Islamische Stiftungen in Wirtschaft und Gesellschaft Syriens vom 16. bis 18. Jh. 9783112400487, 9783879971077

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Islamische Stiftungen in Wirtschaft und Gesellschaft Syriens vom 16. bis 18. Jh.
 9783112400487, 9783879971077

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Annette Kaiser • Islamische Stiftungen

Islamwissenschaftliche Quellen und Texte aus deutschen Bibliotheken.

begründet von

Klaus Schwarz herausgegeben von

Gerd Winkelhane

KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN

Islamwissenschaftliche Quellen und Texte aus deutschen Bibliotheken.

BAND 8

Annette Kaiser Islamische Stiftungen in Wirtschaft und Gesellschaft Syriens vom 16. bis 18. Jahrhundert

K S

KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN • 1999

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kaiser, Annette: Islamische Stiftungen in Wirtschaft und Gesellschaft Syriens vom 16. bis 18. Jahrhundert / Annette Kaiser. - Berlin : Schwarz, 1999 (Islamwissenschaftliche Quellen und Texte aus deutschen Bibliotheken ; Bd. 8) ISBN 3-87997-107-2

Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk oder einzelne Teile daraus nachzudrucken oder zu vervielfältigen. © Gerd Winkelhane, Berlin 1999. Klaus Schwarz Verlag GmbH, Postfach 41 02 40, D-12112 Berlin ISBN 3-87997-107-2 Druck: Offsetdruckerei Gerhard Weinert GmbH, D-12099 Berlin

Inhalt I. Einleitung

S.3

II. auqäf in Wirtschaft und Gesellschaft Syriens vom 16.-18.Jh

S.9

1. waqf im klassischen islamischen Recht 1.1 Der Stifter 1.2. Der Gegenstand des waqf. 1.3. Das Zustandekommen von waqf. 1.4. Der Zweck des waqf. 1.5. M7flij/-Verwaltung

S.9 S.9 S.9 S.10 S.ll S.ll

2. Die osmanische wa^-Gesetzgebung

S.12

3. auqäf und die Stadt im Osmanischen Reich 3.1. auqäf und die Entstehung urbaner Strukturen 3.2. auqäf und städtisches Leben

S.15 S.15 S.18

4. Die wirtschaftliche Bedeutung der Stiftungen 4.1. auqäf und die städtische Wirtschaft 4.2. auqäf und das Verhältnis Stadt-Hinterland 4.3. Formen der Langzeitpacht 4.4. Austausch istibdäl von waqf-Eigentum

S.22 S.22 S.27 S.31 S.39

5. waqf und bestimmte gesellschaftliche Gruppen 5.1. culamä° 5.2. Militärs 5.3. Frauen

S.41 S.41 S.43 S.44

6. waqfdurri und Familie 6.1. Die Rolle der auqäf durrlya für den Aufbau eines Familienvermögens und seine Bewahrung 6.2. waqfdurri und die Weitergabe von Besitz innerhalb der Familie

S.47 S.47 S.50

7. Schlussbemerkung

S.56

III. Eine waqfiya aus der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz Berlin (1074/1664)

S.59

1. Das Dokument

S.59

2. Der Stifter

S.59

1

3. Aufbau und Inhalt der Urkunde

S.63

3.1. Einleitung 3.2. Das Gestiftete 3.3. Die Bestifteten 3.4. Die Bedingungen Surüt 3.5. Das Ende der Urkunde

S.64 S.65 S.66 S.68 S.70

4. Zu den in der Urkunde genannten Personen und Familien

S.71

5. Zu den in der Urkunde belegten Immobilien-Transaktionen

S.74

5.1. Immobilientransaktionen

S.74

5.2. Verkauf von waqf.

S.77

6. Topographische Informationen

S.80

7. Schluss und Ausblick

S.81

IV. Bibliographie

S.85

V. Appendices A. In der Urkunde genannte Personen B. Das Gestiftete C. Die Beschreibung des Hauses Nr. 11 D. Transaktionen und qâdî-s

2

I. Einleitung Das arabische Wort für Stiftung waqf/auqäf (im Maghreb habs) bedeutet wörtlich "Anhalten", "Hinderung", was sich sowohl auf den Vorgang des Stiftens, als auch auf sein Ziel bezieht. Ein Eigentum, meistens ein Gebäude oder Stück Land, wird durch die Stiftung im "Rechtsverkehr angehalten" d.h. unterliegt im folgenden den vom Stifter festgesetzten Bestimmungen und kann nicht mehr das Eigentum Dritter werden.1 Der Stifter gibt damit die Verfügungsgewalt über sein Eigentum auf, und der Ertrag, den das Gestiftete bei Erhaltung seiner Substanz abwirft, kommt einem von ihm ausgewählten Zweck zugute.2 Das Ziel einer Stiftung konnte verschiedener Natur sein: Frömmigkeit und Armenfürsorge, Unterstützung einer bestimmten religiösen Lehre, Einrichtung und Instandhaltung öffentlicher Einrichtungen in den Stadtvierteln oder die Bewahrung des Familienbesitzes, um nur einige Aspekte zu nennen. Dementsprechend können Stiftungen auch unter verschiedenen Fragestellungen untersucht werden. In dieser Arbeit geht es vor allem um die soziale und wirtschaftliche Rolle der islamischen Stiftung. Das heisst nicht, dass den Stiftern in jedem Fall ökonomische und politische Ziele unterstellt und ihre religiösen Motive nicht ernst genommen würden, wie zuletzt sicher berechtigt von D.Crecelius kritisiert.3 Dass Stiftungen durch ihren rechtlichen Rahmen und den Umfang des durch sie verwalteten Besitzes unweigerlich wirtschaftliche und soziale Aspekte entfalteten, steht dazu jedoch nicht im Widerspruch. Gerade an der Geschichte derroflq/-Institutionlässt sich ein Zusammenhang zwischen individueller Frömmigkeit, Recht und sozialem und wirtschaftlichem Leben aufzeigen. Die Untersuchung der islamischen Stiftung ist darüber hinaus für die Sozial-und Wirtschaftsgeschichte des Osmanischen Reiches von grosser Bedeutung, auqäf investierten in grossem Umfang in religiöse und gemeinnützige Institutionen und verwalteten einen beträchtlichen Teil des städtischen und ländlichen Besitzes und seine Einnahmen. Auch durch ihre speziellen wirtschaftlichen Aktivitäten wie Vermietung oder Geldverleih beeinflusste die «wq/-Institution bestimmte Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft, wobei die Frage, ob diese Wirkung fördernd oder hemmend war, in der Forschung über auqäf immer wieder diskutiert wird. Andererseits wirkten aber auch wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Faktoren auf die Produktivität und das Funktionieren der Stiftungen ein.

R.Barnes, An Introduction to Religious Foundations, 1987, S.l; A.Kemke, Stiftungen im muslimischen Rechtswesen des neuzeitlichen Ägypten, 1991, S.19/20 2 A.Kemke, Stiftungen, 1991, S.19/20 ^D.Crecelius, Introduction, JESHO Special Theme Issue on Waqfs, Vol.38, Part 3, August 1995, S.261

3

Der waqf stellte eine zentrale Institution im wirtschaftlichen und sozialen Leben der Städte dar, denn er betraf Kernbereiche der Gesellschaft wie Eigentum, städtische Organisation, religiöses Establishment und Familie. Da Stiftungen in allen arabischislamischen Gesellschaften bis heute eine wichtige Rolle spielen -B.Kellner-Heinkele bezeichnet sie als "Grundpfeiler muslimischen Sozialverhaltens"4- können sie zudem als Instrument für einen Vergleich zwischen Zeiten und Regionen fungieren. Gleichzeitig ist ihre Entwicklung ein Beispiel für die Interaktion einer Institution des islamischen Rechts mit der jeweiligen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Realität. Mit Hilfe bestimmter Transaktionen wie istibdäl oder Langzeitpacht reagierte der waqf auf die Notwendigkeit konkurrenzfähig zu bleiben, einer Abwertung seines Besitzes entgegenzuwirken und einen Teil seiner Immobilien und Ländereien dem Markt zur Verfügung zu stellen. Diese Transaktionen dienten aber andererseits den Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, wobei den Richtern eine besondere Rolle zukam; sie mussten jede Umwandlung oder Veräusserung von Wflijf-Eigentum genehmigen. Die Untersuchung von waqflyät unter Berücksichtigimg weiteren Quellenmaterials eröffnet Einsichten in die Flexibilität einer Einrichtung, die nach ihrer rechtlichen Definition eine "Stillegung" von Besitz bewirkte. Die Tatsache, dass sich einzelne auqäf durch die Jahrhunderte veränderten, ihre Teile ausgetauscht, veräussert und in andere Stiftungen eingefügt wurden, steht diesem statischen Bild entgegen. Die Einrichtung eines waqf konnte schlicht das Werk individueller Frömmigkeit und Gottesfurcht sein. Stiftungen ermöglichten Notabelnfamilien aber andererseits auch, in Besitz zu investieren, dabei seinen Bestand zu sichern und die Erträge aus diesem Besitz der eigenen Familie, bestimmten Personen oder religiösen Institutionen zukommen zu lassen. Die Durchsetzung ihrer damit verbundenen sozialen und politischen Ziele wurde durch die genannten Transaktionen erleichtert, mit deren Hilfe waqf-Eigentum im Grunde wie Privateigentum besessen und veräussert werden konnte. Aber auch die Kontrolle über waq/'-Einnahmen stellte eine Quelle für Reichtum, soziales Prestige und politische Macht dar. Dies erklärt, warum die osmanischen Herrscher (wie die Herrscher früherer Dynastien) ein elementares Interesse an der M«iq/"-Institution haben mussten. Sie liessen bestimmte Gruppen von den Einkünften aus auqäf profitieren, bedrohten den Bestand der Stiftungen aber auch immer wieder durch Konfiszierungen, erlegten ihnen zusätzliche Steuern auf und machten so den grundsätzlichen Anspruch des osmanischen Staates auf den gestifteten Besitz deutlich. Der erste Teil der Arbeit behandelt im Überblick und ausgehend von der vorliegenden Sekundärliteratur 4 Themenkomplexe, die mögliche Forschungsrichtungen aufzeigen sollen: 1) den räumlichen Aspekt von auqäf. warum wurden bestimmte Gebäude oder ganze Komplexe im Rahmen einer Stiftung errichtet und welche Veränderungen ergaben sich daraus für das Stadtviertel? Was sagt die Wahl eines bestimmten Stadtviertels über die ^B.Kellner-Heinkele, Der arabische Osten unter osmanischer Herrschaft 1517-1800, in: U.Haarmann (ed.), Geschichte der arabischen Welt, 1987, S.327

4

Intention des Stifters aus? Welche Erkenntnisse gewinnen wir aus Wöijf-Urkunden über Strukturen der Stadtviertel und Gebäude und ihre Terminologie? Diese Fragen sind unter anderem in Arbeiten von A.Raymond (1974,1979,1985), D.Crecelius (1991), cAbd al-Aziz Badr (1992), und D.Behrens-Abouseif (1994) über Kairo und von A.Raymond (1979) und J.-C.David (1982) über Aleppo behandelt worden. 2) die Rolle der auqäf für die Schaffung und Unterhaltung öffentlicher und religiöser Einrichtungen in den Städten: dieser, vor allem auqäf hairiya betreffende Aspekt, wird in fast allen Untersuchungen zur Stadt in osmanischer Zeit behandelt. Hervorzuheben sind die bereits genannten Arbeiten von A.Raymond über Kairo und von A.Marcus über Aleppo (1979, 1983, 1989), sowie die Arbeit von M.M.Amin über auqäf im Kairo der mamlukischen Zeit (1980). 3) waqf als spezielle Form des Immobilien-und Landbesitzes und seine Rolle in der Wirtschaft der osmanischen Städte und ihres Hinterlandes: was unterschied auqäf und andere Formen von Eigentum, wovon hing die Produktivität der u>aq/-Institution ab, wie reagierte sie auf die jeweilige wirtschaftliche Situation? Welche Transaktionen wurden mit waijf-Eigentum durchgeführt? In diesen Bereich fällt auch die Frage nach dem Interesse der beteiligten Personen, der Stifter, Verwalter, Bestifteten5 und qädi-s an auqäf und insbesondere an bestimmten Transaktionen. Hier müsste sich weiterhin die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen diesen Akteuren, bestimmten gesellschaftlichen Gruppen und der osmanischen Verwaltung anschliessen. Zu diesem Themenkomplex sind neben den Arbeiten von D.Crecelius (1991) und cAbd al-Aziz Badr (1992, 1993) über Kairo, vor allem die Arbeiten von G.Baer (1979, 1997), O.Peri (1983,1992) und D.S.Powers (1984) über Palästina, die von G.Baer über Istanbul (1983), H.Gerber (1983) und R.C.Jennings (1973, 1990) über Edirne und Trabzon, die von R.Deguilhem (1986, 1987, 1988, 1991, 1995), J.A.Reilly (1990, 1995) und A.-K.Rafeq (1981,1992) über Damaskus, A.Marcus (1979, 1989) über Aleppo und R.Vesely (1995) hervorzuheben. Viele der in diesen Komplex fallenden Fragen sind jedoch aus der vorliegenden Literatur noch nicht zu beantworten und erfordern vor allem die Erschliessung weiteren Quellenmaterials. Für das mamlukische Kairo und das Damaskus des 19.Jh. liegen bereits erste Arbeiten vor, die die in bestimmten Serien von waq^-Dokumenten enthaltenen Informationen wie z.B. den Stifter, das Gestiftete, Transaktionen, Pachtverträge und die Rechtsschule, nach der das Dokument eingerichtet wurde, quantitativ erfassen.6 4) die Rolle der auqäf für die Konsolidierung von Familienbesitz, seine Weitergabe innerhalb der Familie und die Entwicklung bestimmter Familienstrukturen: für den Bereich des waqf durri/ahlt sind insbesondere die Arbeiten von A.Layish (1983, 1995, 1997), D.S.Powers (1993) und Y.Reiter (1995) zu nennen. ®Ich übersetze im folgenden mauquf'alaihil pi.mauquf'alaihim wörtlich mit "Bestiftete" oder nach einem in der deutschen Rechtssprache gebräuchlichen Terminus mit "Genussberechtigter"; A.Kemke, Stiftungen, 1991, S.63 ^S.Denoix, Pour une Exploitation d'Ensemble d'un Corpus: Les Waqfs Mamelouks au Caire, in: R.Deguilhem (ed.), Le Waqf dans l'Espace Islamique, I.F.E.A.D. 1995, S.29-44; R.Deguilhem, Approche Méthodologique d'un Fonds de Waqf, in: R.Deguilhem (ed.), Le Waqf dans l'Espace Islamique, 1995, S.4570

