Itinera principum: Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im Römischen Reich 3515045511

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Itinera principum: Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im Römischen Reich
 3515045511

Table of contents :
Einleitung
I. Motivation und geschichtlicher Hintergrund
1) Die Reisetätigkeit des Augustus
a) Die Voraussetzung: das Imperium des Jahres 27 v. Chr
b) Der Zweck: die Klientel in den Provinzen
c) Die Reisen der Stellvertreter
2) Von Tiberius bis Nero
3) Die Flavier und Trajan
4) Hadrian und die Antonine
5) Das dritte und vierte Jahrhundert
II. Planung und Organisation
1) Reisewege und Reiseziele
2) Die Erfordernisse
3) Die Organisation des Nachschubs
a) Die staatlichen Organe
b) prosecutio - παραπομπή
c) Ägypten
4) Straßenbau und Unterkunft
III. Die Reisebegleitung
1) Die kaiserliche Familie
2) Die comites Augusti
3) Beamte und Hofpersonal
IV. Kaiserbesuch und provinziale Stadt
1) Die religiöse Sphäre
2) Die Formen und Formalitäten der Begegnung
3) Der Kaiser als Wohltäter
4) Das munus der Städte
a) Baumaßnahmen 129
b) Die Leistungen der städtischen Oberschicht
c) Besondere Hilfsmaßnahmen des Kaisers
V. Kaiserreisen als Politikum
1) Idee und Wirklichkeit
a) profectio - adventus
b) Der Sonnenvergleich
2) Reisen und Regieren
VI. Das Itinerar
Appendix : Liste der comites Augusti (bis zum Ende des dritten Jahrhunderts
Literatur
Register

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Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien herausgegeben von Géza Alföldy Band 2

Helmut Half mann

Itinera principum Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im Römischen Reich

Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH Stuttgart 1986

CI P-Kurztitelauf nähme der Deutschen Bibliothek Halfmann, Helmut: Itinera principum: Geschichte u. Typologie d. Kaiserreisen im Rom. Reich / Helmut Halfmann. -Stuttgart:Steiner-Verlag Wiesbaden GmbH, 1986. (Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien ; Bd. 2) ISBN 3-515-04551-1 NE:GT Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © 1986 by Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Printed in the Fed. Rep. of Germany

MANIBVS PATRIS

INHALT Einleitung

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I. Motivation und geschichtlicher Hintergrund 1) Die Reisetätigkeit des Augustus a) Die Voraussetzung: das Imperium des Jahres 27 v. Chr b) Der Zweck: die Klientel in den Provinzen c) Die Reisen der Stellvertreter 2) Von Tiberius bis Nero 3) Die Ravier und Trajan 4) Hadrian und die Antonine 5) Das dritte und vierte Jahrhundert

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IL Planung und Organisation 1) Reisewege und Reiseziele 2) Die Erfordernisse 3) Die Organisation des Nachschubs a) Die staatlichen Organe b) prosecutio - παραπομπή c) Ägypten 4) Straßenbau und Unterkunft

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III. Die Reisebegleitung 1) Die kaiserliche Familie 2) Die comités Augusti 3) Beamte und Hofpersonal

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IV. Kaiserbesuch und provinziale Stadt 1) Die religiöse Sphäre 2) Die Formen und Formalitäten der Begegnung 3) Der Kaiser als Wohltäter 4) Das munus der Städte a) Baumaßnahmen b) Die Leistungen der städtischen Oberschicht c) Besondere Hilfsmaßnahmen des Kaisers

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V. Kaiserreisen als Politikum 1) Idee und Wirklichkeit a) profectio - adventus b) Der Sonnenvergleich 2) Reisen und Regieren

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Inhaltsverzeichnis

VI. Das Itinerar Augustus - 157, Agrippa - 163, C. Caesar - 166, Germanicus - 168, Caligula - 170, Claudius - 172, Nero - 173, Galba - 177, Vitellius - 177, Vespasianus - 178, Titus 180, Domitianus - 181, Traianus - 184, Hadrianus - 188, Lucius Verus - 210, Marcus Aurelius - 212, Septimius Severus - 216, Caracalla - 223, Macrinus - 230, Elagabal 230, Severus Alexander - 231, Maximinus Thrax - 233, Gordianus III. - 233, Philippus Arabs - 234, Decius - 235, Valerianus und Gallienus - 236, Claudius II. Gothicus - 239, Aurelianus - 239, Tacitus - Probus - 240, Carus - Numerianus Carinus - 242, Von Diocletianus bis Theodosius (Bibliographie) - 243.

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Appendix : Liste der comités Augusti (bis zum Ende des dritten Jahrhunderts)...

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Literatur

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Register

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EINLEITUNG Natura (sc. hominum) novitatis ac peregrinationis avida est belehrt uns der ältere Plinius (n. h. 17,66) über Reiselust und Reisemotivation seiner antiken Zeitgenossen. Die Natur selbst hat nach Seneca (de otio 5,2 f.) dem Menschen jenen Drang eingepflanzt, ihre Schönheiten kennenzulernen, die, wären sie nur um ihrer selbst willen geschaffen worden, ohne ihre Bewunderer bald verkommen würden. Dem großen Interesse der Reisenden namentlich der römischen Zeit für die Kunstdenkmäler der Vergangenheit und die natürlichen Besonderheiten ferner Länder entsprachen auch die Möglichkeiten und äußeren Bedingungen des Reisens; diese hatten in der römischen Kaiserzeit einen Stand der Vollkommenheit aufzuweisen, den die Mittelmeerländer erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder erreichten. Die sich auf die ersten beiden Jahrhunderte der Kaiserzeit erstreckenden Zeugnisse über die Privatreisen, angefangen mit den verschiedenen Gruppen von Reisenden über die wichtigsten Reiseziele, die Hauptverkehrswege und die Reisemotive bis hin zu den vielfältigen technischen Möglichkeiten und Unzulänglichkeiten, haben ihre erschöpfende Behandlung im ersten Band von L. Friedlaenders »Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms* gefunden1. Der privaten Reisetätigkeit des gesamten Altertums widmete L. Casson eine gelungene, chronologisch aufgebaute Untersuchung, die das neu hinzugekommene epigraphische und papyrologische Quellenmaterial berücksichtigte2. Daß beide Autoren die Herrscherreisen der Antike aus ihren Arbeiten ausgeklammert haben, war eine sinnvolle Einschränkung, führen doch die damit zusammenhängenden Probleme und Fragestellungen größtenteils von dem mehr technischen und landeskundlichen in den historischen Bereich im engeren Sinne hinüber. Die vorliegende Untersuchung verzichtet demgegenüber auf jene Darstellung der Grenzen und Möglichkeiten antiker Reisetechnik, da Bekanntes weitgehend wiederholt werden müßte, und wendet sich vielmehr den mannigfachen, für die Untertanen unmittelbar spürbaren Konsequenzen der Herrscherreisen zu. Das gleiche gilt hinsichtlich der Reiseinteressen, denen die beiden genannten Werke die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt haben. Mit der Besichtigung von Tempeln, Befragung von Orakeln, der Erkundung natürlicher Besonderheiten des Landes erfüllten sich die Kaiser einen Wunsch, der seit jeher und hauptsächlich die Reiselust der Menschen der Antike beflügelt hatte. Jedoch rangierten derartige Interessen, zumindest in der offiziellen Terminologie, als Motivation kaiserlicher Reisetätigkeit weit hinten und stellten nur eine Art beiläufige Erscheinung derselben dar. Die Herrscherreisen der Antike spielten sich nach gewissen festen Grundschemata 1 Die erste Auflage erschien 1861, zitiert wird nach der neunten bzw. zehnten, von G. Wissowa besorgten Auflage (1919/22). 2 Reisen in der Alten Welt (1976); englische Originalausgabe /Travel in the Ancient World* (1974).

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Einleitung

ab, die insgesamt noch nie untersucht, in Einzelbezügen allerdings erkannt worden sind und eine erstaunliche Kontinuität offenbaren. Diese Kontinuität bestand im wesentlichen in dem äußeren Anlaß für den Herrscher, sich fortzubewegen, einem festen Zeremoniell, das den Umgang des Herrschers mit seinen Untertanen festlegte, und in den organisatorischen Maßnahmen zur Bewältigung des Reiseunternehmens. Die Quellenlage erlaubt es uns, in unterschiedlicher Dichte die Parallelen schon im Achaimenidenreich, bei den hellenistischen Herrschern und schließlich den Statthalterreisen der römischen Republik namhaft zu machen3. Systematisch haben sich die antiken Zeitgenossen nie mit der Frage nach Sinn, Zweck und Durchführung von Herrscherreisen beschäftigt. Die Suche in den Herrscherspiegeln oder panegyrischen Schriften endet meist ergebnislos: Das Reisen als solches gehörte nämlich nicht zu den Tugenden, die es zu verwirklichen galt, sondern es bot eine Möglichkeit unter vielen zur Verwirklichung einer oder mehrerer Tugenden - und, wie wir sehen werden, von Lastern. In diesem Rahmen galt als beste Gelegenheit, eine Fülle persönlicher Tugenden zu beweisen, der Kriegszug mit dem Ziel, die Untertanen zu schützen, die Disziplin aufrechtzuerhalten, die Feinde zu bestrafen, die eigene Herrschaft zu erweitern und damit zu stärken. Soweit wird auch in den Schriften über das „Reisen" reflektiert, jedoch genügt jene Problemreduzierung weder den Fragestellungen aus heutiger Sicht, noch entspricht sie dem tatsächlichen historischen Befund, der gerade im Hinblick auf die Reisen der römischen Kaiser eine umfangreiche Palette an Motivationen zu Reiseunternehmen offenlegt. Krieg war nämlich nicht der einzige Grund, Rom zu verlassen, oft verdeckte er andere Reisezwecke. Diese ähnelten dann eher jenen, die heutige Politiker zum Reisen im eigenen Land bewegen: Kennenlernen der Untertanen und ihrer lokalen Probleme, der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und staatlichen Funktionsträger am Ort ihres Wirkens, Besichtigung bedeutender von der Natur oder Menschenhand geschaffener Sehenswürdigkeiten. Dahinter konnten sich wieder weitere Absichten verbergen, etwa eine wohlgemeinte Fürsorge um ihrer selbst willen und/oder die Sicherung einer eigenen labilen Machtstellung durch die Sympathie dieser Gruppen mittels persönlicher Präsenz. Aus diesem Grunde ist auch keine Trennung zwischen der kriegerischen und friedlichen Reiseaktivität des Herrschers möglich; nicht nur in ihrem ideellen Ziel, der Stärkung und Sicherung des Reiches, sondern auch im praktischen Verlauf fielen beide Arten der Unternehmungen zusammen und wurden von den Römern mit demselben Begriff expeditio bezeichnet4. Im Rahmen unserer Untersuchung besteht freilich kein Interesse für den präzisen Ablauf der Feldzugstätigkeit; diese ist nur der Anlaß, nach dem spezifischen Grund zu fragen, der den Kaiser zum Aufbruch in einen Krieg bewegte, und alle Spuren seines Wirkens bei An- und Abreise zum bzw. vom Kriegsschauplatz und abseits des Kriegsgeschehens zu beleuchten. Eine Antwort auf die Frage nach den vielschichtigen Motiven für die kaiserlichen Reiseunternehmen muß auf verschiedenen Untersuchungsebenen gesucht werden, da 3 A. J. Marshall, Governors on the Move, Phoenix, 20,1966,231 ff. 4 Bestes Beispiel für die umfassendere Bedeutung von expeditio sind die EXPEDITIO-Prägungen Hadrians, siehe S. 43, vgl. auch ILS 1684. Die Reise des Septimius Severus nach Afrika galt auch als expeditio(AE 1968,8).

Einleitung

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- wie gesagt - grundsätzliche Überlegungen zur Reisepolitik in der kaiserzeitlichen Literatur äußerst spärlich vorhanden und nur in Reaktion auf bestimmte Unternehmungen entstanden sind. Im einzelnen sind unter diesem Aspekt zu erhellen die gesamthistorische Situation, die Persönlichkeit des Herrschers (wollte er jeden Krieg persönlich führen?), die Provinzial- und Außenpolitik des Herrschers (hielt er es für notwendig, sich zu deren Verwirklichung persönlich in den Provinzen aufzuhalten?), der Charakter der Reise (friedlich, kriegerisch, demonstrativ?) und die offizielle Darstellung und Propaganda. Kompliziert bzw. erweitert wird die Fragestellung noch durch die überragende Bedeutung Roms als Zentrum eines Reiches, die sich wohl in keinem anderen antiken Staatswesen so ausgeprägt darstellte und ein besonderes Verhältnis zwischen dem Herrscher und seiner Residenz schuf; dieses Verhältnis hat sich auf die Reisetätigkeit eher hemmend ausgewirkt und sogar als Rechtfertigung der Immobilität des Kaisers gedient. Diesem „historischen" Fragenkomplex ist der erste Hauptteil der vorliegenden Untersuchung gewidmet. Sie beginnt mit Augustus, weil wir unter Bezug auf seine Person, die die oberste Autorität des Staates verkörperte, einen einheitlichen Bewertungsmaßstab für die Reisepolitik anlegen können; Reiseunternehmen der Staatsmänner der ausgehenden Republik, die eine oft vergleichbare Position als Autoritäten einnahmen, wären doch der historischen Gesamtsituation wegen nach gänzlich anderen Kriterien zu beurteilen. Wie wir hoffen nachweisen zu können, verlangt Augustus in diesem Rahmen eine ausführlichere Darstellung, da die Etablierung der neuen politischen Ordnung einen besonderen Kontext für die Reiseaktivität des ersten Prinzeps schuf, der später in dieser Form nicht mehr gegeben war. Im Gegensatz dazu kann die Mobilität der auf die Severer folgenden Herrscher seit der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts relativ kurz skizziert werden, bedingt nicht nur durch die überwiegend schlechte Quellenlage, sondern vornehmlich durch eine zunehmende Erstarrung und Gleichförmigkeit der gesamten Regierungstätigkeit und eine Veränderung des Herrscherbildes, das kaum noch individuelle Züge erkennen läßt. Nichtsdestoweniger hätten die Kaiser namentlich des vierten Jahrhunderts sicherlich eine ausführlichere Behandlung verdient, zumal die Quellen wieder eine breitere Untersuchungsbasis schaffen. Es ist jedoch hoffentlich verzeihlich, wenn Zeit, Umfang und eigenes Wissen Grenzen gesetzt haben, die diesen Zeitabschnitt eher als - allerdings notwendige Ergänzung zu den vorangehenden Epochen denn als letztes Wort zu den Herrscherreisen des vierten Jahrhunderts erscheinen lassen. Eine Darstellung kaiserlicher Reisepolitik darf mit dem Tode Theodosius' I. im Jahre 395 enden. Nicht zufällig schloß auch das bereits klassische Werk von J. Straub über das Herrscherideal in der Spätantike mit Theodosius, da sich seine Söhne Arcadius und Honorius in den Palästen von Konstantinopel und Ravenna abkapselten und folglich eine nach außen hin sichtbare Aktivität des Kaisers wegfiel. Wenn eine Reihe von geläufigen historischen Tatsachen in Erinnerung gerufen wird, so aus dem Grunde, weil Voraussetzung jeder interpretierenden Darstellung kaiserlicher Reiseaktivität die Erhellung des historischen Umfeldes ist, ohne das eine Reise überhaupt nicht verständlich wird. Die Thematik des zweiten bis fünften Hauptteiles bilden der äußere Ablauf der Kaiserreisen, der den Kaiser begleitende Personenkreis, die vielfaltigen Tätigkeiten des Kaisers und die Spuren seines Wirkens in den Städten und Provinzen des Reiches. Die

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Einleitung

hier für einen einzelnen Forscher gesetzten Grenzen werden nicht vom Umfang des behandelten Zeitraumes bestimmt, sondern von der fast unübersehbaren Fülle des Quellenmaterials und den z. T. noch ungelösten methodischen Problemen. Viele Berührungspunkte mit dem beschriebenen Inhalt der vier Teile finden sich in F. Millars Buch ,The Emperor in the Roman World4 (1977). Miliar hat zum erstenmal die wichtigsten Fragestellungen im Zusammenhang mit Organisation und Durchführung von »Imperial Journeys* eigenständig abgehandelt und die allmähliche Lösung der Kaiser von Rom in Richtung peripherer Residenzstädte verfolgt. Die Kenntnis einiger entlegener Quellenzeugnisse verdanken wir nur der Akribie Millars im Aufspüren derselben. Die dem Verfasser eigene Konzeption, die die kaiserliche Regierungspraxis als durchweg passive Reaktion auf die an ihn herangetragenen Probleme deutet, hindert ihn allerdings an einer Würdigung kaiserlicher Reiseaktivität als politischer Aussage: Er konnte sich innerhalb dieses Rahmens auf die unbestreitbar wertvolle Darstellung organisatorischer Probleme und der auf Reisen vom Kaiser getroffenen Maßnahmen beschränken, mußte dagegen die Faktoren, die den Kaiser zu seiner Mobilität erst motivierten, und die verschiedenen Arten der Realisation von Reiseunternehmen weitgehend außer acht lassen5. Millars weit umfangreicherer Themenkomplex führte notwendigerweise zu einer gerafften Darstellung von Einzelproblemen. Vielen Bereichen kann die vorliegende Untersuchung eine ausführlichere Behandlung widmen, in anderen ist Millars Ausführungen jedoch nichts hinzuzufügen; dies betrifft namentlich die kaiserliche Reisetätigkeit innerhalb Italiens, die sich im wesentlichen auf die bekannten Erholungsorte der Küsten Latiums und Kampaniens und die kaiserlichen Villen beschränkte und besonderen Charakter trug6. Ferner kann von den außerordentlich vielfältigen Folgewirkungen kaiserlicher Anwesenheit in den Provinzen vieles nur angedeutet werden, das sich mancher Leser vielleicht ausführlicher erörtert gewünscht hätte; jede Spur zu verfolgen würde aber weit vom Thema weg in eine detaillierte Stadt- und Provinzialgeschichte einmünden, jedoch hoffen wir, in einigen Fällen zumindest die Richtung weiterführender Untersuchungen angedeutet zu haben. Etwa die Frage, inwieweit der Bau neuer bzw. die Renovierung alter Reichsstraßen mit der Durchreise des Kaisers in Verbindung stehen, oder die bauliche Ausschmückung der Städte in Vorbereitung oder als Folge eines Kaiserbesuches erforderten zur adäquaten Behandlung eine eigene, bisher noch nicht geleistete umfassende Untersuchung. In anderen Bereichen stehen einer ausführlichen Behandlung in diesem Rahmen methodische Bedenken entgegen, da die Quellenbasis nicht ausreicht: Dies betrifft etwa Veränderungen im Rechtsstatus von Städten im Zusammenhang mit Kaiserbesuchen, wo wir uns auf die Nennung der wenigen sicheren Fälle beschränken, oder den gesamten Bereich der Militärgeschichte. Truppenverschiebungen größeren Stils, sofern sie sich überhaupt auf ein Jahr genau datieren lassen, stehen ja in der Regel nicht mit der Anwesenheit des Kaisers an sich, sondern mit militärischen Erfordernissen an der jeweiligen Reichsgrenze in ursächlichem Zusammenhang. Der Fall, daß ein Kaiser nicht nur als Reaktion, sondern in vorausschau5 Siehe etwa die Rezension von H. Galsterer, GGA 232,1980, bes. 73 f., 86 ff., und J. Bleicken, Zum Regierungsstil des römischen Kaisers. Eine Antwort auf Fergus Millar (1982). 6 Siehe dazu Millar, Emperor 24 ff.

Einleitung

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ender Planung unter eigener Aufsicht Revirements veranlaßte, scheint, wie so vieles Außerordentliche kaiserlicher Reiseaktivität, auf Hadrian beschränkt geblieben zu sein7. Als Vorbild für die tabellarische Auflistung des kaiserlichen Itinerars diente eine entsprechende Liste in Gardthausens Augustusmonographie. Auf eine Liste wurde in den Fällen verzichtet, in denen wegen der kurzen Regierungszeit eines Herrschers oder kaum gesicherter Daten und Aufenthaltsorte, wie im dritten Jahrhundert, eine Überblicksdarstellung entbehrlich schien. An die Tabelle schließt sich eine Erörterung strittiger Fragen des Itinerars bzw. eine Begründung neuer Vorschläge an. Auf die methodischen Grundsätze bei der Erstellung des Itinerars haben wir im Vorspann zum Itinerar Hadrians (S. 188 f.) hingewiesen, die sinngemäß für alle anderen Kaiseritinerare ebenso gelten. Trotz des Prinzips, sich nur auf die eindeutigen Zeugnisse zu stützen, schien es dennoch gerechtfertigt, auch solche Belege anzuführen, die zwar nicht mit letzter Sicherheit, aber mit plausiblen Gründen mit einem Kaiserbesuch in Verbindung zu bringen sind, insbesondere dann, wenn sie sich in ein schon bekanntes Itinerar problemlos einfügen lassen (siehe S. 157). Zugegebenermaßen liegt die Grenze der Wahrscheinlichkeit im persönlichen Ermessen; die modernen Interpretationen, die unserer Meinung nach unterhalb dieser Grenze lagen, sind zumindest in den Erläuterungen zitiert worden, um die der schnellen Information dienenden Tabellen nicht mit letztlich unsicheren Routen und Daten zu belasten. Für die Entscheidung, das Itinerar seit der Zeit Diokletians nicht mehr detailliert nachzuzeichnen, gilt die gleiche, oben zum ersten Hauptteil gegebene Begründung. Das Quellenmaterial dürfte sich fur diesen Zeitraum und diese Fragestellung kaum vermehren, so daß die verfügbare ältere wie neuere Literatur ihre Gültigkeit behalten wird; diese zu zitieren schien uns in diesem Rahmen ausreichend. Dort, wo Detailfragen, die hauptsächlich Lesungen der in den Rechtsquellen angegebenen Datums- und Ortsangaben kaiserlicher Erlasse und Briefe betreffen, zu klären sind, ist das Feld ohnehin den Spezialisten zu überlassen. Die vorliegende Untersuchung ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Wintersemester 1983/84 von der Fakultät für Orientalistik und Altertumswissenschaft der Universität Heidelberg angenommen worden ist. Die Anregung zur Bearbeitung des Themas erhielt ich von Herrn Prof. Dr. Géza Alföldy; seinem kritischen Urteil sowie demjenigen der Herren Prof. Dr. Fritz Gschnitzer und Prof. Dr. Christian Habicht verdanke ich wertvolle Hinweise sowohl in Fragen der Gesamtkonzeption als auch in Einzelproblemen. Unterstützung erfuhr ich auch von den Herren Prof. Dr. Tonio Hölscher, Dr. Rolf Michael Schneider und Dr. Michael Donderer, die mir in vielen Gesprächen archäologische Fragestellungen und Literatur näherbrachten. Herrn Prof. Dr. Michael Wörrle schulde ich dafür Dank, daß ich Teile einer noch unpublizierten Inschrift zur Kenntnis nehmen durfte. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermöglichte die Drucklegung dank eines namhaften Druckkostenzuschusses. 7 Zu denken ist an die Verlegung der legio VI victrix aus Xanten nach Britannien im Jahre 122 (siehe S. 195) oder an die Neuverteilung der Legionen in Ägypten, Arabien und Iudaea, die zwischen 120 und 127, am wahrscheinlichsten im Jahre 123 unter Hadrians Aufsicht stattfand, siehe B. Isaac-1. Roll, ZPE33,1979, bes. 153 ff.

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Einleitung

Die Siglen für Zeitschriften und Sammelwerke wurden der L'Année Philologique entnommen bzw. - falls dort nicht vorhanden - dem Zeitschriftenverzeichnis der Archäologischen Bibliographie. Die Panegyrici Latini (Paneg.) werden nach der von E. Galletier besorgten Ausgabe (1949/55) zitiert. Papyruseditionen werden abgekürzt nach dem Verzeichnis bei E. G. Turner, Greek Papyri. An Introduction (1968/1980), 156 ff.

I. MOTIVATION UND GESCHICHTLICHER HINTERGRUND 1) DIE REISETÄTIGKEIT DES AUGUSTUS Nee est, ut opinor, provincia, excepta dumtaxat Africa et Sardinia, quam non adierit. Mit diesen Worten unterrichtet uns Sueton (Aug. 47) im Rahmen seiner Aufzählung von Augustus' Verdiensten um die Reichsverwaltung über die intensive Reisetätigkeit des ersten Prinzeps. Augustus hatte sich schon wenige Monate nach den Senatsbeschlüssen vom Januar des Jahres 27, die seine Alleinherrschaft rechtlich sanktionierten, nach Gebieten außerhalb Italiens begeben und hat von den ersten 14 Jahren seines Prinzipates, also bis zum Jahre 13, achteinhalb Jahre, weit mehr als die Hälfte der Zeit, außerhalb Italiens geweilt. Diese Feststellung alleine läßt bereits vermuten, daß Augustus in den ersten Jahren seines Prinzipates, die für die Konsolidierung der neugewonnenen Stellung die entscheidenden waren, die Reisen als wichtiges Mittel zur Festigung der neuen politischen Ordnung betrachtete. Augustus selbst hat sich in seinen res gestae nicht explizit über Sinn und Zweck seiner Provinzreisen geäußert. Er erwähnte überhaupt nur seine Orientreise und seine Reise nach Gallien und Spanien (16-13), allerdings nicht im »außenpolitischen* Teil seines Tatenberichtes (RgdA 26-33), vielmehr steht die Nachricht inmitten der umfangreichen Aufzählung der ihm vom Senat verliehenen Auszeichnungen und Ehrungen (RgdA 11-12); nur um diese zu begründen, waren die beiden Reisen der Erwähnung wert. Namentlich zählte er die Errichtung der ara Fortunae Reducis und der ara Pads Augustae auf, ferner den außerordentlichen Empfang bei seiner Rückkehr aus dem Osten, als ihm die principes viri bis Kampanien entgegenzogen, qui honos ad hoc tempus nemini praeter me est decretus (RgdA 12). Diese von Augustus angeführten Beispiele fügen sich in eine längere Reihe von Ehrungen in Form von vota für die gesunde Rückkehr des Kaisers, von Empfangsbeschlüssen und anschließender Konstituierung von Bauwerken und jährlichen Opfern, die die Erinnerung an seine Rückkehr wachhalten sollten8. Er betrachtete seine Reisen als ein Verdienst gegenüber dem Staat, das ihm in Form von überschwenglichen Ehrungen vergolten wurde und in der Folge seine Stellung im Innern festigen mußte. Wenn auch Augustus vielfach mäßigend auf die Beschlüsse eingewirkt hat, so wurden doch die Anteilnahme und das Interesse des Staates an seiner Person und damit die Identität von Herrscherwohl und Staatswohl gebührend und in voller Absicht hervorgehoben. Die Abwesenheit von Rom provozierte eine Reaktion, in der sich das politische Bekenntnis des Senates und Volkes von

8 Dio 51,20,3 (29 ν. Chr.); 54,19,7 (16); siehe S. 20 und 158 f. Münzen mit der Umschrift Forftunae) Re(ducis) Caesari Augusto ex s.c. (19) und vot(a) p(ublica) susc(epta) pro sal(ute) et red(itu) I.O.M. (16), siehe J.-B. Giard, Catalogue des monnaies de l'Empire romain I. Auguste (1976), 83,93,183-85.

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Motivation und geschichtlicher Hintergrund

Rom zur neuen Staatsordnung manifestierte und die damit eine mögliche Unzufriedenheit zu verdecken half. Dieser Sehweise hat sich die moderne Forschung, abgesehen von nur geringfügig weiterführenden Argumenten, im großen und ganzen angeschlossen. Beispielshalber sei aus der Augustusmonographie von Viktor Gardthausen zitiert9: „Er reiste besonders aus dem Grunde, weil er in Rom seine Abwesenheit, in den Provinzen seine Anwesenheit für nothwendig oder doch erspriesslich hielt. Wie die Gesetzgeber des griechischen Alterthums, wie Lykurg und Solon bald nach Einfuhrung ihrer Gesetze die Heimath verliessen, um den allzu häufigen Wünschen nach Aenderungen... ihrer Gesetze aus dem Wege zu gehen und um den Bürgern Zeit zu lassen, sich in die neuen Verhältnisse einzuleben, so wünschte auch Augustus eine Probe zu machen von der Lebensfähigkeit seiner Reformen, die erst erwiesen war, wenn ihr mächtiger Urheber darauf verzichtete, persönlich seine Schöpfungen zu vertreten und jeden Stein des Anstosses vorsichtig zu entfernen. Desshalb also war seine Abwesenheit von Rom ebenso wünschenswerth, wie seine Anwesenheit in den Provinzen durch den persönlichen Charakter seines Regiments bedingt war." Wenn Walter Schmitthenner in seiner 1962 verfaßten Abhandlung über Augustus' spanischen Feldzug und den Kampf um den Prinzipat10 Augustus' Abreise im Jahre 27 als „vorläufiges Ausweichen vor der Auseinandersetzung an derjenigen Stelle, wo noch immer das Zentrum der Machtausübung lag" interpretierte, so wird auch hier impliziert, daß Augustus' Reiseaktivität ein Entweichen vor dem politischen Druck der Hauptstadt darstellte und sich von daher die Abwesenheit an sich auf seine Position in Rom vorteilhaft ausgewirkt habe. Nichtsdestoweniger gab Schmitthenner in seiner zusammenfassenden Wertung des spanischen Feldzuges als erster den wichtigen Hinweis auf die beabsichtigte Rückwirkung von Augustus' außenpolitischer Aktivität auf seine Stellung im Innern11. Eine genauere Betrachtung der augusteischen Reisen legt in der Tat einen größeren historischen Zusammenhang offen. Dabei ist methodisch von zwei verschiedenen Ebenen der Beurteilung auszugehen, wie das generell für die Politik des Augustus gilt: Erstens sind das offizielle Vokabular der Senatsbeschlüsse vom Januar 27 und die damit zusammenhängenden offiziellen Ehrungen daraufhin zu untersuchen, welche Erwartungen in ihnen zum Ausdruck kamen, die Augustus zu seiner sofort einsetzenden Reisetätigkeit motiviert haben. Zweitens: R. Syme hat hinsichtlich Augustus' Machtposition den wahren Satz geprägt: „The real complexity is discovered beyond the law and the constitution, in the things unspoken and undefined"12. Auf die Reisen des Augustus bezogen will dies besagen, daß die Beweggründe für seine Reisen nicht nur im Wortlaut der Gesetze und imperia zu suchen sind; vielmehr wird man darüber hinaus die äußeren Merkmale seiner Reiseaktivität, also die Bewegungen und Tätigkeiten im einzelnen, unter dem Aspekt beleuchten müssen, ob sie indirekt Rückschlüsse auf ihren Sinn und Zweck erlauben.

9 Augustus und seine Zeit I (1896), 806 f.; vgl. R. Syme, The Roman Revolution (1939), 331 f. 10 Historia 11,1962,53 = ders. (Hg.), Augustus (1969), 439 f. 11 A.O. 80 = Augustus 478 f. ; siehe auch D. Timpe, Zur augusteischen Partherpolitik zwischen 30 und 20 v. Chr., WJA N.F. 1,1975, bes. 161. 12 JRS 36,1946,155 = Schmitthenner (Hg.), Augustus 166 f.

Die Reisetätigkeit des Augustus

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a) Die Voraussetzung : Das Imperium des Jahres 27 v. Chr. Zunächst bildete die förmliche Übertragung eines eigenen Imperium mit eigener provincia aufgrund des Senatsbeschlusses vom 13. Januar 27 die formalrechtliche Grundlage für Augustus' Aufenthalte in den Provinzen. Wenn er noch im Laufe desselben Jahres Rom verließ, so befolgte er damit den alten republikanischen Grundsatz, daß der mit einer provincia betraute Magistrat, Prätor bzw. Konsul, noch während seines Amtsjahres dieselbe persönlich zu übernehmen hatte13. Wie A. Giovannini gezeigt hat, war diese Regelung durch die lex Pompeia deprovinciis des Jahres 52, die das Fünfjahresintervall zwischen Magistratur und Statthalterschaft einführte, für die prätorischen Provinzen - und nur für sie - aufgehoben worden, während sie jedoch für die konsularischen Provinzen im Prinzip bis zum Jahre 27 fortbestand. Erst damals machte Augustus das Fünfjahresintervall auch für die konsularischen Provinzen verbindlich (Dio 53,14,2) und hat damit die amtierenden Konsuln der obersten Zivil- und Militärgewalt in den Provinzen beraubt14. Indem er das alte Vorrecht der Konsuln auf sich selbst übertrug und mit seiner Abreise praktizierte, tat er der Form nach zwar nichts Ungewöhnliches, die Konsequenzen für seine eigene Machtstellung aber waren außerordentliche: Er vereinigte nicht nur eine bisher beispiellose Zahl aller bedeutenden Provinzen unter seinem Imperium, sondern entzog auch den republikanischen Institutionen - in der Person der Konsuln - die Überwachung dieser Provinzen. Die Übernahme des Imperium begründete Augustus damit, daß der Staat seinen endgültigen Friedenszustand noch nicht erreicht habe, eigentlich noch krank sei und deshalb der Fürsorge bedürfe15. In allen Bereichen des staatlichen Lebens war die cura schon in republikanischer Zeit ein geläufiger Begriff. Sie bezeichnete die Mühe, Sorgfalt, Pflichterfüllung sowohl für die res publica allgemein als auch für einzelne öffentliche Belange, wie etwa die Lebensmittelversorgung, die Magistrate oder überhaupt jeder pflichtbewußte Römer auf sich nahmen16. Augustus zog die Konsequenz, daß er sich bemühte, bis zum Ablauf des zunächst auf zehn Jahre befristeten Imperium im Jahre 18 möglichst alle seine provinciae zu besuchen, was ihm auch mit Ausnahme von Ägypten, das er bereits im Jahre 30 hinreichend geordnet hatte, gelungen ist. Die Lage an den Grenzen hat freilich eine stetige Verlängerung des mit dem Auftrage verbundenen Imperium notwendig gemacht17, wobei die Erfüllung der cura im Laufe der Zeit nicht mehr die Anwesenheit des Prinzeps vor Ort implizierte, sondern seine Fürsorge auch aus der Ferne kommend von den Provinzialen als segensreich empfunden wurde18. 13 A. Giovannini, Consulare Imperium (1983), 90. 14 Giovannini a.0.114 ff., 118. 15 Dio 53,12,1 : τήν μέν φροντίδα την τε προστασίαν τον κοινών πασαν ώς και επιμελείας τίνος δεομένων ύπεδέξατο; und zum Jahre 18 (54,12,3): ώς τά τε κοινά θεραπείας άκριβοΟς έδεΐτο; vgl. auch Strabo 17,3,25. - J. Béranger, Recherches sur l'aspect idéologique du principat (1953), 205; L. Wickert, RE 22 (1954), 2270 f.; P. Sattler, Augustus und der Senat (1961), 43 f. 16 Béranger a.0.186 ff. ; Syme a.O. (Anm. 12) 154 = Augustus 164 f. 17 Dio 54,12,5; 55,6,1; 56,28,1. 18 Siehe etwa die Ehreninschrift zu einer dem Kaiser gewidmeten Statue der provincia Hispania ulterior Baetica, quod benefìcio eius et perpetua cura provincia pacata est (ILS 103, nach 2 ν. Chr.). Im fünften Edikt von Cyrene aus dem Jahre 4 v. Chr. ist von der φροντίς seitens

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Motivation und geschichtlicher Hintergrund

Zweitens gründete sich die Übertragung des Imperium auf die überragenden Leistungen des Caesar, die er kraft seiner Tugenden vollbracht hatte, die Senat und Volk im goldenen Schild des Jahres 27 verewigten19. Der Schild sollte nicht nur auf die Zeit der Bürgerkriege zurückverweisen, sein meritum begründen, sondern auch Ansporn und Erwartungen ausdrücken, die gewonnene Machtstellung zur Sicherung des Reiches zu nutzen. R. Syme mag mit seiner Vermutung recht haben20, daß die Tugenden als Präambel o. ä. Eingang in den Senatsbeschluß vom 13. Januar gefunden haben. Die virtus steht an erster Stelle; nicht nur die enge Bindung an die folgende dementia, sondern auch die auf Münzen und Reliefs der augusteischen Zeit feststellbare enge Beziehung des Schildes zur Siegesgöttin Victoria führt zur Deutung der virtus des Schildes als der militärischen, kriegerischen virtus21. Diese Sehweise entspricht sowohl dem traditionellen römischen virtus-latdX als auch dem hellenistischen Herrscherideal, in dem die Tüchtigkeit als Feldherr neben der Gerechtigkeit und Frömmigkeit zu den drei Kardinaltugenden gehörte22. Der Eindruck des überwältigenden militärischen Erfolges über Antonius und Kleopatra, der dem Reich seine Einheit und seinen inneren Frieden wiedergegeben hatte, muß im Jahre 27 noch ungemein stark gewesen sein23. Da noch niemand wußte, wie sich die Macht des Prinzeps in die bestehende Verfassung endgültig einordnen sollte, dachten der Senat und die öffentliche Meinung auch für die Zukunft sicher an große WafTentaten des neuen Alleinherrschers, die seiner Herrschaft, nach innen wie nach außen wirkend, den notwendigen Glanz verleihen konnten. Cura und virtus nahmen direkt Bezug auf zwei wichtige, drängende Probleme der Zeit: erstens die Behebung des desolaten inneren Zustandes vieler Provinzen, die entweder während der Bürgerkriege arg vernachlässigt worden (vgl. Dio 53,22,5 über Gallien) oder selbst Schauplätze der Kämpfe gewesen waren; zweitens die äußere

des Kaisers und des Senates die Rede, siehe F. de Visscher, Les edits d'Auguste découverts à Cyrène (1940), 22 Z. 50. Die Stadt Messene lobt Augustus υπέρ τος πόλιος φροντίδος (SEG 23,207 = BCH 109,1985,597 ff. Ζ. 36). - Dagegen spricht Tacitus (ann. 2,59,1) von der cura provinciae, die Germanicus zu seinem Besuch in Ägypten veranlaßte; die cura ... Germanici belli erforderte die Anwesenheit des Drusus am Rhein (Vell. Pat. 2,97,2). 19 RgdA 34: virtutis clementiaeque et iustitiae et pietatis causa. Zur Traditionsgeschichte der Tugenden siehe S. Weinstock, Divus Iulius (1971), 228 ff. und die Bemerkungen von A Alföldi, Gnomon 47,1975,167 ff. 20 JRS 36,1946,154 = Augustus 165. 21 T. Hölscher, Victoria Romana (1967), 102 ff. Deshalb scheint mir auch die in Arelate gefundene marmorne Kopie des Goldschildes aus dem Jahre 26 mit dem Kantabrerfeldzug des Augustus in direktem Zusammenhang zu stehen; vgl. die spanischen Münzen des Jahres 26 mit Schild und VICTORIA (Hölscher 103). Anders W. Seston, CRAI 1954,286 ff. = Scripta Varia (1980), 121 ff. Den aktuellen Bezug des Schildes leugnet m. E. zu sehr A. Wallace-Hadrill, The Emperor and his Virtues, Historia 30,1981,300 ff. Vgl. auch die Literatur bei D. Kienast, Augustus. Prinzeps und Monarch (1982), 82. 22 L. Wickert, RE 22 (1954), 2222 ff. - H. Kloft (Hg.), Ideologie und Herrschaft in der Antike (1979), 339 ff.; L. Delatte, Les traités de la royauté d'Ecphante, Diotogène et Sthénidas (1942), 249 ff. 23 H. W. Ritter, Überlegungen zur Inschrift des Augustusbogens auf dem Forum Romanum, MDAI(R) 85,1978,371 ff.

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Sicherheit bedrohter Provinzen, von denen in den ersten Jahren des Prinzipates vor allem Gallien und Spanien zu nennen sind, während im Osten das Verhältnis zu den Parthern einer Regelung bedurfte. Daß die Behebung des ersteren Mißstandes ein vorrangiges Ziel der Reisen gewesen ist und die persönliche Inaugenscheinnahme der Verhältnisse hier den besten Erfolg garantierte, liegt auf der Hand, und dies zeigen die bekannten Maßnahmen des Augustus. Dem traditionellen virfttf-Ideal hat er insofern Rechnung getragen, als er bei seinem ersten Aufbruch von Rom zumindest den Erwartungen eines expansionsträchtigen Krieges in Britannien freien Lauf ließ24. Doch zeigt das, was Augustus wirklich tat, daß er seine virtus nicht auf einem Eroberungsfeldzug unter Beweis stellen wollte, sondern daß seine Reisen der „Ordnung" seiner Provinzen dienen sollten, wie es im Auftrag vom Januar 27 formuliert war und er es dem Senat versprochen hatte (Dio 53,13,1). Es ist das Verdienst W. Schmitthenners gezeigt zu haben, daß weder in Gallien noch in Spanien eine akute Notlage die Anwesenheit des Kaisers erforderte25 ; der Entschluß, den Krieg in Spanien persönlich zu fuhren, wurde erst im Jahre 26 als Antwort auf eine neuerliche Offensive der Asturer und Kantabrer hin vor Ort des Geschehens gefaßt. Nach harten Kämpfen mit wechselndem Kriegsglück mußte sich Augustus bereits wenige Monate nach Beginn des Feldzuges, von den Strapazen überwältigt, nach Tarraco zurückziehen und Heilung in Pyrenäenbädern suchen. Wahrscheinlich hat er bis zu seiner Rückkehr nach Rom die Front nicht mehr gesehen26. Der unmittelbar nach seiner Abreise wieder aufflammende Kriegsbrand widerlegte das Bild des strahlenden Siegers. Die Ode 3,14 des Horaz spiegelt die Gefühle der Hauptstadt wider, wo man sich des Sieges angesichts der langen Abwesenheit des Herrschers und seiner labilen Gesundheit nicht recht erfreuen konnte27. Augustus hat denn auch nicht nur auf einen Triumph verzichtet, sondern auch in Zukunft keine Armee mehr unmittelbar im Kriege befehligt. Ein ähnlich zweifelhafter Erfolg, wie er in Spanien errungen wurde, hätte ein erhebliches innenpolitisches Risiko bedeutet, weshalb er in den ersten Jahren des Prinzipates an einen Feldzug gegen Britannien oder gegen die Parther mit nicht kalkulierbarem Ausgang überhaupt nicht denken konnte. Stattdessen wurde die ohne einen Tropfen Blut erreichte Rückgabe der Feldzeichen seitens der Parther als Sieg gefeiert28. Horaz hat in seinen späten Werken die virtus des spektakulären kriegerischen Erfolges entkleidet; sie war auch nicht mehr auf das vordergründige Urteil der

24 Dio 53,22,5; zu den Dichtern siehe A. Momigliano, JRS 40,1950,39 und H. D. Meyer, Die Außenpolitik des Augustus und die zeitgenössische Dichtung (1961), 9 ff., 33 ff., 71. R. Syme, History in Ovid (1978), 50 f., hat die Ernsthaftigkeit eines solchen Planes zu Recht bezweifelt. 25 Historia 11,1962,48 ff. = ders. (Hg.), Augustus (1969), 432 ff. 26 Siehe die unten S. 159 f. angeführte Literatur. 27 Den pessimistischen Grundton der Ode heben hervor D. Kienast, Horaz und die erste Krise des Prinzipats, Chiron 1,1971,239 ff., und U. W. Scholz, Herculisritu- Augustus - consule Planco (Horaz c. 3,14), WS N.F. 5 (= 84),1971,123 ff. Dagegen A. Doblhofer, Horaz und Augustus, ANRW II 31,3 (1981), 1964 ff.; vgl. ders., Die Augustuspanegyrik des Horaz in formalhistorischer Sicht (1966), 125. 28 Ritter a.O. (Anm. 23); J.P.A. van der Vin, The Return of Roman Ensigns from Parthia, BABesch 56,1981,117 ff.

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Menge angewiesen, sondern die große Tat an sich lag ihr zugrunde (carm. 3,2), „das Ausdauernde und Kräftig-Unternehmende", wie es K. Büchner genannt hat29. Diese Tatkraft stellte Augustus auf seinen folgenden Reisen nicht in den Dienst des Krieges, sondern des Friedens. Die allseits propagierte Friedensidee, die schon seit hellenistischer Zeit als Bestandteil des Herrscherbildes figurierte, hatte in Folge der langen Bürgerkriegszeit unter Augustus eine außerordentliche Aktualität gewonnen30. Diese Idee zu verwirklichen war das vorrangige Ziel augusteischer Reisepolitik. Velleius Paterculus scheint in der zweieinhalb Jahre nach der Rückkehr aus Spanien angetretenen Orientreise die überwiegend neue, ausschließlich dem Frieden dienende Zweckbestimmung des Unternehmens erkannt zu haben, wenn er es folgendermaßen charakterisierte (2,92,2): aberat ordinandis Asiae Orientisque rebus Caesar, circumferens terrarum orbi praesentia sua pads suae bona. Zwar ist anläßlich des Prestigeerfolges gegenüber den Parthern ein Triumphbogen auf dem Forum Romanum errichtet worden31 ; jedoch wurde der Eindruck eines mit Waffen erkämpften Sieges dadurch gedämpft, daß Augustus auf die Feier eines Triumphes selbst verzichtet und sich mit einer ovatto begnügt hat. Bezeichnenderweise findet dieser Bogen auch in den res gestae keine Erwähnung, dafür aber die ara Fortunae Reducis, die an der porta Capena, durch die der zurückkehrende Kaiser in die Stadt einzog, errichtet wurde (RgdA 11). Der Aufbruch nach Gallien im Jahre 16 erfolgte in Reaktion auf die Niederlage des Legaten M. Lollius und sollte vordergründig die angeschlagene Waffenehre wiederherstellen. Die stärkere Motivation ging jedoch zweifellos von der Furcht aus, die Kunde über die Schlappe könnte Unruhen unter den gallischen Völkerschaften auslösen. Dios Begründung für die Reise (54,19,1-2), Augustus habe einer vergifteten innenpolitischen Atmosphäre nach dem Beispiel Solons entfliehen wollen, stellt eine bei ihm wiederholt zu beobachtende Form eigener Interpretation dar, die den wahren Grund - hier die Niederlage des Lollius - als Vorwand, dagegen allenfalls Gerüchte oder spätere Erfindungen als Wahrheit hinzustellen versucht32. Die Sorge um die erst jüngst unterworfenen und nur in Ansätzen romanisierten Gebiete hat Augustus bewogen, auch nach dem schnellen Arrangement mit den Germanen noch drei Jahre lang sich in Gallien und dann in Spanien aufzuhalten; mittels seiner persönlichen Anwesenheit wollte er die Pazifizierung und innere Stabilisierung seiner provinciae beschleunigen33. Zur Feier der Rückkehr konstituierte der Senat im Jahre 13 auf dem Marsfeld die ara Pads Augustae (Dio 54,25,3). H. Kahler34 hat das Monument einer eingehenden Würdigung unter dem Gesichtspunkt der augusteischen Friedensidee unterzogen. Zusätzlich muß jedoch hervorgehoben werden, daß die ara Pads eben nicht irgend-

29 Studien zur römischen Literatur III, Horaz (1962), 19. Siehe auch V. Pöschl, Horaz und die Politik, SHAW 1956, Abh. 4, 22 ff. = R. Klein (Hg.), Prinzipat und Freiheit (1969), 165 ff.; E. Doblhofer, Augustuspanegyrik (Anm. 27), 96 ff. 30 S. Weinstock, Pax and the ,Ara Pads', JRS 50,1960,44 ff. 31 Dio 54,8,3 ; siehe im einzelnen Ritter a.O. (Anm. 23). 32 F. Miliar, A Study of Cassius Dio (1964), 97 f.; vgl. B. Manuwald, Cassius Dio und Augustus (1979), 128 ff. Siehe auch S. 25 f. zur Abreise Agrippas in den Osten (23). 33 Zum Aufenthalt in Gallien und Spanien 16-13 siehe S. 159,161 f. 34 Die Ara Pacis und die augusteische Friedensidee, Jdl 69,1954,67 ff.; siehe auch M. Torelli, Typology and Structure of Roman Historical Reliefs (1982), 27 ff.

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wann, sondern anläßlich der Rückkehr von einer ausgedehnten Provinzreise errichtet wurde, und zwar mit einer doppelten Absicht: Sie symbolisierte nicht nur die Friedensidee als neue Errungenschaft der Zeit, sondern sie bezeugte auch im besonderen, daß es Augustus' Provinzreisen waren, die der Verwirklichung der Idee dienten. In neuem und noch bedeutungsvollerem Kontext erscheint die ara Pads nach der jüngst geglückten Entdeckung des solarium Augusti. E. Buchner konnte nachweisen, daß der Altar in Lage und Abmessungen so auf das Solarium ausgerichtet war, daß am Geburtstag des Kaisers, dem 23. September, der Schatten des Obelisken auf der Äquinoktienlinie entlang genau in die Mitte der Altaranlage wanderte: „Es fuhrt so eine direkte Linie von der Geburt dieses Mannes zu Pax, und es wird sichtbar demonstriert, daß er natus adpacem ist"35. Nur ein dank seiner virtus gefestigter Friede konnte für Augustus die Voraussetzung dafür bilden, der für seine Provinzen übernommenen Fürsorgepflicht nachzukommen und den in der Verleihung des Imperium implizierten Erwartungen gerecht zu werden.

b) Der Zweck: Die Klientel in den Provinzen Unter den Segnungen des Friedens gedieh ein wesentliches Machtpotential auf seiten des Prinzeps, nämlich eine Anhängerschaft in den Provinzen. Die noch nicht allzu lange zurückliegende Bürgerkriegszeit, als die Rivalen um einzelne Städte und Landschaften kämpften, hatte die Festigkeit alter Bindungen und die Bedeutung einer treuen Klientel erwiesen. Diese Basis auszubauen war auch für Augustus eine Notwendigkeit angesichts seiner noch keineswegs gefestigten Stellung in Rom. Die bereits im Jahre 28 erlassene Verfügung, kein Senator dürfe ohne seine Erlaubnis Italien verlassen (Dio 52,42,6), spiegelt offensichtlich die Furcht des neuen Alleinherrschers wider, daß potentielle innenpolitische Gegner eine unkontrollierte Freizügigkeit dazu nutzen könnten, eine eigene, mit ihm konkurrierende Provinzklientel aufzubauen oder wiederherzustellen. Welchen politischen Einfluß diese Klientel insbesondere in den östlichen Provinzen des Reiches unter Augustus noch wahrnehmen konnte, hat kürzlich G. W. Bowersock an ihrer Haltung gegenüber den konkurrierenden Nachfolgern Tiberius und C. Caesar demonstriert36. In Erfüllung seiner Fürsorgepflicht boten sich Augustus die Reisen, auf denen er sich der Klientel persönlich zeigen und ihr Wohltaten erweisen konnte, als ideale Gelegenheit an, sich derselben zu versichern. Auf den Reisen ließen sich zwischen Untertanen und Herrscher sehr viel intensivere Beziehungen jeglicher Art knüpfen, als dies durch Gesandtschaften über weite Entfernungen geschehen konnte: Der Kaiser verfügte über mehr Zeit, besaß mit den örtlichen Verhältnissen vertraute Berater und konnte sich oft mit eigenen Augen einen Einblick verschaffen. Das Handicap weitreisender Gesandtschaften illustriert das Beispiel einer Gesandtschaft aus Kos, die Augustus in Spanien an der Front aufsuchte und über ein neuerliches Erdbeben informierte; der Kaiser konnte sie zwar anhören, vertagte aber

35 Solarium Augusti und Ara Pads, MDAI (R) 83,1976, bes. 346 f. 36 G. W. Bowersock, Augustus and the East: The Problem of Succession, in: F. Millar E. Segal (ed.), Caesar Augustus (1984), 169 ff.

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eine konkrete Hilfszusage auf die Zeit nach Beendigung der Kriegsführung37. Die Anwesenheit des Kaisers oder seines Stellvertreters im Osten - hier liegt ein dichteres Quellenmaterial vor - löste eine Rut von Loyalitätsbekundungen in Form von Ehreninschriften aus, ohne daß der Herrscher den Boden der betreffenden Stadt in jedem Fall betreten haben mußte. Selbst die Übernahme der Stephanophorie durch C. Caesar in Milet und Herakleia in der Zeit seines Orientaufenthaltes besagt nicht, daß er die beiden Städte wirklich besucht hat38. Ist dies aber tatsächlich der Fall gewesen, so konnte sich eine Stadt noch nach Generationen auf dieses Ereignis berufen. So beschwor die Stadt Assos in der Troas beim Regierungsantritt Caligulas die Fürsorge des neuen Kaisers, eingedenk der Tatsache, daß er als Kind mit seinem Vater Germanicus an dieser Stelle zum erstenmal den Boden der Provinz Asia betreten hatte39. So wenig wir an konkreten Einzelmaßnahmen für die Städte wissen, so eindeutig läßt sich andererseits der allgemeine Charakter der von Augustus auf seinen Reisen getroffenen Maßnahmen definieren: Sie dienten der „Ordnung" in den Provinzen. Velleius Paterculus faßt an der schon zitierten Stelle (2,92,2) Augustus' Tätigkeit auf seiner Orientreise mit res ordinare zusammen; Dio wählt ähnlich allgemein gehaltene Umschreibungen wie τον βίον τήν τε πολιτείαν διεκόσμησε anläßlich der ersten Reise nach Gallien im Jahre 27 (53,22,5) oder er benutzt die Verben κα$ιστάναι in bezug auf Spanien 27/26 und Gallien 16/13 (53,22,5 ; 54,21,1 f.) oder διοικεΐν in bezug auf Sizilien (54,7,1). Wie die Städte die ordnende Hand des Kaisers zu spüren bekamen, berichtet Sueton (Aug. 47): Demnach hat sich Augustus einen genauen Einblick in die wirtschaftlichen und politischen Zustände der Städte verschafft und im Einzelfall fördernde, aber auch strafende Maßnahmen ergriffen; einige wenige Beispiele überliefert Cassius Dio für Gemeinden Galliens, Siziliens und des Ostens40. Dem relativ langen Aufenthalt in Sizilien waren Unruhen in der Hauptstadt vorausgegangen, die ihre Ursachen in einer Hungersnot und anschließenden Epidemien hatten (Dio 53,33 ; 54,1). Augustus sah sich selbst bemüßigt, in einer der wichtigsten Kornprovinzen des Reiches nach dem Rechten zu sehen und hat persönlich den Prokurator der Provinz ausgewechselt41. Großzügigkeit gegenüber den Städten bezeugt namentlich für 37 R. Herzog, Koische Forschungen und Funde (1899), 141 ff. (zu IvOlympia 53). 38 D. Magie, Roman Rule 1343. Zur Bekleidung städtischer Ämter durch die Kaiser siehe S. 138 f. 39 SIG3 797 = IGR IV 251 - IvAssos 26 Z. 15; siehe P. Herrmann, Der römische Kaisereid (1968), 105 f. Die Assier dachten sicher nicht im Ernst daran, daß sich der seinerzeit sechsjährige Caligula an sein „Versprechen" (ύπέσχετο) erinnern würde, wichtig war der Hinweis auf die besondere Wertschätzung, die Germanicus der Stadt dadurch hat widerfahren lassen, daß er nicht in Ephesos, sondern in Assos zum erstenmal den Boden Asiens betreten hatte. 40 Dio 54,7,1; 7,4 ff.; 23,7; 25,1. 41 Zur Versorgungskrise des Jahres 22 siehe G. Rickman, The Corn Supply of Ancient Rome (1980), 62. Zu Athenodoros und Areios (Plut. mor. 207 Β) siehe G. W. Bowersock, Augustus and the Greek World (1965), 39 f. Die von Gardthausen, Augustus (Anm. 9) II 465, vorgeschlagene Verbindung dieser Maßnahme mit dem Besuch des Augustus in Sizilien scheint mir zutreffend zu sein. Diese Reise ist wohl im Zusammenhang zu sehen mit der schlechten Versorgungslage Italiens im Frühjahr 22. Daß Augustus die Getreidelieferungen absichtlich verzögert hat, wie Sattler a.O. (Anm. 15) 77 annimmt, ist deshalb unwahrscheinlich; siehe auch Kienast a.O. (Anm. 21) 92 f.

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die Ostprovinzen Flavius Iosephus in seinen Berichten über Augustus' und Agrippas Orientreisen. Agrippa und sein Begleiter Herodes versuchten sich auf ihrer durch Kleinasien führenden Reise (15 v. Chr.) darin offenbar gegenseitig zu übertrumpfen. Die zugunsten der Juden verfügten Erlasse des Agrippa gingen nicht nur auf den direkten Kontakt mit den jüdischen Gemeindevertretem aus Ionien, sondern auch auf die enge Freundschaft und Fürsprache des Herodes zurück (los. ant. lud. 16,2,2 f.). Wie beständig eine Beziehung zwischen dem Herrscher und einer einzelnen Stadt werden konnte, zeigen die regelmäßig aufgesuchten Winterquartiere. Was Lugdunum im Westen war, waren im Osten die Inseln der Ägäis: So überwinterte Agrippa immer auf Lesbos, Augustus in Samos (dort wohl auch C. Caesar), und Tiberius bevorzugte Rhodos während seiner Aufenthalte im Osten42. Samos stand wie auch Sparta (siehe unten) zu Livia in einer auf ihre Vorfahren oder einen aktuellen Anlaß zurückgehenden besonderen freundschaftlichen Beziehung. Nachdem die Samier sich schon Jahre früher unter Berufung auf diese Beziehung um die Rechtsstellung einer civitas libera allerdings vergeblich - bemüht hatten, erhielten sie dieses Privileg nach dem zweiten längeren Aufenthalt des Kaisers im Jahre 19. Augustus anerkannte also den infolge seiner Anwesenheit besonderen Aufwand seitens der Stadt als herausragendes Verdienst, das die Gewährung der Freiheit rechtfertigte. Was Lesbos und Mytilene betrifft, so sind zweifellos - uns allerdings in Einzelheiten noch unbekannte - Bindungen zwischen Agrippa oder seiner Gattin Iulia und der bedeutendsten Familie der Stadt, den Nachkommen des Theophanes, vorauszusetzen. Der Sohn des Theophanes stand vor allem bei Iulias zweitem Gatten Tiberius in höchster Gunst. Es wird auch kein Zufall gewesen sein, daß Agrippas Tochter Agrippina während der Orientreise ihres Gatten Germanicus im Jahre 18 ausgerechnet auf Lesbos ihr letztes Kind gebar43. Noch klarer läßt sich der Zusammenhang von Reisepolitik und Klientelverhältnis an der Familie des C. Iulius Eurycles aus Sparta demonstrieren. Sparta gehörte zur Klientel des Ti. Claudius Nero, des ersten Gemahls der Livia (Suet. Tib. 6,2). Eurycles hatte Octavian in der Auseinandersetzung mit Antonius die Treue gehalten, wofür ihm eine Art Klientelfürstentum in Lakonien eingerichtet wurde. Auf seiner Reise in den Osten machte Augustus im Jahre 21 in Sparta halt, da sich Livia der günstigen Aufnahme erinnerte, die ihr und ihrem Sohn Tiberius im Jahre 40 in der Stadt zuteilgeworden war. Nunmehr schenkte er dem Eurycles die Insel Kythera und nahm demonstrativ an den Syssitien teil44. Eurycles wiederum ließ anläßlich des Besuches eine Münzserie mit den Bildnissen des Kaisers und der Kaiserin prägen, wie er das auch fünf Jahre später beim Aufenthalt Agrippas und Iulias tat45. Die betonte Ehrung Spartas in Form des kaiserlichen Besuches erscheint noch 42 Siehe im einzelnen S. 163 f., 158 ff., 167 f. Zu Livia und Samos siehe J. Reynolds, Aphrodisias and Rome (1982), 104 ff. Nr. 13. 43 Theophanes und Familie: Strabo 13,2,3; siehe H. Halfmann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jh. n. Chr. (1979), 100 f. Agrippina: Tac. ann. 2,54,1 ; zum Datum siehe P. Herz, BJ 181,1981,102 f. 44G.W. Bowersock, Eurycles of Sparta, JRS 51,1961,112 ff. Gute Zusammenfassung bei S. Grünauer - v. Hoerschelmann, Die Münzprägung der Lakedaimonier (1978), 63 f. 45 Dio 54,7,2; Strabo 8,5,1. Möglicherweise gingen damals auch Thuria und Kardamyle in den Besitz Spartas über (Paus. 4,31,1 ; 3,26,7).

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größer angesichts der Mißachtung Athens: Augustus nahm den Athenern nicht nur Eretria und Aigina ab, sondern blieb auch demonstrativ in Sichtweite Athens auf Aigina und stellte damit die Stadt wirksamer als mit Strafen bloß. Als Zeichen der Versöhnung wiederum betrat er auf der Rückreise zwei Jahre später die Stadt und ließ sich in die eleusinischen Mysterien einweihen. Der Besuch galt außerdem als Anlaß für die Einweihung repräsentativer Bauten, u. a. der Aufstellung eines von kniefälligen Orientalen getragenen Dreifußes im Olympieion, mit der der Kaiser am Ort des welthistorischen Sieges der Griechen über die Perser seinen ,Sieg4 über die östlichen Barbaren verherrlichte. Offenbar gleichzeitig seitens der Athener dedizierte Ehreninschriften, in denen Augustus mit Apollo gleichgesetzt wird, deuten die vielfältigen Möglichkeiten und Ebenen an, auf denen eine sich durch die persönliche Anwesenheit intensivierte Beziehung zwischen der Person des Kaisers und der betreffenden Stadt manifestieren konnte46. Wichtiger Bestandteil augusteischer Klientel waren neben den Städten und ihrer Oberschicht die noch selbständigen Landesherren und lokalen Machthaber. Augustus hat in seinen res gestae die ihnen erwiesenen Wohltaten zu einem einseitigen Akt traditionell römischer moderano umgedeutet, indem er darauf verwies, daß er trotz der gegebenen Möglichkeit auf eine Annexion der Klientelreiche verzichtet und die verbündeten Nationen unter ihren eigenen Herrschern belassen habe (RgdA 27). Es bestand nichtsdestoweniger ein beiderseitiges Interesse an einem guten Einvernehmen. Die Macht dieser Dynasten beschränkte sich nämlich nicht nur auf ihr eigenes Herrschaftsgebiet, sondern ihr unermeßlicher Reichtum verhalf ihnen auch zu einem starken Einfluß auf das kulturelle und politische Leben der bedeutenden Provinzzentren47. Untereinander durch eine gezielte Heiratspolitik verbunden (Suet. Aug. 48), bildeten die Fürstenhäuser die Spitze einer provinzialen Adelsgesellschaft und zugleich eine potentielle Machtbasis entlang der Peripherie des Reiches, die nunmehr ausschließlich der Person des Augustus verpflichtet war. Die gegenseitigen Bekundungen der Loyalität sind hinreichend bekannt: Die Fürsten verdankten dem Augustus Existenz und Beständigkeit ihrer Herrschaft, ferner das römische Bürgerrecht, sie ihrerseits revanchierten sich mit Städtegründungen, die den Namen des Kaisers bzw. von Mitgliedern des Kaiserhauses erhielten, mit einer Münzprägung, die neben ihrem eigenen Portrait auch dasjenige des Kaisers zeigte, mit dem gemeinsam gefaßten Beschluß, den Tempel des Zeus Olympios in Athen zu vollenden und dem genius Augusti zu weihen, und schließlich mit der Gestellung von Hilfstruppen für Roms Kriege48. Am augenscheinlichsten manifestierte sich das Abhängigkeitsverhältnis während der Reisetätigkeit des Augustus. Die Könige verließen ihre Reiche, gesellten sich zur Reisebegleitung des Kaisers und machten unter Ablegung aller königlichen Insignien ganz nach Art der Klienten dem Herrscher ihre tägliche Aufwartung (Suet. Aug. 60). Namentlich von 46 Siehe S. 161. Vgl. auch die Ausführungen Bowersocks, Augustus and the East (Anm. 36) 173 f., zum Verhältnis C. Caesars zu Messene. 47 Beispiele bei L. Robert, Etudes épigraphiques et philologiques (1938), 136 ff. und P. M. Fraser, The Kings of Commagene and the Greek World, in: Studien zur Religion und Kultur Kleinasiens (Festschr. F.-K. Dörner) I (1978), 359 ff. 48 Suet. Aug. 60; siehe J. Gagé, L'empereur romain et les rois, RH 221,1959,242 ff.; Kienast, Augustus (Anm. 21) 407 ff. mit Literatur.

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Herodes wissen wir, wie großzügig er Augustus und Agrippa als seine Gäste in Iudaea bewirtete. Auf die erste Kunde vom Herannahen des Agrippa fuhr er demselben nach Lesbos entgegen, um ihn zu einem Besuch seines Landes einzuladen. Im folgenden Jahr begleitete er - übrigens nicht als einziger Fürst - Agrippa durch Kleinasien und reiste sogar ein drittesmal nach Lesbos, um ihm seinen Sohn Antipatros auf dem Wege nach Rom anzuvertrauen49. Die direkte persönliche Begegnung bot zudem den geeigneten Rahmen, die territorialen Regelungen im östlichen Reichsteil vorzunehmen; bis zum Jahre 13 sind solche nur bekannt im Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Augustus oder Agrippa in den östlichen Provinzen. In den Fällen, in denen wir über genauere Daten verfügen, können auch die Gründung neuer bzw. die Förderung bereits bestehender Provinziallandtage mit dem Kaiserbesuch in Zusammenhang gebracht werden. Die Pflege des Kaiserkultes verschaffte ihnen eine neue und dauernde Legitimität und band die im Landtag vertretene provinziale Oberschicht an das regierende Kaiserhaus. Die Bewohner von Asien und Bithynien hatten den aus Ägypten zurückkehrenden Octavianus um die Erlaubnis kultischer Ehren ersucht, und dieser hat noch vor Ort die genauen Modalitäten der Verehrung festgelegt, die für den ganzen Osten musterhaft wurden50. In Gallien hat zweifellos seine lange Anwesenheit daselbst in den Jahren 16-13 die Voraussetzung dafür geschaffen, daß schließlich Drusus im Jahre 12 die Gründung des Landtages und die Weihung der ara Romae et Augusti vornehmen konnte (siehe S. 167).

c) Die Reisen der Stellvertreter Absicht und Charakter augusteischer Reisepolitik demonstrieren auch die Reisen seiner Stellvertreter bzw. der kaiserlichen Prinzen. Den Grund für Agrippas erste Orientreise sahen die antiken Schriftsteller in den persönlichen Rivalitäten, die zwischen ihm und Augustus' Neffen Claudius Marcellus im Laufe des Jahres 23 ausgebrochen waren und die ihn bewogen, freiwillig oder von Augustus gedrängt, die Hauptstadt zu verlassen51. Die moderne Forschung hat dieser Erklärung schon deshalb weitgehend vertraut, weil ein Konflikt zwischen Agrippa und Marcellus ganz in die von der Krankheit des Augustus und von Verschwörungen gegen den Prinzeps gekennzeichnete innenpolitische Krise des Jahres 23 zu passen schien52. Die m. E. überzeugenden Ausführungen E. Badians haben jedoch ergeben, daß der Prozeß gegen 49 los. ant. lud. 16,2,1; 3: 'Ρωμαίων τε τους έν τέλει και βασιλέων και δυναστών τους παρόντας. 50 J. Deininger, Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zum Ende des dritten Jahrhunderts n. Chr. (1965), 16 ff. Zur Diskussion, ob die Initiative von den Provinzialen oder von Augustus ausging, siehe Chr. Habicht, in: Le culte des souverains dans l'Empire romain (Entret. Fond. Hardt 19,1973), 55 ff. 51 Tacann. 14,53,3; Dio 53,32,1; Vell. Pat. 2,93,2; Suet. Aug. 66,3; Tib. 10,1 ; Plin. n.h. 7,149. 52 D. Magie, CPh 3,1908,145 ff.; ders., Roman Rule 1330; Syme, Roman Revolution 338; Kienast, Augustus 86 ff., 91 f. Kritisch äußert sich jetzt J.-M. Roddaz, Marcus Agrippa (1984), 319 ff., 328. Als Grund für Agrippas Mission führt er die durch Augustus' Krankheit verursachte innenpolitische Instabilität an, die den Kaiser hinderte, selbst in den Osten zu reisen.

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Motivation und geschichtlicher Hintergrund

M. Primus und die Verschwörung des Terentius (Varrò) Murena nicht in das Jahr 23, sondern - Dio (54,3) folgend - in das Jahr 22 datiert werden müssen. Folglich kann, von der ernsten Krankheit des Augustus einmal abgesehen, von einem »Krisenjahr' 23 keine Rede sein53. Es werden also keine persönlichen Querelen, sondern ein drängendes außenpolitisches Problem den Ausschlag für Agrippas Mission gegeben haben. Bereits im Jahre 25 war Augustus erneut mit der Partherfrage konfrontiert worden, als ihn Gesandte des Königs Phraates IV. und dessen soeben nach Syrien geflohener Gegenspieler Tiridates in Tarraco aufsuchten54. Das Verhältnis Roms zu Phraates befand sich nunmehr in einem stets krisenanfälligen Schwebezustand; diesen zu beheben muß angesichts des im Jahre 27 vom Senat erteilten Auftrages fur Augustus eine vorrangige Aufgabe gewesen sein, weshalb man unterstellen darf, daß er sein baldiges Erscheinen im Osten für notwendig erachtete und bereits das Jahr 23 für die Reise vorgesehen hatte. Das Vorhaben mußte er seiner schweren Krankheit wegen aufgeben und betraute daraufhin Agrippa mit der Durchführung der Reise. Wenn Velleius Paterculus und Flavius Iosephus die Stellvertreterfunktion Agrippas betonen55, die auf einem besonderen Imperium beruht haben muß56, so ist diese Angabe möglichst wörtlich zu verstehen: Agrippa vertrat nicht einfach als Legat den in Rom weilenden Augustus, sondern nahm die Rolle in Augustus' provinciae wahr, die der Kaiser selbst in persona zu übernehmen beabsichtigt hatte. Da Agrippa beauftragt war, sich zunächst nach Syrien zu begeben, müssen die Person des dort lebenden Tiridates und das Verhältnis zu Phraates den vordergründigen Anlaß der Mission gebildet haben. Agrippa zog es aber vor, die diplomatischen Aktionen von Lesbos aus zu leiten, die ihre Wirkung auch insofern zeigten, als Augustus dem Phraates seinen von Tiridates entführten Sohn zurückschickte, um vorerst jede Verschärfung der Lage an der Ostgrenze zu vermeiden. Im übrigen erweisen sich die Provinzreisen des Agrippa hinsichtlich der bereisten Gebiete, der zeitlichen Abstimmung und ihres vornehmlich organisatorischen Charakters als vollkommene Ergänzung der Reisetätigkeit des Augustus. Mit der wachsenden innenpolitischen Stabilität seines Prinzipates hat sich dieser verstärkt der militärischen Sicherung der Reichsgrenzen zugewandt und diese Aufgabe in erster Linie Agrippa und den Mitgliedern des Kaiserhauses übertragen. Augustus selbst wollte nach den Erfahrungen des spanischen Feldzuges und konnte auch angesichts seines fortgeschrittenen Alters sich in diesem Bereich nicht mehr engagieren. Die letzten Reisen des Kaisers figurieren nicht mehr als eigenständige Unternehmungen, sondern gingen nur flankierend und ergänzend mit den Feldzügen der kaiserlichen Prinzen in Illyricum

53 E. Badian, ,Crisis Theories' and the Beginning of the Principate, in: Romanitas-Christianitas. Untersuchungen zur Geschichte und Literatur der römischen Kaiserzeit (J. Straub z. 70. Geb. gew.), 1982,18 ff. Vgl. Roddaz a.O.326 (ohne Kenntnis von Badians Aufsatz). 54Iust. 42,5,6 f. Zu den Ereignissen und ihrer Wertung siehe Timpe, Zur augusteischen Partherpolitik (Anm. 11) 155 ff. 55 Vell. Pat. 2,93,2: Agrippa, qui sub specie ministeriorum principalium profectus in Asia. Ios. ant. lud. 15,10,2 : τον πέραν ' Ιονίου διάδοχος Καίσαρι. 56 Κ. Bringmann, Imperium proconsulare und Mitregentschaft im frühen Prinzipat, Chiron 7,1977,219 ff., ausgehend von der von L Koenen, ZPE 5,1970,217 ff., publizierten laudatio funebrisdes Augustus auf Agrippa (neues Fragment in ZPE 52,1983,61 f.).

Die Reisetätigkeit des Augustus

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und Gallien einher. Es handelte sich um Inspektionen der Etappe, die Augustus eben nicht an die Front selbst (jedenfalls besitzen wir kein direktes Zeugnis dafür), sondern nur bis Oberitalien oder allenfalls Lugdunum führten. Diese Ortsveränderungen besaßen einerseits symbolischen Wert: Der Aufbruch in die Richtung des Kriegsschauplatzes, die Anwesenheit des Kaisers im Hinterland des Kriegsgeschehens, die, anders als ein Verbleiben in Rom, das persönliche Interesse und die Verbundenheit mit Heer und Heerführer ausdrückte, ließen sich als Teilnahme am Krieg selbst deuten und haben in Rom entsprechenden Widerhall gefunden57. Der praktische Nutzen, den die Nähe des Kaisers für die Organisation des Nachschubs und die Befehlsführung garantierte, erhellt nicht nur aus dem Zeugnis des Cassius Dio (55,34,3), sondern auch aus den verkehrstechnisch günstig gelegenen Quartieren in Oberitalien und Gallien (Lugdunum) und deren Wechsel je nach der Verlagerung des Kriegsgeschehens. Über den von Drusus, Tiberius und Germanicus geleiteten Strafexpeditionen und Offensivkriegen an der Rheingrenze sollte nicht vergessen werden, daß deren zweites Hauptaugenmerk der inneren Befriedung des ausgedehnten gallischen Hinterlandes galt. Im Senatsbeschluß, der die Ehrungen für den verstorbenen Germanicus regelte, werden neben seinen Verdiensten als Feldherr diejenigen als Administrator erwähnt: ordinato statu Galliarum5*. Die „ordnende" Tätigkeit als vornehmliches Ziel der Provinzaufenthalte wird also nicht nur für Augustus, sondern auch für seine Stellvertreter bestätigt. Das Lob, das noch Kaiser Claudius den Galliern dafür zollte, daß sie durch ihr Wohlverhalten seinem Vater Drusus die erfolgreiche Feldzugstätigkeit gegen die Germanen ermöglicht hätten59, zeugt von dem hohen Stellenwert, den man in Rom der friedlichen Durchdringung Galliens als Voraussetzung militärischer Erfolge beimaß. Agrippa und Augustus hatten auf diesem Gebiet bereits wesentliche Vorarbeit geleistet. Drusus und Germanicus führten einen Census durch und bereisten zu diesem Zweck ganz sicher die gallischen Landschaften; auch Tiberius trat, als er im Jahre 4 n. Chr. sein neues Kommando am Rhein übernahm, vor Beginn seiner Feldzugstätigkeit zunächst eine Rundreise durch Gallien an60. Die Einführung des C. und L. Caesar als designierte Nachfolger verband sich mit einer sofort einsetzenden Reisetätigkeit beider Prinzen. Wenn Augustus den C. Caesar zu den auf dem Balkan stationierten Truppen, dann in den Osten, den L. Caesar nach Spanien sandte61, so hatte er - jedenfalls zur damaligen Zeit - befriedete Gebiete ausgewählt, wo die jungen Adoptivenkel Städte, Fürsten und Armeen sehen und von diesen gesehen werden konnten62. Hauptzweck der Reisen war also die Sicherung der Provinzklientel für die zukünftigen principes und damit die Festigung des dynastischen Erbfolgeprinzips. Unter der Hilfestellung erfahrener comités entfaltete C. Caesar im Osten ähnlich wie zuvor Augustus und Agrippa eine den Städten der Region gegen57 So wurden im Jahre 8 n. Chr. anläßlich der Rückkehr des Kaisers Opfer veranstaltet wie gewöhnlich, wenn er aus Feindesland heimkehrte (Dio 55,34,3). 58 J. Gonzalez, ZPE 55,1984,59 (Z. 15). 59 ILS 212 col. II35 ff. (aus der Rede über das ius honorumder Gallier). 60 Drusus: ILS a.O.; Germanicus: Tac. ann. 1,31; 33. Vom Tode des Augustus (19. August 14) erfuhr er in der Belgica. Tiberius: Siehe S. 168. 61 Zu den Reisen des C. Caesar siehe S. 166 f. ; zu L Caesar siehe PIR2 J 222. 62 ... aliisprovinciis ad visendum obitisÇVeil Pat. 2,101,1).

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über fürsorgliche Tätigkeit und mit den Randstaaten eine rege diplomatische Aktivität, die im offiziellen Vokabular wiederum allgemein mit provincias ordinare umschrieben wurde63. Über den beabsichtigten friedfertigen Charakter der Reise dürfen die Lobeshymnen Ovids und die von Augustus selbst geweckten Erinnerungen an Pompeius und Alexander nicht hinwegtäuschen64. Die Lösung der zuletzt einsetzenden kriegerischen Verwicklungen wäre dem völlig kriegsuntauglichen Prinzen sicher nicht aufgetragen worden, wäre die Zuspitzung der Lage vorhersehbar gewesen; sein früher Tod war sicher die Folge einer aufgrund der Strapazen völligen seelischen und körperlichen Erschöpfung (Dio 55,10 a, 8 f.).

Die aufgrund des äußeren Ablaufs gewonnenen Erkenntnisse über Sinn und Zweck von Augustus' Reisetätigkeit scheinen auf den ersten Blick dem Bild augusteischer Provinzial- und Außenpolitik zu widersprechen, das uns die Zeitgenossen hinterlassen haben. Sie standen ganz im Banne der seit Polybios herrschenden Vorstellung, die Römer seien die Herren der Oikumene, der allerdings das Ende der Bürgerkriege und die wieder erworbene innere Stabilität des Reiches unter Augustus zu einem gewaltigen Durchbruch verholfen hat65. In den Versen der Dichter erscheint Augustus als Bezwinger aller Rom feindlich gesinnten Mächte. In der Tat konnten der Feldzug in Spanien, die Aufenthalte in Gallien während der Feldzüge der Stiefsöhne und die Rückgewinnung der Feldzeichen auf der Orientreise den Eindruck hinterlassen, es bestünde ein Zusammenhang zwischen Augustus' Reisetätigkeit und einer die Welt umfassenden römischen Machtausdehnung. Augustus stand voll und ganz hinter dieser Propaganda, pries sie doch seine virtus par excellence; sie half mit, das durch die Bürgerkriege zerrüttete Selbstvertrauen, den Glauben an die innere Stärke des Römertums wieder aufzurichten, vor allem aber stand sie im Dienste seiner Person. In seinen res gestae trug er das Notwendige an historischen Fakten in der ihm eigenen Art der Selbstdarstellung zusammen, mit der es ihm gelang, die genau besehen doch recht unterschiedlichen und keineswegs einer Untertänigkeit gleichkommenden Beziehungen zu fremden Völkern „in den Dunstkegel der Vorstellung einer unbegrenzten Universalherrschaft" zu rücken66. Nur ein flüchtiger Blick auf die augusteische Provinzialpolitik lehrt, daß Augustus so wenig wie jeder andere römische Politiker im Ernst an eine Verwirklichung der in den Schriften suggerierten Weltherrschaftsidee dachte. Seine heutzutage viel diskutierte Außenpolitik trug weder einen grundsätzlich defensiven Charakter, noch darf man Augustus unterstellen, er habe im Banne einer Idee Expansionspolitik um jeden Preis 63 So in den von P. Herz (ZPE 39,1980,288) sicher richtig ergänzten Fasti Praenestini: [... C. Caesar ... ad provincias trans]manna[s ordinand(as) missus est]; vgl. Orosius 7,3,4: ad ordinandas Aegypti Syriaequeprovincias Orientipraepositus. 64 Ovid ars amat. 1,177-228; Plut. mor. 207 E. Siehe R. Syme, History in Ovid (1978), 8 f. 65 A. Heuß, Weltreichsbildung im Altertum, HZ 232,1981,297 ff. Die entsprechenden Zitate aus der zeitgenössischen Dichtung sind bei Meyer (Anm. 24) zusammengestellt. 66 A. Heuß, Zeitgeschichte als Ideologie. Komposition und Gedankenführung der Res gestae divi Augusti, in: Monumentum Chilonienese (Festschr. E. Burck), 1975, 74; vgl. ders., Weltreichsbildung (Anm. 65) 311.

Von Tiberius bis Nero

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betrieben. Sie bestand vielmehr in einer verhaltenen und jedes Risiko abwägenden Ausdehnung derjenigen Provinzgrenzen, die dem eigenen Herrschaftsgebiet (noch) keinen Frieden gewährleisten konnten67. Oberstes Ziel war für Augustus die Erstarkung des Reiches von innen heraus, die Schaffung solider Grundlagen für eine Stärke gegen äußere Feinde. Auf dieser Basis konnte er gleichzeitig seine persönliche Machtstellung aufbauen; Auftrag und Erwartungen des Gemeinwesens, cura und virtus, brachte er mit seinem Bemühen in Einklang, der gerade erst aufgerichteten und noch labilen Alleinherrschaft eine unauflösbare Verankerung zu geben. „Daß die Aufgabe, »Ordnung* in der provincia zu schaffen, nicht unbedingt die persönliche Anwesenheit des kränklichen und kaum fronttauglichen Augustus erforderte"68, war deshalb auch keine Frage der Erfordernis, sondern des politischen Kalküls, das den Erwartungen der Öffentlichkeit und dem eigenen Interesse Rechnung trug. Seine Reisetätigkeit und diejenige seiner Stellvertreter hat er ganz in den Dienst dieser Erkenntnis gestellt, wofür die langen Aufenthalte in den Provinzen zeugen: Dort war zunächst nicht spektakulären Kriegserfolgen nachzujagen, sondern Kleinarbeit zu erledigen. Der Widerspruch zwischen dieser Praxis und der Propaganda des Weltbeherrschers ist deshalb nur ein scheinbarer, beide Elemente dienten der Festigung von Augustus' eigener Stellung im Staate.

2) VON ΉBERIUS BIS NERO Augustus' Reisen in die Provinzen sind so sehr mit der Beurteilung seiner Persönlichkeit verbunden gewesen, daß die diesbezügliche Abstinenz seines Nachfolgers Tiberius in der antiken Literatur um so stärkeren Widerhall gefunden hat. Er, der viele Jahre lang als Stellvertreter des Augustus persönlich im Feld gestanden hatte und wie kein anderer die Grenzprovinzen des Reiches kannte, wünschte nichts sehnlicher als einen dauerhaften Frieden69; bezeichnenderweise plante er öfters eine revisio der Provinzen und Heere, keine militärischen Aktionen. Daß es zu einer solchen Reise nie kam, ist der in viele Richtungen ausstrahlenden konservativen Grundhaltung seines Wesens zuzuschreiben und unter dem Eindruck des augusteischen Vorbildes abfällig beurteilt worden. Sueton (Tib. 38) sagt ausdrücklich, daß Tiberius in den ersten beiden Jahren seiner Regierungszeit keinen Fuß außerhalb Roms gesetzt habe, später sei er nur bis Antium, und auch das nur für kürzeste Zeit, gelangt. Die Gründe des Tiberius, Rom nicht zu verlassen, zugleich die widerstreitenden Argumente für oder gegen die Abwesenheit des Kaisers aus Rom erfahren wir aus den Diskussionen anläßlich der 67 Zur Beurteilung der augusteischen Außenpolitik ist die Kontroverse aufschlußreich, die das Buch von Meyer (Anm. 24) ausgelöst hat; siehe dazu P. A. Brunt, JRS 53,1963,170 ff. und W. Schmitthenner, Gnomon 37,1965,152 ff.; Syme, History in Ovid 48 ff.; Kienast, Augustus 274 ff. Ich folge im wesentlichen der zuletzt von H. Braunert und K. Christ vorgelegten Interpretation und Bewertung (Chiron 7,1977,207 ff. bzw. 149 ff.). 68 Schmitthenner a.O. (Anm. 10) 52 f. = Augustus 438 f. mit weiterer Literatur. 69 Philo leg. ad Gaium 141 :... μηδέ σπέρμα πολέμου . . . ύποτυφόμενον έάσαντα, τήν δέ είρήνην και τα τής είρήνης αγαθά παρασχόμενον άχρι xfjç τοϋ βίου τελευτης.

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Meuterei der pannonischen und germanischen Legionen im Jahre 1470. Rom befand sich in heller Aufregung und verlangte vom Kaiser, seine ganze Autorität durch sein persönliches Erscheinen bei der Truppe in die Waagschale zu werfen, mit dem Hinweis auf Augustus, der noch in hohem Alter Reisen nach Germanien unternommen habe. Das Zögern des Herrschers wurde geradezu als Verspottung des Senates betrachtet; zudem hegte dieser den Verdacht, begründet in den Vorkommnissen der ersten Jahre des augusteischen Prinzipats, Tiberius sorge sich um die Ruhe in der Hauptstadt im Falle seiner Abwesenheit, und prompt versicherte er satis prospectum urbanae servitoti (Tac. ami. 1,46,3). Tiberius ließ sich nicht beeindrucken, er sei nicht gewillt, Rom, das caput rerum, aufzugeben und durch eine Reise sich und den Staat einem ungewissen Schicksal auszusetzen; man erinnert sich an Horazens tutela praesens Italiae dominaeque Romae(carm. 4,14,13 f.). Der Kaiser hat es meisterhaft verstanden, einerseits seinen Prinzipien treu zu bleiben, andererseits die erregten Gemüter zu beschwichtigen, indem er durch hastige Vorbereitungen den Antritt der Reise vortäuschte; in der Tat ist es ihm gelungen, in Rom selbst die Klügeren (prudentes) und die Volksmenge in diesem Glauben zu halten, am längsten aber - und dies war noch wichtiger - das Gerücht seiner Abreise in den Provinzen am Leben zu erhalten und dadurch die Rückkehr zu Ruhe und Ordnung zu beschleunigen. Im Grunde folgte Tiberius der von Augustus in dessen beiden letzten Lebensjahrzehnten vorgegebenen Praxis. Ihm standen mit seinen beiden Söhnen Germanicus und Drusus (minister et adiutori Vell. Pat. 2,129,3) zwei Stellvertreter zur Verfügung, die in den Provinzen die kaiserliche Autorität repräsentieren konnten. So schickte er den einen zu den meuternden germanischen, den anderen zu den pannonischen Legionen in der Erwartung, seine eigene maiestas unversehrt zu bewahren, da sie aus der Ferne mehr Ehrerbietung erfahre (Tac. arm. 1,47,2). Eine zwischen Herbst 14 und Frühjahr 15 datierte Bauinschrift aus Emona, nach der der divus Augustus und Tiberius der kurz zuvor deduzierten Kolonie Mauer und Türme stifteten, steht sehr wahrscheinlich mit der Anwesenheit des Drusus in der Stadt in Zusammenhang und zeugt von der politischen Bedeutung der Mission71. Die Reise des Germanicus in den Osten knüpfte ganz an diejenige des C. Caesar an. Die offizielle Bezeichnung dieser Mission im Senatsbeschluß des Jahres 19 missus in transmarinas provincias in confirmandis iis regnisque eiusdem tractus11 steht im Einklang mit den bekannten Einzelmaßnahmen, mit denen Germanicus in die Angelegenheiten der Provinzen und Klientelreiche eingriff und den inneren Frieden festigte - provincias refovebat, wie Tacitus seine Tätigkeit umschreibt (ann. 2,54,1). Seine Reise setzte allerdings insofern einen neuen Akzent, als in ihr zum erstenmal ein stark persönliches Element zum Tragen kam, das Tacitus (a. Ο.) als cupido veteres locos et fama celebratos noscendi bezeichnete und das in der an Stationen und Umwegen reichen Anreise und dem Ägyptenaufenthalt seinen Niederschlag fand. Sie war Vorläufer und Vorbild der späteren exzentrischen Reisetätigkeit und Reisepläne eines Caligula und Nero. 70 Tac. ann. 1,46 f. Zu Tiberius als Persönlichkeit und Politiker siehe R. Syme, Tacitus (1958) 1424 ff., und D. Flach, Der Regierungsanfang des Tiberius, Historia 22,1973,552 ff. 71 IUug 303 ; siehe J. Sasel, Historia 19,1970,122 ff. 72 J. Gonzalez, ZPE 55,1984,59 (Z. 15 f.); zur Orientreise des Germanicus siehe S. 168 f.

