzog.68 Auch in Nordafrika hoffte Marx, der am 31. Juli 1939 von den Nationalsozialisten ausgebürgert worden war,69 weiter auf den Erhalt eines Visums für die USA. Unterschiedliche Quellen besagen, dass Marx in dieser Zeit Nachrichten für britische Stellen sammelte und zeitweise, zum Überbrücken der Notlage und Wartezeit, als Kellner in einem Nachtclub Geld verdiente.70 Schließlich spürten die nationalsozialistischen Machthaber den Flüchtigen jedoch in Tanger auf und – so schildert Landesrabbiner Dr. Fritz Bloch diesen Moment in seinem Nachruf auf den Journalisten dramatisch bewegt – „es war nur dem englischen Warndienst zu verdanken, daß er in letzter Minute entkommen konnte und im offenen Ruderboot bei stürmischer See hinüber nach Gibraltar gelangen konnte“71. Marx’ Rettung ins Überseeterritorium, das während des Zweiten Weltkriegs in eine Festung für bis zu 15.000 Soldaten umgewandelt wurde, ermöglichte ihm die Flucht nach England, wohin er kurz darauf aufbrach.72 Da England im Gegensatz zu den überseeischen Ländern kein typisches Einwanderungsland war, war die Anzahl der dorthin Auswandernden von 1933 bis zum Herbst 1938 vergleichsweise gering.73 Hauptgrund für die verhaltene Immigration war die zu Beginn des 20. Jh. in Großbritannien erlassene restriktive Einwanderungsgesetzgebung, die es britischen Einwanderungsbeamten ermöglichte, jeden Einreisewilligen ohne Berufungsmöglichkeit abzuweisen.74 Außer dieser gesetzlichen Maßnahme zur Abwehr größerer 68 Karl Marx, File No. 41150, in: Archiv des JRC. 69 Freunde und seine Frau berichten später, dass Marx bereits 1933 einen Brief an das Innenministerium geschrieben habe, um seine Ausbürgerung zu beantragen, „weil er kein Bürger des Hitlerstaates sein wollte“. Vgl. hierzu Lamm, Nachruf, 42; Lilli Marx, „Wie können Sie nur in Deutschland leben?“, 98; Trauerrede von Landesrabbiner Dr. Bloch, 94. Marx’ Ausbürgerung durch die Nationalsozialisten aufgrund des §2 des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. 7. 1933 (RGBl. I, 480) erfolgte am 31. 7. 1939: Veröffentlichung im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger Nr. 174, 31. 7. 1939 unter Nr. 97, Marx, Karl, geb. am 9. 5. 1897 in Roden (jetzt Saarlautern). Informationen entnommen aus Hepp (Hg.), Die Ausbürgerung, Bd. 1, Liste 127. Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 174, 31. 7. 1939, 200. Marx’ deutscher Pass lief im März 1940 ab. Vgl. Karl Marx, File No. 41150, in: Archiv des JRC. 70 Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479; Hilde Bold, Jüdischer Deutscher und Europäer. Verleger und Chefredakteur Karl Marx, in: Westfalenpost Hagen, 10. 5. 1959. 71 Die Überfahrt von Tanger nach Gibraltar setzte Marx’ Gesundheit enorm zu, vgl. Fachärztliches Gutachten von Dr. med. von Lowenstein, Ebersteinburg, 22. 12. 1966, und Landesrentenbehörde an Karl Marx, 12. 3. 1957, beides in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824; Trauerrede von Landesrabbiner Dr. Bloch, Zitat 94. 72 Trauerrede von Landesrabbiner Dr. Bloch, 94; Hilde Bold, Jüdischer Deutscher und Europäer. Verleger und Chefredakteur Karl Marx, in: Westfalenpost Hagen, 10. 5. 1959. 73 Der Historiker Anthony Grenville konstatiert, dass „accurate figures are not available, but best estimates suggest that by 1938 there were less than 10,000 refugees from Germany in Britain“. Grenville, Jewish Refugees, 1 – 27, Zitat 5. Vgl. auch London, Whitehall, 25 – 57; Shephard, The Long Road Home, 326 f; Snowman, The Hitler Emigr¦s, 87 f. 74 Für einen Überblick zu dieser Thematik und Gesetzgebung vgl. Bird, Control, bes. 45 – 168; Cesarani/Kushner (Hg.), The Internment; Kershaw/Pearsall, Immigrants, bes. 19 – 23; Panayi, A

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

69

Einwanderungsströme waren eine in der Bevölkerung spürbare Friedenssehnsucht, die bis Anfang 1939 gegenüber dem Dritten Reich verfolgte Appeasement-Politik sowie der in den 1930er Jahren herrschende Wirtschaftsnationalismus und die Politik des „knappen Geldes“ mitverantwortlich für die britische Asylpolitik, die den Zuzug Schutz suchender NS-Flüchtlinge stark begrenzte.75 Erst nach dem Pogrom am 9. November 1938 änderte Großbritannien seine Einreisepolitik grundlegend: Angesichts der Fluchtbewegung, die 1938 durch die November-Ereignisse und die Ausdehnung der NS-Herrschaft auf Österreich und die Sudetengebiete ausgelöst worden war, überwog trotz der hohen Arbeitslosigkeit die Hilfsbereitschaft, und so fanden in den Monaten zwischen der Reichspogromnacht und dem Ausbruch des Krieges etwa 40.000 deutsche Juden in England Zuflucht.76 Der Kriegsbeginn veränderte die Situation für die deutschen Juden erneut: Zum einen kam die Auswanderung aus Deutschland, von Ausnahmen abgesehen, zum Stillstand; zum anderen waren diejenigen, die sich nach England hatten retten können, technisch gesehen feindliche Ausländer. Zunächst wurden die jüdischen Emigranten allerdings mehrheitlich als „Flüchtlinge vor der nationalsozialistischen Verfolgung“ klassifiziert und blieben als solche vorerst von den gegen „echte“ feindliche Ausländer durchgeführten Maßnahmen, vor allem der Internierung, verschont.77 Nach dem Fall Frankreichs im Mai 1940 setzte jedoch schließlich eine Masseninternierung der männlichen Flüchtlinge ein, mit denen zusammen etwa 4.000 Emigrantinnen und mehrere hundert Kinder in Haft genommen wurden. Viele jüdische EmiMarginalized Subject?; Ders., Prisoners; Ders., The Enemy ; Sherman, Island Refuge. Zu den Folgen dieser Politik und den Erfahrungen vgl. z. B. Cohen-Portheim, Time. 75 Strickhausen, Großbritannien, Sp. 251 f; Grenville, Jewish Refugees, 4 f; Laqueur, Geboren in Deutschland, 271 f; Rosenstock, Deutsche Juden, 89. Zur britischen Immigrationspolitik vor und nach 1933 vgl. auch Göpfert, Der jüdische Kindertransport, 42 – 52; Sherman, Island Refuge. 76 Strickhausen, Großbritannien, Sp. 253 f; Berghahn, Continental Britons, 75; Grenville, Jewish Refugees, 6 – 27; London, Whitehall, 97 – 141; Röder, Die deutschen sozialistischen Exilgruppen, 21 f; Rosenstock, Deutsche Juden, 89; Snowman, The Hitler Emigr¦s, 104 f; Draft Report of the Central Council for Jewish Refugees, in: WLL, MF Doc 27/2. Einen Sonderfall in der britischen Exilgeschichte bildeten die Bemühungen um ca. 10.000 meist jüdische Kinder, die ebenfalls überwiegend im Zeitraum von Dezember 1938 bis September 1939 aus Deutschland gerettet wurden. Vgl. hierzu Benz u. a. (Hg.), Die Kindertransporte; Berth, Die Kindertransporte; Curio, Verfolgung; Göpfert, Der jüdische Kindertransport; Grenville, Jewish Refugees, 7; Snowman, The Hitler Emigr¦s, 91 – 95; Turner, Kindertransport. 77 Einwanderungszahlen und die Schwierigkeiten, die mit der Einwanderung verbunden waren, werden auch diskutiert in A Report to the Members of the Committee on the Administration of Government Grant January to June, 1940, sowie in dem Vertraulichen Bericht von Claire Martin (A Report by the Secretary of the Members of the Committee and Administration of Government Grant 1940), Januar 1941, beide in: WLL, MF Doc 27/68. Zu Details der „Internment of Enemy Aliens on Outbreak of War“ vgl. TNA: PRO PCOM 9/661 sowie PCOM 9/662; TNA: PRO FO 371/24420. London, Whitehall, 169 – 190; Rosenstock, Deutsche Juden, 89; Snowman, The Hitler Emigr¦s, 105 f; Wasserstein, Britain, bes. 81 – 133; Hinsley/Simkins, British Intelligence, Part I.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

70

Die Akteure

granten wurden nach wenigen Monaten bereits wieder entlassen, allerdings erfolgte auch in den folgenden Monaten weiterhin eine Internierung all derjenigen, die in Großbritannien als Flüchtlinge anlandeten.78 Ein ausführliches Referendum zur Alien-Problematik verfasste E. N. Cooper, „assistant secretary in the Aliens Department [in the Home Office] dealing with refugee matters“, der nach Aussage der Historikerin Louise London „became a committed advocate for refugees“79. Seinen Angaben zufolge kamen zwischen Juni und August 1939 183.134 war refugees bzw. aliens nach Großbritannien. Zwischen September und Dezember 1939 waren es 21.607; von Januar bis Dezember 1940 erreichten 46.335 die Insel, von Januar bis September 1941 waren es nur noch 18.735.80 Entsprechend der geltenden Gesetze wurde auch Karl Marx, der im Herbst 1942 von Gibraltar als „stateless refugee“ im Hafen von London eintraf, nach seiner Ankunft zunächst interniert, aufgrund seiner jüdischen Abstammung und politischen Verfolgung jedoch vergleichsweise schnell wieder freigelassen.81 Er ließ sich in London nieder und lebte zunächst in Stamford Hill; 1944 zog er nach Golders Green und wohnte anschließend in Hampstead, alles von deutsch-jüdischen Flüchtlingen bevorzugte Stadtviertel.82 Spätestens bei seiner Ankunft in London kam Marx mit den britisch-jüdischen Hilfsorganisationen in Kontakt, die den Prozess der Einwanderung jüdischer, mehrheitlich staatenloser Flüchtlinge nach England und ihre ersten Schritte in der neuen Umgebung begleiteten.83 Nachdem sich ein Neuankömmling bei der Fremdenpolizei in der Bow Street, nahe Covent Garden gemeldet hatte, war nach Zeitzeugenberichten das „Bloomsbury House“ die 78 Grenville, Jewish Refugees, bes. 28 – 51; Laqueur, Geboren in Deutschland, 293 – 303; Snowman, The Hitler Emigr¦s, 106 – 115; Strickhausen, Großbritannien, Sp. 257 f. Vgl. auch A Report to the Members of the Committee on the Administration of Government Grant January to June, 1940, 5, in: WLL, MF Doc 27/68, 304/6; Vertraulicher Bericht von Claire Martin (A Report by the Secretary of the Members of the Committee and Administration of Government Grant 1940), Januar 1941, 14 – 16 in: WLL, MF Doc 27/68, 304/42 – 304/44; Draft Report of the Central Council for Jewish Refugees, in: WLL, MF Doc 27/2. 79 London, Whitehall, Zitat 14. 80 E.N. Cooper, Home Office (Aliens Department) an A.S. Hutchinson, Esq., C.V.C., Home Office, 13. 11. 1941, in: TNA: HO 213/1729. Weitere Facetten der britischen Internierungs-Politik und ihrer Auswirkungen während des Zweiten Weltkriegs diskutieren z. B. Chapell, Island; Gillman/ Gillman, „Collar the Lot“; Kochan, Britain’s Internees; Malet/Grenville (Hg.), Changing Countries; Sponza, Divided Loyalties; Stent, A Bespattered Page. 81 Karl Marx, File No. 41150, in: Archiv des JRC. 82 Ebd. Zur Niederlassung der deutsch-jüdischen Flüchtlinge in London vgl. Grenville, Jewish Refugees, 17; Snowman, The Hitler Emigr¦s, 98 f. 83 Zur Entstehung und den Aufgaben der Hilfsorganisationen vgl. Grenville, Jewish Refugees, 5 f; Strickhausen, Großbritannien, Sp. 254. Vgl. auch den Draft Report of the Central Council for Jewish Refugees, in: WLL, MF Doc 27/2, sowie den Central Committee for Refugees. Annual Report, 1 April, 1944, to 31 March, 1945, in: WLL, MF Doc 27/68. Die britisch-jüdischen Antworten auf die Ankunft der Flüchtlinge und den Holocaust diskutieren z. B. Bolchover, British Jewry sowie Shatzkes, Holocaust.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

71

nächste wichtige Anlaufstelle, wo sich die Flüchtlinge beim German Jewish Aid Committee (GJAC), im Sommer 1939 in Jewish Refugee Committee (JRC) umbenannt,84 registrierten. Das „Bloomsbury House“ war von 1939 bis 1948 Sitz der meisten mit Flüchtlingshilfe betrauten zentralen Stellen Großbritanniens. Das damals mindestens 70 Jahre alte, heruntergekommene, vierstöckige Hotelgebäude lag inmitten des Londoner Bezirks Bloomsbury, der vor allem durch seine alten großbürgerlichen Häuser und parkähnlichen Plätze sowie durch zahlreiche Kulturinstitute und durch Geschäftsstellen sozialer und wissenschaftlicher Organisationen bekannt ist.85 Das GJAC/JRC hatte es sich zur Hauptaufgabe gemacht, den Zuzug von Flüchtlingen nach Großbritannien und deren Weiterwanderung zu koordinieren bzw. für die Emigranten, die sich längerfristig auf der Insel aufhielten, Lebensunterhalt, Ausbildung und Anstellung zu organisieren.86 Bis März 1938 hatte es seinen Sitz im „Woborn House“, das in unmittelbarer Nähe zum „Bloomsbury House“ lag und schon lange vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (und ebenso nach dessen Ende) die Büros zahlreicher Spitzenorganisationen der britischen Judenheit beherbergte. Nach Auskunft des JRC Mitarbeiters E.G. Lowenthal war eine Erweiterung der Räume für das GJAC/JRC aufgrund des anwachsenden Zustroms jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich seit dem Pogrom im November 1938 unerlässlich.87 Nach seiner Freilassung aus der Internierung nahm auch Marx die Unterstützung durch die Flüchtlingsorganisationen im „Bloomsbury House“ in Anspruch: Er wurde im Juli 1943 registriert und vermutlich von den Hilfsorganisationen an eine der zahlreichen Fabriken vermittelt, wo er in den Jahren im britischen Exil als Arbeiter seinen Lebensunterhalt verdiente.88 „Es ist ja bekannt, daß, nachdem im Laufe des

84 Zur Geschichte des 1933 gegründeten German Jewish Aid Committee (GJAC), 1938 umbenannt in Jewish Refugee Committee (JRC) vgl. Archives. The Central British Fund for World Jewish Relief, London 1988, in: WLL, MF Doc 27/1; The Central British Fund for Jewish Relief and Rehabilitation, aus: The Central British Fund for Jewish Relief and Rehabilitation: Annual Report for 1945, in: WLL, MF Doc 27/5, 34/242; Grenville, Jewish Refugees, 5 f; Lowenthal, Bloomsbury House, bes. 267, 296 f. 85 Zur Arbeit dieser Zentrale in 21 Bloomsbury Street, London, W.C. I vgl. Lowenthal, Bloomsbury House, bes. 267. Zum „Bloomsbury House“ vgl. auch A Report to the Members of the Committee on the Administration of Government Grant January to June, 1940, 1 f, in: WLL, MF Doc 27/68, 304/2 und 304/3. 86 Einen Einblick in die Arbeitsbereiche und die Zuständigkeiten des Central Committee bieten z. B. der vertrauliche Bericht des Secretary to the Members of the Central Committee on its working January to June 1940, der enthalten ist in: A Report to the Members of the Committee on the Administration of Government Grant January to June, 1940, 1 f, in: WLL, MF Doc 27/68 sowie der vertrauliche Bericht von Claire Martin (A Report by the Secretary of the Members of the Committee and Administration of Government Grant 1940), Januar 1941, in: WLL, MF Doc 27/68, insbesondere ab 304/39. 87 Lowenthal, Bloomsbury House, bes. 267, 296 f; Grenville, Jewish Refugees, 5 f. 88 Karl Marx, File No. 41150, in: Archiv des JRC; Marx, Karl, in: BHdE, Bd. 1, 479. Zur rechtlichen Stellung der Emigranten in England, ihren Aufenthaltserlaubnissen und der Arbeitsmarktlage

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

72

Die Akteure

Krieges den Emigranten die zunächst versagte Arbeitserlaubnis erteilt worden war, kleine Unternehmen, stolz Fabriken genannt, um und in dem Londoner Stadtteil Hampstead, einem Mittelpunkt der Emigranten aus Deutschland und Österreich, geradezu aus dem Boden schossen“, erinnert sich Franz W. Engel, der mit Marx gemeinsam in einer solchen Fabrik tätig war ; es seien Betriebe gewesen, die alles Mögliche: Kunsthonig und Wein, Wurst und Spielzeug, Lockenwickler, Kleiderbügelüberzüge und Fahrradteile, Spielzeug und Taschentücher herstellten. Die ,Belegschaften‘ bestanden anfangs, neben dem ,boss‘, nur aus wenigen Arbeitern beiderlei Geschlechts. Diese Werkstätten brachten es aber im Laufe der Zeit durch den Fleiß und die Emsigkeit der Unternehmer zu erheblicher Blüte; sie haben heute in der Wirtschaft Londons eine nicht unerhebliche Bedeutung gewonnen.89

In der Fabrik, in der Marx und Engel 1944 angestellt waren, wurden hauptsächlich Mopps hergestellt. „Es war nicht gerade das edelste Material, das wir zu bearbeiten hatten, um einen ,Mop‘ herzustellen“, schreibt Engel in seinem Rückblick auf die gemeinsamen Emigrationserlebnisse und charakterisiert seinen Kollegen wie folgt: Gleich am ersten Tage unserer Zusammenarbeit erregten Sie, die Sie die Stellung eines ,foreman‘ innehatten, mich aber trotzdem in ein liebenswürdiges Gespräch zogen, mein bewunderndes Erstaunen dadurch, daß Sie die ,maschinellen‘ Einrichtungen zur ,Mop‘-Herstellung erheblich verbesserten und dadurch die ganze Fabrikation gewinnbringender gestalteten. Ich nahm an, Sie seien gelernter Maschinist, obwohl ich schon bei unserer ersten Unterhaltung Ihr tiefgründiges Wissen auf Gebieten hatte feststellen können, die mit der Herstellung eines ,Mops‘ nichts zu tun hatten.90

Auch wenn Marx nicht mehr in der Lage war, durch das Schreiben für ausländische Zeitungen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, so setzte er in eingeschränkter Form auch in England seine journalistische Arbeit fort und engagierte sich, so seine Selbstaussage, in einem Kreis deutscher Emigranten, der sich für die demokratische Zukunft Deutschlands einsetzte. Glaubt man den Ausführungen seines Arbeitskollegen Engel, so befand sich dieser Klub von Emigranten aus Deutschland und Österreich, zu dessen Manager Marx bis zum Ende des Kriegs aufgerückt war, ebenso wie die gemeinsame Arbeitsstelle in Hampstead.91 Vermutlich handelte es sich bei dem Kreis von Emigranten um einen Klub des Freien Deutschen Kulturbunds (FDKB), der im Dezember 1938 vgl. Rosenstock, Deutsche Juden, 90; A Report to the Members of the Committee on the Administration of Government Grant January to June, 1940, 4, in: WLL, MF Doc 27/68, 304/5. 89 Engel, Gemeinsame Emigrationserlebnisse, 32. 90 Ebd. Vgl. auch Hilde Bold, Jüdischer Deutscher und Europäer. Verleger und Chefredakteur Karl Marx, in: Westfalenpost Hagen, 10. 5. 1959. 91 Engel, Gemeinsame Emigrationserlebnisse, 33.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

73

in London entstand und seine Veranstaltungen in der Upper Park Road 36 anbot.92 Wegen der dort dominierenden kommunistischen Tendenzen lehnten die meisten Sozialdemokraten im Exil die Mitarbeit im FDKB ab. Eventuell war diese Ausrichtung auch ein Grund für Marx, sich ab 1943 der Freien Deutschen Bewegung in Großbritannien (FDB) zuzuwenden, die am 25. September 1943 in London unter Führung von Robert Kuczynski gegründet worden war.93 Trotz all der Alltagsprobleme des Emigrantendaseins, mit denen Karl Marx sich in London auseinandersetzen musste, konnte er in dieser Zeit viele Kontakte knüpfen, von denen einer für ihn von ganz besonderer persönlicher Bedeutung war : Während der Jahre im englischen Exil traf Marx auf Lilli Philippine Peritz, ebenfalls eine Emigrantin aus Deutschland, mit der er kurz nach Kriegsende in die alte Heimat zurückkehren und die er ein Jahr später in Düsseldorf heiraten sollte.94 Lilli Philippine war am 27. Januar 1921 als Tochter von Artur und Henriette Behrendt in Berlin geboren worden. In ihrer Geburtsstadt besuchte sie das staatliche Lyzeum, welches sie aufgrund antisemitischer Übergriffe 1934 jedoch verließ. Bis zum Erreichen der mittleren Reife 1937 wurde sie in einer Privatschule unterrichtet. Die Kaufmannstochter erhielt anschließend eine private Ausbildung zur Krankengymnastin und arbeitete ab 1938 als Sprechstundenhilfe im Jüdischen Krankenhaus in Berlin. Zeitgleich bemühte sich die Familie um eine Ausreiseerlaubnis in die USA, erhielt jedoch trotz Affidavits aufgrund des Quotensystems kein US-Visum.95 Stattdessen konnte Lilli dank der Vermittlung der Quäker im Frühjahr 1939 mit einem Hausarbeitsvisum nach London emigrieren. Das JRC datierte ihre Ankunft in England auf den 11. März 1939 und notierte als Berufsbezeichnung: „Masseuse“.96 Bis 1941 verdiente sie sich ihren Unterhalt jedoch als Haushaltshilfe und wurde anschließend in einer der vielen Fabriken in Hampstead als Arbeiterin beschäftigt, bevor sie 1944 als Sekretärin beim FDKB angestellt wurde. Wie ihr

92 Zur Adresse vgl. E-Mail-Korrespondenz mit Herbert Levy im Dezember 2010. 93 Wiesemann, Marx, Karl, 346. 94 Zur Biografie von Lilli Philippine Marx, geb. Behrendt, verw. Peritz (1921 – 2004) Heiratsurkunde, Eheregister Nr. 477, in: SLD, Familienbuch „Alter Art“, Eheschließung Karl Marx mit Lilli Philippine Peritz geb. Behrendt. Erster und Zweiter Teil; Angaben in der Einwohnermeldekartei des StadtAD, Film Nr. 7 – 4-6 – 108.0000: Karl Marx; Sterbeurkunde Lilli Philippine Marx, in: SLD, Sterberegister Nr. 2217. Vgl. auch Marx, Lilli, in: BHdE, Bd. 1, 480. 95 Zur Biografie von Artur (1888 – 1941) und Henriette (1892 – 1942) Behrendt vgl. Heiratsurkunde, Eheregister Nr. 477, in: SLD, Familienbuch „Alter Art“, Eheschließung Karl Marx mit Lilli Philippine Peritz geb. Behrendt. Zweiter Teil; Gedenkblatt Artur Behrendt und Gedenkblatt Henriette Behrendt, beide in: Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names; Marx, Lilli, in: BHdE, Bd. 1, 480. 96 Lilly Marx (formerly Peritz, nee Behrendt): JRC registration number 20819, in: Archiv des JRC. Zu der Erfahrung von Frauen im britischen Exil vgl. z. B. Grenville, Jewish Refugees, 12, 15 – 17.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

74

Die Akteure

späterer Ehemann Karl Marx engagierte sie sich als Mitarbeiterin im FDB und betreute zudem Kriegsgefangene.97

1.3 Annäherungen und Aufbau jüdischer Strukturen im Nachkriegsdeutschland Schon Anfang Mai 1945 stellte Karl Marx beim britischen Innenministerium den Antrag, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen.98 „Wegen dieser seiner unmöglichen Absicht wurde er teils von seinen Freunden verlacht, teils heftig beschimpft, als deutscher Jude in das Land zurückzukehren, in dem noch bis vor kurzem die Todfeinde regiert hatten“, weiß sein späterer Freund und Mitarbeiter PEM zu berichten.99 Aber dies war nicht der einzige Widerstand, der Marx bei seinem Vorhaben entgegenschlug. Befürchtungen auf Seiten der Briten, dass die Ankunft weiterer Juden in der bereits mit jüdischen DPs und Arbeitslosen überfüllten Besatzungszone zusätzliche Probleme mit sich bringen könnte, begründeten eine strikte Einreisepolitik, die zunächst jede Grenzüberschreitung von Zivilpersonen verhinderte. Dieser Befund korrespondiert mit den Beobachtungen Helmuth Mosbergs, der in seiner Studie über Umerziehung und Lizenzpresse im Nachkriegsdeutschland darauf hinweist, dass bei den britischen Befehlshabern „eine Animosität gegenüber deutschsprechenden Emigranten, vor allem gegenüber Juden“100 feststellbar gewesen sei. Seiner Meinung nach waren diese Vorbehalte eng verknüpft mit der Sorge der Briten, die zum Teil massiven Auseinandersetzungen der geflüchteten Gegner Hitlers im Londoner Exil könnten sich in das Besatzungsgebiet zurücktransportieren.101 Darüber hinaus befürchteten die Alliierten, dass die Rückkehr von Emigranten innerhalb der deutschen Bevölkerung Unruhe verursachen könnte oder die Zurückkehrenden möglicherweise mit der Motivation kämen, sich zu rächen.102 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist es bemerkenswert, dass Karl Marx „nur“ ein knappes Jahr warten musste, bevor er im Frühjahr 1946 – wie er vermutete – „wohl als erster 97 Zu den weiteren Lebensstationen von Lilli Marx vgl. Marx, Lilli, in: BHdE, Bd. 1, 480. 98 Hilde Bold benennt den 5. 5. 1945 als das Datum, an dem Marx sein Schreiben ans englische Innenministerium adressierte. Hilde Bold, Jüdischer Deutscher und Europäer. Verleger und Chefredakteur Karl Marx, in: Westfalenpost Hagen, 10. 5. 1959. Vgl. auch Trauerrede von Landesrabbiner Dr. Bloch, 94. 99 PEM [Paul Marcus], Der den Juden in Deutschland ein Sprachrohr gab. Zum 60. Geburtstag Karl Marx’, des Herausgebers der „Allgemeinen Wochenzeitung“, in: Mannheimer Morgen, 9. 5. 1957. 100 Mosberg, REeducation, 57. 101 Ebd., 57. 102 Zur Einstellung zu Emigranten vgl. Biller, Remigranten, 276; Koszyk, Pressepolitik, 155; Mosberg, REeducation, 57; Schmittlein, Die Umerziehung.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

75

jüdischer Zivilist“103 die Erlaubnis erhielt, aus seinem letzten Exilort London in die britische Besatzungszone einzureisen.104 Unterlagen der Briten, die über die Entscheidungszusammenhänge Aufschluss geben könnten, sind nicht erhalten geblieben. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass Marx als Journalist von der im Frühjahr 1946 langsam einsetzenden Lizensierungswelle deutscher Medien und dem dadurch verstärkten Bedarf an qualifizierten Journalisten innerhalb der britischen Zone profitierte.105 Eventuell nutzte ihm in dieser Situation aber auch seine karitative Argumentation, mit der er seine Rückkehr in die frühere Heimat begründete: Freunde berichteten später, dass Marx sich bereits in den letzten Monaten vor Ende der Kampfhandlungen in Europa „bei seinen Diskussionen in Emigranten-Kreisen gegen die These von der Kollektivschuld der Deutschen an den Verbrechen Hitlers“ gewandt habe; er habe daher das Bedürfnis verspürt, in die alte Heimat zurückzukehren, „um den übrig gebliebenen Glaubensgenossen und darüber hinaus allen Verfolgten des Nazi-Regimes beizustehen“.106 Er habe sein Leben seit Kriegsende der Aufgabe gewidmet, „den kleinen Rest, der gerettet wurde, zu festigen und zu konsolidieren“107, liest man an anderer Stelle, und in einem Portrait, das 1959 die Westfalenpost veröffentlichte, spricht die Verfasserin sogar davon, dass sich „in den Jahren der Flucht, ganz klar sein Ziel [prägte]: mitzuhelfen, die Krise der Deutschen zu überwinden, mitzuhelfen, die Judenfrage in Deutschland zu lösen, Vermittler zu sein für die Rückführung jüdischer Deutscher in die deutsche Heimat, für ein nahtloses Einschmelzen in die Gemeinschaft der Deutschen.“108 Da Karl Marx sich selber, wenn überhaupt, nur sehr zurückhaltend und zum Teil widersprüchlich zu den Beweggründen äußerte, die seine Rückkehr in die alte Heimat motiviert hatten, lässt sich nur schwer feststellen, inwiefern diese oder vergleichbare Argumente tatsächlich seine Entscheidung zur Rückkehr beeinflussten, oder ob sie Jahre später als Rechtfertigung dieses Entschlusses instrumentalisiert wurden. In Vorträgen und Zeitungsartikeln der 1950er Jahre betonte Marx immer wieder, dass er zurückgekehrt sei, „um den überlebenden Juden zu helfen und mit dem ursprünglichen Plan, dazu 103 Aus einem Vortrag, den Karl Marx anlässlich seiner Südamerika-Reise im Oktober 1957 in Rio de Janeiro, Montevideo, Buenos Aires und Sao Paulo gehalten hat, zit. nach: Marx, Juden in Deutschland, 88. 104 In der Akte des JRC wurde im Juli 1946 notiert, dass „Mrs. Peritz of 433,b, Richmond Road, East Twickenham (a friend of Mr. Marx) called to inform the Committee that Mr. Marx returned to Germany on 5th April, 1946“. Karl Marx, File No. 41150, in: Archiv des JRC. 105 Zur Pressepolitik der Briten in ihrer Besatzungszone vgl. Kapitel III.1.1. 106 Beitrag von Ernst Tauber [o.T.], 24. 10. 1959, 1 – 4, hier 3, in: Archiv JA, KM 1959 – 1962. 107 Er ruht jetzt in heimatlicher Erde. Karl Marx wurde gestern in Saarlouis beigesetzt, in: SaarZeitung, 19. 12. 1966. 108 Hilde Bold, Jüdischer Deutscher und Europäer. Verleger und Chefredakteur Karl Marx, in: Westfalenpost Hagen, 10. 5. 1959.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

76

Die Akteure

beizutragen, dass keine Juden mehr in Deutschland bleiben“109. Zudem sei er sich sicher, dass es im Nachkriegsdeutschland keinen Juden gegeben habe, der die Frage „Was nun?“ nicht so beantwortet hätte: „Raus aus diesem Land, aus dem Land, dem es fast gelungen ist, das europäische Judentum zu vernichten, und dessen Schreckensherrschaft sechs Millionen jüdischer Menschen, Männer, Frauen und Kinder, zum Opfer gefallen sind.“110 Draußen in der Welt diskutierte man, wie „Juden nach all dem, was geschehen ist, noch in Deutschland leben“ konnten, und Marx gesteht, dass auch er sich diese Frage selbst gestellt habe, als er im Mai 1946 nach Düsseldorf zog.111 In einem ungedruckten Vortrag aus dem Jahre 1957 berichtete Marx nach Aussage eines Freundes, dass er nach der Ankunft im Rheinland vor allem vom Ausmaß der Zerstörung erschüttert gewesen sei.112 Ohne Richtlinien und Vorbereitungen hatten die örtlichen Militärregierungen in den ersten Monaten nach Kriegsende versucht, durch Improvisation die Probleme der Überlebenden, Flüchtlinge und in Deutschland verbliebenen Juden zu lösen, allerdings erhielten deutsche Juden entsprechend der britischen Politik während der ersten Monate nach Kriegsende in ihrer Zone keine Vergünstigungen. Und selbst nach dem Inkrafttreten der Zone Policy Instruction No. 20 (ZPI 20) Anfang 1946, der ersten generellen Anweisung von Seiten der Briten, welche den rassisch, religiös und politisch Verfolgten Sonderhilfen zusprach,113 blieb die Situation für die in Düsseldorf lebenden Juden insbesondere während der Hungerjahre 1946 und 1947 extrem angespannt.114 Marx bestätigten insbesondere der Kontakt und die Gespräche mit Überlebenden der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft in seiner Absicht, das sich selbst gegebene Versprechen, den Überlebenden zu helfen, einzulösen: „Als ich in den DP-Lagern und vereinzelt in Städten und Dörfern diese Überlebenden gesehen und gesprochen hatte, da gab es auch für mich nur die Antwort, allen unseren jüdischen Menschen, die sich auf deutschem Boden befanden, zu helfen, dieses Land zu verlassen.“115 So war Marx während der 109 Karl Marx an A. Zimuki, Jerusalem, 7. 12. 1960, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. 110 Marx, Juden in Deutschland, 88. 111 Marx, Ein Gruß nach Südamerika, 43. In der Einwohnermeldekartei der Landeshauptstadt Düsseldorf ist vermerkt, dass Karl Marx am 7. 5. 1946 von London kommend nach Düsseldorf zog und sich in der Bismarckstraße 102 niederließ. Einwohnermeldekartei des StadtAD, Film Nr. 7 – 4-6 – 108.0000: Karl Marx. 112 Lamm, Nachruf, 41. Vgl. hierzu auch Marx, Folge politischer Indifferenz. Der 9. November 1938 und das Ende von 1945, in: AWJD, 6. 11. 1959. Zur Situation in Düsseldorf vgl. u. a. Kussmann, Sieben Wochen; Strathmann, Auswandern, bes. 50 f; Thies, What is going on in Germany? 113 Zu den Sonderhilfen vgl. Strathmann, Auswandern, 53 f; Büttner, Not, 377 f. 114 Die Vorgänge bis zur Verabschiedung der ZPI 20 lassen sich nachlesen in TNA: PRO 1014/1014; TNA: PRO 1049/22; TNA: PRO 1049/1770 (dort der Text der Anweisung) und TNA: PRO 1050/ 15. Die Folgen der Besatzungspolitik für die SGD und den LV Nordrhein diskutiert Strathmann, Auswandern, 71 – 146. 115 Marx, Juden in Deutschland, 88.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

77

Abb. 1: Henryk Ingster, Karl Marx, Ruwen Abelson und Ch. Roszyne (v.l.) im DP Durchgangslager Bocholt, 2. Mai 1947.

ersten Monate seines Aufenthaltes im zerstörten Nachkriegsdeutschland stolz, „vor allem die überlebenden Kinder aus Deutschland wegzubringen, und ich erinnere mich noch mit Freude“, schreibt er 1957 in einem Rückblick, „an die Kindertransporte, die wir auf den Weg bringen konnten […]“116. Zu einem Zeitpunkt, als die Zukunft Deutschlands und seines jüdischen Lebens noch in keiner Weise absehbar war, wurde Marx jedoch auch Zeuge einer zweiten, den Auswanderungsbemühungen der überwiegenden Mehrheit der DPs entgegenstehenden Entwicklung innerhalb der jüdischen Gemeinschaft der britischen Zone, die er wie folgt beschrieb: In den Städten sammelte sich eine kleine Schar überlebender Juden, meist Juden, die in Mischehen lebten und deren nichtjüdische Partner […]. Dort, wo zehn Männer waren, wurden Betstuben errichtet. Man besuchte die Gräber auf den Friedhöfen, die viele Jahre verlassen waren, und jätete das Unkraut, damit die Schrift in den Steinen wieder sichtbar wurde. Es begann wieder jüdisches Leben in dem Land, das einst die Heimat der deutschen Juden war …117

Auch wenn Karl Marx ausschließlich zur Unterstützung der Auswanderungsbemühungen seiner Glaubensgenossen in die britische Zone zurückgekehrt war, so trug auch er zum zögerlich beginnenden Aufbau und Ausbau dieser jüdischen Strukturen im Nachkriegsdeutschland bei: Nach seiner Ankunft in Düsseldorf wurde er Mitglied der dortigen jüdischen Gemeinde, 116 Ebd., 89. 117 Marx, Ein Gruß nach Südamerika, 44.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

78

Die Akteure

die am 1. Oktober 1945 wieder errichtet worden war, und arbeitete als Gerichtsreporter für die deutsche Tageszeitung Rhein-Echo.118 Auf die dringende Bitte des britischen Presseoffiziers übernahm Marx ab Herbst 1946 zudem als Herausgeber des Jüdischen Gemeindeblatts für die britische Zone die inhaltliche Verantwortung für die erste jüdische Zeitung in Nordwestdeutschland. Diese war im Frühjahr 1946 zunächst als Jüdisches Gemeindeblatt der NordRheinprovinz und Westfalen von der britischen Besatzungsmacht lizensiert worden.119 Mit seiner Zustimmung zur Herausgeberschaft der Zeitung deutete sich erstmals an, dass Marx gegebenenfalls nicht nur vorübergehend, sondern längerfristig in Deutschland verbleiben würde. Und auch seine Entscheidung, den Luftschutz-Tiefbunker an der Stelle der Düsseldorfer Kasernenstraße, wo sich bis 1938 die Synagoge der Stadt befunden hatte, in ein Hotel unter der Erde umzuwandeln, ist als Indiz zu werten, dass er in Erwägung zog, längerfristig in Düsseldorf zu bleiben. Nach zwölf Monaten harter Arbeit hatte Marx den nutzlosen Bunker gegenüber dem Hauptquartier der britischen Militärregierung Ruhr in ein bescheidenes Hotel verwandelt, das über 12 Doppelund 12 Einzelzimmer verfügte und zudem Übernachtungen in 64 schmalen Schlafkabinen anbot. Gemäß der Einschätzung des Autors des Portraits über das Bunkerhotel war es nach Ende des Krieges schwierig ein Hotel wie das Bunker-Hotel zu finden, „das man für 2,50 Mark und 5 Mark pro Nacht beziehen kann“.120 In einem Interview, das ein Mitarbeiter der Zeitschrift Konstanze zur Vorbereitung eines Portraits dieses außergewöhnlichen Hotels 1948 mit Marx in einem Sanatorium im Harz führte, antwortete dieser explizit auf die Frage, ob er eine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland geplant hatte: Ich wollte beweisen […], daß wir Juden keinen Rassenhaß kennen und keine Rache wollen. Ich wünschte etwas Nützliches und Aufbauendes zu tun. Ich hoffte auf einen Widerhall bei den Deutschen, aber ich habe darin gefehlt. Deutschland ist eine große Enttäuschung. Der Antisemitismus ist heutzutage größer als vor 14 Jahren, als ich Deutschland verließ. Natürlich hatte ich die Absicht, für immer zurückzukehren. Ich nehme aber an, daß ich Deutschland wieder verlassen werde. Wenigstens mein Hotel will ich als Denkmal unseres guten Willens zurücklassen.121

118 Zur Entwicklung der SGD sowie zur demographischen Entwicklung der jüdischen Gemeinschaft in Düsseldorf vgl. Strathmann, Auswandern, 29 – 49. Zu den Anfängen von Marx in Düsseldorf vgl. Berben, Er war der Erste; Hilde Bold, Jüdischer Deutscher und Europäer. Verleger und Chefredakteur Karl Marx, in: Westfalenpost Hagen, 10. 5. 1959. 119 Zu Entstehung und Entwicklung der Zeitung vgl. Kapitel III.1. 120 Raten Sie mal wo das ist: Ein Hotel im stillen Winkel? Nein: Im unterirdischen Bunker von Düsseldorf, in: Zeitschrift Konstanze (Juli 1948), 11, in: ZA, B.1/28.64. 121 Ebd.; Angaben in der Einwohnermeldekartei des StadtAD, Film Nr. 7 – 4-6 – 108.0000: Karl Marx.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

79

Abb. 2: Impressionen des „Bunker-Hotels“, Düsseldorf 1948.

Auch ein Schreiben, das Marx im Dezember 1948 an Norbert Wollheim richtete, deutet darauf hin, dass der Hotelbesitzer und Journalist tatsächlich über ein erneutes Verlassen Deutschlands nachdachte: Für den Fall einer von ihm beabsichtigten Auswanderung übernahm Marx die Verpflichtung, „a) einen von mir etwa gefundenen Nachfolger dem Zentral-Komitee vorzuschlagen und die Übernahme [sic!] des ,Gemeindeblattes‘ an ihn von der Einwilligung des Zentral-Komitees abhängig zu machen; b) dem ZentralKomitee zur Entscheidung darüber oder zur Namhaftmachung eines Nachfolgers die angemessene Frist von einem Monat zu geben.“122 Rückblickend bestätigte Lilly Marx, dass das Ehepaar nach der Staatsgründung Israels tatsächlich über eine Auswanderung dorthin nachgedacht hatte. Ihre Entscheidung, Deutschland nicht zu verlassen, begründete sie in einem Interview aus dem Jahr 1998 mit den drei Argumenten Gesundheit, Sprache und Beruf und erläuterte diese kurz. Für die Beibehaltung des Wohnsitzes Deutschland machte sie vor allem das schlechte Allgemeinbefin122 Karl Marx, Düsseldorf, an Norbert Wollheim, Lübeck, 16. 12. 1948, in: ZA, B.1/28.63.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

80

Die Akteure

den ihres Mannes verantwortlich: „ihm war kein heißes Land zuzumuten“123. Des Weiteren sprach sie davon, dass ihr Mann „sehr eng mit der deutschen Sprache verbunden“ gewesen sei; er habe „nie richtig Englisch gelernt“ und, ohne mit ihrem Mann darüber gesprochen zu haben, vermutete sie schließlich, dass „er sich sicher nach seinem Beruf gesehnt“ habe, weshalb es wichtig gewesen sei, „die Chance zu nutzen, eine jüdische Zeitung herausgeben zu können“124. Mit ihren Ausführungen bestätigt Lilli Marx wissenschaftliche Untersuchungen, die diese drei Aspekte neben kulturellen, gesellschaftlichen, finanziellen und klimatischen Faktoren zu den Hauptgründen für die Rückkehr von Emigranten bzw. ihr Verbleiben in Deutschland rechnen.125 Beim Lesen dieser Aussagen ist es schwer vorstellbar, dass sich Karl Marx innerhalb der ersten Nachkriegsjahre zu einem der bedeutendsten Vertreter jüdischer Interessen in Deutschland entwickeln sollte. Tatsächlich ging der deutlichen Zunahme an Einfluss in Westdeutschland zunächst ein bemerkenswerter Wandel der Marx’schen Einstellung zu jüdischem Leben im Nachkriegsdeutschland voraus, der nicht zuletzt in den von ihm verfassten Zeitungsartikeln zum Ausdruck kam: So kann man im Grußwort des Jüdischen Gemeindeblatts zum jüdischen Neujahrsfest 1947 noch lesen, dass Marx nach „zwei Jahre[n] der bittersten Enttäuschung“ mit den Freunden, „die heute noch in Deutschland leben müssen“, für das kommende Jahr auf die Erfüllung ihres größten Wunsches hoffe, „das Transitland verlassen zu können“126 ; in seinem Beitrag „Selbstbehauptung gerechtfertigt“ vom März 1953 verteidigt er hingegen nicht nur das Lebensrecht für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, sondern bezieht auch klar Stellung gegen jede Form der Kritik, „die diese ausländischen jüdischen Gruppen und Zeitungen an einem Verbleib der Juden in Deutschland auch heute noch üben“127. Der Beschluss der UN-Vollversammlung, Palästina in einen jüdischen und arabischen Staat zu teilen, markierte für Marx, der sich seit Kriegsende für die Gründung eines jüdischen Staates stark gemacht hatte, einen historischen Wendepunkt: „Der 29. November ist ein Tag von nicht zu vergleichender Bedeutung in der jüdischen Geschichte. Das, was sich an diesem Tag vollzog, bedeutet für unser jüdisches Leben einen neuen Inhalt, einen neuen Charakter“, kommentierte er in seinem Leitartikel, der einen Tag nach der Abstimmung, am 30. November 1947, veröffentlicht wurde. „Dieser Tag ist für uns ein Feiertag von doppelter Bedeutung: der Tag der Lösung unseres Flüchtlingsproblems und das Ende unserer Heimatlosigkeit und zuletzt der

123 Lilli Marx, „Wie können Sie nur in Deutschland leben?“, 103. 124 Ebd., 98. Zur Sprachproblematik vgl. Grenville, Jewish Refugees, 21 f. 125 Zu den individuellen Motiven, Hindernissen und Wegen von Emigranten vgl. z. B. Lehmann, Rückkehr, und die Ausführungen in Kapitel I. 126 Karl Marx, Liebe Freunde!, in: JG, 15. 11. 1946. 127 Karl Marx, Selbstbehauptung gerechtfertigt. Zu den diskriminierenden Anwürfen gegen die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, in: AWJD, 13. 3. 1953.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

81

Tag der Erfüllung unseres alten Traumes, des Traumes der Wiedergewinnung unserer nationalen Heimat und Selbständigkeit in Palästina“128. Mit der Verwirklichung des lange angestrebten Ziels, der Staatsgründung Israels, macht sich eine Veränderung in der Akzentuierung der Marx’schen Beiträge im Jüdischen Gemeindeblatt bemerkbar. „Mit dem Tage dieser Gründung am 15. Mai 1948 sah ich eine echte Verpflichtung gegenüber der Judenheit, mich für eine Konsolidierung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland einzusetzen“129, erklärte er viele Jahre später. Ein innerjüdisches und demokratisches Verantwortungsbewusstsein benannte Marx als einen Grund für das erste Hinterfragen seiner ursprünglichen Ablehnung jüdischer Existenz in Deutschland. Spätere Beiträge im Jüdischen Gemeindeblatt bzw. in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland und Rückblicke, die Marx in anderen Zeitungen veröffentlichte oder in Reden integrierte, belegen ferner, dass der in Düsseldorf ansässige Journalist von Gesprächen mit führenden Staatsmännern geprägt wurde, in denen diese ihm gegenüber ihr Interesse an einer Rückkehr deutscher Juden zum Ausdruck brachten.130 Parallel zu dieser sich langsam wandelnden Positionierung hinsichtlich jüdischen Lebens in Deutschland nach dem Holocaust veränderte sich auch das Marx umgebende Umfeld. Mit der schrittweisen Stabilisierung des Jüdischen Gemeindeblatts wuchs zum einen die Redaktion der Zeitung, zum anderen nahm die Anzahl der persönlichen Kontakte des Herausgebers zu Vertretern jüdischer und nichtjüdischer Organisationen sowie zu politischen Partnern deutlich zu. In der Folge entstand in vielen Fragen eine enge Zusammenarbeit Marx’ mit Mitarbeitern der Besatzungsmacht, deutschen Politikern und Repräsentanten jüdischer Organisationen, Gemeinden und der DPs.131 Auch privat gab es in den späten 1940er Jahren wenigstens eine entscheidende Veränderung: Am 16. September 1947 heiratete Karl Marx seine Londoner Bekannte Lilli Philippine Peritz, die ihm aus dem britischen Exil in die deutsche Heimat gefolgt war.132 Seine Frau war seine erste Mitarbeiterin in der Redaktion des Jüdischen Gemeindeblatts; gemeinsam gründete und betrieb das Ehepaar auch die Firma KALIMA Druck in Düsseldorf-Benrath133 und schuf die intellektuelle Monatsschrift Zwischen den Zeiten, die nach 128 Karl Marx, Der historische Wendepunkt, in: JG, 30. 11. 1947. Arno Lustiger schreibt diesen ungezeichneten Beitrag Karl Marx zu, vgl. Lustiger, Nachruf, 4. 129 Karl Marx, Juden in Deutschland, 89. 130 Ebd. Die Gründe, die Marx als Erklärung für sein Verbleiben in Deutschland anführte, sind ausführlich dargelegt in Sinn, „Aber ich blieb trotzdem hier“. 131 Zur Zusammenarbeit vgl. z. B. die Selbstaussagen von Lilli Marx in Dies., „Wie können Sie nur in Deutschland leben?“ und Brenner, Nach dem Holocaust, 179 – 185. 132 Lilly Marx (formerly Peritz, nee Behrendt): JRC registration number 20819, in: Archiv des JRC; Heiratsurkunde, Eheregister Nr. 477, in: SLD, Familienbuch „Alter Art“, Eheschließung Karl Marx mit Lilli Philippine Peritz geb. Behrendt. Erster und Zweiter Teil; Angaben in der Einwohnermeldekartei des StadtAD, Film Nr. 7-4-6-108.0000: Karl Marx. 133 Der Firmenname „Kalima-Druck“ war ein Akronym der Anfangsbuchstaben der Vornamen und des Familiennamens der zwei Begründer (KA[rl]LI[lli]MA[rx]).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

82

Die Akteure

Auskunft von Lilli Marx „wegen Geldmangel und auch wegen Mangel an intellektuellem Publikum“ 134 allerdings schon kurz nach ihrer Gründung einging. Das Ehepaar engagierte sich zudem mehr und mehr in der Düsseldorfer Synagogengemeinde (SGD), die im März 1948 knapp 300 Mitglieder zählte.135 Besonders im Zusammenhang mit der Führungskrise im Winter 1948/1949, die Anfang Dezember 1948 im Rücktritt des ersten Vorsitzenden der Synagogengemeinde, Julius Dreifuß136, und der Einstellung der JOINT-Lebensmittelrationen gipfelte, übernahm Karl Marx nach eigenen Angaben „als Vertreter einer großen Gruppe von Mitgliedern der Gemeinde“ und Mitglied der neu gewählten Finanz-Kommission eine führende Rolle. Marx erachtete die Aufgaben einer jüdischen Gemeinde in Deutschland als „verantwortungsvoll nicht nur für die Mitglieder dieser Gemeinschaft, sondern auch für die Juden, die nicht bei uns weilen. Verantwortlich aber auch gegenüber denen, die nicht mehr sind“137, und wollte daher nicht stillschweigend mit ansehen, auf welche Weise Dreifuß die Geschäfte der SGD führte. Erstmals geriet Dreifuß, der im Herbst 1946 auch den Vorsitz des LV Nordrhein von Philipp Auerbach übernommen hatte, schon kurz nach seiner Wahl zum ersten Vorsitzenden wegen seiner selbstherrlichen Amtsführung in die Kritik; auch wurde die zum Teil willkürlich erscheinende Zuteilung der wöchentlichen JOINT-Lebensmittelspenden an die Gemeinden angeprangert, die er von der Zahlung des Gemeindebeitrags abhängig machte, der zu diesem Zeitpunkt jedoch noch freiwillig auf der Basis einer Selbsteinschätzung der Mitglieder abgeführt wurde.138 Im Laufe der nächsten zwei Jahre verdichteten sich die Anschuldigungen und führten zu einer ernsthaften Krise innerhalb der Gemeinde und des LV Nordrhein. Mitte November 1948 wurde die Praxis der SGD schließlich durch die „Revisionskommission beim Zentralkomitee Bergen-Belsen“ kontrolliert und die Lager-Buchführung über Lebensmittel, gebrauchte und neue Kleidung sowie Ausgaben für die Repräsentanz massiv beanstandet. Auch wenn die Ergebnisse der vom Vorstand eingesetzten Revisionskommission der SGD den im Bericht des ZKBZ veröffentlichten Ergebnissen widersprachen, trat der Dreifuß-Vorstand aufgrund dieser Ereignisse Anfang Dezember 1948 geschlossen zurück.139 Infolge der sich überschlagenden Ereignisse erachtete Marx es als seine Pflicht, den ersten Vorsitzenden der Gemeindeabteilung des ZKBZ, Norbert Wollheim, 134 135 136 137 138

Brenner, Nach dem Holocaust, 180. Zur Mitgliederentwicklung der SGD vgl. Strathmann, Auswandern, 36. Zur Biografie von Julius Dreifuß (1896 – 1966) vgl. Strathmann, Auswandern, 33 f, 134. Karl Marx an die Mitglieder der SGD, versandt Ende Dezember 1948, in: ZA, B.1/28.63. Zu den Details der Krise um die JOINT-Betreuung und Dreifuß’ Amtsführung vgl. Strathmann, Auswandern, 134 – 146. 139 Der Bauunternehmer Hans Rose, der Mitglied der Revisionskommission war und als einziges Mitglied der Repräsentanz nicht zurücktrat, übernahm kommissarisch ab dem 7. 12. 1948 die Leitung der SGD. Vgl. Bericht über die Prüfung der Kontrollkommission der SGD, 2. 12. 1948, in: ZA, B.1/5.86; Strathmann, Auswandern, 139.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Karl Marx (1897 – 1966)

83

brieflich nochmals auf die Zustände hinzuweisen, wie sie in Düsseldorf im Augenblick existieren. […] Die Methoden, die angewandt wurden, ähneln den GangsterMethoden in Chicago und sie werden in einem noch schärferen Maße durchgeführt, wenn das Zentral-Komitee nicht endlich zu der Überzeugung kommt, daß sein Eingreifen notwendig ist. […] Es ist nicht meine Aufgabe und ich habe keine Möglichkeit, einzugreifen. Ich habe in der Gemeindeversammlung am letzten Sonntag meine Objektivität unter Beweis gestellt, ich habe keinen Menschen persönlich angegriffen und nur, wie ich das seit zwei Jahren bereits tue, für die in Düsseldorf notwendigen demokratischen Formen plädiert. Ich stand und stehe in dieser Frage nicht allein. […] Die Grundlage aller dieser Fälle war nachweislich die, daß sich jeder einzelne der Vorgenannten zunächst in schlichter Form gegen die diktatorische Führung der Gemeinde eingesetzt hat, daß sie freundschaftliche Versuche unternommen haben, Herrn und Frau Dreifuß von der Notwendigkeit d. h. von den Erfordernissen einer demokratischen Führung zu überzeugen. […] Diesem Zustand kann nur ein Ende gemacht werden, wenn das Ehepaar Dreifuß weder auf die Betreuung der Gemeinden noch auf die des Landesverbands einen Einfluß hat.140

Nachdem einen Monat später die Wahl eines neuen Vorstands erfolgt war, dem Julius Dreifuß nicht weiter angehörte, war die akute Führungs- und Versorgungskrise der SGD zunächst überwunden. Allerdings befasste sich die auf derselben Sitzung neu gewählte Finanzkommission – unter ihren Mitgliedern befand sich Karl Marx – in den folgenden Monaten weiter mit den Vorgängen, die Dreifuß zum Rücktritt gezwungen hatten. Die insbesondere von Marx lautstark vorgetragene Forderung nach einer Revision der Geschäftsführung des alten Vorstands führte zu einer weiteren Verhärtung der Fronten zwischen dem Ehepaar Dreifuß einerseits und dem neuen Vorstand andererseits; zwischen beiden Seiten schwelte ein Konflikt, der sich auch in den folgenden Jahren immer dann bemerkbar machte, wenn Marx sowie die weiteren Vorstände mit Dreifuß privat oder als Vorsitzendem des LV Nordrhein interagierten.141 Trotz der sich fortsetzenden Streitigkeiten konstatierte Marx im Januar 1949, dass infolge der neuen demokratischen Führung die Menschen keine Angst mehr hätten, in die Gemeinde zu kommen, und illustriert dies anhand der Gründung des Frauenvereins in der SGD: Man hörte in diesen Tagen, als sich die jüdischen Frauen Düsseldorfs zur Gründung einer Frauengruppe zusammengefunden hatten, nur freundliche und freundschaftliche Unterhaltungen. Von den erschienenen Frauen Düsseldorfs – es waren etwa 85 Prozent aller jüdischen Frauen Düsseldorfs – gab es kaum eine, die nicht mit lachendem Gesicht erklärte: Gott sei Dank, jetzt lernen wir uns kennen, jetzt werden wir zusammengeführt, und nicht wie bisher, auseinandergehalten.142 140 Karl Marx an Norbert Wollheim, 8. 12. 1948, in: ZA, B.1/28.63. 141 Zu den Folgen der Auseinandersetzung vgl. Strathmann, Auswandern, 143 – 146. 142 Offener Brief von Marx an die Mitglieder der SGD, Datum des Poststempels (Januar 1949), in: ZA, B.1/5.227, zitiert nach: Strathmann, Auswandern, 143.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

84

Die Akteure

Dieser Verein war das Aktionsfeld von Lilli Marx, die zur Vorsitzenden des Jüdischen Frauenvereins Düsseldorf (JFV) gewählt wurde: Ohne Beteiligung von Meta Dreifuß hatte sie zusammen mit Ruth Drost, Missia Bönsch, Magda Niklowitz und Lotte Frenkel am 9. Januar 1949 die Gründung des JFV initiiert und einen provisorischen Vorstand gegründet.143 Am 17. März 1949 trafen sich die Mitglieder zur ersten Sitzung, auf der E.G. Lowenthal einen Vortrag über moderne jüdische Sozialarbeit hielt. Die Anfänge der praktischen Arbeit waren jedoch vergleichsweise mühsam – so konnten die in der Satzung festgeschriebenen monatlichen Kulturveranstaltungen erst zu Beginn der 1950er Jahre regelmäßig stattfinden. Neben dem Angebot solcher öffentlicher Veranstaltungen widmete sich der JFV zudem der sozialen Arbeit, bei der er auch mit nichtjüdischen Wohlfahrtsverbänden kooperierte, beteiligte sich an der Organisation und Durchführung von Festen anlässlich verschiedener Feiertage und besuchte die älteren und hilfsbedürftigen Mitglieder der Gemeinde.144

2. Hendrik G. van Dam (1906 – 1973) 1952, sechs Jahre nachdem Karl Marx Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf geworden war, trat ihr – nach seinem Zuzug in die Stadt am Rhein – auch Dr. Hendrik G. van Dam bei.145 Zu diesem Zeitpunkt hatte der gebürtige Berliner bereits einen langen Weg zurückgelegt: Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und den damit einhergehenden anti-jüdischen Maßnahmen und Gesetzen hatte der ausgebildete Jurist Deutschland bereits im April 1933 verlassen. Jahre der Verfolgung, Flucht und Internierung folgten, die den Lebensweg van Dams entscheidend prägten. Seine Erfahrungen in den unterschiedlichen Stationen des Exils werden nach einer kurzen Vorstellung von Kindheit, Jugend und Studium in Deutschland im Mittelpunkt des folgenden Kapitels stehen, das mit einer Darstellung der Tätigkeit van Dams für die JRU in der britischen Besatzungszone nach Kriegsende abschließt. 2.1 Entwicklungen in Deutschland Das Lebensumfeld, in das Hendrik George van Dam am 8. November 1906 in Berlin geboren wurde, charakterisierte die jüdische Journalistin Margot Pottlitzer-Strauß in einem Nachruf der AJR Information als „a cultured and 143 Vgl. Mitteilung des Jüdischen Frauenvereins Düsseldorf an die SGD, 24. 2. 1949, in: ZA, B.1/ 5.120. 144 Zur Gründung und Entwicklung des Jüdischen Frauenvereins Düsseldorf vgl. Strathmann, Auswandern, 242 – 249. 145 H.G. van Dam an das Entschädigungsamt Berlin, 17. 9. 1952, sowie Antrag auf Wiedergutmachung, 14. 3. 1954, beide in: LABO Abt. 1, Akt 5569.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

85

comfortable home“146. Sein Vater, Jacques Abraham van Dam, zum Zeitpunkt der Geburt seines Sohnes Hofantiquar Kaiser Wilhelms II., war Ende des 19. Jh. aus den Niederlanden nach Deutschland eingewandert und arbeitete als Kunsthändler in Berlin.147 Seine Mutter Meta war die Tochter des Bremer Bürgerschaftsabgeordneten August Cohen und lebte seit ihrer Hochzeit mit Jacques Abraham van Dam in der Reichshauptstadt, die seit der Gründung des Kaiserreichs 1871 sowohl unter Juden als auch Nichtjuden beständig an Anziehungskraft gewann.148 Erst mit der Übernahme der Emanzipationsgesetze des Norddeutschen Bundes in die Reichsverfassung 1871 war die rechtliche Gleichstellung der Juden in Deutschland gesichert worden. Insbesondere diejenigen, die sich wirtschaftlich verbessern wollten, machten Gebrauch von ihren neu errungenen Freiheiten – darunter das Recht auf freie Wahl des Wohnortes – und wanderten vom Land in die Städte.149 Infolge dieser Entwicklungen hatte sich Berlin innerhalb weniger Jahre zahlenmäßig, aber auch in religiöser, geistiger, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht zum Zentrum des deutschen Judentums entwickelt.150 Van Dam verlebte seine Kindheit und Jugend inmitten des aktiven jüdischen Großbürgertums der Reichshauptstadt. Er war zu jung, um aktiv am Ersten Weltkrieg teilzunehmen, und zudem als niederländischer Staatsbürger für den deutschen Militärdienst nicht zugelassen.151 Regelmäßige Besuche in Holland brachten van Dam früh mit Heimat und Muttersprache seines Vaters in Kontakt. Van Dam berichtete im Zusammenhang mit seiner Emigration von zahlreichen Aufenthalten in Holland vor 1933 und sprach zudem fließend 146 Pottlitzer, In Memory of Dr. H.G. van Dam. Zum Geburtsdatum von H.G. van Dam vgl. Angaben in der Einwohnermeldekartei des StadtAD, Film Nr. 7 - 4-6 - 50.0000: Dr. Hendrik George van Dam; Van Dam, Hendrik George, in: BHdE, Bd.1, 778. – Zur Biografie von Margot Pottlitzer-Strauß (1909 – 1988) vgl. WLL, File 1407/18, Margot Pottlitzer. 147 Zur Biografie von Jacques Abraham van Dam (1854–ca. 1925) vgl. Anmeldung zur Immatrikulation an der Universität Heidelberg, in: UA RKU, Stud. Akte 1920 – 1930, Hendrik G. van Dam. 148 Zur Biografie von Meta van Dam, geb. Cohen (1873 – 1957) vgl. Registerkarte Jacques van Dam/ Meta Cohen, in: MATH, Gezinskaarten 1913 – 1939; Geburteneintrag Meta van Dam, geb. Cohen, in: StAB, Signatur 4,60/3 Reg.-Nr. 965/1873; Todesanzeige Meta van Dam, in: AWJD, 1. 3. 1957. Zu den Eltern vgl. Bürgerrechtsakte August Cohen, in: StAB, Signatur 2-P.8.A.6.a.5. Bd. 280(7); Meldekarte von Bertha Cohen, geb. Vogelstein, in: StAB. 149 Zum Emanzipationsprozess und den Möglichkeiten und Grenzen der bürgerlichen Gleichberechtigung von Juden in Kaiserreich und Weimarer Republik vgl. z. B. Rürup, Emanzipation; Schoeps, Die mißglückte Emanzipation; Wolff, Zwischen formaler Gleichberechtigung, 127. 150 Zur Situation für Juden in Berlin vgl. Richarz, Erfolg; Wolff, Zwischen formaler Gleichberechtigung, 127 f. 151 Van Dam hatte zu unterschiedlichen Zeitpunkten die deutsche und/oder niederländische Staatsbürgerschaft. Vgl. hierzu Registerkarte von H.G. van Dam, in: MATH, Gezinskaarten 1913 – 1939; Auskunft aus dem Strafregister der Staatsanwaltschaft zu Berlin 11. 7. 1953 sowie Antrag auf Grund des Gesetzes über die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus, 6. 2. 1952, 1, beide in: LABO Abt. 1, Akt 5569. Seine Staatsbürgerschaft diskutiert van Dam u. a. in einem Brief an die Universität Heidelberg, 19. 4. 1926, in: UA RKU, Stud. Akte 1920 – 1930, Hendrik G. van Dam.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

86

Die Akteure

Niederländisch „met een Duitsch accent“. Allerdings besuchte er in Berlin ausschließlich deutsche Schulen, zunächst das Wilhelms-Gymnasium und später das Falk-Gymnasium, an dem er 1926 das Abitur ablegte.152 Unmittelbar nach Abschluss der Schulausbildung nahm van Dam sein Studium der Rechtswissenschaft auf.153 Wie der Rechtshistoriker Peter Landau nachzeichnet, studierten Juden trotz der Aufhebung der Zugangsbeschränkungen an den Universitäten für Studierende jüdischer Herkunft auch im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vor allem an der medizinischen und juristischen Fakultät, „mit deren Studienabschlüssen man einen raschen Aufstieg in einem freien Beruf erreichen konnte“154. Für van Dam spielte der Gedanke an die vielseitigen Berufsaussichten bei der Studienfachwahl sicher ebenso eine Rolle wie sein grundsätzliches Interesse an öffentlich-rechtlichen und kriminalistischen Prozessen.155 Ohne Beanstandung wurde seiner Bitte um Aufnahme an der Badischen Ruprecht-Karls-Universität noch am selben Tag stattgegeben, an dem sein Zulassungsgesuch in Heidelberg einging, und van Dam dementsprechend wenige Tage später, am 30. April 1926, immatrikuliert.156 Obwohl die Universität Heidelberg zu dieser Zeit einen ausgezeichneten Ruf genoss und namhafte Professoren an der juristischen Fakultät tätig waren,157 wechselte van Dam bereits zum Wintersemester desselben Jahres an die Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er im November 1926 aufgenommen wurde.158 In München setzte van Dam sein Studium der Rechtswissenschaft fort und lebte in unmittelbarer Nachbarschaft zur Universität. Aber auch in der bayerischen Landeshauptstadt sollte van Dam nicht lange bleiben: Nach zwei Semestern kehrte der junge Student in seine Geburtsstadt Berlin zurück,159 wo er ab dem 1. Dezember 1927 an der Humboldt-Universität eingeschrieben 152 Protokoll eines Gesprächs mit H.G. van Dam, 9. 8. 1940, Zitat 2, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. Vgl. auch H.G. van Dam an die Universität Heidelberg, 19. 4. 1926, in: UA RKU, Stud. Akte 1920 – 1930, Hendrik G. van Dam; Antrag auf Wiedergutmachung, 14. 3. 1954, 3, in: LABO Abt. 1, Akt 5569; Hendrik George van Dam, Lebenslauf, in: StABS, UA IX 5,3: Examensdossier H.G. van Dam. 153 H.G. van Dam an die Universität Heidelberg, 19. 4. 1926, in: UA RKU, Stud. Akte 1920 – 1930, Hendrik G. van Dam. 154 Für einen Überblick zur Geschichte der jüdischen Juristen in Kaiserreich und Weimarer Republik vgl. z. B. Landau, Juristen, Zitat 136. 155 Antrag auf Wiedergutmachung, 14. 3. 1954, 4, in: LABO Abt. 1, Akt 5569. 156 Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Erkennungskarte Hendrik van Dam, in: UA RKU, Stud. Akte 1920 – 1930, Hendrik G. van Dam. 157 Seit 1926 unterrichtete u. a. der Strafrechtler und Strafrechtshistoriker Gustav Radbruch (1878 – 1949) in Heidelberg. Zu Leben und Wirken Gustav Radbruchs vgl. z. B. Kaufmann, Gustav Radbruch; Klein, Demokratisches Denken; Scholler, Die Rechtsvergleichung. 158 Karteikarte der Studentenkartei, in: Archiv der LMU, München, Stud-Kartei-I (van Dam, Hendrik). Die Abmeldung aus Heidelberg erfolgte am Ende des ersten Semesters 1926, vgl. Abgangszeugnis für Hendrik van Dam, 12. 10. 1926, in: UA RKU, Stud. Akte 1920 – 1930, Hendrik G. van Dam. 159 H.G. van Dam an das Entschädigungsamt Berlin, 22. 6. 1952, in: LABO Abt. 1, Akt 5569.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

87

war.160 Gründe für die Studienortswechsel nannte van Dam nicht, gab jedoch als Motivation für die Fachwahl an, nach Abschluss des Jura-Studiums als Richter tätig werden zu wollen.161 Menschen in seinem Umfeld sprachen später jedoch immer wieder davon, dass auch eine akademische Karriere denkbar gewesen wäre und ihm vermutlich mehr gelegen hätte als „the minutiae of dayto-day life in a lawyer’s office“162. Sein Weg an der Universität setzte sich jedoch entsprechend seiner persönlichen Zielvorstellungen fort: Im Jahr 1930 legte van Dam das erste juristische Staatsexamen ab und begann unmittelbar im Anschluss sein Referendariat.163 Vom 1. August 1930 bis Anfang April 1933 war van Dam nach Auskunft des Kammergerichtspräsidenten Berlins im Vorbereitungsdienst für den höheren Justizdienst beschäftigt und wurde beim „Amtsgericht, Landgericht (Zivil- und Strafsachen) sowie bei der Staatsanwaltschaft und bei einem Rechtsanwalt und Notar und beim Kammergericht in den Geschäften eines Richters und Staatsanwalts sowie eines Rechtsanwalts und Notars unterwiesen und geübt“164. Der Präsident des deutschen Anwaltsvereins, RA Dr. Rudolf Dix165, bei dem van Dam im Jahr 1932 seine Ausbildungsstation als Referendar geleistet hatte, bescheinigte ihm darüber hinaus „eine gute juristische Schule, gute juristische Kenntnisse und eine für seine Jugend auffallende Überlegenheit in der Behandlung praktischer Fälle“166. Da auch seine Klienten gern mit van Dam arbeiteten, bestellte Dix den jungen Referendar während seiner Abwesenheiten sogar als seinen Generalsubstituten. Auf der einen Seite blieben Dix die „weit über Durchschnitt“ liegenden Leistungen van Dams im Gedächtnis; auf der anderen Seite erinnerte er sich auch, „dass Herr Dr. van Dam Anfang 1933, kurz vor dem Assessorenexamen stand, d. h. alle vorgeschriebenen Stationen durchlaufen hatte, also legitimiert war, die zweite grosse juristische Staatsprüfung abzulegen. Hieran ist er durch die politischen Ereignisse in Deutschland im Frühjahr 1933 gehindert worden.“167 Unmittelbar vor Abschluss der Ausbildung van Dams, zu einer Zeit, in der dem kritischen Rückblick Robert Weltsch’ zufolge die Juden „mit dem deutschen Leben auf allen Gebieten verflochten waren“168, war Adolf Hitler zum 160 Die Daten der Immatrikulation van Dams und der Löschung (24. 1. 1930) sind im Kontrollbuch der Matrikel zu sehen, vgl. HU UA, Kontrollbuch der Matrikel, 118. Rektorat, Nr. 3645. 161 Antrag auf Wiedergutmachung, 14. 3. 1954, 5, in: LABO Abt. 1, Akt 5569. Zur Entwicklung der Berufsstruktur vgl. auch Jarausch, Jewish Lawyers; Ders., The Unfree Professions; Landau, Juristen, 142. 162 Pottlitzer, In Memory of Dr. H. G. van Dam. Den Einfluss von Juristen jüdischer Herkunft in der Rechtswissenschaft diskutiert u. a. Landau, Juristen, bes. 156 – 212. 163 Zeugnis des Kammergerichtspräsidenten Berlin, 30. 9. 1933, in: LABO Abt. 1, Akt 5569. 164 Ebd. 165 Zur Biografie von Rudolf Dix (1884 – 1952) vgl. Königseder, Recht, 82 f. 166 Dieses und die folgenden zwei Zitate sind entnommen aus der Bescheinigung von Dr. Rudolf Dix, 8. 7. 1950, in: LABO Abt. 1, Akt 5569. 167 Ebd. 168 Weltsch, Entscheidungsjahr 1932, 46.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

88

Die Akteure

Reichskanzler ernannt worden. Von der Mehrheit der deutschen Juristen wurde diese Veränderung willkommen geheißen, von den Juristen jüdischer Herkunft hingegen mit Sorge beobachtet. Viele, nicht nur Juristen, entschuldigten die Exzesse, die NSDAP-Mitglieder und ihre in der SA organisierten Aktivisten Anfang 1933 begingen, mit der allgemeinen Aufbruchstimmung, und insbesondere Misshandlungen von Kommunisten wurden mit einer gewissen Genugtuung registriert. Aber – so belegt der Historiker Wolfgang Benz – die antisemitische Komponente der nationalsozialistischen Ideologie nahmen auch diejenigen wohlwollend zur Kenntnis, die sich von den pöbelhaften Formen der Judenfeindschaft der NSDAP distanzierten. Die Ablehnung des öffentlichen Radau-Antisemitismus der Hitleranhänger und ihrer deutschnationalen und sonstigen Sympathisanten hielt die Mehrheit der Deutschen nicht von der Überzeugung ab, daß eine ,Judenfrage‘ existierte und daß sie gelöst werden müsse, und zwar durch die Verdrängung von Juden aus Berufen, in denen sie überproportional vertreten waren und durch die Beseitigung des Einflusses, den sie vermeintlich im öffentlichen Leben Deutschlands, insbesondere in der Kultur und in der Finanzwelt, besaßen.169

Nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 mehrten sich schließlich überall im Reichsgebiet Verhaftungen und Ausschreitungen gegen jüdische Rechtsanwälte und Richter.170 Eine der ersten und – da im Bild festgehalten – bekanntesten Aktionen ereignete sich bereits am 10. März 1933 in München: Der Rechtsanwalt Michael Siegel hatte beim Polizeipräsidium gegen die Schutzhaft eines Mandanten Beschwerde eingelegt, wurde dort selbst verhaftet und mit einem Schild um den Hals durch die Stadt getrieben: „Ich bin Jude, aber ich will mich nie mehr bei der Polizei beschweren.“171 Die geplanten Ausschreitungen gegen jüdische Juristen begannen kurz darauf in Breslau, wo SA-Männer am 11. März das Amtsgericht stürmten und Richter und Anwälte, die sie für jüdisch hielten, unter Misshandlungen aus laufenden Sitzungen und Büros auf die Straße trieben.172 Elf Tage später, am 22. März, erreichten antisemitisch motivierte Übergriffe von Nationalsozialisten auch Berlin.173 Soweit 169 Benz, Von der Entrechtung, Zitat 813 f; Krach, Jüdische Rechtsanwälte, 205; Rosenthal, Der Anfang. 170 Zu den Ereignissen nach der Machtübernahme in Berlin vgl. Königseder, Recht, 20 f; LadwigWinters, Anwalt, 28 – 36. 171 Der genaue Wortlaut ist umstritten. Der hier zitierte Satz wird in dieser Form von den Kindern Michael Siegels erinnert. Vgl. dazu z. B. Bundesrechtsanwaltskammer (Hg.), Anwalt ohne Recht, 28; Isabel A., Zwei Photos machen Geschichte, in: http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_MU_JU_siegel.pdf (12. 6. 2013). Zur Situation der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933 vgl. Weber, Das Schicksal. 172 Benz, Von der Entrechtung, 814 – 816; Krach, „… endlich von artfremdem Einfluß ganz befreit …“, 25. 173 Zur Geschichte der Berliner Juristen und den Auswirkungen der nationalsozialistischen Gesetze sowie weiterer „Massenaktionen“ gegen jüdische Juristen vgl. König, Zur Rolle, bes. 141, 147 f; Königseder, Recht, 24 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

89

sie im Zuge dieses Terrors nicht schon verhaftet oder am Betreten des Gerichts gehindert worden waren, konnten jüdische Rechtsanwälte und Richter ihren Beruf jedoch noch bis Ende März ausüben. Am 1. April 1933 – einhergehend mit dem Boykotttag – endete jedoch auch formell die Möglichkeit der freien Berufsausübung. Am Abend des Vortags hatte der Reichskommissar für die Preußische Justizverwaltung und designierte preußische Justizminister, Hanns Kerrl, eine Anordnung an die Oberlandesgerichtspräsidenten, Generalstaatsanwälte und Präsidenten der Strafvollzugsämter geschickt; darin forderte er dazu auf, die von ihm geforderten Maßnahmen gegen die jüdischen Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte umzusetzen, d. h. Beurlaubungen auszusprechen, den Zutritt zum Gericht zu verhindern oder Entlassungen vorzunehmen.174 Die ersten gesetzlichen Maßnahmen gegen politische Gegner des NS-Regimes und Juristen jüdischer Herkunft traten schließlich am 7. April 1933, nur zwei Wochen nach dem Ermächtigungsgesetz, in Kraft: Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ und das „Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ beseitigten zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur die Gleichberechtigung der Juden und markierten das Ende einer Epoche, in der es ihnen als Staatsbürgern möglich gewesen war, die Gesellschaft gleichberechtigt mitzugestalten.175 Auch wenn entsprechend der Regelungen im „Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ viele jüdische Rechtsanwälte theoretisch wieder ihren Beruf ausüben durften, waren die Hindernisse im Berufsalltag so gravierend, dass immer mehr jüdische Juristen auf ihre Zulassung verzichteten und emigrierten.176 Von diesen Entwicklungen war van Dam, der in dieser Zeit in der Kanzlei von Dr. Platz, Anwalt des Niederländischen Generalkonsulats, der „Dutch Association“ und offizieller niederländischer Übersetzer, arbeitete,177 wie die Mehrheit der jüdischen Juristen betroffen: Nach Auskunft des Kammergerichtspräsidenten in Berlin wurde er entsprechend der gesetzlichen Vorgaben „im April […] auf

174 Der Aufruf von Hanns Kerrl ist abgedruckt bei Benz, Von der Entrechtung, 819 – 822. Vgl. auch König, Zur Rolle, bes. 143 f; Königseder, Recht, 27 – 30; Krach, „… endlich von artfremdem Einfluß ganz befreit …“, 27 – 34; Ladwig-Winters, Anwalt, 37 – 47. 175 Zum Berufsbeamtengesetz und Rechtsanwaltsgesetz, der Gleichschaltung der Justiz 1933/1934 sowie den Nürnberger Gesetzen vgl. Benz, Von der Entrechtung, 823 – 841; Douma, Deutsche Anwälte, 74 – 77, 130 – 142; Göppinger, Juristen; Hirsch u. a. (Hg.), Recht; König, Zur Rolle, bes. 145 f; Krach, „… endlich von artfremdem Einfluß ganz befreit …“, 24; Ladwig-Winters, Anwalt, 50 – 87; Marx, Das Schicksal; Redeker, Erinnerung; Walk (Hg.), Das Sonderrecht. 176 König, Zur Rolle, 148 – 151; Krach, „… endlich von artfremdem Einfluß ganz befreit …“, 30 – 34. Zur Situation für Juden in Berlin nach 1933 vgl. z. B. Ehmann, Verfolgung. Zur Emigration und Rückkehr deutscher und jüdischer Juristen vgl. z. B. Douma, Deutsche Anwälte, 77 – 82; Jabs, Die Emigration; Kühne, Die Erforschung; Jordan, Die Remigration; Stiefel/Mecklenburg, Deutsche Juristen; Weber, Das Schicksal, 147 – 180. 177 H.G. van Dam an Mr. G. Boon, Jurist, liberaler Politiker und Mitglied der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments, 22. 7. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

90

Die Akteure

Grund der politischen Umwälzungen in Deutschland zunächst beurlaubt, später aus dem preussischen Justizdienst entlassen“178. 2.2 „I came as a refugee“179 – Stationen des Exils Angesichts des anwachsenden Antisemitismus und der immer zweifelhafteren Erfolgschancen als Jurist in Deutschland verließ Hendrik G. van Dam seine Geburtsstadt Berlin nur einen Tag nach dem Auftakt zur Ausgrenzung und späteren Verfolgung der Juden am 1. April 1933.180 Er entschied sich, zunächst in Holland Zuflucht zu suchen und arbeitete nach seiner Ankunft in Amsterdam vorübergehend für das Joodsche Committee.181 Nach eigenen Angaben brach er auf Anraten eines Professors der Universität vor Ort jedoch schon kurze Zeit später zur Fortsetzung seines Studiums in die Schweiz auf.182 Seit der ersten Flüchtlingswelle von 1933 verfolgten die eidgenössischen Behörden in der Schweiz die „Einreise von Israeliten“ mit größter Aufmerksamkeit und der Bundesrat wies die Kantone sogar an, „in bezug auf die Überfremdung [der] Festsetzung wesensfremder Elemente entgegenzuwirken“183. Seit den 1930er Jahren wurden Juden neben den Kommunisten als „wesensfremd“ eingestuft, wobei dies insbesondere für die Ostjuden galt. Auch in Basel, wo van Dam sich am 16. Mai 1933 an der Universität einschrieb,184 bewegten sich die Behörden ganz auf der Schweizer Linie des Bundes: Jedes Aufenthaltsgesuch musste der Eidgenössischen Fremdenpolizei vorgelegt werden, welche die Mehrheit der Anträge von Juden lediglich für die Dauer von ein bis drei Monaten bewilligte.185 Allerdings konnten zu Beginn

178 Hendrik George van Dam, Lebenslauf, in: StABS, UA IX 5,3: Examensdossier H.G. van Dam; Zeugnis des Kammergerichtspräsidenten Berlin, 30. 9. 1933, in: LABO Abt. 1, Akt 5569. 179 H.G. van Dam an Mr. G. Boon, 22. 7. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 180 Antrag auf Grund des Gesetzes über die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus, 6. 2. 1952, 1, und Entschädigungsamt Berlin an H.G. van Dam, 12. 3. 1957, 2, beide in: LABO Abt. 1, Akt 5569; H.G. van Dam an Mr. G. Boon, 22. 7. 1940 sowie H.G. van Dam an Professor [Pieter Sjoerds] Gerbrandy, niederländischer Justizminister und Ministerpräsident der niederländischen Exilregierung in London, 22. 9. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 181 Schreiben der Advocaten in London: Adler & Perowne, 46, London Wall, undatiert, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. Zur Situation der Juden in den Niederlanden vor 1940 und der Arbeit des Joodse Vluchtelingen Comit¦ vgl. z. B. Berghuis u. a. (Hg.), Joodse Vluchtelingen; Blom, Dutch Jews; Galen Last, Zunehmende Restriktionen; Jakob, Existenzgrundlagen; Lipschits, Tsedaka, 13 – 44; Wolf, Beyond Anne Frank, 75 – 77; Würzner, Das deutsch-jüdische Exil. 182 H.G. van Dam an Professor Gerbrandy, 22. 9. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577; Antrag auf Wiedergutmachung, 14. 3. 1954, in: LABO Abt. 1, Akt 5569. 183 Kreisschreiben des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments an die kantonalen Polizeidirektionen, 31. 3. 1933, zitiert nach Sibold, „… mit den Emigranten […]“, 15, sowie 16 f; Koller, Entscheidungen, 24; Wacker, Humaner als Bern!, 37; Zimmer, Zur Typisierung. 184 Studentenkontrolle, in: StABS, UA F 7.1. 185 Koller, Entscheidungen; Sibold, „… mit den Emigranten […]“, 14 – 16; Wacker, Humaner als

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

91

der 1930er Jahre Personen mit gültigen Ausweispapieren eine Niederlassungsbewilligung von bis zu zwei Jahren beantragen, die häufig für (zeitlich begrenzte) Studien- oder Arbeitsaufenthalte gewährt wurde.186 Nachdem die geschilderten Einreiseformalitäten erledigt waren, konnte sich van Dam seiner weiteren Ausbildung widmen: Er nahm das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Basel auf, wo er am 7. Juli 1934 mit „magna cum laude“ zum doctor juris utriusque promoviert wurde.187 Im Rahmen seiner Doktorarbeit, die an der juristischen Fakultät von Prof. Dr. Oskar Adolf Germann188 betreut wurde, setzte sich van Dam mit dem Thema „Preisunterbietungen als Missbrauch wirtschaftlicher Macht und als unzulässiger Wettbewerb“189 auseinander. Die Behandlung des Themas erfolgte Germann zufolge „nicht allein aus wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten, sondern berücksichtigte auch die Gedankengänge, die dem modernen Kartellund Antitrustrecht zugrunde liegen“190 : Nach einer Einführung in die allgemeinen Grundlagen der für die Preisunterbietung einschlägigen Rechtssätze analysierte van Dam in den drei Hauptteilen seiner Dissertation die Preisunterbietung auf dem freien Markt, die Unterbietung vertraglich gebundener Preise sowie die Unterbietung öffentlich-rechtlich gebundener Preise. „Die Unterbietung auf fr. M. wäre allein schon Gegenstand einer umfassenden & bedeutenden Diss. gewesen; aber es ist interessant, nun noch den Besonderheiten bei den Preisbindungen nachzugehen“, schreibt sein Doktorvater in seiner Beurteilung und bemerkt weiter : „Der Aufbau ist hier wie hinsichtlich der Gliederung im einzelnen so klar, dass es eine Freude ist [sic!] der Darstellung zu folgen.“ Als weiteren Vorzug der Arbeit stellte Germann heraus, „dass die Gesetzgebung & Rechtsprechung der verschiedenen Staaten herangezogen & fruchtbar gemacht worden ist“. Im Untertitel der eingereichten Arbeit hatte van Dam seine Qualifikationsschrift als rechtsvergleichende Studie auf der Grundlage des deutschen und schweizerischen Rechts unter Berücksichtigung des schweizerischen Wettbewerbs und der nordamerikanischen Rechtsentwicklung spezifiziert. Auch wenn Germann nicht in allen Punkten mit der Auswertung und In-

186 187 188

189 190

Bern! Van Dam firmierte in der Ausländerkontrolle unter der Signatur PD-REG 3a, Nr. 14653. Das Dossier ist laut Auskunft des StABS jedoch nicht erhalten. Sibold, „… mit den Emigranten […]“, 32 – 35. Zur Schweizerischen und Baseler Flüchtlingspolitik in den Jahren von 1933 bis 1945 vgl. Goldner, Flucht; Sibold, „… mit den Emigranten […]“; Picard, Die Schweiz, bes. 279 – 385. Ausweis über das Doktorexamen und die Diss. van Dam, unterzeichnet vom Dekan der juristischen Fakultät der Universität Basel, 15. 11. 1937, in: LABO Abt. 1, Akt 5569. Der Schweizer Jurist und bedeutende Offizier Oskar Adolf Germann (1889 – 1979) war von 1930 bis 1960 Ordinarius für Strafrecht an der Universität Basel. Zur Biografie von O.A. Germann vgl. Hans Senn, Germann, Oskar Adolf, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version v. 8. 12. 2006, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D23712.php (1. 9. 2013). Promotionsurkunde, in: StABS, UA P 6. Dieses und die folgenden Zitate in diesem Absatz sind entnommen aus dem Referat von Prof. Dr. O.A. Germann, in: Zulassung zur Doktorprüfung, 13. 6. 1934, in: StABS, UA IX 5,3.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

92

Die Akteure

terpretation des „ausserord. wertvollen Materials“ übereinstimmte, erachtete er die Arbeit van Dams insgesamt als „ausserordentlich verdienstlich, als er in allen, auch den schwierigsten Fragen eine positive Lösung angestrebt & sie nach unvoreingenommener Erwägung des Für & Wider überzeugend begründet hat“. Die positive Aufnahme seiner Arbeit kann auch daran abgelesen werden, dass die Dissertation van Dams 1935 unter gleichlautendem Haupttitel als Heft Nr. 9 in der Reihe „Baseler Studien zur Rechtswissenschaft“, einer Sammlung qualifizierter wissenschaftlicher Abhandlungen, publiziert wurde.191 Das mündliche Examen und die schriftlichen Prüfungsarbeiten legte er ebenfalls erfolgreich ab.192 Parallel zu seinem Studium begann van Dam während seines Aufenthalts in Basel, vermehrt für die antifaschistische Presse zu schreiben, denn nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz nahm die antisemitische Hetze seit dem Frühling 1933 kontinuierlich zu.193 Van Dam wurde Korrespondent einer der wichtigsten liberalen Schweizer Zeitungen, den Basler Nachrichten, für die er in den folgenden Jahren viele der (ungezeichneten) politischen Beiträge verfasste,194 und schrieb später ebenfalls für die Gazette de Lausanne sowie die Neue Zürcher Zeitung.195 Der Chefredakteur der Basler Nachrichten in Bern und Basel, Dr. Albert Oeri,196 setzte die Zusammenarbeit mit van Dam fort, auch nachdem dieser im Sommer 1934 seine Doktorarbeit abgeschlossen hatte und in die Niederlande zurückgekehrt war.197 Seit Dezember 1934 war van Dam offiziell in Den Haag gemeldet und lebte zunächst in einem Haus im Block zwischen dem Zoo und der „Nassau Dillenburgstraat“, das 1943 vollständig zerstört wurde. Gemäß der Auskünfte des People’s Register der Stadt Den Haag aus dieser Zeit scheint es sich bei der Adresse um eine beliebte Sammelunterkunft für zahlende Gäste gehandelt zu haben, in der zwei Jahre später auch van Dams Mutter vorübergehend einzog.198 Er selbst lebte zu diesem Zeitpunkt in einer Pension.199 191 Ausweis über das Doktorexamen und die Diss. van Dam, unterzeichnet vom Dekan der juristischen Fakultät der Universität Basel, 15. 11. 1937, in: LABO Abt. 1, Akt 5569; van Dam, Preisunterbietungen, 119. 192 Die Prüfungen erstreckten sich auf römisches, germanisches und modernes Privatrecht und öffentliches Recht. Ausweis über das Doktorexamen und die Diss. van Dam, unterzeichnet vom Dekan der juristischen Fakultät der Universität Basel, 15. 11. 1937, in: LABO Abt. 1, Akt 5569. 193 Vgl. Sibold, „… mit den Emigranten […]“, 29 – 41. 194 Protokoll eines Gesprächs mit H.G. van Dam, 9. 8. 1940, Zitat 2, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. Zur Geschichte der Zeitung vgl. 100 Jahre Basler Nachrichten. Ein Spiegelbild der schweizerischen Politik, Wirtschaft und Kultur, Beilage zur Zeitung, November 1946. 195 H.G. van Dam an Mr. G. Boon, 22. 7. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 196 Zur Biografie von Albert Oeri (1875 – 1950) vgl. Fink, Albert Oeri; Thomas Schibler, Oeri, Albert, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version v. 21. 8. 2009, http://www.hls-dhsdss.ch/textes/d/D6459.php (1. 9. 2013); Teuteberg, Albert Oeri. 197 H.G. van Dam an Mr. G. Boon, 22. 7. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 198 Vgl. Gezinskaarten 1913 – 1939 (People’s Register), Registerkarte von Jacques van Dam/Meta Cohen und Hendrik George van Dam, in: MATH, Gezinskaarten 1913 – 1939.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

93

Nach seiner Ankunft in den Niederlanden erhielt van Dam, so seine Aussage, von der Regierung und von der Universität Leiden die „liberation for the ,Candidaats Examen‘“ in niederländischem Recht, den akademischen Grad nach dem ersten Teil der wissenschaftlichen Ausbildung in den Niederlanden.200 Zudem erweiterte er sein journalistisches Tätigkeitsfeld und begann, in niederländischen Periodika zu publizieren und dort seiner antifaschistischen Einstellung Ausdruck zu verleihen. Später erklärte er diesbezüglich: I proved by my journalistic activity, that I am a real hater of the fascism, not only by the fact of my religion but by my political conviction. You will remember my articles in ,Het Vaderland‘ about the German financial piracy and my written proposal, that the Liberal Party should interpellate the Ministers of Justice and Economic Affairs about the German control of Jewish property in Holland.201

Von van Dam zu Beginn der 1940er Jahre beauftragte juristische Beistände mutmaßten, dass die immer wieder sehr offen geäußerte Kritik ihres Mandanten an den nationalsozialistischen Machthabern ausschlaggebend dafür gewesen sei, „dass van Dam auf der Schwarzen Liste der Nazis stand“202. Seinen Kampf gegen die Nationalsozialisten führte van Dam jedoch nicht mit der Feder allein; wichtig war es ihm später zu betonen, dass er sich Ende August 1939, obwohl zur Auswanderung finanziell in der Lage, freiwillig zur Armee gemeldet und dann beim Einmarsch deutscher Truppen als „volunteer of The Hague Anti-Aircraft Protection“ seinen (militärischen) Beitrag zur Verteidigung der Niederlande geleistet hatte.203 Nach dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Niederlande wurde das Land innerhalb von vier Tagen besetzt. Infolge der nationalsozialistischen Eroberung fürchtete van Dam erneut um sein Leben und ergriff deshalb ein weiteres Mal die Flucht. Einige Wochen nach seinem Eintreffen in England schrieb er über sein Entkommen: „I escaped the day of capitulation, 14th May, from The Hague, to Hoek van Holland“, von wo er flüchten konnte, da „the commander of a British destroyer gave me the permission to go with him to England“204. Das englische Kriegsschiff hatte van Dam nach Dover gebracht, 199 Protokoll eines Gesprächs mit H.G. van Dam, 9. 8. 1940, Zitat 2, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 200 Zum Aufbau der Studiengänge in Holland vgl. Dalen, Mystic, Bd. 1, 27, Zitat in Anm. 33. 201 H.G. van Dam an Mr. G. Boon, 22. 7. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. Vgl. hierzu auch Ned.G.D. an den Heer Hoofd van den Ned.G.D. te London, 21. 8. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. Van Dam schrieb in den Niederlanden auch für Het Buderland. Vgl. Protokoll eines Gesprächs mit H.G. van Dam, 9. 8. 1940, Zitat 2, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 202 Schreiben der Advocaten in London: Adler & Perowne, 46, London Wall, undatiert, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 203 H.G. van Dam an Mr. G. Boon, 22. 7. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. Vgl. auch Barents u. a., De Neutraliteit in de Lucht. 204 H.G. van Dam an Mr. G. Boon, 22. 7. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. Zur Judenverfolgung und den Entwicklungen in den Niederlanden während des Zweiten Weltkriegs vgl. Boom, Den Haag, bes. Kapitel I (Den Haag 1940 – 1944) und Kapitel V (Die Judenverfolgung);

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

94

Die Akteure

wo er bei der Ankunft sofort festgenommen wurde. In seinem ersten Brief aus der Internierung, die für van Dam im Pentonville Prison begann, richtete er am 22. Juni 1940 ein Gesuch zur Unterstützung seiner Freilassungsbemühungen an G.A. Boon in London, Jurist und vormals Mitglied der zweiten Kammer des niederländischen Parlaments, und berichtete diesem über seine ersten Wochen in England wie folgt: The Immigration Officer at Dover inquired me [sic!] in an atmosphere of suspicion against Fifths Column. I have been detained but said [sic!], that I shall come before a commission. I had no hearing whatever by the authorities, remained in prison 10 weeks (!), got a detention order of 13th June, was defended [sic!] to write letters 5 weeks, had not the faintest success with some petitions to the Home Office. My urgent request to have a British sollictor has been refused, The Dutch Consul – whom I was allowed to inform from [sic!] my detention – replied only (by a form and not originally written) that he has sent my appeal to the British authorities. First, yesterday came the Dutch police. The gentleman was astonished to hear from me, he had known nothing about my detention. My Dutch Passeport [sic!] is taken at Dover. The governor of this prison is investigating, where the important paper remained, till today without success. My luggage cannot be found, it contained also press-cuttings. Thus I am more than 2 months in prison, under bad conditions, 22 hours isolated in a cel [sic!], without hearing and not knowing why!!205

Für van Dam war es vollkommen unverständlich, warum er als niederländischer Staatsbürger und Jude, der sich aktiv im Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur engagiert hatte und weiterhin engagieren wollte, so lange in England interniert wurde. In diesem Sinne beschloss er seinen Hilferuf aus dem Gefängnis, dem eine Liste von Referenzen beigegeben war, mit folgenden Worten: It is paradox, that the antifascists go to prison, because the authorities have not detained but admitted the German tourists and 5th column. I ask a serious investigation [sic!] and protest against the perfect passivity in protecting me as Dutch subject. I should be grateful, if you would interest a British lawyer for this case and the Liberal Party. I am allowed to have visits. My place ought not to be among fascists in prison but in the Dutch army. In any case, I trust that my ,Bastille Life‘ — la 1750 without control of a tribunal will be finished.206

Tatsächlich gelang es van Dam mit seinem Schreiben, die Aufmerksamkeit der niederländischen Behörden auf seinen Fall zu lenken. Das niederländische Justizministerium begann, bei den von ihm genannten Fürsprechern InforCroes, Gentiles; Haan, Routines; Hess, Disproportionate Destruction; Huttenbach, Holland; Romijn, The Experience. 205 H.G. van Dam an Mr. G. Boon, 22. 7. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 206 Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

95

mationen über van Dam einzuholen207 und schaltete das niederländische Auswärtige Amt ein, das sich seinerseits für eine Untersuchung der Angelegenheit einsetzte und gewillt war, alles Nötige für die Freilassung van Dams zu unternehmen. Die ersten Versuche, von den Briten Informationen über seinen Verbleib und das Verfahren in Erfahrung zu bringen, waren jedoch erfolglos und van Dam, der inzwischen ins Liverpool Prison verlegt worden war, blieb vorerst eingesperrt.208 Am 22. September 1940 verfasste er ein weiteres Protestschreiben, das er diesmal an Pieter Sjoerds Gerbrandy adressierte, der vom 3. September 1940 bis 24. Juni 1945 als Ministerpräsident der niederländischen Exilregierung in London fungierte.209 The situation to be imprisonned [sic!] not knowing why not knowing how long time, without any use for the fighting Dutch community, but yet in constant danger locked in a cel [sic!], morally barred, in perfect passivity, not able to prepare my emigration, is very difficult to bear. […] I have taken the consequences of the year 1933 and do not know how to prove in a better way my absolute loyalty in the fight for Holland’s independence than by offering my service as a volunteer in the Dutch army. I have done it. And I left my family and many things of important value for coming out of nazi oppression. […] I am now as a bona fide refugee in an desesperated [sic!] situation, because I am in prison without an opportunity of legal defense [sic!] and terribly depressed.210

Die Schilderungen van Dams, dessen Notlage sich anhand erhaltener Korrespondenzen aus dieser Zeit rekonstruieren lässt, stehen an dieser Stelle exemplarisch für das Schicksal, das zu diesem Zeitpunkt des Kriegsgeschehens den meisten Flüchtlingen widerfuhr, die in England Aufnahme suchten. Allein der Konsul der Niederlande in Liverpool, G.J. Verburgh, betreute im September 1940 vierzig bis fünfzig Niederländer, die bereits seit dem Monat Mai im Walton Gefängnis, Liverpool, inhaftiert waren. Seiner Aussage nach wurden diese Personen von den englischen Behörden mit der Begründung festgehalten, gegen die Sicherheit des Vereinigten Königreichs gehandelt zu haben – allerdings waren sie zu keinem Zeitpunkt befragt oder vor ein englisches Gericht geladen worden.211 Da seine Bemühungen, diese Niederländer vor einen Gerichtshof zu bringen, nicht fruchteten, bat Verburgh den Justizmi207 Ned. G.D. an den Heer Hoofd van den Ned. G.D. in London, 21. 8. 1940, sowie Schreiben der Advocaten: Adler & Perowne, 46, London Wall, undatiert, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 208 Schreiben No. 363 vom Ministerie van Justitie, London, an den Heer Chef van den Centralen Dienst, 27. 8. 1940; Schreiben No. 507 vom Justizministerium, London, an den Heer Chef van den Centralen Dienst, 19. 9. 1940; Schreiben vom Heer Chef van den Centralen Dienst an den niederländischen Justizminister in London, 21. 9. 1940, alle in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 209 Zur Biografie von Pieter S. Gerbrandy (1885 – 1961) vgl. W.F. de Gaay Fortman, Gerbrandij, Pieter (1885 – 1961), in: Biografisch Woordenboek van Nederland, http://www.historici.nl/ Onderzoek/Projecten/BWN/lemmata/bwn1/gerbrandij (17. 6. 2013). 210 H.G. van Dam an Professor Gerbrandy, 22. 9. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 211 Vgl. Schreiben No. 1084 von G.J. Verburgh, Consul for the Netherlands, an den Justizminister, 24. 9. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

96

Die Akteure

nister, die Aufmerksamkeit auf die Fälle in einer seinem Schreiben beigefügten Liste zu richten, „denn es scheint, dass in diesen Fällen unter fadenscheinigen Gründen gehandelt wird“212. Der erste Hinweis auf eine erfolgreiche Intervention zugunsten van Dams in den niederländischen Akten ist auf den 1. Oktober 1940 datiert. In einer Notiz des Justizministeriums wurde festgehalten, „that the case of Hendrik George van DAM has now been reconsidered by the Security Authorities, and they have advised his release on condition that he reports at once to the Dutch Military Mission for enlistment in the Dutch Forces“213. Einen Monat später war jedoch immer noch keine Bestätigung der Freilassung beim niederländischen Justizministerium eingegangen.214 Während van Dam als Gefangener also weiterhin hinter Gittern saß, setzte er sich zur Klärung seiner Angelegenheiten im Hinblick auf den Moment der Freilassung mit Konsul Verburgh in Verbindung und brachte erneut seine Enttäuschung und Frustration über die andauernde Internierung zum Ausdruck: I landed in England with a valuable Dutch passport, and I ask respectfully, that the Dutch Consul may give me a new passport, whereas the passport of 2nd October 1936 (Lord Mayor of the Hague) cannot be returned. I need the passport for my legitimation, and for the preparation of my emigration abroad. […] It is urgent, because the transfer to a camp in near future is possible and I want not be in the exceptional position to be without passport under these circumstances. […] I ask to be placed before Tribunal to have no less rights than Germans and Austrians. Deportation may be based on administrative secrets, but not detention of many months in a country fighting for liberty. The under Secretary of State, Mr. Peake, has declared that an Interdepartmental Committee has been formed for the examination of the cases. I ask urgently the Dutch Consul to use his authority that the cases of the Dutch subjects, especially of Anti-Nazi refugees are dealt with by this Committee. This is not only an affair of Czechs or Poles but also of Dutch nationals. It is depressing that Dutch Anti-Fascist Refugees have the longest time of detention.215

Endgültig wies das britische Home Office den Governor des Gefängnisses in Liverpool am 1. November 1940 an, van Dam aus der Internierung zu entlassen. Bei seiner Freisetzung wurde dieser darüber informiert, dass er sich entsprechend der zuvor getroffenen Vereinbarung so schnell wie möglich bei der Dutch Military Mission in London als Freiwilliger zum Dienst zu melden habe.216 212 Ebd. Zur Situation van Dams in dieser Zeit vgl. Anwälte W. Swancott Morgan & Hanna Ford an G.J. Verburgh, 26. 9. 1940, sowie Schreiben No. 1092 von G.J. Verburgh an den niederländischen Justizminister, 27. 9. 1940, beide in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 213 Notiz 33200, 1. 10. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 214 Schreiben No. 26, 2. 11. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 215 H.G. van Dam an G.J. Verburgh, 16. 10. 1940, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 216 Schreiben No. 26 an den niederländischen Justizminister in London, 11. 11. 1940, sowie Memorandum B.24b/150, 13. 11. 1940, beide in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. Die Unterlagen des

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

97

Abb. 3: Vorderseite der Registry Card Nr. 2513 für Hendrik G. van Dam bei der Niederländischen Armee, 1944 – 1946.

Um einen Beitrag zu den alliierten Kriegsanstrengungen zu leisten, plante die niederländische Exilregierung in London die Zusammenstellung einer niederländischen Armee und gründete für diesen Zweck am 11. Januar 1941 die „Koninklijke Nederlandse Brigade“ (Königliche Niederländische Brigade), welche sich aus Freiwilligen und Wehrpflichtigen zusammensetzte, die sich in England oder anderen freien Ländern gemeldet hatten.217 Wie befohlen, schrieb sich van Dam am 13. Januar 1941, kurz nach der Formierung der Armee, als Freiwilliger in die Königliche Niederländische Brigade ein und wurde als gewöhnlicher Soldat der Depotkompanie, 2. Battalion zu Cheshire, zugewiesen.218 Am 27. August 1941 besuchte Königin Wilhelmina zusammen mit Prinz Bernhard die Brigade, die nach einiger Wanderschaft in Wrottesley Park (Wolverhampton/West Midlands) nahe Birmingham stationiert worden JRC besagen, dass van Dam sich zu dieser Zeit auch beim jüdischen Flüchtlingskomitee in London meldete (file number 26252); vom Netherland Emergency Committee, dem sein Fall zugeteilt wurde (file number 22468), ist jedoch kein Archiv erhalten geblieben. Vgl. Hendrik G. van Dam: JRC registration number 26256, in: Archiv des JRC. 217 Zur Geschichte der Niederlande im Zweiten Weltkrieg, der niederländischen Exilregierung in London und der Brigade vgl. z. B. die detaillierte Darstellung von Jong, Het Koninkrijk der Nederlanden, insbes. Teil 3 bis 7 (1970; 1972; 1974; 1975; 1976) und Teil 9 (1979). 218 Uittreksel uit de Registratieve Gegevens Betreffende Militairen van de Koninklijke Marine, Koninklijke Landmacht, Koninklijke Luchtmacht C.Q. Koninklijke Marechaussee, Ten aanzien van: van Dam, Hendrik George, Registratienummer: 06.11.08.002, 1, in: CDC; Schreiben No. 26, Reference your J/12650/7892 of 31.3.41 concerning Dr. H.G. van Dam, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

98

Die Akteure

war, und gab ihr ihren Namen „Koninklijke Nederlandse Brigade Prinses Irene“ oder kurz: „Prinses Irene Brigade“. Nach diversen Versetzungen und einem Krankenhausaufenthalt wurde van Dam vorübergehend nach London abgeordnet, to work as an office assistant delivering messages for the Housekeeping department at the Stratton House. He did this work for about two months, but was sent back to the camp on account of overzealous curiosity. He made a habit out of reading the documents, which he was delivering between departments, rather attentively. If given the chance, he would readily eavesdrop at the doors of the offices of clerks and ministers of state. In doing so, he became aware of some important matters that a normal office assistant would not get to record and process. From interviews with other office assistants from the Stratton House it became clear that he took notes from the documents that he was delivering, which he, according to his own remarks, might put to future use (and possibly abuse). The rumor spread, that he had been convicted in earlier time for reporting. It is known that he was in possession of a travel typewriter. Supposedly he was planning to write a booklet about the ,mess‘ in the Government.219

Infolge dieses unangemessenen Verhaltens wurde van Dam zur „Prinses Irene Brigade“ zurückgeschickt.220 Er diente in den folgenden Jahren in unterschiedlichen Einheiten und war entsprechend der Entscheidung des Depotkommandanten seit Mai 1944 autorisiert, das „Oorlogsherinneringskruis“ (War Memorial Kreuz) zu tragen.221 Während seines Armeedienstes nahm er zudem an speziellen Ausbildungsmaßnahmen der Königlich Niederländischen Brigade im Bereich der „Royal Electrical and Mechanical Engineers“ sowie an einem Feuer- und Luftschutzkurs teil und besuchte einen „Driving Instruction Course“, den er gemäß der Unterlagen des niederländischen Verteidigungsministeriums allerdings nicht bestand.222 Am 30. August 1944 verließ van Dam schließlich mit seiner Einheit England und kehrte auf das europäische Festland zurück, wo er nach einer kurzen Vorbereitungszeit am 11. September 1944 der Gefechtsgruppe III der „Prinses Irene Brigade“ zugeteilt wurde,223 mit der er bis kurz vor Kriegsende an der 219 Ongecontroleerd bericht, Betreft Dr. van Dam, 11. 5. 1942, in: NA, ARA, MvJ, Inv.nr.: 10577. 220 Registry Card Nr. 2513 (Dam, Hendrik George van), Staat van dienst, Koninklijke Nederlandsche Brigade „Prinses Irene“, Nr. 235, sowie Uittreksel uit de Registratieve Gegevens Betreffende Militairen van de Koninklijke Marine, Koninklijke Landmacht, Koninklijke Luchtmacht C.Q. Koninklijke Marechaussee, Ten aanzien van: van Dam, Hendrik George, Registratienummer : 06.11.08.002, 1, alles in: CDC. 221 Uittreksel uit de Registratieve Gegevens Betreffende Militairen van de Koninklijke Marine, Koninklijke Landmacht, Koninklijke Luchtmacht C.Q. Koninklijke Marechaussee, Ten aanzien van: van Dam, Hendrik George, Registratienummer: 06.11.08.002, 2, in: CDC. 222 Ebd. 223 Van Dam kam am 2. 9. 1944 auf dem europäischen Festland an. Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

99

Front kämpfte.224 Nach Unterzeichnung der entsprechenden Verträge in Eindhoven am 6. April 1945 wurde van Dam von der Irene-Brigade an das Korps der Dolmetscher der niederländischen Streitkräfte ausgeliehen.225

2.3 Rückkehr und Reorganisation jüdischen Lebens in der britischen Besatzungszone Mit Beginn seiner Tätigkeit für das Korps der Dolmetscher im Frühjahr 1945 wurde van Dam vorübergehend zum Sergeant befördert und der Legal Branch of the Military zugewiesen, die ihn unmittelbar nach Kriegsende in Westdeutschland einsetzte.226 Seinen Aussagen zufolge war er in Oldenburg stationiert227 und von Mai 1945 bis August 1946 im Rahmen der Control Commission an der Reorganisation des deutschen Gerichtswesens beteiligt.228 Er gehörte somit zu der Gruppe von Remigranten, die als Soldaten mit den alliierten Armeen nach Deutschland zurückkehrten. Da van Dam bereits vor seinem Einsatz im Nachkriegsdeutschland in der Armee gedient hatte, gab es von Seiten der britischen Militärregierung keine Vorbehalte gegen seine Beschäftigung. Van Dams Einsatz als Dolmetscher deutet ferner darauf hin, dass seine Sprachkenntnisse – nach eigenen Angaben konnte er sich in Deutsch, Niederländisch, Französisch und Englisch verständigen und verfügte über Grundkenntnisse des Jiddischen229 – für die britische Militärregierung von hohem Wert waren; ferner qualifizierte seine juristische Ausbildung in Deutschland van Dam zusätzlich für die Aufgaben in Oldenburg. Als im Herbst 1946 die Verhandlungen über die Verlängerung seiner Be224 Für seinen Dienst in der niederländischen Armee wurde van Dam im Sommer 1951 mit dem „Oorlogsherinneringskruis met de gesp ,Krijg te Land 1940 – 1945’“ (War Memorial Kreuz mit der Schnalle „Krieg zu Land 1945 – 1950“) ausgezeichnet. Ebd. 225 Ebd.; Gegevens voor het Ministerie van Oorlog, A.Nr. 2513, Staat van dienst, Koninklijke Nederlandsche Brigade „Prinses Irene“, Nr. 235, sowie Verbandakte, A.Nr. 2513, alles in: CDC. 226 Gegevens voor het Ministerie van Oorlog, A.Nr. 2513, Staat van dienst, Koninklijke Nederlandsche Brigade „Prinses Irene“, Nr. 235, sowie Verbandakte, A.Nr. 2513, beides in: CDC; H.G. van Dam an Mr. Weiss, Legal Adviser JRU, 13. 9. 1946, in: WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam. 227 Ebd. 228 Angabe van Dams im Antrag auf Grund des Gesetzes über die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus, 6. 2. 1952, 1, in: LABO Abt. 1, Akt 5569: „Erfolgte Rückkehr aus der Emigration: ja; wann: Mai 1945; wohin: (Ort Straße) Oldenburg i.Oldb. Militärregierung“. Vgl. auch Van Dam, Hendrik George, in: BHdE, Bd. 1, 778. Zur Dauer seiner Tätigkeit für das „Corps tolken Nederl. Strijdkr.“ vgl. auch Uittreksel uit de Registratieve Gegevens Betreffende Militairen van de Koninklijke Marine, Koninklijke Landmacht, Koninklijke Luchtmacht C.Q. Koninklijke Marechaussee, Ten aanzien van: van Dam, Hendrik George, Registratienummer : 06.11.08.002, 2, in: CDC; Gegevens voor het Ministerie van Oorlog, A.Nr. 2513, sowie Verbandakte, A.Nr. 2513, beides in: CDC. 229 Jewish Committee for Relief Abroad. Form of Application, H.G. van Dam, in: WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

100

Die Akteure

schäftigung für die Militärregierung in vollem Gange waren, bot sich van Dam indessen die Möglichkeit zur beruflichen Veränderung. Am 9. September 1946 kontaktierte ihn der Legal Adviser der Jewish Relief Unit (JRU), Dr. Georg Weis, und fragte, ob er sich ein Engagement in seiner Abteilung vorstellen könne. Vermutlich war dies nicht das erste Mal, dass van Dam mit dem juristischen Berater der britischen Hilfsorganisation über eine Zusammenarbeit sprach, denn nur vier Tage später antwortete er ihm: I am prepared to accept the appointment as assistant legal adviser if it will be offered to me in the near future. The question of the C.C.G. appointment is still pending, but I should of course reject the appointment when I should have accepted a definite offer of your organization.230

Durch ein persönliches Gespräch, zu dem beide einen Monat später in den Räumen der JRU zusammenkamen, bestätigte sich für Weis der Wunsch, van Dam als stellvertretenden Rechtsberater zu gewinnen. In diesem Sinne berichtete er seinem Vorgesetzten, dem Chairman des Jewish Committee for Relief Abroad (JCRA)231, Leonard Cohen, am 15. Oktober 1946 voller Begeisterung von dem Kandidaten: I am glad to say that I am even more convinced than I was before that we could hardly find anyone better suited for the appointment than him. He is a very good and learned lawyer [sic!] speaks fluent English and German, he lived in Germany up to 1933 and is a fully trained German lawyer. He got the degree of doctor of German law summa cum laude at Basle. Further more he has been working in a responsible position as lawyer with CCG since 29.VI.45 and knows therefore the CCG administrative machine from inside.232

Auch die niederländische Staatsbürgerschaft schreckte den amtierenden Legal Adviser der JRU nicht. Vielmehr betonte er weiter in seinem Schreiben die Vorteile, die van Dams Deutschlandbezug für die Organisation mit sich bringen würde: As you already know, he is of Dutch nationality. According to his training and upbringing he is, however, a German lawyer. This fact should be stressed if, as I was told, the Association is disappointed that a Czech and a Dutch subject have been appointed as Legal Advisers. 230 H.G. van Dam an Mr. Weiss, Legal Adviser JRU, 13. 9. 1946, in: WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam. 231 Introduction, in: WLL, File 1367: Jewish Relief Unit: Document Collections from former members, 1945 – 1984; Bericht über die Gründung des Jewish Committee for Relief Abroad, o. D., in: WLL, MF Doc 27/23, 123/1 – 123/6. Für eine detaillierte Darstellung der Gründung und Arbeit der JRU vgl. Lavsky, British Jewry ; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 177 – 182; EGL, In Khaki mit dem Davidstern, in: JG, 26. 7. 1947. 232 Dieses und die folgenden Zitate sind entnommen aus Dr. Weis, Legal Adviser of the Jewish Relief Unit, an Mr. Leonard Cohen, 15. 10. 1946, in: WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

101

Weis konnte ferner berichten, van Dam sei „prepared to sign a contract for one year. […] He is asking for a yearly salary of £ 500. He has been offered an appointment with CCG which would bring him £ 850.“ Van Dams Bereitschaft, im Falle einer Beschäftigung bei der JRU ein deutlich geringeres Einkommen in Kauf zu nehmen, lässt sein ernsthaftes Interesse an dieser ihm angebotenen Position erkennen. Dieser Eindruck wird auch durch seine Zugeständnisse im Zusammenhang mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses verstärkt. Entsprechend der Aussage von Weis hatte van Dam anfänglich um eine vierwöchige Pause zwischen seiner Demobilisierung und dem Arbeitsbeginn bei der JRU gebeten. To make things easier for me, he is prepared to take these four weeks after having commenced service with us in December or January. These four weeks would not have to be paid by the Committee. […] He is prepared to commence his service with the Unit immediately [sic!] the formalities have been settled. He will, however, have to go to the Netherlands for demobilization and from there to England to be called forward from there. We can have him called forward only when the contract has been agreed upon. As Dr. van Damm [sic!] is to be demobilized any day, I should be pleased if the contract could be settled as quickly as possible.

Eine Einigung zwischen van Dam und den Verantwortlichen der JRU war schnell gefunden. Bereits am 27. Oktober 1946 bestätigte Chairman Cohen, der gemeinsam mit Lady Rose Henriques die JRU Deutschland leitete,233 die Anstellung van Dams als „Deputy Legal Adviser to the Jewish Relief Unit“234 zum nächstmöglichen Zeitpunkt: „The appointment is for a period of 7 months, subject thereafter to four weeks’ notice to either side.“ Wie von van Dam gewünscht, wurde sein Jahresgehalt auf 500 £ festgesetzt und der Vertrag zur Unterzeichnung in London vorbereitet.235 Bis Ende November waren die zur Anstellung notwendigen Formalitäten in den Niederlanden und England vollständig abgewickelt, und so kehrte van Dam am 28. November 1946 in seiner neuen Funktion als Deputy Legal Adviser der JRU in die britische Zone zurück.236 Die strengen britischen Einreisebestimmungen betrafen van Dam

233 Zur Biografie von Rose L. Henriques, geb. Loewe, vgl. Strathmann, Auswandern, 60. 234 Dieses und das folgende Zitat sind entnommen aus Leonard Cohen, Jewish Committee for Relief Abroad, an H.G. van Dam, 27. 10. 1946, in: WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam. 235 Ab dem 7. 12. 1946 erhielt van Dam wie vereinbart £ 9.12 pro Woche; ab dem 9. 8. 1948 wurde sein Lohn auf £ 11,10 erhöht. Supplies Secretary J. W. Wheeler, Council of British Societies for Relief Abroad, an J.M.S. Jupp, Foreign Office (German Section), 21. 1. 1948, in: TNA: PRO FO 944/1000. 236 Zur Entlassung aus dem aktiven Dienst der niederländischen Armee vgl. Königlicher Beschluss, Staatsblatt 321, 30. 5. 1952; Uittreksel uit de Registratieve Gegevens Betreffende Militairen van de Koninklijke Marine, Koninklijke Landmacht, Koninklijke Luchtmacht C.Q. Koninklijke Marechaussee, Ten aanzien van: van Dam, Hendrik George, Registratienummer : 06.11.08.002, 2, in: CDC. Zum Dienstbeginn bei der JRU vgl. Personalkartei VAN DAM, Dr. H. G., sowie Auflistung der ausgegebenen Utensilien für H.G. van Dam durch die JRU, 28. 11. 1946,

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

102

Die Akteure

aufgrund seiner Anstellung bei der JRU nicht. Zwar hatte die Hilfsorganisation zu Beginn ihrer Arbeit in Deutschland massive Behinderungen von Seiten der Briten erfahren, die den ersten britischen Freiwilligen und Rabbinern die Einreise verweigerten; diese anfänglichen Differenzen waren bis zum Arbeitsbeginn van Dams allerdings beigelegt, so dass er ohne Schwierigkeiten in das besetzte Gebiet einreisen konnte.237 Die JRU war der „operational arm“238 des JCRA, das laut seiner Selbstvorstellung 1943 vom Joint Foreign Committee of the Board of Deputies und der Anglo-Jewish Association unter Federführung und finanzieller Verantwortung des Central British Fund for Jewish Relief and Rehabilitation (CBF) gegründet worden war.239 Anders als der in der amerikanischen Zone tätige Joint war die JRU somit eine vergleichsweise junge Organisation, die sich nach Angelika Königseder und Juliane Wetzel dadurch auszeichnete, dass sie zwar „noch keinerlei Erfahrung auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege besaß und nur über wenige Mitarbeiter verfügte, die allerdings mit ihrem Enthusiasmus diese Defizite teilweise ausgleichen konnten“240. Das Haupteinsatzgebiet der freiwilligen Helfer, die vom JCRA entsandt wurden,241 war Deutschland, wo entsprechend der Angaben des CBF „at one time [Sommer 1946], there were as many as 92 Jewish Relief Unit workers in the British and American zones, the former operating under the direction of their own headquarters and Field Director at Eilshausen, and the latter working directly with UNRRA teams“242. Das Legal Department, dem van Dam zugeteilt war, befand sich in eben jenem Hauptquartier in Eilshausen nahe Herford, das die JRU in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 bezogen hatte. Bis zum Umzug dorthin war die Arbeit der JRU von der Stadt Celle aus koordiniert worden, die neben Belsen zu den „main centers of activity“ der JRU zählte.243 Während sich die JRU-Mitarbeiter in den Lagern vor allem um die psy-

237 238 239 240 241 242

243

beide in: WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam; Leonard Cohen, Chairman des Jewish Committee for Relief Abroad, an Dr. H.G. Van Dam, The Hague, Holland, o.D., in: ZA, B.1/7.227. Zu den anfänglichen Spannungen zwischen den britischen Besatzern und den Hilfsorganisationen vgl. z. B. Strathmann, Auswandern, 98 – 115. Introduction, in: WLL, File 1367: Jewish Relief Unit: Document Collections from former members, 1945 – 1984. Archives. The Central British Fund for World Jewish Relief, London 1988, in: WLL, MF Doc 27 / 1. Königseder/Wetzel, Lebensmut, Zitate 179; Strathmann, Auswandern, 109 – 113. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 180. Annual Report of the CBF for 1946, 3, in: WLL, MF Doc 27/5; The Central British Fund for Jewish Relief and Rehabilitation: Annual Report for 1945, London 1946, in: WLL, MF Doc 27/5. Zur Geschichte und Politik der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) vgl. Kochavi, Anglo-American Discord; Woodbridge, UNRRA. Zum 1. 6. 1949 wurde das JRU Hauptquartier nach Hannover-Linden verlegt. The Central British Fund for Jewish Relief and Rehabilitation: Annual Report for 1945, London 1946, in: WLL, MF Doc 27/5; Location List of Field Workers, November 1947, 1, in: WLL, MF Doc 27/24, 133/1; Location Lists of Field Workers, 1947 – 1949, in: PWE, 1-HA2/8 – 0001 sowie 1-HA2/ 8 – 0002; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 179 f; Strathmann, Auswandern, 111.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

103

chische Stabilisierung, medizinische Versorgung und Erziehung bzw. Ausbildung der jüdischen Überlebenden sowie später die Sozialfürsorge für die Juden in den Städten bemühten, übernahmen Weis und van Dam alle Aufgaben im Bereich der individuellen und kollektiven juristischen Beratung und Vertretung der Juden, die sich nach 1945 in der britischen Besatzungszone aufhielten.244 Der Tätigkeitsbereich des Legal Departments umfasste vielfältige rechtliche Aspekte: Neben die Aufklärung in Form von Vorträgen, Rundschreiben und Publikationen – auch im Jüdischen Gemeindeblatt für die britische Zone – über die Rechte der Verfolgten des Naziregimes und die stetigen Veränderungen der Gesetzeslage für die Minderheit während der ersten Nachkriegsjahre traten die Klärung von Eigentumsverhältnissen und die Verhandlung mit unterschiedlichen Stellen über Rückerstattung von Vermögenswerten, die Sammlung von Quellenmaterial und Zeugenaussagen zur Unterstützung der Anklagevertreter in den begonnenen Kriegsverbrecherprozessen sowie die Schlichtung und Vermittlung im Falle innerjüdischer Streitigkeiten. Nachdem es den Mitarbeitern der JRU während der ersten Monate ihrer Tätigkeit in der britischen Zone gelungen war, „a great deal of suspicion and mistrust“245 abzubauen, welche ihnen anfänglich insbesondere die Vertreter des ZKBZ und des LV Nordrhein entgegengebracht hatten,246 machte die Unterstützung der DP-Committees und der jüdischen Gemeinden insbesondere in Finanz- und Rechtsfragen einen beachtlichen Teil des Arbeitsalltags der Rechtsberater aus, die sich im Rahmen ihrer Verpflichtungen fast ununterbrochen auf Reisen befanden.247 Für van Dam stellten sich die ersten vier Monate bei der JRU als Vorbereitung auf die Übernahme der Leitung des Legal Departments heraus, denn Dr. Georg Weis gab seinen Posten als Legal Adviser der JRU im April 1947 auf und verließ die britische Zone, um die Tätigkeit als Assistant Legal Adviser des Intergovernmental Committee on Refugees anzutreten.248 Im Zuge dieser Personalveränderung stellte sich van Dam in einem Rundschreiben den Jüdischen Kultusgemeinden und Juristen vor, mit denen er in seiner neuen Funktion als Rechtsberater der JRU noch enger zusammenarbeiten sollte. In

244 Zur Arbeit des JRU-Personals vgl. Leonard Cohen an „All workers in the field“, 20. 5. 1947, in: PWE, 1-HA2/7; Strathmann, Auswandern, 109 – 123. 245 Minutes of Meeting of Senior Field Workers, 31. 3. 1947, in: PWE, HA2 – 2/2X. Die positive Zusammenarbeit hingegen bestätigte das ZKBZ z. B. in seinem Schreiben an Georg Weis, 21. 3. 1947, in: ZA, B.1/28.743. 246 Zu den anfänglichen Unstimmigkeiten zwischen dem LV Nordrhein und der JRU vgl. Strathmann, Auswandern, S.116 f. 247 Zur Arbeit der Rechtsberater der JRU vgl. u. a. die Jahresberichte des CBF von 1945 bis 1950, in: WLL, MF Doc 27 sowie die umfangreiche Korrespondenz, die in der Wiener Library London, Bestand 1367 (JEWISH RELIEF UNIT: DOCUMENT COLLECTIONS FROM FORMER MEMBERS, 1945 – 1984) zugänglich ist. 248 Dr. G. Weis, Legal Advisor, Jewish Relief Unit, an alle Jüdischen Kultusgemeinden und Juristen, 3. 4. 1947, in: StAHH, 522 – 2, Akt 105 (Abl. 1999).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

104

Die Akteure

diesem Schreiben charakterisierte er aus seiner Sicht in aller Kürze die Bedeutung des Legal Department für die Juden in Deutschland: Zwei Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches sollte die Feststellung der Ansprüche seiner Opfer bereits der Geschichte angehören und auch das Amt eines Rechtsberaters der Jewish Relief Unit in Deutschland gegenstandslos sein. Die tatsächlichen Verhältnisse, die ich Ihnen nicht zu schildern brauche, machen den Rechtsschutz der Verfolgten des Nazismus bedauerlicherweise zu einer dringenden Gegenwartsaufgabe. Der Erfolg in dem Streit um das Recht kann nicht von Einzelgängern, sondern nur durch Zusammenfassung der vorhandenen jüdischen Kräfte in Kontakt mit allen wahrhaft freiheitlich gesinnten Menschen erzielt werden.249

In Zusammenarbeit mit den angeschriebenen Organisationen wollte van Dam seine Kräfte für die „Verteidigung der berechtigten jüdischen Interessen in Deutschland“ einsetzen. Entsprechend dieser Zielvorgabe kämpfte er z. B. für die Löschung der jüdischen Vornamen in den Personenstandsbüchern250, bemühte sich um den Schutz jüdischer DPs vor der Diskriminierung von Seiten deutscher Gerichte251 und forderte die Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten ein252 ; ferner wurde u. a. in den Berichten des CBF bzw. der JRU darauf verwiesen, dass „the Legal Adviser appealed for eligibility on behalf of German Jews who have returned from Shanghai, on the grounds that Germany is a country of transit and not resettlement“253 und „gave valuable assistance on restitution problems and, on several occasions, came over for Conferences with the United Restitution Office in London“254. Aus der Vielfalt der Themen und Aufgaben, mit denen der Legal Adviser in den späten 1940er Jahren betraut wurde, seien an dieser Stelle drei Beispiele herausgegriffen und in gebotener Kürze vorgestellt: 1) die Frage einer Wiedergutmachungsgesetzgebung in der britischen Zone, 2) der Austausch sowie die Arbeitstagungen mit jüdischen Juristen in Deutschland und 3) der Riga Ghetto Case. ad 1) Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts255 in all 249 H.G. van Dam, Legal Adviser, Jewish Relief Unit, an alle Jüdischen Kultusgemeinden und Juristen, 10. 4. 1947, in: StAHH, 522 – 2, Akt 105 (Abl. 1999). 250 Rundschreiben an alle Gemeindevorstände, Juristen und Komitees von Dr. H.G. van Dam, Legal Adviser der JRU, 4. 7. 1947, in: WLL, MF Doc 27/26, 144/184. 251 Zu diesem Tätigkeitsfeld vgl. z. B. P. Weis, Chief, Protection (Policy) Division, Geneva, an H.G. van Dam, 1. 9. 1949, in: ZA, B.1/28.75. Von besonderer Bedeutung waren die Beratung und der Schutz jüdischer DPs auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Schwarzhandels. Vgl. hierzu die Ausführungen von van Dam, Legal Protection, 149. 252 Zu diesem Thema vgl. die ausführliche Korrespondenz zwischen Norbert Wollheim und H.G. van Dam in ZA, B.1/28.743. 253 Report for March and April 1949, 2, in: WLL, MF Doc 27/24, 129/99. 254 The Task Continued. Annual Report of the CBF for 1948, 8, in: WLL, MF Doc 27/5. Vgl. hierzu auch Hockerts, Anwälte der Verfolgten. 255 Zum Begriff der Wiedergutmachung und für einen kompakten historischen Überblick vgl.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

105

Abb. 4: Mitglieder der JRU, angeführt von Hendrik G. van Dam (l.), im DP Lager Belsen, aufgenommen am Eröffnungstag des Zweiten Kongresses der befreiten Juden in der britischen Zone, 20. Juli 1947.

ihren Facetten war in der britischen Zone lange ein ungelöstes Problem. Anders als in der amerikanischen Zone, wo die US-Militärregierung der Rückerstattung Priorität einräumte und bereits im November 1947 das Gesetz Nr. 59 „Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände“ erlassen wurde,256 trat in der britischen Zone erst im Mai 1949 ein Rückerstattungsgesetz in Kraft.257 Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Briten trotz wiederholter Ersuchen, auch von Seiten des JCRA, daran festgehalten, dass „it is not possible for His Majesty’s Government to treat Jewish persons as possessing a seperate Jewish national status distinct from their political nationality which must remain, as in the case of members of other religious or racial groups, the decisive factor“258. Die daraus resultierende schwierige Verhandlungsposition, in der sich die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in der britischen Zone Hockerts, Wiedergutmachung; Hockerts/Kuller (Hg.), Nach der Verfolgung; Goschler, Schuld; Ders., Die Politik; Schwarz, Die Wiedergutmachung. 256 Goschler, Wiedergutmachung, 106 – 128. 257 Zu den Rahmenbedingungen der Wiedergutmachung in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland vgl. Goschler, Wiedergutmachung, 185 – 225; Büttner, Not, 379 – 382, 384 – 386; Hockerts, Wiedergutmachung, 172; Schwarz, Rückerstattung. 258 Paul Mason (for the Secretary of State, Mr. Bevin) an das Board of Deputies, 20. 9. 1945, 2, in: WLL, MF Doc 27/12, 64/74. Vgl. auch Board of Deputies an den Secretary for Foreign Affairs, 9. 10. 1945, in: WLL, MF Doc 27/12, 64/80 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

106

Die Akteure

befanden, veranlasste die JRU bereits 1945 zu einer realistischen Einschätzung der Vorgänge innerhalb der Zone und einer zunächst eher zurückhaltenden Formulierung ihrer Ansprüche: Without at present dealing with the whole problem of restitution, it is proposed that some restitution should in the first place be made of identifiable property which formerly belonged to Jews and of which the Jews were dispossessed either directly or indirectly as the result of ,aryanisation‘. It is suggested that in order to enable Jews now destitute in Germany to rebuild their lives, the authorities should ,unfreeze‘ Jewish-owned funds and property formerly controlled by the Nazi Ministries, organisations and institutions, and now under the control of the Allied Authorities, to the extent required for meeting the immediate needs of the Jewish population.259

Da die britische Regierung bis zum Sommer 1946 versuchte, eine einheitliche Regelung zur Freigabe des blockierten Eigentums im Alliierten Kontrollrat herbeizuführen, verweigerte sie zunächst aus Sorge vor der Schaffung von Präzedenzfällen jede Form von Zugeständnissen oder vorgezogenen Teillösungen. Die ungleichen Interessen der Amerikaner und Briten blieben jedoch unüberwindbar, und so entschied sich die amerikanische Militärverwaltung 1947 für einen Alleingang in der Rückerstattungsgesetzgebung.260 Ein grundsätzliches Nachlassen der Effizienz der britischen Militärregierung seit 1946 und die Sorge um die Finanzlage der britischen Zone waren zwei weitere Gründe, welche die britischen Entscheidungen über die Unterstützung der Verfolgten weiter hinauszögerten.261 Trotz intensiver Bemühungen von Seiten der britisch-jüdischen Hilfsorganisationen konnte van Dam, der seit dem Frühjahr 1947 auch als Rechtsberater des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden fungierte,262 nicht vor 1949 eine erste erfolgreiche Einigung in der Frage der Rückerstattung des geraubten Eigentums vermelden, die da lautete: „In the matter of Jewish firms owned by United Nations or neutral nationals, mostly former D.P.s, whose accounts were blocked a satisfactory solution was achieved.“263 Aufgrund der zu erwartenden Veränderung der Rechtslage wurde auf der Konferenz des JCRA in London zu Beginn des Jahres 1949 entschieden, that the Legal Department Jewish Relief Unit should deal with restitution cases of Jewish organisations and communities as well as a general policy while claims of individuals should be dealt with by the Restitution Office (Claims Agency). It was

259 Draft Memorandum: German Jews in Germany, 20. 11. 1945, 1, in: WLL, MF Doc 27/12, 64/86. Vgl. hierzu auch den Report for May and June 1949, in: WLL, MF Doc 27/24, 129/125 f. 260 Hockerts, Wiedergutmachung, 170 – 172; Kramer, British Dismantling Politics, 131 – 137. 261 Die Gründe für die Verzögerungen diskutiert Büttner, Not, 379 – 382, 384 – 386. 262 Minutes of Meeting of Honorary Officers [der JRU], London, 18. 6. 1947, in: PWE, HA2 – 2/2. 263 Monthly Report for February 1949, 2, in: WLL, MF Doc 27/24, 129/80.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

107

furthermore agreed that the Legal Adviser J.R.U. and the Representatives of the Restitution Office should consult each other on matters of general importance.264

In den Monaten unmittelbar nach Inkrafttreten des Rückerstattungsgesetzes für die britische Zone eingegangene Briefe und zeitnah verfasste Berichte belegen, dass das Legal Department der JRU mit Anfragen von Antragstellern und deren Rechtsanwälten aus dem In- und Ausland überhäuft wurde.265 Der vertrauliche Bericht von Mia Fisher, Field Director Germany, über das „Executive and Gemeinde Meeting“ in Bad Harzburg im Mai 1949 gibt einen guten Einblick in die Arbeit van Dams und spiegelt darüber hinaus den Respekt und die Anerkennung, welche er infolge seines Einsatzes und Wissens unter Kollegen, aber auch in den Kreisen der jüdischen DPs und Gemeindemitglieder besaß. Sie schreibt: The main points on the Agenda were the status of the Gemeinden, their duties after the dissolution of the Central Committee, the position of the Gemeinden and their rights as official bodies after the Restitution Law comes into operation. I must say that Dr. van Dam has done a terrific job in this connection. He gave exact directives and advice to the Gemeinden and as a result a Zonal Bureau is to be set up, consisting of representatives of all the Gemeinden in the British Zone, to do the preparatory work on restitution claims. He said that he personally was only dealing with communal claims, while Mr. Schindler of the Claims agency was handling the individual claims, and he pointed out that as the Authorities could only negotiate with official bodies, it would be necessary for the Gemeinden to be recognised officially. […] I think I can truthfully say that, even today, J.R.U. is doing a useful job in helping the Gemeinden and the Central Committee in the religious and legal field. This was apparently also the opinion of the Meeting, because the Chairman thanked us on several occasions for the help we were giving; so much so, in fact, that the representative of the Joint, Mr. Wachtell, showed me a note he was sending to his director in Munich saying: ,AJDC have missed the bus in the British Zone with regard to legal work.‘266

Tatsächlich hatte das Legal Department der JRU dem Wiederaufbau der deutschen Justiz und der Tätigkeit jüdischer Juristen in den Westzonen seit Beginn seiner Arbeit in der britischen Besatzungszone besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aus dem vielfältigen Angebot, mit dem Weis und van Dam die Arbeit der Juristen in Deutschland zu unterstützen gedachten, sticht ein Projekt besonders heraus: die Konferenzen bzw. Arbeitstagungen für jüdische Juristen in der britischen Zone. 264 Ebd. Vgl. auch die weiteren Tätigkeitsberichte, z. B. Report for March and April 1949, 2, in: WLL, MF Doc 27/24, 129/99. 265 The Jewish Committee for Relief Abroad. Bulletin – 25th July, 1949 (Double number owing to Bank Holiday), 1 f, in: WLL, MF Doc 27/24, 129/130 f. 266 Vertraulicher Bericht von Mia Fisher an Mrs. Henriques, 17. 5. 1949, 1, in: WLL, MF Doc 27/24, 129/109.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

108

Die Akteure

ad 2) Der Chairman und das Committee der JRU luden im Frühjahr 1947 zur ersten dieser Arbeitstagungen, die vom 21. bis 23. März im Schloss zu Detmold abgehalten wurde.267 Eröffnet wurde die Konferenz von Weis, der in der JRU internen Berichterstattung als „guiding spirit and initiator of the whole Conference“268 gefeiert wurde; die eigentliche Moderation der Veranstaltung hatte Sir Alfred Brown, Legal Adviser to the Control Commission for Germany and Austria, übernommen.269 Die intensive Zusammenarbeit von jüdischen und deutschen Rechtsanwälten, Mitarbeitern der Militärregierung und Vertretern des ZKBZ sowie der JRU im Rahmen dieses Treffens ist in Anbetracht der schleppend verlaufenden Wiedergutmachungsverhandlungen in der britischen Zone zu diesem Zeitpunkt durchaus bemerkenswert.270 Zugleich verdeutlicht ein Blick auf das Programm der Konferenz, an der sich van Dam mit einem Referat über „Rechtsschutz gegen Aufhetzung zum Rassenhass“ beteiligte, dass eben genau die Fragen der „RESTITUTION, Materially, administratively and morrally [sic!]“ im Mittelpunkt der Veranstaltung standen und die verschiedenen Parteien zusammenbrachten.271 Das Fazit von Seiten der Veranstalter nach drei Tagen des Austauschs unter den etwa 150 Teilnehmern272 war durchweg positiv. So las man einen Tag nach Ende der Konferenz beispielsweise im News Bulletin des JCRA: The discussion of all these matters was most lively and interesting and the impression was gained that those present received from the stimulating lectures and talks, fresh knowledge and inspiration for their future work so as to achieve the results desired. In particular it was felt that the German Jewish Lawyers went home more hopeful and were able to see their way more clearly on the problem of Restitution.273

