Intime Arbeit und migrantische Unternehmerschaft: Professionalität, Körperlichkeit und Anerkennung in brasilianischen Waxing Studios Berlins 9783839436486

Through the views of Brazilian waxing studio managers, this book discusses the combination of migration, work, and gende

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German Pages 372 Year 2016

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Intime Arbeit und migrantische Unternehmerschaft: Professionalität, Körperlichkeit und Anerkennung in brasilianischen Waxing Studios Berlins
 9783839436486

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
1. Einleitung
1.1 Waxing in Berlin: Zum Aufschwung eines Geschäftszweiges
1.2 Kosmetikpflege: Konzeptionelle Annäherung an eine intime Arbeit
1.3 Zielsetzung und theoretische Verortung
1.4 Anmerkungen zur inhaltlichen und textlichen Gestaltung
2. Theoretische Einführung: Zur Schnittstelle von Arbeit, Geschlecht und Migration
2.1 Zur körperlichen und sozio-kulturellen Dimension von Arbeit
2.1.1 Subjektivierung, Interaktion und Körperwissen in der Dienstleistungsarbeit
2.1.2 Kritische Erweiterung: Arbeit entlang von Geschlecht, Klasse und ‚Rasse‘
2.1.3 Zusammenführung: Theoretische Verortung eines erweiterten Arbeitsbegriffes
2.2 Zerrbilder und Verortungen von Migrantinnen in deutschen Gender-, Arbeits- und Migrationsregimen
2.2.1 Kongruenzen und/oder Kausalitäten: Zur Verschränkung der Feminisierung und Ethnisierung im körperintensiven Dienstleistungssektor
2.2.2 Migrantische Unternehmerschaft als Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe? Anmerkungen zu den Debatten in Deutschland
3. Ethnographie in/über Waxing Studios: Methodisches Vorgehen und methodologische Einbettung
3.1 Zur Umsetzung der Forschung
3.1.1 Vorgehen
3.1.2 Feld und Zeit: Situierung der Forschung ‚vor der eigenen Haustür‘
3.1.3 Teilnehmende Beobachtung zwischen Kabine und Warteraum
3.2 Interviewsituationen: Erzählen-über, Sprechen-mit, Nachfühlen-von und die Herausforderung hermeneutischer Bündnisse
3.2.1 Zur Positionalität biographischer Interviews: Erzählte Arbeits- und Migrationserfahrungen
3.2.2 Themenzentrierte Interviews, verkörpertes Erzählhandeln und Grenzen eines Sprechens-über
3.3 Zusammenführung: Über die Möglichkeiten und Herausforderungen einer feministischen Ethnographie
4. Abgrenzungsarbeit: Zwischen Zuweisungen und Positionierungen brasilianischer Migrantinnen entlang von Zugehörigkeits- und Repräsentationsregimen
4.1 Feminisierungen der brasilianischen Migration
4.1.1 Einordnung in aktuelle Debatten internationaler Forschungen
4.1.2 Migrationstrajektorien brasilianischer Frauen in Berlin: Einige Steckbriefe
4.1.3 Brasilianerinnen als Heiratsmigrantinnen? Die Problematik einer solchen Zuordnung und ihrer medialen Darstellung
4.1.4 Entgegen wirkmächtiger Repräsentationen: Zur Diversität der Migrationstrajektorien
4.2 „Arbeit haben“: Positionierungen zwischen ‚Ausländer‘, ‚Ehefrau‘ und ‚Brasilianerin‘ in biographischen Erzählungen
4.2.1 „Was machst du?“: Arbeit als ambivalente Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe
4.2.2 Arbeitserfahrung, Wissenshoheit, verkörperte Empfindungen: Abwertungen und Zuweisungen in der körperintensiven Dienstleistung
4.3 Zusammenführung: Zur Komplexität der Verortungen und Zuweisungen der Brasilianerinnen als verAnderte Frauen
5. Selbständig werden: „Meine Geschichte mit dem Wachs“
5.1 Wege ins Waxing-Geschäft: Der Einstieg als Depiladora
5.2 Selbständig werden
5.2.1 Abwägungen, Rückhalte und Ressourcen
5.2.2 Risikobereitschaft und Stellenwert von Selbständigkeit
5.3 Das Studio verorten: Besonderheiten Berlins und des Geschäftsmodells
5.3.1 Wahl der Lokalität und Strategien der Sichtbarkeit
5.3.2 Das Studio ‚zum Laufen bringen‘, Mitarbeiterinnen finden
5.4 Das Studio leiten
5.4.1 Ambivalente Anerkennungen: „Sie staunen schon, wie ich das schaffe“
5.4.2 Zusammenführung: Neue Abhängigkeiten?
6. Kommerzialisierung des Intimen: Waxing zwischen Schönheitspraktik und Pflegearbeit
6.1 Körperhaarentfernung: Schönheitsnorm, Kosmetikpraktik und Geschlechterbilder kontrovers
6.1.1 Schönheit(sideale) und Körperenthaarung: Einblick in feministische Debatten
6.1.2 Körperpflege als Positionierungspraktik: Postkoloniale Kontexte in Brasilien mitdenken
6.1.3 Transnational eingebunden: Schönheitspraktiken als Körperpflegearbeit in Alteritätsnarrativen in Deutschland
6.2 Waxing als Dienstleistung: Expertin werden
6.2.1 Begegnungen und Berührungen I: Verräumlichte und verkörperte Professionalität
6.2.2 Begegnungen und Berührungen II: Emotionale Professionalität
6.3 Zusammenführung: Verkörperte Wissenshoheit im Arbeitsverhältnis zwischen Kundin und Depiladora/Studioleiterin
6.3.1 Positionierungspraktiken in der Kabine zwischen globalen Stereotypen, normativen Idealen, ‚deutschen‘ Ansprüchen und darüber hinaus
6.3.2 ‚Doing the dirty work‘ reloaded? Alte/neue Dynamiken ethnisierter vergeschlechtlichter Arbeitsperformanz
6.3.3 Abseits der Kabine: Neue Herausforderungen und Aushandlungsorte im Übergang zum urbanen Mainstream
7. Zusammenfassung: Anerkennung im Dazwischen von intimer Arbeit und migrantischer Unternehmerschaft
Literatur

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Maria Lidola Intime Arbeit und migrantische Unternehmerschaft

Kultur und soziale Praxis

Maria Lidola, geb. 1981, promovierte im Fach Ethnologie an der Freien Universität Berlin. Dort forschte und lehrte sie am ZI Lateinamerika-Institut zu Migration, Gender, Arbeit und urbaner Anthropologie. Anschließend war sie als Gastwissenschaftlerin an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro tätig.

Maria Lidola

Intime Arbeit und migrantische Unternehmerschaft Professionalität, Körperlichkeit und Anerkennung in brasilianischen Waxing Studios Berlins

Gedruckt mit Unterstützung der Ernst-Reuter-Gesellschaft e.V. und des ZI Lateinamerika-Instituts der Freien Universität Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Maria Lidola, Berlin, 2016 Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3648-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3648-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 9 1

1.1 1.2 1.3 1.4 2

Einleitung | 11 Waxing in Berlin: Zum Aufschwung eines Geschäftszweiges | 15 Kosmetikpflege: Konzeptionelle Annäherung an eine intime Arbeit | 20 Zielsetzung und theoretische Verortung | 24 Anmerkungen zur inhaltlichen und textlichen Gestaltung | 27 Theoretische Einführung: Zur Schnittstelle von Arbeit, Geschlecht und Migration | 33

2.1 Zur körperlichen und sozio-kulturellen Dimension von Arbeit | 37 2.1.1 Subjektivierung, Interaktion und Körperwissen in der Dienstleistungsarbeit | 38 2.1.2 Kritische Erweiterung: Arbeit entlang von Geschlecht, Klasse und ‚Rasse‘ | 43 2.1.3 Zusammenführung: Theoretische Verortung eines erweiterten Arbeitsbegriffes | 52 2.2 Zerrbilder und Verortungen von Migrantinnen in deutschen Gender-, Arbeits- und Migrationsregimen | 59 2.2.1 Kongruenzen und/oder Kausalitäten: Zur Verschränkung der Feminisierung und Ethnisierung im körperintensiven Dienstleistungssektor | 59 2.2.2 Migrantische Unternehmerschaft als Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe? Anmerkungen zu den Debatten in Deutschland | 67 3

Ethnographie in/über Waxing Studios: Methodisches Vorgehen und methodologische Einbettung | 77

Zur Umsetzung der Forschung | 78 Vorgehen | 78 Feld und Zeit: Situierung der Forschung ‚vor der eigenen Haustür‘ | 82 Teilnehmende Beobachtung zwischen Kabine und Warteraum | 89 Interviewsituationen: Erzählen-über, Sprechen-mit, Nachfühlen-von und die Herausforderung hermeneutischer Bündnisse | 96 3.2.1 Zur Positionalität biographischer Interviews: Erzählte Arbeits- und Migrationserfahrungen | 97 3.2.2 Themenzentrierte Interviews, verkörpertes Erzählhandeln und Grenzen eines Sprechens-über | 103 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2

3.3

Zusammenführung: Über die Möglichkeiten und Herausforderungen einer feministischen Ethnographie | 108

4

Abgrenzungsarbeit: Zwischen Zuweisungen und Positionierungen brasilianischer Migrantinnen entlang von Zugehörigkeits- und Repräsentationsregimen | 111

4.1 Feminisierungen der brasilianischen Migration | 113 4.1.1 Einordnung in aktuelle Debatten internationaler Forschungen | 113 4.1.2 Migrationstrajektorien brasilianischer Frauen in Berlin: Einige Steckbriefe | 120 4.1.3 Brasilianerinnen als Heiratsmigrantinnen? Die Problematik einer solchen Zuordnung und ihrer medialen Darstellung | 126 4.1.4 Entgegen wirkmächtiger Repräsentationen: Zur Diversität der Migrationstrajektorien | 137 4.2 „Arbeit haben“: Positionierungen zwischen ‚Ausländer‘, ‚Ehefrau‘ und ‚Brasilianerin‘ in biographischen Erzählungen | 141 4.2.1 „Was machst du?“: Arbeit als ambivalente Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe | 143 4.2.2 Arbeitserfahrung, Wissenshoheit, verkörperte Empfindungen: Abwertungen und Zuweisungen in der körperintensiven Dienstleistung | 156 4.3 Zusammenführung: Zur Komplexität der Verortungen und Zuweisungen der Brasilianerinnen als verAnderte Frauen | 162 5

Selbständig werden: „Meine Geschichte mit dem Wachs“ | 169

5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3

Wege ins Waxing-Geschäft: Der Einstieg als Depiladora | 173 Selbständig werden | 188 Abwägungen, Rückhalte und Ressourcen | 188 Risikobereitschaft und Stellenwert von Selbständigkeit | 199 Das Studio verorten: Besonderheiten Berlins und des Geschäftsmodells | 208 Wahl der Lokalität und Strategien der Sichtbarkeit | 211 Das Studio ‚zum Laufen bringen‘, Mitarbeiterinnen finden | 224 Das Studio leiten | 230 Ambivalente Anerkennungen: „Sie staunen schon, wie ich das schaffe“ | 230 Zusammenführung: Neue Abhängigkeiten? | 241

5.3.1 5.3.2 5.4 5.4.1 5.4.2

6

Kommerzialisierung des Intimen: Waxing zwischen Schönheitspraktik und Pflegearbeit | 247

6.1

Körperhaarentfernung: Schönheitsnorm, Kosmetikpraktik und Geschlechterbilder kontrovers | 250 Schönheit(sideale) und Körperenthaarung: Einblick in feministische Debatten | 250 Körperpflege als Positionierungspraktik: Postkoloniale Kontexte in Brasilien mitdenken | 260 Transnational eingebunden: Schönheitspraktiken als Körperpflegearbeit in Alteritätsnarrativen in Deutschland | 268 Waxing als Dienstleistung: Expertin werden | 277 Begegnungen und Berührungen I: Verräumlichte und verkörperte Professionalität | 280 Begegnungen und Berührungen II: Emotionale Professionalität | 294 Zusammenführung: Verkörperte Wissenshoheit im Arbeitsverhältnis zwischen Kundin und Depiladora/Studioleiterin | 307 Positionierungspraktiken in der Kabine zwischen globalen Stereotypen, normativen Idealen, ‚deutschen‘ Ansprüchen und darüber hinaus | 308 ‚Doing the dirty work‘ reloaded? Alte/neue Dynamiken ethnisierter vergeschlechtlichter Arbeitsperformanz | 313 Abseits der Kabine: Neue Herausforderungen und Aushandlungsorte im Übergang zum urbanen Mainstream | 320

6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.2 6.2.1 6.2.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3

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Zusammenfassung: Anerkennung im Dazwischen von intimer Arbeit und migrantischer Unternehmerschaft | 329

Literatur | 341

Danksagung

Dieses Buch ist mit der Hilfe und Unterstützung vieler Menschen entstanden. Allen voran seien die Protagonistinnen dieses Buches – die brasilianischen Berliner Waxing-Studioleiterinnen und Depiladoras – genannt, die mir über die Jahre ihre Zeit und ihr Vertrauen geschenkt haben. Sie haben über ihre persönlichen Erzählungen diese Forschung erst möglich gemacht. Egal ob anonym oder namentlich in diesem Buch genannt, all ihnen gilt mein allergrößter Dank. Weiterhin möchte ich meiner Mentorin und Doktormutter Ingrid Kummels danken, die sich sofort von meiner Begeisterung für dieses Thema anstecken ließ und mir mit Rat und Hilfe in allen Phasen meiner Forschung zur Seite stand. Für Diskussionen, Anregungen und wichtige Hinweise danke ich zudem meiner Zweitgutachterin Manuela Boatcă sowie Heike Drotbohm, Anne Ebert, Claudia Rauhut, Nina Lawrenz, Stephanie Schütze, Sven Kirschlager und Florian Walter. Nicole Sangmeister danke ich für ihr umfassendes und sorgfältiges Korrektorat. Vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin erhielt ich vielfältige finanzielle Unterstützungen sowohl für Kongress- und Forschungsreisen als auch für die Publikation dieses Buches. Ebenso möchte ich mich bei der Ernst-ReuterGesellschaft der Freien Universität Berlin für einen Druckkostenzuschuss bedanken. Meinem Lebensgefährten Lauro Silva Vinhatico gilt mein ganz besonderer Dank für seine unermüdliche Motivation, Unterstützung, Geduld und Rückendeckung, die ich über all die Jahre erhalten habe. Für die emotionale und moralische Unterstützung danke ich ebenso meinen Eltern und ihren Lebenspartner/innen, meinen Großeltern, meiner Schwester und meinen Schwäger/innen.

1 Einleitung

„Als ich den Warteraum des Studios Queen of Waxing betrete, höre ich, wie hinter der dünnen Kabinenwand die Studioleiterin Angelica mit gedämpfter Stimme darum bittet, das Bein anzuwinkeln; anschließend ein leises Rascheln und Klappern. Kurz darauf streckt Angelica ihren Kopf aus der Kabinentür hervor, und flüstert mir auf Portugiesisch zu: „Hallo meine Liebe, warte bitte noch ein bisschen. Ich bin viel zu spät dran. Das Mädel hier kam ohne TERMIN und ist so was von empfindlich!” Dann verschwindet sie wieder. Ich nehme auf dem kleinen gemütlichen Sofa in der Eingangshalle neben einer Vielzahl bunter Zeitschriften Platz und atme den mir mittlerweile gewohnten süßlichen Geruch von warmem Propoliswachs [auf Bienenharz aufbauende Wachspaste], der das gesamte Studio erfüllt. In regelmäßigen Abständen höre ich das surrende Geräusch vom Abziehen des erkalteten Wachses. Dann wieder Klappern und Rascheln, Tuscheln, hin und wieder ein kurzes Lachen von Angelica und betontes Ein- oder Ausatmen ihrer Kundin. Im Hintergrund dieser durch und durch körperlichen und vielfältig empfindsamen Interaktion der beiden Frauen, die durch eine beständige Überlagerung von schmerzhaften und beruhigenden Berührungen, von atemraubender Anspannung und spielerischer Zerstreuung, von gefühlvollen Zuflüstern und kraftgeladener Körperarbeit geprägt ist, ertönt leise Sambamusik. Ein paar Minuten nach meiner Ankunft verlässt Angelica mit einem verklebten Aluminiumtopf mit dem restlichen Wachs die Kabine, begrüßt mich mit einem Kuss auf die Wange und verschwindet in die kleine Küche hinter der Rezeptionstheke. Aus der Kabine tritt eine adrett gekleidete, hochgewachsene, dunkelblonde Dame, die – im Gegensatz zu meinen Erwartungen einer jungen Frau – etwa 50 Jahre alt ist. Sie holt ihr Portemonnaie aus einer eleganten Lederhandtasche hervor. Angelica, zurück am Tresen, setzt das Kabinengespräch über die anstehenden Ferien der Kundin fort, währen sie die Rechnung schreibt. Beinahe beiläufig fasst sie mit gedämpfter Stimme zusammen: „So, das ist einmal Brasil Bikini Klassik und Beine komplett. Das macht dann 35,- Euro.“ Ebenso beiläufig nimmt Angelica das Geld entgegen, stempelt die Bonuskarte des Hauses und blättert im Terminkalender. Eine weitere Zwischenbemerkung: „Sollen wir dann in vier Wochen ausmachen? Freitag, wie sonst? Und sollen wir dann gleich auch Bikini einplanen?“ Die Kundin bestätigt, steckt noch rasch eine Münze in die Sparbüchse auf dem Tresen und verlässt mit Angelicas besten Urlaubswün-

12 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT schen im Ohr das Studio. „O.k., fangen wir gleich an“, mahnt mich Angelica kurz darauf, während sie sich zu mir setzt. Anstatt der geplanten 60 Minuten bleibt uns nun noch eine Dreiviertelstunde für unser Interview bis zu Angelicas nächstem Kundentermin.“ (Tagebuchaufzeichnung vom 14.08.2012)

Diese Szene ereignete sich an einem Dienstagvormittag in Angelicas Waxing Studio in Berlin Prenzlauer Berg. Angelica ist eine von rund 30 Frauen brasilianischer Herkunft, die seit 2006 ein solches Studio im Berliner Stadtkern eröffnet haben und sich ganz dieser speziellen Methode der kosmetischen Körperhaarentfernung widmen.1 Die Szene repräsentiert beispielhaft meine empirische Forschung zu intimer Arbeit und gewerblicher Selbständigkeit brasilianischer Frauen im Kontext von (Brazilian) Waxing, sowohl bezüglich der Besonderheit des Forschungsfeldes – die körperbezogene Kosmetikarbeit des Waxing und die Waxing Studios –, als auch bezüglich der Akteurinnen dieser Forschung – den brasilianischen Studioleiterinnen: Ähnlich wie bei Interviewverabredungen mit anderen Studioleiterinnen drängte sich an diesem Tag ein unvorhergesehener und sich in die Länge ziehender Behandlungstermin dazwischen. Und ähnlich anderer Verabredungen wurde ich stille Mithörerin der sich hinter der dünnen Kabinenwand abspielenden intimen Interaktion zwischen den beiden Frauen, zwischen Angelica und ihrer Kundin, ohne diese jedoch direkt beobachten zu können. Denn die intime Interaktion fand in einem breiten Spektrum sensitiver Wahrnehmungen statt: Sie umfasste Gerüche, Blicke und Mimik, Gesten und Körperhaltungen sowie, in ihrem Zentrum, Berührungen, die nicht an der Körperoberfläche endeten, sondern ‚unter die Haut‘ gingen. Dafür konnte ich einmal mehr den wie so oft selbstverständlichen Austausch von Bezahlung, Termin- und Behandlungswunsch und Dankesbekundungen am Tresen verfolgen, über den beide Frauen – sich einander gegenüberstehend – das eingegangene Dienstleistungsverhältnis vorerst abschlossen. Genau solche Begegnungen und Berührungen, die im Rahmen der körperlichen und emotionalen Arbeit in den Waxing Studios täglich stattfinden, weisen eine Besonderheit auf: In den Kabinen treffen zwei Menschen aufeinander, die – jeweils eingebunden in einander überlappenden sozialen, kulturellen, ethnischen, ge-

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Waxing besteht ganz allgemein aus dem streifenweisen Auftragen einer warmen, auf Honig bzw. Propolis aufbauenden Paste entweder mit einem Spachtel oder einem speziellen Gerät, in die eine Wachspatrone eingeführt und erhitzt wird. Diese Streifen werden nach kurzem Erkalten mittels kurzer, kraftvoller Bewegungen von der Haut abgezogen. Der Vorgang wird solange wiederholt, bis die entsprechende Körperstelle enthaart ist. In der Regel werden die behandelten Körperstellen anschließend noch einmal mit einer Pinzette von den übriggebliebenen Härchen befreit. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Technik und seiner Umsetzung findet sich in Kapitel 6.

E INLEITUNG

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schlechtlichen Zugehörigkeiten und Zuschreibungen – außerhalb der Studios in einer solchen Intensität eher selten oder gar nicht miteinander in Kontakt kommen. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Aufschwungs des Waxing-Geschäfts konzentriert sich dieses Buch auf Aneignungs-, Aushandlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten brasilianischer Frauen als Unternehmerin und zugleich Dienstleistende in Berliner Waxing Studios. Auf den folgenden Seiten wird die enge Verflechtung von intimer, körperintensiver Dienstleistungsarbeit und migrantischer Unternehmerschaft herausgearbeitet. Dieses Untersuchungsfeld ist deshalb so interessant, weil es sich an der Schnittstelle einer zunehmenden gewerblichen Selbständigkeit unter Migrantinnen und eines sich ausweitenden Dienstleistungssektors verortet, der immer mehr auch eine körperbezogene Konsumkultur bedient. Zudem ist bemerkenswert, dass dieser Sektor – wie andere Formen körperintensiver Dienstleistungen wie die Pflege- und Fürsorgearbeit – in Deutschland zunehmend von nichtdeutschen Frauen übernommen wird und so durch eine Ethnisierung gekennzeichnet ist. Diese Studie diskutiert daher aktuelle Debatten über eine Feminisierung des personenbezogenen Dienstleistungssektors, der in den letzten Jahren nicht nur durch eine postfordistische Arbeitsorganisation gekennzeichnet ist, sondern zugleich ein verändertes, subjektiviertes Verständnis von Arbeit provoziert hat. Hinzugezogen werden Debatten über eine in diesem Zusammenhang konstatierte Ethnisierung, die vor allem in der körperintensiven personenbezogenen Dienstleistungsarbeit sowie der gewerblichen Selbständigkeit zu beobachten ist. Viele der Studien erklären diese Entwicklungen mit arbeitsmarktlichen Schließungs- und Zuweisungsmechanismen sowie gesellschaftlichen Ab- und Anerkennungspraktiken. Anhand des spezifischen empirischen Beispiels der Waxing-Branche sollen allerdings auch Abweichungen und Brüche zu dichotom verlaufenden Argumentationslinien zwischen Handlungsermächtigung und regimebezogener Unterordnung herausgearbeitet werden. Einer dieser Brüche ist bereits daran auszumachen, dass viele der Frauen, die in ihren Migrations- und Arbeitsbiographien unterschiedliche Erfahrungen im körperintensiven Niedriglohn-Dienstleistungssektor gemacht hatten, nun diejenigen sind, die ein Waxing Studio leiten. Insbesondere dieser Bruch lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Studioleiterinnen. Sie, so meine These, verkörpern die Komplexität und die Ambiguitäten, welche in vielfältiger Ausgestaltung in den Waxing Studios zusammenlaufen und nicht zuletzt auch Bestandteil der Überschneidung von Unternehmerschaft und intimer Arbeit sind. Einen akteurszentrierten, ethnographischen Ansatz verfolgend, stehen diese Frauen sowie die sozialen und kulturellen Praktiken in ihren Arbeitskontexten und Interaktionen daher im Mittelpunkt der vorliegenden Forschung. *

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Mein Interesse für dieses Forschungsvorhaben wurde gerade durch diese Ambivalenzen sowie die zunächst erscheinenden Widersprüchlichkeiten geweckt: Bei Frauen wie Angelica, deren persönliche Geschichte ich seit einigen Jahren verfolge, veränderten sich Erzählungen mit der Entscheidung, sich gewerblich selbständig zu machen und ein Waxing Studio zu eröffnen. Angelica hatte zuvor jahrelang als Kellnerin und Kinderbetreuerin gearbeitet. Einige Frauen, die sich ebenfalls für die gewerbliche Selbständigkeit mit einem Waxing Studio entschieden, waren zuvor etwa als Haushaltsarbeiterin oder als Reinigungskraft tätig gewesen. Wieder andere arbeiteten in anderen personenbezogenen Dienstleistungen, so in Promotion-Jobs oder als Verkäuferin. Ich verfolgte bei einigen von ihnen die Sorgen und Existenzängste in den ersten Monaten nach der Studioeröffnung, die jedoch von Zuversicht und Selbstvertrauen in die eigene Arbeit und das eigene Können begleitet waren. Ich beobachtete, wie sie Vertrauen zu den ersten Kundinnen aufbauten und Schritt für Schritt eine Stammkundschaft gewannen, wie Terminkalender sich füllten und weitere Mitarbeiterinnen eingestellt wurden, sie sich zugleich mit Lob aber oft auch Kund/innenkritik in Online-Foren und von Kolleginnen anderer Studios auseinandersetzen mussten. Und trotz des Erfolges vieler Studios erlebte ich bei Angelica und anderen Studioleiterinnen, wie sie weiterhin zwischen finanziellen und beruflichen Erfolgen und Rückschlägen und damit zusammenhängenden sozialen und kulturellen Zuweisungen, An- und Aberkennungen balancieren mussten. So hoffen sie als Unternehmerinnen, dass auch im nächsten Monat ihr Studio ausreichend Kund/innen anziehen würde, um alle Rechnungen bezahlen zu können. Gleichzeitig aber wünschten sie sich genügend freie Zeit für sich, ihre Familien und Freunde. Die gewonnene Unabhängigkeit im Hinblick auf frühere Vorgesetzte und willkürliche Arbeitsanweisungen wurden eingetauscht gegen neue Abhängigkeiten: Nun trugen sie Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und mussten das erfolgreiche Funktionieren ihres Studios gewährleisten. Als Mütter und Ehefrauen wiederum mussten sie mit ihren Kräften haushalten, um auch nach Feierabend den Erwartungen ihrer Kinder und Lebenspartner gerecht zu werden. Von ihren Partnern wiederum erhielten viele Frauen aber auch jede Form der Unterstützung für das Gelingen ihres Geschäftes. Und oftmals waren es auch sie, die Studioleiterinnen, die nach Feierabend und an Sonntagen bis in die Nacht das Studio reinigen mussten. Zugleich war ich neugierig darauf, wie diese Frauen innerhalb kurzer Zeit über ihre Arbeit dazu beitrugen, diesen Geschäftszweig in Berlin so erfolgreich zu etablieren und so das Bild der Branche mitprägten. Obwohl die Waxing-Methode erst seit wenigen Jahren in Deutschland bekannt ist, wird sie als Körperpflegearbeit mittlerweile als selbstverständlich von einer beständig wachsenden Klientel, vor allem in den urbanen Zentren, in Anspruch genommen. Als personenbezogene, interaktive Dienstleistung, bei der die kosmetische Arbeit gegen Bezahlung an eine andere Person delegiert wird, ist Waxing Teil der stetig expandierenden Körperpflege-

E INLEITUNG

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und Schönheitsbranche geworden. Diese besteht eben nicht nur in sich diversifizierenden Kosmetikprodukten und miteinander konkurrierenden Kosmetikketten. Sie dehnt sich insbesondere in ihren Dienstleistungen und Orten, an denen diese Körperarbeit von anderen Personen verrichtet wird (Kosmetikstudios, Friseursalons, Spas, Massage-Studios etc.), beständig aus. Bemerkenswert ist diesbezüglich, dass Waxing in dieser Form bisher nicht Bestandteil der in Deutschland gängigen Kosmetikerinnen-Ausbildung war und bis zum Ende dieser Forschung bis auf behördliche Vorgaben zu Sicherheit und Hygiene der Einrichtung keine festen Qualitätskriterien oder Einstiegsbarrieren vorhanden waren. Professionalität und Qualitätskriterien, so eine meiner Hypothesen zu Beginn der Forschung, mussten daher über die direkte Arbeitsperformanz in den Studios und den Kabinen hergestellt werden, also im Moment der Interaktion zwischen Dienstleistender und Dienstempfangender. Dies war doppelt bemerkenswert, da diese Interaktion einerseits in der Regel zwischen einer Kundin der deutschen Mehrheitsgesellschaft und einer Arbeiterin stattfand, die als Migrantin und damit als ‚Ausländerin‘ markiert ist. Professionalität, so meine Hypothese weiter, musste also auch entlang kultureller/ethnisierter Zugehörigkeitsregime und damit verbundener Klassenpositionen verhandelt werden. Andererseits weist Waxing im Vergleich zu anderen Kosmetikpflegearbeiten eine besondere physische Intimität zwischen Kundin und Dienstleistender auf: Sie umfasst eine Diversität von Berührungen zwischen den beiden Beteiligten, die intimste Körperzonen umfassen können und innerhalb einer Bandbreite von Schmerz und Entspannung verortet sind. Diese Intensität des physischen Kontakts weist Ähnlichkeiten mit anderen Formen körperintensiver Arbeit, etwa im Pflege- und Fürsorgesektor auf. Teil der Professionalität und des damit verbundenen Arbeitswissens muss daher auch ein Gefühl für die Sensibilität der Kundin sein, und die situative, subjektive Anpassung der Arbeitsperformanz an diese, wie ich es bei Angelica an jenem Dienstagvormittag beobachtete. Gefühl in Form des eigenen Körperwissens und in Form eines zu manipulierenden Empfindens beim Gegenüber ist jedoch nur schwer als objektivierbares Arbeitswissen und damit über konkrete Kriterien greifbar. So wollte ich auch erfahren, was dazu beitrug, dass Waxing sich als Kosmetikdienstleistung innerhalb kurzer Zeit erfolgreich etablieren konnte. Welche Strategien und Taktiken verfolgten die Frauen hierfür?

1.1 W AXING IN B ERLIN : Z UM AUFSCHWUNG EINES G ESCHÄFTSZWEIGES Waxing erlebt seine Popularität bei den Kund/innen gerade nicht als ein lediglich weiteres Angebot unter anderen kosmetischen Arbeiten in herkömmlichen Kosmetiksalons, auch wenn es dort zunehmend Eingang in das Repertoire gefunden hat.

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Vielmehr ist es eng mit der Geschäftsform der Waxing Studios verbunden, die das Bild der Branche prägen und sie in den zentralen Stadtbezirken Berlins sichtbar machen. Diese Studios konzentrieren ihr Angebot oftmals fast ausschließlich auf diese spezielle Form der Körperhaarentfernung. Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren weder diese Unternehmensbranche noch die Methode des Waxing den deutschen Kund/innen bekannt, obwohl diese Haarentfernungsmethode bereits seit den 1980er Jahren eine transnationale und transkulturelle Biographie2 vorweisen kann. Diese Biographie erstreckt sich von Südeuropa, insbesondere Spanien, nach Brasilien bis in die USA: In Brasilien löste die heute als Waxing bekannte Methode in den 1980er Jahren andere Formen der Haarentfernung ab und verbreitete sich ab den 1990er Jahren mit viel Erfolg in den USA. Dem Gründungsmythos folgend, sorgten dort sieben Schwestern (die sogenannten „J-Sisters“), die aus dem brasilianischen Bundesstaat Espírito Santo in die USA migrierten, für Aufmerksamkeit, als sie nicht nur die bis dahin in den USA unbekannte Waxing-Technik einführten und mit Verweisen auf brasilianische Strandkultur popularisierten (vgl. hierfür etwa Padilha 2010). Insbesondere die von ihnen akzentuierte Intimenthaarung sorgte für Aufregung: Von den einen als neues Körpergefühl gefeiert, deklarierten andere Frauen diese als eine „letzte Kolonisierung“ und Unterwerfung des weiblichen Körpers unter ein fragwürdiges Körperideal (Basow 1991; Peixoto Labre 2002; Toerien/Wilkinson 2003). Doch unabhängig davon setzte sich Brazilian Waxing in den USA sowohl als Methode der Haarentfernung als auch als Insigne der Intimenthaarung durch. Es wird seither in herkömmlichen Kosmetikstudios als eine unter weiteren kosmetischen Dienstleistungen angeboten. Aber auch ausschließlich auf Körperhaarentfernung ausgerichtete Studios, die Waxing Studios, verkaufen diese Dienstleistung. Insbesondere diese Variante hat sich seit einigen Jahren auch in Deutschland durchgesetzt. Eingeführt wurde Waxing von einer Deutschen und einer Österreicherin, die das erste Studio Wax-in-the City in Berlin-Mitte im Jahr 2005 eröffneten. Sie lernten die Waxing-Technik allerdings nicht in den USA, sondern während eines Urlaubs in Brasilien kennen. Dort ist die Methode seit den 1980er Jahren integraler Bestandteil des Kosmetikangebotes jedes Schönheitssalons und wird auch als häusliche Körperpflegetechnik regelmäßig unter Frauen praktiziert. Die beiden Unternehmerinnen luden Brasilianerinnen nach Berlin ein, die auf dem Gebiet des Waxing jahrelange Arbeitserfahrungen vorweisen konnten. Sie sollten im eigens für Waxing neu eingerichteten Studio weitere Frauen ausbilden. Hierbei suchten sie gezielt

2

Arjun Appadurai (1986a) spricht vom „sozialen Leben von Dingen“ (und Praktiken), da diese aufgrund ihrer Einbettung in unterschiedliche, zeitlich und räumlich versetzte, kontextabhängige Aneignungs- und Bedeutungspraktiken eigene Biographien ausprägen.

E INLEITUNG

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nach Brasilianerinnen, die bereits in Berlin lebten und an einer Schulung in der Methode interessiert waren. Der Erfolg der ersten Monate führte dazu, dass sich weitere Studios mit einem ähnlichen Geschäftsmodell gründeten, die sich ausschließlich auf das Angebot der Körperhaarentfernung ‚brasilianischer Art‘ spezialisierten. Es waren zunächst vor allem Brasilianerinnen, die entweder selbst im Wax-in-the-City-Studio geschult worden waren und sich nach einigen Monaten der praktischen Arbeit zur Selbständigkeit entschlossen. Andererseits waren es auch Brasilianerinnen, die den Erfolg dieses Studios beobachteten und sich anschließend gezielt in Deutschland oder sogar in Brasilien ausbilden ließen und kurz darauf ihr eigenes Studio eröffneten. Doch auch deutsche Frauen (und Männer) beobachteten das Erfolgsmodell und eröffneten eigene Waxing Studios (Beispiele hierfür sind Senzera, Waxing Cat oder Waxxys) oder integrierten die Körperhaarentfernung per Warmwachstechnik zunehmend in das Kosmetikangebot ihrer Schönheitsstudios. Innerhalb weniger Jahre gewann Waxing in Deutschland eine begeisterte Anhängerschaft von Frauen und immer mehr Männern. Das wird nicht nur in der beständig anwachsenden Anzahl von Studios sondern auch in der vermehrten Aufmerksamkeit von TV- und Printmedien oder gar eigens für ‚Waxing-Fans‘ geschaffene Internetauftritte deutlich.3 Vor diesem Hintergrund hat sich Waxing in Berlin mit einer kulturellen Markierung als ‚brasilianisch‘ etabliert. Auffällig ist dabei, dass die hiesigen Studios im Gegensatz zu den USA Brazilian Waxing nicht als Bezeichnung für die Intimenthaarung auf Warmwachsbasis verwenden (also als eine Verschränkung von Körperzone und Enthaarungstechnik), sondern darunter in erster Linie die verwendete Enthaarungstechnik kulturell markiert wird, während sich die Bezeichnung auf die Körperhaarentfernung als ganzes konzentriert. Ganz im Gegenteil bleibt die Intimenthaarung selbst im Hintergrund. In der Regel werden ein ganzheitlich enthaarter Körper oder auch nur einzelne Körperteile, wie Beine, beworben. Die kulturelle Markierung umfasst jedoch nicht nur die Technik der Haarentfernung, sondern auch die Dienstleistung, die als Arbeitsfeld in erster Linie (noch immer) brasilianischen Frauen zugeschrieben wird. Dies reflektiert sich nicht zuletzt in der auch in Deutschland verwendeten portugiesischen Bezeichnung Depiladora für die Frauen, die die Haarentfernung vornehmen.4

3

Beispiele sind Beiträge in Frauen- und Modezeitschriften wie Shape (2011), Instyle (2009) oder Women’s Health (o.A.), Fernsehreportagen beispielsweise des Pro7Lifestyle-Magazins RED (2012) oder dem Sat. 1 Frühstücksfernsehen (2010), OnlinePodcasts etwa bei yahoo (2011) oder die Waxing-Webseite waxsisters.de.

4

Depiladora hat sich außerhalb Brasiliens und Südeuropa auch in anderen Regionen, wie den USA, als Eigenname durchgesetzt und wird auch in dieser Arbeit im Folgenden ohne gesonderte Markierung verwendet.

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Auch werden Waxing Studios (noch) zu einem Großteil von brasilianischen Frauen geleitet, auch wenn die Branche von Anfang an ein Unternehmensfeld für deutsche Frauen (und einige deutsche männliche Geschäftsführer)5 darstellte. Viele der brasilianischen Studioleiterinnen bemühen sich darüber hinaus aktiv um ein Branding ihrer Geschäftsform als ‚brasilianisch‘. Dies umfasst die Studionamen (z.B. Brazil Waxing Studio, Brazilian Waxing Center, Bella Brasil),6 die Gestaltung der Studios und das Werbematerial (z.B. Fotos von Stränden, des Karnevals in Rio de Janeiro, landschaftliche Markenzeichen wie der Zuckerhut oder die Farben der brasilianischen Flagge grün und gelb). Hinzu kommt die in den Studios geschaffene Atmosphäre (wie die leichte Sambamusik bei meiner Verabredung in Angelicas Studio) oder die Bezeichnung der Angebote, wie beispielsweise das oben erwähnte Brasil Bikini Klassik. Allerdings richtet sich diese kulturelle Markierung nicht an ein vornehmlich brasilianisches Klientel, sondern in erster Linie an Kund/innen der Mehrheitsgesellschaft, die zudem in den ersten Jahren einer privilegierten Klassenposition zuzuordnen waren. Diese Spezifik – die Ausrichtung auf ein vorrangig deutsches Klientel bei einem zugleich vor allem aus Migrantinnen bestehenden Mitarbeiterinnenstab sowie einem kulturellen/ethnischen Branding der Dienstleistung – teilen ‚Brazilian‘ Waxing Studios mit anderen, sich in den letzten Jahren herausbildenden Kosmetikdienstleistungsunternehmen, wie ‚Thai-Massage‘-Studios und ‚New York-Nail‘-Salons (von koreanischen Mitarbeiterinnen dominierte Maniküre-Salons nach New Yorker Vorbild, vgl. Kang 2010). Sie bilden damit nicht zuletzt Teil einer urbanen Konsumlandschaft, die auch in Deutschland immer mehr von Migrant/innen und Menschen mit Migrationshintergrund konstituiert und gestaltet wird (hierzu gehören Tanz-, Freizeit und Entertainment-Einrichtungen und Gastronomie) und hierbei häufig dem Image einer multikulturellen, kosmopolitischen Stadt in die Hände spielt (Zukin 1995). Über die Ausrichtung auf ein deutsches Klientel werden diese Geschäftsformen dabei von anderen Formen migrantischer bzw. ‚ethnischer‘ Unternehmer-

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Zum Moment der Datenerhebung handelte es sich nach meinen Kenntnissen um fünf männliche Geschäftsführer. Aufgrund des (noch bestehenden) Ausnahmecharakters und der Ausrichtung der vorliegenden Arbeit werden in der weiteren Diskussion Studios mit männlichen Geschäftsführern vernachlässigt.

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Andere Studionamen verweisen auf brasilianische Orte (z.B. Copacabana Brazilian Waxing, Rio Waxing, Amazon Waxing) oder greifen auf andere portugiesische Wörter zurück (z.B. Morena Bonita, Depilbella, Bellissima). Die meisten Studios bezeichnen ihre Technik sogar als Brazilian Waxing bzw. sprechen von der brasilianischen Methode. In kulturell unmarkierten Körperhaarentfernungsstudios wird hingegen die Anwerbung der Technik auf die Bezeichnung Waxing beschränkt.

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schaft abgegrenzt, die – vermeintlich auf ein ‚co-ethnisches‘ Klientel ausgerichtet – in Ghettoisierungsdiskursen fokussiert wurden. Zugleich sind die Studios Teil des vor allem in „globalen Städten“ segmentierten Dienstleistungssektors, in dem gerade Migrantinnen eher in körperintensiven statt kapitalintensiven Segmenten Arbeit finden (vgl. Sassen 2002; McDowell 2009; Sassen/Çaĝlar 2011). Die zunehmende Ethnisierung dieses Sektors wird von vielen Autor/innen in ihrer Verquickung mit einer konstatierten Feminisierung7 der Migrationen seit dem Ende des 20. Jahrhundert (Castles/Miller 1993) diskutiert. Diese Feminisierung ist paradoxerweise an eine (vermeintlich) unterprivilegierte Klassenposition der Migrantinnen geknüpft, die spätestens über die Eingliederung vieler von ihnen am ‚unteren Ende‘ der Dienstleistungswirtschaft im Migrationsziel ihre Materialität erlangt. Einige Autor/innen wie Saskia Sassen sprechen daher ganz allgemein über diese Formen der Feminisierung internationaler Migrationen von vergeschlechtlichten Überlebenskreisläufen („circuits of survival“), die die „countergeographies of globalization“ (Sassen 2007) markierten. Allerdings soll in dieser Arbeit diesbezüglich kritisch reflektiert werden, inwiefern die brasilianischen Studioleiterinnen/Depiladoras Teil dieser Überlebenskreisläufe sind. Zwar scheinen sie als brasilianische Migrantinnen in Deutschland par excellence eine Feminisierung der Migration zu verkörpern, die sich an dieser Stelle auch in konkreten Zahlen niederschlägt: So sind über zwei Drittel aller offiziell registrierten brasilianischen Staatsangehörigen in Deutschland weiblich (Statistisches Bundesamt 2012). Jedoch soll anhand ihrer konkreten Trajektorien eine differenziertere Darstellung ihrer Migrationsgründe und -umstande sowie ihre Eingliederung in die deutsche Dienstleistungswirtschaft verfolgt werden, die so auch die Besonderheit der brasilianischen Migrationen der 1990er und frühen 2000er Jahre nach Deutschland und damit verbundene Repräsentationsregime berücksichtigt. Darüber hinaus wird die Besonderheit von Kosmetikdienstleistungsarbeit, der Waxing zuzuordnen ist, für diese Diskussion herausgestellt. Denn im Vergleich zu anderen Migrantinnen zugewiesenen und in bisherigen Studien fokussierten Arbeitssektoren (vor allem die Haushalts- und Fürsorge-/Pflegearbeit) stellt diese ein bisher kaum erforschtes Tätigkeitsfeld dar. Im Folgenden sollen daher einige theoretische Vorbemerkungen zur Spezifik von Kosmetikarbeit angestellt werden.

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Zur Problematik der Bezeichnung ‚Feminisierung‘ sowohl in Bezug auf Migrationen als auch in Bezug auf Arbeit gehe ich im Laufe dieses Buches genauer ein. Vorerst wird darunter die quantitativ überdurchschnittliche hohe Präsenz von Frauen in diesen Bereichen verstanden.

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1.2 K OSMETIKPFLEGE : K ONZEPTIONELLE ANNÄHERUNG AN EINE INTIME ARBEIT Die Kosmetikbranche ist einer der Wirtschaftssektoren, die seit Jahrzehnten weltweit und auch in Deutschland beständig wächst. Sie ist durch einen sehr hohen Frauenanteil vor allem im dienstleistenden Bereich gekennzeichnet. Wie kaum ein anderer vereint dieser Bereich intime Arbeit und gewerbliche Selbständigkeit von Frauen. Das anhaltende Wachstum der Branche wird nicht zuletzt einem neuen gesellschaftlichen Stellenwert körperlicher Erscheinung und Verfasstheit und einer darauf ausgerichteten Konsumkultur zugeschrieben (nach Featherstone 1991). Eine Reihe von vor allem soziologischen Forschungen hat sich diesbezüglich seit den 1990er Jahren dem veränderten Stellenwert von Schönheitsidealen und damit verbundenen Körperpraktiken gewidmet (vgl. Wolf 1990; Bordo 1993; Featherstone 1991). Allerdings wurden diese oftmals in dichotomen Gegensätzen von weiblicher Unterwerfung unter oder Emanzipation von patriarchischen Gesellschaftsstrukturen interpretiert. Erst jüngere Studien rücken davon ab, sich einseitig idealisierten Körperbildern und darin eingebundenen sozialen Disziplinierungen und vergeschlechtlichten Kontrollmechanismen zu widmen. Verstärkt wird das soziale Umfeld, in dem diese für Frauen wirkmächtig werden, fokussiert. Darüber hinaus rücken konkrete Orte und Akteurinnen sowie deren Aneignungs- und Aushandlungspraktiken in den Vordergrund, währenddessen Körperideale nunmehr weder als monolithisch noch allmächtig in ihrer Wirkung verstanden werden (Gimlin 2001: 48). Über eine solche Fokussierung wird es nun möglich, konkrete Personen und ihr Tun nicht einfach als „Effekt“ oder deckungsgleiche „Materialisierung von Diskursen, Codes oder Semantiken“ (nach Villa 2010: 252), ihr Tun somit nicht als bloße Unterwerfung unter idealisierte Körperbilder und daran geknüpfte Gender-Normativierungen zu untersuchen. In diesem Sinne hinterfragen die neueren Ansätze dichotome Interpretationsrahmen und diskutieren Körperbilder und damit verbundene Körperpraktiken als weit komplexeres Feld anstatt sie lediglich als vergeschlechtlichte Einverleibung sozialer Kontrollen zu verstehen (vgl. Gimlin 2001; Kang 2010; Klenke 2011). Soziale wie kulturelle Kontexte, lokale Institutionen und Orte und damit verbundene alltägliche soziale Interaktionen werden auf ihren Einfluss auf Körperbilder und Körpermodifikationen nun verstärkt in den Fokus gerückt (ebd.). Im Einklang mit dieser Schwerpunktverschiebung vom Bild/Diskurs zur Praktik wird in dieser Studie Waxing als Körperarbeit verstanden, wie es Miliann Kang für die Maniküre in ihrer Studie zu New Yorker Nagelstudios vorgeschlagen hat (Kang 2010). Körperarbeit umfasst allgemein Anstrengungen, die für die Pflege und Verbesserung der Körpergesundheit und/oder Körpererscheinung unternommen werden (im Sinne von body work, ebd.: 20). Sie meint aber auch den kommerzialisierten

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verkörperten/einverleibten/körperlichen [embodied] Austausch, der physische Arbeit am bedienten Körper über den dienstleistenden Körper beinhaltet. Körper sind somit zugleich Subjekt, Mittel und Objekt der Arbeit (im Sinne von body labor, ebd.). Die Besonderheit der zur Dienstleistung kommerzialisierten Körperarbeit besteht darin, dass sie von einer Gleichzeitigkeit der Dienstarbeit der einen und der Konsumption der anderen geprägt ist. Daher gewinnt die Performanz in der Verrichtung der Arbeit eine besondere Rolle. Performanz, speziell die Arbeitsperformanz, soll in dieser Studie in erster Linie praxistheoretisch gefasst werden. Während das konkrete Tun einer Grammatik, einem Muster unterworfen ist, wird es zugleich situationell in der Interaktion mit dem Gegenüber angepasst, die auch ihre emotionale wie affektive Dimension umfasst sowie ein intuitives Moment beinhaltet. Die Grammatik hingegen soll weniger als eine ausschließlich objektivierte Arbeitsschrittfolge (eingebettet in diskursivnormative Determinierung) verstanden sein, sondern als auch durch Erfahrungen und Wiederholungen geschultes praktisches Wissen. Kosmetiksalons als feminisierte Orte, an denen Körperarbeit als Dienstleistungsarbeit zumeist von Frauen an Frauen verrichtet wird, stellen für eine solche Perspektivierung ein ausgewähltes, aber noch immer unzureichend beforschtes Untersuchungsfeld dar. Die Arbeiterin als vermeintliche Expertin für Körperpflegepraktiken ist hier zugleich Beraterin und Übersetzerin zwischen idealisierten Körperbildern und der konkreten körperlichen Verfasstheit ihrer Kundin und damit verantwortlich für eine erfolgreiche Anähnlichung beider über ihre Arbeitsperformanz. US-Autorinnen wie Debra L. Gimlin (2001) betonen jedoch das soziale Gefälle zwischen Kundin und Arbeiterin in der Kosmetikarbeit. So werden diesem Sektor, in Deutschland ähnlich wie im US-Kontext, schlechte Entlohnung, flexible Arbeitsvolumen und prekäre Arbeitsbedingungen zugeordnet. Deshalb, so Gimlin, gelte er neben Haushalts- und Pflege-/Fürsorgearbeit geradezu als Exempel für den feminisierten Dienstleistungssektor. Im Gegensatz dazu seien es vor allem die Kundinnen, die im Vergleich zur Kosmetikerin in der Regel einer privilegierten Klassenposition zugeordnet werden. Vor diesem Hintergrund divergierender Klassenzugehörigkeiten stellen die in den Arbeitsperformanzen eingebetteten Aushandlungen, bei denen Arbeitswissen an- oder aberkannt wird, etwas Besonderes dar. Auch deutet sich an, dass Arbeit und Arbeitsperformanz nicht auf der Ebene der physischgegenständlichen Interaktion verbleibt, sondern auch emotionale Arbeit (Kang 2010: 20f; nach Hochschild 1983) und deren affektive Dimensionen einschließt. Dies umfasst sowohl das körperlich-empfindsame Spektrum der mit Waxing verbundenen Berührungen bei Kundin wie Depiladora. Sie geht aber auch darüber hinaus und beinhaltet Formen der emotionalen Betreuung der Kundinnen oder der affektiven Kontrolle, z.B. in Bezug auf Ekel, auf Seiten der Depiladora. Hier lässt sich eine weitere Parallele zwischen Kosmetikarbeit und monetarisierter Pflegeund Fürsorgearbeit erahnen.

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Dieser Fokus, der sich auf über Klassenzugehörigkeiten konstituierte Ungleichheiten zwischen Kosmetikerin und Kundin richtet, wird im Falle von Brazilian Waxing Studios und anderen kulturell oder ethnisch markierten Salons zusätzlich durch die Ethnisierung der Arbeiterinnen durchkreuzt. Offen ist an dieser Stelle, wie sich diese Überlagerung von Klassenzugehörigkeit und ethnischer wie kultureller Zuordnung auf die Aushandlungsräume und Arbeitsperformanz der Depiladoras als Expertinnen und ihre An-/Aberkennung als solche auswirkt. Ähnlich des Pflege-/ Fürsorgesektors muss daher untersucht werden, ob die kulturelle Markierung von Waxing als ‚brasilianisch‘ auch mit Zuschreibungspraktiken verbunden ist, die brasilianischen Frauen ein essentialisierendes Arbeitsvermögen für diese Tätigkeit zusprechen. Zudem gilt zu betrachten, wie die Akteurinnen sich hierzu selbst positionieren. Wie wirkt sich also die Einbettung der brasilianischen Depiladoras in intersektionalisierende rassifizierte, klassifizierte und nicht zuletzt vergeschlechtlichte Zugehörigkeits- und Repräsentationsregime auf die Interaktionen und die Anerkennung sowie Zuweisung von Arbeitswissen in den Kabinen aus? Inwieweit bringt der Einfluss dieser Regime, ähnlich wie im ethnisierten Pflege- und Fürsorgesektor, prekäre Arbeitsbedingungen mit sich? Bereits im Vorfeld hebt sich das Waxing-Geschäft bezüglich dieser Fragen von anderen Branchen ab: Zum einen ist er besonders wegen der aktiven Bemühungen um ein kulturelles Branding der Branche bei gleichzeitiger und beständig zunehmender deutscher Konkurrenz. Zum anderen sind viele der Frauen, die selbst unterschiedliche Erfahrungen im prekären Pflege- und Fürsorgesektor gemacht hatten, nun diejenigen, die ein Waxing Studio leiten. Ganz allgemein stellt gerade der Kosmetiksektor sowohl für Frauen der deutschen Mehrheitsgesellschaft als auch für Migrantinnen den wichtigsten Geschäftszweig für eine gewerbliche Selbständigkeit dar (vgl. Hillmann 1998). Doch bisher hat sich die noch sehr überschaubare sozialwissenschaftliche Forschungslandschaft zu Unternehmerinnen allgemein in erster Linie mit Frauen der deutschen Mehrheitsgesellschaft beschäftigt, bei denen vor allem geschlechtsbedingte Konfliktlinien als Motivation für die gewerbliche Selbständigkeit untersucht wurden. Die spezifischen Bedingungen und Motivationen von Migrantinnen für diesen Schritt blieben hingegen außen vor. Ebenso wenig haben sich Studien bisher mit den alltäglichen Aushandlungen, Arbeitsumständen und Problemen dieser Frauen in der Geschäftspraxis auseinandergesetzt. Diese lassen sich nicht allein auf geschlechtsspezifische Gründe reduzieren, sondern müssen oftmals in ihrer Verzahnung mit sozialen und kulturellen/‚ethnischen‘ Positionierungen und somit auch entlang von Konfliktlinien ethnisierter, rassifizierter bzw. kulturalisierter Zugehörigkeitsregime diskutiert werden, die die Arbeits- und Migrationserfahrungen der Frauen präg(t)en. Doch nicht nur ‚unter Frauen‘ bilden Migrantinnen eine Ausnahme in Bezug auf die gewerbliche Selbständigkeit. Auch als Frauen in einem noch immer als männliche Domäne charakterisierten Bereich sogenannter ‚ethnischer Unterneh-

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men‘ sind sie eine Ausnahme. Grundsätzlich aber wachsen ‚ethnische‘ Unternehmen seit den 1990er Jahren in Deutschland rasant an und werden als wirtschaftliches Potential zunehmend auch von Seiten der Politik als wichtige Akteure wahrgenommen. Die gewerbliche Selbständigkeit von Migrantinnen erhielt auch hier in der deutschen Forschungslandschaft bisher kaum Aufmerksamkeit – weder in Studien zur Unternehmerschaft von Frauen noch in Forschungen zu ‚ethnischen‘ oder migrantischen Ökonomien (Apitzsch/Kontos 2008a). * In Bezug auf diese Vorbemerkungen zur Spezifik des Kosmetiksektors als feminisiertes Arbeitsfeld und weibliche Unternehmerschaft lassen sich erste Hypothesen ableiten, die zu meinem Erkenntnisinteresse führen: Die Studios sind, so die erste These, vergeschlechtlichte Orte, an denen miteinander verwobene soziale, kulturelle, ethnisierte/rassifizierte und vergeschlechtlichte Positionierungen und Zuschreibungen von Kundinnen und Depiladoras/Studioleiterinnen aufeinandertreffen. Diese sind durch die von den Akteurinnen erfahrenen und in und über den Körper geschriebenen Migrations-, Arbeits- und Geschlechterregime geprägt. Es handelt sich um Orte, an denen insbesondere Feminitäten angerufen und performt werden, die über den Referenzrahmen von Körper(pflege)arbeit und daran gekoppelter Körperideale hinausgehen. Sie beziehen auch intersektionalisierende kulturelle, rassifizierte, soziale und geschlechtliche Zugehörigkeits- und Repräsentationsregime ein und inkludieren auch die dadurch bedingten spezifischen Migrations-/Arbeitserfahrungen der Depiladoras/Studioleiterinnen. Zugleich werden darüber Möglichkeiten der Aushandlung bereitgehalten. Denn im Gegensatz zu anderen feminisierten und ethnisierten Arbeitsorten, an denen verAnderte8 Frauen und Frauen der deutschen Mehrheitsgesellschaft aufeinandertreffen, stellen die Studios, so die zweite These, auch einen Ort der Aushandlung dar. So bietet die Spezifik der Interaktion und der in den Studios performten Arbeit auch die Möglichkeit für differenzierte Positionen der Brasilianerinnen und für Gegenbilder zu dominanten Repräsentationsregimen. Diese, so die dritte These, reichen über die Arbeit in den Studios hinaus: Die Arbeit in den Studios ermöglicht den Depiladoras/Studioleiterinnen insbesondere in Bezug auf ihre gewerbliche Selbständigkeit eine differenzierte Positionierung gegenüber ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld, wie Familie, Freunden und Bekannten. Dies gilt, obwohl die Branche des Waxing in einen klassischen feminisierten Arbeitssektor fällt, der zudem Parallelen zu anderen ethnisierten feminisierten

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In dieser Arbeit verwende ich den Begriff VerAnderung, in Anlehnung an Julia Reuter (2011), im Sinne des englischen Othering.

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Dienstleistungsbereichen aufweist, insbesondere zur Pflege-/Fürsorgearbeit. Die unternehmerische Selbständigkeit der Migrantinnen muss daher vor dem Hintergrund ihrer Arbeits- und Migrationsbiographien auch in Bezug auf Möglichkeiten von Anerkennung untersucht werden, die sich insbesondere auf geschlechtliche und ‚ethnische‘/kulturelle Differenz und soziale Positionierung in der Mehrheitsgesellschaft beziehen. Zusammenführend muss die Spezifik der Überlagerung von intimer körperintensiver Arbeit und gewerblicher Selbständigkeit noch einmal herausgestellt werden. So ist, viertens, im Vorfeld anzunehmen, dass dieser Umstand nicht nur die ausgeführte Arbeit sowie das Verhältnis zwischen Dienstleistender und Dienstempfangender prägt: Gerade da es sich bei den Waxing-Studioleiterinnen um kulturell ‚andere‘/verAnderte Frauen handelt, dürfte dies auch Auswirkungen auf die Verflechtung sozialer wie kultureller Zuweisungsregime entlang von Gender, ‚Rasse‘ und Klasse über das Arbeitsverhältnis hinaus einnehmen. Es ist anzunehmen, dass die Verflechtung von körperlich intimer Kosmetikarbeit und unternehmerischer Selbständigkeit auch taktische Positionierungspraktiken der Akteurinnen beeinflusst. So stellt sich daher die Frage, ob und wie diese doppelte Verortung als migrantische Unternehmerin und migrantische Dienstleistende durch ähnliche oder miteinander zusammenhänge Schließungsdynamiken und Zuweisungen von partikulären Zuständigkeitsbereichen (Gutiérrez Rodríguez 2003: 82) auf dem Arbeitsmarkt sowie durch eine Feminisierung und Ethnisierung arbeitsintensiver Dienstleistungen bedingt ist.

1.3 Z IELSETZUNG

UND THEORETISCHE

V ERORTUNG

Die vorliegende Studie untersucht Waxing als interaktive, subjektivierte Dienstleistungsarbeit. Ausgehend vom Erfolg der Branche und einem aktiven Branding vieler Studios als ‚brasilianisch‘ fokussiert meine Untersuchung in erster Linie brasilianische Studioleiterinnen. Die Besonderheit besteht darin, die enge Verflechtung von intimer, körperintensiver Dienstleistungsarbeit einerseits und migrantischer Unternehmerschaft andererseits herauszuarbeiten, die in bisherigen Studien getrennt voneinander behandelt wurden. Ich gehe davon aus, dass sich in diesen Überschneidungen verortete Arbeitsperformanzen und damit verbundenes Arbeitswissen nicht isoliert von vorherigen Arbeitserfahrungen verstehen lassen. Ich gehe zudem davon aus, dass in diesen Arbeitskontexten Handlungsermächtigungen auch von alltäglichen Zuweisungen zu vergeschlechtlichten, ethnisierten und klassifizierten Zugehörigkeits- und Repräsentationsregime geprägt werden. Die Studie arbeitet darum zu den folgenden übergeordneten Fragestellungen:

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Welche Zuweisungs- und Positionierungspraktiken entlang ineinander verschränkter vergeschlechtlichter, rassifizierter/ethnisierter, klassifizierter und kultureller Zugehörigkeits- und Repräsentationsregime markieren die interaktive Arbeit und dienstwirtschaftlichen Beziehungen im Rahmen des Geschäftszweigs des (Brazilian) Waxing in Berlin? Welche Aneignungs-, Aushandlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten erarbeiten sich diese Frauen über die Schnittstelle ihrer Positionen als Studioleiterinnen und zugleich Depiladoras in Berliner Waxing Studios, also in der Überlappung von intimer Arbeit und migrantischer Unternehmerschaft?

Um diesen Fragen nachzugehen soll in dieser Studie ein integratives Verständnis von Arbeit erarbeitet und angewandt werden. So werden in den Migrations- und Arbeitstrajektorien verortete Erfahrungen als Teil verkörperten/einverleibten Wissens verstanden. Diese, so mein Standpunkt, wirken auch auf Arbeitsperformanzen und Positionierungen der Akteurinnen in situativen Interaktionen der personenbezogenen Dienstleitung. Die Studie geht aus diesem Grund eingehender auf die Besonderheit brasilianischer Migrantinnen in Deutschland und Formen ihrer Arbeitsmarkteingliederung ein. In diesem Sinne verfolgt sie drei engere, miteinander verwobene Fragestellungen: i.

ii. iii.

Wie und warum entschieden sich die Frauen für die gewerbliche Selbständigkeit und welchen Einfluss hatten ihre (ineinander verflochtenen) Arbeits- und Migrationstrajektorien darauf? Wie eigneten sich die Frauen den dienstleistenden Geschäftszweig des Waxing an, wie gestalteten sie ihn und positionierten ihn in Berlin? Wie werden Professionalität und Anerkennung im Kontext intimer Arbeit und migrantischer Unternehmerschaft und vor dem Hintergrund darin eingeschlossener Ungleichheiten und übergeordneter Repräsentationsregime ausgehandelt?

Die Forschung hat auf empirischer Ebene zum Ziel, diese sich aus der doppelten Position der Frauen – als Depiladoras und als Studioleiterinnen – ergebende Komplexität (die in, aber auch außerhalb der Studios wirkt) herauszuarbeiten. Sie verortet sich an der Schnittstelle der Forschungsfelder zu feminisierter/ethnisierter körperintensiver Dienstleistungsarbeit, migrantischer Unternehmerschaft sowie (geschlechtsnormativer) Schönheits-/Körperarbeit. Letzteres Forschungsfeld ergibt sich aus der Spezifik des empirischen Beispiels. In dieser Überlappung liegt die Besonderheit der Untersuchung. Denn sie erlaubt über die Vielschichtigkeit und die Fokussierung konkreter Personen und deren soziale und kulturelle Praktiken eine differenzierte Betrachtung. Dabei möchte sie

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einseitig angelegte Erklärungs- und Interpretationslinien innerhalb der einzelnen Forschungsfelder aufbrechen. Diese umfassen etwa Agency/Ressourcen- versus Opportunitätsstruktur-Diskussionen in Ansätzen zum ethnic business (vgl. Light 1972; Light/Rosenstein 1995; Portes/Sensenbrenner 1993; Waldinger 1990), Diskussionen um subjektiv-rationalisiertes interaktives Handeln versus Ausbeutungsstrukturen in Dienstleistungsarbeits-Ansätzen (vgl. Böhle 2010; Weihrich/Dunkel 2007; Sassen 2000; Ehrenreich/Hochschild 2003) oder Diskussionen über Emanzipation versus Unterwerfung in Bezug auf vergeschlechtlichte Schönheitsregime und Körperideale (z.B. Wolf 1990; Bordo 1993; Gimlin 2001). Hierfür greife ich auch auf neuere feministische praxistheoretische und phänomenologische Ansätze der Sozial- und Kulturwissenschaften (Villa 2010, 2013; Ahmed 2000, 2004a, 2004b; Kang 2010; McDowell 2009) und post/dekoloniale Denkansätze (Gutiérrez Rodríguez 2010b; Collins 2000) zurück. Methodologisch verortet sich diese Arbeit dabei innerhalb aktueller embodiment- und Intersektionalitäts-Ansätze und feministischer Ethnographien (vgl. Kapitel 2 und 3). Die Arbeit hat somit auch zum Ziel, in Bezug auf ihre empirische Fokussierung, methodologische Einbettung und theoretische Diskussionen in mehrfacher Hinsicht zu aktuellen Debatten der Migrations-, Arbeits- und Geschlechterforschung beizutragen: So implementiert sie auf diesen Ebenen einen geschlechterdifferenzierten Blick. Dieser wurde für die Migrationsforschung mit der Konstatierung einer Feminisierung der Migration seit den 1990er Jahren zwar gefordert, ist aber bislang etwa im Bereich der Forschung zu migrantischer Unternehmerschaft unzureichend herausgearbeitet (vgl. Hillmann 1998; Apitzsch/Kontos 2008a). Ebenso wurden Ethnisierungspraktiken sowohl im migrantischen Unternehmertum wie auch im feminisierten körperintensiven Dienstleistungssektor abseits von kulturalisierenden oder dichotomen Interpretationsansätzen noch immer ungenügend behandelt. Der akteurszentrierte, ethnographische Zugang erlaubt hierfür einen differenzierten Interpretationsrahmen: Er sensibilisiert für das Ineinanderfallen von Ethnisierungs-, Vergeschlechtlichungs- und Klassifizierungspraktiken und darauf zielende Abgrenzungsarbeit. Zudem stellt die Hinwendung zu Emotions-/Affekt- und körperanthropologischen Untersuchungsansätzen, die bisher nur für einzelne ausgewählte Forschungen zu körperintensiven Dienstleistungen von Migrantinnen implementiert wurden (vgl. hierfür Ehrenreich/Hochschild 2003; Parreñas 2001; Agustín 2007; Kang 2010; Gutiérrez Rodríguez 2010b), in Migrations- und Arbeitsstudien insgesamt eine ganz aktuelle Entwicklung dar (vgl. Svasek 2012). Insbesondere über diese Perspektivierungen soll die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur aktuellen Arbeits- und Migrationsforschung liefern, die über ihre disziplinäre Zuordnung zur Sozial- und Kulturanthropologie hinaus auch einen interdisziplinären Dialog sucht. Auch trägt sie zu einer Diversifizierung dieser Forschungsfelder bei, indem sie sich auf Akteurinnen konzentriert, die nicht primär im Fokus politischer und medial inszenierter Integrationsdebatten Deutschlands stehen.

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1.4 ANMERKUNGEN ZUR INHALTLICHEN TEXTLICHEN G ESTALTUNG

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UND

Die Arbeit gliedert sich in drei vorrangig empirisch angelegte Kapitel, denen ein Kapitel zur methodischen Vorgehensweise der Forschung und ein Kapitel zum Forschungsstand und zur theoretischen Einbettung vorangestellt sind: Im zweiten Kapitel skizziere ich ausgewählte theoretische Debatten, die sich entlang der Schnittstelle von Arbeit, Geschlecht und Migration verorten, und gebe einen Einblick, wie diese im deutschen Kontext diskutiert werden. Ich gehe zunächst auf die körperliche und sozio-kulturelle Dimension von Arbeit ein und bespreche diese in Bezug auf einen subjektivierten Arbeitsbegriff aktueller Forschungen zur aufstrebenden interaktiven Dienstleistungswirtschaft (Böhle/Glaser 2006; Dunkel/Weihrich 2007, 2010; Jochum 2010). Diese Betrachtungen werden kritisch um die miteinander verzahnten herrschaftlichen Differenzachsen Geschlecht, ‚Rasse‘ und Klasse erweitert (u.a. McDowell 2009; Glenn 1992; Klinger 2003; Gutiérrez Rodríguez 2010b). Die arbeitskontextuelle Verortung von Migrantinnen erhält dabei eine besondere Gewichtung. Daran anknüpfend stelle ich das dieser Studie zugrunde liegende integrative Verständnis von Arbeit heraus, das ich in den methodologischen Paradigmen von Intersektionalität und embodiment einordne (Villa 2010, 2013; Ahmed 2000, 2004a). In einem zweiten Schritt werden Forschungen vorgestellt, die sich mit der Verortung und damit zusammenhängenden Zerrbildern über Migrantinnen (Granato 2004: 2) in deutschen Gender-, Arbeits- und Migrationsregimen auseinandersetzen. Hier fokussiere ich zuerst die Debatten um die ethnisierte Feminisierung der abhängigen personenbezogenen Dienstleistungsarbeit und anschließend die Debatten um migrantische Unternehmerschaft. Für letztere beleuchte ich Studien zu der bisher kaum untersuchten gewerblichen Selbständigkeit von Migrantinnen. Wie sich diese Zerrbilder und daran anknüpfende Debatten auf das hier untersuchte Beispiel brasilianischer Waxing-Studioleiterinnen auswirken, wird ab Kapitel 4 anhand ihrer ineinander verzahnten Migrations- und Arbeitserfahrungen nachgezeichnet. Zuvor gehe ich jedoch in Kapitel 3 auf die methodische Umsetzung der Forschung zu intimer Arbeit und migrantischer Unternehmerschaft ein. Diese beinhaltete zunächst die Herausforderung, eine ethnographische Arbeit durchzuführen, ohne die fokussierten Interaktionen teilnehmend beobachten zu können. Auch werden die Schwierigkeiten der Arbeit in einem Forschungskontext thematisiert, in dem Zeit für die Interviewpartnerinnen ein knappes Gut war. Damit zusammenhängend reflektiere ich den Umstand des Forschungsfeldes ‚vor der eigenen Haustür‘. So kommt in diesem Zusammenhang Interviews und Gesprächen eine besondere Bedeutung zu, weshalb ich diese eingehender thematisieren werde. Einen hohen Stellenwert werden biographische Erzählungen haben, insbesondere über die Arbeits- und Migrationstrajektorien. Daneben gehe ich auf themenzentrierte Inter-

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views, die Möglichkeiten und Grenzen hermeneutischer Bündnisse (Lutz 2008a) in den Erzählinteraktionen und des Sprechens selbst ein. Das Augenmerk auf der körperlichen wie auch affektiven Dimension der empirischen Forschung durchzieht das gesamte Kapitel und wird abschließend in Bezug auf die Frage nach Möglichkeiten einer feministischen Ethnographie noch einmal gesondert herausgestellt. Die sich daran anschließenden Kapitel 4 bis 6 fassen die empirischen Erhebungen thematisch zusammen und reflektieren sie in Bezug auf arbeitsbezogene Zuweisungspraktiken, Positionierungen und Aushandlungsräume. Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Migrations- und Arbeitstrajektorien der Interviewpartnerinnen und ordnet diese einerseits in Debatten zur Feminisierung und ‚Proletarisierung‘ der brasilianischen Migration (Padilla 2006; Feldman-Bianco 2001) und andererseits in in Deutschland wirkmächtige Repräsentationsregime über brasilianische Frauen ein. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die Kategorie der ‚Heiratsmigrantin‘ und die damit verbundenen Zuschreibungen und Zuweisungen, zu denen sich die Frauen in ihrem sozialen Umfeld positionierend abgrenzen mussten, und die ihre Arbeitseingliederung in Berlin beeinflusst hat. Weiterhin wird die Relevanz von Arbeit eben für genau diese Abgrenzungspraktiken herausgestellt, was sowohl über biographische transnationale Vergleiche vor und nach der Migration als auch transkulturelle Vergleiche zwischen Wahrnehmungen der ‚Deutschen‘ und anderen ‚Ausländern‘ in Berlin geschieht. Zur Sprache kommen hierbei auch Erfahrungen von Diskriminierung, Abqualifizierung und Ausschlusspraktiken und der Einfluss dieser Erlebnisse auf nachfolgende Arbeitserfahrungen. Aber auch die Darstellung dieser Erfahrungen gegenüber Familienangehörigen und Ehepartnern wird thematisiert. Zusammenfassend bespreche ich diesbezüglich an Tätigkeitszuweisungen geknüpfte subjektivierte Formen von Arbeitswissen. Ich frage, wie diese in interaktiven Dienstleistungsarbeiten den Frauen zu- oder abgesprochen wurden, aber auch welche Handlungsräume sie sich in arbeitskontextlichen Interaktionen erarbeiteten. Vor dem Hintergrund dieser Arbeits- und Migrationserfahrungen werden im darauf folgenden Kapitel Motivationen, Gründe und Umstände für den Schritt der Frauen in die gewerbliche Selbständigkeit im Detail herausgearbeitet. So stellen Waxing Studios seit Anbeginn eine ethnisierte Arbeitsnische für Brasilianerinnen dar, vor allem auf Ebene der Mitarbeiterinnen. In Kapitel 5 zeichne ich daher zuerst den Einstieg in die Branche als Depiladora und damit verbundene Abwägungen und Erwartungen nach, die vor dem Hintergrund der vorherigen Arbeitserfahrungen reflektiert werden. Als zweites wird der Schritt in die gewerbliche Selbständigkeit in Bezug auf soziale Einbettungen, damit verbundene emotionale Rückhalte und zugängliche Ressourcen diskutiert. Dabei unterscheide ich die Situationen von verheirateten und alleinstehenden Frauen, sowie Studioleiterinnen der sogenannten ersten (ab 2006) und der zweiten (ab ca. 2009) Generation. Dieser Betrachtung füge ich die besondere Bedeutung von Selbständigkeit ‚an sich‘, wie sie in den Interviews in Bezug auf eigene Positionierungspraktiken und Gestaltungsmöglichkeiten hervor-

E INLEITUNG

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gehoben wurde, hinzu. Hierbei werde ich aufzeigen, dass etwa die damit verbundene Risikobereitschaft nicht nur über strukturelle Ausschlusspraktiken und soziale Einbettungen zu erklären ist, sondern auch in Bezug auf Arbeitsbiographien und über Arbeitskontexte hinausreichende Positionalitäten der Frauen zu verstehen sind. Drittens werden die Besonderheit des Berliner Kontextes und des Geschäftsmodells sowie damit zusammenhängende Verortungs- und Sichtbarkeitsstrategien vorgestellt, angefangen bei der Gestaltung der Studios, über die Anwerbung bis hin zur Auswahl der Mitarbeiterinnen. Viertens werde ich den Arbeitsalltag als Studioleiterin in seinen Ambivalenzen von neuen Anerkennungen und Abhängigkeiten besprechen, die die Frauen über den Arbeitskontext hinweg in familiären und freundschaftlichen Umfeldern erfahren. Kapitel 6 beschäftigt sich letztendlich mit der Spezifik von Waxing als körperintensive personenbezogene intime Dienstleistungsarbeit (nach Boris/Parreñas 2010; Kang 2010) und den in der Arbeitsperformanz eingeprägten Positionierungspraktiken der Studioleiterinnen/Depiladoras. Hierfür stelle ich erst die Kontroverse um Haarentfernung allgemein vor, wie sie derzeit auch in Deutschland zu finden ist. Über (westlich) feministische Debatten hinausgehend führe ich die Diskussion um Schönheitspraktiken und Körperarbeit im postkolonialen Kontext Brasiliens ein (Edmonds 2010; Borges-Machado 2009), in der sich über die Intersektionalität von Gender, ‚Rasse‘ und Klasse sich verschiebende Sichtweisen auf über den Körper getragene Positionierungspraktiken ergeben. Körperpflege, wie Körperhaarentfernung, gewinnt im Migrationskontext der Studioleiterinnen nicht zuletzt über eigene Alteritätswahrnehmungen von den ‚Deutschen‘ und deren stereotype Vorstellungen über Brasilianerinnen an Bedeutungen hinzu. Körperpflege avanciert so zu einer weiteren Ressource für ihre Abgrenzungsarbeit, aber eben auch für die kommerzielle Ausschöpfung von Waxing. Als angerufene Expertinnen auf dem Gebiet erarbeiteten die Frauen Arbeitsstandards, die einer vermeintlich kulturell markierten (‚brasilianischen‘) Besonderheit, aber auch vermeintlich ‚deutschen‘ Standards gerecht werden. Verkörperte/einverleibte Professionalität und darüber vermitteltes Vertrauen in Bezug auf die intime Arbeit werden hierzu gesondert herausgestellt. Daran anknüpfend diskutiere ich alte wie neue Dynamiken ethnisierter vergeschlechtlichter Arbeitsperformanz im Kontext von Waxing ebenso wie darauf abzielende Abgrenzungspraktiken und Aushandlungsräume. Abschließend werden neue Herausforderungen und Aushandlungsorte, wie Online-Foren, vorgestellt, denen sich die Studioleiterinnen mit dem Übergang von Waxing zum urbanen Mainstream inzwischen gegenübersehen. In der Zusammenfassung hebe ich letztlich die weitläufigen Bedeutungen von Selbständigkeit und Anerkennung für diese Frauen hervor. *

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Die einzelnen Kapitel enthalten längere Ausschnitte aus meinen Feldtagebuchaufzeichnungen sowie aus den Interviews. Dieses Vorgehen soll einen detaillierten Einblick in die Forschungsarbeit, vor allem jedoch in Erklärungs-, Interpretationsund Argumentationslinien der Interviewpartnerinnen geben. Portugiesische Textwie Interview-Zitate wurden von mir übersetzt (als „Ü.: ML“ gekennzeichnet) und ebenso wie deutsche Interviewzitate sprachlich leicht geglättet. Die Sprache wurde in der Regel von den Interviewpartnerinnen gewählt. Begriffe, die bei auf Portugiesisch geführten Interviews auf Deutsch eingeflochten wurden, sind in der deutschen Übersetzung in GROSSBUCHSTABEN wiedergegeben. Hervorhebungen sind allgemein über eine einfache Unterstreichung markiert. Bei Zitaten wird so eine besondere Betonung über die Stimmlage ersichtlich gemacht. Weitere Ergänzungen zu beispielsweise Mimik und Gestik sowie ergänzende Erklärungen meinerseits setze ich in []. Pausen in den Erzählungen sind mit . (etwa zwei Sekunden), .. (bis etwa fünf Sekunden) und … (über fünf Sekunden) kenntlich gemacht. Kursiv sind hingegen generell Eigennamen und besondere Begrifflichkeiten aufgeführt. Einfache Anführungsstriche verweisen auf Begriffe und Zuordnungen, die entweder in einem übertragenen Sinne verwendet werden oder markieren meine eigene Distanzierung zu einer wortwörtlichen Nutzung des Begriffs. Eine Ausnahme hierzu bildet die Verwendung des Begriffs ‚Rasse‘: Er wird in dieser Arbeit nicht in einer biologisierten oder kulturalisierten Dimension verwendet, sondern als sozial konstruierte wie konstruierende Differenzachse, die sowohl in ihrer strukturellen Dimension wie auf der Ebene von Praktiken entlang von Zugehörigkeits- und Repräsentationsregimen operiert, und insbesondere in konkreten sozialen wie kulturellen VerAnderungspraktiken wirkmächtig wird. Der Begriff wird in einem verallgemeinerten Sinn daher ähnlich des englischen race oder des portugiesischen raça gebraucht. Ich habe mich für die Verwendung des deutschen Begriffes entschieden, eben um nicht die problematische Begriffsgeschichte im hiesigen Kontext ausblenden zu wollen, was über die einfachen Anführungsstriche markiert werden soll. In dieser Entscheidung beziehe ich mich auf Ansätze der deutschen kritischen Weißsein-Forschung (Eggers et al. 2005). Diese verweisen darauf, dass andere Begriffe wie ‚Ethnie‘, ‚ethnische Zugehörigkeit‘, oder ‚Kultur‘ häufig nur als Substitut hierfür verwendet werden, dabei oftmals sogar die im ‚Rasse‘-Begriff enthaltenden Machthierarchien verschleiern und darüber hinaus mit essentialisierendem Beigeschmack als selbstverständlich genutzt werden. Über den Gebrauch der Verbform ‚rassifizieren‘ bzw. deren Substantivierung ‚Rassifizierung‘ soll zudem die aktive, in konkreten Praktiken verortete Dimension der VerAnderung herausgestellt werden. Ähnlich gehe ich diesbezüglich auch für die Differenzachsen Klasse und Geschlecht vor. Insgesamt verstehe ich die Trennung der in dieser Arbeit hauptsächlich verwendeten Differenzachsen Klasse, ‚Rasse‘ und Geschlecht jedoch als eine analytische. In ihrer hierarchisierenden Dimension konstituieren, bedingen und prägen sie sich gegenseitig (z.B. Glenn 1999).

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Zudem entschied ich mich, nationale Zuordnungen konkret zu benennen, vor allem, wenn sie mir als solche in den Interviews genannt wurden, auch wenn dies oftmals weder den transnationalen Lebenswirklichkeiten der Akteur/innen noch ihren staatsbürgerlichen Zugehörigkeiten entspricht. In der Regel wurden mir diese Zuordnungen nicht auf ein konkretes Nachfragen angegeben, sondern waren in den eigenen Narrativen eingewoben. Meist wurden sie erklärend verwendet, um mir Sachverhalte, Erlebnisse und Erfahrungen als abweichend zu einer mir zugeordneten Erwartungshaltung zu markieren, so in Bezug auf Diskriminierung oder Rassismus oder aber in Bezug auf eine intendierte (kulturelle) Legitimität des (nach-) erzählten Handelns. Die Zuweisung deutsch wurde, wenn sie nicht von dritter Seite her geschah (etwa in der Erzählung einer Brasilianerin „über den deutschen Partner“) in allen Fällen von mir vorgenommen, da die entsprechenden Akteure mir gegenüber eine eigene Positionierung bezüglich ihrer nationalen Zugehörigkeit nicht vornahmen. Sind nationale Zuordnungen mit einfachen Anführungszeichen (‚‘) versehen, so handelt es sich um Bildentwürfe von Akteur/innen oder Repräsentationsregime und wurden oftmals im Text oder in Fußnoten entsprechend erklärt. Fußnoten verwende ich als Ergänzungen zum Fließtext; sie verweisen auf weiterführende Diskussionen und Gedankengänge oder enthalten weitere Beispiele. Stilistisch soll dieses Vorgehen das Lesen des Fließtextes erleichtern, ohne von meinem Erkenntnisinteresse abzulenken. Aufgrund der teils sehr persönlichen Geschichten entschieden sich einzelne Interviewpartnerinnen im Laufe der Entstehung dieses Buches für eine Anonymisierung, die durch * im Namen sichtbar gemacht wurde. Insgesamt verfolgt die Textgestaltung eine positionierte Erzählstrategie, bei der auch meine eigene Positionierung in der Forschung und für die Interpretation entsprechend kenntlich gemacht wird.

2 Theoretische Einführung: Zur Schnittstelle von Arbeit, Geschlecht und Migration

Seit einigen Jahrzehnten diskutieren Öffentlichkeit, sozialwissenschaftliche Forschungen und Politik markante Umbrüche in der Arbeitswelt. Im Westen werden diese Veränderungen in erster Linie in einer sich verschiebenden Gewichtung von Industriewirtschaft und betrieblicher Organisation hin zu einer zunehmend von der Dienstleistungswirtschaft dominierten Arbeitswelt sichtbar. Statistiken untermauern diesen Trend auch für Deutschland: Während die Zahl der Beschäftigten im Manufaktur- und verarbeitenden Sektor stetig sinkt, steigt die Beschäftigung im breitgefächerten Dienstleistungssektor beständig an (Bosch et al. 2002; Schmidt 2010).1 Dieser Übergang markiert nicht nur eine Verschiebung dessen, was den Gegenstand der Arbeit ausmacht (vom „Ding“ zum „Dienst“). Sie impliziert auch eine Ausweitung des Begriffs der Dienstleistung. So kam es nicht nur zu einer Vermarktlichung von Tätigkeiten als Dienstleistungen, die lange als „dekommodifizert“ oder als außerhalb des unmittelbaren Zugriffs über den Markt vermutet wurden (Nickel 2007; Zelizer 2005). Zu diesen Arbeiten gehören vor allem personenbezogene Betreuungs- und Versorgungstätigkeiten, die zuvor entweder durch den Staat organisiert oder im familiären Rahmen in der Regel Frauen – bzw. vor der industriellen Moderne (auch) Leibeigenen, Knechten oder Mägden – zugewiesen waren (Wolkowitz 2006: 14).

1

Die Dienstleistungswirtschaft weist dabei ganz unterschiedliche Ausprägungen auf, was sich bereits in der Branchenbreite feststellen lässt, wobei die Grenzen untereinander und auch die Abgrenzungen zum Nicht-Dienstleistungsgewerbe unscharf sind. Des Weiteren präsentieren sich Arbeitsformen und -gestaltung im Dienstleistungssektor divers. Der Sektor reicht von produktionsorientierten, über distributionsorientierte bis zu gesellschaftsbezogenen und sozialen Diensten und entzieht sich aufgrund dieser Breite einer vereinheitlichenden Definition (vgl. Bryson/Daniels 2007).

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Zusätzlich konstatieren Forscher/innen eine Veränderung der Arbeitsbedingungen und eine postfordistische Arbeitsorganisation (Sennett 1998; Bauman 2000). Wesentlich dafür sind die „forcierte Mobilität von Arbeitskraft zwischen Regionen, Branchen, Organisationsformen“, die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und –volumen sowie der vertraglichen Bindungen, ebenso wie eine „Polarisierung der Qualifikationsstruktur“ und „der Bildungsniveaus mit Wachstum am oberen und unteren Ende“ (nach Schmidt 2010: 137). Diese Veränderungen werden auch in Zusammenhang einer zunehmenden Segmentierung des Arbeitsmarktes diskutiert (vgl. Peck 1996; Bauder 2005; Samers 2011). Dienstleistungen werden daher zunehmend binär, etwa in ‚einfache‘ und ‚(hoch-)qualifizierte‘, arbeits- und kapitalintensive, ‚schmutzige‘ und ‚saubere‘ oder gar in high tech und high touch Arbeit unterschieden (McDowell 2009; Anderson 2000; Brush 1999). In Verbindung mit dem Anwachsen der Dienstleistungswirtschaft wird auch der vermehrte Eintritt von Frauen in bezahlte Beschäftigungsverhältnisse diskutiert. Darüber hinaus weist die zunehmend postfordistische Arbeitsorganisation unter neoliberaler Arbeitspolitik eine weitere Auffälligkeit auf: Statistiken zeigen auch für Länder wie Deutschland, deren Arbeitsorganisation vorwiegend durch als „Normalarbeitsverhältnis“ verstandene Lohnarbeit geprägt war, einen Anstieg von Unternehmensgründungen und gewerblicher Selbständigkeit (Bögenhold 1987, 1999). Einerseits scheint die gewerbliche Selbständigkeit eine Alternative zu einem durch neue Unsicherheiten und veränderte Schließungspraktiken gezeichneten flexibilisierten Arbeitsmarkt darzustellen. Andererseits scheint das Bild des gewerblich Selbständigen par excellence die postfordistische Arbeitsorganisation zu repräsentieren: Der Mensch wandelt sich vom routinierten, abhängigen ‚mechanisierten‘ Abarbeitenden hin zum selbständig und eigenverantwortlich handelnden, und damit risikobehafteten, permanent auf ein ‚selling self‘ bedachten Schaffenden (vgl. z.B. das „unternehmerische Selbst“ nach Bröckling 2007). Dieses veränderte Bild der Arbeitenden2 popularisiert sich aber auch zunehmend in der abhängigen Dienstleistungsarbeit, wie etwa das Konzept des „Arbeitskraftunternehmers“ (Voß/Pongratz 2002) zeigt. Zugleich übernehmen gewerbliche Selbständige sowie kleine und

2

Ich verwende die Bezeichnung Arbeitender/Arbeitende bzw. Arbeiter/in allgemein im Sinne arbeitender Menschen, ohne hierbei auf eine Klassenposition, eine bestimmte Position im Re-/Produktionsverhältnis, den Inhalt der Tätigkeit oder die Beschäftigungsform Bezug zu nehmen. Auch wird in dieser Verwendung der Begriffe nicht zwischen unabhängiger/selbständiger und abhängiger Arbeit unterschieden. Zur Problematik dessen, was als Arbeit gesellschaftlich definiert wird, komme ich weiter unten. Auch sind die geschlechtlich markierten Verwendungen (nur männlich, nur weiblich, beides über / verbunden) bewusst gewählt, auch wenn nicht immer explizit darauf verwiesen wird.

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mittlere Unternehmen auch solche Dienstleistungen, die zuvor durch staatliche Träger abgesichert wurden, und die der Staat mehr und mehr privatisiert. Der Trend hin zu einer erhöhten gewerblichen Selbständigenquote verläuft dabei in den segmentierten Bahnen der Dienstleistungswirtschaft: Die new economy (Castells 1985) und die Kreativwirtschaft (Florida 2004), geprägt durch ihre ‚saubere‘, oftmals hoch-technologisierte und hoch-qualifizierte Arbeit und in unzähligen neuen „start ups“ gefeiert, stehen einer ganzen Bandbreite von weniger Aufmerksamkeit verbuchenden Kleinst-, kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber, die vor allem im Bereich der körperintensiven Tätigkeiten operieren. Diese beinhalten etwa Reinigungsfirmen, private Altenpflegeeinrichtungen oder Änderungsschneidereien. Darüber hinaus ist auch der oftmals informelle Dienstleistungsbereich der körperintensiven, als ‚unqualifiziert‘ oder gar ‚schmutzig‘ markierten Arbeit durch eine unternehmerische Arbeitsorganisation markiert, wie Debatten zu Heimarbeiter/innen, auf Honorarbasis arbeitenden Tagesmüttern und Haushaltsarbeiter/innen oder häuslichen Altenpfleger/innen betonen. Hier deutet sich auch an, wie sehr die Grenzen zwischen Selbständigen und sogenannten ‚Schein-Selbständigen‘ in der Dienstleistungswirtschaft verwischen. Die Zuweisungen in ‚(hoch-) qualifizierte‘ und ‚einfache‘, ‚saubere‘ und ‚schmutzige‘ sowie high tech und high touch Arbeit sind jedoch keine willkürlichen. Sie sind eng mit Zuschreibungsregimen von Arbeit entlang der Herrschaftsmatrizen von Gender, sozialer Schicht/Klasse und ‚Rasse‘/Ethnie verbunden, und mögen sich sogar über diese konstituieren (vgl. Sassen 2005). Die engen Verflechtungen von Arbeit in all ihren Dimensionen (wie das Verständnis dessen, was Arbeit ist, die Arbeitsorganisation, die Arbeitsbedingungen oder der Inhalt der Arbeit) und Geschlechterverhältnissen, sowie ihre Einbindungen in (neo-) koloniale Matrizen in historischer Tiefe und geographischer Breite, nehmen gerade in Zeiten einer intensivierten Globalisierung neue Bedeutungen und Ausprägungen an: Migrationen werden etwa von der Politik und den Medien noch immer in modernisierungstheoretischer (oder von Seiten politischer Aktivist/innen auch in marxistisch-strukturalistischer) Weise zuvorderst als arbeitsbedingte Wanderungen verhandelt, zu denen die sogenannte Hochqualifizierten-Anwerbung genauso zählt wie Formen von Flucht, so etwa im Begriff der ‚Armutsflüchtlinge‘ gefasst (kritisch hierzu Geisen 2005b). Der für die Arbeitswelt konstatierte Umbruch ist daher nicht nur ein vergeschlechtlichter Prozess, da in ihm auch kulturell als geschlechtlich kodierte Tätigkeiten ‚vermarktlicht‘ werden, er von einer vermehrten Erwerbstätigkeit von Frauen begleitet wird, und er somit auch unmittelbare Auswirkungen auf Geschlechterverhältnisse hat (Aulenbacher et al. 2007). Zugleich wird dieser Umbruch über herrschaftliche Rassifizierungs- und Ethnisierungspraktiken strukturiert (Castro Varela/Clayton 2003; Gutiérrez Rodríguez 2010b; Sassen 2000) und impliziert hierbei jeweils daran gekoppelte Klassenzuweisungen.

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Der Ansatz eines segmentierten Arbeitsmarktes wird vor allem für die „globalen Städte“ (Sassen 1991) diskutiert, in denen sich „servicing, financing, and management of global economic processes“ verdichten (Sassen 2007: 26) und wo sich kapital- und körperintensive Dienstleistungen symbiotisch verflechten. Gerade dort sei eine Feminisierung sowie Ethnisierung der ‚einfachen‘, ‚schmutzigen‘, körperintensiven Dienstleistungsbereiche zu beobachten (vgl. Sassen 2000; Ehrenreich/ Hochschild 2003; Castro Varela/Clayton 2003; Gutiérrez Rodríguez 2010b). 3 Eben diese ‚unteren Enden‘ der Dienstleistungswirtschaft zeichnen sich neuerdings auch durch eine Ethnisierung ihrer Gewerbetreibenden aus (Sassen 1996; Apitzsch 2006) und werden in Bezeichnungen wie migrantisches oder ethnisches Unternehmen zu fassen gesucht. Kosmetische Dienstleistungen sind Teil all dieser Entwicklungen und Waxing Studios ein besonderes Fallbeispiel hierfür. Aus diesem Grund möchte ich in diesem Kapitel auf die Verflechtung von Arbeit, Geschlecht und Migration sowohl in Bezug auf die Diskussion um den aufstrebenden Dienstleistungssektor wie auch in Bezug auf migrantische Unternehmerschaft eingehen. Hierfür werde ich als erstes den in neueren Ansätzen herausgestellten subjektivierten und interaktiven Arbeitsbegriff, wie er sich gerade in Studien zu Dienstleistungsarbeit popularisiert (Kleemann et al. 1999; Böhle 2010), kritisch reflektieren. Dieser wird vor dem Hintergrund eines doppelsinnigen Verständnisses von Subjektivierung erweitert, die über eine Akteurs- und Handlungszentriertheit hinausgeht. Hierfür setze ich mich mit der sozio-kulturellen wie körperlichen Dimension von ‚Arbeit‘ auseinander. Zunächst betrachte ich dazu kulturell kodierte Zuweisungen vergeschlechtlichter, klassierter und ethnisierter/rassifizierter Tätigkeiten in ihrer Intersektionalität und analysiere, wie diese ein gesellschaftlich dominantes Verständnis von Arbeit prägen. Dies wird anhand ausgewählter Debatten über die in den letzten Jahrzehnten konstatierte Feminisierung und verstärkte Ethnisierung von personenbezogenen Dienstleistungen verdeutlicht, die sich im Bereich sogenannter ‚unqualifizierter‘ oder ‚einfacher‘ Arbeit verorten. In diesem Zusammenhang werde ich näher auf eine allgemein konstatierte Feminisierung der Migration (Castles/Miller 1993; IOM 2010; Boyd 2006) eingehen. Auf diesen Betrachtungen aufbauend, führe ich anschließend den theoretischen Rahmen genauer aus, aus dem ich die hier verwendete Konzeption von Arbeit ableite. Explizit gehe ich dabei auf das doppelsinnige Verständnis von Subjektivierung und damit zusammenhängende Konsequenzen für die körperliche, sinnlich-erfahrende, soziokulturelle sowie biographische Einbindung von Arbeit ein.

3

Allerdings, so ergänzen Glick Schiller und Çağlar kritisch den sehr homogenisierenden Ansatz Sassens, zeigen diese Prozesse ganz unterschiedliche Ausprägungen – je nach Stadt und deren Einbindung in globale Flüsse und Strukturen (von ihnen mit „scales“ bezeichnet, Glick Schiller/Çağlar 2011).

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In einem zweiten Schritt wird die spezifische Situation in Deutschland anhand eines kurzen geschichtlichen Überblicks feministischer Forschungsansätze vorgestellt, die ihren Fokus auf im Geflecht von Arbeit, Geschlecht und Migration verankerte Frauenbilder legen. Es werden Ansätze angesprochen, die interdependente Eingliederungsdynamiken und Ausschlusspraktiken der Arbeitenden, speziell zwischen ‚Deutschen‘ und ‚Ausländerinnen‘, in Bezug auf ihre Beteiligung am formellen Arbeitsmarkt und im Privathaushalt fokussieren. Dabei interessiert die spezifische Ausprägung der ineinandergreifenden Migrations-, Gender- und Arbeitsregime sowie damit zusammenhängende Repräsentationsregime in Deutschland. Diese wirkten sich nicht zuletzt auf Migrationstrajektorien und Arbeitsbiographien der an dieser Forschung teilgenommenen Akteurinnen aus und materialisierten sich in/über ihre/n Körper und Subjektivitäten. Danach stelle ich diesen Betrachtungen, die sich in erster Linie auf (verAnderte) Frauen beziehen, eine einführende Darstellung von Erklärungsansätzen zur migrantischen Unternehmerschaft in Deutschland gegenüber. Diese häufig unmarkiert einem male-bias verschriebenen Ansätze werden um die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse über die Unternehmerschaft von Frauen allgemein und von Migrantinnen im Speziellen erweitert. Zusammenfassend hat dieses Kapitel zum Ziel, die vergeschlechtlichten Erklärungsansätze zur Verschränkung von Arbeit, Geschlecht und Migration sowohl für abhängige als auch für unabhängige Arbeit vorzustellen und einen Überblick über den diesbezüglichen Forschungsstand in Deutschland zu geben. Dies soll einerseits helfen, wirkmächtige Regime, in denen meine Interviewpartnerinnen permanent angerufen und positioniert werden und mit denen sie sich in ihrem Alltag auseinandersetzen müssen, in ihrer strukturellen, dispositiven Ausprägung deutlich zu machen. Andererseits soll hierdurch auch für den besonderen Stellenwert von Arbeit, für deren sozio-kulturelle Einbindung und daher auch für deren mögliche Ausgestaltungspotentiale sensibilisiert werden. Zugleich umreißt das Kapitel den übergreifenden methodologischen Rahmen zu den hier verwendeten Ansätzen zu Intersektionalität und embodiment, in die ich diese Studie einbetten möchte.

2.1 Z UR KÖRPERLICHEN UND SOZIO - KULTURELLEN D IMENSION VON ARBEIT „All work is gendered and all work is embodied“. Diese Beobachtung, so schreiben David Morgan, Berit Brandth und Elin Kvande in ihrem interdisziplinären Sammelband zum Thema „Gender, bodies and work“ (Morgan et al. 2005: 3), sei eigentlich eine offensichtliche, die keinerlei Erwähnung oder gar Erklärung bedürfe. Dem zum Trotz, so bemerken Forscherinnen wie Beverly Skeggs (1997), Carol Wolkowitz (2006), Linda McDowell (2009) oder Miliann Kang (2010), ist diese

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Selbstverständlichkeit in der industriellen Moderne des Globalen Nordens unsichtbar gemacht worden und erst im schleichenden Übergang hin zum postfordistischen Zeitalter der Dienstleitungen von zumeist Feministinnen (und später von Arbeitssoziolog/innen und in Studien der philosophischen Anthropologie) wieder ins gesellschaftliche Bewusstsein geholt worden. Die Sensibilisierung für diese verkannte Selbstverständlichkeit wird aus heutiger Sicht eng an ein verändertes Arbeitsverständnis geknüpft, das der aufstrebende Dienstleistungssektor und die mit ihm verbundenen vergeschlechtlichten, klassierten und ethnisierten Arbeitsmarktdynamiken mit sich gebracht haben (vgl. McDowell 2009; Böhle et al. 2010). Die Aussage enthält zweierlei Dimensionen, die sich zwar gegenseitig bedingen, analytisch jedoch selten differenziert betrachtet werden: Dies betrifft die Arbeit, also das arbeitende Tun, denn sie wird auch in ihrer abstraktesten oder immateriellsten Form immer über den Körper verrichtet. Der Körper wiederum ist nach Judith Butler (1993) als Ort sich materialisierender kultureller Normen immer auch vergeschlechtlicht. Demnach ist die verkörperte/einverleibte [embodied] und vergeschlechtlichte Arbeit aber auch unumgänglich mit ihrer/m Ausführenden verbunden und mit deren/dessen sozialer und kultureller und damit vergeschlechtlichter Verkörperung/Einverleibung [embodiment]. Arbeit, so wird im Folgenden näher ausgeführt, ist somit immer subjektiviert [subjected]. Die nächsten Abschnitte beschäftigen sich mit diesem dialektischen Verhältnis der beiden Dimensionen als auch mit den sozio-kulturellen Bedingungen, unter denen Tätigkeiten als Arbeit verstanden werden. Zudem wird untersucht, wie dies mit der sozio-kulturellen Positionierung ihrer Ausführenden und der am Arbeitsprozess beteiligten Seiten verwoben ist. 2.1.1 Subjektivierung, Interaktion und Körperwissen in der Dienstleistungsarbeit Der eingangs beschriebene Umbruch in der Arbeitswelt impliziert nicht nur eine Verschiebung des Gegenstandes des arbeitenden Tuns. Er lenkte auch das sozialund kulturwissenschaftliche Interesse auf ein Was und Wie der Arbeit an sich. Die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts naturalisierten Konzepte von Arbeit und deren soziokulturelle Kodierungen wurden mit den sich im aufstrebenden Dienstleistungssektor stellenden Ansprüchen und Anforderungen infrage gestellt, indem zunehmend die Interaktion mit Menschen als mit Dingen vordergründig und damit verbundene Fähigkeiten und Kompetenzen ins Zentrum rücken (Hochschild 1983; McDowell 2009). Vorherrschende Auffassungen von dem, was Arbeit ausmache, hatten sich im Globalen Norden zuvor in verengter Sichtweise über die „Entwicklung von Arbeit zur marktvermittelnden Arbeit“ (Scheele 2009: 183) konstituiert. Der Begriff der Arbeit war an die Erwerbsarbeit in industriegesellschaftlichen Kontexten, und hier wiederum in erster Linie an die Lohnarbeit gebunden (vgl. Voß

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2010). Die Marxʼsche Definition von Arbeit im Kapitalismus, wonach der Arbeitsprozess zunächst ganz allgemein Produktion sei, bei der durch Arbeitskraft und Arbeitsmittel Rohmaterial in einen Tauschwert transformiert werde, der als Ware auf dem Markt verkauft werden könne, schien hierbei lange als dominanzgesellschaftlicher Konsens etabliert gewesen zu sein. Hinter einer solchen vermeintlich objektivierten Definition verblieb unmarkiert, dass diese Konzeption von Arbeit historisch, geographisch und gesellschaftlich verortet war (so band Marx seine Definition eng an das Projekt der industriegesellschaftlichen Moderne und verortete sie in der liberalen Nationalökonomie, vgl. Voß 2010: 32ff für eine ausführliche Beschäftigung). In einem stärker philosophisch-anthropologischen Sinne erweiterte Marx seine Auffassung von Arbeit um eine Betrachtung ihrer körperlichen Dimension, die er in engen Zusammenhang mit der geistigen Tätigkeit bringt: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Der Mensch tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur. […] Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Tätigkeiten, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“ (Marx 2000 [1872]: 180f)

In diesen Ausführungen wird die körperliche Tätigkeit der geistigen Tätigkeit unterworfen, der Körper trotz seiner Leiblichkeit damit weitestgehend verobjektiviert und in cartesianischer Manier der Rationalität des Geistes untergeordnet. Diese Unterscheidung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit ist in der Geschichte des Westens keine neue. Arbeit in ihrer körperlichen Dimension war dabei nicht zwangsläufig als Mühsal oder Plage (im Sinne des lateinischen labore), sondern immer auch als Werken und Herstellen (im Sinne der lateinischen operare bzw. facere/fabricari) verstanden. Diese wurden allerdings nicht unbedingt von einer geistigen Dimension losgelöst, die mit Kreativität und Schaffenskraft verbunden war (Voß 2010; Jochum 2010). Im industriell-kapitalistischen Verständnis von Arbeit wurde der Körper als Agens von arbeitsrelevantem Wissen und Erfahren jedoch gänzlich ent-subjektiviert. Ebenso verblieb unmarkiert, dass dieses Arbeitskonzept auch an ganz bestimmte Subjektformationen gebunden war, die über ihre Klassenposition hinaus-

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ging (wie männlich und weiß; vgl. hierfür Werlhof et al. 1983; Skeggs 1997; Glenn 1985). Das Subjekt der Arbeit verschwand hingegen hinter seiner strukturellen Einbindung in Produktionsverhältnisse. Arbeit als „demnach manipulative und berechnende Transformation eines Objektes durch ein formgebendes Subjekt“ (Spittler 2002: 9; vgl. Jochum 2010: 112) wäre daher allein objektiviert, rationalisiert und produktiv. Implizit war sie so neben ihrer ökonomisierenden, an Mehrwert orientierten Funktion (Wolkowitz 2006: 12) auch immer herrschaftlich (Unterwerfung des zu bearbeitenden Objekts unter das arbeitende Subjekt, Unterwerfung des Körpers unter den Geist, Unterwerfung des Arbeiters unter Produktionsverhältnisse) und idealistisch (Rationalität eines Geistes gegenüber der Irrationalität des Körpers im cartesianischen und hegelianischen Sinne) eingebettet (Voß 2010: 42f). Dass sich dieser Arbeitsbegriff dominanzgesellschaftlich lange als weitestgehend konsensfähig durchsetzte, mag auf seine Nützlichkeit für kapitalistische Arbeits(markt)regime zurückzuführen sein. So konstatiert etwa die Soziologin Carol Wolkowitz, dass eine Unterscheidung zwischen dem, was Arbeit ist und was sie nicht ist, in erster Linie vom ihr zugesprochenen Wert sowie vom sozialen Kontext abhängt, in dem die Tätigkeit vorgenommen wird. Der Wert, so erweitert Wolkowitz, sei unabhängig davon, ob Arbeit bezahlt oder unbezahlt sei (auch wenn der ihr zugeschriebene Wert ein vermeintlich objektivierter sei, sobald Arbeit in eine Tauschbeziehung erhoben werde; Wolkowitz 2006: 9). Definitionen dessen, was Arbeit sei, variieren somit nicht nur in soziokultureller Hinsicht, sondern auch geschichtlich (Spittler 2002, 2008), was einen essentiellen Kern dessen, was Arbeit ausmache, weitestgehend negiert. Vielmehr markieren sie ein Verständnis von Arbeit als sozial und kulturell konstruiert. Auch wenn diesem konstruktivistischen Ansatz nach eine Pluralität von Arbeitskonzeptionen möglich wäre, so fällt auf, dass sich eine Art dualistische Gegenüberstellung in die Diskussionen eingeschlichen hat, die die (industriegesellschaftlich-moderne) Vergegenständlichung von Arbeit einem (eigentlich vor-modernen und vor-kapitalistischen) subjektivierten Arbeitsverständnis gegenüberstellt. Letzteres wird von einigen als ‚mythisch‘ (vgl. hierzu Jochum 2010) und von anderen als anderen Kulturen eigen beschrieben (Spittler 2009: 164, wobei sich der Anthropologe Gerd Spittler hier auf nicht-industrielle und nicht-kapitalistische Gesellschaftsordnungen bezieht). Arbeit ist diesem Verständnis zufolge nicht einfach eine Aneignung objektivierten Rohmaterials, sondern eine Interaktion mit Subjekten, wobei hier die Idee eines subjektivierten Kosmos zugrunde gelegt wird (einschließlich der Vorstellung von Artefakten und Natur als Quasi-Subjekte, Jochen 2010: 112). Als Interaktion ist Arbeit demnach intersubjektiv, emotional bzw. sinnlichkörperlich eingebunden und nicht dem rationalen Ziel einer Produktivität unterlegen. Anstatt herrschaftlich angelegt zu sein, wäre sie demzufolge vielmehr reziprok in der Intention (vgl. auch Werlhoff et al. 1983) und würde die körperliche Dimension der geistigen gleichstellen.

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Es seien nun aber eben „[j]ene Vorstellungen von Arbeit, die im Verlaufe der Geschichte verdrängt, marginalisiert und als irrational abgewertet wurden, [die] infolge einer veränderten Arbeitswelt wieder in das Blickfeld“ geraten würden, so Georg Jochum und andere Verfechter/innen eines subjektivierten Arbeitsbegriffes (2010: 112). Im Mittelpunkt stehe immer mehr das „erfahrungsgeleitete-subjektivierte Handeln“, bei dem die sinnliche Erfahrung und das selbständige Erfahrungmachen die Grundlage des Wissenserwerbs darstelle (Böhle 2010: 160). Die sinnliche Wahrnehmung sei als körperbezogene Empfindung auch als solche interpretiert. Im Wechsel vom objektivierten Ding zum subjektivierten Gegenüber, auf den das Arbeitshandeln gerichtet ist, wird im Gegensatz zum objektivierten, rationalisierten ‚Abarbeiten‘ das situative und interaktive Moment von Arbeit hervorgehoben: Fritz Böhle zufolge wird das arbeitende Vorgehen dialogisch-interaktiv, entdeckendexplorativ und oftmals kooperativ. Das erfahrungsorientierte Wissen werde dadurch ständig überarbeitet und bleibe dynamisch (ebd.: 161f; vgl. Böhle/Glaser 2006). Erfahrungswissen werde also trotz fortschreitender Technisierung wieder valorisiert und nicht etwa durch eine fortschreitende Verwissenschaftlichung und Intellektualisierung von Arbeit ersetzt (Böhle 2010: 159). Trotzdem sei Arbeit noch immer intentional und zielgerichtet. Die aktuellen Ausprägungen ihrer Subjektivierung seien vielmehr „ebenfalls als rationale, effiziente und notwendige Modi der arbeitenden Weltaneignung anzusehen“ (Jochum 2010: 113) bzw. würden in einer Kombination beider, subjektivierter wie objektivierter Modi, erfolgreich sein. Das hier zugrunde liegende Verständnis von Subjektivierung meint in seiner interaktionstheoretischen Einbettung und phänomenologischen Andeutung eine Akteurszentriertheit, die den/die Arbeitende/n und seine/ihre subjektive Empfindungen und Erfahrungen (wie auch seine/ihre Ansprüche an und Beurteilungen von z.B. Qualität der Arbeit, Corell/Janczyk 2005: 149) in das Zentrum der Betrachtung stellt; es bewegt sich also weg von der Vorstellung einer Vergegenständlichung des arbeitenden Handelns. Hervorgehoben wird das Wie der Arbeit, was auch ein Wie des Arbeitswissens impliziert. Interessant ist an dieser im Rahmen der Dienstleistungsforschung herausgestellten Veränderung des Arbeitsbegriffs, dass er Arbeit auch wieder zurück an den Körper bindet. Dieser wird im Arbeitsprozess über ein interaktives Verständnis also wieder einbezogen. Zugleich wird der Körper als konstitutiv für das Arbeitswissen verstanden. Die sinnliche Erfahrung sowie das über Erfahrung gewonnene Wissen sind auch ein körperliches, welches anderen Formen von Wissen und Arbeitskompetenzen scheinbar gleichgestellt würde – so der Eindruck, der sich aus einigen Studien gewinnen lässt (z.B. Weishaupt 2006). Stefan Hirschauer (2008) spricht allgemein von somatischem Wissen. Der Körper wird in einem praxistheoretischen Sinne zum Wissensträger, denn als Handlungsträger inkorporiert er zugleich das mit diesen Praktiken verbundene Wissen (Hirschauer 2008: 86 zusammenfassend in Anlehnung an das Habitus-Konzept von Bourdieu). Mehr als nur Alltagswissen umfassende stillschweigende Annahmen,

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Selbstverständlichkeiten oder „eingefleischte Glaubensüberzeugungen“, beinhaltet es Aspekte wie Fingerspitzengefühl, Geschicklichkeit und Routine. Es meint ein Gewusst-wie und ist sprachlich nicht abfragbar. Es ist also ein implizites, „eingekörpertes“ Wissen (ebd.). Allerdings verbleibt der/die Arbeitende in seiner/ihrer Subjektivität unmarkiert und avanciert zum/r der Situation entsprechend angepassten, rationalisierten Handelnden (Weihrich/Dunkel 2007: 65), auch wenn dieses Handeln im erfahrungsgeleiteten und empfindsamen Körper verortet wird. Weniger werden hingegen die Bedingungen reflektiert, in denen und durch die Erfahrung und Wissen angeeignet wird; der/die Arbeitende wird indirekt aus den sozialen Strukturen und Herrschaftsmatrizen herausgelöst, durch die Erfahrungen und Wissensaneignung ermöglicht oder blockiert wurden. Auch der wissende Körper verbleibt damit sozial und kulturell weitestgehend unmarkiert und losgelöst von Subjektivität, die er über sein implizites Wissen jedoch auch beeinflusst. Als Träger von Wissen wird er aufgrund dieser Ausblendung wiederum nur zum Instrument der Wissensaneignung. All dies kommt beinahe einer Objektivierung der im/in der Arbeitenden zusammentreffenden Subjektpositionen gleich. Dies hängt meiner Meinung nach mit dem hier verwendeten Verständnis von Subjektivierung zusammen. Diese meint demnach vielmehr eine Akteurszentriertheit, in der die Handlungsermächtigung betont wird. Nicht sichtbar gemacht werden die sozialen wie herrschaftlichen Bedingungen der Subjektivität, unter denen Arbeit stattfindet. Akteur und Subjekt fallen in diesem Verständnis vielmehr zusammen und verbleiben daher trotz der herausgestellten interaktiven Wissensaneignung individualisiert. Des Weiteren wird kaum thematisiert, unter welchen Bedingungen Erfahrungen und Wissen eingesetzt werden und wie auch die Situiertheit des Handelns das Wie der Arbeit beeinflusst. Dies gilt vor allem für die Interaktion der Arbeit. Sie wird zwar als situativ und zwischen Subjekten verstanden. Bezieht man diese Betrachtungen auf die personenbezogene Dienstleistung, bedeutet dies jedoch, dass beide interagierende Subjekte in den Bedingungen ihrer Subjektivität unmarkiert blieben. Doch gerade dieser Bereich der Dienstleistung ist durch die Besonderheit der Kopräsenz von Dienstleistungsnehmer/in und -geber/in gekennzeichnet. Die Interaktion stellt hier Inhalt von und Mittel in Arbeitsprozessen dar. Weiterhin werden die Bedingungen der Interaktion weitestgehend ausgeblendet. Das Augenmerkt verbleibt in einem solchen interaktiven Arbeitsverständnis vielmehr auf der performativen Ebene, die sich jedoch ausschließlich an der Situation ausrichtet und in der Konzeption auf ein „surface acting“ (nach Goffman 1959, vgl. Hochschild 1983: 37ff) beschränkt wird. In diesem interaktionistischen Verständnis, so Hirschauer, kommuniziere der Körper zwar auch Wissen, performe und verkörpere dieses sogar an seinen Gegenüber. Dieses Wissen ist nach Hirschauer aber in erster Linie auf „ein visuell erfasstes Wissen“ ausgerichtet, das der Körper über nichtsprachliche Zeichensysteme wie

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Kleidung, Haltung, Gestik, Mimik und Blick prozessiert (Hirschauer 2008: 88, unter Bezug auf Goffman). So erlaubt auch diese an die ‚Oberfläche‘ gebundene Performativität von Arbeit und Wissen ein eher akteurszentriertes und handlungsermächtigendes Verständnis von Subjektivität. Diese Performativität fokussiert zunächst weniger die herrschaftliche Einbettung der Akteure, aufgrund derer sie allerdings mit unterschiedlichen Handlungsermächtigungen und Ressourcen ausgestattet sind oder auf diese zurückgreifen können. Gerade dies hat jedoch Auswirkungen auf die in der Interaktion eingebundenen Aushandlungsprozesse, welche nach Corbin/Strauss (1993: 73; Dunkel/Weihrich 2010: 182) sogar konstitutiver Bestandteil interaktiver Arbeit sind. Besonders deutlich wird dies bei Dienstleistungstätigkeiten, in denen dem/der Arbeitenden nicht – wie etwa in einem klassischen Arzt-Patient-Verhältnis – primär seine/ihre Professionalität über die Position der Profession zugeschrieben wird, sondern die Tätigkeit einem untergeordnetem Status zugeordnet und z.B. als ‚einfache Arbeit‘ markiert ist (Dunkel/Weihrich 2010: 183). Boas Shamir spricht diesbezüglich von „subordinate service roles“ (Shamir 1980: 742). Bei diesen falle das Machtungleichgewicht zugunsten des/der Dienstleistenden aus, während der/die Dienstleistende dieses Ungleichgewicht ausgleichen müsse. Dunkel/Weihrich schreiben dazu: „Die interaktive Arbeit bezieht sich also nicht nur auf das sachliche Problem, eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, sondern auch auf das soziale Problem, Statusunterschiede auszutarieren“ (Dunkel/Weihrich 2010: 183). Dass dieses Austarieren sich nicht allein auf Statusunterschiede zwischen den Interagierenden beschränkt, ist mit einem allein interaktionstheoretisch ausgerichteten oder phänomenologisch eingebetteten Ansatz nur bedingt zu greifen. Denn die Interaktion wird auch von weiteren sozialen, geschlechtlichen und kulturellen Positionierungen wie Zuweisungen geprägt. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Diskussion über die Einbettung der Akteure in soziale und kulturelle Herrschaftsmatrizen und über damit verbundene Anrufungen und Zuweisungen erweitert werden muss. Nötig ist dafür auch ein erweitertes Subjektivitätsverständnis, das über eine Akteurs- und Agency-Zentriertheit hinausreicht. Dies soll im Folgenden unter Rückgriff auf Ansätze der poststrukturalistisch geprägten feministischen und post/dekolonialen Arbeitsforschung geschehen. 2.1.2 Kritische Erweiterung: Arbeit entlang von Geschlecht, Klasse und ‚Rasse‘ Einen wichtigen Beitrag, um die Verflechtungen der Dimensionen von Arbeit und die Einbettung der Arbeitenden in wirkmächtige Geschlechterregime herauszustellen, hat die feministische Arbeitsforschung geleistet. Die Soziologin Joan Acker und andere konstatierten, dass die scheinbar neutralisierende Entkörperlichung und

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Entsubjektivierung von Arbeit und Arbeiter/innen in der industriegesellschaftlichen Moderne als eine maskuline Strategie zu verstehen sei: Arbeit werde – rationell und objektiviert konnotiert – als abstraktes Konzept und damit als unmarkiert männlich universalisiert. Dem wurde die als körperlich markierte Arbeit als Abweichung oder Besonderheit gegenübergestellt, als weiblich kodiert (nach Acker 2003: 51f), und hauptsächlich in den Bereich reproduktiver Tätigkeiten verortet (also vom Bereich produktionsorientierter Arbeit abgekoppelt). Reproduktive Arbeit als gebrauchswertorientiert lag unterdessen außerhalb der kapitalistischen Akkumulationslogik. Die Haushaltsarbeitsdebatte der 1970er und 1980er Jahre markiert beispielsweise die bis heute bestehende Schwierigkeit, reproduktive Arbeit überhaupt als Arbeit anzuerkennen. Noch schwieriger schien es, diese Arbeit entsprechend mit Tauschwert auszustatten und in Konsequenz als marktrelevant (direkt oder indirekt; vgl. Werlhoff et al. 1983) zu verstehen. Im Übergang zum subjektivierten Arbeitsverständnis der postfordistischen Dienstleistungswirtschaft wurden im subjektivierten Arbeitsverständnis Körper und Akteur zwar wieder eingeführt. Allerdings operiert Geschlecht weiterhin als herrschaftliches Organisationsprinzip und markiert noch immer die Unterscheidung von reproduktions- und produktionsorientierter Arbeit. In differenztheoretischer Perspektive erarbeiteten Forscherinnen wie Ilona Ostner bereits in den 1970er Jahren, dass Frauen durch ihre geschlechtliche Zuordnung ein vergeschlechtlichtes Erfahrungswissen zugeschrieben wurde. Dieses habe sich den Forscherinnen zufolge entlang einer Sozialisierung in reproduktiven Tätigkeiten herausgebildet, insbesondere in Haushalts-, Fürsorge- und Betreuungstätigkeiten. Dieses zugeschriebene Erfahrungswissen statte Frauen daher mit einem „weiblichen Arbeitsvermögen“ aus, das etwa Fürsorglichkeit, Intuition und Geduld umfasse und das auch ihre Berufswahl hin zum Bereich reproduktiver Arbeit beeinflusse. Zugleich stehe dieses Arbeitsvermögen im Widerspruch zu eher männlich kodierten Anforderungen. Dazu wurden beispielsweise Konkurrenzfähigkeit oder Leistungsorientierung gezählt, die in erster Linie produktionsorientierter Arbeit zugeschrieben wurden. Frauen würden deshalb in solchen Berufen benachteiligt. Hinzu käme, dass Frauen für produktionsorientierte Arbeit aufgrund ihrer haushaltsnahen Sozialisation entsprechende Ressourcen und Kapitale fehlten, zu denen auch Bildung und Netzwerke zählten. Aufgrund dieser Verflechtung von über eine vermeintliche Sozialisation zugeschriebenem Erfahrungswissen, Arbeitsvermögen, Anforderungen und (fehlenden) Kapitalen begründe sich die Affinität für Berufe, die eine gewisse Nähe zu den reproduktiven Anforderungen im Haushalt habe. Die so etablierten ‚typischen Frauenberufe‘ würden zu einer horizontalen Segregation des Arbeitsmarktes führen.4

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Segregation wird hier als „unterschiedliche Konzentration von Männern und Frauen in Berufen, Wirtschaftsbereichen, Tätigkeitsgruppen und hierarchischen Positionen“ ver-

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„Anforderungen und Arbeitsvermögen würden auf diese Weise ineinander gepasst, wobei die Fähigkeiten von Frauen gleichzeitig genutzt und entwertet würden“ (nach Ostner 1978: 197-202; zit. in Aulenbacher 2010: 305). Linda McDowell (2009) und andere (z.B. Gottschall 2010; Klinger 2003) kritisieren dieses „gendering of skills“ (McDowell 1991: 400) gemäß dominanzkultureller Vorstellungen von weiblichen Tätigkeitsbereichen als Naturalisierung. Hieran seien mehrere Prozesse beteiligt: Laut Cornelia Klinger (2003) hängt dies zunächst mit einer allgemeinen Naturalisierung von Geschlecht zusammen, die in einem zweiten Schritt auf die Arbeitswelt übertragen wird. In Bezug auf Ersteres, so betonen feministische Forscherinnen spätestens seit Simone de Beauvoir (1919 [1949]), würden Frauen in der Logik westlicher Ontologie als das Andere zum Mann gezeichnet, und damit als das Andere zu Geist und Rationalität. Begründet werde dies vor allem über die im weiblichen Körper verankerte Fähigkeit zur biologischen – ‚natürlichen‘ – Reproduktion, manifest in Menstruation, Schwangerschaft und Muttermilch.5 Frauen seien, hier vereinfachend zusammengefasst, daher Körper (Spelman 1982; Grosz 1994). Der Körper aber gehöre, in Anlehnung an den cartesianischen Dualismus, dem Natürlichen an. Entsprechend würden, so kritisiert beispielsweise die Anthropologin Sherry Ortner, mit der Reproduktion verbundene Tätigkeiten als ‚natürlicher‘ Dienst konstruiert. Begründet sei dies einzig durch die ‚natürliche‘ Beschaffenheit des weiblichen Körpers und den damit zusammenhängenden ‚natürlichen‘ Fähigkeiten von Frauen (vgl. Ortner 1974). Als kulturelles wie soziales Konstrukt sei diese Zuordnung jedoch keine neutrale, sondern eingebettet in und konstitutiv für herrschaftliche Matrizen.6 Zugleich, so Klinger, sei „[i]n ih-

standen (nach Allmendinger/Podsiadlowski 2001: 27, zit. in Kurz-Scherf et al. 2006: 5). Segregation wird gemeinhin in eine horizontale („ungleiche Vertretung von Frauen und Männern in Berufen, Tätigkeiten und Branchen“) und eine vertikale („unterschiedliche Repräsentation von Frauen und Männern in innerbetrieblichen Positionen und Hierarchieebenen“) unterschieden (ebd.: 5). 5

Margrit Shildrick und Janet Price fassen diesbezüglich zusammen: „The very fact that women are able in general to menstruate, to develop another body unseen within their own, to give birth, and to lactate is enough to suggest a potentially dangerous volatility that marks the female body as out of control, beyond, and set against, the force of reason. […] In short, women just are their bodies in a way that men are not, biologically destined to inferior status in all spheres that privilege rationality“ (Shildrick/Price 1999: 2).