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Die Orientreise des Germanicus ist die letzte dieser Art gewesen, die ein Mitglied des Kaiserhauses ausgeführt hat. Darüber hinaus hat Tiberius aber auch nach dem Tode seiner Söhne Italien nicht verlassen. Beides findet seine Erklärung darin, daß anders als in den ersten Jahrzehnten des Prinzipates die nunmehr gefestigte politische Ordnung nicht mehr die stete Präsenz des Kaisers oder seines Stellvertreters in den Provinzen erforderte. Die Begründung, mit der Tiberius laut Tacitus (arm. 3,47,2) sein Erscheinen in Gallien anläßlich des Sacroviraufstandes ablehnte, läßt erkennen, daß es geradezu als ein Zeichen von Schwäche galt, wenn der Kaiser Rom verlassen mußte: Die gewaltige Ausdehnung des Reiches mache es für den Herrscher unmöglich und es entspreche auch nicht seinem decus, bei dieser oder jener Unruhestiftung die Hauptstadt unde in omnia regimen im Stich zu lassen. Das eigentlich militärische Handwerk überließ er der virtus und fides seiner Legaten, er selbst bevorzugte die Consilia und entsprach damit einem Grundsatz, den er schon als Feldherr des Augustus gegenüber den Germanen befolgt hatte; dort habe er mehr mit Consilia als mit vis bewirkt (Tac. ann. 2,26,3)73. Bezeichnenderweise hat Tiberius von den vier Tugenden des Augustusschildes als einzige die virtus nicht in seine Münzprägung aufgenommen, sondern setzte an ihre Stelle die moderatio74. Er lehnte es grundsätzlich ab, eines Krieges wegen Rom zu verlassen, da dies als Furcht ausgelegt werden könnte; vielmehr versprach er eine friedliche Inaugenscheinnahme der gallischen Verhältnisse erst nach der Niederwerfung des Aufstandes utpraesentia spectaret componeretque. Dieses Reiseprojekt wie überhaupt der Plan einer größeren Provinzreise blieben unausgeführt bzw. in der Schwebe. Zwei Jahre später (23) wurde er wiederbelebt, als Tiberius Rekrutierungsprobleme der Armee, die Ursache für einen Überhang an Veteranen, als Reisemotiv vorschob75. Erst nach seinem Rückzug nach Capri im Jahre 26, der sich bekanntlich auf die gesamte Regierungstätigkeit lähmend ausgewirkt hat76, ist auch von Reiseunternehmen außerhalb Italiens keine Rede mehr. Die Motive für Caligulas Feldzug gegen die Chatten haben wie das ganze Unterneh73 G. Alföldy, La politique provinciale de Tibère, Latomus 24,1965,824 ff.; W. Orth, Die Provinzialpolitik des Tiberius (1970); Β. Levick, Tiberius the Politician (1976), 126 ff. 74 Singularis moderatio: Well Pat. 2,122,1. - CLEMENTIA und MODERATIO erscheinen als Legenden auf dem Münzrand der Dupondienprägungen mit der imago clipeata. Η. Gesche (JNG 21,1971,37 ff.) hat die im Schild abgebildeten Büsten als Germanicus und Drusus identifiziert, aber m. E. mit ihrer Interpretation geirrt, daß in der Zeit der Prägung (34/37) Tiberius auf die Nachfolge habe anspielen wollen und die Legenden ganz allgemein Tiberius' Herrschertugenden nennen; vgl. auch die Beispiele bei R. S. Rogers, Studies in the Reign of Tiberius (1943), 35 ff., 60 ff., und Β. Levick, Mercy and Moderation on the Coinage of Tiberius, in: B. Levick (ed.), The Ancient Historian and his Materials (1975), 123 ff. Vielmehr legt die Darstellung der kaiserlichen Prinzen, die in den ersten Jahren von Tiberius' Regentschaft in augusteischer Tradition die kaiserliche Autorität in den Provinzen vertraten, die enge inhaltliche Bindung von dementia und moderatio mit der eigentlichen Provinzial- und Außenpolitik nahe. Allgemein zu den „Tugenden*4 des Tiberius siehe Rogers a.O. und Levick, Tiberius 87 ff. 75 Tac. ann. 4,4; Levick, Tiberius 129. 76 Zu den Motiven des Rückzuges siehe Suet. Tib. 39 (Tod des Germanicus und Drusus) und Tac. ann. 4,47 (Agrippina). Zur offiziellen Begründung der Abreise dienten Tempelweihungen in Nola und Capua (SueL Tib. 40); siehe Levick, Tiberius 162 ff. und R. S. Rogers, Tiberius' Travels in A. D. 26-27, CW 1945-46,26 ff., 42 ff.

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men überhaupt in der antiken Literatur nur das schlechteste Urteil gefunden. Cassius Dio (59,21,2) sah in dem Feldzug nur einen Vorwand, hinter dem sich als Hauptzweck die Ausplünderung der reichen Städte Galliens und Spaniens verbarg. Tacitus' Urteil77, ingénies Gai Caesaris minae in ludibrium versae und die ergänzenden Nachrichten Suetons (Cal. 45 ff.) über inszenierte Kriegsspiele lassen an jeder ernsthaften Zielsetzung des Unternehmens zweifeln, bei dem Aufwand und Ergebnis78 in keinem Verhältnis zueinander standen. Caligula wird es nur auf eine Demonstration angekommen sein im Zuge einer Politik, mit der er das Andenken seiner Familie zu rehabilitieren versuchte, das unter Tiberius stark in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die persönliche Anwesenheit des Kaisers am Rhein und die gewaltigen militärischen Vorbereitungen konnten nach der Passivität des Tiberius nur als direkte Wiederaufnahme der Germanienpolitik seines Vaters Germanicus verstanden werden79. Desgleichen läßt sich bis heute keine Klarheit über die Hintergründe von Caligulas Machtdemonstration an der Kanalküste gewinnen (siehe S. 171); die Quellenaussagen beschränken sich auf einige lächerliche Episoden über das Gebaren des völlig kriegsuntauglichen Kaisers. Die meiste Zeit seines siebenmonatigen Gallienaufenthaltes verbrachte er nämlich in seinem rückwärtigen Hauptquartier Lugdunum angeblich mit Spielen und Hochzeitsfeierlichkeiten. Schon vor seiner Rückkehr aus Gallien hat Caligula eine unmittelbar folgende Reise nach Ägypten geplant, da im Frühjahr des Jahres 40 bereits entsprechende Vorbereitungen in den Provinzen liefen (siehe S. 75). Obwohl die Reise nicht ausgeführt und auf das folgende Jahr verlegt wurde, wirft sie dennoch ein bezeichnendes Licht auf die Motive80. Nicht nur seinem Vater Germanicus, auch seinem Urgroßvater M. Antonius bewahrte Caligula damit ein ehrendes Andenken, das darin gipfelte, daß er den Jahrestag des Sieges von Actium zu feiern verbot. Aus derselben Anhänglichkeit floß seine Vorliebe für den Isiskult, für ägyptisches Hofgesinde, ägyptische Prunkschiffe und anderes mehr81. Philo unterrichtet uns eingehend über den geplanten Charakter der Reise, die in erster Linie der Zurschaustellung des absoluten Monarchen mit dem im Osten üblichen kultischen Zeremoniell, d. h. der Verherrlichung als Gott dienen sollte; seine Apotheose glaubte er nur in Alexandreia bewerkstelligen zu können, weshalb er einen langen Aufenthalt dort einplante, zumal er die Stadt für die schönste der Welt überhaupt hielt82. Diese einer ganz persönlichen Interpretation von Herr77 Germ. 37,5; vgl. hist. 4,15,3: Gaianarum expeditionum ludibrium. 78 Die bis heute einzige greifbare archäologische Spur des Feldzuges ist vielleicht das Kastell Hofheim gegenüber von Mainz; siehe E. Ritterling, Nass. Ann. 40,1912,81 ff.; H. Schönberger, Limesforschungen 2,1962,72 f. 79 Zu Gaius' Familienpolitik siehe J.P.V.D. Baisdon, The Emperor Caligula (1934), 29 ff. Zum Feldzug und Aufenthalt in Gallien siehe S. 170 ff. 80 Suet. Cal. 49,2; Philo leg. ad Gaium 172 f., 250 ff. ; los. ant. lud. 19,1,12, der auch mitteilt, daß die Reise nach den Palatinischen Spielen (21.-24. Januar) beginnen sollte. 81 Suet. Cal. 23,1; Dio 59,20; Philo leg. ad Gaium 166. - E. Köberlein, Caligula und die ägyptischen Kulte (1962), 18 ff.; P. Lambrechts, Caligula dictateur littéraire, BIBR 28,1953,219 ff.; M. Malaise, Les conditions de pénétration et de diffusion des cultes égyptiens en Italie (Epro 22), 1972,395 ff. 82 Philo leg. ad Gaium 337 f. ; vgl. Suet. Cal. 22: nec multum afuit quin statim diadema sumeret speciemqueprincipatus in regniformam converteret.

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schertum entspringende Reiselust kennzeichnet deutlich die Abkehr von der letztlich einem höheren Staatsinteresse dienenden Reisetätigkeit des Augustus83. Bei Claudius war der Ehrgeiz auf die Verwirklichung des von Caligula geplanten Unternehmens gegen Britannien - mit Rückblick auf Augustus und Caesar - ebenso entscheidend wie der außenpolitische Erfolgszwang, unter dem er seine noch labile Position in Rom festigen mußte. Noch vor dem Britannienfeldzug stellte er sich unmittelbar nach Antritt der Herrschaft im Jahre 41 oder 42 in der Münzprägung als Sieger über die Germanen vor, da es seinem Legaten gelungen war, den letzten Legionsadler der Varusarmee zurückzugewinnen; damit hatte er nicht nur eine Brücke zu Germanicus geschlagen, für den im Jahre 18 gleichlautende Münzen erschienen waren, sondern sich auch vom Feldzug des Caligula durch einen wirklichen Sieg abgesetzt84. Nach Britannien schickte Claudius eine Expeditionsarmee voraus und folgte ihr, nachdem ein Erfolg des Unternehmens gesichert war85. Von seiner insgesamt sechsmonatigen Abwesenheit von Rom weilte er nur 16 Tage in Britannien, die ausgereicht haben mögen, die Unterwerfung von elf Königen entgegenzunehmen. Sowohl für Claudius als auch für Caligula waren die Kriegszüge zwar offizieller Grund ihres Aufbruches von Rom, aber nicht Hauptinhalt ihres fernen Aufenthaltes. Die verzerrte Überlieferung gestattet keine klare Beurteilung ihrer sonstigen Tätgigkeit in Gallien, ob sie etwa wie Augustus die Zeit für administrative Maßnahmen vor Ort nutzten und dies überhaupt mit ein Grund ihres langen Bleibens in Gallien war. Von Claudius wissen wir nur, daß er auf der Rückreise das Rottenlager in Ravenna besuchte. Noch stärker als bei Caligula trat bei Nero das rein persönliche Element seiner Reisemotivation hervor, ohne daß er sich noch des Deckmantels eines außenpolitischen Erfolges bediente (Suet. Nero 18,1: augendi propagandique imperii neque voluntate ulla neque spe motus umquam). Die bisher in Rom nur in privatem Kreis zur Schau gestellte Vorliebe für griechische Musik, Tanz, Gesang verlegte er im Frühjahr 64 an die Öffentlichkeit und suchte sich als Kulisse die „griechischste" Stadt Italiens, Neapel, aus. Von dort wollte er weiter nach Griechenland reisen, um sich dem Volke von Rom erst im Besitz der altehrwürdigen Siegespreise des griechischen Mutterlandes als Künstler zu präsentieren86. Schon auf dem Wege nach Brundisium kehrte er in Bene83 Dieser Feststellung scheint die Reichsmünzprägung entgegenzustehen, die größeren Wert auf die Blutsverwandtschaft mit Augustus über die Mutter Agrippina legte als auf die Abstammung von Antonius, siehe W. Trillmich, Familienpropaganda der Kaiser Caligula und Claudius (1978), zusammenfassend 181 ff.; doch ist bei Caligula zwischen offizieller Darstellung und persönlicher Einstellung scharf zu trennen, siehe P. Herz, Die Arvalakten des Jahres 38 n. Chr., BJ 181,1981,104 ff., vgl. auch die differenzierteren Aussagen der Lokalprägungen des griechischen Ostens (Trillmich 104 f., 184). Die Zweigleisigkeit offenbart sich auch im Kult der diva Drusilla, in dem P. Herz (Historia 30,1981,324 ff.) traditionell römische Elemente wie auch von Ägypten beeinflußte Zeremonien nachweisen konnte. 84 H. Küthmann, Claudius, Germanicus und Divus Augustus, JNG 10,1959-60,47 ff. mit den Nachweisen der Münzprägung; Dio 60,8,7. 85 Zum Britannienfeldzug siehe die S. 172 angegebene Literatur. 86 Tac. ann. 15,33; Suet. Nero 20, 25; in Neapel weilte Nero in den Jahren 59,65,66 und Ende 67.

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ventum um und nach Rom zurück, ohne daß Gründe bekannt wurden. In Rom schmiedete er dann Pläne für eine Orientreise bis nach Ägypten, die soweit gediehen, daß bereits entsprechende Vorbereitungen getroffen wurden. Der abermalige Verzicht beruhte auf ungünstigen Vorzeichen und seinem amor patriae (Suet Nero 19,1; Tac. ann. 15,36,2). Wenn auch ein gewisser Sarkasmus in der Darstellung des Tacitus (a. O. 36,3 f.) nicht zu überhören ist, so wird doch deutlich, daß eine längere Abwesenheit des Herrschers in der Hauptstadt eine gewisse Unruhe hervorrief. Nero gab durch Edikt bekannt, seine Reise werde nicht lange dauern et cuncta in re publica perinde immota ac prospera fore, und begründete sein Bleiben mit den Klagen der Bürger, die nicht einmal kurze Ausflüge (ne modicos quidem egressus) des Kaisers ertragen könnten. Tatsächlich wird der anschließende Brand Roms die Pläne vorläufig zunichte gemacht haben. Der Prunk, die Spiele und die Lustbarkeiten, die mit dem nach orientalischem Zeremoniell ablaufenden Empfang des armenischen Königs Tiridates in Neapel und Rom einhergingen (Frühjahr 66), schufen die Atmosphäre, in der Neros Plan sich endlich realisierte, selbst in Griechenland als Künstler aufzutreten87. Schon vor seiner Abreise waren Gesandte aller Festspielstädte Griechenlands mit Siegeskränzen nach Rom gekommen; Nero nahm die Ehrerbietungen dankbar an und entschloß sich sofort zum Aufbruch mit der Begründung solos scire audire Graecos solosque se et studiis suis dignos (Suet. Nero 22,3). Cassius Dio setzt Neros Griechenlandreise in deutlichen Gegensatz zu derjenigen des Agrippa und Augustus, da er nur in der Absicht fahre, Wagen zu lenken, Lyra zu spielen, mit den alten Helden in Wettstreit zu treten und als Schauspieler aufzutreten (63,8,2). Die einzige, aus einer irrationalen Begeisterung resultierende politische Entscheidung Neros, die Freiheitserklärung der Griechen, war so zeitfremd, daß sie Vespasian nach seinem Regierungsantritt sofort widerrief (Suet. Vesp. 8,4). Derselben Begeisterung entsprang das berühmte Projekt des Isthmosdurchstichs, wie überhaupt sein Interesse für die natürliche Beschaffenheit des Landes (Paus. 2,37,5). Gerade während seiner Abwesenheit von Rom zeigte Nero den Charakter seines Regiments in den grellsten Farben: Die Reise diente der Befriedigung seiner maßlosen Eitelkeit als Künstler, sie offenbarte die inhaltslose, sich in äußerer Prunksucht erschöpfende Regierungstätigkeit und sollte noch eine Steigerung erfahren in einer großangelegten Expedition zum Kaukasus und nach Äthiopien, für die tatsächlich Vorbereitungen anliefen88. Es war dann auch schließlich jene jenseits aller Realitäten stehende Megalomanie Neros, die den Widerstand in Rom und den Provinzen sich regen ließ, der ihn nicht nur zur Rückkehr nach Italien89, sondern auch zur Aufgabe seiner letzten großen Pläne zwang. Diese neuen Vorhaben haben, wie im Falle Caligulas dessen geplante Reise nach Alexandreia, - da sie außerhalb jeglichen Staatsinteresses lagen - wesentlich zu seinem Untergang beigetragen; bezeichnenderweise dachte der letzte Vertreter der iulisch-claudischen Dynastie kurz vor seinem Ende daran, mit der Flotte nach Alexandreia zu entkommen (Dio 63,27,2; vgl. Suet. Nero 47,2). 87 Dio 63,1 ff. ; Suet. Nero 13. Zur Griechenlandreise siehe S. 173 ff. 88Tac. hist. 1,6; Suet. Nero 19; Dio 63,7 f.; Plin. n.h. 6,181. Siehe J. Kolendo, Le projet d'expédition de Néron dans le Caucase, in: Neronia 1977 (1982), 23 ff. 89 Dio 63,18 f. ; siehe E. P. Nicolas, De Néron à Vespasien I (1979), 285 ff.

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3) DIE FLAVIER U N D TRAJAN Der von Kriegslärm begleitete Start der flavischen Dynastie hat Vespasian, nachdem die großen Unruheherde, der Jüdische Krieg und der Bataveraufstand, im Jahr 70 beseitigt waren, dazu bestimmt, dem Reich Ruhe und Festigkeit wiederzugeben und dies durch seine dauernde Anwesenheit in Rom zu demonstrieren (Tac. hist. 4,52,2: sibipacem domumque curaefore). Nach seiner Proklamation am 1. Juli 69 gab er die Leitung des Jüdischen Krieges an seinen Sohn Titus ab, in Rom und Italien vertrat ihn sein jüngerer Sohn Domitian; er selbst begab sich zwecks Organisation des Feldzuges zunächst nach Syrien, jedoch bildete für ihn der Besitz Ägyptens die vorerst wichtigste Basis seines jungen Kaisertums. Die Leitung des Feldzuges nach Italien übernahm er denn auch nicht selbst, sondern übertrug sie dem Mucianus, während er die claustra Aegypti als jeder Eventualität des Kriegsglückes vorbeugendes Bollwerk persönlich in Obacht halten wollte - dies nicht nur der unangreifbaren Lage des Landes wegen, sondern auch wegen seiner überragenden Bedeutung als Kornlieferant Roms90. Er nutzte die erste Gelegenheit nach dem Ende des Winters, der darbenden Hauptstadt eine schnelle Getreidelieferung zukommen zu lassen (Tac. hist. 4,52,2; Dio 66,9,2 a). Zugleich manifestierte sich zum erstenmal bei Vespasians und Titus' Aufenthalt die enge Verbindung, die der Kaiser in persona mit lokalen religiösen Bräuchen und Vorstellungen einging. In Ägypten selbst mit Serapis gleichgesetzt, besuchten sie das Serapeion in Alexandreia, in dem Vespasian nach dem Vorbild Alexanders in Siwah das Orakel befragte, Titus nahm außerdem in dem älteren Serapisheiligtum in Memphis an der Vergöttlichung des heiligen Apis-Stieres teil. Vespasian präsentierte sich in Ägypten der lokalen Gottheit, um in der Tradition der Pharaonen die göttliche Bestätigung seiner Herrschaft und als neuer Heilbringer des Landes zu erhalten91. Der Aufenthalt schlug sich dann in einem deutlichen Aufschwung des Serapiskultes in Rom nieder92. Titus' Treffen mit Abgesandten des Partherkönigs Vologaesus in Zeugma (los. bell, lud. 7,5,2) hat W. Weber zum Anlaß genommen93, die Reise des Titus durch Syrien als Stellvertreter des Vaters nach dem Vorbild des Germanicus im Sinne einer militärischen und diplomatischen Absicherung Roms gegenüber Parthern und Kaukasusvölkern zu würdigen. Vespasian selbst trat erst im Hochsommer des Jahres 70 die Rückreise nach Italien an, als in Iudaea und Gallien am glücklichen Ausgang des Krieges gegen Juden und Bataver nicht mehr zu zweifeln war. Wenn er seine Ankunft in Rom so lange hinauszögerte, so setzte er damit einen deutlichen Akzent gegen die hektischen Kämpfe um die Hauptstadt, die die kurzlebigen Herrscher des Jahres 69 selbst führten, und vertraute zugleich auf die psychologische Wirkung: Der an allen Fronten siegreiche Augustus mußte aus der Ferne zwar als unbekannte, aber desto eindrucks90 los. bell. lud. 4,10,5. Zu Vespasians Aufenthalt im Osten siehe S. 178 ff. 91 Siehe ausführlich A. Henrichs, Vespasian's Visit to Alexandria, ZPE 3,1968,51 ff., und W. Fauth in H. Heubners Kommentar zur Tacitus' Historien Bd. 4 (1976), 175 ff., 184 ff. mit weiterer Literatur. 92 M. Malaise a.O. (Anm. 81) 407 ff. ; W. Hornbostel, Sarapis (Epro 32), 1973,371 ff. 93 Josephus und Vespasian (1921), 270 ff.; zur Konzeption der vespasianischen Grenzpolitik im Osten siehe G. W. Bowersock, JRS 63,1973,133 ff.

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vollere Größe imponieren; seine Ankunft, symbolisch das Ende der Kriegswirren anzeigend, wurde als Erlösung um so sehnlicher erwartet. Vespasian erhöhte die Spannung durch eine betont langsame Rückreise auf einem Handelsschiff über Lykien, Rhodos, die kleinasiatische Westküste und Griechenland. Vespasian und Titus konnten von ihrem in Iudaea erworbenen militärischen Ruhm so sehr zehren, daß sie später keine Feldzüge und Provinzreisen mehr persönlich unternahmen, sondern die notwendigen Maßnahmen an die Statthalter der Grenzprovinzen delegierten. Im Gegensatz dazu versuchte Domitian von Anfang an, durch persönliches Erscheinen das Ansehen seiner Person zu heben, wenngleich die ersten Versuche fehlschlugen. Während des Civilisaufstandes reiste er demonstrativ mit Mucianus nach Gallien, um Macht und Glanz des Prinzipates zu zeigen und seinem Bruder Titus an Feldherrnruhm nicht nachzustehen94. Er hätte am liebsten die Reste der Erhebung selbst niedergeschlagen, jedoch wußte ihn Mucianus mit dem Hinweis zu beschwichtigen, daß ja nicht der Bestand des Imperiums und das Heil Galliens auf dem Spiele stünden und den kämpfenden Caesar persönlich verlangten, sondern daß die Niederwerfung der noch revoltierenden kleinen Stämme andere Feldherrn übernehmen könnten95. Später hatte ihm der Vater ein begehrtes Kommando gegen die Alanen im Kaukasus abgeschlagen und einem anderen General übertragen96. So hat Domitian nach seiner Regierungsübernahme bei erster passender Gelegenheit, als die Nachricht von Rüstungen der Chatten in Rom eintrafen, den Kriegsruhm in einem Unternehmen gesucht, das in ähnlichem Fall sein Vater noch die Statthalter hatte erledigen lassen97. Trotz des lokal eng begrenzten Feldzuges vom Jahre 8398, der auch keinen nennenswerten Gebietszuwachs brachte, ließ Domitian den Erfolg groß herausstellen: Als erster Herrscher nahm er den Namen einer unterworfenen Völkerschaft in seine Nomenklatur auf, den Sold für die Soldaten ließ er erhöhen99, und er dürfte keinen Zweifel daran gelassen haben, daß er auch weiterhin bei jeder größeren militärischen Aktion an den Reichsgrenzen präsent sein werde. Sueton (Dom. 6; vgl. Eutrop 7,23,4) unterscheidet sponte una necessario unternommene expeditiones Domitians. Der Chattenfeldzug blieb die einzige expeditio sponte suscepta, in der Folgezeit riefen ihn die Vernichtung des Oppius Sabinus im Jahre 85/86, ein Feldzug gegen Markomannen und Quaden im Jahre 89 und schließlich die Vernichtung einer Legion samt ihrem Legaten im Jahre 92 an die Donaugrenze100. In der Tat mußten die nach der Varusniederlage spektakulärsten Verluste der römischen Armee mit dem Tode eines konsularen Statthalters, eines Prätorianerpräfekten und

94 Tac. hist. 4,85,2: vim fortunamque principatus e proximo ostentaret. Suet. Dom. 2,1: tantum utfratri se et opibus et dignatione adaequaret. 95 Tac. a.O. ; siehe Heubner, Kommentar (Anm. 91) 207 f. ; E. Schäfer, Domitians Antizipation im vierten Historienbuch des Tacitus, Hermes 105,1977,455 ff. 96 Suet. Dom. 2,2; vgl. M. Torelli, JRS 58,1968,172 f. 97 Zur Rivalität Domitians mit Vater und Bruder vgl. Martial 2,2: frater Idumaeos meruit cum patre triumphos /quae datur ex Chattis laurea, tota tua est. 98 Zum Chattenfeldzug siehe S. 181 f. 99 H. Nesselhauf, Hermes 80,1952,240 f. - V. Pöschl (Hg.), Tacitus (1969), 231 ff.; P. Kneißl, Siegestitulatur 49 ff. ; J. K. Evans, Historia 24,1975,121 ff. 100 Zu Domitians Feldzügen an der Donau siehe S. 182 ff.

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eines Legionslegaten die persönliche Anwesenheit des Kaisers erfordern; nach der Niederlage des Cornelius Fuscus sollen die Soldaten sogar die direkte Übernahme des Kommandos durch den Kaiser selbst verlangt haben (Dio 67,6,6). Auch die Revolte des Antonius Saturninus in Obergermanien hatte den sofortigen Aufbruch des Herrschers um die Jahreswende 88/89 von Rom aus und umfangreiche militärische Vorkehrungen zur Folge. Vor seiner Ankunft am Rhein war die Erhebung vom niedergermanischen Statthalter erstickt worden, woraufhin Domitian aber an Ort und Stelle neben der Abhaltung des Strafgerichts noch Maßnahmen militar- und verwaltungstechnischer Art traf. Die Quellen weisen zwar mit gehässigem Unterton darauf hin, daß Domitian nie persönlich ein Kommando geführt habe, aber den daraus gezogenen Schluß, er habe sich stattdessen einem Lasterleben und der Ausplünderung der Untertanen hingegeben, darf man als Übertreibung, wenn nicht gar als Fälschung beiseite schieben101. Nach dem Beispiel des Augustus haben alle seine Vorgänger ihr Leben nicht in vorderster Front aufs Spiel gesetzt. Da andere Reisen während seiner Anwesenheit auf dem Kriegsschauplatz nicht bezeugt sind, er vielmehr im Feldzug des Jahres 89 oder 92 wenigstens zeitweise sein Hauptquartier an der Front in Carnuntum aufgeschlagen hatte, hat er im wesentlichen die administrativen und sicherheitstechnischen Maßnahmen, wie Provinzteilungen und Dislokation der Truppen, in den bedrohten Provinzen geleitet, deren Früchte in jüngerer Zeit deutlich erkannt und gewürdigt wurden102. Domitians noch stark subjektiv geprägtes, im familiären Bereich begründetes Verlangen nach Kriegsruhm, womit er sehr an Caligula und Claudius erinnert, wurde allmählich überlagert von der objektiven Notwendigkeit, einer veränderten Situation an den Reichsgrenzen Rechnung zu tragen und letztlich zum Schutz des eigenen Territoriums die Autorität der Person in die Waagschale zu werfen; Trajan ist ihm darin unmittelbar gefolgt. Domitian hat der militärischen virtus, dokumentiert durch die häufige persönliche Teilnahme am Kriegsgeschehen, eine neue, hervorragende Bedeutung verliehen und sich deshalb bei der Armee großer Beliebtheit erfreut. Die von ihm gesetzten Maßstäbe werden an Nervas Verhalten sichtbar. Dieser alte Herr, genau das Gegenteil dessen, was sich das Heer als kriegführenden Kaiser vorstellte, sah sich nach Domitians Ermordung mit Unruhen unter den Donaulegionen konfrontiert. Seiner Reputation half er dadurch auf, daß er sich anläßlich der Adoption Trajans im Oktober 97 den Siegertitel Germanicus zulegte aufgrund eines Sieges, den sein pannonischer Statthalter gegen die Sueben erfochten hatte103. Die Verstimmung darüber in Rom blieb nicht

101 Dio 67,6,3 ; Plin. paneg. 20. 102 K. Christ, Zur Herrscherauffassung und Politik Domitians. Aspekte des modernen Domitiansbildes, SZG 12,1962,187 ff. = Römische Geschichte und Wissenschaftsgeschichte II (1983), 1 ff. 103 Unruhen: Philostr. soph. 1,7,2. - Siegertitel: Plin. paneg. 8,2; Kneißl a.O. (Anm. 99) 64 f.; nach Kneißl sollte der Germanicus-Titei auch ein propagandistisches Gegengewicht gegen die virtus des jugendlichen Trajan bilden. - Bellum Suebicum: Plin. a.O. (adlata erat ex Pannonia laurea); CIL V 7425 = ILS 2720; wohl auch AE 1923, 28 (bellum Germanicum); M. Durry, Le bellum Suebicum de 97 et le panégyrique de Pline, in: Mém. d'un voyage d'étud. de la Soc. Nat. des antiquaires de France en Rhénanie (1953), 197 ff.

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aus, sein Verhältnis zum Senat verschlechterte sich zusehends104; Plinius unterließ es, den Siegertitel zu erwähnen (vgl. pan. 9,2), denn nicht nur wird das Unternehmen selbst relativ unbedeutend gewesen sein, sondern vor allem hatte es Nerva unterlassen, den Kriegsschauplatz zu besichtigen und seine virtus wenigstens durch seine bloße Anwesenheit unter Beweis zu stellen. Trajan wollte nicht nur Nerva gegenüber neue Zeichen setzen, sondern auch Domitian an virtus übertreffen. Zunächst blieb er, der die Nachricht von der Adoption als Statthalter von Obergermanien erhielt, nach dem Vorbild Vespasians nach Übernahme der Herrschaft noch eineinhalb Jahre der Hauptstadt fern mit der bekannten und beabsichtigten Wirkung, Erwartungen und Sehnsucht in Rom noch zu steigern. Die von Anfang 98 bis Herbst 99 dauernde Reise zunächst nach Niedergermanien, dann nach Pannonien und Mösien diente der Inspektion der Heere und ersten logistischen Vorbereitungen für eine Offensive an der unteren Donau105. Die Reiseaktivität war das sichtbare Bemühen, dem ererbten Titel Germanicus auch inhaltlich gerecht zu werden, und Münzen aus den Jahren 98/100 mit der Legende GERMANIA PACATA deuten diplomatische Erfolge an, die an Rhein und mittlerer Donau vorerst friedliche Grenzen garantierten106. Der Panegyrikus des Plinius hob denn auch das Kriegshandwerk des Herrschers als neuen Regierungsstil ab vom früher geübten süßen Leben in der Hauptstadt: gestum (sc. consulatum) non in hoc urbis otio et intimo sinupacis, sed iuxta barbaras gentes, ut Uli solebant, quibus erat moris paludamento mutare praetextam ignotasque terras victoria sequi (pan. 56,4). Die Reichsprägungen des Jahres 100 zeigen den Hercules Gaditanus symbolhaft für den nach Überstehung zahlreicher Abenteuer siegreich zurückkehrenden Kaiser, wie Herkules überhaupt unter Trajan eine bevorzugte Stellung einnahm und von den Zeitgenossen Dion und Plinius dem Kaiser als Pendant gegenübergestellt wurde107. Allerdings kann nach Plinius in der Abwesenheit des Herrschers auch auf andere Weise als durch Krieg seine Tatkraft und Fürsorge für das Reich zum Ausdruck kommen: Erstens, indem er nicht den Krieg um jeden Preis sucht, sondern der moderatio den Vorzug gibt: sed tanto magis praedicanda est moderano tua, quod innutritus bellicis laudibus pacem amas (pan. 16,1). Allein die persönliche Anwesenheit an den Ufern der Donau im sicheren Gefühl, beim Überschreiten des Flusses einen triumphwürdigen Sieg zu erkämpfen, sei Ausdruck der kaiserlichen fortitudo; moderatio hingegen zeige sich darin, nicht mit Kampfunwilligen die Auseinandersetzung begierig zu suchen: non times bella necprovocas. Magnum est... stare in Danubii ripa, si transeas certum triumphi, nee decertare cupere cum recusantibus; quorum alterum fortitudine, alterum moderatione efficitur. Nam ut ipse nolis pugnare moderano, fortitu104 Syme, Tacitus 12; D. Kienast, Nerva und das Kaisertum Trajans, Historia 17,1968,62 f. Vgl. auch die eingehende Analyse der Vorgänge des Jahres 97 bei K.-H. Schwarte, Trajans Regierungsbeginn und der »Agricola* des Tacitus, BJ 179,1979,139 ff. 105 Zu dieser Reise siehe S. 184 f. 106 P. L. Strack, Untersuchungen zur römischen Reichsprägung des zweiten Jahrhunderts I (1931), 69 ff. ; Kneißl, Siegestitulatur 69. 107 Dio or. 1,49; 60; 84. Plin. paneg. 14,5. Siehe Strack a.O. 95 ff.; J. Beaujeu, La religion romaine à l'apogée de l'empire I. La politique religieuse des Antonins (96-192), 1955,80 ff.; Syme, Tacitus 47 ff.

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do tuapraestat ut neque hostes tui velini (pan. 16,2-3). Allein der kurulische Sessel, den Trajan als Konsul des Jahres 99 an der Grenze zum Feindesland einnehme, gebiete Ruhe:... imminere minacibusripis tutum quietumque, spernerebarbarosfremitushostilemque terrorem non armorum magis quam togarum ostentatione compescere. Itaque non te apud imagines sed ipsum praesentem audientemque consultabant imperatorem, nomenque quod alii domitis hostibus, tu contemptis merebare(pan. 56,7-8). Aber Plinius befürwortete nicht nur eine glückliche Verbindung von moderatio und fortitudo, die ein Kriegführen um seiner selbst willen unterbinde, sondern zweitens bringe gleichen Ruhm auch der direkte Nutzen, den die Provinzialen aus der unmittelbaren Anwesenheit des Kaisers zögen. Er besteht vor allem darin, daß der direkte Kontakt und Augenschein des Herrschers mit den Untertanen die gerechte Beurteilung von Einzelleistungen und deren Belohnung gewährleistet; der imperator wird zum commilito ;felices illos, quorum fides et industria non per internuntios et interprètes, sed ab ipso te, nee auribus tuis sed oculis probabanturipan. 19,4). Gerade als Hüter des Rechts sollte der Kaiser Ort und Gegenstand durch persönliche Anschauung kennen, um ein möglichst objektives Urteil föllen zu können: . ..postremo velocissimisideris more omnia invisere omnia audire, et undecumque invocatum statim velut adesse et adsistere (pan. 80,3). Gloria erwirbt der Herrscher nicht nur im Krieg, sondern auch indem er den direkten Kontakt mit der Provinzialbevölkerung ermöglicht: Pulchrum imperio gloriosum tibi, cum te sodi atque amici sua in patria, suis in sedibus adierunt (pan. 56,5). Die Überlegungen des Plinius zu Sinn und Zweck von Trajans erster Reisetätigkeit legen sein Bekenntnis für den Anspruch auch der Provinzialen offen, der Segnungen der kaiserlichen Präsenz - gleichsam eines Symbols für Frieden und Gerechtigkeit - in demselben Maße wie Rom und Italien teilhaftig zu werden. Damit setzt er zugleich deutliche Prioritäten hinsichtlich der Methoden kaiserlicher Politik, Sicherheit und Wohlstand des Reiches zu garantieren: Die Abwesenheit von Rom sollte nicht der nach außen hin spektakulären, Siegerbeinamen einbringenden expansiven Kriegführung dienen, der die höfische Dichtung unter Augustus und Domitian das Wort geredet hatte, als vielmehr der auf alle Teile des Reiches ausgerichteten Verwirklichung und Intensivierung ziviler Tugenden unmittelbar vor den Augen der Betroffenen selbst; bekanntlich überging die Korrespondenz des Plinius Trajans Dakerkriege und den Sieg mit Schweigen108. Bemerkenswert ist allerdings die Diskrepanz zwischen Plinius' Vorstellungen und der tatsächlichen Politik des Kaisers, wie es schon bei Augustus festzustellen war, bei Trajan aber noch eklatanter ins Auge springt. Plinius wußte um die Zugkraft des Nachruhms und verwandte viel Mühe auf den Nachweis, daß die von ihm propagierte Art des Reisens auch gloria einbringe109. Trotzdem folgte Trajan seinem Ehrgeiz, die beinahe geschichtlichen Schwachstellen des Reiches an der Donau und am Euphrat aus der Welt zu schaffen, indem er die Nachbarreiche in römische Provinzen umwandelte. Der Soldat und der Sieger waren die bestimmenden Elemente seines Herrscherbildes, die drei Siegerbeinamen Germanicus, Dacicus, Parthicus die eindrucksvollste Propaganda seiner persönlich geführten 108 R. Syme, Pliny and the Dacian Wars, Latomus 23,1964,750 ff. = Danubian Papers (1971), 245 ff. Die einzigen versteckten Anspielungen finden sich in ep. 6,31,8 und 8,4. 109 Deshalb auch die Betonung der moderatio in paneg. 16: pulchrius hoc omnibus triumphis.

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Expansionspolitik. Der in drei gewaltigen Kriegen erworbene Ruhm überstrahlte bei weitem denjenigen seines Nachfolgers, obwohl - oder besser weil dieser es war, der Plinius' Vorstellungen, die sicher weite Kreise des Senates teilten, vorbildlich in die Tat umsetzte. Bei einer Wertung der Urteile ist jedoch nicht zu vergessen, daß Hadrian innenpolitische Probleme mit denkbar unglücklicher Hand gelöst und deshalb ein Vorurteil gegen sich aufgebaut hat, daß ferner für die Zeitgenossen anders als für die Nachwelt die unvermeidlichen Opfer im Zuge großer Kriege beeindruckender waren als der nachträgliche Stolz auf glorreiche Siege.

4) HADRIAN U N D DIE ANTONINE Als Trajan Anfang August 117 in Kilikien der Tod ereilte, war es um die innere und äußere Sicherheit des Reiches schlimm bestellt (HA, H 5). Der Judenaufstand hatte alle Provinzen des östlichen und südlichen Mittelmeerraumes erfaßt und setzte sich in einer Erhebung der mauretanischen Provinzen fort. Der Partherkrieg hatte die Reserven an Menschen und Material aufgezehrt, der letzte vergebliche Kraftakt war die Belagerung Hatras gewesen110. An der Donau bedrohten Roxolanen und Sarmaten die Provinzen Pannonien, Dakien und Mösien; in Britannien geriet ebenfalls die Nordgrenze unter Druck. Hadrian erkannte sofort, daß die augenblickliche Lage die militärischen Kräfte Roms überforderte; bereits die ersten Monate seiner Regierung lassen jene Zielstrebigkeit und innere Konsequenz erkennen, mit denen er seine Auffassung von Reichspolitik verwirklichte. Sein politisches Programm, in das seine Reisetätigkeit eingebettet ist, wurde in jüngerer Zeit anhand verschiedener Einzelbeobachtungen klarer gezeichnet. Münzprägung, Baupolitik und bewußte programmatische Anspielungen verdeutlichen die Abkehr von einem von Militär und Expansion getragenen Herrscherbild hin zu einer das ganze Reich durchdringenden Friedenspolitik. Wie er dabei an Augustus angeknüpft und dieses Vorbild auch propagandistisch herausgestellt hat, so findet auch seine Reisetätigkeit nur in derjenigen des Augustus ihre Parallele111. Cassius Dio und die Historia Augusta berichten relativ ausführlich über die von Hadrian auf seinen Reisen getroffenen Maßnahmen, die allesamt die Hand des fürsorgenden Herrschers erkennen lassen. Großen Wert legte der Kaiser auf die Schlagkraft der Armee, da sein Friedenskonzept nur dann aufging, wenn er ein Abschreckungsinstrument in den Händen hatte bzw. Konflikten sofort und wirksam begegnen konnte112. Aus diesem Grunde besuchte er auch die in den entlegensten Winkeln des Reiches stationierten Truppen, die weder vor ihm noch nach ihm je ein Kaiser sah, wie 110 Zum Partherkrieg Trajans siehe die S. 188 angeführte Literatur. 111 Syme, Tacitus 249 ff.; M. K. Thornton, ANRW II 2 (1975), 441 ff.; D. Kienast, JNG 10,1959-60,61 ff.; R. Zoepffel, Chiron 8,1978,391 ff. Die Distanzierung Hadrians von Trajan ging weiter, als J. Béranger annimmt: La notion du principat sous Trajan et Hadrien, in: Les empereurs romains d'Espagne (1965), 27 ff. = Principatus (1973), 281 ff. 112 Dio 69,9; HA, H 10 f.; Eutrop 8,7,2. Siehe R. W. Davies, Fronto, Hadrian and the Roman Army, Latomus 27,1968,75 ff.

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in Nordafrika (wo sich seine Ansprache an die Truppe inschriftlich erhalten hat), in Arabien und am oberen Euphrat bis Trapezus. Dort, wo es notwendig erschien, hat Hadrian auf die Demonstration militärischer Stärke nicht verzichtet; Grenzkonflikte haben auch die Richtung seiner Reisen bestimmt (etwa 122 nach Britannien und 123 nach Syrien), sie waren aber nie, wie bei den bisherigen Nachfolgern des Augustus, alleiniger Zweck und Endpunkt, sondern nur Stationen eines größeren Reiseprogramms. Sein zweites Hauptaugenmerk richtete er auf die Städte des Reiches; mehr als jeder andere Kaiser, berichtet Dio (69,5,2 f; 69,9 f.), hat er von ihnen selbst gesehen und erwies ihnen Wohltaten durch den Bau von Wasserleitungen und Häfen, Zufuhr von Lebensmitteln, Theaterbauten und öffentliche Spiele und vieles andere mehr113. Im einzelnen wird dies trefflich durch andere Quellen bestätigt. Was öffentliche Bauten und Heiligtümer betrifft, genügt ein Hinweis auf die bei Pausanias und Malalas erwähnten Beispiele für Griechenland bzw. Antiocheia114. Die übrigen Maßnahmen lassen deutlich das Bestreben erkennen, die reibungslose Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen: Neue Quellen ließ er erschließen (Antiocheia), Aquädukte bauen (Korinth, Athen, Dyrrhachium, Antiocheia), Hafenanlagen instandsetzen (Ephesos, Trapezus) und vor Verlandung schützen (Ephesos) und Rußregulierungen vornehmen (Kaystros und am Kopaissee in Böotien). Städten, die infolge seiner und seiner Begleitung Anwesenheit in Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Lebensmitteln gerieten, half er durch die Möglichkeit, ägyptisches Getreide aufzukaufen, wie dies für Ephesos und Tralleis bezeugt ist (siehe S. 138 f.); der Stadt Athen, die ihm dreimal als Winterquartier diente, stellte er es sogar kostenlos zur Verfügung (Dio 69,16,2). Der Beiname Hadrianeia oder die Umbenennung in Hadrianopolis bei vielen Städten des Ostens sind äußeres Zeichen seiner Wohltaten115, während im Westen des Reiches der Munizipal- oder Kolonierang das erstrebenswerte Ziel der Gemeinden war. Da die hadrianische Städtepolitik Gegenstand einer neueren Untersuchung ist116, zudem hadrianische Gründungen, Statuserhebungen oder Umbenennungen in den meisten Fällen nur vermutungsweise mit einem Aufenthalt des Kaisers in Verbindung gebracht werden können, kann dieser Fragenkomplex hier ausgeklammert werden. Die Sorge um die äußere Sicherheit ergänzte sich also mit dem zielstrebigen Bemühen, im Innern alle Bewohner des Reiches an dem Segen des Friedens teilhaftig werden zu lassen (vgl. Paus. 1,5,5). Hadrian selbst war die Seele des Ganzen, unermüdlich auf die Verwirklichung seines Programmes bedacht, die er am besten durch seine persönliche Anwesenheit, die direkte Einwirkungsmöglichkeit auch auf kleinste Details der Organisation, Verwaltung (Dio 69,9,2) und städtischer Probleme garantiert sah. So verwies er in zwei Briefen an die Stadt Delphi darauf, daß er detailliertere Entscheidungen hinsichtlich bestimmter kultischer Vorschriften erst während eines 113 HA, H 19,2: in omnibus paene urbibus et aliquid aedifìcavit et ludos edidit; 20,5 : aquarum ductus etiam inflnitos hoc nomine nuncupavit. 114 Siehe S. 191 f., 193. 115 HA, H 20,4. Liste bei M. Le Glay, Hadrien et l'Asklépieion de Pergame, BCH 100, 1976, 357 ff. 116 Kieler Habilitationsschrift von M. Zahrnt. Zu den methodischen Problemen siehe S. 128 mit Anm. 475.

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bevorstehenden Besuches in der Stadt treffen werde117. Seine Tätigkeit im Dienste der Untertanen stellte Hadrian in den Rahmen eines ideologischen Konzeptes, dessen Verwirklichung er auf seinen Reisen ebenfalls große Aufmerksamkeit widmete: die enge Beziehung seiner Person zu den Göttern des griechischen Pantheons. In den bedeutendsten Kulturzentren des Ostens - aber nicht nur dort - wurde er als Gott neben oder in Einheit mit den lokalen Gottheiten verehrt118; Hand in Hand mit dieser Verehrung ging das Augenmerk des Kaisers auf religiöse Bräuche und Bauwerke: Restaurierungen und Neubauten von Tempeln (Tarraco, Athen, Kyzikos, Nikomedeia, Antiocheia u. a., siehe HA, H 13,6), Darbringung von Weihgeschenken und neue kultische Regelungen von seiten des Kaisers, die wohlgemerkt die von den Vorgängern mehr aus Konvention gewährten Vergünstigungen weit übertrafen119, dienten neben dem praktischen auch dem ideellen Zweck. Eine spezifische, lokale „Vergöttlichung" als Zeus nahm durch ein entsprechendes Epitheton Bezug auf eine Begebenheit oder einen Gunsterweis, der nur eine Örtlichkeit betraf; bekannt sind die Identifizierung mit Zeus Kynegesios in Stratonikeia, wo seine mysische Jagd stattgefunden hat, und, wie L. Robert erkannt hat120, mit Zeus Ephorios in Abdera, nachdem der Kaiser dem Stadtgebiet neue, erweiterte Grenzen gegeben hatte. Den Höhepunkt bildete die Gleichsetzung mit dem höchsten Gott der Griechen, dem Zeus Olympios. Für den Griechenfreund Hadrian konnte nur Athen das Zentrum des neuen Kultes werden, dessen feierliche Einrichtung er nach vorbereitenden Maßnahmen bei seinem dritten Aufenthalt 131/132 vornahm; die Einweihung des neuen Tempels und die Gründung der panhellenischen Spiele als Versinnbildlichung der Idee zogen Festgesandtschaften der ganzen griechischen Welt nach Athen, die der Stadt noch einmal den Glanz einer „Mutterstadt" aller griechischen Städte verliehen (Paus. 1,18,6)121. Die Feststellung des Pausanias (1,20,7), daß Athen seit den Tagen Sullas erst unter Hadrian wieder aufblühte, unterstreicht den tiefen Einschnitt, den seine Regierung in der Geschichte der Stadt hinterließ, die, sich der Wohltaten bewußt, den ersten Aufenthalt des Kaisers mit dem Beginn einer neuen Ära feierte. Die Durchführung eines politischen Konzeptes ergänzte sich bei Hadrian mit einer angeborenen Reiselust und einer umfassenden Bildung, die seine Neugierde weckte und ihn in fremde Länder trieb. Sein literarisches und künstlerisches Interesse, seine Beschäftigung mit religiösen Fragen und lokalen Bräuchen trieben ihn dazu, das angeeignete Wissen durch persönlichen Augenschein zu vervollkommnen: peregrinationis ita cupidus, ut omnia, quae legerat de locis orbis terrarum, praesens vellet addiscere(HA, H 17,8)122. Hier sind zu nennen die Besteigung des Ätna und des Berges Kasios 117 Fouilles des Delphes III 4,70 ff. Nr. 302; R. Flacelière, CRAI 1971,172 f. ; vgl. S. 202. 118 M. Le Glay a.O. (Anm. 115) 354. 119 Siehe die Ausführungen von Chr. Habicht (Alt. v. Pergamon VIII 3,9 ff.) zum Asklepieion in Pergamon und R. Flacelière (CRAI 1971, bes. 183 f.) zum Apollonheiligtum in Delphi. 120 BCH 102,1978,441 f. ; zu Zeus Kynegesios siehe S. 200 f. 121 Quellen siehe S. 194, 208. Zu Hadrians Panhellenismus siehe W. Weber, CAH XI (1936) 320 f. ; A. S. Benjamin, The Altars of Hadrian at Athens and Hadrian's Panhellenic Program, Hesperia 32,1963, bes. 58 ff.; M. Guarducci, La religione di Adriano, in: Les empereurs romains d'Espagne (1965), 209 ff. A. J. Spawforth - S. Walker, The World of the Panhellenion I, JRS 75,1985,78 ff. 122 R. Syme, Hadrian the Intellectual, in: Les empereurs romains d'Espagne 243 ff. Die

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bei Antiocheia, die Besichtigung und Renovierung alter Gräber (des Aias bei Troja, des Alkibiades in Phrygien und des Pompeius bei Pelusion), schließlich der Besuch in Ägypten und die Nilfahrt. Ausgeprägt war seine Jagdleidenschaft (Dio 69,10,2; HA, H 2,1 ; 20,13), die ihn auf seinen Reisen in zu deren Befriedung geeignete Gebiete führte (Böotien, Mysien, die ägyptische Wüste). Die hadrianische Münzprägung und Repräsentationskunst haben das Jagdthema aufgegriffen; seit Alexander d. Gr. versinnbildlichte das Motiv des siegreichen Jägers überhaupt den Bezwinger alles Bösen und aller Gefahren, zugleich die virtus des Herrschers, wie die Legende der hadrianischen Medaillons ausweist123. Einzigartig in der römischen Kunst stehen die acht am Konstantinsbogen erhaltenen Jagdtondi aus hadrianischer Zeit; die neben Opferszenen dargestellte Eber-, Bären- und Löwenjagd beinhalteten außer dem besagten traditionellen Sinn eine Anspielung auf den die Oikumene durchreisenden Herrscher: der Eber für Asien, der Bär für Europa, der Löwe für Afrika124. Auch die Münzprägung hat die Reiseaktivität des Kaisers in einzigartiger Weise aufgegriffen. Während und nach seiner ersten großen Provinzreise erschienen zwei Münzserien mit der Legende EXPEDITIO, die den Kaiser, mit dem paludamentum bekleidet, auf galoppierendem Pferd zeigen, unter Trajan und auch später der PROFECTIO-Typ125. P. Strack hat in diesen Münzen irrtümlich eine konkrete Anspielung auf einen Feldzug des Kaisers gesehen und sie für eine genauere Datierung der Aufenthalte Hadrians in jenen Jahren herangezogen. H. Mattingly hat jedoch richtig gesehen, daß EXPEDITIO nicht auf ein bestimmtes offensiv-kriegerisches Unternehmen anspielt, sondern auf die Reiseaktivität des Kaisers im allgemeinen Bezug nimmt126. Hadrian hat sich also nicht mit der bloßen Bekanntgabe der profectio von Rom begnügt, sondern die dauernde Reisetätigkeit in den Provinzen, eben im Gegensatz zum Anmarsch auf einen eng begrenzten Kriegsschauplatz, betonen wollen. Unmittelbar nach der Rückkehr von der letzten Reise, nach 132, erschienen Reiseerinnerungsmünzen, die noch einmal den Hauptinhalt seiner Herrschertätigkeit aller Welt vor Augen führen sollten127. Sie nennen die einst besuchte Provinz oder Landschaft, feiern den adventus des Kaisers in der Provinz, wobei der Kaiser grüßend die Rechte erhebt und die personifizierte Provinz ihm gegenüber ein Opfer darbringt. Der auf eine Provinz bezogene adventus des Herrschers stellte etwas ganz Neues dar, da bisher nur der stadtrömische adventus aus Münzprägung und Repräsentationskunst bekannt war. Die seit altersher mit der Parusie des Herrschers verknüpfte Vorstellung vom universalen Heilsbringer und Retter, von der noch unten (S. 148 ff.) zu sprechen sein wird, trat damit aus dem stadtrömischen Rahmen heraus und wurde gleichberechtigt auf die Diskussion, ob die Statuenprogramme seiner Villa bei Tibur Erinnerungen an Reisestationen darstellen, ist noch nicht abgeschlossen;positiv B. Kapossy, Gymnasium 74,1967,40 ff.; skeptisch W. Gauer, in: Tainia (Festschr. R. Hampe), 1980, 223. Nach einer Vermutung A. Garzettis (From Tiberius to the Antonines [1974], 393) verdankt Pausanias' »Beschreibung Griechenlands' ihre Entstehung den Reisen Hadrians in diesem Land. 123 Strack, Untersuchungen II129; J. Aymard, Essai sur les chasses romaines (1951), 523 ff. 1241. Maull, Hadrians Jagddenkmal. JÖAI 42,1955, bes. 56. 125 G. Koeppel, BJ 169,1969,180. 126 Strack, Untersuchungen II71 f.; H. Mattingly, BMC Emp. III p. CLXVI s. 127 Mattingly a.O. p. CXLII ss. gegen Stracks (a.O. 139 ff.) Spätdatierung der Emissionen auf 136/38.

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Provinzen übertragen; die ADVENTVS-Prägung alleine drückt deshalb schon aus, was die Parallelprägungen dann explizit verdeutlichen, auf denen der Kaiser als RESTITVTOR der Provinz erscheint oder der betreffende EXERCITVS genannt wird. Die intensive und konsequente Ausrichtung hadrianischer Politik auf Frieden und Wohlstand des Gesamtreiches hin bedingte allerdings die krassen Gegensätze bestimmter Handlungsweisen (vgl. HA, H 14,8-11): „Unruheherde", die sein Konzept störten, seien es politische Gegner im Innern, seien es militärische Konflikte, die sich nicht friedlich regeln ließen (Judenkrieg), hat er mit der gleichen Konsequenz aus der Welt geschafft, wie er auf der anderen Seite in Verwirklichung seines Konzeptes die Städte des Reiches mit Wohltaten überhäufte und sich um die Belange der inneren und äußeren Sicherheit kümmerte wie kein anderer Herrscher. Nichtsdestoweniger hat das von einem latenten Mißtrauen geprägte Verhältnis zum Senat auch das Urteil über seine Reisetätigkeit festgelegt, die unmittelbar nach seinem Tode Zielscheibe der Kritik wurde. Wie K. F. Stroheker anhand der Historia Augusta gezeigt hat128, wurde Hadrians Bemühen, durch seine Reisen den inneren Frieden und die äußere Sicherheit des Reiches zu festigen, als Zeichen der Schwäche ausgelegt, wohingegen die relativ bescheidenen außenpolitischen Erfolge des Antoninus Pius, der Italien nie verlassen hat129, als Beweis für die Stärke des Imperiums angesehen wurden. Erstes und zugleich eindrucksvollstes Dokument der neuen Einstellung ist die im Jahre 143 gehaltene Romrede des Aelius Aristides130. Obwohl der Name Hadrians nicht fallt, sind die in ihr enthaltenen Anspielungen auf die Gegenwart und unmittelbare Vergangenheit so evident, daß die entsprechenden Vergleiche ohne jeden Zweifel als Kritik an der Reisepolitik Hadrians und als Rechtfertigung der Immobilität seines Nachfolgers verstanden werden müssen131. Über die Beschreibung Roms als Zentrum des Reiches kommt Aristides auf die Rolle und den ,Platz' des Kaisers im Gesamtgefüge des Imperiums zu sprechen. Er griff dabei die kosmologische Konzeption der geordneten Oikumene auf und setzte die Sonne gleich mit der römischen Ordnung, verkörpert durch den Kaiser, die wie ein glänzendes Licht über private und öffentliche Angelegenheiten leuchte (Είς Τώμην 103) und die daniederliegenden Städte wieder zum Leben erweckt habe. Glanz und Stärke dieser Ordnung zeigten sich in der ständigen Anwesenheit des Kaisers in Rom selbst132. 128 Die Außenpolitik des Antoninus Pius nach der Historia Augusta, in: Bonner HistoriaAugusta-Colloquium 1964/65 (1966), 241 ff. 129 Nicht näher kann hier auf die aus Perinthos und Hadrianopolis stammenden Münzen eingegangen werden, die das Prätorialschiff (Perinthos: mit Kaiser) zeigen und vielleicht auf eine geplante Reise Bezug nehmen. Siehe die Diskussion bei G. Hüttl, Antoninus Pius I (1936), 233 ff. Anm. 24, und D. Kienast, Untersuchungen zu den Kriegsflotten der römischen Kaiserzeit (1966), 109 Anm. 103 f. 130 Zum Datum siehe jetzt R. Klein, Historia 30,1981,337 ff. 131 Stroheker a.O. (Anm. 128), ebenso R. Klein a.O. 347 ff. anhand einer Reihe von Beispielen. Die Aktualität der Anspielungen verneinte J. H. Oliver, The Ruling Power, TAPhS N. S. 43,4,1953,919. J. Bleicken, Der Preis des Aelius Aristides auf das römische Weltreich, NAWG 1966,7, geht auf diese Frage nicht ein. Siehe den Forschungsbericht bei R. Klein, Die Romrede des Aelius Aristides. Einführung (1981), 160 ff. 132 Oliver a.O. 874 ff., er überbetont jedoch die direkte Anlehnung des Aristides an Piaton, siehe F. Vittinghoff, Gnomon 29,1957,74 ff.

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Den ersten Hauptteil seiner Rede widmete Aristides der idealen Verwaltungsordnung im Reiche, deren vornehmlicher Nutzen darin bestehe, daß sie eine noch nie zuvor erreichte Rechtssicherheit für die Bewohner des Imperiums geschaffen habe. Aristides hebt sich nun dadurch von den uns erhaltenen Vorbildern der Städtepreisungen und Herrscherpanegyrici ab, daß er nicht in das gewohnte Schema der Aufzählung einzelner Herrschertugenden im weitgehend abstrakten Raum verfallt, womit er das Schwergewicht auch nicht auf die der Herrschaft zugrundeliegenden und sie rechtfertigenden sittlichen Normen legte, sondern auf deren praktische Ausführung und ihre Folgen. Das optimale Funktionieren der römischen Herrschaft lag nach Aristides in der perfekten Verwaltung des Reiches mittels eines dichten Beamtenapparates. Dieser ist aber kein willkürliches, selbständig agierendes Herrschaftsinstrument, sondern er unterliegt der ständigen Kontrolle durch den Kaiser und funktioniert dadurch, daß er auf den Kaiser fixiert und ihm absolut gehorsam ist. Dessen Gehorsam ist das Vorbild für den Gehorsam der Provinzialen gegenüber dem Beamten. Der Kaiser selbst bildet die Spitze einer Verwaltungshierarchie, das Rädchen, das das Uhrwerk in Schwung hält, ohne daß Aristides besonderes Interesse dafür zeigte, nach welchen Rechtsnormen und sittlich-moralischen Grundsätzen er seine Weisungen an die Beamtenschaft erteilt. Die Versachlichung der Herrschaftsorganisation, in der die Beamten nur Instrumentarium, keine Individuen mit eigenem Willen sind, garantiert die Anwendung des Rechts gleichermaßen in allen Reichsteilen und begründet damit die Gerechtigkeit der Herrschaft. Die besondere Bedeutung der Stadt Rom liegt darin, daß sie das Zentrum des Reiches ist, weil in ihr der Herrscher residiert, dessen Willen die Beamten als ausführende Organe in alle Winkel des Reiches weiterleiten133. Glanz und Stärke einer Herrschaftsordnung, eben spezifisch der römischen, zeigt sich daran, daß der Herrscher als Seele der Reichsverwaltung im Zentrum des Reiches dauernd residieren kann, die Schwäche am Gegenteil, daß er nämlich gezwungen ist, seine Residenz zu verlassen oder daß er gar keine besitzt. Den Gegensatz demonstrierte Aristides am Beispiel des Perserreiches und des Reiches Alexanders d. Gr. Die persischen Könige verglich er mit Nomaden, die den Skythen nur darin überlegen waren, daß sie im Reisewagen statt auf Karren fuhren (18). Kyros war vom Herumreisen erschöpft, da der schwache Zustand des Reiches seine Anwesenheit überall erforderte; trotzdem war seine Mühe zwecklos, denn wie bei einem Lederbeutel drückte er die Teile, auf denen sein Fuß gerade stand, zu Boden, blähte aber diejenigen Teile wieder auf, von denen er den Fuß gerade heruntergenommen hatte134. Der große Landeroberer Alexander, so Aristides, ist in Wirklichkeit gar kein König gewesen, da er mehr mit der Schaffung als mit der geordneten Verwaltung eines Reiches beschäftigt gewesen war; bevor er die Krone auf sein Haupt setzen konnte, ist er gestorben (24-26). Bei Alexander vermißte er das, was ein geordnetes Staatswesen ausmacht: Gesetze für die Völker, festgelegte Steuern, eine funktionierende Verwaltung mit automatischer Beförderung und festen Amtsfristen (26). 133 ΕΙς Τώμην 30 ff., 36 ff. 88 ff. Bleicken a.0.234 ff. 134 Der Kyrosvergleich knüpft wohl an Xenophon, Cyrop. 1,1,5 an. Das Bild vom Lederbeutel erinnert an Cassius Dio (69,12,2), der den Aufstand in Judäa als unmittelbare Folge des Wegganges Hadrians aus dem Osten ansieht.

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Da das römische Weltreich dank seiner dem Kaiser gehorsamen Beamtenschaft über jene Ordnung verfügt, ist es auch gar nicht notwendig, daß der Kaiser sich dadurch, daß er das ganze Imperium bereist, aufreibt, noch daß er, indem er bald hier, bald dort persönlich erscheint, sich eines jeden Reichsteiles versichert, wenn es ihm die Zeit erlaubt, sich dorthin zu begeben. Für ihn ist es leicht, dort zu bleiben, wo er sich aufhält, und die zivilisierte Welt durch schriftliche Anweisungen zu verwalten, die so schnell wie auf Rügein getragen ihren Bestimmungsort erreichen (32-33). Dieselbe Rechtfertigung für die Immobilität des Kaisers bietet die Historia Augusta (AP 7,12): . ..et tarnen ingenti auctoritate apud omnes gentesfuit, cum in urbe propterea sederei, ut undique nuntios, médius utpote, citius posset accipere. Aber nicht nur sicherheitspolitische Erwägungen machen nach Aristides ausgedehnte Provinzreisen überflüssig, auch zum Kennenlernen der natürlichen und von Menschenhand gefertigten Erzeugnisse des Reiches muß man nicht in die Ursprungsländer fahren: Rom ist der gemeinsame Handelsplatz der Welt, wohin die Früchte der Jahreszeiten, die Produkte von Land und Wasser, die griechischen und nichtgriechischen Kunstwerke und Güter aus fernen Ländern zusammenfinden, die deren Bewohner besser in Rom als in der Heimat erwerben könnten (11-12). Die angeführten Vergleiche des Aristides dienten in erster Linie sicher nicht dazu, den Charakter der römischen Herrschaft von längst vergangenen despotischen Regimen abzuheben, sondern in ihrem Inhalt liegt ein konkreter Bezug zur Herrschaftsund Verwaltungspraxis des Antoninus Pius vor. Schon der Hinweis auf eine geregelte Beförderung und feste Amtsfristen der Beamten, die unter Alexander d. Gr. nicht bestanden hätten, ferner das Lob auf die regelmäßige und ohne Schwierigkeiten sich vollziehende Ablösung der Statthalter durch den Kaiser (36) mußten zweifellos als direkte Anspielung auf die Gegenwart, die Regierung des Antoninus Pius, verstanden werden: Völlig unabhängig hat die prosopographische Forschung erwiesen, daß die Verwaltung des römischen Reiches unter diesem Kaiser eine vorher und nachher nie wieder erreichte Stabilität, Gleichförmigkeit und Schematisierung erlebt hat135. Wenn dieser von Aristides gepriesene Idealzustand mit einer Bewertung der Reiseaktivität des Herrschers verknüpft wird, so kann dies nur als Kritik an Hadrian bzw. als Rechtfertigung der Unbeweglichkeit des Antoninus Pius gedeutet werden. Auch der Hinweis auf Rom als kulturelles Zentrum der Welt läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, war es doch Hadrian gewesen, den seine Neugierde an fremden Kulturen zu seinen Reisen wesentlich anspornte. Die letzten Zweifel beseitigt die teilweise mit der Historia Augusta, wie oben gezeigt, übereinstimmende Argumentation, die somit nicht Aristides' Erfindungsgabe entsprungen ist, sondern eine offizielle, vom Kaiser selbst gebilligte Version zur Begründung seiner Immobilität wiedergibt, die dann Eingang in die Geschichtsschreibung gefunden hat. Das eigentliche Paradoxe an Hadrian war die Tatsache, daß er als erster Kaiser überhaupt kurz zuvor eroberte Gebiete, die angeblich nur der endgültigen Einrichtung 135 G. Alföldy, Konsulat und Senatorenstand unter den Antoninen (1977), 129: „Unter den günstigen Voraussetzungen des inneren und äußeren Friedens konnte das System der Reichsverwaltung... in ganz genau geregelten Formen und fast störungsfrei funktionieren, wie eine zwar recht komplizierte, aber fast automatisch laufende Maschinerie, in der jede Schraube und jedes Rad ihre Aufgabe wie vorgesehen erfüllten."

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als Provinzen bedurft hätten, wieder preisgab136, andererseits aber sich in einem Umfange von Rom und Italien absentierte, wie es keiner seiner Vorgänger je gemacht hatte, und wenn überhaupt, dann eben nur zur Niederwerfung äußerer Feinde und Erweiterung des Reichsgebietes. Die Kritik an Hadrian orientierte sich daher an der herkömmlichen Vorstellung über den Sinn und das faßbare Ergebnis von Kaiserreisen und war, wie das Zeugnis des Konsulars und Prinzenerziehers Cornelius Fronto beweist, in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen in Umlauf. Freilich sind Frontos kritische Äußerungen über Hadrian mit einem gewissen Vorbehalt aufzunehmen, da die schwarzmalende Darstellung von Hadrians Politik als Kulisse herhalten mußte, vor der er seinen Schüler Verus, der damals im Partherkrieg stand, glanzvoll abheben konnte. Manches wirkt toposhaft, wie die Klagen über die unter Hadrian erschlaffte Disziplin der Truppen, doch in ihrer Substanz spiegeln die Worte zeitgenössische (Vor-) Urteile wider. Voller Ironie beschrieb Fronto die „Erfolge" hadrianischer Reiselust: Eius itinerum monumenta videas perplurimas Asiae atque Europae urbes sita, cum alia multa tum sepulcra ex saxo formata (princ. hist. 8). Dem Antoninus Pius dagegen zollte Fronto Lob für die Beendigung des britannischen Krieges; er verglich den Kaiser mit dem Vorsteher der Steuerleute eines Kriegsschiffes, dem der Ruhm des gesamten glücklichen Manövers und der Überfahrt zukomme. Der spätantike Panegyriker, der diese Stellungnahme Frontos überliefert (Paneg. 4,14,2), konnte angesichts des persönlichen Einsatzes der Kaiser seiner Zeit an den Fronten das Hochgefühl des Antoninus Pius nur als delicata félicitas abtun131. Diese an L. Verus gerichtete Beurteilung Hadrians läßt auch die Einstellung dieses Kaisers zur hadrianischen Reisepolitik erahnen138. Marc Aurei und L. Verus, in der ruhigen Ära unter Antoninus Pius aufgewachsen, die den Kaiser nur in Rom und Italien regierend kennengelernt, noch nie eine Armee gesehen hatten, wurden mit einer gewaltigen Offensive der Parther und Grenzvölker an Rhein und Donau konfrontiert, die eine völlige Änderung der Regierungsgewohnheiten verlangten. Als zwei römische Armeen von den Parthern eine Niederlage empfangen hatten und daraufhin die persönliche Anwesenheit des Kaisers mit einem neuen Stab an Offizieren gefordert war, schickte Marc Aurei den Verus an die Front; er selbst begleitete ihn nur bis zur Einschiffung nach Brundisium und blieb in Italien. Die ausführliche Schilderung der Historia Augusta von Verus' Desinteresse an der eigentlichen Kriegsführung im Osten und seinem unbeschwerten Treiben in Daphne enthält sicher Übertreibungen, die andere Autoren ins rechte Licht rücken139; mit Begeisterung hat Verus die Aufgabe 136 Es wäre eine Untersuchung wert, wie weit die bei den griechischen Schriftstellern des zweiten Jahrhunderts faßbaren Gedanken über die Grenzen des Reiches sich in der Politik der antoninischen Kaiser (einschließlich Hadrians) widerspiegeln und diese möglicherweise beeinflußt haben;siehe den kurzen Überblick bei Klein, Romrede (Anm. 131) 157 ff. 137 Zu Fronto und Hadrian siehe R. Zoepffel, Chiron 8,1978,401 f., und E. Champlin, Fronto and Antonine Rome (1980), 94 f. Frontos Vorurteil gegenüber Hadrian ist sicher repräsentativ für weite Kreise des Senatorenstandes der Zeit, vgl. Stroheker a.0. (Anm. 128). 138 Auch Marc Aurei schien an Hadrian Kritik zu üben, wenn er bei seinem Adoptivvater preist έτι δέ το μή εύμετακίνητον και (ίππταστικόν, άλλα και τόποις και πράγμασι τοις αύτοΐς ένδιατριπτικόν (είς εαυτόν 1,16,22). 139 HA, V 7,3 ff.; MA 8,12. P. Lambrechts, L'empereur Lucius Verus, essai de réhabilitation, AC 3,1934,173 ff. = R. Klein (Hg.), Marc Aurei (1979), 42 ff.

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jedoch nicht übernommen. Schon durch eine ernsthafte Erkrankung auf der Reise nach Brundisium verzögerte sich die Abfahrt aus Italien, und auch auf der Weiterfahrt über Griechenland und Kleinasien zeigte er offenbar keine Eile, die Ehre Roms am Euphrat durch sein Erscheinen wiederherzustellen. Mitten im Kriege reiste er nach Ephesos zurück, um mit der Kaisertochter Lucilla Hochzeit zu feiern. Auch der im Jahre 168 von Marc Aurei angesetzten Inspektionsreise durch die Donauprovinzen soll er nur widerwillig gefolgt sein mit der Begründung, die Lage habe sich durch die Erfolge der Statthalter beruhigt und erfordere nicht mehr die Anwesenheit der Kaiser140. Das Bewußtsein, sich in Kriegstugenden anstatt geistiger Auseinandersetzung üben zu müssen, hat auch Marc Aurei gequält; Fronto mußte ihm Caesar als tröstendes Beispiel vorhalten, der im gallischen Krieg unter fliegenden Geschossen grammatikalische Studien hatte verfassen können (de bello Parth. 9). Vor seinem zweiten Aufbruch von Rom im Herbst 169 dachte er an eine nicht allzu lang währende Abwesenheit von der Hauptstadt, da er es mit dieser Begründung dem Galenos, der ihn auf dem Feldzug hätte begleiten sollen, erlaubte, in Rom auf ihn zu warten141. Im Gegensatz zu Verus hat es Marc Aurei aber als seine Pflicht angesehen, in den heimgesuchten Provinzen nach dem Rechten zu sehen und die Abwehrkämpfe zu überwachen. Das allgemeine Wohl rangierte bei ihm höher als die eigene Gesundheit; für dieses Wohl, so klagte er im Jahre 175 vor dem Heer, als er von der Usurpation des Avidius Cassius gehört hatte, habe er sich trotz seiner labilen Gesundheit so unaufhörlich den Strapazen fern von Italien ausgesetzt142. Ihm genügte das Bewußtsein, am jeweiligen Ort des Handelns das jeweils Beste für den Staat gegeben zu haben. Mit dieser Selbsthingabe, dem gelassenen Hinnehmen von Schicksalsschlägen, der inneren Ruhe gegenüber dem Tod ist auch das lange Durchhaltevermögen des Kaisers weit ab von Rom an der Nordgrenze des Reiches zu erklären143. Die Sehnsucht nach stilleren und schöneren Aufenthaltsorten wird gestillt durch die Wanderung in die eigene Seele, jenseits derer es keinen ruhigeren und sorgenfreieren Platz gibt144. Als Marc Aurei im Jahre 175/176 den Osten besuchte, um die Hinterlassenschaft der Usurpation des Avidius Cassius persönlich zu regeln, nutzte er den Winteraufenthalt in Alexandreia, um ohne Kriegsgewand, als Privatmann und Philosoph, umherzugehen145. Die bekannten Stationen seiner Rückreise zeigen das Bedürfnis nach geistiger Kommunikation; in Tarsos hörte er den erst 15jährigen Sophisten Hermogenes, in Smyrna Aelius Aristides, in Athen Hadrianus von Tyros und ließ sich dort in die eleusinischen Mysterien einweihen. Als er im Sommer 178 zur zweiten expeditio Germanica aufbrechen wollte, versuchte eine Grup-

140 HA, MA 14,4. Vgl. G. Baita, Lucius Verus and the Marcomannic Wars, ACD 7,1971,67 ff. Zu den Reisen im einzelnen siehe S. 212 ff. 141 Galen. XIV p. 650; XIX p. 19 (Kühn). 142 Dio 71,23,3. Α. R. Birley, Mark Aurei, Kaiser und Philosoph2 (1977), 340 f. 143 ΕΙς εαυτόν 3,12; 3,5; 7,45. HA, MA 22,8: amici suaserunt, ut a bellis discederet et Romam veniret, sed ille contempsit ac perstitit nec prius recessit, quam omnia bella finirei. - G. R. Stanton, Marcus Aurelius, Emperor and Philosopher, Historia 18,1969,578 ff. = R. Klein (Hg.) a.O. (Anm. 139) 368 ff. Birley a.0. (Anm. 142) 389 f. P. A. Brunt, JRS 64,1974,7. 144 Εις εαυτόν 4,3. Birley 396 f. ; Brunt 3 f. 145 Dio 71,28,2-4; HA, MA 25 f. Zu den Stationen seiner Rückreise siehe S. 213.

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pe von Philosophen, ihn in Rom zu halten und vor den Wechselfallen des Krieges zu bewahren146. Weder hat es ihm die militärische Lage erlaubt, noch ließ es seine innere Überzeugung von der Vergänglichkeit des Ruhmes zu, daß er nach großen spektakulären Erfolgen an den Reichsgrenzen strebte; er legte sogar einmal angenommene Siegertitel angesichts des Todes von L. Verus und von Niederlagen wieder ab147. Die eigentliche Kriegsführung hat er bereitwillig erfahrenen Generälen überlassen, die auch nach seinem Tode die Feldzüge abgeschlossen haben148. Ihm galten die unmittelbare Präsenz in den heimgesuchten Reichsteilen, die direkte Teilnahme am Schicksal der Soldaten und der Untertanen, sein Wirken an Ort und Stelle als ausreichende Pflichterfüllung gegenüber dem Staate. Sein Sohn Commodus ist nach einem vorläufigen Abschluß der Kämpfe an der Donau im Jahre 180 nach Rom zurückgekehrt149 und hat Italien nie wieder verlassen. Dazu haben wahrscheinlich persönliche Charakterzüge wie auch eine allgemeine Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung, die den Kaiser wieder als sichtbaren Ausdruck des Friedens in Rom sehen wollte, beigetragen150. Eine nicht abreißende Kette von Unruhen in den nördlichen Provinzen bis hin zur Meuterei der eigenen Truppen in Britannien im Jahre 184 konnten Commodus nicht bewegen, die unruhigen Schauplätze des Geschehens zu besichtigen. Nach dem Bericht der Historia Augusta hatte er zwar dreimal die Absicht gehabt, Rom zu verlassen - zuletzt im April 188 -, und in der Tat bezeugen PROFECTIO-Münzen desselben Jahres dieses Vorhaben, doch blieb es angeblich auf Drängen von Senat und Volk unausgeführt151. Dagegen läßt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit behaupten, daß Commodus im Jahre 192 die Kornprovinzen des Reiches, Africa und Ägypten, besuchen wollte; eine Münzserie dieses Jahres mit der Rückseitenlegende PROVI DENTI AE AVG. und der Darstellung des Kaisers, der vom Schiffsheck hinabsteigt und von einer weiblichen Gestalt Getreideähren empfängt, hat R. Ziegler noch unter Berücksichtigung anderer Attribute mit konkreten Reiseabsichten des Commodus in die genannten Provinzen erklärt152. Der Grund bestand sicher in der schlechten Versorgungslage der Hauptstadt, die bereits 189/190

146 HA, MA 29,4; Aur. Vict Caes. 16,9 f. - Birley 372 f. 147 Εις εαυτόν 4,3; 7 f.; 32 f. - Birley 384 f. Siegerbeinamen: HA, MA 12,9; Kneißl, Siegestitulatur 101 ff. Konsequent wurden die Siegertitel nur in den Münzemissionen weggelassen. 148 A. R. Birley, Die Außen- und Grenzpolitik unter der Regierung Marc Aurels, in: R Klein (Hg.)a.O.(Anm.l39)493f. 149 G. Alföldy, Der Friedensschluß des Kaisers Commodus mit den Germanen, Historia 20,1971,104 ff. = R. Klein (Hg.) a.0.408 ff. ; siehe S. 216. 150 Die von seinem Vater geerbten Siegerbeinamen verschwanden in der Münzprägung, siehe Kneißl a.0. 112 ff. In seinen ersten Regierungsjahren war Antoninus Pius sein Vorbild, siehe M. R. Kaiser-Raiß, Die stadtrömische Münzprägung während der Alleinherrschaft des Commodus (1980), 30 ff. 151 Zu den Unruhen siehe ausführlich F. Grosso, La lotta politica al tempo di Commodo (1964), 411 ff. unter der Geschichte der Provinzen; knapper Kaiser-Raiß a.O. 33 ff. mit Quellen und Literatur. Zu den Reiseabsichten HA, C 9,1 ; 12,8-9, eine Notiz, die auf die acta urbis zurückgeht, siehe H. Nesselhauf, in: Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1964/65 (1966), 137; Kaiser-Raiß 37 f. 152 R. Ziegler, BJ 181,1981,652 f. (Rez. v. Kaiser-Raiß).

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große Unruhen ausgelöst hatte, und seinerzeit ja schon Augustus zu seinem Aufenthalt in Sizilien bewogen hatte (siehe S. 22).

Sämtliche Kaiser von Hadrian bis Commodus waren ihrer grundsätzlichen Einstellung nach „Friedenskaiser". Der Grieche Pausanias brachte die Genugtuung der Provinzialbevölkerung über den Friedenszustand zum Ausdruck und legte großen Wert auf die Feststellung, daß alle kriegerischen Verwicklungen - der Judenkrieg unter Hadrian, der Mauren- und Brigantenkrieg unter Antoninus Pius, die Germanen- und Sarmatenkriege unter Marc Aurei - Verteidigungs- und Vergeltungskriege als Reaktion auf eine vorhergehende Aggression gewesen sind153. Die Epoche zeigt deutlich, daß über die grundsätzliche Einigkeit hinaus, keine Eroberungskriege zu führen, eine noch tieferliegende persönliche HerrschaftsaufTassung die Reisepolitik bestimmte, auf die die gleichen äußeren Bedingungen eine unterschiedliche Wirkung zeigen konnten. Obwohl Hadrian und Antoninus Pius in einer Zeit gleichbleibender relativer Ruhe und mit gleichem außenpolitischen Konzept regierten, dokumentiert doch die völlig gegensätzliche Reisepolitik die unterschiedlichen Vorstellungen über die Aufgaben und den Platz des Kaisers im Reich. Das gleiche gilt für Marc Aurei und Commodus: In den Zeiten einer ständigen Bedrohung der nördlichen Grenzprovinzen glaubte der erstere, in den gefährdeten Provinzen selbst, der zweite, durch demonstratives Ausharren in Rom der Sicherheit des Reiches am besten zu dienen. Die individuell unterschiedliche Einstellung zur Absentierung des Kaisers aus Rom, die aber stets in Bezug zum allgemeinen Staatsinteresse stand, hebt die antoninische Epoche deutlich ab von der mit den Severern schlagartig einsetzenden „Militarisierung", damit Nivellierung der Reisetätigkeit, als die Armee als entscheidender Machtfaktor Anlaß und Richtung der Reiseaktivität bestimmte.

5) DAS DRITTE U N D VIERTE JAHRHUNDERT Septimius Severus strebte im Kampf um die Alleinherrschaft als erstes danach, die Hauptstadt Rom zu gewinnen, sein zweites Ziel war die Beseitigung des Pescennius Niger im Osten. Ganz im Gegensatz zu Vespasian und der vergleichbaren Situation des Jahres 69 überließ er die Feldzüge nicht alleine seinen Generälen und wartete nicht in der Provinz den Ausgang der Ereignisse in Rom ab: Die Jahre 193 bis 197 waren ausgefüllt mit hastigen Kriegszügen ohne längeres Verweilen an einem Orte, dem steten Bemühen, den Kontakt zur Armee nicht zu verlieren154. Der Feldzug des Jahres 195 gegen die Könige von Osrhoene und Adiabene stand nicht nur unter dem Zeichen einer Strafexpedition; ein Sieg über äußere Feinde sollte auch die Legitimationsbasis der eigenen Herrschaft erweitern, die bisher einzig die Ausschaltung der Thronkonkur153 Pausan. 1,5,5 und 8,43. Stroheker a.O. (Anm. 128) 251 scheint mir zu weitgehend zu interpretieren, wenn er bei Pausanias eine unterschiedliche Beurteilung der Außenpolitik Hadrians und des Antoninus Pius feststellt. 154 Siehe im einzelnen S. 216 ff.

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renten als Erfolg vorzuweisen hatte. Gleichzeitig mit der Annahme der Siegertitel erfolgte die Proklamation als Sohn des Marc Aurei und die Umbenennung seines Sohnes Bassianus in M. Aurelius Antoninus155. Die Erhebung zum Augustus und diejenige Getas zum Caesar schloß sich an die Eroberung von Ktesiphon während des zweiten Partherkrieges Ende des Jahres 197 an156. Nach dem Abschluß der Kampfhandlungen im Jahre 199 kehrte Severus jedoch nicht nach Rom zurück, sondern entschloß sich noch zu einem einjährigen Aufenthalt in Alexandreia. Als Reisemotiv tritt die Durchfuhrung verwaltungstechnischer Maßnahmen, wie die Gewährung der Polisautonomie an die Metropolen Ägyptens, sicher zurück hinter das persönliche Interesse für bodenständige religiöse Bräuche und Antiquitäten157. Die Historia Augusta begründete eine Reise des Severus, die er schon als Prätorier in den 180er Jahren nach Athen unternommen hatte, studiorum sacrorumque causa et operum ac vetustatum (S 3,7). Hinsichtlich der Ägyptenreise betonte der Autor die Vorliebe für den Serapiskult, die die archäologische Forschung anhand der Kaiserportraits nachgewiesen hat, sein Interesse an den geschichtlichen Denkmälern, der seltenen Tierwelt und der natürlichen Beschaffenheit des Landes: iucundam sibiperegrinationem hancpropter religionem dei Sarapidis et propter rerum antiquarum cognitionem et propter novitatem animalium vel locorum fuisse Severus ipsepostea semper ostendit; nam et Memfim et Memnonem et piramides et labyrinthum diligenter inspexit (S 17,3 -4). Dem Aufenthalt der kaiserlichen Familie in Afrika (202/03), der Heimat des Severus, kommt insofern historische Bedeutung zu, als hier die letzte Kaiserreise mit einer ausgeprägt persönlichen Motivation verwirklicht wurde. Der Kaiser hat die Provinz mit vielen Wohltaten in Form von rechtlichen Privilegien und baulicher Ausschmückung der Städte bedacht, sich daneben aber auch, wie zumindest ein Besuch im Legionslager Lambaesis und wahrscheinlich eine kleine gegen den Wüstenstamm der Garamanten unternommene Expedition ausweisen, um die Belange der Grenzverteidigung gekümmert158. Als Severus im Frühjahr 203 nach Rom zurückkehrte, hatte er von den ersten zehn Jahren seiner Regierung zusammengerechnet kaum mehr als zwei Jahre in Rom und Italien verbracht. Schon im Jahre 201, am Vorabend der Rückreise aus Syrien, griff die Münzprägung mit der Legende RESTITVTOR VRBIS ein rombezogenes Thema auf, das bis zum Jahre 207, bis unmittelbar vor dem Aufbruch nach Britannien, beibehalten wurde159. Severus erachtete es angesichts seiner langen Abwesenheit aus Rom als notwendig, seine Fürsorge für die Hauptstadt und seine Verbundenheit mit ihr zum 155 A. R. Birley, Septimius Severus, the African Emperor (1971), 181 ff. Dio (75,1,1) unterstellte Severus nackte Ruhmsucht, ähnlich wie Trajan (68,17,1). 156 In der Datierung der Ereignisse folge ich Z. Rubin, Dio, Herodian and Severus' Second Parthian War, Chiron 5,1975, bes. 431 ff. ; vgl. P. Herz, ZPE 31,1978,286. 157 Zu den Details der Ägyptenreise siehe S. 217 f, 220 f. Zu Severus' Serapisverehrung, die sich auch auf die Portraitkunst auswirkte, siehe A. M. McCann, The Portraits of Septimius Severus (MAAR 30,1968), 53 ff., 110 f. Zu den verwaltungstechnischen Neuerungen (HA, S 17,2; Dio 51,17,3) siehe U. Wilcken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde I 1 (1912), 41,45, und A. K. Bowman, The Town Councils of Roman Egypt (1971), 18 f. 158 Siehe im einzelnen S. 218,222 f. 159 Zusammenstellung bei Ph. V. Hill, The Coinage of Septimius Severus and his Family of the Mint of Rome A. D. 193-217 (1964), Nr. 511 ff., 563 ff.

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Ausdruck zu bringen, ähnlich wie dies Hadrian durch eine gezielte Baupolitik und seine ADVENTVS-Münzen (siehe S. 146) getan hatte. Aber selbst während seiner Anwesenheit in Italien scheint sich der Kaiser die meiste Zeit des Jahres nicht in Rom aufgehalten zu haben; zumindest nach dem Sturz Plautians zu Beginn des Jahres 205, so berichtet Herodian (3,13,1), hat er vornehmlich auf seinen Landgütern oder an der kampanischen Küste geweilt und ist dort seinen Amtsgeschäften nachgekommen160. Nach einem fünfjährigen Aufenthalt in Italien begann er einen neuen Eroberungsfeldzug in Britannien, der die programmatische Forderung des schon länger geführten Titels propagator imperii erfüllen sollte161 ; darüber hinaus bot der Krieg eine geeignete Gelegenheit, die Söhne in nunmehr fortgeschrittenem Alter mit der Armee und der Kriegsführung richtig vertraut zu machen und sie dem verweichlichenden Aufenthalt in Italien zu entziehen (Dio 76,11,1). Das Vorbild des Vaters wirkte prägend auf den Regierungsstil des Sohnes Caracalla. Sobald sich die innenpolitische Lage nach dem Tode des Severus und der Beseitigung des Bruders Geta stabilisiert hatte, begab sich Caracalla nach knapp zwei Jahren Romaufenthalt wieder in die Provinzen162. Herodian gibt als Grund für die Abreise in Richtung Gallien des Kaisers Interesse für das Militär und die Provinzialen an (4,7,1). An den Krieg gegen die Alamannen im Sommer des Jahres 213 schloß sich in der Tat eine ausgedehnte Inspektionsreise an, die ihn bis zum Sommer 214 durch alle Donauprovinzen (Winterquartier 213/14 wohl in Sirmium) führen sollte. Die Reise in Richtung Osten stand unter dem Vorzeichen eines geplanten Partherkrieges; Caracalla suchte die inneren Machtkämpfe des langsam sterbenden Partherreiches für eine erfolgreiche Demonstration seiner Macht jenseits des Euphrat zu nutzen, zugleich seine große Alexanderverehrung in dieses Unternehmen einfließen zu lassen. Nicht die akute Bedrohung römischen Territoriums war also der Grund für den Krieg, sondern ein persönlich motivierter Erfolgszwang über einen relativ schwachen Gegner, wie der nahezu ungehinderte Einmarsch Caracallas in Mesopotamien im Jahre 216 zeigte. Deshalb konnte auch die Anreise langsam vonstatten gehen; die Provinzen Asia und Bithynia sahen den Kaiser 214/15 von Stadt zu Stadt reisen und in die Rivalitäten der Metropolen eingreifen, zudem, wie schon in Germanien und später in Mesopotamien, seiner ausgeprägten Jagdleidenschaft nachgehen. In Alexandreia, vom Kriegsschauplatz weiter entfernt gelegen als Antiocheia, wurde ein ausgedehntes Winterquartier genommen (215/16), wo der Kaiser seiner Serapis- und Alexanderverehrung nachkommen konnte163. 160 Ein Exemplar der sacrae litterae bezeugt seine Anwesenheit in Rom am 31. Mai 204 (Chiron 7,1977,355 ff.), die Akten der ludi saeculares im Mai/Juni 204: J. B. Pighi, De ludis saecularibus2(1965),137ff. 161 Zu diesem Titel siehe H. U. Instinsky, Studien zur Geschichte des Septimius Severus, Klio 35,1942,212 ff.; H.-G. Pflaum, AntAfr 3,1969,139 f. = Afrique romaine. Scripta varia I (1978), 294 f. 162 HA, Ce 5,1: nach der Schilderung seiner Untaten in Rom His gestis Galliam petit... Herodian 4,7,1 :... και προς τήν έν τ|) πόλει διατριβή ν άπεχ$ώς έχων, άποδημΐ|σαι της 'Ρώμης ήΟέλησεν ώς δη διοικήσων τα έν τοις στρατοπέδοις και τα έθνη έποψόμενος. 163 Zu Caracallas Reisen siehe S. 223 ff. - Alexanderimitatio: Dio 77,7,1; Herodian 4,8,1 ff. Jagdleidenschaft: HA, Cc 5,4; 5,9; Herodian 4,7,2; 4,11,9. Zur Serapisverehrung siehe die Belegstellen bei M. Malaise a.O. (Anm. 81) 440 ff.