5

Diese im ersten Teil der Arbeit im Überblick dargestellte Sekundärliteratur soll die wichtigsten Aspekte der sozial-und wirtschaftshistorischen Forschung über auqäf in osmanischer Zeit aufzeigen. Ein Leitthema ist dabei die Flexibilität der zwjijf-Institution in ihrer Interaktion mit wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten. Wie sich zeigen wird, sind die genannten Themenbereiche jedoch nicht immer voneinander zu trennen und durchdringen sich auf verschiedenen Ebenen. Beispielsweise konnten auch Stiftungen, die in erster Linie der Etablierung und Sicherung einer Machtposition des Stifters in einem bestimmten Stadtviertel dienten, einen städtebaulichen Aspekt haben, ohne dass es sich um grossangelegte und zentral gesteuerte Projekte handelte. Auch dienten viele der zur Einrichtung und Instandhaltung religiöser und wohltätiger Institutionen gegründeten Stiftungen gleichzeitig den persönlichen Interessen des Stifters und seiner Familie. Gerade die gemeinnützigen Stiftungen auqäf hairiya konnten lokale Notabein acyün und osmanische Beamte für ihre sozialen und politischen Strategien nutzbar machen. Sie profitierten beispielsweise als Verwalter, Angestellte und Pächter von Einkommen aus diesen Stiftungen. Umgekehrt konnte auch ein zur Bewahrung des Familienbesitzes eingerichteter waqf bereits in der ersten Generation einen wohltätigen Zweck erfüllen und zudem eine beträchtliche Wirkimg auf die räumliche Struktur und das wirtschaftliche Leben bestimmter Stadtviertel ausüben. Die Familienstiftung waqf dum7 und gemeinnützige Stiftung waqf hairi werden dementsprechend nur in Aspekten gesondert behandelt, in denen sich ihre Rolle für Wirtschaft und Gesellschaft wesentlich unterschied. Das gilt für die Schaffung und Unterhaltung städtischer Institutionen, die vor allem durch auqäf hairiya finanziert wurden (Kapitel 3) und für den Schutz und die Weitergabe von Familienbesitz im Rahmen von auqäf durriya (Kapitel 6). Die Unterscheidung zwischen diesen Arten von Stiftungen sollte jedoch jedoch nicht als Ausgangspunkt gesehen, und waqf durrt als eine von der ursprünglich gemeinnützigen Stiftung abweichende, gesonderte Form betrachtet werden. Beide Arten von waqf haben einen gemeinsamen Ursprung und weisen dementsprechend beide eine bestimmte rechtliche Struktur auf. Sie konnten zudem beide demselben sozialen und politischen Zweck dienen.8 Unterschiede zeigen sich vor allem in der Art ihres Wirkungsbereichs, bei auqäf hairiya öffentliches und religiöses Leben, bei auqäf durriya Familie; aber auch hier gibt es, wie bereits angedeutet, wichtige Überschneidungen und Mischformen.

^Ich übersetze im folgenden waqf durrl mit Familienstiftung. Die Begriffe "privatnützig" und "gemeinnützig" halte ich für irreführend, da auch der waqf dum nach islamischer Rechtsauffassung ein gottgefälliges Werk darstellt. A.Kemke wendet gegen die Übersetzung "Familienstiftung" ein, diese sei zu eng, da auch Nicht-Familienmitglieder bestiftet wurden. Ich ziehe sie trotzdem vor, denn in den meisten Fällen von waqfdurri wurden in der ersten Generation tatsächlich Nachkommen des Stifters oder zumindest Mitglieder des weiteren Haushalts wie Sklaven oder Klienten begünstigt; die Bestiftung von Fremden stellte eher eine Ausnahme dar, A.Kemke, Stiftungen, 1991, S.63 n27 8 G. Baer, The Waqf as a Prop for the Social System (Sixteenth-Twentieth Centuries), in: Islamic Law and Society IV, 1997, S.264

6

Zum zweiten soll gezeigt werden, in welcher Weise die Quellen, a>aaq/-Aufseher näzir bestimmt. Er bekleidete das Amt des mutawalli häufig selber, nach der malekitischen Rechtsschule wurde die Stiftung dadurch jedoch ungültig. 24 Der Stifter au XVIe Siècle, in: Oriens 1968-69, S. 269,270 19W.Heffening, "Waqf", S. 1188 20J.Kresmàrik, Wakfrecht, S.547/48 21J.D.N.Anderson, The Religious Element in Waqf Endowments, in: JRAS, 1951, S.292/293,295; H.Cattan, The Law of Waqf, 1955, S.206 ^C.Cahen, Reflexions Sur le Waqf Ancien, in: Studia Islamica XIV, 1961, S.47/48,55 2^R.Deguilhem, History of Waqf, 1986, S.18; dies., The Loan of Mursad on Waqf Properties, in: F.Kazemi, R.D.McChesney (ed), A Way Prepared, Essays on Islamic Culture, N.York/London 1988, S.68 24W.Heffening, Waqf", S.1188

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konnte zusätzlich festlegen, auf welche Weise das Amt an zukünftige Generationen z.b. seine Nachkommen weitergegeben werden sollte. Fehlten solche Bestimmungen, ernannte der qädi einen Verwalter, wobei er den Nachkommen des Stifters den Vorzug gab. Dem qädi stand zudem ein Aufsichtsrecht zu und er konnte den Verwalter gegebenenfalls wieder absetzen.25 Der mutawalli durfte von den in der waqfiya festgehaltenen Bestimmungen nur in bestimmten Fällen abweichen, musste für die Vergrösserung des Stiftungsvermögens Sorge tragen und überflüssige Ausgaben vermeiden. So konnte er den Besitz verpachten, instandsetzen lassen und in bestimmten Fällen einen Autausch istibdäl vornehmen. Der Verwalter vertrat die Stiftung bei Rechtsstreitigkeiten vor Gericht.26 2. Die osmanische roaq/-Gesetzgebung Eine zentrale Kontrolle über die Stiftungen versuchten die muslimischen Herrscher bereits seit der Umayyadenzeit zu etablieren. Im 8.Jh. wurde in Ägypten eine spezielle waqf- Verwaltung, der diwän al-ahbäs eingerichtet, der die auqäf zum ersten Mal in einem sigill registrierte und durch die qädi-s beaufsichtigte. Ahnliche Massnahmen sind für Syrien unter der Fatimiden-Herrschaft bekannt. Waren die staatlichen Autoritäten seit dieser Zeit in der Lage, eine gewisse Kontrolle über die auqäf hairiya auszuüben, so wurden Familienstiftungen weiterhin nur von den einzelnen mutawalli-s beaufsichtigt; dies änderte sich in Syrien beispielsweise erst in der Mandatszeit (1920-1946).27 Spätestens seit den Fatimiden wurden Stiftungen von den Herrschern als Eigentum des Staates beansprucht und in vielen Fällen konfisziert.28 Dieses Bestreben erreichte einen Höhepunkt unter dem Osmanen Mehmet II. Er erklärte im Jahre 1470 alles Ackerland, auqäf inbegriffen, zum Staatsland und erkannte nur Wein- und Obstgärten als Privateigentum an.29 Bis zur zweiten Hälfte des 16.Jh. beanspruchte die osmanische Zentralverwaltung immer wieder durch Überprüfung von Besitz-Urkunden Ackerland in Privat-oder waqf-Eigentum als Staatsland. Konfiszierungen von Stiftungseigentum oder die Erhebung zusätzlicher Steuern auf icaq/'-Einkommen fielen später meist in Zeiten wirtschaftlicher Rezession.30 Ein Hauptproblem für die osmanische Verwaltung in Ägypten stellte im 16.Jh. die Frage dar, welche Ländereien zugunsten der Staatskasse besteuert und welche zu anderen 2 5 H.Cattan,

The Law of Waqf, 1955, S.204; J.Kresmârik, Wakfrecht, S.559/60

2 6 H.Cattan,

The Law of Waqf, S.204; J.Kresmârik, Wakfrecht, S.560,563,565f, 569

27 R.Deguilhem,

History of Waqf, 1986, S.84-86

28 W.Heffening,

"Waqf", S.1189

2 9 J.R.Bames,

An Introduction, 1987, S.38; V.P.Mutafchieva, Agrarian Relations in the Ottoman Empire in the 15th and 16th Centuries, N.York 1988, S.131f ^B.Johansen, The Islamic Law, 1988, S.81; R.Deguilhem, Ottoman Waqf Administrative Reorganization in the Syrian Provinces: The Case of Damascus, in: Arab Historical Review for Ottoman Studies 5-6, Février 1992, S.31 / 32

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Zwecken veräussert werden sollten. Theoretisch gehörten Landbesitz und Nutzungsrechte dem Sultan, der diese zurückbehalten, oder sie als Privateigentum und iqtäc verleihen konnte.31 Im Jahre 1553 wurde in Ägypten ein neues Landrecht verkündet, nach dem Ländereien in waqf- und Privatbesitz vom ägyptischen diwän bestätigt werden mussten. In den mamlukischen Registern als waqf, wohltätige rizqe oder miilk geführtes Eigentum wurde bestätigt, während timär oder militärische rizqe zugunsten der Staatskasse konfisziert wurden, auch wenn sie später in waqf- oder Privateigentum umgewandelt worden waren. Auf diese Weise konnte die osmanische Regierung 300 steuerabwerfende muqätaca-s wieder einsetzen, die in der späten mamlukischen und der frühen osmanischen Zeit veräussert worden waren.32 Unter dem Qänün al-Arädl, begonnen unter Sultan Sulayman al-Qanuni (1548-1567), stellte waqf eine Kategorie von Land dar; das Qänün beeinhaltete folgende Klassifikation:33 a) milk/mülk: Privateigentum, über das dem Besitzer das volle Eigentumsrecht zustand, und das der cusr Steuer unterlag; Privateigentum waren vor allem Gebäude und kleine Obst-und Gemüsegärten im Umland der grossen Städte.34 milk existierte durch Verleihung temlik von Eigentumsrechten an Staatsland miri, durch Urbarmachung brachliegenden Landes, durch einen Kaufvertrag entsprechend der $arica oder durch Bestätigimg von Privateigentum aus der Zeit vor der osmanischen Eroberung durch den Sultan, milk konnte gestiftet werden. b) mifi : Land, das Eigentum des osmanischen Staates war und weder verkauft noch gestiftet werden konnte, min konnte durch einen tabü/tapu Vertrag gepachtet werden, wobei dem Pächter die Nutzungsrechte für das Land zustanden. c) mawät/mevat: brachliegendes Land; jeder, der es kultivierte, konnte das Recht auf Bodennutzung tasarru/beanspruchen, nicht aber das auf Eigentum. d) mahmiya/matrüka: Kollektiveigentum eines Dorfes, einer Familie oder eines Clans, das nicht gestiftet werden konnte. d) waqf. das Qänün al-Arädi unterteilte auqäf in die zwei Kategorien waqf sahih und waqf gair sahih.35 auqäf sahiha waren Stiftungen aus m/Zfc-Land in den arabischen Provinzen, das der Zahlung von haräg oder cusr unterlag, waqf gair sahih bezeichnete Stiftungen aus mir;-Land. In letzterem Fall konnten das Eigentum an der Substanz des Landes raqaba/ rakabe und die Nutzungsrechte der Staatskasse und nur die Steuern der Stiftung 31

