Jahresgabe 1941 der Winckelmann-Gesellschaft [Reprint 2019 ed.] 9783111522401, 9783111154060

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Jahresgabe 1941 der Winckelmann-Gesellschaft [Reprint 2019 ed.]
 9783111522401, 9783111154060

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WINCKELMANN-GESELLSCHAFT STENDAL

JAHRESGABE 1941

BERLIN V E R L A G W A L T E R D E G R U Y T E R & CO

A r c h i v - N r . 5 1 7 7 42 Printed in G e r m a n y D r u c k von W a l t e r de G r i ^ ' t e r & Co. v o r m a l s G . J . G ö s c h e n ' s e h e V e r l a g s h a n d l u n g — J. G u t l e n l a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g — G e o r g R e i m e r — K a r l J. T r ü b n e r — V e i t & C o m p .

Berlin YV 55

INHALTSVERZEICHNIS Albert Ippel, Winckelmanns

Bedeu-

tung für seine und unsere Zeit . . Rudolf

Große,

Winckelmann

und

Stendal

i•

5

55

Zu der Abbildung und den Tafeln .

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Jahresbericht

55

Mitgliederverzeichnis

57

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W I N CK E L M A N N S BEDEUTUNG FÜR SEINE UND UNSERE

N

VON A L B K R T

ZEIT

li'PEL

ach langen Zeiten mühseligen Wanderns, Wartens und Suchens, Zeiten harter Entbehrungen und doch unablässig stürmisch-sehnsüchtigen Lernens und Lesens bietet sich Winckelmann in Dresden — 1754/1755 — zum erstenmal in seinem Leben ein Jahr der Ruhe, der inneren Sammlung, ein erstes Jahr der Freiheit, in dem der Blick über Vergangenem und Zukünftigem des eigenen Lebens-schweifen kann und lange und inbrünstig ersehnte Fernen sich zu öffnen scheinen. Da bricht übermächtig in seinem Inneren ein Keim auf, der mit elementarer Kraft zu treiben beginnt und zu ungeahnter Entwicklung drängt. "Winckelmann. gesteht später: »Die Liebe zur Kunst ist von Jugend auf meine größte Neigung gewesen, und ohnerachtet mich Erziehung und Umstände in ein ganz entferntes Geleis geführet hatten, so meldete sich dennoch allezeit mein innerer Beruf.« 1 Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Winckelmann in diesem Bekenntnis die Wahrheit ausspricht, wenn es uns auch auf den ersten Blick vielleicht nicht zu gelingen scheint, den Beleg für diese seine innere Neigung aus den früheren Jahren seines Lebens o

o

zu finden. Und doch liegt ja der Beweis für die Richtigkeit jenes Satzes schon in den langen sorasamen »Auszügen aus den besten Büö O O ehern, die mir nicht um 100 Dukaten feil sind« 2 , wie er in einem Brief an Uden am 5. Juni 1755 schreibt. Aber erst in Dresden hat er wirklich zu seinem inneren Beruf gefunden, lösten sicli von seinem Geist die Fesseln, gewann seine Seele die warme Freundschaft mitfühlender Herzen, deren er bedurfte, u m ganz er selbst sein zu können. Jetzt wurde seine Liebe zur Kunst der Punkt, um den herum sich sein in unendlicher Arbeit errungenes Wissen zu klarer Ordnung ausbreitet, an dem all sein Denken, zu neuer Form kristallisiert, zusammenschießt. 5

Als erstes W e r k des aclitunddreißigjährigen Mannes erscheinen seine »Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke«, eine nur vierzig Seiten lange, aber in fast jedem W o r t Neues, Programmatisches verkündende Schrift (vgl. Tafel 24). Hören wir in Kürze einige der Hauptsätze aus ihrem Anfang. »Der einzige W e g für uns, groß, ja wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten, und was jemand vom Homer gesaget, daß derjenige ihn bewundern lerne, der ihn wohl verstehen gelernet, gilt auch von den Kunstwerken der Alten, sonderlich der Griechen. Man muß mit ihnen, wie mit seinem Freunde, bekannt geworden sein, um den Laokoon eben so unnachahmlich als den Homer zu finden.« 3 »Die Kenner und Nachahmer der griechischen Werke finden in ihren Meisterstücken nicht allein die schönste Natur, sondern noch mehr als Natur, das ist, gewisse idealische Schönheiten derselben.« 4 »Der Einfluß eines sanften und reinen Himmels wirkte bei der ersten Bildung der Griechen, die frühzeitigen Leibesübungen aber gaben dieser Bildung die edle Form.« 5 Man »kann die vorzügliche Schönheit ihrer Körper vor den unsrigen mit der größten "Wahrscheinlichkeit« 6 behaupten. »Die Körper erhielten durch diese Übungen den großen und männlichen Kontur, welchen die griechischen Meister ihren Bildsäulen gegeben, ohne Dunst und überflüssigen Ansatz.« 7 »In Griechenland, wo man sich der Lust und Freude von Jugend auf weihete, . . . da zeigete sich die schöne Natur unverhüllet zum großen Unterrichte der Künstler . . .« 8 Die Schule der Künstler war in den Gymnasien, wo die jungen Leute ganz nackend ihre Leibesübungen trieben.« 9 Es »war auch ein jedes Fest bei den Griechen eine Gelegenheit, sich mit der schönen Natur aufs genaueste bekanntzumachen.« 1 0 »Diese häufigen Gelegenheiten zur Beobachtung der Natur veranlasseten die griechischen Künstler noch weiter zu gehen: sie fingen an sich gewisse allgemeine Begriffe von Schönheiten sowohl einzelner Teile als ganzer Verhältnisse der Körper zu bilden, die sich über die Natur selbst erheben sollten; ihr Urbild war eine bloß im Verstände entworfene geistige Natur.« 1 1

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»Die sinnliche Schönheit gab dem Künstler die schöne Natur5 die idealische Schönheit die erhabenen Z ü g e : von jener nahm er das Menschliche, von dieser das Göttliche.« 1 2 Man wird bei den Griechen »die höchsten Grenzen des menschlich und zugleich des o göttlich Schönen bestimmt« finden. 1 3 Ein großes Idealbild des griechischen Volkes ist es, das Winckelmann in dieser ersten Schrift skizziert. Aus der völkischen Eigenart, der Natur und dem Klima des Landes erklärt er die besondere schöne Menschlichkeit der Griechen, Sitten und Erziehung formen dieses Volk zu unvergleichlich edeln Bildungen im Leib-Seelischen und -Geistigen. Denn »durch die Freiheit erhob sich wie ein edler Zweig aus einem gesunden Stamme das Denken des ganzen Volkes« 1 4 . Eine solche großartige Gesamterfassung eines Volkes überhaupt war etwas Neues, und ebenso neu, ja unerhört war es, daß gerade die Griechen als jenes wunderbare Volk erkannt wurden. Wie war Winckelmann zu dieser seiner Schau des Griechentums gekommen? Einen Einblick in sein geistiges und seelisches Werden gewährt vielleicht eine Stelle aus seiner »Abhandlung von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen«, die er dem jungen Ii vländischen Freiherrn Friedrich Reinhold von Berg im Jahre 1765 widmete. Es ist eine jener Schriften, in der er, von glühender Vergötterung eines jungen schönen Freundes ergriffen, voll aus seinem Inneren schöpfte und Allerpersönlichstes ausströmte und mitteilte. So klingen die folgenden Worte wie eine Schilderung des eigenen Wachwerdens und Erkennens: »Bei angehender Jugend ist diese Fähigkeit (der Empfindung des Schönen) in dunkele und verworrene Rührungen eingehüllet, und meldet sich wie ein fliegendes Jucken in der Haut . . . Deutlicher entdecket sich dieselbe, wenn in Lesung eines Skribenten die Empfindung zärtlicher gerühret wird, wo der wilde Sinn überhin fähret . . . Wo diese Empfindung nicht ist, prediget man Blinden die Kenntnis des Schönen 1 5 . . . Das Gefühl soll gerühret werden, wie ein schöner T a g entstehet, durch Anmeldung einer lieblichen Morgenröte . . ,« 1 6 es muß kommen »wie ein milder T a u « 1 7 . Und dann gibt Winckelmann folgenden Vorschlag zum Unterricht im 7

Erfassen des Schönen: »Zuerst sollte Herz u n d E m p f i n d u n g durch E r k l ä r u n g der schönsten Stellen alter und n e u e r Skribenten, sonderlich der Dichter, r ü h r e n d erwecket und zu eigener Betrachtung des Schönen in aller Art zubereitet werden, weil dieser W e g zur Vollkommenheit f ü h r e t . Zu gleicher Zeit sollte das Auge an Beobachtung des Schönen in der Kunst g e w ö h n e t w e r d e n . . .« 18 »Man lege demselben anfänglich die alten AA'erke in erhobener Arbeit, nebst den alten Gemälden, vor, welche Santes Bartoli gestochen . . ,«19, »Man suche die griechischen M ü n z e n des Golzius«, »die Abdrücke der besten geschnittenen Steine« 20 u n d f ü h r e zu e i n e m Vergleich alter u n d n e u e r Steine, u m »den irrigen Begriff« des w a h r e n Schönen »in den m e h r e s t e n n e u e n Arbeiten zu o zeigen . . ,« 21 Doch »die Kopie i m Kleinen ist n u r der Schatten, nicht die W a h r h e i t . . ,« 22 Es k a n n »die w a h r e u n d völlige Kenntnis des Schönen in der Kunst nicht anders als durch Betrachtung der Urbilder selbst erlanget werden«. 2 3 Es liest sich wie Winckelmanns eigener Eebens- u n d Werdegang. AVenn er in all seines Lebens U n g e m a c h »Gleichnisse aus dem H o m e r u s betete« 24 , die schönsten Stellen aus Sophokles, Xenophon, Piaton u n d Plutarch i m m e r u n d i m m e r wieder liest u n d sie sich heilig erschauernd vorspricht, dann g e w i n n t seine Seele Flügel, die Schönheit r ü h r t die H a u t nicht m e h r n u r »mit flieg e n d e m Jucken«, sondern e n t f l a m m t sein ganzes G e m ü t . Ein W u n d e r b i l d herrlichster Vollkommenheit steigt vor seinem seherisch gewordenen Auge auf, die »glückselige Lage« 2 5 des griechischen Landes, der blaue, ewig milde H i m m e l des Südens, »die wohlli'istigen Inseln« 2 6 im jonischen Meer, leuchtende »Seegestade«, Menschen von edler Schönheit mit einer Sprache von göttlichem AArohlklang27 — die griechische AA'elt. D e n n dieses ist ja, u m seinen t r i u m p h i e r e n d e n Ausruf zu gebrauchen, das erste »AA'under Johann AA r inckelmanns« 28 , daß er aus der Urquelle schöpft, wirklich die Griechen in ihrer eigenen griechischen Sprache lesen kann. Aus tiefster Not und Sehnsucht hatte er zu i h n e n g e f u n d e n . Er sah die Griechen u n g e t r ü b t durch ein f r e m d e s M e d i u m , erblickte mit plastisch vergegenständlichender Kraft ihre ganze Menschlichkeit, ihre Kunst, ihre Dicht u n g , i h r e Götter, und dies mit griechischen Augen. Es ist dies 8