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Septimius Severus und Caracalla setzten einen neuen Akzent in der kaiserlichen Reisepolitik: Sie stand ganz im Zeichen der Herrschaftssicherung für die eigene Dynastie. Die Festigung ihres Kaisertums erfolgte weniger durch die Anwesenheit in Rom als vielmehr durch die Bindung der eigenen Machtposition an die Armee, die einerseits durch den spektakulären militärischen Erfolg nach außen, andererseits mittels einer gezielten Reisepolitik durch persönliche Präsenz bei den wichtigen Truppenverbänden hergestellt wurde. Von allen Kriegen, die Severus und Caracalla gegen äußere Feinde führten, läßt sich behaupten, daß die militärische Auseinandersetzung mit den Kaisern an der Spitze gesucht wurde164; wo in der Tat römisches Territorium bedroht war, wie vor dem zweiten Partherkrieg und vor dem Britannienkrieg, hielten sich die Konflikte in einem Rahmen, in dem früher die Statthalter alleine tätig wurden. Nach dem militärischen Erfolg vor der Kulisse der Armee, nicht vor dem Senat in Rom, erfolgte zum erstenmal die Bestellung der Nachfolger: 195 (oder 196?) wurde Caracalla zum Caesar, Ende 197 nach der Einnahme Ktesiphons zum Augustus und Geta zum Caesar, Geta 209 in Britannien zum Augustus erhoben. Die neue Gewohnheit, mit dem An- bzw. Abmarsch auf die bzw. von den Kriegsschauplätzen relativ ausgedehnte Reisen zu den wichtigsten Truppenverbänden zu koppeln, diente nicht in erster Linie wie bei Hadrian - dem Zweck, die Grenzverteidigung persönlich zu überwachen, sondern sich allein durch die Anwesenheit bei der Truppe deren Loyalität zu versichern. Herodian (2,8,9 f.) sah denn auch einen Grund für die Niederlage des Pescennius Niger gegen seinen Rivalen darin, daß er sich leichtsinnigerweise die Zeit in Antiocheia vertrieben hatte, anstatt die Truppen an der Donau zu besuchen und sich ihre Treue zu sichern. Die Hauptstadt Rom konnte in diesem Spektrum nur eine bescheidene Rolle als kaiserliche Residenz spielen: Von den 24 Jahren der Herrschaft des Severus und Caracalla weilten die Kaiser nur acht Jahre, also ein Drittel der Zeit, in Rom. Nachdem auch Elagabal nach einer „Loyalitäts"-Reise entlang der Donau im Jahre 219 nach Rom zurückgekehrt war (siehe S. 230 f.), blieb die Hauptstadt bis zum Jahre 231 dauernde Kaiserresidenz: Einerseits hatten die Feldzüge des Severus und Caracalla dazu geführt, daß sich die Grenzkonflikte in einem engeren lokalen Rahmen hielten und nicht das Erscheinen des Kaisers erforderten; andererseits waren mögliche Inspektionsreisen des Elagabal und Severus Alexander, die noch im Kindesalter die Regierung antraten, weitgehend sinnlos, da man ihnen selbständige Entscheidungen vor Ort sowieso nicht abverlangen konnte, außerdem schien die Treue der Truppen durch die relative äußere Ruhe und die Konstanz der Dynastie gesichert. Nach Konsolidierung ihrer Herrschaft hat erst die auf dem Boden des Partherreiches entstandene Sassanidendynastie ihre Hand nach dem römischen Mesopotamien ausgestreckt und Streifzüge bis in die Provinzen Syrien und Kappadokien unternommen165. Severus Alexander ist nur widerwillig in diesen Krieg gezogen, nachdem er zunächst versucht hatte, durch briefliche Drohungen den bewaffneten Konflikt zu meiden (Herodian 6,2,3; 6,3,1). Dem Beispiel des Severus und Caracalla folgend beabsichtigte er, neben dem eigentlichen Kriegsschauplatz auch Ägypten zu besuchen; ein Aufent164 Epit. de Caes. 20,5: (Severus)fuit bellicosissimus omnium, qui ante eumfuerunt. 165 Zum Perserkrieg des Severus Alexander siehe Magie, Roman Rule 1560 f., und M.-L. Chaumont, ANRWII9 (1976), 162 ff. ; vgl. S. 231 f.

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halt dort war fest geplant worden, kam aber wohl nicht zur Ausführung (siehe S.232f.). Mit dem Perserfeldzug des Severus Alexander brach eine 50jährige Epoche an, die den Kaisern unter dem Zwang der akuten Bedrohung der Grenzen und römischen Territoriums eine selbständige Reisepolitik unmöglich machte. Maximinus Thrax war der erste Kaiser, der die Hauptstadt Rom während seiner gesamten Regierungszeit nie gesehen hat (die einjährige Regierungstätigkeit des Macrinus von Syrien aus kann außer Betracht bleiben). Nach den Sommerfeldzügen nahm er seine Winterquartiere dicht hinter der Grenze (235/36 im obergermanisch-rätischen Grenzgebiet, 236/37 und 237/38 in Sirmium)166. Die Ursache dafür, daß die Kaiser immer mehr aus Rom weg an die Grenzen gezogen wurden, lag in der aufgrund der Bedrohung der Reichsgrenzen von außen enorm gewachsenen Macht der Armee, so daß die Stabilität des Kaisertums nicht mehr von einer starken Stellung in Rom gegenüber Senat und Volk abhing, sondern von der Loyalität der Provinzarmeen. Diese beruhte im wesentlichen auf den militärischen Erfolgen ihres obersten Feldherrn, des Kaisers, und einer guten materiellen Versorgung. Da beides in der starken äußeren Bedrängnis des Reiches nicht immer gewährleistet war, wechselten die Herrscher nach Gutdünken der Soldaten. Dynastien konnten sich nicht mehr entwickeln, folglich festigte sich auch keine tiefergehende Loyalität, die sich auch in Zeiten eines stärkeren Druckes auf die Grenzen bewährte. Eine starke Stellung als Armeekommandeur und das Drängen der Provinzialen, die ihren direkten Beschützer mit dem Herrschercharisma ausrüsten wollten, begründeten das Anrecht auf den Kaiserthron, mit der wesentlichen Folge, daß die Kaiser selbst zwecks Erhalt ihrer Stellung nicht nur jeden Krieg persönlich führen mußten, sondern auch allein durch ihre Anwesenheit bei den wichtigsten Truppenverbänden deren Loyalität an ihre Person zu binden bemüht waren167. Es versteht sich von selbst, daß damit ein einzelner Herrscher im gesamten Reichsverband überfordert war, und die zahlreichen Usurpationen bis hin zur Bildung langlebiger Sonderreiche (Gallien 260-274, Britannien 288-296, Palmyra 262-272) sind nur die Folge von Nichtpräsenz der kaiserlichen Autorität in der Person des Herrschers selbst. So stellt der Autor der Historia Augusta einmal mit Erstaunen fest (Cl 11,2), daß die Ägypter ihren Eid auf den Kaiser Claudius Gothicus leisteten, obwohl er abwesend war. Nach ersten Ansätzen unter Valerianus und Gallienus (253/260) hat Diokletian in der Erkenntnis, daß dem Reich hauptsächlich eine stabile oberste Autorität fehlte, die logische Konsequenz gezogen, daß er die Zahl der „Autoritäten" vermehrte. Er hatte sich nach dem Vorbild des Valerianus und Gallienus in Maximianus einen Mitkaiser ernannt, der im Gegensatz zu vielen Kaisersöhnen des dritten Jahrhunderts die Herrscheraufgaben voll übernehmen konnte, war bei der Cäsarenernennung im Jahre 293 aber von Maximianus offenbar überfahren worden168. Für die Reichsverteidigung hat 166 Zu Maximinus Thrax siehe S. 233. Er zitierte mißliebige Personen zu sich nach Pannonien, um sie dort zu bestrafen (Herodian 7,3,3 f.). 167 Zur /Typologie' der Kaiserproklamationen des dritten Jahrhunderts siehe F. Hartmann, Herrscherwechsel und Reichskrise (1982), 158 ff.; ebd. 188 ff. Beispiele für die Dauerpräsenz der Kaiser in den Provinzen. 168 I. König, Chiron 4,1974,567 ff.; vgl. auch J. Straub, Vom Herrscherideal in der Spätantike 35 f.

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sich die Viererherrschaft als vorteilhaft erwiesen, jeder Herrscher erhielt einen Reichsteil als bevorzugten Aufgabenbereich zugeteilt, was bedeutete, daß Rom auch nicht mehr zeitweise als Residenz der Kaiser diente. Die Vorteile dieses Systems, daß erfahrene und beliebte Generäle an der Herrschaft beteiligt wurden, anstatt sie wie im vorausgehenden dritten Jahrhundert als Usurpatoren zu bekriegen, haben die Mehrherrschaft im vierten Jahrhundert zementiert, allerdings mit der schließlichen Folge der Reichsteilung zwischen Ost und West. Die komplexen historischen Gründe, wie die fortschreitende Romanisierung, die provinziale Herkunft der Kaiser, die abgesehen von der äußeren Situation des Reiches seit dem zweiten Jahrhundert zur Nivellierung des Unterschiedes zwischen Italien auf der einen und den Provinzen auf der anderen Seite führten, müssen hier nicht erörtert werden. Auch das Christentum hat entscheidend zum Niedergang Roms in diesem Sinne beigetragen, da es nicht nur in Rom das Zentrum der heidnischen Traditionspflege sah169, sondern auch das Reich in seiner Gesamtheit in eine übernatürliche Reichskonzeption von Gottes Gnaden, die ohne Rom auskam, eingebettet hat170. Das Ansehen Roms als Mutter dieses Weltreiches und als Symbol einer ruhmreichen Vergangenheit blieb jedoch unangetastet; seit der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts haben die Kaiser die Hauptstadt durchweg nur noch zu feierlichen Anlässen, wie Triumphen, Regierungsjubiläen oder Konsulatsantritt besucht171. Nur noch in dieser gesteigerten Form existierte die früher gängige Assoziation, wie wir sie bei Antoninus Pius vorbildhaft umgesetzt finden (siehe auch S. 143 ff.), zwischen dem Aufenthalt des Kaisers in Rom und der Sicherheit des Reiches; aber auch diese symbolhafte Rolle wurde Rom von anderen Städten streitig gemacht, wie etwa von Mailand, wo sich im Jahre 291 Diokletian und Maximian trafen, eine Zusammenkunft, die in den Augen des Panegyrikers Mamertinus den allgemeinen Friedenszustand dokumentierte172. Die spärlichen Quellen des dritten Jahrhunderts lassen die Notwendigkeit des persönlichen Kontaktes mit den Soldaten als Motivation kaiserlicher Reiseunternehmen durchschimmern. In einem bei Dexippos überlieferten Brief173 des Decius an seine in Philippopolis eingeschlossenen Soldaten bedauerte der Kaiser, nur brieflich mit ihnen in Kontakt treten zu können, da er sie doch sonst dank seiner persönlichen Anwesenheit eher mit Taten als mit Worten ermutigt habe. Als Valerianus im Jahre 256 von dem verheerenden Goten- und Boranereinfall nach Bithynien unterrichtet wurde, zog er aus Mißtrauen, einem Feldherrn die Verteidigung zu übertragen, selbst von Antiocheia nach Kappadokien; auf die Nachricht eines Perservorstoßes auf Dura-Europos kehrte er aber vorzeitig um, nicht ohne die Städte bei seinem Durchmarsch dem

169 Siehe etwa J. Straub, Konstantins Verzicht auf den Gang zum Kapitol, Historia 4,1955,297 ff. = Regenerate imperii (1972), 100 ff. 170 Straub, Herrscherideal 113 ff.; R. Farina, L'impero e l'imperator christiano in Eusebio di Cesarea (1966), 134 ff. 171 Straub, Herrscherideal 175 ff.; S. MacCormack, Change und Continuity in Late Antiquity: The Ceremony of Adventus, Historia 21,1972,721 ff. 172 Paneg. 3,13,4:... ut in unum convenirepossitis nihilominus orbe securo. 173 FGrH II A, 468 fr. 26; zum Datum (Sommer 250) siehe Β. Gerov, Beiträge zur Geschichte der römischen Provinzen Moesien und Thrakien (1980), 102. Vgl. F. Miliar, JRS 59,1969,24 f.

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Ruin nahezubringen174. Die militärische Lage an den Grenzen nötigte die Kaiser, mit ihren Truppen von einem Reichsende zum anderen zu jagen, die Hast wird in den Quellen zum Topos und kündigt ein Ideal des vierten Jahrhunderts an175. Irgendwelche persönlichen Züge, die sich noch bei Severus Alexander in dem geplanten Besuch Ägyptens widerspiegeln, fehlen denn auch dieser Reisetätigkeit im Rahmen des stets wechselnden An- und Abmarsches zu bzw. von den Fronten. Lediglich Gallienus hat sich während seiner Alleinherrschaft zeitweise dem von inneren und äußeren Feinden diktierten Reisezwang entzogen; auch in diesem Detail zeigt sich das Besondere des Herrschers, der es inmitten der Stürme des dritten Jahrhunderts wagte, sich Augustus und Hadrian als Vorbilder zu nehmen176. Sieben Jahre lang, von 260/61 bis 267, hat Gallienus durchweg in Rom residiert, unterbrochen lediglich von einer - allerdings fraglichen - Inspektionsreise an die Donau im Jahre 262 und einem Feldzug gegen den gallischen Kaiser Postumus im Jahre 265; ferner hielt er sich Mitte der 60er Jahre als erster Kaiser nach Marc Aurei in Athen auf, um sich, wie dieser und Hadrian und Augustus vor ihm, in die eleusinischen Mysterien einweihen zu lassen. Wie sehr ein solches Verhalten Ausnahmeerscheinung geworden war, beweist die Kritik der Geschichtsschreiber, die uns das Bild eines durch seinen langen Aufenthalt in Rom verweichlichten und degenerierten Kaiser hinterlassen haben. Diokletian hat mit Ausnahme eines längeren, etwa dreijährigen Aufenthaltes in Antiocheia (298/99-301/02) an keinem Platz länger als wenige Monate verweilt177. Diese Unrast bedeutete für den Panegyriker freilich das Zeichen der göttlichen Abkunft: Denn wie im allgemeinen alles Unsterbliche nicht stillstehen kann und sich seine Ewigkeit durch immerwährende Bewegung erhält, so waren im besonderen die Erzeuger der beiden Herrscher, Jupiter und Herkules, durch anspruchsvolle Aufgaben ununterbrochen beschäftigt178. Eine gewisse „Stabilität" in der Reiseaktivität der Kaiser ergab sich allerdings daraus, daß sich im Westen schon unter Maximianus Trier und Mailand als feste Residenzen etabliert hatten, im Osten bald darauf Konstantinopel, wo sich bereits Konstantin der Große seit 329/30 mehr oder weniger ständig aufhielt179. Selten verweilte der Kaiser des vierten Jahrhunderts allerdings das ganze Jahr über in seiner Residenzstadt, die man richtiger oft als ständiges Winterquartier bezeichnen könnte, wo sich der gesamte Regierungsapparat und die kaiserliche Familie aufhielten. Die jahreszeitliche Trennung der Aufgaben haben die Panegyriker in besondere Tugenden der Kaiser umgemünzt: Im Winter genoß die eigene Bevölkerung 174 Zos. 1,36,1. A. Alföldi, Studien zur Geschichte der Weltkrise des 3. Jahrhunderts nach Christus (1967), 142 f. 175 Herodian 3,8,3 ; 3,14,1 ; 4,15,9. - Dexippos fr. 7 (FGrH IIA, 460). - Aur. Vict. Caes. 24,2; 35,1 ; 38,2. Vgl. S. 59 f. 176 A. Alföldi a.O. 238 ff., 417 ff., 424 ff. L. De Blois, The Policy of the Emperor Gallienus (1976), 129 ff. Zu Galliens Reisetätigkeit siehe S. 237 f. 177 Zu Diokletians Itinerar siehe die auf S. 243 angegebene Literatur. 178 Paneg. 3,3,2 f. Siehe W. Seston, Jovius et Herculius ou r„épiphanie" des tétrarques, Historia 1,1950,257 ff. = Scripta varia (1980), 441 ff.; U. Asche, Roms Weltherrschaftsidee und Außenpolitik in der Spätantike im Spiegel der Panegirici Latini (1983), 43 f. 179 Zu Konstantin siehe die S. 244 angegebene Literatur, ferner T. D. Barnes, Lactantius and Rome, JRS 63,1973,36 ff.

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den Segen der kaiserlichen Anwesenheit, im Sommer wurden die Feinde von ihr abgeschreckt. Claudius Mamertinus beschrieb in seiner Dankesrede an Iulianus im Jahre 362 den Herrscher als in dauerndem Kampf befindlich, sowohl gegen äußere Feinde als auch gegen die Laster im Innern: aestates omnes in castris, hiemes in tribunalibus degit. Ita Uli anni spatia divisa sunt ut aut barbaros domitet aut civibus iura restituât, perpetuum professus aut contra hostem aut contra vitia certamenm. Ähnlich sprach Pacatus über Theodosius im Jahre 389 in Rom: miremur in urbibus tuis et a tuis populis te videri, quem fere nulla in solo sua natio externa non vidit idque ita crebro ut paene tarn notus sit barbans vultus iste quam nobis? Nee frustra, cum aestates omnes foris, hiemes domi ducens civibus hostibusquepari sorte anni spatia diviseris.. .181. Wie im dritten Jahrhundert haben die Kaiser auf die Bedrohung der Reichsgrenzen oder Usurpationen sofort mit ihrem persönlichen Erscheinen reagiert. Kaiser Constane, der von 340 bis 350 den gesamten Westteil des Reiches regierte, ist - soweit das lückenhafte Itinerar erkennen läßt - zwischen Pannonien, Oberitalien und Gallien hinund hergeeilt und hat sich nicht gescheut, mitten im Winter 342/43 einen Feldzug nach Britannien zu unternehmen182. Kaiser Valens hat der Goten und Perser wegen drei Jahre in Markianopolis und sechs Jahre in Antiocheia sein Winterquartier aufgeschlagen. Theodosius hat aufgrund der militärisch angespannten Situation auf dem Balkan nach der Niederlage bei Hadrianopel (378) zunächst in Thessalonike (379/80) residiert, dann aber im wesentlichen ununterbrochen in Konstantinopel mit Ausnahme seines Italienaufenthaltes in den Jahren 387-391183. Sofern weder Usurpationen noch die akute Bedrohung anderer Reichsgrenzen den Kaiser von seinem Aufenthaltsort wegriefen, spielte sich die Reiseaktivität in sehr geregelten Bahnen ab. Sie trug zwar einer augenblicklichen militärischen Lage Rechnung, folgte aber dem Schema des sommerlichen Feldzuges und des winterlichen Quartiers in einer grenznahen Stadt. Valentinian bewahrte fast während seiner gesamten Regierungszeit zuerst in Reims (365-367), dann in Trier (367-375) seine Residenz, von wo aus er im Sommer am Rhein Krieg führte oder persönlich den Aufbau der neuen Verteidigungslinie überwachte184. Auch Theodosius inspizierte mehrere Male (381, 384, 386) von Konstantinopel aus Thrakien und die untere Donaugrenze. Constantius II. hat zwölf Jahre lang (338-350) in Antiocheia residiert und jeden Sommer einen Feldzug nach Mesopotamien unternommen; erst der Tod seines Bruders und die Erhebung des Magnentius riefen ihn in den Westen, wo er zunächst in Sirmium (350-52), dann in Mailand (352-57) sein Hauptquartier aufschlug. Auch von Oberita-

180 Paneg. 11,4,6 f. 181 Paneg. 12,22 (Sommer 389). 182 Zu Constans siehe S. 244. Die in ihren Legenden und Motiven ansonsten so gleichförmige Münzprägung des vierten Jahrhunderts spielte auf dieses Unternehmen in einer einzigartigen (stadtrömischen) Prägung an, in der sie den Kaiser im Kriegsgewand mit Schild und Speer bewaffnet in einer Galeere zeigt und in der Legende auf den Einschiffungshafen verweist: BONONIA OCEANEN (RIC VIII35,283 Nr. 338). 183 Siehe die S. 244 angegebene Literatur. 184 Zu Valentinians Tätigkeit am Rhein siehe H. v. Petrikovits, Die Rheinlande in römischer Zeit 202 ff., 335 ff.; ders. in: J. E. Bogaers - Chr. B. Rüger (Hg.), Der niedergermanische Limes, Materialien zu seiner Geschichte (1974), 23.

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lien aus zog er fast regelmäßig für kurze Zeit ins Feld an die Rheingrenze185. Es stellte sich aber damals heraus, daß ein Alleinherrscher, wie es Constantius seit dem Tode des Magnentius im Jahre 353 war, unmöglich die Politik einer ständigen Präsenz an den bedrohten Reichsgrenzen durchhalten konnte. Ende 355, nach der Usurpation des Silvanus in Gallien und der Eroberung Kölns durch die Franken, entschloß er sich, seinen Vetter Iulianus zum Caesar zu ernennen und ihm die Ordnung der gallischen Verhältnisse anzuvertrauen. Ammianus gibt die interessante Begründung, Constantius habe damals seine Residenz in Italien beibehalten wollen, weil er einen Aufbruch in eine so weit abgelegene Gegend für gefahrlich erachtete - gefahrlich deshalb, weil er den anderen bedrohten Grenzen in Pannonien und Mesopotamien dadurch noch ferner sein würde186. Die Panegyriker haben in diesem Zusammenhang nicht nur die zeitliche Äquivalenz von Sommerfeldzug und winterlicher Ruhe zur Demonstration der gleichwertigen Kriegs- und Friedenstugenden des Herrschers bemüht, sondern auch die Topographie: Claudius Mamertinus berichtet über die auch durch andere Quellen187 bezeugte schnelle Donaufahrt des Iulianus aus Rätien nach Sirmium im Sommer 361; trotz seines Tempos gelang es dem Kaiser, die links des Flusses wohnenden Barbaren durch seine Anwesenheit in Schrecken zu jagen und gleichzeitig die rechts des Ufers liegenden Städte zu besuchen und ihre Angelegenheiten zu regeln. Der Bericht über die jubelnde Stadtbevölkerung einerseits, die kniefälligen Barbaren andererseits ist sicher übertrieben - wenn er überhaupt wahr ist; in Wirklichkeit verfolgte Iulian einzig das Ziel, durch einen Überraschungscoup möglichst ungehindert die Constantius ergebenen Provinzen in Besitz zu nehmen und nach Konstantinopel vorzudringen; die schematische Darstellung zeigt aber, wie die Kaiser ihre Reisen interpretiert wissen wollten: ut uno eodemque tempore et comporterei fidissimarum provinciarum statum et barbariam omnem admoto proprius terrore percelleret™. Nahezu alle Herrschertugenden, die die Panegyriker mit dem Erscheinen des Kaisers an bestimmten Orten in Verbindung bringen, lassen sich in irgendeiner Form bis in die frühe Kaiserzeit oder gar in die hellenistische Zeit zurückverfolgen; einzigartig war aber die Intensivierung und Aktualisierung jener Idealvorstellungen angesichts der tatsächlichen Notlage vieler Provinzen im dritten und vierten Jahrhundert. Die Reflexionen der Panegyriker berühren also keineswegs individuelle, sondern ein Panorama allgemein gültiger, auf jeden Herrscher übertragbarer Tugenden. Welche Erwartungen beispielsweise von seiten der Untertanen dem Kaiser entgegengebracht wurden, erhellt aus dem Bemühen des unbekannten Redners aus Augustodunum, den in Trier weilenden Konstantin zu einem Besuch in seiner Heimatstadt zu bewegen (310); diese litt noch immer an den Nachwehen des Krieges unter Claudius Gothicus gegen Postu185 Zu Constantius II. siehe S. 244. Zu den Vorgängen an der Rheingrenze siehe v. Petrikovits, Rheinlande 188 ff., 334 f. mit Literatur. 186 Amm. Marc. 15,8,1 :... ipse in Italia residens, ut cupiebat - periculosum enim existimabat se in partem contrudere longe dimotam... Anders Straub, Herrscherideal 55, der die von Ammian gegebene Begründung als subjektiv gefärbtes Urteil des Autors deutet. 187 Amm. Marc. 21,9,2;Greg. Naz. or. 4,46 f. 188 Paneg. 11,6 f. ; siehe H. Gutzwiller, Die Neujahrsrede des Konsuls Claudius Mamertinus vor dem Kaiser Julian (1942), 132 ff.

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mus. Der Anblick des Kaisers alleine würde sie wieder aufrichten: ideoque hoc votis meis sufficit utpatriam meam videas ducente pietate, quia statim erit restituta, si videris (Paneg. 7,22,7). Überschäumend war die Freude der Stadt, als der Kaiser im Jahre 311 tatsächlich einen Abstecher nach Augustodunum unternahm; ihm gereichte es zu noch größerem Ruhm, seine darbenden Untertanen zu besuchen, als es bei den Glücklichen ohnehin der Fall war: boniprincipis est libentersuos videre felices, sed mêlions invisere etiam laborantes (Paneg. 8,7,). Die Einzelheiten des Bildes vom glückbringenden Kaiser an dieser Stelle und anderswo189 sind sicher übertrieben und schon aus dem Adventuszeremoniell bekannt (siehe S. 143 ff.), doch läßt sich zu keiner anderen Zeit als im ausgehenden dritten und im vierten Jahrhundert ein so enger Bezug konstatieren zwischen der Person des Kaisers und den segensreichen Folgen für den Ort, an dem er sich gerade aufhielt. Die Untertanen empfanden den Besuch des Herrschers als besonderes Geschenk und schrieben ihn seiner pietas zu190. Zu einem beliebten Topos, den auch Menander in seinen Ratschlägen für die Formulierung von Empfangsreden anführte191, entwickelte sich in diesem Zusammenhang der Vergleich des Herrschers mit der Sonne, die die Dunkelheit vertreibt und alles Daniederliegende zu neuem Leben erweckt (vgl. S. 149 f.): Wenn der Kaiser erscheint, weichen Kälte, Eis und Schnee, der Frühling hält Einzug, seiner Route folgen die Strahlen der Sonne (Paneg. 3,9); den in Sirmium und Antiocheia einziehenden Iulianus verglichen die Bewohner mit einem sidus salutare (Amm. Marc. 21,10,2; 22,9,14). Das Verb illustrare begegnet fast regelmäßig zur Würdigung des kaiserlichen Besuches192. Auch Eusebius bediente sich dieses gerade für die christliche Symbolik so passenden Vergleichs, wenn er Konstantin mit der Sonne gleichsetzte: Der Kaiser sandte seine Strahlen in die entlegensten Gegenden des Reiches; seine Söhne waren Träger und Vermittler des von ihm ausgehenden Glanzes. Wie Helios lenkte er das Viergespann seiner Caesaren und jagte über die ganze Erde, er zeigte sich so allen seinen Untertanen und sah überall ordnend nach dem Rechten193. Eine weitere Tugend, die sich panegyrischer Beliebtheit erfreute, war die Schnelligkeit194. Plinius (pan. 80,3) hatte Trajan mit einem schnellen Gestirn verglichen, das eilte, alles zu sehen und zu hören, sofort da zu sein, wenn es gerufen wurde. Die wichtigsten Helfer bei der Erfüllung der Aufgabe, die kaiserliche Präsenz allgegenwärtig zu halten, waren die Caesaren als apparitores non resides sed ultro citroque discurrentes (Amm. Marc. 14,11,10). Kaiser Gratians Geschwindigkeit im Durchmessen großer Entfernun189 Vgl. etwa Paneg. 3,9 (aus dem Jahre 291): ad itinera vestra derecti solis radii sequebantur (siehe unten). 190 Paneg. 3,12,3; vgl. 7,22,7. R. H. Storch, The XII Panegyrici Latini and the Perfect Prince, AClass 15,1972,73 f. ; S. G. MacCormack, Art and Ceremony in Late Antiquity (1981), 30,33. 191 Περί επιδεικτικών 378,22 f. (Spengel, Rhet. Gr.) = Russell-Wilson, Menander Rhetor (1981),94. 192 Paneg. 2,3,3 (conlustrare); 2,14,3; 3,4,2; 8,7,4; vgl. 7,7,5 und 8,7,4. Zur Anlehnung an das griechische έπιλάμπειν siehe S. 150. 193 De laude Const. 3,4. Siehe Straub, Herrscherideal 131 f.; H. A. Drake, In Praise of Constan­ t i ^ (1976), 159. 194 W. Hartke, Römische Kinderkaiser (1951), 308 ff., untersucht den Topos für die Ankunft des Kaisers in Rom; er verweist weiterhin auf W. S. Maguiness, Hermathena 47,1932,55 f., wo die weiteren panegyrischen Belege gesammelt sind.

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gen und natürlicher Hindernisse waren für Ausonius Anlaß, diese über die kühnen Beispiele der griechischen Sage zu erheben: nulla requie otii, ne somni quidem aut cibi munere liberali (grat. actio 81 f.). Die Tugend der Schnelligkeit durfte jedoch nicht zur Vernachlässigung der von der Reise berührten Landstriche und Städte führen; so beeilte sich Claudius Mamertinus, in seiner bereits erwähnten Schilderung der Donaufahrt Iulians hervorzuheben, daß der Kaiser trotz des rasanten Tempos Zeit für seine Untertanen gefunden habe195. Bezeichnend ist es in diesem Zusammenhang, daß man auch ein gegenteiliges Verhalten des Kaisers, sich also nicht fortwährend an verschiedenen Orten zu zeigen, geradezu entschuldigte und mit anderer Argumentation ins Positive kehrte: so Symmachus in seiner im Jahre 369 gehaltenen laudatio auf Valentinian. Der Kaiser hatte sich zunächst in Mailand aufgehalten (364/65), war aber infolge der Bedrohung Galliens durch die Franken von Gesandtschaften bedeutender Städte nach Norden gerufen worden und hatte von 365 bis 367 in Reims, ab 367 in Trier residiert, wo er sich ausschließlich der Sicherung der Rheingrenze widmete196. Symmachus entschuldigte nun die Vernachlässigung der anderen Provinzen damit, daß der Kaiser deren Verhältnisse von früher Jugend an kenne und alleine deshalb sie zu schützen imstande wäre. Im Augenblick wirke Valentinian wie ein Gott, der alles sehe, alle Teile des Reiches kenne (siehe S. 150 f.)197. Um Valentinian über alle seine Vorgänger zu heben, lobte ihn Symmachus dafür, daß er bereitwillig und ausschließlich in den am härtesten bedrängten Provinzen, in diesem Fall Gallien, verweile, womit er außerdem sein Fehlen in anderen Provinzen entschuldigte, die möglicherweise einen angenehmeren Aufenthalt böten. Augustus warf er das süße Leben in Baiae, Tiberius seine Ausflüge in divorsiis insularum, Pius die otia Caietana, Marc Aurei sein Philosophieren im Lykeion und der Akademie vor198. Die Präsenz der Kaiser an bestimmten, wechselnden Orten erforderte die utilitas rei publicae, das Staatswohl, das natürlich in erster Linie von der militärischen Sicherheit des Reiches abhing. Der Panegyriker stellte bedauernd fest, daß das Zusammensein Diokletians und Maximians in Mailand nicht allzu lange dauern könne, da die utilitas rei publicae die Herrscher zu ihren Heeren rufe (Paneg. 3,12,3). Den Neid der Hauptstadt Rom auf die neue Rivalin Trier, in der Maximianus seinen Geburtstag feierte, mußte Mamertinus mit der ratio rei publicae besänftigen; ähnlich stillte der Panegyriker die Sehnsucht Roms nach den Söhnen Konstantins, die die ratio rei publicae zur Abreise zwang (Paneg. 2,14,3; 10,38,6). In anderem Zusammenhang, als sich Constantius II. in einem Schreiben an seinen Prätorianerpräfekten über die Knappheit an Zugund Packtieren beklagte, begründete er seine Reisetätigkeit allgemein mit der utilitas publicaÇ .. quod nosiris itineribus, quos utilitas publica movet,.. .)199. 195 Paneg. 11,7,3: Qui properationem illam contemplabitur, nihil egisse praeter viam imperatorem putabit; qui gestarum rerum multitudinem considerable properasse non credei Zu Iulians beinahe sprichwörtlicher Schnelligkeit siehe auch Amm. Marc. 26,5,11. 196 Amm. Marc. 26,5,4 u. 12; siehe Anm. 184. 197 Symm. laud, in Valent, sen. Aug. 1,1 ; vgl. auch Paneg. 3,13,5 auf Diokletian und Maximian (291): Neque enim pars ulla terrarum maiestatis vestrae praesentia caret, etiam cum ipsi abesse videamini. 198 Symm. a.0.15 f. 199 Cod. Theod. 8,5,3 (339); von Trajan sagt Plinius (ep. 3,20,12): Qui pro utilitate communi solus omnium curas laboresque suscepit. Zur Wahrung ihrer utilitas publica schickt die

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Jede Bedrohung eines Reichsteiles durch Barbaren mußte die sofortige Anwesenheit des Kaisers verlangen und ihn aus der Ruhe seiner Residenz hinwegrufen; so verließ Valentinian IL im Jahre 392 kurz vor seinem Tode Gallien in Richtung Oberitalien: venire properabat, cupiens Gallicana dimittere otia (in Vienna) et pericula nostra suscipere200. Wie der Segen bei den Untertanen verbreitete sich Furcht und Schrecken bei den äußeren Feinden, wenn der Kaiser in persona vor Ort weilte; der Konstantinspanegyriker urteilte beispielsweise hinsichtlich der Germanengefahr im Jahre 310 . . . neque enim Rheni gurgitibus, sed nominis tui terrore munimur201, oder Ammianus schrieb die Friedensbereitschaft der Goten im Jahre 369 nur der langen Anwesenheit des Valens am Kriegsschauplatz zu202. Ganz entscheidend war natürlich die Anwesenheit des Kaisers für die Kampfmoral der Truppen. Der Panegyriker des Caesar Constantius wies diesem dank seines persönlichen Beispiels die Rolle eines hortator und impulsor des kriegerischen Unternehmens zu und belächelte ironisch die delicata félicitas derjenigen Herrscher, die, in Rom weilend, ihre Triumphe und Siegertitel durch Erfolge ihrer Feldherren errungen hatten; namentlich nannte er Antoninus Pius, dem der berühmte Redner Fronto das Lob zuerkannt habe, den Krieg in Britannien beendet zu haben, quamvis ille in ipso urbis palatio residens gerendi eius mandasset auspicium (Paneg. 4,14,1 ff.). Die Tatsache, daß Rom zwar noch ideell, aber nicht mehr faktisch den Mittelpunkt des Imperium Romanum bildete, hat die zeitgenössischen Reflexionen über die Kaiserreisen zu einem großen Teil eingebettet in die geistige Auseinandersetzung über die Rolle der alten Reichshauptstadt in der veränderten politischen Situation des vierten Jahrhunderts und auf dem Hintergrund christlicher und heidnischer Geschichtsapologetik203. Die Panegyriker haben die Aufenthalte der Kaiser öfters aus dem Blickwinkel Roms bewertet und gingen von vorsichtiger Mahnung, Rom als Residenz nicht ganz zu vergessen, bis zu kaum verhohlener Kritik an den nur sporadischen Aufenthalten, die sie der Stadt noch schenkten. In diokletianisch-konstantinischer Zeit haben die Lobredner Rom mit dem Hinweis darauf zu trösten versucht, daß die kaiserliche Präsenz an anderen Orten diesen die gleiche maiestas und damit den gleichen Anspruch auf Vorrechte, die früher nur Rom zugekommen seien, verleihe204. Am Ende des dritten Provinz Gesandtschaften an den Kaiser (ILS 6926 = G. Alföldy, Die römischen Inschriften von Tarraco [1975] 330): .. .provincia Hispania citerior ob causas utilitatesque publicas fldeliter et constanter defensas. 200 Ambros. de obitu Valent, consolatio 22; ebenso Paneg. 4,6,1 über die Einnahme Gesoriacums durch Constantius: ... illa celeritas, qua omnis ortus atque adventus tui nuntios praevertisti. 201 Paneg. 7,11,1. Zur Tradition dieser Vorstellung und zum Folgenden siehe Hartmann, Herrscherwechsel und Reichskrise (Anm. 167) 145 ff. 202 Amm. Marc. 27,5,7. Die Gallier beschworen Valentinian im Jahre 365, ihr Land angesichts der Alamannengefahr nicht zu verlassen und gegen den Usurpator Procopius zu ziehen: ne in rebus duns et dubiis impropugnatas eas relinqueret, quas praesens eripere poterit discriminibus maximis... (Amm. Marc. 26,5,12). 203 Siehe etwa Straub, Herrscherideal bes. 175 ff.; M. Fuhrmann, Die Romidee in der Spätantike, HZ 207,1968,529 ff. 204 Paneg. 2,14,3; 3,12,2. Mamertinus ging 289 noch davon aus, daß Diokletian und Maximian bald triumphierend nach Rom zurückkehrten und auf dem Palatin ihre Residenz beziehen würden (Paneg. 2,13,2).

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Jahrhunderts deutet die Dedikationsinschrift der Diokletiansthermen (ILS 646) an, wie außergewöhnlich die Anwesenheit des Kaisers in Rom empfunden wurde: Maximianus war 298 oder 299 von einem Feldzug in Afrika zurückgekehrt und stattete der Hauptstadt seinen ersten Besuch als Kaiser ab205; die Inschrift betont denn auch ausdrücklich quas (sc. thermos) Maximianus Aug. rediens ex Africa sub praesentia maiestatis disposuit ac fieri iussit, eine im ersten und zweiten Jahrhundert kaum vorstellbare Hervorhebung der kaiserlichen Präsenz in Rom, da sie damals bei solchen Anlässen üblich war. Für Symmachus erschienen, von Rom aus gesehen, Valentinian und Valens wie zwei Grenzwächter, der eine die Germanen, der andere die Perser in Schach haltend206. Im Jahre 404 fragte Claudius Claudianus durch den Mund der Roma quem... adfinem Laribus seiuncta potestas / exulat imperiumque suis a sedibus errat? Wie Beispiele aus der Geschichte zeigten, könnten fremde Völker auch von Rom aus beherrscht werden und hier ihre Friedensverträge erhalten; er rechnete nüchtern vor, daß in den letzten hundert Jahren nur drei Kaiserbesuche in Rom stattgefunden hätten, und dies auch nur aus dem traurigen Anlaß, den Sieg in einem Bürgerkrieg zu feiern: . . . eadem sed causa trophaei civilis dissensus erat. Er dachte offenbar an Konstantin im Jahre 312, Constantius II. im Jahre 357 und Theodosius im Jahre 389207. Die Kaiser haben nicht dringendere Aufgaben, etwa schwere Feldzüge wie im dritten Jahrhundert, daran gehindert, Rom öfters zu sehen; doch hatten sich in diesem Jahrhundert die Bindungen zwischen Hauptstadt und Kaiser so weit gelöst, daß Rom für die Kaiser des vierten Jahrhunderts trotz einer neu erwachenden Romideologie nur noch antiquarischen Wert besaß, wo man Erinnerungen wachrufen, aber keine neue Kraft mehr schöpfen konnte. Valentinian II. hatte elf Jahre lang (378-389) in Mailand residiert, ohne Rom ein einziges Mal zu sehen; auch Honorius, der seit 395 in Mailand, ab 402 in Ravenna residierte, ließ sich erst nach langem Drängen im Jahre 403 zu einer Romreise bewegen, wo er am 1. Januar 404 seinen sechsten Konsulat antrat208. Mit den Söhnen des Theodosius kann das Kapitel über die Reisetätigkeit der Kaiser geschlossen werden, da sich Arcadius und Honorius und ihre Nachfolger von ihren Höfen in Ravenna und Konstantinopel nicht mehr entfernten. Als sich Arcadius einmal außerhalb des Palastes zeigte, löste sein Erscheinen angesichts des seltenen Ereignisses einen Volksauflauf aus209. Daß das Kaisertum diese Abkapselung des Herrschers politisch überlebte, verdankte es im wesentlichen der im Laufe des vierten Jahrhunderts wiedererstarkten Macht des dynastischen Gedankens, der zwischen Armee und Herrscher starke Loyalitätsbande knüpfte. Die charismatische Entrückung 205 Zu Maximians Aufenthalten in Rom siehe C. E V. Nixon, Phoenix 35,1981,70 ff. 206Symm. laud, in Valent, sen. Aug. 1,14; vgl. Themistios or. 6 (p. 89 f. Dindorf = 111 f. Downey). 207 Claudian paneg. de sexto cons. Honorii 407 f., 413 ff., 394 ff. - Straub, Herrscherideal 197; A. Cameron, Claudian. Poetry and Propaganda at the Court of Honorius (1970), Kap. XII; S. Döpp, Zeitgeschichte in den Dichtungen Claudians (1980), 229 ff.; W. Enßlin, War Theodosius I. zweimal in Rom? Hermes 81,1953,504 f.;T. D. Barnes, Constans and Gratian in Rome, HSPh 79,1975,325 ff., bes. 330. 208 Claudian a.O. 331-357. Symmachus hatte schon 397 die Forderung nach einem Rombesuch erhoben (ep. 6,52). 209 Socr. h. e. 6,23,5.

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der Herrscher aus den Augen der Untertanen wurde durch das jugendliche Alter der Kaiser seit Valentinian II. und die dadurch mächtiger werdende Hofbeamtenschaft im Osten bzw. die Heermeister im Westen weiter gefördert. Infolge der Unbeweglichkeit, ja Unsichtbarkeit des Kaisers verabsolutierte sich das Kaisertum für die Provinzialbevölkerung zu einer lästigen Institution ohne sichtbaren Bezug zu den Untertanen; auf die unterschiedlichen Folgen dieser Entwicklung in Ost und West muß hier nicht eingegangen werden210. Dem neuen Zustand paßte sich die unerschütterliche Tradition des Herrscherideals an; Claudian begründete die Immobilität mit der Forderung nach der Unversehrtheit des Herrschers, der sich keiner direkten Gefahr im Kriege auszusetzen habe, ja für den es unwürdig sei, persönlich gegen Barbarenvölker anzutreten211. Ausgewogener und den Realitäten eher Rechnung tragend war dagegen die Rede des Synesios, die er im Jahre 399 vor Arcadius in Konstantinopel gehalten hat212. Dem damals 22jährigen Arcadius hielt er zunächst die schädliche Palastatmosphäre vor Augen, die von einer Hofkamarilla erzeugt werde, deren oberstes Ziel es sei, den Kaiser von den im Reich stattfindenden Ereignissen abzuschirmen. Die leere äußere Prunksucht des Hofes stehe in krassem Widerspruch zu den Bedürfnissen des Reiches, das einen tatkräftigen Herrscher an der Spitze der Truppen zu sehen wünsche; stattdessen liege der Schutz der Bevölkerung in den Händen barbarischer Generäle und Soldaten213. Die Aufrechterhaltung des Friedens erfordere die Präsenz des Kaisers in zweierlei Hinsicht: einmal als Heerführer, da der Krieg die Vorbedingung zur Wiederherstellung des Friedens sei, andererseits müsse er sich den Provinzen und Städten zeigen und sie den Segen seiner persönlichen Anwesenheit spüren lassen214. Synesios klammerte sich jedoch nicht an das Ideal des allgegenwärtigen Herrschers; vielmehr fühlt man sich an Aristides' Romrede erinnert, wenn er dem Kaiser konzedierte, daß er nicht jeden Ort, jeden Mann und jeden Streitfall persönlich kennenlernen könne; um so wichtiger seien die Statthalter - wenige, aber dafür gute - als Vermittler der kaiserlichen Fürsorge und die Gesandtschaften von sehen der Untertanen, die ihn über die Probleme in den entlegensten Winkeln des Reiches unterrichteten215. Synesios stand mit seiner kritischen Sicht bezüglich der Stellung des Kaisers nicht alleine, sondern im Einklang mit einer sich um 400 schärfer artikulierenden Kritik am 210 O. Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt2 (1920), V 264 ff. ; E. Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches I (1928), 345 mit dem Hinweis, daß erst 200 Jahre später der erste oströmische Kaiser (Mauricius im Jahre 592) wieder persönlich an einem Feldzug teilgenommen hat. A. H. M. Jones, The Later Roman Empire (1964), I 174 ff.; E. Demougeot, De l'unité à la division de l'empire romain 395-410 (1951), 495 ff. 211 Claudian de bello Gild. (carm. 15) 381 ff.; siehe Straub, Herrscherideal 31 f., 69 f. Vgl. schon des Tiberius Argumentation anläßlich des Sacroviraufstandes (siehe S. 31), ferner Paneg. 9,9,6 und Amm. Marc. 14,5,4. 212 Ch. Lacombrade, Le discours sur la royauté de Synésios de Cyrène (1951); G. Albert, Goten in Konstantinopel. Untersuchungen zur oströmischen Geschichte um das Jahr 400 n. Chr. (1984), 47 ff. 213Synes. Περί βασιλείας 14 f. (Terzaghi) = Migne PG 66 p. 1077. Siehe auch Straub, Herrscherideal 205 f. ; ders., Die Wirkung der Niederlage bei Adrianopel auf die Diskussion über das Germanenproblem in der spätrömischen Literatur, Philologus N. F. 49,1943,279 ff. = Regeneratio imperii 214 ff. 214 22 f. (Terzaghi) = p. 1100 (Migne). 215 27 (Terzaghi) = p. 1104 (Migne).

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princeps clausus, die sich zuerst beim anonymen Autor der Historia Augusta feststellen läßt216. Eine an sich uralte Tradition des Herrscherideals, die den sich von der Umwelt abkapselnden Herrscher in die Nähe des Tyrannen rückte, erlangte angesichts der politischen Entwicklung des Kaisertums im vierten Jahrhundert wieder Aktualität und wurde mit den regierenden Herrschergestalten in Beziehung gesetzt. Die Kritik lebte nicht nur von der panegyrischen Lobpreisung der Allpräsenz des Kaisers, sondern auch von den tatsächlich traurigen Folgen der Immobilität für das Reich und seine Bewohner. Mit einem besonderen Blick auf Gallien klagte Sidonius Apollinaris im Jahre 458 vor Kaiser Maiorianus (carm. 5,358 ff.): Ex i//o(seit der Zeit des Theodosius) multum periti, quia principe clauso, quisquis erat, miseri diversis partibus orbis vastari sollemnefuit. Quae vita piacerei, cum rector moderandus erat?

216 K. F. Stroheker, Princeps clausus. Zu einigen Berührungen der Literatur des fünften Jahrhunderts mit der Historia Augusta, in: Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1968/69 (1970), 273 ff.

IL PLANUNG UND ORGANISATION 1) REISEWEGE UND REISEZIELE Da die Reisen der römischen Kaiser zu Lande in der Regel den Charakter großer Überlandreisen trugen, die von Rom oder einer anderen Residenzstadt aus möglichst schnell zum Reiseziel führen sollten, folgten sie in der Streckenführung den großen Fernverbindungsstraßen217 des Reiches. Dabei handelte es sich meist um Verkehrswege, die schon in vorrömischer Zeit von Bedeutung waren, die die Römer dann ihren militär-strategischen Interessen gemäß ausbauten und auf denen durch vielerlei organisatorische Maßnahmen ein möglichst schnelles Vorwärtskommen garantiert werden sollte. Ein Abweichen von den historisch gewachsenen Verbindungsstraßen verhinderte das schwierige Versorgungsproblem, das man eben nur dadurch lindern konnte, indem man möglichst große Distanzen in möglichst kurzer Zeit zurücklegte. Die Orte, in denen der Kaiser länger verweilte, also in Winterquartieren oder anderen Residenzen, lagen deshalb bevorzugt entweder am Meer bzw. in unmittelbarer Nähe des Meeres (Alexandreia, Antiocheia, Nikomedeia, Byzantium, Thessalonike, Athen, Tarraco) oder an wichtigen Flußläufen (Sirmium, Carnuntum, Lugdunum), wo der Schiffstransport das Nachschubproblem wesentlich entschärfte. Am Beispiel Antiocheias lernen wir in detaillierterer Form die Vorzüge kennen, die eine Kaiserresidenz besitzen mußte (Lib. or. 15,16): ein großes bewirtschaftetes Territorium, das eine hinreichende Versorgung für die Bürger, Metöken, fremden Besucher, den Kaiser und sein Heer gewährleistete, ferner ein vielfältiges Gewerbe, eine Menge Kaufleute, Wasserquellen, einen Fluß, einen milden Winter und einen erträglichen Sommer, schließlich ein von Fruchtbarkeit gesegnetes Land. Umgekehrt konnte sich, wenn mangelnde Vorausplanung und schwierige wirtschaftliche Verhältnisse zusammentrafen, die Suche nach einem Quartier zu einer verzweifelten Aktion gestalten: Kaiser Valentinian bot sich im Jahre 375 im nördlichen Pannonien keine zum Überwintern geeignete Stadt an; nur in Savaria, obwohl invalida assiduisque malis afflicta, konnten sich der Kaiser und sein Heer für kurze Zeit aufhalten218. Eine willkommene Alternative bildete das Reisen zur See, die nicht nur schnellere, sondern in der Regel auch angenehmere Reiseart. Augustus hat, wenn es irgendwie möglich war, sein Reiseziel stets zur See erreichen wollen (Suet. Aug. 82,1). Von Claudius und Hadrian wissen wir, daß sie auf ihrem Wege nach Gallien das erste Stück bis Massilia zu Schiff zurücklegten, um dann rhoneaufwärts Lugdunum zu 217 Zu den wichtigsten Fernstraßen des Imperiums siehe Friedlaender, Sittengeschichte I 320 ff., und R. Chevallier, Les voies romaines (1972). Zur Definition der viae publicae und viae militares siehe Th. Pekary, Untersuchungen zu den römischen Reichsstraßen (1968), 1 ff., und J. Sasel, in: Studien zu den Militärgrenzen Roms II (1977), 235 ff. 218 Amm. Marc. 30,5,14; siehe L. Balla, Savaria invalida. Bemerkungen zur Geschichte der Städte in Pannonien unter Valentinianus I., ActaUnivDebrec 2,1963,35 ff.

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Planung und Organisation

erreichen. Selbst zur Anreise auf den dakischen Kriegsschauplatz wählte Trajan ein Stück des Weges als Seereise über die Adria. Bis einschließlich auf L. Verus haben die Kaiser, wenn sie von Rom aus nach Syrien aufbrachen und von dort nach Rom zurückkehrten, nur den Seeweg genutzt, der schneller und, da er über die Kulturzentren Griechenlands und Kleinasiens führte, auch der interessantere war. Athen bildete schon in republikanischer Zeit eine beliebte Zwischenstation für die in die östlichen Provinzen reisenden Beamten219. Längere Strecken über das offene Meer, die den Reiseweg noch mehr verkürzt hätten, wurden gemieden; lediglich Titus scheint aus Alexandreia direkt nach Italien zurückgesegelt zu sein. Im Zusammenhang mit Caligulas geplanter Reise nach Alexandreia berichtet Philo (leg. ad Gaium 250 f.), daß einer solchen Fahrt einmal das größere Sicherheitsrisiko für den Kaiser entgegenstünde, dann der Aufwand einer großen Begleitflotte, die wegen fehlender Nachschubhäfen zum Transport der Verpflegung notwendig war, und schließlich die Unbequemlichkeit, längere Zeit auf einem Schiff zubringen zu müssen. All dies umging man durch die Route entlang der Küste, wo man nach Bedarf Nachschub aufnehmen und Landgänge unternehmen konnte. Da die Küstenstädte zudem jederzeit Schutz vor Stürmen boten, konnte man eine solche Reise notfalls auch während des Winters durchführen: So segelte Trajan noch im Dezember entlang der kleinasiatischen Südküste nach Syrien (siehe S. 184 f.). Zu Lande war der Kaiser in jedem Fall an die Benutzung der viae publicae gebunden, da sie erstens zu den besser ausgebauten Straßen gehörten und zweitens nur an ihnen der cursus publiais unterhalten werden mußte. Aus drei Zeugnissen des dritten Jahrhunderts, aus der Regierungszeit Caracallas, Gordians und des Philippus Arabs220, kennen wir die Klagen seitens der abseits der Hauptstraßen gelegenen Dörfer über Soldaten und Beamte, die widerrechtlich die Hauptverbindungsstraßen verlassen hatten und sich in den betreffenden Ortschaften mit dem Notwendigen versorgten. Wir hören dabei von Hauptstraßen (λεωφόραι οδοί) und „Königsstraßen" (βασιλικού οδοί), die im technischen Sinn beide nichts anderes als viae publicae sind221. Daß sich allerdings die Reisetätigkeit der Kaiser praktisch nur auf ganz wenigen Fernstraßen abspielte, weit weniger, als der cursus publiais bedienen mußte, liegt darin begründet, daß sich Ausgangspunkt und Endpunkt der Reisen beschränkten auf Rom einerseits, andererseits die am meisten bedrohten Reichsgrenzen an Rhein, mittlerer und unterer Donau und am Euphrat. Freilich kennen wir nicht in jedem Fall den genauen Weg der Hin- und Rückreise, aber anhand der zufällig erhaltenen Einzelangaben kann man auf ein ziemlich feststehendes Itinerar schließen. Von Rom aus benutzten die Kaiser für Landreisen nach Gallien und auf den Balkan die via Flaminia, reisten sie zu Schiff in den Osten, die via Appia bzw. Traiana nach Brundisium222. Von Oberitalien aus führte der direkte Weg an die Rheingrenze, den 219 J. P. V. D. Baisdon, Romans and Aliens (1979), 44. Zu den Reiserouten zur See siehe Friedlaender, Sittengeschichte 1334 ff. 220 CRAI 1952, 592 f.; IGBulg IV 2236; OGIS 519. Siehe M. Rostovtzeff, Social and Economic History 478 f. mit Anm. 26-27. 221 Pekâry, Reichsstraßen 13 Anm. 47. 222 Siehe den Forschungsbericht von H. E. Herzig, Probleme des römischen Straßenwesens, ANRWII1 (1974), bes. 619 ff., 626 ff.

Reisewege und Reiseziele

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Caligula und Domitian vermutlich eingeschlagen haben, über den Großen St. Bernhard und Aventicum nach Augusta Raurica, nach Innergallien über den Mt. Genèvre, den die Armee des Vitellius im Jahre 69 nahm223. An die mittlere und untere Donau gelangte man von Aquileia aus über die Mischen Alpen nach Emona, von dort entweder weiter nordostwärts nach Aquincum oder Carnuntum oder südostwärts nach Siscia und Sirmium224. Vom Mittelabschnitt des Donaulimes, in Viminacium, zweigte die Militärstraße ab, die direkt über Naissus, Serdica, Philippopolis, Perinthos nach Byzantium führte225. Diese Straße setzte sich in Kleinasien fort in der „Pilgerstraße", die von Nikomedeia/ Nikaia aus über Ankyra, Tyana zu den Kilikischen Pforten das Land von Nordwesten nach Südosten durchquerte; diese Straße ist wahrscheinlich erst unter den Flaviern gepflastert worden226. Der erste Kaiser, der diese Strecke von Syrien aus bis zum Balkan zurücklegte, ist Hadrian im Jahre 117/118 gewesen. Seit den Severern ist sie die wichtigste und von den Kaisern einzig benutzte Route zwischen der Donau- und Euphratgrenze geworden. Die Strecke zwischen Europa und Asien hat man, wie unter Septimius Severus und Caracalla bezeugt, zu Schiff wohl von Perinthos aus zu einem der Häfen an der Propontis (Nikomedeia, Kyzikos) überbrückt. Neben den Fernverbindungen waren die Limesstrecken die von den Kaisern am stärksten frequentierten Straßen. Während der Feldzüge bleiben Details hierüber nahezu unbekannt, dagegen wissen wir von systematischen Besichtigungsreisen, seit Trajan im Jahre 98/99 den Donaulimes entlangfuhr und Hadrian planmäßig jeden Limesabschnitt des Reiches bereiste. Seit Septimius Severus dienten solche Reisen, namentlich entlang des Donaulimes, nicht nur militärischen, sondern in mindestens ebenso starkem Maße machtpolitischen Zwecken. Hier, wo die stärksten zusammenhängenden Heeresverbände konzentriert waren, bestand die größte Gefahr, wie die Geschichte des dritten Jahrhunderts auch beweist, daß sich, gestützt auf diese Macht, Gegenkaiser erhoben. Severus kannte diesen Machtfaktor aus eigener Erfahrung; es ist bezeichnend, daß er nach dem ersten und nach dem zweiten Partherkrieg nicht zur See nach Italien zurückkehrte, sondern den Weg über Kleinasien nahm und die Truppenlager Mösiens und Pannoniens inspizierte. Nach Severus ist es dann, trotz mindestens einer Ausnahme, offenbar doch zur Regel geworden, daß die Kaiser bei der An- bzw. Abreise zum bzw. vom östlichen Kriegsschauplatz die Balkanregion berührten (siehe auch S. 53 f.). Selbst als Rom nicht mehr die alleinige Hauptresidenz der Kaiser bildete, änderte sich nichts an den lange gewohnten Reiserouten, da die neuen mehr oder weniger 223 Zu den römischen Straßen und Pässen in den Westalpen siehe J. Prieur, L'histoire des régions alpestres (Alpes Maritimes, Cottiennes, Graies et Pennines) sous le Haut-Empire romain, ANRWII 5,2 (1976), bes. 638 ff. ; G. Walser, Summus Poeninus (1984), 56 ff. 224 P. Petru, Die provinzialrömische Archäologie in Slowenien, ANRW II6 (1977), bes. 503 mit Anm. 4. 225 G. Skrivanic, Roman Roads and Settlements in the Balkans, in: F. W. Carter (ed.), An Historical Geography of the Balkans (1977), 115 ff. 226 E. Gren, Kleinasien und der Ostbalkan in der wirtschaftlichen Entwicklung der römischen Kaiserzeit (1941), 33 ff., 54 f.; D. H. French, Roman Roads and Milestones of Asia Minor I. The Pilgrim's Road, BAR Intern. Ser. 105 (1981), 32 f. Literatur auch bei S. Çahin, Museum Iznik (Nikaia) 11,1(1981), 5.

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ständigen Aufenthaltsorte in der Nähe der Grenzen gerade an den genannten Hauptverbindungswegen lagen227. Antiocheia, die Hauptstadt Syriens, war schon seit Augustus' Zeit der „erste" Aufenthaltsort der Kaiser im Osten und Ausgangspunkt jeder Unternehmung gegen die Parther gewesen (ampia urbs domiciliumque principimi: Amm. Marc. 22,9,15). Nikomedeia, verkehrsgeographisch günstig gelegener Etappenort zwischen Donau- und Euphratgrenze, diente vielleicht zum erstenmal Hadrian als Winterquartier, sicher dem Caracalla und Elagabal. Nachdem sich die Tetrarchen dort häufiger aufgehalten hatten, wurde es bekanntlich von Konstantinopel abgelöst. Sirmium lag genau im Zentrum des mösisch-pannonischen Donaulimes und war durch die an der Save entlang nach Aquileia führende Straße direkt mit Italien verbunden. Als Hauptquartier wird es zuerst unter Marc Aurei erwähnt, seit Maximinus Thrax hat es die Kaiser jedesmal beherbergt, wenn ihre Anwesenheit an der mittleren Donau erforderlich war. Oberitalien besaß schon unter Augustus während der Feldzüge seiner Stiefsöhne an Rhein und Donau die Funktion eines Hinterlandes zur vorgelagerten Front, wo sich der Kaiser aufhielt. Marc Aurei organisierte in Aquileia die Abwehr gegen die Markomannen; die strategisch günstige Lage hatte auch Gallienus erkannt, der mit der Stationierung der mobilen Reiterarmee in Mailand228 den Weg vorgezeichnet hatte, der dahin führte, daß die Kaiser des vierten Jahrhunderts bei ihren Italienaufenthalten nicht mehr in Rom, sondern in Oberitalien, in der Regel in Mailand, residierten. In Gallien fungierte zunächst das von Augustus geschaffene Zentrum der Très Gattiae, Lugdunum, als Residenzstadt, wo sich Augustus selbst, Caligula und Claudius, vielleicht auch noch Hadrian, längere Zeit aufhielten. Die prekäre Lage an der Rheingrenze erforderte erst in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts wieder eine längere Anwesenheit der Kaiser selbst; unter Gallienus und den gallischen Sonderkaisern war Köln die Residenz, Endpunkt der direkten Verbindungsstraße von Lugdunum zum niedergermanischen Limes. Unter der Tetrarchie ist das mehr landeinwärts gelegene Trier zur kaiserlichen Residenz aufgestiegen, das bis dahin noch keinen Kaiser längere Zeit in seinen Mauern gesehen hatte. Es lag jedoch verkehrsgünstig an derselben Verbindungsstraße und näher zum zweiten Verteidigungszentrum am Rhein, dem Lager in Mainz; Ammianus Marcellinus (15,11,9) nannte es um die Mitte des vierten Jahrhunderts domicilium principum darum. Je mehr sich allerdings das Itinerar aus seinem weitgehend vorgegebenen Rahmen löste, desto deutlicher lassen sich die persönlichen Akzente des Herrscherbildes im allgemeinen erkennen. So steht das starre Itinerar des vierten Jahrhunderts - von wenigen Ausnahmen abgesehen - ganz im Einklang mit der nicht nur aus den panegyrischen Schriften ablesbaren, sondern auch in der historischen Wirklichkeit recht einfarbigen Herrschaftspraxis der Zeit und dem distanzierten Verhältnis der Herrscher zu den Untertanen. Im ersten und zweiten Jahrhundert sind individuell gestaltete Reiserouten durchaus vorgekommen, einmal abgesehen von kleineren Abstechern zu lokalen Naturwundern, wie beispielsweise Titus den „Sabbatfluß" im Nordlibanon 227 Zu dieser Entwicklung, die zur Etablierung der kaiserlichen Residenzen außerhalb Italiens (bzw. in Oberitalien) führte, siehe R. MacMullen, Athenaeum 54,1976,26 ff., und F. Miliar, Emperor 40 f. 228 A. Alföldi, Studien (Anm. 174) 1 ff., 54 ff. ; De Blois, Gallienus (Anm. 176) 26 ff.

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besichtigte, die sicher häufiger stattfanden, als uns überliefert ist. Vor allem die Reise nach Syrien, die ja in der Regel die römische Autorität gegenüber den Parthern wiederherzustellen hatte, wurde gerne dazu benutzt, an den geschichtsträchtigen Orten und sehenswerten Heiligtümern Griechenlands und Kleinasiens zu verweilen. Die ersten Beispiele finden sich auf den Orientreisen des Agrippa und Germanicus, auch L. Verus soll mit mehr Muße, als es der bedrohlichen Kriegslage im Osten angemessen schien, den einzelnen Küstenstädten einen Besuch abgestattet haben. Der Höhepunkt persönlich geprägter Reiselust und Reiseziele sind die Griechenlandreise Neros und die Reisen Hadrians gewesen, nur mit dem Unterschied, daß Hadrian sie in ein höheres staatspolitisches Interesse einzuflechten verstand. Trajan wählte auf seiner Anreise zum Partherkrieg ein Stück des Weges als Landroute durch Asia und Lykien, ohne daß wir die näheren Gründe wüßten. Hadrian verstand sein Itinerar wohl absichtlich durch Variierung von Land- und Seereise so zu gestalten, daß er trotz seines ausgedehnten Reiseprogramms, das ihn zwei- oder dreimal in dieselben Gegenden führte, kaum ein und dieselbe Route zweimal zurückgelegt hat (seine drei Aufenthalte in Athen tragen besonderen Charakter): Durch Kleinasien reiste er beispielsweise im Jahre 117 über die „Pilgerstraße" Richtung Balkan, im Jahre 123 nahm er von Syrien aus die Limesstrecke entlang des Euphrat bis Trapezus und begab sich von dort entweder zu Lande durch Pontus oder zur See entlang der Schwarzmeerküste nach Bithynien. Im Jahre 129 reiste er über den „Southern Highway" (Magie, Roman Rule 789 ff.) von Ephesos durch das Mäandertal über Laodikeia, Iconium durch die Kilikischen Pforten nach Syrien; auf der Rückreise von Ägypten wählte er schließlich den Seeweg entlang der kleinasiatischen Süd- und Westküste. Eine eigene Stellung im Itinerar der Kaiser hat Ägypten eingenommen. Möglicherweise hat das Beispiel des Triumvirn M. Antonius, das Octavian zu seinen Gunsten politisch ausgeschlachtet hat, so nachhaltig in der geschichtlichen Erinnerung gehaftet, daß kein Kaiser direkt von Rom nach Alexandreia gereist ist, sondern seinen Ägyptenbesuch nur im Rahmen eines längeren Aufenthaltes im Osten, also nur im Sinne eines Abstechers, abgehalten hat. Die Anziehungskraft dieses Landes erreichte unter den Severern ihren Höhepunkt. Eine geradezu symbolische Wende zum erstarrten Kriegsitinerar des dritten Jahrhunderts bedeutete es, wenn Severus Alexander eine Reise nach Ägypten zwar noch geplant hatte, die aber ein schwerer Alamanneneinfall am Rhein zunichte machte, der den Kaiser in den Westen zurückrief. Caracalla ist der letzte Kaiser gewesen, wenn man einmal von dem Athenbesuch des Gallienus absieht, der eine individuell gestaltete Provinzreise, und zwar durch Asia, unternommen hat. Der äußere militärische Druck, die stets drohende Illoyalität der Grenzarmeen und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten bewirkten zwar eine durchaus intensive, aber sich nur durch Schnelligkeit und Eintönigkeit auszeichnende Reisetätigkeit. In den Ausführungen des unbekannten Panegyrikers des Konstantin läßt sich der Ausnahmecharakter von Abstechern im vierten Jahrhundert erkennen; er hatte den Kaiser überredet, im Jahre 311 seine Heimatstadt Augustodunum zu besuchen. Als der Kaiser tatsächlich eintraf, überhäufte er ihn mit Lob, da der Herrscher zu diesem Zweck die Fernstraße Lyon-Trier hatte verlassen und über schlechte Straßen und durch eine wüste Landschaft die Stadt erreichen müssen (Paneg. 8,7).

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Planung und Organisation 2) DIE ERFORDERNISSE

Zu den wichtigsten Aufgaben des Feldherrn vor Beginn eines Feldzuges gehörte die Sicherstellung der Verpflegung für seine Truppen: saepius enim penuria quam pugna consumit exercitum, et ferro saeviorfames est (Veget. 3,3)· Die außerordentliche Bedeutung des Verpflegungswesens läßt sich in gleichem Maße auf ein kaiserliches Reiseunternehmen übertragen, nicht nur in der Hinsicht, daß Kaiserreisen in der Regel mit dem Ziel der Kriegsführung angetreten wurden, sondern auch im Hinblick auf die Größe der kaiserlichen Reisegesellschaft, die, selbst wenn keine regulären Kampftruppen mitmarschierten, zahlenmäßig Legionsstärke annahm (siehe dazu S. 110 f.). Zu den vorbereitenden Maßnahmen schreibt Vegetius a. O. weiter: Ante igiturquam inchoetur bellum, de copiis expensisque sollers debet esse tractatus, ut pabula frumentum ceteraeque annonariae species, quas a provincialibus consuetudo déposât, maturius exigantur et in opportunis ad rem gerendam ac munitissimis locis amplior semper modus, quam sufficit, adgregetur. Es war keine Erfindung der Römer, sondern eine alte, wenigstens bis auf das Achaimenidenreich zurückgehende Einrichtung, daß alle mit der Beförderung nicht nur der Herrscher selbst, sondern auch der staatlichen Funktionsträger und Soldaten zusammenhängenden Lasten der Bevölkerung aufgebürdet wurden. Dazu gehörten die angareia, ein Wort persischen Ursprungs, das in der Kaiserzeit die Pflicht zur Gestellung von Zugtieren und Wagen zur Beförderung des genannten Personenkreises beinhaltete229, daneben das hospitium, die kostenlose Beherbergung dieser Personen230, die annona, die Versorgung derselben mit Lebensmitteln231, und die Instandhaltung der Straßen (siehe S. 85 ff.). Mußte die Leistung der angareia und annona im Prinzip von denen, die sie beanspruchten, auch vergütet werden, so bedeuteten diese munera bzw. Liturgien insge-

229 M. Rostovtzeff, Angariae, Klio 6,1906,249 ff.; die neuere Literatur hat Pekâry, Reichsstraßen (Anm. 217) 135 ff., 173 ff., anläßlich der Erörterung der neuen angareia-Inschrift aus Phrygien (SEG13,625) zusammengestellt. 230 Siehe zuletzt S. Mitchell, Requisitioned Transport in the Roman Empire, JRS 66,1976, bes. 128; W. Eck, Sacrae litterae, Chiron 7,1977,368 ff. - Zur republikanischen Zeit siehe bes. Th. Drew-Bear, BCH 96,1972,453. 231 Grundlegend D. Van Berchem, L'annone militaire dans l'empire romain au 3e siècle (1937). Die Diskussion über ihre Entstehung und die Modalitäten der Erhebung ist noch nicht abgeschlossen. Berechtigt ist sicher die Korrektur von G. Rickman, Roman Granaries and Store Buildings (1971), 278 ff., daß die annona mili taris jedenfalls unter den Severern noch keine regelmäßig erhobene Abgabe war; dagegen ist seine Annahme falsch, daß sie damals ausschließlich bei Kaiseraufenthalten bzw. Anwesenheit des Kaisers mit seiner Armee erhoben wurde. Zumindest zwei Zeugnisse belegen die annona als Steuer schon im zweiten Jahrhundert ohne jeden Zusammenhang mit einem Kaiserbesuch: P. Mil. Vogliano 75 (144/45) und SB 11260 (182), in untechnischem Sinn in AE1921,1 = SEG 1,276 (121/22, aus Makedonien); vgl. schon U. Wilcken, Grundzüge (Anm. 157) 360 f. - Zur Einführung in die Problematik siehe den neueren Beitrag von Van Berchem, L'annone militaire est-elle un mythe? in: Armée et fiscalité dans le monde antique (1977), 331 ff. ; dazu die Diskussionsbeiträge von M. Corbier (337 f.) und J. M. Carrié (338 f.); ferner L. Neesen, Untersuchungen zu den direkten Staatsabgaben der römischen Kaiserzeit (1980), 104 ff. - Eine neue Untersuchung über Wesen und Organisationsschema der annona wird demnächst von J. RemesalRodriguez erscheinen.

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samt232, die die Römer etwa in Ägypten von den Ptolemäern unverändert übernahmen, von altersher eine der schlimmsten Geißeln der Bevölkerung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich das antike Transportwesen deshalb so schwierig gestaltete, weil man angesichts der Wagenbautechnik, der Art und Weise der Bespannung und des Straßenzustands nur mit einem im Vergleich zur heutigen Zeit gewaltigen Aufwand an Arbeitskraft, Material und Zeit relativ wenige Güter und Personen transportieren konnte233. Die wesentlichen Nachrichten über die einzelnen Institute liegen uns deshalb auch nahezu ausschließlich in Form von Klagen seitens der Bevölkerung über den Mißbrauch derselben oder von Streitigkeiten darüber vor, wie weit eine bestimmte Gemeinde für die Liturgien zuständig zeichnete234. Insofern bedeutete die Organisation einer Kaiserreise in einer Hinsicht die Bewältigung des in der gesamten Antike leidigen Transportproblems; die Versorgung der Reisegesellschaft gestaltete sich aber nicht nur als verkehrstechnisches, sondern auch als ökonomisches Problem. Mit Ausnahme weniger agrarischer Überschußgebiete, wie der Kornkammern Afrika oder Ägypten, herrschte in der Nahrungsmittelproduktion in der Regel ein äußerst labiles Gleichgewicht zwischen dem Eigenbedarf und der Eigenerzeugung der Bevölkerung; dieses Gleichgewicht, das im kleinen Bereich der Familie schon durch ein zusätzliches Kind gestört werden konnte, wurde im großen dadurch gefährdet und oft genug zerstört, daß die einzelnen Städte die außergewöhnliche Belastung durch den Versorgungszwang für durchziehende Heereseinheiten und den Kaiser mit Gefolge nur um den Preis des eigenen wirtschaftlichen Niedergangs ertragen konnten235. Augustus hatte durch die Einrichtung des cursus publiais ein im Prinzip stets funktionierendes System geschaffen, das einer möglichst schnellen Nachrichtenübermittlung im Reiche dienen, darüber hinaus aber von Anfang an - und wohl in voller Absicht - das Reisen und den Transport vorwiegend von militärischen Chargen und Gütern erleichtern sollte236. In diesem Bereich stieß das System aber je nach Intensität der Inanspruchnahme schnell an die Grenze seiner Belastbarkeit, da im Gegensatz zu einzeln reisenden Beamten oder Offizieren der Durchmarsch größerer Truppenteile oder der gewaltige Nachschub einer im Krieg befindlichen Armee einen ungleich höheren Aufwand seitens der Untertanen erforderte. Die Art und Weise seiner Bewältigung im Zuge von kaiser-

232 Zur allgemeinen Entwicklung von munus und Liturgie im römischen Reich siehe L. Neesen, Historia 30,1981,203 ff.; zur Vergütung der Leistungen siehe Mitchell a.O. (Anm. 230) 123,127 ff. 233 Rostovtzeff, Social and Economic History 385 f., 703 f. Anm. 38; N. G. L. Hammond, GRBS 24,1983,27 ff. ; H.-Chr. Schneider, MBAH 1,1982, bes. 88 ff. ; W. Habermann, ebd.50 f. Anm. 44. 234 Zusammenstellung der Zeugnisse bei G. Mihailov im Kommentar zur Inschrift aus Scaptopara (IGBulg IV 2236) und bei Mitchell a.O. 111 f. zur neuen Inschrift aus Pisidien; literarische Belege bei Eck a.O. (Anm. 230) 370 Anm. 68. Siehe auch R. MacMullen, Soldier and Civilian in the Later Roman Empire (1963), 85 ff. 235 J. K. Evans, Wheat Production and its Social Consequences in the Roman World, CQ 31,1981, bes. 438 ff. Vgl. Columella 1,5,7: Haec (sc. militaris via) autem praetereuntium viatorum populationibus et adsiduis devertentium hospitiis infestât rem familiärem. 236 H.-G. Pflaum, Essai sur le cursus publicus sous le Haut-Empire romain (1940), bes. 22 ff. Eck, Staatliche Organisation Italiens 88 ff. Gute Einführung bei H.-Chr. Schneider, Altstraßenforschung (1982), 90 ff.

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liehen Reiseunternehmen umreißt also nur ein Teilproblem des antiken Transportund Nachschubwesens mit seinen sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Das soeben der Problemskizzierung wegen allzu einheitlich entworfene Bild gestaltet sich auf dem Hintergrund der historischen Gegebenheiten vielfaltiger und unterliegt einer Entwicklung, die im großen sicher bekannt ist, aber im Detail doch einer genaueren Würdigung bedarf. Der für eine Reise des Kaisers betriebene Aufwand schwankte sicher von Fall zu Fall, da er von den ganz persönlichen Ansprüchen und Gewohnheiten der Herrscher abhing, und nicht zuletzt auch davon, inwieweit sie die zahlenmäßige Stärke und die Ansprüche ihrer Begleitung in Grenzen halten konnten. Deshalb muß der von den Provinzialen unmittelbar empfundene Druck, was den Umfang des Nachschubs als solchen und die Methoden, mit denen er eingetrieben wurde, betraf, variiert haben. Nicht zufällig finden sich entsprechende Hinweise auf diejenigen Kaiser, von denen die antiken Autoren ohnehin nicht das beste Bild hinterlassen haben. Caligulas und Neros Verschwendungssucht und Prunkliebe (Suet. Cal. 37, Nero 30) schlugen sich auch in ihrem während ihrer Reisetätigkeit betriebenen Aufwand nieder. Als Caligula zur Befriedigung seiner Geldgier, nachdem er die Städte schon ausgeplündert hatte (Dio 59,21), das Gerät des kaiserlichen Hofes zu sich nach Gallien transportieren ließ, beschlagnahmte er die Mietwagen und das Zugvieh der Kornmühlen, so daß in Rom ein Mangel an Brot und schnellen Beförderungsmitteln entstand (Suet. Cal. 39,1 ; Oros. 7,5,5). Ebenso weiß Philo zu berichten (leg. ad Gaium 253), daß die geplante Ägyptenreise dem syrischen Legaten P. Petronius deshalb so viel Sorgen bereitete, weil Caligula nicht nur das unbedingt Notwendige an Nachschub benötigte, sondern denselben im Überfluß verlangte. Als Nero gegen Vindex ins Feld ziehen wollte, bestand angeblich seine Hauptsorge darin, genügend Wagen zum Transport seines Bühnenapparates herbeizuschaffen (Suet. Nero 44; vgl. 27,3). Tacitus' Kritik (hist. 2,87) an Vitellius' langsamem und für die Städte zermürbendem Marsch durch Italien ist unten (S. 178 f.) zitiert; er bestieg auch Flußschiffe, die mit allerlei Zierrat und Speisevorräten überladen waren (Suet. Vit. 10,2). Ein anschauliches Bild davon, was die betroffene Bevölkerung von einem kaiserlichen Reisezug unter Umständen zu erwarten hatte, vermittelt der von Plinius (pan. 20) angestellte Vergleich zwischen der Heimkehr Domitians und derjenigen Trajans nach Rom; mag hier auch im einzelnen übertrieben sein, so spiegeln sich im Lob auf Trajan doch Zustände wider, die allgemein bekannt waren: Nullus in exigendis vehiculis tumultus, nullum circa hospitia fastidium; annona quae ceteris; ad hoc comitatus accinctus et parens. Dagegen Domitian: Si tarnen transitus ille, non populatio fuit, cum abactus hospitium exsereret, omniaque dextera laevaque perusta et attrita, ut si vis aliqua vel ipsi itti barbari quosfugiebat inciderent. Dieses Gebaren entsprach so wenig dem fürsorgenden Bild des römischen Kaisers, daß Plinius den Provinzialen nunmehr klarmachen mußte, daß hier nicht der römische Kaiser, sondern ein Domitian durchgezogen sei. Vespasian und Hadrian hielten den Aufwand ihrer Reisebegleitung dadurch gering, daß sie sich, anstatt ein Détachement der classis praetoria aus Misenum oder Ravenna zu ordern, Vespasian von Ägypten nach Italien und Hadrian in der Ägäis - auf einem privaten Frachtschiff befördern ließen237. Antoninus Pius, dem man keine Verschwendungs237 los. bell. lud. 7,2,1 ; IvEph. 1487-88.

Die Erfordernisse

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sucht vorwerfen konnte (HA, AP 7,5 IT.), scheute vor expeditiones unter anderem deshalb zurück, da er zwar seine eigene Zurückhaltung, aber nicht diejenige seiner Begleitung gegenüber den Provinzialen garantieren konnte. Commodus soll dagegen eine Reise nach Afrika nur vorgetäuscht haben, um den sumptus itinerarius eintreiben zu können, den er für aufwendige Bankette verschwendete (HA, C 9,1). Führten die dauernden Kriege Marc Aureis und die umfangreichen Truppenbewegungen unter Septimius Severus und Caracalla an sich schon zu einer erhöhten Belastung der Provinzialen, so kam bei letzterem noch hinzu, daß er eigene hohe Ansprüche befriedigt wissen wollte; zu diesem Zweck verschonte er auch nicht das Vermögen der Senatoren, die von der gesetzlichen Verpflichtung des hospitium und der Versorgung des cursus publiais befreit waren238. Sein aufwendiger Lebensstil und die gleichzeitige Bevorzugung der Armee, weshalb er deren Gesellschaft derjenigen der Senatoren und dem Aufenthalt in der Hauptstadt vorzog239, kulminierte im Zuge seiner Reisetätigkeit zu einem Bedarf an Versorgungsgütern, für deren Bereitstellung immer weitere Bevölkerungskreise herangezogen werden mußten. Selbst für kurze Reisen hatten die Senatoren auf eigene Kosten aufwendige Herbergen herzurichten, die Caracalla dann oft nicht einmal sah, geschweige denn in ihnen wohnte240; in den Winterquartieren, auch dort, wo ein zukünftiger Aufenthalt noch gar nicht feststand, mußten Amphitheater und Rennbahnen errichtet werden. Der mächtige Freigelassene Theokritos reiste landauf und landab zur Eintreibung der notwendigen Güter und gebärdete sich dabei so grausam, daß er selbst vor einem Mord an dem in Alexandreia residierenden Prokurator, Flavius Titianus, nicht zurückschreckte241. Die epigraphischen und papyrologischen Quellen jener Zeit bestätigen eine verschärfte Eintreibungspraxis: Inschriftlich begegnet nun die Liturgie der prosecutio/na^ano\ini\ (siehe S. 79 ff.), und erstmals unter Caracalla zeugen ägyptische Papyri von Requisitionsmaßnahmen, die für den in Syrien weilenden Kaiser und seine Armee - also nach Gebieten außerhalb Ägyptens - bestimmt waren (siehe S. 84). Wie die Reisetätigkeit der folgenden Kaiser des dritten Jahrhunderts den Charakter eines individuell gestalteten Unternehmens gänzlich verlor (siehe S. 54 ff.) und sich zunehmend in eiligen Heerzügen von der einen zur anderen Reichsgrenze erschöpfte, so orientierte sich auch die Größe des betriebenen Aufwandes nicht mehr an der Persönlichkeit des einzelnen Herrschers, sondern den stets gleichbleibenden hohen Bedürfnissen der mit ihm marschierenden Armee. Die Einzelzeugnisse etwa über die Ausgelassenheit von Valerians Soldaten in Kappadokien (Zos. 1,36,1) oder die inschriftlich erhaltenen Klagen der Zivilbevölkerung über die soldatische Willkür bei der Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen spiegeln wohl die allgemeine Situation auf diesem Sektor wider und sind eines von vielen Indizien der politischen und wirtschaftlichen Krise des dritten Jahrhunderts. Die weitere historische Entwicklung brachte keine Verminderung der Lasten mehr, sondern im Zuge der Finanz- und Steuerreform Diokletians nur die staatlicherseits 238 Eck, Sacrae litterae (Anm. 230) 365 ff., 380. 239 Zu Caracallas Lebensstil auf seinen Reisen siehe Dio 77,9; 17 f.; 20. - HA, Cc 5,2; Herodian 4,7. 240 Dio 77,9,6; Dio nimmt vielleicht konkret Bezug auf Caracallas Rundreise durch das westliche Kleinasien im Herbst 214. 241 Dio 77,21,2 f. ;PIR2 F 381.

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organisierte Regelmäßigkeit und Festschreibung derselben. Trotzdem kam es immer wieder zu Versorgungsengpässen, wenn der Kaiser mit einer Expeditionsarmee unterwegs war (Amm. Marc. 14,10; 18,8), und ebenso blieben - wie eine Vielzahl kaiserlicher Konstitutionen bezeugt - die bekannten Mißstände bestehen hinsichtlich widerrechtlicher Nutzung des hospitium, des cursus publiais und von Übergriffen des Militärs auf städtisches und privates Eigentum242.

3) DIE ORGANISATION DES NACHSCHUBS a) Die staatlichen Organe Analog zu den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen des Reiches unterlagen auch Formen und Methoden der Organisation seitens des Staates zum reibungslosen Ablauf kaiserlicher Reiseunternehmen einem Wandel. Die kaiserliche Regierung ist dabei zwei, im groben zeitlich aufeinanderfolgende Wege gegangen: Einmal hat man den Reiseplan des Kaisers und den Umfang der Nachschubleistungen rechtzeitig, schon Monate vorher, bekannt gegeben, so daß die Städte Vorräte horten konnten; bei trotzdem auftretenden Engpässen griffen Privatleute oder der Kaiser selbst helfend ein. Zum anderen hat man, vor allem seit dem dritten Jahrhundert, als infolge der häufigen Ortswechsel der Herrscher an der Spitze großer Armeen und der allgemeinen wirtschaftlichen Krise weder das eine noch das andere mehr ausreichte, immer mehr zu staatlichen Zwangsmaßnahmen zur Eintreibung der benötigten Güter gegriffen. Die Sicherstellung des Nachschubs erforderte schon im voraus zentral gelenkte Maßnahmen. Lange Transportwege, die Abhängigkeit von Ernteerträgen und eine eventuelle Vorratshaltung machten eine rechtzeitige Ankündigung des Reiseunternehmens notwendig. In einem konkreten Fall wissen wir, daß dieser Zeitraum bis zu einem Jahr betragen konnte: Dem Strategen des Oxyrhynchosgaues konnte bereits am 19. Dezember 129 eine Liste der Vorräte vorgelegt werden, die in den Dörfern für den Besuch Hadrians gelagert waren; die ersten Anweisungen zur Lagerung müssen demnach noch einige Zeit vorher erfolgt sein243, während der Kaiser erst im Juli/August 130 in Ägypten eintreffen sollte. Kaiser Iulian kündigte dem praeses von Kilikien schon vor seinem Aufbruch in den Perserkrieg im März 363 an, daß er den kommenden Winter in Tarsos zu verbringen gedenke, und befahl die Besorgung der für den Unterhalt erforderlichen Güter (Amm. Marc. 23,2,5). Eine überstürzt angetretene, nicht gehörig vorbereitete Reise sah so aus wie diejenige des Maximinus Thrax, als dieser im Jahre 238 von Sirmium aus nach Italien marschieren mußte. Wagen und Nachschubgüter behinderten den Vormarsch, da man alles Notwendige improvisiert und auf die schnelle herbeischaffen mußte. Man lebte von dem, was im nächsten Ort zufallig 242 Siehe etwa G. Alföldy, The Crisis of the Third Century as Seen by the Contemporaries, GRBS 15,1974,89 ff. = Historisches Bewußtsein während der Krise des 3. Jahrhunderts, in: Krisen in der Antike. Bewußtsein und Bewältigung (1975), 112 ff.; K. L. Noethlichs, Beamtentum und Dienstvergehen (1981), 128 f., 130 f., 150 f. 243 B. A. Van Groningen, Preparatives to Hadrian's Visit to Egypt, in: Studi in onore di A.Calderini(1957),II253ff.