Die Tatsache, dass selbst Mitglieder des World Jewish Congress daran interessiert waren, an zukünftigen Treffen der jüdischen Juristen in Deutschland teilzunehmen, bestätigt den Erfolg dieser ersten Veranstaltung.274 Dem Beispiel seines Vorgängers folgend setzte van Dam die Arbeit mit den jüdischen Juristen auch nach dessen Ausscheiden im Amt fort: Er besuchte die regionalen Gruppen jüdischer Juristen, die sich im Zuständigkeitsbereich der JRU 267 Einladungsschreiben der JCRA, 13. 3. 1947, in: WLL, File 1367/18/2. Vgl. auch Jewish Committee for Relief Abroad. News Bulletin – 24. 3. 1947, 1, in: WLL, MF Doc 27/24, 125/18. 268 Jewish Committee for Relief Abroad. News Bulletin – 24. 3. 1947, 3, in: WLL, MF Doc 27/24, 125/ 20. 269 Unterstützt wurde die Veranstaltung darüber hinaus vom AJDC und von der American Federation of Jews in Central Europe, die für die Verpflegung der Teilnehmer sorgten. Ebd. 270 Zu den Teilnehmern vgl. ebd., 2 f, in: WLL, MF Doc 27/24, 125/19 f. 271 Zu den behandelten Themen vgl. das Vorläufige Programm der Konferenz, 13. 3. 1947, in: WLL, File 1367/18/2; Alexander Ginsburg, Für Recht und Aufrichtigkeit. Vor 15 Jahren starb Dr. Hendrik George van Dam, in: Jüdische Allgemeine Wochenzeitung, 1. 4. 1988. 272 Jewish Committee for Relief Abroad. News Bulletin – 24. 3. 1947, 3, in: WLL, MF Doc 27/24, 125/ 20. 273 Ebd., 2, in: WLL, MF Doc 27/24, 125/19. 274 H.G. van Dam an Dr. Bienenfeld, WJC, 24. 5. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/15.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

109

gründeten, sprach über Themen der Wiedergutmachungsgesetzgebung bei Treffen jüdischer und nichtjüdischer Juristen und lud 1949 zu einer weiteren, überregionalen Arbeitstagung jüdischer Juristen ein.275 Selbstverständlich agierte van Dam im Rahmen seiner Tätigkeit für die JRU nicht autonom, sondern war zur Realisierung diverser Vorhaben sowie zur Klärung einer Vielzahl von Fragen, die von Einzelpersonen oder Organisationen an das Legal Department herangetragen wurden, auf die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern angewiesen. So war beispielsweise die Ausrichtung der Arbeitstagung jüdischer Juristen im Frühjahr 1949 zunächst gescheitert, da unerwartet Schwierigkeiten mit dem ausgewählten Kooperationspartner in Bad Harzburg auftraten. Aufgrund der guten Zusammenarbeit unter den Juden in der britischen Zone konnte die Veranstaltung jedoch im Juli 1949 gerade einmal zwei Monate nach dem ursprünglichen Termin in Düsseldorf eröffnet werden. Die organisatorische Leitung der Tagung, zu der van Dam und der Vorsitzende der Gemeindeabteilung des Zentralkomitees, Wollheim, gemeinsam einluden, hatte Karl Marx übernommen, der zu diesem Zeitpunkt bereits Herausgeber des Jüdischen Gemeindeblatts war ; finanzielle Unterstützung erhielten die Veranstalter vom AJDC sowie einigen prominenten Mitgliedern jüdischer Gemeinden in der britischen Zone.276 Auch in anderen Angelegenheiten rechtlicher Natur förderte der gute persönliche Kontakt zwischen van Dam und Wollheim eine enge Kooperation des Legal Department der JRU mit dem ZKBZ.277 In anderen Zusammenhängen profitierte van Dam davon, dass seine Arbeit von der britischen Militärregierung geschätzt und ihm direkter Zugang zu den britischen Verantwortlichen in der Zone gestattet wurde; die CCG akzeptierte den Legal Adviser als „representative Jew“ und bestimmte deshalb, „that the Field Director and Legal Adviser of J.R.U. can and do visit staff officers whenever they wish, which is frequently“278. ad 3) Besonders häufig kam es im Rahmen der Bemühungen um die Verfolgung von Nazi-Verbrechen zu Kooperationen zwischen den unterschiedlichen jüdischen Organisationen im In- und Ausland.279 Ein einschlägiges Beispiel für die Zusammenarbeit des Legal Departments der JRU mit deutsch275 Zu den weiteren Tagungen vgl. H.G. van Dam an Alle Jüdischen Gemeinden, Komittees und Juristen, 28. 10. 1948, in: ZA, B.1/28.743; The Jewish Committee for Relief Abroad. Bulletin – 9th December, 1947, 1, in: WLL, MF Doc 27/26, 145/13; Einladung zur Arbeitstagung jüdischer Juristen Deutschlands, 17./18. 7. 1949 in Düsseldorf, in: WLL, File 539, MF Doc 54/15. 276 Einladung zur Arbeitstagung jüdischer Juristen Deutschlands, 17./18. 7. 1949 in Düsseldorf, in: WLL, File 539, MF Doc 54/15; Karl Marx, Entwicklung der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 16. 7. 1955, 1, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. 277 Die intensive Zusammenarbeit zwischen den zwei genannten Repräsentanten ist dokumentiert in ZA, B.1/28. 743. 278 Copy of Brief for the Chanceller’s meeting with Col. Solomon [September 1947], in: TNA: PRO FO 945/384. 279 Vgl. Incomplete summary of cases dealt with by this department, in: WLL, MF Doc 27/27, 129/ 161 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

110

Die Akteure

jüdischen Vertretern, internationalen jüdischen Organisationen und deutschen Gerichten ist der sogenannte Riga Ghetto Case, in dem – wie van Dam es zusammenfasste – „the extermination and inhuman treatment of more than 100.000 Jews in Latvia“ verhandelt wurden.280 Im Mittelpunkt der Untersuchung stand der systematische Massenmord an lettischen und deutschen Juden: am 30. November und 8. Dezember 1941 hatten Nazi-Einsatzgruppen mit der Hilfe des Hilfspolizei-Kommandos von Viktor Arajs sowie anderer Polizeieinheiten im Wald von Rumbula auf dem Gebiet der Stadt Riga 25.000 Juden ermordet. Lediglich zwei Personen überlebten das Massaker.281 Ursprünglich hatten die Briten geplant, die fünf Hauptbeschuldigten dieses Prozesses in einem Control Commission Court (für Verbrechen gegen die Menschlichkeit) anzuklagen; die weiteren elf Angeschuldigten hingegen sollten in Deutschland vor Gericht gestellt werden.282 Im Zuge der Vorbereitung der Anklage hatte der Director of Persecution van Dam mit der Bitte kontaktiert, einen Bericht über die Vorgänge in Riga anzufertigen, den der Legal Adviser der JRU unter Verwendung aller ihm vorliegenden Beweismittel verfasste und einreichte. Über die Ergebnisse seiner Analyse informierte er zeitgleich den Vorsitzenden des Committee for the Investigation of Nazi Crimes in the Baltic Countries (CNCBC), Mr. H. Michelson: In most cases detainees could be charged with being a member in criminal organisations (security service of the SS) and with criminal acts of that organisation but this charge would be dealt with by the German Spruchkammer under the political aspect and not under the aspect of crimes against humanity or murder. The Prosecuting Section Legal Division is of course really interested only in the second group of cases and it is to be foreseen that all persons have to be discharged from custody as war criminals against whom no clear evidence is available to that effect that they really committed crimes. Your assistance is therefore needed to try again to produce evidence.283

Wie von van Dam erbeten, unterstützte das CNCBC, das sich aus Überlebenden der Lager in Riga und Buchenwald zusammensetzte und regelmäßig in London zusammenkam, die Vorbereitung der Anklage durch die Kontaktaufnahme zu potentiellen Zeugen und das Sammeln von Aussagen bzw. eidesstattlichen Erklärungen jüdischer Überlebender. Nur ein halbes Jahr 280 H.G. van Dam an Dr. E. J. Cohn, 24. 10. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/16. 281 Zur Geschichte des Ghetto Riga, in dem während des Zweiten Weltkriegs zunächst lettische Juden, später auch Juden aus dem Deutschen Reich interniert wurden, und zu deren Ermordung durch SS-Truppen vgl. z. B. Angrick, Die „Endlösung“; Ezergailis, The Holocaust; Gottwaldt, Die „Judendeportationen“, 110 – 136; Kaufmann, Die Vernichtung; Press, Judenmord; Schneider, Journey ; Snyder, Bloodlands, 162 f. 282 Administrative/Biographical history, in: WLL, File 539: Committee for the Investigation of Nazi War Crimes in Baltic Countries: Papers, 1948 – 1971. 283 Streng vertrauliches Schreiben von H.G. van Dam an Mr. H. Michelson, The Association of Baltic Jews in Great Britain, London, 17. 8. 1948, 1, in: WLL, File 539, MF Doc 54/15.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

111

nachdem van Dam mit Michelson diesbezüglich in Kontakt getreten war, erreichte ihn allerdings die Nachricht des Director of Persecution „that he has just had instructions to transfer the Riga Ghetto Case to the German Courts“284. Van Dam war verärgert über diese – seiner Meinung nach unverantwortliche – Entscheidung und äußerte sich in einem Schreiben an den Head of the Legal Department des WJC in London, Dr. Franz Rudolf Bienenfeld285 besorgt darüber, dass as a result of the transfer, it may well be that all those held in custody will be released […]. It is extremely regrettable and legally doubtful that offences committed in an occupied country should be tried in German courts. We know how weakly these courts react in cases of crimes against humanity and the mass murder of Jews in Latvia should not be dealt with in German courts. The alternative of extradition is apparently politically undesirable.286

Da seiner Meinung nach „this matter can only be taken up at the highest level“287, suchte van Dam die Unterstützung des WJC, der sich unmittelbar nach Erhalt des Schreibens aus Deutschland für weitere Absprachen mit dem CNCBC in Verbindung setzte. Letztlich konnten die eingeschalteten Instanzen nicht verhindern, dass die Verhandlungen gegen die Beschuldigten im Sommer 1949 vor deutschen Spruchkammergerichten begannen, unterstützten jedoch durch die Beschaffung von Beweismaterial weiterhin die Anklage. Außerdem war van Dam, dessen Legal Department 1948 nach Hamburg umgezogen war,288 wann immer möglich persönlich bei den Gerichtsverhandlungen in der Hansestadt anwesend; er berichtete den im Ausland weilenden Partnern ausführlich über die aktuellen Entwicklungen, Schwierigkeiten der Beweisführung und verkündeten Urteilssprüche.289 Aus einem Protokoll von einem Treffen mit Bienenfeld, Wollheim und Generalprokurator Dr. Mayer-Abicht im Juli 1949 geht hervor, dass der Legal Adviser der JRU ferner anregte, that steps be taken with the British authorities that the trials against the several Ghetto criminals who had recently been found guilty by the Spruchkammergericht should be concentrated in Hamburg to avoid that the cases be split up and dealt with individually, which would render the whole prosecution ineffective.290 284 H.G. van Dam an Dr. Bienenfeld, World Jewish Congress, 13. 5. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/16. 285 Zur Biografie von Franz Rudolf Bienenfeld (1886 – 1961) vgl. Evelyn Adunka, Franz Rudolf Bienenfeld. Ein Pionier der Menschenrechtsgesetze, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift, http://www.david.juden.at/kulturzeitschrift/44 – 49/menschenrecht-45.htm (1. 9. 2013). 286 H.G. van Dam an Dr. Bienenfeld, WJC, 13. 5. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/16. 287 Ebd. 288 Location List of Field workers, 1. Dezember 1948, British Zone – Germany, 2, in: WLL, MF Doc 27/24, 133/8. 289 H.G. van Dam an Mr. H. Michelson, London, 11. 7. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/16. 290 Note on Riga Ghetto case, 22. 7. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/15.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

112

Die Akteure

Da sich die anwesenden Juristen darüber hinaus einig waren, dass „there was no chance of an organisation obtaining a status as ,Nebenkläger‘“, wurde entschieden, dass Namen und Adressen von Überlebenden des Riga Ghettos zusammengetragen werden sollten, da „individuals who can prove that they have a claim against the accused (f.i. children who had been deprived of their father and thus lost their support) way become ,Nebenkläger.‘ […] Van Dam will no doubt be willing to represent them.“291 Die „leading position“, welche van Dam in den Augen der Mitglieder des WJC bei der Abwicklung dieses Falls übernommen hatte, blieb auch in den folgenden Monaten unangetastet: Besonders sein Erfolg, die Prozesse im Rahmen des Riga-Ghetto Case am Landgericht Hamburg zu konzentrieren, wurde ihm von allen Seiten hoch angerechnet und als Bestätigung seiner Federführung interpretiert.292 Bis zur abschließenden Verkündung des Urteils im Dezember 1951 blieb van Dam in ständigem Kontakt mit den jüdischen Organisationen,293 Mitarbeitern des Foreign Office in London und Verantwortlichen am Hamburger Landgericht; er stellte Verbindungen zwischen den verschiedenen Personen her, die in die Ermittlungen eingebunden waren,294 und sammelte mit seinen Mitarbeitern nicht zuletzt die Aussagen von Überlebenden, von denen mehr als 50 Prozent in den USA oder Australien lebten und einige zur Aussage vor dem Hamburger Landgericht persönlich anreisten.295 Ende 1949 wurde bekannt, dass das JCRA seine Arbeit in Deutschland innerhalb der nächsten drei Monate beenden würde.296 Obwohl die Wiedergutmachungsverhandlungen zu diesem Zeitpunkt gerade erst begonnen hatten, war auch das Legal Department der JRU von dieser Entscheidung betroffen, und so musste sich van Dam nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten umsehen. Überdies war seit Mitte Dezember 1949 das Vertrauen zwischen dem Chairman des JCRA, Cohen, und van Dam gestört, nachdem diesem von seinem Vorgesetzten im Londoner Büro mitgeteilt worden war, dass 291 Ebd. 292 Vgl. hierzu F. Brassloff, Assistant Legal Adviser des WJC, an H.G. van Dam, 26. 8. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/15; Vice-Chairman des Committee for the Investigation of Nazi Crimes in the Baltic Countries an H.G. van Dam, 14. 10. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/16. 293 F. Brassloff, Assistant Legal Adviser des WJC, London, an Irma W. Wreden, Legal Department der JRU, 2. 1. 1950, in: WLL, File 539, MF Doc 54/15. 294 Vgl. z. B. H.G. van Dam an H. Michelson, Chairman, Committee for the Investigation of Nazi Crimes in the Baltic Countries, 7. 11. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/16; F. Brassloff, Assistant Legal Adviser des WJC, London, an Irma W. Wreden, Legal Department der JRU, 2. 1. 1950, in: WLL, File 539, MF Doc 54/15. 295 Erwähnt wird dies z. B. im Report for November and December 1949, 2, in: WLL, MF Doc 27/24, 129/168; H.G. van Dam an Dr. E. J. Cohn, 24. 10. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/16; Irma W. Wreden, Legal Department der JRU, an F. Brassloff, Assistant Legal Adviser des WJC, London, 9. 11. 1949, in: WLL, File 539, MF Doc 54/15; Norbert Wollheim an H.G. van Dam, 21. 8. 1948, in: ZA, B.1/28.743. Für eine Übersicht zum Riga Ghetto Case aus Sicht van Dams vgl. auch Summary Report on the Riga Ghetto case, in: ZA, B.1/7.416. 296 Minutes of Meeting of Executive Committee [der JRU], London, in: PWE, HA2 – 2/2.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

113

the time has now come when you should leave all questions of restitution out of your activities. […] I am far from wishing to make any reflection on what you have done in the past. I know – if others do not – how much you did to help in preparing the ground for the restitution law, but I think you would agree that it is better now to leave all these restitution questions to the persons who are really responsible for them.297

Der Grund für den Abzug van Dams von den laufenden Verhandlungen über Fragen der Wiedergutmachung ist schnell gefunden: Der CBF verfolgte bezüglich des herrenlosen jüdischen Vermögens und der Schaffung einer Nachfolgeorganisation zur Verwaltung dieser Vermögenswerte, der Jewish Trust Corporation (JTC)298, eine Politik, welche den Bedürfnissen der jüdischen Gemeinden in Deutschland zum Teil entgegenstand. Durch das Abtreten dieses Aufgabenbereichs, so Cohen in seinem Schreiben an van Dam, you will […] avoid being placed in an individual position, where in advising the communities to reduce their claims you might still find yourself sponsoring something which was still not in accordance with the policy of the C.B.F. with regard to the setting-up of the Jewish Trust Corporation. […] The Jewish Trust Corporation is still in the making. I do not know whether you intend to join it if you are offered an engagement. Whatever the decision may be, I am sure that now and always you will do everything possible to further the policy with regard to restitution which the C.B.F. has adopted.299

Cohens Vorwurf, van Dam laufe Gefahr mit der Unterstützung der Gemeinden gegen Direktiven des CBF zu verstoßen, wies dieser in seinem Antwortschreiben Anfang Januar 1950 entschieden zurück: It certainly cannot be said of the memorandum of the Jewish communities in the British Zone, that claims are made, ,which no reasonable and objective person would regard as valid‘. There is a serious tendency to find a fair solution. I believe that I acted in the interest of the C.B.F. when assisting to find a satisfactory compromise. Again and again I pointed out to the Jewish communities that the C.B.F. had no intention to gain financial advantage in Germany but to contribute to the Jewish cause in assuming as proper position in the Trust Corporation. It stands to reason, however, that a particular organisation or a single person is not entitled to monopolise the business of restitution in the British Zone. The attempt, 297 Leonard Cohen, Chairman of the Jewish Committee for Relief Abroad, Jewish Relief Unit, London, an H.G. van Dam, 24. 12. 1949, in: ZA, B.1/7.227. 298 Im März 1950 erfolgte die Gründung der JTC, der von den britischen Besatzungsbehörden die treuhänderische Verwaltung des gesamten sogenannten herrenlosen jüdischen Besitzes, also auch des ehemaligen Eigentums der jüdischen Gemeinden, übertragen wurde. Ihre Zuständigkeit umfasste seit 1951 auch das Gebiet der französischen Zone. Sie übernahm folglich bis zu ihrer Auflösung 1959 die entscheidende Rolle bei den Verhandlungen über Rückübertragung und Entschädigung in Nordwestdeutschland. Zur Geschichte der JTC vgl. u. a. Kapralik u. a. (Hg.), The History ; Ders., Reclaiming the Nazi Loot. 299 Leonard Cohen, Chairman of the Jewish Committee for Relief Abroad, Jewish Relief Unit, London, an H.G. van Dam, 24. 12. 1949, in: ZA, B.1/7.227.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

114

Die Akteure

prepared by certain incorrect allegations, to push out of the work of restitution persons who were dealing with the matter in the most difficult period, is rather disturbing.300

Ob van Dam eine Anstellung bei der Jewish Trust Corporation tatsächlich in Erwägung zog, ist nicht bekannt. Fest steht indessen, dass der Jurist gegen Ende seiner Tätigkeit für die britische Hilfsorganisation immer noch großes Interesse an der Entwicklung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland einerseits und dem Fortschritt der Wiedergutmachungsgesetzgebung andererseits hatte.301 Ein Autounfall am 24. März 1950, wenige Tage vor Ende seiner Dienstzeit bei der JRU, durchkreuzte jedoch die beruflichen Pläne, die van Dam für die Zeit danach entworfen hatte. Aufgrund schwerster Verletzungen musste der Legal Adviser knapp vier Wochen in einem deutschen Krankenhaus verbringen; eine Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit wurde ihm unmittelbar nach der Einlieferung und ersten Untersuchungen frühestens für den 1. Juli 1950 vorausgesagt.302 Korrespondenzen Dritter aus der Zeit nach seinem Unfall belegen, dass van Dam im Anschluss an seine Tätigkeit für das JCRA als Rechtsberater des Joint beschäftigt werden sollte; aufgrund der notwendigen Reha-Maßnahmen im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt verschob sich sein auf den 1. April festgesetzter Arbeitsbeginn jedoch auf den 1. Juli 1950.303 Eine eindeutige Aussage van Dams zu seinen weiteren beruflichen Plänen findet sich in einem Schreiben an Wollheim, in dem er Interesse an einer Tätigkeit für den Zentralrat der Juden in Deutschland äußert und seinen Freund bittet, ein Wort zu seinen Gunsten einzulegen: Das Amt bei dem Zentralrat würde ich gerne annehmen. […] Ich glaube über dieses Büro einige Ziele erreichen zu können, die uns bei den Juristentagen in Detmold und Düsseldorf vorschwebten. Ein derartiges Büro kann jedenfalls gute Arbeit leisten und sollte sich keineswegs auf das Protokollieren von Sitzungen und die Einberufung oder die Vermittlung der Einberufung von Tagungen beschränken. […] Ich bitte dich jedenfalls dahin zu wirken dass die in Aussicht genommene Mitarbeit von mir nicht ganz unter den Tisch fällt.304

300 H.G. van Dam an Leonard Cohen, 22. 1. 1950, in: ZA, B.1/7.227. 301 Ebd. 302 Zu den rechtlichen und krankenversicherungsrelevanten Vorgängen, die durch den Unfall verursacht wurden, vgl. WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam. 303 Bis zum tatsächlichen Dienstantritt bei seinem neuen Arbeitgeber, dem AJDC, erhielt van Dam weiterhin eine Gehaltsfortzahlung durch das JCRA. H.G. van Dam an Mr. A. C. Jacobs, JCRA, London, 11. 8. 1950; A. C. Jacobs, Joint Hon. Secretary, an H.G. van Dam, 16. 8. 1950; Ärztliche Bescheinigung von Dr. Bassermann, Chefarzt, DP Hospital Jever, 5. 10. 1950, alle in: WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam; Antrag auf Wiedergutmachung, 14. 3. 1954, in: LABO Abt. 1, Akt 5569. 304 H.G. van Dam an Norbert [Wollheim], o. D., in: ZA, B.1/7.227.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam (1906 – 1973)

115

Dieser Wunsch van Dams, den er zu einem späteren Zeitpunkt auch gegenüber Philipp Auerbach äußerte,305 realisierte sich im Herbst desselben Jahres: Nachdem sich die Gründungsmitglieder des Zentralrats auf den früheren Legal Adviser der JRU als Sekretär verständigt hatten, übernahm van Dam ab dem 15. Oktober 1950 unter Vorbehalt der späteren Bestätigung des Rates das Amt des Generalsekretärs.306

305 H.G. van Dam an Philipp Auerbach, 3. 9. 1950, in: ZA, B.1/7.227. 306 Protokoll der am 19. 7. 1950 in Frankfurt am Main stattgefundenen Sitzung zum Zwecke der Konstituierung einer Gesamtvertretung der Juden in Deutschland, in: ZA, B.1/7.221; Protokoll der Sitzung des Zentralrats, 6. 9. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.4; Philipp Auerbach an H.G. van Dam, 7. 9. 1950, in: ZA, B.1/7.227; Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 15./ 16. 10. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221; H.G. van Dam an Dr. Ostertag, 7. 11. 1950, in: ZA, B.1/7.227. Vgl. auch Ansprache: Hans Dietrich Genscher; Angaben in der Einwohnermeldekartei des StadtAD, Film Nr. 7 - 4-6 - 50.0000: Dr. Hendrik George van Dam; Direktorium des Zentralrats/ Werner Nachmann: Dr. Hendrik George van Dam, Sonderinformation des Jüdischen Presse Diensts, in: ZA, A.2. Personen, H.G. van Dam.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

III. Die Institutionen Aufzeichnungen der britischen Militärregierung belegen, dass diese in ihrer Zone insbesondere in den Jahren bis zur Staatsgründung Israels eine ausgesprochen strenge Einreisepolitik verfolgte und die Mehrheit der bei ihr eingehenden Anträge auf Rückkehr nach Deutschland ablehnte. Die frühe Ankunft von Hendrik G. van Dam und Karl Marx in der britischen Besatzungszone ist somit keine Selbstverständlichkeit, sondern muss als Ausnahme registriert werden: Im Falle von Marx kann seine journalistische Qualifikation als Hauptgrund dafür angesehen werden, dass ihm die Briten die Rückkehr in ihre Zone gestatteten. Van Dam ermöglichte seine Beschäftigung bei der britischen Militärregierung bzw. der JRU das unbehinderte Überschreiten der Grenze; in seinem Fall waren die von ihm als Emigranten zu erwartende antinationalsozialistische Haltung, umfassende Sprachkenntnisse und die juristische Ausbildung in Deutschland vor der Emigration für beide Arbeitgeber entscheidende Einstellungsvoraussetzungen. Im Hinblick auf den Werdegang dieser beiden jüdischen Flüchtlinge ist jedoch nicht nur ihre frühe Rückkehr aus dem Exil bemerkenswert; ungewöhnlich ist auch, dass sie wenige Jahre nach ihrer Ankunft Schlüsselpositionen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik eingenommen hatten: Karl Marx als Herausgeber der Jüdischen Allgemeinen und Hendrik G. van Dam als Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Wie gelangten sie in diese Positionen? Und welche Aufgaben erwarteten sie im Kontext ihrer Wirkungsstätten? Nachdem die persönlich-biografischen Entwicklungslinien der beiden Protagonisten Marx und van Dam bis zur Einsetzung in ihre Positionen als Herausgeber bzw. als Generalsekretär bereits nachgezeichnet wurden, stehen im folgenden Kapitel die Anfänge der zentralen, überregional agierenden Institutionen jüdischer Repräsentanz in der Bundesrepublik im Zentrum der Untersuchung. Das Hauptinteresse gilt dabei dem Verhältnis der zwei Akteure zu den Institutionen, die sie führten. Eine kurze Vorstellung der Jüdischen Allgemeinen und des Zentralrats – die jeweilige Vorgeschichte, Gründung und Struktur – liefert erste Anknüpfungspunkte für die Analyse des Verhältnisses von Person und Amt.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

117

1. Die Jüdische Allgemeine – „Sprachrohr und Diener jüdischer Interessen in der breiten Öffentlichkeit“1 Im Verlauf ihrer bald siebzigjährigen Geschichte hat die wechselnd im wöchentlichen bzw. vierzehntägigen Rhythmus erscheinende Jüdische Allgemeine, die 1946 als Jüdisches Gemeindeblatt für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen gegründet worden war, viele Entwicklungsphasen durchschritten. Die Meinungen darüber, welche Ereignisse den Auftakt eines neuen Kapitels in der Geschichte dieses Publikationsorgans markieren, mögen variieren; die Existenzberechtigung und Bedeutung der seit 1973 vom Zentralrat herausgegebenen, bekanntesten jüdischen Zeitung Deutschlands wird heute hingegen – anders als zum Zeitpunkt ihrer Gründung – einhellig betont. Mit dem Ziel, das Selbstverständnis der Zeitung und ihrer Herausgeber vor Gründung der Bundesrepublik zu dokumentieren, konzentriert sich die Untersuchung auf die Anfänge der Zeitung unter den britischen Besatzern und hinterfragt – ausgehend von den durch die Herausgeber formulierten Zielen – Gehalt und Gestalt des Jüdischen Gemeindeblatts. Besondere Beachtung erfährt in diesem Zusammenhang die politische Positionierung der Zeitung durch den Lizenzträger und Hauptschriftleiter Karl Marx; darüber hinaus werden als Grundlage weiterer Diskussionen die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, der Umgang mit den Gemeinden und Lesern sowie die Arbeit und der Ausbau der Redaktion thematisiert. 1.1 Vorgeschichte, Gründung und Organisation des Jüdischen Gemeindeblatts für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen „Am Anfang stand, wie könnte es anders sein, die Idee. Nichts sonst. Nichts außer dem Gedanken, daß die Ueberlebenden [sic!] der Konzentrationslager und die in ihre Heimat zurückkehrenden Juden ein Mitteilungsblatt benötigen, das ihnen bei der Orientierung im allgemeinen Nachkriegschaos brauchbare Dienste leisten könnte“, weiß Friedo Sachser, langjähriger Mitarbeiter der bekanntesten jüdischen Zeitung in Deutschland über die ersten Schritte zum Jüdischen Gemeindeblatt für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen zu berichten.2 1 Jüdische Allgemeine an die Herren des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Hamburg, 24. 2. 1959, in: StAHH, 522 – 2, Akt 17 (Abl. 1999). 2 Sachser, In einigen eigenen Sachen, 67. Die jüdische Zeitung wechselte mehrfach den Namen: Jüdisches Gemeindeblatt für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen (Jg./Jahr/Ausgabe 1.1946, 1 – 15); Jüdisches Gemeindeblatt für die britische Zone (1.1946,16 – 3.1948/49,8); Jüdisches Gemeindeblatt (3.1948/49,9 – 41); Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (4.1949/

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

118

Die Institutionen

In den Zeiten unmittelbar nach dem Untergang Nazi-Deutschlands reichte eine Idee allein zur Verwirklichung einer Zeitung jedoch nicht aus. Mit der Besatzung durch die alliierten Truppen hatte sich die Arbeit der Medien in Deutschland deutlich verändert: In Anbetracht des heruntergewirtschafteten, nationalsozialistisch verseuchten Zeitungswesens, das die Briten in ihrer Zone vorfanden, entschieden die Verantwortlichen der britischen Militärregierung, die Struktur der Presse von Grund auf zu erneuern; im Zuge der Reorganisation des Journalismus verboten sie vorübergehend das Erscheinen von Presseerzeugnissen jeglicher Art.3 An die Stelle von Zeitungen traten Plakate, durch welche die Besatzer ihre Informationen und Befehle an die Deutschen weitergaben und – seit Sommer 1945 – über die Zustände und Entwicklungen in Deutschland aufklärten.4 Diese Maßnahmen der britischen Militärregierung waren Teil der „policy of ,reeducation‘“, welche die Alliierten nach Ende des Krieges in den von ihnen besetzten Zonen in unterschiedlicher Form betrieben.5 Entsprechend der Definition des Historikers David Welch war the rationale behind Britain’s policy of re-education in the period 1945 – 55 […] to change the political behavior and social outlook of the German people by means of fundamental restructuring of all the means of opinion and communication. In practice this control was to extend beyond the press, radio and cinema, to include the entire education system.6

Grundsätzlich, so argumentiert er weiter, erachteten die Briten Presse und Rundfunk jedoch als „the most important for carrying out the task of ,reeducation‘“7 und entwickelten unterschiedliche Modelle für die Neuorganisation. Im Rahmen der Implementierung ihrer Umerziehungspolitik veröffentlichte die britische Kontrollkommission am 14. Juli 1945 einen Fünf-Stufen-Plan, der die Lizenzierung deutscher Medien zunächst weiter hinausschob. Entsprechend der Analyse des Historikers Kurt Koszyk beabsichtigten die Briten, Deutschen erst dann die Verantwortung für das Pressewesen zu übertragen, wenn diese gelernt hatten, „die gefährliche Mischung von Information und tendenziösem Kommentar aufzugeben, die bis dahin typisch für die Berichterstattung in deutschen Zeitungen während der letzten 60 Jahre

3 4 5 6 7

50,1 – 20.1965/66,52); Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung (21.1966/67,1 – 28.1973,5); Allgemeine jüdische Wochenzeitung (28.1973,6 – 56.2001,26); Jüdische Allgemeine (57.2002,1– heute). Vgl. hierzu z. B. Geis, Übrig sein, 29 f. Zu den einzelnen Entwicklungsphasen vgl. Koszyk, Pressepolitik, 128 – 134; Welch, Priming the Pump, 226 f, Zitat 126. Zur Phase „Blackout“ (gemäß Gesetz Nr. 191) vgl. Koszyk, Pressepolitik, 126 – 128; Reichardt, Auf der Flucht, 175. Zur Wort- und Begriffsgeschichte sowie dem Thema der Umerziehung vgl. Felbick, Umerziehung; Füssl, Die Umerziehung. Welch, Priming the Pump, 215. Ebd., 225. In der Planungsphase, die im Spätsommer 1943 begann, wurde der Begriff der „Umerziehung“ hauptsächlich als Methode verstanden, die Schulen und Hochschulen betraf. Vgl. hierzu Fischer, Reeducations- und Pressepolitik, 37 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

119

gewesen sei“8. Gleichzeitig enthüllte das Memorandum vom 14. Juli 1945 jedoch – im Widerspruch dazu – die politischen Ziele der Besatzer : Während die britischen Verantwortlichen einerseits die Deutschen davon überzeugen wollten, dass Nachrichten allein aus Gründen des Nachrichtenwertes ausgewählt und verbreitet werden sollten, planten sie andererseits, die Printmedien zur Verbreitung demokratischer Werte und ihrer eigenen politischen Ideale zu nutzen. In dem CCG-Memorandum drücken sie dieses Bestreben wie folgt aus: If we succeed in giving the German reader this impression (of impartiality) it will be all the easier for us to introduce those items which are intended to influence him into identifying his interests with those of this country without his resenting them as propaganda.9

Zur Verwirklichung dieses hier zum Ausdruck gebrachten Vorsatzes wollten die Briten eine zonale Zeitung gründen, nach deren Vorbild in den ersten Nachkriegsjahren eine von politischen Parteien und Interessen unabhängige Presselandschaft in der Besatzungszone entstehen sollte. Infolge dieser Überlegungen erschien am 2. April 1946 die Zeitung Die Welt. Im Gegensatz zur zonalen Neuen Zeitung, die Hans Habe in der amerikanischen Zone entsprechend seiner Überzeugung nicht als Sprachrohr der Besatzungsmacht, sondern als Vermittlerin zwischen Besatzungsmacht und deutscher Bevölkerung führte,10 bestimmte die britische Militärregierung von Anfang an den Kurs der Welt, für Welch ein Grund, die Zeitung in seiner Studie über die Umerziehungspolitik der Briten als „both a German-language imitation of The Times and a covert mouthpiece for CCG policies run by the Press Production Unit“ zu charakterisieren. Aufgrund der enormen Papierknappheit zu Beginn des Erscheinens war die Möglichkeit der Verbreitung britischer Botschaften auf diesem Weg zunächst jedoch stark limitiert.11 Zudem erkannte die deutsche Bevölkerung die von den Briten mit der Herausgabe der Zeitung beabsichtigte Beeinflussung der Öffentlichkeit und blieb daher gegenüber der drucktechnisch hochwertigen, weit zirkulierenden Zeitung auch in späteren Jahren skeptisch.12 8 Koszyk, Pressepolitik, 132. 9 Memorandum der CCG, 14. 7. 1945, in: TNA: PRO FO 945/848, zitiert nach: Welch, Priming the Pump, 225 f. 10 Zur amerikanischen Lizenzpresse, der Neuen Zeitung, die Ende 1945 eine Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren, 1948 von über 2 Millionen hatte, und ihrem ersten Herausgeber, Hans Habe (1911 – 1977), vgl. Biller, Remigranten, 279 – 283; Habe, Im Jahre Null, 116 – 138; Krauss, Hans Habe; Koszyk, Pressepolitik, 45 – 49; McMurray, Conserving Individual Autonomy ; Mosberg, REeducation. 11 Zu den technischen und psychologischen Problemen, denen die britischen Besatzer bei der Implementierung der Umerziehung begegneten, vgl. Welch, Priming the Pump, 231 – 233. 12 Zur Entstehung, Entwicklung und Finanzierung von Die Welt vgl. v. a. TNA: PRO FO 946/7; TNA: PRO FO 1046/322; TNA: PRO FO 1049/1895; TNA: PRO FO 1049/1896; TNA: PRO FO

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

120

Die Institutionen

Abweichend vom ursprünglichen Plan der Briten war Die Welt jedoch nicht die einzige Zeitung, die 1946 in der britischen Zone herausgegeben wurde. Aufgrund der schnellen Lizenzierung politischer Periodika in der amerikanischen und russischen Zone hatte die britische Militärregierung schon im Sommer 1945 ihren ursprünglichen Plan verworfen, vorübergehend eine ausschließlich von ihnen betriebene deutschsprachige Presse zu installieren.13 Entgegen früherer Überlegungen erschienen also auch in der britischen Zone bereits seit dem Frühjahr 1946 von der Militärregierung lizenzierte Zeitungen, welche die Ansichten der großen politischen Parteien in der britischen Zone widerspiegelten und den Bewohnern der britischen Zone zahlreiche Alternativen zu dem von den Besatzern gelenkten Periodikum boten. Gemäß britischer Statistiken existierten im Januar 1948 „in all about 46 newspapers licensed in the British Zone of which all except 3 are either directly or indirectly controlled by the political parties“14. Im Zuge der Neuordnung des Pressewesens genehmigte die Militärregierung am 2. April 1946 auch die Herausgabe eines Mitteilungsblattes für die jüdischen Gemeinden des Rheinlands und Westfalens.15 „Die in Papier und Druckerschwärze verwandelte Idee lag am 15. April 1946 in Gestalt des Jüdischen Gemeindeblatts für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen zum erstenmal vor“, berichtete Mitarbeiter Sachser im Rückblick und charakterisierte das Druckerzeugnis als „ein rachitisches Produkt zugestandenermaßen, das über vier knappe DIN A4-Seiten nicht hinausging und sichtlich aus Holzfasern geboren war“16. Damit entsprach die Form des Mitteilungsblattes den Vorgaben der Besatzungsmacht, die den Umfang der in der britischen Zone veröffentlichten Zeitungen auf anfangs vier, später acht Seiten begrenzte.17 Als Herausgeber erfassten die Briten in ihren Unterlagen Hans Frey, einen Freund Philipp Auerbachs, der das Geleitwort der ersten Ausgabe verfasste. Das Jüdische Gemeindeblatt sei ein erster Schritt in die Freiheit, ein weiterer Schritt für den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinden in Deutschland, erklärte Auerbach einleitend und widmete seinen Gruß „nicht nur unseren treuen Glaubensgenossen des Rheinlandes und Westfalens, er geht hinüber in all die Läger [sic!], in die unsere Glaubens- und Leidensgenossen heute noch – ein Jahr nach der Befreiung – gesammelt sind“18.

13 14

15 16 17 18

1049/208; TNA: PRO FO 1056/9; Fischer, Reeducations- und Pressepolitik; Welch, Priming the Pump, 227 f, Zitat 227. Koszyk, Pressepolitik, 128 f; Welch, Priming the Pump, 226. Mr. Pares an General Bishop, 29. 1. 1948, in: TNA: PRO FO 1032/1149. Zur Lizenzperiode in der britischen Zone vgl. Fischer, Reeducations- und Pressepolitik, 36 – 40; Koszyk, Pressepolitik, 134 – 142. Zu den Problemen der Parteipresse und den parteiabhängigen bzw. parteinahen Publikationsorganen vgl. Koszyk, Pressepolitik, 154 – 198. Auerbach, Zum Geleit, in: JG, 15. 4. 1946. Sachser, In einigen eigenen Sachen, 67. Welch, Priming the Pump, 226. Philipp Auerbach, Zum Geleit, in: JG, 15. 4. 1946.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

121

Auerbach dankte außerdem der Militärregierung und den jüdischen Hilfsorganisationen, dem WJC und dem ZKBZ, für deren Unterstützung der jüdischen Interessen in Deutschland; abschließend verlieh er seiner Hoffnung Ausdruck, dass „dieses Blatt – welches zweimal monatlich erscheinen wird – ein Bindeglied sein [möge] zwischen den Gemeindemitgliedern und ihren Gemeinden“ und darüber hinaus „unseren Brüdern draußen ein anschauliches Bild verleihen [möge] über unsere Aktivität in Deutschland“19. Die Frage, wozu es eines Jüdischen Gemeindeblatts bedürfe, thematisierte in der ersten Ausgabe auch der für den Inhalt verantwortlich zeichnende Frey : Er bezeichnete das Jüdische Gemeindeblatt als „ein weiteres Bindeglied zwischen dem Landesverband und seinen Mitgliedern“ und skizzierte in seinen Ausführungen die Absichten des neu gegründeten Organs: Der Landesverband und alle ihm angeschlossenen Gemeinden betrachten es als ihre vornehmste Aufgabe und Pflicht, zu helfen und jedem unserer Mitglieder zu einer Existenz und damit zu einem geordneten Leben zu verhelfen. Eine weitere Hilfe in dieser brennendsten aller Fragen soll unser Gemeindeblatt sein. […] Fachleute werden in allen uns betreffenden Rechtsfragen, Wiedergutmachung, Steuerangelegenheiten ausführlich und gemeinverständlich zu Worte kommen. Einen breiten Raum sollen alle Möglichkeiten der Auswanderungsfragen erhalten. Unsere Leser sollen zu Worte kommen, ihren Anregungen werden wir stets dankbar sein und sie veröffentlichen, wo sie für die Allgemeinheit von Wert und Nutzen sind. Nicht zuletzt soll unser Gemeindeblatt dazu dienen, uns einander näher zu bringen.20

Philipp Auerbach kam in diesem von Frey skizzierten Zusammenhang eine führende Rolle zu: In den ersten Ausgaben schrieb er die Leitartikel, verfasste die Grußworte zu hohen Feiertagen und berichtete auch in den unmittelbaren Monaten nach seinem Weggang aus der britischen Zone über aktuelle Themen.21 Hans Frey konzentrierte sich vornehmlich auf die Berichterstattung von den Nürnberger Prozessen,22 während Gemeindevorsitzende über Entwicklungen in ihren neu gegründeten jüdischen Gemeinden informierten und Beiträge zu allgemeinen Themen verfassten;23 die Landesverbände teilten Personalwechsel mit und nutzten die Plattform ebenso wie einzelne Gemeinden und Vereine, um Veränderungen ihrer Satzungen, besondere Ereignisse und wichtige Ankündigungen bekannt zu geben24. Wechselnde Ver19 Ebd. 20 Hans Frey, Wozu ein Jüdisches Gemeindeblatt?, in: JG, 15. 4. 1946. 21 Philipp Auerbach, Der 14. April in Bergen-Belsen, in: JG, 6. 5. 1946; Ders., Wiedergutmachung?, in: JG, 24. 5. 1946; Ders., Rosch-ha-schana 5707, in: JG, 25. 9. 1946; Ders., Die Lage der Juden in Bayern, in: JG, 10. 10. 1946. 22 Hans Frey, Sederfeier in Düsseldorf, in: JG, 6. 5. 1946; Ders., Julius Streicher der Wahrheitsfanatiker, in: JG, 6. 5. 1946 und 24. 5. 1946; Ders., Auswandern, in: JG, 9. 11. 1946. 23 Herbert Lewin, Zum 1. Mai, in: JG, 6. 5. 1946; Julius Dreifuß, Leipziger Messe, in: JG, 24. 5. 1946; Hans-Erich Fabian, „Patenschaften“, in: JG, 25. 9. 1946. 24 Landesverband der jüdischen Gemeinden Nord-Rheinprovinz, Betrifft: Auswanderung, in: JG,

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

122

Die Institutionen

fasser diskutierten ferner in thematischen Beiträgen religiöse, historische oder politische Fragen der Vergangenheit und Gegenwart,25 während Berichte aus den jüdischen Gemeinden in der britischen Zone und Nachrichten „Aus aller Welt“ die Leser über wichtige Ereignisse außerhalb der nord-westdeutschen Region informierten. Seit Beginn der vierten Nummer wurden außerdem Inserate, in erster Linie von Düsseldorfer Firmen, auf der jeweils letzten Seite des Jüdischen Gemeindeblatts abgedruckt. Zunächst war es den Herausgebern lizenzierter Zeitungen aufgrund der herrschenden Papierknappheit nicht erlaubt, Werbung abzudrucken; infolge eines Gesuches von Hans Frey vom 18. Juni 1946 wurde diesem am 24. Juni 1946 jedoch von den Briten die vorübergehende Sondererlaubnis erteilt „to publish advertisement in the ,Jüdisches Gemeindeblatt‘ until the question is finally decided“26. Auffällig ist, dass die Namen von Josef Rosensaft und Norbert Wollheim zwischen April und November 1946 nur einmal, am 26. September 1946, unter dem „Aufruf an die Juden der Welt!“ zu finden sind.27 Abgesehen von dieser einen Bekanntmachung, welche die Sprecher der DPs in der britischen Zone gemeinsam mit den Vertretern des Zonenausschusses der Jüdischen Gemeinden unterzeichnet hatten, erschien keine Mitteilung aus dem DP-Lager ; es wurden weder Informationen über die Entwicklung des DP-Komitees weitergegeben, noch fanden eigenständige Beiträge von DPs über ihre Lebenswirklichkeit Eingang in die Zeitung. Lediglich in zwei Fällen äußerte sich Auerbach selbst zu Einzelaspekten des DP-Alltags, die nicht mit dem Themenkomplex der Auswanderung zu tun hatten; in beiden Fällen geschah die Auseinandersetzung mit den Themen jedoch aus Sicht der jüdischen Gemeinden bzw. eines deutschen Juden.28 Diese Gleichgültigkeit gegenüber den für DPs relevanten Themen und die konsequente Nichteinbeziehung ihrer Repräsentanten in den Autorenkreis bestätigen die in der ersten Ausgabe des Gemeindeblatts definierte Absicht des Vorsitzenden des Landesverbandes: Dieser erklärte, dass die Zeitung als Mitteilungsblatt der jüdischen Gemeinden konzipiert sei und bei der Wahl der Beiträge die Sorge für die Juden, die in Deutschland zu bleiben beabsichtigten, über die zionistischen Bestrebungen und die Unterstützung der DPs gestellt würde.29

25 26 27 28 29

15. 4. 1946; Ders., Verwüstete Friedhöfe, in: JG, 10. 7. 1946; Synagogen-Gemeinde Düsseldorf, Steuerstundung, in: JG, 25. 6. 1946. Arthur Asch, Betrachtungen zum täglichen Morgengebet, in: JG, 25. 6. 1946; Oscar Goetz, Der Jude im Dritten Reich, in: JG, 20. 8. 1946; Moritz Goldschmidt, Zur Palästinafrage, in: JG, 25. 9. 1946; Hans Schwarz, „Juden-Aktion“ 1938 in Dachau, in: JG, 25. 7. 1946. CCG an Hans Frey, 24. 6. 1946, in: TNA: PRO FO 1056/40. Zur Politik der Briten bezüglich „Advertisement Sheets“ vgl. D. Wilson for Brigadier, Director General, Information Services Control Branch, 27. 2. 1946, in: TNA: PRO FO 1056/40. Jossel Rosensaft/Norbert Wollheim/Zonenausschuss der Jüdischen Gemeinden, Aufruf an die Juden der Welt!, in: JG, 26. 9. 1946. Vgl. Philipp Auerbach, Der 14. April in Bergen-Belsen, in: JG, 6. 5. 1946; Ders., An die „Jüdische Rundschau“, in: JG, 24. 5. 1946. Zu diesem Thema vgl. auch F., Kulturelle und Auswanderungsfragen, in: JG, 24. 6. 1946.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

123

Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass Auerbach, der bis zu seinem Weggang in die amerikanische Besatzungszone das Profil der Zeitung prägte, offene Kritik an der Besatzungsmacht vermied. Stattdessen verwies er immer wieder auf das Verständnis, welches die Briten für die schwierige Situation der Juden in ihrer Zone aufbrächten, und dankte ihnen sogar noch dann für ihre Unterstützung, als sie im Frühjahr 1945 das jüdische Eigentum gemäß Artikel 52 blockiert hatten.30 Die Ausführungen des Historikers Heinz-Dietrich Fischer sind in diesem Zusammenhang aufschlussreich: Seinen Recherchen zufolge „erhielten die Lizenzträger [in der britischen Zone, A.d.V.] detaillierte ,Anweisungen über politische Richtlinien‘, die es zu befolgen galt“ und verpflichteten sich zu einer Probezeit, „während der sie sich einer strengen Vorzensur ,im Hinblick auf Politik und Sicherheit‘ zu unterwerfen und ,allgemeine Richtlinien und Arbeitsanweisungen‘ der Militärbehörden zu befolgen hatten“31. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann die von Auerbach – trotz der bereits zu dieser Zeit real existierenden Spannungen zwischen den Vertretern der Juden in der britischen Zone und den britischen Besatzern – zum Ausdruck gebrachte positive Grundhaltung zur Militärregierung nur politisch-strategisch gedeutet werden: Um das Fortbestehen der Zeitung abzusichern, unterwarfen sich der Herausgeber Frey und sein prominenter Autor Auerbach dem Diktat der Besatzer – schließlich drohten die Briten entsprechend der allgemeinen Rahmenbedingungen, die aus den jeweiligen Lizenzurkunden für die Herausgabe von Periodika hervorgingen, Verstöße gegen ihre Kontrolle und Auflagen mit einer zeitweiligen Einstellung der Zeitung, Widerruf der Zulassung oder sonstigen Strafen je nach Art des Vergehens zu ahnden.32 1.2 Taktik des Schreibens – Taktisches Treiben. Zu Gehalt und Gestalt des Jüdischen Gemeindeblatts für die britische Zone Der November 1946 markiert den ersten Einschnitt in der Entwicklungsgeschichte des Jüdischen Gemeindeblatts: Zum einen wechselte der Herausgeber, zum anderen änderte sich der Name der Zeitung. Wie war es dazu gekommen? Zunächst kehrte nach Auerbachs Tätigkeitsbeginn als Staatskommissar in Bayern auch der Lizenzträger und erste Herausgeber der Zeitung, Hans Frey, Düsseldorf den Rücken, weshalb vorübergehend Julius Dreifuß bzw. die SGD das Mitteilungsblatt herausgab.33 Da diese Tätigkeit gemäß den Bestimmun30 Philipp Auerbach, Wiedergutmachung?, in: JG, 24. 5. 1946. 31 Fischer, Reeducations- und Pressepolitik, 38. 32 Erst Ende September 1946 veröffentlichte die Militärregierung allgemeine „Richtlinien für alle Lizenzträger im deutschen Nachrichtenwesen“. Vgl. Fischer, Reeducations- und Pressepolitik, 37 f. 33 Es lässt sich anhand des erhaltenen Quellenmaterials nicht rekonstruieren, wann und warum

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

124

Die Institutionen

gen jedoch nur von einem ausgebildeten Journalisten wahrgenommen werden durfte, suchte die britische Militärregierung im Herbst 1946 nach einem neuen Herausgeber für das junge Presseorgan. Obgleich sich zu diesem Zeitpunkt unter den Briten Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von Remigranten im Bereich des Pressewesens festgesetzt hatten, kam – so erinnerte sich Lilli Marx – der britische Lizenzoffizier auf ihren Mann zu und bat den aus England zurückgekehrten Karl Marx, die Lizenz für die jüdische Zeitung zu übernehmen.34 Weder in den persönlichen Aufzeichnungen von Lilli Marx noch in mit ihr geführten Interviews finden sich weitere Angaben zu möglichen Gründen, warum Karl Marx für diese Position ausgewählt wurde. Sie äußerte lediglich, dass die mangelnde praktische Erfahrung ihres Mannes im Bereich der Herstellung einer der Hauptgründe gewesen sei, warum er zum Zeitpunkt seiner Rückkehr nicht von sich aus darüber nachgedacht habe, eine Zeitung zu machen, und das Angebot im Herbst 1946 „eher widerwillig“35 annahm.36 Der Umstand, dass es sich laut Lilli Marx bei dem britischen Befehlshaber um einen ehemals österreichischen Juden gehandelt habe und ein Herausgeber für eine jüdische Zeitung gesucht wurde, könnten Argumente dafür gewesen sein, warum der deutsch-jüdische Rückkehrer angefragt wurde. Ferner, so belegt es Mosberg in seiner Untersuchung der britischen Einstellung zu Rückkehrern und Juden, richtete sich die Skepsis der Briten insbesondere gegen Emigranten, die während der Jahre des Exils als führende Politiker tätig oder in Auseinandersetzungen verwickelt gewesen waren.37 Beides traf auf Marx – nach derzeitigem Erkenntnisstand – nicht zu. Die Tatsache, dass Marx die Herausgabe der Zeitung übernahm, gibt vielmehr Anlass zu der Vermutung, dass in seinem Fall die Erfahrung von Krieg und Zerstörung, von Diktatur und Demokratie eine Basis für die Zusammenarbeit mit den britischen Besatzern schuf. Zeitgleich zum Wechsel in der Herausgeberschaft erfolgte auch die erste Umbenennung des Jüdischen Gemeindeblatts: Die Briten hatten einer Ausweitung des Vertriebs zugestimmt und den Versand der Zeitung in dem gesamten, von ihnen kontrollierten Besatzungsgebiet genehmigt, weshalb das

34 35 36

37

Hans Frey aus Düsseldorf wegzog. Zu dieser Frage vgl. auch Schönborn, Die Jüdische Allgemeine, 230; Strathmann, Auswandern, 145. Brenner, Nach dem Holocaust, 180; Schönborn, Die Jüdische Allgemeine, 230. Strathmann, Auswandern, 145 Im Impressum der Zeitung wird Karl Marx seit der Sonderausgabe, 15. 11. 1946 als Lizenzträger und Herausgeber des Jüdischen Gemeindeblatts benannt. In den Unterlagen der britischen Militärregierung wird im Widerspruch hierzu bis 1949 weiterhin sein Vorgänger, R. [sic!] Frey, als Lizenzträger aufgeführt. Vgl. hierzu Newspaper and Periodicals Licensing Statement for the British Zone (as at 21 May 1949), Table II – Periodicals, 8, in: TNA: PRO FO 953/535; Strathmann, Auswandern, 145. Zu Marx und der Entwicklung der Zeitung vgl. auch Giordano, Zum 50. Jahrestag; Schönborn, Die Jüdische Allgemeine. Mosberg, REeducation, 57.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

125

Jüdische Gemeindeblatt für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen ab dem 15. November 1946 – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – alle 14 Tage unter dem Titel Jüdisches Gemeindeblatt für die britische Zone erschien. Bereits in der ersten von Marx publizierten Ausgabe nahm der neue Herausgeber in seinem Beitrag „Unsere erweiterten Aufgaben und Ziele“ Stellung und erklärte die Namensänderung sowie die Ziele der Zeitung für die Leser wie folgt: Damit hat sich unser Aufgabengebiet vergrößert und damit wird unser Verantwortungsbewusstsein, unseren Brüdern und Schwestern der britischen Zone eine wirklich jüdische Zeitung zu geben, besonders wachgerufen. […] Wir wollen jüdisch sein, wir wollen alle Juden zu Worte kommen lassen, ganz gleich welcher jüdisch politischen Richtung sie angehören. […] Besondere Aufmerksamkeit wollen wir den kulturellen Dingen widmen, der Literatur, der jüdischen Literatur und der 1933 Verbannten. […] Wir haben eine schwere Arbeit vor uns, und wir wollen soweit das einer Zeitung möglich ist, allen Lesern gerecht werden. – Wir werden damit beginnen, Fragen zu beantworten, und wir werden bemüht sein, diese Fragen fachkundig beantworten zu lassen. Wir wollen zum Diener unserer Leser werden, und wir wollen alle unsere Leser als Mitarbeiter betrachten.38

Mit dieser programmatischen Erklärung schloss Marx an die Überlegungen seines Vorgängers an, der davon gesprochen hatte, dass die Zeitung als Bindeglied zwischen dem Landesverband und seinen Mitgliedern fungieren und dazu dienen sollte, „uns einander näher zu bringen“. In letzter Konsequenz ging Marx in seiner Formulierung der Absichten jedoch einen Schritt weiter als Frey, denn im Gegensatz zu diesem adressierte er nicht nur die Mitglieder des Landesverbandes, sondern betonte, unabhängig von politischen Weltanschauungen „alle Juden zu Wort kommen lassen“ zu wollen. In privaten Aufzeichnungen, die Marx im Juli 1955 festhielt, kommt dieses Anliegen noch deutlicher zum Vorschein; darin schrieb er rückblickend über seine Absichten im Jahr 1946: Ich sah meine Aufgabe darin, durch dieses Blatt zunächst einmal die Verbindung zwischen den einzelnen Gruppen herzustellen, andererseits aber dazu beizutragen, dass den Überlebenden alle notwendigen Erleichterungen gegeben und durch entsprechende Verfügungen, später Gesetze, Renten und Entschädigungen zugesprochen werden.39

Am Beispiel dieser beiden Zielsetzungen sollen nun im Folgenden exemplarisch die Entwicklung und Ausrichtung der Zeitung bis zum Zeitpunkt der erneuten Namensänderung 1949 diskutiert werden. Dabei wird von besonderem Interesse sein, ob die zwei von Marx angesprochenen Aspekte – ein soziales und ein politisches Thema – im Rahmen der Berichterstattung 38 Karl Marx, Unsere erweiterten Aufgaben und Ziele, in: JG, 15. 11. 1946. 39 Karl Marx, Entwicklung der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 16. 7. 1955, 1, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

126

Die Institutionen

gleichberechtigt behandelt wurden und inwieweit sich unter seiner Herausgeberschaft die unter Frey und Auerbach feststellbare pro-britische Darstellungsweise des Jüdischen Gemeindeblatts fortsetzte. Grundsätzlich dominieren vier thematische Schwerpunkte die Berichterstattung des Jüdischen Gemeindeblatts, von denen vor allem die ersten drei in die folgende Analyse einfließen: der Aufbau und die Entwicklung der jüdischen Gemeinden, Informationen über Verordnungen und Gesetze der Wiedergutmachung für die Opfer des Nationalsozialismus, die Auseinandersetzung mit dem Holocaust sowie die Aufbauarbeit in Palästina.40 Zur Beantwortung der Frage, inwiefern Marx mit seiner Zeitung erfolgreich eine Verbindung zwischen den unterschiedlichen Gruppen herstellen konnte, wird die Darstellung der Beziehung zwischen den zwei größten jüdischen Gruppen in der britischen Zone, den jüdischen DPs und den deutschen bzw. in Gemeinden organisierten Juden in den Blick genommen; zur Erarbeitung dieses Verhältnisses ist die Berichterstattung über den Aufbau und die Entwicklungen der jüdischen Gemeinden von besonderer Aussagekraft. Im Gegensatz zu Auerbach und Frey, die den Anliegen der DPs in den frühen Ausgaben des Jüdischen Gemeindeblatts nur selten Beachtung geschenkt hatten, gelang es Marx tatsächlich, Nachrichten des ZKBZ sowie vereinzelt Artikel der Komiteevorsitzenden in die jüdische Zeitung zu integrieren und so einen Informationsaustausch zwischen den Gruppen herzustellen, der zuvor nicht existiert hatte.41 Lilli Marx unterstrich rückblickend, dass sie und ihr Mann zu dieser Zeit „sehr engen Kontakt“ zu den Überlebenden im Lager Belsen hatten und es trotz bestehender Sprachbarrieren – die wenigsten DPs sprachen Deutsch, Karl Marx und seine Frau hingegen kein Jiddisch, „von Hebräisch schon gar nicht zu sprechen“42 – „eine enge, freundschaftliche Zusammenarbeit“ zwischen den Gruppen gab. „Man hat sich verständigt, gegenseitig besucht und, wo immer es ging, etwa bei der ,Exodus Affäre‘, engstens zusammengearbeitet“, berichtete Lilli Marx weiter. Persönliche Aufzeichnungen ihres Ehemannes aus dem Jahr 1955 bestätigen, dass Karl Marx die Einschätzung seiner Frau teilte.43 Die ausführliche Berichterstattung über die Ereignisse um die „Exodus 1947“ belegt das Engagement des Herausgebers, der in seiner Zeitung Verständnis und Recht für die 4.500 illegalen Einwanderer nach Palästina einforderte. Diese hatten am 11. Juli 1947 den Hafen von SÀte auf einem zum Auswandererschiff umgebauten Flussdampfer in Richtung Palästina verlassen, waren jedoch von den Briten in Haifa an der Ausschiffung gehindert 40 Schönborn, Die Jüdische Allgemeine, 232 – 234. 41 Vgl. Norbert Wollheim berichtet über seine Reisen, in: JG, 19. 3. 1947; Rosensaft, Zum Tage unseres Befreiungsfestes, in: JG, 30. 4. 1947; D.P. Probleme, in: JG, 22. 5. 1948. 42 Brenner, Nach dem Holocaust, 182. 43 Karl Marx, Entwicklung der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 16. 7. 1955, 1, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

127

worden. „Es kam zu einem Gefecht zwischen Juden und britischen Seeleuten“, liest man am 13. August im Jüdischen Gemeindeblatt, das unter der Rubrik „Neues aus der jüdischen Welt – Palästina“ darüber informiert, dass „drei Juden […] getötet und 120 verletzt [wurden]. Die übrigen Juden wurden mit Gewalt auf britische Kriegsschiffe überführt.“44 Diese brachten die jüdischen Einwanderer nicht wie üblich in Internierungslager nach Zypern, sondern steuerten das europäische Festland an. Es ging zunächst zurück nach Frankreich; da die jüdischen Flüchtlinge die von den Briten geplante Ausschiffung in Port de Buce jedoch konsequent ablehnten und die französische Regierung einer Räumung der Schiffe nicht zustimmte, folgte wenig später die Weiterfahrt in die britische Zone nach Deutschland, wo die Passagiere unter Gewaltanwendung sofort ausgebootet wurden.45 Nachdem Marx in seinem Leitartikel „Exodus 1947“ ausführlich die Entscheidung der jüdischen Überlebenden zur illegalen Einwanderung erklärt hatte,46 berichtete er auf den Titelseiten der folgenden Ausgaben detailliert über das „Schicksal dieser Unglücklichen“47 und ihre „Zwangsausschiffung in Hamburg“48. Ergänzt wurde die Berichterstattung durch eine Rubrik „,Exodus 1947‘ im Spiegel der Weltpresse“, in der Kommentare und Stellungnahmen internationaler Zeitungen und Organisationen zum Vorgehen der Briten abgedruckt wurden.49 Die Berliner Zeitung zitierte Marx beispielsweise mit den Worten: „Es ist kein Wunder, wenn dieses Vorgehen der britischen Militärregierung in der ganzen zivilisierten Welt die stärkste Empörung auslöst. Es fragt sich nur, warum man in London so kriegerisch gegen die hilflosen Juden und so human gegen die noch massenhaft in der britischen Besatzungszone vorhandenen Kumpane des Naziregimes gesonnen ist …“50 In der Daily Mail liest man über das „finstere Drama“, und im Daily Express wird offen Kritik an den britischen Verantwortlichen geübt: „Gefährlicher als der Nebel, der die jüdischen Flüchtlingsschiffe aufhielt, ist der Nebel, der sich auf die Geister der englischen Verwaltungsstellen gesenkt hat.“51 Vergleichbare Worte oder offene Kritik am Verhalten der Engländer finden sich allerdings nicht in den Eigenberichten, die Marx im Jüdischen Gemeindeblatt veröffentlichte. Zwar prangert er die Ungerechtigkeit an und berichtet von Protesten gegen die gewaltsame Ausschiffung; der Herausgeber vermied es durch den Einsatz impersonaler Satzkonstruktionen jedoch, die Handelnden, in diesem Falle die

44 Neues aus der jüdischen Welt – Palästina, in: JG, 13. 8. 1947. 45 Zur Zwangsausschiffung vgl. das britische Communiqu¦ Nr. 127, in: Siebecke, Die Schicksalsfahrt, 184. Zu den historischen Ereignissen vgl. Halamish, The Exodus Affair. 46 Karl Marx, Exodus 1947, in: JG, 27. 8. 1947. 47 Karl Marx, Liebe Freunde, in: JG, 13. 9. 1947. 48 Karl Marx, Die Zwangsausschiffung in Hamburg, in: JG, 13. 9. 1947. 49 „Exodus 1947“ im Spiegel der Weltpresse, in: JG, 24. 9. 1947. 50 Ebd. 51 Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

128

Die Institutionen

Briten, explizit zu benennen. In seinem Beitrag „Exodus 1947“ wirkt sich das folgendermaßen aus: Das Schiff der 4500 wurde vor Palästina angehalten. Man brachte diese Menschen nicht nach Cypern. Man zwang sie zur Rückkehr. Die Schiffe, auf die die 4500 jüdischen Menschen gebracht wurden, nahmen Kurs auf Frankreich. Das französische Volk, die französische Regierung verstand die große Bedeutung, fühlte die ganze Tragik des Schicksals dieser Menschen. Und wieder einmal handelte dieses Volk im Sinne seiner Tradition, die ihm mit Recht den Namen: ,La grande Nation‘ gegeben hat. Man bot den Flüchtlingen Gastfreundschaft in Frankreich an. Wenn unsere Menschen diese Gastfreundschaft ablehnten, so nur deshalb, um damit zu dokumentieren, daß sie es bitter ernst damit meinten, ihrem bisherigen Leben ein Ende zu machen. Sie wollten in kein Transitland mehr. Sie wollen dorthin, wo sie zumindest den Versuch machen können, zu vergessen, was war. Und sie ließen sich auch nicht von ihrem Entschluß abbringen, als man ihnen damit drohte, daß sie nach Deutschland zurückgebracht werden würden.52

Offensichtlich beabsichtigte der Herausgeber nicht, die Erwähnung der Briten grundsätzlich zu unterbinden. Es ist jedoch auffällig, dass die Formulierungen keineswegs die unglaublich große Wut und Enttäuschung der jüdischen Gemeinschaft widerspiegeln, die sich insbesondere in Belsen bei zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen entlud.53 Die Ereignisse um die Ausschiffung lassen erkennen, dass die britische Militärregierung mögliche Kritiker, insbesondere jüdische Sympathisanten in ihrer Besatzungszone im Herbst 1947 besonders genau beobachtete und mit Strafen für den Fall drohte, dass diese zu deutlich Partei für die Zwangsrückkehrer ergreifen bzw. das Vorgehen der britischen Militärregierung zu kritisch kommentieren würden. Überliefert ist in dem Zusammenhang der Ausschiffung z. B. ein Konflikt zwischen den Besatzern und den ausländischen Hilfsorganisationen: die Briten hatten die in ihrer Besatzungszone tätigen großen jüdischen Hilfsorganisationen vor der Ankunft der Zwangsrückkehrer aufgefordert, „sich für die notwendige Hilfe bei der Landung und in den Lagern Pöppendorf und Am Stau zur Verfügung zu stellen“54. Als diese den Anspruch mit der Begründung ablehnten, sich nur dann einzuschalten, „wenn unsere Menschen von der ,Exodus‘ das ausdrücklich fordern“, erklärte der zuständige Vertreter der Militärregierung, dass, „falls sie die Hilfe verweigern würden, die Militärregierung die Frage der Daseinsberechtigung dieser jüdischen Organisationen in Erwägung zu ziehen habe“. Auch wenn in den durchgesehenen Akten keine Dokumente enthalten waren, welche die folgenden Überlegungen bestätigen oder widerlegen könnten, kann davon aus52 Karl Marx, Exodus 1947, in: JG, 27. 8. 1947. 53 Zu den jüdischen Protesten vgl. z. B. Karl Marx, Die Zwangsausschiffung in Hamburg, in: JG, 13. 9. 1947. 54 Dieses und die zwei nachfolgenden Zitate sind entnommen aus ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

129

gegangen werden, dass die Briten im Vorfeld der Ereignisse in Hamburg Marx als dem Herausgeber der jüdischen Zeitung – der während der Ausschiffung vor Ort und journalistisch sehr aktiv war – mit Sanktionen gedroht hatten, sollte er die britische Militärregierung zu deutlich kritisieren. Denkbar ist auch, dass Marx aus Rücksicht auf die jüdischen Zwangsrückkehrer und zur Vermeidung von Vergeltungsstreben gegenüber den jüdischen Lagerinsassen in Pöppendorf und Am Stau auf eine besonders scharfe verbale Anklage verzichtete. Fest steht, dass äußere Bedingungen die Berichterstattung im Jüdischen Gemeindeblatt in dieser Zeit beeinflussten und bewirkten, dass Marx sich – wie sein Vorgänger – zur Vermeidung von Strafmaßnahmen gegen die Zwangsrückkehrer oder eines Verbots der Zeitung mit zu deutlicher Kritik an den britischen Besatzern und ihrem gewaltsamen Vorgehen gegen die ExodusFlüchtlinge zurückhielt. Die Annahme, dass von Seiten der Briten in diesem konkreten Zusammenhang starker Druck auf ihn ausgeübt wurde, wird darüber hinaus von der Beobachtung gestützt, dass Marx zu anderen Zeitpunkten die britische Militärregierung und deren Entscheidungen durchaus kritisch diskutierte, und den Zensurvorgaben weit weniger Beachtung schenkte als sein Vorgänger. So erschien bereits am 6. Januar 1947 ein kritischer Bericht über die Passivität der britischen Besatzer im Nachkriegsdeutschland und auch die Forderung der Juden in Deutschland und der Welt nach einem jüdischen Staat in Palästina wurde von Marx deutlich artikuliert. Die Ereignisse in Hamburg nahmen starken Einfluss auf die thematische Schwerpunktsetzung der Zeitung: gemäß der Aussage eines engen Mitarbeiters von Marx sei „seither keine Ausgabe der Zeitung erschienen, die sich nicht mit dem Konflikt im Nahen Osten befasst hätte“55. Trotz der verschiedenen Berührungspunkte zwischen DPs und deutschen Juden sowie der gemeinsamen Opposition gegenüber den britischen Besatzern, wie sie besonders im Sommer 1947 im Rahmen der Exodus-Affäre deutlich wurde, gelang es Marx nicht, DPs in die Redaktion und die journalistische Arbeit des Jüdischen Gemeindeblatts zu integrieren. Abgesehen von den von seiner Frau angeführten Sprachproblemen könnten die schwierigen Lebensbedingungen in einem völlig fremden kulturellen Umfeld sowie die vielfältige DP-Presse, welche den Überlebenden ein speziell auf ihre Interessen abgestimmtes Betätigungsfeld bot, zwei weitere Gründe sein, die den DPs ein Engagement für die deutschsprachige jüdische Zeitung weniger attraktiv erscheinen ließen.56 Ferner ist davon auszugehen, dass die einander grundsätzlich entgegenstehenden politischen Interessen von „stayers“ und „goers“

55 Giordano, Zum 50. Jahrestag, 276. 56 Hier folgt die Argumentation der Historikerin Susanne Schönborn, vgl. Schönborn, Die Jüdische Allgemeine, 231 f. Zur DP-Presse vgl. z. B. die Studie von Lewinsky, Displaced Poets.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

130

Die Institutionen

nicht durch vereinzelte gemeinsame Aktionen (gegen die Briten) aufgehoben wurden, wodurch eine Zusammenarbeit auf längere Sicht unmöglich blieb.57 Verfolgt man den von Marx eingeschlagenen Weg hinsichtlich der Einbeziehung der DP-relevanten Themenbereiche in die Berichterstattung des Jüdischen Gemeindeblatts systematisch über den Zeitraum von drei Jahren, so wird schnell deutlich, dass keineswegs alle Aspekte der Beziehungen zwischen DPs und deutschen Juden Berücksichtigung fanden. Vor dem Hintergrund der realpolitischen Gegebenheiten in der Zone muss vor allem auf das Fehlen von Stellungnahmen zu innerjüdischen Konflikten bzw. zu offenen Streitfragen zwischen den Angehörigen der unterschiedlichen Gruppen hingewiesen werden. Insbesondere macht sich dieses Schweigen im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Gründung bzw. Existenz eines überregionalen Zusammenschlusses der jüdischen Gemeinden bemerkbar. Schon Frey hatte die massiven Auseinandersetzungen, die zwischen den Vertretern der DPs und den Sprechern der deutschen Juden in der britischen Zone diesbezüglich entbrannt waren, in den frühen Ausgaben der Zeitung unberücksichtigt gelassen. So informierte beispielsweise der Beitrag „Der Zonenausschuss“ vom 10. Juli 1946 lediglich darüber, dass nach Ansicht des später zum Präsidenten dieser Organisation gewählten Philipp Auerbach eine „Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit der jüdischen Gemeinden“ bestünde und „daß die Zusammenarbeit der jüdischen Gemeinden der britischen Zone mit dem Central Jewish Committee und ebenfalls mit dem Präsidenten dieses Committees, Herrn Rosensaft, die denkbar beste ist“58. Unveröffentlichte, innerjüdische Korrespondenzen und Berichte, in denen unterschiedliche Verfasser zu diesem Ereignis Stellung nahmen, stehen im krassen Widerspruch zu dieser harmonischen Darstellung. So kommentierte beispielsweise der Legal Adviser der JRU, Dr. Georg Weis, der am 26. Juni 1946 bei der entscheidenden Diskussion über die Gründung des Zonenausschusses in Belsen zugegen war, die Entwicklungen aus der Position des Beobachters wie folgt: The Central Committee dislikes this separatistic intention, especially Mr. Wolheim [sic!]. The Central Committee will certainly not consent to any endeavors of the German Jewish communities to get separate supplies. […] When the establishment of the new Zone organization was discussed, Dr. Auerbach and all the other representatives were most anxious to state that the new organization was not in a position equal to the Central Committee, and would be nothing more than a part of the Central Committee. Mr. Rosensaft accepted the situation, whilst Mr. Wolheim

57 Lilli Marx berichtet in einem Interview aus den 1990er Jahren darüber, dass die DPs und ihr Mann politisch gegensätzlicher Meinung waren. Lilli Marx, „Wie können Sie nur in Deutschland leben?“, 98. 58 Der Zonenausschuss, in: JG, 10. 7. 1946.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

131

[sic!] raised objections, put, however, in the form of organisatory difficulties, which, by the way, were more or less justified. He was, however, outvoted.59

Während diese Beobachtung eine Annäherung der Gegenspieler im Anschluss an das Treffen nicht ausschließt, belegt ein Schreiben Wollheims, dass die Spannungen zwischen den zwei Parteien auch einen Monat später keineswegs beigelegt waren. In einer „etwas delikaten Angelegenheit“, wie Wollheim es nannte, kontaktierte er am 28. Juli 1946 den WJC, um sich gegen die von Auerbach im Zonenausschuss betriebene Politik auszusprechen, und kritisierte u. a. „seine Tendenz, die Gemeinden als Stützpunkt des ,Deutschen Judentums‘ neu zu etablieren“. Ferner konstatierte Wollheim in Abgrenzung zu den Handlungen Auerbachs: „Das Central Jewish Committee wird sich in diese rückwärtsgewandte Politik nie hereindrängen lassen und hat bisher auch die überwiegende Mehrheit der jüdischen Menschen in der britischen Zone mit der Auffassung hinter sich.“60 Auch in den Folgemonaten änderte sich nichts an der Missstimmung zwischen der Gemeindeorganisation und den Repräsentanten des ZKBZ, so dass auch nach dem Ausscheiden Auerbachs zunächst weiterhin in zwei separaten Gremien an der Verwirklichung der gegensätzlichen Zukunftspläne gearbeitet wurde. Trotz der Dominanz dieses Konflikts machte Marx die innerjüdischen Entwicklungen erst dann zum Thema eines Leitartikels im Jüdischen Gemeindeblatt, als die Auflösung des Rates der Gemeinden in der britischen Zone in greifbare Nähe gerückt war. Unter dem Titel „Warum Einheit?“ veröffentlichte der Herausgeber der Zeitung ein Plädoyer für die innerjüdische Geschlossenheit, in dem weder die Gründe, die ursprünglich zur politischen Aufspaltung der jüdischen Gemeinschaft geführt hatten, noch die vorangegangenen Spannungen zwischen den Vertretern beider Gruppen angesprochen wurden. Stattdessen fokussierte Marx seine Darstellung auf den im Rahmen des zweiten Kongresses des ZKBZ zu erwartenden Zusammenschluss der Gemeinden und DP-Komitees, den er als „historisches Ereignis“ charakterisierte: Er ist es deshalb, weil damit nach außen hin und der Welt gegenüber dokumentiert wird, dass die Lehren aus den vergangenen Jahren uns dazu gebracht haben, uns zu einer einheitlichen Bewegung zu verschmelzen, alle Parteiunterschiede, alle weltanschaulichen Unterschiede zurückzustellen in dem Bewußtsein, daß uns die Pflicht obliegt, zusammen für unsere Zukunft, für die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder zu kämpfen, zu kämpfen für unsere nationale Anerkennung. Die nationale Anerkennung wird und muß uns gegeben werden. […] Wir wissen, daß wir das nur ganz wenigen zu sagen haben, daß alle anderen schon längst verstanden haben, um was es geht und was notwendig ist. Deshalb, weil wir das wissen, freuen wir uns heute 59 Report on the meeting in Belsen, 26th June 1946, by Dr. G. Wise, Legal Adviser JRU, Eilshausen, June 27th, 1946, in: WLL, File 1367/18.1, Zitat 2. 60 Norbert Wollheim an Dr. Barou, WJC, 28. 7. 1946, in: ZA, B.1/28.126.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

132

Die Institutionen

schon darauf, daß die befreiten Juden der britischen Zone sich zusammengefunden haben zu einer Einheit, die sich dazu bereitfindet, mit dem Judentum der Welt zusammenzuarbeiten für unsere nationale Sache.61

Das von Marx in diesem Zusammenhang betriebene „Schönfärben“ der Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen beschränkte sich jedoch keineswegs nur auf das Verhältnis von deutschen Juden und jüdischen DPs. Beispielhaft sei an dieser Stelle an die Auseinandersetzungen zwischen dem Vorstand und den Mitgliedern der SGD im Winter 1948/1949 erinnert:62 Empört hatte Marx damals in einem persönlichen Schreiben dem Vorsitzenden der Gemeindeabteilung des ZKBZ, Norbert Wollheim, über die „GangsterMethoden“ des Vorsitzenden Dreifuß berichtet, der durch sich überschlagende Ereignisse im Rahmen der Führungs- und Versorgungskrise in der Düsseldorfer Gemeinde zum Rücktritt gezwungen wurde. Das Jüdische Gemeindeblatt widmete diesem Skandal in seiner Ausgabe vom 17. Dezember 1948 nur eine unscheinbare Notiz auf Seite 10. Unter der Rubrik „Aus den Gemeinden“ informierte die Zeitung in aller Kürze über die Generalversammlung vom 5. Dezember, die aufgrund des Fernbleibens von zwei Dritteln der stimmberechtigten Mitglieder nicht beschlussfähig gewesen sei. Ferner liest man in dem ungezeichneten Beitrag: Im Laufe der Versammlung erklärte Julius Dreifuß namens der vier anwesenden Repräsentanten und in seinem eigenen Namen den Rücktritt. Er begründete seinen eigenen Rücktritt als 1. Vorsitzender mit seinem schlechten Gesundheitszustand und mit der Tatsache, daß er im Begriff stehe, sich eine Existenz zu schaffen. Nachdem auch Alfred Sieradz und zuletzt Dr. Weinberg ihren Rücktritt erklärt hatten, verblieb nur noch H. Rose. Die Versammlung beschloß, daß die schnellstens einzuberufende Generalversammlung, die auf jeden Fall ausschlaggebend sein wird, eine neue Repräsentanz zu wählen habe.63

Zusammenfassend kann demnach konstatiert werden, dass Marx im Hinblick auf die Verwirklichung seiner ersten Zielsetzung – „die Verbindung zwischen den einzelnen Gruppen herzustellen“ – sich um eine Zusammenarbeit mit den jüdischen DPs bemühte und verschiedentlich Artikel von DPs bzw. deren Repräsentanten veröffentlichte sowie ihre Mitteilungen in die Zeitung integrierte. Auch wenn diese Beiträge in ihrer Anzahl weit hinter den Nachrichten, Artikeln und Kommentaren über die jüdischen Gemeinden in der britischen Zone zurückblieben, etablierten sie sich als Bestandteil des Jüdischen Gemeindeblatts. Auf eine Darstellung der weltanschaulichen Differenzen, die zwischen den unterschiedlichen jüdischen Gruppen im Nachkriegsdeutsch61 Karl Marx, Warum Einheit?, in: JG, 11. 6. 1947. Vgl. hierzu auch ders., Die politische Resolution, in: JG, 13. 8. 1947. 62 Zu den Problemen in der SGD vgl. Kapitel II.1.3. 63 Düsseldorf, in: JG, 17. 12. 1948.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

133

land existierten und viele Jahre lang nicht beigelegt werden konnten, und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Selbstverständnis, insbesondere in der zentralen Frage der jüdischen Existenz in Deutschland, wurde jedoch grundsätzlich verzichtet.64 Vielmehr achtete Marx darauf, dass Gemeinsamkeiten herausgestellt wurden, und betonte die kollektiven Ziele der Juden in der britischen Zone, auch wenn diese, wie im Fall der „ExodusAffäre“, den politischen Absichten der Briten entgegenstanden. Gemäß der Einschätzung der Historikerin Susanne Schönborn lag einer der Hauptgründe für das Verschweigen von Konflikten „an dem von in Deutschland lebenden Juden immer wieder geäußerten Willen ,[…] zur inneren Geschlossenheit und zur Einheit nach innen und außen […]‘, da ,[…] angesichts des noch nicht besiegten Antisemitismus die Solidarität die beste Waffe sei gegen antisemitische Elemente‘“65 ; ferner, so Schönborns Beobachtung, spiegele sich dieses handlungsbestimmende Motiv über Jahrzehnte in der jüdischen Zeitung und werde durch die Erfahrungen während des Nationalsozialismus legitimiert.66 Obgleich diese Argumentation ihre Berechtigung hat und eine unter Gemeindemitgliedern anzutreffende Überzeugung offenbart, möchte ich hier eine alternative Lesart dieses Verhaltens vorschlagen. Die vier die Berichterstattung beherrschenden Themen weisen deutlich darauf hin, dass Marx die Zeitung nicht nur als journalistisches Produkt auffasste, sondern die Inhalte der jüdischen Zeitung für sein politisches Engagement und zur Profilierung der jüdischen Minderheit nach außen nutzen wollte. Wenn er also tatsächlich die Absicht verfolgte, mittels seiner Zeitung den Anliegen der jüdischen Minderheit gegenüber Dritten Gehör zu verschaffen, so muss der Herausgeber ein gesteigertes Interesse daran gehabt haben, dass die in der britischen Zone bzw. in Deutschland anwesenden Juden von seinen (potentiellen) Gesprächspartnern als geschlossene Einheit wahrgenommen wurden. Ausgehend von dieser Überlegung möchte ich dafür plädieren, seine Entscheidung, auf die Darstellung grundlegender Konflikte zwischen den Herkunftsgruppen zu verzichten, nicht nur – wie von Schönborn angeregt – als Waffe gegen antisemitische Elemente, sondern vielmehr als taktisches Mittel zur Verbesserung der Ausgangsposition für die von Marx angestrebten politischen Verhandlungen zwischen jüdischer Minderheit und britischen Besatzern bzw. später zwischen jüdischer Minderheit und deutscher Regierung aufzufassen. Die im Zuge dieser Argumentation angenommene Intention des Herausgebers, durch gezielte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf Entscheidungsträger und Entscheidungsprozesse zugunsten der jüdischen Minderheit einzuwirken, soll im Folgenden durch die Untersuchung der zweiten von Marx

64 So argumentieren auch Schönborn, Die Jüdische Allgemeine, 232 und Richarz, Juden, 25. 65 Schönborn, Die Jüdische Allgemeine, 232. 66 Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

134

Die Institutionen

formulierten, der politischen Aufgabenstellung des Jüdischen Gemeindeblatts überprüft werden. Bereits unter Frey und Auerbach hatten Artikel über Wiedergutmachungsfragen und unterschiedliche Aspekte der Auseinandersetzung mit dem Holocaust einen beachtlichen Anteil der Berichterstattung ausgemacht; nachdem Marx die Verantwortung übernommen hatte, gehörten sie unumstritten zu den Leitmotiven der Zeitung und waren das Kernstück der politischen Arbeit ihres Herausgebers. Dabei erfolgte die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in sehr unterschiedlicher Form: Intensive Berichterstattungen über Prozesse gegen die Verantwortlichen der nationalsozialistischen Verbrechen und Aufrufe, anhand derer Überlebende bzw. ihre Rechtsanwälte nach Zeugen für Verbrechen bzw. den Verantwortlichen für die Verbrechen suchten, gehörten ebenso zu dieser Arbeit wie zahlreiche Artikel über Gedenkveranstaltungen zu Jahrestagen von Verfolgung bzw. Befreiung und über neu errichtete Gedenktafeln. Ein einschlägiges Beispiel für diese Form der Berichterstattung findet sich bereits in der ersten von Marx betreuten Ausgabe des Jüdischen Gemeindeblatts für die britische Zone vom 15. November 1946. In dieser Sondernummer widmete der Herausgeber der ausführlichen Berichterstattung über „Eine Stunde der Trauer – des Gedenkens und der Mahnung!“67 elf Seiten: Er kommentierte den Ablauf der feierlichen Enthüllung der Gedenktafel für die in der Reichspogromnacht 1938 zerstörte Düsseldorfer Synagoge, stellte die Ehrengäste im Bild vor und druckte die Ansprachen der Redner vollständig ab.68 Ein weiterer Aspekt der Auseinandersetzung mit dem Holocaust waren rechtsphilosophische Essays und religiöse Betrachtungen, in denen verschiedene Autoren Einzelaspekte des erlittenen Unrechts diskutierten, welches den Lesern des Jüdischen Gemeindeblatts nicht zuletzt durch die in jeder Ausgabe abgedruckten Suchanzeigen nach Familienangehörigen und Überlebenden vor Augen geführt wurde.69 Zu den am häufigsten diskutierten Themen der ersten Jahrgänge des Jüdischen Gemeindeblatts zählten jedoch die materielle und moralische Wiedergutmachung. Aufgrund der führenden Rolle, die dieser Angelegenheit in der Berichterstattung eingeräumt wurde, soll anhand dieses Beispiels veranschaulicht werden, wie Marx als Herausgeber auf Entscheidungsträger und -prozesse zugunsten der jüdischen Minderheit einzuwirken versuchte; dabei stützt sich die folgende Analyse vorrangig auf die Beiträge im Gemeindeblatt, welche seine persönliche Argumentationslinie reflektieren, und schenkt jenen 67 Karl Marx, Eine Stunde der Trauer – des Gedenkens und der Mahnung!, in: JG (Sonderausgabe), 15. 11. 1946. 68 Karl Marx, Aus meinem Tagebuch. Düsseldorf, Sonntag, den 11. August 1946, in: AWJD, 8. 11. 1963; Ders., Aus meinem Tagebuch. Sonntag, den 9. November 1946, in: AWJD, 8. 11. 1963; Brenner, Nach dem Holocaust, 180. 69 Schönborn, Die Jüdische Allgemeine, 233.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

135

Artikeln weniger Beachtung, die im Interesse der Informationsvermittlung (sachlich) über die Verordnungen und späteren Gesetze aufklären. In seinen Beiträgen für das Jüdische Gemeindeblatt thematisierte Marx in den späten 1940er Jahren vor allem die von deutschen Juden empfundene Enttäuschung darüber, dass man sie nach der Befreiung ihrem Schicksal überlassen habe und von keiner deutschen Stelle die Initiative ergriffen, d. h. eine materielle Wiedergutmachung angeregt worden war. Ausführlich diskutierte der Herausgeber diese Problematik erstmals in seinem Beitrag „Wir, die deutschen Juden“ vom 26. November 1946, in dem er auf die massiven Defizite in den Bemühungen um Wiedergutmachung aufmerksam machte.70 Während Marx sich im ersten Teil seines Beitrags vor allem an „das deutsche Volk“ richtete und mit „aller Schärfe“ forderte, dass endlich mit der Abzahlung der Schulden begonnen werden müsse, „die nach den demokratischen Gesetzen durch Begehen von strafbaren Handlungen gemacht wurden“, adressierte er im zweiten Teil seines Beitrags – nach einem Appell an die Weltöffentlichkeit – die jüdische Minderheit in Deutschland und rief sie zu besonnenem Handeln auf: Es ist unsere Pflicht und Aufgabe, für unsere Forderungen legal zu kämpfen und die Rechte in Anspruch zu nehmen, die uns durch die Demokratie geboten sind. Es ist unsere Pflicht, diese Wege gemeinsam zu gehen und es ist unsere Aufgabe, bei unserem Vorgehen die Gesetze der Militär-Regierung und die Gesetze der Landesregierungen genauestens zu beachten. Wir kämpfen um die Wahrheit und das Recht, und wir sind sicher, daß wir Erfolg haben werden. […] Wir müssen uns aber klar darüber sein, daß wir die Pflicht haben, im kommenden demokratischen Deutschland vorbildlich dazustehen. […] Wir müssen uns zur Objektivität erziehen. Wir müssen den Menschen beweisen, daß wir die Demokratie verstehen, demokratisch leben, die demokratischen Rechte in Anspruch nehmen und die Pflichten eines demokratischen Staatsbürgers bereit sind, zu erfüllen.71

Die in diesem Beitrag feststellbare Verknüpfung der Forderung nach Wiedergutmachung und der Notwendigkeit demokratischen Handelns ist keineswegs Zufall, sondern wurde von Marx gezielt zur Betonung und Rechtfertigung der formulierten Ansprüche eingesetzt. So erklärte er beispielsweise in seinem Beitrag „Das Gewissen der Welt“ vom 19. Dezember 1946, dass Kritik „die Stärke der großen Demokratien“ sei, und leitete aus dieser Feststellung eine Berechtigung für die von ihm in Fragen der Wiedergutmachung vorgebrachten Anklagen ab.72 Und auch gegenüber der britischen Besatzungsmacht berief sich Marx auf demokratische Grundsätze: In dem Beitrag „Fragen an die Militärregierung“ kritisierte er deren Passivität im Nach70 Karl Marx, Wir, die deutschen Juden, in: JG, 26. 11. 1946. 71 Ebd. 72 Karl Marx, Das Gewissen der Welt, in: JG, 19. 12. 1946.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

136

Die Institutionen

kriegsdeutschland und argumentierte, dass „die Militär-Regierung als Vollstreckerin des Willens der großen demokratischen Völker“ im Sinne der Wiedergutmachung die Anliegen der Juden, „die 12 Jahre schlimmer als Tiere behandelt wurden“, zu unterstützen habe; sie müsse endlich einsehen, so Marx, „daß es notwendig ist, daß nicht nur wir, die Juden, sondern auch die ehemalig-politischen Verfolgten, nicht zu bitten, sondern zu fordern haben, daß uns Recht wird“73. Auf die Koppelung dieser zwei Begriffe im öffentlichen Sprachgebrauch, Wiedergutmachung und Demokratie, verwies der Historiker Anthony Kauders bereits 2004. In seiner Studie Democratization and the Jews: Munich, 1945 – 1965 konstatierte er, dass „the Allgemeine Wochenzeitung des Judentums […] repeatedly established a causal connection between democracy and restitution, between the return to a Rechtsstaat and the remembrance of genocide, between the newly established order and minority rights“74. Er beobachtete darüber hinaus, dass „the weekly was averse to specifying the precise meaning of democracy“; vielmehr, so Kauders, setzten die Verfasser von Artikeln für die jüdische Zeitung ein unter ihnen sowie in der Bevölkerung verbreitetes Verständnis von Demokratie voraus, das er als „democracy of an Anglo-American provenance“ identifiziert. Diese Einschätzung trifft auf die von Marx in den ersten Jahren seiner Herausgeberschaft veröffentlichten Artikel uneingeschränkt zu. Ohne genauer zu spezifizieren, was er unter dem Schlagwort Demokratie verstand, nutzte er es zur Rechtfertigung seiner in den Artikeln vorgetragenen Forderungen und der zum Ausdruck gebrachten Kritik: Das demokratische Bewusstsein und Verhalten der jüdischen Minderheit bzw. ihrer Repräsentanten und deren Streben nach „dem g e r a d e n Weg der Demokratie“75 legitimierten in seinen Augen jede Form des Kampfes für die Rehabilitierung der Überlebenden; die Deutschen hingegen stigmatisierte Marx in unterschiedlichen Kontexten als das Volk, das „nicht gewillt war, wie die anderen Staaten der Welt den Weg der Demokratie, den Weg der Menschlichkeit zu gehen“76. Diese Haltung habe ihn letztlich gezwungen, „unserer Zeitung auch den Charakter einer Kampfzeitung zu geben. Kampf gegen das weiter an uns begangene Unrecht, Kampf für Recht und Gerechtigkeit“77. Der „Kampf“ des Herausgebers für die Wiedergutmachung beschränkte sich jedoch nicht auf Hinweise, „wie erbärmlich es doch sei, daß das deutsche Volk darauf warte, daß ihm von den Alliierten die Wiedergutmachung befohlen wird“78, und auf die Diskussion von Missständen sowie gesellschaftlich und rechtlich relevanter Fragen vermittels publizierter Beiträge: Marx begann 73 74 75 76 77 78

Karl Marx/Julius Dreifuß, Fragen an die Militärregierung, in: JG, 6. 1. 1947. Kauders, Democratization, 5. Karl Marx, Unser Wiederaufbau, in: JG, 6. 1. 1947. Karl Marx, Hoffnungen und Sorgen, in: JG, 24. 3. 1948. Karl Marx, Ein Jahr „Jüdisches Gemeindeblatt“, in: JG (Sonder-Nummer), 15. 4. 1947. Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

137

kurz nach der Übernahme der Zeitung mit einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit, um das Jüdische Gemeindeblatt zur Plattform für die Situation der Juden zu machen. Eine erste Maßnahme zur Verwirklichung dieser Absicht war der kostenlose Versand von Freiexemplaren des Jüdischen Gemeindeblatts an „alle massgeblichen jüdischen Weltorganisationen“ [ca. 300 Exemplare] und „die massgebenden Minister und Referenten der deutschen Bundes- und Landesstellen“.79 Laut Marx erhöhte sich die Auflage der kostenfreien Versendung an deutsche Politiker immer dann, „wenn es sich um besondere Kampfartikel handelt[e], auf die wir die beteiligten Abgeordneten hinweisen woll[t]en“80 ; je nach Wichtigkeit des diskutierten Themas stieg die Anzahl der Freiexemplare auf „bis zu 1000 Exemplare“, die Marx eigenen Angaben zufolge „gratis nach Bonn und [an] die Landesregierungen sandte“. In wirtschaftlicher Hinsicht bedeuteten diese Aktionen ein eindeutiges Minusgeschäft für den Herausgeber ; offensichtlich war Marx jedoch davon überzeugt, durch den Versand der Freiexemplare gezielt genau die Stellen bzw. Entscheidungsträger erreichen zu können, die Zielscheibe seiner Kritik waren oder – auch zugunsten einer Wiedergutmachungsgesetzgebung – Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse nehmen konnten. Im Rahmen der zweiten Kampagne seines Werbefeldzugs für die jüdische Sache – die Wiedergutmachung inbegriffen – trat Marx in persönlichen Kontakt zu den regionalen politischen Instanzen und nichtjüdischen deutschen Zeitungen. Gemäß seiner Selbstauskunft zielte er mit diesem Vorgehen darauf ab, die Interessen der jüdischen Gemeinschaft nach außen zu vertreten. Schon 1947 begann Marx nach eigenen Angaben auch, Vertreter der nichtjüdischen deutschen Presse und Redakteure deutscher Zeitungen in Düsseldorf und Köln zu monatlichen Pressegesprächen einzuladen. Durch diese Diskussion beabsichtigte Marx, „die Vertreter der öffentlichen Meinung der jüdischen Frage näher[zu]bringen“. Eine private Notiz belegt, dass Marx auch diese Arbeit für erfolgreich erachtete: Es kam tatsächlich so, dass diese Erfolge sich in vollem Umfang von 1948 an zumindest in den Gebieten Nordwestdeutschlands, aber auch Frankfurts, zeigten. Die Unterhaltungen, Referate, das Bildmaterial und die Möglichkeit, da diese Leute Einblick in meine Archive nehmen konnten, trugen dazu bei, dass diese Presse allwöchentlich die jüdische Frage im positiven Sinne behandelte.

Ob diese von Marx gewählte Vorgehensweise das Interesse an der jüdischen Frage bzw. dem Themenkomplex der Wiedergutmachung tatsächlich vergrößerte oder die Berichterstattung nichtjüdischer deutscher Zeitungen über 79 Karl Marx, Entwicklung der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 16. 7. 1955, 7, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958; Lilli Marx, „Wie können Sie nur in Deutschland leben?“, 105. 80 Diese und die folgenden Zitate sind entnommen aus Karl Marx, Entwicklung der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 16. 7. 1955, 7, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

138

Die Institutionen

die jüdische Frage positiv beeinflusste, lässt sich auf der Grundlage des erhaltenen Quellenmaterials nicht feststellen. Wichtiger als die Beantwortung der Frage nach dem schwer messbaren Erfolg dieser von Marx geschilderten Maßnahmen, die Schönborn in ihrer Analyse zur Jüdischen Allgemeinen als mögliche Erklärung für die breite Resonanz der Zeitung in der deutschen Presselandschaft und bei den politischen Parteien während der ersten Nachkriegsjahre anführt,81 ist es an dieser Stelle, die Absichten hinter diesen Handlungen und sein Selbstverständnis als Herausgeber in den Blick zu nehmen: Weist doch das von Marx an den Tag gelegte Engagement darauf hin, dass der Journalist über die politischen Ereignisse in Deutschland nicht nur berichten und diese kommentieren wollte, sondern sich selbst in der Rolle des politischen Sprechers und Repräsentanten jüdischer Interessen sah. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Charakterisierung des Herausgebers von Seiten der britischen Besatzer, die von Marx während der späten 1940er Jahre immer wieder geheime Berichte und somit Einblicke über innerjüdische Entwicklungen erhielten.82 In einem 1948 als Reaktion auf einen dieser Berichte verfassten Schreiben äußerten die Besatzer die Vermutung, dass Marx, „essentially a German Jew, […] hopes one day to become leader of all German Jews. He does NOT like Josef ROSENSAFTor Norbert WOLLHEIM, who represent the Eastern and D.P. Jews.“83 Eine vergleichbare Warnung vor dem Herausgeber Marx gab Hans Lukaschek, Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen, an Bundeskanzler Adenauer weiter : Max Schindler, Mitarbeiter des United Restitution Office, hatte diesen vor dem wachsenden Einfluss Marx’ gewarnt und behauptet, dieser sei persona non grata in internationalen jüdischen Kreisen.84 Sollte der Herausgeber des Jüdischen Gemeindeblatts tatsächlich eine Führungsposition innerhalb des deutschen Judentums angestrebt haben, sind die von ihm hergestellten Kontakte zu den politischen Instanzen in Westdeutschland sowie zu einzelnen deutschen und jüdischen Politikern nicht nur als Engagement für die jüdische Sache, sondern zugleich als erster Schritt auf dem Weg zur Etablierung seiner selbst in der Rolle als (politischer) Sprecher der Juden in Deutschland zu interpretieren. Die Ablehnung Norbert Wollheims, dessen Einfluss innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in der britischen Zone zu diesem Zeitpunkt unbestritten war, erscheint in diesem Deutungszusammenhang geradezu als logische Konsequenz, da dieser von Marx 81 Schönborn, Die Jüdische Allgemeine, 236. 82 Einzelne solcher Berichte z. B. über die Entwicklung des Antisemitismus im Nachkriegsdeutschland oder die geschlossene Sitzung des WJC in Montreux 1948 befinden sich in den Akten der britischen Militärregierung, vgl. z. B. TNA: PRO FO 1013/1340 und TNA: PRO KV 5/ 21. 83 A.F. Joslin an Major-General, Chief, Intelligence Devision, Herford, an Box 500, Parliament Street B.O., London [Inlandsgeheimdienst M15], 30. 7. 1948, in: TNA: PRO KV 5/21. 84 Hans Lukaschek an Konrad Adenauer, 11. 4. 1950, in: ACDP, I-070, 52/3, zitiert nach Geller, Jews, 196.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

139

als potentieller Konkurrent im Kampf um die innerjüdische Führungsrolle angesehen werden musste. Eine dritte Möglichkeit, die Marx nutzte, um seinen Forderungen nach Wiedergutmachung und Rechtswiederherstellung Nachdruck zu verleihen sowie praktische Ergebnisse seiner Lobbyarbeit abzusichern, waren Gespräche mit deutschen Politikern. Zu seinen persönlichen Freunden zählte Marx den ersten Bundespräsidenten, Theodor Heuss,85 mit dem er bei Treffen und in Korrespondenzen jüdische Themen diskutierte. An dieser Stelle, im Zusammenhang mit den Wiedergutmachungsforderungen der ersten Nachkriegsjahre, sind jedoch zwei Gespräche besonders hervorzuheben, die Marx im Februar 1947 mit dem Vorsitzenden der SPD, Kurt Schumacher,86 und im November 1949 mit Bundeskanzler Konrad Adenauer87 führte und beide in der von ihm herausgegebenen Zeitung abdruckte. Auch wenn Auszüge aus dem Gespräch zwischen Marx und Adenauer nicht im Jüdischen Gemeindeblatt, sondern in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland veröffentlicht wurden, sprechen zwei inhaltliche Argumente für seine Erörterung an dieser Stelle. Zum einen ist das AdenauerInterview die erste und entscheidende Stellungnahme eines gewählten deutschen Politikers zu Fragen der Wiedergutmachung nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland; Adenauers Aussagen in diesem Gespräch wurden folglich als erster Gradmesser für die zukünftige Politik des deutschen Staates angesehen und erfuhren als solche besondere Beachtung. Zum anderen war dieses Interview die letzte große politische Aktion Marx’ vor der Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland, der ab 1950 als politische Interessenvertretung der Juden in Deutschland auftrat. Es bietet sich deshalb an, dieses Gespräch als Schlusspunkt der in diesem Kapitel vorgenommenen Einzelstudie über den Herausgeber und seine politische Lobbyarbeit zu betrachten. Zunächst jedoch einige Kommentare zu dem Interview von Karl Marx mit Kurt Schumacher : Die Zusammenfassung des zweistündigen Gespräches zwischen dem Herausgeber der jüdischen Zeitung und dem Vorsitzenden der SPD erschien im Jüdischen Gemeindeblatt am 21. Februar 1947. In seinen Ausführungen, die unter dem Titel „Über die Frage des jüdischen Neu-Einbaues in Deutschland“88 veröffentlicht wurden, nahm Schumacher zur Frage der jüdischen Rückwanderung nach Deutschland, seinem persönlichen Schicksal und der Einstellung des deutschen Volkes zu den Verbrechen an den 85 Zur Biografie von Theodor Heuss (1884 – 1963) vgl. Hertfelder/Ketterle (Hg.), Theodor Heuss; Pikart, Heuss, Theodor. 86 Zur Biografie von Kurt Schumacher (1895 – 1952) vgl. z. B. Merseburger, Kurt Schumacher. 87 Zur Biografie von Konrad Adenauer (1876 – 1967) vgl. Adenauer, Erinnerungen; Köhler, Adenauer; Legoll, Konrad Adenauer ; Recker, Konrad Adenauer ; Schwarz, Anmerkungen zu Adenauer; Sontheimer, Die Adenauer-Ära; Sternburg, Adenauer. 88 Dieses und die folgenden Zitate stammen aus Karl Marx, Dr. Kurt Schumacher über die Frage des jüdischen Neu-Einbaues in Deutschland, in: JG, 21. 2. 1947.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

140

Die Institutionen

Juden ebenso Stellung wie zu den Themen Antisemitismus, Rechtsschutz für Minderheiten und Fragen der Wiedergutmachung. Es war dem Politiker ein Anliegen, zu betonen, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands „heute wie stets in ihrer mehr als 80jährigen Geschichte dazu bereit [ist], jeden Kampf für Aufklärung der Massen und Niederhaltung des Rassenhasses zu durchstehen“. Und in Bezug auf die Wiedergutmachung verkündete er : „Die politisch und rassisch Verfolgten können auf die Unterstützung der SPD in der Frage einer gerechten Wiedergutmachung rechnen [sic!]. Diese Wiedergutmachung wird sich in ihrer Höhe stark nach sozialpolitischen Gesichtspunkten zu orientieren haben“. In seinen weiteren Ausführungen kritisierte er die schleppende Wiedergutmachung deutlich und sprach sich für die Herbeiführung einer einheitlichen Regelung für ganz Deutschland aus. Marx wertete die Aussagen des SPD-Vorsitzenden ausgesprochen positiv und erklärte am Ende des publizierten Beitrags, warum den Worten des Politikers Glauben zu schenken sei: Schumacher habe „bisher schon genügend Beweise seines Verantwortungsbewusstseins erbracht“, ebenso „wie wir zwölf Jahre gelitten“ und zudem „einen großen Teil der Verantwortung für die künftige Gestaltung Deutschlands freiwillig übernommen“. – Diese Eigenschaften ließen Marx konstatieren: „Von diesem Mann wissen wir, daß wir Vertrauen zu ihm und seiner Politik haben können.“ Mit dem Bekenntnis Kurt Schumachers zur Notwendigkeit einer Wiedergutmachung gingen zwar noch keine konkreten Maßnahmen einher ; die Stellungnahme des demokratisch eingestellten Spitzenpolitikers lieferte Marx jedoch eine weitere Rechtfertigung für die von ihm formulierten Forderungen nach einer gerechten Wiedergutmachung. Von der auffällig positiven Charakterisierung des Politikers in der von Marx veröffentlichten Darstellung profitierten letztlich beide Seiten: Die jüdische Gemeinschaft erhielt demokratische Unterstützung in ihrem Kampf für Recht und Gerechtigkeit; Schumacher hingegen konnte durch die Veröffentlichung des Interviews in einer jüdischen Zeitung Kontakt zur jüdischen Gemeinschaft bzw. einem führenden Repräsentanten dieser Gruppe aufbauen und in der Öffentlichkeit gute Beziehungen seiner Partei zu dieser umkämpften Minderheit demonstrieren. Wie gestaltete sich die Situation jedoch zwei Jahre später? Welche Bedeutung kam dem Interview zwischen Karl Marx und Konrad Adenauer am 11. November 194989 zu, in dem sich der gerade gewählte erste Bundeskanzler erstmals zur jüdischen Frage äußerte? Interessanterweise fand das Interview Adenauers mit dem Herausgeber der jüdischen Zeitung nicht einmal zwei Monate nach dessen Regierungserklärung vom 20. September 1949 statt, in der Adenauer jegliches Wort gegenüber den jüdischen Opfern hatte vermissen lassen.90

89 Karl Marx, Bekenntnis zur Verpflichtung, in: AWJD, 25. 11. 1949. 90 akj [Karl Marx], Der Ruf zur Besinnung, in: AWJD, 30. 9. 1949. Vgl. auch Benz, Das Luxemburger

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

141

Statt eines Engagements für die Minderheit der NS-Verfolgten, so konstatiert der Historiker Norbert Frei, propagierte der erste deutsche Bundeskanzler, dessen persönliches Engagement sich bis zur Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens 1952 auf den speziellen Aspekt der Wiedergutmachung an den Juden konzentrierte,91 eine „Vergangenheitspolitik zugunsten jener Mehrheit, deren tatsächliches Leid (etwa als Vertriebene und Ausgebombte), oft aber auch nur vermeintlicher Opfergang (als Entnazifizierte oder eben als ,Militärverurteilte‘) mit dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes begonnen hatte“92. In Übereinstimmung mit Frei charakterisiert der Sozialwissenschaftler Meron Mendel den von Adenauer eingeschlagenen Weg durch die Schlüsselbegriffe „amnesty, integration, and disassociation with Nazism“93 ; erklärend weist Mendel darauf hin, dass „behind this [Adenauer’s] approach lay a conviction that in order to establish a functioning West German democracy, those who had gone astray had to be socially reintegrated“. Gleichzeitig, so argumentiert Mendel, habe Adenauer jedoch eine „policy of appeasement vis-—-vis the Jewish people“ gefördert und datiert diese auf die 1950er Jahre: „The compensation agreement signed with Israel was one expression of this policy. Another expression was the series of three compensation laws passed by the Bundestag during the 1950s.“94 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist es interessant zu hinterfragen, welche Ziele Adenauer mit der Veröffentlichung eines Interviews in der jüdischen Wochenzeitung in Deutschland im Herbst 1949 verfolgte und welche Rolle dieser Publikation im politischen Konzept des Regierungsoberhauptes einerseits und der Interessenpolitik des Herausgebers der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland 95 andererseits zuzuschreiben ist. Laut Marx hatte Adenauer das Bedürfnis, „einmal klar auszusprechen, wie er zu den die Juden bewegenden Fragen, insbesondere zur Frage des Antisemitismus steht“96. In dieser Weise argumentiert auch der Historiker Constantin Goschler : In seiner fundierten Studie zur Wiedergutmachung erläutert er, dass die heftige Kritik auf die Unterlassung der Thematisierung der Verfolgten des Nationalsozialismus in seiner ersten Regierungserklärung Adenauer dazu bewogen habe, „Karl Marx, der inzwischen Herausgeber der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung für Deutschland war, ein Interview zu

91 92 93 94 95 96

Abkommen, 110; Brenner/Frei, Zweiter Teil, 235 – 237; Geller, Jews, 186 – 188; Weingardt, „Wiedergutmachung“. Zum Wortlaut vgl. Adenauer, 20. September 1949. Goschler, Wiedergutmachung, 200 f. Frei, Vergangenheitspolitik, 28. Vgl. auch Ders., Das Problem der NS-Vergangenheit; Giordano, Die zweite Schuld, 11; Herbst, Einleitung, 22. Mendel, The Policy, 124. Ebd. Zur Namensänderung des Jüdischen Gemeindeblatts in Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland vgl. die Ausführungen in Kapitel II.1.3. Karl Marx, Bekenntnis zur Verpflichtung, in: AWJD, 25. 11. 1949.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

142

Die Institutionen

geben und dort das Versäumnis nachzuholen“97. Nach Auffassung des Herausgebers der Zeitung sollte es in dem Gespräch um die jüdische Frage und die Frage der Wiedergutmachung gehen, welche, wie Marx in früheren Beiträgen des Jüdischen Gemeindeblatts deutlich kritisiert hatte, in den ersten Jahren nach der Befreiung unverzeihlich vernachlässigt und von Adenauer als Vorsitzendem der CDU mit keinem Wort berührt worden waren.98 Die einzelnen Fragen des Herausgebers und ausführlichen Antworten des Bundeskanzlers wurden nach einer dreiwöchigen Sperrfrist am 25. November 1949 unter dem Titel „Bekenntnis zur Verpflichtung. Interview der ,Allgemeinen‘ mit Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer“ auf der ersten Seite der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland abgedruckt und fanden weltweit Beachtung.99 Einleitend beschrieb Marx ausführlich, wie er den deutschen Politiker im Rahmen des Zusammentreffens erlebte, bevor er unter fünf thematischen Zwischentiteln die Inhalte des Gesprächs darstellte: „Achtung des Menschen im Vordergrund“, „Keine Kompensation der Schuld“, „Moralische Wiedergutmachung vordringlich“, „Erste Geste“, „Garantien und Sühne für Menschlichkeitsverbrechen“. Im Verlauf der Unterredung hatte Adenauer nicht nur den Juden in Deutschland unter Berufung auf die neuen Grundrechte und unter Ankündigung der Verschärfung der Gesetze Sicherheit versprochen, sondern die Bereitschaft der neuen Regierung zu einer großzügigen Wiedergutmachungsleistung gegenüber allen geschädigten Juden angekündigt. Und selbst Marx’ Nachfrage, „ob die Bundesregierung gewillt sei, durch eine globale Wiedergutmachungsleistung die Einordnung der Überlebenden in Israel zu ermöglichen“100, hatte der Bundeskanzler mit einem klaren Ja beantwortet. „Das deutsche Volk ist gewillt, das Unrecht, das in seinem Namen verübt wurde, soweit wiedergutzumachen, wie dies nur möglich ist“, zitierte Marx den Politiker in seinem Beitrag und wenig später liest man, dass die Bundesregierung als „erstes unmittelbares Zeichen dafür, daß das den Juden in aller Welt durch Deutsche zugefügte Unrecht wiedergutgemacht werden muß“, beabsichtige, „dem Staat Israel Waren zum Wiederaufbau im Werte von zehn Millionen DM zur Verfügung zu stellen“.101 Das von Marx veröffentlichte Interview verdient jedoch nicht nur wegen dieser auf jüdischer Seite lange erwarteten Zusage von materieller und mo97 Goschler, Wiedergutmachung, 200. 98 Karl Marx, Entwicklung der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 16. 7. 1955, 3, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958; akj [Karl Marx], Der Ruf zur Besinnung, in: AWJD, 30. 9. 1949; [Karl Marx], Beendigung des Kriegszustandes als Verpflichtung zu friedlichen Entwicklungen. Unbequeme Passivposten des nationalsozialistischen Erbes, in: AWJD, 13. 7. 1951. 99 Karl Marx, Bekenntnis zur Verpflichtung, in: AWJD, 25. 11. 1949. 100 Karl Marx, Juden in Deutschland, 90. Vgl. zu Reaktionen auf das Interview mit Adenauer auch Marx, Wie kann das an den Juden begangene Unrecht wiedergutgemacht werden?, in: Düsseldorfer Nachrichten, 14. 1. 1950. 101 Karl Marx, Bekenntnis zur Verpflichtung, in: AWJD, 25. 11. 1949.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

143

ralischer Wiedergutmachung besondere Beachtung; darüber hinaus lassen die sprachliche und formale Gestaltung des Leitartikels erste Tendenzen der Wiedergutmachungspolitik bzw. Israelpolitik Adenauers erkennen und ermöglichen Aussagen über die politische Positionierung des Herausgebers der jüdischen Zeitung in Deutschland, die im Folgenden kurz dargelegt werden sollen. Untersucht man die Sprache des Leitartikels, so fällt auf, dass das in den ersten Nachkriegsjahren zentral diskutierte Schlagwort der „Kollektivschuld“ bzw. die These von der Schuld aller Deutschen102 in den Ausführungen Adenauers keine Rolle spielt. Insgesamt spricht er nur einmal von „Schuldigen“, als er abschließend betont, die Bundesregierung vertrete die Auffassung, dass die „wirklichen Schuldigen an den Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Krieg begangen worden sind, […] mit aller Strenge bestraft werden“ sollten.103 Dominiert wird der Beitrag von einem anderen Begriffspaar : Verpflichtung und Pflicht. Die Aussagen Adenauers werden als „Bekenntnis zur Verpflichtung“ veröffentlicht und später im Text wird der Bundeskanzler mit den Worten zitiert: „Diese Wiedergutmachung betrachten wir als unsere Pflicht.“ Nun könnte man fragen, ob diese sprachliche Differenzierung überhaupt relevant ist – welchen Unterschied macht es, ob der neu gewählte Bundeskanzler von Schuld, Verantwortung oder Verpflichtung spricht? Der Politikwissenschaftler Markus Weingardt, der sich in seiner Studie über die deutsche Israel- und Nahostpolitik ausführlich mit dem Sprachgebrauch Adenauers im Vorfeld des Wiedergutmachungsabkommens zwischen Deutschland und Israel 1952 befasst, weist auf die Besonderheit des Verpflichtungs-Begriffs in Abgrenzung zum Terminus der Verantwortung hin: Verantwortung wird zumeist ,übernommen‘. Das klingt nach einem Akt freier und freiwilliger Entscheidung. […] Verpflichtung hingegen entspringt nicht einer freiwilligen Entscheidung. Sie ist zwangsläufige Folge von etwas Vorangegangenem: man hat eine Verpflichtung, ob man nun möchte oder auch nicht. Darin zeigt sich ein weiterer Unterschied: man hat eine (bestimmte) Verpflichtung – Verantwortung hingegen bedarf sprachlich keiner Konkretisierung, nicht einmal durch den sog. ,unbestimmten‘ Artikel. Verpflichtung kann – im juristischen Sinne – die Folge einer Tat sein, die Sühne, Strafe oder Entschädigung einfordert. Sie kann auch – im moralischen Sinne – logische Konsequenz der Übernahme von Verantwortung sein. Aber Verpflichtung beinhaltet ein Versprechen und einen ,aus dem Vertrag oder Versprechen hervorgehenden Handlungszwang‘, wie das ,Deutsche Wörterbuch‘ erklärt. […] Verpflichtung […] hat einen klaren Bezug zum Ursprung, zur Ur-Sache – und daraus resultieren sehr viel klarere Vorgaben, wie sich Verpflichtung demzufolge 102 Nach dem Krieg, v. a. zwischen 1945 und 1947, wurde von verschiedenen Seiten der Vorwurf erhoben, dass alle Deutschen eine Schuld am Entstehen des Dritten Reiches und damit auch an den Verbrechen, die in seinem Namen begangen wurden, hätten. Zur Entstehung und Entfaltung des Schlagworts vgl. Felbick, Kollektivschuld. 103 Karl Marx, Bekenntnis zur Verpflichtung, in: AWJD, 25. 11. 1949.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

144

Die Institutionen

äußern muss: a) sie muss sich überhaupt äußern, sonst wäre sie hinfällig (,Handlungszwang‘); b) sie muss sich auf die Ursache beziehen, sonst wäre ,das Thema verfehlt‘; c) sie muss sich (zumindest auch) auf die ursächlich Betroffenen beziehen, sonst verlöre sie sich in Beliebigkeit.104

Wie Weingardt bin ich der Auffassung, „dass Adenauer mit seiner auf den ersten Blick unscheinbaren, dann aber raffinierten Wortwahl durchaus seine eigene Haltung zum Ausdruck brachte: Er betrachtete die ,Wiedergutmachung‘ gegenüber Israel in der Tat als Pflicht – aber nicht mehr“. Im Gegensatz zu Weingardt, der Adenauers Regierungserklärung vom 27. September 1951 als „,Urschrift‘ aller späteren Bekenntnisse deutscher Regierungen zu Verantwortung und/oder Verpflichtungen gegenüber Israel und den Juden“ bezeichnet, plädiere ich jedoch dafür, das in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden abgedruckte Interview Adenauers vom 11. November 1949 als Ausgangspunkt für die Untersuchung seiner „Politik der Verständigung gegenüber Israel und den Juden“ bzw. der von Mendel als „policy of appeasement vis-—-vis the Jewish people“105 bezeichneten Politik zu wählen. Drei Gründe sind für diese Argumentation ausschlaggebend: Erstens definierte Adenauer in dem Gespräch mit Karl Marx bereits explizit sein Verständnis von Wiedergutmachung als „Pflicht“ und nutzte dieselbe Rhetorik, welche den Text der Regierungserklärung vom 27. September 1951 dominierte.106 Zweitens werden schon im Rahmen des Interviews vom November 1949 „mit Tat, Tätern (bzw. dem Namen des ,Tätervolkes‘) und Opfern die Bezugsgrößen der künftigen deutschen Verpflichtung: das Thema, die Verpflichteten und die Adressaten“107 benannt. Drittens – und dies ist das entscheidende Argument – kam es bereits im Zusammenhang mit dem Interview zu einer ersten indirekten Kontaktaufnahme Adenauers mit israelischen Politikern, die Marx im Vorfeld der Veröffentlichung vermittelte. Wie hat man sich diese erste Annäherung vorzustellen? Marx’ persönlichen Aufzeichnungen kann man entnehmen, dass dieser die mit Adenauer vereinbarte Sperrfrist vor der Veröffentlichung nutzte, „um den Inhalt dieses Interviews zunächst der Israel-Regierung vorlegen zu können. Das geschah über den israelischen Konsul Dr. Livneh.“108 Drei Tage vor Redaktionsschluss 104 Dieses und die zwei nachfolgenden Zitate sind entnommen aus Markus Weingardt, Verantwortung? Schuld?? – Verpflichtung!, in: COMPASS. Online-Extra Nr. 11 (Mai 2005), http:// www.compass-infodienst.de/Markus_Weingardt__ Verantwortung__ Schuld___-_Verpflichtung__Deutschland_und_Israe.489.0.html (1. 9. 2013). 105 Mendel, The Policy, 124. 106 Vgl. Brenner/Frei, Zweiter Teil, 244 – 246. 107 Markus Weingardt, Verantwortung? Schuld?? – Verpflichtung!, in: COMPASS. Online-Extra Nr. 11 (Mai 2005), http://www.compass-infodienst.de/Markus_Weingardt__ Verantwortung__ Schuld___-_Verpflichtung__Deutschland_und_Israe.489.0.html (1. 9. 2013). 108 Dieses und die folgenden Zitate in diesem Absatz entstammen: Karl Marx, Entwicklung der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 16. 7. 1955, 3, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

145

sei dann die Mitteilung bei dem Herausgeber eingetroffen, „daß die IsraelRegierung dieses Interview als Grundlage betrachtet und gegen seine Veröffentlichung nichts einzuwenden sei“. Kurz nach dem Erscheinen des Interviews, das laut Marx „über 1250 Nachdrucke in allen maßgebenden Zeitungen der Welt“ erfuhr, reiste der Herausgeber persönlich nach Israel, um dort in Gesprächen mit führenden Politikern – namentlich nennt er „Dr. Heinz Grünbaum (Handels- bzw. Finanzminister), Dr. Cohn und Dr. Avner (Ministerium des Äußeren)“ – die Ernsthaftigkeit des Angebots von Seiten der Bundesregierung zu unterstreichen. Dieses frühe, vorsichtige Abtasten zwischen deutschen und israelischen Politikern verstehe ich als ersten Schritt der Vorbereitung der Gespräche über ein Wiedergutmachungsabkommen, wobei es einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben muss, zur Klärung der genauen Abläufe im Zusammenhang mit dem Interview und den anschließenden Verhandlungen nicht nur die Aussagen von Marx, sondern auch und vor allem Aufzeichnungen der zwei beteiligten Regierungen auszuwerten. Die starke persönliche Involvierung des Herausgebers lässt die erste Stellungnahme Konrad Adenauers zur jüdischen Frage nicht nur im Hinblick auf die späteren Wiedergutmachungszahlungen und die Israel-Politik der Bundesregierung interessant erscheinen;109 die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Interview geben zugleich Anlass, Marx’ persönliche und politische Absichten zu hinterfragen, die zu diesem Zeitpunkt weit mehr umfassten als nur die nach wie vor zentrale Forderung nach Wiedergutmachung. Drei unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten scheinen plausibel: Zunächst erweckt die Kontaktaufnahme von Seiten des Herausgebers mit israelischen Staatsmännern den Anschein einer Abhängigkeit des deutschen Juden Marx von dem neu gegründeten Staat Israel, dem in einem solchen Szenario die Rolle einer zentralen jüdischen Autorisierungsstelle zuzuschreiben wäre. Marx’s Vorgehen wäre somit Ausdruck von Schwäche und Unmündigkeit, was den Herausgeber in letzter Konsequenz als jüdischen Partner für deutsche Politiker bzw. Mittler zwischen jüdischen und nichtjüdischen Gruppen uninteressant gemacht hätte. Sein Verhalten im Vorfeld der Veröffentlichung könnte jedoch auch als Ausdruck einer zionistischen Grundhaltung verstanden werden, welche Marx später als Vorsitzender der Zionistischen Organisation in Deutschland (ZOD) deutlich zum Ausdruck brachte.110 Die Zusendung des Interviewtextes an die Israelis vor der Veröffentlichung in der Allgemeinen Wochenzeitung wäre somit als Zeichen der Loyalität und Verbundenheit des Herausgebers mit den Juden in Israel und der Anerkennung des jüdischen Staates zu deuten, dessen Einbeziehung in Fragen, welche den neu 109 Zur Israelpolitik der Bundesregierung in der Ära Adenauer (1949 – 1965) vgl. Weingardt, Deutsche Israel- und Nahostpolitik, 61 – 179; Ders., Verantwortung? 110 Die ZOD wurde im Jahr 1954 wiederbegründet. Sie gehört zur zionistischen Weltorganisation und hat den Staat Israel in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Zu den Anfängen der ZOD vgl. z. B. Juling, Deutsche Juden, 47.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

146

Die Institutionen

gegründeten jüdischen Staat betrafen, für Marx eine Selbstverständlichkeit darstellte. Nicht zuletzt möchte ich jedoch eine dritte Interpretation der Vorgehensweise vorschlagen, die in Marx’ Entscheidung, das Interview vor der Veröffentlichung israelischen Politikern zur Einsicht zuzusenden, einen freiwilligen Entschluss erkennt, um seine politischen Ambitionen in Deutschland zu verbessern. Die Demonstration guter Kontakte in zwei Richtungen – zu deutschen und israelischen Politikern – wäre folglich ein bewusster Schachzug im Kampf um Anerkennung und Machtgewinn sowie eine strategisch bedeutsame Stellung und ein weiteres Mittel zur Festigung bzw. Absicherung seiner Rolle als Sprecher der Juden in Deutschland; Marx konnte sich in diesem Zusammenhang erfolgreich präsentieren als „Mittler […] zwischen Deutschen […] und den Juden in aller Welt, vor allem in Israel“111, in einer Rolle, die bereits in anderen Zusammenhängen beobachtet und von ihm explizit als Aufgabe der deutschen Juden definiert worden war.112 Rekapitulieren wir an dieser Stelle kurz Marx’ Vorgehen während der ersten Jahre der Herausgeberschaft des Jüdischen Gemeindeblatts: In Leitartikeln und Zeitungsbeiträgen hatte er es sich seit 1946 zur Aufgabe gemacht, die schleppende Wiedergutmachung anzuprangern und auf Missstände in diesem Bereich hinzuweisen. Er hatte zur Legitimierung seiner Forderungen auf demokratische Werte verwiesen und die von ihm herausgegebene Zeitung zur Durchsetzung jüdischer Interessen als „Kampfzeitung“ definiert. In seinem Bemühen um Recht und Wiedergutmachung für die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wandte Marx sich zudem persönlich bzw. mit Freiexemplaren an maßgebende Repräsentanten der deutschen Bundes- und Landesministerien sowie an Journalisten anderer Zeitungen; ein Vorgehen, durch das sich der Herausgeber als Akteur in die zeithistorischen Entwicklungen einschaltete und als Repräsentant jüdischer Interessen in Erscheinung trat. In letzter Instanz suchte Marx schließlich den Kontakt zu deutschen Spitzenpolitikern demokratischer Parteien, um prominente Unterstützung auch von deren Seite – erinnert sei hier an Kurt Schumacher – für seine Forderung nach einer gerechten Wiedergutmachung einzuholen. Das 1949 auf der Titelseite der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland abgedruckte Interview mit Adenauer ist demnach in erster Hinsicht eine Bestätigung dieser Arbeit: Nach vier Jahren war es Marx möglich, in seiner Zeitung ein Interview zu präsentieren, in dem sich der neu gewählte Bundeskanzler zum ersten Mal öffentlich zur Notwendigkeit der Wiedergutmachung bekannte. Anders als nach dem Gespräch mit Schumacher, der die Unterstützung des jüdischen Anliegens durch seine Partei zusichern, aber keine Taten in Aussicht stellen konnte, beinhalteten Adenauers Worte der Verpflichtung ein Versprechen und einen daraus hervorgehenden Handlungszwang: das neu gewählte Regierungsoberhaupt stellte fest umris111 Karl Marx, Jom Kippur – Tag der Versöhnung – Tag der Besinnung, in: AWJD, 5. 10. 1951. 112 Zur Mittlerrolle von Marx vgl. auch Kauders, Unmögliche Heimat, 98 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

147

sene Maßnahmen in Aussicht, welche den Juden in Deutschland, aber konkreter noch in Israel nutzen sollten. Das Zugeständnis des Bundeskanzlers markierte somit einen ersten Höhepunkt der Bemühungen um Wiedergutmachung und wurde von Marx als unmittelbares Ergebnis und Erfolg seiner Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dargestellt. Darüber hinaus gelang es Marx durch das Ersuchen Adenauers, sich als wichtigen Mittler zwischen Deutschen und Juden, d. h. zwischen der deutschen Bundesregierung und den Juden in Deutschland einerseits, sowie der deutschen Bundesregierung und der israelischen Regierung andererseits, zu positionieren. Dabei achtete er darauf, seine Einflussmöglichkeit in unterschiedliche Richtungen zu demonstrieren: Mit der Veröffentlichung des Interviews konnte Marx den Juden in Deutschland und Israel beweisen, dass sie in ihm einen gut vernetzten Repräsentanten jüdischer Interessen gefunden hatten, der Gehör bei der deutschen Regierung hatte. Zugleich demonstrierte Marx den deutschen Politikern, dass sie durch ihn nicht nur Kontakt zur jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, sondern auch zu verantwortlichen Staatsmännern in Israel herstellen konnten. Das Jüdische Gemeindeblatt bzw. die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland diente bei diesen Unternehmungen als zentraler Informations- bzw. Kommunikationsträger.113 Verfolgt man die Entwicklung des Jüdischen Gemeindeblatts während der ersten drei Jahre, bleibt abschließend festzustellen, dass Marx sein Ziel, die Zeitung als öffentliche Plattform zur Diskussion der Situation für Juden in Deutschland zu etablieren, mit der Veröffentlichung des Adenauer-Interviews 1949 erfolgreich realisiert hatte. Sein Verhalten – insbesondere gegenüber den politischen Instanzen – belegt ferner, dass der Herausgeber des Jüdischen Gemeindeblatts seine Tätigkeit nicht auf das journalistische Schreiben beschränkte; vielmehr war Marx darum bemüht, durch eine intensive Presseund Öffentlichkeitsarbeit aktiv auf die politischen Entwicklungen und Entscheidungsträger in der britischen Besatzungszone respektive dem zu erwartenden deutschen Staat einzuwirken und zählte deshalb die politische Repräsentation der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu seinen Aufgaben. Anders als es der klassische Journalismus vorsieht, verfolgte Marx eine klare Agenda und war ein politischer Verleger. Die Gespräche, die Marx innerhalb der ersten Jahre als Herausgeber der Zeitung mit deutschen Politikern führte, geben jedoch nicht nur Aufschluss über seine persönliche Motivation, sondern lassen Rückschlüsse zu, warum die Vertreter des neuen Deutschlands wiederum Kontakt zu Marx aufnahmen. Es scheint, dass manche von ihnen das persönliche Gespräch mit dem deutschen Juden Marx suchten, da sie sich mit ihm durch die gemeinsame Erinnerung an die Kaiserzeit bzw. Weimarer Jahre verbunden wussten und seine positive Zustimmung bzw. Unterstützung zur Betonung der eigenen demokratischen Gesinnung genutzt werden konnte. Andere wandten sich mit ihren 113 In diesem Sinne äußert sich auch Geller, Jews, 197 – 199.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

148

Die Institutionen

Anliegen an den Publizisten, da er als Herausgeber der ersten jüdischen Zeitung in der britischen Zone einen nicht zu vernachlässigenden politischen Einfluss ausüben konnte und seine Meinung von jüdischer- und nichtjüdischer Seite gehört wurde. Infolge dieser Beobachtungen ist die Konzentrierung der Berichterstattung auf die Information über Verordnungen und Gesetze der Wiedergutmachung für die Opfer des Nationalsozialismus und die Auseinandersetzung mit dem Holocaust als bewusste Entscheidung des Herausgebers zu verstehen, der die jüdische Zeitung für sein politisches Engagement nutzte und gezielt zur Verbesserung seiner (Ver-)Handlungs- und Machtposition einsetzte. So wichtig es Marx also war, eine Verbindung zwischen den unterschiedlichen jüdischen Gruppen herzustellen, umso deutlicher illustriert die Berichterstattung über Fragen der Wiedergutmachung, dass er der ursprünglich an zweiter Stelle genannten Aufgabe – der Profilierung der jüdischen Minderheit gegenüber den britischen Besatzern bzw. später der deutschen Regierung zur Durchsetzung politischer Interessen – oberste Priorität einräumte. Die Betonung der innerjüdischen Einheit war in diesem Kontext ein weiteres taktisches Mittel, um sich als Sprecher aller Juden in Deutschland inszenieren zu können. 1.3 In eigener Sache – Eine Rückschau auf die Arbeit und den Ausbau der Redaktion 1950, fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, hatte sich das Jüdische Gemeindeblatt stabilisiert und erschien bereits ein Jahr lang als Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland.114 Seit der Gründung des Mitteilungsblattes im Frühjahr 1946 hatten die Herausgeber, zunächst Frey, dann Marx, Historisches und Gegenwärtiges mit unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzung publiziert und kritisiert. In der ersten Ausgabe des fünften Jahrgangs liest man im Rückblick auf die Entwicklung der Pressearbeit während dieser ersten Jahre des Bestehens: 1946 – 1950: die Bedeutung dieser ereignis- und entscheidungsreichen vier Nachkriegsjahre für die Gestaltung und Entwicklung, ja, wenn man so sagen darf: Neuformung einer jüdischen Existenz in Deutschland, aber auch für das Geschehen im jüdischen Leben der Welt, insbesondere im Mandatsgebiet Palästina und nunmehr im Staate Israel, ist in diesen Blättern anfänglich auf kleinem Raum und vierzehntägig, dann aber wöchentlich [seit September 1948] auf 12 und mehr Seiten ständig nachgezeichnet worden. Aus einem schmalen ,Mittelungsblatt für die jüdischen Gemeinden der Nordrheinprovinz‘ wurde vor drei Jahren ein vollformatives ,Jüdi114 Seit der ersten Ausgabe des vierten Jahrgangs vom 15. 4. 1949 erschien das Jüdische Gemeindeblatt unter dem neuen Titel Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (Einzelpreis 30 Pfennig).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

149

sches Gemeindeblatt für die britische Zone‘. Im August 1948 eine ,Allgemeine Zeitung der Juden in Deutschland‘ und vor genau Jahresfrist die ,Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland‘. Aber bei all diesem äußerlichen Wechsel ist der Untertitel ,Jüdisches Gemeindeblatt‘ bewusst und aus Traditionserwägungen erhalten geblieben. Der Ton liegt allerdings auf ,jüdisch‘ und ,allgemein‘, und sie sind es auch, die diesem jetzt im Inland wie im europäischen und außereuropäischen Ausland stark verbreiteten, von Tausenden von Juden begehrten und auch von vielen Nichtjuden mit Interesse gelesenen Blatt ihr Gepräge geben.115

Diesen hier geschilderten Weg vom regionalen Gemeindeblatt zur deutschlandweit erscheinenden Allgemeinen ging Marx nicht allein, sondern erfuhr von verschiedenen Seiten Unterstützung: Nachdem die ersten organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten überwunden waren, wuchs die Redaktion, Korrespondenten wurden gefunden und das kleine Gemeindeblatt entfaltete eine Vielfalt, welche nach Einschätzung des Herausgebers „bei aller Konzentration auf das Jüdische, ein Panorama unserer geschichtlichen Ära“ entwarf. Folgt man der Argumentation E.G. Lowenthals, der zu den ersten Mitarbeitern des Jüdischen Gemeindeblatts gehörte, so war „Anfang 1949, nach Beendigung der schwierigsten Instabilitätsperiode im allgemeinen und nach Überwindung der ersten eigenen Kinderkrankheiten […] für die Zeitung ein Abschnitt, eine Stufe erreicht“116. Nachdem die inhaltliche Schwerpunktsetzung des Jüdischen Gemeindeblatts in der Zeitspanne von 1946 bis 1950 bereits ausführlich diskutiert wurde, sollen zur Vervollständigung des Portraits im Folgenden die personellen und ökonomischen Entwicklungen der Zeitung bis zur Namensänderung 1949 in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Wie gelang es Marx rein praktisch, das Jüdische Gemeindeblatt zu „einer angesehenen und einflußreichen jüdischen Zeitung“ zu machen, die er „als Sprachrohr und Diener jüdischer Interessen in der breiten Öffentlichkeit“ verstand? Wie entwickelte sich die Redaktion, wie die wirtschaftliche Situation des Privatunternehmens? Und welche Aussagen lassen sich über die Beziehung zwischen der Zeitung und ihren Lesern treffen? In Ermangelung eines Redaktionsarchivs aus dieser frühen Zeit kann zur Beantwortung dieser Fragen nicht auf eine interne Dokumentation der Zeitung zurückgegriffen werden; erhaltene Korrespondenzen zwischen dem Herausgeber und den Mitarbeitern einerseits und den jüdischen Gemeinden sowie der Besatzungsmacht und deutschen Instanzen andererseits, persönliche Erinnerungen der Mitarbeiter und zu Jubiläen publizierte Einblicke in den Redaktionsalltag bieten dennoch eine Grundlage, die eine Annäherung an die Geschichte der Redaktion ermöglicht. Beginnen wir die Darstellung bei den Anfängen der Marx’schen Tätigkeit, dem Jahr 1946. In der Retrospektive, als der Name „die Allgemeine“ bereits zu 115 Spektator, Weihe des Blicks, in: AWJD, 14. 4. 1950. 116 E.G.L. [Lowenthal], Die Namensfindung.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

150

Die Institutionen

Abb. 5: Henry P. Jordan, Referent in der politischen Abteilung des Auswärtigen Amts in Bonn, Harry Greenstein, amerikanischer Berater für jüdische Fragen in Deutschland, und Sam Haber, Executive Vice President des AJDC (v.l.), begutachten die von Karl Marx (r.) herausgegebene Allgemeine, wohl 1953.

einem Begriff geworden war, blickte Lilli Marx auf die Anfänge des Jüdischen Gemeindeblatts zurück und beschrieb die ersten Arbeiten der Redaktion wie folgt: Wir hatten den Redaktionsraum der Allgemeinen, die ja noch Mitteilungsblatt hieß, in Benrath, einem Vorort von Düsseldorf, wo eine Lokalzeitung, das Benrather Tageblatt, ein Familienunternehmen, mit einer veralteten Rotationspresse existierte. Dort mieteten wir also ein Zimmer und dort hat Karl Marx die erste Zeitung seines Lebens umgebrochen. Er hat nichts von Umbruch gewusst und imponierte den Druckern sehr, weil er alles genau richtig gemacht hat. Wir hatten noch einen jungen Mitarbeiter, Heinz Kaufmann, Sohn eines jüdischen Vaters aus Düsseldorf und eine Sekretärin. Ich habe den Vertrieb geleitet. Und in unserer Wohnung haben wir geschnippelt und geklebt, Nachrichten zusammengestellt und das Archiv begründet. Es war also wie ein richtiger Familienbetrieb.117

Diese positive Schilderung wird etwas relativiert, stellt man der Beschreibung von Lilli Marx die Ausführungen ihres Mannes gegenüber, in denen er sich zu seinem Tätigkeitsbeginn äußerte. Hinsichtlich der Entwicklung von Redak117 Brenner, Nach dem Holocaust, 181. Jenes enge Büro befand sich in der Friedhofstraße in Düsseldorf Benrath. E.G. Lowenthal, Liebe zum Werk, in: AWJD, 28. 10. 1949.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

151

tion und Leserschaft ist die erste Nummer des vierten Jahrgangs besonders aussagekräftig, in welcher der Hauptschriftleiter seinen Mitarbeitern, Lesern und zahlreichen Unterstützern im In- und Ausland für ihre Treue und Hilfe während der ersten Jahre seinen Dank aussprach und den bis dahin beschrittenen Weg der jüdischen Zeitung aus seiner Sicht zusammenfasste: Vor kaum mehr als zwei Jahren war das ,Jüdische Gemeindeblatt‘ noch ein ZweiMann-Betrieb. Es schien mir, als könne es mir nicht gelingen, aus dem kleinen ,Mitteilungsblatt‘ die ,Zeitung der Juden in Deutschland‘ zu machen, wie sie verlangt wurde, aber auch nötig war. Alle Bemühungen, die geeigneten Mitarbeiter zu finden, scheiterten, vor allem deshalb, weil sich unter den überlebenden Juden in Deutschland kaum noch qualifizierte Menschen finden ließen. Und so saß ich Tag für Tag und manche Nacht mit meiner einzigen Mitarbeiterin, meiner Frau, zusammen und tat, was möglich war. Ich versuchte zunächst, den Juden in der britischen Zone die wesentlichsten Nachrichten zu übermitteln, ihnen von den jüdischen Ereignissen in der Welt Kenntnis zu geben und den Grundstein zu einer erneuten kulturellen Arbeit zu legen. Es war eine schwere, verzweifelte Arbeit.118

Zusätzlich behindert wurde sein Wirken durch „die herrschende Papierknappheit und die übrigen Beschränkungen, denen die Presse in Deutschland damals noch unterlegen war“, berichtet Marx an späterer Stelle. Zwar bestritt der Herausgeber, während der Anfangsphase der Zeitungsherstellung Subventionen eingefordert oder erhalten zu haben; seine privaten Aufzeichnungen bestätigen jedoch, dass er 1947 „während einer Zeit von etwa 4 Monaten […] durch Zigarettentausch das Papier zu beschaffen [vermochte], das für die dann schon wesentlich grösser gewordene Auflage über die Papierzuteilung hinaus notwendig wurde“119. Offiziell wandte sich Marx erst im Mai 1948 an die Presseabteilung der Landesregierung Düsseldorf mit der Bitte, „unsere Zeitschrift künftighin stets 12-seitig, statt wie bisher nur 8-seitig herausbringen zu dürfen“ und ersuchte ferner „um die Genehmigung einer Auflage von 25 000 Exemplaren und um Bewilligung der dazu erforderlichen Papiermengen“120. Drei Gründe machten nach Aussage des Herausgebers diese Anpassung der Auflage notwendig: Zunächst habe das Jüdische Gemeindeblatt als einziges Organ der Juden in der britischen Zone […] die Aufgabe, nicht nur alle Juden in dieser Zone zu beliefern, sondern es obliegt uns auch die Betreuung der Juden in der französischen Zone, da dort eine jüdische Zeitung deshalb nicht exis118 Karl Marx, Dank, in: AWJD, 15. 4. 1949. Vgl. Sachser, In einigen eigenen Sachen, 67. 119 Karl Marx, Entwicklung der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 16. 7. 1955, 1, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. 120 Dieses und die folgenden zwei Zitate entstammen dem Schreiben von Karl Marx an Dr. Stommen, Berater des Landesausschusses für die Presse, 22. 5. 1948, in: LA NRW, NW 11, Nr. 76.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

152

Die Institutionen

tiert, weil es unter den überlebenden Juden leider keine Menschen mehr gibt, die die Qualifikationen besitzen.