S.J.Shaw, The Land Law of Ottoman Egypt (960/1553), in: Der Islam 38,1962, S.109

S.J.Shaw, The Land Law, 1962, S.115-116; J .von Hammer, Staatsverfassung und Staatsverwaltung des Osmanischen Reiches, Bd.l, Hildesheim 1963, S.134ff

32

R.Deguilhem, History of Waqf, 1986, S.87f; H.Inalcik, The Ottoman State: Economy and Society 13001600, in: Inalcik/Quataert (ed.), An Economic and Social History of the Ottoman Empire 1300-1914, Cambridge University Press 1994, S.139-141 33

^R.Deguilhem, History of Waqf, 1986, S.87; im Damaskus der osmanischen Zeit lagen Parzellen und Gärten in Privatbesitz in der bewässerten Ghuta, J.A.Reilly, Status Groups and Propertyholding in the Damascus Hinterland 1828-1880, in: IJMES 21,1989, S.518 35 R.Deguilhem, History of Waqf, 1986, S.88; J.R.Bames, An Introduction, 1987, S.45

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gehören. Eine andere Möglichkeit war, dass entweder nur das Recht auf den Besitz des Landes oder diese zusammen mit den Nutzungsrechten abgetreten wurden, die raqaba aber beim Fiskus blieb. Allen diesen Fällen von waqf gair sahth war gemeinsam, dass es sich um die Übertragung von Rechten handelte, die ursprünglich dem bait al-mäl zustanden. Durch diese Form von waqf behielt sich die Staatskasse das Eigentumsrecht für uwqf-Ländereien und- Immobilien und die Kontrolle über seine Einnahmen vor.36 Entsprechend der iar'fa verblieb das einmal klassifizierte Land in seiner Kategorie als milk, miri und waqf. Wie ist aber die steigende Anzahl von Wflijf-Gründungen vor allem im 16.-18.Jh. zu erklären, wenn im Prinzip nur Privateigentum gestiftet werden durfte? In der durch eine Dezentralisierung und Schwächung der osmanischen Zentralverwaltung gekennzeichneten Zeit vom 17.- 18.Jh. wurde min-Land in grossem Umfang in milk umgewandelt.37 Die osmanische Regierung übereignete das Land einzelnen Personen durch einen sultanischen firmän und diese verwandelten es oft in waqf, um den Besitz vor Konfiszierung zu schützen. Sultane, Amire und osmanische Beamte gründeten darüber hinaus immer Stiftungen auf min-Land, wobei sultanische auqäf seit dem 15.Jh. der osmanischen Zentralverwaltung unterstanden. Einige der als auqäf sahiha klassifizierten Stiftungen bestanden jedoch gleichzeitig aus ererbtem oder gekauftem milk und min-Land, das der Stifter aufgrund eines sanad tabü Vertrags mit dem osmanischen Staat besass; diese auqäf unterstanden der Kontrolle der einzelnen Verwalter und unterlagen nicht den Bestimmungen des Qänün.38 In osmanischer Zeit wurde Privateigentum, mit dem auqäf eingerichtet werden konnte, vor allem durch den Herrscher und die Staatskasse zur Verfügung gestellt. Der von der Staatskasse gekaufte Landbesitz der Oberschicht und das Privateigentum von culama' und Militärs genoss Steuerprivilegien, wenn es in waqf umgewandelt wurde. Die Verwalter solcher Stiftungen waren von der Zahlung der fazräg-Steuer befreit und hatten trotzdem das Recht, von ihren Pächtern Pacht einzunehmen. Eine Stiftung aus haräg-Land im Eigentum der Bauern war hingegen steuerpflichtig. Der osmanische Herrscher stellte somit die Hauptquelle für Steuerprivilegien und neues Land dar, das zunächst in Privateigentum und dann in Stiftungen umgewandelt werden konnte.39

36

J.R.Barnes, An Introduction, 1987, S.45; R.Deguilhem, Ottoman Waqf, 1992, S.35

B.Johansen, The Islamic Law, 1988, S.82; H.Inalcik, The Ottoman State, 1994, S.23; Z.Ghazzal, L'Economie Politique de Damas durant le XIXe Siècle, I.F.E.A.D. 1993, S.103; R.Deguilhem, History of Waqf, 1986, S.89/90; J.R.Barnes, An Introduction, 1987, S.42 37

^R.Deguilhem, History of Waqf, 1986, S.91 39 B.Johansen, The Islamic Law, 1988, S.92,93

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3. auqäf und die Stadt im Osmanischen Reich 3.1. auqäf und die Entstehung urbaner Strukturen "Les grands waqfs... constituaient de véritables opérations d'urbanisme."40 Diese zuerst von A.Raymond formulierte These, nach der die grossen Stiftungen in Kairo und Aleppo im 16. und 17.Jh. einen Akt gezielter Stadtplanimg darstellten, ist zu einem Leitfaden für die Untersuchung von auqäf geworden. Ein der waq/-Institution eigener Aspekt war, dass die gestifteten religiösen Institutionen durch Mieteinnahmen aus kommerziell genutzten Gebäuden und Wohnhäusern unterhalten werden mussten, damit ihr Bestand in der Zeit, die Hauptbestimmimg einer Stiftung, gesichert werden konnte. Der waqf diente dabei insofern der Stadtplanung, als nicht nur bereits bestehende Gebäude gestiftet, sondern auch gezielt Gebäude für Stiftungen errichtet wurden. Das betraf sowohl die religiösen Einrichtungen als auch die zu ihrem Unterhalt erbauten Läden, Bäckereien, hän-e, Bäder u.s.w..41 Da es in den osmanischen Städten keine zentral gesteuerte, systematische Stadtplanung gab, war die Erbauung von Wohnhäusern und anderen Gebäuden im Rahmen solcher auqäf von grosser Bedeutung für ihre Entwicklung. Die Bautätigkeit der Stiftungen hatte dabei einen beträchtlichen Umfang. Im Zuge der grossen waqf-Projekte in der zweiten Hälfte des 16.Jh. beispielsweise verdoppelte sich in Aleppo die Fläche des Stadtzentrums. 42 Die Planung des jeweiligen Stifters zeigt sich in der Wahl des Viertels, in dem er das oder die religiösen Gebäude als Kern der Stiftung errichten liess. Der Standort und die Art der kommerziellen genutzten Gebäude, die diese Einrichtungen finanzieren sollten, geben Aufschluss über die wirtschaftliche Funktion der einzelnen Stadtviertel und ihr Verhältnis zueinander. Die Intention des Stifters und die Anteile gezielter Planung an einem Stiftungsprojekt lassen sich zudem an der räumlichen Struktur und dem Dekor der gestifteten Gebäude ablesen, wie J.-C.David für Aleppo gezeigt hat. 43 Eine Hierarchie der Eingänge und ihre entsprechende Ausschmückung, die Ausrichtung der waqf-Gebäude zum Rest des Viertels hin und die Berichtigung von Strassenverläufen im Rahmen eines Stiftungsprojektes konnten das Gesicht des Stadtviertels verändern. Die grossen, in städtische Strukturen eingreifenden auqäf des 15.-17.Jh. waren meist Stiftungen von osmanischen Gouverneuren oder hohen Staatsbeamten und in erster A.Raymond, Les Grands Waqfs et l'Organisation de l'Espace Urbain à Alep et au Caire à l'Epoque Ottomane (XVIe-XVlIe Siècles), in: BEO XXXI,1979, Damas 1980, S.114 Daur al-waqf fi nuSu3 wa-tatawwur al-mudun (jiläl al-casr al-'utmäm, in: Actes du Ve Symposium International d'Etudes Ottomanes, Zaghouan 1994, S.46/47 42 M.M.al-Arnäcüt, Daur al-waqf, 1994, S.56 '^J.-C.David, Le Waqf d'Ipgïr Päää à Alep (1053-1653), Étude d'Urbanisme Historique, I.F.E.A.D, Damaskus 1982, vor allem S.41ff

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Linie ein Ausdruck regional- und wirtschaftspolitischer Interessen der osmanischen Regierung. Diesen Projekten war die Errichtung einer Moschee oder madrasa gemeinsam, um die sich die zu ihrem Unterhalt notwendigen Läden, Brunnen, Bäckereien, Cafes, hän-e und qaisäriya-s gruppierten.44 Solche mit städtebaulichen Massnahmen in Zusammenhang stehenden auqäf bilden jedoch bei genauerer Untersuchung keine homogene Gruppe und hatten je nach der ökonomischen und politischen Situation der Städte verschiedene Ziele. In jedem Fall ist auch die Persönlichkeit des einzelnen Stifters und sein Interesse an bestimmten Standorten zu berücksichtigen. Die grossen Stiftungen der Gouverneure in Aleppo im 16.Jh. sollten die Infrastruktur des städtischen Marktes erweitern, wobei sich die Errichtung von Gebäuden für Handel und Handwerk auf die madina konzentrierte.45 Stiftungen dieser Art z.B. von Husrü PäSä 1544, Muhammad Pä5ä Düqakin Zäda 1555 oder Muhammad Päää 1574 in Aleppo, gruppierten die dem Unterhalt der Moschee dienenden Gebäude meist in ihrer unmittelbaren Nähe und bildeten ein organisatorisch und architektonisch kohärentes Ganzes. Der waqf von Bahräm Bäää 1583 in Aleppo weist jedoch bereits eine neue Dimension auf: die süq-s und qaisäriya-s entstanden nicht mehr in der Nähe der Moschee in der madina, sondern in einem nördlichen, neuen Vorort von Aleppo und anderen Stadtvierteln.46 Diese Verteilung der Gebäude auf verschiedene Stadtviertel und einen der neuen Vororte, kennzeichnend für viele Stiftungen des 17. und 18.Jhv spiegelt das veränderte Gleichgewicht zwischen den Stadtvierteln und das Bedürfniss nach kommerziellen Strukturen in den Vororten wieder. Die Charakteristik eines Viertels konnte dabei die Wahl der Gebäude einer Stiftung beeinflussen. So berücksichtigten die Funktionen des waqf IpSir Päää in Aleppo mit seinem grossen Café und mehreren qaisäriya-s die Rolle Gudayda's als ein in der Entwicklung begriffenes neues Viertel, das sich durch einen hohen christlichen Bevölkerungsanteil und das ansässige Textilhandwerk auszeichnete.47 Die Einrichtung von Stiftungen hatte manchmal aber auch die Veränderung städtischer Strukturen zum Ziel, wie im Fall der zwischen 1629 und 1647 in Kairo errichteten auqäf von Ridwän Bey, die Teil einer Wiederbebauung der südlichen Stadtteile waren und an deren Beginn eine Verlagerung der Gerbereien nach Bäb al-Lüq stand.48 Grundsätzlich lässt sich sagen, dass das 16.Jh. durch eine Phase der intensiven Bebauung und Erweiterung der Stadtviertel in den osmanischen Städten gekennzeichnet war. Die ökonomische Prosperität dieser Zeit führte zu einem Ausbau der städtischen Infrastruktur und zog die Verschiebung ganzer Handwerkszweige und ^ A.Raymond, Les Grands Waqfs, 1979, S.114; ders., Grandes Villes Arabes à l'Époque Ottomane, Paris 1985, S.225; J.-C.David, Le Waqf d'IpSir PâSâ, 1982, S.60 45

J.-C.David, Le Waqf d'IpSïr PâSâ, 1982, S.60; A.Raymond, Les Grands Waqfs, 1979, S.115f

^J.-C.David, Le Waqf d'IpSïr PâSâ, 1982, S.60 47J.-C David, Le Waqf d'IpSir PâSâ, S.64f A.Raymond, Les Grands Waqfs, 1979, S.120