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vorhanden war; als sich herausstellte, daß eine so bedeutende Stadt wie Emona verlassen und die Vorräte weit und breit vernichtet waren, machte sich Unwillen in der Armee breit (Herodian 7,8,10 f.; 8,1,4 f.). Nicht nur der Zeitpunkt der Reise, sondern auch die Route mußte im voraus bekannt gemacht werden, damit die Städte sich entsprechend vorsehen konnten und die mansiones bzw. stationed entlang der viae publicae versorgt wurden. Eine dem Severus Alexander zugeschriebene Maßnahme besagt, daß der Kaiser die einzelnen Tagesstrecken bis zur Reichsgrenze zwei Monate vor seiner Abreise aus Rom öffentlich bekanntmachen ließ, dabei auch der Reihe nach die mansiones, stativa und die Plätze nannte, wo die annona in Empfang genommen werden sollte245. Eine neuere Untersuchung schreibt diesem Kaiser auch die Erstellung des Itinerarium Antonini zu, die zu dem Zweck erfolgt sei, die Nachschubwege für die annona militaris zu kennzeichnen246. Im Grunde waren die Maßnahmen stets dieselben; die Reisevorbereitungen des Tiberius umfaßten véhicula comprehendere, commeatusper municipia et colonias disponere (Suet. Tib. 38). Gleiches wird berichtet anläßlich der geplanten Rückkehr Valentinians II. von Vienna nach Mailand (392): eccepostridie litterae de instruendis mansionibus, invectio ornamentorum regalium (also der Transport der zum kaiserlichen Haushalt gehörenden Güter), aliaque eius modi quae Ingressumm iter imperatorem significarent (Ambros. de obitu Valent, consol. 24). Die Durchführung der Maßnahmen im einzelnen oblag den Provinzialbehörden bzw. in Italien dem praefectus vehiculorum. Wie in Ägypten die jeweils übergeordnete Dienststelle die Meldung entgegennahm, die angeordneten Leistungen seien erbracht worden (siehe S. 82 ff.), so dürfte in den anderen Provinzen der Statthalter als letzte Instanz den Kaiser über den Stand der Vorbereitungen informiert haben. Der syrische Legat P. Petronius warnte Caligula vor übereilten Schritten gegenüber den Juden; wenn man sie jetzt zu Aufständen reize, sei die Einbringung der Ernte gefährdet, wodurch wiederum die geplante Ägyptenreise des Kaisers in Frage gestellt werde (Philo leg. ad Gaium 249 ff). Innerhalb der Provinz ist wohl der Prokurator der Hauptverantwortliche für die Vorbereitung kaiserlicher Besuche gewesen. Explizit geht dies nur aus dem Schreiben des lykischen Prokurators Caelius Florus an Opramoas hervor im Zuge der vorbereitenden Maßnahmen für die Rückkehr Trajans im Jahre 117, für die er an die einzelnen Städte Verzeichnisse über die notwendigen Leistungen geschickt hatte247. Ein ähnliches Rundschreiben, das vor dem Besuch Diokletians in Ägypten im Jahre 298 datiert, hat sich von der Hand des Prokurators der Unteren Thebais im Archiv des Epistrategen gefunden (P. Beatty Panop. 1, 30 ff; vgl. 167 ff, 180 ff). Ferner wissen wir, daß der Prokurator die Entscheidungsinstanz für Streitigkeiten bildete, die sich auf die angareia oder überhaupt für den cursus publiais zu erbringenden Leistungen beziehen248, 244 Pflaum a.O. (Anm. 236) 339 f. ; Mitchell a.O. (Anm. 230) 127. 245 HA, AS 45,2; siehe Rickman, Roman Granaries (Anm. 231) 281 f. 246 N. Reed, Pattern and Purpose in the Antonine Itinerary, AJPh 99,1978,228 ff. mit der älteren Literatur. Einzelne Punkte seiner Ausführungen (Einführung der annona militaris oder Definition von Hauptstraßen und deren Benutzung durch den Kaiser) sind sicher nicht über jeden Zweifel erhaben. 247 IGRIII739 = ΤΑΜ II905 col. IV a; E. Ritterling, RhM 73,1920-24,38 f. 248 Unter Tiberius hat allerdings, jedenfalls in Galatien, der Statthalter eine diesbezügliche

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d. h. daß der Prokurator generell für das Nachschub- und Transportsystem der viae /?w£/io*e verantwortlich zeichnete. Damit stimmt überein, daß auch der in Italien für den cursus publiais zuständige Beamte, wohl schon seit Augustus der aus dem Ritterstand stammende praefectus vehiculorum, für die Versorgung des Kaisers und seines Gefolges zuständig war, wenn dieser sich von Rom aus auf Reisen begab249. In diesem Falle führte er im ersten Jahrhundert zusätzlich den Titel eines aedilis castrensium. In der von W. Eck und H.-G. Pflaum geführten Diskussion250 über den Aufgabenbereich dieser für einen Ritter sonderbaren Dienststellung scheint mir Pflaums Deutung am plausibelsten, daß der praefectus vehiculorum als aedilis castrensium - analog zur wesentlichen Aufgabe der Ädilen in Rom - die Lebensmittelversorgung des kaiserlichen Hofes (castra) sicherzustellen hatte; dagegen wird man Eck beipflichten müssen, daß der praefectus vehiculorum diese Verantwortung nicht ständig zu tragen hatte, sondern eben nur in Verbindung mit der Reisetätigkeit des kaiserlichen Hofes innerhalb Italiens. Von den beiden epigraphischen Belegen für den aedilis castrensium251 läßt sich nur einer genauer in die Zeit Vespasians datieren. Dieselbe Amtsbezeichnung (praef. vehic. et aed. castr.) muß auch Plotius Grypus geführt haben, von dem wir durch Statius (silv. 4,9,16-19) explizit wissen, daß er als praefectus vehiculorum ebenso für die Versorgung der kaiserlichen Reisegesellschaft zuständig war, als Domitian im Jahre 92 zu seiner letzten expeditio aufbrach. Vermutlich als Untergebener des Präfekten begegnet in flavischer Zeit ein kaiserlicher Freigelassener mit dem Titel acceptor vehiculorum; offensichtlich mußte er im Zuge der organisatorischen Vorbereitung des Reiseunternehmens speziell für die Bereitstellung der Wagen sorgen252. Deutlicher wird die Kumulation der praefectura vehiculorum mit der Aufgabe, den Kaiser mit seinen in den Krieg ziehenden Einheiten zu versorgen, in den Cursusinschriften des zweiten Jahrhunderts formuliert: so wahrscheinlich bei L. Aurelius Nicomedes, für L. Verus im

Entscheidung gefällt (Mitchell [Anm. 230]). Zwei Dokumente aus flavischer Zeit bezeugen den Prokurator als verantwortliche Instanz: Brief des Prokurators von Thracia an die Thasier (Chr. Dunant - J. Pouilloux, Recherches sur l'histoire et les cultes de Thasos II [1958], 82 ff. Nr. 186; F. Papazoglou, ZAnt 29,1979,239 ff. = AE 1979,565); Brief Domitians an den Prokurator von Syrien betreffs des Mißbrauchs des cursus publiais (SEG 17, 755 = IGLS V 1998). Auch im dritten Jahrhundert wurden die Streitigkeiten der phrygischen Gemeinden um die angareia vor den Prokuratoren ausgetragen (Literatur bei Pekary, Reichsstraßen [Anm. 217] 135). 249 Ich folge damit der von W. Eck vorgetragenen Auffassung über die Kompetenzen des praefectus vehiculorum: Chiron 5,1975,381 ff.; ders., Staatliche Organisation Italiens 103 ff. Eine andere Meinung vertritt jetzt F. Bérard, La carrière de Plotius Grypus et le ravitaillement de l'armée impériale, MEFR 96,1984,259 ff., ausgehend von den Plotius Grypus gewidmeten Versen des Statius (siehe unten). Zum Alter und Rang des Grypus hat m. E Eck, Chiron a.O., das Richtige gesagt; desgleichen finden die von Bérard erschlossenen zwei „Kategorien" von praepositi annonae(copiarum)'m den Quellen keine ausreichende Stütze. 250 Eck, Chiron a.O. ; Pflaum, Les carrières procuratoriennes équestres (supplément), 1982, 19 ff. 251 Eck, Chiron a.O. = AE 1974, 583 (Apri, in den ersten Jahren Vespasians); AE 1950, 170 (Buthrotum) mit der m. E richtigen Ergänzung von Pflaum (a.O. 21) analog zur Inschrift aus Apri: [praef. v]ehic(u)lor. et [aedili]castrfensium). 252 IvEph. 855,855 a ; siehe Eck, Staatliche Organisation Italiens 109 f.

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Jahre 162 praef. vehicul /actus et ab Imp. Antonino [Aug. et divo Vero cura copiarum exercitfiis ei iniunct(a). Ganz sicher sind wir im Falle des M. Aurelius Papirius Dionysius, der diese Funktion nur im Bereich der via Flaminia wahrzunehmen hatte als praef. vehicul. a copisAug. per viam Flaminiam, wohl im Jahre 178, als Marc Aurei und Commodus in Richtung Norden zur expeditio Germanica secunda aufbrachen253. Gleichzeitig mit den zunehmenden Truppenbewegungen unter den Severern erscheinen auch praefecti vehiculorum als für einzelne oder mehrere Provinzen gleichzeitig zuständige Beamte. Ob sie regelmäßig und für alle Reichsteile ernannt wurden, lassen die spärlichen Belege nicht mehr erkennen254; da in Asia jedenfalls zu Beginn des dritten Jahrhunderts noch der Prokurator über Streitigkeiten um die angareia entschied (siehe Anm. 248), hat dort neben ihm wohl kein praefectus vehiculorum amtiert. Jedoch dürften die Präfekten dort, wo sie eingesetzt wurden, die Zuständigkeit des Prokurators für den cursus publiais und damit auch für kaiserliche Reiseunternehmen übernommen haben. In konstantinischer Zeit waren sie dem praefectus praetorio unterstellt (Cod. Theod. 8,5,4), der damals die wesentliche Verantwortung für die Organisation der Reisen trug. Da die Kaiser seit den Severern stets in Begleitung stärkerer Truppenverbände reisten, wurde speziell für den Verpflegungsnachschub in diesen Fällen eine provinzübergreifende Organisation geschaffen. Die ersten Ansätze lassen sich auf den von den Kaisern geführten Feldzügen des zweiten Jahrhunderts erkennen. Für bestimmte Hauptnachschubplätze bzw. Transportwege wurden eigene Vorsteher vom Kaiser ernannt, die offenbar von der Beschaffung bis zur Verteilung des Nachschubs an die Armee verantwortlich zeichneten255. Solch ein Kommando lernen wir zum erstenmal in Trajans Dakerkrieg und auf dem Euphrat während des Partherkrieges kennen256, dann auf der Donau während der Markomannenkriege Marc Aureis257 und für den Hafen Seleukeia Piereia vermutlich während des Orientaufenthaltes des Marc Aurei im Jahre 175/76258. Unter Marc Aurei ist der erste praepositus copiarum (oder annonae) während der zweiten expeditio Germanica (178/80) in Ti. Claudius Candidus bezeugt, der im ständigen Gefolge des Kaisers weilte und dem die Gesamtleitung des Verpflegungsnachschubs über Provinzgrenzen hinweg oblag259. Die gleiche Funktion übten dann M. Rossius Vitulus auf der expeditio urbica des Jahres 193, Cn. Marcius Rustius Rufinus während der expeditio orientalis des Septimius Severus (197/202)260 und der 253 Nicomedes: ILS 1740; siehe Pflaum, Carrières 393 ff. Nr. 163. Dionysius: Moretti, IGVR 59; ILS 1455; siehe Pflaum a.O. 472 ff. Nr. 181, und zu diesen wie zu den folgenden Personen Bérard a.O. (Anm. 249) 311 ff. 254 O. Hirschfeld, Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diokletian (1905), 196 f.; Eck, Staatliche Organisation Italiens 102 f. 255 Siehe jetzt Bérard a.O. (Anm. 249). 256 AE 1934, 2 (C. Caelius Martialis); ILS 9471 (L. Abumius Tuscianus). Siehe H. Devijver, Prosopographia militiarum equestrium quae fuerunt ab Augusto ad Gallienum (1976), 201 f. Nr. 31,47 f. Nr. 5. 257 AE 1956,124 (M. Valerius Maximianus); siehe Devijver a.0.820 ff. Nr. 23 mit Literatur. 258 IGR IV 1213 = ILS 8853 (T. Antonius Alfenus Arignotus); siehe Devijver a.O. 106 ff. Nr. 132; Bérard a.0.319 ff.; D. Van Berchem, BJ 185,1985,47 ff. 259 ILS 1140 = G. Alföldy, Die römischen Inschriften von Tarraco (1975), 130 mit Literatur. 260 Vitulus: ILS 9015 ; Devijver a.0.706 f. Nr. 11. Rufinus: ILS 1343 ; PIR2 M 246.

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berüchtigte Freigelassene Theokritos unter Caracalla aus (siehe S. 73). Im Perserkrieg des Severus Alexander befehligte C. Sulgius Caecilianus Teile der misenatischen Flotte und war zugleich praepositus thensawris dominicis et bastagis copiarum devehendarum261, während der damalige Prokurator der Syria Palaestina, C. Furius Sabinius Aquila Timesitheus, noch dringend benötigte Rückstände der befohlenen annona einzutreiben hatte (... ibi exactor reliquorum annonae sacrae expeditionist1. Im dritten Jahrhundert hat es wahrscheinlich für jeden vom Kaiser unternommenen Feldzug ein solches zentrales Organisationsschema des Nachschubs gegeben. Die letzten Zeugnisse dieser Art stammen aus dem Perserkrieg des Valerianus, in dem Fulvius Marcianus als έφεστώς xf) άγορο τοϋ σίτου fungierte263, und aus der Regierungszeit des Gallienus bezüglich Italiens (ILS 9018). In den Provinzen werden die praepositi copiarum zu der Zeit verschwunden sein, als sich die annona zu einer regelmäßig erhobenen Naturalsteuer entwickelte, wobei die Einzelheiten noch unklar und umstritten sind (siehe Anm. 231), und die Verantwortung fur deren Eintreibung in die Hände der einzelnen Provinzialbehörden gelegt wurde. Vielleicht schon Ende des dritten, sicher im vierten Jahrhundert fielen alle im Zusammenhang mit den häufigen Ortswechseln der Kaiser und der sie begleitenden Truppen erforderlichen Maßnahmen überwiegend in die Kompetenz der Prätorianerpräfekten. Sie beaufsichtigten den cursus publiais, wobei noch unter Konstantin die praefecti vehiculorum als ihre Unterbeamten bezeugt sind (Cod. Theod. 8,5,4); an sie wandte sich Constantius IL, wenn er über den Mangel an Zug- und Packtieren Klage führte (ebd. 8,5,3), und selbstverständlich gehörte die Sicherstellung des Verpflegungsnachschubs - wie das gesamte Verpflegungswesen der Armee - zu ihrem Aufgabenbereich264. Ein Teil der organisatorischen Verantwortung befand sich seit Konstantin in den Händen des magister officiorum; diesem unterstanden die Quartiermeister (mensores), denen das schwierige Geschäft oblag, im voraus die Unterkünfte für den kaiserlichen comitatus in den Städten zu beschaffen und dabei den gesetzlichen Vorschriften betreffs des hospitium Geltung zu verschaffen. Überhaupt haben die niederen Chargen des Hofes die Lasten und Nachteile hauptsächlich gespürt, da an sie die letzte Verantwortung aller vorbereitenden Maßnahmen delegiert war. Konstantin bescheinigte den palatini: sed nee alieni sunt a pulvere et labore castrorum, qui signa nostra comitantur, qui praesto sunt semper actibus, quos intentos eruditis studiis itinerum prolixitas et expeditionum difficultas exercet (Cod. Theod. 6,36,1). Die fortschreitende Kompetenzeinengung der Prätorianerpräfektur führte unter Constantius IL u. a. dazu, daß die praefecti vehiculorum durch praepositi cursus publici ersetzt wurden, die nunmehr ebenfalls dem magister officiorum unterstanden265. 261 ILS 2764; siehe J. Keil, AAWW 1955 Nr. 12, bes. 169, und Berard a.0.323 f. 262 ILS 1330; Pflaum, Carrières 811 ff. Nr. 317. 263 Aurelius Tuesianus praepositus sacrae annonae expeditionalis (AE 1979, 506) und ein unbekannter praepositus annonae expeditionis Germanicae (ILS 2765). Zu Macrianus siehe Petr. Patr. excerpta de sententiis 159 (Boissevain, Cassius Dio III p. 742); Pflaum, Carrières 928 ff. Nr. 350. 264 A. Nicoletti, I prefetti del pretorio e lariscossionedell'annona militare, Labeo 15,1969,117 ff. 265 Jones, Later Roman Empire (Anm. 210) 582; M. Clauss, Der magister officiorum in der Spätantike (4.-6. Jahrhundert), 1981,19 f., 45 ff.

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b) prosecutio - παραπομπή Den Bemühungen der Provinzialbehörden, die für die Reisetätigkeit des Kaisers erforderlichen Mittel bereitzustellen, sind reiche Privatleute entgegengekommen, indem sie, wie bei vielen anderen munera auch, ihrer Heimatgemeinde diese außerordentliche Last abgenommen oder erleichtert haben. Wir dürfen für die erste Zeit, in der diese Hilfsmaßnahmen bezeugt sind, sicher annehmen, daß sie im Hinblick auf das zu gewinnende Sozialprestige in der Gemeinde und letztlich vor dem Kaiser, verbunden mit Hoffnungen auf einen weiteren sozialen Aufstieg, größtenteils auf freiwilliger Basis erfolgten. Allerdings hat schon Rostovtzeff richtig festgestellt, daß die ersten Zeugnisse dieser Munilizenz nicht zufallig mit der Regierungszeit Trajans einsetzen und als erste Zeichen dafür zu werten sind, daß die unter Domitian und ihm selbst geführten großen Kriege die Städte in ernstliche finanzielle Bedrängnis gebracht hatten266. Gut bezeugt sind die Leistungen solcher reicher Herren für die in den Partherkrieg marschierenden Truppen, allen voran diejenigen des aus königlichem Geschlecht stammenden Galaters C. Iulius Severus, der nach dem Vorbild der Klientelkönige, wie wir es von Herodes kennen (siehe S. 133 f.), die in Ankyra überwinternden Soldaten versorgt hat267; in kleinerem Umfang besorgte dies in Makedonien ein Notabler aus Lete (bei Thessalonike), M\ Salarius Sabinus268. Ebenso kümmerte sich der reiche Ephesier T. Flavius Damianus um die Verpflegung der aus dem Partherkrieg des L. Verus zurückkehrenden Einheiten269. Zwar sind Trajan und L. Verus in den genannten Fällen nicht mit ihren Truppenverbänden gereist, doch veranschaulichen die Beispiele die mögliche Größenordnung privater Aufwendungen zur Versorgung des die Leistungen des cursus publiais beanspruchenden Personenkreises; daß diese Aufwendungen ebenfalls schon unter Trajan auch für die kaiserliche Reisegesellschaft im engeren Sinne erwartet wurden, erweist das Schreiben des lykischen Prokurators an Opramoas. Darin ließ dieser im Hinblick auf die Rückkehr Trajans vom parthischen Kriegsschauplatz unverhohlen durchblicken, daß er nicht nur auf die befohlenen Kontingente, die er den Städten in Form von Listen mitgeteilt habe, sondern auch auf die private Großzügigkeit dieses reichen Mannes zählte (κοινοποιοϋμαι προς σέ ούτως άνανκαία[ν] φροντίδα καί ύπομιμνήσκω, ώστε έπιγνΦναί σε τήν οφειλομένην . . . εύσέβε[ιαν...]; siehe Anm. 247). Seit Septimius Severus und Caracalla tritt uns jene Munifizenz der lokalen Ober­ schicht staatlicherseits „institutionalisiert" gegenüber in Form der prosecutio bzw. παραπομπή. Die in den Inschriften dieser Zeit zum erstenmal auftauchende Liturgie bedeutete für die hierzu Bestimmten, daß sie „als Agenten der Stadt die schnelle und richtige Expedition der Vorräte zum Bestimmungsort... zu überwachen" hatten. Die266 Social and Economic History 357 ff. 267 IGR III 173 : άποδεξάμενόν τε στρατεύματα τα παραχειμήσαντα έν τηι πόλει καί προπέμψαντα τα παροδεύοντα έπί τον προς Πάρθους πόλεμον. 268 Μ. Ν. Tod, ABSA 23,1918-19,72 ff. (ΑΕ 1921,1 = SEG 1, 276): καί ταΐς τοΟ κυρίου Καίσαρος τον στρατευμάτων διοδείαις παράσχοντα είς τάς άννώνας σείτου. 269 IvEph. 672,3080 mit Kommentar; vgl. auch G. Alföldy - H. Halfmann, ZPE 35,1979,209 f. Damianus spendete die 300- bis 400fache Menge an Verpflegungsgütern im Vergleich zu Salarius Sabinus.

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se von Rostovtzeff von den ägyptischen έπίπλοοι270 abgeleitete Definition ist aufgrund der epigraphischen Zeugnisse insofern zu erweitern, als die Liturgie außerdem die Gewährleistung der vorgeschriebenen Vorratsmenge eingeschlossen haben muß. Nicht zufallig hören wir von der παραπομπή zum erstenmal in Bithynien271, das in den Jahren 193/94 Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen den Heeren des Severus und Niger gewesen ist, das unter Severus viermal den Durchzug der kaiserlichen Truppen erlebte und im Winter 214/15 Caracalla mit seiner Armee versorgen mußte; namentlich die Stadt Prusias ad Hypium hatte, wenn wir die Anzahl der Zeugnisse zum Maßstab nehmen, wegen ihrer Lage an der großen Heerstraße Richtung Ankyra an den Durchzügen (διόδοι) besonders schwer zu tragen. Stammten in Ägypten die έπίπλοοι aus der Schicht der Dorfbewohner oder einfachen Soldaten, so deutet allein die Tatsache, daß die Liturgen in Bithynien (und Pamphylien, siehe unten) aus der städtischen Oberschicht stammten und die Übernahme der Liturgie in ihren Ehreninschriften als Leistung für die Stadt rühmend erwähnten272, darauf hin, daß dieselbe jedenfalls hier mit eigenem finanziellen Aufwand verbunden war. Sie beschränkte sich sicher nicht nur auf die organisierte Bereitstellung vorhandener Mittel; da vielmehr in drei Inschriften von einer Lebensmittelknappheit die Rede ist, die die geehrten Personen unter Einsatz eigener Mittel linderten273, wird die Hauptlast dieser Liturgie darin bestanden haben, Fehlmengen der geforderten Nachschubleistungen aus den Beständen der eigenen Güter oder durch Kauf fremden Getreides zu ersetzen, da die finanzielle Kraft der Städte und der Ertrag des eigenen Territoriums den Erfordernissen nicht mehr genügten. Der Titel des „Annonarchen" für zwei in einen Perserkrieg marschierende Legionen, den ein Bürger Nikomedeias führte und der nichts anderes als die παραπομπή umschreibt, unterstreicht die leitende Funktion der städtischen Notablen bei der Nachschubbeschaffung274. Auch im westlichen Teil des Reiches besitzen wir nunmehr einen entsprechenden Beleg: Es handelt sich um zwei praepositi annonae, Mitglieder der städtischen Oberschicht aus Aquincum und Savaria (?), die in Gorsium dem Caracalla im Jahre 213, als er wahrscheinlich durch diese Stadt in Richtung Sirmium reiste, eine Ehreninschrift setzten. Die gleiche soziale Schicht, die in diesem Fall auch die von anderen Städten der Provinz aufzubringenden Leistungen mitzutragen hatte, 270 M. Rostovtzeff, RE 7 (1910), 171 ; vgl. F. Oertel, Die Liturgie. Studien zur ptolemäischen und kaiserlichen Verwaltung Ägyptens (1917), 260 f. 271 Aus Prusias: IvPrusias 1, 6, 8, 9, 12, 20, 48, 50. Aus Nikomedeia: ΤΑΜ IV 1, 262, 329; vgl. Anm. 274. Aus Nikaia: S. Çahin, Museum Iznik (Nikaia) I (1979), 60 = SEG 29,1281. Siehe auch Rostovtzeff, Social and Economic History 723 Anm. 46, und S. Mitchell, The Balkans, Anatolia, and the Roman Armies across Asia Minor, in: Armies and Frontiers in Roman and Byzantine Anatolia, BAR Intern. Ser. 156, 1983, bes. 139 ff., und W. Ameling, Epigr. anat. 1,1983,69 ff. 272 So bes. in der o.g. Inschrift aus Nikaia (Ζ. 14 ff.): και άρξαντα τήν μεγίστην αρχήν κατ' άξίαν τοϋ μεγέθους και τοΟ αξιώματος της πατρίδος έν τή παραπομπή και παραχειμασία τή έν τη έπαρχείω του $ειοτάτου Αύτοκράτορος... 273 IvPrusias 9, 48: παραπέμψαντα . . . άγορανομήσαντα έπιφανως έν έπείγοντι καιρφ; IvPrusias 6: άγορανομήσαντα έν ύπερβαλλούση σειτοδεία και προτειμήσαντα τήν σωτηρίαν τών πολειτών δαπάνης χρημάτων... πολλάκις παραπέμψαντα. 274 ΤΑΜ IV1,189 mit der älteren Literatur; vgl. CIL V 5036 (Tridentum): adlectus annonae leg. III Italicae.

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und die gleiche Funktion, da derpraepositusannonae'yà. nichts anderes als derάννονάρχης bedeutet, lassen keinen Zweifel daran, daß wir es auch hier mit der bekannten Liturgie der prosecutio/παραπομπί] zu tun haben275. Der namentlich bekannte Personenkreis, der die παραπομπή zu leisten hatte, gehörte zu einer breiteren Oberschicht der jeweiligen Stadt, wie die übrigen lokalen Ämter ausweisen, deren Vermögen aber sicher nicht an jenes der reichen Männer des zweiten Jahrhunderts wie Iulius Severus oder Flavius Damianus heranreichte, die alleine ganze Heere über mehrere Monate hin versorgen konnten; vielmehr ruhte die Last, wie wir im Falle von Caracallas Winteraufenthalt 214/15 sicher wissen, auf mehreren Schultern. Während der Perserkriege des Severus Alexander und Gordian haben Bürger aus Side in Pamphylien bzw. aus dem Hinterland der Stadt die Liturgie der παραπομπή übernommen und die Nachschubkonvois bis nach Syrien geleitet276. Hiermit wird zugleich deutlich, wenn wir von Ägypten einmal absehen, daß im dritten Jahrhundert auch vom augenblicklichen Aufenthaltsort des Kaisers entfernter liegende Provinzen für den Nachschub zu sorgen hatten und nicht nur die gerade vom Durchzug betroffene Provinz. Im übrigen ist es auffallend, daß zahlreiche für ihre παραπομπή geehrten Bürger auch als Gesandte an den Kaiser fungierten; eine zeitliche Kumulation beider Dienste, wie sie sich aus der Natur der παραπομπή ergab, liegt immerhin nahe, und vielleicht wurde die Liturgie eine Art Voraussetzung für eine vor dem Kaiser erfolgreiche Interessenvertretung der Heimatgemeinde277. Der Mangel an weiteren Einzelbelegen für die pro^CMi/ο/παραπομπή bedeutet nicht deren Verschwinden (siehe Dig. 50,4,18,3), sondern lediglich, daß sie auf immer mehr Schultern verteilt, somit selbstverständlich wurde und den Charakter einer besonderen Leistung verlor. Im Gegenteil, im weiteren Verlauf des dritten und im vierten Jahrhundert ist es wohl häufiger vorgekommen, daß die Reichen durch Spekulationen aus der Not ihren Profit gezogen haben. Diokletian ging in seinem Maximaltarifedikt hart mit denen ins Gericht, die den Durchzug kaiserlicher Heere dazu benutzten, die Getreidepreise bis über das Achtfache des ursprünglichen Preises in die Höhe zu treiben. So haben auch einzelne Mitglieder der Oberschicht Antiocheias Kaiser Iulians aus Ägypten stammendes Getreide rasch aufgekauft und entweder gehortet oder in der weiteren Umgebung der Stadt zu weit überhöhtem Preis abgegeben278. 275 J. Fitz, Alba Regia 12,1971,254 ff. = AE 1973,437. Schon Fitz fand die richtige Erklärung, daß die Tätigkeit der beiden Dedikanten mit dem bevorstehenden Besuch Caracallas, den er auf das Jahr 214 datierte, in Verbindung stand. Da aber Caracalla im Jahr 213 wahrscheinlich noch bis Sirmium reiste (siehe S. 226), dürfte die in das Jahr 213 datierte Inschrift anläßlich des Aufenthaltes in Gorsium gesetzt worden sein. 276 G. E. Bean - Τ. Β. Mitford, Journeys in Rough Cilicia 1964-1968, DAW 102,1970,19-21 = AE 1972, 626-628. Ein identischer Wortlaut findet sich in einer Inschrift aus Pogla in Pisidien (IGR III 409 = AS 10,1960, 59 Nr. 104); wenn als Bestimmungsort wirklich Alexandreia in Ägypten gemeint ist, muß man wohl an eine außergewöhnliche Situation, wie die Anwesenheit eines Kaisers, denken. Es böte sich der geplante, aber nicht realisierte Besuch des Severus Alexander an (siehe S. 232). Vgl. noch IGR III407 (ohne Nennung des Zieles). 277 IvPrusias 8, 9, 12, 20; Bean - Mitford a.O. 20, 21; IGR I 497 aus Sizilien, siehe dazu Rostovtzeff, Social and Economic History 723 Anm. 46. 278 S. Lauffer, Diokletians Preisedikt (1971), 95 (praefatio 14). - G. E. Downey, Antioch 389 f. mit den Quellenangaben aus Iulians Misopogon.

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Planung und Organisation c) Ägypten

Getrennt von der eben besprochenen Entwicklung sollen die für die Kaiserreisen relevanten Belege aus Ägypten erwähnt werden. Die wirtschaftliche und politische Struktur des Landes geben ihnen einen eigenen Charakter, der sich nicht ohne weiteres auf die Verhältnisse des ganzen Imperiums übertragen läßt; andererseits gewähren sie aber einen durchaus repräsentativen Einblick in Einzelheiten der Organisation und die Art der für einen Kaiserbesuch notwendigen Nachschubgüter. Das System der betreffenden Liturgien, durchreisenden Truppen, Beamten und dem Herrscher den Transport, Unterkunft und Verpflegung zu garantieren, war ein altgewohntes seit der Ptolemäerzeit; in der Kaiserzeit erfahren wir nicht nur anläßlich des seltenen Kaiserbesuches, sondern auch - im wesentlichen vergleichbar - der regelmäßigen Konventsreisen der Präfekten von Ägypten dank einer anderswo nicht erhaltenen Fülle und Detailschilderung des Quellenmaterials von den vorbereitenden Maßnahmen für den hohen Besuch279. Das Organisationsschema ist relativ klar zu erkennen280: Als verantwortliche Mittelinstanz fungierten die Gaustrategen, die offenbar eine allgemeine „Warenliste" vom Epistrategen erhielten. Die Gaustrategen gaben Listen über die erforderlichen Güter und die Mengen an die kommunalen Behörden weiter, meist den (oder die) Dorfschreiber (κωμογραμματεύς) oder Bürgermeister (κωμάρχης) bzw. - seit dem dritten Jahrhundert - an den Rat und seinen Vorsitzenden (πρόεδρος: P. Beatty Panop. 1). Dieser hatte dann einzelne Liturgen zu benennen, die garantieren mußten, daß die erforderliche Menge an Verpflegung und Nachschubmaterial zum Verkauf bereitstand281. Entsprechende Listen der Liturgen und der bereitgestellten Güter wurden auf dem gleichen Wege an die vorgesetzte Stelle zurückgemeldet. Im Prinzip, wenn rechtens verfahren wurde, mußten sämtliche befohlenen Gegenstände zu allerdings äußerst niedrigen Sätzen zwangsverkauft oder zwangsvermietet werden, lediglich die Unterkunft mußte gratis gewährt werden282. Daneben wurde ein Teil der Parusieleistungen als Sondersteuer dem Gau auferlegt; eine Fülle solcher Steuerquittungen bzw. von dem Liturgen ausgestellter Abgabequittungen sind in Form von Ostraka auf uns gekommen, in denen Einzelpersonen die ordnungsgemäße Anlieferung der Versorgungsgüter bescheinigt wurde. Der Mißbrauch von Parusieleistungen durch die Behörden und zur Inanspruchnahme berechtigten Personen blieb, wie die zahlreichen Edikte der Präfekten zeigen, ein nicht auszurottendes Übel283. Germanicus mußte in seinem bekannten „Requisitionsedikt" einschärfen, daß die Behörden für den Einzug von Zugtieren und Schiffen den

279 U. Wilcken, Grundzüge (Anm. 157) 356 ff. ; ders., APF 4,1908,415 ff. ; Oertel, Liturgie (Anm. 270) 24 ff.; 88 ff.; O.W. Reinmuth, The Prefect of Egypt from Augustus to Diocletian (1935), 78 f., 100. Bis auf P. Petaus 45-47 sind die Belege gesammelt in P. Leit. 12. 280 Siehe bes. P. S. I. VI 683, der richtige Bezug auf die Parusie des Septimius Severus im Jahr 199 bei Wilcken, APF 7,1924,84 f. ; ferner J. D. Thomas, The epistrategos in Ptolemaeic and Roman Egypt. Part 2: The Roman epistrategos (1982), 166, und Bowman, Town Councils (Anm. 157) 117 f. 281 P. Petaus 45-47 haben Klarheit in dieser Frage gebracht. 282 Oertel, Liturgie 90 ff. 283 D. G. Weingärtner, Die Ägyptenreise des Germanicus (1969), 130 Anm. 28.

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festgelegten Tarif zu zahlen hatten und dieselben nicht einfach beschlagnahmen durften, während die kostenlosen Leistungen fur die Ausstattung der Unterkünfte nicht nach eigenem Gutdünken, sondern nur nach einer Entscheidung seines φίλος und γραμματεύς Baebius einzufordern waren284. Wenn die Liturgen die erforderlichen Mengen nicht zusammenbringen konnten oder aus irgendeinem Grunde Verluste oder Beschädigungen eintraten, hafteten sie persönlich mit ihrem Vermögen. Insofern wurde es für die Gemeinden immer schwieriger, die erforderliche Zahl von Liturgen zu stellen. Die Situation im allgemeinen hat M. Rostovtzeff anschaulich beschrieben285. Ein später veröffentlichtes Dokument schildert noch detaillierter die besonderen Verfahren und Schwierigkeiten vor dem Besuch Diokletians im Nomos von Panopolis im Herbst 298; es handelt sich um die Korrespondenz des Nomosstrategen, der, was die Parusieleistungen betraf, dem Prokurator der Unteren Thebais verantwortlich war286. Seinerseits delegierte der Stratege die Verantwortung an den πρόεδρος der Nomoshauptstadt Panopolis; diesem oblag das schwierige Geschäft, Liturgen für die Aufbringung der Lebensmittel, Transportfahrzeuge und vielfaltigen Hilfsgüter für den bevorstehenden Kaiserbesuch zu finden. Der Papyrus gibt genau darüber Aufschluß, daß in jeder der sechs Toparchien des Nomos für je eine annona-Sorte (Fleisch, Spreu, Weizen, Brot und Gerste) jeweils ein Eintreiber (απαιτητής), Verteiler (διαδότης) und Empfänger (αποδέκτης) bzw. nur zwei der Genannten zuständig waren. So sind allein für einen Nomos 76 Personen namentlich bekannt, die direkt die Eintreibung der annona besorgten287. Daneben wurden Empfanger und Aufseher über die annona, getrennt nach Arten, für jede mansio bestimmt (Z. 220 ff.), fur reparaturbedürftige Schiffe benötigte man zwei Aufseher (Z. 167 ff.), dieselben für die Wiederherstellung einer Bäckerei, damit sie die Soldaten versorgen konnte (Z. 332 ff), für die Opfertiere, die der Kaiser an bereits festgesetzten Plätzen zu opfern beabsichtigte (Z. 381 ff.) und schließlich mehrere έκστρωσταί, die für die Herrichtung von Lagerstätten für den Kaiser verantwortlich zeichneten (Z. 256 ff). Der πρόεδρος von Panopolis war somit gezwungen, einhundert bis zweihundert Personen zwecks Übernahme dieser Liturgien ausfindig zu machen; für jede Aufgabe konnte er aber nicht jeden Beliebigen auswählen, sondern, wie sporadische Hinweise im Schreiben des Prokurators zeigen, Männer von Erfahrung, Reichtum und literarischer Bildung (εντός πολλής επιστήμης και περιουσίας καΐ γραμμάτων έμποραν, Ζ. 182). Angesichts dieses Aufwandes an Organisation konnten die an den πρόεδρος gestellten Forderungen nur unter großen Schwierigkeiten und mit Verzögerungen erledigt werden, wobei dieser die in den Ohren seiner Vorgesetzten kühne Ausrede vorbrachte, die Auflagen versetzten die Stadt zu sehr in Unruhe (μή όφείλειν τήν πόλιν ένοχληΟηναι, Ζ. 172). Der Nomosstratege mußte wenigstens viermal anmahnen, die Empfänger und Aufseher der annona zu bestimmen und bat um Beeilung, da ansonsten er sich selbst wie auch der πρόεδρος sich in Gefahr

284 P. Germ., siehe im einzelnen Weingärtner a.0.125 ff. 285 Social and Economic History 482 ff. 286 T. C. Skeat, Papyri from Panopolis in the Chester Beatty Library Dublin, 1964 (P. Beatty Panop. 1). 287 P. Beatty Panop. 1, Z. 276 ff., Kommentar 123 ff.

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brächten (Z. 53 ff., 109 ff). Einen Tag später sah sich der Stratege veranlaßt, die Säumigkeit des πρόεδρος dem Prokurator zu melden: „Wenn dieser Mann mit Unge­ horsam beginnt, versuchen andere dasselbe, und aus diesem Grunde und wegen seiner Hochmütigkeit, die ohne Parallele ist, gerät die gesamte Verwaltung in Gefahr" (Z. 178 ff). Weitere Einzelheiten über Requisitionen im Zusammenhang mit Kaiserbesuchen erhellen aus einem Oxyrhynchospapyrus vom 19. Dezember 129, einem Bericht eines Dorfschreibers an den Gaustrategen über im Bereich seiner Komogrammatie eingelagerte Lebensmittel für den bevorstehenden Besuch Hadrians288:200 Artaben Gerste289, 3000 Bündel Heu, 372 Spanferkel, 55 Artaben Datteln, [ ] Schweine, 2000 ägyptische Schafe, drei Metreten Öl, sieben Körbe Spreu, drei Artaben unreife Oliven. Der Epistratege der Arsinoites hat am 5. November 199, also im Zusammenhang mit der Anwesenheit des Septimius Severus und Caracalla in Alexandreia, eine genaue Aufschlüsselung verlangt, in welchen Kontingenten die insgesamt aufzubringenden Viehzahlen, Heu, Ziegen, Wein und andere Feldfrüchte auf die Dörfer verteilt worden waren (siehe Anm. 280). Die Gaue Innerägyptens lieferten für die Bedürfnisse des kaiserlichen Hofes Zugtiere und Esel nach Pelusion, Caracallas erster Station in Ägypten gegen Ende des Jahres 215, im folgenden Jahr Fische und Kälber nach Alexandreia290. Ein einfacher Landbesitzer war vom Dorfschreiber eingeteilt worden, Gerste, die für Caracalla und sein Heer in Syrien bestimmt war, nach Alexandreia zu geleiten; dem Gaustrategen meldete er, daß er auf die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe einen Eid geleistet habe (P. Oxy. 3091). Caracallas Aufenthalt in Alexandreia wegen waren einer im Fayûm wohnenden Frau zwei Kamele requiriert, bald darauf aber wieder zurückgegeben worden; als der Kaiser in Syrien weilte, wurde eines der Kamele auf Befehl des Präfekten Valerius Datus von einem Centurio nochmals requiriert εις τας έν Συρίςι κυριακας υπηρεσίας291. Für Valerians in Syrien stehende Armeen hatten mehrere Dörfer des Oxyrhynchosgaues 36 Pflugochsen bereitzustellen und abzutransportieren (P. Oxy. 3109). Aufschlußreich im Hinblick auf die unentbehrlichen Nachschubgüter ist die Regelung Caracallas für die „Fremden" in Alexandreia nach dem großen Aufstand des Jahres 215 (siehe S. 123): die ξένοι wurden aus der Stadt ausgewiesen, ausgenommen waren nur die Lieferanten von Schweinefleisch, die Nilschiffer, die vornehmlich den Getreidetransport besorgten, und diejenigen, die für das Heizmaterial der Badeanlagen verantwortlich waren292; ausreichende Verpflegung und Körperkultur rangierten hier vor Sicherheitsdenken. Um das Bild zu vervollständigen, sei auf zwei einschlägige Dokumente hingewiesen, die entsprechende Details über bevorstehende Besuche des praefectus Aegypti erhellen, in der Sache also auf dasselbe Problem Bezug nehmen; auch hier handelt es sich um Rückmeldungen der Dorfschreiber an die Merisstrategen von Herakleides bzw. 288 Van Groningen a.O. (Anm. 243) = SB 9617. 289 Eine Artabe = ca. 38 Liter, siehe R. P. Duncan-Jones, Chiron 9,1979,350 f. 290 P. Oxy. 3602-05 ; P. Got. 3 = Η. Hengstl (Hg.), Griechische Papyri aus Ägypten (1978), 50 f. Nr. 11 ;P. Oxy. 3090. 291 B. G. U. I 266 = Wilcken, Chrestomathie (Anm. 157) I 2, 245. Auch im P. Strasb. 688 ist von für Syrien bestimmten Geld- und Naturalsteuern unter Caracalla die Rede. 292 P. Giss. 40II Ζ. 16 f. - Wilcken, Chrestomathie 22.

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Hermopolis in Form von Listen über die einzelnen geforderten Nachschubgüter und die jeweils verantwortlichen Liturgen, die für den Besuch der Präfekten Valerius Proculus (145/47) bzw. Longaeus Rufus (185) genannt worden waren293: neben Lebensmitteln wie zwei Sorten Brot, Kalb- und Schweinefleisch, zwei Sorten Wein, Öl, Linsen, Gerste, Wildgänsen, Vögeln, Wildbret, gedörrtem Fisch, Gemüse, Käse waren Heu und Spreu für die Zugtiere gefordert worden, ferner Fischerkähne sowie Holzkohle, Holz und Fackeln für die Küche der Präfekten. Die Zahl der Liturgen hing einmal von dem Umfang der Komogrammatie ab (im Falle des Petaus umfaßte sie wenigstens fünf Dörfer), zum anderen von der Menge der bereitzustellenden Güter. In diesem Zusammenhang ist es sicher kein Zufall, daß die für die beiden Präfektenbesuche des zweiten Jahrhunderts bezeugte Anzahl von Liturgen von 36 bzw. von über 50 um das drei- bis vierfache unter der Zahl der Liturgen von Panopolis lag, die für den Besuch Diokletians bestimmt worden waren. Von den o.g. nicht abwägbaren Faktoren abgesehen schlägt sich hier sicher der erhöhte Aufwand für den Kaiser und sein ziviles und militärisches Gefolge neben einem vielleicht mit Einführung der annona als regelmäßiger Steuer generell vergrößerten Organisationsschema nieder. Für Ägypten scheint festzustehen, daß die Liturgen ständig zur Verfügung stehen mußten, ihre Geschäfte freilich nur aus gegebenem Anlaß wahrzunehmen hatten, weshalb U. Wilcken diese Gruppe als „permanentes Festkomitee" bezeichnete (APF 4,1907,541); bei Übernahme anderer Liturgien, bei Tod u.a. wurden Ersatzliturgen benannt294. Damit stimmt überein, daß auch außerhalb Ägyptens die in Kleinasien für das dritte Jahrhundert bezeugte παραπομπή in vielen Fällen mehrmals ausgeführt wurde, da entweder mehrere durchreisende Kaiser (Septimius Severus, Caracalla, Elagabal) namentlich genannt wurden, oder in allgemeiner Form (πολλάκις, δίς, τρίς) die wieder­ holte Übernahme dieser Liturgie angezeigt wurde.

4) STRASSENBAU UND UNTERKUNFT Das Fortbewegungsmittel zu Lande war entweder der Reisewagen, die Sänfte oder das Pferd. Von der Reiseart zu Wagen erfahren wir aus dem Grund häufiger, weil das Recht, mit dem Kaiser gemeinsam in dessen Wagen zu fahren (consessus vehiculi), von höchster gesellschaftlicher, ja politischer Bedeutung war295. So bildete sich die Gewohnheit heraus, daß Mitregenten oder engste Verwandte des Kaiserhauses neben dem Herrscher im Wagen saßen, namentlich bei feierlichen Ein- und Umzügen in den Städten296; umgekehrt bedeutete die Verweigerung dieses Gewohnheitsrechtes den 293 P. Lond. III1159 = Wilcken, Chrestomathie 415; P. Petaus 45-47 (47 mit der endgültigen Fassung). 294 Wilcken a.O. ; vgl. Oertel, Liturgie (Anm. 270) 210. 295 H. Castritius, Zum höfischen Protokoll in der Tetrarchie, Chiron 1,1971,365 ff. Zur Reiseart im Wagen siehe ausführlich Friedlaender, Sittengeschichte I 340 ff., und Chr. W. Röring, Untersuchungen zum römischen Reisewagen (1983). 296 Marc Aurei und L. Verus: HA, MA 14,8; Constantius II. und Iulian: Amm. Marc. 15,8,17; Valentinian und Valens: Amm. Marc. 26,4,3. Siehe noch Castritius a.0.368 f.

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Ausdruck kaiserlicher Ungnade297. Je freigiebiger der Kaiser darüber hinaus andere hochgestellte Amtspersonen298 oder Privatleute299 neben sich sitzen ließ, desto größer gestaltete sich das Lob auf seine civilitas. Augustus reiste, sofern er nicht das Schiff benutzen konnte, zu Lande am liebsten in der Sänfte300. Der Sänfte ging ein explorator viae voraus, der unter Tiberius Centurionenrang besaß (Suet. Tib. 60). Sueton scheint die Sänfte als typisches Fortbewegungsmittel für schwächliche Naturen zu werten, wie im Falle Domitians (Dom. 19), der auf Reisen und im Felde seltener auf dem Pferd saß als in der Sänfte getragen wurde. Caracallas Soldatennatur charakterisierte Herodian (4,7,6) damit, daß der Kaiser selten zu Pferde ritt oder im Wagen reiste, sondern zu Fuß marschierte. Eine Überprüfung des Zustandes der Straßen, über die der Kaiser zu reisen beabsichtigte, und gegebenenfalls deren Ausbesserung gehörte neben der Disposition des Verpflegungsnachschubs zu den vorbereitenden Maßnahmen. Eine solche Bestandsaufnahme gehörte im Zuge der Festlegung des Itinerars neben der Orientierung über die Entfernungen von Ort zu Ort zu den unerläßlichen Vorbereitungen des kriegführenden Feldherrn, wie Vegetius (3,6) bezeugt, und - wie wir übertragen dürfen - des reisenden Kaisers: Primum itineraria omnium regionum, in quibus bellum geritur, pienissime debet (sc. dux) habere perscripta, ita ut locorum intervalla non solum passuum numero sed etiam viarum qualitate perdiscat... Der Zustand der Straßen entschied ja nicht nur über die Bequemlichkeit, sondern auch die Geschwindigkeit des Reisens, erlangte damit auch Bedeutung für das Versorgungsproblem (siehe S. 65 f.). Aufgrund des auf Hadrian zu beziehenden Itinerars im CIL VI 5076 (siehe S. 190) und einer dichteren Kette von bezeugten Aufenthaltsorten des Kaisers in diokletianischer Zeit ergibt sich zu Lande eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20-30 km pro Tag301. Wurde die Reise teilweise zu Schiff zurückgelegt, erhöhte sich die Geschwindigkeit; die etwa 2500 km von Rom nach Antiocheia legte Trajan in ca. zehn Wochen zurück (27. Oktober 113 bis 14. Januar 114), was einer durchschnittlichen Tagesleistung von 35 km entspricht. Die Instandhaltung der viae publicae bzw. militares oblag den Gemeinden, durch deren Territorium die Straße verlief, bzw. den an diese angrenzenden Grundbesitzern, wobei eine entsprechende Anordnung vom Kaiser über den Statthalter erging302. Obwohl explizit nirgends ein Zusammenhang zwischen der Reparatur einer via publica und einem bevorstehenden Kaiserbesuch bezeugt ist, hat man schon immer die Meilensteine, die sich in die zeitliche Nähe eines Kaiserbesuches datieren lassen, mit dem Aufenthalt des Herrschers in Verbindung gebracht, als Hinweis sei es auf vorbereiten-

297 So mußte Galerius neben Diokletians Wagen zu Fuß laufen, siehe Castritius a.O. 365 Anm. 1. Eine ähnliche Geschichte überliefert Sueton (Galba 6,3), wonach Galba als Statthalter Obergermaniens 30 km neben Caligulas Wagen herlief. 298 Statthalter: HA, AS 22,6; Amm. Marc. 22,9,13. 299 Besonders von Trajan bekannt: Dio 68,7,3; Eutrop 8,4; Philostr. soph. 1,7. Siehe Castritius a.O.370f. 300 Suet. Aug. 82,1 ; vgl. 29,3 ; 76,2. 3011. König, Chiron 4,1974,372 f. mit Anm. 35; vgl. Friedlaender, Sittengeschichte 1331 ff. mit Errechnung der möglichen Spitzengeschwindigkeiten im antiken Reiseverkehr. 302 Pekary, Reichsstraßen (Anm. 217) 77 ff. Zur rechtlichen „Qualität" der Straßen siehe S. 66.

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de Ausbesserungsarbeiten, sei es auf Baumaßnahmen, die der Kaiser nach persönlicher Inaugenscheinnahme angeordnet hat. Letzte Sicherheit läßt sich hier nicht erreichen: Am wahrscheinlichsten besteht ein Zusammenhang dort, wo die vom Kaiser eingeschlagene Route aufgrund anderer Quellen schon bekannt und von dieser Straße ein in das Jahr des Aufenthaltes datierter Meilenstein vorhanden ist. Unter dem Itinerar Hadrians und des Septimius Severus sind einige Beispiele angeführt worden; ebenso stehen zwei Meilensteine der via Agrippae zwischen Arles und Lyon aus dem Jahre 43 in offensichtlichem Zusammenhang mit der Durchreise des Claudius zum britannischen Kriegsschauplatz303. Eines der zweifelhaften Beispiele in diesem Zusammenhang bietet etwa die umfangreiche, überwiegend in das Jahr 122 zu datierende Straßenbautätigkeit des galatischen Legaten A. Larcius Macedo, von der man eben nicht weiß, ob sie im Hinblick auf die Durchreise Hadrians im Jahre 123 vorgenommen wurde304. Der genaue Reiseweg, den Hadrian durch das nördliche Kleinasien nahm, ist unbekannt (siehe S. 198) und deshalb auch nicht zu klären, ob er die wiederhergestellten Straßenzüge überhaupt benutzte; vielleicht kannte auch der Statthalter die genaue Route noch nicht und nahm den bevorstehenden Kaiserbesuch zum Anlaß, das Straßenwesen der gesamten Provinz einer Revision zu unterziehen. Daneben und hauptsächlich erfolgte eine Ausbesserung des Straßennetzes nicht - oder nicht nur - der kaiserlichen Präsenz wegen, sondern weil der Kaiser in Begleitung größerer Heeresverbände in einen Krieg zog und zu deren Transport die Straßen in einem angemessenen Zustand sein mußten. Dies erhellt eindeutig aus der Statistik: Für Syrien, Palästina und Arabien hat P. Thomsen die seinerzeit bekannten Meilensteine zusammengestellt305; anhand seiner Tabelle ist eine höhere Dichte von Meilensteinen unmittelbar vor und während großer Feldzüge im Osten, aber auch in der Zeit von Hadrians Aufenthalt im Osten 129/30, leicht ablesbar. Derselbe Zusammenhang zwischen Straßenerneuerung und Feldzügen des Kaisers läßt sich auch in Obergermanien aus Anlaß von Caracallas Alamannenkrieg306, in Thrakien unter Philippus Arabs307 und auch sonst308 feststellen. In Ermangelung einer umfassenden Analyse können hier nur Tendenzen angedeutet werden, die Motive im einzelnen lassen sich kaum auf einen einheitlichen Nenner bringen. Bestimmte Baumaßnahmen haben die Kaiser aus eigener Tasche finanziert, wo sie sich von der Notwendigkeit mit eigenen Augen überzeugen konnten. So ließ Hadrian bei seinem ersten Athenaufenthalt eine Brücke über den Kephisos bauen, um den Zugang nach Eleusis über den häufig Hochwasser führenden Fluß zu erleichtern309, und ebenso die Straße Megara-Korinth erweitern (Paus. 1,44,10), so daß sie auch für Wagen befahrbar wurde. Ein vereinzeltes Beispiel liegt aus dem dritten 303 G. Walser, Die Straßenbautätigkeit von Kaiser Claudius, Historia 29,1980,446 f.; U. Schillinger-Häfele, MZ 73/74,1978/79,367. 304 Belege in der PIR2 L 98; siehe außerdem Chr. Habicht, ZPE 8,1971,96; S. Mitchell, ZPE 10,1973,73. 305 ZDPV40,1917,1 ff., 89 ff.; vgl. B. Isaac, PalEQ 110-11,1978-79,47 ff. 306 M. Christol, BJ 175,1975,135. 307 V. Geramisova Tomova - L. Hollenstein, Epigraphica 40,1978,102 ; ebd. 113 zu Gordian III. 308 Walser a.O. (Anm. 303) 459 mit Anm. 70. 309 Die Zeugnisse der Chronisten bei P. Graindor, Athènes sous Hadrien (1934), 35 f.

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Jahrhundert vor: Th. Pekâry konnte wahrscheinlich machen, daß Valerianus der Stadt Mopsos in Kilikien eine neue Brücke über den Pyramos geschenkt hat, nachdem er auf der Durchreise von Syrien die Dringlichkeit der Maßnahme erkannt hatte310. Auch dort, wo ein Besuch erst geplant war, konnten sich die Kaiser großzügig zeigen: Wenn Caracalla ein Jahr vor seinem Aufenthalt in Rätien den Ausbau der nach Faimingen (Phoebiana) fuhrenden Straße aus eigenen Mitteln besorgte (yias et pontes dedit), so ist diese Generosität sicher mit dem in Aussicht genommenen Aufenthalt des Kaisers im dortigen Heiligtum des Apollo Grannus zu erklären311. Im vierten Jahrhundert war ein einwandfreier Zustand der Fernstraßen selbst dann nicht mehr herzustellen, wenn der Kaiser persönlich auf ihnen reiste. Der Panegyriker wußte dieses Übel in ein Lob auf den Herrscher umzumünzen, wenn etwa Konstantin trotz der beschwerlichen Anreise den Weg nach Augustodunum gefunden hatte (Paneg. 8,7,2: etiam militaris vias ita confragosas et alternis montibus arduas atque praecipites ut vix semipiena carpenta, interdum vacua transmittant). Kaiser Iulian fand nach seinem Abmarsch aus Antiocheia in Richtung Euphrat im März 363 eine äußerst beschwerliche Straße vor; sie führte teils durch gebirgiges, teils durch sumpfiges Gelände, das man offenbar auf die schnelle durch willkürlich hingeworfene Felsbrocken halbwegs zu befestigen versucht hatte (lui. ep. 399 Β). Die baulichen Maßnahmen, die anläßlich bevorstehender Kaiserbesuche in den Städten getroffen wurden, haben auch die Renovierung von Straßen miteinbegriffen; hinsichtlich eines direkten Zusammenhanges sind wir aber auch hier größtenteils auf Vermutungen angewiesen. Ein sicheres Zeugnis liegt in einem Ehrendekret der Stadt Troizen für einen Mitbürger vor (IG IV 759), der sich um das Straßenwesen der Gemeinde und der näheren Umgebung verdient gemacht hat, wobei ausdrücklich diese Maßnahme mit der Anwesenheit eines Kaisers, sicher Hadrians, in Verbindung gesetzt wird. In Apameia in Syrien spricht eine Inschrift (IGLS IV 1347) von dem Bau (?) einer οδός δημοσία und der schnellen Ausschmückung der Säulen eines Tempels - offensichtlich aus Anlaß eines bevorstehenden größeren Ereignisses. Eine Inschrift aus dem Jahre 199/200 (IGR I 1113) bezeugt die Wiederherstellung des Straßenpflasters in der Nähe der Sphinx in Memphis; J. Hasebroek hat hier wohl zu Recht den bevorstehenden Besuch des Septimius Severus mit dieser Renovierungsmaßnahme in Zusammenhang gebracht312. Der gleiche Sachverhalt scheint im Falle der Renovierung der via Septimiana durch die legio III Augusta vorzuliegen, die die Stadt und das Lager Lambaesis miteinander verband, eine Arbeit, die neben anderen Verschönerungen im Jahre 203 vorgenommen wurde, als sich die kaiserliche Familie in Afrika aufhielt (CIL VIII2705). Auch die Errichtung und Ausstattung der für den Kaiser vorgesehenen Unterkünfte müssen in die vorbereitenden Planungen einbezogen worden sein, wenngleich die diesbezüglichen Nachrichten sehr spärlich sind. Nero hatte sich in Alexandreia im 310 Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1964/65 (1966), 139 ff. 311 Vorläufige Anzeige der beiden Meilensteine bei G. Walser, Die römischen Straßen und Meilensteine in Rätien (1983), 46 f., 90. 312 Untersuchungen zur Geschichte des Kaisers Septimius Severus (1921), 119. Vgl. die Bibliographie zur Inschrift bei E. Bernand, Inscriptions grecques d'Egypte et de Nubie: Répertoire bibliographique des IGRR (1983), 32.

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Hinblick auf seine Ägyptenreise ein neues Bad errichten lassen, das der damalige Präfekt von Ägypten bekanntlich vorzeitig benutzte; er wurde daraufhin verbannt (Suet. Nero 35,5; Dio 63,18,1). Welchen Aufwand Caracalla bei der Herrichtung seiner Herbergen auf Reisen treiben ließ, ist schon erwähnt worden (S. 73); in Alexandreia logierte er im Serapistempel (Dio 77,23,2). Das Quartier des Kaisers hieß palatium (βασίλειον) 313 , ohne Rücksicht darauf, ob es sich um einen großartigen ,Palast4 handelte, der in traditionellen Residenzstädten schon als Königspalast gedient hatte und den ansonsten die Statthalter bewohnten, oder um eine improvisierte Unterkunft. Eine solche bestand für Iulian in Batnai aus Holz und Lehm (lui. ep. 399 B), für Diokletian wurde sie während seiner Ägyptenreise in einem kleinen lokalen Heiligtum hergerichtet (P. Beatty Panop. 1, 259-61). In Olympia sind ein älterer Bau (ehemaliges Hestiaheiligtum?) am Südostrand der Altis unter Nero völlig abgerissen und darauf eine römische Villa errichtet worden, die dem Kaiser, wie ein Bleiröhrenstempel mit der Aufschrift Neronis Augusti ausweist, offensichtlich als dortige Wohnstatt gedient hat314. Im einzelnen dürften solche Baumaßnahmen je nach Dauer des Aufenthaltes und den persönlichen Ansprüchen des Kaisers sehr variiert haben. Die primitiven Behausungen finden sich naturgemäß nur in den kurzen Durchgangsstationen, während die Kaiser dort, wo sie länger oder regelmäßig zu residieren beabsichtigten, selbst ein angemessenes Bauwerk erstellten, wie etwa Diokletian in Antiocheia und Nikomedeia, Konstantin in Trier und später in Konstantinopel315. Es ist jedoch bemerkenswert, daß die neuen Kaiserpaläste erst in der Zeit der Tetrarchie entstanden sind und damit geradezu symbolhaft das Ende Roms als dauernde Wohnstatt der Kaiser dokumentiert wurde. In vielen Fällen wird die lokale Oberschicht den Kaiser als hospes beherbergt haben; die bekannten Beispiele werden noch erläutert werden (siehe S. 133 ff.). Das Haus eines gewissen Ti. Claudius Socrates im mysischen Stratonikeia, in dem Hadrian auf seiner Kleinasienreise wohnte (siehe S. 199 f.), ist später konsekriert und dem Kaiserkult geweiht worden, d. h. es durfte weder abgerissen noch nach seinem Verfall überbaut werden. Damit hielt man an einer alten Tradition fest, die zumindest auf Alexander den Großen zurückging, dessen Wohnhaus in Priene ebenfalls in eine Kultstätte verwandelt wurde. Ein in ähnlicher Weise später nicht mehr überbauter Platz, nämlich das Wohnhaus des Augustus, ist sicher auf dem Palatin nachzuweisen316 und möglicherweise auch in Aquileia317. 313 R. MacMullen, Athenaeum 54,1976,26 ff.; Millar, Emperor 40 ff. Claudius erließ das Edikt über das Bürgerrecht der Anauni in praetorio seines Ferienortes Baiae (ILS 206). 314 Α. Mallwitz, Olympia und seine Bauten (1972), 199 ff., 206 ff.; W. Koenigs, Die Echohalle (Olymp. Forsch. XIV), 1984,85 f. 315 Nikomedeia: W. Rüge, RE 17(1936), 491. Trier: E. M. Wightman, Roman Trier and the Treveri (1970), 98 ff. Konstantinopel: W. Müller-Wiener, Bildlexikon zur Topographie Istanbuls (1977), 229 (Literatur 237). Antiocheia: Downey, Antioch 318 ff. - Zu den Bauten in Sirmium siehe M. Mirkovic, Sirmium I (1971), 37,59. 316 Priene:Th. Wiegand - E Schrader, Priene (1904), 172 ff. ; M. Schede, Die Ruinen von Priene (1964), bes. 106; vgl. IvPriene 108 Z. 75 ff. - Palatin: Ν. Degrassi, RPAA 39,1966,77 ff.; G. Carettoni, QuadSt per l'archeol. etrusca-italica 1,1978,72 ff. 317 M. Donderer, Die Chronologie der römischen Mosaiken in Venetien und Istrien bis zur Zeit der Antonine (1986), Aquileia Nr. 41-48.

III. DIE REISEBEGLEITUNG 1) DIE KAISERLICHE FAMILIE Wie so viele äußere Erscheinungsformen kaiserlicher Reiseaktivität hat auch die Zusammensetzung des Personenkreises, der den Kaiser auf Reisen begleitete, ihr Vorbild in den Reiseunternehmen der hellenistischen Herrscher und den Statthalterreisen der römischen Republik. Das Phänomen an sich ist so alt wie unsere Kenntnis von Herrscherreisen und hat, da Bedürfnisse seitens der Herrscher und die an sie herangetragenen Anforderungen im wesentlichen die gleichen blieben, kaum einem Wandel unterlegen. Nur in einer Hinsicht haben die Kaiser mit einer strengen republikanischen Tradition gebrochen, indem sie nämlich ihre Ehefrauen und Kinder auf Provinzreisen mitnahmen. Dabei knüpften sie freilich an eine Entwicklung an, die bereits im letzten Jahrhundert der Republik begonnen und namentlich von den Triumvirn fortgesetzt wurde. Nichtsdestoweniger tadelte Cicero noch im Jahre 44 den Aufenthalt der Fulvia im Lager des Antonius vor Brundisium318. Die ursprüngliche Absicht des Verbotes, die Frauen vom Feldlager und Kriegsgeschehen fernzuhalten, hielt Augustus allerdings insofern noch aufrecht, als er Besuche der Statthalterfrauen nur in den Wintermonaten gestattete (Suet. Aug. 24,1). Es ist jedoch fraglich, ob sich Augustus selbst oder die kaiserlichen Prinzen an diese Vorschrift hielten; immerhin wird von Livia berichtet, sie habe ihren Gatten durch den westlichen wie den östlichen Teil des Imperiums begleitet (Tac. ami. 3,34,6), und ihre Anwesenheit in Gallien ist sicher bezeugt (Sen. de clem. 1,9). Drusus und Tiberius haben ihre Gattinnen in den Etappenorten weit hinter der Front, an der sie Krieg führten, zurückgelassen, Drusus in Lugdunum, Tiberius in Aquileia. Ebenso blieb Iulia im westlichen Kleinasien zurück, während ihr Gatte Agrippa nach Paphlagonien reiste319. Von C. Caesar wird berichtet (Dio 50,10,18), Augustus habe ihm, bevor er ihn in den Osten schickte, noch eine Gattin gegeben, damit der junge Prinz mehr auctoritas besitze; dieser wird also (Claudia) Livia Iulia ebenso auf seine lange Reise mitgenommen haben wie die anderen Prinzen der iulisch-claudischen Dynastie ihre Gattinnen. Agrippina befand sich während der rechtsrheinischen Feldzüge ihres Gatten Germanicus in Köln, wo sie ihre Tochter Iulia Agrippina gebar, und brach zwei Jahre später sogar in schwangerem Zustand mit Germanicus in den Osten auP20. Unter Tiberius sind jegliche Einschränkungen, die die Ehefrauen der Statthalter an der Begleitung ihrer Männer in die Provinzen hinderten, aufgehoben worden. Die 318 Cic. Phil. 5,22; 13,18. Siehe im einzelnen A. J. Marshall, Roman Women and the Provinces, AncSoc 6,1975,109 ff. 319 Zu Drusus und Tiberius siehe S. 162, 168; zu Agrippa und Iulia J.-M. Roddaz, Marcus Agrippa (1984), 448. 320 Tac. ann. 12,27,1 ; vgl. 1,40,3 ; 44,1 ; 69,1 ; Suet. Cal. 8,3 ; Dio 57,5,6. Im Osten: Tac. ann. 2,54,1 ; 57,4; 75,1.

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Mehrheit des Senates und der Prinz Drusus selbst plädierten in der Senatsdebatte des Jahres 21 praktisch für eine Liquidierung der alten Tradition, indem sie sich auf Augustus und Livia als Vorbild beriefen321. In der Folgezeit wird es eher die Ausnahme gewesen sein, wenn die Gattin des Kaisers ihren Mann nicht in die Provinzen begleitete. Freilich fehlen gerade für das erste Jahrhundert lückenlose Angaben; nur von Statilia Messalina wissen wir, daß sie an der Seite Neros nach Griechenland reiste, da die Arvalbrüder auch für ihre salus und ihren reditus Gelübde darbrachten. Plotinas Aufenthalt im Osten während Trajans Partherkrieg ist bezeugt durch ihre bedeutende Rolle, die sie am Sterbebett Trajans zugunsten einer Thronfolge Hadrians spielte322. Vibia Sabinas Teilnahme an der ersten großen Provinzreise Hadrians wird indirekt erschlossen aus der in der Historia Augusta (H 11,3) überlieferten Affaire mit Septicius Clarus und Sueton, die sich in Britannien abgespielt hat; auf der zweiten Reise ist ihre Anwesenheit in Ägypten ausdrücklich belegt323. L. Verus, der bereits in Syrien weilte, reiste Lucilla nach Ephesos entgegen, um sich dort mit ihr zu vermählen (HA, V 7,7; MA 9,4-6). Marc Aureis Gattin Faustina hielt sich auch während der schweren Kriegsführung gegen die Markomannen an der Seite ihres Gatten in den Donauprovinzen auf und begleitete ihn auch in die östlichen Provinzen, wo sie auf der Rückreise in Kappadokien verstarb324. Der kriegsbedingte lange Aufenthalt der Kaiserin an der Front manifestierte sich schließlich in der Verleihung des Titels mater castrorum, der zugleich die enge Verbindung des Kaiserhauses mit dem Heer unterstrich325. Diese Entwicklung verfestigte sich unter den severischen Kaisern. Es ist schon daraufhingewiesen worden (S. 53 ff.), daß ein wesentliches Element der Herrschaftssicherung die stete Präsenz des Kaisers und seiner Familie bei den Truppen darstellte und gerade Septimius Severus auf spektakuläre Weise die Verbundenheit seiner Dynastie mit den Soldaten unterstrich. Dabei rückte die Kaiserin gleichberechtigt neben den Herrscher und dessen Söhne als Mitregenten, ihr Name erscheint in den Votivformeln pro salute, itu, reditu et victoria des Kaiserhauses326. Dem aus der Begleitung ihrer Gatten resultierenden politischen Einfluß der Kaiserinnen muß an dieser Stelle nicht nachgegangen werden; er ist evident, und die Beispiele reichen von Livia, auf deren Rat hin Augustus den Attentäter Cinna schonte, bis hin zur überragenden Stellung der Iulia Domna, die schließlich für ihren Sohn Caracalla die gesamte kaiserliche Korrespondenz erledigte327. Auf der niedrigeren Ebene der Statthalter verdeutlichen zahlreiche Beispiele die Möglichkeiten und den Mißbrauch der Beeinflussung; sie stehen ganz im Gegensatz zu dem Ideal der Zurück-

321 Tac. ann. 3,33-34; siehe A. J. Marshall, G & R 22,1975,11 ff. 322 Messalina: Henzen, Acta fratrum Arvalium LXXXIV. Plotina: HA, H 4,10; Dio 69,1; siehe H. Temporini, Die Frauen am Hofe Trajans (1978), 116 ff. 323 R. Syme, Hermes 109,1981,109 f. = Roman Papers 1341 f. Ägypten: Inschriften vom Memnonkoloß in Theben, siehe S. 193. 324 HA, MA 26,8; Dio 71,10,5; Philostr. soph. 2,1,11. Ihr Tod in Kappadokien: HA, MA 26,4; 9. 325 H. U. Instinsky, Klio 35,1942,201 ff.; E. Kettenhofen, Die syrischen Augustae in der historischen Überlieferung (1979), 79 ff. 326 Siehe z. B. ILS 427,2186; 505 (Philippus Arabs und Otacilia Severa); AE 1981,134 (Gordian III. und Sabinia Tranquillina). 327 Sen. de dem. 1,9; Dio 77,18,2; dazu F. Millar, JRS 57,1967,11.

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Die Reisebegleitung

haltung, das Seneca an der Gattin des ägyptischen Präfekten Seius Tubero so sehr lobte328. Im Kreise der kaiserlichen Familie reisten schließlich auch die Kinder und andere nahe Verwandte mit, von denen letztere in der Regel unter die comités Augusti aufgenommen wurden (siehe S. 98 f.). Auch hier genügt es, wenige Beispiele herauszugreifen: Der junge Caligula befand sich als zweijähriger Knabe an der Rheinfront und als Siebenjähriger mit seinem Vater Germanicus in Kleinasien, was der Stadt Assos Anlaß genug war, ihn als Kaiser an seinen Aufenthalt zu erinnern329. Als er selbst nach Gallien und Germanien reiste, befanden sich die Schwestern Agrippina und Livilla an seiner Seite, die wegen angeblicher Mitwisserschaft an der Verschwörung des Lentulus Gaetulicus von dort aus in die Verbannung gehen mußten (Dio 59,22,8). Eine Votivinschrift gibt den eindeutigen Hinweis, daß sich Marc Aureis Kinder in den ersten Jahren der Markomannenkriege bei ihrem Vater in Pannonien aufhielten. Commodus, zwischenzeitlich in Rom, kehrte im Frühjahr 175 an die Donaufront zurück, um dort die toga virilis anzulegen330. Die ganze Familie begleitete Marc Aurei auch in die östlichen Provinzen; der Rhetor Aristides rühmte sich, daß er dem Kaiser „und den Prinzessinnen" in Smyrna habe vortragen dürfen (or. 42 p. 338 [Keil]). Unter den Severern wird schließlich aus einer Gewohnheit eine auch für die Folgezeit maßgebliche politische Notwendigkeit, da die Kaiser dadurch, daß sie den Provinzarmeen Träger einer Dynastie präsentieren konnten, ihrer eigenen Herrschaft Dauer zu verleihen versuchten.

2) DIE COMITES AUGUSTI Von der kaiserlichen Familie einmal abgesehen können drei Hauptgruppen von Reisebegleitern des Herrschers in der Einteilung unterschieden werden, wie wir sie in Philos bekannter Notiz über die geplante Ägyptenreise des Caligula vorfinden (leg. ad Gaium 252): Erstens diejenigen Personen, die in Amt und Würden stehen (ol έν τέλει), zweitens das Militär (ο στρατιωτικός [sc. οχλος]), drittens die persönlichen Bediensteten (ο οίκετικος ö.). Es war nicht nur eine Tradition des Herrscherideals, sondern auch eine Erfordernis der Staatsraison, die Ersten des Staates als seine Freunde und Begleiter um sich zu scharen, da der Herrscher bei der Erfüllung seiner Pflichten des Rates dieser Männer bedurfte. Die vornehmste Gruppe unter den Reisebegleitern der römischen Kaiser besaß ihr Vorbild in der cohors amicorum der republikanischen Statthalter, in den φίλοι der hellenistischen Herrscher, den εταίροι der makedonischen Könige oder den 328 Sen. dial. 12,19,6; siehe M.-Th. Raepsaet-Charlier, Epouses et familles de magistrats dans les provinces romaines aux deux premiers siècles de l'empire, Historia 31,1982,56 ff. 329 Siehe Anm. 320, ferner Suet. Cal. 10,1 : comitatus estpatrem et Syriaca expeditione; zu Assos siehe Anm. 39. 330 AE 1964,181 : pro salute et reditu et victoria Imp. Caes. M. Aureli Antonini... liberorumque e/wj(zwischen 169 und 172). Commodus: HA, C 2,2; siehe A. R. Birley, Mark Aurei2 (1977), 342 ; Commodus mit seinem Vater in Syrien und Ägypten : HA, C 2,3.

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sieben vornehmsten Persern am Hofe des Achaimenidenkönigs331. Augustus hatte jenen Personenkreis als consilium principis um sich geschart, weshalb W. Kunkel dieses consilium, wenn es den Kaiser auf Reisen begleitete, zu Recht als ,Reisekonsilium' bezeichnet hat3313. Das Reisekonsilium war wie das consilium principis in Rom unentbehrliche Hilfe und Ratgeber des Kaisers und ermöglichte als solches eine weitgehend kontinuierliche Abwicklung der Staatsgeschäfte auch in Zeiten, in denen der Kaiser nicht in der Hauptstadt weilte. Aufgrund der identischen Funktionen ist das Reisekonsilium auch hinsichtlich seiner personellen Zusammensetzung ein Abbild des consilium principis gewesen. Im wesentlichen sind zwei Personengruppen zu unterscheiden, von denen die erstere dem consilium qua Amt angehörte, die zweite als Privatleute diese Ehre in der Regel ihrer adligen Herkunft, ihrer Erfahrung und ihrer engen Freundschaft mit dem Kaiser verdankten. Nur die privati führten, wenn sie dem Reisekonsilium angehörten, den Titel comités Augusti; da allerdings auch die den Kaiser begleitenden Beamten ihrer Funktion nach comités waren, ist in manchen Fällen - namentlich bei den Dichtern -, in denen eine Person als comes bezeichnet wird, nicht zu entscheiden, ob der Betreffende den Kaiser als privatus, also als comes im technischen Sinn, oder in amtlicher Funktion begleitet hat (zu zwei Beispielen siehe S.252f.). Die Institution der comités Augusti**2 leitete sich direkt von den die Statthalter der Republik begleitenden comités oder - so häufiger genannt - der cohors amicorum ab. Deren Vorhandensein erklärt sich einerseits mit dem jeder aristokratischen Gesellschaftsordnung innewohnenden Drang zur Bildung einer persönlichen Gefolgschaft, andererseits mit dem bekannten Hang der römischen Senatsaristokratie zur Kontrolle der eigenen Macht; infolgedessen hielt sie die Zahl der Magistrate so klein und überschaubar wie möglich, so daß der Provinzstatthalter in Ermangelung von Hilfsbeamten einen entsprechenden Stab von Mitarbeitern aus dem Kreis seiner amici zusammenstellen mußte. In Anbetracht der Tatsache, daß die Mitglieder der cohors amicorum aus der Staatskasse zumindest eine Aufwandsentschädigung erhielten - was noch unter Augustus der Fall war (Suet. Tib. 46) -, hat Mommsen ihre Stellung zutreffend als „Zwitterstellung zwischen Staatsbeamten und Privatangestellten" bezeichnet333. Dieses doppelte Gesicht des Komitates äußerte sich auch in der Zusammensetzung der cohors amicorum: Der Statthalter umgab sich mit »Freunden4, die ihm zur Zerstreuung und Unterhaltung genauso dienlich sein konnten wie zur sachkundigen Beratung in der Ausübung der Amtspflichten. Nur aus der Zusammensetzung der comités an der Seite der nobiles republikanischer Zeit läßt sich die in der frühen Kaiserzeit aufscheinende Vielfalt unter den comités A ugusti herleiten. 331 Zur cohors amicorum siehe Anm. 332. Philoi: Chr. Habicht, VSWG 45,1958,1 ff.; Hetairoi: N. G. L. Hammond - G. T. Griffith, A History of Macedonia II (1979), 158 ff., 395 ff.; Achaimeniden: W. Hinz, Darius und die Perser (1979), II 105 ff.; J. M. Cook, The Persian Empire (1983), 144 ff. Zur Tradition des Ideals siehe ζ. Β. Dio or. 1,30 f. ; 3,86 ff. 331a JbAC 11-12,1968-69,239 f. = Kleine Schriften (1974), 423 f. 332 Grundlegend Th. Mommsen, Die comités Augusti der frühen Kaiserzeit, Hermes 4,1870,120 ff. = Gesammelte Schriften 4 (1906), 311 ff. Siehe auch J. A. Crook, Consilium principis (1955), 21 ff. ; J. Gaudemet, in: Romanitas-Christianitas (siehe Anm. 53) 42 ff. 333 A.0.121= Ges. Sehr. 312.

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Die Kontinuität läßt sich am Beispiel der Dichter und Literaten aufzeigen: Ennius begleitete den Konsul M. Fulvius Nobilior auf dem Feldzug gegen die Ätoler, Catull und Helvius Cinna befanden sich in der cohors des C. Memmius in Bithynien und Tibull in der cohors des M. Valerius Messalla334. Zum Gefolge des jungen Tiberius, als er als 21jähriger sein erstes Kommando erhielt, zählten die Dichter Albinovanus Celsus und Iulius Florus, der zudem als Jurist einen Namen hatte335. Auf Augustus' Orientreise befand sich in dessen Begleitung der Dichter Krinagoras von Mytilene (Nr. I)336. Die von Mommsen so bezeichnete Zwitterstellung ist in den Fällen besonders evident, in denen die Kaiser (bzw. die kaiserlichen Prinzen) Mitgliedern ihres comitatus spezielle Aufgaben zuwiesen, die später die Chefs der kaiserlichen Zentralbüros berufsmäßig wahrnahmen. So wird der genannte Celsus von Horaz comes scribaque bezeichnet, und D. G. Weingärtner hat den als φίλος και γραμματεύς des Germanicus in Ägypten bezeugten Baebius (Nr. 16) zu Recht in eine Reihe mit jenen im Gefolge des Tiberius befindlichen und zu den comités gezählten Gelehrten gestellt. Eine ähnliche Aufgabe hatte Augustus dem Dichter Horaz zugedacht, den zu schicken er Maecenas von Tarraco aus schriftlich bat337. Als Tiberius Stellvertreter des Augustus und dann selber Kaiser war, finden sich Privatgelehrte unter seinen Reisebegleitern, die - wie der Astrologe Thrasyllus - keine staatlichen Ämter bekleideten. Den Thrasyllus (Nr. 23) hatte Tiberius auf Rhodos kennengelernt und nahm ihn mit nach Italien, wo wir ihn im Jahr 14 in seinem Gefolge in Kampanien und später auf Capri finden. In die gleiche Kategorie gehört der Vorsteher der Bibliotheken Roms, Ti. Iulius Pappus (Nr. 22), dessen amtliche Tätigkeit auf eine gehobene literarische Bildung schließen läßt. Unter dem Eindruck der etwa seit dem Ende des ersten Jahrhunderts aufscheinenden Form des Komitats hat Mommsen gefolgert, nur Mitglieder des Senatorenstandes seien unter die comités Augusti aufgenommen worden; in den Fällen, in denen - wie etwa bei Thrasyllus - Personen niedrigeren gesellschaftlichen Ranges als comités bezeichnet werden, unterstellte er deshalb eine unpräzise Ausdrucksweise der literarischen Quellen: Diese Männer hätten den Kaiser zwar „im faktischen Sinne" begleitet, aber „im technischen Sinne" nicht den comités angehört338. Selbst S. Panciera ist dieser Ansicht noch gefolgt339, obwohl ihm mittlerweile die Inschrift des Ti. Iulius Pappus bekannt war; aus ihr lernen wir Pappus nicht nur als Bibliothekschefin Rom, sondern auch als comes 71 CaesarisAug. kennen. Das genannte Quellenzeugnis zwingt zu einer Revision der auf Mommsen zurückgehenden Meinung über den comes-Titcl in der frühen Kaiserzeit: Man konnte sich nämlich in einer Inschrift mit zumindest halboffiziellem Charakter (es handelt sich um den aufwendig gearbeiteten Grabaltar des Pappus) wohl kaum als comes Augusti bezeichnen, wenn der Kaiser diesen Titel nicht ausdrücklich zuerkannt hätte. 334 Cat. 10 ; Tib. 1,3 ; 7 ; Cic. Brut. 79. 335 Hör. ep. 1,3; 8. Ein Bruder des Celsus ist wohl Albinovanus Pedo gewesen, vielleicht identisch mit dem Präfekten von Ägypten namens Pedo unter Augustus, siehe Devijver, Prosopographia (Anm. 256) 90 Nr. 97. 336 Die Nummern beziehen sich auf die Zählung der unten S. 245 ff. einzeln aufgelisteten comités Augusti. 337 Suet, de poetis p. 113 f. (Rostagni). 338 Mommsen a.O. (Anm. 332) 122 - Ges. Sehr. 313. 339 Epigraphica31,1969,113;ebenso A Bailand, Fouilles de Xanthos VII (1981), 101.

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Hilfreich ist zunächst ein Blick auf die Zusammensetzung des consilium principis unter Tiberius. Dieses bestand aus einem Kern von 20 principes civitatis, die der Senat auf Wunsch des Kaisers benannte, daneben aber auch aus veteres amici ac familiäres, die sich der Kaiser nach eigenem Ermessen dazuwählen konnte340. In ähnlicher Weise müssen auch die comités, die ja in die Rolle des consilium principis gelegentlich der Reisetätigkeit des Kaisers eintraten, nicht nur unter den erlauchten Senatorenfamilien ausgesucht worden sein, sondern auch im weiteren Kreis der persönlichen Freunde ohne Rücksicht auf ihre soziale Herkunft. Bei diesen Freunden ist in der besagten Epoche in erster Linie an die griechischen Gelehrten am Kaiserhofe zu denken, die als Ratgeber, Lehrer und Schriftsteller im privaten Kreise verkehrten; manche von ihnen wurden später, mit staatlichen Aufträgen versehen, als Beamte des Kaisers in die Provinzen geschickt341. Daß diese Männer, ohnehin in ständiger Umgebung des Hofes, den Kaiser bzw. die kaiserlichen Prinzen auf Reisen begleiteten, versteht sich von selbst, erst recht in den Fällen, in denen der comes-Tite\ ausdrücklich bezeugt ist. Zwei sich ergänzende Nachrichten über die comités des Tiberius liefern einen zusätzlichen Beweis. Nach Sueton (Tib. 46) hat sich Tiberius noch vor seiner Thronbesteigung seinen comités peregrinationum expeditionumque gegenüber nur ein einziges Mal großzügig gezeigt - weil sein Stiefvater Augustus die Kosten übernahm - und hat bei dieser Gelegenheit seine comités in drei classes aufgeteilt pro dignitate cuiusque: Die erste erhielt 600 000 Sesterzen, die zweite 400 000, die dritte, die er nicht amici, sondern Graeci nannte, 200 000 Sesterzen. Mommsen hat in den ersten beiden classes sicher zu Recht die Mitglieder des Senatoren- bzw. Ritterstandes unter den comités vermutet342; er irrte allerdings mit seiner Meinung, die dritte Klasse der Graeci hätte demnach nicht zu den amici und deshalb nicht zu den offiziellen comités gehört. Zweifellos zählten auch die Graeci zu den amici, nur war für die dritte Klasse der comités, in der sich weder Senatoren noch Ritter befanden, die ausschließliche oder überwiegende Herkunft aus dem griechischen Osten das bestimmende Merkmal. Diese Dreiteilung der comités bestätigt Tacitus in seinem Bericht über Tiberius' Abreise nach Kampanien im Jahre 26 (ann. 4,58,1): Zur zahlenmäßig kleinen Begleitung (artus comitatus) gehörten ein Senator, nur wenige Ritter und schließlich ceteri liberalibus studiis praediti, ferme Graeci, quorum sermonibus levaretur. Thrasyllus, Pappus343 und vielleicht Iulius Marinus (Nr. 4) haben zu jenen Griechen gehört, die also weder dem Senatoren- noch Ritterstand angehörten, nichtsdestoweniger die dritte Gruppe des comitatus bildeten und deren Aufgaben als comités Tacitus ja eindeutig genug beschreibt. Eine Gliederung der comitésin classes hat offenbar auch Agrippa vorgenommen. Flavius Iosephus spricht an zwei Stellen von den Hervorragendsten bzw. Vornehmsten seiner Begleiter344: Nur sie waren es, die Herodes im Jahre 15 v.Chr. in Iudaea mit Geschenken 340Suet. Tib. 55; siehe W. Kunkel, ZSRG 85,1968,268 f. - Kleine Schriften 193 f.; Crook, Consilium principis 36 ff. 341 G. W. Bowersock, Augustus and the Greek World (1965), 30 ff. 342 Mommsen a.0.123 f. - Ges. Sehr. 315. 343 Trotz seines Amtes als supra bybliothecas omnes muß Pappus nicht dem Ritterstand angehört haben. Einer seiner beiden Vorgänger, Cn. Pompeius Macer, war sicher Ritter gewesen, da sein Sohn bereits Senator wurde, bei C. Iulius Hyginus handelte es sich jedoch um einen Freigelassenen; siehe Bowersock a.0.38. 344 los. ant. lud. 16,2,2; 2,3.

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überhäufte, und nur sie berief Agrippa ein Jahr später auf Lesbos in sein consilium, um die Anliegen der Juden anzuhören. Die ersten dem Ritterstand angehörenden comités finden sich an der Seite der kaiserlichen Prinzen, wie Seianus (Nr. 8) bei C. Caesar im Orient und L. Aponius (Nr. 12) beim jüngeren Drusus in Pannonien. Tiberius behielt den Vescularius Flaccus (Nr. 3), der ihn schon nach Rhodos begleitet hatte, auch in seinem comitatus auf Capri ; dorthin folgten ihm mehrere Ritter, von denen Tacitus nur einen der vornehmsten, Curtius Atticus (Nr. 21), namentlich nennt. Ihre Aufnahme unter die comités verdankten diese Männer offenbar ausschließlich ihren persönlichen Beziehungen zum Kaiserhaus; bei keinem von ihnen ist eine herausragende Laufbahn, etwa als Offizier, bekannt, die sie über ein durchschnittliches Maß hinaus zum Spezialisten und Berater qualifiziert hätte. Von Vescularius Flaccus sagt Tacitus, daß er zu den vetustissimi familiarium des Tiberius gehörte; Seianus weilte schon in jungen Jahren, vor jeder öffentlichen Tätigkeit, in der Umgebung des C. Caesar, was er nur der hervorragenden Stellung der Familie am Kaiserhof zu verdanken hatte345. Auch die dem Senatorenstand angehörenden comités sind in augusteischer Zeit nur an der Seite der kaiserlichen Prinzen namentlich bekannt. Aus den vollständig erhaltenen Inschriften und den präzise formulierten literarischen Texten geht deutlich hervor, daß die senatorischen comités stets von Augustus selbst seinen Stellvertretern und Verwandten zugeordnet wurden : comes datus a divo Augusto (ILS 946) ; comes et rector datus C. Caesari (Suet. Tib. 12,2). Die persönliche Auswahl der Senatoren hat Augustus offenbar zu einem Prinzip erhoben, da sie nicht nur im Falle hochkarätiger Konsulare bezeugt ist, bei denen die Begleitung junger Prinzen immerhin ein politisches Risiko in sich bergen konnte, sondern auch auf blutjunge Senatoren zutrifft, die noch nicht einmal ihre Ämterlaufbahn begonnen hatten, wie Palpellius Hister (Nr. 10) und L. Licinius Qrassus?] (Nr. 5), oder gerade Quästor gewesen sind, wie Ti. Sempronius Gracchus (Nr. 9). Augustus war wohl an einer Kontrolle darüber gelegen, welche senatorischen Familien in den engsten Freundeskreis der kaiserlichen Familie Aufnahme finden sollten. Zu diesen zählten keineswegs nur Angehörige des alten Adels, sondern auch homines novi, wie der genannte Palpellius Hister und Lucilius Longus (Nr. 2), der einzige Senator, der Tiberius nach Rhodos begleitete; von ihm sagt Tacitus (ann. 4,15,1), er sei omnium HU (sc. Tiberio) tristium laetorumque socius gewesen, weshalb er anläßlich seines Todes - obwohl homo noms - ein Staatsbegräbnis und ein Standbild auf dem Augustusforum erhielt. Aus vornehmster Familie stammte dagegen P. Plautius Pulcher (Nr. 24), Sohn des Konsuls M. Plautius Silvanus, selbst Schwager des Kaisers Claudius ; auch er war, offensichtlich von Tiberius auserwählt, vor Eintritt in den Senat comes des Germanicussohnes Drusus gewesen. Die jungen kaiserlichen Prinzen, zumal wenn sie mit ehrenvollen, aber schwierigen Missionen betraut wurden, bedurften selbstverständlich älterer comités von politischer und militärischer Erfahrung. M. Lollius und P. Sulpicius Quirinius (Nr. 6, 7) bei C. Caesar, Cn. Cornelius Lentulus (Nr. 11), unter den primores civitatis, die den jungen Drusus nach Pannonien begleiteten, ante alios aetate et gloria belli (Tac. ann. 1,27,1), erfüllten diese Bedingung in hervorragender Weise. Mit comes et rector ist ihre Funk345 Zur Familie Seians siehe M. Corbier, MEFR 95,1983,719 ff.

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tion klar umschrieben; daß sie es waren, die die wesentlichen Entscheidungen an Ort und Stelle trafen, beweist die Tatsache, daß sich die Stadt Halikarnassos mit ihrer Gesandtschaft gar nicht erst an C. Caesar, sondern sofort an Lollius wandte (IBM IV 1, 893). Im Stabe des Germanicus befand sich im Osten nur ein älterer Konsular in der Person des Cn. Sentius Saturninus (Nr. 18), der bereits in jungen Jahren unter seinem Vater in Syrien gedient hatte. Auch in späterer Zeit bedienten sich die Kaiser der Aufsichts- und Führungsrolle erfahrener comités über den jungen designierten Nachfolger: Septimius Severus bestimmte auf seinem Britannienfeldzug alte Freunde zu Ratgebern seines Sohnes Geta, der sich der Zivilverwaltung Britanniens annehmen sollte; dem jungen Severus Alexander war bei seinem Regierungsantritt ein Beratergremium von 16 Senatoren beigegeben worden, das den Kaiser auch auf seinen späteren Reisen begleitete346. In der Frühzeit des Prinzipates wird man mit keinen allzu starren Gewohnheiten hinsichtlich der Zusammensetzung und des Aufgabenbereiches der comités Augusti rechnen dürfen. Im Falle des Augustus fehlen leider bis heute die Namen einzelner Reisebegleiter, bei denen der comes-Titel mit Sicherheit nachgewiesen werden könnte. Sein consilium amicorum wird aber ausdrücklich in Senecas Bericht (de clem. 1,9) über die Verschwörung des Cinna während eines Gallienaufenthaltes des Kaisers erwähnt. Ebenso läßt die Erzählung des Flavius Iosephus über den Besuch des Herodes bei Augustus in Aquileia keinen Zweifel daran, daß sich der Kaiser die streitenden Parteien in Gegenwart seiner amici anhörte347. In der Regierungszeit des Tiberius stößt man auf die Besonderheit, daß nicht nur privati, sondern auch Beamte den comes-Titéì führten, wie Cocceius Nerva, in den Jahren 24 bis 34 curator aquarum, und wohl auch der schon genannte Vorsteher der Bibliotheken Iulius Pappus. Sie ist damit zu erklären, daß diese Personen einerseits den Kaiser nicht aufgrund einer amtlichen Funktion begleiten mußten - wie der Prätorianerpräfekt -, sie andererseits ihre auf die Stadt Rom beschränkte Tätigkeit weiterhin ausüben konnten, da sie als comités neben Tiberius Italien nicht verließen. Genauso wenig wie für die amici principis war für die comités Augusti jener Zeit die Zugehörigkeit zum Ritter- oder Senatorenstand Voraussetzung, um in diesen Personenkreis aufgenommen zu werden. Die Gruppe der Freunde, Berater und Begleiter der ersten Kaiser ähnelt deshalb dem Kreis der φίλοι in den frühen hellenistischen Monarchien, die außer ihrer griechischen Herkunft einzig ihren persönlichen Qualifikationsmerkmalen die Aufnahme in die engste Umgebung des Königs verdankten348. Wenn jene comités Augusti, die zwar Freigeborene, aber nicht Mitglieder des Ritteroder Senatorenstandes waren, eine Erscheinung nur der iulisch-claudischen Dynastie gewesen sind, so ist dies nicht das Resultat einer besonderen Rücksichtnahme seitens 346 Geta: Herodian 3,14,9; Severus Alexander: HA, AS 16,1; Herodian 6,1,2; 7,1,3; Zonaras 12,15. Siehe Crook, Consilium principis 81,86 ff. ; K. Dietz, Senatus contra principem (1980), 300 ff. 347 R. Syme, Roman Revolution 414 Anm. 1, zweifelt an der Historizität der Episode über die Verschwörung des Cinna, siehe aber Kunkel, ZSRG 85,1968,256 f. = Kleine Schriften 181 f. - Josephus (ant. lud. 16,4,2-4) spricht von den „übrigen Anwesenden", die außer dem Kaiser die Rede des Herodes und seines Sohnes Alexander anhörten. 348 Chr. Habicht, VSWG 45,1958,5 ff.