w a h r h a f t ein W u n d e r in jener Zeit, da die Kenntnis des Griechischen in ganz Europa wieder auf einen kläglichen T i e f p u n k t hinabgesunken war 2 9 . Daß seine Seele auf jeden Ton, der aus dem Griechischen zu ilun klang, m i t vollem Mitschwingen antwortete, ist das Geheimnis seiner seelischen u n d geistigen Kräfte, ein P h ä n o m e n , unerklärbar wie jedes geniale Wesen u n d W i r k e n , ablesbar n u r aus den äußerlich in Erscheinung t r e t e n d e n T a t sachen, nachweisbar aber in jeder Einzelheit seiner großen Lebensschöpfung. W e n n er von den griechischen Künstlern sagt, das Urbild der von i h n e n dargestellten Schönheit sei ein »bloß im Verstände entworfenes«, so gilt eben dies von seinem eigenen Bilde des Griechentums ü b e r h a u p t — es war eine Schau. Und nach den A n d e u t u n g e n in jenen W o r t e n an Berg müssen w i r überzeugt sein, daß er von jedem Zeichen, das i h m aus j e n e m Götterlande begegnete, zärtlich g e r ü h r t wurde, daß er die M ü n zen, die er in Halle bei J. H. Schulze zu sehen bekam, die G e m menabdrücke u n d G e m m e n , die geschnittenen Steine Stoschs, die Stiche des Santes Bartoli mit d e m wachen Staunen des h e i m lichen Jüngers betrachtete und in i h n e n einen G r u ß aus dem L a n d der Sehnsucht erblickte. Als W i n c k e l m a n n zu engerer V e r b i n d u n g als bisher in den Oeserschen Kreis in Dresden trat, war er gewißlich ebenso der Gebende wie der N e h m e n d e . Was er brachte, konnte keiner der dort Versammelten besitzen: sein Wissen und seinen Glauben vom Griechentum, sein gewaltiges geschichtliches Wissen ü b e r haupt, seine systematische D u r c h d r i n g u n g u n d Zusamnienschau geschichtlicher Abläufe in »Wachstum, Flor u n d Fall« 30 , die Kunst kritischer Bearbeitung u m f a n g r e i c h e n historischen Stoffes, sodann seine durch Studium der Naturwissenschaft geklärte u n d erprobte Gabe der scharfen, u n v o r e i n g e n o m m e n e n Beobachtung, von der wir noch Proben hören w e r d e n . U n d daß er von den Anderen auch n a h m ? Gerade dies ist ja das Zeichen des Genies, daß es im N e h m e n unersättlich alle S t r ö m u n g e n seiner Zeit in sich sammelt u n d aus eigenem Geist das Neue, der Z u k u n f t Voranleuchtende zeugt. Welches w a r e n auf künstlerischem Gebiet die S t r ö m u n g e n i n

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d e m Dresdner Kreis, in den er trat? Schon seit dem ersten SiegPrinz Kugens über die Franzosen bei Höchstädt i m Jahre 1704 b e g a n n in deutschen Landen das alles überstrahlende Gestirn Frankreichs langsam seinen Glanz zu verlieren. So sehr sich die Höfe Deutschlands noch von der Kunst von Versailles u n d all i h r e n Ausläufern blenden ließen, w a r e n doch schon aus den T i e f e n der deutschen bildenden Kunst, so wie in der Musik, W e r k e entstanden, in denen sich die nationale W i e d e r g e b u r t verheißungsvoll ankündigte, ja aufs schönste vollzogen hatte. U n d der M a n n , in dessen Haus W i n c k e l m a n n in Dresden einzog (vgl. Tafel 1) und u n t e r dessen besonderem Einfluß er stand, Adam Friedrich Oeser, h a t t e das Glück gehabt, zwei Jahre lang, 1731 und 1752, Schüler von Georg Raphael Donner zu sein, also gerade in der Zeit, da dieser in seinem wundervollen B r u n n e n vom W i e n e r N e u m a r k t das erste w a h r h a f t nationale Bekenntnis errichtete (vgl. Tafel 2 u n d 3). Die Bedeutung dieses W i e n e r Künstlers ist k a u m zu überschätzen, u n d zwar kunstgeschichtlich wie geistesgeschichtlich 31 . Er war der größte Plastiker seiner Zeit, vielleicht des ganzen 18. J a h r h u n d e r t s . In Italien war Donner n u r , u m M a r m o r zu kaufen 3 2 . Seine Antikenkenntnis hatte i h m W i e n vermittelt, wo Prinz Eugen den betenden Knaben u n d die drei später nach Dresden v e r k a u f t e n »Vestalen« besaß, wo der schöne Amazonensarkophag stand, sich im Besitz des Erzherzogs Leopold W i l h e l m eine größere S a m m l u n g von antiken W e r k e n b e f a n d 3 3 u n d Leopold I. Gipsabgüsse u n d Nachbildungen der damals b e r ü h m t e s t e n Statuen aufgestellt hatte. D e m Genie ist die Gabe verliehen, durch tiefe Versenkung auch in den kleinsten Teil des Ganzen dessen Wesentliches zu erforschen und dessen Kräfte in sich überzuleiten. So entdeckte Donner an jenen W i e n e r Antiken aus tiefster Naturverwandtschaft ganz n e u e ' W e s e n h e i t e n , Freiheit, Einfachheit und R u h e , M ä ß i g u n g , Heiterkeit u n d Grazie, deren feine, lichte Ströme er in seine eigene Kunst lenkte. Er fand in ihr jene reint ö n e n d e H a r m o n i e von Körper u n d Geist u n d Seele, zu der sein eigenes Wesen hinstrebte, las aus ihren "Werken, daß in dem r u h i g stehenden Körper sich dessen inneres, geistiges und seelisches Leben n u r u m so stärker sammle und darstelle. Er erk a n n t e die Bedeutung der eine Statue u m f a n g e n d e n Grenzlinie, 10

des Konturs, wie er sich schwinge und in sicli selbst zurückströme, und wie das Gewand, die »Draperie«, n u r der Einheit des Werkes zu dienen, den Körper nicht zu verdecken habe, sondern m i t i h m lebe, daß es seine Bewegung u n d die aus dieser Haltung •sprechende seelische und geistige Besonderheit bereichern und klären solle. Oeser hatte bei Donner modellieren gelernt (vgl. Tafel 4 und 5) und w u r d e von i h m e i n g e f ü h r t in das S t u d i u m »des Kostüms und der Antike« 3 4 . I n welchem Sinne, haben wir uns soeben klar gemacht. Oeser »sprach von Raphael Donner bis an sein Ende mit w a h r h a f t zärtlicher R ü h r u n g und zeigte das Bild desselben den F r e u n d e n wie e i n e n Heiligen in der Hauskapelle« 3 5 , und, so d ü r f e n wir hinzusetzen, w a h r t e auch dessen Lehre wie ein Heiligtum und gab sie s e i n e m damaligen F r e u n d e weiter 3 6 . Nicht aus blutleerem Theoretisieren also war in Oesers Haus die neue Idee der Schönheit •entwickelt. H i n t e r ihr steht vielmehr das vollendete AVerk eines g r o ß e n Meisters. So n u r wird die Kraft verständlich, die von ihr ausging, zuerst zu Winckelmann, dann zu Goethe. Von dem a r m e n S o h n des Z i m m e r m a n n s aus Eßlingen bei W i e n strömte sie über i n den a r m e n Schustersohn aus Stendal, denn hier bei Winckelm a n n traf sie auf einen verwandten Geist, der sich aus dem reinen Griechentum g e n ä h r t hatte und sein Sehnen langsam Gestalt werden sah. N u n drängte es ihn nach voller Klarheit, u n d diese konnte n u r aus dem Gegenbilde zu dieser Idee entwickelt •werden. »Die W i d e r l e g u n g des Bernini«, die er als den einen Zweck seiner ersten Schrift bezeichnet 3 7 , konnte allein diese L ä u t e r u n g bring e n . Dabei spielte es keine Rolle, daß »die freche Franchezza, e n Auge o betrachtest. Alsdann wird Dir Herkules wie m i t t e n in allen seinen U n t e r n e h m u n g e n erscheinen, und der Held und der Gott w e r d e n in diesem Stücke zugleich sichtbar werden . . ,« 77 »In jedem Teile des Körpers offenbaret sich, wie in einem Gemälde, der ganze Held in einer besonderen Tat, u n d m a n siehet, so wie die richtigen Absichten in dem vern ü n f t i g e n Baue eines Palastes, hier den Gebrauch, zu welcher T a t ein jedes Teil gedienet hat.« 7 8 »Ich k a n n das Wenige, was von der Schulter noch zu sehen ist, nicht betrachten, ohne mich zu erinnern, daß auf i h r e r ausgebreiteten Stärke, wie auf zwei Gebirgen, die ganze Last der himmlischen Kreise gCT e r u h e t hat. Mit was f ü r einer Großheit wächset die Brust an, u n d wie prächtig ist die anhebende R u n dung ihres Gewölbes.« 79 »Fraget diejenigen, die das Schönste in der Natur der Sterblichen k e n n e n , ob sie eine Seite gesehen haben, die m i t der linken Seite zu vergleichen ist. Die W i r k u n g u n d G e g e n w i r k u n g i h r e r Muskeln ist m i t einem weislichen M a ß e von abwechselnder R e Ö g u nO g und schneller Kraft w u n d e r w ü r d i gO a b O g e w oDg e n . . xi 80 »In diesem Augenblicke d u r c h f ä h r e t m e i n Geist die entlegensten Gegenden der Welt, durch welche Herkules gezogen ist, u n d ich werde bis a n die Gränzen seine]- Mühseligkeiten u n d bis an die D e n k m a l e