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In einem Versuch, die kulturelle Konstruktion der Festschreibung von Frauen an Körper offenzulegen, um so die untergeordnete Rolle von Frauen zu verstehen, führt Sherry Ortner in ihrem frühen Aufsatz „Is female to male as nature is to culture?“ (1974) aus, dass die Physiologie von Frauen, ihre soziale Rolle und, daran anschließend, ihre Psyche für die Schlussfolgerung herangezogen wird, Frauen befänden sich in einer nähere Position

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rem Kern, d.h. als Hervorbringung von Leben, […] auch die soziale Reproduktion körperliche Arbeit (in der Doppeldeutigkeit von labour) und gelte einer von ihren antiken und christlichen Wurzeln her körperfeindlichen Kultur schon allein aufgrund dieser Körperlichkeit als verächtlich, als dunkel und ‚schmutzig‘“ (Klinger 2003: 29). Über unterschiedliche Strategien werde die Zuordnung von Frauen zum Körperlichen sowie die damit den Frauen zugewiesenen, reproduktionsnahen und deshalb ‚weiblich‘ kodierten Aufgaben und Tätigkeiten naturalisiert. Diese Naturalisierung, so Klinger, wirke auf allen Ebenen gesellschaftlichen Zusammenlebens, angefangen in Familie und Ehe über institutionelle Praktiken bis hin zum Arbeitsmarkt (Klinger 2003). So erführen etwa erwerbstätige Frauen eine „doppelte Vergesellschaftung“: Einerseits müssten sie aufgrund ihrer naturalisierten Verpflichtung in Familie und Haushalt diese Bereiche mit den beruflichen Anforderungen abstimmen, also auch in der Organisation ihres Erwerbsalltags die familiären Verpflichtungen mitdenken und mit-koordinieren. Zugleich beeinflusse dabei die besondere Organisationsform von Haus- und Fürsorgearbeit in der Familie, die durch den gesonderten Arbeitsgegenstand (gebrauchswertorientiert) geprägt sei, die soziale Praxis ihrer Erwerbsarbeit (Gottschall 2010: 677). Andererseits seien geschlechtlich kodierte Arbeitsbereiche und die damit verbundenen geschlechtlich kodierten Anforderungen, Fähigkeiten und Wissensformen ebenfalls sozio-kulturelle, herrschaftsgeleitete Konstruktionen. Sie müssten über ein permanentes „doing gender while doing work“ (Gottschall 1998) in ihrer geschlechtlichen Kodierung hergestellt werden. Deshalb würden Frauen wie Männer über die Arbeit in einem bestimmten (durch Schließungen oder Öffnungen zugewiesenen) Bereich ebenfalls geschlechtlich vergesellschaftet (vgl. Aulenbacher 2010: 306f). Allerdings, so Gudrun Axeli Knapp, müsse je nach Branche unterschieden werden, da jeder Bereich seine spezifischen Anerkennungschancen und Benachteiligungen habe. Dies sei besonders deutlich in Bereichen, in denen ein Wechsel der Geschlechtszuweisung erfolge (wie etwa beim Beruf des Lehrers/der Lehrerin, der lange Zeit als männlich kodierter galt und erst seit einiger Zeit feminin kodiert ist). Zugleich, so Knapp, Wetterer, Gottschall und Klinger, seien die Vergeschlechtlichungen von Arbeitsbereichen auch mit klassenbezogenen Zuweisungen verbunden: Die Forscherinnen sehen diesbezüglich einen „innere[n] Zu-

zur ‚Natur‘ (ebenso als kulturelles Konstrukt verstanden). „Thus culture (i.e. every culture) at some level of awareness asserts itself to be not only distinct from but superior to nature, and that sense of distinctiveness and superiority rests precisely on the ability to transform – to ‚socialize‘ and ‚culturalize‘ – nature. […] Since it is always culture’s project to subsume and transcend nature, if women were considered part of nature, then culture would find it ‚natural‘ to subordinate, not to say oppress, them“ (Ortner 1974: 73).

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sammenhang von Statusdistribution und diskursive[r] Konstruktion von Geschlechterdifferenz als Prozess soziale[r] Klassifikation“ (nach Wetterer 2002, zit. in Gottschall 2010: 683). So ist die konsequente verstärkte Präsenz von Frauen in weiblich kodierten Arbeitsbereichen mit einer Abwertung (finanziell, sozial und kulturell) der entsprechenden Arbeit und der Arbeitenden verbunden. Dementsprechend lässt sich eine Verschränkung der vertikalen wie horizontalen Segregation der Dienstleistungswirtschaft beobachten, die eng an ein gendering of skills geknüpft ist. So besetzen in erster Linie Männer Führungspositionen aller Bereiche. Zudem sind Männer auch vorranging im kapitalintensiven (und gut bezahlten) Sektor der new economies tätig (vgl. McDowell 2007, 2009). Feministische Arbeitsmarktforscherinnen haben in den letzten Jahren gezeigt, dass im Gegensatz dazu der Anteil von Frauen in den körperintensiven Dienstleistungen unverhältnismäßig hoch ist (vgl. ebd.; Brush 1999; Sassen 2000; Kurz-Scherf et al. 2006). Dies gilt vor allem im Bereich der reproduktiven Arbeit, die wiederum durch geringe Bezahlung, geringe soziale Mobilitätschancen und geringe gesellschaftliche Anerkennung gekennzeichnet ist. Vor diesem Hintergrund wird unter dem Schlagwort der ‚Feminisierung der Arbeit‘ oftmals nicht nur die quantitative Dimension des Eintritts von Frauen in formelle Beschäftigungsverhältnisse gefasst. Auch Entwicklungen hin zu einer ‚Flexibilisierung‘ von Beschäftigungsverhältnissen (z.B. der Rückgang des Normalarbeitsverhältnisses) und Arbeitsbedingungen (Arbeitszeiten, Entlohnung), zu Abqualifizierung, entgeltlicher Abwertung bis hin zu einer Prekarisierung einzelner Branchen, die insbesondere von Frauen dominiert werden, zählen dazu (vgl. hierfür Standing 1999). Die Verschränkung eines vermehrten Eintritts von Frauen in die Erwerbsarbeit – speziell in aufgrund ihrer (vermeintlichen) Nähe zu reproduktiven Tätigkeiten entsprechend geschlechtlich kodierten Bereiche der personenbezogenen Dienstleistungswirtschaft (im Sinne einer horizontalen Segmentierung) – und einer zugleich untergeordneten Statuszuweisung dieser von Frauen dominierten Bereiche, markiert Karin Gottschall zufolge die „kunden- und klientenbezogene Arbeit nicht nur mit spezifischen Arbeitsbedingungen, Beschäftigten- und Arbeitgeberstrukturen, sondern auch mit besonderem Anerkennungsproblemen“ (Gottschall 2010: 683). Hieraus ergeben sich weitere Konsequenzen, die sich auf den in der Dienstleistungswirtschaft diskutierten veränderten Arbeitsbegriff auswirken. So ist Subjektivierung und Wissensaneignung den hier gemachten Ausführungen zufolge, erstens, nicht geschlechtsneutral – weder in ihren handlungsermächtigenden Dimensionen noch in ihren Aneignungen, Anerkennungen oder Zuweisungen. Die soziokulturelle Einbindung in herrschende Geschlechterordnungen und den damit verbundenen Zuweisungspraktiken mitdenkend, stellt sich, zweitens, die Frage, welche Form von (impliziten) Wissen als branchenrelevant erkannt/angerufen (bzw. aberkannt/nicht zugestanden) und daher auch wertgeschätzt (oder eben abgewertet) wird. So führte die Arbitrarität körperlichen Wissens als weiblich kodiert und daher

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sozio-kulturell abgewertet lange zu einer „Somatophobie“ (Spelman 1982) unter Feministinnen im Kampf um Gleichstellung und Gleichbehandlung vor allem auf dem Arbeitsmarkt.7 Drittens werden das mit der Arbeit verbundene implizite Wissen und die Subjektivierung damit nicht nur gegenüber einem objektivierten Arbeitsbegriff positiv aufgeladen (im Sinne einer neuen individualisierten Ermächtigung). Sie können sich auch über negativ besetzte Erfahrungen der Unterordnung unter ineinander verflochtene Klassen- und Geschlechterregime konstituieren. Allerdings verbleiben viele der zumeist feministischen Studien zur Arbeitsmarkteingliederung von Frauen – trotz ihrer wichtigen Kritik an einer durch Geschlecht charakterisierten horizontalen wie vertikalen Segmentierung des Dienstleistungssektors – oftmals einem methodischen Nationalismus (Wimmer/Glick Schiller 2002) verhaftet, ohne die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf eine rekonfigurierte globale Arbeits(markt)segmentierung zu kontextualisieren (Morgan et. al 2005: 13). Post- und dekoloniale Theoretiker/innen erweitern diese meist eurozentrisch verbleibenden Anschauungen um die Einbettung in gegenwärtige – alte wie neue – (globale) Kolonialitäten (nach Mignolo 2000). Sie betonen, neben vorrangig feministischen Migrationsforscherinnen, die damit verbundenen Rekonfigurationen der formellen wie informellen bzw. direkten und indirekten Arbeitsmarktbeteiligung der Akteure nach Geschlecht, ‚Rasse‘/Ethnizität und Klasse – sowohl im Globalen Norden wie im Globalen Süden (Dunaway 2002; Sassen 2000; vgl. auch Einzelfallstudien wie die von Parreñas 2001 oder Hondagneu-Sotelo 2001). So lässt sich feststellen, dass es nicht etwa „nur“ Frauen (dem Geschlecht nach) sind, die unverhältnismäßig häufig im körperintensiven Bereich der reproduktionsorientierten Dienstleistungswirtschaft tätig sind. Insbesondere women of color und Migrantinnen finden sich meist in Tätigkeitsfeldern wie Pflege-, Haushalts-, Sex- und Reinigungsarbeit (Glenn 1992; Hondagneu-Sotelo 2001; Ehrenreich/Hochschild 2003; Agustín 2003; Sassen 2000; Anderson 2000). Diese Bereiche sind in der Regel ganz besonders durch informelle und prekäre Beschäftigungsverhältnisse charakterisiert. Hierzu zählen Niedriglöhne, flexible Regelungen bezüglich Arbeitszeit und -volumen sowie ungesicherte Arbeitsbedingungen (angefangen bei direkt mit der Tätigkeit verbundenen Komponenten, wie unzureichende Schutzkleidung oder gefährliche Arbeitsmittel, über fehlenden Kündigungsschutz und Lohnzahlungsunsicherheiten bis hin zu fehlenden Versicherungsleistungen). Dass bzw. inwiefern eine zunehmende Ethnisierung dieser körperintensiven Dienstleistungen damit verbunden ist, dass verstärkt der Dominanzkultur zugehöri-

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Diese „Somatophobie“, die über ein Bestreben vor allem nach intellektueller Gleichstellung von Frauen mit Männern begründet wurde, wird derzeit weitestgehend abgelehnt, da sie die unterliegende cartesianische Logik indirekt akzeptiert habe (vgl. Spelman 1982; Shildrick/Price 1999).

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ge Frauen in formalisierte Beschäftigungsverhältnisse eintreten, haben seit den 1980er Jahren unzählige Studien in unterschiedlichen nationalen Kontexten untersucht (z.B. Glenn 1985, 1992; Moraga/Anzaldúa 1983 für die USA; für den deutschen Kontext: siehe unten). Der Bereich der bezahlten Haushalts- und Pflegearbeit stellt einen Schwerpunkt der Untersuchung dieser Verflechtungen dar. Prominent wurden Studien von Schwarzen US-amerikanischen Feministinnen und women of color, wie die von Patricia Hill Collins (2000) oder Evelyn Nakano Glenn (1992). Sie zeigten für den US-Kontext, dass der unterschiedlich motivierte Eintritt von weißen Frauen der Mittelklasse in bezahlte Beschäftigungsverhältnisse ermöglicht wurde durch eine Delegierung der privaten Haushalts- und Pflegearbeit zunächst an Schwarze Frauen und später an lateinamerikanische und asiatische Migrantinnen (Hondagneu-Sotelo 2001). Gleichzeitig wurden tradierte Geschlechterrollen durch diese Verschiebung beibehalten. Die Verantwortlichkeit reproduktiver Arbeit blieb weiterhin an Frauen gebunden – nun jedoch an verAnderte Frauen (Brush 1999). Feministische Ansätze haben in diesem Zusammenhang unterschiedliche Kausalitäten auch in Bezug auf eine zunehmende Feminisierung der Migration nachzuzeichnen gesucht. Sie haben damit seit einigen Jahren zu einem Paradigmenwechsel in der Migrationsforschung beigetragen, der die Arbeitsmarkteingliederungen von Migrantinnen verstärkt in den Fokus nimmt. Zuvor waren wandernde Frauen in der Migrationsforschung lange unsichtbar geblieben, oder sie wurden höchstens als „mitziehende“ Ehepartnerinnen oder als Heiratsmigrantinnen erwähnt (vgl. Morokvasic 1984; Chant 1992). Als Arbeiterinnen wurden sie erst im Kontext haushaltsfokussierter Studien der 1970er und 1980er Jahre wahrgenommen: Ihre Arbeitsaufnahme wurde hierbei jedoch in erster Linie als im Haushalt verankerte Kompensationsstrategie für die gemeinsame Überlebenssicherung erklärt (sowohl als Ergänzung zum und Ausbalancierung der männlichen Einkommen, die vor allem in Migrationskontexten aufgrund diskriminierender Arbeitsmarktregime nicht ausreichten, als auch als Substitution der männlichen Einkommen, gerade wenn diese aufgrund von Arbeitslosigkeit in Zeiten von Krisen ausbleiben würden). Die Arbeitsaufnahme von Migrantinnen wurde also ähnlich wie ihre Migrationsumstände und motivation selten sichtbar gemacht. Wenn dies überhaupt geschah, dann wurden diese in Abhängigkeit zu männlichen Entscheidungsträgern oder als Überlebensstrategie der „blackbox“ Haushalt (Grasmuck/Pessar 1991) begriffen (vgl. auch Kofman et al. 2000; Lutz 2009a; Hondagneu-Sotelo 2000; Pierette HondagneuSotelo beschreibt diese Ansätze als „add and stir“). Eine Sichtbarmachung von Erfahrungen, aber auch von Entscheidungsfindungen, konkreten Handlungen und Sichtweisen – und damit von Handlungsermächtigungen von Migrantinnen sowohl ihre Migration als auch ihre Arbeitsaufnahme betreffend – geschah erst in einer zweiten Phase der geschlechtersensiblen Migrationsforschung. Diese Aufmerksamkeit hing eng zusammen mit der verstärkten Sichtbarkeit von Migrantinnen (bzw. verAnderten Frauen) in der sich ausweitenden

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Dienstleistungswirtschaft. Damit rückten auch die geschlechterspezifischen Migrationsregime in die Betrachtungen, die wandernde Frauen doppelt – als Migrantin und als Frau – vulneralisierten und darüber zugleich als unverzichtbaren Bestandteil der neuen Arbeits- und Wirtschaftsorganisation im Globalen Norden machten (Gutiérrez Rodríguez 2010b: 43f). Saskia Sassen vertritt die These, dass die Eingliederung von Frauen des Globalen Südens am ‚unteren Ende‘ der Dienstleistungswirtschaft des Globalen Nordens (und in die sich herausbildenden Manufakturzonen im Globalen Süden) die andere Seite der Globalisierungsmedaille, die „countergeographies of globalization“ darstellen (Sassen 2000). Diese „counter-geographies“ sind nicht nur eng mit den dominanten „Flüssen“ von Kapital, Ideen, Technologien und kommunikativen Praktiken der intensivierten Globalisierung verflochten (Appadurai 1996; Ong 2006), sondern haben diese mitkonstituiert. Die vielfältigen herrschaftlichen Verflechtungen sind gerade in Bezug auf Arbeit vielmehr historische, wie Aníbal Quijano, Walter Mignolo und andere (z.B. Grosfoguel/Cervantes-Rodríguez 2002) nachgezeichnet haben. Quijano (2000) und Mignolo (2000, 2007) sprechen deshalb von der Kolonialität von Arbeit, über die sich die westliche Moderne überhaupt erst herausbilden konnte. Diese halte bis heute an – gerade in Formen wie der von Migrant/innen geleisteten Arbeit am ‚unteren Ende‘ der westlichen Wirtschaften. Ähnlich wie oben bereits für die Herrschaftsmatrix Geschlecht erläutert, bedingen sich die Rassifizierungen von Menschen und dominanzkulturelle Zuweisungen von/über Arbeit gegenseitig. Auch für die Herrschaftsmatrix ‚Rasse‘ war die Herausstellung der körperlichen Dimension von Arbeit für sozio-kulturelle Zuweisungen und Zuschreibungen grundlegende Referenz. Im Unterschied zur Einbettung in vordergründig reproduktive Tätigkeiten knüpft die geschlechtlich zunächst unmarkierte rassifizierte Arbeit jedoch an die nun produktionsorientierte Dimension von labore, der mühlseligen Plage an (vgl. hierfür auch Collins 2000). Sie geht in ihrer herrschaftlichen Dimension bis hin zu Ausbeutung. Diese war, so Klinger, Mignolo oder Quijano, jedoch nur über eine Ent-Subjektivierung8 der Arbeitenden möglich (in der Sklaverei sogar nur über eine Ent-Menschlichung, vgl. Collins 2000): Auch der/die arbeitende Andere wird damit im Unterschied zum unmarkierten Selbst in die Nähe des Natürlichen gerückt. Die sich daraus ergebende Differenz zum Selbst wird naturalisiert. Im Unterschied zur Vergeschlechtlichung von Arbeit verbleibe der/die ausführende Andere allerdings nicht im gesellschaftliche Inneren (und damit als „interne Andere“ konstruiert, wie bei Frauen), sondern werde im gesellschaftlichen Außen/Äuße-

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Ent-Subjektivierung wird hierbei sowohl im Sinne einer Entziehung von Handlungsermächtigung und einer ‚eigenen‘ Subjektivität wie auch einer gesellschaftlichen Verneinung, über soziale Kategorien angerufen und unterworfen, damit also als soziales Subjekt überhaupt wahrgenommen zu werden, verstanden.

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ren verortet und über Nicht-Zugehörigkeit markiert (Klinger 2003: 26f; vgl. auch Spivak 1988). Über die an den Körper zurückgebundene und über körperliche Arbeit zugewiesene rassifizierte wie auch vergeschlechtlichte Differenz werde dabei aber nicht nur naturalisiert. Die darin implizierte Ungleichheit werde, so Klinger, auch unveränderbar gemacht (ebd.). Diese Ungleichheiten seien zugleich immer mit Zuweisungen von inferioren Klassenpositionen verbunden.9 So ist auch Klasse, hier ganz breit als „general unspecific economic inequality“ (Acker 2003: 54) verstanden, daher in und durch Prozesse formiert, die ‚Rasse‘- und Gender-Formationen (wieder-)herstellen (in Anlehnung an Evelyn Nakano Glenn und Joan Acker). VerAnderte Frauen sind somit von einer mehrfachen Vergeschlechtlichung betroffen, die Familie, Beruf und kulturelle bzw. ethnisierte Zugehörigkeit (bzw. Zuweisung) umfassen. Gutiérrez Rodríguez spricht von einer „Geschlechtsethnisierung“ (1999), um den Einfluss der kulturellen Zugehörigkeit bzw. ethnisierten/ rassifizierten Zuweisung für die Vergeschlechtlichung aufzuzeigen. In der Dienstleistungswirtschaft sind verAnderte Frauen in der Regel in zwei Bereichen tätig: im objektzugewandten, körperintensiven Bereich (wie Reinigungs- und Haushaltsarbeit) und im interaktiven Bereich der personenbezogen Arbeit (vor allem in der Fürsorge- und Betreuungsarbeit in Privathaushalten). Auch diese Bereiche sind durch Kolonialität markiert, denn es waren bereits verAnderte Frauen (Sklavinnen, Mägde), die in kolonialen und feudalen Gesellschaftsordnungen Frauen der Dominanzkultur (wie auch Männern) in diesen Bereichen Arbeiten abnahmen. Subjektivierung und darüber konstatiertes Arbeitsvermögen sind hierbei in der Regel zugeschrieben und weisen den Frauen insbesondere für reproduktive interaktive Arbeiten im doppelten Sinne eine natürliche Affinität zu: als Frau (Geschlecht) und als verAnderte Frau (ethnifiziertes Geschlecht). Ebenso werde darüber, so Gutiérrez Rodríguez (2010b), diese Arbeit doppelt entwertet. Körperlich schwere, objektbezogene Arbeit verbleibt hingegen zwar rassifiziert-klassifiziert, aber geschlechtlich oftmals unmarkiert (und in diesen Bereichen arbeitende verAnderte Frauen maskulinisiert oder ent-subjektiviert; vgl. Collins 2000), was die Willkürlichkeit einer Vergeschlechtlichung von Arbeit entsprechend der arbeitsherrschaftlichen und wirtschaftlichen Notwendigkeit einmal mehr markiert. In beiden Fällen findet eine Naturalisierung der Arbeitenden statt, die sie im Sinne einer kolonialen Logik dem

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Im Gegensatz seien geschlechtlich und ethnisch unmarkierte Klassenpositionen gemäß Klinger immer als gesellschaftliche Differenzpositionen verstanden, die im Gegenzug zu den Herrschaftsmatrizen ‚Rasse‘ und Geschlecht nicht als naturalisiert, sondern sozial konstruiert und als solche verstanden seien. Klasse behalte daher im Unterschied zu den anderen beiden immer auch die Möglichkeit der Veränderung bereit (vgl. Klinger 2003: 27f). Allerdings gehe ich an dieser Stelle mit Joan Acker (1999) und Evelyn Nakano Glenn (1999), die Klasse immer auch rassifiziert und vergeschlechtlicht verstehen.

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‚Kultur‘ verkörpernden Eigenen unterwirft. Diese naturalisierenden Zuweisungen haben auch Auswirkungen auf im Arbeitsprozess implizites an-/aberkanntes bzw. erlangtes/vorenthaltenes Wissen. Denn dieses wird innerhalb dieser herrschaftlichen Zuordnungen positioniert (subjektiviert/unterworfen). Es kann also nicht mehr nur als handlungsermächtigend verstanden werden. Auf diesen Ausführungen aufbauend wird im Folgenden der theoretische Rahmen, in den diese Studie eingebettet ist, noch einmal explizit herausgestellt. 2.1.3 Zusammenführung: Theoretische Verortung eines erweiterten Arbeitsbegriffes „Die Scheidemarke zwischen ‚spielerischen Differenzen‘ und ‚welthistorischen Herrschaftssystemen‘ [zit. nach Haraway 1989: 185; Anmerkung M.L.], d.h. zwischen Differenz und Ungleichheit liegt in ihrer Bezogenheit auf Arbeit. Klasse, Rasse und Geschlecht sind nicht bloß Linien von Differenzen zwischen individuellen und kollektiven Subjekten, sondern bilden das Grundmuster von gesellschaftlich-politisch relevanter Ungleichheit, weil Arbeit und zwar namentlich körperliche Arbeit ihren Existenzgrund und Angelpunkt ausmacht. […] Ferner stimmen Klasse, Rasse und Geschlecht darin überein, dass in allen drei Hinsichten ein Ungleichheit begründender und legitimierender Fremdheitseffekt, d.h. eine Ausgrenzung (Externalisierung) erzeugt wird, mit dem Ziel oder mindestens dem Resultat, eine Reduzierung des für die geleistete Arbeit zu entrichtenden Preises herbeizuführen, d.h. Ausbeutung stattfinden zu lassen.“ (Klinger 2003: 26, Hervorhebung im Original) „Work might be better conceptualized by examining the range of work that African-American women actually perform. Work as alienated labor can be economically exploitive, physically demanding, and intellectually deadening […] But work can also be empowering and creative, even if it is physically challenging and appears to be demeaning.“ (Collins 2000: 48)

Arbeit und damit verbundene Subjektivierungen sind, wie in den Worten Cornelia Klingers herausgestellt, nicht nur eingebunden in herrschaftliche Verhältnisse entlang der Differenzachsen Geschlecht, ‚Rasse‘ und Klasse, sondern (re-)produzieren diese sogar (vgl. auch Quijano 2000; Mignolo 2000, 2007). Zugleich, so Patricia Hill Collins, könne Arbeit trotz körperlicher Belastung, anscheinender Erniedrigung und herrschaftlicher Einbettung auch ermächtigend, sogar kreativ sein. Sie ist daher auch eng mit gesellschaftlicher Anerkennung verflochten. In diesem Sinne wird das hier verwendete Arbeitsverständnis vor dem Hintergrund damit verbundener Repräsentations-, Zuweisungs- und Positionierungspraktiken ausgeweitet: Den oben vorgestellten Ansätzen eines subjektivierten, interaktiven Arbeitsbegriffs Rechnung tragend, der Arbeit ent-gegenständlicht und die Arbeitenden, ihre Handlungsermächtigungen sowie das körperlich am Arbeitsprozess vermittelte und beteiligte

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Wissen wieder sichtbar macht, soll dieses um ihre herrschaftliche Einbettung erweitert werden. Subjektivierung wird daher von den bisherigen Ausführungen ableitend in einem doppelten Sinn, auf Judith Butlers subjekttheoretischen Betrachtungen aufbauend, verstanden: Einerseits ist die handlungsermächtigende und entobjektivierende positionierte Dimension für Arbeit und Arbeitende darin einbegriffen. Andererseits markiert Subjektivierung zugleich die Unterordnung unter wirkmächtige Herrschaftsmatrizen entlang kategorialer Zuweisungen, wie die hier herangezogenen herrschaftlichen Differenzachsen Geschlecht, ‚Rasse‘ und (damit zusammenhängend) Klasse.10 Diese Differenzachsen sind nicht losgelöst voneinander zu betrachten, sondern besitzen entlang ihrer Intersektionalitäten unterschiedliche Wirkmächtigkeiten. Der hier verwendete Arbeitsbegriff wird daher neben seiner Doppelsinnigkeit von Subjektivierung als intersektional eingebettet verstanden. Intersektionalität meint gemäß der Soziologin Leslie McCall erst einmal ganz allgemein „the intersections among multiple dimensions and modalities of social relations and subject formations“ (2005: 1771). Diese, so Ina Kern (in Anlehnung an Patricia Hill Collins [2000] und andere [Combahee River Collective 2000; hooks 1984]), umfassen in ihrer herrschaftlichen Anlegung neben der personalen Dimension (Prozesse der Subjektivierung bzw. der Identitätsformation mit unterschiedlichen Referenzpunkten) eine epistemische Dimension (Pluralisierung bzw. interne

10 Dieser Doppelsinn von Subjektivierung ist möglich, da Butler zunächst davon ausgeht, dass Person bzw. konkretes Individuum und spezifisches Subjekt nicht identisch sein können, sondern dass zwischen beiden vielmehr eine „notwendige Kluft“ besteht (nach Villa 2010: 258). Butler versteht unter Subjekt eine „kritische“, „sprachliche Kategorie“, die als „Platzhalter, als in Formierung begriffene Struktur“ aufzufassen ist (Butler 2001: 15; zit. in Villa 2010: 259). Diese sind nach Paula-Irene Villa „sozialbewohnbare Zonen, die durch diskursive Semantiken geschaffen werden“ (etwa über kategoriale identitätslogische Anreden, wie Frau, Mutter, Wissenschaftler etc.) und würden darüber „anerkennungswürdige bzw. intelligible (Re)Präsentationen von Personen bereitstellen“ (ebd., Hervorhebung im Original). Währenddessen seien Personen „unordentliche Komplexitäten“ (Villa 2013: 204), die die Stelle des Subjektes „besetzen“, sich hierüber in Sprache und soziale Normalisierungen [nach Butler 2009: 73) einführen und sich dadurch „mit dem Diskurs ‚vernähen‘“ bzw. über andere vernäht werden (2010: 259). Dieses Vernähen geschieht über eine Interpellation, also eine Anrufung im Althusserʼschen Sinne, die zugleich ein momentanes Identifizieren mit der Subjektposition beinhalte (vgl. hierfür auch Hall 1994: 79f). Während die Subjektivierung die Unterwerfung unter diskursive kategoriale und damit normative Zuweisung und deren Regeln markiert (wie oben in Bezug auf Geschlecht, ‚Rasse‘ und Klasse diskutiert), wird darüber zugleich Handlungsermächtigung ermöglicht, da „in bestimmten sozialen Rollen Subjektstatus beansprucht werden kann“ (Villa 2013: 203).

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Ausdifferenzierung gängiger Diversitätskategorien und damit verbundenen Vorstellungen und Zuschreibungen) sowie eine institutionelle Dimension (komplexes Ineinandergreifen unterschiedlicher Institutionengefüge, wie Familie, Arbeitsmarkt und bildungspolitische Arrangements; vgl. Kern 2009: 12f). Intersektionalisierende Herrschaftsmatrizen wirken dabei auf unterschiedlichen Ebenen, wie der des Individuums, sozialer bzw. soziokultureller Gruppen oder staatlicher bzw. gesellschaftlicher Einrichtungen. Sie haben entsprechend unterschiedliche Ausprägungen und Konsequenzen für konkrete Personen, insbesondere was Handlungsermächtigungen oder deren Verneinung betrifft (ebd.). Jedoch sind Intersektionalitätsansätze als methodologischer Rahmen je nach Ebene auch unterschiedlich in ihrer Anwendbarkeit geeignet. So zeigt sich, dass intra- und interkategorische Ansätze eine methodologische Möglichkeit eröffnen, sich verschränkende Normen bzw. Herrschaftsmatrizen in ihrer Komplexität zu greifen (nach Villa 2013: 217). Auch ermöglichen sie es, institutionelle zuweisende, zuschreibende, positionierende Praktiken (nach Kern 2009: 12) sowie die Komplexität von sozialen Gruppen und ihren gelebten Erfahrungen (nach McCall 2005: 1773f) zu verstehen. Inter-kategorische Ansätze ziehen hierfür bereits bestehende analytische Kategorien als Grundlage der Analyse von Ungleichheitsverhältnissen unter bestimmten sozialen Gruppen heran und schauen, wie sich diese über veränderte intersektionaliserenden Konfigurationen verändern (McCall 2005: 1773). Der intrakategorische Ansatz besteht darin, dass er einerseits Prozesse der kategorialen Grenzziehung und -definierung hinterfragt und andererseits „acknowledges the stable and even durable relationships that social categories represent at any given point in time, though it also maintains a critical stance toward categories“ (ebd.). Mit Blick auf die epistemische und die institutionelle Ebene diskutierte ich oben bereits Zuweisungen der Vergeschlechtlichung bei Arbeiterinnen. Auch wurde gefragt, wie sich diese Zuweisungen durch eine inter- bzw. intra-kategorische Mehrfachsubjektivierung der Arbeiterinnen (als Frau, als rassifizierte Frau, als rassifizierte/klassifizierte Frau) verändern. Diese beinhalten dabei auch ein vermeintliches, herrschaftlich zugeschriebenes Arbeitsvermögen im Bereich der ihnen zugeordneten Arbeitsfelder. Diese Ebenen werden bezüglich der Verortung von Migrantinnen für den spezifischen Kontext Deutschlands im Anschluss noch einmal eingehender vorgestellt. Arbeitet man jedoch auf der Ebene von partikulären empirischen Erfahrungen und sozialen (verkörperten) Praktiken, so stellen sich diese Ansätze nur als begrenzt hilfreich heraus. Denn Menschen sind, so Paula-Irene Villa, „keine wandelnden, zu Fleisch gewordenen Codes oder Semantiken“. Auch würden kulturelle und soziale Praxen nicht in der Rekonstruktion von Diskursen, in Normen, symbolischen Ordnungen und kulturellen Codes aufgehen, auch wenn diese soziale Praxis konstituieren (Villa 2010: 253). Soziale und kulturelle Praxis sei ihr zufolge „zwar nicht kontingent, aber doch systematisch eigenlogisch und produktiv. [Praxis] variiert dabei

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diese Codes unweigerlich und erzeugt damit immer auch neue Codes“ (2010: 252), wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß (Villa 2013: 211). Es bestehe also eine Abweichung zwischen (verkörperten) Praktiken und den Diskursen, die sie determinieren: Diskurse und Praktiken sind niemals deckungsgleich, auch wenn sie aufeinander verweisen und in hohem Maße voneinander abhängen (Villa 2010: 257, 2013: 204). 11 Vor diesem Hintergrund der Komplexitäten von konkreten Personen und sozialen wie kulturellen Praktiken „gehen Erfahrungen über kategoriale Bedingungen, in die sie eingebettet sind, hinaus“ (Villa 2010: 218). Erfahrungen, verstanden als „process by which, for all social beings, subjectivity is constructed, through the process one places oneself or is placed in social reality, and so perceives and comprehends as subjective“ (Lauretis 1984: 159 zit. in Skeggs 1997: 27) und daher auch „processed through practice, discourse and interpretation“, sind demnach zwar immer auch intersektional vergeschlechtlicht-klassifiziert und rassifiziert-klassifiziert (Skeggs 1997: 24f). Erfahrungen reichen dennoch auch aufgrund ihrer zeitlichen Dimension darüber hinaus, da sie Vergangenheit und Zukunft in der Person vernähen: Personen existieren nicht nur im Jetzt, sondern schichten im Laufe ihres Lebens Erfahrungen auf, die sie in unterschiedlichen Momenten der Handlungsermächtigung und Handlungsdeterminierung einverleibten. Sie bilden Teil ihres biographischen, impliziten, und daher im doppelten Sinne subjektivierten Wissens, ebenso wie ihres Erinnerns. Über permanentes Austauschen und Abgleichen mit früheren einverleibten Erfahrungen von Subjektivierungen sind sie sinnstiftend für gegenwärtige und beeinflussen somit (oder modifizieren sogar) auch zukünftige Erfahrungen. Über sie konstituiert sich nicht nur biographisches Erfahrungswissen, sondern sie beeinflussen auch die Einverleibung zukünftigen Erfahrungswissens. Erfahrungen werden dabei nicht nur einverleibt, sondern verkörpern sich auch in sozialen Praktiken. Einverleibung und Verkörperung in ihrer Dialektik, mit dem englischen Begriff embodiment zusammengefasst, markieren hierbei also sowohl Unterwerfung als auch Ermächtigung. Sie verweisen zudem auf die ‚Eigenlogik‘ körperlicher Praxis wie auch ihre darüber hinausreichende sinnlich-wahrnehmende, fühlende Dimension.

11 Diskurse werden hier im Sinne Foucault als „orders of knowledge“ und „regimes of power“ verstanden, in die wir, ähnlich wie in die unterschiedlichen Repräsentationssysteme wie Sprache, hineingeboren werden. Avtar Brah (1996: 118) und Stuart Hall (2004: 50, 52) schlussfolgern, dass Bedeutung nur innerhalb des „Sagbaren“, also innerhalb der Diskurse geschaffen werden, aber dem Spiel der differánce, also einer permanenten Verschiebung, unterliegt (Villa 2013: 212). Bedeutung ist deshalb nur dann möglich, wenn das vom/im Diskurs geschaffene Subjekt sich in diesem Spiel der differánce positioniert.

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Villa unterstreicht diesbezüglich in ihrem somatischen Ansatz sozialer Praxis: „Verkörperung ist immer mehr“, denn Körper seien im sozialen Leben „keine statischen Entitäten, sondern fortlaufende Transformationen“ und Verkörperung „ein sozialer Prozess, der sich in Raum und Zeit erstreckt und zahlreiche Schichten der individuellen Existenz in je spezifischen Schattierungen in sich einschließt“ (2013: 215). „Sie zeigen“, so Villa weiter, „einen Überschuss an Komplexität, Emotionen, an Bedürfnissen und Begehren, einen Überschuss an biographischer Erfahrung“ (ebd.: 212). Im Sinne anti-kategorialer Ansätze sei es vielmehr Anliegen, die Komplexität der verkörperten Praktiken herauszustellen, anstatt sie in Kategorien zu zwängen. Villa schlägt für diese Ebene konkreter einverleibter/verkörperter Erfahrung und sozialer Praxis daher vor, Intersektionalität „als eine Art Gedächtnisstütze“ bzw. „heuristischen Rahmen“ zu verstehen. Gerade in der Analyse von Interaktionen in ihrer somatischen Dimension müssten hierbei Kategorien eher deontologisiert und prozessualisiert werden (ebd.). Villa plädiert dafür, die „uneindeutige Natur“, „Instabilität“ und „Konstruiertheit“ von diskursiven Kategorien sichtbar zu halten (ebd.: 204). Allerdings sind verkörperte Handlungen zugleich auch intersubjektiv und interaktiv. Personen müssen an sie herangetragene (angerufene) Subjektivierungszuweisungen vor allem auch „im praxeologischen Vollzug, in Interaktionen verkörpern“ (Villa 2010: 268).12 Die herrschaftliche Einbindung zeichnet sich in der Verwerfung, Unmöglichkeit oder Negierung anderer angestrebter Subjektivierungen ab: „Als ‚was‘ ein spezifisches ‚wer‘ in einer lebensweltlichen Konstellation sichtbar werden kann, das definieren unterschiedliche Akteur/innen und sedimentierte institutionelle Regimes inklusive ihrer diskursiven Dimension in unterschiedlichem Ausmaß“, so Villa, die sie daher als „Regimes der Sichtbarkeit“ bezeichnet (ebd.: 266). Dementsprechend können auf der Ebene der Erfahrungen und konkreten Interaktionen in hier zur Debatte stehenden Arbeitskontexten auch Limitationen erklärt werden, sich als angerufene und daher markierte Frau/Migrantin abweichend zu dieser Zuordnung zu positionieren, etwa wenn es um die Arbeitssuche geht. Schließungsmechanismen auf dem Arbeitsmarkt sind somit auch als ein in der

12 Dieser Vorgang ist in der konkreten Praxis neben seiner herrschaftlichen Einbindung durch ein Scheitern gekennzeichnet. Diese besteht nach Villa (2013) darin, dass eben immer die angesprochene Kluft zwischen Subjektposition und konkreter Person bestehen wird, kategoriale Subjektpositionen also nie erreicht werden können (aufgrund der „Verunreinigung“ durch intersektionierende andere Subjektpositionen und durch die unerreichbare, lebensweltferne Norm, der die kategoriale Subjektposition untersteht). Auch wird die kategoriale Subjektposition über die verschiedensten Dimensionen der sensitiven/kognitiven anrufenden Wahrnehmung der körperlichen Präsenz des interagierenden Gegenübers gebrochen.

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Interaktion vorgenommener Ausschluss anderer Subjektpositionen zu verstehen, die von stereotypisierenden/naturalisierenden Zuweisungen etwa von ‚Arbeitsvermögen‘ und daran gekoppeltes, subjektiviertes/zugeschriebenes ‚Arbeitswissen‘ abweichen würden. Hierzu zählen Praktiken der interaktiven Abqualifizierung, die Berufserfahrungen, Arbeitswissen und Ausbildungen außerhalb der über die Anrufung zugewiesenen Arbeitsbereiche betrifft (vgl. Gutiérrez Rodríguez 2003). Zugleich ist die interaktive Praxis durch eine Performativität gekennzeichnet, die in Anlehnung an Villa hier das intendierte Handeln meint, um eben auch kategorialen Vorstellungen oder Zuschreibungen zu entsprechen. Handeln sei mimetisch, intendiere also eine (kreative) körperliche Nachahmung (bzw. „Anähnlichung“ nach Gebauer/Wulf 1998, zit. in Villa 2013, 2010) vorangegangener Handlungen bzw. daran geknüpfte Vorstellungen, Erwartungen oder Ansprüche. Dieses, so sei hier ergänzt, ist in seiner Performativität situativ und muss entsprechend der Interagierenden angepasst werden. Sowohl durch den im mimetischen Handeln angestrebten Subjektstatus wie auch durch die darin begründete Abweichung (Spiel der differánce, die zugleich die oben angesprochene Eigenlogik von Praktiken umfasst, siehe auch Fußnote 11) ist dieses Handeln zugleich ermächtigend, variiert – trotz unterordnender Anähnlichung – Bedeutungen, verschiebt sie oder schafft neue (ebd.). Arbeitshandeln als verkörperte Praktiken ist letztlich auch mit Körperwissen und körperlich-sinnlichen Wahrnehmungen verknüpft, die ebenso durch die Dialektik von Unterordnung und Ermächtigung markiert und in die lebensgeschichtlichen Trajektorien der Arbeitenden eingebunden sind. Somatisches Wissen ist daher durch die es konstituierenden sozialen Strukturen, Normen, Diskurse und symbolischen Ordnungen geprägt und damit historisch, gesellschaftlich und situativ produziert (Gutiérrez Rodríguez 2003: 82) und positioniert (und in seiner Anrufung bzw. Negierung ‚als‘ z.B. Arbeitswissen auch in diesen herrschaftlichen Matrizen eingebettet). Stefan Hirschauer spricht für diese dritte Form somatischen Wissens von einer „Wissensabhängigkeit des Körpers“ (Hirschauer 2008: 83). Zugleich stellt der Körper selbst über die von ihm einverleibten/verkörperten Erfahrungen die wissende Person (‚als‘ z.B. Arbeiterin) erst mit her. Eben über diese wissensproduzierende wie wissensgeleitete und wissens-/subjektkonstituierende Dimension von körperlichem/verkörpertem/einverleibtem Handeln und Erfahren muss spätestens an dieser Stelle die oben mehrfach zitierte cartesianische Trennung von Geist und Körper noch einmal eindrücklich hinterfragt werden. In Anlehnung an feministisch-phänomenologische Embodiment-Ansätze (insbesondere Ahmed 2000, 2004a) heißt dies auch, die durch soziale und kulturelle Einbettungen und Herrschaftsmatrizen gemachten/geprägten leiblichen Wahrnehmungen, Gefühle und Affekte für die Konstituierung und Wirkung von Erfahrungswissen zu berücksichtigen. So sind zuweisende diskriminierende Subjektivierungen in Arbeitskontexten genauso mit Gefühlen wie Schmerz, Scham, Hass oder

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Ekel verbunden und können vor allem in der personenbezogenen Arbeit, im Handeln der Arbeitenden/Dienstleistenden wie der Dienstempfangenden, die Interaktion der Beteiligten strukturieren. Zugleich können diese vergangenen Subjektivierungen und die damit verbundenen lebensgeschichtlichen Erfahrungsaufschichtung gegenwärtige Interaktionen mitgestalten. Zusammenfassend wird in dieser Studie ein integratives Verständnis von Arbeit verwendet, das sowohl die herrschaftlich eingebundenen wie handlungsermächtigenden Dimensionen von Arbeit und Arbeitenden berücksichtigt und diese miteinander verschränkt. Es setzt auf der Mikro-Ebene, also der Ebene von konkreten Personen, ihren Erfahrungen und verkörperten/einverleibten Praktiken an. Arbeit als soziale Praxis wird als in diesem doppelten Sinn subjektiviert und interaktiv verstanden und ist dementsprechend verkörpert/einverleibt und performativ. Das dabei angeeignete wie kommunizierte und das Arbeitshandeln prägende Wissen ist so auch subjektiviert und verkörpert/einverleibt, situativ bestimmt und bestimmend, und somit positioniert. Es ist biographisch vertieft und eingebettet. Damit ist es herrschaftlich zugeschrieben sowie handlungsermächtigend und an die „Komplexitäten der konkreten Person“ (Villa 2010, 2013) und ihre (biographisch-vergangenen wie multiplen anderen gegenwärtigen) Erfahrungen bzw. Erfahrungsaufschichtungen gebunden. Im Arbeitskontext eingebundenes Wissen ist deshalb nicht allein auf diesen beschränkt, sondern umfasst alle weiteren „unordentlichen“ Komplexitäten der konkreten Person. Andere wissenskonstituierende sowie -konstruierende soziokulturelle Einbindungen und Subjektivierungen spielen genauso mit hinein und markieren das Arbeitshandeln und die Arbeitsperformanz. Das gilt ebenso für Erfahrungen von Nicht-Arbeit (Herlyn et al. 2009), wie ich später zeigen werde. Auch wird Arbeit und ihr zeitlicher wie räumlicher Kontext nicht als abgeschlossener Container verstanden. Denn sie beeinflusst auch andere soziale Sphären konkreter Personen (ohne dies hier notwendigerweise mit dem postfordistischen Ansatz eines „Zugriffs auf die ganze Person“ gleichzusetzen, z.B. Voß/Pongratz 2002), gerade da sie so eng mit gesellschaftlicher Anerkennung wie Aberkennung verwoben ist. Dieser hier skizzierte theoretische Rahmen wird in den folgenden Kapiteln dazu beitragen, partikuläre ethnographische Befunde bezüglich der Arbeitstrajektorien, der interaktiven, situativen Arbeitsperformanzen sowie diesbezügliche Interpretationen und Erklärungsmodelle meiner Interviewpartnerinnen in Wirkmächtigkeiten übergeordneter Regime und herrschaftlicher Matrizen einordnen und reflektieren zu können (vgl. Abu-Lughod 1991). Im Folgenden wird aber zunächst der gesellschaftliche Kontext in Deutschland für diese bisher sehr theoretisch geführte Diskussion näher vorgestellt. Hierbei wird die Verflechtung von Gender-, Migrations- und Arbeitsmarktregimen eingehender betrachtet und mit der Dimension von Repräsentationsregimen ergänzt. Inwiefern sich diese theoretischen Positionen in der empirischen Erhebung bestätigen, relativeren oder als abweichend erweisen, wird in den nachfolgenden Kapiteln näher beleuchtet.

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2.2 Z ERRBILDER UND V ERORTUNGEN VON M IGRANTINNEN IN DEUTSCHEN G ENDER -, ARBEITS UND M IGRATIONSREGIMEN 2.2.1 Kongruenzen und/oder Kausalitäten: Zur Verschränkung der Feminisierung und Ethnisierung im körperintensiven Dienstleistungssektor Die Forschungen entlang der Schnittstelle von Arbeit, Gender und Migration sind im deutschen Kontext in erster Linie durch die hiesige Gastarbeiterdebatte geprägt, obwohl Migrationen davor und danach vielfältige waren und sind. Die mit der Gastarbeit verbundenen Einwanderungsgruppen erhielten zudem in der medialen Öffentlichkeit und der sogenannten ‚Ausländerpädagogik‘ (bzw. der Sozialen/Interkulturellen Arbeit) besondere Aufmerksamkeit und werden bis heute noch in den Mittelpunkt der Debatten um Migrations- und Integrationsfragen gestellt. Forscher/innen haben jedoch darauf hingewiesen, dass diese Debatten, auch wenn sie nur begrenzt übertragbar sind, strukturierend für die Positionierung anderer Migrant/innen und Migrationsgruppen wirken. Im deutschen Kontext waren es zunächst intellektuelle Migrantinnen und Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, insbesondere aus Gastarbeiterfamilien, die Anfang der 1990er Jahre den deutschen, weißen akademischen wie politischen Feminismus aufrüttelten (FeMigra 1994). Zwar zielte die sich seit den 1980er Jahren herausbildende Ausländerpädagogik und Sozialarbeit – vor dem Hintergrund sich zunehmend verschärfender sozialer Benachteiligungen und soziokultureller Problemzuweisungen ehemaliger Gastarbeiterfamilien – auch auf ‚Ausländerinnen‘. Jedoch waren Migrantinnen und ihre Lebenswirklichkeiten in einem durch Mehrfach-Diskriminierungen geprägten Alltag in der Migrations- wie in der feministischen (Arbeits-) Forschung bis dato ausgeblendet worden (Morokvasic 1984; Gutiérrez Rodríguez 1996; Granato 2004). Erst Ende der 1980er Jahre begann sich die feministische Migrationsforschung zunehmend mit Differenzierungsdynamiken und Ein- wie Ausschlussmechanismen in Bezug auf Arbeitsmarktpositionierungen von verAnderten Frauen zu beschäftigen. Ziel war es, die spezifischen Verortungen und Zuschreibungen von Migrantinnen im Sektor der reproduktiven wie produktiven Arbeit zu verstehen. In diesem Zusammenhang suchten die Forscherinnen zunehmend, die daran geknüpften vorherrschenden Frauenbilder nachzuzeichnen. In Bezug auf die Restrukturierung reproduktiver Arbeit hinterfragten, ähnlich wie ein paar Jahre zuvor in der US-amerikanischen Diskussion, Forscherinnen wie Sedef Gümen (1996) oder Aktivistinnen des Zusammenschlusses FeMigra (1994)

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den erfolgreichen beruflichen Einstieg weißer westdeutscher Frauen13 in den 1970er und 1980er Jahren als Anzeichen einer durch Emanzipation erlangten Geschlechtergleichheit, indem sie die heimliche ‚Rückkehr der Dienstmädchenzeit‘ (Lutz 2007) sichtbar machten. Im Gegensatz zu vergangenen Zeiten erfolge eine Aufgabendelegierung der Haus- und Pflegearbeit in Familien der Mittelklasse jedoch nicht an ‚Mädchen‘ unterer Klassenzugehörigkeiten. Vielmehr verlaufe sie nun primär entlang ethnisierter bzw. rassifizierter Grenzziehungen (Lutz 2007, 2008b; Gutiérrez Rodríguez 2010b). Über das Sichtbarmachen dieser Verschiebung von Haushalts- und privater Fürsorgearbeit an Migrantinnen zeigten Studien dabei das weitgehend unveränderte Muster von tradierten Geschlechterrollen im Privaten auf (Friese 1995). Damit zusammenhängend stellten sie fest, dass „die zunehmende Chancengleichheit zwischen deutschen Männern und Frauen […] mit einer zunehmenden Ungleichheit zwischen Frauen [korrespondiert]“ (Morokvasic 2009: 36 unter Bezugnahme auf Friese 1995). Zugleich zweifelten sie den sich herausbildenden Mythos der „Superfrau“ (erfolgreiche Berufstätige, fürsorgliche Mutter, gesellschaftsgewandte Ehefrau und gute Haushälterin) an. Über die Dienstleistungsarbeit in privaten Haushalten hinausgehend, konstatieren andererseits Forscherinnen wie Manuela Westphal (1996), dass die Arbeitsmarkteingliederung von Migrantinnen in den Niedriglohnsektor zur Konsolidierung der deutschen Mittelklasse beitrug (Westphal 1996: 26; Gümen 1996). Ähnlich wie in der Debatte über die Arbeitsmarkteingliederung von männlichen Gastarbeitern sowohl vor und nach dem Anwerbestopp (vgl. Ha 2003; Bade 1994; Treibel 1990) argumentieren auch diese Forscherinnen, dass ein vergleichbarer Mobilitätssprung, verbunden mit beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und einer zunehmenden Professionalisierung in vor allem an Frauen zugewiesene Arbeitsbereichen auch deshalb möglich wurde, weil verAnderte Frauen Tätigkeiten übernahmen, die neben der Zuschreibung als ‚Frauenarbeit‘ als unqualifiziert, ‚einfach‘ oder minderwertig bewertet und entsprechend entlohnt würden (Westphal 1996: 19 ff; vgl. BednarzBraun/Hess-Meining 2004: 84 ff für eine kritische Diskussion). Die hier skizzierten Kausalitäten vom Aufstieg westdeutscher Frauen ‚auf dem Rücken‘ von Migrantinnen sowohl in Bezug auf produktive wie reproduktive Bereiche sind trotz der Sichtbarmachung rassifizierter und vergeschlechtlichter Arbeitsmarktdynamiken und -praktiken jedoch nicht ganz unumstritten. Während sich

13 Diese Studie wird sich im Weitesten auf westdeutsche Debatten beschränken müssen, auch wenn vor dem Hintergrund divergierender Frauenbilder, Familien- und Migrationspolitik sowie der unterschiedlichen Eingliederung ostdeutscher Frauen in den Arbeitsmarkt der DDR und dem Gesamtdeutschen Arbeitsmarkt eine differenzierte bzw. vergleichende Betrachtung interessante Ergebnisse vermuten lässt. Diese Entscheidung einer Einschränkung wurde auch aufgrund des erhobenen empirischen Materials getroffen.

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einerseits eine starke Anlehnung an Argumentationsfiguren der US-amerikanischen Diskussion in diesen Ansätzen wiederfinden lässt, die vor dem Hintergrund divergenter, historisch konstituierter und ineinandergreifender Klassen-, ‚Rassen‘- und Arbeitsregime sowie Wohlfahrtspolitiken für den bundesdeutschen Kontext kritisch reflektiert werden müssen, plädieren Forscherinnen wie Iris Bednarz-Braun für eine Einbeziehung von sowohl arbeits-/ausländerrechtlichen und -politischen wie auch betrieblichen und personalstrategischen In- und Exklusionspraktiken (BednarzBraun/Hess-Meining 2004: 81 ff). Sie fordert damit auf, die Betrachtung in einem breiteren Kontext anzulegen: Sowohl die genannten Regime wie auch darin eingebettete Praktiken müssten in den Blickpunkt genommen werden, die – so meine Lesart ihrer „kritischen Würdigung“ der genannten Ansätze (ebd.) – über eine Fokussierung auf die eher strukturellen Beziehungen zwischen bzw. unter Frauen (‚Ausländerinnen‘ und ‚Deutschen‘) und ihren voneinander bedingten Positionen und gegenseitigen Abhängigkeiten in Produktion und Reproduktion hinausgeht. Doch unabhängig von einer Diskussion über hergestellte Kausalitäten und angebrachte Argumentationsfiguren machten diese feministischen Migrationsstudien auf die problematischen mehrfachen Unsichtbarkeiten von arbeitenden Migrantinnen aufmerksam: So geht es zum einen um die Ausblendung von Migrantinnen innerhalb der feministischen Arbeitsmarktforschung. Diese monierte zwar den hohen Anteil von Frauen im Niedriglohn-Dienstleistungssektor, beachtete hierbei aber nicht die überdurchschnittliche Präsenz von Migrantinnen. Denn während Migrantinnen in den Dekaden der Gastarbeiterverträge (1955-1973) vorwiegend in der niedrigbezahlten Manufakturwirtschaft tätig waren, lässt sich ab Mitte der 1970er Jahre im Zuge von De-Industrialisierungsprozessen unter ihnen auch eine Beschäftigungsverschiebung hin zum Dienstleistungssektor ausmachen. Eben auch hier verblieben Migrantinnen (und Frauen mit Migrationshintergrund) in erster Linie in körperintensiven, unterbezahlten Tätigkeiten beschäftigt. Ebenso konzentrierten sich Migrationsstudien, die in Deutschland die Arbeitsmarkteingliederung von Migrant/innen, vornehmlich aus Gastarbeiterprogrammen vor und nach dem Anwerbestopp, untersuchten, zuvorderst auf die Untersuchung von Männern ganz im Sinne der vorherrschenden Vorstellung eines männlichen Gastarbeiterprofils.14 Manuela Westphal (1996) argumentiert etwa, dass Migrantinnen während der Gastarbeitsvertragszeit von der damaligen Ausländerforschung und auch im öffentlichen Diskurs wenn überhaupt dann als Arbeitskraft wahrgenommen wurden. Dies entspräche ganz der Logik des Gastarbeiter-Rotationsprinzips, das auf die wirtschaftliche Ausnutzung der Arbeitskraft von Gastarbei-

14 Erst in den letzten Jahren erhielten Studien Aufmerksamkeit, die sich mit der Situation von Gastarbeiterinnen beschäftigten und deren Anteil man heute auf 20% aller Gastarbeiter/innen schätzt (Angaben nach AiD, zitiert in Westphal 1996: 18; Mattes 2005).

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ter/innen zielte. Darüber hinaus allerdings wurden die Lebensrealitäten außer Acht gelassen, insbesondere was Bedürfnisse und Anforderungen im gesamten reproduktiven Bereich betraf (Westphal 1996 in Bezug auf Gaitanides 1983).15 Wie Westphal weiter argumentiert, standen die Arbeitsmigrantinnen damit auch im Kontrast zu einem bis Anfang der 1970er Jahre vorherrschenden Geschlechterideal westdeutscher Frauen: So war bis vor dem Anwerbestopp 1973 das Frauenleitbild in der BRD noch immer durch deren Rolle als Mutter und Hausfrau geprägt, denn als Berufstätige. Diesem Frauenbild stand die ausländische Arbeiterin entgegen. Von den Autorinnen herangezogene Statistiken zeigen, dass bis in die 1970er Jahre hinein der formale, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsanteil unter Migrantinnen bei über 70 Prozent lag. Der von deutschen Frauen rangierte bei knapp unter 40 Prozent (Morokvasic 1993: 460; Westphal 1996: 18; Granato 2004: 2). Aufgrund der gesellschaftlich breit angelegen Wahrnehmung der Migrantin als Arbeitskraft waren Gastarbeiterinnen in ihren Bedürfnissen als Mütter und Ehefrauen – und in diesem Sinne als Frauen, wie sie zu jener Zeit in der deutschen Gesellschaft dominant gezeichnet wurden – „nicht vorhanden“ (Westphal 1996: 20). Mit dem Strukturwandel in der Wirtschaft vom produzierenden hin zum Dienstleistungsgewerbe ging auch die Manufakturproduktion zurück, in der der Großteil der Arbeitsmigrantinnen tätig war. Die offizielle Beschäftigungslosigkeit stieg in den späten 1970er und 1980er Jahren unter ausländischen Arbeitnehmer/innen. Dies betraf im Vergleich überproportional nicht-deutsche Frauen. Der Anteil deutscher Frauen an der sozialversicherungspflichtigen Erwerbsarbeit nahm im Gegensatz dazu stetig zu (Westphal 1996 unter Bezugnahme auf Dohse 1986), insbesondere in den sich herausbildenden Dienstleistungssektoren. Ausländerpädagogik und Migrationsforschung stellten in den folgenden Jahren verstärkt (auch vor dem Hintergrund von staatlich vorgegebenen Förderungslinien für Forschung und soziale Dienste, vgl. Thränhardt 1984) und vor dem Hintergrund erster sich herausbildender Integrationskonzepte Sozialisationsprobleme der nun ‚ausländischen Mitbürger’ (Bade 1994) in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Immer stärker rückten hierbei auch die Frauen unter ihnen in den Blick (Gümen 1996: 83). Wie Westphal herausstellt, verschob sich in dieser Zeit das Bild der Migrantin als ‚Arbeitskraft‘ hin zu der Migrantin als ‚abhängige Ehefrau und Mutter‘, nicht nur in der Forschungslandschaft, sondern auch im öffentlichen Diskurs. So kam es zu einer verstärkten medialen Aufmerksamkeit für die ausgemachten Probleme einer fehlenden sozialen, jedoch immer stärker als ‚kulturell‘ facettierten ‚Integration‘ und damit zu einer Kulturalisierung von Differenz, die eigentlich auf sozial produ-

15 Der Schweizer Schriftsteller Max Fritzsch brachte dies 1961 in der bis heute viel zitierten und eigentlich beschämenden Aussage „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“ auf den Punkt.

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zierten Ungleichheiten beruhte (vgl. auch Gümen 1996 sowie Gemende et al. 2007). Migrantinnen wurden seitdem bis in die 1990er Jahre mehr als Ehefrauen mit Hausfrauenstatus denn als Arbeiterinnen verstanden. Die Aufmerksamkeit lag dabei auf deren erfolgreicher oder defizitärer „Funktion als Sozialisationsinstanz“ (Westphal 1996: 21). Dieses Bild passte sich zugleich in das in internationalen Forschungsansätzen vorherrschende Migrationsmuster ein. Dieses nahm nun zwar migrierende Frauen wahr, untersuchte deren Wanderungen jedoch als abhängige (vgl. Kofman et al. 2000; Pessar/Mahler 2003). Und selbst im Zuge des sich etablierenden „Haushaltsparadigmas“ (Grasmuck/Pessar 1991), in dem Migrationstrajektorien und Handlungsstrategien in der Migration als innerhalb des Haushaltes, und hier auch stärker als von Frauen getroffene Entscheidungen und Handlungsentwürfe untersucht wurden, blieb der Forschungsfokus auf deren Einbindung in und Ausrichtung auf familiäre Belange beschränkt (vgl. Hondagneu-Sotelo 2000). Diese Verschiebung des Migrantinnenbildes von der Arbeitskraft hin zur Ehefrau und Mutter wurde über die Fokussierung von Gastarbeiterinnen hinaus auf nach Deutschland einwandernde Frauen allgemein übertragen und blendete die vielfältigen (Arbeits-) Migrationen von Frauen nach Deutschland aus. Hier muss auch die geschlechtlich spezifische Wirkmächtigkeit des deutschen Migrationsregimes, insbesondere der deutschen Ausländergesetzgebung und dem damit verbundenen Arbeitsrecht, einbezogen werden (Kofman 2008). So erhielten etwa ‚nachziehende Ehefrauen‘ zunächst zwar ein Aufenthalts- aber kein Arbeitsrecht. Erst mit der Überarbeitung der Ausländergesetzgebung von 2004/05 erhielt der/die ‚nachziehende Ehepartner/in‘ das gleiche Aufenthalts- und Arbeitsrecht wie der/die bereits legal in Deutschland ansässige Ehepartner/in. Unabhängig wandernde Frauen blieben lange Zeit in der deutschen Debatte gänzlich unbemerkt oder wurden – aufgrund des deutschen Aufenthaltsrechts, das für viele Migrant/innen des Globalen Südens nur die legale Möglichkeit eines Asylaufenthalts oder der Familienzusammenführung (bzw. Ehegattennachzug) bereithält – wiederum als nachziehende Ehepartnerin kategorisiert (Kofman 2008).16 Ausnahmen bildeten Frauen aus Osteuro-

16 Zur Problematik des Ehegattenstatus gehe ich in Kapitel 4 am Beispiel brasilianischer Migrantinnen gesondert ein. In Deutschland bestehen für Nicht-EU-Bürger/innen darüber hinaus kaum mehr andere Möglichkeiten des legalen, dauerhaften Aufenthalts als über ein Familienzusammenführungsvisum. Konjunkturell bedingt wird darüber hinaus beispielsweise gezielt in Sektoren angeworben, wo ein Arbeits- bzw. Fachkräftemangel diagnostiziert wird. Dies wird seit einigen Jahren über eine Blue Card für (hoch-) qualifizierte Migrant/innen geregelt. Ebenso können Regelungen für sogenannte Mangelberufe oder für Saisonarbeiter/innen, insbesondere für die Agrarindustrie, in den Bereich gezielter Arbeits- und Migrationspolitik eingeordnet werden. Weitere Möglichkeiten, nach aktueller Gesetzgebung einen legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen, sind: anerkannter

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pa, die wiederum in den Kontext saisonaler oder illegalisierter Arbeitsmigrationen verortet wurden. Dass es sich in allen Fällen oftmals um Frauen handelte, die entweder in informellen Beschäftigungsverhältnissen in Privathaushalten, in der Privatwirtschaft oder auch im ethnischen Gewerbe arbeiteten, und damit einer mehrfachen Vulnerabilität ausgesetzt waren, blieb bis vor kurzem auch in der deutschen Migrationsforschung unbeachtet (vgl. Granato 2004). Das Paradigma der Migrantin als nachziehende Ehepartnerin und die Unsichtbarkeit von Migrantinnen als Arbeiterinnen hat(te) darüber hinaus seine Wirkmächtigkeit auf das in Deutschland dominante Imaginarium über die andere Frau, die Mona Granato als „Zerrbilder über Migrantinnen“ (Granato 2004: 2) definiert. Westphal argumentiert etwa, dass dieses Imaginarium eng mit einem sich verändernden Frauenleitbild unter westdeutschen Frauen nach den Erfolgen der feministischen Bewegungen der 1970er Jahren und dem vermehrten beruflichen Einstieg von Frauen insbesondere im aufkommenden Dienstleistungssektor weg von „nur Hausfrau“ und hin zur Doppelrolle als berufstätigen Frau und Mutter zusammenhing – die Vorstellung von ‚der Migrantin‘ also „im Spiegel westdeutscher Frauenbilder“ (1996; vgl. auch Gutiérrez Rodríguez 1996: 169) zu untersuchen sei. Im Zuge der zunehmenden Kulturalisierung sozialer Ungleichheit, und ganz im Gegensatz zur Eigenwahrnehmung als sich emanzipierende bzw. emanzipierte deutsche Frau (Rommelspacher 2007) wurde nachträglich – und wird teilweise noch immer – ‚der Migrantin‘ eine traditionelle, durch patriarchische Geschlechterregime ihres Herkunftsortes (oder, in neueren Debatten, ihrer Migrationsgemeinschaft) geprägte Weiblichkeit zugeschrieben (vgl. Gutiérrez Rodríguez 1996: 177; Gümen 1996: 85; Gemende et al. 2007).17 Diese ergibt sich in erster Linie über die bereits angespro-

Asylstatus, zu Ausbildungszwecken unter Auflagen der finanziellen Absicherung, oder ein Unternehmer/innenvisum, für das ein entsprechendes Eigenkapital vorgewiesen werden muss und die Schaffung einer Mindestanzahl von Arbeitsplätzen nahegelegt wird. 17 Wie Gemende et al. (2007), Gümen (1996) und andere argumentieren, prägten Medien, Ausländerpädagogik und Ausländerforschung dieses Bild, indem sie vor allem streng gläubige islamische Familien fokussierten. Dies führte nicht nur zu einer Verengung der Sichtweise auf muslimische Einwanderungsgruppen insgesamt, sondern wurde und wird darüber hinaus auch auf alle als ‚Migrantinnen‘ identifizierte Frauen übertragen. Die Autorinnen stellten fest, dass sich das Interesse für Fremde (so fremd wie möglich) mit einem verstärkten politischen Interesse aufgrund weltpolitischer Ereignisse kombinieren ließ und darüber entsprechend Fördergelder für Forschung und Soziale Arbeit eingetrieben werden konnten. Die Geschlechterverhältnisse in der Einwanderungsgruppe wurden als ausschlaggebend dafür genommen, wie ‚traditionell‘ oder ‚modern‘ diese sei. Sie wurden zu einer Art Gradmesser, von dem auch das Integrationspotential der ganzen ‚Gruppe‘ abgeleitet wurde (und wird) und worauf sich ein Großteil der Anstrengungen

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chenen mütterlichen und ehelichen Verpflichtungen – Verpflichtungen also, die im Bereich der nicht-bezahlten reproduktiven Arbeit angesiedelt werden. Diese Pflichten aber sind weit entfernt von der Vorstellung einer direkten Beteiligung dieser Frauen an der entgeltlichen Erwerbswirtschaft vor und nach der Migration. Dieses Zerrbild erhielt zudem seine erklärende Funktion in den aufkommenden Integrationsdebatten, die sich verstärkt auf die in Deutschland geborenen Kinder aus Einwanderungsfamilien konzentrierten. Das Ziel einer gelungenen Integration wurde an eine erfolgreiche Ausübung der Mutterrolle gebunden. ‚Der Migrantin‘ wurde hingegen vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Differenz ein erfolgreiches Manövrieren einer Doppelbelastung als Mutter und Erwerbstätige nicht zugetraut. Ein zusätzliches Dilemma bestand darin, dass in ihrer Rolle als ‚Nur-Mutter‘ die Gefahr einer Isolation gesehen wurde. Dies wiederum erschien als eine Hürde für die den Migrantinnen neu zugestandene Aufgabe als ‚Integrationsvermittlerin‘. Fand sich die Migrantin doch in einer Doppelbelastung wieder, so wiederum aufgrund familiärer Zwänge, was sie aufgrund der zweifachen Belastungen zu einem doppelten Opfer mache (Gutiérrez Rodríguez 1996 für eine kritische Diskussion). All diese Komponenten tragen, gemäß Gutiérrez Rodríguez, zu „dem Bild der defizitären, unselbstständigen und unemanzipierten Ausländerin“ bei (ebd.: 175; Rommelspacher 2007: 51). Hierbei treffen lokal rekonstruierte globalisierte Bilder von ‚traditioneller‘ (rückständiger) Feminität und ‚moderner‘ (fortschrittlicher) Geschlechterperformanz aufeinander. Sie vereinen in sich nicht zuletzt in Dichotomien aufgespaltene Konnotationsketten, wie arm–reich, ungebildet–gebildet oder unemanzipiert–emanzipiert. Damit heben sie die heterogenen Wirklichkeiten der Migrations- und Arbeitsbiographien, aber auch von Weiblichkeiten auf und machen diese unsichtbar. Dieses Zerrbild wird in Bezug auf den Arbeitsmarkt durch die Zuschreibung einer unqualifizierten Migrantin komplementiert, deren Legitimation nicht zuletzt in einer nicht vorhandenen – da in Deutschland nicht anerkannten – Berufs- oder Schulausbildung und Berufserfahrungen gesucht wird. Berufs- und Bildungsabschlüsse sowie Berufserfahrungen wurden und werden nur selektiv anerkannt und richte(te)n sich an Konjunkturen und Interessen des Arbeitsmarktes aus. „Die berufliche Abqualifizierung von Migrantinnen“, so schlussfolgert Umut Erel, „markiert diese als weniger kompetente Bürgerinnen, da ihr kulturelles Kapital aberkannt wird und ihre Möglichkeiten zur Arbeitsmarktpartizipation beschränkt werden“ (Erel 2009: 3). Zusätzlich sichert das Arbeitsförderungsgesetz mit der sogenannten Inländerprimatsregelung eine Bevorteilung von deutschen (bzw. europäischen) Arbeitneh-

Sozialer Arbeit (früher Ausländerpädagogik) stürzte. Marion Gemende, Chantal Munsch und Steffi Weber-Unger Rotino sprechen in diesem Sinne von einer „strapazierte Geschlechterdifferenz“ (Gemende et al. 2007: 8).

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mer/innen auf dem Arbeitsmarkt (sogenannte „Bevorrechtigte Arbeitnehmer“). Diese institutionell verankerte Privilegierung wird über informelle, interpersonale Diskriminierungspraktiken entlang von Geschlechts- und ethnischer/rassifizierter Zugehörigkeitszuweisung begünstigt. Dies haben mittlerweile auch Studien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO; Zegers de Beijl 2000) für den deutschen Kontext bestätigt. Diese Diskriminierungen beginnen bei Bewerbungen und Bewerbungsgesprächen, reichen von einer Zuschreibung „mangelnder Deutschkenntnisse“ bis zur Negierung „sozialer Kompetenz“ in Bezug auf die „Integrationsfähigkeit der Bewerberin ins Team“ (Gutiérrez Rodríguez 2003: 87, nach Teimoori 1997) und operieren als „‚verdecktes‘ Diktat“ mit dem Ziel einer Abqualifizierung der Bewerberin (ebd.; vgl. Castro Varela/Clayton 2003; Räthzel/Sarıca 1994; Apitzsch/Schmidbaur 2010; Miera 2008). Aberkannt wurden hierbei allerdings lange Zeit auch die negierten Qualifikationschancen sowohl während der Phase der ‚unsichtbaren‘ (Gast-)Arbeiter/innen als auch danach (vgl. Dietz 1988 zit. in Westphal 1996), die in jüngeren Studien bis zu ausgemachten Benachteiligungen in der Schuldbildung reichen. Gerade diese Formen der Abqualifizierung zwangen Migrantinnen zur Arbeitsaufnahme in ausgewählten Bereichen der personenbezogenen Dienstleistungswirtschaft. Unterstützt wurde dies durch eine Zuweisung in eben jene Bereiche, für die verAnderte Frauen über die oben vorgestellten Naturalisierungsstrategien als „geborene Expertin“ (Gutiérrez Rodríguez 2003) gezeichnet werden. Im Kulturellen verortete stereotype Zuschreibungen erfolgen hierbei entlang der Intersektionalität von Geschlecht und Nationalität bzw. Ethnizität/‚Rasse‘. Sie fungieren als zusätzliche Schutzmechanismen mehrheitsgesellschaftlicher Arbeitsbereiche und suchen so zugleich eine funktionale Eingliederung verAnderter Frauen im segmentierten Arbeitsmarkt zu garantieren. Die soziale und lokal distinkte Wirkmächtigkeit dieser Repräsentationsregime, über die Migrantinnen angerufen und untergeordnet werden, muss daher als Teil des Arbeitsmarktregimes einbezogen werden. Zusammenfassend lässt sich herausstellen, dass das Ineinandergreifen von Migrations-, Arbeits(markt)- und Genderregimen, hier insbesondere manifest in Ausländergesetzgebung, Arbeitsmarktpolitik und ethnisierten Geschlechterleitbildern, in mehrfacher Form zu Ungleichheiten unter Frauen in Bezug auf ihre Arbeitsmarktbeteiligung geführt hat. Die Ungleichheiten wurden jedoch anschließend als kulturell angelegte Differenz von Geschlechterrollen interpretiert. Vorhandene Qualifikationen vor der Migration wurden dabei aberkannt und zugleich Qualifikationsmöglichkeiten nach der Migration erschwert oder gar negiert. Damit erfolgte eine Kulturalisierung sozialer Ungleichheit, die sich in erster Linie auf eine Zuschreibung ethnischer Geschlechterbilder stützt. Hierbei, so argumentieren die oben zitierten Forscherinnen, findet eine Verschiebung statt: Das in Deutschland noch immer anzutreffende (auch wenn öffentlich angeprangerte) Geschlechterleitmodell des männlichen Ernährers und der Frau als abhängige Hausfrau und Mutter wird

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ausgeblendet. Gleichzeitig wird es allerdings als Erklärungsansatz kultureller Unterschiede auf den Herkunftsort (bzw. Diasporagemeinschaft) der Migrantinnen projiziert, obwohl Migrantinnen oftmals lange vor den westdeutschen Frauen eine „doppelte Lebensführung“ realisierten. Sie lebten diese oftmals, bevor diese Art der Lebensführung sich als gesellschaftliches Leitbild bzw. Normalitätsvorstellung für Frauen in der Bundesrepublik etablierte (Granato 2004: 4). Dieses doppelt angelegte Imaginarium über die verAnderte Frau wirkt nicht zuletzt auf die Verortung bzw. Zuordnung von Migrantinnen in die personenbezogene Dienstleistungswirtschaft (Morokvasic 1993: 47ff; Rommelspacher 2007). Es verzerrt damit die bereits problematische Situation, dass noch immer überdurchschnittlich viele Frauen, auch die der Mehrheitsgesellschaft, in den vermeintlich ‚unqualifizierten‘, schlecht bezahlten Dienstleistungstätigkeiten präsent sind. Allerdings muss an dieser Stelle auch kritisch erwähnt werden, dass sich noch immer kulturund sozialwissenschaftliche Migrationsstudien genau auf diesen segmentierten Bereich des feminisierten, ethnisierten Arbeitsmarktes konzentrieren. Damit arbeiten sie ein Stück weit dem Repräsentationsregime zu, trotz des sehr wichtigen Beitrages zur Sichtbarmachung der für verAnderte Frauen wirkmächtigen arbeitsmarktlichen Schließungsdynamiken und diskriminierenden Praktiken. Demgegenüber gewinnen Studien zur Arbeitsmarkteingliederung von Männern mit Migrationshintergrund zunehmend an Gewicht. Diese Untersuchungen stellen für Männer, welche ebenfalls von Ausschlusspraktiken im überlappenden Arbeits- und Migrationsregime Deutschlands betroffen sind, alternative Arbeitsmöglichkeiten heraus. Eine der wichtigsten Alternativen, die auch im Mittelpunkt dieser Studie steht, ist die unternehmerische Selbständigkeit. 2.2.2 Migrantische Unternehmerschaft als Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe? Anmerkungen zu den Debatten in Deutschland Die unternehmerische Selbständigkeit galt in der BRD bis in die frühen 1980er Jahre hinein als eine im Verschwinden begriffene Wirtschaftsform. Eine wachsende Zahl von Großbetrieben und die beständige Modernisierung der Produktion würden die Klein- und Kleinstbetriebe „ausradieren“ (kritisch zitiert in Bögenhold 1987) und gingen mit einer Normativierung der abhängigen Arbeit einher. So galt die unabhängige Arbeit als „rückständiges Residium“ gesellschaftlich immer mehr als das Andere zur modernen abhängigen Erwerbsarbeit oder gar als „Hindernis für die Modernisierung und Entwicklung der Gesellschaft“ (Pichler 1997). Doch wird in den letzten Jahrzehnten auch hierzulande ein erneutes Aufleben der unternehmerischen Erwerbsarbeit registriert (Bögenhold 1987; Apitzsch/Kontos 2003, 2008a). Dieser Anstieg wird auf der strukturellen Ebene allgemein mit der bereits angespro-

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chenen Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in Verbindung gebracht bzw. darüber erklärt (ebd.). Auf der individuellen Ebene wird die Selbständigkeit diesbezüglich zunehmend als individuelle Strategie der Teilhabe an der wirtschaftlichen Sphäre der Gesellschaft gelesen (Apitzsch/Kontos 2008b: 10). Neben dieser allgemeinen Feststellung fällt für viele nationale Kontexte des Globalen Nordens insgesamt auf, dass vor allem die Unternehmerschaft unter Migrant/innen (bis in die 3. Generation) ansteigt (Castles/Miller 1993: 182f; Waldinger et al. 1990) – und zwar nicht nur in den USA, wo die sogenannte ‚ethnische Unternehmerschaft‘ ein lang konstatiertes Phänomen und einen etablierten Forschungsgegenstand darstellt, sondern in vermehrtem Maße auch in Nord-/Westeuropa. Dies ist seit Anfang der 1980er auch in der BRD zu verzeichnen, mit besonderem Anstieg seit den 1990er Jahren. Unternehmerschaft wurde in Deutschland lange Zeit in männlich-weißebürgerliche Kreise verortet. (Neo-)Klassische Ansätze führten sie auf ein rational handelndes Individuum zurück, das auf eine „selbstorientierte Profitmaximierung“ ausgerichtet sei (Kontos 2005: 111; Holst 2001 für eine kritische Diskussion hierzu). Funktionalistische Konzeptionen begründeten sie mit einer Sozialisierung zum Unternehmer und einer damit einhergehenden Internalisierung entsprechender sozialer Werte und Normen (Kontos 2005: 111). Im Gegensatz dazu wird vor allem die Herausbildung der migrantischen Entrepreneurs, die zu den sogenannten „neuen Selbständigen“ (Bögenhold 1987) bzw. den „neuen Unternehmern“ (Apitzsch 2008: 134) zählen, in erster Linie in Bezug auf unterschiedliche Formen der sozialen und ökonomischen Benachteiligung zu erklären gesucht (Bögenhold/Staber 1991; Apitzsch 2003a: 167). Aber auch die (damit verbundenen bzw. marktspezifischen) Möglichkeitsstrukturen (Waldinger 1990) sowie die sozialen (Granovetter 1985; Portes/Sensenbrenner 1993) und politisch-/wirtschaftlich-institutionellen (Kloosterman/Rath 2001) Einbettungen der Akteure und daran gekoppelte Ressourcen (Light/Rosenstein 1995) dienten als Erklärung. Ergänzt werden diese Ansätze seit einigen Jahren durch biographisch-interpretative Verfahren (Pütz 2004; Kontos 2005; Apitzsch/Kontos 2008a). Sie untersuchen – anders als die Sozialisationsthese – die biographische Prozessualität von Unternehmerschaft und die damit zusammenhängende Dynamik sozialer Verortungspraktiken der gewerblich Selbständigen. Der zuletzt genannte Ansatz ermöglicht u.a. eine verfeinerte Herausarbeitung der Motivationen für den Schritt in die unternehmerische Selbständigkeit. Hier dominierte in den letzten Jahren eine Unterscheidung, die im Rahmen der im deutschen Kontext herausgearbeiteten Benachteiligungsthese von Dieter Bögenhold geprägt wurde. Seine These begreift idealtypisch einerseits die Motivation zur Selbständigkeit aus der Not und andererseits die Selbständigkeit als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung (Bögenhold 1987: 8). Wie Apitzsch und Kontos jedoch feststellten, zog diese Unterscheidung im Nachhinein eine dichotomer Zuweisung von

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selbständigen Migranten und Frauen nach sich. Denn diesem Verständnis nach wurde ersteren eine Motivation aus der Not heraus, letzteren der Drang nach Selbstverwirklichung zugeschrieben (Apitzsch/Kontos 2008b: 10). Noch schwieriger wurde jedoch diesbezüglich eine Verortung von selbständigen Migrantinnen. Ansätze, die die Herausbildung von migrantischen Ökonomien mit Blick auf die (strukturelle) Benachteiligung von Migrant/innen untersuchten, waren zunächst im US-Kontext entstanden (z.B. Light 1972) und etablierten sich ab den 1980er Jahren auch im deutschen Kontext (Blaschke/Ersöz 1987). Die Motivation zur Unternehmerschaft von Migranten wird hierbei in erster Linie mit der oben besprochenen marginalen Positionierung von Migrant/innen auf dem Arbeitsmarkt in Verbindung gebracht. Neben den diversen rechtlichen wie inter-personellen Diskriminierungserfahrungen einerseits bei der Jobsuche und andererseits am Arbeitsplatz bzw. im Arbeitsverhältnis, gehören hierzu die fehlenden beruflichen Aufstiegschancen. Thomas Geisen (2005b) spricht diesbezüglich von einer doppelten Diskriminierung, bei denen die Migrant/innen nicht nur auf dem Arbeitsmarkt aufgrund ihres Status als ‚Ausländer‘ diskriminiert werden, sondern auch über die ihnen zugestandenen Tätigkeiten in sozialer Hinsicht seitens der Mehrheitsgesellschaft am „gesellschaftlichen Rand“ verortet werden. Diese Positionierung, so wird in einigen Studien zu ethnischen Unternehmen in Deutschland argumentiert, habe damit wesentlich zur Herausbildung von Migrantenökonomien als Reaktion darauf beigetragen. Auch zeigten Studien, dass Migrant/innen vor allem zu Zeiten schwacher Konjunktur stärker als Menschen der Mehrheitsgesellschaft von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Insgesamt ist die Arbeitslosigkeit unter Migrantinnen seit einigen Jahrzehnten im Verhältnis konstant höher als in der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Bögenhold 1987; Loeffelholz/Dietrich 1994). In Deutschland, wie auch anderen nationalen Kontexten, wird die unternehmerische Selbständigkeit von Migrant/innen daher oftmals als Überlebensstrategie bezeichnet (Schuleri-Hartje et al. 2005; Kontos 2005). Diese Überlebensstrategie, so Robert Pütz, ist heutzutage jedoch auch oftmals eine Sicherung des rechtlichen Aufenthaltsstatus in Deutschland (Pütz 2003: 264; vgl. auch Blaschke/Ersöz 1987). Vor allem das Aufenthaltsrecht von Migrant/innen der ersten Generation bzw. das ihrer nachziehenden Familienangehörigen ist häufig an die wirtschaftliche Unabhängigkeit von deutschen Wohlfahrtseinrichtungen gebunden, bzw. stellt diese Unabhängigkeit eine Notwendigkeit für Migrant/innen dar, die eine Einbürgerung anstreben. Dieser Punkt ist wichtig, denn er bezieht nicht nur die eingeschränkten Möglichkeitsstrukturen auf dem mehrheitsgesellschaftlichen Arbeitsmarkt ein, sondern auch im politischen wie sozio-ökonomischen institutionellen Rahmen. Kloosterman und Rath (2001, 2011) erarbeiteten in diesem Kontext das Konzept der „mixed embeddedness“. Es rückt neben den sozialen (bzw. ‚ethnischen‘) Einbettungen und sich daraus ableitenden akteursbezogenen Ressourcen vor allem die strukturellen Rahmenbedingungen stärker in den Fokus. Im west- bzw. nordeuropäischen Kontext, der (noch) durch ein weitgehend

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ausgeprägtes Wohlfahrtssystem charakterisiert ist und in dem das Lohnniveau für (‚indigene‘, hier verstanden im Sinne von ‚ethnisch-deutsche‘) Staatsbürger/innen (noch) relativ hoch ist, wird der Arbeitsmarkt durch restriktive Gesetzgebungen vor dem Zugang von Migrant/innen geschützt. Für die ‚indigene‘ Bevölkerung stellte die unabhängige Arbeit darum lange ein weniger attraktives Feld dar. Für Migrant/innen hingegen werde dieser Bereich zu einer wichtigen Chance zur Teilhabe am wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Leben. Maria Kontos (2005) und andere (Herbert 2001; Ha 2003 für Migrant/innen; Achtenhagen/Welter 2003 für Frauen) gehen in Bezug auf den Stellenwert von abhängiger und unabhängiger Arbeit in Deutschland einen weiteren Schritt, indem sie deren sozio-kulturelle Dimension beleuchten. Diese wird mittlerweile neben den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Einbettungen und Möglichkeitsstrukturen als gleichberechtigter Faktor für die Herausbildung migrantischer Unternehmerschaft verstanden (Reynolds et al. 1999: 43 zit. in: Achtenhagen/Welter 2003: 77). Kontos verweist auf die „Kultur der abhängigen Arbeit“ (2005: 220), die sich im Verlaufe des 20. Jahrhunderts in Deutschland (BRD wie DDR) herausgebildet habe und eine gesellschaftliche normative Erwartung an die (bundesdeutsche männliche) Arbeitsbiographie umfasse. Die Arbeitnehmerschaft falle somit mit dem kulturell Gewohnten, dem Eigenen, zusammen. Die unabhängige unternehmerische Tätigkeit wurde lange Zeit als die Ausnahme zu dieser Regel begriffen und erst seit einigen Jahren als (attraktive) Alternative zur abhängigen Arbeit auch von Seiten der Politik beworben.18 Speziell hier zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen dem Anwachsen der unternehmerischen Selbständigkeit und einer postfordistischen, neoliberalen Arbeitsorganisation, inklusive eines damit verbundenen veränderten Verständnisses von Arbeit. Und so bildet die unternehmerische unabhängige Arbeit einen Wirtschaftsbereich, der nicht in die kulturell als „eigen“ aufgefasste Sphäre der deutschen Lohnarbeit eindringt. Das Eindringen ‚des Ausländers‘ in diesen letzten Bereich wurde im Laufe der Geschichte in erster Linie dort beworben und zugelassen, wo ein sozialer Aufstieg kaum möglich und deutsche Arbeitskraft nur schwer zu werben war.

18 Diese Entwicklung wird allgemein mit dem sich im neoliberalen Ruck des deutschen Wohlfahrtsstaates etablierenden ‚Aktivierungsimperativ‘ (Hermann Kocyba zitiert in Lanz 2007: 217) zum „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling 2007) in Zusammenhang gesehen. (Vermeintliches) Ziel ist es, den Wirtschaftsstandort Deutschland anzukurbeln und Arbeitsplätze durch Einzelinitiativen zu schaffen. Institutionell und finanziell unterstützt wurde dieser „Ruck“ über Programme wie beispielsweise das im Jahr 2003 eingeführte „Ich-AG“-Existenzgründungszuschuss-Modell und andere Formen der Unterstützung im Rahmen von Consulting, Mikrokrediten oder Teil-Finanzierungsmodellen für weitere Angestellte, etwa auf Minijob-Basis durch das Jobcenter.

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Dies ist vor allem deshalb relevant, weil ‚ausländerfeindliche‘, also rassistische Diskurse und Praktiken insbesondere in der rezenteren Geschichte mit der Parole aufwarteten, ‚der Ausländer nehme den Deutschen die Arbeit weg‘ (Herbert 2001; Ha 2003; Räthzel 1997). Dieser Parole steht ein weiterer Diskursstrang im konservativen/rechten Lager gegenüber: Er zeichnet ‚den Ausländer‘ als ‚Sozialschmarotzer‘ (vgl. Decker et al. 2012), der seinen Aufenthalt in Deutschland zum Zweck eines illegitimen Zugriffs auf deutsche Wohlfahrtsleistungen anstrebe. Trotz der scheinbaren Widersprüchlichkeit dieser beiden Positionen komplementieren sich diese im konservativen Lager und werden je nach politischen Ereignissen und Konjunkturen unterschiedlich akzentuiert (ebd.). Im Gegensatz dazu erfahren jedoch migrantische Ökonomien zunehmend Akzeptanz. Das geschieht beispielsweise in jenen politischen Sektoren, die sich sonst eigentlich durch eine eher ablehnende Haltung gegenüber Einwanderungen zeigen: Hier wird vor allem die strukturell-wirtschaftliche Integration von Migrant/innen herausgestellt, die sich über die in ‚ethnischen‘ Ökonomien geschaffenen Job- und Ausbildungsangebote ergebe. ‚Der Ausländer‘ sei also jemand, der eben nicht ‚Jobs wegnehme‘, sondern für sich und für andere – ob nun ‚Ausländer‘ oder ‚Deutsche‘ – Jobs schaffe. Zugleich werden die damit einhergehenden organisatorischen Anforderungen der Unternehmerschaft mittlerweile als integrativ bemessen. Dies fängt bei einem erforderlichen Mindestmaß von Deutsch-Kenntnissen an, um nicht nur mit Kund/innen sondern auch mit Behörden kommunizieren zu können, und geht bis hin zu umfangreichen Kenntnissen des deutschen Steuer- und Versicherungswesens. Ein weiteres Untersuchungsfeld, das sich in erster Linie auf die Konsumeinbettung migrantischer Unternehmen konzentriert, ist das Warenangebot. In der Regel wird davon ausgegangen, dass sich migrantische Unternehmen zunächst meist als Nischen- bzw. Ergänzungsökonomie herausbilden. Sie decken also die Nachfrage von bestimmten Waren ab, die in Unternehmen der Mehrheitsgesellschaft nicht zu erwerben sind, und stehen damit zu Beginn nicht in direkter Konkurrenz zu Unternehmen der Mehrheitsgesellschaft. In der Entwicklung von der ‚ethnischen‘ Nachfrage dieser teils als ethnisch markierten Waren hin zu einer Nachfrage durch die Mehrheitsgesellschaft könne ebenfalls der Integrationsgrad erkennbar sein (Schuleri-Hartje et al. 2005), was die Nischenökonomie dann zu einem innovativen Wirtschaftsbereich machen könne. Über das Warenangebot ermögliche das Unternehmen als lokale Ökonomie zudem den Kontakt zwischen den Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft und denen der ‚ethnischen‘ Gruppe – ein Moment des interkulturellen Austausches, der auf beiden Seiten integrativ wirke. Einige Forscher/innen konstatieren darüber hinaus eine Begünstigung des sozialen Aufstiegs aufgrund der Teilhabe am Arbeitsmarkt und entsprechender Verdienstmöglichkeiten. Diese vermehre auch die soziale Anerkennung der Migrant/innen innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft (Schuleri-Hartje et al. 2005; Wilpert 2003). Gerade in diesem gesellschaftlich integrativen Potential sehen einige

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Forscher/innen den Grund, warum sich die deutsche Politik lange Zeit schwer damit getan hat, unternehmerische Selbständigkeit unter Migrant/innen überhaupt zu erlauben. Bis 1991 konnten etwa nur Personen mit einem permanenten Aufenthaltsrecht unternehmerisch tätig werden. Die große Mehrheit der ‚ausländischen‘ Bevölkerung, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hatte, war davon jedoch ausgeschlossen (Pütz 2004). Viele der von Migrant/innen aufgebauten Unternehmen wurden daher ab den 1970er Jahren zunächst über sogenannte (deutsche) Strohmänner angemeldet (vgl. Wilpert 2003; Pütz 2004). Die unternehmerische Selbständigkeit galt als Indiz dafür, dass Migrant/innen sich in Deutschland dauerhaft niederlassen wollten. Dies widersprach allerdings der Rotationslogik des Gastarbeitersystems und der politisch-gesellschaftlichen Einstellung in Bezug auf Einwanderung, die weniger noch eine ‚Integration‘ der (ehemaligen) Gastarbeiter bzw., allgemeiner, ‚Ausländer‘ in das gesellschaftliche Miteinander vorsah, wie oben angesprochen. Die schrittweise gesetzliche Lockerung wird allgemein mit den (von der Politik nicht einkalkulierten) Konsequenzen des bundesdeutschen Gastarbeiterregime in Verbindung gebracht: Nach dem rezessionsbedingten Anwerbestopp 1973, der „geringen Rückkehrbereitschaft“ (Luft 2006) vieler Gastarbeiter/innen und aufgrund der für Migrant/innen restriktiven Arbeitsmarktgesetzgebung und -praktiken stieg in den 19070er Jahren die prekäre Beschäftigung und Arbeitslosigkeit unter Migrant/innen stark. Die sich herausbildenden Migrant/innenökonomien wurden daher zusehends als eine mögliche Lösung dieses ‚Problems‘ bemerkt, ohne dass dies viel Bei-Tun der mehrheitsgesellschaftlichen politischen und wirtschaftlichen Akteure erforderte oder dass seitens der Politik gar eine offizielle Positionierung hierzu von Nöten gewesen wäre (auch wenn zugleich Stimmen laut wurden, die vor einer ethnischen Enklavenbildung warnten und hierbei die ethnische Unternehmerschaft als einen ihrer Motoren betrachteten; Heckmann 1992). Neben ‚Nischenmarkt‘Erklärungen ist daher die Benachteiligungsthese von der „Motivation aus der Not heraus“, vor dem Hintergrund der gemischten, auch rechtlich-institutionellen, Einbettung (mixed embeddedness; Kloosterman/Rath 2001) für die Herausbildung migrantischer Unternehmen in der jüngeren deutschen Geschichte eine der wesentlichen Erklärungen. Seit der Aufhebung des bis in die 1970er Jahre fallenden generellen Verbots von Migrant/innen auf unabhängige Arbeit je nach Art ihres Aufenthaltsstatus (Kontos 2005), entwickelten in Deutschland lebende Personen nichtdeutscher Staatsbürgerschaft unterschiedliche Ausprägungen von gewerblicher Selbständigkeit (Wilpert 2003). Speziell das Kleinunternehmertum bietet im Gegensatz zum weiterhin bestehenden beschränkten Zugang zum deutschen Arbeitnehmermarkt einen gewissen Grad an Selbstbestimmung über die angestrebte berufliche Tätigkeit. Zudem gibt es zumindest bei handwerksfernen Tätigkeiten keine formalen Einschränkungen aufgrund von Bildungsniveau bzw. Ausbildung.

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Die hier zusammengefassten Erklärungsansätze für die Herausbildung der Unternehmerschaft von Migrant/innen weisen in ihrer Mehrheit zunächst keinerlei genderspezifische Merkmale auf. Doch obwohl Unternehmerschaft generell als neutral konzipiert wird, ist sie stets, so konstatiert Helene J. Ahl, männlich vergeschlechtlicht (Ahl 2002: 46). Gleiches bemerkt Erika Holst (2001). Sie leitet dies jedoch vor allem über ein noch immer weit verbreitetes neo-klassisches Verständnis von Unternehmerschaft her, bei dem der Profit maximierende, rationelle Unternehmer als Gegensatz zur emotional und damit irrational agierenden Frau gezeichnet wird. Die Fähigkeit zur Unternehmerschaft wird also auf eine auch hier vergeschlechtlichte (neo-)cartesianische Logik zurückgeführt. Auch die gewerbliche Selbständigkeit von Migrant/innen wird allgemein als ein männliches Phänomen verstanden (vgl. Morokvasic 1991; Hillmann 1998; Apitzsch/Kontos 2008a). So werden unternehmerische Tätigkeiten generell mit einer risikobereiten Einstellung und einem Wunsch zur Selbstbestimmung und eigener Handlungsermächtigung in Verbindung gebracht. All diese Eigenschaften werden essentialisierend mit Männlichkeit assoziiert (vgl. Holst 2001) und verlaufen daher konträr zur vermeintlichen Schutzbedürftigkeit und zum Sicherheitsbedürfnis von Frauen. Auch der mit dem unternehmerischen Handeln noch immer verbundene freiheitliche Lebensstil wird eher Männern zugeschrieben, höchstens noch unverheirateten (und daher noch immer als ‚untypisch‘ geltenden) Frauen (die daher als „besonders stark“ charakterisiert werden, Achterhagen/Welter 2003). Verheiratete Frauen und/oder Mütter fallen aus diesem Bild heraus. Wie Achterhagen/Welter (2003) in ihrer Diskursanalyse zur Darstellung von Unternehmerinnen in ausgewählten deutschen Printmedien feststellen, werden unternehmerische Frauen als „anders“ konstruiert, also als abweichend von der Vorstellung von der durchschnittlichen (deutschen) Frau. Alternativ wird ihr Unternehmensmodell als anders, also abweichend von ‚typischen‘ (männlichen) Unternehmensformen, herausgestellt. Das Unternehmertum erfährt den Autorinnen zufolge eine vergeschlechtlichte kulturelle Wertung, denn Frauen müssen sich neben diesen Differenzierungspraktiken in der Regel auch mit anderen Fragen auseinandersetzen als männliche Unternehmer. Z.B. werden sie in Bezug auf ihr unternehmerisches Verhalten in erster Linie danach gefragt, wie sie dies mit ihren Familienverpflichtungen abstimmen können (Achterhagen/Welter 2003: 78). Auch hier sehen sich arbeitende Frauen also mit einer doppelten Vergesellschaftung konfrontiert. Die Motivationen in Bezug auf die Unternehmerschaft von (der Mehrheitsgesellschaft zugehörigen) Frauen werden dabei auf der strukturellen Ebene auf vergeschlechtlichte Arbeitsregime und den geschlechtlich segregierten Arbeitsmarkt zurückgeführt. Ganz im Sinne der oben skizzierten geschlechtsgebundenen Klassifizierung gehören hierzu auch Lohn- und Statusabweichungen (Greer/Greene 2003). Damit hängt ebenfalls das Phänomen des glass ceiling (Greer/Greene 2003: 4; Langowitz/Morgan 2003), also eingeschränkte oder gar fehlende berufliche Aufstiegschancen sowie fehlende berufliche

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Anerkennung (Kontos 2008b: 53), zusammen. Bedingt wird weiterhin das im Vergleich zu männlichen Kollegen festgestellte erhöhte Arbeitslosigkeitsrisiko (Bögenhold 1987; Achtenhagen/Welter 2003) angeführt. Weit wichtiger sehen Forscher/innen aber die Einbettung in Familienstrukturen, bei der beispielsweise ein arbeitender oder nicht arbeitender Ehemann ebenso wie die Verteilung der Hausarbeit und Kinderbetreuung von Relevanz für eine Motivation zur Selbständigkeit sind (Brush 1992; Clain 2000).19 Stärker akteursbezogene Erklärungen beschäftigen sich mit individuelleren Formen der Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz sowie mit dem Motiv des „ungelebten Lebens“ (Kontos 2003c). Letztes umfasst neben unerfüllten Arbeitserfahrungen auch die Re-Konzipierung des eigenen biographischen Entwurfes. Dies wird beispielsweise in Verbindung mit einer profunden Lebenskrise gestellt, nach der die Selbständigkeit als neue Herausforderung und ein ‚Sich-Selbst-Beweisen‘ im Sinne eines neuen Lernens gesehen wird (2008b: 62). Ebenso wird diese Motivation auch nach Erfahrungen von großen Abhängigkeiten in einer Partnerschaft und eine damit zusammenhängende DeSozialisierung und De-Qualifizierung herausgestellt (ebd.: 66). Die Selbständigkeit wird hier als Form von Empowerment, Unabhängigkeit, Selbsterfüllung und Selbstaufwertung interpretiert. In der Regel wird vom Bedürfnis der sozialen Anerkennung ausgegangen. An der Schnittstelle von strukturellen und akteursbezogenen Erklärungen werden die Position im Lebenskurs und der Grad der Entwicklung der Familienverpflichtungen genannt und wie diese mit dem Arbeitsmarktzugang verwunden sind (z.B. etwa die Schwierigkeit des Eintritts in ein abhängiges Arbeitsverhältnis nach einer Familiengründung aufgrund von diskriminierenden Jobeinstellungspraktiken gegenüber Müttern; Kontos 2008b: 54f). Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Erwartung einer besseren Work-Family-Balance bzw. einer flexibleren Tagesablaufplanung (Achtenhagen/Welter 2003). Jedoch haben sich Erklärungsmodelle beider Forschungsfelder – jene zur migrantischen Unternehmerschaft als auch zur Unternehmerschaft von Frauen – als zu begrenzt herausgestellt, um die vermehrte Selbständigkeit von Brasilianerinnen im Kosmetiksektor, speziell im Bereich des Waxing zu verstehen. Dieses Problem teilt diese Arbeit mit Studien zur unternehmerischen Selbständigkeit von Migrantinnen allgemein. Allerdings soll an dieser Stelle abermals von einer Darstellung von Migrantinnen als ‚Opfer’ von Strukturen und Verhältnissen abgesehen werden. Es ist auch unzureichend, Motivationen als ‚rein aus der Not heraus‘ zu lesen, wie vor allem Ansätze zum ethnic business konstatieren (Apitzsch/Kontos 2008b). Dennoch hat die feministische Migrationsforschung weitestgehend gezeigt, dass gerade Migrantinnen von der neuen Intensität der Deregulierung und Flexibilisierung des Ar-

19 Brush (1992) stellt in ihrer Studie etwa fest, dass im Gegensatz zu männlichen Unternehmern weibliche Unternehmerinnen eher nicht verheiratet sind.

T HEORETISCHE E INFÜHRUNG

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beitsmarktes betroffen sind. Die in Deutschland noch immer sehr raren Studien zur gewerblichen Selbständigkeit von Migrantinnen haben erarbeitet, dass sich sowohl Motivationen und Gründe wie auch Umsetzungsstrategien und damit zusammenhängende soziale Ressourcen von den Erklärungsmodellen der beiden Forschungsfelder unterscheiden (Morokvasic 1991; Hillmann 1999; Apitzsch/Kontos 2008b). Allerdings zeigen die Studien von Hillmann (1998) und Apitzsch/Kontos (2008a), dass hierbei wiederum, wie in den oben vorgestellten Zerrbildern über verAnderte Frauen, in Bezug auf kohäsive Migrant/innengruppen und intraethnische Familienkonstellationen argumentiert wird. Darum wurde die Unternehmerschaft von Migrantinnen etwa als widerständige Praktik zu patriarchalen Familienstrukturen, oder, auf der anderen Seite, als forcierter Bestandteil einer gemeinsamen familiären Überlebensstrategie, besprochen. Andererseits werden unternehmerisch tätige Frauen auch hier als „nicht typisch“ (Hillmann 1999: 279) zu anderen Frauen der Migrationsgemeinschaft verstanden. Interessant ist zudem, dass diese Studien die gewerbliche Selbständigkeit (ähnlich wie im Falle der meisten Studien zur gewerblichen Selbständigkeit von Frauen der Mehrheitsgesellschaft) in der Regel als eigentliches Ziel herausstellen. Das Betätigungsfeld (Warenangebot/Dienstleistung) würde hierbei dem Ziel, überhaupt selbständig zu arbeiten, untergeordnet, oder ergäbe sich über familiär zugängliche Ressourcen. Weniger würde die Selbständigkeit hingegen als Mittel gesehen, um im angestrebten Tätigkeitsfeld arbeiten zu können.20 Studien, die einen biographischinterpretativen Zugang wählten, zeigten, dass der Schritt in die gewerbliche Selbständigkeit darüber hinaus kein abrupter ist. Vielmehr wurde er trotz unterschiedlicher Motivationen in vielerlei Hinsicht erprobt. In der Regel ist dem eine Reorganisation der beruflichen Identität (Kontos 2008b: 56) vorausgegangen. Eben genau diese schrittweise Annäherung werde ich in dieser Studie für die Unternehmerschaft im Bereich des Waxing herausarbeiten. Für viele der heutigen Studioleiterinnen war jedoch bereits die Entscheidung zur Selbständigkeit eine prozessuale und ist darum auch vor dem Hintergrund ihrer vorherigen Arbeitstrajektorien und in Bezug auf die auszuübende Tätigkeit zu untersuchen. * Wie am Beispiel der Debatten des deutschen Kontextes und an regional übergreifenden Ansätzen gezeigt wurde, ist die aufstrebende Dienstleistungswirtschaft geprägt und konstituiert durch vergeschlechtlichende, rassifizierende und – damit eng verbunden – klassifizierende Dynamiken und Praktiken ineinandergreifender Arbeits-, Gender- und Migrationsregime, die darüber hinaus von entsprechenden Re-

20 Zur Unterscheidung zwischen Mittel und Ziel der Selbständigkeit, s. Kontos 2008b: 56.

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präsentationsregimen gefestigt werden. Die postfordistische Arbeits(re)organisation ist wie andere Wirtschaftsmodi zuvor in historische wie geographische Verflechtungen eingebunden, in denen über Differenzachsen Verortungen, Zuweisungen und Zuschreibungen der Arbeitenden vorgenommen werden und Arbeit entsprechend konzipiert und konnotiert wird. Allerdings, so wurde gezeigt, werden diesbezüglich abhängige Arbeitsverhältnisse von Migrant/innen sowie migrantische Unternehmerschaft unterschiedlich konnotiert, obwohl beide über die ihnen zugrundeliegenden Schließungspraktiken auf dem Arbeitsmarkt eng miteinander verbunden sind. Während abhängige Arbeit aufgrund der Verortung in reproduktiven, kulturell mindergewerteten Arbeitsbereichen und außerhalb des ‚Normalarbeitsverhältnisses‘ als feminin kodiert sind (und auch hierarchisierte Beziehungen zwischen verAnderten Frauen und Frauen der Mehrheitsgesellschaft mit sich führen), wird die migrantische Selbständigkeit – auch wenn ebenfalls außerhalb des ‚Normalarbeitsverhältnisses’ – trotzdem erst einmal männlich konnotiert. Beiden Arbeitsformen unterliegt die Figur des ‚flexiblen Arbeitenden‘ (in Anlehnung an Sennett 1998). Bei der einen aber wird sie als Unterwerfung unter die Verhältnisse, bei der anderen als (heroisches) Ausbrechen aus diesen gezeichnet. Dabei sind beide Formen letztlich Reaktionen auf Ausschließungspraktiken auf dem Arbeitsmarkt. Während Migrantinnen bei ersteren einer dreifachen Vergesellschaftung als Frau (Familie, Beruf, kulturelle Zuweisung) bzw. einer ethnisierten Feminisierung unterliegen, werden unternehmerisch selbständige Migrantinnen dreifach als ‚untypisch‘ weiblich gezeichnet: als untypisch für den Beruf, als untypische Frauen allgemein und vor allem als untypisch weiblich im Sinne „ihrer kulturellen Tradition“. Was in beiden Forschungsfeldern, der abhängigen Dienstleistungsarbeit von Migrantinnen sowie der gewerblichen Selbständigkeit von Migrantinnen, bisher jedoch nicht untersucht wurde, ist ein Zusammenfallen beider Bereiche: der körperlichen, scheinbar ‚einfachen‘ weil formal nicht als Ausbildungsberuf anerkannten Tätigkeiten, die im feminisierten Bereich der körperintensiven Arbeit verortet sind, mit der unabhängigen, risikobehafteten und eigentlich maskulin konnotierten Unternehmerschaft, so wie es im vorliegenden Beispiel der Waxing Studios der Fall ist. Genau dieser spezifische Fall wird in den folgenden Kapiteln eingehend untersucht. Einerseits sollen Wirkmächtigkeiten der hier beleuchteten Regime auf der Ebene von konkreten Personen aufgezeigt werden. Das sind in diesem Fall seit mehreren Jahren in Deutschland lebende brasilianische Migrantinnen. Auch werden deren Erfahrungen und verkörpertes Handeln in ihren konkreten Ausprägungen und Abweichungen aufgezeigt. Andererseits sollen Handlungsermächtigungen und Gestaltbarkeiten in den konkreten Arbeitskontexten vor dem Hintergrund biographischer Trajektorien, von Erfahrungswissen und Positionierungspraktiken auf Grundlage der oben skizzierten erweiterten Konzeption von Arbeit sichtbar gemacht und nachvollzogen werden. Hierfür stelle ich zunächst mein methodisches Vorgehen und die methodologische Einbettung der Forschung vor.

3 Ethnographie in/über Waxing Studios: Methodisches Vorgehen und methodologische Einbettung

Mein Interesse für Waxing-Studioleiterinnen resultierte aus einer bereits längeren Beschäftigung mit der brasilianischen Migration in Deutschland. Die anfängliche Fokussierung meiner Forschung wurde von der Kuriosität über den sichtbaren Anstieg der gewerblichen Selbständigkeit unter brasilianischen Migrantinnen getragen. Entsprechend richtete sich mein Erkenntnisinteresse zu Beginn darauf, die ganz plötzlich einsetzende Herausbildung einer migrantischen Unternehmerschaft unter diesen Frauen zu verstehen – vor allem in Hinblick auf die geschlechtliche Dimension, die bis dato in Untersuchungen zu Migrantenökonomien weitestgehend ausgeblendet wurde. Doch die empirischen Erhebungen der ersten Monate meiner Feldforschung ließen bald erkennen, dass ich dieses Phänomen nicht ausreichend verstehen würde, würde ich nicht die Spezifizität von intimer, körperintensiver Dienstleistungsarbeit, Arbeitserfahrung und Körperwissen sowie die Besonderheit von Waxing selbst in die Betrachtung einbeziehen. So war das methodische Vorgehen von Anfang an von der Herausforderung gekennzeichnet, nicht nur mit vielbeschäftigten Unternehmerinnen zu arbeiten, sondern mit Unternehmerinnen, die zugleich im Bereich intimer Arbeit tätig waren. Die methodische Umsetzung der Forschung musste an diesen sensiblen Umstand entsprechend angepasst werden. Diese Herausforderung führte zu einer intensiven Reflektion über das abgesteckte Forschungsfeld und die Forschungsbedingungen (die Berliner Waxing Studios als Ort intimer Arbeit und migrantischer Unternehmerschaft) sowie über die Anwendung ethnographischer Forschungsmethoden in einer transnational verorteten Forschung ‚vor der eigenen Haustür‘ (nicht beobachtbare Arbeitserfahrungen und Körperwissen der Studioleiterinnen/Depiladoras in ihren translokalen und transkulturellen Einbettungen), die ich in diese Kapitel wiedergeben möchte. Im Folgenden setze ich mich daher mit den Besonderheiten des ethnographischen Feldes, der angewandten methodischen Zugänge wie Teilnehmende Beobachtung und

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Erzählhandlungen, sowie mit der zeitlichen Organisation und körperlichen Dimension der Forschung auseinander. Anschließend gehe ich auf die wichtigste Form der Datenerhebung, die unterschiedlichen qualitativen Interviews, näher ein und diskutiere sie bezüglich ihrer methodologischen Einbettung und in Bezug auf Ansätze einer feministischen Ethnographie. Dem möchte ich zunächst allgemeine Angaben zur Feldforschung voranstellen.

3.1 Z UR U MSETZUNG

DER

F ORSCHUNG

3.1.1 Vorgehen Im Mittelpunkt dieser Arbeit standen Brasilianerinnen, die ein Waxing Studio leiten. Über die Werbeeinträge im Internet und Werbeflyer sowie persönliche Kommunikationen erarbeitete ich mir zunächst einen Überblick über die Studios in Berlin und besuchte sie anschließend. Die Forschung begann ich im Oktober 2009, wobei der Schwerpunkt der Interviewführung in den Jahren 2010 bis 2012 lag. Während dieses Zeitraumes begleitete ich insgesamt 15 Studioleiterinnen in unterschiedlicher Intensität. Die Arbeit umfasste neben narrativen, semi-strukturierten Interviews und offenen, teils informellen Gesprächen auch ausgewählte Formen der Teilnehmenden Beobachtung. Diese fand in den Studios und in einigen wenigen Fällen auch außerhalb dieser statt. Ich führte mit den meisten Gesprächspartnerinnen mehrere Interviews, die unterschiedliche Inhalte fokussierten. Länge und Intensität variierten stark von Interviewpartnerin zu Interviewpartnerin.1 Die Befragungen fanden stets in einem Zeitabstand von mehreren Monaten statt, auch um Entwicklungen über längere Zeiträume zu dokumentieren.2

1

Einzelne thematische oder biographische Interviews variierten zwischen 20 Minuten und zwei Stunden. Auch waren nicht alle Frauen im Anschluss an das erste Interview dazu bereit, einen weiteren Termin zu vereinbaren. Daher konzentriert sich die Studie auf diejenigen Frauen, die ich über einen längeren Zeitraum begleiten durfte. Die Ergebnisse der anderen Interviews wurden vergleichend in die Analyse einbezogen.

2

Diese Befragungen umfassten Interviews zum eigenen Studio (bestehend aus einem offenen Teil und einem semi-strukturierten Teil), zu Arbeits- und Migrationsbiographien (narrativ), zur unternehmerischen Selbständigkeit (semistrukturiert) sowie zu Körperpflege und Schönheit (offener und semistrukturierter Teil; Kapitel 3.3). Trotz dieser übergeordneten thematischen Fokussierung der Interviews wurden die Themen in der Interviewpraxis nicht voneinander losgelöst, sondern es wurde vergleichend auf die anderen Themen Bezug genommen. Die einzelnen Interviewformen sowie die Spezifik der angewandten Teilnehmenden Beobachtung diskutiere ich in den nachfolgenden Unterkapiteln.

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Weiterhin sprach ich mit fünf als Depiladora tätige Angestellte (davon zwei Brasilianerinnen,3 eine Polin, eine Deutsch-Türkin sowie eine Deutsche), um eine unterschiedliche Sichtweise auf die Arbeit als Depiladora zu erfassen, die nicht der Perspektive einer Studioleiterin entspricht. Ich erhoffte so mögliche Unterschiede in Bezug auf kulturelle/kulturalisierte Zuschreibungen der performten Körperarbeit auszumachen, etwa im Falle der nicht aus Brasilien kommenden Depiladoras. Jedoch erwies sich die Gewinnung von Angestellten für Interviews in einigen Fällen als schwierig: Einige Studioleiterinnen verstanden nicht, warum ich auch Angestellte befragen wollte, wenn es in meinem Forschungsinteresse allein um die Sichtweise von Studioleiterinnen gehen sollte. In zwei Fällen stand indirekt die Vertrauensfrage im Raum, was ich mit einer solchen Befragung der Angestellten bezwecken wolle.4 Bis auf einen Fall waren es stets die Studioleiterinnen, die auf meinem Wunsch hin Kontakt zu den einzelnen Angestellten herstellten. Um zwischen den als ‚brasilianisch‘ markierten und kulturell/ethnisch nicht markierten Studios vergleichen zu können, führte ich ausgewählte Interviews mit zwei deutschen Studioleiterinnen und zwei Studioleitern (einem Deutschen und einem Deutsch-Türken) von kulturell unmarkierten Waxing Studios sowie mit zwei türkisch-deutschen Leiterinnen türkisch markierter Kosmetiksalons. Diese Fallbeispiele dienen dem Einblick in Unterschiede und Parallelen in der auf Haarentfernung ausgerichteten Kosmetiklandschaft Berlins. Sie sollen primär zu einer besseren Interpretation meiner Daten zu brasilianischen Waxing Studios beitragen. Aufgrund des kleinen Sample kann auf ihrer Basis aber nicht generalisiert werden. Aus diesem Grund wird in der Arbeit nur an ausgewählten Stellen vergleichend argumentiert. Des Weiteren interviewte ich drei Brasilianerinnen und zwei Brasilianer, die ein anderes eigenes Gewerbe (ein Tanzstudio, ein Café, zwei Restaurants und eine Bücherei) betreiben. Diese Gewerbe sind bis auf eine Ausnahme (das Café) als ‚brasilianisch‘ markiert. Mit Waxing-Kundinnen führte ich in erster Linie informelle bzw. offene Gespräche, von denen zehn in einem Gedächtnisprotokoll festgehalten sind. Die meisten dieser Frauen sind Deutsche, zudem sprach ich mit einer Brasilianerin, einer Deutsch-Türkin, einer Argentinierin, einer Italienerin und einer Polin. Die Zusam-

3 4

Zur nationalen Markierung siehe die Anmerkungen zur Textgestaltung in der Einleitung. Diese Vertrauensfrage bezog sich meines Erachtens darauf, ob ich mit der Befragung der Angestellten eine Art Validitätsabgleich der mir gegenüber geäußerten Angaben der Studioleiterin bezwecken wollte. Ich vermute auch, dass dies auf Dienstverhältnisse zwischen Angestellten und Chefin, vielleicht sogar auf formelle/informelle Arbeitsvereinbarungen zurückzuführen ist, wie es mir in einem Interview angedeutet wurde. Da ich dem aus ethischen Gründen nicht weiter nachgegangen bin, wären weitere Ausführungen spekulativ.

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mensetzung der nationalen Zugehörigkeit ergab sich zufällig und stand in keiner Weise im Verhältnis zu der Zusammensetzung nationaler Zugehörigkeiten der Kundinnen allgemein. Männliche Kunden, obwohl ihre Zahl in den letzten Jahren beständig anwächst, wurden nicht befragt.5 Zusätzlich wertete ich 17 webbasierte Kund/innenforen auf Qype/Yelp aus. Zu diesem Vorgehen entschied ich mich im Laufe der Forschung, da die Studios den Großteil ihrer Kundschaft über das „Hören-Sagen“ gewinnen. Zu diesem „Hören-Sagen“, so ergaben Kundinnengespräche, zählten neben persönlichen Mitteilungen und Empfehlungen das Konsultieren diverser Online-Foren. In Kapitel 6 werde ich auf diese virtuelle Form der Werbung und Kund/innenkritik gesondert eingehen, da auch die Studioleiterinnen mehr und mehr Zeit in eine Interaktion in diesen Foren investieren. Die Informationen in den Foren erweiterten und ergänzten meine Ergebnisse aus den geführten Kundinnengesprächen und aus Interviews mit Studioleiterinnen/Depiladoras. Die Feldforschung ist darüber hinaus eingebettet in eine längere Beschäftigung mit der Situation brasilianischer Migrant/innen in Berlin. Einige der Frauen hatte ich bereits im Rahmen meiner Forschung zu Identitätskonstruktionen und Zugehörigkeitsaushandlungen brasilianischer Frauen in Berlin kennengelernt (vgl. Lidola 2011, 2012). Mit ihnen pflegte ich seit 2006 teils persönliche Kontakte und Freundschaften, teils begleitete ich auch ihre politischen, sozialen und kulturellen Aktivitäten. Dieser Zugang gestattete mir oftmals die Herstellung eines mit den Interviewpartnerinnen geteilten Referenzrahmens. Zu diesen gehört das Kennen bestimmter brasilianisch-deutscher Institutionen, die Wahrnehmung von aktuell diskutierten Problemen unter brasilianischen Migrant/innen sowie die Bekanntschaft mit ausgewählten Personen und Persönlichkeiten der ‚brasilianischen Szene‘ in Berlin. Aber auch Kenntnisse über das tagespolitische Geschehen in Brasilien sowie über dortige Institutionen und Einrichtungen, die in den Lebensgeschichten und Arbeitsbiographien der Frauen früher eine Rolle spielten, zählen hierzu. Ebenso war es mir möglich, Aussagen über Zuschreibungspraktiken und Zugehörigkeitsaushandlungen mit anderen, vor allem unter Frauen der ‚brasilianischen Szene‘ in Berlin diskutierten Problemen und Sorgen zu vergleichen und sie in den breiteren Kontext einer Feminisierung der brasilianischen Migration einzuordnen. Vergleichend erweitert wurde dieser Einblick durch Interviews mit lateinamerikanischen Aktivistinnen, die in Selbstorganisierten Migrant/innenorganisationen tätig sind.

5

Dies ergab sich zunächst über die Feldforschung selbst, bei der ich während meiner Aufenthalte kaum männliche Kunden im Warteraum antraf. Während sich in Online-Foren jedoch immer mehr von ihnen an den Diskussionen und Bewertungen beteiligen, hatte ich für die wenigen von mir motivierten Gespräche nur unbefriedigenden Informationsrücklauf, weshalb ich mich entschied, mich auf weibliche Kundinnen zu konzentrieren.

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Ferner führte ich einen Monat lang (März 2012) eine kurze Vergleichsstudie zu Kosmetiksalons und Waxing in Brasilien durch. In Belo Horizonte, Campinas, São Paulo und Rio de Janeiro (sowohl in unteren wie oberen Mittelklassevierteln) interviewte ich insgesamt acht Studioleiterinnen sowie drei Angestellte (davon einen männlichen). In drei Studios führte ich länger Teilnehmende Beobachtung und diverse Kundinnengespräche durch. Diese Vergleichsstudie half mir, Konzeptionen zu Arbeit, Schönheit und Körperpflege in ihrer transkulturellen Dimension besser zu verstehen. Auch der Arbeitsort Kosmetiksalon wurde für mich vor dem Hintergrund von Klassen-, Gender-, und ‚Rasse‘-Regimen Brasiliens in ausgewählten Sozialisierungskontexten der Berliner Interviewpartnerinnen besser begreifbar. Der Besuch einer Kleinunternehmer/innenmesse in Belo Horizonte (20.-24.03.2012),6 bei der das Schönheitsgewerbe und die Unternehmerschaft von Frauen im Vordergrund standen, ermöglichte mir weitere informelle Gespräche sowie zwei Interviews mit Ausbilderinnen (einmal im Bereich Unternehmerschaft im Schönheitsgewerbe des SEBRAE7 und desweiteren im berufspraktisch angesiedelten Bereich „Körper und Gesundheit“ des SENAC,8 zu dem auch Waxing gehört). Der Austausch mit Forscherinnen der Fundação Carlos Chagas/São Paulo9 ergänzte meine Erhebungen zur Unternehmerschaft von Frauen und zur informellen Arbeit im Kosmetiksektor in Brasilien. Zudem ergaben sich einzelne Gespräche mit in Brasilien lebenden Verwandten einiger der Berliner Studioleiterinnen. Allerdings entschied ich mich, die in Brasilien gewonnenen Ergebnisse nicht in einem gesonderten Kapitel dieser Arbeit aufzuführen. Vielmehr informierten sie die

6

Die Feira do Empreendedor (dt.: Messe des Unternehmers) wurde von SEBRAE Minas ausgerichtet.

7

SEBRAE (Serviço Brasileiro de Apoio às Micro e Pequenas Empresas, dt.: Brasilianische Agentur zur Unterstützung von Kleinst- und Kleinunternehmen) ist eine von neun weiteren in der brasilianischen Konstitution verankerten und mittlerweile privatisierten Einrichtungen der beruflichen Ausbildung, Vernetzung und allgemeinen Interessenvertretung („Sistema S“). Das SEBRAE richtet sich an Klein- und Kleinstunternehmer/innen.

8

SENAC (Serviço Nacional de Aprendizagem Comercial, dt.: Nationale Agentur der Ausbildung im Handel) ist wie das SEBRAE eine private brasilianische Institution des öffentlichen Rechts und konzentriert sich auf die Ausbildung im Handel, Dienstleistungs- und Tourismusbereich. Sie wird von brasilianischen Dienstleistungsunternehmen finanziert und ist die wichtigste Institution für die Ausbildung in diesem Bereich.

9

Fundação Carlos Chagas ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich der Erstellung und Evaluierung von Einstellungstests, öffentlichen Ausschreibungen und der Erforschung von Bildungszugang, Ausbildungssystem und damit verbundenen sozialen Ungleichheiten widmet. Es beherbergt die Banco de Dados Sobre o Trabalho das Mulheres (dt.: Datenbank über die Arbeit der Frauen).