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der späteren Kaiser, sondern der historischen Bedingungen. Der Ausbreitung des römischen Bürgerrechts über die Provinzen folgte bald der Aufstieg der einheimischen Oberschicht in den Ritterstand. Ein Blick auf die Sophisten des zweiten Jahrhunderts lehrt, daß dieselben durchweg den Ritterrang, wenn nicht gar senatorischen Rang besessen haben, den die griechischen Gelehrten in den ersten Jahrzehnten des Prinzipates naturgemäß noch nicht erreicht hatten. Unabdingbare Voraussetzung war lediglich die freie Geburt, da Freigelassene offensichtlich nicht zu den comités zählten: Da Augustus es keinem Freigelassenen gestattete, mit ihm gemeinsam zu speisen (Suet. Aug. 74), kann er ihnen auch keine Aufnahme unter die comités gewährt haben, deren Merkmal ja gerade der engste persönliche Kontakt zum Kaiser war. Die Ritter bildeten eine im Vergleich zu den senatorischen comités Augusti deutliche, aber im Gegensatz zur These Mommsens sicher bezeugte Minderheit unter den comités. Es genügt ein Hinweis auf die bereits genannten Beispiele und Männer wie Aemilius Pudens (Nr. 64) und Iulius Pacatianus (Nr. 69). Ihre geringe Zahl erklärt sich dadurch, daß die dem Ritterstand entnommenen Vorsteher der kaiserlichen Büros den Kaiser qua Amt begleiteten und automatisch Mitglieder des Reisekonsiliums waren, ohne den comes-Titéi zu tragen349. Die bisherigen Ausführungen zu den comités der frühen Prinzipatszeit widerlegen die weitere Ansicht Mommsens350, comités Augusti seien ausschließlich dann ausgewählt worden, wenn das Reiseziel außerhalb Italiens lag. Nicht nur unter Tiberius, sondern auch unter späteren Kaisern, die Italien nie verlassen haben, ist der comes-Titd bezeugt: so fur Rutilius Varus (Nr. 40) unter Titus und Aemilius Pudens unter Commodus. Wenn Antoninus Pius nicht unbedingt Wert darauf legte, daß seine Freunde mit ihm zusammen reisten (Marc Aurei εις εαυτόν 1,16), dann bestätigt diese Ausnahme die Regel, daß der Kaiser auch auf Reisen innerhalb Italiens von seinen amici begleitet wurde. Comités Augusti waren aus diesem Grunde sicher auch L. Vitellius und C. Caecina Largus (Nr. 33, 34), die sich im Jahre 48 bei Claudius in Ostia befanden und in demselben Wagen mit ihm nach Rom zurückreisten. Ebenso stellte Otho für seinen Marsch nach Oberitalien einen stattlichen comitatus aus Konsularen zusammen (Tac. hist. 1,88,1 ; 2,52,1). Herkunft und Laufbahn der comités standen in einem engen Wechselverhältnis zu ihren Funktionen und Aufgaben. Gemeinsames Merkmal aller comités war selbstverständlich ein in jeder Beziehung enges Verhältnis zum Kaiser. Deshalb sind nahe Verwandte des Kaiserhauses bis in die Severerzeit hinein stets im comitatus vertreten. Ihre Entfernung aus Rom konnte gelegentlich politische Gründe haben: Im Falle des Claudius ist es offensichtlich, daß er zwei Jahre nach seiner Thronbesteigung, ein Jahr nach dem Versuch eines Statthalters, die Republik wiederherzustellen, politisch einflußreiche und angesehene Mitglieder der kaiserlichen Familie nicht alleine in Rom zurücklassen wollte. Septimius Severus nutzte die Expedition nach Britannien, die einige Jahre zuvor von Plautianus ins Abseits gedrängten Freunde und Verwandten 349 Mommsen a.O. 126 f. = Ges. Sehr. 317 f. steht damit im Widerspruch zu seiner eigenen Beobachtung zu der o. g. Suetonstelle; siehe auch Hirschfeld, Kaiserliche Verwaltungsbeamte (Anm. 254) 449 f. Anm. 3 ; Crook, Consilium principis 25. Zu denritterlichencomités siehe auch Dig. 29,1,43: militia exornatus et in comitatu prineipum retentus. Zum comes-Titel des Prätorianerpräfekten Plautianus siehe S. 101. 350 A.0.124 = Ges. Sehr. 315 f. Anm. 2.

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der Kaiserin Mia Domna unter seine comités einzureihen und damit zu rehabilitieren351. Manche vornehme Herren waren noch sehr jung, wie Cn. Domitius Ahenobarbus, der Vater Neros, der, als er Germanicus in den Osten begleitete, kaum 20 Jahre gezählt haben dürfte (Nr. 17). Praktische Verwendung konnten sie nur in ehrenvollen Diensten finden; so übertrug Claudius dem jungen Pompeius Magnus (Nr. 31) und Iunius Silanus (Nr. 30) die Aufgabe, die Siegesmeldung aus Britannien nach Rom zu überbringen. M. Vettulenus Civica Barbarus (Nr. 52), Onkel des L. Verus und bereits Konsular, durfte Marc Aureis Tochter Lucilla zu Verus in den Osten geleiten, um dann bei Verus zu bleiben. Unter Marc Aurei waren diejenigen comités Augusti verschwunden, die schon in den Anfangen der senatorischen Ämterlaufbahn dieser Ehre teilhaftig wurden (vgl. S. 100). Ihre Teilnahme an kaiserlichen Reiseunternehmen ist ja überhaupt nur in den Fällen verständlich, in denen es sich um friedliche Besichtigungsreisen ohne allzu großen Bedarf an politischen und militärischen Kapazitäten handelte. So begegnen die letzten jugendlichen comités unter Hadrian: zwei Brüder, der eine noch nicht einmal Quästor, der andere Quästorier bzw. Prätorier, die sich auf Hadrians zweiter großer Provinzreise 128-132 gegenseitig im comitatus ablösten (Nr. 50,51). Wenn in diesen wie in anderen Fällen keine konkreten Angaben über persönliche Bindungen zum Kaiser vorhanden sind, läßt die Ämterlaufbahn auf die besondere kaiserliche Gunst schließen. Unter den Senatoren, deren cursus honorum bekannt ist, findet sich ein auffallend hoher Anteil an ehemaligen quaestores Augusti oder candidati Augusti in den niederen Senatsämtern, so daß man anzunehmen geneigt ist, der Kaiser habe sich bei der Auswahl seiner comités zunächst in diesem Personenkreis umgeschaut. Die an die comités herangetragenen Aufgaben waren identisch mit denjenigen, die das consilium principis in Rom normalerweise beschäftigten, d. h. sie traten in Funktion als kaiserliches Gerichtskonsilium und generell als Berater des Kaisers bei politischen Entscheidungen jedweder Art, auf Feldzügen auch als Strategen. Das Auswahlverfahren wird wahrscheinlich derart gelaufen sein, daß der Kaiser zunächst unter den Mitgliedern des consilium principis nach geeigneten Reisebegleitern gesucht hat. Namentliche Beispiele lassen sich aufgrund der schlechten Überlieferungslage kaum ausfindig machen; nur A. Didius Gallus Fabricius Veiento (Nr. 41) ist sowohl als Mitglied des consilium principis als auch als comes Domitians ausdrücklich bezeugt. Dagegen fehlen zwei der bekannten comités, die mit Marc Aurei und Commodus im August 178 in die Donauprovinzen aufbrachen (Nr. 60, 63), in der vollständigen Namensliste des consilium principis \om 6. Juli 177 (AE 1971,534); entweder hatte sich zwischenzeitlich die Zusammensetzung des consilium principis geändert oder die beiden Konsulare sind eigens des neuen Feldzuges wegen in das Reisekonsilium berufen worden. Als sich Tiberius nach Capri zurückzog und sein zwanzigköpfiges consilium in Rom zurückließ (Dio 60,4,3), hat er gleichwohl auf die Anwesenheit des besten Juristen seiner Zeit, Cocceius Nerva, auf der Insel nicht verzichtet. Auf dem Britannienfeldzug des Claudius befanden sich viri militares unter den comités, die der Kaiser bei Bedarf aus seinem Gefolge entlassen und mit Sonderaufgaben betrauen konnte, weshalb die Betreffenden den Titel legatus et comes führten. Schon Germanicus hatte zwei seiner 351 Siehe Nr. 69,70 der Liste; H. Halfmann, Chiron 12,1982,224 f.

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comités prätorischen Ranges (Nr. 14,15) mit der Einrichtung zweier Provinzen beauftragt. Umgekehrt müssen Suetonius Paulinus (Nr. 38) und Marius Celsus (Nr. 39) im Jahre 69 unter Otho zunächst als Legaten gedient und dann unter die comités eingereiht worden sein. Trajan hat sich in seinen Dakerkriegen, wie aus der Verleihung von dona militarla an seine comités zu schließen ist, derselben nicht nur als Begleiter und Ratgeber, sondern auch als Truppenfuhrer bedient. Verus hat nach Abschluß des Partherkrieges die östlichen Provinzen seinen comités zur Verwaltung übergeben (HA, V 7,8). Ihre Aufnahme in den kaiserlichen comitatus verdankten sie in erster Linie ihrer militärischen Erfahrung, nicht ihrer vornehmen Geburt. Beides konnte insbesondere unter der iulisch-claudischen Dynastie zusammenfallen (Nr. 11,26, 29), seit flavischer Zeit waren es jedoch die homines novi, die sich dank ihres Engagements als Soldaten für die Aufnahme unter die comités qualifizierten. Namentlich die schweren Kriege unter Marc Aurei verlangten nach Reisebegleitern, die dem Kaiser bei der Erledigung der politischen Alltagsgeschäfte und vor allem in der Kriegsführung dienlich sein konnten. Unter ihm haben die viri militares, die durchweg bereits konsulare Armeekommandos innegehabt hatten, den Kreis der comités Augusti nahezu ausschließlich beherrscht. Die Ausnahme, nämlich die beiden Quintilii (Nr. 61, 62), die sich in der Zivilverwaltung des Reiches hervorgetan hatten und den Kaiser 175/76 auf seiner Inspektionsreise in den Osten begleiteten, bestätigt hier nur die Regel. Eine langjährige praktische Erfahrung im Staatsleben blieb -jedenfalls soweit es die Senatoren betrifft - auch während des dritten Jahrhunderts ausschlaggebendes Auswahlkriterium der comités Augusti. So klar sich diese Tatsache anhand der aus der Zeit des Severus Alexander bis Carus, Carinus, Numerianus erhaltenen cursus honorum ablesen läßt, so eindeutig zeigen dieselben eine einseitige Verlagerung des Aufgabenbereiches der comités an. Die allmähliche Verdrängung der Senatoren aus den militärischen Führungspositionen hatte zur Folge, daß die vornehmliche und nachher einzige Aufgabe darin bestanden zu haben scheint, den auf dem Kriegsschauplatz weilenden Kaiser als oberste Rechtsinstanz zu vertreten. Schon unter Caracalla hat C. Octavius Appius Suetrius Sabinus (Nr. 71), im Jahre 213 comes des Kaisers im Alamannenkrieg, ein Jahr später als iudex ex delegatu principis in Pannonien, sicher an der Seite des Kaisers, diese Richtertätigkeit ausgeübt. T. Clodius Aurelius Saturninus (Nr. 73), comes des Severus Alexander im Orient, führte sicher gleichzeitig den Vorsitz des Kaisergerichtes, während der Kaiser selbst Krieg führte (electus ad appellationes Caesarianas vice sacra iudicandas). Die gleiche zeitliche Koinzidenz von comitatus und richterlicher Tätigkeit begegnet beim letzten bekannten cornes des dritten Jahrhunderts (Nr. 78). Spuren der höchstrichterlichen Tätigkeit der senatorischen comités Augusti sind vermutlich noch in konstantinischer Zeit bei den comités provinciarum zu erkennen, die neben ihrer Aufsichtsfunktion über die Statthalter die - jedenfalls bis zum Jahre 331 inappellable - Gerichtsbarkeit in Vertretung des Kaisergerichts (vice sacra) ausübten352. Zudem lassen die Zeugnisse des dritten Jahrhunderts eine Bedeutungsverschiebung des comitatus von einer Funktionsbeschreibung zur bloßen Titulatur zwecks Kennzeichnung eines sozialen Status erkennen. Freilich diente der comes-Titéì schon immer 352 O. Seeck, RE 4 (1900), 632.

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als Synonym für ein besonders enges Verhältnis zum Kaiser und steht deshalb neben und gleichbedeutend mit amicus. Kaiser Claudius erachtete es in seinem Brief an die Anauni (ILS 206) als wesentlich und ausreichend, Iulius Planta (Nr. 32) den Untertanen gegenüber nur als seinen amicus et comes zu bezeichnen und nicht, ob er Ritter oder Senator, procurator oder legatus war. Wenn der Prätorianerpräfekt des Septimius Severus, Plautianus, in einer seiner Tochter dedizierten Inschrift (ILS 456) als c. v., pontifex nobilissimus, pr. pr., necessarius Augg. et comes per omnes expeditiones eorum geehrt wird, so ist die Bezeichnung comes zwar de facto korrekt, weil der Prätorianerpräfekt den Kaiser stets auf Reisen begleitete, den comes-Titéì jedoch hat der Präfekt als Amtsinhaber sicher nicht geführt. Der Dedikant dachte also bei der Aufzählung des comitatus - und dies zeigt auch die Stellung hinter necessarius Augg. - weniger an die Ehre als solche als an das sich aus ihr auf langjährigen Reisen entwickelnde persönliche Vertrauensverhältnis zum Kaiser. Dieses mußte sich bei längeren Provinzaufenthalten so verfestigen, daß sich die comités zu einer besonderen, sich durch die unmittelbare Nähe zum Kaiser auszeichnende Personengruppe entwickelten. Es erscheint nicht mehr wichtig, die expeditio genau zu bezeichnen, auf der man den Kaiser begleitet hat, es genügte das Faktum als solches zur Kennzeichnung einer besonderen Vertrauensstellung und des damit verbundenen Prestiges. Der comitatus löste sich aus der Aufzählung der Ehrenämter innerhalb des cursus honorum und verselbständigte sich zu einem Statusmerkmal; die Funktion als comes verhalf zu einer auf dem besonders nahen Verhältnis zum Kaiser begründeten Rangstufe innerhalb des Sozialgefüges, hinter der einzelne Ämter, schließlich auch die Zugehörigkeit zum Ritter- oder Senatorenstand an Bedeutung verloren. In der Weihinschrift des Mevius Romanus (Nr. 80) und der Ehreninschrift für Sentius Severus Quadratus (Nr. 79) figuriert comes Augusti zur Bezeichnung des sozialen Status gleichberechtigt neben vir clarissimus, vir egregius und consul. Die Titulatur des numidischen Statthalters C. Iulius Sallustius Saturninus Fortunatianus (Nr. 76) aus der Regierungszeit des Gallienus in der Form comes et leg. Aug. pr. pr. läßt klar erkennen, daß der Statthalter den comes-Titéi weiterführte, nachdem er die Umgebung des Kaisers verlassen hatte. Es zeigt sich dabei eine so deutliche Linie zu den frühesten comités der konstantinischen Zeit, daß man vermuten darf, daß diese Doppelbedeutung des comitatus und des comes-Titéis von tatsächlicher Funktionsausübung und von darüber hinaus weiterbestehendem Ehrentitel auch in den dazwischenliegenden Jahrzehnten bestanden hat. C. Caelius Censorinus war (vielleicht 314/15) comes d. n. Constantini maximi Aug. et exactor auri et argenti provinciarum trium (sc. Siciliae, Sardiniae, Corsicae)151. Die Verleihung des comes-Titds ging offensichtlich bis in die Zeit Konstantins hinein noch auf die tatsächliche Begleiterfunktion auf Reisen und Feldzügen des Kaisers zurück. C. Caeionius Rufius Volusianus und C. Vettius Cossinius Rufinus wurden etwa 312/13 bzw. 313/14 unter die comités aufgenommen und werden Konstantin in Gallien begleitet haben354. Comités im eigentlichen Sinn blieben schließlich nur die comités consistoriani, die eine ständige Beraterfunktion am kaiserlichen Hof ausübten; dagegen führte die weitere Spezifizierung des comitatus unter Konstantin, der den comités einzelne Ressorts 353Seecka.O.630. 354 ILS 1213,1217; siehe PLRE Volusianus 4, Rufinus 15.

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zuwies, zu einer Trennung von Titel und Funktion bzw. zu einer bloßen, nur noch fur den Rechtsstatus wichtigen Titularwürde355. Zu den vornehmsten Reisebegleitern der Kaiser gehörten in der Frühzeit des Prinzipates die Klientelkönige. Sueton (Aug. 59) erwähnt diese Tatsache ausdrücklich, um das Verhältnis zwischen Kaiser und Königen als seinen Klienten beispielhaft zu demonstrieren; der politische Hintergrund ist bereits erläutert worden (S. 24 f.). König Herodes von Iudaea reiste im Jahre 14 v.Chr. mit Agrippa nach Pontus; von Flavius Iosephus erfahren wir in diesem Zusammenhang nicht nur, daß sich auch weitere Könige und Fürsten in Agrippas Gefolge befanden, sondern auch, daß Agrippa die Könige neben den Vornehmsten seines comitatus in sein consilium berief, um über die den Juden zugefügten Ungerechtigkeiten zu befinden (ant lud. 16,2,3 ; vgl. S. 95 f.). Sie gehörten zum Kreis der amici356, die sich erst in den Provinzen in das Gefolge des Kaisers einreihten. Ob die Kaiser generell vornehme Provinziale ad hoc in ihr Reisekonsilium aufnahmen, ist - wie bereits W. Kunkel vermutete357 - an sich wahrscheinlich, da sie bei Rechtsstreitigkeiten über genauere Kenntnisse der lokalen Verhältnisse verfügen mochten als die aus Rom mitgereisten Beamten und comités; eindeutige Zeugnisse fehlen allerdings. Über die für jedes Reiseunternehmen ausgewählte Anzahl der comités Augusti lassen sich keine genaueren Angaben machen. Tacitus (ann. 4,58,1) spricht von einem artus comitatus, wenn Tiberius nach Capri nur einen Senator und wenige Ritter mitnahm. Auf Claudius' Britannienfeldzug sind sechs oder sieben comités namentlich bekannt, darunter drei Konsulare. Die Formulierung des Tacitus (hist. 1,88,1), daß Otho magnam consularium partem . . . comitum specie secum expedire iubet, deutet wohl an, daß die Zahl größer als gewöhnlich war, da Otho keine potentiellen Gegner in Rom zurücklassen wollte. Vier comités lassen sich im Gefolge des L. Verus im Orient ausmachen, sechs auf der ersten expeditio Germanica des Marc Aurei und L. Verus, alle konsularischen Ranges. Aus der ausgedehnten Reisetätigkeit Hadrians sind nur vier comités bezeugt; bei diesen geringen Zahlen ist jedoch der Zufall der Quellenevidenz in Rechnung zu stellen und es wäre voreilig, unter Hadrian mit einem kleineren Reisekonsilium zu rechnen als unter Marc Aurei. Generell wird man annehmen dürfen, daß die Zahl der comités die Mitgliederzahl des consilium principis in Rom nicht überschritten hat, eher darunter lag. Da die dem Senatorenstand angehörenden comités im dritten Jahrhundert kaum noch als militärische Berater an den gefährdeten Reichsgrenzen in Erscheinung traten, wird ihre Zahl insgesamt stark zurückgegangen sein. Bereits zum Zeitpunkt der Ermordung Caracallas soll sich nur ein einziger Senator und Konsular beim Heer in Mesopotamien befunden haben (Dio 78,12,4). An die Stelle der Senatoren rückten die aus dem Ritterstand stammenden Militärs, die wie einige verstreute Zeugnisse erhellen358 - einen Dienstgrad im Heer besaßen oder 355 Seeck a.O. 633 ff. ; P. Weiß, Consistorium und comités consistoriani. Untersuchungen zur Hofbeamtenschaft des 4. Jahrhunderts auf prosopographischer Grundlage (1975); G. de Bonfils, II comes et quaestor nell' età della dinastia costantiniana (1981), cap. I. 356 Herodes φίλος des Augustus und Agrippa: los. ant. lud. 15,10,3; sein Enkel Iulius Agrippa φίλος des Caligula: Philo in Flaccum 40. 357 ZSRG 85,1968,292 f. = Kleine Schriften 217 f. 358 Siehe Millar, Emperor 121 f.

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eine genaue Funktionsbezeichnung führten und deshalb nicht zu den comités im technischen Sinn zählten. Dieser Entwicklung entspricht die seit der Zeit des Severus Alexander stark rückläufige Zahl belegter comes-Titulaturen.

3) BEAMTE U N D HOFPERSONAL Zum Kern der den Kaiser begleitenden Beamtenschaft gehörte neben den Vorstehern der kaiserlichen Zentralbüros (siehe unten) der Prätorianerpräfekt. Augustus hatte im Jahre 2 v.Chr. zwei dem Ritterstand angehörende Präfekten an die Spitze seiner Leibwache gestellt (Dio 55,10,10). Ihre ureigenste Funktion, die Verantwortung für die persönliche Sicherheit des Kaisers, bestimmte ihren Platz in der unmittelbaren und permanenten Nähe des Kaisers. Die daraus wiederum erwachsenden Kompetenzen als militärischer Ratgeber und Feldherr des Kaisers einerseits und als Rechtsexperte und Rechtsinstanz in Vertretung des Kaisers andererseits sind andernorts ausführlich erläutert worden und müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden359. Konnte der Kaiser im Falle der comités mehrere Spezialisten für verschiedene Aufgabenbereiche auf Reisen mitnehmen, so mußte der Prätorianerpräfekt in der Regel ein umfassendes Wissen im zivilen wie im militärischen Bereich in einer Person vereinigen. Einige der erhaltenen ritterlichen Laufbahnen der Prätorianerpräfekten verdeutlichen denn auch ihren langen und vielseitigen Berufsweg im kaiserlichen Dienst360. Die Begleitung des Kaisers bzw. der kaiserlichen Familie ist von Anfang an bezeugt und auch in den Fällen sicher anzunehmen, in denen ein Quellenzeugnis noch aussteht, wie beispielsweise auf den ausgedehnten Reisen Hadrians. Der früheste Beleg stammt aus dem Jahre 14, als der Präfekt Seianus den Prinzen Drusus nach Pannonien geleitete. Bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts hinein hat im Falle der Abwesenheit des Kaisers aus Rom der eine der beiden Präfekten denselben begleitet, der andere als sein Stellvertreter und als Wächter über Ruhe und Ordnung in Rom fungiert. So sind die Fälle, in denen ausnahmsweise nur ein einziger Präfekt amtierte, auf Zeiten beschränkt geblieben, in denen der Kaiser Italien nicht verlassen hat. Erst unter Marc Aurei haben unter dem Druck der Kriegsereignisse beide Präfekten Rom verlassen und sind mit dem Kaiser ins Feld gerückt; ebenso haben den Caracalla und Gordian III. nachweislich beide Präfekten in den Osten begleitet. Da im dritten Jahrhundert der im Rang folgende praefectus annonae oder praefectus vigilum öfters als Vertreter der Prätorianerpräfekten in Rom bezeugt ist, scheint es zur Regel geworden zu sein, daß beide Präfekten zusammen mit dem Kaiser die Hauptstadt verließen361. Die lange Abwesenheit der Prätorianerpräfekten von Rom und die ihnen in den Provinzen zuwachsenden Aufgaben als Feldherrn und als Chefs der Zivilverwaltung ließ eine anfangs nur 359 Siehe die entsprechenden Ausführungen in den grundlegenden Werken von M. Durry, Les cohortes prétoriennes (1938); L. Passerini, Le coorti pretorie (1939); L. L. Howe, The Pretorian Prefect from Commodus to Diocletian (1942). Ferner W. Enßlin, RE 22 (1954), 2391 ff. ; F. Millar, Emperor 122 ff. 360 Vgl. die Aufzählung bei Millar, Emperor 125 Anm. 26. 361 A. Stein, Hermes 60,1925,94 ff. ; A. Chastagnol, AncSoc 3,1972,223 ff.

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temporäre Funktion zu einer Institution auf Dauer werden. Von Konstantin ihres militärischen Kommandos beraubt, verselbständigte sich die Präfektur zu einer Verwaltungsbehörde, die unter den Nachfolgern Konstantins nicht mehr an die Person des Kaisers gebunden, sondern in regionale Sprengel aufgeteilt war362. Die folgende Übersicht enthält die Namen der bis zur Regierungszeit Caracallas amtierenden Prätorianerpräfekten, die sich nachweislich in der Begleitung der Kaiser außerhalb Italiens befunden haben363: L. Aelius Seianus, mit Drusus in Pannonien (14 n.Chr.): Tac. ann. 1,24,2. Rufrius Pollio, mit Claudius in Britannien (43): Dio 60,23,2. C. Ofonius Tigellinus, mit Nero in Griechenland (66/67): Dio 68,9,2. Cornelius Fuscus, mit Domitian im Dakerkrieg (85/86); wohl zu schließen aus seinem selbständigen Kommando gegen die Daker im Jahre 87: Suet. Dom. 6,1 ; Eutrop 7,23,4; Dio 67,6,6 usw. Sex. Attius Suburanus Aemilianus, mit Trajan am Donaulimes (98/99): Aur. Victor Caes. 13,9; siehe R. Syme, JRS 70,1980,64 f. = Roman Papers III (1984), 1277 f. Ti. Iulius Aquilinus Castricius Saturninus Claudius Livianus, mit Trajan im ersten Dakerkrieg (101/02): ILS 1323; Dio 68,9.2. P. Acilius Attianus, mit Trajan im Partherkrieg (113/17): ILS 8999; HA, H 5,5.9; Dio 69,1,2; siehe R. Syme a.0.67 = Roman Papers III 1281. C. Septicius Clarus, mit Hadrian in Gallien und Britannien (121/22): HA, H 11,3; siehe R. Syme, Hermes 109,1981,109 f. = Roman Papers III 1341 f. T. Furius Victorinus, mit L. Verus im Partherkrieg (162/66) und mit Marc Aurei und L. Verus im Markomannenkrieg (168): ILS 9002; HA, MA 14,5; siehe A.R. Birley, Mark Aurei2 (1977), 225,283 ; Pflaum, Carrières 326 ff. Nr. 139. (M.) Macrinius Avitus, mit Marc Aurei im Markomannenkrieg (169/72): Dio 71,3,5; siehe PIR2 M 25. M. Bassaeus Rufus, mit Marc Aurei im Markomannen- und Sarmatenkrieg (169/75) und im Osten (?, 175/76): ILS 1326; Philostr. soph. 2,1,11; Dio 71,5,2-3; siehe Birley a.0.284,347; Pflaum, Carrières 389 ff. Nr. 162. P. Taruttienus Paternus, mit Marc Aurei und Commodus auf der zweiten expeditio Germanica(m/S0): Dio 71,33,3; vgl. CRAI 1971,486. C. Fulvius Plautianus, mit Septimius Severus auf allen expeditiones (193/203): ILS 456; HA, S 15,3 f.; Dio75,15,3 f. Aemilius Papinianus, mit Septimius Severus, Caracalla und Geta in Britannien (208/11): Dio 76,14,6. M. Oclatinius Adventus und M. Opellius Macrinus, beide mit Caracalla im Osten (214/17): SEG17,759; Cod. Iust. 9,51,1. Da die Prätorianerpräfekten des folgenden dritten Jahrhunderts den Kaisern regelmäßig ins Feld gefolgt sind, sei auf die von L. L. Howe zusammengestellte Liste der 362 Enßlin a.0.2428 ff. ; Jones, Later Roman Empire 1101 ff. 363 Sofern eine eindeutige Evidenz vorliegt, wird nur die betreffende Quelle zitiert. Die prosopographischen Details sind den einschlägigen Arbeiten (Pflaum, Carrières; Howe, Pretorian Prefect; PIR und RE) zu entnehmen.

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Präfekten verwiesen (siehe Anm. 359); bei Howe nachzutragen ist der in Dura-Europos gefundene Papyrus, der die Anwesenheit beider praefecti praetorio in Syrien während des Perserkrieges Gordians III. (243/44) bezeugt364. Frühe Belege über die Teilnahme der Vorsteher der von Claudius eingerichteten kaiserlichen Zentralbüros (bzw. der in vorclaudischer Zeit mit entsprechenden Funktionen ausgestatteten Freigelassenen365) an Reiseunternehmen des Kaisers fehlen nahezu völlig. Die stets weiterlaufenden Regierungsgeschäfte setzen allerdings die Existenz zumindest einer Kanzlei in der Nähe des Kaisers auch in den Provinzen voraus. Wahrscheinlich gab es in der Begleitung noch keine „berufsmäßigen" Sekretäre, sondern der Kaiser wird einen seiner amici, unter denen sich literarisch Gebildete fanden, mit den Aufgaben eines scriba (γραμματεύς) betraut haben (siehe S. 94). Die Sekretäre sind wahrscheinlich erst in flavischer Zeit in das Reisekonsilium aufgenommen worden: Sie sind sicher mit jenen Mitgliedern des Ritterstandes zu identifizieren, die spätestens seit Domitian neben den Senatoren als Mitglieder des consilium principis in Rom auftreten und folglich auch dem Reisekonsilium angehört haben werden366. Dem aus dem Jahre 177 namentlich bekannten consilium Marc Aureis gehörten neben den vornehmsten Senatoren die beiden Prätorianerpräfekten und drei weitere ritterliche Beamte an, von denen zwei vermutlich Vorsteher kaiserlicher Zentralbüros waren367. Im consilium des Commodus saßen u.a. der ab epistulis Graecisund der a rationibus36*, in demjenigen des jungen Caracalla (um 203) ebenfalls der ab epistulis Graecis und der alibellis™. In den Quellen des ausgehenden zweiten und frühen dritten Jahrhunderts begegnen uns diese Beamten auch im Reisekonsilium. Nach einer Notiz der Historia Augusta (MA 8,10) hat Marc Aurei der Person seines Mitkaisers L. Verus, der sich zur Abreise in den Osten anschickte, dadurch mehr Ansehen verliehen, daß er ihm amici aus dem Senatorenstand und die principes officiorum omnium als Berater mitgab. In den beiden bekannten Gerichtsprotokollen aus der Regierungszeit Caracallas erscheinen als Mitglieder des consilium die beiden Prätorianerpräfekten, item amici et principes officiorum™. Septimius Severus empfing im Jahre 200 in Alexandreia eine ägyptische Gesandtschaft in Anwesenheit seiner amici und „der in das consilium Gerufenen";

364 Dura Final Report V1 (1959), 269 Nr. 81 ; siehe auch R. W. Davies, JRS 57,1967,20 ff. 365 Hirschfeld, Kaiserliche Verwaltungsbeamte 319 ff. ; Millar, Emperor 72 ff. 366 CIL IX 5420 = FIRA 2 145; HA, Η 8,9; BICS 19,1972,103 (unter Antoninus Pius); vgl. Dio 52,33,3 (Maecenasrede). Siehe Crook, Consilium principis 31 ff.; J. Bleicken, Senatsgericht und Kaisergericht (1962), 85 ff. ; Kunkel, ZSRG 85,1968,265 ff. = Kleine Schriften 190 ff. 367 CRAI 1971,486 f. (AE 1971, 534). Q. Larcius Euripianus war nach einer Hypothese Pflaums (Carrières [supplément] 48) a rationibus, T. Flavius Piso, im Jahre 179 praefectus annonae, a libellis. Einer der beiden Personen könnte auch als ab epistulis in Betracht kommen, vgl. etwa die Beförderung des M. Aurelius Papirius Dionysius (siehe Anm. 253). 368 A. E. Raubitschek, Hesperia Suppl. 8 (1949), 288 ff. (AE 1952,6). 369 IvEph. 2026; siehe Pflaum, Carrières 611 f. Nr. 230; J. H. Oliver, Hesperia 36,1967,333 f.; vgl. Chr. Habicht, Alt. v. Perg. VIII 3 (1969), 78 (das jugendliche Alter des consiliarius Flavius Hermoerates kann nicht überraschen; er war immerhin noch etwa zehn Jahre älter als der höchstens 16 Jahre alte Mitregent). 370 SEG 17, 759; siehe W. Kunkel, in: Festschr. H. Lewald (1953), 81 ff. = Kleine Schriften 255 ff.;Cod. Iust. 9,51,1.

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auch in diesem Fall sind unter den amici die - überwiegend senatorischen - comités zu verstehen, unter der zweiten Gruppe sicher die Vorsteher der Zentralbüros und vielleicht andere ad hoc hinzugezogene consiliariim. Anhand einer Untersuchung der in Ägypten von Septimius Severus getroffenen richterlichen Entscheidungen hatte auch A. A. Schiller postuliert, daß zumindest der ab epistulis Graecis und der a libellis dem Reisestab des Kaisers angehört haben müßten372. So eindeutig die Teilnahme der ritterlichen principes officiorum an kaiserlichen Reiseunternehmen allgemein erschlossen werden kann, so schwierig ist es andererseits, einzelne Beamte namhaft zu machen. Das erste bekannte Beispiel ist der ab epistulis Domitians, sein Freigelassener Abascantus, der an des Kaisers Feldzügen an Rhein und Donau teilnahm (Stat. silv. 5,1,86 ff.; 127 f.). Sueton reiste als ab epistulis mit Hadrian nach Gallien und Britannien373. Sobald zwei Kaiser (bzw. ein Kaiser und sein designierter Nachfolger) gemeinsam regierten und sich trennten, erhielt jeder einen eigenen ab epistulis; selbst für L. Aelius Caesar, als er 136/137 in Pannonien weilte, wurde ein solcher Posten ad hoc geschaffen, indem ein in Pannonien stationierter Alenpräfekt zum ab epistulis des Caesar ernannt wurde374. Desgleichen begleitete ein ab epistulis L. Verus in den Osten375. Nach einer ansprechenden Vermutung von G. B. Townend ging die Teilung des Büros unter einem ab epistulis Latinis und einem ab epistulis Graecis auf die langen Reisen Hadrians durch den Griechisch sprechenden Teil des Imperiums zurück376. Zwei ab epistulis Latinis sind nacheinander an der Seite Marc Aureis in den ersten Jahren der Markomannenkriege belegt377. Einen eindeutigen Hinweis verdanken wir Philostrats Vita des Sophisten Alexander von Seleukeia in Kilikien (soph. 2,5,3), in der berichtet wird, daß Alexander zur Übernahme des Amtes des ab epistulis Graecis um 174/75 ins Hauptquartier des Kaisers Marc Aurei nach Pannonien reiste. Demnach werden sich auch seine unmittelbaren, namentlich bekannten Vorgänger auf demselben Posten beim Kaiser in den Donauprovinzen aufgehalten haben378. Die im pamphylischen Side gesetzte Ehreninschrift für den ab epistulis Graecis Caracallas, M. Valerius Titanianus, hat J. F. Gilliam überzeugend mit der Anwesenheit des Sekretärs im Stabe des Kaisers während des Kleinasienaufenthaltes 214/15 in Verbindung gebracht379.

371 P. Oxy. 3019. Im P. Oxy. 3614 (März/April 200) werden nur die φίλοι (amici)genannt. 372 Apokrimata. Decisions of Septimius Severus on Legal Matters (1954), bes. 46 f. Zur Bedeu­ tung und zum Aufgabenbereich der Sekretäre siehe Hirschfeld, Kaiserliche Verwaltungsbeamte 318 ff. ; Miliar, JRS 57,1967,14 ff. 373 R. Syme, Hermes 109,1981,110 - Roman Papers 1341 f. 374 ILS 1450 (L. Domitius Rogatus); siehe Pflaum, Carrières 331 ff. Nr. 140. 375 ILS 1452; G. Β. Townend, Historia 10,1961,378 gegen Pflaum, Carrières 446 (Nr. 178). 376 ILS 1449, IGR III 1077 (Valerius Eudaemon); siehe Pflaum, Carrières 264 ff. Nr. 110; Dio 69,3,5 (Avidius Heliodorus) ; siehe PIR2 A1405 ; Townend a.0.379. 377 C. Calvisius Statianus (ILS 1453) und P. Taruttienus Paternus (Dio 71,12,3); zu beiden siehe Townend a.0.380. 378 Ti. Claudius Vibianus Tertullus und Τ Aius Sanctus, siehe die Quellenverweise bei Chr. Habicht, Alt. v. Perg. VIII3 (1969), 66 f. (Nr. 28). 379 AE 1966, 474; vgl. 1975, 814. J. F. Gilliam, in: Mèi. d'arch. et d'hist. off. à W. Seston (1974), 217 ff., mit Hinweis auf die ägyptische Herkunft des Titanianus, der also in Side nicht beheimatet war. Siehe auch Pflaum, Carrières (supplément) 87 f.

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Hinsichtlich der anderen Bürochefs fehlen einschlägige Belege nahezu völlig und wir sind größtenteils nur auf Vermutungen angewiesen. Die einzige sichere Nachricht stammt erst aus der Regierungszeit Valerians; dessen a cognitionibus, ein gewisser Cledonius, hat ihn auf dem Feldzug gegen die Perser begleitet und ist zusammen mit ihm in Gefangenschaft geraten380. Die ungewöhnliche Kumulation des Postens a libellis und a cognitionibus im Falle des M. Aurelius Päpirius Dionysius deutet vielleicht auf eine Verwendung während eines Feldzuges hin; im Rahmen seiner Karriere bietet sich die zweite expeditio Germanica des Marc Aurei und Commodus an381. Auch der in Ephesos geehrte a cognitionibus und ab epistulis Latinis des Macrinus dürfte beide Ressorts gleichzeitig im Stabe des in Syrien weilenden Kaisers verwaltet haben (IvEph. 813). Der im Jahre 201 amtierende Prokurator der Provinz Mauretania Caesariensis wurde unmittelbar anschließend zum a cognitionibus ernannt382; denkbarer Anlaß der Beförderung kann die Reise der kaiserlichen Familie nach Afrika im Jahre 202/03 gewesen sein. Nach der plausiblen Meinung Chr. Habichts ist der Prokurator von Asia des Jahres 214/15, L. Didius Marinus, während Caracallas Aufenthalt daselbst zum a cognitionibus ernannt worden und hat den Kaiser weiter nach Syrien begleitet383. Neben den hohen Verwaltungsbeamten ist sicher auch die Masse der in Dekurien gegliederten Subalternbediensteten dem Kaiser auf Reisen gefolgt. Hierzu gehörten die Liktoren, Herolde (praecones), Boten (viatores) und die persönlichen Adjutanten (accensi und apparitores)m. Auf Neros Griechenlandreise mußte sich der Konsular Cluvius Rufus dazu erniedrigen, die ansonsten einem Freigelassenen zukommende Aufgabe eines Heroldes zu übernehmen (Dio 63,14,3). Liktoren werden erwähnt gelegentlich des Germanicusbesuches in Athen, da Tacitus (ann. 2,53,2) hervorhebt, der Prinz sei aus Achtung vor dem Status und Alter der Stadt mit nur einem Liktor aufgetreten. Bekannt ist ferner der lictor /jroximws Trajans namens M. Ulpius Phaedimus, der wenige Tage nach dem Kaiser in Selinus verstarb; H. Dessau hat daraus zu Recht Konsequenzen hinsichtlich der Umstände von Hadrians Thronbesteigung gezogen385. Die Liktoren erscheinen zudem als engste Begleiter, geradezu als Attribute der Kaiser auf den Adventus- und Profectioreliefs der kaiserzeitlichen Repräsentationskunst des ersten und zweiten Jahrhunderts386. Eine Übersicht über das den Kaiser begleitende Hofpersonal hat auszugehen von den in großer Zahl erhaltenen epigraphischen Denkmälern der Stadt Rom, die uns einen recht detaillierten Einblick in die Zusammensetzung des aus Sklaven und Freigelassenen bestehenden Personenkreises gewähren. Mehrere Untersuchungen haben das

380 Petr. Patr. excerpta de sententiis 159; Boissevain, Cassius Dio III p. 742. 381 Siehe die Verweise unter Anm. 253. 382 CIL VIII9360 (P. Aelius Peregrinus Rogatus) ; siehe Pflaum, Carrières 621 ff. Nr. 233. 383 Alt. v. Perg. VIII3,36 Nr. 15 ; vgl. Pflaum, Carrières 765 ff. Nr. 295. 384 A. H. M. Jones, The Roman Civil Service, JRS 39,1949,38 ff. = Studies in Roman Government and Law (I960), 151 ff. ; Millar, Emperor 66 ff. 385 ILS 1792; H. Dessau, in: Festschr. H. Kiepert(1898), 85 ff. 386 Cancelleria-Reliefs: G. Koeppel, BJ 184,1984,29 ff. Trajanssäule: C. Cichorius, Die Reliefs der Trajanssäule II (1896), 41. Trajanisches Fries am Konstantinsbogen: Koeppel, BJ 169,1969,158 ff. Hadrianisches Adventusrelief : Koeppel a.0.156 ff.

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Material gesichtet und beleuchten die bis ins Extrem betriebene Funktionsteilung zur Erledigung der alltäglichen Gewohnheiten und Bedürfnisse des Kaisers und seines Palastes387. Um eine Vorstellung des hier betriebenen Aufwandes zu erhalten, hat G. Hirschfeld den Haushalt des römischen Kaisers zu Recht mit dem Palastpersonal des osmanischen Sultans Abd ül-Asis verglichen, das nachweislich mehrere tausend Köpfe zählte388. Im vierten Jahrhundert befanden sich am kaiserlichen Hof eintausend Köche, nicht weniger Barbiere, eine noch größere Zahl an Mundschenken und Schwärme von Tischdienern und Eunuchen - ein Auswuchs an Personal, den Kaiser Iulian einzudämmen bemüht war (Lib. or. 18,130). Nach Philos Bericht (leg. ad Gaium 252) sollte das für die geplante Ägyptenreise Caligulas zusammengestellte Hofpersonal zahlenmäßig ebenso stark sein wie die militärische Begleitmannschaft, ging also in die Tausende. Aus diesen Notizen ist zu schließen, daß nahezu der gesamte in Rom tätige Hofstaat den Kaiser auch auf seinen Reisen begleitet hat. Er tritt in Afrika als familia rationis castrensis als Dedikant zweier für Septimius Severus im Jahre 203 gesetzter Ehreninschriften in Erscheinung und liefert damit zugleich ein unzweideutiges Zeugnis für die Anwesenheit der kaiserlichen Familie in dieser Region389. Das nach einzelnen Dienstbereichen gegliederte Hofpersonal folgte dem Kaiser jeweils unter seinem Vorsteher (procurator, praepositus). So reisten die Vorkoster (praegustati) mit Domitian an den Rhein, wo ihr procurator Ti. Claudius Zosimus verstorben ist (siehe S. 182). Der a cubiculo M. Aurelius Prosenes befand sich mit Caracalla auf dem Partherfeldzug und verstarb im Jahre 217 auf der Rückreise nach Rom390. Der Proviantmeister (biarchus) im sacrum palatium namens Valerius Victorinus fiel in der Schlacht bei Chalkedon (324) und wurde in der Provinz Moesia inferior bestattet (AE 1976,631). Auch die cubicularii haben den Kaiser in die Schlacht begleitet und weilten in seiner engsten Umgebung (Amm. Marc. 27,10,11). Das Grabdenkmal eines der Sänftenträger (lecticarius) Domitians hat sich in Carnuntum gefunden (CIL III 4497); demnach haben die lecticarii unter ihrem praepositus den Kaiser nach Pannonien geleitet. Ein einzelner cubicularius begegnet in Karthago, wo er seiner Gattin eine Inschrift setzte quod se secuta esset in provincia Africa 391 ; der Betreffende wird sich unter dem Hofpersonal eines der Kaiser befunden haben, die nach Afrika gereist sind, also des Hadrian oder Septimius Severus. Dasselbe gilt von einem kaiserlichen Sklaven exfamilia castrensi ex numero vestiariorum (CIL VIII5234, Hippo Regius). Ebenso haben die für das Wohlergehen des Kaisers wichtigsten Personen, die Ärzte, bei keinem Reiseunternehmen gefehlt. Vor der Abreise Marc Aureis und des Verus nach Aquileia wurde unter den Freunden des Kaisers beratschlagt, welcher Arzt den Kaiser begleiten sollte; man hielt Umschau unter den Besten, bis die Wahl schließlich auf Galenos fiel (Galen. XIV p. 649 [Kühn] = 118,16 ff. [Nutton]). Galenos bezeugt die 387 E. Fairon, L'organisation du palais impérial à Rome, MB 4,1900,5 ff.; Hirschfeld, Kaiserliche Verwaltungsbeamte 307 ff.; M. Bang, in: Friedlaender, Sittengeschichte IV 47 ff.; G. Boulvert, Esclaves et affranchis impériaux sous le Haut-Empire romain (1970), 23 ff., 237 ff. 388 Hirschfeld a.0.310 Anm. 2. 389 Siehe S. 219; Hirschfeld a.0.315 ff. mit Anm. 5. 390 ILS 1738; siehe H. U. Instinsky, AAWM 1964 Nr. 3. 391 ILS 1744: Valentinus ex numero cubiculariorum.

Beamte und Hofpersonal

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Reisebegleitung durch Ärzte und ihr besonders enges Verhältnis zum Herrscher noch öfters392; einer von ihnen war Demetrios, der in den Donauprovinzen im Lager des Kaisers verstarb (XV p. 4 [Kühn]). Scribonius Largus und C. Stertinius Xenophon begleiteten Claudius nach Britannien393. T. Statilius Crito zog mit Trajan in die Dakerkriege, beschrieb anschließend dessen Kriegstaten in den ,Getika' und verstarb im Jahre 115 oder kurz zuvor während des Partherkrieges394. Ärzte werden auch bei Septimius Severus in Britannien erwähnt (Herod. 3,15,4) und erscheinen im vierten Jahrhundert am kaiserlichen Hof als archiatri sacripalatii{Cod. Theod. 6,16 u. ö.). Zur Hofgesellschaft gehörten schließlich im kaiserzeitlichen Rom wie an den Fürstenhöfen des Mittelalters und der Neuzeit jene Personen, die zur Unterhaltung und Zerstreuung jeglicher Art dienlich waren. Je nach persönlicher Neigung des Kaisers handelte es sich um einen bunten Kreis von Gelehrten, Literaten und Künstlern bis hinunter zu Possenreißern und Gladiatoren395. Ihre enge persönliche Beziehung zum Kaiser kommt in ihrer Sammelbezeichnung convictores (συμβιωταί) zum Ausdruck. In Caligulas Gefolge befanden sich, als er nach Gallien aufbrach, Schauspieler, Gla­ diatoren, Mätressen und vieles andere mehr, was dem Amüsement diente (Dio 54,21,2). Neros Lustknabe Sporns begleitete den Kaiser nach Griechenland; zu den Reisevorbereitungen für den Feldzug gegen Vindex gehörten nach Sueton die Auswahl der Wagen für den Transport des Bühnenapparates und die Ausstattung der mitzunehmenden Mätressen (Suet. Nero 28,2; 44). Eine andere Art der Zerstreuung boten den Kaisem des zweiten Jahrhunderts die Sophisten und Philosophen. Befanden sie sich nicht bereits aufgrund einer amtlichen Funktion, etwa als ab epistulis, ohnehin im comitatus, so reisten sie als Privatleute mit. Dion von Prusa begleitete Trajan im Jahre 101 in den ersten Dakerkrieg396, Antonius Polemo befand sich bei Hadrian auf der Rundreise des Kaisers in Asien und der Ägäis (wobei die Möglichkeit besteht, daß er zu den comités Augusti zählte)397. Lukian (de parasito 52) berichtet von einem Philosophen, der sich die Anwesenheit am kaiserlichen Hof bezahlen ließ und aus diesem Grunde verpflichtet war, dem Kaiser auch auf allen Reiseunternehmen zu folgen wie ein indischer oder skythischer Kriegsgefangener. Die Grabinschrift des erst 17jährigen L. Marius Vitalis, eines offenbar sehr lerneifrigen und begabten jungen Mannes, erwähnt, daß er im praetorium Hadrians aus Rom abgereist ist (ILS 7741). Gleichfalls in Hadrians Gefolge befand sich vermutlich ein librarius Arabicus namens M. Ulpius Castoras, der an zwei expeditiones, nach Gallien und Syrien, teilgenommen hat (ILS 1684). 392 XIV p. 658 f. (Kühn) = 126,17; 128,6 (Nutton). 393 Scrib. Largus compos. 163; R. Herzog, HZ 125,1922,216 ff. 394 E. Kind, RE 11 (1922), 1935 ff., mit den ergänzenden Inschriften MAMA VI 91 und IvEph. 719; siehe L. Robert, La Carie II (1954), 223 f. 395 Friedlaender, Sittengeschichte I 86 ff. Vgl. auch eine Inschrift aus dem nördlichen Jordanien, die davon berichtet, daß ein Barbier und ein Sänger offenbar den Statthalter der Provinz Arabia auf einer Reise durch die Wüste begleiteten (Bull, épigr. 1955, Nr. 248 = AE 1956,183 = ANRWII8 [1977], 717). 396 Dio or. 12,16-20; siehe C. R Jones, The Roman World of Dio Chrysostom (1978), 53. 397 Α. ν. Premerstein, Das Attentat der Konsulare auf Hadrian (1908), 47 ff. ; G. W. Bowersock, Greek Sophists in the Roman Empire (1969), 120 ff.; ebd. 50 ff. zur Verwendung der Sophisten als ab epistulis Graecis.

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Die Reisebegleitung

Auf das den Kaiser begleitende Militär soll nur in Kürze hingewiesen werden. Die Beteiligung der Prätorianerkohorten ergibt sich aus den zu deren Präfekten gemachten Feststellungen (S. 103 f.). Ihre Teilnahme an Reisen und Feldzügen des Kaisers ist zudem durch eine Vielzahl von Grabsteinen einfacher Soldaten und Ehreninschriften für Offiziere evident398. Später, vermutlich unter Trajan, treten die équités singulares als Begleittruppe der Kaiser zu den Prätorianern hinzu399. Das äußere Erscheinungsbild des Kaisers war von den ihn stets umgebenden bewaffneten Mannschaften so sehr geprägt, daß Abweichungen hiervon als singular herausgestellt wurden: Germanicus' Auftreten in Alexandreia sine milite erregte das Aufsehen des Tiberius ebenso wie drei Jahrhunderte später Konstantin bei den in Nikaia versammelten Bischöfen, unter denen er ohne Leibwache Platz nahm400. Ausgehend von der zahlenmäßigen Stärke des Militärs kann der Umfang der gesamten Reisebegleitung für die ersten beiden Jahrhunderte ungefähr geschätzt werden ; im dritten und vierten Jahrhundert bildeten die mitmarschierenden Kampftruppen eine unbekannte Variable: So muß allein die Zahl der Offiziere der im Jahre 360 zum Perserkrieg versammelten Armee in die Tausende gegangen sein, da selbst in einer Großstadt wie Antiocheia das Wasser knapp zu werden drohte (Lib. or. 11,178). Als Caesar im Dezember 45 v. Chr. in Kampanien weilte und Ciceros Villa bei Puteoli besuchte, betrug sein Gefolge an Sklaven, Freigelassenen und Militär an die 2000 Mann (Cic. Att. 13,52), eine Zahl, die auch im Falle von Kaiserreisen innerhalb Italiens gegolten haben mag. Die équités singulares besaßen die Stärke einer ala milliaria, also 1000 Mann. Die Zahl der den Kaiser begleitenden je 1000 bzw. seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts je 1500 Mann starken Prätorianerkohorten401 dürfte geschwankt haben. Seinem Sohn Drusus gab Tiberius nach Pannonien zwei Kohorten und eine größere Zahl berittener Prätorianer mit (Tac. ann. 1,24,1-2). Hyginus (met. castr. 30) nimmt als Musterbeispiel eine Stärke von vier Kohorten und 400 Reitern der Prätorianer an. Betrug die Zahl des den Kaiser begleitenden Militärs also schon einige Tausend Mann, so erhöhte das Hofpersonal des Kaisers und die Dienerschaft der comités und Beamten die Zahl sicher auf das Doppelte (siehe S. 108). Wenn für die Durchreise Hadrians in einem ägyptischen Dorf unter anderem 200 Artaben Gerste (was 7600 Litern oder knapp 300 Amphoren entspricht), 372 Spanferkel und 2000 Schafe bereitgestellt wurden (siehe S. 84), so geht man selbst bei grober Schätzung kaum in der Annahme fehl, daß allein der Kern des zivilien und militärischen Gefolges eher mehr als 5000 Köpfe zählte als weniger.

398 Siehe etwa CIL VI 2725 und IvEph. 620 (Kriege Domitians); CIL XI 5646 und ILS 2081 (Dakerkriege Trajans); CIL III4037 (unter Septimius Severus). Vgl. Millar, Emperor 61 ff. 399 M. Speidel, Die équités singulares Augusti, Begleittruppe der römischen Kaiser des zweiten und dritten Jahrhunderts (1965). Zu ihrem Aufenthalt in den Provinzen siehe etwa das Zeugnis aus Gerasa unter Hadrian (S. 206 f.) und aus Kilikien unter Caracalla oder Elagabal(AE 1978,812). 400 Tac. ann. 2,59,1 ; Euseb. v. Const. 3,10,2; vgl. 1,44,2. 401 Zur zahlenmäßigen Stärke der équités singulares siehe Speidel a.O. 10 ff., der Prätorianerkohorten D. L. Kennedy, AncSoc 9,1978,275 ff.

IV. KAISERBESUCH UND PROVINZIALE STADT 1) DIE RELIGIÖSE SPHÄRE Die persönliche Anwesenheit des Kaisers in den Provinzen und der zwangsläufige Kontakt zwischen Kaiser und Provinzialen lassen in besonderem Maße die Art und Weise des Regierens und die Formen der Begegnung von Herrscher und Untertanen erkennen; beides stand in einem gegenseitigen Wirkungs- und Abhängigkeitsverhältnis. Dieses Verhältnis manifestiert sich im Rahmen der kaiserlichen Reisetätigkeit sicher nicht ausschließlich, aber doch in prägnanter Weise während des Aufenthaltes in den Städten als den politischen und kulturellen Zentren des Reiches. Die Städte bildeten gleichsam das Forum politischer Aktivität, den bevorzugten Ort, Entscheidungen zu treffen, und boten die eigentliche Gelegenheit zur Präsentation des Herrscherbildes durch die Person des Kaisers selbst. Dieses Bild wurde von zwei Formen kaiserlicher Selbstdarstellung geprägt, die sich ergänzten und gemeinsam den vollkommenen Herrscher charakterisierten: Einerseits zeigte er sich als Gott bzw. gottähnliches Wesen, das allein die Fähigkeit besaß, das gewaltige Imperium zum Wohle der Untertanen zu regieren; andererseits benötigte die kaiserliche Macht, um sich erhalten zu können, Bezugspunkte und Bindungen an die bestehende Gesellschaftsordnung und mußte auf Traditionen, Vorrechte und Erwartungen ihrer einzelnen Gruppen Rücksicht nehmen402. Beide Formen wurden sichtbar vornehmlich im zeremoniellen Gestus, der sich zwischen Kaiser und Untertanen abspielte und auf den beide Seiten großen Wert legten. Er war Ausdruck gegenseitigen Respektes und damit Grundlage der Kooperation zwischen dem Herrscher und den Gliedern der Gesellschaft. Es wird sich zeigen, daß sich die Formen des Zeremoniells und traditioneller Verhaltensweisen, wie wir sie aus Rom recht genau kennen, kaum verändert auch in den Provinzstädten wiederfinden. Bereits die bei der Ankunft des Kaisers gehegten Erwartungen (siehe S. 143 ff.) verdeutlichen, daß er allgemein mit einem glucks- und segensbringenden Gott gleichgesetzt wurde. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur wurde durch seinen Anblick angeblich wieder aufgerichtet und spendete von sich aus neues Leben. Mit dem Eintreffen Vespasians in Ägypten ging ein Nilhochwasser einher, das die Bevölkerung als den Beginn eines neuen segensreichen Zeitalters deutete403; bei Hadrians Landung in Afrika soll es zum erstenmal seit fünf Jahren wieder geregnet haben (HA, H 22,14). Als Augustus in Capri an Land ging, sollen die schlaff zur Erde hängenden Äste einer alten Eiche wieder erstarkt sein, worüber sich der Kaiser so freute, daß er 402 Vgl. A. Wallace-Hadrill, Between Citizen and King, JRS 72,1982, bes. 45 ff. mit Literatur. 403 Dio 66,8,1; siehe A. Henrichs, ZPE 3,1968,72 f. Seit der pharaonischen Zeit war der Herrscher Ägyptens zugleich Bringer eines ,guten* Nil; siehe noch H. Braunert, Die Binnenwanderung. Studien zur Sozialgeschichte Ägyptens in der Ptolemäer- und Kaiserzeit (1964), 203 f.

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den Neapolitanern im Tausch für diese Insel die Insel Aenaria schenkte (Suet. Aug. 92,2; Dio 52,43,2). Die Städte des Reiches sahen in der Ankunft des Kaisers einen so tiefen Einschnitt in ihrer Geschichte, daß sie dieses Tages in verschiedensten Formen über das momentane Geschehen hinaus gedachten. In Rom sind anläßlich der Rückkehr des Augustus entsprechende Kultstätten (ara Fortunae Reducis, ara Pacis Augustae, siehe S. 20 f.) errichtet und jährliche Gedenkopfer an ihnen vollzogen worden. Einige Gemeinden Italiens verlegten nach Sueton (Aug. 59) den Jahresbeginn auf den Tag der erstmaligen Ankunft des Augustus in ihren Mauern. Andere Städte ließen mit dem Besuch des Kaisers eine neue Ära beginnen; am bekanntesten und am besten bezeugt ist die neue Jahreszählung in Athen und anderen griechischen Städten, gerechnet ab dem ersten Besuch Hadrians in Griechenland, die sich wohl bis in die Zeit des Commodus gehalten hat404. Außerhalb Griechenlands ist eine entsprechende Jahreszählung, soweit ich sehe, bisher nur in Gaza (ab 130) nachweisbar405. In einer wenigstens bis auf Alexander d. Gr. zurückgehenden Tradition haben griechische Städte die Landung des Herrschers in ihrem Hafen mit regelmäßigen Feiern, den Έπιβατήρια, zelebriert; sie bezogen sich auf das „Anlandgehen" einer bestimmten göttlichen oder gottgleichen Person an dem betreffenden Orte, wurden etwa in Side in Pamphylien auch anläßlich der Ankunft von Kultstatuen im Hafen für zwei neuerbaute Tempel abgehalten406. In der römischen Kaiserzeit ist eine solche Ehrung nur für Hadrian bezeugt, und zwar in Erythrai (siehe S. 200) und durch einen Ehrenbeschluß der Achäer, der unmittelbar nach Hadrians erstem Aufenthalt in Griechenland gefaßt wurde und unter anderem einen Festtag für Ζευς Άποβατήριος nennt, der entweder anläßlich der Landung des Kaisers in Griechenland oder sogar in einer achäischen Stadt gefeiert wurde (IvOlympia 57, Z. 36 f.). Ebenso gedachte man des Jahrestages seines Aufenthaltes im Apolloheiligtum von Didyma mit einem „heiligen Tag" (siehe S. 204). Ging in diesen Fällen die Feier auf die tatsächliche Anwesenheit des Kaisers zurück, so tauchen entsprechende Epitheta aber auch in Gegenden auf, die die Kaiser nachweislich nicht berührt haben, und sie können dort nur allgemein auf die Reisetätigkeit anspielen: Nero wird in Kyrene zusammen mit Απόλλων Έπιβατήριος geehrt; als aktuellen Anlaß dieser Verbindung hat L. Robert zu Recht die Griechenlandreise Neros vorausgesetzt407. Die Gleichsetzung Trajans mit Ζευς Έμβατήριος, wie in der Argolis bezeugt (siehe S. 187), dürfte während des Kaisers Anreise auf den parthischen Kriegsschauplatz zu datieren sein. Ebensowenig läßt sich die Existenz der als 'Αδριάνεια oder Σεουήρεια bezeichneten Festspiele von vornher­ ein auf die Anwesenheit des Kaisers in der betreffenden Stadt zurückführen. Nur dort, wo ein Kaiserbesuch ohnehin und diese nach dem Kaiser benannten Spiele gleichzeitig bezeugt sind, wie in Kyzikos, Ephesos, Smyrna, Antiocheia u. a., ist eine zeit404 W. Kubitschek, RE Suppl. 3 (1918), 28 f.; S. Follet, Athènes au IIe et IIIe siècle. Etudes chronologiques et prosopographiques (1976), 110 ff. 405 M. Rosenberger, City-Coins of Palestine (1975), II55 ff. 406 Belege bei L. Robert, Etudes anatoliennes (1937), 20 Anm. 1. Die richtige Deutung des Anlasses aufgrund der Inschrift aus Side bei G. E. Bean, The Inscriptions of Side (1965), zu Nr. 46. 407 IBM IV 2,1056 = IGR11034; siehe L. Robert, REA 65,1963,314 Anm. 4.

Die religiöse Sphäre

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liehe Koinzidenz wahrscheinlich; aus der von M. Le Glay erstellten Liste (BCH 100,1976,359 ff.) geht jedoch hervor, daß manche Orte 'Αδριάνεια gefeiert haben, für die ein Besuch des Kaisers eher unwahrscheinlich ist (in Kleinasien beispielsweise Synnada in Phrygien); desgleichen sind in Olbasa oder Oinoanda Σεουήρεια bezeugt, obwohl Septimius Severus die Städte wohl nie betreten hat408. Das eigentliche Zeremoniell409 begann mit der Einholung des Herrschers vor den Toren der Stadt, indem die Bevölkerung mit ihren Notablen an der Spitze ihm entgegenzog. Auch darin hellenistischem Vorbild folgend, war diese Sitte bereits im republikanischen Rom bei den aus ihren Provinzen zurückkehrenden Statthaltern und insbesondere den Triumphatoren bekannt, deren Einzug in die Stadt die wesentlichen Elemente des kaiserzeitlichen Adventuszeremoniells enthielt410. Für Augustus hatte der Senat zum erstenmal den honos beschlossen, daß ihm bei der Rückkehr aus dem Osten im Jahre 19 ein Konsul mit den principes viri und einem Teil der Prätoren und Volkstribunen bis Kampanien entgegenzogen (RgdA 2,12). Bezeichnend für Caligulas Verhältnis zum Senat war sein Verbot, daß ihm bei seiner Rückkehr aus Gallien ein Senator entgegenkomme (Suet. Cal. 49,1). Als Vespasian aus Ägypten heimkehrte, erwartete ihn Mucianus in Brundisium, Domitian traf ihn in Benevent (Dio 66,12; vgl. los. bell lud. 7,4,1)411. Eine Senatsgesandtschaft, bestehend aus 100 Senatoren, reiste Septimius Severus im Jahre 193 bis Interamna entgegen, um ihm die Glückwünsche und Bitten der hohen Körperschaft zu überbringen (HA, S 6,1). Aus solchen Grußadressen werden sich die prunkhaften, von Topoi durchsetzten panegyrischen Empfangsreden der Spätantike entwickelt haben, die uns ein eindrucksvolles Bild zeitgenössischer Anschauungen und Erwartungen in Verbindung mit der Anwesenheit des Kaisers vermitteln412. Das gleiche Schauspiel bot sich bei der profectio, bei der die Spitzen des Senates und die kaiserliche Familie den abreisenden Herrscher ein Stück des Weges begleiteten. Augustus folgte seinem designierten Nachfolger Tiberius, der zur Kriegsführung nach Illyrien aufbrach, im Jahre 14 bis nach Beneventum (Vell. Pat. 2,123; Suet. Aug. 97,3), ebenso Marc Aurei dem L. Verus auf dem Wege zur Einschiffung nach Syrien bis nach Capua (HA, MA 8,10; V 6,7). Als Severus Alexander Rom zum Krieg gegen die Germanen verließ, begleitete ihn das Volk von Rom angeblich noch 180 Meilen weit (HA, AS 59). Die Einholung und die Abreise wurde begleitet von Opfern für das Heil des Herrschers und Lobgesängen (Suet. Aug. 57,2); zahlreich sind die Zeugnisse, die das 408 Zu den Σεουήρεια siehe Magie, Roman Rule 1540. 409 Zum Adventuszeremoniell siehe A. Alföldi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche (1970), 88 ff.; Straub, Herrscherideal 175 ff.; Hölscher, Victoria Romana 48 ff. ; MacCormack, Art and Ceremony (Anm. 190) 22 ff. - Zum mittelalterlichen adventus, der in vielen äußeren Formen dem antiken genau entsprach, siehe K. Tenfelde, Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzugs, HZ 235,1982,45 ff. 410 Locus classicus: Cic. in Pis. 52; ferner Cic. Phil. 2,32,78 (Caesar 45); Dio 51,4,4 (Octavians Ankunft in Brundisium im Winter 30). 411 Desgleichen wurden die Leichenzüge verstorbener Herrscher weit vor den Toren der Stadt empfangen, siehe etwa Suet. Aug. 100,2 und Dio 56,31,2 (Augustus), Tac. ann. 3,2 (Germanicus). 412 Siehe S. 58 ff.; zu Einzelheiten sei verwiesen auf die ausführlichen Untersuchungen über den adventus in der Spätantike von MacCormack, Historia 21,1972,721 ff. und Art and Ceremony (Anm. 190) 17 ff.

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lorbeergeschmückte Volk vor den Stadtmauern an weihrauchgeschwängerten Altären beschreiben413. Links und rechts der Straße stehend priesen sie den ankommenden Kaiser mit ausgestreckten Armen, wobei es auch vorkam, daß dem Kaiser schon bei dieser Gelegenheit Anliegen vorgebracht wurden, die ihm gewöhnlich erst im Theater bald nach der Ankunft in der Stadt angetragen wurden (siehe S. 119)414. Das Ausarten dieses Zeremoniells bei Vitellius' Zug durch Italien brandmarkte Tacitus (hist. 2,70) als regius mos. Die Ostienser fuhren dem Kaiser, wenn er sich von See her der Tibermündung näherte, auf kleineren Flußschiffen entgegen; das Ausbleiben dieser Aufmerksamkeit veranlaßte Claudius zu einem scharfen Tadel (Suet. Claud. 38,1). Einzelheiten des Empfangszeremoniells, wie die Einholung des Ankommenden, die Opferhandlungen und eventuelle Ehren, wurden schon in hellenistischer Zeit in einem förmlichen Empfangsbeschluß (ψήφισμα ύπαντήσεως) festgelegt. Der ganze adventus wurde durch die religiösen Zeremonien auf eine transzendentale Ebene verlegt, auf der die Herrscher in die Rolle des Schutzpatrons der Stadt an die Stelle der lokalen Schutzgötter traten und deshalb auch göttliche Ehrungen verdienten415. Augustus hatte, um dem aufwendigen Zeremoniell zu entgehen, Ankunft und Abreise in Rom und den Provinzstädten möglichst auf den Abend oder in die Nacht gelegt (Suet. Aug. 53,2; Dio 54,25,4). Von Iulians Einzug in Antiocheia (362) berichtet Ammianus (22,9,14) . . . ubique propinquans in speciem alicuius numinis votis excipitur publias, wobei solcher Verehrung die allgemeinen Heilserwartungen bei der Ankunft des Herrschers zugrundelagen. Am Tage des adventus durfte kein Todesurteil vollstreckt werden (Suet. Aug. 57,2). Zum festen Ritual gehörte es, daß alle Tempel geöffnet wurden und die Priester für das Wohlergehen des Ankommenden opferten. Nahezu ausschließlich aus hellenistischer Zeit416, in der Kaiserzeit - soweit ich sehe - nur für die Söhne des Kotys in Kyzikos im Jahre 37 bekannt (SIG3 798 = IGRIV145), dürfte dieser Brauch aber auch beim Empfang des Kaisers in den Provinzstädten befolgt worden sein. Wie in Rom beim Einzug des Kaisers an den Straßen die geschmückten Altäre der opfernden Bevölkerung standen417, so zeigen auch die Adventus-Erinnerungsmünzen Hadrians den Kaiser der betreffenden natio oder provincia gegenüber, die den Göttern ob adventum Augusti opfern41*. Das zum Adventuszeremoniell in Rom gehörende Kaiseropfer auf dem Kapitol fand in den Provinzen seine Parallele darin, daß der Kaiser nach dem feierlichen Einzug in die Stadt sich in das angesehenste lokale Heiligtum begab und dort opferte. Explizit wissen wir davon im Zusammenhang mit der Ankunft Vespasians und Titus' in Alexandreia, die als erstes Heiligtum das Serapeion aufsuchten; Iulian opferte in 413 Vell. Pat. 2,89,1; Suet. Cal. 13; Galba 18,1. Bei Herodian ist das Bild zur Topik entwickelt, siehe die Belege bei G. Alföldy, in: Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1970 (1972), 26 mit Anm. 30. 414 So die Antiochener dem Titus im Jahre 70 (los. bell. lud. 7,5,2). 415 Chr. Habicht, Gottmenschentum und griechische Städte2 (1970), 234 f.; L. Robert, BCH 108,1984,482 ff. mit Beispielen, ausgehend von dem pergamenischen Dekret für Attalos III. ; vgl. ders., BCH 109,1985,469 f. 416 W. Dittenberger, OGISI p. 517; L. Robert, BCH 57,1933,519 f. 417 Suet. Nero 25,2; Dio 63,20,5; 74,1,4. Siehe Alföldi, Monarchische Repräsentation (Anm. 409) 90 f., und Anm. 413. 418 Strack, Untersuchungen (Anm. 106) II152, Taf. XIII.

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den Heiligtümern der an seiner Route zur Euphratgrenze liegenden Städte Syriens Beroia und Batnai, wobei es zu den vorbereitenden Maßnahmen der Gemeinden gehörte, die für den Kaiser bestimmten Opfertiere schon bereitzuhalten419. Durch die Opferhandlungen seitens der Bevölkerung und seitens des Kaisers wurde ein enges Band zwischen dem ankommenden Herrscher und den einheimischen Göttern derart geschlossen, daß der Kaiser wie sie der Stadt Glück und Segen bringen, die Götter den Kaiser und seine Herrschaft beschützen sollten. Bei Hadrian ist schon bemerkt worden (S. 42), daß er mit der lokalen Gottheit identifiziert und als göttlicher Wohltäter der Stadt geehrt wurde. Eine noch deutlichere Sprache spricht die lokale Münzprägung vornehmlich des dritten Jahrhunderts, die bei eingehenderer Erforschung sicher noch manches interessante Detail ans Tageslicht fördern würde. Unter dem Itinerar Caracallas (S. 228 f.) weisen wir auf eine Reihe von Prägungen kleinasiatischer Städte hin, die den opfernden Kaiser zusammen mit der berühmten Stadtgottheit zeigen und sofern es sich um autonome Prägungen handelt - nichts anderes als die Ankunft des Kaisers in der Stadt symbolisch anzeigen. In Analogie dazu konnte jüngst P. Weiß anhand der Münzprägung der kilikischen Stadt Aigeai nachweisen, daß im berühmten Asklepiosheiligtum der Stadt unter Severus Alexander zugleich der erste Neokorietempel eingerichtet wurde und diese Maßnahme dank der genauen Datierung der Münzen ohne Zweifel mit einem Aufenthalt des Kaisers in der Stadt im Jahre 231 einherging420. Als Iulian seine Residenz von Antiocheia nach Tarsos verlegen wollte, konnte ihn Libanios daran erinnern (or. 15,79), daß er sich durch seine den Stadtgöttern von Antiocheia dargebrachten Opfer diese zu Verbündeten gemacht habe, die er nicht einfach im Stich lassen könne. Die Kaiser ihrerseits haben daneben berühmte Heiligtümer und Orakelstätten besucht und dadurch eigenen religiösen Anschauungen und Präferenzen Ausdruck verliehen. Trajan, Hadrian und Iulian begaben sich in das Heiligtum des Zeus Kasios bei Antiocheia in Syrien, der als Schutzgottheit berühmt war; demselben opferte Nero in seinem Heiligtum auf Korkyra bei Antritt der Griechenlandreise. Septimius Severus wandte sich an die Orakelstätten des Zeus Belos in Apameia und vielleicht diejenige des Jupiter Heliopolitanus. Herrscher wie Germanicus und Hadrian, deren Neugierde an allem Kultischen und Altehrwürdigen während ihrer Reisen bezeugt ist, dürften kaum ein auf ihrer Route liegendes Heiligtum ausgelassen haben; aber auch bei anderen Kaisern sollte uns der Zufall der Überlieferung nicht davon abhalten, Gleiches vorauszusetzen: Caracalla bevorzugte die Heilgötter, die seine Krankheiten lindern sollten, und besuchte zu diesem Zweck die Kultstätten des Apollo Grannus in Obergermanien und wenigstens die beiden Asklepiosheiligtümer in Pergamon und Aigeai; daß er auch den Selenetempel bei Carrhae aufsuchen wollte, erfahren wir im Zusammenhang mit der Schilderung seiner Ermordung (Herodian 4,13,3)421. 419 Straub, Herrscherideal 192 f. Vespasian und Titus: Tac. hist. 4,82; Suet. Vesp. 7,1; P. Oxy. 2725; siehe Henrichs, ZPE 3,1968,54 ff. Iulian: lui. ep. 399 D, 400 Β; siehe auch S. 83 zu ähnlichen Maßnahmen in Ägypten. 420 Chiron 12,1982,198 ff. 421 Die Quellenangaben finden sich in Kap. VI unter dem entsprechenden Itinerar. Das von religiöser Motivation bestimmte Reiseinteresse der Römer behandelt allgemein Friedlaender, Sittengeschichte 1444 ff.

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Die Reverenz gegenüber den ägyptischen Kulten und Gottheiten im besonderen ging auf Germanicus zurück, der während seines Ägyptenaufenthaltes das Apieion in Memphis besichtigte und den heiligen Stier eigenhändig fütterte422; er verstieß damit allerdings gegen die auf Augustus zurückgehende, von Tiberius weiterbefolgte Ablehnung der nichthellenisierten orientalischen Kulte, die Augustus seinerzeit veranlaßt hatte, seinem Enkel C. Caesar Lob zu zollen, da er im Gegensatz zu Agrippa es vermieden hatte, in Jerusalem dem Jahwe zu opfern423. Schon Caligula hatte die offizielle Ächtung der ägyptischen Kulte aufgehoben (seine geplante Reise nach Ägypten hätte dies deutlich bewiesen), doch hat sich als erster Vespasian nach seiner Kaiserproklamation ganz in pharaonischer und ptolemäischer Tradition dem Serapis als neuer Herrscher präsentiert und ist mit diesem sofort identifiziert worden. Sein Sohn Titus suchte ein Jahr später ebenfalls den Apisstier in Memphis auf (Suet. Tit. 5)424, desgleichen Septimius Severus (HA, S 17,4), der sogar in offiziellen Portraits sich an Serapis durch eine auffallige Hervorhebung der Stirnlocke angleichen ließ; sein Sohn Caracalla nahm im Serapistempel von Alexandreia seine Wohnung, als er dort weilte425. Hadrian erscheint auf den alexandrinischen Münzen mit patera über dem Opferaltar, Sabina streut Weihrauch auf denselben; sie wird mit Attributen der Isis als Opfernde dargestellt, Hadrian steht im Priestergewand auf einem Triumphwagen, womit für die Ägypter sein göttliches Charisma demonstriert wurde426. Fünf römische Kaiser (Augustus, Hadrian, L. Verus, Marc Aurel/Commodus Caesar, Gallienus) haben sich in die eleusinischen Mysterien einweihen lassen, womit sie nicht nur ihre enge Verbundenheit mit griechischer Kultur und Religion im allgemeinen dokumentierten, sondern auch im besonderen sich aufgrund der Verknüpfung des Kultes mit Demeter und der aufscheinenden Kornsymbolik als göttliche Frucht- und Kornspender darstellten427. Ebenso wie die städtischen Magistrate es als besondere Ehre betrachteten, während ihres Amtsjahres den Kaiser in ihrer Stadt empfangen zu können (siehe S. 134 ff.), haben es auch die - lebenslänglich amtierenden - eleusinischen Priester nicht versäumt, die Initiierung der Kaiser, sofern sie während ihrer Priesterschaft stattfand, in den Inschriften zu vermerken. Hadrians Initiierung erwähnt eine Hierophantin, die der Zeremonie beigewohnt hat (IG II/III 2 3575). Von dem Altarpriester L. Memmius aus dem Demos Thorikos heißt es μυήσαντα παρόντος Οεοϋ Άδριανοϋ 428 ; ihm kam also zunächst nur die Ehre zu, in Gegenwart Hadrians 422 Quellenangabe bei Weingärtner, Ägyptenreise (Anm. 283) 141 ff. (bei Tacitus bezeichnenderweise nicht überliefert). 423 Suet. Aug. 93;Tib. 36;Tac. ann. 2,85,4; los. ant. lud. 18,3,4. 424 Zu Vespasian und Titus in Ägypten siehe ausführlich Henrichs, ZPE 3,1968,51 ff. 425 Zu Septimius Severus siehe Anm. 157 ; Caracalla: S. 88 f. 426 J. Vogt, Alexandrinische Münzen I 102 f. ; II 52 f. ; A. Geißen, Katalog alexandrinischer Kaisermünzen II (1978), 1030-31, 1033, 1036. H. Jucker, Aegyptiaca. Betrachtungen zur kaiserzeitlichen Münz- und Portraitkunst Ägyptens, JBM 41-42,1961-62, bes. 295 ff. 427 Quellenangaben in Kap. VI. Zur Symbolik siehe A Alföldi, Chiron 9,1979,578 ff. und (speziell für die Zeit des Augustus) R. M. Schneider, Bunte Barbaren. Orientalenstatuen aus farbigem Marmor in der römischen Repräsentationskunst (1986), 88 f. 428 SIG3 872 = IG II/III2 3620 = J. H. Oliver, The Sacred Gerousia, Hesperia Suppl. 6 (1941), 107 f. Nr. 23. Zu den eleusinischen Priestern siehe G. E. Mylonas, Eleusis and the Eleusinian Mysteries (1961), 229 ff.; K. Clinton, The Sacred Officials of the Eleusinian Mysteries, TAPhS 64,3,1974,44 f., 85 f., 88 f.

Die Formen und Formalitäten der Begegnung

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(128/29 oder 131/32) eine Initiierung zu vollziehen, während er selbst später L. Verus und Marc Aurei und Commodus in die Mysterien eingeweiht hat429. Dieser Mann bekleidete eine Reihe von lokalen Ämtern, unter anderem den eponymen Archontat im Jahre 161/62, in welcher Funktion er möglicherweise den L. Verus in Athen empfangen hat430. Der Hierophant, der höchste eleusinische Priester, der im Jahre 162 L. Verus initiierte, hieß T. Flavius Leosthenes aus dem Demos Paiania, der während der Anwesenheit des Kaisers eigens eine zusätzliche Mysterienfeier zwischen den sonst üblichen Terminen im Frühjahr und September/Oktober abhielt, wie ein solcher Ausnahmetermin auch schon für Augustus und Demetrios Poliorketes eingerichtet worden ist431. Wohnte der Einweihung des Marc Aurei und Commodus der schon erwähnte L. Memmius als Altarpriester bei, so fungierte als eine der beiden Hierophantiden eine gewisse Isidote, die die Kaiser zu Beginn der Einführung in die Mysterien bekränzte432. Die Familien der eleusinischen Priester gehörten ohnehin zu den angesehensten Athens, ja in den genannten Fällen lassen sich außer der Initiierung auch andere Berührungspunkte mit dem Kaiserhaus eruieren; der Großvater der Isidote, der Sophist Isaios, gehörte beispielsweise zu den Lehrern Hadrians433, der gleichnamige Großvater des T. Flavius Leosthenes war von Hadrian persönlich zum Agonotheten des von ihm neu organisierten Agons der Panathenäen bestellt worden und Leosthenes selbst erhielt das äußere Zeichen seines Priestertums, das Strophion (eine Kopfbinde), in Anwesenheit des Antoninus Pius, wohl auf einer seiner in der Inschrift erwähnten Gesandtschaftsreisen nach Rom.

2) DIE FORMEN U N D FORMALITÄTEN DER BEGEGNUNG Der Kaiser, der sein Verhältnis zu den Untertanen nur in einer Welt religiöser Überhöhung und göttlicher Absonderung zu gestalten versuchte, setzte sich dem Vorwurf der superbia und arrogantia aus. Das notwendige Korrektiv war die bewußte 429 In der zwischen November 176 und März 180 datierten Inschrift IG II/IH2 3620 wird erwähnt, daß Memmius bereits seit 56 Jahren als Altarpriester fungierte; er muß demnach zwischen 120 und 124 gewählt worden sein. Daraus hat Clinton a.O. 84 geschlossen, Hadrian sei vor 124 initiiert worden (vielleicht 112), da Memmius diese Auszeichnung, die ihm im Jahre 124 hätte zukommen müssen, nicht unerwähnt gelassen hätte. Hier besteht aber erstens die Schwierigkeit, daß die literarischen Quellen die Einweihung mit dem ersten Besuch in Griechenland in Verbindung bringen, zweitens hat bereits W. Dittenberger (Hermes 20,1885,31 ff.) darauf hingewiesen, daß die Initiierung Fremder nicht an das Priesteramt gebunden war, sondern im Prinzip jedem Mitglied des Geschlechtes der Kerykes zufallen konnte. Im Falle der Initiierung des Kaisers habe man folglich nicht dem jungen Memmius, sondern einem älteren Vertreter des Geschlechtes den Vollzug derselben übertragen. Außerdem lassen sich die Kistophorenprägung und der Sesterz, die Kienast auf die Weihen in Eleusis bezogen hat (JNG 10,1959-60,61 ff. und Chiron 10,1980,397 Anm. 36), zwischen 119 und 128 datieren, womit wohl ein anderer Termin als das Jahr 124 ausgeschlossen ist. 430 Zu Memmius siehe Follet, Athènes (Anm. 404) 289 f. 431 IG II/III2 3592; zur Person siehe Clinton a.O. 36 ff. ; Follet, Athènes 182 f. - Augustus: Dio 54,9,10; Demetrios: Plut. Dem. 26. 432 IG II/III2 3632 - J. H. Oliver, Hesperia Suppl. 8 (1949),248 f. 433 Oliver a.0.250.

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Hinwendung zu den Bürgern; ließ er sich dazu herab, selbst als avis, auch in der äußeren Aufmachung, unter civeszu erscheinen, wurde er mit dem Attribut civilis bzw. seit dem beginnenden zweiten Jahrhundert mit der Tugend der civilitas lobend herausgestellt434. Civilitas manifestierte sich sowohl in gesetzgeberischen Maßnahmen zum Wohle der Untertanen oder in der Achtung und Förderung von Privilegien bestimmter sozialer Gruppen als auch in den äußeren Formen und Möglichkeiten der Begegnung zwischen Kaiser und Untertanen; ihnen möchten wir uns im Rahmen der kaiserlichen Reisetätigkeit zuwenden. Die meisten Gelegenheiten, zu denen der Kaiser mit seinen Untertanen in direkten Kontakt trat, waren wie die Formen der göttlichen Verehrung durch Tradition und ein entsprechendes Zeremoniell festgelegt; dieses diente nicht der Praktizierung eines leeren Scheins, sondern es bildete praktisch den einzigen Rahmen, in dem sich Kaiser und Volk bzw. Volksvertreter begegneten. An erster Stelle sind die öffentlichen Spiele zu nennen, die neben der reinen Belustigung eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion übernahmen. Sie bildeten eigentlich den letzten Teil des Adventuszeremoniells, ursprünglich als krönender Abschluß des Triumphzuges aus den Beutegeldern des Feldherrn finanziert435. Hier - und eigentlich nur hier - stand das versammelte Volk dem Kaiser auf direkteste Art gegenüber, konnte diesem seine Begehren, Klagen und überhaupt die allgemeine Stimmung unmittelbar deutlich machen, und hier wurde der eigentliche Kontakt zwischen Kaiser und der jeweils lokalen Bevölkerung hergestellt436. Bereits eine vielzitierte Stelle bei Cicero bestätigt (pro Sestio 106) drei Orte, an denen sich der Wille des Volkes am deutlichsten artikulieren konnte: contione, comitiis, ludorum gladiatorumque consessu; mit Geld waren die Gemüter zwar zu beeinflussen, tarnen facile est, cum id fit, quem ad modum et a quibus fiat, et quid integra multitudo faciat videre (a. O. 115). Ammian (28,4,28) umschrieb die Bedeutung des Circus Maximus für die stadtrömische plebs mit templum et habitaculum et contio et cupitorum spes omnis; über das Spiel mit der Akklamation zum Ausdruck des Volkswillens sind wir im einzelnen aus dem Antiocheia des vierten Jahrhunderts unterrichtet437. Coram publico waren die Kaiser gezwungen, auf die global vorgetragenen Meinungen und Bitten zu antworten, die „guten" Kaiser erteilten in der Regel immer eine positive Antwort, Kaiser Titus gab vor den Gladiatorenspielen sogar ein diesbezügliches Versprechen ab438. Die für Rom wohlbekannte kommunikative Bedeutung der Zirkusspiele läßt sich in noch stärkerem Maße auf die Provinzstädte übertragen, die den Kaiser ja nur in Ausnahmefällen zu Gesicht bekamen. Wie verlockend muß hier die Gelegenheit gewesen sein, dem Kaiser 434 Zum Inhalt der civilitas und ihrer sozialpolitischen Bedeutung siehe A. Wallace-Hadrill, JRS 72,1982,32 ff. (bes. 41 ff., 45 ff.). 435 H. S. Versnel, Triumphus. An Inquiry into the Origin, Development and Meaning of the Roman Triumph (1970), zusammenfassend 129 f., allerdings mit Vorbehalten gegenüber der älteren Forschung. 436 In jüngster Zeit ist zu diesem Thema eine umfangreiche Literatur erschienen; ich verweise auf Z. Yavetz, Plebs and Princeps (1969), 18 ff. ; A. Cameron, Circus Factions (1976), 157 ff. ; P. Veyne, Le pain et le cirque (1976), bes. 539 ff.; Millar, Emperor 368 ff.; Κ. R. Bradley, RSA 11,1981,129 ff. 437 J. H. W. G. Liebeschuetz, Antioch. City and Impérial Administration in the Later Roman Empire (1972), 208 ff. 438 los. ant. lud. 19,1,4; Suet. Titus 8,2. Siehe Millar, Emperor 372 f. mit weiteren Beispielen.