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und Säulen, wo sein Fuß ruhete, geführet durch den Anblick der Schenkel von unerschöpflicher Kraft. Ich fing an, diese entfernten Züge zu überdenken, da mein Geist zurückgerufen wird durch einen Blick auf seinen Rücken. Ich wurde entzücket, da icli diesen Körper von hinten ansahe, so wie ein Mensch, der nach Bewunderung des prächtigen Portals an einem Tempel, auf die Höhe desselben geführet würde, wo ihn das Gewölbe desselben, welches er nicht übersehen kann, von neuem in Erstaunen setzet.« 8 1 »Scheinet es unbegreiflich, außer dem Haupte, in einem andern Teile des Körpers eine denkende Kraft zu zeigen: so lernet hier, wie die Hand eines schöpferischen Meisters die Materie geistig zu machen vermögend ist. Mich däuchet, es bilde mir der Rücken, welcher durch hohe Betrachtungen gekrümmet scheinet, ein Haupt, das mit einer frohen Erinnerung seiner erstaunenden Taten beschäftiget ist5 und indem sich so ein Haupt voll Majestät und Weisheit vor meinen Augen erhebet, so fangen sich an in meinen Gedanken die übrigen mangelhaften Glieder zu bilden: es sammelt sich ein Ausfluß aus dem Gegenwärtigen, und wirket gleichsam eine plötzliche Ergänzung.« 8 2 »In jedem Teil des Körpers offenbart sich der ganze Held in einer besonderen Tat.« So erfaßt Winckelmann mit zunehmender Sicherheit das Wesen jeder einzelnen Statue. Der Herkules Farnese ist noch der mitten in Mühen und Leisten stehende Held, dem die Wolke des Unmuts auf der Stirne schwebt. Es ist der Herkules, »welcher wider Ungeheuer und gewaltsame Menschen zu streiten hatte, und noch nicht an das Ziel seiner Arbeiten gelanget war«, zum Unterschied »von dem mit Feuer gereinigten (d. h. bereits auf dem Ota verbrannten) und zu dem Genuß der Seligkeit des Olympus erhobenen Körper« 8 3 — er meint den Torso Belvedere. Durch solch Beobachten offenbart sich dem denkenden Auge allein aus dem Körper, ob ein Gott oder ein Mensch dargestellt ist. Die Griechen bildeten die Formen »an Helden heldenmäßig« 8 4 , an Menschen menschlich, alle Mannigfaltigkeiten mußten diesem Zweck der Sichtbarmachung und Steigerung der menschlichen Gestalt dienen. Beim Fechter Borghese sind die Muskeln in den 22

Seiten ganz anders als beim Laokoon u n d Herkules u n d Apollon gebildet, und vor allem k ü n d e n b e s t i m m t e typische Besonderh e i t e n der F o r m e n von H a u p t und Gesicht von der Wesenheit des Dargestellten, ob Gott oder Mensch. Doch all diese gewichtigen L a n d n a h m e n auf dem Gebiet der Kunst sind n u r die vorbereitenden U n t e r n e h m u n g e n in Absicht auf die große Eroberung, die er, noch nicht ein Jahr in Rom, Bianconi am 29. August 1756 in e i n e m Brief a n k ü n d i g t 8 5 : die Geschichte der Kunst des Altertums. I n ihr aber ist nach seiner eigenen U b e r z e u g u n g das Wesen der Kunst der vornehmste Endzweck. Also vom Wesen des einzelnen Kunstwerks drängt er weiter z u m W e s e n der griechischen Kunst ü b e r h a u p t . Nie aber läßt er von der fest e r r u n g e n e n Grundlage all seines Schaffens, nie e r m ü d e t er in i m m e r stürmisch drängenderer, i m m e r wiederholter Beobachtung des einzelnen Werks. Die ganze Art seines Schaffens wird uns hier deutlich. Schon in seiner noch in Nöthenitz e n t w o r f e n e n Schrift »Gedanken vom m ü n d l i c h e n Vortrag der allgemeinen n e u e r e n Geschichte«, die aber nicht veröffentlicht wurde, plante er, in A n l e h n u n g an Montesquieu, eine Behandlung der Geschichte nach dem organischen Lebensgesetz von »Aufnahme, W a c h s t u m , Flor u n d Fall« 86 . K a u m n u n , daß W i n c k e l m a n n zu dem w a h r e n Kern des eigenen Lebens vorgestoßen ist, da strömt sein gesamtes D e n k e n und Forschen in diese neue Bahn, da ordnet er das Geschehen der griechischen Kunst, der ganzen griechischen Geschichte nach j e n e m Gesetz. »Den Ursprung, das W a c h s t u m , die V e r ä n d e r u n g u n d den Fall« der Kunst 8 7 soll sein Buch umfassen, »nebst dem verschiedenen Stile der Völker, Zeiten u n d Künstler . . . u n d dieses aus den übrig gebliebenen W e r k e n des Altertums«. D a m i t ist ein W e g vorgezeichnet u n d wird ein W e r k ausgebaut, wie es noch keines gegeben. Eine große Überschau ü b e r gewaltige u n d entscheidende Zeitabläufe, g e w o n n e n aus tiefstem Einzelwissen, gelenkt aus jener geheimnisvollen Intuition, die i h n schon, f e r n von allen AVerken der antiken Kunst, ü b e r k o m m e n hatte. Liegt in der D e u t u n g der einzelnen W e r k e u n d in deren U m z e u g u n g zu einem Sprachkunstwerk schon eine höchste

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schöpferische Tat, so zeigt Winckelmann in seiner großen Geschichte der Kunst wahrhaften Seherblick und baumeisterliche Klarheit und Größe. Die »Antike« — das war bisher nur der eine große Sammelbegriff für das gesamte Altertum. Von Polyklet — von ihm hatte man ja aber keine Ahnung — bis ins vierte Jahrhundert n. Chr. hinein dachte man sich wohl die Kunst in den gleichen Formen einherlaufend. Voll Unwissenheit nenne man »alle Werke Antiquen, von der Zeit Alexanders des Großen bis auf den Phocas.« 88 Griechische Kunst, dieser Begriff bestand überhaupt kaum, nicht einmal bei Caylus, nach dem die Entwicklung der Kunst durch alle Völker hindurch in einer einheitlichen Linie verlief, ohne daß die Kunst eines einzelnen Volkes, wie des griechischen, eine besondere Bedeutung besaß. Wie hilflos stand man der Kunst als solcher gegenüber. Hören wir nur einen Satz aus der »Abhandlung über die Kunst« von dem doch sonst so bedeutenden Joh. Chr. Christ: »Alles Bildwerk läßt sich füglich in das Ganzrunde oder Völlige und das Halbrunde, auf einem platten Felde einteilen« (gemeint ist das Relief). So trocken und trostlos augenfern ist alles, was damals über Kunst geschrieben wurde, geschweige die griechische. Wie ist da jedes Wort Winckelmanns Leben vom lebendigen Leben gezeugt, strömt sein klares, geistvolles Deutsch aus unerschöpflichem Quell geläuterter Sinnlichkeit und reiner Erkenntnis dahin, erhebt sich sein ganzes Werk auf eine völlig neue, noch von niemand erahnte Höhe. Nur weil die folgenden Zeiten des 18. und 19. Jahrhunderts auch so augenfern waren, beging man das unbegreifliche Unrecht, Winckelmann nicht mit unter die erlauchtesten deutschen Genies jener Heroenzeit einzureihen. Wachstum und Fall der griechischen Kunst gliedern sich nach Winckelmann in vier Zeiten und ebenso viele Stile: den älteren Stil, den hohen Stil, den schönen Stil und den Stil der Nachahmer. Ihm mußte alles daran gelegen sein, feste Daten in die große, völlig ungeordnete Masse von Marmorwerken in all den römischen Sammlungen einbauen zu können. »Ich werde aber den Schluß nicht machen können, ehe ich nicht Neapel gesehen; denn 24

die Zeit, in welcher diese Statuen (nämlich des Belvedere) gearbeitet sind, m u ß durch Vergleichung der herkulanischen, w o möglich, b e s t i m m e t werden.« 8 9 Da durch das Verschüttungsjahr 79 n. Chr. f ü r alle die aus den Ausgrabungen g e w o n n e n e n Bronzen u n d anderen Kunstwerke ein fester Z e i t p u n k t gesetzt ist, wollte er dort jene notwendigen Z e i t m a r k e n finden — eine völlig moderne, gleichsam auf das Experiment gegründete Methode, die hier z u m erstenmal A n w e n d u n g findet. Es w e r d e n n u n alle Denkmäler sorgsam ü b e r p r ü f t , nach strengen stilkritischen Gesichtspunkten in jene vier Stile eingereiht u n d nach ihrer allgemeinen Erscheinungsform gewürdigt, m a n darf wohl auch sagen seherisch gedeutet. W i e wenige W e r k e d e r g r o ß e n Zeit der griechischen Kunst standen W i n c k e l m a n n t a t sächlich zur V e r f ü g u n g . Aigina, Olympia, der P a r t h e n o n w a r e n noch nicht in seinen Gesichtskreis getreten, u n d doch h a t er allzeit gültige Erkenntnisse aussprechen können. Spricht er vom hohen Stil, so sieht er i h n auch sogleich in die geistigen Ström u n g e n des f ü n f t e n J a h r h u n d e r t s eingereiht: »mit e i n e m ä h n liche Stile erhob sich die Tragödie . . . in mächtigen W o r t e n u n d starken Ausdrücken von großem Gewichte, wodurch Äschvlus seinerr Personen Erhabenheit, u n d der Wahrscheinlichkeit i h r e Fülle gab.« 90 »Endlich, da die Zeiten der völligen Erleuchtungu n d Freiheit in Griechenland erschienen, w u r d e auch die K u n s t freier u n d erhabener.« 9 1 Phidias, Polyklet, Myron sind die eigentlichen F ü h r e r dieser Zeit. I h r Stil »kann der große g e n e n n e t werden, weil a u ß e r der Schönheit die vornehmste Absicht dieser Künstler scheinet die G r o ß heit gewesen zu sein«. 9 2 Von keinem von i h n e n k a n n t e W i n c k e l m a n n ein W e r k — und wie ist das Wesen eines Doryphoros aus. einer visionären A h n u n g heraus ergriffen. Auch daß die »Großheit in Vergleichung gegen die wellenförmigen Umrisse der Nachfolger . . . eine gewisse Härte k a n n gezeiget haben« u n d daß die Umrisse der Z e i c h n u n g noch »in W i n k e l gegangen, welches durch das W o r t viereckt oder eckicht scheinet angedeutet zu w e r den.« 9 3 »Der schöne Stil der Kunst hebet sich an vom Praxiteles.« Seine »vornehmste Eigenschaft ist dieGratie, . . . alles Eckigte w u r d e v e r -