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Bevölkerungsgruppen in bestimmte Viertel nach sich.49 Solche Akte gezielter Stadtplanung fanden oft im Rahmen von Stiftungsprojekten der osmanischen Gouverneure statt, die den juristischen Rahmen und die finanziellen Mittel für solche Immobilientransaktionen grossen Umfangs lieferten.50 Im 17.Jh. verlagerte sich der Schwerpunkt von einer flächenmässigen Erweiterung der Stadtviertel auf die Verdichtung ihrer Infrastruktur und aufgrund der knapper werdenden ökonomischen Mittel entstanden weniger grossangelegte Gebäudekomplexe. Die osmanische waqf-Po\itik in den Städten folgte jedoch keinem festgelegten und zentral gesteuerten Schema. Wie D.Behrens-Abouseif zeigt, war das Hauptziel der osmanischen Paschels im Kairo des 17.Jh. nicht Stadtentwicklung wie in Istanbul und anderen osmanischen Städten im 15. und 16.Jh., sondern die Erhaltung städtischer Strukturen, "urban maintenance". Die Stiftungen waren ihrer persönlichen Bedürfnisse entsprechend über die ganze Stadt verteilt und beinhalteten insofern keine gezielten Projekte in bestimmten Stadtvierteln.51 Es blieb in Kairo stattdessen Amiren und ägä-s überlassen, im Rahmen von auqäf ihr jeweiliges Stadtviertel zu formen. Solche "Nachbarschafts'-auijfl/von Amiren und ägä-s dienten entsprechend der Etablierung von Militärhaushalten und einer Infrastruktur in dem sie umgebenden Stadtviertel. Sie konnten die Renovierimg einer Moschee und die Errichtung eines sabil-maktab, einer kleinen Moschee oder zäunya beinhalten, die sich dann mit dem Namen des Stifters verband. Das Einkommen dieser auqäf ging vor allem an den Haushalt des Stifters, seine Nachkommen und freigelassenen Sklaven, und die gestifteten Gebäude dienten gleichzeitig als Hauptwohnsitz und "Zentrale" für den Amir und seinen Clan.52 Das Interessante an den von D.Behrens-Abouseif gegebenen Beispielen ist, dass sich städtebauliche Ziele und der Ausbau individueller Machtpositionen im Stadtviertel im Rahmen solcher auqäf durchdrangen. Ihre Struktur spiegelt den Rang des jeweiligen Stifters in der gesellschaftlichen Hierarchie des osmanischen Ägypten wieder. Die Errichtung von Gebäuden im Rahmen der beschriebenen auqäf konnte ihren Bestand in der Zeit sichern. Da bis zum 20.Jh. grosse Teile der arabischen Städte Stiftungen gehörten, blieben in vielen Fällen traditionelle Strukturen vor allem in der madlna erhalten. In manchen arabisch-islamischen Städten schützten die Stiftungen, in deren Besitz sich grosse Teile der süq-s befanden, zudem traditionelle Formen von

49

J.-C.David, Le Waqf d'lpSIr PaSa, 1982, S.61 /62 A.Raymond, Les Grands Waqfs, 1979, S.125

D.Behrens-Abouseif, Egypt's Adjustment to Ottoman Rule. Institutions, Waqf and Architecture in Cairo (16th and 17th Centuries), Leiden 1994, S.165 ^D.Behrens-Abouseif, Egypt's Adjustment, 1994, S.168/169

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Handwerk und Handel, indem sie für Läden und Werkstätten niedrige und stabile Mieten garantierten (zu dieser Frage siehe II., 4.1. und 4.3.).53 Ausserhalb der Städte spielten Stiftungen eine wichtige Rolle für die Gründung neuer Siedlungen, die der Behauptung der osmanischen Herrschaft in den neueroberten Gebieten des Reiches, vor allem auf dem Balkan dienten. Osmanische Sultane gründeten beispielsweise Klöster für bestimmte Sufi-Saih-e und ihre Orden an strategisch wichtigen Orten, entlang der Handelsrouten, in Grenzgebieten und christlichen Gegenden und bestifteten sie dann mit einer Moschee, Land und Gemüsegärten. Mit Hilfe dieser Stiftungen konnten sie den Sufismus als populäre Form des Islam für eine Islamisierung und Grenzsicherung nutzen.54 Im Biläd a$-Säm wurden im Rahmen von auqäf Stützpunkte entlang der Pilgerroute errichtet, deren Sicherung gegen Überfälle durch Beduinen für die osmanische Regierung von besonderer Bedeutung war. So Hess Sinän Päää 1595 in Qutayfa (nordöstlich von Damaskus) im Rahmen seines waqf zwei Gebäudekomplexe errichten, die jeweils eine Moschee, Schule, Gästehäuser, Bad und Läden beinhalteten. Ein anderes Beispiel ist der waqf von Lälä Mustafa Pä5ä, für den in Qunaitra (südwestlich von Damaskus) eine Karawanserei, Moschee, Schule, Zimmer für Arme und Reisende, Ställe, Bad und Küche erbaut wurden.55 3.2. auqäf und städtisches Leben Seit dem Mittelalter stellte das religiöse Bildungssystem den wichtigsten städtischen Wirkungsbereich der Stiftungen dar. Nach dem islamischen Recht waren madrasa-s fromme Stiftungen, die von Privatpersonen in ihrer Eigenschaft als Muslime und aus ihrem Privateigentum begründet wurden; die Auslegung und Anwendung ihrer rechtlichen Verfassimg lag dabei in der Hand der culama'. Nach einer in der Forschung vertretenen Ansicht hatte das mittelalterliche islamische Bildungssystem insofern einen "privaten Ursprung" und kann nicht als "staatliche Einrichtung" oder eine wie im europäischen Mittelalter von einem Souverän priviligierte Körperschaft verstanden werden.56 a«jaq/-Immobilien erhalten zu können.72 Jeder waqf war also einerseits den Bedingungen unterworfen, die der Stifter innerhalb des rechtlichen Rahmens vorgab, musste sich aber gleichzeitig auf dem städtischen Markt behaupten. Wie wir sahen, investierten vor allem auqäf haiiiya aber auch auqäf durriya in grossem Umfang in die städtische Infrastruktur. Das betraf zum einen den sozialen Bereich d.h. Ritus, religiöse Erziehung, Gesundheit und Wohlfahrt. Zum anderen entstand ein Grossteil der kommerziell genutzten Gebäude und ihre Ausstattung, Strassen, Beleuchtung, öffentliche Brunnen und Wasserleitungen im Rahmen von auqäf. Die Rolle der Stiftungen für die städtische Infrastruktur ist deshalb hervorzuheben, weil ihr Anteil am städtischen Kapital besonders hoch war und die Investitionen der Stiftungen auf dem Land, wie z.B. die Konstruktion von Wasserkanälen, Dämmen, Bepflanzung von Land oder der Kauf von Geräten fast immer städtischen Einrichtungen oder Familien zugute kam. Es gab darüber hinaus aber auch Stiftungen, die nicht der städtischen Wirtschaft, sondern dem Fernhandel dienten. Solche auqäf wurden ursprünglich begründet, um den jährlichen Transport des gestifteten Getreides für die Pilger und Bewohner von Mekka und Medina zu gewährleisten, für den neue Schiffe konstruiert und Kapitäne 71

M.Chamberlain, Knowledge and Social Practise, 1994, S.71

^A.Marcus, People and Property, 1979, S.188

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ausgebildet werden mussten. Es blieb jedoch nicht aus, dass sie nach einiger Zeit auch für den kommerziellen Transport von Waren wie Kaffee und Stoff zwischen Ägypten und der Arabischen Halbinsel und später auch in andere Regionen des Osmanischen Reiches und nach Europa genutzt wurden.73 Den wichtigsten Bereich wirtschaftlicher Aktivität stellte für auqäf die Vermietung von Gebäuden dar. Für den Unterhalt der gestifteten Moscheen oder Schulen waren sie ausschliesslich auf das Einkommen aus der Vermietung von Wohnhäusern, kommerziell genutzten Gebäuden und Land angewiesen. Da Privateigentümer in den osmanischen Städten in geringem Umfang vermieteten, stellten hauptsächlich die Stiftungen dem Markt Immobilien zur Verfügung und kontrollierten einen Grossteil des städtischen Mietaufkommens. Ein Ausschnitt für Aleppo 1751-1753 zeigt beispielsweise, dass 98 Stiftungen 448 kommerziell genutzte Gebäude vermieteten.74 Aufstellungen über den Besitz der auqäf und ihre jährlichen Einnahmen und Ausgaben, wie wir sie in Registern oder sigillät finden, enthalten entsprechend Informationen über Mietpreise und ihre Schwankungen. Diese zeigen, wie rentabel Gebäude waren, die wiederum bestimmte Wirtschaftszweige repräsentieren. Im Aleppo des 18.Jh. bezogen auqäf die Hälfte ihres Einkommens aus der Vermietung von Läden, Werkstätten, Bädern, Kaffeehäusern und Karawansereien; Wohnhäuser machten einen geringen Anteil aus.75 Im Hama und Horns des lö.Jh. warfen Karawansereien und Mühlen den grössten Gewinn ab, während die Vermietung von Läden und Häusern wenig lukrativ für die Stiftungen war. In der Provinz Trabzon des 16. und 17.Jh. stellten Bäder die wichtigste Einnahmequelle dar; die Pacht für Läden und Werkstätten war im Vergleich dazu niedrig.76 Unter normalen Umständen, d.h. bei einem stabilen Haushalt der Stiftungen, wurde ein Mietvertrag für waqf-Immobilien oder Land für höchstens drei Jahre abgeschlossen und die zu zahlende Miete durfte nicht unter der für vergleichbare Objekte ugrat d-mitl liegen.77 Das von den hanafitischen Juristen entwickelte Konzept der "angemessenen Pacht" ugrat al-mitl war anders als das der vertraglich festgelegten Pacht musammä nicht an die Absicht der beiden Vertragspartner gebunden. Lag die vertraglich festgelegte Pacht weit unter der angemessenen Pacht, konnten der qädt oder der Verpächter den Vertrag auflösen. Auch die Begrenzung der Vertragsdauer stellte eine Möglichkeit dar, M.cAfifi, Al-auqäf wa'l-maläha al-bahriya fi'l-bahr al-ahmar fiVasr al-cutmäni, in: R.Deguilhem (ed.), Le Waqf dans l'Espace Islamique, Outil de Pouvoir Socio-Politique, I.F.E.A.D.. Damaskus 1995, S.87-100 74 A.Marcus, The Middle East, 1989, S.180 A.Marcus, The Middle East, 1989, S.307; ders., People and Property, 1983, S.180 ^M.Ipçirli, A Preliminary Study of the Public Waqfs of Hama and Horns in the XVI Century, in: Studies on Turkish-Arab Relations, 1986,1, S.120; R.C.Jennings, Pious Foundations in the Society and Economy of Ottoman Trabzon, 1565-1640, in: JESHO XXXIII, 1990, S.277/278 75

^M.'Afîfî, Asâlîb al-intifacal-iqtisâdï bi'l-auqâf fi Misr fi'l-casr al-cutmâni, in: Annales Islamologiques, XXIV, 1988, S.104-105; N.Hanna, Habiter au Caire, La Maison Moyenne et ses Habitants aux XVIIe et XVIIIe Siècles, Institut Français d'Archéologie Orientale du Caire 1991, S.31

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den Verpächter gegen die Folgen einer zu grossen Differenz der beiden Formen von Pachtzins zu schützen.78 auqäf waren wie andere Immobilienbesitzer der Konjunktur des städtischen Marktes unterworfen. Wenn die Mietpreise im Zuge von Geldentwertung, der Zerstörimg von Gebäuden durch Erdbeben oder der Entvölkerung der Städte durch Seuchen sanken, konnte es schnell zu Defiziten im Haushalt der Stiftungen kommen.79 Die Stiftungen konnten aber auch ihrerseits auf den städtischen Markt einwirken. Untersuchungen für Sefrou in Marokko und Yazd in Iran haben beispielsweise ergeben, dass Verwalter von auqäf hairiya Mieten für kommerziell genutzte Gebäude auf einem deutlich niedrigeren Niveau hielten als Privateigentümer. Dies liesse sich unter anderem damit erklären, dass gemeinnützige Stiftungen nach dem allgemeinen Verständnis keinen Profit machen und öffentlichen Einrichtungen dienen sollten. Laut R.D.McChesney ist hierin auch ein wesentlicher Unterschied zu Familienstiftungen zu sehen, die weniger widerstandsfähig gegen politischen und ökonomischen Druck waren.80 Es wäre jedoch genauer zu untersuchen, in welchem Ausmass rechtliche Normen, Moral, die Bestimmungen des einzelnen Stifters, persönliche Interessen des Verwalters und die wirtschaftliche Situation der jeweiligen Region und Zeit solche Entscheidungen beeinflussten. Stellt man beispielsweise fest, dass auqäf niedrige Mieten in Langzeitverträgen festschrieben, die damit unbeeinflusst von Schwankungen blieben, so ist zu berücksichtigen, dass dies für unter malekitischem Recht abgeschlossene Langzeitpacht galt; nach der hanafitischen Rechtsschule wurde die Pacht eigentlich jährlich dem Markt entsprechend festgelegt (siehe II., 4.3.).81 Die Stiftungen mussten sich zudem wie andere Eigentümer auf dem städtischen Markt behaupten. Waren in finanzielle Bedrängnis geratene Verwalter manchmal gezwungen, eine Miete unter Marktwert zu akzeptieren, zeigten sie sich unter normalen Bedingungen oft sehr geschickt in ihrer Aushandlung. Im Aleppo des 18.Jh. lösten waqfVerwalter beispielsweise Verträge auf, weil ein neuer Pächter bereit war, mehr zu zahlen. Oft liess sich dann der ursprüngliche Pächter auf höhere Zahlungen ein, um den Pachtvertrag behalten zu können.82 Die Gerichtsakten enthalten allerdings auch Beispiele für Streitigkeiten zwischen Stiftungen und Mietern um eine Verzögerung der Mietzahlungen oder deren völliges Ausbleiben über Jahre hinweg. Dies musste die Stiftungen umso härter treffen, als sie, wie wir bereits sahen, ausschliesslich auf Mieteinnahmen angewiesen waren. So verzögerte beispielsweise im Ägypten der osmanischen Zeit der Mieter eines maskati die 78