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auf leichte Art Zugeständnisse abzuringen, die man normalerweise nur mit kostspieligen Gesandtschaften, nach langer Zeit und mit zweifelhafter Aussicht auf Erfolg zu erreichen versuchte. Als Titus gegen Ende des Jahres 70 für längere Zeit in Antiocheia eintraf, drängten ihn Rat und Volk der Stadt, sogleich ins Theater zu kommen, wo sie ihn dann mit der Bitte um Ausweisung der Juden konfrontierten, die Titus in diesem Fall allerdings nicht erfüllte (los. bell. lud. 7,5,1). Die ersten vom Kaiser veranstalteten Spiele dürften wie in Rom gleich nach seiner Ankunft abgehalten worden sein, wobei sich das Volk zu diesem Zweck und zur offiziellen Begrüßung im Theater versammelte; da es im Osten ohnehin Sitte war, Volksversammlungen im Theater abzuhalten439, sind reguläre Volksversammlung zur Begrüßung und die anschließenden Spiele des Kaisers wohl ineinander übergegangen. Vespasian und Titus begaben sich bei ihrer Ankunft in Alexandreia nach dem Besuch des Serapeions ins Hippodrom und wurden dort in aller Form vom Volk in sicherlich vorbereiteten Sprechchören als neuer Serapis begrüßt (siehe Anm. 419). Auch Iulian begab sich bald nach seinem Eintreffen in Antiocheia ins Hippodrom und wurde dort mit einer unzufriedenen Menschenmenge konfrontiert440. Möglicherweise ist uns in einer ephesischen Inschrift441 ein Teil des Empfangszeremoniells für Kaiser Hadrian im Jahre 124, das im Theater stattfand, erhalten: Die Epheben führten vor den Augen des Kaisers einen Hymnus auf, der Sohn eines Senators, offenbar der Vornehmste des Ephebenkollegiums, vollzog die rituellen Handlungen. Auch dort, wo die Kaiser sich mehr oder weniger auf der Durchreise befanden und nur wenige Tage weilten, ließen sie Spiele veranstalten, beispielsweise Vitellius 69 in Lugdunum (Dio 65,1,2 f.) und Titus in Caesarea Philippi, Berytos und ganz Syrien (los. bell. lud. 7,3,1; 7,5,1). Überhaupt gehörten die Spiele, ohnehin Hauptbestandteil des gesellschaftlichen Lebens der antiken Stadt, zu den nicht wegzudenkenden „Tätigkeiten" des Herrschers auf Reisen; bei Hadrian werden sie neben den übrigen Wohltaten für die Städte als stets wiederkehrendes Merkmal seiner Reisetätigkeit erwähnt (Dio 69,10,1 ; HA, H 19,2; vgl. S. 125). Im Theater dürfte sich mehr als durch alle Propaganda aufgrund der Haltung, Gebärden, Reaktion des Kaisers auf die Stimmung der Masse und auf Bittgesuche das Herrscherbild am nachhaltigsten eingeprägt haben. Dazu bot sich ebenfalls die Gelegenheit, wenn der Kaiser im Freien Recht sprach, wie etwa Augustus unter der Portikus des Herkulestempels in Tibur oder Vitellius in Vienna von einem Tribunal aus; bei einer solchen in Rom stattfindenden Gelegenheit hat das Volk Kaiser Claudius gegenüber seinem Unwillen über die hohen Lebensmittelpreise Luft gemacht442. Die möglichst offene Präsentation dem Volke gegenüber gehörte zu den wesentlichsten Merkmalen der civilitas und wird bei den „guten" Kaisern wie Trajan, Hadrian, Marc Aurei und Konstantin lobend erwähnt443. Bei Tiberius rügte Tacitus (arm. 4,67,1), daß 439 F. Kolb, Agora und Theater, Volks- und Festversammlung (1981), 88 f. 440 lui. misop. 368 C-D ; Lib. or. 18,195 ; siehe G. W. Bowersock, Iulian the Apostate (1978), 96. 441 AAWW 88,1951,335 f. Nr. 3 - IvEph. 1145. 442 Suet. Aug. 72,2; Vit. 9; Claud. 18,2;Tac. ann. 12,43,1; Amm. Marc. 16,10,13. Siehe W. Kunkel, ZSRG 85,1968,320 ff. - Kleine Schriften 245 ff.; Millar, Emperor 228 f. 443 Zum Topos siehe Menander περί επιδεικτικών 375,8 ff. (Spengel, Rhet. Gr.) = RussellWilson, Menander Rhetor (1981), 88. - Dio 68,11,3; HA, Η 22,11 ; Herodian 1,2,4; Paneg. 8,9; 10,34,4; Ps. Arist. or. 35,23 f. (Keil) über Philippus Arabs.

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er während seines Aufenthaltes in Kampanien Menschenansammlungen in den Städten durch Aufstellung von Soldaten verhindern ließ. Inwieweit sich die in Rom übliche, zum festen Ritus des adventus gehörende spontane Umgänglichkeit mit dem Volk, die die Panegyriker von Plinius bis Claudianus rühmten444, in den Provinzstädten wiederholte, entzieht sich mangels Belegen unserer Kenntnis. Die für den reisenden Hadrian, der mit seiner Liebe zum niederen Volk renommiert haben soll (HA, H 17,8), überlieferte Szene (Dio 69,6,3: eine Frau näherte sich ihm und ging ihn um seine Aufmerksamkeit an, der Kaiser wandte sich zunächst jedoch ab mit der Begründung, er habe keine Zeit, und erst als die Frau ihm zurief „Dann bist Du auch kein Kaiser!" machte er Halt, um sich ihr Anliegen anzuhören) erweist sich als ein seit der hellenistischen Zeit bekannter literarischer Topos445. Nach den Panegyrikern des ausgehenden dritten Jahrhunderts verlangte es des Kaisers Gottähnlichkeit geradezu, daß sie den Augen der Menge entschwanden, bevor sie, trotz gierigen Blickes, richtig gesehen werden konnten446. Für den Kaiser des vierten Jahrhunderts dürfte die Haltung Constantius' IL bei seinem Einzug in Rom charakteristisch gewesen sein: talem se tamque immobilem qualis in provinciis suis visebatur ostendens (Amm. Marc. 16,10,9). Spontane Reaktionen des Kaisers, wie sie Iulian unterliefen, der bei seinem Ritt in Richtung auf Antiocheia vom Pferde herunter Libanios die Hand reichte und mit ihm scherzte, galten als ungeheuerliche Verachtung des Protokolls, die nach Meinung vieler die Würde des Kaisers und des Staates selbst gefährdeten (Lib. ep. 722 [Foerster]). Die Masse der städtischen Bevölkerung hat nur in ihrer Gesamtheit und nur anläßlich der ganz in das Belieben des Kaisers gestellten öffentlichen Auftritte ihren Willen und ihre Stimmung artikulieren können. Vermutlich konnten sich eher im geschlosseneren Kreis des kaiserlichen Reisegefolges persönliche Bekanntschaften auch zu Angehörigen niederer gesellschaftlicher Gruppen entwickeln. Ein vereinzeltes Beispiel liefert der Brief Hadrians an die Behörden von Ephesos, in dem er die Aufnahme seiner beiden Kapitäne, die ihn von Ephesos nach Rhodos bzw. von Eleusis nach Ephesos geschifft hatten, unter die Ratsherren wünscht und die Bezahlung der summa honoraria aus eigener Tasche garantierte (IvEph. 1487,1488). Der direkte persönliche Kontakt blieb ansonsten nahezu ausschließlich auf die städtische Oberschicht beschränkt: Sie begrüßte den Kaiser in Vertretung der Stadt vor den Toren, sie begegnete im offiziellen Rahmen dem Kaiser in seiner Stadtresidenz447, sie beherbergte den Kaiser als ihren hospes. Im Grunde bewegte sich also der Umgang mit der Provinzialbevölkerung in den gleichen Bahnen wie mit der stadtrömischen. Die Berührungspunkte waren dieselben, der Rat der Stadt wurde formell gleich behandelt wie der Senat in Rom, dem Volk präsentierte sich der Kaiser auf die gleiche Art wie der plebs in Rom. Zudem hatte die provinziale Oberschicht seit jeher den direkten Kontakt mit dem Kaiser über Gesandtschaften aufrechterhalten; die Ehre, mit dem Kaiser brieflich zu 444 Straub, Herrscherideal 191 f. 445 Millar, Emperor 3 mit Hinweisen; anders J. Bleicken in seiner Antwort auf Millars Buch (Anm. 5) 197 Anm. 32. 446 Paneg. 3,11,4 zum Einzug Diokletians und Maximians in Mailand. 447 Paneg. 3,11,3 (Diokletian und Maximian in Mailand); 8,9 (Konstantin in Augustodunum); lui. ep. 399 D (Iulian in Beroia).

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korrespondieren, kam im Prinzip nur Senatoren und Rittern zu und galt fur sie nur in Ausnahmefallen, so daß private und öffentliche Anliegen dem Kaiser persönlich oder über einen Mittelsmann überbracht werden mußten448. Eine Audienz bedeutete nichtsdestoweniger ein besonderes Privileg, denn Aristides bedankte sich bei seinem Gott Asklepios, daß er mit dem Kaiser nicht nur brieflich in Kontakt treten konnte, sondern vielmehr ihm persönlich, den Prinzessinnen und dem Gefolge habe vortragen dürfen (or. 42 p. 338 [Keil]). Wo sich der Kaiser aufhielt, spielte kaum eine Rolle; wenn er sich nicht in Rom befand oder seine Rückkehr noch nicht abzusehen war449, reisten ihm die Gesandtschaften durch das ganze Imperium nach. Bei Augustus' erster Abwesenheit aus Italien suchten ihn in Spanien Vertreter der vom Erdbeben heimgesuchten Städte Kleinasiens ebenso auf wie der vertriebene Armenierkönig Tiridates nebst einer parthischen Gesandtschaft. Gesandte der Alexandriner reisten dem Kaiser 10/9 v. Chr. nach Gallien nach, solche der Bewohner von Aizanoi in Phrygien dem Tiberius nach Boulogne450 und von Iulia Gordos dem ebenfalls in Gallien weilenden Caligula. Mehrere griechische Städte, wie Laodikeia in Phrygien, Magnesia am Mäander und Sparta, schickten Gesandte nach Pannonien, um L. Aelius Caesar zu seiner Adoption zu gratulieren451. Aus demselben Anlaß, bei dem sich der Gunst des zukünftigen bzw. neuen Herrschers vergewissert werden mußte, begrüßte eine pergamenische Gesandtschaft Hadrian in Iuliopolis; Städte wie Berytos und Alexandreia waren deshalb mit Gesandtschaften überfüllt, weil sich dort Vespasian zum erstenmal als neuer Kaiser präsentierte452. Weitere sporadische Zeugnisse informieren uns über Gesandtschaften Athens und der Provinz Hispania citerior nach Sirmium zu Marc Aurei, eine athenische begab sich auch zu Septimius Severus nach Britannien453. Das wohl eindrucksvollste Beispiel ist jener ephesische Anwalt, der Septimius Severus und Caracalla von Rom nach Britannien, Germanien, Sirmium, Nikomedeia und Mesopotamien nachreiste454. Aus verschiedenen Gründen ist es wahrscheinlich, daß der Kaiser, wenn er sich auf Reisen befand, mit einer noch größeren Anzahl von Gesandtschaften konfrontiert wurde, als es in Rom schon der Fall war455: Nicht nur daß ihm die normalerweise für Rom bestimmten Gesandtschaften nachreisten, auch die Provinzialen der näheren Umgebung des Aufenthaltsortes nutzten wegen des geringeren Zeit- und Sachaufwandes die einmalige Gelegenheit, den Statthalter zu umgehen und ein allerhöchstes Urteil 448 W. Williams, JRS 64,1974,95 ff. ; Millar, Emperor 469 f. 449 Kurz vor Caligulas Rückkehr aus Gallien stauten sich in Rom die Gesandtschaften, weshalb Philo dem Kaiser nach Kampanien nachreiste (Philo leg. ad Gaium 182). 450 Tiridates : lust. 42,5,6 ff. ; Alexandriner : P. Oxy. 3020 ; Aizanoi : ILS 9463, siehe S. 168. 451 Iulia Gordos: AE 1977, 808; siehe S. 170. Gesandtschaften an Aelius Caesar: MAMA VI 3, dazu L. Robert, Laodicée du Lycos (1969), 358 f. ; IG V1,37 ; IvMagnesia 180. 452 Hadrian : SIG3 831 ; Vespasian : los. bell. lud. 4,10,5 ; 11,5. 453 Marc Aurei: G. Alföldy, Die römischen Inschriften von Tarraco 332, siehe S. 215; Philostr. soph. 2,1,26. Sept. Severus: IG II/IH2 3707. 454 J. Keil, SBAW 1956, H. 3,6 f. (IvEph. 802). 455 Mehrere Kaiser versuchten, den Strom der Gesandtschaften dadurch einzudämmen, daß sie die Zahl der einzelnen Gesandten und der Gesandtschaften insgesamt beschränkten oder nur noch nach vorheriger Prüfung des Falles durch den Statthalter dieselben vorließen, siehe Millar, Emperor 381 f. mit Quellenangaben.

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zu erhalten, und selbst mit zweifelhafter Aussicht auf Erfolg nunmehr eine Gesandtschaft zu entsenden, die man des Risikos und der hohen Kosten wegen nach Rom zu schicken sich ansonsten erspart hätte. So haben, um ein vereinzeltes Zeugnis zu nennen, die Gohariener ihre Klage über eine ungerechtfertigte Übernahme des Priestertums an ihrem Tempel in Dmeir bei Damaskus Caracalla in Antiocheia vorgetragen, sind aber vom Kaiser darauf hingewiesen worden, daß zunächst der Statthalter die zuständige Instanz gewesen wäre456. Einen ganz persönlichen Erfolg erfuhr direkt beim Kaiser ein vornehmer Bürger von Prusias in Bithynien, der von Caracalla die Purpurrobe des Vorsitzenden der Provinzialspiele erbat und auch erhielt457. Der den Gesandtschaften gewidmete Zeitaufwand erhellt daraus, daß Marc Aurei, als er im Jahre 176 in Smyrna weilte, schon drei Tage lang Huldigungen entgegengenommen hatte, bis er schließlich seine comités fragte, ob er in der Masse etwa den Aelius Aristides übersehen hätte, den er zu sehen wünsche (Philostr. soph. 2,9,2). Die Abfertigung der Gesandtschaften war einer gewissen Ordnung unterworfen, wobei für die Reihenfolge nicht der Inhalt des jeweiligen Anliegens, sondern die geographische Herkunft der Gesandtschaften ausschlaggebend waren. Das Organisationsschema, das uns in einem Papyrus entgegentritt458, trug dem Prestigedenken der Städte Rechnung: Ein Bittsteller aus dem Oxyrhynchosgau rühmt sich, in Pelusion gleich nach den Pelusioten als erster Gesandter vor Septimius Severus vorgelassen worden zu sein; da dieser zweite Platz als besondere Ehre herausgestellt wird, dürften folglich kein Losverfahren, sondern andere Kriterien eine geregelte, aber wohl variable Reihenfolge festgelegt haben. Die Oxyrhynchiten wurden zudem nicht in ihre eigentliche Konventsstadt Memphis, sondern zusammen mit anderen Gauen nach Pelusion bestellt. Für diese Maßnahme findet sich während Hadrians Winteraufenthalt in Tarraco eine Parallele: Omnibus Hispanis Tarraconem in conventum vocatis (HA, H 12,4) bedeutet wohl soviel, daß die Gesandten aller Städte der iberischen Halbinsel, nach Konventen gegliedert, nach Tarraco zusammengerufen worden sind, da der Kaiser eben nicht wie der Statthalter jeden einzelnen Konventsbezirk bereisen und dort Gerichtstage halten konnte. Dem jeweiligen Ort, wo die Vertreter aller Konvente dem Kaiser begegneten, kam wahrscheinlich die Ehre zu, als erster mit seiner Gesandtschaft vor den Kaiser gelassen zu werden. Hinter der leuchtenden Fassade des offiziellen Empfangszeremoniells und der Ehreninschriften konnte sich die Begegnung zwischen Provinzialen und dem Kaiser sowohl gefühlsmäßig als auch in spontanen Reaktionen recht verschiedenartig gestalten. Den besten Einblick in das Verhältnis von Stadtbevölkerung zum Kaiser gewähren uns die Quellen im Falle von Iulians Aufenthalt in Antiocheia (362/63). Die Anwesenheit des Kaisers und seines militärischen Gefolges nutzten die reichen Großgrundbesitzer, die vorhandenen Lebensmittelbestände zu horten und gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung die Preise in die Höhe zu treiben. Der Kaiser mußte aus eigenen in Syrien, Kleinasien und Ägypten gelegenen Gütern während des Winters Getreide 456 Siehe Anm. 370; Millar, Emperor 455. 457 IvPrusias 11 ; zum Begriff το τής πορφύρας σχήμα siehe den Kommentar von W. Ameling zur Inschrift (S. 65 f.). 458 P. Oxy. 705 ; siehe U. Wilcken, APF 4,1907,379 ff.

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einfuhren, jedoch unterliefen Spekulanten auch diese Hilfsmaßnahme. Das dadurch entstandene Mißtrauen spiegelt sich in dem vergeblichen Bemühen Iulians wider, den Rat der Stadt durch neue Mitglieder zu erweitern. Das religiöse Konfliktpotential zwischen dem heidnischen Kaiser und der überwiegend christlichen Stadt entlud sich in der Zerstörung des Apollotempels in Daphne, die der Kaiser mit der Schließung der christlichen Kirche und Konfiszierung der liturgischen Gegenstände beantwortete. Man verstieg sich schließlich zu gegenseitigen Schmähungen, die Iulian vor seinem Aufbruch in den Perserkrieg zu der Ankündigung veranlaßten, sein nächstes Winterquartier in Tarsos zu nehmen. Erst der verletzte Stolz bewog die Antiochener, dem Kaiser Gesandtschaften mit der Bitte um Nachsicht nachzuschicken459. Immerhin ging dieser Konflikt harmlos aus im Vergleich mit den Begleitumständen von Caracallas Aufenthalt in Alexandreia, dem blutigsten Kapitel in der Geschichte der Kaiserreisen. Die Spottlust der Alexanderstadt über den ,neuen Alexander' trieb die Bewohner dazu, die in der Stadt aufgestellten Caracalla-Alexanderstatuen umzustürzen; der erzürnte Kaiser ließ daraufhin das ihm entgegenziehende Empfangskomitee der Stadt kurzerhand hinrichten. Ein mit seiner Ankunft sich entzündender Aufruhr unter der Bevölkerung, dessen der Präfekt von Ägypten nicht Herr wurde, bot dem Kaiser Grund, die Stadt nach Rädelsführern durchkämmen und diese töten zu lassen, wobei auch viele Unschuldige in der damals mit Fremden überfüllten Stadt, sogar Männer aus dem Gefolge des Kaisers, umkamen. Um neuen gefährlichen Gruppenbildungen vorzubeugen, verbot Caracalla die Schauspiele und die Syssitien; ferner wies er alle Fremden aus der Stadt aus und dachte sogar daran, eine bewachte Mauer quer durch dieselbe ziehen zu lassen460. Ursachen und Verlauf dieser Konfrontationen sind insofern lehrreich, als sie erstens nur in den mit Rom vergleichbaren Großstädten des Ostens begegnen, deren Bevölkerung für ihre Spottlust und Kritikfreudigkeit bekannt war, und zweitens auf die jeweilige Stadt beschränkt blieben. Größere, die ganze Region oder Provinz erfassende Demonstrationen der Unzufriedenheit hat es im Zusammenhang mit Kaiserbesuchen nie gegeben, auch nicht angesichts erhöhter Belastungen und Versorgungsengpässe, die die Reisetätigkeit des Kaisers und seiner Armee heraufbeschworen (siehe S. 70 f.). Mögliche Konfliktbereiche lagen schon gar nicht in den großen politischen Fragen, sondern die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen richteten sich auf Augenblicksprobleme, denen man dadurch Abhilfe zu verschaffen suchte, indem man vor den Kaiser trat und eine günstige Entscheidung erhoffte. Die Person des Kaisers oder gar das politische System bildeten keinen Diskussionsgegenstand. Die Atmosphäre, in der sich ein Kaiserbesuch abspielte, wurde bestimmt von momentanen Verhaltensweisen und Reaktionen, die aber selten den Zündstoff lieferten, der den Besuchsablauf aus den durch die Tradition festgelegten Bahnen des Zeremoniells geworfen hätte. Zudem 459 Zu den Vorgängen in Antiocheia siehe Downey, Antioch 382 ff. ; Bowersock, Iulian (Anm. 440) 96 ff. Zu weiteren Unruhen in der Stadt während des vierten Jahrhunderts siehe Liebeschuetz, Antioch (Anm. 437) 129 ff. 460 P. Benoit - J. Schwartz, Caracalla et les troubles d'Alexandrie en 215, EPap 7,1945,17 ff.; F. Kolb, Literarische Beziehungen zwischen Cassius Dio, Herodian und der H istoria Augusta (1972), 97 ff. Zum Erlaß Caracallas (P. Giss. 40 II 16 ff. = Wilcken, Chrestomathie 22) siehe Braunert, Binnenwanderung (Anm. 403) 171 ff.

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verschaffte der Aufenthalt des Kaisers außer der Ehre auch handfeste Vorteile, die eine mögliche Unzufriedenheit dämpften. Somit bleiben die genannten Ausnahmen typisch für die Städte, in denen der Herrscher häufiger und länger residierte, und für ihre sich durch spezifische Verhaltensweisen auszeichnende Bevölkerung.

3) DER KAISER ALS WOHLTÄTER Der Besuch des Kaisers bedeutete für die betreffende Stadt eine besondere Auszeichnung. Dion von Prusa (or. 32,95 f.) stellte den Alexandrinern die Möglichkeit eines Besuches von Kaiser Trajan in Aussicht; dies bedeute eine besondere Anerkennung - nicht für aufwendige Bauwerke, die der Kaiser selbst noch kostbarer in Rom kenne, sondern für ihre Zucht und politisches Wohlverhalten; so wie sie selbst sofort nach Eintreffen eines neuen Beamten sich ein Urteil über ihn bildeten, so ziehe auch der Kaiser seine Erkundigungen über das Volk ein, das ihn empfangen soll. Antiocheia, schon unter Constantius II. über mehrere Jahre hin Residenzstadt, wollte Iulian offensichtlich eine Konstantinopel gleiche Bedeutung als Kaiserstadt des Ostens zumessen461 ; als ihn aber die Bevölkerung der Stadt während seines Aufenthaltes 362/63 durch Verspottung reizte und alle seine Maßnahmen unterlief, kündigte er an, den folgenden Winter in Tarsos verbringen zu wollen (siehe S. 74). Libanios bemühte sich als Gesandter seiner Heimat, den Kaiser umzustimmen (or. 15,77); den Antiochenern stellte er die Frage, ob sie unter diesen Umständen überhaupt noch weiterleben wollten: Welche Gefühle überkämen sie, was würden sie sich sagen, wie würden sie sich selbst und die vielen Besucher anschauen; es sei doch Antiocheias unwürdig, Gesandte zum Kaiser nach Tarsos zu schicken, wo doch deren Gesandte bisher immer zu ihnen gekommen seien (or. 16,54). Die Antiochener mußte nicht nur der Verlust der Ehre, sondern auch das Entschwinden materieller Vorteile schmerzen. Schon der längere Aufenthalt römischer Provinzialbeamter in einer Stadt, namentlich zwecks Abhaltung der Gerichtstage, bescherte der Bevölkerung einen besonderen Gewinn: Dion berichtet von Kelainai in Phrygien, daß die Stadt jedes zweite Jahr Schauplatz solcher Gerichtstage sei, aus diesem Grunde sich eine gewaltige Menschenmenge einfinde - er nennt die Rechtssuchenden, Richter, Redner, hohe Beamte, Diener, Sklaven, Kuppler, Maultiertreiber, Händler, Handwerker und Dirnen - und sich die Waren zu erhöhten Preisen an den Mann bringen ließen. Dion fugte selbst hinzu, daß aus diesem Grunde auch ein derartiger Wettstreit unter den bedeutenden Städten Asiens um den Rang eines Konventshauptortes bestünde (or. 35,15-17). Als Vespasian Ende des Jahres 69 in Alexandreia eintraf, befand sich infolge der vielen Gratulationsgesandtschaften eine so große Menschenmenge in der Stadt, daß sich selbst die nach Rom größte Stadt der Welt als zu klein erwies (los. bell. lud. 4,11,5). Ebenso bedingte Trajans Anwesenheit in Antiocheia im Laufe des Winters 115/16, daß die Stadt von Soldaten, Gesandtschaften, Rechtssuchenden, Händlern und Neugierigen aus allen Reichsteilen überfüllt war; Cassius Dio konnte behaupten (68,24,1 f.), daß infolge des 461 Downey, Antioch 381 f. ; Bowersock, Iulian (Anm. 440) 95 f.

Der Kaiser als Wohltäter

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Erdbebens, das die Stadt damals heimsuchte, jede Provinz des Imperiums Menschenverluste zu beklagen hatte462. Die erste Gelegenheit, ihre Großzügigkeit unter Beweis zu stellen, hatten die Kaiser bei den gleich nach ihrer Ankunft von ihnen abgehaltenen und materiell ausgestatteten Spielen. Die Jagd auf 1000 wilde Tiere, die Hadrian in Athen veranstaltete (HA, H 19,2), gehört zu den herausragenden Beispielen auf diesem Gebiet und war eine besondere Konzession an diese von ihm so geliebte Stadt; ansonsten hat Hadrian nämlich die in den Provinzen veranstalteten Spiele nicht mit dem in Rom üblichen Aufwand betrieben (Dio 69,10,1). Allerdings ging die luxuriöse Ausstattung der Kaiserspiele letztlich wiederum zu Lasten der Provinzialen. Caligula, der in Syrakus die athenischen Dionysien, in Lugdunum aufwendige Spiele der verschiedensten Art und Redewettbewerbe veranstalten ließ, hat für die letzteren die enormen Kosten von den Städten Galliens eingetrieben463. Ebenso mußte die reiche Oberschicht Bithyniens für die Kosten der großartigen Spiele geradestehen, die Caracalla vor seiner Abreise aus Nikomedeia geben ließ464. In Erwartung des kaiserlichen Besuches mußten in Antiocheia die wilden Tiere geschont werden, da sie Iulian selbst erlegen wollte. Die Beschaffung der Tiere gehörte übrigens zu den kostspieligen Liturgien des Syriarchen. Für Iulian wurden die besonders gefährlichen Tiere aufbewahrt, zur Belustigung des Volkes sollten vorerst diejenigen dienen, die seines Anblicks nicht würdig waren (Lib.ep.218[Foerster]). In den Städten, in denen die Kaiser sich regelmäßiger und längere Zeit aufhielten und ihr zahlreiches Gefolge bewirtet und unterhalten werden wollte, mußten sie einer Residenzstadt angemessene Erweiterungen oder Verschönerungen in der Bausubstanz der betreffenden Stadt vornehmen, wozu in erster Linie ein Palast, Thermenanlagen, Theater, Stadien, Straßenanlagen und Tempel gehörten. So erhielt Nikomedeia, Caracallas Winterquartier 214/15, großartige Thermenanlagen und profitierte später von Diokletians sprichwörtlicher Bauwut465; diese kam auch außer Rom Karthago und Mailand zugute. Von Nikomedeia mochte Ammian (22,9,3) behaupten, daß es aufgrund seiner zahlreichen öffentlichen und privaten Großbauten eher für eine Region der Ewigen Stadt gehalten werden konnte. Im Falle Antiocheias kennen wir dank der Angaben des Malalas die zahlreichen von den Kaisern während ihrer dortigen Aufenthalte vorgenommenen baulichen Maßnahmen recht genau; von Diokletian erhielt es einen neuen Kaiserpalast und profitierte vor allem im vierten Jahrhundert von seiner Rolle als Residenzstadt des Ostens466. Überhaupt haben die Kaiser, soweit das zufällig erhaltene Quellenmaterial erken462 Vgl. Paneg. 8,2,1 (311 vor Konstantin in Trier): Nunc itaque, cum in hac urbe quae adhuc assiduitate praesentiae tuaeprae ceteris fruitur..., totus tibi amicorum tuorum comitatus et omnis imperii apparatus assistit et cum omnes homines omnium fere civitatum aut publice missi sunt aut pro se tibi supplices assunt. 463 Suet. Cal. 20; Dio 59,21,3; 22,1 und 3 f. 464 Dio 77,19,3 ; vgl. den schon zitierten Bericht (77,9,6; siehe S. 73) und die Inschrift des Flavius Severianus Asclepiodotus aus Nikaia (SEG 29,1281). 465Thermae Antoninianae: CIL III 324 = ILS 613; Procop. de aedif. 5,3,7; Malalas p. 281 (Bonn). Zu Diokletian: Lact, de mort. pers. 7,8: infinita quaedam cupiditas aedificandi; vgl. auch Aur. Vict. Caes. 39,45 ; Malalas p. 306 (Bonn). 466 Downey, Antioch 318 ff. ; Liebeschuetz, Antioch (Anm. 437) 135.

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nen läßt, größere bauliche Maßnahmen auf die Städte beschränkt, in denen sie länger verweilten (etwa Winteraufenthalte) oder zu denen eine andere enge Beziehung bestand, wie beispielsweise eigene Gründungen oder die Heimatgemeinde. Freilich beschränkte sich ihre Bautätigkeit nicht auf bestimmte Projekte oder war generell an ihren Aufenthalt gebunden: die schon erwähnte Straßenbautätigkeit (siehe S. 86 f.) ist nur ein Beispiel. Ferner haben Kaiser wie Augustus und Tiberius, wenn sie in Rom oder sonstwo durch Gesandtschaften aufgesucht wurden, erdbebengeschädigten Städten ihre Hilfe genauso zukommen lassen wie Trajan fur Antiocheia, Hadrian und Iulian für Nikomedeia, die sich am Orte des Geschehens ein Bild von der Katastrophe machen konnten. Nichtsdestoweniger wird die wesentliche Motivation zur kaiserlichen Bautätigkeit, zum einen ein mit dem eigenen Namen verbundenes bleibendes Denkmal zu hinterlassen, zum anderen als Wohltäter seiner Untertanen zu erscheinen467, am stärksten bei der persönlichen Anwesenheit des Herrschers am Orte zum Tragen gekommen sein, wie die hadrianischen Reisen am deutlichsten erkennen lassen. Die von Ulpian den Statthaltern gegebene Empfehlung, bald nach ihrer Ankunft in einer bedeutenden Stadt sich öffentliche Gebäude und Tempel anzusehen, eventuell deren Vollendung und Restaurierung durch curatoresm veranlassen, ist - wie andere Förmlichkeiten des Empfanges auch - ganz sicher in ähnlicher Weise auf die Anwesenheit des Kaisers übertragbar468. Augustus ließ in Nemausus, wo er während seines Gallienaufenthaltes der Jahre 16-13 vielleicht Winterquartier nahm, im Jahre 16 die Stadttore und Mauern aufziehen, Agrippa errichtete in der neuen Kolonie Emerita Augusta ein Theater (siehe S. 159, 164). Drusus' Aufenthalt in Emona (14/15) fiel zeitlich mit einer kaiserlichen Stiftung für Stadtmauer und Türme zusammen (siehe S. 30). Caligula restaurierte in Syrakus, das er im Jahre 38 besuchte, eingefallene Stadtmauern und baufällige Tempel (Suet. Cal. 21). In Lepcis Magna wurde als Logis der kaiserlichen Familie im Jahre 202/03 ein eigenes βασίλειον errichtet; obwohl eindeutige Zeugnisse fehlen, wird die um diese Zeit lebhafte bauliche Ausschmückung der Stadt mit dem Afrikaaufenthalt des Septimius Severus in Verbindung gebracht. Jedenfalls ließ der Prätorianerpräfekt Plautianus vermutlich zum Bau des neuen Forums Marmorblöcke in die Stadt schaffen469. Allein für Hadrian ist eine so breit gestreute Munifizenz den Städten des Reiches gegenüber bezeugt, die die antiken Autoren auch als Charakteristika seiner Regierung hervorhoben, daß es sich dabei nicht um beiläufige Gunsterweise oder traditionelle Pflichterfüllung berühmten Städten und Heiligtümern gegenüber, sondern nur um die wesentliche Motivation und Hauptinhalt seiner Reisetätigkeit handeln konnte (siehe S. 41 ff.). In einer im Jahre 129 dedizierten Inschrift sprechen die Ephesier dem Kaiser ihren Dank aus für verschiedene Maßnahmen, die er der ganz speziellen, ortsbezogenen Bedeutung wegen mit Sicherheit während seines gleichzeitigen Aufenthaltes ge467 Siehe zusammenfassend R. MacMullen, Roman Imperial Building in the Provinces, HSPh 64,1959,207 ff. und Millar, Emperor 420 ff. mit weiteren Beispielen; R A Brunt, Free Labour and Public Works at Rome, JRS 70,1980, bes. 96 ff. 468 Dig. 1,16,7. So soll der Statthalter auch die Grußadressen der Bewohner freundlich aufnehmen und die Feiertage je nach Herkommen achten. 469 Zum Afrikaaufenthalt siehe S. 218, 222 f. Plautianus: IRT 530. Zur Problematik siehe P. Romanelli, Storia delle province Romane dell'Africa (1959), 416 f.

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troffen hat (IvEph. 274): unübertreffliche Geschenke an die Artemis, die Sorge, daß andere der Göttin geschuldete Einkünfte dieser wieder zukommen470, die Genehmigung, Getreide aus Ägypten zu beschaffen (siehe S. 138 ff.), die Schiffbarmachung des Hafens, Verlegung des Kaystros, um den Hafen vor Verlandung zu schützen. Die Fürsorge für bestehende Heiligtümer, Einkünfte und Kultordnungen betreffend, ist durch Pausanias auch für Städte Griechenlands, inschriftlich für Delphi, bezeugt471 ; an Tempelneubauten sind neben den berühmten Beispielen wie Kyzikos oder Athen etwa in Trapezus der Hermes- und Apollotempel472, in Tarraco die Restaurierung des Jupitertempels (HA, H 12,3) zu nennen. Daß all dies in größerem Maßstab erfolgt ist, bezeugt die Historia Augusta (H 13,6) speziell für die Reise durch Kleinasien im Jahre 129:... perAsiam iterfaciens tempia sui nominis dedicami. Ebenso wie in Ephesos ließ Hadrian in Trapezus den Hafen ausbauen (Arr. peripl. 16,6), am Kopaissee in Böotien Flußregulierungen vornehmen, Aquädukte bauen, ägyptisches Getreide auch anderen Städten des Reiches, deren Boden er betrat, zukommen, wie für Tralleis, Sparta und Athen bezeugt ist (siehe S. 139 ff.). Für größere Baumaßnahmen haben die Kaiser auch in ihrem Gefolge befindliche Soldaten herangezogen, da oft nur die Armee über speziell ausgebildete Architekten und Ingenieure verfügte473: Octavian hatte schon seinerzeit nach der Einnahme Alexandreias die verschlammten Nilkanäle durch seine Soldaten reinigen lassen (Suet. Aug. 18,2); Nero ließ seinen spektakulären Durchstich des Isthmos von seinen Prätorianern ausführen (Suet. Nero 19,2); von Probus weiß die Historia Augusta zu berichten (Pr 9,4) pontes, porticus, basilicas labore militum struxit, orafluminum multa patefecit, paludesplerasque siccavit. Als er dergleichen bei Sirmium zu bewerkstelligen versuchte, wurde er von den erbitterten Soldaten erschlagen (HA, Pr 21,1 ; Aur. Vict. Caes. 37,4). - Beispiele gegenteiligen Verhaltens, das die Kaiser nicht als Gebende, sondern als Nehmende zeigt, sind durchaus Ausnahme und auf die Mitnahme von Kunstgegenständen beschränkt geblieben. Nero muß in Griechenland ein wahrhaft räuberisches Unwesen getrieben haben: Allein aus Delphi ließ er 500 Bronzestatuen entfernen und weitere aus Thespiai und Olympia474. Im Gegensatz dazu haben Agrippa und Tiberius die Städte wenigstens finanziell entschädigt. Agrippa kaufte den Kyzikenern zwei Gemälde (Aiax und Venus) für 1,2 Millionen Sesterzen ab (Plin. n.h. 35,26) und nahm aus Lampsakos den gefallenen Löwen des Lysipp für seine Thermen in Rom mit (Strabo 13,1,19). Tiberius zwang die Parier, ihm eine Hestiastatue für den Concordiatempel zu verkaufen (Dio 55,9,6). Ein weiteres Betätigungsfeld kaiserlicher Gunst erstreckte sich auf die Rechtsstellung einzelner Städte. Vor allem die Städte des griechischen Ostens lagen auf diesem Felde in einem ständigen Wettstreit, der sie, wie das Beispiel des ephesischen Anwalts lehrt (Anm. 454), Gesandtschaften durch das ganze Imperium dem kaiserlichen Hof nachschicken ließ. Es liegt auf der Hand, daß die Entscheidung zu Gunsten einer 470 Zur Erklärung dieses Passus siehe IvEph. a.O. 471 Zu Pausanias siehe S. 191 f. ; Delphi: siehe S. 41 f. mit Anm. 117. 472 Arrian peripl. 2,1 ff. Die große hadrianische Bauinschrift (T. B. Mitford* JRS 64,1974,61 ff.), die nur fragmentarisch erhalten ist und nicht genau datiert werden kann, gehörte vielleicht zu einem dieser Tempel ; siehe S. 198. 473 MacMullen a.O. (Anm. 467) 214 ff. 474 Paus. 10,7,1; 19,2. 5,25,9; 26,3. 9,27,3. Siehe dazu Chr. Habicht, Pausanias und seine ,Beschreibung Griechenlands* (1985), 123.

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Gemeinde leichter getroffen wurde, wenn der Kaiser sich persönlich ein Bild von den lokalen Gegebenheiten, der Größe der Stadt, der Zusammensetzung der Einwohnerschaft usw. machen konnte. Augustus hat auf seinen Reisen vielfach in dieser Richtung gewirkt, ohne daß wir allerdings alle Städtenamen ermitteln könnten (siehe S. 22 ff.); bei wenigstens vier Veteranensiedlungen weilten Augustus bzw. Agrippa zumindest in der betreffenden Provinz. Wenn wir uns bei den Reisen Hadrians auch der Einzeldiskussion entzogen haben, weil die Lokalforschung allzu oft einen Municipium- oder Kolonietitel mit einem Kaiserbesuch verknüpft, ohne daß sich Belege hierfür beibringen ließen475, so passen entsprechende Maßnahmen doch ganz in das Bild seiner Reisepolitik. Im Falle Gerasas ist es ausdrücklich erwähnt, daß die Stadt während der Anwesenheit des Kaisers Vorort eines conventus iuridicus wurde476; ebenso sicher dürfte sein, daß Smyrna und Ephesos ihre zweite Neokorie im Jahre 124 bzw. 131 bei einem gleichzeitigen Aufenthalt des Kaisers erhalten haben, und daß die folgenschwere Entscheidung, Jerusalem zur colonia Aelia Capitolina zu erheben, im Jahre 130 auf Hadrians Reise durch Palästina erfolgte477. Ebenso geht auf Hadrian die Neuerung zurück, anstelle nur einer einzigen Stadt gleich mehreren Städten derselben Provinz den Titel einer Metropolis zu verleihen. G. W. Bowersock hat zumindest am Beispiel Syriens gezeigt, wo Antiocheia von nun ab den Titel mit Samosata, Damaskus und Tyros teilen mußte, daß Hadrian diese Maßnahme während seines Aufenthaltes daselbst getroffen hat478. Insbesondere unter dem severischen Kaiserhaus lassen sich in mehreren Fällen Kaiserbesuch und rechtliche bzw. religiöse Aufwertung der Städte durch Neokorietitel in Zusammenhang bringen. Septimius Severus hat bei seinen Aufenthalten in Syrien der Stadt Laodikeia als Belohnung für ihre Treue im Kampf gegen Niger im Jahre 194 den Kolonierang und zusätzlich 197/98 das ius Italicum verliehen479. Das letztgenannte Privileg dürfte derselbe Kaiser an Carthago, Utica und Lepcis Magna im Zuge seiner Afrikareise verliehen haben, woraufhin die betreffenden Städte die kaiserliche indulgentia feierten480. Anläßlich seines Aufenthaltes in Asia im Jahre 214 vergab Caracalla an Philadelpheia die erste, wohl damals auch an Pergamon die dritte Neokorie, Thyateira wurde zum Hauptort eines eigenen conventus erhoben, als der Kaiser in der Stadt weilte (siehe S. 227,229). Die kilikische Stadt Aigeai erhielt ihre erste Kaiserneokorie von Severus Alexander im Jahre 231/232, sicher während eines Aufenthaltes des Kaisers in der Stadt auf der Durchreise nach Syrien481. Einem besonderen Umstand, nämlich dem Gedenken an den Tod von nahestehenden Persönlichkeiten, die den Kaiser auf seinen Reisen begleitet hatten, verdankten 475 Zu den methodischen Bedenken siehe F. Vittinghoff, ANRWII6 (1977), 32 f. 476 AE 1927,48 = SEG 7, 813 = Welles, Gerasa (Anm. 495) 425 Nr. 144. Zu Smyrna und Ephesos siehe S. 200,208. 477 Dio 69,12,1 f.; siehe B. Isaac, Talanta 12-13,1980-81,31 ff.; G. W. Bowersock, in: Approaches to Ancient Judaism II (Brown Judaic Studies Nr. 9,1980), 135 f. 478 Hadrian and Metropolis, in: Bonner Historia-Augusta-Colloquium (im Druck). Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Notiz der Historia Augusta (H 14,1) über die beabsichtigte Degradierung Antiocheias; vgl. R Syme, Hadrian and Antioch, in: Bonner HistoriaAugusta-Colloquium 1979/81 (1983), 321 ff. = Historia Augusta Papers (1983), 180 ff. 479 R. Ziegler, Chiron 8,1978,493 ff. ; J.-P. Rey-Coquais, JRS 68,1978,56. 480 Dig. 50,15,8,11; vgl. Romanelli a.O. (Anm. 469) 418 f. mit Vorbehalten; siehe auch S. 218, 222. 481 P. Weiß, Chiron 12,1982,199 ff.

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zwei Städte überhaupt ihre Existenz: Antinoopolis in Ägypten, im Jahre 130 von Hadrian an dem Ort gegründet, wo Antinoos im Nil ertrank482, und Faustinopolis in Kappadokien, wo Marc Aureis Gattin Faustina auf der Rückreise aus dem Osten im Jahre 176 verstorben war483. Ein Zeichen kaiserlicher Gunst ganz spezieller Art setzte Marc Aurei auf derselben Reise in Athen; hatte diese schon der geistigen Erholung und Erneuerung nach den langen Kriegsjahren an der Donaufront gedient, so richtete er zu deren Abschluß in Athen vier Lehrstühle für Philosophie und einen für Rhetorik ein. Gerade im Falle Athens wissen wir - sicher nicht zufallig -, daß Hadrian und Marc Aurei ihren Aufenthalt in der Stadt zu Verfassungsreformen nutzten; da dieselben in erster Linie die Zusammensetzung und Neukonstituierung der führenden städtischen Körperschaften (Areopag, Boule der Fünfhundert, Gerousia) betrafen, werden sie vornehmlich der Stärkung der eigenen Finanzkraft gedient haben, indem ein möglichst breiter Kreis wohlhabender Familien diesen Gremien zugeführt und dem Gemeinwohl dienstbar gemacht wurde. Unterstützt wurden solche Eingriffe, die - wie unter Hadrian - auf die Initiative der Stadt selbst zurückgingen, durch direkte Hilfsmaßnahmen des Kaisers, die weiter unten (S. 138 ff.) erläutert werden sollen484.

4) DAS MUNUS DER STÄDTE a) Baumaßnahmen Die selbst ohne besonderen Anlaß vorhandene Prunksucht der antiken Städte mit Bauwerken, die ihre Finanzkraft häufig überforderte und die kaiserliche Regierung seit dem beginnenden zweiten Jahrhundert verstärkt in die innere Verwaltung der Stadt eingreifen ließ, muß in der Aussicht auf einen Besuch des Kaisers eine noch zusätzliche Motivation erfahren haben. Der an die Alexandriner gerichtete Tadel Dions von Prusa (siehe S. 124) ist ja nur verständlich, wenn die bauliche Ausschmückung der Stadt mit zu den wesentlichen vorbereitenden Maßnahmen eines Kaiserbesuches gehörte. Leider sind auch in diesem Bereich die Zeugnisse, die Kaiserbesuch und Baumaßnahmen in einen direkten Zusammenhang stellen, äußerst spärlich, das meiste läßt sich nur aus dem chronologischen und archäologischen Kontext mit einiger Wahrscheinlichkeit erschließen. Aufgrund einer systematischen Untersuchung könnten die hier skizzierten Überlegungen ganz sicher durch umfangreichere Erkenntnisse ersetzt werden. So ist aus dem Wortlaut der Ehrung für den vornehmen Male in Palmyra485, der den dort weilenden Kaiser Hadrian großzügig bewirtete, nur zu schlie482 Wilcken, Grundzüge (Anm. 157) 49 ff.; H. I. Bell, JRS 30,1940,133 ff.; H. Braunert, JJP 14,1962,73 ff. = Politik, Recht und Gesellschaft in der griechisch-römischen Antike (1980), 328 ff. 483 Siehe S. 213. Die Anekdote über die Gründung von Markianopolis in Thrakien (lord. Get. 92 f.) ist erfunden, siehe Temporini, Die Frauen am Hofe Trajans (Anm. 322) 189. 484 Dio 71,31,3 ; siehe J. H. Oliver, Marcus Aurelius. Aspects of Civic and Cultural Policy in the East, Hesperia Suppl. 13 (1970), 80 ff. ; ders., AJPh 102,1981,213. - D. J. Geagan, ANRWII 7,1 (1979), 392 f., 403 mit einschlägiger Bibliographie (426,431). 485 C. Dunant, Le sanctuaire de Baalshamin à Palmyre. Vol. III. Les inscriptions (1971), 55 f. Nr. 44 Α-Β mit älterer Literatur.

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ßen, daß zum kaiserlichen Aufenthalt auch die von Male finanzierte Vollendung des Tempels und Pronaos des Baalshamin nebst der dazugehörenden Ornamentik zeitlich parallel lief. Die beschleunigte Restaurierung der Säulen eines Tempels und der Bau (?) einer öffentlichen Straße in Apameia in Syrien (IGLS IV 1347) dürfte mit einem bevorstehenden Kaiserbesuch zu erklären sein. In der lykischen Hafenstadt Phaseiis hat ein wohlhabender Mitbürger im Jahre 131, in dem Hadrian in der Stadt weilte, eine neue Agora gestiftet486; neuere Untersuchungen haben zudem ergeben, daß vermutlich auch die Pflasterung und Ausgestaltung der „Hauptstraße", die am Hadrianstor ihren Ausgang nahm, und Hafenrenovierungen mit dem Besuch im Zusammenhang standen; jedenfalls läßt sich feststellen, daß die beiden letztgenannten Arbeiten nicht vollendet wurden, wohl deshalb, weil man aus aktuellem Anlaß und kurzfristig zahlreiche Arbeiten auf einmal in Angriff nahm, die dann, als die Motivation weggefallen und die Finanzkraft dieser mittelgroßen Stadt erschöpft war, aufgegeben wurden. Möglicherweise ging auch der prunkhafte Neubau des Markttores von Milet, von V. M. Strocka aus stilistischen Gründen in die 20er Jahre des zweiten Jahrhunderts datiert, mit der Anwesenheit Hadrians in der Stadt im Jahre 129 zeitlich einher487. In den gleichen Zusammenhang müssen auch dem Kaiser dedizierte Ehrenbögen in den Provinzstädten gestellt werden, von denen einige sicher datiert sind bzw. in einem derart eindeutigen baulichen Kontext stehen, daß sie nur aus Anlaß eines bevorstehenden Kaiserbesuches errichtet worden sein können. Überraschen kann diese Tatsache nicht, da von jeher festliche Anlässe wie zunächst der Triumphzug, später Regierungsjubiläen und auch generell Zeichen der kaiserlichen Fürsorge den Ausschlag für die Errichtung dieser Bögen gegeben haben. Die Ankunft des Kaisers in einer Provinzstadt bildete ein ebenso herausragendes Ereignis, das man nach dem Vorbild zahlreicher Triumphbögen, die Senat und Volk von Rom dem heimkehrenden Kaiser errichteten, mit dem Bau eines Ehrenbogens feiern wollte. Dieser besondere Anlaß, der, soweit ich sehe, in der archäologischen Fachliteratur noch nicht berücksichtigt wurde488, bedingte eine spezielle Einordnung in die bauliche Gesamtkonzeption einer Stadt; aus diesem Grunde ist es, abgesehen von dem finanziellen Aufwand, wohl nur selten möglich gewesen, dem eigenen Repräsentationsbedürfnis in dieser Form Ausdruck zu verleihen. Für den Standort war nicht nur die selbstverständliche Lage an einer Hauptdurchgangsstraße maßgebend, sondern der Bogen mußte auch, da der in die Stadt einziehende Kaiser denselben durchschreiten sollte, ja gleichsam in diesem Moment in die Stadt aufgenommen wurde, in der Nähe oder auf der Stadtgrenze an derjenigen Straße liegen, über die der Kaiser die Stadt betrat. Die Stadt Phaseiis erbaute im Jahre 131, als Hadrian hier zum erstenmal in Lykien landete, unmittelbar am Hafen, am Beginn der die Stadt durchziehenden Hauptstraße, ein Prunktor; die Anbringung der Ehreninschrift auf der der Stadt abgewandten Seite 486 ΤΑΜ II1194 = D. J. Blackman bei J. Schäfer (Hg.), Phaseiis, Beiträge zur Topographie und Geschichte der Stadt und ihrer Häfen (1981), 142 f. Zum Folgenden siehe Schäfer a.O. 169 ff. 487 V. M. Strocka, Das Markttor von Milet (1981), bes. 45 ff. (mit Kommentar zu der nur fragmentarisch erhaltenen Inschrift des Tores). 488 Vgl. H. Kaehler, RE 7 (1939), 470 ff.; D. Scagliarmi Corlàita, in: Studi sull'arco onorario romano (1979), 29 ff. ; M. Pfanner, Der Titusbogen (1983), 93 ff.

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beweist, daß Hadrian vom Hafen kommend die Stadt betrat489. In anderen Fällen hat man ältere Stadttore zu Prunktoren umgestaltet, wie dasjenige im Osten von Attaleia an der nach Perge fuhrenden Straße; die verstümmelte Inschrift sichert ein hadrianisches Datum nach 129490. Einen der das Tor flankierenden Türme hat eine vornehme Dame der Stadt, Iulia Sancta, aus eigenen Mitteln erbaut; dieselbe ist als Stifterin einer Statue für Domitia Paulina bekannt, die Schwester Hadrians, so daß aufgrund der zeitlichen Übereinstimmung Turm und Prunktor zu ein- und demselben Bauvorhaben gehört haben dürften491. Ferner ist zu vermuten, daß der Kaiser vom Land her, wohl von Perge kommend, im Jahre 131 durch dieses Tor in die Stadt eingezogen, jedenfalls nicht im Hafen gelandet ist, da der Bau eines solchen Prunktores an der dem Hafen genau entgegengesetzten Seite der Stadt sonst unverständlich wäre492. Den Bau des dreibogigen Tores in der östlichen Stadtmauer von Patara hat neuerdings G. W. Bowersock überzeugend mit dem Besuch Hadrians in der Stadt in Verbindung gebracht; der Kaiser hat demnach aus östlicher Richtung kommend Patara auf dem Landweg erreicht493. In Nikaia dürfte das östliche (und nördliche?) Stadttor aus dem gleichen Grunde renoviert und mit einer dem Hadrian dedizierten Inschrift versehen worden sein494. Der Bogen von Gerasa, der aus dem Nachlaß eines reichen Mitbürgers namens Flavius Agrippa finanziert wurde, lag am Südende der Stadt, die Inschrift wurde auf der der Stadt zugewandten Seite angebracht495. Hadrian muß also durch das Tor die Stadt verlassen haben, was der bekannten Reiseroute des Kaisers entspricht, der im Jahre 130, wohl von Palmyra kommend, die Provinz Arabia von Norden nach Süden durchquerte. Daß die Stadt in diesem Fall keinen Bogen im Norden für den adventus des Kaisers errichtete, erklärt sich einfach damit, daß hier ein in den letzten Jahren Trajans errichtetes Tor die von Norden kommende Hauptstraße schon über489 Schäfer, Phaseiis 88 f.; Inschrift: Blackman a.O.151 ff. 490 K. Graf Lanckoronski, Städte Pamphyliens und Pisidiens I (1890), 20 ff. (Inschrift: 154 f. Nr. 4 = IGRIII771); G. Moretti, ASAA 6-7,1923-24,456 ff. Den Publikationen war leider nicht zu entnehmen, ob die Inschrift auf der Stadt- oder Landseite des Tores angebracht war; nach der hier vorgeschlagenen Rekonstruktion der Reiseroute (S. 194) müßte sie sich auf der Landseite, d. h. der Stadt abgewandt, befunden haben. Des Titels Olympios wegen datiert sie nicht vor 129. 491 CIG 4340 h = Le Bas - Wadd. 1361 ; IGR III 773. Zur Familie der Sancta siehe Halfmann, Senatoren (Anm. 43) 200. 492 Schon Lanckoronski (13) dachte an einen Zusammenhang zwischen dem Torbau und dem Besuch Hadrians. Es sei auch erinnert an einen ähnlich prunkhaften Ausbau einzelner Bauten und Plätze in Perge, den die reiche Plancia Magna unter Hadrian vornehmen ließ, siehe A. M. Mansel, AA 1956, 104 ff. In die Chronologie jener baulichen Umgestaltung ließe sich sicher noch mehr Klarheit bringen. - Da Vespasian im Hochsommer des Jahres 70 Lykien berührte, ist der Besuch möglicherweise Anlaß gewesen für die Errichtung des dem Kaiser dedizierten, die von Patara kommende Straße überspannenden Bogens in Xanthos gewesen, der wegen der Nennung des Statthalters Sex. Marcius Prisais nicht später als 70 entstanden sein kann (ΤΑΜ II270). 493 ΤΑΜ II421 p. 158; siehe Bowersock, Hadrian and Metropolis (Anm. 478). Das Tor wurde bisher stets in die trajanische Zeit datiert. 494 S. Çahin, Bithynische Studien (1978), 18 ff. 495 A.H. Detweiler, in: C. H. Kraeling (ed.), Gerasa, City of the Decapolis (1938), 73 ff.; Inschrift: Welles a.O. 401 f. Nr. 58. Zum Nordtor siehe Detweiler a.O. 117 ff.; Inschrift: Welles 401 Nr. 56-57.

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spannte und man dieses nach so kurzer Zeit weder ersetzen noch erneuern wollte. Dank einer Inschrift (CIL VIII9697 = 21514) wissen wir auch von einem Bogen (arcus nebst portae\ den die Stadt Quiza in der Mauretania Caesariensis für Hadrian im Jahre 128 errichtete, dem Jahr, in dem der Kaiser die Provinz durchreiste. In einem analogen baulichen Kontext steht der jüngst vollständig publizierte Bogen, der weithin sichtbar - den östlichen Zugang zum Poseidonheiligtum am Isthmos von Korinth markierte496. Das Bauwerk läßt sich archäologisch in die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts datieren, jedoch sprechen, obwohl die Ausgräber auch eine Ehrung für einen der flavischen Kaiser erwägen, gewichtige Gründe für ein neronisches Datum: erstens ein bedeutender Anlaß, nämlich die während der Isthmischen Spiele erfolgte Freiheitserklärung für Griechenland; der Kaiser wird durch das Tripylon kommend Heiligtum und Theater erreicht haben; zweitens die flüchtige Ausführung des Baues, die darauf hindeutet, daß der Bogen unter Zeitdruck auf einen bestimmten Termin hin vollendet werden mußte; drittens das Fehlen einer Inschrift, die mit der bald darauf erfolgten damnatio memoriae Neros zu erklären wäre. Entsprechende Vermutungen über einen Zusammenhang zwischen dem 213/17 fertiggestellten Bau eines dreitorigen Bogens in Thasos und der Anwesenheit Caracallas auf der Insel müßten allerdings noch durch andere Indizien bestätigt werden (siehe S. 227). Mit dem Aufenthalt Hadrians in Tarraco ist offenbar das Sonderamt eines curator templi und praefectus murorum zu erklären, das ein Beauftragter des Provinziallandtages zwecks Wiederherstellungsarbeiten übernahm497. Der kostspielige Aufwand, bronzene Statuen Hadrians zu vergolden, wozu der Provinziallandtag den Auftrag gegeben hatte, wird sich ebenfalls mit dem Besuch des Kaisers begründen lassen498. Das Partherdenkmal in Ephesos läßt in seiner Einzigartigkeit wohl kaum eine andere Erklärung für seine Entstehung zu als die enge Bekanntschaft zwischen dem Kaiser L. Verus, der unmittelbar vor und während des Partherkrieges Ephesos zweimal einen Besuch abgestattet hat, und den beiden reichsten Familien der Stadt, den Vedii und derjenigen des Flavius Damianus ; der Tod des Kaisers gab den Anlaß zur Errichtung des Denkmals mit Szenen aus der Herrschertätigkeit des ganzen antoninischen Kaiserhauses, angefangen mit der Adoption des Antoninus Pius im Jahre 138 bis zur Apotheose des L. Verus499. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen der grandiosen baulichen Ausschmückung von Lepcis Magna zu Beginn des dritten Jahrhunderts und dem Besuch des von dort gebürtigen Septimius Severus ist noch umstritten, da entsprechend datierte Bauinschriften fehlen. Immerhin läßt sich als gewichtiges Argument für eine zeitliche Koinzidenz die Tatsache anführen, daß in einem der Attikareliefs des severischen Tetrapylons, das die Ausfallstraße ins Landesinnere überspannte, der 496T.E. Gregory - H. Mills, Hesperia 53,1984,407 ff.; zum Datum siehe bes. 424 ff. mit Hinweis auf ebenfalls in neronische Zeit zu datierende Baumaßnahmen in Korinth und im Theater des isthmischen Bezirkes. 497 ILS 6946 = Alföldy, Die römischen Inschriften von Tarraco 264; zum Tempel siehe HA, H 12,3. 498 ILS6930 = Alföldy 294; vgl. dazu D. Fishwick, AJAH 6,1981,90 f. 499 Eine endgültige Publikation liegt noch nicht vor; siehe vorläufig W. Oberleitner, Funde aus Ephesos und Samothrake (1978), 66 ff. Zu den Vedii, Damianus und L. Verus siehe S. 135, 211.

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feierliche Einzug der Kaiser in eine Hafenstadt, die durch einen Leuchtturm gekennzeichnet ist, dargestellt wird, wobei es sich eben um Lepcis handeln könnte. Die von V. M. Strocka vorgenommene Datierung des Bogens in die Jahre 205/09 läßt sich allerdings mit der von ihm selbst vertretenen Auffassung, das Monument sei anläßlich des Kaiserbesuches errichtet worden, nicht vereinbaren, da eine Afrikareise der Kaiser innerhalb dieses Zeitraumes nicht nachzuweisen ist; man wird deshalb in Übereinstimmung mit älteren Datierungsvorschlägen am Jahre 203 festhalten müssen500. Wie die bereits erwähnte Maßnahme (S. 126) des Prätorianerpräfekten Plautianus anzeigt, wird die kaiserliche Familie einen großen Teil der Bauarbeiten im Anschluß an den Besuch direkt in Auftrag gegeben und selbst finanziert haben.

b) Die Leistungen der städtischen Oberschicht Die Spendefreudigkeit der finanzkräftigen lokalen Aristokratie auf der einen und ergänzende Maßnahmen der Kaiser auf der anderen Seite traten nicht nur im Zuge von Baumaßnahmen, sondern auch bei der Aufnahme des Kaisers in der Stadt selbst besonders deutlich hervor; sie dokumentieren zugleich die Wohlhabenheit Einzelner und die Hilfsbedürftigkeit der Allgemeinheit gerade dann, wenn außergewöhnliche Belastungen, wie sie ein Kaiserbesuch darstellte, zu verkraften waren. Auf die allgemeine wirtschaftliche Problematik ist schon oben (S. 70 ff.) eingegangen worden. Für Antiocheia bestätigt Libanius (or. 11,178), daß vor dem geplanten Perserfeldzug Constantius' II. allein die den Kaiser begleitenden Offiziere die Bevölkerung um ein vielfaches vermehrt hätten und in jeder anderen Stadt die Wasserversorgung zusammengebrochen wäre. So ist auch die Maßnahme Hadrians im Winter 129/30, den er selbst in Antiocheia verbrachte, nämlich seine équités singulares in Gerasa überwintern zu lassen (siehe S. 206 f.), wohl nur so zu verstehen, daß er die Last der Versorgung dadurch zu mindern versuchte, indem er sie regional verteilte. Die private Initiative wohlhabender Bürger besaß eine alte, gesellschaftspolitisch bedeutsame Tradition in Form der gegenseitigen Äospes-Beziehung, für die schon aus republikanischer Zeit gerade aus dem griechischen Osten eine Reihe von Beispielen existieren501. König Herodes von Judäa ließ Octavian im Jahre 30 v. Chr. auf der 500 V. M. Strocka, Beobachtungen an den Attikareliefs des severischen Quadrifons von Lepcis magna, AntAfr 6,1972, bes. 149 ff., 166 f. Zur Datierung der Afrikareise siehe S. 222 f. Das Fehlen der Plautilla auf den Reliefs scheint mir nicht zwingend für eine Datierung nach dem Jahre 205 zu sprechen. Sie fehlt beispielsweise auch auf dem 203 dedizierten Severusbogen auf dem Forum Romanum (R. Brilliant, MAAR 29, 1967) und läßt sich auch auf dem 204 eingeweihten Argentarierbogen auf dem Forum Boarium nicht eindeutig nachweisen (H. B. Wiggers, in: M. Wegner [Hg.], Das römische Herrscherbild III 1 [1971], 77 mit weiterführender Literatur). Ferner ist die Identität der (heute) kopflosen Figur auf dem Fries E-SW des Bogens in Lepcis mit Plautianus nicht so bestimmt auszuschließen, wie Strocka (170) dies tut; zu seiner Argumentation vgl. man das Foto des heute verschollenen Kopfes bei R. Bartoccini, Afri tal 4,1931,124 Abb. 89, der durchaus portraithafte Züge aufweist. 501 L. Robert, REA 62,1960,326 ff.; Th. Drew-Bear, BCH 96,1972,453; M. H. Crawford, in: P. Garnsey - C R Whittaker (ed.), Imperalism in the Ancient World (1978), 193 ff.

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Durchreise nach Ägypten auf das großzügigste bewirten (los. ant. lud. 15,6,7), indem er ihm selbst und seinen Freunden u. a. 150 komfortable Wohngemächer zur Verfugung stellte; ähnliche Zuvorkommenheit ließ er Agrippa und seiner Begleitung im Jahre 15 v. Chr. angedeihen (los. a. O. 16,2,1)· Die „Last" des hospitium, unter der die einfache Bevölkerung stöhnte (siehe S. 71), relativierte sich in den gesellschaftlich höherstehenden Kreisen dadurch, daß der Gastgeber von seinem vornehmen Gast die Gewährung von Privilegien und die Durchsetzung privater Anliegen und solcher seiner Heimatgemeinde erwarten durfte. Aber selbst fur wohlhabende Kreise bedeutete je nach Umfang der Gesellschaft deren Bewirtung eine kostspielige Angelegenheit; Cicero (Att. 13,52,2) bemerkte zu einem Besuch Caesars in seiner Villa bei Puteoli, der mit einem Gefolge von 2000 Mann erschienen war: semel satis est. Die jüngst zusammengestellten Belege der sacrae litterae302, die Senatoren von der Einquartierung von hospites gegen ihren Willen befreien, zeigen in ihrer Formulierung, daß einerseits solche Einquartierungen auch auf senatorischem Besitz immer wieder vorkamen - und zwar widerrechtlich -, daß es aber andererseits auch Fälle gab, in denen die Senatoren freiwillig ihr Eigentum einem hospes zar Verfügung stellten. Letzteres geschah wohl in der Regel gegenüber Standesgenossen oder eben dem Kaiser selbst und wird häufiger vorgekommen sein, als es uns die Quellen mitteilen. Senatoren haben nämlich ein solches munus nicht in ihrem cursus honorum verzeichnet503 ; so wissen wir nur aus literarischen Quellen von der Aufnahme des L. Verus durch Herodes Atticus in Athen (Philostr. soph. 2,1,11) und der für die Senatoren, vor allem wohl den aus Bithynien selbst stammenden Cassius Dio (77,18,1), drückenden Last von Caracallas Aufenthalt in Nikomedeia. Auch L. Verus soll auf seinem Wege von Rom nach Brundisium die am Wege liegenden Landhäuser großzügig frequentiert haben (HA, V 6,7). Städtische Magistrate erwähnen dagegen in ihren Inschriften den Aufenthalt des Kaisers in ihrer Heimatgemeinde deshalb, weil es für sie höchst ehrenvoll war, den Herrscher während eines von ihnen geführten Amtsjahres empfangen zu dürfen. Bei dieser Personengruppe ist allerdings der das hospitium anzeigende Begriff υποδέχομαι 504 nur in zwei Fällen bezeugt, in Ephesos für L. Verus und in Thyateira für Caracalla (siehe unten), doch ist die Aufnahme des Kaisers als hospes ebenso evident im Falle der beiden aus Ilion und Kyzikos stammenden ξένοι des Augustus (siehe S. 158) und jenes Bürgers aus Stratonikeia, in dessen Haus Hadrian logierte (siehe S. 199 f.) und der Familie des Sopatros aus Hierapolis in Syrien, die Constantius IL, Gallus und Iulian bei sich beherbergte (lui. ep. 401 Β-C); es ist ferner anzunehmen, daß die gleich zu erläuternden, näher bekannten Leistungen der städtischen Beamten im Zusammenhang mit der Anwesenheit des Kaisers wenigstens eine zeitweise private Unterbringung und Bewirtung mit eingeschlossen haben werden. Die Zeugnisse setzen unter Hadrian ein. Latinius Alexander gewährte als Archon der Stadt Ankyra anläßlich des Durchzuges des Kaisers und seiner Truppen „Spenden", die, wie andere Beispiele zeigen, aus Lebensmitteln und Öl bestanden haben 502 Th. Drew-Bear - W. Eck - R Herrmann, Chiron 7,1977,355 ff. 503 Der einzige mir bekannte Beleg findet sich bei dem Ritter M. Maenius Agrippa L. Tusidius Campester, hospes divi Hadriani (ILS 2735). 504 Dies geht aus der griechischen Übersetzung der sacrae litterae hervor, in denen (hospitem) suscipere mit υποδέχομαι übersetzt wird.

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werden505. Seine Tochter betont ihre königliche Abstammung (ή έκ βασιλέων), der er sich folglich selbst rühmen durfte. Diese vornehmlich in Ankyra und Pergamon beheimateten Nachkommen des galatisch-attalidischen Königsadels gehörten, wie ihr ausgedehnter Grundbesitz in Kleinasien in anderen Fällen zeigt, zu den reichsten Familien des Landes und zu denen, die mit die ersten aus Kleinasien gebürtigen Senatoren stellten506. Der vornehme Bürger Male aus Palmyra spendete im Jahre 130, als Hadrian die Stadt besuchte, Öl fur die Fremden, die Bürger und die den Kaiser begleitenden Truppen und sorgte in jeder Beziehung für sein „Lager", d. h. Unterkunft und Verpflegung. Sein Vater und Onkel sind bereits in neronischer Zeit als Stifter zweier Portiken im Bereich des Heiligtums des Baalshamin nachgewiesen, während Male selbst die in Palmyra ansonsten nicht mehr bezeugte Munifizenz bewies, das eigentliche Tempelgebäude des Gottes erbauen zu lassen507. Im gleichen Jahr weilte Hadrian in Gerasa, und dort fungierte als Agonothet T. Flavius Flaccus Demetrius508. Vier Generationen dieser Familie sind namentlich bekannt; sein Vater T. Ravius Gerrenus, dem die bislang größte in Gerasa gefundene Ehreninschrift gesetzt wurde509, war „bei allen Statthaltern und Prokuratoren aufgrund seiner eifrigen und hochherzigen Zusammenarbeit bekannt"; ihm kam die besondere Ehre zu, erster Agonothet beim nach Konstituierung der Provinz Arabia neu eingerichteten Agon „für das Heil des Kaisers Trajan" gewesen zu sein. M. Claudius P. Vedius Antoninus Sabinus aus Ephesos erwähnt, daß er während der Aufenthalte des L. Verus in der Stadt jedesmal die Gymnasiarchie, das finanziell aufwendigste städtische Amt, bekleidet hat510. Durch zahlreiche Inschriften und Bauwerke, die sie hinterlassen haben, sind die Vedier als führende Familie der Stadt in der ersten Hälfte und der Mitte des zweiten Jahrhunderts ausgewiesen; wie sein Adoptivvater war P. Vedius Antoninus Gesandter seiner Stadt an Senat und Kaiser gewesen, hat sich in allen lokalen Ämtern als Magistrat und den bedeutendsten ephesischen Agonen als Spielleiter ausgezeichnet. Nichts unterstreicht den Rang dieser Familie deutlicher als die Tatsache, daß der Sohn des Antoninus Sabinus der erste aus Ephesos gebürtige römische Senator war. Ob ein Vedius Gaius, der während seiner Grammatie denselben Kaiser empfing, zum engeren Kreis der berühmten Familie gehörte, muß dahingestellt bleiben511. Für Caracallas aufwendigen Reisestil, wie luxuriöse Wohnungen, Amphitheater und Rennbahnen in den jeweiligen Winterquartieren, wurde auch das Vermögen der Senatoren beansprucht. Die Worte Cassius Dios (77,9,5-7) lassen erkennen, daß die Belastung selbst für den ersten Stand des Reiches über das hinausging, was er anson505 IGR III 208 = JÖAI 30,1937,B. 26 - E. Bosch, Quellen zur Geschichte der Stadt Ankara im Altertum (1967), 141 ff. Nr. 117. 506 H. Halfmann, in: Epigrafia e ordine senatorio II (1982), 617 f. 507 Dunant a.O. (Anm. 485) 14 ff. Nr. 1-3. 508 AE1927,48 - SEG 7,813 - Welles, Gerasa (Anm. 495) 425 Nr. 144. 509 SEG 7,825 = Welles, Gerasa 442 ff. Nr. 192. Zur Familie siehe Welles a.0.334 zu Nr. 43. 510 IvEph. 728. Zur Familie siehe J. Keil, RE 8 A (1955), 563 ff.; M. Wörrle, AA 1973,470 ff. Sämtliche Belege jetzt in IvEph. VII 1, S. 88 ff. (z.T. jedoch den falschen Personen zugewiesen). Zur Bedeutung der Gymnasiarchie in Ephesos siehe D. Knibbe, RE Suppl. 12 (1972),275. 511 IvEph. 3072, mit Stemma S. 76.

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sten im Rahmen des ehrenvollen hospitium freiwillig zu leisten bereit war. Daß in diesem Fall selbstverständlich auch die städtische Oberschicht herangezogen wurde, zeigt ein neueres epigraphisches Zeugnis aus Nikaia (siehe Anm. 271): Ein vornehmer Bürger der Stadt, Flavius Severianus Asclepiodotus, hat abgesehen von der Liturgie der παραπομπή für Caracalla und Elagabal im besonderen Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen in großzügiger Ausstattung veranstaltet. In Thyateira erwähnen zwei städtische Beamte ihre Funktionen während der Anwesenheit Caracallas im Herbst 214; nur bei einem, Flavius (?) Menelaus, Sohn eines Asiarchen, selbst öfters Gesandter an den kaiserlichen Hof, Vorsitzender der Boule auf Lebenszeit, kennen wir sein Agonothetenamt, das er in diesem Jahr bekleidete512. Iulius Aurelius Zenobius (Zabdila) fungierte als Stratege in Palmyra, als Severus Alexander in der Stadt weilte (wohl 232); er nennt in seiner Inschrift drei Generationen seiner Vorfahren und dürfte selbst der Vater der Zenobia gewesen sein. In seiner Eigenschaft als Stratege sah er außerdem einen längeren Aufenthalt des Statthalters Rutilius Pudens Crispinus und von Truppendétachements; als Agoranom mußte er - wohl infolge einer Lebensmittelknappheit - erhebliche Summen aus eigener Tasche aufwenden, was nicht nur den Reichtum dieses Mannes, sondern auch die finanzielle Belastung der städtischen Beamten im Zuge eines Kaiseraufenthaltes und daraus resultierender wirtschaftlicher Schwierigkeiten beleuchtet513. Mag auch der Umfang des vorhandenen Quellenmaterials relativ klein sein, so läßt sich dennoch bei genauerer Betrachtung der Beamten, die wir in diesem Zusammenhang in den Inschriften geehrt finden, leicht feststellen, daß sie nicht dem „Durchschnitt" der lokalen Oberschicht entstammten, sondern eine gesellschaftliche Spitzenposition innerhalb ihrer Heimatgemeinde einnahmen. Allein aufgrund dieser Beobachtung liegt der Schluß nahe, daß man die Wahl der hohen städtischen Beamten für das Jahr, in dem ein Aufenthalt des Kaisers in der betreffenden Stadt erwartet wurde, nicht dem Zufall überlassen, sondern mit Blick auf den genannten Personenkreis gesteuert hat. Hierfür lassen sich zwei Gründe geltend machen: Erstens galt es als besondere Ehre, den Kaiser als Vertreter der Stadt begrüßen zu dürfen, die des seltenen Ereignisses wegen naturgemäß nur den angesehensten Familien zukam; zweitens wird man es diesen Familien zugleich nahegelegt oder diese werden sich von selbst bereit erklärt haben, sich durch die Übernahme eines Amtes den erhöhten finanziellen Anforderungen, die auf die Stadt zukamen, zu stellen. Freilich konnte und mußte nicht jede städtische Magistratur so vornehm besetzt werden514, doch sind in

512 OGIS 516 = IGR IV 1247; OGIS 517 = IGR IV 1287; in der letzteren Inschrift ergänzte Dittenberger vorbehaltlich das Agonothetenamt. Seine weitere Ergänzung der unter Elagabal errichteten Inschrift ist wohl wie folgt zu modifizieren: [ ] ένδόξως [κατά τήν τ]οϋ κυρίου ημών [Αύτοκρ]άτορος Μάρκου Αύρ[ηλίου Άντωνίνου (= Elagabal) καί τοϋ Σεβ]αστοϋ πατρός αύτοΟ [Αύ]τοκρατορος * Αντωνίνου [έ]πιδημίαν. 513 IGR III 1033 = (verb.) J.-B. Chabot, Choix d'inscriptions de Palmyre (1922), 49 ff. Zur Herkunft siehe A. v. Sallet, Die Fürsten von Palmyra (1866), 31, gefolgt u. a. von A. Stein, RE 10 (1918), 174 f. 514 So lassen sich beispielsweise keine näheren Angaben zur Familie des ephesischen Gymnasiarchen T. Flavius Potamo machen, der während Hadrians Besuch im Jahre 124 amtierte (siehe Anm. 441).

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den Inschriften wohl nicht zufallig nur die Inhaber des lokalen Spitzenamtes oder der kostenintensiven Spielleitungen vertreten, die sich rühmten, den Kaiser empfangen oder in seiner Gegenwart das Amt versehen zu haben. Hinzu kommt, daß wir in zwei Fällen genau wissen, daß die betreffenden Männer erst in hohem Alter ihre Ämter im Jahre des Kaiserbesuches übernahmen: Der Adoptivvater des P. Vedius Antoninus stand gegen Ende des ersten Jahrhunderts in der Blüte seiner Jahre, im Jahre 117 fungierte er bereits zum zweitenmal als Grammateus; Antoninus dürfte also Anfang der sechziger Jahre des zweiten Jahrhunderts, auch unter Berücksichtigung anderer sich auf ihn beziehender epigraphischer Zeugnisse, wenigstens sechzig Jahre alt gewesen sein. Da der Vater des Male aus Palmyra bereits im Jahre 67 als Stifter auftrat, muß der Sohn im Besuchsjahr Hadrians (130) ebenfalls über sechzig Jahre alt gewesen sein. Aus der in den beiden Ehreninschriften benutzten Formulierung wird hinlänglich klar, daß Male das zweite Mal die Grammatie und Vedius Antoninus die beiden Gymnasiarchien nur wegen des kaiserlichen Besuches übernommen haben, als sie eigentlich das Alter, in dem man seine lokale Ämterlaufbahn absolvierte, schon überschritten hatten515. Daß Antoninus im übrigen ausgerechnet die Gymnasiarchie übernahm, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Kostenintensität dieses Amtes, dem vor allem die Beschaffung von Öl und die Ausrichtung der gymnischen Agone oblagen. Die Verknappung und Verteuerung von Öl bei größeren Menschenansammlungen in einer Stadt, wie etwa aus Anlaß von Gerichtstagen, war schon aus anderen Inschriften bekannt516 und findet allein in der Tatsache eine Bestätigung, daß eine Persönlichkeit wie Vedius Antoninus während eines Kaiserbesuches dieses Amt übernahm. Zusätzlich zu den gut dokumentierten Fällen dürfte die intensivere Beschäftigung mit der lokalen Prosopographie sicher noch den einen oder anderen städtischen Beamten ermitteln, dessen Amtsjahr mit einem Kaiserbesuch zusammenfiel. Am Beispiel Spartas sei dies abschließend demonstriert: Der eponyme Patronom des Jahres 124/25, in welchem Zeitraum Hadrian die Stadt besuchte, hieß P. Memmius Sidectas; mehrere Generationen dieser Familie sind namentlich bekannt, sie führte ihre Herkunft auf die Heroen Herakles und Rhadamanthys und die Dioskuren zurück, wie wir es von der vornehmsten Familie der Stadt wissen, den Nachkommen des Iulius Eurycles, hinter der die Memmii die zweite Position eingenommen haben dürften517. Ist über den Patronom von 128/29, dem Jahr von Hadrians zweitem Besuch, nichts weiter bekannt (Seiteimos), so hatte der gleichzeitig fungierende Gymnasiarch C. Iulius Lysippus immerhin schon eine Ämterlaufbahn absolviert und auch die Patronomie bereits bekleidet518.

515 Dunant a.O. (Anm. 485): γραμματέα γενόμενον το δεύτερον επιδημία #εοϋ Άδριανοϋ ... IvEph. 728: γυμνασιαρχήσαντα δέ καΐ έν ταΐς έπιδημίαις τοΟ μεγίστου Αύτοκράτορος... άνενδεος πάσαις αίς έπεδήμησεν ήμέραις . . . 516 J. Oehler, RE 7 (1912), 200; Didyma II279 b. 517 Κ. M.T. Chrimes, Ancient Sparta (1949), 198 ff.; A S . Bradford, A Prosopography of Lacedaemonians from the Death of Alexander the Great, 323 B.C., to the Sack of Sparta by Alaric, A.D. 396 (1977), 373. A. J. S. Spawforth, ABSA 80,1985,bes. 202 f. 518 Bradford a.0.376,270 f.

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Kaiserbesuch und provinziale Stadt c) Besondere Hilfsmaßnahmen des Kaisers

Bekanntlich haben auch die Kaiser selbst, wie eine Vielzahl von Belegen zeigt519, lokale eponyme Ämter übernommen. Bisher läßt sich jedoch nicht feststellen, ob der Kaiser dieses munus gleichzeitig mit einem Besuch der betreffenden Stadt verbunden hätte. Die Angaben, die wir beispielsweise für Hadrian besitzen, deuten vielmehr daraufhin, daß der Kaiser eine zeitliche Koinzidenz geradezu vermieden hat: In Athen hat er nach seinem Archontat im Jahre 112 das höchste Amt nicht mehr übernommen; Patronom ist er in Sparta unmittelbar vor seinem ersten Aufenthalt in der Stadt gewesen. Seine beiden in Delphi übernommenen Archontate lassen sich leider nicht genauer datieren; Dittenberger (SIG3 830) hat jedoch mit Recht darauf hingewiesen, daß Hadrian nach dem Beispiel des Titus und Domitian wohl bald nach seinem Regierungsantritt das Ehrenamt angetragen wurde (um 118/20), während das Datum seiner zweiten Amtsführung noch ganz im dunkeln liegt520. Trajan übernahm in Milet das eponyme Stephanephorenamt im Jahre 116/17 (Didyma II 293), drei Jahre, nachdem er sich kurz in der Provinz Asia aufgehalten hatte und sich die Möglichkeit eines Besuches geboten hätte, und ein Jahr vor der geplanten Rückreise nach Rom. In einigen Fällen ist freilich ein enger Zusammenhang zwischen Kaiserbesuch und Bekleidung des lokalen Oberamtes nicht zu leugnen. So hat R. Ziegler fur Tarsos nachgewiesen521, daß Caracalla und Severus Alexander dort das Demiurgenamt übernommen haben, und zwar in zeitlicher Nähe zu Getreidespenden seitens der Kaiser, die wiederum auf ihre Anwesenheit und diejenige ihrer Truppen zurückgingen. Eine in Anazarbos in Kilikien geprägte und in das Jahr 253/54 zu datierende Münze zeigt an, daß Valerian das Gymnasiarchenamt der Stadt bekleidete522. In beiden Fällen kann der jeweilige Besuch des Kaisers der (nominellen) Amtsführung unmittelbar vorausgegangen sein. Der Hauptgrund, der eine zeitliche Trennung von Amt und Aufenthalt erforderte, und weshalb der Kaiser stets von einheimischen Notablen vertreten wurde, lag offensichtlich in dem alles überragenden Ansehen der Person; mit der ihn umgebenden Aura der Göttlichkeit war es unvereinbar, daß der Kaiser erstens in persona die niederen Aufgaben eines städtischen Magistraten übernehmen sollte, und daß er zweitens die im Prinzip geforderte Kollegialität mit einem weit unter ihm stehenden Mann aus der städtischen Oberschicht hätte praktizieren müssen. Mit einer ganz konkreten Hilfsmaßnahme griffen die Kaiser das für ihre Untertanen schwierigste Folgeproblem ihrer Reisetätigkeit auf, nämlich die wirtschaftliche Bedrängnis der Städte. Die Not versuchten sie dadurch zu lindern, daß sie ägyptisches 519 W. Liebenam, Städteverwaltung im römischen Kaiserreiche (1900), 261-63; L. Robert, Etudes épigraphiques et philologiques (1938), 144 ff. 520 Athen: P. Graindor, Athènes de Tibère à Trajan (1931), 27 mit Quellenangaben. Sparta: Chrimes a.O. (Anm. 517). 521 Münzen Kilikiens als Zeugnis kaiserlicher Getreidespende, JNG 27,1977, bes. 34 ff. Vgl. Chr. Veligianni-Terzi, Damiurgen. Zur Entwicklung einer Magistratur (Diss. Heidelberg 1977), 151 ff. 522 O. Bernhard, Mitt. d. Bayer. Numism. Ges. 47,1929, Taf. 7,20; siehe W. Weiser, Katalog der bithynischen Münzen der Sammlung des Instituts für Altertumskunde der Universität zu Köln, Bd. 1, Nikaia (1983), 72,339.

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Getreide, das zuallererst für Rom bestimmt war, zusätzlich auch anderen Städten Italiens und der Provinzen entweder kostenlos oder verbilligt zur Verfugung stellten. Zwei jüngere Untersuchungen523 haben die leider nicht sehr zahlreichen Belege fur diese besondere kaiserliche Gunst zusammengestellt. Von zwei frühen Ausnahmen abgesehen, die Judäa betreffen524, stehen die sicher datierbaren Beispiele in so engem Zusammenhang mit einem Besuch des Kaisers in der jeweiligen Stadt, daß die Annahme gerechtfertigt ist, daß die Kaiser diese Vergünstigung prinzipiell nur den Städten gewährten, die sie mit ihrem Besuch beehrten bzw. denen sie zur Last fielen. So lassen in Athen gefundene Bleitesserae auf eine Kornverteilung durch Augustus schließen, die Rostovtzeff in das Jahr seines Aufenthaltes 19 v. Chr. datiert hat525. Hadrian gewährte Athen anläßlich seines dritten Besuches im Jahre 131/32, als die neuen Tempel eingeweiht und Spiele inauguriert wurden, eine jährliche Getreideschenkung (Dio 69,16,2); die jährliche Wiederholung ist zweifellos eine Ausnahme geblieben und nur mit der besonderen Beziehung Hadrians zu dieser Stadt zu erklären. Den Ephesiern und Trallianern erlaubte er, ägyptisches Getreide auf eigene Kosten aufzukaufen. Die ephesische Inschrift datiert in das Jahr 129, als der Kaiser die Stadt zum zweitenmal besuchte, und beinhaltet eine Dankadresse an den Kaiser für die zahlreich erwiesenen Wohltaten (siehe S. 126 f.); die darin aufgezählten Maßnahmen sind so konkret auf die örtlichen Verhältnisse zugeschnitten, daß sie nur auf Hadrians Anwesenheit in der Stadt zurückgehen können. Die Ephesier könnten einen entsprechenden Antrag, wie er etwa in der von M. Wörrle ausführlich besprochenen Inschrift (siehe Anm. 523) vorliegt, noch im Jahr zuvor, als Hadrian in Athen weilte und die Überfahrt nach Ephesos schon feststand, beim Kaiser daselbst gestellt haben. Die in Ephesos gefundene Statuenbasis (IvEph. 677 A) zu Ehren des praefectus Aegypti Flavius Titianus steht zweifellos, wie schon die Herausgeber vermuteten, „im Zusammenhang mit der Lieferung von ägyptischem Getreide nach Ephesos". Von den beiden bekannten Präfekten dieses Namens amtierte der eine im Zeitraum 126/133, der andere 164/167; da nun für das Jahr 129 eine kurz zuvor erfolgte Lieferung bezeugt ist, dürfte sich das Dokument am ehesten auf den früher amtierenden Präfekten beziehen526. In Parallele dazu wird auch die gleiche für Tralleis gewährte Vergünstigung (CIG 2927) mit Hadrians Aufenthalt im Jahre 129 in Verbindung zu bringen sein, ebenso eine solche für Sparta, in Folge derer ein Bürger der Stadt zweimal (als Hadrian jeweils in der Stadt weilte?) als σειτώνης άπ' ΑΙγύπτου fungierte527. Ganz sicher sind wir wieder im Falle von Tarsos (siehe Anm. 521), das von Caracalla und Severus Alexander mit ägyptischem Getreide unterstützt wurde, als die Kaiser mit ihren Heeren in den Parther- bzw. Perserkrieg marschierten und die Stadt passierten. 523 M. Wörrle, Chiron 1,1971, bes. 334 ff.; Ziegler a.O. (Anm. 521) 32 f.; vgl. Millar, Emperor 422. 524 los. ant. lud. 15,9,1 f. ; 20,2,5. 525 M. Rostovtzeff, Augustus und Athen, in: Festschr. O. Hirschfeld (1903), bes. 305 ff. 526 Zieht man nichtsdestoweniger den späteren Präfekten in Betracht, könnte die Lieferung mit L. Verus' Aufenthalt in der Stadt Ende 163 oder mit der Versorgung der aus dem Partherkrieg heimkehrenden Truppen erklärt werden. 527 SEG 11, 491 ; das genannte Amt datiert in die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts, siehe A. M. Woodward, ABSA 26,1923-25,179.

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Diese Spenden können in der Tat mit der formalen Übernahme des Demiurgenamtes durch die Kaiser zusammenhängen, Ursache für beides war aber die besondere Belastung gerade dieser Stadt, die für die Truppen nach ihrem Marsch durch Kleinasien zweifellos als Sammelplatz diente und deshalb dieselben länger als andere Städte auf ihrem Territorium zu versorgen hatte. Laodikeia in Syrien hat als Belohnung für seine Treue zu Septimius Severus auf Befehl des Kaisers von der bestraften Rivalin Antiocheia eigens für die Getreidekasse bestimmte Subsidien erhalten528. Die Stadt hatte unter den Truppen Nigers stark gelitten, hat dann nach dem Sieg des Severus wahrscheinlich zeitweise die Rolle Antiocheias als kaiserliche Residenz übernommen (vgl. unten S. 220). Bei Severus' zweitem Aufenthalt in Syrien (198/99) wurde die Stadt direkt vom Kaiser mit Getreide vermutlich ägyptischer Herkunft unterstützt; dasselbe tat Caracalla im Jahre 215/16, als er in Syrien den Partherkrieg vorbereitete; ägyptische Zeugnisse bestätigen in diesem Fall die Aussagen der syrischen Münzprägung (siehe S. 84 mit Anm. 291). Die näheren Umstände, aufgrund derer sich Sidon diese Vergünstigung von Elagabal erwarb, liegen leider im dunkeln529. Schließlich wissen wir von Kaiser Iulian, daß er, als er in Antiocheia zur Vorbereitung des Perserfeldzuges weilte, die Stadt mit ägyptischem Getreide zu niedrigen Fixpreisen versorgen ließ. Zudem scheint die Stadt auch unter seinen unmittelbaren Vorgängern, sofern sie als Winterquartier der Kaiser diente, aus den Nachbarprovinzen Syriens Getreide mit kaiserlicher Erlaubnis eingeführt zu haben530. Die kaiserliche Genehmigung, ägyptisches Getreide zu kaufen, oder Schenkungen von ägyptischem Getreide seitens des Kaisers setzten selbstverständlich voraus, daß die Versorgung Roms sichergestellt war; eine zweite Voraussetzung bildete ganz offensichtlich die Anwesenheit des Kaisers in der betreffenden Stadt. Der Annahme von M. Wörrle (a. O. 337), für die Städte habe generell die Möglichkeit bestanden, den Kaiser um die Genehmigung zur Einfuhr ägyptischen Getreides anzugehen531, steht angesichts einer nahezu chronisch prekären Versorgungslage der Städte die Tatsache entgegen, daß der ägyptische Markt hierfür viel zu beschränkt, ja sogar zeitweise selbst auf Einfuhren angewiesen war, und daß solche Vergünstigungen, hätte es sie in größerer Anzahl gegeben, in den Quellen einen stärkeren Niederschlag hätten finden müssen. Vielmehr wurde die Regelung, daß aus kaiserlichem Besitz stammendes Getreide ausschließlich der Hauptstadt Rom bzw. Konstantinopel zukam, konsequenterweise auch auf die Städte des Reiches übertragen, in denen sich der Kaiser und sein

528 Malalas p. 294 (Bonn); siehe dazu Ziegler a.O. (Anm. 479) bes. 501 ff. 529 Ziegler a.0.505 f., 507 ff. Siehe auch Anm. 532. 530 lui. misop. 368 D - 370 A ; siehe Downey, Antioch 388 f. ; Liebeschuetz, Antioch (Anm. 437) 127 f.; H. Schneider, MBAH 2,1983,62 f. - Drei weitere Zeugnisse, von denen zwei aus Tralleis (CIG 2930; MDAI [A] 8,1883,328 f. Nr. 10) und eines aus Ephesos (IvEph. 3016) stammen und von Getreideeinkäufen in Ägypten sprechen, können nicht genauer als in das zweite oder beginnende dritte Jahrhundert datiert werden. Die in Italien und Ägypten vereinzelt bezeugten, direkt vom Kaiser vorgenommenen Getreideverteilungen sind singulare Fälle geblieben, siehe Ziegler JNG 27,1977,33. 531 Der von Wörrle unter Berufung auf Rostovtzeff zitierte Epiktetpassus (1,10,10) ist viel zu allgemein gehalten, als daß er auf den hier besprochenen Fall bezogen werden könnte.