Darüber hinaus wies Marx in seinem Schreiben darauf hin, dass „das Interesse für unsere Zeitschrift in den meisten nichtjüdischen Kreisen […] derartig groß [sei], daß wir selbst bei einer Verzehnfachung unserer heutigen Auflage nicht in der Lage wären, die Ansprüche zu befriedigen“. Schließlich nannte er als weitere Begründung für seine Anfrage die Bestellungen der im Ausland lebenden deutschen Juden sowie die Anforderungen ausländischer jüdischer Organisationen und Institutionen, deren Wünschen das Gemeindeblatt laut Marx aufgrund der begrenzten Auflage nur zum Teil nachkommen konnte. Die vom Herausgeber am Ende des Schreibens angefügte Übersicht über die Zusammensetzung der erbetenen Auflage von 25.000 Exemplaren gibt Aufschluss über das von ihm angenommene Marktpotential: Im Jahr 1948 kalkulierte Marx, dass ca. 10.000 Exemplare der Zeitung an Inlandsabonnenten und jüdische Institutionen abgegeben wurden, ca. 8.000 Zeitungen für Auslandsabonnenten mit Belieferung der ausländischen jüdischen Institutionen benötigt wurden und ca. 7.000 im Straßenverkauf Absatz fanden.121 Leider wurden für das Jüdische Gemeindeblatt und die nachfolgende Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland keine bevölkerungsrepräsentativen Erhebungen zur Ermittlung von Reichweite und Nutzerstrukturen der Zeitung sowie zu den Lesegewohnheiten der Nutzer durchgeführt. Da während der ersten Jahrgänge auch nur vereinzelt Leserzuschriften abgedruckt wurden, die unter Umständen Rückschlüsse auf die Leserschaft zulassen würden, bliebe jede aus den publizierten Inhalten oder Annoncen des Jüdischen Gemeindeblatts abgeleitete Aussage zur Leserschaft spekulativ, so dass lediglich die unregelmäßig festgehaltenen statistischen Hinweise und beiläufigen Kommentare des Herausgebers als Anhaltspunkte für die Charakterisierung der Leserschaft zur Verfügung stehen. Seinen Aussagen zufolge handelte es sich um eine aus Juden und Nichtjuden gemischte Leserschaft. Neben Privatpersonen wurden deutsche Politiker und Ministerien sowie jüdische Organisationen im In- und Ausland von Marx mit seiner Zeitung versorgt, d. h. auch in diesen Kreisen gab es ein allgemeines Interesse an der jüdischen Gemeinschaft bzw. eine vom Herausgeber durch die Zusendung der Zeitung angestoßene Auseinandersetzung mit der jüdischen Frage. Marx’ Bemühen um die Erlaubnis, eine höhere Auflage seiner Zeitung drucken zu dürfen, war unmittelbares Resultat des Aufbaus und Ausbaus der Redaktion sowie der Verbesserung der inhaltlichen und gestalterischen Qualität der Arbeit: Schon der Beginn des II. Jahrganges, der 15. April 1947, brachte mir einen Lichtblick: Ich fand zunächst für die Redaktion selbst, dann aber auch in der britischen Zone einen kleinen Mitarbeiterstab, der zwar nicht die Vorkenntnisse, aber den guten 121 Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

153

Willen mitbrachte, um mir zu helfen, meinem Ziel näher zu kommen. [D]ie Frage eines weiteren Mitarbeiterkreises blieb aber offen. Ich war auf die Nachrichtendienste, auf Rundfunk und Presse angewiesen, es gelang mir jedoch nicht, auch nur annähernd das Niveau zu erreichen, das ich anstrebte. Alle Versuche im Ausland Mitarbeiter zu finden, scheiterten. Das Gefühl der Isoliertheit verstärkte sich von Woche zu Woche mehr, und es schien schon beinahe so, als wenn es nicht möglich wäre, das ,Jüdische Gemeindeblatt für die britische Zone‘ so zu gestalten, daß es uns Ehre einlegt. Mit dem Beginn des III. Jahrgangs wurden meine Bemühungen belohnt. Im Sommer 1948 meldeten sich die ersten Mitarbeiter des Auslandes.122

Bei dem Versuch, einen Überblick über die Mitarbeiter des Jüdischen Gemeindeblatts bzw. der Allgemeinen zu gewinnen, macht sich das Fehlen eines Redaktionsarchivs besonders deutlich bemerkbar. Weder auf Grundlage des erhaltenen Quellenmaterials, noch anhand der veröffentlichten Beiträge können zuverlässige Aussagen über den festen Mitarbeiterstab getroffen werden; es scheint vielmehr, dass der Stab der redaktionellen Mitarbeiter und Korrespondenten in der Anfangsphase der Zeitung recht häufig wechselte. Einen ersten Anhaltspunkt bietet eine Liste der ältesten Mitarbeiter der Allgemeinen Wochenzeitung, die Marx zum 20-jährigen Jubiläum veröffentlichte. In diesem Verzeichnis präsentierte Marx jedoch vor allem bekannte Namen: So werden u. a. der Historiker Kurt Jakob Ball Kaduri, Tel Aviv (1891 – 1976), der Schriftsteller Max Brod, Tel Aviv (1884 – 1968), der Religionsphilosoph und Schriftsteller Schalom Ben-Chorin, Jerusalem (geboren als Fritz Rosenthal, 1913 – 1999), der Journalist Walter Dirks, Köln (1901 – 1991), der Berliner Gemeindevorsitzende Heinz Galinski (1912 – 1992), Rabbiner Nathan Peter Levinson, Heidelberg (geb. 1921), die Soziologin Eva G. Reichmann, London (1897 – 1998) und der Publizist Robert Weltsch, London (1891 – 1982) genannt. In der Zusammenstellung fehlen aber beispielsweise für die Entwicklung der Jüdischen Allgemeinen zentralen Figuren wie Marcel Gärtner (1931 – 2001), der von 1949 bis 1959 bei der Allgemeinen wirkte, zuletzt als Chefredakteur,123 Friedo Sachser (1930 – 2007), der über 40 Jahre bei der Allgemeinen arbeitete und ein umfangreiches Fotoarchiv zusammenstellte,124 oder Hermann Lewy, der aus Portugal nach Deutschland zurückkehrte und im Februar 1959, über den Tod Karl Marx’ hinaus, die Leitung der Redaktion übernahm.125 Die 1966 veröffentlichte Auswahl vergleichsweise prominenter Mitarbeiter bietet folglich keine zuverlässige Grundlage für eine differenzierte Charakte122 Karl Marx, Dank, in: AWJD, 15. 4. 1949. 123 Jens-Uwe Lindner, Ehemaliger Düsseldorfer Studioleiter Marcel Gärtner gestorben, in: Pressemappe des WDR. Eintrag vom 29. 1. 2011, http://www.presseportal.de/pm/7899/215641/ wdr_westdeutscher_rundfunk (23. 5. 2013); Spiegel, Wieder zu Hause?, 124. 124 Ralph Giordano, Friedo Sachser. Der Kärrner, in: JA, 6. 9. 2007. 125 Zur Tätigkeit und Biografie von Hermann Lewy (geb. 1906) vgl. u. a. Bock, Coining Poetry, 502; Zur Mühlen, Fluchtweg Spanien-Portugal, 164; Spiegel, Wieder zu Hause?, 124.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

154

Die Institutionen

risierung der Redaktion. Trotz der geringen Informationsbasis lassen sich aus dieser Auflistung jedoch einige grundsätzliche Merkmale des Mitarbeiterstabs der Zeitung ableiten: So kann konstatiert werden, dass sich unter den Mitarbeitern des Jüdischen Gemeindeblatts bzw. der Allgemeinen Wochenzeitung Juden und Nichtjuden unterschiedlichen Alters befanden, wobei insbesondere unter den Korrespondenten aus dem Ausland die Zahl der jüdischen Mitarbeiter überwog. Die berufliche Ausbildung der Beiträger variierte stark: Neben wenigen ausgebildeten Journalisten befanden sich zahlreiche Schriftsteller, Rabbiner und in den Gemeinden bzw. politisch Engagierte unter den Mitwirkenden. Auffällig ist, dass sich unter den 66 von Marx in der Jubiläumsschrift genannten Mitarbeitern nur sechs Frauen befanden. Beim genaueren Studium einzelner Ausgaben der Zeitung bestätigt sich, dass dieses in der Namensliste feststellbare Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern offenbar den Redaktionsalltag widerspiegelt: In den ersten Jahrgängen des Jüdischen Gemeindeblatts wurde kein einziger Leitartikel von einer Frau verfasst; vielmehr treten diese – wenn überhaupt – als Verfasserinnen kultureller Beiträge und als Berichterstatterinnen von Gemeindeereignissen in Erscheinung. Hendrik G. van Dam, Herbert Freeden (1909 – 2003), Ralph Giordano (geb. 1923), E. G. Lowenthal und Paul Marcus (1901 – 1972), der unter dem Pseudonym PEM veröffentlichte, gehörten zu den besonders engen Mitarbeitern von Karl Marx. Sie prägten die Arbeit der Zeitung entscheidend und trugen über viele Jahre in unterschiedlichster Form zu ihrer Gestaltung bei. E. G. Lowenthal gehörte zu den ersten Personen, die Marx für die Mitarbeit in der Redaktion rekrutierte.126 Die Beiträge des leitenden Mitarbeiters der JRU in Düsseldorf erschienen vor allem im Feuilleton, wo sich der spätere Chefredakteur der Zeitschrift Jüdische Sozialarbeit zu neuer Literatur und Theaterstücken äußerte.127 Darüber hinaus stellte er ausführlich unterschiedliche Aspekte der Arbeit ausländischer Hilfsorganisationen im Nachkriegsdeutschland vor, berichtete über innerjüdische Entwicklungen und kommentierte in Rückblicken die Lebensgeschichten bekannter Persönlichkeiten sowie historische Ereignisse.128 Van Dams erster Beitrag für das Jüdische Gemeindeblatt erschien am 14. Mai 1947 zum Thema „Strafrechtsschutz“129. Seit diesem Datum informierte der Legal Adviser der JRU regelmäßig über unterschiedliche Aspekte

126 Lowenthal, Auf vorgeschobenem Posten. 127 Beispielhaft seien folgende Artikel genannt: EGL, Jüdischer Geist in deutscher Dichtung, in: JG, 17. 12. 1947; Ders., UNRRA, in: JG, 8. 10. 1947; Ders., Ehrfurcht vor dem Vergangenen, in: JG, 31. 12. 1947. 128 EGL, In Khaki mit dem Davidstern, in: JG, 26. 7. 1947; Ders., Forderungen und Aufgaben, in: JG, 24. 10. 1947; Ders., Vor einem Jahrhundert, in: JG, 17. 12. 1947; Ders., Jüdische Presse einst und jetzt, in: JG, 24. 3. 1948; Ders., Isolation und Unsicherheit, in: JG, 15. 10. 1948. 129 Van Dam, Strafrechtsschutz, in: JG, 14. 5. 1947.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

155

der Wiedergutmachung,130 die Rechtslage der Flüchtlinge und jüdischen Gemeinden131 sowie andere juristische Fragestellungen132. Von wenigen Ausnahmen abgesehen erschienen seine Artikel während der 1950er und 1960er Jahre wöchentlich und beinhalteten nicht nur Bekanntgaben des Zentralrats, die er als sein Generalsekretär veröffentlichte; der Jurist setzte sich in seinen zahlreichen Leitartikeln, die wahlweise unter seinem eigenen Namen oder einem von vier Pseudonymen abgedruckt wurden, nicht mehr ausschließlich mit juristischen, sondern auch mit tagespolitisch relevanten Fragestellungen auseinander.133 „In sämtlichen Jahrgängen erst des ,Jüdischen Gemeindeblattes‘, dann der ,Allgemeinen‘ erscheinen die Initialen PEM“, liest man in dem zum 15. Geburtstag der Jüdischen Allgemeinen veröffentlichten Sammelband Narben, Spuren, Zeugen.134 Tatsächlich gehörten der in Besskow geborene Journalist und Schriftsteller Paul Marcus, bekannt als PEM,135 und der als Herbert Friedenthal in Posen geborene Herbert Freeden136 zu den aktivsten „Auslandskorrespondenten“ der jüdischen Zeitung. Beide waren aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung aus ihrer Heimat ins Exil geflohen und befanden sich zu Kriegsende in England. Von hier berichteten sie seit 1948 wechselweise über aktuelle Entwicklungen in London.137 Nachdem Freeden Anfang der 1950er Jahre nach Israel umgesiedelt war, berichtete er für die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland schwerpunktmäßig aus dem Nahen Osten;138 PEM schrieb weiterhin aus London, veröffentlichte jedoch auch Reiseberichte und zahlreiche Artikel, welche die jüngste Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit dem Holocaust thematisierten.139 130 H.G. van Dam, Polnische Wiedergutmachungsansprüche, in: JG, 28. 5. 1947; Ders., Sicherung des Rückerstattungsanspruches, in: JG, 13. 8. 1947; Ders., Und wann folgt die britische Zone, in: JG, 30. 9. 1947. 131 H.G. van Dam, Die Rechtslage der Flüchtlinge (früher DP’s), in: JG, 24. 9. 1947; Ders., Rechtsgleichheit und Gerechtigkeit, in: JG, 27. 8. 1947; Ders., Die Steuerlast der Verfolgten, in: JG, 24. 10. 1947. 132 H.G. van Dam, Zum Urteil im Aachener Brandstifterprozess, in: JG, 20. 7. 1947; Ders., Rückwanderung nach Deutschland, in: JG, 24. 9. 1947; Ders., Zur Tagung deutscher Juristen in Godesberg, in: JG, 8. 10. 1947. 133 Die Mehrheit der Artikel van Dams, die nicht mit seinem Namen gekennzeichnet waren, erschienen unter den Pseudonymen G. Neuland oder H. Torren. Darüber hinaus können folgende Kürzel van Dam zugeordnet werden: Bruno Blau; G.H.; G.W.; Nld.; v.D. 134 Giordano (Hg.), Narben, Spuren, Zeugen, 447. 135 Telefonisches Interview mit London; Brüning/Aurich (Hg.), Pem; Lewy, Wo er ist, da ist Berlin; PEM, Mit dem Chef unterwegs; Pem, London, o.T.; Willimowski, „Emigrant sein ist ja kein Beruf“. Vgl. auch Pem’s Personal Bulletins, in: DNB, Exilpresse digital, http://deposit.ddb.de/ online/exil/exil.htm (5. 4. 2011, seit 2012 nicht mehr online zugänglich). 136 Freeden, Leben zur falschen Zeit. 137 Herbert Freedens Beiträge erschienen unter dem Titel „Londoner Chronik“ oder „Londoner Brief“; PEMs Rubrik hieß „Hallo – hier ist London!“. 138 Herbert Freeden, Juden in Holland, in: JG, 24. 9. 1948; Ders., Filmproduktion in Palästina, in: JG, 5. 11. 1948; Ders., Winston Churchill und die Juden, in: JG, 26. 11. 1948. 139 PEM, „Ich bin immer ein guter Nazi gewesen“, in: JG, 8. 10. 1948; Ders., Ich war Hitlers

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

156

Die Institutionen

Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle die Mitarbeit von Ralph Giordano, der bis heute in der deutschen Öffentlichkeit als Journalist, Schriftsteller und Kritiker in Erscheinung tritt. Als Sohn einer jüdischen Mutter überlebte er die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs versteckt in einem Keller in Hamburg-Alsterdorf; kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs lernte er Karl Marx kennen und schrieb ab Herbst 1947 für das Jüdische Gemeindeblatt.140 In den nächsten Jahren gehörte Giordano als freier Journalist zu den produktivsten Autoren.141 Er äußerte sich zu politischen Ereignissen, kommentierte Kulturelles und verfasste zahlreiche Leitartikel, in denen er sich kritisch mit den Entwicklungen in Deutschland und der Situation der Juden in diesem Land auseinandersetzte.142 Nach einer längeren Unterbrechung der persönlichen Beziehungen zwischen ihm und Marx übernahm Giordano 1957 die Aufgabe, als Reporter der jüdischen Wochenzeitung und als Beobachter des Zentralrats der Juden in Deutschland die zweite Welle von NS-Prozessen zu verfolgen.143 Wie muss man sich jedoch die Arbeit der Redaktion in dieser Anfangsphase vorstellen? Wenig ist von den ersten Jahren überliefert, allerdings vermitteln die humoristischen Ausführungen von Friedo Sachser zum 20-jährigen Bestehen der Zeitung einen Einblick in den Arbeitsalltag der Redaktion und sollen an dieser Stelle etwas ausführlicher wiedergegeben werden: In den Anfangsjahren drängte sich die Tätigkeit der Redaktion, Verlag und Vertrieb in ein paar engen, rauchgeschwängerten Räumen der gastgebenden Lohndruckerei zusammen, was zwar eine imposante Zusammenballung physischer und psychischer Kräfte darstellte, diese aber letztlich an der gewünschten und förderlichen Entfaltung, auch zum Vorteil der Leser, hinderte. An dem somit historisch gewordenen 25. Oktober 1949 zogen sämtliche Mitarbeiter aus der unüberhörbaren Nähe der Rotationsmaschine ein paar Vorortsstraßen weiter und ergossen sich in einen

140

141 142

143

Mickymaus, in: JG, 15. 10. 1948; Ders., Letzter Besuch bei Alfred Kerr, in: JG, 22. 10. 1948; Ders., Ein schwarzer Schwarzhändler in Nachkriegs-Deutschland, in: JG, 12. 11. 1948. Giordano hat mehrere Werke autobiografischen Charakters verfasst und wiederholt in Interviews ausführlich auf Fragen nach seinem Schicksal geantwortet, vgl. z. B. Die zweite Schuld; Erinnerungen an das Kriegsende; Erinnerungen eines Davongekommenen; „Es war ja kein anderes Volk da“; Hamburg 1945; Meine Beziehung zur „Allgemeinen“, in: AWJD, 2. 6. 1961. Vgl. auch Christian Böhme, „Ich bin auch ein Glückskind“, in: JA, 5. 5. 2007. Giordano, Zum 50. Jahrestag, 276. Ralph Giordano, Und Deutschland? – schweigt, in: JG, 8. 10. 1947; Ders., Die letzte Nacht, in: JG, 31. 12. 1947; Ders., Mangelnder Wille zur Wiedergutmachung, in: JG, 14. 1. 1948; Ders., Rückblick – für die Zukunft, in: JG, 14. 4. 1948; Ders., Freispruch für Mord, in: JG, 23. 6. 1948; Ders., „Nach Palästina natürlich“, in: JG, 11. 8. 1948. Giordano, „Es war ja kein anderes Volk da“, 163. Vgl. zur Beziehung Giordanos zu Marx und van Dam auch Giordano, Zum 50. Jahrestag, 284 f; Giordano, Dankesrede zur Verleihung des Leo-Baeck-Preises am 17. September 2003 in Berlin durch den Zentralrat der Juden in Deutschland, in: http://www.zentralratdjuden.de/de/article/225.html (9. 6. 2013); Tobias Kühn, „Alles ganz vorsichtig“. Ralph Giordano über die Anfänge jüdischen Lebens nach der Schoa, in: JA, 15. 7. 2010.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

157

schrebergartengroßen Tanzsaal mit mehr oder weniger repräsentativen Nebenräumen, aus dem findige Köpfe und geschickte Hände eine Art Kabinendeck für alle Belegschaftsmitglieder modelliert hatten – nach oben offene Holzkajüten mit Glaswänden, mit Türen zum Mittelflur hin, nach unten mit abgetretenem Tanzschwingboden abgeschlossen. Im Laufe der Zeit nahm der Korridor immer ausgeprägter den Charakter eines Grenzstreifens an, auf dessen einer Seite der Verlag in gebotener Ruhe und Würde residierte, während die andere von der eher unruhigen und redeeifrigen Redaktion okkupiert wurde. […] Die gemeinsame Bewältigung aller auftauchenden Schwierigkeiten, wie etwa die Bekämpfung eines durch die Zufallslandung eines Zigarettenrestes im Papierkorb entstandenen Archivbrandes, erwies sich als einigender Impuls. Jedenfalls war die Wachstumsperiode des Unternehmens auch nach den Gründerjahren vielseitig fruchtbar. In der Redaktion wuchsen und gediehen Zeilen und Volonteure [sic!], im Verlag summierten sich die Zahlen. Das papierne Endprodukt eroberte das Interesse einer wachsenden Leserschaft im In- und Ausland, zu der sich mit den Jahren auch eine erkleckliche Anzahl von Nichtjuden gesellte, die am Geschick und an den Sorgen einer wiederaufstrebenden jüdischen Gemeinschaft mitbürgerlichen Anteil nahmen.144

Im März 1958 erfolgte unter der Herausgeberschaft von Karl Marx ein weiterer Umzug: Um in zentralerer Lage wirken zu können, bezog die Redaktion Räumlichkeiten im neuen Haus der jüdischen Gemeinde Düsseldorf in der Zietenstraße 50. Der Verlag wurde aus Platzmangel im Haus neben der Synagoge, im ehemaligen provisorischen Betsaal des alten Gemeindehauses untergebracht.145 Detailliert beschrieb Sachser in den zusammengestellten Memoiren der Redaktion auch den Umgang mit Druckfehlern und Stilblüten, charakterisierte „verschiedene konträre Kategorien der Mitarbeitergattung“ und artikulierte die Freude der Redaktion über „Besucher aller Art“, wobei in den amüsanten Beschreibungen der Anliegen derer, „die sich von uns Rat und Tat in persönlichen oder sachlichen Wehwehchen erhoffen“146, durchaus auch die problematischen Seiten des unmittelbaren Kontakts mit der Öffentlichkeit zur Sprache kamen. Die Gemeinden waren nicht nur als Auftraggeber daran interessiert, aus ihrer Sicht relevante Beiträge in der Zeitung zu platzieren und Informationen an ihre Mitglieder zu übermitteln; sie und ihre Mitglieder waren zugleich die Hauptabnehmer, weshalb auf beiden Seiten – Redaktion und Gemeinden – Interesse an einer guten Zusammenarbeit bestand.147 Die von Mitarbeitern der Redaktion verfassten Memoiren bestätigen die von Marx nach den ersten Jahren seiner Herausgeberschaft festgehaltenen Impressionen: Nach dem schwierigen Beginn, in dem Marx seinen eigenen Ansprüchen 144 145 146 147

Sachser, In einigen eigenen Sachen, 68. Lowenthal, Liebe zum Werk, in: AWJD, 28. 10. 1949. Sachser, In einigen eigenen Sachen, 72. Vgl. ebd., 71.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

158

Die Institutionen

nicht hatte gerecht werden können und verzweifelt nach Mitarbeitern suchte, folgte ein Wachsen und Gedeihen der Redaktion und der Zeitung, deren Inhalte von einem immer größeren Leserkreis zur Kenntnis genommen wurden. Drei wichtige Ereignisse in der Geschichte des Jüdischen Gemeindeblatts seien am Ende dieses Kapitels noch genannt, die sehr klar veranschaulichen, wie nah Krise und Chance auch in den späteren Jahren der Zeitungsentwicklung beieinanderlagen: 1948 stellte die Einführung der Deutschen Mark das Jüdische Gemeindeblatt vor massive finanzielle Probleme, die den Herausgeber an die Grenzen der Belastbarkeit führten. Am 7. September wandte sich Marx deshalb mit der Bitte an das Sozialministerium des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, seinem Unternehmen einen Überbrückungskredit im Hinblick auf die Währungsreform zu bewilligen. „Meine Bemühungen, aus eigener Kraft über die Schwierigkeiten hinwegzukommen, in die ich mit meiner Zeitung durch die Abwertung gekommen bin, waren leider nicht so erfolgreich, daß ich mein Vorhaben, auf einen Kreditabtrag zu Gunsten anderer zu verzichten, nicht durchführen kann“, schrieb er und erläuterte seine schwierige Situation ausführlich: Dem Entwertungsverlust in Höhe von RM 35.458,– stehen bedauerlicherweise, wie das bei Warengeschäften der Fall ist, leider keine Warenwerte gegenüber. Dazu kommt, daß der weitaus größte Teil der Abonnementen auf lange Zeit im voraus bezahlt hat, sodaß dadurch die Schwierigkeiten noch vergrößert wurden. Zuletzt hatte ich das Unglück, daß die Nr. 6 meiner Zeitung ausgerechnet kurz nach der Veröffentlichung des Entwertungsgesetzes herauskam und ich so gezwungen war, enorme Beträge zum Frankieren meiner Sendungen aufzuwenden.148

Hans Schaffhausen, den Marx als Buchführer zu Rate gezogen hatte, bescheinigte gegenüber dem Sozialministerium, dass der Umsatz für die Zeit vom 1. Januar bis 20. Juni 1948 RM 117.422,03 betrug und bestätigte den aufgrund der Überleitungsbilanz per 21. Juni 1948 ermittelten Währungsverlust von RM 35.458,68. Die hohen Außenstände aus Zeitungsvertrieb und Inseratenwerbung gingen im Hinblick auf die damalige allgemeine Geldknappheit schleppend ein, schloss Schaffhausen seinen Bericht: „Trotzdem ist die wirtschaftliche Lage des Verlages durch die vorliegenden hohen Inseratenaufträge durchaus gesund.“149 Es war Marx dennoch nur durch die Zusage des beantragten Überbrückungskredits in Höhe von DM 1.500,– möglich, die hohen Verluste aufzufangen, die dem Privatunternehmen im Zuge der Geldentwertung in den drei Westzonen entstanden, und die Arbeit der jüdischen Zeitung für die zweite Jahreshälfte abzusichern.150 148 Karl Marx an das Sozialministerium Düsseldorf, 7. 9. 1948, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824. 149 Hans Schaffhausen, Helfer in Buchführung und Steuersachen, an das Sozialministerium des Landes NRW, Düsseldorf, 8. 9. 1948, in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824. 150 Der Vertrag über die Überbrückungshilfe zwischen Marx und dem Sozialminister wurde am

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Jüdische Allgemeine

159

1949, kurz nachdem die akute Finanzkrise überwunden war, entschied Marx, „seinem ,Jüdischen Gemeindeblatt‘, damals erst drei Jahrgänge alt, einen gemäßeren, allgemeineren, möglichst endgültigen Titel zu geben“151. Lowenthal, den Marx in seine Überlegungen einbezog, berichtete rückblickend, dass dieser nach einem Namen suchte, der „dem allmählichen Wachstum und der Vielfalt des Inhalts der Zeitung entsprechen und von der Beschränkung auf einen bestimmten, engeren Bezirk frei bleiben“ sollte. In der von Lowenthal erinnerten Unterhaltung mit dem Herausgeber „kam es wesentlich auf ,allgemeine‘ und ,Juden‘ an“152. Da der Titel Allgemeine Zeitung des Judentums153 bereits früher benutzt und zuletzt von der C.V. Zeitung (Berlin) als Untertitel geführt worden war, verständigten sich die Gesprächspartner im März 1949 „sofort in dem Empfinden, dass dieser Titel, ganz abgesehen davon, daß er letzten Endes doch etwas zu anspruchsvoll erschien, schon aus historischen Erwägungen pietätvoll unangetastet und ,geschützt‘ bleiben solle und bleiben müsse“154. Stattdessen einigten sie sich, als „Ausweg“ auf den Namen Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, der seit dem 15. April 1949 groß auf der ersten Seite jeder Ausgabe erschien. Am 7. Juli 1949 beantragte Marx schließlich offiziell beim Landespressereferat die Genehmigung der Änderung seines Zeitungskopfes, die am 10. August von Ministerpräsident Arnold erteilt wurde.155 Sie sei notwendig, begründete Marx sein Gesuch, „nachdem die bisher in Deutschland bestehenden jüdischen Zeitungen ihr Erscheinen eingestellt haben und ich die von den jüdischen Zentralinstanzen anerkannte einzige jüdische Zeitung in Deutschland habe“156. Tatsächlich überlebte von den verschiedenen deutschsprachigen jüdischen bzw. jiddischen Zeitungen, die in den ersten Nachkriegsjahren gegründet worden waren, lediglich die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland: Viele von den DPs gegründete Mitteilungsblätter hatten im Zuge der fortschreitenden Emigration und dem damit einhergehenden Wegzug ihrer Redakteure und Leser das Erscheinen eingestellt; andere jüdische Zeit-

151 152 153 154 155 156

22. 9. 1948 unterzeichnet, vgl. hierzu die Korrespondenz in der Entschädigungsakte, insbesondere den Vertrag zwischen dem Jüdischen Gemeindeblatt und dem Sozialminister, 22. 9. 1948, sowie den Tilgungsplan über den am 22. 9. 1948 im Rechnungsjahr 1948 dem Verfolgten des Naziregimes Jüdisches Gemeindeblatt in Düsseldorf Benrath aus den Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen gezahlten Anlagekredit von 1500,– DM, beide in: Bez.-Reg. Düsseldorf, Akt 2824. Für einen Überblick über die vielfältigen Auswirkungen der Währungsreform auf die Lebenssituation der Flüchtlinge vgl. z. B. Connor, The Refugees. Lowenthal, Die Namensfindung. Ebd. Zur Allgemeinen Zeitung des Judentums vgl. http://www.compact memory.de (6. 6. 2013). Zur Geschichte der jüdischen Presse in Deutschland vor 1945 vgl. z. B. Weltsch, Redakteur. Lowenthal, Die Namensfindung. Karl Arnold an Karl Marx, 10. 8. 1949, in: LA NRW, NW 11, Nr. 76. Karl Marx an das Sekretariat des Landespressereferats, Düsseldorf, 7. 7. 1949, in: LA NRW, NW 11, Nr. 76.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

160

Die Institutionen

schriften und Mitteilungsblätter, erinnert sei hier u. a. an die von Marx herausgegebene Zeitschrift Zwischen den Zeiten, konnten sich aufgrund finanzieller Probleme nur kurze Zeit halten.157 Ebenso erging es der jüdischen Zeitschrift Der Weg, die 1946 als erste jüdische Zeitschrift außerhalb der DPLager in Berlin gegründet worden war.158 Infolge der Schwierigkeiten, in welche die Publikation durch die besondere wirtschaftliche Lage Berlins geraten war, konnte sie ihre Unabhängigkeit 1950 nicht länger aufrecht erhalten. Nach Abstimmung mit der Allgemeinen Wochenzeitung sprang Marx zur Überbrückung des Engpasses ein und belieferte die Berliner Abonnenten mit seiner Zeitung. Zeitgleich begannen Verhandlungen zwischen den Herausgebern, in deren Verlauf man sich schließlich auf die Vereinigung der Zeitschrift Der Weg mit der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland einigte. Man werde versuchen, auch den Berlinern „in jeder Hinsicht zur Verfügung zu stehen“, erklärte Marx in einem Statement und gab gleichzeitig bekannt, dass eine Berliner Ausgabe der Allgemeinen unter dem Titel Der Weg – Berliner Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland erscheinen und eine Zweig-Redaktion in Berlin eröffnet werde.159 Die Verschmelzung der Allgemeinen mit der Berliner jüdischen Zeitung Der Weg markiert somit nicht nur das Ende einer während der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschenden Vielfalt jüdischer bzw. jiddischer Pressestimmen, sondern auch einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der Marx’schen Zeitung. Trotz der mühsamen Anfänge des Jüdischen Gemeindeblatts in der britischen Zone, trotz der Rückschläge in der Anwerbung von Mitarbeitern und einiger finanzieller Schwierigkeiten war es Marx bis 1950 gelungen, seine Zeitung als einziges jüdisches Presseorgan in der Bundesrepublik zu etablieren; seine Zeitung besaß somit zum Zeitpunkt der Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland eine Monopolstellung. Der neue Zeitungstitel, der den Radius, die Kategorie und die Frequenz der Zeitung auf einen Blick erkennen ließ, ist äußerer Ausdruck dieses gewandelten Selbstverständnisses. Erst Ende 1950 entstand in München mit der nayen yidishen tsaytung ein neues jiddischsprachiges Informationsorgan, das in der Druckerei der Gebrüder Garfinkiel hergestellt wurde und bis zum Jahr 1974 erschien; 1951 begründete Moses Lustig in München außerdem die Münchner Jüdischen Nachrichten, eine jüdische Zeitung in deutscher Sprache, die ihre Inhalte zwar schwerpunktmäßig auf die Interessen der bayerischen Leserschaft abstimmte und in großer Entfernung zur politischen Interessenvertretung der Juden in Deutschland angesiedelt war, jedoch trotzdem von Marx 157 Zur jüdischen Zeitungslandschaft von 1945 bis 1950 vgl. Geis, Übrig sein, 25 – 36. 158 Zum Weg vgl. Grossmann, Home, 75 – 99. 159 Marx, Nunmehr eine Zeitung. Durch die Vereinigung der Berliner Sektion der Allgemeinen mit der Zeitung Der Weg erhöhte sich die Auflagenzahl auf 34.000. Zu diesem Thema vgl. auch Brenner, Nach dem Holocaust, 90; Hans-Erich Fabian, Beitrag zur Jubiläumsausgabe, in: AWJD, 11. 3. 1966; Sachser, In einigen eigenen Sachen, 71.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

161

wiederholt als Konkurrenz zu der von ihm herausgegebenen Allgemeinen bezeichnet wurde.160

2. Der Zentralrat der Juden in Deutschland – „Alleinige Vertretung der in Deutschland lebenden Juden“161 Der Zentralrat der Juden, der ein Jahr nach der Gründung der Bundesrepublik, im Juli 1950, von Vertretern der in Deutschland agierenden DP-Komitees sowie Abgesandten der neu gegründeten jüdischen Gemeinden als gemeinsame Zentralinstanz ins Leben gerufen wurde, versteht seine Hauptaufgabe bis heute darin, die Interessen seiner Mitglieder nach außen zu vertreten.162 Das folgende Kapitel setzt bei den Anfängen des Zentralrats ein: Ausgehend von den wichtigsten Eckdaten der Gründerjahre werden die zentrale Entwicklung der Dachorganisation und die Motive der diversen deutsch-jüdischen Repräsentanzen der ersten Nachkriegsjahre diskutiert, die zum Zusammenschluss der einzelnen Komitees zu einer nationalen Interessenvertretung führten. In diesem Zusammenhang sollen die Gründungsmitglieder kurz vorgestellt und die Herausforderungen nachgezeichnet werden, mit denen sich der Zentralrat in den ersten Jahren seines Bestehens auseinandersetzen musste. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass seine Geschäfte über viele Jahre von deutschen Juden geführt wurden, obwohl die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Juden nach dem Holocaust osteuropäischer Herkunft waren, soll zudem der Frage nachgegangen werden, inwiefern die 1950 neu geschaffene Interessenvertretung tatsächlich in der Lage war, die Sorgen und Probleme aller Juden in Deutschland in gleichem Maße zu artikulieren.

2.1 Vorgeschichte, Gründung und Organisation des Zentralrats der Juden in Deutschland Als Reaktion auf die Isolierung von Seiten der internationalen jüdischen Organisationen und in Vorbereitung der anstehenden Reparationsverhandlungen mit der deutschen Regierung schlossen sich die ersten jüdischen Repräsentationsorgane innerhalb der alliierten Besatzungszonen in ihrem Bemühen um Anerkennung zu zonalen Interessenvertretungen, (informellen) überre160 Kauders/Lewinsky, Neuanfang, 194. 161 Protokoll der erweiterten Sitzung des Direktoriums des Zentralrats unter Teilnahme von Vertretern der Landesverbände, 2. 11. 1953, 3, in: ZA, B.1/7.221.42. 162 Vgl. hierzu die Selbstdarstellung des Zentralrats auf seiner Homepage: http://www.zentralratdjuden.de/de/topic/1.html (25. 5. 2013).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

162

Die Institutionen

gional agierenden Arbeitsgemeinschaften und in der britischen Zone sogar zu einem einzigen Komitee zusammen, dem Repräsentanten sowohl der jüdischen Gemeinden als auch der DPs angehörten.163 In seiner 2005 veröffentlichten Studie Jews in Post-Holocaust Germany, 1945 – 1953 analysiert der Historiker Jay Howard Geller eingehend den schwierigen Weg von den ersten Anfängen jüdischer Organisationen im Nachkriegsdeutschland bis zur Einigung bzw. Bildung einer gemeinsamen Dachorganisation.164 Seiner Ansicht nach hatten die Juden in Deutschland 1950 durchaus den Wunsch, sich zusammenzuschließen, mussten jedoch große Schwierigkeiten überwinden, „[to] get the job done“165. Geller weist darauf hin, dass zum einen die unterschiedlichen Interessen von DPs und deutschen Juden, die in Gemeinden organisiert waren – Auswandern vs. Hierbleiben – und zum anderen die unbeständige DP-Bevölkerung, die sich erst nach der Gründung des Staates Israel stabilisierte, die Formierung einer einzigen Interessenvertretung für alle Juden in Deutschland sehr verkomplizierte. Hendrik G. van Dam, der die Tendenzen zur Annäherung der unterschiedlichen Gremien zwischen 1945 und 1950 in seiner Position als Legal Adviser der JRU erlebte, benennt darüber hinaus noch weitere Ursachen, warum die Gründung einer zentralen Vertretung der jüdischen Interessen in der Bundesrepublik erst vergleichsweise spät erfolgte. Seiner Meinung nach habe es lange gewichtige Hemmungen [gegeben], die vor allem auf regionalen Rücksichten beruhten, nicht zuletzt auf der Befürchtung, daß die zentrale Figur Süddeutschlands, der umstrittene Staatskommissar und spätere Präsident des Landesentschädigungsamtes, Philipp Auerbach, den Ehrgeiz haben würde, auch als Präsident einer derartigen Zentralinstanz die jüdische Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit zu repräsentieren. Auch der bayerische Partikularismus hatte seine Bedenken. Dazu gab es noch die Gegensätze zwischen dem deutsch-jüdischen und dem ost-jüdischen Element. Auf dem Vorhaben lastete schließlich der Schatten des bereits einsetzenden Kalten Krieges und möglicher Interessenkonflikte mit den jüdischen Gemeinden des von der russischen Armee besetzten deutschen Gebietes.166

Während van Dam letztlich „die Problematik der Wiedergutmachung für die Gründung des Zentralrats [als] ausschlaggebend“ erachtete, argumentiert Geller in Übereinstimmung mit dem Soziologen Y. Michal Bodemann, dass am Ende die „triple isolation and stigmatization of the Jewish communities in Germany“ der entscheidende Faktor gewesen sei, welcher die Verständigung zwischen den verschiedenen jüdischen Gruppen bzw. ihren Repräsentanten herbeiführte: 163 164 165 166

Vgl. van Dam, Die Juden, 888 – 902; Geller, Die Entstehung, 61 f sowie Kapitel I. Geller, Jews, 17 – 89. Ebd., 83. Van Dam, Die Juden, 900. Ebenso argumentiert Wollheim, „Wir haben Stellung bezogen“, 114 f; Wollheim an die Interessenvertretung der Jüdischen Gemeinden und Kultusvereinigungen, z. Hd. Herrn Josef Warscher, 8. 6. 1950, in: StAHH, 522 – 2 (2005 – 1), 738.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

163

Only in the face of abandonment by the American occupiers, isolation by world Jewry, and the imposition by the West German government of an official representative did they [the German Jews and the remaining displaced persons, A.d.V.] put aside their disputes and found the Central Council of Jews.167

Nach langem Zögern verständigten sich die Abgesandten der unterschiedlichen jüdischen Vertretungsorgane im Rahmen der Konferenzen, die der Berater der amerikanischen Militärregierung in jüdischen Angelegenheiten, Harry Greenstein, in den späten 1940er Jahren organisierte, in unmittelbarer Zukunft die Formierung einer Dachorganisation der Juden in Deutschland zu realisieren. Ein erstes Treffen der Kommission, die sich mit der konkreten Ausarbeitung eines Entwurfs der Satzung der Dachorganisation befassen sollte, wurde für den 4. September 1949 angesetzt, verlief jedoch wenig erfolgreich.168 Zu diesem Zeitpunkt sprach sich selbst der WJC-Präsident Nahum Goldmann169 für eine einheitliche Vertretung der Juden in Deutschland aus und beauftragte seinen Gesandten in Deutschland, Gerhard Jacoby, und den europäischen WJC-Sektionsleiter, A. L. Easterman, sich der Angelegenheit anzunehmen. Diese beiden Herren gaben letztlich den notwendigen Anstoß zu einem neuerlichen Treffen der Delegierten der einzelnen Landesverbände und der jüdischen Gemeinden aus ganz Deutschland, das am 8. Juli 1950 im Rahmen der ersten Tagung des jüdischen Weltkongresses in Frankfurt am Main stattfand.170 Da während der Zusammenkunft nicht alle Uneinigkeiten zwischen den Anwesenden ausgeräumt werden konnten, wurde die Schaffung einer einheitlichen Vertretung letztmalig um gut eine Woche vertagt.171 Am 19. Juli 1950 kamen insgesamt 25 Repräsentanten sowohl der DPKomitees, die bis Ende der 1950er Jahre in Deutschland aktiv waren, als auch der jüdischen Gemeinden, die sich in Landesverbänden zusammengeschlossen hatten, zu einem entscheidenden Treffen nach Frankfurt am Main und beendeten dort durch die Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland

167 Geller, Die Entstehung, 60; Ders., Jews, 89. 168 Norbert Wollheim an die Chawerim Julius Dreifuß (Düsseldorf), Moritz Goldschmidt (Köln), Harry Goldstein (Hamburg), Siegfried Heimberg (Dortmund), Carl Katz (Bremen), Norbert Prager (Hannover) und Heinz Salomon (Kiel), 9. 9. 1949, in: StAHH, 522 – 2 (2005 – 1), 738M; Leopold Goldschmidt, Julius Dreifuß und Siegfried Heimberg an Norbert Wollheim, Gemeindeabteilung Lübeck, 9. 9. 1949, in: StAHH, 522 – 2, 543 (Abl. 2005/1); Schreiben des Vorstands der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, 7. 11. 1949, in: ZA, B.1/28, 68; Van Dam, Die Juden, 901 f; Geller, Die Entstehung, 63 f; Ders., Jews, 72 – 78. 169 Zur Biografie von Nahum Goldmann (1895 – 1982) vgl. Goldmann, Mein Leben als deutscher Jude; Ders., Mein Leben. USA–Europa–Israel; Dränger, Nahum Goldmann. 170 Geller, Die Entstehung, 67; E.G. Lowenthal, Eine Gesamtorganisation in Deutschland, in: AWJD, 14. 7. 1950; Ders., Erste Tagung des Jüdischen Weltkongresses in Deutschland, in: AWJD, 14. 7. 1950. 171 Norbert Wollheim an die Chawerim Julius Dreifuß (Düsseldorf), Moritz Goldschmidt (Köln), Harry Goldstein (Hamburg), Siegfried Heimberg (Dortmund), Carl Katz (Bremen), Norbert Prager (Hannover) und Heinz Salomon (Kiel), 12. 7. 1950, in: StAHH, 522 – 2 (2005 – 1), 738.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

164

Die Institutionen

die seit langem geführte Diskussion um einen überregionalen Zusammenschluss.172 Namensgebung und Wahl des Hauptsitzes, Frankfurt am Main, erfolgten einstimmig.173 Ferner bestimmten die Delegierten ein Direktorium aus vier Mitgliedern und vier Stellvertretern sowie einen aus Abgesandten der Landesverbände bzw. der selbstständigen Gemeinden und der DP-Komitees gebildeten Rat zu den wichtigsten Gremien des Zentralrats.174 Die 15 Sitze des Rates wurden entsprechend der Mitgliederzahlen der unterschiedlichen Landesverbände bzw. Komitees vergeben. So kam es, dass die jüdischen Gemeinden der vormaligen amerikanischen und britischen Zonen sowie die Gemeinde in Berlin je drei Delegierte entsenden durften; die Gemeinden der ehemaligen französischen und der sowjetischen Zone bzw. der DDR hatten hingegen nur je einen Sitz in diesem Gremium; ein Sitz war ferner für einen Abgesandten des ZKBZ reserviert, drei weitere für Vertreter des ZKAZ. Zu den Aufgaben des einmal jährlich einzuberufenden Rates gehörte die Wahl oder Bestätigung des Direktoriums, das als ausführendes Organ der Interessenvertretung fungierte und den Generalsekretär mit der Führung der laufenden Geschäfte beauftragte.175 Die zwei Rechtsanwälte Josef Klibansky aus Frankfurt am Main und Hendrik G. van Dam, zu diesem Zeitpunkt in Hamburg, wurden von den Delegierten am Ende der Gründungssitzung mit der Ausarbeitung der Statuten betraut, um die Rahmenbedingungen für die Arbeit dieser Zentralinstanz der verschiedenen deutsch-jüdischen Organisationen formal-rechtlich abzustecken.176 Das erste Direktorium, dem zur Legitimierung und vollen Aufnahme seiner Arbeit noch die Bestätigung von Seiten der Gemeinden und Komitees fehlte, bestand aus Philipp Auerbach (amerikanische Zone), Leonhard Baer (französische Zone), Chaskiel Eife (ZKAZ), Heinz Galinski (Berlin), Benno Ostertag (amerikanische Zone), Pessah Piekatsch (ZKAZ), Josef Rosensaft (ZKBZ) und Norbert Wollheim (britische Zone) und wurde ergänzt durch Julius Meyer, der die Gemeinden Ostdeutschlands repräsentierte.177 „Ein 172 Vgl. hierzu das Protokoll der am 19. 7. 1950 in Frankfurt am Main stattgefundenen Sitzung zum Zwecke der Konstituierung einer Gesamtvertretung der Juden in Deutschland, in: ZA, B.1/ 7.221; Van Dam, Die Juden, 901 f; Geller, Die Entstehung, 68; Ders., Jews, 85. 173 Zum jüdischen Leben in Frankfurt am Main seit 1945 vgl. Krohn, „Es war richtig, […]“. 174 Protokoll der am 19. 7. 1950 in Frankfurt am Main stattgefundenen Sitzung zum Zwecke der Konstituierung einer Gesamtvertretung der Juden in Deutschland, in: ZA, B.1/7.221. 175 Statuten des Zentralrats von Ende 1956, in: BArch, B106/21 407: Statuten des Zentralrats der Juden in Deutschland [Stand: 20. 12. 1956], zitiert nach Zieher, Weder Privilegierung, 190. 176 H.G. van Dam an Norbert Wollheim, undatiert; Josef Klibansky an Philipp Auerbach, 29. 8. 1950; H.G. van Dam an RA Max. L. Cahn, 31. 8. 1950; H.G. van Dam an Philipp Auerbach, 3. 9. 1950; Josef Klibansky an H.G. van Dam, 8. 9. 1950, alle in: ZA, B.1/7.227. Die Persönlichkeiten der zwei Rechtsanwälte beschreibt Geller, Die Entstehung, 69. 177 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 5, in: ZA, B.8. Zentralrat 3; Van Dam, Die Juden, 902. Zur Wahrnehmung im Ausland vgl. Geller, Die Entstehung, 69.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

165

Präsident wurde damals und auch später nicht gewählt, vielmehr sollte die Koordinierung dem Sekretariat überlassen bleiben“, erinnerte sich Hendrik G. van Dam an die Anfänge des Zentralrats.178 Aufgrund persönlicher und sachlicher Gründe lehnte der Jurist, den die Abgesandten in der Sitzung vom 19. Juli 1950 als vorläufigen Sekretär vorgeschlagen hatten, das Amt zunächst ab: Van Dam war „noch nicht soweit, eine Entscheidung zu treffen, da er in der britischen Zone noch für einen anderen Posten vorgeschlagen wurde“179 und sowieso nur bereit, über ein Angebot nachzudenken, „wenn auch die DDR im Rat ist“180. Zwei weitere von dem Juristen angeführte Gründe, im Sommer 1950 das Amt des Generalsekretärs trotz seines grundsätzlichen Interesses abzulehnen, waren die ungeklärte Finanzierung dieser Position und die Forderung des Direktoriums, die Geschäfte des Zentralrats von Frankfurt am Main aus zu führen.181 Mit der Leitung des Sekretariats wurden deshalb zunächst das leitende Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde Frankfurt, Ewald Allschoff, und der zeitweilig als Staatskommissar für die rassisch und politisch Verfolgten in Hessen wirkende Kurt Epstein betraut, „die für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Hessen federführend waren“182. Beide erklärten sich dazu bereit, die Sekretariatsgeschäfte interimistisch zu leiten, „bis eine anderweitige und definitive Lösung gefunden ist“183. Innerhalb weniger Wochen wurde deutlich, dass für die zuverlässige Arbeit des Zentralrats eine ganztägige Beschäftigung einer geeigneten Persönlichkeit zwingend notwendig war.184 In einer Aussprache der Direktoriumsmitglieder auf der Sitzung des Zentralrats der Juden in Deutschland am 6. September 1950 in Frankfurt am Main, widerriefen Allschoff und Epstein schließlich offiziell ihre Bereitschaft, die Geschäfte des Sekretariats zu führen. Als möglichen Generalsekretär brachte Allschoff erneut van Dam ins Gespräch und auch sein Kollege Epstein war davon überzeugt, „daß die Tätigkeit einen Mann erfordert, der ganztägig beschäftigt ist. Van Dam ist der geeignetste hierfür, ist Jurist und hat sich mit Wiedergutmachungsfragen beschäftigt.“185 Auch Auerbach, Wollheim und der als Gast geladene Dr. Livneh teilten diese Ansicht, so 178 Van Dam, Die Juden, 902. 179 Protokoll der Sitzung des Zentralrats, 6. 9. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.4. 180 Protokoll der am 19. 7. 1950 in Frankfurt am Main stattgefundenen Sitzung zum Zwecke der Konstituierung einer Gesamtvertretung der Juden in Deutschland, in: ZA, B.1/7.221. Vgl. hierzu auch H.G. van Dam an Herrn Dr. Ostertag, Stuttgart, 7.11.195[0], 2, in: ZA, B.1/7.227. 181 Vgl. hierzu u. a. H.G. van Dam an Philipp Auerbach, 3. 9. 1950, in: ZA, B.1/7.227; Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 15./16. 10. 1950, 2, in: ZA, B.1/7221.5. 182 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 5, in: ZA, B.8. Zentralrat 3; Van Dam, Die Juden, 902. 183 Protokoll der ersten Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 20. 8. 1950, 1, in: ZA, B.1/ 7.221.3. 184 Ebd.; Protokoll der Sitzung des Zentralrats, 6. 9. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.4; Van Dam, Die Juden, 902. 185 Dieses und das nächste Zitat stammen aus dem Protokoll der Sitzung des Zentralrats, 6. 9. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.4.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

166

Die Institutionen

dass Auerbach und Wollheim damit beauftragt wurden, „die Angelegenheit mit van Dam endgültig zu regeln“. Nach intensiver Korrespondenz der beiden mit van Dam und einer lebhaften Aussprache im Direktorium am 15. Oktober 1950 wurde einstimmig der Beschluss gefasst, Dr. van Dam zum vorläufigen Generalsekretär zu wählen und ihn zu beauftragen, bis auf weiteres die Geschäfte von seinem Büro in Hamburg aus zu führen. Für diesen Beschluss waren die in der Person des Geschäftsführers liegenden Gründe maßgebend, aber auch die Kostenersparnis, da sich das Budget auf diese Weise um ein Drittel verringert, sowie die Möglichkeit mit sofortiger Wirkung mit der Arbeit zu beginnen. Nicht maßgebend für das Direktorium waren gewisse Bedenken, die gegenüber Frankfurt geäußert wurden. Im übrigen bleibt die Bestätigung des Beschlußes und die Frage der späteren Büroverlegung dem Rat vorbehalten. Dr. van Dam nahm unter diesen Voraussetzungen das Amt des vorläufigen Generalsekretärs an.186

Dieser Ausgang der Diskussion zeigt, dass van Dam sich letztlich mit seinen Forderungen gegenüber den Mitgliedern des Direktoriums durchgesetzt hatte. In späteren Jahresrückblicken erklärte der Generalsekretär, dass Hamburg „aus personellen und organisatorischen Gründen“ durch den Beschluss vom 15. Oktober 1950 als Sitz des Sekretariats bestimmt wurde. Auch machte er deutlich, dass die Verlegung der Geschäftsstelle des Zentralrats nach Hamburg – anders als im gerade zitierten Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats angedeutet – nicht durch den Zusammenbruch der Jüdischen Industrie- und Handelsbank in Frankfurt am Main beeinflusst gewesen sei, deren Aufsichtsratsvorsitzender Philipp Auerbach und deren Justitiar Rechtsanwalt Klibansky war.187 In einer ausführlicheren Begründung heißt es vielmehr, man habe Hamburg gewählt, weil der Generalsekretär auf Grund seiner früheren Tätigkeit und durch die moralische und politische Unterstützung der ausländischen, jüdischen Hilfsorganisationen, insbesondere des American Joint Distribution Committees, und nicht zuletzt durch das Entgegenkommen der britischen Hohen Kommission in die Lage versetzt wurde, über Büroraum, Transport und Telefon zu verfügen.188

Auf der ersten Ratstagung am 15. Oktober 1950 bestätigten die Delegierten der jüdischen Gemeinden und Komitees Auerbach, Galinski, Wollheim und Pie186 Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 15./16. 10. 1950, 2, in: ZA, B.1/7221.5. 187 Auch Vorstandsmitglieder des LV Hessen waren im Aufsichtsrat der Bank. Der Zusammenbruch der Bank wurde in der deutschen Öffentlichkeit sehr negativ konnotiert und beeinflusste manche Direktoriumsmitglieder dahingehend, sich für einen Wegzug des Zentralratsbüros auszusprechen, um nicht mit diesen Entwicklungen in Verbindung gebracht zu werden. Vgl. Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 15./16. 10. 1950, 3 f, in: ZA, B.1/7221.5; 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 8 f, in: ZA, B.8. Zentralrat 3. Zur Biografie von Josef Klibansky (1902 – 1957) vgl. DBE, Bd. 5 (1997), 592. 188 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 6, in: ZA, B.8. Zentralrat 3.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

167

katsch als Vorstand des neu gegründeten Zentralrats und bestimmten Ostertag, Rosensaft, Eife und Baer als deren Stellvertreter für das Direktorium. Die Tagung, an der Delegierte aus ganz Deutschland und Berlin teilnahmen, beschloss ferner, den Vorsitzenden des Ost-Berliner Gemeindeteils und Volkskammerabgeordneten, Julius Meyer, als Abgesandten der jüdischen Gemeinden in der Ostzone189 ins Direktorium und „zum Generalsekretär des Zentralrats Dr. jur. Hendrik George van Dam zu wählen“190. Obwohl durch die Verlegung nach Hamburg bereits Kosten eingespart werden konnten, war das Budget des Sekretariats zu Beginn der Tätigkeitsaufnahme ausgesprochen gering. Dem von van Dam am Ende der Zehnjahresperiode verfassten Rückblick kann man entnehmen, dass sich „der dem Generalsekretariat zunächst zur Verfügung gestellte Betrag […] auf 1050,– DM monatlich belief, wobei die Sekretariatstätigkeit sich auf das ganze Gebiet erstreckte“191. Am 1. Januar 1952 wurde die monatliche Summe auf 1250,– DM erhöht,192 wobei dies gerade ausreichte, um neben den sonstigen Ausgaben das Gehalt für ein bis zwei Stenotypistinnen aufzubringen; der Generalsekretär und eine andere Mitarbeiterin, Irma Wilma Wreden, mit der van Dam bereits in der JRU zusammengearbeitet hatte, übten ihre Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt praktisch ehrenamtlich aus. Der Verzicht auf eine Gehaltszahlung von Seiten des Zentralrats war für van Dam nur deshalb möglich, da er bis 1951 noch zwei anderen bezahlten Tätigkeiten nachging: So hatte er bis zum 1. Februar 1951 als Secretary of the Special Committee der Jewish Trust Corporation gearbeitet; zudem bezog er bis zum 1. Mai 1951 Bezüge als juristischer Berater des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Nordwestdeutschlands.193 Erst am Ende der Periode der Konsolidierung, wie van Dam die Zeit von 1949 bis 1953 benennt,194 stabilisierte sich die finanzielle Situation des Zentralrats: Wiedergutmachungsleistungen und Subventionen von Seiten der deutschen Bundesregierung trugen entscheidend dazu bei, die Existenz der jüdischen Dachorganisation langfristig abzusichern.195 So wie es der Präsident des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Philipp Auerbach, auf einer Konferenz zum Thema „Die 189 Im Jahr 1949 zählten die elf jüdischen Gemeinden der DDR (ohne Ost-Berlin) 1140 Mitglieder und waren zum Zeitpunkt der Gründung des Zentralrats diesem angeschlossen. Brenner, Nach dem Holocaust, 199. Zur Diskussion der Mitgliedschaft der Gemeinden der DDR im Zentralrat vgl. auch H.G. van Dam an Herrn Dr. Ostertag, Stuttgart, 7.11.195[0], 2, in: ZA, B.1/7.227. 190 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 5, in: ZA, B.8. Zentralrat 3. 191 Ebd. 192 Von den 1250,– DM bezahlte das AJDC 500,– DM; weitere 500,– DM brachten die Gemeinden der britischen Zone auf. Der Rest kam von den übrigen Gemeinden Deutschlands. 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 6, in: ZA, B.8. Zentralrat 3. 193 H.G. van Dam an Dr. C. Kapralik, Secretary General, Jewish Trust Corporation for Germany, 6. 2. 1951, und H.G. van Dam an den Vorstand der Jüdischen Gemeinden Nordwestdeutschlands, 3. 4. 1951, beide in: ZA, B.1/7.227. 194 Van Dam, Die Juden, 895. 195 Ebd., 895 – 907; Geller, Die Entstehung, 72 – 75; Ders., Jews, 293 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

168

Die Institutionen

Zukunft der Juden in Deutschland“ in Heidelberg im Jahre 1949 gefordert hatte, behielten die jüdischen Gemeinden trotz des Zusammenschlusses ihre Autonomie.196 Der Zentralrat übernahm gegenüber den Gemeinden lediglich eine beratende Funktion, verstand sich jedoch als alleinige politische Interessenvertretung der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik.197 Anders als seine Vorläufer, die 1933 gegründete „Reichsvertretung der deutschen Juden“ sowie die im Sommer 1939 von den Nationalsozialisten erzwungene Vereinigung aller bestehenden jüdischen Organisationen zur „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“,198 stellte der neu gegründete Zentralrat „den ersten freiwilligen Zusammenschluss der jüdischen Gemeinden und ihrer Landesverbände zu einer Dachorganisation dar, ohne äußeren Druck, ohne fremde Einwirkung, auf Grund eigener kollektiver Willensbildung“199. Der Historiker Geller widerspricht dieser Beurteilung durch van Dam teilweise; zwar betont auch er den Unterschied zwischen der neuen jüdischen Zentralinstanz im Vergleich zur Reichsvereinigung, interpretiert die Entwicklungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland jedoch anders als der erste Generalsekretär. Geller zufolge handelte es sich nicht um einen eigenmotivierten, sondern um einen reaktiven Zusammenschluss: Trotz seiner großen Bedeutung für die deutsch-jüdische Nachkriegsgeschichte war seine Gründung im Juli 1950 eine Reaktion der jüdischen Gemeinden auf politische Umstände und nicht ein aktiver und selbstbewusster Schritt um das Judentum in Deutschland zu stärken.200

Untersucht man die Entwicklungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland unmittelbar nach dem Zusammenschluss, so scheinen die Ereignisse der folgenden Monate des Jahres 1950 die Beobachtung Gellers zu stützen: Trotz der grundsätzlichen Zustimmung der jüdischen Delegierten zur Gründung des Zentralrats im Juli und der offiziellen Bestätigung der Gremien durch den Rat im Oktober vergingen nach dem offiziellen Arbeitsbeginn van Dams gerade einmal zwei Wochen, bis die ersten kritischen Schreiben im Sekretariat eingingen, welche dessen Arbeit und die Tätigkeit des Direktoriums in Frage stellten. Ein typisches Beispiel für die vorgebrachte Kritik ist die Auseinandersetzung zwischen dem Generalsekretär des Zentralrats und dem 196 Schreiben des Vorstands der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, 7. 11. 1949, in: ZA, B.1/28.68; Zieher, Weder Privilegierung, 189 f. 197 Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Jahresbericht des Generalsekretärs Dr. H.G. van Dam für 1964/65; 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 21, beide in: ZA, B.8. Zentralrat 3; Karl Marx, Jüdische Arbeit in Deutschland, in: AWJD, 25. 10. 1951. 198 Zu den Entwicklungen der Gemeinden, Landesverbände und der Reichsvertretung unter den Nationalsozialisten vgl. Barkai, Organisation; Ders., Im mauerlosen Ghetto, bes. 330 – 337; Van Dam, Die Juden, 903; Zieher, Weder Privilegierung, 188 f. 199 Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Jahresbericht des Generalsekretärs Dr. H.G. van Dam für 1964/65 (Manuskript), in: ZA, B.1/7.244; Jahresbericht des Zentralrats 1969 – 1970, 1, in: ZA, B.1/7.250. 200 Geller, Die Entstehung, 60.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

169

Rechtsanwalt und Notar Dr. Benno Ostertag aus Stuttgart,201 der auf dem Gebiet der Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetzgebung in Süddeutschland eine gewichtige Rolle spielte. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Württemberg und Mitglied des ersten Direktoriums des Zentralrats hatte gegenüber van Dam den Charakter der Zentralinstanz und die Einrichtung des Sekretariats kritisiert, weshalb dieser sich im November genötigt sah, das Selbstverständnis von Direktorium und Geschäftsstelle ausführlich zu diskutieren. In seinem Schreiben an Ostertag erläuterte van Dam zunächst die ersten Entscheidungen des Direktoriums und bemühte sich dann, die Legitimität der aus diesen abgeleiteten Handlungen zu erklären: Das Direktorium des Zentralrats, mit dessen Bildung sich auch die Württembergischen Gemeinden einverstanden erklärt haben, bedingt die Arbeit einer Geschäftsstelle. Das vorläufige Direktorium, das mit Ihrem Wissen und Ihrer Zustimmung funktioniert, handelt durchaus im Rahmen seiner Kompetenz und war ermächtigt, sich ein Sekretariat zu geben. […] Das Direktorium hat, soweit mir bekannt ist, überhaupt keine Schritte prinzipieller Natur genommen, die die von Ihnen vertretenen Gemeinden in der einen oder anderen Weise festlegen könnten. Solange ich als Sekretär tätig sein werde, wird jedenfalls durch die Vermittlung des Sekretariats keine Aktion durchgeführt werden, die nicht dem provisorischen Charakter unserer Einrichtung entspricht.202

Auch wehrte van Dam sich entschieden gegen die Anschuldigung, „daß eine Meinungsverschiedenheit über die Anwendungen demokratischer Grundsätze auf die Arbeit der jüdischen Instanzen“ zwischen den verschiedenen jüdischen Institutionen bestehe. Entgegen der Auffassung Ostertags war der Generalsekretär davon überzeugt, dass es „einer Selbstaufhebung dieser Grundsätze [gleichkäme], wenn man aus Furcht vor Zuständigkeitsüberschreitung von jeder zentralen Tätigkeit absehen würde“. Aus den zahlreichen Zuschriften, die er – van Dam – erhalte, ersehe er ferner „nicht ohne Überraschung, dass in der Tat ein Bedürfnis für ein zentrales Büro vorliegt“. In seiner Auseinandersetzung mit Ostertag ging es jedoch nicht nur um die Rechtfertigung der Arbeit des Direktoriums; van Dams Antwortschreiben deutet darauf hin, dass offenbar auch die Person des zwei Wochen zuvor gewählten Generalsekretärs in Frage gestellt worden war. Zur Entkräftigung der Äußerungen Ostertags und Klärung der „politischen Seite der Sache“ verwies van Dam auf die verschiedenen Stationen seines beruflichen Werdegangs, die ihn für diese Position an der Spitze der zentralen Interessenvertretung der Juden in Deutschland qualifizierten – „auf meine militärische Vergangenheit und Tätigkeit während des Krieges, auf meine jahrelange Ar201 Zur Biografie von Benno Ostertag (1892 – 1956) vgl. z. B. Küster, In Memoriam. 202 Dieses und die Zitate im nachfolgenden Absatz entstammen dem Schreiben von H.G. van Dam an Herrn Dr. Ostertag, Stuttgart, 7.11.195[0], 1, in: ZA, B.1/7.227.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

170

Die Institutionen

beit als Legal Adviser der Jewish Relief Unit und auf mein Verhältnis zu den britischen, deutschen und amerikanischen Behörden“.

Abb. 6: Gäste und Teilnehmer der ersten Zentralratstagung in Berlin, vorne von rechts: Der israelische Konsul in Deutschland, Dr. Eliahu Livneh, Dr. Hendrik G. van Dam, Ruth und Heinz Galinski, 19./20. August 1951.

Bis zur Realisierung des vorgegebenen Ziels, als alleiniger Interessenvertreter der in Deutschland lebenden Juden national wie international anerkannt zu werden, hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland einen schwierigen Weg zurückzulegen. Der Anspruch der Mitglieder stand dem Drängen verschiedener internationaler jüdischer Organisationen auf eine Liquidierung der jüdischen Gemeinden Deutschlands durch Auswanderung und Auflösung entgegen und bedingte zahlreiche Spannungen und Konflikte, welche die Zentralinstanz während des ersten Jahrzehnts ihres Bestehens immer wieder beschäftigten.203 Dennoch zog van Dam bereits nach drei Jahren ein erstes positives Fazit: In seinem 1953 veröffentlichten Bericht äußerte er, dass es dem Zentralrat seit seiner Gründung im Juli 1950 erfolgreich gelungen sei, mit dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler, den Bundesministern und den verschiedenen Hohen Kommissaren der amerikanischen Besatzungsmacht sowie den großen 203 Van Dam, Die Juden, 896 – 898; Ders., Instrument der jüdischen Gemeinschaft, zitiert nach Zieher, Weder Privilegierung, 204; Geller, Die Entstehung, 61 f, 70 – 73. Vgl. hierzu auch Brenner/Frei, Zweiter Teil, 213 – 222 sowie bes. Kapitel IV.2.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

171

jüdischen Organisationen des Auslandes zusammenzuarbeiten und sich so „aus einer bis dahin unbekannten Einrichtung des jüdischen Gemeindelebens zu einer von den Behörden und in der Öffentlichkeit anerkannten Institution“204 zu entwickeln. Der schwierige Prozess der Annäherung zwischen den unterschiedlichen Parteien spiegelte sich indes insbesondere in den intensiven politischen Diskussionen um die Frage der Wiedergutmachung, die der erste Generalsekretär als „Existenzproblem der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland“ und als Hauptaufgabe der in den ersten Jahren geleisteten Sekretariatsarbeit definierte.205 „Zwar ist das Wesen der jüdischen Gemeinden nicht materieller Natur“, erläuterte van Dam diese grundsätzliche Haltung, jedoch hat die Verfolgung aus einer reichen, sozial hochstehenden jüdischen Gemeinschaft eine sozial schwache Gruppe gemacht, so daß die Mehrzahl der Gemeindemitglieder nach den Steuergesetzen nicht einmal kirchensteuerpflichtig wäre. Daher besteht eine schwerwiegende Verantwortlichkeit auf dem Gebiet der Rechtswahrnehmung und sozialen Hilfe für die Gemeindeorgane. Im Zuge der Normalisierung und Stabilisierung erschien es als erste Aufgabe, Personen und Körperschaften aus dem Bereich der in- und ausländischen Wohlfahrt herauszunehmen und ihnen kraft der ihnen zustehenden Rechtsansprüche die wirtschaftliche Grundlage zu geben, die ihnen zukommt. Seit jeher ist die Hauptfunktion eines zentralen Büros der jüdischen Gemeinden rechtliche und administrative Arbeit. Es mußte sich daher zwangsläufig ergeben, daß Rechtswiederherstellung und Wiedergutmachung im Vordergrund der Tätigkeit des Zentralrats standen.206

Van Dam zufolge hatten weder er noch die Direktoriumsmitglieder zu irgendeinem Zeitpunkt verkannt, „daß das Judentum, das seinem Wesen nach zeitlos ist, mit der Wiedergutmachung, einer zeitbedingten Übergangserscheinung der Nachkriegsepoche, in keiner Weise zu identifizieren ist und daher auf einer Wertskala der Funktion die Kultur- und Kultustätigkeit den Vorrang hat“. Allerdings, so argumentierte der Generalsekretär 1953, könne diese Betätigung auf geistigem und geistlichem Gebiet […] von einer zentralen Stelle aus nicht oder nur sehr beschränkt beeinflusst werden. Das Hauptschwergewicht liegt hierfür ganz bei den Gemeinden, den Landesverbänden und den Rabbinaten. Daher hatte der Zentralrat, der nur mit sehr beschränkten Mitteln arbeiten konnte, sich auf das Gebiet zu konzentrieren, in dem zentrale Vorbereitung und zentrale Repräsentanz erforderlich waren.207

Auch wenn sich die Mitglieder des Direktoriums darüber einig waren, dass der Ausgang der Verhandlungen um Wiedergutmachungszahlungen von fundamentaler Bedeutung für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und die 204 205 206 207

Bericht des Generalsekretärs, 8. 10. 1953, 1, in: ZA, B.1/7.246. Van Dam, Die Juden, 898. Bericht des Generalsekretärs, 8. 10. 1953, 1 f, in: ZA, B.1/7.246. Ebd., 2, in: ZA, B.1/7.246.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

172

Die Institutionen

weitere Arbeit des Zentralrats sein würde, erkannten sie – und mit ihnen auch van Dam – schon bald, dass diese Frage tatsächlich nur in den ersten Jahren nach Gründung des Dachverbands zu den zentralen Inhalten ihrer Arbeit gehören würde. Die unter den Direktoriumsmitgliedern während der 1950er und 1960er Jahre diskutierten Themen verdeutlichen, dass der Kampf um Rechtswiederherstellung, auf den die Gemeinden in den ersten Jahren des Zentralrats das Hauptaugenmerk richteten,208 bei weitem nicht das einzige Problem darstellte, mit dem man sich zu befassen hatte: So bedrohte beispielsweise unmittelbar nach seiner Gründung ein Gerichtsverfahren gegen den Präsidenten des Landesentschädigungsamtes für Bayern, Philipp Auerbach, den Zusammenhalt des Zentralrats und gefährdete die Wiedergutmachungsverhandlungen nicht nur in Bayern, sondern in der gesamten Bundesrepublik.209 Zeitgleich war die Einstellung zur bundesdeutschen Autorität und die Meinung über den ihr gegenüber einzuschlagenden Weg innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sehr geteilt; die Auswirkungen des Kalten Krieges konfrontierten insbesondere die Juden, die sich um eine Auswanderung in die USA bemühten, mit unerwarteten Schwierigkeiten, derer sich der Zentralrat annehmen musste; und schließlich mussten für die Unterstützung bzw. Versorgung der Hilfsbedürftigen unter den Gemeindemitgliedern und den noch immer in Lagern lebenden DPs neue Wege beschritten werden.210 Hinzu kamen die beiden Umstände, dass bereits in der Anfangsphase der Zentralratsarbeit erste Begnadigungen für Kriegsverbrecher erfolgten, die nach Meinung der Mitglieder des Direktoriums im Allgemeinen weitgehend auf eine Rehabilitierung des Verbrechens selbst hinausliefen, und zudem die Anzahl antisemitischer Vorfälle im Bundesgebiet stieg, weshalb der Zentralrat seine Aufgabe darin erkannte, als Mahner aufzutreten.211 Seit Mitte der 1950er Jahre forderte und förderte der Zentralrat auf Initiative einzelner Direktoriumsmitglieder zudem ein verstärktes Engagement im Bereich der jüdischen Kulturarbeit, eine Schwerpunktverlagerung in der Arbeit, die sich 1955 in der Gründung eines Kulturdezernats und einer damit einhergehenden intensiveren Öffentlichkeitsarbeit niederschlug.212 208 Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland für die Berichtsperiode Dezember 1955 bis Dezember 1956, in: ZA, B.1/15.88; 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 5, in: ZA, B.8. Zentralrat 3. 209 Van Dam, Die Juden, 903. Vgl. hierzu auch die detaillierte Darstellung in Kapitel IV.1.1. 210 Van Dam, Die Juden, 904 – 906. Zu den Problemen der Auswanderung in die USA vgl. Vertrauliches Kurzprotokoll der Besprechung von Mitgliedern des vorläufigen Direktoriums mit Mr. J. McCloy, 29. 11. 1950, in: ZA, B.1/7.221.6. 211 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 21, in: ZA, B.8. Zentralrat 3; Zieher, Weder Privilegierung, 202. 212 H.G. van Dam an den Bundesminister des Innern, z. Hd. von Herrn Ministerialrat Dr. Gussone, 4. 7. 1956, in: BArch, B106/21407. Zum Aufbau des Kulturdezernats vgl. die Überlieferung in: StadtAM, NL Lamm, Akt 6; StadtAM, NL Lamm, Akt 12; ZA, B.1/7.110; ZA, B.1/7.135; ZA, B.1/

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

173

Bevor jedoch im Zusammenhang mit der Analyse jüdischer Politik diese und weitere Aufgaben bzw. Herausforderungen des Zentralrats während der ersten zwei Jahrzehnte seines Bestehens in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden, sollen zunächst zwei zentrale Fragen diskutiert werden, die unmittelbar nach der Gründung verhandelt wurden: Konnte es der neu gegründeten Dachorganisation tatsächlich gelingen, die Interessen aller Juden in Deutschland zu vertreten? Und wie wollte man längerfristig die Ausrichtung der Arbeit des Zentralrats definieren?

2.2 Koalition zwischen Konsens und Krise – Das Miteinander der Mitglieder des Zentralrats nach dem Zusammenschluss Die Forderung nach Wiedergutmachungszahlungen war sowohl für die jüdischen DPs als auch die deutschen Juden von entscheidender Bedeutung; zunächst galt es jedoch festzustellen, ob gemeinsame Interessen, ein formeller Akt der Vereinigung oder schriftliche Abkommen tatsächlich ausreichten, um die Gegensätze zwischen den verschiedenen Gruppen zu überbrücken und DP- und Gemeinde-Juden zusammenzuschließen. Es ist wenig erstaunlich, dass die offiziell deklarierte Einheit nicht die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegelte, welche im Zentralrat der Juden in Deutschland während der ersten Jahre seines Bestehens herrschten. Auf Grundlage des erhaltenen Quellenmaterials aus der Frühphase des Zentralrats lässt sich argumentieren, dass es eine Einheit im Sinne von Geschlossenheit und Solidarität in den ersten Jahren des Zusammenschlusses nicht gab: Die Gründung des gemeinsamen Dachverbands führte weder zu einer Meinungsänderung auf Seiten der DPs, noch wandelten sich die Vorstellungen und Ziele der deutschen Juden grundlegend. Zahlreiche Dokumente und Korrespondenzen veranschaulichen sehr eindrücklich, wie angespannt die Beziehungen auch während der 1950er Jahre noch waren. Schon beim ersten Aufkommen der Idee einer zentralen Organisation der Juden in Deutschland wurden innerhalb der Gruppe der deutschen Juden Bedenken laut. Während sich der Vorsitzende des ZKAZ, Pessach Piekatsch, und der Generalsekretär des Komitees, Chaskiel Eife, positiv über den angedachten Zusammenschluss äußerten,213 zeigten sich führende Vertreter der Gemeinden insbesondere deshalb besorgt über eine Einbeziehung der DPs in einen im Entstehen begriffenen Verband, weil sich die Vorstellungen über die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland deutlich unterschieden. Beispielhaft kommt diese Positionierung in einem Schreiben zum Ausdruck, das 7.243; ZA, B.1/7.336; ZA, B.1/7.337; ZA, B.1/7.518 sowie Sinn, „Und ich lebe wieder an der Isar“, 112 – 120. 213 ZKAZ an das Central Komitet fun di jidn in der engliszer Zone, Bergen-Belsen, 27. 3. 1950, in: ZA, B.1/28.68.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

174

Die Institutionen

Leopold Goldschmidt, Vorsitzender der Synagogengemeinde Köln, Julius Dreifuß, Vorsitzender des Landesverbands der jüdischen Gemeinden von Nordrhein, und Siegfried Heimberg, Vorsitzender des Landesverbands der jüdischen Gemeinden von Westfalen, an Norbert Wollheim richteten: „Wir dürfen feststellen“, berichten die drei Herren am 9. September 1949, daß die in den Gemeinden organisierten Mitglieder es für unbedingt notwendig erachten, daß endlich eine gemeinsame Organisation in Deutschland geschaffen wird unter Hinzuziehung der Mitglieder der Committees, daß aber die Führung dieser Organisation in den Händen der Gemeinden liegen muß. […] Nach der bisherigen und nach der zu erwartenden Entwicklung und den von uns gesammelten Erfahrungen können wir es nicht verantworten, daß den Committees weiterhin eine dominierende Stellung gegenüber den Gemeinden eingeräumt wird. Es ist aber selbstverständlich, daß die Interessen dieser Committees, so lange sie noch in Deutschland sind, in jeder Hinsicht in der zu bildenden Gesamtvertretung gewahrt werden müssen. Nur unter diesen Voraussetzungen hat die Bildung einer solchen Dachorganisation wirklich Sinn und Zweck. Während die Arbeit der Committees auf eine baldige Liquidation ausgerichtet ist, arbeiten die Gemeinden in Anbetracht der gegebenen Situation auf lange Sicht.214

Die Spannungen zwischen deutschen Juden und osteuropäischen DPs beschränkten sich jedoch nicht nur auf politische Aspekte, die insbesondere in den gegensätzlichen Zukunftsplänen ihren öffentlichen Ausdruck fanden. Kulturelle und religiöse Differenzen, beispielsweise in Fragen der Mischehe, welche unter den deutschen Juden sehr häufig geschlossen, in Kreisen der orthodoxeren DP-Gemeinschaft jedoch verurteilt wurde, verursachten massive Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen dieser zwei unterschiedlichen Gruppen.215 Besonders deutlich wird die Dimension des Konflikts beim Blick auf die Sitzverteilung innerhalb des Direktoriums des Zentralrats und den daraus resultierenden Spannungen mit dem Zentralkomitee der befreiten Juden in München. Obwohl deutlich mehr als die Hälfte der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Juden ihrer Herkunft nach osteuropäische Juden waren, handelte es sich bei den Mitgliedern des Direktoriums des Zentralrats in den 1950er Jahren fast ausschließlich um deutsche Juden.216 Gleiches gilt für den

214 Leopold Goldschmidt, Julius Dreifuß und Siegfried Heimberg an Norbert Wollheim, Gemeindeabteilung Lübeck, 9. 9. 1949, in: StAHH, 522 – 2, Akt 543 (Abl. 2005/1). Die Vertreter des ZKAZ hingegen äußerten sich positiv über den Zusammenschluss. 215 Vgl. hierzu z. B. Rundschreiben Nr. 64b der ZWSTan alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg, Köln und die Vorstandsmitglieder der ZWST, 18. 5. 1954, in: ZA, B.1/7.157; Protokoll der ersten Ratsversammlung des Zentralrats, K.ö.R., 16. 6. 1963, 3 – 10, in: ZA, B.1/7.860; Brenner, Nach dem Holocaust, 73 f; Geller, Die Entstehung, 61 f; Peck, Jewish Survivors, 41; Richarz, Juden, 17 f. 216 Vgl. Laqueur, Geboren in Deutschland, 344; Zieher, Weder Privilegierung, 191. Selbst 1969

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

175

Rat der Gemeinden, in dem im Zeitraum bis 1960 lediglich ein Sitz (von 15) für die Dauer eines Jahres von einem DP-Abgesandten besetzt wurde.217 Nach Meinung des amerikanischen Historikers Walter Laqueur liegen die Gründe für diese Strukturen in den Gemeinden auf der Hand: „als deutsche Staatsbürger von Geburt und mit Deutsch als Muttersprache befanden sie [die deutschen Juden, A.d.V.] sich gegenüber den deutschen Behörden in einer sehr viel besseren Verhandlungsposition als die Neuankömmlinge“218. Erhaltene Schreiben aus dieser Zeit erwecken den Anschein, als ob einer gleichberechtigten Verteilung der Sitze im nationalen Repräsentationsorgan wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.219 Zugleich legten die Mitglieder des Direktoriums jedoch sehr großen Wert auf die Wahl deutscher Juden in die Ausschüsse der jüdischen Ortsgemeinden und diskutierten 1953 ausführlich über die Voraussetzungen, welche deren Mitglieder erfüllen müssten, die sich in den diversen lokalen Gremien engagieren wollten. Das Direktorium war einmütig der Auffassung, daß die Mitgliedschaft zu einer jüdischen Gemeinde unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Geburtsort ist. Hieraus ergibt sich auch, daß zum Vorstand und zur Repräsentanz jedes Gemeindemitglied berufen werden kann, das seiner Persönlichkeit nach die notwendige Eignung für eine derartige Funktion aufweist. Das Direktorium legt allerdings Wert darauf, daß nach Möglichkeit in Deutschland geborene Gemeindemitglieder in den repräsentativen Gremien auch in Gemeinden vertreten sind, in denen das in Deutschland geborene Element nicht die Mehrheit bildet. Eine Diskriminierung bei der Ausübung des Stimmrechtes bei Gemeindewahlen erscheint dabei unzulässig.220

Dieser Beschluss des Direktoriums richtete sich insbesondere an die jüdische Gemeinschaft in Bayern, wo ehemalige DPs die Mehrheit der Gemeindemitglieder ausmachten. Ganz offensichtlich fürchteten die deutschen Juden eine mögliche Vormachtstellung der osteuropäischen Überlebenden in den Vorständen der Gemeinden sowie daraus resultierende Ansprüche in Bezug auf Sitze in den Organen des Zentralrats und verteidigten deshalb erbittert „ihr“ Recht, im Namen aller Juden in Deutschland zu sprechen. Die Tatsache, dass sich die bayerischen DP-Vertreter regelmäßig über diese postulierte Hierarchie hinwegsetzten und sowohl deutsche als auch amerikanische Politiker

217 218 219 220

waren unter den 18 Mitgliedern des Direktoriums des Zentralrats 15 deutsche Juden. Vgl. „Die Kräfte konzentrieren“, in: Jüdischer Presse Dienst Nr. 1/2 (1969), 2. Vgl. Laqueur, Geboren in Deutschland, 344; Zieher, Weder Privilegierung, 191. Laqueur, Geboren in Deutschland, 344. Zu den Strukturen in den Gemeinden vgl. auch Brenner, Nach dem Holocaust, 112 f. Vgl. hierzu beispielsweise den von Wollheim abgelegten Schriftverkehr mit Gemeinde-, Vorstands- und Direktoriumsmitgliedern, in: ZA, B.1/28.63 oder ZA, B.1/28.743. Entwurf. Beschlüsse des Direktoriums auf der Sitzung, 13. 12. 1953, hier 3, in: ZA, B.1/7. 221.44.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

176

Die Institutionen

direkt mit ihren Anliegen konfrontierten, war einer der Hauptgründe für die beständigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppen.221 Bevor die Spannungen in München 1952 im Zusammenhang mit dem gegen Philipp Auerbach eingeleiteten Gerichtsverfahren ihren Höhepunkt erreichten und die Tagesordnung in den Gremien des Zentralrats dominierten, hatten die Mitglieder des Direktoriums eine andere wichtige Frage zu klären: Es bedurfte dringend einer Regelung der hierarchischen Struktur innerhalb des neu gegründeten Dachverbands, weshalb zu diskutieren war, wer aus ihrer Mitte zum ersten Vorsitzenden bestimmt werden sollte. Konkret waren es drei deutsche Juden, Norbert Wollheim, Philipp Auerbach und Heinz Galinski, die den Wettbewerb um den Vorsitz des Direktoriums unter sich austrugen. De facto übernahm Norbert Wollheim, der schon das jüdische Leben in der britischen Zone gemeinsam mit Josef Rosensaft organisiert hatte, im ersten Jahr des Bestehens des Zentralrats den Großteil der Korrespondenz und Kommunikation des gemeinsamen Dachverbands. Seine Tätigkeit wurde von den anderen Mitgliedern des Direktoriums jedoch skeptisch beäugt, denn grundsätzlich vertrat der Auschwitz-Überlebende eine kritische Einstellung zur Fortsetzung jüdischen Lebens in Deutschland. Bereits in den 1940er Jahren hatte Wollheim persönlich entschieden, nicht dauerhaft in Deutschland verbleiben zu wollen, sondern arbeitete an der Verwirklichung einer baldigen Emigration.222 Dieses Vorhaben und seine dadurch zum Ausdruck gebrachte Grundhaltung verursachten Misstrauen bei denen, die durch ihr Engagement die Basis für eine dauerhafte Existenz jüdischen Lebens in Deutschland schaffen wollten.223 Nach der Auswanderung Wollheims in die USA im September 1951 erübrigte sich jedoch jede weitere Diskussion um sein Engagement im Direktorium des Zentralrats. Philipp Auerbach war während der ersten Nachkriegsjahre der mit Abstand bekannteste Repräsentant deutsch-jüdischer Interessen, der im Laufe der Jahre nach immer mehr Möglichkeiten zur Erweiterung seines Einflussbereichs suchte. „Der Präsident des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Bayern […] nahm die Interessen aller jüdischen Gruppen dieses Landes wahr und wurde daher praktisch zum Koordinator der verschiedenen Gruppen der jüdischen Bevölkerung Bayerns“, notierte van Dam in einem seiner

221 Zu den Spannungen zwischen deutschen Juden und DPs vgl. z. B. die Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, in: ZA, B.1/7.221.13; Münch, Zwischen „Liquidation“, 98 – 103 sowie Kapitel IV.1.1. 222 Vgl. hierzu die Akten von H.G. van Dam über Norbert Wollheim, in: ZA, B.1/7.853 und ZA, B.1/ 7.854; Beschlussprotokoll der Tagung des Rates, 19./20. 8. 1951, 2, in: ZA, B.1/7.221.15; Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857; Van Dam, Die Juden, 896. 223 Besonders deutlich kommen Wollheims Zweifel, ob ein wahrhaft demokratisches Deutschland wieder eine Heimat für Juden werden könnte, in seiner öffentlichen Abschiedsrede zum Ausdruck.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

177

Rückblicke auf die Entwicklungen der jüdischen Gemeinschaft in der Periode der Sammlung, Betreuung und Auswanderung: Er war ein Mann von außerordentlichem Arbeitseifer und großer Phantasie, der zweifellos das Beste nicht nur für die jüdische Bevölkerung, sondern für alle Opfer des Dritten Reiches durchzusetzen versuchte und von ganz ungewöhnlichem politischen Ehrgeiz erfüllt war.224

Unabhängig von seinem häufig negativ wahrgenommenen Machtstreben war der Vorsitzende des bayerischen Landesverbandes und sozialdemokratische Politiker bis zum Beginn des 1952 gegen ihn u. a. wegen Amtsunterschlagung, Betrug und Erpressung eingeleiteten, stark antisemitisch geprägten Prozesses der wahrscheinlich einflussreichste Mittler zwischen deutschen und osteuropäischen Juden. Obwohl er letztlich nur in einigen kleineren Anklagepunkten schuldig gesprochen wurde, war das Ansehen Auerbachs in den Augen vieler Juden und auch Nichtjuden aufgrund des Prozesses so stark beschädigt, dass er als Inhaber wichtiger politischer Ämter nicht weiter in Frage kommen konnte.225 Nicht in der Lage, mit dem Imageverlust und der Enttäuschung über die deutsche Gesellschaft umzugehen, nahm sich Auerbach im August 1952 das Leben und ließ die Gemeinden sowie das ZK in Bayern in einer extrem kritischen Situation zurück. Die Ereignisse in München führten auch den Zentralrat der Juden in Deutschland an die Grenzen seiner Belastbarkeit und gipfelten hier in einem Misstrauensvotum gegen den amtierenden Generalsekretär.226 Der dritte Kandidat für den Vorsitz des Direktoriums war Heinz Galinski. Anders als die Mehrheit der Holocaust-Überlebenden verblieb Galinski nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland und fungierte von 1949 bis 1992 als erster Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in West-Berlin.227 Da sich das SED-Regime den regelmäßigen BRD-Besuchen des Repräsentanten der jüdischen Gemeinden in der DDR, Julius Meyer,228 immer wieder entgegenstellte und so dessen Teilnahme an den Treffen des Direktoriums in Westdeutschland verhinderte, vertrat Galinski häufig neben den Interessen der Berliner Gemeinde auch die Belange der ostdeutschen Juden.229 Die Histori224 Van Dam, Die Juden, 893. 225 Vgl. z. B. Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar–August 1951, in: ZA, B.1/7.246. 226 Zu den Ereignissen um Philipp Auerbach und deren politische Brisanz für den neu gegründeten jüdischen Dachverband vgl. Kapitel IV.1.1. 227 Zur Biografie von Heinz Galinski (1912 – 1992) vgl. Asmuss/Nachama, … um der Menschheit zu ersparen; Berndt/Nachama (Hg.), „Ich weiß, ich bin kein Bequemer“; Brenner, Nach dem Holocaust, 147 – 150; Galinski, Die Ehrung; Giordano, Auschwitz; Nachama, Der Mann; Schütz (Hg.), Heinz Galinski. Zur Wiederbegründung jüdischer Gemeinden 1945 in Berlin vgl. Offenberg, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“, 12 – 50. 228 Zur Biografie von Julius Meyer (1909 – 1979) vgl. Hartewig, Meyer, Julius; Offenberg, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“, 24, Anm. 24. 229 Vgl. hierzu u. a. 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 5, in: ZA, B.8.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

178

Die Institutionen

kerin Ulrike Offenberg konstatiert, dass für die jüdischen Gemeinden wie für alle gesamtdeutschen Organisationen nach der Gründung zweier Staaten grenzüberschreitende Kontakte problematisch geworden waren und Staat und Partei in der DDR sogar gezielt auf eine Umstrukturierung des Landesverbandes, seine Trennung vom Zentralrat der Juden in Deutschland und den Abbruch der Verbindungen in den Westen gedrängt hätten.230 Diese Entwicklung stärkte Galinskis Position innerhalb des Direktoriums, die durch die Ereignisse infolge des Slansky-Prozesses eine weitere Aufwertung erfuhr. Der ehemalige Parteivorsitzende der tschechoslowakischen KP, Rudolf Slansky, wurde 1952 beschuldigt, Teil einer „trotzkistisch-titoistischen-zionistischen bürgerlich-nationalen Verschwörung“ zu sein, zusammen mit dreizehn zumeist jüdischen Mitangeklagten in Prag vor Gericht gestellt und schließlich zum Tode verurteilt.231 Dieses stalinistische Schautribunal markierte den vorläufigen traurigen Höhepunkt einer zunehmend antisemitischen Politik in sämtlichen Ostblockstaaten, die auch in der DDR zu einer Welle von Maßnahmen gegen die dort verbliebenen Juden führte.232 Aufgrund der einsetzenden Verfolgung und Demütigung der jüdischen Gemeinden, die sich 1946 zunächst zum Verband der jüdischen Gemeinden in der sowjetischen Besatzungszone zusammengeschlossen hatten,233 „fand eine panikartige Flucht jüdischer Funktionäre und einer Anzahl anderer Juden aus der sowjetischen Besatzungszone statt“, erinnerte sich van Dam Anfang der 1960er Jahre.234 Zu den Personen, die sich für eine Ausreise in den Westen entschieden, gehörten neben Julius Meyer auch die Vorsitzenden der Gemeinden Dresden, Leipzig und Erfurt. Da er die jüdische Gemeinschaft nicht für Tagesparolen missbraucht sehen wollte, mahnte der Zentralrat damals zur Ruhe und stellte auf seiner Sitzung vom 28. Juni 1953 fest, „dass der Landesverband der DDR nicht aus dem Zentralrat ausgetreten sei, wenn auch eine

230 231 232

233

234

Zentralrat 3; A ,Roof Organization‘ is born, 23. 7. 1950, in: CJH/YIVO, RG 347.1, 35, zitiert in: Geller, Die Entstehung, 69; Ders., Jews, 85. Offenberg, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“, 66 f. Zur Situation der jüdischen Gemeinschaft in der DDR vgl. auch Brenner/Frei, Zweiter Teil, 175 – 182. Zum Slansky-Prozess und seinen Folgen vgl. Brenner, Nach dem Holocaust, 199 – 201; Hirschinger, „Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter“, 329 – 339; Peters, Der Antifaschismus, 53 f. Zur damaligen Situation der Juden in der DDR vgl. z. B. Granata, „Das hat in der DDR […]“; Fippel, Der Missbrauch; Haury, Antisemitismus; Herf, Divided Memory ; Koenen, Die DDR; Meining, Kommunistische Judenpolitik; Mertens, Offizieller Antifaschismus; Offenberg, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“; Weiß, Gebrochener, nicht „verordneter“ Antifaschismus. Vorsitzender des LV war Julius Meyer; zum Vizepräsidenten wurde Dr. Fritz Grunsfeld und zum Generalsekretär Dr. Hans Erich Fabian gewählt. Gründungsmitglieder waren die Gemeinden Bernburg, Chemnitz, Dresden, Eisenach, Erfurt, Halle, Leipzig, Magdeburg und Berlin. Aufgrund des Viermächtestatus der Stadt gehörte die Jüdische Gemeinde zu Berlin dem LV nicht an, wurde jedoch von Julius Meyer vertreten. Gay, Safe among the Germans, 209; Geller, Jews, 106 – 109; Offenberg, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“, 63 – 67. Van Dam, Die Juden, 902. Vgl. hierzu auch Burgauer, Zwischen Erinnerung, 180 f; Herf, Antisemitismus; Offenberg, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“, 84 – 90; Peters, Der Antifaschismus, 53 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

179

Anzahl Funktionäre wie Herr Julius M e y e r ausgetreten sind“235. Tatsächlich stellten der Verlust der langjährigen Führungspersönlichkeiten der jüdischen Gemeinden in der DDR und die Abwanderung einer großen Anzahl von Gemeindemitgliedern236 den Verband vor existentielle Schwierigkeiten: Um sein Überleben in der von der SED kontrollierten Atmosphäre zu sichern, distanzierten sich die neuen Repräsentanten der in der DDR verbliebenen Juden deutlich von Meyer und seiner Politik. Im Februar 1953 folgte die Neugründung als Verband der Jüdischen Gemeinden in der Deutschen Demokratischen Republik, dem sich alle jüdischen Gemeinden der DDR mit Ausnahme der Gemeinde in Ost-Berlin anschlossen. Das Verhältnis zwischen der jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin und dem neuen Vorsitzenden des Verbands, Hermann Baden, war nicht gut, so dass die jüdische Gemeinde in Ost-Berlin bis 1960 keinem Dachverband angeschlossen war. Zwischen den jüdischen Gemeinden in Ost- und West-Berlin bestand bereits seit 1953 eine klare Trennung der organisatorischen Einheit.237 Trotz dieser Veränderungen und der Loyalität der meisten verbliebenen Gemeindemitglieder gegenüber dem SED-Staat entsandte der ostdeutsche Verband mit Hermann Baden aus Halle wieder ein Mitglied in das Direktorium des Zentralrats und ernannte als dessen Stellvertreter Max Car aus Erfurt.238 Durch diesen Akt hatte die Einheit der jüdischen Gemeinden in West- und Ostdeutschland zwar formal weiter Bestand; er markiert jedoch zusammen mit dem 1953 eingetretenen Verlust der Unabhängigkeit der jüdischen Ost-Gemeinden nicht nur eine Zäsur in der Geschichte der Juden in der DDR, sondern auch den Beginn ihres Ablösungsprozesses von dem in Westdeutschland angesiedelten Zentralrat. Bis 1963 verblieb der Verband der jüdischen Gemeinden in der DDR zwar offiziell Mitglied des Zentralrats, die Teilnahme seiner Delegierten an Sitzungen des Direktoriums bzw. des Rates wurde jedoch immer seltener. Jay Howard Geller konstatiert, dass „after 1963, contact between the two groups diminished as relations cooled considerably“239, und auch der in den 1950er Jahren immer noch vergleichsweise enge Kontakt zwischen den jüdischen Gemeinden in Ost- und West-Berlin „would practically cease in August 1961 with the construction of the Berlin Wall“240. Aus diesem Grund konnte das Direktoriumsmitglied Professor Dr. Herbert Lewin (1899 – 1982), der zwischen 1963 235 Beschlussprotokoll der Direktoriumssitzung, 28. 6. 1953, 6, in: ZA, B.1/7.221.38. Vgl. auch Brenner, Nach dem Holocaust, 200; Van Dam, Die Juden, 902; Geller, Jews, 163 – 176. 236 Laut Lothar Mertens war die Zahl der in den jüdischen Gemeinden in der DDR eingetragenen Gemeindemitglieder von 2.600 im Jahre 1952 auf 1.200 im Jahre 1967 gesunken. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung waren noch 350 Juden als Gemeindemitglieder registriert. Mertens, Schwindende Minorität, 136, 149; Ders., Die Jüdischen Gemeinden. 237 Geller, Jews, 176 – 184; Offenberg, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“, 63 – 67, 91 – 114. 238 Hermann Baden an den Zentralrat, 27. 5. 1953, in: CJA, 5 B 1, 29, 147, zitiert in Geller, Jews, 179; Beschlussprotokoll der Direktoriumssitzung, 28. 6. 1953, 6, in: ZA, B.1/7.221.38. 239 Geller, Jews, 179. Vgl. auch Mertens, Davidstern, 80 f; Burgauer, Zwischen Erinnerung, 161 f. 240 Geller, Jews, 180. Vgl. auch Offenberg, „Sei vorsichtig gegen die Machthaber“, 65, 104 f, der zufolge der LV der Jüdischen Gemeinden in der SBZ bzw. DDR bis 1962 dem ZR angehörte.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

180

Die Institutionen

und 1969 an der Spitze des Zentralrats stand, auf der Ratsversammlung im März 1964 nur noch feststellen, was in den folgenden Jahren für das Verhältnis der jüdischen Gemeinden in Ost und West charakteristisch sein sollte: Zu meinem großen Bedauern sind auch in diesem Jahr unsere Jüdischen Gemeinden der DDR nicht bei uns. Da ich im Mai zu einer medizinischen Tagung nach Weimar eingeladen bin, werde ich versuchen, mit unseren Gemeinschaften drüben wieder Kontakt aufzunehmen, (falls die Ratstagung damit einverstanden ist und nichts dagegen hat).241

Der nicht selten als „Wachhund“ charakterisierte Galinski, der über viele Jahre eine entscheidende Rolle im Bemühen um die Aufrechterhaltung des Kontakts zwischen dem Zentralrat und den Gemeinden Ostdeutschlands einnahm, verpasste Anfang der 1950er Jahre die sich nach dem Ausscheiden Wollheims und Auerbachs bietende Möglichkeit, eine hierarchische Struktur durchzusetzen, die ihm langfristig den Vorsitz im Direktorium des Zentralrats gesichert hätte. Nicht zuletzt muss wohl Galinskis Wohnort, die isolierte Großstadt Berlin, als der ausschlaggebende Grund für seine ungünstige Ausgangsposition im Wettbewerb um die Führung gewertet werden: Denn statt sich in ihm auf einen festen Vorsitzenden des Direktoriums festzulegen, entschied sich das Direktorium zunächst gegen die Ernennung eines Vorsitzenden242 und bestimmte, den Vorsitz in regelmäßigem Turnus zwischen den verschiedenen Repräsentanten wechseln zu lassen243 – eine Regelung die dafür sorgte, dass Galinski erstmals 1954 das Amt des ersten Vorsitzenden bekleidete, nachdem Carl Katz (Bremen), der im November 1953 als erster für sechs Monate zum 1. Vorsitzenden des Direktoriums gewählt worden war, am 2. Mai 1954 nicht wieder kandidieren wollte.244 Wie diese Beispiele zeigen, hatte der Zusammenschluss zum Zentralrat weder Einigkeit unter den verschiedenen Gruppen hergestellt, noch herrschte unter den deutschen Juden Konsens darüber, wie die Zukunft der jüdischen Gemeinde in Deutschland aussehen oder die Frage der Leitung innerhalb des Direktoriums gelöst werden könnte. Trotz dieser Schwierigkeiten etablierte sich der Zentralrat und erhielt im Jahr 1963 den Status einer Körperschaft des 241 Protokoll der Ratsversammlung des Zentralrats, 22./23. 3. 1964, in: ZA, B.1/7. 815. Zur Entwicklung der jüdischen Gemeinden in der DDR bis 1990 vgl. Offenberg, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“, 115 – 273. 242 Die Idee, einen Vorsitzenden des Direktoriums zu benennen, wurde u. a. im April 1951 im Zusammenhang mit der Frage der Effizienz des Sekretariats diskutiert, eine solche Position jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingerichtet. Vgl. hierzu Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, 3 (29. 4. 1951), in: ZA, B.1/7.221.13. 243 Beschlussprotokoll der internen Direktoriumssitzung, 12. 11. 1952, 3, in: ZA, B.1/7.221.29. 244 Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 2. 5. 1954, 1, in: ZA, B.1/7.157. Vgl. zur Wahl von Carl Katz auch Carl Katz, 1. Vorsitzender des Direktoriums, und Dr. H.G. van Dam, Generalsekretär, an das Bundesministerium der Justiz, z. Hd. Herrn Ministerialrat Roemer, Bonn, 3. 11. 1953, in: ZA, B.1/7.101.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

181

öffentlichen Rechts.245 Ausschlaggebend dafür, dass sich die Organisation trotz der feststellbaren Uneinigkeit und des Ausscheidens der zwei einflussreichsten Juden im Nachkriegsdeutschland, die gegebenenfalls zwischen deutschen und osteuropäischen Juden hätten vermitteln können, als gemeinsame Vertretung behaupten konnte, waren die Persönlichkeit und die Politik Hendrik G. van Dams: Als Generalsekretär des Zentralrats übte er vom Zeitpunkt der Gründung bis Anfang der 1970er Jahre entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung und den Zusammenhalt des deutsch-jüdischen Dachverbands aus und setzte sich beständig für die Einigkeit unter den Mitgliedern ein. Wie zu Beginn dieses Kapitels dargestellt, waren die beruflichen Qualifikationen van Dams in den Diskussionen des Direktoriums immer wieder als Argument für die Ernennung des Juristen zum Generalsekretär angeführt worden.246 In der Broschüre zum zehnjährigen Bestehen des Zentralrats erklärte van Dam selbst rückblickend, dass für diese Wahl […] die bisherige Tätigkeit des Generalsekretärs maßgebend gewesen sein [dürfte], der sich ab Dezember 1946 als Rechtsberater, dann als Leiter der Rechtsabteilung der Jewish Relief Unit, der großen jüdischen britischen Hilfsorganisation, mit den Problemen der Wiedergutmachung und der Wiederherstellung der Institutionen der jüdischen Gemeinden in Deutschland befaßt hatte.247

Folgt man dieser Argumentation, so kann man die berufliche Entwicklung van Dams als Juden in Türöffner auf dem Weg zurück in die frühere Heimat und an die Spitze des Zentralrats der Deutschland verstehen: Die Briten förderten während der unmittelbaren Nachkriegsmonate, als sie die Rückkehr von Zivilisten in die deutschen Besatzungszonen noch ablehnten, bereits die Einreise von Journalisten und Juristen. Diese Tatsache ermöglichte es van Dam, bereits 1945 im Auftrag der Besatzer und 1946 als Mitarbeiter der JRU in die britische Zone zurückzukehren. In diesem Zusammenhang verdient noch ein zweiter Aspekt besondere Beachtung: Van Dam erhielt die zwei Positionen, die er während der ersten Jahre im Nachkriegsdeutschland antrat, explizit aufgrund seiner deutschen Ausbildung sowie der spezifisch jüdischen Erfahrung während des Holocaust.248 Ferner waren die Briten überzeugt davon, dass Emigranten wie van Dam während der Jahre im Exil demokratische Erfahrung gesammelt hatten, was sie von anderen, insbesondere osteuropäisch-jüdischen Überlebenden, die diese Zeit in Lagern verbracht hatten, abhob. In Ergänzung zu diesen Qualifikationen erwarb van Dam während der Jahre bei der JRU die notwendige juristische Praxis, um sich als ausgewiesener 245 246 247 248

Protokoll über die Tagung des Zentralrats, 13./14. 1. 1963, in: ZA, B.1/7.860. Vgl. z. B. Protokoll der Sitzung des Zentralrats, 6. 9. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.4. 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 5, in: ZA, B.8. Zentralrat 3. Vgl. hierzu Dr. Weis, Legal Adviser of the Jewish Relief Unit, an Mr. Leonard Cohen, Jewish Committee for Relief Abroad, 15. 10. 1946, in: WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam sowie Kapitel II.2.3.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

182

Die Institutionen

Experte auf dem Gebiet der Wiedergutmachungsgesetzgebung zu etablieren. Dies befähigte ihn wie keinen anderen für das Amt des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland, welcher sich während der ersten Jahre schwerpunktmäßig mit Fragen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auseinanderzusetzen hatte.249 So sehr den Briten van Dams juristische Ausbildung und deutsch-jüdische Erfahrung nutzte, als sie ihn in ihrem Auftrag ins Nachkriegsdeutschland zurücksandten, so sehr profitierten die JRU und der Zentralrat von der Beschäftigung van Dams bei der britischen Militärregierung und seinen ausgezeichneten persönlichen und beruflichen Beziehungen zu deutschen Politikern. Seit April 1945 hatte van Dam als Jurist in verantwortlicher Position für die Control Commission in Germany gearbeitet und war deshalb mit den administrativen Abläufen innerhalb des britischen Besatzungsapparats bestens vertraut. Darüber hinaus hatte er im Rahmen seiner Tätigkeiten für die Briten und die JRU enge Kontakte zu jüdischen und deutschen Funktionären hergestellt.250 Bei der Gründung einer absolut neuen zentralen jüdischen Dachorganisation in der Bundesrepublik waren informelle Kontakte – insbesondere in Ermangelung eines internationalen jüdischen Support-Systems – von mindestens gleicher Bedeutung wie offizielle, bewährte Beziehungen. Aber auch im Hinblick auf die anstehenden internen Entwicklungen, die den Zentralrat erwarteten, war die Position, welche van Dam während der ersten Jahre im Nachkriegsdeutschland bekleidet hatte, von unschätzbarem Wert: Erstens lebte und wirkte van Dam, der zu den persönlichen Freunden Norbert Wollheims zählte und professionell gut mit Philipp Auerbach kooperierte, in der britischen Zone, in der DPs und deutsche Juden vergleichsweise gut zusammenarbeiteten. Dieses Umfeld ermöglichte es dem Juristen, ohne größere Widerstände und Probleme mit den Mitgliedern beider Gruppen in Kontakt zu treten und sie insbesondere in Fragen der Wiedergutmachung zu beraten. Zweitens gehörte die Unterstützung der jüdischen DPs zu den Hauptaufgaben der JRU und somit auch ihres juristischen Beraters, van Dam. Durch die intensive Interaktion mit den DPs und sein dezidiertes Eintreten für die Angehörigen dieser häufig als „problematisch“ charakterisierten jüdischen Gruppe konnte der Jurist im Verlauf seiner Tätigkeit für die britische Hilfsorganisation das Vertrauen vieler osteuropäischer Juden gewinnen, die in den DP-Lagern gestrandet waren und ihm für seine Arbeit Anerkennung zollten. 249 Vgl. hierzu z. B. die Diskussionen in den ersten Sitzungen des Direktoriums des Zentralrats: Protokoll der ersten Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 20. 8. 1950, 1, in: ZA, B.1/ 7.221.3; Protokoll der Sitzung des Zentralrats, 6. 9. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.4; Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 15./16. 10. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.5. 250 Vgl. z. B. Dr. Weis, Legal Adviser of the Jewish Relief Unit, an Mr. Leonard Cohen, Jewish Committee for Relief Abroad, 15. 10. 1946, in: WLL, File 1407/5, Dr. HG van Dam; 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, 6, in: ZA, B.8. Zentralrat 3; Protokoll der Sitzung des Zentralrats, 6. 9. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.4; H.G. van Dam an Herrn Dr. Ostertag, Stuttgart, 7.11.195[0], 2, in: ZA, B.1/7.227.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

183

Im Zusammenhang mit der Frage, wie und warum ausgerechnet van Dam an die Spitze des Zentralrats gelangte, ist ferner die Beobachtung des Soziologen Harry Maor interessant, der sich im Rahmen seiner Dissertation ausführlich mit dem Phänomen der Rückwanderung auseinandersetzt. Maor argumentiert, dass sich Remigranten wie Marx und van Dam durch den frühen Zeitpunkt ihrer Einreise von der späteren, negativ bewerteten jüdischen Rückwanderung – insbesondere von Juden aus Palästina bzw. Israel – abhoben und ihre Rückkehr „im Gefolge der internationalen jüdischen Hilfsorganisationen oder mit den Heeren der Alliierten“ den Zurückkommenden eine „natürliche Führerstellung einräumte“.251 Die Biografie van Dams scheint diese Beobachtung zu bestätigen: gerade diese „natürliche Führerstellung“, die Maor der „Elite von Rückkehrern“ zuschreibt, hob ihn von anderen Anwärtern auf die Position ab, die er innerhalb der jüdischen Gemeinschaft nach 1945 einnehmen sollte. Die frühe Remigration und die damit verbundene herausgehobene Stellung müssen deshalb neben den beruflichen Qualifikationen, der kulturellen Verbundenheit und den persönlichen Beziehungen zu Entscheidungsträgern als ein weiteres wichtiges Argument gelten, das entscheidend zur Berufung van Dams zum neuem Generalsekretär beitrug. In ihrer Kombination statteten diese verschiedenen Aspekte den späteren Generalsekretär mit der Fähigkeit aus, als Mittler zwischen den unterschiedlichen jüdischen Gruppen einerseits sowie den Juden in Deutschland und ihren deutschen und internationalen Partnern andererseits wirken zu können. Zum Zeitpunkt der Gründung des Zentralrats war van Dam bekannt und aufgrund seiner Arbeit allseits respektiert; entsprechend kommentierte das American Jewish Committee ob der Möglichkeit seiner Ernennung zum Generalsekretär : „his integrity is beyond question“252. Letztlich war van Dam der einzige festangestellte Vollzeitmitarbeiter des Zentralrats, der insbesondere nach der Emigration Wollheims und dem Selbstmord Auerbachs bis zu seinem Tod im Jahre 1973 als beständiger Partner für Juden, Deutsche und andere zum Gespräch bereitstand. Er vermochte sich auf diese Weise nicht nur über viele Jahre eine privilegierte Position innerhalb des Zentralrats zu sichern, sondern wurde zudem zur entscheidenden Integrationsfigur innerhalb des Zentralrats der Juden in Deutschland.

2.3 Warum Düsseldorf ? – Der Versuch einer Standortbestimmung253 Gegründet im Juli 1950 in Frankfurt am Main, verlegte der Zentralrat noch im selben Jahr seine Büroräume in die Hansestadt Hamburg und beschloss Mitte 251 Maor, Über den Wiederaufbau, 37. 252 American Jewish Committee, zitiert nach: Geller, Jews, 86. 253 Dieses Teilkapitel wurde in einer früheren Version 2010 in den Münchner Beiträgen zur Jüdischen Geschichte und Kultur Jg. 4, Heft 1 veröffentlicht, vgl. Sinn, Warum Düsseldorf ?

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

184

Die Institutionen

1952, nach Düsseldorf umzuziehen. Unter dem Vorsitz Werner Nachmanns erfolgte 1985 die Übersiedelung des Zentralratsbüros von Düsseldorf in die Hauptstadt Bonn, die man schließlich 1999 in Richtung der neuen Bundeshauptstadt Berlin verließ.254 1950 war die Wahl des Juristen van Dam zum ersten Generalsekretär entscheidender Grund für die Verlegung des Sekretariats von Frankfurt am Main nach Hamburg, den Wohnort des damals einzigen Angestellten des Zentralrats;255 für die Umzüge 1985 bzw. 1999 können die vom Berliner Gemeindevorsitzenden Jerzy Kanal betonte Erweiterung der Möglichkeiten durch die Nähe zum Sitz der deutschen Bundesregierung und der vom damaligen Präsidenten des Zentralrats, Ignatz Bubis,256 hergestellte Bezug zur deutsch-deutschen Geschichte als die entscheidenden Argumente für die Wahl der Bundeshauptstadt Bonn bzw. Berlin zum Verwaltungssitz des Zentralrats verstanden werden.257 Vergleichbar offensichtliche Gründe für die 1952 erfolgte räumliche Verlagerung von Hamburg nach Düsseldorf gibt es nicht. Fest steht jedoch, dass auch diese geographische Neuausrichtung des Zentralrats nicht zufällig erfolgte, sondern Ergebnis schwieriger Entscheidungsprozesse war, die in den Protokollen der Direktoriumssitzungen aus der Frühphase dokumentiert wurden. Eine genauere Betrachtung der lebhaften Debatten um den geeignetsten Standort, an deren Ende der Umzug nach Düsseldorf stand, erscheint somit nicht allein wegen der Unterschiedlichkeit der zur Diskussion stehenden Standorte interessant. Sie ist insbesondere deshalb von Interesse, weil es de facto nicht um die geographischen Vorzüge einzelner Städte ging, sondern die Direktoriumsmitglieder und der Generalsekretär im Rahmen dieser Auseinandersetzung (in)direkt über die Ausrichtung der Arbeit des Sekretariats verhandelten. Die Untersuchung der Diskussionszusammenhänge bietet folglich eine gute Möglichkeit, Aufschluss über die politische Positionierung des Zentralrats einerseits und die Einstellung van Dams zum jüdischen Leben in der Bundesrepublik andererseits zu gewinnen. Beide Aspekte sollen im Folgenden am Beispiel der Frage der Standortbestimmung kurz skizziert werden. Seit 1951 wurde ein dauerhaftes Verbleiben des Zentralratsbüros in Hamburg von Seiten der Direktoriumsmitglieder kritisch hinterfragt und eine Verlegung des Sekretariats diskutiert. Ausgangspunkt dieser Debatte, die sich schnell zu einer Grundsatzfrage über die Ausrichtung der Arbeit des Zentralrats entwickelte, war die fordernde Feststellung, dass sich dieser insgesamt „mehr einschalten“ und „die Arbeit […] viel konzentrierter vor sich gehen“ 254 Im April 1999 bezog der Zentralrat nach vielen Jahren im Rheinland seinen heutigen Verwaltungssitz, das vierstöckige „Leo-Baeck-Haus“ in der Tucholskystraße 9 in Berlin. 255 Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 15./16. 10. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.5. 256 Zur Biografie von Ignatz Bubis (1927 – 1999) vgl. Bubis, Ich bin ein deutscher Staatsbürger ; Ders., Damit bin ich noch längst nicht fertig; Backhaus/Gross/Lenarz (Hg.), Ignatz Bubis. 257 Marlies Emmerich, Zentralrat der Juden zieht an historischen Ort, in: Berliner Zeitung, 20. 4. 1999; Dies., „Die Möglichkeiten werden einfach größer“, in: Berliner Zeitung, 27. 11. 1995.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

185

müsse.258 Die von van Dam vorgeschlagene Aufteilung des Zentralrats in einzelne Dezernate wurde in diesem Zusammenhang als eine Möglichkeit zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Büros zwar positiv registriert, jedoch schnell von der Frage nach einem Umzug des Hauptsitzes zur Erweiterung des Handlungsspielraums der neu gegründeten Dachorganisation verdrängt. Als alternative Standorte favorisierten die Befürworter einer Verlegung des Sekretariats zunächst entweder Frankfurt am Main, die Umgebung von Bonn oder München. In ihren Begründungen, warum sie als mögliche neue Standorte für das Zentralratsbüro gerade diese drei geographisch zentral bzw. im Süden des Landes gelegenen Städte bevorzugten, nahmen die Direktoriumsmitglieder sowohl auf die allgemeinen politischen Entwicklungen als auch auf die innerjüdischen Herausforderungen der ersten Nachkriegsjahre Bezug. Der vom Berliner Gemeindevorsitzenden, Heinz Galinski, und dem auf Wiedergutmachungsfragen spezialisierten Juristen und Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde in Württemberg, Dr. Benno Ostertag, vorgebrachten Idee, die Einflussmöglichkeit des Zentralrats als politische Interessenvertretung der Juden in Deutschland durch einen Umzug ins Rheinland zu stärken, widersprachen die Vertreter des JDC, der Jewish Agency und der israelischen Regierung, die als Gäste an der Sitzung des Direktoriums im April 1951 teilnahmen.259 Der israelische Konsul Eliahu Livneh warnte vor zu großer Nähe zu Bonn: „Ein Mann, der in Bonn sitzt, würde in die Gefahr kommen, mißbraucht zu werden. Bayern sei bei der größten Zahl der Juden in Deutschland doch politisch-jüdisch der schwächste Punkt.“ In diesem Sinne äußerte sich auch der Direktor des JDC in der amerikanischen Besatzungszone, Samuel L. Haber. Er erklärte, „daß ihm für jüdische Belange als das wichtigste Zentrum München erscheine: bezüglich der Zahl der Juden und der Zahl der offiziellen jüdischen Büros“. Und „wenn es auch wichtig ist, mit den Bonner Behörden zusammenzuarbeiten“, bestätigte der Vertreter der Jewish Agency, W. Schwarz, „so ist die Frage der DP [Displaced Persons] doch von gleicher Bedeutung“260. Im Fehlen jüdischer Vertreter in München, die bei der Schließung des Wiedergutmachungsamtes zu Beginn der 1950er Jahre sowie der Verhaftung des bayerischen Staatskommissars für rassisch, religiös und politisch Verfolgte, Philipp Auerbach, wegen des Verdachts auf Betrug und Urkundenfälschung hätten eingreifen können, erkannten sie darüber hinaus einen zusätzlichen Grund, der für die bayerische Landeshauptstadt als neue Basis der zentralen jüdischen Vertretung sprach.261 Philipp Auerbach selbst hatte bereits vor der Eskalation der Ereignisse in München – möglicherweise in Hoffnung auf eine Erweiterung seines Macht- bzw. Einflussbereichs in der nationalen 258 259 260 261

Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, 3 (29. 4. 1951), in: ZA, B.1/7.221.13. Ebd., 3 f (29. 4. 1951). Zitate von Livneh, Haber und Schwarz sind entnommen ebd. Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

186

Die Institutionen

jüdischen Interessenvertretung – eine Verlegung des Sekretariats nach München vorgeschlagen.262 Zu einer Abstimmung über die Frage der Verlegung des Zentralratssitzes – ob ins Rheinland, in die Hauptstadt Bonn oder nach München – kam es am Ende dieses Meinungsaustauschs nicht. Weder wollten die Anwesenden die Verlegung des Sekretariats von dem Skandal um Philipp Auerbach bzw. der im Großraum München lebenden DP-Bevölkerung abhängig machen, noch konnten die Argumente für einen Umzug in die neue Hauptstadt bzw. die Umgebung von Bonn vorbehaltlos überzeugen. Abgesehen davon stimmten die Mitglieder des Direktoriums im Frühjahr 1951 noch darin überein, „daß der Zentralrat für alle Juden (auch die in Ostdeutschland) da sein soll“ und man deshalb den Kontakt mit Berlin und Ostdeutschland halten sollte, solange man ihn noch habe.263 Einige Monate später positionierte sich der Generalsekretär des Zentralrats, Hendrik G. van Dam, in seinem Tätigkeitsbericht für die Periode Januar bis August 1951 jedoch sehr deutlich. Unter der Überschrift „Verhältnis zu Spitzenbehörden. Frage der Verbindungsstelle“ diskutierte er die Möglichkeit eines Umzugs ins Rheinland im Zusammenhang mit einer notwendigen Verbesserung der Beziehungen zu verschiedenen bundesrepublikanischen Ministerien: Die Frage stellt sich, wieweit eine Verbindungsstelle in Bonn erforderlich ist. Bisher wurde vom Direktorium die Schaffung einer derartigen Verbindungsstelle abgelehnt. Hierbei handelt es sich insbesondere um den Austausch von Informationen, sofortige Einsichtnahme in Gesetzesentwürfe und unmittelbare Fühlungnahme mit den Beamten der zentralen Stellen in Bonn. Eine andere Möglichkeit der Lösung der Frage wäre die Verlegung des Sekretariats in das Rheinland, z. B. nach Düsseldorf oder Köln.264

Bereits vor der Gründung des Zentralrats, im Herbst 1949, hatten deutsche Politiker über die Einrichtung respektive Besetzung eines Referats für jüdische Angelegenheiten bei der Bundesregierung nachgedacht und diese Idee zunächst an Karl Marx, nach der Gründung des Zentralrats auch an die Direktoriumsmitglieder des Zentralrats herangetragen.265 Die Pläne waren 1950 soweit vorangeschritten, dass von Seiten des Bundesministeriums des Innern der in München tätige Rabbiner Ohrenstein offen als Wunschkandidat zur Besetzung des ehrenamtlichen Referats für jüdische Angelegenheiten benannt 262 Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 15./16. 10. 1950, 2, in: ZA, B.1/7.221.5. 263 Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, 3 (29. 4. 1951), in: ZA, B.1/7.221.13. 264 Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar–August 1951, hier 4. Verhältnis zu Spitzenbehörden. Frage der Verbindungsstelle, in: ZA, B.1/7.246. 265 Angeblich habe Marx die Idee an Bundespräsident Heuss herangetragen, der sich dann wiederum mit Adenauer besprach. Peter Lütsches an Karl Marx, 20. 9. 1949, in: BArch, B136/5862, zitiert nach: Geller, Die Entstehung, 65. Vgl. auch Ders., Theodor Heuss, 6.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

187

wurde.266 Während Marx die Ernennung eines jüdischen Beraters begrüßte,267 kam das erste Direktorium des Zentralrats nach sorgfältiger Beratung und Prüfung aller Erwägungen zu der Auffassung, daß die Einrichtung eines besonderen Referates für jüdische Angelegenheiten keine zweckdienliche und zweckentsprechende Lösung darstellt, um die zwischen der Bundesregierung und der Judenheit Deutschlands gegebenen Fragen zu behandeln.268

Vielmehr vertrat das Direktorium die Meinung, „daß die Vertretung der jüdischen Angelegenheiten bei der Bundesregierung und ihren Organen ausschließlich Sache unserer zentralen Selbstverwaltungskörperschaft, nämlich des Zentralrates der Juden in Deutschland ist“.269 Obwohl man von dieser Einschätzung nicht abrücken wollte, hatte sich seit der Gründung des Zentralrats gezeigt, dass in verschiedenen Fragen, insbesondere der Klärung von Eigentumsverhältnissen, dem Zustand der jüdischen Friedhöfe im Bundesgebiet,270 der Wiedergutmachungsgesetzgebung sowie der Schaffung einer zentralen Wohlfahrtsstelle, die Nähe zur Regierung in Bonn für die erfolgreiche Arbeit des Sekretariats von entscheidender Bedeutung war.271 So kam es, dass die Verlegung des Sitzes in der Direktoriumssitzung am 4. Mai 1952 erneut verhandelt wurde. Van Dam sprach sich aufgrund der schlechten Finanzlage des Zentralrats und der Nähe zum Leiter der 1951 gegründeten Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), Berthold Simonsohn,272 der ihn regelmäßig während Urlauben und Abwesenheit vertrat, für die Beibehaltung des Büros in Hamburg aus, wo er mit verhältnismäßig ge-

266 Auerbach und Ohrenstein waren im Frühsommer 1950 bei Bundesinnenminister Dr. Heinemann wegen der Gründung eines Jüdischen Sonderdezernats vorstellig geworden. Wollheim an die Interessenvertretung der Jüdischen Gemeinden und Kultusvereinigungen, z. Hd. Herrn Josef Warscher, 8. 6. 1950, in: StAHH, 522 – 2 (2005 – 1), 738; von Lex an Philipp Auerbach, 10. 9. 1950, in: StAHH, 522 – 2 (2005 – 1), 738. 267 Karl Marx an Theodor Heuss, 15. 9. 1949, in: BArch, B122/2086; Marx an Herbert Blankenhorn, 24. 12. 1949, in: BArch, B136/5862, beide zitiert nach: Geller, Die Entstehung, 65 f. Gegen die Errichtung eines Referats für jüdische Angelegenheiten sprach sich vor der Gründung des Zentralrats beispielsweise Philipp Auerbach aus. Vgl. hierzu Philipp Auerbach an das Bundeskanzleramt, 6. 3. 1950, in: BArch, B136/5862. 268 Direktorium des Zentralrats an Staatssekretär Ritter von Lex, Bundesministerium des Innern, 16. 10. 1950, in: StAHH, 522 – 2, Akt 738 (Abl. 2005 – 1). 269 Ebd. Von deutscher Seite wurde die Idee endgültig im Januar 1951 fallengelassen, vgl. Geller, Jews, 189. 270 Vgl. hierzu z. B. Niederschrift über eine Länderreferentenbesprechung im Bundesinnenministerium am 5. 6. 1953 über Fragen der Instandsetzung und Instandhaltung jüdischer Friedhöfe im Bundesgebiet, in: ZA, B.1/7.120. 271 Vgl. Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar–August 1951, in: ZA, B.1/7.246. 272 Zur Gründung, Satzung und Arbeit der ZWST vgl. die Unterlagen in ZA, B.1/7.157; Krohn, Deutschland – trotz alledem? Zur Biografie des ersten Leiters der ZWST, Berthold Simonsohn (1912 – 1978), vgl. Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn; Käpernick, Berthold Simonsohn; Meyer, Simonsohn.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

188

Die Institutionen

ringen Kosten arbeiten könne.273 Die Tatsache, dass die Gemeinde in Köln bereit war, für die Errichtung eines Büros unentgeltlich drei Büroräume zur Verfügung zu stellen, und ein Kölner Büro die Errichtung einer ebenfalls mit Kosten verbundenen Bonner Zweigstelle unnötig machen würde, wertete jedoch auch van Dam positiv. „Das Direktorium beschloss indessen nach eingehender Beratung, an der der Generalsekretär teilweise nicht teilnahm, die Verlegung des Büros nach Düsseldorf mit Wirkung vom 1. Juni 1952.“274 Auf Provinz- und Landesebene hatte sich Düsseldorf, dessen mittelgroße Synagogengemeinde deutsch-jüdisch geprägt war,275 schon frühzeitig gegenüber den anderen Gemeinden in der britischen Zone als Standort der zentralen Instanzen durchsetzen können: So hatten nicht nur der Zonenausschuss und der Landesverband Nordrhein ihre Büros in Düsseldorf eingerichtet; in der Landeshauptstadt erschien auch das von Karl Marx herausgegebene Jüdische Gemeindeblatt bzw. die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, welche sich zum bevorzugten Informationsorgan der jüdischen Gemeinschaft, zunächst in der britischen Zone, später deutschlandweit mit einer beachtlichen nichtjüdischen Leserschaft entwickelte.276 Die Anziehungskraft, die Düsseldorf bereits durch die Präsenz dieser drei Organe ausübte, war bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Zentralrats 1952 zur Verlegung seines Hauptsitzes durch die Ansiedelung der Arbeitsgemeinschaft jüdischer Gewerbetreibender und Industrieller sowie der Arbeitsgemeinschaft jüdischer Juristen noch weiter gestiegen.277 Basierend auf dem Direktoriumsbeschluss beauftragte der Zentralrat im Mai 1952 den Vorsitzenden der Synagogengemeinde Düsseldorf und des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Nordrhein, Julius Dreifuß, „Räume, die er von der Stadt nachgewiesen erhalten hatte, zu mieten“ und instand zu setzen, damit der Generalsekretär, gemäß den Wünschen des Direktoriums, das Büro ab dem 1. Juni 1952 in Düsseldorf führen könne. Mit der Verlegung des Büros gingen – nicht zuletzt aufgrund der Bürogemeinschaft mit der Arbeitsgemeinschaft jüdischer Gewerbetreibender und Industrieller – eine erste Vergrößerung des Verwaltungsapparats und wenig später der Umzug des Generalsekretärs in die Landeshauptstadt einher.278 273 Beschlussprotokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 4. 5. 1952, hier 2, in: ZA, B.1/ 7.221.19; H.G. van Dam an Carl Katz, Bremen, 17. 11. 1953, in: ZA, B.1/7.120. 274 Beschlussprotokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 4. 5. 1952, 2, in: ZA, B.1/ 7.221.19. 275 1952 verfügte die SGD über 345 Mitglieder. Vgl. Strathmann, Auswandern, 42. 276 Zur Entwicklung von jüdischer Gemeinde und Zeitung in Düsseldorf vgl. Kapitel III.1. 277 Zur Geschichte der SGD vgl. Strathmann, Auswandern, 387 – 390. 278 Zum Interesse der Stadt an der Niederlassung des Zentralrats in Düsseldorf vgl. Julius Dreifuß, für das Direktorium, an das Wohnungsamt der Stadt Düsseldorf, z.Hd. Herrn Direktor Gloock, Düsseldorf, 20. 8. 1953, in: ZA, B.1/7.227. Zur Vergrößerung des Apparats vgl. Statuten und Organisation des Zentralrats der Juden in Deutschland. Bemerkungen zu dem Statutenentwurf, Juni 1954, in: ZA, B.1/7.235. Vgl. auch Notiz „Zentralrat der Juden in Deutschland nach Düsseldorf verlegt“ sowie: „Düsseldorf neues jüdisches Zentrum“, in: AWJD, 6. 6. 1952. H.G.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

189

Am Ende der Diskussionen über den bestmöglichen Standort für das Sekretariat des jüdischen Dachverbands, die das Direktorium immerhin fast zwei Jahre beschäftigten, stand also nicht nur der Umzug des Zentralrats nach Düsseldorf. Im Zuge dieser Auseinandersetzung verhandelten die Beteiligten auch über eine Neuausrichtung der Zentralratsarbeit, eine Diskussion, die sich im Wesentlichen auf zwei Positionen zuspitzen lässt: Formulierten die Repräsentanten der in München ansässigen, zionistischen Instanzen ihr 1951 im Zentralrat abgegebenes Votum für die bayerische Landeshauptstadt auch als Plädoyer für die DPs und deren Belange, so war für sie eine Verlegung des Sitzes des Zentralrats nach München gleichbedeutend mit der Zustimmung der zentralen Interessenvertretung zu der von ihnen geförderten Auswanderung bzw. geforderten Beendigung jüdischer Präsenz in Deutschland.279 Dem entgegen stand die insbesondere von den Direktoriumsmitgliedern Galinski und Ostertag propagierte, aber auch vom Generalsekretär van Dam unterstützte Ansiedelung des Zentralrats als politische Interessenvertretung in der Nähe der Bundesregierung, um so eine länger- oder langfristige Zukunft für Juden in Deutschland zu schaffen und zu sichern. Mit Düsseldorf hatte der Zentralrat einen Ort gefunden, der eine gewisse Unabhängigkeit von der deutschen Regierung signalisierte, die den Vertretern des Direktoriums nach ihrer Ablehnung eines Referats für jüdische Angelegenheiten bei der Bundesregierung ein besonderes Anliegen war ; zugleich reduzierte der neue Sitz aber die räumliche Distanz, so dass die Effizienz und die Reaktionsmöglichkeit des Sekretariats insbesondere im Kontakt mit den Bundesministerien deutlich verbessert wurden. Düsseldorf überzeugte jedoch nicht nur durch seine Nähe zu Bonn, sondern bot vor allem durch die bereits bestehende jüdische Infrastruktur beste Voraussetzungen als neues Zuhause für die zentrale Interessenvertretung der Juden in Westdeutschland. Die 1952 getroffene Entscheidung für einen Umzug ins Rheinland markiert folglich nicht nur den Beginn einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen der deutschen Bundesregierung und dem Zentralrat, sondern ist zugleich Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der Führung der Juden in Deutschland: Sie steht am Beginn einer langsamen Ablösung von den verschiedenen jüdischen Organisationen in der Welt und stellt einen ersten Schritt hin zu einer dauerhaften Existenz jüdischen Lebens im Nachkriegsdeutschland dar.

van Dam war lt. eigener Aussage ab Ende August 1952 in Düsseldorf gemeldet; in den Meldeunterlagen der Stadt ist der 15. 9. 1952 als Datum des Zuzugs eingetragen. H.G. van Dam an den Oberstadtdirektor Rensemann, Düsseldorf, 23. 12. 1952, in: ZA, B.1/7.227; Angaben in der Einwohnermeldekartei des StadtAD, Film Nr. 7 – 4-6 – 50.0000: Dr. Hendrik George van Dam. 279 Zur Positionierung der Jewish Agency zum Zeitpunkt ihres Rückzugs aus Deutschland im August 1950 gegenüber den in Deutschland zurückgebliebenen Juden vgl. z. B. Münch, Zwischen „Liquidation“, 84 f. Das israelische Konsulat in München wurde am 1. 7. 1953 endgültig geschlossen. Vgl. Jelinek, Like an Oasis, 88.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

IV. Die Politik Hendrik G. van Dam und Karl Marx teilten nicht nur die Erfahrung von Flucht, Exil und Rückkehr in die britische Zone unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs; auch nach ihrer Ankunft im besetzten Deutschland lassen sich parallele Entwicklungslinien erkennen. Besonders auffällig ist, dass beide Akteure während der ersten vier bzw. fünf Jahre ihres Aufenthaltes im Nachkriegsdeutschland zunächst „in der zweiten Reihe“ deutsch-jüdischer Repräsentanz Aufgaben übernahmen, die es ihnen ermöglichten, ein umfassendes Netzwerk an Kontakten nicht nur zur Besatzungsmacht, zu deutschen Politikern und ausländischen Organisationen herzustellen, sondern gleichermaßen intensive Beziehungen zu DPs und jüdischen Gemeinden zu entwickeln. Marx wusste durch gezielte Lobbyarbeit und Kommunikation im Jüdischen Gemeindeblatt während der ersten Jahre eine Zeitung aufzubauen, die sich bis 1950 zum wichtigsten – und für viele: zum einzigen ernstzunehmenden – jüdischen Presseorgan in der Bundesrepublik entwickelte. Zeitgleich machte sich van Dam als Experte für Wiedergutmachungs- und Entschädigungsgesetzgebung schnell über die Grenzen der britischen Besatzungszone hinaus einen Namen und überzeugte durch sein juristisches Wissen die britische Militärregierung und die ausländischen Hilfsorganisationen, welche ihn hier einsetzten. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, die eng mit diesen Hilfsorganisationen und somit auch mit van Dam zusammenarbeitete, profitierte von dessen Engagement und ernannte ihn 1950 nicht zuletzt aufgrund seiner beruflichen und persönlichen Qualifikation zum Generalsekretär ihres neuen Dachverbands, des Zentralrats der Juden in Deutschland. Kurz nach der Gründung der Bundesrepublik waren somit beide, Marx und van Dam, an der Spitze einer zentralen, überregional agierenden Institution jüdischer Repräsentanz angekommen und in solch exponierter Stellung insbesondere nach dem Ausscheiden von Norbert Wollheim und Philipp Auerbach als politische Hauptakteure mit neuen Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert. Für das Verständnis des beruflichen Aufstiegs von Marx und van Dam sind die bisher geschilderten Entwicklungen und feststellbaren Ähnlichkeiten in der biografischen Erfahrung der beiden im Nachkriegsdeutschland von entscheidender Bedeutung. Zentral waren für ihren Werdegang insbesondere ihre berufliche Qualifikation, ihr Status als deutsch-jüdische Emigranten bzw. Rückkehrer aus dem Exil sowie die innerjüdischen Entwicklungen zu Beginn der 1950er Jahre. Im Hinblick auf die nachfolgende Analyse ihrer beruflichen Tätigkeit in der Bundesrepublik spielt nun jedoch insbesondere der Gegensatz zwischen den

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 191

beiden jüdischen Institutionen Zeitung und Zentralrat eine wichtige Rolle: Während Marx als Kopf eines privaten Wirtschaftsunternehmens weitgehend unabhängig von jüdischen Gemeinden und DP-Komitees einerseits, von politischen Parteien und Regierungen andererseits jüdische Interessenpolitik betrieb, war van Dam als Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland offizieller Repräsentant der in dieser Interessenvertretung zusammengeschlossenen jüdischen Gemeinschaft. Infolgedessen war der ausgebildete Jurist in seinen Handlungen an die Beschlüsse der Gremien des Zentralrats gebunden, während der Journalist Marx über seinen Mitarbeiterstab, die von der Zeitung behandelten Themen und seine Kooperationspartner frei entscheiden konnte. Trotz dieser ungleichen Legitimierung ihrer Positionen nahmen beide, Marx und van Dam bzw. die von ihnen vertretenen jüdischen Institutionen, jeweils für sich in Anspruch, als Sprecher der Juden in Deutschland die Interessen und Anliegen der jüdischen Minderheit gegenüber Dritten zu artikulieren. Konflikte schienen ob dieser Konstellation vorprogrammiert. Vor diesem Hintergrund widmet sich das folgende Kapitel der Frage, wie Marx und van Dam sich und die jüdische Gemeinschaft im Spannungsfeld zwischen bundesdeutscher Politik und Gesellschaft einerseits und jüdischen Interessen und Organisationen in der Welt andererseits positionierten. Welche Standpunkte vertraten die zwei politischen Hauptakteure jüdischen Lebens, die sich in den 1950er und 1960er Jahren die politische Bühne in der Bundesrepublik teilten? Welche Ziele verfolgten sie – einzeln oder gemeinsam – mit ihrer Politik? Und mit wem arbeiteten sie zusammen bzw. von wem grenzten sie sich ab?

1. Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen Die Aufgaben, mit denen die Juden in Deutschland 1950 konfrontiert wurden, waren vielfältig und die Ansichten, wie Probleme gelöst oder neue Ideen verwirklicht werden könnten, je nach Erfahrung und Zukunftserwartung unterschiedlich. Das folgende Kapitel befasst sich mit den innerjüdischen Entwicklungen und Herausforderungen, denen Karl Marx und Hendrik G. van Dam in ihren jeweiligen Positionen seit Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland bis zu ihrem Tod im Jahre 1966 bzw. 1973 begegneten. Im Zuge der Analyse einer Vielzahl von Reden und Veröffentlichungen sowie der Auswertung der erhaltenen Korrespondenzen, Protokolle und Kommentare der zwei politischen Hauptakteure, kristallisierte sich die Einheit als das entscheidende Motiv der innerjüdischen Politik heraus. Ob zur Förderung der Gemeinschaft oder als mahnende Erinnerung im Falle von Auseinanderset-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

192

Die Politik

zungen – die Repräsentanten beriefen sich ununterbrochen auf dieses zentrale Gut, das sie zu Beginn der 1950er Jahre als entscheidende Voraussetzung für ihre Arbeit und die Durchsetzung ihrer politischen Ziele definierten. Selbstverständlich änderten sich im Verlauf der Jahre die realpolitischen Gegebenheiten und mit diesen auch die Bedeutung, welche die deutsch-jüdischen Repräsentanten der Einheit zusprachen. Diesem Ergebnis Rechnung tragend stellt das Prinzip der Einheit das Leitmotiv des folgenden Kapitels dar, das zur Veranschaulichung der Herausforderungen für den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinschaft zu Beginn der 1950er Jahre zunächst exemplarisch drei Bewährungsproben der Einheit diskutiert. Im zweiten Teil steht dann die „Innere Pluralität“ der jüdischen Gemeinschaft im Mittelpunkt der Betrachtung, die exemplarisch am Beispiel von zwei unterschiedlichen Entwicklungen den Wandel der „Politik der Einheit“ nachzeichnet.

1.1 Gemeinsam? Bewährungsproben für die Einheit Zum Zeitpunkt der Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland war insbesondere das Miteinander von jüdischen Gemeinden in Bayern und dem ZK in München alles andere als harmonisch.1 Besonders deutlich traten die Spannungen zwischen den zwei unterschiedlich geprägten jüdischen Gruppen in der bayerischen Landeshauptstadt zutage. Wie einleitend dargestellt, waren die „einheimischen Juden“2 unter den Gemeindemitgliedern seit der Bildung der Israelitischen Kultusgemeinde München darum bemüht, den Einfluss der großen Gruppe der DPs bzw. osteuropäischen Juden in den repräsentativen Gremien der Gemeinde möglichst gering zu halten.3 Unterstützung erhielten sie in ihrem Bemühen um die Sicherung ihres Einflusses vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, das 1945 zunächst ein Statut der Kultusgemeinde akzeptierte, in dem „Fremdjuden“4 das Wahlrecht abgesprochen wurde.5 Auf Wunsch der ausländischen Gemeindemitglieder erklärte sich das Ministerium dann aber 1951 bereit, den bis dahin geltenden Beschluss, dass „die Mitglieder der Organe der Israelitischen Kultusgemeinde 1 Zu den Spannungen zwischen Ost- und Westjuden in München nach 1945 vgl. z. B. Kauders/ Lewinsky, Neuanfang, 187 – 198. 2 Vormerkung an Min. Rat. Emnet, 10. 1. 1946, in: BayHStA, MK 49565. 3 Vgl. hierzu die seit 1945 geführte Korrespondenz zwischen dem ersten Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde München, Dr. Spanier, und dem Ministerium für Unterricht und Kultus (BayHStA, MK 49561 und MK 49565) sowie insbesondere den Brief Dr. Josef Mayers an die IKG München, 17. 9. 1951, in dem dieser zu der Zusammensetzung des Vorstands nach dem Ausscheiden Spaniers Stellung nimmt (MK 49565); Kauders/Lewinsky, Neuanfang, 188 f sowie Kapitel I.2. 4 Vormerkung an Min. Rat. Emnet, 10. 1. 1946, in: BayHStA, MK 49565. 5 Vormerkung, 3. 8. 1945, in: BayHStA, MK 49565.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 193

an sich sämtlich deutsche Staatsangehörige sein müssten“, aufzuheben. Es wurde nun für genügend angesehen, wenn wenigstens 2/3 der Mitglieder der Organe deutsche Staatsangehörige sind. Im Hinblick auf die gegenwärtigen Verhältnisse in der jüdischen Kultusgemeinde München wird darüber hinaus genehmigt, daß nur die Hälfte der Mitglieder des Vorstandes die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen müssen, sofern satzungsmäßig gesichert ist, daß in der Beschlußfassung bei Stimmengleichheit der Präsident, welcher die deutsche Staatsangehörigkeit haben muß, mit seiner Stimme den Ausschlag gibt.6

Auch wenn diese Auseinandersetzung um die Repräsentanz in den Münchner Gemeindegremien in erster Linie als regionales Problem angesehen wurde, wies Philipp Auerbach bereits in dem von ihm verfassten „Rechenschaftsbericht des Staatskommissars für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ von 1947 darauf hin, dass „das Problem der ausländischen Juden […] nicht nur ein Problem der Betreuung, sondern ein politisches Problem von höchster Bedeutung“7 sei. Seiner Meinung nach galt es jedoch gerade im Hinblick auf den Schwarzhandel, der insbesondere den osteuropäischen Juden nachgesagt wurde, zu bedenken, daß diese Menschen nicht freiwillig hier sind, daß der weitaus größte Teil in den jüngsten Jahren in das Konzentrationslager kam und nach der Befreiung weder Eltern noch Geschwister noch Ehegatten vorfand. […] Sie konnten nicht nach Hause, weil sie kein zu Hause mehr hatten, und sie blieben dort, wo sie befreit wurden, oder schlossen sich zusammen, die auf dem gemeinsamen Todesmarsch waren und leben zum Teil heute noch in Lagern, unter Verhältnissen, die mehr als primitiv sind. […] Und dann kam der Hunger, die Entbehrung, die sie zwang, zunächst die Schokolade und die Zigaretten zu vertauschen gegen andere Lebensmittel; und als sie merkten, daß es gut geht, da wurde aus dem kleinen Tauschgeschäft ein Handel, der bei manchen Hemmungslosen zum Schwarzhandel ausartete.8

Obwohl Auerbach nach eigener Aussage „seitens des Central Committees unterstützt wurde in diesem Kampf um die Sauberkeit und die Ehrlichkeit“9, belasteten diese Entwicklungen das bereits durch die kulturellen Unterschiede zwischen deutschen und osteuropäischen Juden angespannte Verhältnis auf regionaler und überregionaler Ebene nachhaltig. Vor dem Hintergrund dieser Schilderungen Auerbachs wirkt das von Marx im Herbst 1947 formulierte Lob über den Zusammenschluss der Gemeinden und DP-Komitees in der britischen Zone und die durch diesen Schritt demonstrierte innerjüdische Ge6 Dr. Josef Mayer an die IKG München, 17. 9. 1951, in: BayHStA, MK 49565. 7 Rechenschaftsbericht des Staatskommissars für rassisch, religiös und politisch Verfolgte. 15. 9. 1946 bis 15. 5. 1947, 20, in: StadtAM, Bürgermeister und Rat 2559. 8 Ebd., 20 f. 9 Ebd., 21.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

194

Die Politik

schlossenheit unpassend und verstärkt den Eindruck, dass der Herausgeber der jüdischen Wochenzeitung durch das Betonen der Einheit der jüdischen Gemeinschaft einen Zustand zu demonstrieren versuchte, der noch nicht eingetreten war.10 Eine genauere Untersuchung der Entwicklungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland nach der Gründung des Staates Israel, dem Entstehen der zwei deutschen Staaten und der Formierung des Zentralrats verdeutlicht, dass der Kampf um die innere Einheit, der Ende der 1940er Jahre in vollem Gange war, auch zu Beginn der 1950er Jahre zu den Hauptaufgaben der deutsch-jüdischen Repräsentanz zählte. Manch einen Beobachter mag die Tatsache erstaunen, dass die größte Bedrohung des innerjüdischen Zusammenhalts schließlich nicht von den DPs ausging, sondern durch das gegen den Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte, Philipp Auerbach, eingeleitete Strafverfahren verursacht wurde. Anhand von drei bayerischen Begebenheiten, die sich schnell über die Grenzen des süddeutschen Bundeslandes hinaus zu grundsätzlichen Herausforderungen bzw. existenzbedrohenden Krisenmomenten für das jüdische Establishment in Deutschland entwickelten, wird im Folgenden die von Seiten der deutsch-jüdischen Repräsentanz in den Anfangsjahren verfolgte „Politik der Einheit“ diskutiert und hierfür das Verhalten von Marx und van Dam im Zusammenhang mit der Auerbach-Affäre, der „Bayern-Frage“ und der Auflösung des DP-Lagers Föhrenwald in den Blick genommen.

1.1.1 Die Auerbach-Affäre „Ein schwerer Schock bedrohte den Zusammenhalt des Zentralrats“, berichtete van Dam mehrere Jahre später über die Zeit, „als Philipp Auerbach, der Präsident des Landesentschädigungsamtes für Bayern, sich in ein Verfahren verwickelt sah, das, bevor es rechtskräftig abgeschlossen wurde, im Jahre 1952 mit dem Freitod dieses Mannes endete, der seine großen Vorsätze nicht verwirklichen konnte“11. Philipp Auerbach, der nach seiner kurzen Tätigkeit als Sprecher der Juden in der britischen Zone seit 1946 als bayerischer Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in München das Amt für Wiedergutmachung führte und in zahlreichen Gremien die Interessen der Juden in Deutschland vertrat, wurde 1951 vom Bayerischen Justizministerium, allen voran vom ersten Vorsitzenden der CSU, Josef Müller, beschuldigt, Dokumente zugunsten von NS-Verfolgten gefälscht, Kontakte zur KPD unterhalten, seinen Doktortitel erschlichen und Wiedergutmachungsgelder 10 Karl Marx, Warum Einheit, in: JG, 11. 6. 1947. Vgl. hierzu Kapitel III.1.2. 11 Van Dam, Die Juden, 903. Zur Auerbach-Affäre vgl. Brenner, Nach dem Holocaust, 191 – 194; Kraushaar, Die Auerbach-Affäre, 208 – 218; Goschler, Der Fall Philipp Auerbach; Ders., Wiedergutmachung, 160 – 164; Ludyga, Philipp Auerbach, 105.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 195

veruntreut zu haben. Um zu überprüfen, ob im bayerischen Landesentschädigungsamt Finanzmanipulationen vorgenommen worden waren, wurden die Amtsräume im Januar 1951 von der Polizei besetzt und umfangreiches Aktenmaterial beschlagnahmt. Anderthalb Monate später, am 10. März 1951, stoppte ein Polizeikommando Auerbachs Dienstwagen auf der Autobahn, um ihn unter dem Vorwurf des Betrugs zu verhaften und in Untersuchungshaft zu nehmen.12 Während der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen wurde das Landesentschädigungsamt in Bayern, dem Bundesland, das zu diesem Zeitpunkt die größte jüdische Bevölkerungsgruppe beheimatete, vorerst geschlossen.13 Im April 1952 begann schließlich der durch starke antisemitische Tendenzen geprägte Prozess gegen Auerbach14 und drei weitere Angeklagte, darunter Aaron Ohrenstein, der seit dem 1. Dezember 1945 als Landesrabbiner in der Münchner Gemeinde wirkte und sich für die Interessen der osteuropäischen Juden und DPs einsetzte.15 Nach fünfmonatiger Verhandlungsdauer wurde der Staatskommissar zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren und zu einer Geldstrafe von 2.700 DM verurteilt, ein „entehrende[s] Urteil“16, das Auerbach nicht ertragen konnte. Beide Ereignisse – die Unterbrechung der Bearbeitung der Wiedergutmachungsanträge und der Skandal um einen der prominentesten Repräsentanten des Judentums in der Bundesrepublik, der mit dem Selbstmord Auerbachs endete – erregten über die bayerischen Landesgrenzen hinaus großes Aufsehen und erschütterten insbesondere die jüdische Gemeinschaft im Freistaat.17 Mit der Inhaftierung Auerbachs bzw. infolge seines Todes verloren die Juden in Bayern ihren wichtigsten Sprecher und zugleich einflussreichen Vertreter im Zentralrat – ein Zustand, der die Zusammenarbeit zwischen den Juden in Bayern und dem

12 Ludyga, Philipp Auerbach, 116; Justizminister Müller zum Fall Auerbach, in: AWJD, 16. 3. 1952. 13 Kraushaar, Die Auerbach-Affäre, 208 – 213. Erst Anfang April 1951 wurde Dr. Franz Zdralek vom bayerischen Finanzminister als neuer kommissarischer Präsident des BLEA ins Amt eingeführt. Dr. Zdralek übernahm Entschädigungsamt, in: AWJD, 6. 4. 1951. 14 Von den fünf Richtern, die den Fall Auerbach verhandelten, waren drei mit der NSDAP verbunden. Van Dam, Die Juden, 903; Siegfried Neuland an den Minister für Unterricht und Kultus, 4. 12. 1945, in: BayHStA, MK 49565; Auerbach-Prozeß eröffnet und um zwei Tage vertagt, in: AWJD, 18. 4. 1952; Krisensituation in Bayern. Auerbach-Prozeß verursacht Konflikte zwischen den Politikern und führenden Persönlichkeiten, in: AWJD, 18. 4. 1952. 15 Zur Biografie von Aaron Ohrenstein (1909 – 1986) vgl. die unveröffentlichte Zulassungsarbeit an der LMU München von Mohr, Wiedergutmachung; Geis, Übrig sein, 142; Kauders, Democratization, 41 f; Wetzel, Jüdisches Leben in München, XV. Zum Engagement Ohrensteins in der Anfangsphase seiner Tätigkeit für die Münchner Gemeinde vgl. Kauders/Lewinsky, Neuanfang, 188 f. 16 Kraushaar, Die Auerbach-Affäre, 213. Zu Anklageschrift und Urteil vgl. BayHStA, Landeskriminalamt 194. 17 Mögliche Erklärungen, warum Auerbach seinem Leben ein Ende setzte, werden u. a. genannt von Julius Dreifuß im Protokoll der Zentralratstagung, 31.8./1. 9. 1952, in: ZA, B.1/7.857.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

196

Die Politik

Zentralrat weiter verkomplizierte und zu einer schweren „Krise zwischen dem Zentralrat und dem Landesverband Bayern“18 führte.19 Die jüdischen Reaktionen auf die Vorgänge in München waren sehr unterschiedlich, erfuhren jedoch bis heute wenig Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Auerbach-Affäre, weshalb im Folgenden die durch den Skandal bedingten innerjüdischen Differenzen in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Während zahlreiche jüdische Organisationen im Ausland ihre Empörung über das Vorgehen gegen Auerbach lautstark artikulierten,20 war man sich innerhalb der deutsch-jüdischen Repräsentanz keineswegs einig, wie man sich zu den Anschuldigungen positionieren sollte. Die anfängliche Zurückhaltung der Sprecher der deutsch-jüdischen Gemeinschaft in der Öffentlichkeit wurde nicht zuletzt durch einen Beschluss befördert, den das Direktorium des Zentralrats kurz nach seiner Gründung gefasst hatte. Vorausgegangen war der Entschließung des Zentralrats vom 15. Oktober 1950 der Zusammenbruch der Jüdischen Industrie- und Handelsbank in Frankfurt am Main der nach Auffassung einiger Direktoriumsmitglieder in der Öffentlichkeit spürbares Misstrauen gegenüber jüdischen Einrichtungen verursacht hatte.21 Um in der Zukunft vergleichbare Schäden von der jüdischen Gemeinschaft abzuwenden, hatte sich der jüdische Dachverband dazu genötigt gesehen, eine Resolution zu verabschieden, in der u. a. festgelegt wurde, dass die Funktionäre jüdischer Organisationen im Falle begründeter Angriffe in der Öffentlichkeit „bis zur Aufklärung von Beschuldigungen auf die Ausübung ihrer Funktionen bei jüdischen Organisationen verzichten“ sollten.22 Aufgrund der positiven Stellungnahmen des Staatsanwalts und der bayerischen Landesregierung zur Tätigkeit Auerbachs als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Jüdischen Industrie- und Handelsbank in Frankfurt hatten die Direktoriumsmitglieder damals keine Veranlassung zu einer Suspendierung des führenden Repräsentanten gesehen. Anders verhielt es sich 1951: Nach Bekanntwerden der Anschuldigungen gegen Auerbach im Zusammenhang mit den Vorgängen beim Landesentschädigungsamt in München stand die Frage der Vertretbarkeit von 18 Protokoll der gemeinsamen Sitzung zwischen dem Direktorium des Zentralrats und dem Präsidium des LV Bayern, 12. 1. 1953, in: BLVB, Protokolle (Präsidium), 7.2.52 – 24.7.57. 19 Bergmann, Antisemitismus in öffentlichen Konflikten, 145 – 173; Brenner/Frei, Zweiter Teil, 156 f; Krausshaar, Die Auerbach-Affäre, 208 – 218. 20 Insgesamt waren 80 Zeitungen aus dem In- und Ausland beim Prozess akkreditiert. Bergmann, Antisemitismus in öffentlichen Konflikten, 160; Goschler, Der Fall Philipp Auerbach, 77. 21 Zwei Vorstandsmitglieder der Bank waren mit vier Millionen Mark aus den Beständen der Bank in die Schweiz geflüchtet. Auerbach, der Gründungs- und Vorstandsmitglied war, wurde weder verhaftet noch wurden Ermittlungen gegen ihn eingeleitet. Zu den Zielen des Bankunternehmens vgl. Auerbach an Eliahu Livneh, Consul of Israel in Munich, 12. 9. 1949, in: CZA, J 118 – 158. Zum Zusammenbruch vgl. Benjamin B. Ferencz, Präsident der JRSO, an Eli Rock, 18. 9. 1950, in: CAHJP, JRSO New York, 599 f; Die Vorgänge in der Jüdischen Industrie- und Handelsbank in Frankfurt, in: AWJD, 22. 9. 1950. 22 Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 15./16. 10. 1950, 3 f, in: ZA, B.1/7.221.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 197

Staatsamt und leitender Funktion im Zentralrat erneut im Raum und wurde unter den Direktoriumsmitgliedern des Zentralrats intensiv diskutiert.23 In der ersten diesbezüglichen Aussprache am 29. Januar 1951, zwei Tage, nachdem das Amt durch die Münchner Stadtpolizei besetzt worden war,24 bezeichnete Philipp Auerbach „die Schließung des Landesentschädigungsamtes als einen vollkommen ungerechtfertigten Mißgriff“25. Laut Protokoll äußerte Auerbach, dass die Untersuchung […] nicht nur gegen ihn persönlich gerichtet [sei], wohl habe man ihn durch die Behinderung bei der Fortführung seiner Dienstgeschäfte brüskiert. Die Aktion werde damit begründet, dass er einen amerikanischen Staatsanwalt vor einiger Zeit aus dem Gebäude gewiesen habe. Diese Behauptung sei unzutreffend. Es handele sich im Wesentlichen um eine Aktion des Justizministers Müller. Die Fälschungen seien von deutschen Dienststellen begangen worden.

Aufgrund dieser Sachlage verlangte Auerbach „eine sofortige Intervention des Direktoriums bei der Bayerischen Landesregierung“ und auch der im ZK in München tätige Piekacz hielt die Entsendung einer Delegation von Seiten des Zentralrats für erforderlich. Nach längerer Aussprache entschied das Direktorium, „von der Teilnahme an einer derartigen Delegation Abstand zu nehmen“, nahm jedoch zur Kenntnis, „daß eine Delegation des Bayerischen Landesverbandes, an der sich auch Herr Piekacz beteiligte, einen Schritt bei der Landesregierung vornahm“. Die Mehrheit der Direktoriumsmitglieder zog es vor, in ein schwebendes Verfahren nicht einzugreifen, und fasste deshalb noch keine verbindlichen Beschlüsse die Vorgänge im Landesentschädigungsamt betreffend.26 Nur wenige Tage später, am 1. Februar 1951, erreichte van Dam allerdings ein Protestschreiben von Josef Warscher,27 in dem das Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusvereinigung Württembergs (IKV) seine Besorgnis über die Ereignisse in München und Kritik an der Passivität des Direktoriums ausdrückte: Wenn ich auch bisher Ihren Bericht noch nicht in Händen habe, so hat die weitere Entwicklung in der Angelegenheit Auerbach derartige Formen angenommen, daß entsprechend dem Telegramm der IKV an das Direktorium des Zentralrats (Sitzung in München) Auerbach bis zur vollständigen Klärung der Sache auf keinen Fall mehr im Direktorium verbleiben kann. Wenn er von sich aus das Amt für diese Zeit nicht zur Verfügung stellt, so muß er eben vom Zentralrat aus suspendiert werden. Ich glaube auch nicht, daß Auerbach so vernünftig ist und von sich aus seine sämtlichen 23 Protokoll über eine Besprechung des Direktoriums, 29. 1. 1951, 1 f, in: ZA, B.1/7.221.11. 24 Ludyga, Philipp Auerbach, 112. 25 Dieses und die folgenden Zitate sind, soweit nicht anders angegeben, entnommen aus dem Protokoll über eine Besprechung des Direktoriums, 29. 1. 1951, 1, in: ZA, B.1/7.221.11. 26 Resolution des Zentralrats in Sachen Auerbach, 28. 1. 1952, in: ZA, B.1/7.857; Protokoll über eine Besprechung des Direktoriums, 29. 1. 1951, 1, in: ZA, B.1/7.221.11. 27 Zur Biografie von Josef Warscher (1908 – 2001) vgl. Brenner, Nach dem Holocaust, 161 – 165.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

198

Die Politik

jüdischen Ämter solange niederlegt. Es ist bedauerlich, daß die Mitglieder des Landesverbandes Bayern nicht so viel Mut aufgebracht haben.28

Darüber hinaus habe Auerbach, so Warscher, trotz der Entschließung des Direktoriums, „dass keiner allein irgendwelche Erklärungen und Schritte bei den Behörden vornehmen soll, […] unrechtmäßigerweise in seiner Erklärung in eigener Sache von einem Frontalangriff gegen die Wiedergutmachung und das Judentum gesprochen“. Die IKV jedoch verwahre sich dagegen, „das Judentum in dieser Angelegenheit mit hinein zu mischen“. Aus „Gründen der Fairness“29 leitete van Dam den Brief Warschers wenige Tage nach seinem Erhalt zur gefälligen Kenntnisnahme und etwaigen Stellungnahme an Auerbach weiter.30 Am selben Tag antwortete van Dam auch Warscher und versuchte, die Vorgänge in München sowie die von Seiten des Direktoriums auf der Sitzung am 29. Januar 1951 in München getroffenen Entscheidungen darzulegen. Da „nach den Auskünften der zuständigen Behörden weder ein Straf- noch ein Disziplinarverfahren wegen der Vorgänge im Landesentschädigungsamt gegen den Präsidenten Dr. Auerbach zum Zeitpunkt der Direktoriumssitzung in München anhängig war“, sei kein Eingreifen notwendig gewesen, so van Dam.31 Es sei jedoch zutreffend, dass „die Form der Untersuchung der Vorgänge im Landesentschädigungsamt, insbesondere das Verbot, den Dienst in der gewohnten Weise in den Amtsräumen auszuführen“, von Auerbach „als gegen ihn selbst gerichtete Handlung angesehen“ werde. Über die Frage, „ob und wann er aufgrund dieses Affronts bezw. gezeigten Mißtrauens die Konsequenzen zu ziehen hätte, [d.h.] ob er seine Stellung im Staatsdienst aufgeben soll oder nicht, solange er nicht durch die hierfür ausschliesslich zuständigen Stellen im Rahmen der Gesetze hierzu veranlasst wird“, sei von den Mitgliedern des Direktoriums, den Vertretern jüdischer Organisationen und Dr. Auerbach ausführlich diskutiert worden. Die Entscheidung müsse jedoch Auerbach selbst überlassen bleiben; die Mitglieder des Direktoriums des Zentralrats „können einen Kollegen in dieser Hinsicht nur beraten“. Van Dam wies ergänzend zu diesen Erläuterungen darauf hin, dass das Direktorium des Zentralrats „keine Behörde mit Disziplinarbefugnissen“ sei, und bat Warscher, die Zurückhaltung von Seiten des Zentralrats nicht als Achtlosigkeit oder Sorglosigkeit gegenüber den Entwicklungen in München misszuverstehen:

28 Dieses und die zwei folgenden Zitate sind entnommen aus Josef Warscher an H.G. van Dam, 1. 2. 1951, in: ZA, B.1/7.483. 29 H.G. van Dam an Josef Warscher, 4. 2. 1951, in: ZA, B.1/7.483. 30 H.G. van Dam an Auerbach, 4. 2. 1951; H.G. van Dam an Josef Warscher, 4. 2. 1951, beide in: ZA, B.1/7.483. 31 Dieses und die folgenden Zitate entstammen H.G. van Dam an Josef Warscher, 4. 2. 1951, in: ZA, B.1/7.483.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 199 Weder vom Direktorium noch von Dr. Auerbach [wurde] verkannt, dass die Untersuchung bei einer Behörde, die seiner Leitung untersteht, nicht ohne Rückwirkung auf ihn in der großen Öffentlichkeit bleibt. Aus dieser Erkenntnis ergab sich die erregte Abwehr Dr. Auerbach’s und seine vom bayerischen Ministerium als ungehörig empfundene Erklärung vor Radio und Presse. Der Unterzeichnete wies Herrn Dr. Auerbach auch auf die in München kursierenden Gerüchte über das System der ,Macher‘ hin, das angeblich eine bevorzugte Behandlung von Wiedergutmachungsanträgen gegen Zahlung einer Geldsumme an diese sogenannten ,Macher‘ gewährleistete. Ferner wurde eine scharfe Kritik an bestimmten Beamten des Landesentschädigungsamtes, insbesondere an einer bestimmten Person, vorgetragen. Dr. Auerbach bestritt die Berechtigung der Vorwürfe, jedenfalls soweit sich für ihn eine Verantwortung hieraus ergebe.

Abschließend nahm van Dam noch zu den die Zukunft betreffenden Absprachen Stellung, auf die sich die Direktoriumsmitglieder und Auerbach im Rahmen der Sitzung im Januar geeinigt hatten. Auerbach habe sich der Erkenntnis nicht verschlossen, daß die äußerste Zurückhaltung in der jüdischen Arbeit für ihn in der gegenwärtigen Übergangsperiode bis zur vollständigen Klärung der Vorgänge im Landesentschädigungsamt unbedingt erforderlich sei. Er hat es zwar abgelehnt aus eigenem Entschluß heraus die Funktionen eines Direktoriumsmitgliedes bis auf weiteres durch seinen Stellvertreter, Rechtsanwalt Dr. Ostertag, ausüben zu lassen. Dagegen hat er dem Unterzeichneten am 30. Januar abends ehrenwörtlich zugesichert, für den Zentralrat keine wie auch immer gearteten Erklärungen abzugeben, oder in dieser Eigenschaft aufzutreten, es sei denn nach vorheriger Konsultation der anderen Direktoriumsmitglieder durch das Sekretariat.

Da Auerbach im Direktorium des Zentralrats die Landesverbände der Gemeinden der US-Zone vertrat, unterliege es, so van Dam, letztlich der Beschlußfassung der Verbände, die Dr. Auerbach in das Direktorium entsandt haben, festzustellen, ob oder unter welchen Voraussetzungen er ihr Vertrauen für die Ausübung dieser Funktion noch genießt. Sie können fernerhin ihrem gewählten Vertreter Instruktionen über die Art seiner Amtsausübung erteilen. Es würde dem Prinzip der Selbständigkeit der Gemeinden bezw. deren Landesverbänden widersprechen und deren Interessen in keiner Weise dienen, wenn man den Vertretern anderer Zonen im Direktorium ein Weisungsrecht gegenüber ihren Kollegen zugestehen würde. Eine Beschlußfassung durch die Landesverbände der US-Zone erscheint daher aufgrund Ihres Schreibens vom 1. Februar d.Js. erforderlich.

Warscher, der sich wenig erfreut über die Weitergabe seines Schreibens an Auerbach zeigte, lud van Dam zur nächsten Sitzung der Interessenvertretung der Gemeinden der US-Zone nach Stuttgart, bei der diese Angelegenheit gemäß dem Vorschlag des Generalsekretärs ausführlich besprochen werden

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

200

Die Politik

sollte.32 Wiederholt hatte van Dam dem Staatskommissar geraten, während der schwebenden Untersuchung nicht für den Zentralrat aufzutreten und sein Amt durch einen Stellvertreter ausüben zu lassen.33 „Die jüdischen Instanzen können sich nämlich nur dann mit Entschiedenheit einschalten,“ so van Dams Begründung für die Notwendigkeit der Sonderbeurlaubung, „wenn der heutige Präsident des Entschädigungsamtes abseits bleibt. Die Welt hat nicht im Jahre 1951 angefangen, und bisher war es stets richtig, nicht nur daß man kein Richter in eigener Sache sein kann, sondern daß man nicht auch sein eigener Verteidiger sein soll.“34 Auf der Sitzung der Interessengemeinschaft am 11. Februar 1951 in Stuttgart entwickelte van Dam schließlich in aller Ausführlichkeit seinen Standpunkt und machte keinen Hehl daraus, „daß diese Stunde heute eine Schicksalsstunde ist für die Einheit der jüdischen Gemeinden Deutschlands. Das Zentralorgan, das wir mit großer Mühe geschaffen haben, der Zentralrat, steht auf dem Spiel und auf den Gemeinden der US-Zone lastet heute die Verantwortung für eine wichtige Entscheidung.“35 Mit seinen Ausführungen zur Wahrnehmung der Vorgänge um das Landesentschädigungsamt im Ausland versuchte van Dam ferner deutlich zu machen, dass die Krise „jeden Juden, jede jüdische Körperschaft und nicht nur in Deutschland“ betreffe. Während das Direktorium des Zentralrats nach einem intensiven Meinungsaustausch in der Sache des Münchner Entschädigungsamtes keinen Beschluss gefasst habe, sei die Information zutreffend, dass Auerbach eine Intervention bei der Bayerischen Landesregierung gefordert habe, die jedoch mit großer Stimmenmehrheit abgelehnt worden sei. Insbesondere die vielen Beschwerden über die Praxis des Entschädigungsamtes in München und die persönliche Vorgeschichte Auerbachs in Frankfurt am Main begründeten eine gewisse Skepsis gegenüber Stellungnahmen Auerbachs, der wiederholt von einem Frontalangriff gegen das Judentum sprach.36 „Wenn ich z. B. Antragsteller dahin belehre, dass ihr Anspruch im Gesetz keine Grundlage hat, z. B. weil sie in Sibirien und nicht in einem deutschen KZ waren, dann pflegt ein derartiger Gesuchsteller mitleidig über meine Weltfremdheit zu lächeln und mir zu erklären, dass es in München schon Wege und Möglichkeiten gäbe,“ berichtete van Dam seinen Zuhörern. Es handelt sich um das System der ,Macher‘, über das in München, gerade in jüdischen Kreisen soviel gesprochen wird, dass eine jüdische Untersuchung sehr wohl am Platz erscheinen würde. Ich kann über das Ergebnis einer derartigen Untersuchung 32 33 34 35

Josef Warscher an H.G. van Dam, 6. 2. 1951, in: ZA, B.1/7.483. H.G. van Dam an Josef Warscher, 8. 2. 1951, in: ZA, B.1/7.483. H.G. van Dam an Philipp Auerbach (Vertraulich), 10. 2. 1951, in: ZA, B.1/7.483. Dieses und die Zitate im folgenden Absatz sind entnommen aus den Ausführungen von H.G. van Dam auf der Sitzung der Interessengemeinschaft der Jüdischen Gemeinden der US-Zone, 11. 2. 1951, in: ZA, B.1/7.483. 36 Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar–August 1951, 2 f, in: ZA, B.1/7.246.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 201 nichts aussagen, wohl aber über etwas anderes. Herr Dr. Auerbach wurde wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß er Personen beschäftigt, denen man ein derartiges Amt nicht anvertrauen dürfe. […] Ich habe Herrn Dr. Auerbach wiederholt deswegen gefragt. […] Nun darf man Dr. Auerbach nicht verantwortlich machen für die Taten eines Anderen. Er darf sich aber nicht wundern, wenn etwas passiert. Wir wundern uns auch nicht. Ferner muß leider festgestellt werden, daß es nicht das erste Mal ist, daß wir in Zusammenhang mit unserem Präsidenten in das Licht einer übelmeinenden Öffentlichkeit gerückt sind. Wir haben zwar ein kurzes Gedächtnis, es ist aber nicht so kurz, daß wir uns nicht der Affaire der Jüdischen Bank erinnern. Der Präsident des Landesentschädigungsamtes war auch Präsident des Aufsichtsrates der jüdischen Bank. Nun hat er zwar auch damals wie jetzt beim Landesentschädigungsamt die Unregelmäßigkeiten aufgedeckt durch eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Auch damals waren nicht unerhebliche Fälschungen begangen [sic!]. Die Staatsanwaltschaft kann sich zwar mit einem derartigen Mitarbeiter freuen. Wir sind weniger begeistert. Wir haben nämlich keinen Nutzen, sondern nur den Schaden bei diesen Affairen, einen ungeheuren Schaden. Hierauf, meine Freunde, kommt es an. Auf das Ergebnis. Der Schaden wird verursacht durch die Unregelmäßigkeiten, durch den Angriff und die Abwehr. Man wird aufmerksam und verstimmt.37

Besonders aufschlussreich sind jene Worte, die van Dam am Ende seiner Ansprache an die Delegierten in Stuttgart richtete. Vor der Abstimmung über die Frage, ob Auerbach für die Dauer der Untersuchung von seinen Ämtern suspendiert werden solle, appellierte er in seinem Schlussplädoyer an das Gewissen der Anwesenden und die Bedeutung, welche mit der Entscheidung des Landesverbandes verbunden sei. Ich frage: Ist es denn soweit mit uns gekommen, daß ein Funktionär, dem keine Straftaten nachgewiesen werden, tragbar ist? Haben die Juden Deutschlands nicht ein Anrecht auf Vertreter, auf denen keine Anschuldigung lastet und deren Ruf vollkommen einwandfrei ist? Wollen wir in alle Ewigkeit das Stigma des Verdachtes tragen? Fahren Sie hinaus und hören sie sich bei den Glaubensgenossen im Ausland um. Wie kann eine Organisation arbeiten, die vor der Selbstreinigung zurückschreckt. Es ist allerorten selbstverständlich, daß ein Funktionär, der in eine Untersuchung verwickelt ist, sich für die Dauer der Untersuchung zurückhält und Ehrenämter nicht ausübt, um die Sache, die er vertritt, nicht zu belasten. Weigert er sich, eine derartige selbstverständliche Handlung vorzunehmen, so ergibt sich hieraus ein erheblicher Verdacht. Er bezeugt eine derartige Unverantwortlichkeit, daß er sich bereits hierdurch ausschließt, selbst wenn er ein Engel des Himmels wäre. Ich konstatiere, daß der Zentralrat nicht arbeitsfähig ist, wenn ein in aller Öffentlichkeit angeschuldigter Funktionär als Mitglied des Direktoriums auftritt oder zeichnet. […] Gerade den 37 Dieses und das folgende Zitat entstammen den Ausführungen von H.G. van Dam auf der Sitzung der Interessengemeinschaft der Jüdischen Gemeinden der US-Zone, 11. 2. 1951, in: ZA, B.1/ 7.483.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

202

Die Politik

Freunden aus der US-Zone brauche ich wohl nicht zu erklären, daß wir mit den USBehörden zusammenarbeiten müssen. Glauben Sie, daß es klug ist, sich durch Funktionäre vertreten zu lassen, gegen die von amerikanischer Seite eine Untersuchung angeordnet ist? Wenn man eine Schlacht verloren hat, so macht man den General und nicht den Feind verantwortlich. Wir wollen nicht den Feldzug verlieren. Ein Präsident trägt politische Verantwortlichkeit, auch ein Entschädigungsamtspräsident, ein Aufsichtsratspräsident und ein Zentralratsdirektor. Ein Politiker muß fühlen, wenn er die Vertrauensbasis verliert und sich zur Zeit zurückziehen. Das hat nichts mit der Moral oder gar mit dem Strafrecht zu tun. Er kann dann später wie ein Phönix aus der Asche zurückkehren. Wir appellieren an Herrn Präsidenten aber nicht einmal, seine Ämter niederzulegen. Wir bitten ihn aber soviel Opferwilligkeit zu zeigen, daß er nicht den Zentralrat sprengt, weil er und sein Landesverband anderer Meinung sind. Wenn wir jetzt zu einem harmonischen Abschluß gelangen, besteht nicht nur die Hoffnung, aber auch die Wahrscheinlichkeit, daß Dr. Auerbach nach der Rehabilitierung an Ansehen und Kraft gewinnt, sodaß er weiter die Stellung unter uns annehmen kann, die ihm aufgrund seiner überlegenen Arbeitskraft und Leistung zukommt. Wir unsererseits haben eine klare und geschlossene Kampfesstellung gegenüber unseren Gegnern einzunehmen. Wir haben darüber zu wachen, daß die Affäre nicht dazu ausgenützt wird, um die Wiedergutmachung zu verschleppen und zu torpedieren. Wir werden uns dabei auf keine Geschäfte einlassen, etwa auf Auerbach zu verzichten und dafür leere Versprechen in Zahlung zu nehmen. Eine Offensive unsererseits ist aber erst möglich, wenn wir wenigstens die Form der Objektivität wahren. Ich appelliere an Sie, die jüdische Einheit zu wahren und zu zeigen, daß wir bei aller numerischer Schwäche und trotz der überwiegenden Kraft des Ansturms, die Stärke aufbringen, zu widerstehen.

Notgedrungen beugte sich Auerbach der infolge der Sitzung an ihn herangetragenen Mehrheitsmeinung und verzichtete mit Wirkung vom 11. Februar 1951 für die Dauer der gegen ihn eingeleiteten Untersuchung auf die Ausübung seiner Funktionen im Zentralrat.38 Im Bayerischen Landesverband übernahm nach der Verhaftung Auerbachs Dr. Julius Spanier kommissarisch die Präsidialgeschäfte.39 Karl Marx, der sich nach eigener Aussage bemühte, „fair und anständig“ über die Ereignisse in München zu berichten,40 veröffentlichte während der laufenden Ermittlungen zahlreiche Artikel in seiner Zeitung, die sich mit den verschiedenen Aspekten des Skandals befassten.41 Die heftigen innerjüdischen 38 39 40 41

Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 25. 2. 1951, 2, in: ZA, B.1/7.221. Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 11. 3. 1951, 3, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. Karl Marx an RA Joseph Klibansky, 12. 2. 1951, in: ZA, B.1/7.483. Vgl. hierzu u. a. Krisensituation in Bayern. Auerbach-Prozeß verursacht Konflikte zwischen den Politikern und führenden Persönlichkeiten, in: AWJD, 18. 4. 1952; Scharfer Disput im AuerbachProzeß, in: AWJD, 25. 4. 1952; Manfred Röber, Auerbach-Akten verschwunden, in: AWJD, 16. 5. 1952; Ders., Dr. Ohrenstein als Zeuge, in: AWJD, 23. 5. 1952; Ders., Die Plädoyers im AuerbachProzeß. Klibansky plädiert auf Freispruch in verschiedenen Punkten – „Gericht steht über dem

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 203

Diskussionen um die Positionierung der jüdischen Gemeinschaft zu den sich überschlagenden Ereignissen aus der bayerischen Landeshauptstadt thematisierte – im Interesse der jüdischen Gemeinschaft – keiner der Beiträge. Ob der intensiven Berichterstattung zu diesem Thema ist es bemerkenswert, dass nach der Verhaftung Auerbachs am 16. März 1951 lediglich ein Artikel auf Seite 5 der jüdischen Zeitung erschien, in dem die Vorgänge vom 10. März kurz dargestellt wurden;42 ein Kommentar auf der zweiten Seite lehnte hingegen „die vollkommen unerwünschte und unberechtigte Identifizierung von Einzelpersonen mit der Sache des Judentums“ ab, gegen die sich die Allgemeine bereits „mit einer nicht von allen verstandenen Schärfe“ in einem Kommentar zu den Münchner Ereignissen vom 9. Februar gewandt hatte.43 Deutliche Worte der Kritik fand eine Woche später auch der Verfasser des Leitartikels „Atmosphärische Störungen“: Mit aller Entschiedenheit verwahrte er sich gegen die „Propaganda-Methoden [, …] die Vorrecht des Dritten Reiches waren“, und wandte sich dagegen, „daß jedes Mal, wenn ein Jude Gegenstand von Angriffen wird, die Gelegenheit benutzt wird, unsere Gesamtheit in den Komplex einzubeziehen, sei es nun anklagend oder verteidigend, sei es voll Haß, sei es mit Mitleid. Diese Betrachtungsweise, feindlich oder freundlich, ist unsachlich und entspricht nicht den Grundsätzen des Rechtsstaates.“44 Hinter dem Kürzel g.h. verbarg sich kein geringerer als der Generalsekretär des Zentralrats, der sich in seinen Beiträgen mit der Stellungnahme der offiziellen jüdischen Zentralinstanz identifizierte. Das Direktorium des Zentralrats hatte am 25. Februar 1951 eine Erklärung abgegeben, in der es eine gründliche und objektive Untersuchung der Vorgänge in München forderte, „wobei es sich gegen die Kennzeichnung dieser Affäre als einer jüdischen Angelegenheit, d. h. gegen die oben erwähnte Identifizierung von Einzelperson und Sache,“ zur Wehr setzte.45 Grundsätzlich stimmten die Repräsentanten jedoch darin überein, dass „die Resolution über die Suspendierung von jüdischen Beamten als interne Maßnahme behandelt werden sollte. Grund hierfür war die Erwägung, dass sonst in der Öffentlichkeit bei der Verkündigung eines derart selbstverständlichen Beschlußes ein ungünstiger Eindruck hervorgerufen werden könnte.“46 Für die von ihm im Zusammenhang mit der Auerbach-Affäre veröffentlichten Beiträge wurde der Herausgeber der Zeitung, Karl Marx, bereits im Februar 1951 von Auerbachs Rechtsanwalt Klibansky gerügt. In einem Ant-

42 43 44 45 46

Streit der Meinungen“, in: AWJD, 8. 8. 1952 sowie die Ausgabe der AWJD, 22. 8. 1952, die sich ausführlich mit dem Tod Philipp Auerbachs befasst. Justizminister Müller zum Fall Auerbach, in: AJWD, 16. 3. 1951. g.h., Unsere Meinung. Dr. Auerbach, in: AWJD, 16. 3. 1951 sowie v.D., Unsere Meinung. München, in: AWJD, 9. 2. 1951. g.h., Atmosphärische Störungen, in: AWJD, 23. 3. 1951. Vgl. hierzu auch g.h., Unsere Meinung, in: AWJD, 16. 3. 1951. g.h., Unsere Meinung, in: AWJD, 16. 3. 1951. Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 25. 2. 1951, 3, in: ZA, B.1/7.221.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

204

Die Politik

wortschreiben an den Kritiker im Februar 1951 verteidigte er sich mit dem Hinweis, daß ich in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung mich der Haltung der Organisationen anschließen muß, daß ich nicht berechtigt bin und ich mich auch nicht berechtigt fühle, von mir aus Kommentare zu verfassen, deren Direktiven nicht festgelegt werden von den jüdischen Instanzen; oder erwarten Sie, daß ich mich mit meiner Zeitung in den Gegensatz zu diesen Instanzen stelle?47

Marx’ Ausführungen deuten darauf hin, dass der Journalist die in seiner Zeitung publizierten Artikel auf die vom Zentralrat verfolgte Politik abzustimmen versuchte, was in anderen Zusammenhängen nicht immer gelang.48 Korrespondenzen zwischen dem Herausgeber der Allgemeinen und den Mitgliedern des Direktoriums bestätigen allerdings dessen Bemühen um eine gemeinsame Positionierung in der Frühphase der Bundesrepublik. So war beispielsweise im Frühjahr 1951 unter den Direktoriumsmitgliedern der Eindruck erwachsen, dass in einem Artikel des Aufbau „die Sache Auerbach zu einer jüdischen Sache gemacht“ wurde, weshalb auf der Direktoriumssitzung Ende April auf Antrag von Dr. Ostertag beschlossen wurde, „daß an MarxDüsseldorf zu schreiben ist: in der nächsten Nummer soll veröffentlicht werden, daß es sich bei dem Artikel über Auerbach lediglich um die persönliche Meinung des Herausgebers (oder der Redaktion) handelt“49. Entsprechend dieser Bitte erschien am 11. Mai 1951 eine Stellungnahme, in der Marx die „Kommentare aus unseren eigenen Reihen […], die der Wirklichkeit Gewalt antun und einen beleidigenden Angriff auf jüdische Funktionäre darstellen“, heftig kritisierte.50 Das geradezu verzweifelte Festhalten der deutsch-jüdischen Repräsentanten an der Differenzierung zwischen Einzelperson und Sache veranschaulicht sehr deutlich, wie groß die Befürchtung der Verantwortlichen war, dass das Ansehen der sich im Aufbau befindlichen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland durch den Skandal um Auerbach Schaden nehmen könnte. Die Schwierigkeiten, mit denen sich die Sprecher der Gemeinschaft durch die Vorkommnisse in München konfrontiert sahen, wurden in der offiziellen Korrespondenz allerdings kaum thematisiert. Eine Ausnahme stellt ein Schreiben des Generalsekretärs an Norbert Wollheim dar, in dem van Dam offen von der Belastung spricht, die er zu dieser Zeit in seinem Amt verspürte: Auch war es eine nicht unbeträchtliche Nervenprobe, die Auffassung der Mehrheit des Direktoriums in der Frage der Selbstbeurlaubung Dr. Auerbachs in Stuttgart zu 47 Karl Marx an RA Joseph Klibansky, 12. 2. 1951, in: ZA, B.1/7.483. 48 Vgl. zu den Abstimmungsschwierigkeiten zwischen der Redaktion der Allgemeinen und dem Zentralrat z. B. Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857 sowie IV.1.2. 49 Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, 21, in: ZA, B.1/7.221.13. 50 Unsere Meinung. Schwebende Verfahren, in: AWJD, 11. 5. 1951.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 205 vertreten, wie überhaupt dieser Komplex mit der Aufrechterhaltung der Einheit des Zentralrats unangemessen viel Zeit und Energie in Anspruch genommen hat.51

Die Frage liegt nahe, warum es van Dam so schwer gefallen ist, die Entscheidung des Direktoriums in Stuttgart zu vertreten. Setzte ihm die Uneinigkeit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu? Oder stimmte er nicht mit den Mitgliedern des Direktoriums überein? Leider gibt es keine konkreten Aussagen van Dams, die hierüber Aufschluss geben könnten. Seine Stellungnahme in Stuttgart und seine Veröffentlichungen in der Allgemeinen legen jedoch nahe, dass er sich aufgrund der Selbstidentifizierung Einzelner mit der Sache der Wiedergutmachung und des Judentums, „die subjektiv vollkommen unzulässig, wenn auch in objektiver Hinsicht nicht unverständlich war“52, für eine Distanzierung von dem früheren Leiter des Landesentschädigungsamtes aussprach; als Jurist besaß für van Dam „eine den Prinzipien des Rechtsstaates entsprechende objektive und gerechte Behandlung der Angelegenheit“ oberste Priorität.53 Obwohl van Dam das eigenmächtige, mit dem Zentralrat nicht abgestimmte Verhalten Auerbachs nach der Besetzung des bayerischen Landesentschädigungsamtes scharf kritisierte, bemühte er sich nach dessen Verhaftung intensiv um eine Klärung der Verhältnisse. So unternahm er im August 1951 eine Informationsreise nach München, „um eine gewisse Beruhigung der Atmosphäre herbeizuführen“54 und diskutierte die Situation u. a. mit dem bayerischen Justizminister, dem Untersuchungsrichter, dem Münchner Verteidiger von Auerbach, Frau Auerbach, dem neuen Präsidenten des Landesentschädigungsamtes, dem sozialdemokratischen Fraktionsführer im bayerischen Landtag, dem Vorstand der jüdischen Gemeinde sowie den Repräsentanten der jüdischen DPs, den israelischen Vertretern und den Vertretern der jüdischen Weltorganisationen in München. Im Zuge dieser Gespräche bestätigten sich für van Dam einige der Anschuldigungen, allerdings hielt er es für unwahrscheinlich, „daß Auerbach die Straftaten nachgewiesen werden können, deretwegen er verhaftet wurde“55. Da in seinen Augen kein Zweifel daran bestand, „daß die lange Untersuchungshaft von Auerbach als Mißbrauch anzusehen ist“ und Frau Auerbach dem Generalsekretär mitgeteilt hatte, „daß sie sich in außerordentlichen Schwierigkeiten befindet, da sie DM 20,– pro Tag für den Krankenhausaufenthalt ihres Mannes zu zahlen hat und die Kosten der Verteidigung tragen muß“56, setzte sich van Dam nach seiner Rückkehr aus München dafür ein, 51 H.G. van Dam an Norbert Wollheim, Lübeck, 8. 3. 1951, in: ZA, B.1/7.227. 52 Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar–August 1951, 2, in: ZA, B.1/7.246. 53 g.h., Unsere Meinung. Dr. Auerbach, in: AWJD, 16. 3. 1951. Eine ausführliche Stellungnahme van Dams findet sich in seinem Brief an Dr. Bruno Weil, 14. 8. 1951, in: ZA, B.1/7.616. 54 H.G. van Dam an Julius Dreifuß, 9. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.227. 55 H.G. van Dam an Dr. Bruno Weil, 14. 8. 1951, in: ZA, B.1/7.616. 56 Ebd. Vgl. hierzu auch H.G. van Dam an RA Dr. Panholzer, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.227.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

206

Die Politik

dass unter den Freunden von Dr. Auerbach ein Verteidigungsfonds aufgebracht werden sollte, aus dem die laufenden Sonderausgaben bestritten werden könnten. Seinen diesbezüglichen Vorschlag unterbreitete der Generalsekretär des Zentralrats in einem persönlichen Schreiben dem Landesrabbiner Dr. Wilhelm Weinberg in Frankfurt am Main und äußerte ihm gegenüber die Frage, „ob Sie, sehr verehrter Herr Rabbiner, bereit wären, einen derartigen Fonds zusammenzubringen bezw. ein Komitee für diesen Zweck zu organisieren“57. Da van Dam den Inhalt dieses Schreibens nicht vor dem Absenden des Briefs mit dem Direktorium des Zentralrats abgestimmt hatte, erhob ein Direktoriumsmitglied den Vorwurf, „daß er zur Absendung dieses Schreibens nicht befugt gewesen sei“. Van Dam wiederum vertrat den Standpunkt, „daß es sich hier um eine persönliche Aktion handelt“ und er in keiner Weise verpflichtet sei, sich „in seiner Aktionsfreiheit einengen zu lassen“. Angesichts der an ihn herangetragenen Anschuldigung sah er sich veranlasst, die Vertrauensfrage zu stellen: „Sofern die Mehrheit der Direktoriums- und Ratsmitglieder es mißbilligen sollte, daß ich dieses Schreiben an Herrn Rabbiner Dr. Weinberg gerichtet habe, bin ich bereit, mein Amt mit sofortiger Wirkung niederzulegen.“58 Auch wenn der Vorwurf gegen van Dam von Seiten der Vorstände der diversen Landesverbände und jüdischen Großgemeinden mit großer Mehrheit abgewiesen wurde, verdeutlicht diese Episode die tiefe Verunsicherung, welche die jüdische Gemeinschaft in Deutschland durch die Auerbach-Affäre erfuhr. Nicht nur musste sie sich gegenüber Angriffen von außen rechtfertigen und gegen antisemitische Hetze verwahren; die Auerbach-Affäre verursachte auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft Konflikte, die – wie die im Zusammenhang mit diesem Skandal gestellte Vertrauensfrage des Generalsekretärs veranschaulicht – den Zusammenhalt des neu gegründeten Zentralrats ernsthaft gefährdeten. 1.1.2 Die „Bayern-Frage“ Auch nach der Verurteilung und dem Selbstmord Auerbachs kam die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nicht zur Ruhe. Zwei mit diesem Skandal in engem Zusammenhang stehende Vorgänge beschäftigten die jüdische Gemeinschaft in Bayern und den Zentralrat noch bis Mitte der 1950er Jahre: Zum einen wurden im Zusammenhang mit der Auerbach-Affäre auch gegen den in München amtierenden Landesrabbiner Aaron Ohrenstein Anschuldigungen erhoben, die eine Distanzierung des Direktoriums des Zentralrats von diesem 57 H.G. van Dam an Landesrabbiner Dr. Wilhelm Weinberg, Frankfurt am Main, 10. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.483. 58 H.G. van Dam an die Herren Mitglieder des Direktoriums aller Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg und Köln, 14. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.483.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 207

zur Folge hatten; zum anderen bereitete die Frage der Vertretung der Juden in Bayern im Direktorium dem Zentralrat große Schwierigkeiten. Rabbiner Ohrenstein wurde von Seiten des Untersuchungsrichters bzw. der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Frage von 111 DPs, für die Haftentschädigungen ausgezahlt worden waren, obwohl es sie gar nicht gegeben hatte, „in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit dem Beschuldigten Dr. Philipp Auerbach den Betrug zum Nachteil des Württembergischen Staats inszeniert“59 zu haben.60 Ungeachtet der Tatsache, dass dem Rabbiner sowohl von Seiten des Zentralrats als auch von einem kleinen Teil der Mitglieder seiner Gemeinde in München eine Niederlegung seines Amtes für den Zeitraum der Untersuchung nahegelegt61 und später gar eine Suspendierung diskutiert wurde,62 verblieb Ohrenstein zunächst in seinem Amt. Da das Direktorium des Zentralrats fürchtete, „durch jede an die Öffentlichkeit dringende Distanzierung von Ohrenstein, dem Skandal und damit der wiedergutmachungsfeindlichen Kampagne neue Nahrung zu geben“63, und der Rabbiner einen Erholungsurlaub angekündigt hatte, wurden vorerst keine weiteren Schritte gegen den Geistlichen eingeleitet.64 Als jedoch offenbar wurde, dass Ohrenstein die vom Zentralrat vorgeschlagene Beurlaubung nicht antreten würde, spitzte sich der Konflikt zwischen dem Rabbiner und der ihn unterstützenden Mehrheit der Münchner Gemeindemitglieder einerseits und den Direktoriumsmitgliedern des Zentralrats und Vertretern internationaler jüdischer Organisationen andererseits weiter zu.65 Seinen Höhepunkt erreichte der Streit, als der Zentralrat Ohrenstein verdächtigte, die kurz darauf stattfindenden Wahlen im bayerischen Landesverband zu seinen Gunsten manipuliert zu haben.66 In einer Aussprache auf der Direktoriumssitzung vom 7. Oktober 1951 fasste van Dam die möglichen Reaktionen und seine Vor59 Brief des Untersuchungsrichters an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht München I, 11. 4. 1951, in: StAM, Staatsanwaltschaften, 29238/2 Band II/3, zitiert nach Mohr, Wiedergutmachung, 50. 60 Diesen Betrug, den sogenannten „Fall Wildflecken“, diskutiert Bergmann, Antisemitismus in öffentlichen Konflikten, 163 f; Mohr, Wiedergutmachung, 50 – 79. Später folgten weitere Prozesse, da Ohrenstein mehrfach Revision einlegte, vgl. hierzu auch Mohr, Wiedergutmachung, 58 – 76; Karlsruhe. Die Kammer war schwach, in: Der Spiegel, 28. 3. 1956. 61 Vgl. Beschlussprotokoll der Direktoriumssitzung, 9. 7. 1951, 2, in: ZA, B.1/7.221; Protokoll der gemeinsamen Sitzung zwischen dem Direktorium des Zentralrats und dem Präsidium des LV Bayern, 12. 1. 1953, in: BLVB, Protokolle (Präsidium), 7.2.52 – 24.7.57. Zu den Spannungen zwischen den Fraktionen innerhalb der Münchner Gemeinde vgl. Kauders/Lewinsky, Neuanfang, 196 – 198. 62 Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857; Protokoll der Direktoriumssitzung des Zentralrats, 7./8. 10. 1951, 3, in: ZA, B.1/7.221.16; Gedächtnisniederschrift vom Landgerichtsrat Amann, 27. 7. 1951, 2, in: StAM, Staatsanwaltschaften, 2924/27. 63 Bericht über Informationsreise nach München von H.G. van Dam, August 1951, in: ZA, B.1/ 7.483. 64 Beschlussprotokoll der Tagung des Rates, 19./20. 8. 1951, 3, in: ZA, B.1/7.221.15. 65 Vgl. Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 28. 10. 1951, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. 66 Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

208

Die Politik

stellung der weiteren Schritte gegen den eigenmächtig agierenden Rabbiner wie folgt zusammen: Es gibt einen Zeitpunkt, in dem es die Würde nicht gestattet, länger zu warten. Wir müssen evt. auf die Bayern verzichten, denn die Mehrheit in Bayern steht hinter Ohrenstein. Jetzt muß gekämpft werden, bis wir hiergegen eine Mehrheit haben. Als erstes muß die Resolution verfaßt werden. Zweitens könnte man die Rabbiner bitten, einzuschreiten. Drittens müßten wir den Landesverband bitten dafür Sorge zu tragen, daß festgestellt wird, daß ein ordnungsgemäßer Vorstand kommt und solange das nicht der Fall ist, können wir den Vorstand nicht anerkennen.67

In einem privaten Schreiben an den früheren Berliner Gemeindevorsitzenden Hans Erich Fabian, der 1949 nach New York ausgewandert war, wird das volle Ausmaß der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Parteien offenbar. Während van Dam zu Beginn seines Schreibens zunächst die Gründe für die Distanzierung von Ohrenstein benennt, geht er im zweiten Teil auf Schwierigkeiten ein, die Norbert Wollheim bei seiner Einreise in die USA erlebte. Unmittelbar nach dem Eintreffen auf dem nordamerikanischen Kontinent im September 1951 und erneut am 19. Dezember 1951 war Wollheim mit seiner Familie interniert und nach Ellis Island verbracht worden. Die mit der Durchführung des gegen ihn laufenden Verfahrens beauftragten USBehörden hielten an dem Verdacht fest, dass er sich „in subversiver, d. h. die demokratische Staatsform und -ordnung gefährdender Weise (kommunistisch resp. kommunistenfreundlich) nach 1945 politisch betätigt habe“.68 Aufgrund des Inhalts einer Münchner Anzeige, einer von der Auerbach-Ohrenstein Gruppe ausgegangenen und von Maurice Weinberger (München), dem Vorsitzenden des Rates der DPs, unterstützten Denunziation, wurde dem Gründungsmitglied des Zentralrats eine führende und einflussreiche Rolle in der VVN sowie enge politische Zusammenarbeit mit Julius Meyer unterstellt: Von der Ohrenstein-Gruppe, von der sich der Zentralrat mit Entschiedenheit distanzieren mußte, weil wir es als ungehörig finden, daß eine unter Betrugsverdacht stehende Person das Rabbineramt ausübt und sich die Radiopredigten abwechselten mit den Mitteilungen über das Strafverfahren des Predigers, wurde andauernd der Versuch gemacht, die Mitglieder des Direktoriums zu verdächtigen. Hierbei handelt es sich besonders um den Vorwurf politischer Unzuverlässigkeit, wodurch dann die berechtigte Kritik an den obenerwähnten skandalösen Zuständen abgeschwächt werden sollte. Bei einer Versammlung des Gemeindevorstandes in München, die von Konsul Dr. Livneh einberufen war, wurde wiederholt von den Verteidigern der Position Ohrenstein uns der Name Julius Meyer [KPD-Mitglied und Vertreter der jüdischen Gemeinden in der DDR, A.d.V.] und andere Vorwürfe unpolitischer Natur entgegengehalten. Der Journalist Ernest Landau, der ein besonderer Helfer Ohren67 Ebd. 68 Vgl. hierzu Norbert Wollheim an die „Chawerim“, 20. 1. 1952, in: ZA, B.1/7.854 (Zitat) sowie Norbert Wollheim an H.G. van Dam, 4. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.854.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 209 steins ist, sprach mir einige Tage später davon, dass der CIC in München die Beziehungen von Meyer und Wollheim prüfe. […] Wollheim ist offenbar das Opfer seines Kampfes um die Aufrechterhaltung eines gewissen moralischen Standards in der jüdischen Gesellschaft und seiner entschiedenen und radikalen Stellungnahme gegen Ohrenstein und auch Auerbach, kurz zu den Münchner Skandalaffairen.69

Während es gelang, die Anschuldigungen gegen Norbert Wollheim zu entkräften, scheiterten alle Bemühungen um eine Absetzung oder Suspendierung des Rabbiners von Seiten seiner Gegner. Erst 1952 wurde Ohrenstein schließlich auf eigenen Wunsch beurlaubt,70 verblieb aber offiziell und zum großen Ärgernis seiner politischen Gegner noch bis 1955 Landesrabbiner in München.71 Parallel zu der Konfrontation mit Ohrenstein verschärfte sich auch noch ein weiterer, von diesem nicht ganz losgelöster Konflikt mit dem Rat der jüdischen DPs. Dieser hatte sich nach der Auflösung des ZKAZ – ohne Wahlen – aus vormaligen Vertretern des ZK in München gebildet und forderte seit Beginn der 1950er Jahre das Recht ein, die Interessen von etwa 10.000 DPs in Bayern nach außen zu vertreten.72 Da der Rat der DPs ein selbsternannter war, brachten ihm die Direktoriumsmitglieder zunächst großes Misstrauen entgegen. Während seiner Informationsreise nach München führte der Generalsekretär 1951 mehrere Gespräche mit den Vorsitzenden und dem Sekretär des Rates der DPs in Bayern, in denen er den Standpunkt des Direktoriums klar zum Ausdruck brachte. Er erwähnte bei diesen Zusammentreffen insbesondere die Bedenken, die gegen die Person des Herrn Weinberger geäußert wurden, woraufhin er von Seiten des Rates der DPs darauf hingewiesen wurde, „daß er von den Insassen der DP-Lager in Bayern gewählt sei und seine Tätigkeit im bayerischen Rahmen erforderlich wäre. Der Rat der DPs wünscht eine Zusammenarbeit mit dem Zentralrat und eine Vertretung im Rat und Direktorium.“ Des Weiteren konnte der Generalsekretär in Erfahrung bringen, dass der Rat der DPs […] sich im wesentlichen mit Rechtshilfe für Personen [befasst], die vor der Auswanderung stehen oder die in Schwierigkeiten geraten sind. Er ist anerkannt von der IRO, die eine Vertretung der DP’s für dringend erforderlich erachtet. Dies wurde in einer eingehenden Versprechung mit dem zuständigen Beamten der IRO festgestellt. Der AJDC deckt das monatl. Budget des Rates, während HIAS ihm 69 H.G. van Dam an Hans Erich Fabian, 26. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.854. 70 Leopold Goldschmidt an H.G. van Dam, 16. 6. 1952, in: ZA, B.1/7.120. 71 Ohrenstein wurde mit Beschluss des Vorstandes der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens Anfang 1955 zum 31. 3. 1955 aus seinem Amt entlassen. Brocke/Carlebach, Biografisches Handbuch der Rabbiner, Bd. 1, 471 f; Kauders/Lewinsky, Neuanfang, 197; Mohr, Wiedergutmachung, 67 – 73. 72 Münch, Zwischen „Liquidation“, 98 – 101; Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, 18 f, in: ZA, B.1/7. 221.13; Winstel, Verhandelte Gerechtigkeit, 153.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

210

Die Politik

einen Raum zur Verfügung gestellt hat. […] Was den Vorsitzenden, Maurice Weinberger, angeht, so ist er bekannt aus seiner Arbeit als Vorsitzender des Verbandes jüdischer Gewerbetreibender der Bundesrepublik. Insbesondere ist er durch seine Interventionstätigkeit in Bonn und bayerischen Ministerien bekannt. Es kann indessen keine Rede davon sein, daß er in München in dem Rufe steht, Möhlstraßentransaktionen durchzuführen. Weinberger hat ein größeres Geschäft außerhalb des Möhlstraßenviertels. Ihm kann, abgesehen von übergroßer Betriebsamkeit, kein Vorwurf gemacht werden. Dieser Auffassung waren auch Senator Dr. Spanier, Dr. Livneh und Mr. Haber. Vorwürfe gegen Weinberger wurden einst von Auerbach erhoben, der sie indessen nach Klageandrohung zurückgenommen hat. Es handelt sich hierbei um eine gewisse Rivalität bei der Vertretung vor bayerischen Behörden. Nach alledem mag es sehr schwierig sein, mit Weinberger zusammenzuarbeiten. Der Unterzeichnete sieht indessen aufgrund seiner Feststellungen in München keine Handhabe, Weinberger aus moralischen Gründen von der jüdischen Arbeit auszuschließen.73

Mit Karl Marx, der sich als Journalist im Interesse seiner Zeitung ein Bild der Lage machen wollte und am Abend der Ankunft van Dams in München anwesend war, ergaben sich infolge dieser Reise einige Spannungen: Marx, der van Dam geraten hatte, eine Presse-Konferenz einzuberufen, zum Kultusministerium zu gehen und schiedsrichterliche Versuche der Schlichtung des Streites der Münchner Parteien zu fördern,74 warf dem Generalsekretär vor, dass er in der Münchner Angelegenheit „die Lorbeeren einheimse“75. Diesem Vorwurf stellte van Dam sich nicht zuletzt deshalb entschieden entgegen, da „ich es nicht als Erfolg des Zentralrats und daher auch nicht als meinen eigenen Erfolg buchen [kann], dass der Landesrabbiner Dr. Ohrenstein trotz der Erklärung des Zentralrats nach wie vor sein Amt ausübt und seine Radiopredigten abhält“76. Seinerseits hatte er sich nicht an die Marx’schen Empfehlungen gehalten und kritisierte die Weise, in der Marx in der Münchner Angelegenheit Stellung bezog. Anders als noch Ende der 1940er Jahre, als die Spannungen zwischen unterschiedlichen jüdischen Gruppen keinen Eingang in die Berichterstattung der Marx’schen Zeitung gefunden hatten,77 positionierte sich die Allgemeine zu Beginn der Auseinandersetzung mit Rabbiner Ohrenstein sehr deutlich und äußerte Kritik an dessen Verhalten. Man erkenne in ihm denjenigen, der „eine schon einmal tragisch genug verlaufene Spaltung innerhalb der deutschen Judenheit“78 einleite. Mit seiner Differenzierung zwischen Ost- und Westjuden missachte Ohrenstein ferner gröblich 73 Bericht über Informationsreise nach München von H.G. van Dam, August 1951, in: ZA, B.1/ 7.483. 74 So van Dam in seinem Brief an Julius Dreifuß, 9. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.227. 75 Ebd. 76 H.G. van Dam an Julius Dreifuß, 9. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.227. 77 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel III.1.2. 78 Bedauerliche Vorfälle in München, in: AWJD, 8. 6. 1951.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 211

„den Wunsch aller verantwortlichen Repräsentanten nach jüdischer Einheit“ – für den Verfasser des Artikels „Bedauerliche Vorfälle in München“ ein weiterer Grund, „Dr. Ohrenstein den Vorwurf [zu] machen, evtl. Differenzen in die Öffentlichkeit getragen zu haben“79. Van Dams Äußerung bezog sich jedoch in erster Linie auf die interne jüdische Kommunikation des Herausgebers, der durch die Weitergabe von Informationen und das Versenden von Stellungnahmen Unstimmigkeiten innerhalb des Direktoriums des Zentralrats befördere.80 Hinsichtlich der Situation mit dem Rat der DPs resümierte van Dam nach seiner Informationsreise, dass es bei der geschilderten Sachlage äußerst schwierig erscheine, „den Rat der DP’s vollkommen zu ignorieren, nachdem das Zentralkomitee im Zentralrat aufgenommen war“81. Seiner Meinung nach konnte eine Entscheidung über die Akzeptanz Weinbergers nicht weiter aufgeschoben werden und so empfahl er für den Fall, dass sich die Mehrheit der Direktoriumsmitglieder weiterhin der Integration der DP-Vertreter entgegenstellte, den Zentralrat der Juden in Deutschland in „Zentralrat der Jüdischen Gemeinden“ umzubenennen.82 Kurz nach van Dams Rückkehr aus München im August 1951 waren diese Empfehlungen des Generalsekretärs jedoch bereits wieder überholt, da Weinberger in der von Ohrenstein manipulierten Wahl im Herbst 1951 zum Nachfolger Auerbachs, d. h. zum Vorsitzenden des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern gewählt wurde.83 Da im Zentralrat die Meinung bestand, „Herr Weinberger sei der Deckmantel für Dr. O. und stehe hinter diesem“84, wurde der Entschluss gefasst, gegen den Vorstand vorzugehen.85 Zur Klärung der Verhältnisse wurden jedoch erstmalig die Vertreter des Rates der DPs zur Direktoriumssitzung am 18./19. November 1951 eingeladen, wo der einstimmige Beschluss gefasst wurde, vorübergehend, für die Dauer von drei Monaten, drei Vertreter dieses Gremiums in den Zentralrat aufzunehmen. Eine dauerhafte Lösung des Problems wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden.86 Norbert Wollheim, der während seiner Inhaftierung auf Ellis Island die Entwicklungen in dieser Sache verfolgte, konnte nicht anders, als seiner Enttäuschung über diese ersten Schritte des Zentralrats in Richtung einer Einigung mit den Juden in Bayern Ausdruck zu verleihen:

79 Ebd. 80 Vgl. hierzu H.G. van Dam an Julius Dreifuß, 9. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.227. 81 Bericht über Informationsreise nach München von H.G. van Dam im August 1951, in: ZA, B.1/ 7.483. 82 Ebd. 83 Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857. 84 Protokoll der gemeinsamen Sitzung zwischen dem Direktorium des Zentralrats und dem Präsidium des LV Bayern, 12. 1. 1953, in: BLVB, Protokolle (Präsidium), 7.2.52 – 24.7.57. 85 Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857. 86 Vgl. Protokoll der Zentralratssitzung, 18./19. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.857.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

212

Die Politik

In der vergangenen Woche habe ich die zweite Vernehmung seit meiner Landung hier gehabt, im Grunde genommen mit den gleichen Fragen, lediglich erweitert um den Komplex C.K.-US-Zone und vor allem Ohrenstein. Es kann also kein Zweifel mehr sein, dass von O. das Attentat gegen uns ausgegangen ist und Weinberger, diese Mistsau, hat sich nicht nur in der ominösen Sitzung in München über meine politische Integrität ausgedrückt, – wie wüssten sonst die hiesigen Behörden von diesen Anschuldigungen. Und mit diesem Augenstern macht Ihr im Zentralrat in Kooperation, – feiner Verein das! Aber das ist schliesslich Eure Sache. Meine Sache ist es, nichts unversucht zu lassen, aus diesem Stall hier auf Ellis Island endlich herauszukommen.87

Bevor es jedoch zu einer Lösung der „Bayern-Frage“ kam, verschlechterten sich die Beziehungen weiter : Weinberger wehrte sich auf seine Art gegen die Vernachlässigung der Interessen des bayerischen Gemeindezusammenschlusses. In seiner neuen Funktion als Präsident des bayerischen Landesverbandes leitete er am 30. Dezember 1951 erstmalig die Sitzung des Landesverbandes der Israelitischen Gemeinden in Bayern, in welcher die bayerischen Vertreter als Reaktion auf die fehlende bayerische Repräsentanz in den Gremien des Zentralrats eine Resolution verabschiedeten, welche die Zusammensetzung des Direktoriums und des Zentralrats scharf kritisierte.88 Konkret heißt es in Punkt drei des Beschlusses: Das Direktorium und der Zentralrat können in der Zukunft auf [sic!] eine loyale Mitarbeit des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern nur dann rechnen, falls [sic!] die Gewähr gegeben ist, daß die Zusammensetzung des Direktoriums und des Zentralrates der Juden auf demokratischer Basis hergestellt wird. Das Direktorium und der Zentralrat der Juden in Deutschland werden daher gebeten, baldigst bevollmächtigte Vertreter nach München zu entsenden, um gemeinsam mit den Delegierten des Landesverbandes […] eine den Gegebenheiten entsprechende Vertretung des Judentums im Bundesgebiet zu schaffen.89

Im Februar 1952 bekräftigte das Präsidium des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern erneut seinen Beschluss, dass in der Zusammensetzung des Zentralrats „Abänderungen vorgenommen werden 87 Wollheim, New York, an H.G. van Dam, 17. 1. 1952, in: ZA, B.1/7.854. 88 Auerbach war nach seinem Ausscheiden aus dem Direktorium zunächst von Dr. Ostertag aus Stuttgart ersetzt worden. Nachdem dieser aus Gesundheitsgründen sein Amt niedergelegt hatte, trat aufgrund eines Beschlusses der Interessenvertretung der jüdischen Gemeinden der USZone Herr Leopold Goldschmidt, Mitglied des Vorstands der jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, an seine Stelle. Ferner waren aus dem Direktorium Herr Piekacz als Vertreter des Zentralkomitees München und sein Vertreter, Herr Eife, ausgeschieden, d. h. es befand sich unter den Zentralratsmitgliedern kein Abgesandter mehr aus Bayern. Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar–August 1951, in: ZA, B.1/7.246. Zur Sitzung vgl. das Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 30. 12. 1951, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. 89 Um die gemeinsame Repräsentanz des Judentums in Deutschland. Beschluß des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern am 30. 12. 1951, in: MJN, 13. 1. 1952.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 213

müssten, nachdem Bayern im Direktorium des Zentralrats überhaupt nicht vertreten sei“90. In Ermangelung einer Antwort von Seiten des Zentralrats auf die Ende 1951 verabschiedete Resolution suchte der Landesverband den Kontakt zur deutschen Bundesregierung, um dort Dr. Weinberger als offiziellen Vertreter der Juden in Bayern vorzustellen.91 Denn: Nach Auffassung der Delegierten könne sich der Zentralrat „so lange er sich nicht mit uns geeinigt hat, sich nicht anmaßen […], der alleinige Vertreter der Juden in Deutschland zu sein“92. Dieses Verhalten von Seiten des Landesverbandes wurde wiederum vom Zentralrat als Angriff auf sein Selbstverständnis betrachtet;93 zudem hatte der Landesverband Bayern bis Juni 1952 dem Zentralrat trotz wiederholter Nachfragen keine klare Mitteilung über die Zusammensetzung seiner Organe gegeben, war mit der Zahlung seiner Beiträge in Verzug und ließ die Stellungnahme des Zentralrats in der Angelegenheit von Dr. Ohrenstein vollkommen unberücksichtigt, d. h. Ohrenstein amtierte nach wie vor als Landesrabbiner und übte einen entscheidenden Einfluss auf den Landesverband aus, was eine Annäherung der Parteien sehr erschwerte.94 Knapp ein Jahr nach der ersten Einladung der DP-Vertreter im Herbst 1951 waren die Direktoriumsmitglieder des Zentralrats nach wie vor auf der Suche nach einer Organisationsform, die den offiziellen Austritt des bayerischen Landesverbandes verhindern würde.95 Unerwartete Unterstützung erhielten die Direktoriumsmitglieder des Zentralrats von Seiten des WJC, der dem Landesverband im August 1952 durch seinen Mitarbeiter Dr. Sokall mitteilen ließ, daß es sich hier nicht um einen Streit handle zwischen dem Landesverband und dem Zentralrat, es steht hier mehr auf dem Spiel […]. Ich möchte niemandem einen Vorwurf machen, aber die Tatsache ist nun einmal so, Sie stehen im Mittelpunkt der jüdischen Welt, ob Sie wollen oder nicht. Das Kapitel „Juden in Deutschland“ ist noch nicht gelöst. Wir können hier doch nicht die Naiven spielen und sagen, daß es sich hier bloß um einen Streit handelt zwischen dem Landesverband und dem Zentralrat, ob die Vertretung proportionell [sic!] ist oder nicht. Keiner wird sich doch etwas 90 Protokoll der Sitzung des Präsidiums des LV, 6. 2. 1952, in: BLVB, Protokolle (Präsidium), 7.2.52 – 24.7.57. 91 Protokoll der gemeinsamen Sitzung zwischen dem Direktorium des ZR und dem Präsidium des LV Bayern, 12. 1. 1953, in: BLVB, Protokolle (Präsidium), 7.2.52 – 24.7.57; 1952 – 06 – 21 Vermerk des Bundesinnenministers an Abt. III, 21. 6. 1952, in: BArch, B106/000196. 92 Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 10. 8. 1952, 7, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. Vgl. hierzu auch das Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 8. 6. 1952, 11 f, in: ebd. 93 H.G. van Dam an den LV Bayern, 25. 2. 1953, in: ZA, B.1/7.120. 94 H.G. van Dam an Leopold Goldschmidt, 11. 6. 1952, in: ZA, B.1/7.120. Zur ausführlichen Erklärung der Vorgänge nach dem Amtsantritt Weinbergers vgl. das Protokoll der gemeinsamen Sitzung zwischen dem Direktorium des Zentralrats und dem Präsidium des LV Bayern, 12. 1. 1953, in: BLVB, Protokolle (Präsidium), 7.2.52 – 24.7.57. 95 Zu den Bemühungen der Verständigung zwischen Vertretern des Direktoriums und des LV Bayern vgl. Leopold Goldschmidt an H.G. van Dam, 16. 6. 1952, in: ZA, B.1/7.120.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

214

Die Politik

vormachen wollen, daß es sich hier um derart triviale und kleinliche Dinge handelt. Der jüdische Weltkongreß vertritt die Einigkeit der Juden. Daß hier keine Einigkeit herrscht ist tief zu beklagen. Ich bitte die Herren Weinberger keine scharfen Worte zu gebrauchen, keine Fristen zu setzen; ich bitte Herrn Dr. Rauch keine Ultimaten zu schicken. Die Situation darf nicht noch verschlimmert werden. Ich habe an Euch alle eine Bitte, dass jeder sich mäßige, denn der Schaden der entstehen kann ist zu groß. Ich bitte Sie daher weiterhin dafür Sorge zu tragen, daß der Riß nicht vergrößert und tiefer, sondern verkleinert und geheilt werde. Sie können Beschlüsse fassen, nur keine Ultimaten, denn wo es irrige Auffassungen gibt, muss man die richtige Auffassung entgegenhalten, bis sich die Richtigkeit gegen die Falschheit und das Recht gegen das Unrecht durchsetzt. Der jüdische Weltkongreß will nur verhüten, dass nicht noch mehr mit den Fingern auf die Juden Bayerns gezeigt wird.96

Deutlich spielte Sokall mit seinen Anmerkungen, von denen Weinberger aufgrund der darin enthaltenen Schuldzuweisung an den Landesverband sehr enttäuscht war,97 auf die gegensätzlichen politischen Überzeugungen der beiden Kontrahenten an: Im Gegensatz zu den meisten Funktionären des Judentums in der Bundesrepublik war Weinberger ein kompromissloser Verfechter der „Liquidationspolitik“98 und setzte sich deshalb zu Beginn seiner Tätigkeit für den Rat der DPs und den Landesverband intensiv für die baldmöglichste Auflösung der jüdischen Gemeinden und Körperschaften auf deutschem Boden ein, d. h. er verfolgte eine Politik, die den Interessen des Zentralrats entgegenstand.99 Anfang September 1952 gelang es den zwei Parteien schließlich trotz feststellbarer Interessenunterschiede, sich auf eine „freundschaftliche Lösung der Bayernfrage“100 zu einigen: Zukünftig sollte es dem süddeutschen Landesverband erlaubt sein, durch eine Persönlichkeit im Direktorium vertreten zu sein und so insbesondere die Interessen der zahlreichen DPs in Bayern zu artikulieren, solange dieser nicht Maurice Weinberger sei.101 Die Rolle, die van Dam bei der Ausarbeitung dieses „Kompromisses“ spielte, der nach einigem Widerstand vor allem von Vertretern der Jüdischen Gemeinden in Frankfurt am Main und in Berlin102 sowohl in den Reihen der Mitglieder des Direktoriums als auch unter den Abgesandten aus Bayern die notwendige Zustim96 97 98 99 100

Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 10. 8. 1952, 7, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. Ebd. Münch, Zwischen „Liquidation“, 100, Anm. 85. Ebd., 98 – 101. Protokoll der Zentralratstagung, 31.8./1. 9. 1952, 11 f, in: ZA, B.1/7.857; Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 27. 8. 1952, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55; H.G. van Dam an den LV Bayern, 25. 2. 1953, in: ZA, B.1/7.120. 101 Beschlussprotokoll der internen Direktoriumssitzung, 12. 11. 1952, 2 – 3, in: ZA, B.1/7.221.29; H.G. van Dam an den LV Bayern, 25. 2. 1953, in: ZA, B.1/7.120. 102 Beschlussprotokoll der internen Direktoriumssitzung, 12. 11. 1952, in: ZA, B.1/7.221.30; Vorstandssitzung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, 18. 11. 1952, in: ZA, B.1/13.A.9,5; Protokoll der Sitzung des Direktoriums (erweiterte), 27. 1. 1953, in: ZA, B.1/7.221.33.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 215

mung fand und die Voraussetzung für die weitere Zusammenarbeit schuf, war eher zweifelhaft.103 Darauf lässt eine Aussage des Direktoriumsmitglieds Leopold Goldschmidt schließen, der im Juni 1952 an einer Aussprache zwischen Mitgliedern des Direktoriums und Vertretern des bayerischen Landesverbandes teilgenommen hatte104 und im Januar 1953 gemeinsam mit dem Direktoriumsmitglied Allschoff im Auftrag des Zentralrats zur Ausarbeitung eines Kompromisses nach München gereist war.105 Beide kritisierten van Dams Darstellung in einem Memorandum, dass er „sich darum bemühte […], die negativen Stellungnahmen gegen Herrn Weinberger ,auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen‘, während Sie [angesprochen wird van Dam] doch tatsächlich, und nicht nur in Düsseldorf, die Rolle des unerbitterlichen Bekämpfers Weinberger’s spielten.“ Und diese Haltung nehme van Dam ein, so warf Goldschmidt ihm vor, obwohl er wisse, dass bei einer Aussprache gelegentlich der Zentralratssitzung am 1. September 1952 in Düsseldorf zwischen Mitgliedern des Zentralrats und Vertretern des Rates der DPs die von ihm „vorgetragenen Anklagen gegen Herrn Weinberger fast völlig zusammenbrachen, und daß nichts davon übrig blieb, als die natürlich sehr bedauerliche Tatsache, daß Herr Weinberger keine Aufklärung über die Art und Fortdauer des Verhältnisses zu Dr. Ohrenstein gab“106. Der Historiker Peter L. Münch kommt zu dem Schluss, dass van Dam es im Zuge der Verhandlungen in Kauf genommen hatte, „alte Gegensätze zwischen deutschen und Ostjuden bewusst aufbrechen zu lassen und beide gegeneinander auszuspielen“, um die Position Weinbergers zu schwächen. Münch zufolge wollte van Dam die Wiederaussöhnung der deutschen Mehrheitsgesellschaft und der jüdischen Minderheit, „doch es schien ihm im Umgang mit jüdischen KZ-Opfern aus Osteuropa an Feingefühl zu mangeln“107. Tatsächlich erwecken die erhaltenen Dokumente über die „Bayern-Frage“ den Eindruck, als ob einige Direktoriumsmitglieder und der Generalsekretär die Ostjuden in diesem Kontext in erster Linie als Störfaktoren ansahen, und letztlich eine Abkehr von dieser Bevölkerungsgruppe nur deshalb unterblieb, damit der Zentralrat und seine Repräsentanten insbesondere im Zusammenhang mit den laufenden Wiedergutmachungsverhandlungen weiterhin als Vertreter aller Juden in Deutschland auftreten konnten. In diesem Sinne referierte van Dam auf der Sitzung des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern am 10. Mai 1953, unmittelbar vor der Einigung zwischen den beiden Parteien, „daß es in Anbetracht der augenblicklichen politischen Lage 103 Protokoll der Zentralratstagung, 31.8./1. 9. 1952, 11 f, in: ZA, B.1/7.857. 104 Zum Inhalt des Treffens vgl. den Bericht im Brief von Leopold Goldschmidt an H.G. van Dam, 16. 6. 1952, in: ZA, B.1/7.120. 105 Zum Inhalt der Sitzung in München vgl. Protokoll der gemeinsamen Sitzung zwischen dem Direktorium des Zentralrats und dem Präsidium des LV Bayern, 12. 1. 1953, in: BLVB, Protokolle (Präsidium), 7.2.52 – 24.7.57. 106 Leopold Goldschmidt an H.G. van Dam, 15. 12. 1952, in: ZA, B.1/7.120. 107 Münch, Zwischen „Liquidation“, 103.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

216

Die Politik

erforderlich ist, daß das Judentum in Deutschland durch eine zentrale Organisation vertreten ist“.108 Nicht bestätigt wurde durch das erhaltene Quellenmaterial allerdings die verbreitete Auffassung, der bayerische Landesverband habe im Zuge dieser scharfen Auseinandersetzung vorübergehend den Zentralrat verlassen. Abgesehen von der Erklärung des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern vom 30. Dezember 1951, die beispielsweise von den Historikern Peter L. Münch und Jay Howard Geller als Austrittserklärung des bayerischen Landesverbandes aus dem Zentralrat interpretiert wird,109 konnte weder in den Unterlagen des bayerischen Landesverbandes noch in den Aktenbeständen des Zentralrats eine tatsächliche Austrittserklärung gefunden werden. Die Vermutung, dass es sich bei diesem Statement lediglich um eine Austrittsdrohung handelte und zu diesem frühen Zeitpunkt der Auseinandersetzung zwischen den Parteien kein offizieller Austritt des bayerischen Landesverbandes erfolgte, wird auch durch Formulierungen wie beispielsweise der von Weinberger befördert. Dieser sprach Anfang August 1952 noch davon, dass er „nicht das Gefühl erwecken [wolle], dass ich für den Austritt aus dem Zentralrat hetze; es muß mit der jetzigen Politik des Zentralrats Schluß gemacht werden.“110 Der Delegierte Dr. Rauch aus München erinnerte in derselben Sitzung des bayerischen Landesverbandes daran, „daß wir gegen den Zentralrat kein exaktes und entschlossenes Wort gesprochen haben“ und gab Ende August desselben Jahres, wenige Tage vor der Einigung, zu bedenken, „daß sich die Situation zugunsten des Zentralrates geändert habe; wenn wir bis vor kurzem dem Zentralrat mit einem Austritt aus dieser Organisation drohen konnten, so sei das heute nicht mehr aktuell, nachdem der Zentralrat an der Sitzung in Den Haag teilgenommen hat“111. Schließlich existiert auch von van Dam eine Aussage, die jener Annahme explizit widerspricht: In einem vom 8. Oktober 1953 konstatiert der Generalsekretär rückblickend, dass im Laufe der letzten Jahre […] erhebliche Konflikte innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, insbesondere Unstimmigkeiten mit dem Landesverband Bayern [bestanden], die ihren Ursprung seit der Affaire des verstorbenen Dr. Philipp Auerbach hatten. Wir wollen heute hierauf nicht näher eingehen, da festgestellt werden kann, daß seit den Besprechungen, die im Frühjahr in München stattfanden, eine sehr erhebliche Verbesserung der Atmosphäre eingetreten ist und der Landesverband Bayern die Zusammenarbeit mit dem Zentralrat, den er allerdings formell nie verlassen hatte, wieder aufgenommen hat. Angesichts der Größe der Aufgaben und der Anzahl der überlebenden Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, ist Zersplitterung und Selbstisolierung eine Bedrohung der Existenz 108 Protokoll der Delegiertenversammlung des LV Bayern, 10. 5. 1953, 4, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. 109 Geller, Jews, 280 – 282; Münch, Zwischen „Liquidation“, 98 – 101. 110 Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 10. 8. 1952, 7, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. 111 Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 27. 8. 1952, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 217 der organisierten Gemeinschaft, die der Geschlossenheit und Einheit dringend bedarf. Daher ist ein weiterer Fortgang dieser Konsolidierung für die Durchführung der Arbeit und die Vertretung der gemeinsamen Interessen dringend erforderlich. […] Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland sollte aufgrund des gemeinsamen jüdischen Schicksals einen Gegensatz zwischen West und Ost nicht kennen.112

Angesichts dieser Quellenbelege sollte korrekterweise – selbstverständlich ohne damit den Ernst der Situation bestreiten zu wollen – zukünftig nicht mehr von einem Austritt, sondern zur Betonung der tatsächlichen Geschehnisse von einer Krise bzw. einer Unterbrechung der Zusammenarbeit gesprochen werden. Dieser Zustand konnte schließlich durch die Ausarbeitung eines von beiden Seiten akzeptierten Kompromisses nach fast zwei Jahren des Streits beigelegt werden: Der bayerische Landesverband stimmte Anfang 1953 der Forderung des Zentralrats zu und entsandte nicht Weinberger, sondern Prof. Baruch Graubard als Vertretung in den Zentralrat.113 Intern war durch diese Vereinbarung die Voraussetzung für eine erneute Zusammenarbeit zwischen dem bayerischen Landesverband und dem Zentralrat geschaffen. Nach außen konnte das zentrale Prinzip der Einheit demonstriert werden, allerdings nicht ohne Imageverlust114 und bei manchen nichtjüdischen Verhandlungspartnern – vor allem der deutschen Bundesregierung – auch nicht ohne eine gewisse Verunsicherung aufgrund schlechter Presse und unklarer Zuständigkeitsklärungen.115 Auf der Direktoriumssitzung des Zentralrats am 11. und 12. Oktober 1953 wurde schließlich Maurice Weinberger ins Direktorium gewählt, Prof. Graubard aus München und Stadtrat Rosenthal aus Fürth wurden zu seinen Vertretern bestimmt.116 Bereits drei Jahre später, 1956, kam es jedoch zu erneuten Konflikten in 112 Bericht des Generalsekretärs, 8. 10. 1953, 12, in: ZA, B.1/7.246. Vgl. hierzu auch das Protokoll des BMI, 5. 1. 1953 sowie die Notiz des BMI, 16. 2. 1953, in: BArch, B106/1407. 113 Protokoll der Delegiertenversammlung des LV Bayern, 10. 5. 1953, 4, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. Vgl. hierzu auch das Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 27. 8. 1952, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55; Protokoll der ersten Sitzung des neugewählten Präsidiums des LV Bayern, 14. 5. 1953, 1, in: BLVB, Protokolle (Präsidium), 7.2.52 – 24.7.57. 114 U.a. hatte Weinberger während der Auseinandersetzungen zwischen dem Zentralrat und dem bayerischen LV in den Münchner Jüdischen Nachrichten eine Artikelserie veröffentlicht, in der er den ZR bzw. dessen Politik öffentlich kritisierte. Vgl. z. B. Jüdisches Durchgangslager Deutschland, in: MJN, 31. 12. 1951; Zentralrat der Juden in Deutschland und die jüdischen Probleme in Deutschland, erschienen in zwei Teilen in den MJN, 31. 10. 1952 und 13. 2. 1953; Die Lage der Juden in Deutschland zu Beginn des Jahres 5713, in: MJN, 17. 9. 1952. 115 Zur Wahrnehmung des Konflikts zwischen dem ZR und dem bayerischen LV von nichtjüdischen Partnern vgl. z. B. Protokoll der Sitzung des LV Bayern, 10. 8. 1952, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. 116 Protokoll der Sitzung des Landesausschusses des LV Bayern, 25. 10. 1953, 16, in: BLVB, Protokolle, 5.10.47 – 10.7.55. Im Zuge der Neuorganisation im Oktober 1953 wurden Ewald Allschoff (Frankfurt) und Carl Katz (Bremen) neu ins Direktorium des Zentralrats gewählt. Heinz Galinski (Berlin) und Leonhard Baer (Koblenz) verblieben im Amt. Protokoll der Zentralratstagung, 12. 10. 1953, in: ZA, B.1/7.221.40.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

218

Die Politik

Bayern: Die deutsch-jüdische Opposition um Max Bachmann (1883 – 1966)117, einem ehemaligen Beamten des Bayerischen Innenministeriums, zweifelte 1956 die Wahl Siegfried Neulands zum neuen Vorsitzenden der Münchner Gemeinde als „undemokratisch“ an.118 Zwei Jahre später, nachdem Neuland zurückgetreten war, wurde Bachmann für einige Zeit zum Vorsitzenden der Gemeinde gewählt, sein Sieg jedoch im Februar 1959 vom Landesverband Bayern für ungültig erklärt. Auch das Direktorium des Zentralrats bezog deutlich Stellung gegen die neue Münchner Gemeindeführung um Max Bachmann und verabschiedete eine Entschließung, „die mit allem Nachdruck die Wiederherstellung einer ordentlichen Gemeindevertretung durch ordnungsgemäße Neuwahl fordert. Die Zusammenarbeit mit dem jetzigen Gemeinde-Gremium lehnte der Zentralrat und alle jüdischen Gemeinden Deutschlands nachdrücklich ab.“119 Erst nach den Neuwahlen von 1960, in denen sich Neuland erneut durchsetzen konnte, fand die bayerische „Dauerkrise“120, wie van Dam sie nannte, schließlich ein Ende.

1.1.3 Das Föhrenwald-Problem Anders als die Auerbach-Affäre und die „Bayern-Frage“, zwei Auseinandersetzungen, die schwerpunktmäßig zwischen den gewählten Repräsentanten des bayerischen Landesverbandes und des Zentralrats ausgetragen wurden, stellte der Umgang mit den überwiegend osteuropäischen DPs und die Integration der „Übriggebliebenen“ in die jüdischen Gemeinden eine eher praktische Herausforderung für die jüdische Gesamtgemeinschaft dar. Die bereits mehrfach angesprochenen schwierigen Verhältnisse und daraus resultierenden Konflikte zwischen Ost- und Westjuden in der Israelitischen Kultusgemeinde München können als ein typisches Beispiel dieser Art von Spannungen angesehen werden. Allerdings traten die Differenzen zwischen deutschen und osteuropäischen Juden nicht nur im regionalen Kontext zu Tage; tatsächlich kommt die Komplexität des Problems besonders deutlich im Zusammenhang mit der Auflösung eines der größten und bekanntesten jüdischen DP-Lager, Föhrenwald bei München, im Jahr 1957 zum Ausdruck. Auch wenn Karl Marx und Hendrik G. van Dam sich in dieser Auseinandersetzung kaum individuell zu Wort meldeten, sollen im Folgenden zur Vervollständigung der Darstellung die Vorgänge im Zusammenhang mit der Auflösung des DP-Lagers Föhrenwald kurz illustriert werden. 117 Zur Biografie von Max Bachmann (1883 – 1966) vgl. StadtAM, Datensatz Max Bachmann, NSOpfer Datenbank. 118 Vgl. hierzu Protokoll der Präsidiumssitzung des LV Bayern, 28. 2. 1958, in: BLVB, Präsidiumsprotokolle, 18.7.57 – 11.10.67; Kauders, Democratization, 49 – 52; Kauders/Lewinsky, Neuanfang, 198. 119 Bericht über eine außerordentliche Tagung des Zentralrats, 3. 6. 1958, in: ZA, B.1/7.852. 120 Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 219

Unmittelbar nach der Befreiung durch die Amerikaner 1945 als internationales DP-Lager eingerichtet, wurde Föhrenwald im September desselben Jahres zum ausschließlich jüdischen DP-Lager erklärt, in dem im Oktober 1945 etwa 3.000 Juden lebten.121 Ab Herbst 1945 erhielt die US-Armee, die anfangs hier wie in allen DP-Lagern in der amerikanischen Zone erste Hilfe leistete, Unterstützung von Mitarbeitern der 1943 gegründeten Welthilfsorganisation United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), die am 15. November 1945 offiziell die Lagerverwaltung übernahm. Ab diesem Zeitpunkt zeichnete die Hilfsorganisation verantwortlich für Verwaltung, zusätzliche Versorgung, Gesundheitsdienst, Wohlfahrt, Erholungsmöglichkeiten, Selbsthilfeprogramme sowie Berufsausbildung und war zudem zuständig für die zahlreichen jüdischen Hilfsorganisationen im Lager, an deren erster Stelle der Joint zu nennen ist; die amerikanischen Besatzer sorgten weiterhin für die Grundausstattung an Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung, Unterkunft und Sicherheit des Lagers.122 Unter der Leitung der UNRRA etablierte sich schon im Dezember 1945 ein von den Bewohnern selbst gewähltes Lagerkomitee, das den Grundstein für ein System der Selbstverwaltung legte. In den kommenden Monaten bauten die fast ausschließlich osteuropäischen Einwohner, die sich von der sie umgebenden deutschen Umwelt bewusst distanzierten, eine eigene Gesellschaft auf: Föhrenwald verfügte über eine Schule, eine Jeschiwa, einen Kindergarten und eigene Ausbildungsstätten; es existierten eine Bibliothek und eine Lagerzeitung, es gab eine eigene DP-Polizei und ein Lagergericht und es entfalteten sich bemerkenswerte Aktivitäten auf kulturellem und religiösem Gebiet. Weniger erfolgreich verliefen hingegen die Versuche von Seiten der Hilfsorganisationen, die DPs zur produktiven Arbeit zu motivieren.123 Grundsätzlich galt für die überwiegende Mehrheit der Föhrenwalder dasselbe wie für die Mehrheit der in Deutschland gestrandeten jüdischen DPs: Sie litten an ihrer schweren Vergangenheit, waren demoralisiert angesichts der unklaren Zukunftsaussichten und fanden sich immer wieder mit auftauchenden Gerüchten über angebliche kriminelle Machenschaften konfrontiert. Tatsächlich warteten die jüdischen Überlebenden letztlich vor allem auf die Möglichkeit, Deutschland verlassen zu können, und erklärten eine schnelle Auswanderung nach Palästina zu ihrem obersten Ziel.124 Dieses erfüllte sich für die meisten von ihnen nach der Gründung des Staates Israel im Mai 1948: Nach dem israelischen Sieg im Unabhängigkeitskrieg 1948 und der zeitgleich erfolgten Lockerung der Einwanderungsbestimmungen der USA, Kanadas und Australiens setzte eine Massenauswanderung jüdischer DPs aus 121 Im Januar 1946 war die Anzahl der Lagerbewohner bereits auf 5.300 gestiegen. Biber, Risen from the Ashes, 53; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 99 – 101; Schardt, „Der Rest der Geretteten“, 54 – 57. 122 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 101 f; Schardt, „Der Rest der Geretteten“, 56. 123 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 102 – 146; Schardt, „Der Rest der Geretteten“, 56 – 63. 124 Zur Palästinabegeisterung der DPs vgl. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 148 – 154.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

220

Die Politik

Deutschland ein, in deren Folge fast alle jüdischen DP-Lager geschlossen werden konnten.125 Im Zuge dieser Entwicklungen war auch geplant, das DP-Lager Föhrenwald am 18. Juli 1949 aufzulösen, wo zu diesem Zeitpunkt noch 3.623 jüdische DPs lebten.126 Tatsächlich dauerte es noch bis 1957, bis das Lager endgültig seine Tore schloss.127 Während dieses Zeitraums von fast sieben Jahren befassten sich internationale jüdische Hilfsorganisationen, die verschiedenen institutionellen deutsch-jüdischen Zusammenschlüsse – seit Auflösung des ZKAZ allen voran der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, der 1950 gegründete Zentralrat und die 1951 ins Leben gerufene Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) – ebenso wie deutsche Regierungsstellen mal mehr und mal weniger intensiv mit der Frage, was mit den Einwohnern geschehen sollte, die Deutschland nicht verlassen konnten oder wollten. Das Lager, das am 1. Dezember 1951 in die deutsche Verwaltung übergegangen war und seitdem „Regierungsdurchgangslager für heimatlose Ausländer“ hieß,128 war nach der Auswanderung der großen Mehrheit der jüdischen Überlebenden „von einem Zentrum jüdischen Lebens und jüdischer Aktivität zu einem Sammelpunkt von Alten, Kranken und Invaliden geworden, die nicht mehr die Initiative für den Aufbau eines neuen Lebens in einer fremden Umgebung aufbrachten“129. Erklärtes Ziel der deutschen Verwaltung war dennoch eine möglichst schnelle Auflösung des Lagers, dessen Unterhaltungskosten zu 85 Prozent vom Bund und zu 15 Prozent vom Land Bayern getragen wurden.130 Als sich zusätzlich zu den „Übriggebliebenen“ auch noch eine Gruppe sogenannter „Illegaler“, d. h. Personen, „die aus Israel zurückgekehrt sind bzw. deren Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet abgelau-

125 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 152 – 154; Schardt, „Der Rest der Geretteten“, 65. 126 Schardt, „Der Rest der Geretteten“, 65; Königseder/Wetzel, Lebensmut, 154 f. 127 Am 28. 2. 1957 hatten die letzten DPs das Lager Föhrenwald verlassen. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 171 f. 128 Von Juli 1947 bis zum 30. 11. 1951 hatte die UNRRA-Nachfolgeorganisation IRO die Verwaltung des DP-Lagers übernommen. Mit Beendigung der Tätigkeit in Deutschland wurden verschiedene IRO-Lager der deutschen Verwaltung unterstellt. Präsidium der Landpolizei von Bayern an die Chefdienststellen Oberbayern, Niederbayern/Oberpfalz, Ober-/Mittelfranken, Unterfranken und Schwaben, 16. 6. 1950, in: StAM, Polizeipräsidium Oberbayern 292; Präsidium der Landpolizei von Bayern an die Chefdienststelle Oberbayern, 6. 12. 1951, in: StAM, Polizeipräsidium Oberbayern 298. Vgl. hierzu auch Königseder/Wetzel, Lebensmut, 154 f; E.G. Lowenthal, Freisein von Furcht. Die internationale Lenkung des Flüchtlingsschicksals: Ausklang der IRO – Was dann?, in: AWJD, 28. 12. 1951. Zur Geschichte der IRO vgl. Holborn, The International Refugee Organization. 129 Schardt, „Der Rest der Geretteten“, 65. Um möglichst viele Lager nach der Massenemigration 1948/49 schließen zu können, begannen die Verantwortlichen 1949 mit der Zusammenlegung der Zurückgebliebenen. 1952 wurden dann alle zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ausgewanderten jüdischen DPs nach Föhrenwald verlegt. Vgl. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 154 f. 130 Schardt, „Der Rest der Geretteten“, 65.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 221

fen“ war, in Föhrenwald sammelten, sah sich die deutsche Verwaltung mit einem Dilemma konfrontiert: Würde die Landpolizei gegen den Personenkreis wegen illegaler Einreise Anzeige erstatten, so käme es zweifelsohne zu einer Bestrafung der einzelnen Personen, die eine Nichtzulassung zur Auswanderung zur Folge hätte. Die Erfahrung zeige, daß DP’s mit Vorstrafen nicht mehr mit einer Emigration nach den USA oder anderen Ländern rechnen können.131

Insgesamt erreichten schätzungsweise 3.500 bereits nach Israel Ausgewanderte zwischen 1949 und 1953 Föhrenwald. Hatten die deutschen Behörden der Rückwanderung zunächst wenig Beachtung geschenkt, wurden sie durch das Ansteigen der Föhrenwalder Bevölkerung trotz der anhaltenden Auswanderungsbewegung mit diesem Phänomen konfrontiert.132 Auf der Suche nach einer Lösung dieses Problems wandten sich die deutschen Behörden 1953 an die internationalen jüdischen Hilfsorganisationen und den Zentralrat, der auch von Seiten des Joint, des Landesverbandes Bayern und der verschiedenen Lagerkomitees um Intervention gebeten worden war.133 Als Ergebnis der gemeinsamen Verhandlungen erklärte man sich in Bonn bereit, dass „gegen die 795 israelischen Staatsangehörigen, die sich unerlaubt im Bundesgebiet [aufhielten], sich jedoch bis zum 17. 8. 1953 haben registrieren lassen, […] von deutscher Seite innerhalb einer Frist von 6 Monaten vom 17. 8. 1953 ab gerechnet keine auf Abschiebung oder Ausweisung gerichteten Maßnahmen ergriffen [werden]“134. Die Israel-Mission und die jüdischen Organisationen hingegen stimmten zu, „zugunsten von Personen, die nach dem 17. 8. 1953 in das Bundesgebiet eingereist sind und sich hier unerlaubt aufhalten, nicht bei den deutschen Behörden vorstellig zu werden“ und „alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um den Illegalen innerhalb der Frist von 6 Monaten (vom 17. 8. 1953 ab gerechnet) eine Auswanderung in andere Länder oder eine Rückwanderung nach Israel zu ermöglichen“135. Die im Zusammenhang mit der Auswanderung entstehenden Kosten übernahmen HIAS und Joint, während von deutscher Seite innerhalb der zugesagten Frist von sechs Monaten bis zum Tag der Auswanderung „Leistungen der öffent131 Präsidium der Landpolizei von Bayern an die Chefdienststelle Oberbayern, 6. 12. 1951, in: StAM, Polizeipräsidium Oberbayern 298. 132 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 167. Vgl. auch Brenner/Frei, Zweiter Teil, 166 – 169. 133 Bericht des Generalsekretärs, 8. 10. 1953, 12, in: ZA, B.1/7.246. 134 Protokoll über das Ergebnis der Besprechung, 1. 9. 1953, in: BArch, B106/9155. Vgl. hierzu auch den Schnellbrief des Auswärtigen Amtes an den Herrn Bundesminister des Innern, an den Herrn Bundesminister der Finanzen und an das Bayerische Staatsministerium des Innern, 27. 8. 1953, in: BArch, B106/9155. 704 der am Stichtag registrierten Illegalen befanden sich im Lager Föhrenwald. Niederschrift über die am 10. 11. 1953 im Auswärtigen Amt abgehaltene Besprechung, betr. die Finanzierung der Auswanderung der Insassen des Lagers Föhrenwald, 24. 11. 1953, in: BArch, B106/9155. 135 Protokoll über das Ergebnis der Besprechung, 1. 9. 1953, in: BArch, B106/9155.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

222

Die Politik

lichen Fürsorge nach den derzeit geltenden fürsorgerechtlichen Vorschriften“136 gewährt wurden.137 Im Direktorium des Zentralrats war man sich nicht einig, inwiefern die Unterstützung der „Illegalen“ in die Zuständigkeit des Dachverbands oder der neu gegründeten Zentralwohlfahrtsstelle falle. Maurice Weinberger, der seit der Neuorganisation des Zentralrats im Oktober 1953 als Delegierter den Landesverband Bayern im Direktorium vertrat, erbat eine informelle Unterstützung der illegalen Rückwanderer von Seiten der ZWST. Seiner Meinung nach „handelt[e es] sich hier um ein allgemein jüdisches Problem und niemand dürfe sagen, dass keinem geholfen werde“138. Der Leiter der ZWST, Berthold Simonsohn, wies allerdings darauf hin, „daß es sich nicht um ein Münchener-Problem, sondern um ein zentrales Problem handelt, das jedoch nicht Sache der Zentralwohlfahrtsstelle sei, sondern ein politisches Problem, das nur von den jüdischen Weltorganisationen gelöst werden kann“. Diese wiederum, so ergänzte van Dam, arbeiteten mit Israel zusammen und waren deshalb nur bereit, „die Illegalen nach Israel zurückzubringen“. Aufgrund der Uneinigkeit wurde das Thema an einen Ausschuss verwiesen, der über die Frage beraten sollte. Wie schwierig es für die jüdischen Institutionen war, eine konsistente Linie in der Vertretung jüdischer Interessen gegenüber den deutschen Behörden zu verfolgen, verdeutlicht ein Schreiben, dass am 15. Oktober 1953 dem bayerischen Innenminister Dr. Hoegner zuging. Kurz nachdem in komplizierten Verhandlungen mit deutschen Behörden ein Kompromiss zugunsten der „Illegalen“ ausgearbeitet und ihre Abschiebung verhindert worden war, wurde von einer Gruppe jüdischer Überlebender ein verschärftes Vorgehen gegen eben diese gefordert. In einem Appell wandten sich die Invaliden und Kranken aus dem Lager Föhrenwald hilfesuchend an den deutschen Politiker und baten, die illegalen Rückwanderer aus Israel aus dem Lager Föhrenwald zu entfernen. Trotz aller Bitten und Interventionen sind diese verbrecherischen Elemente bis heute noch dort anwesend, die nach wie vor die alten Einwohner, Kranke und Invalide des Lagers dauernd unter Schrecken halten. Trotz der Polizei, die im Lager untergebracht wurde,

136 Ebd. 137 Niederschrift über die Besprechung im Auswärtigen Amt am 20. 11. 1953, betr. Auflösung des Lagers Föhrenwald, 21. 11. 1953, in: BArch, B106/9155. Auskunft über den Fortschritt in dem Bemühen um die Auswanderung der „Illegalen“, die Finanzierung eben dieser und die damit verbundenen Spannungen zwischen den Verhandlungspartnern geben u. a. der Vermerk des Referat I C 9, 23. 9. 1953, in: BArch, B106/9155; Niederschrift über die am 10. 11. 1953 im Auswärtigen Amt abgehaltene Besprechung, betr. die Finanzierung der Auswanderung der Insassen des Lagers Föhrenwald, 24. 11. 1953, in: BArch, B106/9155. 138 Dieses und die nachfolgenden Zitate sind entnommen aus dem Protokoll der erweiterten Sitzung des Direktoriums des Zentralrats unter Teilnahme von Vertretern der Landesverbände, 2. 11. 1953, 3, in: ZA, B.1/7. 221.42.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 223 sind wir alten Insassen nicht mehr unseres Lebens sicher, weder bei Tag noch bei Nacht.139

Auch wenn interne Ermittlungen der Landpolizei Föhrenwald wenig später ergaben, dass „der angeblich von kranken und invaliden Inwohnern [sic!] des Reg.-Lagers Föhrenwald am 15.10.53 an Herrn Innenminister Dr. H ö g n e r gerichtete Brief […] dem Inhalt nach zu schließen, in erster Linie auf persönliche Gehäßigkeiten der Lagerbewohner untereinander zurückzuführen“ sei,140 wurde der Zentralrat durch die sogenannte Rückwanderung oder Einwanderung von Israel nach Deutschland zu wiederholten Verhandlungen genötigt.141 1955 befanden sich unter den 1.450 Bewohnern des Lagers immer noch 300 illegale Israel-Rückkehrer. Der Fokus der Verhandlungen zwischen Zentralrat und deutschen Behörden hatte sich zu diesem Zeitpunkt jedoch verschoben, denn die deutsche Regierung drängte nach der Bereinigung des Problems der „Illegalen“ 1953 intensiv darauf, dass „nunmehr auch hinsichtlich der Altinsassen mit den weiteren Maßnahmen zur Auflösung des Lagers begonnen werden“142 sollten. In der Annahme, das Lager würde bald geräumt, plante im Sommer 1953 beispielsweise der Bundesgrenzschutz, Föhrenwald als Ausbildungslager zu verwenden.143 Die Verhandlungen über den Zeitpunkt der Auflösung zogen sich jedoch hin und so wurde erst im März 1954 beschlossen, das Lager zum 1. April 1955 zu schließen.144 Für die zur Realisierung dieses Vorhabens zu ergreifenden Maßnahmen – Förderung der Auswanderung oder der Eingliederung – stellte die deutsche Regierung 3 Millionen DM zur Verfügung, von denen für jeden auswandernden Erwachsenen DM 2.000 und für jedes Kind DM 500 gezahlt wurden. Den Städten, die Wohnungen für Föhrenwalder bauten, wurde der Betrag von DM 14.000 pro Wohnung in Form eines niedrig verzinslichen Darlehens gegeben.145 Einen ersten konkreten Schritt zur Durchführung der Schließung des Regierungslagers stellte die Auflösung des Hospitals Föhrenwald dar, der sich die 139 Kranke und Invalide, Lager Föhrenwald, an das Innenministerium für das Flüchtlingswesen, 15. 10. 1953, in: StAM, Polizeipräsidium Oberbayern 298. 140 Bayerische Landpolizei. Landpolizei Föhrenwald an das Regierungslager f. heimatlose Ausländer, Föhrenwald, 26. 11. 1953, in: StAM, Polizeipräsidium Oberbayern 298. 141 Summarischer Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs für die Zeit, 15. 10. 1953 bis 1. 7. 1954, in: ZA, B.1/7.246. 142 Auswärtiges Amt an den Herrn Bundesminister der Finanzen, an den Herrn Bundesminister für Vertriebene und an das Bayerische Staatsministerium des Innern, 2. 9. 1953, in: BArch, B106/9155. 143 Landratsamt Wolfratshausen an die Regierung von Oberbayern, 1. 7. 1953, in: StA München, Landratsamt Wolfratshausen 144809. 144 Vgl. hierzu die Berichterstattung in den Münchner Jüdischen Nachrichten, 21. 3. 1954. 145 Der Joint zahlte ebenfalls Zuschüsse, deren Höhe sich nach dem Einwanderungsland richtete. Protokoll über die Sitzung des Vorstandes der ZWST, 14. 3. 1955, in: ZA, B.1/7.158; Königseder/ Wetzel, Lebensmut, 164 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

224

Die Politik

Kranken auch beim zweiten Termin am 31. März 1955146 entschieden entgegenstellten: Durch einen Hungerstreik und die Androhung von Suizid, sollten ihre Wünsche hinsichtlich einer Verlegung nicht berücksichtigt werden, artikulierten die dreizehn Patienten ihren Protest, der auch den Vorstand der ZWST und das Direktorium des Zentralrats beschäftigte. Solange das Lager noch existierte, wollten die Kranken in Föhrenwald verbleiben und einer anschließenden Verlegung nur zustimmen, wenn sie weiterhin gemeinsam untergebracht würden.147 Während der Vorsitzende der ZWST, Simonsohn, die Meinung vertrat, dass die für die DPs zuständigen jüdischen Institutionen „davon abkommen [müssten], uns durch Geschrei erpressen zu lassen“, gab der bayerische Delegierte Graubard zu bedenken, daß hier der Mut zur Unpopularität wohl am wenigsten gegeben sei. Es sei leicht, mit starken Worten um sich zu werfen, und plötzlich stünde man dann vor einer Situation, in der man gerne alles wieder rückgängig machen würde. Die Juden sähen in Föhrenwald irgendwie das Symbol der letzten Verfolgten des Nazi-Regimes. Es dürften keine Zwangsmassnahmen angewendet werden. Man müßte den Mut haben, mit den Leuten zu sprechen und sie zu überzeugen.148

In der Angelegenheit der Föhrenwalder Krankenhauspatienten entschied man sich letztlich, die Kranken nicht in ihrem Protest zu unterstützen, sondern teilte diesen in einem Telegramm mit, dass Joint und jüdische Gemeinden alles Erdenkliche zum Besten der 15 Kranken vorbereitet haben STOP Unterstützen diese im Interesse der Kranken gemachten Vorschläge STOP Halten Hungerstreik für sinnlos und nicht im Interesse der Kranken.149

Obwohl also auch die Verantwortlichen der jüdischen Organisationen, die selber großes Interesse an der Auflösung Föhrenwalds hatten, die Schließung des Krankenhauses unterstützten, dauerten die Spannungen bis zum 1. September 1955 an, als das Krankenhaus nach der Verlegung der letzten Patienten in ein Heim in der Schweiz endgültig geschlossen wurde.150 Unter diesen Umständen war an eine Auflösung des Regierungslagers zum ursprünglich angesetzten Termin nicht zu denken und den Vertretern der deutsch-jüdischen Institutionen wurde einmal mehr vor Augen geführt, wie groß die Widerstände von Seiten der DPs gegen die Auflösung Föhrenwalds waren. 146 Die deutschen Behörden hatten den ersten Termin auf den 1. 12. 1953 festgesetzt, aufgrund der Proteste von Patienten jedoch zunächst von einer Schließung abgesehen. Königseder/Wetzel, Lebensmut, 161 f. 147 Bayerische Landpolizei. Landpolizeidirektion Oberbayern an das Präsidium der Bayerischen Landpolizei München, 15. 3. 1955, in: StAM, Polizeipräsidium Oberbayern 298; Protokoll über die Sitzung des Vorstandes der ZWST, 14. 3. 1955, in: ZA, B.1/7.158. 148 Protokoll über die Sitzung des Vorstandes der ZWST, 14. 3. 1955, in: ZA, B.1/7.158. 149 Ebd. 150 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 161 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 225

Aufgrund der Erfahrungen nach einzelnen Eingliederungsversuchen Anfang 1955 stimmten die deutsch-jüdischen Repräsentanten mit den Mitarbeitern des Joint überein, daß die 1500 Leute einen großen Bestandteil an ,schwierigen Fällen‘ haben – kriminelle Fälle, Post-TB-Fälle, chronische Kranke, daß die Leute z. T. sehr demoralisiert sind durch den langen Lager-Aufenthalt und es schwer finden, sich einzugliedern. Die Auswanderungsmöglichkeiten sind z. T. auch durch die Auswanderungsbestimmungen beschränkt. […] In Südamerika kann man diese „schwierigen Fälle“ nicht nehmen. Das heißt natürlich, daß diese Leute unter denen sind, die […] eingegliedert werden müßen, und sie haben als deutsche Gemeinde natürlich keine Wahl. – Wenn Städte wie Frankfurt 200 Föhrenwalder bekommen, ist das eine große Belastung und es wird Schwierigkeiten geben. Wenn keine Katastrophe eintreten soll, wird eine sorgfältige Vorbereitung notwendig sein. […] Wir wissen aus Erfahrung, dass die Föhrenwalder sehr aufgeregte Menschen sind und wir möchten eine Wiederholung der früheren Ereignisse vermeiden.151

Als Ergebnis dieser Situationsanalyse wurde entschieden, zur Unterstützung der Gemeinden, die sich bereit erklärten, Föhrenwalder aufzunehmen, fünf fürsorgerische Fachkräfte einzustellen.152 Die zusätzlichen Mitarbeiter der ZWST wurden beauftragt, „die Eingliederung der Familien aus Föhrenwald, die im Laufe dieses Sommers erfolgen muss, durchzuführen und sämtliche damit entstehenden Probleme zu behandeln“153. Die Räumung des Lagers machte auch im folgenden Jahr nicht zuletzt deshalb nur wenig Fortschritte, „weil das Bauprogramm in den Städten immer wieder hinausgeschoben“154 wurde. Umfangreichere Maßnahmen wurden schließlich erst im November 1956 ergriffen und 145 Bewohner in drei Münchner Flüchtlingslager und ein Lager in Ingolstadt verteilt.155 Die verbleibenden 789 DPs wurden gegen große Widerstände in verschiedenen Städten Deutschlands untergebracht,156 wo sich die jüdischen Gemeinden in Zusammenarbeit mit der ZWST notgedrungen 151 Protokoll über die Sitzung des Vorstandes der ZWST, 14. 3. 1955, in: ZA, B.1/7.158. Vgl. hierzu auch Protokoll der Vorstandssitzung der ZWST, 11. 7. 1955, in: ZA, B.1/7.158. 152 Allgemeines Rundschreiben Nr. 19 von der ZWST an alle Landesverbände, die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg, Köln und alle Vorstandsmitglieder, gez. Dr. B. Simonsohn, 20. 10. 1955, in: ZA, B.1/7.158. 153 Vorschlag für eine Neuorganisation der ZENTRALWOHLFAHRTSSTELLE DER JUDEN IN DEUTSCHLAND e.V. [o. D.]; Protokoll der Vorstandssitzung der ZWST, 19./20. 3. 1956, beide in: ZA, B.1/7.158. 154 Protokoll der Vorstandssitzung der ZWST, 11. 7. 1955, in: ZA, B.1/7.158. Zur Durchführung des Programms vgl. auch Allgemeines Rundschreiben Nr. 19, von der ZWST an alle Landesverbände, die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg, Köln und alle Vorstandsmitglieder, gez. Dr. B. Simonsohn, 20. 10. 1955, in: ZA, B.1/7.158. 155 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 170. 156 Die Mehrheit der Föhrenwalder wurde in München (492) und Frankfurt (125) untergebracht; darüber hinaus nahmen noch Düsseldorf, Köln, Wiesbaden, Stuttgart, Hamburg, Nürnberg und Kaiserslautern Bewohner des Regierungslagers auf.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

226

Die Politik

um die Betreuung und Eingliederung der zugewiesenen Überlebenden bemühten.157 Nach der Schließung des Lagers am 28. Februar 1957 wurde die Siedlung Föhrenwald mit Unterstützung des Staates und des Katholischen Siedlungs- und Wohnungsbauwerkes renoviert und anschließend von Wolfratshausener Familien bezogen.158 Die vielfach als schwierig erachtete Integration der ehemaligen Föhrenwalder in ihrem jeweils neuen Umfeld verlief einer Studie aus dem Jahr 1959 zufolge vergleichsweise erfolgreich, allerdings bestand bei etwa einem Drittel der Eingegliederten nach wie vor ein Auswanderungswunsch.159 1.1.4 Fazit Ohne Zweifel ist die Auerbach-Affäre eines der markantesten Beispiele für einen aufsehenerregenden Skandal um einen einzelnen Repräsentanten der deutsch-jüdischen Gemeinschaft nach 1945. Erst Ende der 1980er Jahre, als die Nachricht über die Veruntreuung von Zinserträgen von Wiedergutmachungsgeldern der Bundesregierung durch Werner Nachmann an die Öffentlichkeit gelangte, war die jüdische Gemeinschaft mit einer vergleichbaren Herausforderung konfrontiert.160 Die Ereignisse im Landesentschädigungsamt München zu Beginn der 1950er Jahre und der Prozess gegen den Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in München waren jedoch nicht nur ein öffentliches Spektakel mit stark antisemitischen Tendenzen, sondern stellten auch die erste und für viele Jahre die größte Bedrohung der inneren Einheit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und des Zusammenhalts ihres gerade neu gegründeten Dachverbands dar. Mit viel Mühe und nicht ohne Ansehensverlust gelang es den zentralen Figuren der deutsch-jüdischen Gemeinschaft in der Nachkriegszeit, den Zusammenschluss aufrechtzuerhalten: So war 1953 weder der Generalsekretär des Zentralrats dem gegen ihn vorgebrachten Misstrauensvotum zum Opfer gefallen, noch war der bayerische Landesverband aus dem Zentralrat ausgetreten. Vielmehr erklärte der Vorsitzende des bayerischen Landesverbandes, Weinberger, auf der Jahresabschlusssitzung des Landesausschusses des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern vom 20. Dezember

157 Niederschrift für die Zentralratstagung, 27./28. 11. 1955, 8, in: ZA, B.1/7.221.61; Protokoll der Vorstandssitzung der ZWST, 20. 12. 1955, in: ZA, B.1/7.158; Allgemeines Rundschreiben Nr. 64/57 der ZWST, 22. 3. 1957, in: ZA, B.1/7.159. 158 Königseder/Wetzel, Lebensmut, 172. 159 Zur Lebenssituation der ehemaligen Föhrenwalder im Sommer 1959 vgl. Menke, Die soziale Integration. In ähnlicher Weise äußert sich Lilli Marx, „Wie können Sie nur in Deutschland leben?“, 106 f. 160 Vgl. hierzu Kauders, Unmögliche Heimat, 152 – 156.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 227

1953 in München: „Zwischen dem Zentralrat und dem Landesverband Bayern herrscht das beste Einvernehmen.“161 Das letzte jüdische DP-Lager Föhrenwald konnte wenige Jahre später, im Februar 1957, geschlossen werden und den Bewohnern, trotz zwischenzeitlich massiver Widerstände, letztlich entweder eine Möglichkeit zur Auswanderung oder zur „Integration“ angeboten werden. Wie die Ereignisse in Vorbereitung der Auflösung Föhrenwalds zeigen, versuchte man trotz enormer Schwierigkeiten auch im Zusammenhang mit dem Problem der „Illegalen“ und der Integration der „Übriggebliebenen“ an der „Politik der Einheit“ festzuhalten. Konkret hieß dies, sich von den zwei als problematisch angesehenen Personengruppen nicht abzuwenden, sondern im Einklang mit den Gemeindeinteressen die Bedürfnisse der illegalen Rückwanderer bzw. der zurückgebliebenen DPs gegenüber deutschen Stellen zu vertreten und eine gewisse Kompromissbereitschaft an den Tag zu legen, um der sozialen, religiösen und kulturellen Vielfalt in den Repräsentationsorganen Rechnung zu tragen. Die durch die geschilderten Vorgänge entstandenen Auseinandersetzungen und damit einhergehenden internen Spannungen zwischen den Funktionären und den Herkunftsgruppen fanden – von vereinzelten Ausnahmen abgesehen – keinen Eingang in die Berichterstattung der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland. Stattdessen veröffentlichte Marx in seiner Zeitung wie bereits in den späten 1940er Jahren Aufrufe zur Einigkeit, in denen er die „wenigen, die […] verschont geblieben waren von dem grauenhaften Schicksal unserer Brüder“, an ihre Verantwortung zu erinnern versuchte. In diesem Sinne nutzte er beispielsweise die Erklärung Adenauers vor dem deutschen Bundestag im September 1951, um seinen Glaubensgenossen Anfang Oktober desselben Jahres, als sich die Auseinandersetzungen mit dem bayerischen Landesverband am Horizont abzeichneten, die Notwendigkeit des Zusammenhalts vor Augen zu führen: Die Bundesregierung hat die erste bündige Erklärung abgegeben, daß sie bereit ist, wiedergutzumachen und aufzubauen – moralisch und materiell –, was der Nationalsozialismus verbrecherisch zerstörte. In ihrer Erklärung, die sie für das ganze deutsche Volk abgab, und welche sie an uns Juden in Deutschland, an die Juden in aller Welt und an den Staat Israel richtete, wendet sie sich an uns alle. Darum aber müssen auch wir alle in unserer Stellungnahme zu dem offenbar gewordenen guten Willen das in den Vordergrund stellen, was wir in den letzten Jahren oft vermissen ließen: Einigkeit.162

Das Verschweigen der Konflikte unter gleichzeitigem Fokussieren auf die Einigkeit kann als Fortsetzung der von Marx schon in den 1940er Jahren betriebenen Bemühungen verstanden werden, die Ausgangsposition für die von 161 Protokoll der Sitzung des Landesausschusses des LV Bayern, 20. 12. 1953, 8, in: LV. Isr. Kultusgemeinden, Protokolle 52 – 57. 162 Karl Marx, Jom Kippur – Tag der Versöhnung – Tag der Besinnung, in: AWJD, 5. 10. 1951.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

228

Die Politik

ihm angestrebten Verhandlungen zwischen der jüdischen Minderheit und der deutschen Regierung zu verbessern.163 Wie die „Bayern-Frage“ eindeutig veranschaulicht, war es auch den Mitgliedern des Direktoriums des Zentralrats und seinem Generalsekretär ein zentrales Anliegen, gegenüber ihren Gesprächspartnern als Interessenvertretung aller Juden in Deutschland in Erscheinung treten zu können. Auch wenn es also zwischen dem Herausgeber der Allgemeinen und den Mitgliedern des Direktoriums des Zentralrats immer wieder zu Abstimmungsschwierigkeiten kam, legt das Schweigen der Zeitung zu den geschilderten Auseinandersetzungen einerseits und das gleichzeitige Veröffentlichen von Resolutionen des Zentralrats andererseits nahe, dass die Verantwortlichen bei Zeitung und Zentralrat im Interesse des geschlossenen Auftretens nach außen gemeinsam versuchten, einer „Zersplitterungspolitik“ entgegenzuwirken.

1.2 „Innere Pluralität“164 – Herausforderungen für die Einheit im Wandel der Zeit Die hart erkämpfte Einheit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland blieb auch nach dem erfolgreichen Bestehen der ersten Bewährungsproben ein zerbrechliches Gut. Während der 1950er und 1960er Jahre, in denen der Ausbau des deutsch-jüdischen Lebens sichtbar voranschritt, waren es ganz unterschiedliche Kontexte, in denen dieses Thema erneut verhandelt wurde. Zur Illustration der Entwicklungen innerhalb der deutsch-jüdischen Repräsentanz sollen im Folgenden nicht alle Ereignisse einzeln nachgezeichnet, sondern exemplarisch zwei Themen vorgestellt werden, die unterschiedliche Aspekte der Einheit bzw. Vielfalt der sich pluralisierenden jüdischen Gemeinschaft dokumentieren. Während im Rahmen der Analyse der notwendigen Neuausrichtungen vor allem Positionen und Perspektiven der Zusammenarbeit jüdischer Institutionen diskutiert werden, stehen unter dem Motto der identitätsstiftenden Inszenierungen die Versuche der Demonstration von Einheit im Mittelpunkt der Betrachtung. Abschließend geht es dann um die schwierige Realität, in der Konsens und Zustimmung doch häufiger abwesend waren, und Konkurrenz und Zwietracht das Miteinander bestimmten.