B.Johansen, The Islamic Law 1988, S.33,34

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R.C.Jennings, Pious Foundations, 1990, S.272

"^gefunden bei R.D.McChesney, Waqf in Central Asia, Four Hundred Years in the History of a Muslim Shrine 1480-1889, Princeton University Press 1991, S.10; er zitiert die Arbeiten von Bonine, 1979 für Yazd und von Geertz, 1979 für Sefrou A.Marcus, People and Property, 1979, S.196; G.Baer, "hikr", in: EI New Edition, Suppl.5-6,1982, S.369 82

A.Marcus, People and Property, 1979, S.196/197

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Mietzahlungen 10 Jahre lang, um schliesslich einen Anspruch auf das wa^-Einkommen geltend zu machen.83 Einen dritten Bereich wirtschaftlicher Aktivität der Stiftungen stellten Reparaturen an Gebäuden dar, denn der Kampf gegen den Verfall von waq/'-Immobilien war für den Verwalter ein ständiges Problem.84 Reparaturen und die Zurückzahlung von Krediten belasteten das Budget der auqäf weitaus mehr als Steuern oder Ausgaben für Verwaltung und Löhne und oft mussten zur Deckung von Reparaturkosten Kredite aufgenommen werden.85 Ob waqf-Eigentum in höherem Masse als Privateigentum von Verfall bedroht war, ist nicht geklärt. Die Produktivität einer Stiftung hing jedoch in entscheidendem Masse von den Fähigkeiten und der Motivation ihres Verwalters ab, der oft eher an der Steigerung seines Einkommens interessiert war als an Investitionen in Reparaturen. In vielen Fällen eigneten sich der mutawalli oder näzir waij/-Einnahmen einfach an, ohne sie für den vom Stifter vorgesehenen Zweck zu verwenden, zu dem meist auch Reparaturen gehörten.86 Ein Mittel, um nötige Reparaturen durchführen zu lassen, stellten für die Stiftungen Langzeitpacht-Verträge dar. Die auqäf im Aleppo des 18.Jh. besassen 619 Parzellen städtischen Bodens mit Ruinen, der unter bestimmten Bedingungen an zukünftige Bauherrn verpachtet wurde.87 Der Austausch von waq/-Immobilien istibdäl war neben solchen Pachtverträgen eine weitere Möglichkeit für die Stiftungen, unrentablen Besitz zu veräussern, der so dem Immobilienmarkt zur Verfügung gestellt wurde. In einem vierten Bereich wirtschaftlicher Aktivitäten waren Stiftungen tätig, deren finanzielle Basis nicht Immobilien sondern Bargeld darstellte. Mit dem Gewinn aus den Kreditgeschäften wurden religiöse und soziale Einrichtungen finanziert und eventuelle Überschüsse erhöhten das ursprüngliche Kapital der Stiftung. Solche auqäf wurden seit dem Beginn des 15. Jh. von den osmanischen Gerichten genehmigt und waren gegen Ende des 16.Jh. in Anatolien und den europäischen Provinzen des Reiches bereits stark verbreitet. Sie verliehen Geld an die Stadtbevölkerung oder die Bauern und stellten damit eine wichtige Institution des Kreditwesens dar.88 ^M.'Afifi, A sä lib al-intifäc, 1988, S.106,107 ^R.C.Jennings, Pious Foundations, 1990, S.272; A.Marcus, People and Property, 1979, S.179; ders., The Middle East, 1989, S.306 85 A.Marcus, People and Property, 1979, S.185/186 ders„ The Middle East, 1989, S.306; R.Deguilhem, Ottoman Waqf, 1992, S.33, H.A.R.Gibb/H.Bowen, Islamic Society and the West, Vol.1, Part II, Oxford University Press 1962, S.176; zum Ägypten in mamlukischer Zeit: D.Crecelius, Introduction, JESHO Special Theme Issue on Waqfs, Vol.38, Part 3, August 1995, S.252

86

87

A.Marcus, People and Property, 1979, S.182

®®B.Yediyildiz, Institution du Vaqf au XVIIIè Siècle en Turquie-Etude Socio-Historique, Ankara 1985, S.116120; J.E.Mandaville, Usurious Piety: The Cash Waqf Controversy in the Ottoman Empire, in: IJMES10, 1979, S.289-308; für Trabzon: R.C.Jennings, Pious Foundations, 1990, S.272; M.Çizakça, Cash Waqfs of Bursa, 1555-1823, in: JESHO 38,3,1995, S.313,314,324

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Im Kayseri des 17.Jh. beispielsweise bestanden viele Stiftungen ganz oder zum Teil aus Bargeld und finanzierten sich nur durch Zinsen aus Kreditgeschäften; das dabei zur Verfügung gestellte Kapital war zwar eher bescheiden, genügte aber lokalen Bedürfnissen wie dem Kauf von Gemüsegärten.89 In Bursa nahmen im 18.Jh. 8,5%-9% der Bevölkerung Kredite von Stiftungen in Anspruch; sie finanzierten zudem Einrichtungen in den Bereichen Erziehung, Gesundheit und Wohlfahrt.90 Diese auqäf erfüllten entsprechend eine wichtige Funktion in den Städten, wo sie zudem in beträchtlichem Umfang Kapital zur Verfügung stellten. Das erklärt, warum die osmanische Regierung die Einrichtung trotz heftiger Kontroversen der Juristen sanktionierte.91 Laut F.Bilici entwickelten die osmanischen Juristen diese Institution auf dem Umweg über das Gewohnheitsrecht curf und den Begriff der Notwendigkeit häje sowie ausgehend von freieren Interpretationen des klassischen Rechts. Von J.E.Mandaville als "Revolution" bezeichnet, stellt die Einrichtung des "cash waqf" damit nach Ansicht von Bilici nichts anderes dar, als eine Weiterentwicklung der juristischen Beweisführung und die Rationlisierung einer populären Praxis im Bemühen um das Allgemeinwohl maslahat al- cämma. Stiftungen mit Bargeld waren seiner Meinung nach immer Bestandteil der osmanischen Landschaft, vor allem in den grossen Städten des Balkans und Anatoliens.92 Finden sich laut der ersten Untersuchung von J.E.Mandaville zu diesem Thema fast keine Hinweise auf die Verbreitung solcher Stiftungen in den arabischen Provinzen, so nennt B.Masters Beispiele für das Aleppo des 16. und 17.Jh., wo die Zinsen aus Geldverleih der Stiftungen vor allem den Armen zugute kamen oder mit ihrer Hilfe Steuern für bestimmte Stadtviertel bezahlt wurden. Prestigereiche, traditionelle Stiftungen wie die der Umayyaden-Moschee in Aleppo verliehen in grossem Umfang Geld an die Landbevölkerung; aus ihren Listen geht jedoch nicht hervor, ob sie dabei Zinsen berechneten. Dies könnte zeigen, dass die vor-osmanische Tradition, nach der ehrwürdige Einrichtungen, wie die der Umayyaden-Moschee Geld zinslos verliehen und die osmanische Praxis des "cash-waqf' nebeneinander bestanden. 93 Es ist allerdings anzumerken, dass der Verleih von Geld im Besitz eines waqf in die Kategorie des dayn ^R-CJennings, Loans and Credits in Early 17th Century Ottoman Judicial Records, The Sharia Court of Anatolian Kayseri, in: JESHO XVI, 1973, S.179,203 ^M.Çizakça, Cash Waqfs, 1995, S.336,337-346 91 M.Çizakça, Cash Waqfs, 1995, S.314; zu der im 16.Jh. aufkommenden Kontroverse der Juristen siehe J.E.Mandaville, Usurious Piety, 1979, S.295ff 92 Bilici, F., Les Waqfs Monétaires à l'Époque Ottomane: Droit Hanéfite et Pratique, in: Revue des Mondes Musulmans et de la Méditerranée 79-80,1997, Biens communs, patrimoines collectifs et gestion communautaire dans les sociétés musulmanes, S. 73,74ff, S. 86 ^^B.Masters, The Origins of Western Economic Dominance in the Middle East, Mercantilism and the Islamic Economy in Aleppo, 1600-1750, N.York 1988, S.161/162; A.-K.Rafeq schreibt hingegen, osmanische Gerichtsakten in Syrien gäben wie Mandaville richtig feststellte, keinerlei Hinweise auf die Anwendung dieser Praxis in Syrien, A.-K.Rafeq, The Syrian cUlamä, Ottoman Law and Islamic Sharfa, in: Turcica XXVI, 1994, S.9

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fiel, eine Form des Kredits, die in syrischen Gerichtsakten der osmanischen Zeit nicht mit Zinsen, sondern mit Gewinn murabaha in Verbindung gebracht wurde. Eine solche Investition war wie der Verleih von Geld eines minderjährigen Waisen zu dessen Gunsten erlaubt.94 Ein interessantes Beispiel für einen waqf an-nuqüd im Jerusalem des lö.Jh. stellt die Stiftung von Turgüd Aga aus dem Jahre 1564 dar.95 Eine Urkunde, sowie ein daftar mit 30 hugag dieses waqf enthalten Informationen über die ursprünglich gestiftete Summe und ihre erwartete Höhe am Ende eines jeden Jahres; demnach belief sich der Gewinn aus Zinsen für die Stiftung auf 15% jährlich.96 Die hugag geben zudem an, welche Personen in welchem Umfang von der Stiftung Geld liehen und belegen dabei, dass sich einige der wichtigsten Jerusalemer culamä' der Kredite bedienten, ohne dass sie an dieser wirtschaftlichen Aktivität der Stiftung Anstoss genommen hätten.97 Nach A.-K.Rafeq behaupteten die syrischen islamischen Gerichtshöfe hingegen ihr Verbot von Zinsen und erkannten diese Praxis nur widerwillig an, wenn eine Anordnung des Sultans es unumgänglich machte. Seiner Meinung nach spiegelt sich in dem Widerstand der syrischen culama> gegen die Unmässigkeiten der osmanischen Gesetzgebung ein allgemeiner öffentlicher Konsens wieder.98 Ob seine Einschätzung für die Praxis des waqf an-nuqüd in den Städten des Biläd ag-Säm tatsächlich zutrifft, wäre nur zu klären, wenn weitere Beispiele für diese Form der Stiftung untersucht werden könnten. 4.2. auqäf und das Verhältnis Stadt-Hinterland Die ländliche Umgebung der osmanischen Städte war ein integraler Bestandteil der städtischen Wirtschaft. Das Damaszener Hinterland beispielsweise, die Güta und Marg, sicherte das Überleben der Stadt in wirtschaftlichen Krisenzeiten, versorgte Damaskus mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen für das städtische Handwerk und diente gleichzeitig als wichtiger Absatzmarkt; ihre Ländereien und Gärten, wenn auch landwirtschaftlich genutzt, machten einen wichtigen Teil des städtischen Immobilienmarktes aus.99

94 A.-K.Rafeq,

The Syrian c Ulamä, 1994, S.16

Mandaville, Usurious Piety, 1979, S.308; M.Arnä'üt, Tatawwur waqf an-nuqüd fi'l-casr al- c utmäni (namüdag mufassal min madïnat al-Quds fi matla' al-casr al- c utmäm), in: Dirâsât 20, Januar 1993, No.l, S.356-382 ^ M . A m ä ' ü t , Tatawwur waqf an-nuqüd, 1993, S. 358-360; nach F.Bilici nahmen die osmanischen Stiftungen mit Bargeld im Durchschnitt 10% Zinsen, F.Bilici, Les Waqfs Monétaires, 1997, S.84 ^ M . A m ä ' ü t , Tatawwur waqf an-nuqüd, 1993, S.363 A.-K.Rafeq, The Syrian c Ulamä, 1994, S.26 "j.A.Reilly, Properties around Damascus in the 19th Century, in: Arabica XXXVII, 1990, S.91; A.-K.Rafeq, Economic Relations between Damascus and the Dependent Countryside, 1743-71, in: A.L.Udovitch (ed.),The Islamic Middle East 700-1900, Princeton/New Jersey 1981, S.676; A.Marcus, Men, Women and Property: Dealers in Real Estate in 18th Century Aleppo, in: JESHO XXVI, 1983, S.142