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in Berlin stattgefundenen darauffolgenden Interviews und Gespräche: Über meine transnationalen Vergleiche wurde der oben angesprochene gemeinsam geteilte Referenzrahmen mit den Interviewpartnerinnen ausgeweitet. Die inhaltliche Auseinandersetzung gewann im Gespräch darüber eine weitere Tiefe. In entsprechenden Momenten nehme ich in den einzelnen Kapiteln Bezug auf diese Daten. Im Folgenden werde ich die methodische Umsetzung eingehender vorstellen und diese an damit verbundene methodologische Überlegungen binden. 3.1.2 Feld und Zeit: Situierung der Forschung ‚vor der eigenen Haustür‘ „Samstag, 14.05.2011, Berlin-Charlottenburg. Ich betrete das Studio Wax and More um 10:45 Uhr, wie stets absichtlich 15 Minuten vor dem verabredeten Termin. Die junge Frau am Tresen begrüßt mich und fragt auf Englisch mit brasilianischem Akzent, um wie viel Uhr ich den Termin hätte und „was“ ich „machen lassen“ möchte. Ich bin etwas perplex und stelle richtig, dass ich wegen des vereinbarten Interviewtermins gekommen bin, ob sie sich nicht daran erinnere. Ich hatte zu Beginn der Woche persönlich vor Ort angefragt und einen Termin vereinbart. Dieses Vorgehen hatte ich mir angewöhnt, nachdem sich das Telefonieren mit bis dahin unbekannten Studioinhaberinnen wiederholt als unergiebig erwies, da sie ein Interview ablehnten. Im direkten Gegenüber fiel es hingegen den meisten schwer, meine Anfrage abzuschlagen. Auch gab mir das persönliche Vorsprechen die Möglichkeit, mein Anliegen kurz vorzutragen und einen kleinen Handzettel zu hinterlegen, auf dem die wichtigsten Aspekte meiner Forschung auf deutsch und portugiesisch zusammengefasst sowie meine Kontaktdaten aufgeführt waren. Ich glaubte, mit diesem Vorgehen etwas mehr Transparenz nicht nur in Bezug auf mein Forschungsanliegen, sondern in erster Linie auf meine Person sowohl für die Angefragten als auch für einige Ehemänner herzustellen: Hintergrund der Vorbehalte ist das verstärkte Medieninteresse für Waxing und die wachsende deutsche Konkurrenz auf dem Gebiet. Ich erhoffte mir eine größere Bereitschaft zur Teilnahme an meiner Forschung, indem ich möglichst schnell klarstellte, dass ich weder ‚spionieren‘ wolle (z. B. als Journalistin – eine Vermutung, die oftmals nicht nur am Telefon, sondern bisweilen sogar vor Ort, geäußert wurde –, oder als potentielle Konkurrentin. Letzteres wurde mir bei meinem persönlichen Vorsprechen nicht mehr unterstellt). Meist war es von Vorteil, mich mit der Visitenkarte der Universität als ‚Kultur‘-Forscherin zu positionieren. Erst dann bewerteten die meisten mein Anliegen als neutral für ihre Geschäfte. Zudem weckte es bei einigen von ihnen das Interesse, über ihre ganz eigene „Geschichte mit dem Wachs“ zu sprechen. An diesem Samstag habe ich jedoch weniger Erfolg. Nach einem gemurmelten „Ai, esquecí“ [dt.: Oh, das habe ich vergessen], entschuldigt sich die Rezeptionistin kurz auf Englisch und verschwindet hinter einem der Vorhänge, die die kleinen Kabinen voneinander teilen und von wo das mir nun wohlbekannte Knirschen und Ratschen des Waxings zu hören ist. Kein gutes

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Zeichen für mich. Die Empfangsdame erklärt ihrer Chefin im Flüsterton auf Portugiesisch – für mich jedoch hörbar –, dass „dieses Mädchen wegen des Interviews“ da ist und fragt, was sie mir nun sagen solle. -„Wie viele Behandlungen stehen bis Mittag noch an?“ -„Noch zwei Mal Intim und einmal Beine komplett, die Elf-Uhr-Kundin ist sogar schon da und wartet.“ Dann vernehme ich ein „einen kleinen Moment bitte, ja?“. Kurz darauf tritt die Leiterin des Studios, Ana Paula, mit verklebten Gummihandschuhen und über die Stirn gezogenem Mundschutz heraus. Ihr Auftreten nimmt die folgenden Worte beinahe vorweg. Auf Deutsch entschuldigt sie sich bei mir, aber wie ich sehe, sei sie gerade sehr beschäftigt und würde es heute nicht mehr schaffen. „Kein Problem, wir können gern einen anderen Termin ausmachen“, entgegne ich ihr. Darauf antwortet sie, dass das gerade schwierig sei, im Moment könne sie sich nicht auf einen Interviewtermin festlegen, weil sie das kleine Café gleich um die Ecke gerade auch noch eröffne, und es wäre zudem langsam Hochsaison für das WaxingGeschäft. Ich solle im November wiederkommen. Es täte ihr unendlich leid. Ich drücke ihr mein Verständnis dafür aus und verbleibe mit ihr für ‚irgendwann im November‘. Dann verschwindet sie wieder in der Kabine und ich verlasse das Studio, setze mich in ein nahegelegenes Café und überlege: Das nächste Interview ist für 14 Uhr ein paar Straßenecken von hier vereinbart. Ich greife nach meinem Feldtagebuch und schreibe diese Zeilen. Es bleiben mir nun über drei Stunden, die ich gleich nutzen werde, in zwei weiteren Studios im angrenzenden Steglitz vorzusprechen. Auch habe ich von einem neuen Studio in Spandau gehört, dass ich mir kurz ansehen werde.“ (Tagebuchaufzeichnungen vom 14.05.2011)

Episoden wie diese erlebte ich während meiner Forschung mehrfach. Zunächst machte ich mir daher Sorgen über die Durchführbarkeit meines Forschungsanliegens und reflektierte und überprüfte intensiv mein eigenes Auftreten in den oftmals nur zwei bis drei entscheidenden Minuten des Vorstellungsgesprächs. Die Erfahrungen mit abgesagten Interviewterminen, Entschuldigungen, längerem Warten und spontanem Umdisponieren wurden jedoch ebenso wie die ‚eigentliche‘ Datenerhebung in den Studios und die geführten Gespräche zum inhärenten Teil meiner Forschung. Sie beugten dabei der Etablierung eines „Feldforschungsalltages“ erfolgreich vor. Aufgrund dessen waren meine Tagesabläufe fragmentiert. Oftmals verfolgte ich früh, vor oder unmittelbar nach Studioöffnung einen Interviewtermin, fuhr anschließend von einem Stadtteil zum nächsten, um neue Kontakte zu suchen oder Termine auszumachen, wartete, schrieb und las, wartete wieder. In dieser Zeit hoffte ich, dass der Interviewtermin am Abend zustande kommen würde und dass die Interviewpartnerinnen nicht wegen Erschöpfung oder eines kurzfristigen Termins absagen würden. Um den familiären Verpflichtungen und den Arbeitsanforderungen in den Studios gerecht zu werden, waren ihre Tagesabläufe von Montag bis Samstag oftmals dermaßen getaktet, dass ihnen kaum Freizeit blieb. Daher konnten sie Interviewtermine häufig nur vor oder nach Öffnung des Studios oder in die ruhigeren Stunden des Vormittags legen. Die Einbettung der Akteurinnen in ihren Arbeitsalltag (und nach Feierabend in ihr Familienleben) – die mit ihrer mehrfachen

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Positionierung als Unternehmerinnen, Arbeiterinnen, Ehefrauen und Mütter zusammenhängt – strukturierte so die Unregelmäßigkeit meiner Feldarbeit. Neben der Zeit zwangen mich auch Ort und Intimität des Forschungsgegenstandes, mit den Studioleiterinnen beständig über ihre Teilnahme an diesem Forschungsvorhaben zu verhandeln. Die Studioleiterinnen priorisierten ihre Arbeit mit den Kundinnen und erlaubten meine Anwesenheit nur dann, wenn sie sich einer wohlwollenden Haltung der Kundinnen mir gegenüber sicher sein konnten. Davon hing ab, ob ich mich überhaupt länger in den Studios aufhalten konnte.10 Rückblickend würde ich die Feldforschung dennoch nicht einer „anthropology by appointment“ zuordnen (Luhrmann 1996 zit. in Hannerz 2010: 77), wie ich unten weiter ausführen werde. Vielmehr sehe ich die spezifische Ausprägung meiner Feldarbeit als charakteristisch für eine Sozial- und Kulturanthropologie in Zeiten einer „modernity at large“ (Appadurai 1996), in der Anthropolog/innen anerkennen müssen, dass Zeit nicht nur für sie selbst ein kostbares Gut ist. Virginia Caputo bemerkte diesbezüglich, dass „the ethnographer is not the only one caught in the move to constantly negotiate this shifting ground. The people with whom we are working in these urban environments are involved in complex movements of their own” (Caputo 2000: 28). Das Verschieben vieler Interviewtermine – von „jetzt“ auf „leider doch erst nach Feierabend“ auf „in zwei oder drei Monaten“, „im November“, „im Winter“, oder etwa auf „sobald ich meine Aushilfskraft angelernt habe“ – und die damit verbundenen Unterbrechungen beeinflussten so die Ethnographie selbst. Ich lernte die zeitliche und somit organisatorische Fragmentierung der Forschung als Teil einer Ethnographie ‚vor der eigenen Haustür‘, die zugleich Teil der Bedingungen einer urbanen Anthropologie sind (vgl. Caputo 2000; Amit 2000b) zu akzeptieren sowie die darin implizierten Vorteile zu nutzen. Der Erhebungszeitraum war im Vergleich zur Menge der erhobenen Daten verhältnismäßig lang (so fand mein erstes Inter-

10 In einigen Fällen kam es nach dem ersten Interview, in dem ich allgemeine Fragen über das Studio, Waxing, ihre Motivation zur gewerblichen Selbständigkeit und ihre Migration nach Deutschland stellte, zu keinem weiteren Interviewtermin, da entweder kein gemeinsames Zeitfenster gefunden wurde, mangelndes Interesse für einen engeren Austausch seitens der Frauen bestand oder die Frauen gar eine Unvereinbarkeit meiner Anwesenheit in den Studios sowie ihren weiteren (familiären wie unternehmerischen) Verpflichtungen sahen. Letztes war eng geknüpft an eine Anrufung als Journalistin und ein damit verbundenes Misstrauen gegenüber meiner Neugierde bzw. eine an mich herangetragene Erwartungshaltung eines unmittelbaren Nutzens für das Studio (etwa in Form von Werbung über eine gute Berichterstattung), obwohl ich wiederholt betonte, dass mein Anliegen ein anderes sei und es keinen unmittelbaren Nutzen gäbe oder zeitnahe Ergebnisse (etwa in Form eines Zeitungsartikels) vorliegen würden.

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view in einem Waxing Studio bereits im Jahr 2008 statt). Dies erlaubte mir aber einen regelmäßigen und umfassenderen Einblick sowohl in die Entwicklung und Etablierung der einzelnen Studios, in die sich mit der Zeit verändernden Positionierungen der Interviewteilnehmerinnen (die auch mit Veränderungen im sozialen Umfeld und familiären Rahmen zusammenhingen), ebenso wie in die sich verändernden Aushandlungen der Unternehmerinnen mit den Kund/innen. Die Unterbrechungen nutzte ich, um das bereits gewonnene Material zu bearbeiten, zu diskutieren und die Erkenntnisse, die ich aus diesem Material zog, sowie graduelle Neuausrichtungen meines Erkenntnisinteresses in die nachfolgenden Erhebungen mit einzubeziehen. Monate intensiver Feldarbeit wechselten so mit solchen ab, die eher durch sporadische Kontakte geprägt waren. Die Datenerhebung überlappte zudem mit der Datenauswertung und dem Formulieren erster Erkenntnisse. Im Ganzen entsprach meine Feldarbeit dadurch nicht den angeblichen Konventionen einer ‚klassischen‘ Feldforschung.11 Meiner Studie fehlt somit eine zeitliche Abgrenzung in exklusive Erhebungs-, Auswertungs- und Schreibphasen, was sie mit anderen Ethnographien ‚vor der eigenen Haustür‘ gemeinsam hat. Zudem möchte ich diese Forschung explizit Kriterien zuordnen, die in den letzten zwei Jahrzehnten im Rahmen kritischer (Denzin et al. 2008; Madison 2012), globaler (Ong/Collier 2005; Gupta/Ferguson 1992) sowie feministischer (Abu‐Lughod 1990) Ethnographie-Ansätze12 erarbeitet und eingefor-

11 Vered Amit zitiert kritisch diesbezüglich Judith Oakley mit den Worten: „When am I doing anthropological fieldwork? When I am ‚there‘ and doing nothing else“ (Amit 2000b: 5). Eine „klassische“ (Hannerz 2010) Feldforschung umfasste bis vor kurzem (und im Verständnis einiger teils noch immer), so fasst Amit Feldforschungshandbücher aus den 1990er Jahren zusammen: „travel away, preferably to a distant locale where the ethnographer will immerse him/herself in personal face-to-face relationships with a variety of natives over an extended period of time” (Amit 2000b: 2). Doch selbst bei hardlinern lässt sich eine solche ‚malinowskische‘ Abgrenzung in der Praxis, insbesondere im Zeitalter globaler Vernetzung und transnational operierender Kommunikationsmedien wie Email und (Internet-) Telefondienste, kaum durchhalten, wie Kritiker (Clifford 1992; Gupta/Ferguson 1992, 1997) zeigen. 12 Unter Ethnographie verstehe ich in Anlehnung an die feministische sowie post/dekoloniale Kritik (Mascia-Lees et al. 1989; Chilisa 2012) an der postmodernen writing cultureDebatte hierbei nicht allein den anthropologischen Schreibprozess bzw. das Ergebnis dieses Prozesses (wie etwa Spittler 2001: 2 konstatiert). „Kultur-Schreiben“ beginnt bereits im Feld, und besteht in der Art und Weise der anthropologischen Beobachtung (und Teilnahme), in der Fokussierung sowie in den Grenzen dieser Beobachtung, dem was wir schriftlich (oder audio-/visuell) dokumentieren, in den (schriftlich oder auditiv und/oder visuell festgehaltenen) Gesprächen und Interviews, die wir führen. Letztendlich erarbei-

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dert wurden. ‚Vor der eigenen Haustür‘ ist in diesem Fall nicht einfach mit einer ‚Verkürzung‘ meiner Reisewege gleichzusetzen – anstatt geographisch ‚weit weg‘ nun ‚nah dran‘. Es impliziert auch die Wahl meines Forschungsgegenstandes sowie den methodologischen Zugang und damit die Absteckung des ‚Feldes‘. Dies beinhaltet zunächst die Vorsicht vor einer bloßen geographischen Verschiebung von kulturalisierenden VerAnderungspraktiken, die sich oftmals in sogenannten „ethnic lens“-Ansätzen (Glick Schiller/Çağlar 2011) in Migrationsstudien ‚at home‘ wiederfinden. Viele ‚klassische‘ anthropologische Arbeiten folgten lange dem Ideal eines kulturell determinierten „Sedentarismus“ (Malkki 1992: 31), das heißt sie fassten direkt oder indirekt Kultur, Menschen und geographischen Raum/Ort als ineinander verschränkt auf.13 Im Zuge der Anerkennung regionaler und globaler Migrationen und anderer „flows“ (Appadurai 1996) wurde diese Perspektive zwar weitgehend aufgegeben. Dennoch lebte das ihr inhärente homogenisierte Kulturverständnis in Konzepten zu ‚Migrantenkulturen‘ bzw. ‚Migrantengemeinschaften‘ in nunmehr als multikulturell konzipierten Gesellschaften verstärkt wieder auf (kritisch hierzu Brah 1996; Bhabha 1994). Oftmals finden ‚sedentaristische‘ Denkmuster (nun gern auch in umgekehrter Form, also über nicht-benannte kulturdeterminierte geographische Zugehörigkeiten der ‚Aufnahme’-Gesellschaft, der der/die Forscher/in in der Regel angehört) ihre verräumlichte Zuweisung auch in urbanen Studien zu ‚Migrantenvierteln‘ (oder ‚multikulturellen Stadtteilen‘; siehe Heitmeyer et al. 1998 und kritisch dazu etwa Çağlar 2001). Kritische, postkolonialen und/oder feministischen Epistemologien verbundene Forscher/innen fordern jedoch eine Abkehr von kulturell homogenisierenden und oftmals essentialisierenden Sichtweisen auf Migrant/innengruppen sowie eine Sensibilisierung für strategische Kulturzuweisungspraktiken (Steyerl et al. 2003; Ha 2004; vgl. auch Bhabha 1994; Anthias 1998). Für meine Forschung bedeutete dies ein bewusstes Bemühen darum, nicht auch die in Kapitel 2 skizzierten Zerrbilder über Migrantinnen zu reproduzieren. Genau dieser Punkt stellte sich für mein Forschungsanliegen dennoch ambivalent dar, denn ich entschied mich bereits zu einem sehr frühen Moment der Entwicklung meines Forschungsdesigns, mich auf brasilianische Migrantinnen zu konzentrieren. Dies ergab sich wiederum über die Absteckung meines Forschungsfeldes – den Waxing Studios –, gerade weil die Präsenz von Brasilianerinnen hierbei so auffallend war und gerade weil ich die arbeitsalltäglichen Auseinandersetzungen

ten Anthropolog/innen ihr „Kultur-Schreiben“ über diese unterschiedlichen Formen von Aufzeichnungen. Ethnographie umfasst daher nicht nur die sich aus diesen Aufzeichnungen speisende Repräsentationspraktik, sondern beginnt bereits mit der Absteckung des Feldes und der Feldarbeit. 13 Liisa Malkki definiert diesen Sedentarismus als „deeply metaphysical and deeply moral, sinking ‚peoples‘ and ‚cultures‘ into ‚national soils‘“ (Malkki 1992:31).

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bei einigen von ihnen seit einigen Jahren in Deutschland verfolgte. Diese sind zwar in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit denen anderer Migrantinnen, so etwa anderer lateinamerikanischer Herkunft.14 Jedoch sind die Erfahrungen dieser Frauen im Arbeitsalltag in vielerlei Hinsicht abweichend: einerseits bezüglich der in ihren Migrationstrajektorien erfahrenen Zuweisungspraktiken durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft; andererseits weisen ihre eigenen Positionierungspraktiken als ‚brasilianisch‘ eine Spezifizität auf, die nicht zuletzt auch ihre Arbeit im Bereich des Waxing beeinflusst. Dessen bewusst habe ich die Konstruiertheit des Feldes15 über Permeabilitäten seiner Ränder zu unterstreichen gesucht. Ich bezog andere Kosmetikstudios mit und ohne ethnische/r bzw. kulturelle/r Markierung in die Forschung ein und betrachtete andere brasilianische Gewerbe. Zudem versuchte ich über Fallstudien in Brasilien die kulturelle Brille aufzubrechen und reflektierte von Außenstehenden (Medien, Kund/innen, Familienangehörigen) erfahrene Zuweisungsprak-

14 Die hier angesprochene Vergleichbarkeit leite ich einerseits aus der Lektüre der wenigen Studien zu lateinamerikanischen Migrantinnen allgemein in Deutschland ab (wie GrunerDomić 2005; Hernández 2000; Hernández 2007). Andererseits führte ich bereits 2005 eine kleinere eigene Fallstudie mit Frauen der Berliner Migrant/innenselbstorganisation (MSO) El Patio durch und interviewte in den vergangenen Jahren mehrere lateinamerikanische Aktivistinnen. Zu ihnen zählen Sonia Solarte, Leiterin der auf Frauen unterschiedlichster Herkunft ausgerichteten MSO S.U.S.I., und Dolly Conto Obregón der MSO Casa de las Culturas Latinoamericanas. Weiterhin führte ich eine Reihe informeller Gespräche während der Teilnahme in Workshops und Diskussionsrunden zu Alltagserfahrungen und -problemen lateinamerikanischer Migrantinnen in Berlin. 15 Im Zuge der postmodernen Krisen in der Sozial- und Kulturanthropologie standen seit den 1980er Jahren nicht nur ethnographische Repräsentationspraktiken, verkörpert in der Debatte um writing culture, (Clifford/Marcus 1986) in der Kritik. Die Kritik betraf auch die Feldforschung und damit die Definition des anthropologischen ‚Feldes‘ selbst (vgl. Berger 1993). Trotz des Alters dieser Debatte und den laut gewordenen Stimmen post/ dekolonialer Kritiker/innen bleibt diese Frage speziell für ‚Haustür-Anthropolog/innen‘ noch immer eine relevante (Caputo 2000; Amit 2000b) – auch wenn sie eigentlich generell in ethnographischen Arbeiten reflektiert werden müsste. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer Verschiebung hin zu multi-sited ethnographies: „The notion of immersion implies that the ‚field‘ which ethnographers enter exists as an independently bounded set of relationships and activities which is autonomous of the fieldwork through which it is discovered. Yet in a world of infinite interconnections and overlapping contexts, the ethnographic field cannot simply exist, awaiting discovery. It has to be laboriously constructed, prised apart from all the other possibilities for contextualization to which its constituent relationships and connections could also be referred“ (Amit 2000b: 6).

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tiken gesondert. Dadurch ließen sich die Spezifizität des Geschäftszweiges sowie die transnationalen Bezugnahmen und lokalen – vielleicht sogar Berliner – Dynamiken klarer herausarbeiteten. Die Konstruiertheit des Feldes soll auch deshalb herausgestellt werden, da sich viele der Studioleiterinnen wie Depiladoras untereinander zwar kennen oder zumindest Notiz voneinander nehmen. Trotzdem interagieren die wenigsten direkt miteinander, und oftmals sind keine Berührungen mit anderen Gewerbezweigen und Kosmetiksalons erkennbar. Darum lehne ich die Forschung an die Konzeption einer multi-sited ethnography ( Marcus 1995) an. Ich konzentrierte mich aber hierbei nicht im wortwörtlichen Sinne von George E. Marcus auf die Trajektorien von Menschen, Ideen, Dingen oder Metaphern. Das Feld konstituierte sich zwar über die Studioleiterinnen, auf denen der Fokus lag. Deren Trajektorien verfolgte ich jedoch nicht physisch nach, sondern diese wurden in Erzählhandlungen diskursiv hergestellt. Die multi-sitedness der Forschung stellte ich vielmehr über die unterschiedlichen Kontextualisierungen der Praktik selbst her, die nicht nur konkrete physische Orte (wie andere ethnisch markierte oder unmarkierte Studios in Berlin und Brasilien), sondern auch webbasierte Plattformen wie Kund/innenforen, Homepages der Studios, youtube-Videos oder Zeitschriften- und Fernsehbeiträge umfassten. Das Feld zeichnete sich dabei nicht nur über seine ungebundenen Lokalitäten und Diversität aus. Es war auch gekennzeichnet durch die vielfältigen transnationalen und transkulturellen Bezugnahmen und Abgrenzungen, die von den Akteurinnen aktiv wie indirekt hergestellt werden. Die Berliner Waxing Studios markierten dennoch die wichtigste Lokalität der Forschung und nahmen in ihrer Materialität, ähnlich wie die Komponente Zeit, einen strukturierenden Einfluss auf die ethnographische Arbeit. So führte ich den Großteil der Interviews in den Studios durch, denn vielen Frauen erlaubte dies mehr Flexibilität mit der Terminplanung: Sollte sich entgegen ihrer Erwartungen eine Kundin einfinden (bzw. wurde von einer der Angestellten Hilfe benötigt), so konnten sie notfalls das Interview abbrechen. Oftmals bildete das Studio bei einem Interviewtermin vor Studioöffnung oder nach Feierabend auch einen geschützten Raum: In der Regel konnten wir das Gespräch ungestört von Kundinnen, Ehepartnern oder anderen Anwesenden durchführen. Das führte in einigen Situationen dazu, dass Frauen sehr eindringlich über negative Erfahrungen in ihren Migrationsund/oder Arbeitstrajektorien erzählten, die verbunden waren mit Diskriminierungen, Sexismus oder Gewalterfahrungen. Bei anderen Interviews erlaubte die ungestörte Situation, über intime, oft unangenehme oder kuriose Details anonymer Kund/innen zu plaudern. Andererseits, so zeigte sich bei einigen verheirateten Studioleiterinnen, wählten einige das Studio als Interviewort, da sie so für ihre Familienangehörigen über einen Anruf auf das Festnetz des Studios lokalisierbar waren. In zwei Fällen sprachen die Frauen bei einem Anruf ihrer Ehepartner davon, dass sie „noch zu arbeiten“ hätten und daher später kommen würden. Diese beiden Si-

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tuationen, in denen die Frauen gegenüber ihren Männern das Gespräch mit mir ‚Behandlungstermin‘ nannten, verdeutlichten, welche Anstrengungen einige von ihnen unternahmen, um – trotz ihrer multiplen Einbindung als Unternehmerinnen, Arbeiterinnen, Ehefrauen und Mütter – meinen Interviewwunsch zu erfüllen. Doch so sehr die Studios eine ungestörte Atmosphäre bieten konnten, so sehr vermochten sie – sobald andere Personen anwesend waren – auch Interviewverläufe zu verändern oder gar zu beschneiden. So wurden einige semistrukturiert angelegte Interviews in offene Gespräche überführt, wenn sich etwa hinzugekommene Kundinnen oder auch Ehepartner unerwartet einbrachten. Ich erlebte aber auch, dass in einer solchen Situation Erzähldynamiken völlig zum Erliegen kamen und Antworten so knapp wie möglich gehalten wurden. Die Anwesenheit von Kund/innen oder Ehepartnern etwa konnte Druck auslösen, das Interview so bald wie möglich zu beenden. Einige Interviewpartnerinnen fühlten sich in der Beantwortung bestimmter Fragen nicht mehr wohl, weil sie in der vermeintlichen Hellhörigkeit des Studios befürchteten, unser Gespräch könnte belauscht werden. Die Möglichkeiten für Interviews wurden somit durch mehrere externe Umstände bestimmt: Einerseits prägte die arbeitsbedingte zeitlich getaktete Verfügbarkeit der Studioleiterinnen auch meine Arbeitszeit. Andererseits forderten die Studios – diese Orte der Intimität, Vertrautheit und Diskretion – in ihrer durchlässigen Beschaffenheit eine Anpassung der Interviewmöglichkeiten sowie eine Anpassung anderer Formen der Feldforschung, insbesondere der Teilnehmenden Beobachtung. Gerade diese musste an die Gegebenheiten der intimen Arbeit abgestimmt werden. 3.1.3 Teilnehmende Beobachtung zwischen Kabine und Warteraum „05.10.2010, Studio Wax and You, Berlin-Steglitz. ‚Nein, also so kann ich dich nun aber nicht gehen lassen! Schau doch einmal in den Spiegel! Das glaubt dir doch keiner, dass du über Brazilian Waxing forscht!‘ Augusta hatte ihre Androhung vor dem Interview wahr gemacht: Sie würde mich nicht mit einem in meinen Augen eigentlich kaum sichtbaren Damenbart ihr Studio verlassen lassen. Sie zog mich mit ihrer kleinen und doch kraftvollen Hand liebevoll aber bestimmt an meinem Unterarm vom Stuhl des Warteraums und führte mich in das Behandlungszimmer. Ihre Spontanität erfuhr ich an diesem Tag nun gleich zum zweiten Mal. Nachdem ich mich gut eine Stunde zuvor bei ihr vorgestellt und um einen Interviewtermin gebeten hatte, überraschte sie mich bereits mit ihrem sofortigen Einverständnis: Wir sollten das doch am besten gleich angehen, sie hätte gerade Zeit. Aber nur unter dieser einen Bedingung. Ich wurde etwas nervös, denn bis zu diesem Tag hatte ich bis auf Friseurbesuche noch nie eine Behandlung in irgendeinem Kosmetiksalon durchführen lassen. Und dann gleich etwas an meinem Gesicht machen lassen, noch dazu mit heißem Wachs? Und ganz plötzlich lag ich waagerecht vor ihr, sie über mein Gesicht ge-

90 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT beugt, mich kritisch musternd. Während sie kurz darauf in die Küche verschwand, um den Topf mit warmen Wachs zu holen, überlegte ich verunsichert, ob mir all die Jahre beim Blick in den Spiegel vielleicht doch etwas entgangen war: Wirkte ich etwa männlich? Hatten alle um mich herum meinen Damenbart genauso intensiv bemerkt wie Augusta und sich vielleicht daran gestört? Warum ist er mir nicht schon früher unangenehm aufgefallen? Diese Gedanken wurden rasch verdrängt nachdem Augusta begann, meine Oberlippenpartie mit einem Puder zu massieren und kurz darauf mit einem Spachtel das warme Wachs aufzutragen. Ich verkrampfte kurz in der Vorahnung des bevorstehenden Schmerzes, doch während sie auf mich einredete, mir von anderen Kundinnen erzählte und mir weiterhin das Gesicht massierte, begann ich mich langsam zu entspannen. Sie fragte mich aus, wie ich es mit meinen Beinen und Achseln normalerweise handhabte – in der Hoffnung, auf diese würde ich mehr Acht geben als auf meine Oberlippe. Und so sprachen wir plötzlich nicht mehr wie noch fünf Minuten zuvor über ihr Geschäft, über ihre Lebensgeschichte, über ihre Arbeit und über ihre Erfahrungen. Plötzlich ging es um meinen Körper, meine intimsten Körperpflegepraktiken und mein Aussehen. Ein komisches Gefühl, denn ich empfand mich nicht mehr als Forscherin, sondern als junges Mädchen, die ihre ganz privaten Körperdetails offenlegen sollte und eine Schulung über die ab nun zu befolgende angebrachte Körperpflege erhielt. Meine waagerechte Position mit der über mir gebeugten Augusta unterstützte dieses Gefühl. Ich war nicht diejenige, die im Wartezimmer horchte und die Fragen stellte. Ich war diejenige, die berührt, massiert und über Dinge ausgefragt wurde, über die ich bisher nicht einmal mit meinen besten Freundinnen gesprochen hatte.“ (Tagebuchaufzeichnungen vom 05.10.2010)

Diese Begebenheit spielte sich in den ersten Monaten meiner Feldforschung ab. Damals führte ich in erster Linie Interviews durch, die einen allgemeineren Überblick zu den einzelnen Studios geben sollten und in denen von der Geschäftsidee über die Umsetzung bis hin zur aktuellen Geschäftspraxis in teils offenen, teils von mir halb-strukturierten Gesprächen der Werdegang der Frauen hin zur Studioleiterin nachgezeichnet wurde. Mein Erkenntnisinteresse beschäftigte sich zu dieser Zeit mit Motivationen und Aushandlungen im Übergang von abhängiger Arbeit hin zur gewerblichen Selbständigkeit der Frauen. Waxing stellte sich mir bis dato als eine sich den Frauen bietende Möglichkeit dar, sich von oftmals unterbezahlten und/oder semi-/informellen Arbeitsverhältnissen zu lösen. Der Arbeitsgegenstand hätte meiner Ansicht nach auch jede andere beliebige Tätigkeit sein können, die sich mit einem brasilianischen Etikett zur verbesserten geschäftlichen Ausschöpfung ausstatten ließe. Ich untersuchte die Studios daher in erster Linie im Kontext einer Diskussion um ethnic business. Augustas Offensive, mich „nur einer ganz fixen“ Behandlung zu unterziehen, begleitet von den Worten über mein Aussehen – „Das glaubt dir doch keiner, dass du über Brazilian Waxing forscht!“ –, verdeutlichen mir zwei Dinge: Ich würde tatsächlich nur eine sehr limitierte Sicht auf die Tätigkeiten der Frauen herausarbeiten, würde ich mich nicht auch konkret mit der Spezifizität von Waxing und der dabei performten intimen, interaktiven Körperarbeit selbst beschäf-

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tigen. So führte dieses Erlebnis zu einer erweiterten Ausformulierung meines Erkenntnisinteresses und einer Sensibilisierung für ein subjektives, interaktives Verständnis von Arbeit, wie in Kapitel 2 ausgeführt. Andererseits wurde mir darüber auch meine eigene körperliche/verkörperte Präsenz in der Feldforschung deutlich, und wie diese meine Arbeit mitgestaltete. „Die körperliche Dimension von Feldforschung“, so schreibt Karin Klenke in ihrer Dissertation zu vergeschlechtlichten Schönheitspraktiken in Nord-Sumatra (Klenke 2011), „ist ein leider selten thematisierter Aspekt in der ethnologischen Forschung“. Dennoch ist, so Brigitta Hauser-Schäublin, Feldforschung doch „immer ‚verkörperte Forschung‘“ (Hauser-Schäublin 2002: 95). Feministische sowie indigene Anthropolog/innen bzw. Anthropolog/innen of colour (Abu‐Lughod 1991; Denzin et al. 2008) politisieren diesen Umstand seit den 1980 Jahren. Diskutiert wurden die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten einer verstehenden Forschungspraxis, und hierbei insbesondere über die Zugehörigkeitsregime von Geschlecht und ‚Rasse‘ (jedoch Ersteres lange Zeit nur selten in Bezug auf seine Intersektionalität mit Zweiteren). Kritische Anthropologinnen warnten jedoch auf Geschlecht bezugnehmend vor der Gefahr, sich zu einer binären Logik hinreißen zu lassen, die über die Pole männlich–weiblich definiert wird (Mascia-Lees et al. 1989).16 Eine solche binäre Opposition habe ihrer Meinung nach etwa der Feminismus in den 1980er Jahren bereits zugunsten einer Anerkennung pluraler Differenzen überwunden (ebd.: 22; siehe auch Strathern 1987). Darüber hinaus verdeutlichen Forscherinnen wie Oyèrónkésogar Oyěwùmí (1997), dass bereits diese Diskussion um einen be-

16 Hierzu gehörten Diskussionen der 1980er um die Möglichkeiten einer feministischen Ethnographie, bei denen Forschungen von Frauen mit/über Frauen zu Frauen-relevanten Themen diskutiert wurden (Stacey 1988; Strathern 1987; Mascia-Lees et al. 1989). Seit den 1990er Jahren gesellten sich Diskussionen um insider-otusider-Perspektiven und deren Möglichkeiten indigener Methodologien und Ethnographien hierzu (Denzin et al. 2008; Chilisa 2012). Bereits zu diesem Zeitpunkt angeregt durch die women-of-colourBewegungen, die sich von weißen, oftmals Mittelklasse-Feminismen nicht nur abgrenzten sondern dessen Blindheiten in Bezug auf andere Machtachsen wie ‚Rasse‘ und Sexualität herausforderten und darüber eine ‚globale Schwesternschaft‘ in Frage stellten (vgl. Mohanty 1984; Moraga/Anzaldúa 1983), thematisierten Autorinnen wie Lila Abu-Lughod die spezifischen Probleme und Unsichtbarmachungen von indigenen/bzw. nicht-weißen Akademikerinnen in der Anthropologie (Abu‐Lughod 1990, 1991; Behar/Gordon 1995). In all diesen Diskussionen standen die geteilten oder ungeteilten Positionierungen und Zugehörigkeiten von Forscher/innen und Forschungssubjekten in Bezug auf ihr Potential sowie ihre Limitationen für die Feldarbeit und Verfolgung des Erkenntnisinteresses im Vordergrund. Gerade in Bezug auf die Achsen Geschlecht und ‚Rasse‘ nahmen diese Diskussionen eindringlichen Bezug auf Verkörperungen der jeweiligen Akteur/innen.

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vorzugten oder negierten (anthropologischen) Wissenszugang, der erstens beinahe ausschließlich über eine bestimmte geschlechtliche Zugehörigkeit ermöglicht würde und zweitens die Möglichkeiten dieser Zugehörigkeit in einer universellen Binarität konzipiert wird, ein weiteres Indiz für den noch immer nicht überwundenen Okzidentalismus auch in der heutigen Sozial- und Kulturanthropologie sei.17 Auch wenn ich in Bezug auf ersteren Punkt überzeugt bin, dass mir in einem feminisierten Raum wie dem der Kosmetikstudios der Zugang zu den Akteurinnen, ihren Lebensgeschichten, Erzählungen, Interpretationen und Bewertungen gerade – vielleicht sogar nur – als verkörperte/einverleibte [embodied] Frau möglich war,18 so war ich für viele unter anderem wegen meines Weiß-Seins (dass sich in meinem Fall auch über meine deutsche, also nationale Zugehörigkeit konstituierte) nicht gleich Frau. Verkörperungen von Geschlecht bedeute in meinem Fall mehr als einer binären Geschlechterstruktur von männlich-weiblich zugeordnet zu werden und weisen über eine einfach Subjektposition hinaus. Gerade bei neuen Kontakten hatte ich oftmals das Gefühl, dass mein Anliegen skeptisch betrachtet wurde. Dies mag auch an meinem Alter (bis auf drei Interviewpartnerinnen, die etwa gleichaltrig waren, war ich in der Regel weit jünger) sowie an meiner körperlichen Erscheinung gelegen haben (so mein relativ legerer Kleidungsstil, die Art meine Haare zu tragen sowie meine oftmals als etwas salopp aber gleichzeitig sehr zurückhaltend eingeschätzte Körperlichkeit – alles zudem Faktoren, die mich selbst gegenüber gleichaltrigen Interviewpartnerinnen jünger erscheinen ließen). Mein körperliches Auftreten beeinflusste die Glaubwürdigkeit meines Interesses für die konkrete Arbeit im Kosmetikstudio, wie Augusta mir halb spaßend, halb im Ernst durch ihren Verweis auf meinen Damenbart zu verstehen gegeben hatte. So begann ich, mein eigenes Auftreten für Interviewtermine zu verändern: Ich kleidete mich formeller, band meine Haare mit einem Tuch, nahm eine anmutigere Körperhaltung an, begann meine Fingernägel kritisch auf angemessene Länge, Sauberkeit und Schnitt zu

17 Okzitentalismus hier verstanden, in Anlehnung an Fernando Coronil, als Eurozentrismus, der vermeintlich westliche Werte und Epistemologien als globale Norm zu etablieren sucht und hierbei andere Denk-, Wert- und sozio-kulturelle Muster abwertet (nach Coronil 1996). 18 Diesbezüglich stimme ich mit Autorinnen wie Abu-Lughod überein (1999), dass ein verkörpertes weibliches Geschlecht durchaus einen exklusiven Zugang in feminisierte Räume ermöglicht, der verkörperten Männern mitunter verwehrt werden kann. Allerdings meine ich auch, dass die geschlechtlichen Verkörperungen, um als solche gelesen werden zu können, entweder zu diesem Zwecke auch ganz explizit performativ hergestellt werden (Hauser-Schäublin 2002) oder ebenso abhängig sind von anderen intersektionalen Zugehörigkeiten und Kategorisierungen, wie etwa Sexualität oder ziviler Status oder gar Körperlichkeit selbst, und darüber ethnographische Wissenszugänge beeinflussen.

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überprüfen sowie meine bis dato „wild gewachsenen“ (so eine der Interviewpartnerinnen) Augenbrauen etwas in Form zu bringen. Andererseits brachten mir gerade diese Bemühungen Anerkennung durch die Frauen ein, die ich intensiver begleiten durfte. Wegen meiner unausgereiften, eher bubenhaft gewertete verkörperte Weiblichkeit (aufgrund der ich zu Beginn der Bekanntschaften auch immer wieder als ‚menina‘ [Mädchen] oder ‚Studentin‘ anstatt als ‚Forscherin‘ angerufen wurde) betrachteten mich einige der Frauen als Lehrling für angemessene Körperpflegepraktiken. Das ermöglichte mir einen vertieften Einblick in Reinheits- und Schönheitskonzeptionen in ihren komplexen transkulturellen, vergeschlechtlichten, sozialen und ethnisierten Dimensionen. Die zuweisende Anrufung als Schülerin in Bezug auf meinen eigenen Körper wurde mir gerade in jenen Momenten besonders körperlich bewusst, in denen ich wie in der oben beschrieben Begebenheit nicht mehr aufrecht den Frauen gegenübersaß, sondern waagerecht vor ihnen lag. Das Gefühl der Passivität, manifest in dieser körperlichen Position, dass sich mit einem Gefühl mischte, die Intimität der Situation kaum mehr kontrollieren zu können, werde ich später (Kapitel 6) eingehender aufgreifen. Doch noch etwas anderes stellte sich über diese verkörperte Subjektivität eines Lehrlings ein: Das Gefühl, nicht ganz ‚komplett‘ zu sein, ‚abzuweichen‘. Im Laufe der Zeit bemerkte ich, dass ich sensibel gegenüber Körpergerüchen, ungepflegten Händen und Füßen, sichtbarer Achsel- und Beinbehaarung wurde – Dinge, die mir vorher gerade bei anderen Menschen gar nicht oder zumindest kaum negativ aufgefallen waren. Die Aufmerksamkeit, die ich meiner eigenen körperlichen Erscheinung zu Beginn der Forschung bei anstehenden Interviewterminen gab, hatte sich mit der Zeit in meinen eigenen Alltag geschlichen. Zugleich überlagerte sich dieses Gefühl des ‚Abweichens‘, dem ich mit immer beständiger werdender Anstrengung einer Modellierung meines Körpers zu begegnen versuchte, mit einer veränderten Positionalität als Frau gegenüber den Interviewpartnerinnen.19 Diese ist jedoch nicht einzig auf meine veränderte Körperlichkeit zurückzuführen, sondern auch auf die zunehmende Intensität des Austausches, die sich im Laufe der Feldforschung durch die entstandene situative Vertrautheit ergab. Diese Ver-

19 Den Standpunkt von Hauser-Schäublin, dass der/die Forscher/in selbst führ ihre Feldarbeit gezielt eine performative Identität (im Sinne einer theatralischen Inszenierung) annimmt (Hauser-Schäublin 2002), würde ich in meinem Fall trotzdem nicht ganz zustimmen. Veränderungen, die zu bestimmten Momenten bewusst gewählt wurden, markierten keinen Bühnenauftritt, sondern sollten zunächst Glaubwürdigkeit in Bezug auf mein Anliegen unterstreichen. Die anfängliche performative Herstellung hielt sich zudem in Grenzen, wie auch die eigenen körperlichen/verkörperten Veränderungen mit Verlauf der Forschung eher als eine Aneignung zu verstehen sind, die mit dem intensiven Austausch auch auf Seiten der Forscherin mit sich gingen.

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trautheit, die sich mit einigen der Frauen mit der Zeit aufbaute, brach den von mir häufig empfundenen Eindruck einer „anthropology by appointment“ (Luhrmann 1996 zit. in. Hannerz 2010: 77). Dieser Eindruck war nicht nur durch die Terminlichkeit der Interviews entstanden, sondern vor allem durch die Schwierigkeit einer Teilnehmenden Beobachtung, die bis heute noch immer als das Herzstück der anthropologischen Feldarbeit verstanden wird (vgl. Spittler 2002; Berger 2009): Obwohl meine körperliche Präsenz die Bereitschaft für eine Teilnahme an der Forschung sowie die Interaktion mit den Interviewpartnerinnen beeinflusste, behinderte sie zugleich die Durchführung einer Teilnehmenden Beobachtung. Teilnehmend beobachten hieß für meinen Forschungskontext in erster Linie, mich selbst einer Behandlung zu unterziehen. Ich würde dies jedoch lieber als Beobachtende Teilnahme bezeichnen, denn Gespräche und Interaktion richteten sich innerhalb der Kabine ganz an meine Anrufung als ‚Lehrling‘ (oder, wie in zwei Fällen: als gute Bekannte). Darüber hinaus waren diese Behandlungen geprägt durch mein eigenes Unwohlsein. Zum einen war es mir unangenehm, mich ‚verhätscheln‘ zu lassen (was ich auf eine fehlende Vertrautheit damit zurückführe, meinen Körper von einer andere Person bearbeiten zu lassen). Dauerhaftere körperliche Berührungen waren für mich zuvor nur als Ausprägung höchster Intimität zulässig, die eng gebunden waren an eine affektive und emotionale Bindung zur berührenden Person. Hingegen stand der Grad der Intimität der Berührungen in den Kabinen zunächst im Gegensatz zu meinem Empfinden über eine angemessene Distanz zwischen Forscherin und Forschungssubjekt. Das galt gerade bei den Frauen, die ich im Rahmen der Forschung erst kennengelernt hatte. Diese Distanz bezog sich nicht nur auf die Ausprägung der Behandlung selbst. Denn nicht zuletzt bedeutete eine solche, für die ich in der Regel die Beinpartie wählte, meinen Unterkörper zu entblößen. Die Depiladora wiederum musste lästiges Körperhaar entfernen, also eine Körpersubstanz, die nicht nur in ihrem kulturellen Bedeutungsgeflecht als unrein(lich) angesehen wird und mit Ekel besetzt ist. Ein weiterer Grund für mein Unwohlsein waren die in der Behandlung implizierten Positionen: Letztendlich wurde diejenige, die eigentlich der Mittelpunkt der Forschung war und an deren Wissen ich interessierte war, zu einer Dienstleistende an meinem eigenen Körper. Die Verwobenheit von Körperpraktik bzw. Körperarbeit, Körperbild und Interaktion ließen keine Entkörperlichung meiner Feldforschung zu, sondern präsentierten sich mir in all ihren Ambivalenzen. Jedoch bestand mein Erkenntnisinteresse nicht in der technischen Umsetzung der Haarentfernung. Ich wollte diese vielmehr als neu etablierten Geschäftszweig mit seinen über die Praktik generierten Interaktionen und den damit zusammenhängenden bzw. aufeinandertreffenden Subjektivitäten untersuchen, die ich nicht generalisierend von meinen eigenen Erfahrungen ableiten konnte. Genau diese Interaktion zwischen Depiladora und Kundin war je-

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doch aufgrund der Art und Intimität der dabei performten Arbeit oft nicht teilnehmend beobachtbar. Dieser Umstand birgt ein methodisches Problem, das mit denen anderer Forscher/innen zu intimer Arbeit, wie zu Haus- oder Sexarbeit vergleichbar ist (Sanders 2006). Narrative Zugänge, wie ich sie im nächsten Unterkapitel beleuchte, bildeten eine mögliche Lösung.20 Eine weitere eröffnete sich mir durch die Beschaffenheit der meisten Studios: Deren Wartebereiche lagen in unmittelbarer Nähe zu den Kabinen, wobei die Kabinen teils über dünne Spanplatten oder über einfache Vorhänge voneinander und vom Wartebereich getrennt waren. Die Hellhörigkeit des Materials ermöglichte es, Gespräche in den Kabinen zu hören. Mein ‚teilnehmendes Zuhören‘ war jedoch begrenzt und ethisch nicht immer vertretbar. Es war in der Regel nur möglich, wenn die Studioleiterin/Depiladora und Kundin meinem Verweilen im Wartebereich zusagten, wobei ich dann wiederum hin und wieder in die Gespräche durch die Kabinenwand hindurch explizit mit eingebunden wurde. Das Verweilen wiederum war besonders in den kleinen Studios ein Problem, denn es störte die intime Atmosphäre. Viele Kundinnen suchten diese geradezu, weil sie nicht nur körperlicher Art ist, sondern auch eine emotionale darstellen kann. Die Studios waren daher kein Ort, in denen ich einfach in ethnographischer Gewohnheit „herumsitzen“ konnte. Das nahm ich als einen der wesentlichen Unterschiede zu meinen Fallstudien in Brasilien wahr, bei denen ich ungeniert ganze Tage in den Kosmetikstudios verbrachte, und ein Mal selbst in die Waxing-Kabine während einer Behandlung eingelassen wurde. Daher machte ich es mir zur Regel, bei meinen Berliner Interviewterminen generell verfrüht zu erscheinen, um so legitimiert einen Einblick und ein Hineinhören in die in den Studios stattfindenden Interaktionen zu erhaschen. Insbesondere die ‚mitgehörten‘ Gesprächsaufzeichnungen werden in dieser Arbeit aber nicht direkt wiedergegeben, unterliegen also einem „Nicht-Schreiben“ (Fabian 1991, 1990). Vielmehr wurden die festgehaltenen ‚Beobachtungen‘ in erster Linie als Referenzen und Fragen in den darauffolgenden Interviews und Gesprächen mit den Studioleiterinnen/Depiladoras und Kundinnen

20 Eine weitere Möglichkeit hätte in der Absolvierung eines Praktikums oder einer Ausbildung in einem der Studios bestanden, was mir von einer Studioleiterin zwar angeboten wurde, doch was aufgrund meiner eigenen beruflichen Einbindung nicht in dem zeitlichen Umfang möglich gewesen wäre, wie es von mir erwartet wurde. Desweiteren hätte ein solches Vorgehen ethische Fragen aufgeworfen, inwieweit ich potentiellen Kundinnen mein eigentliches Anliegen, nämlich eine anthropologische Forschung zu realisieren, Preis geben hätte können, und wenn ja, inwieweit dies von ihnen akzeptiert worden wäre – oder ob ich vielmehr dem Studio damit geschadet hätte, wenn es sich herumgesprochen hätte, dass dieses als Laboratorium für Anthropologinnen herhielte.

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eingebracht oder strukturierten diese gar. Umso größere Bedeutung gewannen die unterschiedlichen Interviews und Gespräche für die Forschung.

3.2 I NTERVIEWSITUATIONEN : E RZÄHLEN - ÜBER , S PRECHEN - MIT , N ACHFÜHLEN - VON UND DIE H ERAUSFORDERUNG HERMENEUTISCHER B ÜNDNISSE Der oben angesprochene Einfluss von Zeit und Ort auf die Interviewsituation sowie die auszuhandelnde Bereitschaft der Frauen, sich für mehr als ein Interview einzubringen, spiegeln sich in Gestalt und Inhalt der Interviews. Um mich an die jeweils gegebenen Bedingungen anzupassen, nutzte ich unterschiedliche Interviewstrategien. Diese wandelten sich je nach Intensität der Zusammenarbeit sowie mit der Veränderung meines Erkenntnisinteresses und Wissensstandes über die Zeit hinweg. Um einen größtmöglichen Überblick über die Studios sowie ein erstes Meinungsbild der Interviewpartnerinnen zu den einzelnen Teilbereichen der Forschung zu erhalten, führte ich zunächst explorative ‚Kennenlern‘-Interviews. Diese bestanden aus einem offenen Gesprächsabschnitt, in denen biographische Umstände erfragt wurden, die über Arbeitserfahrungen und Migrationstrajektorien bis hin zur Eröffnung des Studios und der Motivation für die Selbstständigkeit reichten. Dem folgte ein semi-strukturierter Abschnitt. Er beschäftigte sich mit Details zum Studio, wie Lokalität, Mitarbeiter/innen, Kund/innen, Geschäftspraktik, Werbung und Fragen zur Einbettung von Waxing in Körperpflegepraktiken und Schönheitskonzepte. Diese explorativen Interviews führte ich mit allen Studioleiterinnen. Die im Kapitel 4 und 5 eingehender vorgestellten Frauen waren hingegen diejenigen, mit denen ich mich zu allen folgend genannten Themenbereichen austauschte: Das zweite Interview war vorwiegend narrativer Art und setzte sich mit den ineinander verschränkten Arbeits- und Migrationsbiographien der Frauen auseinander. Anschließend wurde in einem semi-strukturierten Interview die unternehmerische Selbständigkeit diskutiert, wobei hier Vergleichsebenen zur unternehmerischen Selbständigkeit in Brasilien (insbesondere von Frauen), anderen brasilianischen und migrantischen Gewerben in Berlin sowie zu anderen Kosmetikstudios einbezogen wurden. Kulturelle und soziale Dimensionen von Körperpflegepraktiken und Schönheitskonzeptionen waren Teil eines weiteren Interviews, das aus einem offenen und einem semi-strukturierten Teil bestand. Die Praktik des Waxing selbst, damit verbundenes Arbeitswissen sowie die Herstellung und Vermittlung von Professionalität und Vertrauen an die Kund/innen über die Arbeitsperformanz der Depiladora erörterte ich in offenen Gesprächen mit den Frauen. Trotz dieser übergeordneten thematischen Fokussierung der Interviews löste ich die Themen in der Interviewpraxis nicht voneinander, sondern nahm vergleichend auf die anderen

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Themen Bezug. Im Folgenden stelle ich die methodologischen Implikationen sowie die methodische Umsetzung der gewählten Interviewstrategien vor. 3.2.1 Zur Positionalität biographischer Interviews: Erzählte Arbeits- und Migrationserfahrungen Die erste Interviewphase umfasste einerseits die Erfahrungen der Frauen in ihren Arbeits- und Migrationstrajektorien allgemein sowie darin erlebte Zuweisungen, anvisierte Positionierungstaktiken und angeeignetes Arbeitswissen. Andererseits thematisierte sie die unternehmerische Selbständigkeit in ihrer biographischen sowie sozialen Einbettung. Hierfür nutzte ich narrativ angelegte biographische Interviews. Die Entscheidung für diesen biographischen Zugang traf ich, weil ich soziale und bedeutungsgebende Praktiken, Interpretationen und Sichtweisen, die mit Arbeit und Arbeitskontexten der Frauen verbunden sind, in ihre erfahrungsgebundene Prozesshaftigkeit und Historizität einbetten wollte (Abu‐Lughod 1991). In Anlehnung an Gabriele Rosenthal konstituieren biographische Erzählungen nicht nur Erfahrungs- und Erlebniswelten der Subjekte. Sie sind und werden auch in soziale Kontexte eingebettet. Dadurch bieten sie die Möglichkeit, „die Wechselbeziehung zwischen Individuellem und Allgemeinem, zwischen Individuum und Gesellschaft aufspüren zu können“ (Rosenthal 2005: 50), also den „Zusammenhang zwischen individuellen lebensgeschichtlichen und kollektivgeschichtlichen Prozessen“ (ebd.: 46) nachzuvollziehen. Die Biographie bezeichnet hierbei nach Bettin Dausien „eine bestimmte Perspektive auf soziale Konstruktionsprozesse, und zwar eine, die von der reflexiven ‚Binnensicht‘ der Subjekte und ihren aufgeschichteten Erfahrungen – in je spezifischen gesellschaftlich historischen Kontexten – ausgeht“ (Dausien 2012: 162). Über den biographischen Zugang erhoffte ich mir daher auch, die Spezifik der lebensweltlichen Ausprägungen der wirkmächtigen Arbeits- und darin verflochtenen Migrations- und Genderregime herauszuarbeiten, wie sie von den Frauen reflektiert und interpretiert werden. Ziel meiner Forschung war es allerdings nicht, biographische Fälle zu rekonstruieren. Ich wollte mich vielmehr mit Hilfe von – durch meine Erzählaufforderungen thematisch gelenkten – Narrativen über ausschnitthafte biographische Verläufe dem nähern, was diese Frauen als relevant ansahen. Dazu gehörten z.B. Flexibilität und Un-/Abhängigkeit sowohl bei ihrer Arbeitssuche und -aufnahme als auch innerhalb ihrer familiären Verpflichtungen vor und nach ihrer Migration. Als relevante Kategorien in ihren (sich verschiebenden) Bedeutungszuweisungen zählten neben einer Auseinandersetzung mit den (intersektional angelegten) Kategorien wie ‚Ausländer‘ oder ‚Brasilianerin‘ auch ziviler Status, Arbeit-haben/Arbeitslos-sein, Sprachkenntnisse oder ihre regionale bzw. ländlich/städtische Herkunft in Brasilien und damit verbundene Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten.

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Weiterhin sollte mir mein Vorgehen bei der Formierung eines „hermeneutischen Bündnisses“ (nach Lutz 2008a: 119) mit den Interviewpartnerinnen hilfreich sein, in dem der Referenzrahmen von den Frauen herausgestellt sowie für den Moment des Erzählens von ihnen Erklärungs- und Interrelationsmuster für ihre Trajektorien herausgearbeitet wurden. Speziell die Methode des narrativen Interviews erwies sich dabei als Instrument, diese Perspektivierung über subjektive Positionierungen zu verdeutlichen. 21 Durch eine offene Fragestellung über eine bestimmte Begebenheit (z.B. „Was hast du damals auf dem Arbeitsamt erlebt?“) oder eine bestimmte Lebensphase (z.B. „Erzähle mir mehr von deinen ersten Arbeitserfahrungen in Deutschland!“) waren die Interviewpartnerinnen dazu angehalten, ihre Erzählung in die von ihnen als relevant empfundenen Kategorisierungen und Kategorien einzubetten. In Anlehnung an Floya Anthias verstehe ich biographische Erzählungen daher auch als Erzählungen über Zugehörigkeiten (vgl. Anthias 2002, 2003). Diese stellen nach Anthias „ein Mittel dar, mit deren Hilfe wir versuchen, unsere Erfahrungen und Selbstcharakterisierungen im Sinne von bestimmten sozialen Normen zu ordnen und zu organisieren“ (Anthias 2003: 22). Zugleich, so Anthias, legen diese Erzählungen offen, welche die Diskurse, Repräsentationen und normativen Systeme sind, die auf die individuelle Positionierung Einfluss nehmen (ebd.) bzw. in Bezug auf die sie sich subjektivieren müssen. Über die biographische Erzählung wurde es möglich, mit der Migration verbundene lebenskontextuelle Verschiebungen herauszuarbeiten. Damit zusammen hängen veränderte Regime und Bedeutungsordnungen sowie hieran geknüpfte Subjektivierungen, Zuweisungspraktiken und sich daraus/

21 Gemäß der Erzähltheorie Schützes, ist der/die Erzähler/in aufgrund der Struktur der Narration darum bemüht, sein/ihr Gegenüber das Erzählte nachvollziehen zu lassen und als sinnhaft für den referierten spezifischen Punkt in Zeit und Raum darzustellen sowie dessen Platzierung in der sozialen Ordnung zu artikulieren (Schütze 1987: 238). Hierbei schlägt sich die innere Wahrnehmung der Erzählenden über vier kognitive Figuren wieder: Erzählträger, Erzählkette, Situationen und thematische Gesamtgestaltung. Der Vorgang wird von Schütze als Erfahrungsaufschichtung (ebd.: 237) bezeichnet, durch die das plastische Erzählen überhaupt erst möglich gemacht wird, da sie Strukturierungszwänge für den/die Erzähler/in erzeugen: Damit die Erzählung dem/der Zuhörer/in konsistent erscheint, unterliegt diese dem Kondensierungszwang (Weglassen, Zusammenfassen, Relevanzfestlegung), dem Detailierungszwang (soweit ins Detail eindringen, wie für das Verstehen notwendig erscheint) und dem Gestaltschließungszwang (Abgrenzung zu anderen Sachverhalten; vgl. Küsters 2006: 26f). Im gestalttheoretischen Ansatz von Fritz Schütze liegt die soziale Wirklichkeit dabei nicht außerhalb des Handelns, sondern wird im Rahmen kommunikativer Interaktionen hergestellt, also in jeder Interaktionssituation beständig neu konstruiert.

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darin ergebender Handlungsermächtigungen der Frauen. Über Vergleiche, Verflechtungen und Überblendungen ihrer Erfahrungen vor und nach der Migration wurden die biographischen Narrative im Sinne Ursula Apitsch zu einem Ort transnationaler Räume (Apitzsch 2003b: 72).22 In der konkreten Umsetzung nutzte ich in den narrativen Interviews in der Regel drei Erzählaufforderungen. Die erste fragte nach ihrer „Geschichte mit dem Wax“, also wie die Frauen dazu gekommen waren, ein eigenes Studio zu eröffnen. Diese sehr offen gehaltene Frage hatte zwei Vorteile: Einerseits motivierte sie die Frauen spürbar zu einer willkommenen Erzählung, die einige von ihnen anscheinend in ähnlicher Form Bekannten und Freunden oder vielleicht auch Journalisten bereits erzählt hatten. Mit der Familiarität dieser Erzählung ging zugleich die Herstellung einer entspannten Interviewsituation einher, gerade da ich viele der Frauen zum Zeitpunkt dieses Interviewtermins noch nicht lange kannte. Andererseits wurden in diesen Erzählungen zwei übergeordnete biographische Trajektorien in ihrer Interrelation deutlich: Dies waren die jeweiligen migrationsbiographischen sowie arbeitsbiographischen Verläufe. In Anschluss an diese erste Erzählung wählte ich daher eine weitere Aufforderung, die sich zunächst an die Arbeitserfahrungen der Frauen richtete. Auch dieses Vorgehen erwies sich in der Regel als vorteilhaft: Viele Frauen nahmen auf ihre unterschiedlichsten Anstrengungen und Arbeitserfahrungen vor der Migration ausgiebig Bezug, bemühten sich, mir diese über eine Einführung in den brasilianischen Kontext zu erklären und kontrastierten sie wiederum mit den Arbeitserfahrungen nach ihrer Migration. An diese weniger routiniert wirkenden Erzählungen schloss ich einen ausführlichen Abschnitt verständnisorientierter Nachfragen an. Über das Vergleichen ihrer Situation vor und nach der Migration (einem in allen Erzählungen vergleichbaren Verlauf), stellten die Frauen das „Thematischwerden der Migration“ (Rosenthal 2005: 50) in Bezug auf ihre Arbeitsbiographien heraus: Arbeit, die (Notwendigkeit der) Arbeitssuche und die ersten Erfahrungen mit diesen evozierte bei den meisten das Bewusstwerden darüber, ausgewandert zu sein. Insbesondere hierüber stellten sie zugleich fest, in der Wahrnehmung anderer nun ‚Ausländer‘ zu sein, und sich über diese Anrufung z.B. von einer Touristin oder Besucherin zu unterscheiden. Dieser Aspekt bildete für mich in der Regel die Überleitung zur dritten Erzählauf-

22 Laut Apitzsch meinen Orte transnationaler Räume in diesem Kontext keine physischen Orte, sondern „unsichtbare Strukturen vielfach vernetzter staatlicher, rechtlicher und kultureller Übergänge, an denen die Individuen sich biographisch orientieren und in die sie zugleich als Erfahrungskollektiv verstrickt sind“ (Apitzsch 2003b: 69). Migrationsbiographien werden laut Apitzsch so zu „Schnittpunkt[en] kollektiver Konstitution und individueller Grenzüberschreitungen in der Migration, die anhand eines individuellen Weges rekonstruiert“ werden (ebd.: 72).

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forderung, die auf die Migrationsbiographie der Frauen abzielte. Die gesonderte Ausarbeitung der Migrationsbiographien ermöglicht eine erweiterte Einbettung der Frauen in ihr soziales Umfeld, denn sie umfasste über die Arbeitserfahrungen hinaus weitere Aspekte der Migration, die ihre alltäglichen Interaktionen und darin verankerte vielfältige Anrufungen sowie ihre performativen Praktiken thematisierten (Kapitel 4). Beide offenen Interviewabschnitte, die arbeitsbiographischen und die migrationsbiographischen, waren dabei geprägt durch implizite, oftmals erzählstrukturierende Dimensionen von Geschlecht23 sowie transnationale und transkulturelle Bezugnahmen und Vergleiche. Diese betrafen sowohl die Erfahrungsaufschichtungen als auch die damit zusammenhängenden Anrufungen und Positionalitäten. Dies erforderte zwei Prämissen für die Auswertung: Einerseits sollte ein erweiterter Gender-Begriff angesetzt werden, der – neben seiner strukturellen Dimension als herrschaftliche Differenzachse – auch ein „‚Doing Gender‘ als intersektionelle Aktivität auffasst, […] um die verschiedenen, sich überschneidenden und sich bedingenden Differenzlinien in der Erzählung“ (Lutz/Davis 2005: 233) nachvollziehen zu können. Andererseits galt zu beachten, eine analytische Unterscheidung zwischen der Ebene der Erfahrung und der Ebene der Erzählung vorzunehmen, denn: „Die Erfahrungen der Migration und die Reflexionen über diese Erfahrungen sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingebettet in jeweils unterschiedliche soziale Kontexte, Gesellschaftssysteme und Diskurse. […] Welche Bedeutung biographischen Erlebnissen seinerzeit zugeschrieben wurde, wie sie in den Erfahrungsvorrat eingeordnet wurden, ist ebenso wie deren Präsentation in der Gegenwart des Erzählens von solchen sozialen Rahmungen und den damit zusammenhangenden kulturellen Regeln abhängig. [… D]ieser Umstand, vermittelt über die je subjektiven Definitionen der Situation, [bestimmt] das Thematisierte wie das Nichtthematisierte in einem Interview [mit].“ (Rosenthal 2005: 50f)

Die Erzählung in den Kontext der Interviewsituation zu stellen, verstehe ich hierbei nicht (nur) auf ihre kollektivgeschichtlichen und damit diskursiven und normativen Einbettung bezogen,24 sondern auch in Bezug auf die interaktionelle Ebene des

23 Das heißt, dass Geschlecht nicht nur als eine wichtige soziale Differenzkategorien in den biographischen Erzählungen ganz konkret „eingebaut“ wird (Dausien/Kelle 2005: 190), sondern dass entlang einer geschlechtlichen Verortung Erzählungen aufgebaut wurden. Auch aus diesem Grund steht in dieser Forschung Geschlecht als grundlegende Differenzkategorie im Mittelpunkt, die in ihren Intersektionalitäten mit anderen Differenzkategorien und den damit verbundenen Bedeutungsverschiebungen zusammengedacht wird. 24 So ist die Erzählung nicht nur eine aktive Beteiligung an der Konstruktion subjektiver Positionalität innerhalb diskursiver Formationen und materialisierter diskursiver Prakti-

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Interviews (vgl. hierfür Lutz/Davis 2005). Sie adressiert nicht nur einen Grund (für was), sondern auch ein Gegenüber (für wen – vorgestellt oder real; Anthias 2003: 22) und greift hierfür auf bestimmte Formen der Darstellung (wie) sowie der Auslassung zurück.25 So wichen Grund (Forschungsarbeit vs. journalistischer Beitrag), Anliegen (ethnographisch dichte Erzählung/Beobachtung in Bezug auf Migrationsund Arbeitstrajektorien der Frauen sowie Arbeitsperformanz in der körperbezogenen Dienstleistungsarbeit vs. Expert/inneninterview in Bezug auf Waxing und Körperpflege), Gestaltung (offen in Struktur und Länge, emotional eingebunden vs. inhaltlich und zeitlich strukturiert und klar begrenzt) und anvisiertes Produkt (Veröffentlichung einer Forschungsarbeit in unbekannter Zukunft vs. journalistischer Beitrag in zeitlicher Nähe) für meine Interviews von solchen journalistischen Anfragen ab, mit denen einige der Frauen bereits Erfahrungen gemacht hatten. Auch handelte es sich bei letzteren um Journalistinnen von Life-style- und Schönheitsmagazinen, die intensiver als ich aktuelle Schönheitskonzeptionen verkörperten und Expertinnen auf diesem Gebiet waren. Zugleich beeinflusste hingegen mein vordergründiges Interesse für die Lebensgeschichten, Interpretationen und Sichtweisen der Frauen sowie mein lehrlinghaftes Auftreten ihre Bereitschaft für die Teilnahme an der Forschung und die Art der Erzählgestaltung. In Anlehnung an Anthias kann gesagt werden, dass „die Geschichten eine starke intersubjektive Komponente“ besitzen und daher Formen sozialer Handlung bilden (ebd.). Die hier angesprochene Ebene der Interaktion, maßgeblich mitgestaltet durch die örtlichen (Studios), zeitlichen (Einbettung in den Arbeitsterminkalender), verkörperten/körperlichen (z.B. divergierende verkörperte Weiblichkeiten zwischen den Interviewbeteiligten) sowie anderen vertrauensstiftenden/-hemmenden Bedingungen der Interviewsituationen, habe ich oben bereits ausführlich besprochen. An dieser Stelle soll diesbezüglich in Anlehnung an Helma Lutz und Kathy Davis (2005) auch auf die intersektionelle Dimension verwiesen werde. Sie bezieht sich nicht nur auf die Positionalitäten der einzelnen Akteurinnen – Interviewte und Forscherin – in ihrer jeweiligen kollektivgeschichtlicher Rahmung sondern auf die Interaktion der beiden. So ist gemäß Lutz und Davis nicht nur die in der Erzählung vorgenommene Selbstpräsentation der Interviewpartnerin in ihrer intersektionellen

ken (vgl. Anthias 2003: 22), sondern der/die Erzählende bereits selbst eine Erzählmodalität der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Diskurse und Praktiken, in die er/sie im selben Moment eingebettet ist (vgl. Brah 1996: 129). 25 Bettina Dausien spricht daher über Biographien auch von „zugleich strukturierende Strukturen, die gewissermaßen durch die ‚Logik‘ der intersubjektiven Sinnkonstruktion hindurch soziale Deutungs- und Handlungspraxen generieren, die ihrerseits die soziale Wirklichkeit in je konkreten zeitlichen und räumlichen Ausschnitten re-produzieren“ (Dausien 2012: 161).

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Einbettung zu analysieren, sondern auch die interaktionelle Ebene des Interviews, was in der Auswertung auch eine Rekonstruktionsperspektive von der Forscherin verlangt. Damit entstehe „eine Doppelperspektive, die sichtbar gemacht werden muss“ (Lutz/Davis 2005: 241). Es beinhaltet, das Interview an sich als Interaktion für die Herstellung von Sinnkonstruktionen der Beteiligten zu reflektieren, also sowohl die „biographische Sinnstruktur“ des Erzählten (Dausien 2012) wie auch die „Situiertheit des intersubjektiven sense making in konkreten Interaktionen“ (Dausien/Kelle 2005: 190) in Relation zueinander zu untersuchen. Dieses Vorgehen, so Helma Lutz, könne darüber hinaus einer Auslegung „ethnisierter Biographien“ (Lutz 2008a: 126) vorbeugen, die sich an kulturalisierende Interpretationsmuster sowohl in der Selbstrepräsentation der Erzählenden wie auch bei der Auswertung durch die Forscherin orientiere. So wird beispielsweise auch Gender in ihrer erzählstrukturierenden Dimension in den Interviews „gemacht“. In Anlehnung an Dausien/Kelle bedeutet dies, biographische Konstruktionen nicht einfach auf ein „lebensgeschichtliche[s] Gewordensein“ zu reduzieren,26 sondern auch „das Regelwerk sozialer Interaktionssituationen“ wegen ihres produktiven Einflusses auf die Erzählung einzubeziehen (ebd.: 201). Sie schreiben: „Biographische Thematisierungen – auch solche, die im Interview produziert werden – könnten u.U. weniger mit der individuellen Sinnkonstruktion einer Lebensgeschichte zu tun haben als mit interaktiven Regeln und biographischen Typisierungen, die ihren Sinn aus der Vollzugslogik der jeweiligen Interaktionssituation […] beziehen“ (ebd.: 201). Die Auswertungen der biographisch angelegten Interviews, in denen die Arbeits- und Migrationstrajektorien in ihren gegenseitigen Bezugnahmen thematisiert wurden, werden in erster Linie in den Kapiteln 4 und 5 herangezogen. Neben einer zusammenführenden Darstellung, in der die einzelnen Trajektorien in kollektivgeschichtliche Zusammenhänge eingebettet werden, entschied ich mich zudem, einzelne biographische Fallrekonstruktionen vorzunehmen. Sie speisen sich jeweils aus einer Verflechtung der unterschiedlichen biographischen Erzählungen. Dabei handelt es sich um die Frauen, mit denen ich eng zusammengearbeitet habe und von denen ich daher umfangreiches Material für die Fallrekonstruktion erheben konnte. Die Entscheidung für dieses Vorgehen begründet sich auch in dem von AbuLughod postulierten und von mir implementierten Ansatz einer „Ethnographie des

26 Kelle/Dausien diskutieren diese methodologische Einbettung im Kontext zur Herstellung von Geschlecht in biographischen Erzählungen, wobei sie davor warnen, auf ein vorzeitig festgestelltes „lebensgeschichtliches Gewordensein von „Frauen“ und „Männern“, auf „geschlechtsspezifische Sozialisation“ oder die biographische Entwicklung einer „Geschlechtsidentität“ zu verweisen, und stattdessen einen biographisch angelegten Ansatz mit dem des doing gender (West/Fenstermaker 1995) zu koppeln (vgl. Dausien/Kelle 2005: 201).

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Partikularen“ (Abu-Lughod 1991). Dessen Ansinnen ist es, die Besonderheiten des Einzelfalls herauszustellen, aber diesen zugleich in die Regime, Repräsentationen und normative Strukturen einzubetten, in die er eingebunden ist. Die Vorstellung dieser einzelnen erzählten Trajektorien ausgewählter Frauen soll daher nicht als typisierend und somit stellvertretend für andere Trajektorien gelten, sondern vielmehr die Spezifizität der Einzelnen im Vergleich zur kollektivgeschichtlichen Darstellung verdeutlichen. Darüber hinaus werden biographische Bezugnahmen auch in Kapitel 6 gesondert herausgestellt. Diese ergaben sich einerseits aus den entsprechenden thematischen Bezugnahmen in den biographischen Erzählungen, durch die deutlich wurde, wie eng das biographische Handeln mit Positionierungspraktiken, insbesondere was die von den Frauen performte Körperarbeit betrifft, verwoben sind. Andererseits wurden biographische Bezugnahmen auch von mir in den themenzentrierten Interviews entsprechend motiviert, wie ich unten ausführen möchte. Dies bricht die analytische Trennung zwischen biographischen Erzählungen und themenzentrierter Interviews für die methodische Praxis ein Stück weit auf. 3.2.2 Themenzentrierte Interviews, verkörpertes Erzählhandeln und Grenzen eines Sprechens-über Die zweite Interviewphase bestand im Wesentlichen aus semi-strukturierten Interviewabschnitten und offenen Gesprächen mit den Studioleiterinnen/Depiladoras. Sie setzten sich mit Geschäftspraktik, Waxing, Körperarbeit und damit verbundenen Performanzen sowie Körper- und Schönheitskonzepten auseinander. Auch diese Interviews wiesen eine doppelte Prägung auf, die in einem vergeschlechtlichten bias und einer transnationalen bzw. transkulturellen Vermittlung bestand. Die wesentliche Herausforderung bestand in dieser Phase darin, mein Erkenntnisinteresse für die Erzählhandlung operationalisierbar zu machen: Zuschreibungs- und Positionierungspraktiken, die sich auf die Arbeitsperformanz innerhalb der Kabinen bezogen, konnte ich nicht teilnehmend beobachten. Fragen der Professionalität und der Vertrauensbildung in den Arbeitskontexten sowie Fragen der Anerkennung unterlagen zudem nicht objektivierten Kriterien, die hätten einfach nur abgefragt werden können. Wie waren Unternehmerschaft und intime Arbeit in den Interaktionen und den wechselseitigen Wahrnehmungen miteinander verknüpft? Im Verlauf der Forschung entwickelte ich daher unterschiedliche Fragestellungen. Sie waren zunächst beschreibenden Charakters und richteten sich auf ein Nacherzählen von Begebenheiten und Alltagssituationen sowie von Interaktionen in den von mir nicht beobachtbaren Lokalitäten (insbesondere den Kabinen). Zudem fragte ich nach den unterschiedlichen Orten, sozialen Räumen und Netzen, die sich in den explorativen Interviews als relevant darstellten (die Kabine, das Studio, die

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Wachs-Küche, sowie Familienangehörige – vor allem der Ehepartner –, Freundeskreis, transnationale Kontakte wie die eigene Familie und [ehemalige] Nachbarn). Im Nacherzählen dieser Begebenheiten, die im Vergleich zu narrativen biographisch angelegten Interviews zwar kürzer ausfielen, ließen sich hierbei ähnliche Erzähldynamiken herausfiltern, wie sie von Schütze für die von ihm bezeichnete Stehgreiferzählung (vgl. Fußnote 21) festgestellt wurden. Aufgrund einer pointierten Interaktionsschilderung der Frauen, eingebettet in kognitiven Erzählfiguren (Schütze 1987: 237) und ausgestattet mit Empfindungen, Interpretationen, Wertungen und imitierenden Rollenspielen, wurde mir die Erzählung nicht nur nachvollziehbar gemacht. Das erzählte Erlebte wurde auch nachempfindbar sowie daran gekoppelte wertende oder positionierende Aussagen verstehbar gemacht. Diese Erzählungen werden in Ausschnitten an den entsprechenden Stellen zitiert, um einen Einblick in das Interviewmaterial selbst zu geben sowie die sonst zum Teil abstrakt bleibenden Aspekte wie z.B. Vertrauensbildung in konkretem verkörperten Handeln (wie auch damit zusammenhängende nachempfundene Gefühle) ersichtlich zu machen und daran gebundene Wertungen und Interpretationen der Interviewpartnerinnen besser nachzuvollziehen. Längere Zitate bilden aus diesem Grund einen wichtigen Bestandteil dieser Arbeit. Die Interviewleitfäden wurden zunächst auf Grundlage der Auswertung der explorativen Interviews, der ersten Beobachtungsprotokolle sowie einiger OnlineForen erstellt. Die Auswertung erfolgte in der Regel in Anlehnung an Codierungsverfahren, wie sie von Anselm Strauss (Strauss 1994; Charmaz 2006) im Rahmen der grounded theory vorgeschlagen wurden. Allerdings ergänzte ich diese durch die Implementierung einer intersektionellen Doppelperspektive (Lutz/Davis 2005), wie ich sie für die biographische Auswertung vorgestellt habe. Inbegriffen in diese Erweiterung war die Berücksichtigung des situativen Charakters der jeweiligen Datenerhebungsform27 und die von den Frauen aufgegriffenen Erklärungs- und Interrelationsmuster. Wie ist beispielsweise ihre Erklärung für die Notwendigkeit einer Arbeitssuche nach ihrer Ankunft in Berlin mit ihrer heutigen Situation als Studioleiterin und damit verbundenen Erfahrungen von Anerkennung verbunden? Warum

27 Bei den Interviews waren es die jeweils unterschiedlichen zeitlichen/kontextuellen Momente von Erzählung und Erfahrung/Erlebtem, wie z.B. Erzählungen über abwertende Behandlungen seitens ihrer Arbeitgeberinnen z.B. in früheren Haushaltsarbeitskontexten und wie dies vor dem Hintergrund ihrer heutigen Position als Studioleiterin (und damit ebenfalls Arbeitgeberin) reflektiert wird. Bei den Beobachtungsprotokollen waren es z.B die jeweils interagierenden Personen und ihre von mir beobachtbaren performten Aushandlungen über die inhaltliche Ausgestaltung der körperlichen Dienstleistung. Bei den Online-Foren war es die entkörperlichte Interaktion, die häufig gekennzeichnet war durch die Anonymität bzw. im Internet angenommen Identität der Kundin.

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geben sie bei einem Interview an, lieber mit anderen Brasilianerinnen zusammenzuarbeiten und bei einem späteren, lieber Deutsche einstellen zu wollen? Aufgrund der oben beschriebenen zeitlichen Versetzung der Feldforschung wurden zudem einzelne themenzentrierte Interviews für die Verfeinerung des Leitfadens für nachfolgende Interviews ausgewertet. Jedoch hatte dieses Vorgehen nicht wie im Verfahren der grounded theory zum Ziel, eine theoretische Verdichtung und empirische Saturierung zu erhalten (vgl. Strauss 1994; Charmaz 2006). Vielmehr sollte die ethnographische Tiefe in den nachfolgenden Interviews erweitert und meine Beobachtungen in den Interviews geschult werden. Die eher auf Beschreibungen von Interaktionen und Erlebnissen abzielenden Fragen wurden wiederum über Fragen nach Empfindungen und Gefühlen, Wertungen und Erklärungen für das Erlebte erweitert (vgl. hierzu Patton 1990; Madison 2012). Auch Fragen, die explizit auf das situierte Wissen der Frauen in Bezug auf die mit ihrer Arbeit zusammenhängende Bereiche abzielten, spielten eine Rolle. Zu beachten war hierbei, dass – wie im Fall von biographisch-narrativen Interviews bereits herausgestellt wurde – auch themenzentrierte Interviews situiert waren. Als soziale Praxis bilden sie nicht nur eine zeitlich markierte Artikulation von Subjekt und Diskursen, von Individuellem und Allgemeinen, sondern konstituieren sich über zwei weitere interaktionelle Ebenen, zum einen zwischen den Charakteren der Erzählung (beispielsweise zwischen Kundin und der Interviewpartnerin ‚als‘ Studioleiterin/Depiladora), zum anderen zwischen Interviewpartnerin und Forscherin, wie oben gezeigt. In Bezug auf die letztere interaktionelle Ebene ist das Interview, gerade wenn es um die Bemühung von Interpretationen und ein Verständlichmachen von Empfindungen und Wahrnehmungen geht, von der Herstellung eines hermeneutischen Bündnisses abhängig. Dieses musste über den erarbeiteten Leitfaden als solches möglich gemacht werden. Er-/klärende und kontextualisierende Fragestellungen haben sich über die genannten Frageformen hinaus als sehr hilfreich erwiesen. Allerdings reichen beide interaktionelle Ebenen oftmals über die narrative Ebene hinaus: Wie in Bezug auf die körperliche/verkörperte Dimension von Feldforschung oben diskutiert, ist auch das Interview zum einen eine verkörperte Interaktion zwischen Interviewpartnerin und Forscherin. Das Erzählte findet zwischen Sprechen, Hören und Fühlen (Langlier/Peterson 2004: 11) statt und ist damit tief in körperliche Praktiken beider Beteiligten eingebettet. Dies war in einigen Interviewsituationen oftmals von konkreten körperlichen Berührungen seitens der Gesprächspartnerinnen begleitet, insbesondere dann, wenn es um ihre körperliche Situiertheit von Wissen, bzw. Körperwissen ging: So wurde etwa mein Arm ergriffen, um mir die angemessene Intensität des Druckes beim Abziehen des Wachses nachzustellen oder bestimmte Schmerzgrade durch Zwicken verdeutlicht. Ebenso ergänzten Gestik und Mimik das Erzählte und unterstrichen dadurch dessen empfindsame Dimension.

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Darüber hinaus ist die Interviewpartnerin nicht nur Erzählende, sondern auch Charakter ihrer Erzählung und damit in eine ständige Reziprozität zwischen Wahrgenommenen und Auszudrückenden eingebunden: In phänomenologisch-performativer Tradition gehen die Anthropologen Langlier und Peterson davon aus, dass: „[b]efore perfoming narrative is conceived or represented, it is lived through the body as meaningful“ (ebd.). So schreiben Bettina Dausien und Helga Kelle in Bezug auf Erzählhandlungen: „In die Sinnkonstruktion der handelnden Subjekte gehen nicht nur Erfahrungen mit Interaktionspartnern ein, […] sondern auch Erfahrungen mit sich selbst, mit den eigenen Gedanken und Reflexionen, mit Emotionen, leiblichen Empfindungen, Erinnerungen und Erwartungen, Imaginationen, Träumen usw.“ (Dausien/Kelle 2005: 203). In ihrer verkörperlichten, gefühlten und reflexiven Einbettung werden Erzählhandlungen so zur Erzählperformanz und reichen über das Gesprochene hinaus, werden zu Vermittlungen zwischen diskursiver Einordnung, Ordnung individueller Erfahrungen sowie Interpretation und kommunikativer Ausdruck von Gefühlen und Empfindungen. In Gesprächsmitschriften suchte ich möglichst genau die non-verbalen Ausdrucksformen festzuhalten und sie im Anschluss an das Interview mit dem Gesagten (oder den entsprechenden Auslassungen) rückzukoppeln, um sie bei der Auswertung des Interviews ebenfalls als Teil des Kommunizierten nutzen zu können. Einen wesentlichen Impetus für die Vertiefung hermeneutischer Bündnisse bildete außerdem ein Forschungsaufenthalt in Brasilien. Die dortigen Beobachtungen und Interviews in den Kosmetikstudios verhalfen mir, sensibler für transkulturelle wie transnationale Dynamiken in Bezug auf Schönheitspraktiken und Körperarbeit und damit verbundene Anrufungen und Zuweisungen zu werden. Diese stellte sich nachfolgend in Berlin insbesondere in offenen Gesprächen mit einigen der Studioleiterinnen/Depiladoras als sehr fruchtbar heraus: Mein ‚dort‘ erlangtes Wissen (conhecimento) in Bezug auf die Entwicklungen in punkto Haarentfernung oder in Bezug auf Aufbau, Hierarchien, Arbeit und Miteinander in Kosmetikstudios erweiterte die gemeinsam hergestellten Referenz- und Bedeutungsrahmungen in den Augen einiger Interviewpartnerinnen, denn nun würde ich – abgeleitet durch die Art meiner Fragen – die in den Erzählungen vorgenommenen Vergleiche besser nachvollziehen und verstehen können. Interviews wurden hierbei auch zu einem gegenseitigen Austausch, da ich von einigen der Frauen auf die Entwicklungen der Branche in Brasilien und meine dort erhaltenen Eindrücke ausgefragt wurde, die wiederum zu einer weiteren vergleichenden Darstellung aus ihrem Empfinden heraus zwischen ‚Brasilien‘ und ‚Berlin‘ motivierten. So erwies sich die Kombination aus semi-strukturierten themenzentrierten Interviews und offenen Gesprächen als flexible Lösung, da diese in ihren inhaltlichen Ausformungen, zeitlichen Einbettungen und subjektiven Wahrnehmungen an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden konnten: Während themenzentrierte Interviews stets den Eindruck vermittelten, es wäre ‚ein richtiges Interview‘, dem

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ein ‚Termin‘ gegeben wurde und als solcher auch den entsprechenden zeitlichen Aufwand verdiente, vermittelten offene Interviews, die eher einem gleichgestellten Gespräch beider Beteiligten glichen, gelegentlich den Eindruck eines privater werdenden Gesprächs, das die Frauen jederzeit abbrechen könnten (Gründe dafür konnten zum Beispiel unerwartet eintreffende Kundinnen, der spontane Besuch von Bekannten im Studio oder einfach nur aufkommendes Desinteresse an der inhaltlichen Richtung des Gesprächs sein). Andererseits führte oftmals der offene Charakter der Gespräche zu ganz persönlichen Anekdoten, die wiederum Einblick gaben in von den Frauen erlebte Situationen und in ihre Bewertung und Erklärung der dabei erfahrenen Interaktionen. Gerade diese Anekdoten pointierten oftmals kurz und direkt das in anderen Momenten in umfassenden Frage-Antwort-Interviews herausgearbeitete Gesagte. Auch wurde Biographisches, wie oben besprochen, legitimierend, vergleichend oder abgrenzend zu dem Beschriebenen, Erklärten, Empfundenen oder Gewerteten von den Interviewpartnerinnen hinzugezogen (oder von mir nachgehend erfragt). Das verhalf oftmals zu einem besseren Verständnis ihrer subjektiven Sichtweisen und Wahrnehmungen. Biographisierungen von sozialen Interaktionen und erlebten Begebenheiten und damit verbundene Positionierungen können so im Sinne Dausien/Kelless auch als „Form des Alltagswissen“ (Dausien/Kelle 2005: 199) bzw. als eine strukturierende Komponente vom Alltagswissen hier unterschiedenen Arbeitswissen verstanden werden. Wiederum wurden zu diesem Zweck biographisierende Bezugnahmen auch von mir gezielt motiviert und ermöglichten darüber eine dichtere Erzählung der Frauen. So motivierte ich Erzählungen über in anderen Arbeitskontexten erlangtes Arbeitswissen und fragte anschließend nach dessen Nutzen für die Arbeit als Depiladora. Die Referenzen sollten dabei jedoch nicht als Erklärungsmuster für mögliche Kohärenzen oder Plausibilitäten mit den im Interview fokussierten Themen herangezogen werden, sondern vertiefend auf die Erzählung wirken und vergleichende bzw. unterscheidende Interpretationen und Sichtweisen motivieren. Unter der Berücksichtigung biographischen Handelns wurde mir darüber hinaus eine verfeinerte Analyse möglich. Insgesamt bildeten die Interviews die wichtigste Datenerhebungsform für diese Arbeit und wurden durch die Teilnehmende Beobachtung ergänzt. Auch die Analysen in den folgenden Kapiteln stützen sich primär aus den in den Interviews gewonnenen Informationen.

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3.3 Z USAMMENFÜHRUNG : Ü BER DIE M ÖGLICHKEITEN UND H ERAUSFORDERUNGEN EINER FEMINISTISCHEN E THNOGRAPHIE In diesem Kapitel stellte ich die methodische Vorgehensweise und deren methodologische Einbindung vor. Eine wesentliche Herausforderung der Arbeit bestand dabei darin, eine ethnographische Forschung durchzuführen, ohne die fokussierten Interaktionen teilnehmend beobachten zu können, d.h. in den Kabinen während der Behandlung präsent zu sein. Diesbezüglich musste ich mich mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern etablierte, auf Teilnehmender Beobachtung basierende ethnographische Erhebungsmethoden überhaupt im unternehmerischen Arbeitsalltag sowie bei intimen Begegnungen möglich oder gar ethisch vertretbar waren. Damit verbunden war auch eine Reflexion über die Grenzen der Beobachtung in der ethnographischen Arbeit, wenn Emotionen, Affekt und (andere) sinnliche Wahrnehmungen als Teil dieser – sowohl auf das zu Erfassende als auch in Bezug auf die Interaktion mit den Forschungssubjekten selbst – verstanden werden. Paul Stoller (1989) wie auch Michael Herzfield (2001), Catherine Lutz und Lila Abu-Lughod (1993) forderten schon vor einigen Jahren, Ethnographien zu „sensibilisieren“ („sensing ethnography“, Stoller 1995) und Feldforschung/ethnographisches Arbeiten von einer Privilegierung der „Beobachtung“ zu entkoppeln und andere Sinneswahrnehmungen sowie Emotionen und Affekte stärker in den Fokus zu rücken und zu einem Teil der Datenerhebung zu machen (Stoller 1989; Herzfeld 2001; Lutz/Abu-Lughod 1993). Feministische Kultur- und Sozialwissenschaftlerinnen sprechen von etablierten Affektökonomien (nach Ahmed 2004a), die (noch immer in kolonial-patriarchaler Tradition) die visuelle Dimension allen anderen überordnen (vgl. Lutz 1988; Abu-Lughod 1999; Ahmed 2004a; aber auch Herzfeld 2001; Stoller 1995). Es stellt sich hierbei weiterhin die Frage, wie sich in sensiblen Kontexten, wie der der intimen Arbeit, Feldforschungsmethoden durchsetzen, die vielleicht sogar geschlechtlich markiert sind (wie es feministische Ansätze zu überdenken geben, ohne sich zugleich indirekt einer cartesianischen Logik zu verschreiben – etwa in dem Sinne, dass körper- und gefühlsbezogene ethnographische Methoden nur für die Arbeit von Frauen über Frauen implementiert werden). Macht dieser Umstand meine Forschung daher zu einer feministischen Ethnographie? Kompliziert wird eine solche Verortung durch einen Forschungskontext, in dem Zeit für die Interviewpartnerinnen ein knappes Gut war und die Forschungslokalitäten keine beständige Anwesenheit ermöglichten. Zudem unterschieden sich vergeschlechtlichte Körperlichkeiten zwischen mir und den Interviewpartnerinnen aufgrund anderer intersektionaler Positionalitäten und konnten darum nicht unbedingt über Gemeinsamkeiten angerufen werden. Aus diesem Grund wollten sich die von vielen Anthropologinnen betonten ‚Vertrauensbündnisse unter Frauen‘, also zwi-

E THNOGRAPHIE IN / ÜBER W AXING S TUDIOS

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schen Forscherin und Forschungssubjekt, oft nicht recht einstellen. Intimität, im Sinne von Freund- oder Schwesternschaften, wie sie von Anthropolog/innen so oft herausgestellt wurden, konnte in dieser Forschung nicht als „investigative tool“ (Amit 2000b: 3) herangezogen werden – obwohl sich Situationen der Vertrautheit einstellten, die jedoch weder in einer Familiarität, noch persönlichen Affektivität mündeten (nähere Bekanntschaften mit drei der Frauen bestanden bereits vor der Forschung, etablierten sich also nicht darüber). Dementgegen habe ich in diesem Kapitel herauszuarbeiten gesucht, dass ich vielmehr speziell in Interviews die Herstellung eines hermeneutischen Bündnisses anstrebte. Denn dieses Bündnis blieb oft nicht nur auf einer diskursiven/narrativen Ebene verortete. Es umfasste auch ein größtmögliches Nachempfinden von subjektiven Sichtweisen, Wahrnehmungen, Gefühlen, Interpretationen und Wertungen. Dies erforderte von mir auch eine beständige Überarbeitung des Frage- und Themenkatalogs in Abstimmung mit den bereits erhobenen Daten, was den gemeinsamen Referenzrahmen für alle Beteiligen merkbar erweiterte. Interviews erlangten dadurch eine weitere Tiefe in Bezug auf Interpretation und Wertungen seitens der Gesprächspartnerinnen. Trotzdem blieben die jeweiligen Positionen als Interviewte und Interviewerin immer deutlich. Lediglich in den Kabinen und in Momenten informeller Gespräche wurden diese Positionierungen verwischt. Das geschah insbesondere, wenn ich zum Lehrling in Bezug auf meinen eigenen Körper wurde, was sich nicht zuletzt in der damit einhergehenden körperlichen Verfasstheit ausdrückte und sich so auch in der physischen Ausprägung (ich in der Behandlungskabine liegend) von anderen Interviewsituationen abhob. In diesem Kapitel habe ich zudem den Umstand des Forschungsfeldes ‚vor der eigenen Haustür‘ kritisch reflektiert, was eine Auseinandersetzung mit der Eingrenzung des Feldes sowie die fortwährende Reflektion meines Erkenntnisinteresses umfasste. Es bleibt für nachfolgende Kapitel vor dem Hintergrund der hier angestellten methodologischen Überlegungen zu diskutieren, wie dieser Umstand Auffassungen und Stellenwert von Intimität (im Feld) und die damit verbundene Schnittstelle und Abgrenzungen von ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ für das ethnographische Arbeiten beeinflusste. So kam in diesem Zusammenhang Interviews und Gesprächen in den hier vorgestellten Ausprägungen und Implikationen eine veränderte Bedeutung zu. Jedoch zeigte ich anhand der unterschiedlichen körperlichen Dimensionen, die in diesen Begegnungen wirkten, dass mein Forschungsgegenstand nicht einfach nur dialogisch erfragbar war. Er war vielmehr eingebunden in eine Reihe körperlicher, emotionaler und sinnlicher Interaktionen und in damit verbundene Performanzen (Langelier/Peterson 2004; Hastrup/Hervik 1994: 3), über die sich der süßlich-penetrante Geruch des Wachses, die warmen Temperaturen in den Studios, die leise oftmals brasilianische Musik im Hintergrund sowie die Hellhörigkeit zwischen Kabinen und Wartebereichen legten.

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Im Weiteren wird es nun die Aufgabe sein, die spezifischen Bedingtheiten von Positionierungs- und Zuweisungspraktiken der Frauen in alltäglichen Arbeitskontexten herauszuarbeiten, und wie diese sich auch auf die Herstellung von Professionalität und Vertrauen als Unternehmerin und Depiladora einwirkten. Dies impliziert für die folgenden Kapitel erstens die Partikularität jeder einzelnen Geschichte in den Kontext der von den Frauen miteinander geteilten Erfahrungen zu stellen. Dabei sollen – zweitens – auch deren Interaktionen, Bedeutungs- und Positionierungspraktiken in ihren Artikulationen mit (und Abweichungen zu) übergeordneten Diskursen und Normativitäten herausgearbeitet werden, wie er für den deutschen Kontext in Kapitel 2 skizziert wurde. In diesem Sinne soll sowohl ‚gegen Kultur‘ wie auch ‚gegen essentialisierende Vergeschlechtlichungen‘ geschrieben werden (AbuLughod 1991; Mohanty et al. 1991). Für eine erweiterte Kontextualisierung wird dem ein kurzer Überblick zu brasilianischen Migrationen vorangestellt.

4 Abgrenzungsarbeit: Zwischen Zuweisungen und Positionierungen brasilianischer Migrantinnen entlang von Zugehörigkeitsund Repräsentationsregimen

„Ich werde nie diesen Tag vergessen, als ich gar nichts hatte und zum ARBEITSAMT bin. Die Frau dort hat mich angeschaut und gesagt: ‚Hier habe ich eine Arbeit als Putzkraft für Sie, … na los, nehmen Sie die!‘ .. Das werde ich nie vergessen. … Also so wie ich aufgewachsen bin und meine Sachen bisher gemacht habe, war ich nie ein Mensch, der von dem geträumt hat, was morgen sein soll. Ich lebe im Hier und Heute und dafür kämpfe ich. Du hast mich gefragt, ob ich diese Arbeit [Depiladora] gegen eine andere tauschen würde? ... Das weiß ich nicht, denn ich hatte nie die Möglichkeit, über so etwas nachzudenken.“ (Marta*, Ü.: ML, 23.02.2010) „Also, hier ist es so: Hier kannst du entweder putzen oder babysitten. Dazwischen kannst du wählen. Oder, wenn du noch jung genug bist, gehst du tanzen. Aber Putzen und Babysitten sind die Jobs, die sie dir geben, wenn du Ausländer bist. Für alles andere musst du kämpfen. .. Als Brasilianer hast du da sogar noch die besten Chancen. .. Weil wir so gut mit Menschen arbeiten können, ne. Sie sagen, dass wir das so gut können.“ (Neide*, 13.08.2011)

Putzen, babysitten, pflegen. Die zitierten Aussagen zweier Waxing-Studioleiterinnen verweisen in vielfältiger Form auf Arbeitsnischen, denen Brasilianerinnen nach ihrer Migration nach Deutschland entweder, wie im ersten Zitat der damals 45-jährigen Marta*, vom Arbeitsamt zugewiesen wurden, oder die sich für sie als zunächst einzig mögliche Tätigkeitsfelder, zum Beispiel über persönliche Kontakte oder über Annoncen, eröffneten. Die zweite Aussage, die die damals 34-jährige Neide* machte, verdeutlicht, dass diese Tätigkeitsbereiche nicht nur ethnisch markiert sind, da sie als Arbeitsfelder für Migrantinnen ausgewiesen werden. Es wird zudem die kulturalisierte Zuschreibung dieser Tätigkeiten als spezifisches Metier von Brasilianerinnen deutlich, was mit einer naturalisierten Vokation für betreu-

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ungsintensive Tätigkeiten legitimiert wird. Diese Zuschreibungen erfahren auch andere Lateinamerikanerinnen, wie die wenigen Studien zu diesen Migrantinnen in Deutschlandverdeutlichen. In diesem Kapitel geht es darum, Arbeitstrajektorien der brasilianischen Leiterinnen Berliner Waxing Studios nachzuvollziehen, in denen sich einerseits ihre spezifischen Migrationstrajektorien reflektieren und materialisieren (hierzu zählen Migrationsbiographien und darin repräsentierte Motivationen, Erfahrungen sowie die in diese Erfahrungen wirkenden Migrationsregime). Andererseits kommen in ihren Arbeitstrajektorien Repräsentationsregime zum tragen, die sich ethnisierender und vergeschlechtlichter Zuschreibungspraktiken bedienen und die Arbeitserfahrungen in subjektiven Positionierungen wie intersubjektiven Handeln der Frauen mitgestalten. Im Folgenden nehme ich also eine integrierende Betrachtung vor, die sich sowohl auf eine Verzahnung von Gender- und Arbeitsmarktregimen konzentriert, als diese auch in Bezug auf geschlechtsspezifische Migrationstrajektorien der Frauen diskutiert und Wirkungen von ethnisiert-vergeschlechtlichten Repräsentationsregimen berücksichtigt. Dabei gehe ich davon aus, dass die spezifischen Formen der Arbeitsmarkteingliederung dieser Frauen in Bezug auf ihre Erfahrungen und Subjektivierungen im Migrationsprozess untersucht werden müssen. Ich grenze mich hierbei von Ansätzen ab, die Migrationsmotivationen und Wanderungsformen zuvorderst in Bezug auf ethnisierte Arbeitsnischen im Zielland untersuchen oder darüber erklären. Hierfür werde ich Parallelen sowie Abgrenzungen der Brasilianerinnen zu anderen Migrantinnen, die bisher die Aufmerksamkeit der bundesdeutschen Forschung auf sich gezogen haben, herausarbeiten. Im Vorfeld gebe ich einen Überblick über Studien zu brasilianischen Migrantinnen in anderen Zielländern (insbesondere in Südeuropa), für die ähnlich des deutschen Kontextes eine Feminisierung der Migration konstatiert wird. Dieses Vorgehen soll helfen, die in Deutschland bisher nur wenigen Forschungen über eine Einbettung in aktuelle brasilianische Wanderungsbewegungen zu ergänzen. Dadurch sollen global bzw. transregional wirkmächtige Repräsentationsregime in ihren Gemeinsamkeiten bezüglich ihrer Materialisierung in ethnisierten und vergeschlechtlichten Arbeits- und Migrationsregimen skizziert werden. Anschließend fokussiere ich den spezifischen Fall und stelle in diesem Zusammenhang Migrationstrajektorien ausgewählter Interviewpartnerinnen vor. Eine Besonderheit wird es dabei sein, der Kategorie Heiratsmigration mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Denn diese hat für den deutschen Kontext brasilianischer Migrationen eine besondere, wenn auch ambivalente Bedeutung. Heiratsmigration wird darum in Hinblick auf wirkmächtige Repräsentationsregime, über die Brasilianerinnen in Deutschland angerufen werden, erörtert. In einem zweiten Schritt werden anhand empirischer Ergebnisse konkrete Wirkweisen der ineinander verzahnten Regime auf die Arbeitsmarkteingliederung und damit verbundenen Zuweisungs- wie Positionierungspraktiken der Interviewpartnerinnen vor ihrem Ein-

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stieg in das Waxing-Geschäft vorgestellt und diskutiert. Vor dem Hintergrund eines erweiterten, integrativen Arbeitskonzeptes (Kapitel 2) verstehe ich diese als Teil des impliziten Erfahrungs- und Arbeitswissens der Interviewten. Sie beeinflussten nicht nur die Entscheidung zur gewerblichen Selbständigkeit maßgeblich (Kapitel 5), sondern wirkten auch auf ihre Arbeitsperformanz als Depiladora/Studioleiterin ein (Kapitel 6). Drittens fasse ich Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Abgrenzungsarbeit der Frauen in ihren Subjektivierungen zwischen deutschen Migrations-, Geschlechts-, Arbeits- und Repräsentationsregimen zusammen.

4.1 F EMINISIERUNGEN

DER BRASILIANISCHEN

M IGRATION

4.1.1 Einordnung in aktuelle Debatten internationaler Forschungen Brasilianische Migrant/innen sind seit geraumer Zeit in vielen Zielländern keine unsichtbare Gruppe mehr, weder in Bezug auf statistische Angaben noch in der medialen Öffentlichkeit. Nach Angaben des brasilianischen Außenministeriums wuchs die Zahl der im Ausland lebenden Brasilianer/innen in den vergangenen 30 Jahren von einigen wenigen tausend auf über drei Millionen Menschen ab Mitte der 2000er Jahre an (CBM 2008-2014; Zahlen für Deutschland: Tabelle 4.1).1 Tabelle 4.1: Auswanderung von Brasilianer/innen nach Deutschland 2008-2014 Jahr 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Schätzungen für Deutschland 46.209 bis 59.338 89.000 Keine Angabe 91.087 95.160 113.310 113.716

Position im Ranking 8. 7. 8. 7. 7. -

Brasilianer/innen im Ausland insgesamt 3.044.762 bis 3.735.826 3.040.993 Keine Angabe 3.122.813 2.547.079 2.801.249 3.105.922

Quelle. Schätzungen des Conselho de Representantes de Brasileiros no Exterior (CBM 20082014)

1

Die hier und im Folgenden herangezogenen quantitativen Angaben dienen nicht der Feststellung absoluter Zahlen. Die erheblichen Variationen verdeutlichen die Vagheit dieser Statistiken – was jedoch vergleichend festgestellt werden kann, ist ein allgemeiner Trend.

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Nachdem es lange Zeit als ‚klassisches‘ Einwanderungsland galt, wandelte sich Brasilien ab Ende der 1980er Jahre trotz weiterhin bestehender Einwanderungen2 auch in ein Auswanderungsland. Migrationen waren über lange Strecken des 20. Jahrhundert in erster Linie ein innerstaatliches Phänomen, die einerseits mit der Erschließung des Innenlandes verbunden (Fiori 2002), andererseits eng an eine Landflucht gekoppelt waren. Diese Migrationen waren in hohem Maße wirtschaftlich bedingt und erfolgten v.a. aus dem Nordosten in den Südosten Brasiliens (Patarra/Baeninger 1995; Marinelli 2007; Mártins/Vanalli 1994; Bassanezi 2000). Erste signifikante Auswanderungsbewegungen (die sich von in den bürgerlichen Klassen bereits etablierten Bildungsaufenthalten in Europa und den USA unterschieden) setzten erst Mitte der 1960er nach der Machtübernahme des Militärregimes (19641985) ein, wobei diese besonders während der repressiven Phase (1967-1974) politisches Exil umfassten (vgl. Freire 2010; Rollemberg 1999). Jedoch stellte die Mobilität in Richtung Nordamerika oder Europa weiterhin ein Privileg der bessergestellten Klassen dar. Dies galt auch weitestgehend nach Ende des Militärregimes 1985 bis zum Beginn der 1990 Jahre. Seitdem diversifizierten sich Migrant/innenprofile, Migrationsgründe und Migrationsbedingungen, und die Zahl der Auswandernden stieg erheblich an: Als Reaktion auf innenpolitische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen, vor allem auf die wirtschaftlichen und politischen Krisen nach der demokratischen Öffnung Brasiliens ab 1985, verließ zunächst vor allem die Mittelklasse das Land in Richtung USA (Margolis 1994; Sales 1999; Martes/Cardoso 1999; Beserra 2005a), Japan (vgl. Tsuda 2003; Costa 2007b), Paraguay (Albuquerque 2010) und zunehmend auch nach England (vgl. Torresan 1995, 2012; Evan 2010) und Südeuropa (vgl. Padilla 2007; Machado 2006a, 2006b; Solé et al. 2012; Cavalcanti 2004). Südeuropa stellte besonders aufgrund der mit den spezifischen postkolonialen Beziehungen und miteinander verwobenen (Migrations-) Geschichten verbundenen Einreise- und Aufenthaltsbedingungen (Padilla 2007: 73; Feldman-Bianco 2010) ein besonderes Migrationsziel dar. Vor allem das Recht der doppelten Staatsbürgerschaft (ab 1994) war für diejenigen ein Anreiz, die europäische Vorfahren bis in die dritte Generation nachweisen können. Im Gegensatz dazu stellte sich in den USA die Möglichkeit eines legalisierten Aufenthalts für viele der Migrant/innen als sehr begrenzt heraus (und wurde durch die Visumspflicht vor der Einreise von vornherein kompliziert). In der Schlussfolgerung mussten die oftmals gut ausgebildeten Migrant/innen in den USA weitestgehend eine berufliche Abqualifizierung hinnehmen (vgl. Margolis 1994; Sales

2

Diese umfassen Einwanderungen aus anderen lateinamerikanischen Ländern, wie Bolivien oder Haiti, aber auch aus Europa (z.B. Spanien) oder Afrika (z.B. Angola), vgl. Seyferth (2007).

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2000). Viele waren dadurch zunächst gezwungen, sich im informellen Niedriglohnsektor eine Beschäftigungen zu suchen. Südeuropa hingegen, und insbesondere Portugal, hielt ab Mitte der 1990er Jahre für viele Migrant/innen die Möglichkeit bereit, ihre akademischen und beruflichen Abschlüsse anerkennen zu lassen und ihre Berufe unter legalen Umständen auszuüben (was in Portugal in den 1990er Jahren zur Polemik der „Invasion der Zahnärzte“ führte, vgl. für diese Diskussion auch Fiori 2002: 71; Machado 2006b). Die klassenspezifische Besonderheit des Migrant/innenprofils bis Mitte der 1990er Jahre fasst die Anthropologin Soraya Fleischer mit folgenden Worten zusammen: „die Brasilianer unterscheiden sich vom Durchschnitt des armen, kaum gebildeten und beruflich kaum qualifizierten Migranten“ (Fleischer 2002: 28; Ü.: ML). Diese Einschätzung deckt sich – auch wenn für den US-amerikanischen Kontext gemacht – ebenso mit denen der Forscher/innen zu den meisten anderen brasilianischen Migrationen jener Zeit. Was in dieser Einschätzung unausgesprochen bleibt, sind ethnische bzw. rassifizierte Zuschreibungen, die hierbei oftmals implizit sind. So liegt der Fokus dieser Studien auf Migrant/innen der eben erwähnten Mittelklasse, die zu jener Zeit vornehmlich aus eher wohlhabenderen Bundesstaaten wie Minas Gerais, Rio de Janeiro, São Paulo oder den südlichen Bundesstaaten kamen und sich in ihrer Mehrheit in Brasilien den Zensuskategorien branco [weiß] oder pardo [braun] zuordneten (vgl. hier Margolis 1994: 92; Reis et al. 1999). Viele Brasilianer/innen erlebten beispielsweise in den USA eine klassenbezogene Neuverortung, da sie als Südamerikaner/innen aufgrund US-amerikanischer Migrations- und Arbeitsmarktregime ebenso wie (andere) „Latinos/as“ zunächst fast ausschließlich im (informellen) Billiglohnsektor Beschäftigung fanden. Nicht zuletzt aus diesem Grund erfuhren viele Brasilianer/innen, so zeichnet es ein Großteil der Studien, eine rassifizierte Neuverortung. Diese motivierte zunächst eine Reihe von ethnisierenden Abgrenzungspraktiken zu den in den USA stigmatisierten „Latinos/as“ (Marrow 2003; Beserra 2005b). Diese ethnisierenden Grenzziehungspraktiken einer sich damals in ihrer Mehrheit weitestgehend als weiß verstehenden Migrant/innengruppe der sogenannten ersten Auswanderungswelle (Sales 1999) bedienten sich vor allem der Nationalität und Sprache (Portugiesisch anstatt Spanisch). Sie rekrutierten aber trotzdem situativ auf ein globalisiertes Imaginarium Brasilien, welches sich über den ‚Mythos einer gemischt-ethnischen Nation‘ konstituiert (Ramos-Zayas 2007; vgl. Kapitel 6). Ab Ende der 1990er konstatieren Migrationsforscher/innen (Sales 1998, 1999; Padilla 2006a; Soares 2006; Tassi Teixeira 2007; vgl. auch Reis u.a. 1999) nach einer weiteren wirtschaftlichen Krise und darauf folgender radikaler Neoliberalisierung der Wirtschaft unter Präsident Fernando Henrique Cardoso (1994-2000) eine zweite größere Auswanderungswelle. Mit dieser ging eine weitere Veränderung des Migrant/innenprofils einher: Zunehmend rückten nun in den Fokus der Studien Migrant/innen aus ärmeren Gesellschaftsschichten Brasiliens, die die Erleichterung der physischen Mobilität und die vermehrte Vernetzung durch die sich rasch popu-

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larisierenden Kommunikations- und Informationstechnologien einer sich intensivierenden Globalisierung gezielt nutzten. Damit verbunden wurde in den brasilianischen Migrationsstudien nun vermehrt auf Rassifizierungspraktiken von Brasilianer/innen Bezug genommen. Sie werden einerseits verstärkt mit der ethnischen Diversifizierung der Migrant/innen begründet (Piscitelli 2008a, 2008b): So setzen sich die unteren sozio-ökonomischen Klassen in Brasilien – bedingt durch die koloniale Geschichte des Landes und sukzessive postkoloniale Gesellschaftsordnungen – noch immer mehrheitlich aus Menschen der Zensuskategorie preto [schwarz] und pardo [braun] zusammen (Guimarães 2002).3 Aus diesen Gruppen kommt auch ein Großteil der Migrant/innen der zweiten Auswanderungswelle. Andererseits verweisen Autor/innen auch darauf, wie eng Rassifizierungspraktiken im Migrationsort wiederum an eine Klassenzugehörigkeit gebunden ist und damit die Eingliederung von Brasilianer/innen in die jeweilige Mehrheitsgesellschaft problematisieren. Bela Feldman-Bianco konstatiert diesbezüglich: „It was not until Brazilians from the working classes started to migrate that it was defined as a problem“ (Feldman-Bianco 2001; zit in Padilla 2006b: 3). Beatriz Padilla spricht, indem sie die Klassenzugehörigkeit hervorhebt, von einer „Proletarisierung der Migration“ (2006b, 2007). Gerade in den iberischen Ländern galten Brasilianer/innen bis dato als ‚unsichtbare‘ Migrationsgruppe (Sales 1999; Tassi Teixeira 2007): Statistisch fielen sie im Vergleich zu anderen lange nicht sonderlich ins Gewicht, sie lebten räumlich und sozial zerstreut und agierten nicht als Migrationsgemeinschaft. Zudem führten sie ein erfolgreiches „jogo identitário“ (dt.: Identitätsspiel; Tassi Teixeira 2007) zwischen einem „tropicalismo de sobrevivência“4 [dt.: Überlebenstropikalismus] und einer weitgehend sozio-kulturellen Anpassung an die gesellschaftlichen Bedingungen im Zielland (was sie lange Zeit als ‚andere‘ Lateinamerikaner/innen positionierte). Die ab Mitte der 1990er beginnende Problematisierung der brasilianischen Migration nach Südeuropa sei, so die Autor/innen, eben nicht nur einer signifikanten numerischen Zunahme geschuldet – sie hänge auch mit der Veränderung des Migrant/innenprofils hin zu einer „Proletarisierung“ zusam-

3

Das komplizierte Verhältnis von ‚Klasse‘ und ‚Rasse‘ im brasilianischen Kontext lässt sich nicht in absoluten Kategorien aufspalten, die dann übereinandergelegt werden können. Vielmehr sind beide Kategorien eng miteinander verwoben und lassen für einige auch einen gewissen Grad von Positionierungsmöglichkeiten und somit Gestaltbarkeit der Zugehörigkeit zu. Allerdings ist weitestgehend unbestritten, dass neben einem allgemeinen Rassismus, der auch unabhängig von der Klassenposition in Brasilien herrscht, die Schwarze Bevölkerung noch immer wirtschaftlich benachteiligt ist, was nicht zuletzt auch über einen strukturellen Rassismus begründet wird (vgl. hierzu Kapitel 6).

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Nach Tassi Teixeira (2007) meint dies den Rekurs auf kulturalisierende Positionierungen, die sich an stereotypen Bildern zum ‚Brasilianischen‘ orientieren.

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men, die zudem eng an eine verstärkte Migration vor allem nicht-weißer Brasilianer/innen gekoppelt war (vgl. hierfür Piscitelli 2008b). Besonders auffällig ist, dass diese neuen Entwicklungen nun mit einer Sichtbarmachung der Feminisierung der Migration zusammenfallen: Nicht nur in Statistiken lässt sich spätesten ab Anfang der 2000er Jahre eine Feminisierung ablesen (Yépes del Castillo 2007). Auch in den TV- und Printmedien mehrten sich Berichterstattungen, die sich speziell auf brasilianische Migrantinnen konzentrierten (Padilla/ Gomez 2012). Letztere bedienten sich gerade zu jener Zeit (post)kolonialer Repräsentationspraktiken, die auf eine Erotisierung und Exotisierung und somit die Festigung stereotyper Anrufungen brasilianischer Frauen zielten. Die Brasilianerinnen, so die Botschaft, würden den einheimischen Frauen in Bezug auf sexuelle wie affektive Beziehungen Konkurrenz machen (hier verweisen die Autor/innen auf das oft zitierte Bild der „ladrá“, der ‚Männerdiebin‘). Es stellt sich daraufhin die Frage, wie die konstatierte „Proletarisierung“ der brasilianischen Migration nicht nur mit rassifizierenden Zuschreibungen sondern auch mit der festgestellten Feminisierung zusammenhängt. Damit verknüpft stellt sich auch die Frage, ob die „Sichtbarwerdung“ der brasilianischen Migrant/innen auch mit der Vergeschlechtlichung ihrer Wahrnehmung verbunden ist, die nicht allein an eine überproportional hohe Präsenz von Frauen gekoppelt werden kann. Hierein spielen (post)koloniale Assoziationen einer verAnderten Weiblichkeit, die die Brasilianerinnen, so Padilla/Gomez (2012), zu Konkurrentinnen, Invasorinnen oder auch Opfern machen. Begleitet wurden diese Entwicklungen von einem verstärkten Forschungsinteresse an den spezifischen Erfahrungen, Situationen und Eingliederungen brasilianischer Migrantinnen in den Zielländern. Damit ordnete sich das Forschungsinteresse dem internationalen Trend in den Migrationsstudien ein (Castles/Miller 1993), bei dem eine Perspektivierung auf Gender (bzw. zunächst auf Frauen) zunehmend gefordert wurde (vgl. Kapitel 2). Zugleich wurde dieser Trend auch von Statistiken getragen, die beispielsweise die Feminisierung der Migration als gesamt-lateinamerikanisches Phänomen kennzeichneten (Magliano/Mallimaci Barral i.E.), sowohl innerhalb Lateinamerikas (ebd.) als auch nach Südeuropa (Gil Araujo 2007: 194; Rodríguez/Martínez 2008) und in die USA (Hondagneu-Sotelo 1994). Der Terminus der ‚Feminisierung‘ der Migration ist jedoch verschieden auslegbar, insbesondere wenn er aufgrund seiner grammatikalischen Form als ein Prozess verstanden wird (oftmals meint der Begriff nicht ein Anwachsen sondern den Befund, dass Frauen zu über 50% an der Migration beteiligt sind). So fehlte einerseits in einigen nationalen Kontexten lange Zeit eine statistische Differenzierung der Migrant/innen nach Geschlecht, wie in Deutschland vor 1990. Vorhandene Statistiken, so Zlotnik, zeigen aber auch, dass Frauen stets in sehr hohem Maße an Migrationen beteiligt waren, der Anstieg der Migration von Frauen insgesamt in den letzten Jahren sogar relativ gering war (Zlotnik 2003). Ähnlich wie bei anderen Formen der

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Konstatierung einer Feminisierung ist daher stets zu fragen, inwieweit es sich in den konkreten Fällen vielmehr um eine Sichtbarmachung von Frauen handelt. Darüber hinaus sollte eine verallgemeinerte Aussage über eine Feminisierung der Migration besser auf seine regionalen Kontexte hin betrachtet werden. So sticht der Anteil von Frauen besonders der brasilianischen Migrationen in Südeuropa markant hervor, der sich ab Mitte der 2000er Jahre in Spanien, Italien und Portugal auf über 70 Prozent belief und damit auch im Vergleich zu den meisten anderen lateinamerikanischen Migrationsgruppen auffällig hoch war (Gil Araújo 2007). Insbesondere diesen drei Ländern bescheinigten Russell King und Elisabetta Zontini bereits Ende 1990 aufgrund der Spezifik der miteinander verzahnten Gender-, Migrations- und Arbeits(markt)- sowie defizitären Wohlfahrtsregime ein gesondertes „Südeuropäisches Einwanderungsmodell“:5 Gemäß der Autor/innen wandern Migrantinnen des Globalen Südens (und auch Ostens) nicht im Zuge von Familiennachzug ein, sondern als Arbeitsmigrantinnen. Sie arbeiten dann vorrangig im hochgradig ethnifizierten und vergeschlechtlichten (informellen) NiedriglohnDienstleistungssektor, insbesondere in der Pflege- und Betreuungs- sowie Sexarbeit (King/Zontini 2000). Diesen Bereichen wurden auch viele der brasilianischen Migrantinnen, vor allem der zweiten Auswanderungswelle, in Südeuropa zugewiesen. Wie eng diese zugeordneten Arbeitsfelder (mit ihrer vermeintlichen dichotomen Polung von Betreuungs- und Sexarbeit) auch mit dominanten Repräsentationspraktiken verflochten sind, und sich über die Intersektionalität von Geschlecht, ‚Rasse‘, Nationalität (und Klasse) speisen, zeigen die vielfältigen Studien zur Feminisierung der lateinamerikanischen und brasilianischen Migrationen. Insbesondere brasilianischen Frauen wird eine ‚traditionelle‘ Weiblichkeit zugeschrieben, die sich vermeintlich aus naturalisierten Eigenschaften, wie besonders ausgeprägter Fürsorglichkeit, Zärtlichkeit und Duldsamkeit, zusammensetzt. Daran gekoppelt sind auch Zuschreibungen einer geschlechterspezifischen Unterwürfigkeit und Häuslichkeit; also alles Eigenschaften, die eine Vokation für betreuungsintensive Tätigkeiten andeuten (vgl. hierfür u.a. Piscitelli 2008b; Padilla/Gomez 2012). Diese wird jedoch gebrochen, indem den Brasilianerinnen ein besonders ausgeprägtes sexuelles Naturell unterstellt wird. Diese Zuweisung besonderer Sinnlichkeit, Erotik und Leidenschaftlichkeit rückt die Frauen dabei stets auch in die Nähe von Sexarbeit. Unterstützend wirkt diesbezüglich die intensivierte Berichterstattung in den iberischen

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Die Autor/innen machen hierfür verschiedene Faktoren aus, wie die seit Jahrzehnten große Heterogenität der Herkunftsländer der Migrant/innen, die spezifische Dynamik des informellen Sektors, die hohe Konzentration von Migrant/innen im Dienstleistungssektor, ein nach Geschlecht und Ethnizität hoch segmentierter Arbeitsmarkt, ein defizitäres Wohlfahrtssystem und nicht zuletzt die spezifischen geographischen Besonderheiten, wie etwa die Grenzregion Europas nach Süden zu konstituieren (vgl. King/Zontini 2003).

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Ländern über brasilianische Sexarbeiterinnen und damit verknüpfte TraffickingNetzwerke (Piscitelli 2007a, 2007b, 2008a). Die in diesen diversen Zuschreibungen operierende „tropicalization“ (Aparicio/ Chávez-Silverman 1997) habe, so Adriana Piscitelli, zwar je nach nationalem Migrationskontext und den damit variierenden historischen Beziehungen zu Brasilien ihre unterschiedlichen Nuancen (2008a: 269). Sie verfahre jedoch stets über eine (post)koloniale Logik, in der sich dominante Zuschreibungen in den Körpern und Körperlichkeiten der Frauen materialisieren. Piscitelli, Padilla und andere konstatieren, dass bereits die nationale Zugehörigkeit eine sexualisierte Rassifizierung der Brasilianerinnen im Globalen Norden konditioniere, unabhängig z.B. ihrer ‚Hautfarbe‘. Piscitelli macht hier dennoch Unterschiede bezüglich der Wahrnehmung der ‚Hautfarbe‘ und bezüglich der Klassenposition der Frauen im Zielland auf, die eine entsprechende Variation in der Zuweisung der genannten stereotypen, teils sehr ambivalenten Eigenschaften nach sich ziehe. Dies habe wiederum Auswirkungen auf den Zugang zu den oben genannten Tätigkeitsfeldern der Frauen.6 Allerdings betonen die genannten Autorinnen auch den strategischen Umgang bzw. die strategische Positionierung vieler Brasilianerinnen mithilfe ausgewählter stereotyper Zuschreibungspraktiken. Darüber könnten sie sich den Zugang zu ethnisch-vergeschlechtlichten Arbeitsfeldern erschließen, die Padilla/Gomez (2012) in ihrer Mehrheit als „economia da simpatia“ bezeichnen (nach Fernandes 2008, zit. Padilla/Gomez 2012: 11). Nicht zuletzt sichern genau diese Arbeitsfelder oftmals das Überleben vieler Frauen am Migrationsort. Piscitelli spricht daher von einem ambivalenten Spiel zwischen Ablehnung bzw. Widerstand und komplizenhafter Beteiligung am Erhalt stereotyper Zuschreibungspraktiken (Piscitelli 2008a: 271). Dieses Spiel sitzt jedoch einer kolonialen Logik auf, da sich die Frauen dessen Regeln kaum entziehen können, also keine Alternative zu diesem haben. Zudem werden die Spielregeln nicht allein in den Migrationsorten geschrieben, sondern sind in einem komplexen Geflecht transnationaler Repräsentationsregime und brasilianischer ‚Tropikalisierungspraktiken‘ eingebettet. Beteiligt daran sind neben den brasilianischen Nationenmythen nicht zuletzt die international operierende Tourismusindustrie sowie andere Zweige der Unterhaltungsindustrie. Das Bild von der lateinamerikanischen (und eben auch brasilianischen) Arbeitsmigrantin, wie es als dominant für den südeuropäischen Raum beschrieben ist, wird zudem von einem weiteren Bereich ergänzt, in dem brasilianische Frauen seit den 1980er Jahren auffallend präsent sind: der Heiratsratsmigration. Genau diese Migra-

6

So stellte sie in ihrer Studie in Spanien beispielsweise für viele Frauen, die sich als negra bezeichneten, fest, dass diese zwar als Sexarbeiterinnen ‚gefragt‘ waren, aber etwa bei Betreuungsarbeiten oder gar als mögliche Ehepartnerinnen weniger Chancen als beispielsweise morenas hatten (vgl. Piscitelli 2007a, 2007b).

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tionsform steht in den wenigen Studien zu brasilianischen Migrationen nach Deutschland im Vordergrund. Sie markiert hierbei einen deutlichen Unterschied zu den Forschungsschwerpunkten, wie sie etwa zu brasilianischen Migrantinnen in die USA oder nach Südeuropa zu finden sind. Im Folgenden wird die Heiratsmigration anhand meiner empirischen Ergebnisse kritisch diskutiert und in Bezug auf Auswirkungen auf die Arbeitseingliederung der an dieser Studie beteiligten Interviewpartnerinnen reflektiert. 4.1.2 Migrationstrajektorien brasilianischer Frauen in Berlin: Einige Steckbriefe [Erzähle mir von deiner Geschichte, wie bist du nach Berlin gekommen?] „Ich glaube meine Geschichte ist eine, die fast jede Brasilianerin oder Ausländerin erzählen kann, die hier lebt. Ich bin durch meinen Mann hierher gekommen. Wir haben uns in Brasilien kennengelernt. Das ist jetzt schon zehn Jahre her. Ich bin ihm dann nach Deutschland gefolgt, dann haben wir geheiratet und .. Nun, eben so wie es sein soll. … [Erzähle mir mehr darüber!] Ok, also, es war eine Liebesgeschichte bei mir. Er war Deutscher; ich habe ihn in Brasilien kennengelernt, dann hatten wir eine Fernbeziehung. Aber bei einer Fernbeziehung lernt man sich nicht wirklich gut kennen. Wenn man zusammenlebt, also 24 Stunden zusammenlebt, dann lernt man das wahre Gesicht kennen. So war es bei mir. Es hat nicht geklappt. Es ist auseinandergegangen. Wir haben uns scheiden lassen und dann habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt. Jetzt sind wir so sechs, sieben Jahre zusammen ... [Mhm, was war zuvor?] Also, in Brasilien war ich Schneiderin. Das war mein Beruf gewesen. Ich habe in Recife bei meiner Familie gelebt, weil in Brasilien die Kinder mit ihren Eltern zusammenleben, bis sie irgendwann finanziell allein leben können. Bei mir war das nicht der Fall, denn ich komme aus einer armen Familie. Ich habe bei meiner Mutter bis zu dem Tag gelebt, an dem ich nach Deutschland geflogen bin. Ich hatte zehn Jahre als Schneiderin gearbeitet. Das hat mir Spaß gemacht. ... [Mhm.] Also – wir mussten arbeiten. Meine Eltern sind geschieden, und damals war es so. .. Es war sehr viel Stress mit meinen Eltern und wir wollten nicht, dass meine Mutter noch mehr Stress hat. Es war eine Belastung für sie, damals, wegen dieser anderen Frau, das war nicht schön. Und so mussten wir arbeiten, um etwas zum Essen zu haben. Ich wollte arbeiten, so war ich seit ich 15, 16 Jahre alt bin. Ich wollte arbeiten, ich wollte unabhängig sein. Das war immer so bei mir. Ich bin freiwillig mit 15 zum Arbeiten gekommen, das hat mir Spaß gemacht. Und in dieser Fabrik habe ich zehn Jahre gearbeitet. Und dann habe ich gekündigt, weil ich einfach was anderes haben wollte. Ich hatte die Nase voll. Es hat mir noch Spaß gemacht, aber das war für mich keine Herausforderung mehr, denn ich konnte es schon gut. Das ist mein Problem: wenn ich etwas gut kann, dann suche ich etwas anderes. Und damals habe ich meinen Mann kennengelernt. … [Ihr Telefon klingelt, wir unterbrechen kurz.]