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mieden«, »die Figuren erhielten das Wellenförmige«. Überhaupt »stelle man sich die Figuren des hohen Stils gegen die aus dem schönen Stile vor, wie Menschen aus der Helden Zeit . . . gegen gesittete Athenienser in dem Flore ihres Staats.« 94 Eine geistvolle Gegenüberstellung, deren Berechtigung wiederum erst durch die Entdeckungen der neueren Zeit eigentlich erwiesen wird. Der Apollon aus dem Olympia-Westgiebel, er ist ein Bild des heroischen Polisideals der Zeit nach den Perserkriegen, der Hermes des Praxiteles eine Darstellung des auch geistig, dialektisch voll durchgebildeten Mannes (vgl. Tafel 14 und 15). Und bei der Durchführung dieses Vergleichs zwischen hohem und schönem Stil gelangt AVinckelmann zu einer besonders feinen Bestimmung des Wesens der »Gratie.« Praxiteles, also der uns Heutigen durch seinen Hermes vertrauteste Meister des schönen Stils, er suchte »die hohe Schönheit mit einem sinnlichen Reize zu begleiten, und die Großheit durch eine zuvorkommende Gefälligkeit gleichsam geselliger zu machen.« 95 Es ist die eine Gratie, »die Tochter der irdischen Venus«. »Diese lasset sich herunter von ihrer Hoheit, und machet sich mit Müdigkeit, ohne Erniedrigung, denen, die ein Auge auf dieselbe werfen, teilhaftig: sie ist nicht begierig zu gefallen, sondern nicht unerkannt zu bleiben.« 96 Die Gratie des hohen Stils ist »wie die himmlische Venus, von höherer Geburt, und von der Harmonie gebildet, und ist beständig und unveränderlich, wie die ewigen Gesetze von dieser sind . . .« »sie scheinet sich selbst genugsam und bietet sich nicht an, sondern will gesuchet werden; sie ist zu erhaben, um sich sehr sinnlich zu machen . . . dem Pöbel erscheinet sie störrisch und unfreundlich; sie verschliesset in sich die Bewegungen der Seele, und nähert sich der seligen Stille der göttlichen Natur.« 97 Dieser Gratie opferten die Künstler des hohen Stil«, entsprechend der Höhe ihrer Ideen. Durch diese himmlische Gratie »wägete sich auch der Meister der Niobe in das Reich unkörperlicher Ideen, und erreichete das Geheimnis, die Todesangst mit der höchsten Schönheit zu vereinigen: er wurde ein Schöpfer reiner Geister und himmlischer Seelen, die keine Begierden der Sinne erwecken, sondern eine anschauliche Betrachtung aller Schönheit wirken«. 98

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W i e d e r zeigen diese Worte — von der nicht richtigen D a t i e r u n g der Niobe abgesehen — lind die in i h n e n enthaltene W e r t u n g , die d e m h o h e n Stil zuteil wird, w i e das Genie W i n c k e l m a n n » ü b e r den Zeiten thront. M a n könnte denken, er sei zu seinem H y m n u s auf die himmlische Gratie d u r c h die Bildwerke des P a r t h e n o n i n Giebel u n d Fries begeistert worden, u n d doch k o n n t e er ja noch nichts von i h n e n k e n n e n . U n d bei d e m M a n n des 18. J a h r h u n d e r t s könnte m a n es fast als selbstverständlich a n n e h m e n , daß i h m der schöne Stil besonders zugesagt h ä t t e . Aber er war, seinem hohen Meister Piaton folgend, selbst in das Reich der göttlichen Ideen emporgestiegen u n d f a n d diese a m r e i n s t e n u n d höchsten i m h o h e n Stil F o r m geworden. W i n c k e l m a n n f ü g t gelegentlich einer Betrachtung über die Schönheit eine E r i n n e r u n g bei. Er r ä t : »Suche nicht die Mängel u n d U n v o l l k o m m e n h e i t e n in W e r k e n der Kunst zu entdecken, bevor d u das Schöne e r k e n n e n u n d finden gelernet.« 9 9 I n dieser G e s i n n u n g wollen auch wir auf sein großes W e r k der K u n s t blicken u n d vor i h m verweilen. D e n n es ist ein W e r k , das d u r c h seine Schönheiten u n d tiefen W a h r h e i t e n nicht n u r in seiner Zeit, sondern f ü r alle Zeiten einen n e u e n A n f a n g schuf. W i n c k e l m a n n entdeckte ein Volk in der Ganzheit seines Lebenswirkens. Aus L a n d , Klima, völkischer Eigenart deutete er dessen Geist u n d Seele, seine Sitten u n d Erziehung, seine Gesetze u n d Götter u n d Lebensbräuche. Dies Volk ist das der Griechen. Er n a h t e i h n e n m i t der urgriechischen Allkraft des Eros, durchg l ü h t von der Idee des Schönen. Er entdeckte ihre Kunst u n d deutete sie als Wesensausdruck griechischer Seele u n d griechischen Geistes u n d des durchseelten u n d durchgeistigten Körpers. Er besaß die Zauberrute, M a r m o r u n d Erz z u m Sprechen zu b r i n g e n ; aus d e m Kunstwerk, ganz ausschließlich u n d b e w u ß t n u r aus i h m , aus der »geistig gemachten Materie« selbst g e w a n n •er durch die sorgsam entwickelte u n d gesteigerte Kraft des •Schauens das Bild des Lebensganzen der griechischen Kunst, i h r e Urgestalt u n d Urschönheit und ihre nach organischen Gesetzen •des Lebens sich abwandelnden Verkörperungen des menschl i c h e n Urgeistes. 27

Winckelmann schuf mit diesem seinem gewaltigen Werk zum erstenmal ein Bild des Griechentums und formte es zugleich für viele Generationen. Er legte überhaupt die Grundlage für die moderne Kunstwissenschaft 100 . Er gab dieser die sinnlich-geistigen Organe des Schauens und entwickelte die Methode deskunstwissenschaftlichen Forschens. Denn er zuerst lehrte und lebte vor, wie man das Ganze der Kunst eines Volkes nur erringen kann, wenn man alle Quellen gleichmäßig erforscht, die Natur des betreffenden Landes im weitesten Sinn, sodann alle literarischen Hinterlassenschaften5 daß Wahrheit nur zu erreichen sei, wenn man von dem Original in Bild und Sprache, immer nur von der »Betrachtung der Urbilder« ausgehe. So gelangen ihm zahlreiche bis heute bewährte Einzeldeutungen, in denen er auch der seit der Renaissance herrschenden Mode das Ende bereitete, jedes Bild als Darstellung nur der römischen Geschichte zu betrachten. So gebührt ihm das Verdienst, zuerst ein einzelnes Werk des Praxiteles wiederentdeckt zu haben, den eine Eidechse tötenden Apollon. In dem großen Idealgemälde der Griechheit, das Winckelmann entworfen und meisterlich durchgeführt hat, liegt also gleichsam dieUrgestalt für eine jede Volkheit-Forschung, die in immer neuen Wandlungen so lange ihre befeuernde und verpflichtende Kraft aussenden wird, wie überhaupt menschliches Forschen sich solchen Aufgaben zuwendet. Man überdenke, wie die heutige Wissenschaft in diesen lebt, um die wahrhafte, alle fachliche Enge übersteigende Größe und Bedeutung von Winckelmanns Werk und Wirken erst recht zu ermessen. Aber innerhalb jenes großen Gemäldes wirken auch zahlreiche einzelne hochbedeutsame Elemente mit unverminderter Stärke. Dem archaischen Stil, gegen den er aber den archaisierenden bereits klar absetzte101, vermochte Winckelmann keine Wärme entgegenzubringen. Aber durch seine erleuchtende Wesensbestimmung des hohen und schönen Stils gab er den Nachfahren seiner Wissenschaft die Möglichkeit, mit gleicher Wärme auch den anderen Zeiten der griechischen Kunst sich zuzuwenden. So danken wir es letztlich auch ihm, wenn wir neben einem Münz28