163 Vgl. hierzu die Argumentation in Kapitel III.1.2. 164 Zu Begriff und Bedeutung der „Inneren Pluralität“, der im vorliegenden Fall am ehesten mit dem Begriff der „Vielstimmigkeit“ gleichgesetzt werden kann, vgl. Schulz von Thun, Miteinander reden, bes. Bd. 3.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 229

1.2.1 „Selbstaufgabe oder zähes Ringen um die Existenz?“165 Über notwendige Neuausrichtungen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland „Im Sinne der Normalisierung und Konsolidierung der jüdischen Gemeinschaft bedarf auch die zentrale Instanz, wenn sie nicht der Erstarrung anheimfallen soll, einer Reorganisation“, schrieb van Dam in seinem Bericht vom 8. Oktober 1953. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits konkrete Gedanken entwickelt, wie eine solche Umgestaltung aussehen könnte: Die Statuten müssen sich der Entwicklung anpassen, nach der es heute keine Zentralkomitees mehr gibt, sondern nur noch jüdische Gemeinden, die entweder bereits Körperschaften öffentlichen Rechts sind oder werden. Daher sollte aus dem Zentralrat der Juden in Deutschland seiner Aufgabe entsprechend ein Zentralrat der jüdischen Gemeinden werden, der ebenfalls Körperschaftsrechte erhält. Die Landesverbände sollten nach Maßgabe ihrer Mitgliederzahl im Zentralrat vertreten sein und die Wahl aller Funktionäre muß in demokratischer Weise erfolgen. Der Zentralrat sollte neben der Wiedergutmachungstätigkeit, die zeitbedingt ist, auch auf anderen Gebieten tätig sein, vor allem in kultureller Hinsicht. Hierfür sind die geeigneten Personen erforderlich. Auch kann ohne entsprechende Geldmittel von einem Zentrum aus eine derartige Arbeit nicht geleistet werden. Die Arbeit muß auf eine Anzahl von Fachkräften verteilt werden, so daß dem Leiter des Sekretariats nicht der Vorwurf gemacht werden kann, das er sich auf das eine oder andere Gebiet konzentriert, was bisher unvermeidbar war. Um eine Koordinierung der Kräfte vorzunehmen, müssen aber auch Kräfte einsatzbereit vorhanden sein. Schließlich wäre es dringend erwünscht, wenn sich repräsentative Persönlichkeiten des öffentlichen und Wirtschaftslebens dem Zentralrat zur Verfügung stellen würden, was der Autorität dieser Instanz nur zugute kommen würde.166

Während der ersten drei Jahre hatten andere Entwicklungen die Aufmerksamkeit der zentralen Interessenvertretung in Anspruch genommen. Zum einen waren die Fragen der Wiedergutmachung Anfang der 1950er Jahre besonders akut und ihre Bearbeitung konnte, sollten die Interessen der Juden in Deutschland berücksichtigt werden, nicht aufgeschoben werden.167 Zum anderen hatte es aufgrund der weltpolitischen Entwicklungen tatsächlich strukturelle Veränderungen in der Zusammensetzung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und ihrer Repräsentanz gegeben, die sich deutlich auf die Zusammensetzung des Direktoriums auswirkten: Mit Wollheim und Auerbach hatten die beiden charismatischsten Vertreter des jüdischen Lebens der unmittelbaren Nachkriegsjahre die politische Bühne in Deutschland endgültig verlassen und hinterließen ein gewisses Machtvakuum, das von 165 Bericht des Generalsekretärs, 8. 10. 1953, in: ZA, B.1/7.246. 166 Ebd. 167 Vgl. hierzu Kapitel IV.2.1.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

230

Die Politik

keinem anderen Direktoriumsmitglied ausgefüllt werden konnte. Am ehesten kam diese Aufgabe dem Generalsekretär zu, der insbesondere in seinem Spezialgebiet, dem Bereich der Wiedergutmachung, intensive Aktivität entfaltete und sich durch seine Sachkenntnis bewährte.168 Im selben Zeitraum war, nach der Staatsgründung Israels 1948, die Mehrheit der jüdischen DPs ausgewandert und ihre Interessenvertretungen – wie von van Dam angesprochen – hatten zunächst ihre Arbeit reduziert und sich schließlich vollständig aufgelöst.169 Diese Vorgänge wirkten auf die jüdische Gemeinschaft, und nach dem Suizid Auerbachs drängte der Landesverband Bayern auf die Aufnahme eines von ihm benannten Vertreters in das Direktorium des Zentralrats, das im Interesse der Wahrung der Einheit einer Erweiterung dieses Gremiums zugestimmt hatte.170 Die Bemühungen um eine Reorganisation des Zentralrats mussten allerdings nicht nur diesen historischen Entwicklungsprozessen Rechnung tragen; geführt wurden die Diskussionen um Neuausrichtungen zumeist als Reaktion auf Kritik an der Arbeitsweise des Sekretariats, die entweder von außen an den Zentralrat herangetragen oder von den Mitgliedern des Direktoriums selbst artikuliert wurde. Wie bereits erwähnt, hatten zu Beginn der 1950er Jahre vor allem Auerbach und Wollheim die Mehrheit der repräsentativen Aufgaben wahrgenommen und sich um die Kontakte zu deutschen Politikern, zu ausländischen jüdischen Organisationen und nach Israel bemüht. Nach ihrem Ausscheiden konzentrierte sich die Arbeit in der Person des Generalsekretärs, der sich aufgrund seiner umfassenden Befugnisse immer wieder mit unterschiedlichsten Vorwürfen konfrontiert sah. So sprach beispielsweise Karl Marx, der für sich selbst das Recht in Anspruch nahm, als Sprecher der Juden in Deutschland aufzutreten, gegenüber seinem Streitpartner Julius Dreifuß von dem großen „Geltungsbedürfnis“ des Generalsekretärs, das durch dessen Arbeitsfülle befördert werde;171 von anderer Seite wurde van Dam wiederum vorgeworfen, dass aufgrund der Arbeitsdichte „der geschäftliche Verkehr mit dem Generalsekretariat des Zentralrats […] außerordentlich schwierig [sei], was damit beginnt, daß Briefe zum Teil gar nicht und zum Teil erst nach sehr langer Zeit beantwortet werden“172. Während es sich bei dem Kommentar des Herausgebers der Allgemeinen um eine missgünstige Charakterisierung des Generalsekretärs handelte, die dieser mit dem Hinweis abtat: „Auch ich mag Geltungsbedürfnis haben, glaube indessen, hier kein Monopol in Anspruch nehmen zu können“, unterstrich die Kritik an der Arbeitsweise des Zentralrats

168 Vgl. z. B. die Diskussion auf der Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, in: ZA, B. 1/7. 221.13. 169 Vgl. hierzu Kapitel I. 170 Vgl. hierzu die Diskussion in Kapitel IV.1.2. 171 H.G. van Dam an Julius Dreifuß, Düsseldorf, 9. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.227. 172 Hans Schüller, Alleininhaber der Firma SCHÜLER & Co, Ledergroßhandel, Frankfurt am Main, an Leopold Goldschmidt, 27. 2. 1953, in: ZA, B.1/7.120.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 231

die Notwendigkeit, sich endlich mit der Organisationsfrage zu befassen.173 Diese war seit den ersten Tagen des Zentralrats unter den Mitgliedern des Direktoriums immer wieder diskutiert worden: So hatte van Dam im April 1951 „die Aufteilung in einzelne Dezernate“174 vorgeschlagen, um die Arbeit des Dachverbands zu konzentrieren. Ein Jahr später hatte Galinski erneut mahnend darauf hingewiesen, „daß der Zentralrat eine vollkommen einseitige Tätigkeit hat, da er sich bis heute [1952] ausschließlich mit Wiedergutmachungsfragen beschäftigt hat“175. Die Teilnahme van Dams als Sachverständiger an den Wiedergutmachungsverhandlungen in Den Haag hätte ferner eine Vernachlässigung anderer wichtiger Aufgaben zur Folge gehabt, monierte Galinski. So habe der Generalsekretär beispielsweise „keine Zeit gefunden, sich auch um die Bundesentschädigungsgesetzgebung zu kümmern“176. Galinski war überdies der Meinung, „daß eine Spitzen-Organisation auch andere Aufgaben zu erfüllen hat, denn sonst können wir uns ja zusammenschließen als Interessengemeinschaft für Wiedergutmachungsfragen“. So müsse es die Aufgabe des Zentralrats sein, „Vorträge zu arrangieren, um auch den kleinen Gemeinden etwas zu geben, [und] sich der Rabbiner, die wir nun […] hier haben, zu bedienen, um sie zu einer aktiven zentralen Arbeit heranzuziehen“, um die Gemeinden zu unterstützen, „die auf kulturellem und religiösem Gebiet vollkommen verwaist sind“. Der vor allem zwischen Galinski und van Dam ausgetragene Schlagabtausch endete mit der Aufforderung Galinskis, „zur Erfüllung unserer Aufgaben uns der bestehenden Körperschaft [zu] bedienen, da wir nicht in der Lage sind, die ganze Arbeit allein zu bewältigen“. Einen ersten Schritt zur Verwirklichung einer Aufgabenteilung und Entlastung des Sekretariats war die jüdische Gemeinschaft schon 1951 gegangen, als das Direktorium des Zentralrats auf seiner Sitzung vom 8. Januar beschlossen hatte, „auch die Wohlfahrtstätigkeit für das Bundesgebiet zentral zu regeln und die Anerkennung einer Zentral-Wohlfahrtsorganisation zu beantragen“177. Zu diesem Zeitpunkt war die Wohlfahrtstätigkeit der jüdischen Gemeinden bzw. ihrer Landesverbände bereits auf Länderbasis anerkannt; zur Koordination der Arbeit hielten die Mitglieder des Direktoriums eine Zusammenfassung auf der Bundesebene jedoch für dringend erforderlich. Nach Eingang des positiven Bescheides des Bundesinnenministeriums, das „die beabsichtigte Gründung eines zentralen jüdischen Wohlfahrtsverbandes für das gesamte Bundesgebiet [begrüßte und ankündigte,] den Verband als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege [zu] behandeln“178, wurde die 173 174 175 176

H.G. van Dam an Leopold Goldschmidt, 5. 3. 1953, in: ZA, B.1/7.120. Protokoll der Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, in: ZA, B.1/7.221.13.24. Protokoll der Zentralratstagung, 31.8./1. 9. 1952, in: ZA, B.1/7.857. Dieses und die Zitate des folgenden Absatzes sind entnommen aus dem Protokoll der Zentralratstagung, 31.8./1. 9. 1952, in: ZA, B.1/7.857. 177 Zentralrat an den Bundesminister des Innern, 25. 1. 1951, in: ZA, B.1/7.157. 178 Bundesinnenminister an den Zentralrat, 29. 3. 1951, in: ZA, B.1/7.157.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

232

Die Politik

jüdische Zentralwohlfahrtsstelle am 20. August 1951 in Berlin gegründet und am 4. Februar 1952 in das Vereinsregister beim Amtsgericht Hamburg eingetragen.179 Um den neuen Gegebenheiten, dass viele Juden anderer Nationalitäten in der Bundesrepublik lebten, Rechnung zu tragen, wurde der Name der alten Wohlfahrtsstelle, „Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden“, bei der Neugründung in „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“ (ZWST) geändert.180 Die Form eines eingetragenen Vereins musste gewählt werden, weil dies dem Wunsch des Bundesinnenministeriums entsprach. Für die Anerkennung der ZWST ging die Bundesregierung davon aus, „daß als Spitzenverband nicht der Zentralrat der Juden in Deutschland, d. h. die Zusammenfassung der israelitischen Kultusgemeinden, sondern, wie dies auch bis zum Jahre 1932 der Fall war und auch dort wohl in Aussicht genommen ist, eine besondere ausschließlich gemeinnützigen Zwecken dienende Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit in Betracht kommt“181. Ferner war es ein Anliegen des Ministeriums, dass die Verwaltung der Gelder, die der Zentralinstanz für Wohlfahrtszwecke zuflossen, strikt von der Arbeit des Sekretariats losgelöst würde, d. h. „die eigentliche politische Aufgabe von der Wohlfahrtsarbeit, insbesondere aber der Verteilung der Wohlfahrtsgelder, scharf getrennt werde“182. Alle Teilnehmer an der Sitzung des Zentralrats waren sich aufgrund dieser Argumentation darüber einig, „daß diese Selbständigkeit de jure unumgänglich ist, andererseits jedoch in der Praxis die Zentralwohlfahrtsstelle wie irgend ein anderer Beirat beim Zentralrat tätig sein soll“183. Die ZWST verfügte somit über einen eigenen Vorstand und einen vom Zentralrat unabhängigen Geschäftsführer, eine Position die von 1951 bis 1961 von Berthold Simonsohn ausgeübt wurde.184 Dieser stellte jedoch in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Zentralrats fest, dass „trotz der organisatorischen Selbständigkeit […] die engste Zusammenarbeit mit dem Zentralrat gewährleistet [sein muss]“185. 179 Beschlussprotokoll der Direktoriumssitzung, 9. 7. 1951, in: ZA, B. 1/7.221.14; Erklärung zur Gründung der ZWST, 24. 8. 1951, in: ZA, B.1/7.157; Jüdische Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik im Wandel der Zeiten, in: AWJD, Beilage, 14. 3. 1952; Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn, 198 – 202; Scheller, Zedaka. 180 Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn, 201; Heuberger, Die Gründung. 181 Bundesinnenminister an den Zentralrat, 29. 3. 1951 betreffs Gründung der ZWST, in: ZA, B.1/ 7.157. Vgl. hierzu auch Beschlussprotokoll der Direktoriumssitzung des Zentralrats, 9. 7. 1951, in: ZA, B.1/7.869. 182 Konzeptionelle Überlegungen des Generalsekretärs des Zentralrats, H.G. van Dam, zur ZWST, 20. 6. 1954, in: ZA, B.1/7.157. 183 Erklärung zur Gründung der ZWST, 24. 8. 1951, in: ZA, B.1/7.157. 184 Zu Vorstand und Ehrenpräsident der ZWSTvgl. Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn, 199 f; Jüdische Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik im Wandel der Zeiten, in: AWJD, Beilage, 14. 3. 1952. 185 Simonsohn, Spiegelbild jüdischer Gegenwartssituation, in: AWJD, Beilage, 14. 3. 1952. Zu Aufbau und Entwicklung der ZWST vgl. Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn, 202 – 212.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 233

Als Dachorganisation gehörten die Vertretung der Interessen der jüdischen Gemeinden gegenüber den Bundes- und Landesbehörden und den Organisationen der freien Wohlfahrtspflege sowie die beratende Koordinierung der Sozialarbeit der Gemeinden zu den Hauptaufgaben der ZWST.186 Um ihre Arbeit aufnehmen zu können, erhielt die ZWST aus Bundesmitteln eine „sehr schmale Bundessubvention“187, die für alle zentralen und übernationalen Aufgaben, jedoch nicht für Aufgaben auf lokaler und Landesebene Verwendung finden sollte.188 Insgesamt bezifferten die Verantwortlichen der ZWST die monatlichen Kosten auf 182.750 DM189, die man zunächst durch Bundeszuschüsse begleichen wollte.190 Allerdings konnte bereits 1954, nach erfolgreichen Verhandlungen des Zentralrats mit den ausländischen jüdischen Organisationen, das Budget der ZWST aus den Mitteln des Globalabkommens bezogen werden.191 Entsprechend dem erhaltenen Quellenmaterial funktionierte die Zusammenarbeit zwischen Simonsohn und van Dam, den zwei Verwaltungsköpfen der zentralen Organisationen, vergleichsweise gut. Beide hatten bereits vor der Gründung des Zentralrats und der ZWST zusammengearbeitet: Als Mitglieder des Vorstands der Jüdischen Gemeinde in Hamburg trafen sie regelmäßig zusammen und waren zudem beide intensiv mit dem Thema der Wiedergutmachung befasst – van Dam als Legal Adviser der JRU und Simonsohn als Referent für Wiedergutmachungsfragen der Jüdischen Gemeinde Hamburg.192 Diese Zusammenarbeit setzte sich auch fort, als beide Juristen für den Zentralrat bzw. die ZWST tätig waren: So wählte der 1951 vom Zentralrat zur 186 Der Zuständigkeitsbereich der ZWST erstreckte sich mit Ausnahme von Bayern und Hessen, die noch bis 1956 vom Joint betreut wurden, auf das Gebiet der Bundesrepublik und Berlin. Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn, 202. 187 Konzeptionelle Überlegungen des Generalsekretärs des Zentralrats, H.G. van Dam, zur ZWST, 20. 6. 1954, in: ZA, B.1/7.157. 188 Auszug aus dem Rundschreiben der ZWST an die Fürsorgeabteilungen der Landesverbände, Jüdischer Gemeinden, sowie der Jüdischen Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg, und Köln, 21. 7. 1952, in: ZA, B.1/7.157. 189 Budget für die ZWST, 19. 9. 1952 sowie Bemerkungen zum Budget der ZWST, 19. 9. 1952, beide in: ZA, B.1/7.157. 190 Memorandum über die Lage der ZWST im Hinblick auf die Höhe des zu gewährenden Bundeszuschusses, 6. 2. 1953, in: ZA, B.1/7.157. 191 Konkret hatte man sich am 13. 4. 1954 auf eine Summe von 1.699.000 DM geeinigt, die durch das AJDC für das Jahr 1954 bereitgestellt wurde. In den folgenden Jahren erfolgte die Zuweisung der Mittel auf Grundlage eines von der ZWSTeingereichten Budgetplans. Brief des AJDC/ Mr. Rice, 16. 4. 1954 an Dr. Simonsohn/ZWST, in: ZA, B.1/7.157. Zu den Einzelheiten der Wiedergutmachungsverhandlungen und dem 1952 zwischen der BRD sowie der Claims Conference und dem Staat Israel unterzeichneten Globalabkommen vgl. Kapitel IV.2.1. 192 Zur Einschätzung der Qualifikation Simonsohns durch van Dam vgl. H.G. van Dam an die Mitglieder des Direktoriums und Stellvertreter, alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg und Köln und an die Vorstandsmitglieder der ZWST, 20. 6. 1954, in: Archiv JA, ZR 1950 – 1960; Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn, 196 f. Zur Zusammenarbeit vgl. auch die gesammelten Unterlagen in StAHH, 522 – 2, Akt 597 (Abl. 2005/1); StAHH, 522 – 2, Akt 607 (Abl. 2005/1); StAHH, 522 – 2, Akt 608 (Abl. 2005/1).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

234

Die Politik

Abb. 7: Dr. Berthold Simonsohn, Heinz Galinski und Dr. Hendrik G. van Dam (v.l.) als Vertreter des Zentralrats auf einer internationalen Tagung, November 1960.

Unterstützung der Überlebenden bei der Durchsetzung berechtigter Ansprüche auf Entschädigung gegründete Wiedergutmachungsausschuss van Dam zum Vorsitzenden und Simonsohn zum stellvertretenden Vorsitzenden.193 Ferner war durch die satzungsmäßig festgelegte Mitwirkung der ZWST an der Wiedergutmachungsgesetzgebung eine enge Kooperation der zwei Einrichtungen zu erwarten, in deren Rahmen die Mitarbeiter der ZWST dem Sekretariat einige Arbeit in diesem Bereich abnehmen konnten. Um die geforderte Trennung von politischer Arbeit und Wohlfahrtstätigkeit zu gewährleisten, hielt sich van Dam auf dem Gebiet der sozialen Arbeit bewusst zurück.194 Ende 1951 hatte sich die Arbeit des Sekretariats um einen großen Aufgabenbereich reduziert und die jüdische Gemeinschaft in Deutschland konnte eine für sie wichtige und wertvolle Erweiterung ihrer institutionellen Repräsentanz verbuchen. Mit der Gründung der ZWST war aber nicht nur eine für die jüdische Minderheit wichtige Sozialeinrichtung entstanden, sondern auch ein deutliches Zeichen gesetzt, dass die jüdischen Gemeinden ihre Existenz nicht (mehr) als vorübergehend betrachteten, sondern begannen, eine längerfristige Organisationsstruktur zur Wahrnehmung der Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland aufzubauen. 193 Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn, 230 f. 194 Konzeptionelle Überlegungen des Generalsekretärs des Zentralrats, H.G. van Dam, zur ZWST, 20. 6. 1954, in: ZA, B.1/7.157; Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn, 203 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 235

Mit dieser praktisch-rechtlich motivierten Entscheidung zur Gründung einer zentralen Wohlfahrtseinrichtung war allerdings der Forderung Galinskis an das Direktorium des Zentralrats, sich um Kultur und Kultusangelegenheiten zu bemühen, noch keine Folge geleistet. Äußerungen van Dams in der Allgemeinen deuten darauf hin, dass es um die innerjüdische Einheit zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt zum Besten bestellt war. So forderte er beispielsweise im September 1952, es könne „nicht nur darauf ankommen, eine ,jüdische Politik‘ zu treiben, sondern [es sei wichtig,] im Verhältnis der Juden untereinander, aber auch in den Beziehungen mit anderen Völkern und Menschen zu der Haltung zurückzufinden, die durch die jüdische Tradition und unser Sittengesetz bestimmt wird“195. Während sich diese Worte nicht zwangsläufig auf die Situation der Juden in Deutschland bezogen, rief er in seinem Beitrag „Instrument einheitlicher Willensbildung“ insbesondere die Juden in Deutschland zur Einheit und Unterstützung der Idee des Zentralrats auf: Bei aller Erkenntnis der Dezimierung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ist jedoch das Instrument der einheitlichen Willensbildung und einheitlicher Interessenvertretung weiter zu stärken und organisatorisch auszubauen. Hierfür sind personelle und materielle Voraussetzungen zu schaffen. Der Gesichtspunkt der Einheit der Juden in Deutschland ist einleuchtend. Er wird indessen ergänzt durch das Erfordernis einer unerbittlichen Selbstkontrolle und der Aufrechterhaltung oder Wiedergewinnung einer Tradition, die der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland einen Namen in der Welt geschaffen hat.196

Konkrete Handlungen in Richtung der von Galinski geforderten Erweiterung bzw. Anpassung der Zentralratsarbeit erfolgten erst, nachdem dieser Ende 1953 erneut und vehement eine „völlige Reorganisation des Zentralrates“197 eingefordert hatte, die mit einer deutlichen Beschränkung der Befugnisse des Generalsekretärs einhergehen sollte. Die erste große Veränderung trat im November 1953 ein, als das Direktorium des Zentralrats mit Carl Katz (Bremen) erstmals einen Vorsitzenden bestimmte, der in der Zeit zwischen den Direktoriumssitzungen vor Entscheidungen vom Sekretariat konsultiert werden sollte.198 Van Dam sprach der Ernennung eines Vorsitzenden nur die Bedeutung zu, „daß bei allen Eilan195 H.G. van Dam, Zeitnahes Denken, in: AWJD, 26. 9. 1952. 196 v.D., Instrument einheitlicher Willensbildung. Nach der Tagung des Zentralrats der Juden in Deutschland, in: AWJD, 5. 9. 1952. 197 Heinz Galinski an das Direktorium des Zentralrats und H.G. van Dam, 16. 11. 1953, in: ZA, B.1/ 7.120. 198 Die Idee, einen Vorsitzenden des Direktoriums zu benennen, wurde u. a. im April 1951 im Zusammenhang mit der Frage der Effektivität des Sekretariats diskutiert, eine solche Position jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingerichtet. Vgl. hierzu Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, 3 (29. 4. 1951), in: ZA, B.1/7.221.13. Zur Wahl von Carl Katz vgl. Beschlussprotokoll der internen Direktoriumssitzung, 12. 11. 1952, 3, in: ZA, B.1/7.221.29.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

236

Die Politik

gelegenheiten und bei der Vorbereitung wichtiger Entscheidungen der Vorsitzende des Direktoriums konsultiert werden kann und die Verantwortung dann zwischen diesen beiden Funktionären geteilt wird“. Zugleich wies er jedoch darauf hin, dass die Geschäftsführung bei dem durch den Zentralrat bestimmten Generalsekretär verbleibe, war jedoch gewillt, über die selbstverständliche Kontrolle des Direktoriums hinaus auf dem Gebiete der inneren Finanzgebarung die unmittelbare Geschäftsführung dem zuständigen Direktor oder dem von diesem eingesetzten Beamten zu übertragen [und] auf dem Gebiet von Kultus und Kultur geschäftsführende Funktionen an einen anderen Beamten noch nach zu nehmenden Beschlüssen des Direktoriums abzugeben.199

Die zweite große Veränderung trat im September 1955 ein, als Dr. Hans Lamm seine Arbeit als Kulturdezernent des Zentralrats der Juden in Deutschland aufnahm.200 Zur großen Zufriedenheit von Galinski, der im Mai 1954 als Nachfolger von Carl Katz zum Vorsitzenden des Direktoriums gewählt worden war,201 hatte sich der Zentralrat bereits seit 1954 zunehmend im Bereich der Kulturarbeit engagiert. Als Vorsitzender der Kulturkommission, die seit der Direktoriumssitzung im November 1953 wiederholt getagt hatte, war Galinski nicht unwesentlich an dem Ausbau dieser Arbeit beteiligt.202 1955 hatte dann schließlich die Conference on Jewish Material Claims Against Germany, die seit 1951 die Ansprüche von Holocaust-Opfern gegenüber Deutschland vertrat und nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens 1952 für die Verteilung von Mitteln an Einzelpersonen und Organisationen aus den Globalzahlungen zuständig war, entschieden, „dass ein Kulturprogramm für die jüdischen Gemeinden in Deutschland begründet und durch die Mittel der Claims Conference finanziert werden sollte“203. In Ermangelung einer geeigneten Persönlichkeit innerhalb Deutschlands erschien es den Mitgliedern der Claims Conference notwendig, durch die Wahl einer geeigneten Person im Ausland sicherzustellen, dass ihre Pläne umgesetzt wurden. Ihre Wahl fiel auf Hans Lamm, der ihnen bereits durch seine Tätigkeit für die American Jewish Conference im Nachkriegsdeutschland bekannt war.204 Aufgrund einer früheren Bewerbung Lamms um eine Position bei der ZWST war auch der Ge199 H.G. van Dam an Carl Katz, Bremen, 17. 11. 1953, in: ZA, B.1/7.120. 200 Bericht über die Tätigkeit des Kulturdezernats für die Zeit vom 1. 9. 1955 bis 15. 12. 1956, in: ZA, B.1/7.336; Hans Lamm an H.G. van Dam, 5. 11. 1957, in: ZA, B.1/7.110. Teile der folgenden Ausführungen zur Arbeit des Kulturdezernats sind entnommen aus Sinn, „Und ich lebe wieder an der Isar“, 112 – 120. 201 Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 2. 5. 1954, 1, in: ZA, B.1/7.157. Vgl. zur Wahl von Carl Katz auch Carl Katz, 1. Vorsitzender des Direktoriums, und Dr. H.G. van Dam, Generalsekretär, an das Bundesministerium der Justiz, z. Hd. Herrn Ministerialrat Roemer, Bonn, 3. 11. 1953, in: ZA, B.1/7.101. 202 Summarischer Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs für die Zeit vom 15. 10. 1953 bis 1. 7. 1954, in: ZA, B.1/7.246. 203 Saul Kagan an Hans Lamm, 10. 2. 1958, in: ZA, B.1/7.110. 204 Vgl. Sinn, „Und ich lebe wieder an der Isar“, 47 – 59.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 237

neralsekretär des Zentralrats bereits 1954 auf ihn aufmerksam geworden. Für van Dam war es offensichtlich, dass Lamms „Sachgebiet kultureller Art“205 war und er deshalb für eine Tätigkeit innerhalb des zu gründenden Kulturdezernats des Zentralrats geeignet wäre.206 Um Lamm für die neu geschaffene Stelle des Kulturdezernenten zu gewinnen, reiste van Dam im Sommer 1955 nach New York und unterbreitete Lamm, der gerade arbeitslos geworden war, das Stellenangebot, das ihn aus dem amerikanischen Exil zurück nach Deutschland brachte.207 Lamm begann seine Tätigkeit mit dem Entwurf von Programmvorschlägen für das Kulturdezernat,208 welche die Aufgaben und Ziele des neu gegründeten Dezernats für die kommenden Jahre festlegen und zugleich seine weitere Ausrichtung bestimmen sollten. Für ihn ergab sich die Notwendigkeit intensiver Kulturarbeit sowohl zur Erhaltung einer religiösen und kulturellen Tradition, als auch aus psychologischen Gründen, die sich aus der historischen und soziologischen Lage ergeben, in der sich die Juden in Deutschland heute befinden. […] Ebenso vielfältig und heterogen wie die Herkunft der Juden in Deutschland, ist auch ihre soziale Struktur, ihre religiöse Schichtung und ihr Verhältnis zur Umwelt.209

In seinen ergänzenden Bemerkungen zum Programm und zur Methodik des Kulturdezernats und der Kulturkommission formulierte Lamm das Programm für die neue Abteilung des Zentralrats wie folgt: „Kulturkommission und Kulturdezernat sollten der Motor sein, der lokale Kräfte in ihren kulturellen Bestrebungen anregt, mit Hilfsmitteln versorgt und für eine Kontinuität der Arbeit sorgt. Inhaltgebende Träger der Kulturarbeit werden die Gemeinden und ihre geistigen Führer sein müssen.“210 Auch van Dam unterstützte – im Gegensatz zu Galinski – dieses Selbstverständnis des Kulturdezernats: Es steht fest, daß jüdische Kultur nicht von einer zentralen Stelle aus dirigiert, geschweige denn geschaffen werden kann. Es kann aber sehr wohl der Fall sein, daß von 205 H.G. van Dam an Hans Lamm, 21. 11. 1967, in: ZA, B.1/7.110. 206 H.G. van Dam an den Bundesminister des Innern, 4. 7. 1956, in: ZA, B.1/7.336. 207 H.G. van Dam an Hans Lamm, 21. 11. 1967 sowie Lamm an H.G. van Dam, 3. 12. 1967, beide in: ZA, B.1/7.110; Hans Lamm an H.G. van Dam, 6. 11. 1971, in: StadtAM, NL Lamm, Akt 89; Entwurf des Antrages auf Darlehensgewährung nach §§ 62 – 72 und 90 des BEG von Hans Lamm für das BLEA, in: StadtAM, NL Lamm, Akt 12. 208 Diese stützten sich auf Memoranden, die E.G. Lowenthal und Baruch Graubard in vorbereitender Tätigkeit formuliert hatten. Programmvorschläge für das Kulturdezernat des Zentralrats der Juden in Deutschland von Dr. Hans Lamm, Düsseldorf, September 1955, in: ZA, B.1/ 7.336; H.G. van Dam an die Direktoriumsmitglieder und deren Stellvertreter, an die Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg und Köln, 9. 11. 1955, Anlage 5, in: Archiv JA, ZR 1950 – 1960; E.G. Lowenthal, Was ein Kulturreferat beim „Zentralrat“ soll. Versuch eines Aufrisses, in: AWJD, 21. 8. 1953. 209 Programmvorschläge für das Kulturdezernat, in: ZA, B.1/7.336. 210 Hans Lamm. Bemerkungen zum Programm und zur Methodik des Kulturdezernats und der Kulturkommission, undatiert, in: ZA, B.1/7.336.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

238

Die Politik

einer derartigen Stelle aus die Zündung für eine ersprießliche Arbeit, oder die Verbesserung dieser Arbeit ausgeht.211

Als Schwerpunkte der Arbeit des Kulturdezernats definierte Lamm drei altersmäßig getrennte Sachgebiete: die Förderung der Kinder im vorschul- und schulpflichtigen Alter, die Jugendarbeit und die Erwachsenenbildung.212 Da die verschiedenen Aspekte der Kulturarbeit durch Gelder der Claims Conference finanziert wurden, musste Lamm die Gesuche zur Bewilligung der kulturellen Projekte nicht nur vor der Kulturkommission des Zentralrats rechtfertigen, sondern ihre Notwendigkeit auch gegenüber der Claims Conference mit Berichten und Statistiken belegen. Aufgrund dieser administrativen Vorgaben bestand Lamms wichtigste Aufgabe darin, die Anträge der einzelnen Gemeinden fristgerecht zusammenzustellen und an den Zentralrat weiterzuleiten, der im Namen der Gemeinden Forderungen um finanzielle Hilfe an die Claims Conference stellte.213 Die Claims Conference, aus deren Budget auch Lamms Gehalt gezahlt wurde, teilte die Mittel an das Kulturdezernat nur von Jahr zu Jahr zu, was eine längerfristige Planung der Kulturarbeit sehr erschwerte.214 Wiederholt kam es infolge dieser Regelung zu der Situation, dass Projekte des Kulturdezernats nicht umgesetzt werden konnten, weil der gewährte Betrag niedriger ausfiel als die für das folgende Jahr benötigte und beantragte Summe.215 Auch wenn Lamm es nicht explizit thematisierte, so schien er nach der Aufnahme seiner Tätigkeit besonders das „Bewusstsein des Provisorischen“ zu empfinden, das nicht nur für den Alltag vor allem jüdischer DPs in der unmittelbaren Nachkriegszeit charakteristisch gewesen ist, sondern darüber hinaus eine Erklärung darstellen kann, warum „die jüdischen Gemeinden und ihre Dachverbände stets große Schwierigkeiten hatten, interne, auf das religiöse, kulturelle und soziale Innenleben ihrer Gemeinschaft gerichtete Ziele zu formulieren. Die sogenannte ,Kulturarbeit‘ jüdischer Organisationen, ihre religiösen und pädagogischen Bemühungen, waren lange mit dem Stempel des Provisorischen behaftet.“216 211 H.G. van Dam an die Direktoriumsmitglieder, deren Stellvertreter, alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg und Köln, 7. 12. 1956, in: ZA, B.1/7.336. 212 Hans Lamm. Bemerkungen zum Programm und zur Methodik des Kulturdezernats und der Kulturkommission, undatiert, in: ZA, B.1/7.336. 213 Programmvorschläge für das Kulturdezernat des Zentralrats der Juden in Deutschland von Dr. Hans Lamm, Düsseldorf, September 1955, in: ZA, B.1/7.336. Zur Finanzierung der Arbeit des Zentralrats in den 1950er Jahren vgl. auch Zieher, Weder Privilegierung, 192. 214 Vgl. Hans Lamm an H.G. van Dam, 5. 11. 1957, in: ZA, B.1/7.110; Entwurf des Antrages auf Darlehensgewährung nach §§ 62 – 72 und 90 des BEG von Hans Lamm für das BLEA, in: StadtAM, NL Lamm, Akt 12. Zum Wiedergutmachungsabkommen vgl. Kapitel IV.2.1. 215 Bericht, 1. 9. 1955 – 15. 12. 1956, in: ZA, B.1/7.336. Die von der Claims Conference bewilligte Summe belief sich 1956 auf DM 176.996, 1957 waren es DM 241.400. Protokoll der Sitzung der Kulturkommission des Zentralrats, 4. 6. 1956 und Protokoll der Sitzung der Kulturkommission des Zentralrats, 17. 12. 1956, beide in: ZA, B.1/7.518. 216 Ginsburg, Politik danach, 113. Vgl. auch Richarz, Juden, 14 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 239

Trotz der schwierigen Anfänge bekannte Galinski schon auf der Zentralratstagung im November 1955 nicht ohne Stolz, „daß wir uns früher vorwiegend mit Wiedergutmachungsfragen beschäftigen mußten und nicht zu andern Aufgaben gekommen sind. Nachdem eine gewisse Konsolidierung eingetreten ist, gilt unser Interesse den Kulturaufgaben.“217 Van Dams Resümee nach fünf Jahren Zentralratstätigkeit fiel etwas weniger günstig aus. Zwar gab er zu, dass „sicherlich […] das Ringen um die jüdische Existenz im geistigen Sinne das entscheidende Gegenwartsproblem der jüdischen Gemeinden nicht nur in Deutschland, sondern auf dem gesamten europäischen Kontinent [sei]“. Bezugnehmend auf die Auffassung Galinskis verband er dieses Zugeständnis allerdings mit dem Hinweis darauf, dass jüdische Kultur und Tradition […] nicht von oben zentral dekretiert werden [können]. Dagegen glauben wir an die erwiesene Richtigkeit der Konzentration auf solche Aufgaben, die einer zentralen Interessenvertretung jüdischer Gemeinden unter den gegenwärtigen Umständen gestellt sind. Gewiß wird sich von Zeit zu Zeit der Gegenstand dieser Interessenvertretung ändern, aber es muß noch immer festgestellt werden, daß das für die jüdische Bevölkerung und ihre Institutionen lebenswichtige Problem der Wiedergutmachung nicht völlig gelöst ist.218

Wie anhand der Forderung Galinskis nach einer Konzentration auf die Kulturarbeit deutlich wird, wurden richtungsweisende Reorganisationen des Zentralrats nicht nur durch historische Entwicklungen, sondern auch von gezielten politischen Interessen einzelner Direktoriumsmitglieder bzw. des Generalsekretärs gesteuert. Van Dam, der als Experte für Wiedergutmachung tätig war, sah den Schwerpunkt der Arbeit des Zentralrats in diesem Bereich; Galinski hingegen, dem die Gemeindearbeit am Herzen lag, forderte und förderte insbesondere die Kulturarbeit, die für ihn essentieller Bestandteil der Zentralratsarbeit war oder vielmehr sein sollte. Unabhängig von den internen Streitigkeiten trug der Herausgeber der Allgemeinen durch Veröffentlichungen in der jüdischen Presse seinen Teil dazu bei, dass neue Entwicklungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft kommuniziert und normalerweise positiv kommentiert wurden. So veröffentlichte er beispielsweise seit 1956 unter dem Titel Jüdische Sozialarbeit das Mitteilungsblatt der ZWSTals Beilage seiner Zeitung219 und bezog auch zu den beiden geschilderten Veränderungen klar Stellung: Er lobte die Neugründung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, mit deren Errichtung „neben dem Zentralrat ein Instrument geschaffen [wurde], das die Gewähr für die Verwaltung und eine gerechte Verteilung der den Juden in Deutschland 217 Niederschrift für die Zentralratstagung, 27./28. 11. 1955, in: ZA, B.1/7. 221.61. 218 Summarischer Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs für die Zeit vom 1. 7. 1954 bis 30. 11. 1955, in: ZA, B.1/7.246. 219 Zu Aufbau und Inhalt des Blattes vgl. Aden-Grossmann, Berthold Simonsohn, 212 – 215.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

240

Die Politik

zufließenden Gelder übernimmt“220. Und hinsichtlich der Kulturarbeit unterstützte er vehement die Forderung, „nach zehn Jahren […] allen Ernstes an die Kulturarbeit heranzugehen“221. In welcher Form beeinflussten die Entstehung der ZWSTund die Gründung eines Kulturdezernats nun die zuvor beschriebene „Politik der Einheit“? So schwer es van Dam gefallen sein mag, gewisse Aufgabenbereiche an andere Persönlichkeiten abzutreten, so stellten die zwei geschilderten Entwicklungen und später erfolgten Anpassungen der Organisationsstruktur notwendige Neuerungen und eine Bereicherung für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland dar. Die Tatsache, dass der Kulturdezernent als Mitarbeiter des Zentralrats auftrat und die ZWST in engster Zusammenarbeit mit dem Zentralrat agierte, selber aber keine politischen Forderungen formulierte, mögen es van Dam leichter gemacht haben, diesen Ausbau des jüdisch-institutionellen Lebens in Deutschland in den 1950er Jahren und den damit einhergehenden persönlichen Machtverlust zu akzeptieren. Die Einschätzung Lamms, dass der Generalsekretär sein „Wanderrednerdasein […] sehr billigt, weil er ständige Berichte bekommt, da ich [Lamm] die Arbeit mit Takt und Sachkunde leisten würde“222, scheinen auch darauf hinzudeuten, dass van Dam keine grundsätzliche Ablehnung gegenüber der Kulturarbeit verspürte, sondern vor allem in der Auseinandersetzung mit seinem Widersacher Galinski seinen Einflussbereich zu behaupten versuchte. Zu einer tatsächlich spürbaren Veränderung der Machtverhältnisse kam es innerhalb des Zentralrats während der Ära van Dams letztlich nur zweimal. Zum einen wurde 1963 Herbert Lewin223 anstelle von Galinski zum ersten Vorsitzenden des Direktoriums des Zentralrats gewählt; seine Stellvertreterin wurde die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Jeanette Wolff, die als erste Frau überhaupt in dem von Männern dominierten Gremium mitwirkte.224 Galinskis Machtstreben hatte vermehrt zu Differenzen innerhalb des Zentralrats geführt und so erhoffte man sich nach der Wahl Lewins ein etwas geschlosseneres Auftreten des Zentralrats nach außen.225 Die zweite große Veränderung fand ihren Abschluss 1969 mit der Wahl Werner Nachmanns226

220 Marx, Aufbau und Konsolidierung. Kritische Vorschau auf die Herbsttagung des Zentralrats der Juden in Deutschland, in: AWJD, 29. 7. 1955. 221 Ebd. 222 Hans Lamm an B.-B., 23. 2. 1960, in: StadtAM, NL Lamm, Akt 89. 223 Herbert Lewin (1899 – 1982) war Auschwitz-Überlebender und zu diesem Zeitpunkt Chefarzt der gynäkologischen Abteilung des Offenbacher Krankenhauses und Professor an der Universität Frankfurt. Vgl. Alexander Ginsburg, Geburtstagswürdigung und Nachruf, in: Jüdischer Presse Dienst 3 (1969), 6; Brenner/Frei, Zweiter Teil, 158 f; Geller, Jews, 14. 224 Zur Biografie von Jeanette Wolff (1888 – 1976) vgl. Albrecht, Jeanette Wolff; Lange, Jeanette Wolff; Seemann, Jeanette Wolff. 225 Ratsversammlung des Zentralrats, 22./23. 3. 1964, in: ZA, B.1/7.815; Begrüßung durch Prof. Lewin auf der Ratsversammlung, 26. 11. 1967, in: ZA, B.1/7.891. 226 Werner Nachmann (1925 – 1988) war von 1961 bis 1988 Vorsitzender der jüdischen Gemein-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 241

zum Vorsitzenden des Zentralrats. Zu diesem Zeitpunkt war die Frage der Wiedergutmachung so sehr in den Hintergrund getreten, dass der Einfluss van Dams auf die Arbeit des Zentralrats nachließ. Zudem trat mit Werner Nachmann eine dem Generalsekretär in Ehrgeiz und Zielstrebigkeit in nichts nachstehende Persönlichkeit an die Spitze des Zentralrats, so dass ein weiteres Festhalten van Dams an seiner viele Jahre lang unangefochtenen Führungsposition keinen Erfolg haben konnte.227 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es in den Auseinandersetzungen zwischen den Direktoriumsmitgliedern und dem Generalsekretär in Fragen der Organisation oft nur bedingt um inhaltliche Differenzen ging. In erster Linie boten die Diskussionen um Neuausrichtungen der Arbeit ebenso wie Wahlen immer wieder aufs Neue die Gelegenheit zum Kräftemessen unter den Direktoriumsmitgliedern bzw. mit dem Generalsekretär, d. h. man versuchte durch das Einbringen von Forderungen oder das Verteidigen des Status quo zur Stärkung der eigenen oder zur Schwächung der Position eines anderen beizutragen. Nach außen gelang es dem Zentralrat jedoch auch durch die zum Teil spannungsreichen Phasen der Reorganisation vergleichsweise geschlossen aufzutreten.

1.2.2 Gegeneinander – Nebeneinander – Miteinander? Zur fraglichen Förderung eines zerbrechenden Zusammenhalts Das Prinzip der Einheit, das von den Vertretern der deutsch-jüdischen Interessen kontinuierlich betont und bemüht wurde, bildete sich im Laufe der 1950er und 1960er Jahre zu einem Eckpfeiler der Politik der deutsch-jüdischen Repräsentanz heraus. Egal ob im Falle von Streitigkeiten mit einzelnen Landesverbänden oder in Auseinandersetzungen untereinander – die Akteure waren sich der Tatsache durchaus bewusst, dass die kleine jüdische Gemeinschaft in Deutschland, wollte sie etwas erreichen, darauf angewiesen war, zumindest nach außen geschlossen aufzutreten.228 Eine wichtige Gelegenheit, um diesen Gedanken ins Bewusstsein zu bringen und innerjüdischen Zusammenhalt zu demonstrieren, stellten Gedenktage, Jahreswechsel und Jubiläen dar. Die im Verlauf der Jahre langsam zunehmenden Veranstaltungen, Veröfde in Karlsruhe und des Oberrates der Israeliten in Baden. 1962 wurde er Mitglied im Zentralrat, 1965 ins Direktorium gewählt, dessen Vorsitz er seit 1969 inne hatte. 227 Den Begriff der Macht verstehe ich hier entsprechend der Definition Max Webers, der Macht definierte als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 28. 228 Am 1. 4. 1955 wurden 15.684 Personen als Mitglieder jüdischer Gemeinden gezählt, am 1. 4. 1958 betrug die Zahl 19.914. Am 1. 4. 1959 waren es 21.563 Mitglieder, am 1. 4. 1960 21.755 und am 1. 1. 1969 22.078. Vgl. Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1961, in: ZA, B.8 Zentralrat 3, 33, 38 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

242

Die Politik

fentlichungen und Zusammenkünfte zum gemeinsamen Erinnern an die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung von sechs Millionen Juden nahmen jüdische Repräsentanten gewöhnlich zum Anlass, der Verstorbenen zu gedenken, Wiedergutmachung bzw. Recht zu fordern und an die Verantwortung zu appellieren, die Juden und Nichtjuden in Deutschland aufgrund dieser Verbrechen für die Zukunft erwuchsen. Auf offiziell-jüdischer Ebene begann das Gedenken an die Verbrechen während der NS-Zeit bereits kurz nach Kriegsende. Wie die Soziologin Monika Halbinger ausführt, erklärte das Präsidium des Central Jewish Committee den 9. November bereits 1948 zum jüdischen Gedenktag und rief die Vorstände der jüdischen Gemeinden in der britischen Zone dazu auf, „dem Charakter des Tages entsprechend, Ihre Gemeindemitglieder zu Feiern zusammen zu rufen“229. Wie am Beispiel des 9. November deutlich wird, war es in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem der jüdischen Seite vorbehalten, Gedenkakte in Erinnerung an die Opfer der Shoa zu organisieren, und auch die mediale Auseinandersetzung erfolgte vor allem in den Blättern der jüdischen Gemeinden.230 So hatte Karl Marx schon 1946, deutlich vor dem Aufruf Wollheims, „den Tag bzw. die Nacht, der man in Deutschland die Bezeichnung ,Kristallnacht‘ gegeben hat“231, zum Anlass genommen, auf der Titelseite seiner Zeitung an die Ereignisse aus dem Jahr 1938 zu erinnern. Er setzte diese Gepflogenheit auch in den späteren Jahrgängen seiner Zeitung fort.232 Nicht eher als 1958 wurde dieser Jahrestag in der bundesweiten Öffentlichkeit beachtet und erst am 9. November 1978 fand zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine zentrale Gedenkveranstaltung statt, die den November-Pogromen gewidmet war.233 Die offizielle politische Anerkennung dieses Gedenktags von Seiten der deutschen Politik im Jahr 1958 zeigte sich u. a. darin, dass die Allgemeine und die Münchner Jüdischen Nachrichten erstmals Schreiben von Theodor Heuss und Konrad Adenauer abdruckten, die diese anlässlich des Gedenktags an den Zentralrat geschickt hatten.234 Bereits vor den ersten gemeinsam ausgerichteten Gedenkveranstaltungen hatte die Mehrheit der offiziellen deutsch-jüdischen Repräsentanten davon Abstand genommen, die Deutschen als Schuldige in den Mittelpunkt ihrer Veröffentlichungen und Reden zu rücken. 229 Norbert Wollheim, Der 9. November als Gedenktag, in: JG, 5. 11. 1948. Vgl. auch Halbinger, „An unsere Umwelt […]“; Schmid, Erinnern. Einen Überblick über die historische Forschung zur „Reichskristallnacht“ gibt Steinweis, Die „Kristallnacht“; Ders., Kristallnacht 1938. 230 Vgl. hierzu Halbinger, „An unsere Umwelt […]“, 38; Schmid, Erinnern, 128. 231 Karl Marx, Erinnerung – Wegweiser in die Zukunft, in: AWJD, 11. 11. 1949. 232 Karl Marx, Eine Stunde des Trauerns und des Gedenkens, in: JG, 15. 11. 1946; Ders., Der 9. November 1938, in: JG, 10. 11. 1947; Ders., Erinnerung – Wegweiser in die Zukunft, in: AWJD, 11. 11. 1949; Ders., Nicht hassen, aber auch nicht vergessen! Zum 9. November – Verhängnisvolle Tage in Deutschlands Geschichte, in: AWJD, 10. 11. 1950. 233 Giebel, Der 9. November 1978, 56; Halbinger, „An unsere Umwelt […]“, 38 f; Schmid, Erinnern, 369. 234 Vgl. AWJD, 14. 11. 1958; MJN, 14. 11. 1958.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 243

In diesem Sinne wandte sich beispielsweise van Dam anlässlich des 15. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Belsen an seine Glaubensgenossen und mahnte: Vermeiden wir doch die Tragik der Selbstbespiegelung: Die Worte Schuld und Sühne! Keine Propaganda sollte hier betrieben werden, keine Propaganda des Bekenntnisses und keine Propaganda der Großmut, keine Propaganda des Hasses und keine Propaganda der Liebe. […] Wir wollen hier nicht die Frage nach dem Sinn oder [der] Sinnlosigkeit des mörderischen Geschehens stellen, das durch Belsen symbolisiert wird. Für alle Menschen, die guten Willens sind, kann das Wissen um die Tatsachen der jüngsten Vergangenheit einen unmessbaren Wert für die Gegenwart und Zukunft bedeuten. Verpflichtung für uns alle geht davon aus. Diese Pflicht lautet, dass wir in Menschlichkeit und Würde leben sollen. Dann werden die Worte des Propheten Ezechiel, wie sie im Buch der Bücher enthalten sind, verständlich: „Ich bin an Dir vorbeigekommen und ich sah, dass Du in Deinem Blut Dich wälzt, und ich sage Dir, kraft dieses Blutes wirst Du leben.235

Neben Gedenktagen waren es jedoch insbesondere Jubiläen, die von der deutsch-jüdischen Repräsentanz genutzt wurden, um innerjüdische Einheit zu demonstrieren. Besonders deutlich kommen die Bemühungen von Seiten der deutsch-jüdischen Funktionäre um diese Form der positiven Selbstdarstellung im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen des Zentralrats zum Ausdruck. Aus genanntem Anlass lud der Zentralrat am Sonntag, dem 27. November 1960 alle Mitglieder von Rat und Direktorium, deutsche Politiker und jüdische Repräsentanten sowie die jüdische und die allgemeine Presse zu einer Feststunde in das Gemeindehaus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Vor einer größeren Öffentlichkeit wollte man „die Gesichtspunkte darlegen […], die für den Zentralrat während der letzten zehn Jahre maßgebend gewesen waren“236. Gegenüber den Direktoriumsmitgliedern erklärte van Dam ferner, dass für die Wahl von Berlin als Tagungsort spricht, daß es sich hier um die weitaus grösste jüdische Gemeinde in Deutschland handelt und es angezeigt scheint, daß die jüdische Gemeinschaft sich in Solidarität zu dieser größten Gemeinde bekennt, deren Situation unter gegebenen Zeitumständen als schwierig erscheint. Daher dürfen keinerlei Gesichtspunkte des Kalten Krieges oder die Deutschland-Frage oder die Berlin-Frage in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebracht werden. DAS gilt nicht nur für die jüdischen Teilnehmer, sondern auch für politische Persönlichkeiten, etwa für Minister oder Senatoren, die den Zentralrat begrüßen dürften. Unter dieser Voraussetzung glaube ich, daß wir die Veranstaltung in Berlin an der Stätte der ehemaligen Synagoge in der Fasanenstraße eindrucksvoll werden gestalten können. Es handelt 235 10. April 1960: 15 Jahre danach. Rede von Dr. H. G. van Dam am Internationalen Denkmal in Belsen, in: ZA, B.1/15.248. 236 H.G. van Dam an alle Landesverbände und Ratsmitglieder, 28. 10. 1960, in: ZA, B.1/15.248. Im Anschluss an den Festakt fand die jährliche Ratsversammlung statt.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

244

Die Politik

sich also um eine Demonstration der organisierten jüdischen Gemeinschaft und das Bekenntnis zur größten Gemeinde, die zu ihr gehört.237

Wie dieses Schreiben zeigt, gab van Dam den Gemeindevertretern bereits im Vorfeld der eigentlichen Veranstaltung unmissverständlich zu verstehen, was der eigentliche Zweck dieses Zusammentreffens sein sollte: Die Tagung hatte im Wesentlichen repräsentativen Charakter. Das Programm des Festaktes unterstrich dieses Vorhaben eindeutig: Umrahmt von musikalischen Darbietungen des verstärkten Chores der Synagoge Pestalozzistraße waren die Namen von Heinz Galinski, dem amtierenden Vorsitzenden des Zentralrats, Bundesminister Ernst Lemmer, Senator Joachim Lipschitz, Direktor Fred Ziegellaub vom AJDC, Botschafter Dr. Felix Schinnar von der Israel Mission, Dr. Hendrik G. van Dam als Generalsekretär, Prof. Dr. Max Horkheimer und der SPD-Bundestagsabgeordneten Jeanette Wolff auf dem Programm zu finden. Insbesondere die Wahl des Festredners, Max Horkheimer, weist deutlich auf den außergewöhnlichen Charakter dieser Veranstaltung hin: Mit Ausnahme der Bundestagsabgeordneten Wolff, die sich stark mit dem jüdischinstitutionalisierten Gemeindeleben identifizierte und sich als Vorstandsmitglied der ZWST, Mitbegründerin des Jüdischen Frauenbundes und Mitglied im Direktorium des Zentralrats, dessen stellvertretende Vorsitzende sie von 1965 bis kurz vor ihrem Tod war, engagierte, beteiligten sich in den 1950er Jahren jüdische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – wie beispielsweise die Professoren Max Horkheimer (1895 – 1973), Theodor W. Adorno (1903 – 1969) oder Hans-Joachim Schoeps (1909 – 1980)238, Politiker wie Josef Neuberger (1902 – 1977), Herbert Weichmann (1896 – 1983) oder Jakob Altmeier (1889 – 1963)239 oder Schauspieler wie Fritz Kortner (1892 – 1970) oder Therese Giehse (1898 – 1975)240 – kaum oder gar nicht am Aufbau des jüdischinstitutionellen Lebens in der Bundesrepublik.241 Es scheint, dass die Kom237 H.G. van Dam an alle Direktoriumsmitglieder und deren Stellvertreter, 26. 10. 1960, in: ZA, B.1/ 7.248. In der Veranstaltung selbst wurde von einzelnen Rednern trotz dieser Vorgabe des Generalsekretärs auf den Zustand des Kalten Krieges und das geteilte Deutschland Bezug genommen. Vgl. z. B. die Rede von Bundesminister Lemmer bei der 10 Jahres Feier des Zentralrats, in: ZA, B.1/15.248. 238 Zu den Biografien vgl. z. B. Claussen, Theodor W. Adorno; Diwald (Hg.), Lebendiger Geist; Jäger, Adorno; Müller-Doohm, Adorno; Rosen, Max Horkheimer; Schoeps, Hans-Joachim, in: Deutsche Biografische Enzyklopädie, 103. 239 Zu den Biografien vgl. z. B. Bahnsen, Die Weichmanns; Josef Neuberger, in: Internationales Biografisches Archiv 10 (1977), 28. 2. 1977; Fahning (Hg.), Herbert Weichmann; Moß, Jakob Altmaier. 240 Zu den Biografien vgl. z. B. Schmidt, Therese Giehse; Völker, Fritz Kortner. 241 Mit Ausnahme von Josef Neuberger, der Anfang der 1960er Jahre ins Direktorium des Zentralrats gewählt wurde, engagierten sich die Genannten auch in den 1960er Jahren nicht aktiv am Auf- und Ausbau jüdisch-institutionellen Lebens in der Bundesrepublik. Vgl. Jahresbericht des Generalsekretärs Dr. H.G. van Dam für 1964/65, in: ZA, B.8 Zentralrat 3. Zur Beteiligung von Juden am kulturellen und politischen Leben in der BRD vgl. Brenner/Frei, Zweiter Teil, 192 – 213.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 245

munikationskreise der jüdischen Funktionäre sich nur selten mit den Wegen derer kreuzten, die im Hörsaal von Universitäten oder auf der (politischen) Bühne zu Hause waren. Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen waren jedoch von Seiten des Zentralrats eine gerne genutzte Gelegenheit, um aus diesem Personenkreis Gastredner einzuladen, die in ihrem Feld als ausgewiesene Experten akzeptiert waren und deren Namen dem zu erwartenden Publikum bekannt sein konnten. Tatsächlich suchten Marx und van Dam jedoch den Kontakt insbesondere zu den jüdischen Politikern Altmeier, Neuberger, der später Mitglied im Direktorium des Zentralrats wurde, und Weichmann, die ihnen z. B. bei ihren Bemühungen um Wiedergutmachung oder bei der Aufnahme von Beziehungen zur deutschen Bundesregierung behilflich sein konnten.242 Auf die verschiedenen Grußworte und den Inhalt der Rede Horkheimers, der sich mit den Aufgaben und Grenzen politischer Erziehung in Deutschland befasste, soll an dieser Stelle im Einzelnen nicht eingegangen werden. Es überwogen Worte des Lobs für die geleistete Arbeit und des Danks an den Generalsekretär für dessen langjähriges Engagement; die Redner formulierten die besten Zukunftswünsche und verliehen der Hoffnung Ausdruck, dass sich die Arbeit des Zentralrats auch in den kommenden Jahren erfolgreich und in guter Zusammenarbeit mit den anwesenden Partnern weiterentwickeln möge.243 Ausführlicher soll an dieser Stelle die Rede des Generalsekretärs wiedergegeben werden, der sich im Rahmen seines Vortrags mit den „Problemen der Normalisierung“ auseinandersetzte.244 „Ort und Zeit dieser Veranstaltung zwingen dazu,“ eröffnete van Dam seinen Vortrag, „über vergängliche Tageslosungen und Augenblickskonstellationen hinweg, sich der Tragik der Vergangenheit bewusst zu werden und den eigenen Standpunkt zu suchen“. Gemäß dieser Einführung sollte es in dem Referat des Juristen also weniger um Aspekte der Einheit, sondern um eine Darstellung der gegenwärtigen Situation der Juden in Deutschland gehen, der im Kontext der vorliegenden Arbeit besondere Beachtung gilt. Für das Verständnis der Ausführungen ist insbesondere van Dams Defi242 Zu dem Kontakt und der Zusammenarbeit vgl. z. B. Protokoll der Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, 3, in: ZA, B.1/7.221.13; H.G. van Dam an Dr. Kreutzberger, Jewish Agency for Palestine, München, 1. 10. 1953, in: ZA, B.1/7.378; Bericht über eine außerordentliche Tagung des Zentralrats, 3. 6. 1958, in: ZA, B.1/7.852; Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 12. 2. 1967, in: ZA, B.1/7.828; Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 15. 2. 1970, in: ZA, B.1/7.867. 243 Die Reden sind abgelegt in: ZA, B.1/7.858. 244 Die folgenden Zitate aus der Rede van Dams sind dem Manuskript entnommen: Probleme der Normalisierung. Rede des Generalsekretärs Dr. H.G. van Dam bei der Zehnjahresfeier des Zentralrats der Juden in Deutschland in Berlin, in: ZA, B.1/15.248. Vgl. zu diesem Thema auch die Ausführungen van Dams in: 10 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1960, in: ZA, B.8 Zentralrat 3.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

246

Die Politik

nition des Begriffs der „Normalisierung“ von entscheidender Bedeutung, die er an den Anfang seines Vortrages stellte: In einer aus den Fugen geratenen Zeit des Übergangs, nach Chaos, Untergang und Errettung, erscheint die Normalisierung als das Entscheidende, vom Überschwang des Augenblicks befreite, aber ungemein schwer durchführbare Anliegen. Es geht hierbei [um] nicht mehr und nicht weniger als um die Ausrichtung menschlichen Verhaltens, also der Einzelnen, der Gruppen und Völker nach Normen der Sittlichkeit, die das Element der biblischen Religion bilden.

In den weiteren Erläuterungen ging es dem Generalsekretär um eine Beleuchtung der einzelnen Teilbereiche und Probleme dieser Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschen, Juden und Israel, zu deren Kernstücken er die materielle Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts zählte. Erschwert würden die Bemühungen um die Wiederherstellung des Rechts jedoch, da sich der Zentralrat mit verschiedenen offenen und versteckten Gegnern auseinanderzusetzen habe. Allerdings habe der zu Beginn der 1950er Jahre eingeschlagene Weg der Kooperation mit den ausländischen jüdischen Organisationen und der Bundesregierung erfreuliche Früchte getragen. Die moralische Wiedergutmachung beschrieb van Dam demgegenüber als die psychologische (oder geistige) Seite der Normalisierung und auch hier erkannte er Hindernisse, welche die Arbeit des Zentralrats und den Aufbau von Vertrauen in der Vergangenheit erschwert hatten. So war es einerseits eine Herausforderung, wie der Generalsekretär zugab, sich nicht der Versuchung hinzugeben, und die sehr bedenkliche Rolle des billigen Partners an[zunehmen], der Privilegierungen entgegennimmt und auf den Wogen der Sektion der öffentlichen Meinung schwimmt, die sich stark von der Vergangenheit distanzieren will, ein Opportunismus moderner Prägung, der sich von der Publizität umschmeicheln lässt und hierbei vitale Forderungen der Gesamtheit aufgibt, als Humanität verkleidete Befriedigung des Unmenschlichen und ein Vergessen des Unvergesslichen. – Sie sind ebenso verhängnisvoll wie das umgekehrte Extrem, des Hasses ohne Grenzen, des Ressentiments und des Sentiments als Dauerpolitik und der Verewigung der Figur des Verfolgten als einer Sonderklasse der Bevölkerung.

Es sei aber durchaus die Aufgabe des Zentralrats, forderte van Dam weiter, „als maßvolles Instrument kollektiver Willensbildung Übertreibungen der oben erwähnten Art und dem Publizitätsmissbrauch überhaupt entgegenzuwirken“. Demzufolge habe der Zentralrat es nicht versäumt, als Mahner aufzutreten, wenn dieses geboten erschien, und das Verlangen als absurd abgetan, die Vergangenheit zu vergessen und sich damit der Geschichte zu entfremden. „Damit“, resümierte van Dam, „hätte er dem deutschen Volk den schlechtesten Dienst erwiesen, etwa die Hilfe eines Quacksalbers, der nicht heilt, sondern betäubt, in diesem Falle das Gewissen narkotisiert“. Andererseits bedrohten Antisemitismus und Neonazismus die Normalisierung genauso wie

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 247

das gesteigerte Interesse für das Judentum in Deutschland. Die zunehmende öffentliche Beachtung war, wie van Dam analysierte, auch „nicht normal und die Kehrseite der Medaille, ebenso wie die Privilegierung nur die ins Positive umgeschlagene Diskriminierung darstellt“245. Trotz dieser Einschränkungen habe der Zentralrat „sich bemüht, im Einklang mit seiner Politik des letzten Jahrzehnts zu normalisieren und einer sachlichen Erörterung den Vorrang einzuräumen“, betonte der Redner und definierte abschließend das Selbstverständnis des Zentralrats: „Der Zentralrat hat sich während des letzten Jahrzehnts für eine Demokratisierung eingesetzt, fühlt sich aber nicht dazu berufen, als Praeceptor Germaniae aufzutreten und zu einem verlängerten Arm der 1945 so pompös verkündeten Umerziehung zu werden.“ Die Aufgabe der Juden in Deutschland werde es aber selbstverständlich weiterhin sein, den auf sie fallenden Anteil an staatsbürgerlicher Verantwortung auf sich zu nehmen. Unser Beitrag kann und soll nur produktiver Art sein. Wir glauben nicht an die ewige Dauer von künstlichen Vorhängen zwischen den Menschen. Der elementare Gedanke von der Einheit des Menschengeschlechts sollte gerade in einer Zeit des technischen Fortschritts […] in das Bewusstsein aller eintreten.

Alles in allem wurde die Veranstaltung aus Sicht der Organisatoren als Erfolg gefeiert und fand den gewünschten Widerhall in der Presse.246 Arbeit und Einheit des jüdischen Dachverbands hatten – wie gewünscht – einer größeren Öffentlichkeit präsentiert werden können, und das gute Miteinander von Juden und Nichtjuden in Deutschland, von Politik und jüdischer Repräsentanz war im Rahmen dieser Veranstaltung demonstriert, ja geradezu zur Schau gestellt worden. Dass keineswegs alle vom Zentralrat Repräsentierten hundertprozentig überzeugt von dem Projekt waren, dessen Konzept in erster Linie von Galinski und van Dam ausgearbeitet worden war, verdeutlicht ein Schriftwechsel zwischen dem Generalsekretär und dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Bremen. Die Kosten für die Jubiläumsveranstaltung, für die auch ein Bundeszuschuss in Höhe von 7.000 DM bewilligt worden war,247 wurden anteilig auf die Gemeinden umgelegt, die unabhängig davon, ob sie den Gedanken einer solch aufwendigen Feier und Ratstagung begrüßten oder nicht, ihren finanziellen Anteil beisteuern mussten. Diese Regelung veranlasste den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Bremen, sich nach Empfang der Zahlungsaufforderung beim Zentralrat zu beklagen, dass man ihm nur so viel 245 Zu Antisemitismus und Philosemitismus in den 1950er und 1960er Jahren vgl. Brenner/Frei, Zweiter Teil, 250 – 259. 246 Schon im Vorfeld der Veranstaltung hatte Marx einen Beitrag veröffentlicht, der bezeichnenderweise unter dem Titel erschien: Das Ziel: Einheit und Anerkennung. Zum 10-jährigen Bestehen des Zentralrats der Juden, in: AWJD, 25. 11. 1960. 247 Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, Dr. von Dellinghaus an den Zentralrat, 18. 11. 1960, in: ZA, B.1/7.858.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

248

Die Politik

zahlen wolle, wie er bzw. die Gemeinde für richtig erachteten. Seine Begründung: 10 Jahre sind in der jüdischen Gemeinschaft kein Zeitraum, der durch eine kostspielige Feier gefeiert werden muss. Wir haben in unserer Gemeinde jedenfalls keinen Anlaß genommen, eine so kurze Zeit des Bestehens zum Gegenstand einer Feier zu machen, obschon im Hinblick auf die jüdische Leistung sich ein Anlaß ergeben hätte.248

Trotz derartiger Inszenierungen zur Beteuerung der Einigkeit kam es im Verlauf der Zeit immer wieder zu innerjüdischen Auseinandersetzungen, die eine deutliche Dissonanz zwischen Proklamation und Wirklichkeit erkennen lassen. Anhand von zwei Provokationen, die ihren Ausgang in der Presse nahmen und die Gemüter der Direktoriumsmitglieder des Zentralrats in den 1960er Jahren sehr erregten, soll diese Alltagswirklichkeit – fernab der Einigkeit – beispielhaft veranschaulicht werden. Erheblichen Protest löste im Juli 1963 ein Bericht im Spiegel aus, der sich unter der Überschrift „Heimstätte auf verfluchter Erde?“249 mit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland befasste.250 Dieser war neben einem Interview251 mit dem Generalsekretär abgedruckt, der nach eigener Aussage dem SpiegelRedakteur davon abgeraten hatte, eine Titelgeschichte über die Juden in Deutschland zu veröffentlichen und es auch abgelehnt habe, Auskünfte zu erteilen. Nachdem jedoch feststand, dass der Spiegel an seinem Plan festhalten würde und die Vertreter verschiedener Gemeinden, u. a. aus Hamburg und München bereitwillig Auskünfte erteilt hätten, habe er seinen ablehnenden Standpunkt nicht länger aufrechterhalten können.252 Folgt man Galinskis Argumentation auf der Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums am 27. Oktober 1963 in Hamburg, so war die Empörung über diese zwei Beiträge unter den Direktoriumsmitgliedern deshalb so groß, weil durch die Überschriften und den Inhalt des ausführlichen Artikels der Eindruck entstanden sei, „daß Juden nur deswegen in Deutschland seien, um ihre Wiedergutmachung zu betreiben oder zweifelhafte Lokale zu unterhalten“. Mit dem Inhalt des Artikels, so Galinski, könne sich weder er selbst, noch die Jüdische Gemeinde in Berlin identifizieren, die deshalb eine außerordentliche Ratstagung beantragte, um sich über Grundsatzfragen der Zen248 Carl Katz an den Zentralrat, H.G. van Dam, 22. 12. 1960 und H.G. van Dam an den Vorstand der Israelitischen Gemeinde Bremen, 10. 12. 1960, beide in: ZA, B.1/7.858. 249 Heimstätte auf verfluchter Erde? SPIEGEL-Report über Juden in Deutschland, in: Der Spiegel, 31. 7. 1963, 24 – 38. 250 Zur Berichterstattung des Spiegel vgl. Heredia, Der Spiegel; Halbinger, Das Jüdische. 251 „Rückwanderung nach Deutschland nicht zu empfehlen“. Interview mit Dr. H.G. van Dam, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, in: Der Spiegel, 31. 7. 1963, 29. 252 Dieses und die folgenden Zitate sind entnommen aus dem Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums, 27. 10. 1963, in: ZA, B.1/7.817.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 249

tralratsarbeit auszutauschen. Zu seiner Verteidigung erklärte van Dam, er habe gegenüber dem Korrespondenten des SPIEGEL im wesentlichen nur das gesagt […], was in dem Interview stehe und was auch der Politik des Zentralrats entspreche. Er habe ein positives Bild der jüdischen Gemeinschaft gezeichnet, das weitgehend dadurch verfälscht worden sei, daß man dem Interview eine Überschrift gegeben habe, die nicht von ihm stamme und die auch er verurteile. Die Zitate in dem SPIEGELBericht hätten ihm nicht vorgelegen, und er bestreite auch, sich in dieser Form geäußert zu haben.

Tatsächlich hatte das Direktorium des Zentralrats bereits mehrfach in früheren Sitzungen darüber gesprochen, ob eine Rückwanderung von Juden z. B. aus Israel nach Deutschland gefördert werden sollte oder nicht. Das Phänomen der Rückwanderung von Juden aus Israel begann bereits unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und erreichte Mitte der 1950er Jahre seinen Höhepunkt. Der Sozialwissenschaftler Harry Maor ermittelte durch Umfragen, dass weniger als vier Prozent der vor Ausbruch des Krieges geflohenen Juden, d. h. etwa 9.000 Personen, bis 1959 nach Deutschland zurückkehrten.253 Die israelische Presse nannte die schwierigen allgemeinen Lebensbedingungen, das Klima, die zunehmende Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot ebenso wie die Furcht vor Krieg, eine hohe Steuerbelastung, die Unzulänglichkeit der Verwaltung oder die hohen Kosten für eine Schul- und Universitätsausbildung als Ursachen für die Auswanderung, die von israelischer Seite scharf verurteilt wurde. Insgesamt verließen zwischen Juli 1948 und Dezember 1953 etwa 48.000 Menschen Israel, davon 20.000 nach Europa; bis Ende 1956 emigrierten nochmals rund 20.000 Menschen.254 Um dieser Bewegung entgegenzuwirken, the Israeli authorities imposed all sorts of restrictions and obstacles […]. Every Israeli passport was stamped with the words ,not valid for Germany‘; and official declarations were printed in the press stating that Israeli citizens who applied for travel permits for permanent residence in Germany would not be allowed to re-enter Israel.255

Im Gegensatz dazu wurden die deutsch-jüdischen Rückkehrer – anders als die übriggebliebenen DPs – von Seiten der deutschen Politik begrüßt und „perceived as potential contributors to the nation’s reconstruction and Western integration“256. Schon 1951 war das Direktorium des Zentralrats zu dem Schluss gekom253 Maor, Über den Wiederaufbau, 32. Laut Karola Fings wurden bis zum Jahr 1952 5.000, von 1952 bis 1955 weitere 1.000 und von 1955 bis 1959 nochmals 6.316 Remigranten registriert. Fings, Rückkehr, 24. 254 Fings, Rückkehr, 27 – 29, 31. 255 Mendel, The Policy, 122; Dachs, Deutsch-israelische Beziehungen, 74. 256 Mendel, The Policy, 125.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

250

Die Politik

men, dass der Dachverband – insbesondere unter Berücksichtigung der jüdischen Weltmeinung, Deutschland nach Hitler könne keine Heimat für Juden sein – eine jüdische Einwanderung nach Deutschland nicht offiziell fördern dürfe, sondern die Auswanderung unterstützen müsse. Van Dam schrieb hierzu: Die verantwortlichen Funktionäre der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland haben die Auswanderung von Juden in jeder Weise ermutigt. Sie hatten hierfür allen Anlass, nicht nur aufgrund der geschichtsphilosophischen Erwägungen, auf die ich hier nicht einzugehen habe und die Ihnen nach den Erfahrungen des letzten Jahrzehntes und den Stimmen aus Israel und des Weltjudentums allgemein bekannt sind. An konkreten Fakten, die für die Richtigkeit dieser Haltung sprachen, nenne ich den wiederaufflammenden Nationalismus, den deutschen Antisemitismus, die wirtschaftliche Unsicherheit und das beklemmende Gefühl, nach den vielen Jahren der Verfolgung inmitten des deutschen Volkes vielleicht in absehbarer Zeit einen dritten Weltkrieg durchstehen zu müssen. Der Ermutigung der Auswanderung entspricht eine Entmutigung von Juden, die nach Deutschland zurückzuwandern wünschen im Hinblick auf Wiedergutmachungsmöglichkeiten und andere Gründe. Wenn auch in einzelnen individuellen Fällen eine derartige Rückwanderung zeitweilig erfolgversprechend ist, so würde es nicht verantwortet werden können, im gegenwärtigen Zeitpunkt von der oben angegebenen Politik abzuweichen.257

Die Aussagen van Dams im Spiegel-Interview 1963 entsprachen dieser gemeinsam festgelegten Politik der zentralen Interessenvertretung. Zwar fand sich van Dam in der paradoxen Situation wieder, einerseits von der Rückwanderung abraten zu müssen, gleichzeitig aber die Existenzberechtigung jüdischer Gemeinden in der Bundesrepublik verteidigen zu sollen; doch hatte er die Position des Zentralrats bereits zweimal vor der Veröffentlichung des Spiegel-Interviews in publizierten Gesprächen zum Ausdruck gebracht, so dass der Inhalt der Befragung eigentlich für keines der Direktoriumsmitglieder eine tatsächliche Überraschung dargestellt haben dürfte.258 „In both his interviews he [van Dam] emphasized the fact that Germany was not a land for immigration and that the postwar Jewish communities should grow from the ,inside out‘“259, weist Meron Mendel in seinem Beitrag „The Policy for the Past in West Germany and Israel: The Case of Jewish Remigration“260 nach. Geboren wurde diese Haltung u. a. aus einer Furcht des Zentralrats vor wachsendem Antisemitismus, sollte die jüdische Gemeinschaft in zu kurzer Zeit zu stark anwachsen; allerdings könne man, so Mendel, gleichermaßen den Eindruck gewinnen, dass „the sharpness of his remarks in the second interview 257 Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar–August 1951, in: ZA, B.1/7.246. 258 Abgedruckt wurden die Gespräche in Das Parlament, 18. 12. 1957 und in Yediot Hadashot, 29. 5. 1959. Fings, Rückkehr, 29 f. 259 Mendel, The Policy, 132 f. 260 Mendel analysiert in seinem Beitrag für das LBI Yearbook 2004 die Positionen Israels, der BRD, der Juden in Deutschland und der Rückkehrer und stellt diese vergleichend gegenüber.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 251

may reflect a sense that by criticizing the returnees he could demonstrate his loyalty to Israel“261. Politisch ist die Positionierung des Zentralrats in dieser Frage sehr interessant: Denn trotz aller ausgesprochenen Warnungen vor einer Rückkehr von Juden nach Deutschland setzten sich die Mitglieder des Zentralrats zeitgleich bei der Bundesregierung für eine finanzielle Unterstützung jüdischer Rückkehrer von Seiten des deutschen Staates ein. Offiziell begründete man diesen Schritt mit der Finanznot der jüdischen Gemeinden, welche den Eintreffenden keine angemessene Unterstützung zukommen lassen konnten. Die Tatsache, dass keine aktiven Maßnahmen von Seiten des Zentralrats gegen Rückwanderer unternommen wurden und die Mitglieder des Direktoriums das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 entschieden unterstützten, das Verfolgten deutscher Staatsangehörigkeit, die zwischen 1933 und 1945 ausgewandert, deportiert oder ausgewiesen worden waren und nach dem 8. Mai 1945 in der Bundesrepublik ihren Wohnsitz nahmen, finanzielle „Soforthilfe“ in Höhe von 6.000 DM zusprach,262 führt deutlich vor Augen, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland in dieser Angelegenheit zweigleisig fuhr : „externally, towards Israel, they condemned the returnees, while internally, in their contracts with the German government, they supported a law, that directly contributed to inceasing the scale of remigration.“263 Die in den Augen der Repräsentanten unglückliche Veröffentlichung im Spiegel 1963 war also einerseits Auslöser dafür, die Haltung des Zentralrats zur jüdischen Existenz in Deutschland erneut zu diskutieren und gegebenenfalls neu zu definieren. Andererseits gab die dem Generalsekretär angelastete Fehlinformation Heinz Galinski und Werner Nachmann, der seit 1962 Mitglied des Direktoriums war, die Möglichkeit, einen neuen Versuch zu starten, um die Handlungsfreiheit des Generalsekretärs zu begrenzen. Van Dam, der diesen Seitenhieb anscheinend kommen sah, verwahrte sich bereits in der Direktoriumssitzung gegen die Beschränkung seiner Kompetenzen, denn zur Ausübung seiner Arbeit müsse „er als Generalsekretär die Möglichkeit haben […], Erklärungen abzugeben, für deren Inhalt er selbstverständlich den Gremien des Zentralrats verantwortlich sei“264. Entsprechend dieser Auffassung war es für den Generalsekretär folgerichtig, auf der nächsten Ratsversammlung des Zentralrats am 22. und 23. März 1964 darüber Auskunft zu geben, was er genau im Interview gesagt hatte: Ich habe niemals gesagt, daß Juden nicht nach Deutschland zurückwandern sollten, daß die Rückwanderung verboten wäre. Die Überschrift des Spiegels, die irreführend ist, ist nicht von mir. […] Daß ich den Standpunkt vertreten habe und vertrete, daß 261 262 263 264

Mendel, The Policy, 133 f. Vgl. hierzu auch Fings, Rückkehr, 27. Zur „Soforthilfe“ in Höhe von 6.000 DM vgl. Fings, Rückkehr, 26. Mendel, The Policy, 134. Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums, 27. 10. 1963, in: ZA, B.1/ 7.817.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

252

Die Politik

wir nicht die Verantwortung für die Rückwanderung übernehmen können – als jüdische Gemeinschaft sehe ich mich dazu nicht in der Lage und wenn andere es anders auffassen, so müssen Sie mich als Sekretär absetzen. […] Es war ungehörig vom Spiegel, eine Überschrift zu machen, die sich mit dem Text nicht deckte. Ich habe erklärt, daß wir das Recht haben, hier zu existieren und daß wir dieses Recht in Anspruch nehmen gegen eine jüdische Weltmeinung. Ich habe auch gesagt, daß wir hier die gleichen Rechte und Pflichten haben, all das, worüber wir uns hier alle einig sind.265

Und hinsichtlich der Position des Zentralrats erklärte der Generalsekretär : Es kann keine Rede davon sein, daß wir alle ein und dieselbe Meinung haben müssen, das wäre die Gleichheit des Todes. […] Wir müssen verschiedene Meinungen anhören, aber als Zentralrat eine bestimmte Linie verfolgen. Und die haben wir seit der Gründung verfolgt. Diese Linie geht dahin, daß wir die Interessen der jüdischen Gemeinschaft vertreten müssen, daß sie ein Recht auf Leben hat in jeder Richtung, kulturell und politisch. Für dieses Existenzrecht sind wir eingetreten. Wir haben verlangt: Keine Privilegierung aber auch keine Disqualifizierung. Wer Rechte hat, muß auch Pflichten übernehmen. Wir müssen unserer Bürgerpflicht nachkommen und uns für das Wohl der Allgemeinheit einsetzen. Das ist unser Standpunkt, wir können nicht sagen, wir haben nur Rechte und keine Pflichten. Das ist falsch. Wir müssen die Diskriminierung ablehnen. Wir haben eine Normalisierung zu verlangen und zu erwarten, das ist eine allgemeine Auffassung, mit der stehen und fallen wir. Wir haben keine doppelte Loyalität, das ist lächerlich. Wir müssen es ablehnen, in dieser Hinsicht als Juden in Deutschland besonders behandelt zu werden.

Damit hatte er die Haltung des Verwaltungsrats zusammengefasst, der sich tags zuvor ausführlich mit diesem Thema befasst hatte. Am Ende des Tages hatte sich die Einstellung der jüdischen Repräsentanz zu der diskutierten Frage nicht verändert, denn sie vertrat offiziell weiterhin die Ansicht, dass Deutschland kein Rückwanderungsland für Juden darstelle. Die heftige Auseinandersetzung zwischen Galinski, Nachmann und van Dam kann folglich nicht nur auf inhaltliche Differenzen zurückgeführt werden, sondern demonstriert einmal mehr, dass es auch um Machtverhältnisse innerhalb der deutsch-jüdischen Repräsentanz ging. Nachmann war ehrgeizig und Galinski nach der Wahl Lewins zum Vorsitzenden des Direktoriums gekränkt, d. h. beide hatten ein persönliches Interesse an der „Entmachtung“ van Dams, der mit dem Abklingen der Wiedergutmachungsverhandlungen langsam aber sicher an Boden gegenüber seinen Konkurrenten verlor. Nicht nur die Methodik, sondern auch der Inhalt standen zur Diskussion, als Karl Marx Ende 1966 kurz vor seinem Tod ein weiteres Mal in Konflikt mit dem Direktorium geriet. 265 Dieses und das folgende Zitat entstammen dem Protokoll der Ratsversammlung des Zentralrats, 22./23. 3. 1964, 49, in: ZA, B.1/7.864.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 253

Nach anfänglichen Erfolgen der Bundesregierung Erhard266 mehrten sich im Verlauf der Zusammenarbeit von CDU und FDP die Spannungen zwischen den Koalitionspartnern. Nach einer Auseinandersetzung über den Bundeshaushalt erklärten die Bundesminister der FDP, Mende, Dahlgrün, Scheel und Bucher, am 27. Oktober 1966 schließlich ihren Austritt aus der Bundesregierung, so dass Kanzler Erhard sich nur noch auf eine Minderheit des Bundestags stützen konnte. Da die CDU befürchtete, dass durch die Wiederaufnahme einer bürgerlichen Koalition die anstehenden politischen Aufgaben nicht gemeistert werden könnten, suchte sie den Kontakt zur SPD. Zeitgleich beschloss die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, einen neuen Kanzlerkandidaten zu wählen, und nominierte den Ministerpräsidenten des Landes BadenWürttemberg, Dr. Kurt Georg Kiesinger267, zum Kandidaten für die Nachfolge von Erhard. Kiesinger verhandelte zwecks Regierungsbildung zunächst mit der FDP, wandte sich nach dem Scheitern der Gespräche mit dem früheren Koalitionspartner jedoch der SPD zu, mit der bereits am 26. November 1966 eine Einigung erzielt wurde. Wenige Tage später, am 30. November 1966, erfolgte der Rücktritt Erhards und am Tag darauf die Wahl Kiesingers zum ersten Bundeskanzler einer großen Koalition.268 Im Vorfeld der Wahl Kiesingers wurde die „braune Vergangenheit“ des CDU-Politikers viel diskutiert und die Frage aufgeworfen, ob ein ehemaliges Mitglied der NSDAP Bundeskanzler werden dürfe. Am 11. November 1965 erschien in der Allgemeinen ein Artikel, der über die Vergangenheit des Kanzlerkandidaten Kiesinger sehr positive Erklärungen abgab und darlegte, dass die Verfolgten nach 1945 sehr sorgfältig geprüft hätten, wer die Demokratie in Deutschland aufbauen dürfe: Damals – als es unsere Aufgabe war, in aller Ausführlichkeit zu prüfen, wer nach dem Zusammenbruch eines verbrecherischen Regimes die Geschicke des deutschen Volkes in die Hand nehmen wird, geschah das zumindest von uns mit einer Gründlichkeit, die wohl nicht übertroffen werden konnte. Das war in den Jahren 1945 – 1949. Es gab keine Dienststellen der Alliierten oder der deutschen Behörden, bei denen wir keine Auskunft einzogen. Und zur damaligen Zeit gab es einen Mann, über den fast gar nichts oder nur sehr wenig gesprochen wurde, den man aber – und nicht etwa von parteigegnerischer Seite, sondern seitens seiner Parteifreunde – belasten zu müssen glaubte. Das war Kurt Georg Kiesinger.269 266 Rundel, Kurt Georg Kiesinger, 54. Zur Biografie von Ludwig Erhard (1897 – 1977) vgl. z. B. Berwid-Buquoy, Der Vater ; Hentschel, Ludwig Erhard; Hohmann, Ludwig Erhard; Mierzejewski, Ludwig Erhard. 267 Zur Biografie des aufgrund seiner Nazi-Vergangenheit umstrittenen Kurt Georg Kiesinger (1904 – 1988) vgl. Gassert, Kurt Georg Kiesinger ; Rundel, Kurt Georg Kiesinger; Buchstab/ Gassert/Lang (Hg.), Kurt Georg Kiesinger; Ernst, Kurt Georg Kiesinger ; Günther, Der Kanzlerwechsel; Schmoeckel/Kaiser, Die vergessene Regierung. 268 Vgl. Rundel, Kurt Georg Kiesinger, 54 f. 269 Karl Marx zitiert in: August Steuer, Aus der Werkstatt der Verleger : Wer Haß sät, wird auch Hass ernten, in: StaatsZeitung, 29. 11. 1966.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

254

Die Politik

Hinsichtlich der umstrittenen Tätigkeit Kiesingers während der NS-Zeit verwies der Verfasser, in diesem Fall der Herausgeber der Allgemeinen Karl Marx persönlich, auf das Protokoll einer Unterredung, die am 7. November 1944 zwischen einem SS-Obersturmführer Klumm vom Reichssicherheitshauptamt und einigen Referenten geführt worden war. Darin sei in Bezug auf Kiesinger gesagt worden, dass sich „unter den in der deutschen Auslandsinformation taetigen auf wichtigen Posten Maenner befinden, die jede starke Aktivitaet, Aktivierung der anti-juedischen Aufklaerung hemmen“. Für Marx ging aus diesem Statement eindeutig hervor, „dass es bei diesem Mann nur um Deutschland ging“ und es sich deshalb erübrige, „diese Dinge noch einmal aufzuwärmen“270. Insbesondere zwei Passagen der von Marx abgegebenen Erklärung wurden in der nichtjüdischen Presse vielfach wiedergegeben. „Es werde manche geben, die gerade den Juden den Vorwurf machen würden, diese Thematik aufzugreifen“, zitierte ihn beispielsweise das Flensburger Tageblatt, „aber wir sehen unsere Aufgabe darin, für Recht einzutreten, Unrecht zu verurteilen und in dem uns zukommenden kleinen Maß zu helfen, daß die Menschheit endlich zur Ruhe kommt“271. Und an anderer Stelle wurden folgende Worte des Herausgebers der Allgemeinen wiederholt: Wer Größe zeigen will – und wir haben viele Politiker, die das können – die sollen ganz gleich, welcher Parteirichtung, schon allein im Hinblick auf die Erfolge der NPD, Kurt Kiesinger die Hand entgegenstrecken und ihm sagen: ,Wir glauben dir und wollen mit dir zusammen endlich die [sic!] Bundesrepublik die demokratische Stabilität geben, auf die die ganze Welt seit Jahren leider vergeblich gewartet hat.272

Diese Unterstützung der Kanzlerkandidatur Kiesingers seitens der Juden sorgte innerhalb der jüdischen Gemeinschaft und unter den Direktoriumsmitgliedern des Zentralrats für großen Unmut. So erreichte van Dam beispielsweise ein aufgebrachtes Schreiben eines jüdischen Rechtsanwalts aus Baden-Baden, der den Generalsekretär aufforderte, Schritte gegen diese „Ehrenerklärung, die Herr Karl Marx für Herrn Ministerpräsidenten Kiesinger abgegeben hat“, zu unternehmen: In Anbetracht der Tatsache, daß durch diese Erklärung der Eindruck erweckt wird, als ob Herr Marx dazu qualifiziert sei, im Namen aller Juden in Deutschland zu sprechen, bin ich der Meinung, daß der Zentralrat Veranlassung hat, diesen Irrtum richtig zu stellen, da ich es mir wohl ersparen kann, darauf hinzuweisen, daß die von 270 Marx stellt sich vor Kiesinger, in: dpa 257 kr/mw 11. nov 66 2219, in: Archiv JA, Karl Marx ab 1963. 271 Grüber und Marx treten für Kiesinger ein. „Diesem Mann ging es nur um Deutschland“/ Dresbach: „Für mich ist es unerträglich…“, in: Flensburger Tageblatt, 14. 11. 1966. 272 Jüdischer Herausgeber stellt sich vor Kurt Georg Kiesinger, in: [o.A.], 14. 11. 1966, in: Archiv JA, Karl Marx ab 1963.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 255 Herrn Marx veröffentlichte Ehrenerklärung einzig und allein seine eigene Meinung darstellt, die von der Mehrzahl der Juden in Deutschland nicht geteilt wird.273

In einer ausführlichen Erörterung stellte der Verwaltungsrat zunächst fest, dass gerade derartige Prüfungen, auf die Marx sich berief, durch die Verfolgten nicht vorgenommen worden seien und auch keine Verantwortlichkeit der jüdischen Gemeinschaft darstellten.274 „Andernfalls wären nicht so viele Nazi-Aktivisten in hohe Positionen vorgerückt“, lautete ihr übereinstimmendes Fazit. Der Verwaltungsrat war sich weiter darüber einig, „daß es eine allgemeine Auffassung der Verfolgten sei, daß ehemalige Mitglieder der NSDAP nicht die höchsten Ämter des Staates innehaben sollten. Das sei aber auch eine Frage der deutschen Politik und jedenfalls keine Verantwortung der jüdischen Gemeinschaft.“275 Dieser politischen Überzeugung folgend hatte sich van Dam in seiner Funktion als Generalsekretär auch schon früher, beispielsweise im Zusammenhang mit den Polemiken gegen Staatssekretär Globke, zu Wort gemeldet.276 Durch „die bedauerliche Erklärung des Bundeskanzlers gegenüber Pressevertretern, wonach maßgebende jüdische Kreise den Kommentar zu den Blutschutzgesetzen von Globke als verhältnismäßig günstig bezeichnet und sich auf diese Weise hinter Globke gestellt hätten“277, war die jüdische Gemeinschaft in Deutschland 1956 unmittelbar in die Erörterung der Vergangenheit Globkes hineingezogen worden.278 Direkt im Anschluss an die Veröffentlichung dieser Aussage hatte van Dam in Schreiben an die für die Verbreitung dieser Falschaussage verantwortlichen Personen und Zeitungen darauf hingewiesen, „dass der Zentralrat der Juden in Deutschland (Mitglieder des Direktoriums einschl. der Stellvertreter und des Sekretariats) sich niemals in positivem Sinn über irgendeinen Kommentar zu den Nürnberger Blutschutzgesetzen geäussert hätten. Hinzugefügt wurde, dass eine derartige Prüfung auch in Zukunft nicht beabsichtigt sei, da sich die Blutschutzgesetze

273 Dr. A.W., Rechtsanwalt, an H.G. van Dam, 15. 11. 1966; H.G. van Dam an Herrn RA Dr. A.W., 11. 11. 1966, beide in: ZA, B.1/7.102. 274 Gegenüber verschiedenen Stellen äußerte van Dam Zweifel an der Echtheit des Dokuments. Vgl. H.G. van Dam an Mr. Phil Baum, AMERICAN JEWISH CONGRESS, New York, 15. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.102; H.G. van Dam an den ersten Bürgermeister von Hamburg, Prof. Dr. Herbert Weichmann, 18. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.102. 275 Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums des Zentralrats, 20. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.818. 276 Van Dam erinnerte bei dieser Gelegenheit daran, dass er auch schon früher in dieser Weise gewarnt hatte, vgl. hierzu z. B. H.G. van Dam an die Mitglieder des Direktoriums, 6. 4. 1956, in: ZA, B.1/7.119. Zu Globke vgl. Jacobs, Der Streit. 277 H.G. van Dam an die Mitglieder des Direktoriums, 6. 4. 1956, in: ZA, B.1/7.119. 278 Zu diesem Thema vgl. Bevers, Der Mann, bes. 66 – 84; Blomquist, Dr. Hans Globke; Bürovorsteher im Vorraum der Macht, in: Der Spiegel, 4. 4. 1956 sowie die entlastenden Beiträge von Robert Kempner und Ulrich von Hehl, in: Gotto (Hg.), Der Staatssekretär Adenauers.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

256

Die Politik

für eine juristische Betrachtung nicht eigneten.“279 Van Dam war ferner zu diesem Zeitpunkt davon überzeugt, daß es zur Zeit überhaupt nicht mehr um den Kommentator der Nürnberger Gesetze geht, sondern um die Auseinandersetzung von SPD, FDP mit der CDU. Dr. Thomas Dehler, der jetzt auf die Vergangenheit Bezug nimmt, hat als Bundesjustizminister an der Ernennung des Herrn Dr. Globke zum Staatssekretär mitgewirkt, obwohl ihm damals die Tatsachen bekannt waren, die von anderer Seite und zwar auch von jüdischer Seite, vorgetragen waren. Dr. Globke wird als ,graue Eminenz‘ wegen seines Klerikalismus, seiner engen Verbindung mit der katholischen Kirche und als Vertrauensmann des Bundeskanzlers angegriffen. Die jüdischen Gemeinden und ihre Spitzenorganisationen sollen ihre Meinung in Angelegenheiten, die sie angehen, unbestechlich zu dem Zeitpunkt äußern, der ihnen gelegen ist. Sie stehen nicht für die eine oder andere Partei oder gar für das eine oder andere Presseorgan zur Verfügung, um auf ein gegebenes Schlagwort hin mit Erklärungen an die Öffentlichkeit zu treten.280

Diese Erklärung van Dams bedarf einiger Aufmerksamkeit, denn sie beleuchtet einen zentralen Aspekt der vom Zentralrat verfolgten Politik: Explizit fordert van Dam in diesem Kontext eine kritische inhaltliche Auseinandersetzung der Juden in Deutschland mit Angelegenheiten, die sie angehen, verweigert sich jedoch der Instrumentalisierung von Dritten zur Aufbesserung ihrer eigenen Argumentation bzw. Position. Van Dam lehnte es also in diesem konkreten Fall 1956 ab, zu der Vergangenheit Globkes Stellung zu beziehen, weil hier die Juden als Fürsprecher Globkes instrumentalisiert werden sollten bzw. wurden; grundsätzlich erachtete er Kritik z. B. an der Personalpolitik der Bundesregierung, dem 1951 vom Bundestag verabschiedeten „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“281 oder der Abwicklung des Kriegsverbrecherproblems282 für durchaus gerechtfertigt, solange es im Interesse der jüdischen Gemeinschaft erforderlich schien.283 1966 empfanden die Direktoriumsmitglieder des Zentralrats die Tatsache, dass amerikanische jüdische Organisationen Erklärungen abgaben, in denen sie sich gegen den Kanzlerkandidaten der CDU aussprachen, fast ebenso „schädlich“284 wie die Veröffentlichung von Marx: „Der Verwaltungsrat hält es für schädlich, dass in der Öffentlichkeit durch bestimmte Erklärungen der 279 280 281 282 283

H.G. van Dam an die Mitglieder des Direktoriums, 6. 4. 1956, in: ZA, B.1/7.119. Ebd. Zur Rehabilitierung und Versorgung der „131“er vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, 69 – 100. Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, 266 – 306. Vgl. hierzu die Artikel, die Marx und van Dam in der Allgemeinen veröffentlichten: G. J., Prüfstein des Vertrauens, in: AWJD, 21. 7. 1950; …x [Karl Marx], Dr. Adenauers treuester Beamter, in: AWJD, 8. 6. 1951; H.G. van Dam, Das Problem der Verantwortung. Die Besetzung von Schlüsselpositionen, in: AWJD, 7. 2. 1964. 284 H.G. van Dam an Herrn RA Dr. Alfred Wachsmann, 11. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.102.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 257

Eindruck erweckt worden ist, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland in der einen oder anderen Weise unmittelbar interveniere“, heißt es entsprechend im Protokoll der Verwaltungsratssitzung des Direktoriums des Zentralrats vom 20. November 1966.285 Deutlicher formulierte van Dam die Haltung des Zentralrats in einem Schreiben an den American Jewish Congress, in dem er unmissverständlich zu den „von nichtoffizieller jüdischer Seite in Deutschland und von amerikanischen jüdischen Organisationen abgegebenen Erklärungen zum Kanzlerkandidaten der CDU/CSU“286 Stellung bezog: Die Erklärung des Präsidenten des American Jewish Committee und eines führenden Mannes der Anti-Defamation-League haben hier eine ungünstige Resonanz gefunden. Interventionen dieser Art dienen nicht der jüdischen Sache. Wir haben auch die umgekehrte Intervention und eine ebenso übertriebene wie betriebsame Initiative zu Gunsten des Kandidaten Kiesinger nicht gebilligt. Die jüdischen Organisationen sind kein Denazifizierungsgremium, das Noten für gutes oder schlechtes Betragen ausgibt, sind ebenso wenig Inquisitoren wie berufsmäßige Reiniger, die ,Persil-Scheine‘ verkaufen.287

Ausnahmsweise stimmte Galinski in dieser Frage mit van Dam überein: Er wies zum einen darauf hin, dass Proteste wegen Parteimitgliedschaft bei dieser Sachlage schon zu einem früheren Zeitpunkt fällig gewesen wären, wenn man grundsätzliche Bedenken gegen den Einsatz von früheren NSDAPMitgliedern in der deutschen Politik hege.288 Zum anderen bestand Konsens darüber, dass der Zentralrat unter keinen Umständen in die Verhandlungen über die Regierungsneubildung in der einen oder anderen Form eingreifen dürfe.289 Da der Verwaltungsrat befürchtete, dass jede Erklärung des Zentralrats die Gefahr von Missdeutungen in der einen oder anderen Richtung, d. h. für oder gegen Kiesinger, in sich bergen würde, beschlossen seine Mitglieder, dass der Generalsekretär Äußerungen, die ihm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unterstellt worden waren – obwohl er sich der Zeitung gegenüber nicht geäußert hatte –, nicht dementieren sollte, da dies eine negative Erklärung bedeuten würde. Stattdessen sollte im Jüdischen Presse Dienst, dem seit November 1965 monatlich erscheinenden Mitteilungsblatt des jüdischen Dach285 Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums des Zentralrats, 20. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.818. Vgl. hierzu auch H.G. van Dam an den ersten Bürgermeister von Hamburg, Prof. Dr. Herbert Weichmann, 18. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.102. 286 Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums des Zentralrats, 20. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.818. 287 H.G. van Dam an Mr. Phil Baum, AMERICAN JEWISH CONGRESS, New York, 15. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.102. 288 In gleicher Weise argumentierte van Dam gegenüber den amerikanischen jüdischen Organisationen, vgl. H.G. van Dam an Mr. Phil Baum, AMERICAN JEWISH CONGRESS, New York, 15. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.102. 289 Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums des Zentralrats, 20. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.818.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

258

Die Politik

verbands, ein Artikel veröffentlicht werden, aus dem die Position des Zentralrats deutlich hervorgehen sollte.290 Diesem Beschluss entsprechend erschien im Dezember 1966 der Beitrag „Die neue Regierung“, in dem die neutrale Position erklärt wurde: Der Verwaltungsrat des Zentralrats hat es nachdrücklich abgelehnt, im Stadium der Regierungsneubildung zu Personenfragen Stellung zu nehmen. Es handelt sich hier um eine Verantwortlichkeit der demokratischen Parteien, die in der Volksvertretung ihrem Willen Ausdruck geben. Der Zentralrat kann im Jahre 1966 nicht die Funktion einer Spruchkammer übernehmen und in diesem Zusammenhang weder als Ankläger noch als Verteidiger auftreten, so lange es sich nicht um Personen handelt, die Verbrechen gegen die jüdische Gemeinschaft nachweislich begangen haben. Aus diesen Gründen erschienen uns auch die von jüdischer Seite abgegebenen Erklärungen unglücklich, weil sie der jüdischen Gruppe eine Verantwortlichkeit auferlegen, die nicht sie, sondern die deutschen politischen Instanzen tragen.291

Kiesinger selbst, dessen Arbeit als Ministerpräsident von Baden-Württemberg von den Direktoriumsmitgliedern des Zentralrats grundsätzlich positiv beurteilt wurde,292 betonte gegenüber Lilli Marx nach dem Tod ihres Mannes am 15. Dezember 1966 die tiefe Dankbarkeit, die er diesem gegenüber für seine Unterstützung empfand: Ich habe einen wirklichen Freund verloren, auf dessen Rat ich mich immer verlassen konnte. Aber nicht nur ich, sondern das deutsche Volk überhaupt schuldet dem Verstorbenen großen Dank, der sich mit der ganzen Kraft seines Herzens für die Versöhnung eingesetzt hat. – Sie wissen, welch großen Anteil der Verstorbene an meinem Entschluß hatte, mich für das Amt des Bundeskanzlers bereitzustellen und wieviel er dazu beitrug, Verzerrungen und Verleumdungen abzuwehren. Ich werde den edlen Mann nie vergessen.293

Genau die hier zum Ausdruck gebrachte Form des persönlichen Eintretens für einen Politiker im Rahmen eines Wahlkampfes, durch welche die jüdische Gemeinschaft in Deutschland als Instrument im Wahlkampf eingespannt und die Problematik zu einer jüdischen Angelegenheit gemacht wurde, lehnten die Direktoriumsmitglieder des Zentralrats strikt ab. Es ging in dieser Auseinandersetzung mit Marx also nicht vorrangig (obwohl natürlich auch) um die Frage, wer als Sprecher der Juden in Deutschland auftreten dürfe (was ihm nach Meinung der Direktoriumsmitglieder nicht zustand). Der zentrale Streitpunkt, der im Rahmen dieser Auseinandersetzung in den Blickpunkt 290 Ebd. 291 Die neue Regierung, in: Jüdischer Presse Dienst 13/66, Dezember 1966, 2 f. 292 Vgl. hierzu die Aussagen van Dams in seinem Schreiben an Mr. Phil Baum, AMERICAN JEWISH CONGRESS, New York, 15. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.102; Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums des Zentralrats, 20. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.818. 293 Beileid zum Tode von Karl Marx, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 160, 21. 12. 1966, 1296.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 259

rückte, war die Frage, welche Rolle die Juden in Deutschland Mitte der 1960er Jahre innerhalb der Bundesrepublik einnehmen konnten oder sollten. Und genau in diesem Punkt unterschieden sich inzwischen die Ansichten der zwei politischen Hauptakteure: Während sich van Dam und mit ihm der Zentralrat dezidiert für eine von den Interessen der deutschen Politik unabhängige Positionierung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland stark machte, ging Marx mehr und mehr in der Rolle des Fürsprechers der Deutschen und ihrer politischen Repräsentanz auf. Solange die Existenz jüdischen Lebens in Deutschland noch zur Diskussion gestanden hatte und der Ausgang der Verhandlungen um das Fortbestehen der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik ungewiss gewesen war, waren die Sprecher der kleinen jüdischen Minderheit vereint im Kampf für die innere Konsolidierung und Stabilisierung der jüdischen Gemeinschaft, der für viele Jahre das oberste und gemeinsam verfolgte Ziel war. Mitte der 1960er Jahre schienen diese existentiellen Fragen der Anfangsjahre weitestgehend geklärt, so dass das gegensätzliche Politikverständnis von Marx und van Dam – Bonn-orientiert vs. Bonn-distanziert – in den Vordergrund rückte. Besonders markant war diese Veränderung im Verhältnis der zwei politischen Hauptakteure zueinander bereits ein Jahr vor dem Fall Kiesinger hervorgetreten, als der Zentralrat Ende 1965 die Gründung eines Jüdischen Presse Dienstes beschloss. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel im Mai 1965 war es im Zusammenhang mit der Ernennung des deutschen Botschafters in Israel zu Differenzen zwischen der Allgemeinen und dem Zentralrat gekommen, was die Frage aufwarf, „ob man weiterhin den mittelbaren Weg der Information gehen wolle über eine Zeitung, auf die man nur einen intellektuellen Einfluß habe“294. Das Auswärtige Amt hatte den Zentralrat zur Person des deutschen Botschafters Dr. Rolf Friedemann Pauls295, der im August 1965 nach Israel entsandt wurde, nicht gehört. Die Direktoriumsmitglieder beanspruchten jedoch das Recht, die Bundesregierung darauf hinzuweisen, dass sie nach Meinung des Zentralrats hier nicht richtig gehandelt hatte. Der Konflikt mit Marx entstand deshalb, weil dieser die Entscheidung in der Allgemeinen positiv kommentiert hatte. Nachmann erklärte dazu in einer Direktoriumssitzung, dass es aber nicht angehe, so Nachmann, „durch eine Zeitung, die als Sprachrohr des Zentralrats gelte, diese Falschentscheidung der Bundesregierung zu sanktionieren und dadurch in Israel hoffähig zu machen“296. Van Dam, der die Frage nach einer unabhängigen Publikation des Zentralrats angeschnitten hatte, wies im Verlauf der Debatte im Direktorium darauf hin, dass 294 Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums, 3. 10. 1965, in: ZA, B.1/7.818. 295 Zur Biografie und Tätigkeit von Dr. Rolf Friedemann Pauls (1915 – 2002) vgl. Conze u. a., Das Amt, 500; Pauls, Rolf, in: Internationales Biografisches Archiv 34 (1985), 12. 8. 1985. 296 Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 5. 12. 1965, 6, in: ZA, B.1/7.828.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

260

Die Politik

seiner Meinung nach „auch im Zusammenhang mit der Errichtung der israelischen Botschaft in Deutschland […] eine verstärkte Informationstätigkeit erforderlich [werde]. Aus all dem folge, daß man die Informationstätigkeit erheblich erweitern müsse, und zwar müsse man einerseits mehr Informationen einholen, andererseits die Stimme des Zentralrats stärker zur Geltung bringen.“ Nicht zuletzt brachte der Generalsekretär seine Sorge darüber zum Ausdruck, dass sein Mitarbeiter Werner Fürstenau Ende des Jahres ausscheiden werde und man rechtzeitig für einen geeigneten Ersatz sorgen müsse. Nachmann pflichtete dem Generalsekretär bei, daß der Zentralrat zur Zeit davon abhängig sei, ob der Herausgeber der Allgemeinen die Stellungnahmen des Verwaltungsrats veröffentlichen wolle oder nicht. Man habe es bisher noch nicht erreichen können, bei groben politischen Fehlern die Meinung des Zentralrats in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Er fordert eine Verstärkung der Kontakte zwischen dem Sekretariat und den einzelnen Bundesministerien.297

Zur Frage der Publizität schlug van Dam abschließend vor, ein eigenes Blatt herauszugeben: Der Zentralrat solle einmal monatlich eine Anzahl Mitteilungen und auch Meinungsäußerungen in gedruckter Form herausgeben, um so die Auffassung der jüdischen Dachorganisation bekannt zu geben. Dieser Vorschlag fand die Zustimmung der Mitglieder des Verwaltungsrates, der entsprechend der Empfehlung des Generalsekretärs beschloss, ab sofort „ein Bulletin herauszugeben, das monatlich und zu besonderen Anlässen erscheinen soll“298. Auf der Verwaltungsratssitzung Ende Oktober legte Paul Spiegel299, den van Dam von der Allgemeinen als neuen festen Mitarbeiter des Zentralrats abwarb,300 dem Direktorium den Entwurf für die erste Nummer des Jüdischen Presse Dienstes vor.301 Wie der Generalsekretär bei dieser Gelegenheit bekannt gab, solle diese Publikation zwar keine Zeitung ersetzen, jedoch handele es sich auch nicht um einen reinen Nachrichtendienst. Der Kreis der Mitarbeiter wurde zunächst auf den Verwaltungsrat beschränkt und ferner bestimmt, die Redaktion bei van Dam und Spiegel anzusiedeln.302 Ab November 1965 wurde der Informationsdienst entsprechend dem Verwaltungsratsbeschluss monatlich an die gesamte deutsche Presse, einen Teil 297 Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums, 3. 10. 1965, in: ZA, B.1/7.818. 298 Ebd.; Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums, 17. 10. 1965, in: ZA, B.1/7.818. 299 Paul Spiegel (1937 – 2006) war Journalist und Unternehmer. 1958 begann er ein Volontariat bei der Allgemeinen und war hier bis 1965 als Redakteur tätig; anschließend arbeitete er beim Zentralrat. Von 2000 bis zu seinem Tod 2006 war er Präsident des Zentralrats. Zu seiner Biografie vgl. Spiegel, Wieder zu Hause? 300 Protokoll über die Ratstagung des Zentralrats, 22. 5. 1966, in: ZA, B.1/7.890; Spiegel, Wieder zu Hause?, 140 f. 301 Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums, 26. 10. 1965, in: ZA, B.1/ 7.818. 302 Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums, 17. 10. 1965; Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums, 26. 10. 1965, beide in: ZA, B.1/7.818.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Leiten und Lenken? Die Politik der jüdischen Repräsentanz nach innen 261

der ausländischen Presse, die Behörden und die jüdischen Funktionäre mit der Absicht verschickt, „eine Verbesserung des bisher schon guten Kontakts mit den Organen der öffentlichen Meinung [herzustellen], die einen Anspruch darauf hat, Fakten ohne Verschleierung und Gedanken ohne Verbeugung vor der Autorität zu erfahren“303. Damit stand der Jüdische Presse Dienst in direkter Konkurrenz zur Allgemeinen, von der sich der Zentralrat gezielt abgrenzte und für die van Dam „unter den gegenwärtigen Umständen keine Artikel mehr“304 schreiben wollte. Keineswegs, so stellte Nachmann auf der Direktoriumssitzung des Zentralrats am 5. Dezember 1963 fest, hätten van Dam oder Galinski aber davon gesprochen, die ,Allgemeine‘ ihrer publizistischen Freiheit zu berauben. Es stehe Herrn Marx vollkommen frei, in seiner Zeitung zu tun und zu schreiben, was er wolle. Der Zentralrat könne es sich aber nicht erlauben, daß man ihn mit diesen Äußerungen identifiziere.305

Aber auch die Beteuerung van Dams, „daß der Pressedienst kein Konkurrenzunternehmen zur ,Allgemeinen‘ sein soll“306 und die Glückwünsche, die Marx nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe in seiner Zeitung veröffentlichte,307 konnten die Distanz zwischen den zwei Protagonisten, die durch diese Entscheidung offensichtlich wurde, nicht länger überdecken. Anhand der erhaltenen Unterlagen lässt sich nicht genau bestimmen, ob sich das Verhältnis zwischen den zwei Akteuren vor dem Tod von Marx im Dezember 1966 wieder verbesserte.308 Dass der Bruch diesmal womöglich tiefer ging als bei vorausgegangenen Auseinandersetzungen309, veranschaulicht eine Bemerkung des früheren Kulturdezernenten des Zentralrats, Dr. Hans Lamm, der seit 1961 als Abteilungsleiter der Münchner Volkshochschule tätig war. Als früherer Mitarbeiter des Zentralrats und regelmäßiger Verfasser von Beiträgen für die Allgemeine stand er zum Zeitpunkt der Eskalation des Konflikts mit beiden Herren in Kontakt und erwiderte auf eine Anfrage van Dams, der ihn einlud, für den Zentralrat einige Aufgaben zu übernehmen: 303 Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 5. 12. 1965, 6, in: ZA, B.1/7.828; Zum Geleit, in: Jüdischer Presse Dienst, Nr. 1, November 1965, 1 f. 304 Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums, 26. 10. 1965, in: ZA, B.1/ 7.818. 305 Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 5. 12. 1965, 6, in: ZA, B.1/7.828. 306 Ebd. 307 Marx, Ein alter Wunsch erfüllt. Zum „Jüdischen Presse Dienst“, in: AWJD, 24. 12. 1965. 308 In der Allgemeinen erschienen 1966 zwar vereinzelt Artikel van Dams, allerdings handelte es sich bei diesen wohl mehrheitlich um Abdrucke aus dem Pressespiegel, der auch der Redaktion der Allgemeinen zugestellt wurde. 309 Lilli Marx bestätigte in einem Interview, dass es wegen des Anspruchs ihres Mannes, „eine unabhängige Zeitung zu leiten, eben auch unabhängig vom Zentralrat“ in den letzten Lebensjahren ihres Mannes „heftige Auseinandersetzungen mit dem Zentralrat“ gegeben habe. Die Zusammenarbeit in der Anfangszeit hingegen sei gar kein Problem gewesen. Brenner, Nach dem Holocaust, 183.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

262

Die Politik

Z. Z. besteht jedoch als unüberwindliches Hindernis Ihr Konflikt mit Herrn MARX. Als Außenstehender will ich mir ein Urteil über die Meriten auf der einen oder anderen Seite gar nicht anmaßen. Als weiser Jurist wissen Sie besser als ich, daß ,Schuld‘ nie allein auf einer Seite liegt, und wer hat letzten Endes ein Interesse daran, festzustellen, wo das Mehr des Verschuldens liegt? Fest steht, daß dieser Bruderkrieg im deutsch-jüdischen Haus n u r unseren Feinden dient, und nicht Ihnen, nicht dem Zentralrat und nicht KM – gleichviel wer ,gewinnt‘! Jeder ,Sieger‘ hätte nur einen Pyrrhus-Sieg errungen, dessen er nicht froh werden könnte. Alle Ihre und MS Freunde werden nur erleichtert aufatmen, wenn das Kampfbeil wieder begraben wird, und ein modus vivendi erreicht wird, der allen Beteiligten zur Ehre gereichen wird.310

2. Präsentieren und Positionieren? Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen Jüdisch-institutionelles Leben in der Bundesrepublik entwickelte sich in den 1950er und 1960er Jahren keineswegs isoliert von der nichtjüdischen deutschen Mehrheitsgesellschaft oder unabhängig von der Politik der internationalen jüdischen Organisationen. Nicht zuletzt gab es im Zusammenhang mit den Wiedergutmachungsverhandlungen schon frühzeitig zahlreiche Kontakte zwischen der deutsch-jüdischen Repräsentanz einerseits und deutschen Politikern, Vertretern der jüdischen internationalen Organisationen und seit 1948 auch Repräsentanten des Staates Israel andererseits. Nachdem im vorausgegangenen Kapitel die innerjüdischen Entwicklungen in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt worden waren, analysiert das folgende Kapitel zur Ergänzung dieser Innenperspektive die nach außen eingenommene Haltung der beiden politischen Hauptakteure. Die systematische Analyse einer Vielzahl von Reden und Veröffentlichungen sowie die Auswertung der erhaltenen Korrespondenzen, Protokolle und Kommentare von Karl Marx und Hendrik G. van Dam sowie ihrer politischen Partner machten deutlich, dass die von ihnen artikulierte Forderung nach Anerkennung insbesondere in der Anfangszeit ihrer Tätigkeit das Hauptziel der von ihnen formulierten Interessenpolitik darstellte. Ob im Zusammenhang mit den Wiedergutmachungsverhandlungen oder in dem Bemühen um ein positives deutsch-jüdisches Selbstverständnis – die zwei Repräsentanten verwiesen immer wieder auf die Existenzberechtigung der jüdischen Gemeinden in Deutschland und machten diese zum Ausgangspunkt ihrer Forderungen gegenüber der Bundesrepublik, den internationalen jüdischen Organisationen und dem Staat Israel. Diesem Ergebnis Rechnung tragend greift die Struktur des folgenden Ka310 Hans Lamm an H.G. van Dam, 15. 12. 1965, in: StadtAM, NL Lamm, Akt 89.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

263

pitels diesen Leitgedanken der von Marx und van Dam verfolgten „Außenpolitik“ auf und diskutiert zunächst den Kampf um Anerkennung und Recht am Beispiel der Wiedergutmachung, die als Gradmesser der Akzeptanz verstanden wird. Im zweiten Teil wird vor dem Hintergrund der in der jüdischen Welt lange verbreiteten Ablehnung jüdischer Präsenz im „Land der Täter“ das Bemühen der beiden politischen Hauptakteure nachgezeichnet, sich und der jüdischen Gemeinschaft Legitimität und internationales Ansehen zu verschaffen.

2.1 Der Kampf um Anerkennung und Recht – Die Frage der Wiedergutmachung als Gradmesser Schon in den 1940er Jahren gehörte die Wiedergutmachungsfrage zu den Leitmotiven der von Marx herausgegebenen Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt ging es dem Herausgeber der jüdischen Zeitung vor allem darum, Recht und Wiedergutmachung für die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung einzufordern bzw. Missstände und Versäumnisse der Besatzungsmächte und der Bundesregierung auf diesem Gebiet anzuprangern. Höhepunkt seiner Aktivität auf diesem Gebiet stellte das 1949 auf der Titelseite der Allgemeinen abgedruckte Interview mit Konrad Adenauer dar, in dem der Kanzler der gerade ins Leben gerufenen Bundesrepublik die Bereitschaft des deutschen Volkes betonte, „das Unrecht, das in seinem Namen verübt wurde, soweit wiedergutzumachen, wie dies nur möglich ist“311. Nach dieser ersten Stellungnahme zur materiellen Wiedergutmachung von Seiten der deutschen Regierung ging es in den nächsten Jahren in den Verhandlungen schwerpunktmäßig um die Ausarbeitung und Umsetzung eines konkreten Programms der Entschädigungszahlungen für Juden, in dem neben Israel und den internationalen jüdischen Organisationen auch die in Deutschland lebenden Juden berücksichtigt werden wollten. Auf dem Weg zu einer Regelung, die bei allen Beteiligten Zustimmung fand, mussten viele Hürden genommen werden: Fast zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Adenauer-Interviews in der Allgemeinen kam es auf dem Kongress des Interparlamentarischen Rates Ende August 1951 in Istanbul unter Schweizer Vermittlung zu einem Gespräch zwischen drei deutschen und drei israelischen Abgeordneten. Die Deutschen – Carlo Schmid (SPD), Heinrich von Brentano (CDU) und Robert Tillmanns (CDU) – bekannten sich zur Pflicht materieller Wiedergutmachung und wollten der Bundesrepublik infolge ihres Gespräches nachdrücklich empfehlen, Verhandlungen darüber mit Israel aufzunehmen.312 Kurz zuvor hatte Israel in dieser Sache bereits eine 311 Karl Marx, Bekenntnis zur Verpflichtung, in: AWJD, 25. 11. 1949. 312 Benz, Das Luxemburger Abkommen 1952, 111; Geller, Jews, 221 – 226.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

264

Die Politik

Note an die Besatzungsmächte gesandt, in der die israelische Regierung ihre Forderung nach materieller Wiedergutmachung erhoben hatte. Da der Staat Israel erst 1948 gegründet worden war, konnte er völkerrechtlich keine Reparationsansprüche gegen den oder die Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches anmelden. Von israelischer Seite berief man sich deshalb darauf, dass der jüdische Staat den jüdischen Verfolgten Zuflucht geboten und etwa 500.000 der überlebenden und heimatlos gewordenen Juden in Israel eingegliedert habe; die daraus entstandenen (finanziellen) Belastungen sollten deshalb zu zwei Dritteln von der BRD und zu einem Drittel von der DDR getragen werden.313 Die vier alliierten Mächte forderten die Israelis auf, den Kontakt mit der deutschen Bundesregierung zu suchen.314 An direkte Verhandlungen zwischen den zwei Staaten war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht zu denken, weshalb von jüdischer Seite – einem Wunsch Adenauers entgegenkommend – der Vorsitzende des WJC und seit Oktober 1951 auch der Conference on Jewish Material Claims Against Germany315, Dr. Nahum Goldmann, zum Vertreter der Interessen Israels und der jüdischen Organisationen außerhalb Israels bestimmt wurde.316 Es folgte wenig später, am 27. September 1951, Adenauers Regierungserklärung, in der er die von der israelischen Regierung verlangte Kollektivschulderklärung zwar verweigerte, jedoch klar die Bereitschaft der deutschen Regierung zum Ausdruck brachte, Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen übernehmen zu wollen.317 Diese Stellungnahme galt als Vorbedingung für die Aufnahme offizieller Gespräche zwischen Vertretern Israels und der Bundesrepublik, die am 21. März 1952 in Wassenaar bei Den Haag begannen und am Vormittag des 10. September 1952 mit der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens durch Bundeskanzler Adenauer als amtierendem Außenminister Deutschlands, Außenminister Moshe Sharett für den Staat Israel und Nahum Goldmann für die Claims Conference im

313 Minister of Israel an Principal Secretary of State, 16. 1. 1951, in: TNA: PRO, FO 371/ 93514 und Minister of Israel an Principal Secretary of State, 12. 3. 1951, in: TNA: PRO, FO 371/ 93515; Die Note der israelischen Regierung zum 12. 3. 1951, in: Vogel, Der deutsch-israelische Dialog, Bd. 1, 37 f; Die Reparationsforderung Israels an Deutschland, in: AWJD, 27. 7. 1951; Benz, Das Luxemburger Abkommen 1952, 111 f; Sagi, German Reparations, Kapitel 4. 314 Brodesser u. a. (Hg.), Wiedergutmachung, 29. 315 Die Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference oder CC) wurde im Oktober 1951 gegründet und existiert bis heute. Ihre Hauptaufgabe sah sie darin, „(1) to obtain funds for relief of Jewish victims of Nazi persecution, to aid rebuilding Jewish communities and institutions which Nazi persecution had devastated, and (2) to gain indemnification and restitution for individual victims of Nazi persecution“. Silvers, The Future, 219; Zweig, German Reparations, 26 – 43. 316 Benz, Das Luxemburger Abkommen 1952, 112. 317 Zum Wortlaut der Erklärung vlg. Verhandlungen des Bundestags, 1. WP Sten. Berichte 27. 9. 1951, http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/01/01165.pdf (1. 9. 2013), hier 6697 f sowie Benz, Das Luxemburger Abkommen 1952, 113; Goschler, Schuld, 162.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

265

Rathaus der Stadt Luxemburg ihren Abschluss fanden.318 Trotz anfänglicher Vorbehalte und heftiger Proteste gegen die Verhandlungen über eine Globalentschädigung in beiden Ländern hatte man sich zusammengefunden und war zu folgender Einigung gekommen: Laut Vertrag sollte Israel drei Milliarden DM in Warenlieferungen erhalten, die Claims Conference gemäß des beigefügten Protokoll Nr. 2 der Vereinbarung 450 Millionen DM.319 Im Haager Protokoll Nr. 1 wurden wichtige Grundsätze und viele Einzelheiten für die Ausarbeitung des Bundesentschädigungsrechts zwischen der deutschen Bundesregierung und der Claims Conference festgesetzt.320 Das Zustimmungsgesetz zum Luxemburger Abkommen wurde vom deutschen Bundestag am 18. März 1953 schließlich einstimmig verabschiedet.321 Sowohl über den Begriff der Wiedergutmachung als auch über die Reparationsverhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel bzw. jüdischen Organisationen außerhalb Israels ist bis heute in der wissenschaftlichen Forschung viel diskutiert und publiziert worden.322 Im Gegensatz dazu wurde den Auseinandersetzungen innerhalb der deutsch-jüdischen Repräsentanz und dem internen Streit um ihre Positionierung gegenüber den internationalen jüdischen Organisationen und der Bundesregierung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt.323 Im Folgenden soll es deshalb nicht um eine detaillierte Darstellung der historischen Ereignisse im Prozess der Wiedergutmachung auf der internationalen Bühne gehen; vielmehr soll die Problematik der Wiedergutmachung, die Hendrik G. van Dam als „für die Gründung des Zentralrats ausschlaggebend“324 erachtete, 318 Die deutsche Verhandlungsdelegation stand unter Leitung von Prof. Franz Böhm, dem Rektor der Universität Frankfurt, und Rechtsanwalt Otto Küster, der damals Vorsitzender der obersten Wiedergutmachungsbehörde des Landes Baden-Württemberg war. Die israelische Delegation leiteten Giora Josephtal, Schatzmeister der Jewish Agency und Leiter ihrer Flüchtlingsabteilung und ab Juni 1952 Vertreter der Claims Conference, sowie Felix Shinnar, der später Leiter der Israel Mission in Köln war. Die Verhandlungen dauerten – mit einzelnen Unterbrechungen – vom 21.3. bis zum 27. 8. 1952. Silvers, The Future, 218 – 226; Weingardt, „Wiedergutmachung“, 187 f. 319 Lillteicher, Raub, 351; Fings, Rückkehr, 25 – 27. 320 Hockerts, Wiedergutmachung, 181; Silvers, The Future, 223. 321 Vgl. Benz, Das Luxemburger Abkommen 1952; Dawidowitcz, German Collective Indemnity ; Weingardt, „Wiedergutmachung“. 322 Einen kompakten historischen Überblick über die Wiedergutmachung in Deutschland gibt Hockerts in seinem Aufsatz Wiedergutmachung. Vgl. auch Goschler, Schuld, bes. 147 – 292; Ders., Die Politik; Hockerts/Kuller (Hg.), Nach der Verfolgung; Jelinek, Israel; Lillteicher, Raub; Schwarz, Die Wiedergutmachung; Winstel, Verhandelte Gerechtigkeit. 323 Bisher geht lediglich Jay H. Geller in seiner Studie Jews in Post-Holocaust Germany im Kontext seiner Analyse der Wiedergutmachungsverhandlungen auf die unterschiedlichen Rollenverteilungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und deren Kontakte zur Bundesregierung und den internationalen jüdischen Organisationen ein. Im Mittelpunkt stehen in seiner Untersuchung jedoch die Beziehungen der deutsch-jüdischen Repräsentanz nach außen; eine Analyse der internen Auseinandersetzungen kommt hier vergleichsweise kurz. Vgl. Geller, Jews, 185 – 256. 324 Van Dam, Die Juden, 900.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

266

Die Politik

in Form einer Beziehungsgeschichte dargestellt werden, in der die jeweiligen Positionen, die Marx und van Dam als politische Hauptakteure gegenüber den Juden im Ausland, gegenüber den Deutschen und gegenüber sich selbst bzw. der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik einnahmen, in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Um den Rahmen der vorliegenden Analyse nicht zu sprengen, konzentriert sich die Darstellung im folgenden Kapitel auf die Positionierung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu den Reparationsforderungen im Interesse der Juden in Deutschland und in Israel bzw. der jüdischen internationalen Organisationen bis zum Abschluss des Luxemburger Abkommens, auch wenn der unter Zeithistorikern umstrittene Sammelbegriff der Wiedergutmachung nach der Definition von Hans Günter Hockerts mindestens fünf Teilbereiche umfasst: (1) Rückerstattung von Vermögenswerten, die den Verfolgten geraubt oder entzogen worden sind. (2) Entschädigungen für Eingriffe in die Lebenschancen, für den Verlust an Freiheit, Gesundheit, beruflichem Fortkommen und anderes mehr. (3) Sonderregelungen, vor allem im öffentlichen Dienst und in der Sozialversicherung, sowie (4) die juristische Rehabilitierung, deren Aufgabe es ist, Unrechtsurteile zu beseitigen, vor allem in der Strafjustiz, aber man denke auch an Unrechtsakte wie die Ausbürgerung und die Aberkennung akademischer Grade […] (5) eine Reihe zwischenstaatlicher Abkommen, die als weitere Kategorie dem Sammelbegriff der Wiedergutmachung zuzurechnen sind.325

2.1.1 Wiedergutmachungspolitik Bevor die Juden in Deutschland in der Lage waren, ihre Wiedergutmachungsansprüche gegenüber der westdeutschen Regierung und dem israelischen Staat bzw. den jüdischen internationalen Organisationen zu artikulieren, mussten sich die verschiedenen jüdischen Funktionäre über ihre Forderungen und die von ihnen angestrebte Rolle im Prozess der Wiedergutmachungsverhandlungen klar werden. Wollten sie abseits stehen und als Beobachter den Vorgang kommentieren? Wollten sie sich einbringen und als Beteiligte einen aktiven Beitrag zu den Verhandlungen leisten? Oder war es ihr Ziel, als Initiator und Betreiber in Erscheinung zu treten und den Prozess maßgeblich zu beeinflussen? Betrachtet man die Position, die sich Marx als Herausgeber der Allgemeinen Ende der 1940er Jahre gesichert hatte, so sind seine Interessen offensichtlich und kurz zusammengefasst: Durch seine journalistische Arbeit wollte Marx zum einen im Interesse der jüdischen Minderheit auf die Defizite hinsichtlich der Wiedergutmachung aufmerksam machen und eine Verbes325 Hockerts, Wiedergutmachung, 169. Abwehr gegen das Wort der Wiedergutmachung wurde in Historikerkreisen insbesondere aufgrund des verharmlosenden Charakters des Begriffs laut. Vgl. hierzu die Ausführungen von Hockerts, Wiedergutmachung, 167 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

267

serung der Situation herbeiführen. Zum anderen zielte er darauf ab, sich selbst als Mittler zwischen Deutschen und Juden, d. h. zwischen der deutschen Bundesregierung und den Juden in Deutschland einerseits sowie der deutschen Bundesregierung und der israelischen Regierung andererseits, zu etablieren.326 Diese Marx’sche Absicht – sich als führender Repräsentant der Juden in Deutschland darzustellen – hatte bereits vor der Gründung des Zentralrats zu Zusammenstößen zwischen dem Herausgeber der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland und Vertretern der zentralen Instanzen geführt. So kann dieser von Marx erhobene Anspruch beispielsweise als einer von zwei Hauptgründen dafür angesehen werden, dass ein von ihm geführtes Gespräch mit Kurt Schumacher im Herbst 1949 von Seiten der zentralen Instanzen der Juden in der britischen Zone, allen voran Norbert Wollheim, aufs Schärfste kritisiert wurde.327 Vom Stattfinden der Unterhaltung zwischen Marx und zwei jüdischen Gemeindevorsitzenden mit dem Spitzenpolitiker der SPD in Bonn erfuhr Wollheim letztlich erst aus der Presse und beklagte: „Aus dem Kommuniqu¦ ergibt sich eindeutig, dass sowohl Herr Dr. Schumacher, aber auch die Gesprächspartner auf jüdischer Seite von der Voraussetzung ausgegangen sein müssen, dass die offiziellen Repräsentanten der jüdischen Gemeinden diese Konferenz wahrnehmen.“ Dieses Verhalten, die Tatsache, nicht nur, daß die Vorgänge in Bonn einen bedauerlichen Mangel kollegialer Verantwortung den übrigen Mitgliedern der Gemeindeabteilung gegenüber aufweisen, fordert nunmehr eine Klärung, sondern auch die peinliche Demonstration unserer mangelnden Disziplin, die hierdurch den Gemeinden und Committees in den anderen Zonen gegenüber unter Beweis gestellt worden ist.

Die Reaktion auf diese Vorgänge von Seiten des ZKBZ war zweierlei: Zum einen übergab Wollheim „nach Konsultation mit den Chawerim Katz und Rosensaft“ der Presse die Erklärung, „daß ich als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden in der britischen Zone von der Unterhaltung in Bonn keine Kenntnis gehabt und an ihr nicht teilgenommen habe“. Zum anderen fand im Kreise der Exekutive des ZKBZ zur Frage des Zusammentreffens der Chawerim Dreifuß und Goldschmidt mit Schumacher eine ausführliche Beratung statt. Die mit diesem Engagement der Vorsitzenden im Zusammenhang stehende Auseinandersetzung habe, so stellte Wollheim fest,

326 Zur Interpretation des Verhaltens von Karl Marx während der ersten Nachkriegsjahre vgl. die ausführliche Diskussion in Kapitel II.1.3 und III.1.2. 327 Vgl. zu der Auseinandersetzung zwischen Wollheim und Marx z. B. Norbert Wollheim an die Chawerim Julius Dreifuß (Düsseldorf), Moritz Goldschmidt (Köln), Harry Goldstein (Hamburg), Siegfried Heimberg (Dortmund), Carl Katz (Bremen), Norbert Prager (Hannover) und Heinz Salomon (Kiel), 2. 10. 1949, in: StAHH, 522 – 2 (2005 – 1), 738.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

268

Die Politik

ihre endgültige Erledigung durch die nachfolgende einstimmig angenommene Resolution gefunden […]: ,Wer in Zukunft ohne ausreichende Beratung mit den Mitgliedern des Central Committees bezw. deren Vorsitzenden resp. ohne das Vorliegen einer entsprechenden gemeinsamen Entscheidung für die jüdische Gemeinschaft in überlokalen politischen Angelegenheiten tätig wird, stellt sich außerhalb unserer Gemeinschaft und zerstört die jüdische Einheit und damit das Grundprinzip unserer bisherigen Arbeit.‘328

Im März 1950 kam es über das Marx’sche Auftreten in jüdischen Angelegenheiten bei Regierungsstellen erneut zu schweren Auseinandersetzungen zwischen dem Herausgeber der Allgemeinen und dem ZKBZ.329 Infolge des eigenmächtigen Vorgehens von Marx teilte die Exekutive dem Herausgeber in einem Schreiben einstimmig mit, daß sie sich in Zukunft mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln gegen jeglichen Versuch von Ihrer Seite wenden wird, Vorstellungen allgemeinen Charakters bei deutschen Regierungsstellen oder sonstigen Behörden vorzunehmen, ohne daß Sie hierzu von der Vertretung der Judenheit in der britischen Zone bevollmächtigt resp. beauftragt worden sind. […] Sollten Sie trotz dieser Warnung sich auch weiterhin von eigenmächtigen Handlungen auf jüdisch-politischem und organisatorischen Gebiet nicht abhalten lassen, so ist die Executive entschlossen, zusammen mit den ihr angeschlossenen Gemeinden und Committees, in Zukunft jeglichen Kontakt mit Ihnen und Ihrer Zeitung abzubrechen.330

Daraufhin versicherte Marx bei nächster Gelegenheit, er wolle in Zukunft vermeiden, dass weiter Interviews im Namen „der Juden in Deutschland“ resp. der „deutschen Juden“ gegeben werden. Zudem kündigte er an, für künftige Stellungnahmen in seiner Zeitung zu allgemein-jüdischen und Tagesfragen nicht die Allein-Verantwortung tragen zu wollen und bat dringend um die Bildung einer Presse-Kommission, für die er als Sitz Frankfurt am Main und als Mitglieder Dr. Jacoby vom WJC, Dr. Auerbach, Dr. Allschoff, Dr. Ostertag, Dr. Vornberg (französische Zone) und einen Vertreter der britischen Zone (eventuell Norbert Wollheim) vorschlug – eine Idee, die bis zum Tod von Karl Marx immer wieder diskutiert, jedoch nie realisiert wurde.331 Als schließlich im Juli 1950 der Zentralrat ins Leben gerufen wurde, waren Abstimmungsschwierigkeiten und Auseinandersetzungen über Zuständigkeiten und die Frage der Repräsentation der deutsch-jüdischen Interessen zwischen dem ambitionierten Herausgeber und dem einen Alleinvertre328 Ebd. 329 Generalsekretär des ZKBZ, L. Zajf, an Karl Marx, 11. 4. 1950, in: StAHH, 522 – 2 (2005 – 1), 738; Sitzung des Zentralrats der Juden, 6. 9. 1950, in: ZA, B.1/7.221.4; Protokoll der Sitzung des vorläufigen Direktoriums des Zentralrats, 29. 11. 1950, in: ZA, B.1/7.221.7. 330 Generalsekretär des ZKBZ, L. Zajf, an Karl Marx, 11. 4. 1950, in: StAHH, 522 – 2 (2005 – 1), 738. 331 Protokoll der Sitzung der Interessenvertretung der Jüdischen Gemeinden und Kultusvereinigungen, 7. 5. 1950, in: ZA, B.1/13.A854; Sitzung des Zentralrats der Juden, 6. 9. 1950, in: ZA, B.1/ 7.221.4.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

269

tungsanspruch postulierenden jüdischen Dachverband vorprogrammiert. Bereits auf der ersten Sitzung des Direktoriums des Zentralrats am 20. August 1950 wurde entschieden, Karl Marx bei der nächsten Sitzung des Direktoriums einzuladen, da „das Verhältnis der jüdischen Instanzen zu den bestehenden jüdischen Zeitungen […] als unbefriedigend angesehen“332 wurde. Aber auch im Zuge dieses Anfang September herbeigeführten Treffens konnte keine zufriedenstellende Lösung gefunden werden, wie zukünftig die Abstimmung zwischen Zentralrat und Zeitung erfolgen sollte. Nach wie vor vertrat Marx die Idee einer Pressekommission; als zwei andere Möglichkeiten wurden die Ernennung eines Redakteurs von Seiten des Zentralrats oder die Reservierung einer halben Seite für Veröffentlichungen des Dachverbands diskutiert, jedoch konnte sich für keinen der Vorschläge eine Mehrheit finden. Die Direktoriumsmitglieder stimmten jedoch darin überein, dass der Zentralrat mit der jüdischen Presse zusammenarbeiten müsse, und erinnerten sich daran, dass das Jüdische Gemeindeblatt 1947 zum offiziellen Organ der Juden in Deutschland ernannt worden war. Entsprechend der damaligen Vereinbarung wollte man die Zusammenarbeit zunächst fortsetzen und der Zentralrat zur Absicherung seiner Interessen in Zukunft alle von ihm gewünschten Veröffentlichungen prüfen.333 Die verschiedenen Beispiele illustrieren, dass Machtkämpfe innerhalb der deutsch-jüdischen Elite zum Alltag gehörten und Konflikte keineswegs nur unter den west- und osteuropäischen Juden auftraten oder zwischen den regionalen und nationalen Interessenvertretungen ausgetragen wurden. Wie wirkten sich diese Kompetenzstreitigkeiten nun aber konkret auf die Haltung der deutsch-jüdischen Repräsentanz zur Frage der Wiedergutmachung aus bzw. wie beeinflussten sie das Verhalten von Marx und van Dam? Grundsätzlich gilt es bei der Untersuchung des Themas zu bedenken, dass die unterschiedlichen Facetten der Wiedergutmachung innerhalb der jüdischen Gemeinschaft seit Kriegsende einen hohen Stellenwert einnahmen und die praktischen Implikationen allgemein viel diskutiert wurden.334 Wie bereits ausführlich dargestellt, setzten sich auch Marx und van Dam entsprechend ihrer beruflichen Qualifikation in den Positionen, die sie während der ersten Jahre in der britischen Besatzungszone innehatten, intensiv mit unterschiedlichen Aspekten der Wiedergutmachung auseinander.335 Zur Annäherung an die nach außen eingenommene Haltung der zwei politischen Hauptakteure der deutsch-jüdischen Gemeinschaft bietet sich eine genauere Untersuchung der Berichterstattung zu diesem Thema in der Allgemeinen an,

332 Protokoll der ersten Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 20. 8. 1950, 2, in: ZA, B.1/ 7.221.3. 333 Protokoll der Sitzung des Zentralrats, 6. 9. 1950, in: ZA, B.1/7.221.4. 334 Vgl. hierzu z. B. van Dam, Die Juden, 900. 335 Vgl. hierzu bes. Kapitel II.1.3, Kapitel II.2.3 und Kapitel III.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

270

Die Politik

in der sich sowohl Marx als auch van Dam in den 1950er und 1960er Jahren regelmäßig zu Wort meldeten. Beide Akteure waren Anfang 1950 intensiv mit dem Thema der Wiedergutmachung befasst. Marx hatte kurz vor der Gründung des Zentralrats begonnen, die Herausgabe einer „Wiedergutmachungszeitung“ zu planen,336 während van Dam als juristischer Experte kurz vor Beginn seiner Tätigkeit für den Zentralrat als Sachverständiger ein Memorandum unter dem Titel „Das Problem der Reparationen und Wiedergutmachung für Israel“ für die israelische Regierung verfasst hatte. Der israelische Finanzminister hatte van Dam, zu dem Zeitpunkt anerkannter Experte auf dem Gebiet der Wiedergutmachung, um eine Analyse der juristischen Grundlage für Reparationsforderungen von Seiten des israelischen Staates gebeten.337 Unmissverständlich machte van Dam in seiner Antwort deutlich, dass „die Wiedergutmachung – bevor sie zu einem schwierigen Problem des Rechtes wird – […] ein Problem der Moral und der Politik [sei]. Das gilt für beide Teile, das deutsche Volk und das jüdische Volk.“338 Das Ergebnis der Situationsanalyse van Dams wiederum ging Hand in Hand mit dem von Marx 1950 in seiner Zeitung artikulierten Drängen auf einen schnellen Beginn der Wiedergutmachung. Van Dam resümierte: Die Erkenntnis der moralischen Pflicht, die besonders in den ersten Jahren nach der Kapitulation empfunden wurde, besteht auch heute noch bei einer Anzahl maßgebender Deutscher. Jedoch wird die Neigung, hieraus Konsequenzen zu ziehen, vor allem durch die Schaffung der notwendigen Gesetzgebung – schwächer und schwächer. Die Zeit arbeitet gegen die Wiedergutmachung, wie gegen die Verfolgung der Menschlichkeitsverbrecher und der Denazifizierung. Das in politische Handlung umzusetzende Gefühl der moralischen Verpflichtung erlahmt, wie auch die Besorgnis vor einer Kritik der Besatzungsmächte. Es verbleiben im Wesentlichen die realistischen Gedankengänge politischer und wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit. Es besteht bei den deutschen Regierungen auch heute noch ein Interesse an einer gewissen Bereinigung des Wiedergutmachungskomplexes, das politisch und ökonomisch motiviert ist. Der von politischen und wirtschaftlichen Motiven diktierte Wunsch, zu einer Bereinigung des Wiedergutmachungskomplexes zu kommen, die unliebsame Nazierbschaft abzuschütteln, wird noch für eine beschränkte Zeitdauer eine Rolle spielen. Die Gesetze, die nicht innerhalb dieser noch verbleibenden Zeitspanne erlassen werden, werden später niemals mehr erlassen werden. Das Gleiche gilt von Verträgen, Vergleichen und bis zu einem gewissen Grade sogar für die Bewirkung von Leistungen. 336 H.G. van Dam an den Ministerialdirigent Dr. Marcel FRENKEL, 13. 4. 1950, in: ZA, B.1/7.227; Dr. jur. Marcel Frenkel an H.G. van Dam, 18. 4. 1950, in: ZA, B.1/7.227. 337 H.G. van Dam, Das Problem der Reparationen und Wiedergutmachung für Israel, 1. 7. 1950, in: ZA, B.1/7.126. 338 Dieses und die zwei nachfolgenden Zitate sind entnommen aus H.G. van Dam, Das Problem der Reparationen und Wiedergutmachung für Israel, 1. 7. 1950, in: ZA, B.1/7.126.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

271

Sowohl Marx als auch van Dam vertraten demzufolge zu Beginn der 1950er Jahre die Meinung, dass von jüdischer Seite so schnell wie möglich eine Einigung mit der deutschen Regierung hinsichtlich möglicher Wiedergutmachungszahlungen anzustreben sei. Gemäß dieser Einschätzung kam van Dam in dem Memorandum zu dem Schluss, dass „eine Anzahl von Gründen […] heute eine unmittelbare Regierungsaktion für angezeigt erscheinen [lasse] und […] gegen die Zwischenschaltung anderer Institutionen [spreche]“ – einer von diesen war die Hoffnung, dass durch die Herbeiführung einer Absprache zwischen Israel und Deutschland der Zustand der internationalen Isolierung der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik beendet werden könnte. Wie der Berichterstattung der Allgemeinen zu entnehmen ist, setzte sich van Dam auch gegenüber den Deutschen für einen schnellen Beginn der Wiedergutmachungsverhandlungen ein. So stellte der Generalsekretär die Verschleppung der Wiedergutmachung, die Marx und van Dam ein besonderer Dorn im Auge war, in den Mittelpunkt seines Leitartikels „Verrinnende Zeit“ vom 9. November 1951. Kritisch bemerkte der Generalsekretär : Die Verabschiedung der Verwaltungsvorschriften zu dem Bundesgesetz ,zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes‘ darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß von Bundes wegen praktisch noch nichts für die Wiedergutmachung geschehen ist. […] Hier ist Wiedergutmachung nötig, und zwar in nächster Zukunft, weil der Schuldner seit Jahren in Verzug ist. […] Die Wiedergutmachung ist ein für Deutschland notwendiges Anliegen. Eine zu lange Verzögerung heißt Vereitelung. Die Zeit verrinnt!339

Marx hatte sich wenige Wochen zuvor in seinem Beitrag „Die Antwort drängt“ mit demselben Thema befasst. Seine Leitfrage lautete: „Wie erklärt sich das Stillschweigen der Bundesregierung auf die sowohl in der jüdischen als auch in der ausländischen Presse immer wieder veröffentlichte Feststellung, daß die Bundesregierung bisher keine offizielle Erklärung zur jüdischen Frage abgegeben hat, in welcher der Wille zur moralischen Wiedergutmachung erkennbar ist.“340 Und seine unbefriedigende Antwort: Nach allen uns zugegangenen Informationen hält Herr von Twardowski als der wichtigste Referent des Bundeskanzlers die jüdische Frage für gar nicht wesentlich. Das erklärt das Versäumnis, und wir würden bedauern, wenn unsere Vermutung zu Recht bestünde, denn gerade dieses Schweigen ist ja ein Grund für die ständige Wiederholung der gleichen Frage. Ist das nicht genug Veranlassung, daß sich die Skepsis gegenüber Deutschland immer aufs Neue vergrößert.341 339 H.G. van Dam, Verrinnende Zeit, in: AWJD, 9. 11. 1951. Vgl. hierzu auch H. Torren, Jüdischer Optimismus, in: AWJD, 28. 12. 1951. 340 …x [Karl Marx], Die Antwort drängt, in: AWJD, 20. 7. 1951. 341 Ebd. Fritz von Twardowski (1890 – 1970) trat Endes des Jahres 1922 in den auswärtigen Dienst. Anfang November 1950 wurde er stellv. Bundespressechef und Leiter der Auslandsabteilung,

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

272

Die Politik

In ihren Beiträgen kritisierten Marx und van Dam jedoch nicht nur die Verzögerungstaktik der Bundesregierung, sondern schenkten den unterschiedlichen Facetten der Wiedergutmachung insgesamt große Aufmerksamkeit. Unübersehbar werden die Leser auf den Titelseiten der jüdischen Zeitung auf die Inhalte dieser Beiträge hingewiesen: „Selbstentwertung der Justiz“ – „Restitution und Erziehung. Der Jüdische Weltkongreß zur Deutschlandfrage“ – „Menschliche Reaktion statt formeller Restitution. Kann aus der juristischen Wiedergutmachungsforderung eine humanitäre Verpflichtung werden?“ – „Rückerstattungsrechtliche Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches“ – „Vor Beginn der deutsch-jüdischen Reparationsverhandlungen“ lauten nur einige Überschriften aus den Jahren 1950 bis 1952. Sie geben einen kleinen Einblick in die Vielzahl der Themen, die von Marx und van Dam diskutiert wurden.342 Berichte über die Wiedergutmachungsverhandlungen zwischen der deutschen Bundesregierung und Israel bzw. den internationalen jüdischen Organisationen343 gehörten ebenso selbstverständlich zu den behandelten Themen wie deutsch-jüdische Entwicklungen in diesem Bereich, zu nennen sind hier zum Beispiel die Kommentierung des langsamen Fortschritts in der Entschädigungsgesetzgebung der Länder, Informationen zu den individuellen Ansprüchen jüdischer Verfolgter oder Erklärungen zu Details des Lastenausgleichs.344 Als Ergebnis der Untersuchung der Berichterstattung in der Allgemeinen lässt sich im Laufe der Zeit jedoch eine Veränderung der Argumentationsstruktur erkennen, die mit bestimmten autorspezifischen Besonderheiten einhergeht. Während Marx in den ersten Jahren des Erscheinens seiner Zeitung die Forderung nach Wiedergutmachung eng mit der Forderung nach Demokratisierung verflochten hatte, verwiesen Marx und van Dam in ihren Beiträgen zu Beginn der 1950er Jahre vor allem auf die moralische Versowie später kommissarischer Leiter des Bundespresseamtes. In dieser Funktion arbeitete er eng mit Konrad Adenauer zusammen und begleitete ihn auf seinen ersten Auslandsreisen. Nach seinem Ausscheiden aus dieser Stellung im November 1951 leitete er von 1952 bis 1955 die deutsche Botschaft in Mexiko. Vgl. Eintrag „Twardowski, Fritz von“ in: Munzinger Online/ Personen. Internationales Biografisches Archiv, http://www.munzinger.de/document/ 00000003619 (18. 6. 2013). 342 v.D., Selbstentwertung der Justiz, in: AWJD, 25. 8. 1950; AjW, Restitution und Erziehung. Der Jüdische Weltkongreß zur Deutschlandfrage, in: AWJD, 22. 9. 1950; H.G. van Dam, Rückerstattungsrechtliche Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches, in: AWJD, 6. 7. 1951; AjW, Vor Beginn der deutsch-jüdischen Reparationsverhandlungen, in: AWJD, 14. 3. 1952. 343 Vgl. z. B. Karl Marx, Jüdischer Weltkongreß ergreift Initiative. Dr. Nahum Goldmann will jüdische Ansprüche in Bonn vertreten, in: AWJD, 9. 3. 1951; Das Bekenntnis der Bundesregierung. Feierliche Erklärung des Bundeskabinetts vom Bundestag gebilligt, in: AWJD, 28. 9. 1951. 344 Vgl. z. B. AjW, Wiedergutmachungsprozeß um einen Tinoretto, in: AWJD, 3. 9. 1950; H.G. van Dam, Berliner Wiedergutmachungsgesetz und Lastenausgleich, in: AWJD, 3. 11. 1950; Ders., Bestrafung der britischen Zone? Gesetzesleerer Raum auf dem Gebiet der Wiedergutmachung, in: AWJD, 1. 6. 1951; Ders., Gesetz ohne Rechtsgehalt. Der Entwurf eines Entschädigungsgesetzes für Nordrhein-Westfalen, in: AWJD, 17. 8. 1951.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

273

pflichtung der Bundesregierung zur Aufarbeitung der Vergangenheit und riefen zur Wiederherstellung des Rechts auf.345 Gleichermaßen hoben sie in ihren Ausführungen den Kollektivanspruch Israels hervor, der von ihnen als ein „Anliegen des gesamten Weltjudentums“ bezeichnet wurde,346 und nutzten die Beiträge, um allgemeine Kritik an der Bundesregierung zu üben. In diesem Sinne konstatiert Karl Marx in seinem Beitrag „Beendigung des Kriegszustandes als Verpflichtung zur friedlichen Entwicklung“ vom 13. Juli 1951: „Es ist und bleibt das Versäumnis der Bundesregierung, in der ersten Regierungserklärung keine in allen Stücken ehrliche Abrechnung mit der Vergangenheit gehalten zu haben.“347 Wenig später warb der Herausgeber der jüdischen Zeitung allerdings für Verständnis und bot Erklärungen an, warum es der Bundesregierung erst vergleichsweise spät möglich gewesen sei, sich zu Fragen der Wiedergutmachung zu positionieren: Gewiß – und mit Recht – werden jüdische Stimmen fragen: Warum so spät? Diese Frage ist selbstverständlich, es ist aber auch zu bedenken, daß die Bundesregierung nicht immer konnte, wie sie wollte – welche außer einer totalitären Regierung kann das überhaupt? Es ist aber andererseits auch klar, daß die Bundesregierung, welche erst vor kurzem ihre nahezu volle Souveränität erhalten hat, erst nach Erlangung dieser Souveränität Erklärungen von derart weittragender Bedeutung abzugeben im Stande ist. Daß es so ist, beweist ja gerade die Tatsache, daß kurze Zeit nach Erlangung der Selbständigkeit in Verwaltung und Entscheidungsfreiheit jene Erklärung erfolgt.348

Mit diesen Worten nahm Marx Bezug auf die Regierungserklärung Adenauers vom 27. September 1951. Kurz darauf äußerte sich der Journalist in seinem Leitartikel „Jom Kippur – Tag der Versöhnung – Tag der Besinnung“ dann explizit zur „speziellen Aufgabe“ der Juden in Deutschland, wie er sie verstand: „darüber zu wachen, daß das, was begonnen hat, auch vollendet werde“349. Seiner Meinung nach hatten die Juden in Deutschland „selbst nicht wenige Steine dazu beigetragen […] durch unsere immer wieder ausgesprochenen Mahnungen und Aufrufe, auf dem blutbefleckten Boden der Vergan345 H.G. van Dam, Periode der Normalisierung, in: AWJD, 10. 7. 1951; AjW, Beendigung des Kriegszustandes als Verpflichtung zu friedlicher Entwicklung, in: AWJD, 13. 7. 1951; Karl Marx, 5712. Jahr der Besinnung, Jahr der Entscheidung, in: AWJD, 28. 9. 1951; H.G. van Dam, Unteilbarkeit des Rechts, in: AWJD, 12. 10. 1951. 346 H.G. van Dam, Verrinnende Zeit, in: AWJD, 9. 11. 1951. Vgl. hierzu auch H.G. van Dam, Der Anspruch Israels, in: AWJD, 26. 1. 1951; AjW, Beendigung des Kriegszustandes als Verpflichtung zu friedlicher Entwicklung, in: AWJD, 13. 7. 1951. 347 AjW, Beendigung des Kriegszustandes als Verpflichtung zu friedlicher Entwicklung, in: AWJD, 13. 7. 1951. 348 Karl Marx, 5712. Jahr der Besinnung, Jahr der Entscheidung, in: AWJD, 28. 9. 1951. Eine vergleichbare Argumentation findet sich z. B. in Marx, Ein Gruß nach Südamerika, 44. 349 Karl Marx, Jom Kippur – Tag der Versöhnung – Tag der Besinnung, in: AWJD, 5. 10. 1951. Eine Analyse der Statements zur Wiedergutmachung bis zur Regierungserklärung von Adenauer am 27. 9. 1951 veröffentlichte Marx am 28. 12. 1951 im Aufbau (Mut zur Wahrheit).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

274

Die Politik

genheit die Grundlage zu schaffen, auf der Juden und Deutsche verhandeln können“. Aus dieser Beteiligung an der Herbeiführung einer Grundsatzerklärung leitete der Herausgeber „unsere weitere Aufgabe“ ab, und zwar „Mittler zu sein zwischen den Deutschen, die sich zu der Erklärung ihrer Regierung bekennen, und den Juden in der Welt, vor allem aber in Israel“350. Anders als Marx identifizierte sich der Generalsekretär des Zentralrats in seinen Artikeln nicht mit den Interessen der deutschen Bundesregierung und legte Wert darauf, sich nicht als ihr Fürsprecher einspannen zu lassen. Stattdessen bemühte sich van Dam – wie Anthony Kauders in seiner deutschjüdischen Geschichte der Bundesrepublik aufzeigt –, „einen jüdischen Diskurs über die Juden in Deutschland zu führen, ohne dabei den Juden aus dem Ausland nach dem Mund zu reden“351. Ein erster Ansatz dieser Haltung findet sich bereits in dem Artikel „Tolerierung der Unzulänglichkeit?“, den van Dam im September 1950 unter seinem Pseudonym G. Neuland veröffentlichte. Den höchsten Feiertag im Judentum, den Versöhnungstag Jom Kippur, nahm van Dam zum Anlass, „unsere Haltung gegenüber den Personen und Mächten nach[zu]prüfen, die in der Vergangenheit unermeßliches Elend über unser Volk gebracht haben“352. Keineswegs, so konstatierte er, könne es „eine Versöhnung mit Menschlichkeitsverbrechern geben (selbst nicht mit solchen, die nur über einen ,objektiven Tatbestand‘ verfügen), solange sie eine Versöhnung mit dem Verbrechen bedeutet“. Da dies nach Auffassung des Autors jedoch im Herbst 1950 noch der Fall war, versuchte der Generalsekretär andere Handlungsmotive aufzuzeigen: Wir maßen uns nicht an, den Regierungen mit unerbetenem Rat zu dienen. Wir wollen auch die Nazis nicht bekehren und die Menschlichkeitsverbrecher von ihrer arroganten Haltung abbringen. Es wäre vergeblich. Uns geht es um die eigene Haltung, um die dringende Notwendigkeit einer schonungslosen Selbstkritik: […] Aus dem Ueberleben der wenigen, – wenn es Sinn haben soll – erwachsen nicht nur Rechte, sondern vor allem auch Pflichten. […] Niemand und nichts kann uns befreien von der Pflicht, Zeuge zu sein und Würde zu bewahren. Nach dem Verstummen von Millionen jüdischer Männer, Frauen und Kinder haben für die Angehörigen dieses Volkes Erwägungen der Realpolitik, der Nützlichkeit oder der Eitelkeit zu schweigen, wenn es um die Auseinandersetzung mit den Schuldigen geht. Seien wir nicht zu tolerant gegen uns selbst!