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Gefolge mehr oder weniger lange aufhielten, d. h. es wurde nichts anderes als eine Variante des Grundsatzes praktiziert, daß Rom dort ist, wo der Kaiser ist532. Die schon verschiedentlich (S. 70 ff., 133 ff.) angesprochenen ökonomischen Folgen kaiserlicher Reisetätigkeit ergeben also zusammenfassend ein differenziertes Bild. Die in die Tausende gehende Zahl der Reisebegleitung und der Provinzialen, die, wie von einem Magnet angezogen, den Spuren des Herrschers folgten, bescherte dem jeweiligen Aufenthaltsort infolge der starken Nachfrage nach Dienstleistungen und Versorgungsgütern zweifellos einen »konjunkturellen4 Aufschwung. Profit und Verlust lagen jedoch dicht beieinander, dem Gewinn aus erhöhten Umsätzen standen die Kosten für den Unterhalt der kaiserlichen Reisegesellschaft gegenüber. Diese Kosten bildeten eine Variable, abhängig von den Ansprüchen des Kaisers einerseits und der Wirtschaftskraft der jeweiligen Stadt und ihrer Umgebung andererseits, und sie bestimmten, ob der hohe Besuch der Stadt mehr Opfer abverlangte, als er Nutzen brachte. Die Entwicklung ging bekanntlich seit dem zweiten Jahrhundert dahin, daß die gesteigerte Mobilität der Kaiser und ihrer Truppenkörper zu einer erhöhten Nachfrage nach Versorgungsleistungen und zwangsläufig zu häufiger auftretenden Engpässen führte. Nutznießer dieser Situation ist im großen und ganzen die (groß-) grundbesitzende Oberschicht gewesen, wenn sie es verstand, durch Spekulation die Preise künstlich in die Höhe zu treiben; diesem Übel entgegenzutreten, war sicher ein wesentlicher Zweck der soeben erläuterten kaiserlichen Getreidelieferungen, obwohl der Erfolg zweifelhaft war, wie das Beispiel von Iulians Maßnahmen in Antiocheia zeigt (siehe S. 122 f.). Der Normalzustand wird so ausgesehen haben, wie ihn eine Quelle des vierten Jahrhunderts beschreibt: Jene Städte, in denen der Kaiser residierte, zeichneten sich durch eine stets üppige, wenn auch teure Versorgungslage aus533. Die Leidtragenden waren also die ärmeren Bevölkerungsschichten, und unter diesen nicht einmal diejenigen der Residenzstädte selbst, sondern der näheren oder weiteren Umgebung, die zwar die Lasten der Reisetätigkeit mitzutragen hatten, nicht aber in den Genuß der Vorteile derselben kamen. Wie in Rom war die Versorgung der plebs der größeren und regelmäßig aufgesuchten Residenzstädte in den Provinzen ein Politikum; für die plebs bedeutete die Anwesenheit des Kaisers geradezu eine Garantie ausreichender und billiger Versorgung (Tac. ann. 15,36,4). Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn angesichts der Tatsache, daß Lebensmittelknappheit mit zu den Hauptursachen städtischer Unruhen zählte534, Volksaufstände im Zusammenhang eines Kaiserbesuches, die sich gegen den Mangel an Lebensmitteln gerichtet hätten, nicht bezeugt sind. Die Berücksichtigung verkehrsgeographischer Gegebenheiten hinsichtlich der Nachschub-

532 Herodian 1,6,5. Getreide für Rom und Konstantinopel: H. P. Kohns, Versorgungskrisen und Hungerrevolten im spätantiken Rom (1961), 41 f.; Jones, Later Roman Empire 695 ff.; Wörrle a.0.333 f. Obwohl es an sicheren Belegen fehlt, wäre es immerhin denkbar, daß der Kaiser dieses Privileg in besonderen Fällen als Belohnung an verdiente Städte verlieh, etwa in der Folge von Machtkämpfen (vielleicht Sidon unter Elagabal), ohne daß er selbst dort weilte. 533 Expositio totius mundi et gentium (ed. J. Rouge [1966]) 32, 58; deutsche Übersetzung von H.-J. Drexhage, MBAH 2,1983,3 ff. 534 Kohns a.O. bes. 78 ff.; R. MacMullen, Enemies of the Roman Order (1967), 180; siehe ebd. Appendix A, 249 ff.

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Kaiserbesuch und provinziale Stadt

lieferung bei der Ortswahl für längere Aufenthalte, der Einsatz der finanzkräftigen lokalen Oberschicht und Hilfsmaßnahmen des Kaisers selbst neben einer provinzübergreifenden staatlichen Organisation ergänzten sich offenbar zu einem gut funktionierenden Versorgungssystem nicht nur für den Kaiser und seine Begleitung, sondern auch für die betroffene städtische Bevölkerung.

V. KAISERREISEN ALS POLITIKUM 1) IDEE U N D WIRKLICHKEIT a) profectio - adventus Die beiden ersten langen Provinzreisen des Augustus wurden von ernsthaften innenpolitischen Krisen begleitet: Im Jahre 26 erlebte man den Selbstmord des ägyptischen Präfekten Cornelius Gallus und den Rücktritt des Stadtpräfekten Messalla Corvinus535. Die Nachricht von der schweren Erkrankung des Kaisers im gleichen Jahr hatte in Rom Unruhe ausgelöst und bewirkt, daß Augustus von Spanien aus die Verlobung seiner Tochter Iulia mit Claudius Marcellus betrieb, in der Absicht, in der Nachfolge Vorsorge zu treffen536. In der Ode 3,14 des Horaz, vor der Rückkehr des Kaisers im Jahre 24 verfaßt, schwingt in der äußerlichen Freude über den Sieg doch die Sorge um die unruhige Szenerie in Rom mit, die die Ankunft des Caesars hoffentlich beenden möge (siehe Anm. 27). Im Jahre 22 trat Augustus seine Reise in den Osten über Sizilien an, um hier nach den in Rom aufgrund einer katastrophalen Versorgungslage ausgebrochenen Unruhen nach dem Rechten zu sehen. Das Jahr 19 begann mit den Wahlumtrieben des Egnatius Rufus, die für das System so gefährlich schienen, daß der Konsul Sentius Saturninus die Hauptakteure hinrichten ließ537. Nicht nur die anfangs labile Stellung des Prinzeps in Rom, sondern auch die gesundheitliche Gefährdung des Kaisers auf Reisen haben Horaz zu einer nur verhaltenen Begeisterung über die Reiseaktivität bewogen. Den Bestand des Reiches vertraute er in erster Linie der unversehrten Person des Herrschers an, welche allein die Furcht vor auswärtigen Feinden vertreibe (carm. 4,25,5). Horaz konnte sich hier eines bekannten Topos bedienen, der Verbindung von Staatswohl und Herrscherwohl, der bereits für die persischen Großkönige und in deren Nachfolge die hellenistischen Herrscher bezeugt ist. In Rom waren es zuerst die Großen der späten Republik, Pompeius und Caesar, die Garanten des öffentlichen Wohlergehens werden konnten und mit entsprechenden vota bedacht wurden538. Die Sorge um das Wohlergehen des Herrschers verband sich in Rom mit dem Bild 535 Gallus: Syme, Roman Revolution 309 f.; Schmitthenner, Augustus' spanischer Feldzug (Anm. 25) 74 f. = Augustus 470 f.; W. Luppe, APF 26,1978,33 f. - Messalla: Sattler, Augustus und der Senat 58 ff.; F. Della Corte, in: Mise, di studi class, in onore di E. Manni (1980), II669 ff. 536 Dio 53,27,5. Syme, Roman Revolution 341 ; Schmitthenner a.0.61 f. * Augustus 451 f. 537 Dio 54,10; Vell. Pat. 2,91 f. Siehe Sattler a.0.85. 538 Alföldi, Monarchische Repräsentation (Anm. 409) 197 ff. ; H. U. Instinsky, Kaiser Nero und die Mainzer Jupitersäule, JRGZM 6,1959,134 ff.; ders., Die alte Kirche und das Heil des Staates (1963), 21 ff.

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der domina Roma, das zuerst Horaz geprägt hat539, zu einer Einheit von Rom und Italien als dem Zentrum der Welt und dem dort residierenden Herrscher, der vom Zentrum aus in die Welt auszustrahlen habe; in der Anwesenheit des Herrschers in Rom bestand somit eine Garantie für die innere und äußere Sicherheit des Reiches. Augustus wird von Horaz als tutela praesens Italiae dominaeque Romae gepriesen (carm. 4,14,43 f.). Sehnsüchtig erwartete Rom im Jahre 13 v. Chr. nach dreijähriger Abwesenheit die Rückkehr des Kaisers, die er dem Senat schon lange versprochen habe, sie desideriis ieta fidelibus quaerit patria Caesarem (carm. 4,5,1 ff.; 15). Die erfolgte Rückkehr wird gleichsam als Geschenk der Götter gewertet, das man erbittet und erhält: impetrato reditu (carm. 4,2,41 ff. ; 45 ff.). Rom ist die prineeps urbium (carm. 4,3,13), das caput rerum (Liv. 1,45,3; Ovid. met. 15,736); Tiberius weigerte sich, das caput rerum zu verlassen, mit der Begründung, er liefere den Staat damit einem ungewissen Schicksal aus (Tac. ann. 1,47,1). Mit überschäumender Begeisterung, die Iosephus (bell. lud. 7,4,1) in Einzelheiten schildert, empfing Italien im Jahre 70 Vespasian, dessen persönliche Anwesenheit als Garantie des wiedergewonnenen inneren Friedens angesehen wurde. Domitians achtmonatiger Aufenthalt an der Donau im Jahre 92 war für Martial (7,5-8) Anlaß, dem desiderium populique patrumque Ausdruck zu verleihen und den Neid der Hauptstadt auf die Barbaren zu beschreiben, die den Anblick des Herrschers genießen dürften; er bediente sich dabei einer Redewendung, die die Panegyriker des vierten Jahrhunderts auf die fernen Residenzstädte der Herrscher ummünzten (siehe S. 61 f.). Im Jahre 99 hatte man die Ankunft des neuen Kaisers Trajan sehnsüchtig erwartet (iam te avium desideria revocabant: Plin. pan. 20,1), bis schließlich die Caritas patriae über den amor castrorum siegte (vgl. Martial 10,6 f.). Mit seiner Rückkehr aus dem Osten im Jahre 117 soll Trajan dem Drängen des Senates gefolgt sein, rogatupatrum (Aur. Vict. Caes. 13,11). Dieser Gefühlswelt verlieh das gesamte Adventuszeremoniell sichtbaren Ausdruck, indem der heimkehrende Herrscher als Glücks- und Heilbringer der Stadt gefeiert wurde. In seiner Idee wie auch in seinen äußeren Formen bildete der kaiserliche adventus die Fortsetzung des römischen Triumphzuges, dessen Gestaltung wiederum von hellenistischen Vorbildern geprägt worden war540. Die Furcht, dem Kaiser drohten bei Abwesenheit aus Rom oder Italien besondere Gefahren, drückte sich auch in den Gebeten und Gelübden aus, die die Priesterschaften in Rom, wörtlich überliefert bei den Arvalbrüdern, beim Aufbruch des Kaisers, der profectio, vornahmen. In ihnen schwingt nicht so sehr die Freude über die Abreise in einen Feldzug mit, der dem Reich neue Provinzen hinzufügen könnte, sondern vielmehr kommt die Sehnsucht nach einer baldigen gesunden Rückkehr zum Ausdruck. Pro salute, victoria et reditu, manchmal erweitert durch itu, den Reiseweg, bildeten die stets zusammengehörenden Votaformeln der Arvalbrüder, die auch sonst häufig genug auf privaten wie öffentlichen Weihinschriften belegt sind541. Als Trajan im Frühjahr 101

539 H. Hommel, Domina Roma, Antike 18,1942,127 ff. = Symbola I (1976), 331 ff. = H. Kloft (Hg.), Ideologie und Herrschaft (Anm. 22) 271 ff. 540 Alföldi a.0.88 f. ; Versnel, Triumphus (Anm. 435) 384 ff. ; MacCormack, Art and Ceremony (Anm. 190) 22 f. 541 Henzen, Acta fratrum Arvalium LXXIV, LXXV, LXXXV, XCIII, CXXI, CCXVII. - In-

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in den ersten Dakerkrieg aufbrach, beteten die Arvalbrüder zu Iupiter, ut imp. Caesarem .. .ex is locis provinciisque, quas terrae manque adierit, bene atque féliciter incolumem reducem victoremque facias..., daß er möglichst bald nach Rom zurückkehre atque in eo statu, quo nunc est aut eo meliori eum conserves eumque reducem incolumem victoremque primo quoque tempore in urbem Romam sistas5*2. Hadrian ist zweimal volle vier Jahre auf Reisen gewesen, und sicher hat die lange Abwesenheit an sich, unabhängig von Sinn und Zweck der Reisen, das Verhältnis zwischen Kaiser und Senat getrübt, wie die Reaktion unter seinem Nachfolger zeigte (siehe S. 44 ff.). Das Verlangen nach der Anwesenheit des Kaisers in Rom ist nicht nur Panegyrikertopos gewesen, sondern dahinter stand ein ernst zu nehmender Wunsch der Senatoren, die Rom als Zentrum des Reiches ansahen und von denen selbst im Prinzip die stete Präsenz in Italien verlangt wurde. Unschlüssig war man sich nur bei Kaisern, deren Anwesenheit in Rom mehr zu fürchten als zu begehren war: Auf die Nachricht hin, Nero habe seine Absicht, nach Griechenland zu fahren, zurückgestellt, freute sich die plebs, da sie weiterhin ein genüßliches Leben und vor allem die reibungslose Getreideversorgung durch die Anwesenheit des Kaisers garantiert sah; der Senat und die primores schwebten zwischen Furcht und Freude aus Ungewißheit darüber, ob sich Nero in der Fremde oder zu Hause grausamer gebärden würde: procul an coram atrocior haberetur (Tac. ann. 15,36). Unter Domitian sind vermutlich die ersten Münzbilder geprägt worden, die als profectio und adventus Augusti interpretiert werden dürfen; sie zeigen bei der profectio den reitenden Kaiser mit Lanze, ein Bild, das erst im dritten Jahrhundert mit weiteren Attributen, etwa einem unterworfenen Barbaren, ergänzt wurde, bei dem adventus ebenfalls den reitenden Kaiser mit der zum Gruß erhobenen rechten Hand543. Unter Trajan haben diese Münzen durch eine entsprechende Legende ihren eindeutigen Sinn erhalten, die ADVENTVS-Münzen sind zum erstenmal im Jahre 107 anläßlich der Heimkehr aus dem zweiten Dakerkrieg, die PROFECTIO-Münzen im Jahre 113 anläßlich der Abreise in den Partherkrieg geprägt worden. Die Propagierung der kaiserlichen profectio und adventus fand ihre Parallele in einer neuen Betonung der salus Augusta und stellte zwischen Herrscherreise und Herrscherwohl eine enge Verbindung her. Diese Verbindung trat zum erstenmal unter Domitian in offiziellen religiösen Akten hervor, wenn die Arvalbrüder die salus universorum an die incolumitas des Kaisers knüpften, wobei sie stellvertretend vota orbis terrarum einlösten. Unter Trajan leistete auch die Provinzialbevölkerung vota pro incolumitate, qua publica salus continetur, wie Plinius (ep. 10,35) aus Bithynien berichtet. Ohne Einbezug der kaiserlichen Person war kein Staatswohl mehr denkbar. So sollte das ganze Imperium auch schneller und deutlicher über die Kaiserreisen unterrichtet werden und sich an den vota für das Wohl des Kaisers, das auf den Reisen besonderen Gefahren ausgesetzt war,

Schriften (beliebige Beispiele): ILS 372,433,2186,2219; CIL VI 225; AE 1980,457; Inscr. It. IV1,74. Siehe auch Suet. Tib. 38. 542 Henzen CXL(25. März. 101). 543 Zur Geschichte der Münzprägung mit adventus- und pro/ecf/o-Darstellung bzw. -Legende siehe Hölscher, Victoria Romana 54 f.; G. Koeppel, BJ 169,1969,179 ff. mit den entsprechenden Nachweisen.

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beteiligen544. Die Kaiserreisen wurden somit eine „Angelegenheit" des Reiches, da sowohl die vota, die ursprünglich nur der senatus populusque Romanus vorgenommen hatte, als auch die Mitteilung der profectio und des adventus, die sich ja nur auf Rom bezogen, aus dem stadtrömischen Rahmen heraustraten. Hadrian hat den Prägungen eine nur unter ihm eigene Form gegeben. Seine ADVENTVS-Prägung des Jahres 118 und der Jahre nach 132 zeigt abweichend vom Normaltypus die dextrarum iunctio zwischen der sitzenden Roma und dem stehenden Kaiser. Das Motiv war nicht neu, tauchte bereits im ersten Jahrhundert auf - so bei Nerva, der nie einen adventus vollzogen hatte - und verdeutlichte bildlich vornehmlich die Idee der concordia und anderer sinnverwandter Begriffe545. Hadrian hat also durch die einzigartige Koppelung von adventus und concordia mit Roma das gute Einvernehmen vor allem mit dem Senat und Volk von Rom darstellen wollen, bzw. der umgekehrte Schluß ist erlaubt, daß Hadrian einer möglichen Mißstimmung der Hauptstadt infolge seiner langen Abwesenheit entgegenwirkte und deshalb zugleich mit dem adventus die concordia mit Roma so betonte. Desgleichen hat Hadrian durch den Bau eines monumentalen Tempels den bisher nur in den Provinzen ausgeübten Romakult in Rom offiziell eingeführt und auch dadurch bewußt ein Gegengewicht zu seiner betonten Fürsorge für die Provinzen geschaffen546. Der Romatypus mit dextrarum iunctio zeigt den Kaiser stets mit der Toga bekleidet, nie - wie beim Normaltyp der Adventusprägungen - den reitenden Kaiser im paludamentum, ein weiteres Indiz dafür, daß adventus und Roma vor Hadrian nicht zusammengehörten, und dieser dem bekannten Motiv durch eine neue Legende neue Bezugspunkte gab. Auch auf den Adventusdarstellungen der monumentalen Staatsreliefs stehen Senat, ordo equester und populus Romanus dem ankommenden Kaiser gegenüber und grüßen ihn mit erhobener Hand547. Das hadrianische Adventusrelief im Palazzo dei Conservatori548 zeigt Roma dem Kaiser gleichberechtigt gegenüber, wahrscheinlich durch dextrarum iunctio, wie auf den Münzen, vereint. Der Genius des Senates als zweitwichtigste Figur der Komposition erhebt die Rechte zum Gruß. Die der beschriebenen Gestik zugrundeliegende Gefühlswelt ist die félicitas, die personifiziert fast regelmäßig auf den Adventusdarstellungen erscheint; so tritt sie auf dem Adventusrelief des Marc Aurei am Konstantinsbogen als félicitas populi Romani dem Kaiser entgegen. Félicitas erscheint andererseits auch als den Kaiser begleitende Figur und Verkörperung der segensreichen Folgen des kaiserlichen adventus; als FELICITAS REDVX findet sie sich zuerst auf einem As des Vespasian (BMC Emp. II 209+), sie schreitet auf den trajanischen Adventusmedaillons von 107 vor dem Kaiser her, unter den Severern wird die Münzlegende ADVENTVS FELIX bzw. FELICISSIMVS zu einem feststehenden Begriff*49. 544 K.-H. Schwarte, Salus Augusta Publica. Domitian und Trajan als Heilbringer des Staates, in: Bonner Festgabe J. Straub (1977), 231 ff. 545 Hölscher a.O. 55 ; ders., Jdl 95,1980,301 f. ; Koeppel a.0.183 f. 546 D. Kienast, Zur Baupolitik Hadrians in Rom, Chiron 10,1980,402 ff. 547 So auf dem Adventusrelief am Beneventer Bogen, das den adventus des Jahres 99 und 107 darstellt (Koeppel a.0.161 ff.). 548 Koeppel a.0.156 ff.; zum aurelischen Relief ebd. 148 ff. 549 Koeppel a.O. 150, 192; Hölscher, Victoria Romana 58; ders., Jdl 95,1980,300 f. FELIX

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Die Sorgen um den außerhalb Italiens weilenden Herrscher waren nicht unbegründet, denn Trajan, L. Verus, Marc Aurei und Septimius Severus starben auf oder unmittelbar nach ihren Feldzügen eines natürlichen Todes. Auch auf den Reisen selbst, vor allem zur See, drohten Gefahren: So sind Claudius auf seiner Reise nach Britannien im Jahre 43 (Suet. Claud. 17,2), Marc Aurei bei seiner Rückkehr aus dem Osten im Jahre 176550 und Caracalla bei seiner Überfahrt nach Kleinasien im Jahre 214551 nach einem Schiffbruch nur knapp dem Tod entgangen. Die kaiserliche Münzprägung hat die beiden letzten Vorfalle sofort zum Anlaß einer eigenen Prägung mit FELICITAS AVGVSTI und dem kaiserlichen Schiff genommen, das Neptun von den Gefahren fernhält; für Caracalla ist das Dankgebet der Arvalbrüder erhalten: [ex naufraga periculo sjalvus servatus sit. Überhaupt ist die Darstellung des Schiffes ein Symbol ϊητ félicitas gewesen und konnte daher im dritten Jahrhundert in der Münzprägung mit Isis und Serapis eine Verbindung eingehen als Symbol für félicitas saeculi bzw. temporum552. Die politischen Verhältnisse des dritten Jahrhunderts haben den adventus des beschriebenen Sinngehaltes zum Teil beraubt. Die Vorstellung, daß die Anwesenheit des Kaisers in Rom und Italien seine Unversehrtheit, damit die Sicherheit des Reiches garantierte, war immer noch latent, da die durchgehend bezeugten Adventusprägungen sonst nicht verständlich wären. Auch die in den Provinzen proklamierten Herrscher behielten die Gewohnheit bei, am nächsten Neujahrstage den ordentlichen Konsulat zu übernehmen und zu diesem Zweck wenigstens für kurze Zeit nach Rom zu kommen, und ließen ihren adventus in der Münzprägung feiern553. Aus dieser Gewohnheit entwickelte sich der adventus - vielleicht schon bei Tacitus, sicher im Falle von Probus nachweisbar - geradezu zu einem Topos der Herrschaftsübernahme, da entsprechende Prägungen erschienen, ohne daß der Kaiser bald nach seiner Proklamation seinen Einzug in Rom gehalten hätte554. Der veränderten Situation paßte sich auch die Münz- und Reliefkunst an (besonders deutlich zu sehen am Galeriusbogen in Thessalonike und Konstantinsbogen in Rom); militärische Attribute, wie die den Kaiser begleitende virtus, victoria und vor allem Soldaten, verdrängten die „zivilen" Empfänger des Kaisers, wie Roma, Senat und Volk555: Die kaiserliche Macht beruhte nicht mehr auf einer starken Stellung in Rom, sondern auf militärischen Erfolgen und der Sympathie der Armee. Zugleich löste sich der adventus von der Reichshauptstadt Rom, indem nicht nur die Gegenkaiser Postumus in Gallien und Carausius in BritanADVENTVS Konstantins in Nikomedeia 324: M. R. Alföldi, Die constantinische Goldprägung (1963), 94 f. ; siehe auch CIL VI 795. 550 HA, MA 27,1. RICIII307 f. Nr. 1192 ff. ; BMC Emp. IV 661 f. Nr. 1618 ff. 551 HA, Cc 5,8; Dio 77,16,7. BMC Emp. V 451 Nr. 102 b; RIC IV 1, 246. Henzen, Acta fratrum Arvalium XCIX. 552 A. Alföldi, A Festival of Isis in Rome under the Christian Emperors of the IVth Century (Diss. Pann. ser. II, fase. 7), 1937,55 f. 553 So die Kaiser von Philippus Arabs bis Aurelian, siehe S. 235 ff. 554 Zu den ADVENTVS-Prägungen des Probus in Kyzikos, Serdica, Siscia, Lugdunum und Rom siehe G. Vitucci, L'imperatore Probo (1952), 37 f. Ähnlich ist wohl eine ADVENTVSGoldprägung Konstantins II. in Antiocheia zu erklären (RIC VIII 512 Nr. 2); siehe P. Bruun, Arctos Suppl. II (1985), 29 ff. 555 Koeppel, BJ 169,1969,182 f.; Hölscher, Victoria Romana 56 f.

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nien Adventusmünzen prägen ließen, die sich nur auf ihre Hauptstädte Köln und London beziehen können556, sondern auch die kaiserliche Münze den adventus in Provinzstädten feierte557. Die im adventus implizierten Vorstellungen, die bis in das dritte Jahrhundert hinein einzig auf Rom Bezug nahmen und den Kaisern Rückkehr und Aufenthalt daselbst als selbstverständlich und notwendig erachten ließen, wurden nunmehr gleichmäßig auf jeden der wechselnden Aufenthaltsorte des Kaisers übertragen; sie dienten nunmehr, wie oben (S. 58 ff.) gezeigt wurde, der Erklärung kaiserlicher Reisepolitik im allgemeinen. Die alte Reichshauptstadt nahm nur insofern eine Sonderstellung ein, als die Kaiser des vierten Jahrhunderts zwar immer seltener, dafür aber in übersteigerter Form zu Demonstrationszwecken ihrer Herrschaft ihren Einzug in Rom hielten (siehe S. 61 f.); ein solches Ereignis, wie im Jahre 357 die Ankunft Constantius' II., ist denn auch von mehreren Münzstätten des Reiches als FELIX ADVENTVS AVG. N. gefeiert worden558. Sehr viel früher endete die Profectioprägung; die letzten Münzen mit dieser Prägung ließen Gordian und noch Postumus in Gallien prägen. Die Gründe hierfür dürften sein, daß erstens der Auszug des Kaisers auf den Kriegsschauplatz im dritten Jahrhundert so zur Regel geworden war, daß er den Charakter des Besonderen und Aufmerksamkeit fordernden Ereignisses verlor, und zweitens der dem /vo/ècrio-Zeremoniell zugrundeliegende Gedanke einer baldigen und gesunden Rückkehr des Kaisers nicht mehr den Realitäten des dritten Jahrhunderts entsprach559.

b) Der Sonnenvergleich Für die Provinzialen war ebenso wie für die Stadt Rom die Person des Kaisers der Inbegriff nicht nur höchster Autorität, sondern auch höchsten Schutzes. Die göttliche Verehrung der Kaiser - sofern sie auf die Initiative der Untertanen, namentlich der Städte, zurückging - beruhte traditionsgebunden auf der Funktion des Herrschers als Wohltäter und Retter560; insbesondere in Notzeiten ist die Gegenwart des Kaisers als Erlösung, die Abwesenheit als Nachteil empfunden worden. Es ist bereits darauf hingewiesen worden (oben S. 59 f.), daß nach den politisch instabilen Verhältnissen des dritten Jahrhunderts die Panegyriker die Allpräsenz des Kaisers gleichsam zum Herrscherideal erhoben haben. Da im Regelfall die Statthalter als verlängerter Arm kaiserlicher Macht fungierten, empfanden die Provinzialen das Fehlen der schutzbietenden Person des Kaisers am stärksten unter dem Mißregiment unfähiger Statthalter. 556 G. Eimer, Die Münzprägung der gallischen Kaiser in Köln, Trier und Mailand, BJ 146,1946,1 ff. (Nachdruck 1974); Sesterz des Postumus Ende 260 (Eimer 193), Aureus des Victorinus Ende 269 (655), des Tetricus Ende 270 (797). Carausius: RIC V 2, 439 f.; 464 Nr. 7,10 etc. 557 Goldmultiplum Konstantins aus Nikomedeia, das wohl auf den dortigen Einzug nach dem Sieg über Licinius 324 anspielt; siehe M. R. Alföldi a.O. (Anm. 549) 94 f. (Katalog Nr. 121). Binio des Caesar Crispus aus Sirmium, wohin er im Jahre 321 anläßlich seiner Quinquennalien aus Trier anreiste; siehe M. R. Alföldi a.0.85 (Katalog Nr. 122). 558 RIC VIII200,220 Nr. 225 f., 276 Nr. 187 f, 416 Nr. 144,517 f. Nr. 76. 559 Hölscher, Victoria Romana 61 f. mit den Belegen. 560 Chr. Habicht, Gottmenschentum (Anm. 415) 160 ff.

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König Agrippa beschwichtigte den Zorn der Juden über die Grausamkeit des Gessius Roms mit dem Hinweis, der Kaiser könne vom Westen des Reiches aus nicht seine Beamten im Osten überwachen und aufgrund der Entfernung über neue Entwicklungen nicht so schnell informiert werden561. Wenn Aelius Aristides in seiner Romrede (32) als Idealfall schildert, daß der Statthalter dem Kaiser wie ein Sklave dem Herrn gehorche, so ist hier sicher auch der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen. Hadrian nutzte auf seinen Reisen die Gelegenheit, Statthalter zur Rechenschaft zu ziehen und zu bestrafen, so daß man glaubte, er selbst habe die Anklage provoziert (HA, H 13,10); jedoch ist ein solches Vorgehen eine singulare Erscheinung geblieben. Als Ersatz persönlicher Präsenz diente die göttliche Allmacht und die aus ihr fließenden Tugenden des Kaisers, die jeden Winkel des Reiches erreichten. Dem Fürsorgebedürfnis der Untertanen kam in erster Linie die kaiserliche Providentia (πρόνοια) entgegen, der ein gleichberechtigter Platz neben den vier Kardinaltugenden gebührt562. Im besonderen konnte die divina dispositio, auch aus der Ferne wirkend, den Truppen zum Sieg und den Untertanen zur Sicherheit verhelfen563. Wichtigste ideologische Hilfestellung, die Existenz kaiserlicher Allmacht auch dort zu begründen, wo der Kaiser in Wirklichkeit weit entfernt weilte, war der Sonnenvergleich. Die aus Ägypten und dem Perserreich bekannte Vorstellung, nach der der Herrscher seine Kraft aus der Sonne schöpfte und ihre Strahlen selbst weitergab, ist mit Alexander auch in das hellenistische Königsideal eingegangen und hat dort auch ihre für die römische Kaiserzeit bestimmende Ausformung erhalten564. Die Sonnensymbolik erstreckte sich einerseits auf die Parusie des Herrschers, dessen Ankunft und Anwesenheit wie die wärmenden Strahlen der Sonne alles Daniederliegende mit neuem Leben erfüllte565. Horaz bediente sich öfters dieses Gleichnisses, wenn Augustus nach Rom zurückkehrte und für Senat und Volk neu erstrahlte566, und ist darin von der panegyrischen Literatur, z. B. Martial, bis in die Spätantike nachgeahmt worden567. Was die Provinzen betraf, so konnte der griechische Osten die hellenistische Tradition direkt 561 los. bell. lud. 2,16,4; siehe P. A. Brunt, Charges of Provincial Maladministration under the Early Principate, Historia 10,1961,206 f. 562 M. P. Charlesworth, The Virtues of the Roman Emperor. Propaganda and the Creation of Belief, PBA 23,1937,117 ff. = H. Kloft (Hg.), Ideologie und Herrschaft (Anm. 22) 373 ff. 563 Inschrift für Konstantin d. Gr. aus Aquileia: G. Alföldy, AntAltoadr 24,1984,251 ff. (Verb, von CIL V 8269). 564 E. R. Goodenough, The Political Philosophy of Hellenistic Kingship, YC1S 1,1928,78 ff. = H. Kloft (Hg.), Ideologie und Herrschaft (Anm. 22) 53 ff.; L Delatte, Les traités de la royauté etc. (Anm. 22) 195 ff. ; Alföldi, Monarchische Repräsentation (Anm. 409) 88 f. - Zur Sonnensymbolik siehe zuletzt G. H. Halsberge, The Cult of Sol Invictus (Epro 23), 1972. 565 Für den hellenistischen Bereich genügt es, auf das bekannte Ehrendekret für Kallimachos aus Theben in Ägypten (39 v. Chr.) hinzuweisen, siehe R. Hutmacher, Das Ehrendekret für den Strategen Kallimachos (1965); dort heißt es Z. 19 f. : ώσπερ λαμπρός αστήρ καΐ δαίμον αγαθός [τοις άπελπίζουσιΐν έπέλαμψε. Siehe auch die Beispiele bei A. Deissmann, Licht vom Osten. Das neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt (1923), 314 ff., und Hutmacher a.0.53 ff. 566 Textstellen bei E. Doblhofer, Augustuspanegyrik (Anm. 27) 86 ff. ; ders., Horaz und Augustus (Anm. 27) 1979 f. 567 F. Sauter, Der römische Kaiserkult bei Martial und Statius (1934), 137 ff. Zu den spätantiken Panegyrikern siehe S. 58 f.

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fortsetzen und Augustus mit einem leuchtenden Gestirn vergleichen568, Caligula wurde direkt mit Νέος Ηλιος gleichgesetzt569. Die Grundidee einer weit ausstrahlenden herrscherlichen Macht, die in ihrer Effektivität der Anwesenheit der Person des Herrschers gleichkam, läßt sich ebenfalls bereits im Hellenismus nachweisen: In Ägypten haben Dorfbewohner, denen Unrecht widerfahren war, den König und seine Truppen angerufen; beide waren weit entfernt, man konstruierte ihre Anwesenheit, um dem eigenen Verlangen nach Hilfe die königliche Autorität zu unterstellen und die Behörden zu schnellerem Eingreifen zu veranlassen570. Die Sonne als höchstes, die Welt umkreisendes Gestirn war Träger der kaiserlichen Macht und verhalf ihr zu allgegenwärtiger Präsenz. Lucan (Phars. l,47ff.) versetzte Nero auf den Sonnenwagen des Phoebus und ließ ihn die Welt durcheilen und erleuchten:... seu sceptra tenere seu te flammigeros Phoebi conscendere currus telluremque nihil mutato sole timentem igne vago lustrare luvet. Später bediente sich Eusebius dieses Vergleiches in bezug auf Konstantin und seine Söhne (siehe S. 59). Konkret bedeutete die Übertragung des Bildes der strahlenden Sonne auf den aus der Ferne regierenden Herrscher, daß seine Wohltaten, Güte, Allmacht usw. in gleichem Maße wie im Falle der persönlichen Anwesenheit wirkten, „erstrahlten". In diesem Zusammenhang findet sich bevorzugt das Verb έπιλάμπειν nebst anderen Komposita, das lateinische Äquivalent bestand in den Komposita von lustrare, meist dem Verb illustrare (siehe S. 59). Der Kaiser und seine Herrschaft waren überhaupt die Quelle alles Guten für die Untertanen; sie „beleuchtete" einzelne Provinzen und ihre Bewohner oder, wie von Caligula behauptet wird, die Klientelkönige571 oder, wie Galba, das ganze Menschengeschlecht572. Spezieller redeten Valerianus und Gallienus von ihrer μεγαλοφροσύνη, die jeden Winkel des Reiches durchdrang573. Maximinus Daia „leuchtete" seinen Untertanen, nämlich durch die siegreiche Kraft seiner Solda568 IGR11295 (Insel Philae): Augustus als αστήρ άπάσας Ελλάδος, ος σωτήρ Ζευς ανέτειλε μέγας. Vgl. auch Manilius, astron. 4,763 ff. über Tiberius in Rhodos:... Rhodos, hospitium recturi principis orbem, tumque domus vere solis, cui tota sacrata est, quum caperei lumen magni sub Caesare mundi. 569 SIG3 798 = IGR IV145. 570 P. Tebt. Ili 798; B.G.U. Vili 1762. Siehe W. Schubart, Das hellenistische Königsideal, APF 12,1937,16 = Η. Kloft (Hg.), Ideologie und Herrschaft (Anm. 22) 116. 571 Die neue Regierung des Caligula (IG VII 2711, Ζ. 60 aus Akraiphia in Böotien): ή πασιν μακαριότατη έπέλαμψεν ηγεμονία τοΟ νέου θεοο ΣεβαστοΟ. Im kyzikenischen Ehren­ dekret für Antonia Tryphaina und ihre Söhne heißt es (Anm. 569): Νέος Ηλιος (Caligula) συναναλάμψαι ταΐς ίδίαις αύγαΐς και τας δορυφόρους της ηγεμονίας ήΟέλησεν βασι­ λείας. - Nero wird während seines Aufenthaltes in Achaia im Beschluß der Akraiphier (SIG3 814 = ILS 8794, Ζ. 34) gleichgesetzt mit Νέος'Ήλιος έπιλάμψας τοις "Ελλησιν; vgl. auch noch Anth. Pal. 9,178: 'Αλιε, καί παρά σον φέγγος έλαμψε Νέρων (bei den Rhodiern); Nero als Νέος'Ήλιος: IGR III 345 (Sagalassos); SEG 31, 919 (Aphrodisias); siehe auch Ο. Montevecchi, Nerone e l'Egitto, PP 30,1975,53 ff. 572 Edikt des Ti. Iulius Alexander (OGIS 669, Z. 7; G. Chalon, L'édit de Tiberius Iulius Alexander (1964), 97 mit Anm. 15): παρά τοΟ έπιλάμψαντος ήμείν έπί σωτηρία τοΟ παντός ανθρώπων γένους ευεργέτου ΣεβαστοΟ Αύτοκράτορος Γάλβα. Vgl. Ρ. Osi. Ill 126: δεσποτον των ήμΐν . . . έπιλαμψάντων (von Marc Aurei und L. Verus), und B.G.U. 14284: άνατείλαντες έν έαυτων Αίγύπτω (von Septimius Severus und Caracalla). 573 P. Oxy. 3366:... ή έπιλάμψασα τΐ)ι ύμετέραι οίκουμένηι... έκτείνασα έπί πασαν ύμων τήν οίκουμένην καί έφ' άπαντα τόπον έκπέμψασα...

Reisen und Regieren

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ten, da er sie von lästigen Räuberbanden befreit hat574. Unter Konstantin erlebte die Sonnensymbolik als Resultat der engen Verbindung von Sonnenkult und christlicher Verehrung einen Höhepunkt. Eusebius bediente sich häufig des Vergleiches, nicht nur im konventionellen Bild der Epiphanie des Herrschers, der wie die aufgehende Sonne morgens aus dem kaiserlichen Palast trat und alle mit seiner Güte beschien, sondern der auch in die entferntesten Winkel der Erde seine Gottesfurcht leuchten ließ575. Die im vierten Jahrhundert ungemein intensive Bindung der kaiserlichen Präsenz an das Wohlergehen der Untertanen (siehe S. 58 ff.) führte dazu, daß der Sonnenvergleich zur Rechtfertigung herangezogen wurde, wenn der Kaiser nicht überall zugleich sein konnte. Als sich Valentinian allzu lange in Gallien aufhielt, beruhigte Symmachus die anderen Provinzen similis est princeps deo pariter universa cernenti, qui cunctas partes novit imperii576. Durch den Mund der Roma, die sehnsüchtig auf einen Besuch des Kaisers Honorius wartete, fragte Claudian, warum denn ein Herrscher zur Wahrnehmung seiner Aufgaben umherreisen müsse; zum Beweis des Gegenteils verwies er auf die Sonne, die immer ihre mittlere Bahn ziehe und trotzdem jeden Winkel der Welt erleuchte: medium non deserti numquam caeli Phoebus iter, radiis tarnen omnia lustrat511.

2) REISEN U N D REGIEREN So lange und so unbestritten Rom als Mittelpunkt des Reiches galt, es besaß trotzdem keinerlei Exklusivität als Regierungssitz, wo das Regieren allein möglich gewesen wäre. Da der Kaiser stets von dem erforderlichen Beamtenapparat und erfahrenen Begleitern umgeben war, bildeten er und sein Stab eine stets und überall funktionierende Entscheidungsinstanz. Das bekannte Zitat (Herodian 1,6,5), daß Rom dort ist, wo der Kaiser ist, gibt die Realität am treffendsten und umfassendsten wieder. Konstantin der Große hat die Stadt Serdica, in der er zwischen 316 und 323 mehrmals überwinterte, als „sein Rom" bezeichnet578. Im Falle der Abwesenheit des Kaisers ist Rom als Regierungszentrale praktisch ausgefallen. Die Rolle des Stadtpräfekten und eventuell des einen zurückgebliebenen Prätorianerpräfekten beschränkte sich de facto nur auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Jurisdiktionelle Tätigkeit, also auf ihre normalen Rechte und Pflichten. Keinesfalls haben sie oder der Senat wirklich die Stelle des Kaisers als Entscheidungsinstanz eingenommen. Der Senat konnte nur Beschlüsse fassen, wenn der Kaiser ihm eine Angelegenheit ausdrücklich zur Entscheidung überwiesen hatte, aber nie aufgrund einer ihm automatisch zufallen574 SIG3 900 (Heiligtum des Zeus Panamaros in Karien): ... καΐ ή θειότης τοΟ δεσπότου ημών... έν τ|) πατρίδι έπέλαμψεν καΐ τα ληστήρια έξέκοψεν. 575 Euseb. v. Const. 1,43,3: απασι φωτός αύγας της οίκείας έξέλαμπε καλοκαγαθίας, und 1,8,4: φωτός ευσέβειας άκτίσιν έκλάμπων, απαντάς εΐχεν υπηκόους. 576Symm. laud, in Valent, sen. Aug. 1,1; ein ähnlicher Vergleich bereits bei Plinius (pan. 80,4-5) und Paneg. 3,13,5 (siehe Anm. 197). 577 Claudian de sexto cons. Honorii 411 f. 578 Anon, post Dionem frg. 15,1 (Müller FHGIV p. 199).

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den Stellvertreterfunktion579. Gesandtschaften haben sich deshalb in der Regel sofort an den Kaiser gewandt; wenn sie ihn in Rom nicht antrafen, sind sie ihm entweder nachgereist oder haben in der Hauptstadt auf ihn gewartet. Möglichen Zweifeln, ihren in den Provinzen getroffenen Entscheidungen könne nicht dieselbe Verbindlichkeit zukommen wie denjenigen in Rom getroffenen, sind die Kaiser selbst mit der Versicherung entgegengetreten, es mache keinen Unterschied, ob Gesandtschaften sie in Rom oder sonstwo im Reich anträfen (Dig. 50,7,9,1). Petitionen, die in Rom eingereicht wurden, sind beispielsweise unter Caracalla dem Kaiser zur Entscheidung in die Provinzen nachgeschickt und von diesem zur Proponierung nach Rom wieder zurückgesandt worden580. Wenn aufgrund der in den Reskripten erhaltenen Ortsangaben die größeren und bekannteren Städte überwiegen, so liegt diese Evidenz darin begründet, daß fremde Gesandtschaften den Kaiser dort erwarteten, wo ausreichende Unterkunfts- und Verpflegungsmöglichkeiten schon getroffen und ein längerer Aufenthalt abzusehen waren. Umgekehrt sind der Kaiser und sein Stab sicher bestrebt gewesen, den zeitraubenden Empfang von Gesandtschaften und die Erteilung der Bescheide auf die größeren Etappenorte bzw. die Residenzen zu konzentrieren. Augustus wies eine ihn an der spanischen Front aufsuchende Gesandtschaft sogar zurück (siehe S. 21 f.) und empfing solche ansonsten nur in Tarraco. Eine athenische und spanische Delegation trafen Marc Aurei in Sirmium, eine delphische in Viminacium, wiederum eine athenische den Septimius Severus in Eburacum, seinem Hauptquartier in Britannien; eine Gesandtschaft aus Larisa erreichte Gallienus in Sirmium581. Bei der Ausübung ihrer Jurisdiktionellen Tätigkeit haben sich die Kaiser möglicherweise dem System der provinzialen Gerichtskonvente insofern angepaßt, als sie außer in den Provinzhauptstädten auch im Hauptort eines jeweiligen Gerichtskonventes haltmachten, falls er auf ihrer Route lag. Daß der Konventsordnung einer Provinz eine gewisse Bedeutung bei der organisatorischen Bewältigung des Gesandtschaftsstromes zukam, erhellt jedenfalls aus dem bereits angeführten Oxyrhynchospapyrus (P. Oxy. 705, siehe S. 122) mit dem Bericht über Septimius Severus' Richtertätigkeit in Pelusion. Bei den Aufenthaltsorten Hadrians, die einzig durch die nach einem Zusammentreffen mit Gesandtschaften angefertigten Reskripte bekannt sind, nämlich Athen, Dyrrhachium, Ephesos, Apameia (Phrygien), Iuliopolis (Bithynien), handelt es sich entweder um Provinzhauptstädte oder um Hauptorte eines Konventes582. Allgemein gültige Aussagen läßt die spärliche Quellenevidenz jedoch nicht zu. Das aufgrund der Rechtscodices seit der Tetrarchie dichter

579 Beispiele sind jetzt zusammengestellt von RJ.A. Talbert, The Senate of Imperial Rome (1984),411 ff., 420 f. 580 D. Nörr, ZSRG 98,1981,35 f. 581 Siehe die Belege auf S. 213,219,237. 582 Ich verweise auf die übersichtliche Darstellung bei G. P. Burton, JRS 65,1975,92 ff., 97. Von Asia abgesehen ist die Überlieferung für die conventus der Provinzen lückenhaft und zufällig. Aufgrund der Lage und Bedeutung von Iuliopolis (siehe A. N. Sherwin-White, The Letters of Pliny [1966], 531, 666 f.) kann man durchaus auf den Status einer Konventsstadt schließen. Im Falle Dyrrhachiums kann man in Anbetracht der spätantiken Provinzaufteilung vermuten, daß die Stadt bereits früher Hauptort eines Verwaltungsbezirkes war (freundlicher Hinweis von H. Freis, Saarbrücken).

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überlieferte Netz des Itinerars läßt dagegen erkennen, daß der laufende Schriftverkehr mit Statthaltern und Beamten im Prinzip ohne größere Unterbrechung infolge Reisetätigkeit abgewickelt wurde. Als Diokletian im Herbst 294 von Viminacium über Durostorum und Byzantium nach Nikomedeia reiste, hat er trotz der relativ geringen Zeitspanne (etwa 2. Oktober bis 15. November) nicht bis zur Ankunft in seiner Winterresidenz Nikomedeia gewartet, um seine Korrespondenz dort geschlossen zu erledigen, sondern hat auch in zahlreichen an der Route liegenden Kastellen und mansiones (17 Orte sind bekannt) Reskripte ausstellen lassen583. Die Effektivität kaiserlicher Reisetätigkeit lag darin, daß im Prinzip jedes anfallende Problem an Ort und Stelle gelöst werden konnte. Der Kaiser als oberster Richter, als oberster militärischer Befehlshaber, als höchster Priester des Reiches war in der Lage, im Vergleich zu heute völlig unbürokratisch, von wenigen Beratern umgeben, sofortige und endgültige Entscheidungen zu treffen. Die Qualität der Entscheidungen blieb davon unberührt: Da der intensive Gesandtschaftsverkehr einen ständigen Kontakt mit den Untertanen gewährleistete, geschah an seinem jeweiligen Aufenthaltsort nichts, was er nicht auch von Rom oder einem anderen Ort des Reiches aus hätte veranlassen können, bzw. was nicht ansonsten der Statthalter entschieden hätte. Als willkürliche Beispiele seien die Maßnahmen Hadrians gegen die Verlandung des ephesischen Hafens genannt, die ebenso die Prokonsuln von Asia bei Gelegenheit übernahmen584, oder die rege Jurisdiktionspraxis, deren Intensität im Falle Hadrians hervorgehoben wird (HA, H 22,11) und die sich anhand von Einzelbeispielen für Septimius Severus und Caracalla aus den Papyrusurkunden ablesen läßt585. Es ist methodisch äußerst schwierig und gewagt, kaiserliche Entscheidungen eines bestimmten Inhalts ausschließlich oder überwiegend mit Provinzaufenthalten in Verbindung zu bringen. In der Tat fällt die Neuorganisation oder Teilung von Provinzen oft mit der Anwesenheit des Kaisers zeitlich zusammen (wobei die von den Kaisern persönlich neu eroberten Provinzen unberücksichtigt bleiben): die Teilung Mösiens im Jahre 85/86 und Pannoniens im Jahre 106 fand statt, als Domitian bzw. Trajan in den Donauprovinzen weilten; die Einrichtung der Germania superior und inferior als Provinzen geschah wahrscheinlich zur Zeit von Domitians Aufenthalt am Rhein (83 oder 88/89). Die Teilung Syriens fand im Jahre 194 statt, nachdem Septimius Severus den Pescennius Niger in Syrien besiegt hatte, und Caracallas Anwesenheit in Pannonien (213/14) fiel zeitlich mit einer Grenzregulierung zwischen den beiden pannonischen Provinzen zusammen586. Es existieren allerdings auch Gegenbeispiele: Hadrian hat sich, als Dakien geteilt wurde (119), nicht im Donauraum aufgehalten; die Teilung Britanniens, die bald nach dem Jahre 212 erfolgte, hat A. R. Birley als Konsequenz Caracallas aus der feindlichen Reaktion der britannischen Armee auf Getas Ermor-

583 T. D. Barnes, The New Empire of Diocletian and Constantine (1982), 53 f. 584 Tac. ann. 16,23,1 (Barea Soranus); IvEph. 23 (Antonius Albus), 274 (Hadrian). Desgleichen spendeten reiche Bürger: IvEph. 2061,3066,3071. 585 Westermann - Schiller, Apokrimata (Anm. 372). 586 Pannonien/Mösien: A. Mócsy, Pannonia and Upper Moesia (1974), 82, 92,198. Germania: W. Eck, Senatoren von Vespasian bis Hadrian (1970), 6. Syria: A. R. Birley, Septimius Severus (Anm. 155)180.

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Kaiserreisen als Politikum

dung gedeutet, ohne daß der Kaiser selbst die Insel betreten hätte587. Hadrians Verbot, in den Städten mutwillig Häuser abzureißen, um dadurch billiges Baumaterial für andere Gemeinden zu erhalten (HA, H 18,2), läßt sich einleuchtend damit erklären, daß er auf seinen Provinzreisen häufiger auf diese Unsitte gestoßen ist. Nachweisen kann man eine Beeinflussung der kaiserlichen Entscheidung aufgrund eigener Inaugenscheinnahme allerdings nicht, da der Kaiser, wie bereits angedeutet, in Rom von Augenzeugen informiert werden und daraufhin ein Urteil fallen konnte. Ein befriedigendes Ergebnis in dieser Frage ist auch gar nicht zu erwarten, da die Kaiser nie - von Augustus und Hadrian einmal abgesehen - die Hauptstadt mit dem erklärten Ziel verlassen haben, die Probleme der Provinzen kennenzulernen, um dort notwendige und gerechte Entscheidungen besser als in Rom treffen zu können. Es gab von vornherein für den Herrscher gar keinen Anlaß, den Untertanen auf Provinzreisen mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als er es in Rom schon tat. Seine außerhalb der Hauptstadt getroffenen Entscheidungen hat er nie in erster Linie als Verwirklichung einer bewußt betriebenen Politik zugunsten der Provinzen gesehen, sondern als notwendige und konsequente Ausübung seiner Herrscherpflichten, die sich im Prinzip in nichts von derjenigen in Rom unterschied. Aus diesem Grund vollzog sich auch die Verlagerung des ständigen Aufenthaltsortes von Rom in wechselnde Residenzen an den Reichsgrenzen ohne nennenswerte Nachteile für die laufenden Regierungsgeschäfte. Beeinträchtigungen gab es notwendigerweise infolge des zeitraubenden Schriftverkehrs zwischen der Hauptstadt und dem jeweiligen Aufenthaltsort des Kaisers, aber auch dies nur bei plötzlichen, unerwarteten Ereignissen. So war Caligulas Abwesenheit in Gallien der Grund dafür, daß nach dem Tode eines designierten Konsuls ein Ersatzmann zum Amtsantritt am 1. Januar nicht rechtzeitig nominiert werden konnte (Dio 59,24,2). Spürbare Behinderungen hat es ansonsten nicht der Abwesenheit aus Rom an sich wegen gegeben, sondern diese traten wohl nur gelegentlich auf, wenn der Kaiser aktiv an einem Feldzug teilnahm, deshalb mit seiner Kanzlei vorübergehend keinen direkten Kontakt und überhaupt für andere Dinge wenig Zeit hatte. Auch an dieser Stelle ist das Beispiel des Augustus zu nennen, der mit Hinweis auf seine Kriegsführung Gesandte der erdbebengeschädigten kleinasiatischen Städte auf die Zeit nach seinem Spanienfeldzug vertröstet hatte, um ihre Anliegen erst dann anzuhören. Der praefectus praetorio Italiae Mamertinus suchte im Jahre 363 bei Kaiser Iulian um eine Bestätigung seiner Entscheidung betreffs Lebensmittelversorgung der Stadt Tarracina nach; er erhielt aber nie eine Antwort, weil der Kaiser von der Kriegsführung gegen die Perser in Anspruch genommen war588. Im Falle Trajans wird lobend erwähnt (Dio 68,11,3), daß er auch während der Feldzugstätigkeit jederzeit ansprechbar war, was offenbar als Ausnahme galt. Caracalla soll in Germanien, durch andere Beschäftigungen abgelenkt, seinen Aufgaben als oberster Richter nur unzureichend nachgekommen sein (Herodian 4,7,1). Wenn Caracallas Mutter Mammaea während des Partherkrieges ihres Sohnes die Führung der kaiserlichen Kanzlei in Antiocheia übernahm (Dio 77,18,2; siehe S. 91), so 587 Dacia: Α. Stein, Die Reichsbeamten von Dazien (1944), 17 ff. Britannia: Α. R. Birley, The Fasti of Roman Britain (1981), 168 ff. 588 Symm. rei. 40 (MGH VI 1, p. 312).

Reisen und Regieren

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liegt dieser außergewöhnlichen Arbeitsteilung offensichtlich das Bestreben nach einer möglichst ungestörten Verwaltungstätigkeit des kaiserlichen Hofes zugrunde. In die gleiche Richtung weist die seit Septimus Severus bezeugte Delegierung der höchsten Appellationsgerichtsbarkeit sowohl an die Prätorianerpräfekten589 als auch an iudices sacrarum cognitionum vice Caesaris (oder ähnlich benannt); diese Senatoren konsularen Ranges (darunter auch comités Augusti, siehe S. 100) haben zunächst offenbar nur temporär für bestimmte Reichsteile anstelle der Herrscher die Appellationsgerichtsbarkeit übernommen590. Schon unter Gordian III. liegt ein Zeugnis dafür vor, daß der amtierende praefectus urbi diese Vertretung wahrgenommen hat, welche nur denkbar ist, wenn sich der Kaiser zur gleichen Zeit außerhalb Roms befand (L. Caesonius Lucilius Macer Rufinianus: ILS 1186). Spätestens unter Konstantin, also zeitgleich mit der endgültigen Aufgabe Roms als ständiger Residenz, ist die Gerichtsbarkeit vice sacra stets mit dem Amt des Stadtpräfekten kumuliert worden591. Diese Maßnahmen entbehrten aber jeden politischen Konzeptes gegenüber den Provinzen. Ein allzu langer und einseitiger Aufenthalt in nur einem Reichsteil ist -jedenfalls von sehen des Kaisers - nicht als Beeinträchtigung seiner Fürsorgepflicht für das ganze Reich betrachtet worden. Erst spät, nach einem Vorspiel unter Valerianus/Gallienus eigentlich erst mit der Einführung der Tetrarchie, haben sich die Kaiser zu einer wirklichen Aufgabenteilung durch Übernahme bestimmter Reichsteile entschlossen (wenngleich an der Reichseinheit de jure stets festgehalten wurde). Der Grund lag aber weniger in dem Bewußtsein, eine kontinuierliche Regierungstätigkeit könne von einem einzigen Kaiser nicht mehr wahrgenommen werden, als vielmehr in der Furcht vor möglichen Usurpationen der Armeekommandeure infolge des äußeren Drucks auf die Provinzgrenzen (siehe S. 54 f.). Der zentrale Verwaltungsapparat (comitatus) blieb auch im vierten Jahrhundert ständig in unmittelbarer Nähe des Kaisers, und die Notwendigkeit einer Dezentralisierung desselben zwecks eines direkteren Kontaktes zu den Untertanen ist nie empfunden worden. Die Lösung der Prätorianerpräfektur von der Person des Kaisers und ihre Etablierung als oberste zivile Verwaltungssprengel hat erst unter den Söhnen Konstantins allmählich eingesetzt und ist keine ad hoc getroffene politische Entscheidung gewesen. Das eigentlich bestimmende Element kaiserlicher Reiseaktivität bildete die jeweilige Entwicklung an den Reichsgrenzen. Dort konnte der Kaiser, sofern er wollte, seine Tugenden zum Nutzen und zur Mehrung des Reiches am augenscheinlichsten verwirklichen und durch Anlehnung an entsprechende Vorbilder in Geschichte und Mythologie, wie Alexander und Herakles, seinen Nimbus erhöhen592. An die Abreise des Kaisers knüpfte sich die Erwartung von Gebietszuwachs oder zumindest einer 589 Siehe zusammenfassend W. Enßlin, RE 22 (1954), 2415 f. 590 Liste bei G. Alföldy, Fasti Hispanienses (1969), 107. Zur Tätigkeit siehe E. Cuq, Etudes d'épigraphie juridique de quelques inscriptions relatives à l'administration de Dioctétien (1881), 97 ff. ; Α. Chastagnol, La préfecture urbaine à Rome sous le Bas-Empire (1960), 130 ff. 591 Chastagnol a.0.131 f. 592 Zu Alexander siehe die grundlegende Studie von A Heuß, Alexander der Große und die politische Ideologie des Altertums. A & A 4,1954,65 ff. = H. Kloft (Hg.), Ideologie und Herrschaft (Anm. 22) 123 ff. Zu Herakles siehe Beaujeu, La religion romaine (Anm. 107) 80 ff.

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Kaiserreisen als Politikum

empfindlichen Schwächung des Feindes, unbeschadet dessen, wie einzelne Gruppen in Rom zur speziellen Kriegsursache oder zur Abwesenheit des Kaisers überhaupt standen. Die Einsicht in die Notwendigkeit einer nicht ausschließlich durch die Kriegsführung bedingten Reisetätigkeit ist singular geblieben und nur bei denjenigen Kaisern offenkundig, die den Provinzen eine wie auch immer geartete eigenständige Rolle im Rahmen ihrer Politik zuerkannten. Allerdings realisierten einzig Augustus und Hadrian, dieser unter dem Eindruck des augusteischen Vorbildes, mit ihren Reisen ein politisches Programm, das in erster Linie auf den Wohlstand und inneren Frieden aller Provinzen abzielte. Griechenland diente Nero lediglich als einzig würdige Kulisse seines künstlerischen Ehrgeizes; die Reisen der Severer wurden, sofern keine Kriege zu führen waren, ebenfalls von persönlichen Interessen geprägt (Ägypten) und galten ansonsten nicht den Provinzialen, sondern ausschließlich dem in den Provinzen stationierten Militär als Stütze der Macht. Es bestand von vornherein weder eine Norm noch eine Verpflichtung in Form eines zukunftsweisenden Auftrages, Rom bei bestimmten Anlässen zu verlassen und sich in die Provinzen zu begeben. Ob und inwieweit der Kaiser seine eigene Präsenz in einem Teil des Imperiums für notwendig erachtete, unterlag seiner eigenen Entscheidung, für die sich im nachhinein - gleichgültig, wie er sich entschied - immer eine entsprechende Rechtfertigung finden ließ. Auch ein Verbleiben in Rom konnte grundsätzlich als vorteilhaft empfunden werden, und Kaiser, die Italien nie verlassen haben, wie Tiberius und Antoninus Pius, haben für ihre Immobilität gute Gründe beigebracht. Im Grunde war den Römern die Art einer ideologischen Untermauerung, die um ihrer selbst willen ein bestimmtes Handeln forderte, fremd; sie bewährten sich eher in der Bewältigung der täglich auf sie zukommenden Probleme und wählten die altüberlieferten Tugenden zur Richtschnur ihres Handelns. Da ihnen folglich jedes Denken in abstrakten Kategorien abging, aus denen man ein stets gültiges Postulat für oder gegen die Präsenz des Kaisers in den Provinzen ableiten könnte, läßt sich auch keine grundsätzliche Diskussion über den Sinn oder Widersinn kaiserlicher Reisetätigkeit in der antiken Literatur fassen. Sie entfachte sich eigentlich nur kurzzeitig als Reaktion auf die außergewöhnliche Reiselust Hadrians, und auch hier nicht als eigenständiges Phänomen, sondern subsumiert unter der Gesamtbeurteilung des Herrschers; sie hat dann im vierten Jahrhundert, als die Kaiser nicht mehr in Rom weilten, einen einseitigen Niederschlag in Form des Herrscherlobs bei den Panegyrikern gefunden. Das Reisen war also eine vom jeweiligen Herrscher selbst bestimmte Variante kaiserlicher Regierungspraxis, eine besondere Art der Reaktion auf Ereignisse, Entwicklungen und Bitten der Untertanen, ein aus eigenem Antrieb heraus erfolgender politischer Willensakt. Daran ändert nichts die Tatsache, daß die historische Entwicklung die Reisetätigkeit für einen Kaiser des vierten Jahrhunderts zu einer größeren Selbstverständlichkeit gemacht hatte als für die Kaiser der iulisch-claudischen Zeit. Der Kaiser selbst besaß innerhalb bestimmter Entscheidungsgrenzen, die von überlieferten Normen, Erwartungen der Zeitgenossen, den historischen Rahmenbedingungen und nicht zuletzt von seiner Persönlichkeit gezogen wurden, einen ausreichenden Freiraum, durch Reisen oder auch durch Nicht-Reisen seine Auffassung politischer Notwendigkeiten zu verdeutlichen.

VI. DAS mNERAR Erläuterung zu dem in der tabellarischen Auflistung benutzten Klammersystem: (Tyana)

Ein Aufenthalt in dieser Stadt ist mit Sicherheit anzunehmen, da die infolge anderer Quellenzeugnisse festliegende Reiseroute über die betreffende Stadt fuhrt; der angeführte Quellenbeleg ist möglicherweise, jedoch nicht eindeutig mit diesem Aufenthalt zu verbinden.

(Chios ?)

ein Aufenthalt in dieser Stadt ist aufgrund einer ungefähr bekannten Reiseroute gut denkbar; der angeführte Quellenbeleg ist möglicherweise, jedoch nicht eindeutig mit einem eventuellen Aufenthalt zu verbinden.

Viminacium (?)

ein Aufenthalt in dieser Stadt ist eindeutig bezeugt, fraglich ist nur der Zeitpunkt des Aufenthaltes.

AUGUSTUS Wahrscheinlich Mai/Juni 27 Aufbruch nach Norden, wohl über die via Flaminia

Anf. Mai noch in Rom (Inscr. It. XIII 1, 151), Abreise wahrscheinlich noch vor dem Triumph des M. Licinius Crassus am 4. Juli (Syme, Roman Revolution 331; Schmitthenner 43 = ders., Augustus 425).

Bis Ende 27 in Gallien, von Narbo aus Durchführung eines Census

Dio 53,22,5; Liv. per. 134. Zu CIL XII 4449 (Bestattungsplatz der familia tabellariorum Caesaris nostri) siehe Gardthausen II335.

Spanien: - 1. Jan. 26 Konsulatsantritt in Tarraco

Suet. Aug. 26,3 ; Dio 53,22,5.

- Feldzug gegen die Kantabrer 26 bis Ende 25

Siehe Kommentar. Die Fasti fer. Lat. bestätigen seine Anwesenheit in Spanien für April 26 und Mai 25 (Inscr. It. XIII 1,151).

- Winter 26/25 in Tarraco, wo er am 1. Jan. 25 sein neuntes Konsulat antritt

Suet. Aug. 26,3; Flor. 2,33,51. Zu den zahlreichen Gesandtschaften, die er in Tarraco empfing, siehe Gardthausen I 696 f., Schmitthenner 61 Anm. 36 = ders., Augustus 451 Anm. 206.

- Ende 25 in Tarraco, von dort Erholungsreise in ein Pyrenäenbad

Dio 53,25,7; Krinagoras-Epigramm Anth. Pal. 9, 149. Richtertätigkeit in Tarraco, wo er den Redner Gavius Silo hörte: Sen. contr. 10, praef. 14.

1. Jan. 24 auf der Rückreise nach Rom (dort spätestens am 13. Juni 24 anwesend)

Dio 53,28,1; Inscr. It. XIII 1,151.

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Das Itinerar

Herbst 22 (nach dem 1. September) Aufbruch Richtung Sizilien

Dio 54,6,1. Dio berichtet von der Abreise nach der Einweihung des Tempels für Jupiter Tonans (54,4,2), die am 1. Sept. stattfand (Inscr. It. XIII2,33,193,209).

Winter 22/21 in Sizilien

Syrakus und andere Städte werden Kolonien (Dio 54,7,1). Zu Plut. mor. 207 Β siehe Anm. 41.

21 Fahrt nach Griechenland

Dio 54,7,2 (Aigina und Eretria werden den Athenern abgenommen).

- Sparta

Dio a. Ο. (Teilnahme an den Syssitien), Kythera wird dem Eurykles geschenkt: Strabo 8,5,1. S. Grunauer-v. Hoerschelmann, Die Münzprägung der Lakedaimonier(1978),68ff.

- Aigina

Plut. mor. 207 F. G. W. Bowersock, CQ 14,1964,120f.; ders., Augustus and the Greek World (1965), 106.

Ende 21 Überfahrt nach Samos, wo er den Winter 21/20 verbrachte

Dio 54,7,4; Ankunft in Samos vielleicht am 25. Nov., siehe Gardthausen II 466 f. Strabo 17,1,54 (äthiopische Gesandtschaft Frühjahr 20).

20 Reise durch Asia und Bithynia

Dio 54,7,4.

- Ilion

IGRIV 203 = Ivllion 83 (Augustus als ξένος geehrt).

- Kyzikos

Dio 54,7,6 (Verlust der Freiheit); IGR IV 136 (ξένος des Augustus).

Weiterreise nach Syrien

Dio 54,7,6 (Tyros und Sidon verlieren ihre Freiheit); 54,9,1-4 (Einsetzung neuer Klientelkönige); Strabo 17,1,54.

- Antiocheia

Strabo 15,1,73 (indische Gesandtschaft).

- Iudaea

los. ant. lud. 15,10,3; bell. lud. 1,20,4.

Rückreise zur See

los. a. O.

Winter 20/19 in Samos, vielleicht bis Juli 19

Dio 54,9,7 f. (Stadt erhält Freiheit, indische Gesandtschaft). IGR IV 976 (Statuenpostament aus dem Jahre 19). Neue Jahreszählung ab 19 (Magie, Roman Rule 1336). Siehe auch Kommentar.

Sommer 19 Rückreise nach Italien über Athen, Eleusis, Megara

Dio 54,9,10. Einweihung in die Mysterien, siehe R. Bernhardt, MDAI (A) 90,1975,233 ff. In Athen und Megara traf er mit Vergil zusammen (Donatus vita Verg. 13,51 ; Suet. de poetis p. 95 [Rostagni]).

Ca. Mitte September 19 Ankunft in Brundisium

Vergil, der wohl mit Augustus nach Italien zurückkehrte, verstarb dort am 21. September.

Rückreise nach Rom über Kompanien, Ankunft in Rom am 12. Oktober 19

Dio 54,10,2 f.; RgdA 11. Der Altar der Fortuna Redux an der Porta Capena wurde am 12. Okt. konstituiert (Inscr. It. XIII2,195).

Sommer 16 (nach 29. Juni) Abreise nach Gallien

Vell. Pat. 2,97; Dio 54,20,5 f.; Suet. Aug. 23. Zu Sen. de clem. 1,9 siehe Kommentar. Vor seiner Abreise dedizierte er am 29. Juni den Quirinustempel (Dio 54,19,4; Inscr. It. XIII 1,252).

Augustus

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Aufenthalt in Gallien und Spanien 16-13

Dio 54,23,7 (Städtegründungen, zum Jahre 15); 54,25,1 (allg. administrative Maßnahmen in Gallien, Germanien und Spanien). Zu Cn. Pullius Pollio /... comes (?) Caesaris] Augus[ti i]n Gallia comat[a itemque] in Aqui[t]ani[a] siehe S. 252.

- 16 in Nemausus

Portas murosque dat(ClL XII 3151), ebenso vielleicht in Vienna (CIL XII 6034 c).

4. Juli 13 Rückkehr aus Gallien/ Spanien

Dio 54,25,1 ; RgdA 12. Konsekrierung der Ara pacis am 4. Juli (Inscr. It. XIII 1, 328; 2, 189). Ludi votivi pro reditu(ClLVl3S5).

12 in Aquileia

Dort suchte ihn Herodes auf und kehrte zusammen mit ihm nach Rom zurück: los. ant. lud. 16,4,1 (vgl. Suet. Aug. 20). Zur Datierung siehe Kommentar.

Ende 11 Reise nach Gallien; Winter 11/10 wohl in Lugdunum

Dio 54,36,2-4; am 1. Jan. 10 nicht in Rom anwesend (CIL VI 30974). In Gallien traf ihn eine Gesandtschaft der Alexandriner (P. Oxy. 3020 col. 13 ff., 10/9 v. Chr.).

Ende 10 Rückkehr nach Rom

Dio 54,36,4 (vgl. Suet. Tib. 7,3), siehe Kommentar.

(über Aquileia?) Herbst 9 in Ticinum (?) in Mediolanium (?)

Siehe Kommentar. Plut. Brutus 5, siehe Gardthausen 11238 f.

Winter 9/8 in Ticinum

Augustus empfing hier den Leichenzug des Drusus, siehe Kommentar.

8 in Gallien

Dio 55,6,1 f.: Tiberius überschritt den Rhein, er selbst blieb im Hinterland (έν xfì οίκείςι ύπέμεινεν) - in Lugdunum (?); siehe S. Lewuillon, ANRW II 4 (1975), 509 f.

Rückkehr wohl erst 7

Ludi votivi für die Rückkehr: CIL VI 36789 (8) und 385 (7), vgl. Dio 55,8,3.

8 n. Chr. in Ariminum (und Ravenna?)

Dio 55,34,3 (vgl. Suet. Aug. 20), anläßlich des dalmatinisch-pannonischen Aufstands.

Die Reisen des Augustus sind in einer Spezialstudie zusammenhängend bisher nicht untersucht worden. Die auch heute noch vollständigste Aufarbeitung des Quellenmaterials findet sich im Werk von V. Gardthausen, Augustus und seine Zeit (1904), dessen Listen über die Reisen des Augustus im zweiten Band Vorbild für die hier gegebenen Tabellen waren. Da sich das Quellenmaterial zu den Reisen des Augustus seit Gardthausen kaum vermehrt hat, bildet seine Arbeit auch heute noch eine solide Ausgangsbasis. Allerdings wurden aufgrund einer verfeinerten Quellenkritik Fortschritte im Hinblick auf einzelne Abschnitte der Reisetätigkeit erzielt, so insbesondere für den Spanienfeldzug durch W. Schmitthenner, Augustus' spanischer Feldzug und der Kampf um den Prinzipat, Historia 11,1962,29 ff. = ders. (Hg.), Augustus (1969), 404 ff., dessen Untersuchung, wie der Titel verrät, weit über die militärischen Aspekte des Feldzuges hinausgeht. Sie wird ergänzt durch R. Syme, The Conquest of North-West Spain, in: Legio VII gemina (1970), 83 ff. = Roman Papers (1979), 825 ff, durch den wertvollen Forschungsbericht von F. Diego Santos, ANRW II 3 (1975), 531 ff und

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Das Itinerar

durch A. Rodriguez Colmenero, Augusto e Hispania, Conquista e organization de norte peninsula (1979), worauf bezüglich Einzelheiten der Chronologie und Topographie verwiesen wird. Inschriftlich ist Augustus' Aufenthalt in Spanien in Ehrenbeschlüssen fur erfolgreiche Gesandtschaften erwähnt, so seitens der vom Erdbeben heimgesuchten Städte Tralleis und Kos, die beide bis an die Front nachreisten, siehe R. Herzog, Koische Forschungen und Funde (1899), 141 ff., 146 f. und Gardthausen I 696 f. In Tarraco erreichten ihn Gesandtschaften der Parther (lust. 42,5,6), Inder und Skythen (Oros. 6,21,19 f.; nach Dio 54,9,8 die Inder allerdings in Samos) und Mytilenäer, siehe R. K. Sherk, Roman Documents from the Greek East (1969), 146 f. Nr. 26, bes. 156 f. mit Hinweis auf IG XII2,44 = IGRIV 38, wo offenbar von der Gesandtschaft des Jahres 25 nach Tarraco die Rede ist. - Die Koloniegründung von Emerita Augusta in Lusitanien (Dio 53,26,1) muß nicht unbedingt auf Augustus' persönliche Anwesenheit hindeuten, siehe Schmitthenner 60 Anm. 34 = ders., Augustus 450 Anm. 204 und H. Galsterer, Untersuchungen zum römischen Städtewesen auf der Iberischen Halbinsel (1971), 23. Zu weiteren Städtegründungen (Dio 54,23,7 zum Jahre 15) siehe Galsterer a. 0.17 ff. Die Gründung von Augusta Praetoria im Lande der Salasser, die A. Terentius Varrò Murena 26/25 unterworfen hatte (Dio 54,25,2-5 ; Strabo 4,6,7), hat Augustus vielleicht selbst auf seiner Rückreise von Spanien Ende 25 oder Anfang 24 vorgenommen, da er dort Prätorianer - offensichtlich diejenigen, die ihn nach Spanien begleitet hatten ansiedelte. Die Chronologie der Reise über Sizilien und Griechenland nach Samos hat G. W. Bowersock, CQ 14,1964,120 f., erhellt und den bei Plutarch zitierten Aufenthalt auf Aigina in das Jahr 21 datiert. Das lange umstrittene Datum der Einweihung in die eleusinischen Mysterien hat R Bernhardt, Athen, Augustus und die eleusinischen Mysterien, MDAI (A) 90,1975,233, überzeugend auf die Rückreise aus dem Osten in das Jahr 19 fixiert. Für die Kaiserreisen durch Kleinasien ist das Werk von D. Magie, Roman Rule in Asia Minor (1950), seiner ausführlichen Quellennachweise wegen unentbehrlich; zu Augustus' Aufenthalt in Asia und Bithynia siehe dort 469 und 1332. Bei Magie ist jedoch generell immer Vorsicht geboten, da er auch undatierte epigraphische Zeugnisse, die von Wohltaten und Vergünstigungen für die Städte sprechen, mit der Anwesenheit des Kaisers in Verbindung bringt. Unbekannt ist der Reiseweg aus dem westlichen Kleinasien nach Syrien im Frühjahr 20. Augustus könnte die Armee des Tiberius durch Inneranatolien begleitet haben bzw. ihr gefolgt sein (so B. Levick, Tiberius the Politician [1976], 26); in Anbetracht von Suetons Notiz (Aug. 82,1), daß Augustus die Reise zur See derjenigen zu Lande vorzog, ist es jedoch wahrscheinlicher, daß er von einem Küstenort Asiens aus zu Schiff nach Syrien gereist ist. Zum Aufenthalt in Antiocheia siehe noch Downey, Antioch 166, der mit dem Besuch eine neue, mit dem Jahre 20 einsetzende Münzserie mit Kaiserbildnis in Zusammenhang brachte. Die Beantwortung der Frage, wann Augustus in Syrien eingetroffen ist, hängt davon ab, ob er die Feldzeichen von den Parthern am 12. Mai 20 (zum Datum siehe Gardt-

Augustus

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hausen II 476 f.) persönlich in Empfang nahm oder nicht. Die Mehrzahl der Quellen (z. B. Dio 54,8,1; Vell. Pat. 2,91; Suet. Aug. 21; Strabo 16,1,28) nennen zwar Augustus als Empfänger, erklären sich jedoch nicht eindeutig, ob die parthischen Gesandten Augustus direkt angetroffen haben, oder ob Augustus die Feldzeichen erst später, d. h. aus zweiter Hand empfangen hat. Nur Sueton (Tib. 9,1) nennt Tiberius als Empfanger, femer weiß Sueton (Tib. 14,3) als (erstes) Marschziel des Tiberius Syrien zu nennen. Zuletzt haben sich B. Krämer, Historia 22,1973,362 f. und B. Levick, Tiberius 26, 234 Anm. 38, entschieden gegen die Übernahme der Feldzeichen durch Tiberius ausgesprochen, da Velleius eine solche Ruhmestat sicher nicht verschwiegen hätte. Da der zeitliche Ablauf der Armenienexpedition des Tiberius völlig im dunkeln liegt, läßt sich hier Sicheres nicht sagen. - Velleius berichtet (2,94,4), daß nach dem Einmarsch in Armenien und der Einsetzung des Tigranes durch Tiberius der Partherkönig territus liberos suos ad Caesarem misit obsides. Durch Strabo (16,1,28) wissen wir aber genau, daß nicht Augustus als erster die vornehmen Geiseln in Empfang nahm, sondern der damalige syrische Statthalter M. Titius. In ähnlich unverbindlicher Form wie Velleius können die Quellen auch die Rückgabe der römischen Feldzeichen „an Augustus" erwähnt haben. Sollte Augustus bis zum Ende des Winters in Samos geblieben und dann Asia und Bithynia besucht haben, erscheint eine Anwesenheit in Syrien bereits Anfang Mai kaum möglich. Die Übergabe der Feldzeichen wird der Partherkönig sehr wahrscheinlich bereits auf die Kunde vom Herannahen der Armee des Tiberius und von den Reiseplänen des Augustus für Syrien vollzogen haben, und zwar an den syrischen Statthalter, bevor Augustus selbst in Syrien eingetroffen war. Den letzten Aufenthalt des Augustus auf Samos im Winter 20/19 und die damals getroffenen Vergünstigungen für die Insel hat P. Herrmann einer eingehenden Prüfung unterzogen anläßlich der Publikation eines sehr fragmentarisch erhaltenen Ediktes des Augustus, das sich in den Zeitraum Juli/September 19 datieren läßt und vielleicht noch auf die Anwesenheit des Kaisers im Juli des Jahres hindeutet (MDAI [A] 75,1960,84 ff. = Sherk, Documents 321 f. Nr. 62). Gute Gründe sprechen dafür, das Ehrendekret IG II/IIF 1071 = G. A. Stamires, Hesperia 26,1957,260 ff. Nr. 98 für Augustus in zeitliche Nähe zum Aufenthalt des Kaisers in Athen im Jahre 19 zu setzen. Diese, bereits von Stamires (263) befürwortete Datierung wird neuerdings von R. M. Schneider vor allem aufgrund der aus der Inschrift evidenten engen Verbindung von Augustus mit Apollon Boedromios gestützt (Bunte Barbaren [Anm. 427] 82ff.; 87). Zum Aufbruch nach Gallien 16 v. Chr. siehe Dio 54,19,1 f. (hier werden Querelen in Rom als eigentlicher Grund der Reise genannt, vgl. S. 20); 54,20,4-6; Vell. Pat. 2,97,1; Suet. Aug. 23,1 (maioris infamiae quam detrimenti über die Niederlage des Lollius). Dazu E. Groag, RE 13 (1927), 1382 ff.; D. Timpe, Zur Geschichte der Rheingrenze zwischen Caesar und Drusus, in: Monumentum Chiloniense (Festschr. E. Burck), 1975,140; K. Christ, Zur augusteischen Germanienpolitik, Chiron 7,1977,185 f., hat die Niederlage überzeugend in das Jahr 16 datiert. Über den Ablauf von Augustus' Reisetätigkeit im Westen ist nichts Genaues zu ermitteln. Dio begnügt sich in der Regel mit allgemeinen Formulierungen und nennt speziell nur die Gründung von Städten. Offenbar hat der Kaiser Rundreisen unternommen und die Winter in Lugdunum verbracht. Einen Überblick über die politische Situation in Gallien und Augustus' Reisen gibt S. Lewuillon, ANRW II 4 (1975),

162

Das Itinerar

500 ff.; vgl. O. Hirschfeld, Kleine Schriften (1913), 112 ff. - Die von Seneca (de dem. 1,9 ff.) überlieferte Episode, nach der dem bereits betagten Augustus (senex Augustus: 1,11,1) während eines Gallienaufenthaltes ein Attentatsplan hinterbracht wurde, er aber auf Zureden seiner Gattin Livia den Attentäter schonte, läßt sich einem bestimmten Aufenthalt nicht zuweisen. Die Handschriften überliefern cum annum quadragesimum transisset (dies würde dann für die Gallienreise der Jahre 16-13 sprechen), von den Editoren wird jedoch durchweg sexagesimum konjiziert (d. h. nach dem Jahre 3 v. Chr.). Der letzte Gallienaufenthalt fiel jedoch in das Jahr 8 v. Chr. Dio (55,14-22) berichtet von dem Komplott unter den Ereignissen des Jahres 4 n. Chr., vgl. dazu F. Miliar, A Study of Cassius Dio (1964), 78 f. ; siehe auch Anm. 347. Über die jeweiligen Aufenthaltsorte des Kaisers in Oberitalien ist keine völlige Klarheit zu gewinnen. Sueton (Aug. 20) nennt explizit Mediolanium, Aquileia, Ravenna, aus Dio (55,34,3) kennen wir noch Ariminum. Der erste bekannte Aufenthalt in Aquileia und der von Josephus überlieferte Besuch des Herodes in dieser Stadt bei Augustus wird in Anlehnung an Gardthausens Argumentation (II668 f.) in das Jahr 12 v. Chr. datiert (so auch G. Vermes - F. Miliar in E. Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ I [1973], 293). Die Reisen der Jahre 11 bis 9 sind wohl folgendermaßen zu ordnen: Nach Dio (54,36,2) schickte Augustus den Tiberius von Gallien aus gegen die Dalmater und Daker; letztere hatten die zugefrorene Donau zu einem Einfall in Pannonien genutzt, also im Winter 11/10; der Kaiser muß Rom folglich noch im Jahre 11 verlassen haben. Im Jahre 10 (Herbst?) kehrte Augustus mit Tiberius und Drusus nach Rom zurück (Dio 54,36,4). Offenbar hatte man sich in Aquileia getroffen, wo Tiberius während seines Feldzuges seine Gattin Iulia zurückgelassen hatte, die dort einen Sohn gebar (Suet. Tib. 7,3). Für das Jahr 9 weiß Dio nichts explizit von einer Anwesenheit des Augustus in Gallien, was Gardthausen (etwas konfus I 1088 und II 905 f.) und E. Koestermann (Cornelius Tacitus, Annalen I [1963], 424) voraussetzen. Freilich könnte Dios Notiz, daß Augustus sehr bald von der Krankheit des Drusus erfuhr, da er nicht weit entfernt weilte (55,2,1) auf einen erneuten Aufenthalt in Gallien (Lugdunum) hindeuten. Dem steht aber das Zeugnis des Tacitus (ann. 3,5,1) entgegen [Augustum] quippe asperrimo hiemis Ticinum usque progressum, das wohl nur so gedeutet werden kann, daß der Kaiser von Rom aus nach Ticinum aufbrach. Offenbar hatte Augustus mit Tiberius und Drusus ein Zusammentreffen in Ticinum geplant, wo sich Tiberius bereits eingefunden hatte (Val. Max. 5,5,3), als er von der Erkrankung des Drusus erfuhr, und von wo er schleunigst an den Rhein eilte (Drusus starb im Spätsommer oder Frühherbst des Jahres 9; siehe H. Bellen, RGZM 31,1984,387). Augustus könnte zusammen mit Tiberius in Ticinum auf Drusus gewartet haben, so daß Dios Worte auf diesen Ort bezogen werden müßten; nach der Abreise des Tiberius ist er vielleicht nach Rom zurückgekehrt und später mit Livia dem Leichenzug bis Ticinum entgegengezogen (Sen. ad Marc, de cons. 3,2).

Agrippa

163

AGRIPPA 23 Aufbruch in den Osten

Dio 53,32,1; los. ant. lud. 15,10,2. Abreise von Rom spätestens im Juni, bevor Augustus seinen Konsulat niederlegte, wovon Dio gleich anschließend (32,4) berichtet (S. Jameson, Historia 18,1969,219).

Ständiger Aufenthaltsort war Mytilene auf Lesbos

Suet. Aug. 66,3; Tib. 10,1; Tac. ann. 14,53,3; Vell. Pat. 2,93,2. Reinhold 84 f., Magie 1330 f. Besuch des Herodes in Mytilene, wahrscheinlich Winter 23/22 (los. ant. lud. 15,10,2 f.), siehe Reinhold 84.

Anfang 21 Rückkehr über Sizilien

Dio 54,6,4 f.; 11,1 (auf Sizilien traf er noch Augustus an).

Wohl Frühjahr 21 Rückkehr nach Rom

Dio 54,6,5; 11,1.

20 Aufbruch nach Gallien

Dio 54,11,1 f. (Unruhen unter den gallischen Völkern), siehe Kommentar.

19 Kriegsführung in Spanien gegen die Kantabrer

Dio 54,11,1 ff. ; Vell. Pat. 2,90,1 ; Hör. ep. 1,12,26.

(- in Emerita Augusta ?)

Siehe Kommentar.

Ende 19 oder Anfang 18 Rückkehr nach Rom

Siehe Kommentar.

Ende 17 oder Anfang 16 Aufbruch in den Osten

Dio 54,19,6. Abreise von Rom jedenfalls vor Sommer 16, siehe Kommentar.

Frühjahr/Sommer 16(?) Reise über Griechenland (Korinth, Sparta) zum Hellespont, in Lampsakos und Kyzikos

Siehe im einzelnen Kommentar.

Winter 16/15 wohl in Mytilene

los. ant. lud. 16,2,1 f.

15 Reise nach Syrien und Iudaea - Antiocheia

Siehe Downey, Antioch 171 f. zu der von Malalas überlieferten Bautätigkeit.

Berytus

Verstärkung der Kolonie durch zwei Legionen: Strabo 16,2,19; Euseb./Hieron. chron. p. 166 (Helm); siehe Reinhold 110 f. und Roddaz 433.

- Sebaste, Caesarea ad mare, Alexandreion, Herodeion, Hyrkania, Jerusalem

los. ant. lud. 16,2,1. Philo leg. ad Gaium 291 (Jerusalem).

Rückkehr zu Schiff nach Ionien Winter 15/14 auf Lesbos

los. a. O.

Frühjahr 14 Reise zu Schiff durch den Bosporus bis Sinope und Amisos

los. ant. lud. 16,2,2; Dio 54,24,5; Jacoby, FGrH II A 421 f. - Magie, Roman Rule 477 ff., 1340 f.; Roddaz 465 ff.

Rückreise durch Paphlagonien, Kappadokien, Großphrygien nach Ephesos, von dort nach Samos und Lesbos

los. ant. lud. 16,2,2. In Samos Rede des Nikolaos v. Damaskus zugunsten der Juden: los. ant. lud. 16,2,5; zum Text siehe Reinhold 122 Anm. 89.

164

Das Itinerar

Winter 14/13 auf Lesbos 13 Rückkehr nach Rom

los. ant. lud. 16,3,3 ; Dio 54,28,1.

Anfang 12 in Pannonien, Rückkehr nach Kampanien, wo er zwischen dem 19./24. März 12 starb.

Dio 54,28,2 ff. Reinhold 125 f. ; Roddaz 483.