bild des hohen und schönen Stils auch das Bild einer archaischen Münze, ja die ganze alte und älteste Kunst der Griechen in all ihrer köstlichen Blütenhaftigkeit zu lieben lernten (vgl. Tafel 17 und 18), wenn wir weiter die Dialekte der griechischen Kunst verstanden. Danken wir es ihm, wenn wir neben dem von ihm verherrlichten Apollon von Belvedere auch einen hocharchaischen Apollon wie den in Boston nicht nur begreifen, sondern auch bewundern können (Tafel 16). Mit einer platonischen Wendung sprach er es schon in seiner ersten Schrift aus, daß das Urbild der griechischen Kunst eine bloß im Verstände entworfene geistige Natur sei. Wie traf er damit wirklich das Wesen der ältesten griechischen Kunst, wie es uns in den Werken der geometrischen Zeit entgegentritt. Denn dieser Apoll ist bereits der ganze griechische Apollon. In ihm lebt das hohe majestätisch Unnahbare, die unentrinnbare Kraft der Lenden, die unbesiegbare Kraft der Schultern 5 er ist der Gott der Schau, des seherischen, strafenden, sühnenden, übelabwehrenden feurigen Auges. Gebildet aber ist die Gestalt nicht nach den Formen der sichtbaren Natur, sondern aus dem Wissen und Glauben, aus der geistigen und sittlichen Natur, aus der Idee dieses Gottes. Diese Art der Formung ist tatsächlich die eigentliche griechische, und was wir als »Schönheit« an der späteren griechischen Kunst lieben, ist erst in langem Ringen Schritt für Schritt aus jenem geistigen Urbild entwickelt. Und recht verstehen kann diese Kunst auch nur der, der von den sichtbaren Formen des Kunstwerks wieder aufzusteigen vermag zu diesem geistigen Urbild. Bei einem Kopf wie dem des Apollon von Sunion würde Winckelmann wohl ebenso geurteilt haben wie über Köpfe auf alten sizilischen Münzen: »Kein Teil derselben hat eine schöne Form, folglich auch das Ganze nicht 5 die Augen sind lang und platt gezogen, der Schnitt des Mundes gehet aufwärts; das Kinn ist spitzig und ohne zierliche Wölbung« 102 . Uns hat Winckelmann die Kraft gegeben, auch solchen Formen mit andächtiger Schau zu nahen und sie zu enträtseln. Und was wir hier finden, ist dasselbe Walten griechischen Geistes, das er in der griechischen Kunst entdeckte. Ein solcher Kopf ist wie ein Urbild des grie29

chischen Logos. Logos ist das Vermögen des »legein«, und legein heißt zählen, ordnen, sichten, gegliedert darstellen. Wie hier die Locken und Haare gezählt, gereiht, geordnet, jede einzelne Form gesichtet und gegliedert dargestellt worden ist, das ist wahrstes griechisches Wesen. Und einen tieferen Blick noch vermögen wir heute in die Kunstwerke zu tun, wenn wir dem Logos Geist, Seele und Triebe sich vermählen und als lebenbestimmende Kräfte Form werden sehen und ihr Wirken und Gegenwirken ablesen können, wenn wir die von Winckelmann gelehrte Kunst des Formendeutens und -schauens mit immer feineren Mitteln weiter ausbilden. Eben dies Erkennen der schöpferischen Kräfte des Griechentums vermögen wir jetzt auch mit bereichertem Wissen und vervollkommneter Methode zu üben bei der Frage nach der Originalität der griechischen Kunst. Als die Griechen in den Balkan einwanderten, besaßen sie keine Schrift und keine bildende Kunst, weder Plastik noch monumentale Architektur. Diese bestanden aber bereits in den alten Kulturen, in deren Raum die Griechen eindrangen. Jedoch den Griechen eignete eine unendlich strömende und ewig bewegte Phantasie, sie trugen in sich allerreichste Anlagen von unbegrenzter Bildsamkeit, und ihnen war das Genie höchsten Schöpfertums verliehen. Sie ließen sich von den mächtigen geistigen Kräften des Mittelmeerraumes nicht übermannen o o o und treiben, sondern griffen kühn in diesen Strom hinein und formten ihr neues Leben nach ihrem eigenen Bilde. Anfänglich noch übernahmen sie fremde Formungen. Der Gott auf einem Schild aus der idäischen Grotte auf Kreta verdankt seine Erscheinung assyrischen Vorbildern. Aber er ist Zeus geworden, d. h. ein handelnder, tätiger Gott, wie er dem griechischen Wesen gemäß ist, und selbst der Stier unter ihm ist kein ruhiges Symbol mehr, sondern ein Tier voll Kraft und Leben. Entsprechend hat die Wissenschaft, von Winckelmann ausgehend, alle einzelnen Zeiten der griechischen Kunst neu erschaut und gedeutet. Der Hellenismus wurde von ihr erobert, auch hier in Winckelmanns Sinne begonnen, durch Abgrenzung der einzelnen Stile Klarheit zu schaffen. Die römische Kunst konnte erst als Gegen30

bild zur griechischen Kunst in ihrer wahren nationalen Eigenart erkannt werden, und auch der Begriff der Nachantike ist aus der Winckelmannschen Periodenlehre heraus entwickelt worden. So schwebt auch heute über allem Forschen, Deuten und Erkennen auf dem gewaltigen Gebiet der gesamten Wissenschaft vom klassischen, eigenen und europäischen Altertum die hohe, lebenzeugende Idee, der Winckelmanns Werk entsprungen war. Die Griechen selbst erschufen ihre und damit unsere Welt, indem sie aus dem ihnen verliehenen plastischen Bewegungsdrang heraus die Erscheinungen der sichtbaren natürlichen und künstlerischen Formen in umstürzendster Weise philosophisch, künstlerisch und wissenschaftlich neu deuteten. Ein ähnliches Phänomen steht in der einen Gestalt Winckelmanns vor uns. Der Geist Homers scheint in ihm neu geboren. In dieses Dichters Worte hatte er sich tief versenkt, und dessen göttliche und menschliche Welt war in ihm plastisch lebendige Form geworden. Unablässig drang er weiter in die griechische Welt ein. Als er ihrer bildenden Kunst ansichtig wurde, war es, als vereinigten sich nur ihre sichtbaren Formen mit den geistig längst erschauten, und als erster Mensch nach zwei Jahrtausenden verstand er deren Sprache wieder in ihrem reinen griechischen Sinn, entriß er sie allen romanistischen Entstellungen und Überwucherungen und deutete sie aus ihrem eigenen, erstmalig wieder begriffenen Sein. Sein Schauen zog Nahrung aus tiefstem Wissen. Er hatte, die Wahrheit zu erringen, eine vollendete Einheit des philologischen, archäologischen und stilkritischen Verfahrens in sich entwickelt. Hiermit hinterließ er uns allen bis auf den heutigen Tag und für immer eine der tiefsten Verpflichtungen. Denn die größte Gefahr ist abermals ein völliges Auseinanderfallen der einen einzigen Wissenschaft vom Griechentum in ungezählte einzelne Disziplinen, und es droht eine Verengung der Sprachkenntnis, ohne welche es niemals möglich sein kann, des einmaligen Phänomens des Griechentums habhaft zu werden. Das Werk Winckelmanns ist eine Idee im höchsten Sinn. Von dem Augenblick an, da sie erschien, strahlte sie ihre schöpferischen Kräfte in verwandte Geister. Was dankte ihr selbst der 51

Größte jener nachfolgenden Zeit, Goethe. Wäre die Iphigenie ohne sie entstanden in eben dieser Form? Und jene wunderbare Lehre von der Metamorphose einer Urgestalt, sie geht Hand in Hand mit der Erkenntnis des AVandels der Formen griechischer Kunst, wie Winckelmann sie schon gelehrt hatte. Alles Ringen um das Griechentum bis heute und, es kann nicht anders sein, für immer stellt nur die unendlichen Metamorphosen dar von jener Urgestalt der Winckelmannschen Idee. Doch diese Idee kann ihre wahre Macht nur in dem entfalten, der sie wahrhaft ergreift. AVer ihr dienen will, muß sich zu strenger Wissenschaft verpflichten, das Rüstzeug stets rein zu erhalten und weiterzugeben. Er muß vordringen zu jener Erkenntnis der Einheit •des Sinnlichen, Seelischen und Geistigen. Nur ein reines, auf dieser Einheit ruhendes, vom Eros zur Welt des Schönen durch.glühtes Schauen befähigt dazu, Neues zu zeugen aus dem schöpferischen Gesetz jener Idee. Griechentum, so verstanden wie es Winckelmann als erster tat, ist nie etwas Ruhendes, sondern •ewige Bewegung, ewiges Ringen, Versenken in den Kern, Ergründen des Wesens. W"er es so zu schauen gelernt hat, erweckt und entzündet in sich selbst die Kraft, auch das eigene Wesen in seinen Tiefen zu begreifen und zu neuer Tat aus diesem eigensten Wesenskern heraus zu schreiten. Donner, Winckelmann, Goethe, sie zeigen, wie sich die vollendete Läuterung zum eigenen, nationalen Wesen wahrhaft erst durch das Wirken jener griechischen Urkraft erfüllt. Was wäre, um an geschichtliche Vorgänge zu erinnern, Rom, was ein Cäsar und Augustus ohne das Griechentum, ohne die wesenklärenden Kräfte des griechischen Brudervolks? Nur schöpferischen Geistern und Zeiten ist es eigen, zu solcher höchsten nationalen Erfüllung des eigenen Seins vorzudringen. Und nur für solche ist auch Winckelmanns Schrift von der Nachahmung gemeint. »Gegen das eigene Denken setze ich das Nachahmen, nicht die Nachahmung: unter jenem verstehe ich die knechtische Folge ; in dieser aber kann das Nachgeahmete, wenn es mit Vernunft geführet wird, gleichsam eine andere Natur annehmen, und etwas Eigenes werden.« 1 0 3 »Meine Absicht war . . . etwas zu machen, . . . das einem Original ähnlich werden möchte.« 104 52

Diesen von so vielen verkannten Sinn also hat jener zu Anfang vernommene Satz: »Der einzige Weg für uns, groß, ja wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.« Winckelmann ist diesen Weg gegangen, als Führer der größten Geister seiner Zeit, als Bahnbrecher noch für jeden von uns heute und in Zukunft, der in Winckelmanns Sinn um das Griechentum ringt. Und diesem Ringen eignet ein allertiefster Sinn. Daß der schöpferische Urquell des Griechentums, den Winckelmann freigegraben hat, nicht wieder verschüttet werde, sondern daß zu seinen reinen, läuternden Wassern mehr und mehr der Besten Zugang finden und ihre Kräfte dort klären, stählen und neubeleben, zum Segen des ganzen Volkes, dahin weist die Idee von Winckelmanns Lebenswerk, dahin ruft sein seherisches Wort.