Im Sommer 1951 erschien dann sein Artikel „Periode der Normalisierung“, in dem sich van Dam anlässlich des Friedenszustands zwischen Deutschland und den Westmächten mit der Frage befasste, was „die Rolle der Juden, die sich 350 Karl Marx, Jom Kippur – Tag der Versöhnung – Tag der Besinnung, in: AWJD, 5. 10. 1951. Zur Rezeption dieser Bemühungen von Seiten des WJC vgl. Brenner/Frei, Zweiter Teil, 216 f. 351 Kauders, Unmögliche Heimat, 127. 352 Dieses und die zwei nachfolgenden Zitate sind entnommen aus G. Neuland, Tolerierung der Unzulänglichkeit? in: AWJD, 22. 9. 1950.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

275

noch in Deutschland befinden, in dieser Situation sein [kann]?“353 Ohne auf die geschichtsphilosophische Frage einzugehen, ob Juden überhaupt noch dort sein oder nicht besser dem befleckten Boden den Rücken kehren sollten, wie einst dem mächtigen spanischen Reich – van Dams Meinung nach werden „Umsiedelungen“ gegen den Willen einzelner Menschen nur in Diktaturen dekretiert und ausgeführt – erklärte der Generalsekretär, dass der winzigen jüdischen Gruppe innerhalb Deutschlands bestenfalls eine moralische Funktion zukommen [kann]. Sie ist ein Kriterium für den Willen der Deutschen, auf ihre antijüdischen Tendenzen zu verzichten. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland können ihrerseits in bescheidenem Maße Mittler jüdischer Forderungen sein.

Wie schon 1950 wies van Dam die jüdische Gemeinschaft auch in diesem Beitrag darauf hin, dass sich „aus der besonderen Situation, die letzten Reste einer Judenheit darzustellen“, Rechte und Pflichten ergeben: In diesem Stadium der Normalisierung, auf das wir eingangs hingewiesen haben, können diese Rechte im Wesentlichen in der Anerkennung der jüdischen Gemeinden, in der moralischen und materiellen Wiedergutmachung und in der Aufhebung aller faktischen Diskriminierungen bestehen. Die in Deutschland wohnhaften Juden werden niemals darauf verzichten können, in gleicher Weise wie für die eigenen Rechte für die Rechte der Ausgewanderten einzutreten; sie werden es sich nicht leisten können und wollen, die Rolle eines billigen Verhandlungspartners zu spielen, der auf Kosten der aus Deutschland vertriebenen Juden zu Gunsten einer verschwindend kleinen Gruppe eine besondere Wiedergutmachung für sich in Anspruch nimmt. Die Rechtswiederherstellung und Wiedergutmachung ist für uns unteilbar. Untrennbar verknüpft mit den Rechten sind indessen die Pflichten der kleinen Gruppe. Hierzu gehört vor allem, die Würde zu bewahren, die unserer historischen Tradition entspricht. Verantwortliche Funktionäre werden sich nicht in den Couloirs der Regierung herumdrücken, um dort zwecks Erlangung von Maßnahmen zu antichambrieren, die ein Erfordernis der deutschen Rechtsordnung sind. Sie werden bereit sein, den zuständigen Behörden alle Informationen und die Mitwirkung zu gewähren, die im Interesse der Sache erforderlich ist. Sie werden sich indessen nicht in einen Wettlauf mit den Vertretern verschiedener Interessenkreise einlassen. In diesem Zusammenhang muß auch klargestellt werden, daß der richtige Zugang zu den Rechtsfragen der Wiedergutmachung bei Besprechungen mit Regierungsstellen weder advokatorisch noch publizistisch sein kann. Diese Forderungen können nur unter Gesichtspunkten des Allgemeininteresses von den hierzu ordnungsgemäß bestellten Delegierten der Organisationen und Gemeinden und nicht durch selbsternannte Privatdiplomaten verantwortlich vorgetragen werden.

353 Dieses und die zwei nachfolgenden Zitate sind entnommen aus H.G. van Dam, Periode der Normalisierung, in: AWJD, 10. 7. 1951.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

276

Die Politik

Mit seiner abschließenden Forderung, die kleine jüdische Gruppe in Deutschland dürfe „weder mit den Kräften des Übels opportunistisch paktieren, noch in den Gedankengängen anormaler Zustände der ersten Kriegsjahre verharren“, sondern könne ihre Funktion nur erledigen, „wenn sie sich ihrerseits dem Normalisierungsprozess anpasst, der sechs Jahre nach Beendigung des Krieges eine unentrinnbare Tatsache ist“, grenzt er sich schließlich von der Haltung derjenigen ab, die sich dazu verleiten ließen, sich den Juden im Ausland anzubiedern.354 Ob van Dam mit der Erwähnung von „Privatdiplomaten“ auf Karl Marx anspielte, der in engem Kontakt zu Bundespräsident Heuss und Kanzler Adenauer stand, oder eher Maurice Weinberger im Sinn hatte, der als Sprecher der Juden in Bayern Kontakt mit Bonn suchte, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Fest steht, dass van Dam 1951 seine Position hinsichtlich der jüdischen Existenz in der Bundesrepublik, die er 1950 bereits anvisierte, jedoch noch nicht erkennbar als offizieller Repräsentant der jüdischen Gemeinschaft publizierte, öffentlich machte. In den Augen des Generalsekretärs war demnach der Zeitpunkt gekommen, trotz der Anerkennung des Rechts und der Pflicht der jüdischen Gemeinschaft in der ganzen Welt, die eigenen Ansprüche solidarisch zu vertreten und in erster Linie eine Politik im Interesse der in Deutschland lebenden Juden zu verfolgen. In seinem Artikel „Unteilbarkeit des Rechts“, in der van Dam zur Resolution des Zentralrats der Juden vom 8. Oktober 1951 Stellung nahm, erläuterte der Generalsekretär schließlich die Prinzipien dieser Politik und ging auf die besonderen Aufgaben des Zentralrats auch hinsichtlich der Wiedergutmachungsverhandlungen ein: Der Zentralrat wird […] nicht zurückstehen bei der Vertretung der vitalen Interessen der Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Deutschland und erwartet von allen Beteiligten, insbesondere von der Bundesregierung, daß diese Interessen angemessen berücksichtigt werden und keine Maßnahmen getroffen werden ohne vorherige Anhörung des Zentralrates. Hierbei wird man der besonderen Aufgabe des Zentralrats eingedenk sein müssen, die den jüdischen Gemeinden in Deutschland gestellt sind. Seit Jahren lastet auf den Verwaltungskörperschaften dieser Gemeinden in Zusammenhang mit der Rechtswiederherstellung eine Arbeitslast und eine Verantwortung, die in keinem Verhältnis zur Anzahl der noch in Deutschland verbliebenen Juden steht.355

Während die Berichterstattung von Marx also vor allem die Mittlerrolle der Juden in Deutschland hervorhob und die von dem deutschen Partner eingeleiteten Schritte auf dem Weg zur Wiedergutmachung positiv kommentierte, konzentrierte sich van Dam in seinen Beiträgen für die Allgemeine von Jahr zu Jahr mehr auf die Vertretung der Interessen und Ansprüche der in Deutschland lebenden Juden. Die publizistischen Äußerungen van Dams mögen dabei 354 Ebd. Vgl. hierzu auch Kauders, Unmögliche Heimat, 127 f. 355 H.G. van Dam, Unteilbarkeit des Rechts, in: AWJD, 12. 10. 1951.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

277

zunächst seine persönliche Meinung zum Ausdruck gebracht haben (G. Neuland); später reflektieren die unter seinem Namen veröffentlichten Beiträge jedoch die Ergebnisse zahlreicher Verhandlungen innerhalb des Direktoriums des Zentralrats und die von diesem beschlossene Neuausrichtung der politischen Haltung des Dachverbands gegenüber der Bundesregierung und den ausländischen jüdischen Organisationen. Um das vehemente Eintreten van Dams für das Mitspracherecht der Juden in Deutschland bei den Verhandlungen über Reparationszahlungen besser einordnen und mit der von Marx vertretenen Mittlerposition in ein Verhältnis setzen zu können, soll deren Umgang mit den ausländischen jüdischen Organisationen einerseits und der deutschen Bundesregierung andererseits am Beispiel der Wiedergutmachungsverhandlungen im Folgenden genauer beleuchtet werden.

2.1.2 Partner oder Konkurrenten? Zum Verhältnis der deutschen Juden zu den ausländischen jüdischen Organisationen Ob Juden Deutschland für immer den Rücken kehren sollten, so wie es rabbinische Autoritäten im Falle Spaniens nach der Vertreibung der Juden 1492 gefordert hatten, war eine Frage, die innerhalb jüdischer Kreise nach Ende des Zweiten Weltkriegs viel diskutiert wurde. Tatsächlich sprachen sich in den späten 1940er Jahren verschiedene jüdische Gruppen im Ausland vehement gegen das Bestehen jüdischer Gemeinden und Institutionen in Deutschland aus. Die Resolution des WJC vom Juli 1948, in der Juden dazu aufgefordert wurden, sich „nie wieder auf deutschem blutgetränkten Boden anzusiedeln“, veranschaulicht diese vergleichsweise weit verbreitete Ablehnung jüdischer Präsenz im „Land der Täter“ besonders deutlich.356 Diese ablehnende Haltung unterstrich der WJC kurz nach der Gründung des Zentralrats mit einer weiteren Entschließung, „wonach die Vertreter in Deutschland zum kommenden Weltkongreß keine stimmberechtigte Delegation entsenden“357 durften. Und Anfang August desselben Jahres brandmarkte der damalige Vorsitzende des Generalrats des WJC, Leon Kubowitzky, die in Deutschland ansässigen Juden und verlangte von allen jüdischen Organisationen, dass sie die Beziehungen „zu den ständigen jüdischen Gemeinden in Deutschland abbrechen sollten“358. Mit dieser moralisch begründeten Ablehnung jüdischer Existenz in 356 Zitiert nach Brenner, Nach dem Holocaust, 99; Geller, Jews, 62; Shafir, Der Jüdische Weltkongress, 214 f. Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel I.2. 357 Erste Tagung des Jüdischen Weltkongresses in Deutschland – Eine Gesamtorganisation in Deutschland vor der Gründung, in: AWJD, 14. 7. 1950. 358 Eine leidenschaftliche Erklärung Israels. Gegen Aufnahme Deutschlands in die U.N., in: Aufbau, 6. 10. 1950. Diese Aussagen wurden von einigen Vertretern des WJC, unter ihnen auch Nahum Goldmann, nicht als Position des WJC definiert, sondern als private Äußerung Kubowitzkys bezeichnet. Vgl. hierzu Protokoll der Sitzung des vorläufigen Direktoriums des Zentralrats, 29. 11. 1950, in: ZA, B.1/7.221.7.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

278

Die Politik

Deutschland sprachen sich die ausländischen jüdischen Organisationen zugleich auch gegen die Anerkennung der jüdischen Gemeinden in Deutschland als Nachfolger der vor 1933 in Deutschland existierenden Gemeinden aus. Stattdessen beanspruchten sie diese Position für sich selbst und sahen sich deshalb in der Rolle des legitimen Nachfolgers des sogenannten erbenlosen jüdischen Vermögens. Im Hinblick auf die Anfang der 1950er Jahre beginnenden Wiedergutmachungsverhandlungen ergab sich aus diesem von den internationalen jüdischen Organisationen artikulierten Geschichts- bzw. Rechtsverständnis ein entscheidender Interessenkonflikt mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland. Diese sahen sich größtenteils in der Kontinuität der Vorkriegsgemeinden und traten mit ihrem Anspruch, wenn nicht die gesamten, so doch einen angemessenen Anteil an den zu erwartenden Entschädigungsleistungen zugewiesen zu bekommen, in Konkurrenz zu den jüdischen Weltorganisationen. Der zwischen den ausländischen jüdischen Organisationen und dem Zentralrat bzw. der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ausgetragene Konflikt um die Anerkennung der jüdischen Gemeinden als gleichberechtigte Partner im Prozess der Wiedergutmachungsverhandlungen hatte demnach nicht nur eine moralische, sondern zugleich eine ganz klar finanzielle Komponente, die hintergründig mit verhandelt wurde. In Anbetracht der geschilderten Entwicklungen setzten sich auch die gewählten Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zwischen September 1951 und September 1952 besonders intensiv mit diesem Thema auseinander.359 „Die grundsätzliche Verurteilung der Existenz von Juden in Deutschland durch Juden im Ausland, insbesondere auch durch Juden in Israel, war Gegenstand vielfacher Beratungen und von Verwahrungen“, liest man beispielsweise im Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar bis August 1951. In einem Interview aus dem Jahr 1953 charakterisierte van Dam die Beziehungen zur internationalen jüdischen Gemeinschaft dann allerdings bereits deutlich positiver und gab ferner einen Hinweis darauf, welche Haltung die jüdische Gemeinschaft in Deutschland im Zusammenhang mit den Wiedergutmachungsforderungen zu Beginn der 1950er Jahre eingenommen hatte: Nach einer Zeit verständlicher Zurückhaltung bestehen heute enge Beziehungen zum Weltjudentum. Immerhin haben der Joint und die Jewish Relief Unit bereits kurz nach Kriegsende in Deutschland gearbeitet. Eine Anzahl von Gemeinden gehört dem World Jewish Congress an. Der Zentralrat betrachtet die Juden in Deutschland als einen integralen Bestandteil des Weltjudentums und verhält sich auch dementsprechend in allen Fragen, die das Judentum in der Welt angehen. In diesem Zusammenhang sei festgestellt, daß die Körperschaften der Juden in

359 Zur Frage der Reparationsverhandlungen vgl. auch Geller, Jews, 185 – 256.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

279

Deutschland es vermieden haben, von sich aus Wiedergutmachungsansprüche zu stellen. Diese Selbstbeschränkung sollte ihnen hoch angerechnet werden.360

Eben jene „freiwillige Zurückhaltung“361, die van Dam gegenüber seinem Gesprächspartner besonders betonte, war keineswegs eine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis schwieriger Auseinandersetzungen innerhalb der deutsch-jüdischen Repräsentanz. Als einen der ersten Schritte zur Förderung der besseren Zusammenarbeit der verschiedenen jüdischen Organisationen auf dem Gebiete der Wiedergutmachung hatten die Direktoriumsmitglieder des Zentralrats für den 28. Januar 1951 eine Wiedergutmachungskonferenz in München zusammenberufen.362 Da die Veranstaltung, die unter der Hinzuziehung von Vertretern des Weltkongresses, des AJDC, der Jewish Agency, der IRSO, der Jewish Trust Corporation, des Counsel of Jews for Germany und des Konsuls von Israel stattfand, deutlich im Schatten der Ereignisse um Philipp Auerbach stand, wurden bei dieser Gelegenheit keine nennenswerten Fortschritte im Annäherungsprozess der Organisationen erzielt.363 Wenige Wochen später, Ende April 1951, kam es aufgrund der schlechten Beziehungen zwischen den um Wiedergutmachungszahlungen konkurrierenden Parteien in der Direktoriumssitzung des Zentralrats zu einer heftigen Aussprache über das Verhältnis des Zentralrats zu den ausländischen Organisationen und der deutschen Bundesregierung.364 Zwar stimmten die Mitglieder darin überein, dass gute persönliche Kontakte zu dem israelischen Konsul in der Bundesrepublik, Eliahu Livneh, und dem europäischen Direktor des jüdischen Weltkongresses, Noah Barou, bestanden;365 jedoch reichte dieser positive Kontakt einzelnen Direktoriumsmitgliedern in Anbetracht der sich verändernden politischen Rahmenbedingungen nicht mehr aus. Mit dem Übergang vom Besatzungsstatut zum Sicherheitsvertrag ging die Kompetenz der Alliierten auf deutsche Stellen über, weshalb unter den anwesenden Funktionären Uneinigkeit darüber herrschte, ob man zugunsten des Gesamtjudentums weiterhin auf direkte Kontakte zur deutschen Bundesregierung verzichten oder im Interesse der Juden in Deutschland Beziehungen zu diesen Stellen aufbauen sollte. Während insbesondere Heinz Galinski darauf 360 Deutschland-Tagebuch 1953: Interview mit Dr. H.G. van Dam, 28. 4. 1953, in: Archiv JA, ZR 1950 – 1960, 2. 361 …x [Karl Marx], Der Verlauf der Zentralratstagung. Wiedergutmachungsfragen im Vordergrund – Sorge um die Existenz der jüdischen Gemeinden in Deutschland, in: AWJD, 5. 9. 1952. 362 Protokoll der Sitzung des vorläufigen Direktoriums des Zentralrats, 6. 1. 1951, 2, in: Archiv JA, ZR 1950 – 1960. 363 Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar–August 1951, in: ZA, B.1/7.246. 364 Die folgenden Informationen und Zitate stammen – soweit nicht anders vermerkt – aus dem Protokoll der Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, in: ZA, B.1/7.221.13. 365 Vgl. hierzu Norbert Wollheim an H.G. van Dam, 7. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.854; H.G. van Dam an die Herren Mitglieder des Direktoriums und des Rates, alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg und Köln betreffs Juden in Deutschland und die Organisationen des Weltjudentums (Ausländische Organisationen), 15. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.121; Summarischer Bericht über die Sitzung des Zentralrats, 18./19. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.221.18.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

280

Die Politik

drängte, „Realpolitik zu treiben [und] endlich den Weg zur Regierung zu finden und unseren Standpunkt dort auseinander zu setzen“366, warnten Marx und van Dam eindringlich davor, „als deutsche Juden […] etwas [zu] verlangen, was das Weltjudentum betrifft“. Allerdings wies der Generalsekretär darauf hin, dass es einzelne Fragen gäbe, „an denen die ausländ. Juden nicht interessiert sind [und] da müßte der ZR die notwendigen Maßnahmen ergreifen“. In diesem Sinne wurde am Ende der Sitzung beschlossen, dass der Schritt zur Herstellung des Kontakts mit der Bundesregierung getan, jedoch jegliche Diskussion auf innerdeutsche Probleme beschränkt werden sollte. Da die Vertreter des Zentralrats zum Zeitpunkt der Abstimmung noch darauf hofften, von der Jewish Agency zu der Wiedergutmachungskonferenz der ausländischen Organisationen nach Paris eingeladen zu werden, wollten sie sich noch nicht zu deutlich in Opposition zu den Forderungen der ausländischen jüdischen Organisationen bringen.367 Die Enttäuschung auf Seiten der deutsch-jüdischen Repräsentanten war groß, als im Frühjahr 1951 zunächst die Einladung nach Paris und im Herbst desselben Jahres die zur Tagung jüdischer Organisationen in New York ausblieb.368 Vom 25. bis 27. Oktober 1951 kamen in der amerikanischen Metropole auf Einladung Nahum Goldmanns Vertreter von insgesamt 23 nationalen und internationalen jüdischen Organisationen zu einer Konferenz zusammen, um in Vorbereitung der Durchführung von Wiedergutmachungsgesprächen über konkrete Maßnahmen zu beraten.369 Die Teilnehmer waren einhellig der Meinung, dass es in Unterredungen mit der deutschen Regierung lediglich um Reparationsforderungen gehen dürfe. Der Präsident des World Jewish Congress, Goldmann, notierte zu der Zusammenkunft im Rückblick: Nach einer ausführlichen Diskussion beschloß man, sich als Conference on Jewish Material Claims against Germany zu etablieren, die Forderungen Israels zu unterstützen und zusätzliche Ansprüche für das Judentum außerhalb Israels zu stellen. Ein von mir geleitetes Exekutivkomitee wurde mit der praktischen Arbeit beauftragt.370

Dem Board of Directors gehörten je zwei Vertreter der jüdischen Organisationen an, die an der Gründung der Claims Conference beteiligt gewesen waren. Die Tatsache, dass keine deutschen Delegierten berücksichtigt wurden, verursachte auf Seiten der deutsch-jüdischen Repräsentanz große Sorge um die Existenz der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und die Durchsetzung der Ansprüche der Wiedergutmachungsberechtigten.371 Erst Anfang 366 Zu der Position Galinskis vgl. auch seinen Artikel Mahnruf zum gegenseitigen Verstehen, in: AWJD, 12. 1. 1951. 367 Protokoll der Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, in: ZA, B.1/7. 221.13. 368 Vgl. z. B. Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857. 369 Zu den Anfängen und Absichten des WJC vgl. Kubowitzky (Hg.), Unity in Dispersion, 228 – 232; Sagi, German Reparations, 16 – 27; Shafir, Der Jüdische Weltkongress, 212. 370 Goldmann, Staatsmann, 314. 371 H.G. van Dam an die Mitglieder des Direktoriums und des Rates, alle Landesverbände und die

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

281

Oktober 1952, als das Luxemburger Abkommen bereits unterzeichnet war und die Claims Conference beschloss, sich in eine juristische Person umzubilden, wurde der Zentralrat nach der formellen Mitteilung, dass er zu den Gründern dieser juristischen Person gehöre, an ihr und ihrer Leitung beteiligt. Damit einher ging das Recht des Zentralrats, eine Person mit der Vertretung im obersten Gremium dieser Gesellschaft zu beauftragen.372 Karl Marx nahm die Entwicklungen zu Beginn des Jahres 1951 zum Anlass, Konstellation und Aufgaben des Zentralrats in Abgrenzung zu den internationalen jüdischen Organisationen zu präzisieren: Er protestierte „wiederholt und in aller Schärfe gegen diese Versuche der Isolierung“ von Seiten ausländischer Juden und machte unmissverständlich deutlich, dass die „Wahrnehmung aller Interessen gegenüber der Bundesregierung (hier ist in erster Linie die Frage der moralischen und materiellen Wiedergutmachung zu nennen)“ zu den nächsten Aufgaben des Zentralrats gehörte.373 Und auch das vehemente publizistische Eintreten van Dams für das Mitspracherecht der Juden in Deutschland bei den Verhandlungen über Reparationszahlungen Anfang Oktober wird vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen besser nachvollziehbar.374 Die aus der Sorge vor Benachteiligung heraus geborenen Aktionen einzelner Repräsentanten aus den Reihen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland waren das Thema eines langen persönlichen Schreibens des Generalsekretärs an Norbert Wollheim, der zu diesem Zeitpunkt auf Ellis Island in Internierungshaft saß. Vergleichsweise offen und ausführlich berichtete er ihm über das „Übermaß an unnötigen Unannehmlichkeiten und Ärger“, an dem – so seine Einschätzung – „auch die Erklärung der Bundesregierung nicht ganz unschuldig ist“375. Da es sich bei diesem Brief um eines der wenigen Dokumente handelt, das die persönliche Meinung van Dams und nicht die vom Generalsekretär offiziell eingenommene Position spiegelt, wird die Passage betreffs der Wiedergutmachungsverhandlungen an dieser Stelle ausführlich wiedergegeben: Sie [die Erklärung der Bundesregierung, A.d.V.] hat zur Folge gehabt, daß aus dem stetigen Fluß der Besucher in Bonn und aus den Wiedergutmachungsinteressenten

372

373 374 375

Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg und Köln, 15. 11. 1951, in: Archiv JA, ZR 1950 – 1960; …x [Karl Marx], Der Verlauf der Zentralratstagung. Wiedergutmachungsfragen im Vordergrund – Sorge um die Existenz der jüdischen Gemeinden in Deutschland, in: AWJD, 5. 9. 1952. Dr. H.G. van Dam an die Herren Mitglieder des Direktoriums, Bericht Nr. 2, 9. 10. 1952 (aus New York), in: ZA, B.1/7.857. Ab Januar 1953 wurde Norbert Wollheim, der inzwischen in New York lebte, mit der Wahrung der Interessen des Zentralrats beauftragt. Bericht über die Sitzungen der Conference on Jewish Material Claims against Germany am 29. 12. 1952 in New York, Protokoll verschickt von H.G. van Dam, 12. 1. 1953, in: ZA, B.1/7.120. Karl Marx, Jüdische Arbeit in Deutschland. Konstellation und Aufgaben der jüdischen Organisationen, in: AWJD, 26. 10. 1951. Vgl. hierzu die Argumentation van Dams in Kapitel IV.2.1. H.G. van Dam an Norbert Wollheim, 13. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.854.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

282

Die Politik

ein reißender Strom geworden ist, der alles zu zerreißen droht, was wir bislang, und zwar heute zu Recht wie je, als die soliden Grundlinien unserer Arbeit aufgefaßt haben. Bei der letzten Direktoriumssitzung lief ein Schreiben der ,Juristenvereinigung‘ aus Düsseldorf ein, unterschrieben von den Rechtsanwälten Weinberg und Engel, in dem eine positivere Bonn-Politik seitens des Zentralrates verlangt wurde unter Einschaltung der Juristen, d. h. von Personen, die die Mentalität der deutschen Kontrahenten verständen. Hier wurde wahrscheinlich unterstellt, daß die Direktoriumsmitglieder und auch der Unterzeichnete als ,Ehren-DP‘ diese Mentalität nicht kennen würde, vermutlich weil sie nur in eine Klippschule gegangen sind oder in den Ghettos des Ostens von germanischer Kultur nicht berührt wurden. Die hervorragenden Rechtssachverständigen des Landes Nordrhein-Westfalen wollten hier eine Änderung schaffen. Ein besonderer Befürworter und Rufer im Streite in dieser Angelegenheit war der Herausgeber der ,Allgemeinen‘ in Düsseldorf. […] Eine weitere Überraschung fand ich, als ich von meiner Reise nach München, Stuttgart und Frankfurt in Hamburg eintraf. Die Landesverbände Nordrhein, Köln und Westfalen hatten in einer Versammlung die sofortige Einberufung des Zentralrates zwecks erneuter Stellungnahme zur Erklärung der Bundesregierung beschlossen. Hierbei war maßgebend die Diskriminierung der Juden Deutschlands durch den Ausschluss von der New Yorker Konferenz, die angeblich zu organisationsfreundliche Haltung des Sekretariats, das zu lange Schweigen gegenüber der Erklärung der Bundesregierung und eine zu positive Stellungnahme gegenüber den Regierungsstellen in Bonn. Herr Dreifuß hatte sich dann mit sämtlichen Direktoriumsmitgliedern in meiner Abwesenheit verständigt und den Termin für die Ratstagung innerhalb von 10 Tagen festgesetzt. Hiergegen setzte ich mich zur Wehr, weil eine derartig überstürzte Ratstagung nicht vorbereitet werden konnte, wie sie ferner nur zu unüberlegten Demonstrationen gegenüber den Organisationen geführt hätte mit erheblichem Nachteil für die allgemeine jüdische Sache, einschließlich der Juden in Deutschland. Außerdem mußte schließlich erst abgewartet werden, was das Ergebnis der New Yorker Konferenz ist und auch die Rückkehr von Livneh. Mit aller Anstrengung gelang mir dann die Verschiebung auf den 18./19. November. Ferner konnte ich nicht mehr verhindern, das [sic!] die Sitzung in Düsseldorf stattfindet. In dieser Gegend liegen die Elemente einer Opposition, die meiner Ansicht nach weniger auf sachliche als auf eigennützige Motive gegründet ist. Da die Rechnung, die auch Du wohl manchmal gemacht hast, daß mit dem Ausfall bestimmter Persönlichkeiten nunmehr eine unverantwortliche appeasement Politik getrieben werden würde, wie sie in dem Abdruck der Bilder deutscher Staatsmänner auf der ersten Seite der ,Allgemeinen‘ und dem Kommentar der ,Allgemeinen‘ zu der Erklärung Adenauers zum Ausdruck kam, nicht aufgeht, versucht man nunmehr, auf anderen Wegen zum Ziel zu kommen. Mir wird vorgeworfen, daß ich nicht auf der Sitzung des Bundestages in Bonn gewesen bin, daß ich nicht bei der Jahresfeier der Bundesregierung anwesend war, daß noch kein Büro in Bonn besteht und eine ganze Anzahl anderer Punkte, von denen einige wenige berechtigt, die meisten aber vollkommen unbegründet sind. Ich habe das Gefühl, daß sich zur Zeit gewisse Intrigen nach dem Fortfall anderer Objekte auf mich konzentrieren.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

283

Du siehst, daß es nicht so ganz einfach hier ist, insbesondere ist es schwierig, in einer Atmosphäre zu arbeiten, die angefüllt ist von falschen Voraussetzungen und überspannten Erwartungen. Immerhin wäre es zweckmäßig, die Aktionen der ausländischen Juden in gewissen Zusammenhang mit unserer Arbeit zu bringen, weil, wenn das nicht geschieht, wird es schwierig sein, die deutschen nationalen Kräfte, einschließlich der DP Unternehmer in Bayern, in Schranken zu halten.376

In Vorbereitung der ungewollt herbeigeführten Ratstagung vom 18./19. November 1951 richtete sich van Dam mit einem Schreiben an die Mitglieder des Direktoriums, denen er „in Kürze einige Gedanken zu dem Komplex vorzutragen“377 wünschte. Auch wenn er mit diesen grundsätzlich übereinstimmte, dass „die ausländischen Organisationen ihrerseits […] Diskriminierungen, wie den Ausschluss von Konferenzen, erst in Paris und dann in New York, unterlassen sollten“, begründete er ausführlich, warum seiner Meinung nach eine enge Zusammenarbeit mit den Organisationen des Weltjudentums trotz deren mangelnder Bereitschaft zur Zusammenarbeit für die deutsch-jüdische Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung sei: Die Juden innerhalb Deutschlands können aufgrund ihrer geringen Anzahl weder im Wahlkampf noch infolge ihrer sozialen und altersmäßigen Schichtung die Rolle einnehmen, die ihnen einst zukam. Ihre Bedeutung besteht im Wesentlichen darin, dass sie ein Verbindungsglied zum Weltjudentum darstellen und bis zu einem gewissen Grade noch den ,good will‘, den guten Ruf einer vergangenen Epoche des deutschen Judentums verkörpern. Es soll indessen nicht verkannt werden, daß gerade die Tatsache des Bestehens einer, wenn auch noch so kleinen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, ein gewisses Alibi für die deutsche Demokratie darstellt, einer der Gründe der Kontroverse über die Existenzberechtigung des deutschen Judentums, aber auch ein Anlaß für das Interesse an dieser jüdischen Gruppe, das in keinem Verhältnis zu seiner zahlenmäßigen und kulturellen Bedeutung steht. Hieraus ergibt sich, daß die Juden in Deutschland und ihre Vertretung nicht übersehen werden kann, aber auch die Gefahr, in der sie sich durch eine falsche Einschätzung der Realität aussetzen. Die Gründe für das obenerwähnte Interesse nichtjüdischer Stellen sind vorübergehender Natur mit der Ausnahme eines entscheidenden Faktors: Der Verbindung mit dem Weltjudentum. Nur aus dieser Verbindung heraus können wir bei der allgemein bekannten schwachen religiösen Substanz des Judentums in Deutschland die Kraft zur Selbsterhaltung gewinnen.

Aus diesen Erwägungen leitete der Generalsekretär die Folgerung ab, „daß nur eine enge Zusammenarbeit mit den Juden des Auslandes vom jüdischen Standpunkt aus vertretbar ist“ und forderte die „in Deutschland wohnhaften Juden, die auch in den Jahren nach 1945 die sachliche Vorarbeit für die 376 H.G. van Dam an Norbert Wollheim, 13. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.854. 377 Dieses und die nachfolgenden Zitate entstammen dem Schreiben von H.G. van Dam an die Mitglieder des Direktoriums und des Rates, alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg und Köln, 15. 11. 1951, in: Archiv JA, ZR 1950 – 1960.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

284

Die Politik

Rechtswiederherstellung, aber auch im Interesse der im Ausland wohnhaften Juden geleistet haben, [dazu auf,] wiederum sachlich [zu] bleiben und kaltes Blut [zu] bewahren. […] Wenn die ausländischen Organisationen Fehler begehen, so kann das kein Anlaß für die Juden Deutschlands sein, durch eigene Fehler die Folgen dieser Mißgriffe noch zu steigern. Es wird im Gegenteil sich nur positiv für die jüdischen Gemeinden auswirken, wenn sie in besonnener Weise im Sinne der Kooperation und ständigen Konsultationen vorgehen, wodurch sie zu erkennen geben, daß sie die Situation realisieren und meistern.“ Abschließend empfahl er dem Zentralrat – in erster Linie aus taktischen Überlegungen heraus –, daß der Zentralrat erwägen sollte, sich als Organisation in den Jüdischen WeltKongress einzugliedern unter gleichzeitiger Erhebung der Forderung einer angemessenen Vertretung der Juden in Deutschland bei den Organen des Weltkongresses, wobei unter angemessen nicht nur ein gesundes Verhältnis zur Anzahl der in Deutschland lebenden Juden, sondern zu den von ihm zu leistenden und bereits geleisteten Aufgaben zu verstehen ist.

Diese Überlegungen des Generalsekretärs im Zusammenhang mit den jüngsten Entwicklungen auf der internationalen Bühne geben Aufschluss über die von ihm verfolgte Politik: Anders als einige Direktoriumsmitglieder des Zentralrats und die zuvor genannten jüdischen Juristen wandte er sich gegen jede Form der isolierten Aktion, sondern unterstützte eine selbstständige Willensbildung der deutschen Juden und zielte darauf ab, durch den Beitritt des Zentralrats zum WJC auch bei den Verhandlungen der Claims Conference mit deutschen Regierungssprechern Mitspracherecht erhalten zu können.378 Als Unterstützer seiner Bemühungen um eine engere Zusammenarbeit fungierte Nahum Goldmann, der sich auf Seiten des WJC für die Verbesserung der Beziehungen zwischen dem jüdischen Weltkongress und dem Zentralrat der Juden in Deutschland einsetzte.379 In der Frage der Beziehungen zu den jüdischen Weltorganisationen wurde nach intensiver Diskussion schließlich folgende Resolution angenommen: Der Zentralrat nimmt mit Befriedigung von der Einladung Kenntnis, die Dr. Nahum Goldmann für die auf der New Yorker Konferenz vertretenen jüdischen Weltorganisationen an ihn ergehen ließ: Der Zentralrat beauftragte das Direktorium, die Form der Zusammenarbeit und die Frage der Beziehungen des Beitritts zum World Jewish Congress zu prüfen und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.380

378 In diesem Sinne argumentierte van Dam auch in seinem Beitrag Eine gemeinschaftliche Aufgabe. Zur Tagung des „Council of Jews from Germany“ und des „Zentralrats der Juden in Deutschland“, in: AWJD, 6. 6. 1952. 379 Protokoll der Tagung des Zentralrats, 18./19. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.221.18. 380 Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

285

Trotz dieser Annäherung behielt sich der Zentralrat das Recht vor, direkten Zugang zu der deutschen Bundesregierung zu suchen, um hier die Interessen der Juden in Deutschland zu vertreten.381 Die Allgemeine verkündete in Anlehnung an diese Beschlusslage im Februar 1952, dass nachdem die Bundesregierung sich zur Wiedergutmachung des dem jüdischen Volke angetanen Unrechts und verursachten Schadens bereiterklärt hat, und nachdem der Staat Israel, sowie die jüdischen Weltorganisationen ihrerseits die Bereitschaft zu Verhandlungen über diesen Fragenkomplex erklärt haben, […] der Aufnahme einer direkten Fühlung zwischen den Juden in Deutschland (vertreten durch den Zentralrat) und der Bundesregierung nichts mehr im Wege stehe, da ja nun auch direkte Unterhaltungen zwischen den jüdischen Weltorganisationen und dem Staate Israel einerseits und der Bundesregierung andererseits stattfinden [werden].382

Die Beziehungen zwischen dem Zentralrat und der Claims Conference verbesserten sich jedoch auch im Nachgang der New Yorker Konferenz nicht wesentlich. So beklagte van Dam beispielsweise Ende März 1952 in einem Schreiben an Dr. Eliahu Livneh, den israelischen Konsul, die Arbeitsmethode der Konferenz, die trotz anderslautender Absprachen die Zusammenarbeit mit dem Zentralrat verwehrte: Am meisten kennzeichnend für die Arbeitsmethode der Konferenz oder die Einschätzung des Zentralrates scheint mir die Tatsache zu sein, daß wir weder von den Ergebnissen der Pariser Konferenz noch von der späteren Entwicklung auch nur eine Zeile vom Büro der Konferenz, dem Präsidium, dem Weltkongreß erhalten haben. Wir waren vielmehr ausschließlich auf Zeitungsberichte oder Mitteilungen des Herausgebers der ,Allgemeinen‘, des Herrn Karl Marx angewiesen. Direkter Kontakt mit der Konferenz hat nicht stattgefunden. […] Worauf es indessen ankam, war die Beteiligung des Zentralrates als eine die Konferenz bildende Organisation an der Vorbereitung der Haager Besprechungen. Nichts dergleichen hat stattgefunden. Unter diesen Umständen werden Sie verstehen, daß wir nicht allzu befriedigt von der Arbeitsmethode der Konferenz sein können. Ähnliche Beschwerden sind in der Zeitung Jewish Chronicle zum Ausdruck gebracht. Auch hat der Unterzeichnete Briefe von sehr bekannten jüdischen Juristen aus London und New-York erhalten, die in die gleiche Richtung gehen. […] Ich glaube, daß die engere Hinzuziehung des Zentralrates nicht zum Schaden der israelischen Belange gewesen wäre. Demgemäß wäre eine etwas stärkere Unterstützung des Zentralrates durch Israel sehr erwünscht gewesen.383

Und im Juni 1952 forderte der Generalsekretär die ausländischen jüdischen Organisationen schließlich öffentlich dazu auf, 381 Ebd. Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel IV.2.1. 382 Rasch und zielbewußt handeln. Der Zentralrat der Juden in Deutschland und seine Forderungen, in: AWJD, 15. 2. 1952. 383 H.G. van Dam an Dr. Eliahu Livneh, München, 28. 3. 1952, in: ZA, B.1/7.126.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

286

Die Politik

den Juden in und aus Deutschland ein angemessenes Mitbestimmungsrecht und vor allem eine angemessene Aufschlüsselung bei der Vertretung zu gewähren. Die Juden in und aus Deutschland sind durchaus in der Lage, ihre Interessen selbst zu vertreten, ohne daß sie hierbei einer ständigen Bevormundung bedürfen. Diese Vormundschaft ist nicht nur ein Mißstand, sondern wird auch auf die Dauer zu teuer.384

Diese klare Positionierung van Dams erfolgte unmittelbar vor der Bestätigung der weiteren Zusammenarbeit des Zentralrats mit der Claims Conference im Juli 1952 und kann somit zu einem gewissen Grad als Stimmungsmache im Vorfeld der umstrittenen Abstimmung im Direktorium des Zentralrats verstanden werden.385 Die in der Aussage van Dams zum Ausdruck gebrachte Verärgerung greift eine Stimmung auf, die sich in verschiedenen Zweigen der deutsch-jüdischen Repräsentanz zu diesem Zeitpunkt festgesetzt hatte: Da in den Augen einiger Direktoriumsmitglieder – insbesondere der Vertreter aus München und Stuttgart – die Anliegen des Zentralrats, d. h. die Rechte seiner Mitglieder, der Landesverbände und Gemeinden, der zentralen Organisationen wie der ZWST und schließlich auch der individuellen Gemeindemitglieder, bei der Ausarbeitung der Global-Zahlungen an Israel und die Claims Conference nicht genügend berücksichtigt worden waren, wollten sie die Zusammenarbeit mit der Claims Conference beenden.386 Van Dam, der nach wie vor eine Kooperation mit den ausländischen jüdischen Organisationen befürwortete, konnte sich mit seiner Argumentation zugunsten der Fortsetzung der Zusammenarbeit ein weiteres Mal durchsetzen. Er wurde infolge dieser Entscheidung beauftragt, weiterhin „die Verhandlungen in Den Haag als Sachverständiger zu verfolgen mit der Maßgabe, daß er ermächtigt wird, an den Besprechungen mit der deutschen Delegation teilzunehmen, sofern dies gangbar erscheint, insbesondere in Fragen des Steuerrechtes, des Lastenausgleichs und Finanzangelegenheiten“387. Zugleich wurden mit Heinz Galinski und Berthold Simonsohn zwei weitere Delegierte benannt, die gemeinsam mit van Dam zur Besprechung der deutschen Forderungen mit den Organen der Claims Conference bestimmt wurden.388 Eine aktive Beteiligung eines Zen384 v.D., Eine gemeinschaftliche Aufgabe. Zur Tagung des „Council of Jews from Germany“ und des „Zentralrats der Juden in Deutschland“, in: AWJD, 6. 6. 1952. Diese Forderung deckt sich mit dem Beschluss des Direktoriums des Zentralrats auf der Zentralratssitzung, 20. 7. 1952, in: ZA, B.1/7.221.21. 385 Protokoll über die Sitzung des Zentralrats, 20. 7. 1952, in: ZA, B.1/7.221.21; H.G. van Dam an das Präsidium und die Mitglieder der Delegation der Conference on Jewish Material Claims Against Germany, undatiert, in: ZA, B.1/7.120. 386 Protokoll über die Sitzung des Zentralrats, 20. 7. 1952, in: ZA, B.1/7.221.21. Vgl. hierzu auch H.G. van Dam an die Herren Mitglieder des Direktoriums aus New York, 6. 10. 1952, in: ZA, B.1/ 7.857. 387 Beschluss des Direktoriums des Zentralrats auf der Zentralratssitzung, 20. 7. 1952, in: ZA, B.1/ 7. 221.21. 388 Ebd. Über die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen den Vertretern des Zentralrats und der Claims Conference berichtet der Generalsekretär in einem Brief an die Herren Mitglieder des

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

287

tralratsvertreters an den laufenden Verhandlungen über das Wiedergutmachungsabkommen in Den Haag war nach Aussage des Generalsekretärs immer noch nicht denkbar, „weil zu diesem Zeitpunkt die politische Situation der jüdischen Gemeinden in Deutschland noch schwach und die Vorbehalte gegenüber ihrer Existenz so heftig waren, daß ihr eine unmittelbare Beteiligung an den Verhandlungen von den jüdischen Organisationen nicht zugestanden wurde“389. Damit waren die Auseinandersetzungen jedoch noch nicht ausgestanden: Zwar hatte der Zentralrat auf Ersuchen der Claims Conference, um eine Doppelaktion zu vermeiden und eine gemeinschaftliche Anstrengung sicherzustellen, von einem direkten Vorgehen auf Bundesebene abgesehen und zudem zugestimmt, dass kein Vertreter des Zentralrats an den direkten Verhandlungen zwischen der Claims Conference und der deutschen Delegation außerhalb Deutschlands teilnehmen würde. Allerdings legten die Mitglieder des Direktoriums großen Wert darauf, dass dieses Vorgehen unter keinen Umständen das Ergebnis haben dürfe, dass der Zentralrat daran gehindert werde, „seine eigentliche Funktion als Vertreter der Jüdischen Gemeinden und deren Mitglieder gegenüber den deutschen Behörden zu erfüllen“390. Ferner forderten sie, „daß sobald wie möglich, am besten noch vor Unterschrift des Vertrages mit der Bundesrepublik, eine Gewähr dafür geboten wird, daß den Juden in und aus Deutschland ein ihnen nach der Sachlage und den Prinzipien der Gerechtigkeit zukommender Anteil an der Globalzahlung von 450 Millionen DM gewährt wird“391. Es folgten schwierige Verhandlungen zwischen der Kommission des Zentralrats und dem Vorsitzenden der Claims Conference, Moses Leavitt vom Joint, in denen über die Frage der Vorbehalte und der Feststellung einer angemessenen Verteilungs-Prozedur kein Ergebnis erzielt werden konnte.392 Die Auseinandersetzungen endeten schließlich in zwei Ultimaten: Sollten die deutschen Juden entscheiden, entgegen der getroffenen Absprachen die Bundesregierung in diesen Fragen direkt zu kontaktieren, drohte Leavitt, den Zentralrat aus dem Zusammenschluss auszuschließen.393 Für den Fall, dass die deutschen Juden entscheiden sollten, die Zusammenarbeit mit der Claims Conference aufzukündigen, und allein direkte Verhandlungen mit der deut-

389 390 391 392 393

Direktoriums, und an die Arbeitsgemeinschaft jüdischer Juristen im Bundesgebiet mit dem Vermerk „Streng vertraulich“ betreffs Wiedergutmachung, 3. 8. 1952, in: ZA, B.1/7.121. Van Dam, Die Juden, 906. H.G. van Dam an das Präsidium und die Mitglieder der Delegation der Conference on Jewish Material Claims Against Germany, undatiert, in: ZA, B.1/7.120. Beschluss des Direktoriums des Zentralrats auf der Zentralratssitzung, 20. 7. 1952, in: ZA, B.1/ 7.221.21. H.G. van Dam an die Herren Mitglieder des Direktoriums und an die Arbeitsgemeinschaft jüdischer Juristen im Bundesgebiet mit dem Vermerk „Streng vertraulich“ betreffs Wiedergutmachung, 3. 8. 1952, in: ZA, B.1/7.121. Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

288

Die Politik

schen Bundesregierung aufnehmen sollten, kündigte Sam Haber an, die Unterstützung des American Joint Distribution Committee aus Deutschland abzuziehen.394 Um die Verhandlungen zwischen der deutschen Bundesregierung und dem Staat Israel nicht zu gefährden und eine erneute soziale und finanzielle Isolierung der Juden in Deutschland zu vermeiden, entschied sich der Zentralrat Ende August 1952, weiterhin mit der Claims Conference zusammenzuarbeiten. Entscheidend beeinflusst wurde diese Handlungsweise von der Tatsache, dass die deutsche Regierung zu diesem Zeitpunkt direkte Kontakte zu den jüdischen Organisationen des Auslands etabliert hatte und kurz vor dem Abschluss eines zwischenstaatlichen Abkommens mit Israel stand, d. h. auf die deutschen Juden keineswegs mehr angewiesen war, um Kontakte zu diesen Kreisen herzustellen. Vor diesem Hintergrund schien ein Bruch mit den ausländischen jüdischen Organisationen äußerst ungünstig.395 Mit der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens traten der Zentralrat und die Claims Conference in eine neue Phase der Verhandlungen ein, in denen es um die Verteilung sowie die Verwendung der Gelder und die Festlegung der sich daraus ableitenden Höhe der Zuwendungen ging. „Wenn wir etwas erreichen wollen“, so konstatierte van Dam an diesem Wendepunkt, muss hier mit offenen Karten gespielt werden. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Abschluss des Wiedergutmachungsabkommens einen neuen Abschnitt, auch in der juedischen Politik darstellt, und dass wir uns rechtzeitig zu orientieren haben, aber auch die anderen hier, wo die Schluesselpositionen liegen, orientieren und gewinnen muessen. Zurzeit ist unsere Situation nicht unguenstig, obwohl sie selbstverstaendlich alles andere als einfach ist.396

Auch dieser Prozess war keineswegs einfach und schritt nur langsam voran: Wie Nahum Goldmann unmittelbar nach dem Abschluss des Vertrags bereits vorhergesehen hatte, sollten „noch Monate vergehen […], bis die Konferenz Beschluesse in dieser Materie wird fassen koennen“397. Anfang Mai 1953 einigten sich die Mitglieder des Direktoriums, bei der Claims Conference ein jährliches Budget für die ZWST zu beantragen, und konnten in Verhandlungen, die vorrangig von Heinz Galinski geführt wurden, erste Erfolge hinsichtlich der eigenen Interessen verbuchen: Am 12. Mai akzeptierte Moses Leavitt, der Verhandlungspartner auf Seiten der Claims Conference, die Mehrheit ihrer Forderungen und so begannen die Mitarbeiter der ZWST mit der Ausarbeitung eines Budgetplans.398 394 H.G. van Dam an das Direktorium des Zentralrats, 3. 8. 1952, in: ZA, B.1/7.120; Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 10. 8. 1952, in: ZA, B.1/7.221.22. 395 Protokoll der Zentralratstagung, 31. 8. 1952, in: ZA, B.1/7.221.25. 396 H.G. van Dam an die Herren Mitglieder des Direktoriums aus New York, 6. 10. 1952, in: ZA, B.1/ 7.857. 397 Nahum Goldmann, Conference of Jewish Material Claims against Germany, an H.G. van Dam, z. Z. in New York, 3. 10. 1952, in: ZA, B.1/7.857. 398 Beschlussprotokoll der erweiterten Direktoriumssitzung des Zentralrats, in: ZA, B.1/7.221.36;

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

289

Abb. 8: Die in Fragen der Wiedergutmachung eng zusammenarbeitenden Partner, Dr. Louis H. Farnborough, Heinz Galinski, Dr. Nahum Goldmann und Dr. Hendrik G. van Dam auf einer Veranstaltung des Zentralrats in Düsseldorf, um 1960.

Trotz der grundsätzlichen Zustimmung der ausländischen Organisationen, aus dem Budget des Globalabkommens auch die jüdischen Gemeinden und deren ZWSTzu unterstützen, war dem Präsidenten des WJC schon im Oktober 1952 klar, dass „die juedischen Gemeinden bezw. der Zentralrat sich mitnichten auf die Conference verlassen duerfen, sondern ihr Augenmerk vor allem richten muessen auf die Finanzquellen, die in Deutschland vorhanden sind, naemlich die Nachfolgeorganisationen sowie die Bundes- u. Laenderfinanzen“399. Genau das war es, womit sich der Zentralrat in zahlreichen Gesprächen mit der Jewish Trust Corporation (JTC), der jüdischen Nachfolgeorganisation für die britische Zone,400 bzw. der Jewish Restitution Successor Organization (JRSO), der jüdischen Nachfolgeorganisation in der amerikaProtokoll der Sitzung des erweiterten Direktoriums des Zentralrats, 3. 5. 1953, in: ZA, B.1/ 7.221.37; Heinz Galinski an H.G. van Dam, 13. 5. 1953, in: ZA, B.1/7.120. 399 H.G. van Dam an die Herren Mitglieder des Direktoriums aus New York, 6. 10. 1952, in: ZA, B.1/ 7.857. 400 Die Jewish Trust Corporation wurde von der britischen Militärregierung am 4. 6. 1950 als jüdische Nachfolgeorganisation in ihrer Besatzungszone zugelassen. Ihre Aufgabe umfasste die treuhänderische Verwaltung des gesamten sogenannten herrenlosen jüdischen Besitzes, also auch des ehemaligen Eigentums der jüdischen Gemeinden. Kapralik, Reclaiming the Nazi Loot; Lillteicher, Raub, 81.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

290

Die Politik

nischen Besatzungszone,401 und deutschen Stellen seit Anfang der 1950er Jahre verstärkt befasste, da finanzielle Unterstützung von beiden Seiten zur Absicherung der Arbeit des Zentralrats notwendig war.402

2.1.3 Zwischen Verantwortung und Verpflichtung – Zu den Forderungen der Juden in Deutschland an die deutsche Politik Zwischen deutschen Politikern und Juden in Deutschland war es bereits in den ersten Nachkriegsjahren zu Begegnungen mit unterschiedlichem Ausgang gekommen. Besonders bemüht um Kontakt zeigte sich auf jüdischer Seite der Herausgeber der Allgemeinen, Karl Marx. Im Rahmen seiner journalistischen Tätigkeit unterstützte er 1946 beispielsweise Oberbürgermeister Arnold in seinem Vorhaben, einen Gedenkstein für die Düsseldorfer Synagoge zu errichten, ersuchte Landesstellen um finanzielle Unterstützung seiner Zeitung und sandte diese an maßgebende Minister und Referenten der deutschen Bundes- und Landesstellen. Nicht zuletzt wandte er sich bereits früh z. B. zur Durchführung von Interviews deutschen Politikern zu – erinnert sei hier beispielsweise an das im Herbst 1949 veröffentlichte Gespräch mit Adenauer – und forderte die Staatsmänner u. a. auf, Grüße und Glückwünsche zum Jüdischen Neuen Jahr oder zu Gedenktagen in seiner Zeitung zu veröffentlichen.403 Wie der Historiker Jay Howard Geller herausgearbeitet hat, bestanden traditionell zwischen der jüdischen Gemeinschaft und der SPD enge Kontakte. Um die Frage der Wiedergutmachung zu befördern und den nach wie vor in der deutschen Gesellschaft vorhandenen Antisemitismus einzudämmen, arbeiteten führende jüdische Persönlichkeiten deshalb nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eng mit Kurt Schumacher zusammen.404 Ab 1949 entwickelte sich auf Bundesebene allerdings insbesondere Bundespräsident Heuss, der bereits vor 1933 eng mit dem deutschen Judentum verbunden gewesen war, zum Fürsprecher der Juden und machte es sich zur Aufgabe, über die Interessen der kleinen Minderheit zu wachen.405 So verband er bereits in seiner 401 Die JRSO, die sich um die Verwaltung des sogenannten herrenlosen jüdischen Erbes in der amerikanischen Besatzungszone kümmerte, konnte bereits im Juni 1948 ihre Arbeit aufnehmen. Hockerts, Anwälte der Verfolgten, 254 f; Lillteicher, Raub, 358. 402 Beschlussprotokoll der Direktoriumssitzung, 28. 6. 1953, in: ZA, B.1/7.221.38. 403 Vgl. hierzu z. B. Glückwünsche, in: JG, 1. 10. 1948; Karl Marx an Theodor Heuss, 15. 9. 1949, in: BArch, B122/2083; Heuss, Glückwünsche zum Jüdischen Neujahrsfest, 113 – 158 sowie die ausführliche Darstellung in Kapitel III.1. 404 Geller, Jews, Kapitel 4. 405 Zahlreiche Studien zu Heuss widmen diesem Aspekt seiner Tätigkeit nur sehr wenig oder gar keine Aufmerksamkeit, vgl. hierzu z. B. Wiedener, Theodor Heuss; Bott, Theodor Heuss. Zur Rolle von Theodor Heuss im deutsch-jüdischen Dialog vgl. z. B. Geller, Theodor Heuss. Zu seinem Verständnis der Aufarbeitung der Vergangenheit vgl. Burger, Theodor Heuss; Baumgärtner, Reden nach Hitler.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

291

Antrittsrede am 12. September 1949 die Hoffnung darauf, „nun aus dieser Verwirrung der Seelen [durch die NS-Vergangenheit, A.d.V.] im Volk eine Einheit zu schaffen“ mit der Warnung davor, es sich zu leicht zu machen und „nun das vergessen zu haben, was die Hitlerzeit uns gebracht hat“406. In seiner Rede „Mut zur Liebe“, die das Staatsoberhaupt am 7. Dezember 1949 anlässlich einer Feierstunde der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Wiesbaden hielt, ergriff Heuss dann die Gelegenheit, das „scheußliche Unrecht, das sich am jüdischen Volke vollzogen hat“ explizit zur Sprache zu bringen, und seine persönlichen Ansichten und Gefühle gegenüber der Vergangenheit darzulegen: Sind wir, bin, ich, bist du schuld, weil wir in Deutschland lebten, sind wir mitschuldig an diesem teuflischen Verbrechen? Das hat vor vier Jahren die Menschen im Inland und Ausland bewegt. Man hat von einer ,Kollektivschuld‘ des deutschen Volkes gesprochen. Das Wort Kollektivschuld und was dahinter steht, ist aber eine simple Vereinfachung, es ist eine Umdrehung, nämlich der Art, wie die Nazis es gewohnt waren, die Juden anzusehen: daß die Tatsache, Jude zu sein, bereits das Schuldphänomen in sich eingeschlossen habe. – Aber etwas wie eine Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben.407

Durch seine Reden, öffentlichen Ansprachen und Zeitungsartikel versuchte Heuss, die deutsche Gesellschaft mit dem Konzept einer gesellschaftlichen Verantwortung für die Vergangenheit vertraut zu machen, das von verschiedenen, aber keineswegs allen Seiten positiv aufgenommen wurde.408 Besonders für Deutsche bot seine Formulierung der „Kollektivscham“ einen möglichen Referenzpunkt, sollten sie dazu genötigt sein, sich zur nationalsozialistischen Vergangenheit zu äußern.409 In Kombination mit seiner späteren Aussage, nun stehe „das jüdische Problem vor uns als Vergangenheit, es steht im moralischen Sinne aber auch vor uns als drängende Gegenwart“410 traf Heuss natürlich genau den Ton, den Persönlichkeiten wie Marx von deutscher Seite zuvor vermisst hatten. Während die jüdischen Weltorganisationen selbst nach Gründung der Bundesrepublik noch eine Kollektivschulderklärung der Deutschen erwarteten411, hatte sich Marx in einem Interview mit einem englischen Journalisten schon Anfang September 1946 von dieser Haltung distanziert: 406 Heuss, Die großen Reden, 90. 407 Heuss, Mut zur Liebe, 122. Vgl. auch Brenner/Frei, Zweiter Teil, 238 – 242. 408 Zu den Hauptzielen seiner Arbeit und der außerhalb der jüdischen Frage verfolgten Politik Theodor Heuss’ vgl. die zahlreichen Studien über den ersten Bundespräsidenten, z. B. Wiedener, Theodor Heuss; Bott, Theodor Heuss; Heß, Theodor Heuss. 409 Brenner/Frei, Zweiter Teil, 238 f; Geller, Theodor Heuss, 7. 410 Heuss, Mut zur Liebe, 124. Vgl. hierzu auch Herf, Divided Memory, 312 – 315. 411 Vgl. hierzu Karl Marx, Wie kann das an den Juden begangene Unrecht wiedergutgemacht werden? Kein Zeichen des Bedauerns, in: Düsseldorfer Nachrichten, 14. 1. 1950.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

292

Die Politik

Ich wehrte mich entschieden gegen die These der Gesamtschuld des deutschen Volkes an den von den Nazis begangenen Verbrechen und erklärte, daß ich in den 4 Monaten meiner Anwesenheit in Deutschland zu der Überzeugung gekommen sei, daß: a) die übergroße Mehrheit des deutschen Volkes von der fürchterlichen Auswirkung keine Kenntnis gehabt hat. b) Die Bildung einer Widerstandsbewegung in Deutschland infolge des Terrors nicht möglich war.412

Diese vehemente Verteidigung der deutschen Gesellschaft und konsequente Ablehnung der Kollektivschuldthese, die Marx nach nur vier Monaten in Deutschland formulierte, war keineswegs repräsentativ für die von der Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft in der Debatte um die Schuldfrage vertretene Meinung, sondern brachte ihn frühzeitig in Übereinstimmung mit der zuvor zitierten Position Theodor Heuss‘. Unter dem Wort der „Kollektivscham“ verstand dieser – so Marx – „zweifellos die Kollektivverantwortung“413, konnte er es doch nicht verantworten, der Übernahme einer Kollektivschuld des deutschen Volkes zuzustimmen. Sehr deutlich wies Marx wiederholt darauf hin, dass die Unterstützung der jüdischen Sache durch Heuss für ihn einen der entscheidendsten Gründe für das langfristige Verbleiben in Deutschland darstellte, weil er „ohne dessen Zuspruch, ohne dessen Güte und ohne dessen Verständnis […] nie den Mut und die Kraft aufgebracht hätte, die einmal in Deutschland begonnene Arbeit fortzusetzen“414. Auch van Dam distanzierte sich Anfang Januar 1950 in einem Leitartikel für die Allgemeine von der Vorstellung, jeder Deutsche trage eine rechtliche Schuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten. „Wäre diese These richtig“, so erklärte van Dam, „dann gäbe es keine Kriegsverbrecherprozesse.“ Da die moralische Schuld etwas Individuelles sei, käme es in erster Linie auf die politische Schuld an, „bei der es sich in Wahrheit um eine politische Verantwortlichkeit“ handele. Er folgerte daraus, dass eine Nation die Verantwortung übernehmen müsse, „wenn sie ein Regime duldet, das schließlich das ganze Volk in eine Kette von Verbrechen verstrickte“415. Durch seine dezidiert pro-jüdische Haltung bot sich Heuss ganz allgemein als Gesprächspartner für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland an, die zu Beginn der 1950er Jahre weder über Kontakte zur deutschen Bundesregierung noch zu den ausländischen jüdischen Organisationen verfügte, deren Unterstützung zur Absicherung ihrer eigenen Existenz aber unbedingt benötigte. Tatsächlich kam es bereits wenige Wochen nach der Rede des Bundespräsidenten zu einem ersten Treffen zwischen Heuss und einem Vertreter der deutschen Juden: Am 19. Januar 1950 empfing dieser Norbert Wollheim und 412 Karl Marx, Allgemeines Interview mit Mr. Metcalf, dem Vertreter der englischen Presse der Mil. Gov. in Düsseldorf. Abschrift, 2. 9. 1946, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. 413 Marx, Mut zur Wahrheit. 414 Karl Marx, Allgemeines Interview mit Mr. Metcalf, dem Vertreter der englischen Presse der Mil. Gov. in Düsseldorf. Abschrift, 2. 9. 1946, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. 415 G. Neuland, Kollektivschuld und -verantwortung, in: AWJD, 20. 1. 1950.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

293

brachte ihm gegenüber sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass bis zu dem Zeitpunkt keine offiziellen Beziehungen zwischen dem Bundespräsidialamt und den Juden in Deutschland bestanden.416 Nachdem die zwei Repräsentanten trotz zahlreicher Übereinstimmungen und einem weiteren Treffen am 20. März 1950 keinen Konsens fanden, wie sich in Zukunft die deutsch-jüdischen Beziehungen gestalten ließen, wandte sich der Bundespräsident in Ermangelung einer Gesamtvertretung der Juden in Deutschland verstärkt dem Herausgeber der Allgemeinen zu.417 „In the emotionally and politically charged atmosphere after the Holocaust, he needed advice and direction so as not to offend Jewish sensibilities and to win the broadest sympathy”, interpretierte Geller diesen Schritt von Heuss. Er markiert den Anfangspunkt einer persönlichen Freundschaft zwischen den beiden Männern, die es Heuss erlaubte, „to address Jewish concerns with precision and sensitivity“418. Marx wiederum gelang es, sich durch diesen Kontakt tatsächlich als Mittler zu präsentieren: So leitete er beispielsweise in der Zeit, als noch keine offiziellen Kontakte zwischen den Vertretern der jüdischen ausländischen Organisationen und deutschen Politikern möglich waren, persönliche Grüße von Nahum Goldmann an den Bundespräsidenten weiter. Im Rahmen eines Treffens mit Goldmann habe Marx von ihm den ehrenvollen Auftrag [erhalten], Ihnen seine herzlichsten und verbindlichsten Grüße zu senden und Ihnen die Versicherung abzugeben, daß er Ihnen ununterbrochen sehr viel Verehrung entgegenbringt. Zu seinem übergroßen Bedauern – ich kann Ihnen sagen, dass er sehr traurig darüber ist – sieht er im Augenblick noch keine Möglichkeit, Sie darum zu bitten, ihn zu empfangen, weil die Atmosphäre besonders in Israel, leider aber auch in jüdischen Kreisen Amerikas, noch nicht genügend bereinigt ist.419

In späteren Jahren nutzte Marx seinen Kontakt zu Heuss ferner, um Auszeichnungen für jüdische Prominente zu erwirken: So erhielt u. a. Leo Baeck 1953 auf Ersuchen von Marx und unter Einsatz von Heuss die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin und 1956 das Bundesverdienstkreuz mit Stern. Rabbiner Holzer aus Hamburg wurde 1958 auf Marx’ Vermittlung das Große Verdienstkreuz verliehen.420 416 Zu der Unterhaltung zwischen Heuss und Wollheim vgl. Gespräch zwischen Bundespräsident Theodor Heuss und Norbert Wollheim, 19. 1. 1950, in: Jelinek (Hg.), Zwischen Moral, 135. 417 Wollheim sah die Zukunft der Juden in Israel und empfahl Heuss deshalb, sich mit israelischen Vertretern – er dachte an Eliahu Livneh – in Verbindung zu setzen. Norbert Wollheim an Shalom Adler-Rudel mit Bericht über das Treffen mit Bundespräsident Theodor Heuss, 4. 4. 1950, in: Jelinek, Zwischen Moral, 145; Aktenvermerk, 20. 3. 1950, in: BArch, B122/2084. 418 Geller, Theodor Heuss, 2. 419 Karl Marx an Theodor Heuss, 10. 12. 1951, in: BArch, B122/2080. 420 Karl Marx an Luitpold Werz, 25. 2. 1953; Theodor Heuss an Helmut Gollwitzer, 27. 2. 1953; Theodor Heuss an Georg Rohde, 18. 4. 1953; Georg Rohde an Theodor Heuss, 7. 5. 1953, alle in: BArch, B122/2083; Karl Marx an Theodor Heuss, 8. 1. 1958; Wilhelm Günther von Heyden an

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

294

Die Politik

Zu Beginn der 1950er Jahre suchte der Herausgeber der Allgemeinen jedoch keineswegs nur die Nähe zu Heuss, sondern kontaktierte auch dessen Berater für auswärtige Angelegenheiten und kulturelle Fragen, Regierungsdirektor Luitpold Werz, und stand verschiedentlich im Austausch mit Adenauers Staatssekretär, Herbert Blankenhorn.421 Kein anderer Kontakt entwickelte sich jedoch zu einer vergleichbaren Freundschaft, wie sie Marx und Heuss bis zu dessen Tod verband.422 Zum Zeitpunkt der Gründung des Zentralrats 1950 und zu Beginn der intensiven Diskussionen um Wiedergutmachung, die seit der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 nicht mehr auf die Länderebene beschränkt waren, sondern unter bundespolitische Aufsicht fielen,423 existierten also bereits inoffizielle Kontakte zu deutschen Politikern und Regierungsbeamten, auf die zurückgegriffen werden konnte und wurde.424 Es ist also wenig erstaunlich, dass sich der Zentralrat – als er im Frühjahr 1951 schließlich begann, sich offiziell um Kontakt zu den führenden deutschen Politikern zu bemühen – entschied, über Heuss an Adenauer heranzutreten.425 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Zentralrat laut Marx noch keinen offiziellen Kontakt mit Vertretern der deutschen Bundesregierung aufgenommen, da „sowohl die Agency wie auch der Weltkongress […] die Auflage erteilt [hatten], dass wir uns nicht mit den Deutschen unterhalten sollten“426. Marx zufolge waren, „als wir Sprechverbot mit Bonn hatten“, verschiedene Vertreter des WJC und des Jewish Committee zu Verhandlungen in Bonn, ignorierten jedoch den Zentralrat. Aufgrund dieser Entwicklungen sprach er sich dafür aus, „sofort mit den Vorbereitungen für Gesetzesentwürfe und Vorschläge zu beginnen. Der Zentralrat sollte eine Verpflichtungserklärung von diesen Organisationen fordern, dass ohne den Zentralrat keine Erklärung abgegeben wird in derartigen Fällen.427 Zwei weitere Gründe waren ausschlaggebend dafür, dass der Zentralrat seine anfängliche Politik der distanzierten Zurückhaltung überdachte. „Dafür, das Gespräch abzuhalten, spricht außer anderen Gründen

421

422 423 424 425 426 427

Karl Marx, 17. 1. 1958; Karl Marx an Wilhelm Günther von Heyden, 24. 2. 1958, alle in: BArch, B122/2085. Zu den verschiedenen Kontakten zwischen dem Herausgeber der Allgemeinen und deutschen Regierungsbeamten vgl. z. B. Karl Marx an Luitpold Werz, 6. 3. 1950, in: BArch, B122/2083; Karl Marx an Herbert Blankenhorn, 23. 2. 1950, in: Politisches Archiv, Auswärtiges Amt, B 10, 307, 20 – 21, zitiert nach: Geller, Jews, 195. Heuss und Marx waren in beständigem Kontakt, vgl. hierzu BArch, NL Heuss. Vgl. Lillteicher, Raub, 135. Zu Kontakten z. B. zum Innenministerium vgl. Protokoll der Sitzung des Zentralrats, 20. 8. 1950, in: ZA, B.1/7.221.2; Bericht des Generalsekretärs für die Periode Januar–August 1951, in: ZA, B.1/7.246. Zuständig für die Wiedergutmachung und damit auch für die Rückerstattungen waren in der ersten Legislaturperiode das Bundesjustizministerium und sein Minister Thomas Dehler, der wie Heuss der FDP angehörte. Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857. Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

295

Abb. 9: Bundespräsident Theodor Heuss und der Herausgeber der Allgemeinen Karl Marx bei der Maimonides-Feier in Düsseldorf, 7. Juli 1954.

noch, daß die deutsche Öffentlichkeit bisher immer Auerbach für den Vertreter der Judenheit in Deutschland gehalten hat“, sagte Wollheim. Seiner Meinung nach sollte man nun, da dieser nicht mehr dabei sei, „den Versuch machen, uns bei der Bundesregierung zu zeigen.“428 Ferner stand – wie bereits erwähnt – der Übergang vom Besatzungsstatut zum Sicherheitsvertrag unmittelbar bevor, weshalb eine Kontaktaufnahme mit deutschen Regierungsvertretern dringend erschien. Auf der Direktoriumssitzung des Zentralrats vom 29. und 30. April 1951 wurde deshalb diskutiert, wie eine solche erfolgen könnte und welche Themen bei einem Zusammentreffen mit deutschen Regierungsvertretern angesprochen werden sollten. Während Wollheim der Meinung war, dass es gleichgültig sei, „in welcher Frage wir mit der Regierung in Kontakt kommen“, und vorschlug, eine Denkschrift zu formulieren, wies 428 Dieses und die nachfolgenden Zitate sind entnommen aus dem Protokoll der Direktoriumssitzung des Zentralrats, 29./30. 4. 1951, in: ZA, B.1/7.221.13.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

296

Die Politik

Marx darauf hin, dass die Juden in Deutschland „nicht legitimiert [seien], eine solche grundlegende Erklärung zu verlangen oder sie entgegen zu nehmen. Das müßte zurückgestellt werden. Dazu ist allein der Staat Israel legitimiert, der aber jetzt noch keine Beziehungen zu Deutschland hat.“ Galinski versuchte, diese zwei Positionen in Einklang zu bringen, als er resümierte: „Wir können keine verantwortlichen Verhandlungen führen, die das Weltjudentum angehen. Der Zentralrat hat die Interessen der Juden in Deutschland zu vertreten. Akute Fragen sind mit der Bundesregierung zu besprechen. Allgemeine Aussprache, kein festumrissenes Programm.“ Am Ende der Tagung verabschiedeten die Direktoriumsmitglieder des Zentralrats den Beschluss, „daß dieser Schritt zur Herstellung des Kontaktes mit der Bundesregierung getan wird“. Da man befürchtete, Adenauer könne „jemand anders vorschieben“, erfuhr der Vorschlag Dr. Ostertags, über Heuss an die Regierung heranzutreten, breite Zustimmung. Vorausgegangen war dem Direktoriumsbeschluss von Ende April bereits ein Schreiben des Generalsekretärs an Bundespräsident Heuss, in dem van Dam dem Staatsoberhaupt zum einen für seine bisherigen Bemühungen im Interesse der Juden dankte und zum anderen den Wunsch artikulierte, den Zustand der Beziehungslosigkeit zu beenden.429 Darüber hinaus hatte der Zentralrat zu Beginn des Jahres die Notwendigkeit der Zulassung einer jüdischen zentralen Wohlfahrtsorganisation erörtert und den Generalsekretär beauftragt, in dieser Frage bei der Bundesregierung vorstellig zu werden.430 Auf diese Gespräche Bezug nehmend, erklärte das Innenministerium, an welches das Bundespräsidialamt das Schreiben van Dams weitergeleitet hatte, man stünde bereits im Kontakt mit dem Zentralrat und erachte diesen als die rechtmäßige Vertretung der Juden in der Bundesrepublik.431 Der Zentralrat entschied nach diesem ersten Versuch der Kontaktaufnahme, vor weiteren Schritten auf eine Rückmeldung von Heuss zu warten.432 Erst nach der Regierungserklärung Adenauers am 27. September 1951 sah sich das Direktorium genötigt, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Der als Gast anwesende Dr. Livneh forderte, „die unmittelbare Folge der Proklamation in Bonn sollte nicht sein, die Rücksprache mit aller Vehemenz zu betreiben“433. Vielmehr solle sich der Zentralrat „lieber Durchsetzung verschaffen bei allen Partnern wegen einheitl. Verhandlung. Man sollte nach Bonn übersiedeln und 429 H.G. van Dam an Theodor Heuss, 31. 5. 1951, in: BArch, B106/36, 51. 430 Protokoll der Sitzung des vorläufigen Direktoriums des Zentralrats, 6. 1. 1951, in: ZA, B.1/ 7.221.8; Brief des Bundesinnenministers an den Zentralrat, 29. 3. 1951 betreffs Gründung der ZWST, in: ZA, B.1/7.157; Beschlussprotokoll der Direktoriumssitzung, 9. 7. 1951, 3, in: ZA, B.1/ 7.221.14; Beschlussprotokoll der Tagung des Rates, 19./20. 8. 1951, in: ZA, B.1/7.221.15. 431 Bundesinnenministerium an Luitpold Werz, 29. 6. 1951, in: BArch, B106/36, 52 und BArch, B136/5864. 432 Beschluss der Direktoriumssitzung, 9. 7. 1951, in: ZA, B.1/7.221.41. 433 Dieses und die weiteren Zitate sind entnommen aus dem Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

297

Kontakt halten; die Bildung eines einheitlichen jüdischen Verhandlungspartners muss erreicht werden.“ Im Anschluss an dessen Ausführungen betonte Heinz Galinski zwar nochmals die Bereitschaft des Zentralrats, mit den anderen Organisationen zusammenzuarbeiten, hob aber gleichzeitig hervor, dass der Zentralrat „für die Juden in Deutschland auftreten [müsse]. […] Die Organisationen draußen sollen das Judentum in Deutschland nicht herausdrängen.“ Julius Dreifuß brachte diese indirekt vorgebrachten Bedenken des Berliner Gemeindevorsitzenden noch deutlicher auf den Punkt. Nach den beschriebenen Vorfällen war er der Auffassung, dass die in Deutschland lebenden Juden „als solche zweiter Klasse angesehen“ würden, und war folglich nicht bereit, „einem Beschluß zuzustimmen, der uns von der Linie abbringt, zu einem Schritt bei der Bundesregierung zu kommen“. Einstimmig beschloss das Direktorium am Ende seiner Oktober-Sitzung, als Reaktion auf die Erklärung Adenauers und zur Absicherung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland seinen Alleinvertretungsanspruch gegenüber den deutschen Behörden erneut zu unterstreichen434 und ferner ein „Memorandum über die Forderungen des Zentralrates der Juden in Deutschland an die Bundesregierung“ zu schicken.435 Neben der Betonung der Notwendigkeit der moralischen Wiedergutmachung, zu der der Zentralrat u. a. die hinreichende Unterrichtung der öffentlichen Meinung, insbesondere aber der Jugend, im Geiste der Humanität und der friedlichen Gesinnung, eine entschiedene Bekämpfung aller Tendenzen des Judenhasses, strafrechtliche Sanktionen rechtswidriger Handlungen und eine strenge Denazifizierungsgesetzgebung zählte, standen die Forderungen hinsichtlich der materiellen Wiedergutmachung im Mittelpunkt des Schriftstückes.436 Kritisiert wurde insbesondere die Tatsache, dass die materielle Wiedergutmachung, „soweit sie bisher geregelt ist“, ihre gesetzliche Grundlage in Ländergesetzen und in den Rückerstattungsgesetzen der Besatzungsmacht hätte. Auf Bundesebene war zu diesem Zeitpunkt lediglich bis zu einem gewissen Grade die Wiedergutmachung der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes geregelt worden. So forderte der Zentralrat nicht nur die ungehemmte und schnelle Durchführung der bisher bestehenden Wiedergutmachungsgesetze, sondern setzte sich differenziert mit erforderlichen neuen gesetzlichen Maßnahmen zur Schließung erheblicher Lücken in den Ländergesetzen und Durchsetzung einer einschlägigen Entschädigungsgesetzgebung in einer Anzahl von Län434 Van Dam und Marx schrieben jeweils an westdeutsche Offizielle, um sie daran zu erinnern, dass der Alleinvertretungsanspruch der Interessen der deutschen Juden beim Zentralrat liege. Vgl. hierzu Karl Marx an Brückner, 11. 10. 1951, in: Politisches Archiv, Auswärtiges Amt, B 10, 1665; H.G. van Dam an das Bundeskanzleramt, 12. 10. 1951, in: BArch, B136/5862. 435 Protokoll der Besprechung des Direktoriums, 7. 10. 1951, in: ZA, B.1/7.857. 436 Das Memorandum ist abgelegt im Archiv JA, ZR 1950 – 1960. Soweit nicht anders vermerkt entstammen die folgenden Informationen diesem Schriftstück. Vgl. hierzu auch: v.D., Rasch und zielbewußt handeln. Der Zentralrat der Juden in Deutschland und seine Forderungen, in: AWJD, 15. 2. 1952.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

298

Die Politik

dern auseinander. Konkret ging van Dam, der dieses Schriftstück konzipierte und unterzeichnete, auf neun verschiedene Themenbereiche ein: 1.) Entschädigungsgesetzgebung Nordrhein, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein; 2.) Lückenabkommen;437 3.) Bundesrahmengesetz; 4.) Bundesergänzungsgesetz für rückerstattungsrechtliche Schadensansprüche; 5.) Sicherungsklausel; 6.) Steuerliche Maßnahmen; 7.) Bundesentschädigungsamt; 8.) Sicherung der Existenz der Kultusgemeinden und 9.) Schutz der jüdischen Friedhöfe. Wie von Seiten der Vertreter der ausländischen Organisationen bzw. des Staates Israel gefordert, schloss das Memorandum, das van Dam zufolge „die Grundlage für die Arbeiten des Sekretariats gewesen ist“438, mit dem expliziten Hinweis darauf, dass „die Forderungen des Staates Israel und der jüdischen Weltorganisationen, die von den jüdischen Gemeinden Deutschlands, insbesondere von dem Zentralrat in entschiedener Weise unterstützt werden, […] nicht Gegenstand dieses Memorandums [sind], weil sie sich der Zuständigkeit des Zentralrats entziehen“439. Während der Zentralrat also einerseits darum bemüht war, die Zusammenarbeit mit den ausländischen jüdischen Organisationen beizubehalten und bestenfalls zu intensivieren, begann die deutsch-jüdische Repräsentanz andererseits aber auch entsprechend der Zentralratsresolution vom 8. Oktober 1951 im Interesse der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland mit eigenen Forderungen an die Bundesregierung heranzutreten.440 In einer nachfolgenden Resolution heißt es hierzu: Das Direktorium des Zentralrates der Juden in Deutschland bekennt sich erneut zur Zusammenarbeit mit allen großen jüdischen Organisationen in der Welt. Die Juden in Deutschland betrachten sich als Teil des jüdischen Volkes und fühlen sich besonders verbunden mit dem Staat Israel, dessen Aufbauarbeit sie mit höchstem Stolz erfüllt. Der Zentralrat sieht die Interessen der aus Deutschland vertriebenen Juden als ebenso vital an wie die Belange derjenigen, die noch in Deutschland leben. Der Zentralrat erwartet aber auch, daß er aus politischer Vernunft bei Verhandlungen, die Probleme in Deutschland betreffen, sei es im Kreise jüdischer Organisationen, sei es mit internationalen oder deutschen Körperschaften und Behörden hinzugezogen wird. Das Direktorium des Zentralrates stellt fest, daß die Vertretung der in Deutschland lebenden Juden das Recht und die Pflicht hat, den Spitzenbehörden gegenüber die 437 Das sogenannte Lückenabkommen sollte vermeiden, „dass NS-Opfer von der Wiedergutmachung nur deswegen ausgeschlossen wurden, weil sie ihren Wohnsitz von einem Bundesland in das andere verlegt hatten und deshalb in keinem von beiden Ländern die Stichtagvoraussetzung erfüllten“. Winstel, Verhandelte Gerechtigkeit, 91 f. 438 Bericht des Generalsekretärs, 8. 10. 1953, in: ZA, B.1/7.246. 439 Memorandum über die Forderungen des Zentralrats an die Bundesregierung, in: Archiv JA, ZR 1950 – 1960. 440 Vgl. hierzu auch H.G. van Dam, Unteilbarkeit des Rechts, in: AWJD, 12. 10. 1951.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

299

Interessen seiner Mitglieder in angemessener Weise zu vertreten. Das Direktorium des Zentralrates steht auf dem Standpunkt, daß nur die Koordinierung aller Kräfte einen Erfolg auf dem Gebiet der Wiedergutmachung gewährt und verhindert, daß die Interessen einzelner Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.441

Zu Beginn des neuen Jahres folgten schließlich konkrete Schritte auf dem Weg der Annäherung zwischen dem Zentralrat und den Bundesministern: So ersuchte van Dam um ein Treffen mit Innenminister Robert Lehr, um die Situation der früheren Kultusbeamten mit ihm zu diskutieren.442 Am 21. März 1952 empfing Bundespräsident Heuss eine Delegation des Zentralrats, welche ihn um seine Unterstützung im Kampf gegen den Antisemitismus bat.443 Und wenige Tage später, am 1. April 1952, kam es zum ersten Treffen von Zentralratsmitgliedern mit Bundeskanzler Adenauer. Dieser brachte seine Zufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass mit dem Zentralrat eine einheitliche jüdische Interessenvertretung in Deutschland gegründet worden war und zeigte sich grundsätzlich offen für die Bitte des Zentralrats, seine Arbeit finanziell zu unterstützen.444 Die Treffen mit dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler markieren einen Wendepunkt in der Beziehung zwischen der deutsch-jüdischen Repräsentanz und der deutschen Regierung: Während die Juden in Deutschland vor der Gründung der Bundesrepublik und in den ersten zwei Jahren ihres Bestehens – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – nur über inoffizielle Kontaktpersonen, allen voran Karl Marx und bis zu einem gewissen Zeitpunkt Philipp Auerbach, mit deutschen Politikern und Regierungssprechern in Kontakt standen, existierte seit 1952 eine direkte Verbindung zwischen dem Zentralrat und den Bundesministerien, dem Kanzleramt und dem Bundespräsidialamt. Es ging folglich von nun an nicht mehr darum, zu den deutschen Politikern durchzudringen und sich in Bonn Gehör zu verschaffen; vielmehr war die Tür geöffnet, so dass Gespräche über konkrete Fragen beginnen konnten. Die Vermittlungstätigkeit von Karl Marx, der laut Auskunft von van Dam „eine große Anzahl von Unterhandlungen mit Stellen der Bundesregierung geführt hat“445 und insbesondere bei der Kontaktaufnahme mit Heuss Unterstützung geleistet hatte, war für den Zentralrat nach den ersten Gesprächen mit Adenauer und Heuss schlagartig weniger relevant. Stattdessen begann der Zentralrat, eine gezielte Interessenpolitik zur Siche441 Resolution über das Verhältnis des Zentralrats zu den jüdischen Organisationen, undatiert, in: ZA, B.1/7.857. 442 H.G. van Dam an Robert Lehr, 25. 1. 1952, in: BArch, N1244/25. 443 Aufzeichnung, 22. 3. 1952, in: BArch, B122/2080; Empfang bei Professor Heuss, in: AWJD, 28. 3. 1952. 444 Bericht über die Besprechung des Direktoriums des Zentralrats und dessen Generalsekretär mit Bundeskanzler Dr. Adenauer, 1. 4. 1952, in: ZA, B.1/5.213. 445 H.G. van Dam an Julius Dreifuß, 9. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.227. Vgl. hierzu auch Karl Marx an H.G. van Dam, 16. 5. 1957, in: ZA, B.1/7.570; Aktennotiz, 23. 5. 1957, in: ZA, B.1/7.570.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

300

Die Politik

rung der Individualansprüche der jüdischen Überlebenden in Deutschland und der Konsolidierung seiner Arbeit zu verfolgen. Im August 1952 nahm der Zentralrat deshalb „mit Befriedigung davon Kenntnis, daß die Bundesregierung beabsichtigt, eine den Erfordernissen der Gerechtigkeit entsprechende Wiedergutmachungsgesetzgebung dem Bundestag vorzulegen und für die Bereitstellung der notwendigen Mittel zur Durchführung der Wiedergutmachung Sorge zu tragen“446. Einen ersten Erfolg bedeutete in dieser Hinsicht die Mitteilung des Bundesfinanzministeriums im November 1952, nach deren Auskunft der Zentralrat in absehbarer Zeit zu den Formulierungen des Bundesentschädigungsgesetzes gehört werden sollte.447 Ein Jahr später ermöglichte die Verabschiedung des Bundesentschädigungsgesetzes von 1953, das primär auf eine Kompensation von körperlichen und seelischen Leiden abzielte, den jüdischen Gemeinden im westlichen Teil Deutschlands, zusätzlich zu den Rückerstattungsverfahren Entschädigungsansprüche geltend zu machen.448 Da das 53er Gesetz die Rückgabe von Synagogen und Gemeindeeinrichtungen, die infolge der Novemberpogrome von 1938 meist nur noch Ruinen waren, nicht als vollständige Rückerstattungen betrachtete, konnten die Nachfolgeorganisationen später zudem Anträge auf Entschädigung nach dem BEG wegen Schadens am Eigentum stellen.449 Unter Mitwirkung des Generalsekretärs des Zentralrats gelang es den Nachfolgeorganisationen später, die Länder zu entsprechenden Globalabfindungen zu bewegen; Ende der 1950er Jahre bzw. zu Beginn der 1960er Jahre wurde ferner – ebenfalls durch van Dams Vermittlung – eine Einigung zwischen den Gemeinden und den Nachfolgeorganisationen über die genaue Aufteilung der erzielten Geldbeträge herbeigeführt.450 Auf derselben Sitzung im November 1952, auf der van Dam dem Direktorium die positive Entwicklung bezüglich eines Bundesentschädigungsgesetzes vermelden konnte, musste sich das Gremium mit der schwierigen Finanzlage des Dachverbands auseinandersetzen, die in engem Zusammenhang mit den politischen Fragen stand. Die Direktoriumsmitglieder schlossen sich mehrheitlich der Aussage von Julius Dreifuß an, der „die Abhängigkeit von den 446 Entschließung des Zentralrats, Düsseldorf, 31. 8. 1952, in: ZA, B.1/7.857. 447 Beschlussprotokoll der internen Direktoriumssitzung, 12. 11. 1952, in: ZA, B.1/7. 221.29. 448 Zum Bundesrückerstattungsgesetz und dem Reparationsschädengesetz vgl. Lillteicher, Raub, 357 – 500. Zum ersten bundeseinheitlichen Entschädigungsgesetz (BGBl. 1953 I, 1387), das am 1. 10. 1953 in Kraft trat und einige Mängel und Lücken aufwies, vgl. Hockerts, Wiedergutmachung, 182. Neu gefasst und gut durchgearbeitet erschien das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) 1956 im Gesetzblatt und trat rückwirkend ab 1953 in Kraft. Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, 29. 6. 1956, in: BGBl. 1956 I, 559. 449 Normalerweise war es nicht möglich, für einen Schadensvorfall Gelder nach BEG und den alliierten Rückerstattungsgesetzen zu erhalten. Die Gesetzesänderung und -ergänzungen aus dem Jahre 1956 begrenzten die Entschädigungsansprüche ferner auf 75.000 DM für jeden einzelnen Vermögensgegenstand. Vgl. hierzu Lillteicher, Raub, 368. 450 Zur Aufteilung nach den erfolgreichen Verhandlungen mit den Ländern vgl. Lillteicher, Raub, 369; Kagan, Report, 23.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

301

ausländischen Organisationen als einen unwürdigen und untragbaren Zustand“451 charakterisierte. Da die Claims Conference im Herbst 1952 entsprechend der Aussage Leavitts den Juden in Deutschland keine Zugeständnisse hinsichtlich ihrer Bedürfnisse machen konnte und letztlich erst 1954 begann, die ZWST und die jüdischen Gemeinden in der BRD zu unterstützen, rückte die Frage der finanziellen Absicherung der Zentralratstätigkeit und des Budgets für die ZWST vorübergehend in den Mittelpunkt der Verhandlungen mit Regierungsstellen, die sich insbesondere nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens intensivierten.452 Da die Ausgaben des Zentralrats im November 1952 durch die Einnahmen nicht gedeckt werden konnten, beschloss das Direktorium, dass „demnächst Verhandlungen mit der Bundesregierung, und zwar mit dem Ministerium des Innern, eingeleitet werden zwecks Erlangung von Zuschüssen bzw. zur Budgetdeckung“453. Während der folgenden Verhandlungen mit der Bundesregierung verwies van Dam in einem Memorandum, das er im Januar 1953 für das Direktorium über die „Sicherung der Existenz der zentralen Vertretung der jüdischen Gemeinden“ verfasste, auf die Notwendigkeit der Existenz einer einheitlichen Vertretung der Juden in Deutschland und erinnerte daran, „daß starke Kräfte, die Wiedererstehung jüdischer Gemeinden in Deutschland als unvereinbar mit ihren historischen und politischen Grundkonzeptionen ansahen und noch ansehen“454. Dennoch, so argumentierte der Generalsekretär, haben die jüdischen Gemeinden bereits durch ihre Existenz und durch ihre Tätigkeit „einen Beitrag zum Frieden, zur Wiederherstellung normaler Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Außenwelt geleistet und damit eine Grundlage für Verhandlungen auf internationaler Basis geschaffen“. Ferner legte er dar, „daß ihr Bemühen, den bejahrten Mitgliedern ein sozial erträgliches Dasein zu schaffen […], im Interesse der Rechtsordnung der Bundesrepublik gewesen ist. Es bedarf hier nicht der näheren Ausführung, welche Rolle hierbei der zentralen Vertretung der Gemeinden, dem Zentralrat, zufiel.“ Unter Punkt II. des Memorandums thematisierte van Dam dann schließlich das eigentliche Anliegen der Eingabe des Zentralrats: Die Finanzierung der zentralen Tätigkeit stößt indessen auf große Schwierigkeiten, sodaß sich der Antrag auf eine Bundeshilfe rechtfertigt. Die jüdischen Gemeinden haben bisher eine Wiedergutmachung für die von ihnen erlittenen Schäden, Synagogenzerstörungen, Vermögensbeschlagnahmung, Auflösung, nicht erhalten. Die Rückerstattung von identifizierbarem Vermögen erfolgte an die ausländischen Nachfolgeorganisationen, die zwar gewisse Vermögensobjekte an die jüdischen Gemeinden abgetreten haben, aber nur nach Maßgabe ihrer lokalen und allerdring451 452 453 454

Beschlussprotokoll der internen Direktoriumssitzung, 12. 11. 1952, in: ZA, B.1/7.221.29 Ebd. Vgl. hierzu Geller, Jews, 258 – 263. Beschlussprotokoll der internen Direktoriumssitzung, 12. 11. 1952, in: ZA, B.1/7.221.29. Dieses und die nachfolgenden Zitate entstammen dem Memorandum von H.G. van Dam (für das Direktorium), Januar 1953, in: BArch, B106/21407.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

302

Die Politik

lichsten Bedürfnisse. Im Übrigen wurden auch niemals laufende Ausgaben, etwa aus dem Verkauf von Grundeigentum der Gemeinden gedeckt, sondern aus laufenden Einnahmen, wie Steuern und Beiträgen. Bei der heutigen Struktur der jüdischen Bevölkerung und der geringen Mitgliederzahl, ist noch nicht einmal ein Bruchteil der administrativen Kosten der lokalen Ausgaben der Gemeinden zu befriedigen, geschweige denn die Anforderungen einer zentralen Körperschaft. Es ist daher unsere Auffassung, daß der zentralen Vertretung der jüdischen Gemeinden eine Bundessubvention gewährt werden sollte, die es ihr möglich macht, ihre Aufgaben unabhängig durchzuführen. Alle Aktionen des Zentralrates können heute nur in einer Atmosphäre der Vorläufigkeit und der Ungewissheit stattfinden, was weder der Unabhängigkeit, noch der Tatkraft einer Körperschaft dient. Wir sind auch der Auffassung, daß eine Organisation der jüdischen Gemeinden in Deutschland in keinerlei wie auch gearteten Abhängigkeitsverhältnis stehen darf. Andererseits hat sie nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Wiedergutmachung, sondern unter allgemeinen öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten ihrer Auffassung nach einen Anspruch auf Hilfe des Staates, da ihre Auflösung aus wirtschaftlichen Gründen, wie wir glauben, dem Interesse der deutschen Demokratie zuwiderlaufen würde.

In einem Gespräch zwischen van Dam, dem Finanzreferenten des Zentralrats, Norbert Schäfer, und dem Leiter des zuständigen Referats des BMI, Ministerialrat Dr. Carl Gussone (1907 – 1993), am 3. Juni 1953, in dem sich die Zentralratsfunktionäre nach dem Sachstand ihres inzwischen gestellten Zuschussantrags erkundigten, fasste der Generalsekretär nochmals die Begründung des Antrags zusammen und thematisierte offen die Spannungen, die zwischen der zentralen jüdischen Interessenvertretung in Deutschland und den ausländischen jüdischen Organisationen existierten: Aus politischen Gründen sei es wichtig, daß der Zentralrat der Juden in Deutschland, der vor allem die deutschen Juden zusammenfasse und repräsentiere, wirtschaftlich von ausländischen Organisationen unabhängig sei. Der Zentralrat stehe mit den internationalen jüdischen Nachfolgeorganisationen in Erörterung und Auseinandersetzung über das jüdische Vermögen in Deutschland. Er könne sich nur durchsetzen, wenn er unabhängig sei. Durch die Geschehnisse in der Vergangenheit seien die jüdischen Gemeinden bis auf geringe Reste zusammengeschmolzen und wirtschaftlich nicht mehr leistungsfähig; andererseits hätten sich die Aufgaben und die Lasten der jüdischen Gemeinden insbesondere auf sozialem Gebiet erheblich erweitert, weil die Mehrzahl der Mitglieder alt und nicht arbeitsfähig sei. Das Aufkommen an Beiträgen für die Gemeinden sei dementsprechend äußerst gering. Zuschüsse von den Gemeinden zu den Unkosten des Zentralrats, der als gemeinsame Repräsentanz unentbehrlich sei, könnten bei dieser Sachlage nicht erwartet werden.455

455 Notiz von MinRat Dr. Gussone, 3. 6. 1953, in: BArch, B106/21407.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

303

Mit Bedacht erinnerte van Dam in dem Gespräch über den eingereichten Antrag des Zentralrats, der einen jährlichen Bedarf von ca. 110.000 DM vorsah, an die deutsche Vergangenheit,456 welche dafür verantwortlich war, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland „bis auf geringe Reste zusammengeschmolzen und wirtschaftlich nicht mehr leistungsfähig“ war. Auf diesen Missstand hatte van Dam bereits im März 1952 hingewiesen, als er in einem Absatz eines Memorandums klarstellte, dass die jüdischen Gemeinden, die 1945 völlig ohne Mittel dastanden, und auch ohne jegliche Mittel in die Währungsreform gingen, der Unterstützung [bedürfen]. Es mag in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß die notwendigen Ausgaben der jüdischen Gemeinden normalerweise durch das Steuer- und Beitrags-Aufkommen gedeckt wurden. Es bedarf keines näheren Beweises, dass die jüdischen Gemeinden mit einer derart geringen Mitgliederzahl und bei weitgehender Verarmung fast aller Mitglieder nicht in der Lage sind, ihre Aufgaben aus eigener Kraft zu erfüllen.457

Und auch die ablehnende Einstellung der ausländischen jüdischen Organisationen zur Existenz einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, die sich u. a. durch die „Erörterung und Auseinandersetzung über das jüdische Vermögen in Deutschland“ ausdrückte, wusste der Generalsekretär geschickt in die Argumentation mit einzubeziehen, um die Gewährung eines Bundeszuschusses zu den laufenden Kosten des Zentralrats zu erwirken. Gemeinsam mit Julius Dreifuß, der ihn zu dem Gespräch mit Gussone begleitet hatte, führte van Dam aus, daß das Bestehen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ein wesentlicher Faktor sei, um der Außenwelt zu zeigen, daß Juden in Deutschland wieder leben könnten. Die Stellungnahme gegenüber Deutschland sei unter den Juden nicht einheitlich. Es gebe gewisse Gruppen, welche mit Deutschland lediglich im Verhältnis von Gläubiger und Schuldner und auch da nur über eine ausländische Stelle verhandeln wollten. Der Zentralrat der Juden bemühe sich um die Wiederherstellung normaler Beziehungen.458

Da das Innenministerium, in dessen Verantwortungsbereich die Bearbeitung des Zentralratsantrags fiel, kein Budget zur Unterstützung des jüdischen Dachverbands vorgesehen hatte, bemühte man sich um einen Sonderfonds.459 Zur Errichtung eines Kultus- und Kulturreferats beantragte der Zentralrat Anfang Oktober ergänzend zu dem bereits eingereichten Budget eine Summe von 25.000 DM.460 Handschriftlich vermerkte Gussone auf dem Schreiben: 456 Ebd. Erläuterungen von Dr. Schäfer für den Antrag auf Bundeszuschuss, 1. 8. 1953, in: BArch, B106/21407. 457 Memorandum vom März 1952, in: BArch, B106/21407. 458 Internes Memo BMI, 5. 1. 1953, in: BArch, B106/21407. 459 Vermerk, 3. 6. 1953, in: BArch, B106/21407. 460 Schäfer an das BMI, Dr. Gussone, 2. 10. 1953, in: BArch, B106/21407.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

304

Die Politik

An der Tätigkeit und den Aufgaben des Zentralrats der Juden in Deutschland besteht – abgesehen in Erwägung der Wiedergutmachung – ein besonderes Interesse des Bundes, weil der Zentralrat auf diese Weise der Verständigung und Befriedung dient und damit den Bemühungen der Bundesregierung in dieser Verständigung, in die Beseitigung von Konfliktstoffen und zur Verhinderung und Bekämpfung antisemitischer und völkerverhetzender Tendenzen. – Die Gewährung eines Zuschusses aus dem Etat für bestimmte Haushaltsmittel ist gerechtfertigt.461

Bis zum Ende des Jahres hatte der Zentralrat bereits die ersten 12.500 DM erhalten und konnte durch die Unterstützung der Bundesregierung, die am 2. November 1953 bewilligt worden war,462 seine Arbeit fortsetzen und weiter ausbauen. Zudem gewährten diese Zuwendungen, die dem Zentralrat auch in den folgenden Jahren weiterhin gezahlt wurden, eine Unabhängigkeit von den ausländischen jüdischen Organisationen, welche sich die Vertreter im Direktorium lange gewünscht hatten.463 In Anbetracht dieser Verhandlungserfolge war es dem Zentralrat erneut ein Anliegen, seinen Alleinvertretungsanspruch geltend zu machen. Gegenüber dem Bundesministerium des Innern erklärten der 1. Vorsitzende des Direktoriums des Zentralrats, Carl Katz, und der Generalsekretär, van Dam, im Auftrag des Direktoriums: Zur Wahrnehmung der Rechte und Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland bei den Bundesbehörden ist ausschließlich der Zentralrat der Juden in Deutschland als Vertretung der jüdischen Gemeinden befugt. Eine Vertretung durch ausländische Organisationen oder Sprecher wird durch den Zentralrat in Zukunft nicht anerkannt. Entscheidungen, die Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland berühren, binden den Zentralrat nur dann, wenn er bei den Verhandlungen hierüber rechtzeitig hinzugezogen war und hierzu Stellung genommen hat. Das Direktorium stellt fest, daß die Mitgliedschaft bei der Claims Conference nicht als Ermächtigung für ausländische Organisationen oder Funktionäre ausgelegt werden darf, für einen unbeschränkten Zeitraum die Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu vertreten. Das Direktorium des Zentralrats bittet die Bundesregierung, den Zentralrat zur 461 Ebd. 462 Aufgrund der mit Schreiben, 2. 11. 1953 Dr. Sch/Fe, anerkannten „Allgemeinen Bewilligungsbedingungen“ wurden dem Zentralrat auch in den Folgejahren Bundeszuschüsse bewilligt. Vgl. Ref. MinR Dr. Gussone, 5. 8. 1958, in: BArch, B106/21407. 463 Zur Förderung der kulturellen Bestrebungen des Zentralrats zahlte das Bundesministerium des Innern seit 1953 Zuschüsse: 1953 25.000 DM; 1954 45.000 DM; 1955 40.000 DM; 1956 40.000 DM; 1957 45.000 DM; 1958 45.000 DM; 1959 45.000 DM; 1960 33.750 DM; 1961 45.000 DM; 1962 60.000 DM; 1963 60.000 DM; 1964 60.000 DM; 1965 60.000 DM; 1966 90.000 DM; 1967 100.000 DM; 1968 100.000 DM; 1969 120.000 DM; 1970 100.000 DM; 1971 140.000 DM; 1972 165.000 DM; 1973 180.500 DM. Zu der Korrespondenz und den Gründen für die Erhöhung der Zuschüsse (u. a. Kürzung der Zuschüsse von Seiten der Claims Conference, Nebenklage im Treblinka-Prozess, allgemeine Teuerung, erhöhte Personalkosten, Ausgaben für Jüdischen Pressedienst etc.) vgl. BArch, B106/35457.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

305

Besprechung von Fragen hinzuzuziehen, die für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland von Bedeutung sind.464

Wie diese Verhandlungen mit deutschen Regierungsstellen veranschaulichen, war die Frage, wie sich das weitere Verhältnis zur deutschen Bundesregierung gestalten sollte, mit der Entscheidung über die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der Claims Conference, die Zurückhaltung gegenüber den deutschen Regierungsstellen einforderte, keineswegs abschließend geklärt. Das Ringen um die finanzielle Absicherung der Zentralratstätigkeit war ein zentraler Aspekt der weiteren Gespräche mit den verschiedenen Bundesministerien. Darüber hinaus verhandelte der Zentralrat beispielsweise über eine Unterstützung der Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe im Bundesgebiet465 und suchte mit den deutschen Regierungsstellen und den ausländischen jüdischen Organisationen nach Lösungen des DP-Problems in Bayern. Ferner erbat der Zentralrat finanzielle Unterstützung für die Konferenz der Rabbiner, die sich 1957 gegründet hatte,466 diskutierte mit ihnen allgemeine jüdische Fragen wie beispielsweise das deutsch-israelische Verhältnis467 und drängte intensiv auf die Erarbeitung und Verabschiedung eines Bundesentschädigungsgesetzes – ein Thema, das auch die Allgemeine in Leitartikeln beständig reflektierte. Marx wiederum stand insbesondere mit dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Kontakt, das seine Zeitung über viele Jahre durch die Abnahme von 1.200 Exemplaren monatlich subventionierte.468 Grundsätzlich lassen sich – sehr verallgemeinernd – zwei unterschiedliche Formen der Beziehungen zwischen den deutsch-jüdischen Repräsentanten und den deutschen Regierungspolitikern und Mitarbeitern in Bonn erkennen: Zum einen suchten die Juden in Deutschland den prestigeträchtigen Kontakt zu den führenden deutschen Staatsmännern, Konrad Adenauer, Kurt Schumacher und Theodor Heuss: Diese verfügten über Ansehen und politische Macht, d. h. sie waren diejenigen, deren Wort Gewicht besaß und die weitergehende Versprechen oder Zugeständnisse machen konnten. Insbesondere Theodor Heuss setzte sich intensiv für die Interessen der Juden in Deutschland ein, aber auch von Konrad Adenauer erhielt die jüdische Gemeinschaft nach dem erfolgreichen Abschluss der Wiedergutmachungsverhandlungen in Den Haag vermehrt Aufmerksamkeit. Die persönliche Freundschaft von Karl Marx und Theodor Heuss muss indessen als eine Ausnahme verstanden werden. Normalerweise beschränkte sich der Kontakt zu den Staatsoberhäuptern auf den offiziellen Austausch über die Situation der 464 Zentralrat an das BMI, 3. 11. 1953, in: BArch, B106/21407. 465 BMI, Haushaltsvoranschlag 1955, Anmeldung zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1955, Titel 643, in: BArch, B106/21407. 466 Vermerk nach Diktat von Dr. Gussone, 16. 4. 1957, in: BArch, B106/21407. 467 H.G. van Dam an Ministerialrat Dr. Grundschöttel, 29. 1. 1970, in: BArch, B136/24655. 468 Zu den Kontakten zwischen Marx und dem Presse- und Informationsamt vgl. BArch, B145/ 1141; BArch, B145/4123; BArch, B145/5431; BArch, B145/6915 sowie Kapitel IV.2.2.1.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

306

Die Politik

Juden in Deutschland und das gelegentliche Verschicken von Glückwunschtelegrammen, die zu Jubiläen oder Festtagen übermittelt wurden. Zum anderen standen die Repräsentanten der jüdischen Instanzen zur Ausarbeitung konkreter Absprachen vorrangig in engem Kontakt zu Staatssekretären und Ministerialbeamten, über die der Schriftverkehr abgewickelt und Vereinbarungen festgesetzt wurden. Die Korrespondenz zwischen den Parteien lässt trotz aller taktischer Formulierungen und immer wieder ausgetragener Debatten erkennen, dass sich im Verlauf der Jahre enge Vertrauensverhältnisse zwischen den Gesprächspartnern entwickelten und teilweise – wie beispielsweise zwischen van Dam und Gussone – ebenfalls persönliche Grüße und Glückwünsche übermittelt wurden.469 Ferner nutzte Gussone den Kontakt zu van Dam in späteren Jahren, um sich mit dem Generalsekretär über jüdische Fragen auszutauschen und seinen Rat einzuholen: So erreichte Gussone beispielsweise 1968 ein Schreiben vom Institute for the Research of Disaster, in dem der Verfasser die Errichtung eines jüdischen Museums in Deutschland vorschlug. Nachdem van Dam dem Ministerialdirektor davon abgeraten hatte, einem israelischen Institut finanzielle Unterstützung für ein solches Projekt zu gewähren, antwortete Gussone dem Israeli entsprechend seiner Empfehlung.470 2.1.4 Fazit Während die Auerbach-Affäre, die „Bayern-Frage“ und das DP-Problem den Zentralrat „innenpolitisch“ vor enorme Herausforderungen stellten und als Bewährungsproben der inneren Einheit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland angesehen werden können, entwickelte sich die Frage der Wiedergutmachung und die damit einhergehende Auseinandersetzung mit den ausländischen jüdischen Organisationen zu einer „außenpolitischen“ Feuerprobe, die als Prüfstein der Einigkeit unter den jüdischen internationalen Organisationen angesehen werden kann. Fest steht, dass der Zentralrat in seinem Bemühen um ein für die Juden in Deutschland akzeptables Bundesentschädigungsgesetz in erheblichem Maße dem Bestehen der Conference on Jewish Material Claims against Germany Rechnung zu tragen hatte. Rückblickend charakterisierte van Dam die Herausforderung, die die Mitglieder des Direktoriums der zentralen jüdischen 469 H.G. van Dam an Carl Gussone, 31. 12. 1954; Carl Gussone an H.G. van Dam, 4. 1. 1955, beide in: BArch, B106/21407; Dr. Gussone an den Zentralrat, 19. 7. 1960, in: BArch, B106/21408; Dr. Gussone an H.G. van Dam, 3. 2. 1962; Dr. Gussone an H.G. van Dam, 19. 10. 1965, beide in: BArch, B106/21559. 470 I. Puchazewski, The Institute for Research of Disaster, an das Innenministerium der Westdeutschen Bundesregierung, 28. 10. 1968; Dr. Gussone an H.G. van Dam, 7. 11. 1968; H.G. van Dam an Dr. Gussone, 11. 11. 1968; Dr. Gussone an Herrn Puchazewski, 9. 12. 1968; Dr. Gussone an H.G. van Dam, 9. 12. 1968; Dr. Gussone an die Botschaft der BRD in Israel, Tel Aviv, 9. 12. 1968, alle in: BArch, B106/35483.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

307

Interessenvertretung im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit der deutschen Bundesregierung und den ausländischen jüdischen Organisationen bewältigen mussten, wie folgt: Der Zentralrat mußte es unter allen Umständen vermeiden (jedenfalls so gut es ging), sich zwischen zwei Stühle zu setzen, nämlich dem entschiedenen Wunsch der Bundesregierung [zu] einer Gesamtlösung der Wiedergutmachung zu gelangen und dem Interesse aller jüdischen Organisationen, mit einer statt mit dreißig und mehr Stimmen zu sprechen. Die besondere Situation der Juden in Deutschland wurde hierbei oft genug in sehr erheblichem Maße vernachlässigt, was allerdings auch für die aus Deutschland ausgewanderte Gruppe von Emigranten gilt, die aus einer Anzahl hier nicht zu erörternden Gründen sich nicht in einer der Güte ihres Rechtes und der Größe Ihrer Anzahl entsprechenden Weise vertreten haben.471

In diesem Kampf um Anerkennung und Recht für die Juden in Deutschland, d. h. um die Anerkennung eines angemessenen Mitspracherechts in den Wiedergutmachungsverhandlungen der internationalen jüdischen Organisationen und um die Gewährung eines ihnen nach der Sachlage und den Prinzipien der Gerechtigkeit zukommenden Anteils an der Globalzahlung von 450 Millionen DM, erhielten die Vertreter der zentralen jüdischen Interessenvertretung in Deutschland Unterstützung von dem Herausgeber der Allgemeinen, Karl Marx. Er stellte seine Zeitung als Plattform der Meinungsäußerung zur Verfügung und öffnete – als die Mitglieder des Direktoriums des Zentralrats begannen, den Kontakt nach Bonn zu suchen – durch persönliche Beziehungen zu deutschen Politikern einige Türen. Die Bedenken hinsichtlich der Behandlung der jüdischen Gruppe in Deutschland und die Gefahr eines ausländischen Vertretungsmonopols wurden in zahlreichen Zeitungsartikeln von Marx und van Dam gleichermaßen geäußert. Allerdings führte die Frage, wer die Interessen der deutschen Juden nach außen vertreten dürfe und wem für die erreichten Fortschritte im Prozess der Wiedergutmachung Anerkennung zu zollen war, immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen den zwei prominenten Repräsentanten. Der Kampf um Anerkennung erfolgte somit nicht nur auf der politischen Bühne, wo der Zentralrat seit 1952 eine zunehmend eigenständigere, von den internationalen jüdischen Organisationen losgelöste Politik betrieb. Er fand auch in den eigenen Reihen statt und ließ die gegensätzliche Auffassung der zwei Akteure hinsichtlich der Rolle der deutschen Juden in diesem Prozess deutlich hervortreten: Anders als Marx distanzierte sich der Generalsekretär des Zentralrats in seinen Artikeln von den Interessen der deutschen Bundesregierung und legte Wert darauf, sich nicht als ihr Fürsprecher einspannen zu lassen. Für Marx hingegen stellte die Erklärung der Bundesregierung und der politischen Parteien der Bundesrepublik vom 27. September 1951 eine konsequente Fortsetzung der von Adenauer 1949 angekündigten Politik dar, die es 471 Bericht des Generalsekretärs, 8. 10. 1953, in: ZA, B.1/7.246.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

308

Die Politik

seiner Meinung nach auch von jüdischer Seite anzunehmen und zu unterstützen galt. Diese positive Beurteilung der bundesdeutschen Haltung, die Marx sich nicht scheute zu publizieren, setzte ihn scharfer Kritik aus. Als er später sogar noch einen Schritt weiter ging und die Aufnahme geregelter Beziehungen zwischen Deutschland und Israel vorschlug, wurde er „von seinen Gegnern als Jude hingestellt, der die Ehre Israels verkaufe und erhielt sogar den Beinamen ,Sendling Adenauers‘“472. Trotz dieser Anschuldigungen argumentierte Marx seit dieser Zeit für die Anerkennung der deutschen Bemühungen, das geschehene Unrecht, soweit das materiell möglich ist, wiedergutzumachen.473 In der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens am 9. September 1952 sah er schließlich die Bestätigung des Vertrauens, das er dem neu gegründeten deutschen Staat und dessen Regierung entgegengebracht hatte, und lobte die Außergewöhnlichkeit der politischen Entwicklung später mit den Worten: „Dem historischen einmaligen Verbrechen der Vergangenheit steht heute die historisch einmalige, positive Tat der Wiedergutmachung gegenüber!“474 Während Marx sich im Verlauf der Wiedergutmachungsverhandlungen und in seinen Zeitungsartikeln deutlich als Verfechter einer positiveren BonnPolitik zu erkennen gab, sprach sich van Dam trotz aller Kritik an den jüdischen Partnern und gewisser Vorbehalte gegenüber den internationalen jüdischen Organisationen entschieden für eine Zusammenarbeit mit diesen und gegen eine isolierte Aktion der deutschen Juden bei der Bundesregierung aus. Entsprechend dieser Einstellung nutzte van Dam Veröffentlichungen zu diesem Thema auch in den Jahren nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens vorrangig zur Übermittlung von Informationen über die Entwicklungen im Prozess der Wiedergutmachungsverhandlungen und zur kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen und/oder jüdischen Wiedergutmachungspolitik. Dabei war kennzeichnend für seine Haltung, dass er sich gegenüber den Juden in Deutschland und der deutschen Bundesregierung in der Frage des Kollektiv-Anspruchs des jüdischen Volkes vehement für den 472 Karl Marx schlägt Aufnahme geregelter Beziehungen mit Bonn vor. Übersetzung aus der Zeitung „Smanim“, offizielles Organ der bürgerlichen ,Progressiven Partei‘ in Israel, 19. 11. 1954, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. Vgl. auch Karl Marx, Nicht mehr zögern! Zur Frage der diplomatischen Beziehungen Deutschland–Israel, in: AWJD, 19. 7. 1957; Karl Marx, … auch eine Frage der Moral. Über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel, in: AWJD, 11. 12. 1959. 473 Vgl. hierzu Karl Marx, Den Weg zueinander finden. Zur Annahme des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsvertrages durch den Bundesrat, in: AWJD, 27. 2. 1953 und Karl Marx, Selbstbehauptung gerechtfertigt. Zu den diskriminierenden Anwürfen gegen die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, in: AWJD, 13. 3. 1953; Karl Marx schlägt Aufnahme geregelter Beziehungen mit Bonn vor. Übersetzung aus der Zeitung „Smanim“, offizielles Organ der bürgerlichen ,Progressiven Partei‘ in Isael, 19. 11. 1954, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. 474 Porträt der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“. Manuskript Heinz Hell, Sendung des NDR, 14. 9. 1958, 1 – 18, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958, hier 6. Vergleichbar argumentiert Marx an Theodor Heuss, 2. 7. 1962, in: BArch, N1221/441, Fiche 1.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

309

israelischen Staatsanspruch einsetzte; in der Frage der WiedergutmachungsGesetzgebung, die sich mit den individuellen Ansprüchen befasste, verteidigte er allerdings insbesondere gegenüber den ausländischen jüdischen Organisationen ebenso konsequent den Vorrang der Ansprüche der noch lebenden Berechtigten.475 Der Ausgang der Wiedergutmachungsverhandlungen scheint van Dam Recht zu geben: Im Frühjahr 1953 kam es zu einer langsamen Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Zentralrat und der Claims Conference, die seit 1954 gemeinsam mit dem Joint und der Jewish Restitution Successor Organization zur Finanzierung der Arbeit des Zentralrats, insbesondere seines Kulturdezernats, und der Tätigkeit der ZWST beitrug.476 Infolge des Beginns direkter Gespräche zwischen Vertretern des Zentralrats und der deutschen Bundesregierung bzw. den entsprechenden Bundesministerien seit 1952 war es dem deutsch-jüdischen Dachverband zudem gelungen, die Arbeit des Zentralrats durch Bundeszuschüsse finanziell abzusichern und eine Regelung der Individualgesetzgebung, die von der Claims Conference nicht als ihre Aufgabe angesehen wurde, auf den Weg zu bringen.477

2.2 Mahner oder Mittler? Jüdisches Leben im Spannungsfeld zwischen Schuldgefühlen und neuem Selbstbewusstsein Als der Generalsekretär des Zentralrats im Jahr 1955 auf eine Periode des fünfjährigen Bestehens der Dachorganisation der jüdischen Gemeinden zurückblickte, konnte er erfreut feststellen, dass die Interessenvertretung „heute im In- und Ausland als Instrument einheitlicher Willensbildung und Organ der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung und anderen überregionalen Stellen einerseits, mit den jüdischen ausländischen Auslandsorganisationen andererseits, als eine Selbstverständlichkeit aufgefasst“478 werde. Tatsächlich musste die Politik der totalen Isolation, mit der sich der Zentralrat und die Allgemeine zum Zeitpunkt ihrer Gründung konfrontiert sahen, im Lauf der fünfziger Jahre aufgegeben werden; aber trotz der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens durch Israel, die Bundesrepublik und jüdische Organisationen im Oktober 1952 und obwohl der WJC den Zentralrat im 475 Vgl. hierzu H.G. van Dam an Dr. Eliahu Livneh, 17. 6. 1952, in: ZA, B.1/7.126. 476 Protokoll der Zentralratstagung, 31.8./1. 9. 1952, in: ZA, B.1/7.221.25/26; Übersetzung des Protokolls der Sitzung der Nachfolgeorganisationen mit dem Zentralrat, der ZWST, den Landesverbänden und Gemeinden, 14. 4. 1954, in: ZA, B.1/7.157. Formell blieb der Kontakt zum WJC trotz der guten Zusammenarbeit zwischen Nahum Goldmann und H.G. van Dam weiterhin schwierig: Im Juli 1953 war der Zentralrat immer noch nicht offiziell dem WJC beigetreten. Geller, Jews, 278; Zweig, German Reparations. 477 Protokoll der Zentralratstagung, 31.8./1. 9. 1952, in: ZA, B.1/7.221.25/26. 478 Summarischer Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs für die Zeit, 1. 7. 1954 bis 30. 11. 1955, in: ZA, B.1/7.246.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

310

Die Politik

November 1954 in seine Organisation aufgenommen hatte,479 fühlten sich – wie der Historiker Anthony Kauders nachweist – „viele Juden in Westdeutschland […] dennoch veranlasst, ihren fortwährenden Aufenthalt im ,Land der Täter‘ zu rechtfertigen“. Seiner Meinung nach empfanden die Juden in Deutschland diesen Rechtfertigungszwang „nicht nur, weil es schwer war, das eigene schlechte Gewissen abzuschütteln“, sondern auch, weil „die Vorwürfe aus Israel und der übrigen jüdischen Welt an[hielten]“480. Es lässt sich nicht eindeutig feststellen, inwieweit Marx und van Dam selbst ein schlechtes Gewissen hatten, allerdings wussten sie um die Gefühle eines Großteils der jüdischen Gemeinschaft (insbesondere in Israel), für den ein Leben in Deutschland nach Hitler nicht in Frage kam.481 Während der 1950er und 1960er Jahre standen die beiden deutsch-jüdischen Repräsentanten also weiterhin vor der Aufgabe, sich bzw. der jüdischen Gemeinschaft Legitimität und internationales Ansehen zu verschaffen. Eng damit verknüpft war die Frage nach dem eigenen Selbstverständnis, das sich für viele nur in starker Anlehnung bzw. Abgrenzung zu dem 1948 gegründeten jüdischen Staat beantworten ließ. Die Frage, welchen Weg die zwei politischen Hauptakteure einschlugen, um unter diesen Bedingungen eine ihrer Meinung nach zukunftsorientierte Politik zu betreiben, steht deshalb im Mittelpunkt des folgenden Kapitels und soll exemplarisch am Verhältnis der deutschen Juden zu Deutschland und den Deutschen einerseits, und zu Israel und den Juden in der Welt andererseits illustriert werden. 2.2.1 Symbolträchtiges in Südamerika – Zum Umgang mit Deutschland und den Deutschen Während auf der internationalen Bühne die Frage der Wiedergutmachung verhandelt wurde, setzte nach der Gründung der Bundesrepublik auf nationaler Ebene eine Politik ein, die auf die Integration und Amnestierung NSbelasteter Personen zielte.482 Der Zentralrat und die Allgemeine reagierten mit Publikationen und Resolutionen sowie selten einmal mit Zustimmung auf diese Entwicklungen. Insbesondere Marx und van Dam meldeten sich in 479 Burgauer, Zwischen Erinnerung, 59. 480 Kauders, Unmögliche Heimat, 48. 481 Ein schlechtes Gewissen (oder Schuldgefühle) definiert Anthony Kauders in Abgrenzung zu Scham folgendermaßen: „Jemand der sich schuldig fühlt, glaubt, etwas Falsches getan zu haben. Jemand, der sich für etwas schämt, glaubt nicht nur etwas Falsches getan zu haben; er oder sie ist sogar überzeugt, ein schlechter Mensch zu sein. Während Scham die ganze Person betrifft, bezieht sich Schuld auf das Handeln des Einzelnen.“ Kauders, Die westdeutschen Juden, 33. 482 Vgl. hierzu ausführlich Frei, Vergangenheitspolitik. Frei, der detailliert auf die Entwicklungen innerhalb der deutschen Politik eingeht, verzichtet weitestgehend auf eine Diskussion der Reaktionen der deutsch-jüdischen Repräsentanz auf diese von ihm als „Vergangenheitspolitik“ bezeichnete Haltung. Vgl. auch Klotz, Vergangenheitspolitik.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

311

vielen Fällen mahnend, in manchen Fällen warnend zu Wort, wenn sie meinten, in den aktuellen politischen Entwicklungen eine Vernachlässigung der Verpflichtung der Deutschen gegenüber den Juden, eine Gefahr für die junge Demokratie oder eine Bedrohung des Weltfriedens zu erkennen.483 Betrachtet man das Verhältnis von Juden und Nichtjuden in der Bundesrepublik zu Beginn der 1950er Jahre etwas genauer und blickt hinter die in der Presse veröffentlichten Mahnungen, so lassen sich zwei Feststellungen machen: Zum einen wurde das Vorhandensein einer jüdischen Gemeinschaft in Anlehnung an die Worte des amerikanischen Militärgoverneurs und späteren Hohen Kommissars John J. McCloy aus dem Jahr 1949 als Garant der Anerkennung Deutschlands innerhalb der demokratischen Staatenwelt angesehen.484 Zum anderen verspürten die deutsch-jüdischen Repräsentanten allerdings eine gewisse Not, das Fortbestehen jüdischer Existenz in Deutschland gegenüber Dritten zu rechtfertigen. Die Antwort auf die Frage, ob jüdisches Leben in Deutschland weiterhin möglich sein würde, machten die Juden in Deutschland in der Argumentation gegenüber deutschen Regierungsstellen vor allem vom Fortschritt der Wiedergutmachung und der deutschen Gesetzgebung nach Gründung der Bundesrepublik abhängig. Somit wurde die schnelle und gerechte Durchführung der Wiedergutmachung des durch den Nationalsozialismus verübten Unrechts als der „einzig einleuchtende Beweis für die wirkliche Abkehr von der nationalsozialistischen Gedankenwelt“ dargestellt.485 Zur Verteidigung des Vorhandenseins einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gegen Vorwürfe aus dem Ausland berief sich die deutsch-jüdische Repräsentanz dann allerdings genau auf die verschiedenen Anzeichen des demokratischen Reifeprozesses innerhalb der deutschen Gesellschaft, die man in den Auseinandersetzungen mit den Deutschen vehement einforderte. Ausgehend von dieser Feststellung soll im Folgenden anhand von drei Beispielen – der Gründung der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zu483 G. Neuland, Dynamischer Friede, in: AWJD, 27. 7. 1951; Ders., Der Sicherheitsvertrag, in: AWJD, 10. 8. 1951; H.G. van Dam, Friedensgarantie durch Völkerstrafrecht?, in: AWJD, 10. 8. 1951; Zentralrat der Juden in Deutschland. Memorandum für die Kommission des amerikanischen Kongresses, November 1951, in: ZA, B.1/7.409; Beschlüsse der Zentralratssitzung, 18./ 19. 11. 1951, in: ZA, B.1/7.221.18; H.G. van Dam, Aufhetzung zum Gruppenhaß. Ein Rechtsurteil und seine Bedeutung, in: AWJD, 30. 11. 1951; Summarischer Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs für die Zeit, 1. 7. 1954 bis 30. 11. 1955 sowie Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland für die Berichtsperiode von Dezember 1956 bis Dezember 1957, beide in: ZA, B.1/7.246; Marx, Besinnung tut Not! Man muß es mit der Freiheit ehrlich meinen, in: AWJD, 3. 4. 1959. 484 Auf der zweiten Konferenz über die Zukunft der Juden in Deutschland, die im Sommer 1949 in Heidelberg stattfand, charakterisierte McCloy die Juden in Deutschland als „Barometer der Demokratisierung“. Vgl. Geller, Jews, 73 – 75; Stern, Im Anfang, 264 – 266. Zur Biografie von John J. McCloy (1895 – 1989) vgl. Bird, The Chairman; Fischer/Fischer, John J. McCloy. 485 Zentralrat der Juden in Deutschland. Memorandum für die Kommission des amerikanischen Kongresses, November 1951, in: ZA, B.1/7.409.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

312

Die Politik

sammenarbeit, der Propagandareise von Karl Marx nach Südamerika 1957 und der antisemitischen Schmierwelle 1959/60 – exemplarisch nachgezeichnet werden, wie sich die zwei politischen Hauptakteure bzw. die deutschjüdische Gemeinschaft nach den ersten Fortschritten im Prozess der Wiedergutmachung zu den Entwicklungen in Deutschland und gegenüber den Deutschen verhielten. Bei den ausgewählten Beispielen handelt es sich um drei Ereignisse, die auf den ersten Blick eher unverbunden erscheinen, jedoch mit unterschiedlicher Intention zur Demonstration der Demokratisierung der Deutschen bzw. als Argument für die Existenzberechtigung einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland genutzt und aus diesem Grund für die nachfolgende Analyse ausgewählt wurden. Vor dem Hintergrund der bisher geschilderten historischen Entwicklungen gründeten sich 1948 in Frankfurt am Main, München, Stuttgart und Wiesbaden die ersten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Sieben Jahre später zählte man im Gebiet der Bundesrepublik insgesamt schon 34 solcher Zusammenschlüsse von „Gutgesinnten und Gutwilligen der Gesellschaft“486, die „für die Brüderlichkeit aller Menschen ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder der Herkunft“ eintraten.487 Die Entstehung dieser Organisationen entsprach keineswegs einem „genuin deutschen Interesse“488. Vielmehr bildeten sich diese Gesellschaften als Teil der amerikanischen Bemühungen um eine Umerziehung der Deutschen: Nach dem Vorbild der amerikanischen National Conference of Christians and Jews (NCCJ)489 sollten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Nachkriegsdeutschland einen Beitrag zur „Umwertung der geistigen und kulturellen Werte des deutschen Volkes leisten“490. Zu den aktivsten Förderern der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit auf jüdischer Seite gehörte Karl Marx, der sich als Mitglied der Düsseldorfer Gesellschaft mit deren Arbeit stark identifizierte. Die enge Verbundenheit des Herausgebers mit den Gesellschaften demonstriert beispielsweise ein Blick in die Februar- bzw. März-Ausgabe von 1952 der Allgemeinen. Seit der ersten deutschlandweit veranstalteten „Woche der Brüderlichkeit“ 1952 widmete Marx dieser von den Gesellschaften für ChristlichJüdische Zusammenarbeit organisierten Veranstaltungswoche gewöhnlich die Titel- und einige Innenseiten einer zeitnah erscheinenden Ausgabe seiner Zeitung.491 So druckte er beispielsweise 1952 nicht nur den vollständigen 486 Foschepoth, Die Gründung, 260. 487 Stöhr, Gespräche, 215; Foschepoth, Die Gründung, 259 – 262. Zur Frühgeschichte der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit vgl. auch Brenner/Frei, Zweiter Teil, 259 – 264; Stern, Wider Antisemitismus. 488 Foschepoth, Die Gründung, 259. 489 Ebd., 254. Zur Geschichte der NCCJ vgl. die Selbstdarstellung der Organisation, in: http:// www.nccj.org (6. 6. 2013). 490 Foschepoth, Die Gründung, 254. 491 Eine detaillierte Wiedergabe der Rede von Bundespräsident Heuss findet sich ebenfalls auf der

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

313

Veranstaltungskalender ab, sondern veröffentlichte auch Grußworte, historische Beiträge über die Entstehung der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in den USA sowie persönliche Beiträge von Beteiligten und Mitgliedern einzelner Gesellschaften.492 Seit 1953 fand die „Woche der Brüderlichkeit“ einmal jährlich, Ende Februar oder Anfang März, unter ständiger Schirmherrschaft des Bundespräsidenten statt und bot in den kommenden Jahren zu jährlich wechselnden Themen ein buntes Veranstaltungsprogramm, das in den ersten Jahren die jüngste Vergangenheit eher außen vor ließ, von Marx in seiner Zeitung aber dennoch intensiv kommentiert wurde.493 Nach dem Abschluss der ersten nationalen „Woche der Brüderlichkeit“ veröffentlichte Marx in seiner Zeitung ein durchweg optimistisches Fazit und bescheinigte den Teilnehmern eine positive Einstellung zur Idee der Brüderlichkeit und somit auch gegenüber den Juden. „Im Verlauf der zahlreichen Veranstaltungen, Vorträge und Diskussionen“, schrieb er rückblickend, machte sich das gesteigerte Interesse weiter Bevölkerungskreise und der westdeutschen Öffentlichkeit an dem von den ,Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit‘ propagierten Brüderlichkeitsgedanken bemerkbar. Nicht nur die äußere Teilnahme, die Zahl der Besucher der Veranstaltungen im Norden und Süden, sondern auch die innere Bereitschaft zur Aussöhnung und Verständigung über alle Grenzen der Rassen und Religionen hinaus bewies, daß der völkerverbindende Gedanke der ,World Brotherhood‘ auch in Deutschland fruchtbaren Boden gefunden hat.494

Gewöhnlich war Marx bei den verschiedenen Veranstaltungen der Gesellschaften nicht als Zuhörer anwesend, sondern stand als Vortragender oder Diskussionspartner auf der Bühne und somit im Mittelpunkt des Interesses. Im Einklang mit den Zielen der Gesellschaften referierte er bevorzugt über das Verhältnis von Juden und Nichtjuden im Nachkriegsdeutschland und thematisierte das unvorstellbare Verbrechen der Nationalsozialisten ebenso wie fünften Seite der AWJD, 7. 3. 1952. Vgl. Foschepoth, Die Gründung, 260; Stern, Wider Antisemitismus, 190 f. 492 Vgl. hierzu z. B. die AWJD, 7. 3. 1952. Bereits 1950, dem Jahr in dem der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ins Leben gerufen worden war, hatten einzelne Gesellschaften im regionalen Kontext begonnen, eine sogenannte „Woche der Brüderlichkeit“ zu organisieren. 1952 fand diese erstmals deutschlandweit statt (Foschepoth, Die Gründung, 262 – 264). Zur Geschichte des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Entstehung der „Woche der Brüderlichkeit“ vgl. die Selbstdarstellung unter http://www.deutscher-koordinierungsrat.de/ (6. 6. 2013). 493 Foschepoth, Die Gründung, 262 – 264; Ständige Schirmherrschaft des Herrn Bundespräsidenten, in: Mitteilungsblatt des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Nr. 2, 3. 2. 1955. 494 (AjW), Auch in Deutschland ein Erfolg. Nachhaltiges Echo der „Woche der Brüderlichkeit“, in: AWJD, 21. 3. 1952.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

314

Die Politik

die Frage der Kollektivschuld bzw. Kollektivscham und das Phänomen des Antisemitismus nach 1945. Fast ein wenig erstaunt wirkte der Verfasser eines Beitrags des Westfälischen Anzeigers darüber, dass Marx sich an einem solchen von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hamm organisierten Abend „offen als Deutscher“495 bekannte und seine Zuhörer aufforderte, nicht mehr in der Vergangenheit nach den Schuldigen zu suchen, sondern dafür zu arbeiten, „daß die politische Indifferenz in Deutschland aufhört!“496 Dieses Bekenntnis von Marx unterstreicht eine Beobachtung des Historikers Josef Foschepoth. Seinen Recherchen zufolge suchten die Juden, die in den ersten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit mitmachten, vor allem „ihre Identität als Deutsche wiederzugewinnen“. Aus der gemeinsam erlittenen Verfolgung sollte nach Meinung dieser Personen, so Foschepoth weiter, „eine neue Gemeinschaft von Juden und Christen entstehen, deren gemeinsame Aufgabe es sein sollte, tatkräftig am Wiederaufbau des Landes mitzuwirken“497. In seiner Zeitung hatte Marx genau dieses Ziel bereits mehrfach artikuliert, so dass die Vermutung naheliegt, dass ebendiese Absicht für ihn ein Motiv für sein Engagement in den Gesellschaften für ChristlichJüdische Zusammenarbeit darstellt haben könnte. Es ist jedoch ebenso denkbar, dass Marx als einer der „prominenten“ Juden in der Bundesrepublik und gut vernetzter Multiplikator von den Gesellschaften besonders umworben wurde. Um sich in der deutschen Öffentlichkeit Gehör und gegenüber Verhandlungspartnern Geltung zu verschaffen, waren die Gesellschaften insbesondere in ihrer Anfangsphase sehr darauf bedacht, bekannte Persönlichkeiten mit Ansehen und Einfluss als Mitglieder in ihrer Mitte zu haben.498 Als Herausgeber der Allgemeinen, persönlicher Freund von Bundespräsident Heuss und mögliche Kontaktperson zu den Funktionären des jüdisch-institutionellen Lebens gehörte Marx definitiv zu diesem für die Gesellschaften interessanten Personenkreis. Die Marx aufgrund seiner Position zuteilgewordene Aufmerksamkeit von Seiten der Mitglieder sollte also gleichermaßen als möglicher Grund für seinen Beitritt zur Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Düsseldorf in Betracht gezogen werden. Als der Zentralrat 1952 erstmals bewusst mit der „Woche der Brüderlichkeit“ konfrontiert wurde, beschloss das Direktorium, diese Veranstaltung moralisch zu unterstützen. „Der Aufruf der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit […] ist ein Akt der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens unter den Menschen“, hieß es entsprechend in der Stellungnahme,

495 A.W.D., Gespräch mit jüdischen Journalisten zur „Woche der Brüderlichkeit 1959“. Karl Marx, Schwere Zeiten für deutsche Demokratie, in: Westfälischer Anzeiger und Kurier, 11. 3. 1959. 496 Karl Marx, zitiert in: ebd. 497 Foschepoth, Die Gründung, 261. 498 Foschepoth, Im Schatten, 119.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

315

die am 7. März 1952 in der Allgemeinen abgedruckt wurde.499 Zudem schlug man den Rabbinern und Gemeindevorstehern vor, „beim nächsten Schabbath-Gottesdienst auf die ,Woche der Brüderlichkeit‘ hinzuweisen“500. In den Folgejahren hob der Zentralrat die ausgezeichnete Arbeit der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit immer wieder lobend hervor. Interessanterweise geschah dies ohne Ausnahme jedoch immer dann, wenn zugleich auch die Frage des Antisemitismus im Direktorium oder im Jahresbericht thematisiert wurde. Im größeren Zusammenhang mit der Frage nach der Legitimierung jüdischer Existenz in Deutschland scheint diese Koppelung der zwei Aspekte einer gewissen Logik zu folgen: In der Diskussion über die Zukunft von Juden in Deutschland stellten antisemitische Vorfälle ein eindeutiges Argument gegen ein Verbleiben in der Bundesrepublik dar. Die Veranstaltungen und Verständigungsbemühungen der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hingegen konnten als ein Zeichen der sich wandelnden Einstellung der Deutschen interpretiert und somit als Argument für das Verbleiben in der Bundesrepublik angeführt werden. Die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wurden von Seiten des Zentralrats jedoch nicht nur als Argument zur Verteidigung des Existenzrechts der jüdischen Gemeinden in Deutschland gegen den Antisemitismus bemüht. Van Dam machte wiederholt darauf aufmerksam, dass dank der Tätigkeit der Evangelischen Akademien und der Gesellschaften für ChristlichJüdische Zusammenarbeit in Deutschland zahlreiche Begegnungen zwischen Juden und Nichtjuden stattgefunden hätten, die zur Förderung eines besseren Miteinanders beitrügen. Einschränkend wies der Generalsekretär jedoch 1957 darauf hin, daß zu derartigen Veranstaltungen regelmäßig Personen kommen, die bereits durch Zugehörigkeit zu diesem Kreise eine positive Haltung bezeugen. Bei unseren Glaubensgenossen, die vor allem aus dem Ausland zu derartigen Konferenzen zu uns kommen, bemerken wir nicht selten ein Übermaß entweder an Sentiments oder an Ressentiments. Das Sentiment besteht in dem unbedingten Willen zur Versöhnung, in dem Bewußtsein, sich als Dolmetscher der Menschlichkeit zu fühlen, in der Freude, in der alten Heimat zu sein und die eigene Sprache zu sprechen, während das Ressentiment vielfach darin liegt, daß man die Verantwortung allen Deutschen, die das Hitlerregime durch ihre Wählerstimme möglich gemacht haben, zuteilt. Bei beiden Gesprächspartnern schwingen bewußte und unbewußte Regungen mit, die eine besondere Atmosphäre der Ausnahmesituation schaffen. Auf diese Weise findet auch häufig eine Überbewertung jüdischer Mittelmässigkeit statt, die in den blühenden Zeiten des deutschen Judentums nicht möglich gewesen wäre. Aus diesen Gründen wird man diesen an und für sich begrüssenswerten Begegnungen und Gesprächen 499 Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland, Zentralrat begrüßt „Woche der Brüderlichkeit“, in: AWJD, 7. 3. 1952. 500 H.G. van Dam an alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg und Köln, 4. 3. 1952, in: ZA, B.1/7.97.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

316

Die Politik

gewisse Vorbehalte entgegenbringen und in den Schlußfolgerungen vorsichtig sein müssen.501

Leider sei es auch trotz der „ausgezeichnete[n] Arbeit der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit“502 noch nicht gelungen, bedauerte van Dam ein Jahr später, Geschichtsbewußtsein, das Gefühl für staatsbürgerliche Verantwortung, demokratische Überzeugungen und die Kenntnis von den Tatsachen der jüngsten Vergangenheit so stark zu verankern, daß die Veranstalter von Provokationen auf den einmütigen Widerstand der Öffentlichkeit stoßen. Auch die sehr positive Haltung der großen deutschen Tagespresse und von Rundfunk und Fernsehen kann diese Feststellung zwar mildern, aber nicht aufheben.503

Als im März 1959 zum zehnten Mal die „Woche der Brüderlichkeit“ begangen wurde, stimmte Marx zwar grundsätzlich mit dieser etwas kritischen Analyse der Gesamtsituation überein, äußerte sich insgesamt jedoch deutlich positiver zu den Ergebnissen der Arbeit der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit als der Generalsekretär oder die Direktoriumsmitglieder des Zentralrats dies gewöhnlich in der Öffentlichkeit taten. Mit großer Freude äußerte Marx vor dem Auftakt der „Woche der Brüderlichkeit“ 1959 in einem Telefonat mit der Abendpost, „daß es in der Bundesrepublik etwa 140 Veranstaltungen im Rahmen dieser Woche geben wird, und die Teilnahme von Rundfunk und Fernsehen ist auch sehr stark“504. Besonders positiv sei er angetan von der Jugend, erklärte Marx weiter : „Die Jugend bekennt sich meiner Überzeugung nach zu 90 Prozent positiv zur Demokratie, wenn sie auch in dieser Hinsicht mit ihren Eltern manchmal Schwierigkeiten haben mag.“ Auf die Nachfrage, wie diese Schwierigkeiten zu verstehen seien, antwortete Marx: „Die Jugend fragt, und die Eltern wollen oft darüber nicht sprechen. Manche, die damals selbst zur Nazi-Partei gehörten, weisen bei solchen Fragen darauf hin, daß Hitler sieben Millionen Arbeitslosen zur Arbeit verhalf und Autobahnen baute.“ Mit dieser letzten Feststellung nahm Marx Bezug auf eine Umfrage, die 1956 von der Presse und dem Fernsehen unter Jugendlichen in der Bundesrepublik durchgeführt worden war. „Sie wurden befragt, was sie vom Nationalsozialismus wissen und was ihre bevorzugte Lektüre sei“505, fasste Marx später den Kern der Untersuchung zusammen und erklärte hinsichtlich des Ergebnisses: 501 Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland für die Berichtsperiode von Dezember 1956 bis Dezember 1957, in: ZA, B.1/7.246. 502 Tätigkeitsbericht des Direktoriums für die Zeit von Januar 1958 bis Juni 1959, in: ZA, B.1/7.246. 503 Ebd. 504 Dieses und die folgenden zwei Zitate sind entnommen aus [Naseweis], Woche der Brüderlichkeit, in: Abendpost, 9. 3. 1959. 505 Dieses und die folgenden zwei Zitate sind entnommen aus Marx, Der Jugend die Wahrheit. Zur Verantwortung von Schule und Elternhaus, in: AWJD, 29. 5. 1959.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

317

Vom Nationalsozialismus habe nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Befragten gewusst, daß Hitler die Autobahnen erbaut habe, daß er sieben Millionen Arbeitslose von den Straßen holte, daß er ,Kraft-durch-Freude‘-Reisen ermöglichte, daß er einen Krieg führte, den Deutschland verlor, und daß es in seinem Reich KZ gab, in denen politische Gegner mundtot gemacht und Juden ermordet wurden – und letzteres wussten auch nur die wenigsten.