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Einkommen aus Landbesitz waren in osmanischer Zeit eine Haupteinnahmequelle für die städtische Oberschicht und halfen dieser, ihre soziale Position in der Stadt zu behaupten. Die Damaszener Notabein hatten im 18. Jh. grossen Einfluss im städtischen Hinterland durch Besitz von Dörfern oder ihrer Steuereinnahmen und der Gewährung von Krediten an die Landbevölkerimg. Auch im Aleppo des 18. Jh. gingen die Pachtund Steuererträge aus Landbesitz an eine kleine Gruppe reicher Familien und ihre Klienten.100 Erträge aus Landbesitz stellten für die auqäf in osmanischer Zeit eine wichtige Einnahmequelle dar. Religiöse Einrichtungen, waqf-Verwalter und bestimmte Familien profitierten von diesen Pachteinnahmen, die im Aleppo des 18.Jh. bis zu 22% des Jahreseinkommens der Stiftungen ausmachten und damit doppelt so produktiv waren wie städtischer Besitz.101 Im Jerusalem des 16.Jh. hatten die Gewinne aus ländlichen Ressourcen sogar einen Anteil von über 70% am Gesamteinkommen der auqäf hairiya.102 Die Höhe dieser Einnahmen konnte sich durch schlechte Ernten infolge von Trockenheit, Verwüstungen durch Beduinen-Stämme, Konfiszierung durch die osmanische Regierung und Schwankungen in der Bevölkerungszahl verändern. 103 Den Stiftungen gehörte ein grosser Teil des städtischen Hinterlandes, vor allem Obstund Gemüsegärten und kleine Felder, aber auch Mühlen und Ölpressen. In der Umgebung von Damaskus waren im 18.Jh. ganze Dörfer Eigentum der Stiftungen, deren Pacht-und Steuererträge an religiöse Einrichtungen in der Stadt und die auqäf von Mekka und Medina gingen; viele dieser auqäf waren jedoch auch Familienstiftungen.104 Die Verteilung der Einnahmen aus ländlichen Stiftungen und waqf-Dörfern kam jedoch nicht allen Städten einer Region in gleichem Masse zugute. Im Palästina des lö.Jh. beispielsweise gingen solche Einnahmen vor allem an die religiösen Einrichtungen in Jerusalem und Halü, in Ägypten und im Higäz; in viel geringerem Masse profitierten Moscheen in Gazza, Ramla und Nabi Müsä.105 In osmanischer Zeit konkurrierten verschiedene Gruppen um die Pacht, die von den Bauern eines Dorfes oder Steuerbezirks bezahlt wurde: Privateigentümer, waqf100 A.-K.Rafeq, Economic Relations, 1981, S.674; A.Marcus, The Middle East, 1989, S.137; M.L.Meriwether, The Notable Families of Aleppo 1770-1830: Networks and Social Structure, University of Pennsylvania PH.D. 1981, S.179,183 lOlj.A.Reilly, Rural Waqfs of Ottoman Damascus. Rights of Ownership, Possession and Tenancy, in: Acta Orientalia 51,1990, S.28; A.Marcus, People and Property, 1979, S.183; The Middle East, 1989, S.136,307 .Powers, Revenues of Public Waqfs in 16th Century Jerusalem, in: Archivum Ottomanicum 9,1984, S.191 .Powers, Revenues, 1984, S.194; siehe auch S.Faroqhi, Vakif Administration in Sixteenth Century Konya, The Zaviye of Sadreddin-i Konevi, in: JESHO XVII, 1974,2, S.156 104A-K .Rafeq, City and Countryside in a Traditional Setting. The Case of Damascus in the First Quarter of the Eighteenth Century, in: T.Philipp, The Syrian Land in the 18th and 19th Century, Stuttgart 1992, S.312 105 W.-D.Hütteroth, K.Abdulfattah, Historical Geography, 1977, S.100 und Karte 4

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Verwalter, Vertreter der osmanischen Regierung und timärl-s, Militärs, denen Dörfer als Entlohnung für ihren Militärdienst überlassen wurden. Aus dieser Konkurrenz um die Einnahme der Pacht entstanden immer wieder Streitigkeiten, die ihren Niederschlag in fatäwä fanden.106 waq/-Verwaltern und Privateigentümern wurde dabei von den Juristen insofern eine Priorität über iimär-Träger gegeben, als sie das rechtliche Prinzip verfolgten, nach dem der Verpächter Steuern zahlte, der Pächter hingegen Pacht. Da die Bauern als Pächter von waqf-Land Pacht und nicht Steuern zahlten, hatten weder der Herrscher, noch seine Vertreter das Recht, letztere von diesen zu erheben. Das Bezahlen der Landsteuer wurde so zu einem Privileg der Landbesitzer und waqf-Verwalter, die durch die Zahlung von haräg und cusr das Recht erhielten, ihre Pächter zu besteuern.107 Über die Pachterhebung und die Situation der Bauern auf woqf-Ländereien gibt es in der Forschung unterschiedliche Auffassungen. R.C.Jennings schreibt beispielsweise über das Trabzon des 16.-17.Jh., dass waqf-Dötier und timär-Dörfer sich nur insofern unterschieden, als erstere ihre Steuern an einen mutawalli oder Steuereintreiber der Stiftung zahlten und letztere an einen timär sipähi. Sie seien von den osmanischen Herrschern wahrscheinlich denselben jährlichen Sondersteuern avanz unterworfen worden wie timär-Dörfer und die recaya.m Nach V.Mutafchieva hatten Stiftungen im Osmanischen Reich des 15.und lö.Jh. hingegen in grossem Umfang finanzielle Freiheiten. Zum einen konnten sie zum Teil die durch den osmanischen Staat von den Bauern erhobene Kopfsteuer cizye einbehalten und andererseits die recaya vor allem der sultanischen Stiftungen und der auqäf grosser Landbesitzer von Sondersteuern befreit werden. Die Kombination dieser beiden Privilegien ermöglichte den Stiftungen wiederum, die Bauern zu ihren Gunsten höher zu besteuern, was nach Mutafchieva wesentlich zum Ansteigen ihrer Einnahmen beitrug.109 Vor allem Militärs und städtische Notabein strebten nach Erwerb von Eigentum oder Nutzungsrechten im städtischen Hinterland und dem damit verbundenen Machtzuwachs. miri-Land war im 17. und 18. Jh. fest in der Hand militärischer Feudalherrn oder der Besitzer von iltizäm und mälikäne (lebenslänglich verliehener Steuerpacht). Die Kontrolle über waqf-Land als Verwalter oder Pächter stellte jedoch einen Weg dar, auf dem städtische Notabein Zugang zu ländlichen Ressourcen erlangen konnten.110 Der Pachtvertrag erlaubte dem Pächter im Damaszener Hinterland in osmanischer Zeit normalerweise auf waqf-Land zu pflanzen, was er wollte; die Hälfte dieser Pflanzungen, oft auch 2/3 oder 3/4 gingen in sein Eigentum über, der Rest gehörte der Stiftimg. Der 106

B.Johansen, The Islamic Law, 1988, S.102

107

B.Johansen, The Islamic Law, 1988, S. 103

108

R.C.Jennings, Pious Foundations, 1990, S.320

109 V.Mutafcieva, Agrarian Relations in the Ottoman Empire in the 15th and 16th Centuries, Columbia University Press, N.York 1988, S.105-107 110

M.L.Meriwether, The Notable Families, 1981, S.181; A.-K.Rafeq, City and Countryside, 1992, S.312

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Pächter konnte vom roflijf-Verwalter zudem die Erlaubnis erhalten, Gebäude zu errichten, die dann wie Pflanzen und Bäume ganz oder teilweise sein Eigentum wurden; solch ein Pachtvertrag beinhaltete eine Langzeitpacht und wurde nach drei Jahren automatisch verlängert (siehe dazu II., 4.3.). Auf waqf-Land wurden vorwiegend Wohngebäude für die Bauern, Speicher, Mühlen und Olivenpressen erbaut.111 Pflanzungen, Gebäude und die qlma (eigentlich "Wert", bezeichnete z.B. Ställe, Mauern, Dünger und Futterpflanzen) konnten unabhängig vom waqf-Land, auf dem sie sich befanden, gepachtet, erworben, verkauft und vererbt werden. Man unterschied davon die Nutzungsrechte haqq at-tasarrufd.es waqf-Landes, im Damaskus des 18. und 19.Jh. als masadd maska bekannt.112 Bei einem Verkauf von Gebäuden oder Pflanzungen auf waqfLand wurde an den Käufer gleichzeitig das Recht auf die Bebauung des Bodens abgetreten, so dass er anschliessend über die Pflanzungen als Privateigentum und über das Land im Rahmen von masadd maska verfügte; handelte es sich um unbebautes Land ard saliha, wurde masadd maska und nicht das Land selber verkauft. Die Nutzungsrechte konnten von mehreren Personen gleichzeitig besessen und wie Privateigentum verkauft und vererbt werden. Im Damaskus des 18. und 19.Jh. stellte masadd maska einen Langzeitpacht-Vertrag für waqf-Land dar, im Rahmen dessen der Pächter einen festgelegten Anteil des von ihm angebauten Getreides erhielt und dann eine bestimmte Zeitspanne für den Anbau und eine zweite für die Ernte festsetzte.113 Diese verschiedenen Formen von Pacht konnten zu einer komplizierten Besitzstruktur auf waqf-Land führen, denn nicht immer lagen alle Rechte bei einer Person. Wie im nächsten Kapitel noch genauer gezeigt werden wird, erleichterten sie zudem die Aneignung von wa^-Ländereien durch osmanische Beamte, städtische Notabein und Militärs. Der waqf stellte somit eine Institution dar, die das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den osmanischen Städten und ihrem Hinterland entscheidend mitbestimmte. Die städtische Oberschicht profitierte mittels der Stiftungen von Erträgen und Steuern aus Landbesitz und eignete sich mit Hilfe von Pachtverträgen in der Umgebung der Städte Pflanzungen, Gebäude und Nutzungsrechte auf waqf-Land an. Die Kontrolle über den Besitz der Stiftungen im Hinterland als Verwalter oder Genussberechtigte stellte für die grossen Notabelnfamilien einen materiellen und sozialen Machtfaktor in der Stadt dar.114 A.-K.Rafeq / City and Countryside, 1992, S.312/313; J.A.Reilly, Rural Waqfs, 1990, S.33 A.-K.Rafeq, City and Countryside, 1992, S.307ff, S.313; J.A.Reilly, Rural Waqfs, 1990, S.32/33; S.37-40; für das 19.Jh. Z.Ghazzal, L'Economie Politique, 1993, S.106 111

112

113 Deguilhem, The Loan of Mursad, 1988, S.77/78 nl2; auch J.-P.Pascual erwähnt maSadd maska als Langzeitvertrag, der dem Pächter erlaubte, den Boden nach Ablauf der Vertragsdauer weiter auszubeuten, weil er möglicherweise in diesen investiert hatte, J.-P. Pascual, The Janissaries and the Damascus Countryside at the Beginning of the 17th Century according to the Archives of the City's Military Tribunal, in: T.Khalidi (ed.), Land Tenure and Social Transformation in the Middle East, Beirut 1984, S.367 n22 114

dazu vor allem: M.L.Meriwether, The Notable Families, 1981, S.179ff

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Die zwjq/'-Institution war zudem einer der Wege, auf dem Geld und landwirtschaftliche Produkte aus ländlichen Gegenden in die Stadt gelangten. Ländliche auqäf unterschieden sich insofern nicht von städtischen, als ihr Einkommen in beiden Fällen in erster Linie an städtische religiöse Einrichtungen und Familien ging.115 Die Untersuchung einzelner waqfiyät, die städtischen und ländlichen Besitz umfassen, kann Machtstrukturen auf der lokalen Ebene darstellen, denn wie wir sahen, gingen die Einnahmen der auqäf aus ländlichen Ressourcen nicht nach Istanbul, sondern an lokale Einrichtungen und Familien.116 Eine waqfiya enthält Informationen darüber, welche Art von Besitz auf dem Land der wäqif als Angehöriger einer bestimmtem Bevölkerungsgruppe stiftete und in welchen Dörfern sich sein Besitz konzentrierte. Oft machen die Dokumente auch Angaben über benachbarte Besitzer oder Stiftungen im selben Dorf und über Käufe und Verkäufe von Landbesitz; sie enthalten Informationen über Wasserrechte, die Art der Bebauung und den Umfang der Felder und Gärten. Um Aussagen über die Rentabilität dieses Landbesitzes, über das Pacht-und Steueraufkommen und seinen Anteil am Gesamteinkommen der Stiftungen treffen zu können, ist jedoch die Auswertung von tahfir-Registern und sigillät unerlässlich.117 S.Faroqhi untersucht beispielsweise für eine Stiftung im Konya des 16.Jh. anhand von tahrir und wa^f-Registern das Steueraufkommen einzelner waqf-Dörfer und ihrer Bewohner; dieses lässt wiederum Schlüsse auf das Pro-Kopf-Einkommen und den Lebensstandard der Landbevölkerung in dieser Region zu.118 4.3. Formen der Langzeitpacht Gestiftete Gebäude oder städtische Grundstücke standen entsprechend der Definition von waqf nur für die Vermietung zur Verfügung; auch Ackerboden wurde von den auqäf in den meisten Fällen nicht selber bebaut, sondern verpachtet.119 Nach der Auffassung der hanafitischen und malekitischen Rechtsschule durften städtische Immobilien in waqf-Eigentum dabei nicht länger als 1 Jahr, Ländereien nicht länger als 34 Jahre verpachtet werden.120 Im Damaszener Hinterland wurden entsprechend im J.A. Reilly, Rural Waqfs, 1990, S.29; R.Vesely, Procès de la Production et Role du Waqf dans les Relations Ville-Campagne, in: Deguilhem (ed.), Le Waqf dans l'Espace Islamique, I.F.E.A.D. Damas 1995, S.239,241; E.Ehlers, Waqf and the City of the Islamic East, 1991, S.62 116 S.Faroqhi, Vakif Administration, 1974, S.146; J.A.ReiUy, Rural Waqfs, 1990, S.29 115