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Dann hatte ich also gekündigt, als ich meinen Mann kennengelernt hatte. Er konnte sehr gut Portugiesisch – nee, nur gut. Dann haben wir am Strand .. -viele Brasilianer lernen ihren Mann beim Karneval oder am Strand kennen- .. dann hatten wir eine Fernbeziehung. Und dann bin ich dort irgendwann – dann hat er mich nach Deutschland geholt, wir haben geheiratet. Es war September als ich gekommen war, es war grau, Regenwetter so wie heute, es war grau, kalt. In Brasilien waren es 30 Grad. Als ich hier ankam, war es grau, mir war kalt. Da habe ich mir gedacht: Oh mein Gott, was mache ich hier. Da habe ich wirklich realisiert, dass ich hier bin. Kommen wollte ich nie, aber es ist einfach passiert. Zum Glück war ich nicht alleine, ne. Ich hatte einen Mann, der mich unterstützt hatte. Zwar nur für einen gewissen Zeitraum, aber er hat mich unterstützt. Das war so, weißt du so, .. Liebe. Ich hatte gesagt: Ich habe nichts zu verlieren. Ich hatte den Gedanken: Wenn es nicht klappt, gehe ich zurück. Mehr kann nicht passieren. Entweder bleibe ich da und werde glücklich und wenn es nicht klappt, komme ich wieder. Meine Mutter hat gesagt: ‚Komme jederzeit zurück‘. Ich wollte schon, also geplant war nichts, es war plötzlich. Er hat gesagt: ‚Ich habe ein Ticket für dich gekauft‘. Dann bin ich gekommen, aber das war nie mein Traum, nach Europa. Und dann .. aber das war nicht .. Aber jetzt ich bin glücklich mit meinem zweiten Ehemann. Wir sind jetzt schon seit sechs Jahren zusammen. ... [Aha, aber wie war das in den ersten Monaten?] Als ich kam, musste ich erst einmal Deutsch lernen, weil mein Mann Portugiesisch sprach. Das hat zwei Jahren gedauert bis ich fertig war und gesagt habe: Jetzt kann ich irgendetwas machen. Nachdem ich fertig war mit der Schule habe ich hier eine Weiterbildung gemacht. Dann habe ich einen Job bekommen. Das war nach drei Jahren, nachdem ich hier angekommen war, dann habe ich angefangen zu arbeiten. Zuerst habe ich selbständig als Promoterin gearbeitet. .. Weil ich wollte sicher sein. .. Ich wollte die Leute verstehen. Ich wollte nicht, wenn sie mir eine Frage stellen, dass ich sage: nee, kein deutsch. Das geht gar nicht. Gerade die Unternehmen sind dahingehend- .. Je nachdem welchen Job- .. Ne also, wenn man nur putzt, muss man kein Deutsch sprechen. Aber ich wollte mehr als nur putzen. Dann war ich Promoterin. .. Ein Jahr habe ich in dieser Firma gearbeitet, danach hatte ich bei einem Fitnessstudio ein Angebot als Empfangsmitarbeiter bekommen. Dort habe ich zwei Jahre gearbeitet und nach diesen zwei Jahren habe ich entschieden, mich selbständig zu machen...“ (Leni, 20.09.2012, Queen of Waxing, Prager Platz)

Leni erzählte mir ihre Geschichte bei unserem zweiten Interviewtermin in ihrem Studio, etwa eine Stunde vor ihrem ersten Behandlungstermin an einem Mittwochmorgen. Ihre Geschichte, so hatte sie mir bei unserem ersten Interview ein paar Monate zuvor mitgeteilt, würde sie des Öfteren auch in Gesprächen mit ihren Kundinnen erzählen, die sich für ihren Lebensweg interessierten. Beinahe selbstverständlich wirken auf mich die von ihr vorgenommenen etappenhaften Einteilungen ihrer Migrationserfahrungen, etwa dass sie erst Deutsch lernen hätte müssen, um danach Arbeit zu bekommen. Doch noch auffälliger ist die ihrer Erzählung vorangestellte Rahmung, auf die sie wiederholt Bezug nahm und mit der sie ihre Migrati-

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on nach Deutschland begründet: die Liebe zu einem deutschen Mann, den sie dann auch sofort heiratete – „eben so wie es sein soll“ fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. Leni begann dabei ihre Geschichte mit einer wichtigen Vorbemerkung: Sie stellte ihre Geschichte in einen von ihr vermuteten kollektiven Ehrfahrungshintergrund „fast jeder Brasilianerin“ und erweiterte diesen sofort mit der Ergänzung „fast jeder Ausländerin“. Dieser Einstieg bettete ihre nachfolgende Erzählung in eine über ihren eigenen Erfahrungshintergrund hinausreichende Meta-Narrative ein; und gab mir somit vor, ihre Erzählung nicht nur als die Ihrige zu verstehen, sondern als eine, die sie mit vielen anderen Frauen teilt. Es ist zugleich eine Geschichte, die sich unter Frauen zwischen Wartesaal und Kabine erzählen lässt: Liebe, eine vergangene Enttäuschung und erneute Liebe, aufgrund der sie gerade glücklich ist, sind leichte Gesprächsthemen, die Emotionen hervorrufen und Empathie unter den Gesprächspartnerinnen schaffen. Dahingegen wecken ihre Sorgen und Anstrengungen um die Beherrschung der deutschen Sprache und ihre beständigen Bemühungen, über entlohnte Arbeitstätigkeiten andere unterstützen zu können oder gar finanziell eigenständig zu sein, Bewunderung und Anerkennung bei ihren Zuhörerinnen, wie mir es Leni später in diesem Interview noch bestätigte. Ihre Geschichte, wie sie sie mir zunächst darstellte, ist eine erzählbare – eine, die ausgesprochen werden kann, die sie mit ihren (deutschen) Kundinnen teilen kann, da sie weder Unmut noch Mitleid bei ihren Zuhörerinnen hervorruft, sie weder anklagt noch gängige Vorstellungen darüber „wie es sein soll“ in Frage stellt und deswegen gern gehört wird: Leni ist Brasilianerin – nicht irgendeine Ausländerin; -

sie kam mit einem Deutschen nach Berlin – der Liebe wegen, sie war arm aber fleißig, er holte sie auf legalem Weg hierher; sie heirateten ordnungsgemäß – „so wie es sein soll“; sie versuchte sich schnell zu integrieren, indem sie sofort darum bemüht war, Deutsch zu lernen; sie begann bald zu arbeiten, um ihr eigenes Geld zu verdienen – selbständig als Promoterin für ein brasilianisch-deutsches Produkt (wie sie mir später erzählte), danach im Fitnessstudio und nun mit einem eigenen Geschäft, also alles Tätigkeiten, wo ihr zugeschriebene Eigenschaften als Brasilianerin (nett, offen, fröhlich, zugänglich) gewinnbringend ausgeschöpft werden konnten und die sich zudem nicht mit den Arbeitsfeldern ihrer Kundinnen überschneiden.

Doch die von Leni vorgenommenen längeren Pausen während ihrer Erzählung deuteten auf Auslassungen hin – vorgenommen, um nicht von ihrer gewohnten Erzählhandlung abweichen zu müssen. Beim anschließenden Nachfragen wurde deutlich, dass ihre Geschichte keine geradlinige und sorglose ist, sondern von Auseinander-

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setzungen geprägt. Diese Auseinandersetzungen sind einerseits im von ihr herausgestellten kollektiven ‚Wir‘ („jede Brasilianerin“, „jede Ausländerin“) in vielfältigen Ausprägungen wiederzufinden, machen aber anderseits Lenis ganz eigene Erfahrungen aus. Erst die sich anschließenden, von mir angeregten Erzählungen über eben diese Auslassungen brachen mit einer vereinfachenden Kategorisierung von Lenis Migrationstrajektorie als ‚typische‘ Heiratsmigration. Sie ermöglichten so einen Blick auf die für Leni wirkmächtigen Migrations-, Arbeits- und Genderregime, wie ich zeigen werde. Im Folgenden werden daher die Schwierigkeiten einer Verortung außerhalb von Repräsentationsregimen, die mit einer Kategorisierung als Heiratsmigrantin und gleichzeitigen stereotypen Verortungen als Brasilianerin verbunden sind, diskutiert. Dem vorangestellt finden sich kurze Steckbriefe über die Migrationstrajektorien der Frauen, mit denen der Austausch für diese Forschung besonders intensiv war. Frances-Clai F.P. (geb. 1962) ist in einer Kleinstadt im Bundesland Goias und später in Minas Gerais aufgewachsen. Nach Schule und Ausbildung arbeitete sie als Schauspielerin, Modell und Synchronsprecherin, wofür sie mit 23 Jahren nach Rio de Janeiro zog. 1992 kam sie zum ersten Mal nach Deutschland, um die Sprache zu lernen und einen Cousin zu besuchen, lernte bald darauf einen Deutschen kennen, heiratete ihn und wurde schwanger. Sie verdiente sich hin und wieder etwas Geld mit Kosmetik- und Cateringdiensten. 1996 ging sie mit ihrer Familie nach Brasilien und kam 1998 geschieden allein mit ihrem Sohn nach Berlin zurück. Auf Hartz-IVBasis lebend, entschied sie zusammen mit einer Freundin, sich als Kosmetikerin selbständig zu machen. Maria do Carmo S. (Carminha) (geb. 1960) ist in einer Kleinstadt im Bundesstaat Rio de Janeiro aufgewachsen und zog nach dem Abitur zu einer Schwester in die Landeshauptstadt, wo sie als Verkäuferin arbeitete. 1982 lernte sie ihren späteren deutschen Ehemann in Rio kennen, besuchte ihn ein Jahr später in Oldenburg und heiratete ihn kurz darauf. Nach drei Jahren gingen sie gemeinsam nach Brasilien, wo 1997 ihre Tochter geboren wurde. 2003 zogen sie zurück nach Deutschland, Berlin. Carminha trennte sich dort von ihrem Mann. Sie verdiente sich neben der Unterstützung ihres Ex-Mannes zunächst etwas Geld mit selbstgemachten Snacks, bis sie 2006 in die Waxing-Branche einstieg. Marta* (geb. 1965) ist in einer Kleinstadt im Bundesstaat Minas Gerais aufgewachsen. Ihre erste bezahlte Arbeit nahm sie mit 16 Jahren an, als sie noch immer zur Schule ging. Nach ihrem Schulabschluss arbeitete sie als Sekretärin für ein Bergbauunternehmen. Sie lernte ihren deutschen Mann in Brasilien kennen und folgte ihm, bereits schwanger mit ihrem Sohn, im Jahr 1995 nach Deutschland. Nach zweieinhalb Jahren Elternzeit nahm sie vom Arbeitsamt vermittelt eine Arbeit

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als Putzfrau in einer Reinigungsfirma an, wo sie zehn Jahre angestellt blieb. Um in einem der ersten Berliner Waxing Studios zu arbeiten, kündigte sie diesen Job. Dalva C. (geb. 1966) ist in Belo Horizonte, der Landeshauptstadt von Minas Gerais aufgewachsen, wo sie nach ihrem Abitur ein Kosmetikstudio eröffnete. 1990 kam sie auf Einladung eines Bekannten, der sich in Deutschland aufhielt, nach Berlin. Sie kam mit dem Ziel, in die Tourismusbranche einzusteigen, absolvierte hierfür ein Praktikum, verkaufte dann ihr Kosmetikstudio in Brasilien und zog nach Berlin. Zunächst begann sie neben ihrer Deutsch-Schule als Reinigungskraft zu arbeiten. Von ihrem deutschen Freund wurde sie schwanger, trennte sich jedoch nach der Geburt ihres Sohnes von ihm und bemühte sich um eine Ausbildung in der Tourismus-Branche, die sie über ein europäisches Frauenförderprogramm nach langen Auseinandersetzungen mit dem Arbeitsamt erhielt. Anschließend eröffnete sie ein deutsch-brasilianisches Reisebüro, das sie nach acht Jahren als insolvent anmelden musste. Einige Monate später stieg sie ins Waxing-Geschäft in Berlin ein. Silvana H. (geb. 1972) ist im Bundesstaat Amazonas auf dem Land geboren, kam in jungen Jahren zu ihrer Tante in die Landeshauptstadt Manaus, um dort die Schule zu besuchen. Nach der Schule begann sie im Tourismus zu arbeiten und zog dafür in die Grenzregion zu Peru/Kolumbien. Später lernt sie ihren deutschen Mann kennen, der mehrere Jahre in Brasilien arbeitete und mit dem sie zunächst auf Besuch nach Berlin kam. Im Jahr 2000 entschieden sie sich dann endgültig, nach Deutschland zu ziehen, ein Jahr später wurde ihr erster Sohn geboren. Nach dessen Geburt absolvierte sie eine einjährige Ausbildung zur Kosmetikerin, doch arbeitete anschließend an der Potsdamer Fachhochschule von ihrem Mann vermittelt als Portugiesisch-Lehrerin und später, nach ihrer Scheidung, weitere drei Jahre als Bürokraft und Übersetzungsgehilfin in einer Potsdamer Import-/Export-Firma. Noch während sie dort arbeitete, entschied sie sich, ein Waxing Studio aufzumachen. Angelica (geb. 1975) kommt aus einer Kleinstadt Bahias. Nach der Trennung ihrer Eltern begann sie bereits als kleines Kind für unterschiedliche Formen der Entlohnung auf andere Kinder aufzupassen. Nach der Schule machte sie eine Kosmetikausbildung und arbeitete danach in einem Hotel als eine Art ‚Mädchen für alles‘, vor allem an der Rezeption und in der Gastronomie. Über die Hotelleitung wurde sie 1997 angefragt, ob sie nicht in einem an das Hotel angeschlossenen brasilianischen Restaurant in Berlin arbeiten wolle. In Berlin lernte sie ihren späteren Ehemann kennen; sie heirateten und sie bekam ein Kind von ihm. Nach einigen Jahren trennte sie sich von ihm und heiratete kurz darauf wieder. Nachdem das Restaurant im Jahr 2005 schloss, arbeitete sie neben anderen Jobs vor allem als Kindermädchen bevor sie zum Waxing-Geschäft kam.

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Leni (geb. 1975) ist in Recife, im Nordosten Brasiliens aufgewachsen. Nach der Scheidung ihrer Eltern begann sie mit 15 Jahren diverse Jobs anzunehmen. Sie absolvierte nach der Schule eine Ausbildung als Schneiderin und arbeitete zehn Jahre lang in einer Textilfabrik. Sie kam 2002 nach Berlin auf Einladung ihres ersten Mannes, den sie in Brasilien kennengelernt hatte, und heiratet ihn nach ihrer Ankunft. Drei Jahre später trennten sie sich. In dieser Zeit hatte sie nach ihrer DeutschSchule eine Ausbildung in der Tourismus-Branche mit Hilfe diverser Putz-, Betreuungs- und Tanztätigkeiten finanziert. Sie lernte kurz darauf ihren zweiten Mann kennen und begann als Promoterin für eine Zigarettenfirma auf Selbständigen-Basis zu arbeiten; anschließend wurde sie als Rezeptionistin in einem Fitness-Studio eingestellt. Ein weiteres Jahr später entschied sie, sich mit einem eigenen Waxing Studio wieder selbständig zu machen. Neide* (geb. 1977) ist im Hinterland Pernambucos in einer Großfamilie aufgewachsen. Als Kind half sie bereits ihren Eltern in der Landwirtschaft. Um ihr Abitur absolvieren zu können, zog sie zu ihrer Tante in eine größere Stadt, wo sie anschließend als Sekretärin in einem kleinen Unternehmen arbeitete. Mit 26 Jahren lernte sie ihren deutschen Partner kennen, den sie nach einigen Monaten Fernbeziehung in Deutschland besuchte und daraufhin heirate. Nachdem sie in Berlin kurzzeitig als Kinderbetreuerin gearbeitet hatte, wurde sie Aushilfskraft in einem Geschäft. Von dort wechselte sie anschließend als Depiladora in ein Waxing Studio, in dem sie zwei weitere Jahre arbeitete, bis sie sich dazu entschloss, sich selbständig zu machen. Andréa M. (geb. 1971) kommt aus Governador Valadares, Minas Gerais. Bereits mit elf Jahren begann sie zu arbeiten, um Geld zu verdienen. Mit 16 Jahren migrierte sie zu ihrer Mutter in die USA, wo sie zunächst in der Pflege arbeitete und später mit ihrer Mutter ein eigenes Restaurant eröffnete. Mit 18 Jahren begann ihre „Geschichte mit dem Wachs“ in einem brasilianischen Kosmetikstudio in New York. Als ihre Mutter wegen Krankheit 15 Jahre später nach Brasilien zurückkehrte, folgte sie ihr. Nach deren Tod ging Andréa nach Portugal, wo eine ihrer Schwestern lebte. Von da an verbrachte sie jeweils mehrere Monate in Portugal, Spanien, Frankreich und Deutschland, wo sie teils als Depiladora, teils in anderen Jobs arbeitete. 2008 kam sie für knapp drei Jahre nach Berlin, wo sie einen deutschen Freund heiratete. Nach einem kurzen Aufenthalt in Brasilien und den Niederlanden kehrte sie 2012 nach Berlin zurück, wo sie wieder als Depiladora arbeitet. Lecylana K. (geb. 1970) wuchs in Governador Valadares, Minas Gerais, auf, wo sie ihr Abitur machte und anschließend in der Hotellerie arbeitete. Ihr Studium der Physiotherapie musste sie nach dem BA-Abschluss aus finanziellen Gründen abbrechen. Nach der Scheidung ihrer ersten Ehe, aus der drei Kinder hervorgingen,

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lernte sie einen Deutschen kennen, dessen Einladung sie 1994 nach Berlin folgte. Sie trennten sich nach einigen Jahren und Lecylana ging nach Brasilien zurück, wurde jedoch von ihrem neuen deutsch-türkischen Freund, der ihr anbot, sie zu heiraten, wieder nach Deutschland eingeladen. Sie nahm ihren alten Job als Haushaltsarbeiterin und Kinderbetreuerin wieder auf. Ihre Arbeitgeberin finanzierte Lecylana nach zehn Jahren Arbeit eine Ausbildung als Physiotherapeutin in Berlin. Dieses Mal holte Lecylana ihre Kinder nach. Mit ihrem aktuellen deutschen Lebenspartner entschieden sie sich nach ihrer Ausbildung 2009, eine eigene Praxis aufzumachen, in das sie ein Jahr später ein Waxing Studio integrierten, das ihre Schwester leitet. Ana* (geb. 1978) kommt aus einer Kleinstadt Bahias und wuchs dort in einer Großfamilie auf. In ihrer Familie verdienten sich bereits einige Frauen über Kosmetikarbeit ihr Geld, eine Schwester hatte ein eigenes Studio. Ana* arbeitete jedoch nach ihrer Schule als Sekretärin. 2004 kam sie auf Einladung ihres deutschen Freundes, den sie in Brasilien bei dessen Studienaufenthalt dort kennengelernt hatte, nach Berlin, wo sie heirateten. Zunächst war sie arbeitslos und verdiente sich hin und wieder auf Festen etwas Geld als Kellnerin und Barfrau, später wurde sie über Bekannte als Haushaltarbeiterin und Kindermädchen vermittelt. 2006 begann sie von einer Freundin vermittelt die Ausbildung als Depiladora. 4.1.3 Brasilianerinnen als Heiratsmigrantinnen? Die Problematik einer solchen Zuordnung und ihrer medialen Darstellung Lenis eingangs zitierte Migrationsgeschichte reiht sich nach ihren Aussagen in die vieler brasilianischer Frauen ein: Als Beweggrund gab sie Liebe zu einem Deutschen an, den sie bei seinem Urlaub kennengelernt hatte. Nach einer Fernbeziehung lud er sie nach Berlin ein, wo sie heirateten. Damit scheint ihre Geschichte der vorherrschenden Repräsentation über die Migration brasilianischer Frauen zu entsprechen, wie sie in medialen Diskursen, in politischen Beiträgen, in Partnervermittlungsagenturen oder auch in Interpretationen von Statistiken über Brasilianerinnen gefestigt wird. Statistiken wie die des Ausländerzentralregisters (AZR) zeigen, dass seit 1995 der Anteil der Frauen aller in Deutschland registrierten Brasilianer/innen bei über 70 Prozent liegt und im Jahre 2004 mit 75 Prozent einen Höhepunkt erreichte (Tabelle 4.2). Die Migration nach Deutschland ist im Vergleich zu anderen brasilianischen Migrationen seit der 1990 eingeführten statistischen Unterscheidung nach Geschlecht eine von Frauen dominierte und auch im deutschen Imaginarium eine geschlechtlich markierte. So lag der Anteil der 35-45-, der 45-55 und der 5565-Jährigen beispielsweise im Jahr 2012 bei über 80 Prozent (AZR 2012).

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Tabelle 4.2: Einwanderung von Brasilianer/innen nach Deutschland Jahr

insgesamt

2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991

38 253 36 300 34 945 33 865 32 537 32 445 31 918 31461 30340 28902 27176 28557 27238 25844 24142 22390 20952 19602 18383 16840 15744 14643 13253 12106

davon weiblich 25 465 24 748 24 431 23 993 23 382 23 372 23 076 22967 22426 21546 20422 20958 19989 18869 17649 16340 15235 14154 13109 11930 10973 9984 8937 8029

in % 66,57 68,17 69,91 70,85 71,86 72,04 72,30 73,00 73,92 74,55 75,15 73,39 73,39 73,01 73,10 72,98 72,71 72,21 71,31 70,84 69,70 68,18 67,43 66,32

Ø Alter männ weiblich lich 29,9 37,9 30,1 37,8 30,1 37,5 29,9 37,2 29,8 36,9 29,4 36,5 29,6 36,1 29,5 35,7 29,5 35,4 29,5 35,3 29,6 35,0 30,4 34,8 30,1 34,3 30,0 34,0 30,0 33,7 30,0 33,5 30,0 33,1

Ø Aufenthalt männweiblich lich 6,6 10,9 7,0 10,8 7,3 10,7 7,3 10,4 7,5 10,2 7,4 9,9 7,4 9,7 7,5 9,4 7,7 9,2 7,8 9,0 8,0 8,8 8,7 8,8 8,6 8,5 8,4 8,3 8,8 8,1 8,6 7,9 8,5 7,7

Keine Angaben

Quelle. Zusammenstellung gemäß den Angaben des AZR (1991-2014)

Ein Blick auf die Statistiken (ARZ 1991-2014) zur Art der Aufenthaltstitel, mit denen Brasilianer/innen nach Deutschland einreisen, bestätigt zudem scheinbar die Vermutung, die Frauen wären bevorzugt deutschen Männern nachgereist: Noch 2004 waren fast zwei Drittel aller Brasilianerinnen als nachgezogene Ehefrauen registriert (wobei die Tendenz sinkt, was auf die besondere Charakteristik der brasilianischen Migration in den 1990er und frühen 2000er Jahre verweist, die in Deutschland aufgrund seines besonderen Migrationsregimes in der geschlechtlichen Dimension eine Spezielle ist, wie später ausgeführt wird). Davon war die große Mehrheit mit einem Deutschen verheiratet (ebd.). Berichte verweisen daher darauf, dass Brasilianerinnen, neben vor allem thailändischen sowie osteuropäischen Frau-

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en, mit einem proportional zur Migrant/innengruppe höchsten Anteil an interethnischen bzw. binationalen Partnerschaften mit einem deutschen Mann vertreten sind (Stelzig 2005). Sie werden damit aus rechtlicher Sicht als Heiratsmigrantinnen, also als „Zuwanderinnen zum Zwecke der Eheschließung und Familiengründung“ (Westphal/Katenbrink 2007) erfasst. Diese Kategorie stellt seit dem Ende der Gastarbeit hierzulande die dominante Einwanderungsform dar (Migrationsreport 2010).7 Diese Kategorie ist im politischen Diskurs sowie in der gesellschaftlichen Wahrnehmung jedoch eine hochgradig ambivalente und oft gekoppelt an Vorverdächtigungen. Diese können bis hin zu Kriminalisierungen der beteiligten Parteien (Ehepartner/innen sowie Institutionen, die an der Anbahnung der Eheschließung beteiligt waren) reichen. In der jeweiligen Auslegung mag darunter beides enthalten sein: Migration zum Zwecke der Ehe oder aber die Ehe zum Zwecke der Migration.8 Bei letzterem Punkt wird die Eheschließung (als offizielles Bekenntnis einer Familiengründung) als Instrument ausgelegt, um Migration zu ermöglich und/oder zu legalisieren. Darüber hinaus wird sie oftmals als Mittel für andere Absichten verdächtigt, wie die der Arbeitsmigration oder einer Statusaufwertung des/der Migrant/in (Westphal/Katenbring 2007: 136). Unterschiedliche politische Maßnahmen haben diese öffentlich als ‚Missbrauch‘ und ‚Täuschung‘ diffamiert und versucht, diese anhand von Liebes- bzw. Familiengründungsbekenntnissen in den letzten Jahren entgegenzuwirken.9 Diese Verdächtigungen sind neben ihrer klassenspezifischen Ausdeutungen von globalen Süd-Nord- bzw. Ost-West-Migrationen (also jeweils aus einem ‚armen‘ Lebenskontext in ein vermeintlich wohlhabenderes Lebensumfeld, die hierbei geographisch mit Ost-West oder Süd-Nord gleichgesetzt

7

Sogenannte „intraethnische“ Eheschließungen zwischen Nicht-Deutschen werden in dieser Diskussion nicht näher berücksichtigt, da diese für die vorliegende Forschung nicht relevant sind.

8

Adriana Piscitelli arbeitet für den Kontext der Europäischen Union die folgenden Kategorien interethnischer Eheschließungen heraus, in denen die Ehefrau aus ärmeren Gesellschaftsschichten eines anderen Landes kommt: Liebesehen, arrangierte Ehen, Zweckehen, Zwangsehen, Ehen im Rahmen der Familienzusammenführung und Ehen zur Wiederherstellung der Ehre (2011: 106).

9

Hierzu zählen etwa der Nachweis über fortgeschrittene Deutschkenntnisse des/der nachziehenden Ehepartners/in sowie eine Dokumentation des Liebesverhältnisses der letzten Monate (ersichtlich etwa in gemeinsamen Fotos, verschriftlichtem Kommunikationsverkehr, dem Kennen der persönlichen Vorlieben und Interessen des Ehepartners in ‚Vorstellungsgesprächen‘ bei der Ausländerbehörde), die dabei helfen sollen, ‚Liebes‘-Ehen von sogenannten ‚Schein‘- oder ‚Schutz‘-Ehen insbesondere zwischen deutschen und nicht-deutschen Ehepartnern zu unterscheiden.

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werden) jedoch auch stark vergeschlechtlichte, wobei die auf Statusaufwertung abzielende Ehe in erster Linie weiblichen Migrantinnen zugeschrieben wird. Diese geschlechterspezifische Zuweisung ist ein Phänomen, das sich nicht nur für den deutschen Kontext beobachten lässt, sondern als Heiratsmigrantinnen kategorisierten wanderenden Frauen in verschiedenen regionalen Kontexten widerfährt (vgl. hierfür Charsley 2012). Studien, wie die Untersuchung von Adriana Piscitelli zu brasilianischen Heiratsmigrantinnen nach Italien (2007c) und Spanien (2009; 2011) belegen diese Annahme in ausgewählten Beispielen durchaus. Piscitelli beschäftigte sich mit Frauen des brasilianischen Nordostens, die sporadisch oder aber auch in institutionalisierten Formen sexuelle Beziehungen mit (vor allem) europäischen Touristen gegen Geld oder andere Wertzahlungen eingingen, aus denen jedoch Liebesbeziehungen hervorgingen, die bis zur Ehe führten (vgl. Piscitelli 2007c, 2011). Gerade für diese Frauen, so Piscitelli, stellte die Ehe mit einem ‚Gringo‘ durchaus ein soziales upgrade dar. Allerdings bezieht sich dieses upgrade nicht allein auf die wirtschaftliche Situation der zukünftigen Ehepartner. Vielmehr ergab sich die Statusaufwertung bereits über den Fakt, mit einem Europäer zusammen zu sein: „neben der Klassenmobilität umfasst diese die Illusion einer völligen Eingliederung in Europa aufgrund der rechtlich legitimen Eingliederung in eine italienische Familie“ (Piscitelli 2007c: 727; Ü.: ML) – was durchaus als koloniales Erbe in einer postkolonialen Gesellschaftsordnung gedeutet werden kann, wie sie in Brasiliens für einen Teil der Bevölkerung noch immer Realität ist. Die Statusaufwertung würde sich zudem indirekt auch auf die engere Familie übertragen und daher von den Eltern befürwortet oder sogar gefordert („Migration als Teil einer Familienstrategie“, ebd. 724; Ü.: ML). Unterstützt würde eine Bereitwilligkeit zu einer Eheschließung auch durch körperliche Merkmale, wie einerseits die weiße(re) Hautfarbe der europäischen Männer, die sie in rassifizierte gesellschaftliche Hierarchien Brasiliens und daran gekoppelte Ehestrategien eingliedern. Zugleich wird bis heute in der brasilianischen Öffentlichkeit und in den Medien einem europäischen Aussehen Attraktivität bescheinigt. Jedoch zeigt sich in Piscitellis Studie, dass, obwohl es sich bei diesem spezifischen Beispiel interethnischer Ehen zwischen Brasilianerinnen und Italienern um eine Statusaufwertung handelte, die Grenzen zwischen dem strategischem Abzielen auf eine dauerhafte Beziehung und bezahlter Liebelei fließend waren. Sie ließen sich oftmals nicht in dichotome Gegensätze wie einerseits Sexarbeit vs. Liebe oder andererseits strategische Statusaufwertung vs. Liebesehe unterteilen. Für den deutschen Kontext verweist eine Studie von Vania Kahrsch, die Anfang der 1990er Jahre durchgeführt wurde, auf ähnliche Beispiele. Auch diese verleiten zu der Annahme, brasilianische Frauen ließen sich vor allem wegen der Statusaufwertung bzw. als Flucht vor Armut mit deutschen Männern ein. Kahrsch stellt die Hoffnungen und Träume brasilianischer Migrantinnen von einem besseren, „menschenwürdigeren“ Leben (1996: 335) weit weg von Armut und Überlebenskampf in

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den Vordergrund. Dafür würden die Frauen insbesondere ihren Körper instrumentalisieren, um sich europäischen Männern zu nähern. Das große Ziel – die Ehe mit einem ‚Gringo‘ – wird bei Kahrsch als einer der wenigen Auswege aufgeführt, da durch Schulbildung, ‚Hautfarbe‘ und soziale Stellung in Brasilien keine anderen Chancen für diese Frauen (Kahrsch spricht von „Mädchen“) bestünden. Sich auf dieses Abenteuer einzulassen würde meist dadurch leichter, dass die ‚hellhäutige(re)n‘ Europäer nicht nur einem in den Medien propagierten Schönheitsideal nahe kämen, sondern vor allem deutsche Männer – im Gegensatz zu brasilianischen Männern – als „treu, zärtlich und verständnisvoll“ (ebd.) gelten. Kahrsch schreibt über die vorrangig sehr jungen Frauen: „Sie besitzen kaum Informationen über ihre neue Heimat, sprechen und verstehen fast nie Deutsch, aber verlassen Brasilien mit dem Gefühl, das erreicht zu haben, wovon sie lange träumten“ (1996: 336). Gestützt werden diese meiner Ansicht nach sehr einseitigen und eher kritisch zu betrachtenden Ergebnisse von Berichten, die dieses Ansinnen als Motivation für eine Eheschließung mit einem Deutschen nennen.10 Grund für die eingehendere Betrachtung der brasilianischen Heiratsmigrantinnen an dieser Stelle ist der, dass das hier zitierte Bild von der Heiratsmigrantin Teil eines Repräsentationsregimes über brasilianische Frauen geworden ist, mit dem sich viele der Interviewpartnerinnen in Deutschland von Anfang an auseinandersetzen mussten. Dies bedeutet auch, permanent Abgrenzungsarbeit gegenüber diesem Klischee leisten zu müssen. Wie ich später zeigen werde, umfasst diese Abgrenzungsarbeit auch ihre Jobsuche, Arbeitsmarkteingliederung und Arbeitserfahrungen. Deshalb sollen über eine differenzierte Interpretation des empirischen Materials gängige Darstellungen kritisch hinterfragt und vielmehr die Auswirkungen dieser Darstellungen auf alltägliche Positionierungen der Interviewpartnerinnen herausgearbeitet werden. Die Unterstellung der beiden miteinander verzahnten Migrationsmotivationen – Flucht aus der Armut und Statusaufwertung –, die in dem strategischen Ansinnen einer Ehe mit einem Europäer bzw. einem Deutschen münde, arbeitet nicht nur über ein vergeschlechtlichtes Repräsentationsregime, welches zu-

10 Im Newsletter Focus Migration, eine von der Bundeszentrale für Politische Bildung und dem Netzwerk Migration in Europa e.V. sowie dem IMIS der Universität Osnabrück betriebene Internetplattform, wird in einer Ausgabe zu Heiratsmigrationen nach Deutschland geschrieben: „Motive: Die Zunahme von Wanderungen in Verbindung mit einer Heirat aus wirtschaftlich schwächeren Ländern hat vor allem folgende Gründe: Flucht vor Armut, die Hoffnung auf wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg oder die Existenzsicherung der Kinder. Für viele ärmere und wenig qualifizierte Frauen aus Nicht-EU-Staaten stellt sie darüber hinaus die einzige Möglichkeit dar, in Deutschland eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis zu erhalten“ (Stelzig 2005). Auch dieses Beispiel zeigt die Persistenz eines solchen einseitigen Bildes über brasilianische Migrantinnen.

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gleich mit einer spezifischen Klassenzuweisung all jener Migrantinnen intersektionalisiert, die als Heiratsmigrantinnen kategorisiert werden (und in dem Frauen, die aus dem Süden/Osten nach Europa migrieren, unter Generalverdacht eigentlicher rein finanzieller Absichten gestellt werden). Die Zuweisung bezieht sich zudem auf ethnisierte bzw. kulturalisierte Migrantinnenbilder, die sich im Falle von ‚Brasilianerinnen‘ aus den oben bereits angesprochenen globalen Stereotypisierungen sowie lokal verorteten kulturalisierten Zuweisungen und Anrufungen zusammensetzen. Das noch immer manifeste Bild der ‚Brasilianerin‘ wird auch in Deutschland zu einer Schablone. Dieses Bild ist geprägt durch die ambivalente Überzeichnung einer erotisierten, leidenschaftlichen, sexuell anziehenden bis aufreizenden, aber zugleich auch mütterlich-fürsorglichen und zärtlichen Frau. Es speist sich aus diversen historischen Repräsentationen (post)kolonialer Prägung, die im brasilianischen Kontext als auch auf globaler Ebene hergestellt wurden. In Deutschland wurden diese stereotypen Zuweisungen in den vergangenen Jahrzehnten in den Medien, im ethno-wirtschaftlichen Bereich und vor allem im Tourismus ausgeschöpft und reproduziert. Zudem sind sie bis heute in international agierenden Partnervermittlungsagenturen präsent.11 Insbesondere bei letzteren wird ‚die Brasilianerin‘ trotz ihrer Erotisierung bis heute als idealisierte Ehepartnerin und Mutter beworben. Im Gegensatz zur (oftmals als emanzipiert und maskulinisiert skizzierten) deutschen Frau sei sie noch einer ‚traditionellen‘ Weiblichkeit verschrieben, heißt es. So argumentiert die deutsch-brasilianischen Partnervermittlungsagentur Amor Brazil 2013 auf ihrer Internetseite zur Frage „Warum eine seriöse Brasilianerin heiraten?“ unter anderem: -

„Weil eine Brasilianerin aus Liebe und Zuneigung heiratet und eine Familie gründen möchte“; „Weil eine Brasilianerin nicht so kompromisslos eingefahren ist wie europäische Frauen“; „Weil eine Brasilianerin positiv, fröhlich, vielleicht etwas naiv und unkompliziert ist“; „Weil eine Brasilianerin lebensfroh und zauberhaft erfrischend, aber immer feminin in ihrer Ausstrahlung ist“ (zitiert aus Amor Brazil 2013)

11 Beispiele für mediale und ethno-wirtschaftliche Rückgriffe sind etwa Sambaschulen, die gern für Bühnenevents und im TV gebucht werden, wenn es thematisch um Brasilien, Urlaubsatmosphäre oder ‚tropische‘ Stimmungen geht. Auch mit ‚Brasilien‘ in Verbindung gebrachte Produkte, etwa alkoholische Mix-Getränkte und Liköre, werben mit ‚exotischen‘ Frauenbildern. Diese Liste könnte fortgesetzt werden, insbesondere wenn die Werbung ethnischer Unternehmen, der Unterhaltungs- und Gastronomie-Branche einbezogen wird.

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Ein weiteres Beispiel ist die folgende Anwerbung einer deutsch-brasilianischen Partnervermittlungsagentur, die mit Kontakt- und Flirt-Coaching arbeitet. Abbildung 4.1: Ausschnitt eines Bildschirmfotos vom Internetauftritt einer Partnervermittlungsagentur

Quelle. Kunst der Verführung (2013)

Wie in diesen Beispielen finden sich in Web-Auftritten von Partnervermittlungsagenturen Gegenüberstellungen brasilianischer und deutscher Frauen in Bezug auf den Wunsch einer „traditionellen Rollenverteilung“ bei deutschen Männern.12 Eini-

12 Piscitelli zeigt ähnliche Dynamiken in dem von ihr untersuchten italienischen Kontext. Für die italienischen Ehemänner seien die brasilianischen Frauen genau das Gegenteil zu den zu emanzipierten italienischen Frauen, mit denen einige der noch dem „Machismo“ zugerechneten Männer nicht mithalten würden (Piscitelli 2007c: 726). Gerade die Brasilianerinnen seien laut dieser Männer die Verkörperung der Weiblichkeit, sowohl was Körper und Körperlichkeit betrifft, aber auch in ihrer Wertschätzung „traditionell“ weiblicher Aktivitäten, wie Hausarbeit und Kindererziehung (S. 731). Die Frauen wiederum würden sich genau diesen Arbeiten – ganz im Gegenteil zu ihrem Leben in Brasilien – sowie der Pflege ihres Körpers zuwenden, da sie genau hier ihren Vorteil, ihren positiv

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ge Zeilen weiter findet sich auf der Internetseite von Kunst der Verführung (2013) eine Auflistung vermeintlicher Charakteristika der Brasilianerinnen: Abbildung 4.2: Ausschnitt eines Bildschirmfotos vom Internetauftritt einer Partnervermittlungsagentur

Quelle. Kunst der Verführung (2013)

Die auf allen Internetseiten angepriesene traditionelle, konservativ anmutende Feminität wird zugleich komplementiert über die Anwerbung einer „frischen“, „unkomplizierten“ und „lebensfrohen“ Art sowie eines attraktiven Äußeren, das mit entsprechenden Fotos und Fotogalerien oftmals ‚dunkelhäutigerer‘ junger Frauen

aufgewerteten Unterschied im Gegensatz zur italienischen Frau sehen, mit der sie sich nun durch stetige latente Formen der Diskriminierung gerade deshalb auseinandersetzen muss. Auffallend ist, dass sich diese Studien auf Frauen aus dem wirtschaftlich armen aber touristisch bedeutsamen Nordosten Brasiliens konzentrierten und es hier vor allem um Frauen geht, die von den europäischen Männern als „exotisch“ (nicht-weiß) kategorisiert werden (Piscitelli 2007a, 2007b, 2007c).

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bekräftigt werden soll. Riitta Vartti stellte in ihrer Analyse diverser OnlinePartneragenturen darüber hinaus fest, dass diese mit ähnlichen stilistischen visuellen Mitteln arbeiten wie Sex-Tourismus-Agenturen. Die Grenzen zwischen den visuellen Darstellungen einer eigentlich idealen ‚traditionellen‘ Ehefrau und denen einer käuflichen Sexpartnerin würden hier verwischen und dem männlichen Publikum somit visuelle Assoziationsmuster vorgelegt werden (Vartti 2003). Diese Assoziationsmuster sind über die Repräsentationsforen hinaus wirkmächtig und gliedern sich hierbei in die (neo)koloniale Logik eines ganzen Spektrums rassifiziertvergeschlechtlichter Repräsentationspraktiken ein, die sich nicht zuletzt über den Körper getragene stereotype Anrufungen und Zuweisungen von brasilianischen Frauen in ihrem deutschen Alltag materialisieren. Was darüber hinaus auffällt, ist eine zunehmende Sensibilisierung gegenüber der Klassenzugehörigkeit der im Netz angeworbenen Frauen. Agenturen wie Amor Brazil oder Kunst der Verführung grenzten sich so etwa davon ab, mit Frauen ‚unterer Bildungsstufen‘ bzw. aus Armenvierteln zu arbeiten. Ein Beispiel für eine klassendifferenzierende Partnerinnensuche gibt die Agentur Amor Brazil, die nach vier „Bildungsstufen“ unterscheidet. Der untersten Stufe werden Männer und Frau aus Armenviertel zugeordnet, die weder die Schule besucht haben, noch alphabetisiert sind. „In dieser Gruppe findet man sehr hübsche Frauen, die man in den Touristenhochburgen trifft, die den Touristen schöne Augen machen und auf Männerfang sind“ (Amor Brazil 2013). Einer Ehe mit einer dieser Frauen prophezeit die Agentur ein baldiges Aus. Bildungsstufe II wird dem „Mittelstand“ zugeordnet, dem Amor Brazil Frauen mit abgeschlossener Berufsausbildung und festem Monatseinkommen zurechnet. Diese Frauen würden nach ebenbürtigen Männern Ausschau halten anstatt nach Männern „in Europa zum Vorteil einer Sozialsicherung“ (ebd.) zu suchen. Die Bildungsstufe III, zu denen Akademikerinnen und Frauen mit einem „sorgenfreien Leben“ gehören, seien das Ziel der Agentur, da Ausländer „Frauen mit diesem Bildungsniveau […] nur schwer in Brasilien kennen lernen“ würden, „weil diese Frauen im Kreise der Familie, Bekannten und Privatclubs zu finden sind, zu denen Ausländer so gut wie keinen Zutritt haben“ (ebd.). Bildungsstufe IV, zu denen die Elite des Landes gerechnet wird, und „die sich praktisch alles leisten können, was ihr Herz begehrt“, seien das wichtigste Klientel der Agentur. Denn „[w]as sich dieser Personenkreis nicht leisten kann ist die Liebe und Zuneigung eines Menschen“. Diese Frauen suchten „vordergründig Achtung, Respekt, Aufrichtigkeit, Toleranz, Transparenz, Treue und Ehrlichkeit“ (ebd.). Ein solcher Katalog, der Bildungsstufe, Klasse und vermeintliche Aufrichtigkeit in der Partnersuche miteinander verknüpft, kann nicht zuletzt als eine Reaktion auf die zunehmend artikulierte Enttäuschung über Bekanntschaften mit über Partneragenturen vermittelten brasilianischen Frauen gelesen werden. Über die (vermeintliche) Klassenzugehörigkeit wird somit in den letzten Jahren immer mehr bewertet, ob die Brasilianerin nur eine strategische Statusaufwertung und die ‚Ausbeutung

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von gutgläubigen deutschen Männern‘ anvisiert, oder ‚Liebe‘ und ‚ehrliches Interesse‘ Anlass für die Verbindung seien. Orte für die Artikulierung dieser Enttäuschung sind oft Online-Foren, sogenannte „Brasilforen“.13 Unter dem Stichwort „Fazit“ verweist etwa die eben zitierte Internetseite der Agentur Amor Brazil darauf, dass sich negative Userbeiträge in diesen Foren auf Frauen der „Bildungsstufe I“ beziehen. Userbeiträge über Frauen der anderen drei Bildungsstufen wären hingegen nicht vorhanden. Neben der sexuellen Ethnifizierung wird über diese Art von Kategorisierungen auch eine klassenbezogene Ethnifizierung vorgenommen. Sie unterstellt Frauen unterer sozialer Klassenzugehörigkeiten verallgemeinert unlautere Absichten. In den sogenannten Brasilforen wird darüber hinaus eine weitere Kategorisierung relevant: die der regionalen Herkunft innerhalb Brasiliens, welche wiederum eine ‚Geographisierung‘ der Klassenzugehörigkeit darstellt. So wird den Frauen des Nordostens (und Rio de Janeiros) generell auch eine ärmere Herkunft zugewiesen, während Frauen aus dem Süden verallgemeinert wohlhabenden sozialen Schichten zugeordnet werden. Eng an diese Repräsentationsregime gekoppelt ist ein weiterer Generalverdacht, unter den brasilianische Frauen aufgrund der Ambivalenz des Stereotyps gestellt werden: Als ‚Heiratsmigrantinnen‘ kategorisierte Brasilianerinnen werden oftmals mit dem europäischen Sextourismus nach Brasilien in Verbindung gebracht. Die Frauen werden hierbei einer Palette zugeordnet, die von professionellen Sexarbeiterinnen über die sogenannten garotas de programa (nur sporadisch im Bereich sexueller Dienstleistungen arbeitende junge Frauen) bis hin zu Frauen reicht, die eine Liebelei mit einem Urlauber eingegangen sind. Dass die Grenzen verschwommen

13 ‚Timao‘ schreibt im Online-Diskussionsforum Brasilienfreunde zum Thema „Brasilianerin heiraten - Traum und Realität“ am 12.04.2010: „Die meistens Urlauber (single) haben kein [sic!] Kontakt zu Brasilianern aus besserem Hause, und kommen halt schnell in Kontakt zu den immer ach so lachenden Brauen [sic!], Schwarzen Capoeira und Samba tanzenden Brasilianer- diese lieben armen [sic!] koennen ja nur gute Menschen sein.., Verblendung total“ (Brasilienfreunde 2010). ‚Dirk67‘ schrieb zuvor: „Das Ausbildungsniveau der Frauen, die hier nach Deutschland geheiratet werden ist zu 99,9% unterdurchschnittlich oder einfach nicht vorhanden. „Mann“ muß erst mal investieren. Deutschkurs, Führerschein etc. Arbeiten gehen die meisten aber dann auch nicht. Was aber alle Brasis sofort ohne Ausbildung hin bekommen ist eine WesternUnion Monytransferüberweisung [sic!] in die Heimat. Es ist für die meisten Brasilianerinnen ungewohnt, dass man mit Geld auch wirtschaften muß. Zurückstecken für die arme Familie in Brasilien, Heimatreisen Klamotten und Partys ist [sic!] angesagt“ (ebd.). Die Diskussion in diesem Forum wie auch in anderen, in der eine Reihe von Befürwortungen, Relativierungen sowie Gegendarstellungen zu finden waren, ist Ausdruck der Kontroverse über ‚brasilianische Ehefrauen‘.

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sein können, zeigten die oben erwähnten Studien von Adriana Piscitelli. So verfestigt sich allerdings auch die umgekehrte Schlussfolgerung, Heiratsmigration sei generell an Sextourismus gekoppelt – eine leidvolle Unterstellung mit sehr konkreten Auswirkungen für viele brasilianische Migrantinnen. Zum einen werden die mit einem Deutschen verheirateten Brasilianerinnen synekdotisch als vermeintlich „leichte Mädchen“ angerufen. Zum anderen wird, unabhängig von ihren Migrationsmotivationen und -trajektorien, die Möglichkeit in Frage gestellt, sie würden ihren Partner lieben. Das wiederum unterstellt ihnen verallgemeinert ein strategisches upgrade (wie es etwa auch in Brasilforen diskutiert wurde). Wie ich später noch zeigen werde, wirkte sich diese Konfrontation mit Unterstellungen bei einigen Frauen auch auf ihre Arbeit in den Waxing Studios aus. Darüber hinaus implizieren die Unterstellungen indirekt eine an vergeschlechtlichten, ethnifizierten und klassenspezifischen Zuweisungen orientierte verallgemeinerte Unterteilung: Auf der einen Seite finden sich all jene, die zu einer (‚ehrlichen‘) Liebe fähig, auf der anderen diejenigen, die dazu nicht imstande sind. Wie präsent diese dem Repräsentationsregime geschuldete Verdächtigung im Alltag ist, zeigte sich in einigen Gesprächen mit den an dieser Studie beteiligten Brasilianerinnen sowie mit deren Ehepartnern. Während etwa Leni in ihrer Erzählung zunächst ganz selbstverständlich und unbefangen von Liebe als Migrationsmotivation sprach, grenzten sich andere Frauen, die ihre späteren Ehepartner in Brasilien kennengelernt hatten, von vornherein entschieden gegen eine solche Anrufung ab: Sie stellten entweder andere Motivationen als die Liebe in den Vordergrund, oder unterschieden bei Nachfragen gezielt zwischen sich und ‚anderen‘ (brasilianischen) Frauen: „Also, bei mir war das aber anders, ne. Mein Mann war zum Studium in Brasilien, da haben wir uns kennengelernt. Also nicht am Strand, ne, wie das bei anderen so ist. Mein Mann hat dort studiert, und da haben wir uns kennengelernt. Ich hatte da meine Arbeit und alles. Also, eigentlich wollte ich gar nicht da weg. Aber dann hat er mich eingeladen. So zum Besuch. Naja, und dann hat es, dann hat es richtig gefunkt, ne, da bin ich dann hier geblieben.“ (Ana*, Interview von 26.04.2010)

Insgesamt macht diese Debatte einen wesentlichen Schwerpunkt der Migrationsstudien zu brasilianischen Frauen aus. Sie umfasst die vielfältigen Formen von Eheschließungen, die sich zwischen Sextourismus, Arbeitsmigration im Kontext von Sexarbeit und Trafficking einreihen.14 So zeigen Berichte im deutschen und auch

14 Ab 1990er Jahren wird das Thema Trafficking politisch wie medial aufgegriffen. Ein ganzes Netzwerk an Unterstützer/innengruppen bildete sich sowohl im Norden wie im Süden aus. Daran angelehnt rückte für Südeuropa (und auch Deutschland) Heiratsmigra-

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südeuropäischen Kontext, dass in diesen Beispielen die Grenze zwischen Ausbeutung und Ehe oftmals verwischt. So reichen Trafficking-Berichte von formell verheirateten Frauen, deren Ehemänner sich nach der Hochzeit als Zuhälter entpuppten und sie zur Sexarbeit zwangen, über Heiratshandel, in denen Frauen unter Freiheitsberaubung als Sexgespielin, Haushälterin und Pflegekraft in der Ehe gehalten wurden, bis hin zu Beispielen scheinbar „ganz normaler“ Ehen, in denen die Frauen jedoch weitestgehend von einem sozialen Leben außerhalb der familiären Verpflichtungen isoliert wurden (vgl. hierfür Engel 1998). Kahrsch stellt in ihrer Studie besonders letztere Form als einen Normalfall vieler brasilianischer Frauen aus ärmeren Gesellschaftsschichten heraus. Sie konstatiert, dass ein Großteil der Frauen, nach ihrer Ankunft in „totale Abhängigkeit von ihren Männern“ gerät, „die sie weder sprachlich noch kulturell gut verstehen“. Zudem begegneten die Frauen einer Gesellschaft, die zunächst kaum verständlich erscheine (Kahrsch 1996: 336). Der Mann wolle hingegen seine Trophäe aus dem Urlaub und ein exotisches gehorsames Souvenir für zu Hause. Das ende meist in einer Konfrontation der beiden. In vielen Fällen käme an dieser Stelle Gewalt hinzu. Beispiele hierfür werden nicht nur in Presseberichten oder Menschenrechtsbeobachtungen zitiert. Sie reichen auch zu unterschiedlichen Graden in Bekanntenkreise von Frauen hinein, mit denen ich im Rahmen meiner Forschungen seit 2007 Kontakt habe. Ähnliches berichteten mir zudem Sonia Solarte, Vorsitzende der Berliner Migrantinnenselbstorganisation S.U.S.I., und Rosane Reis, Psychologische Beraterin von S.U.S.I., wobei brasilianische Frauen diese Erfahrung mit vielen anderen vor allem lateinamerikanischen Frauen teilten. 4.1.4 Entgegen wirkmächtiger Repräsentationen: Zur Diversität der Migrationstrajektorien Die Sichtbarmachung dieser diversen Formen der Ausbeutung in akademischen Studien, Presseberichten und über Aufklärungsarbeit ist ohne Zweifel wichtig und notwendig. Dennoch birgt die einseitige Ausrichtung auf diese Fälle die Gefahr,

tion ins Interesse politischer Debatten. Brasilien wird bis heute als Land mit einer der höchsten Trafficking-Raten geführt. Seit einigen Jahren mehren sich jedoch auch kritische Stimmen aus feministischen Kreisen, die sich eingehend mit Sexarbeit beschäftigen und die mehr und mehr die mit den Trafficking verbundenen Opfer-Diskurse problematisieren, da diese an den Bedürfnissen und Forderungen von Sexarbeiterinnen vorbeigehen, sie hingegen vielmehr entmündigen würden (vgl. Agustín 2003; Piscitelli 2008a, 2008b; Kempadoo 2004). Auch meine Studie versteht sich als Teil dieser und anderer Studien, die Opfer-Diskurse über Migrantinnen des globalen Südens begegnen, ohne ihre Einbettung in herrschaftliche Strukturen deshalb in Frage stellen.

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entsprechende Ingredienzen der Repräsentationsregime über Brasilianerinnen zu bestätigen oder sogar zu festigen. Beide hier typisierten, eng miteinander verwobenen Migrationstrajektorien – die einer strategisch abwiegenden Täuscherin, sowie die des Opfers von Trafficking oder anderen Gewaltformen – werden so zu einer komplizierten Schablone für Migrationstrajektorien aller Brasilianerinnen. Die Frauen sind dadurch letztendlich genötigt, sich permanent von dieser Schablone abgrenzend zu positionieren. Denn ungeachtet der vielen oftmals tragischen Beispiele war der Weg der meisten Frauen weniger dramatisch oder geplant, auch wenn Negativerfahrungen und Enttäuschungen in vielen Migrationstrajektorien zu finden sind. Leni etwa, die angab, der Liebe wegen nach Deutschland gekommen zu sein, eröffnete gerade aufgrund ihrer Auslassungen zu ihrer unglücklich verlaufenen ersten Liebe Raum für Spekulationen: „Erst wenn man 24 Stunden zusammenlebt, lernt man das wahre Gesicht kennen.“ Wir haben nicht über dieses „wahre Gesicht“ gesprochen. Doch unabhängig von den damaligen – vielleicht negativen – Erfahrungen betonte sie mir gegenüber wiederholt, wie glücklich sie nun mit ihrem zweiten Mann sei. So zeigten ihre Antworten auf mein Nachfragen, dass sich Leni nicht mit ihrer unglücklichen ersten Ehe abgefunden hatte. Sie ließ sich scheiden, unternahm Anstrengungen, um endlich entgeltlich arbeiten gehen zu können und hat sich ein Leben mit einem neuen Mann eingerichtet. Sie sowie andere der befragten Frauen sind weder Opfer der Umstände noch strategische Drahtzieherinnen (Lutz 2009b). Die Abgrenzungsarbeit zu diesen stereotypen Figurationen spiegelt sich auch in den Interviews wider. Frauen, mit denen ich intensiv zusammenarbeitete, stellten sehr konkret die Liebe zu einem Deutschen als eine der Motivationen heraus. Viele allerdings unterstrichen so wie Leni, dass dies eher dem Zufall unterlegen gewesen wäre. Andere betonten den Umstand, dass sie ihre Partner erst nach ihrer Ankunft in Deutschland kennengelernt hätten. Viel Wert legten die Berichte auch auf die emotionale, affektive und intime Bindung zum Partner. Meinen Interpretationen nach sollte mir gegenüber dadurch ein wirtschaftlich motiviertes Ansinnen oder eine Opferpositionierung indirekt ausgeschlossen werden. Auch wurden in anderen Erzählungen immer wieder die positiven Eigenschaften des Partners herausgestellt und die gemeinsamen Alltagserfahrungen und -entscheidungen unterstrichen, um die Eheleute als ‚auf gleicher Augenhöhe‘ innerhalb ihrer Beziehung darzustellen. Neben emotionaler Bindung und Gleichberechtigung zwischen den Eheleuten im Alltag bildeten Erzählungen über ihre Arbeitseinbindungen einen weiteren wichtigen Bezugspunkt für ihre Abgrenzungsarbeit, worauf ich in den folgenden Abschnitten im Detail eingehen werde. Ähnliche Bezugnahmen konnte ich auch bei zwei der deutschen Ehepartner feststellen, mit denen ich Gespräche führte. Eine weitere Strategie der Interviewpartnerinnen war es, weitestgehend Migrationsumstände auszublenden. Sie wurden zwar in der Erzählung kurz angerissen, da ich danach gefragt hatte. Die Frauen hielten sie aber so knapp wie möglich und gingen

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vielmehr auf andere Aspekte, wie etwa die Arbeit, vertiefend ein. Diese gezielten Auslassungen fanden sich vor allem bei Interviews mit Frauen, mit denen sich der Austausch für diese Forschung als weniger intensiv herausstellte. Zudem konnte ich feststellen, dass im Gegensatz zur formalen Interviewsituation vor allem in informellen Gesprächen auf die mit der Kategorie Heiratsmigrantin verwickelten Stereotypisierungen eingegangen wurde.15 Darüber hinaus soll letztendlich die Kategorie der Heiratsmigration auf seine zweite mögliche Implikation hin abgeklopft werden, nämlich die einer Ehe zum Zwecke (der Legalisierung) der Migration. Doch meine ich hiermit nicht die gängige (politische) Auslegung einer Schein- bzw. Schutzehe. Vielmehr möchte ich an dieser Stelle eine nähere Betrachtung von Migrationsmotivationen vornehmen. Sowohl in meiner Forschung wie auch in den Studien zur Migration lateinamerikanischer Frauen nach Deutschland zeigte sich, dass sich die Migrationsgründe längst nicht auf die Ehe beschränken. Eine meiner Interviewpartnerinnen, Malina*, kam als Jugendliche bereits im Rahmen eines Au-Pair-Austausches nach Deutschland und wollte aufgrund des Lebensstils, den sie in Berlin kennengelernt hatte, wieder zurückkommen. Silvana hoffte, in Deutschland studieren zu können. Andere Frauen folgten der Einladung von Freunden oder Verwandten, die sich gerade in Berlin aufhielten. Frances-Clai hatte einen Cousin, der sie einlud, sie zu besuchen. Sie sah diese Einladung als Chance, eine weitere Fremdsprache – Deutsch – zu lernen, um

15 Das geschah etwa nach einer Filmvorführung, in der es um Sextourismus in Brasilien ging. Am 14.11.2009 zeigte der Regisseur Joel Zito de Araújo seinen Dokumentarfilm Cinderelas, Lobos e um Príncipe Encantado im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Der Film beschäftigte sich mit den vielfältigen Facetten von Sexarbeit in transnationalen Kontexten, so in den touristischen Gegenden des Nordostens Brasiliens, stellte Akteur/innen und Institutionen vor und behandelte die oftmals unscharfe Grenze zwischen sexuellen Dienstleistungen und Liebeleien. Anschließend begleitete er brasilianische Sexarbeiter/innen in Europa, wobei er die unterschiedlichen Erfahrungen zwischen Selbstbestimmung und Trafficking herausstellte. Das letzte Setting, so kündigte es die Vorschau an, sollte Deutschland, genauer gesagt Berlin, sein. Doch wurde der Film abgebrochen; es stellte sich heraus, dass die Protagonistinnen des letzten Teils mittels einer einstweiligen richterlichen Verfügung den Abbruch der Projektion erwirkt hatten. Die Aufnahmen und Interviews mit ihnen seien unter dem Vorwand geschehen, einen Film über binationale Ehen zwischen Brasilianerinnen und Deutschen zu drehen. Dass es sich bei diesen Dreharbeiten um einen Film über Sexarbeit und Trafficking handelte, sei ihnen vor und während der Aufnahmen nicht gesagt worden. Keine der Frauen sah ihre Migration in irgendeiner Weise in Zusammenhang mit diesen beiden Feldern. Zudem sahen alle Frauen ihr gesellschaftliches Ansehen am Migrationsort gefährdet, unter dieser Themenstellung vor Bekannten und Verwandten im Film repräsentiert zu werden.

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so ihre Karrieremöglichkeiten als Schauspielerin und Synchronsprecherin auszubauen. Dalva, die ebenfalls von einem Freund eingeladen wurde, nannte die für sie fehlenden Perspektiven in Brasilien Ende der 1980er Jahre als Grund und verband dies mit dem Wunsch, sich eine Karriere im Tourismusbereich zwischen beiden Ländern aufzubauen. Andréa wiederum kam im Rahmen von Waxing nach Berlin. Sie hatte bereits erfolgreich in den USA, Frankreich und Portugal in diesem Bereich gearbeitet und war neugierig darauf, wie sich die Branche in Deutschland entwikkelte. Sie wurde von Silvana H., die sie aus Brasilien kannte, nach Berlin eingeladen. Andere, wie Angelica kamen im Rahmen eines Arbeitsangebots nach Deutschland. Angelica hatte in Brasilien für eine Hotel- und Gastronomie-Kette gearbeitet, die in Berlin ein brasilianisches Restaurant eröffnete, wo sie arbeiten sollte. Márcia, die lange eine brasilianische Tanzschule in Berlin leitete, kam im Rahmen einer Samba-Schule, die eine Lehrerin suchte, nach Deutschland. Viele, wie Neide* oder Carminha erhielten wie Leni von ihren deutschen Freunden eine Einladung, die sie zunächst aus Neugierde und ohne eine Erwartungshaltung annahmen. Migrationsmotivationen und -gründe reichen so von Neugierde über Bildungsambitionen, Arbeitsmöglichkeiten, Besuche von Freunden und Verwandten bis hin zu Liebe.16 Oftmals wurden mehrere Motivationen herausgestellt, die einander überlappen: Frances-Clai lernte während des Besuches ihres Cousins in Deutschland ihren späteren Ehemann kennen und verliebte sich. Das bestärkte ihre Entscheidung, in Deutschland zu bleiben. Und auch Lenis Entscheidung basierte nicht allein auf der Liebe: Sie suchte eine neue Herausforderung für sich, da sie ihre berufliche Situation als stagnierend empfand („Ich hatte die Nase voll. Es hat mir noch Spaß gemacht, aber das war keine Herausforderung für mich mehr, denn ich konnte es schon gut. Das ist mein Problem: wenn ich etwas gut kann, dann suche ich etwas anderes. Und damals habe ich meinen Mann kennengelernt.“) – und sie liebe Herausforderungen, so betonte sie bei unserem Gespräch mehrfach. Was sich neben der Diversität der Motivationen als weiteres Merkmal herausstellte, war, dass die Entscheidung zu migrieren oftmals zeitlich von der eigentlichen Wanderung nach Deutschland versetzt war: Betont wurde von den meisten Interviewpartnerinnen, sie hätten Deutschland vorerst lediglich besuchen wollen.17 Erst vor Ort trafen sie die Entscheidung, tatsächlich in Deutschland zu bleiben. Die Ehe mit einem deutschen Mann hingegen – egal, ob sie diesen bereits in Brasilien oder erst in Deutschland kennengelernt hatten – stellte sich für fast alle erst nach

16 Berenice Hernández (2000, 2007) und andere (Engels 1998; Gruner-Domić, 2005) stießen in ihren Studien zu in Deutschland lebenden lateinamerikanischen Frauen auf ähnliche Ergebnisse. 17 Erleichtert wird die Möglichkeit des Besuches durch den Umstand, dass brasilianische Staatsbürger/innen bei der Einreise antragslos ein dreimonatiges Touristenvisum erhalten.

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dieser Entscheidung als einzige Möglichkeit heraus, einen längerfristigen Aufenthaltsstatus in Deutschland zu erhalten. So gibt es mit der Aufkündigung der Gastarbeit Mitte der 1970er Jahre und aufgrund einer seit Anfang der 1990er Jahre immer rigoroser gewordenen Flüchtlingspolitik vor allem für sogenannte DrittstaatMigrant/innen kaum Alternativen, um ein längerfristiges Aufenthaltsvisum zu erlangen. Wenige Ausnahmen sind jene, die im Rahmen von konjunkturell bedingten, branchenspezifischen Fachkräftemangel angeworben wurden oder mit einem Studentenvisum ausgestattet sind. Für den Großteil der Drittstaat-Migrant/innen jedoch wird die Ehe zur Bedingung, um in Deutschland leben zu können. Eleonore Kofman spricht daher von einem in Deutschland vorherrschendem Heiratsmigrationsregime, welches das Arbeitsmigrationsregime der Mitte des 20. Jahrhunderts und das Flüchtlingsregime der 1990er Jahre abgelöst habe (vgl. Kofman 2004; Kofman/Kraler 2006; Kraler 2011). Nicht zuletzt stehen diese in engen Zusammenhang zu den in Kapitel 2 vorgestellten Zerrbildern über Migrantinnen. Die Ehe ist hingegen ein Ort, an dem sich Geschlechterregime materialisieren aber auch Geschlechterrollen ausgehandelt werden. Sie bildet oftmals eine der intimsten Ebenen menschlichen Zusammenlebens, in der Affekte und Gefühle aufeinandertreffen, und wo Emotionen geprägt, interpretiert, ver- und bearbeitet werden. Zugleich ist die Ehe aber auch ein Raum, in den vergeschlechtlichte Migrationsund Arbeitsregime nicht nur hineinwirken. Dort werden auch Arbeitstrajektorien mitgeprägt sowie Arbeitserfahrungen diskutiert und ausgewertet. Letzteres bedeutet nicht selten, sich in Bezug auf kulturalistische Diskurse zu den voneinander verschiedenen Geschlechterregimen und damit verbundenen ethnisierten Stereotypen (wie sie etwa in den oben angesprochenen Repräsentationspraktiken über die brasilianische Frau gefestigt werden) zu positionieren. Dies umfasst auch eine Positionierung in Bezug auf und die Wertung von Arbeit. Arbeit wiederum, so wird im Folgenden gezeigt, eröffnet den Frauen zugleich die Möglichkeit der Abgrenzungsarbeit zu stereotypen Zuschreibungen, die ihnen in alltäglichen Situationen immer wieder begegnen.

4.2 „ARBEIT HABEN “: P OSITIONIERUNGEN ZWISCHEN ‚AUSLÄNDER ‘, ‚E HEFRAU ‘ UND ‚B RASILIANERIN ‘ IN BIOGRAPHISCHEN E RZÄHLUNGEN Die Auseinandersetzung mit der Arbeitssuche begann für meine Interviewpartnerinnen erst nach den ersten Alltagserfahrungen in Deutschland und mit der Entscheidung, hier (vorerst) leben zu bleiben. Die Motivationen und Gründe hierfür waren divers und nicht allein über einen emanzipatorischen Schritt aus der Isolation und aus der völligen Abhängigkeit vom Ehemann zu erklären, wie es etwa oftmals

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in Bezug auf die Arbeitsaufnahme von als Heiratsmigrantinnen kategorisierte Frauen diskutiert wird (z.B. die oben zitierte Studie von Kahrsch 1996). Vielmehr war bei vielen ihre finanzielle Situation im neuen Wohnort ausschlaggebend: Gerade bei einem gering verdienenden (zukünftigen) Ehemann wurde nicht nur von der Partnerin erwartet, entsprechend zum gemeinsamen Haushalt beizusteuern. Andere Frauen, wie etwa Marta*, stellten in ihren Erzählungen keinerlei wesentliche Veränderung ihrer relativen finanziellen Situation fest. Ihre Einstellung zur Notwendigkeit bezahlter Arbeit blieb also nach ihrer Migration bzw. nach der Eheschließung die gleiche wie zuvor. Marta* betonte, dass sie noch nie habe wählen können, ob sie arbeiten wolle oder nicht; dass sie immer schon darum kämpfen musste, ihr Überleben zu sichern: „In Brasilien gibt es kein soziales System, da müssen wir arbeiten. Und hier, als Ausländer, hast du auch kaum Chancen. Da muss man auch kämpfen um zu überleben. Ich kenne es nicht anders. [...] Arbeit ist Arbeit, hier und da. Es ist nur anders, aber Arbeit ist Arbeit.“ (Marta*, 05.09.2012). Ich deutete Martas* beständig wiederholte Positionierung auch als eine Form der Abgrenzungsarbeit zu Vorverdächtigungen, sie hätte des finanziellen und sozialen upgrades wegen geheiratet. Gerade weil sie aus sehr armen Verhältnissen stammte und der Liebe zu einem Deutschen wegen (und somit als Heiratsmigrantin kategorisiert) nach Deutschland gekommen war, erschien ihr das offenbar als nötig. Auch ist diese Aussage in Bezug auf ihre Situiertheit hin zu interpretieren: Ihr Mann betrat im Laufe des Interviews, das wir an einem Dienstag-Abend nach Feierabend in ihrem Studio durchführten, den Salon, um beim Aufräumen zu helfen. In einem Interview zuvor hatte Marta* mir bereits gesagt, dass sie gegenüber ihrem Mann erklären musste, warum sie sich an dieser Studie beteiligen wollte. Während dieses Interviews konzentrierte er die Aufräumarbeiten auf den Wartebereich des Studios, wo wir das Gespräch führten. Ich hatte das Gefühl, dass Marta* ab diesem Moment sehr bedacht darauf war, was sie mir antwortete. Offenbar wollte sie sich weder über ‚die Deutschen‘ noch ihre eigene Situation beklagen, noch sich und ihren Mann unter die oben genannten Vorverdächtigungen stellen. Doch selbst wenn der Partner über ein ausreichendes Einkommen verfügte, betonten die Frauen, ihr „eigenes Geld“ verdienen zu wollen, um dieses ohne Rechenschaft abzulegen für ihre eigenen Bedürfnisse auszugeben. So genoss Frances-Clai nach ihrer Hochzeit den Umstand, nicht arbeiten zu müssen. Ihre Entscheidung, letztlich doch nach einer Arbeit zu suchen, beschrieb sie folgendermaßen: „Als ich meinen Mann hatte, hat er nur gesagt: ‚Ich verdiene gut, du brauchst nicht arbeiten.‘ Diesen Fehler werde ich in meinem Leben nicht noch einmal machen. […] Plötzlich hatte ich einen deutschen Mann mit blauen Augen. Aber ich hatte immer an meinen Beruf gedacht. Ich sagte mir: Gott oh Gott, was mache ich? Die ganze Zeit meines Lebens war ich auf der Bühne und plötzlich bin ich verheiratet. Es war alles . alles neu, eine andere Welt, ein anderes Land. Plötzlich verheiratet, dann Mutter. Aber .. dann .. -deshalb habe versucht gleich zu arbeiten.

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Damit ich nicht abhängig von ihm bin. Ich war nicht abhängig von ihm, weil ich bald mein eigenes Geld hatte. [Sie hebt plötzlich den Zeigerfinger.] Oder doch: Er hat übersetzt und ich musste unterschreiben. Das war so ein Gefühl: Mensch, ich bin halb-behindert. Aber ich hatte dann mein eigenes Geld; ich habe immer etwas gemacht“ (Frances-Clai, 26.09.2012).

Frances-Clai hatte in Brasilien als Schauspielerin und Synchronsprecherin gearbeitet und wegen dieses Berufswunsches als junge Frau gegen den Willen des Vaters ihr Elternhaus verlassen. Sie erzählte mir, dass sie bereits in jungen Jahren aufgrund ihrer Arbeit nicht nur finanziell von ihrer Familie unabhängig war, sondern auch innerhalb Brasiliens reiste. In Berlin angekommen, empfand sie die Arbeitslosigkeit als einen Stillstand, die sie zudem zum ersten Mal in eine Abhängigkeit vom Wohlwollen eines anderen versetzte. Nachdem ihr eigentlich geplanter Besuch zu einem definitiven Migrationsschritt geworden war, erlebte sie ihren Alltag in den folgenden Monaten in vielfältigen Formen als Abhängigkeit von ihrem Mann. Ursachen waren ihre anfänglich fehlenden Deutschkenntnisse sowie die neuen Lebensumstände, in denen sie nicht einmal unabhängig über Geld verfügen konnte, um sich spontan etwa eine neue Bluse zu kaufen. Nun wäre es einfach, diesen Umstand kritisch in Bezug auf die enge neukapitalistische Verflechtung von Konsumptionsvermögen mit der eigenen Wahrnehmung von (vergeschlechtlichten) Handlungsermächtigung zu diskutieren (Utnes/TuncayZayer 2012). Hingegen möchte ich an dieser Stelle betonen, dass innerhalb der (über die Eheschließung erlangten) finanziellen Situation Konsum zwar möglich war. Das Konsumvermögen war jedoch ein abhängiges, das beständig ausgehandelt werden musste. Aushandlungen reichten bei den Frauen von einer einfachen und sofort erfüllten Bitte, Geld für „eigene Dinge“ zu erhalten (Carminha bezeichnete es als ihr Taschengeld) bis hin zu längeren Diskussionen zwischen den Eheleuten darüber, um welchen gewünschten Gegenstand es sich konkret handele und ob dieser notwendig sei. Das Unvermögen, trotz des bestehenden – greifbaren – Konsumvermögens jedoch ohne Zustimmung eines Anderen nicht einmal eigene Wünsche erfüllen zu können, krönt eine Reihe von wesentlich schwerwiegenderen Einschränkungen und Abhängigkeiten in alltäglichen Angelegenheiten, bei denen im Gegensatz hierzu Handlungsmächtigkeit nicht einmal zum Greifen nahe erschien. 4.2.1 „Was machst du?“: Arbeit als ambivalente Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe Auch Silvana H. musste nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst aufgrund des Verdienstes ihres Ehemannes nicht arbeiten gehen. Sie wiederum erhoffte sich über die Möglichkeit, ihr „eigenes Geld“ zu verdienen, am sozialen Leben Teil haben zu können:

144 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT „Es war nicht so, dass ich irgendetwas machen musste, um Geld zu verdienen. Zuerst dachte ich, ich mache etwas damit ich .. Beschäftigung habe. Weil … ich hatte nur meine Kinder und meinen Mann. Ich katte keine Verwandten, keine Schwester, ich hatte niemanden. Keine Freunde. Und ich musste irgendetwas machen, um mich hier zu integrieren. Das heißt zu leben, ... anders als nur zuhause zu sein, nur mit Kindern und Mann. Und so wollte ich ein bisschen mehr leben. .. Also, es ging mir nicht unbedingt ums Geldverdienen.“ (16.08.2011)

Herausgestellt sei hierbei, dass es bei ihrer Entscheidung, arbeiten zu gehen, nicht darum ging, aus einer völligen Isolation herauszutreten: Sie wurde von ihrem Mann weder daran gehindert, sich mit Menschen zu treffen, noch in irgendeiner anderen Weise vom sozialen Leben abgeschottet. Sie empfand es jedoch in der neuen Umgebung als schwierig, zu anderen Menschen überhaupt erst Kontakte herzustellen oder gar Freundschaften aufzubauen. Sie, die ihr Leben lang gearbeitet hatte, vermisste darüber hinaus ein soziales Miteinander, das nicht nur um Familie und Kinder kreiste. „Das heißt zu leben“, betonte sie entschieden. Denn zu jener Zeit habe sie sich in ihrem Hausfrauen- und Mutter-Dasein als abgeschnitten empfunden. Wie sie unterstrichen die meisten der Interviewpartnerinnen, dass sie die angestrebte Arbeitsaufnahme, egal ob aufgrund einer finanziellen Notwendigkeit oder aufgrund anderer Beweggründe, als selbstverständliche Fortführung ihrer bisherigen Arbeitsbiographien verstanden. Alle Interviewpartnerinnen berichteten, ihre ersten Arbeitserfahrungen in ihrer Kindheit oder Jugend gemacht zu haben – immer aus der Notwendigkeit heraus, die Familie zu unterstützen18 oder über das eigene Geld Schule und Ausbildung bezahlen zu können. Die meisten von ihnen hatten ihre ersten Jobs als Verkaufsaushilfen, in der Landwirtschaft oder als Haushaltsarbeiterinnen zwischen elf und 16 Jahren angenommen: Damit verbunden erzählte mir Silvana H. von ihrer Doppelbelastung, die sie wie viele andere bereits als Jugendliche hinnehmen musste, um ihren Schulabschluss machen zu können: „Ich bin nachts zur Schule gegangen, weil ich ab der 8.Klasse arbeiten musste. Deshalb bin ich also abends zur Schule gegangen und am Tag habe ich in einem Laden gearbeitet. Am Wochenende habe ich auch gearbeitet, weil- .. Die ganze Woche und am Wochenende habe ich extra gearbeitet, um mein Essen zu bezahlen.“ (Silvana H., 16.08.2012)

Zudem gaben viele Frauen an, bereits als Kinder bei der Pflege von älteren Familienangehörigen mitgeholfen oder auch Kinder (eigene Geschwister sowie Kinder

18 Auffällig war in den Interviews, dass viele Frauen geschiedene Eltern haben und dass gerade deshalb die Unterstützung der Mutter mit den unterschiedlichen bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten überlebenswichtig war.

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aus der Nachbarschaft) betreut zu haben. Allein Angelica gab diesbezüglich an, diese Aufgaben auch als Arbeit empfunden zu haben: „Ich habe schon immer gearbeitet; schon als Kind habe ich auf andere Kinder aufgepasst. –Ja, schon als ich selbst Kind war, habe ich auf andere aufgepasst. .. [verlegen lachend, dann leise wiederholend:] Als Kind auf andere Kinder aufgepasst. .. Das war damals eigentlich gar nicht wirklich für Geld, sondern eher für so kleine Dinge, aber, .. Ich habe es trotzdem als Arbeit empfunden, verstehst du? [ML: Na klar.] JA, und in Brasilien ist das normal, .. das Kinder arbeiten. .. Also, in Deutschland ist das KINDERARBEIT [verlegen lachend] .. aber in Brasilien nicht.“ (Angelica, 09.10.2011, Ü.: ML)

Angelica zeichnete diese Arbeit als eine sehr mühsame gleich zu Beginn ihrer Arbeitsbiographie, in der sie mir anschließend von ihren vielfältigen Anstrengungen, sich ihr Überleben zu sichern, erzählte. Der Vergleich mit dem deutschen Kontext, in dem Kinderarbeit verboten ist, unterstreicht, wie anstrengend das Arbeitsleben in Brasilien empfunden wurde und wie fest Arbeit mit den Biographien der Frauen verwoben ist. Beides verstehe ich zugleich als Abgrenzungsarbeit gegenüber der Vorstellung eines Brasiliens des Laisser-faire. In Brasilien hatten die meisten der Frauen in jungen Jahren eine Ausbildung absolviert,19 beispielsweise als Sekretärin, Schneiderin, im Hotel- und Tourismuswesen oder als Lehrerin. Einige von ihnen hatten bereits zu jener Zeit eine Kosmetikschule besucht, aber nur drei arbeiteten tatsächlich anschließend in dem Sektor. Andere nutzten ihre Kenntnisse, um sich hin und wieder über die kosmetische Behandlung von Bekannten und Nachbarn „etwas hinzuzuverdienen“ (vgl. Kapitel 5). Bei unseren Gesprächen stellten viele heraus, dass es damals gerade in den Kleinstädten nicht viele Berufswahlmöglichkeiten für Frauen gegeben habe. Außerhalb der landwirtschaftlichen Arbeit hätten damals oftmals eher diverse vergeschlechtlichte Berufsfelder den Frauen offen gestanden, vor allem wenn sie kein Abitur oder Hochschulabschluss hatten. Diese waren wiederum durch geschlechtlich begründete Einkommensunterschiede gekennzeichnet. Silvana H. erinnerte sich:

19 In Brasilien gibt es keine dem deutschen dualen Berufsausbildungssystem vergleichbare ‚Lehre‘. Vielmehr sind die sogenannten cursos técnicos ab der 9. Klasse in die Schulausbildung integriert, bei denen sich Mädchen und Jungen entsprechenden übergeordneten Berufsfeldern zuordnen. Die eigentliche Berufsausbildung erfolgt dann in den Betrieben und wird durch integrierte sowie zusätzliche Fortbildungsangebote ergänzt. Zudem gibt es staatlich initiierte, aber mittlerweile privatisierte Einrichtungen (das in Kapitel 2 erwähnte Sistema S, zu denen z.B. SESC oder SEBRAE zählen), die kostengünstig spezialisierende Kurse für diverse Berufsbranchen anbieten.

146 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT „Manche haben darüber diskutiert, dass Männer besser bezahlt werden als Frauen, oder das es die Männer leichter haben eine Arbeit zu bekommen als eine Frau in einer bestimmten Branche. Sie schauen nicht auf die Kompetenzen einer Frau, sondern dass sie eine Frau ist. Das habe ich in meinen Bekanntenkreis und bei Verwandten gesehen. Und das gibt es bis heute noch. Das sieht man auch im Fernsehen, die Diskussion, dass es so etwas gibt. Ich sehe zum Beispiel nie, also damals habe ich nie gesehen, dass eine Frau in Brasilien ein Taxi gefahren ist. Nie. Vielleicht gibt es das jetzt, aber .. vor – ich bin seit elf Jahren hier – aber vor elf Jahren habe ich noch keine Frau gesehen, die ein Taxi gefahren ist, was hier ganz normal ist, selbst bei Türken.“ (Silvana H., 19.09.2012)

Jedoch erzählten einige von ihnen auch von Veränderungen, die sie in den letzten Jahren in Brasilien beobachtet hatten. Diese zeigten sich, so Frances-Clai, bereits an dem Umstand, dass Brasilien 2010 eine Frau als Staatschefin gewählt habe. Das wäre „zu ihrer Zeit“, also vor ihrer Migration nach Deutschland im Jahr 1992, undenkbar gewesen. Aber unabhängig der vergeschlechtlichten Berufsmöglichkeiten gaben alle an, dass es selbst zur damaligen Zeit völlig normal gewesen sei, dass Frauen arbeiten gehen, viele dies von ihrem Elternhaus gar nicht anders kennen würden. Die meisten Mütter hatten gearbeitet, allerdings hoben viele Frauen Unterschiede zwischen den Tätigkeitsfeldern ihrer Mütter und ihren eigenen, denen sie in Brasilien nachgingen, hervor. So hatte die Müttergeneration, vor allem der vor 1970 geborenen Frauen, in der Landwirtschaft, als faixineira (Reinigungskraft), doméstica (Haushaltsarbeiterin) oder costureira (Schneiderin) gearbeitet. Einige ihrer Mütter verdienten zudem ein Zubrot mit kosmetischen Dienstleistungen, die sie in der Nachbarschaft anboten (die Arbeit als babá [Nanny] war hingegen eine Aushilfsarbeit, die wie im Falle Angelicas Geschwistern oder Nachbarskindern zugeteilt wurde, oftmals ohne entsprechend entlohnt zu werden). So bestätigten die Frauen, dass sich die ihnen zugänglichen Tätigkeitsfelder im Unterschied dazu weit diverser gestalteten und in der Regel mit einer höheren Qualifikation oder einer Ausbildung verbunden waren. Qualitativ habe es über die beiden Generationen hinweg also eine Aufwertung der Arbeitsbereiche gegeben. Als Frau nicht zu arbeiten beurteilten die Frauen in den Gesprächen hingegen als klassenspezifische Zuordnung, es finanziell „nicht nötig“ zu haben: Dieser Umstand, so Frances-Clai, ändere sich jedoch auch. Das hänge nicht zuletzt auch mit dem Einfluss von neueren Telenovelas in Brasilien zusammen, in denen Frauen der oberen Mittel- sowie Oberklasse sich nicht mehr mit der Mutter-, Ehefrau- und Gesellschaftsdamenrolle abfinden wollten und eigenen Karrieren nachstrebten. Insgesamt waren sich viele der Frauen daher einig, dass nicht zu arbeiten heutzutage – wie auch schon früher – mit einem traditionalistischen konservativen Lebensstil und entsprechenden Geschlechterrollen in Verbindung gebracht wird. Genau dieser Aspekt ist im transnationalen Kontext besonders interessant. Denn im Gegensatz zu der mehrheitlichen Ablehnung eines konservativen Rollenmodells

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durch meine Interviewpartnerinnen (das nicht zuletzt auch ein klassenspezifisches sei), zeichnet das in Deutschland vorherrschende Stereotyp genau dieses konservative Bild von ‚der Brasilianerin‘. Dieses Bild speist sich ansonsten allerdings nur wenig von Frauenbildern der oberen Klassen Brasiliens. Jedoch ergänzte eine Interviewpartnerin, Lecylana, dass sich viele Frauen, die ihr Leben lang hart gearbeitet hätten, insgeheim den Luxus wünschten, nicht arbeiten zu müssen. Keine der Interviewpartnerinnen brachte dies hingegen mit ihren eigenen Erwartungen und Hoffnungen zusammen. So standen alle Frauen bis zu ihrer Migration in festen Arbeitsverhältnissen, die ihnen einen annehmbaren Lebensstandard ermöglichten – trotz der teils ärmeren Verhältnisse, denen einige ihre Kindheit in ihren Biographien zuordneten. Frauen wie Dalva, Silvana H., Carminha, Frances-Clai, Neide* oder Andréa hatten zudem als junge Frauen der Arbeit wegen ihr Elternhaus verlassen und waren in andere Städte gezogen. Dort, so betonten sie in ihren Erzählungen, genossen sie neben ihrer finanziellen Eigenständigkeit auch die Freiheiten weit ab der familiären Kontrolle. Zu arbeiten, ihr eigenes Geld verdienen zu können, war für viele daher bereits in Brasilien nicht nur eine finanzielle Notwendigkeit gewesen. Damit einher ging stets auch eine weitestgehend eigenständige Lebensführung. Arbeit bildete darüber hinaus einen selbstverständlichen Bestandteil des eigenen Lebensentwurfes. Lecylana beispielsweise, die in Brasilien in der Hotellerie gearbeitet hatte und in Deutschland viele Jahre zunächst als Kinderbetreuerin und Haushaltsarbeiterin ihr Geld verdiente, heiratete nach Jahren eines ungeregelten Aufenthaltsstatus im Jahr 2000 ihren deutsch-türkischen Freund. Sie kommentierte dessen immer rigorosere Art, sie von der Arbeit abzuhalten, wie folgt: „Es wurde immer schlimmer, ich sollte nicht arbeiten, ich sollte zu Hause bleiben und eine gute Hausfrau und Ehefrau und für die Kinder und ich weiß nicht was sein.- .. Mit der Zeit hat es nicht geklappt. Ich hatte schon einen großen Schritt gemacht gehabt: In Brasilien lernt man ganz schnell zu kämpfen und unabhängig zu sein. Dann kommt man hierher, ohne Familie, und muss auch kämpfen, um unabhängig zu sein. Und dann kommt einer, der will dich 50 Jahre zurückschießen, das geht nicht.“ (Interview vom 27.08.2012)

Lecylana begründete diese Haltung mit dem spezifischen kulturellen Hintergrund ihres Ex-Mannes. Allerdings meinte sie, dass sie dieses Verhalten auch bei einigen anderen deutschen Ehemännern in ihrem Bekanntenkreis beobachtete. Sie kommentierte dies als eine „verkehrte Vorstellung über uns Brasilianerinnen“, was ich als eine Anspielung auf das oben skizzierte Stereotyp brasilianischer Frauen verstehe. Lecylana unterstrich aber auch, dass sie genauso viele deutsche Ehepartner kenne, die ihre Frauen motivierten und unterstützten, nicht nur eine Arbeit aufzunehmen, sondern auch berufliche Wünsche zu realisieren, wie es bei ihrem jetzigen Lebenspartner und denen einiger anderer Frauen der Studie der Fall war (vgl. Kapitel 5).

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Doch stellte sich beim detaillierteren Nachfragen noch eine weitere Dimension heraus, warum sich die Frauen bald nach ihrer Entscheidung, in Deutschland leben zu bleiben, sich trotz eines ausreichend verdienenden Ehemannes Arbeit suchten: Die Frauen suchten sich, vor allem gegenüber den Familien ihrer Partner, aber auch im Kontakt mit anderen Deutschen oder bereits länger in Berlin lebenden Brasilianer/innen zu positionieren: „Arbeit haben“ wurde in einigen Fällen nahezu damit gleichgesetzt, „wahre Liebe“ für den Ehepartner zu empfinden. Dieser Punkt war entscheidend für die Wahrnehmung darüber, wie ernst es der „Ausländerin“ war, sich in „Deutschland zu integrieren“ und „ihren Beitrag für die Familie“ zu leisten. Laura*, eine aus Bahia stammende Brasilianerin, die 1995 den Vorschlag ihrer Tante annahm, für sie in Berlin als Kinderbetreuerin zu arbeiten und später zu studieren, erzählte mir beispielsweise bereits 2008 folgendes: Die Eltern ihres deutschen Freundes, den sie in Berlin kennengelernt hatte, hätten sie zunächst sehr nett behandelt, denn sie sei ja „so exotisch“ gewesen. Doch als ihr Partner um ihre Hand anhielt, änderte sich plötzlich das Verhalten seiner Eltern ihr gegenüber: Laura* imitierte deren Warnungen mit den Worten: „‚Sie heiratet dich nur wegen des Geldes. Sie will dir das Leben zur Hölle machen‘ Und da habe ich gemerkt: Ohne Arbeit werden die dich nie akzeptieren“ (Laura*, 21.02.2008; Ü.: ML). Laura* bemühte sich wie andere darum, zunächst die deutsche Sprache weitestgehend zu lernen und begann bald darauf, als Kinderbetreuerin zu arbeiten. Jedoch änderte sich alles, als sie bald darauf schwanger wurde. Nach zwei Jahren Elternzeit wollte sie wieder Arbeit suchen, wurde aber dafür von ihrer Schwiegermutter gerügt. Sie solle sich lieber um ihre Verpflichtungen als Mutter und Ehefrau kümmern.20 Laura* war darüber sehr verwundert, denn in Brasilien sei es normal, dass Frauen bereits nach sechs Monaten Babypause wieder die Arbeit aufnahmen. Für sie schloss es sich außerdem nicht aus, sowohl zu arbeiten und zugleich eine fürsorgliche Mutter und gute Ehefrau zu sein. Ähnlich wie Laura* bemerkten einige der Interviewpartnerinnen darüber hinaus, dass sie, wenn sie „nur zu Hause bleiben“ würden, die ihnen entgegengebrachten Vorurteile bestätigen würden: Sie müssten sich nicht nur gegenüber den Familien ihrer Ehepartner dahingegen abgrenzen, einzig aus Gründen eines sozialen upgrade geheiratet zu haben. Hinzu kommt die Konfrontation mit dem Imaginarium Brasilien, das vor allem in der deutschen Unterhaltungsbranche noch immer

20 Hierbei sei erwähnt, dass die Familie ihres Mannes einer wohlhabenderen Familie aus Westdeutschland angehört. Fast alle Frauen waren mit einem westdeutschen Mann verheiratet, weshalb ich eine zusätzliche Unterscheidung in Erfahrungen in ost- und westdeutschen Familien weitestgehend ausgelassen habe. Nur dort, wo ich entsprechend Markierungen vorgenommen habe, handelte es sich um einen familiären ostdeutschen Erfahrungshintergrund.

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eng an ein touristisches Bild geknüpft ist. Bei diesem werden Leichtlebigkeit, Ausgelassenheit und Müßiggang betont, weniger jedoch Arbeitsmoral, Fleiß oder Eifrigkeit. Doch auch im Kontakt mit anderen Deutschen empfanden viele der Frauen ‚Arbeit haben‘ als ein wichtiges Kriterium, das über ihre Positionierung im sozialen Gefüge entschied. Silvana H. sagte mir: „Wenn man in dieser Gesellschaft lebt, je nachdem mit wem man es zu tun hat, merkt man, dass es wertgeschätzt wird. Wenn man irgendwo hin geht, ist doch die Frage: Was machst du? Arbeitest du? Es kommt immer die Frage. Und irgendwie fühlt man sich schon so, …, dass man doch was machen müsste. Dass wird doch irgendwie erwartet. … Das merkt man, dass es irgendwie erwartet wird, dass man was macht, .. dass seine Frau etwas macht.“ (Interview vom 16.08.2012)

Gerade im letzten Satz wird auf indirektem Weg deutlich, wie sehr diese Erwartung gerade an sie als mit einem Deutschen verheiratete Brasilianerin herangetragen wurde. Carminha versuchte mir gegenüber, den generellen Stellenwert der Arbeit über einen Vergleich noch besser zu verdeutlichen: „In Brasilien wirst du niemanden kennenlernen, DER GLEICH FRAGT: -WAS MACHST DU?- Un-glaub-lich. Das ist eine Frage, ich kann nicht mal sagen typisch europäisch, sondern so richtig deutsch. [...] WAS MACHST DU? NACH DREI SÄTZEN KOMMT DER SATZ: WAS MACHST DU?“ (Carminha, 10.02.2009). Aufgrund der Wahrnehmung der Frauen als ‚Ausländer‘ (wie dies immer wieder in den Erzählungen betont wurde), ist es nun an ihnen, über die Beantwortung der Frage von Arbeit zu sprechen, Arbeit also zum Thema der Unterhaltung machen zu können (aufgrund der Art der Tätigkeit, des formellen Status ihres Berufsverhältnisses, aufgrund der angenommenen Qualität ihrer Arbeit, die sich durch Aus- und Weiterbildungen und zeitlichen Umfang der Arbeitserfahrung zu messen glaubt). Diese Frage hat daher für die Frauen in mancherlei Situation eine sehr ambivalente Bedeutung. Einerseits beeinflusste die Beantwortung dieser Frage, wie die Frauen in ihrer Anrufung nicht nur als Brasilianerin sondern als ‚Ausländer‘ wahrgenommen und kategorisiert würden: fleißig und daher integrationswillig, oder aber arbeits- und daher integrationsunwillig. Beide Extreme dominieren in regelmäßigen Konjunkturen die öffentliche politische Debatte Deutschlands über ‚Integration‘ (vgl. Kapitel 2). Ihren Widerhall fanden sie in alltäglichen Gesprächssituationen der Frauen, in denen sie sich veranlasst sahen, sich entsprechend zu positionieren. Andererseits mussten die meisten von ihnen in ihrem neuen Lebensort eine Unterscheidung machen, wie das Beispiel von Laura* zeigt: „Ich habe zwar eine Ausbildung als Sekretärin in Brasilien abgeschlossen, aber hier kann ich diesen Beruf nicht ausüben. Das heißt, ich habe keinen Beruf“. Es bedeutet in diesem Fall, sich

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immer wieder einer als minderwertig klassifizierten (Aus-)Bildung im Herkunftsland bewusst zu werden. Institutionell geschieht das über die Nicht-Anerkennung von brasilianischen Bildungsabschlüssen und Berufserfahrungen. Doch auch in alltäglichen Gesprächen wird dieses Thema zu einer alltäglichen Erinnerung an die deutsche mehrheitsgesellschaftliche (Bildungs-)Überlegenheit. Dass dieses Verhältnis versucht wird, weitestgehend aufrecht zu erhalten, zeigt sich z.B. in der Arbeitsgesetzgebung (Herbert 2001; Ha 2003: 72). Die konkreten Auswirkungen im Leben der Frauen verdeutlichen sich am Beispiel der von Marta* erzählten Episode auf dem Arbeitsamt. Marta* kommentierte die ihr dort eröffnete berufliche Alternativlosigkeit wie folgt: „Diese Gesellschaft hier schubst uns fast immer nach ganz unten und gibt uns kaum eine Chance. Es ist so wie die Frau vom ARBEITSAMT mir gesagt hat: ‚Los, nimm! .. Du hast keinen Beruf, also nimm!‘“. Allerdings zeigte sich in vielen Gesprächen, dass einige der Frauen auch nicht erwartet hatten, dass ihre bisherigen Abschlüsse oder Berufserfahrungen anerkannt würden. Silvana H. meinte in Bezug auf ihre Erwartungen sehr nüchtern: „Das ist hier eine ganz andere Sache als dort. Hier gehe ich nicht einfach so hin und die geben mir gleich Arbeit. Da muss man schon schauen, was man lernen kann, was man hier machen kann. Es ist wie wenn man nichts hat, wie wenn man nie was gelernt hat. Man muss alles wieder von vorne anfangen, wieder einen Beruf lernen. Und dann, dann kann man arbeiten.“ (Silvana H. 16.08.2012)

Andererseits wurde die Bereitschaft der Frauen, sich entsprechend umschulen oder neu- bzw. fortbilden zu lassen, in allen Fällen vom Arbeitsamt abgelehnt. Dalva, die nach ihrer Ankunft in Deutschland die ersten Monate intensiv dem Deutsch-Lernen gewidmet hatte, versuchte nach der Geburt ihres Sohnes und der Trennung von ihrem deutschen Freund, über das Arbeitsamt eine Ausbildung im Tourismusbereich zu erhalten. Sie wurde damals mit der Begründung abgelehnt, sie habe noch nichts in die Sozialversicherung eingezahlt. Bei Leni wiederum wurden ihre vermeintlich unzureichenden Deutschkenntnisse als Begründung herangezogen. So zeigen ihre Ergänzungen, die über mein Nachfragen motiviert wurden, dass die in der dieses Kapitel einleitenden Erzählung so selbstverständlich und geradlinig verfolgten Zielsetzungen und etappenhaften Erfolge vielmehr Ergebnis harter Arbeit und geprägt durch vielfältige Diskriminierungserfahrungen und Selbstzweifel waren. Das beständige Betonen, wie wichtig das Beherrschen der deutschen Sprache sei, ließ sich erst über mein Nachfragen eng mit Lenis Erfahrungen bei ihrer Arbeitssuche zusammenbringen: „Ich wollte einen Kurs machen, der hat drei Jahre gedauert, in Potsdam. Ich bin dahin gefahren. Erst einmal gab es ein Gespräch mit der Schulleiterin. Die Frau hat mich so klein gemacht mit Hut. [Leni deutet mir ca. zwei Zentimeter mit Daumen und Zeigefinger.] Sie hat

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mich so klein gemacht. Sie hat gefragt: ‚Was wollen Sie hier drei Jahre lang machen? Sie können noch nicht einmal deutsch sprechen. Allein Ihr Ausdruck! Gehen Sie zurück zur Schule.‘ Wow dachte ich, das ist Rassismus. Also ich finde mein Deutsch- .. Ich arbeite hier seit vier Jahren und ich habe sehr viele Studenten, auch sehr viele Ausländer. Wenn ich anfange mit denen zu sprechen und sie sagen, dass sie zur Uni gehen- .. Ich sage nichts, aber ich frage mich: Wie können die mit so einem schlechten Deutsch zur Uni gehen? Mein Deutsch war so viel besser und die Frau hatte mich so klein gemacht. Das war echt hart. Und dann hat man natürlich Angst, ne, sich zu bewerben, woanders hinzugehen. Ich habe deshalb meine Ausbildung selber bezahlt. Danach habe ich mich auf diesen Promotion-Job beworben und nach einer Woche habe ich den Anruf [mit der Zusage] bekommen. Ich konnte es kaum fassen. Aber dann dachte ich: ‚Nein, ich kann nicht, ich lehne es ab.‘ Mein Mann fragte: ‚Ja, warum nur?‘ Ich habe gesagt, dass ich es nicht kann; es war immer die Sprache. ‚Nein, du brauchst keine Angst zu haben.‘ Ich habe erst Schwierigkeiten gehabt, aber als ich dort angefangen habe, ist mein Deutsch richtig gut geworden. Denn ich musste- .. Ich wurde in kaltes Wasser gestoßen, denn obwohl ich schon ein paar Jahre in Deutschland war, war für mich die Sprache immer ein Thema.“ (Leni, 20.09.2012)

In beiden Beispielen, Dalvas und Lenis, wird deutlich, dass vermeintlich ungenügende Sprachkenntnisse und die Begründung, nicht in die Sozialversicherungen eingezahlt zu haben als Vorwand herangezogen werden, Formen der Diskriminierung zu vertuschen. Gerade die Sprache wollten alle Interviewpartnerinnen so schnell und gut wie möglich lernen. Sie waren sich bewusst, dass sie nicht nur über ausreichende Sprachkenntnisse innerhalb der deutschen Familien- und Freundeskreise ihrer Ehemänner besser akzeptiert würden. Alle betonten, wie wichtig Sprachkenntnisse darüber hinaus für eine Eingliederung in den formellen deutschen Arbeitsmarkt wären. Silvana H. begründete dies mit den Worten: „Wenn du die Sprache lernst, weißt du, was in deiner Umgebung passiert; dann weißt du, was die Nachbarn über dich reden. Also, die Sprache ist schon sehr wichtig. Dann kann man arbeiten. Man kann auch jahrelang, wenn man die Sprache nicht gelernt hat, in einem brasilianischen Restaurant arbeiten. Da werde ich aber die Sprache nicht lernen und ich werde mich da auch nicht integrieren. Denn wenn ich nicht kommunizieren kann, dann werde ich nicht gut von den Leuten angenommen. Dann haben die Leute nicht so viel Achtung und haben auch keine Geduld. Egal wo man hingeht nehmen Sie dich nicht so ernst. Und sie denken, dass du dumm bist, weil du dich nicht äußern kannst.“ (Silvana H. 08.10.2011)

Und so ging es nicht mehr einfach nur darum, „keinen Beruf“ bzw. „keine adäquate Ausbildung“ vorweisen zu können. Die Beispiele zeigen vielmehr, dass über eine diskriminierende Gesetzeslage hinaus diskriminierende Praktiken auf der interpersonellen Ebene fortgeführt werden; oftmals mit weit größeren emotionalen Auswirkungen für die Frauen als ein vom Amt nicht anerkannter Berufsabschluss. Dalva

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erhielt letztendlich ihre Ausbildung über ein europäisches Frauenförderprogramm, dass sie nach einigen Recherchen entdeckte. Leni wiederum gab ihre Bemühungen um einen vom Arbeitsamt vermittelten Ausbildungsplatz auf. Stattdessen finanzierte sie sich ihre Ausbildung – ebenfalls im Bereich Tourismus – von dem Geld, das sie in Reinigungs- und Betreuungstätigkeiten in Privathaushalten verdiente. Vor dem Hintergrund all dieser Bemühungen, in Deutschland einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Umschulungsplatz zu erhalten, reagierten viele Frauen mit Unverständnis auf mediale Berichterstattungen und Debatten über Menschen, die Arbeit angeblich verweigerten um lieber Sozialhilfe zu empfangen – etwas, dass sie sich als ‚Ausländer‘ nie erlauben könnten. Silvana H. und Marta* berichteten diesbezüglich, dass sie Schwierigkeiten hätten, für ihre Studios Bürokräfte zu finden, da „die Leute für 800 Euro lieber zuhause [bleiben], als für 900 Euro arbeiten zu gehen“ (Silvana H., 16.08.2011). Zudem äußerte Marta* Enttäuschung über ihre Erwartungen, denn Deutschland sei in den Vorstellungen vieler Brasilianerinnen noch immer mit einer hohen Arbeitsmoral und Fleiß assoziiert. In Hinblick auf die eigenen Erfahrungen von Ablehnung, Vorurteilen und stereotypisierten Zuschreibungen einerseits und Berichterstattungen über Deutsche andererseits, die ihre Möglichkeiten nicht zu schätzen wüssten, stellten die Frauen in den Erzählungen Vergleiche zwischen dem Hier und dem Dort auf. Das, so meine Interpretation, sollte mir gegenüber auch noch einmal ihre Anstrengungen verdeutlichen, über die sich ihre eigenen Arbeitstrajektorien gestalteten. Ein Beispiel hierfür ist Silvanas Einschätzung: „Ich bin ein Mensch, der wirklich was machen muss. Ich kann ja nicht zu Hause sitzen und warten. Das kann ich nicht. Von Natur aus kann ich das nicht. .. Da bin ich viel zu aktiv dafür. Und hier, wenn ich hier die Möglichkeiten sehe, die ein Mensch hier hat, eine Ausbildung, einen Beruf zu lernen. Es gibt Berufe, die, die, ähm, die werden vom Arbeitsamt bezahlt! Die so viel Geld kosten und das Arbeitsamt bezahlt es für viele! Also von daher bleibt wirklich nur arbeitslos, wer das wirklich nicht will. Der Staat, der gibt dir die Möglichkeit. Ich als Brasilianer sehe das, weil das bei uns in Brasilien ganz anders ist. Dort bekommst du keine Unterstützung, gar nichts. […] Ich musste Geld verdienen, um zu leben, um mich zu unterhalten. … Ja … es ist schwierig, wenn man nicht unterstützt wird, denn man muss für sich selber sorgen. Wir haben in Brasilien keine Unterstützung vom Staat, gar nichts. Man bekommt nichts, wenn man nicht selber was macht. Keine Unterstützung für die Schule oder für die Ausbildung oder für irgendwas. Wenn man irgendetwas werden möchte, dann muss man schon richtig .. kämpfen und arbeiten. Das sind ganz andere Möglichkeiten, die die Menschen hier haben. Wenn sie keine Ausbildung haben, dann zahlt der Staat die Ausbildung und dann können sie arbeiten.” (Silvana H., 08.10.2011)

Dieser polarisierende Vergleich Silvanas verweist auf das Unverständnis gegenüber Menschen, die ihrer Ansicht nach vor die Füße gelegte Möglichkeiten nicht ergrei-

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fen wollen, – Möglichkeiten also, die Silvana in Brasilien nie offen standen. Der hier zitiert Erzählabschnitt bildet eine Schnittstelle zwischen einer zuvor angestellten Auflistung unterschiedlicher Tätigkeitsfelder, die sie in ihren biographischen Verlauf vor der Migration einordnete, und einer Darstellung der Tätigkeitsfelder, in denen sie in Deutschland bereits gearbeitet hatte. Die Betonung des Gegensatzes zwischen ihrer Einschätzung eines brasilianischen Kontextes, in dem man keinerlei Unterstützung zu erwarten hatte, und einem deutschen Kontext, der vielfältige Angebote bereithalte, die man einfach nur zu ergreifen brauche, deute ich als eine narrative Strategie. Über diese, so meine Interpretation, wollte Silvana H. mir gegenüber die eigenen Anstrengungen und Mühen, sowohl was ihre Arbeitstrajektorie vor wie nach ihrer Migration betrifft, noch einmal unterstreichen. Die Wahl dieser narrativen Strategie wird vor allem dann verständlich, wenn man den sich daran anschließenden Erzählabschnitt berücksichtigt, in dem sie zum einzigen Mal in ihrer gesamten arbeitsbiographischen Erzählung ihren eigenen Berufswunsch erwähnte, der jedoch unerfüllt blieb: „Als ich Kind war, wollte ich Anwältin werden. Aber in die Schule oder .. in die Uni zu gehen- .. das war eine Frage des Finanziellen. … [Ok?] Es war eine Entscheidung, meine eigene Entscheidung. Ich habe selbst entschieden, dass ich erst ein bisschen arbeite, um Geld zu verdienen. Aber das Studium ist in Brasilien viel zu teuer. Man muss Geld haben, damit man wirklich studieren kann. In Brasilien war es so: Wenn du mit der Schule fertig bist, nach elf Jahren Schule, dann überlegst du was du machen wirst. Dann gehst du zur Uni und machst ein Jahr lang so einen Kurs für die große Aufnahmeprüfung. Erst dann kann man zur Uni gehen. Aber das .. das kostete alles Geld. Die Bücher sind zu teuer, die Kurse sind auch teuer.“

Silvanas mehrfache Wiederholung, sich als junges Mädchen selbst für das Arbeiten entschieden zu arbeiten, deutet auf einen sehr eindringlichen Berufswunsch hin, der von den Eltern nicht entsprechend unterstützt wurde bzw. werden konnte.21 Stellt man diese Aussage in Bezug zu ihrer vorherigen Erzählung über ihre Anstrengungen seit ihrer Jugend (über diverse Jobs eine bessere Schule zu bezahlen, wofür sie aus dem Hinterland des Bundestaates Amazonas in die Landeshauptstadt Manaus zog, wo sie bei einer Tante lebte, sich jedoch ihren Unterhalt selbst verdienen musste – siehe obiges Zitat), so wird das Ausmaß ihrer Anstrengungen für diese Ziel

21 Silvana betonte in den Interviewabschnitten, die sich auf ihre Familie bezogen, immer wieder, dass diese in sehr bescheidenen Verhältnissen im Hinterland des Bundesstaates Amazonas lebte. Dass damit auch das Verständnis für Dinge oder Berufswünsche außerhalb ihrer Lebensrealitäten als kleine Landwirte begrenzt war, zeigen Aussagen Silvanas, ihre Eltern würden nicht begreifen können, was es hieße, in Deutschland zu leben oder gar in Deutschland ein Geschäft zu leiten.

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deutlich. Dennoch musste sie es letztendlich aufgrund unzureichender finanzieller Möglichkeiten doch aufgeben: Sie konnte die entsprechenden vorbereitenden Kurse für die Universität zu jener Zeit nicht finanzieren, blieb so weiter als Verkäuferin arbeiten und wechselte einige Zeit später in die Tourismus-Branche. In Deutschland angekommen, zeigte sie sich offen für alles, arbeitete erst als PortugiesischLehrerin, später als Bürokraft in einer Import-/Export-Firma. Selbst ihr in Deutschland absolvierter Kosmetikkurs ergab sich über eine zufällige Gelegenheit, die sie spontan nutzte. Die biographischen Justierungen in ihrer Einstellung zu Berufswünschen in Relation zu deren Realisierbarkeit, die sie mir in ihrer arbeitsbiographischen Erzählung beinahe leidenschaftslos als Selbstverständlichkeit darstellte, erklärte sie mir über ihre Fähigkeit, sich den Umständen entsprechend anzupassen.22 Diese Fähigkeit, so ergänzte sie, sei auch eine kulturell verankerte. Sie teile diese mit vielen Migrant/innen aus dem Süden, nicht jedoch mit den Deutschen, die sie abermals polarisierend gegenüberstellt: „Ich glaube, dass die Südländer, wenn sie keine Arbeit finden – also darin, was sie gelernt haben – sich dann was anderes suchen. Sie haben kein Problem auch etwas anderes zu machen. .. So nach dem Motto: Ich habe Verkäuferin gelernt, aber ich gehe nun arbeiten in .. zum Beispiel .. in einer Schneiderei oder so. Die Leute hier sind da anders. Sie wollen darin arbeiten, was sie gelernt haben, was ja eigentlich richtig ist. Aber .. ich denke, wenn man dann in dem Bereich nichts findet, dann macht man halt etwas anderes. Hauptsache man macht etwas. Aber das hat auch etwas mit der Kultur zu tun. So denke ich.“ (08.10.2011)

Die Flexibilität, die sich ähnlich Silvana H. viele der Frauen im Laufe ihres Lebens aneignen mussten, wurde in den Erzählungen als eine positive Eigenschaft herausgestellt. Sie erleichtere das (Über-) Leben nicht nur in Brasilien, sondern war, bedingt durch ineinander verschränkte Migrations- und Arbeitsregime, auch in Deutschland notwendig. Diese Flexibilität wurde dabei ähnlich wie in Silvanas Aussage oftmals einer deutschen Lethargie gegenübergestellt, sich auf neue inhaltliche Tätigkeiten oder auf Abweichungen vom normativen Arbeitsalltag- und rhythmus einzulassen. Letzteres kommentierte etwa Leni mit den Worten: „Es gibt Deutsche, die haben eine Vorstellung, wie der Job sein muss, so ein Traumjob: Montag bis Freitag, am Wochenende können wir nicht…“ (Leni, 19.09.2012). Silvana ergänzte diese Aussage: „Die Deutschen wollen ihre geregelte Arbeitszeit, ih-

22 Auch wenn es spekulativ erscheint, denke ich, dass Silvanas extrem polarisierende Einschätzung der beiden nationalen Arbeitskontexte doch auch Ausdruck eines Bedauerns über die Unmöglichkeiten – bedingt durch ihre finanzielle Situation und die fehlende (staatliche) Unterstützung – ist, ihren Berufswunsch tatsächlich realisieren zu können.

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re acht Stunden, und ihren geregelten Urlaub. Darauf legen sie schon sehr viel Wert“ (Silvana H. 16.08.2011). Die vermeintlichen Schwierigkeiten der Deutschen, sich auf eine inhaltliche Neuorientierung einzulassen, wurde von einigen Frauen mit dem Stellenwert der beruflichen Tätigkeit für die soziale Identifikation erklärt. So konstatierten Carminha, Dalva und Silvana H., dass in Deutschland wie nirgendwo sonst die soziale Positionierung an die jeweilige Berufstätigkeit gebunden sei. Die berufliche Tätigkeit bestimme also die soziale Identität und Zugehörigkeit mit, letztere würde oft sogar über erstere (mit) hergestellt. Wie sehr die berufliche Tätigkeit, die Identifikation mit diesem Berufsfeld und dem damit zusammenhängen sozialen Status in alltäglichen Interaktionen eine Rolle spielt, war bereits bei den obigen Zitaten zur Frage „Was machst du“ deutlich geworden. Im Gegensatz dazu stellte Leni heraus, dass in dem sozialen Umfeld, welches sie aus Brasilien kannte, die Art der beruflichen Tätigkeit in Bezug auf die soziale Identität relativ irrelevant gewesen sei: „Ich hatte nie Schwierigkeiten, weil ich nie gezielt gesucht hatte. Wir sind es in Brasilien nicht gewohnt: ‚Nee, das mache ich nicht, das will ich nicht‘. Ich habe gemacht, was mir angeboten wurde. Natürlich, man schickt Bewerbungen, wird zum Gespräch eingeladen oder wird nicht eingeladen. Aber das erste, was man kriegt, nimmt man und geht arbeiten. In Brasilien fragt man nicht: ‚Was willst du werden?‘ Was du bekommst, darüber bist du froh, und dann willst du nur arbeiten. Hier habe ich mich zwar angepasst, aber ich bin immer noch Brasilianerin. Ich suche mir keinen Job aus, ich habe gemacht was kommt und versucht, Spaß daran zu haben.“ (Leni, 19.09.2012)

Allerdings ist bei den Interpretationen dieser Aussagen Vorsicht vor einer schlussfolgernden Kulturalisierung bezüglich des Stellenwertes von Arbeit bzw. Beruf für die soziale Position und Identität in Brasilien geboten. Auch eine Ethnisierung der Biographien sollte vermieden werden. Was sich in den Erzählungen als eine polarisierende Gegenüberstellung zwischen Brasilien und Deutschland bezüglich des sozialen Stellenwertes beruflicher Tätigkeiten andeutet, muss vielmehr mit Rücksicht auf verschiedene Einbettungen betrachtet werden: Zum einen hing der Stellenwert der Arbeitstätigkeit, also des Was der Arbeit, vom sozialen Umfeld und der sozioökonomischen Position ab, in die die Frauen ihre Arbeitstrajektorien einordneten. Zudem spielt die aktuelle Arbeitssituation der Frauen zum Interviewzeitpunkt eine wichtige Rolle – was die Interpretationsmöglichkeiten durchaus diversifiziert. So müssen für die unterschiedlichen zeitlichen Momente die Klassen-/sozioökonomischen Positionen der Frauen berücksichtigt werden. Auch sind die Arbeitsbiographien beeinflussenden sozialen und familiären Umfelder sowie berufliche Erfahrungen von Erfolgen und Misserfolgen relevant: Vor allem Frauen mit einer ärmeren und meist bildungsferneren Herkunft gaben an, dass sich die Frage nach einem „Was willst du werden“ oder „Was machst du?“ zunächst weder innerhalb ih-

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rer Familien, noch im näheren sozialen Umfeld in Brasilien stellte. Vielmehr sei es in erster Linie wichtig gewesen, überhaupt einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Entsprechend war die berufliche Tätigkeit auch nicht mit einem bestimmten Status innerhalb des unmittelbaren sozialen Umfeldes assoziiert. Dem gegenüber stehen jedoch auch Erzählungen wie die von Frances-Clai, die Schauspielerin werden wollte und trotz des Misstrauens ihrer Eltern dieses Ziel bis zum Gelingen verfolgte. Die Realisierung der eigenen Berufswünsche in Brasilien, vor allem wenn sie an vielfältige Anstrengungen geknüpft waren, sowie die jeweilige Klassenzugehörigkeit vor der Migration beeinflussten auch bei anderen Frauen, welche Bedeutung sie dem Was ihrer Tätigkeiten zuschrieben. Davon hing zudem ab, wie (un)zufrieden sich die Frauen über ihre sich nun veränderten Berufsoptionen in Deutschland äußerten – auch wenn alle ihren flexiblen Umgang mit der neuen Situation betonten. Je diverser die vor der Migration ausgeübten Tätigkeiten waren, umso geringere Wichtigkeit wurde dem Was der Tätigkeit beigemessen und umso mehr der eigenen Flexibilität zugesprochen, gerade dann, wenn die Frauen auch nach der Migration vielfältige Tätigkeiten ausgeübt hatten. 4.2.2 Arbeitserfahrung, Wissenshoheit, verkörperte Empfindungen: Abwertungen und Zuweisungen in der körperintensiven Dienstleistung Diese Flexibilität hinsichtlich verschiedener Arbeitsmotivationen, -perspektiven und -bereiche drückte sich in einer Reihe von Kompromissen und Einfügungen wie auch Strategien aus. Diese waren aber auch von der finanziellen Situation der Frauen abhängig, also von der Dringlichkeit, überhaupt Geld zu verdienen. Leni sagte mir diesbezüglich: „Ich hatte gar keine Ansprüche, ich wollte nur arbeiten. Auch wenn es nur 400 Euro wären. Ich habe sogar für 400 Euro geputzt, bevor ich das Ganze hier angefangen habe“ (Leni 19.09.2011). Aufgrund der finanziellen Notwendigkeit und der fehlenden Vernetzung im neuen Lebensumfeld mussten einige der Frauen, wie etwa Marta*, auf eine Rekrutierung durch das Arbeitsamt hoffen. In der Regel waren das Vermittlungen an Reinigungsfirmen und die Großgastronomie, zwei prädestinierte Bereiche des Niedriglohnsektors. Andere Frauen begannen damit, sich eigene Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. So verkauften beispielsweise Frances-Clai und Carminha brasilianische Snacks an Bekannte und Familien der Schulfreunde ihrer Kinder. Frances-Clai organisierte sogar eigene Buffets, Carminha bot ihre Koch- und Backwaren in Restaurants und Cafés an. Andere konnten auf persönliche Netzwerke zurückgreifen, über die sie in Jobs vermittelt wurden. Silvanas damaliger Ehemann vermittelte ihr einen Job als Portugiesisch-Lehrerin an einer Universität; nach ihrer Trennung verhalf ihr ein Freund zu einer gut bezahlten Büroarbeit in einem Import-/Export-Unternehmen.