Dieses „erschütternde Maß an Unwissenheit, an falschen Vorstellungen und verschobenen Perspektiven“ lastete Marx allerdings nicht der Jugend, sondern den Eltern und den Lehrern an, die gemeinsam, so Marx, für die Aufklärung der Jugend Verantwortung trügen. Im Gegensatz zu der Elterngeneration portraitierte Marx „die Jugend [als] aufgeschlossen und skeptisch, sie suche nach Erklärungen für das vergangene Unheil und strebe nach Wahrheit“506. Diesen positiven Eindruck von der deutschen Jugend, die sich mit der deutschen Vergangenheit befassen wolle, hatte Marx allerdings nicht erst 15 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gewonnen. Bereits seit Anfang der 1950er Jahre war die Aufklärung der deutschen Jugend ein immer wieder von ihm verwendetes Argument für die Existenznotwendigkeit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland.507 Schon wenige Monate nach seiner Einreise in die britische Zone 1946 hatte Marx sich für die junge Generation interessiert und kurz darauf in einem Gespräch mit einem Vertreter der britischen Besatzungsmacht erklärt: „Da ich selbst aus der Jugendbewegung komme, hatte ich genügend Gelegenheit mich selbst davon zu überzeugen, dass die Situation, in der sich die deutsche Jugend heute befindet, keineswegs so pessimistisch ist, wie man das im Ausland während des Krieges befürchtet hat“508. Bei seiner Ankunft, so erzählte es Marx später, habe er erwartet, eine „verrohte und verdorbene Jugend vorzufinden“, traf aber stattdessen „eine enttäuschte Jugend, die einen Wissensdrang in sich hatte, wie ihn nur Menschen haben können, die viele Jahre hinter Gittern saßen“509. Bei den in den nächsten Jahren folgenden Begegnungen zwischen Marx und deutschen Jugendlichen fiel diesem deren positives Interesse am Judentum 506 A.W.D., Gespräch mit jüdischen Journalisten zur „Woche der Brüderlichkeit 1959“. Karl Marx, Schwere Zeiten für deutsche Demokratie, in: Westfälischer Anzeiger und Kurier, 11. 3. 1959; Ders., Wird der wahre Friede gesichert?, in: AWJD, 14. 8. 1959. 507 Die Verantwortung gegenüber den jüdischen Glaubensgenossen und für ein demokratisches Deutschland sowie das „andere“ Deutschland und der vor allem in der Wiedergutmachungsgesetzgebung zum Ausdruck gebrachte Wille zur umfassenden materiellen Entschädigung waren vier weitere Gründe, die Marx zur Legitimation für sein Verbleiben in Deutschland anführte. Vgl. Sinn, „Aber ich blieb trotzdem hier“. 508 Karl Marx, Allgemeines Interview mit Mr. Metcalf, dem Vertreter der englischen Presse der Mil. Gov. in Düsseldorf. Abschrift, 2. 9. 1946, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. 509 Marx, Ein Gruß nach Südamerika.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

318

Die Politik

und Israel auf, das sich, so Marx, insbesondere in den an Veranstaltungen anschließenden Diskussionen zeigte. Um im Ausland einen Eindruck von der jungen deutschen Generation zu vermitteln, wie er sie in den Zusammentreffen erlebte, und Kritikern jüdischen Lebens in Deutschland die Notwendigkeit jüdischer Präsenz im Nachkriegsdeutschland vor Augen zu führen, erzählte Marx mehrfach folgendes Beispiel: Als ich einmal zu dem, von einem jungen deutschen Katholiken gedrehten Film ,Israel – Staat der Hoffnung‘ in Offenbach am Main vor mehr als 600 Jugendlichen sprach, da wurden nach der Vorführung von diesen jungen Deutschen Fragen an mich gestellt. Drei Stunden lang musste ich antworten, bis ich darum bat, abbrechen zu dürfen, weil ich noch eine große Fahrt vor mir hatte. Da stand ein kleines 14jähriges Mädel auf und entschuldigte sich auch für die anderen mit den Worten: ,Seien Sie uns nicht böse, Herr Marx, aber wissen Sie, Sie sind der erste Jude, den wir bewusst sehen, und wir haben heute Abend soviel Neues und Schönes gehört, dass wir gerne alles wissen möchten.‘510

Diese Erfahrung und vergleichbare Erlebnisse, erklärte Marx, seien es letztlich, die ihm Motivation für seine Arbeit und Hoffnung für die Zukunft und das Fortbestehen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gäben. Des Weiteren argumentierte Marx, der die Jugend in seinen Beiträgen als in ihrer überwiegenden Mehrheit gut darstellte511, dass die positive Entwicklung der Jugend in Deutschland auch an ihrer Einstellung zum Antisemitismus abgelesen werden könne, der selbstverständlich nach wie vor in Deutschland vorhanden sei. „Wenn es ihn [den Antisemitismus, A.d.V.] nicht gäbe, wären die deutschen Juden viel beunruhigter, denn sein Fehlen wäre völlig unnatürlich und folglich ominös,“512 argumentierte Marx, um an anderer Stelle zu erläutern: Es ist nach dieser Vergiftung nicht möglich, dass es keine Unbelehrbaren gibt. Wir kämpfen dagegen und die Bundesregierung, die deutsche Presse und der deutsche Rundfunk greifen jeden Anlass auf, um zuzuschlagen. Antisemitismus gibt es überall, und ich wage es hier zu sagen, dass er in Deutschland heute im geringsten Maße vorhanden ist. Ich sage Ihnen das im Wesentlichen aus meiner eigenen Erkenntnis heraus, aus meinen Erfahrungen, aber auch, weil wir alle das größte Vertrauen zur deutschen Jugend haben […]. Bei dem geringsten antisemitischen Vorfall erhalte ich die ersten Resolutionen von Jugend- oder Studentengruppen, die dagegen Front machen.513

510 Marx, Juden in Deutschland. 511 Ebd. 512 Jüdische Rückwanderer nach Westdeutschland bekommen finanzielle Unterstützung, in: The Umtali Post, 17. 6. 1957. 513 Marx, Juden in Deutschland, 94.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

319

Als eine mögliche Erklärung für diese Einstellung und definitiv positiven Einflussfaktor auf die Jugend, die verbittert sei „gegenüber ihren Eltern, gegenüber der Generation, die die Mitschuld an dem großen Unglück, das über Europa hereingebrochen war, trägt“514, wertete Marx die bereits erwähnten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Mindestens genauso positiv beurteilte er jedoch das aufkommende Interesse der Jugendlichen an einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Als „Wendepunkt in den deutsch/jüdischen Beziehungen“515 bezeichnete Marx schließlich den Moment, an dem die deutsche Jugend sich mit der Geschichte Anne Franks auseinandersetzte. Während die erste Buchausgabe des vom 12. Juni 1942 bis zum 1. August 1944 geführten Tagebuchs der im Konzentrationslager Bergen-Belsen umgekommenen Anne Frank zunächst fast unbeachtet blieb, fand die 1956 vom Fischer-Verlag herausgebrachte populäre Ausgabe großen Widerhall in der deutschen Bevölkerung.516 Der Durchbruch dieser Taschenbuchausgabe hing unmittelbar mit dem von Albert Hackett und Francis Goodrich-Hacket verfassten Theaterstück „The Diary Of Anne Frank“ zusammen, das im Oktober desselben Jahres außer in Wien und Zürich auch in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Karlsruhe, Konstanz, Aachen und in Dresden aufgeführt wurde.517 Die Veranstaltungen waren komplett ausverkauft, und die in Karlsruhe angebotenen Sondervorstellungen für Schulklassen voll gebucht.518 „Von der Premiere an war das Publikum in einem Maße ergriffen und erschüttert, wie wir es bisher in keiner anderen Aufführung erlebt haben“519, berichtete beispielsweise der Intendant des Schlosspark-Theaters in Berlin, Boleslaw Barlog, dem Kulturdezernenten des Zentralrats, Dr. Hans Lamm. In Hamburg, so Lamm, drängte der Kulturring der Jugend darauf, nicht wie ursprünglich zehn geschlossene Vorstellungen zu buchen, sondern wollte nach Auskunft der dortigen Leitung mindestens 25 Aufführungen für die Hamburger Jugend reservieren. Und auch aus den anderen deutschen Städten wurde positive Resonanz vom Publikum zu den Theateraufführungen gemeldet.520 Wie sehr die Geschichte der Anne Frank gerade auch die Jugend berührte, machte Marx insbesondere an der Tatsache fest, dass zu ihrem Todestag Tausende nach Bergen-Belsen pilgerten.521 „Für die Jugendlichen stand Anne 514 Ebd., 97. 515 D.M. Winter, Anne Frank. Ein Wendepunkt für die Juden des neuen Deutschland. Der AntiSemitismus ist am schlimmsten, wo es keine Juden gibt, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. 516 Schütz (Hg.), Das Tagebuch. Erstmals war das Tagebuch der Anne Frank 1952 in den USA publiziert worden. 517 Vgl. hierzu Van Uffelen, Moderne niederländische Literatur, 411 f. 518 C.-H. Bachmann, Die Botschaft der Anne Frank, in: Begegnung 12/10, 15. 5. 1957, 150. 519 Boleslaw Barlog zitiert in: Hans Lamm, Das deutsche Publikum und „Das Tagebuch der Anne Frank“. Eine interessante Umfrage bei deutschen Bühnen, in: AWJD, 7. 12. 1956. 520 Hans Lamm, Das deutsche Publikum und „Das Tagebuch der Anne Frank“. Eine interessante Umfrage bei deutschen Bühnen, in: AWJD, 7. 12. 1956. 521 Karl Marx, zit. in: D.M. Winter, Anne Frank. Ein Wendepunkt für die Juden des neuen

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

320

Die Politik

Frank nicht nur stellvertretend für die ermordeten Juden, sondern sie war durch ihre Tagebücher auch zum Symbol des Generationenproblems geworden“522, bestätigt Herbert van Uffelen in seiner Studie zu den Tagebüchern der Anne Frank die Wahrnehmung von Marx. Für diesen war die Reaktion der deutschen Jugend auf die Lebensgeschichte Anne Franks und ihr Interesse an der Aufarbeitung der Vergangenheit ein sichtbarer Beweis, „daß die junge deutsche Generation in ihrer Majorität zum fundamentalen Grundsatz der Demokratie steht und die Untaten, die zwischen 1933 und 1945 im Namen Deutschlands begangen wurden, aus tiefstem Empfinden und mit ehrlichster Überzeugung bedauert“523. Tatsächlich kam es trotz der ungeheuerlichen Aussage des Dramas nicht zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit den Ursachen des dargestellten Schicksals.524 In Anbetracht dieser Tatsache schätzte van Dam die Veranstaltungen infolge der Dramatisierung rückblickend etwas weniger positiv ein als der Herausgeber der Allgemeinen. Zwar machten die verschiedenen AnneFrank-Veranstaltungen, „so lobenswert sie auch sind“, auf verschiedene Kreise erheblichen Eindruck, konstatierte er, stellte aber ihre Breitenwirkung in dem von ihm verfassten Tätigkeitsbericht des Direktoriums für die Zeit von Januar 1958 bis Juni 1959 in Frage.525 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sowohl Marx als auch van Dam die Existenz der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und den vorsichtigen Beginn einer Beschäftigung mit der Vergangenheit insbesondere unter den deutschen Jugendlichen grundsätzlich als erfreuliche Entwicklungen und Zeichen einer positiv voranschreitenden Demokratisierung werteten. Gleichwohl unterschieden sich ihre Auffassungen hinsichtlich der Bedeutung, die sie diesen Veränderungen in der deutschen Gesellschaft beimaßen, merklich. Wie an van Dams zahlreichen Stellungnahmen abgelesen werden kann, interpretierte er die geschilderten Entwicklungen als einen Schritt in die richtige Richtung und verwies auf diese beispielsweise dann, wenn die Existenzberechtigung einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland aufgrund des anhaltenden Antisemitismus in Frage gestellt wurde. Keineswegs erkannte van Dam in diesem Fortschritt jedoch einen Beweis für eine vollständige Läuterung der Deutschen nach Hitler. Er war überzeugt davon, dass durch die

522 523 524 525

Deutschland. Der Anti-Semitismus ist am schlimmsten, wo es keine Juden gibt, in: Archiv JA, KM 1945 – 1958. Van Uffelen, Moderne niederländische Literatur, 411. Vgl. auch N. Mühlen, Jugendbewegung um Anne Frank, in: Weltwoche, 29. 3. 1957, 3. Karl Marx, Düsseldorf, Chefredakteur der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“: Der gemeinsame Weg, in: Archiv JA, KM 1959 – 1962. Erst mit der Aufführung von Hochhuths „Stellvertreter“ gelang es, eine Auseinandersetzung mit dem Kapitel der jüngsten Vergangenheit zu provozieren. Vgl. hierzu Ritzer, Alles nur Theater, 25 f; Balzer, Rolf Hochhuth, 9. Tätigkeitsbericht des Direktoriums für die Zeit von Januar 1958 bis Juni 1959, in: ZA, B.1/7.246.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

321

Arbeit der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Anne-Frank-Veranstaltungen letztlich nur eine kleine Anzahl von Personen erreicht werde, die sowieso schon eine positive Haltung einnahm. Für ihn wurde durch diese auf einzelne Gesellschaftsgruppen begrenzten Entwicklungen das aus seiner Sicht größte Hindernis auf dem Weg zu einem demokratischen Deutschland sichtbar : das Ausbleiben einer Revolution. Wiederholt wies er in Reden, Veröffentlichungen und Diskussionen auf diesen Missstand hin, so zum Beispiel auch in dem Tätigkeitsbericht des Direktoriums für die Zeit von Januar 1958 bis Juni 1959: Alles wird aber durch die Tatsache überschattet, dass eine echte Umwälzung im Sinne der Revolution in Deutschland nicht stattgefunden hat. Der Zusammenbruch des Dritten Reiches ist nicht durch inneren Widerstand erzwungen, sondern als Geschenk der Siegermächte entgegengenommen [worden], und zwar von nicht wenigen Deutschen als ein Danaergeschenk. Eine offizielle Feier im Jahre zur Erinnerung an den Widerstand vom Juli 1944 genügt nicht, um das neue Geschichtsbewusstsein zu bilden. […] Es wird sich noch herausstellen, was Feuerwerk und echte Flamme ist. Bei allen Vorbehalten und bei noch so pessimistischer Analyse kann nicht festgestellt werden, dass der Antisemitismus als solcher zu einem politischen Faktor geworden ist. Seine Bedeutung ist bisher nur beiläufig und Teil eines Gesamtkomplexes, bei dem die Indifferenz schwerer wiegt, als die bohrende Aktivität, wenn sie auch nicht unterschätzt werden soll.526

Auch wenn van Dam in öffentlichen Statements die Bedeutung des Antisemitismus herunterzuspielen versuchte, so erachtete er seine Bekämpfung ohne Frage als vordringlich. Diese sei van Dam zufolge allerdings „eine Angelegenheit vor allem der Parteien, der Regierung und aller Kräfte, denen an der demokratischen Erziehung und Kräftigung des Rechtsstaates gelegen ist“. Der Zentralrat könne und wolle „den erwähnten Trägern der Willensbildung die Verantwortung nicht abnehmen“, erklärte der Generalsekretär weiter, „wenn er auch einen angemessenen Anteil bei dieser Arbeit auf sich nimmt“. Nicht zuletzt fürchtete der Generalsekretär, dass ein Zuviel an Erklärungen und Resolutionen sich möglicherweise ins Gegenteil umschlagen und den Interessen der jüdischen Gemeinschaft alles andere als dienlich sein könnte. Bevor anhand der antisemitischen Schmierwelle 1959/60 die Haltung van Dams und des Zentralrats bzw. Karl Marx’ und der Allgemeinen zum Antisemitismus noch detaillierter beleuchtet werden, soll die von Marx zu den demokratischen Entwicklungen in Deutschland eingenommene Haltung zusammengefasst und am Beispiel seiner Reise nach Südamerika im Jahre 1957 veranschaulicht werden. Letztere ist deshalb von besonderem Interesse, da sie von deutscher Seite finanziert wurde, und folglich nicht nur Auskunft über die Absichten von Marx gibt, sondern zugleich die Einstellung und die Interessen der Bundesregierung in ihrem Kontakt zu diesem beleuchtet. 526 Dieses und die nachfolgenden Zitate sind entnommen aus ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

322

Die Politik

Im Gegensatz zu van Dam, der im Interesse der Juden in Deutschland eine gewisse publizistische Zurückhaltung zu Fragen der Demokratie bzw. des Antisemitismus empfahl und darum bemüht war, in politischen Statements die Realität bzw. die Kontinuitäten aus dem „Dritten Reich“ nicht zu verharmlosen, nahm Marx regelmäßig Bezug auf diese Entwicklungen und zeigte sich auch in diesem Zusammenhang – ähnlich wie es sich bereits in der Berichterstattung zu den Wiedergutmachungsverhandlungen gezeigt hatte – als Verfechter einer positiveren Bonn-Politik. Analysiert man die Argumentation von Marx in der Allgemeinen, in Reden und persönlicher Korrespondenz so gewinnt man den Eindruck, dass die Gründung der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Entwicklungen der Jugend für Marx das gesellschaftliche Pendant zu den auf politischer Ebene erreichten Wiedergutmachungszahlungen darstellten. Seit der Übernahme des Jüdischen Gemeindeblatts im Herbst 1946 hatte Marx vor allem in Beiträgen seiner Zeitung die materielle Wiedergutmachung eingefordert und sich hinter verschlossenen Türen intensiv um den Beginn von Verhandlungen zwischen deutschen Politikern, Juden in Deutschland, den internationalen jüdischen Organisationen und Israel eingesetzt. Nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens 1952 wurden der anklagende Ton und die massive Kritik an den deutschen Politikern von einer deutlich positiveren, Bonn-orientierten Berichterstattung über die Wiedergutmachungsverhandlungen abgelöst. Im Zusammenhang mit der moralischen Wiedergutmachung lässt sich weniger leicht ein einzelner Moment zum Wendepunkt der Marx’schen Positionierung gegenüber den Deutschen bestimmen. Fest steht jedoch, dass die Gründungen der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und deren deutschlandweit veranstalteten „Wochen der Brüderlichkeit“ einerseits sowie die Entwicklung der Jugend mit dem Höhepunkt der Anne-Frank-Veranstaltungen 1956/57 andererseits für Marx auf gesellschaftlicher Ebene vergleichbare Schlüsselmomente darstellten wie das Luxemburger Abkommen 1952 auf der politischen. Aufgrund dieser Erfahrungen mit den Gesellschaften und der deutschen Jugend wandelte sich die von Marx gegenüber der deutschen Gesellschaft zum Ausdruck gebrachte Haltung von einer kritischen, eine moralische Wiedergutmachung einfordernden hin zu einer die deutsche Gesellschaft und ihre positiven demokratischen Entwicklungsprozesse verteidigenden. Diese neue Rolle des Fürsprechers für Deutschland und die Deutschen, die Marx längerfristig nicht nur in eine Konkurrenzsituation, sondern in einen politischen Gegensatz zur Politik des Zentralrats beförderte, kommt am deutlichsten in der von Marx im Sommer 1957 angetretenen Südamerikareise zum Ausdruck. Zur Vorgeschichte: Anlässlich des ersten Lufthansa-Fluges nach Montevideo hatte Staatssekretär Globke im Juni 1957 die Absicht, eine Delegation der Bundesrepublik nach Südamerika anzuführen. Aufgrund massiver Proteste von Seiten der örtlichen Presse in Montevideo gegen das öffentliche Auftreten

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

323

des Kommentators der Nürnberger Rassengesetze und einer auffallend geringen Zahl von Anmeldungen zum Empfang der Lufthansa-Gruppe in der deutschen Botschaft in Montevideo, die in Bonn als weiterer Ausdruck des Protestes gegen den Globke-Besuch gewertet wurden, sagte Adenauers Staatssekretär seine Reise ab.527 Die schlechte Berichterstattung hielt auch an, nachdem Globke seine Entscheidung bekannt gegeben hatte, und selbst im August erreichten das Bundeskanzleramt noch Meldungen, dass es dringend nötig sei, „die Dinge und Gerüchte die von interessierter Seite über Herrn Staatssekretär Dr. Globke verbreitet werden ein für alle Male klar und richtigzustellen“528. Lange bevor dieses Schreiben eintraf, d. h. unmittelbar nach dem Vorfall, hatte man im Kanzleramt bereits darüber nachgedacht, welche Schritte zur Aufhellung des Deutschlandbilds eingeleitet werden könnten und sich in diesem Zusammenhang an ein Vorhaben von Marx aus dem Jahre 1954 erinnert. In Reaktion auf eine Anfrage von Seiten des Argentinischen Tagblatts hatte die Botschaft in Buenos Aires vorgeschlagen, dem Herausgeber der Allgemeinen „die Möglichkeit zu geben, eine Reise nach Südamerika zu unternehmen, um die dort lebenden, zum größten Teil aus Deutschland emigrierten Juden, über die politische Zielsetzung der Bundesregierung und das deutsche Geschehen zu informieren“529. Die Redaktion des in deutscher Sprache erscheinenden Argentinischen Tageblatts hatte sich damals bereit erklärt, die Koordination der Reise vor Ort zu übernehmen, während derer Marx Argentinien, Brasilien und Chile sowie unter Umständen auch Bolivien besuchen sollte. Die Finanzierung hatte das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Bonn zugesagt und Marx selbst hatte in diesem Zusammenhang die Absicht geäußert, „durch Vorträge vor den in Südamerika lebenden Emigranten falsche Vorstellungen über die Lage in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere hinsichtlich der Judenfrage […] zerstreuen“530 zu wollen. Da Marx sich „nach Kriegsende immer wieder für die Verständigung zwischen Deutschland und dem Judentum eingesetzt [hatte]“, wurde die Reise in Bonn „aus pressepolitischen Gründen“ für erforderlich gehalten;531 aus gesundheitlichen Gründen musste Marx allerdings das Vorhaben im Frühjahr 1955 zu seinem großen Bedauern kurzfristig absagen.532 Im Sommer 1957 erschien diese Idee eine mögliche Antwort auf die Frage zu sein, wie nach den „zahlreiche[n] – zum Teil schwerwiegende[n] – Miss527 Kommentar überflüssig, in: PPP Parlamentarisch – politischer Pressedienst. Informationsbrief Nr. 69/57, 26. 6. 1957, in: BArch, B136/24654. 528 Dr. Federico J. Cohn Aufrecht an Ministerialdirektor Friedrich Janz, 3. 8. 1957, in: BArch, B136/ 24654. 529 Aufzeichnung, Bonn, den 17. 1. 1955, in: BArch, B145/1141. 530 Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Buenos Aires, an das Auswärtige Amt, 12. 11. 1954, in: BArch, B145/1141. 531 Aufzeichnung, Bonn, den 17. 1. 1955, in: BArch, B145/1141. 532 Karl Marx an Dr. Unverfehrt, 23. 3. 1955, in: BArch, B145/1141.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

324

Die Politik

verständnisse[n] über die heutige Lage in der Bundesrepublik [auf] die öffentliche deutsch-jüdische Meinung der deutsch-jüdischen Kolonie in Südamerika“533 eingewirkt werden könnte. Zur Besprechung dieses Plans traf sich der Südamerika-Referent der Bundespressestelle, Dr. Unverfehrt, deshalb am 22. Juli 1957 mit Marx und einem in Uruguay lebenden Journalisten zum Gespräch, in dessen Verlauf Marx sich unter Bezugnahme auf den vor gut zwei Jahren mit dem Bundespresseamt besprochenen Plan bereiterklärte, „voraussichtlich in der Zeit vom 20. August bis 15. September 1957 eine Flugreise nach Buenos Aires, Montevideo und Rio de Janeiro zu unternehmen“534. Wie bereits 1954 äußerte Marx erneut den Wunsch, „die Unterstützung des Presseund Informationsamtes der Bundesregierung nicht in Erscheinung treten zu lassen, um den Eindruck zu vermeiden, dass seine Reise einen offiziellen Charakter trägt“535. Am 12. August kam es zu einem weiteren Treffen zwischen Marx und Unverfehrt, der dem Herausgeber bei dieser Gelegenheit auseinandersetzte, „weshalb das Bundespresseamt grosses Interesse daran habe, daß er bald Brasilien, Argentinien und Uruguay besuche, um mit der dortigen jüdischen Gruppe Kontakt aufzunehmen“536. Er eröffnete ihm ferner, dass das Bundespresseamt auch in diesem Fall die Kosten seiner Reise übernehmen würde und darüber hinaus bereit sei, einen Betrag von 1.500, – DM für seinen dreiwöchigen Aufenthalt zu zahlen. Marx nahm den Vorschlag „dankend“ an und trat schließlich am 6. Oktober 1957 seine Reise offiziell auf Einladung der Lufthansa und aus gesundheitlichen Gründen gemeinsam mit seiner Frau an.537 Die Erfüllung der spät geäußerten Marx’schen Bitte, ob die Einladung auch auf seine Frau ausgedehnt werden könnte, konfrontierte das Presse- und Informationsamt mit einigen haushaltsrechtlichen Schwierigkeiten, die mit der Begründung aufgehoben werden konnten, „daß es sich hier um einen besonders gelagerten Fall handelt, der eine Ausnahmebehandlung verdient“538. Die Begründung für diesen „besonders gelagerten Fall“ ist mehr als interessant. In einer Aktennotiz vom 30. August liest man zu diesem Vorgang: Herr Dr. Janz hat darauf hingewiesen, daß Herr Marx ständig mit Erfolg bemüht ist, unbegründete, nicht selten auch konstruierte jüdische Restitutionsforderungen zu Fall zu bringen, womit der Bundesrepublik ganz beträchtliche Leistungen erspart bleiben. 533 Aufzeichnung, Bonn, den 17. 1. 1955, in: BArch, B145/1141. 534 Ebd. 535 Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Buenos Aires, an das Auswärtige Amt, 12. 11. 1954, in: BArch, B145/1141. 536 Aufzeichnung über die Unterredung mit dem Herausgeber der „Allgemeinen Wochenzeitung für die Juden in Deutschland“, Herrn Karl Marx, am 12. 8. 1957 im Kaffee Kranzler, Bonn, 14. 8. 1957, in: BArch, B136/24654. 537 Ebd. Auszahlungsanordnung über Einzelhaushaltsausgaben Rechnungsjahr 1957, 16. 8. 1957, in: BArch, B145/1141. 538 Aufzeichnung, Bonn, den 30. 8. 1957, in: BArch, B145/1141.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

325

Abb. 10: Karl Marx und seine Frau Lilly Marx bei der Landung auf dem Flughafen in Montevideo, Uruguay. Erwartet wurden sie von Dr. Hans Spiess, Kultur- und PresseAttach¦ der Botschaft der Bundesrepublik (l.), Dr. H.P. Gebhardt, Direktor der deutschsprachigen Rundfunkstunde La Voz del Dia in Montevideo (Mitte), und Joachim Hellmuth Freund, Redakteur der „Accion“ (r.), 14. Oktober 1957. Aus der Arbeit der Auslandsabteilung kann ich hinzufügen, daß das Referat IV/4 aus der Hilfestellung, die Herr Marx bereitwilligst leistet, den größten Nutzen für die Meinungspflege in Amerika zieht. Gerade in diesem Sommer ist eine große Anzahl jüdischer Amerikaner zu Besuch in der Bundesrepublik gewesen und hat im Amt vorgesprochen. Es handelte sich dabei durchweg um Besucher, die der Entwicklung der Bundesrepublik skeptisch, misstrauisch oder sogar mit Abneigung gegenüberstanden. Sie wurden, um sich ein objektives Bild der Lage machen zu können, ausnahmslos an Herrn Marx verwiesen, von wo sie noch einmal hierher zurückkehrten, um ihren Dank zu sagen und zum Ausdruck zu bringen, daß sie auf Grund der Informationen durch Herrn Marx nunmehr eine durchaus positive Einstellung zur Bundesrepublik gewonnen hätten. Aus all diesen Gründen erscheint es mir angebracht und vor den Bestimmungen vertretbar, den Wunsch von Herrn Marx zu erfüllen. Hier liegt ohne Zweifel ein außergewöhnlicher Fall vor. Doch geht es nicht darum, die oben geschilderten Verdienste etwa auf diesem Wege zu honorieren, sondern ihn für seinen Auftrag für

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

326

Die Politik

Südamerika voll aktionsfähig zu machen. Nach den in letzter Zeit eingegangenen Berichten herrscht in der deutschen Kolonie in Montevideo eine tiefgehende Missstimmung. Da das jüdische Element in Uruguay eine große Rolle spielt, erwächst Herrn Marx eine höchst bedeutungsvolle Aufgabe, die ein anderer schwerlich zu lösen imstande wäre, der er selbst jedoch durchaus gewachsen sein wird, wenn er unbeschwert für sie zur Verfügung stehen kann.539

Die von den beteiligten Herren vorgetragenen Schilderungen sind nichts anderes als erste Beispiele für den von Anthony Kauders in seiner deutschjüdischen Geschichte der Bundesrepublik beschriebenen „Gabentausch“540 zwischen jüdischen und nichtjüdischen Führungsschichten. 1957 war der Gabentausch noch keineswegs institutionalisiert und zudem hatte sich diese Form der Beziehung zunächst und in dieser Intensität nur zu dem selbsternannten Sprecher der Juden in Deutschland, Karl Marx, und nicht zu den (gewählten) Vertretern des Zentralrats herstellen lassen. Gleichwohl zeichnet sich hier schon ab, was sich später – als die Bundesregierung als gleichberechtigter Partner von der westlichen Welt akzeptiert und der Zentralrat als Vertretung der Juden in Deutschland etabliert waren – fester Bestandteil der Politik seit Werner Nachmann werden sollte: Die deutsch-jüdischen Repräsentanten, so interpretiert Kauders die ursprünglich anthropologische Theorie, „gaben in ihren Augen dem Land demokratische Legitimität und internationale Anerkennung, und im Gegenzug erwarteten sie die Würdigung ihres Engagements sowie Teilhabe am politischen Geschehen“541. Genau hierfür wurde Marx von den Deutschen herbeigerufen: Die in die Regierung gewählten deutschen Nachkriegspolitiker mussten der Welt beweisen, dass Deutschland nach dem Holocaust geläutert war, um wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen und nicht als Paria-Staat geächtet zu werden. Negative Schlagzeilen vergleichbar der, die durch Globkes angekündigtem Besuch in Südamerika 1957 entstanden, waren im Hinblick auf diesen Prozess der Eingliederung mehr als schädlich. Wer konnte in den Augen der Deutschen zur Aufbesserung des Deutschlandbildes in so einem Fall also besser geeignet sein, als ein deutscher Jude, der den deutschen Staat bejahte? Anders als van Dam, der sich wiederholt gegen die Instrumentalisierung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ausgesprochen hatte, griff Marx dankbar und bereitwillig dieses Argument als Legitimation der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland auf und verharmloste mit seinem Verhalten und in politischen Statements nicht selten die Realität bzw. die Kontinuitäten aus dem „Dritten Reich“. In seinen Ausführungen in Südamerika hatte er, so erklärte Marx nach seiner Rückkehr gegenüber seinem Auftraggeber, „das Hauptgewicht darauf 539 Ebd. 540 Kauders, Unmögliche Heimat, 126 – 160. 541 Ebd., 129. Zur Zusammenarbeit von jüdischen und nichtjüdischen Funktionären in der BRD während der 1970er und 1980er Jahre vgl. Goschler/Kauders, Dritter Teil, bes. 353 – 360.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

327

Abb. 11: Der überfüllte Saal der Pestalozzischule in Buenos Aires, in dem Karl Marx während seiner Südamerikareise sprach, dokumentiert das große Interesse an den Vorträgen des aus Deutschland kommenden jüdischen Journalisten, Oktober 1957.

gelegt, zu beweisen, daß mit Ausnahme einer kleinen Gruppe die Bevölkerung der Bundesrepublik erkannt hat, daß nach der Enttäuschung, die ihr die Jahre 1933 und 1945 gebracht haben, nur der Weg zur Demokratie gangbar ist und darüber hinaus nur ein freies Europa eine Sicherung für den Frieden bieten kann.“542 Die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die positive Entwicklung der deutschen Jugend waren in diesen Vorträgen seine zwei beliebtesten Beispiele, um seinen Zuhörern „ein klares Bild über die positive demokratische Entwicklung der Bundesrepublik“ zu vermitteln. Geradezu stolz wies Marx in seinem Abschlussbericht auch auf die ersten Erfolge seiner Mission hin: „Es ist mir auch gelungen, die Zusage von den israelischen Botschaftern der Länder zu erhalten, dass sie den privaten Kontakt mit den Botschaftern der Bundesrepublik nunmehr verstärken werden.“ Als überzeugtem Zionisten lag Marx die Verbesserung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel besonders am Herzen, 542 Dieses und die nachfolgenden Zitate sind entnommen aus Karl Marx, Bericht von der Südamerikareise, in: BArch, B136/24654. Ein Auszug aus dem Vortrag, den Marx anlässlich seiner Südamerikareise in Rio de Janeiro, Montevideo, Buenos Aires und Sao Paulo gehalten hat, wurde gekürzt veröffentlicht: Marx, Juden in Deutschland. Der Marx’sche Rundfunkvortrag in der deutschen Rundfunkstunde „La Voz de Dia“, Montevideo, 16. 10. 1957 wurde ebenfalls leicht gekürzt veröffentlicht: Marx, Innen- und außenpolitische Fragen.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

328

Die Politik

weshalb dieses Zugeständnis für ihn persönlich einen besonderen Triumph dargestellt haben dürfte. Die von Marx auf dieser Reise zum Ausdruck gebrachte Nähe zu Bonn und seine positive Identifizierung mit der bundesrepublikanischen Politik bewirkten innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland eine über die Jahre immer stärker zum Ausdruck gebrachte Skepsis gegenüber dem selbsternannten Sprecher der Juden in Deutschland. Die von einzelnen Zuhörern formulierte Kritik, die Marx’sche Reise sei nicht mehr als eine „Werbeaktion für Adenauer und die Wiedergutmachungsgesetzgebung“ oder Bezichtigungen, er sei als „Bundesredner“ nach Südamerika gekommen, sind klare Aussagen in dieser Richtung. Unberührt von diesen Vorwürfen zeigte sich die Bundesregierung in Bonn zufrieden mit dem Ausgang der Reise und war ob des Erfolges sehr erfreut darüber, dass Marx auch in den Folgejahren – wie spätere Schreiben es formulieren – „seine Tätigkeit im Interesse der Politik der deutschen Bundesregierung fortzusetzen“ bereit war.543 Einem eher als problematisch wahrgenommenen Aspekt der deutsch-jüdischen Beziehungen, dem Antisemitismus, widmete Marx in seinen Vorträgen in Südamerika nur wenig Aufmerksamkeit. Für die deutsch-jüdische Repräsentanz gehörte dieses Thema jedoch zum Alltag in der Bundesrepublik, weshalb abschließend am Beispiel der antisemitischen Schmierwelle 1959/60 und der darüber eskalierenden Auseinandersetzung mit dem sogenannten Oberrabbiner Goldstein, zwei unterschiedliche Formen des Umgangs mit dieser Bedrohung der deutsch-jüdischen Existenz illustriert werden sollen. Nicht zuletzt diente in Gesprächen mit Deutschen und ausländischen jüdischen Organisationen die Frage nach der „Qualität“ und der Stärke des Antisemitismus häufig als zentraler Referenz- und Kritikpunkt, weshalb das Thema an dieser Stelle nicht unberücksichtigt bleiben kann. Die Schändung der Kölner Synagoge am 25. Dezember 1959 stellte den Höhepunkt einer steigenden Anzahl von antisemitischen Vorfällen dar, welche die Bundesregierung und die deutsch-jüdische Repräsentanz einerseits sowie die deutsche und internationale Öffentlichkeit andererseits seit 1957 stark beschäftigten.544 In einem Anfang 1959 gehaltenen Rückblick auf die ver543 Ministerialdirektor Dr. Mercker an Ministerialdirektor Krueger, 30. 10. 1963, in: BArch, B136/ 24654. 544 In der ersten Hälfte der 1950er Jahre ging es in der Antisemitismus-Diskussion weniger um die Schändung von Betsälen und Synagogen als vielmehr um die Friedhofsinstandsetzungen und Friedhofsschändungen. Seit November 1957 gab es in der Bundesrepublik jedoch einige Fälle von Antisemitismus, die vor allem aufgrund des Umgangs mit diesen von deutscher Seite im In- und Ausland Aufsehen erregten (Fälle Eisele, Zind, Nieland, Stielau u. a.). Vgl. hierzu Bergmann, Antisemitismus, 254; Bergmann/Wetzel, „Prüfstein der Demokratie“, 158; Brenner/Frei, Zweiter Teil, 250 – 259, 264 – 274; Lüth, Der deutsche Antisemitismus; Entschliessung des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit zu den antisemitischen Rückfällen, Januar 1959, in: Archiv JA, Gesellschaft für christl.-jüd. Zusammenarbeit.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

329

gangenen Jahre fasste der Generalsekretär die Position und Erwartungen des Zentralrats hinsichtlich des Antisemitismus wie folgt zusammen: In unserem Bericht vom August 1951 heißt es an der Stelle, in der über die Politik des Zentralrats – von jeder Ermutigung der Rückwanderung abzusehen – die Rede ist: ,An konkreten Fakten, die für die Richtigkeit dieser Haltung sprachen, nenne ich den wiederaufflammenden Nationalismus, den deutschen Antisemitismus, die wirtschaftliche Unsicherheit und das beklemmende Gefühl, nach den vielen Jahren der Verfolgung inmitten des deutschen Volkes vielleicht in absehbarer Zeit einen dritten Weltkrieg durchstehen zu müssen.‘ Die seitdem vergangenen acht Jahre haben eine erhebliche wirtschaftliche und politische Konsolidierung und Fortschritte im Sinne der Normalisierung gezeigt. Dennoch sind Erscheinungen unübersehbar, die auf eine beträchtliche Stärke des antisemitischen Potentials hinweisen auf das wir in verschiedenen Jahresberichten […] aufmerksam gemacht haben. In dem zuletzt erwähnten Bericht heißt es: ,Das deutsche Volk wird, wie wir fürchten, noch harte Bewährungsproben zu bestehen haben, bevor man sagen kann, daß das antisemitische Potential wirkungslos geworden ist.‘ Es heißt dort ferner : ,Wir wollen in diesem Bericht keine neuen Symptome für die Rückkehr aktiver Mitarbeiter des Dritten Reiches in die Schlüsselpositionen des demokratischen Staates mitteilen, es kann jedoch festgestellt werden, daß sich bisweilen bereits Konsequenzen in der Haltung derartiger Personen zeigen, die vor einigen Jahren, als sich Naziaktivisten besonders entgegenkommend zeigten, nicht erwartet wurden.‘ Wir hatten angekündigt, daß aus unserer Zurückhaltung nicht der Schluß gezogen werden dürfte, dass wir schweigend derartige Dinge hinnehmen würden, was weder in unserem noch im Interesse des deutschen Volkes wäre. Wir sind auf unsere Bemerkungen in früheren Berichten deswegen zurückgekommen, um darzutun dass es sich bei den Erscheinungen der Reaktion und des Antisemitismus um eine Wellenbewegung handelt, und wir keinen Anlass haben, über den Wellenberg, also das Ansteigen derartiger Symptome während der Berichtsphase, überrascht zu sein.545

Auch wenn van Dam vor einer Überbewertung der antisemitischen Vorfälle warnte und der Zentralrat durch ein gewisses Maß an „Zurückhaltung“ versuchte, einer Hysterie entgegenzuwirken, so herrschte – infolge der vorausgegangenen Ereignisse und der immer stärkeren Medienberichterstattung über diese Vorfälle – kurz vor dem Jahreswechsel 1959/60 eine Atmosphäre, in der Juden und Nichtjuden im In- und Ausland für das Thema „Antisemitismus“ hochgradig sensibilisiert waren.546 Der Aufschrei der Entrüstung, der unmittelbar nach der Schandtat an Weihnachten 1959 folgte, war dementsprechend groß und kam nicht vollkommen überraschend. In der Nacht vom 545 Zur Diskussion innerhalb der deutsch-jüdischen Repräsentanz vgl. z. B. Tätigkeitsbericht des Direktoriums für die Zeit von Januar 1958 bis Juni 1959, 2 f, in: ZA, B.1/7.246. 546 Vgl. Bergmann, Antisemitismus, 254 f; Lüth, Der deutsche Antisemitismus, 925.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

330

Die Politik

24. auf den 25. Dezember hatten zwei junge Mitglieder der Deutschen Reichspartei in großen leuchtend weißen Buchstaben die Worte „Deutsche fordern Juden Raus“ sowie zahlreiche Hakenkreuze an die Außenwand der Kölner Synagoge geschmiert und die Klingeln und Namensschilder mit roter Farbe besudelt.547 Anders als noch ein Jahr zuvor, als die Düsseldorfer Synagoge Ziel eines Anschlags geworden war und dieser kaum Resonanz hervorgerufen hatte, reagierte die Polizei in Köln sofort: Noch in derselben Nacht begann die Suche nach den Tätern und man bemühte sich, den entstandenen Schaden so schnell wie möglich zu beheben.548 Der Erfolg der Polizei, die Täter nach weniger als 24 Stunden gefasst zu haben, änderte jedoch nichts an der weltweit artikulierten Entrüstung.549 Und auch Marx kommentierte die jüngsten Ereignisse in seiner Neujahrsausgabe der Allgemeinen 1960: An diesem 25. Dezember 1959, an dem eine führende jüdische Persönlichkeit wiederum Anlaß hatte, seine warnende Stimme zu erheben, in der Nacht, in der viele Millionen Christen in vielen tausend Kirchen in aller Welt die Worte ,Friede auf Erden und allen Menschen Wohlgefallen‘ sprachen, haben verbrecherische Elemente wieder einmal ein jüdisches Gotteshaus und ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus geschändet. Dieses Mal waren es Jugendliche, die zur Ausführung dieses das mit vieler Mühe wieder erarbeitete Ansehen der jungen deutschen Demokratie schändenden Verbrechens veranlaßt worden sind.550

Der Zentralrat hatte bereits am 25. Dezember 1959 eine Resolution mit folgendem Wortlaut veröffentlicht: Bei der Synagogengemeinde Köln und dem Sekretariat des Zentralrats sind aus der Öffentlichkeit zahlreiche Kundgebungen der Sympathie und des Protests gegen die jüngste Selbstbesudelung des deutschen Namens eingegangen, nicht nur von Staatsmännern, sondern auch von einem Nobelpreisträger. Die widerwärtige Tat die den Frieden dieser Tage stört, richtet sich dem äusseren Anschein nach gegen das Judentum, sie wendet sich in weit höherem Maße gegen die christliche Lehre, vor allem aber gegen das Ansehen des deutschen Volkes. Die Täter haben das höchste christliche Fest dazu benutzt, um in der Stille der Nacht Hass und Missachtung der Menschenwürde zum Ausdruck zu bringen. Es ist verhängnisvoll, an der Jahreswende 1959/60 Bilder zu beschwören, die an die Novembertage des Jahres 1938 erinnern. Von der gleichen Gesinnung spricht auch die Beschmierung einer Gedenktafel, die den von der Gestapo ermordeten Opfern in Köln gewidmet war. Wir sind überzeugt, daß die Organe des Staates im Interesse der Rechtsordnung alles tun werden, um den Frevel aufzuklären. Allerdings sind wir darüber befremdet, 547 548 549 550

Brenner/Frei, Zweiter Teil, 274 – 280; Lichtenstein, Der tiefe Schock. Ebd.; Romberg, Ein kalter Wintertag 1959. Zum Charakter dieses Ereignisses vgl. Bergmann, Antisemitismus. Marx, Anschlag auf die deutsche Demokratie. Verbrechen in nationalsozialistischem Geist, in: AWJD, 1. 1. 1960.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

331

daß nach der Düsseldorfer Synagogenschändung im vorigen Jahr nicht ausreichende polizeiliche Massnahmen getroffen wurden, um einen derartigen Akt für dessen Durchführung eine längere Zeit erforderlich war, auszuschließen.551

Trotz der auch in den späteren Wochen vorgebrachten Kritik von Seiten des Zentralrats z. B. an der mangelnden Aufklärung der Jugend, dem ungenügenden Schutz jüdischer Einrichtungen oder der seiner Meinung nach unzureichenden Strafgesetze hielten die Direktoriumsmitglieder auch in diesem Moment der antisemitischen Bedrohung an zwei Leitgedanken ihrer Politik fest.552 Sie forderten „die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, aber auch die Freunde in aller Welt auf, trotz der berechtigten Erregung über die schändliche Provokation ihre Ruhe zu bewahren“; denn, so hieß es in der Erklärung weiter, „die Bekämpfung von Angriffen auf Freiheit und Würde des Menschen ist zunächst eine Aufgabe des Staates“553, dem die jüdische Gemeinschaft zwar bereitwillig zur Seite stehe, ihm die Verantwortung für diese Arbeit jedoch nicht abnehmen könne oder wolle. Diese hier vorgetragene Argumentation basierte auf dem schon mehrfach von van Dam artikulierten Verständnis, dass antisemitische Vorfälle nicht vorrangig ein jüdisches Problem, sondern in erster Linie einen Angriff auf die deutsche Demokratie darstellten.554 In dieser Ansicht stimmten Marx und van Dam grundsätzlich überein, auch wenn Marx seine Worte der Mahnung und Kritik an dem antisemitischen Vorfall unmittelbar – und dies sehr viel deutlicher als van Dam und der Zentralrat – mit Worten der Entlastung für die Mehrheit der Deutschen verknüpfte. So griff er beispielsweise am Ende seines Neujahrsbeitrags in der Allgemeinen einmal mehr – diesmal in einem anderen Kontext als dem der Anne-Frank-Veranstaltungen, jedoch mit grundsätzlich gleichbleibender Tendenz – die Jugend heraus und erklärt: Ich glaube selbst heute noch, daß die Mehrheit des deutschen Volkes in der Bundesrepublik gewillt ist, sich zur Wehr zu setzen, wie es die außerordentliche Anteilnahme, die der Synagogengemeinde Köln und dem Zentralrat der Juden in Deutschland und auch der ,Allgemeinen‘ von weiten Bevölkerungskreisen zum Ausdruck gebracht wurde, beweist. Eine Welle der Empörung, des Abscheus haben – ganz gegen ihre frevlerische Absicht – diejenigen hervorgerufen, welche die Tat begangen und die Täter angestiftet haben. Mit großer Sorge beobachten die demokratischen Parteien und Organisationen die Vorgänge in Köln als Zeichen nationalsozialistischen Gedankenguts. Besonders der Jugendring, dem etwa sechs Millionen deutsche Jugendliche angehören, verfolgt aufmerksam die Entwicklungen der 551 Erklärung des Direktoriums des Zentralrats, 25. 12. 1959, in: ZA, B.1/7.249. Zu den Vorfällen in Düsseldorf vgl. Strathmann, Auswandern, 334 – 339. 552 Für Stellungnahmen des Zentralrats vgl. z. B. Antidemokratische Vorfälle 1960, in: ZA, B.1/ 7.249. 553 Ebd. 554 Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland für die Berichtsperiode von Dezember 1956 bis Dezember 1957, in: ZA, B.1/7.246.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

332

Die Politik

rechtsradikalen Jugendverbände, in denen bereits wieder 60.000 bis 70.000 Jugendliche erfasst sein sollen. Der Jugendring hat schon seit einem Jahr immer wieder auf die Gefahr hingewiesen, die diese radikalisierten Jugendlichen bedeuten, und gehört zu den ersten, die sich an die Synagogengemeinde Köln gewandt haben, um eine aufrechte Erschütterung über die Schandtat zu bekunden.555

Selbstverständlich handelt es sich in keinem der von Marx veröffentlichten Beiträge um unkritische, pro-deutsche Stellungnahmen, in denen er unreflektiert das Verhalten aller Deutschen in Schutz nahm. Es ist jedoch auffällig, dass Marx sich in seinen Beiträgen nicht nur auf das gegebenenfalls zur Beruhigung der Lage und zur Verteidigung des Existenzrechts der jüdischen Gemeinschaft notwendige Thematisieren der positiven demokratischen Tendenzen als Gegengewicht zum Antisemitismus beschränkt. Seine Stellungnahmen enthalten vielfach darüber hinausgehende Aussagen, die nicht selten den Eindruck entstehen lassen, dass er eine Rolle als Fürsprecher der Deutschen einnehmen wollte. Die zweite Forderung, die der Zentralrat aus den antidemokratischen Vorfällen ableitete, ist insbesondere hinsichtlich der zu Beginn des neuen Jahres eintretenden Entwicklungen von Interesse: „Wenn es aber erforderlich sein sollte, müssen sich die Kräfte der Demokratie der Selbsthilfe gegen jede Antastung ihrer lebenswichtigen Rechte zur Wehr setzen“.556 Auch bei dieser Aufforderung handelt es sich nicht um eine grundsätzliche Neuausrichtung der Zentralratsarbeit. Vielmehr knüpft der Zentralrat an die mehrfach von van Dam betonte Maxime an, sich nicht unnötig mit Resolutionen und Verlautbarungen zu allen für die jüdische Gemeinschaft relevanten oder nicht-relevanten Themen zu Wort zu melden, sondern tatsächlich dann zu handeln, wenn eine Situation es erfordert und eine Verteidigung der Rechte der jüdischen Gemeinschaft notwendig erscheine. Tatsächlich trat bereits Anfang 1960 ein solcher Fall ein als es zu einem spektakulären Zusammenstoß zwischen dem „Großrabbiner“ Dr. Isaak Goldstein und den Herren Galinski, Marx und van Dam kam, der weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus hohe Wellen schlug. Goldstein war 1957, nachdem er im Krieg in Rumänien, Ungarn, Israel und Frankreich gelebt hatte, nach Berlin zugezogen, um dort als Rabbiner der jüdischen Gemeinde tätig zu werden.557 Nach Aussage Goldsteins hatte „Heinz Galinski […] ihn am 27. Januar 1957 auf Grund eines Empfehlungsschreibens des damaligen französischen Hochkommissars Francois Poncet als Gemeinderabbiner nach Berlin berufen und ihn dann unter fadenscheinigen Gründen wieder abgesetzt und damit die Kanzel ihm wieder abgeschnitten“558. Tatsächlich hatte die jü555 Marx, Anschlag auf die deutsche Demokratie. Verbrechen in nationalsozialistischem Geist, in: AWJD, 1. 1. 1960. 556 Antidemokratische Vorfälle 1960, in: ZA, B.1/7.249. 557 H.G. van Dam an Ministerialdirigent Dr. Rudolf Toyka, 9. 8. 1961, in: ZA, B.1/7.130. 558 Aktennotiz von Heinz Elsberg, 26. 2. 1960, in: ZA, B.1/7.130.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

333

dische Gemeinde Berlin den Rabbiner „im gleichen Jahr, also September 1957, entlassen […] aus Gründen, die mit der Politik und mit religiöser Ideologie nichts zu tun hatten“559, berichtete van Dam später an verschiedenen Stellen. Allerdings, so betonte der Generalsekretär, hatte der Zentralrat keinen Einfluss auf diese Entscheidung genommen.560 Vielmehr hatte die jüdische Gemeinde Berlin aufgrund des anspruchsvollen Auftretens ihres neuen Rabbiners und einiger Gerüchte kurz nach dessen Tätigkeitsbeginn Nachforschungen angestellt und im Zuge dieser herausgefunden, dass persönliche Angaben Goldsteins, die zu seiner Anstellung geführt hatten, fehlerhaft gewesen waren.561 Ausschlaggebend für seine fristlose Kündigung war letztlich der Vorwurf des „Konkubinats“, der Goldstein sehr erzürnte.562 Spätere Recherchen ergaben darüber hinaus, dass Goldstein, der in Rumänien unter dem Namen Erwin Goldstein bekannt gewesen war und allgemein „Pater Erwin“ genannt wurde, zu keinem Zeitpunkt Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde von Bukarest gewesen sei, noch in Paris als Rabbiner amtiert habe und „sich das Oberste Rabbinatsgremium von Israel am 28. Ellul 5720 [20. September 1960] mit Dr. Jitzchak Goldstein befasst hat und ihm das Recht abgesprochen hat, als Rabbiner tätig zu sein“563. Das Direktorium des Zentralrats befasste sich mit der Angelegenheit Goldstein erst, nachdem dieser zweimal beim Staatssekretär Dr. Globke mit eigenen Wünschen vorstellig geworden war. Goldstein war Anfang 1958 durch den Präses der Evangelischen Kirche der Union in Berlin, Herrn Dr. Kreyssig, bei Globke eingeführt worden, um den Vorschlag zur Errichtung einer Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin zu unterbreiten. Ich habe mich sodann mit Herrn Karl Marx in Verbindung gesetzt, der den Plan, in Berlin eine Hochschule für die Wissenschaft des Judentums zu errichten, sehr begrüsste, sich zugleich aber gegen die Person Dr. 559 Abschrift, H.G. van Dam an Marion Gid, Neue Jüdische Zeitung, München, 14. 8. 1961, in: ZA, B.1/7.130. 560 Zentralrat an alle Direktoriumsmitglieder, deren Stellvertreter, alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Frankfurt/Main, Hamburg und Köln, 14. 8. 1961, in: ZA, B.1/7.130. 561 Vgl. Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, Dr. Globke, an Dr. van Dam, 8. 3. 1960; Dr. Ernst Ludwig Ehrlich, Berlin, an H.G. van Dam, 9. 2. 1958, beide in: ZA, B.1/7.130. 562 Angeblich war Goldsteins Ehefrau von Budapest nach Paris geflohen. Bereits vor seiner formellen Scheidung von dieser 1958 hatte der Rabbiner dann eine andere Frau, die er erst 1959 heiratete, als seine eigene ausgegeben. Vgl. hierzu Brief des Zentralrats an alle Direktoriumsmitglieder, deren Stellvertreter, alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Frankfurt/Main, Hamburg und Köln, 14. 8. 1961 in der Sache „Goldstein“; H.G. van Dam an Dr. Unikower, Vorstand der Jüd. Gemeinde Frankfurt am Main, 24. 8. 1961; Brief von Hans Chanoch Meyer (LV Westfalen) an Karl Marx, 26. 10. 1960; Aktennotiz „Großrabbiner“ Dr. Isaak Goldstein, 23. 8. 1961; Aktenvermerk des Zentralrats (Ass. Werner Fürstenau), 29. 8. 1961 in der Sache „Goldstein“, alle in: ZA, B.1/7.130. 563 Bericht von H.G. van Dam über die Nachforschungen zum Fall „Goldstein“, 3. 3. 1960; H.G. van Dam an den F.E. Shinner (Israel-Mission), 29. 8. 1961; Aktennotiz „Großrabbiner“ Dr. Isaak Goldstein, 23. 8. 1961, alle in: ZA, B.1/7.130.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

334

Die Politik

Goldstein wandte. Daraufhin ist in dieser Sache von hier aus nichts mehr unternommen worden. Eine Zusicherung zur Zahlung eines Betrags von 500.000.– DM habe ich nicht gegeben.564

Ende Januar 1960 sprach Goldstein erneut bei Globke vor (als Großrabbiner von Paris) und bat um einen Zuschuss für einen Synagogenbau in Paris, der ebenfalls abgewiesen wurde.565 Seit diesen Vorfällen in Berlin führte Goldstein „einen privaten Rachefeldzug gegen die Vertreter der Gemeinde und des Zentralrats“566, der seinen Höhepunkt im Februar 1960 mit der Publikation eines Interviews des selbsternannten Großrabbiners in der rechtsradikalen Deutschen Soldaten Zeitung fand.567 In den abgedruckten Auszügen setzte Goldstein sich mit dem Zustand der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und den jüngsten Hakenkreuz-Schmierereien, die um die Jahreswende 1959/60 an der Synagoge Köln angebracht worden waren, auseinander : Nicht genug, dass er die Akte bagatellisierte, er beschuldigte zudem die Funktionäre, die der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland angehörten, einer scharfmacherischen Haltung. Nach der Veröffentlichung dieses Beitrags befasste sich die Allgemeine mit diesen Anschuldigungen, weshalb Goldstein ein Privatklageverfahren gegen den Herausgeber, Karl Marx, den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Berlin, Heinz Galinski, und den Generalsekretär des Zentralrats, Hendrik G. van Dam, wegen des Tatbestands der Beleidigung und der üblen Nachrede einleitete.568 Van Dam, der gerade erst in einer früher eingeleiteten Privatklagesache des Großrabbiners Dr. Isaak Goldstein wegen Beleidigung und übler Nachrede am 11. März 1960 für sühnefrei erklärt worden war,569 und die zwei anderen Beschuldigten waren sich sehr bewusst, dass durch die Verhandlung dieser Streitsache vor einem deutschen Gericht der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland höchstwahrscheinlich großer Schaden erwachsen würde. Dennoch lehnte man die Bitte der Rabbinerkonferenz in Deutschland ab, die Angelegenheit intern zu verhandeln und ein Schiedsgericht zu bemühen.570 Dieser Zusammenschluss existierte seit März 1957 und fühlte sich 564 Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, Dr. Globke, an Dr. van Dam, 8. 3. 1960, sowie Dr. Ernst Ludwig Ehrlich, Berlin, an H.G. van Dam, 9. 2. 1958, beide in: ZA, B.1/7.130. 565 Aktennotiz von Dr. van Dam, 7. 2. 1960; Brief des Zentralrats an alle Direktoriumsmitglieder, deren Stellvertreter, alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Frankfurt/Main, Hamburg und Köln, 14. 8. 1961, beide in: ZA, B.1/7.130. 566 Brenner/Frei, Zweiter Teil, 190. 567 H.G. van Dam an Dr. Josef Neuberger, 11. 4. 1960, in: ZA, B.1/7.130. Zur Rezeption des Goldstein-Artikels in der internationalen Presse vgl. H.G. van Dam an Dr. Unikower, Vorstand der Jüd. Gemeinde Frankfurt am Main, 24. 8. 1961, in: ZA, B.1/7.130. 568 H.G. van Dam an Dr. Josef Neuberger, 11. 4. 1960, in: ZA, B.1/7.130. 569 Beschluß in der Privatklagesache gegen den Generalsekretär Dr. H.G. van Dam, 11. 3. 1960, in: ZA, B.1/7.130. 570 Rabb. I. E. Lichtigfeld, Frankfurt, an H.G. van Dam, 26. 8. 1960; H.G. van Dam an Rabb. Lichtigfeld, 31. 8. 1960; Brief von Hans Chanoch Meyer (LV Westfalen) an Karl Marx, 26. 10.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

335

für „die gemeinsame Beratung aller in das Aufgabengebiet der Rabbiner fallenden Religions-, Sozial- und Erziehungsfragen, insbesondere aber auch die Regelung der Kaschrut-Angelegenheiten im Bundesgebiet“ zuständig.571 Aus ihrer Mitte entstammten die Schreiben an Marx und van Dam in der Sache Goldstein. Man war sich einig, dass nur eine Rücknahme der Klage durch Goldstein einen Prozess verhindern könnte, denn „der Schaden, den Dr. Goldstein durch sein Interview und seine weiteren Erklärungen angerichtet hat, ist so ungeheuerlich, dass man führenden Persönlichkeiten der Juden in Deutschland wohl kaum zumuten kann, von sich aus etwas zu unternehmen“572. Leider, so resümierte van Dam, liege die Tendenz der ,Deutschen Soldatenzeitung‘, des ,Reichsrufs‘ und ähnlicher Blätter […] darin, mit Hilfe des Obengenannten [Goldstein, A.d.V.] die Vertreter des Zentralrats, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, den Herausgeber der ,Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland‘ und überhaupt die für die Geschicke der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik und Westberlin verantwortlichen Personen dadurch zu diskriminieren, daß sie als unversöhnlich, antideutsch und hasserfüllt dargestellt werden, während der ,Großrabbiner‘ die entgegengesetzte Haltung einnimmt573.

In das Verfahren wurde 1961 auch noch die Ehefrau des Generalsekretärs, Irma Wilma van Dam,574 hineingezogen, gegen die Goldstein ebenfalls eine Klage anstrebte: Angeblich, so die Behauptung Goldsteins, hatte Frau van Dam in einem Telefonat, das sie im Rahmen ihrer Tätigkeit 1960 für den Zentralrat führte, Goldstein beschimpft. Nachdem 1962 bereits Galinski, Marx und van Dam freigesprochen und wegen der angeblichen Formalbeleidigung für straffrei erklärt worden waren, wurde im März 1963 auch Frau van Dam nach der Hauptverhandlung freigesprochen, so dass der Vorgang endgültig geschlossen werden konnte.575

571

572 573 574

575

1960 betreffs Sache Goldstein; Karl Marx an Rabb. Dr. Hans Chanoch Meyer, 7. 11. 1960, alle in: ZA, B.1/7.130. Insgesamt waren 1960 nur sieben offizielle Gemeinderabbiner in Deutschland tätig, zu denen noch einige in Osteuropa ausgebildete Rabbiner in den bayerischen Gemeinden hinzukamen. Zu den Grundlinien der Entstehung der Rabbinerkonferenz vgl. Brämer, Die Rabbinerkonferenz, Zitat 246; Brenner/Frei, Zweiter Teil, 191. Karl Marx an Rabbiner Dr. Hans Chanoch Meyer, 7. 11. 1960, in: ZA, B.1/7.130. H.G. van Dam an Ministerialdirigent Dr. Rudolf Toyka, 9. 8. 1961, in: ZA, B.1/7.130. Van Dam hatte mit seiner späteren Frau Irma Wilma van Dam (1916 – 1986) bereits bei der JRU zusammengearbeitet, bevor beide zum Zentralrat wechselten. Die Hochzeit fand am 29. 7. 1955 in der West London Synagogue Hendon, Middelessex, GB statt. Angaben in der Einwohnermeldekartei des StadtAD, Film Nr. 7-4-6-50.0000: Dr. Hendrik George van Dam; Hochzeit in London. Der Generalsekretär des Zentralrats, Dr. H. G. van Dam, und Irma Wilma Wreden verheiratet, in: AWJD, 5. 8. 1955. Zum Verfahren gegen Frau van Dam, das nach dem Tod Isaak Goldsteins von seiner Frau weitergeführt wurde, vgl. u. a. Antrag im Fall Goldstein gegen van Dam, das öffentliche Interesse zu bejahen, 30. 5. 1961, in: ZA, B.1/7.132; H.G. van Dam an Dr. Unikower, Vorstand der

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

336

Die Politik

„Es gehört zu den unerfreulichen Aufgaben des Zentralrates und seines Generalsekretärs, sich im öffentlichen Interesse mit Hochstaplern auseinandersetzen zu müssen. Das Landgericht Düsseldorf hat sogar erklärt, dass hierin eine Rechtspflicht des Generalsekretärs liege“576, kommentierte van Dam diese Episode, die insbesondere deshalb die Gemüter erregte, weil rechtsextremistische Kreise sich „jüdischer Kronzeugen gegen Juden“577 bedienten.578 In diesem konkreten Fall ließ es sich aufgrund der Größenordnung des Konflikts nicht verhindern, dass die Auseinandersetzung auch außerhalb der jüdischen Gemeinschaft wahrgenommen und vielfach kommentiert wurde. Zahlreiche Schreiben, die in dieser Sache von Seiten des Generalsekretärs verfasst wurden, dienten demnach auch der Beruhigung und Aufklärung der verschiedenen jüdischen und nichtjüdischen Korrespondenz- und Verhandlungspartner der in den Fall „Goldstein“ involvierten Repräsentanten. Unabhängig davon, ob Marx und van Dam selber Schuldgefühle empfanden oder nicht: Die Analyse ihrer politischen Positionierung zu drei sehr unterschiedlichen Entwicklungen der deutschen Nachkriegsgeschichte veranschaulicht exemplarisch, dass beide auf ihre individuell eigene Art in den 1950er und 1960er Jahren auf die Einwände aus dem Ausland bzw. die Vorwürfe von Seiten der internationalen jüdischen Organisationen reagierten. Immer wieder begründeten sie deshalb – bewusst oder unbewusst –, warum die jüdische Gemeinschaft trotz des immer noch vorhandenen Antisemitismus eine Existenzberechtigung in Deutschland habe. Schon 1951 hatte van Dam davor gewarnt, daß gerade die Tatsache des Bestehens einer, wenn auch noch so kleinen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, ein gewisses Alibi für die deutsche Demokratie darstellt, einer der Gründe der Kontroversen über die Existenzberechtigung des deutschen Judentums, aber auch ein Anlaß für das Interesse an dieser jüdischen Gruppe, das in keinem Verhältnis zu seiner zahlenmäßigen und kulturellen Bedeutung steht. Hieraus ergibt sich, daß die Juden in Deutschland und ihre Vertretung nicht überJüd. Gemeinde Frankfurt am Main, 24. 8. 1961, in: ZA, B.1/7.130; Aktenvermerk von Dr. van Dam bezüglich Unterredung von Herrn Loewenberg mit Herrn Tauber in der Sache Goldstein, in: ZA, B.1/7.132; H.G. van Dam an Herrn Generalstaatsanwalt Dr. Münn, Landgericht Berlin, 11. 12. 1961, in: ZA, B.1/7.132. Goldsteins Frau verfasste ein Buch über diese Auseinandersetzung: Goldstein-Lackû, Die Geschichte des Rabbi Goldstein in Berlin. 576 H.G. van Dam an Dr. Unikower, Vorstand der Jüd. Gemeinde Frankfurt am Main, 24. 8. 1961, in: ZA, B.1/7.130. 577 Zentralrat der Juden in Deutschland. Jahresbericht 1961, 34, in: ZA, B.8 Zentralrat 3. 578 Seit der Gründung antisemitischer Zeitungen in Deutschland waren der Zentralrat und die von Karl Marx herausgegebene Allgemeine regelmäßig Ziel von Anschuldigungen, Verleumdungen und Verunglimpfungen und stellten mehrfach Strafanzeige. Vgl. hierzu z. B. Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums des Zentralrats, 30. 3. 1966, in: ZA, B.1/7.818; Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrats des Direktoriums des Zentralrats, 20. 11. 1966, in: ZA, B.1/7.818.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

337

sehen werden kann, aber auch die Gefahr, der sie sich durch eine falsche Einschätzung der Realität aussetzen.579

Die von ihm im Zentralrat vertretene Politik wandte sich deshalb gegen eine zu starke Übernahme von Verantwortung für die deutsche Demokratie. Diese Aufgabe sah der Generalsekretär in erster Linie beim deutschen Staat, allerdings nicht ohne in der Verteidigung der Rechte und dem Einstehen für die Existenzberechtigung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland durch deren Repräsentanten einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Demokratie zu erkennen. Für Marx stellten die ersten positiven Anzeichen des demokratischen Reifeprozesses innerhalb der deutschen Gesellschaft eine Aufforderung zur Verpflichtung dar, diesen Fortschritt auch gegenüber Dritten offensiv zu betonen. Die Politik des Gabentausches zwischen jüdischen und nichtjüdischen Führungsschichten, die Anthony Kauders in seinem Buch Unmögliche Heimat für die Jahre nach Gründung des Zentralrats feststellt, findet somit – wie insbesondere am Beispiel der von Marx 1957 unternommenen Südamerikareise illustriert werden kann – bereits im Prozess der Etablierung der Repräsentationsfiguren für das bundesdeutsche Judentum eine erste personenbezogene Ausdrucksform.

2.2.2 Der Blick geht nach Israel – Deutsche Juden und ihre Suche nach Identität Trotz des Vorhandenseins von Antisemitismus und entgegen der Erwartungen der internationalen jüdischen Organisationen hatte sich bis Mitte der 1950er Jahre eine jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik zusammengefunden, die sich mehr und mehr einzurichten begann. Gemäß einer von der ZWST erstellten Statistik existierten in der Bundesrepublik im Jahre 1954 bereits 70 jüdische Gemeinden, die in 13 Landesverbänden zusammengefasst waren. Die Gesamtzahl der Mitglieder aller 70 Gemeinden belief sich auf 16.992 Personen, darunter 905 Schüler und 684 Jugendliche.580 Drei Jahre später erfasste die ZWST bereits 18.992 jüdische Gemeindemitglieder und 1960 waren es 21.772 Personen.581 Als ein weiteres Zeichen der fortschreitenden Konsolidierung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland werden für gewöhnlich die seit Anfang der 1950er Jahre entstehenden Synagogenneubauten angesehen. Nach 579 H.G. van Dam an die Herren Mitglieder des Direktoriums und des Rates, alle Landesverbände und die Gemeinden Berlin, Bremen, Hamburg und Köln betreffs Juden in Deutschland und die Organisationen des Weltjudentums (Ausländische Organisationen), 15. 11. 1951, in: ZA, B.1/ 7.121. 580 Juden in Deutschland. Ergebnisse einer bevölkerungsstatistischen Erhebung (Frühjahr 1954), in: ZA, B.1/7.158. 581 Die Anzahl der Mitglieder wurde einmal jährlich von der ZWST erfasst und veröffentlicht. Die genannten statistischen Angaben sind entnommen aus Mitgliederstatistik der Bundesrepublik und Westberlin per 1. 10. 1957, in: ZA, B.1/7.152; Mitgliederstatistik der einzelnen Gemeinden und Landesverbände der Bundesrepublik und Westberlin per 1. 10. 1960, in: ZA, B.1/7.152.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

338

Die Politik

den Synagogen in Dresden (1950) und Saarbrücken (1951) konnte 1952 in Stuttgart der erste Synagogenneubau in der Bundesrepublik eingeweiht werden, 1956 folgte die Synagoge in Dortmund.582 Dieser langsame Aufbau jüdischen Lebens verlief meist von der deutschen Öffentlichkeit unbemerkt. Im Gegensatz dazu wurden diese Entwicklungen in der jüdischen Gemeinschaft unterschiedlichst interpretiert. Während Karl Marx anlässlich der Einweihung der Düsseldorfer Synagoge 1958583 deren Existenz als ein „Zeugnis des Bestehens“ benannte, als ein Zeichen dafür, „daß es eine Zukunft für die Juden in Deutschland gibt“584, richtete van Dam sein Augenmerk vor allem auf die „Schattenseiten“ dieser Entwicklung. So befürchtete er unter anderem, das insbesondere kleinere Gemeinden mit Entschädigungsmitteln auf Grund der sogenannten Übergangsvorschriften585 Synagogenbauten errichteten, „deren Unterhalt ihnen auf die Dauer nicht oder nur mit fremder Hilfe möglich sein wird“586. Deutlich wies er in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Zentralrat nicht gewillt oder in der Lage sei, diese Kosten der kleineren Gemeinden zu einem späteren Zeitpunkt zu übernehmen, es sei denn, dass dies im Vorfeld so abgesprochen worden sei.587 Trotz dieser ersten Zeichen des Sesshaftwerdens sahen viele Juden in Deutschland dieses Land auch in den 1950er und 1960er Jahren nur als einen provisorischen Aufenthaltsort an. Sie fühlten sich schuldig und erachteten ihre Entscheidung, nach der Shoa in Deutschland zu verbleiben, als „inakzeptables Verhalten“588. Daran erinnerten sie nicht zuletzt immer wieder Kommentare von Juden aus dem Ausland, die nach wie vor mehrheitlich nicht verstehen konnten, „wie jemand es wagen konnte, in dem blutgetränkten Land 582 Brenner/Frei, Zweiter Teil, 182 – 188; Knufinke, Neue Synagogen, 98 – 101. 583 Die Grundsteinlegung des neuen Gotteshauses in Düsseldorf fand am 9. 11. 1956, die feierliche Eröffnung am 7. 9. 1958 statt. Düsseldorfer Synagogengemeinde – einst und jetzt, 264. 584 Marx, Zeugnis des Bestehens. Was bedeutet die Einweihung einer neuen Synagoge? in: AWJD, 5. 9. 1958. Vgl. auch: „Die Juden haben eine Zukunft“. Marx zur bevorstehenden Eröffnung der Düsseldorfer Synode [sic!], in: Die Welt, 15. 9. 1958. 585 Entsprechend § 55 BEG darf die Entschädigung nach §§ 51, 54, für den einzelnen Verfolgten insgesamt den Betrag von 75.000 DM nicht übersteigen. Die Höchstbeträge des § 55 Abs. 1 und des § 58 gelten auch für die Ansprüche einer juristischen Person, Anstalt oder Personenvereinigung oder deren Rechts- oder Zwecknachfolger. Auf Grund der sogenannten Übergangsvorschrift des § 148 Abs. 3 BEG konnte dieser Höchstbetrag jedoch überschritten werden, „soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Religionsgesellschaften oder ihrer Einrichtungen oder deren Rechts- oder Zwecknachfolger im Geltungsbereich dieses Gesetzes erforderlich ist“. Zitiert aus dem Bundesentschädigungsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 251 – 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, die zuletzt durch Artikel 15 Absatz 63 des Gesetzes, 5. 2. 2009 (BGBl. I 160) geändert worden ist. 586 Tätigkeitsbericht des Direktoriums für die Zeit von Januar 1958 bis Juni 1959, in: ZA, B.1/7.246. Zur Architektur der neuen Synagogen, die von zwei jüdischen und einem nichtjüdischen Architekten erbaut wurden, vgl. Knufinke, Neue Synagogen. 587 Tätigkeitsbericht des Direktoriums für die Zeit von Januar 1958 bis Juni 1959, in: ZA, B.1/7.246. Vgl. auch Brenner/Frei, Zweiter Teil, 182 – 189. 588 Kauders, Die westdeutschen Juden, 33.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

339

zu atmen“589. In dieser Situation, so beschreibt es Anthony Kauders, versuchten die Juden, die es vorerst ablehnten, Deutschland zu verlassen, durch eine nahezu bedingungslose Identifizierung mit Israel den von ihnen verursachten ,Schaden‘ auszugleichen. Mit anderen Worten: Sie verpflichteten sich, Schadensersatz zu leisten – nicht, indem sie ihren ,unreinen‘ Wohnort verließen, sondern vielmehr, indem sie sich finanziell und ideologisch einem Land verpflichteten, das zur ,jüdischen Heimat‘ geworden war.590

Anders formuliert bedeutete dies: Da eine positive Identifizierung mit Deutschland für viele Juden aufgrund der jüngsten Geschichte nicht möglich schien, stellte für deutsche Juden, so der Historiker Dan Diner, „Israel mehr als für alle anderen eine psychische Stütze, einen Identitätsersatz dar, müssen sie doch ständig und immer wieder vor sich und vor den Juden der Welt rechtfertigen, warum sie durch Anwesenheit im Hause des Henkers den Eindruck erwecken, nach Auschwitz sei zwischen Deutschen und Juden Normalität eingekehrt“591. Was lässt sich vor dem Hintergrund dieses in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland weit verbreiteten Selbstverständnisses über die Einstellung von Marx und van Dam zu dem 1948 gegründeten jüdischen Staat aussagen? Welche Funktion nahm Israel in dem von ihnen nach außen kommunizierten Selbstverständnis der Juden in Deutschland ein? Als zentrale Repräsentanten des deutschen Judentums nach 1945 waren Marx und van Dam frühzeitig nicht nur in den Verhandlungen um Wiedergutmachungszahlungen mit israelischen Politikern bzw. mit Vertretern israelischer Organisationen in Kontakt gekommen. Eine enge Zusammenarbeit bestand beispielsweise mit den Leitern der Israel Mission in München und Vertretern der Jewish Agency – erinnert sei hier an das Föhrenwald-Problem. Oder wie am Beispiel der Debatte um den 1963 veröffentlichten Spiegel-Artikel deutlich wurde, waren Marx und van Dam in ihren öffentlichen Stellungnahmen darauf bedacht, sich bzw. die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nicht im Gegensatz zu der von Israel beförderten Politik darzustellen. Zu vielfältig sind die Kontakte und Beziehungsnetzwerke zwischen den Repräsentanten der deutsch-jüdischen Gemeinschaft einerseits und dem Staat Israel andererseits, als dass sie alle an dieser Stelle zur Sprache gebracht werden könnten. Um einen Eindruck von der von deutsch-jüdischer Seite verfolgten Politik zu gewinnen, soll das Verhältnis der deutsch-jüdischen Repräsentanz zum Staat Israel deshalb an drei Beispielen illustriert werden: der von deutscher Seite geleisteten finanziellen Unterstützung für den Aufbau 589 Gershom Scholem an Hans-Joachim Schoeps, 6. 11. 1949, in: Scholem, Briefe II. 1948 – 1970, 14. Vgl. hierzu z. B. auch Wortbeitrag, Dr. Arnsberg, Direktoriumssitzung des Zentralrats, 25. 10. 1964, in: ZA, B.1/7.856; Heinrich Guttmann, Frankfurt am Main, an den Zentralrat/H.G. van Dam, 26. 11. 1962, in: ZA, B.1/7.128. 590 Kauders, Die westdeutschen Juden, 34. 591 Diner, Negative Symbiose, 254.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

340

Die Politik

des jungen jüdischen Staates, der Forderung nach diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel und den deutsch-jüdischen Reaktionen auf den Sechs-Tage-Krieg 1967. „Die Gründung des Staates Israel, wo nicht nur ein neuer Staat, sondern auch ein neues Bild des Juden des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde“, beeinflusse das Bewusstsein jedes Juden in der Bundesrepublik, postulierte der Generalsekretär des Zentralrats Mitte der 1960er Jahre und bestätigte damit die einleitend zitierten Charakterisierungen der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik. Dieses Faktum, erklärte van Dam weiter, „gewährt einen psychologischen und moralischen Rückhalt, entwertet unzählige Vorurteile, gibt in mancher Hinsicht ein Leitbild und bestimmt die positive Einstellung zum Staat Israel.“592 Auf diesem Gedanken aufbauend, dass „die Existenz Israels ein wichtiges Fundament des jüdischen Bewusstseins in der Galuth [Exil, A.d.V.] darstellt“593, war es für das Direktorium des Zentralrats eine Selbstverständlichkeit, anlässlich der Keren Hajessod-Arbeit (Vereinigte IsraelAktion)594 in Anlehnung an frühere Tradition die Gemeinden dazu aufzufordern, einen Teil ihrer Einnahmen als eine Art Steuer nach Israel zu überweisen: Anlässlich des Neubeginns der Keren Hajessod-Arbeit (Vereinigte Israel-Aktion) in Deutschland ruft der Zentralrat der Juden in Deutschland die jüdischen Gemeinden in Deutschland dazu auf, dass abgesehen von den Leistungen von Einzelpersonen für die Vereinigte Aktion für Israel die jüdischen Gemeinden als Kollektiv die frühere Tradition einer jährlichen Subvention für den Keren Hajessod erneuern sollen. Dies hat heute umso mehr Bedeutung, da die jüdischen Gemeinden in Deutschland in ihrer Zusammensetzung einen sehr grossen Teil von Gemeindemitglieder haben, die nicht in der Lage sind, sich für den Keren Hajessod zu besteuern. Die Jahresleistung der Gemeinden wird dann eine symbolische Gesamtzahlung im Namen dieser Menschen sein, die nicht in der Lage sind, selbst zum Israel-Werk durch den Keren Hajessod beizutragen.595

Diese von Interessenvertretern Israels durchgeführten Sammelaktionen für den jüdischen Staat waren eine Möglichkeit, Solidarität mit Israel auszudrücken, die vom Zentralrat intensiv befördert wurde. Und die durch diese Sammlungen erhaltenen Summen konnten sich sehen lassen: So berichtete van Dam auf der Direktoriumssitzung vom 22. März 1964, dass „nach den bei uns eingegangenen Berichten 1,1 Millionen DM für den Magbith, 400.000,– 592 Van Dam, Der Lebenswille, 92. 593 Tätigkeitsbericht des Direktoriums für die Zeit von Januar 1958 bis Juni 1959, in: ZA, B.1/7.246. 594 Zu Entstehung und Aufgaben des Palästina-Grundfonds Keren Hajessod (dt. Grundfonds), der seit 1929 Teil der Jewish Agency ist, vgl. Kulka, Deutsches Judentum, 495. Zum Keren Hajessod vgl. z. B. Gartner, Menorah, 172; Reinharz, Dokumente. 595 Beschlussprotokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 13./14. 3. 1955, in: Archiv JA, ZR 1950 – 1960. Verschiedene Aufrufe sind z. B. auch veröffentlicht im Informationsblatt des KKL, das seit Mai 1957 erschien. Vgl. Informationsblatt des KKL (Mai 1957), in: ZA, B.1/7.398.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

341

DM für die Jugend-Alijah und 500.000,– DM für den KKL gesammelt [worden waren]“596. Das in den Reihen der deutsch-jüdischen Repräsentanz vorhandene Bedürfnis, die enge Verbundenheit mit Israel zu demonstrieren, ging – wie Anthony Kauders nachzeichnet – so weit, dass der Zentralrat Ranglisten erstellte, um nachzuweisen, wie viel seine einzelnen Mitglieder zur zionistischen Sache beitrugen: Im August 1967, etwa zwei Monate nach dem Sechstagekrieg, unterrichtete der Generalsekretär seinen damaligen Assistenten Werner Nachmann davon, dass die westdeutschen Juden die Liste in Bezug auf die Gesamtspendensumme pro Gemeindemitglied anführten. Seinen Berechnungen (die kaum überprüfbar sind) zufolge trugen die Juden in der Bundesrepublik pro Kopf 250 US-Dollar bei, in den Vereinigten Staaten im Vergleich dazu nur 30 US-Dollar.597

Die Veröffentlichungen der Spendenübersichten dienten jedoch nicht nur zur Demonstration der Verbundenheit mit Israel, sondern wurden immer wieder auch als Druckmittel gegenüber einzelnen Gemeinden eingesetzt, deren Zahlungsbereitschaft nach Auffassung der zionistisch orientierten Juden in Deutschland zu wünschen übrig ließ.598 Während diese Form der öffentlichen Beschämung vom Zentralrat als Mittel zum Zweck toleriert und ggf. unterstützt wurde,599 zeigten sich insbesondere Ende der 1950er Jahre von diesem als „recht unerfreuliche Erscheinungen auf dem Gebiet des Sammlungswesens“600 charakterisierte Entwicklungen. Vereinzelte Vereinigungen und Einzelpersonen hatten wiederholt den Versuch unternommen, so berichtete van Dam 1960, „aus den antisemitischen Vorfällen Anfang des Jahres in der Weise Kapital zu ziehen, indem sie unter Berufung hierauf Firmen um die Bevorzugung ihrer Angebote, zum Beispiel bei der Abnahme von Papierwaren, aufgefordert haben oder Sammlungen für irgendwelche Zwecke mit der Notwendigkeit der Völkerversöhnung begründet hatten“601. Der Zentralrat verurteilte diese Praktiken scharf und sah sich infolge genötigt, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass Sammlungen für jüdische Zwecke in der Bundesrepublik „nur dann Förderung [verdienen], wenn sie entweder von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. veranstaltet, befürwortet und verantwortet werden oder zu den auf internationaler Ebene allgemein anerkannten Sammlungen gehören. Als internationale Sammlungen werden anerkannt: Die Vereinigte Israel-Aktion, KKL (Jüdischer Nationalfond)602 und

596 Bericht des Verwaltungsrates des Direktoriums des Zentralrats, referiert von Generalsekretär Dr. H. G. van Dam, 22. 3. 1964, in: ZA, B.1/7.246. 597 Kauders, Die westdeutschen Juden, 37. 598 Ein Beispiel öffentlicher Beschämung diskutiert Kauders, Unmögliche Heimat, 100 – 103. 599 Ebd., 109 – 116. 600 Sammlungswesen, 134. 601 Ebd. 602 Zu Entstehung, Entwicklung und Zielen des jüdischen Nationalfonds Keren Kayemet LeIsrael –

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

342

Die Politik

die Jugend Alijah.“603 Wie diese Erklärung des Zentralrats vom 13. Juni 1960 zeigt, sah der Zentralrat seine Aufgabe also nicht nur darin, die Sammlungen für den Staat Israel durch Aufrufe zu fördern, in denen er die Unterstützung der israelischen Aufbauarbeit als „eine lebenswichtige Angelegenheit für die Juden in der ganzen Welt“604 bezeichnete. Er sah sich ferner dazu berufen, den Anspruch Israels auf diese Förderung gegenüber Dritten zu verteidigen und positionierte sich bzw. die ZWST gegenüber der deutschen Öffentlichkeit als die Instanz, welche diese Form der Unterstützung erst legitimierte. Karl Marx hatte bereits 1951 öffentlich davon gesprochen, dass die Aufgabe der Juden in Deutschland jene sei, „Mittler zu sein zwischen den Deutschen […] und den Juden in aller Welt, vor allem in Israel“605. Großzügig stellte er deshalb allen Sammelaktionen seine Zeitung zur Verfügung.606 Seine Entscheidung, in Deutschland zu verbleiben und für das Fortbestehen der jüdischen Gemeinden in Deutschland einzutreten, stand für Marx in keinem Gegensatz zu seiner zionistischen Einstellung. Es sei die politische Aufgabe der deutschen Juden, definierte Marx, „das anständige Deutschland – wir sollten zugeben, daß es gewachsen ist – zu unterstützen“607 und zugleich ihre oberste Pflicht, „zu beweisen, daß sie für den neu entstandenen Staat Israel alles in ihrer Macht liegende tun würden“608. In Israel war man dieser Argumentation gegenüber zunächst verschlossen und forderte weiter die Auflösung der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik. Der Beschluss der Jewish Agency aus dem Jahre 1951, ihre Aktivität in Deutschland einzustellen, ihre Institutionen aufzulösen und ihre Büros zu schließen, um den Exodus aus Deutschland zu fördern, sind deutlicher Ausdruck dieser damals verbreiteten Ansicht. Diese Entwicklungen änderten jedoch nichts an der Überzeugung des Herausgebers der Allgemeinen, dass die westdeutschen Juden in der jüdischen Welt als gleichberechtigt, nicht ausgestoßen behandelt werden sollten. In einem späteren Schreiben an den Treuhänder des Keren Hajessod schrieb Marx beispielsweise, dass seine jüdische und zionistische Arbeit [erfolge], „weil ich darum kämpfe, dass auch Jerusalem verstehen und anerkennen soll, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nach der Befreiung proportionell [sic!] zu vielen anderen Ländern für die Idee des nationalen Judentums und – nach seiner Gründung für den Staat Israel eine bemerkenswerte Leis-

603 604 605 606 607 608

KKL (hebr. Ständiger Fonds für Israel) vgl. Kulka, Deutsches Judentum, 495 f; Gartner, Menorah, 172. Sammlungswesen, 134. Vgl. hierzu auch H. G. van Dam, Sammlungen und Spenden, in: AWJD, 16. 3. 1962. H.G. van Dam an die jüdischen Gemeinden und ihre Mitglieder, o.D., in: Karger-Karin (Hg.), Israel und Wir, 135. Karl Marx, Jom Kippur – Tag der Versöhnung – Tag der Besinnung, in: AWJD, 5. 10. 1951. Bis 1958 waren die Veröffentlichungen für die KKL in der Allgemeinen kostenlos. Karl Marx an die Landeszentrale des KKL, Frankfurt am Main, 6. 6. 1958, in: ZA, B.1/7.398. Marx, Zur Gründung, 71. Marx, Israel und Wir, 98.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

343

tung vollbracht hat.“609 Infolge der geschilderten Ereignisse intensivierte sich also sein Kampf um die Anerkennung der jüdischen Gemeinden in Deutschland bei internationalen Gremien und um die Wiederzulassung einer Zionistischen Organisation.610 In seinen Veröffentlichungen betonte Marx konsequent, dass die Judenheit in Deutschland […] Wert darauf [legte], als auf national-jüdischem Boden stehend betrachtet zu werden. Sie ist ein Glied des nationalen Judentums, und sie fühlt sich eng verbunden mit dem israelischen Volk und der Regierung des jüdischen Staates. […] Die Juden in Deutschland befinden sich auf einem Vorposten und haben seit ihrer Befreiung vom Hitlerjoch immer ihre Verbundenheit mit dem Weltjudentum und besonders dem Staat Israel (auch vor dessen Gründung) unter Beweis gestellt.611

Trotz zahlreicher verbaler und finanzieller Loyalitätsbekundungen gegenüber Israel gelang es Marx nicht, die erhoffte Anerkennung von Seiten der jüdischen Weltorganisationen zu erhalten. Vielmehr geriet er aufgrund seines Einsatzes für die Rechte der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland immer wieder in Konflikte mit zionistischen Funktionären in Israel.612 Wie sehr ihn diese ihm und seiner Arbeit entgegengebrachte Ablehnung von Seiten der jüdischen Organisationen in Israel, insbesondere der Jewish Agency und der Zionistischen Weltorganisation kränkte, veranschaulicht beispielhaft seine Reaktion auf die erneute Ablehnung des Antrags der Zionistischen Organisation Deutschlands (ZOD)613 auf Mitgliedschaft bei der Zionistischen Weltorganisation (WZO) im Jahre 1957.614 Als Antwort auf die erneute Zurückweisung von Seiten der genannten Organisation erklärte Marx, der zu dem Zeitpunkt Vorsitzender der ZOD war, im August 1957 das Ende seiner Zusammenarbeit mit der KKL, dem Keren Hajessod und der Jugend-Alijah: Nachdem das Aktions-Komitee in Jerusalem auch in der letzten Sitzung die Zulassung der Zionistischen Organisation in Deutschland nicht beschlossen hat, trotzdem Dr. Nahum Goldmann sich in anerkennender Form dafür eingesetzt hat, nachdem 609 Karl Marx an Henry Ormond, Keren Hayessod, Frankfurt, 19. 8. 1957, in: ZA, B.1/7.581. 610 Marx, Zur Gründung. Vgl. hierzu auch Karl Marx, Selbstbehauptung gerechtfertigt. Zu den diskriminierenden Anwürfen gegen die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, in: AWJD, 13. 3. 1953. 611 Karl Marx, Jüdische Arbeit in Deutschland. Konstellation und Aufgaben der jüdischen Organisationen, in: AWJD, 26. 10. 1951. 612 Vgl. hierzu Kauders, Unmögliche Heimat, Kapitel 4. 613 Bis Ende 1958, als die Zionistische Weltorganisation beschloss, ihre Arbeit in Deutschland wieder aufzunehmen, hatte nur eine Ortsgruppe in Berlin bestanden, die ohne die Bewilligung aus Jerusalem abzuwarten, ihre Tätigkeit begonnen hatte. Bis 1961 gründeten sich in schneller Folge Ortsgruppen (Snifim) in Düsseldorf, Straubing, Frankfurt, Nürnberg, München, Fürth, Köln Hamburg und Augsburg. Das Generalsekretariat war in Frankfurt am Main. Vgl. Efraim Alroy, Der Wiederaufbau der Z.O.D. nach dem Krieg, in: Mitteilungsblatt der Z.O.D. 1/1 (1961), 4. 614 Karl Marx an Dr. Rosenthal, Jewish Agency for Palestine, 16. 8. 1957, in: ZA, B.1./7.581.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

344

Die Politik

weder ich noch die Mitvorsitzenden der ZO in Deutschland bisher nicht einmal eine Antwort auf ihre verschiedensten Appelle erhalten haben, sehe ich mich zu meinem größten Bedauern veranlasst, mit sofortiger Wirkung alle Veröffentlichungen für Sammel-Aktionen des KKL, des Keren Hayessod und der Jugend-Alijah in meiner Zeitung einzustellen. Die Ergebnisse der Sammelaktion der letzten beiden Jahre in der Bundesrepublik und in Berlin haben gezeigt, daß die gesamte jüdische Gemeinschaft in Deutschland, mit wenigen Ausnahmen, sich zu Israel und zum nationalen Judentum bekannt hat. Die Nichtanerkennung der Zionistischen Organisationen in Deutschland bedeutet eine Diskriminierung die uns, das ist meine Ansicht, veranlassen muß, die Forderung zu stellen, auch die Sammlungen einzustellen. Dr. Nahum Goldmann hat mit Recht den Standpunkt vertreten, daß es keine Juden erster und zweiter Klasse gibt. Die Juden in Deutschland haben seit 1945 und besonders seit der Staatsgründung bewiesen, daß sie bereit sind, alles für Israel zu tun. Sie haben das Wiedergutmachungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und Israel in einer Weise gefördert, die Anerkennung verdient hat, und sie haben in vieler Hinsicht bewiesen, daß siezu großen Opfern bereit sind. Ich habe nicht die Absicht, Sie in Ihrer künftigen Tätigkeit auf jüdisch-politischem Gebiet zu beeinflussen, muß aber daraus, was meine Person anbetrifft, die Konsequenzen – wie ich Sie ihnen oben angeführt habe – ziehen.615

Diese zunächst nur den Gemeinden mitgeteilte Information veröffentlichte Marx wenig später, am 16. August 1957, auch in der Allgemeinen, was heftige Kritik von Seiten des Treuhänders der Keren Hajessod, Henry Ormond, hervorrief. Mit Bestürzung nahm ich von Ihrem Brief vom 9.8.57 und Ihrer Veröffentlichung in der Allgemeinen Wochenzeitung vom 16. 8. 1957 Kenntnis. Als Treuhänder des Keren Hayessod missbillige ich Ihren Schritt, der durch den Ablauf der Verhandlungen der Aktions-Komitees in keiner Weise gerechtfertigt ist und der die Spendenaktion aufs höchste gefährdet.616

Seine Entscheidung, die Zusammenarbeit aufzukündigen, erklärte Marx unter anderem mit der Verantwortung dafür, daß das Niveau der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gehoben wird. Das wird verhindert, wenn man den Menschen, die dieser Gemeinschaft angehören, den Komplex der Minderwertigkeit beibringen will, wie das geschieht. Deshalb haben wir vorzugreifen und unsere Disposition in der politischen wie in der kulturellen Arbeit danach zu richten, was uns als opportun erscheint. Ich spreche persönlich und als Herausgeber der ,Allgemeinen‘ zu Ihnen, einer Zeitung, die mein persönliches Eigentum ist und über deren Inhalt ich bestimme in Über615 Rundschreiben von Karl Marx, Vorsitzender der Z.O., 9. 8. 1957, in: ZA, B.1/7.581. 616 Henry Ormond an Karl Marx, 16. 8. 1957, in: ZA, B.1/7.581.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

345

einstimmung mit den Freunden, die ihr echtes Wollen um eine Steigerung des Niveaus in den letzten Jahren immer wieder unter Beweis gestellt haben.617

Trotz dieses Zerwürfnisses kündigte Marx an, „die jüdische und zionistische Arbeit, die ich in den letzten Jahren geleistet habe […], und die ich durch die Bedeutung meiner Zeitung immer wieder zu betonen in der Lage war“, weiter fortsetzen zu wollen. Nach zwei Jahren der weiteren Enttäuschung über die Entwicklungen im Verhältnis zur WZO entschied Marx 1959 allerdings, auch den Vorsitz der ZOD niederzulegen. Dies war jedoch ein vorübergehender Akt, denn bereits 1961 zeichnete er wieder als Vorsitzender dieser Organisation.618 Weder dieser fortschreitende Wandel vom „bekennenden Zionisten zum emphatischen Anwalt der in der Bundesrepublik lebenden Juden“619, noch der Streit mit der WZO änderten jedoch etwas an der Marx’schen Berichterstattung. Er kommentierte in seiner Zeitung weiterhin die Geschicke in Israel und argumentierte für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel. Diese hatte Marx bereits kurz nach dem Abschluss des Luxemburger Abkommens eingefordert, denn er war davon überzeugt, „daß sich das Verhältnis der Juden in Deutschland zu dem Staat Israel nicht völlig normalisieren konnte, solange zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel keine diplomatischen Beziehungen bestanden“620. In regelmäßigen Abständen thematisierte er deshalb seit 1952 die Frage der diplomatischen Beziehungen. Unter Titeln wie „Nicht mehr zögern!“621 oder „… auch eine Frage der Moral“622 nahm Marx Bezug auf die vorsichtigen Annäherungsversuche zwischen den beiden Verhandlungspartnern und adressierte seine Appellen vor allem an die Bundesregierung. Diese hatte bereits 1952 eine Formalisierung der Verhältnisse zum jungen jüdischen Staat angestrebt, allerdings waren die Israelis unmittelbar nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens, das den Grundstein für bilaterale Beziehungen bildete, zu diesem Schritt noch nicht in der Lage.623 Knapp vier Jahre später, Anfang 1956, als Israel schließlich seine Bereitschaft zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen signalisierte, war es dann die deutsche Bundesregierung, die aufgrund der Ankündigung der arabischen Staaten unter Führung Ägyptens, im Falle eines Botschafteraustauschs zwischen der BRD und Israel die DDR diplomatisch anzuerkennen, von dem Gedanken 617 Karl Marx an Dr. Rosenthal, Jewish Agency for Palestine, 16. 8. 1957, in: ZA, B.1/7.581. 618 Karl Marx, Zum Geleit, in: Mitteilungsblatt der Z.O.D. 1/1 (1961), 1. Weitere Gründe für Marx‘ Enttäuschung nennt Kauders, Unmögliche Heimat, 136 f. 619 Kauders, Unmögliche Heimat, 139. 620 Marx, Israel und Wir, 99. 621 Karl Marx, Nicht mehr zögern! Zur Frage der diplomatischen Beziehungen Deutschland – Israel, in: AWJD, 19. 7. 1957. 622 Karl Marx, … auch eine Frage der Moral. Über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel, in: AWJD, 11. 12. 1959. 623 Hansen, Dorniger Weg, 54. Zu den Etappen der Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen bis 1965 vgl. z. B. Weingardt, Deutsche Israel- und Nahostpolitik, 61 – 179.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

346

Die Politik

einer Formalisierung der Beziehungen Abstand nahm. Die Gefahr, dass die DDR offizielle Anerkennung erfahren würde, wollte man auf deutscher Seite nicht heraufbeschwören, war doch der Alleinvertretungsanspruch für Gesamtdeutschland eine der entscheidenden Eckpfeiler ihrer Innen- und Außenpolitik.624 Marx, der die Entwicklungen aufmerksam verfolgte, kommentierte die deutsche Haltung im Juli 1957 mit den Worten: Wir wissen, daß es in der Bundesrepublik Politiker gibt, die meinen, man müsse sich in der deutschen Nah-Ost-Politik den arabischen Staaten gegenüber behutsam zeigen. Bedeutet dies aber, daß man sich dem Druck politischer oder wirtschaftlicher Repressalien-Drohungen beugen müsse? Die Vergangenheit hat gezeigt, daß diese Drohungen niemals erfüllt werden konnten, weil ihnen die realen Grundlagen fehlten. Die Bundesregierung sollte sich nicht durch Zweckmäßigkeitserwägungen hemmen lassen und sich in der Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel von echter Entscheidungsfreiheit tragen lassen.625

Diese eher zurückhaltende Äußerung von Marx erstaunt etwas, hätte man doch gerade von ihm, der schon seit Jahren auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen hinarbeitete, eine deutlichere Kritik an der Entscheidung der Bundesregierung erwartet. Ob diese unterblieb, weil Marx sich nicht sicher war, ob die deutsch-jüdischen Beziehungen bereits belastbar genug waren, oder aus Rücksicht auf die Bundesregierung, lässt sich nicht ermitteln. Laut Aussage von Marx gehörte dieser in Auszügen zitierte Beitrag über die Aufforderung Ben Gurions zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel aber „zu den meistbeachteten Kommentaren, die von mir erschienen sind [und] erfuhr Nachdruck in fast allen deutschen, aber auch vielen ausländischen Zeitungen“626. Erbost war er angesichts dieses publizistischen Erfolges darüber, dass anstelle eines Lobes für diese Arbeit von Seiten eines Direktoriumsmitglieds des Zentralrats lediglich Anstoß daran genommen wurde, dass der Herausgeber der Allgemeinen einmal mehr von Dritten in diesem Kontext als Sprecher der Juden in Deutschland bezeichnet worden war.627 Übereinstimmend wurde im Rahmen der nächsten Direktoriumssitzung trotz der Verärgerung von Marx über die öffentliche Richtigstellung erneut festgestellt, dass „niemand ausser dem Zentralrat der Juden in Deutschland das Recht habe, sich als ,Sprecher der Juden in Deutschland‘ zu bezeichnen, dass aber die Wichtigkeit der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland als Sprachrohr nicht zu verkennen sei“628. Auch wenn es in diesem konkreten Fall erneut zu Spannungen zwischen 624 Hansen, Dorniger Weg, 54 f; Weinberger, Deutsche Israel- und Nahostpolitik, 110 – 114. 625 Karl Marx, Nicht mehr zögern! Zur Frage der diplomatischen Beziehungen Deutschland – Israel, in: AWJD, 19. 7. 1957. 626 Karl Marx an den Zentralrat, H.G. van Dam und Heinz Galinski, 27. 8. 1957, in: ZA, B.1/7.126. 627 Ebd. Julius Dreifuß an die Redaktion der Rheinischen Post, 23. 7. 1957, in: ZA, B.1/7.126. 628 Protokoll der Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 11. 11. 1957, 4, in: ZA, B.1/7.851.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

347

Marx und dem Zentralrat kam, lässt sich grundsätzlich eine inhaltliche Übereinstimmung in dieser Frage beobachten. Ähnlich wie Marx äußerte auch van Dam, dass „die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel […] schnellstens normalisiert werden“ müssten. In diesem Zusammenhang wies er jedoch mit Nachdruck darauf hin, „dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ausschliesslich durch den Zentralrat vertreten werde“. Zustimmend betonte auch Werner Nachmann, dass „die jüdische Gemeinschaft […] nur glaubhaft sein [könne], wenn sie selbst einen eindeutigen Standpunkt habe, [weshalb es] ganz klar gemacht werden [müsse], dass die Beziehungen Deutschlands zu Israel mit der jüdischen Religionsgemeinschaft in Deutschland nichts zu tun hätten“629. Besonders dringend erschien den Direktoriumsmitgliedern diese Erinnerung an den Alleinvertretungsanspruch des Zentralrat bzw. die Aufklärung verschiedener Stellen über diesen Sachverhalt Anfang 1964, da die Juden in Deutschland vermehrt die Erfahrung machten, als Israelis identifiziert zu werden, und der Botschafterwechsel zwischen Israel und Deutschland nun tatsächlich kurz bevorstand.630 Bis zum entscheidenden Briefwechsel zwischen den beiden Regierungschefs am 12. Mai 1965 stellte sich insbesondere der Eichmann-Prozess631 als Bewährungsprobe des deutsch-israelischen bzw. allgemein deutsch-jüdischen Verhältnisses dar, das durch diesen Prozess nach Einschätzung des späteren deutschen Botschafters in Israel, Niels Hansen, „bemerkenswerter Weise jedoch keinen Rückschlag“632 erlitt. Die deutsch-jüdische Repräsentanz verfolgte den Eichmann-Prozess mit großer Aufmerksamkeit und kommentierte diesen in unterschiedlichster Weise. So gab es beispielsweise in der Allgemeinen vergleichbar der wöchentlichen Berichterstattung zum Fall Auerbach eine Seite sowie häufig Beiträge auf der Titelseite, in der der Sonderberichterstatter der Allgemeinen, Alfred Wolfmann, über die Ereignisse in Jerusalem berichtete.633 Auch die letzten Schritte auf dem langen Weg zur Annäherung der zwei Staaten dokumentierte Karl Marx in der Allgemeinen. Hatte er 1957 die Bundesregierung noch für ihre Rücksichtnahme auf die arabischen Drohungen gerügt, nahm er das Verhalten der Bundesregierung diesen gegenüber 1965 zum Ausgangspunkt seines positiven Ausblicks auf die zu erwartende Formalisierung der Beziehungen:

629 Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 25. 10. 1964, 9, in: ZA, B.1/7.856. 630 Vgl. ebd. 631 Zum Eichmann-Prozess vgl. z. B. Große, Der Eichmann-Prozeß; Kavon, The Man; Krause, Der Eichmann-Prozess; Lamm, Der Eichmann-Prozeß; Less (Hg.), Schuldig. 632 Hansen, Dorniger Weg, 57. 633 Zur Position von Marx und van Dam vgl. z. B. Karl Marx, Die Mahnung aus Israel. Gedanken zum Prozeß gegen Adolf Eichmann, in: AWJD, 7. 4. 1961; van Dam, Der Schuldspruch. Kapitalverbrechen bleibt Kapitalverbrechen, in: AWJD, 15. 12. 1961; H.G. van Dam, Das EichmannUrteil. Rechtsstaat und öffentliche Meinung, in: AWJD, 1. 6. 1962.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

348

Die Politik

Am 7. März entschloß sich Bundeskanzler Professor Erhard im Hinblick auf das Verhalten der arabischen Staaten kurzer Hand, Israel die diplomatischen Beziehungen anzubieten, ganz gleich, welche Folgerungen die anderen Staaten des Nahen Ostens daraus ziehen würden. Es war ein mutiger Entschluß, dem Verhandlungen folgten, die der CDU-Abgeordnete Dr. Birrenbach an demselben 7. März in Jerusalem begann. Dr. Birrenbach, dem die Bundesrepublik für seine Mitarbeit großen Dank schuldet, ist inzwischen dreimal zu Gesprächen in Israel gewesen, und es ist zu hoffen und es ist zu erwarten, daß die Verhandlungen in diesen Tagen gekrönt werden durch die gemeinsame Erklärung beider Regierungen, in den nächsten Wochen Botschafter auszutauschen. Ministerpräsident Eschkol und der Leiter der Israel-Mission, Botschafter Dr. F.E. Shinnar, haben zusammen mit dem Außenminister Golda Meir von israelischer Seite die Verhandlungen in Jerusalem geführt und in ihnen bewiesen, daß sie trotz der schwierigen Nebenerscheinungen bereit sind, einen gemeinsamen Weg mit der Bundesrepublik zu gehen.634

Mit diesen Ausführungen verband Marx die herzlichsten Glückwünsche zum 17. Jahrestag der Gründung des Staates Israel an Regierung und Volk Israel und gab seiner Hoffnung Ausdruck, „daß die nun beginnende Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten sich weiter im Interesse aller Beteiligten günstig entwickeln möge“635. Nach der Bekanntgabe des Notenaustauschs – beide Briefe veröffentlichte Marx in der nächsten Ausgabe der Allgemeinen – begrüßte auch der Zentralrat den Beschluss zur Aufnahme der Beziehungen als einen Schritt, der „die faktische Diskriminierung des jungen jüdischen Staates beendet“636. Neben der Freude über die Realisierung dieses lange erwarteten und von vielen als notwendig angesehenen Schritts zur Verbesserung der deutschisraelischen Beziehungen, beschäftigten den Zentralrat jedoch im Zusammenhang mit dem Botschafteraustausch noch zwei andere Aspekte: Zum einen äußerten die Direktoriumsmitglieder – wie bereits im Zusammenhang mit der Entstehung des Jüdischen Presse Dienstes dargestellt – ihren Unmut über die Entscheidung der Bundesregierung, den Zentralrat nicht zur Person des neuen Botschafters der Bundesrepublik in Israel, Pauls, zu konsultieren. Über eine von Marx in der Allgemeinen publizierte, der Ansicht des Zentralrats entgegenstehende Äußerung kam es in diesem Zusammenhang zum Zerwürfnis, da von Seiten des Direktoriums durchaus Vorbehalte gegenüber dem neu ernannten Botschafter bestanden. Um in Zukunft ähnliche Situationen zu vermeiden, in denen in der Allgemeinen publizierte Statements dem Zentralrat zugeschrieben werden, obwohl sie tatsächlich lediglich die Meinung des Herausgebers bzw. der Redaktion widerspiegeln, stimmte das 634 Karl Marx, Ein langer Weg. Vom Haager Abkommen bis zu diplomatischen Beziehungen, in: AWJD, 7. 5. 1965. 635 Ebd. 636 Einigkeit erzielt. Diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel beschlossen, in: AWJD, 14. 5. 1965.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

349

Direktorium einem Vorschlag des Generalsekretärs zu, ein eigenes Bulletin, den Jüdischen Presse Dienst herauszugeben.637 Zum anderen machte van Dam darauf aufmerksam, dass der Botschafteraustausch zwar notwendig gewesen sei und der Zentralrat diesen gefordert habe, „da er es nicht habe gutfinden können, daß der Staat Israel diskriminiert werde“638. Er habe jedoch auch „ungünstige Seiten“ für die Verfolgten. Ausführlich erläuterte der Generalsekretär auf der Direktoriumssitzung des Zentralrats vom 5. Dezember 1965 in Köln, seine Bedenken dagegen, dass die Bundesregierung nach der Formalisierung der Beziehungen glaube, „daß sie mit dem Austausch viel getan habe und daß die Interessen der Verfolgten gewahrt würden, wenn sie mit dem Botschafter verhandele“. Diesem Gedanken widersprach van Dam vehement: Da die Juden in Deutschland, ob sie wollten oder nicht, ständig mit dem Staat Israel identifiziert würden, hätten sie ein stärkeres Interesse daran, in derartigen Fragen vergleichbar der Ernennung eines Botschafters für Israel gehört zu werden. Vor allem im Hinblick darauf, dass der Zentralrat „für das, was er darstelle, fast ein Maximum an politischem Einfluß erreicht habe“, sei eine Einbeziehung des Zentralrats nach Auffassung van Dams bei diesen Fragen unbedingt notwendig: Er habe erfolgreich bei der Wiedergutmachungsgesetzgebung, der Strafgesetzgebung und in Personalentscheidungen interveniert und wenn der Zentralrat zu einer Frage Stellung nähme, so werde dies in der Öffentlichkeit beachtet. Letztlich verbarg sich hinter diesen Ausführungen des Generalsekretärs dieselbe Befürchtung, die auch schon im Vorfeld der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1965 zu Diskussionen im Direktorium geführt hatten: verhandelt wurde die Frage, wer berechtigt sei, die Interessen der Juden in Deutschland gegenüber der Bundesregierung und den internationalen jüdischen Organisationen sowie Israel zu vertreten bzw. wie eine Verwirrung der Zuständigkeiten, die durch die starke Identifizierung der deutschen Juden mit den Israelis hervorgerufen werde, zukünftig vermieden werden könnte. Um sich in dieser Frage mit dem Botschafter abzustimmen, schlug van Dam dem Direkturoium als ersten Schritt ein Treffen mit Botschafter Ben Nathan vor und bat ferner, ihn zu ermächtigen, den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler und die Bundesregierung darüber zu informieren, daß allein der Zentralrat die Vertretung der Juden in Deutschland sei.639 Aber damit war das Problem noch nicht vollständig gelöst. Die neu gewonnene Legitimation der Juden in Deutschland, die nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel endlich das Gefühl hatten, nicht mehr in einem geächteten Land zu leben, konfrontierte ihre Repräsentanz mit einer neuen Herausforderung. Nachdem für 15 Jahre der Zentralrat als einzige 637 Zu dieser Entscheidung vgl. die ausführliche Darstellung in Kapitel IV.1.2.2. 638 Dieses und die nachfolgenden Zitate sind entnommen aus dem Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 5. 12. 1965, in: ZA, B.1/7.828. 639 Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

350

Die Politik

überregionale politische Interessenvertretung der Juden in Deutschland ansässig gewesen war, betrat mit dem israelischen Botschafter erstmals ein „Partner“ oder „Konkurrent“ die politische Bühne. Längerfristig stellte diese Präsenz des israelischen Staates in Deutschland den Zentralrat vor die Aufgabe, seine eigene Position neu zu definieren. Hatte er bis dahin in Deutschland allein die Stimme erhoben, um für die Interessen der Mitglieder der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik und des jüdischen Staates einzustehen, wurde in den Folgejahren eine stärkere Unterscheidung zwischen Solidarität und Identität notwendig. Bevor diese Gedanken sich konkretisierten, erreichte die Solidarisierung der deutschen Juden mit Israel im Frühjahr und Sommer 1967, d. h. während und nach dem Sechs-Tage-Krieg640, ihren Höhepunkt. Am 2. Juni 1967 wandte sich der Zentralrat in Erwartung eines Angriffs auf den jüdischen Staat durch seine arabischen Nachbarn an die jüdischen Gemeinden und alle Menschen guten Willens mit der dringenden Bitte, alle verfügbaren Kräfte für die Existenz Israels und die Erhaltung des Friedens einzusetzen. Wir durchleben die schwersten Tage und Stunden seit Machtergreifung durch die NS-Diktatur, seit den Pogromtagen von 1938, seit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und seit Auschwitz. Mit der Existenz des Staates Israel steht das Leben der ehemaligen Opfer des Dritten Reiches, die dort Zuflucht gefunden hatten, und der Frieden der Welt auf dem Spiel. In einer solchen Lage kann es keine Passivität und keine Neutralität des Herzens geben. Die Juden in Deutschland, die unsagbare Verfolgung durchstanden haben, sind dazu aufgerufen, durch ihren Opfermut und ihre Solidarität mit Israel ein Beispiel zu geben.641

Angesichts der akuten Bedrohung des Staates Israel durch die arabischen Nachbarn, der am 5. Juni ein mit enormer Schnelligkeit und Wucht geführter Angriff der israelischen Streitkräfte folgte, fanden sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik zusammen und organisierten eine Vielzahl an Solidaritätsbekundungen und Sammlungen, um den bedrohten Glaubensgenossen ihre Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen und sie in ihren Aufbaubemühungen und der Wiederherstellung eines echten Friedenszustandes nach Kriegsende zu unterstützen. Das Direktorium des Zentralrats stellte mit größter Anerkennung fest, dass nicht nur die Gemeinden eine unglaubliche Aktivität entfalteten, sondern „auch Presse, Rundfunk, Fernsehen und unzählige Privatpersonen in der Bundesrepublik in ausserordentlicher Weise der Sache Israels und des Friedens durch Kundgebungen der Sympathie und durch Ausdruck der Hilfsbereitschaft gedient haben“642. 640 Zum Sechs-Tage-Krieg vgl. z. B. Roth (Hg.), The Impact; Segev, 1967. 641 Sonderinformation des Jüdischen Presse Dienstes, 2. 6. 1967, in: ZA, B.1/7.466. 642 Pressemitteilung nach der Direktoriumssitzung des Zentralrats, 11. 6. 1967, in: ZA, B.1/7.828.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Die Politik der jüdischen Interessenvertretung nach außen

351

Auch unmittelbar nach Ende des Krieges forderte der Zentralrat die jüdischen Gemeinden weiter zu Unterstützungen des Staates Israel auf und zeigte sich zufrieden mit den ersten finanziellen Ergebnissen. Wichtig war es den Direktoriumsmitgliedern in diesem Zusammenhang jedoch, dass es nicht allein den Körperschaften überlassen bleiben dürfe, die Zahlungen vorzunehmen, sondern vor allem die einzelnen Mitglieder „Opfer“ bringen müssten. Mit gewissem Stolz stellte man auch in dieser Situation fest, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland bei den Zahlungen für Israel an der Spitze stehe, „obwohl unter ihnen keine Multimillionäre wie die Rothschilds sind und obwohl die jüdischen Gemeinden in Deutschland nicht als reich bezeichnet werden können“643. Die Presse im In- und Ausland kommentierte das Engagement der bundesrepublikanischen Gemeinden ausgesprochen positiv und anerkannte in den publizierten Beiträgen – endlich – ihre Solidarität mit Israel, die von Karl Marx in der Anfangsphase der Sammlungen in der Bundesrepublik so lange vermisst worden war. Betrachtet man die Haltung von Marx und van Dam in den verschiedenen Konflikten so wird unmissverständlich deutlich, dass die Loyalität gegenüber dem Staat Israel eine bindende Handlungsmaxime darstellte. Insbesondere die Sammlungsaktivität zur Unterstützung der Aufbauarbeit des jüdischen Staates (Keren Hajessod, KKL, Magbid), die einerseits von Marx durch Veröffentlichungen in der Allgemeinen und andererseits vom Zentralrat durch die Verbreitung von Spendenaufrufen befördert wurde, bezeugt den hohen Stellenwert, den die Verbundenheit mit Israel auch in der Arbeit der deutschjüdischen Repräsentanz einnahm. Weder Marx noch van Dam unterstützten die Interessen Israels jedoch grenzenlos: Beide waren in ihren Solidaritätsbekundungen nur bereit bis zu dem Punkt zu gehen, an dem sie sich und ihre Arbeit bzw. die Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland nicht gewahrt oder nicht ernst genommen sahen. So untersagte Karl Marx aufgrund der erneuten Ablehnung der Mitgliedschaft der ZOD in die WZO 1957 zunächst alle mit Sammlungsaktivitäten verbundenen Publikationen in seiner Zeitung und trat zwei Jahre später aus Protest gegen die Missachtung der deutsch-jüdischen Gemeinschaft als Vorsitzender der ZOD zurück. Für van Dam entwickelte sich die Frage nach der Gestaltung der Verantwortlichkeiten nach der Ernennung des ersten israelischen Botschafters in Deutschland zu einem vergleichbar kritischen Thema, das dringender Klärung bedurfte. Immer häufiger begann er deshalb die Unterscheidung zwischen Solidarität und Identität zu betonen und drängte auf eine Auseinandersetzung mit der Frage des eigenen Selbstverständnisses. Denn, bestände eine Identität zwischen den jüdischen Gemeinden der Welt mit dem Staate Israel, so bedürfte es keiner Vertretung durch Botschaften und diplomatische Missionen, sondern jede jüdische Gruppe wäre im Lande des Domizils dazu berufen, 643 Protokoll über die Sitzung des Direktoriums des Zentralrats, 11. 6. 1967, in: ZA, B.1/7.828.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

352

Die Politik

diese Repräsentanz selbst durchzuführen. Es gäbe dann auch eine andere Gestaltung der Verantwortlichkeiten. Die jüdischen Gemeinden der Welt wären dazu berufen, an Entscheidungen des Staates, auch über Krieg und Frieden, mitzuwirken und einen unmittelbaren Einfluss auf gesellschaftliche Geschehen, die politische Struktur des Landes auszuüben.644

Zweifellos bestehe ein solcher Zustand nicht, konstatierte van Dam im weiteren Verlauf seines provozierenden Beitrags, der in der Allgemeinen publiziert worden war. Er gab jedoch zu bedenken, dass gerade in den vorangegangenen Monaten „häufig der Eindruck wach [geworden sei], daß die Fiktion der Identität in der Vorstellung vieler Juden und Nichtjuden, zur Realität wurde“645 und sah deshalb den Zeitpunkt gekommen, den eigenen Standort erneut zu hinterfragen. Die Frage nach der Zugehörigkeit zu stellen und nach einer neuen Identität zu suchen, stellte die Aufgabe dar, mit der sich der Zentralrat in den kommenden Jahren und vor allem nach dem Ableben von Marx im Jahr 1966 und van Dam im Jahr 1973 verstärkt befassen sollte.646

644 H.G. van Dam, Solidarität oder Identität?, in: AWJD, 8. 9. 1967. 645 Ebd. 646 Einen Überblick über die Entwicklungen zwischen 1968 und 1989 geben Goschler/Kauders, Dritter Teil. Zu den Veränderungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft seit 1990 vgl. z. B. Weiss/Gorelik, Vierter Teil.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

V. Schlussbetrachtung: Hendrik G. van Dam und Karl Marx als Repräsentanten jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945 Die Existenz einer organisierten jüdischen Gemeinschaft in Deutschland nach 1945 war alles andere als selbstverständlich. In Anbetracht der in der Welt weit verbreiteten Meinung, dass nach der Katastrophe der vorausgegangenen Jahre Juden nicht mehr in Deutschland leben sollten, war anfänglich sogar eher davon auszugehen, dass jüdisches Leben nicht langfristig in das „Land der Täter“ zurückkehren würde. Aber es kam anders. Im Verlauf der ersten Nachkriegsjahre, einer Phase der Sammlung, begann eine kleine Gruppe deutscher und osteuropäischer Juden, jüdisches Leben in Deutschland aktiv zu gestalten: So entstanden wieder Kultusgemeinden, man verfasste eigene Nachrichtenblätter und gründete jüdische Organisationen, die sich zu eigenständigen jüdischen Institutionen entwickelten. Kurzum: sie schufen Strukturen, die bis heute Bestand haben. Während in den unmittelbaren Nachkriegsjahren unterschiedliche Personen als Sprecher dieser jüdischen Gemeinschaft agierten, lässt sich in den 1950er und 1960er Jahren, nach Bodemann einer Phase der administrativen Konsolidierung, eine personelle Kontinuität erkennen, die bemerkenswert ist: Zwei aus dem Exil zurückgekehrte Emigranten, der Journalist und Herausgeber der Allgemeinen, Karl Marx, und der Jurist und erste Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Hendrik G. van Dam, stechen deutlich aus der Gruppe der deutschen Juden heraus und werden deshalb in dieser Arbeit als die zwei politischen Hauptakteure jüdischen Lebens in der frühen Bundesrepublik bezeichnet. Die frühen Lebensgeschichten dieser zwei Förderer jüdischen Lebens in Deutschland, welche die Arbeit und Ausrichtung der zwei zentralen, deutschlandweit agierenden deutsch-jüdischen Institutionen in der Nachkriegszeit bestimmten, weisen einige Parallelen auf: Trotz der erlebten Verfolgung durch die Nationalsozialisten und dem mit der Flucht aus NS-Deutschland einhergehenden (vorübergehenden) Verlust ihrer Heimat zu Beginn der 1930er Jahre, entschieden sich Marx und van Dam unabhängig voneinander unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für die Rückkehr aus England in die britische Besatzungszone. Beide vertraten die Meinung, dass Hitler kein Erfolg in der Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland beschieden werden dürfe, sondern die Existenz einer jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik längerfristig nicht nur möglich, sondern

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

354

Schlussbetrachtung

akzeptiert sein sollte. Folglich unterstützten der Journalist und der Jurist die Juden in Deutschland in ihrem Bemühen um Reorganisation und erlangten beide in ihren jeweiligen Positionen, als Herausgeber und Chefredakteur der Allgemeinen bzw. als Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, entscheidenden Einfluss auf die deutsche, deutsch-jüdische und jüdische Öffentlichkeit in der frühen Bundesrepublik. Die vorliegende Studie argumentiert, dass das Zusammenspiel von drei Faktoren für die Entwicklung dieser zwei zu den zentralen politischen Hauptakteuren jüdischen Lebens in der Bundesrepublik ausschlaggebend war : ihr Beruf, ihr Status als deutsche Juden und Emigranten sowie die innerjüdischen Entwicklungen zu Beginn der 1950er Jahre. In ihrer über 20 Jahre langen Tätigkeit für Zeitung und Zentralrat orientierten Marx und van Dam ihre nach innen gerichtete Politik am „Prinzip der Einheit“ und machten die Forderung nach Anerkennung der jüdischen Gemeinden und ihrer verschiedenen regionalen und nationalen Zusammenschlüsse zum Leitmotiv ihrer „Außenpolitik“. Während in der bisherigen Forschung Marx und van Dam zumeist als zwei in unterschiedlichen Positionen tätige, jedoch mehr oder weniger gleichberechtigte Sprecher der Juden in Deutschland portraitiert werden, kommt die vorliegende Studie zu dem Ergebnis, dass Marx und van Dam zwar beide für die Existenzberechtigung der jüdischen Gemeinden in Deutschland gegenüber Dritten eintraten, sich in der institutionellen Legitimierung ebenso wie in der politischen Einstellung der zwei Hauptakteure und der von ihnen verfolgten Politik allerdings deutliche Unterschiede erkennen lassen, die Beachtung verdienen. Die vorgelegte Analyse der innerjüdischen Entwicklungsprozesse im Zeitraum von 1950 bis 1960 kommt zu dem Ergebnis, dass drei schwere Krisen, welche die jüdische Gemeinschaft kurz nach der Gründung des Zentralrats im Juli 1950 erschütterten, eine existentielle Bedrohung für den jungen Zusammenschluss darstellten. Da aufgrund der begonnenen Wiedergutmachungsverhandlungen sowohl der Herausgeber der Allgemeinen als auch die Mitglieder des Zentralrats ein gesteigertes Interesse daran hatten, gegenüber ihren Gesprächspartnern als Interessenvertretung aller Juden in Deutschland in Erscheinung treten zu können, kämpfte man in dieser Situation gemeinsam für die Aufrechterhaltung der Einheit und gegen die Zersplitterungspolitik, die Marx und van Dam den Juden in Bayern unterstellten. Während der späteren 1950er und 1960er Jahre, in denen der Ausbau des deutsch-jüdischen Lebens sichtbar voranschritt, waren es dann ganz unterschiedliche Kontexte, in denen die Frage der Einheit erneut verhandelt wurde. Während es in den Auseinandersetzungen zwischen den Direktoriumsmitgliedern und dem Generalsekretär in Fragen der Organisation meist nur bedingt um inhaltliche Differenzen ging und trotz zahlreicher Debatten und Diskussionen mit der Gründung der ZWST und der Einrichtung des Kulturdezernats beim Zentralrat zwei ausgesprochen positive Erweiterungen des jüdisch-institutionellen Lebens verzeichnet werden konnten, spitzten sich die

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam und Karl Marx als Repräsentanten jüdischen Lebens 355

inhaltlichen Differenzen zwischen Zeitung und Zentralrat Mitte der 1960er Jahre so stark zu, dass es 1965 zu einem offenen Bruch zwischen Marx und van Dam bzw. dem Dachverband kam. Rekapitulieren wir kurz die Ereignisse: Auch in der Forderung nach Recht und Wiedergutmachung hatten Marx und van Dam in den ersten Jahren nach ihrer Rückkehr in die britische Besatzungszone und im Anschluss an die Gründung des Zentralrats hervorragend zusammengearbeitet. Beide mahnten sie die Bundesregierung konsequent zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung und traten später gegenüber den ausländischen jüdischen Organisationen gemeinsam für die Anerkennung und die Existenzberechtigung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ein. Ferner öffnete Marx, als es um die direkte Kontaktaufnahme des Zentralrats mit Bonn ging, einige Türen und stellte dem Zentralrat seine Zeitung weiterhin als Plattform der Meinungsäußerung zur Verfügung. Die Frage, wer die Interessen der deutschen Juden nach außen vertreten dürfe und wem für die erreichten Fortschritte im Prozess der Wiedergutmachung Anerkennung zu zollen war, führte jedoch immer wieder, insbesondere nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens 1952, zu Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen den zwei prominenten Repräsentanten. Parallel zu diesen Konfrontationen traten im Zusammenhang mit den Wiedergutmachungsverhandlungen erste inhaltliche Differenzen zwischen Marx und van Dam zu Tage. Während Marx sich im Verlauf der Wiedergutmachungsverhandlungen und in seinen Zeitungsartikeln deutlich als Verfechter einer positiveren Bonn-Politik zu erkennen gab, sprach sich van Dam trotz aller Kritik an den jüdischen Partnern und gewisser Vorbehalte gegenüber den internationalen jüdischen Organisationen entschieden für eine Zusammenarbeit mit diesen und gegen eine isolierte Aktion der deutschen Juden bei der Bundesregierung aus. Der Generalsekretär des Zentralrats achtete ferner darauf, sich in seinen Artikeln nicht mit den Interessen der deutschen Bundesregierung zu identifizieren oder als ihr Fürsprecher wahrgenommen zu werden. Marx hingegen ging in dieser Rolle des Mittlers immer mehr auf. Ein besonders deutliches und nach außen sichtbares Zeichen der Annäherung an Bonn und erster personifizierter Ausdruck des vom Historiker Anthony Kauders beschriebenen Gabentauschs zwischen jüdischen und nichtjüdischen Führungsschichten war die von Marx auf Bitten der deutschen Bundesregierung unternommene Reise nach Südamerika im Jahre 1957. Angesichts dieser Entwicklung sah sich der Zentralrat immer häufiger genötigt, seinen Anspruch auf Alleinvertretung auch gegenüber Marx zu verteidigen. Durch die jahrelange enge Zusammenarbeit zwischen Zentralrat und Zeitung wurde der Dachverband häufig mit den in der Allgemeinen publizierten Aussagen des Herausgebers identifiziert. Dies führte zwar auch in den Anfangsjahren der Zusammenarbeit zwischen Zentralrat und Zeitung zu Missfallen, allerdings erachteten die Direktoriumsmitglieder mit zunehmender inhaltlicher Entfremdung der beiden Parteien diesen Zustand als immer

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

356

Schlussbetrachtung

schwieriger. Die starke Identifizierung des Herausgebers der Allgemeinen mit der bundesdeutschen Politik war letztlich ausschlaggebender Grund für das Zerwürfnis zwischen diesem und dem Zentralrat bzw. seinem Generalsekretär. Während dieser nach wie vor darauf bedacht war, eine unabhängige, von den Interessen der Juden in Deutschland ausgehende Politik zu betreiben, übernahm Marx immer wieder die Aufgabe, sich als Fürsprecher der Deutschen instrumentalisieren zu lassen. Beispielhaft illustriert seine positive Stellungnahme zur Person Kurt Georg Kiesingers 1966 dieses Verhalten, das ihm von Seiten des Zentralrats den Vorwurf einbrachte, Persilscheine auszustellen. Die von Marx gesuchte Nähe zu Bonn und seine positive Identifizierung mit der bundesrepublikanischen Politik bewirkten auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland eine über die Jahre immer stärker zum Ausdruck gebrachte Skepsis gegenüber diesem selbsternannten Sprecher der Juden in Deutschland. In der Erinnerung mancher zeitgenössischer Mitglieder der jüdischen Gemeinden wurde er schließlich insbesondere deshalb zur „Hassfigur“, weil er mehr als jede andere jüdische Führungspersönlichkeit das „symbiotische Verhältnis“ der jüdischen Führung zum neuen deutschen Staat verkörperte. Der zwischen Marx und van Dam über dieser Frage entstandene Bruch wurde endgültig durch die Gründung des Jüdischen Presse Dienstes im November 1965 besiegelt, der von 1965 bis 1987 als zentrales Mitteilungsblatt vom Zentralrat herausgegeben wurde. Wie wirkten sich diese detailliert und in Abhängigkeit zueinander untersuchten Entwicklungen auf die jüdische Politik in der frühen Bundesrepublik aus? Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Sprecher der kleinen jüdischen Minderheit vereint für die innere Konsolidierung und Stabilisierung der jüdischen Gemeinschaft kämpften, solange die Existenz jüdischen Lebens in Deutschland noch zur Diskussion gestanden hatte und der Ausgang der Verhandlungen um das Fortbestehen der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik ungewiss gewesen war. Die zwei in dieser Zeit von Marx und van Dam entwickelten Leitlinien ihrer Politik – das Prinzip der Einheit und die Forderung nach Anerkennung – bedingten und beförderten sich damals gegenseitig. So waren beispielsweise Wiedergutmachungsverhandlungen nicht denkbar ohne die nach außen zum Ausdruck gebrachte Einheit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Eine Konsolidierung der jüdischen Gemeinden und ihres Dachverbands war wiederum nicht möglich ohne die finanzielle Unterstützung aus den Zahlungen der Wiedergutmachung. Dieser Tatsache war man sich bewusst und setzte deshalb alles daran, die Einheit trotz der Krisen zu erhalten und nach außen zu demonstrieren. Diese von Marx und van Dam beförderte politische Strategie trug bereits Mitte der 1950er Jahre erste Früchte: 1955 konnte der Zentralrat aufgrund der abgesicherten Finanzierung durch die Claims Conference und einen Bundeszuschuss der deutschen Regierung seinen Mitarbeiterstab um einen Kulturdezernenten erweitern. Und sowohl der WJC als auch die WZO stimmten in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre der Aufnahme des Zentralrats bzw. der ZOD in ihre Organisationen zu.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Hendrik G. van Dam und Karl Marx als Repräsentanten jüdischen Lebens 357

Ende der 1950er Jahre erschienen die existentiellen Fragen der Anfangsjahre somit weitestgehend geklärt, was Raum für die innere Pluralisierung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland öffnete. Innerhalb des Zentralrats wurde van Dam seine uneingeschränkte Führungsposition, die er vor allem aufgrund seiner juristischen Kenntnisse zugesprochen bekommen hatte, zunehmend streitig gemacht. Und im Verhältnis zum Herausgeber der Allgemeinen traten die gegensätzlichen Politikverständnisse von Marx und van Dam – Bonn-orientiert vs. Bonn-distanziert – immer deutlicher in den Vordergrund. Als 1965 die deutsch-jüdische Gemeinschaft mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland endlich das Gefühl hatte, nicht mehr geächtet zu sein, sondern als gleichberechtigtes Mitglied von der jüdischen Weltgemeinschaft anerkannt zu sein, schien das von Marx und van Dam geforderte „außenpolitische“ Ziel der Anerkennung erreicht zu sein. Der Zentralrat war sowohl von Seiten der Bundesregierung als auch von den ausländischen jüdischen Organisationen akzeptiert und zu Israel hatte sich – wie insbesondere die von israelischer Seite gezollte Anerkennung angesichts der deutsch-jüdischen Solidaritätsbekundungen während und nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 zeigte – das Verhältnis deutlich verbessert. Um den innerjüdischen Zusammenhalt war es zu diesem Zeitpunkt – wie insbesondere das Verhältnis der zwei Hauptakteure zueinander verdeutlicht – nicht zu gut bestellt. Unabhängig von den geschilderten internen Konflikten und der zunehmend divergierenden politischen Positionierung der zwei Hauptakteure entwickelten sich Marx und van Dam unumstritten zu den zwei mit Abstand bekanntesten Repräsentanten deutsch-jüdischen Lebens und verfügten in ihren Positionen über starken Einfluss auf die innerjüdischen Entwicklungen, wirkten in erster Linie jedoch als Repräsentanten nach außen. Das von beiden beförderte „Prinzip der Einheit“ wirkt vor der von ihnen gewählten Schwerpunktsetzung eher wie ein Mittel zum Zweck, das den beiden am Anfang ihrer Karrieren vor allem eines, und zwar Legitimität für die zu erwartenden Repräsentationsaufgaben, verliehen hatte. Van Dam wies frühzeitig darauf hin, dass nicht zuletzt die offizielle Präsenz eines Botschafters des israelischen Staates in Deutschland den Zentralrat vor die Aufgabe stelle, seine eigene Position neu zu definieren. Durch den Tod von Karl Marx am 15. Dezember 1966 wurde die jüdische Gemeinschaft ferner daran erinnert, dass auch an der Spitze des Zentralrats ein Generationenwechsel bevorstand. Die zwei politischen Hauptakteure der 1950er und 1960er Jahre hatten ihren Beitrag geleistet und durch die Implementierung einer dezidiert jüdischen Interessenpolitik die Grundlage für eine langfristige Existenz jüdischen Lebens in Deutschland geschaffen. Nach dem Tod von Hendrik G. van Dam am 28. März 1973 war es die Aufgabe der Jüngeren, neue Leitmotive der Zentralratspolitik und eine Balance zwischen der Aufgabe als Führungspersönlichkeit (nach innen) und als Repräsentant (nach außen) zu finden.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Abkürzungsverzeichnis AA ACDP AdJb AGJG AJDC AJR AJW ARA AVS AWJD AZ B. BArch BEG Bez.-Reg. BHdE BLEA BLVB BMI BRD BZ CAHJP CBF CC CCG CDC CJA CJH CNCBC CO CV CZA DBE DDJ DDP DDR DP FDB FDKB FO

Auswärtiges Amt Archiv für Christlich-Demokratische Politik (der Konrad-Adenauer-Stiftung) Archiv der deutschen Jugendbewegung Arbeitsgemeinschaft der Jüdischen Gemeinden Deutschlands American Jewish Joint Distribution Committee Association of Jewish Refugees, Stanmore/London Allgemeine Jüdische Wochenzeitung Algemeen Rijksarchief Archives de la Ville de Strasbourg, Strasbourg Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland Amerikanische Zone Bestandsverzeichnis Bundesarchiv Bundesentschädigungsgesetz Bezirksregierung Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration Bayerisches Landesentschädigungsamt Bayerischer Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern Bundesministerium des Innern Bundesrepublik Deutschland Britische Zone Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem Central British Fund for Jewish Relief, London Conference on Jewish Material Claims Against Germany Control Commission for Germany Commando DienstenCentra, Ministerie van Defensie, Den Haag Centrum Judaicum Archiv Center for Jewish History Committee for the Investigation of Nazi Crimes in the Baltic Countries Colonial Office Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens Central Zionist Archives, Jerusalem Deutsche Biographische Enzyklopädie Deutsche Demokratische Jugend Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Displaced Person Freie Deutsche Bewegung in Großbritannien Freier Deutscher Kulturbund Foreign Office (Britisches Außenministerium)

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Abkürzungsverzeichnis Gestapo GJAC GUS HA HIAS HO HQ HStA HU IGCR IKG IKV Inv.nr. IRO ITS JA JCRA JDC JFV JG JOINT JRC JRSO JRU JTC KKL KM KV KZ LA LABO LBI LMU LV MATH MF Mil. Gov. MJN MK MvJ NA NCCJ NL NR NRW NS

359

Geheime Staatspolizei German Jewish Aid Committee Gemeinschaft Unabhängiger Staaten The Henriques Archive Hebrew Sheltering and Immigrant Aid Society Home Office Headquarter ; Hauptquartier Hauptstaatsarchiv Humboldt-Universität, Berlin Intergovernmental Committee on Refugees Israelitische Kultusgemeinde Israelitische Kultusvereinigung Württemberg Inventory number International Refugee Organization Internationaler Suchdienst, Bad Arolsen Jüdische Allgemeine Jewish Committee for Relief Abroad Joint Distribution Committee Jüdischer Frauenverein Jüdisches Gemeindeblatt siehe AJDC Jewish Refugee Committee Jewish Restitution Successor Organization (amerikanisch) Jewish Relief Unit (britisch) Jewish Trust Corporation (britisch) Keren Kayemeth L’Israel (hebr. Jüdischer Nationalfonds) Karl Marx Security Service Konzentrationslager Landesarchiv Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Leo Baeck Institute Ludwig-Maximilians-Universität, München Landesverband Municipal Archives of The Hague Microfilm Militärregierung Münchner Jüdische Nachrichten Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus Ministerie van Justitie [niederländisches Justizministerium, 1940–1945 in London] Nationaal Archief, Den Haag National Conference of Christians and Jews Nachlass Nordrhein Nordrhein-Westfalen Nationalsozialismus/nationalsozialistisch

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

360

Abkürzungsverzeichnis

NSDAP OMGUS ORT OSS PCOM PRO PWE RA RGBl. RKU SBZ SED SG SGD SLD StAB StABS StadtABB StadtAD StadtAM StadtAS StAHH StAM SZ TNA UA UNRRA VVN WJC WLL WO WP WZO YIVO YV ZA

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Office of Military Government for Germany, U.S. Element Organization for Rehabilitation through Training Ordnungs- und Standesamt Saarlouis Prison Commission and Home Office Prison Department Public Record Office Post-War Europe Rechtsanwalt Regierungsblatt Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Synagogengemeinde Synagogengemeinde Düsseldorf Standesamt Landeshauptstadt Düsseldorf Staatsarchiv Bremen Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt Stadtmuseum/-archiv, Baden-Baden Stadtarchiv Düsseldorf Stadtarchiv München Stadtarchiv Saarbrücken Staatsarchiv Hamburg Staatsarchiv München Süddeutsche Zeitung The National Archives, London-Kew Universitätsarchiv United Nations Relief and Rehabilitation Administration Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes World Jewish Congress; Jüdischer Weltkongress Wiener Library, London War Office Wahlperiode Zionistische Weltorganisation Yidisher Visenshaftlikher Institut (Yiddish Scientific Institute), New York Yad Vashem, Jerusalem Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, Heidelberg Zentralrat Zentralrat der Juden in Deutschland ZK Zentralkomitee der befreiten Juden in Bayern ZKAZ Zentralkomitee der befreiten Juden in der amerikanischen Zone ZKBZ Zentralkomitee der befreiten Juden in der britischen Zone ZKFZ Zentralkomitee der befreiten Juden in der französischen Zone ZOD Zionistische Organisation in Deutschland ZPI Zone Policy Instruction ZR s. Zentralrat ZWST Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Quellen- und Literaturverzeichnis Archivverzeichnis Archiv der deutschen Jugendbewegung (AdJb), Burg Ludwigstein bei Witzenhausen Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München (Archiv der LMU), München Archiv der Jüdischen Allgemeinen (Archiv JA), Berlin Archive of The Jewish Refugees Committee of the Central British Fund for World Jewish Relief, heute: World Jewish Relief, (JRC), London Archives Communales, Ville de Thionville (ACVT), Thionville Archives de la Ville de Strasbourg (AVS), Strasbourg Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (Bay. HStA), München Bezirksregierung Düsseldorf, Dezernat 15: Wiedergutmachung (Bez.-Reg. Düsseldorf), Düsseldorf Bundesarchiv Koblenz (BArch), Koblenz Central Archives for the History of Jewish People (CAHJP), Jerusalem Central Zionist Archives (CZA), Jerusalem Collection BARTHELEMY/KOHLER – Thionville Commando Diensten Centra, Ministerie van Defensie (CDC), Den Haag Gemeentearchief Den Haag (Municipal Archives of The Hague, MATH), Den Haag Gemeentearchief Rotterdam (Municipal Archives of Rotterdam, GAR), Rotterdam Humboldt-Universität zu Berlin (HU), Zentraleinrichtung Universitätsbibliothek, Universitätsarchiv/Kustodie (UA), Berlin Institut für Zeitgeschichte (IfZ), München Internationaler Suchdienst (ITS), Bad Arolsen Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Abt. I: Entschädigungsbehörde (LABO Abt. 1), Berlin Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland (LA NRW), Düsseldorf Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern (BLVB), München Leo Baeck Institute (LBI NY), New York Nationaal Archief (NA), Den Haag National Archives and Records Administration (NARA), Washington Netherlands Institute for War Documentation (NIOD-KNAW), Amsterdam Ordnungs- und Standesamt Saarlouis (OSS), Saarlouis Post-War Europe. Refugees, Exile and Resettlement 1945 – 1950 (Online Database from The National Archives, UK and the Wiener Library, PWE), London Staatsarchiv Bremen (StAB), Bremen Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt (StABS), Basel Staatsarchiv Hamburg (StAHH), Hamburg Staatsarchiv München (StAM), München Stadtarchiv Düsseldorf (StadtAD), Düsseldorf Stadtarchiv München (StadtAM), München

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

362

Quellen- und Literaturverzeichnis

Stadtarchiv Saarbrücken (StadtAS), Saarbrücken Stadtmuseum/-archiv Baden-Baden (StadtABB), Baden-Baden Standesamt Landeshauptstadt Düsseldorf (SLD), Düsseldorf The National Archives (TNA): Public Record Office (PRO), London-Kew The Wiener Library (WLL), London United States Holocaust Memorial Museum (USHMM), Washington D.C. Universitätsarchiv der Ruprecht-Karls-Universität (UA RKU), Heidelberg Yad Vashem (YV), Jerusalem Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland (ZA), Heidelberg

Mündliche Quellen (nicht publizierte Korrespondenzen) E-Mail-Korrespondenz mit Boike Jakobs, langjährige Mitarbeiterin der Jüdischen Allgemeinen, im Februar und März 2010. E-Mail-Korrespondenz mit Herbert und Lilian Levy, Mitglied der Synagogengemeinde Belsize Square Synagogue in London, im Dezember 2010 und Januar 2011. E-Mail-Korrespondenz mit dem Stadtarchiv Wiesbaden, Herrn Gerhard Klaiber, im April und August 2010. Schreiben von Claus Ahrens, Stadtarchiv Oldenburg, an die Autorin vom 12. Februar 2010.