'siehe dazu die oben genannten Arbeiten von Marcus über Aleppo und Powers über Jerusalem. Eine Auswertung von speziellen waqf-und fa/zrir-Registern findet sich ebenfalls in den Arbeiten von Ipçirli für Hama und Horns, 1986 und für Palestina, 1984; vgl. auch Kapitel 3.4. zu Berechnungen für städtischen Besitz. 118

S.Faroqhi, Vakif Administration, 1974, S.145-172

119

A.Marcus, The Middle East, 1989, S.180; M.'Afifi, Asâlïb al-intifâc, 1988, S.128

J.Kresmârik, Wakfrecht, 1891, S.565; J.Luccioni, Le Habous ou Waqf, Casablanca o.J., S.79; B.Yediyildiz, Institution du Vaqf, 1985, S.136; D.Behrens-Abouseif, Egypt's Adjustment, 1994, S.155 120

31

18.Jh. Pachtverträge cuqüd für waqf-Land jeweils für einen Zeitraum von 2-3 Jahren abgeschlossen und auch im Ägypten des 17.Jh. galten solche Pachtverträge für höchtens drei Jahre.121 In allen osmanischen Provinzen entwickelten sich jedoch Formen der Langzeitpacht, die nicht immer in den Handbüchern des klassischen islamischen Rechts auftaudien, aber seit dem 17.Jh. in den Gerichtsregistern die häufigste Form der Pacht für waqf-Eigentnm darstellten. Unter Aufsicht eines schafiitischen Richters abgeschlossene Pachtverträge in Damaskus beinhalteten beipielsweise im 18.Jh. bis zu 10 cuqüd d.h. 30 Jahre, im Aleppo des 18.Jh. wurden Pachtverträge bis zu 90 Jahren abgeschlossen und im osmanischen Kairo verpachteten viele Stiftungen ihre Grundstücke bis zu 99 Jahren.122 Wie wir bereits sahen, hatten viele städtische auqäf nicht immer genügend Mittel zur Verfügung, um die nötigen Reparaturen an den Gebäuden ausführen, geschweige denn neue Gebäude errichten zu lassen; das gleiche galt für die Bebauimg und Bewirtschaftung von Land. In vielen Fällen waren die Stiftungen auch bereits verschuldet und auf neue Einnahmen angewiesen. Langzeitpacht von waqf-Eigentum bedeutete zudem, dass gestifteter Baugrund oder Gebäude unter bestimmten Bedingungen dem städtischen Markt zur Verfügimg gestellt werden konnten. Da den auqäf grosse Teile des städtischen Eigentums gehörten, lösten solche Formen von Pacht das Problem, bestehende Stiftungen anerkennen und gleichzeitig neues Bauland erschliessen zu müssen.123 Eine in Ägypten und Syrien in osmanischer Zeit verbreitete Form von Langzeitpacht für Land und städtische Grundstücke in waqf-Besitz war hikr. Als Gegenleistung für die Instandhaltung, Verbesserung oder Restaurierung von waqf-Eigentum auf eigene Kosten erhielt der Pächter je nach Rechtsschule das Recht auf Dauerpacht, Nutzniessung oder sogar das Eigentumsrecht.124 Der Abschluss eines solchen Vertrages bedurfte immer der Genehmigung durch den qädi. hikr beinhaltete das Recht auf Bepflanzung oder Bebauung des waqf-Landes, wobei Pflanzen und Gebäude Privateigentum des Pächters wurden, das er verpachten oder verkaufen konnte. Nach malekitischem Recht zahlte der Pächter jährlich eine vertraglich festgelegte Summe und in den arabischen Provinzen nach hanafitischem Recht die "angemessene Pacht" ugrat al-mitl, die dem Markt entsprechend festgelegt wurde. Die Auswertung von w?aq/-Registern und sigillät zeigt jedoch, dass Wfcr-Pacht grundsätzlich niedrig und als Einkommensquelle für die Stiftungen nicht sehr rentabel war.125 Da der Pächter im m M. e AfifI,

Asälib al-intifäc, 1988, S.105

122 A.-K.Rafeq,

City and Countryside, 1992, S.314; J.A. ReiUy, Rural Waqfs, 1990, S.33; A.Marcus, People and Property, 1979, S.193; D.Behrens-Abouseif, Egypt's Adjustment, 1994, S.155 l^D.Behrens-Abouseif, Egypt's Adjustment, 1994, S.154 1 2 4 G.Baer,

Artikel "hikr" in:EI, New Edition, Suppl.5-6,1982, S.368ff; A.Marcus, People and Property, 1979, S.193ff; The Middle East, 1989, S.307; J.A.Reilly, Rural Waqfs, 1990, S.30; für Ägypten: M.cAfifi, Asälib al-intifä', 1988, S.112,113 1 2 5 G.Baer,

"hikr", 1982, S.369; A.Marcus, People and Property, 1979, S.194-197; R.C.Jennings, Pious

32

Rahmen von hikr hohe Summen in Besitz investieren sollte, war es naheliegend, dass ihm im Gegenzug eine niedrige Pacht garantiert wurde. Wie bereits erwähnt, waren in finanzielle Bedrängnis geratene Verwalter in einigen Fällen auch gezwungen, eine Pacht unter Marktwert zu akzeptieren.126 Um festzustellen, ob die Pachteinkünfte der Stiftungen im Rahmen von Langzeitpacht tatsächlich niedriger waren als bei einer kurzfristigen Vermietung unter normalen Bedingungen, müssten sie mit der durchschnittlichen Pacht für uwqf-Immobilien und Land des jeweiligen Ortes und der jeweiligen Zeit verglichen werden. Ahnliche Formen von Langzeitpacht stellten in Damaskus, Aleppo und Städten anderer Provinzen vom 16.-18.Jh. igäratain die "doppelte Pacht", igära tawila oder istihkär dar. Ein igäratain-Vertrag beinhaltete in Damaskus und Aleppo die Zahlung einer einmaligen Summe je nach Wert der Immobilie oder des Grundstücks bei Abschluss des Vertrages und zusätzlich einer jährlichen niedrigen Pacht.127 Diese Form der Pacht taucht nicht in den Handbüchern des klassischen islamischen Rechts auf und wird in der Darstellung eines osmanischen Autors aus dem 19.Jh. als in den Bereich des staatlichen qänün fallend beschrieben.128 Im Rahmen eines igära tawila- Vertrags zahlte der Pächter im Ägypten der osmanischen Zeit die ugrat al-mitl, von der seine Aufwendungen für Reparaturen an den gemieteten Gebäuden abgezogen wurden; je nach Höhe seiner Aufwendung und der Art des waqfEigentums konnte ein solcher Vertrag beispielsweise für 9, 27 oder 90 Jahre abgeschlossen werden.129 Im Damaskus des 18.-20.Jh. gab der istihkär-Wertrag dem Pächter Eigentumsrechte an den von ihm errichteten Gebäuden und konnte vererbt werden.130 J.-P. Pascual findet den Terminus ihtikär in einer waqfiya aus dem 16.Jh. und bringt ihn in Verbindung mit tawägur und muhäkara; im Damaszener Hinterland des 18.Jh. bezeichnete ihtikär einen Pachtvertrag, der für 20 caqd ä 3 Jahre abgeschlossen wurde.131 Einen Vertrag für künstlich bewässerte Gemüse-und Weingärten stellte musäqät dar (für Ackerland gab es einen anderen Vertrag: muzäraca132), dessen Anwendung in Damaskus hugag al-waqf aus dem 16.Jh. belegen, musäqät war ein Vertrag, der brachliegendes oder unbebautes Land in waqf-Eigentum für die Stiftung profitabel machen sollte. Nach Foundations, 1990, S.273 126 A.Marcus,

People and Property, 1979, S.196

127 A.Marcus,

People and Property, 1979, S.193; G.Baer, "hikr", 1982, S.368; W.Heffening, "Waqf", 1934,

S.1190

128 H.Gerber,

Economy and Society, 1988, S.171-172

129 M. c Afifi,

Asâlïb al-intifàc, 1988, S.110 130 R.Deguilh em, The Significance of the Awqaf Documents of 19th-20th Century Damascus to Current Research, in: A.Temimi (éd.), Les Provinces Arabes à l'Époque Ottomane, Zaghouan 1987, S.99 J.-P. Pascual, Damas à la Fin du XVIe Siècle d'après Trois Actes de Waqf Ottomanes, I.F.E.A.D. Damaskus 1983, S.68/69 n4; A.-K.Rafeq, Economic Relations, 1981, S.670 l^ 2 zu al-muzâraca B.Johansen, The Islamic Law, 1988, S.51ff

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hanafitischer Lehre wurde er zwischem dem waqf-Verwalter und einem Landwirt abgeschlossen, der Bäume und Reben entweder selber anpflanzen, oder für bereits vorhandene Bäume sorgen musste, bis sie Frucht trugen; meistens wurde diese Arbeit aber nicht vom Pächter selber ausgeführt, sondern von einem Bauern, der für ihn arbeitete.133 Dem Landwirt gehörten die Bäume und Reben, für die er verantwortlich war, als Privateigentum, nicht aber das waqf-Land, auf dem sie standen; als Entlohnung für seine Arbeit erhielt er einen Anteil von meistens 99% an der Ernte. Die verbleibenden 1% gehörten dem waqf zusammen mit einer jährlich zu zahlenden Summe für die Nutzungsrechte, die jedoch erst dann anfiel, wenn die Bäume begannen, Frucht zu tragen. Die Länge des Vertrages war entsprechend der Ernteperioden begrenzt, in der Praxis wurde er aber häufig verlängert und innerhalb der Familien weitergegeben.134 Eine Form von Langzeitpacht für städtischen waqf-Eigentum stellte hulü dar; sie war vor allem in Ägypten verbreitet, aber auch in Tunis, Jerusalem und Damaskus bekannt.135 hulü taucht nicht in den Handbüchern des klassischen islamischen Rechts auf, wird aber seit dem 16.Jh. vor allem in fatäwä malekitischer Rechtsgelehrter als Gewohnheitsrecht cwr/erwähnt.136 War eine Stiftimg nicht in der Lage, nötige Reparaturen auszuführen, erhielt der Pächter durch den hanafitischen qädi die Erlaubnis, diese aus eigener Tasche zu finanzieren. Während der Ausführung der Arbeiten zahlte er weiter die "angemessene Pacht" ugrat al-mitl; nach ihrer Beendigung wurde die von ihm ausgegebene Summe sein hulü und man einigte sich über eine neue Pacht.137 Der vor einem schafiitischen nä°ib abgeschlossene //«/«-Vertrag beinhaltete im Jerusalem des 19.Jh. den Abschluss eines Pachtvertrages für 30 cuqüd d.h. 90 Jahre. Nach der malekitischen Rechtsschule wurde der Pächter durch hulü zum Eigentümer des Besitzes zusammen mit dem waqf, er durfte den hulü zu einem von ihm festgelegten Preis verkaufen und ihn stiften. Malekitische Rechtsgelehrte erlaubten solche Ausgaben des Pächters zudem nicht nur im Fall dringend nötiger Reparaturen, sondern auch zu anderen Zwecken.138 In Damaskus und Aleppo des 17.-19.Jh. war hulü in der Verbindung kadak wa-hulü in Gebrauch. Dieser Vertrag erlaubte dem Pächter, die in dem gepachteten Laden oder in der Werkstätte vorhandenen Werkzeuge und Maschinen zu benutzen, die zur 133 R.Deguilhem, History of Waqf, 1986, S.314ff; dies., Waqf Documents, 1991, S.83/84, S.94; A.-K.Rafeq, City and Countryside, 1992, S.317; für Ägypten in osmanischer Zeit: M.cAfifi, Asälib al-intifäc, 1988, S.133, 134; für Bursa im 17.Jh.: H.Gerber, Economy and Society, 1988, S.170-171