Leider fehlte es mir an Zeit, den Vortrag noch einmal gründlich zu überarbeiten, so sehr ich es auch gewünscht hatte. Lediglich einige Zitate sind eingeschoben oder ausführlicher wiedergegeben worden, als dies bei dem Vortrag geschehen war. Aus dem neuen Schrifttum über Winckelmann — Herder, Goethe, Justi müssen ja jedem, der ihm naht, gegenwärtig sein, — nenne ich folgende Bücher, in Dankbarkeit für mannigfache Belehrung und Anregung: B. Vallentin, Winckelmann ( 1 9 3 1 ) ; G. Baumecker, Winckelmann in seinen Dresdner Schriften (1933) ; K. Kraus, Winckelmann und Homer (1935); W. Rehm, Griechentum und Goethezeit (1936); W. Waetzoldt, Winckelmann, der Begründer der Kunstwissenschaft (1940, aus Deutsche Kunsthistoriker I) ; nach Abschluß des Manuskripts erschienen W. Schadewaldt, Winckelmann und Homer (1941) und W. R e h m , Winckelmann und Lessing (1941). Die Stellen aus Winckelmanns Schriften sind aus der Ausgabe von J . Eiselein (1825) abgedruckt, hier bezeichnet mit E. G d K . bezeichnet die 1. A u f l a g e der Geschichte der Kunst des Altertums (1764); U. = Uhd?-B?rnay-, Winckelmann. 2 E 10, 111. 3 E 1, 8 ; vgl. S. 32 u. 4 E 1, 10. 5 E l , 10. E 3, 2 6 f . 8 E 1, 14. 1 0 E 1, 16. 1 1 E 1, 17. E 1, 14. . ' E l , 11. »1,14. 1 2 E 1, 19. 1 3 E 1, 22. 14 G d K . 132. 1 6 E 1, 249. » 5 E 1, 243. 1 7 E 1, 250. 1 8 E 1, 252. 1 9 E 1, 252. 2 0 E 1, 253. 2 1 E 1, 2 5 4 . 2 2 E 1, 254. 23 E l , 2 5 4 f . 2 4 E 11, 98 . 2 5 E 1, 125. 2 6 E 1, 126. 2 7 Vgl. E 1,127 f. 2 8 E 10 , 5 9 3 . 2 9 Vgl. W. Schadewaldt, W. und Homer 8 f. 3 0 E 12, IX. 3 1 Vgl. A. Pigler, G. R. Donner. 3 2 (Hagedorn) Lettre à un Amateur de la Peinture, Dresden 1755, 5 3 2 : Ses progrès dans la Sculpture sont d'autant plus étonnans, qu'il n'avait vù l'Italie que pour y acheter du marbre. 3 3 J a h r 1 6

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Winckelmann

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34 Lettre 330:'Oeser . . . buch des Allerhöchsten Kaiserhauses 1,1883, II, CLXVf. en sortant de l'Academie se mit encore deux ans chez Donner, pour allier au talent de la peinture, celui de bien modéler, et l'étude du costume et de l'Antique. Il s'établit 35 J. G. Seume in Neuer Teutscher Merkur 1795 II 154. à Dresden en 1739. 36 Zu beachten das Urteil Hagedorns (1755!) über Donners Wiener Brunnen, Lettre 331 : monument infiniment plus précieux par sa n o b l e s i m p l i c i t é , que ces Pyramides 37 E 10, 114. 38 E 1, 32. 39 E 1, 28f. 40 E 1, 20. surchargées d'ouvrage . . . 41 E 1, 19. 42 E 1, 33. 43 GdK. 171. 44 E 1, 35. « GdK. 409. 46 E l , 30 . 47 E 5, 221. 4 » E 1 , 31. 49 E 1,32. 50 E 1, 33. s 1 E 5, 219. 52 E 1, 2 22 . 53 L'Antiquitée expliquée et représentée en figures par Don Ber54 GdK. 223 : »Ebenso haben diejenigen, welche mit dem nard de Montfaucon. I1. Montfaucon glauben, daß sich keine Werke griechischer Bildhauer erhalten haben, als von der Zeit an, da die Griechen unter die Römer kamen, viel Unterricht nötig«. 55 a. O. I 1, 168 zu Taf. 103 . 56 Receuil d'antiquités Egyptiennes, Etrusques, 57 E 10, 142f. 58 U. II, 169 . 59 MontGrecques, Romaines et Gauloises. faucon a. O. I 1, 101 zu Taf. 49, 4, wo der Apollon zum Überfluß seitenverkehrt ab60 E 12, LXVI. 6 1 E 12, LX V. gebildet und ungenau beschrieben wird. 62 E 1, 254f. 63 E 10, 275f. 61 C. Justi, Preuß. Jahrbücher 28, 595/6. Vallen65 Justi a. O. Den Sinn dieser Art der forschenden Betrachtung hat Justi tin 47 f. 68 E 3, 35. 67 E 3, 36. eigenartiger Weise gänzlich verkannt. " E l l 69 E 3, 19. 70 E 1, 249. 518, aus einem französisch geschriebenen Brief. 71 E 12, LXVI. 72 E 12, LXIX. 73 Caylus, Abhandlungen zur Geschichte 71 Jonathan Richardson, der Kunst, aus dem Französischen von J. S. Meusel 275. Déscription de divers fameux tableaux, dessins, usw. 514. Vgl. Baumecker 132 ff. Vielleicht ist es erlaubt, zwei Stellen mitzuteilen aus Le Brun, Entwurff, wie die Künstler die Affekten der Menschen exprimieren sollen (Übers, aus d. Franz.) 30 : Die äußerste Verzweiflung kann durch einen Menschen ausgedrückt werden, der mit den Zähnen knirscht, schäumt, sich in die Lippen beißt, die Stirn ist gerunzelt, . . . die untere Lippe dick und übergestülpt und bläulich, die Haare aber stehen gerad in die Höhe. 9 : Wenn die Liebe allein ist, nemlich wenn sie weder mit einer starken Freude noch Verlangen oder Traurigkeit verbunden ist, so pflegt der Puls ganz gleich, aber viel stärker als sonsten zu schlagen. Man empfindet auch eine sanfte Wärme auf der Brust lind der Magen verdauet die Speisen gemächlich; also daß durch diese 75 E 1, 30f. Leidenschaft der Gesundheit großer Nutzen geschaffen wird. 76 E l , 227. 78 E 1, 228. § 8. 79 a. O. 1 § 9. 80 E, 1, 229 " E l , 227 f. 81 E 1, 230 § 12. 82 E 1, 230. 83 E 4, 122. 84 GdK. 163. § 10. 85 Vgl. E. Jacobs, Archäologischer Anzeiger 1932, 590. 88 E 12, IX. 87 E 3, 9. 88 GdK. 223. 89 E 10, 143. 90 GdK. 222. 92 E 5, 206. " E 5, 206. 93 E 5, 209 und 207. 94 GdK. 227 f. 95 GdK. 232. 96 E 5, 218. 97 E 5, 98 E 5 , 221. 99 E 4, 302. 109 W. Waetzoldt, W. der Begründer der 217 f. 101 E 5, 197. 102 E 1, 206. 103 E 10, 109. Kunstwissenschaft.

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WINCKELMANN UND

D

VON R U D O L F

STENDAL

GROSSE

ie Zeit liegt weit zurück im Mittelalter, da Stendal als Gemeinwesen sich auf der Höhe seiner politischen und wirtschaftlichen Macht und in der Fülle seines kulturellen Glanzes befand. Es ist die Zeit der siegreichen Slavenkämpfe unter den Askaniern, als die am Rande des deutschen Kolonialgebietes neu gegründete Stadt einen steilen Aufschwung nahm und als unter Beteiligung ihrer Bewohner die Tochterstädte Prenzlau in der Uckermark und Stettin in Pommern gegründet wurden. Es ist die Zeit der Hanse, in der Stendal eine angesehene Stellung unter den anderen Hansestädten einnahm und seine Handelsverbindungen sich bis nach Holland, Flandern und England und andererseits über die Ostsee hin erstreckten. Über der politisch mächtigen und wirtschaftlich blühenden Stadt lag auch der Glanz höchster mittelalterlicher Kultur, von der nicht nur die herrlichen, vielgepriesenen gotischen Backsteinkirchen Zeugen sind, sondern aus der auch manche anderen Kunstschätze herrühren, die uns nach dem dreißigjährigen Kriege nur als spärliche Reste, allerdings höchsten Wertes, erhalten geblieben sind. Viel zu wenig bekannt sind die herrlichen Altarkelche der Stendaler Kirchen aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, Wunderwerke der Goldschmiedekunst, viel zu wenig gewürdigt die wundervollen Bildfenster im Stendaler Dom. In einem Werk über die Bildfenster des Erfurter Domes wird hervorgehoben, daß ein vollständig geschlossener Zyklus von bunten Glasfenstern aus alter Zeit recht selten erhalten ist und nur in ganz wenigen Kirchen Deutschlands, außer Erfurt nur noch in Köln, Straßburg und Stendal vorhanden ist. Endlich möchte ich in diesem Zusammenhang den Hieronymus-Altar im Wiener Kunsthistorischen Museum erwähnen, dessen Herkunft aus der Stendaler Marienkirche durch die Nachforschungen von Dr. L . Schürenberg wahrscheinlich gemacht ist, und der von 55