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Leni besserte ihr Einkommen aus den Reinigungsarbeiten hin und wieder über bezahlte Tanzauftritte auf. Einige von ihnen begannen mit einem wachsenden Bekanntenkreis, kosmetische Dienstarbeit im Privaten anzubieten. Dabei war vor allem das zu jener Zeit, den 1990er und frühen 2000er Jahren, unbekannte Waxing besonders erfolgreich. Fast alle jedoch arbeiteten über kurz oder lang ähnlich wie Marta* oder Leni im Bereich der privaten Reinigungs- und Betreuungsarbeit, die sie über eigene Netzwerke – (oftmals brasilianische) Freunde, Arbeitskolleg/innen von anderen Jobs oder Familienangehörige ihrer Ehemänner – vermittelt bekamen. Ana*, die gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland als Kinderbetreuerin vermittelt wurde, betonte, dass ein wesentliches Einstellungskriterium – neben ihrem Geschlecht – die Nationalität gewesen sei. Wenn sie sich einer neuen Arbeitgeberin vorstellte, erzählten diese ihr des Öfteren spontan von eigenen Urlaubsausflügen nach Brasilien und wie nett und aufgeschlossen die Leute dort gewesen seien. Zunächst habe das eine entspannte Atmosphäre in der beklemmenden Situation eines wichtigen Vorstellungsgesprächs in einer fremden Wohnung aufgebaut. Jedoch entschied nicht die Referenz auf dieses deutsche Imaginarium ‚Brasilien‘ über eine Anstellung. In der Überblendung von Anas* Geschlecht, Nationalität und über den Körper festgemachte Zuschreibungen (wie ihre ‚dunkle Hautfarbe‘ und eine als anders wahrgenommene Körperlichkeit) materialisiert sich das Imaginarium zu einem Stereotyp – der Brasilianerin, der gerade im Bereich der Pflege- und Fürsorgearbeit eine besondere Berufung zugeschrieben wird. Ana* überraschte das Vertrauen, das ihr bezüglich der Kinderbetreuung von Beginn an entgegengebracht wurde. Denn weder hatte sie eigene Kinder, noch hatte sie bis zu jenem Moment jemals als Kinderbetreuerin gearbeitet. Gerade für den Bereich der Betreuungs- und Fürsorgearbeit konstatierten Autorinnen wie Evelyn N. Glenn (1992), Pierrette HondagneuSotelo (1994, 2001), Rhacel Parreñas (2001), Gláucia Assis (2007) oder Helma Lutz (2008b) nationale Kontexte übergreifend seit über zwei Jahrzehnten eine Reduzierung der Migrantinnen auf eine traditionelle Geschlechterrolle. Diese hängt eng mit ethnisierenden Zuschreibungen zusammen, die über Nationalität bzw. geographische Herkunft und/oder rassifizierte Zuschreibungen, etwa auf Grundlage der Hautfarbe, vorgenommen werden. Helma Lutz spricht diesbezüglich von einer Überlappung eines doing gender, hier verstanden als relationale Kategorie, die tradierte Geschlechterrollen nachahmt, mit einem doing ethnicity, verstanden als relationale Kategorie, die Andersheit konstruiert. Über diese konstituiere sich, so Lutz (unter Bezugnahme auf Pei-Chia Lan) zufolge der „Modus der Grenzziehungsarbeit (Lan 2003), mit dessen Hilfe soziale Positionierungen zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen ausgehandelt werden“ (Lutz 2007: 40). Genau durch diese Überlappung sei es der deutschen Frau möglich, sich über ihren Eintritt und die Etablierung im mehrheitsgesellschaftlichen Arbeitsmarkt zu emanzipieren, ohne jedoch die häusliche Arbeitsteilung nach tradierten Geschlechterrollen in Frage zu stellen (vgl. Kapitel 2). Vielmehr gebe sie diese nun an die

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verAnderte Frau ab, was aufgrund des doing ethnicity aber nicht eine bloße Wiederholung der traditionellen Rollenverteilung bedeute: Gerade aufgrund dieser Grenzziehungsarbeit könne die deutsche Frau ihre eigene Emanzipation – ausgedrückt in ihrer Etablierung auf dem Arbeitsmarkt – in Bezug auf ihre Rolle im Haushalt als ein undoing gender, also als Überholung tradierter Geschlechterrollen, konstruieren. Traditionelle Geschlechterrollen verbleiben so außerhalb der eigenen familiären Strukturen – werden vielmehr als externalisierte, bezahlte Dienstleistung zunächst objektiviert und damit scheinbar ‚entschlechtlicht.‘ Doch genau diese Objektivierung verhält sich widersprüchlich zu den Einstellungskriterien für die Dienstleistenden, die sich vor allem bei der Betreuungsarbeit an geschlechtlichen Kategorien orientieren. Gelöst wird dieser Widerspruch über die Zuschreibung einer natürlichen Vokation der verAnderten Frau für Arbeiten im reproduktiven Bereich, die mittels stereotyper Vorstellungen (wie die der ‚Brasilianerin‘) legitimiert wird. Die Grenzziehungsarbeit drückte sich hierbei in ihrer Widersprüchlichkeit nicht nur in der unhinterfragten naturalisierten Zuweisung einer Vokation für feminisierte Tätigkeiten wie der Betreuungsarbeit aus, sondern auch im Arbeitsverhältnis und damit in der konkreten Interaktion der Frauen – Arbeitgeberin und Angestellte. Ana* erzählte mir, dass sie oftmals wie ein kleines Mädchen behandelt wurde, obwohl ihre Arbeitgeberinnen in der Regel ihr Alter hatten. Dies äußerte sich etwa in gestisch übertriebenen Vorführungen oder Wiederholungen von Arbeitsanweisungen bzw. Verbesserungstipps. Oftmals begleiteten die Arbeitgeberinnen dies mit grammatisch vereinfachten deutschen Belehrungen – ganz unabhängig davon, dass sie aufgrund ihres täglichen Umganges die guten Deutschkenntnisse Anas* kannten. Bei Hausarbeiten wurde Ana* des Öfteren darauf hingewiesen, wie welche Arbeit hygienischer durchgeführt werden könne. Hin und wieder bemerkten die deutschen Frauen dabei abwertend, dass sie zwar nicht wüssten, wie dies in Brasilien gehandhabt würde, aber dass man dies in Deutschland so und so mache. So wurde die scheinbare Berufung Anas* zur Hausarbeiterin und Kinderhüterin zwar über die im Stereotyp der Brasilianerin zusammenfallenden doing gender und doing ethnicity von den Arbeitgeberinnen evoziert. Jedoch verblieb gerade aufgrund der Art und Weise des doing ethnicity (ausgedrückt über die genannten Form von Belehrungen und Anweisungen) die Wissenshoheit um die ‚korrekte‘ Durchführung dieser Aufgaben bei den deutschen Arbeitgeberinnen. Zugleich lässt sich die damit zusammenhängende Infantisierung Anas* durch die Arbeitgeberinnen als eine Art vorbeugende Eindämmung der dem Stereotyp zugeschriebenen (übertriebenen) Sexualisierung interpretieren (Hall 1997: 262). Nichtsdestotrotz versprach die aktive Positionierung als ‚Brasilianerin‘ für Ana* verbesserte Einstellungschancen bei Vorstellungsgesprächen in neuen Haushalten. Dies galt vor allem, wenn sie sich als Kinderbetreuerin bewarb. Auch lockerte dies ihr zufolge das Verhältnis zu den Arbeitgeber/innen gerade dann auf, wenn sich die

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Arbeitgeber/innen während ihrer Arbeit in der Wohnung befanden – Ana* also eigentlich als Fremde in die private Atmosphäre der Familie eindrang. In den Erzählungen über ihre Arbeitserfahrungen stellten die Frauen unterschiedliche Momente heraus, in denen ihnen Wissen über die zu verrichtenden Tätigkeiten zugestanden oder aber abgesprochen wurde. Auffällig war hierbei, dass die deutschen Arbeitgeber/innen oder Vorgesetzten den Frauen regelmäßig ein defizitäres Wissen im Bereich Hygiene unterstellten. Die damit demonstrierte Wissenshoheit ihrer Vorgesetzten empfanden viele der Frauen, die in Privathaushalten reinigten, oftmals als widersprüchlich zu den Zuständen, die sie in deutschen Haushalten vorfanden. Doch Hygiene-Wissen stellt eine Art technisches oder objektivierbares Wissen dar, welches Kenntnisse über die angemessenen Reinigungsmittel (unterschiedliche chemische Produkte und entsprechende Reinigungsutensilien für unterschiedliche Oberflächen) und Reinigungsabläufe (angefangen bei der korrekten Handhabung der Reinigungsutensilien wie dem Lappen oder Wischmopp, über ‚korrekt‘ ausgeführte Wischbewegungen und detailgenaue Gründlichkeit bis hin zur angemessen Reinigung der Arbeitsutensilien) umfasst. Im Gegensatz zu diesen Jobs hatten die meisten Frauen bei der Kinderbetreuung relativ freie Hand, vor allem wenn die Kinder noch sehr klein waren. So wurde den Frauen bei Betreuungsaufgaben und der damit verbundenen emotionalen und Körperarbeit Professionalität – im Sinne eines subjektivierten Wissens – zugestanden, das meist jedoch essentialisierend als ‚Veranlagung‘ interpretiert wurde. Andere Wissensformen hingegen wurden ihnen je nach Situation zu- oder abgesprochen. Diese unterschiedlichen Zugeständnisse ließen sich auch in den Berichten über Erfahrungen in anderen Arbeitsbereichen feststellen: Lecylana, die in Brasilien bereits ein in Deutschland nicht anerkanntes BAStudium als Physiotherapeutin absolviert hatte, arbeitete ebenfalls viele Jahre als Haushaltsarbeiterin und Kinderbetreuerin. Sie wiederum unterstrich mir gegenüber in ihren Erzählungen, wie sehr sie von ihrer Arbeitgeberin geschätzt wurde, gerade weil man ihr durch ihre „Art zu Sprechen“ und ihr „Benehmen“ „anmerkte“, dass sie für diese Tätigkeiten eigentlich überqualifiziert war (zitiert aus einem Interview vom 10.02.2010). Als eine Art ‚Abfindung‘ nach über zehn Jahren Arbeit bezahlte ihr ihre Arbeitgeberin eine private Ausbildung als Physiotherapeutin. Lecylana erzählte mir von vielfältigen diskriminierenden Praktiken, die sie und andere ‚ausländische‘ Auszubildende während der Ausbildung zu erleiden hatte. Eine Erfahrung, die sie mit einer Ausbilderin gemacht hatte, hob sie besonders hervor: „Einmal hatte ich erzählt, dass ich einen BA habe. Ab da wurde ich von dieser Lehrerin so gedrückt. Danach habe ich versucht, das nie wieder zu erwähnen. Denn die Lehrerin hatte nur eine Ausbildung, und sie hat nun jemanden unterrichtet, die einen BA hatte. Als ich versucht hatte, meinen BA anerkennen zu lassen, hatten die mir damals gesagt: ‚Das ist in Deutschland nicht normal. Es gibt nur wenige hier, die einen BA haben.‘ Und das hat man irgendwie ge-

160 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT merkt, von daher habe ich danach immer versucht, das nie zu erwähnen. Weil es ist so ein elendes Leben, Ausländer zu sein. Du kriegst immer einen auf den Deckel. Du musst immer irgendwie drunter bleiben. Denn die können dir ganz schnell das Leben schwer machen. Jaja. .. [nachdenklich, leise:] Das können die. .. Jaja. Das war krass.“ (Interview vom 21.09.2012)

Was Lecylana in diesem Ausschnitt unterstrich, war die Missbilligung ihrer Dozentin, dass sie als Ausländerin und zugleich Auszubildende vielleicht über den gleichen oder übergeordneten Wissenstand verfügen und damit mit ihrer Dozentin ebenbürtig sein könnte. Denn das würde den Abqualifizierungspraktiken zuwiderlaufen, die im deutschen Arbeitsregime sowohl auf institutioneller Ebene (Lecylana hatte ihren Abschluss nicht anerkannt bekommen) wie auch im interpersonellen Handeln verankert sind, und über die der ‚Ausländer‘ (bzw. die ‚Ausländerin‘) ‚auf ihre Plätze‘ verwiesen werden. Lecylana verallgemeinert diese Erfahrung auf andere Bereiche: Jemandem auf Augenhöhe gegenüber zu treten sei eine Provokation, die geahndet wird: „Du musst immer irgendwie drunter bleiben. Denn die können dir ganz schnell das Leben schwer machen“. Wie eng das Zugeständnis einer Professionalität und entsprechenden Wissenshoheit nicht nur von vergeschlechtlichten sondern auch rassifizierten VerAnderungspraktiken abhängig ist, zeigt eine andere Situation, die Lecylana erlebt hatte: „Als ich im Krankenhaus gearbeitet habe, sagte einmal ein Patient zu mir: ‚Ich möchte nicht von Ihnen behandelt werden‘. Dann habe ich ihn gefragt: ‚Aber warum‘. ‚Naja, weil Sie dunkelhäutig sind.‘ Das habe ich dann in die Akte geschrieben: ‚Patient wollte nicht von mir behandelt werden weil ich dunkelhäutig bin.‘ Aber da hat er Pech gehabt, weil der Stationsarzt Italiener war. Und als der das gelesen hatte, kam er durch die Gegend gerannt und hat geschrien – wie die Italiener so sind –: ‚Ja bitte?‘– Ich dachte schon, dass ich etwas falsch gemach hätte. Er fragte mich: ‚Was soll das denn heißen‘. Ich sagte: ‚Ja: das ist, was der Patient mir als Grund angegeben hat.‘ -‚Kommen Sie mit.‘ Dann hat er zum Patienten gesagt: ‚Wissen Sie, auf meiner Station gibt es keine Dunkelhäutigen oder Gelben, oder, oder. Entweder akzeptieren Sie die Therapeutin so wie sie ist oder Sie lassen es sofort.‘“ (21.09.2012)

Auseinandersetzungen mit Rassismus im Arbeitskontext veranschaulichten die Frauen in der Regel, indem sie mir wie Lecylana von spezifischen Erlebnissen und Situationen berichteten. Meist schloss sich im Anschluss an die Nacherzählung eine kurze Einschätzung an. Lecylana etwa fügte hinzu: „Das war schon ganz schön rassistisch, was ich da manchmal erlebt habe.“ Und Leni meinte in Bezug auf die ihr vorgeworfenen vermeintlich fehlenden Deutschkenntnisse bei ihrer Ausbildungssuche: „Wow, das ist Rassismus, dachte ich mir“ (vgl. 4.2). Was diese Erzählungen außerdem gemeinsam hatten, waren die Stimmungen und emotionalen Andeutungen, in die sie eingebettet wurden: das Senken oder Heben der Stimme, Nachdenklichkeit, längere Pausen, um tief durchzuatmen, Mimiken, die mir auch Ohnmacht

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markieren sollten, und Gestiken wie die Verschränkung der Arme. Diese empfindsamen Momente markierten zugleich ein zweites, imaginiertes Durchleben dieser Erfahrungen im Moment der Erzählung, und damit ein Hin und Her zwischen Wahrgenommenem und Auszudrückendem – ein leiblich empfundenes Erinnern (vgl. Langlier/Peterson 2004: 11; Dausien/Kelle 2005: 203). Zugleich, so zeigte sich in den Erzählungen, verunsicherten diese RassismusErfahrungen im Arbeitskontext die Frauen nachhaltig in Bezug auf das eigene Arbeitswissen und Kompetenzen. Ähnlich wie die Frage nach dem „Was machst du“ bekräftigten diese Erfahrungen die subjektivierende Zuweisung als ‚Ausländer‘. Dadurch wurden die Frauen stetig an ihr vermeintlich unzureichendes Wissen erinnert. Besonders schmerzlich war dies in Arbeitsbereichen, in denen sich die Frauen eigentlich überqualifiziert fühlten, wie bei Reinigungstätigkeiten. Solche Erfahrungen der Abqualifizierung durch die Arbeitgeber ließen sich jedoch häufig gegenüber Ehemännern oder Freunden schwer erklären, gerade aufgrund der empfundenen Überqualifikation für diese Bereiche: Daher wurden sie von einigen oft „runtergeschluckt“, um sich nicht zu blamieren oder gar anhören zu müssen, dass es die Arbeitgeberin vielleicht gar nicht so ernst gemeint habe und sie hier vielleicht nur „zu viel hineininterpretiere“ – also der erfahrene Rassismus von anderen ‚relativiert‘ und als Überempfindlichkeit abgetan würde (so erwähnte es Ana* einmal). Bei andern Frauen hingegen bildete gerade die Partnerschaft den Ort, an dem sie über ihre Arbeitserfahrungen reden und aufgestaute Emotionen freisetzen konnten, und wo die Frauen wieder aufgebaut wurden. Oftmals war der Ehepartner auch die einzige Person, mit der sie sich austauschen konnten: So meinte Ana*, dass sie ihrer eigenen Familie in Brasilien Erfahrungen dieser Art gar nicht mitteilen konnte, da diese nicht informiert seien, dass sie in Deutschland als Haushaltsarbeiterin und Kinderbetreuerin arbeitete. Auch andere Interviewpartnerinnen gaben an, dass ihre Familienangehörigen oftmals gar nicht wussten, welchen Tätigkeiten sie in Berlin nachgingen. Einerseits wollten sich die Frauen „nicht schämen müssen“ (sagte Silvana H., die eigentlich mit dem Wunsch zu studieren nach Deutschland gekommen war, was sie bisher jedoch nicht umsetzen konnte). Andererseits erzählten sie Angehörigen nichts, „damit sie sich keine Sorgen machen müssen“ (sagte Lecylana, die lange Zeit ihren Kindern, die die ersten Jahre in Brasilien geblieben waren, verschwieg, dass sie deren Unterhalt über diverse Putzarbeiten verdiente). Ana* vermutete zudem, dass ihr Unmut als Ärger über „solche Kleinigkeiten“ abgetan würde. Denn ihre Erfahrung wäre ja in Brasilien für viele Frauen tagtägliche Realität – für sehr viel geringeres Geld. All diese mit ihren Tätigkeiten verbundenen ambivalenten Vergleiche verkomplizierten ihre Einbettung ins deutsche Sozialgefüge zusätzlich. Im Umgang mit Familienangehörigen oder Freunden des Ehemannes gerieten die Frauen trotz der oftmals an sie herangetragenen Erwartungshaltung, ‚arbeiten zu gehen‘, ebenfalls in Dilemmata. Laura* brachte dies mit der folgenden Aussage auf den Punkt: „Sollte

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ich der Familie und den Freunden von meinem Mann sagen, dass ich die Klos von anderen Leuten putze?“ (Laura*, 05.03.2010). So wurde ‚die Arbeit‘, die viele Stunden im Alltag der Frauen umfasste, zu etwas, worüber häufig allein mit dem Ehepartner gesprochen wurde. Die Ehe wurde so für einige der Frauen zu einem ausgewählten Ort, wo auch mit der Arbeitserfahrung zusammenhängende Gefühle wie Frustration, Scham, Enttäuschung oder Gram sowie körperliche Empfindungen wie Müdigkeit, Schmerz und Ermattung offenbart, besprochen und verarbeitet wurden. Zugleich konnten diese Frauen dort aber auch Erfolge, Anerkennung und Freude teilen und Unterstützung erfahren. Für andere Frauen wurde das Thematisieren der Arbeit in ihrer Ehe zu einer zusätzlichen Belastung. Einige mussten mit ihrem Partner permanent aushandeln, arbeiten gehen zu dürfen (wie im obigen Beispiel von Lecylana). Andere erfuhren nicht das Recht, sich zu beklagen und die Möglichkeit, sich auszutauschen. Dies wurde damit begründet, dass sie sich an ‚deutsche Arbeitsbedingungen’ nun einmal gewöhnen müssten, um sich hier zu integrieren (was mir Ana* erzählte). Für viele wartete zu Hause jedoch auch ihre „zweite Schicht“ (Hochschild 1983), deren Erfüllung bei einigen, die eigentlich nicht arbeiten gehen brauchten, die Bedingung dafür war, auch ‚außer Haus‘ arbeiten zu können.

4.3 Z USAMMENFÜHRUNG : Z UR K OMPLEXITÄT DER V ERORTUNGEN UND Z UWEISUNGEN DER B RASILIANERINNEN ALS VER ANDERTE F RAUEN Die im Verlaufe dieses Kapitels zitierten und diskutierten Auszüge aus den Erzählungen über Arbeits- und Migrationstrajektorien beschäftigten sich mit vielfältigen Bedeutungsebenen von ‚Arbeit‘ in den Biographien der Frauen. Sie reflektierten dabei die diversen Auseinandersetzungen mit den miteinander verzahnten Arbeits-, Migrations- und Geschlechterregimen. Der Vergleich dieser verschiedenen Erzählungen erlaubte einen Einblick in kollektivgeschichtliche Prozesse. Auf individueller Ebene hatten jene Prozesse jedoch ganz spezifische Ausformungen, denen die Frauen unterschiedlich begegneten. Zugleich vermittelten die Erzählungen situative Wertungen und Interpretationen dieser alltäglichen Auseinandersetzungen. Vorgenommen wurden diese Auslegungen über eine eigene biographische Positionierung, wie etwa über einen Vergleich der unterschiedlichen erlebten nationalen Kontexte. Aber auch über erzählte Nachstellungen von Situationen und Interaktionen aus ihrem Alltag interpretierten die Frauen ihre Erlebnisse. Die bei Migrationsverläufen, Arbeitsmarkteingliederungen sowie alltäglichen Anrufungen und Zuweisungspraktiken wirkmächtigen Regime materialisierten sich hierbei auf unterschiedlichen Ebenen. Sie reichten von der institutionellen Ebene über die Ebene subjektiver

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Interaktionen bis hin zu emotionalen und körperlichen Empfindungen und prägten so auch Handlungsspielräume der Frauen. Weiterhin zeigte sich in den meisten Arbeits- und Migrationstrajektorien, dass die Bedeutungsebenen von ‚Arbeit‘ in der Regel auch in ihren Relationen zu Ehe und Partnerschaften betrachtet werden müssen. Dies ist einerseits durch das in Deutschland wirkmächtige Heiratsmigrationsregime bedingt. Andererseits wurde die Ehe für viele der Frauen zu einem wichtigen Ort der Aushandlungen über Arbeits- und Geschlechterregime. Wiederum ist es aber die mit der Ehe zu einem Deutschen verbundene Kategorisierung als ‚Heiratsmigrantin‘, die Teil des Repräsentationsregimes über Brasilianerinnen ist, von dem sich die Frauen mithilfe vielfältiger Anstrengungen abzugrenzen versuchten. Die Abgrenzungsarbeit, so wurde gezeigt, gestaltet sich allerdings wieder darüber, ‚Arbeit zu haben‘, was differenzierte Positionierungen zu den Kategorisierungen als ‚Ausländer‘, ‚Heiratsmigrantin‘ und ‚brasilianische Ehefrau‘ erlaubte. Es sind insbesondere die Kategorisierungen als ‚Ausländer‘ und als ‚Brasilianerin‘, die im Alltag der Frauen in einem ambivalenten Verhältnis zueinanderstehen. Denn oftmals ermöglicht eine Positionierung als Brasilianerin aufgrund des positiven deutschen (bzw. globalen) Imaginariums zu Brasilien erweiterte Handlungsspielräume, die im Vergleich zu einer Anrufung als ‚Ausländer‘ verwehrt geblieben wären. Dass die Frauen zugleich alltägliche Diskriminierungen erfahren, weil sie als ‚Ausländer‘ wahrgenommen werden, zeigte sich an vielen zitierten Stellen, zuletzt am Beispiel der Arbeitserfahrungen von Lecylana. Welche Vorteile ihnen wiederum eine Positionierung als Brasilianerin brachte, war am Beispiel der Arbeitssuche Anas* eingehender gezeigt worden. Dies ließe sich darüber hinaus in vielfältigen anderen Beispielen alltäglicher Situationen belegen, in denen sie sich zu ‚anderen‘ Ausländern abgrenzen konnten. Als ‚Brasilianerin‘ begegnen sie dabei nur zu gewissen Graden dem in Kapitel 2 beschriebenen Zerrbild über Migrantinnen, bei dem die Zentralität der Mutter- und Ehefrauenrolle einer traditionalisierten patriarchischen Geschlechterordnung, oftmals religiöser und/oder anti-moderner Prägung, zugeordnet wird. Die Frauen wurden als ‚Brasilianerinnen‘ zwar mit ethnisierten Weiblichkeitsbildern konfrontiert, die sich wie oben gezeigt ebenfalls an ‚traditionellen Geschlechtermodellen‘ orientieren (und für die ebenso Mutter- und unterwürfige Ehefrauenrollen zentral sind). Doch diese Modelle werden vordergründig nicht an patriarchische (und somit sozial hergestellte) Werteordnungen rückgebunden. Vielmehr werden sie als naturalisierte Eigenschaften konstruiert, als natürliche Essenz einer brasilianischen Feminität. Komplementiert wird diese über die Ambiguität des Stereotyps, das sich zugleich über eine zugeschriebene Leidenschaftlichkeit, Erotik und exotisierende Sexualisierung konstituiert. Anders als die in Deutschland noch immer dominanten Zerrbilder von ‚der Migrantin‘, die in traditionalistische, westlich-abgewandte Werteordnungen eingebettet wird, zeigt sich in Bezug auf das Zerrbild von der Brasilianerin eine Kombination aus einem ‚natürlich‘-traditionellen Geschlechterrollenverständnis mit

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einer weltoffenen, modernen, sogar freizügigen Prägung. Anders als ‚die Migrantin‘ der medial und politisch im Fokus stehenden Einwanderungsgruppen, die als intraethnische Heiratsmigrantin in eine ethnische Enklave eingeheiratet würde, wird die brasilianische Heiratsmigrantin als aktive Strategin in Bezug auf interethnische Partnerschaften gezeichnet (auch wenn der obige Exkurs zu Trafficking und Gewalterfahrungen brasilianischer [Ehe-] Frauen zeigt, dass dieser Zuweisungspraktik ein Opfer-Diskurs gegenübergestellt wird). Das sich von ‚der Brasilianerin‘ verfestigende Repräsentationsregime hatte daher ambivalente Auswirkungen auf die Positionierungen der Interviewpartnerinnen. Vielen forderte es trotz einer Positionierung als Brasilianerin vielfältige Formen der Abgrenzungsarbeit gegenüber stereotypen Zuweisungen ab. ‚Arbeiten gehen‘ wurde zu einer Möglichkeit hierfür. Jedoch sahen sich fast alle damit konfrontiert, ethnifizierten und vergeschlechtlichten Arbeitsnischen zugewiesen zu werden, in denen ihnen als ‚Brasilianerin‘ wiederum eine besondere Vokation zugeschrieben wurde. Viele fanden sich hiermit ab, sei es aus finanzieller Notwendigkeit, sei es, um sich aus anderen Abhängigkeiten zu lösen. Auch in den vielfältigen Interaktionen am Arbeitsort, mit Arbeitgeber/innen, Kund/innen oder zu betreuende Personen bzw. Patient/innen, wirkten Zuweisungs- und Abgrenzungspraktiken hinein. Diese setzten sich aus vergeschlechtlichten Ethnisierungen und vergeschlechtlichtethnisierten Verklassifizierungen zusammen. Gerade diesbezüglich zeigte sich die Wirkmächtigkeit globaler Repräsentationsregime, zieht man die in den USA und in Südeuropa durchgeführten Studien hinzu. Diese Studien haben in den vergangenen Jahren der Eingliederung brasilianischer Migrantinnen in globale Arbeitsregime und daran gebundene ethnisierte Arbeitsnischen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei wurde seit der ersten Auswanderungswelle in den 1980er Jahren die brasilianischen Migrationen – anders als im deutschen Kontext – in erster Linie als Arbeitsmigrationen der Mittelschicht verstanden. Insbesondere für den südeuropäischen Kontext wurde für die seit Mitte der 1990er Jahre proklamierte zweite Auswanderungswelle dann aber eine Veränderung dieses Migrant/innenprofils zugeschrieben, hin zu einer ‚Proletarisierung‘ (Padilla 2006b) dessen. Nicht zuletzt fiel diese Proletarisierung jedoch mit einer zunehmenden Feminisierung zusammen. Und auch dort wird zunehmend die Kategorisierung der wandernden Frauen als Arbeitsmigrantinnen von einer Kategorisierung als Heiratsmigrantinnen abgelöst (Padilla/Gomez 2012; Piscitelli 2011; Peixoto 2008). Entsprechend wird von den Autor/innen für den südeuropäischen Raum verstärkt ein Wiederaufgreifen kolonialer Repräsentationspraktiken vor allem in den Medien festgestellt. Gestützt werden diese Praktiken vom ambivalenten Stereotyp der „Mutter und Hure“ (Padilla/Gomez 2012). Dieses Klischee überlagert sich nicht zuletzt mit den den Brasilianerinnen der zweiten Auswanderungswelle zugeschriebenen Arbeitsnischen, nämlich Betreuungs- und Sexarbeit. Hier finden sich wiederum ähnliche, wenn auch entgegengesetzte Tendenzen zum deutschen Kon-

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text. Betont werden soll an dieser Stelle nochmals, dass sich das ambivalente Stereotyp in Deutschland in erster Linie über die Vorstellung von der Brasilianerin als Heiratsmigrantin speist. Das Stereotyp wird hier also nicht über Arbeitsnischen, in die Arbeitsmigrantinnen wandern, abgeleitet, findet jedoch in ethnisierten Arbeitsnischen wiederum seinen Widerhall. Wie im Verlaufe dieses Kapitels gezeigt, begegneten die Frauen entsprechenden Zuweisungspraktiken in vielfältigen Kontexten und Formen. Allerdings waren diese im direkten sozialen Umfeld, wie in Lauras* Fall gezeigt, oftmals erst an die Entscheidung der Frauen, in Deutschland zu bleiben, sich Arbeit zu suchen und zu heiraten, gekoppelt. Das Thematischwerden der Migration in den biographischen Erzählungen, und damit die Markierung einer Bewusstmachung ihrer Migration, waren eng mit diesen beiden Schritten – das Eingehen der Ehe und die Arbeitssuche – verknüpft. Denn sie markieren zugleich den Übergang von einer Anrufung als Besucherin hin zu einer Anrufung als Ausländerin. Neben der damit verbundenen Ethnisierung durch andere erfuhren die Frauen auch eine zweite Vergeschlechtlichung (Gutiérrez Rodríguez 1999): Dies machte sich insbesondere daran fest, auf welche Weise sie nun mit einer Ehefrauen- oder Mutterrolle konfrontiert wurden. Diese zweite Vergeschlechtlichung ist eine ethnisierte. Sie ist eng verflochten mit den oben genannten vergeschlechtlicht-ethnisierten Zuschreibungen, wie sie sich an der Kategorisierung als ‚Brasilianerin‘ orientieren. Die oben diskutierten Arbeitserfahrungen waren wiederum prägend, denn die vergeschlechtlicht-ethnisierten Arbeitsfelder umfassten feminisierte Tätigkeiten (wie Kinderbetreuerin), die einige von ihnen, wie etwa Ana* oder Neide*, zuvor nie ausgeübt hatten. Die Zuweisung zu diesen feminisierten Tätigkeitsfeldern markierte so eine ethnisiert-vergeschlechtlichte Bewusstmachung. Aber auch in Bezug auf im Migrationsort aufgenommene feminisierte Tätigkeitsbereiche, in denen die Frauen bereits vor ihrer Migration arbeiteten, lässt sich eine zweite ethnisiert-vergeschlechtlichte Bewusstmachung herausarbeiten, insbesondere im Bereich der Kosmetikarbeit. Diese wurde vor allem durch die Differenz der eigenen Weiblichkeit (vor allem in Bezug auf Körperlichkeiten) und jener der deutschen Frauen markiert, worauf ich in Kapitel 6 gesondert eingehe. Darüber hinaus erfuhren die Frauen auch eine Bewusstmachung ihrer (veränderten) Klassenposition, die jedoch eine ambivalente war. Einerseits mussten sie sich damit auseinandersetzen, dass in Brasilien die Eingliederung in eine europäische Familie als Statusaufwertung betrachtet wird. Dies wurde den Frauen durchaus, beispielsweise auf Heimaturlauben von Nachbarn und Freunden bestätigt. Dem entgegen erlebten die meisten der Frauen ihre Migration im Alltag nicht unbedingt als eine Statusaufwertung, sondern – bedingt durch die vielen Diskriminierungen und Abqualifizierungen – in einigen Fällen sogar als Minderung der Lebensqualität. Die Frauen etwa, die im Migrationsort aufgrund der finanziellen Situation des Ehepartners eigentlich nicht arbeiten gehen brauchten, nahmen ihre veränderte finanzielle Situation und damit ihre soziale Position als an die Bereitwilligkeit eines Anderen

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gebunden war. (Hierzu gehörten zum Beispiel für eine der sozialen Position repräsentative Dinge gekauft zu bekommen, wie entsprechende Kleidung). Bestätigt wurde dies weiterhin dadurch, auch in den Augen der Familie oder der Freunde des Partners als finanziell vom Mann abhängige Frau betrachtet zu werden, wie im Falle Lauras* gezeigt. Hinzu gesellte sich, dass sie als Migrantinnen aus dem Süden – also als ‚Ausländerinnen‘ – zusätzlich zu diesen tatsächlichen Abhängigkeiten auch von ihrem sozialen Umfeld bereits von Vornherein einer ärmeren Schicht zugeordnet wurden. Für die Frauen wiederum, die aufgrund einer finanziellen Notwendigkeit Arbeit suchten, kam hinzu, dass die ihnen zugewiesenen Tätigkeitsfelder im Niedriglohnsektor lagen und es sich dabei in der Regel um solche handelte, die im Vergleich zu ihren Tätigkeiten in Brasilien einen geringeren sozialen Stellenwert haben. Es handelte sich zudem oftmals um Arbeitsfelder, in denen ihre Mütter gearbeitet hatten und von denen sie sich aufgrund ihrer eigenen Ausbildungen und Berufserfahrungen in Brasilien eigentlich befreit sahen. Kompliziert bzw. verstärkt wird diese in ihrer transnationalen Verflechtung ambivalente Klassenpositionierung durch im Migrationsort gemachte Bekanntschaften mit anderen Brasilianer/innen. Bei brasilianischen Freund/innen, die sich in einer ähnlichen Situation befanden, konnten sich die Frauen über ihre Erfahrungen austauschen, was oftmals eine aktive Reflexion über ihre soziale Positionierung mit sich brachte. Markierender waren jedoch Kontakte zu Brasilianerinnen, die im Migrationsort finanziell besser gestellt waren und den (neu erworbenen) sozialen Status auch entsprechend über Konsumgüter und -praktiken repräsentieren konnten. Leni erzählte mir hierzu: „Man fühlt sich als eine Außenseiterin, das ist ganz schlimm. .. Ich habe kaum Kontakt zu Brasilianern, weil ich nicht mochte wie man mit jemand, der weniger Geld hat, umgeht […]. Du bist eine Außenseiterin wenn du nicht so schöne, teure Klamotten hast, wenn du nicht in ein gutes Restaurant essen gehen kannst, wenn du dich nicht gut präsentieren kannst. Ich habe mich so als eine Außenseiterin gefühlt, weil ich mir nicht leisten konnte, was sich die anderen hier geleistet haben. In Brasilien war ich an einem Ort, wo wir alle arm waren. Wir hatten alle nichts, deswegen- .. Aber hier hat man Druck, ich habe es gemerkt. Du musst schön aussehen, auch wenn du kein Geld hast, damit du zu dieser Gruppe gehörst. Sonst bist du eine Außenseiterin. So habe ich mich mit den Brasilianerinnen hier gefühlt, nicht mit allen, aber vielen. Deswegen war das erste, was ich gemacht habe, als ich meine Ziele erreichen wollte – ich hab mir gesagt: ‚Ich muss mich von diesen Leuten trennen.‘ Sonst ist man nur frustriert.“ (Interview vom 31.08.2012)

Besonders durch solche Bekanntschaften, die zu Vergleichen der eigenen Lebenssituation und die anderer Brasilianerinnen führten, wurden Frauen wie Leni in Zeiten, in denen sie „für 400 Euro im Monat putzen“ gegangen waren, ihre soziale Position in Deutschland schmerzlich bewusst.

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Die in vielen Interviews herausgestellte Flexibilität ermöglicht in diesem Sinne auch die Aufwertung der eigenen Fähigkeit, sich im Gegensatz zu den Deutschen auch an neue Lebensumstände schnell anpassen zu können. Das impliziert auch die Fähigkeit, sich in neuen Arbeitsfeldern schnell einarbeiten zu können. Das Was der Arbeit wurde in den Erzählungen hinter ein ‚Dass-man-arbeitet‘ zurückgestellt, und das Wie der Arbeit – die eigene kompetente Umsetzung – gewann an Bedeutung. Allerdings, so zeigten Anas* und Lecylanas Beispiele, wurde Professionalität und damit das mit der Tätigkeit verbundene Wissen durch die Grenzziehungen ihrer deutschen Arbeitgeber/innen, Vorgesetzten, Kund/innen bzw. Patient/innen immer wieder in Frage gestellt. Lecylana interpretierte das als eine Zurückweisung ‚auf die Plätze der Ausländer‘. Wichtig erscheint es mir, die vorgestellten Erzählausschnitte in ihren biographischen Kontext des Erzählmomentes zu stellen: Die Interviews fanden zu einem Moment statt, in dem alle Frauen weitestgehend erfolgreich ihr eigenes Geschäft unterhielten. Die Zeiten, da sie sich anderen Tätigkeiten widmen mussten, lagen bei allen einige Jahre zurück. Ihre Erfahrungen konnten sie mir gegenüber entsprechend thematisieren, in Bezug auf ihre neuen Tätigkeiten vergleichend reflektieren und von einer veränderten sozialen Position aus interpretieren. Sie wurden mir in vielen Interviews als oftmals harte, aber teils selbstverständliche Etappen ihrer Migrationstrajektorien dargestellt, als bittere, unumgängliche Suche nach einem eigenen Platz in einem neuen Umfeld. Nicht zuletzt wirken diese Arbeitserfahrungen jedoch auch auf die Tätigkeiten der Frauen als Depiladora und Studioleiterin und beeinflussten ihre Entscheidung, sich selbständig zu machen. Diese Verknüpfung wird im nachfolgenden Kapitel eingehend beleuchtet.

5 Selbständig werden: „Meine Geschichte mit dem Wachs“

[Marta*, erzähle mir von deiner Geschichte! Wie bist du zu diesem Studio gekommen?] Also, meine Geschichte mit dem Wachs hat bei mir sehr unerwartet begonnen. Ehrlich! Alles was ich heute hier habe, alles was ich geschafft habe, habe ich meinem Mann zu verdanken. Er hat mich immer nach vorn geschubst- oder besser: getreten. Das Leben ist total verrückt .. Also, es war so: Ich habe als Putzfrau gearbeitet. .. Ich habe dort fast zehn Jahre gearbeitet. .. Eines Tages hatte ich dann eine Email bekommen, ähm, die war von der Brazine [eine brasilianisch-deutsche Zeitschrift mit Sitz in Berlin, Anmerkung ML]. Kannst du dich noch an die Brazine erinnern? Die war also von der Brazine mit einem Aufruf, dass hier jemand nach Leuten sucht, die in Berlin als Depiladora arbeiten möchten. Mit oder ohne Erfahrung. Das fand ich ganz interessant. Also habe ich bei den Leuten angerufen und wurde eingeladen. Und so wie ich zum Gespräch eingeladen wurde, meinte die Frau, ich soll gleich zu arbeiten anfangen. Das war an einem Mittwoch. Sie hat mich gleich zum arbeiten eingeladen! Nur sollte das Training schon am Montag losgehen. Da habe ich nachgedacht und nachgedacht und nachgedacht. Und dann habe ich einfach zugesagt. Aber als ich abends nach Hause gekommen bin, dachte ich mir:: ‚Und wenn ich das nicht schaffe? Ich habe das doch noch nie in meinem Leben gemacht, mein Gott! Was wird, wenn ich es nicht schaffe? Ich hänge meinen Putzjob an den Nagel und danach stehe ich ohne Geld da? Was dann?‘ Also habe ich die Chefin von dem Studio angerufen und gesagt: ‚Bitte entschuldigen Sie, aber ich kann nicht. Ich habe Angst, dass ich das nicht schaffe.‘ Und so bin ich am Donnerstag ganz normal arbeiten gegangen. Aber diese Frau hat dann bei uns zuhause angerufen und mit meinem Mann gesprochen. Sie hat ihn einfach überredet! .. Sie hat ihn einfach überredet. Als ich abends nach Hause gekommen bin, sagte mir mein Mann einfach: ‚Oh Marta*, wie lange glaubst du, dass du das noch durchhalten willst mit dem Geputze? Du hast doch nur noch Schmerzen! Du bist doch kein Mädchen mehr! Wenn es nicht klappt, dann beginnst du wieder woanders. Aber ich weiß du kannst das!‘ Also habe ich meinen Putzjob an den Nagel gehangen und in dem Studio am nächsten Montag mit der Arbeit angefangen! Und habe die Arbeit dort gelernt. ...[Mhm]

170 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT Weil mein Sohn damals noch kleiner war, hab ich der Frau gesagt, dass ich nicht so viele Stunden arbeiten konnte wie sie wollte. Denn die Schicht hat sich bis spät Nachmittag gezogen. Also hat sie mir ein Angebot gemacht, was Stunden und Geld betrifft. Nur haben meine Kollegen eine ganz andere Arbeitszeit gehabt als ich. Das hat dann irgendwann für Polemik gesorgt. Also hat sie mir gesagt, dass sie die Zeiten wieder ändern musste. Ich sollte so wie alle anderen arbeiten und das gleiche Geld wie alle anderen bekommen. Da habe ich angefangen mit ihr zu streiten, weil-. ..[sie hebt die Stimme und fügt energisch hinzu:] Also etwas sage ich dir, ohne Arbeit siehst du mich nicht, das sicher nicht! Ich habe keine Angst vor einer Arbeit zum Beispiel als- . keine Ahnung-. ... Also hat diese Streiterei dort angefangen, bis sie mich entlassen hat. Und genau als sie mich entlassen hat, hat dieser junge Mann da [zeigt auf ihren Mann, der gerade zur Tür hereinkommt], der hat mir eine ernste Frage gestellt. Er meinte: ‚Und jetzt, was wirst du machen? Wirst du heulen wie eine Verrückte? Wirst du wieder mit Putzen anfangen, was du ja gar nicht mehr durchhältst und wozu du gar keine Kraft mehr hast? Oder wollen wir ihr Konkurrenz machen?‘ Ich habe nie daran gedacht, dass wir der Frau Konkurrenz machen könnten – nicht einmal, dass das alles überhaupt klappen würde. Das hätte ich nie geglaubt. Mein Mann sagte: ‚Lass einfach schauen, ob es klappt!’ .. Und es hat geklappt! [...] Er hat gesagt: ‚Wenn es bei ihr gut gegangen ist, dann wird es bei dir auch klappen, ne.‘ Daran hatte ich nicht geglaubt. .. Denn die Bank wollte uns kein Geld geben, also leihen. Deswegen habe ich daran nie geglaubt. Als erstes habe ich dann aber mit einer Geschäftspartnerschaft begonnen. Aber das ging leider nicht gut. Denn die andere war ganz schön kompliziert. Also wirklich, eine Geschäftspartnerschaft ist nichts. Es war meine Schwiegermutter, die uns dann letztendlich Geld gegeben hat, also, was dann von meiner Seite kam. Die wollte uns aber am Anfang auch kein Geld leihen. Sie hat einfach nur gelacht und gesagt: ‚Wer ist schon so verrückt und wird dafür bezahlen, dass Marta* ihm die Haare ausreißt? Das wird doch nie was werden!‘ Da hat mein Mann zu ihr gesagt: ‚Mama, es ist folgendermaßen: Wenn es funktioniert, bekommst du dein Geld zurück. Wenn es nicht klappt, kriegst du dein Geld auch wieder zurück!‘ .. Und so haben wir dann das Geld bekommen. (...) [Mhm] Denn, es ist so: Damit du einen Kredit bekommst, brauchst du eine solide Grundlage, um den zurückzuzahlen. Ich war damals ja arbeitslos. Und das, was mein Mann verdient hat, hat nicht mal richtig gereicht, um die Familie durchzubekommen; manchmal reichte es gerade mal für die Miete und um das Nötigste zu kaufen. Woher sollte ich da das Geld hernehmen, um der Bank eine Sicherheit zu bieten? Mein Mann hat einen Freund, der bei einer Bank arbeitet und der sagte zu uns: ‚Bei dem was ihr habt, könnt ihr es vergessen! Niemand wird euch etwas leihen!‘ .. Und so haben wir dieses Geschäft mit dem geliehenen Geld meiner Schwiegermutter aufgebaut. Und mit der Hilfe vieler Freunde, die hierhergekommen sind, also Freunde von meinem Mann, die hergekommen sind und umsonst gearbeitet haben. Oder sie haben für sehr viel weniger Geld gearbeitet als normal. Einfach um uns zu helfen. Zum Beispiel, der der das Logo gemacht hat, war ein Freund von meinem Mann. Der hat es über Nacht gemacht, einfach so zum Spaß. Die Platten da draußen [die Außenfassade] hat auch ein Freund von meinem Mann gemacht; der macht sowas ganz professionell. Und er fand die ganze Idee mit dem

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Studio hier einfach nur lustig und hat deshalb geholfen. Die Wand hier, war auch ein Freund von meinem Mann. Sie ist ganz aus Gips! Alles Gips! Der macht das beruflich, der nimmt dafür ein Vermögen. Aber die beiden kennen sich schon ewig, und da hat er das einfach so für uns gemacht. Einfach nur weil er helfen wollte! Und so haben wir mit all dem hier angefangen.” (Interview mit Marta* vom 23.02.2010, Ü.: ML)

Marta* erzählte mir ihre „Geschichte mit dem Wachs“, nachdem ich einige Wochen zuvor ein erstes Kennenlern-Interview mit ihr geführt hatte. Das Interview fand, wie die anderen Interviews mit ihr, an einem Mittwochabend nach Studioschließung im Wartesaal auf einem gemütlichen Sofa statt, während ihr Ehemann die Hinterzimmer aufräumte. Marta*, die sich im Juni 2006 selbständig machte, gehört zu den ersten Brasilianerinnen im Bereich der Waxing Branche, die in Berlin ein eigenes Studio eröffneten. Sie gab ihre Arbeit als Angestellte für ein Reinigungsunternehmen auf, um kurz nach der Eröffnung des ersten Berliner Waxing Studios (Wax-in-the-City) als Depiladora zu arbeiten, dem eine studiointerne Schulung vorausging. Ein Zerwürfnis mit ihrer Chefin führte zur Kündigung und führte Marta* in die befürchtete Arbeitslosigkeit. Nach Zureden ihres Mannes entschied sie sich gegen eine Rückkehr ins Reinigungsgeschäft und baute mit der Unterstützung des Netzwerkes ihres Mannes und gemeinsam mit einer brasilianischen Bekannten ihr eigenes Studio auf. Die beiden Frauen trennten sich nach ein paar Monaten sowohl geschäftlich als auch freundschaftlich und Marta* leitet seither das Studio allein. Bei unserem letzten Interview 2012 hatte sie vier fest angestellte Mitarbeiterinnen; eine von ihnen ist ihre Schwester, zwei arbeiten auf Minijob-Basis. Sie erzählte mir von viel Arbeit, dass sie sehr müde sei, aber Gott dafür danke, diese Chance in ihrem Leben erhalten zu haben. Der Verlauf von Martas* Geschichte in die gewerbliche Selbstständigkeit weist viele Ähnlichkeiten mit den Wegen anderer (verheirateter) Interviewpartnerinnen und heutiger Leiterinnen von brasilianischen Waxing Studios in Berlin auf. In der Erzählung Martas* deutet sich an, dass der Schritt in die gewerbliche Selbständigkeit, welcher die Entscheidungsfindung, Planung und Umsetzung umfasst, von mehreren Umständen – biographischen, sozialen, familiären, wirtschaftlichen und nicht zuletzt körperlichen – beeinflusst ist. Wie ich zeigen werde, sind diese Umstände weder einfach über strukturelle Einbettungen und Benachteiligungen der Frauen auf dem mehrheitsgesellschaftlichen Arbeitsmarkt zu erklären, wie es Opportunitäts-Ansätze in den Studien zu Migrantenökonomien vorschlagen (Waldinger 1990), auch wenn viele der Frauen zuvor im niedrigbezahlten, körperintensiven Dienstleistungssektor gearbeitet hatten. Noch können kulturspezifische Affinitäten und Wertvorstellungen oder ethnische Ressourcen zur Unternehmerschaft erklärend herangezogen werden, wie sie in eher kulturalistischen Ansätzen und in Ansätzen der sozialen Einbettung von migrantischen Unternehmen herausgestellt werden (vgl. Light 1972; Light/Rosenthal 1995; Portes/Sensenbrenner 1993). Auch lassen

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sich für die Studioleiterinnen keine unternehmerischen Sozialisierungstrajektorien nachweisen, die eine aus der Biographie herauszulesende Affinität zur selbständigen Arbeit begründen würden (vgl. kritisch hierzu Kontos 2005). Entlang dieser drei theoretischen Achsen wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte in unterschiedlichen nationalen wie transnationalen Kontexten diverse Analyseund Erklärungsansätze zur Unternehmerschaft von Migrant/innen (und ihrer Nachkommen bis in die 2. und 3. Generation) entwickelt. Sie sind im Großen und Ganzen durch einen gender bias bei gleichzeitiger gender blindness gekennzeichnet (Ahl 2002; Apitzsch/Kontos 2003; für eine ausführlichere Diskussion hierzu siehe Kapitel 2). Frauen wurden in diesen Studien, wenn überhaupt, in erster Linie als Zuarbeiterinnen oder ‚Helferinnen‘ vor allem in Familienunternehmen betrachtet (Anthias/ Mehta 2003; Westwood/Bhachu 1988; für Deutschland: Goldberg/Sen 1997: 70), kaum jedoch als Unternehmerinnen (für eine kritische Diskussion hierzu vgl. Kontos 2008a, 2008b; Hillmann 1999; Padilla 2008). Wiederum lassen Studien über Unternehmerinnen, die der Mehrheitsgesellschaft angehören, erkennen, dass Gender eine konstitutive und strukturierende Komponente und Rahmung für die Analyse von gewerblicher Selbständigkeit darstellt (Coughlin 2002; Butler 2003; Eifert 2011; Ahl 2002). Dies betrifft sowohl (Arbeits-)marktbedingte Opportunitäten, ‚ethnische‘ Ressourcen, soziales und kulturelles Kapital wie auch (damit verbunden) biographische und soziale Einbettungen. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Trajektorien der brasilianischen Studioleiterinnen in die gewerbliche Selbständigkeit sowie mit den alltäglichen Herausforderungen, die mit der unabhängigen Arbeit verbunden sind. Ich nehme die Erzählung Martas* als Ausgangspunkt, um erstens vergleichend zu anderen Studioleiterinnen Motivationen, Gründe, Umstände und auch Bedenken in ihrer arbeits- und migrationsbiographischen und familiären/sozialen Einbettung für den Schritt in die gewerbliche Selbständigkeit nachzuzeichnen. Zweitens sollen Ressourcen, Opportunitäten und Rückhalte für die Umsetzung der Geschäftsidee in ihrer ersten Phase herausgestellt werden. Drittens werden in diesem Kapitel die alltägliche Geschäftspraktik in Bezug auf (neue) Formen von Abhängigkeit und Unabhängigkeit hin reflektiert und alltägliche Herausforderungen bei der Leitung eines Studios skizziert. Vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 vorgestellten Erklärungsansätze, die in den letzten Jahren auf dem Forschungsgebiet zu ‚ethnischer‘ Unternehmerschaft bzw. Migrant/innenökonomien sowie zur Unternehmerschaft von Frauen etabliert wurden, zeige ich über eine Fokussierung der Intersektionalität von Zugehörigkeitsregimen (Gender, Ethnizität/‚Rasse‘, Klasse, Nationalität) und einer analytischen Einbeziehung der bisher kaum reflektierten sozialen Einbettung (ziviler Status, Fehlen einer ‚Migrant/innengemeinschaft‘, in die Netzwerke eingebunden sein könnten) und emotionaler Befindlichkeiten auch Grenzen der Anwendbarkeit auf das konkrete Fallbeispiel auf. Für die unternehmerische Selbständigkeit (und konkrete

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Trajektorien hin zu dieser) ziehe ich ein integratives Verständnis von Arbeit als Analysegrundlage heran. So lassen sich Subjektivierungen in ihrem Doppelsinn und das damit verbundene konkrete soziale Handeln der Studioleiterinnen erfassen. Hierbei sollen sowohl die in Kapitel 4 beleuchteten Zuweisungspraktiken in ihren biographischen Erfahrungs- und Wissensaufschichtungen aus anderen Arbeitskontexten wie auch die Einbettungen in konkrete lokale Kontexte und Umstände berücksichtigt werden. Neben dem dezidierten Gender-Fokus werden Besonderheiten der brasilianischen Studioleiterinnen, wie ich sie für den deutschen Kontext in Kapitel 4 dargestellt habe, auch in ihren transnationalen Verflechtungen angesprochen. Ebenso wird die Spezifik des Kosmetiksektors in dieser Diskussion gesonderte Aufmerksamkeit erhalten sowie die Besonderheit von Waxing in diesem Sektor angerissen. Neben der Neuheit dieser Branche wird dabei Berlin als spezieller Ort für die Etablierung dieser Branche vorgestellt. Diesen Diskussionen stelle ich kurze Steckbriefe über die Wege ausgewählter Interviewpartnerinnen ins WaxingGeschäft voran.

5.1 W EGE INS W AXING -G ESCHÄFT : D ER E INSTIEG ALS D EPILADORA Waxing hat sich seit seiner offiziellen Einführung in Berlin im Jahr 2005 über mehrere sukzessive Studioeröffnungen im Berliner Stadtkern nach und nach ausgebreitet. Ich unterteile die Studioleiterinnen im Folgenden in zwei Generationen: Die Studios der ersten Generation wurden zwischen 2006 und etwa 2008/09 eröffnet. Die Studioleiterinnen wurden meist im ersten Studio Wax-in-the-City ausgebildet und hatten dort eine Zeit lang gearbeitet, bis sie sich selbständig machten. Die Frauen der zweiten Generation, deren Studioeröffnung zwischen ca. 2008 und 2011 stattfand, hatten meist den Erfolg der ersten Studios beobachtet und sich anschließend auf diversen Wegen im Bereich Waxing ausbilden lassen. In den folgenden Steckbriefen wurden neben einem groben Überblick über die einzelnen Wege zum eigenen Studio auch vorherige Arbeitserfahrungen im Kosmetikbereich einbezogen. Im Anschluss daran gehe ich eingehender auf die Wege ins Waxing-Geschäft ein. Frances-Clai (1. Generation) absolvierte mit 17 Jahren ihre erste Ausbildung als Kosmetikerin. Allerdings verdiente sie erst seit ihrer Ankunft in Deutschland 1992 ihr Geld mit Kosmetikdienstleistungen, die sie im näheren Bekanntenkreis anbot. Besonders erfolgreich waren ihre Maniküre sowie ihre Waxing-Behandlungen, die zu jener Zeit in Deutschland noch nicht bekannt waren. Nachdem Frances-Clai 1998 geschieden nach Deutschland zurückgekommen war, wurde sie im Jahr 2000 von einer Freundin überredet, mit ihrer Unterstützung und dem Geld deren Mannes

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ein Kosmetikstudio zu eröffnen. Diese zog sich nach kurzer Zeit jedoch zurück und Frances-Clai leitete das Studio allein. Nach diversen Weiterbildungen im Kosmetikbereich, einem Standortwechsel, einer Schließung aus familiären Gründen und einigen Jahren Arbeit als Mitarbeiterin in einem anderen Studio wagte Frances-Clai Anfang 2010 erneut, ein eigenes Studio – Depilbella – in Berlin-Schöneberg nahe dem Kurfürstendamm zu eröffnen, das nicht nur Waxing, sondern auch diverse andere Kosmetikleistungen anbietet. Die Bank gewährte ihr den nötigen Kredit, unterstützt wurde sie von einer Freundin. Frances-Clai arbeitete zunächst allein im Studio, später mit Praktikantinnen. 2012 stellte sie zwei ausgebildete polnische Kosmetikerinnen ein, die über ein Praktikum zu ihr gekommen waren. Zudem plante sie, ein weiteres Studio zu eröffnen, wo sie nur Waxing anbieten würde. Carminha (1. Generation) kam nach ihrer Scheidung von ihrem deutschen Mann 2005 zum Waxing, als das neu eröffnete Studio Wax-in-the-City um Mitarbeiterinnen in der brasilianisch-Berliner Zeitschrift Brazine warb. Zuvor hatte sie eine Weiterbildung für Hautkosmetik und Haarentfernung absolviert. Nach einigen Monaten Arbeitserfahrung bei Wax-in-the-City eröffnet sie 2006 mit einer Bekannten ihr erstes Studio, trennte sich aber von ihrer Kollegin ein Jahr später und eröffnete ihr eigenes Studio Copacabana Brazilian Waxing in Berlin-Mitte mit der Hilfe privater Geldanleihen. Kurze Zeit später eröffnete sie in Hamburg mit einer Freundin eine weitere Filiale. Ab 2012 hat sie eine feste brasilianische Mitarbeiterin, die 2015 das Studio übernahm, während Carminha ihre Rückkehr nach Brasilien plante. Dalva (1. Generation) eröffnete nach ihrem Abitur ein eigenes Kosmetikstudio in Belo Horizonte, dass sie verkaufte, um nach Deutschland zu gehen. Nach ihrer Ausbildung zur Reiseverkehrsfrau eröffnete sie in Berlin im Jahr 2000 ein eigenes Reisebüro, das sich auf das Reiseziel Brasilien spezialisierte und schnell erfolgreich war. Nach acht Jahren musste sie nach gesundheitsbedingten Ausfällen und finanziellen Problemen Konkurs anmelden. Kurz darauf stieg sie über eine informell ausgehandelte Unternehmenspartnerschaft mit einer Bekannten in das sich gerade etablierende Waxing-Gewerbe ein. Da sie aufgrund ihres Insolvenzverfahrens als nicht kreditwürdig eingestuft wurde, lief das Studio auf den Namen der Bekannten. Nach einem Zerwürfnis trennten sich beide und Dalva eröffnete mit privat geliehenem Geld ihr eigenes Studio, Waxing Company, in Berlin-Mitte. 2015 zählen vier weitere Franchise-Studios in Berlin hierzu. Marta* (1. Generation) eröffnete ihr Studio im Jahr 2006 im Prenzlauer Berg. Sie wurde auf Waxing ebenso über eine Annonce in der Brazine aufmerksam, in der das Studio Wax-in-the-City um brasilianische Mitarbeiterinnen warb. Marta* hatte bis auf eigene Körperpflegearbeiten bisher keinerlei berufspraktische Erfahrung im Kosmetiksektor. Sie kündigte ihren Job als Reinigungskraft, wurde angelernt und

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arbeitete dort bis 2006. Nach Unstimmigkeiten mit der Chefin wurde sie entlassen. Daraufhin entschied sie sich, mit Hilfe ihres Mannes ein eigenes Studio zu eröffnen. Neben dessen Unterstützung arbeitete zunächst ihre Schwester im Studio, die sie nach Anlaufen des Studios nach Berlin einlud. Bei unserem letzten Interviewtermin deutete sie an, dass ihre Umsätze zurückgegangen seien, da es im Kiez mittlerweile zu viele konkurrierende Studios gäbe. Nichtsdestotrotz arbeiteten bei ihr 2012 vier Angestellte zu unterschiedlichen vertraglichen Konditionen. Cleide M. (geb. 1971, 1. Generation) ist 2005 von Rio de Janeiro nach Berlin gekommen, um zunächst für Wax-in-the-City, später für andere Studios Depiladoras auszubilden. Zuvor hatte sie über acht Jahre als Depiladora in einem Kosmetiksalon in Rio gearbeitet. 2007 eröffnete sie zusammen mit ihrem Mann ein eigenes Studio, Rio Waxing, in Berlin-Mitte und 2009 ein zweites Studio in Steglitz. Seit 2012 zählt zu Rio Waxing ein Franchise-Studio in Pankow sowie eines in Hamburg. Tereza N. (geb. 1975, 1. Generation) eröffnete 2008 ihr erstes Studio Queen of Waxing in einer Seitenstraße zum Kurfürstendamm in Charlottenburg. Zuvor hatte sie in der Reinigung und als Kinderbetreuerin gearbeitet. Die Ausbildung zur Depiladora absolvierte sie in Deutschland einige Monate zuvor. In Brasilien hatte sie vor ihrer Migration eine kleine Boutique besessen, weshalb sie mit der gewerblichen Selbständigkeit vertraut war. Für Kosmetik hatte sie sich jedoch immer nur privat interessiert. Ihr Studio war bereits kurz nach seiner Eröffnung erfolgreich. 2013 hat Queen of Waxing drei weitere Franchise-Filialen in Berlin und eine in Hamburg. 2014 verkaufte sie ihr Studio und zog mit ihrem Mann in die USA. Silvana H. (1. Generation) eröffnete ihr Studio Bella Brasil im Jahr 2008. Sie besuchte in Deutschland ein Jahr lang eine Kosmetikschule. Mit den unterschiedlichen Techniken der Depilation ist sie seit ihrer Jugend vertraut, allerdings absolvierte sie eine Weiterbildung in Waxing in Süddeutschland. Während sie noch als Bürokraft arbeitete, legte sie kontinuierlich Geld beiseite, verschaffte sich bei einer Bank einen Kredit und richtete mit Hilfe einer brasilianischen Freundin, die in Brasilien lange Zeit im Waxing gearbeitet hatte, parallel ihr Studio in einem Hinterhof nahe der Hackeschen Höfe in Berlin-Mitte ein. Nachdem es nach einigen Monaten angelaufen war, kündigte sie ihre Stelle in Potsdam und widmete sich ganz ihrem Studio. Zunächst arbeitete nur eine brasilianische Freundin für sie, später stellte sie auf Minijob-Basis zwei ausgebildete Kosmetikerinnen (eine Deutsch-Iranerin und eine Deutsch-Türkin). Bei unserem letzten Interviewtermin arbeiteten neben zwei Praktikantinnen, die vor allem mit der Büroarbeit beschäftigt waren, drei weitere Depiladoras zu unterschiedlichen Vertragsbedingungen. Zudem gewann sie über einen Freund in Karlsruhe 2009 einen Franchise-Partner hinzu; 2013 eröffnete ein weiteres Studio auf Franchise-Basis in Nürnberg, das von einem deutsch-brasilia-

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nischen Paar geführt wird. Zudem leitet Silvana seit 2011 eine zweite Filiale in Wittenau. Mariana L. (geb. 1988; 1. Generation) nahm nach ihrem Schulabschluss 2006 an einer dreimonatigen Schulung zur Depiladora bei Wax-in-the-City teil und arbeitete dort anschließend für ein Jahr. Danach kündigte sie, um eine Ausbildung zur Friseurin zu absolvieren, bereits mit dem Ziel, sich später im Kosmetikbereich selbständig zu machen. Ihr damaliger Freund eröffnete im Anschluss daran ein Waxing Studio, Wachs Dich Schön, wo Mariana als Depiladora und als inoffizielle Geschäftsführerin arbeitete. Darüber hinaus bildete sie andere Frauen, vor allem Deutsche und Frauen mit Migrationshintergrund aus, die teils aus anderen Städten extra für eine Schulung anreisten. Nach knapp drei Jahren kündigte sie dort nach der Trennung von ihrem damaligen Freund und eröffnete unmittelbar danach von ihren Ersparnissen zusammen mit einer Freundin ihr eigenes Studio, Sempre Bonita, in Berlin-Charlottenburg. Die Eröffnung 2010 bezeichnete sie als reibungslos, da sie eine Gewerbeeinheit ganz in der Nähe ihrer vorherigen Arbeitsstätte fand und ihre Stammkundinnen, die vor allem im selben Kiez und den angrenzenden Stadtteilen wohnen, sofort in ihr Studio überwechselten. 2013 arbeitete sie mit zwei weiteren Brasilianerinnen im Studio und trennte sich einige Zeit später von ihrer alten Geschäftpartnerin, um das Studio allein zu leiten. Augusta (geb. 1978, 2. Generation) eröffnete ihr Studio Wax and You 2008 in Steglitz. Ein paar Jahre zuvor war sie einer Einladung ihres deutschen Freundes nach Berlin gefolgt. Sie verdiente sich zunächst ihren Unterhalt als Haushaltsarbeiterin und Kinderbetreuerin und lernte intensiv Deutsch. Den Erfolg der Waxing-Branche von Anfang an beobachtend, entschied sie sich, ihr eigenes Studio mit der Hilfe ihres Freundes aufzubauen. Ihr Training zur Depiladora absolvierte sie in einem anderen Waxing Studio, wo sie anschließend ein paar Monate arbeitete. Ihr eigenes Studio lief zunächst langsam an, verzeichnet aber dann gute Erfolge. Nach schwerer Krankheit verstirbt Augusta überraschend 2013. 2014 wurde in den Räumlichkeiten des Studios eine weitere Filiale von Queen of Waxing eröffnet. Malina* (geb. 1960, 2. Generation) war bereits in Brasilien selbständig, wo sie eine Boutique besaß. Nach der Trennung von ihrem ersten Verlobten 1997 kam sie mit einem Studentenvisum nach Deutschland, wo sie bald ihren deutschen Ehemann kennenlernte. Nach einigen Jahren Arbeit, zuerst als Babysitter und dann als Laborassistentin, musste sie die Arbeit gesundheitsbedingt aufgeben. Eine anvisierte Rückkehr nach Brasilien nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit verwarfen sie und ihr Mann im Jahr 2007 zugunsten eines Versuchs, im Bereich der aufstrebenden Waxing-Branche Fuß zu fassen. Malina* absolvierte einen mehrwöchigen DepilationsKurs im SENAC und begann 2009 ein Praktikum im Studio Waxing Company in

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Berlin-Mitte. Kurz darauf ergab sich die Möglichkeit, ein Franchise-Studio in Steglitz zu erwerben. Mit dem Geld eines zuvor in Brasilien verkauften Grundstückes kaufte sie das Studio und machte sich ein Jahr später von ihren FranchiseVereinbarungen los, um ihr eigenes Konzept umzusetzen. Sie nannte das Studio um, beschäftigte 2011 eine weitere Depiladora und erhielt vielfältige Unterstützung von ihrem Ehemann, der ebenfalls seit Jahren selbständig ist. 2014 gab Malina* jedoch das Studio auf und übergab Lokal und Konzept einer anderen Brasilianerin, die zuvor in anderen brasilianischen Studios als Depiladora gearbeitet hatte. Angelica (2. Generation) hatte bereits vor ihrer Migration nach Berlin eine Ausbildung zur Depiladora absolviert und in dem Bereich gearbeitet. Nachdem sie nach Deutschland kam, widmete sie sich anderen Arbeiten, depilierte lediglich hin und wieder Bekannte. 2009 beschlossen sie und ihr Mann, ein eigenes Studio aufzumachen. Sie absolvierte hierfür eine Weiterbildung in Berlin im Bereich Waxing, um sich auf den neusten Stand der Techniken, hygienischen Normen und Produktpaletten zu bringen. Eine anfängliche Idee, ein eigenes Konzept für ein Studio zu entwickeln, verwarfen sie jedoch wieder. Im Internet stießen sie auf einen Hinweis von Queen of Waxing, dass diese nach Franchise-Partnern suchten; ein Treffen mit Tereza N. war erfolgreich und Angelica eröffnete ihre Filiale am Senefelder Platz im Prenzlauer Berg im April 2010. Bei unserem letzten Treffen 2013 beschäftigte Angelica eine feste Mitarbeiterin, nachdem sie nach einer Erkrankung 2013 für mehrere Wochen ihr Studio hatte schließen müssen. Leni (2. Generation) beschäftigte sich schon während ihrer Schulzeit mit unterschiedlichen Haarentfernungsmethoden, mischte mit 15 Jahren ihr eigenes Wachs und enthaarte Familienangehörige und Bekannte. Während ihrer Schulzeit besuchte sie sogar einen Kosmetikkurs und arbeitete kurze Zeit lang in einem Schönheitssalon. Nach dem Schulabschluss absolvierte sie eine Ausbildung zur Schneiderin und arbeitete in diesem Beruf, bis sie 2002 nach Deutschland ging. Nachdem sie in Berlin in anderen Bereichen gearbeitet hatte, lernte sie Tereza N. von Queen of Waxing kennen, die ihr ein Franchise-Angebot unterbreitete. Lenis zweite Schwiegermutter half mit dem nötigen Geld aus, da die Bank ihr keinen Kredit gewährte. Im Herbst 2009 eröffnete sie ihre Filiale von Queen of Waxing am Prager Platz in BerlinWilmersdorf, die zunächst nur schleppend anlief und erst nach sechs Monaten von den Kund/innen angenommen wurde. Saisonweise arbeitete neben ihr zunächst eine Brasilianerin im Studio, die in der Hauptfiliale angelernt worden war, doch Leni trennte sich von ihr 2012. Seit 2013 arbeitet ihre Schwester für sie. Neide* (2. Generation) lernte über eine brasilianische Freundin eines der Studios kennen und gab hierfür ihre Arbeit als Aushilfskraft sofort auf. Sie gab an, dass sie sich schon immer für den Kosmetikbereich interessiert hatte und nun ihre Chance

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sah. Nach einem Training wurde sie als Depiladora übernommen und arbeitete in dem Studio für einige Jahre, wo sie nach kurzer Zeit auch leitende Funktionen übernahm. Unregelmäßige Arbeitszeiten und weitere Probleme, wie etwa ein nicht gewährter Urlaubsantrag, veranlassten sie, den Job zu kündigen. Doch statt in ein anderes Studio zu wechseln, entschied sie sich trotz der anfänglichen Skepsis ihres Mannes im Jahr 2010 ein eigenes Studio aufzumachen. Ihr Mann unterstütze sie dennoch in ihrem Vorhaben, ebenso wie Freunde, die an der Einrichtung des Studios beteiligt waren und ihr Geld liehen. Eine Bekannte half ihr zudem für einige Zeit bei anfallenden Arbeiten aus, drei Jahre später suchte sie jedoch eine feste Sekretärin und eine festangestellte Depiladora. Silvana R. (geb. 1964; 2. Generation) hatte lange Zeit als Schmuckhändlerin in Brasilien gearbeitet, musste diese Tätigkeit jedoch nach ihrer Migration nach Deutschland im Jahr 2002 aufgrund fehlender Kontakte aufgeben. Sie beobachtete den Erfolg der ersten Waxing Studios interessiert und entschied sich, einen Brasilienurlaub zu nutzen und eine mehrwöchige Schulung im Bereich Depilation im SENAC in Marceió zu absolvieren. Sie hatte vor ihrer Migration bereits eine sechsmonatige Kosmetikausbildung gemacht, wollte aber ihre Kenntnisse auf den neuesten Stand bringen. Zurück in Deutschland arbeitete sie für einige Monate im Studio einer Freundin in Berlin-Wilmersdorf, die sie zunächst als Partnerin werben wollte, was sie jedoch ablehnte. Als sie 2010 ein geeignetes Lokal für ein eigenes Studio in Steglitz fand, kündigte sie und baute mit Hilfe dieser Freundin ihr Studio Waxline Pure auf. Sie stellte sofort die Portugiesin Natalia als Sekretärin ein, da sie drei Monate nach der Studioeröffnung mir gegenüber angab, noch keine ausreichenden Deutsch-Kenntnisse zu besitzen. Zudem war Natalia ausgebildete Manikuristin und übernahm diese Dienstleistungssparte des Studios. Ana* (2. Generation) nahm 2008 parallel zu ihrer Tätigkeit als Kinderbetreuerin und Haushaltsarbeiterin an einer Schulung zur Depiladora teil, die an ein Praktikum gekoppelt war. Zuvor hatte sie Freundinnen und Bekannten ihrer Arbeitgeberinnen privat Waxing und andere Kosmetikdienstleistungen in Haus-zu-Haus-Besuchen angeboten, ohne darin je eine Ausbildung absolviert zu haben. Sie arbeitete nach ihrem Praktikum ‚auf Abruf‘ in jenem Studio, beklagte sich jedoch über die Unregelmäßigkeiten in Arbeitsvolumen, -zeiten und Bezahlung. Überlegungen, ein eigenes Studio zu eröffnen, verwarf sie zunächst. Eine Freundin, die ebenfalls ein Studio führte, bot ihr daraufhin an, ein Franchise einzugehen und sie darin in den ersten Monaten zu unterstützen. Das Einstiegskapital borgte sie sich zu Teilen von Freunden, Verwandten ihres Ehemannes und einem seiner Bekannten, hatte es aber bereits nach dem ersten Jahr der Studioeröffnung an diese zurückgezahlt. Sie profitierte in der ersten Phase besonders von Stammkundinnen, die sie bereits in ihren privaten Haus-zu-Haus-Besuchen angeworben hatte.

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Andréa M. (geb. 1971, Depiladora) depilierte bereits mit 13 Jahren Freunde und Verwandte. Doch als Depiladora begann sie erst mit 18 Jahren in den USA zu arbeiten, wo sie zunächst eine Ausbildung in Pennsylvania absolvierte und später in New York bei den „J-Sisters“ die Anfänge des Brazilian Waxing in den USA beobachtete. Als sie mit 32 Jahren nach Brasilien zurückkehrte, absolvierte sie verschiedene Fortbildungen im Kosmetikbereich, insbesondere in der Haarentfernung. Nach zwei Jahren hielt sie sich eine Zeit lang in Spanien, Frankreich und Portugal auf, wo sie als Depiladora arbeitete, bis sie eine Einladung von Silvana H. erhielt, sie im Studio Bella Brasil zu unterstützen. Dort arbeitete sie für zweieinhalb Jahre. Anschließend wurde sie zeitweise bei zwei weiteren Studios (Wax Dich Schön und PhysioHarmony) als Depiladora und Ausbilderin eingestellt, bis sie 2012 nach einem kurzen Aufenthalt in Amsterdam von der türkisch-deutschen Leiterin des Studios AS Waxing angeworben wurde. Bei unserem letzten Gespräch Ende 2013 arbeitete Andréa für Dalva im Studio Waxing Company. Sie arbeitete bisher immer nur auf Vertragsbasis und lehnte noch zum damaligen Moment jeden Gedanken, eventuell ein eigenes Studio zu eröffnen, ab. Sie beschäftige sich mit der Geschichte der Haarentfernung, betreibt eigene Nachforschungen und schreibt an einem eigenen Buch über „Kabinengespräche“. Lecylana (2. Generation) eröffnete ihre Physiotherapie-Praxis PhysioHarmony 2010 gemeinsam mit ihrem Mann in Kreuzberg, nachdem sie zuvor nach ihrer Ausbildung in Deutschland in einem Krankenhaus gearbeitet hatte. Ein Jahr später integrierte sie Waxing in ihre Angebotspalette, wobei ihre Cousine diesen Bereich übernahm und dort seither weitgehend unabhängig von der restlichen Praxis agierte. Waxing stellte für Lecylane neben anderen kosmetischen Dienstleistungen, Massage, physiotherapeutischen Behandlungen und anderen körperbezogenen Arbeiten Teil eines ganzheitlichen körperlichen, harmonischen Wohlgefühls dar, weshalb sie dies auch in ihre Praxis integrierte. 2015 lagerte sie Waxing wegen der großen Nachfrage in ein eigenes, sich über drei Etagen erstreckendes Studio aus. * Wie sich in diesen Steckbriefen abzeichnet, lässt sich eine Entscheidung für die Eröffnung eines eigenen Studios und damit für die gewerbliche Selbständigkeit nicht von anderen Arbeitserfahrungen loslösen. Vor allem der vorherige Einstieg der Frauen in die Kosmetik- bzw. Waxing-Branche muss in die Betrachtung einbezogen werden. Vor ihrer Migration hatten nur einige wenige Frauen berufliche Erfahrungen in diesem Bereich gemacht. Marta* wie auch Carminha, Tereza und Augusta erlernten ihr Handwerk erst im ersten Waxing Studio Berlins, Wax-in-theCity, welches eine Deutsche und eine Österreicherin 2005 in Berlin-Mitte eröffnet hatten. Dort wurden die Frauen von zwei brasilianischen Depiladoras (eine von ih-

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nen war Cleide), die eigens für das Training nach Berlin eingeladen wurden, ausgebildet. Die drei Frauen, wie auch andere der heutigen Studioleiterinnen, hatten zuvor noch nie im Kosmetiksektor gearbeitet. Andere, wie Frances-Clai, Dalva, Leni oder Angelica, die ebenfalls zur ersten Generation der brasilianischen Studioleiterinnen zählen, hatten in Brasilien nach der Schule eine Ausbildung als Kosmetikerin absolviert; Dalva leitete sogar vor ihrer Migration nach Deutschland einen eigenen Kosmetiksalon. Cleide, die 2005 der Einladung der Wax-in-the-City-Leiterinnen nach Berlin folgte, arbeitete zuvor als Depiladora in einem Kosmetiksalon in Rio de Janeiro. Jedoch lässt sich von den Arbeitserfahrungen dieser Frauen vor ihrer Migration nicht ableitend erklären, warum sie den Schritt in die gewerbliche Selbständigkeit mit einem Waxing Studio in Berlin wagten. Bis auf Frances-Clai, die ihr erstes Kosmetikstudio im Jahr 2000 in Berlin eröffnete, wo sie neben anderen Kosmetikdienstleistungen bereits Haarentfernung auf Warmwachs-Basis anbot, hatte vor dem Erfolg von Wax-in-the-City keine der Frauen in einem deutschen Kosmetikstudio gearbeitet oder einen eigenen Salon geleitet. Einige hatten jedoch bereits vor der Eröffnung von Wax-in-the-City und trotz einer fehlenden Ausbildung oder Berufserfahrungen in einem Salon privat Depilationen mit Warmwachs über Hausbesuche im Bekanntenkreis angeboten (wie Angelica und Ana*, sowie zuvor Frances-Clai). Dass sich das ‚Geschäft mit dem Wachs‘ überhaupt als erfolgreich in Deutschland erweisen sollte oder sie sich darin gar mit einem eigenen Studio selbständig machen würde, hatte keine der Frauen bis Mitte der 2000er Jahre vermutet. Carminha brachte diese Bewertung mit den folgenden Worten auf den Punkt: „Ai, meine Liebe, es war ganz schön barbarisch [meio bárbaro]! Die Deutschen haben sich nicht sonderlich um ihren Körper gekümmert, weißt du. Die Haare sprießten hier und hier [verweist auf ihre Achseln und ihre Bikinizone]. Wir sagen dazu cabeluda, ne. Ich sage dir, es war wirklich ganz schön barbarisch“ (Carminha 10.02.2009; Ü.: ML). Auch wenn sich entgegen Carminhas Aussage das weitestgehend haarlose Körperideal spätestens seit Ende der 1990er Jahre durchgesetzt hatte (vgl. Posch 2009; Borkenhagen/Brähler 2010a) und seither verschiedene Körperenthaarungsprodukte im Einzelhandel zu erwerben waren, gab es bis 2005 weder ein vergleichbares Dienstleistungsangebot in den (mehrheitsgesellschaftlichen) Kosmetiksalons.1 Noch gab es in Deutschland ein vergleichbares Geschäftsmodell zum ersten Waxing Studio in Berlin-Mitte. Leni beispielsweise, die von mir zur zweiten Generati-

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Ausnahmen hierzu bilden dauerhafte Laserbehandlungen im klinischen Rahmen, die Anfang 2000, noch kaum merklich, Publikum umwarben. Zudem existierten bereits vor allem ‚türkisch‘ und ‚russisch‘ markierte Schönheitsstudios, die jedoch weniger ein mehrheitsgesellschaftliches Klientel aufwiesen.

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on gezählt wird, erinnerte sich, dass sie weit früher schon den Gedanken hatte, sich in diesem Bereich zu betätigen, diesen jedoch wieder fallen ließ, denn: „Ich sah in Deutschland keine gute ähm .. wie sagt man? . Ich habe nicht gedacht, dass es hier bei den deutschen Frauen so gut ankommen würde. [Warum?] Weil ich gesehen habe, wie die Deutschen waren. Sie sind mit behaarten Achseln herumgelaufen, deshalb dachte ich mir: ‚Nee, hier ist das nichts. Das wird nichts.‘ So habe ich dann erst einmal andere Sachen gemacht bis ich- .. Dann habe ich gesehen, dass es seit fünf Jahren immer mehr Waxing Studios gibt. Es werden immer mehr eröffnet. Da dachte ich mir: ‚Mensch, du kannst das, warum versuchst du das nicht?‘“ (Leni, Interview vom 19.09.2011)

Die Branche stellte sich erst mit dem beobachtbaren Erfolg von Wax-in-the-City für diese Frauen als attraktiv heraus. Vor allem für diejenigen, die wie Marta* im Bereich körperlich und/oder psychisch anstrengender und darüber hinaus unzureichend bezahlter Dienstleistungsarbeit tätig waren, bedeutete diese Branche eine Alternative – gerade wenn die bisherigen Tätigkeitsfelder als die einzigen zugänglichen wahrgenommen oder zugeschrieben wurden. Allerdings war der Einstieg in die Branche als Depiladora nicht einfach, wie sich heute mit dem Wissen um den Erfolg von Waxing vermuten ließe. So stellte die Überlegung (wie es sich in Martas* Erzählung eingangs andeutete), sich auf dieses unbekannte Unterfangen Mitte der 2000er Jahre einzulassen, durchaus eine Abwägung dar. Konkrete materielle Konsequenzen mussten einkalkuliert werden. Marta* verwies mehrmals auf ihre Unsicherheit, die sich mit dem Einstieg ins Waxing-Geschäft verband: Zunächst bedeutete dies, eine feste Beschäftigung und somit ein gesichertes und für den gemeinsamen Haushalt finanziell notwendiges Einkommen aufzugeben. Dieser Schritt muss auch vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Arbeitserfahrungen hin eingeordnet werden: Die Arbeitsstelle als Reinigungskraft, so zeigte ihre im vorherigen Kapitel vorgestellte Arbeitstrajektorie, war die einzige Möglichkeit, die ihr die Sachbearbeiterin des Job-Centers für eine Arbeitsmarkteingliederung in Deutschland in Aussicht gestellt hatte. Weiterhin war sie nach jahrelanger Arbeit als Reinigungskraft unsicher, ob sie einer neuen Tätigkeit überhaupt gewachsen sei. Das zeigt sich in der an sich selbst gerichteten Frage „ob ich es wirklich schaffe?“ und dem nachgestellten Telefonat mit einer der Studioinhaberinnen („ich habe Angst“). Marta*, die vor ihrer Migration für ein großes Bergbauunternehmen als Sekretärin gearbeitet hatte, wurde aufgrund ihrer in Deutschland erlebten Abqualifizierung und beständigen Demütigung in Bezug auf ihre eigenen Fähigkeiten derart verunsichert, dass sie sich über die ihr zugewiesene Tätigkeit hinaus nichts mehr zutraute. Es war ihr Mann, der ihr Vertrauen zusprach und sie dazu motivierte, sich doch auf etwas Neues einzulassen. Diese Herausforderung meisterte sie, wurde jedoch nach einigen Monaten aufgrund der Unvereinbar-

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keit der sehr unregelmäßigen und ungünstigen Arbeitszeiten mit ihren familiären Verpflichtungen als junge Mutter entlassen. In ihrer Erzählung unterbrach Marta* kurzzeitig ihre in chronologischen Auszügen umrissene Geschichte und stellte entschieden heraus, dass sie – beflügelt durch die Erfahrung, sich doch in andere Bereiche einarbeiten zu können –, sich nicht ohne Arbeit abfinden könne. Sie müsse und würde arbeiten – „egal wo“. Bestärkt wurde dieser Einschub durch das Absenken ihrer Stimmlage, dem Anheben der Lautstärke ihrer Stimme und der Rigorosität und Geschwindigkeit ihrer Wortfolge. Dieses „egal wo“ relativierte sie allerdings im nächsten Schritt, als sie ein Zurück in ihr vorheriges Beschäftigungsfeld, die Großreinigung, indirekt in Frage stellte und dabei ihre zurückhaltende Erzählstimmung und hohe Stimmlage der vorherigen Ausführungen wieder aufgriff: Über ein indirektes Zitat ihres Mannes sprach sie ihr Alter und ihre körperliche Verfassung an, die ihr das Putzen fast nicht mehr erlaubten. Die narrative Strategie, nicht in der ersten Person von ihren Schmerzen zu reden, sondern dies in indirekte Zitate ihres Ehemannes einzubetten, interpretiere ich einerseits dahin, dass sie sich nicht selbst in die Position der physischen Unfähigkeit rücken wollte. Schließlich würde das ein Aufgeben, ein Eingeständnis der körperlichen Erschöpfung bedeuten. Andererseits war es Marta* zufolge das Miterleben ihrer Mühen und Schmerzen, das für ihren Mann ausschlaggebend war, ihr von einer Rückkehr in ihre vorherige Beschäftigung abzuraten. Vielmehr, so betonte sie, war er es, der sie dazu motivierte, sich selbständig und ihrer alten Chefin „Konkurrenz zu machen“. Die Aussage „Du bist kein junges Mädchen mehr“ verweist zudem auch auf den damaligen spezifischen zeitlichen Moment ihres Arbeitslebens, in dem sie sich einer Entscheidung stellen musste, gemäß dem Motto: ‚Wenn nicht jetzt, wann dann?‘. Auch diesem Schritt stand Marta* mit Skepsis gegenüber, fügte sich jedoch dem Vorschlag ihres Mannes, der sie mit einem eher unbeschwert wirkenden „Mal sehen, was es uns bringen wird“ überzeugte und ihr gegenüber damit keinerlei Bringschuld vorgab. Ähnlich wie eingehend an Martas* Beispiel gezeigt, ließen sich in den Erzählungen vor allem der Frauen, die ich über die vergangenen Jahre enger begleiten durfte, eine Reihe von allgemeinen Verunsicherungen feststellen. Diese resultierten aus den verschiedenen Erfahrungen der beruflichen Abqualifizierung sowie anderer diskriminierender Erlebnisse im Arbeitsalltag und ihren bisherigen Arbeitstrajektorien. Zudem äußerten die Frauen der erste Generation aufgrund ihrer vorherigen Alteritätswahrnehmungen von Körperlichkeit und damit assoziierten Reinlichkeitsvorstellungen deutscher Frauen Unsicherheiten: Ob die Waxing-Branche, ein in Deutschland zu jenem Zeitpunkt unbekannter und noch nicht etablierter Geschäftszweig, erfolgreich laufen würde, war kaum abzusehen. Silvana H. verwies darauf: „Es [Waxing] war noch so neu hier, das kannte noch gar keiner. Und so stelle sich die Frage: Wollen die Leute das überhaupt? Wollen die deutschen Frauen das machen? Akzeptieren sie das überhaupt?“ (08.10.2010).

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Doch auch aufgrund anderer alltäglicher Interaktionen mit der Mehrheitsgesellschaft, in denen oftmals soziale, kulturelle und ethnisierte Differenzen sowie sprachliche und körperliche Abweichungen zur ‚deutschen‘ Norm teilweise schmerzlich von ihnen erfahren wurden, verursachten Zweifel, ob die Arbeit als Depiladora in Deutschland die richtige sei: Waxing, so wird im nächsten Kapitel (Kapitel 6) gezeigt, arbeitet körperlich und emotional auf engstem Raum mit der Kundin. Enger körperlicher Kontakt und sprachlicher Austausch sind Teil der Arbeit. Es handelt sich also nicht mehr um die Reinigung oder Bearbeitung von Objekten, bei der die zu verrichtende Arbeit zeitlich versetzt zu dessen Begutachtung durch den/die Auftraggeber/in stattfindet. Noch handelt es sich um die Betreuung von pflege- und hilfsbedürftigen Anderen, wie Kinder oder kranke Menschen, sondern um die Verrichtung einer Dienstleistung an erwachsenen, gesunden Menschen (und damit die zeitgleiche Konsumierung dieser Dienstleistung durch den/die Auftraggeber/in). Diese Menschen können es sich zudem leisten, eine Körperpflegepraktik wie die der Haarentfernung gegen Bezahlung an Dritte weiterzugeben. Trotzdem den Einstieg als Depiladora zu wagen, bedeutete daher für Marta* und andere, bestimmte Sicherheiten zugunsten eines zunächst ungewissen Unterfangens aufzugeben. Zugleich aber konnten die Frauen damit auch unerträgliche Arbeitsbedingungen hinter sich lassen. Das deutet etwa Martas* Weigerung, aufgrund ihrer körperlichen Verfasstheit in den Reinigungssektor zurückzukehren, an. Wie sehr vor allem die jahrelange Putzarbeit mit körperlichen Schmerzen verbunden war, erzählte mir Lecylana, die sich als Physiotherapeutin 2010 mit einer eigenen Praxis selbständig machte. Spaßend stellte sie die Ernsthaftigkeit der körperlichen Verfasstheit vieler Frauen folgendermaßen dar: „Die Brasilianer[innen] hier sagen immer: ‚Lecy ist die Physiotherapeutin der Putzfrauen.‘ Und weißt du warum? Weil ich genau weiß, wo die Frauen Schmerzen haben, weil ich genau weiß, wo es ihnen weh tut. Weil ich weiß wie das ist, wenn du den ganzen Tag putzen musst. Und das jeden Tag! Ich weiß genau wo es dann weh tut, weil ich selbst so lange geputzt habe.“ (Lecylana, 21.09.2012)

Doch nicht nur die Suche nach einer vermeintlichen Alternative zu der körperlichen Überanstrengung, wie im Falle Martas*, war entscheidend. Auch war für viele die Verortung dieser Arbeit im Kosmetiksektor attraktiv, wie im Beispiel von Silvana H.: „Das wollte ich schon immer machen. Also warum sollte ich nicht etwas tun, was ich schon immer gerne mag? Es gab eine Zeit, da musste ich Sachen machen, die mir nicht immer Spaß gemacht haben. .. Aber, wenn man älter wird, denkt man: ‚Ah nein, ich will jetzt bei einer Sache bleiben. Ich mache jetzt das, und zwar, weil ich es gerne mache.“ (Silvana, 08.10.2010)

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Silvana verwies hier darauf, etwas machen zu wollen, was nicht nur eine Form des (notwendigen) Geldverdienens (und somit eine Überlebensstrategie) darstellt, sondern was in einem Bereich verortet ist, in dem sie gern tätig sein mochte. Zudem deutete sich bei Silvana, ebenso wie bei Marta*, ein spezifischer Moment im Lebensverlauf an: Silvana verbindet es mit ihrer erlangten Reife und dem Bedürfnis, sich einer Sache dauerhaft zu widmen. Deuten lässt sich das auch als eine Müdigkeit aufgrund des vielfältigen Hin und Hers ihrer Tätigkeiten – auch wenn sie zuvor ihre Flexibilität und die Fähigkeit, sich in neue Aufgabengebiete schnell einarbeiten zu können, unterstrichen hatte (vgl. Kapitel 4). Carminha und Neide*betonten zudem, dass sie die Arbeit am und mit Menschen suchten. Neide* sagte mir: „Ich arbeite gern mit Menschen. Ich wollte schon immer etwas mit Menschen machen. Denn ich glaube, dass ich das sehr gut kann, also mit Menschen umgehen“. Die meisten Frauen wechselten also zunächst im Bereich abhängiger Arbeit von einer Dienstleistungstätigkeit in die nächste, markierten nun jedoch eine Affinität mit dem neuen Arbeitsfeld. Auch basierte die Aufnahme einer Ausbildung zur und Tätigkeit als Depiladora, anders als oftmals zuvor, auf einer Wahlmöglichkeit. Die Entscheidung für diese Tätigkeit wurde aufgrund des eigenen Wunsches und weniger aufgrund einer unbedingten Notwendigkeit getroffen. Es handelte sich um ein Tätigkeitsfeld, mit dem viele Frauen zudem bereits Kontakt gehabt hatten. Neben den oben erwähnten privaten Haus-zu-Haus-Behandlungen oder einer in Brasilien absolvierten Ausbildung waren alle Frauen, auch die der zweiten Generation, zu denen ich Leni, Angelica, Neide*, Malina*, und Augusta zähle, mit der Depilation auf Warmwachs-Basis seit ihrer Jugend vertraut, da diese als Körperreinigung innerhalb der Familie praktiziert wurde. Zudem, so wird in Silvanas Zitat deutlich, sahen viele darin eine Beschäftigung, die sie sich auch längerfristig als Tätigkeit vorstellen konnten. Damit verbunden konnten sie sich diesem Bereich nicht nur voll und ganz widmen, sondern hatten auch die Möglichkeit, sich darin zu professionalisieren. Diese Möglichkeit der eigenen und beständig erweiterten Professionalisierung nahmen alle von ihnen an, wie in Kapitel 6 näher gezeigt wird. Vor allem bei Frauen der ersten Generation war der Einstieg ins WaxingGeschäft zunächst aber nicht mit dem Ziel verbunden, sich nach einiger praktischer Erfahrung selbständig zu machen. Vielmehr, so zeigte auch Martas* Erzählung, wurde dieser spätere Schritt durch Unzufriedenheit im neuen Arbeitskontext beeinflusst: Mit dem Wechsel in den neuen Arbeitssektor des Waxings waren bei vielen daran geknüpfte Erwartungen an bessere Arbeitsbedingungen nicht immer erfüllt worden. Enttäuscht waren die Frauen aber nicht darüber, dass die Arbeit als Depiladora ebenfalls körperlich anstrengend war. Vielmehr waren sie mit den Beziehungen unter Kolleginnen und insbesondere mit dem Verhältnis zu den Vorgesetzten unzufrieden. Bei Marta* wurden Arbeitsvolumen und Arbeitszeiten trotz vorheriger Absprachen so verändert, dass sie dies mit ihren Familienverpflichtungen nicht

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mehr vereinbaren konnte. Sie führte einen Streit mit ihrer Chefin und wurde daraufhin gekündigt. Auch Neide* erzählte mir von unzumutbaren Arbeitszeiten: „Manchmal habe ich nur ein oder zwei Stunden am Vormittag gearbeitet, und wenn dann keiner gekommen ist, hat sie mich nach Hause geschickt. Ich sollte dann am Nachmittag wiederkommen, und manchmal gab es dann noch einmal eine lange Pause, und dann musste ich am Abend wieder hingehen, zum aufräumen und saubermachen“.

Ausschlaggebend für ihre eigene Kündigung war jedoch ein nicht-gewährter Urlaubsantrag: „Meine Mutter war sehr krank, ihr ging es nicht gut. Ich wollte unbedingt nach Brasilien, aber meine Chefin wollte das nicht. Stell dir vor, sie meinte: ‚Jetzt nicht, jetzt ist noch Hochsaison. Du kannst im Januar fliegen.‘ Aber dann war meine Mutter gestorben und ich war nicht mal zur Beerdigung. Und da habe ich gesagt: ‚Jetzt reicht‘s!‘“ (Neide*, Interview vom 26.08.2011)

Diese neuen Formen von Abhängigkeiten und eingeforderten flexiblen Arbeitseinteilungen kannten viele der Frauen bereits von ihren Reinigungs- und Betreuungstätigkeiten. Doch nun empfanden viele dies als besonders verstärkt, gerade da in den Wintermonaten sogar wochenlange Leerstrecken vermeldet wurden, in denen sie nicht zur Arbeit bestellt wurden. Dies wurde vor allem durch häufige vertragliche Unsicherheiten erlaubt,2 auf die ich jedoch nicht weiter eingehen möchte. Zudem wurden in einzelnen Fällen auch Unregelmäßigkeiten bei der Bezahlung erwähnt. Und so stellte dieser erste Einstieg eine wichtige Erfahrung dar, die die Entscheidung zur Selbständigkeit beeinflusste. Augusta sagte mir: „Ich wollte einfach nicht mehr so abhängig von dieser Person sein, ne. Ich wollte mir es selbst einrichten

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Neide* äußerte entsprechend negativen Erfahrungen diesbezüglich über ihre vorherigen Vorgesetzten, wie folgt: „Das sind Leute, die nicht einmal Respekt für sich selbst haben. Die haben ein Geschäft, weil sie hier schon seit vielen Jahren leben und die die Bedürftigkeit und die Gutgläubigkeit der Leute, die neu hier ankommen, ausnutzen. Deshalb halte ich mich von diesen Leuten fern. Niemand ist ein Sklave“ (Neide*, 11.09.2012; Ü.: ML). Worauf Neide* hier hinweist, ist die Ausnutzung von vor allem Neuankömmlingen, die sich zunächst im neuen Umfeld orientieren müssen und gerade deshalb sehr anfällig für prekäre Arbeitsbedingungen vor allem in den noch nicht etablierten Studios sind. Dass dies aber nicht nur Neuankömmlinge betreffen kann, sondern auch Frauen, die seit einigen Jahren in Berlin leben, zeigen einige der obigen Beispiele. Entscheidend wird nun, wer zu den nötigen Ressourcen und Netzwerken Zugang hat, um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden.

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können, wann und wie ich arbeite. -Also zumindest so ein bisschen Regelmäßigkeit haben“ (Interview vom 5.10.2010). Die Selbständigkeit, so zeigte sich, war für die meisten Frauen, vor allem der ersten Generation, allerdings nicht das eigentliche Ziel gewesen. Sie stellte sich erst im Anschluss als Mittel heraus, weiterhin im Bereich des Waxing arbeiten zu können, ohne ein weiteres Mal mit negativen Abhängigkeitsverhältnissen zu Vorgesetzten konfrontiert zu werden. Den Wunsch, weiterhin in der Branche tätig zu bleiben, war dabei mit der Affinität zum Schönheitssektor selbst und der erfahrenen professionellen Wertschätzung als Depiladora verknüpft. Die bei Maria Kontos allgemein für Neu-Unternehmerinnen beobachtete Reorganisation der beruflichen Identität (2005) war somit bei vielen Brasilianerinnen zunächst keine gezielte Vorbereitung auf eine spätere gewerbliche Selbständigkeit. Sie war die Folge der gemachten neuen Arbeitserfahrung im Waxing und dem dabei gewonnenen Selbstvertrauen. Bei anderen Frauen wie Frances-Clai, Dalva oder Cleide bedeutete diese „Reorganisation“ eine Wiederaufnehme ihres erlernten Handwerkes. Sie stellte also kein neues Tätigkeitsfeld dar, sondern war eine Art Rückkehr in jenen Bereich, in dem sie sich bereits qualifiziert hatten. Darüber hinaus bildete die Arbeit als Depiladora eine Art Training, nicht nur im Bereich der Waxing-Praktik selbst, sondern auch bezüglich der Studioleitung, die sie direkt miterlebten. Mariana erzählte mir beispielsweise, dass sie während ihrer knapp dreijährigen Arbeit bei Wachs-Dich-Schön eigentlich die Studioleitung inoffiziell übernommen hatte. Sie vertrat dort stetig ihren damaligen Freund, den gemeldeten Inhaber. Mariana hatte 2006 die Waxing-Technik ebenfalls bei Wax-inthe-City erlernt, dort ein Jahr lang gearbeitet und anschließend eine zweijährige Ausbildung zur Friseurin absolviert. Im Anschluss daran baute sie mit ihrem ExFreund das Studio auf. Sie hatte bis dato keinerlei Schulung im Finanz-, Unternehmens- oder Verwaltungswesen gehabt, erlernte die Studioleitung aber gezwungenermaßen in der Praxis. Sie erinnert sich, dass sie dort eigentlich nur als Depiladora tätig sein sollte: „Ich war mit dem Wachs-Dich-Schön-Laden fast schon selbständig. Nur war ich nicht angemeldet. Der Laden gehörte mir nicht. Aber nach der Trennung dachte ich mir – weil ich schon in der Branche tätig war – also dachte ich mir, warum ich mich dann nicht einfach selbständig machen sollte. Denn ich konnte ja schon alles. Ich habe ja also quasi schon als Studioleiterin gearbeitet.“ (Interview vom 05.10.2010)

Nach der Trennung von ihrem Mann stand für sie aufgrund der gewonnenen Arbeitserfahrungen fest, sich selbständig zu machen. Den heutigen Studioleiterinnen ist aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen eben dieses zusätzliche, oftmals von ihnen nicht beabsichtigte Training der Depiladoras in geschäftlichen Angelegenheiten der Studios bewusst. Das zeigt sich insbesondere in der von ihnen erwähnten Schwie-

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rigkeit, geeignete Mitarbeiterinnen zu finden, die einerseits professionell arbeiteten, andererseits aber eben auch „treu“ (ein von Mariana genanntes Einstellungskriterium für Depiladoras) seien. Gerade mit dieser Problematik sieht sich die heutige erste Generation konfrontiert. Sie alle durchliefen ähnliche Wege: Nach der Ausbildung in einem der ersten Studios trennten sich fast alle nach einigen Monaten Arbeitserfahrung aufgrund unterschiedlicher Gründe und Motivationen, wie sie zum Teil oben angesprochen wurden. Erst als sie sich (in der Regel als „Ein-Frau-Unternehmen“) selbständig gemacht hatten, das Geschäft anlief und sie sich zunehmend um weitere Depiladoras bemühen mussten, wurde den Studioleiterinnen bewusst, welche Attraktivität das nun bereits scheinbar boomende Waxing-Business auf Frauen ausübte. Und so zeichnete sich, bedingt durch das Wissen um die Erfolgschancen der Dienstleistung, insbesondere bei der zweiten Generation, die oftmals in einem Studio der ersten Generation gelernt hatte, ein verstärktes Interesse am Arbeitsfeld Waxing als Mittel zur Selbständigkeit ab. Während einige Frauen dieser zweiten Generation sich in einem der bereits etablierten Studios anlernen ließen, nutzten andere Frauen längere Aufenthalte in Brasilien, um dort eine Schulung zu machen. So bieten etwa die Institutionen SENAC oder SESC verkürzte Ausbildungen an, um auf die spezifischen Anfragen vor allem von im Ausland lebenden Brasilianerinnen zu reagieren, wie mir Alcione F., Ausbildungskoordinatorin des Bereichs „Körper und Gesundheit“ des SESC in Belo Horizonte, mitteilte. Diese speziellen Formen der Kurzausbildungen gab es zuerst im Bereich der brasilianischen Maniküre, die vor allem von in den USA lebenden Brasilianerinnen nachgefragt wurde. Seit einigen Jahren bieten einige dieser Institutionen diese auch für Depilationspraktiken auf Warmwachs-Basis an. Malina* wie auch Silvana R. ließen sich in einem solchen verkürzten Schulungsprogramm trainieren, absolvierten in Deutschland jedoch weitere Kurse. Andere verwiesen zwar auf ihre Ausbildungen (und teils auch Arbeitserfahrungen) in diesem Bereich vor ihrer Migration, entschieden sich jedoch dafür, in Deutschland noch einmal eine kurze Schulung zu durchlaufen. So wollten sie die Art und Weise, wie die WaxingTechnik in ihrer Anwendung in Deutschland kommerzialisiert wird, kennenlernen und mit ihrer bisherigen Praxis abgleichen. Doch auch diese Frauen der zweiten Generation begeistern sich für die Arbeit als Depiladora, was ebenfalls eng an vorherige Arbeitserfahrungen geknüpft ist. Eine idealtypische Unterscheidung der Selbständigkeit in Mittel einerseits und Ziel andererseits gestaltet sich in der Praxis daher schwierig. Doch sowohl in der ersten als auch der zweiten Generation beruht die Entscheidung für die Selbständigkeit nicht allein auf den Erfahrungen mit eigenverantwortlichen Tätigkeiten und dem damit gewachsenen Selbstvertrauen. Zum einen basiert der Schritt in die Selbständigkeit auch auf den beschränkten Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Zum anderen war auch die sich immer mehr herauskristallisierende

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Erfolgsgeschichte der angebotenen Dienstleistung Waxing auf dem Markt mitentscheidend. Darüber hinaus ist die Entscheidung für die Selbständigkeit auch mit der Einbettung der Frauen in soziale Gefüge und daran gekoppelte Zugänge zu spezifischen Ressourcen verbunden. Hierbei spielten auch andere Menschen eine entscheidende Rolle, die motivierten und Rückhalte boten. All diese Aspekte möchte ich im Folgenden näher betrachten.

5.2 S ELBSTÄNDIG WERDEN 5.2.1 Abwägungen, Rückhalte und Ressourcen Die Entscheidung, ein eigenes Studio zu eröffnen, war bei vielen Frauen, egal ob erste oder zweite Generation, keine kausale, die sich über die hier skizzierten unterschiedlichen Einflussfaktoren und Motivationen selbstverständlich ergeben hätte. Entscheidend für den Schritt in die gewerbliche Selbständigkeit waren das Zuraten und die emotionale Unterstützung Dritter. Diese fanden sich sowohl innerhalb der Familie wie auch unter Freunden oder Bekannten. Einen wesentlichen Unterschied für die Entscheidungsfindung bildete der Umstand, ob die Frauen verheiratet oder alleinstehend waren. Die ersten Schritte hin zum eigenen Studio und zur Selbständigkeit werden daher insbesondere mit Bezug auf diesen Unterschied betrachtet. In Martas* Erzählung, die ich zu Beginn dieses Kapitels vorgestellt hatte, wurde deutlich, dass sie zunächst unsicher war, ob sie einer gewerblichen Selbständigkeit überhaupt gewachsen sei. Sie wiederholte mehrmals, nie geglaubt zu haben, dass dieses Unternehmen gut gehen würde. Solche Unsicherheiten deuteten die meisten Interviewpartnerinnen auf meine Frage an, warum sie sich selbständig gemacht hätten. Für die erste Generation war diese Unsicherheit einerseits auf Waxing als Dienstleistungspraktik generell zurückzuführen: Es handelte sich in Geschäftsidee und Dienstleistung um eine neue Branche, die auf keinerlei in Deutschland angesiedelte Vorbilder zurückgreifen konnte und deren Erfolgsaussichten unbestimmt waren. Der unterstellte Wahnwitz, mit Depilation Geld zu verdienen, äußerte sich im nacherzählten Lachen und imitierten Kommentar von Martas* Schwiegermutter: „Wer ist schon so verrückt und würde dafür bezahlen, dass Marta* ihm die Haare ausreißt?“ Noch allgemeiner jedoch zeigten die meisten Antworten, dass die wenigsten Frauen nach ihrer Migration nach Deutschland überhaupt damit gerechnet hatten, sich hier einmal selbständig zu machen. Dies galt selbst für Frauen wie Tereza, Silvana R. oder Malina*, die in Brasilien vor ihrer Migration bereits ein eigenes Geschäft geführt hatten. Was die Frauen letztendlich dazu bewog, sich trotzdem auf dieses zunächst als für sie unmöglich wahrgenommene Unterfangen einzulassen, war ein beständiges

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Zureden, Motivieren und Anstacheln von dritter Seite. Marta* hob, wie oben gesehen, den besonderen Stellenwert ihres Ehemannes in ihrer „Geschichte mit dem Wachs“ hervor. Dessen unermüdlichem Zureden und Drängen habe sie dies alles zu verdanken. Auch Tereza, die im Jahr 2008 Queen of Waxing ins Leben rief, sagte mir, dass es vor allem ihr Ehemann gewesen war, der sie emotional unterstützte, sie dazu motivierte, an sich selbst zu glauben und ihr Erfolg verhieß: „Ich wollte hier nie SELBSTÄNDIG sein. In Brasilien war ich das schon mal, aber ich dachte nie, dass ich dass ich hier einmal SELBSTÄNDIG sein würde. Aber es war mein deutscher Mann, der gesagt hat: ‚Mach, mach, ich glaube an dich, du warst es schon mal und bekommst das wieder hin. Du schaffst das.‘ Ich dachte, dass es in einem anderen Land viel schwerer sein würde SELBSTÄNDIG zu sein. Aber mein Mann gab mir viel Kraft, so war das.- Wenn ich die Unterstützung von meinem Mann nicht bekommen hätte, hätte ich es nicht geschafft.“ (Tereza, 05.10.2010, Ü.: ML)

Wie Marta* verwies Tereza darauf, dass sie den Schritt hin zum eigenen Studio ohne diese Unterstützung – die in einer ersten Instanz eine emotionale war – nie wirklich gewagt hätte. Die Motivation von dritter Seite ist bei fast allen Frauen ausschlaggebend dafür gewesen, sich tatsächlich für die Eröffnung eines eigenen Studios zu entscheiden. Kontos spricht in diesem Zusammenhang von einem/einer sogenannten „bedeutsamen Anderen“ (significant other, Kontos 2003a: 197), der/die im Fall vieler Studioleiterinnen nicht unbedingt (nur) der Ehemann war. Stattdessen konnte es sich um ganz unterschiedliche Bezugspersonen handeln. In vielen Fällen waren es Personen, die eng mit der (neuen) Tätigkeit der Frauen verbunden waren, in der Regel aus dem Kundinnenkreis kamen oder die Ausbildung der Frauen begleitet hatten. So erzählten mir etwa Angelica und Ana*, dass die Stammkundinnen ihrer informellen privaten Haus-Behandlungen sie dazu motivierten, sich doch aufgrund ihres Könnens mit einem eigenen Studio selbständig zu machen. Angelica erinnert sich, dass es vor allem diese Kundinnen waren, die nach der Studioeröffnung sogar für sie Werbung machten, indem sie neben Mundpropaganda beispielsweise Flyer in ihrem Hauseingang verteilten. Auch Frances-Clai verwies auf eine Kundin, mit der sich über die Zeit eine Freundschaft entwickelt hatte, und die sie zur Selbständigkeit überredete. Doch im Gegensatz zu den Frauen, die wie Marta*, Tereza, Angelica, Augusta, Cleide oder Leni in festen Beziehungen standen, waren Frances-Clai wie auch Silvana H., Mariana, Silvana R., Dalva oder Carminha zu jenem Zeitpunkt alleinstehend. Die Frauen, die hingegen in einer festen Beziehung standen, betonten fast alle, dass sie nicht nur von ihren Freunden bzw. Ehemännern zur Selbständigkeit motiviert oder gar aufgefordert worden waren, sondern dass sie von ihnen seitdem (wie oftmals schon in Bezug auf ihre vorherigen Arbeitserfahrungen) emotionalen

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Rückhalt erfuhren. Als ebenso wichtig stellte sich auch heraus, dass diese Einbettung in eine feste Beziehung oder ein familiäres Gefüge die Art von und den Zugang zu Ressourcen für die Etablierung und Leitung der Studios wesentlich mitgestaltete. Darum unterscheide ich zwischen diesen beiden Umständen, die sich über beide Generationen hinweg beobachten lassen.3 Diese Ressourcen waren zunächst finanzielle Unterstützungen: In der Regel wurde den Frauen, vor allem der ersten Generation, von ihren Banken kein Kredit als Startkapital gewährt, einigen ihrer Männer jedoch schon. Dies lässt sich einerseits ganz allgemein als ein vergeschlechtlichtes strukturelles Problem erklären, das auch Frauen der Mehrheitsgesellschaft betrifft: Greer/Greene (2003) verweisen darauf, dass generell bei Frauen beispielsweise aufgrund des allgemeinen Lohngefälles weniger finanzielle Rücklagen sowie weniger für die Bank relevante Sicherheiten (wie Besitz oder Eigentum) vermutet werden.4 Diese strukturelle Benachteiligung teilen Frauen der Mehrheitsgesellschaft allgemein mit Migrant/innen. Doch spielen neben einem fehlenden Eigenkapital und der damit zusammenhängenden geschlechtsspezifischen Ausschlussdynamik in der Regel weitere Faktoren eine Rolle. Hierzu gehören die Kategorisierung als ‚Ausländerin‘ und die Unbekanntheit der Branche. Leni meinte hierzu: „Das war nicht so einfach wie man denkt. Allein hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft, als Ausländer keine Chance! [Nein?]. .. Mhm, nee, wenn man zur Bank geht und nach einem Kredit fragt- Wenn du kein Geld hast, kannst du es vergessen. Ohne meinen Mann hätte ich es wirklich nicht geschafft. Als Ausländerin ohne Geld? Keine einzige Bank hat mir einen Kredit gegeben: Commerzbank, Berliner Bank und ich weiß nicht was. Alle Banken wo ich da war, mit dem tollen Business-Plan, den ich hatte…“ (Leni, 19.09.2011)

Dass die Schwierigkeiten vor allem darauf beruhten, dass die Frauen ‚Ausländer‘ seien, betonte Frances-Clai, die 2012 ein zweites Waxing Studio eröffnen wollte, nachdem ihr Kosmetikstudio über drei Jahre hinweg erfolgreich lief. Sie meinte, ihr Sachbearbeiter hätte sie nicht einmal nach ihrer finanziellen Lage befragt. Vielmehr habe sie „das System“ gleich nach Angabe ihrer Nationalität „ausgespuckt“, das heißt sie bereits aufgrund ihrer Nationalität nicht für kreditwürdig befunden. Sie

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Auffällig war diesbezüglich, dass alleinstehende Frauen in der Regel bereits von einem deutschen Partner (wegen dem sie entweder nach Deutschland gekommen oder in Deutschland geblieben waren) geschieden waren sowie einige der verheirateten Frauen in zweiter Ehe mit einem Deutschen lebten.

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Andererseits stellte Mushaben (2006) fest, dass Frauen mittlerweile vermehrt Kredite genehmigt werden, da sie als weniger risikohaft, dafür vertrauenswürdiger eingeschätzt würden.

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sprach den Sachbearbeiter direkt darauf an, worauf dieser sich peinlich berührt darum bemühte, nach Möglichkeiten für eine Kreditvergabe zu suchen. Bei anderen Frauen halfen Familienangehörige des Mannes. Bei Marta* war es beispielsweise die Schwiegermutter, die das im Vergleich zu anderen Gewerbebranchen relativ geringe Startkapital zur Verfügung stellte. Dies, so erzählte Marta* weiter, war jedoch nicht die einzige Hilfeleistung, auf die sie in den ersten Monaten angewiesen war. Maler- und Renovierungsarbeiten, Transportfahrten oder logistische Beiträge konnten nicht von ihr allein bewältigt werden. Zudem hatte sie keine ausreichenden finanziellen Mittel, um damit Dritte zu beauftragen. Unterstützung erhielt sie in erster Linie über das (deutsche) Netzwerk ihres Ehemannes, insbesondere was die Einrichtung und Gestaltung des Studios, das Werbematerial und auch die Administration betraf. In einigen Fällen war es die Neuheit und Merkwürdigkeit des Zweiges, die die Freunde ihres Mannes neugierig machten. Auch deshalb erklärten sie sich zur Mithilfe bereit. Ebenso wurde vor allem in der ersten Phase die Betriebsverwaltung, also Abrechnungen und behördliche Angelegenheiten, oftmals von den Ehemännern selbst oder Professionellen des näheren Bekanntenkreises übernommen. Fast alle Studios starteten zudem als ‚Ein-Frau-Unternehmen‘, weshalb neben der Studioleitung (was die Buchführung, terminliche Koordination, den Einkauf der Materialien, die Unterhaltung der Web-Präsenzen, die Erstellung und Reproduktion der Werbematerialien und Abrechnungen umfasst), der Arbeit mit den Kund/innen und der Bereitstellung/Anfertigung des Wachses auch die tagtäglichen sorgfältigen Reinigungsarbeiten auf den Schultern der Frauen lasteten. Und so war es für mich keine ungewöhnliche Situation, Freunde bzw. Ehemänner der Frauen zu den ‚Rush‘-Zeiten am Empfangstresen oder nach Schließung der Studios zusammen mit ihren Frauen beim Aufräumen und Saubermachen anzutreffen. In den letzten Jahren hat die Forschung zunehmend die soziale Einbettung von vor allem Kleinunternehmer/innen fokussiert. Die soziale Einbettung dient als Erklärungsmodell für die Etablierung und den Erfolg von Kleinunternehmen, gerade wenn die Entscheidung zur gewerblichen Selbständigkeit einen „Ausweg aus der Not“ (Bögenhold 1987) darstellte. Die Autor/innen Alejandro Portes und Julia Sensenbrenner betonen zudem (in Anlehnung an Mark S. Granovetter) die Bedeutung sozialen Kapitals, gerade wenn es um migrantische Unternehmer/innen geht (Portes/Sensenbrenner 1993). Soziales Kapital ist den Autoren zufolge eine Ressource, die zwar individuell verfügbar ist, sich aber ausschließlich aus sozialen Beziehungen zu anderen ergibt und nur in diesen akkumuliert werden kann (vgl. hierfür auch Pütz 2003). Bei Migranten, so Ivan Light und Steve Gold (2000), würde dieses vor der Migration angehäufte soziale wie kulturelle und humane Kapital mit der Migration oftmals be- oder sogar abgeschnitten, bzw. eine veränderte – oftmals geminderte – Bedeutung im neuen (mehrheits-)gesellschaftlichen Umfeld erhalten. Aus diesem Grund konzentrierten sich Autor/innen zum ethnic business auf die Einbettung der Unternehmer in die Migrant/innengemeinschaft. Das dort (neu) ak-

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kumulierte soziale Kapital verstehen Ivan Light und andere als „ethnische Ressourcen“, die auch die fehlenden Klassenressourcen von Migranten ausgleichen würden (vgl. Light/Bonacich 1988; Light/Rosentein 1995; Light/Gold 2000). „Ethnische Ressourcen“ seien Netzwerke (intra-) ethnischer Solidaritäts- und Familienbündnisse, die aufgrund derselben ethnischen Zugehörigkeit und damit gemeinsamer „Mentalität“ von einem gegenseitigen Vertrauen geprägt seien und so konkrete materielle Auswirkungen haben würden.5 Hierzu zählen die Autoren beispielsweise auf informellen Absprachen beruhende Kreditvergaben, vergünstigte Materialkosten und billigere Arbeitskraft. „Ethnische Ressourcen“ würden über diese materiellen Implikationen fehlende Klassenressourcen (und die darin gebundenen Kapitale – human, symbolisch, kulturell –, die für eine Unternehmerschaft wichtig seien und eigentlich dem Bürgertum bzw. dem besseren Mittelstand zugeschrieben werden, denen Migrant/innen aufgrund ihrer Benachteiligungen in den Möglichkeitsstrukturen zunächst, so die Autoren, nicht angehören) substituieren (Light/Gold 2000). Ähnlich wie für Migranten stellt auch die Forschung zur Unternehmerschaft von Frauen heraus, dass diese generell kaum über Klassenressourcen verfügen: Im Allgemeinen würden Frauen bis heute, unabhängig des jeweiligen nationalen Kontextes, beispielsweise weniger an Bildung teilhaben, könnten keine kontinuierliche Arbeitserfahrung vorweisen und besäßen deshalb oftmals weniger Zugang zu wichtigen Netzwerkagenten. Gründe dafür seien ihre geschlechterspezifischen Sozialisierung und die damit zusammenhängenden Verantwortlichkeiten im Pflege- und Haushaltssektor (vgl. Kontos 2008a sowie Kapitel 2). Brächte man diese Ansätze miteinander in Verbindung, so wären Migrantinnen folglich in ihrem Zugang zu Ressourcen doppelt benachteiligt: einerseits durch ihrer geschlechtsspezifische Sozialisierung, andererseits durch die migrationsbedingte Beschneidung ihres bisher akkumulierten sozialen Kapitals. Allerdings lässt sich an dieser Stelle schwer eine einfache Überblendung dieser zwei Forschungsfelder (unternehmerische Selbständigkeit von Migranten und die von Frauen der Mehrheitsgesellschaft) anstellen, um Unternehmerschaft von Migrantinnen erklären zu können. Wie oben gezeigt, waren Unterstützer/innennetzwerke, über die konkrete Ressourcen zugänglich wurden, nicht in eine ‚ethnische‘ Gemeinschaft eingebettet, wie

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Insgesamt betrachte ich das bei Ivan Light offenbarte Verständnis von „ethnischen Ressourcen“ sehr kritisch, da dieses einen homogenen, essentialisierenden Grundtenor aufweist: „Ethnic resources include an ethnic culture, structural and relational embeddedness, social capital, and multiplex social networks that connect the entire group. Ethnic resources characterize a whole group“ (Light/Rosenstein 1995: 171). Auch zählen die Autoren „ethnische Talente“ hierzu. Viele der auf „ethnische Ressourcen“ fokussierten Studien beziehen sich zudem teils auf das Weberianische Modell von einer kulturellen Neigung bestimmter Gruppen zur Selbständigkeit (vgl. Weber 1972 [1921/1922]).

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es ethnic business-Ansätze (häufig immer noch unter der Perspektive einer ‚ethnischen Brille‘) konstatieren. Vielmehr zeigt sich die Bedeutung der familiären Einbettung, denn Ressourcen und Rückhalte waren bei verheirateten Studioleiterinnen in erster Linie über den (deutschen) Ehemann gegeben. Die Bedeutung des Ehemannes stellten auch andere Untersuchungen zu migrantischen Unternehmerinnen fest (vgl. Anthias/Mehta 2008; Morokvasic 1991). So konstatierte Mirjana Morokvasic bereits 1991, dass Migrantinnen in ‚intraethnischen‘ Familienbeziehungen kaum ‚ethnische‘ Netzwerkressourcen aufweisen könnten und daher vor allem auf jene des Mannes zurückgreifen müssten. Ihre Selbständigkeitsprojekte wären deshalb oftmals innerhalb eines breiter angelegten Familienentwurfes eingebettet. Zu bemerken ist, dass diese vor allem in Bezug auf Familiengefüge, die nach einer patriarchalen Geschlechternormative organisiert sind, zu finden seien. Der fehlende Zugang zu ‚ethnischen‘ Ressourcen wurde darum oftmals als Ergebnis der relativen Abschottung der Frauen, deren Ehemann die Verbindung nach außen darstelle, verstanden. In diesem Sinne wurde die migrantische Unternehmerschaft auch als Familienstrategie gelesen, um Frauen vom mehrheitsgesellschaftlichen Arbeitsmarkt fernzuhalten. Diese Ansätze müssen trotz vieler innovativer Beiträge heute jedoch kritisch gelesen werden. Hillmann etwa stellte fest, dass einige ‚türkische‘ Unternehmerinnen die Selbständigkeit vielmehr als Ausbruch aus diversen (familiären) Abhängigkeitsstrukturen nutzten und sich daher auch bewusst von ‚ethnischen‘ Ressourcen abgrenzten. Insgesamt lassen sich all diese Ansätze aber schwer auf die Spezifik der Waxing-Studioleiterinnen übertragen. Denn wie oben herausgestellt, ist die soziale Einbettung keine ethnische. Vielmehr gehören die ‚bedeutsamen Anderen‘ und die sich oftmals über sie konstituierenden Unterstützer/innen-Netzwerke der Mehrheitsgesellschaft an. An dieser Stelle muss einmal mehr auf die Besonderheit der brasilianischen Migration in Deutschland verwiesen werden (Kapitel 4). Dies betrifft sowohl die häufige Konstellation binationaler Partnerschaften bei den meisten der Interviewpartnerinnen (egal ob bereits geschieden oder intakt). Außerdem gilt dies auch bezüglich der Spezifik der ‚brasilianischen Szene‘ generell. Gerade diese ist nur schwer mit dem Konzept einer Gemeinschaft zu assoziieren (vgl. Lidola 2009; was auch für andere brasilianische Migrationskontexte konstatiert wird, wie bei Margolis 1994). Auch aufgrund der Einbettung in ein vorrangig deutsches Familiengefüge ist der Kontakt in die ‚brasilianische Szene‘ eingeschränkt und eher sporadischer Natur. Meist beschränkte er sich auf Entertainment und einige ausgesuchte Freunde. Kaum eine der Frauen gab an, dass in ihrem Alltagsleben ein enger Austausch mit einem brasilianischen Umfeld stattfinde.6 Für das hier untersuchte

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Diese Problematik, die hierbei u.a. auch aufgrund der klassenspezifischen Zuweisungen und Abgrenzungen vorgenommen werden, habe ich in Kapitel 4 angedeutet.

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Beispiel der brasilianischen Unternehmerinnen erklärt sich der Rückgriff auf die Netzwerke des Ehemannes daher in erster Linie über die folgenden bisher herausgearbeiteten, ineinander verflochtenen Faktoren: -

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über den eigenen biographischen Verlauf (gerade wenn die Migration im Kontext von Liebesbeziehungen erfolgte und zuvor keine anderen persönlichen Netzwerke zum Migrationsort bestanden); vor dem Hintergrund der wirkmächtigen Migrations- und Arbeitsmarktregime (wozu auch die Abqualifizierung vorheriger möglicher Kapitalformen zählt, z.B. die Nicht-Anerkennung von Ausbildungen und Berufserfahrungen sowie die marginale Positionierung im mehrheitsgesellschaftlichen Arbeitsmarkt, die zu einer ‚gefühlten‘ Inkompetenz für andere Bereiche führte, siehe oben); über die Ausprägung sowie die (vermiedenen) Kontakte zu der brasilianischen Migrationsgruppe, die zudem noch nicht lange existiert (damit zusammen hängt auch das Fehlen von Institutionen, an die sich Brasilianerinnen hätten wenden könnten, um Unterstützung zu erhalten).7

Über die Bedeutung des Partners in Bezug auf Motivationen und die über ihn eröffneten Zugänge zu Ressourcen hinaus lässt sich auch eine indirekte Absicherung ausmachen. Sie waren besonders in den schwierigen Monaten der Anfangsphase der Studios von erheblicher Relevanz, wie u.a. Leni andeutete: „Ich hatte zum Glück meinen Mann, er war meine rechte Hand. Bis jetzt. Ohne ihn hätte ich es wirklich nicht geschafft. Denn stell dir einmal vor: Du machst ein Geschäft auf und dein Konto ist im Minus. Aber du hast nicht nur deine Miete, die du für das Studio bezahlen musst, du musst auch deine Wohnung bezahlen, du musst deinen Lebensunterhalt bezahlen! Und da dachte ich mir: ‚Oh!‘. Ein Glück hat mein Mann zu Hause am Anfang alles bezahlt. Er hat hier alles mitgemacht, er hat mich von vorne an unterstützt und bis jetzt ist er.- Ich mache jetzt vieles allein, aber wenn ich ihn brauche, ist er da.“ (Leni, 19.09.2011)

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Institutionen, die Migrantinnen beim Schritt in die Unternehmerschaft unterstützen, gibt es mittlerweile zahlreiche. Eine ist die Initiative Selbständiger Immigrantinnen e.V. (ISI). Jedoch wurden diese Institutionen, wenn überhaupt bekannt, mit anderen Migrationsgruppen wie etwa der türkischen identifiziert (auch wenn die ISI übergreifend ist und sich auch lateinamerikanische Frauen im Vorstand des Vereins befinden) und von vornherein nicht in Betracht gezogen – oftmals eben auch, weil die Unterstützung seitens des Mannes bereits vorhanden war.