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur Adenauer, Konrad, 20. September 1949: Erste Regierungserklärung von Bundeskanzler Adenauer, in: Ders., Reden 1917 – 1967, Stuttgart 1975, 163 f. –, Erinnerungen, 4 Bde., Stuttgart 1965 – 1968. Aden-Grossmann, Wilma, Berthold Simonsohn. Biographie eines jüdischen Sozialpädagogen und Juristen (1912 – 1978), Frankfurt am Main u. a. 2007. Adunka, Evelyn, Die vierte Gemeinde. Die Geschichte der Wiener Juden von 1945 bis heute, Berlin 2000. Albrecht, Willy, Jeanette Wolff, Jakob Altmaier, Peter Blachstein. Die drei jüdischen Abgeordneten des Bundestags bis zum Beginn der sechziger Jahre, in: Julius H. Schoeps (Hg.), Leben im Land der Täter. Juden im Nachkriegsdeutschland (1945 – 1952), Berlin 2001, 236 – 253. Angrick, Andrej, Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung, 1941 – 1944, Darmstadt 2006. Ansprache: Hans Dietrich Genscher, in: Zentralrat der Juden in Deutschland (Hg.), Leo Baeck – H.G. van Dam, Düsseldorf 1973, 21 – 24. Arnold, Karl, Freiheit und Recht – Sinngebung eines Lebens, in: Marcel W. Gärtner/Hans Lamm/Ernst G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 13. Asmuss, Burkhard/Nachama, Andreas, … um der Menschheit zu ersparen, was uns nicht erspart geblieben ist … Burkhard Asmuss und Andreas Nachama im Gespräch mit

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

363

Heinz Galinski anlässlich seines 70. Geburtstags [1982], in: Andreas Nachama/Julius H. Schoeps (Hg.), Aufbau nach dem Untergang. Deutsch-jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz Galinski, Berlin 1992, 53 – 78. Bachmann, C.H., Die Botschaft der Anne Frank, in: Begegnung 12/10, 15. Mai 1957, 150. Backhaus, Fritz/Gross, Raphael/Lenarz, Michael (Hg.), Ignatz Bubis. Ein jüdisches Leben in Deutschland, Frankfurt am Main 2007. Bahnsen, Uwe, Die Weichmanns in Hamburg. Ein Glücksfall für Hamburg, Hamburg 2001. Balzer, Bernd, Rolf Hochhuth. Der Stellvertreter, Frankfurt am Main/München 1986. Barents, Jan/Schuurman, W.J.C., De Neutraliteit in de Lucht. Rapport opgesteld door een Studiegroep uit de Groep Nederland van de Vereeniging van Toehoorders en Oudtoehoorders van de Academie voor Internationaal Recht, [o. O.] 1939. Barkai, Avraham, Im mauerlosen Ghetto, in: Michael A. Meyer/Michael Brenner (Hg.), Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 4: Aufbruch und Zerstörung, 1918 – 1945, München 2000, 319 – 342. –, Organisation und Zusammenschluß, in: Michael A. Meyer/Michael Brenner (Hg.), Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 4: Aufbruch und Zerstörung, 1918 – 1945, München 2000, 249 – 271. Bauer, Yehuda, Out of the Ashes. The Impact of American Jews on Post-Holocaust European Jewry, Oxford u. a. 1989. Baumg•rtner, Ulrich, Reden nach Hitler. Theodor Heuss – Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, Stuttgart 2001. Benz, Wolfgang, Das Exil der kleinen Leute, in: Ders. (Hg.), Das Exil der kleinen Leute. Alltagserfahrungen deutscher Juden in der Emigration, München 1991, 7 – 37. –, Das Luxemburger Abkommen 1952. Moral, Pragmatismus und politische Vernunft, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 46/183 (2007), 110 – 118. –, Der Wollheim-Prozess. Zwangsarbeit für I.G. Farben in Auschwitz, in: Ludolf Herbst/ Constantin Goschler (Hg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1989, 303 – 326. –, Deutsche Juden im 20. Jahrhundert. Eine Geschichte in Portraits, München 2011. – u. a. (Hg.), Die Kindertransporte 1938/39. Rettung und Integration, Frankfurt am Main 2003. – (Hg.), Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, München 1991. –, Postwar Society and National Socialism. Rememberance, Amnesia, Rejection, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XIX (1990), 1 – 12. –, Von der Entrechtung zur Verfolgung und Vernichtung. Jüdische Juristen unter dem nationalsozialistischen Regime, in: Helmut Heinrichs u. a. (Hg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, 813 – 852. Berben, Hans, Er war der Erste, in: Marcel W. Gärtner/Hans Lamm/Ernst G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 20 – 21. Berghahn, Marion, Continental Britons. German-Jewish Refugees from Nazi Germany, Oxford u. a. 1988. Berghuis, Corrie K./Netherlands Ministerie van Binnenlandse Zaken (Hg.), Joodse Vluchtelingen in Nederland, 1938 – 1940. Documenten netreffende toelating, uitleiding en kampopname, Kampen 1990.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

364

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bergmann, Werner, Antisemitismus als politisches Ereignis. Die antisemitische Schmierwelle im Winter 1959/1960, in: Werner Bergmann/Rainer Erb (Hg.), Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945, Opladen 1990, 253 – 275. –, Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949 – 1989, Frankfurt am Main 1997. –/ Wetzel, Juliane, „Prüfstein der Demokratie“. Antisemitismus und Antizionismus in Deutschland von 1945 bis 2004, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 44/173 (2005), 156 – 166. –, „Wir haben sie nicht gerufen“. Reaktionen auf jüdische Remigranten in der Bevölkerung und Öffentlichkeit der frühen Bundesrepublik, in: Irmela von der Lühe/Axel Schildt/Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause“. Jüdische Remigration nach 1945, Göttingen 2008, 19 – 39. Berkowitz, Michael, The Crime of My Very Existence. Nazism and the Myth of Jewish Criminality, Berkeley 2007. Berndt, Juliane/Nachama, Andreas (Hg.), “Ich weiß, ich bin kein Bequemer…”. Heinz Galinski – Mahner, Streiter, Stimme der Überlebenden, Berlin 2012. Berth, Christiane, Die Kindertransporte nach Großbritannien 1938/39. Exilerfahrungen im Spiegel lebensgeschichtlicher Interviews, Hamburg 2005. Berwid-Buquoy, Jan, Der Vater des deutschen Wirtschaftswunders – Ludwig Erhard, Berlin 2004. Bevers, Jürgen, Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik, Berlin 2009. Biber, Jacob, Risen from the Ashes. A Story of the Jewish Displaced Persons in the Aftermath of World War II. Being a Sequel to Survivors, San Bernardino 1990. Biller, Marita, Remigranten in der Publizistik im Nachkriegsdeutschland, in: ClausDieter Krohn/Patrik von zur Mühlen (Hg.), Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands, Marburg 1997, 275 – 287. Bird, John C., Control of Enemy Alien Civilians in Great Britain, 1914 – 1918, New York u. a. 1986. Bird, Kai, The Chairman. John J. McCloy, the Making of the American Establishment, New York 1992. Blom, J.C.H., Dutch Jews, Jewish Dutchmen and Jews in the Netherlands 1870 – 1940, in: Jonathan Israel/Reiner Salverda (Hg.), Dutch Jewry. Its History and Secular Culture (1500 – 2000), London/Boston/Köln 2002, 215 – 224. Blomquist, Troy, Dr. Hans Globke. Nazi Racial Law Expert and West German Civil Servant, in: Dorothy Koppelman/Julius Koppelman (Hg.), The 50th Anniversary of the Nuremberg War Crimes Trials. Their Effectiveness and Legacy. Proceedings of the Fourth Biennial Conference on Christianity and the Holocaust, Lawrenceville 1996, 93 –109. Bock, Stephan, Coining Poetry. Brechts „Guter Mensch von Sezuan“. Zur dramatischen Dichtung eines neuen Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1998. Bodemann, Y. Michal, A Jewish Family in Germany Today. An Intimate Portrait, Durham/ London 2005. –, Gedächtnistheater. Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung, Hamburg 1996. –, „How can one stand to live there as a Jew…“. Paradoxes of Jewish Existence in Germany, in: Ders. (Hg.), Jews, Germans, Memory. Reconstruction of Jewish Life in Germany, Ann Arbor 1996, 19 – 46.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

365

–, Mentalitäten des Verweilens. Der Neubeginn jüdischen Lebens in Deutschland, in: Julius H. Schoeps (Hg.), Leben im Land der Täter. Juden im Nachkriegsdeutschland (1945 – 1952), Berlin 2001, 15 – 29. – (Hg.), The New German Jewry and the European Context. The Return of the European Jewish Diaspora, Houndmills/Basingstoke/Hampshire 2008. –/ Brumlik, Micha, Vorwort, in: Dies. (Hg.), Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden. Neue Perspektiven, Göttingen 2010, 9 – 11. Bolchover, Richard, British Jewry and the Holocaust, Cambridge 1993. Boom, Bart van der, Den Haag in de Tweede Wereldoorlog, Den Haag 1995. Bott, Hans, Theodor Heuss in seiner Zeit, Göttingen 1966. Br•mer, Andreas, Die Rabbinerkonferenz in der Bundesrepublik – Grundlinien der Entstehung, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 10 (1999), 237 – 268. –, „…die Rückkehr eines Rabbiners nach Deutschland ist keine Selbstverständlichkeit“. Zur Remigration jüdischer Geistlicher nach Westdeutschland (1945 –1965), in: Irmela von der Lühe/Axel Schildt/Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause“. Jüdische Remigration nach 1945, Göttingen 2008, 169 –189. Brenner, Michael, Epilog oder Neuanfang? Fünf Jahrzehnte jüdischen Lebens im Nachkriegsdeutschland. Eine Zwischenbilanz, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 37/148 (1998), 174 – 185. – (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland. Von 1945 bis zur Gegenwart, München 2012. –, Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945 – 1950, München 1995. –, Von den Hintertüren der Diplomatie auf die Bühne der Öffentlichkeit. Der Wandel in der Repräsentation des Zentralrats der Juden in Deutschland, in: Fritz Backhaus/Raphael Gross/Michael Lenarz (Hg.), Ignatz Bubis. Ein jüdisches Leben in Deutschland, Frankfurt am Main 2007, 124 – 133. –/ Frei, Norbert, Zweiter Teil: 1950–1967. Konsolidierung, in: Michael Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland. Von 1945 bis zur Gegenwart, München 2012, 153–293. Brocke, Michael/Carlebach, Carsten, Biographisches Handbuch der Rabbiner, 2 Bde., München 2004 – 2009. Broder, Henryk M./Lang, Michel R. (Hg.), Fremd im eigenen Land. Juden in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 1979. Brodesser, Hermann-Josef u. a. (Hg.), Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation. Geschichte – Regelungen – Zahlungen, München 2000. Brumlik, Micha u. a. (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland seit 1945, Frankfurt am Main 1988. –, Kein Weg als Deutscher und Jude. Eine bundesrepublikanische Erfahrung, München 1996. – u. a., Vorwort, in: Dies. (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland seit 1945, Frankfurt am Main 1988, 7 – 9. Brìning, Jens/Aurich, Rolf (Hg.), Pem, der Kritiker und Feuilletonist Paul Marcus, München 2009. Bubis, Ignatz, Damit bin ich noch längst nicht fertig. Die Autobiographie, Frankfurt am Main 1996. –, Ich bin ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Ein autobiographisches Gespräch mit Edith Kohn, Köln 1993.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

366

Quellen- und Literaturverzeichnis

Buchstab, Günter/Gassert, Philipp/Lang, Peter Thaddäus (Hg.), Kurt Georg Kiesinger, 1904 – 1988. Von Ebingen ins Kanzleramt, Freiburg 2005. Bundesrechtsanwaltskammer (Hg.), Anwalt ohne Recht. Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933, Berlin 2007. Burgauer, Erica, Jüdisches Leben in Deutschland (BRD und DDR) 1945 – 1990, Phil. Diss. Zürich 1992. –, Zwischen Erinnerung und Verdrängung. Juden in Deutschland nach 1945, Reinbek bei Hamburg 1993. Burger, Reiner, Theodor Heuss als Journalist. Beobachter und Interpret von vier Epochen deutscher Geschichte, Münster 1999. Bìttner, Ursula, Not nach der Befreiung. Die Situation der deutschen Juden in der britischen Besatzungszone 1945 bis 1948, in: Dies. (Hg.), Das Unrechtsregime. Internationale Forschung über den Nationalsozialismus, Bd. 2: Verfolgung – Exil – Belasteter Neubeginn. Festschrift für Werner Jochmann zum 65. Geburtstag, Hamburg 1986, 373 – 406. Carlebach, Julius/Br•mer, Andreas, Rabbiner in Deutschland. Die ersten Nachkriegsjahre, in: Julius Carlebach (Hg.), Das aschkenasische Rabbinat. Studien über Glauben und Schicksal, Berlin 1995, 225 – 234. Cesarani, David/Kushner, Tony (Hg.), The Internment of Aliens in Twentieth Century Britain, London 1993. Chapell, Connery, Island of Barbed Wire. Internment on the Isle of Man in World War Two, London 1984. Claussen, Detlev, Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie, Frankfurt am Main 2003. Cohen, Yinon/Kogan, Irena, Jewish Immigration from the Former Soviet Union to Germany and Israel in the 1990s, in: Leo Baeck Institute Yearbook 50 (2005), 249 – 265. Cohen-Portheim, Paul, Time Stood Still. My Internment in England 1914 – 1918, London 1931. Connor, Ian, The Refugees and the Currency Reform, in: Ian D. Turner (Hg.), Reconstruction in Post-War Germany. British Occupation Policy and the Western Zones, 1945 – 55, Oxford/New York/München 1989, 301 – 324. Conze, Eckart/Frei, Norbert/Hayes, Peter/Zimmermann, Moshe, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Bonn 2011. Croes, Marnix, Gentiles and the Survival Chances of Jews in the Netherlands, 1940 – 1945. A Closer Look, in: Beate Kosmala/Feliks Tych (Hg.), Facing the Nazi Genocide. NonJews and Jews in Europe, Strasbourg/Berlin 2004, 41 – 72. Curio, Claudia, Verfolgung, Flucht, Rettung. Die Kindertransporte 1938/39 nach England, Berlin 2005. Dachs, Gisela, Deutsch-israelische Beziehungen. Eine Zwischenbilanz, in: Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 3/1 (2009), 74 – 83. Dalen, Dirk van, Mystic, Geometer, and Institutions. The Life of L. E. J. Brouwer, Bd. I: The Dawning Revolution, Oxford 1999. Dawidowitcz, Lucy S., German Collective Indemnity to Israel and the Conference on Jewish Material Claims against Germany, in: American Jewish Yearbook 54 (1953), 471 – 485. Demel, Michael, Gebrochene Normalität. Die staatskirchenrechtliche Stellung der jüdischen Gemeinden in Deutschland, Tübingen 2011.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

367

Diekmann, Irene A. (Hg.), Juden in Berlin. Bilder, Dokumente, Selbstzeugnisse, Leipzig 2009. Diner, Dan, Negative Symbiose – Deutsche und Juden nach Auschwitz, in: Micha Brumlik u. a. (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland seit 1945, Frankfurt am Main 1988, 243 – 257. Dinnerstein, Leonard, America and the Survivors of the Holocaust, New York 1992. Diwald, Hellmut (Hg.), Lebendiger Geist. Hans-Joachim Schoeps zum 50. Geburtstag von Schülern dargebracht, Leiden/Köln 1959. Dçpp, Suska, Jüdische Jugendbewegung in Köln 1906 – 1938, Münster 1997. Douma, Eva, Deutsche Anwälte zwischen Demokratie und Diktatur, 1930 – 1955, Frankfurt am Main 1998. Dr•nger, Jacob, Nahum Goldmann. Ein Leben für Israel, 2 Bde., Frankfurt am Main 1959. Düsseldorfer Synagogengemeinde – einst und jetzt, in: Mendel Karger-Karin (Hg.), Israel und Wir. Keren Hajessod-Jahrbuch der jüdischen Gemeinden in Deutschland 1955/ 1965, Frankfurt am Main 1966, 264 – 265. Eder, Angelika, Flüchtige Heimat. Jüdische Displaced Persons in Landsberg am Lech, 1945 – 1950, München 1998. Ehmann, Annegret, Verfolgung – Selbstbehauptung – Untergang, in: Dies. (Hg.), Juden in Berlin, 1671 – 1945. Ein Lesebuch, Berlin 1988, 245 – 249. Embacher, Helga, Die Restitutionsverhandlungen mit Österreich aus der Sicht jüdischer Organisationen und der Israelitischen Kultusgemeinde, Wien/München 2003. Engel, Franz W., Gemeinsame Emigrationserlebnisse in England, in: Marcel W. Gärtner/ Hans Lamm/Ernst G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 32 – 33. Ernst, Albrecht, Kurt Georg Kiesinger 1904 – 1988. Rechtslehrer, Ministerpräsident, Bundeskanzler. Begleitbuch zur Wanderausstellung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, Stuttgart 2004. Ezergailis, Andrew, The Holocaust in Latvia, 1941 – 1944. The Missing Center, Riga 1996. Fahlbusch, Jan Henrik u. a. (Hg.), Pöppendorf statt Palästina. Zwangsaufenthalt der Passagiere der „Exodus 1947“ in Lübeck. Dokumentation einer Ausstellung, Hamburg 1999. Fahning, Hans (Hg.), Herbert Weichmann zum Gedächtnis. Hamburg nimmt Abschied von seinem Bürgermeister, Hamburg 1983. Fassl, Peter/Herzog, Markwart/Tobias, Jim G. (Hg.), Nach der Shoa. Jüdische Displaced Persons in Bayerisch-Schwaben 1945 – 1951, Konstanz 2012. Felbick, Dieter, Kollektivschuld, in: Dieter Felbick, Schlagwörter der Nachkriegszeit, 1945 – 1949, Berlin/New York 2003, 359 – 364. –, Umerziehung, in: Dieter Felbick, Schlagwörter der Nachkriegszeit, 1945 – 1949, Berlin/ New York 2003, 516 – 520. Fings, Karola, Kriegsenden, Kriegslegenden. Bewältigungsstrategien in einer deutschen Großstadt, in: Bernd-A. Rusinek (Hg.), Kriegsende 1945. Verbrechen, Katastrophen, Befreiungen in nationaler und internationaler Perspektive, Göttingen 2004, 219 – 238. –, Rückkehr als Politikum. Remigration aus Israel, in: Verein EL-DE-Haus Köln (Hg.), Unter Vorbehalt. Rückkehr aus der Emigration nach 1945 [erscheint anlässlich der gleichnamigen Ausstellung des Vereins EL-DE-Haus Köln im Forum der VHS Köln], bearb. von Wolfgang Blaschke, Karola Fings und Cordula Lissner, Köln 1997, 22 – 32.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

368

Quellen- und Literaturverzeichnis

Fink, Udo, Albert Oeri als Publizist und Politiker zwischen den beiden Weltkriegen. Ein Beitrag zur Schweizer Geschichte der Neuesten Zeit, Zürcher Diss., [o. O.] 1971. Fippel, Günter, Der Mißbrauch des Faschismus-Begriffs in der SBZ/DDR, in: Deutschland-Archiv 25 (1992), 1055 – 1065. Fischer, Erica J./Fischer, Heinz-Dietrich, John J. McCloy. An American Architect of Postwar Germany. Profiles of a Transatlantic Leader and Communicator, Frankfurt am Main 1994. Fischer, Heinz-Dietrich, Reeducations- und Pressepolitik unter britischem Besatzungsstatus. Die Zonenzeitung „Die Welt“ 1946 – 1950: Konzeption, Artikulation und Rezeption, Düsseldorf 1978. Foitzik, Jan, Politische Probleme der Remigration, in: Exilforschung 9 (1991), 104 – 114. Foschepoth, Josef, Die Gründung der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, in: Julius H. Schoeps (Hg.), Leben im Land der Täter. Juden im Nachkriegsdeutschland (1945 – 1952), München 2001, 254 – 266. –, Im Schatten der Vergangenheit. Die Anfänge der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Göttingen 1993. Franke, Julia, Paris – eine neue Heimat? Jüdische Emigranten aus Deutschland, 1933 – 1939, Berlin 2000. Freeden, Herbert, Leben zur falschen Zeit, Berlin 1991. Frei, Norbert, 1945 und Wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen, München 2005. –, Das Problem der NS-Vergangenheit in der Ära Adenauer, in: Heinrich Oberreuter/ Jürgen Weber (Hg.), Freundliche Feinde? Die Alliierten und die Demokratiegründung in Deutschland, München 1996, 181 – 193. –, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 21997. Friedl•nder, Saul, Das Dritte Reich und die Juden. Zweiter Band: Die Jahre der Vernichtung, 1939 – 1945, München 22006. Fìssl, Karl-Heinz, Die Umerziehung der Deutschen unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945 – 1955, Paderborn 21995. Galen Last, Dick van, Zunehmende Restriktionen und schließliche Isolation im Lager. Die Entwicklung der niederländischen Flüchtlingspolitik gegenüber den deutsch-jüdischen Immigranten, in: Norbert Fasse/Johannes Houwink ten Cate/Horst Lademacher (Hg.), Nationalsozialistische Herrschaft und Besatzungszeit. Historische Erfahrung und Verarbeitung aus niederländischer und deutscher Sicht, Münster u. a. 2000, 125 – 135. Galinski, Heinz, Die Ehrung bedeutet vor allem Verpflichtung. Rede Heinz Galinskis vor dem Berliner Abgeordnetenhaus am 26. November 1987, in: Andreas Nachama/Julius H. Schoeps (Hg.), Aufbau nach dem Untergang. Deutsch-jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz Galinski, Berlin 1992, 79 – 84. –, Jüdisches Gemeindeleben nach 1945, in: Marcel W. Gärtner/Hans Lamm/Ernst G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 41 – 47. Gartner, Isabella, Menorah. Jüdisches Familienblatt für Wissenschaft, Kunst und Literatur (1923 – 1932). Materialien zur Geschichte einer Wiener zionistischen Zeitschrift, Würzburg 2009.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

369

Gassert, Philipp, Kurt Georg Kiesinger 1904 – 1988. Kanzler zwischen den Zeiten, München 2006. Gay, Ruth, Safe among the Germans. Liberated Jews after World War II, New Haven 2002. Geis, Jael, „Auf den ersten Blick ist der Gesundheits- und Ernährungszustand dieser Leute befriedigend…“. Aspekte der medizinischen Versorgung in den jüdischen Assembly Centers der US-Zone, in: nurinst 2012. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Bd. 6, 13 – 37. –, Übrig sein – Leben „danach“. Juden deutscher Herkunft in der britischen und amerikanischen Zone Deutschlands 1945 – 1949, Berlin 2000. Geller, Jay Howard, Die Entstehung des Zentralrats der Juden in Deutschland, in: Susanne Schönborn (Hg.), Zwischen Erinnerung und Neubeginn. Zur Deutsch-Jüdischen Geschichte nach 1945, München 2006, 60 – 75. –, Jews in Post-Holocaust Germany, 1945 – 1953, Cambridge 2005. –, Theodor Heuss and German-Jewish Reconciliation after 1945, in: German Politics and Society 24/2 (Sommer 2006), 1 – 22. Giebel, Anne, Der 9. November 1978 und das „Recht auf Unterhaltung“. Kontext und Nachgeschichte von Hans Rosenthals 75. Dalli Dalli-Sendung, in: Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 4/2 (2010), 56 – 69. Giere, Jacqueline Dewell, Kulturelles Vermächtnis und kulturelle Selbstverständigung. Die Lager der jüdischen Displaced Persons im besetzten Deutschland, in: Herbert Obenaus (Hg.), Im Schatten des Holocaust. Jüdisches Leben in Niedersachsen nach 1945, Hannover 1997, 119 – 129. –, Wir sind unterwegs, aber nicht in der Wüste. Erziehung und Kultur in den jüdischen Displaced Persons-Lagern der amerikanischen Zone im Nachkriegsdeutschland 1945 bis 1949, Frankfurt am Main 1993. Gillman, Leni/Gillman, Peter, „Collar the Lot“. How Britain Interned and Expelled its Wartime Refugees, London 1980. Ginsburg, Hans Jakob, Politik danach – Jüdische Interessenvertretung in der Bundesrepublik, in: Micha Brumlik u. a. (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland seit 1945, Frankfurt am Main 1988, 108 – 118. Ginzel, Günther B., Der Anfang nach dem Ende. Jüdisches Leben in Deutschland 1945 bis heute, Düsseldorf 1996. Giordano, Ralph, Auschwitz – das war der Daseinskompaß, in: Andreas Nachama/Julius H. Schoeps (Hg.), Aufbau nach dem Untergang. Deutsch-jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz Galinski, Berlin 1992, 25 f. –, Die zweite Schuld oder Von der Last, ein Deutscher zu sein, München 1990. –, Erinnerungen an das Kriegsende am 8. Mai 1945, in: Hans Sarkowicz (Hg.), „Als der Krieg zu Ende war“. Erinnerungen an den 8. Mai 1945, Frankfurt am Main/Leipzig 1995, 122 – 131. –, Erinnerungen eines Davongekommenen. Die Autobiographie, Köln 2007. –, „Es war ja kein anderes Volk da“, in: Richard Chaim Schneider (Hg.), Wir sind da! Die Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis heute, Berlin 2000, 160 – 176. –, Hamburg 1945 – und heute?, in: Ralph Giordano, „Wir sind die Stärkeren“. Reden – Aufrufe – Schriften zu deutschen Themen und Menschen unserer Zeit, Hamburg 1998, 195 – 220.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

370

Quellen- und Literaturverzeichnis

– (Hg.), Narben, Spuren, Zeugen. 15 Jahre Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Düsseldorf 1961. –, Zum 50. Jahrestag der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“. Festansprache am 25. April 1996 im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses, in: Ralph Giordano, „Wir sind die Stärkeren“. Reden – Aufrufe – Schriften zu deutschen Themen und Menschen unserer Zeit, Hamburg 1998, 273 – 286. Goldmann, Nahum, Mein Leben als deutscher Jude, München/Wien 1980. –, Mein Leben. USA – Europa – Israel, München/Wien 1981. –, Staatsmann ohne Staat. Autobiographie, Köln 1970. Goldner, Franz, Flucht in die Schweiz. Die neutrale Schweiz und die österreichische Emigration 1938 – 1945, Wien 1983. Goldstein-Lackû, Georgette, Die Geschichte des Rabbi Goldstein in Berlin. Eine Dokumentation aus den Jahren 1957 bis 1961, Tübingen 1961. Gçpfert, Rebekka, Der jüdische Kindertransport von Deutschland nach England 1938/ 39. Geschichte und Erinnerung, Frankfurt am Main/New York 1999. Gçppinger, Horst, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“. Entrechtung und Verfolgung, München 21990. Gorelik, Lena, Russen statt Einsteins. Wie die Zuwanderung der osteuropäischen Juden das jüdische Leben in Deutschland veränderte, in: Y. Michal Bodemann/Micha Brumlik (Hg.), Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden. Neue Perspektiven, Göttingen 2010, 167 – 171. Goschler, Constantin, Der Fall Philipp Auerbach. Wiedergutmachung in Bayern, in: Constantin Goschler/Ludolf Herbst (Hg.), Wiedergutmachung in der BRD, München 1989, 77 – 98. –, Die Politik der Rückerstattung in Westdeutschland, in: Constantin Goschler/Jürgen Lillteicher (Hg.), „Arisierung“ und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989, Göttingen 2002, 99 – 125. –/ Kauders, Anthony, Dritter Teil: 1968 – 1989. Positionierungen, in: Michael Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland. Von 1945 bis zur Gegenwart, München 2012, 295 – 378. –, Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, Göttingen 2005. –, Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus (1945 – 1954), München 1992. Gotto, Klaus (Hg.), Der Staatssekretär Adenauers. Persönlichkeit und politisches Wirken Hans Globkes, Stuttgart 1980. Gottwaldt, Alfred B., Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, 1941 – 1945. Eine kommentierte Chronologie, Wiesbaden 2005. Granata, Cora, „Das hat in der DDR keine Rolle gespielt, was man war“. „Ostalgie“ und Erinnerungen an Antisemitismus in der DDR, 1949 – 1960, in: Moshe Zuckermann (Hg.), Zwischen Politik und Kultur – Juden in der DDR, Göttingen 2002, 82 – 100. Greenstein, Harry/Office of Adviser on Jewish Affairs (Hg.), Conference on „The Future of the Jews in Germany“, Heidelberg 1949. Grenville, Anthony, Jewish Refugees from Germany and Austria in Britain, 1933 – 1970. Their Image in AJR Information, London 2010. Gross, Babette, Willi Münzenberg. Eine politische Biographie, Stuttgart 1967.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

371

Gross, Jan Tomasz, Neighbors. The Destruction of the Jewish Community in Jedwabne, Poland, New York 2002. Grosse, Christina, Der Eichmann-Prozeß zwischen Recht und Politik, Frankfurt am Main 1995. Grossmann, Atina, Jews, Germans, and Allies. Close Encounters in Occupied Germany, Princeton 2007. –, Home and Displacement in a City of Bordercrossers. Jews in Berlin, 1945 – 1948, in: Leslie Morris/Jack Zipes (Hg.), Unlikely History. The Changing German-Jewish Symbiosis, 1945 – 2000, 63 – 99. –/ Lewinsky, Tamar, Erster Teil: 1945 – 1949. Zwischenstation, in: Michael Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland. Von 1945 bis zur Gegenwart, München 2012, 67 – 152. Gìnther, Klaus, Der Kanzlerwechsel in der Bundesrepublik. Adenauer – Erhard – Kiesinger. Eine Analyse zum Problem der intraparteilichen De-Nominierung des Kanzlers und der Nominierung eines Kanzlerkandidaten am Beispiel des Streits um Adenauers und Erhards Nachfolge, Hannover 1970. Haan, Ido de, Routines and Traditions. The Reactions of Non-Jews and Jews in the Netherlands to War and Persecution, in: David Bankier/Israel Gutman (Hg.), NaziEurope and the Final Solution, Jerusalem 2003, 437 – 454. Habe, Hans, Im Jahre Null. Sachbuch, vom Autor rev. und erw. Ausgabe, München 1977. Hahn, Hans Joachim, Repräsentationen des Holocaust. Zur westdeutschen Erinnerungskultur seit 1979, Heidelberg 2005. Halamish, Aviva, The Exodus Affair. Holocaust Survivors and the Struggle for Palestine, New York 1998. Halbinger, Monika, „An unsere Umwelt in Deutschland richten wir uns heute nicht im Tone der Anklage, der Mahnung und Belehrung…“. Die Berichterstattung der deutschjüdischen Prozesse zum 20. Jahrestag der Novemberpogrome, in: Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 4/2 (2010), 37 – 48. –, Das Jüdische in den Wochenzeitungen Zeit, Spiegel und Stern (1946 – 1989). Berichterstattung zwischen Popularisierungsbemühungen, Vereinnahmung und Abwehr, München 2010. Hansen, Niels, Dorniger Weg zum Botschafteraustausch. Vierzig Jahre diplomatische Beziehungen, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 44/173 (2005), 48 – 59. Harck, Hildegard/Harck, Ole, Vorbemerkung und Einführung, in: Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein in Kooperation mit dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg (Hg.), Unzer Sztyme. Jiddische Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinden in der britischen Zone 1945 – 1947, übersetzt und bearbeitet von Hildegard Harck unter Mitwirkung von Andreas Brämer, Ole Harck, Ina Lorenz, Gerda Steinfeld und Nicholas Yantian, Kiel 2004, 9 – 16. Hartewig, Karin, Meyer, Julius, in: Helmut Müller-Enbergs u. a. (Hg.), Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien, Bd. 2, Berlin 42006, 681. –, Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000. Haury, Thomas, Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg 2002.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

372

Quellen- und Literaturverzeichnis

Hendrik G. van Dam, in: Internationales Biographisches Archiv 26 (1973), 18. Juni 1973. Hentschel, Volker, Ludwig Erhard. Ein Politikerleben, München 1996. Hepp, Michael (Hg.), Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933 – 45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen/Expatriation Lists as Published in the „Reichsanzeiger“ 1933 – 45, Bd. 1. Listen in chronologischer Reihenfolge, eingeleitet von Hans Georg Lehmann und Michael Hepp, München u. a. 1985. Herbst, Ludolf, Einleitung, in: Ders./Constantin Goschler (Hg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1989, 7 – 32. Heredia, David, Der Spiegel and the Image of Jews in Germany. The Early Years, 1947 – 1956, in: Leo Baeck Institute Yearbook 53 (2008), 77 – 106. Herf, Jeffrey, Antisemitismus in der SED. Geheime Dokumente zum Fall Paul Merker aus SED- und MfS-Archiven, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 41 (1994), 635 – 667. –, Divided Memory. The Nazi Past in the Two Germanys, Cambridge 1997. Hering, Sabine, „Die Arbeit, zu der ein Jude für Juden verpflichtet ist“. Ernst Gottfried Lowenthal (1904 – 1994), in: Sabine Hering (Hg.), Jüdische Wohlfahrt im Spiegel von Biographien, Witten 22007, 289 – 295. Hersey, John, Tatoo Number 107,907, in: John Hersey, Here to stay, New York 1962, 189 – 239. Hertfelder, Thomas/Ketterle, Christiane (Hg.), Theodor Heuss, Publizist – Politiker – Präsident. Begleitband zur ständigen Ausstellung im Theodor-Heuss-Haus. Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, Stuttgart 2003. Heß, Jürgen, Theodor Heuss vor 1933. Ein Beitrag zur Geschichte des demokratischen Denkens in Deutschland, Stuttgart 1973. Hess, Steven, Disproportionate Destruction. The Annihilation of the Jews in the Netherlands, 1940 – 1945, in: G. Jan Colijn/Marcia S. Littell (Hg.), The Netherlands and Nazi Genocide. Papers of the 21st Annual Scholars’ Conference, Lewiston u. a. 1992, 63 – 76. Heuberger, Rachel, Die Gründung der „Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden“ im Jahre 1917, in: Georg Heuberger (Hg.), Zedaka. Jüdische Sozialarbeit im Wandel der Zeit. 75 Jahre Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland 1917 – 1992, Frankfurt am Main 1992, 71 – 78. Heuss, Theodor, Die großen Reden. Der Staatsmann, Tübingen 1965. –, Glückwünsche zum Jüdischen Neujahrsfest, in: Hans Lamm (Hg.), Theodor Heuss. An und über Juden. Aus Schriften und Reden (1906 – 1963), Düsseldorf/Wien 21964, 113 – 158. –, Mut zur Liebe, in: Hans Lamm (Hg.), Theodor Heuss. An und über Juden. Aus Schriften und Reden (1906 – 1963), Düsseldorf/Wien 21964, 121 – 127. Hilberg, Raul, Die Vernichtung der europäischen Juden, 3 Bde., Frankfurt am Main 9 1999. Hilton, Laura, The Reshaping of Jewish Communities and Identities in Frankfurt and Zeilsheim in 1945, in: Avinoam Patt/Michael Berkowitz (Hg.), „We are here“. New Approaches to Jewish Displaced Persons in Postwar Germany, Detroit 2010, 194 – 226. Hinsley, Francis H./Simkins, C.A.G., British Intelligence in the Second World War, Bd. 4: Security and Counter-Intelligence, London 1990. Hirsch, Martin/Majer, Diemut/Meinck, Jürgen (Hg.), Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus. Ausgewählte Schriften, Gesetze und Gerichtsentscheidungen von

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

373

1933 bis 1945. Mit ausführlichen Erläuterungen und Kommentierungen, Baden-Baden 2 1997. Hirschinger, Frank, „Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter“. Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt, 1918 – 1953, Göttingen 2005. Hockerts, Hans Günter, Anwälte der Verfolgten. Die United Restitution Organization, in: Constantin Goschler/Ludolf Herbst (Hg.), Wiedergutmachung in der BRD, München 1989, 249 – 271. –, Das Ende der Ära Adenauer. Zur Periodisierung der Bundesrepublikgeschichte, in: Winfried Becker/Werner Chrobak (Hg.), Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dieter Albrecht, Kallmünz/Opf. 1992, 461 – 475. –/ Kuller, Christiane (Hg.), Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland?, Göttingen 2003. –, Wiedergutmachung in Deutschland. Eine historische Bilanz 1945 – 2000, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 49 (2001), 167 – 214. Hoffmann, Jochen/Raupp, Juliana, Politische Personalisierung. Disziplinäre Zugänge und theoretische Folgerungen, in: Publizistik 51/4 (Dezember 2006), 456 – 478. Hohmann, Karl, Ludwig Erhard (1897 – 1977). Eine Biographie, Bonn 1997. Holborn, Louis Wilhelmine, The International Refugee Organization. A Specialized Agency of the United Nations. Its History and Work 1946 – 1952, London u. a. 1956. Homolka, Walter/Fìllenbach, Elias H., Leo Baeck. Eine Skizze seines Lebens, Gütersloh 2006. – (Hg.), Leo Baeck. Philosophical and Rabbinical Approaches, Berlin 2007. Hçpfner, Sebastian, Jewish Organizations in Transatlantic Perspective. Patterns of Contemporary Jewish Politics in Germany and the United States, Heidelberg 2012. Huttenbach, Henry R., Holland and the Holocaust. A Retrospection, in: G. Jan Colijn/ Marcia S. Littell (Hg.), The Netherlands and Nazi Genocide. Papers of the 21st Annual Scholars’ Conference, Lewiston u. a. 1992, 91 – 104. Hìwel, Detlev, Karl Arnold. Eine politische Biographie, Wuppertal 1980. Hyman, Abraham S., The Undefeated, Jerusalem 1993. Intergovernmental Committee on Refugees, in: International Organization 1/1 (Februar 1947), 144 – 145. Irgun Sheerit Hapleita Me’Haezor Habriti (Hg.), Belsen, Tel Aviv 1957. Jabloner, Clemens, Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Zusammenfassung und Einschätzungen, München 2003. Jabs, Martina, Die Emigration deutscher Juristen nach Großbritannien. Der Beitrag deutscher Emigranten zum englischen Rechtsleben nach 1933, Osnabrück 1999. Jacobmeyer, Wolfgang, Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945 – 1951, Göttingen 1985. Jacobs, Norbert, Der Streit um Dr. Hans Globke in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1973. Ein Beitrag zur politischen Kultur in Deutschland, Diss. Bonn 1992. J•ger, Lorenz, Adorno. Eine politische Biographie, München 22003. Jakob, Volker, Existenzgrundlagen und Lebensstrategien deutscher Juden in den Niederlanden 1933 – 1940 im Spiegel von Einzelbiographien, in: Norbert Fasse/Johannes

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

374

Quellen- und Literaturverzeichnis

Houwink ten Cate/Horst Lademacher (Hg.), Nationalsozialistische Herrschaft und Besatzungszeit. Historische Erfahrung und Verarbeitung aus niederländischer und deutscher Sicht, Münster u. a. 2000, 137 – 145. Jarausch, Konrad H., Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945 – 1995, München 2004. –, Jewish Lawyers in Germany, 1848 – 1938. The Disintegration of a Profession, in: Leo Baeck Institute Yearbook 36 (1991), 171 – 190. –, The Unfree Professions. German Lawyers, Teachers, and Engineers, 1900 – 1950, New York 1990. Jelinek, Yeshayahu A., Israel und die Anfänge der Shilumim, in: Ludolf Herbst/Constantin Goschler (Hg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1989, 119 – 138. –, Like an Oasis in the Desert. The Israel Consulate in Munich, 1948 – 1953, in: Studies in Zionism 9 (1988), 81 – 98. – (Hg.), Zwischen Moral und Realpolitik. Deutsch-israelische Beziehungen, 1945 – 1965, Gerlingen 1997. Jochims-Bozic, Sigrun, „Lübeck ist nur eine kurze Station auf dem jüdischem Wanderweg“. Jüdisches Leben in Schleswig-Holstein 1945 – 1950, Berlin 2004. Jong, Leo de, Het Koninkrijk der Nederlanden in de Tweede Wereldoorlog, 1939 – 1945 (Das Königreich der Niederlande im Zweiten Weltkrieg, 1939 – 1945), 29 Teilbde., Den Haag 1969 – 1991. Jordan, Ulrike, Die Remigration von Juristen und der Aufbau der Justiz in der britischen und amerikanischen Besatzungszone, in: Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen (Hg.), Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands, Marburg 1997, 305 – 320. Juling, Peter, Deutsche Juden – Juden in Deutschland, Bonn 1991. Kagan, Saul/Weismann, Ernest H., Report on the Operations of the Jewish Restitution Successor Organization, 1947 – 1972, o.O., o. J. Kahn, Charlotte, Juden in Deutschland, deutsche Juden oder jüdische Deutsche? Selbstverständnis und Perspektiven der in Deutschland lebenden Juden, in: Susanne Schönborn (Hg.), Zwischen Erinnerung und Neubeginn. Zur deutsch-jüdischen Geschichte nach 1945, München 2006, 284 – 303. K•pernick, Thomas, Berthold Simonsohn, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 47/187 (2008), 175 – 182. Kapralik, Charles I., Reclaiming the Nazi Loot. The History of the Jewish Trust Corporation for Germany, London 1962. –/ Jewish Trust Corporation (Hg.), The History of the Work of the Jewish Trust Corporation in Germany. A Report presented by Charles Kapralik, 2 Bde., London 1962 – 1971. Karger-Karin, Mendel (Hg.), Israel und Wir. Keren Hajessod-Jahrbuch der jüdischen Gemeinden in Deutschland 1955/1965, Frankfurt am Main 1966. Kauders, Anthony D., Democratization and the Jews, Munich 1945 – 1965, Lincoln/ London 2004. –, Die westdeutschen Juden und der Staat Israel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 17 (2008), 33 – 38.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

375

–/ Lewinsky, Tamar, Neuanfang mit Zweifeln (1945 – 1970), in: Richard Bauer/Michael Brenner (Hg.), Jüdisches München. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2006, 185 – 208. –, Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik, München 2007. Kaufmann, Arthur, Gustav Radbruch. Rechtsdenker, Philosoph, Sozialdemokrat, München 1987. Kaufmann, Max, Die Vernichtung der Juden Lettlands, München 1947. Kaufmann, Uri R., Der Oberrat der Israeliten Badens, in: Oberrat der Israeliten Badens (Hg.), Jüdisches Leben in Baden 1809 bis 2009. 200 Jahre Oberrat der Israeliten Badens. Festschrift, Ostfildern 2009, 145 – 157. Kavon, Eli, The Man, His Crimes, and His Trial, in: Midstream (March/April 2007), 21 – 23. Kemp, Paul, The British Army and the Liberation of Bergen-Belsen April 1945, in: Joanne Reilly u. a. (Hg.), Belsen in History and Memory, London/Portland 1997, 134 – 148. Kershaw, Roger/Pearsall, Mark, Immigrants and Aliens. A Guide to Sources on UK Immigration and Citizenship, Kew/Richmond 22004. Kessler, Maria, Die SED und die Juden – Zwischen Repression und Toleranz. Politische Entwicklungen bis 1967, Berlin 1995. Kiesel, Doron, Neuanfänge. Zur Integration jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland, in: Y. Michal Bodemann/Micha Brumlik (Hg.), Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden. Neue Perspektiven, Göttingen 2010, 159 – 166. Klaus, Annekatrin, „Sie haben ein Gedächtnis wie ein Mann, Mrs. Cresspahl!“ Weibliche Hauptfiguren im Werk Uwe Johnsons, Göttingen 1999. Klein, Martin D., Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch, Berlin 2007. Klotz, Norbert, Vergangenheitspolitik. Deutsche Geschichtsdebatten zwischen Schlussstrich und Normalisierung, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 39/ 154 (2000), 166 – 190. Knufinke, Ulrich, Neue Synagogen in Deutschland nach 1945, in: Aliza Cohen-Mushlin/ Harmen H. Thies (Hg.), Synagogenarchitektur in Deutschland. Dokumentation zur Ausstellung: „ … und ich wurde ihnen zu einem kleinen Heiligtum … “ – Synagogen in Deutschland, Petersberg 2008, 97 – 108. Kochan, Miriam, Britain’s Internees in the Second World War, London 1983. Kochavi, Arieh J., Anglo-American Discord. Jewish Refugees and United Nations Relief and Rehabilitation Administration Policy, 1945 – 1947, in: Diplomatic History 14/4 (Oktober 1990), 529 – 552. Koenen, Gerd, Die DDR und die „Judenfrage“. Paul Merker und der nicht stattgefundene „deutsche Slansky-Prozeß“ 1953, in: Leonid Luks (Hg.), Der Spätstalinismus und die „jüdische Frage“. Zur antisemitischen Wendung des Kommunismus, Köln 1998, 237 – 270. Kçhler, Henning, Adenauer. Eine politische Biographie, Frankfurt am Main 1994. Kohn, A. J., Die Niederlassung der Juden in Diedenhofen, in: Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertumskunde 20 (1908), 261 – 282. –, Zur Geschichte der Juden in Diedenhofen. Fest-Schrift zur Einweihung der neuen Synagoge in Diedenhofen, Diedenhofen 1913.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

376

Quellen- und Literaturverzeichnis

Kolinsky, Eva, After the Holocaust. Jewish Survivors in Germany after 1945, London 2004. –, Experiences of Survival, in: Leo Baeck Institute Yearbook 44 (1999), 245 – 270. Koller, Guido, Entscheidungen über Leben und Tod. Die behördliche Praxis in der schweizerischen Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkrieges, in: Studien und Quellen 22 (1996), 17 – 106. Kçnig, Stefan, Zur Rolle der Berliner Anwaltschaft nach 1933, in: Wolfram Fischer u. a. (Hg.), Exodus von Wissenschaften aus Berlin. Fragestellungen, Ergebnisse, Desiderate. Entwicklungen vor und nach 1933, Berlin/New York 1994, 139 – 151. Kçnigseder, Angelika, Recht und nationalsozialistische Herrschaft. Berliner Anwälte 1933 – 1945. Ein Forschungsprojekt des Berliner Anwaltsvereins e.V., Bonn 2001. –/ Wetzel, Juliane, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DPs (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt am Main 1994. Koszyk, Kurt, Pressepolitik für Deutsche 1945 – 1949. Geschichte der deutschen Presse, Teil IV, Berlin 1986. Krach, Tillmann, „… endlich von artfremdem Einfluß ganz befreit …“. Jüdische Rechtsanwälte und ihre Vertreibung im Nationalsozialismus, in: Bonner-Anwaltverein (Hg.), Jüdische Rechtsanwälte im Dritten Reich. Dokumentation der Veranstaltungen des Bonner-Anwaltverein vom 23. Oktober 1992 zum Gedenken an das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte, Bonn 1994, 23 – 37. –, Jüdische Rechtsanwälte in Preußen. Über die Bedeutung der freien Advokatur und ihre Zerstörung durch den Nationalsozialismus, München 1991. Kramer, Alan, British Dismantling Politics, 1945 – 9. A Reassessment, in: Ian D. Turner (Hg.), Reconstruction in Post-War Germany. British Occupation Policy and the Western Zones, 1945 – 55, Oxford/New York/München 1989, 125 – 153. Krause, Peter, Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse, Frankfurt am Main 2002. Kraushaar, Wolfgang, Die Affäre Auerbach. Zur Virulenz des Antisemitismus in den Gründerjahren der Bundesrepublik, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 6 (1995), 319 – 343. –, Die Auerbach-Affäre, in: Julius H. Schoeps (Hg.), Leben im Land der Täter. Juden im Nachkriegsdeutschland (1945 – 1952), Berlin 2001, 208 – 218. Krauss, Marita, Hans Habe. Ungarischer Jude, amerikanischer Presseoffizier, deutscher Erfolgsautor, München 2002. –, Heimkehr in ein fremdes Land. Geschichte der Remigration nach 1945, München 2001. –, Jewish Remigration. An Overview of an Emerging Discipline, in: Leo Baeck Institute Yearbook 49 (2004), 107 – 119. Krohn, Claus-Dieter, Einleitung: Remigranten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, in: Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen (Hg.), Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands, Marburg 1997, 7 – 21. Krohn, Helga, Deutschland – trotz alledem? Jüdische Sozialarbeit nach 1945, Frankfurt am Main 2006. –, „Es war richtig, wieder anzufangen“. Juden in Frankfurt am Main seit 1945, Frankfurt am Main 2011. Kubowitzky, Leon (Hg.), Unity in Dispersion. A History of the World Jewish Congress, New York 21948.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

377

Kìhne, Gunther, Die Erforschung der Juristen-Emigration 1933 – 1945 und der Beitrag der deutschen Emigranten zur Entwicklung des Rechtswesens in Israel, in: Ernst C. Stiefel (Hg.), Iusto Iure. Festgabe für Otto Sandrock zum 65. Geburtstag, Heidelberg 1995, 385 – 400. Kulka, Otto Dov, Deutsches Judentum unter dem Nationalsozialismus, Tübingen 1997. Kuller, Christiane, Dimensionen nationalsozialistischer Verfolgung, in: Hans Günter Hockerts/Christiane Kuller (Hg.), Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland?, Göttingen 2003, 35 – 59. Kurzke, Werner, Zur Rolle des Biographen. Erfahrungen beim Schreiben einer Biographie, in: Christan Klein (Hg.), Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart/Weimar 2002, 173 – 178. Kussmann, Andreas, Sieben Wochen in der Front. Kriegsende in Düsseldorf, in: Stadtmuseum Düsseldorf/Rheinische Post (Hg.), 1946 Neuanfang. Leben in Düsseldorf, Düsseldorf 1946, 16 – 33. Kìster, Otto, In Memoriam Dr. Benno Ostertag und Dr. Herbert Schoenfeldt, in: Freiburger Rundbrief, IX. Folge 1956/57, Nr. 33/36 (Oktober 1956), 71 f. Ladwig-Winters, Simone, Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, Berlin 1998. Lamm, Hans, Der Eichmann-Prozeß in der deutschen öffentlichen Meinung. Eine Dokumentensammlung, Frankfurt am Main 1961. –, Ein deutscher Jude, in: Hans Lamm/Hermann Lewy (Hg.), Brücken schlagen. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1946 bis 1962 von Karl Marx, Düsseldorf 1962, 5 – 9. –, Nachruf auf Karl Marx (1897 – 1966), in: Emuna. Blätter für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Köln, März 1967, abgedruckt in: Lilli Marx (Hg.), Karl Marx zum Gedenken (9. Mai 1897 – 15. Dezember 1966), Düsseldorf [o. D.], 41 – 44. Landau, Peter, Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Dem Andenken Ernst Landsbergs, in: Helmut Heinrichs u. a. (Hg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, 133 – 213. Landeszentrale fìr politische Bildung Schleswig-Holstein in Kooperation mit dem Institut fìr die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg (Hg.), Unzer Sztyme. Jiddische Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinden in der britischen Zone 1945 – 1947, übersetzt und bearb. von Hildegard Harck unter Mitwirkung von Andreas Brämer, Ole Harck, Ina Lorenz, Gerda Steinfeld und Nicholas Yantian, Kiel 2004. Landtag Nordrhein-Westfalen (Hg.), Karl Arnold. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident 1947 bis 1956, Düsseldorf 2001. Langbein, Hermann, Hendrik G. van Dam. Die Unverjährbarkeit des Völkermordes, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 21/11 (November 1970), 699. Lange, Gunter, Jeanette Wolff 1888 – 1976. Eine Biographie, Bonn 1988. Laqueur, Walter, Geboren in Deutschland. Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933, Berlin/München 2000. Lavsky, Hagit, British Jewry and the Jews in Post-Holocaust Germany. The Jewish Relief Unit, 1945 – 1950, in: The Journal of Holocaust Education 4/1 (1995), 29 – 40. –, Die Anfänge der Landesverbände der jüdischen Gemeinden in der britischen Zone, in: Herbert Obenaus (Hg.), Im Schatten des Holocaust. Jüdisches Leben in Niedersachsen nach 1945, Hannover 1997, 199 – 234.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

378

Quellen- und Literaturverzeichnis

–, The Day After. Bergen-Belsen from Concentration Camp to the Center of Jewish Survivors in Germany, in: German History 11/1 (1993), 36 – 59. Legoll, Paul, Konrad Adenauer (1876 – 1967). Chancelier allemand et promoteur de l’Europe, Paris 2007. Lehmann, Hans Georg, Rückkehr nach Deutschland? Motive, Hindernisse und Wege von Remigranten, in: Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen (Hg.), Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands, Marburg 1997, 39 – 70. Lemmer, Ernst, Aus gemeinsamem Jugenderleben, in: Marcel W. Gärtner/Hans Lamm/ Ernst G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 71 – 72. –, Manches war doch anders. Erinnerungen eines deutschen Demokraten, überarb. Ausgabe, München 1996. Less, Avner W. (Hg.), Schuldig. Das Urteil gegen Adolf Eichmann, Frankfurt am Main 1987. Lewinsky, Tamar, Displaced Poets. Jiddische Schriftsteller im Nachkriegsdeutschland, 1945 – 1951, Göttingen 2008. –, Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsmünchen, in: Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 4/1 (2010), 17 – 25. Lewy, Hermann, Wo er ist, da ist Berlin, in: Ralph Giordano (Hg.), Narben, Spuren, Zeugen. 15 Jahre Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Düsseldorf 1961, 449 – 451. Lichtenstein, Heiner, Der tiefe Schock. Vor 50 Jahren: Die Kölner Synagogen-Schändung, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 49/193 (2010), 13 – 16. Lillteicher, Jürgen, Raub, Recht und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2007. Lipschits, Isaac, Tsedaka. Een halve eeuw Joods Maatschappelijk Werk in Nederland, Zutphen 1997. Lissner, Cordula, Den Fluchtweg zurückgehen. Remigration nach Nordrhein und Westfalen 1945 – 1955, Essen 2006. Loewy, Hanno, Jüdische Existenz in Deutschland. Zur Gegenwart vieler offener Fragen, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 38/149 (1999), 90 – 101. London, Louise, Whitehall and the Jews, 1933 – 1948. British Immigration Policy, Jewish Refugees, and the Holocaust, Cambridge u. a. 2000. Lowenthal, Ernst Gottfried, Auf vorgeschobenem Posten, in: AJR Information, Februar 1967, veröffentlicht in: Lilli Marx (Hg.), Karl Marx zum Gedenken (9. Mai 1897 – 15. Dezember 1966), Düsseldorf [o. J.], 28. –, Bloomsbury House. Flüchtlingshilfsarbeit in London 1939 bis 1946. Aus persönlichen Erinnerungen, in: Ursula Büttner (Hg.), Das Unrechtsregime. Internationale Forschung über den Nationalsozialismus. Bd. 2: Verfolgung – Exil – Belasteter Neubeginn. Festschrift für Werner Jochmann zum 65. Geburtstag, Hamburg 1986, 267 – 308. – [E.G.L.], Die Namensfindung. Zur Geschichte des Zeitungstitels. Erinnerungen, in: Karl Marx/Verlag Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (Hg.), 20 Jahre Allgemeine. Dokumentation und Echo, Düsseldorf 1966, 65.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

379

–, Ideologie und Identität, in: Michael A. Meyer/Michael Brenner (Hg.), Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 3: Umstrittene Integration, 1871 – 1918, München 2000, 278 – 301. Ludyga, Hannes, „Als Kamerad für Kameraden“. Philipp Auerbach (1906 – 1952), in: Sabine Hering (Hg.), Jüdische Wohlfahrt im Spiegel von Biographien, Witten 22007, 47 – 55. –, Philipp Auerbach (1906 – 1952). Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte, Berlin 2005. Lìhe, Irmela von der/Schildt, Axel/Schìler-Springorum, Stefanie, Einleitung, in: Dies. (Hg.), „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause“. Jüdische Remigration nach 1945, Göttingen 2008, 9 – 18. Lustiger, Arno, Nachruf, in: Lilli Marx (Hg.), Karl Marx zum Gedenken (9. Mai 1897 – 15. Dezember 1966), Düsseldorf [o. J.], 3 – 6. Lìth, Erich, Der deutsche Antisemitismus nach 1945, in: Franz Böhm/Walter Dirks (Hg.), Judentum. Schicksal, Wesen und Gegenwart, Bd. 2, Wiesbaden 1965, 917 – 933. Maas, Lieselotte, Handbuch der deutschen Exilpresse 1933 – 1945, 4 Bde., Frankfurt am Main 1976/1978/1981/1990. Malet, Marian/Grenville, Anthony (Hg.), Changing Countries. The Experience and Achievement of German-Speaking Exiles from Hitler in Britain from 1933 to Today, London 2002. Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard, Das zersplitterte Nein. Saarländer gegen Hitler (Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935 – 1945, hg. von Hans-Walter Herrmann, Bd. 1), Bonn 1989. Mankowitz, Zeev W., Life between Memory and Hope. The Survivors of the Holocaust in Occupied Germany, Cambridge 2002. –, The Formation of the „She’erit Hapleita“. November 1944 – July 1945, in: Yad Vashem Studies 20 (1990), 337 – 370. Maor, Harry, Über den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinden in Deutschland seit 1945, Diss., Mainz 1961. Marx, Alfred, Das Schicksal der jüdischen Juristen in Württemberg und Hohenzollern, 1933 – 1945, Sonderdruck aus Die Justiz 1965, Heft 6, 7 und 8. Marx, Karl, in: Herbert A. Strauss/Werner Röder (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1: Politik, Wirtschaft, öffentliches Leben, München u. a. 1980, 479. Marx, Karl, Ein Gruß nach Südamerika, in: Hans Lamm/Hermann Lewy (Hg.), Brücken schlagen. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1946 bis 1962 von Karl Marx, Düsseldorf 1962, 43 – 46. –, Innen- und außenpolitische Fragen, in: Hans Lamm/Hermann Lewy (Hg.), Brücken schlagen. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1946 bis 1962 von Karl Marx, Düsseldorf 1962, 98 – 102. –, Israel und Wir, in: Mendel Karger-Karin (Hg.), Israel und Wir. Keren Hajessod-Jahrbuch der jüdischen Gemeinden in Deutschland 1955/1965, Frankfurt am Main 1966, 97 – 99. –, Juden in Deutschland, in: Hans Lamm/Hermann Lewy (Hg.), Brücken schlagen. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1946 bis 1962 von Karl Marx, Düsseldorf 1962, 88 – 97.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

380

Quellen- und Literaturverzeichnis

–, Karl Marx, in: Anne von Kalinowski (Hg.), Als wir noch Lausbuben waren. Berühmte und Prominente erzählen, München 1966, 181 – 183. –, Mut zur Wahrheit, in: Hans Lamm/Hermann Lewy (Hg.), Brücken schlagen. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1946 bis 1962 von Karl Marx, Düsseldorf 1962, 47 – 51. –, Nunmehr eine Zeitung. Vereinigung der Zeitschrift „Der Weg“ mit der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“, in: Ralph Giordano (Hg.), Narben, Spuren, Zeugen. 15 Jahre Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Düsseldorf 1961, 119. –, Zur Gründung der Zionistischen Organisation in Deutschland, in: Hans Lamm/Hermann Lewy (Hg.), Brücken schlagen. Aufsätze und Reden aus den Jahren 1946 bis 1962 von Karl Marx, Düsseldorf 1962, 69 – 73. Marx, Lilli, „Wie können Sie nur in Deutschland leben?“, in: Richard Chaim Schneider (Hg.), Wir sind da! Die Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis heute, Berlin 2000, 97 – 107. Marx, Lilli, in: Herbert A. Strauss/Werner Röder (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1: Politik, Wirtschaft, öffentliches Leben, München u. a. 1980, 480. McMeekin, Sean, The Red Millionaire. A Political Biography of Willi Münzenberg, Moscow’s Secret Propaganda Tsar in the West, New Haven/London 2003. McMurray, David McCain, Conserving Individual Autonomy in Exile. Hans Habe’s Struggle against Totalitarianism, Ann Arbor 2002. Meining, Stefan, Kommunistische Judenpolitik, die DDR, die Juden und Israel, Hamburg 2002. Mendel, Meron, Jüdische Jugendliche in Deutschland. Eine biographisch-narrative Analyse zur Identitätsfindung, Frankfurt am Main 2010. –, The Policy for the Past in West Germany and Israel. The Case of Jewish Remigration, in: Leo Baeck Institute Yearbook 49 (2004), 121 – 136. Menke, Johannes, Die soziale Integration jüdischer Flüchtlinge des ehemaligen Regierungslagers „Föhrenwald“ in den drei westdeutschen Großstädten Düsseldorf, Frankfurt und München, Hamburg 1960. Merritt, Anna J./Merritt, Richard L. (Hg.), Public Opinion in Occupied Germany. The OMGUS Surveys 1945 – 1949, Urbana/Chicago/London 1970. Merseburger, Peter, Kurt Schumacher. Patriot, Volkstribun, Sozialdemokrat, München 2010. Mertens, Lothar, Davidstern unter Hammer und Zirkel. Die jüdischen Gemeinden in der SBZ/DDR und ihre Behandlung durch Partei und Staat, Hildesheim 1997. –, Die Jüdischen Gemeinden in der DDR bei deren Beitritt zur Bundesrepublik, in: Deutsche Studien 28/112 (1990), 395 – 405. –, Offizieller Antifaschismus und verborgener Antisemitismus, in: Manfred Agethen/ Eckhard Jesse/Ehrhart Neubert (Hg.), Der missbrauchte Antifaschismus, DDRStaatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg im Breisgau 2002, 168 – 185. –, Schwindende Minorität. Das Judentum in der DDR, in: Siegfried Theodor Arndt/ Helmut Eschwege/Peter Honigmann/Lothar Mertens (Hg.), Juden in der DDR. Geschichte – Probleme – Perspektiven, Köln 1988, 125 – 159.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

381

Messerschmidt, Manfred, Juden im preußisch-deutschen Heer, in: Deutsche Jüdische Soldaten. Von der Epoche der Emanzipation bis zum Zeitalter der Weltkriege. Eine Ausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Zusammenarbeit mit dem Moses Mendelsohn Zentrum, Potsdam, und dem Centrum Judaicum, Berlin, Hamburg/Berlin/Bonn 1996, 39 – 62. Meyer, Beate, Simonsohn, Berthold, in: Kirsten Heinsohn (Hg.), Das jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, Göttingen 2006, 230. Meyer, Michael A., „Ich bin der Ewige, Dein Gott, Du sollst“. Das Vermächtnis Leo Baecks für das Progressive Judentum heute, in: Walter Homolka (Hg.), Leo Baeck. Philosophical and Rabbinical Approaches, Berlin 2007, 37 – 48. Mierzejewski, Alfred C., Ludwig Erhard, München 2005. Mitarbeiter in Redaktion, Verlag und Druckerei der „Allgemeinen unabh•ngigen jìdischen Wochenzeitung“, Mittler zwischen Gestern und Morgen, in: Lilli Marx (Hg.), Karl Marx zum Gedenken (9. Mai 1897 – 15. Dezember 1966), Düsseldorf [o. J.], 15 – 16. Mogge, Winfried/Reulecke, Jürgen, Hoher Meißner 1913. Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern. Edition Archiv der deutschen Jugendbewegung. Bd. 5, Köln 1988. Mohr, Anna Jennifer, Wiedergutmachung. Der Fall Dr. Aaron Ohrenstein im Auerbach Prozess, unv. Zulassungsarbeit LMU München, 2010. Mçller, Horst, Die Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Ursachen, Phasen und Formen, in: Markus Behmer (Hg.), Deutsche Publizistik im Exil 1933 bis 1945. Personen – Positionen – Perspektiven. Festschrift für Ursula E. Koch, Münster 2000, 46 – 57. Mosberg, Helmuth, REeducation. Umerziehung und Lizenzpresse im Nachkriegsdeutschland, München 1991. Moss, Christoph, Jakob Altmaier. Ein jüdischer Sozialdemokrat in Deutschland (1889 – 1963), Köln 2003. Mìller-Doohm, Stefan, Adorno. Eine Biographie, Frankfurt am Main 2003. Mìnch, Peter L., Zwischen „Liquidation“ und Wiederaufbau. Die deutschen Juden, der Staat Israel und die internationalen jüdischen Organisationen in der Phase der Wiedergutmachungsverhandlungen, in: Historische Mitteilungen 10 (1997), 81 – 111. Myers Feinstein, Margarete, Holocaust Survivors in Postwar Germany, 1945 – 1957, Cambridge 2010. Myers, Margarete L., Jewish Displaced Persons. Reconstructing Individual and Community in the US Zone of Occupied Germany, in: Leo Baeck Institute Yearbook 42 (January 1997), 303 – 324. Nachama, Andreas, Der Mann in der Fasanenstraße, in: Andreas Nachama/Julius H. Schoeps (Hg.), Aufbau nach dem Untergang. Deutsch-jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz Galinski, Berlin 1992, 27 – 52. Naujoks, Antje Clara, Die Funktion des Zionismus in den jüdischen Gemeinden in Deutschland nach 1945, in: Herbert Obenaus (Hg.), Im Schatten des Holocaust. Jüdisches Leben in Niedersachsen nach 1945, Hannover 1997, 165 – 196. Neumann, Moritz, Gemeinschaft oder Gemeinde? Juden in Deutschland heute, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 37/148 (1998), 186 – 196.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

382

Quellen- und Literaturverzeichnis

Nipperdey, Thomas, 1933 und die Kontinuität der deutschen Geschichte, in: Historische Zeitschrift 227 (1978), 86 – 111. Nothmann, Hugo, Die religiöse Situation des Judentums im Nachkriegsdeutschland, in: Heinz Ganther (Hg.), Die Juden in Deutschland 1951/1952, Frankfurt am Main/München 1953, 186. Offenberg, Ulrike, „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“. Die jüdischen Gemeinden in der SBZ und der DDR 1945 – 1990, Berlin 1998. Oppenheimer, Walter W., Über die jüdische Jugend im heutigen Deutschland, Diss., München 1967. Panayi, Panikos, A Marginalized Subject? The Historiography of Enemy Alien Internment in Britain, in: Richard Dove (Hg.), ,Totally Un-English?‘ Britain’s Internment of ,Enemy Aliens‘ in two World Wars, Amsterdam/New York 2005, 17 – 26. –, Prisoners of Britain. German Civilian, Military and Naval Internees during the First World War, in: Richard Dove (Hg.), ,Totally Un-English?‘ Britain’s Internment of ,Enemy Aliens‘ in two World Wars, Amsterdam/New York 2005, 29 – 43. –, The Enemy in Our Midst. Germans in Britain during the First World War, Oxford 1991. Patt, Avinoam, Living in Landsberg, Dreaming of Deganiah. Jewish Displaced Youths and Zionism after the Holocaust, in: Avinoam Patt/Michael Berkowitz (Hg.), „We are here“. New Approaches to Jewish Displaced Persons in Postwar Germany, Detroit 2010, 98 – 135. Pauls, Rolf, in: Internationales Biographisches Archiv 34 (1985), 12. August 1985. Peck, Abraham J., „Our Eyes Have Seen Eternity“. Memory and Self-Identity among the She’erith Hapletah, in: Modern Judaism 17/1 (Februar 1997), 55 – 74. –, Jewish Survivors of the Holocaust in Germany. Revolutionary Vanguard or Remnants of a Destroyed People?, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XIX (1990), 33 – 45. Pem [Paul Marcus], Mit dem Chef unterwegs, in: Marcel W. Gärtner/Hans Lamm/E. G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 82 f. Pem, London, o.T., in: Karl Marx/Verlag Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (Hg.), 20 Jahre Allgemeine. Dokumentation und Echo, Düsseldorf 1966, 48. Peters, Tim, Der Antifaschismus der PDS aus antiextremistischer Sicht, Wiesbaden 2006. Picard, Jacques, Die Schweiz und die Juden, 1933 – 1945. Schweizerischer Antisemitismus, jüdische Abwehr und internationale Migrations- und Flüchtlingspolitik, Zürich 1994. Pikart, Eberhard, Heuss, Theodor, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 9, Berlin 1972, 52 – 56. Pinson, Koppel S., Jewish Life in Liberated Germany. A Study of the Jewish DP’s, in: Jewish Social Studies 9/2 (April 1947), 101 – 126. Platen, Edgar (Hg.), Erinnerte und erfundene Erfahrung. Zur Darstellung von Zeitgeschichte in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur, München 22002. Pottlitzer, Margot, In Memory of Dr. H. G. van Dam, in: AJR Information (May 1973), 11.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

383

Poznanski, Ren¦e, French Public Opinion and the Jews during World War II. Assumptions of the Clandestine Press, in: Beate Kosmala/Feliks Tych (Hg.), Facing the Nazi Genocide. Non-Jews and Jews in Europe, Strasbourg/Berlin 2004, 117 – 135. Press, Bernhard, Judenmord in Lettland, 1941 – 1945, Berlin 21995. Proudfoot, Malcolm J., European Refugees 1939 – 1952. A Study in Forced Population Movement, London 1957. Quast, Anke, Jewish Committee und Jüdische Gemeinde Hannover. Der schwierige Anfang einer Gemeinschaft, in: Herbert Obenaus (Hg.), Im Schatten des Holocaust. Jüdisches Leben in Niedersachsen nach 1945, Hannover 1997, 55 – 77. –, Nach der Befreiung. Jüdische Gemeinden in Niedersachsen seit 1945. Das Beispiel Hannover, Göttingen 1997. Rauschenberger, Katharina (Hg.), Rückkehr in Feindesland? Fritz Bauer in der deutsch-jüdischen Nachkriegsgeschichte, Frankfurt am Main/New York 2013. Recker, Marie-Luise, Konrad Adenauer. Leben und Politik, München 2010. Redeker, Konrad, Erinnerung und Gedenken. Schicksale deutscher Juristen jüdischer Herkunft nach 1933, in: Neue Juristische Wochenschrift 58/9 (2005), 564 f. Reichardt, Sven, Auf der Flucht vor dem Gestern. Die Schatten der Vergangenheit, in: Sven Reichardt/Malte Zierenberg, Damals nach dem Krieg. Eine Geschichte Deutschlands 1945 bis 1949, München 2008, 173 – 218. Reilly, Joanne u. a. (Hg)., Belsen in History and Memory, London u. a. 1997. –, Belsen. The Liberation of a Concentration Camp, London 1999. Reinecke, Albrecht (Hg.), Das Königlich Preußische Straßburger Feldartillerie-Regiment Nr. 84, 1912 – 1918, Oldenburg/Berlin 1934. Reinharz, Jehuda, Dokumente zur Geschichte des deutschen Zionismus, 1882 – 1933, Tübingen 1981. Rensmann, Lars, Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2004. Richarz, Monika, Juden in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik seit 1945, in: Micha Brumlik, u. a. (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland seit 1945, Frankfurt am Main 1988, 13 – 30. Ritzel, Heinz-Georg, Weitsicht und Toleranz, in: Marcel W. Gärtner/Hans Lamm/Ernst G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 85 – 86. Ritzer, Nadine, Alles nur Theater? Zur Rezeption von Rolf Hochhuts „Der Stellvertreter“ in der Schweiz 1963/64, Fribourg 2006. Rçder, Werner/Strauss, Herbert A., Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, 3 Bde., München u. a. 1980 – 1983. –, Die deutschen sozialistischen Exilgruppen in Großbritannien 1940 – 1945. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1973. Romberg, Otto R., Ein kalter Wintertag 1959. Deutschland zwischen Verdrängung und Verantwortung, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 40/160 (2001), 99 – 104. Romijn, Peter, The Experience of the Jews in the Netherlands during the German Occupation, in: Jonathan Israel/Reiner Salverda (Hg.), Dutch Jewry. Its History and Secular Culture (1500 – 2000), London/Boston/Köln 2002, 253 – 271. Rosen, Zvi, Max Horkheimer, München 1995.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

384

Quellen- und Literaturverzeichnis

Rosensaft, Josef, Our Belsen, in: Irgun Sheerit Hapleita Me’Haezor Habriti (Hg.), Belsen, Tel Aviv 1957, 24 – 51. Rosenstock, Werner, Deutsche Juden in Großbritannien, in: Marcel W. Gärtner/Hans Lamm/Ernst G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 89 – 93. Rosenthal, James Yaacov, Der Anfang vom Ende. 30. Januar – 1. April 1933, in: Annegret Ehmann (Hg.), Juden in Berlin, 1671 – 1945. Ein Lesebuch, Berlin 1988, 254 – 256. Roth, Stephen J. (Hg.), The Impact of the Six-Day War. A Twenty-Year Assessment, London 1988. Rumpf, Joachim R., Der Fall Wollheim gegen die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation. Die erste Musterklage eines ehemaligen Zwangsarbeiters in der Bundesrepublik Deutschland – Prozess, Politik und Presse, Frankfurt am Main 2010. Rundel, Otto, Kurt Georg Kiesinger. Sein Leben und sein politisches Wirken, Stuttgart 2006. Rìrup, Reinhard, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage“ in der bürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1975. Saarlouis, in: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, Bd. 3 (2001), 1115. Sachser, Friedo, In einigen eigenen Sachen. Aus den gesammelten und nicht gesammelten Memoiren der Redaktion, in: Karl Marx/Verlag Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (Hg.), 20 Jahre Allgemeine. Dokumentation und Echo, Düsseldorf 1966, 67 – 73. Sagi, Nana, German Reparations. A History of the Negotiations, Jerusalem 1980. Sammlungswesen, in: Mendel Karger-Karin (Hg.), Israel und Wir. Keren Hajessod-Jahrbuch der jüdischen Gemeinden in Deutschland 1955/1965, Frankfurt am Main 1966, 134. Sapir, Boris, Germany and Austria, in: American Jewish Yearbook 51 (1950), 325 – 335. Sattler, Dieter, An unsere Emigranten. Ein Ruf des „anderen Deutschland“ über die Grenzen, 14. Mai 1947, in: Jost Hermand/Wigand Lange (Hg.), „Wollt Ihr Thomas Mann wiederhaben?“ Deutschland und die Emigranten, Hamburg 1999, 63 – 67. Schardt, Angelika, „Der Rest der Geretteten“. Jüdische Überlebende im DP-Lager Föhrenwald 1945 – 1957, in: Dachauer Hefte 8 (1992), 53 – 68. Scheller, Bertold, Zedaka in neuem Gewand. Neugründung und Neuorientierung der „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“ nach 1945, in: Georg Heuberger (Hg.), Zedaka. Jüdische Sozialarbeit im Wandel der Zeit. 75 Jahre Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland 1917 – 1992, Frankfurt am Main 1992, 142 – 157. Schilde, Kurt, Rezension zu: Kaplan, Marion/Meyer, Beate (Hg.), Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Göttingen 2005, in: H-Sozu-Kult, 01. März 2007, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007 – 1143 (11. August 2011). Schlichting, Nicola, Das Glyn Hughes Hospital im DP Camp Belsen, in: nurinst 2012. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Bd. 6, 57 – 80. –, Öffnet die Tore von Erez Israel. Das jüdische DP-Camp Belsen 1945 – 1948, Nürnberg 2005.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

385

Schlie, Tania/Roche, Simone (Hg.), Willi Münzenberg (1889 – 1940). Ein deutscher Kommunist im Spannungsfeld zwischen Stalinismus und Antifaschismus, Frankfurt am Main 1995. Schmid, Harald, Erinnern an den Tag der Schuld. Das Novemberpogrom von 1938 in der deutschen Geschichtspolitik, Hamburg 2001. Schmidt, Renate, Therese Giehse. Na, dann wollen wir den Herrschaften mal was bieten! Biografie, München, Neuausgabe 2008. Schmidt, Robert Heinz, Saarpolitik 1945 – 1957, 3 Bde., Berlin 1959/1960/1962. Schmittlein, Raymond, Die Umerziehung des deutschen Volkes (Bericht vom 27. Januar 1948), in: J¦rúme Vaillant (Hg.), Französische Kulturpolitik in Deutschland 1945 – 1949. Berichte und Dokumente, Konstanz 1984, 161 – 185. Schmoeckel, Reinhard/Kaiser, Bruno, Die vergessene Regierung. Die große Koalition 1966 – 1969 und ihre langfristigen Wirkungen, Bonn 22005. Schneider, Dieter Marc, Saarpolitik und Exil 1933 – 1955, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1977), 467 – 545. Schneider, Gertrude, Journey into Terror. Story of the Riga Ghetto, neue und erw. Aufl., Westport 2001. Schneider, Richard Chaim (Hg.), Wir sind da! Die Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis heute, Berlin 2000. Schock, Ralph, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Haltet die Saar, Genossen! Antifaschistische Schriftsteller im Abstimmungskampf 1935, Berlin u. a. 1984, 9 – 48. – (Hg.), Haltet die Saar, Genossen! Antifaschistische Schriftsteller im Abstimmungskampf 1935, Berlin u. a. 1984. –, Saargebiet 1933 – 1945, Darmstadt 1998, Sp. 367 – 371. Schoeps, Hans Joachim, in: Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 9, München 1998, 103. Schoeps, Julius H., Die mißglückte Emanzipation. Zur Tragödie des deutsch-jüdischen Verhältnisses, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), Deutsche Jüdische Soldaten. Von der Epoche der Emanzipation bis zum Zeitalter der Weltkriege, Hamburg/Berlin/Bonn 1996, 29 – 38. – (Hg.), Leben im Land der Täter. Juden im Nachkriegsdeutschland (1945 – 1952), Berlin 2001. –, Mein Weg als Deutscher und Jude. Autobiographische Notizen, Berlin 2004. – (Hg.), Russische Juden und transnationale Diaspora, Berlin 2005. Scholem, Gerschom, Briefe II. 1948 – 1970, hg. von Thomas Sperr, München 1995. Scholler, Heinrich, Die Rechtsvergleichung bei Gustav Radbruch und seine Lehre vom überpositiven Recht, Berlin 2002. Schçnborn, Susanne, Die Jüdische Allgemeine – ein Spiegel der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland?, in: Eleonore Lappin/Michael Nagel (Hg.), Deutsch-Jüdische Presse und jüdische Geschichte. Dokumente, Darstellungen, Wechselbeziehungen, Bd. 2, Bremen 2008, 229 – 242. Schulz von Thun, Friedemann, Miteinander reden, 3 Bde., Reinbek bei Hamburg 1990. Schulz, Tilman, Münzenberg, Willi, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), 553 – 554. Schìtz, Anneliese (Hg.), Das Tagebuch der Anne Frank. 12. Juni 1942 – 1. August 1944, Frankfurt am Main/Hamburg 1956.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

386

Quellen- und Literaturverzeichnis

Schìtz, Klaus (Hg.), Heinz Galinski (1912 – 1992). Ein Berliner unter dem Davidsschild, Teetz 2004. Schwarz, Hans-Peter, Anmerkungen zu Adenauer, München 2007. Schwarz, Walter, Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Ein Überblick, in: Ludolf Herbst/Constantin Goschler (Hg.), Wiedergutmachung in der BRD, München 1989, 33 – 54. –, Rückerstattung nach den Gesetzen der Alliierten Mächte (Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, hg. vom Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz, Bd. 1), München 1974. Seemann, Birgit, Jeanette Wolff. Politikerin und engagierte Demokratin (1888 – 1976), Frankfurt 2000. Segev, Tom, 1967 – Israels Zweite Geburt, München 2007. Shafir, Shlomo, Der Jüdische Weltkongress und sein Verhältnis zu Nachkriegsdeutschland (1945 – 1967), in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 3 (1992), 210 – 237. Shatzkes, Pamela, Holocaust and Rescue. Impotent or Indifferent? Anglo Jewry 1938 – 1945, Basingstoke 2002. Shephard, Ben, The Long Road Home. The Aftermath of the Second World War, London 2010. Sherman, A. Joshua, Island Refuge. Britain and Refugees from the Third Reich 1933 – 1939, London 1973. Sibold, NoÚmi, „… mit den Emigranten auf Gedeih und Verderb verbunden“. Die Flüchtlingshilfe der Israelitischen Gemeinde Basel in der Zeit des Nationalsozialismus, Zürich 2002. Siebecke, Horst, Die Schicksalsfahrt der „Exodus 47“. Eine historische Dokumentation, Frankfurt am Main 1987. Silvers, Dean, The Future of International Law as Seen through the Jewish Material Claims Conference against Germany, in: Jewish Social Studies XLII / 3 – 4 (1980), 215 – 228. Sinn, Andrea, „Aber ich blieb trotzdem hier“. Karl Marx und die Anfänge jüdischen Lebens im Nachkriegsdeutschland, in: nurinst 2010. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Bd. 5, 80 – 97. –, „Und ich lebe wieder an der Isar“. Exil und Rückkehr des Münchner Juden Hans Lamm, München 2008. –, Warum Düsseldorf ? Zur Diskussion um die Verlegung des Hauptsitzes des Zentralrats der Juden in Deutschland, in: Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 4/1 (2010), 57 – 65. Skinner, Quentin, Some Problems in the Analysis of Political Thought and Action, in: Political Theory 2 (1974), 277 – 303. Snowman, Daniel, The Hitler Emigr¦s. The Cultural Impact on Britain of Refugees from Nazism, London 2002. Snyder, Timothy, Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin, New York 2010. Sontheimer, Kurt, Die Adenauer-Ära. Grundlegung der Bundesrepublik, München 3 2003. Spiegel, Paul, Wieder zu Hause? Erinnerungen, Berlin 2001.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

387

Sponza, Lucio, Divided Loyalties. Italians in Britain during the Second World War, Bern u. a. 2000. Stammen, Theo, Exil und Emigration – Versuch einer Theoretisierung, in: Exilforschung 5 (1987), 11 – 27. Steinbach, Peter, „Demokratie, Dein Mund heißt Radio“. Remigranten im deutschen Rundfunk der Nachkriegszeit, in: Arbeitskreis selbständiger Kulturinstitute e.V./HansUlrich Wagner (Hg.), Rückkehr in die Fremde? Remigranten und Rundfunk in Deutschland 1945 – 1955. Eine Dokumentation zu einem Thema der deutschen Nachkriegsgeschichte. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, Berlin u. a. 2000, 15 – 25. Steinweis, Alan E., Die „Kristallnacht“ in der Geschichtsschreibung, in: Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 4/2 (2010), 8 – 23. –, Kristallnacht 1938. Ein deutscher Pogrom, Stuttgart 2011. Stent, Ronald, A Bespattered Page? The Internment of His Majesty’s „Most Loyal Enemy Aliens“, London 1980. Stephan, Alexander, Die intellektuelle, literarische und künstlerische Emigration, in: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, Sp. 30 – 46. Stern, Frank, Im Anfang war Auschwitz, Gerlingen 1991. –, Jews in the Minds of Germans in the Postwar Period, Bloomington 1993. –, The Historic Triangle. Occupiers, Germans and Jews in Postwar Germany, in: Tel Aviver Jahrbuch für die deutsche Geschichte 19 (1990), 47 – 76. –, Wider Antisemitismus – für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Aus der Entstehungszeit der Gesellschaften und des Koordinierungsrats, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 3 (1992), 182 – 209. Sternburg, Wilhelm von, Adenauer – Eine deutsche Legende, Berlin 22005. Stiefel, Ernst C./Mecklenburg, Frank, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil, 1933 – 1950, Tübingen 1991. Stçhr, Martin, Gespräche nach Abels Ermordung. Die Anfänge des jüdisch-christlichen Dialogs, in: Micha Brumlik u. a. (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland seit 1945, Frankfurt am Main 1986, 197 – 229. Strathmann, Donate, Auswandern oder Hierbleiben? Jüdisches Leben in Düsseldorf und Nordrhein 1945 – 1960, Essen 2003. –, Jüdisches Leben in Düsseldorf und Nordrhein 1945 – 1949. Die Politik von britischer Militär- und nordrhein-westfälischer Landesregierung – Hilfe oder Hindernis beim Wiederaufbau?, in: Monika Grübel/Georg Mölich (Hg.), Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln 2005, 238 – 262. Strauss, Herbert A., Introductions. Jews in German History : Persecution, Emigration, Acculturation, in: Ders./Werner Röder (Hg.), International Biographical Dictionary of Central European Emigr¦s 1933 – 1945, Vol. II/Part 1 (A–K): The Arts, Sciences, and Literature, München u. a. 1983, XI – XXVI. Strickhausen, Waltraud, Großbritannien, in: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, Sp. 251 – 270. Sìss, Peter (Hg.), 1945. Befreiung und Zusammenbruch. Erinnerungen aus sechs Jahrzehnten, München 2005. –, Der lange Schatten des Krieges, in: Peter Süss (Hg.), 1945. Befreiung und Zusammenbruch. Erinnerungen aus sechs Jahrzehnten, München 2005, 7 – 16.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

388

Quellen- und Literaturverzeichnis

Tauber, Alon, Die Entstehung der jüdischen Nachkriegsgemeinde Frankfurt am Main 1945 – 1949, in: Trumah. Juden in der Bundesrepublik Deutschland – Dokumentationen und Analysen 14 (2004), 129 – 147. –, Zwischen Kontinuität und Neuanfang. Die Entstehung der jüdischen Nachkriegsgemeinde in Frankfurt am Main 1945 – 1949, Wiesbaden 2008. Tauchert, Stephanie, Jüdische Identitäten in Deutschland. Das Selbstverständnis von Juden in der Bundesrepublik und der DDR 1950 bis 2000, Berlin 2007. Telefonisches Interview mit London, in: Ralph Giordano (Hg.), Narben, Spuren, Zeugen. 15 Jahre Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Düsseldorf 1961, 447 – 449. Teuteberg, Ren¦, Albert Oeri, 1875 bis 1950. Journalist und Politiker aus Berufung, Basel 2002. Thies, Jochen, What is going on in Germany? Britische Militärverwaltung in Deutschland 1945/6, in: Claus Scharf/Hans-Jürgen Schröder (Hg.), Die Deutschlandpolitik Großbritanniens und die britische Zone 1945 – 1949, Wiesbaden 1979, 29 – 50. Tobias, Jim G., „Die Patienten werden das erforderliche Vertrauen nur den jüdischen Ärzten schenken“. Displaced Persons Hospitäler und Sanatorien in Bayern unter besonderer Berücksichtigung des Krankenhauses in München-Bogenhausen, in: nurinst 2012. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Bd. 6, 39 – 56. –, „Wir brauchen dringend Bücher aller Art“, in: nurinst 2010. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Bd. 5, 45 – 62. –, Zeilsheim. Eine jüdische Stadt in Frankfurt, Nürnberg 2011. Trauerrede von Bundesminister a.D. Ernst Lemmer, in: Lilli Marx (Hg.), Karl Marx zum Gedenken (9. Mai 1897 – 15. Dezember 1966), Düsseldorf [o. J.], 98. Trauerrede von Landesrabbiner Dr. Bloch, abgedruckt in: Lilli Marx (Hg.), Karl Marx zum Gedenken (9. Mai 1897 – 15. Dezember 1966), Düsseldorf [o. J.], 93 – 95. Turner, Barry, Kindertransport. Eine beispiellose Rettungsaktion, Gerlingen 1994. van Dam, Hendrik George, in: Herbert A. Strauss/Werner Röder (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1: Politik, Wirtschaft, öffentliches Leben, München u. a. 1980, 778. van Dam, Hendrik George, Der Lebenswille der jüdischen Gemeinschaft, in: Mendel Karger-Karin (Hg.), Israel und Wir. Keren Hajessod-Jahrbuch der jüdischen Gemeinden in Deutschland 1955/1965, Frankfurt am Main 1966, 90 – 93. –, Die Juden in Deutschland nach 1945, in: Franz Böhm/Walter Dirks (Hg.), Judentum. Schicksal, Wesen und Gegenwart, Bd. 2, Wiesbaden 1965, 888 – 916. –, Jüdische Presse im Nachkriegsdeutschland, in: Marcel W. Gärtner/Hans Lamm/Ernst G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 28 – 30. –, Legal Protection in Belsen, in: Irgun Sheerit Hapleita Me’Haezor Habriti (Hg.), Belsen, Tel Aviv 1957, 148 – 151. –, Preisunterbietungen als Mißbrauch wirtschaftlicher Macht und als unzulässiger Wettbewerb, Basel 1935. van Uffelen, Herbert, Moderne niederländsiche Literatur im deutschen Sprachraum, 1830 – 1990, Münster 1993. Verein EL-DE-Haus Kçln (Hg.), Unter Vorbehalt. Rückkehr aus der Emigration nach 1945 [erscheint anlässlich der gleichnamigen Ausstellung des Vereins EL-DE-Haus

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Gedruckte Quellen und Sekundärliteratur

389

Köln im Forum der VHS Köln], bearb. von Wolfgang Blaschke, Karola Fings und Cordula Lissner, Köln 1997. Vogel, Rolf (Hg.), Der deutsch-israelische Dialog. Dokumentation eines erregenden Kapitels deutscher Außenpolitik, 8 Bde., München u. a. 1987 – 1990. Voigt, Klaus, Italien, in: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, Sp. 213 – 250. –, Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933 – 1945, 2 Bde., Stuttgart 1989/1993. Vçlker, Klaus, Fritz Kortner. Jude und Rebell gegen das Konventionelle, Berlin 2007. Volkov, Shulamit, Antisemitismus als kultureller Code, in: Shulamit Volkov, Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 1990, 13 – 26. Vormeier, Barbara, Frankreich, in: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, Sp. 213 – 250. Wacker, Jean-Claude, Humaner als Bern! Schweizer und Basler Asylpraxis gegenüber den jüdischen Flüchtlingen von 1933 bis 1943 im Vergleich, Basel 1992. Walk, Joseph u. a. (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien. Inhalt und Bedeutung, Heidelberg 21996. Wasserstein, Bernard, Britain and the Jews of Europe, 1939 – 1945, New York 1979. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 51972. Weber, Reinhard, Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, München 2006. Webster, Ronald D., Jüdische Rückkehrer in der BRD nach 1945. Ihre Motive, ihre Erfahrungen, in: Aschkenas 5/1 (1995), 47 – 77. Weingardt, Markus, „Wiedergutmachung“. Zum Luxemburger-Vertrag von 1952/53: Tatsachen und Legenden, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 40/ 157 (2001), 182 – 200. –, Deutsche Israel- und Nahostpolitik. Die Geschichte einer Gratwanderung seit 1949, Frankfurt am Main 2002. Weintraub, Samuel, Daily Life in Belsen, in: Irgun Sheerit Hapleita Me’Haezor Habriti (Hg.), Belsen, Tel Aviv 1957, 129 – 132. Weis, Georg, in: Österreichische Nationalbibliothek (Hg.), Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft. 18.–20. Jahrhundert, Bd. 3: S–Z, München 2002, 1443. Weiss, Yfaat/Gorelik, Lena, Vierter Teil: 1990 – 2012. Aufbrüche, in: Michael Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland. Von 1945 bis zur Gegenwart, München 2012, 379 – 434. Weiss, Konrad, Gebrochener, nicht „verordneter“ Antifaschismus, in: Manfred Agethen/ Eckhard Jesse/Ehrhart Neubert (Hg.), Der missbrauchte Antifaschismus, DDRStaatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg im Breisgau 2002, 160 – 167. Welch, David, Priming the Pump of German Democracy. British „Reeducation“ Policy in Germany after the Second World War, in: Ian D. Turner (Hg.), Reconstruction in PostWar Germany. British Occupation Policy and the Western Zones, 1945 – 1955, Oxford u. a. 1989, 215 – 238.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

390

Quellen- und Literaturverzeichnis

Weltsch, Robert, Die Jüdische Presse vor 30 Jahren, in: Marcel W. Gärtner/Hans Lamm/ Ernst G. Lowenthal (Hg.), Vom Schicksal geprägt. Freundesgabe zum 60. Geburtstag von Karl Marx, Benrath 1957, 104 – 113. –, Entscheidungsjahr 1932, in: Robert Weltsch, Die deutsche Judenfrage. Ein kritischer Rückblick, Königstein 1981, 45 – 72. –, Redakteur der jüdischen Rundschau. Ein Kapitel der Geschichte der jüdischen Presse in Deutschland, in: Robert Weltsch, Die deutsche Judenfrage. Ein kritischer Rückblick, Königstein 1981, 83 – 93. Werner, Monika/Wladika, Michael, Die Tätigkeit der Sammelstellen, München 2004. Wetzel, Juliane, Die Selbstverwaltung der Sche’erit Haplejtah. Das Zentralkomitee der befreiten Juden in Bergen-Belsen 1945 – 1951, in: Herbert Obenaus (Hg.), Im Schatten des Holocaust. Jüdisches Leben in Niedersachsen nach 1945, Hannover 1997, 43 – 54. –, Jüdisches Leben in München 1945 – 1951. Durchgangsstation oder Wiederaufbau?, München 1987. –, Jüdisches Leben in München, in: Julius H. Schoeps (Hg.), Leben im Land der Täter. Juden im Nachkriegsdeutschland (1945 – 1952), Berlin 2001, 81 – 96. –, Karriere nach der Rettung. Charlotte Knoblochs Weg zur Vizepräsidentin der Juden in Deutschland, in: Wolfgang Benz (Hg.), Überleben im Dritten Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer, München 2003, 301 – 312, 335 f. –, „Mir szeinen doh“. München und Umgebung als Zuflucht von Überlebenden des Holocaust, 1945 – 1948, in: Martin Broszat (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 31988, 327 – 364. –, Westmächte, DPs und Antisemitismus, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 43/172 (2004), 155 – 168. Wiedener, Wolfgang, Theodor Heuss. Das Demokratie- und Staatsverständnis im Zeitablauf. Betrachtungen der Jahre 1902 bis 1963, Ratingen 1973. Wiesemann, Falk, Marx, Karl, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), 346 – 347. Willimowski, Thomas, „Emigrant sein ist ja kein Beruf“. Das Leben des Journalisten Pem, Berlin 2007. Winstel, Tobias, Verhandelte Gerechtigkeit. Rückerstattung und Entschädigung für jüdische NS-Opfer in Bayern und Westdeutschland, München 2006. Wirsching, Andreas, Jüdische Friedhöfe in Deutschland, 1933 – 1957, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 50/1 (2002), 1 – 40. Wolf, Diane L., Beyond Anne Frank. Hidden Children and Postwar Families in Holland, Berkeley 2007. Wolff, Raymond, Zwischen formaler Gleichberechtigung, Zionismus und Antisemitismus, in: Annegret Ehmann (Hg.), Juden in Berlin, 1671 – 1945. Ein Lesebuch, Berlin 1988, 127 – 130. Wollheim, Norbert, „Wir haben Stellung bezogen“, in: Richard Chaim Schneider (Hg.), Wir sind da! Die Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis heute, Berlin 2000, 108 – 120. Woodbridge, George, UNRRA, New York 1950. Wìrzner, Hans, Das deutsch-jüdische Exil in der niederländischen Literatur 1933 – 1940, in: Wolfgang Benz/Marion Neiss (Hg.), Deutsch-jüdisches Exil: das Ende der Assimilation. Identitätsprobleme deutscher Juden in der Emigration, Berlin 1994, 183 – 194. Wyman, Mark, DP. Europe’s Displaced Persons, 1945 – 1951, London/Toronto 1989.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Zeitungen

391

Yantian, Nicholas, „Aus der Versteinerung herausgetreten“ – Das „Kazet-Theater“ im jüdischen „Displaced-Persons“-Lager Bergen-Belsen, 1945 – 1947, in: Herbert Obenaus (Hg.), Im Schatten des Holocaust. Jüdisches Leben in Niedersachsen nach 1945, Hannover 1997, 131 – 163. Zenner, Maria, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 – 1935, Saarbrücken 1966. Zentralrat der Juden in Deutschland (Hg.), Leo Baeck – H.G. van Dam, Düsseldorf 1973. Zieher, Jürgen, Im Schatten von Antisemitismus und Wiedergutmachung. Kommunen und Jüdische Gemeinden in Dortmund, Düsseldorf und Köln, 1945 – 1960, Berlin 2004. –, Von der „Liquidationsgemeinde“ zur Aufbaugemeinde? Jüdisches Leben in Dortmund und Düsseldorf in den 1950er Jahren, in: Monika Grübel/Georg Mölich (Hg.), Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln 2005, 263 – 285. –, Weder Privilegierung noch Diskriminierung. Die Politik des Zentralrats der Juden in Deutschland von 1950 bis 1960, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 13 (2004), 187 – 211. –, „Wer ein Haus baut, will bleiben“. Synagogenbau in Dortmund, Düsseldorf und Köln in den fünfziger Jahren, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 91 (2000), 203 – 243. Zimmer, Oliver, Zur Typisierung der Juden in der Schweizer Tagespresse 1933 – 1934. Aspekte eines Fremdbildes im Prozess nationaler Identitätskonstruktion, in: Kurt Imhof/Heinz Kleger/Gaetano Romano (Hg.), Zwischen Konflikt und Konkordanz. Analyse von Medienereignissen in der Schweiz der Vor- und Zwischenkriegszeit, Zürich 1993, 247 – 288. Zimmermann, Moshe, Die deutschen Juden 1914 – 1945, München 2000. Zur Mìhlen, Patrik von, Fluchtweg Spanien-Portugal. Die deutsche Emigration und der Exodus aus Europa 1933 – 1945, Bonn 1992. –, Rückkehr unerwünscht? Die Deutschen und ihre Emigranten, in: Carl Amery/Werner von Bergen (Hg.), Denken im Zwiespalt. Über den Verrat von Intellektuellen im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1996, 127 – 139. –, „Schlagt Hitler an der Saar!“ Abstimmungskampf, Emigration und Widerstand im Saargebeit 1933 – 1935, Bonn/Berlin 1979. Zweig, Ronald W., German Reparations and the Jewish World. A History of the Claims Conference, London/Portland 22001.

Zeitungen Jüdisches Gemeindeblatt für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen, Düsseldorf 1946 Jüdisches Gemeindeblatt für die britische Zone, Düsseldorf 1946 – 1948 Jüdisches Gemeindeblatt – Allgemeine Zeitung der Juden in Deutschland, Düsseldorf 1948 (nur 2 Ausgaben) Jüdisches Gemeindeblatt – Die Zeitung der Juden in Deutschland, Düsseldorf 1948 – 1949 Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Düsseldorf 1949 – 1966 Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung, Düsseldorf 1966 – 1973

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

392

Quellen- und Literaturverzeichnis

Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, Berlin 1973 – 2001 Jüdische Allgemeine, Berlin 2002–heute

Beilagen:

Der Weg, Zeitschrift für Fragen des Judentums, 1946 – 1950 Allgemeine Jüdische Illustrierte, Düsseldorf 1950/51 – 1952/53 Jüdische Illustrierte, Düsseldorf 1953 – 1968

In Auswahl:

Aufbau, New York Badisches Tagblatt, Baden-Baden Baseler Nachrichten, Basel Berliner Zeitung, Berlin Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn David. Jüdische Kulturzeitschrift, Ebenfurth Deutsche Nachrichten Hannover, Hannover Die Gemeinde, Wien Düsseldorfer Nachrichten, Düsseldorf Flensburger Tageblatt, Flensburg Israelitisches Wochenblatt für die Schweiz, Zürich Jedioth Chadashoth, Jerusalem Jerusalem Post, Jerusalem Jüdischer Presse Dienst, Düsseldorf 1965 – 1987 Kölner Stadt-Anzeiger, Köln Landsberger Lager-Caitung, Landsberg Mannheimer Morgen, Mannheim Mitteilungsblatt der Z.O.D. Mitteilungsblatt des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für ChristlichJüdische Zusammenarbeit, Bad Nauheim Münchner Jüdische Nachrichten, München Rheinische Zeitung, Köln Rheinische Post, Düsseldorf Ruhr-Nachrichten, Dortmund Saarzeitung, Saarlouis Der Spiegel, Hamburg Süddeutsche Zeitung, München Der Tagesspiegel, Berlin The Umtali Post, Umtali Westdeutsche Zeitung, Düsseldorf Westfalenpost, Hagen Die Welt, Berlin/Hamburg Die Weltwoche, Zürich Westfälischer Anzeiger und Kurier, Hamm Die Zeit, Hamburg

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Abbildungsverzeichnis Umschlag Karl Marx, der Herausgeber der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Dr. Hendrik G. van Dam, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Ludwig Rosenberg, Bundesvorstand und Leiter der Auslandsabteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, kurz vor dem Abflug nach Israel auf dem Düsseldorfer Flughafen, April 1955. Archiv der Jüdischen Allgemeinen, Fotobestand Karl Marx. Foto: G. Sternberg. Abb. 1 Archiv der Jüdischen Allgemeinen, Fotobestand Karl Marx. Foto: Berben, Düsseldorf. Abb. 2 Raten Sie mal wo das ist: Ein Hotel im stillen Winkel? Nein: Im unterirdischen Bunker von Düsseldorf, in: Zeitschrift Konstanze (Juli 1948), 11. Fotos: Hecht, in: ZA, B.1/28.64. Abb. 3 Registry Card Nr. 2513 (Dam, Hendrik George van), in: Commando DienstenCentra, Ministerie van Defensie, Den Haag. Abb. 4 Yad Vashem Photo Archive, FA186/257, Archival Signature 1201 (Hadassah Rosensaft). Abb. 5 Archiv der Jüdischen Allgemeinen, Fotobestand Karl Marx. Foto: Heinz Bogler, Düsseldorf. Abb. 6 Archiv der Jüdischen Allgemeinen, Fotobestand Zentralrat. Foto: Psarek, Berlin. Abb. 7 Archiv der Jüdischen Allgemeinen, Fotobestand Zentralrat. Abb. 8 Archiv der Jüdischen Allgemeinen, Fotobestand Zentralrat. Foto: Paul Spiegel, Düsseldorf. Abb. 9 Archiv der Jüdischen Allgemeinen, Fotobestand Karl Marx. Foto: Heinz Bogler, Düsseldorf. Abb. 10 Archiv der Jüdischen Allgemeinen, Fotobestand Karl Marx. Foto: Sichel, Montevideo. Abb. 11 Archiv der Jüdischen Allgemeinen, Fotobestand Karl Marx.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Personenregister

Abelson, Ruwen 77 Adenauer, Konrad 18, 138–147, 186, 227, 242, 263, 264, 272, 273, 276, 282, 290, 294, 296, 297, 299, 305, 307, 308, 323, 328 Adorno, Theodor W. 244 Allschoff, Ewald 165, 215, 217, 268 Altmeier, Jakob 244, 245 Arnold, Karl 61, 159, 290 Arajs, Viktor 110 Auerbach, Philipp 24, 43–47, 49, 50, 53, 55, 56, 82, 115, 120–123, 126, 130, 131, 134, 162, 164–167, 176, 177, 180, 182, 183, 185–187, 190, 193– 212, 216, 218, 226, 229, 230, 268, 279, 295, 299, 306, 347 Avner, Gershon 145 Baden, Hermann 179 Bachmann, Max 218 Baeck, Leo 31, 293 Baer, Leonhard 164, 167, 217 Ball Kaduri, Kurt Jakob 153 Barou, Noah 279 Behrendt, Artur 73 Behrendt, Henriette 73 Ben-Chorin, Schalom 153 Ben Nathan, Asher 349 Benz, Wolfgang 88 Bienenfeld, Franz Rudolf 111 Birrenbach, Kurt 348 Blankenhorn, Herbert 294 Bloch, Fritz 68 Bodemann, Y. Michal 12–14, 16, 19, 20, 162, 353 Böhm, Franz 265 Bönsch, Missia 84 Bold, Hilde 67 Boon, G.A. 94 Brenner, Michael 18, 19

Brentano, Heinrich von Brod, Max 153 Broder, Henryk M. 11 Brown, Alfred 108 Brumlik, Micha 11, 14 Bubis, Ignatz 18, 184 Bucher, Ewald 253

263

Car, Max 179 Cohen, August 85 Cohen, Leonard 100, 101, 112–114 Cooper, E.N. 70 Dahlgrün, Rolf 253 Dehler, Thomas 256 Diner, Dan 339 Dirks, Walter 153 Dix, Rudolf 87 Dreifuß, Julius 82, 83, 123, 174, 188, 230, 267, 282, 297, 300, 303 Dreifuß, Meta 83, 84 Drost, Ruth 84 Easterman, A.L. 163 Eife, Chaskiel 164, 167, 173, 212 Engel, Franz W. 72 Epstein, Kurz 165 Erhard, Ludwig 253, 348 Eschkol, Levi 348 Fabian, Hans Erich 178, 208 Farnbogough, Luis H. 289 Fischer, Heinz-Dietrich 123 Fisher, Mia 107 Foschepoth, Josef 314 Frank, Anne 319–322, 331 Franke, Julia 28 Freeden, Herbert 154, 155 Frei, Norbert 141, 310

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Personenregister Frenkel, Lotte 84 Freund, Joachim Hellmuth 325 Frey, Hans 120–126, 130, 134, 148 Fürstenau, Werner 260 Gärtner, Marcel 153 Galinski, Heinz 13, 14, 18, 153, 164, 166, 170, 176–178, 180, 185, 189, 217, 231, 234–237, 239, 240, 244, 247, 248, 251, 252, 257, 261, 279, 286, 288, 289, 296, 297, 332, 334, 335 Galinski, Ruth 170 Garfinkiel, Wolf 160 Gebhardt, H.P. 325 Geis, Robert Raphael 12 Geller, Jay Howard 13, 18, 25, 52, 162, 168, 179, 216, 265, 290, 293 Gerbrandy, Pieter Sjoerds 95 Germann, Oskar A. 91 Giehse, Therese 244 Giordano, Ralph 154, 156 Globke, Hans 255, 256, 322, 323, 326, 333, 334 Goldmann, Nahum 163, 264, 277, 280, 284, 288, 289, 293, 309, 343, 344 Goldschmidt, Moritz (Köln) 267 Goldschmidt, Leopold (Frankfurt) 174, 215 Goldstein, Isaak 328, 332–336 Goodrich-Hackett, Francis 319 Goschler, Constantin 141 Graubard, Baruch 217, 224, 237 Graumann, Dieter 15 Greenstein, Harry 54, 150, 163 Grinberg, Zalman 38, 39, 41 Gringauz, Samuel 38, 39 Grünbaum, Heinz 145 Grunsfeld, Fritz 178 Gussone, Carl 302, 303, 306 Habe, Hans 119 Haber, Samuel L. (Sam) 150, 185, 210, 288 Hackett, Albert 319 Halbinger, Monika 242 Hansen, Niels 347

395

Harrison, Earl G. 36, 37 Heimberg, Siegfried 174 Henriques, Rose 101 Heuss, Theodor 18, 139, 186, 242, 276, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 296, 299, 305, 308, 314 Hitler, Adolf 61, 64–67, 74, 75, 84, 87, 88, 141, 250, 310, 315–317, 320, 343, 353 Hockerts, Hans Günter 16, 266 Hoegner, Wilhelm 222 Horkheimer, Max 244 Jacoby, Gerhard 163, 268 Janz, Friedrich 324 Jonas, Edmund 50 Jordan, Henry P. 150 Josephtal, Giora 265 Kanal, Jerzy 184 Katz, Carl 46, 180, 235, 236, 267, 304 Kauders, Anthony 12, 136, 274, 310, 326, 337, 339, 341, 355 Kaufmann, Heinz 150 Kerrl, Hanns 89 Kiesel, Doron 11 Kiesinger, Kurt Georg 253, 254, 257–259, 356 Klibansky, Josef 164, 166, 202, 203 Klumm, Friedrich 254 Königseder, Angelika 102 Kortner, Fritz 244 Koszyk, Kurt 118 Kubowitzky, Leon 277 Kuczynski, Robert 73 Küster, Otto 265 Kugelmann, Cilly 11 Lamm, Hans 52, 57, 236–238, 240, 261, 319, 321 Landau, Peter 86 Landau, Ernest 208 Lang, Michel R. 11 Laqueur, Walter 175 Lavsk, Hagit 45, 55 Leavitt, Moses 287, 288, 301 Lehr, Robert 299

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

396

Personenregister

Lemmer, Ernst 59, 61, 244 Lewin, Herbert 179, 240, 252 Lewy, Hermann 153 Levinson, Nathan Peter 13, 14, 153 Lipschitz, Joachim 244 Livneh, Eliahu 144, 165, 170, 185, 208, 210, 279, 282, 285, 293, 296 London, Louise 70 Lowenthal, Ernst G. 55, 56, 71, 84, 149, 154, 159, 237 Lowenthal, Alfred 43 Lukaschek, Hans 138 Lustig, Moses 160 Maor, Harry 17, 183, 249 Marcus, Paul (PEM) 74, 154, 155 Marx, Erna 56 Marx, Karl 13, 14, 17–24, 26–28, 54–84, 109, 116, 117, 124–160, 168, 183, 186–188, 190, 191, 193, 194, 202– 210, 218, 227, 230, 242, 252, 254–259, 261–263, 266–277, 279–281, 285, 290–297, 299, 305, 307, 308, 310–314, 316–328, 330–339, 341–343, 345–348, 351–357 Marx, Leopold 56 Marx, Lilli P. (geb. Peritz) 73, 80–82, 84, 124, 126, 130, 150, 258, 261 Marx, Pauline 56 Marx, Siegmund 56 McCloy, John J. 311 Meier, Julius (Köln) 43, 53 Meir, Golda 348 Mende, Erich 252 Mendel, Meron 141, 144, 250 Meyer, Julius 164, 167, 177–179, 208, 209 Michelson, H. 110, 111 Mosberg, Helmuth 74, 124 Müller, Josef 194, 197 Münch, Peter L. 215, 216 Münzenberg, Willi 63 Myers, Margarete L. 21 Nachmann, Werner 13, 14, 17, 18, 184, 226, 240, 241, 251, 252, 259, 260, 261, 326, 341, 347 Neuberger, Josef 244, 245

Neuland, Fritz (Siegfried) Niklowitz, Magda 84

50, 218

Oeri, Albert 92 Offenberg, Ulrike 178 Ohrenstein, Aaron 186, 195, 206–213, 215 Ormond, Henry 344 Ostertag, Benno 164, 167, 169, 185, 189, 199, 204, 212, 268, 296 Ostrogorsky, Georg 16 Pauls, Rolf Friedemann 259, 348 Piekatsch, Pessah (Peisach) 39, 164, 173 Pottlitzer-Strauß, Margot 84 Rathenau, Walther 59 Reichmann, Eva G. 153 Rensmann, Lars 17 Richarz, Monika 11, 12, 42 Ritzel, Heinz-Georg 62–64 Röder, Werner 24 Rosensaft, Josef (Jossel) 32–34, 40, 41, 46, 47, 55, 56, 122, 130, 138, 164, 167, 176, 267 Roszyne, Ch. 77 Sachser, Friedo 117, 120, 153, 156, 157 Salomon, Heinz 163 Schaffhausen, Hans 158 Scheel, Walter 253 Schindler, Max 107, 138 Schinnar (Shinnar), Felix 244, 265, 348 Schmid, Carlo 263 Schönborn, Susanne 25, 133, 138 Schoeps, Hans-Joachim 244 Schoeps, Julius H. 11 Schumacher, Kurt 139, 140, 146, 267, 290, 305 Schwarz, W. 185 Sharett, Moshe 264 Siegel, Michael 88 Simonsohn, Berthold 187, 222, 224, 232–234, 286 Skinner, Quentin 22 Slansky, Rudolf 178

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

397

Personenregister Solomon, Robert 48 Spanier, Julius 50, 192, 202, 210 Spiegel, Paul 260 Spiess, Hans 325 Strauss, Herbert A. 24 Tillmanns, Robert 263 Treger, David 39 Truman, Harry 37 Twardowski, Fritz von 271 Ungster, Henryk 77 Van Dam, Hendrik George 13, 14, 17–24, 26, 27, 55, 56, 84–116, 154, 155, 162, 164–172, 178, 181–191, 194, 197–216, 218, 222, 229–263, 265, 266, 269–281, 283–289, 292, 296–304, 306–311, 315, 316, 320–322, 326, 329, 331–342, 346, 347, 349, 351–357 Van Dam, Jacques Abraham 85 Van Dam, Meta (geb. Cohen) 85 Van Dam, Irma Wilma (geb. Wreden) 167, 335 Van Uffelen, Herbert 320

Verburgh, G.J.

95, 96

Warscher, Josef 197–199 Weichmann, Herbert 244, 245 Weinberg, Wilhelm 132, 206, Weinberger, Maurice 208–217, 222, 226, 276 Weingardt, Marcus 143, 144 Weis, Georg 47, 100, 101, 103, 107, 108, 130 Welch, David 118, 119 Weltsch, Robert 61, 87, 153 Wetzel, Juliane 102 Wilhelm II. 57, 85 Wolff, Jeanette 240, 244 Wolfmann, Alfred 347 Wollheim, Norbert 13, 14, 33, 34, 41, 45–48, 53, 55, 56, 79, 82, 109, 111, 114, 122, 131, 132, 138, 164–166, 174, 176, 180, 182, 183, 187, 190, 204, 208, 209, 211, 229, 230, 242, 267, 268, 281, 292, 293, 295 Ziegellaub, Fred 244 Zieher, Jürgen 18

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Ortsregister

Aachen 43, 319 Ägypten 345 Amerika s. USA Amsterdam 90 Argentinien 323, 324 Auschwitz 32, 34, 43, 55, 176, 339, 350 Australien 112, 219 Bad Harzburg 47, 107, 109 Baden-Baden 60, 61, 254 Basel 90, 91, 92 Bayern 37–40, 49–52, 123, 167, 172, 175–177, 185, 192, 194–196, 198, 206–209, 211–216, 218, 220–222, 226–228, 230, 276, 283, 305, 306, 354 Belsen 32, 33, 35, 38, 44, 46–48, 82, 102, 105, 126, 128, 130, 243 Bergen-Belsen 14, 32, 243, 319 Berlin 33, 42, 49, 61, 67, 73, 84–90, 159, 160, 164, 167, 170, 177, 178, 184–186, 214, 232, 243, 248, 293, 319, 332–335, 344 Bern 92 Bolivien 323 Bonn 137, 150, 184–189, 210, 221, 259, 267, 276, 281, 282, 294, 296, 299, 305, 307, 308, 322, 323, 328, 355–357 Brasilien 323, 324 Bremen 46, 180, 235, 247 Breslau 88 Buchenwald 43, 110 Buenos Aires 323, 324, 327 Bundesrepublik 11–17, 19–21, 23–25, 27, 28, 35, 54, 56, 116, 117, 139, 160–162, 168, 172, 174, 182, 184, 186, 190, 191, 195, 204, 210, 214, 232, 242, 244, 250, 251, 254, 259, 262–266, 271, 274, 276, 279, 287, 291, 294, 296, 299, 301, 307, 309–312, 314–316,

322–328, 331, 335, 337, 338, 340–342, 344–351, 353, 354, 356 Celle 102 Cheshire 97 Chile 323 DDR 21, 25, 164, 165, 177–180, 208, 264, 345, 346 Den Haag 92, 216, 231, 264, 286, 287, 305 Detmold 108, 114 Deutschland 11–28, 30, 31, 33–38, 40–43, 47, 49, 51–57, 62–82, 84, 85, 87, 88, 90, 92, 99–102, 104, 106–108, 110–114, 116–118, 120–122, 127, 129, 133, 135, 136, 138–143, 145–157, 159–163, 165, 167–178, 180–183, 185, 187–194, 200, 201, 204, 206, 211–213, 215–220, 223, 225–230, 232, 234–245, 247–269, 271–293, 295–308, 310–324, 326–328, 331, 334–351, 353–357 Diedenhofen (Thionville) 57 Dora-Mittelbau 32 Dortmund 18, 338 Dover 93, 94 Dresden 178, 319, 338 Düsseldorf 18, 26, 36, 43, 44, 46, 61, 73, 76–79, 81–84, 109, 114, 122, 123, 132, 134, 137, 150, 151, 154, 157–159, 183, 184, 186, 188, 189, 204, 215, 282, 289, 290, 295, 312, 314, 319, 330, 331, 336, 338 Eilshausen nahe Herford 102 Ellis Island 208, 211, 212, 281 Elsass-Lothringen 60 England 33, 34, 68–70, 72, 73, 93–98, 101, 124, 155, 353

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

Ortsregister Erfurt 178, 179 Europa 29, 32, 75, 249, 327 Feldafing 38 Flandern 59 Föhrenwald 40, 194, 218–227, 339 Frankfurt am Main 53, 62, 137, 163–166, 183–185, 196, 200, 206, 214, 225, 268, 282, 312 Frankreich 14, 48, 57, 59, 60, 64, 65, 69, 127, 128, 332 Gibraltar 68, 70 Großbritannien 68–71, 73, 118 Haifa 48, 126 Hamburg 45, 46, 111, 112, 117, 127, 129, 156, 164, 166, 167, 183, 184, 187, 232, 233, 248, 282, 293, 298, 319 Hamm 314 Hannover 33, 45, 46, 55 Harz 78 Heidelberg 54, 86, 153, 168 Hessen 165 Hoek van Holland 93 Hoher Meißner 59 Holland 85, 90, 93, 95 Ingolstadt 225 Isonzo 59 Israel 13, 17, 20, 31, 39, 40, 42, 49, 79, 81, 116, 141–148, 155, 162, 183, 194, 219–223, 227, 230, 244, 246, 249–251, 259, 260, 262–267, 270–274, 278–280, 285, 286, 288, 293, 296, 298, 305, 306, 308–310, 318, 322, 327, 332, 333, 337, 339–351, 357 Istanbul 263 Italien 30, 59, 65–67 Jerusalem

153, 342, 343, 347, 348

Kanada 219 Karlsruhe 60, 319 Kassel 59 Kaufering b. Landsberg

38

399

Kiel 46 Köln 18, 42, 43, 137, 153, 174, 186, 188, 265, 282, 328, 330–332, 334, 349 Konstanz 40, 319 Kowno 36, 38, 39 Leipzig 59, 178 Litauen 38 Liverpool 95, 96 London 41, 70–75, 81, 94–98, 101, 104, 106, 110–112, 127, 153, 155, 285 Lübeck 34, 46–48 Luxemburg 141, 236, 264–266, 281, 288, 301, 308, 309, 322, 345, 355 Mannheim 59 Memel 38 Montevideo 322–326 Montreux 31, 49, 138 München 37, 38, 40, 47, 50, 86, 88, 107, 160, 174, 176, 177, 185, 186, 189, 192–194, 196–200, 202–212, 215–218, 222, 226, 227, 248, 279, 282, 286, 312, 339 New York 208, 237, 280, 282–285 Niederlande 85, 92, 93, 95, 101 Niedersachsen 45, 298 Nizza 65 Nordafrika 68 Nordrhein-Westfalen 46, 158, 282, Nordwestdeutschland 45, 49, 78, 137, 167 Nürnberg 37, 50, 121, 255, 256, 323 Offenbach am Main 318 Oldenburg 99 Ost-Berlin 53, 167, 179 Ostdeutschland 18, 21, 164, 179, 180, 186 Österreich 30, 69, 71, 72, 108 Osteuropa 11, 15, 30, 43, 215 Palästina 30, 32, 33, 35, 39, 48, 49, 80, 81, 126–129, 148 Paris 28, 65, 66, 280, 283, 285, 333, 334 Philadelphia 37 Portugal 153

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310

400 Prag

Ortsregister 178

Rheinland 76, 120, 185, 186, 189 Rheinland-Pfalz 49 Riga 104, 110–112 Rio de Janeiro 324 Roden im Saarland 56, 57 Rom 65, 66 Rumänien 332, 333 Saarbrücken 62, 63, 338 Saarland 49, 56, 62–65 Saarlouis 56, 57 Sachsenhausen 43 Schleswig-Holstein 45, 298 Schweiz 90–92, 224, 263 Spanien 31, 277 St. Ottilien 36, 38, 40 Straßburg 57–60 Stuttgart 53, 169, 199–201, 204, 205, 282, 286, 312, 338 Südamerika 225, 310, 312, 321–324, 326–328, 337, 355

Tanger 68 Tel Aviv 153 Trier 56, 57 Ungarn 332 Uruguay 324–326 USA 30, 33, 34, 49, 54, 67, 68, 73, 112, 172, 176, 208, 219, 221, 293, 313, 325 Verdun 59, 61 Vereinigte Staaten von Amerika

s. USA

Washington D.C. 41 Wassenaar b. Den Haag 264 West-Berlin 177, 179, 335 Westdeutschland 11, 13, 19, 20, 54, 80, 99, 138, 177, 179, 189, 310, Westfalen 43–46, 120, 174, 282 Wien 319 Wiesbaden 61, 291, 312 Wolverhampton 97 Zürich 319 Zypern 48, 127

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525570319 — ISBN E-Book: 9783647570310