einem hervorragenden holländischen Maler Jacob Corneliß van Ostsaamen aus Amsterdam 1511 gemalt worden ist. Man vergegenwärtige sich, daß ein solcher Altar, in dem ein Vermögen steckt, von einem Stendaler Patrizier für seine Gemeindekirche in dem fernen Amsterdam in Auftrag gegeben wurde! Und das ist nur ein Fall, der gerade nachgewiesen werden kann. Welcher gediegene Reichtum in dieser Stadt! Und dann der Gegensatz: das tiefste Elend. Nachdem vorher schon die Territorialherrschaft der deutschen Fürsten, wie überall auch in Stendal, die politisch-selbständige Stellung der Stadt beseitigt hatte, hat der dreißigjährige Krieg durch Kontributionen, Brände und Seuchen ihren Wohlstand und ihr wirtschaftliches Gedeihen gänzlich untergraben, so daß nach dem Kriege ein kümmerliches Dasein nicht im geringsten mehr an die einstige Herrlichkeit erinnerte. Der Stendaler Chronist L. Götze hat errechnet, daß in den zehn Jahren von 1600 bis 1609 2980 Geburten in Stendal waren und von 1660 bis 1669 969, so daß die Bevölkerung also auf ein Drittel zurückgegangen war. Das entspricht der Anzahl der noch vorhandenen Feuerstellen, von denen nur noch 3 8 % bestanden, während die übrigen, also etwa die doppelte Anzahl, wüst lagen. Das sind aber nur allgemeine und äußere Anzeichen für das Elend in der Stadt. Es gibt Berichte darüber, wie kümmerlich und wie bedrängt die Lage in Stendal geworden war. Der Landesherr machte wiederholt Anstalt, Kolonisten aus der Pfalz, Frankreich und Salzburg anzusiedeln, um der wirtschaftlichen Lage etwas aufzuhelfen. Doch die Kolonisten zogen bald weiter, weil sie hier keine Aussicht für ihr Fortkommen hatten. Stendal, aller großzügigen Handelsbeziehungen und seiner führenden wohlhabenden Bürgerschaft beraubt, war ein ärmliches, spießiges Nest geworden. In dieser Zeit wurde in Stendal der Mann geboren, der den Namen Stendal nicht nur weltbekannt machen sollte, sondern durch den sich Stendal mit einer führenden Persönlichkeit in dem geistigen Leben Deutschlands und in dem wissenschaftlichen Bewußtsein der Kulturwelt zur Geltung brachte: Johann Joachim Winckelmann. Und doch wie sonderbar: Winckelmann blieb unberührt von den gotischen Backsteinbauten, unbeeinflußt von 36

den herrlichen Zeugnissen der großen Vergangenheit seiner Heimatstadt! Es mußte wohl die ärmlichste Umgebung sein, aus der sich Winckelmann wie aus dem Nichts durch eigene Tatkraft, durch brennenden Wissensdurst, durch geniale Veranlagung, durch unermüdliche Arbeit, durch zielbewußte Verfolgung seiner Pläne und durch ahnungsvolle Erkenntnis seiner Aufgabe zu der Höhe eines ganz anders gerichteten geistigen und kulturellen Lebens emporarbeitete. Er arbeitete sich im wahrsten Sinne des Wortes empor. Nicht durch Gönner wurde er gefördert, nicht durch Stiftungen oder öffentliche Stellen wurde ihm geholfen. Er wurde gezwungen, sich den gegebenen Verhältnissen anzupassen selbst unter Opfer an Zeit, Gesundheit und sogar unter Preisgabe moralischer Uberzeugung. Aber er konnte von sich sagen, daß alles, was er Bewundernswertes in seinem Leben erreicht hat, ihm durch eigene Arbeit, eigenen Fleiß und eigenen Intellekt zuteil geworden war. Winckelmanns Bedeutung ist oft gepriesen worden. Die führenden Geister Deutschlands haben ihn als ihren Lehrer verehrt. Um nicht viele anzuführen, möchte ich nur auf die begeisterten Hymnen Herders und Goethes hinweisen. Doch man kann einwenden: Das war einmal. Was bedeutet uns Winckelmann heute? Es ließe sich vieles darüber sagen. Gewiß, seine Schriften sind in großen Teilen veraltet, überholt durch die Fortschritte der von ihm gegründeten Wissenschaft, seine praktischen Kunstlehren lassen sich in der Form, in der er sie vertreten hat, nicht aufrechterhalten. Und trotzdem, auch für unsere Zeit und ihr kälteres Urteil hat er Bleibendes geleistet, das in den selbstverständlichen Besitz deutschen Geisteslebens übergegangen ist. Vergegenwärtigen wir uns die Stellung, die Winckelmann im Bewußtsein der Menschen der Gegenwart einnimmt, und werden wir uns bei der Pflege des Gedächtnisses Winckelmanns, der die Winckelmann-Gesellschaft dienen will, des großen Mannes und seiner Sache bewußt, so ist es kurz mit den Worten Wilhelm Waetzoldts gesagt folgendes: »Winckelmann ist der Begründer der Kunstwissenschaft in Deutschland, er machte aus Stoffsammlung Geschichtsschreibung. Dadurch aber, daß Winckelmann als erster Deutscher Geschichte 57

der Kunst »philosophisch« betrieb, wie das 18. Jahrhundert sich ausdrückte, indem er kunstgeschichtliche Erkenntnisse auf Grundtatsachen geschichtlichen Seins überhaupt zurückführte und die Kunsthistorie in den großen Zusammenhang historischer Wissensgebiete einordnete, hat er mehr getan, als ein neues Fach auf die Füße gestellt, er hat für seine Nation Unvergängliches geleistet. Winckelmann gab dem deutschen Geiste ein neues Organ, Kunst zu fühlen, er führte die Welt der Kunst in den Kreis unserer Nationalbildung ein und schließlich: durch den Stil seiner Werke erhob er auch an seiner Statt deutsche gelehrte Literatur, deutsche wissenschaftliche Prosa zum Range europäischen Schrifttums. Die »Geschichte der Kunst des Altertums« hat für die deutsche Prosa kaum mindere Bedeutung, wie Klopstocks »Messias« für die deutsche Poesie«. In diesem vorsichtig abgewogenen Urteil wird also von der Wissenschaft auch heute das Verdienst des großen Stendalers voll gewürdigt, und die Heimatstadt darf sich mit berechtigter Freude dem Gedächtnis an ihren großen Sohne widmen. »Winckelmann und Stendal«, das ist die Gedankenverbindung, die sich in der Halle, die dem Gedächtnis Winckelmanns geweiht sein soll, vor allem aufdrängt und die zu einem dankbaren Erinnern an ihn führen soll, der von Stendal aus seinen Weg zu den von ihm erschlossenen Schönheiten antiker Welt genommen hat. Als Winckelmann seine Heimat verlassen hatte und über Dresden in das Land seiner Sehnsucht, nach dem ewigen Rom mit seinen Kunstschätzen gelangt war, mußte es naheliegen, daß ihn vor allem das Erleben dieses Gegensatzes in seinem Werdegange, zwischen der armseligen Heimat mit ihrem Elend und der glanzvollen Weltstadt, beherrschte, und dahinter alle anderen Gefühle und Regungen zurücktraten. Dieser Gegensatz in seinem Leben war, wie Carl Justi in seiner Darstellung Winckelmanns und seiner Zeitgenossen ausführt, nicht nur der von Suchen und Finden, von Entbehrung und Lebensgenuß, von Schul- und Herrendienst einerseits und Freiheit, sich selbst zu leben, andererseits, nicht bloß der Übergang aus obskurem Umgang zur Vertrautheit mit geistigen Großen der römischen und europäischen Welt, nicht bloß aus kahler Umgebung in die Fülle der 38

erhabensten Denkmäler. In solcher neuen Umgebung ist Winckelmann selbst ein anderer Mensch geworden. Wie Justi es treffend kennzeichnet, wird aus Zerstreuung Sammlung, aus Mannigfaltigkeit Einheit, aus Zufall Plan, aus Sammeltrieb Schaffenslust. Daß unter solchen Umständen Winckelmann sich der Heimat, in der er so Schweres erduldet, wohin ihn nach dem Tode seiner mit rührender Sohnespflicht umhegten Eltern keine natürlichen Bindungen mehr weisen, nur als einer dunklen Vergangenheit erinnert, wen darf es wundern? Soll er gern zurückdenken an das Elend der elterlichen Hütte, an die niederdrückende Lage des Armenschülers, der vor fremden Türen singen und von fremdem Brote essen muß, oder an die aufgedrungene Ausnutzung der sich bietenden Verhältnisse und seine Anbequemung an die fremden, ihm oft feindseligen Menschen? Was sind ihm die hehren und strengen Bauwerke aus der mittelalterlichen Vergangenheit seiner Heimatstadt? Oder mit welcher Empfindung kann er zurückdenken an die Zeit als Konrektor in Seehausen, die Winckelmann stets als die dunkelste Zeit seines Lebens angesehen hat? Armut, Einsamkeit und übermäßige, widerwärtige Arbeit bedrückten ihn so, daß er mit diesem »Schulmärtyrtum« auch sein Vaterland für immer verlassen wollte. »Ich habe den Schulmeister mit großer Treue gemacht und ließ Kinder mit grindigten Köpfen das A B C lesen, wenn ich während dieses Zeitvertreibs sehnlich wünschte, zur Kenntnis des Schönen zu gelangen und Gleichnisse aus dem Homer betete.« »Ich habe vieles gekostet; aber über die Knechtschaft in Seehausen ist nichts gegangen . . . Wenn ich zuweilen an den Schulstand zurückdenke, so wundert mich, daß ich meinen Nacken unter dieser Last solange habe beugen können . . . Ich hole jetzt nach, was ich versäumt habe; ich hatte es auch von dem lieben Gott zu fordern. Meine Jugend ist gar zu kümmerlich gewesen, und meinen Schulstand vergesse ich nimmermehr.« Besonders übel hatte er es mit dem zum Inspektor der Seehausener Schule bestellten Superindendent zu tun. Nach Jahren in Rom ist die Erinnerung an die Feindschaft dieses Mannes nicht vergessen. Wiederholt kommt ihm der Vergleich in seinen Brie59