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Neben der Entlastung, in den ersten schwierigen Monaten nichts zum gemeinsamen Haushalt beisteuern zu müssen, zeigte das Zitat, wie sehr allein das Wissen um die Hilfe des Partners eine zusätzliche indirekte Absicherung darstellte. Andere verheiratete Frauen konnten weniger auf ein etwaiges finanzielles Abfangen durch den Partner hoffen. Nicht zuletzt war der Schritt in die gewerbliche Selbständigkeit – auch wenn von den Frauen vollzogen – in einigen Fällen eben auch eine Familienstrategie zur notwendigen finanziellen Absicherung des gemeinsamen Haushaltes. So war es bei Marta*, aber auch bei Neide* oder Malina* gewesen. Daher standen diese Frauen trotz der emotionalen Unterstützung durchaus unter unmittelbarem Erfolgsdruck: Sie mussten sich vorsehen, nicht die Familie mit Schulden zu belasten, welche über das geliehene Startkapital hinausreichten. Entsprechend zeigte sich die Präsenz der Ehemänner in den Studios hier oftmals deutlicher, um ihre Frauen bei einigen Arbeiten zu unterstützen (z.B. an der Rezeption, bei Reinigungsarbeiten oder in der Abrechnung). Zu spekulieren bleibt, ob einige die Frauen in ihrer Arbeit so auch überprüfen wollten. * Im Gegensatz dazu mussten sich geschiedene Frauen andere Netzwerke suchen. Wichtig wurden hier vor allem Freund/innen, die oftmals eben nicht nur emotional zu Seiten standen, sondern auch Zugang zu deren Ressourcen einbrachten. Diese konnten finanzieller (z.B. bei Dalva) oder logistischer Art sein (wie im Falle von Silvana H.), in Form konkreter Arbeitskraft (wie im Falle von Carminha) bzw. auch den Zugang zu anderen Netzwerken eröffnen (wie im Falle von Frances-Clais erster Studioeröffnung, wo es der Ehemann der Bekannten und dessen Netzwerke waren, die wesentlich den Aufbau des Studios unterstützten). Es zeigte sich auch, dass diese sich wie im Falle von Carminha, Frances-Clai, Dalva, oder Mariana zunächst mit einer anderen, oftmals verheirateten Bekannten zusammentaten. Das aber glückte, bis auf Marianas Beispiel, in der Regel nicht. Die Geschäftspartnerinnen trennten sich meist einige Monate nach der Studioeröffnung voneinander und jede baute ihr eigenes Studio auf. Weiterhin konnten einige Frauen auch auf brasilianische Bekannte und Freunde zurückgreifen, die sie bei Maler-, Renovierungs- oder Graphikdesign-Arbeiten unterstützten. Auffällig war, dass vor allem Frauen der ersten Generation unverheiratet bzw. geschieden waren. Die Entwicklungen hin zu einer vermehrten (finanziellen) Unterstützung durch die Ehemänner insbesondere bei Frauen der zweiten Generation beobachteten diese Frauen der ersten Generation aufmerksam. Zu ihnen gehört Frances-Clai. Sie sprach diesen Umstand auch ganz deutlich an: „Heute gibt es viele Studios, wo die Frauen meistens in einem anderen Studio gelernt haben und dann gesagt haben: ‚Oh, das bringt soviel Geld!‘ Sie sehen nur was rein kommt, aber

196 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT nicht das Geld, was raus muss. Sie denken, dass das Studio eine Goldmine ist. Natürlich: Der deutsche Mann ist da, ne, und sein Geld ist da. Sie erhalten alle Unterstützung. In Berlin ist es in vielen Studios so. Natürlich, wenn ich das hätte- .. Aber ich muss dir wirklich sagen, Maria: Ich bin stolz auf mich. Stolz. -Weil alles was ich bis jetzt gehabt habe, was ich bekommen habe, es ist alles hier, [klopft auf ihre Schultern] meinen eigenen Schultern zu verdanken. Alles alleine. Alles. Ich habe keinen Mann, der sagt: ‚Ach, mach dir keine Sorgen, hier ist das Geld!‘ Und natürlich, in vielen Studios, weißt du, sind es Brasilianerinnen, die einen deutschen Mann haben, und die haben diese Unterstützung: ‚Hier ist das Geld!‘ Das kenne ich nicht, das kenne ich seit 1998 nicht. Bei allem was ich bisher geschafft habe, stand kein Mann hinter mir. Es ist einfach! Hallo?: ‚Pass mal auf: Willst du ein Studio haben, dann suchen wir einen Platz, wir machen das, du musst kein Geld zurückzahlen.‘ Aber ich musste alles selbst bezahlen. Diese Unterstützung hatte ich nicht.“ (Frances-Clai, 26.09.2012)

Frances-Clai hatte, wie andere auch, anfangs nicht vorgehabt, sich selbständig zu machen. Eine Freundin, die zugleich eine feste Kundin für ihre privat angebotenen Waxing-Behandlungen war, überredete sie dazu, zusammen mit ihr ein Kosmetikstudio zu eröffnen. Das geschah im Jahr 2000. Frances-Clai war zu jener Zeit geschieden, arbeitslos und alleinerziehend. Frances sollte mit ihrem Know-how, ihre Freundin mit dem nötigen Geld (ihres Ehemannes) einsteigen. Die Unternehmung lief gut und Frances hatte bald darauf den Anteil der Freundin aufgekauft, die sich in Elternzeit und später als Hausfrau zurückzog. Aus familiären Gründen musste sie nach ein paar Jahren das Studio jedoch aufgeben und bot ihre Dienste nun als eingetragene Gewerbetreibende wieder privat an. Später entschied sie sich zur Arbeit auf freelance-Basis in einem anderen Kosmetikstudio. Aufgrund der ihr widerfahrenen professionellen Anerkennung, die als Feedback der Kundinnen auch an die Chefin getragen wurde, fragte sie ihre Chefin an, sie auf Teilzeit- und später auf Vollzeit-Basis einzustellen. „Und plötzlich war ich nicht mehr selbständig, ich war nun Mitarbeiterin. Das war nicht mehr wie früher, als ich selbständig war. Es war schwer, von der selbständigen Arbeit hin zur Mitarbeiterin, denn ich war davor immer selbständig“. Ein Angebot, nach der Vergrößerung des Studios leitende Funktionen zu übernehmen, lehnte Frances-Clai vier Jahre später ab. Sie fühlte sich in ihrer beruflichen und finanziellen Entwicklung eingeschränkt und arbeitete bereits wieder an eigenen Plänen für ein Kosmetikstudio. Ihre Chefin, so erzählte mir Frances-Clai, habe einmal darauf verwiesen, dass sie als alleinerziehende Mutter eine besondere Verantwortung trage. Frances-Clai entgegnete, dass sie dennoch lieber das Risiko der Selbständigkeit in Kauf nehme. Die Zeit als Angestellte sah sie bei unserem Interview rückblickend als eine Ausbildungszeit – nicht auf ihrem Gebiet der Kosmetik, sondern auf dem Gebiet der Geschäftsführung. Im Vergleich zu dieser Festanstellung und der damit verbundenen Arbeitszeit- und Lohnzuweisungen verstand Frances ihre vorherigen entgeltlichen Tätigkeiten hingegen als Formen der Selbständigkeit. Denn die in eigener

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Regie betriebenen Planungen und die damit verbundene relative Unabhängigkeit bedeuteten für sie Eigenverantwortlichkeit. Ihre Feststellung, wie schwer es sei von der Selbständigkeit hin zum Mitarbeiter/in-Status zu wechseln, zeigt zudem auch eine Gewöhnung an diese (neu- bzw. wieder-) gewonnenen Freiheiten. So hatte bei Frances der Begriff der Selbständigkeit über die besondere Form der Teilhabe am Arbeitsmarkt hinaus noch eine erweiterte Bedeutung. Nach den vielfältigen Abhängigkeitsformen, die sie im Gegensatz zu ihren Erfahrungen in Brasilien nach der Eheschließung in Deutschland erfuhr (vgl. Kapitel 4), waren es zunächst ihre diversen Geld-einbringenden Tätigkeiten, wie private Kosmetikbehandlungen oder der Verkauf brasilianischer Teigtaschen, die sie ins soziale Leben zurückholten und einen Gegenpol zu den anderen alltäglichen Abhängigkeiten nach ihrer Migration boten. Ihre daran anschließende erste eigene Studioleitung nach der Trennung von ihrem Mann befreite sie aus ihrer „Passivität“, wie sie es nannte. Gemeint war damit, Sozialhilfe zu empfangen und ausschließlich in ihrer Rolle als alleinerziehende Mutter gefangen zu sein. Gemeinsam mit der Freundin ein eigenes Studio zu eröffnen, war daher nicht nur ein Schritt aus der Not heraus. Not soll hierbei im Sinne Bögenholds verstanden werden, nämlich einerseits auf die Notwendigkeit der „Güterversorgung“ und der „äußeren Lebensstellung“, andererseits auf das „innere Lebensschicksal“ bezogen, und damit eng verwoben mit der sozialen Identität/Position. (Beides ist im weitesten Sinne mit dem Fehlen einer beruflichen Alternative verbunden, Bögenhold 1987: 27). Es bedeutete auch einen Schritt zur Selbstverwirklichung. So erlebte Frances in Bezug auf ihre Arbeitsperformanz, ihre Gestaltung der Behandlung und der damit zusammenhängenden Qualität des Dienstes breite Anerkennung von den Kundinnen. Ihr über zehn Jahre später gefasster Entschluss, sich wieder mit einem eigenen Studio selbständig zu machen, war noch stärker als beim ersten Mal durch die Motivation zur Selbstverwirklichung geprägt. Sie wagte dies, obwohl auch weiterhin die finanzielle Notwendigkeit bestand, den Unterhalt für sich und den Sohn zu verdienen. Auch dieses Mal bekam sie Unterstützung einer Freundin. Allerdings war diese diesmal weniger materieller, als vielmehr emotionaler Art. Die Selbständigkeit war nun nicht mehr lediglich ein Ausweg aus der Not und ein Mittel zur Selbstverwirklichung, wie noch bei der Eröffnung ihres ersten Kosmetikstudios im Jahr 2000. Sie wurde auch zum eigentlichen Ziel, da die damit einhergehenden möglichen Eigenständigkeiten mehr Handlungsermächtigungen und soziale Anerkennung versprachen. Dieser Aspekt findet sich auch bei Silvana H. wieder, die ihr Studio wie Frances-Clai unabhängig von der Unterstützung eines Ehemannes eröffnete. Einige Zeit nach der Trennung von ihrem Mann entschied sie sich für dieses Vorhaben: „Ich hatte vor, irgendetwas für mich zu machen, also selbständig zu sein. Und da ich meine Ausbildung [als Kosmetikerin] hier gemacht hatte, dachte ich, warum mache ich nichts in

198 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT dieser Branche. Und meine Lehrerin sagte mir: ‚Du bist die Beste hier, mache etwas in dieser Sache.‘ Sie hat mir Mut gemacht.“

Ein paar Sequenzen später fügte sie dem hinzu: „Ich arbeite gern selbstständig, weil ich viele Ideen habe. Ich bin nicht der Mensch, der.- Ich möchte Entscheidungen treffen, Ideen haben, entscheiden. Nicht im Büro, das wäre gar nichts. Ich bin sehr flexibel, mache viel. Als Angestellte wäre es für mich zu langweilig.“ (Interview vom 08.10.2011)

Ebenso wie Frances wurde Silvana H. von einer Außenstehenden motiviert, ihr Können für ein eigenes Projekt zu nutzen, in diesem Fall von ihrer Ausbilderin. Wie oben gezeigt, sah sie im Kosmetikbereich eine Möglichkeit der Profilierung und, wie in den letzten Zitaten deutlich wird, in der Selbständigkeit einen Weg zur Umsetzung der eigenen Ideen. Aber auch der spezifische Moment im Lebensverlauf wird einmal mehr deutlich: Silvana H. war alleinerziehende Mutter dreier Kinder und hatte eine Festanstellung als Bürokraft. Davon verdrossen und von dem Wusch angetrieben, nach ihrer Scheidung „etwas eigenes zu machen“, entschied sie sich wie Frances-Clai trotzdem für das Risiko eines eigenen Studios – wohlgemerkt zählte sie zu den ersten, die ein Waxing Studio in Deutschland eröffneten. Anders als Frances konnte sie jedoch nicht auf eine bereits etablierte Stammkundschaft hoffen, sondern musste bei null anfangen. In den ersten Monaten behielt sie daher ihre Anstellung als Bürokraft und baute auf Grundlage ihres Ersparten und der Hilfe von deutschen wie brasilianischen Freunden nach Feierabend das Studio zusammen mit einer Bekannten auf, von der sie sich geschäftlich aber ebenfalls nach kurzer Zeit trennte. Zudem erhielt sie professionelle Unterstützung von einer Freundin, Andréa, die als Depiladora und Ausbilderin mehrere Länder bereist hatte. Nachdem das Geschäft nach knapp drei Monate währenden Startschwierigkeiten zu laufen begann, kündigte Silvana H. ihre Anstellung und widmete sich ganz dem Studio. Mittlerweile unterhält sie zwei Franchise-Studios in Berlin, eines in Karlsruhe und eines in Nürnberg. Emotionalen Rückhalt oder gar finanzielle Absicherung, wie verheiratete Studioleiterinnen es von ihren Ehemännern erfuhren, fanden geschiedene Frauen wie Silvana H., Frances-Clai, Dalva oder Carminha also oftmals bei Freund/innen. Dies war jedoch begrenzt, weil die Freund/innen oftmals in eigenen Familien und Familienhaushalten eingebunden waren. Wie die Beispiele von Frances-Clai und Silvana H. zeigen, suchten viele Frauen daher parallel nach anderen Wegen: Anfängliche Geschäftspartnerschaften waren hierbei eine Lösung, um sich erst einmal in der Branche zu etablieren. Geschäftspartnerinnen waren wohlgemerkt nicht unbedingt Brasilianerinnen, kamen also nicht notwendigerweise aus der ‚ethnischen Gemeinschaft‘ alias aus dem brasilianischen Umfeld. Zudem gab beispielsweise Silvana

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mit der Eröffnung ihres eigenen Studios ihre Anstellung nicht gleich auf, sondern versuchte über ihre abhängige Arbeit die finanzielle Belastung der schwierigen Anfangsphase darüber auszugleichen. Frances-Clai hatte bereits vor der Eröffnung ihres eigenen Studios aufgrund ihrer privaten Haus-zu-Haus-Behandlungen eine Stammkundschaft aufgebaut. Diese trug dazu bei, die finanzielle Belastung in den ersten Monaten nach der Studioeröffnung abzufedern. Wie in anderen Beispielen kann bei diesen beiden Frauen daher auch nicht von einem konkreten Beginn der gewerblichen Selbständigkeit geredet werden: Bei Silvana H. war es eher ein schrittweiser Übergang von der abhängigen zur unabhängigen Arbeit, bei Frances ein Übergang von der mobilen (informellen) Selbständigkeit hin zu einem (formellen) Festgewerbe. Zusammenfassend müssen Motivation, Ressourcen und Unterstützung aus diesen Gründen über ihre differenzierten Einbettungen und Zugänge je nach familiärem Gefüge unterschieden werden. Die gewerbliche Selbständigkeit bzw. der Weg dorthin ist zudem auch nicht als ein losgelöster Prozess zu verstehen. Stattdessen ist er integriert in andere Arbeitskontexte, was bei unverheirateten Frauen besonders deutlich wurde. Was in den bisherigen Geschichten außerdem anklingt, ist die Bedeutung, die die Studioleiterinnen der Selbständigkeit beimaßen: Diese wurde nicht nur als ‚Ausweg aus der Not‘, sondern auch als ‚Mittel zur Selbstverwirklichung‘ verstanden, die vor dem Hintergrund anderer erlebter Formen von Abhängigkeit (Kapitel 4) einzuordnen sind. Eben diese Gründe überblenden oftmals auch das mit der Selbständigkeit verbundene existenzielle Risiko. Denn eine Anstellung garantierte – auch wenn häufig prekärer Art – zuvor zumindest grundlegende Sicherheiten (angefangen bei einer mehr oder weniger regelmäßig eingehenden Unterhaltssicherung für sich selbst und ihre Kinder bis hin zu bestenfalls Kranken- und Sozialversicherungsleistungen). Der Umgang mit dem Risiko einer gewerblichen Selbständigkeit wird im Folgenden daher noch einmal gesondert betrachtet. 5.2.2 Risikobereitschaft und Stellenwert von Selbständigkeit Risikobereitschaft gehörte, so Erika Holst (2001) kritisch, lange Zeit zu Attributen, die im Sinne einer cartesianischen Logik in erster Linie Männern zugestanden wurde. Sie stünden konträr zum ‚natürlichen Schutzbedürfnis‘ von Frauen, hieß es. Auch in Ansätzen des ethnic business blieb dieses als männlich markiert und wurde darüber hinaus in einigen Ansätzen sogar als eine Art kulturelle Neigung bestimmter Migrationsgruppen gezeichnet. Ich möchte mich im Folgenden entschieden von diesen Ansätzen abgrenzen und stattdessen Gründe für die Bereitschaft der Frauen herausstellen, mit der Selbständigkeit verbundene Risiken einzugehen. Hierbei soll sich meine Analyse weder einer ethnischen Brille verschreiben. Noch soll die Selbständigkeit als eine Art Effekt arbeitsmarktlicher Möglichkeitsstrukturen unter-

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sucht werden, wie strukturalistische Opportunitätsansätze argumentieren. Vielmehr arbeite ich heraus, dass Risikobereitschaft Bestandteil von bewusstem Abwägen der arbeitsmarktlichen Möglichkeiten ist. Darüber hinaus hängt sie aber auch von der sozialen Einbettung und den damit verbundenen Rückhalten ab. Risikobereitschaft ist außerdem in eigene Erfahrungsaufschichtungen (und damit biographisches Wissen) eingebettet, die sich aus Arbeitserfahrungen der Frauen sowie transnationalen Vergleichen zwischen einem Hier und einem Dort zusammensetzen. Das Risiko, so erwähnten viele in ihren Erzählungen, war den Frauen von Anfang an bewusst. Es erhielt aber einen untergeordneten Stellenwert, wie Silvana H. andeutete. „Ein bisschen Risiko ist immer dabei. Aber meine Philosophie ist: Wenn du zu viel nachdenkst, dann machst du es nicht. Denn wenn du zu viel nachdenkst, etwa: ‚Ach, das kann so sein, oder das kann so funktionieren‘, dann machst du es am Ende nicht. Weil ich dann bereits zu viele Risiken sehe. Deshalb handele ich lieber ohne zu viel darüber nachzudenken.“ (Silvana H. 16.08.2011)

Ähnliches konstatierten auch verheiratete Frauen. Dabei reflektierten viele von ihnen jedoch sehr deutlich noch einmal ihre eigene Situation im Vergleich zu den ihnen bekannten Studioleiterinnen, die alleinerziehend waren. So berichtete mir Leni: „Selbständigkeit ist Risiko, das ist nur Risiko. Es ist toll selbständig zu sein, aber ohne mein. Wenn ich allein-, wenn ich alleinerziehende Mutter wäre- - Ich bin gar keine Mutter – oder wenn ich, ähm, erst mal eine Wohnung und viele Sachen zusätzlich bezahlen müsste, was viele tun, ich hätte es mir anders überlegt. Ich glaube, ich hätte lieber einen ganz normalen Job angenommen. .. Obwohl – ich glaube, ich bin dafür zu ehrgeizig. Ich gucke nicht auf die Konsequenzen: ‚Was würde wenn‘ – das kommt für mich nicht in Frage. Ich glaube ich bin sehr mutig, wenn es um Risiko geht. Deswegen habe ich die Entscheidung getroffen: ‚Wir machen es.‘ […] Aber Angst hatte ich natürlich. Denn man hat so viele Hoffnungen. Ich hoffte, das klappt schon, du schaffst das schon, denn man investiert so viel Geld – ohne zu wissen, was wirklich wird.“ (Leni, 11.09.2012)

Was in diesem Ausschnitt besonders deutlich wird, ist einmal mehr die Relevanz des sozialen Gefüges, in dem sich Leni befindet, und das Wissen um die damit verbundenen Vorteile einer verheirateten und kinderlosen Frau. Dies drückt zugleich eine indirekte Bewunderung gegenüber alleinstehenden Frauen wie Frances-Clai aus. Allerdings zeigte Leni sehr klar, dass sie auch bereit sei zu kämpfen, sich also auf den mit ihrer Ehe zusammenhängenden Ressourcen nicht ausruhen würde. Betonen möchte ich an dieser Stelle daher ausdrücklich, dass bei der Entscheidungsfindung zur Selbständigkeit unterschieden werden muss zwischen der gefühlten Unsicherheit auf der einen Seite, die – wie oben gezeigt – hinsichtlich der eige-

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nen Kompetenzen, ein Studio leiten zu können, formuliert wurden. Dieser Unsicherheit begegneten jedoch ‚bedeutsame Andere‘ mit unterstützenden und motivierenden Zusagen. Auf der anderen Seite hatten sie ein, jedoch weniger bedeutsames, Risikobewusstsein, das von allen Frauen relativiert wurde: Sie hofften auf den Erfolg von Waxing als sich etablierende Kosmetikdienstleistung und vertrauten auf das eigene Arbeitsvermögen und Fleiß. In diesem Sinne lässt sich auch in dieser Studie teilweise das von Kontos angedeutete Motiv wiederfinden, demzufolge Frauen nach einer profunden Lebensveränderung in der gewerblichen Selbständigkeit ein ‚Es-sich-Beweisen‘ und ein ‚Etwas-für-sich-Machen‘ suchen (Kontos 2003b). Allerdings war es bei den geschiedenen Frauen bereits mindestens die zweite profunde Lebensveränderung nach ihrer Migration nach Deutschland gewesen. Dieses Mal bedeutete es für viele jedoch ein Ausbrechen aus den bisher erlebten Abhängigkeiten. Doch greift diese Erklärung Kontos, die sich eher auf finanziell abgesicherte Frauen der Mehrheitsgesellschaft bezieht, in diesen Fällen in vielerlei Hinsicht zu kurz: Bei den Studioleiterinnen geht es oftmals zugleich um die Existenzsicherung. Diese muss vor dem Hintergrund der bereits gemachten Erfahrungen mit dem deutschen Arbeitsmarktregime reflektiert werden. Die Frauen relativierten das mit der Selbständigkeit verbundene Risiko insofern folgendermaßen: Der Umstand, schon einmal „ganz unten“ gewesen zu sein, lasse ein etwaiges Scheitern im schlimmsten Fall höchstens als ein Zurück in einen bereits verlassenen Zustand erscheinen. „Also“, so stellte Dalva klar, „warum sollte [man] das dann nicht ein zweites Mal wieder schaffen?“ (Dalva, Interview vom 19.02.2010). Diese Risikobereitschaft muss auch mit Blick auf die transnationalen gesellschaftlichen Einbindungen und Erfahrungsaufschichtungen der Frauen verstanden werden, sowohl vor als auch nach ihrer Migration. Silvana H. stellte in Bezug auf ihre Beobachtungen nach der Migration deutlich fest, dass andere Migrant/innen im urbanen Kleingewerbe Berlins stark vertreten waren. Dies führte sie aber weniger auf strukturelle arbeitsmarktliche Schließungsmechanismen und Diskriminierungspraktiken zurück. Eher sah sie dafür kulturell bedingte Gründe. So stellte sie beispielsweise einen Vergleich zwischen ‚Deutschen‘ und ‚Ausländern‘ an, wobei sie sich selbst zu letzteren zählte: „Ich gehe davon aus, dass die Deutschen denken, dass alles 100 Prozent sein muss. Die Ausländer sind da anders und zwar so: ‚Ach, ich mache ein Geschäft auf, wenn es funktioniert, funktioniert es, wenn nicht, ist es nicht schlimm.‘ Sie denken also anders. Da sind die Deutschen sehr vorsichtig. Wenn die etwas machen, kann man sicher sein, dass das funktioniert. Denn es wird alles kalkuliert und alles durchdacht.“ (Interview vom 16.08.2011)

Auf Grundlage dieses Vergleichs, in dem Silvana H. den ‚Deutschen‘ weniger Risikofreude, dafür mehr Kalkül, und den ‚Ausländern‘ weniger Berechnung und Pla-

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nung, dafür mehr Mut zurechnete, stellte sie auch ihre eigene Risikobereitschaft heraus, wie oben zitiert. Wichtiger wurde für viele jedoch der Vergleich zu ihren Beobachtungen in Brasilien. So gaben die Interviewpartnerinnen an, dass der Kontakt mit der gewerblichen Selbständigkeit vor ihrer Migration für sie normal gewesen sei. Zum einen kannten sie innerhalb ihres Familien- und Freundeskreises viele Personen, die unabhängigen Arbeitsformen nachgingen. Zum anderen bedeuten Formen der unabhängigen Arbeit für die Frauen in ihren brasilianischen Sozialisierungskontexten eine gängige und normale Form der Sicherung der Lebensgrundlage. Lecylana sagte mir: „In Brasilien ist es normal, dass die Leute selbständig sind. Ich sehe etwa auch als Selbständigkeit, wenn eine Frau zu Hause zum Beispiel für Partys essen macht und so ihrem Mann hilft. Dann gibt es die Schneiderin, die zu Hause Kleider näht, für Fabriken und so. Ich sehe das als Selbständigkeit. Das ist nicht Hausarbeit für mich, das ist Selbständigkeit. Es gibt in Brasilien viele Frauen, die selbständig arbeiten. Sie haben ihre Einnahmen. Von daher muss man nicht groß studiert haben um selbständig zu sein. Sie verdienen nicht viel, die werden vielleicht nicht reich. Aber sie verdienen ihr eigenes Geld.“ (Lecylana, 27.08.2012)8

In Aussagen dieser Art verwiesen die meisten Frauen auf das Fehlen eines ausgebauten Wohlfahrtssystems in Brasilien. Dies zwinge die Menschen dort förmlich dazu, irgendeiner Arbeit nachzugehen. Für viele bedeutet das eben, unabhängig gewerblich tätig zu werden. Die Kleinunternehmensberaterin des SEBRAE (Serviço Brasileiro de Apoio às Micro e Pequenas Empresas), Eliana O., verwies in einem Interview (24.03.2012) darauf, dass vor allem ‚Ein-Personen-Unternehmungen‘ oftmals informeller Art seien. Das koste den Staat Steuereinnahmen und dem/die Gewerbetreibenden Vorsorgeversicherungsleistungen, weshalb seit einigen Jahren (wieder) ein verstärktes Interesses und Bestreben seitens der politischen Vertreter/innen bestehe, diese Kleinstunternehmer/innen in die ‚Formalität‘ zu holen. Allerdings, so Eliana O. weiter, sei gerade der Umstand, dass informell tätige Kleinstgewerbetreibende weder rechtlich belangt noch gesellschaftlich diskreditiert werden, ein begünstigender Faktor bei der Entscheidung für eine unabhängige Arbeit.9

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Abel Valenzuela Jr. prägte daher eine sehr weit gefasste Konzeption der gewerblichen Selbständigkeit. Sie umfasste beispielsweise auch die Tagelöhner, die er zur Selbständigkeit aus der Not heraus zuordnet (vgl. Valenzuela 2001).

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Maria Rosa Lombardi der Fundação Carlos Chagas erklärte in einem Interview über Arbeitsmarktintegrationen von Frauen benachteiligter Klassen, dass diese Formen der gewerblichen Selbständigkeit insbesondere vor dem Hintergrund fehlender Wohlfahrtsleistungen zu untersuchen seien. Da die selbständige Arbeit dieses Fehlen abfedern würde,

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Besonders im Vergleich zu Brasilien, wo es nur prekäre Absicherungen im Falle eines Scheiterns des Gewerbes gibt, bewerten viele Frauen das mit der Selbständigkeit verbundene Risiko in Deutschland als tragbar. Sie wussten, dass sie notfalls auf das hiesige Sozialsystem zurückgreifen konnten. Abschreckender waren für viele eher die bürokratischen Implikationen einer Unternehmerschaft in Deutschland. Ein Handeln außerhalb des rechtlichen Rahmens betrachteten viele im Vergleich zu Brasilien hier nicht als Option, was oftmals die geäußerten Unsicherheiten erklärte (und wofür alle Frauen angaben, für Unterstützung in den bürokratischen Angelegenheiten auf ihre sozialen Netzwerke zurückzugreifen). Das bezüglich ihrer formalisierten Geschäftspraktiken geäußerte „fazer tudo certinho“ (dt.: alles super richtig machen; Angelica) interpretiere ich zweifach: Einmal in Bezug darauf, dass für einige nach den vielen anfänglichen informellen Arbeitserfahrungen, vor allen in Privathaushalten, nun der Moment war, rechtlich einwandfrei einer Tätigkeit nachgehen zu können. Diese würde endlich auch nach außen getragen werden, zum Gegenstand einer Unterhaltung gemacht werden und gesellschaftliche Anerkennung einbringen können. Darüber hinaus hatte ich den Eindruck, dass auch mir als Forschende gegenüber kein schlechtes Bild auf ihr Geschäft oder die Branche als Ganzes geworfen werden sollte. Das galt wahrscheinlich, weil die Branche sich erst etablieren musste und bereits in ihren Kinderschuhen mit unterschiedlichen Vorurteilen und Auseinandersetzungen zu kämpfen hatte (vgl. Kapitel 6). In diesem Sinne möchte ich diese Ergebnisse zugleich an das von Robert Kloosterman und Jan Rath entworfene Untersuchungsmodell des „mixed embededness“ anlehnen und auch davon abgrenzen. Die beiden Autoren schlagen einen integrierenden Ansatz für die Analyse migrantischer Unternehmen vor, der akteurszentrierte Ansätze (die sich zumeist auf einzelne Unternehmer und deren Ressourcen, verstanden als humanes, kulturelles, finanzielles sowie als ethnische Ressourcen konzipiertes soziales Kapital konzentrierten und in erster Linie die Agency der Akteure betonten) und auf Möglichkeitsstrukturen fokussierte Ansätze in ein dialektisches Verhältnis zueinander setzt (Reis Oliveira/Rath 2008b: 20). Dies umfasst die marktwirtschaftlichen, sozio-politischen sowie rechtlich-institutionellen Bedingungen in der Aufnahmegesellschaft, die die Autoren stärker als in vorherigen Studien in das Zentrum der Untersuchung stellen (Kloosterman/Rath 2011), und die auf der Mesound Makroebene angelegt sind. Neben dem Zugang zum Arbeitsmarkt (bzw. dessen Barrieren), dem Zugang zu für eine Unternehmensgründung notwendigen Ressourcen, die nicht über persönliche Netzwerke abgedeckt werden können (etwa Kreditleistungen, Unternehmens-Beratungsangebote, steuerliche Anreize etc.) spielt hier-

gäbe es keinerlei ernsthafte Bemühungen von offizieller Seite, an dieser Situation etwas zu ändern (Interview vom 14.03.2012).

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zu etwa auch der Zugang zu Sozialleistungen (wie Sozialhilfe) eine wichtige Rolle bei der Abwägung einer Unternehmensgründung. Auffällig ist im Beispiel der Interviewpartnerinnen, dass diese aufgrund ihrer Einbettung in binationale Familienkonstellationen eigentlich alle berechtigt waren, staatliche Wohlfahrtsleistungen in Anspruch zu nehmen oder auf Zahlungsleistungen ihrer Ehemänner hätten zurückgreifen können, sich jedoch für das Risiko der gewerblichen Selbständigkeit entschieden. Deshalb lässt sich an dieser Stelle noch einmal explizit festhalten, dass auf sozio-ökonomische Nutzenkalkulationen abzielende Motivationsmodelle, unabhängig davon wie ‚eingebettet‘ (Granovetter 1985; Portes/Sensenbrenner 1993) diese sein mögen, nicht als eigentliche Erklärungen für die hier vorgestellten Unternehmensgründungen herangezogen werden können. Weder für verheiratete noch für geschiedene Studioleiterinnen traf dies in meiner Untersuchung zu: Denn wie in Kapitel 4 anhand der Arbeitstrajektorien der Frauen gezeigt wurde, stellte für diese ein (Über-) Leben auf Kosten Dritter, sei es der Staat oder die Familie des Ehemannes, keine Alternative dar. Gründe dafür waren ihre gesellschaftliche Position als ‚Ausländer‘ und Brasilianerin (und Ehefrau) ebenso wie ihre biographischen Lebensentwürfe. Hier sei angemerkt, dass diese Positionierung, die die Frauen auf ihre biographischen Erfahrungen bezogen und in erster Linie auf die biographische Vergangenheit projizierten, auch mit ihrer Situation zum Interviewmoment zusammenhing. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellte die Arbeitslosigkeit, nach den mit der Selbständigkeit erlangten Eigenständigkeiten, Handlungsoptionen und sozialen Anerkennungen, für sie keine Alternative (mehr) dar. Nichtsdestotrotz beruhigte das Wissen um eine etwaige Absicherung, wie es Leni im obigen Zitat anmerkte, und beeinflusste die Risikobereitschaft. Diese lässt sich mehr noch in Bezug auf die berufspraktische Anerkennung erklären, die die Frauen in ihrer neuen Arbeit als Depiladora erfahren hatten. Hinzu gesellt sich die Gewissheit über die eigene Fähigkeit, „hart arbeiten“ zu können, „damit das Geschäft auch wirklich läuft“ (Silvana H.). Gerade dieses Bewusstsein darüber, „es schaffen zu können“, zeigt sich insbesondere im Beispiel von Dalva. Sie hatte nach ihrer Ausbildung als Reiseverkehrsfrau ein eigenes Reisebüro mit dem Ziel eröffnet, ein zugleich in Brasilien und Deutschland operierendes Tourismusgewerbe aufzubauen. Bereits in Brasilien hatte sie ein eigenes Kosmetikstudio geleitet, das sie für die Finanzierung ihrer Auswanderung nach Deutschland 1990 verkaufte. 2000 startete sie ihr Reisebüro, als sie noch mit ihrem deutschen Mann verheiratet war. Das Reisebüro wurde von Brasilianer/innen wie deutschen Brasilienfreunden gut angenommen und die Arbeit häufte sich. Dalva arbeitete weit mehr als acht Stunden am Tag und oftmals bis an die Grenzen ihrer körperlichen wie psychischen Belastbarkeit. Schließlich musste sie aus gesundheitlichen Gründen Verantwortungen abgeben und arbeitszeitlich kürzer treten. Eine Reihe zusätzlicher ineinander fallender Umstände, wie die emotionale Belastung aufgrund der Trennung von ihrem Freund und damit zusammenhängend

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die Vernachlässigung ihrer Buchführung führten zu finanziellen Schwierigkeiten und veranlassten sie 2006, Konkurs anzumelden. Mittlerweile jedoch an die Selbständigkeit gewöhnt, kam für Dalva eine abhängige Arbeit nicht in Frage – trotz der für sie vor allem gesundheitlichen Belastungen und dem Wissen um das Risiko und die Mehrarbeit in diesem Bereich: „Ich kann mich nicht Leuten unterordnen. Ich bin selbständig seitdem ich 19 Jahre alt bin. Ich habe schon als Arbeitnehmerin gearbeitet, das ging nicht. Ich habe vier Kinder, ich kann so anfangen und so arbeiten wie ich will. Wenn ich Arbeitnehmerin bin, geht das nicht. Ich bin dann unflexibel.“ (Dalva, 19.02.2010)

Neben Dalvas klarer Positionierung, sich nicht den Weisungen Dritter fügen zu können/wollen, was sie mit ihrer eigenen Sozialisierung in den letzten 25 Jahren zur unabhängigen Arbeit begründet, wird deutlich, dass sie die mit der Selbständigkeit verbundene Mehrarbeit in Kauf nimmt. So könne sie, seitdem ihre Geschäft Gewinne einbringt und sie Mitarbeiterinnen einstellen konnte, flexibel ihre Arbeitszeiten gestalten und damit auch ihren Verpflichtungen als alleinerziehende Mutter von vier Kindern nachkommen. Wie bei Dalva erhielt Selbständigkeit für die Studioleiterinnen eine ganz eigene Bedeutung. Selbständigkeit wurde selbst in auf Portugiesisch geführten Interviews als deutsches Wort verwendet. Ich interpretiere das vor dem Hintergrund der mir präsentierten Migrations- und Arbeitsbiographien als eine auf mehreren Ebenen angesiedelte differenzielle Markierung. In der Regel assoziierten die Frauen hiermit nicht nur die eigengewerbliche Arbeit (und damit auch den steuerlichen Status), sondern maßen dieser Kategorie auch eine soziale wie normative Bedeutung bei. Diese leiteten sie von ihrem Alltag im Berliner und damit mehrheitlich deutschen Umfeld her. Somit ist diese Bedeutungsebene eng mit ihren in Deutschland gemachten (bzw. davon kontrastierenden) Erfahrungsaufschichtungen verflochten: Selbständigkeit, hier zunächst in Bezug auf die Möglichkeit der Arbeitsmarktteilhabe der Frauen beleuchtet, bewerten diese retrospektiv als Ausdruck von Unabhängigkeit und Eigenständigkeit und setzten sie mit Handlungsermächtigungen gleich – mit Dingen also, die viele der Frauen zuvor in ihrem Migrationsalltag häufig nicht für sich beanspruchen konnten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass viele Frauen die gewerbliche Selbständigkeit lange Zeit nicht als Alternative zu oder Ausweg aus der eigenen diskriminierten Stellung im deutschen Arbeitsmarktregime in Betracht gezogen hatten. Gründe dafür waren der damit verbundene organisatorische Aufwand und die eigene Position als Migrantin bzw. ‚Ausländerin‘ – auch wenn sie bei anderen ‚Ausländern‘ beobachteten, dass diese durchaus – und für die Frauen selbstverständlich – auf Selbständigkeit als Überlebensstrategie zurückgriffen. Über Motivation, Rückhalte und vermittelte Ressourcen ließen sich die Frauen letztendlich auf

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ein eigenes Gewerbe ein. Das damit verbundene Risiko wogen sie im Vergleich zur eigenen Einbettung, vorherigen Arbeitserfahrungen und möglichen künftigen Arbeitsalternativen sowie transnationalen Vergleichen entsprechend ab. Letztlich erfuhren viele der Frauen die gewerbliche Selbständigkeit nicht mehr nur als Mittel für eine Arbeit im gewählten Bereich oder als Ausweg aus der Not, sondern als Ziel in sich selbst und Möglichkeit der Selbstverwirklichung auf einem Gebiet, in dem sie gerne arbeiten wollten. * Dalva betonte in unserem Interview, dass es nicht irgendein Bereich sei, in dem sie sich erneut selbstständig machen wollte – nur der Selbständigkeit wegen. Vielmehr sah sie das wirtschaftliche Potential der Kosmetikdienstleistungsbranche insgesamt: Nachdem eine ihrer ehemaligen Reisebüro-Kundinnen, die zu den Gründerinnen von Wax-in-the-City gehörte, sie dazu motivierte, sich nach ihrem Konkurs in dieser vielversprechenden Branche zu etablieren, recherchierte Dalva zunächst zu den Erfolgschancen. Die Aussichten waren vielversprechend, denn die Schönheitsindustrie gehört zu den Wirtschaftsbereichen, die in den letzten Jahrzehnten beständiges Wachstum verzeichnet haben (vgl. hierfür auch Edmonds 2010; MachadoBorges 2009). Das Potential für den deutschen Kontext stellte sie mir, auf ‚ihre Geschichte mit dem Wachs‘ angesprochen, wie folgt heraus: „Die Leute pflegen sich überall auf der Welt. Das geht immer. Als ich vor 20 Jahren hierhergekommen bin, wollte ich schon etwas in dem Bereich machen. Ich habe mich immer gewundert, weil die Deutschen nicht ganz so gepflegt aussahen. Die Haare guckten unter den Achseln vor oder die piekten aus der Strumpfhose. Da dachte ich: Also entweder gibt es kein Angebot für Enthaarung hier oder die pflegen sich überhaupt nicht. Und da hatte ich damals schon gedacht: ‚Oh, hier gibt es viel zu tun!‘ Und diese Kundin [von Wax-in-the-City], sie hat mir immer gesagt: ‚Komm doch, das ist ein gutes Geschäft.‘“ (Dalva, 19.02.2010)

Dalva war eine der ersten, die sich auf dieses neue Unternehmen einließ und konnte hierfür wie Cleide oder Frances-Clai auf ihre bisherigen Kenntnisse und Arbeitserfahrungen in diesem Bereich zurückgreifen. Auch die Unternehmensführung war für sie keine Neuheit. Sie hatte sowohl in Brasilien als auch in Deutschland bereits ein eigenes Gewerbe betrieben und konnte aufgrund dieser transnationalen wie branchenübergreifenden Erfahrung diesbezügliche Do’s & Dont’s besser einschätzen und abwägen (vgl. für diese transnationale Kompetenz, Padilla 2008: 187). Für die Finanzierung kündigte sie einen Bausparvertrag, gründete zusammen mit einer Freundin ihr erstes Studio auf deren Namen, da sie selbst aufgrund ihrer Insolvenz kein eigenes Geschäft anmelden konnte. Sie trennte sich von ihr jedoch aufgrund interner Streitigkeiten, ohne ihre investierten Anteile zurückzuerhalten. Mit dem ge-

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liehenen Geld einer Freundin ihrer Mutter eröffnete sie letztendlich ihr eigenes Studio Waxing Company in Berlin-Mitte, das sie seitdem mit fünf Mitarbeiterinnen erfolgreich leitet. Sie verwies in diesem Interview auf eine Diskrepanz zwischen den ihr und ihrer Unternehmensführung entgegengebrachten Vorurteilen und ihrer eigenen Wahrnehmung der Geschäftserfolge: „Manchmal denken die Leute- also die trauen einem nicht so viel zu: ‚Die Frau ist Ausländerin, die hat keine Ahnung von nichts.‘ Aber ansonsten, mit dem Ablauf des Geschäftes, war es für mich eher von Vorteil, dass ich Ausländerin bin.“10 Diesbezüglich war ihr eine weitere Sache äußerst bewusst: Das Potential, das ihre brasilianische Zugehörigkeit für die Ausschöpfung dieser Unternehmensbereiche bereitstellte: „Also, weil ich Ausländerin bin, habe ich zumindest mit diesen beiden Geschäften, die ich gemacht habe, Vorteile gehabt. Vorher hatte ich ein brasilianisches Reisebüro und ich bin Brasilianerin. Und hier mit dem Studio auch, weil es eine brasilianische Spezialität ist – und ich bin Brasilianerin!“. Bereits bei ihrem Reisebüro bemühte sich Dalva darum, dieses klar als ‚brasilianisch‘ zu markieren und sich von einer ähnlichen Dienstleistungsparte mehrheitsgesellschaftlicher und in der Regel kulturell nicht-markierter Reisebüros abzuheben. So behauptete sie sich zugleich als Spezialistin auf dem Gebiet. Die kulturelle Markierung des Geschäfts gestaltete sie damals über den Namen des Ladens (Agência do Brasil), die beworbene Dienstleitung („Ihr Spezialist für Brasilien- und LateinamerikaReisen“) sowie die Dekoration des Geschäftsraumes (brasilianische Flagge, Plakate brasilianischer Strände und Sehenswürdigkeiten, Flip Flops Hawaianas im Verkaufssortiment, Palmendekoration). Allerdings änderte sich mit dem Branchenwechsel auch die Ausrichtung auf die anvisierte Kundschaft: Während ihr Reisebüro vor allem auf ein brasilianisches Klientel baute, deren (deutsche) Familien und Bekanntenkreise sowie auf Brasilienbegeisterte, war dieses Klientel für die Waxing Studios irrelevant. Im Vordergrund stand die Umwerbung eines deutschen Publikums. Diese Ausrichtung hat ihr Studio mit allen anderen Studios gemeinsam. Dennoch heben alle brasilianischen Studioinhaberinnen die kulturelle Markierung als ‚brasilianisch‘ als markanten Unterschied zu von Deutschen geleiteten Depilationsstudios hervor, die sich seit 2006 ebenfalls mehren. Im Folgenden soll daher eine nähere Betrachtung der Studios selbst, Gestaltung, Aufbau und Verortung in der – speziellen – Berliner Stadtland-

10 Diese Aussage muss in den Kontext des Interviews eingeordnet werden: Dalva wusste, dass ich von ihrer Insolvenz gehört hatte und aufgrund meiner Kontakte in die ‚brasilianische Szene‘ auch die damit zusammenhängenden ‚Klatsch-Geschichten‘, also die fofoca, kennen musste. Sie verbrachte sehr viel Zeit darauf, mir den eigentlichen Hergang und ihre Gründe für die Insolvenz darzulegen, die sich explizit dagegen richteten, sie – eben als Ausländerin – wäre einfach nur nicht kompetent für die Unternehmensführung gewesen.

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schaft erfolgen. Auch hier werden die Vergleichsebenen zu anderen migrantischen Unternehmen wie auch zu (mehrheitsgesellschaftlichen) von Frauen geleiteten Kosmetikstudios herausgestellt. In einem nächsten Schritt wird die (damit verbundene) Wahl der passenden Mitarbeiterinnen vorgestellt. Dem vorangestellt wird eine gesonderte Betrachtung des Standortes Berlin.

5.3 D AS S TUDIO VERORTEN : B ESONDERHEITEN B ERLINS UND DES G ESCHÄFTSMODELLS Die kulturelle Markierung, so deutete sich in den letzten Absätzen an, spielt eine wesentliche Rolle für die Wertschöpfung der Dienstleistung. Und auch wenn sich Erklärungsmodelle der ethnic buiness-Studien bisher als nur wenig anwendbar für die Branche des Waxing erwiesen, muss Berlin als Ort multikultureller Konsumvielfalt mit kosmopolitischem Flair und als wichtiger Standort migrantischer Unternehmen gesondert in die Betrachtung einbezogen werden. Dies ist umso wichtiger, da sich die Dienstleitung des Waxing im deutschen Kontext auch hier zuerst etabliert und popularisiert hatte. Nicht zuletzt nimmt Berlin als multikulturelle Großstadt eine besondere Stellung für personenbezogene Dienstleistungsbrachen, für die Eingliederung von Migrant/innen in diese und als Lebensort im Allgemeinen ein. Während die Studioleiterinnen Berlin diesbezüglich besondere Charakteristika zuschrieben, zeige ich in einem weiteren Schritt, dass sie innerhalb Berlins klar nach Stadtteilen und dem hierbei zugeordnetem ‚Multikulti-Flair‘ unterscheiden. Sowohl die Wahl des Standortes als auch anderer Strategien der Sichtbarmachung der Studios werden im Folgenden in Bezug auf ihre anvisierte kulturelle Markierung, ihre kosmopolitischen Zuordnung und die sozio-ökonomische Verortung ihrer Kund/innen hin diskutiert. * Berlin wurde zunächst auf die Einbettung der Frauen als Migrantin und ‚Ausländer‘ insgesamt reflektiert. So sagte mir Marta*: „Ich bin nie aus Berlin rausgekommen, ehrlich, ich bin immer hier geblieben: Ich denke, dass Deutschland wirklich ganz schön und nett ist, solange man deutsch ist – so! .. Aber ich weiß nicht. Alle Leute sagen, also alle die ich kenne, selbst mein Mann zum Beispiel.- Alle sagen, dass Berlin wirklich einzigartig ist, wegen der vielen Ausländer die hier leben und wegen der Toleranz, die die meisten Deutschen gegenüber der Kultur der anderen haben. . Also deshalb glaube ich, dass- .. Berlin wirklich multikulturell ist. Ich glaube, dass du hier wirklich alles von allem findest, in jedem Viertel, überall.“ (Marta*, 16.02.2010; Ü.: ML)

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Berlin wird von ihr als einer der wenigen Orte Deutschlands wahrgenommen, an dem sie sich vorstellen kann, als Nicht-Deutsche zu leben: Einerseits schreibt sie dies dem hohen Migrant/innenanteil der Stadt zu, andererseits der toleranten Art, die auch viele deutsche Berliner/innen angenommen hätten. Ähnlich Marta* bezeichnete auch Carminha Berlin als „uma ilha“ (dt.: eine Insel) – sie hatte als eine der wenigen bereits in einer anderen Stadt (Oldenburg) gelebt. In seiner speziellen Lokalität, die sich über die sozio-kulturelle Zusammensetzung der Stadt ergäbe, fühlten sich die Frauen in ihrem Alltag trotz unterschiedlicher Erfahrungen mit Diskriminierungen generell nicht eingeschränkt. Dies beeinflusste nicht zuletzt auch ihre geschäftliche Praxis. Dalva, die wie alle übrigen Interviewpartnerinnen bisher noch nie außerhalb Berlins gewohnt hatte, stellte mir gegenüber den Zusammenhang dafür her: „Ich höre immer wieder von den Leuten, also von Deutschen und anderen Ausländern, dass Berlin speziell ist, wegen dieser Multikulti-Sachen; dass es hier besser ist als in anderen Städten. Das hat den Vorteil, dass die Leute dann offen für neue Sachen sind, um zu gucken, was der Brasilianer hier anbietet oder die Türken. Hier sind die Deutschen neugierig, um zu gucken, was die so anbieten. Das ist schon von Vorteil. Hier sind sie schon offen für das, was die Ausländer machen.“ (Dalva, 19.02.2010)

Diese Offenheit, die über eine etablierte multikulturelle Szene erklärt wurde und die sich auch in einer Toleranz der deutschen Berliner Bevölkerung gegenüber Migrant/innen niederschlage, trage also auch zu einer höheren Konsumneugierde bei. Andréa stellte ganz deutlich heraus, dass es hierher am ehesten passte, auch einmal etwas Ungewohntes wie das Waxing auszuprobieren: „Der Fakt, dass Berlin gemischt ist, MULTIKULTI, also dass hier Leute aus der ganzen Welt leben, führt dazu, dass bei den Deutschen selbst die Neugier geweckt wird, zum Beispiel auch was Waxing angeht“ (Ü.: ML). Das sich im Laufe der jüngeren Berliner Geschichte etablierte Image einer ‚multikulturellen‘ bzw. sozio-kulturell wie ‚ethnisch‘ diversen Stadtgesellschaft wurde in den Interviews von einer kosmopolitischen, also weltoffenen Charakterisierung der Berliner Bewohner/innen insgesamt begleitet. Diese wurde auch den (‚deutschen‘) Tourist/innen (zumindest) bei ihrem Berlin-Besuch zugeschrieben. Trotz dieser sehr positiven Einschätzungen, die sich an Diskursen und Bildern aktueller Image-Kampagnen (z.B. „Be- Berlin“) orientierten, zeigten die Interviewpartnerinnen sehr deutlich, dass sie zwischen einer politisch motivierten Propagierung ‚kultureller Vielfalt‘ sowie damit verbunden einer ‚multikulturellen‘ Konsumlandschaft mit kosmopolitischem Flair, und den sozio-politischen, ökonomischen und auf Rassismus zurückzuführenden Alltagsproblemen der sonst als ‚Ausländer‘ angerufenen Bevölkerung unterschieden.

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So galten die Image-Kampagnen als strategische gesamtstädtische Antwort gesellschaftlicher und stadtpolitischer Akteure auf Stigmatisierungspraktiken und mediale Negativberichte. Diese konzentrierten sich eigentlich auf einige ausgewählte „Brennpunkt-Bezirke“, allen voran der Bezirk Kreuzberg, und drohten vor allem zu Zeiten einer Re-Etablierung Berlins als deutsche Hauptstadt ein negatives Licht auf die ganze Stadt zu werfen (Lanz 2007). ‚MultiKulti‘ nicht nur als politisches Schlagwort, sondern vor allem auch als neu entdecktes Konsumpotential, passte in die in den 1990er Jahren aufkommende Politik der Festivalisierung (Häußermann/Siebel 1993). Sie machte die zu jener Zeit noch immer an den Folgen der DeIndustrialisierung und einer anfangs nur schleppenden Neuausrichtung hin zum Tertiären Sektor leidenden Stadt zum Standort der Medien-, Kultur- und Kreativwirtschaft. Dadurch wurde eine touristische Wertschöpfung begünstigt. „Die Konzentration des Urban Managements“, so schreibt Stephan Lanz, „auf eine ‚konsumfähige‘ Bürgerschaft, deren touristischer Blick beim Stadtbesuch ein anregendes Konsumerlebnis begehrt und Kontakte zu potentiell störenden ‚Anderen‘ zu minimieren sucht, setzte soziale Selektionsmechanismen in Gang“ (Lanz 2007: 140f). Eventorientierte Vermarktungspraktiken, wie – ganz prominent – manifest im alljährlichen Karneval der Kulturen, waren hierbei genauso willkommen wie die alltägliche, auf ein dominanzgesellschaftliches Publikum ausgerichtete Konsumvielfalt; angefangen beim ‚argentinischen‘ Tango-Tanzstudio über ‚afrikanische‘ Trommelgruppen, ‚chinesische‘ Taiji-Vereine, ‚indische‘ Bekleidungsläden bis hin zu ‚arabischen‘ Bars mit Kissensitzecken und Schischa-Pfeifen. Auch ‚vietnamesische‘ Gemüseläden, ‚italienische‘ Focaccerias, ‚mexikanische‘ Cantinas, ‚arabische‘ Bäckereien und natürlich ‚türkische‘ Dönerbuden schienen mit ihrem „bunttut-gut“-Eindruck (Kniekamp/König 2007) über andere alltägliche soziale wie rassistisch motivierte Exklusionspraktiken hinwegzutäuschen. Die „ethnischen Nischen-“ bzw. Ergänzungsökonomien“11 ordnete man im Unterschied dazu den eigentlich ‚problematischen‘, da zahlenmäßig ‚umfangreicheren‘, räumlich konzentrierten und kulturell als ‚sehr anders‘ und daher im Vergleich zu ‚anderen‘ Migrant/innen inkompatibler wahrgenommenen Zuwanderungsgruppen zu. Sie wurden ausschließlich in der ‚ethnischen‘ Nachbarschaft verortet und auf ein bestimmtes ethnisches Klientel ausgerichtet betrachtet. Warnten einige Studien sowie Politiker lange Zeit noch vor dem unterstellten desintegrierenden Cha-

11 Nach Heckmann (1992) richtet sich die Ergänzungsökonomie auf eine spezielle Nachfrage von Migrant/innen aus, die vom mehrheitsgesellschaftlichem Markt nicht abgedeckt wird; die Nischenökonomie stellt für ihn hingegen eine durch Migrantinnen abgedeckte Nachfrage der Mehrheitsgesellschaft dar. Blaschke (2001), Hillmann (2001) und andere verwenden die Begriffe in umgekehrter Ausrichtung (vgl. auch Schuleri-Hartje et al. 2005: 16f).

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rakter dieser ‚ethnischen Ökonomien‘, wandelten sich auch diese Gewerbeformen in den 1990er Jahren kontinuierlich zum anerkannten Wirtschaftsfaktor und zur substantiellen Standort-Aufwertung der einzelnen Kieze. Schließlich galten sie immer mehr als Bekenntnis zur Integrationswilligkeit des ‚Ausländers‘ in Deutschland (Schuleri-Hartje et al. 2005). Zugleich ordneten sich diese lokalen (Überlebens-) Anstrengungen ganz gut der sich festsetzenden neoliberalen Logik eines Wohlfahrtsstaates und dessen ‚Aktivierungsimperativ‘ (Hermann Kocyba zitiert in Lanz 2007: 217) zum „unternehmerischen Selbst“ zu (Bröckling 2007). Die Verortung als ‚multikulturelle Stadt‘ basierte dabei in erster Linie auf dem Vorbild der diskursiven Aufwertung Kreuzbergs über dessen ‚kulturelle Vielfalt‘. Das geschah vor dem Hintergrund des Ghettoisierungs-Diskurses, wie er vor allem für diesen Bezirk und das angrenzende Neukölln in den 1990er Jahren (wieder-) aufflammte. Das Vermarktungspotential von ‚kultureller Vielfalt‘ ließ sich nicht nur für diese ‚Problembezirke‘ erfolgreich ausschöpfen sondern auch für die anderen zentralen Bezirke ausweiten. Der Stadt als Ganzes verlieh dies, zusammen mit der aufstrebenden Kreativwirtschaft, ein kosmopolitisches Flair (vgl. hierzu auch Florida 2004). Gerade auf dieses Flair kam es den Frauen an. Sie rechneten dem Standort Berlin also Vermarktungschance für ihre eigene Dienstleistung zu. Weniger jedoch, so stellte sich bei meinem Nachfragen heraus, zogen sie die Konstituenten der ‚multikulturellen Szene‘ selbst hierfür in Betracht, also eben jene ‚multikulturellen‘ Bezirke und ihre Bewohner/innen. 5.3.1 Wahl der Lokalität und Strategien der Sichtbarkeit Waxing Studios befinden sich in erster Linie in Stadtteilen, die, schaut man beispielsweise auf den Berliner Sozialstrukturatlas, als ‚wohlhabend‘ charakterisiert werden und deren Bevölkerung in der Regel sozioökonomisch zu den besser situierten gehörten. Hierzu zählen Steglitz, Charlottenburg-Wilmersdorf, Berlin-Mitte (ohne Moabit) und Prenzlauer Berg. Diese Stadtteile sind zudem weniger im Fokus des politischen Diskurses um Migration und Integration. Sie stehen damit im Gegensatz zu Bezirken wie Berlin-Neukölln, Wedding, Moabit und ausgewählten Kiezen in Kreuzberg, in denen auch die Mehrheit der ‚ethnischen‘ Unternehmen vermutet wird. Da die brasilianische Community mit knapp über 3000 offiziell registrierten Menschen relativ klein ist (siehe Abbildung 5.1) und sich nicht in bestimmten Bezirken konzentriert (auch wenn ein leicht erhöhter Anteil in den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf verzeichnet wird, gemäß Daten des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg), lässt sich auch hier kein Zusammenhang zwischen dem Dienstleistungsangebot der Studios und einer von Brasilianer/innen deklarierten Nachfrage der Dienstleistung oder einer kulturellterritorialen Einbettung der Unternehmen herstellen.

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Abbildung 5.1: Registrierte Brasilianer/innen in Berlin 1995-2013

Quelle. Daten vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (1995-2013)

Die Kund/innen waren in den ersten Jahren der Branche in ihren nationalen Zugehörigkeiten bzw. Migrationshintergründen vielmehr sehr heterogen.12 Gemeinsam war den meisten eine als kulturell geprägt empfundene Körperlichkeit und Körperpflege, bei der die enthaarte Haut einen prominenten Stellenwert einnahm. In den letzten Jahren überwog bei den meisten Studios jedoch das deutsche Klientel, was die Unternehmerinnen nicht zuletzt einer den Medien geschuldeten Veränderung alltäglicher Schönheitskonzepte zuschrieben: Ein behaarter Körper ist immer mehr und nicht nur bei jungen Menschen unhaltbar geworden. Die Mehrheit der Studioleiterinnen visierte daher jene Bezirke an, in denen sie ein ‚deutsches‘, aber eben offenes Publikum vermutete. Marta* erläuterte mir ihre Standortwahl wie folgt: „Wir wollten auf jeden Fall im Prenzlauer Berg eröffnen, weil die Leute die hier wohnen sehr offen sind. Hier wohnen viele Pärchen, viele ganz junge Leute. .. Die sind so- . Also viele von denen, ganz gleich wie viel Geld die haben, egal wie gut die finanziell ausgestattet sind, sind trotzdem ganz normal geblieben. Die sind sehr empfänglich für Neues. . Ich habe hier so . so

12 Mariana, die seit der Etablierung von Waxing in Berlin in diesem Bereich gearbeitet hat, sagte: „Früher waren es mehr ausländische Frauen, die das gemacht haben. Sehr viele Russen, Brasilianer natürlich, auch andere südamerikanische Frauen und Südeuropäer. Jetzt kann ich sagen, dass es ungefähr so 70% deutsche Frauen sind“ (05.10.2010).

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Leute, die beim Fernsehen arbeiten. Ich habe hier Arbeitslose, Studenten, Hausfrauen, Anwälte, Ärzte, Fußballer. Ich habe von allem was, also Leute von überall. Modells, - Kneipengänger, verrückte Mütter mit ihren Kindern, ich habe hier also alles, meine Liebe. ... Ich kann deshalb nicht sagen, dass mein Publikum so oder so ist. Das sind Leute von überall, aber alle können es sich leisten, diesen kleinen Luxus zu bezahlen.“ (Marta*, 16.02.2010; Ü.: ML)

Marta* bezeichnete die Dienstleistung als „kleinen Luxus“, den sich nicht jede/r leisten könne, weshalb ihr der Standort als sehr wichtig erschien. Denn die Bereitschaft für eine Dienstleistung zu zahlen, deren Ergebnis eigentlich auch in Eigenregie über eine Vielzahl von im Einzelhandel kostengünstig zu erwerbenden Haarentfernungsprodukten erreicht werden kann, hängt nicht zuletzt mit den finanziellen Möglichkeiten der Kund/innen zusammen. Diesbezüglich beurteilten Interviewpartnerinnen in der Regel die Berliner Bezirke über die mögliche Kaufkraft und die sozio-kulturelle Verortung ihrer Bewohner/innen. Doch auch innerhalb dieser als wohlhabend wahrgenommenen Bezirke differenzierte Marta* weiterhin, wie die folgende Unterscheidung zwischen den einzelnen Bezirken zeigt, die sich eigentlich beide durch die hohe Konzentration von Waxing Studios auszeichnen: „Ich habe den Prenzlauer Berg immer schon gemocht, ich mag das Publikum hier. Also zum Beispiel Charlottenburg, wer wohnt da schon? Das sind dort schon Leute, die richtig Geld haben. Ich will gar nicht sagen, dass die dort so sehr viel mehr haben. Aber die Leute dort sind so, ähm .. Also ich denke, dass Berlin ganz viele kleine Berlins hat. Weil es hier alles gibt, das sind also kleine Städtchen auf einem Haufen. Und da ich mein ganzes Leben hier schon verbracht ha- . –Mein ganzes Leben? [lachend] Na so was!– Also, die Zeit die ich hier bin, also diese Zeit habe ich immer hier im Prenzlauer Berg gewohnt, ja, also deshalb kenne ich diese Gegend hier sehr gut. Mir hat Prenzlauer Berg immer sehr gut gefallen. .. Also haben mein Mann und ich, wir haben uns gedacht, dass diese Gegend hier gut ist, denn hier sind die Leute offen, haben eine gesunde Meinung und, .. und unglaublich: Trotzdem sie hier mehr Geld als anderswo haben, sind die Leute, also die meisten Leute hier noch auf dem Boden geblieben. Das macht einen großen Unterschied, meine Liebe. .. Und dort, in, in, in Charlottenburg, dort würde ich vielleicht auf etwas treffen, was ich nicht kenne, denn ich habe nicht die leiseste Ahnung, was für Leute da wirklich wohnen.“ (Marta*, 16.02.2010, Ü.: ML)

Wichtig war ihr also auch die (imaginierte) Familiarität mit den Bewohner/innen des Bezirkes. Häufig ließ sich daher auch bei anderen Studioleiterinnen feststellen, dass sie den Studiostandort in näherer Umgebung zu ihren Wohnorten suchten. Über das vermeintliche Kennen der Kiezbewohner/innen hinaus, spielte besonders bei Müttern oder gar alleinerziehenden Müttern neben der affektiven Verbundenheit mit dem Viertel und seinen Bewohner/innen auch die Nähe zur eigenen Wohnung eine wichtige Rolle. Carminha, die ihr Studio ein paar Hauseingänge von ihrer Wohnung entfernt eröffnete, gab an, dass sie so über die Mittagszeit „schnell

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mal rüber gehen kann“, um das Mittagessen für ihre Tochter anzurichten, sobald diese aus der Schule käme. Auch sei es für ihre Tochter wichtig, dass „wenn ich abends erst spät nach Hause komme, [sie] weiß, dass ich ja eigentlich gleich nebenan bin, wenn was ist“. Die Toleranz und Offenheit, die sozio-ökonomische Komposition des Viertels sowie die unterschiedlichen Formen von empfundener Nähe waren als Kriterien bei den meisten sozio-geographisch in die Berliner Stadtlandschaft eingeschrieben, was sich in Ausschlusskriterien für die Standortwahl ausdrückte. So kamen die Stadtteile, denen ein erhöhter Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zugeschrieben wird, für viele Frauen als Geschäftsstandort nicht in Frage. Marta* sagte: „Nun, das Publikum dort in Neukölln, also das sind ziemlich viele Türken und Araber. [...] Die haben ihre eigene Kultur dort, und die kann schon ganz interessant sein, aber dort in ihrem Viertel [no lugarzinho deles]. [...] Das ist aber kein Publikum, die das Geld für so was hier [Waxing] haben, .. denn dort ist es schon etwas komplizierter. Außerdem haben die ihre Kultur, die doch schon sehr anders ist.“ (Marta*, 16.02.2010, Ü.: ML)

Marta* begründete ihre Ablehnung zum einen mit der Sozialstruktur Neuköllns, weshalb sie dort dem „kleinen Luxus“ der kommerzialisierten Haarentfernung keine Erfolgschancen einräumte. Was sich in diesem Zitat jedoch deutlicher zeigt, ist die Wiederholung eines urbanen Imaginariums (García Canclini 1997), das sich auf diskursive Kulturalisierungspraktiken stützt, die sich auf den GhettoisierungsDiskurs zurückführen lassen. Urbane Imaginarien, so Néstor García Canclíni, speisen sich aus Diskursen und Bildern und laden den Raum mit symbolischimaginären Bedeutungen auf (ebd.; Lanz 2007: 150). Auf den Geographen Rob Shields bezugnehmend, führt Stephan Lanz hierfür aus: „Hegemoniale Repräsentationen definieren bestimmte Sichtweisen, schließen darüber andere aus, positionieren Menschen für oder gegen sie und besitzen die Macht, Handlungen vor zu strukturieren (Shields 1996: 237)“ (Lanz 2007: 150). Auf der Basis dieser imaginierten Geographien ordnete auch Marta* diesen Bezirken Attribute zu, die ihre Entscheidungen mitprägten und sie als Geschäftsorte ausschlossen. Dies ist auch deshalb interessant, da in diesen beiden Bezirken einerseits die meisten anderen brasilianischen Kleinunternehmen, die sich um eine kulturelle Markierung als ‚brasilianisch‘ bemühen, ansässig sind, wie etwa Tanzstudios, Bars, die meisten Capoeira- und Samba-Schulen. Eine von Antoine Pécoud durchgeführte Studie zu migrantischen Unternehmen in diesen Bezirken verweist zudem auf eine Einschätzung von Menschen mit Migrationshintergründen, dass wiederum auch „Germans who live here are the most open-minded and cosmopolitan (weltoffen) people in the city“ (Pécoud 2004: 6). Schaut man auf die Spezifik der Dienstleistung, so lässt sich weiterhin feststellen: Die beiden Bezirke bieten eine Fülle von Kosmetikstudios, ‚ethnisch‘ markierte

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wie unmarkierte, was wiederum ein zahlungsbereites Publikum vermuten lässt. Interessanter ist jedoch, dass gerade die ‚ethnisch‘ markierten Studios schon seit Jahren Haarentfernung als festen Bestandteil ihres Dienstleistungsangebotes führen. Insbesondere in ‚türkisch‘ oder ‚arabisch‘ markierten Studios werden seit der Etablierung der Migrant/innengemeinschaften in diesen Vierteln und des migrantischen Gewerbes unterschiedliche Enthaarungspraktiken angeboten.13 Der Einwand, dass eine ‚ethnische‘ Markierung der Kosmetiksalons in Neukölln oder Kreuzberg Kundinnen der Mehrheitsgesellschaft fernhalte, lässt sich jedoch für die letzten Jahre – wenn überhaupt jemals – empirisch nicht halten. Zu fragen wäre daher, ob eine gegenteilige Einschätzung möglicherweise auf generellere Vorurteile gegenüber ‚türkischen‘ oder ‚arabischen‘ Gewerbebetrieben zurückzuführen ist, die sich eher über die Ghettoisierungs-Diskurse herleiten mögen als über die geschäftliche Praxis in den Gewerbeeinheiten selbst. Antoine Pécoud stellt diesbezüglich allgemein fest, dass etwa ‚türkischen‘ Unternehmer/innen durchaus bewusst sei, dass ‚Deutsche‘ von Läden abgeschreckt werden könnten, in denen nur ‚Türken‘ arbeiten. Genau aus diesen Gründen seien diese sehr um folgendes bemüht: „The atmosphere in the shop must therefore be as cosmopolitan as possible and should not give the impression that non-Turks are unwelcome and are more confident in their relationship to members of the majority” (Pécoud 2004: 9).14 Diese Feststellung gilt ganz besonders für von Frauen geführte migrantische Unternehmen. Felicitas Hillmann stellte bereits Ende der 1990er Jahre fest, dass vor allem von beispielsweise türkischen Migrantinnen geführte Gewerbe, unter denen der Bereich Körperpflege damals am meisten vertreten und nicht zwangsläufig auf ein co-ethnisches Klientel ausgerichtet war, sich „häufiger an nicht-ethnische Kunden“ wendeten (Hillmann 1998: 6). Hillmann konstatiert: „In mehreren Fällen grenzten sich die Unternehmerinnen bewusst vom ‚ethnischen Gewerbe‘ ab – besonders in der Körperpflegebranche“ (ebd.: 41). Dies deckte sich auch mit meinen explorativen Besuchen in den Jahren meiner empirischen Erhebungen in Neuköllner Kosmetikstudios, die von Frauen mit Migrationshintergrund seit teilweise mehr als 20 Jahren geleitetet wurden.

13 Bei ihnen ist die Nutzung von Halawa, einer aus Zitronensaft und Zucker bestehenden Paste, verbreitet. Diese Methode ist der Waxing-Technik sehr ähnlich. Während Halawa in Deutschland seit vielen Jahren eine eingetragene Produktmarke ist, wird die Technik, nun allgemein als Sugaring bekannt, nicht mehr nur in ‚ethnisch‘ markierten Salons angeboten. Im Gegenteil bildet sie einen festen Bestandteil in unmarkierten Kosmetiksalons , wie auch spezialisierten Enthaarungsstudios, so bei Senzera, Waxxy s oder Tiger Lily. 14 Allgemein konstatierte Pécoud, dass sich die meisten migrantischen Unternehmer/innen in seiner Studie eher einer Art „cosmopolitan urban culture“ zugehörig fühlten, wobei „[t]his cultural openness often comes along with a business strategy“ (Pécoud 2004: 9).

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In Gesprächen, die ich bei Besuchen dort geführt habe, zeigte sich jedoch, dass im Gegensatz zu anderen Kosmetikleistungen die speziellen Dienste der Körperhaarentfernung lange nur von einem (co-) ethnischen Publikum aufgesucht wurden. Auch ich ertappte mich bei einer kulturalisierenden Erwartungshaltung, als ich nach den Gründen für die Haarentfernung in Bezug auf den kulturellen (und damit impliziten religiösen) Referenzrahmen der Frauen fragte. Als Antwort wurden mir jedoch nicht etwa die von mir erwarteten kulturellen oder religiösen Erklärungsmodelle präsentiert, wie, dass Körperenthaarung als Gebot in einem der Hadithe zu finden sei (vgl. hierfür Fataawa 2013; Aykud 1999). Vielmehr argumentierte beispielsweise Aysegül, die Tochter einer Studiobesitzerin, die vor allem mit Sugaring arbeitet: „Also wir Südländer haben ja so oder so so einen starken Haarwuchs. Das sieht überhaupt nicht gut aus, wenn man da wie- . Also deswegen müssen wir schon ganz zeitig damit anfangen. Und rasieren geht da auch gar nicht, das macht alles nur noch schlimmer“ (Gespräch vom 08.01.2011). Und auch wenn die in Deutschland in zweiter Generation türkischer Einwanderer geborene Aysegül mir zu verstehen gab, dass man es „bei uns im Orient schon immer“ machen würde („also schon Cleopatra in Ägypten hat sich die Haare weggemacht! Stell dir mal vor, eine behaarte Cleopatra!“), sie also eine kulturelle Beziehung zu einer Jahrtausende währenden Tradition dieser Körperpflegepraktik herstellte, verwies sie zugleich auf ein aktuelles, weniger ‚Kultur‘-gebundenes Körperideal, wie es in den Medien repetitiv repräsentiert wird: Denn es würden nun „ja alle machen“, man sehe dies ja auch bei den „Stars im Fernsehen“. „Das ist jetzt halt so normal. Also, heute kann man nicht mehr einfach mit den Haaren unter den Achseln rumlaufen“. Besonders auf heutige Schönheitsnormen bezugnehmend interpretiere ich daher auch ihre Aufforderung, sich Cleopatra mit Köperhaaren vorzustellen. In diesen Aussagen bestätigt sich die von Pécoud herausgestellte urbane, ethnischunmarkierte Positionierung sowie auch die Verortung des eigenen Geschäftes, in diesem Fall der Kosmetikpraxis, in eine vielmehr kosmopolitische kulturelle Landschaft. Das schlägt sich verstärkt auch im Kundinnenprofil nieder: In jüngerer Zeit lässt sich eine Veränderung verzeichnen. ‚Deutsche‘ Frauen nutzen nun verstärkt auch Enthaarungspraktiken in diesen Studios.15 Dies könnte sich einerseits über das sich verbreitende Ideal eines haarlosen Körpers, die immer beliebter werdenden Praktiken des Sugaring und Waxing als Alternative zu anderen Enthaarungspraktiken oder über die zunehmende Akzeptanz, dies nun „machen zu lassen“ erklären. Andererseits stehen dahinter sicherlich auch neue sozio-kulturelle Dynamiken in diesen Bezirken (lediglich angemerkt sei hier die mit einer Gentrifizierung einhergehende veränderte Einstellung zum ‚ethnischen‘ Gewerbe über den Dönerstand

15 Diese Informationen erhielt ich von Hülya, Aysegül sowie Yalcin, die ihre Kosmetiksalons alle zwischen der Neuköllner Karl-Marx-Straße und dem Landwehrkanal betreiben.

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und die Pizzeria hinaus vor dem Hintergrund einer ‚multikulturellen‘ Konsumneugier in einer globalisierten Welt). Zusammenfassend ist Martas* im obigen Zitat wiedergegebene Einschätzung zu Neukölln und der „sehr anderen Kultur“ der dort lebenden „Türken und Araber“ ein Beispiel für die Wirkmächtigkeit des in dominanten Diskursen und Bildern hergestellten und beständig wiederholten Imaginariums. Bei Marta* äußerte sich dies in einer ablehnenden Haltung, dort eventuell einen Salon zu eröffnen. Bis zum Abschluss meiner empirischen Erhebung haben sich in Kreuzberg nur zwei WaxingSalons niedergelassen, wobei eines zu Lecylanas Physiotherapie-Praxis gehört. In Neukölln gab es bis zu jenem Moment kein einziges Waxing Studio. Andererseits lässt sich auch das Kriterium einer einseitigen Ausrichtung auf ein zahlungskräftiges Publikum, mit dem ebenfalls gegen die Standorte Neukölln und Kreuzberg argumentiert wurde, für viele Studios nicht länger halten. Neben einer zunehmenden Gentrifizierung vieler der Kieze wird in den letzten Monaten in fast allen Berliner Waxing Studios zunehmend mit gezielten Aktionen auch bei einkommensschwachen Gruppen geworben, wie z.B. über Studenten- und Schülerrabatte oder Vergünstigungen für Arbeitslose und Minijobber. Das Groupon-Prinzip16 hat ebenfalls in den meisten Studios Einzug gehalten. Angelica zufolge locke das „ein ganz anderes Publikum“ (womit sie einkommensschwächere Menschen meinte) in die Studios nach Mitte, Prenzlauer Berg und Charlottenburg. Doch wie Bezirke mit hohem Migrant/innenanteil, so kamen für die meisten Studioleiterinnen auch Ostberliner Bezirke (denen Prenzlauer Berg und BerlinMitte nicht zugeordnet wurden) aufgrund der „fehlenden Familiarität“ mit der Waxing-Technik und einer „fehlenden Offenheit der Bewohner dort“ nicht in Frage. Tereza gab an, dass es bei ihrer Suche nach einer geeigneten Gewerbefläche wichtig erschien, dass die von ihr anvisierte Klientel vor Ort bereits mit der Praktik vertraut war. Sie begründete das anhand der folgenden Einschätzung: „Wir wollten UNBEDINGT im WESTEN oder im Zentrum eröffnen, weil im WESTEN alle enthaaren“ (Interview vom 05.10.2010; Ü.: ML). Diese Aussage ist gerade deshalb interessant, da gerade zu der Zeit ihrer ersten Studioeröffnung im Jahr 2008 auch viele ‚Westberliner‘ Frauen die Waxing-Technik nicht kannten bzw. mit Haarentfernung als Dienstleistung nicht vertraut waren. Zugleich wurden aber jene Viertel abgelehnt, in denen viele Bewohner/innen seit langem mit der kosmetischen Haarentfernung als Dienstleistung vertraut sind, wie am Beispiel Neuköllns gezeigt. Diese wurden in den Interviews allerdings nicht als ein im „Westen“ verortetes und damit potentielles Klientel angesehen (auch wenn gerade zu Beginn vieler der ers-

16 Dieses funktioniert über das Prinzip des Mengenrabatts. Über entsprechende OnlinePortale können Kund/innen Behandlungen in hoher Stückzahl erstehen, die teilweise bis zu einem Drittel günstiger sind als Einzelbehandlungspreise.

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ten Studios ein Großteil der Kund/innen diesen ‚anderen Kulturen‘ zugeordnet wurde). Dalva war es wichtig, dass auch Tourist/innen das Kiezleben mitgestalteten, da auch von ihnen ein Großteil mit Haarentfernung als Kosmetikdienstleistung vertraut sei. So lässt sich schlussfolgern, dass die oben erwähnte weltoffene Einstellung in erster Linie (‚deutschen‘) ‚Westberlinern‘ und Tourist/innen zugeschrieben wurde, die damit als potentielle Kundschaft galten. Neben diesen allgemeinen Charakterisierungen der Bezirke und ihrer möglichen Wertschöpfungspotentiale verfeinerten viele die Suche gemäß weiterer Kriterien: „Wir haben gesucht und gesucht und gesucht, bis wir diesen Laden gefunden haben, der für uns ideal war: Er ist zentral aber dann wieder auch nicht, er ist mitten in der D.-Straße aber dann wieder nicht, er ist diskret, aber doch sichtbar, und er ist in der Nähe der Tram. Also haben wir zugeschlagen und uns für diesen Laden entschieden. Denn der Laden war schon seit langem geschlossen. Denn was will man hier schon groß eröffnen? Der Ort hier ist sehr, .. er befindet sich zu abschüssig für jede andere Art von Geschäft.“ (Marta*, 16.02.2010; Ü.: ML)

Die besondere ‚Mischung‘ der örtlichen Lage, die einerseits zentral und gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden, andererseits das Studio aber diskret begehbar sein sollte, spielte eine wichtige Rolle. Dalvas Studio lag zuerst in einem Hinterhof in der Nähe des Hackeschen Marktes. Danach befand es sich im ersten Stock direkt über einem Szene-Café in der gleichen Straße und heute in einer Seitenstraße der Region. In Hinterhöfen finden sich ebenso die Studios von Silvana H. (Bella Brasil) und Erdinc (Wachs-Dich-Schön), in oberen oder in die Erde gesenkten Stockwerken Reginilces Amazon Waxing, Malinas* Brazilian Waxing Salon*, Augustas Wax and You, Angelicas Queen of Waxing oder Carminhas Copacabana Waxing. Die meisten Studios liegen in kleineren Seitenstraßen zu großen Einkaufs- oder Verkehrsstraßen und Plätzen, sind zugleich aber an relativ viel Wohngebiet angegliedert. Das Konzept von Zentralität und Sichtbarkeit bei gleichzeitiger Diskretion ist nicht zuletzt auf die Praktik selbst zurückzuführen, die bis zum heutigen Tag mit einer gewissen Polemik verbunden und verhandelt wird. Dies hängt mit der besonderen kulturellen Bedeutung von Körperhaaren insgesamt, aber auch mit der direkten Assoziation mit der noch immer hoch debattierten Intimenthaarung zusammen. So meinte Dalva in Bezug auf die Lage ihres ersten Studios in einem Hinterhof im 3. Stock: „Manche Leute finden das besser, dass es hier ein bisschen versteckt ist, weil sie nicht unbedingt wollen, dass alle Leute wissen, dass sie zum Waxing gehen“. Jedoch bedeutete diese versteckte Lage nicht, im Stadtbild unsichtbar zu bleiben. * Die gebotene Diskretion erscheint genau gegenteilig zur Anwerbung der Studios in Flyern, Internetforen und vor allem in der Aufmachung der Außenfassaden, die sich

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– weil oftmals auffällig gestaltet – prominent ins Stadtbild einschreiben. Der Eingangsbereich ist entweder mit leuchtenden Farben und auffälligen Bebilderungen versehen. Bis auf einige wenige Studios bemühen die Frauen hierfür mit Brasilien assoziierte symbolische Repräsentationen, die die Studios im Gegensatz zu den von Deutschen geleiteten Waxing Studios gleich auf den ersten Blick kulturell markieren. (Brazilian) Waxing Studios zeigen vor allem Elemente von Strand- und Urlaubsmotiven sowie tropische Pflanzen- und Vogel-Darstellungen (Palmenwedel, Kolibris, Muscheln, Kokospalmen, aber eben auch Palmenstrände, Karnevalsbilder, der Zuckerhut, Christo Redentor oder Tropenwälder). Auch die brasilianischen Nationalflaggenfarben gelb und grün werden häufig verwendet. Diese Motivwahl stellt auch Assoziationsketten zu anderen ‚brasilianischen‘ Unternehmensformen her, die ebenfalls mit diesen Elementen arbeiten, und wie diese von den positiven Bildern des Repräsentationsregimes zu ‚Brasilien‘ profitierten.17 Auch in der Innendekoration der Warte- und Empfangsräume wiederholen sich diese Gestaltungsstrategien, ebenso wie auf den Webseiten der Studios. Letztere werden von den meisten mittlerweile als eine Art ‚zweite Eingangsfassade‘ eingeschätzt, da sie über diese (und die auf die Webseiten verweisenden OnlineKund/innen-Portale wie Qype/Yelp) einen immer größer werdenden Anteil ihrer Kund/innen gewinnen. Zugleich werden diese Markierungen aufgefangen und ausgeglichen durch andere Gestaltungselemente,18 die die Studios vor einer ‚Ethnisierung‘ im Sinne einer befremdlichen Folklorisierung schützen, und die sie im Vergleich zu herkömmlichen Studios andernfalls als ‚nicht modern‘ wirken lassen könnten. 19

17 Wurden auf diese Assoziationen verzichtet, sind grelle Farben, wie das leuchtende Pink bei Queen of Waxing, im Einsatz, wobei dann der Schriftzug „Brazilian Waxing“ prominent in Szene gesetzt wird oder der Name eine direkte Referenz zu Brasilien aufweist. 18 Hierzu zählt beim Einsatz von Palmwedel oder anderen tropischen Elementen eine Kontrastierung der Motive mit zarten Pastelltönen in lila oder rosa, beides beliebte Farbtöne in mehrheitsgesellschaftlichen Studiodesigns. Auch der Name kann kontrastierend zu den gewählten Motiven und Farben sein, etwa über kurze „peppige“ englische Studionamen, wie Wax-and-you oder Waxline Pure. 19 Eine solche Befürchtung äußerte eine Kundin, als ich sie nach ihren Ängsten vor dem ersten Behandlungsbesuch befragte. „Als immer vom Brazilian Waxing gesprochen wurde, dachte ich, naja, was das wohl für ein Multikulti-Ding für Hippies sein sollte. Aber das sind ja hochmoderne Studios!“ (Kundin Marianne, 58 Jahre, Gespräch vom 11.09.2011).

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Abbildung 5.2: Studiofassade

Quelle. Foto: Carminha (2012), Copacabana Brazilian Waxing Studio

Abbildung 5.3: Innendekoration

Quelle. Foto: M.Lidola (2016), Sempre Bonita

Abbildung 5.4: Flyer-Detail

Quelle. Homepage: Rio Waxing (2012)

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So entsprechen die Studios trotz ihrer kulturellen Markierung den Rezeptionsgewohnheiten des mehrheitsgesellschaftlichen Publikums und lassen sich von ihm als moderne Kosmetikstudios interpretieren. Dies erklärt sich darüber hinaus auch damit, dass die wenigen verfügbaren und Vorbilder die deutschen Studios Wax-in-theCity oder Senzera waren, in denen viele der Frauen zuvor gearbeitet hatten (und von denen sie sich, wie auch von den vielen anderen nachfolgenden ‚deutschen‘ Enthaarungsstudios, differenzieren mussten, ohne dabei ganz anders zu sein). Als Beispiel sei hier Silvanas Bella Brasil Waxing Studio kurz vorgestellt: In einem Hinterhof in unmittelbarer Nähe zu den Hackeschen Höfen in der Großen Hamburger Straße gelegen, verweist am Eingangstor zur Straße nur ein kleiner Werbeaufsteller auf das Studio. Dieses wird im Hinterhof auch nur durch das Klingelschild und eine kleinen Plakette ausgewiesen. Jedoch fand sich direkt an der 50 Meter weiter gelegenen Kreuzung mit der Oranienburger Straße (an welcher unter anderem eine Straßenbahn fährt und die die Fußwegverbindung zwischen Hackeschem Markt und Oranienburger Straße darstellt) ein weiterer, größerer Werbeaufsteller und ein etwa drei Meter langes Banner, das über der Straßenecke ragte. Auf den Werbebildern war der Ausschnitt eines nackten Frauenkörpers von Busen bis Oberschenkel zu sehen, dessen Intimstes mit einem dünnen Palmwedel zart verdeckt ist. Die Schrift- und Dekorationsfarben sind Pastelllila und Pastellgrün. Abbildung 5.5: Werbeaufsteller am Hofeingang

Quelle. Foto: M. Lidola (2012), Bella Brasil

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Abbildung 5.6: Werbebanner Bella Brasil an der Oranienburgerstraße

Quelle. Foto: M. Lidola (2012)

Abbildung 5.7: Bildschirmfoto der Homepage

Quelle. Homepage: Bella Brazil (2012)

Silvana erzählte mir bezüglich des Studionamens: „Bella Brasil habe ich ausgesucht. Bella hat mit Schönheit zu tun. Das ist ein Name, der für jede einfach auszusprechen ist. Ich war unsicher, ob nur Bella oder Bella Brasil. Da hat er [ein Freund, der das Graphikdesign für die Werbung ihres Studios übernommen hatte] gesagt:

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‚Silvana, du bist Brasilianerin. Mach was mit Brasilien.‘ […]. Es kommen ganz viele wegen dem Namen. Wegen dem Namen und wegen der Webseite. Sie sagen, dass die Seite ganz toll aussieht. [War es also gut, dass du Brasil noch in den Namen genommen hast?] Die Referenz ist ganz wichtig, die Kund/innen haben im Kopf: ‚Die sind Brasilianer, die können das gut.‘ Das ist wie mit den Italienern und der Pizza. Das gleiche gilt für Waxing.“ (05.08.2010)

Besonders deutlich wird an dieser Aussage, wie wichtig diese direkte Referenz ‚Brasilien‘ (bzw. Brazilian, Brazil o.ä.) im Namen oder bei der Nennung der Dienstleistung im Namenszusatz ist (auch wenn Frances-Clai und Andréa kritisch anmerkten, dass ‚Brazilian Waxing‘ ja eigentlich allein die Intimhaarentfernung meine, wie sie es aus dem englisch-sprachigen Kontext kennen).20 Diese würde zugleich eine Art Qualitätsgarantie bedeuten, da die spezifische Praktik eng mit der Vorstellung einer kulturellen Tradition in Brasilien und damit der Legitimation der Praktizierenden verbunden ist. Marta* zeigte das daran geknüpfte Verkaufspotential direkt auf, relativierte jedoch klar die damit einhergehende Zuschreibung: „Die Referenz ‚Brazilian‘ macht einen riesen Unterschied: Viele Leute, die sich für uns zu interessieren beginnen und unseren Service kennenlernen wollen, verbinden das gleich mit Brasilien. Weil wir Latinos sind, denken die meisten, dass wir auch die Besten von allen sein müssten. .. Unsere Arbeit ist gut, sie ist sehr gut. Also das mit Sicherheit. Aber zu sagen, dass wir die Besten sind? Ich weiß nicht! .. Ich weiß ehrlich nicht. Aber wir sind gut. Wir sind sehr gut!“ (Marta*, 16.02.2010; Ü.: ML)

Und auch wenn andere Kosmetikstudios mit der gleichen Technik, hierbei jedoch oft unmarkiert als nur „Waxing“ arbeiten und werben, so bemühen sich alle Studioleiterinnen, über eine Referenz auf Brasilien im Namen eine kulturelle Distinktion ihres Studios und ihrer Praktik zu etablieren und der Dienstleistung darüber ein Branding zu geben – trotz der gleichzeitigen Einbettung in die oben erwähnten mehrheitsgesellschaftlichen Rezeptionsgewohnheiten. Der in Silvanas Aussage angestellte Vergleich zur ‚italienischen‘ Pizza fand sich auch in anderen Aussagen wieder, etwa in Marianas: „Wenn du eine Pizza essen willst, dann gehst du zu einem Italiener. Wenn du einen Kebab essen willst, dann gehst du zur Döner-Bude von den Türken. Wenn du also deine Haare weglassen machen willst, dann gehst du besser zu einem brasilianischen Waxing Studio. So einfach ist das.“ ( Mariana, 13.10.2010)

20 Jedoch arbeitet selbst Frances mit dieser Bezeichnung und begründet das damit, dass diese sich in Deutschland nun leider so etabliert hätte und die Kund/innen sonst verwirrt seien, da sie darunter eben allgemein Waxing auf Honigwachsbasis verstünden.

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Den Frauen war bewusst, dass sie dabei waren eine Branche zu etablieren, in der sie sich profilieren und eine professionelle Anerkennung erreichen konnten – „auch wenn leider leider nicht wir auf die Idee gekommen sind, sondern zwei Deutsche“, so schränkte Silvana R. ein. Frances-Clai sagte mir gegenüber: „Ich habe das schon gehört: Die Brasilianer haben sich hier in Deutschland mit ihrer Waxing-Geschichte gefunden. Es wird auf jeden Fall wahrgenommen. Auch wenn es Studios gibt, wo man denkt, das ist ein Brasilianer – aber nein, es ist ein Deutscher“ (26.09.2012). 5.3.2 Das Studio ‚zum Laufen bringen‘, Mitarbeiterinnen finden Allerdings konnten sich die Frauen nicht auf einem kulturellen Branding und die Assoziierung von Waxing mit ‚Brasilien‘ ausruhen. Und so waren die frisch gebackenen Studioleiterinnen zunächst damit beschäftigt, das Geschäft in der Umgebung zu etablieren. Allein eine kreativ gestaltete Internetseite und eine einladende Außenfassade genügten dafür nicht. Viele, vor allem jene Frauen, die noch keine Stammkundschaft aus ihrem vorherigen Arbeitsverhältnis oder privat angebotenen Diensten mitbringen konnten, mussten zunächst bei den Bewohnerinnen der Nachbarschaft werben. So verteilten sie Flyer, legten Gutscheine aus oder veranstalteten ‚Schnuppertage‘. Vor allem die ersten Monate wurden daher als besonders hart empfunden. In den Interviews mit den Studioleiterinnen ließ sich eine durchschnittliche Anlaufphase von mindestens drei, in der Regel jedoch sechs Monaten herausstellen; noch länger dauerte es, bis die ersten Gewinne regelmäßig eingefahren wurden. Hinzu kommt die Erschwernis, dass Waxing anders als andere Kosmetikdienstleistungen saisonabhängig ist, was sich zusätzlich auf den schwierigen Start auswirkte. Leni erinnert sich: „Ich habe im Herbst aufgemacht. Ein Waxing Studio im Herbst, wo im Herbst normalerweise weniger zu tun ist! Die Stammkunden kommen immer, egal ob Schnee fällt, ob die Sonne scheint. Aber für den Sommer.- .. Das ist eigentlich ein Sommergeschäft hier in Deutschland. Bei uns in Brasilien ist es das ganze Jahr über selbstverständlich; die Waxing Studios sind dort immer voll, aber hier...“ (19.09.2012)

Eben auch aufgrund dieser Erfahrungen mit der wenig lukrativen Kältezeit fiel es vielen Frauen in den ersten ein bis zwei Jahren schwer, trotz erhöhter Arbeitsbelastung in den wärmeren Monaten eine oder mehrere Depiladoras fest anzustellen.21

21 Gerade deshalb ließen sich in der Anfangsphase auch eine Bevorzugung von Praktikantinnen ausmachen oder die Rekrutierung auf weibliche Familienangehörige: Leni und Marta* holten ihre Schwestern zunächst für die Sommermonate nach Deutschland, um nach den schwächelnden Wintermonaten die verstärkte Nachfrage in den Sommermona-

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Zudem waren diese ersten Monate ohne nennenswerte Einnahmen bei der ersten Generation mit erneut aufkommenden Zweifeln verbunden, ob diese Kosmetikdienstleistung – und sie selbst als Dienstleistende – tatsächlich angenommen und anerkannt würden. Frauen der zweiten Generation äußerten hingegen in der Regel zunächst Enttäuschungen ihrer vorherigen Erwartungshaltung zu dem anderswo beobachteten finanziellen Erfolg von Waxing. Diese ließ sie daran zweifeln, ob die Lage, die Werbung und die Gestaltung der Studios wohl die richtigen gewesen waren. Leni machte dies in folgender Aussage deutlich: „Ich hatte zu viel Hoffnung in diesen Laden gehabt. Aber am Anfang war es ein bisschen enttäuschend, denn ich hatte mir das anders vorgestellt, dass viele Leute hier sein würden, wie ich das in den anderen Studios gesehen habe. Aber das war nicht so. Am Anfang war es ganz schlimm. Ich hatte keine Kunden. Ich war zehn Stunden hier, von 10-20 Uhr. Manchmal hatte ich einen Kunden, und das Telefon hat nicht einmal geklingelt.“ (19.09.2012)

Silvana H. und Marta* äußerten rückblickend sogar, dass der Studioaufbau gar nicht das schwierigste gewesen war, sondern vielmehr die erste Phase nach der Studioeröffnung, die wie auch bei Leni mit sehr vielen Hoffnungen und der Angst vor Enttäuschung verbunden war. „Es war so“, erzählte Marta*, „die Leute haben uns langsam kennengelernt, langsam, langsam. .. Am Anfang war es ziemlich hart. Ich habe hier schon Tage verbracht, um nur ein Mal ACHSELN für sieben Euro zu machen. An diesen Tagen denkst du: ‚Was mache ich bloß hier?‘ Das ist wirklich kein Zuckerschlecken!“ (Ü.: ML). Unabhängig von den ersten harten Monaten mussten die Studios allerdings durchgehend geöffnet bleiben, um sich etablieren zu können. Lange Öffnungszeiten, oft bis 20 oder 21 Uhr, sollten das Studio für vor allem vermeintlich wohlhabendere Kund/innen (Hausfrauen wie Berufstätige) attraktiv machen. Da finanzielle Ressourcen in dieser Zeit knapp waren, und Aushilfen oder Angestellte nicht vom Budget abgedeckt werden konnten, blieb es an den Studioleiterinnen, während der zehnstündigen Öffnungszeit die Stellung zuhalten. Darüber hinaus mussten sie alle anfallenden Arbeiten auch vor Öffnung und nach Schließung (wie Putzarbeiten und Abrechnungen) übernehmen – oftmals, wie Marta* erwähnte, für gerade einmal sieben Euro Tagesumsatz. Doch auch nachdem das Studio angelaufen war, änderte sich für die meisten am Arbeitsvolumen nichts, womit nicht alle gerechnet hatten. Selbst die Einstellung von Mitarbeiterinnen hatte zunächst kaum Auswirkungen auf den Arbeitsumfang der meisten Studioleiterinnen. Für die erste Phase der Berliner Waxing Studios ließ sich beobachten, dass viele Studioleiterinnen in erster Linie brasilianische Mitarbeiterinnen einstellten. Das war

ten aufzufangen. Bei beiden etablierte sich das Studio so rapide, dass ihre Schwestern dauerhaft nach Deutschland zogen und für längere Zeit als Festangestellte arbeiteten.

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eng mit dem Branding der Dienstleistung als ‚brasilianisch‘ und mit daran geknüpften Verkaufsstrategien verbunden. Mariana machte mir sehr deutlich, dass genau aus diesen Gründen für sie nur Brasilianerinnen in Frage kämen. „Die Kunden fragen. Es gibt Leute, die einfach die Tür aufmachen und fragen, ob hier brasilianische Mitarbeiter sind. Sonst gehen die wieder“ (Mariana, 13.10.2010). In ihrem Bemühen, mir kulturell herzuleitende Authentizität zu verdeutlichen, fügte sie hinzu: „Wir wollen auch hier in Deutschland weitergeben, dass es etwas Brasilianisches ist. Die Brasilianer, die können das richtig. Sie kennen das schon, seitdem sie jung waren“. Andere Studioleiterinnen bevorzugten Frauen, die aufgrund ihres Aussehens und/oder Verhaltens eine lateinamerikanische Herkunft von Seiten der deutschen Kundinnen zugeschrieben bekommen, aber unbedingt Deutsch sprechen und so gezielt auf die Kundinnen zu- und eingehen können. Marta* verdeutlichte mir hierfür ebenfalls den verkaufsstrategischen Vorteil, der auch mit der oben genannten Erwartungshaltung seitens der Kundinnen zusammenhängt: „Die Leute kommen gern her, weil wir sehr sympathisch sind. Alle hier. Jeder der durch diese Tür hier geht, also wenn er eintritt: Die Musik ist laut, so richtig Samba. . Ich johle von hier drinnen raus, dort singt eine laut. Manchmal tanzen wir Samba hier, manchmal da. – Soll heißen, die Leute die herkommen, die fühlen sich wie im Urlaub. .. Die fühlen sich wie im Urlaub, weil hier so eine menschliche Wärme herrscht. Sie sagen, dass sie das hier richtig spüren.“ (Marta*, 16.02.2010; Ü.: ML)

Für Marta*, die neben zwei Brasilianerinnen und einer Bolivianerin auch eine Russin beschäftigt, war es wichtig, dass alle Angestellten die mit der Praktik verbundene und in der Studiogestaltung aufgefangene Urlaubsatmosphäre in ihrem Verhalten gegenüber den Kund/innen verkörpern und darüber als ‚Latinas‘ passieren können.22 Neben einer allgemeinen Vertrautheit mit dem Handwerk oder verkaufsstrategischen Gründen bevorzugten einige Studioleiterinnen brasilianische Angestellte, die erst seit kurzem in Deutschland leben, um ihnen den Einstieg in das neue Le-

22 Eine Anrufung als ‚Latinas‘ oder ‚Brasilianerin‘ erfolgt, so erklärten mir viele Interviewpartnerinnen, zunächst über die äußere Erscheinung, bei der eine nicht-weiße Hautfarbe eine wesentliche Rolle spielt. Doch kann eine solche Anrufung auch über Verhalten und Auftreten, Akzent sowie die aktive Positionierung der Frauen als Brasilianerin hervorgerufen werden. So erzählte mir Andréa diesbezüglich: „Also, wenn du in die Kabine kommst, ähm.- Also zum Beispiel: Ich bin so richtig blond [loirinha], also super weiß [branquinha], und deshalb kommen die nie auf die Idee, dass ich Brasilianerin bin. Aber wenn die meinen Akzent hören, und wenn die merken, dass ich wirklich Brasilianerin bin, dann sind sie total erleichtert. Die sagen: ‚Ah, bei mir bedient das Original.’ So fühlen die sich dann“ (Andréa, 05.10.2012, Ü.: ML).

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bensumfeld zu erleichtern. Dalva begründete es damit: „weil ich weiß, wie es für mich zu Anfang schwierig war, einen Job zu finden“ (Interview vom 19.02.2010). Hier spielten oftmals auch die Sprachkenntnisse oder kosmetischen Kompetenzen eine untergeordnete Rolle, denn diese könnten, so die entsprechenden Studioinhaberinnen, aufgrund der kulturell bedingten Affinität mit Waxing über die praktische Erfahrung erlernt werden. Silvana sagte bei unserem ersten Interview ebenso, dass sie eigentlich nur mit Brasilianerinnen arbeiten wollte, relativierte nach zwei Jahren Studioleitung aber: „Am Anfang wollte ich, dass nur Brasilianer hier arbeiten. Aber das war nicht einfach, mit ihnen zu arbeiten. Deswegen habe ich noch zwei Mädchen, eine Deutsch-Araberin und eine Deutsche-Türkin. Die sind gut, die können das auch. Die brauchen nur ein bisschen Übung. Das wichtige ist, dass sie das gern machen müssen, sonst ist die Leistung nicht so gut. Sie sollen nicht nur einen Job brauchen, sondern mit Menschen arbeiten wollen.“ (05.08.2010)

Ergänzend zu ihren brasilianischen Angestellten hatte sie also einige Zeit nach der Studioeröffnung zwei gelernte nicht-brasilianische Kosmetikerinnen eingestellt. Silvana H. zufolge hatten diese dennoch, wie Brasilianerinnen, aufgrund der kulturellen Herkunft eine Affinität zu derlei Enthaarungspraktiken. Ein Jahr später konkretisierte Silvana ihre Meinung zu ihrer Mitarbeiterinnenwahl und auf die sich verändernden Kriterien, die sie nun auch an brasilianische Depiladoras stellte. Sie machte deutlich, dass sie keine exklusive Einstellungspraxis verfolgte. Handwerklich bescheinigte sie immer noch den brasilianischen Depiladoras mehr Können. Jedoch waren neben dem Beherrschen des Handwerks weitere Kriterien für sie hinzugekommen, wie Pünktlichkeit und Deutsch-Kenntnisse sowie Kommunikationsfreudigkeit. Gerade über Verlässlichkeit und sprachliche Vorteile würden deutsche Depiladoras noch fehlendes handwerkliches Geschick ausgleichen können: „Ich würde das nicht unterstützen: Nur so wie ich Brasilianer bin, stelle ich nur Brasilianer ein. Ich selber wünsche mir das hier auch nicht. Erstens: Wenn ich nur Brasilianer einstelle, verhalten sie sich anders. Es ist ein großer Unterschied, ob ich einen Deutschen anstelle oder eine Brasilianerin. Die Brasilianerin, die hat nicht diese Disziplin wie eine Deutsche. Das ist ein großer Unterschied. Ich weiß darüber Bescheid, weil ich damit zu tun habe. Deswegen unterstütze ich das nicht. Also, ich würde auch lieber, wenn die deutschen Depiladoras gut wären, mehr Deutsche als Brasilianer anstellen. Weil ich dann weiß, dass ich mich auf die Deutschen verlassen kann, ich weiß dass sie um zehn Uhr hier sind: Ich weiß , dass wenn sie nicht kommen, die mich anrufen werden; ich weiß, dass sie immer pünktlich da sind; ich weiß, dass sie mit den Kunden umgehen können; das weiß ich. Ich hatte Probleme mit denen, die kein Deutsch können: Die können mit den Kunden nicht umgehen. Und die Deutschen wollen immer alles wissen. Die fragen auch. Die wollen Information haben, die wollen beraten werden, das ist normal. Und wenn eine Brasilianerin das nicht kann, dann sind die Kunden ein

228 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT bisschen verzweifelt. Deswegen finde ich auch wichtig, dass ein Brasilianer gut deutsch sprechen soll – nicht perfekt, aber so dass sie sich verständigen kann.“ (08.10.2011)

Was die Wahl der Mitarbeiterinnen betrifft, so zeigt sich an diesen Beispielen, haben die einzelnen Studios im Lauf der Zeit ganz unterschiedliche Kriterien entwickelt. Erst mit der Zeit begannen einige Studios, wie Silvanas, ihre Einschätzung der passenden Bewerberinnen zu ändern: Kosmetische Erfahrungen und/oder eine Ausbildung wurden immer entscheidender für eine Einstellung. Nicht zuletzt war dies mit den zunehmenden Professionalitätsansprüchen an die Studios und der steigenden Konkurrenz verbunden. Stellenausschreibungen für Depiladoras werden zunehmend auf den Webseiten sowie auf der Facebook-Seite der Studios veröffentlicht. Sie beinhalten generell eine Auflistung von Einstellungsvoraussetzungen, auch wenn diese sehr vage und offen gehalten sind. Hillmann sieht gerade in einer Rekrutierung der Mitarbeiter/innen, die „nicht nur über informelle Kanäle“ laufe, „einen gewissen Institutionalisierungs- und Professionalisierungsgrad des ‚ethnischen Gewerbes‘“ (Hillmann 1998: 19f). Einige erste Studios haben damit begonnen, einen Mix bei ihren Mitarbeiterinnen bezüglich der genannten Kriterien zu verfolgen, um diese gezielt bei ihren Kundinnen einzusetzen. Auch eine zunehmende Arbeitsteilung lässt sich in den erfolgreich arbeitenden Studios feststellen. Dies schlägt sich auch in den Einstellungskriterien nieder. Beispielsweise werden offene Stellen für Rezeptions- und Sekretariatsarbeit beim Arbeitsamt gemeldet. Eine grundlegende Rekrutierungsstrategie aller Studios, unabhängig von ihren sonstigen Vorlieben, ist für Depiladoras jedoch der Einstieg über ein mehrwöchiges Praktikum. Darin werden die studioeigenen Ansprüche an die Arbeitsperformance und Handwerklichkeit an die potentiellen neuen Mitarbeiterinnen vermittelt (vgl. Kapitel 6). Zusammenfassend zeigte dieser Abschnitt die unterschiedlichen Strategien der Verortung, Sichtbarmachung und Etablierung der Studios, sowohl bezüglich ihrer Lage und Gestaltung, der Anwerbung der Dienstleistung als auch der Wahl der Mitarbeiterinnen. Die Studioleiterinnen verdeutlichten in den Interviews ein beständiges Ausbalancieren zwischen einem kulturellen Branding der Studios als ‚brasilianisch‘ und einer die deutsche Mehrheitsgesellschaft ansprechenden, deethnifizierenden Markierung der Dienstleistung. Doch auch nachdem das Studio angelaufen und Mitarbeiterinnen eingestellt waren, stellte sich für viele Frauen die Aufgabe, das mit der Studioleitung verbundene hohe Arbeitsvolumen zu bewältigen. Im Folgenden soll daher genauer auf die Bereitschaft zur Mehrarbeit und die damit verbundene Reorganisation des Arbeitsalltags der Frauen geschaut werden.

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Abbildung 5.8: Mariana

Abbildung 5.9: Cleide

Quelle. Foto: M. Lidola (2016)

Quelle. Foto: Cleide M. (2016)

Abbildung 5.10: Dalva

Abbildung 5.11: Silvana H.

Quelle. Foto: M. Lidola (2016)

Quelle. Homepage: Bella Brasil (2013)

Abbildung 5.12: Carminha (links) und Kollegin

Abbildung 5.13: Leni

Quelle. Foto: Copacabana Waxing (2012)

Quelle. Foto: Leni (2014)

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5.4 D AS S TUDIO

LEITEN

5.4.1 Ambivalente Anerkennungen: „Sie staunen schon, wie ich das schaffe“ Die Studioleitung war für die Unternehmerinnen mit einer ganzen Reihe neuer Aufgaben und langen Arbeitstagen verbunden. Die von manchen mit der Selbständigkeit erhoffte Flexibilität war nur eine sehr bedingte. Die Studios, auch wenn sie nach einigen Monaten endlich Geld einbrachten, erforderten aufgrund der zentralen Lage (und trotz relativ geringer betrieblicher Sach- und Materialkosten) auch finanzielle Investitionen. Das wiederum versuchten die Leiterinnen über wenige Mitarbeiterinnen zu kompensieren. Andréa, die sich mehrmals dagegen entschieden hatte, sich selbständig zu machen oder eine Geschäftspartnerschaft einzugehen, erzählte mir von der „Überraschung“, der sich viele Frauen, die auf einen raschen finanziellen Erfolg hofften, gegenübersahen: „Also, hier sind einige mit ziemlich viel Durst an den Brunnen gekommen. Die haben geglaubt, dass ein Waxing Studio zu eröffnen richtig viel Geld bringt. Mag sein! Wenn du zu arbeiten weißt. Aber wenn du das nicht kannst, dann bringt es dir nichts! .. Wenn du die Chefin bist, musst du den Ochsen an den Hörnern packen. Wenn du das die ganze Zeit machst, dann ja! Aber, wenn du nur deine Angestellten vorschickst und die noch bezahlen musst, du auch noch Strom und Miete zahlen musst, STEUERN, Wachs, das ganze Material und ich weiß nicht was noch- dann bleibt die am Ende nix mehr übrig. Nur STRESS. Und wofür? Um den Titel ‚Chefin‘ zu tragen? Wie viel Geld dafür draufgeht! Und nun stell dir die Leute vor, die Miete zahlen müssen, Angestellte, KRANKENKASSE, FINANZAMT, STEUERBERATER, Anwälte, WERBUNG und ich weiß nicht was, die Website und so viele andere Sachen mehr, die ich dir gar nicht aufzählen kann. Dann ist das Geld einfach futsch.“ (05.10.2012, Ü.: ML)

Die diversen Rechnungen, die auch in einem ‚Ein-Frau-Betrieb‘ anfielen, und die dadurch bedingten Einsparungen vor allem beim Personal führten zu beträchtlicher Mehrarbeit. Das brachte die Betreiberinnen teils bis an die Grenzen ihrer Kräfte und erwies sich zunächst als konträr zu den erhofften Erleichterungen des Arbeitsalltages. Anstatt flexibler den Arbeitstag gestalten zu können, war es oftmals sogar umgekehrt und es wurde vielmehr im Umgang mit den Kundinnen Flexibilität geübt, wie es mir Angelica nachzeichnete: „Ich muss etwas flexibel sein und mich ganz nach den Kunden richten. Also, ich schreibe dort meine Öffnungszeiten an die Tür. Wir sind hier in Deutschland, aber das Klima hier ist manchmal ganz schön brasilianisch. Manchmal ruft die Kundin an: ‚Ai, ich kann jetzt nicht

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kommen, weil ich nicht von der Arbeit wegkomme. Kann ich am Feierabend kommen?‘ Und ich antworte: ‚Klar doch, ich mache ÜBEERSTUNDEN, kein Problem.‘“ (Angelica, 09.10.2012; Ü.: ML)

Und so fragte ich bei den Frauen nach ihren Tagesabläufen, für die ich exemplarisch den von Silvana H., einer wohlgemerkt erfolgreichen Studioinhaberin, kurz vorstellen möchte: „Also, man muss das wirklich gern machen. Ich als Frau mit drei Kindern und allein lebend. Morgens aufstehen, Kinder zur Schule bringen. Ich mache noch viele Sachen selber, wie sauber, und aufräumen. Wir machen hier um elf Uhr auf, wir geben aber schon um zehn Uhr Termine, denn es gibt viele Kunden, die müssen arbeiten. Deshalb geben wir Termine um zehn Uhr. Aber ich bin schon um neun Uhr oder früher hier. Das Wachs muss eine Stunde vorher auf dem Herd stehen, das muss warm sein. Die Kabine muss sauber gemacht werden, Toilette und Küche. Und dann ist es auch nicht so, dass ich sage, ich kann am Nachmittag nicht kommen, weil wir immer Kunden haben. Also muss ich da sein. .. Wir sind hier in einer teure Lage, da muss das Studio von morgens bis abends voll sein. Wir sind aber noch nicht in der Lage so viel Personal zu bezahlen, damit ich nicht kommen brauche. Ich gehe frühestens um halb neun. Und das jeden Tag. Wir schicken keine Leute nach Hause. Es kommen immer Leute zehn Minuten vor Schluss. Das ist die Arbeit. Man kann nicht richtig planen. Kunden kommen zu spät. .. Also ich bin von montags bis samstags hier, jeden Tag. Und ich gehe wirklich nur raus, wenn ich etwas Dringendes erledigen muss, für die Kinder für die Schule oder einkaufen. Sonntag ist der einzige Tag, wo wir nicht arbeiten. Manche Sonntage komme ich auch hierher, um mal so richtig alles zu putzen. .. Und so läuft das.“ (08.10.2011)

Für Frauen wie Silvana, die zuvor einer abhängigen Beschäftigung nachgegangen waren, bedeutete die Studioleitung eine Reorganisation ihres Alltags. Dieser musste insbesondere mit ihren familiären Verpflichtungen abgestimmt werden. Sie, wie auch andere alleinstehende Frauen, wurden hierbei zusätzlich von anderen mit ihrer Rolle als alleinerziehende Mütter konfrontiert. Silvana H. erwähnte im weiteren Verlauf dieses Interviews, dass ihr hohes Arbeitsvolumen vor allem in der Anfangsphase ihres Studios zu viel Kritik innerhalb ihres deutschen Freundeskreises, aber vor allem seitens der Familie ihres Ex-Mannes, geführt habe: „In der Familie von meinem Ex-Mann haben alle ihre geregelte Arbeit. Das wird nicht großartig hervorgehoben. Die haben ihren Beruf gelernt und machen das noch genauso, ein ganz ruhiges Leben.. Die Schwester von meinem Ex-Mann hat einen Sohn, und es war für sie schon zu viel, dass sie arbeiten musste und das Kind- Sie hat oft angerufen und gesagt: ‚Was ist mit den Kindern, du arbeitest zu viel, die Kinder sind da.‘ Ich habe geantwortet: ‚Ja, aber ich kann anders nicht.‘ Und meine Kinder wissen, dass ich arbeite, die wissen das. Und die müssen das verstehen. Ich kann jetzt nicht einfach sagen: ‚So, ich gehe jetzt einfach nicht ar-

232 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT beiten.‘ Weil ich Kinder habe. Wir müssen schon gut versuchen damit umzugehen. … Ich würde mir ja gern mehr Zeit nehmen, aber dann vernachlässige ich das Geschäft und irgendwann muss ich es zumachen. . Ja .. und dann wundern sie sich, wie ich das mache. Ich muss mich mit meinem brasilianischen Temperament durchsetzen, um das alles zu schaffen.“

Diese Reorganisation bedeutete nicht nur genau abzustimmen, wann sie ihre Kinder verpflegte oder mit ihnen die Hausaufgaben bearbeitete. Es bedeutete auch, ihr Umfeld in ihr neues Arbeitsleben einzubeziehen und ihnen diese neue Arbeitsform und damit verbundene Herausforderungen und Notwendigkeiten begreiflich zu machen. Wie bei den anderen Interviewpartnerinnen stand bei ihr zugleich aber außer Frage, dass sie ihren Verpflichtungen als Mutter nachkommen musste, und sie Haushaltsaufgaben nicht einfach ‚auslagern’ konnten. Keine der Frauen gab an, eine Haushaltsarbeiterin zu beschäftigen, obwohl einige von ihnen aufgrund ihrer vorherigen Tätigkeiten gut mit Haushaltsarbeiterinnen vernetzt und bekannt waren. Zum einen kam dies nicht in Frage, weil das nötige Geld dafür fehlte; zum anderen, weil die Frauen mir gegenüber den Anspruch äußerten, es „selbst zu schaffen“. (Ich würde hierbei auch mutmaßen, dass sich viele nicht vorstellen konnten, ähnlich wie sie zum Teil für andere gearbeitet haben, nun vielleicht sogar Bekannte für diese selben Tätigkeiten im eigenen Haushalt einstellen zu müssen. Allerdings wurde mir ein solcher Gedanke nie direkt geäußert). Lediglich konnte ich feststellen, dass unter Freundinnen, die ebenfalls Mütter waren, die Kinderbetreuung hin und wieder verteilt wurde, ohne dass dies jedoch finanziell kompensiert wurde. Es handelte sich hier also um Freundschaftsleistungen, die als soziale Ressource zu verstehen sind. Doch nicht nur bei alleinerziehenden Müttern war eine solche Verständigung über die neuen beruflichen Aufgaben mit den Familienmitgliedern nötig, sondern auch bei verheirateten Frauen. Wie gezeigt, kam vielen Frauen der Umstand zugute, dass die Entscheidung zur Selbständigkeit eine gemeinsam getragene, wenn nicht sogar von ihren Ehemännern motivierte war. Das Studio wurde für die Nahestehenden zu einem gemeinsamen Referenzrahmen für die neue Verantwortlichkeit der Mutter/Ehefrau und nahm damit Einfluss auf den Alltag aller. Viele Ehemänner waren nicht nur eine wichtige Stütze beim Studioaufbau gewesen, sondern standen den Frauen nach Anlaufen des Studios weiterhin bei vielen anfallenden Arbeiten und mit Beratung zur Seite. Nichtsdestotrotz wartete bei vielen dieser Frauen zu Hause die „zweite Schicht“ (Hochschild 1983). Ana* sagte, dass sie nach Feierabend oftmals „quase morta“ (dt.: fast tot) nach Hause käme, sie dann jedoch damit beginne, das gemeinsame Abendbrot der Familie vorzubereiten. Allerdings kann nicht generalisierend von einem „zwei- oder dreifachen Arbeitstag“ dieser Frauen (Phizacklea/Wolkowitz 1995) gesprochen werden. In den Interviews stellte sich oft auch heraus, dass in vielen Familien eine (Neu-)Verhandlung darüber stattfand, was zu den Pflichten der Frauen im gemeinsamen Haushalt gehörte, und welche von anderen Familienmitgliedern übernommen werden sollten. Doch trotz einer Umvertei-

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lung von Haushaltsaufgaben kam es bei keiner zu einer Neuschreibung der Geschlechterverträge innerhalb der Familie, die nicht schon vor der gewerblichen Selbständigkeit stattgefunden hätte (vgl. hierfür auch Padilla 2008: 187). Allerdings zeigt sich, dass – bedingt durch die neuen Arbeitsaufgaben, das neue Arbeitsvolumen und die damit verbundenen betrieblichen Verantwortlichkeiten ihrer Frauen – sich die Ehemänner in der eigenen Alltagsroutine an die ihrer Frauen anpassen mussten, jenen also entgegenkamen. Bei einigen Frauen, wie beispielsweise Neide* oder Angelica, erhielten die Angelegenheiten des Geschäftes sogar Priorität gegenüber den beruflichen Planungen des Ehemannes. Darüber hinaus ließ sich bei allen verheirateten Studioinhaberinnen beobachten, dass im Gegensatz zu den in ethnic business-Studien monierten un-/geringbezahlten weiblichen „mithelfenden Familienangehörigen“ (Anthias 1992) vielmehr die Frauen nun auf ihre Männer als unbezahlte „Helfer“ zählen konnten. Diese wurden Aushilfe in der Rezeption, unterstützten beim Putzen und bei Abrechnungen. Diese Feststellung ist wiederum in den spezifischen Kontext der binationalen Familienkonstellationen und der brasilianischen Migration nach Deutschland insgesamt einzubetten. Sie steht konträr zu Ergebnissen, die Forscherinnen in Studien zur unternehmerischen Selbständigkeit von Migrantinnen in vor allem intraethnischen Familieneinbettungen bisher erarbeitet haben, bei denen vor allem vorherrschende Geschlechterrollen inkompatibel mit „men’s subordination to helping positions in women’s enterprises” seien (Kontos 2003a: 187 auf die Ergebnisse von Anthias, Metha, Hillmann und Morokvasic bezugnehmend). Statt die unternehmerische Selbständigkeit der Frauen als vorrangig oder ausschließlich emanzipatives Projekt zu verstehen, sind es in den hier untersuchten Fällen brasilianischer Unternehmerinnen genau die oben herausgearbeiteten mehrschichtigen (und sich im Verlauf der damit verbundenen Prozesse verändernden) Bedeutungsebenen für die Entscheidung zur Selbständigkeit, die eine solche vereinfachende Wertung nicht zulassen. Das Studio war daher gerade bei verheirateten Frauen eine Unternehmung, die zwar den Frauen zugeordnet war, aber auch auf gemeinsamen Anstrengungen der Eheleute basierte. Der Erfolg des Studios war für beide Eheleute von Interesse, nicht nur was die finanzielle Seite anbelangte. Deshalb war die Unterstützung der Ehemänner wichtig. Die Bereitschaft zur Mehrarbeit muss zudem in einen übergeordneten Kontext eingebettet werden, der interpersonell vermittelte Formen der sozialen Anerkennung umfasst. Silvana H. verdeutlichte mir ihre Einstellung, indem sie zunächst einen Vergleich vornahm, der sich auf den Stellenwert des Bedürfnisses nach Regelmäßigkeiten und Sorglosigkeit bei den Deutschen bezieht: „Die Deutschen legen nicht sehr viel Wert auf Selbständigkeit. Sie wollen eine geregelte Arbeit, sie wollen ein geregeltes Gehalt und sie wollen auch Urlaub machen. Sie möchten die Stunden arbeiten, die im Vertrag sind, und nicht mehr. Und .. ich arbeite mit vielen Men-

234 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT schen. Wir haben 30 verschiedene Menschen am Tag, und das jeden Tag. Von daher kenne ich das auch gut, wie sie denken. Sie wollen keine.- So wie ich: Ich komme hier um neun und gehe um 21 Uhr. Und wenn ich nach Hause komme, muss ich noch kochen und waschen und und und. Das wollen die Deutschen nicht. Die wollen lieber ihre Arbeitszeit, ihre acht Stunden, dann wollen sie ihren Urlaub machen. Sie legen schon sehr viel Wert auf ihre Freizeit und auf Urlaub.“ (Silvana H., 08.10.2011)

Indirekt nimmt Silvana durch diese den Deutschen zugeschriebenen Attribute – Liebe zur Routine, Wertschätzung von Erholung, das Bedürfnis nach Sicherheiten – eine unausgesprochene Aufwertung der eigenen Arbeitsmoral vor. Diese Aufwertung begründet sie mit der Mehrarbeit, der eigenen Flexibilität und Risikobereitschaft sowie mit ihren Koordinationsfähigkeiten von Mehrfach-Belastungen, die sich auf Familienverpflichtungen ausweiten. Auffallend ist zudem die Validität, die sie ihrer Einschätzung aufgrund einer quantitativen Zuordnung mir gegenüber herausstellt („Wir haben 30 verschiedene Menschen am Tag, und das jeden Tag“). Das Interview, das sich mit den unterschiedlichen Facetten ihrer gewerblichen Selbständigkeit beschäftigte, führte ich mit Silvana H., nachdem wir beim vorherigen Treffen über ihre Migrations- und Arbeitstrajektorien gesprochen hatten. Die hier zitierte Aussage muss daher auch in Bezug auf die in ihrer arbeitsbiographischen Erzählung hervorgehobene Flexibilität gelesen werden. Diese Anpassungsfähigkeit bezieht sie nun aber nicht mehr auf ihre Fähigkeit, sich in ein neues Arbeitsfeld schnell und gekonnt einarbeiten zu können. Stattdessen umfasst diese nun ihre ganzheitliche Alltagsorganisation als alleinerziehende Mutter, Unternehmerin und Ausländerin. Das gekonnte Ausbalancieren der Mehrfach-Belastungen, das die Frauen neben der Bewunderung, es als ‚Ausländer‘ „geschafft zu haben“, in den Augen ihren Kund/innen, Familienangehörigen und Bekannten aufwertet, wird auch in der folgenden Aussage Silvanas deutlich: „Die Leute reagieren auf jeden Fall anders. .. Ich bin hier und arbeite, und es gibt viele, die nicht wissen, dass ich das Geschäft führe. .. Und wenn ich sage, dass ich das Geschäft führe, dann erschreckt jede Frau und sagt: ‚Oah, wie schaffst du denn das?‘ Denn sie wissen auch, dass ich drei Kinder habe und dass ich wenig Zeit für meine Kinder habe. Aber die finden das schon gut. .. Die Deutschen sind dann auch so .. begeistert, dass ich das als Brasilianerin hier, das ich das schaffe. Sie staunen schon, wie ich das schaffe.“ (Silvana H., 08.10.2011)

Zum Tragen kommen hierbei mindestens drei Dimensionen: 1) eine Positionierung als Frau in einer männlich-konnotierten Domäne der unabhängigen Arbeit; 2) eine Positionierung als Brasilianerin in Abgrenzung zu stereotypen Zuschreibungen und einer Anrufung als ‚Ausländer‘ im Kontext unabhängiger Arbeit und 3) eine Positionierung als Unternehmerin und Mutter vor dem Hintergrund der anderen intersektionalisierenden Zugehörigkeitsregime:

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Erstens deckt sich über die indirekten Zitate Silvanas von der ihr durch andere Frauen entgegengebrachten Bewunderung ihrer Tüchtigkeit und ihres Geschicks, alleinerziehende Mutter und Unternehmerin unter einen Hut zu bekommen, mit einer generellen Vorstellung der unternehmerischen Frau als hart arbeitend, flexibel und selbstlos. Achterhagen/Welter beobachteten diese Formen der (Selbst-)Zuschreibungen bzw. diskursiven Positionierung allgemein bei unternehmerisch tätigen Frauen: „A female entrepreneur is mainly understood as being a hard-working power-woman, showing enthusiasm, energy, firmness and cleverness, in short: a superwoman, standing her ‚woman‘ in a male-dominated business world“ (2003: 93). Es tut sich damit die Problematik auf, dass Frauen nicht ‚einfach nur Unternehmerinnen‘ sein können. Sie müssen auch ‚ganz besondere Frauen‘ sein, um in der Sphäre der unabhängigen Arbeit teilhaben zu können. Diese Erwartungshaltung äußert sich nicht nur in einem männlichen Unternehmerumfeld, sondern erstreckt sich auch auf andere (in der Regel nicht unternehmerisch tätige) Frauen: Die Erfüllung dieser Erwartungshaltung wird zur Voraussetzung, um auch bei anderen Frauen als unternehmende Frau geschätzt zu werden. Der auch heute noch wirkmächtigen männlich-vergeschlechtlichten Konnotation von ‚Arbeit‘ versuchen Gleichstellungsmaßnahmen in Familien- und Arbeitspolitik sowie engagierte Berichterstattungen in Medien und Öffentlichkeit zwar immer mehr entgegenzuwirken. Dennoch kommt diese Konnotation in Bezug auf die unabhängige Arbeit noch einmal stärker zum Tragen, da diese mehr noch als die abhängige Erwerbsarbeit mit maskulinisierten Wertvorstellungen und Lebensentwürfen verbunden wird. Zu diesen einer neoklassischen Logik zugeordneten maskulinisierten Wertzuschreibungen zählen laut Erika Holst unter anderem Rationalität, Logik, Bestimmtheit, Mut, Dominanz, Selbstbewusstsein, Führungswille, Emotionslosigkeit, Unabhängigkeit, Leistungsund Wettbewerbsorientierung oder Ehrgeiz (Holst 2001: 7). Und so wurde eine Teilhabe in dieser Sphäre gesellschaftlich lange Zeit nicht den als ‚typisch‘ oder ‚durchschnittlich‘ geltenden Frauen zugestanden. Mit der ‚Entdeckung‘ der Frau als potentielle Entrepreneur, die in engem Zusammenhang zum einsetzenden ‚Aktivierungsimperativ‘ in der BRD seit den 2000er Jahren zu setzen ist (Lanz 2007: 217), rückt jedoch auch ein anderes, den Frauen zugestandenes Unternehmerinnen-Profil in den Fokus: „Stereotypical female attributes, such as emotions, fairness, social values, female logic, sympathy and understanding, are also stressed“, stellten Achterhagen/Welter in ihrer diskursanalytischen Untersuchung zu Darstellung von Unternehmerinnen in deutschen Medien fest, „leading to the implicit assumption that a successful female entrepreneur needs to be more male than any man, but also more female than any woman” (Achterhagen/Welter 2003: 93f). Die letztgenannten feminisierten Attribute werden in den Studios wiederum ganz explizit erwartet. Mit ihnen sollen die Frauen einerseits im Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und andererseits im Umgang mit den Kundinnen aufwarten. Eine Abweichung von diesen wurde ihnen von beiden Seiten –

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Kundinnen und Mitarbeiterinnen – als Inkompetenz in ihrer Funktion als Studioleiterin bzw. Vorgesetzte gewertet. Diese Feststellung durch Kundinnen ziehe ich aus einer Auswertung diverser Qype-Foren, in denen sich Kundinnen zu diesem Aspekt äußerten,23 sowie aus Interviewmaterial mit Kundinnen. In Interviews sprachen die Kundinnen allerdings nie negativ über das von ihnen frequentierte Studio, sondern immer über eines, wo sie „mal gewesen“ waren. Bei Nachfragen, was sie an der entsprechenden Studioinhaberin schätzen würden, erhielt ich bemerkenswerterweise detaillierte Ausführungen über sozio-kulturell eher feminin kodierte Charakterisierungen: „Das ist eine ganz Nette. Also, die ist immer so herzlich. Ne, also- Wenn man die so sieht, würde man gar nicht drauf kommen, dass sie die Chefin von dem Laden ist, also so, so ganz bescheiden“ (Nadine L., 46 J., 20.09.2011). Bei Gesprächen mit Mitarbeiterinnen konnte ich ähnliche Frage-AntwortMuster erkennen. In Bezug auf ehemalige Vorgesetzte wurden mir negative Attribute herausgestellt, die teils maskulin konnotiert wurden und als mangelnde Kenntnis über Umgangsformen mit dem angestellten Personal identifiziert wurden: „Leider gibt es Leute, die über Leichen gehen. Die steigen auf dem Rücken anderer Leute nach oben und wenn sie dann einen gewissen Grad von- von- von Majestät erreicht haben, glauben sie, sie könnten alles mit einem machen. Die verlieren dann jegliche Qualität, ohne dass sie das mitkriegen. Und sie achten dann nicht mehr darauf, dass ein Unternehmen nur funktioniert, wenn sie gute Angestellte haben. Denn allein kommen sie nirgend wohin. Das ist also ein Zusammenspiel, ein Team, wo es eigentlich keinen Chef gibt. Es gibt einen Organisator, eine Person in der Verantwortung, einen Direktor, aber darüber hinaus existiert nur das Team. [...] Die eröffnen also ein Geschäft, und die hatten vorher nichts im Leben gehabt, und nur weil sie nun etwas in ihrem Leben erreicht haben, wollen sie das dann gleich als Druckmittel nutzen. Und sie hören dann auf, also, also menschlich zu sein. Verstehst du?“ (Neide*, 11.09.2012; Ü.: ML)

Umgekehrt wurde mir in Bezug auf die aktuelle Vorgesetzte von deren Vorzügen berichtet, die sich an feminisierten Eigenschaften orientierten: Sie seien an einem guten Klima im Studio interessiert, würden die familiäre Einbindung der Depiladora berücksichtigen oder würden sich überhaupt nicht „wie ein Boss“ aufführen, immer nett und hilfsbereit sein und viel Geduld (vor allem beim Training der Depiladora) haben. Zusammenfassend sei herausgestellt, dass eine Positionierung als Studioleiterin dem Gegenüber (Kundin oder Depiladora) stets das Anrecht einräumt, diese ent-

23 Z.B.: „Die Geschäftsführerin dort ist ziemlich von sich eingenommen und glaubt, die Wahrheit mit den Löffeln gefressen zu haben. [...] sie war außerdem etwas ‚herrisch‘ im Ton.“ (Qype-Eintrag von Christiana* am 09.05.2012)

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sprechend in ihrer Performanz als Unternehmerin beurteilen zu können. Hierfür werden die Studioleiterinnen mit Hilfe vergeschlechtlichter Vorstellungen von maskulinisierten und feminisierten Attributen der unabhängigen Arbeit abgeglichen und diesen zugeordnet. Der Grad der Anähnlichung (Villa 2013, vgl. Kapitel 2) der Performanz der Studioleiterinnen an diese Vorstellungen beeinflusst entsprechend Anerkennung und Kritik. Mehr noch, das entsprechend situative Gewicht dieser Attribute beeinflusst Einschätzungen von Kompetenz oder Inkompetenz vor allem unter Frauen – Kundinnen/Mitarbeiterinnen und Studioleiterin –, und damit, ob die Frauen als legitime Teilhaberinnen in der Sphäre unabhängiger Arbeit gewertet werden oder nicht. Dabei werden eigentlich männlich konnotierte Attribute, wie Ehrgeiz und ein selbstbewusstes Auftreten, als erstaunlich und bewundernswert eingestuft, solange sie ‚nach außen‘, also nicht in das Verhältnis Studioleiterin– Kundin bzw. Vorgesetzte–Angestellte, projiziert werden. Feminisierte Zuschreibungen werden hingegen in Bezug auf ‚interne Interaktionen‘ regelrecht erwartet. Zweitens wird die Bewunderung, wie oben am Beispiel Silvanas nachgezeichnet, aufgrund des Umstandes verstärkt, dass Silvana – wie andere Frauen – nicht nur als ‚Ausländerin‘ angerufen wird (und wie oben in einem Zitat Dalvas herausgestellt wurde, allein aufgrund dieser Anrufung auch ein Zweifel an der Kompetenz der Frauen zur Unternehmerin gebunden ist: „‚Die Frau ist Ausländerin, die hat keine Ahnung von nichts‘“). Viele der Interviewpartnerinnen betonten ähnlich wie Silvana mehrmals, dass es sogar als Besonderheit empfunden würde, dass sie – die Studioleiterinnen – Brasilianerinnen seien. Ihre Positionierung als Unternehmerin bricht somit stereotype Vorstellungen, die mit der Zuschreibung, ‚Brasilianerin‘ verbunden sind: Wie zuvor (Kapitel 4) verdeutlicht, bilden Leichtlebigkeit und Spaß, weniger jedoch Arbeitsmoral und Fleiß, wichtige Komponenten des in Deutschland noch immer verbreiteten Imaginariums ‚Brasilien‘. Damit verbunden sind wirkmächtige Repräsentationspraktiken,24 die sich nicht zuletzt über stereotypisierende Anrufungen der Frauen materialisieren. Hinzu kommt, dass auch die ‚brasilianische Migrantin‘ in Deutschland mit einer Verkörperung von Femininität assoziiert wird, die sich in ihrer Migration als vermeintlich ‚abhängige Ehefrau‘ und einer unterstellten ‚Vokation zu femininen Tätigkeiten‘ wie Betreuungsarbeit zu be-

24 Es gibt seit vielen Jahren unterschiedlichste Anstrengungen sowohl in ausgewählten Bereichen der Medienlandschaft wie in öffentlichen Institutionen, Veranstaltungen und Debatten aber auch seitens diverser Akteure „von unten“ ein weit differenzierteres Bild zu zeichnen. Dennoch bleibt auffällig, dass trotz all dieser Anstrengungen und vor dem Hintergrund vieler kritischer Berichterstattungen sich immer wieder stereotypisierende Praktiken durchsetzen – nicht zuletzt auch in den Medien-, Kultur- und Tourismusindustrie vermittelt. So ist nicht zu verwundern, dass sich in großen Teilen der deutschen Bevölkerung dieses exotisierende Imaginarium über ‚Brasilien‘ noch immer aufrecht erhält.