Über die Reisen des Agrippa erschien schon bald nach Gardthausens Augustusmonographie eine kurze Abhandlung von D. Magie, The Mission of Agrippa to the Orient in 23 B. C , CPh 3,1908,145 ff, die allerdings bald ersetzt wurde durch die Monographie von M. Reinhold, Marcus Agrippa (1933). Auch der Artikel von R. Hanslik, RE 9 A (1961), 1226 ff., geht über Reinhold kaum hinaus. Ergänzend für den Osten sind die Ausführungen Magies, Roman Rule 1330 f., 1339 f. Alle älteren Forschungsergebnisse faßt jetzt die neue Biographie von J.-M. Roddaz, Marcus Agrippa (1984), zusammen. Zum Charakter von Agrippas Stellung im Osten ist trotz neuerer Abhandlungen immer noch maßgebend K. Bringmann (Anm. 56). Dio (54,11,1) berichtet über Agrippas Tätigkeit in Gallien erst zum Jahre 19, die Abreise aus Rom erfolgte aber wahrscheinlich schon vor dem Ende des Jahres 20, da wie Reinhold 88 Anm. 70 richtig feststellte - es zu Beginn des Jahres 19 wieder zu Streitigkeiten über die Beamtenwahlen kam (Dio 54,10,1 f.), die im Falle einer Anwesenheit Agrippas in Rom sicher nicht vorgekommen wären. Hinsichtlich der in ihrer Datierung umstrittenen Einzelmaßnahmen in Gallien sei verwiesen auf H. v. Petrikovits, Die Rheinlande in römischer Zeit 308, und Roddaz 384 ff.; hier sind zu nennen der Straßenbau von Lugdunum aus zum Atlantik, zur Kanalküste und zum Rhein (Strabo 4,6,11) und die Bautätigkeit in den Städten Nemausus und Glanum, siehe jetzt Roddaz 396 ff. Außerhalb der Kriegsführung liegende Tätigkeiten des Agrippa in Spanien sind nur indirekt und folglich nicht zweifelsfrei zu erschließen. Der Theaterbau in Emerita Augusta, der 16/15 eingeweiht wurde (ILS 130), dürfte auf einen Besuch in der Stadt zurückgehen, siehe J. A. Sâenz de Buruaga, in: Aetas del simposio ,E1 teatro en la Hispania romana4 (1982), 303 ff, und Roddaz 416 f. mit Literatur. Unsichere Zeugnisse für eine Reise in die Baetica bleiben die Ehrungen als patronus (CIL II 1527 in Ulia) und patronus et parens (Münzen aus Gades, siehe Roddaz 604 f.); zu diesem Problem und zu einem möglichen Aufenthalt in Carthago Nova siehe außer Roddaz 412 ff. noch die Ausführungen M. Kochs zu einer fragmentarischen Ehreninschrift für Agrippa aus Carthago Nova, Chiron 9,1979,205 ff. (AE 1979, 366). - Das Datum der Rückreise liegt im dunkeln. Zur Inbetriebnahme der auf seine Kosten errichteten Wasserleitung, der aqua Virgo, am 9. Juni 19 (Frontin. 10; Dio 54,11,7) dürfte Agrippa angesichts der schweren Kriegsiuhrung in Spanien nicht nach Rom zurückgekehrt sein. Seine Anwesenheit daselbst ist allerdings spätestens zum Zeitpunkt der Übertragung der tribunicia potestas um die Mitte des Jahres 18 vorauszusetzen. Das Datum von Agrippas zweiter Abreise in den Osten läßt sich nur grob eingrenzen zwischen Juni 17 (Pighi, De ludis saecularibus2 [1965], 107 ff.) und dem Aufbruch des Augustus nach Gallien im Sommer 16, da Agrippa sich damals bereits auf dem Wege nach Syrien befand (Dio 54,19,6). Bis zu seiner Ankunft daselbst im Jahr 15 liegen uns keine literarischen Zeugnisse über seine Reisetätigkeit vor, so daß man auch

Agrippa

165

in diesem Fall versucht hat, mit Hilfe numismatischer und epigraphischer Quellen die Reiseroute zu rekonstruieren. Im einzelnen sei verwiesen auf Reinhold 106 ff. und Roddaz 422 ff. ; alle Zeugnisse sind jedoch undatiert und folglich ist keines mit letzter Sicherheit mit einem Besuch in Verbindung zu bringen (vgl. noch PIR2 J 634). Die aussagekräftigsten Belege stammen aus Korinth, das eine Tribus nach Agrippa benannt hat (Corinth VIII2,90 Nr. 10; vgl. ebd. 14 f. Nr. 16), und aus Sparta, wo C. Iulius Eurycles Münzbilder des Agrippa prägen ließ (S. Grünauer - v. Hoerschelmann, Die Münzprägung der Lakedaimonier [1978], 70 f.). Zu dem jüdischen Kultverein der Agrippiastai, für den sich bisher in Sparta (CIL III 494 = IG V 1, 374) und Smyrna (H. W. Pieket, Greek Inscr. Mus. Leyden 11 Nr. 5) ein Beleg gefunden hat, siehe Pieket a.0.12 f. Es bleibt offen, ob seine Bildung auf den Besuch Agrippas in der betreffenden Stadt oder auf zu einem anderen Zeitpunkt erwiesene Gunstbeweise zurückgeht. Die Deduktion der Kolonie in Patrai dürfte ebenfalls mit Agrippas Aufenthalt in Griechenland im Zusammenhang stehen; sie fand entweder im Jahre 16 oder 14 statt (siehe die Diskussion bei E. Meyer, RE 18,4 [1949], 2209 f.). Von Griechenland aus hat sich Agrippa offensichtlich in die Gegend am Hellespont begeben; die Halbinsel Chersones bildete seinen Privatbesitz: Dio 54,29,5. In Kyzikos kaufte er zwei Gemälde (Plin. n.h. 35,26) und nahm aus Lampsakos den Löwen des Lysipp mit (Strabo 13,1,19), woraus man auf einen Besuch dieser Städte schließen darf (Reinhold 109; Magie, Roman Rule 1339). Kyzikos erhielt damals oder kurz nachher auf Fürsprache der Antonia Tryphaina durch Agrippa seine Freiheit zurück (SIG3 799 = IGR IV 146, Z. 7 f.; vgl. Dio 54,23,7, der diesen Akt in das Jahr 15 datiert und dem Augustus zuschreibt, siehe aber Reinhold 109 Anm. 27). Den Winter 16/15 dürfte Agrippa auf Lesbos verbracht haben, in Parallele zum ersten Aufenthalt im Osten und angesichts der besonders engen Bindung der Insel zu Agrippa und seiner Familie (siehe Pieket a. 0.17 und Roddaz 424 mit Aufzählung der ihm und Iulia dedizierten Inschriften). Herodes, der ihm gleich bei seiner Ankunft in Asia seine Aufwartung gemacht hatte, hoffte, ihn im Frühjahr 14 hier als erstes zu finden, d. h. Lesbos muß das bekannte Winterquartier Agrippas gewesen sein (los. ant. lud. 16,2,1-2). Zahlreiche Ehrungen in Kos (Festspiele Άγρίππηα, Ehreninschriften für ihn und Iulia) machen einen Besuch auf der Insel wahrscheinlich (Magie 1340; ferner AE1954,11 und 1971,461), sie können aber auch mit Agrippas erstem Aufenthalt auf Lesbos oder mit einem Besuch der Iulia im Jahre 14 zusammenhängen. Die von Magie a. O. zusammengestellten Ehrungen im Osten sind durch neuere Bestandsaufnahmen ergänzt worden, die P. Herrmann (MDAI [A] 75,1960,77 f., 106) anläßlich neuer Inschriften aus Samos und A. Balland (Fouilles de Xanthos VII [1981], 45 ff.) aus Xanthos vorgelegt haben. Die Datierung von Agrippas Aufenthalt in Syrien ist gesichert durch Iosephus, der den Aufenthalt in Iudaea dem Jahre, in dem Agrippa nach Sinope reiste und welches das Jahr 14 war (Dio 54,24,4 ff.), unmittelbar vorausgehen läßt. Ausführlich sind wir durch Iosephus (ant. lud. 16,2,1) über die Reise durch Iudaea unterrichtet, die in die zweite Jahreshälfte 15 fallen muß, da sich Agrippa wegen des bevorstehenden Winters beeilte, zu Schiff nach Ionien zurückzukehren. Den Aufenthalt in Amisos bezeugt Nikolaos von Damaskus in seiner Autobiographie (Jacoby, FGrH IIA 421 f.), wohin eine Gesandtschaft aus Ilion nachreiste, welche

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Das Itinerar

Stadt Agrippa mit 100 000 Silberdrachmen bestraft hatte, da seine Gattin Iulia bei einem Besuch der Stadt im Jahre 14 beinahe in den Fluten des Skamander ertrunken wäre (los. ant. lud. 16,2,2 und SIG3 776 = IGR IV 204 = Ivllion 86). Zu den zahlreichen Ehreninschriften für Iulia, die im Jahre 14 offenbar alleine das westliche Kleinasien und die Inseln bereiste, siehe Reinhold 117 und PIR2 J 634. Weitere Einzelregelungen Agrippas, wie zugunsten der Stadt Eresos auf Lesbos (Sherk, Documents 325 ff.), das Eintreten für die Juden in Ephesos und Kyrene (los. ant. lud. 16,6,2-4) und das Schreiben an die Gerousie von Argos (Sherk 323 f.) lassen sich nicht auf ein bestimmtes Jahr seines Aufenthaltes im Osten datieren; siehe auch Roddaz427ff.

C. CAESAR 29. Jan. 1 v. Chr. Abreise Richtung Osten

Inscr. It. XIII 2,117; richtig ergänzt und erklärt von P. Herz, ZPE 39,1980,285 ff. Dio 55,10,18 f.

Wohl über Athen nach Samos (oder Chios?)

Suet. Tib. 12,2; Dio 55,10,19; Vell. Pat. 2,101,1. Siehe Kommentar.

Winter 1 v./ 1 η. Chr. in Sa­ mos (?) 1 n. Chr. in Syrien

Dio 55,10 a,4.

- Expedition nach Arabien, wohl von Ägypten aus

Plin.n.h. 2,168; 6,141,160.

2. Hälfte 2 n. Chr. Einmarsch in Armenien

Dio 55,10 a,5; Vell. Pat. 2,102,2; Flor. 2,32; Sen. ad Polyb. 15,4.

Am 9. Sept. 3 vor Artagira verwundet

Inscr. It. XIII 1,245.

Anfang 4 Rückreise zur See nach Italien, Tod am 21. Febr. 4 in Limyra (Lykien)

Dio 55,10,8 f.; Vell. Pat. 2,102,3; Tac. ann. 1,3,3. Das Datum im Dekret aus Pisa (siehe Kommentar) und Inscr. It. XIII1,245,257 f.

Die Ausführungen von F. E. Romer, A Numismatic Date for the Departure of C. Caesar? TAPhA 108,1978,187 ff, der die Abreise in den Osten in das Jahr 2 v. Chr. datierte, sind durch die Ergänzung des Fragmentes der Fasti Praenestini durch P. Herz größtenteils hinfällig. Steht die von Romer in das Jahr 2 v. Chr. datierte Münzserie (BMC Emp. 1498-502) tatsächlich mit der Abreise des C. Caesar im Zusammenhang, so ist eher an die Reise zu den auf dem Balkan stationierten Legionen zu denken (Dio 55,10,17); diese ist allerdings, da das Dioexzerpt keine genaueren Zusammenhänge bietet, in ihrer Datierung umstritten, siehe Gardthausen, Augustus II 730; R. Syme, History in Ovid (1978), 10. Zum Geltungsbereich von Gaius' Imperium siehe D. Hennig, Chiron 2,1972,356 ff. Der Anreiseweg nach Syrien läßt sich nur ungefähr rekonstruieren. Die seinem Begleiter M. Lollius in Athen gewidmeten Ehreninschriften (IG II/III 2 4139, 4140) sind offenbar mit dieser Reise in Verbindung zu bringen und zeigen an, daß die Route, wie üblich, über Griechenland nach Westklein-

C. Caesar

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asien führte. Gaius' Ehrung in Athen als ,Neuer Ares4 (Hesperia 16,1947,68 f.) hat G. W. Bowersock, Augustus and the East (Anm. 36) 172 f., in einen größeren politischpropagandistischen Zusammenhang gestellt und mit dem Aufenthalt in Verbindung gebracht. In Samos (Sueton) oder Chios (Dio) ist er mit Tiberius zusammengetroffen; Magie, Roman Rule 1343 entschied sich für Samos. Möglicherweise hat Gaius - an Augustus anknüpfend - in Samos sein Winterquartier 1 v./ 1 η. Chr. genommen. Dio (55,10 a,4: τον Γάιον ëv τε xfj Συρίςι οντά και ύπατεύοντα) besagt nicht unbedingt, daß er sein Konsulat 1 n. Chr. in Syrien angetreten hat, sondern lediglich, daß er während seines Konsulates dort weilte. - Zu den zahlreichen Ehrungen in den asiatischen Städten (Stephanephor in Milet und Herakleia am Latmos 1/2 n. Chr., Kulte und Ehreninschriften) siehe Magie, Roman Rule 1343, und A. Bailand, Xanthos 48 ff. (erste bekannte Statuenbasis aus Lykien). Aus keiner der Inschriften läßt sich allerdings ein Besuch einer der Orte herauslesen, auch nicht aus der Ehrung in Assos als prineeps iuventutis (IGR IV 248 = IvAssos 13), wie dies Romer 202 tat. Wahrscheinlich während seines Aufenthaltes in der Ägäis hat die Gesandtschaft der Stadt Halikarnassos seinen comesM. Lollius erreicht (IBM 893). Über die Einzelheiten von Gaius' Tätigkeiten an der östlichen Reichsgrenze und deren Datierung ist in jüngster Zeit eine lebhafte Diskussion entstanden. Die dürftigen und verstreuten literarischen Zeugnisse werden ergänzt durch die beiden anläßlich des Todes von C. und L. Caesar verfaßten Dekrete aus Pisa (CIL XI 1420-21 = ILS 139-40, neu ediert und kommentiert von A. R Marotta d'Agata, Decreta Pisana, 1980), und eine neuere Inschrift aus Messene (SEG 23,206 = AE 1967,458), in der von den Opferfeiern vermutlich aus Anlaß der gelungenen expeditio Arabica die Rede ist. Zur Datierung (1 n. Chr.) und zum Charakter des Unternehmens (nördlich des Golfes von Aqaba) siehe J. E. G. Zetzel, New Light on Gaius Caesar's Eastern Campaign, GRBS 11,1970,259 ff; G. W. Bowersock, A Report on Provincia Arabia, JRS 61,1971,227 f.; T. D. Barnes, The Victories of Augustus, JRS 64,1974,22 f. und P. Herz, in: J. Ganzert, Das Kenotaph für Gaius Caesar in Limyra (1984), 118 ff. Die Bewegungen im einzelnen bleiben unklar. An Iudaea fuhr er vorbei, ohne in Jerusalem zu opfern (Suet. Aug. 93). Die Unterredung mit dem Partherkönig am Euphrat (Vell. Pat. 2,101) fand vielleicht in der ersten Hälfte des Jahres 2 n. Chr. statt, siehe Gardthausen II752. Der Krieg gegen Armenien begann frühestens im Herbst 2, da ihn die Nachricht vom Tode seines Bruders Lucius (gestorben am 20. August 2) während der Vorbereitungen erreichte (Sen. ad Polyb. 15,4; vgl. Dio 55,10 a,5). Das Kenotaph in seinem Sterbeort Limyra hat J. Borchhardt gefunden (Jdl 89,1974,217 ff), siehe jetzt J. Ganzert a. O. Eine Gesamtwürdigung seiner Tätigkeit findet sich zuletzt bei F. E. Romer, Gaius Caesar's Military Diplomacy in the East, TAPhA 109,1979,199 ff. Spezifische Angaben über die Reisetätigkeit des Drusus und Tiberius außerhalb ihrer Kriegsführung haben sich kaum erhalten. Nachdem Drusus im Jahre 13 das Oberkommando in Gallien erhalten hatte (Dio 54,25,1), weihte er am 1. August 12 in Lugdunum die ara Romae et Augusti éin (Dio 54,32,1; Liv. per. 137; Suet. Claud. 2,1; siehe A. J. Christopherson, Historia 17, 1968, 351 ff.) und führte einen Census durch

168

Das Itinerar

(Liv. per. 136, 137). Lugdunum scheint das Hauptquartier und der Sitz der Familie geblieben zu sein, da Claudius im Jahre 10 dort geboren wurde (Suet. a. O.; Sen. apocol. 6). Zu den Aufenthalten beider Prinzen im Legionslager Mogontiacum siehe L. Schumacher, Römische Kaiser in Mainz 6 f. Hinsichtlich von Tiberius' Reisetätigkeit im Osten bleibt festzuhalten, daß - wie Agrippa Lesbos und Augustus Samos - er sich Rhodos als bevorzugtes Quartier ausgesucht hat (Gardthausen I 811 f.). Auf der Rückkehr von seiner armenischen Expedition im Jahre 20 hatte er auf Rhodos Station gemacht amoenitate et salubritate insulae iam inde captus (Suet. Tib. 11,1) und hörte dort den Rhetor Theodoras von Gadara (Quint, inst. or. 3,1,17); später weilte er dort bekanntlich während der fünf Jahre (4 v.-2 n. Chr.) seines freiwilligen Exils; zu einzelnen Episoden seines damaligen Aufenthaltes siehe Gardthausen I 1109 f. und M. Geizer, RE 10 (1918), 485 ff. Die Gründung des Vereins der ΔιονυσιασταΙ Νερωνιανοί in Lindos möchte H. Blinckenberg (Lindos II. Inscriptions [1941], 391-92) auf Tiberius und dessen Aufenthalt in Rhodos zurückführen; siehe S. 165 zu den Άγριππιασταί. Nach Antritt des Oberkommandos in Gallien im Jahre 4 hat Tiberius, wie wir aus Velleius Paterculus (2,104,4) wissen, eine Rundreise durch Gallien unternommen. Zwei epigraphische Zeugnisse, die nicht vor das Jahr 4 datiert werden können, legen zwei Stationen wahrscheinlich dieser, von Velleius erwähnten Reise fest: Die Kopie eines Briefes des Tiberius an die Stadt Aizanoi in Phrygien ist ausgestellt in Bononia an der Kanalküste (ILS 9463 = IGR IV 1969; siehe L. Robert, Bull, épigr. 1949 Nr. 181), in Bagacum Nerviorum (Bavai) hat sich eine dem Tiberius dedizierte Weihinschrift erhalten adventui eius sacrum (CIL XIII3570 = ILS 8898).

GERMANICUS (im Osten) Herbst 17 Abreise aus Rom Reise über die Adria nach Dalmatien

Tac. ann. 2,53,1; in Dalmatien Zusammenkunft mit seinem Bruder Drusus.

Reise zu Schiff durch das Ionische Meer nach Nicopolis, dort am 1. Jan. 18 Antritt des Konsulates

Tac. ann. 2,53,1-2; Suet. Cal. 1,2.

Über Athen und Euboia nach Lesbos

Tac. ann. 2,54,1. Auf Lesbos gebar Agrippina ihr letztes Kind, Iulia Livilla, wahrscheinlich Anfang 18 (P. Herz, BJ 181,1981,102 f.). Zur dortigen Münzprägung siehe W. Trillmich, Familienpropaganda der Kaiser Caligula und Claudius (1978), 116 ff.

Über das nordwestliche Kleinasien (extrema Asiae, Landung in Assos) nach Perinthos, Byzantium und anderen thrakischen Städten, durch Dardanellen und Bosporus ins Schwarze Meer

Tac. ann. 2,54,1 ; Ι ν Assos 26 Z. 15.

Germanicus

169

Rückkehr in die Ägäis mit Kurs auf Samothrake, jedoch Landung in der Troas und Besuch von Ilion

Tac. ann. 2,54,2.

Küstenfahrt nach Süden, Landung bei Kolophon und Besuch des Apollonorakels in Klaros

Tac. ann. 2,54,2-3.

Über Rhodos, wo ihn Piso traf, wohl zur See nach Syrien, von dort nach Armenien, wo er in Artaxata einen neuen König einsetzte

Tac. ann. 2,55,3; 56,3.

Ordnung der neuen Provinzen Kappadokien und Kommagene

Tac. ann. 2,56,4.

Winter 18/19 in Kyrrhos

Tac. ann. 2,57,2; siehe Kommentar.

Wahrscheinlich Jan. 19 Ankunft in Alexandreia

Tac. ann. 2,59; Suet. Tib. 52,2. P. Oxy. 2435 (Weingärtner 73 ff.), P. Germ. (Weingärtner 108 ff., 124 ff.), Ostr. Louvre 9004 (25. Jan. 19). CIL III 12047 - XII 406 = ILS 175 (add. p. CLXX; Weingärtner 119 ff.).

Von Kanopos aus Reise nilaufwärts über Memphis (Serapeion, Pyramiden, Moeris-See) und Theben bis Elephantine und Syene

Tac. ann. 2,60-61. Germanicus und Apis-Stier: Plin. n.h. 8, 71,185; Solin. coli. rer. mem. 32,19 [Mommsen]; Amm. Marc. 22,14,8. - Zum Datum der Nilreise (Februar/März 19) siehe Weingärtner 64 ff.

Rückkehr nach Syrien im Frühjahr 19, gestorben am 10. Okt. 19 in Daphne bei Antiocheia

Tac. ann. 2,69,1; 72,2. Dio 57,18,9; Suet. Cal. 1,2; los. ant. lud. 18,2,5. Inscr. It. XIII2,209.

Die Orientreise des Germanicus ist dank der Erzählung des Tacitus die am besten dokumentierte Reise eines römischen Herrschers überhaupt. An neuerer Literatur sind zu nennen H. Koestermann, Die Mission des Germanicus im Orient, Historia 7,1958,331 ff., und die Monographie von W. F. Akfeld, Germanicus (1961), bes. 84 ff. Den bei Tacitus genannten Stationen der Reise ist nur Weniges hinzuzufügen. Die aufgrund von Germanicus' Popularität im griechischen Osten zahlreichen Ehrungen machen es schwer, im Einzelfall auf einen Aufenthalt in der betreffenden Stadt zu schließen; das Quellenmaterial findet sich bei Magie, Roman Rule 1356 f. und PIR2 J 221 (p. 182); zu zwei Ehrungen in Patrai siehe H. Solin, ZPE 41,1981,207 f., zu Samos siehe P. Herrmann, MDAI (A) 75,1960,115. Die Stadt Assos in der Troas erinnert Caligula im Jahre 37 daran, daß er hier zusammen mit seinem Vater Germanicus zum erstenmal den Boden der Provinz Asia betreten habe (SIG3 797 = IGR IV 251 = IvAssos 26). Dies kann nur zu dem Zeitpunkt geschehen sein, als Germanicus von Lesbos kommend nach Perinthos und Byzantium reiste und dabei die extrema Asiae (Tac. ann. 2,54,1) berührte, womit der „äußerste" nordwestliche Teil der Provinz gemeint sein muß (falsch hier Akfeld 86). Hinsichtlich der während seines Winteraufenthaltes in Syrien (18/19) getroffenen Regelungen gehen unsere Kenntnisse über das von Tacitus Mitgeteilte hinaus; er

170

Das Itinerar

erwähnt nur die Gesandtschaft des Partherkönigs Artabanos (ann. 2,58). Hinzuweisen ist auf ein Schreiben des Germanicus bezüglich der Zolltarife Palmyras (OGIS 629, Z. 154 = IGR III 1056, IV a Ζ. 42; siehe Η. Seyrig, Syria 13,1932,255 ff.) und eine Gesandtschaft an den parthischen Vasallenstaat Mesene (Charakene) am Persischen Golf und an den König Samsigeramus von Emesa, mit der er einen palmyrenischen Kaufmann betraut hat (J. Cantineau, Syria 12,1931,139 Nr. 18). - Außer in Kyrrhos wird sich Germanicus auch in Antiocheia aufgehalten haben, siehe Downey, Antioch 175,190. Das gesamte Quellenmaterial zur Ägyptenreise ist dank der Untersuchung von D. G. Weingärtner, Die Ägyptenreise des Germanicus (1969), gut aufgearbeitet und interpretiert worden. Zum Problem von Germanicus' Imperium über Ägypten und seinen Reisemotiven siehe D. Hennig, Zur Ägyptenreise des Germanicus, Chiron 2,1972,349 ff., vgl. auch Α. Κ Bowman, JRS 66,1976,157. Die Reise nach Ägypten erfolgte vermutlich zur See, wobei Germanicus direkt in Alexandreia landete; das von Tacitus (ann. 2,57,4) erwähnte convivium mit dem Nabatäerkönig Aretas IV. fand aus diesem Grunde sicher auf syrischem Boden, nicht in dessen Hoheitsgebiet statt. Zur Chronologie der Ägyptenreise und den einzelnen, nur aus Tacitus (ann. 2,60-61) bekannten Stationen siehe Weingärtner 64 ff., 122 ff.

CALIGULA Sommer 38 Reise über Kampanien nach Sizilien (Syrakus)

Suet. Cal. 24,2; vgl. 20 f., 51. Zum Datum siehe Kommentar.

Sept. / Anf. Oktober 39 Reise über die via Flaminia (Mevania) Richtung Obergermanien

Suet. Cal. 43 ; Dio 59,21,1 f. ; Orosius 7,5,5.

Ende 39 wohl in Mainz und Vorstoß über den Rhein

Suet. Cal. 44 f. ; 51,2 f. ; Galba 6,2 f. ; Dio 59,21,2 f. ; siehe Kommentar.

Winter 39/40 in Lugdunum, wo er am 1. Jan. 40 seinen Konsulat antrat

Suet. Cal. 17,1; vgl. 20 und Dio 59,22,1; 25. luv. 1,43 f. (Spiele);Suet. Cal. 39,1 (Aufwand).

Frühjahr 40 in Niedergermanien und an der Kanalküste

Suet. Cal. 46; Dio 59,21,3; Tac. Agr. 13,4; Aur. Vict. Caes. 3,11. AAWW 111, 1974,439 ff. = AE 1977, 808 (Bull. ep. 1976 Nr. 620): Gesandtschaft aus Iulia Gordos άχρι Ρώμης και Γερμανίας και Καίσαρος. Siehe P. Bicknell, Historia 17,1968,456 ff.

Frühsommer 40 Rückkehr nach Italien

Am 31. August 40 Einzug in Rom (Suet. Cal. 49,2); siehe Kommentar.

Nach Syrakus begab sich Caligula aus Trauer um den Tod seiner Schwester Iulia Drusilla, die am 10. Juni 38 gestorben war (Inscr. It. XIII 1, 190, 220). Nach Suetons Worten blieb er nur kurze Zeit dort und kehrte mit ungeschnittenem Haupthaar und Bart nach Rom zurück. Die Rückkehr erfolgte vor der Konsekrierung Drusillas am 23. September 38 (zum Datum siehe P. Herz, BJ 181,1981,101). Der in den Arvalakten

Caligula

171

überlieferte adventus am 28. März 38 (Henzen XLIII) bezieht sich wohl auf die Rückkehr aus Kampanien (Suet. Cal. 14,2; Dio 59,13,7). Ein terminus post quem für seine Abreise nach Germanien ergibt sich daraus, daß er zuvor die amtierenden Suffektkonsuln durch ein neues Paar ersetzt hatte, da sie seinen Geburtstag am 31. August zu feiern vergessen, des Jahrestages des Sieges von Actium am 2. September jedoch über Gebühr gedacht hatten. Nach Sueton (Cal. 43) war der Kaiser zunächst auf der via Flaminia bis Mevania gereist, um den heiligen Hain und Fluß Clitumnus zwecks eines Orakelspruchs aufzusuchen. Dort sind ihm offenbar beunruhigende Nachrichten über eine Verschwörung des obergermanischen Legaten Cn. Cornelius Lentulus Gaetulicus zu Ohren gekommen, woraufhin er eiligst an die Rheinfront aufbrach; siehe J.RV.D. Baisdon, JRS 24,1934,16 f.; H. Bellen, Die germanische Leibwache der römischen Kaiser des julisch-claudischen Hauses (1981), 34 ff. und L. Schumacher, Römische Kaiser in Mainz 17 f. Die Absetzung und Hinrichtung des Gaetulicus (Dio 59,22,5; Suet. Claud. 9,1) ist von Caligula vor Ort in der ersten Oktoberhälfte veranlaßt worden, da die Arvalbrüder in Rom am 27. Oktober eine immolatio ob détecta nefaria Consilia Cn. Lentuli Gaetulici vollzogen (Henzen XLIX) ; sein Onkel Claudius gehörte zu der Gratulationsgesandtschaft, die aus Rom nach Germanien geschickt wurde (Suet. a. O.; nach Dio 59,23,5 schickte Caligula die Mehrheit der Senatsgesandtschaft nach Rom zurück, bevor sie Gallien erreicht hatte). Der chronologische Zusammenhang und der Wortlaut bei Sueton sprechen dafür, daß sich Caligula damals an der Rheinfront und nicht bereits in Lugdunum aufhielt (so Bicknell a. 0.496). Im großen und ganzen schließe ich mich damit der herkömmlichen Auffassung an, die die überstürzte Abreise aus Italien mit der Verschwörung des Gaetulicus in Verbindung bringt; eine andere Meinung vertritt jetzt C. J. Simpson, The Conspiracy' of Α. D. 39, in: C. Deroux (Hg.), Studies in Latin Literature and Roman History II (Coll. Latomus 168), 1980,347 ff., wo auch die neueste Literatur verzeichnet ist. Über Motive, Umfang und Ablauf der Unternehmungen des Caligula am Rhein zu diskutieren ist hier nicht der Ort. Die gewaltigen Truppenkonzentrationen hat E. Ritterling, RE 12 (1925), 1244 ff. einleuchtend mit der Wiederaufnahme der Germanienpolitik seines Vaters Germanicus in Zusammenhang gebracht, siehe im einzelnen Baisdon, The Emperor Gaius (Caligula), 1934, 76 ff. und Schumacher a. O. 23 ff. Der ursprüngliche Plan einer Eroberung Britanniens ist offenbar nach der Verschwörung des Gaetulicus und angesichts der schlechten Kampfmoral der Truppe Ende 39 aufgegeben worden. Die an der Kanalküste überlieferten Episoden hat Bicknell a. O., gestützt auf Sueton, Cassius Dio und vor allem Tacitus (hist. 4,15), als Folgeereignisse eines mißlungenen Feldzuges gegen die Canninefaten am Niederrhein interpretiert. Möglicherweise war sein Erscheinen auch eine Reaktion auf Machtkämpfe, die unter den Stämmen Britanniens stattfanden. Zu Caligulas Aufenthalt in Lugdunum siehe Baisdon, Caligula 86 f., und J. Lasfargues - M. Le Glay, CRAI 1980, 394 ff., die die Einweihung eines lokalen Heiligtums für den Kaiserkult mit dem Aufenthalt in Verbindung bringen möchten. Die in Lugdunum erfolgte Hinrichtung des mauretanischen Königs Ptolemaios (Dio 59,25,1) setzen D. Fishwick und B. D. Shaw, Historia 25,1976,491 ff. in Zusammenhang mit der Verschwörung des Gaetulicus.

172

Das Itinerar

Caligula betrat Rom erst wieder an seinem Geburtstag, dem 31. August, aus Anlaß seiner ovatto (Suet. Cal. 49,2); siehe Baisdon, Caligula 96 und JRS 24,1934,19 ff.; E. M. Smallwood, Philonis Alexandrini legatio ad Gaium (1961), 254 (zu leg. ad Gaium 181). Aufgrund eines Fragmentes der Arvalakten (Henzen LI) hatte man angenommen, Caligula habe sich bereits am 29. Mai 40 in der Nähe Roms aufgehalten, da er an diesem Tag im Hain der Arvalbrüder an der via Campana einer Opferhandlung beiwohnte. E. J. Phillips, Historia 19,1970,370 ff. hat jedoch das Fragment mit guten Gründen dem Jahre 39 zugewiesen.

CLAUDIUS Ca. September (?) 43 Seereise von Ostia über Luna an der ligurischen Küste entlang nach Massilia; Reise durch Gallien bis Gesoriacum, Überfahrt nach Britannien, Vorrücken bis zur Themse

Suet. Claud. 17,1 f.; Dio 60,21,2 f.; Scrib. Largus compos. 163 (Luna).

Nach einem Aufenthalt von 16 Tagen Rückreise zum Festland

Dio 60,23,1.

Winter 43/44 wahrscheinlich in

Siehe Kommentar.

Lugdunum Anfang 44 Rückkehr nach Rom

Dio a. O.

- über Ravenna

Plin. η. h. 3,119.

Zum Britannienfeldzug des Jahres 43 siehe exemplarisch D. R. Dudley - G. Web­ ster, The Roman Conquest of Britain A. D. 43-57 (1965), 55 ff.; S. S. Frère, Britannia2 (1974), 61 ff.; P. Salway, Roman Britain (1981), 65 ff. Zu den Meilensteinen der Straße Arles-Lyon aus dem Jahre 43 siehe G. Walser, Historia 29,1980,446 f. Über den genauen Zeitpunkt von Claudius' Reise nach Britannien existieren keinerlei konkrete Anhaltspunkte. Sueton (Claud. 17,2), Dio (60,23,1) und Orosius (7,6,9) berichten übereinstimmend, daß Claudius sechs Monate lang von Rom abwesend war, von Dio erfahren wir zusätzlich, daß er nur 16 Tage in Britannien weilte. Da seine Rückkehr erst im Jahre 44 erfolgte, fiel seine Abreise frühestens in den Juni 43. Andererseits erwähnt Dio (60,19,3), daß sich die Überfahrt der Expeditionsarmee unter A. Plautius infolge der Furcht der Soldaten, der erst der von Claudius geschickte Narcissus Einhalt gebot, verzögerte (τήν μέν οδν όρμήν χρονίαν δια ταΟτ' έποιήσαντο). Die ersten Operationen des Plautius werden demnach nicht vor dem Hoch­ sommer 43 begonnen haben. Nach einer siegreichen Schlacht und dem Erreichen der Themse hat Plautius dem Claudius Bericht erstattet, woraufhin dieser selbst nach Norden aufbrach (Dio 60,21,2), vermutlich also erst gegen September. Dem entspricht die nur kurze Verweildauer von nur 16 Tagen in Britannien, denn wenn der Aufenthalt bereits im Herbst stattfand, mußte Claudius wegen der fortgeschrittenen Jahreszeit seine Rückkehr nach Gallien beschleunigen (siehe Dudley-Webster 77, Frere 66).

Claudius / Nero

173

Die restlichen Monate seiner Abwesenheit von Rom bis in die ersten Monate des Jahres 44 (März ?) hat Claudius in Gallien verbracht, sehr wahrscheinlich in seiner Geburtsstadt Lugdunum, traditioneller Aufenthaltsort der julisch-claudischen Kaiser und Prinzen in Gallien; siehe jetzt M. Le Glay - A. Audin, Notes d'épigraphie et d'archéologie lyonnaise (1976), 6 ff. (AE 1976,424), die die Denkmäler des Claudius in Lyon analysieren und einen längeren Aufenthalt des Kaisers im Jahre 44 annehmen.

NERO August (?) 66 Abreise aus Rom nach Brundisium

Suet. Nero 19,1 ; Dio 63,8,2; Philostr. v. Apoll. 4,47.

Korkyra

Suet. Nero 23.

Nicopolis(Anf.Sept. ?)

Siehe Kommentar.

Olympia (Okt./Nov. 66)

Suet. Nero 24,2; Philostr. v. Apoll. 5,7.

Am Isthmos von Korinth, wohl November 66

Freiheitserklärung der Griechen: Suet. Nero 24,2; Plut. Flam. 12,8; Paus. 7,17,3. - Dekret aus Akraiphia vom 28. November: SIG3 814 - ILS 8794; zum Jahresdatum siehe Kommentar.

Winter 66/67 in Korinth (?)

Siehe Kommentar.

66 oder 67 Aufenthalt in der Argolis (Lerna, Nemeische und Argivische Spiele), Delphi (Pythia - zweimal), Nicopolis und am Isthmos

Siehe im einzelnen den Kommentar. Zu Lerna siehe Paus. 2,37,5. Vielleicht auch in Thespiai (siehe Kommentar) und im Heraion in der Argolis (Weihgeschenke: Paus. 2,17,6).

Frühherbst (?) 67 Rückreise über Neapel, Antium, Albanum nach Rom

Suet. Nero 25,1 ; zum Datum siehe Kommentar.

Die Griechenlandreise Neros ist nach der älteren ausführlichen Untersuchung von G. Schumann, Hellenistische und griechische Elemente in der Regierung Neros (1930), 65 ff., in jüngster Zeit erschöpfend behandelt worden von P. A. Gallivan, Nero's Liberation of Greece, Hermes 101,1973,230 ff. und K. R. Bradley, Nero's Visit to Greece, Latomus 37,1978,61 ff. Vgl. daneben auch Bradleys Kommentar zu Suetonius' Life of Nero (Coli. Latomus 157), 1978, bes. 139 ff. und E. P. Nicolas, De Néron à Vespasien I (1979), 241 ff. (ausführliche Quellensammlung). Die Abreise nach Griechenland fiel in das Jahr 66 (Dio a. Ο.), und zwar vor den 25. September, an welchem Tag die Arvalbrüder Gelübde pro salute et reditu des Kaisers leisteten (Henzen LXXXIV). Bradley (Nero's Visit 62 f.) hat gezeigt, daß Nero zu diesem Zeitpunkt Rom bereits verlassen haben muß. Wenn er tatsächlich, wie Bradley annimmt, zu den Aktischen Spielen Anfang September in Nicopolis eingetroffen ist, muß die Abreise spätestens Anfang August erfolgt sein. Das Itinerar und die Chronologie der Griechenlandreise liegen weitgehend im dunkeln. Da Dio (63,8,2) ausdrücklich erwähnt, daß sich Nero anders als Flamininus,

174

Das Itinerar

Mummius, Agrippa und Augustus in Griechenland als Künstler bestätigt wissen wollte, dürften die wichtigsten Festspielorte die Hauptstationen seiner Reise gewesen sein. Bekannt ist die Teilnahme an den Actia bei Nicopolis, den Pythia in der Ebene von Kirrha bei Delphi, den Isthmia bei Korinth, den Olympischen Spielen, den Argiva und den Nemea in der Argolis: Euseb./Hieron. chron. p. 184 (Helm); Suet. Nero 23,1 ; 25,1 ; Dio 62,14,1-2; 20,3,5; Philostr. v. Apoll. 5,7. Die alexandrinische Münze hat im Jahr 66/67 die Idealbilder der griechischen Götter, die mit den besuchten Festspielorten in Beziehung standen, aufgegriffen (argivische Hera, isthmischer Poseidon, Zeus Nemeios bzw. Olympios, aktischer und pythischer Apoll); siehe J. Vogt, Alexandrinische Münzen 32 f. und A. Geißen, Katalog Alexandrinischer Kaisermünzen I (1974), 62-70. Zur Münzprägung der Provinz Achaia, die auf Neros Visiten in den panhellenischen Heiligtümern anspielt, siehe B. E. Levy, SchwMbll 35,1985,37 ff. (vgl. A. Burnett, ebd. 34,1984,84 f.). Ob der Raub einer Bronzestatue des Eros, eines Werkes des Lysipp, aus Thespiai (Paus. 9,27,3) mit einem Besuch Neros in der Stadt zusammenhing, bleibt dahingestellt (siehe auch S. 127 zu Delphi und Olympia). Die annähernd bekannten Daten für die Isthmischen (April/Anf. Mai), die Pythischen, Olympischen und Nemeischen Spiele (alle im Hochsommer, siehe Gallivan 231 f.) bieten keine Gewähr, daß diese Spiele tatsächlich zur gewohnten Jahreszeit stattfanden. So berichtet Sueton (Nero 23,1), daß die zu verschiedenen Perioden stattfindenden Spiele anläßlich des Kaiserbesuches auf den Zeitraum eines Jahres zusammengelegt wurden, sogar die normalerweise in das Jahr 65 fallende 211. Olympiade wurde um ein Jahr verlegt (siehe unten); die Aktischen, Pythischen und Isthmischen Spiele wurden zweimal gefeiert (Euseb./Hieron., a. O.); die Isthmischen Spiele haben, wie das Freiheitsdekret aus Akraiphia ausweist, wenigstens einmal irregulär stattgefunden, nämlich im November. Philostrat erwähnt in seiner Lebensbeschreibung des Apollonios im Zusammenhang von Apollonios' Schilderung über Neros Auftritt in Olympia, daß der Kaiser den Eleern im vergangenen Jahr befohlen habe, die Feier der Olympischen Spiele bis zu seiner Ankunft auszusetzen (v. Apoll. 5,7); da die 211. Olympiade im Jahre 65 hätte gefeiert werden müssen, muß Neros Besuch in Olympia noch im Jahre 66 stattgefunden haben. Nach Neros Tod haben die Eleer die 211. Olympiade aus dem Register gestrichen (Paus. 10,36,9). Als Winterquartier des Jahres 66/67 kommt am ehesten Korinth in Betracht (vgl. Schumann 71). Die korinthische Münzprägung hat den adventus und die adlocutio des Kaisers groß herausgestellt (z. B. BMC Corinth 567 ff; SNG Kopenhagen, Corinth 242 ff.), außerdem fallen die beiden anderen Hauptorte Griechenlands, Athen und Sparta, außer Betracht, da Nero diese Städte nachweislich nicht betreten hat (Dio 63,14,3). Möglicherweise war die Freiheitserklärung als krönender Abschluß der ersten Besuchsmonate Ende November 66 (siehe unten) geplant gewesen, woraufhin sich das benachbarte Korinth als willkommenes Quartier während der winterlichen Spielunterbrechungen anbot. Hier wird den Kaiser die bei Iosephus (bell. lud. 2,20,1) erwähnte Gesandtschaft der Juden gegen Ende des Jahres 66 erreicht, und von hier aus dürfte Nero den Vespasian, wahrscheinlich im Februar 67, nach Iudaea geschickt haben (los. a. 0.3,1,3 ; siehe Schumann 67 f.). Die archäologische Hinterlassenschaft der Reise dokumentiert sich in dem begonnenen Durchstich des Isthmos, wobei Nero selbst Hand anlegte (Suet. Nero 19,2; Dio

Nero

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63,16; los. bell. lud. 3,10,10; Plin. n.h. 4,5; siehe B. Gerster, BCH 8,1884,225 ff.). Im September 67 schickte Vespasian aus Iudaea 6000 Gefangene zur Durchführung der Arbeiten nach Achaia (los. a. O.). Zu dem kurzen Traktat des Pseudo-Lukan über den Kanalbau, das von zweifelhaftem Quellenwert ist, siehe Bradley, Commentary 115 f. Zu den anläßlich des Besuches errichteten Bauten in Olympia siehe S. 89. Auf die Freiheitserklärung spielt die Münzprägung der Stadt Sikyon an, in der Neros Name in Verbindung mit Ζευς Ελευθέριος erscheint, siehe J. E. Fisher, Hesperia 49,1980,6 ff. Das Ereignis selbst wird von der Mehrzahl der Forscher, zuletzt von Gallivan und Bradley (Nero's Visit, dort 66 Anm. 36 die ältere Literatur), in das Jahr 67 datiert. Insbesondere Suetons Bericht über die Freiheitserklärung (Nero 24,2): decedens deinde provinciam universam liberiate donavit ist in dem Sinne interpretiert worden, daß Nero kurz vor seiner Abreise aus Griechenland die Freiheitserklärung abgegeben habe, also gegen Ende 67, womit auch das durch die akraiphische Inschrift bekannte Tagesdatum, der 28. November, übereinzustimmen schien. Bradley (Commentary 144 f.) hat jedoch auf die Schwierigkeit aufmerksam gemacht, daß Sueton unmittelbar vorher über Neros Auftreten in Olympia berichtet, und aus diesem Grunde decedens nicht zwingend auf Griechenland als ganzes, sondern ebenso gut nur auf Olympia Bezug nehmen könnte. Ein weiteres Problem ist die Jahresdatierung in der akraiphischen Inschrift. Die ungewöhnliche Formulierung mit Neros δημαρχικης εξουσίας το τρισκαιδέκατον αποδεδειγμένος und Unsicherheit über den genauen Jahrestag von Neros tribunicia potestas haben dazu geführt, daß dieser Datierungshinweis weitgehend außer acht gelassen wurde. Immerhin darf nunmehr als gesichert gelten, daß Nero seine tribunicia potestas vom 4. Dezember 54 an zählte, wie dies aus den Arvalakten für das Jahr 57 und 58 (Henzen LXIV, LXX) schon hervorging (zum Problem siehe M. Hammond, The Tribunician Day under the Early Empire, MAAR 15,1938,26 ff.). Die Eintragung der Arvalakten für den Januar des Jahres 60, in dem Nero mit seiner siebenten tribunizischen Gewalt aufscheint - also mit einer Zählung zuviel, was die Verwirrung gestiftet hat -, darf man als eindeutig fehlerhaft abtun, da zwei Militärdiplome beweisen, daß Nero im Juli 61 seine siebente (CIL XVI 4), und im Juni 65 seine elfte tribunicia potestas zählte (AE1978,658). Freilich ist die griechische Formulierung αποδεδειγμένος in Verbindung mit der tribunicia potestas ungewöhnlich; die Mehrzahl der Forscher ist sicher zu Recht davon ausgegangen, daß αποδεδειγμένος hier nicht die sonst in der Kaisertitulatur übliche Bedeutung designates zukommt (vgl. H. J. Mason, Greek Terms for Roman Institutions [1974], 24), sondern im untechnischen Sinn „ausgerufen, ernannt" verstanden werden muß; in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß wir es nicht „mit der griechischen Übersetzung einer offiziellen lateinischen Urkunde, sondern mit der griechisch konzipierten Titulatur Neros, wie sein Priester in Akraiphia sie formulierte", zu tun haben (briefliche Mitteilung Chr. Habichts). Da Neros trib. pot. XIII bis zum 3. Dezember 67 dauerte, schien damit einer Datierung der Freiheitserklärung auf den 28. November des Jahres 67 nichts im Wege zu stehen. Nun lassen sich allerdings drei weitere Nachrichten besser mit dem Novembertermin des Jahres 66 als demjenigen des Jahres 67 in Einklang bringen. Suetons Hinweis (Nero 23,1), die Spieltermine seien auf Neros Befehl in unum annum zusammengezo-

176

Das Itinerar

gen worden, kann man in wörtlichem Sinn auf den Zeitraum eines Kalenderjahres beziehen, wenn man nicht gezwungen ist, Neros Aufenthalt bis in den Dezember 67 auszudehnen. Nero, von dessen Besorgnis um eine längere Abwesenheit von Rom man weiß (Tac. ann. 15,36,2 f.; siehe S. 34), könnte spätestens im Frühherbst 67 nach Rom zurückgekehrt sein, datiert man die Freiheitserklärung in den November des Jahres 66; damit entfiele die Schwierigkeit, in unum annum als Synonym für die Gesamtdauer von Neros Aufenthalt in Griechenland zu interpretieren (Bradley 64). Nero befand sich am 1. Januar 68 in Rom (dies hat Bradley, Commentary 279 zu Suet. Nero 50 erwiesen). Wenn er tatsächlich noch am 28. November 67 in Korinth gewesen wäre, scheint die Zeit für die Rückkehr einschließlich der Stationen Neapel, Antium und Alba von maximal vier bis fünf Wochen recht knapp bemessen. Bradley (71) meint, daß der außergewöhnliche Termin der Isthmien und die Freiheitserklärung eine überstürzte Reaktion auf die bedrohlichen Meldungen des Helios gewesen seien, der eigens aus Rom angereist war (Dio 62,13,1). Dem widerspricht aber Dios Notiz, daß Nero auf diese Meldung hin ,sofort4 nach Italien zurückgekehrt sei. Auf keinen Fall konnte er bis zum Eintreffen der verschiedenen Gesandtschaften lange am Isthmos warten, was er im Falle eines plötzlich angesetzten Termines hätte tun müssen. Schließlich muß man A. Garzetti zustimmen (From Tiberius to the Antonines [1974], 621 f.), daß sich der von Pausanias (7,17,3) bezeugte Tausch, mit dem Nero anstelle Achaias die Provinz Sardinien in die Verwaltung des Senates überführte, zeitlich nur zum Novembertermin des Jahres 66 fügt. Das auf den 13. März 69 datierte Dekret des Prokonsuls L. Helvius Agrippa (ILS 5947) legt dessen Prokonsulatsjahr auf das Amtsjahr 68/69 fest, sein im gleichen Dekret genannter Vorgänger Cn. Caecilius Simplex gehört in das Jahr 67/68. Da dieser den angeklagten Galillenses bis zum 1. Dezember (des Jahres 67) eine dreimonatige Frist zwecks Beischaffung einer Urkunde einräumte (siehe Th. Mommsen, Gesammelte Schriften V [1908], 330; P. Meloni, L'amministrazione della Sardegna da Augusto all'invasione Vandalica [1958], 187 ff.), muß er sich spätestens im August 67 in der Provinz aufgehalten haben. Daraus erhellt, daß Sardinien in jedem Fall vor dem November 67 in die Verwaltung des Senats übergegangen ist. Die schon von Mommsen (335) vorgebrachte, von Gallivan (234) und Bradley (69) übernommene Hilfskonstruktion, Nero habe im Vorgriff auf die Freiheitserklärung dem Senat Sardinien schon ein halbes Jahr vorher überlassen, stellt m. E. einen allzu gewaltsamen Eingriff in die Quellenevidenz dar. Die akraiphische Inschrift besteht aus zwei Hauptteilen: einmal der offiziellen Version von Neros Edikt, mit dem er auf den 28. November nach Korinth einlud, und seiner Freiheitserklärung, zum anderen aus den Beschlüssen der Akraiphier zu Ehren Neros nebst der Begründung. Es versteht sich von selbst, daß der Antrag des Kaiserpriesters Epameinondas und die Beschlußfassung durch Rat und Volk frühestens einige Tage, wenn nicht Wochen, nach der Freiheitserklärung stattfinden konnten. Da nun der 28. November dicht, genau sechs Tage, vor dem Wechsel von Neros tribunicia potestas lag, war es durchaus möglich, daß die Freiheitserklärung selbst von Nero während seiner trib. pot. XII verkündet, die Ehrenbeschlüsse der Akraiphier erst während seiner trib. pot. XIII gefaßt wurden. Hammond (Tribunician Day 28) hatte diese Möglichkeit zwar in Betracht gezogen, sie jedoch mit der keineswegs stichhaltigen Begründung verworfen, der Priester habe sich trotz eines späteren Zeitpunktes der

Galba/Vitellius

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Beschlußfassung in der Datierung des Beschlusses an eine Titulatur Neros gehalten, wie er sie zusammen mit dem Text des Freiheitsdekretes (in einem Vorspann?) vorgefunden habe. Vielmehr gestattet der vorgelegte Quellenbefund nur die Schlußfolgerung, daß sich die Jahresdatierung im Beschluß der Akraiphier nur auf die Beschlußfassung selbst, nicht aber zwingend auf den vorangestellten Text von Neros Rede bezieht, womit einer Datierung der Freiheitserklärung in das Jahr 66 nichts mehr im Wege stünde.

GALBA Über Galbas Marsch aus Spanien nach Rom siehe grundlegend den RE-Artikel von M. Fluss, RE 4 A (1931), 783 ff. In neuerer Zeit ist über ihn im Rahmen größerer Untersuchungen über die Ereignisse des Jahres 68/69 gehandelt worden: D.C.A. Shorter, A Time-Table for the „Bellum Neronis", Historia 24,1975,59 ff. und J. Niçois, Vespasian and the Partes Flavianae (1978), 52 ff. (jeweils mit der älteren Literatur). Galba erfuhr in Clunia am 16. Juni 68 durch den Freigelassenen Icelus vom Tode Neros (Plut. Galba 7). Über Beginn, Dauer und Ende des Marsches nach Italien liegen keinerlei Nachrichten vor. Die von Tacitus (hist. 1,6,1) als tardum iter et cruentum charakterisierte Reise, auf der schon unterwegs eine in Narbo entgegenkommende Senatsgesandtschaft zur Eile drängte (Plut. Galba 11), verzögerte sich wohl hauptsächlich dadurch, daß Galba die neue legio VII Galbiana mit sich nach Italien nahm. Unter Berücksichtigung der historischen Gesamtsituation dürfte er etwa zwischen Juli und Oktober 68 unterwegs gewesen sein (Fluss a. Ο.; Niçois 58 f.). Den Nachschub für die Reisekolonne von See her zu organisieren und zu sichern, bildete möglicherweise eine der Hauptaufgaben des Q. Pomponius Rufus praefectus orae maritimae Hispaniae citerions Galliae Narbonensis bello quod Imp. Galba pro r. p. gessit (ILS 1014 = IRT537). Noch unterwegs gab Galba den Befehl zur Hinrichtung des designierten Konsuls Cingonius Varrò und des Konsulars P. Petronius Turpilianus (Plut. Galba 15; Tac. hist. 1,6,1), kurz vor der Hauptstadt ließ er unter der ihm entgegenziehenden legio I adiutrix ein Blutbad anrichten (Plut, und Tac. a. Ο.; Suet. Galba 12,2; Dio 64,3,2).

VITELLIUS

Dank des taciteischen Berichtes sind wir über Ablauf und Chronologie des Marsches des Vitellius aus seiner Provinz Niedergermanien nach Rom gut unterrichtet. Die einschlägigen Hinweise finden sich zuletzt bei J. Niçois, a. 0.68 ff. ; vgl. auch H. Heubners Kommentar zu Tacitus' Historien Bd. 2 (1968), 214 ff. Nachdem Vitellius am 3. Januar 69 von den Truppen Nieder- und Obergermaniens zum Kaiser proklamiert worden war (Tac. hist. 1,57), schickte er im Februar zwei Heeresgruppen nach Italien voraus, eine unter Caecina Alienus durch die heutige

178

Das Itinerar

Schweiz über die Poeninischen Alpen, eine unter Fabius Valens über Lugdunum und dann über die Cottischen Alpen (Tac. hist. 1,61). Vitellius, dem Wege des Valens folgend, brach etwa Anfang bis Mitte April aus seiner Provinz, wohl aus Köln, auf. Tacitus berichtet (hist. 2,57), daß er paucorum dierum iter progressus von der siegreichen Schlacht bei Bedriacum und dem Selbstmord Othos (15./16. April) erfahren habe. Er fuhr zu Schiff den Arar (Saône) hinab und traf in Lugdunum auf die bereits dort eingetroffenen Feldherrn der eigenen und der gegnerischen Truppen von Bedriacum, also etwa Ende April. Nach der Abreise aus Lugdunum, wo er Spiele veranstaltet hatte (Dio 65,1,2-3), stieß Cluvius Rufus, aus seiner Provinz Hispania citerior kommend, zu ihm (Tac. hist. 2,65). Die Reise ging über den Paß des Mont Genèvre nach Augusta Taurinorum (Tac. hist. 2,66,2), von dort nach Ticinum, wo eine Senatsgesandtschaft wartete (2,68 f.), dann nach Cremona (Dio a. Ο.), von wo aus er das Schlachtfeld von Bedriacum besichtigte, etwa 40 Tage nach der Schlacht (2,70), also um den 25. Mai 69. Die Schnelligkeit und Tatkraft des Vitellius auf dieser Reise, die in krassem Gegensatz zu seinem weiteren Zug nach Rom steht, hat Niçois (69) gebührend hervorgehoben. In Brixellum sah er das Grabmal Othos (Suet. Vit. 10,3), dann ging der Zug über Bononia (Tac. hist. 2,71) und die via Flaminia Richtung Rom. Tacitus beschreibt (2,87): Vitellius contemptior in dies segniorque, ad omnis municipiorum villarumque amoenitates resistens, gravi urbem agmine petebat (vgl. Suet. Vit. 10,2). Über den pons Mulvius (Tac. hist. 2,89) zog er etwa Mitte Juli in der Hauptstadt ein, wie Niçois (70 f.) mit Hinweis auf Plinius (ep. 8,21) aus Tacitus' Notiz erschlossen hat (2,87), daß das Getreide zur Zeit des Marsches in Richtung Rom bereits reif war. In Rom befand er sich sicher am 18. Juli, als er, wohl wenige Tage nach seiner Ankunft, ein Edikt zur Neuordnung des Staatskultes erließ (Tac. hist. 2,91,1 ; siehe Heubner, Kommentar II 291 f., 305 f.).

VESPASIANUS Ca. Ende Juli 69 von Caesarea ad mare nach Berytos

Tac. hist. 2,81 ; los. bell. lud. 4,10,6.

Ca. Anfang August in Antiocheia

Tac. hist. 2,82; los. a. 0.4,11,1.

Bis ca. Mitte Oktober in Syrien oder Iudaea, Mitte November in Alexandreia

Tac. hist. 3,48 ; Suet. Vesp. 7,1 ; los. a. 0.4,11,5 ; Dio 66,1.

Winter 69/70 in Alexandreia (bis August 70)

Tac. hist. 4,82; Suet. a. Ο. ; Dio 66,8-9. P. Fuad I Univ. 8; SB 9528.

August/September 70 Rückreise nach Rom über Lykien, Rhodos, Westkleinasien, Griechenland, Korkyra, um die Südspitze Italiens herum (bis Neapel oder Ostia)

los. a. 0.7,2,1 ; Dio 66,12.

Vespasianus

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Die erste grundlegende, ζ. Τ. heute noch gültige Studie über die Chronologie von Vespasians (und Titus') Aufenthalt im Osten stammt von A. Chambalu, Flaviana III. Wann ist Vespasian im Jahre 70, Titus im Jahre 71 aus dem Orient nach Rom zurückgekehrt? Philologus 44,1885,502 ff. Wie unzuverlässig aber die von ihm angestellten genauen Berechnungen nach Entfernungen und Marschleistungen sind, zeigt sich dann, wenn ein neueres Dokument sichere Daten bietet: So datiert P. Oxy. 2725 die Ankunft des Titus in Alexandreia auf den 25. April 71, während Chambalu ein Datum vor dem 6. Mai ausgeschlossen hatte. - Einen guten Überblick bietet die Monographie von W. Weber, Josephus und Vespasian, Untersuchungen zu dem jüdischen Krieg des Flavius Josephus (1921). Unter der neueren Literatur sei verwiesen auf H. Heubners Kommentar zu den Historien des Tacitus, Bd. 2 und 4 (1968/76), und auf Niçois, Vespasian and the Partes Flavianae 72ff.,dem ich in der Umrechnung der bei Iosephus gebotenen Tagesdaten auf den julianischen Kalender folge. Vespasian weilte in Caesarea ad mare, als lì. Iulius Alexander am 1. Juli 69 die Legionen Ägyptens den Fahneneid auf ihn schwören ließ; bis Mitte Juli schlossen sich ganz Syrien und die Klientelfürsten an (Tac. hist. 2,78 f., 81 ; Suet. Vesp. 6,3). Das große Zusammentreffen in Berytos mit Mucianus, den Fürsten und Gratulationsgesandtschaften des ganzen Ostens dürfte Ende Juli stattgefunden haben (Tac. hist. 2,81; los. bell. lud. 4,10,6). In Ägypten, aber noch vor dem Betreten Alexandreias, wurde Vespasian von der siegreichen Schlacht bei Cremona (24./25. Oktober 69) unterrichtet (Tac. hist. 3,48); er ist also erst etwa Mitte Oktober aus Syrien abgereist und hat demnach noch gut zwei Monate daselbst zur Etablierung der neuen Machtstellung verbracht (Dio 65,9,2: αυτός δέ τά τε έν xfj Συρίςι έπιδών ...), bevor er zur Besetzung der claustra Aegypti, wie schon in Antiocheia beschlossen (Tac. hist. 2,82; Suet. Vesp. 7,1), aufbrach. Seine Ankunft in Alexandreia zusammen mit seinem Sohn Titus (los. bell. lud. 4,11,5) fand folglich etwa Mitte bis Ende November 69 statt (siehe Niçois 83 f.). Vespasians Aufenthalt in Alexandreia ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen geworden, insbesondere sein Besuch im Serapistempel und die Wunder, die sich während seines Besuches angeblich ereignet haben (Tac. hist. 4,82; Suet. Vesp. 7,1 ; Dio 66,8,1). An neuerer Literatur seien genannt Ph. Derchain, La visite de Vespasien au Sérapéum d'Alexandrie, CE 56,1953,261 ff.; Α. Henrichs, Vespasian's Visit to Alexan­ dria, ZPE 3,1968,51 ff; W. Fauth in H. Heubners viertem Kommentarband zu Tacitus' Historien 175 ff, 184 ff; O. Montevecchi, Vespasiano acclamato dagli Alessandrini, in: Atti del congr. intern, di studi Vespasianei II (1981), 483 ff, alle mit weiterführender Literatur. Zum Anstieg des Nil, der nach Dio (66,8,1) bei seiner Ankunft eintrat, siehe die in Anm. 403 genannte Literatur. Seine Anwesenheit in Alexandreia bezeugen P. Fouad I Univ. 8 = H. Musurillo, Acta Alexandrinorum (1961), 21 (vgl. auch H. Koenen, Gnomon 40,1968,256), der die Begrüßungsszene der Alexandriner im Hippodrom enthält, und SB 9528 (dazu Henrichs 54 Anm. 11 und C. P. Jones, Historia 22,1973,309), vermutlich die Rede Vespasians bei seiner Ankunft in Alexandreia. Feste Daten bieten Dio 66,1 fur den 1. Januar 70, Tac. hist. 4,51,1 tur etwa Ende Januar, als Vespasian die Nachricht vom Tode des Vitellius (20. Dezember 69) erhielt und ihn eine Gesandtschaft des Partherkönigs Vologaesus erreichte.

180

Das Itinerar

Für den Zeitpunkt der Rückreise existieren nur vage chronologische Anhaltspunkte. Die Einweihung des wieder aufgebauten Kapitols am 21. Juni 70 (Tac. hist. 4,53) fand ohne ihn statt, seine Rückkehr hat man damals wohl auch nicht unmittelbar bevorstehend erwartet. Tacitus berichtet (hist. 4,81), Vespasian habe in Alexandreia statos aestivis flatibus dies et certa maris abgewartet, was bereits A. Chambalu 505 auf die zweite Periode der Südwinde (19. August/ 17. September) bezogen hat. Da Iosephus (bell. lud. 7,2,1) die Abreise Vespasians aus Alexandreia während des Höhepunktes der Belagerung Jerusalems datiert, die Stadt andererseits am 8. September 70 (datiert nach Niçois 47) endgültig gefallen war, dürfte Vespasian Alexandreia etwa in der zweiten Augusthälfte verlassen haben. Damit stimmt auch Dio (66,9,2 a) überein, der Vespasian vor der Einnahme Jerusalems abreisen läßt, nachdem er ursprünglich geplant hatte, mit Titus gemeinsam zurückzukehren.

TITUS Nach der Einnahme Jerusalems (8. Sept. 70) nach Caesarea ad mare

los. bell. lud. 7,1,3; 2,1.

Ca. Oktober 70 von dort nach Caesarea Philippi

los. a. O. 7,3,1 (am 24. Oktober veranstaltete er dort Spiele anläßlich des Geburtstages Domitians).

November 70 in Berytos

los. a. O. (am 17. November Spiele anläßlich des Geburtstages Vespasians).

Rundreise durch Syrien, Besichtigung des „Sabbatflusses" zwischen Arka und Raphaneai

los. a. 0.7,5,1.

Über Antiocheia Reise nach Zeugma am Euphrat

los. a. 0.7,5,2.

In Tarsos (?)

Philostr. v.Apoll. 6,30; 34.

Wohl März 71 von Antiocheia über Jerusalem nach Ägypten

los. a. 0.7,5,2-3.

Über Memphis nach Alexandreia (Ankunft am 25. April 71)

Suet. Tit. 5,3 (Alexandriam petens in consecrando apud Memphim boveApide diadema gestavit). - P. Oxy. 2725.

Rückreise nach Italien (RegiumPuteoli) vielleicht zwischen Mai/Juli 71

Suet. Tit. 5,3 ; siehe Kommentar.

Titus hatte den Winter 69/70 mit seinem Vater in Alexandreia verbracht und ist etwa im März 70 nach Iudaea gereist, da er die Belagerung Jerusalems am 14. April 70 (nach Niçois 47) aufnahm (los. bell. lud. 5,3,1 f.). Nach dem Fall der Stadt am 8. September traf Titus daselbst noch bestimmte Maßnahmen (Einrichtung einer Besatzung, Verteilung von Belohnungen), um sich dann nach Caesarea zu begeben. Caesarea, wo Vespasian aus der jüdischen Beute ein Odeion gestiftet hatte (Malalas p. 261 [Bonn]),

Titus / Domitianus

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erhielt 70/71 Kolonierang als erste flavische Kolonie, vielleicht ebenso in Anwesenheit des Titus wie im Falle des wohl im Jahre 71 neugegründeten Emmaus bei Jerusalem, siehe hierzu G. Vermes - F. Miliar in E. Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ I (1973), 512 f. Anm. 142; II (1979), 115fif.In Berytos hat Titus längere Zeit geweilt, bevor er weitere syrische Städte besuchte (los. bell. lud. 7,3,1: χρόνον μέν τίνα διέτριβεν). Titus' in Syrien getroffene Maßnahmen hat Weber, Josephus und Vespasian 270 ff., in einen größeren historischen Zusammenhang eingeordnet, siehe S. 35. Ob Titus bis Kommagene, eventuell sogar bis zum neuen Legionslager Melitene in Kappadokien gelangte, wie Weber 276 vermutet, ist nicht bezeugt. Zu der von Titus veranlaßten baulichen Ausschmückung von Antiocheia und Daphne (Malalas p. 260 f. [Bonn]) siehe A. Schenk Graf von Stauffenberg, Die römische Kaisergeschichte bei Malalas (1931), 230 f., und Downey, Antioch 206 f. Da Titus' Ankunft in Alexandreia durch P. Oxy. 2725 auf den 25. April 71 datiert ist, hat er offenbar die längste Zeit des Winters 70/71 in Berytos und Antiocheia verbracht. Zur Rückreise nach Italien hat er vermutlich die erste Periode der Südwinde (10. Mai / 10. Juli, siehe A. Chambalu, Philologus 44,1885,504) genutzt. Die Fahrt erfolgte ohne Zwischenstationen auf direktem Wege von Alexandreia nach Italien.

DOMITIANUS Domitian hat Italien lediglich zur Leitung von Feldzügen verlassen. Die trümmerhafte und verstreute Überlieferung (Dio 67,3,5; 4,1 ; Suet. Dom. 6,1 ; Frontin. strat. 1,1,8; 2,3,23; 2,11,7) gestattet es nur mit Mühe, chronologische Fixpunkte seiner Reisetätigkeit zu ermitteln. Einzelheiten derselben abseits des Kriegsgeschehens bleiben weitgehend im dunkeln, so daß es in diesem Rahmen nur möglich ist, die Eckdaten der Abwesenheit Domitians von Rom zu ermitteln; hierzu grundlegend und dank der guten Quellenarbeit bis heute nicht ersetzt ist St. Gsell, Essai sur le règne de l'empereur Domitien (1894), bes. 176 ff, 202 ff. Die Ziele des Chattenfeldzuges hat H. Nesselhauf aufgezeigt: Hermes 80,1952,236 ff. = V. Pöschl (Hg.), Tacitus (1969), 226 ff.; das Ergebnis dieses Feldzuges, das sich in nur geringem territorialem Zugewinn niederschlug, haben aufgrund archäologischer Zeugnisse jüngst H. Schönberger und H.-G. Simon festgehalten (Das Kastell Okarben und die Besetzung der Wetterau seit Vespasian [Limesforschungen Bd. 19], 1980,45). Ausgangspunkt der Diskussion zur Chronologie bildet H. Braunerts Abhandlung Zum Chattenkriege Domitians, BJ 153,1953,87 ff. = Politik, Recht und Gesellschaft in der griechisch-römischen Antike (hg. v. K. Telschow u. M. Zahrnt), 1980,322 ff. Die Kernthese Braunerts, nämlich die Datierung des Triumphes über die Chatten und die damit verbundene Annahme des Siegertitels Germanicus in den Sommer 83, hat P. Kneißl, Siegestitulatur 44 ff., nach genauer Prüfung der von Braunert angeführten numismatischen und papyrologischen Quellen entkräftet und seinerseits nachgewiesen, daß die Annahme des Siegertitels und der Triumph Ende 83

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Das Itinerar

oder Anfang 84 anzusetzen sind. Daß der Feldzug in das Jahr 83 fiel, hat zuletzt J. K. Evans, Historia 24,1975,121ff.nochmals ausführlich begründet. Domitian hat mit seinem Gefolge in Mainz Quartier genommen, wie aus der in der Nähe von Mainz gefundenen Votivtafel des comesA. Didius Gallus Fabricius Veiento hervorgeht (siehe S. 248). Desgleichen sichert die Grabinschrift von Domitians procurator praegustatorum Ti. Claudius Aug. 1. Zosimus, die sich in Mainz gefunden hat, den Aufenthalt des Kaisers daselbst, siehe L. Schumacher, Epigr. Studien 11 (1976), 132 ff. (= AE 1976, 504 = MZ 73/74, 1978/79, 281 f. Nr. 12) und ders., Römische Kaiser in Mainz 33 ff. Allerdings muß die Frage unentschieden bleiben, ob die Inschrift in die Zeit von Domitians Chattenkrieg oder in die Zeit eines zweiten Aufenthaltes in Mainz im Winter 88/89 zu datieren ist. Der Kaiser verließ die Hauptstadt ein zweites Mal in Richtung Rheingrenze auf die Kunde vom Aufstand des obergermanischen Legaten L. Antonius Saturninus hin (Dio 67,11,5; Plut. Aem. Paulus 25,3; Suet. Dom. 7,3; Literaturübersicht bei Schumacher, Römische Kaiser in Mainz 49 f.). Gsell (249) hat den Beginn der Revolte überzeugend auf das Ende des Jahres 88 (November ?) datiert. Die Arvalakten bezeugen Domitians Abwesenheit von Rom im Januar 89, seine Anwesenheit spätestens am 29. Januar (richtig Schumacher, Epigr. Studien a. O. zu Henzen CXXI). Saturninus ist bereits vor der Ankunft des Kaisers am Schauplatz des Geschehens von Lappius Maximus besiegt und hingerichtet worden (Dio 67,11,1 ; Suet. Dom. 6,2). Strittig ist die Frage, ob Domitian selbst bis Obergermanien gelangte oder auf die Kunde von der Niederwerfung der Usurpation sofort nach Rom zurückgekehrt ist. Schumacher ist nachdrücklich für die zweite Annahme eingetreten und stützt sich dabei auf die Tatsache, daß Domitian zwischen seiner Abreise am 17. (?) Januar und Rückkehr am 29. d.M. „allenfalls bis nach Florenz und zurück" marschiert sein kann. Der auf Th. Bergk, BJ 58,1876,138 = Geschichte und Topographie der Rheinlande in römischer Zeit (1882), 63 f., zurückgehende Datierungsansatz, wonach Domitian am 17. Januar von Rom abgereist sei, entbehrt jedoch jeder Grundlage: Die Votaformel der Arvalbrüder pro salute et victoria et reditu kann zwar auf die bevorstehende Abreise des Kaisers hindeuten, muß es aber nicht und kann ebenso während der Abwesenheit des Kaisers ausgesprochen worden sein. Die Formulierungen bei Statius (silv. 1,1,6 f.) und Martial (7,7,3) lassen jedenfalls den Schluß zu, daß Domitian bis in die Provinz gelangt ist, während Schumacher a. O. 137 sie im Sinne „höfisch-tendenziöser Schmeichelei" als Beweismittel ablehnt. Desgleichen deutet die von Dio (67,11,5) überlieferte Episode, daß der betagte Senator (Lucanius ?) Proculus (siehe S. 248), der zur Reisebegleitung Domitians gehörte, auf die Nachricht vom Tode des Saturninus hin die Erlaubnis erhielt, nach Hause zurückzukehren, daraufhin, daß der Kaiser auch nach Erhalt der für ihn erfreulichen Mitteilung noch weitergereist ist. In Anbetracht der Jahreszeit wird er freilich nicht lange, wohl höchstens einige Wochen (Dezember 88 / Januar 89), von Rom abwesend gewesen sein. Eine Betrachtung der Donaukriege Domitians hat neben der zitierten Monographie von Gsell auszugehen von E. Köstlin, Die Donaukriege Domitians (1910); vgl. außerdem E. Ritterling, RE 12 (1925), 1275 ff.; R. Syme, CAH XI (1936), 168 ff., 175 ff.; C. Patsch, Der Kampf um den Donauraum unter Domitian und Trajan (1937); A. Mócsy, Pannonia and Upper Moesia (1974), 82 ff. Die neuere Literatur hat kürzlich

Domitianus

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Zs. Visy, Der Beginn der Donaukriege des Domitian, AArchHung 30,1978,37 ff., aufgearbeitet, seine eigenen Ausführungen über die kriegerischen Ereignisse und deren Abfolge haben die Problematik allerdings eher kompliziert als vereinfacht. Eine neue umfangreiche Untersuchung ist demnächst von K. Strobel zu erwarten. Die erste expeditio Domitians gegen die Daker erfolgte nach der Niederlage des mösischen Legaten C. Oppius Sabinus (Suet. Dom. 6,1; Dio 67,6,3; lord. Get. 13). Die Laufbahn des M. Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus, des Nachfolgers des Sabinus in Mösien, hat neues Licht auf die Kommandoverhältnisse an der Donau und auf die Zeitfolge der Ereignisse geworfen (G. Alföldy - H. Halfmann, Chiron 3,1973, bes. 356ff.).Trotz der neuerlichen Einwände Visys erscheint es nach wie vor am plausibelsten, den Untergang des Sabinus nicht allzu spät in das Jahr 85 zu datieren, da in dieses Jahr allein vier imperatorische Akklamationenfielen,die auf eine zumindest halbwegs erfolgreiche Gegenoffensive schließen lassen (das Hauptargument gegen die Frühdatierung, daß nämlich im September 85 in Pannonien noch Truppen entlassen wurden [CIL XVI31], fallt beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse über Örtlichkeit und Verlauf der ersten Auseinandersetzungen mit den Dakern nicht ins Gewicht). Den Arvalakten vom Januar 86 ist zu entnehmen (Henzen CXIII), wie Köstlin (48 f.) gezeigt hat, daß Domitian zu diesem Zeitpunkt nicht in Rom weilte; zugleich wies Köstlin (44, zu Martial 1,22,5) darauf hin, daß die Gefahr in Rom zunächst nicht ernst genommen wurde, zumindest Domitian sein sofortiges Erscheinen an der Donau nicht für notwendig erachtete. Domitian ist also vielleicht erst im Herbst 85 am Kriegsschauplatz erschienen, um über den Winter 85/86 sich selbst ein Bild von der Lage zu machen und organisatorische Neuregelungen zu treffen, wie die Teilung der Provinz Mösien. Dios gehässiger Vorwurf (67,6,3), Domitian habe, anstatt Krieg zu führen, in einer mösischen Stadt einem ausgelassenen Lebensstil gefrönt, läßt auf einen Winteraufenthalt mit Kampfespause schließen. Im Sommer 86 befand sich der Kaiser wieder in Rom zur Feier der Kapitolinischen Spiele (siehe Gsell 123, Köstlin 50), verdankte also die imperatorischen Akklamationen XII -XIV den Aktivitäten seiner Statthalter. Nach der Niederlage des Cornelius Fuscus, wohl im Jahre 87 (Köstlin 59 f.), erfolgte im Sommer/Herbst 88 die Expedition des L. Tettius Iulianus mit der siegreichen Schlacht bei Tapae (Dio 67,10). Der 14. imperatorischen Akklamation, die Domitian von 86 bis 88 beibehielt, folgten noch bis November 88 drei neue Akklamationen (CIL XVI 35 und AE 1974, 655 geben imp. XVII am 7. Nov. 88), die sich nur auf dieses Ereignis beziehen können. Domitian hielt sich damals sicher in Rom auf, da er im Sommer 88 die ludi saeculares abhielt (Gsell 77) und gegen Antonius Saturninus Ende 88 nachweislich von Rom aus aufbrach und im Januar 89 dorthin zurückkehrte (siehe oben). Der zweite Aufenthalt Domitians an der Donau fiel daher in das Jahr 89. Nach Dio (67,7,1) begab sich der Kaiser nach Pannonien, um Quaden und Markomannen zu züchtigen, die sich im Jahr zuvor geweigert hatten, Hilfstruppen gegen die Daker zu stellen. Dio berichtet von einer römischen Niederlage, andererseits wissen wir, daß sich Offiziere in diesem bellum militärische Auszeichnungen verdienten (ILS 2719, 2117, 9200; CIL III 7397, cf. 12325; siehe Patsch 34 ff.). Ein durchschlagender Erfolg ist nicht erzielt worden (Patsch 38 f.), woraufhin Domitian Frieden mit den Dakern suchte und den Friedensschluß als großen Sieg nach Rom melden ließ (Dio 67,7,2 f.). Bis zum

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Das Itinerar

Ende des Jahres 89, als Domitian in Rom über die Daker triumphierte (Gsell 198 ff.), finden sich seit November 88 vier neue imperatorische Akklamationen (Köstlin 67). Suetons Angabe (Dom. 6,1), Domitian habe nach der Niederlage des Fuscus eine zweite expeditio gegen die Daker geführt, muß nach der hier gegebenen Chronologie auf einem Irrtum beruhen. Köstlins Versuch (71 f.), sie dadurch zu retten, daß er Domitian im Jahre 89 zuerst in Mösien, dann erst in Pannonien weilen läßt, ist wenig plausibel (vgl. auch Patsch 34 ff.). Entweder hat Sueton jene zweite expeditio mit dem Feldzug des Iulianus verwechselt, oder er wurde durch den Triumph über die Daker Ende 89 zu dieser Annahme verleitet. Die letzte Reise Domitians führte ihn wieder nach Pannonien und war eine Reaktion auf die Vernichtung der legio XXI Rapax (expeditio Suebica et Sarmatica: ILS 1017; siehe R. Syme, JRS 67,1977,38 f. = Roman Papers 1043 f.). Dank zweier Angaben bei Martial (9,31,3 und 8,8,5) ist sicher zu erschließen, daß Domitian im Januar 93 nach Rom zurückgekehrt ist, und zwar nach einer Abwesenheit von acht Monaten, d. h. von etwa Mai 92 bis Januar 93; siehe Gsell 226 f., Köstlin 81 f., Patsch 40. In die zweite Hälfte des Jahres 92 sind auch die beiden letzten imperatorischen Akklamationen zu datieren (XXII und XXIII, letztere durch AE 1968,424 zum erstenmal belegt). Während seiner Aufenthalte in Pannonien bildete Carnuntum wenigstens zeitweise sein Hauptquartier; dort fand sich der Grabstein eines seiner lecticarw(CIL III4497).

TRAIANUS Herbst 97 bis 98 in der Germania superior und inferior

HA, H 2,5; Dio 68,3,4; Martial 10,7. Anfang Februar 98 in Köln, wo er vom Tode Nervas (28. Januar) erfuhr (Eutrop 8,2,1 ; Epit. de Caes. 13,2).

Winter 98/99 an der Donau

Plin. pan. 12,3; 16,2 (vgl. 60,1: Abwesenheit von Rom am 1. Januar 99); CIL VI 1548 = ILS 1019 (siehe Kommentar).

Rückkehr nach Rom etwa Oktober 99

Siehe Kommentar.

25. (oder 26.) März 101 Aufbruch in den ersten Dakerkrieg

Henzen CXL.

Ende 102 Rückkehr nach Rom

Triumph zwischen dem 25./28. Dezember 102, siehe Kommentar.

4. Juni 105 Aufbruch in den zweiten Dakerkrieg

L. Vidman, Fasti Ostienses2 (1982), 46,99 f.

Wahrscheinlich Frühjahr 107 Rückkehr nach Rom

Siehe Kommentar.

27. Oktober 113 Aufbruch in den Partherkrieg - wohl über die via Appia/ Traiana nach Brundisium - Athen

Arr. Parth. fr. 55 (Roos); Malalas p. 270 (Bonn).

Dio 68,17,2.

Traianus

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- durch Asia (Ephesos - Mäandertal - Kibyratis?) nach Lykien; dort Einschiffung nach Syrien (Seleukeia)

Dio 68,17,3; siehe Kommentar,

7. Januar 114 Ankunft in Antiocheia

Malalas p. 272 (Bonn); Dio 68,18,1.

(Feldzugstätigkeit jenseits des Euphrat)

Siehe die im Kommentar genannte Literatur.

Winter 115/116in Antiocheia

Dio68,24,1;Malalasp. 275; Aur. Vict. Caes. 13,ll:Erdbeben am 13. Dez. 115.

August 117 Rückreise zur See, 8./9. Aug. in Selinus gestorben

Dio 68,33,3 ; HA, H 4,7.

Trajan hat wahrscheinlich noch den größten Teil des Jahres 98 an der Rheingrenze verbracht und zwecks Sicherung des Friedenszustandes Verhandlungen mit den rechtsrheinischen Germanen geführt. Darauf deuten die ersten unter seiner Regierung geprägten Aurei des Jahres 98 mit der sitzenden GERMANIA hin, siehe Strack, Untersuchungen I (Anm. 106) 69 ff. Eine Szene auf dem Beneventer Bogen spielt auf den im Jahre 98 geschlossenen Vertrag an, siehe W. Gauer, Jdl 89,1974,317 f. Vermutlich damals (98/99) veranlaßte der Kaiser auch die Instandsetzung der linksrheinischen Limesstraße, siehe H. v. Petrikovits, Epigr. Studien 4 (1967), 116 f. Zu Trajans Aufenthalt in den Donauprovinzen siehe Patsch, Der Kampf um den Donauraum 57 f.; Ritterling, RE 12 (1925), 1280; Syme, Tacitus 17 f., der Trajans Winterquartier 98/99 in Singidunum oder Viminacium vermutet. Der Kaiser ist wahrscheinlich über die Limesstraße gereist und hat die Truppenlager der Reihe nach inspiziert, siehe dazu die Inschrift eines namentlich nicht bekannten comes Imp. Traiani... dum exercitus suos circumit (ILS 1019, siehe auch S. 248) und Plin. pan. 18,1 . . . disciplinam castrorum lapsam exstinctam refovisti. Weitere epigraphische Zeugnisse lassen auf vorbereitende logistische und strategische Maßnahmen für den Dakerkrieg schließen: Bauinschriften der obermösischen Kastelle Novae aus dem Jahre 98 (AE 1976, 609) und Prahovo aus dem Jahre 99 (CIL III 1642), Bau einer Straße durch die obermösische Donauenge im Jahre 100 (ILS 5863 = ILJug 63), Bau eines Kanals zur Umgehung der Stromschnellen am Eisernen Tor (J. Sasel, JRS 63,1973,80 ff.); Zusammenstellung aller Belege bei Sasel 79 Anm. 2 und Strobel, Dakerkriege (siehe unten) 159 ff. Zweifellos hat Trajan auch den Bau der Legionslager Vindobona und Brigetio, der in seine allerersten Regierungsjahre fiel, auf dieser Reise veranlaßt (A. Mócsy, RE Suppl.9[1962],614f). Die Rückkehr nach Rom erfolgte nicht vor dem September 99, siehe Sherwin-White, The Letters of Pliny (Anm. 582) 571 f., 575 f., zu Plin. ep. 10,8 und 10,10; in der ersten Novemberhälfte weilte er bereits in Antium (Fouilles de Delphes III 4, 288). Folglich ist der Monat Oktober des Jahres 99 der wahrscheinlichste Zeitpunkt der Ankunft in Rom, die bei Plinius (pan. 20,22 f.) beschrieben wird. Zu den FORTVNA-Prägungen auf Aurei der Jahre 98/100 siehe Strack a. O. 76 ff., der das Münzbild als FORTVNA REDVX deutet; anders G. G. Belloni, ANRWII1 (1974), 1092 f.

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Das Itinerar

Die ältere ausführliche Darstellung der Dakerkriege bei C. Patsch, Der Kampf um den Donauraum 62 ff., ist nunmehr ersetzt worden durch die Monographie von K. Strobel, Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans (1984). Ein besonderes Problem für die Rekonstruktion der Ereignisse bilden die Szenen der Trajanssäule. Die grundlegende Interpretation bietet C. Cichorius, Die Reliefs der Trajanssäule (1896-1900); vgl. zuletzt L. Rossi, Trajan's Column and the Dacian Wars (1971); W. Gauer, Untersuchungen zur Trajanssäule I (1977); G. Koeppel, A Military Itinerarium on the Column of Trajan, MDAI (R) 87,1980,301 ff. - Bahnbrechend für eine neue Sehweise sind allerdings die Ausführungen von T. Hölscher, Die Geschichtsauffassung in der römischen Repräsentationskunst, Jdl 95,1980, bes. 290 ff.; sie mahnen zu äußerster Zurückhaltung bei dem Versuch, einzelne Szenen mit konkreten Ereignissen oder bestimmten Örtlichkeiten in Verbindung zu bringen, und betonen vielmehr die der Bildfolge inhärente Absicht, die ideellen Grundlagen der Größe Roms beispielhaft vor Augen zu führen. Zum Datum der Abreise in den ersten Dakerkrieg siehe S. Mazzarino, RhM 122,1979,175 Anm. 6. Aus dem Gebet der Arvalbrüder (... quas terra marique adierit...) geht hervor, daß die Reise teils zur See, also über die Adria, teils zu Lande erfolgte. Mazzarino (179 ff.) versuchte, den Einschiffungshafen mit Ravenna, den Ausschiffungshafen mit Salona in Dalmatien zu identifizieren; eine sichere Entscheidung ist, wie auch über die Anreise in den zweiten Krieg, wohl kaum zu erreichen (ein südlicherer Punkt der Überfahrt ist nicht ausgeschlossen, siehe etwa Tac. ann. 3,9,1 zu Ancona). Das erste Marschziel dürfte analog zum zweiten Krieg die Provinz Obermösien gewesen sein. Der Donauübergang erfolgte wahrscheinlich östlich von Viminacium bei Lederata, siehe Strobel 171 f. Ein terminus ante quem für die Rückkehr läßt sich recht genau festlegen, weil Trajan anläßlich des Triumphes den Siegertitel Dacicus angenommen hat (Dio 68,10,2). Die Annahme dieses Titels fiel zwischen den 19. November 102 (CIL XVI47) und 19. Januar 103 (CIL XVI 48). Mazzarino a. Ο. 173 Anm. 2, Epigraphica 40,1978,241 ff, hat durch eine neue Ergänzung eines Fragmentes der Fasti Ostienses (nicht berücksichtigt bei Vidman, Fasti Ostienses2 46,96 f.) den Triumph auf einen Tag zwischen dem 25. und 28. Dezember 102 datieren können; unmittelbar vorher erwähnen die Fasten die Annahme des Siegertitels Dacicus. Zu den noch Ende 102 ausgegebenen Siegesprägungen siehe Strack 107 ff.; Kneißl, Siegestitulatur 70 ff.; G. G. Belloni, Le monete di Traiano (1973), p. XLIX. Auch die Führung des zweiten Dakerkrieges übernahm Trajan persönlich (Dio 68,10,4). Die Abreise aus Rom legen die Fasti Ostienses auf den 4. Juni 105 fest (Imp. Nerva Traianus Aug. in Moesia profectus); auf diesen, allenfalls den vorhergehenden Tag müssen die vota pro itu et reditu der Arvalbrüder datiert werden (Henzen CXLVII, siehe Mazzarino, RhM 122,1979,174 f.). Die auf der Trajanssäule dargestellte Seereise (Rossi 174 ff.), die ihn in mehreren Städten landen ließ, hat zu den verschiedensten Rekonstruktionen des ltinerars geführt: Siehe in der Auseinandersetzung mit der älteren Literatur grundlegend A. Degrassi, Scritti vari I (1962), 562 ff. und ebd. Ill (1967), 173 ff.; ferner R Hanslik, RE Suppl. 10 (1965), 1075 f.; S. Stucchi, MDAI (R) 72,1965,142 ff.; Gauer, Trajanssäule 32 und Mazzarino, RhM a. O. Ohne zusätzliche Quellenzeugnisse ist es m. E. unmöglich, einer der vielen Hypothesen wie etwa Raven-

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na/Ancona-Salona oder Brundisium-Lissus den Vorzug zu geben. Wie sehr epigraphische Neufunde rein hypothetische Rekonstruktionen von Itineraren und Aufenthaltsorten korrigieren, zeigt sich am Beispiel der Inschrift des Ti. Claudius Maximus, der Trajan das Haupt des Decebalus überbrachte - und zwar nach Ranisstorum, einem bis dahin unbekannten und noch nicht lokalisierten Ort, an dem sich in der letzten Phase des Krieges Trajans Hauptquartier befunden haben muß (M. Speidel, JRS 60,1970,142 ff. = AE 1969/70, 583). Der Tod des Decebalus fiel in den Herbst des Jahres 106, sein Haupt wurde nach Rom geschickt (Dio 68,14,3); siehe Vidman, Fasti Ostienses246f.,101. Der Zeitpunkt der Rückkehr nach Romfielzwischen den Herbst 106 und Mai/Juni 107, zu welcher Zeit die Fasti Ostienses (Vidman 47, 102) seine Anwesenheit in Rom bezeugen. Weder der Brief des Plinius (8,4), in dem auf den Triumph Bezug genommen wird, noch die erstmaligen ADVENTVS-Prägungen (Strack 130 f.) geben in sich einen chronologischen Anhaltspunkt. Allenfalls die alexandrinische Münzprägung könnte einen Hinweis geben: Das eindeutig auf den Triumphzug hinweisende Bildmotiv mit dem in der Quadriga fahrenden Kaiser taucht nicht vor dem elften Jahr Trajans (29. August 107/108) auf (Vogt, Alexandrinische Münzen II 27), so daß ein Termin nicht allzu lange vor Mai/Juni 107 für die Rückkehr und den Triumph am wahrscheinlichsten ist. Das Datum der Abreise auf den parthischen Kriegsschauplatz, durch ein Suda-Exzerpt aus Arrians Parthika überliefert, dürfte gesichert sein; Malalas gibt den Oktober als Monat der Abreise an; zur Münzprägung (FORTVNA REDVX und PROFECTIO AVGVSTI) siehe Strack 215 f., 218. Eine Anspielung auf Trajans Reise über Griechenland findet sich möglicherweise in einer Ehreninschrift der argolischen Hafenstadt Hermione (IG IV 701), in der der Kaiser mit Ζευς Έμβατήριος gleichgesetzt wird. Die weitere Reiseroute von Athen gen Osten beschreibt Dio (68,17,3): Διά τε της 'Ασίας και δια Λυκίας τών τε έχομένων έ$ν