fen zwischen den geistigen Persönlichkeiten, mit denen et- in R o m verkehrt, und dem Superintendenten in Seehausen; er schreibt von »diesen aufgeblasenen, dummen Pfaffen, die nur ihr Dorf und Halle kennen«. Voll Holm fragt e r : »Was macht der Inspektor Schnakenburg? Wird er noch behaupten, wie er getan, daß ich keinen einzigen lateinischen Dichter verstelle, nachdem ich so viele lateinische und griechische Dichter erklärt und verbessert habe?« An den jungen Schweizer Usteri schreibt er am 1-I-. November 1761: »Genießen sie ihre schönsten Jahre, die mir in Kummer, Not und Arbeit vergangen sind!« Solche traurigen Erfahrungen Winckelmarms muß man sich vergegenwärtigen, um einigermaßen zu verstehen, daß er mit Bitterkeit an seine Heimat zurückdenkt. Am 10. Oktober 1758 schreibt e r : ». . . ich kann sagen, ich habe in Italien erst angefangen zu leben«, und an ßerendis am 25. Juli 1755: »Mein Vaterland vergesse ich gerne, wo ich wenig Vergnügen gefunden habe, und da die erste schönre Hälfte meines Lebens in K u m m e r und Arbeit vergangen, so will ich auf den schlechteren Rest kein Absehen von Weitläufigkeit richten.« Er schreibt sogar: »Ich habe viel leiden müssen und ich werde beständig einen Widerwillen gegen mein Vaterland behalten«, und ruft später aus: »Mein Vaterland vergesse ich gern . . . es ist kein Tropfen preußisches Blut in mir.« Daß solche Äußerungen allerdings nur aus einer sehr verärgerten S t i m m u n g hervorgehen, erkennt man daran, daß er sofort, als eine ehrenvolle Berufung nach Berlin winkt, sich bereitfindet, darauf einzugehen und dabei »die l i e b e zum Vaterlande den Ausschlag geben zu lassen.« W i e trotz allem das Bild der Heimat in i h m lebendig geblieben ist, leuchtet auf, wenn man die Freude am Wiedersehen mit Freunden und Heimat aus den letzten Briefen vor seiner verhängnisvollen Reise nach Deutschland herauslesen kann. Schon früher schreibt er an seinen Freund MuzelStosch (6. Juni 1 7 6 1 ) : »Ich wünsche, daß ich bald sagen kann: Auf glückliches Wiedersehen in Deutschland!« Vor allem wollen wrir Winckelmann das schöne Wort nicht vergessen, das er in einer Zeit schreibt, als selbst ein Friedrich der

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G r o ß e sich d e m k u l t u r e l l e n F r a n z o s e n t u m b e u l t e : »l n t e r allen D i n g e n , f ü r die ich Gott preise, ist auch dieses, d a ß ich ein D e u t scher u n d kein Franzose hin.« Hei allem S c h w a n k e n in d e r E m p f i n d u n g g e g e n die H e i m a t hat W i n c k e l m a n n seinen F r e u n d e n in d e r H e i m a t u n v e r ä n d e r t ein t r e u e s A n d e n k e n b e w a h r t . Er w a r stets b e r e i t , d e n a l t e n T o n der F r e u n d s c h a f t w i e d e r a n z u s c h l a g e n : Mit g r o ß e r D a n k b a r k e i t h i n g er an allen, die i h m in seinen J a h r e n der \ o t G u t e s e r wiesen h a t t e n . W ä h r e n d s e i n e r B e r l i n e r Schulzeit f a n d er ein g a s t f r e i e s H a u s bei s e i n e m E a n d s m a n n , d e m Pastor ki'iB. » G r ü ß e an m e i n e a n d e r e n F r e u n d e und B e k a n n t e n , i n s b e s o n d e r e u n s e r e n t r e u e n Pastor k ü ß in A u s t h e r i ) ; ich g e d e n k e v i e l m a l s an die t e u r e n Seelen u n d w ä g e m e i n G l ü c k g e g e n das i h r i g e ab.« So an E d e n a m 10. O k t o b e r 1758. Er wollte d i e s e m W o h l t ä t e r a u c h aus R o m s c h r e i b e n , als er G e l e g e n h e i t h a t t e , Briefe nach Berlin zu s e n d e n , b e f ü r c h t e t e a b e r , seine Briefe m ö c h t e n w e g e n seines Konfessionswechsels nicht mit a u f i i e i i o m m e n w e r d e n . r"» r*» Besonders herzlich ist d e r T o n d e r Briefe W i n c k e l m a n n s an seinen J u g e n d f r e u n d E d e n , d e n später a n g e s e h e n e n Arzt in S t e n dal, d e r mit i h m z u s a m m e n die S t e n d a l e r S c h u l b a n k g e d r ü c k t h a t t e . Als W i n c k e l m a n n n a c h d e m T o d e seiner M u t t e r die H e i m a t verlassen h a t t e , hat sich U d e n s e i n e r S a c h e n a n g e n o m m e n u n d f ü r den z u r ü c k gr*>e l a s s e n e n V a t e r bis zu dessen ' I o d e an s e i n e r Statt »esor»t. W i n c k e l m a n n schreibt a m 5. M ä r z I 752 an E d e n : »Ich bin u n e n d l i c h f r o h , d a ß Du e i n i g e r m a ß e n zu D e i n e r Bez a h l u n g (aus v e r k a u f t e n B ü c h e r n ) k o m m s t . Gott w e i ß , ich h a b e oft d a r a n g e d a c h t u n d m i c h z e r l ü ü m t . Ciott v e r g e l t e D i r D e i n e B r u d e r t r e u e . Ich a r m e r M e n s c h ! Ich h a b e w e d e r B e f r e u n d e t e noch A n v e r w a n d t e m e h r : Aber Gott e r w e c k e t m i r F r e u n d e in d e r Not. Das t u er k ü n f t i g w i e d e r u m an D e i n e n K i n d e r n . Du bist m e i n ältester F r e u n d , u n d D e i n e F r e u n d s c h a f t ist so redlich allezeit g e w e s e n , als Dein H e r z ; ich m e r k e , viel a n d e r e F r e u n d s c h a f t e n , w o r a u f ich g e b a u e t , sind b e t r ü g l i c h e r f u n d e n . « In d e m s e l b e n Briefe tritt noch e i n m a l die M i ß s t i m m u n g g e g e n die H e i m a t s t a d t h e r v o r , i n d e m er an E d e n ironisch s c h r e i b t : » W e n n ein j u n g e r Sohn der H v g i e a , d e r n e b e n s e i n e r Y\ issen11

s c h a f t s e h r viel Redlichkeit besitzt, heul zu T a g e und an einem. Ort, als m e i n liebes Vaterland ist, e m p o r k o m m t , das will viel sagen.« W i e d e r h o l t und g e r n e r i n n e r t sich W i n c k e l m a n n seines Lehrers .Raßbach und. des Oberküsters a n der M a r i e n k i r c h e Kulß. Indem er U d e n von s e i n e n L e b e n s u m s t ä n d e n in ilalien. erzählt, bittet, er d e n F r e u n d : »Melde sie m e i n e n aus g a n z e r Seele geliebten. F r e u n d e n lind W o h l t ä t e r n H e r r n R a ß b a c h und H e r r n F u l ß . ich w ü n s c h e , daß Sie gesund, u n d o h n e K u m m e r leben und mir gew o g e n geblieben sind. Das Andenken, solcher w a h r e n Menschen wird. b e s t ä n d i g bei m i r leben, ic.li sei auch wo ich sei in. was f ü r Umständen.« E i n a n d e r m a l , a m 10. M ä r z 1756, schreibt er interessiert an ß e r e n d i s n a c h Eisenach, der dort m i t dem. j u n g e n W e r k e n t h i n aus Stendal z u s a m m e n ist: »Ich m ö c h t e wissen, was man in Stendal von mir spricht. W e r k e n t h i n wird, es wohl wissen. Schreibe es m i r : Iis m a g sein, wie es will, ich w ü n s c h t e nur«, setzte er besorgt h i n z u , »daß m a n von. meinem. Changement. (Konfessionswechsel) n i c h t N a c h r i c h t hätte.« Bei Berendis f r a g t e er d a n n am. 29. J a n u a r 1757 a n : »SeiIreibt! m i r doch etwas N e u e s f ü r m e i n e n langen Brief, aus der lieben alten M a r k , sonderlich aus Seehausen ("dem H e i m a t o r t von Berendis), sollten es a u c h M ä d c h e n h i s t o r i e n s e i n ; es ist m i r alles a n g e n e h m z u h ö r e n . Berichte zugleich, was m a n von mir spricht, w e n n es a u c h n o c h so s c h l i m m . Ich bin z u w e i t u n d ich möchte fast sagen zu glücklich, als daß es mich anders als eine Neuigkeit r ü h r e n sollte, ich k a n n ü b e r den Feind und. ü b e r d e n Neid lachen.« Noch w i e d e r a n d e r e M a l e , und zwar m e h r m a l s , schreibt er von d e n » t h e u r e n oder heiligen. M ä r k e r n allzumal« etwas spöLlisch. Diesen H i n w e i s f ü h r t er als aus e i n e r L i t a n e i a n ! Dieser d u n k l e H i n w e i s schien, u n v e r s t ä n d l i c h , bis es sich ergab, da[3 er m i t dieser W e n d u n g scherzweise d e n z w e i t e n Vers des deutschen T e d e u m von L u t h e r u m g e b i l d e t hatte, wo von »den t h e u r e n M ä r t r e r n allzumal« die .Rede ist. M i t g r o ß e r A n h ä n g l i c h k e i t e r i n n e r t sich W i n c k e l m a n n des ( i e n e r a l s u p e i i n t e n d e n t e n Friedrich Rudolf Nolle in Stendal, als solcher

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liier tätig 1740—17o4, an dem er einen väterlichen Freund gefunden hatte, der ihn, wie Justi zeigt, auch lieb gewann, was •er selten erfahren, und ihn seinem Werte nach vollkommen einschätzte, was ihm noch nie begegnet war. Nolte galt f ü r den •ersten Schulmann in der Altmark und. durch seine Fürsprache 31ützte er Winckelmann bei seinem Fortkommen. Voll Verehrung n n d Dankbarkeit sah Winckelmann zu diesem geachteten und wohlwollenden 'Manne auf. Endlich sei. auch des Wilhelm Johann Georg Cleinow aus Oster•woliJe bei Salzwedel gedacht. Winckelmann trifft auf der Generalsuperin tenderitur in Stendal zufällig den um zehn Jahre jüngeren Mann, der gerade im Sommer J748 sein theologisches Studium H V X , U t -S.VS

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Handschriftliche Ankündigung: Winckclmanns seiner Monumenti antichi inediti

Tafel 29

10HAÌHN Ludwig Wichmann, Winckelmann-Denkmal in Stendal

Tafel 30

Stendal, Gedenkstätte in der W i n c k e l m a n n - S c h u l e

Tafel 51

Tafel 52