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stätigen scheinen. Diese Stereotypen müssen jedoch auf ineinander verzahnte Migrations-, Repräsentations- und Arbeitsregime zurückgeführt oder zumindest dahingegen reflektiert werden (vgl. Kapitel 2). Als Unternehmerin tätig zu sein, unterwandert hingegen die Konzeption einer passiven Ehefrau oder einer auf feminine Tätigkeitskompetenzen beschränkte brasilianische Migrantin. Als Unternehmerin hat die Frau Teil an dieser ‚maskulinisierten Sphäre‘ der unabhängigen Arbeit. Zugleich gewinnen aber auch diesbezüglich die femininen Attribute – wie sie im Stereotyp der Brasilianerin implizit sind und noch einmal vor dem Umstand, ja auch ‚Ausländerin‘ zu sein, gespiegelt werden müssen – an Relevanz für die eigene Positionierung. So erzählte mir Carminha beispielsweise: „Ich bediene meine Kunden auf meine Art. Ich werde nicht meine Kunden so empfangen: [legt die Stimme tief:] ‚HALLO, GUTEN TAG‘ sondern [fast singend, mit hoher Stimme:] ‚AH BITTE SCHÖN‘, ja .. IMMER MIT EINEM LACHEN. Und immer dabei etwas Lustiges zu sagen. Wenn ich die Leute in die Kabine bringe, dann spaßen wir, dann lachen wir, dann unterhalten wir uns. Und die Kunden- also ich arbeite singend!-: ‚Also, deine brasilianische Art, dein natürliches Wesen‘... Und ich sehe, dass es den Kunden gefällt, ja. Diese Unterschiede werden sehr respektiert und ganz oft mit offenen Armen empfangen. Es ist sogar so, dass die Leute das von mir richtig erwarten. Wenn ich mal nicht die ganze Zeit lächele, dann fragen die gleich: ‚Was ist los? WAS IST DENN LOS? ALLES OK?‘“ (Ü.: ML)

Diese von Carminha konstatierte Verkörperung einer ‚Brasilianerin‘, die ihr als „natürliche Art“ zugeschrieben wird, beschränkt sich nicht allein auf ihre Weise der Interaktion mit den Kundinnen. Sie umfasst auch die Körperlichkeit und körperliche Erscheinung der Frauen selbst. So sollte diese einerseits mit den Erwartungen der Kundinnen an eine Kosmetikerin generell, aber im Speziellen an eine brasilianische Kosmetikerin übereinstimmen. Das vermag sich in Begriffen wie Schönheit und Gepflegtheit zu erfassen und beinhaltet ‚gemachte‘ Fingernägel, gepflegte Haare, reine Haut, angenehmer Geruch und dezente Schminke –, die letztendlich auch ein im Körper verankertes Zeichen beruflicher Legitimität darstellen (vgl. Kapitel 6). Nicht weiß zu sein, machte die Körper der Studioinhaberinnen hierbei nicht zu irgendeiner Kosmetikerin/Studioinhaberin, sondern eben zur ‚Brasilianerin‘. Doch genau dies musste in der Herstellung ihrer Körper, obwohl anwesend und merklich, gedämpft, ‚gezügelt‘ bzw. überdeckt werden, um nicht der stereotypen Repräsentation von ‚der Brasilianerin‘ in all ihren Ambivalenzen zu entsprechen, insbesondere der damit verbundenen Sexualisierung. So fiel auf, dass in den Studios eine geschlechtlich neutral gehaltene Arbeitskleidung, wie etwa einfache TShirts in Farben und Aufdrucken des Studiodesigns oder sogar Arbeitskittel üblich waren. Die verkörperte/einverleibte Feminität wird so von einer neutralisierenden Kleidung überlagert und grenzt sie ein. Zugleich drückt sich in der Arbeitskleidung auch eine zugeschriebene Bescheidenheit aus, da die Frauen dadurch einerseits in

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ihrer Tätigkeit als Arbeiterin – als Depiladora – und nicht als Studioleiterin gekennzeichnet werden. Äußerlich können sie damit unter den anderen Angestellten auch nicht als Studioleiterin herauskristallisiert werden (wie sich beispielsweise in Silvanas Verweis ausdrückt, die meisten Kundinnen wüssten gar nicht, dass sie die Studioinhaberin wäre). In der Regel wird dieses bescheidene Auftreten zugleich erwartet, was sich insbesondere aufgrund der Zuweisung, letztendlich noch immer eine ‚Ausländerin‘ zu sein, erklärt. Zusammenfassend zeigte sich, dass eine Positionierung als Studioleiterin also nicht allein eine Begutachtung im Hinblick auf diesbezügliche Kompetenzen als Frau, sondern eben auch als ‚Ausländer‘ und mehr noch: als Brasilianerin nach sich zieht. Dies führte zugleich zu Erstaunen und Bewunderung und auch zu Erwartungshaltungen, die eine Balance zwischen den sich überlagernden Anrufungen erforderten, anders, aber nicht zu anders, gleich, aber nicht zu gleich zu sein. Drittens erfuhren die Frauen seitens ihrer Kundinnen Anerkennung, die sich auf ihre Verantwortungen und Mehrfachbelastungen als Mütter, Ehefrauen und zugleich (brasilianische) Studioleiterinnen bezogen, und dabei allgemeine Stereotype über brasilianische Frauen durchkreuzten oder gar überschrieben. So nahm Silvana H. etwa eine eigene Aufwertung vor, die sich in einem mir gegenüber dargestellten Vergleich zwischen Brasilianerinnen und Deutschen ausdrückt: Die Unternehmerschaft bedeute im Vergleich zu ‚deutschen Frauen‘ etwa nicht eine Entscheidung gegen ein Familienleben mit Ehemann und Kindern, sondern eine Integration beider. So fügte Silvana zu ihren obigen Ausführungen hinzu: „Also, die deutsche Frau ist 100 Prozent Mutter oder sie ist 100 Prozent Unternehmerin. Aber beides zusammen, das ist schwer für sie. Das bedeutet für sie dann, dass sie in einer Sache weniger gut sind.“ Ihre eigene Kompetenz, beides „zu schaffen“, zeichneten die Frauen mir gegenüber (sowie in ‚Kabinengesprächen‘ mit ihren Kundinnen) wiederum nicht als ‚atypisch‘ zu anderen Brasilianerinnen. Vielmehr betonten die Frauen, dass sie das Manövrieren der unterschiedlichen Verpflichtungen bereits in ihrem Sozialisationskontext in Brasilien bei den meisten ihnen bekannten selbständig arbeitenden Frauen beobachtet hatten; und zwar nicht nur bei finanziell besser gestellten Frauen, wo genügend Ressourcen für die Auslagerung von häuslichen Aufgaben vorhanden waren, sondern vor allem bei einkommensschwächeren Frauen, wo die Bewältigung von Mehrfachbelastungen ebenso zur Normalität gehörte.25

25 Dies deckt sich weitestgehend mit meinen eigenen Beobachtungen von Kleinunternehmerinnen in Campinas, Belo Horizonte, São Paulo, Rio de Janeiro und Novo Iguaçu, wo ich Interviews und Gespräche mit Frauen führte, die ihre eigenen Salons unterhielten. Dies bestätigten auch meine Gespräche mit Kleinunternehmerinnen im Rahmen der Feira do Empreendedor (Messe des Unternehmers) in Belo Horizonte (2012) sowie Studien zu selbständig arbeitenden Frauen in Brasilien (vgl. Gomes 2006).

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Um so interessanter war es für mich zu hören, dass viele in Brasilien lebende Familienangehörige der Frauen nur wenig über den – wenn nicht finanziellen dann zumindest sozialen – Zugewinn als Selbständige wussten. „Meine Familie weiß nicht wirklich, dass ich selbständig bin. Nicht so richtig. Sie wissen, dass ich ein Studio habe, aber wie viel Geld man verdient oder wie es läuft oder was das hier bedeutet selbständig zu sein, das wissen sie nicht“, sagte Silvana H.. Wichtiger war ihrer Familie Silvana zufolge, dass „sie wissen, dass ich etwas geschafft habe, dass ich etwas mache. Das ist für sie wichtig. .. Meine Mutter würde sehr enttäuscht sein, wenn ich sie irgendwann anrufe und ich ihr sagen würde: ‚Och, ich kann dich gar nicht besuchen, weil wir kein Geld haben, ich habe keine Arbeit‘“. Oftmals erklärt sich diese Haltung auch über die Auffassung, dass bereits mit der Migration nach Deutschland bzw. mit der Ehe mit einem ‚Deutschen‘ eine (relevante?) Statusaufwertung vollzogen wurde. Die vielfältigen, oftmals prekären Tätigkeiten, die viele Frauen dann in Deutschland ausübten, wurden kaum gegenüber den in Brasilien lebenden Familienangehörigen thematisiert (vgl. Kapitel 4). Wichtiger, so schätzten viele Interviewpartnerinnen ein, sei für die eigene Familie, „dass man etwas macht“. Für die Frauen selbst verschob sich diese Einschätzung nach ihren oftmals schmerzlichen Arbeitserfahrungen sowie nach dem oben zitierten schrittweisen Ausprobieren und Ausschöpfen von neuen Tätigkeitsoptionen und damit einhergehendem Lernprozessen hin zu Selbständigkeit immer mehr zu einem „Was-man-macht“. Dies umfasste das Tätigkeitsfeld selbst (Kapitel 6) und die Position als Selbständige, als Studioleiterinnen, als Unternehmerinnen. Im transnationalen Spiegel stellt diese in Deutschland erarbeitete Position jedoch nichts Ungewöhnliches für die brasilianische Verwandtschaft und Bekanntschaft dar. Denn gerade im Bereich der Kosmetikarbeit findet sich ein großer Teil der unabhängig arbeitenden Frauen aller Einkommensschichten. Und so relativierte Silvana auch: „Sie wissen nicht […] was es heißt, hier selbständig zu sein“. In diesem Vergleich sehe ich einerseits ein abermaliges bescheidenes, aber bewusst eingesetztes Herabspielen der eigenen Position und Leistungsfähigkeit, nämlich nicht ‚außergewöhnlich‘ oder eine Art ‚Super-Frau‘ zu sein, sondern diese Fähigkeiten vielmehr über ihren Sozialisierungskontext zu begründen und damit als etwas Erworbenes anstatt etwas Erreichtes darzustellen. Andererseits verstehe ich diese Projizierung auch als eine bewusste Gegenzeichnung zum noch immer wirkmächtigen Bild der brasilianischen Leichtlebigkeit, indem besonders Frauen Tüchtigkeit und Arbeitseifer zugeschrieben werden. Über eine Positionierung der Frauen als Studioleiterinnen und zugleich Mütter/Ehefrauen wurde so insgesamt einmal mehr möglich, ihnen entgegengebrachte Vorurteile als ‚Ausländer‘ und stereotype Zuordnungen als ‚Brasilianerin‘ entgegenzuwirken – und dies nicht nur in der Interaktion mit ihren Kundinnen, sondern auch in Bezug auf ihr alltägliches soziales Umfeld. Eine veränderte Positionierung erlebten sie zudem innerhalb ihres Bekannten- und Familienkreises in Deutschland. Dies wirkte sich nicht zuletzt auch auf die

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Ehemänner selbst aus: Diese waren nun nicht mehr ‚nur‘ mit ‚einer Brasilianerin‘, einer ‚Reinigungskraft‘ oder einer ‚Hausfrau‘ verheiratet, sondern mit einer selbständig arbeitenden Frau, die in einem aufstrebenden Geschäftszweig tätig ist. 5.4.2 Zusammenführung: Neue Abhängigkeiten? Dieses Kapitel beschäftigte sich mit Trajektorien in die gewerblichen Selbständigkeit und deren biographische, soziale wie emotionale Einbettungen. Zudem standen die vielfältigen Überlegungen und Auseinandersetzungen der Frauen, die mit ihrer Stellung als Leiterin eines Waxing Studios verbunden waren, im Fokus. Mit dem Schritt in die gewerbliche Selbständigkeit, den dadurch neu-/wiedererworbenen Verantwortungen und damit einhergehenden Respektbekundungen, Wertschätzungen und teils sogar Anerkennungen, so ambivalent sie zunächst sein mögen, veränderte sich die soziale Position der heutigen Studioleiterinnen. Dies geschah nicht nur, wie gezeigt, in Bezug auf das unmittelbare, der alltäglichen Geschäftspraxis nahe und vorrangig deutsche Umfeld der Frauen. Es vollzog sich auch im eigenen Bekanntenkreis sowie bei ihren Lebenspartnern. Trotz der Unsicherheit und Mehrarbeit, die mit diesem Schritt verbunden waren, bewerteten viele Frauen die Selbständigkeit als eine Bewegungsmöglichkeit weg vom oftmals gesellschaftlichen Rand. Denn diesen hatten sie in vielerlei Formen als ‚Ausländer‘, als ‚Ehefrau‘, als ‚Putzkraft‘, als ‚Arbeitslose‘ etc. alltäglich erlebt. Außerdem eröffnete die Selbständigkeit die Möglichkeit einer stärkeren Teilhabe am (mehrheits-) gesellschaftlichen Miteinander, die sich eben auch durch die eigenen Anstrengungen auszeichnete. „Wenn man selbständig ist, lernt man viel. Man lernt wie man sich hier verhalten kann, wie man Selbständigkeit lebt; was man bezahlen muss, was für Steuern anfallen; man lernt die Sprache noch besser. Und dann lebt man wirklich. Dann ist man ein Teil von diesem Land“, betonte Silvana H. mir gegenüber einmal mehr bei unserem letzten Interview. Die aufstrebende Branche, die weitestgehend bestimmende Partizipation der Frauen daran, sowie deren erfolgreiche Aneignung dieser wurden – den Frauen durchaus bewusst – außerdem innerhalb der ‚brasilianischen Szene‘ anerkennend beobachtet. Paolo, ein gelernter Koch, der mit seinem Bruder lange Zeit ein erfolgreiches brasilianisches Restaurant führte, meinte mir gegenüber bereits im Jahr 2009: „Die Selbständigkeit hat sehr zugenommen unter Brasilianern. Im Moment sind es vor allem die Frauen. Mit dem Waxing. Ich kenne mindestens zehn, die sich nun selbständig gemacht haben. Ich glaube es liegt bei ihnen auch an der Frustration, hier so viele Jahre zu leben und zuvor nichts richtig auf die Beine gestellt zu haben.“ Diese weitläufige Assoziation von Waxing mit einem von Brasilianerinnen dominierten Geschäft erklärt sich nicht zuletzt über die aktive Bemühung um ein kul-

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turelles Branding des Geschäftszweiges, allen voran der Praktik selbst. Noch einmal sei daher an dieser Stelle betont, dass es sich um eine Aneignung eines sich eröffnenden Geschäftsbereiches handelt, die sich nicht über eine ‚ethnisch‘ oder ‚kulturell‘ verankerte Geschäftstradition (oder ‚ethnisches Talent‘) erklärt, die mit der Migration der Frauen neue Räume betrat, oder es sich um eine Art Nischenwirtschaft in Folge einer ‚ethnischen‘ Nachfrage, noch um eine Art Sukzessionsmodell handelt, in der die Frauen eine von der Mehrheitsgesellschaft aufgegebene, weil nicht mehr rentabel gewesene, Branche besetzten. Auch zeigte sich, dass die wenigsten sich aus einem Nutzen maximierenden Kalkül für ein eigenes Studio entschieden, oder aufgrund einer Sozialisierung in der unabhängigen Arbeit diese als zu erreichendes Ziel verstanden. Noch stellte dieser Schritt trotz der häufig zuvor erlebten Abqualifizierung und prekären Arbeitsverhältnisse eine selbstverständliche Reaktion auf strukturelle Ungleichheiten dar. Anhand der ausschnitthaften und sehr auf der subjektiven Ebene verbliebenen Darstellung der Partikularitäten einzelner Frauen sollte vielmehr die Relevanz herausgearbeitet werden, die gewerbliche Selbständigkeit in erster Linie in Bezug auf biographische Trajektorien (Apitzsch 2003a: 170) hat. Emotionale wie soziale/ familiäre Einbettungen sollten untersucht werden, ohne hierbei die einwirkenden miteinander verflochtenen Arbeits-, Migrations- und Genderregime und damit verbundene Zuschreibungs- und Abgrenzungspraktiken außen vor zu lassen. Hervorgehoben sei noch einmal der prozessuale Charakter dieses Schrittes und die unterschiedlichen Abwägungen und professionalisierenden Erfahrungsaufschichtungen, die mit dem Einstieg als Depiladora begannen, mit einer Affinität zur Branche verknüpft und zudem vom sozialen Gefüge geprägt wurden, in das die Studioinhaberinnen eingebettet waren (bedeutsame Andere, Rückhalt und Ressourcenzugang durch Freunde, Lebenspartner und Verwandte). Dieses sozialen Gefüge, so wurde gezeigt, sind jedoch nicht mit einer ‚ethnischen Einbettung‘ und damit verbundenen ‚ethnischen Ressourcen‘, wie es für migrantische Unternehmungen in den einschlägigen Forschungen der letzten Jahrzehnte auch in Deutschland untersucht wurde, zu verwechseln. Dies lässt sich im Beispiel der hier untersuchten Waxing Studios zunächst über die Spezifik der brasilianischen Migration nach Deutschland erklären, die in ihrer Ausformung auch vom deutschen Migrationsregime mitgestaltet wurde (vgl. Kapitel 4). Andererseits lässt sich mit Hillman fragen, ob sich in Bezug auf die „neuen Migrationen“ (die sich nicht über eine historische Verflechtung mit der Gastarbeiteranwerbung in den 1950er und 1960er Jahren charakterisieren) oder in Bezug auf migrantische Unternehmerinnen allgemein überhaupt mit Ansätzen zum ‚ethnischen Gewerbe‘ arbeiten lässt, oder ob dieses „sich implizit nur auf die Gruppe der männlichen Unternehmer einer bestimmten Einwanderergeneration bezieht“ (Hillmann 1998: 43) und zudem einer unangemessenen „ethnischen Brille“ (Glick Schiller/Çağlar 2011) verhaftet ist. So ließe sich weder eine „horizontale und vertikale

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Vernetzung verschiedener ethnischer Unternehmen untereinander“, noch eine „Ausrichtung auf vornehmlich der eigenen Einwanderungsgruppe zugehörigen Kunden“, noch eine einseitige „Rekrutierung von Arbeitskräften aus der gleichen nationalen bzw. ‚ethnischen‘ Gruppe“ beobachten (Hillmann 1998: 43). Nur in vereinzelten Studios arbeiteten brasilianische Familienangehörige der Frauen. Dafür war die Hilfe von (deutschen) Ehemännern in vielen Studios umso präsenter. Allerdings konnte ich auch nicht eine allein geschlechterspezifische Motivationsdynamik und Geschäftspraktik, wie in Studien zur Unternehmerschaft mehrheitsgesellschaftlicher Frauen herausgestellt, beobachten. Im Vergleich hierzu waren die Studioleiterinnen zudem mit ihrem Status als Nicht-Deutsche und Brasilianerin mit zusätzlichen Benachteiligungen konfrontiert. Neben diskriminierenden Erfahrungen in Arbeits- und Migrationstrajektorien kamen diese auch institutionell und in intersubjektiven Interaktionen zum Tragen. Über die Implementierung einer intersektionalen Perspektive war es daher möglich, genau diese Differenzierungen herauszuarbeiten, ohne dabei in kulturalisierende oder geschlechtsessentialisierende Erklärungsmuster zu verfallen, oder sich eben auch auf starre Klassenkategorisierungen zurückzuziehen. Dabei wurde jedoch deutlich, dass auch in Bezug auf ihre Positionierung als Studioleiterinnen Repräsentationsregime über die ‚Brasilianerin‘ abgeglichen wurden. Diese wussten die Frauen für sich teils strategisch zu nutzen, sie zogen sogar geschäftsrelevante Vorteile daraus. Gleichzeitig arbeiteten die Frauen aber auch dagegen an und holten sich über ihre Abweichungen Bewunderung ein. Jedoch, so wird im nächsten Kapitel noch deutlicher herausgestellt werden, war der Spielraum für diese Abweichungen vorgegeben. Diese Bewunderung und Respektbekundungen, die sich darauf bezogen, nicht nur als Frau, sondern eben als Brasilianerin ein eigenes Studio zu führen und darüber hinaus auch noch den familiären Verpflichtungen nachkommen zu können, sind ein wichtiger Bestandteil dessen, warum die Frauen den oft sehr harten und langen Arbeitsalltag neben den familiären Verpflichtungen auf sich nahmen, anstatt sich auf andere Bereiche der abhängigen Arbeit oder gar auf Sozialhilfeleistungen bzw. auf eine Absicherungen durch den Lebenspartner zurückzuziehen. Sie müssen darum auch vor dem Hintergrund der vorherigen Arbeitstrajektorien der Frauen gelesen werden. Der Selbständigkeit maßen die Frauen in den Interviews daher oftmals eine Bedeutung zu, die sich nicht auf die vermeintlichen Freiheiten der unabhängigen Arbeiten bezogen (die viele von ihnen nicht wirklich im eigenen Arbeitsalltag erlebten), sondern die sie mit Eigenverantwortlichkeit, Handlungsermächtigungen und einer sozialen Aufwertung besetzten: So wurde mir gegenüber häufig geäußert: „Das Studio ist nun mein Baby“ (Leni, 2011). Eben über ein solches Allegorisieren des Studios wird indirekt eben weniger auf eine vermeintlich neu gewonnene Autonomie denn auf neue Abhängigkeiten verwiesen. Doch drückt sich darüber auch eine emotionale Bindung, Verantwortungsgefühl und Stolz, die diese neue Herausforderung für die Frauen bedeutete, aus. Eigenverantwortlichkeit, Handlungser-

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mächtigungen und eine soziale Anerkennung werden auch deshalb so eng mit ihrem ‚Baby‘ verknüpft, da diese Aspekte den Frauen als ‚Ausländer‘ außerhalb ihrer Studios oftmals noch immer vorenthalten werden. Sich von in den Medien geführten aktuellen Integrationsdebatten26 abgrenzend, drehten die Studioleiterinnen in ihren Einschätzungen hierzu den Spieß oftmals um: So griffen sie Stichworte daraus auf, indem sie den wirtschaftlichen Mehrwert ihrer Unternehmen für die deutsche Gesellschaft aufzeigten und die sich in Aussagen wie „Die Migranten halten die Berliner Wirtschaft am Laufen“, „Mit unserer Arbeit sichern wir den Deutschen die Rente“ oder „Wir liegen den Deutschen nicht auf der Tasche“ äußern. Insgesamt muss nichtsdestotrotz kritisch hinterfragt werden, warum diese Frauen – wie viele andere migrantische Unternehmer/innen – erst über eine mit Risiko besetzten Unternehmerschaft gesellschaftliche Anerkennung erfahren. Denn so ist die (hohe) migrantische Selbständigkeit erstens noch immer ein Hinweis auf eine anhaltende Diskriminierung auf dem mehrheitsgesellschaftlichen Arbeitsmarkt, die diese Frauen gleich doppelt trifft, nämlich als Frauen und Migrantinnen. Zweitens muss hierbei auch nach einer neoliberalen Logik gefragt werden, innerhalb derer der/die ‚gewünschte Migrant/in‘ den ‚Aktivierungsimperativ‘ verinnerlicht hat, unabhängig davon wie prekär dessen Folgen sein mögen. So betonen fast alle Studien zur Unternehmerschaft von Migrantinnen, dass diese – trotz der genannten Aspekte wie Eigenständigkeit und Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs und sozialer Anerkennung – oftmals Formen der Selbstausbeutung forcieren, was sie mit vielen Formen des von Männern betriebenen migrantischen Gewerbes gemeinsam haben (vgl. hierzu Morokvasic 1991 und allgemein Kloosterman/Rath 2011). Frauen träfe diese Selbstausbeutung darüber hinaus aufgrund ihrer Einbettung in eine zweite Schicht im eigenen Haushalt doppelt. Eine Einbindung in die „zweite Schicht“ (Hochschild/Machung 1988 [2003]) hatten alle Interviewpartnerinnen angegeben. Die Ausprägungen waren aber unterschiedlich, je nachdem, ob die Frauen in einer festen Partnerschaft lebten oder nicht. Allerdings ließ sich durch die viele Arbeit, die allein das Studio abwarf, auch eine Reorganisation der alltäglich anfallenden Aufgaben oder sogar eine teilweise Umverteilung auf andere Familienangehörige feststellen. Marta* erzählte mir von ihrer hohen Arbeitsbelastung, die an ihren Kräften und ihrer Gesundheit zehrten, was zu einer Aufteilung der anfallenden Arbeiten zu Hause wie auch Zuweisungen von Tätigkeiten im Studio innerhalb der Familie führte:

26 Ein Teil der Interviews wurde während der Zeit geführt, als die Debatte um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ und Angelika Merkels Postulat „Multikulti ist gescheitert“ (auf dem Parteitag der Jungen Union in Potsdam am 15.-17.10.2010; etwa zwei Monate nach Sarrazins Buchveröffentlichung) in den Medien prominent diskutiert wurde und auch in den Interviews von einigen Frauen aufgegriffen wurde.

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„Ich arbeite viel zu viel, ich hab fast kein Privatleben mehr. … Ich und mein Mann und mein Sohn, wir teilen uns rein, Aber trotzdem ist es viel zu viel Arbeit. Viel viel viel zu viel! Und ich habe keine Kraft mehr, um noch irgendwas anderes zu tun als das hier. Das nimmt mich vollkommen in Anspruch, es raubt mir alles, meine ganze Kraft, alles, meine ganze Gesundheit.“ (Marta*, 16.02.2010, Ü.: ML)

Die Folgen der Mehrfachbelastungen, sei es fehlende Freizeit, gesundheitliche Beeinträchtigungen und Erschöpfung, wurden, wie im Beispiel Martas*, also nicht selbstverständlich von den anderen Familienmitgliedern hingenommen. Stattdessen wurde gemeinsam nach ausgleichenden Strategien gesucht – was ich zugleich als Ausdruck eines weniger starren oder gar traditionalisierten Geschlechterrollenverständnisses aller beteiligten Akteure deute. Diese Feststellung ist vor allem in Hinblick auf die transnationale Einbettung der Beziehungsgeflechte in unterschiedliche Geschlechterregime um so wichtiger, da diese in ihrer Verzahnung vor dem Hintergrund des wirkmächtigen Repräsentationsregimes über brasilianische Frauen eigentlich eine ethnisierende Verfestigung von Geschlechterrollen vermuten lassen würden. Das selbstverständliche In-Kauf-Nehmen der Mehrfachbelastung verweist jedoch auch auf den für diese Frauen geltenden ‚Aktivierungsimperativ‘ (aus der Not wie aus Gründen der sozialen Anerkennung heraus), der hier noch einmal besonders den ineinander verzahnten Arbeits- und Migrationsregimen geschuldet ist. Das Studio als „mein Baby“ in seiner (tückischen) affektiven Überblendung erhielt einen zentralen Stellenwert in den Familienangelegenheiten, sowohl bei verheirateten Frauen und Müttern wie alleinerziehenden (geschiedenen) Frauen, um dessen Anforderungen herum der gemeinsame Alltag organisiert wurde. Die in der Allegorisierung ausgedrückte affektive Beziehung muss letztendlich auch im Zusammenhang mit der angebotenen Dienstleistung, mit dem professionellen Anspruch an diese und der Garantie der Qualität durch die Studioleiterinnen, die den Ruf des Studios und damit dessen Überleben sichern müssen, betrachtet werden. Besonders bei kleineren Studios war dieses enge Verhältnis der Aufgaben von Dienstleistungsarbeit und Studioleitung, die sich oft in nur einer Arbeiterin vereinten, besonders anzutreffen, wie es mir Leni verdeutlichte: „Ich muss mit meiner Arbeit zufrieden sein. Ich muss gucken und sagen: ja toll. Deswegen habe ich von Anfang an alles alleine gemacht. Ich wollte keine Mitarbeiter haben. Das Gefühl ist so: Einmal wollten wir Urlaub machen. Da hat mein Mann gesagt: ‚Du hast doch eine Mitarbeiterin, warum überlässt du den Laden nicht deiner Mitarbeiterin?‘ Ich habe gesagt, also meine Frage an meinen Mann war: ‚Würdest du dein kleines Kind allein bei Fremden lassen?‘ So fühle ich mich.“ (Interview vom 17.09.2013)

Was in diesem Zitat deutlich wird, ist der Stellenwert von Vertrauen als ein wesentlicher Bestandteil des Austauschverhältnisses zwischen Depiladora und Kundin.

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Relevant ist damit auch die studiointerne Organisation, wie die Auswahl und Kompetenzbereiche von Mitarbeiterinnen, hier vor allem der angestellten Depiladoras. Das Vertrauen bestimmt dabei, wie viel Mehrarbeit die Studioleiterinnen – unabhängig der wirtschaftlichen Situation der Studios – letztendlich auf sich nehmen wollen, und impliziert ein Abwägen, welche Arbeiten sie in andere Hände übergeben wollen. Dieser Aspekt ist gerade für die körperintensive Dienstleistungsarbeit im Vergleich zu anderen Dienstleistungsangeboten noch einmal von besonderer Relevanz. Im Fall von Waxing ist sie zudem durch dessen relativer Neuheit in Deutschland und den Umstand geprägt, keine beruflich institutionell anerkannte Brache zu sein. So führt Leni weiter aus: „Mein Mann hat mich mal gefragt: ‚Warum machst du nicht ein neues Waxstudio auf?‘ Da habe ich gesagt: ‚Nein, das geht nicht. Das sind so Sachen, das ist kein Café, wo du eine Maschine hast, die den Kaffee macht und jemand bedient.‘ Das ist hier nicht so, das ist so eine persönliche Sache. Die Leute, die kommen hierher und lassen die Intim-Behaarung wegmachen. Deswegen muss Vertrauen da sein. Deswegen habe ich gesagt: Ich kann nicht in drei, vier Studios sein, ich will nicht vier Studios aufmachen. Ich will hier sein, ich will so klein bleiben. Ich hab meine Stammkunden und das reicht mir.“

Aus diesem Grund wird im nächsten Kapitel eine gesonderte Betrachtung der Dienstleistung Waxing vorgenommen und die Herstellung von Professionalität und Vertrauen in der Arbeitsperformanz der Dienstleistenden im Bereich intimer Arbeit beleuchtet.

6 Kommerzialisierung des Intimen: Waxing zwischen Schönheitspraktik und Pflegearbeit

„Die liebe Leni weiß ihre Kunden zu betreuen :). Ich sage extra Betreuung, weil es hier nicht einfach nur um die Arbeit geht, sondern nebenher wirklich nette Gespräche stattfinden, und so selbst das schmerzhafte Waxen eher nebenbei geht... Terminvereinbarungen sind dabei gut, ich habe aber auch im Vorbeigehen schon mal ‚Glück‘ gehabt, auch das geht also. Sehr diskret, nett und rücksichtsvoll! Ich habe sonst meist Waxing Studios erlebt, wo eher nach dem Motto ‚nun zier dich mal nicht so, is ja gleich vorbei‘ gearbeitet wird. Aber hier werden auch die Ängste, die sicher fast jeder Mensch vor dem ersten Mal hat, verstanden und respektiert. Und nach dem zweiten oder dritten Mal tut´s ohnehin nicht mehr so weh ;)!“ (Qype/ Yelp-Beitrag von Kundin ‚Micheline74‘ zu Queen of Waxing vom 25.06.2013) „Okay, was gut ist, dass man keinen Termin machen muss. Aber es ist mir echt auf die Dauer zu teuer. Und, was ich gar nicht mag: die Massenabfertigung und Angestellte, die rumnörgeln und dementsprechend manchmal mit einer Langeweile behandeln, die für mich schmerzhafter ausfällt oder halt schlampiger! Und diese Erfahrung habe nicht nur ich gemacht. Einen schlechten Tag kann ja mal jeder haben, wenngleich dies auch nicht professionell wäre, aber dem war leider nicht so. Ach und irgendwie ist es auch nicht diskret genug am Tresen, wenn ich Brasil Waxing mit Pofalte buche, während andere Besucher (weiblich wie männlich) mithören können. Unangenehm!“ (Qype-Beitrag von ‚stil-ikone‘ zu ** vom 12.12.2008)

Diese zitierten Einschätzungen zu zwei Berliner Waxing Studios und zur Qualität von deren Kosmetikdienstleistung wurden der web-basierten Kund/innenplattform Qype bzw. Yelp entnommen. Beide Zitate, auch wenn gegensätzlich in ihrer Intention, sprechen Terminfragen, Schmerz- und Gründlichkeitsgrad der Behandlung sowie Sorge um Wohlbefinden und Diskretion an. Sie sind charakteristisch für die in den Online-Foren stattfindenden Diskussionen sowie für meine Gespräche mit Kund/innen. Die Gewichtung und enge Verflechtung der Bewertungskriterien deu-

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ten bereits an, dass Waxing weit mehr darstellt als eine Tätigkeit, die einfach nur ‚zu leisten‘ – abzuarbeiten – ist: Es handelt sich bei dieser Arbeit, wie Leni mir gegenüber äußerte, nicht „einfach nur um ein Café, wo du eine Maschine hast, die macht den Kaffee und jemand bedient“, sondern um „eine persönliche Sache“. Als kosmetische Dienstleistung ist diese Arbeit in ihrer körperlichen und empfindsamen Interaktion hochgradig intim. Darüber hinaus positioniert sie die involvierten Akteure auch in sozialer wie kultureller Hinsicht auf eine sehr sensible Art zueinander. Professionalität und Vertrauen bilden hierbei grundlegende Säulen. Diese werden von den Kund/innen nicht nur in Bezug auf das Ergebnis erwartet, sondern ebenso für die Arbeitsperformanz und deren intersubjektive Einbettung während und nach der Behandlung. Schlagworte wie Diskretion, Betreuung, Sauberkeit, Einfühlungsvermögen, Respekt und Freundlichkeit spiegeln dies wider. Die in den Studios performte Arbeit weist dabei eine fürsorgende Dimension auf, die sie mit anderen kosmetischen Dienstleistungen teilt. Doch – so werde ich in diesem Kapitel detaillierter untersuchen – hat sie diesen Aspekt auch mit anderen Tätigkeitsfeldern der Pflege- und Fürsorgearbeit gemein, die sich nicht allein auf die körperliche Pflege beschränken. Zugleich ist Waxing – schaut man auf das angestrebte Ergebnis eines haarlosen Körpers bzw. die entsprechende enthaarte Körperstelle – eine Kosmetikpraktik, der eine kulturell wie sozial verhandelte Körperkonzeption zugrunde liegt und in Bezug auf ein normatives Ideal diskutiert wird. Mehr noch als andere Kosmetikpraktiken ist Körperhaarentfernung ein Bereich der Schönheitsindustrie, der von einer Kontroverse durchzogen ist. Diese arbeitet sich vor allem an durch anhaltende Ungleichheit markierten Geschlechter- und Sexualbeziehungen ab, die sich in der Körperenthaarung manifestiere. Unausgesprochen wird sie jedoch auch in kulturelle sowie Klassenhierarchien eingebettet. So verwundert es nicht, dass die Neuheit des Waxing in der (Berliner) Kosmetikdienstleistungsbranche zunächst von einer Polemik um Körperhaarentfernung markiert ist. Diese ist nicht mehr nur in feministischen Kreisen auszumachen, sondern hat auch in (Online-Foren von) großen Tageszeitungen (Taz, Zeit) und Zeitschriften (Spiegel, Stern) Einzug gehalten. So scheint ein haarloser Körper nicht ein neutrales Ergebnis einer Dienstleistung zu sein. Ebenso wenig, so wird im Laufe diese Kapitels ausgeführt, ist Waxing vor diesem Hintergrund einfach nur eine neue ‚Technik‘, mit der man/frau Altbekanntes neu bearbeitet. Vielmehr, so wird gezeigt, muss der Erfolg von Waxing als Kosmetikpraxis der Anähnlichung (Villa 2010, 2013) in Hinsicht auf ein (sich wieder als ‚neu‘ etabliertes) vergeschlechtlichtes Körperideal betrachtet werden. Dieses, so möchte ich zeigen, muss ebenso wie die Praxis selbst in soziale wie (trans-)kulturelle Kontexte eingebettet werden. Darüber hinaus, so Kritiker/innen der Körperhaarentfernung, sei dieses Körperideal ein weiterer Ausdruck dessen, wie sehr sich im Globalen Norden eine „Konsumkultur“ (Featherstone 1991: 170) in und über Körper konstituiert und den Kör-

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per zugleich zum Subjekt und Objekt kapitalistischer Logik macht (Basow 1991; Peixoto Labre 2002). Waxing ist nicht nur Mittel, sondern als Kosmetikpraktik zudem eine Form der Haarentfernung, die in Deutschland seit ihrer Einführung und Popularisierung kommerzialisiert wurde; sie stellt also eine an Dritte weitergegebene Körperpflegearbeit dar, die käuflich erworben werden kann. Als kommerzialisierte intime Arbeit1 gehört Waxing nicht zuletzt den beiden sich scheinbar gegenseitig ausschließenden Sphären von intimer (körperlicher) Interaktion einerseits und Markt andererseits an, die Viviana Zelizer einander als „hostile worlds“ (Zelizer 2005) gegenübergestellt hat. Diese Welten scheinen sich jedoch wie andere Formen der zumeist körperintensiven Dienstleistungsarbeit in ein Netz von Ungleichheiten sozialer und vergeschlechtlichter Intersektionalitäten einzuordnen. Die Betrachtung sowohl der körperintensiven Dienstleistung des Waxing wie der ihr zugrunde liegenden Körperkonzeption möchte ich nachfolgend um eine ethnisierte bzw. kulturalisierte Dimension ergänzen. Denn die Dienstleistung wurde zunächst fast ausschließlich von brasilianischen Depiladoras ausgeführt, etablierte sich über diese Frauen in Berlin und wird noch immer von diesen dominiert. In diesem Kapitel beschäftige ich mich daher mit Waxing als einer in Deutschland in den letzten Jahren etablierten kommerzialisierten Körperpflegearbeit, deren Akteurinnen sich mehrfach in ihrem sozialen Umfeld positionieren müssen: so in Bezug auf ihr Handwerk als auch in Bezug auf die diesem zugrunde liegende Körperkonzeption. Anders als bisherige Studien (z.B. Basow 1991; Peixoto Labre 2002; Toerien/ Wilkinson 2003) bezieht sich meine Argumentation weniger auf umstrittene Körperideale oder geschlechteressentialisierende Kosmetikpraktiken. Stattdessen möchte ich eine akteurszentrierte Betrachtung vornehmen. Sie soll in erster Linie im Hinblick auf die strategische Position der Frauen als (brasilianische) Depiladora und (migrantische) Unternehmerin in einem sich formierenden Geschäftszweig eingeordnet werden. In meine Betrachtung spielen somit auch die in den vorherigen Kapiteln diskutierten Trajektorien und Erfahrungshintergründe als ‚Frauen‘, Migrantinnen/‚Ausländerinnen‘ und ‚Brasilianerinnen‘ in den miteinander verflochtenen transnationalen Migrations-, Arbeits-, Repräsentations- und Geschlechterregimen hinein. Die in dieser Studie verfolgte Konzeption eines erweiterten Arbeitsbegriffs (vgl. Kapitel 2) konzentriert sich auf Aushandlungsräume, (verkörperte) Wissenshoheiten und soziale wie kulturelle Zuweisungs- und Positionierungspraktiken der Akteurinnen. Dadurch verkompliziert und unterwandert mein Ansatz eine Ar-

1

Hierbei beziehe ich mich auf den Begriff intimate labor, wie er von Boris/Parreñas (2010) vorgeschlagen wurde. Sie verstehen darunter Tätigkeiten, „that promote the physical, intellectual, affective, and other emotional needs of strangers, friends, family, sex partners, children, elderly ill or disabled people“ und die „ involve bodily and psychic intimacy “ (2010: 1).

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gumentation, die entlang von Dichotomien ausgerichtet ist, wie sie oftmals in den Studien zu Schönheitspraktiken oder Fürsorgearbeit stattfindet. Zuerst werde ich auf die Kontroversen über Schönheitspraktiken allgemein und Körperhaarentfernung im Speziellen eingehen. Diese Auseinandersetzungen sollen jedoch über einen ausschnitthaften Einblick in die Diskussion aus dem brasilianischen Kontext relativiert werden. Außerdem werden dichotom angelegte Argumentationsmuster auch im Hinblick auf den transnationalen Erfahrungshintergrund der Frauen und unter Einbezug von Alteritätsnarrativen und Positionierungspraktiken in einem durch Diskriminierungen geprägten Alltag gebrochen. Anschließend untersuche ich die dienstleistende Interaktion in den Studios eingehender, wobei das Herstellen von Vertrauen und Professionalität im Vordergrund steht. In einem dritten Schritt führe ich die Diskussionen um Körperpflegepraktik auf der einen und Dienstleistung auf der anderen Seite zusammen. Hierbei gehe ich auf Positionierungs- und Zuweisungspraktiken von Depiladora und Kundin in der Kabine ein, vergleiche diese mit anderen ethnisierten und vergeschlechtlichten Fürsorgekontexten und stelle anschließend neue Herausforderungen und Aushandlungsorte vor, die die Waxing-Branche im Übergang zur urbanen Mainstream-Konsumkultur für Studioleiterinnen und Depiladoras bereithielt.

6.1 K ÖRPERHAARENTFERNUNG : S CHÖNHEITSNORM , K OSMETIKPRAKTIK UND G ESCHLECHTERBILDER KONTROVERS 6.1.1 Schönheit(sideale) und Körperenthaarung: Einblick in feministische Debatten „Deutschland ganz unten“, so titelte die Online-Ausgabe der Taz am 14.07.2009. Die Zeitung besprach in diesem Artikel eine vom Psychologen und Soziologen Elmar Brähler und der Universität Leipzig im Jahr 2008 durchgeführte Studie zu Intimmodifikationen:2 „Das Ergebnis liest sich wie der ideale Quartalsabschlussbericht eines Rasierklingenherstellers: Stolze 66,7 Prozent der 14- bis 17-jährigen Frauen mögens [sic] ‚enthaart‘, bei den 18- bis 30-jährigen Frauen sind es sogar um die 80 Prozent. Als Hauptgrund für den Griff zur Klinge geben die Befragten ‚das eigene Schönheitsideal‘ an, auf den letzten Platz der Nennungen hat es die Antwort

2

Vgl. Brähler et al. (2008). In dieser Studie ging es um Intimmodifikationen allgemein. Sie umfasste auch Piercings, Tätowierungen und Genitaloperationen, jedoch – so kritisierten auch Leser/innen in Online-Foren – konzentrierte sich das Medieninteresse ausschließlich auf die Intimenthaarung.

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‚Vorbilder enthaaren auch‘ verschlagen – nur dass das nicht ganz richtig sein dürfte“, schrieb der Taz-Autor Hannes Caspar-Petzold und machte im Gegensatz dazu die Pornoindustrie für diese Entwicklung verantwortlich. Ihr würden die 18-25Jährigen, die von ihm bezeichnete Generation „youporn“, nacheifern. In den sich anschließenden Leser/innen-Kommentaren machte sich neben einigem Zuspruch reichlich Entrüstung über die nur ausschnitthafte Darstellung der Studie und die einseitige Interpretation des Journalisten breit. Leser/innen kritisierten die Politisierung individueller Vorlieben im Privaten, vor allem im Liebesleben, und betonten ihre Freiheit der eigenen Körpergestaltung. Ähnlich kontrovers gestalteten sich die Leser/innen-Foren in anderen großen Zeitungen und Zeitschriften, wie in der Zeit, Spiegel oder BILD, die ebenfalls Brählers Studie journalistisch aufarbeiteten. Körperhaarentfernung, so beweist dieser ausschnitthafte Einblick in die deutsche Medienlandschaft, provoziert, polarisiert und wird schnell auf einer sehr persönlichen Ebene verhandelt. Und wie selbst feministische Foren andeuten, sind eindeutige Positionierungen für oder gegen diese Praktiken derzeit auch unter ‚emanzipierten‘ Frauen oder sogar ‚Feministinnen‘ nicht mehr möglich (was sich etwa an Positionen sogenannter Sex-positiver Feministinnen zeigt, vgl. z.B. ifeminists.com). Deutlich wird spätestens seit den Reaktionen auf Brählers Studie jedoch, dass Körperhaarentfernung, und hier allen voran im Intimbereich, nicht nur zu einer routinierten Praktik vor allem unter jungen Menschen avanciert ist. Sie ist auch weitestgehend enttabuisiert3 und wird nicht mehr nur auf ‚beauty-Geheimnis‘Seiten in ‚Frauenzeitschriften‘ besprochen. Ganz dem Trend haben sich Haarentfernungsmittel und -methoden in den letzten Jahren diversifiziert, wobei vor allem die Waxing-Techniken, allen voran mit Warmwachs, breite Popularität erlangten. Waxing hat sich damit einhergehend als eigenständiger Begriff in den Wortschatz vieler vor allem jüngerer Frauen urbaner Gegenden eingeschleust. Zudem wird es trotz der kurzen Zeitspanne zwischen Ein-

3

Noch 2006 befand Karín Lesnik-Oberstein, dass Körperhaar hoch tabuisiert ist, da es höchstens in Bezug auf seine Entfernung(stechniken) in Ratgebern, Medien und Studien thematisiert wurde, seine An-/Abwesenheit bis dato unter feministisch-kritischer Perspektive hingegen in nur sehr wenigen Studien behandelt wurde (vgl. 2006: 2). Zur Enttabuisierung in beiderlei Formen trug in Deutschland nicht zuletzt der 2008 erschienene Roman „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche bei, der 2013 von David F. Wnendt verfilmt in die deutschen Kinos kam. Auch ebnete die oftmals zitierte US-Serie „Sex and the City“, in der einzelne Folgen sich ausführlich mit Intim-Waxing und schamhaarfreien SexErlebnissen der Hauptdarstellerinnen beschäftigten, den Weg hierzu (vgl. Clokal 2007 für eine ausführliche Besprechung der Serienkapitel). Die Serienkapitel wurden ab dem Jahr 2002 in Deutschland ausgestrahlt. Auch der Name des ersten Waxing Studios Wax-inthe-City spielt mit Assoziationen zu dieser Serie.

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führung, Bekanntwerden und Popularisierung der Technik in Deutschland mittlerweile auch selbstverständlich in den Kommunikationsmedien verwendet.4 Bereits in ihrer September-Ausgabe 2007 schrieb die deutsche Ausgabe der LifestyleZeitschrift SHAPE sogar vom neuen „Wax-Appeal“ (der Artikel wurde anschließend auch von der deutschen Cosmopolitan veröffentlicht), der sich seither nun auch in Deutschland durchgesetzt habe. Auch deutsche A- und B-Prominente würden es den Hollywood-Vorbildern nachmachen und öffentlich von ihren WaxingErlebnissen schwärmen. Doch während in deutschen Hochglanzmagazinen, Schönheitsratgebern und Lifestyle-Magazinen Waxing als Enthaarungsmethode seit spätestens 2007 (wenn auch meist in den wärmeren Monaten) beworben und gefeiert wird,5 mehren sich kritische Stimmen in Medien und Wissenschaft. Sie thematisieren neben gesundheitlichen Vorbehalten insbesondere das Körperbild und immer mehr auch die sich verändernde Körperlichkeit junger Menschen.6 Hierbei ist es wiederum die Intimenthaarung, der besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht wird und die eng an die Technik des Waxing selbst und den damit verbundenen Gang in ein Waxing Studio gekoppelt wird. Feministische Aktivist/innen und Wissenschaftler/innen haben in den letzten Jahrzehnten die der Behandlung zugrunde liegende Norm eines haarlosen Körpers breit kritisiert, wobei sie diese in erster Linie als Garant geschlechtlicher Differenz und damit einhergehender geschlechtlicher Ungleichheit diskutierten (Basow 1991; Basow/Braman1998; Peixoto Labre 2002; Toerien/Will-

4

Allein bei einer google-Anfrage zu Brazilian Waxing, die sich auf Deutschland beschränkt, wurden mir im Dezember 2013 über 70.000 Treffer angegeben. Glaubt man den Wax-in-the-City-Gründerinnen, so gab es bei ihrer google-Recherche im Jahr 2004 vor ihrer Gründung keinen einzigen Eintrag für Deutschland (Aussage von Christine Margreiter im Boulevard-Magazin RED, ausgestrahlt am 11.10.2012 auf Pro7). Zudem finden sich neben umfassenden Wikipedia-Einträgen, eigenen Waxing-Anhängerinnen-Webseiten wie www.waxsisters.de und ausführlichen Beschreibungen und historischen Verweisen auf den Homepages der meisten Waxing Studios auch zahlreiche Definitionsbemühungen in Schönheits- und Lifestyle-Zeitschriften.

5

Beispiele hierfür sind: „Man fühlt sich modern, sauber, frisch und – unglaublich sexy“ (Instyle 2009); „Angeblich setzte schon Kleopatra bei der Entfernung lästiger Härchen auf erhitztes Wachs. Aus gutem Grund: Keine andere Methode macht die Haut – vor allem die Bikini-Zone – so unwiderstehlich glatt und sexy“ (Shape 2011); „Brazilian Waxing ist mittlerweile die wohl gängigste Enthaarungsmethode für den Intimbereich und bei Frauen sehr beliebt. Der Grund: Unerwünschte Körperhaare werden beim Brazilian Waxing besonders gründlich und dadurch für lange Zeit (etwa 4 Wochen) entfernt.“ (Women’s Health o.A.).

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Siehe z.B. Taz (2009); Zeit ( 2009); BILD (2011); Stern (2009); Emma (2008).

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kinson 2003; Tiggemann/Lewis 2004; Fahs 2011) sowie als Sicherung heterosexueller Normative (Dworkin 1989; Basow 1991; Fahs 2011). Körperhaar sei eines der wesentlichen Dinge, über dessen Belassen oder Bekämpfen eine materialisierte normative oder abweichende Geschlechtlichkeit innerhalb sozio-kultureller Ordnungen hergestellt werden könne, so die Argumentation. Erwähnt wird nichtsdestotrotz in den meisten Studien, dass sich sowohl geschichtlich als auch kulturell geschlechtliche Zuschreibungen in Bezug auf das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von Körperhaar an ausgewählten Körperstellen verändern/veränderten. Körperhaar operiere demnach zwar als Differenzmarker, die damit verbundenen Zuschreibungen divergier(t)en jedoch, entsprächen also keiner statischen oder universell geltenden sozio-kulturellen Bedeutung (Cooper 1971; Hope 1982; Amantino 2011). So wird weitgehend anerkannt, dass unterschiedliche Depilationstechniken an unterschiedlichen Körperstellen bereits im alten Ägypten angewandt wurden und haarlose Körperideale – mit ästhetischen, hygienischen, religiösen oder sozial-differenzierten Gründen versehen – sich auch in der europäischen Geschichte zu unterschiedlichen Zeiten nachweisen lassen. Der aktuelle Trend zur (Ganz-)Körperenthaarung und die damit zusammenhängende Kommerzialisierung von Depilationspraktiken für den Globalen Norden werden trotzdem als ein rezentes, der Moderne geschuldetes, Phänomen verhandelt. Einerseits wird es auf vergeschlechtlichte und sexualisierte Schönheitsideale im Zusammenhang einer allgemeinen „Pornoisierung von Sexualität“ (Cokal 2007) zurückgeführt. Andererseits wird es einer erhöhten Ausstellung des (fast völlig nackten) Körpers in Medien sowie deren Echo im Alltag angelastet (Bordo 1993). Dieser Trend wird, so paradox es zunächst erscheint, mit einer zunehmenden Emanzipation von Frauen und (annähernden) geschlechtlichen Gleichstellung in weiten Teilen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Miteinanders begründet (Basow 1991). Diese würden sich eben auch in Moden und Verhaltensweisen von Frauen äußern, weshalb der Körper als letzte Bastion geschlechtlicher Differenzherstellung verstanden werde. So stellen Merran Toerien und Sue Wilkinson in ihrer Analyse der wenigen Studien zu Körperhaarentfernung fest: „Hair removal may have developed to help maintain, symbolically, an emphasis on gender difference at a time when other gender markers were being challenged“ (Toerien/Wilkinson 2003: 340). Erklärungsansätze wie letzterer wurden vor allem von Naomi Wolf popularisiert. In ihrem vielzitierten Buch „The Beauty Myth“ (1991) konstatiert sie, dass der Schönheitsmythos in seiner Ganzheit und damit zusammenhängende kosmetische Praktiken effektive Instrumente seien, um den weiblichen Körper in einen vergeschlechtlichten – und wie einige Autoren foucaultianischer Prägung sagen – disziplinierten Körper zu transformieren. Ziel sei es, diesen an soziale und kulturelle Geschlechternormen anzupassen und zu unterwerfen (Wolf 1991: 10ff; Bordo 1989: 14). Damit sei die Schönheitsideologie integraler Teil nicht nur einer „gender nor-

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malization“ sondern sogar einer „gender oppression“ (ebd. 14 f; Gimlin 2001: 147). Wolf argumentierte, dass die ansteigende Sorge um die physische Erscheinung von Frauen im Globalen Norden Hand in Hand mit ihrem zunehmend erfolgreichen Einstieg in den Arbeitsmarkt und damit mit ihrer vermehrten Konkurrenz in der männlich dominierten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Sphäre einhergehe. Wolf interpretierte den normativen Wert von Schönheitsidealen als ein „beauty backlash“. Dieses finde nicht etwa trotz, sondern gerade wegen der sozialen und wirtschaftlichen Erfolge von Frauen im letzten Jahrhundert statt (Wolf 1991: 10; Gimlin 2001: 14) und werde als effektives Instrument gegen deren Anstrengungen, vergeschlechtlichte Machtverhältnisse auszugleichen bzw. umzukehren, betrachtet (Wolf 1991: 22; Bordo 1989: 14). Beispielsweise, so Wolf, würden Schönheitsnormen auch in die Bewertung der Berufsqualifikation und Arbeitsperformanz von Frauen in vielerlei Formen und Richtungen hineinwirken (Wolf 1991: 27). Außerdem würden Schönheitspraktiken immer mehr zu organisatorischen Prinzipien in der Zeit- und Bewegungsplanung von Frauen in alltäglichen Routinen (Wolf 1991: 15; Bordo 1989: 14). So habe sich, erweitert Megdala Peixoto Labre, auch die Haarentfernung als eine „pervasive, time- and money-consuming task“ (Peixoto Labre 2002: 114) in das Repertoire alltäglicher Körperpflegepraktiken gemischt. In diesem Sinne spricht Wolf bei Schönheitsarbeit als einer „dritten Schicht”. Hierbei nimmt sie Bezug auf Arlie Hochschilds Konzept einer „zweiten Schicht“ der Haus- und Fürsorgearbeit in der Familie, die von Frauen nach ihrer „ersten Schicht“ im Beruf verrichtet wird (Hochschild/Machung 1988 [2003]). Wolf vergleicht die tägliche Organisation der Körperpflegearbeiten von Frauen mit der Organisation von Hausarbeit. Dies ziehe eine Professionalisierung von alltäglich erwarteten Schönheitspraktiken nach sich, um den Anforderungen aller drei Bereiche (Beruf, Haushalt, Schönheit) im alltäglichen Leben nachzukommen und gerecht zu werden (Wolf 1991: 26ff). Eine weitere Seite des Schönheitsmythos werde zudem über die Anrufung von Frauen als prädestinierte Konsumentinnen konstituiert (Andrews/Talbot 2000), wobei Frauen hierfür zugleich als Werbeträgerinnen in der westlichen „consumer culture“ eingesetzt werden. Diese, so Mike Featherstone „latches onto the prevalent self-preservationist conception of the body, which encourages the individual to adopt instrumental strategies to combat deterioration and decay […] and combines it with the notion that the body is a vehicle of pleasure and self-expression. Images of the body beautiful, openly sexual and associated with hedonism, leisure and display, emphasize the importance of appearance and the ‚look‘.“ (Featherstone 1991: 170)

So ließe sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts eine schrittweise Mehrung von ‚nackter Haut‘ in den westlichen Populärmedien und besonders in der Werbung feststellen (Hopes 1982; Grosz 1994). Diese erfordere wiederum die adäquate Herstellung

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des dargestellten (in der Regel weiblichen) Körpers. Das erfordere eine wachsende Menge von Kosmetikprodukten und -praktiken, für die wiederum die Schönheitsindustrie in den gleichen Medien warb. Dies habe insgesamt eine sich gegenseitig bedingende Angleichung von repräsentiertem Körper, sozial normativem Körperbild und Körperherstellungspraktiken nach sich gezogen, welche uns heutzutage die Illusion vermittle, jene Körperherstellung und -modifikation sei selbstverständlich. Haarentfernung bilde hierbei eine der wesentlichen Körpermodifikationen (vgl. Hopes 1982; Lesnik-Oberstein 2006). Diese grob skizzierten Argumentationslinien erklären jedoch noch nicht, warum sich die Körperhaarentfernung im Westen im Verlauf des 20. Jahrhunderts (wieder) etablierte und in erster Linie an Frauen richtete. Männer hingegen wurden erst gegen Ende des vergangenen bzw. zu Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend adressiert. Ich möchte darum zunächst danach fragen, warum die Präsenz von Körperhaar im modernen Westen fast durchgängig männlich konnotiert war. Schließlich war die zunehmende Normalisierung enthaarter Körperstellen (nach Hopes 1982 waren es erst die Achseln, dann die Beine und dann die Bikinizone, heutzutage ergänzt durch den gesamten Intimbereich, vgl. Basow 1991; Peixoto Labre 2002), also die Absenz von Körperhaar im 20. Jahrhundert, vorrangig weiblich konnotiert. Über Disziplinen hinweg verweisen Autor/innen zunächst darauf, dass das Haar allgemein durch eine Ambiguität charakterisiert sei, die auf seine Beschaffenheit rekurriere: Einerseits wird Haar oftmals als „tote Materie“ kategorisiert und aus „einem Milieu, das man mit […] Unreinheit assoziiert“ stammend (Haas 2008: 16),7 andererseits steht es als „Ausdruck der Lebenskraft des Menschen“; es dient ebenso wie die Hautoberfläche als wahrnehmender, fühlender physischer Mittler zwischen der äußeren Umwelt und dem körperlichen Nervensystem (Haas 2008: 18), durchkreuzt also unsere Vorstellung von einem klar abgrenzbaren Körper. Es ist „Naturzeichen“ und „Kulturzeichen“ zugleich (Tiedemann 2007; Haas 2008). Besonders das Körperhaar markiere Schnittstellen wie Abgrenzungen zum Animalischen, stelle, so die Psychologen Goldenberg, Pyszczynski, Greenberg und Solomon (2000; Tiggemann/Lewis 2004), daher die beständige Erinnerung an die körperliche Vergänglichkeit dar, die wir mit anderen tierischen Lebewesen teilen, und – so Winfried Menninghaus (2011) – daher zu bekämpfen suchen. Die Assoziation mit Unreinheit lasse sich auch in unterschiedlichen historischen Momenten herausstellen. So zitieren Tiggemann und Lewis das auch in den Berliner Waxing Studios heraus-

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Hier im biologisierten Sinne gemeint, da Haare aus Talgdrüsen wachsen, über die auch Schweiß und Schmutz ausgeschieden werden. Allerdings kritisiert Birgit Haas diese eher „geisteswissenschaftliche“ Auffassung vom Haar als tote Materie, da es biologisch gesehen in seiner Wurzelscheide von lebenden Zellschichten umgeben und genährt wird (Haas 2008: 17).

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gestellte Beispiel: „the link between hairlessness and cleanliness is not new – women and men of ancient Egypt, for example, practiced depilation in the belief that body hair was dirty.“ Körperhaare, so die Autorinnen weiter, „is routinely treated as cause for disgust, much like other body products (such as blood, faeces, sweat or odours) that are thought to be unclean“ (Tiggemann/Lewis 2004: 382). Mary Douglas stellte bereits 1966 heraus, dass Schmutz als „matter out of place“ sozial und kulturell konstruiert sei und sich über seinen Kontext als solchen erst konstituiere (Douglas 2003 [1966]: 44). Zugleich werden auch Gefühle (wie beispielsweise der Ekel, der eng mit Vorstellungen von Unreinheit, Schmutz und Gefahr verwoben ist; Ahmed 2004b: 83f) in Anlehnung an aktuelle phänomenologisch beeinflusste Ansätze8 nicht als essentiell unmittelbar, empirizistisch und individualisiert verstanden, die enthistorisiert im Jetzt verortet sind. Entgegen einer solchen naturalisierenden Konzeption werden Empfindungen zwar als eigenes, inneres, persönliches Etwas (nach Freud 1963 zit. in Ahmed 2004b: 29) aufgefasst, sind aber kulturell eingebettet und über soziale Praktiken konstruiert (ebd.). Sie sind somit auch zeitlich und örtlich verortet und hierbei nicht nur kontextabhängig, sondern auch vor dem Hintergrund ihrer historischen Bedingungen zu verstehen.9 Sie sind, so Ahmed, darüber hinaus auch intentional, also „‚directed towards an object or other (however imaginary), then emotions are precisely about the intimacy of the ‚with‘; they are about the intimate relationship between selves, objects and others“ (2004b: 28). Darüber dürfte sich erklären, warum Körperhaare (und je nach Körperstelle) in anderen kulturellen wie historischen Kontexten als mehr oder weniger verunreinigend, ekelerregend, unbemerkt oder gar als erwünscht gelten/galten. Allerdings stellen Tiggemann/Lewis wie andere vor ihnen (z.B. Basow 1991) fest, dass in „contemporary Western culture, only women’s body hair offensive and potentially contaminating“ (2004: 382) kodiert ist. Das wiederum stellt die Frage nach dieser geschlechtlichen Unterscheidung in den Raum, der über eine Einbeziehung von vergeschlechtlichten Machtverhältnissen und Ungleichheiten in soziokulturellen Ordnungen nachzugehen ist. *

8

Ich greife hier sowohl auf Ansätze innerhalb der Gender-Studies (Butler 1993; Ahmed 2000, 2004a, 2004b; Gutiérrez Rodríguez 2010b) als auch der Anthropologie des Körpers (Lock/Farquhar 2007; Mascia-Lee 2011) zurück.

9

Laut Sara Ahmed sind Gefühle, feelings, „a thing intermediate between external and internal perceptions, which behave like an internal perception even when its source is in the external world“ (ebd). Sie sind so weder allein im Individuum, noch ausschließlich im Sozialen verortet, sondern, laut Ahmed, „interweave the personal, cultural and social dimension in complex and over-determinend ways” (2004b: 29, unter Rückgriff auf Freud).

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Die Verwobenheit von ‚Körper‘ (bzw. Körperbild, -ideal oder -techniken) und sozialer bzw. sozio-kultureller Ordnung wurde seit Emile Durkheim in sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen mit unterschiedlichen Nuancierungen und Perspektivierungen herausgestellt. Unterlegen waren diese Ansätze, bis hin zu den Arbeiten von Michel Foucault, weitestgehend einer cartesianischen Logik von körperlicher und geistiger Trennung (vgl. Lock/Farquhar 2007) – auch wenn ‚Körper‘ immer mehr selbst in seiner historischen und kulturellen Variabilität, diskursiven Konstitution und „mindful in its practices“ (ebd.: 2) verstanden wurde. In dieser Trennung verankerte sich zugleich eine Hierarchisierung, die den ‚Körper‘ in Ausdruck, Empfindung, Praktik bzw. als Bild, zu beschreibendes Rohmaterial oder als objektivierten Bedeutungsträger unter Geist, Subjekt und Gesellschaft ordnete (kritisch hierzu: Villa 2010). Westliche feministische Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder hervorgehoben, dass auch die geschlechtliche Differenz über diese cartesianische duale Logik hergestellt wurde. In ihr wurde Weiblichkeit mit körperlicher Materialität bzw. dem Körperlichen sowie mit Emotionen – und damit zusammenhängend mit dem Natürlichen (bzw. der Natur) – assoziert. Männlichkeit hingegen wurde mit geistiger Materialität, Rationalität und dem Kulturellem (bzw. Kultur, hier verstanden als Gegensatz zu Natur) in Verbindung gebracht (siehe z.B. Ortner 1974; Spelman 1982; Martin 1992 sowie Kapitel 2). Paradoxerweise wurde dem männlichen Körperhaarwuchs von Autoren wie Raymond Firth (1973) oder Anthony Synnott (1987) universalisierend Virilität und Stärke zugeschrieben, was dieser binären Logik folgend Männlichkeit eigentlich in die Nähe des Natürlichen verorten müsste. Körperhaar könnte über anthropologische Ansätze jedoch mit dem sozio-kulturell männlich-kodierten Vermögen, die aus dem natürlich-wildem Unkontrollierten ausgehende Gefahr zu dominieren, erklärt werden. Währenddessen seien Frauen angehalten, das Ineinanderfallen von Weiblichkeit, Natur und Körperlichem über einen durch permanente kulturelle Arbeit hergestellten Körper zu konstruieren, also eigentlich permanente Abgrenzungsarbeit zu einem ‚natur‘-belassenen (also behaartem) Körperzustand zu betreiben, um feminin zu werden. „The hairless norm“, so Susan Basow, „signals that women’s bodies are not attractive or indeed acceptable when natural“ (Basow 1991: 86). Jedoch müssten Frauen gerade deshalb, so Toerien und Wilkinson, „make both the effort to be hairless and make the state of hairlessness appear ‚natural‘“ (2003: 339). Neben der Affirmation geschlechtlicher Differenz sei es hierbei, so die Autorinnen weiter, vor allem eine Zuweisung geschlechtlich-definierter Abhängigkeit: „Given that body hair may be understood both as a signal of (sexual) maturity, and as a symbol of masculine strength, the requirement for women to remove their hair may thus reflect the socio-cultural equation of femininity with a child-like status, passivity and a dependence on men” (ebd.: 338; vgl. auch Basow/Braman 1998). Die Entfernung von Körperhaar allgemein, aber vor allem der Intimbehaarung bei Frauen, habe daher zwei Botschaften, so Susan Basow: „That a woman’s mature

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sexuality is controlled at the same time as her ‚tamed‘ sensuality is on display“ (Basow 1991: 86). Sie betonte hierbei: „Visible hair, not the pubic area itself, is too risqué to reveal“ (ebd.). Die von allen Autoren gemeinsam herausgestellte Infantisierung von Frauen und deren Unterwerfung unter patriarchale Fantasien und Kontrolle mache daher Körperhaarentfernung, insbesondere die Intimhaarentfernung, zu einer, so meint Sarah Hildebrandt, „last colonization of the female body“ (Hildebrandt 2003). Soweit vor allem die vorrangig in den USA geführte feministische Diskussion, die seit einiger Zeit auch im deutschen Kontext reflektiert wird (Djuren 2005), auch wenn sich eine Übertragung der Argumentationsweise nur schwer anstellen lässt. Denn, so Ada Borkenhagen und Elmar Brähler (2010a), die Körperhaarentfernung und speziell die Intimenthaarung ist unter der (weiblichen) deutschen Mehrheitsbevölkerung ein neues Phänomen, wie sich auch in den Beobachtungen meiner Interviewpartnerinnen herausgestellt hatte (vgl. Kapitel 5). Der Trend zu Brust- oder Intimhaarentfernung unter Männern, der nur relativ kurze Zeit nach der (erneuten) Etablierung von Körperhaarentfernung unter Frauen in den 1990er Jahren einsetzte, durchkreuzt zudem ein ausschließlich auf Frauen abzielendes machtgeleitetes Infantisierungs-Argument (vgl. Bokenhagen/Brähler 2011; allgemein Borougths 2009). Gerade in Bezug auf den Trend hin zur männlichen Ganzkörperenthaarung müsste vielleicht verstärkt eine Normativierung von Jugendlichkeit bzw. einem jugendlichen Aussehen untersucht werden, was hierbei eher indirekt auf vergeschlechtliche Ungleichheitsregime verweist. Auch, so zeigte die Reaktion vieler sich als feministisch oder zumindest emanzipiert positionierender Frauen in den Online-Foren und in meinen Kundinnen-Gesprächen, würde diese dichotome Argumentationsweise nicht nur Handlungs- bzw. Gestaltungsoptionen in Bezug auf ihr Intimes einschränken, da das Entfernen der Haare bereits normativ aufgeladen und Frauen daher im Vornherein positioniert seien. Zugleich monierten diese Frauen, dass ein Gegenbild von Körperlichkeit, nun also ein behaartes, als ‚korrekt‘ und erstrebenswert festgeschrieben würde.10

10 Kritische Kommentare gegenüber dieser als reduktionistisch gewerteten Argumentation waren etwa auf den oben zitierten Taz-Artikel zu lesen: „überträgst du solche argumente auch auf schwule, lesben, bondage oder analsex-freunde? rasierst du deinen bart? deine beine? unter den achseln? kopfbehaarung? fingernägel? die fußnägel? wenn du das tust, dann doch bestimmt nur weil... nee klar. ...ganz schön traurig wenn ich sex einfach gern auch mal ohne pieken habe und dann gleich in sone schublade gesteckt werde... und ganz ehrlich: wen gehts eigentlich was an wie ich zwischen den beinen aussehe? und wer hat das recht das auch noch zu werten?“ (‚gast‘, 13.07.2009, sic!). „Wenn es Ihnen gefällt das die Achselhaare im Sommer mit Schweiß verkleben und Geruch entwickeln, Sie keinen Oralsex praktizieren und ein Jucken im Intimbereich als angenehm empfinden, bitte, las-

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Neuere Studien zweifeln in diesem Sinne allgemein die Auffassung an, dass Frauen „blindly submit to [social] control or choose to make their bodies physical manifestations of their own subordination” (Gimlin 2001: 2). Die Soziologin Debra L. Gimlin, die sich mit Körpermodifikationen an spezifischen Orten (Friseursalon, Fitness-Studio und Ernährungsberatungszentrum) im US-Kontext beschäftigte, hinterfragte die Annahme, dass Schönheitsideologien „monolithic in its power to control women’s concerns and behaviors, to limit women’s goals, crush their selfesteem, or to keep them economically and socially inferior to men“ (S.48) wären. Sie und andere diskutieren gegenwärtige Schönheitspraktiken und -ideale als weit komplexer, anstatt diese als bloße vergeschlechtliche Verkörperung/Einverleibung sozialer Kontrolle zu verstehen. Die Anthropologin Miliann Kang argumentiert etwa, dass Sinn und Verständnis für Schönheits- und Körperpflegepraktiken bei Frauen vielmehr von lokalen sozialen Institutionen und Orten (wie beispielsweise die bei Gimlin betrachteten Orte der dienstleistenden Körpermodifikation) geprägt seien, an denen sie tagtäglich interagieren. Frauen würden sich nicht nur den über global oder regional übergreifende Medienbilder vermittelten Geschlechternormativen und daran geknüpften Schönheitsideologien unterwerfen (Kang 2010: 245). Susan Bordo hatte darüber hinaus schon in den 1990er Jahren darauf verwiesen, dass ein dualistisches antithetisches Modell von männlich-weiblich, und daran angelehnt Unterdrücker-Unterdrückte, sich als unangemessen für die sozialen und historischen Komplexitäten der Situationen von Männern und Frauen nicht nur im ausgehenden 20. Jahrhundert herausgestellt habe (Bordo 1993: 23). Dies, so Bordo weiter, sei anhand der wirtschaftlichen und ethnischen Differenzen allein unter Frauen ersichtlich. Hier deutet sich an, dass neben der Kontroverse und Ambiguität, die das Thema bereits unter einer ‚einfachen‘ männlich-weiblich-Dichotomie bereithält, die Debatte weit differenzierter geführt werden müsste, wenn man andere Differenzachsen in die Betrachtung einbezieht. Beverley Skeggs argumentierte bereits 1997, dass nicht allein Vorstellungen bzw. Ideale von Feminität in Schönheitsund Körperpflegepraktiken nachgeahmt würden. Stattdessen seien unausgesprochen Klassenpositionierungen darin inbegriffen – Schönheitspraktiken seien also auch

sen Sie es wuchern. Das ist jedoch noch kein Grund Andersfühlende als pädophil zu bezeichnen“ (‚gast‘, 13.07.2009, sic!). Peixoto Labre (2002) und andere zuvor zitierte Autorinnen begegneten diesen Argumenten jedoch, dass sich dadurch erst recht die Einbettung der Frauen in patriarchale Ordnungen bestätige, da Frauen vorgemacht würde, sie hätten eine Wahl. Zugleich würden sie dominante Diskurse in Bezug auf z.B. Hygiene, sexuelle Befreiung oder Agency in Bezug auf ihre Körperlichkeit insgesamt reproduzieren, die sich aber innerhalb des Sagbaren, also innerhalb patriarchaler Wahrheitsregime verorten würden: „The cultural norm about body hair is powerful and affects everyone to some extent, regardless of gender or feminist identification“ (Basow/Braman 1998: 644).

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immer klassenbezogene Abgrenzungs- bzw. Zugehörigkeitsarbeit (aber auch Bemühungen einer Verstellung [dissimulation]) darstelle; Skeggs 1997: 83f). In ihrer Studie stellte sie heraus, wie sich einerseits Frauen der englischen Mittelklasse über Körper(pflege)praktiken zu Frauen der Arbeiterklasse abzugrenzen, letztere andererseits über eine Imitation dieser ihre Klassenposition zu vertuschen suchten, um als Frau der Mittelklasse angerufen zu werden. Feminität, so Skeggs, sei normativ von privilegierter Klassenposition aus definiert – ist daher eine „classed feminity“, der gegenüber die von ihr untersuchten Frauen aus der Arbeiterklasse immer durch Differenz gekennzeichnet bleiben – trotz „Vertuschungsbemühungen“ (ebd.: 94f). Weiterhin erkannten bereits Forscherinnen in der US-amerikanischen Diskussion um Körperhaarentfernung an, dass sie ihre Aussagen nur für weiße Frauen machen konnten („This examination of the development of the hairless norm for women suggests that the norm developed as a result of a number of social forces, especially the increased movement of white women into the public sphere and the rise of the advertising industry“, Basow 1991: 86). So basierten kulturelle Repräsentationen von Weiblichkeit und Schönheit auf einem „white Anglo-Saxon ideal“ über welches Repräsentationen „all racial, ethnic, and sexual ‚differences‘ that disturb Anglo-Saxon, heterosexual expectations and identifications” homogenisiert und normalisiert würden (Bordo 1993: 24f; vgl. auch Peixoto Labre 2002: 127). Körperhaarentfernung unter Schwarzen US-Amerikanerinnen, so stellte Basow fest, würde sich nach anderen sozio-normativen Motivationen richten (Basow 1991: 94). Basow erklärte dies darüber, dass vor allem in Werbekampagnen eine glatte weiße Haut beworben werde. Unabhängig von dieser sehr dürftigen Einschätzung zeigt sich hier aber, dass ‚Rasse‘ scheinbar eine wichtige Komponente darstellt, nicht nur hinsichtlich Schönheitspraktiken im Allgemeinen, sondern auch hinsichtlich der Haarentfernung. 6.1.2 Körperpflege als Positionierungspraktik: Postkoloniale Kontexte in Brasilien mitdenken Wie grundlegend die Einbeziehung von sozialen Zugehörigkeiten und rassifizierter Zuschreibung in ihren Intersektionalitäten ist, wird besonders für postkoloniale Nationen wie Brasilien deutlich. Autor/innen, die sich in den letzten Jahren mit Schönheit, Körperlichkeit und daran geknüpften Repräsentationsregimen und Körperpraktiken in Brasilien beschäftigt haben, unterstreichen, dass soziale und rassifizierte Hierarchien nicht einfach in Schönheitshierarchien gespiegelt werden könnten. So schreibt Alexander Edmonds, der sich mit den zunehmenden Schönheitsoperationen unter Geringverdienenden in Rio de Janeiro beschäftigte: „It is precisely the gap between aesthetic and other scales of social position that makes attractiveness such an essential form of value and all-too-often imaginary vehicle of as-

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cent for those blocked from more formal routes of social mobility“ (Edmonds 2010: 20). Trotz einer bewussten Verortung von Schönheitspraktiken und damit zusammenhängenden Körpernormen innerhalb von Gender-, Klassen- und ‚Rassen‘Regimen, die sich auch in Brasilien an einem weißen, europäischen Ideal orientieren, stellen Autor/innen immer wieder den Umstand heraus, dass der Körper zu gewissen Graden als Ort der Intervention und Gestaltbarkeit wahrgenommen wird. Die äußere Erscheinung, die aparência (an sich eigentlich ein Verweis auf eine vermeintliche Oberflächlichkeit oder Maskerade), würde vor allem jenen Frauen einen gewissen Grad der Kontrolle über sich und soziale Handlungsmächtigkeit ermöglichen, die geschichtlich und aktuell gesellschaftlichen Gruppen angehören, denen sonst im Alltag und in Bezug auf ihren eigenen Lebensentwurf wenig Ressourcen, Handlungsermächtigung oder eigene Kontrolle zugestanden wird (Adelman/ Ruggi 2007: 285f; Edmonds 2010). So würden gerade von diesen Frauen verhältnismäßig viele finanzielle Ressourcen für Schönheitspraktiken und Körperpflege investiert, die darüber hinaus über Zeit und Körperwissen sowie Kreativität ergänzt oder gar kompensiert würden.11 Paul Gilroys bezeichnet die hohe Investition in den Körper und das Aussehen allgemein als „culture of compensation“ (Gilroy 1993: 85).12 Der Körper als „symbol which consecrates and makes visible differences among social groups” (Goldenberg 2010: 236) wird hierbei zugleich als eine der wenigen zugänglichen Kapitale verstanden, über die diese Differenzen manipuliert werden können: „It can be said“, so Miriam Goldenberg, „that in Brazil the body is a capital, an asset, maybe the most desired one by the urban middle class and also lower strata, which perceive the body as a fundamental vehicle for social ascension, and also an important form of capital in the job, spousal, and erotic market“ (Goldenberg o.A.: 18). Studien wie die hier zitierten unterwandern dabei explizit eine soziale und vergeschlechtlichte Determinierung von Körper und Körperlichkeit, indem sie stärker die sich in den Intersektionalitäten sozialer Zugehörigkeiten ergebenen ‚Lücken‘ und lokale sozio-kulturelle Besonderheiten in den Blick nehmen. Diese für den brasilianischen Kontext allgemeine Spezifik einer Möglichkeit von Gestaltbarkeit, Kontrolle und sozial wirkmächtiger Manipulation des Körpers

11 Nach Schätzungen des Brasilianischen Kosmetikindustrie-Verbandes ABIHPEC (Associação Brasileira da Indústria de Higiene Pessoal, Perfumaria e Cosméticos) geben Frauen unterer Klassen im Verhältnis weit mehr ihres Einkommens aus als sozio-ökonomisch privilegierte Frauen (ABIHPEC 2007 zit. in Machado-Borges 2009: 212). 12 Paul Gilroy verwendete diese Bezeichnung, um für ihn teils übertrieben wirkende Anstrengungen zu erklären, die aktuell Schwarze Menschen, deren soziale Möglichkeiten in jetziger und den vorherigen Generationen blockiert waren, in ihr Aussehen oder in Konsumgüter/-praktiken investieren. Hierbei würden oftmals auch Gender-Stereotype reproduziert oder gar forciert (vgl. Gilroy 1993: 85).

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lässt sich zunächst über ihre geschichtliche Einbettung – vor dem Hintergrund der durch das koloniale Erbe geprägten vergeschlechtlichten Sozial- und ‚Rassen‘-Hierarchien innerhalb Brasiliens und damit auch zusammenhängend der internationalen Positionierung Brasiliens als unabhängige Nation – nachvollziehen. Die Historikerin Denise Bernuzzi de Sant’Anna fasst diesbezüglich zusammen: „In Brasilien beschreibt Schönheit nicht nur eine gewisse modische Physiognomie, zum Nachteil einer von nun an als überholt und daher als hässlich geltenden Erscheinung. Sie verweist immer auch auf bestimmte Nuancen jenes alten Traumes, der die Eliten dieses Landes seit langem heimsucht, nämlich modern und zivilisiert zu sein” (Sant’Anna 2005a: 122; Ü.: ML). Seit dem Imperialzeitalter, so machen sie und andere Historikerinnen wie Mary Del Priore deutlich, stand Schönheit ganz im Zeichen der Körperpflege. Diese zielte, unter Rückgriff auf mit der Zeit sich verändernde Praktiken und „Mittelchen“, auf die äußere Erscheinung und zunächst auf den Eindruck von Reinlichkeit – asseio (Sant’Anna 2011: 288f; Del Priore 2000; Bueno 2007). Reinlichkeit galt dabei als Synonym für gute Erziehung und damit als eine Möglichkeit der sozialen Differenzierung, selbst unter Sklav/innen (als Beweis für ihre ‚gute Qualität‘ und damit rückwirkend auf Arbeitsfelder, in denen sie eingesetzt wurden) und Menschen unterer Einkommensschichten (etwa als Zeichen ihrer Ehrbarkeit; Sant’Anna 2011: 293; vgl. Leitão 1937). Gerade diese Bevölkerungsgruppen wurden nach der Abolition 1888 und dem Beginn der Republik 1898 als povão (das ‚einfache Volk‘) vereint, auch wenn sie intern nach kolonialem Muster differenziert wurden. Eben dieses povão löste politische und gesellschaftliche (und in Bezug auf die Schwarze ehemalige Sklavenbevölkerung: eugenische) Debatten über Fragen der (erwünschten) Beschaffenheit der sich formierenden Nation und damit über deren Zukunft aus.13 Es wurde zunächst als Hindernis für eine internationale Positionierung Brasiliens als moderne Nation gesehen: In Bezug auf seine rassifizierte Komposition galt die große Bevölkerungsmehrheit als abweichend zum europäischen – sprich weißen – Ideal, die im rassistischen Dispositiv der Zeit mit ‚modern‘ zusammenfiel. In Bezug auf seine

13 Im Wesentlichen trafen in den jungen Jahren der República Velha (1889-1930) hierbei zwei Nationenprojekte aufeinander: eines, das auf eine ‚rassisch gemischte‘ Bevölkerung baute, und eines, das die Segregation von weißer und Schwarzer Bevölkerung vorsah (vgl. Costa 2007a; Skidmore 1976). Beiden Projekten unterlag aber die ‚tese do branqueamento‘ (dt.: „These der Aufweißung“), also das anvisierte Ideal einer weißen/weißer werdenden Nation (vgl. Costa 2007a), das bei ersterem durch Mischung, mestiçagem, bei letzterem durch Ausschluss, und bei beiden durch die Attraktion europäischer – sprich weißer – Immigrant/innen erreicht werden sollte. Dieses Ideal ist trotz vielfältiger Dekonstruktionen und politischem Aktivismus diverser Akteursgruppen bis heute noch wirkmächtig (Nascimento 2007; Guimarães 2002).

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soziale Komposition sah sich eine kleine gebildete und wohlhabende Elite einer großen Mehrheit nicht gebildeter, an der wirtschaftlichen Überlebensgrenze lebenden Menschen gegenüber. Von der Elite wurde dies ebenfalls als Hindernis für eine Teilhabe an der Moderne diskutiert. Im Gegenzug dazu setzte sich ab den 1930er Jahren unter President Getúlio Vargas die Narrative (oder auch der Mythos) einer democracia racial, also einer „Demokratie der Rassen“, durch. Diese bezeichnete das vermeintlich friedvolle Miteinander der unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Segmente Brasiliens (vgl. Skidmore 1976; Guimarães 2002). Zugleich stellte sie nach innen wie nach außen die vorteilhafte Besonderheit der sich gegenüber den Segregationsprojekten durchgesetzten mestiçagem, der ‚Rassen-Mischung‘ heraus (z.B. Freyre 2003 [1933], 1987; kritisch hierzu z.B. Costa 2007a). Spätestens mit den eugenischen Debatten und den miteinander konkurrierenden Nationenvorstellungen in der República Velha („der Alten Republik)“ hatte sich auch ein Hygiene-Diskurs in Brasilien durchgesetzt. Er schleuste sich nicht nur in Bezug auf die sich modernisierende und zugleich popularisierende Körperpflege – und auf die Herstellung des modernen Menschen (bzw. zivilisierten Körpers) –, sondern in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ein, wie Wohn-, ArbeitsFreizeitumfeld sowie den öffentlichem Raum vor allem in urbanen Gegenden (Sant’Anna 2005: 131; Bueno 2007). Er war eng an das Projekt der Moderne gebunden und wurde mit der sich etablierenden Nationenvorstellung einer democracia racial ab den 1930er Jahren gerade auch nach außen in Bezug auf den modernen Charakter einer nação mestiça („mestizischen Nation“) vorangetrieben. Die Verortung der Nation als hygienisch und modern bedeutete daher gleichermaßen eine positive Aufwertung gegenüber Europa. Ebenso markierte diese Verortung eine Abgrenzung über die in dieser Zeit herausgestellte ‚tropikalische‘ Besonderheit (Freyre 2003 [1933], 1987; vgl. Edmonds 2010 kritisch hierzu), die mit dem Ansinnen nach internationaler Anerkennung als moderne Nation in einer Zeit, in der das ‚arische Reinheitsideal‘ einen neuen Höhepunkt erlebte, verbunden war.14 Bis heute generiert der Mythos der democracia racial aber auch nach innen wirkmächtige Diskurse und diskursive Praktiken – trotzdem er von Wissenschaft und sozialen Bewegungen weitestgehend dekonstruiert wurde –, die Weißsein als gesellschaftliches Ideal nicht herausfordern, aber ein breites Spektrum subjektiver situativer Positionierungspraktiken erlauben. Diese reichen von quase branco („fast weiß“) bis quase preto („fast schwarz“). Innerhalb dieses „Farbenspiels“ (Nasci-

14 Diese besondere Anstrengung muss daher vor dem Hintergrund jener Zeit gelesen werden, in der ein ‚arisches Reinheitsmodell‘ unter Eugenikern im noch mächtigen Europa verhandelt wurde, ‚Rassen‘-Trennung in ehemaligen Kolonial- und Sklavengesellschaften wie den USA noch immer weitestgehend aufrechterhalten und ‚Vermischung‘ mit ‚Verunreinigung‘ gleichgesetzt wurde (Edmonds 2010).

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mento 2007) ist es der Körper, über den nun eine relative Manipulierung rassifizierter sowie damit verwobener sozialer Zuweisungen möglich wird.15 Die rassifizierte Zuordnung ist also bis heute eine, die in Brasilien enger an die aparência, an die äußere Erscheinung, geknüpft ist anstatt an eine genealogische Verbindung (Damasceno 2011; Goldstein 2003; Schwarcz 1998)16. Der „Mythos der mestiçagem“ konstituiere, so Alexander Edmonds, im Unterschied zu einer rassifizierten Segregation nichtsdestotrotz eine rassifizierte gemischte Nation (nação mestiça; Edmonds 2007: 85ff) unter dem Diktat einer Politik der aparência. Die orientiere sich noch immer an einem weißen, über die eigene Körpermodifikation nachgeeiferten Ideal, was den Kulturanthropologen Alvaro Jarrín (2010) dazu veranlasste, von einer „kosmetischen Staatsbürger/innenschaft“ (cosmetic citizenship) zu sprechen. Zugleich ist die weitestgehende Überlagerung von rassifizierter Zuordnung und sozialer Klasse noch immer Ausdruck des kolonialen Erbes Brasiliens (Luna/Klein 2006; Costa 2007a; Guimarães 2002).17 Diese persistente soziale Ungleichheit, so Machado-Borges (2009), materialisiere sich einerseits in Gewaltdiskursen, Unsicherheitsempfinden und Argwohn sowie in einer ausgeprägten Dienstleistungsgesellschaft, die bis in die intimsten Sphären des Privathaushaltes hineinreiche (2009: 212). Daran gekoppelte Abgrenzungs- und Zuweisungspraktiken schrieben sich in die Körper ein und seien im Alltag in unzähligen Situationen wahrnehmbar – ent-

15 Diese beinhalten situative Schönheitspraktiken wie etwa das Glätten von gelocktem Haar wie auch permanentere Maßnahmen, wie die sich auch in unteren Klassen ausbreitenden chirurgischen Eingriffe (wie eine Nasenoperation, im Volksmund als „Korrektur“ einer „Kartoffelnase“ [nariz batata] bezeichnet; vgl. hierfür Edmonds 2010; Jarrín 2010). 16 Die aparência war jedoch auch zur Kolonial- und Imperialzeit ausschlaggebend für die soziale Position und ein strategischer Ort der privilegierten, sich als europäisch verortenden Bevölkerungsschichten und Eliten, nicht nur innerhalb der diversen sozialen Gruppen des Landes, sondern vor allem um die koloniale Differenz zu Europa zu verwischen (vgl. Del Priore 2000: 23; vgl. auch Jarrín 2010). 17 Sozio-demographische Studien zeigen auf, dass noch immer der größte Teil der Schwarzen (preto- und pardo-) Bevölkerung das niedrigste Einkommen hat, während Weiße im Durchschnitt mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Einkommens der Schwarzen Bevölkerung verdienen (IGBE 2010). Die Zuordnung erfolgt nach Autodeklaration, wobei im letzten Zensus 2010 neben Kategorien der Hautfarbe auch die Zugehörigkeit familiärer Abstimmung erfragt wurden, was zu weitgefächerten Kombinationen von „Europäisch - schwarz“ über „Europäisch+indigen - gelb“ bis „Afrikanisch+indigen - weiß“ führte. (Pardo [braun] und preto [schwarz] werden im politischen Diskurs in der Regel unter dem Oberbegriff Negro zusammengefasst. Ich verwende an dieser Stelle aber die Bezeichnung Schwarz, da seit einigen Jahren erneut eine Diskussion entfacht ist, inwiefern preto die eigentlich richtigere Bezeichnung wäre und negro sogar diskriminierend sei.)

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weder durch Ablehnung oder durch Unsichtbarkeit, wobei beide Formen schmerzhaft erlebt würden (ebd.: 227). Schönheitspraktiken operieren daher in mehreren sozialen Dimensionen: Sie sind nicht allein darauf ausgerichtet, weißer zu erscheinen (auch wenn eine Reihe der Praktiken scheinbar einzig darauf abzielen). Vielmehr soll über eine weißere Erscheinung eine bessere soziale Positionierung vorgegeben werden. Zugleich ist die Befähigung, über den Körper (und sei es unter viel Aufopferung) (weißen) Idealen nachzueifern, auch an ein vermeintliches Kosumptionspotential geknüpft, sich diesen Aufwand tatsächlich finanziell wie zeitlich leisten zu können.18 Daran gebunden ist nicht zuletzt auch der Wunsch nach Sichtbarkeit in einer Gesellschaft, in der „consumption has been turned into an instrument to gain civil rights (cidadania) and consuming (conspiscously) makes one feel like a cidadão (citizen)“ (Sansone 2003: 93; Machado-Borges 2009: 213), und in der ein Unsichtbar-Verbleiben mit einer Aberkennung sozialer Wertigkeit des Selbst in der Interaktion mit anderen gleichgesetzt wird (ebd.: 228). Abbildung 6.1: Kosmetiksalon in einem Wohngebiet der unteren Mittelklasse

Quelle. Foto: M. Lidola (2014)

18 Thaís Machado-Borges konstatiert diesbezüglich, dass „consumption in general, and consumption through the body (diets, fashions) and around the body (visits to spas, beauty treatments, cosmetic surgeries), associated with educational work, are symbolical and material means to position oneself within contemporary Brazilian social hierarchies of gender, class and race“ (Machado-Borges 2009: 214).

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Edmonds, Machado-Borges, Jarrín und andere erklären darüber auch den hohen Marktanteil von Kosmetik- und Schönheitsprodukten in Brasilien (2012 wurden in Brasilien knapp 40 Millionen Reale für Kosmetikprodukte ausgegeben, was 1,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes darstellt; nicht eingerechnet sind hierbei die Ausgaben in Kosmetikdienstleistungen) und der anhaltenden Stellung Brasiliens als drittgrößter Schönheitsmarkt weltweit (ABIHPEC 2012). Das werde wiederum, trotz der großen sozialen Ungleichheiten, durch eine relative wirtschaftliche Stabilität und ein ausgefeiltes System von Kleinkredit- und Ratenzahlungssystemen unterstützt. Schönheit, obwohl eng an in Brasilien wirkmächtige rassifizierte und soziale Logiken gebunden, ist also nicht den gleichen Logiken unterworfen, sondern durchkreuzt bzw. verwischt sie. Allen sozialen Bevölkerungsgruppen war hierbei die wirkmächtige geschlechtliche Dimension von Schönheit bzw. Körperpflege gemeinsam, die unter Einbeziehung einer intersektionalen Perspektive in ihrer geschichtlichen Spezifizität betrachtet werden muss. Die Herstellung und Manipulierung des eigenen Körpers und seiner Erscheinung waren neben normativ auf den Körper wirkenden Klassen- und ‚Rassen‘-Hierarchien auch durch eine patriarchale Gesellschaftsordnung lange vorgegeben. So stellte Sant’Anna fest, dass es bis in die 1950er Jahre hinein in erster Linie Männern zu definieren oblag, was als schön galt und wieweit welche Frauen (entsprechend sozialer und rassifizierter Verortungen) ihren Körper entsprechend gestalten könnten (Sant’Anna 1995a; Del Priore 2000): Zu Kolonial- und Imperialzeiten war dies vor allem Aufgabe des Klerus, anschließend wurde dies von der Medizin und anderen Wissenschaften übernommen: „Schönheitsprobleme wurden dem Bereich Gesundheit untergeordnet, wobei sich hier das allgemeine Vokabular mit medizinischen Begriffen von anerkannten Ärzten mischt. Dabei schließen die wissenschaftlichen Erklärungen nicht nur an religiöse Vorstellungen an, sondern aktualisieren und modernisieren diese auch“ (Sant’Anna 1995a: 123). Neben der sozialen aparência waren hierbei auch medizinische Vorstellungen von essência [Essenz] adressiert, die mit den entsprechenden remedios [Medikamenten] behandelt werden könne (ebd.). Ab den 1920er Jahren, so Sant’Anna, war die persönliche Hygiene dann bereits von der sich herausbildenden Kosmetikindustrie vereinnahmt. Sie setzte darauf, mit Hilfe einer wachsenden Palette von Hygieneartikeln das Konsumpotential von Frauen auszuschöpfen – und zwar über die unterschiedlichen Klassen hinweg (ebd., Bueno 2007). Zudem übernahmen Frauenmagazine und Gesundheitsratgeber, die bis in die 1950er Jahre hinein von Männern herausgegeben wurden, die körperliche und damit hygienische Erziehung. Der in diesen neuen Medien beworbene Körper war ein sozial klassifizierter (der sich wie oben bereits gezeigt, zugleich auch an einem weißen Ideal orientierte). Die Magazine und Ratgeber wurden zwar von der Mittelklasse konsumiert. Dennoch waren sie bis in die unteren Klassen, die sich vorwiegend aus einer nicht-weißen Bevölkerung zusammensetzen, wirkmächtig. Wie

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in anderen Regionen wurde auch in Brasilien Schönheitspraktiken in dieser Zeit des Übergangs von erster und zweiter Frauenbewegung als Selbstermächtigung und oft auch Emanzipation und Agency interpretiert. Die Körperpflege wurde dabei immer mehr als eigene, selbstbestimmte Anstrengungen verstanden, anstatt als Effekt eines kollektiven Zwangs. Unterstützt wurde diese Entwicklung wiederum von der Werbe- und Kosmetikindustrie. Sie bekräftigte ab den 1960er Jahren Kosmetikpraktiken nicht mehr nur als hygienische Notwendigkeit für eine moderne Nation, sondern als individuelle Schuldigkeit gegenüber sich selbst. Bemerkenswert war daher, dass mit der Modernisierung der Schönheitsindustrie in diesen Jahren, in deren Zuge Körperpflegeprodukte bis in die unteren Klassen zugänglich wurden, Hygiene weniger als individueller Beitrag für das kollektive, gesellschaftliche Projekt der Moderne verstanden wurde. Mehr noch wurde sie zu einer individualisierten Verantwortung, in erster Linie gegenüber sich selbst (Sant’Anna 2005: 130). Die kollektive Wahrnehmung der Körperpflegearbeit verlagert sich dabei von etwas Besonderem hin zu etwas Alltäglichem. Dies hing mit einer zunehmenden Verortung von Kosmetikpraktiken als Pflegepraktiken auf der Gefühlsebene zusammen: Beworben als prazer a si mesma („Gefallen an sich selbst“; ebd. 133ff; Andrade 2003: 135) und mit psychologischen Implikationen versehen, wurden diese Praktiken „synonym mit Wörtern wie Sauberkeit, Distinktion, Ordentlichkeit und Sorgfalt verwendet“, wobei diese „immer mit dem weiblichen Körper“ verbunden waren, „in enger Verwobenheit mit Schönheit, Hygiene und Gesundheit“ (Andrade 2003: 134, Ü.: ML). Diese Narrative der Körperpflege als ein Gefallen an sich selbst, in dem Hygiene und damit auch der moderne zivilisierte Körper auf mehreren sensorischen Ebenen fühl- und erlebbar wird, reproduziert sich mit Abweichungen bis heute: „Die Sorge um Gesundheit und Schönheit wurden für das eigene Wohlgefallen, der Selbstbestätigung und eines weiblichen Selbstbewusstseins so unabdingbar. Es ermöglichte in den 1960er Jahren einen psychologischen Diskurs, der sich fast ausschließlich an Frauen richtete. Dieser besagte, dass diese Erfahrungen, das Entdecken und Kennenlernen seiner selbst, dass Berührungen, also der intime, respektvolle und liebevolle Kontakt mit dem eigenen Körper das Allernatürlichste und Authentischste sei.“ (Andrade 2003: 135 nach Sant’Anna 1995a; Ü.: ML)

Körperpflege und damit Schönheitspraktiken sind also nicht einseitig als abgleichende Praktiken in Bezug auf ein Ideal – vergeschlechtlicht, klassifiziert und rassifiziert – zu verstehen. Stattdessen müssen sie auch in ihrer affektiven Dimension und den damit verbundenen geschichtlich hergestellten und verhandelten Gefühlen und Wahrnehmungen untersucht werden: „Beauty is as much a sensorial experience and a perception as it is a series of norms to be reiterated“ (Jarring 2010: 9). Sie äu-

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ßert sich nicht nur im sehenden Wahrnehmen, sondern in Gerüchen, im Ertasten und Erfühlen von Haut und Haar.19 Als sensorische Erfahrung ist sie jedoch der Momenthaftigkeit unterlegen und damit nur über permanente Repetition dauerhaft: „Zu dieser Zeit wurde der weibliche Körper zu etwas Sensiblen, ausgestattet mit einem eigenen Vokabular, von unermesslicher Tiefe und einer Komplexität, die ihm zuvor stets negiert wurde. Damit wurde aber auch die zu erzielende Schönheit Teil einer unendlichen Arbeit an sich selbst“ (Sant’Anna 1995a: 137, Ü.: ML). Dies heißt folglich, dass auch die verkörperte Moderne sich – aufgrund der (post)kolonialen Differenz, die sich ebenso in die Körper schreibt bzw. Körper konstituiert – nur durch permanente, repetitive Körperarbeit beibehalten lässt. Die koloniale Differenz20 – nach innen wie außen – und die beständige Bemühung ihrer Aufrechterhaltung (nach innen und außen) oder Überwindung (nach innen und außen), ist vielleicht ein wichtiger Aspekt, um die heutige Bedeutung der Schönheitsindustrie in Brasilien zu erklären. 6.1.3 Transnational eingebunden: Schönheitspraktiken als Körperpflegearbeit in Alteritätsnarrativen in Deutschland Diese hier geführte Betrachtung des brasilianischen Kontextes soll im Folgenden das Verständnis für die Positionierungspraktiken der brasilianischen Interviewpartnerinnen in Deutschland erleichtern. Hierbei werde ich allerdings nicht essentialisierend zwischen einem ‚deutschen‘ oder einem ‚brasilianischen‘ Kontext unterscheiden. Vielmehr möchte ich so die transnationale Dimension in ihrer Komplexi-

19 Hier setzt auch die Kritik an einem zu stark diskursiv geprägten Körperverständnis an, die aktuelle feministische Anthropolog/innen anbringen. Alvaro Jarrin schreibt: „If we reduce bodies to straightforward reiterations of discourses, we lose sight of the processes of embodiment that allow bodies to materialize and matter. As Elizabeth Grosz points out, the Foucauldian portrayal of the body as an inscriptive surface, on which disciplinary regimes are imposed and through which discursive power is mobilized, presents the body as problematically passive (Grosz 1994: 146). This portrayal reiterates the mind/body dichotomy, where the body is represented as inert, feminized and an effect of intellectual discourse, rather than as generative and productive in its own right“ (Jarrin 2010: 14). 20 Koloniale Differenz wird hier nach Walter Mignolo verwendet, der darunter eine hierarchische Differenzierung von Epistemologien, damit verbundenen Sprecher/innenpositionen und Rassifizierungen von Bevölkerungen aus europäischer bzw. westlicher Perspektive versteht. Aufgrund der anhaltenden Kolonialität (nach Quíjano 2000) über Macht- und Wissensordnungen im „modernen/kolonialen Weltsystem“ sieht Mignolo die koloniale Differenz über die historische (wie geographische) Eingrenzung von Kolonialismus hinaus bis in die heutige Zeit wirkmächtig (vgl. Mignolo 2000; 2007).

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tät aufzeigen, da Körperpflege und Schönheitspraktiken von den Frauen als selbstverständliche, routinierte Alltagspraktiken gelebt werden. Zugleich sind diese Praktiken verflochten mit normativ gewordenen Körperbildern ihres Sozialisierungskontextes („controlling images“ Kang 2010: 5, zit. nach Collins 2004: 350, gegenüber denen sie ihre eigene Körperarbeit abgleichen) sowie einem daran gekoppelten Körperempfinden. Diese erlangten in der Migration eine veränderte Bedeutung, da die Frauen im deutschen Kontext die noch immer wirkmächtige koloniale Differenz nun in doppelter Hinsicht verkörpern: Denn anders als in Brasilien, wo sie trotz (post)kolonialer Abweichungen Teil der Nation sind und diese Teilhabe zu einem gewissen Grad über ihren Körper (und damit verbundene Konsumpraktiken) aufwertend manipulieren konnten, verkörperten sie als Migrantinnen in Deutschland eine zunächst als nicht manipulierbar erscheinende Un-Zugehörigkeit (Christensen 2009), die ihnen auch die Möglichkeit eines passing21 verwehrt. In der Anrufung als verAnderte Frauen, als ‚Ausländer‘ oder ‚Brasilianerinnen‘ erlangte diese koloniale Differenz ihre ganz konkrete Materialität in unterschiedlichen Lebensbereichen und alltäglichen Situationen, wie in Kapitel 4 für ausgewählte Bereiche gezeigt wurde. Diese Materialität war in ihren permanent aktualisierten VerAnderungspraktiken auch eine körperlich an die Frauen vermittelte. Zugleich wurde sie von den Frauen gefühlt und erzeugte affektive Reaktionen wie Schmerz, Zorn oder Traurigkeit.22 Die Materialität einer verkörperten Differenz wurde allerdings nicht nur über Ausschluss- und Zuweisungspraktiken von Seiten Anderer erfahren. Sie manifestierte sich auch in Aussagen der brasilianischen Interviewpartnerinnen über ihre eigenen Wahrnehmungen in Abgrenzung zu den ‚Deutschen‘. Auffällig war, dass ‚deutsche‘ Frauen in erster Linie über eine eigene (normative) und kulturell kodierte Vorstellung von Feminität abgeglichen wurden. Sie reflektierte sich in Bewegungen und Gestik, Körperhaltung und Kleidung, und in einem entsprechend gepflegten Körper. Anders als in brasilianischen Kontexten bildete die mir gegenüber betonte Differenzierungsachse also nicht eine vorrangig rassifiziert-klassenbezogene und diesbezüglich manipulierte oder manipulierbare aparência. Vielmehr war die geschlechtliche Erscheinung relevant (auch wenn in ihren Intersektionalitäten). Die Akzentuierung der geschlechtlichen Differenzierung, so interpretiere ich, begründet sich darüber, dass diese als kapitalisierbare und kompensierende Ressource von den Frauen entdeckt wurde. Dies gilt gerade, weil ‚deutsche‘ Frauen als einem in Deutschland vorherrschenden weißen Ideal näher oder im Vorteil wahrgenommen wurden. Dieser Vorteil bezog sich zum einen auf Kategorisierungskriterien eines

21 Passing ist nach Butler die „List des Als-Weiß-Passierens“, bei der die „Wandelbarkeit eine bestimmte Freiheit bedeutet, eine vom Weißsein gewährte Klassenmobilität“ (1997: 236). 22 Vgl. Ahmed 2000; Ahmed 2004a zur affektiv-körperlichen Dimension von VerAnderung.

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weißen Ideals, mit denen die Frauen in Brasilien sozialisiert worden waren. Zum anderen galt er auch hinsichtlich der Ausschlusspraktiken in Deutschland, die die meisten aufgrund einer Zuweisung als nicht-weiß am eigenen Leib erfahren hatten. Doch veränderte sich die ihnen vertraute und in Brasilien dominante Idee einer Überlagerung von weiß = modern in Deutschland. In Brasilien überlagerte sich, wie oben gezeigt, Modern-Sein mit der (vergeschlechtlichten) Vorstellung von Hygiene und Reinlichkeit, gerade in Bezug auf die eigene Körperlichkeit. Eben dieses ausgeprägte Körperpflegeempfinden, das in Brasilien so sehr an Frauen herangetragen wurde, wurde nun aber bei den deutschen Frauen als unzureichend oder gar fehlend wahrgenommen.23 So sagte Carminhas, dass ihr deutsche Frauen „meio bárbaro“ (ziemlich barbarisch) vorkamen (vgl. Kapitel 5). Und Silvana R. äußerte, dass Deutsche generell „ungepflegt“ wirkten (siehe unten). Zu dieser Einschätzung gelangten die Frauen einerseits aufgrund geruchlicher oder optischer Wahrnehmungen. Dazu zählen der Geruch von Schweiß bzw. der fehlende Geruch von Parfum, Deodorant, Cremes oder Shampoo/Conditioner sowie zu trockene, zu fettige oder allgemein ‚unreine‘ Haut und Haare – alles äußerliche Merkmale, denen man an und für sich über entsprechende Mittel begegnen könnte. Andererseits war es die (sichtbare) Präsenz von Körperhaaren, die eine solche Beurteilung motivierten. Die eigentlich ‚natürliche‘ Schönheit (hier eng gebunden an eine Subjektivierung unter ein weißes Ideal) würde über einen ungepflegten, hier vor allem behaarten Körper beeinträchtigt, weshalb es lange Zeit vielen deutschen Frauen an einer gewissen Weiblichkeit gemangelt habe (so die Einschätzung einiger Interviewpartnerinnen, wie Ana*, Carminha oder Frances-Clai). Gerade in Bezug auf die Körperhaare wurde ein Alteritätsnarrativ motiviert, das sich nicht allein auf eine verkörperte Geschlechtlichkeit bezog, sondern darüber hinausreichte und in Interviews eine kulturalisierende Dimension aufwies. Aussagen wie Carminhas Einschätzungen zu einer damaligen Normalität von Körperbehaarung bei deutschen Frauen als „meio bárbaro“, Vergleiche zum Animalischen („Sie sah unten aus wie ein Bär“, Frances-Clai) oder Flora („Urwald“, „Busch“, „Amazonaswald“) oder eine indirekte zeitgeschichtliche Einordnungen („die Höhlenzeiten sind vorbei!“, Ana*, Ü.: ML) verweisen auf ein vor einigen Jahren noch weit verbreitetes kulturelles Defizit der Deutschen in den Augen der brasilianischen Frauen.

23 Diese Einschätzung wurde immer in die Vergangenheit verlagert, meist als Erfahrung kurz nach der Ankunft in Berlin. Insgesamt sei jedoch eine Veränderung des Körperpflegeempfindens bei deutschen Frauen in den letzten Jahren feststellbar, was die Frauen in den Medien popularisierten Körperpflegepraktiken und Körperbildern bzw. -idealen zuschrieben. Hin und wieder wurden aber auch gegenwärtige Episoden eingeflochten, die an eigentlich vergangene Einschätzungen anschlossen, etwa, dass es in öffentlichen Verkehrsmitteln im Winter stinke, da sich ‚die Deutschen‘ nicht so gern duschten.

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Überzeichnet wurden diese Einschätzungen mit einer affektiven Zuordnung: Ekel. Frances-Clai stellte einen Friseurbesuch nach, bei der die Frisörin ausgeprägtes Achselhaar hatte: „Oohh, mir war so unangenehm. Mir war so schlecht. Ich musste mich fast übergeben“. Sie erzählte, dass sie ihren Friseurbesuch deshalb sogar abbrechen musste. Ekel, als „intense bodily feeling of being sickened“ (Ahmed 2004b: 85) ist wie andere Gefühle keine bloße körperlich-psychische Reaktion auf ein ‚natürlich‘ abstoßendes Etwas. Ekel und andere Affekte, so Gutiérrez Rodríguez „legen nicht nur einen Kontext offen, sondern zeichnen sich innerhalb einer konkreten historischen und geopolitischen Arena ab. Obwohl sie aus den Dynamiken unserer Kräfte, Impulse, Gefühle und Begegnungen hervorgehen, führen sie auch Reste von Bedeutung mit sich. Sie werden von früheren Intensitäten heimgesucht, die in der Gegenwart nicht immer verdeutlicht und erfasst werden.“ (2010a: o.A.)

Die mit Ekel besetzte Reaktion auf Körperhaare ist so auch vor dem Hintergrund der Sozialisierungserfahrungen der Interviewpartnerinnen zu verstehen. Darin werden Körperhaare mit Schmutz und Unreinheit assoziiert und gelten sozio-kulturell als abstoßend. Damit ist Körperhaar an eine als kulturell kodierte Alterität gebunden, was über beständige Vergleiche betont wurde: „In Brasilien gibt’s so was nicht. Sowas würdest du da nie sehen“ (Frances-Clai). In diesen Aussagen lassen sich darüber hinaus mehrere Intentionen und narrative Strategien erkennen. Einerseits interpretiere ich diese mir gegenüber geäußerten Wahrnehmungen als eine Art Umkehrung der von den Frauen im deutschen Alltag erfahrenen Ablehnung als ‚Ausländer‘. In diesen Darstellungen waren sie nun nicht mehr das Objekt der Ablehnung sondern Subjekt der Handlung und Wertung, und sei dies auch nur narrativ. Zugleich impliziert die Einschätzung und Zuweisung der Anderen als kulturell defizitär auch eine eigene Aufwertung, die sich zunächst (scheinbar nur) über die eigene Körperlichkeit ermöglicht – eben jene Körperlichkeit, die aber eigentlich (oder gerade) die koloniale Differenz markiert. Der Körper/ die eigene Körperlichkeit stellte für viele der Frauen schon in Brasilien eine kompensierende Ressource oder Kapital (Goldenberg o.A.) dar, auch wenn unter anderen sozio-kulturellen/-rassifizierten Bedingungen und Bedeutungsordnungen. Doch auch für den deutschen Kontext reicht die Gewichtung der körperlichen Erscheinung über eine symbolische wie affektive Ebene der Alteritätsnarrative hinaus und wurde als positionierungsstrategische Notwendigkeit herausgestellt. Dies galt insbesondere bei Frauen, deren Arbeitstrajektorien nach der Migration durch Tätigkeiten geprägt waren, die den Körper in Aussehen und Befindlichkeit angriffen. Zu solchen Tätigkeiten zählte besonders die Reinigungsarbeit, sei es in Privathaushalten oder in Großbetrieben, wie im Falle von Marta*. Abgebrochene Fingernägel, durch chemische Reinigungsmittel ausgetrocknete Haut, verschwitzte Haare und andere Formen der physischen Einflussnahme der Tätigkeiten auf den

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Körper mussten über die persönliche Körperpflege wieder ausgeglichen und der von der Arbeit gezeichnete Körper gereinigt werden. Zudem wurde die pflegende Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Körper auch als wohltuende körperlichseelische Erholung nach den physischen Strapazen der Arbeit empfunden. Weiterhin galt der gepflegte Körper auch als Indikator für betreuende Tätigkeitsfelder, wie in der Kinder- und Altenpflege. Dabei fordert dieses mit mütterlichen Eigenschaften assoziierte feminisierte Tätigkeitsfeld auch einen feminisierten Körper, über den essentialisierend die individuellen Kompetenzen für diese Arbeit vorwegnehmend zugeschrieben werden. Es ist eben auch dieser Körper, der durch eine rassifizierte Anrufung der Frauen bereits doppelt in seiner Weiblichkeit subjektiviert wurde. Zugleich, so Ana*, sollte eine gepflegte Körperlichkeit auch indirekt auf die eigenen Kompetenzen in der Fürsorgearbeit verweisen; das eigene gepflegte Äußere diene also als Anhaltspunkt für die zu erwartende Dedikation in die Pflege (eben auch der Körperpflege) der zu betreuenden Personen. Eine gepflegte Erscheinung war zudem ein Muss und Differential für Frauen wie Leni (bei ihrer Arbeit als Promoterin für eine Zigarettenmarke und als Rezeptionistin in einem Fitness Studio) oder Angelica (als Kellnerin), die in personenbezogenen Tätigkeiten arbeiteten, in denen sie Menschen bedienen oder an Menschen verkaufen mussten (und die von Beatriz Padilla und Mariana Selister Gomes [2012: 11] als „mercado da simpatia“ [dt.: Markt der Sympathien] bezeichnet wurde und allgemeinhin brasilianischen Migrantinnen zugewiesene Arbeitsbereiche darstellten). In diesen Bereichen wurde von den Frauen erwartet, als Brasilianerin auch gewissen äußerlichen Vorstellungen der Deutschen zu entsprechen. Sie sollten also das Stereotyp der ‚Brasilianerin‘, wenn nicht in sexualisierter Weise, so doch durch eine schöne, gepflegte und (daher) feminine Erscheinung verkörpern. So entschied auch eine körperlich gepflegte Erscheinung in all diesen Beispielen, ob die Frauen sich in eines der wenigen für sie in Deutschland zugänglichen Arbeitsfelder erfolgreich eingliedern konnten. Auch trug das eigene Äußere dazu bei, den eigenen prekären Arbeitsstatus in einem sozial stigmatisierten Bereich wie der Reinigungsarbeit (und somit die damit verbundene Klassenposition, die sich zur Anrufung als ‚Ausländerin‘ gesellt) nicht in anderen sozialen Umfeldern über eine defizitäre körperliche Erscheinung erkennbar zu machen. Dies traf vor allem für das soziale Umfeld der Ehepartner zu, wie ich unter Kapitel 4 bereits ausführlicher in Bezug auf arbeitsbedingte Positionierungspraktiken der Frauen angesprochen habe. Hierzu gehörte die Problematik, sich als Haushaltsarbeiterin oder Reinigungskraft im Freundes- und Familienkreis erkennbar zu geben. Die daran gebundene soziale Stigmatisierung konnte letztlich über ein gepflegtes Äußeres zu gewissem Grad relativiert werden.24

24 Zugleich stellte Adriana Piscitelli für brasilianische Ehefrauen italienischer Männer fest, dass die eigene, über permanentes Schönheitspraktiken hergestellte Körperlichkeit auch

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In den hier skizzierten Fällen zeigt sich, wie wichtig körperliche Aspekte für die Frauen im gesellschaftlichen Kontext sind. Teils konnten sie sogar die Grenzen, die ihnen als ‚Ausländerin‘ vorgegeben sind, über die eigene körperliche Erscheinung manipulieren und überschreiten und sich so selbst neue Arbeitsfelder eröffnen. So kann ähnlich zum brasilianischen Kontext, wie von einigen oben vorgestellten Autor/innen vertreten, auch für den Migrationskontext von einer „culture [oder besser: politics] of compensation“ (Gilroy 1993: 85) gesprochen werden, die im transnationalen Kontext Berlins besonders auf eine kulturalisierte Feminität ausgerichtet ist. Letztlich wurde erst hierüber sowohl eine eigene Aufwertung auf symbolischer Ebene als auch eine Erweiterung von Handlungs- und Positionierungsmöglichkeiten in ausgewählten gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht – auch wenn dies in einem begrenzten, vorgegebenen Rahmen innerhalb der miteinander verflochtenen Arbeits-, Migrations-, Geschlechts- und Repräsentationsregime geschieht. Nicht zuletzt müssen die Einschätzungen und Aussagen über divergierende Weiblichkeitsvorstellungen und damit verbundener Körperpraktiken aber auch vor dem arbeitskontextuellen Hintergrund gelesen werden, in Bezug auf den die Interviews geführt wurden. So wie etwa ein gepflegtes Äußeres als Rückschluss auf die Arbeitsqualität als Kinderbetreuerin oder Kellnerin fungierte, so beeinflusse dieses erst Recht die Bewerbung von Waxing und die Bewertung ihrer Arbeitsperformanz als Depiladora. Über ihre körperliche Erscheinung sahen die Interviewpartnerinnen bereits eine erste Referenz dafür, wie ihre Kundinnen ihre Arbeit vorwegnehmend einschätzten (Ana* sagte mir: „Mein Körper ist bereits ein Werbeplakat [cartaz].“ Ü.: ML; Neide* meinte: „Ich muss schon Vorbild sein, weil sonst fragen die Kunden, warum ich ihnen eine Behandlung verkaufen will“). Die eigene körperliche Erscheinung, die vom weißen Ideal gesellschaftlicher Zugehörigkeit in Deutschland und vom weißen Ideal der internationalen Schönheitsindustrie abwich, musste dabei nicht nur in Bezug auf eine Aufwertungsarbeit als ‚Ausländerin‘ in einer körperintensiven Dienstleistung herhalten, in der Dienstleistende und Dienstempfangende nicht nur einander begegnen, sondern sich berührten. (Kommerzialisierte Berührungen zwischen ‚Ausländerinnen‘ und ‚deutschen Frauen‘ finden in der Regel sonst nur in der Fürsorgearbeit, also in Arbeitskontexten statt, in der die Dienstempfangende hilfsbedürftig ist.) Die körperliche Erscheinung der Frauen musste zugleich Überzeugungsarbeit für diese Dienstleistung, Waxing, leisten. Denn wie oben gezeigt war weder die Technik selbst noch das anvisierte Ergebnis eines haarlosen Körpers in den ersten Jahren der Studios weit verbreitet und schon gar nicht

eine aufwertende Abgrenzungsarbeit zu italienischen Frauen in sonst diskriminierenden gesellschaftlichen Kontexten der Dominanzkultur sei (Psicitelli 2007c). Das lässt sich auch für den deutschen Kontext vermuten, wurde von mir aber nicht näher untersucht.