R.Deguilhem, History of Waqf, 1986, S.315,316; dies., Waqf Documents, 1991, S.84/85 135g.Baer, The Dismemberment of Awqäf in 19th Century Jerusalem, in: Asian and African Studies 13, 1979, S.223/224; für Damaskus: R.Deguilhem, The Loan of Mursad, 1988, S.77n 12; dies., Approche Méthodologique, 1995, S.67; für Ägypten: M.cAfifi, Asälib al-intifäc, 1988, S.116-121 134

136

G.Baer, Dismemberment, 1979, S.222; M.cAfifi, Asälib al-intifäc, 1988, S.117

137lch beziehe mich hier auf die Beschreibung von hulü für das Jerusalem des 19.Jh. durch G.Baer, Dismemberment, 1979, S.220ff 138

G.Baer, Dismemberment, 1979, S.221-223; M.cAfifi, Asälib al-intifäc, 1988, S.117

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Ausübung seines Handwerks nötig waren.139 kadak (türk. gedik) bezog sich ursprünglich auf das Recht, einen bestimmten, von einer Zunft kontrollierten Beruf auszuüben. Im Damaskus des 18. und 19.Jh. bezeichnete kadak einen Langzeitpacht-Vertrag für waqfEigentum und taucht in Dokumenten als kadak wa-hulü vor allem für Läden in waqfEigentum auf. Bestimmte Familien besassen kadak-Verträge über Generationen; sie konnten zudem verkauft, verpachtet und vererbt werden.140 mursad, ein ebenfalls im Damaskus des 18. und 19.Jh. verbreiteter Terminus konnte ein Teil von hulü sein und bezeichnete die Summe, die der Pächter in Reparaturen an städtischen wa, asräf, Händler und Militärs. Erstere Gruppe ist für die Frage nach dem Verhältnis von ivaqf und Familie insofern nicht relevant, als sultanische auqäf nie Familienstiftungen waren und in erster Linie der Kolonisierung bestimmter Regionen, Bauprojekten und der städtischen Infrastruktur dienten. Die Bewahrung von Besitz zugunsten der Familie des Stifters traf als Motiv für Sultane insofern nicht zu, als diese keinen Besitz hinterliessen, der zwischen den Erben hätte aufgeteilt werden müssen.206 6.1. Die Rolle der Bewahrung

auqaf

durriya

für den Aufbau eines Familienvermögens und seine

Stiftungen waren auf verschiedenen Ebenen in die sozialen und politischen Strategien der a ° y ä n verwoben. Die Gründung von Familienstiftungen ist dabei von besonderer Bedeutung, denn sie war eng mit dem Aufstieg einzelner Notabelnfamilien verbunden und spiegelt ihren Rang in der städtischen Gesellschaft wieder.207

204

M.A.Fay, Women and Waqf, 1997, S. 4 2 , 4 7

2 "5j.A.Reilly, 2 0 6 R.Roded,

Women in the Economic Life, 1995, S.83; siehe auch die Ausführungen zur Berliner waqfiya

The Waqf and the Social Elite of Aleppo, 1988, S.73; zur Frage der sultanischen auqaf siehe

H.Gerber, The Waqf Institution, 1983, S . 4 3 / 4 4 2 0 7 M.Salati,

Urban Notables, 1995, S.187

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Charakteristisch für die Strategien von Notablenfamilien im Aleppo des 18.Jh. war beispielsweise, dass sie in Immobilienbesitz investierten und einen grossen Teil ihres Privateigentums in waqf umwandelten, in den meisten Fällen in waqf durri. Die Geschichte dieser Familienstiftungen weist dabei oft einen bestimmten Rhythmus auf. Am Anfang wurden häufig mehrere kleinere Stiftungen durch den "Gründer" der Familie eingerichtet, gefolgt von einem grossen waqf, der mit dem Namen der Familie und manchmal bereits einem bestimmten Stadtviertel verknüpft war. Familienmitglieder und Klienten der Familie richteten in der Folge weitere Stiftungen ein, um die Ressourcen des ursprünglichen waqf zu vergrössern. Die wichtigsten und sich dauerhaft haltenden Familien gründeten über die Jahrhunderte immer neue Stiftungen und renovierten die Gebäude der bestehenden auqäf.m Ein Beispiel für den Zusammenhang zwischen waqf und dem Aufstieg von Notabein im 17.Jh. stellt die Aleppiner Zuhräwi-Familie dar.209 Ahmad Zuhräwi übte als Verwalter die Kontrolle über grosse Stiftungen der Aleppiner airäf-Famüien und die auqäf für Mekka und Medina aus. Nach einer ersten Phase der Restaurierung des Familienbesitzes investierten die ZuhräwI-s in den Handel mit Seide, Kredite an die Landbevölkerung, Langzeitpacht hikr von waqf-Land und in die Seifenindustrie. Nachdem ein stabiles Familienvermögen aufgebaut worden war, ging es für die Zuhräwi-s darum, dieses zu bewahren; dazu wurde ein grosser Teil in waqf durri umgewandelt. Eine solche Stiftung des angesammelten Familienvermögens diente in zweierlei Hinsicht seiner Bewahrung. Zum einen waren auqäf in stärkerem Masse als Privateigentum vor einer Konfiszierung durch den osmanischen Staat geschützt und konnten in Krisenzeiten nicht zur Deckung von Schulden verkauft werden; letzteres gilt mit Einschränkungen, denn Teile von Stiftungen wurden durch istibdäl gegen Bargeld ausgetauscht.210 Auch osmanische Beamte und Gouverneure nutzten auqäf durriya, um Besitz für ihre Nachkommen zu bewahren. In Aleppo begünstigten fast die Hälfte der von osmanischen Beamten und Gouverneuren gegründeten Stiftungen die Familie des Stifters, wobei die Verwaltung ihrer grossen auqäf meistens in der Hand ihrer Nachkommen oder freigelassenen Sklaven lag.211 In Ägypten begründeten Gouverneure Stiftungen vor allem gegen Ende ihrer Amtszeit, da es in dieser kritischen Phase ihrer Karriere besonders wichtig war, den angesammelten Besitz gegen Konfiszierungen zu schützen.212 Zum anderen konnte der Stifter durch eine Familienstiftung die Einkünfte aus seinem Vermögen auf Dauer seinen Nachkommen zukommen lassen, ohne sich den M.L.Meriwether, The Notable Families, 1981, S. 162,170; R.Roded, The Waqf and the Social Elite of Aleppo, 1988, S.81/82 209 M.Salati, Urban Notables, 1995, S.188ff 210siehe u.a. M.L.Meriwether, The Notable Families, 1981, S.164 211 R.Roded, The Waqf and the Social Elite of Aleppo, 1988, S.83-85 212 D.Behrens-Abouseif, Egypt's Adjustment, 1994, S.159/160 208

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Bestimmungen des islamischen Erbrechts unterwerfen zu müssen. Aber nicht nur das Recht auf diese Einnahmen, sondern auch das auf die Verwaltung der Stiftung taullya konnte innerhalb der Familie des Stifters weitergegeben werden.213 Die mit der Aufteilung von Immobilienbesitz nach den Bestimmungen des islamischen Erbrechts verbundene Fragmentierung führte meist dazu, dass die Erben ihre Anteile z.B. an einem Wohnhaus nach und nach an Käufer ausserhalb der Familie veräusserten, oder sich untereinander ausbezahlten, bis es im günstigsten Fall im Besitz eines Familienzweiges blieb. Diese Art eines "unfreiwillig kollektiven" Besitzes war somit instabil und die Tendenz ging hin zu seiner Auflösung.214 Verhinderte eine Familienstiftung diese Fragmentierimg des Besitzes, stärkte sie aber gleichzeitig die Kernfamilie gegenüber der Grossfamilie. Diese Tendenz zeigt sich bei den einzelnen Bestimmungen der auqäf durriya (siehe dazu H.6.2.), ist aber auch schon durch den rechtlichen Rahmen des waqf angelegt. Familienmitglieder und Nachkommen hatten bestimmte Rechte auf das Einkommen aus dem Besitz, er gehörte ihnen aber nicht und sie besassen ein Wohnrecht in den gestifteten Gebäuden nur dann, wenn der Stifter dies ausdrücklich festlegte. Die Nachkommen des Stifters waren somit nicht mehr über gemeinsamen Besitz aneinander gebunden, sondern erhielten jeder einen Anteil am Einkommen des waqf, der mit der von Generation zu Generation steigenden Anzahl von Genussberechtigten zudem immer geringer wurde; es kam nicht einmal mehr zu einer Übergangsphase, in der die Familienmitglieder den Besitz kollektiv besassen musäc, wie dies oft nach der Aufteilung entsprechend der erbrechtlichen Bestimmungen der Fall war. auqäf durriya favorisierten somit keineswegs die Grossfamilie.215 Eine Reaktion auf diesen Effekt des waqfdurri könnte die explizite Stiftung eines Hauses als Familienresidenz gewesen sein. Im Aleppo des 18.Jh. beinhaltete fast die Hälfte der Familienstiftungen solch ein Haus, das den Kindern des Stifters und deren Nachkommen als gemeinsame Residenz zur Verfügung stehen sollte, und es wäre vorstellbar, dass in diesen Fällen das Modell des "erweiterten Haushaltes" angestrebt wurde.216 Die Stiftung einer Familienresidenz zeigt andererseits, dass der Stifter seine Familie an ein bestimmtes Viertel binden und damit ihrer räumlichen Präsenz in der Stadt Dauer verleihen wollte. Vor allem in Ägypten galt dies nicht nur für Familien im engeren Sinn, sondern auch für grosse Militärhaushalte, die Sklaven, Bedienstete und selbst Klienten des Stifters umfassen konnten. So beinhalteten die von Amiren und ägä-s in Kairo ^l^Diese Aspekte von waqf durri werden in fast allen Arbeiten erwähnt. Siehe z.B. R.Roded, The Waqf and the Social Elite of Aleppo, 1988, S.83; M.L.Meriwether, The Notable Families, 1981, S.171,208; A.Marcus, People and Property, 1979, S.215-217; R.Deguilhem, History of Waqf, 1986, S.69 214 A.Marcus, People and Property, 1983, S.154; M.L.Meriwether, The Notable Families, 1981, S.132 ^^A.Layish, The Family Waqf and the Sart Law of Succession, unveröffentlichter Vortrag, International Seminar on Social and Economic Aspects of the Muslim Waqf, Jerusalem 1979, S.60/61 216M.L .Meriwether, The Notable Families, 1981, S.126,127; siehe dazu auch M.Salati, Urban Notables, 1995, S.199

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gegründeten auqäf oft ein Gebäude, das als "Hauptquartier" für den Amir und seinen Klan diente. In seiner unmittelbarer Nähe wohnten die Mamluken des Amirs, von denen einer diese Residenz nach seinem Tod übernahm.217 Konnte die Kontrolle über bestehende auqäf hairiya oder grosse auqäf durriya ein dynamisches Moment für den Aufstieg der Notabelnfamilien darstellen, so stand die Umwandlung des Familienvermögens in eine Stiftung oft für einen Höhepunkt in ihrer Karriere. Es ging im folgenden darum, das Erreichte für die Nachkommen zu bewahren, und eine Fragmentierung des Besitzes zu vermeiden. Um letztendlich feststellen zu können, ob diese Muster in der Nutzung von auqäf in den osmanischen Provinzen allgemein vorherrschten, müssten allerdings mehr Beispiele für einzelne Familien gegeben werden. Die Häufigkeit und der Umfang von auqäf durriya können dabei die soziale Position und den Reichtum der Notabelnfamilien in einer Stadt aufzeigen. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Geschichte der Familienstiftungen parallel zur Geschichte der Familien verlief, die Entwicklung der auqäf durriya also etwas über den Auf-und Abstieg von Familien erzählt. 6.2. waqf durri und die Weitergabe von Besitz innerhalb der Familie Im Rahmen eines waqf durri konnte der Stifter bestimmen, wer von seinen Nachkommen Anspruch auf sein Eigentum haben und wie dieser Anspruch von Generation zu Generation weitergegeben werden sollte. Ein Vergleich der in einer waqfiya festgelegten Bestimmungen mit den Bestimmungen des islamischen Erbrechts zeigt, inwiefern der Stifter letzteres umgehen wollte und welche Besitzstruktur innerhalb der Familie er favorisierte. Die wichtigsten Kriterien stellen hierbei der Übertragungsmodus von Ansprüchen auf das a;a