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als kommerzialisierte Tätigkeit bekannt. Zudem wurde Waxing nach ihrer Verbreitung von einer polarisierenden und polemisierenden Kontroverse begleitet. Für diese Überzeugungsleistung griffen die Frauen indirekt auf die oben herausgestellten Alteritätsnarrativen zurück. Sie versuchten die deutschen Frauen (oftmals spaßend) zu motivieren, ihre Körper zu kultivieren, daher ‚menschlicher‘ und femininer zu gestalten. Eine Kundin, Franziska, die sich als eine der ersten Waxing-Stammkundinnen Deutschlands bezeichnete, erzählte mir: „Mein Spitzname ist ‚macaquinha‘, also kleines Äffchen. Weil, also vor meiner ersten Behandlung, da hatte ich so einen krassen Damenbart. Nach der Behandlung sagte Laura [‚ihre‘ Depiladora] zu mir: ‚So, jetzt haben wir aus dir wieder einen Menschen gemacht‘“ (Interview vom 04.10.2010). Die Depilation wird hierbei zunächst weniger als eine Schönheitspraktik im engeren Sinne von den Frauen verstanden, sondern als Pflegearbeit, die zugleich einen gesunden und zivilisierten Körper herstelle und erhalte. Aus Kund/innen „Menschen zu machen“ wurde für weibliche Kundinnen oftmals auch mit der Bemerkungen ergänzt, „jetzt wieder eine richtige Frau“ geworden zu sein. Dies konnte über die reine Körperhaarentfernung hinausreichen, umfasste etwa Ratschläge für andere Körperpflegepraktiken, die die Haut etwa sanfter, das Haar glänzender, die Zähne weißer oder sogar die Bewegungen weicher machen würden – all dies Zeichen einer von den Interviewpartnerinnen herausgestellten Weiblichkeit. Zu dem indirekt anklingenden Alteritätsnarrativ über die ‚deutschen‘ Frauen, deren defizitäres Körperpflegeempfinden nun auch mit Hilfe der Depiladoras geweckt würde, gesellt sich zudem das global wirkmächtige ‚Wohlfühlnarrativ‘. Dies ordneten die Frauen wiederum dem eigenen Sozialisierungskontext in Brasilien zu, wie die folgenden Aussagen zeigen: „Wir Brasilianer sind sehr schönheitsbewusst. Ich finde das gut. Die Deutschen sollten es vielleicht lernen, diese Sich-Wohlfühlen. Und wie fühlt sich eine Frau wohl? Wenn die Haare sitzen und einen schönen Schnitt haben, wenn die Haut glatt und schön ist – so fühlt sich die Frau in Brasilien zumindest wohl. Deswegen wird es hier so gesehen, dass die Brasilianer schöne Frauen sind. Aber die tun was dafür, damit die schön sind.“ (Silvana R., 07.10.2010) „Wir in Brasilien, also die Frauen, .. sie machen für sich, für ihre Körperpflege, sie machen viel. Sie gehen regelmäßig zum Friseur, sie gehen regelmäßig zur Maniküre. Das ist hier anders. Hier hat die Frau nicht so viel Wert darauf gelegt.“ (Silvana H., 16.08.2012)

Schönsein und Wohlfühlen werden in all diesen Aussagen komplementär betrachtet. Sie sind nicht naturgegeben, sondern müssen durch eigene Anstrengung hergestellt werden. Gerade darüber relativieren die Frauen auch stereotype Vorstellung über die ‚schöne Brasilianerin‘. Zugleich wird diese Vorstellung aufgrund der von brasilianischen Frauen geleisteten Anstrengungen und der Körperarbeit bestärkt:

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„Die Brasilianerin ist schön – dieses Bild der schönen Brasilianerin verkauft sich. Jeder, der mal in Brasilien gewesen ist, weiß das. Das Haar ist schön, die Nägel gemacht. Sie kümmert sich einfach um diese Dinge. Sie kann dick oder dünn sein, aber sie kümmert sich um diese Dinge. Deshalb ist das Bild von Brasilien so sehr an das Bild einer schönen Frau geknüpft. Also nicht auf abwertende Art, sondern eher so: ‚Ich möchte auch so schön sein wie eine Brasilianerin, ich möchte auch so gepflegt aussehen‘, ja? Ich denke, dass sich diese Vorstellung sehr gut verkauft.” (Marta*, 05.09.2012, Ü.: ML)

Über die nuancierte Verkörperung des brasilianischen Stereotyps einer schönen Frau, wie es Marta* mit dem Verweis „nicht auf abwertende Art“ anspricht, bilden Brasilianerinnen nicht nur Vorbilder („Ich möchte auch so schön sein wie eine Brasilianerin“) und Ratgeberinnen für die Deutschen. Sie avancieren zur legitimierten Fachfrau, um das daran geknüpfte Wohlbefinden als Pflegearbeit weiterzugeben.25 Abbildung 6.2: Anwerbung eines gepflegten Körpers auf der Homepage

Abbildung 6.3: Anwerbung einer Strandathmosphäre im Wartebereich

Quelle. Homepage: Amazon Waxing (2012) Quelle. Foto: Lidola (Happy Brazilian Waxing)

Allerdings sei daran erinnert, dass vor der Einführung von Waxing als Kosmetikdienstleistung brasilianische Frauen kaum im Kosmetiksektor gearbeitet hatten (und wenn, dann nicht als ‚Brasilianerinnen‘ markiert waren), obwohl das eigentlich vor dem Hintergrund der hier präsentierten Argumentationen und Narrative der Depiladoras und der Kundinnen erwartet werden müsste. Warum hat sich also diese Positionierung als Schönheits-Expertin erst und fast ausschließlich über ihre Arbeit als Depiladora etabliert? Diese Frage wird umso dringlicher, als Waxing, wie in vorherigen Kapiteln gezeigt, nicht von Brasilianerinnen in Deutschland eingeführt wurde, sondern von einer Deutschen und einer Österreicherin. So waren es neben den in

25 Diese Einschätzungen wurden in den Gesprächen mit einigen Kundinnen gemacht, werden aber genauso auch medial vermittelt, etwa in Zeitschriften wie der Cosmopolitan, die in Waxing-Beiträgen ‚Brasilianerinnen‘ ein entsprechendes Know-how zusprechen, s.u..

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Kapitel 5 genannten Unsicherheiten hinsichtlich einer gewerblichen Selbständigkeit in einem in Deutschland unbekannten Sektor vor allem die Alteritätswahrnehmungen in Bezug auf die Deutschen, die hierfür ausschlaggebend waren, wie beispielsweise Silvana R. im weiteren Verlauf ihrer oben begonnenen Erzählung herausstellt: „Ich habe nicht geglaubt, dass in Deutschland das Waxing so gut ankommen würde, weil die Deutschen, die waren so .. also, Entschuldigung, aber so ungepflegt. Aber lustigerweise hat eine Deutsche hier mit Wax, mit Brazilian Waxing in Deutschland angefangen, nicht eine Brasilianerin. […] Sie hat mehr daran geglaubt als wir Brasilianerinnen, die damit schon seit Jahrhunderten zu tun haben. Da seid ihr Deutsche klüger gewesen [beide lachen], das ist leider so.“ (Silvana R., 07.10.2010)

Körperhaarentfernung mittels Waxing bildete dabei, wie zuvor gezeigt, eine Gelegenheit, sich einen Geschäftszweig anzueignen, der bereits in anderen nationalen Kontexten wie den USA von Brasilianerinnen dominiert war. Im deutschen Kontext konnten die Frauen diesen zugleich mit ihren eigenen Schönheits- und Körperpflegenarrativen besetzen, die sich ganz an den spezifischen lokalen Gegebenheiten und hiesigen Körperbilder abarbeiten und auf (international bereits etablierte) Entwürfe zurückgreifen, die sich nicht zuletzt auch an stereotype Vorstellungen über die ‚Brasilianerin‘ anlehnen. Der haarlose Körper ist hierbei kein infantiler, sexuell unterdrückter, pornoisierter und gesellschaftlich zur Schau gestellter Körper. Er ist im Gegenteil ein gepflegter, hygienischer und daher kultivierter, zivilisierter Körper, der die moderne Frau/den modernen Menschen kennzeichne und zugleich eine Schuldigkeit an sich selbst sei. Doch kann ein haarloser Körper, ähnlich wie bei anderen Körperpflegepraktiken, auch über eine Reihe von häuslichen Kosmetika und eigenen Anstrengungen erreicht werden. Das wirft die Frage auf, warum Waxing sich als kommerzialisierte Körperarbeit und damit als Dienstleistung in den letzten Jahren etablieren ließ. Schließlich ist die Mehrheit der häuslich anwendbaren Kosmetika zu weit günstigeren Bedingungen erhältlich. (Innerhalb der Varietät von Haarentfernungsprodukten des Einzelhandels finden sich sogar sogenannte Wax Stripes oder Wachsstreifen, die ähnlich der Waxing-Methoden der Studios zu Hause angewendet werden können.) Doch Waxing gehört zu einer Reihe von Körperpflegearbeiten, die eben zunehmend als „dritte Schicht“ (Wolf 1991) tertiärisiert wird. Die obigen Zitate zur Einbettung der Depilation in die kulturell wie sozial hergestellten Körperbilder verweisen dabei auf eine Auffassung von Pflege und Umsorgung des Körpers, die einen Vergleich mit anderen körperintensiven Pflegearbeiten nahelegen und auf Ähnlichkeiten der affektiven Dynamiken hindeuten. Dies lässt vermuten, dass sich der Erfolg von Waxing Studios nicht allein durch die Fokussierung auf ein haarloses Körperideal und dessen vielfältige Bedeutungen

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und Konnotationen, wie Reinlichkeit und Schönheit, erklären lässt. Wenn zudem Anreise-, Warte- und Behandlungszeit der Kundinnen zusammengerechnet werden, mögen selbst zeitsparende Erklärungsversuche für eine ansteigende Tertiarisierung von Körperhaarentfernung nicht mehr greifen. Darüber hinaus ist zu untersuchen, inwiefern diese Tertiarisierung sozialen Dynamiken und Zuweisungspraktiken unterliegt, die ähnlich auch für die ‚einfache‘ bzw. körperintensive Dienstleistungsarbeit allgemein in den globalen Städten zu beobachten ist, auch wenn das WaxingGeschäft für die Frauen eine Alternative zu letzteren darstellte. Miliann Kang stellte in diesem Sinne bereits heraus: „Unfortunately, Wolf and her supporters have ignored the many women who do not do their own beauty work. Instead, they pass off sizeable portions of this shift onto the shoulders of lessprivileged women“ (Kang 2010: 15). Die Tertiarisierung verläuft dabei nicht nur entlang der Achsen von Gender- und Klassendifferenzen, sondern ebenso entlang ethnisierter wie kultureller Differenzen. Im Folgenden soll daher Waxing als körperintensive Dienstleistungsarbeit untersucht werden und hierbei auch für Parallelen zu Arbeitsperformanz, Arbeitsverhältnis und damit zusammenhängende Grenzziehungsarbeit zwischen Depiladora und Kund/innen sensibilisiert werden. Die in den Studios stattfindenden Interaktionen und Grenzziehungsarbeiten werden damit vor dem Hintergrund der oben diskutierten Körperbilder und der damit zusammenhängenden Alteritätsnarrative reflektiert. Dadurch werden sie ebenfalls in Machtund Differenzregime, in denen die interagierenden Akteure verortet werden, eingebettet. Im Vordergrund steht die Frage, wie sich all dies in der intimen Arbeit der Depiladoras verkörpert und wie aufgrund der Neuheit der Dienstleistung auch Professionalität und Vertrauen darüber ausgehandelt werden.

6.2 W AXING

ALS

D IENSTLEISTUNG : E XPERTIN WERDEN

„Ich wollte eigentlich nur mal nachfragen, wie viel das Brasilianische Waxen ist. Sie [Rezeptionistin] meinte 20 Euro und fragte warum. Weil ich das gern mal ausprobieren würde. Sie meinte gleich, dass wir es heute machen. Ich nur, dass ich Panik davor habe. ‚Nenee, das sei nicht schlimm‘ und danach würde ich nie wieder was anderes wollen. […] Und sie ruft gleich eine der Depiladoras. Die spricht nur wenig deutsch (nur was sie als nötigstes fürs Waxing braucht und etwas darüber) oder ihr fällt die Sprache sehr schwer. Wir haben uns auf Englisch geeinigt. Sie fragte, für was ich mich nun entschieden hatte und hat mich auf eine äußerst charmante und witzige Art zum Intimwaxing überredet. Am Ende meinte ich, ok, now or never. Und sie meinte, das Wachs ist gleich fertig. Sie wusste bestimmt, dass sie mich dahin bekommen würde. […] Ich habe einen Quetschball in die eine Hand bekommen. Sie hat das Wachs auf Honigbasis genommen, also das aus dem Topf. Verschiedene Körperstellen brauchen unterschiedliches Wachs aufgrund der Sensibilität der Haut. Sie hat mich gewaxt,

278 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT geguckt, ob ich das Wachs nicht zu heiß fand und quälte mich (Vergnügen stand auf ihrem Gesicht geschrieben). Zwischen den einzelnen Waxschichten hat sie mich auch gepudert, damit das Wachs bei den nächsten Malen nicht so brennt. Ich kann nur sagen: Sie hat alles angefasst, aber ich habe mich nicht so gefühlt, als hätte sie meine Schamgrenze überschritten. Sie war sehr professionell, aufgeschlossen und witzig. Sie waxt seit 23? Jahren, hat in Brasilien die Ausbildung dazu gemacht. Ich fragte, warum eine Ausbildung... Damit man weiß, welches Wachs an welche Hautstellen kommt, wie heiß es sein darf, was es für Sorten gibt. Sie hat verschiedene Techniken gelernt. Dennoch: am wichtigsten sei die Psychologie, damit sie weiß, wie man den Leuten die Angst vor dem (Intim)waxen nimmt und wie man auf jeden einzelnen unterschiedlich eingehen muss, gerade was die Intimzonen betrifft. Und sie hat gut in Psychologie aufgepasst. Sie hat mir einen Teil der Angst genommen und wusste wie sie mit mir umzugehen hat, damit ich mich nicht schäme.[…] Intimwaxen sei so toll, sie wusste um ihre Professionalität genau Bescheid und sagte, dass sie dadurch mehr Selbstbewusstsein und Attraktivität empfindet, und auch für ihre Sexualität, für den Sex (und Mann) sei es fantastisch. Das mache die Liebe frischer. Sie hat gemeint, dass ich ihre beste Freundin werden würde beim Waxen, denn wenn man es sich einmal machen lässt, möchte man/frau es immer. Die Haut wird viel sanfter dadurch, meinte sie. Ich solle sie nur zwei bis drei Mal die Woche peelen (mit Massageschwamm) damit die Haare nicht einwachsen. Sie hat mir am Ende eine Bonuskarte gegeben (das zehnte Mal frei) und gleich zwei Stempel gegeben, weil ich so tapfer war. Die Frau versteht ihr Geschäft wirklich :-).“ (Schriftlicher Bericht einer Kundin, Elisabeth*, 26 Jahre, nach ihrem ersten Intimwaxing bei Bella Brasil; 02.08.2010)

Im August 2010 erhielt ich von Elisabeth*, einer Kundin, die ich bei einem meiner ersten Besuche in den Berliner Waxing Studios wegen eines Interviews angesprochen hatte, einen schriftlichen Kurzbericht über ihr erstes Intimwaxing. Elisabeth* war zu jener Zeit Studentin, hatte einige Zeit zuvor Waxing kennengelernt, wurde sofort ein „Fan“ und hatte seitdem sich dazu entschlossen, trotz der für ihre finanziellen Verhältnisse eher teuren Behandlung ihre Beine in regelmäßigen Abständen auf diese Weise enthaaren zu lassen. Zuvor epilierte sie sich an dieser Körperstelle immer selbst, was im Ergebnis und in der Dauer dem Waxing ähnlich war. In ihrem Bericht spielte Elisabeth* nicht nur auf die Überredungs- und Behandlungskünste der Depiladora an, sondern stellte auch ihre in dieser und anderen Behandlungen angeeigneten Kenntnisse über die Praktik selbst und die Professionalität der Depiladora heraus. So hatte sie etwa gelernt, dass unterschiedliche Wachs- und Behandlungsformen sich nach Hauttyp und Körperstelle richteten. Besonders auffällig war ihre Bemerkung, dass sie sich trotz der sehr intimen und eigentlich schmerzhaften Berührungen aufgrund der Professionalität und Gewitztheit der Depiladora weder peinlich berührt fühlte, noch dass sie der Schmerz überwältigt hätte, weshalb sie endete: „Die Frau versteht ihr Geschäft wirklich.“ Weiterhin lässt sich eine Art Meta-Narrative herauskristallisieren, wie sie auch viele Depiladoras in Bezug auf die Vorteile von Waxing geäußert hatten: Neben den Auswirkungen auf Haarwuchs

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und Hautsensitivität seien dies vor allem der bessere Sex und die hygienischere Körperpflege. Auffällig ist aber auch, dass sich die Depiladora als ihre neue „beste Freundin“ ankündigte. Wissen, Pflege und Empathie, die in dieser Begegnung der beiden Frauen ausgetauscht wurden und mit der Körperarbeit des Waxing in vielfältigen Formen miteinander in Verbindung gebracht werden, scheinen dabei von den oben angesprochenen Kontroversen abzulenken, wie sie um ein haarloses Körpernormativ oder Schönheitspraktiken allgemein geführt werden. Diese treten hinter die Beschreibung der Begegnung, der Berührungen und der Zerstreuung zurück; die Interaktion und daran gekoppelte Empfindungen gewinnen an Gewicht. Die Forschung der Anthropologin Miliann Kang gehört zu den wenigen Studien, die Schönheitspraktiken in erster Linie als körperintensive Dienstleistungsarbeit in ihrem interagierenden und mit Empfindungen besetzten Austausch untersucht und wird daher an dieser Stelle herangezogen. Kang unterscheidet allgemein zwischen body work („commercial or noncommercial efforts directed at maintaining or improving the health and/or appearance of the body“, 2010: 20) und body labor (kommerzialisierte körperliche/verkörperte Interaktion, die „entails extensive physical labor in which the body serves as the vehicle for performing service work, but it also incorporates the body as the site or object upon which services are performed […and] the management of commercialized feelings […] as they are related to the servicing bodies“; ebd.). Kang zufolge verbleibt jede Form der im Privaten ausgeführten Körperarbeit (body work), die bereits einer Routinierung untersteht, ein rein hygienischer Ablauf, der den gleichen Status wie Haarewaschen oder Zähneputzen genießt (ebd.: 133). Im Gegensatz dazu, so argumentiert Kang, veränderten sich die Wahrnehmung und die Beziehung zur Praktik als solche, wenn die Arbeit von einer anderen Person ausgeführt wird. Die Körperarbeit (body work) wird dadurch zu einer „richly rewarding physical and emotional experience“ (ebd.). Diese Interpretation wurde oftmals mit der Auffassung begleitet, dass Frauen, wenn sie beispielsweise ins Kosmetikstudio gingen, sich ‚Zeit für sich selbst‘ nehmen, sich eine Art Auszeit von einem stressigen oder monotonen Tagesablauf gönnen würden. Kang fasst dies mit folgendem Satz zusammen: „the enjoyment derive[s] from being pampered“ (ebd.). Eben diese ‚verhätschelnde‘ Körperarbeit, so die Hypothese, ist auch ein wichtiger Grund, warum immer mehr Frauen sich dazu entschließen, sich in einem Waxing Studio enthaaren zu lassen – auch wenn die eher schmerzliche Behandlung zunächst nur schwer als ein entspannender Moment erscheinen mag. Die in den Studios performte Körperarbeit umfasst hierbei zwei wesentliche, ineinander verschränkte Dimensionen, die beide eng an intime Arbeit seitens der Depiladora gekoppelt sind: die physische Interaktion und die emotionale Umsorgung. Wie ich nachfolgend zeigen werde, sind beide Dimensionen zugleich an Konzeptionen von Professionalität, Vertrauen und die Verhandlung sozialer Positionierungen sowie kulturelle Legitimitäten gebunden.

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6.2.1 Begegnungen und Berührungen I: Verräumlichte und verkörperte Professionalität Waxing Studios sind spezialisierte Kosmetiksalons, die sich jedoch aufgrund der Spezifik und Intimität der angebotenen Körperarbeit in ihrer räumlichen Anordnung von der eher offenen Einrichtung und der damit einhergehenden öffentlichen Atmosphäre anderer Kosmetikstudios unterscheidet. Dennoch teilen sie viele Gestaltungelemente mit diesen.26 Die Studios sind in Warte- und Behandlungsbereich sowie Küche untergliedert. Diese Unterteilung trennt in räumlicher wie zugleich körperlicher Hinsicht den Ort der Intimität – die abgetrennte Kabine, in der die Kundin liegt und die Depiladora zwar gebeugt und gebückt, jedoch in stehender Position ihre Arbeit verrichtet – vom Ort des Wartens und Entspannens – der mit gemütlichen Sofas und Sessel ausgestattete gemeinschaftliche Wartebereich, wo die Kundin mit anderen, aber in Abwesenheit der Depiladora, sitzt. Die Küche ist der Ort, in dem das Wachs gemischt und erhitzt wird, und ist für die Kund/innen weder betretbar noch einsehbar.27 Ein Tresen markiert den Ort, wo die geschäftlichen Angelegenheiten geklärt werden und an dem sich Kundin und Depiladora/Studioleiterin gegenüberstehend begegnen. In einigen Studios ist der Tresen mit einer festen und eigens hierfür angestellten Rezeptionistin besetzt. Diese ist in einigen Studios ein Familienmitglied, wie bei Marta*, der Ehemann wie bei Neide*, Angelica oder Malina*, oder eine gute Freundin wie bei Silvana H. oder Carminha. Andere Studioleiterinnen schrieben nach dem sich einstellenden Erfolg des Studios diese Stelle auf der Homepage oder in sozialen Foren und Netzwerken aus (vgl. Kapitel 5).

26 Diese sind Farbgestaltung, Helligkeit der Räume, dezente Dekorierung mittels Bilder und Pflanzen (und die Ausstellung der Werbematerialien von Kosmetikfirmen in Form von Postern, Magazinen oder einer Produktverkaufsloge), wobei viele Studios trotzdem eine kulturelle Markierung als brasilianisch anvisieren. Die kulturelle Markierung steht jedoch nicht im Widerspruch zu einem anvisierten modernen Erscheinungsbild der Studios; ganz im Gegenteil sehen viele Studioleiterinnen diese als komplementär. 27 Als einzige bot mir Frances-Clai von sich aus an, ihre Küche zu besichtigen. Die Küche stellt einen sehr sensiblen Ort dar, da, erstens, das von Studio zu Studio variierende Rezept für die Wachsmischung hier einsehbar ist. Wenige Studios stellen das Wachs selbst her. Die meisten Studios mischen aber dem gekauften industrialisierten Wachs eigene Zutaten bei, die Geruch, Klebekraft und Hautfreundlichkeit beeinflussen und jedem Studio somit auch eine eigene Note geben. Zweitens, so erzählte mir Frances-Clai, entscheide sich hier die Qualität des Wachses. So könne man das industrialisierte Wachs auch recyceln, was jedoch gegen zunächst informell auferlegte aber nun seit einiger Zeit vom Gesundheitsamt überprüfte Hygiene-Standards verstoßen würde.

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Damit scheinen über den Ort, die Körperhaltung und, wenn vorhanden, über die personelle Besetzung die geschäftlichen Angelegenheiten –Terminbuchung, Festlegung der Behandlungsart und Bezahlung, die über die ausgelegte Preisliste festgesetzt und nicht individuell verhandelbar ist – getrennt von der intimen Arbeit, die wiederum geprägt ist durch vielerlei Möglichkeiten der interpersonellen Aushandlung (wie Intensität, Ausführung und Dauer der Behandlung, siehe unten). Der Tresen ermöglicht durch die körperlich angeglichenen Haltungen der Frauen ein scheinbar gleichberechtigtes Gegenübertreten zwischen Dienstleistender und Dienstempfangender. Allerdings liegt er nur in einigen Studios etwas abseits von den Sitzgelegenheiten des Warteraumes, was Kund/innen oftmals kritisch als unzureichende Diskretion bemängelten (wie eingangs zitiert): Eigentlich im intimen Rahmen der Kabine verortete Angelegenheiten der Körperarbeit werden verbal und für andere hörbar in den öffentlichen Abschnitt des Studios hineinverlagert. Des Weiteren wird in der räumlichen Gestaltung klar unterschieden zwischen den Behandlungskabinen und der entspannten Atmosphäre der Wartezimmer, die bei der Einen Gemütlichkeit, bei der Anderen Urlaubsstimmung anvisiert (vgl. Kapitel 5). Die Kabinen zeichnen sich im Kontrast zum Warteraum durch ihre Sterilität, Neutralität und fast schon Unpersönlichkeit aus, die eher an die Atmosphäre einer Arztpraxis erinnern als an einen Ort der Entspannung. In der Regel handelt es sich hierbei um kleine Kabinen, die funktional ausgestattet sind: Neben einer Behandlungsliege, die mit Einwegpapiertüchern überzogen ist, finden sich darin eine Ablagefläche/-halterung für die Kleidung der Kund/innen und ein kleines Tischen oder Schränkchen, wo der Wachs-Topf abgestellt und die weiteren nötigen Utensilien wie Gummihandschuhe, Pinzetten, Puder, Feuchtigkeitscremes, Papiertücher und – bei einigen – Quetschbälle aufbewahrt werden können. In einigen Studios fand ich auch ein paar Zeitschriften, andere dekorieren die Kabine dezent mit einer Zimmerpflanze oder einem Bild. Allerdings wurde mir gegenüber immer wieder betont, dass die Sauberkeit der Kabine am wichtigsten sei und dementsprechend viel Arbeitszeit in Anspruch nehmen würde. Dies galt gerade bei den Frauen, die ihre Studios allein betreiben und keine zusätzliche Reinigungskraft bezahlen können. Das Herrichten der Kabine gehört daher neben dem Ansetzen des Wachses zu den ersten Tätigkeiten des beginnenden Arbeitstages, wie mir Angelica berichtete: „Das erste, was ich mache, ist- .. Klar, Gott dafür danken, dass ich einen weiteren Tag hier sein darf. Aber dann ist das erste, worum ich mich kümmere, die KABINE und die Vorbereitung des Wachs – Klar, ich lasse den Laden schon immer am Feierabend für den nächsten Tag vorbereitet. Also als erstes Putzen, dann das Wachs und dann die TERMINE. Denn ohne Wachs kann ich keine Kunden behandeln. Wenn ich mich aber nicht um die TERMINE kümmere, dann gibt es keine Kunden. Und wenn die KABINE dreckig ist, kann ich die Kunden auch nicht behandeln.“ (09.10.2012, Ü.: ML)

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Abbildung 6.4: Warteraum

Quelle. Foto: Frances-Clai F.P. (2014), Depilbella

Abbildung 6.5: Warteraum mit Tresen und Kabinenzugang

Quelle. Foto: M. Lidola (2016), Queen of Waxing (Prager Platz)

Abbildung 6.6: Kabine

Quelle. Foto: M. Lidola (2016), Happy Brazilian Waxing Studio

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Die Sauberkeit der Kabinen ist zu einem grundlegenden Kriterium in der Bewertung der Studios geworden. Über den Zustand der Kabine wurde nicht nur auf die vermeintliche Sterilität der verwendeten Utensilien (wie Spachtel, Pinzette und Wachst-Topf) geschlossen. Sie beeinflusste auch das Vertrauen in die hygienische Qualität des verwendeten Wachses sowie, indirekt, in die Arbeit der Depiladora selbst. Frances-Clai sagte mir: „Wo die Augen hingegen, dort muss man immer sauber machen. Die Kunden achten darauf. Eine Kundin sagte mir: ‚Ah, ich war in einem Studio, da waren die Wände dreckig. Boah, ich fühlte mich total eklig da drin. Stell dir mal vor, wenn die Depiladora dich dann auch noch anfasst‘“. So wurden mir gegenüber Vergleiche vorgenommen, wie sie Annett, eine Kundin, äußerte: „Wenn das Studio schon nicht sauber ist, wie soll dann das Waxing erst sein. Gerade wenn du intim machst, da kannst du dir ja sonst was wegholen“ (Gespräch vom 17.09.2012). Auf Qype bzw. Yelp fanden sich Kommentare darüber, dass bei einem mangelnden hygienischen Eindruck von Kabine und Utensilien die Behandlung sogar abgebrochen wurde. Hierbei offenbart sich einmal mehr die Einbettung von Körperhaarentfernung in einen erweiterten Hygiene-Diskurs, wie ihn nicht zuletzt die brasilianischen Depiladoras/Studioleiterinnen selbst in Bezug auf eine von ihnen distinguierte normative Körpervorstellung geäußert und auch Alteritätsdiskurse daran geknüpft hatten. Umgekehrt ist die selbst auferlegte Sauberkeit der Studios zugleich auch Möglichkeit, Vorurteile in Deutschland zu korrigieren. Sauberkeit ist daher auch ein Marker für die Modernität des Studios (entspricht also dem zu erfüllenden Anspruch ‚deutscher‘ Hygiene-Standards). Zugleich verweist dieser Anspruch auf Sauberkeit auch auf die medikalisierende Dimension dieser Form der intimen Arbeit, wie ich weiter unten ausführen werde. Die Kabinen selbst sind in der Regel durch provisorische Wände voneinander abgetrennt, die aus Presspappe, Spanplatten oder einfach nur Vorhängen bestehen, was ebenfalls von einigen Frauen über eine hygienische Notwendigkeit erklärt wird.28 Sie sind daher zu den anderen Kabinen, in vielen vor allem kleineren Studios auch zum gemütlichen Warteraum, durchlässig für Geräusche. So legt sich über die Sterilität und Funktionalität der Ausstattung oft die Atmosphäre des restlichen Studios, da neben der Hintergrundmusik – je nach Studio und Tagesstimmung der Leiterin und Mitarbeiter/innnen mal lauter mal leiser, mal mehr oder weniger ‚brasilianisch‘ – , auch Gespräche und Gelächter der anderen Anwesenden leise durchdringen. Zugleich erfüllt der süßliche Geruch des Wachses nicht nur die Kabine, sondern das gesamte Studio.

28 Neide* erkläre, dass die Durchlässigkeit, die bei ihr über nicht ganz deckenhohe Wände entstehe, keine ‚Sparmaßnahme‘ bei den Baukosten des Studios darstelle, sondern für die Luftzirkulation bei geschlossenen Türen auch in den Kabinen notwendig sei, die keine eigenen Außenfenster hätten.

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Die Räumlichkeit wirkt auch auf die Wahrnehmung des Verhaltens der Depiladora: Aufgrund der auditiven Durchlässigkeit wird diese körperlich so intime Praxis ein Stück weit öffentlich: Nicht nur das Ratschen beim Abziehen des Wachses wird für andere hörbar, sondern auch Schmerzbekundungen der Kundin und die Anweisungen der Depiladora, die gerade beim Intimwaxing delikater Art sein können.29 Professionalität, so zeigen die Kund/innenforen im Internet wie auch die Aussagen der Interviewpartnerinnen, äußere sich diesbezüglich über eine situativ hergestellte Diskretion, also in der Art, wie mit dieser Durchlässigkeit umgegangen wird. Studioleiterinnen kleinerer Studios, wie Leni, achteten darauf, dass sich insbesondere bei Intimwaxing-Terminen keine Kundinnen in Kabine und Warteraum überschneiden. Des Weiteren bedeutet Diskretion auch Rücksicht auf eine gedämpfte Stimme bei den Anweisungen und auf den Inhalt der in den Kabinen geführten Gespräche. Die durchlässigen Wände verhindern auch in anderer Form, dass dem Anspruch der Kundinnen auf Intimität innerhalb der Kabine angemessen entsprochen wird: So kursiert in Online-Foren Kritik über Gespräche zwischen den Mitarbeiterinnen durch die Kabinenwände hindurch. Gestört zeigen sich die Kundinnen, wenn diese Unterhaltungen auf Portugiesisch geführt und daher unverständlich für sie sind: „Etwas komisch empfand ich, dass die Lady während des Waxing einfach etwas lauter mit ihrer Kollegin in der Nebenkabine auf portugiesisch erzählt hat. Sie hätte mich lieber mal fragen sollen, ob das Wax nicht zu heiß war“ (‚LolaFragt‘, 08.09.2011). Deutlich wird in solchen Kommentaren die Kritik an einer fehlenden ungeteilten Aufmerksamkeit für die Kundin und damit ganzheitlichen Zuwendung. Eine andere Kundin meinte auf eine ähnliche Episode bezugnehmend: „Dies habe ich als etwas unhöflich angesehen, denn ich hatte das Gefühl, sie würden etwas Negatives sagen“ (‚elefantii‘, 05.07.2013). Gepaart mit der körperlichen Position der Kundin während der Behandlung (waagerecht liegend) und die dadurch eingeschränkte Sicht auf die Handlung der Depiladora können sich all diese Aspekte zu einem Gefühl der Passivität und Handlungsohnmacht verflechten.30 Potenziert wird das nicht nur über die Zurschaustellung bestimmter Körperstellen wie des Intimbereiches, sondern der eigenen Kör-

29 Hierzu zählen Anweisungen, wie „bitte das linke Bein über meine Schulter“, „jetzt Beine spreizen“ oder „bitte die Pobacken auseinanderziehen“. ‚Niccolini‘ äußerte sich diesbezüglich zu einem Studio: „Eine der Waxingkabinen ist direkt neben dem Wartebereich. Man hört jedes Wort und jeden Ratsch vom Abziehen des Waxes. Ein wenig unangenehm, wenns um Fragen zum Intimbereich geht!“ (Beitrag vom 15.04.2012 auf Yelp) 30 Handlungsohnmacht äußerte sich in Kommentaren über ein zu heißes Wachs oder einem als schief empfundenen „Landing-Stripe“, die Kundin dies aber im Moment der Behandlung nicht an die Depiladora mitteilten, sondern stumm und geduldig das Ende der Behandlung abwarteten.

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perhaare, also jenem in normativen Körperbildern als derivativ und mit Ekel besetzten Tabu, was beinahe einem Eingeständnis der eigenen Fehlerhaftigkeit gegenüber einer sozial wie kulturell ‚anderen‘ Frau gleichkommt. Gerade die verAnderte Frau könnte nun mit wenigen lauter geäußerten Worten die Diskretion verletzen und das eigene Intimste zu etwas Öffentlichen machen. Diese unkontrollierte Situation wird, wie im Zitat von ‚elefantii‘ deutlich wird, darüber hinaus durch die fehlende Kontrolle über das unverständliche Gespräch zwischen den beiden Dienstleistenden verstärkt. Die Kundin fühlte sich so als Gegenstand der Belustigung zwischen den beiden ‚anderen‘ Frauen. Die verärgerten Kommentare, die sich in den Foren über solcherlei Gespräche finden, haben einige Studioleiterinnen zum Anlass genommen, eine Art Verhaltenskodex für die Arbeit in den Studios zu formulieren. Dieser gehört mittlerweile zur Einweisung der Angestellten in die Arbeit und damit verbundenen psychologischen Implikationen im Umgang mit der/dem Kund/in. Die Beiträge in Online-Foren zeigten auch, wie wichtig es den Kundinnen ist, dass ihnen die Depiladora ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt und sich angemessen Zeit nimmt. Behandlungen, die in ihrer Geschwindigkeit, der Wachstemperatur und des Umfanges der aufgetragenen Wachsschicht sowie der Intensität der Nachbehandlung (das Abtasten nach zurückgebliebenen Härchen und beruhigende Einmassieren der Feuchtigkeitsprodukte) den Eindruck aufkommen ließen, dass die Depiladora unter Termindruck stehe, wurden ebenso negativ bewertet wie eine fehlende emotionale Aufmerksamkeit. Letztere entstand nicht nur, wenn Depiladoras sich durch die Kabinenwand anderen Gesprächspartnerinnen widmeten, sondern auch, wenn diese kaum Deutsch sprachen und sich allein auf die für die Behandlung erforderlichen Anweisungen konzentrierten oder teilnahmslos in ihrer Arbeit wirkten. Die Variable Zeit hatte eine ganz ambivalente Ausprägung: Einerseits betonten Kundinnen immer wieder, dass sie eine höchstmögliche Berücksichtigung der eigenen Belange erwarteten. Die eigene Behandlung sollte sich nicht nach einer objektivierten, durchschnittlich als nötig kalkulierten terminlichen Taktung richten. Stattdessen sollte sie sich in ihrer Länge ganz an das eigene körperliche wie emotionale Bedürfnis anpassen. Andererseits brachten viele Kund/innen wenig Verständnis auf, wenn Zeitvorgaben nicht eingehalten wurden: Zu lange währende Behandlungen riefen ein Gefühl der Un-Professionalität der Depiladora hervor („die dame, die das waxing bei mir durchführte, war offensichtlich nicht ausgebildet worden und hat es zum gefühlten ersten mal gemacht! sie wirkte sehr verunsichert, hat die wachsstreifen so langsam entfernt, dass der vorgang von ihr mehrmals wiederholt werden musste, da kein erfolg zu sehen war“, ‚2224‘,11.01.2013, sic!). Lange Wartezeiten trotz eines Termins wurden als unprofessionelles Management gewertet. „Wartezeiten mit oder ohne Termin variieren gern mal zwischen 30 und 60 Minuten. Für mich bei einem ‚walk in service‘ und erst recht bei Terminvereinbarung untragbar!“ schrieb ‚AprilCat‘ am 04.08.2011, auch wenn sie bemerkt: „Das liegt aber andererseits daran, dass man sich für jeden Kunden Zeit nimmt – ich denke, das ist wirk-

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lich auch eine kulturelle Angelegenheit. Ich finde es sehr angenehm, dass man nicht stressig durch die Behandlung gehetzt wird. ‚Schnell‘ ist allerdings etwas anderes“. Besonders häufig tritt diese Kritik bei vorherigen Terminbuchungen oder bei Spontanbesuchen in der Mittagspause der Kundin auf: „Nie wieder gehe ich hier hin – wie ich auch auf die abstruse Idee kam mich von meiner Kollegin überreden zu lassen ‚es schnell in der Mittagspause‘ zu machen. […].Gewartet habe ich 1.5 Std. und das Waxing war furchtbar“ (‚Berlin-03‘ am 14.01.2013 auf Yelp). Terminliche Pünktlichkeit wurde seitens der Kund/innen von den Studioleiterinnen nicht zuletzt deshalb eingefordert, weil diese ja „in Deutschland“ seien („man ist stundenlanges Rumsitzen und Kaffee trinken trotz Termin in Deutschland eben auch einfach nicht gewöhnt und gewinnt den Eindruck von Unzuverlässigkeit“, ‚Anja*‘, 04.10.2012 auf Yelp). Eben diese Aussage, die sich in unterschiedlichen Variationen in den Foren wiederfinden lässt, deutet auf vermeintlich ‚kulturelle‘ – deutsche – Werte, denen sich die abweichende ‚Ausländerin‘ anzupassen hätte, wenn sie in Deutschland arbeite, und verwies nicht zuletzt auch indirekt auf stereotype Zuschreibungen einer ‚brasilianischen‘ Lässigkeit. Zugleich wurde eine Flexibilität erwartet, die Angelicas Einschätzung zufolge eher an „brasilianische Verhältnisse“ erinnerten. Vor allem Studioleiterinnen kleinerer Studios mit nur einer oder zwei Depiladoras erzählten von der Herausforderung, gerade in den ‚boomenden‘ Sommermonaten eine angemessene Taktung zu finden: Einerseits sollten so viele Kund/innen wie möglich behandelt werden, andererseits die vielfältig ausfallenden Bedürfnisse, die sich auf die individuelle Behandlungszeit auswirkten, berücksichtigt werden. 31 Zudem war ein Maß an Flexibilität bei Terminabsagen und Unpünktlichkeit seitens der Kund/innen einzukalkulieren. Für diese kleinen Studios bildet die Respektierung der individuellen Behand-

31 In einigen Gesprächen stellten Depiladoras eine Art ‚Kategorisierung‘ nach Pünktlichkeits- und Sensibilitätskriterien an, die sich meist an nationalen Zugehörigkeiten, ‚kulturell-geographisch‘ zugeordneten Haarwuchs und am Grad des Schmerzempfindens, teils am Alter der Kund/innen orientierten. Ein Beispiel gab Angelica: „Ich habe ein gemischtes Publikum. Die Mehrheit, so 70%, sind Deutsche. Manchmal kommt ein Deutscher mit Haaren, zu denen ich sage: LANGEWEILIG – drei Minuten und schon bin ich fertig. Danach kommt ein Italiener, bei dem ich nicht unter eineinhalb Stunden aus der Kabine komme. Oder es kommt eine Brasilianerin, die stark behaart ist, oder eine Türkin, oder eine aus Spanien. Aber man kann nicht sagen, dass nur die Europäer oder nur die Deutschen ängstlich sind. Es gibt auch Brasilianer, die Angst haben, die sich mir gegenüber dann auch nicht richtig öffnen. Es kommt darauf an, woher die Person ist. Ich glaube zum Beispiel, wenn du aus einer Kleinstadt kommst, dann hast du ganz automatisch diese Scham. Wenn du aus einer großen Stadt kommst wie Berlin, bist du ja schon mit Waxing aufgewachsen. So variiert die Zeit der BEHANDLUNG.“ (09.10.2012, Ü.: ML)

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lungszeit einen oftmals herausgestellten Vorteil gegenüber den größeren Studios. Wie sich auch in den Eingangszitaten zeigte, ist es neben anderen Kriterien, wie Sauberkeit und Zustand der Arbeitsutensilien, ein wesentlicher Aspekt, um Vertrauen herzustellen und das Gefühl eines ‚Verhätschelt-Werdens‘ zu generieren. Gerade dieses Gefühl erwarten Kund/innen, wenn sie diese Form der Körperarbeit an eine andere Person delegieren und dafür bezahlen. Eine Behandlung besteht in der Regel in den folgenden Schritten: Die Kundin entblößt in der Kabine die zu enthaarenden Körperstellen und legt sich auf die Behandlungsliege. Zuerst wird die Stelle mit einem schweißabsorbierenden Kosmetikpuder eingerieben. Die meisten Studios gehen nach der sogenannten ‚spanischen Methode‘ vor, die sich in den 1980er Jahren in Brasilien etabliert hatte. Bei dieser Methode wird erwärmtes Wachs (38-40 Grad Celsius wurde als ideale Temperatur angegeben) in kleinen Streifen mit einem Spachtel aufgetragen. In einigen Salons wird anstelle des Spachtels ein spezielles Gerät, die Patrone, eingesetzt, mit der das Wachs über eine kleine integrierte Rolle aufgetragen wird. Nachdem das Wachs innerhalb von einigen Sekunden ausgekühlt und gehärtet ist, wird es mit kurzen, kräftigen Handbewegungen abgezogen. Diese Schritte werden zwei bis drei Mal wiederholt, bis die Körperstelle frei von Haaren ist. Daraufhin wird die Körperstelle mit Augen und Händen nach weiteren Härchen abgesucht, die nun mit einer Pinzette entfernt werden. Als letzten Schritt wird die Körperstelle mit einer hydrierenden Lotion, meist mit Aloe Vera versetzt, massiert. Die Behandlungszeit variiert je nach Körperstelle, Intensität und Art des Haarwuchses und Sensibilität der Kundin. Einige Studioleiterinnen, wie Frances-Clai, bevorzugen aber eine andere, ihr zufolge nach „traditionellere Methode“. Sie ähnelt der ‚orientalischen‘ ZuckerpastenMethode (Halawa bzw. Sugaring) und wurde in Brasilien seit den 1960er Jahren in Kosmetiksalons, und zuvor bereits im Privaten als häusliche Kosmetikpraktik unter Frauen angewandt. Hierbei wird das Wachs großflächig aufgetragen und mit Hilfe von darüber gelegten Baumwoll- oder Papiertüchern abgezogen. Das verwendete Wachs ist zudem kein industrialisiertes, wie bei der ‚spanischen Methode‘, sondern wird selbst aus Zitrone, Wasser und Zucker oder alternativ mit Propolis und Honig versetzt, angefertigt. Allerdings sehen viele Studioleiterinnen weniger in der letztgenannten, sondern in der ‚spanischen Methode‘ einen Vorteil, so wie Silvana R.: „So wie wir es machen, gibt es die Technik sonst nicht. Viele Kosmetikerinnen machen auch Haarentfernung, aber die nutzen die Fließtechnik. Die haben wir mittlerweile auch, weil viele das heiße Wachs nicht vertragen. Denn bei den Streifen ist das Wachs nicht so heiß wie bei der anderen Methode, also so 38-40 Grad. Manche finden das zu heiß. Wenn sie das sagen, dann wissen wir, die vertragen das nicht. Aber Leute mit dicken Haarwurzeln haben mit Streifen nach drei Tagen wieder Haare. Deswegen schlagen wir immer unsere Methode vor. Viele kennen das vom Hören und Lesen oder aus dem Fernsehen und von Interviews mit Stars. Sie wissen dann schon, dass das die brasilianische Methode ist.“ (07.10.2011)

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Abbildungen 6.7 bis 6.9: Etappen einer Waxing-Behandlung

Quelle. Fotos: M. Lidola

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Auffällig ist in dieser Aussage, dass nicht nur der Vorteil der ‚spanischen Methode‘ in Bezug auf ihr vorgeblich besseres Ergebnis herausgestellt wurde, sondern Silvana R. über die Methode eine Abgrenzung zu anderen Kosmetikstudios hervorhob: Im Gegensatz zur ‚spanischen Methode‘ ist die Fließtechnik bereits etablierter Bestandteil von Kosmetikausbildungen und hat zudem eine weit längere Konsumptionsgeschichte in Deutschland (weil sie etwa auch in ‚türkischen‘ und ‚arabischen‘ Salons seit längerem praktiziert wird). Hingegen genießt die ‚spanische Methode‘ kurioserweise eine klare Assoziation als „brasilianische Methode“ und wird mit dem rezenten Aufkommen der Waxing Studios in Deutschland und ihrem internationalen Aufsehen, vor allem durch US-amerikanische Prominente und vermittelt durch global agierenden Kommunikationsmedien, assoziiert. Umbenannt in ‚brasilianische Methode‘, oder allgemein als Brazilian Waxing verstanden, wird sie auch seitens der Kundinnen nachgefragt. In ihrer Abgrenzung zu anderen Methoden impliziert Silvana R. darüber hinaus einen handwerklichen Vorteil, den sie über ein kulturell legitimiertes Wissen der brasilianischen Depiladoras begründet. Diese Einschätzungen wiederholten auch andere Interviewpartnerinnen, z.B. Mariana: „Wir machen hier alles richtig brasilianisch. Die Methode ist brasilianisch, hier arbeiten auch nur Brasilianerinnen. Die können das einfach besser“ (Mariana, 05.10.2010). Auch bei Kund/innen und in Medienberichten lässt sich diese Position wiederfinden: „Brazilian Waxing? Wer bitte soll es besser machen als eine richtige Brasilianerin?“ (Qype/Yelp-Beitrag von ‚malgorzat‘ am 06.08.2010 für Queen of Waxing). „Brasilianische Depiladoras gelten als Wunderwaffe des Waxing, die mit Honigwachs glatte Tatsachen schaffen“ (Cosmopolitan o.A.). Jedoch differenzierten viele der Studioleiterinnen, dass es sich hierbei um eine Zuschreibung und nicht um eine essentielle, von der ‚Natur‘ gegebene Fähigkeit handele, auch wenn sie auf eben diese Zuschreibung für die eigene vorteilhafte Ausschöpfung zurückgreifen, wie beispielsweise in der Aussage von Marta* deutlich wird: „Die Kunden verbinden die Depilation ganz eng mit den Brasilianern. Deshalb denken auch die Leute immer sofort, dass das ein Laden ist, wo Brasilianerinnen arbeiten. Weil sie darüber alles weiß, nur weil sie Brasilianerin ist. Aber ganz ehrlich: Wir wissen nie alles, ne, meine Liebe. Aber was will man machen? Wir nutzen diese Werbung für uns aus. Was will man machen? So ist das Leben!“ (Marta*, 08.02.2010, Ü.: ML)

Doch statt sich nur auf einen ‚glücklichen Umstand‘ auszuruhen, suchten Studioleiterinnen und Depiladoras in Gesprächen und Interviews auch nach Erklärungen, die diese Zuschreibungen legitimieren könnten. Dies wird, wie hier beispielhaft an einer Erklärung Angelicas verdeutlicht werden soll, einerseits auf die eigene Sozialisierung mit der Praktik (als integraler Bestandteil der eigenen Körperarbeit) zu-

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rückgeführt (erster Teil des Zitates), andererseits in einen weiteren Kontext eingeordnet, wie dann im zweiten Abschnitt ersichtlich: „Der Vorteil, den du als Brasilianerin hast, ist dass du ... wie sagt man? Du weißt einfach schon mehr. Weil, zum Beispiel, wenn du in Brasilien geboren bist, wie ich und andere die hier herkommen und hier mit Waxing anfangen, also wir wissen dann schon, worüber wir hier reden und was wir hier machen. [...] Schon wegen dem Namen, also die Technik kommt ja schon aus Brasilien. Und wenn du Brasilianerin bist, dann kennst du die Technik und das alles schon längst. Den Vorteil, den wir haben, also die Mehrheit der Depiladoras, also, wir machen die Arbeit weil wir sie mögen. Wir mögen es, die Kunden zu berühren [tocar no cliente]. Weil, also in Deutschland, da gibt es diese Sache nicht so, also jemanden zu berühren. In Brasilien sind wir da schon ganz automatisch daran gewöhnt: Wir umarmen uns viel, wir küssen uns viel. Deshalb ist das für uns nichts Neues, den Kunden zu berühren. Also ich will damit nicht sagen, dass wir ein Talent dafür haben, weil das stimmt so nicht. Nicht alle Brasilianer finden Gefallen an so einer Arbeit. Vor allem, weil du den Kunden ja an seinen intimsten Stellen berührst. Aber unser Vorteil ist, dass wir diese Begabung der Berührung besitzen.“ (Angelica, 09.10.2012, Ü.: ML)

Die Vertrautheit mit der Waxing-Technik und – damit zusammenhängend – die Selbstverständlichkeit von Haarentfernung als routinierte alltägliche Körperpflegepraktik, findet sich in allen Interviews wieder, nicht zuletzt, um mir gegenüber die oben ausführlicher vorgestellten Alteritätswahrnehmungen der Frauen von ihrem deutschen Umfeld (vor allem für die erste Zeit nach ihrer Ankunft in Berlin) zu unterstreichen. Die handwerkliche Geschicklichkeit wird somit an die eigene jahrelange praktische Erfahrung gebunden. Ana* und andere erinnerten sich, dass es unter ihren weiblichen Familienangehörigen „normal“ war, sich in regelmäßigen Abständen gegenseitig zu enthaaren. Daher hätten sie auch keine Scham, andere selbst an sehr intimen Stellen zu berühren. Neide* merkte an, dass sie schon in jungen Jahren gut im Waxing gewesen sei, weshalb ihre Familienangehörigen sie sogar darum baten. Erfahrung konstituiert sich hierbei in und über Praktiken, die über den Körper zugleich wahrgenommen und ausgeführt werden und aufgrund ihrer Repetetivität zur Routine geworden sind: Nicht nur aufgrund der beständigen Akkumulierung von Erfahrung (was in einem ‚Erfahrung-Haben‘ mündet, das sich vom Alltäglichen herausgehobenen ‚Erfahrung-Machen‘ unterscheidet, Alheit/Hoerning 1989: 8), sondern auch bedingt durch eine beständige Reflexion, wie etwa die Praktik zu verbessern und verändern sei, wird der Erfahrungsfundus zu einem im Körper verorteten Wissen, embodied knowledge (Scheper-Hughes 1994). Angelica, wie die meisten anderen Depiladoras, artikulierte dieses verkörperte Wissen jedoch nicht nur biographisch (Alheit/Hoening 1989: 8), indem sie auf die eigene verfügbare Erfahrung(saufschichtung) verwies. Sie ordnete es auch einer

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erweiterten, kulturell markierten und mit anderen geteilten Körperlichkeit sowie damit zusammenhängenden affektiven körperlichen Beziehungen ihres Sozialisierungskontextes in Brasilien zu. Herausgestellt wurde immer wieder das Berühren, tocar (als Substantivierung des Verbes formuliert, und somit in den Interviews beständig in seiner aktiven Form verwendet) und die Vertrautheit, die die stets präsenten Berührungen für sie bedeuteten; etwas, was Angelica wiederum in Deutschland vermisste. Im tocar – der Art, Dauer, Druck und somit Intensität der Berührung – verortet sich Wissen dabei sowohl körperlich-physisch wie körperlich-affektiv. Es wird für beide Interagierenden fühlbar. Das Gefühl wird beim Waxing somit zu einem wichtigen Kommunikationsmedium zwischen den beiden Frauen. Dieses Gefühl wird auf Seiten der Kundin zunächst mit dem direkt an die Behandlung verbundenen Schmerz und der Kompetenz der Depiladora, diesen Schmerz so gering wie möglich ausfallen zu lassen, assoziiert. Gerade die richtige Ausführung der Technik und das dabei nötige Feingefühl würden hierbei den Schmerzensgrad beeinflussen, erzählte mir Silvana H.: „Manche stellen sich die Sache einfach vor, aber es ist schwer. Gerade bei der Entfernung mit Heißwachs: Jeder hat Angst. Es tut nicht so weh, wenn es gut gemacht wird, es ist dann nur ein kurzes Ziepen. Aber wenn ich es nicht richtig mache, tut es weh und dann kommen die Kunden nicht mehr. Das müssen wir vermitteln, deswegen ist es nicht einfach.“ (08.10.2011)

Die Berührung erstreckt sich nicht nur auf den Moment des Abziehens, sondern umfasst jegliche Form des Körperkontaktes zwischen Depiladora und Kundin in der Kabine. Angelica erklärte mir, dass bereits vor dem Auftragen des Wachses der Körperkontakt, vor allem durch die Hand der Depiladora, wichtig sei: „Der Kunde braucht diese Berührung, er braucht deine Hand, er muss deine Hand spüren und wo du das Wachs verteilen wirst. Dieses Berühren beruhigt seine Haut. Wenn du einfach nur depilierst und nur das Wachs verteilst und es abziehst, dann hat der Kunde viele Schmerzen” (Ü.: ML). Darüber hinaus ergänzte Ana*: „Du musst wissen, wie du das Wachs aufträgst und wie du es abziehen musst. Das ist auch von der Sensibilität des Kunden abhängig” (Ü.: ML). Hierzu gehöre die Art und Weise, wie das Wachs mit dem Spachtel aufgetragen würde, die verwendete Menge, Streichrichtung und der Umfang der Fläche des aufgetragenen Wachses. Dabei, so teilte mir Andréa mit, gehe es nicht allein nach der Regel ‚je sensibler die Kundin, desto kleiner die Fläche‘. Ganz im Gegenteil könnten kleine Streifen die schmerzliche Behandlung nur unnötig hinauszögern und die Kundin verliere dabei die Geduld und das Vertrauen in die Kompetenz der Depiladora. Zu große Flächen könnten wiederum nicht den richtigen Gegendruck garantieren, der mit der anderen aufliegenden Hand auf der Haut der Kundin ausgeübt wird, die Depiladora würde so die Haut unnötig mitziehen und das Abreißen des Wachses ebenfalls schmerzhafter ausfallen lassen.

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Die Sensibilität der Kundin ergäbe sich über den Hauttyp, Haarbeschaffenheit und psychische Einstellung der Kundin. Sie variiere zudem gemäß des situativen Wohlbefindens und der Tagesform der Interagierenden, Kundin wie Depiladora, und der Fähigkeit der Depiladora, psychologisch den erwarteten Schmerz der Kundin (vor-)wegzunehmen. Die Sensibilität sei daher nicht nur über das Erkennen und Zuordnen der Hautbeschaffenheit feststellbar, sondern müsse bereits „am Gesicht“ der Kundin abzulesen sein, sobald sie auf der Behandlungsliege läge. In Bezug auf das Abziehen des Wachses betonte Frances-Clai, dass unabhängig dieser psychologischen Kompetenzen und des verkörperten Wissens trotz alledem auch ein theoretisches Wissen von Nöten sei, das sich mit der handwerklichen Ausführung vereine: „Du brauchst das kosmetische Wissen. Du musst wissen, was für Haut der Kunde hat. Du musst wissen, wie das Haar aufgebaut ist und in welche Richtung das Haar wächst, damit du das Wachs richtig abziehst und die Wurzel mitentfernst. Sonst machst du das Haar kaputt und der Kunde hat auch unnötig Schmerzen.“ (26.09.2012)

Hierzu zähle neben der richtigen Reißrichtung auch die angemessene Geschwindigkeit, so Andréa, da gerade letztere neben der Intensität des Reißens auch die Wahrnehmung darüber beeinflusse, ob die Depiladora die nötige Selbstsicherheit und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten habe. Dies übersetze sich ebenfalls in die Bewertung der Professionalität der Depiladora und beeinflusse daher auch das Schmerzempfinden. Silvana H. fügte dem hinzu: „Wenn du schüchtern wirkst, dann vertraut dir der Kunde nicht.“ Denn Schüchternheit oder Selbstsicherheit, so Andréa, übertrügen sich in die Berührung selbst.32

32 Die richtige Technik, handwerkliches Geschick, angemessenes Einfühlungsvermögen und das über die richtige Berührung vermittelte Sicherheitsempfinden wird durch das Wachs selbst ergänzt, was die Studios auch untereinander differenziert (und oft einer der Gründe für das Eingehen eines Franchise darstellt). So sei „gutes Honigwachs […] teuer und nicht einfach zu finden“, erzählte mir Silvana H., weshalb sie ihres über Bekannte aus Brasilien beziehe, und ergänzt: „Wenn es nicht gut ist, dann tut es sehr weh. Ich bekomme einen Teil aus Brasilien und einen Teil aus Süddeutschland. Das von Brasilien ist schwierig zu bekommen und sehr teuer. Beim Wachs aus Süddeutschland ist aber die Konsistenz nicht so gut, ich mische das dann mit meinem eigenen Honigwachs. Ich versuche deshalb alle sechs Monate Wachs aus Brasilien zu bestellen und so zu mischen, dass ich es eine lange Zeit habe“ (Interview vom 08.10.2011). Frances-Clai betonte, dass sie ihr Wachs nach traditioneller Methode selbst mische. Da sich ein Teil der Qualität ihrer Arbeit über die geheime Rezeptur ihres Wachses ergäbe, hätte sie es bisher abgelehnt, ein Franchise-Abkommen einzugehen, um das Geheimnis nicht weiterzugeben.

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Insgesamt stellten alle Depiladoras wie in Angelicas Worten heraus: „Du musst genau wissen, wie du den Kunden berührst.“ Die Berührung wurde in den Erzählungen daher als verkörperte Professionalität gedeutet und seitens vieler von ihnen wichtiger als theoretisches Wissen um den Ablauf der einzelnen Schritte gewertet. Das darin verkörperte Wissen würde darüber hinaus in der beständigen Übung verbessert und somit über das eigene darin verortete Fühlen stets weiter professionalisiert werden, wie Angelica betonte: „Jedes Mal, wenn du einen Kunden berührst, dann erfährst [conhecer] du mehr über die Unterschiede der Kunden. Alle Kunden sind ganz unterschiedlich. Was mir also so sehr an der Arbeit gefällt, ist zu wissen [saber] – oder nein, ähm: zu fühlen [sentir] – also wenn ich einen Kunden berühre, dass dieser Kunde anders ist als der andere” (Ü.: ML). Angelica verwendete in dieser Aussage saber und sentir, wissen und fühlen, synonym und verortete diese in die Prozesshaftigkeit eines kontinuierlichen conhecer, wissen/kennen(-lernen), ihrer Kund/innen in deren über Haut und Sensibilität vermittelten Unterschieden. In dieser Prozesshaftigkeit sahen auch viele der Interviewpartnerinnen durchaus die Möglichkeit, warum auch ‚Deutsche‘ gute Depiladoras werden könnten. Sie müssten nur bereit sein, sich auf das eigene Gespür, auf diese von Angelica beschriebene körperlich-intuitive Dimension einzulassen, die durchaus jedoch eine geschulte weil an Erfahrungen gebundene ist. In Bezug auf die oben zitierten Zuschreibungen, dass Brasilianerinnen prädestiniert für diese Form der Körperarbeit seien, merkte Silvana H. daher an, dass es sich hierbei nur um eine Frage der Zeit (und der Übung) handeln würde: „Die Deutschen, die kennen die Technik, sie sind gut in der Theorie. Aber das Handwerk – das fehlte noch, dieses Geschick, das Feingefühl. Ich denke, es ist noch zu neu dafür“. Angelica ergänzte hierzu: „Auch wenn du das ganze Prozedere gelernt hast, dann weißt du aber immer noch nicht, was dem Kunden gefällt. Nur mit der Zeit wirst du diese Erfahrung sammeln. Viele Deutsche machen nun diese AUSBILDUNG und die machen die Depilation wirklich gut. Warum? Weil sie mit uns Brasilianern zusammen sind, und so lernen sie unsere Art. Also, wie man den Kunden berührt. Sie lernen vor allem dann, wenn sie es richtig wollen, wenn sie sich richtig Mühe geben. Also learning by doing [elas aprendem fazendo]. Es ist wie ich dir gesagt habe, es kommt auf die Person an, auf ihre Art zu berühren, verstehst du?“ (Angelica, 09.10.2012)

Dies bedeute jedoch nicht, dass sich die Interaktion, die in einer für die Kundin zufriedenstellenden Behandlung münde, und das dabei abgerufene und beständig überarbeitete Wissen sich auf eine rein körperliche Dimension, physisch und fühlbar, explizit wie implizit, beschränkt. Die körperlichen Berührungen würden in vielerlei Hinsicht durch eine verbale wie emotionale Interaktion ergänzt, verlangen also eine erweiterte emotionale wie performative Arbeit seitens der Depiladora. Über diese Überlappung sowie die gegenseitige Konstituierung körperlicher und verba-

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ler, performativer Interaktion wird die Behandlung auch zu einer Pflegearbeit, die über die körperliche hinausgeht und emotionale Arbeit beinhaltet. 6.2.2 Begegnungen und Berührungen II: Emotionale Professionalität „In der Beziehung zwischen Kunde und Depiladora braucht es viel Respekt, allen voran, weil wir es hier mit Menschen zu tun haben. In unserer Art, wie wir dem Kunden gegenübertreten brauchen wir auch ein bisschen Psychologie. Denn es gibt Personen, die sind sensibler als andere, und es gibt Leute, die schämen sich mehr als andere. Wir begegnen Personen jeden Charakters und Personalität. Es ist eine großartige Arbeit, nicht nur was das Fachliche betrifft, die Haare zu entfernen, sondern vor allem im Psychologischen. Wir treffen auf Leute die unterschiedliche Erfahrungen haben, unterschiedlich alt sind und ganz unterschiedlich sensibel sind. Also musst du diese Unterschiede beachten. Wenn ein Kunde das erste Mal Angst hat, dann musst du wissen, wie du mit ihm arbeitest, Stück für Stück, in aller Ruhe. Du musst ihm mit dem Schmerz vertraut machen und zeigen, dass der vorbeigeht. Das ist alles ein sehr großes Unterfangen und nicht einfach nur: Wachs drauf und Haare ab.“ (Andréa, 06.10.2012; Ü.: ML)

Andréa stellt in dieser Aussage heraus, dass es nicht allein die richtige Berührung ist, die eine „verhätschelnde“ Arbeit ausmache und sich dabei auf das Schmerzempfinden der Kundin auswirke. Der Verweis, dass es sich bei Waxing eben auch um eine „großartige psychologische Arbeit“ handele, bei der man sich auf die unterschiedlichen körperlichen wie seelischen Empfindsamkeiten der jeweiligen Kundin einstellen müsse, rückt die emotionale und verbale Performativität der Arbeit in den Vordergrund, aber auch deren Verbindung zur intimen Körperarbeit. Die Wichtigkeit einer verbalen Interaktion wurde nicht nur von einigen Depiladoras, vor allem von den Studioleiterinnen herausgestellt,33 sondern besonders von Kund/innen immer wieder betont. Gerade in Online-Foren bezieht sich Kritik oftmals auf das Gefühl fehlender Aufmerksamkeit, das aufkommt, wenn sich die Depiladora rein auf die körperliche Dimension des Haarentfernens konzentrierte, auch wenn dies zufriedenstellend ausgeführt wurde.

33 In einigen Fällen konnte ich aufgrund dessen, dass ich die ersten Interviews mit den Frauen kurze Zeit nach den Studioeröffnungen durchführte und sie über drei Jahre lang in zeitlich versetzten Interviews begleitete, eine Verschiebung ihrer Relevanzsetzungen feststellen. Diese änderten sich in Bezug auf Handwerk, kosmetisches Wissen und Kommunikationskompetenz der Depiladoras, vor allem im Deutschen. Ich interpretiere dies als Lernprozess seitens der Depiladoras, der sich nicht zuletzt über die Kund/innenkritik in den Online-Foren, die zugleich ein wichtiges Werbemittel für die Studios sind, erklärt.

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Auffallend war sowohl in Gesprächen mit Kundinnen als auch in Kommentaren auf den Kund/innenplattformen im Netz, dass es selten die Kundin ist, die den Raum für den verbalen Austausch eröffnete. Vor allem Neu-Kundinnen fingen in der Regel nicht von sich aus ein Gespräch mit der Depiladora an. War der Raum für Gespräch und Austausch (seitens der Depiladora) einmal eröffnet, empfanden dies die Kundinnen oftmals als Gelegenheit der indirekten Einflussnahme auf das Geschehen selbst (etwa in Anmerkungen über ein zu heißes Wachs oder andere Formen der Schmerzempfindungen – Anmerkungen, die insbesondere bei Unzufriedenheit mit einzelnen Aspekten der Arbeitsperformanz der Depiladora ansonsten häufig im Nachhinein in Online-Foren oder gegenüber Bekannten geäußert würden). Die Möglichkeit des verbalisierten Austausches interpretiere ich auch als eine der wenigen Gelegenheiten des Agierens seitens der Kundinnen – gerade da sie sich körperlich in einer passiven Position, ausgedrückt in der waagerechten Lage und den Anweisungen der Depiladora folgend, wiederfanden: Durch die Eröffnung eines verbalen Interaktionsraumes wurde ihnen das Gefühl erlaubt, auf das Tun der Dienstleistenden Einfluss nehmen zu können und damit als ganzheitliches Subjekt und nicht nur in einzelne Körperteile unterteilte Objekte der Situation ernst genommen zu werden. Zudem bildete die Sprache in dieser unvertrauten, von der Depiladora abhängigen, körperlich beklemmenden Situation auch eine vertraute Ebene. Diese ermöglichte es der Kundin, allein über die bessere Beherrschung des Deutschen ihre körperlich unvorteilhafte Position wettzumachen und darüber ihre soziale Position für den Moment der Behandlung zu verteidigen. Für Depiladoras, die mir gegenüber die Wichtigkeit verbaler Kommunikation hervorhoben, bedeutete dies zugleich eine Möglichkeit, die eigene Professionalität unter Beweis zu stellen. Neben der Vermittlung ihres technischen Wissens an die Kundin konnten sie sich auch als Spezialistin für mit der Körperhaarentfernung verbundene Körperkonzepte und Körperlichkeiten sowie als Beraterin für Schönheitspraktiken ihrer Kundinnen allgemein beweisen (siehe 6.1.3 und 6.3.3). Die verbale Interaktion ist dabei nicht notwendigerweise an gute Deutschkenntnisse gekoppelt, wie es mir beispielsweise zwei Kundinnen von Andréa, deren DeutschKenntnisse nach ihren eigenen Aussagen sehr unzureichend seien, mitteilten. Allein Andréas Bemühungen um einen Austausch, der über Mimik und Gestik, englische wie deutsche, notfalls auch portugiesische Satzbausteine hergestellt wurde, wurden als zufriedenstellende Aufmerksamkeit anerkannt. Allerdings birgt ein verbalisierter Austausch neben der wohlwollenden Anerkennung der Bemühungen der Depiladora und der von ihr vermittelten Kenntnisse weitere Vorteile, wie mir Angelica mitteilte: „Ich denke, es ist ganz wichtig, dass ich mehr oder weniger deutsch spreche. Dass ich also meine Kunden verstehen kann. Denn der Austausch mit den Kunden ist sehr wichtig. Manchmal sagen die Leute: ‚Ich brauche nicht deutsch können, um zu depilieren.‘ Klar, das

296 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT braucht man nicht, man muss zu depilieren wissen. Aber du musst die wichtigsten Dinge schon sagen und verstehen können. Und außerdem lernst du viel mit dem Kunden. Und mit der Zeit lernst du auch seine Kultur kennen, wie die so ticken. Aber das kann ich nur, weil ich ja die Sprache spreche. Wenn du das nicht tust, dann wirst du ein Problem bekommen, den Kunden wirklich zu verstehen [entender o cliente].“ (Angelica, 09.10.2012, Ü.: ML)

Den Kunden verstehen – entender o cliente – bezieht Angelica hierbei nicht allein darauf, ob ihr die Kundin mitteile, dass das Wachs zu heiß sei oder sie Beratung in Bezug auf das Depilationsangebot brauche. Vielmehr stellt Angelica dies in einen kulturellen Zusammenhang der ‚Deutschen‘, den sie über eine Austausch kennenlernen müsse, um auf diese Weise besser auf die Kundin eingehen zu können. So betonten sie und andere, dass vielen Kundinnen die Berührung allein eben nicht reichen würde und sie auch verbal auf die einzelnen Behandlungsschritte vorbereitet werden wollten. „Du musst Schritt für Schritt kurz erklären, damit sie keine Angst haben“, sagte Carminha hierzu. Andréa kommentierte mir gegenüber mit einem Augenzwinkern: „A-a-a-i, die Deutschen wollen immer alles ganz genau wissen [saber tudo certinho!]“ (06.10.2012), wobei saber – wissen – sich bei den Deutschen in erster Linie über eine theoretische Erklärung konstituiere, die kosmetische – also scheinbar objektivierbare, abfragbare – Kenntnisse meine, weniger ein über Berührungen vermitteltes Wissen. Doch wie sehr trotzdem beide Interaktionsformen Hand in Hand gehen, stellte Angelica einmal mehr heraus. Gerade bei Neuoder Erst-Kundinnen, so erzählte sie mir, müsse sie innerhalb sehr kurzer Zeit Vertrauen herstellen, gerade wenn es um Intimwaxing ginge: „Also, wenn sie meine Arbeit noch nicht kennen, dann wissen sie noch nicht, wie ich sie berühre. Manchmal haben sie Angst, dass ich ein bisschen grob bin [Angelica erklärte mir ein anderes Mal, dass sie diese Einschätzung ihrer Statur zuschreibt, da sie relativ groß und zudem muskulös ist). Da sage ich dann immer: ‚Also bis Sie mich richtig kennengelernt haben [conhecer], machen wir nur biquíni, und wenn sie mich dann mit der Zeit kennen, dann entscheiden Sie ob Sie mehr wollen.‘ Und während ich so rede und berühre [falando e tocando], gewinnen sie automatisch dieses Vertrauen in mich. Manchmal brauche ich nur so zwei, drei Minuten, und da sagen sie schon: ‚Ah, ja, ich weiß schon. Sie können das machen.‘ Das ist auch richtig gut für mich, also zu wissen, dass du das Vertrauen von einem Kunden innerhalb von zwei, drei Minuten gewinnen kannst.“ (Angelica, 09.10.2012, Ü.: ML)

Falar e tocar – reden und berühren –, in ihrer Gleichzeitig praktiziert, ergänzten sich nach Angelicas Aussagen und begründeten das ihr entgegengebrachte Vertrauen innerhalb kurzer Zeit. Deutlich wurde aus Gesprächen und Interviews auch mit anderen Depiladoras, dass das Schmerzempfinden der Kundin – als gestaltende und zugleich affektive Komponente der Interaktion – seitens der Depiladora anvisiert und zu manipulieren versucht wurde. Die verbalen Vorankündigungen, sowohl der

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einzelnen Behandlungsschritte als auch der möglichen Form und Intensität des Schmerzes, konstituieren, gemeinsam mit der über die Hand vermittelten tastenden Vorankündigung und die daraufhin bestätigenden Griffe, das Gefühl von Professionalität und Vertrauen über den sichtlich und geruchlich wahrnehmbaren Zustand der Studios, Kabinen und verwendeten Utensilien hinaus – nicht nur bei ErstKundinnen. Eine andere den Schmerz manipulierende Taktik sei die der Ablenkung, so erzählten mir Carminha und Andréa. Während die körperliche Berührung weiterhin nach den professionalisierenden und vertrauensbildenden Kriterien verfahre, bemühe man sich zugleich um größtmögliche gedankliche Zerstreuung der Kundin, weit weg des körperlichen Schmerzes, so Andréa: „Bei meiner Art zu arbeiten spreche ich immer ganz viel. Damit sich die Aufmerksamkeit der Kundin auf mich richtet und sie den Schmerz vergisst [lachend]. Das ist also eine Taktik. Ich mag es sehr zu.- Also, die ganze Zeit rede ich mit den Kunden. Ich informiere sie über das Waxing, gebe Tipps, was sie alles beachten müssen und ich stelle viele Fragen. Ich versuche zu spaßen, um die Leute abzulenken. Ich versuche, die Stimmung in ein Happy Waxing zu verwandeln, ne? [lachend] ... Das Beste ist immer, wenn ich mit den Kunden spaße, dass sie sich nach dem Waxing zwei Kilo leichter fühlen werden. Dann sage ich: ‚Das ist eine tolle Diät, also komme wieder.‘“ (Andréa, 06.10.2012, Ü.: ML)

Die Behandlung, in seiner performativen Dimension als „Happy Waxing“ (Andréa), „Waxing-Erlebnis“ (Manuela*), „Entspannung“ (‚lobalaba‘) oder „Wohlfühlmoment“ (Frances-Clai) von Kund/innen wie Depiladoras gewertet oder anvisiert, hat Einfluss auf das Schmerzempfinden der Kund/innen und fließt daher, wie in Gesprächen und Online-Foren beständig deutlich wurde, in die Aushandlung um Professionalität der Depiladora indirekt mit ein. Das wiederum wirke sich auf das Geschäft selbst aus, wie Ana* ausführte: „Ich glaube, die Kunden brauchen immer diese besondere Aufmerksamkeit. Es sind schließlich die Kunden, die meine Miete zahlen“ (Ü.: ML). Ana*, Marta* und Carminha sagten mir in Interviews, sie würden stets darum bemüht sein, zu singen, zu lachen und zu scherzen. Ihre Kund/innen würden das nicht nur schätzen, sondern, wie Ana* sagte, auch oftmals erwarten. „Wo brasilianisch drauf steht, da muss auch brasilianisch drin sein. Das erwarten die so“. Andererseits, so sagte sie, sei es genau diese alegria – Lebensfreude –, die ihrer Meinung nach den Unterschied zu anderen ausmache. Neben dieser sei es, so betonten Frances-Clai, Angelica oder Andréa, die humanidade (Menschlichkeit, menschliche Wärme), die sie wiederum von denjenigen unterscheide, die es „nur des [scheinbar schnellen] Geldes“ wegen machen würden. In dieser performativen Dimension der Dienstleistung zeichnet sich eine Gratwanderung ab: Auf der einen Seite steht die von den Frauen als ihnen eigene und zu den ‚Deutschen‘ abgrenzbare alegria und humanidade. Auf der anderen Seite spielt

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eine zu leistende Mimikry kulturalisierender Erwartungen, die an stereotype Vorstellungen der Brasilianerin gebunden sind, eine Rolle. Sie bestimmt letztlich auch die kulturelle Markierung der Waxing Studios als ‚brasilianisch‘ mit. So zeigte sich, dass diese Charakterisierungen der eigenen Arbeitsperformanz mit der steigenden Konkurrenz ‚deutscher‘ Waxing Studios bzw. der zunehmenden handwerklichen Geschicklichkeit deutscher Depiladoras in den letzten Jahren immer stärker von den brasilianischen Interviewpartnerinnen als Abgrenzungsmerkmal herausgestellt wurden. Neben den anderen kulturellen Markierungen (Studioeinrichtung, Körperlichkeit, Technik) und Legitimierungen (sozio-kulturell verortete und damit biographisch bedingte Vertrautheit mit Waxing und damit verbundenes Körperwissen) avancierten diese Charakterisierungen als Besonderheit ihrer Dienstleistungsarbeit (und nehmen letztendlich auch auf den geschäftlichen Erfolg der Studios Einfluss). Die nuancierten Aneignungen stereotyper Elemente, über die sich die Depiladoras als ‚Brasilianerin‘ hierbei oftmals positionierten, bestärkten dabei zugleich auch die ihnen entgegengebrachten Zuschreibungen, nicht nur Spezialistinnen in Sachen Brazilian Waxing, sondern auch in Sachen Schönheit und Schönheitspraktiken allgemein zu sein. Unterstützt wurde dies über die eigene Verkörperung des von den Frauen herausgestellten gepflegten Körperbildes. Sie affirmierten also das ihnen zugeschriebene bzw. von ihnen postulierte Fachwissen über die eigene Körperherstellung. Dies umfasste den Aussagen nach neben einem haarlosen Körper gepflegte, glatte, wohlriechende Haut und Haare, saubere Nägel und eine Verkörperung von Frische und Wohlgefühl – körperliche Dimensionen also, die nicht nur optisch sondern auch olfaktorisch und haptisch von den Kundinnen wahrnehmbar waren. Weiterhin bedeutete die nuancierte, performative Anlehnung an die (stereotype) Vorstellung von der ‚Brasilianerin‘ über Körperlichkeit, Auftreten und Verhalten gegenüber der Kundin ebenfalls eine Gratwanderung: So galt, es einen gepflegten, attraktiven Körper herauszustellen, aber nicht den Eindruck einer vermeintlichen (Hyper-)Sexualität zu erwecken, die ebenfalls im Stereotyp über die ‚Brasilianerin‘ verankert ist (vgl. Kapitel 4). Die Depiladoras wollten der Kundin gegenüber als potentielle Freundin, nicht aber als Konkurrentin gegenübertreten. Auch galt es eine angemessene Gewichtung zwischen der herausgestellten alegria und einem diskreten Verhalten zu verkörpern. So wie lautes Lachen und unbekümmertes Spaßen Schmerz-Ablenkungsstrategien darstellten, so konnten sie auch schnell die Grenzen hin zu Vulgarität und einer klassenzugewiesenen Grobheit überschreiten, und damit den Eindruck fehlender Professionalität hervorrufen. In den Gesprächen und in Online-Foren wurde aber ebenso deutlich, dass ähnlich wie bei einem unbefriedigenden Behandlungsergebnis (zurückgebliebene oder einwachsende Härchen, ungerade ausgeführte Intimdesigns, Rötungen und blaue Flecke) die Behandlung selbst häufig dann thematisiert, also zum Gegenstand der Kommunikation gemacht wurde, wenn die Erwartungshaltung der Kundin, von einer ‚Brasilianerin‘ behandelt zu werden, aufgrund eines von diesen Erwartungen

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abweichenden Verhaltens der Depiladora enttäuscht wurde. Schlechte Laune, Teilnahmslosigkeit, Ungesprächigkeit oder sogar Aufmüpfigkeit (im Sinne eines „nun zieren Sie sich nicht so“) während der Behandlung wurden als bloßes „Abfertigen“ gewertet, das nicht nur „nicht professionell“ sei, sondern auch nicht „brasilianisch“, wie Kund/innen mir gegenüber und in Online-Foren vielfach betonten. Was in den meisten Aussagen und Kommentaren auffiel, war nicht allein die Einforderung emotionaler Arbeit, in der Gefühle in der körperlichen Erscheinung und im Gesichtsausdruck kontrolliert und als Bestandteil der kommerzialisierten Dienstleistung für das Wohlgefühl der Dienstempfangenden entsprechend performt wurden (Hochschild 1983: 7). Dies teilt Waxing mit anderen Formen der personenbezogenen Dienstleistungsarbeit. Vielmehr zeigte sich in solchen Aussagen eine Erinnerung daran, dass die Frauen ja Brasilianerinnen seien, worüber nicht nur Differenz markiert, sondern eine Un-Zugehörigkeit betont wurde. Abweichendes Verhalten räumte daher die Möglichkeit ein, kulturelle Zuweisungen als Erklärungskomponente für unzureichende Professionalität der Depiladoras heranzuziehen. Doch es ist nicht allein diese aktive performative Dimension, die sich um eine gedankliche Zerstreuung der Kund/innen und zugleich kulturelle Markierung der eigenen Arbeitsperformanz bemüht, die emotionale Arbeit auf Seiten der Depiladora abverlangt. Emotionale Arbeit umfasst die Kontrolle der eigenen Befindlichkeit, die in einer personenbezogenen Dienstleistungsarbeit erwartet würde, wie eine Aussage Silvanas deutlich macht: „Ich muss jeden Tag zufrieden, also glücklich sein. Wenn ich woanders im Büro sitze, ob ich traurig oder glücklich bin, das wird keiner sehen. Aber wenn man mit Menschen arbeitet, muss man die Probleme weglassen. Für mich ist es schwierig nicht zu zeigen, dass ich traurig bin.“ Unentwegte Performanz und emotionale Kontrolle wurden nicht zuletzt auch körperlich als Arbeit fühlbar. Marta* erzählte mir, wie müde sie nach einem Arbeitstag sei, was sie nicht allein der schweren physischen Arbeit zuschrieb. So verglich sie die physische Erschöpfung mit ihren vorherigen Erfahrungen in der Reinigungsarbeit, die sie aufgrund ihrer körperlichen Schmerzen für die Arbeit als Depiladora aufgegeben hatte. Im Unterschied zur vorherigen Arbeit würde nun häufig zu der körperlichen Kraftlosigkeit am Feierabend – vor allem an Tagen mit viel Kundschaft – auch noch ein Gefühl der Ermattung hinzukommen, sie fühle sich „fertig“ und „richtig leer“. Ana* sagte mir, dass sie an manchen Abenden nicht einmal mehr mit ihrem Mann reden wolle, so erschöpft und müde sei sie, und Leni meinte, dass sie an Sonntagen, dem einzigen Wochentag an dem sie nicht arbeite, oftmals dermaßen „fertig“ sei, dass sie „niemanden sehen“ wolle. Die beständige Kontrolle und Performanz von Gefühlen werden zusätzlich zur eigentlichen körperlichen Tätigkeit als Arbeit erlebt, wobei beide Aspekte Teil von emotionaler Arbeit in der von Arlie Hochschild gefassten Definition sind: Ihr zufolge ist diese – emotional labor – „the management of feeling to create a publicly observable facial and bodily display [… that] has exchange value“ (Hochschild

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1983: 7). Ich unterscheide jedoch anders als Hochschild zwischen Emotion und Affekt, wobei Emotion sich auf intentionale – auf ein Objekt oder Subjekt gerichtet – mittelbare, kognitiv verankerte Gefühlsausdrücke bezieht, die über eine enge Beziehung von Bewegung/Bewegtheit [movement] und Bindung [attachment] immer eine ‚Intimität-mit‘ [intimacy of the ‚with‘] ausdrückt (Ahmed 2004b; sowie Gutiérrez Rodríguez 2010b: 5 unter Verweis auf Spinoza). Affekt hingegen meint eher ein un-gerichtetes, von einem Objekt oder Subjekt evoziertes jedoch unmittelbares körperlich verankertes Gefühlserleben (ebd.; Ahmed 2004b: 6). Beide, Emotion und Affekt, sind eng mit einander verflochten und nur auf der analytischen Ebene trennbar. In beiden sind körperliche und kognitive Dimension eng miteinander verbunden und bedingen einander (Ahmed 2004b: 4). Auch sind beide historisch, sozial und kulturell vereinnahmt.34 Hochschild versteht emotionale Arbeit generell als integrativen Bestandteil der unterschiedlichsten personenbezogenen Tätigkeitsbereiche im Dienstleistungssektor (Hochschild 1983: 5). Doch sei an dieser Stelle Vorsicht davor geboten, ähnlich Hochschilds Auffassung emotionale Arbeit generalisierend als problematisch, von Kundin bzw. Arbeitgeber/in aufoktroyiert und daher als ungewollte Bürde für die Dienstleistenden zu verstehen (Blyton/Jenkins 2007: 67). Auch wenn die (zusätzliche) performative Arbeit und die Kontrolle der eigenen Befindlichkeit in vielerlei Hinsicht erschöpfend waren, so wurden sie von den Interviewpartnerinnen generell nicht als eine ungewollt auferlegte Bürde verstanden. Sie waren stattdessen selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit, den sie oftmals sogar sehr wertschätzten, wie sich etwa in einer Aussage Lenis feststellen lässt: „Ich will nicht, dass die Leute hierher kommen: ‚Ich bin in einem Waxing Studio, wo nur meine Beine enthaart werden.‘ Gar nicht! Ich will, dass sie jeden Monat kommen, ich will, dass sie eine Beziehung mit mir haben, dass sie mir vertrauen. [..] Wir lachen zusammen mit den Kunden und wir weinen hier mit den Kunden. Es tut mir auch leid, wenn es den Kunden nicht gut geht. Man hat nicht immer gute Tage, aber bei mir- Ich muss immer so aussehen als ob es mir gut ginge, trotzdem es mir vielleicht nicht so gut geht. Weil die Kunden merken das. Die, die mich kennen, die gucken und sagen: ‚Leni, dir geht’s gar nicht so gut. Was hast du, was ist los.‘ Ich sage dann: ‚Nein, es ist alles gut.‘ Es gibt Sachen, die ich- Manchmal rede ich mit den Kunden, weil es mir auch gut tut. Aber ich meine- . Ich will, dass die Kunden reden, sie müssen reden, sie müssen mir erzählen.“ (Leni, 19.09.2012)

Deutlich wird hier, dass die emotionale Arbeit eben nicht (allein) in Bezug auf ein (erwartetes wie eigens gestelltes) normatives Verhalten hin ausgerichtet wird, son-

34 Weiter unten werde ich auch auf die affektive Kontrolle in der intimen Arbeitsperformanz eingehen, diese aber nicht wie Hochschild einer emotionalen Arbeit unterordnen.

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dern in eine interpersonelle und damit interaktive Situation eingebettet ist. Sie wird somit auch in Bezug auf die involvierten Akteure, hier die verschiedenen Kundinnen, unterschiedlich wahrgenommen und verändert. Dies kann sogar in einer Art Umkehrung münden, nämlich einer emotionalen Öffnung der Depiladora gegenüber ihren Kundinnen (wie es im Zitat anklingt). Ebenso nehmen die Depiladoras auch empathische Gefühle der Kundinnen wahr, wie Angelica mir erzählte – diese sogar als notwendig für ihr eigenes Wohlbefinden im Arbeitsverhältnis versteht: „Sie geben dir genauso ihre spezielle Aufmerksamkeit und auch diese Zuneigung, die du selber auch brauchst“. Deutlich wird dabei die von Leni indirekt angesprochene Prozesshaftigkeit des Verhältnisses zu ihren Kundinnen. Anstatt von einem pauschalisierendem Verhältnis Depiladora-Kundin zu sprechen, differenzierte Leni: „Es gibt Kunden, ich mag die so sehr, dass ich sie alle zu meiner Geburtstagsparty einladen könnte. Aber es gibt Kunden, die ich nicht so mag, aber dann muss man professionell sein. […] Ich, ich werde dich nicht behandeln wie ich andere behandle, weil das ein anderes Verhältnis ist, das wir miteinander haben. Es gibt Kunden, die ich immer noch sieze. ‚Ja Frau Müller.‘ Weil ich nicht anders kann. Aber es gibt Kunden, bei denen ich von Anfang an frage, ob wir diese Mauer gleich durchbrechen können: ‚Ich bin Leni und du bist Anna.‘ Die haben kein Problem damit. Und das ist mir wichtig. Es gibt heute viele Studios. Unsere Preise sind gleich. Aber ich wollte meine Beziehung, mein Verhältnis mit den Kunden immer besonders haben. Jemand, der hier reinkommt, der sollte nicht nur einmal kommen. Der sollte jeden Monat kommen.“ (Leni, 19.09.2012)

Gerade in kleineren Studios wurde immer wieder betont, wie wichtig die Gewinnung von Stammkund/innen ist und wie sehr hierfür das sich herausbildende emphatische Verhältnis zwischen Kundin und Depiladora sei. Die performative Dimension der Behandlung auf Seiten der Depiladora, so zeigten Einschätzungen, die mir von Kundinnen wie Depiladoras gegeben wurden, nahm in der Regel im Laufe der Zeit ab. Der Gesprächsanteil der Kundin erhöhte sich hingegen spürbar. Das für den Moment der Behandlung hergestellte Vertrauen in die Professionalität der Depiladora wurde mit der Zeit um die Vertrautheit auf der interpersonellen Ebene ergänzt. Das bereichert die Behandlung bei vielen neben der körperlichverhätschelnden Dimension um eine emotional-seelische Fürsorge. Die spezielle Beziehung zu ihren Stammkundinnen begründete mir Leni genau über diese Dimension: „Ich kenne ihre Geschichten, ich sehe, wenn du traurig bist, wenn du ein Problem hast. Wir reden über alles. Denn wenn ich hier in der Kabine bin, dann bin ich allein, nur ich und meine Kunden. Viele fragen sogar: ‚Hört uns jemand?‘ Und ich sage: ‚Nein, wir sind alleine hier. Keine Sorgen!‘ Wir reden über alles: Das fängt bei Kinderwünschen an wenn die Frauen über 30 Jahre alt sind, und geht bis zur Scheidung oder Kinderproblemen, gerade wenn die im

302 | I NTIME A RBEIT UND MIGRANTISCHE U NTERNEHMERSCHAFT Teenager-Alter sind. Und das gefällt mir. Wenn du zwei Jahre jeden Monat zu mir kommst, dann kenne ich dich schon. Denn ich lasse die Kunden reden. Ich weiß alles über sie. Ich weiß wie ich arbeite, ich weiß wie ich dir alle Informationen raushole, wenn Du in dieser Kabine bist. Ich finde sofort, wo deine Schwächen oder deine Stärken sind und dann fängst du an zu reden. Ich habe eine Kundin, die hat mich gefragt: ‚Leni, warum erzähle ich dir das?‘ [beide lachen]. Ich sage: ‚Ich weiß nicht, du vertraust mir‘. Hier wird über alles geredet. Deswegen sagen viele: ‚Leni, wo ich wohne ist ein Wax-Studio, aber ich komme nur deinetwegen hierher.‘“ (19.09.2012)

Alle interviewten Depiladoras erzählten mir ähnliches von ihren Stammkundinnen. Diese würden oftmals weitere Wege in Kauf nehmen, um sich von ihnen behandeln zu lassen. Sie kämen nicht nur aus anderen Stadtbezirken, sondern auch aus dem Berliner Umland. Begründet wurde dies stets mit ihrer „guten Arbeit“ und dem „persönlichen Verhältnis“ zu ihren Kundinnen. Nicht immer würden dabei tiefgreifende persönliche Probleme in der Kabine besprochen. Viele Interviewpartnerinnen gaben mir gegenüber an, dass es in der Regel oberflächlichere Themen seien, wie der anstehende Urlaub, Liebesgeschichten oder Probleme auf der Arbeit, aber auch sexuelle Themen. Doch gerade diese eher leichten Gesprächsthemen und die befürwortende Art der Depiladora trügen dazu bei, dass auf Seiten der Kundin die Anspannung des Tages, die Besorgnis über private oder berufliche Vorkommnisse oder aber die Nervosität aufgrund der anstehenden intimen und schmerzlichen Behandlung selbst gelockert oder gar gelöst wurde. „Sie erzählen intime Dinge. Ich bin eine sehr positive Person, und ich versuche sie immer wieder aufzumuntern. Wenn ich helfen kann- also mit meiner Meinung, also selbst außerhalb meines Arbeitsfeldes, dann versuche ich immer einen guten Rat zu geben. Und ich versuche, dass sie hier mit einem Lächeln rausgehen und gern wieder zurückkommen.” (Andréa, 05.10.2012, Ü.: ML)

Andréa betonte später in diesem Interview, dass sich mit der Zeit eine Art freundschaftliche Beziehung zwischen ihr und einigen Kundinnen entwickeln würde, die jedoch nur für den Moment der Behandlung andauerte. Gerade diese Temporalität scheint jedoch einen entscheidenden Einfluss auf die Intimität der emotionalen Beziehung in der Kabine auszuüben: Denn anders als bei einer guten Freundin wären die Kundinnen hierbei nicht zu einer emotionalen Gegenleistung verpflichtet, um eine in Freundschaften oftmals erwartete Reziprozität zu gewährleisten. Zudem ist die Zuhörerin nicht mit dem erweiterten persönlichen Umfeld der Erzählenden vertraut, so dass eine relative Anonymität gewährleistet ist. Bei der Zuhörerin handelt es sich auch nicht um eine ausgebildete Psychologin, die man für die emotionale Arbeit bezahlen müsse oder der gegenüber man gar unter einem Erfolgs- oder Rechtfertigungsdruck stünde. Andererseits wurden vor allem in Bezug auf Fami-

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lienprobleme oftmals die lebensnahen Einschätzungen und Tipps der Depiladora geschätzt. Die emotionale Intimität ist dabei klar markiert: räumlich (Kabine) wie zeitlich (Behandlungszeit). Andréa sagte mir, dass das, was in der Kabine besprochen wurde, auch in der Kabine verbleibe, sich daher hier wieder die Professionalität in der Diskretion der Depiladora zeige, was sie mit einer an den Beichtstuhl gebundenen Buße verglich: „Es ist, als wärst du ein Beichtvater“. Jedoch relativiert auch hier die auditive Permeabilität der Kabinenwände diese emotionale Intimität, die seitens beider Frauen aber beeinflusst werden kann: In kleinen Studios kann, neben der von Leni oben angesprochenen Vermeidung einer Überschneidung von Kund/innen (oder auch konträr: das bewusste kurz aufeinanderfolgende Terminieren von Behandlungen, was die Behandlungszeit der einen weitestmöglich einschränkt und Kund/innen im Studio überschneiden lassen), das Anheben (oder Senken) der Lautstärke der Hintergrundmusik einen ungestörten Austausch in der Kabine ermöglichen (oder beschneiden). Ebenso passen die Frauen entsprechend die Lautstärke ihrer Stimmen an die Privatheit ihres Gesprächsgegenstandes an. Über dieses ambivalente Zusammenspiel von Permeabilität und Intimität fungiert die Kabine dabei als eine Art Flucht von alltäglichen Sorgen für die Kundin. Zugleich bietet sie eine Art Schutz für die Depiladora, vor allem vor einer emotionalen Ausnutzung als Therapeutin.35 Die Kabine ist zwar der Ort, an dem sich dieses momentane emphatische freundschaftliche Verhältnis und die körperliche Intimität mit dem Dienstleistungsverhältnis von Nehmender und Gebender zu überlagern scheint, jedoch sind die emotionalen und körperlichen Intimitäten über die funktionale Ausstattung und Sterilität der Kabine in den Rahmen einer kommerzialisierten Interaktion verortet. Unterstützend kennzeichnen auch Gummihandschuhe und (uniformierte) Arbeitskleidung – an sich notwendige oder gar erwartete Requisiten für einen sterilen und hygienischen Standard der intimen Behandlung – die Depiladora als Arbeitende, als Dienstleistende und eben nicht als Freundin. Sie bilden eine Art Maskierung und legen sich als externe, für die Arbeit herangezogene Haut über den Körper der Depiladora. Die Gummihandschuhe, hierbei nicht nur dem hygienischen Standard ge-

35 So erzählte mir Andréa, dass Waxing auch Menschen anzog, die aus unterschiedlichen Beweggründen nach körperlichen Schmerzen suchten und dabei auch ihre psychischen Probleme in der Kabine ausbreiteten. Diese Kundinnen erforderten seitens der Depiladora neben der eigenen affektiven Kontrolle auch emotionale Kompetenz, den richtigen Umgang mit diesen Kundinnen zu finden, ohne sie vor den Kopf zu stoßen (wobei die Hellhörigkeit der Kabine als Grund angegeben werden konnte, sich einen anderen Ort – und somit eine andere Person – zum Sprechen zu suchen), und zugleich kosmetische Kompetenz, wie oder ob die von Leiden(slust) gezeichnete Haut zu behandeln sei, um weitere Verletzungen zu vermeiden.

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schuldete Arbeitsrequisite, sondern an sich auch Symbol von Unpersönlichkeit und emotionaler wie affektiver Distanz,36 schieben sich zwischen die Berührung von Kundin und Depiladora. Sie vermeiden so im Moment der Behandlung ein Aufeinandertreffen nackter Haut – verorten die Berührung wie auch die Begegnung in ihrer emotionalen wie körperlichen Intimität insgesamt in den Rahmen eines räumlich und zeitlich umrissenen kommerzialisierten Austausches, genauer in ein Arbeitsverhältnis von Dienstleistender und Dienstempfangender. Allerdings sind beide miteinander verflochtenen, affektiv-abgrenzenden wie emotional-emphatischen Performanzen nicht ausschließlich an die Kundin gerichtet, um Vertrauen und Professionalität zu vermitteln und herzustellen. Sie bilden zugleich Strategien der Ablenkung und Ermächtigung für die Depiladora, die körperlich intime Arbeit leisten zu können: Der Handschuh verhindert nicht nur eine direkte Berührung der anderen Haut, sondern auch der anderen sehr intimen Körperstellen, der Körpersekrete wie Schweiß und Scheidenausfluss, der ‚unreinen‘, mit Ekel besetzten Körperhaare. So unterstützt er die eigene affektive Kontrolle der Depiladora, die Ekel und Scham umfassen. Frances-Clai, Ana* und andere erzählten mir, wie schwierig die affektive Kontrolle dabei häufig sei. Ana* sagte mir: „Manchmal denkst du: ‚Oh mein Gott, wie behaart‘ Als ob sie noch nie ihre Haare weggemacht hat. Richtig ekelig. Ein Horror.“ „Es gibt Kunden. Wie kann ich es dir sagen? Also, die riechen“, erzählte mir Carminha, verzog dabei ihr Gesicht zu einer Grimasse und deute mit ihrer Hand in Richtung Vagina. „Aber du musst so tun, als ob du das nicht merkst, also als ob gar nichts ist. Du musst einfach weiter arbeiten“. Frances-Clai sagte, dass es hin und wieder so schlimm sei, dass sie die Kundinnen auffordern musste, sich „untenrum etwas frisch [zu] machen“, bevor sie mit ihrer Arbeit begann.37 Über das Anlegen einer zweiten Haut – der Arbeitskleidung inklusive Handschuhe – verkörpern die Frauen sich als Depiladoras auch für sich selbst und deaffizieren bzw. objektivieren darüber ihr Handeln, also ihre Arbeit am Körper der Anderen. Zugleich, so meine Interpretation weiter, werden die eigentlich mit Schmutz und Unreinheit assoziierten körperlichen Sekrete und Haare darüber objektiviert und nur über eine schützende, ihnen selbst externe Oberfläche berührt. Die performative Dimension, die vor allem die Zerstreuung der Kundin anvisiert,

36 Unpersönlichkeit und emotionale/affektive Distanz beziehen sich hierbei vor allem auf einen Vergleich zu ähnlich intimer körperlicher Arbeit, wie sie im Rahmen affektiver Beziehungen ausgeübt wird (z.B. bei der Körperpflege eines engen Angehörigen oder einer anderen geliebten Person), wo in der Regel keine Gummihandschuhe verwendet werden. 37 Wie ich unter 6.3 näher zeigen werde, forcieren diese Begegnungen zugleich die Wahrnehmung von kulturellen/kulturalisierten Differenzen seitens der Depiladoras in Bezug auf fehlende Körperpflegepraktiken unter ‚Deutschen‘.

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wie auch das Anvisieren eines empathischen Verhältnisses zur Kundin, lenken hingegen auch die Depiladora von eigener Verlegenheit, Scham- oder Ekelgefühlen ab, die mit der Körperarbeit verbunden sind (McDowell 2009: 174). Zugleich mag gerade über den Vergleich zu dieser mit Unreinheit und Scham konfrontierten Körperarbeit auch die Wertschätzung eines empathischen Verhältnisses zur Kundin und die damit verbundene Aufwertung der emotionalen Arbeit der Depiladoras Hand in Hand gehen. Nicht zuletzt soll jedoch angemerkt sein, dass die von Kund/innen oftmals bemängelte fehlende Aufmerksamkeit einiger Depiladoras vielleicht – wenn auch nicht generell – ebenfalls in Bezug auf Abgrenzungs- und Objektivierungsbemühungen zu ihrer körperlichen intimen Arbeit gelesen und verstanden werden könnte. Ein fehlender, von den Depiladoras nicht gesuchter kommunikativer Austausch – körperlich, verbal und/oder emotional – könnte bedeuten, die zu Behandelnde als dialogisches und damit personifiziertes Gegenüber zu verneinen, sogar zu objektivieren, um so besser die eigenen Affekte und Verlegenheiten überwinden und die Arbeit am Körper der Anderen ausführen zu können. Auch mag im Gegensatz zu vorherigen Erfahrungen intimer Arbeit im Verhältnis Dienstleistende – Dienstempfangende nun ein Gefühl der Ermächtigung hineinspielen (nicht zuletzt aufgrund des Umstandes der passiven körperlichen Position und teilweiser Nacktheit ihres Gegenübers geschuldet), selbst den Grad der emotional-performativen Arbeit bestimmen zu können, wie ich unter 6.3 noch einmal näher erläutern werde. Zudem gilt hinsichtlich der auf das Nötigste reduzierten Arbeitsperformanz, dass auch diese eine situative ist, die sich ebenso wie Empathie über die sich begegnenden Akteure in der Kabine herstellt. So mögen Mimik, Gestik und Auftreten der Kundin von der Depiladora falsch verstanden worden sein, etwa als Ruhebedürfnis der Kundin. Die Respektierung dieser Ruhe gehöre, so Angelica und Frances-Clai, ebenso zu einer verkörperten Professionalität wie die richtige Waxing-Technik. Gerade hierbei zeigt sich das von Angelica betonte „entender o cliente“ (den Kunden verstehen), dass eben auch ein (vermeintliches) Kennen kulturell vereinbarter – körperlicher – Kommunikationsformen umfasst und bei einer Fehlinterpretation zu Unzufriedenheit und Kritik führt. Des Weiteren beeinflusst auch die geschlechtliche Zugehörigkeit und die erwünschte Behandlung die situative Arbeitsperformanz. Auch wenn nicht generalisierbar, so erzählte mir Andréa, dass die Depiladoras etwa beim Intimwaxing von Männern darum bemüht waren, alle weiteren Formen des emotionalen Austausches auf ein Minimum zu reduzieren. Einerseits sei es normal, dass bei einem Intimwaxing durch die Intimität der Berührungen (und durch das heiße Wachs und andere sensitive Intensitäten wie Geruch und Musik unterstützt) und trotz der Sterilität und Unpersönlichkeit von physischer Umgebung und Arbeitskleidung der Depiladora, Erektionen stimuliert würden (Erregungen können, so Andréa, aber auch bei Frauen

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passieren). Deshalb wolle man den Kunden nicht zusätzlich über das eigene Verhalten kompromittieren.38 Andererseits erzählten mir fast alle Depiladoras, dass sie entweder am Telefon oder sogar in der Kabine schon einmal mit einem Mann konfrontiert waren, der die Behandlung mit dem Ziel einer sexuellen Dienstleistung verknüpfte. Da sie Brasilianerinnen waren und mit einem Branding der Dienstleistung als ‚brasilianisch‘ warben, materialisierten sich in derlei Situationen stereotype Vorstellungen, wie sie im Repräsentationsregime über die ‚Brasilianern‘ verankert sind (vgl. Kapitel 4). Andréa erzählte mir hierzu: „Manche Männer sind pervers, manche sind SCHWEINE. Es gibt viele, nun, sehr komische Leute [engraçadinhos] – also Männer, klar! –, die rufen hier an und denken, es ist ein PUFF oder ein Massagehaus. Wenn du Männern nur den Hauch einer Chance lässt, dann .. ne. Aber wenn die sehen, dass du eine ernsthafte Person bis, dass du professionell bist, dann kannst du ihnen ganz schnell klarmachen, dass das hier anders läuft.“ (Andréa, 05.10.2012; Ü.: ML)

Nicht zuletzt bildet auch in solchen Situationen die semi-offene Struktur der Kabinen Schutz und eine gewisse Öffentlichkeit. Da diese Art Vorkommnisse vor allem von Studioleiterinnen der kleineren Studios bestätigt wurde, in denen es kaum Parallelbetrieb gibt, achten viele von ihnen darauf, dass sie vor allem männliche NeuKunden für Zeiten buchen, an denen weitere Personen anwesend sind, wie andere (wartende) Kundinnen, der Ehemann, eine Freundin oder Mitarbeiterin. Eine eher kühle, reduzierte Interaktion muss aus diesem Grund auch als generelle vorbeugende Maßnahme, einer solchen Anrufung seitens männlicher Kunden zu entgehen, gewertet werden. Doch egal welche der hier vorgestellten Strategien – in und über die Arbeitsperformanz verkörpert – adaptiert wurde, so galt dabei immer, die kundige Berührung beizubehalten. Wie insbesondere diese letzten Abschnitte andeuteten, ist die Arbeitsperformanz in den Studiokabinen nicht allein in Bezug auf die gefühlte Interaktion und

38 So wird in der Mehrheit der studiointernen Ausbildungen auch darauf geachtet, die angehenden Depiladoras auf genau diese Vorkommnisse vorzubereiten und sie mit konkreten Arbeits- und Verhaltensprotokollen auszustatten. Für viele der Interviewpartnerinnen stellte dabei genau die Kompetenz, mit diesen Vorkommnissen, wie auch den anderen negativen Aspekten der intimen Arbeit wie oben geschildert, klarzukommen und dabei immer noch Freude daran zu haben, den entscheidenden Punkt dar, ob man für diese Arbeit geeignet sei oder nicht. „Dir muss diese Arbeit schon Spaß machen, weil du hier alles Mögliche sehen wirst. Denn es gibt Situationen bei dieser Arbeit, die nicht normal sind. Also entweder magst du die Arbeit, oder du lässt es lieber ganz bleiben.” (Andréa, 06.10.2012, Ü.: ML).

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damit verbundene Affektkontrollen und emotionale Arbeit im Bemühen um Professionalität und Vertrauen zu verstehen, sondern auch in Bezug auf Positionalitäten und soziale bzw. sozio-kulturelle Zugehörigkeiten und Differenzierungsarbeit der Interagierenden zu untersuchen, sowie in Bezug auf in Repräsentationsregimen verankerte Vorstellungen, in die die Akteure sowie die Praktik eingebunden sind. Im Folgenden soll daher die Betrachtung um diese Aspekte erweitert werden. Die in der Kabine stattfindenden Berührungen und Begegnungen zwischen Kundin und Depiladora werden hierbei nicht zuletzt in den kommerzialisierten Rahmen von Körperpflegearbeit allgemein und damit in das Arbeitsverhältnis zwischen Dienstleistender und Dienstempfangender verortet und als solches auch von den Depiladoras/Studioleiterinnen verstanden. Leni sagte mir scherzend auf meine Nachfrage, warum sie sich so sehr um ein inniges Verhältnis zu ihren Kundinnen bemühte: „Ich brauche das Geld [lachend]. Nein, also, die Kunden müssen das Gefühl haben, dass sie besonders sind, und das habe ich mit meinen Stammkunden erreicht, die jedes Jahr mehr werden. Ich habe dieses Jahr 20 Prozent Wachstum im Verhältnis zum letzten Jahr gehabt, und das ist viel für einen Unternehmer.“ (17.09.2012)

6.3 Z USAMMENFÜHRUNG : V ERKÖRPERTE W ISSENSHOHEIT IM ARBEITSVERHÄLTNIS ZWISCHEN K UNDIN UND D EPILADORA/S TUDIOLEITERIN Lenis zuletzt zitierte Aussage, auch wenn im Scherz geäußert, deutet auf ein ambivalentes Verhältnis von emotional-empathischem und kommerzialisiertem Austausch zwischen den in den Studios aufeinander treffenden Frauen. Ein solches ambivalentes Verhältnis sei vielen Pflege- und Fürsorgearbeitskontexten eigen, so Viviana Zelizer. Sie seien lange Zeit als „hostile worlds“, als sich einander ausschließende Sphären, verhandelt worden: Der über seine Monetarisierung objektivierte Austausch, der einer Marktlogik und damit einer rationalisierten Effektivität unterliege, stünde im Widerspruch zu einer mit Gefühlen, Solidarität und Empathie verbundenen Intimität, die zudem subjektiv geprägt sei (Zelizer 2005: 5). Obwohl kosmetische Dienstleistungen bisher kaum im Kontext von Pflege- und Fürsorgearbeiten untersucht wurden, habe ich über die obige Diskussion zu zeigen gesucht, dass Waxing ähnlich anderer Kosmetikpraktiken, sobald es an Dritte abgegeben wird, als Körperpflegearbeit auch eine fürsorgende Dimension aufweist. Waxing ist ähnlich anderer kosmetischen Dienstleistungen durchzogen von einer Intimität, die vielschichtig, weil physisch-körperlich, körperlich-affektiv und psychisch-emotional zugleich ist. Waxing wird aber auch durchzogen vom sozialen Kontext, in den die Praktik und die Interagierenden eingebunden sind, wie sie auch auf diesen zu-

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rückwirkt: „Intimacy as a material, affective, psychological, and embodied state“, so schreiben Eileen Boris und Raquhel Parreñas, „occurs in a social context, it is accordingly shaped by, even as it shapes, relations of race, class, gender, and sexuality“ (Boris/Parreñas 2010: 1). Eben aufgrund dieser intimen, fürsorgenden Dimension, so soll im Folgenden gezeigt werden, weist Waxing teils ähnliche Dynamiken wie andere Pflege- und Fürsorgearbeiten auf, unterscheidet sich jedoch auch erheblich von diesen. 6.3.1 Positionierungspraktiken in der Kabine zwischen globalen Stereotypen, normativen Idealen, ‚deutschen‘ Ansprüchen und darüber hinaus Schönheitssalons werden gemeinhin als vergeschlechtlichte Orte verstanden, an denen sich fragile Solidaritäten oder gar Freundschaften unter Frauen bilden. Diese Bindungen, so die Soziologin Debra L. Gimlin in ihren Studien zu Körperarbeit in US-amerikanischen Schönheitssalons, würden jedoch in erster Linie auf Seiten der Dienstleistenden angestrebt, die sich im Bemühen um das Wohlbefinden ihrer Kundinnen als Freundin, Vertraute und Therapeutin verstünden (Gimlin 2001: 27; vgl. auch Kang 2010: 4). Von der Intimität der körperlichen Berührungen wird hierbei oft eine emotionale Intimität abgeleitet, die sich aus ersterer generiere und über die sich die Dienstleistende um ein freundschaftliches Verhältnis zur Dienstempfangenden bemühe. Allerdings, so Gimlin weiter, würde diese Rolle von Seiten der Kundinnen hinterfragt, was sie in erster Linie den unterschiedlichen Klassenpositionen der beiden Akteure zuschreibt. Schönheitssalons, so Gimlin, seien daher Orte, an denen die unterschiedlichen Klassenpositionen von Dienstleistender und Dienstempfangender verwischt oder verstärkt, im intimen Austausch jedoch (neu) verhandelt würden (ebd.: 18f). Auch in Waxing Studios betonten Depiladoras mir gegenüber, dass sie vor allem zu Stammkundinnen ein freundschaftliches Verhältnis suchten. Doch handelt es sich hierbei nicht um ein reziprokes Verhältnis, wie ich oben gezeigt habe. Als solches ist es aber auch nicht von den Depiladoras verstanden oder gar anvisiert. Vielmehr zeigten sich die Interviewpartnerinnen bewusst, dass gerade diese fürsorgende Dimension, die über die körperliche Pflegearbeit hinausgeht, einen ganz speziellen „Pluspunkt“ (Leni) darstellt. Sie bindet die Kundin einerseits emotional an die Depiladora und wirkt sich andererseits auch auf das körperliche Empfinden der Behandlung selbst aus: Schmerz wird beeinflusst und ein Wohlgefühl generiert. Es handelt sich seitens der Depiladora also um eine bewusste Verortung dieser ‚Freundschaften‘ in den kommerzialisierten Austausch, ohne dass Empathie und Interesse für die Kundin hierbei als strategisch-angelegte, rationale Wertschöpfungsarbeit zur eigenen Gewinnmaximierung zu verstehen sind. Wiede-

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rum wurde seitens einiger Stammkundinnen die Wichtigkeit der fürsorgenden Dimension weitestgehend bestätigt. Aber die Depiladoras wurden von ihnen nie als „Freundin“ bezeichnet. Eine über die Körperarbeit hinausreichende Fürsorge bildete für viele vielmehr einen indirekten Bestandteil der Dienstleistung selbst (im Sinne einer ‚verhätschelnden Arbeit‘, nach Kang 2010), und wurde vor allem dann Gegenstand der Kritik, wenn sie ausblieb, wie oben gezeigt. In diesem Sinne kann weder davon ausgegangen werden, dass die vielschichtige intime Arbeit und der dabei stattfindende Austausch – emotional wie kommerzialisiert – in den Kabinen einer ‚reinen‘ Marktlogik untersteht, noch dass er von den involvierten Akteuren mit einer Art freundschaftlichem Dienst aus Zuneigung verwechselt wird (Zelizer 2005: 182). Beide Akteure sind sich dessen bewusst, nehmen jedoch den momentanen, situativen Eindruck als bereichernd wahr oder bemängeln entsprechend sein Fehlen. Während Kundinnen den erholenden Effekt der leichten Gesprächsthemen oder der betreuenden Anteilnahme der Depiladoras an ihren Problemen und Freuden hervorhoben (und dieser Effekt den Depiladoras wiederum bewusst war), betonten die Depiladoras auch ihre beratende Rolle in Schönheits- und Körper(pflege)Angelegenheiten (die von Körperhygienepraktiken bis hin zu sexuellen Fragen reichten). Dabei gehören an die Kundin vermitteltes Wissen und Ratschläge jedoch nicht zu einer Strategie der Depiladora, sich um Professionalität zu bemühen, über die die unterschiedlichen Klassenpositionen beider Frauen in ihrem Alltag aufgeweicht werden sollen. Professionalisierungsstrategien und die Arbeitsperformanz selbst sollten in erster Linie ein Vertrauen in das eigene Handwerk evozieren. Dies war in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Erstens handelte es sich bei Waxing um einen neue Branche, für die es in den ersten Jahren noch keine Standards in Deutschland gab, an denen die Kundinnen die Qualität der Arbeit abgleichen konnten. Die als ‚brasilianisch‘ bekannte ‚spanische Methode‘, die in den meisten Waxing Studios angeboten wird und aufgrund des direkten körperlichen Auftragens und Abziehens vor allem für die Intimenthaarung verwendet wird, war bis zum Abschluss meiner empirischen Erhebung 2013 kein Bestandteil einer Kosmetikausbildung. Auch gibt es für die Arbeit als Depiladora keinen eigenen offiziellen Berufsstatus. Vertrauen, hergestellt über eine Professionalität in der Arbeit und unter Beweisstellung des eigenen Wissens und der eigenen Empathiefähigkeit, war somit in erster Linie an eine Kommunikation der Interagierenden gebunden – körperlicher wie eben auch verbaler Art. Dies fand hier über eine Positionierung der Depiladora als Expertin auf dem Gebiet der Körperpflege- und Schönheitsarbeit statt. Diese Kommunikation ist allerdings eine gebrochene, da sie zwischen Frauen stattfindet, die unterschiedlichen und zueinander hierarchisierten sozialen Zugehörigkeitsregimen angehören. Trotzdem bietet die Kabine als Begegnungsort zweier Frauen, die aufgrund dieser Zugehörigkeiten in ihrem Alltag eher selten näher aufeinandertreffen, die Möglichkeit eines Zurechtrückens von Alteritätszuweisungen auf beiden Seiten. Über die von den Depiladoras einge-

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setzten Professionalitätsstrategien, die sich eben an vermeintlich ‚deutschen‘ Standards orientieren, aber auch als ‚selbstverständlich brasilianische‘ präsentiert werden, vermitteln die Frauen ein ‚modernes Bild‘ über die verAnderte Frau 39 – über die sonst ‚rückständige Ausländerin‘, als die die Frauen sonst so oft angerufen werden, wenn sie sich nicht als Brasilianerin markieren. Dieses ‚moderne Bild‘ zeichnet die Frauen daher zugleich als potentielle Freundinnen, weil in sozio-kultureller Hinsicht gleich auf mit den ‚Deutschen‘. Mehr noch: Erst über die Vertrauensgenerierung in das eigene handwerkliche Geschick, die Zeichnung eines modernen Bildes der eigenen kulturellen Gewohnheiten und Praktiken sowie der Verkörperung eines sich auch im Westen globalisierenden Körperbildes ist es den Depiladoras sogar möglich, die ‚deutschen Frauen‘ zu beraten, fast zu erziehen. Denn diese, so reflektierten die Alteritätsnarrative, würden ein Desiderat in punkto Hygiene, Weiblichkeit und modernem Körperempfinden aufweisen. Beratende oder gar erziehende Positionen, so zeigten vorherige Kapitel über die Arbeitstrajektorien der Frauen, waren aber eigentlich verAnderten Frauen nicht zugestanden, wurden also erst in einem vermeintlichen freundschaftlichen Verhältnis, nicht aber in einem eigentlichen Arbeitsverhältnis möglich. Zweitens war das Schaffen von Vertrauen in das Handwerk des Waxing nötig, weil das an die Praktik gebundene Körperbild in der Öffentlichkeit bereits von einer Kontroverse besetzt war. Depiladoras verstanden sich deshalb auch als ‚Verbündete‘ ihrer Kundinnen. Die ursprünglichen Alteritätsnarrative über unkultivierte, unzeitgemäße, ‚unweibliche‘ und daher eben auch ‚unzivilisierte‘ körperliche Erscheinungen ‚deutscher‘ Frauen wurden unter Rekurs auf ein eigenes und kulturell verortetes Körperempfinden und ein sich global etablierendes Körperideal umgewandelt in lokal verortete, affirmative Verteidigungsnarrative einer kultivierten, modernen, hygienischen und nicht zuletzt selbstbewusst-femininen Körperlichkeit – narrative Figuren, die auch die Kundinnen mit einem Vokabular ausstatteten, über die sie sich in Bezug auf die Kontroversen von Haarentfernung gegenüber sich selbst oder anderen positionieren konnten. Dieses Vokabular war eben nicht darauf ausgerichtet „[to] explain their failure to accomplish ideal beauty and thus serve to neutralize the flawed identity that an imperfect body implies in Western society“, wie es Gimlin etwa beschrieb (Gimlin 2001: 15). Anders als die Ausrichtung auf die Erklärung eines eigenen fehlerhaften Körpers (also einer negativen Verteidigungsstrategie) ist es vielmehr die Schulung in einem Vokabular, das sich darauf konzentriert, die erlangten Gewinne und Vorteile

39 Ähnliches wurde bereits in Bezug auf verräumlichte Professionalisierungsstrategien angesprochen, wo die Erfüllung vermeintlich ‚deutscher‘ Hygienestandards in den Kabinen auch mit einem alterisierenden Bild eines rückständigen, weil ethnisch markierten Geschäftes gebrochen wurde, vgl. Kapitel 6.2.1.

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des eigenen – haarlosen – Körpers zu erkennen und anderen auch so zu kommunizieren (also eine positive Verteidigungsstrategie, die sich auf eine – auch wenn trivial zu erreichende und deshalb anderen ebenfalls mögliche – Besonderheit und nicht auf eine Fehlerhaftigkeit konzentriert). Nicht zuletzt sicherte dies den Studios nicht nur ‚alte‘ Kundinnen, sondern wurde von eben diesen über Mundpropaganda als wichtigster Werbung in eigener Sache an andere Frauen weitergetragen. So erweiterte sich der Kund/innenkreis kontinuierlich, indem die eine Kundin mal von einer Freundin, „die neugierig geworden ist“ (Elisabeth*), begleitet wurde, mal eine Nachbarin „nun auch mal vorbeischauen wollte“ (Manuela*). Unterstützend für eine Positionierung als Expertin war hierbei eine taktische Bezugnahme auf stereotype Vorstellungen über die ‚Brasilianerin‘, welche die Frauen über ein nuanciertes, intendiertes doing gender/doing ethnicity (Lutz 2007: 40; Lan 2003) partiell zu verkörpern suchten und mit eigenen bedeutungsgebenden Praktiken anreicherten. Die Vorstellung einer ‚Brasilianerin‘ als vermeintliche Expertin für Schönheit und Körperpflege, und hierbei allen voran eben auch Waxing, musste dabei auch durch die eigene körperliche Erscheinung und Körperlichkeit affirmiert werden. Unterwandert und gebrochen wurde diese Positionierung allerdings durch eine trotzdem wirkmächtige Anrufung als Migrantin und damit ‚Ausländerin‘, was die Angelegenheit noch komplexer, teils widersprüchlicher macht: Denn genauso, wie die Frauen sich in ihrer Körperlichkeit als Expertinnen positionierten, erfuhren sie die Anrufung als Migrantin und Ausländerin über ihre miteinander verflochtenen (zugewiesenen) Mehrfach-Un-Zugehörigkeiten (der Intersektionalität von Geschlecht, ‚Rasse‘, Nationalität, Klasse). Eine Anrufung als Migrantin und ‚Ausländerin‘ ist dabei eben auch eine Praktik der Inferiorisierung. Diese kannten die Frauen bereits aus anderen Arbeitskontexten, hatten sie also am eigenen Leib erfahren, wie in Kapitel 4 gezeigt wurde. Eine solche Inferiorisierung ist (neben der hier wirkmächtigen, in einer Rassifizierung geäußerten kolonialen Differenz) in Bezug auf das Geschäft auch deshalb problematisch, da es beim Waxing nicht einfach nur um die Herstellung eines ‚Looks‘ geht: Waxing überschreitet die Grenzen des Körperlichen, die über die Haut scheinbar gesetzt werden. Dieses Eindringen und Überschreiten intimer Grenzbereiche beim Waxing gibt der Praktik auch eine medikalisierende Komponente. Andréa stellte mir gegenüber sogar folgenden Vergleich an: „Wir sind beinahe Mediziner, fast wie ein Arzt”. Nicht nur der damit implizierte Verweis auf das hohe Maß von Expertise in dieser sehr intimen Angelegenheit ist auffallend, sondern auch das medizinische Vokabular, mit dem die Körperarbeit in der Regel versehen ist: Die Frauen sprachen selbst in auf Portugiesisch geführten Interviews von „Behandlungen“ und betonten, wie oben gezeigt, immer wieder die Relevanz des Wissens über die biologische Beschaffenheit des Körperhaares, der unterschiedlichen Hauttypen und -formen. Diese medikalisierende Dimension ist, drittens, auch ein Grund, warum Vertrauensstiftung in das eigene Handwerk so wichtig für den Erfolg des Ge-

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schäftes war, das aber zugleich so sehr von den sozialen Positionierungen der Interagierenden gezeichnet ist. Denn von emotionalen/affektiven und sexuellen Beziehungen abgesehen, ist eine intime körperliche Interaktion unter Erwachsenen generell ausschließlich medizinischen oder Pflegekontexten vorbehalten, bei dem auf der einen Seite die umsorgte Person in Bezug auf ihre Behandlung hilfsbedürftig ist, und auf der anderen Seite der behandelnden Person ein hohes Maß an Professionalität zugeschrieben wird. Im Falle von Waxing ist die behandelnde Person in der Regel jedoch keine formal zertifizierte Professionelle, sondern – im besten Fall – eine ausgebildete Kosmetikerin. Darüber hinaus ist wiederum die behandelte Person weder krank, unmündig oder in anderer Form verhindert. Sie könnte die erhaltene Körperarbeit eigentlich auch selbst an sich vornehmen. Sie bezieht in der Regel vielmehr eine soziale Position, die es ihr ermöglicht, für die erhaltene Dienstleistung zu bezahlen. Die meisten Kundinnen gehörten laut Studioinhaberinnen lange der gleichen sozialen Schicht an, wie zuvor ihre Arbeitgeberinnen im Rahmen von Haushalts- und Betreuungsaufgaben. So ist das Verhältnis unter Kundinnen und Depiladora im Waxing Salon in Bezug auf die sozialen wie wirtschaftlichen Positionierungen der beiden im Vergleich zu dem von Andréa erwähnten Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein beinahe umgekehrtes. Das Studio wird so nicht nur zum Aushandlungsort von sozialen Differenzen und Zugehörigkeiten, wie es für Schönheitsstudios allgemein in anderen Studien festgestellt wurde (Gimlin 2001: 11). Wie auch in Bezug auf Körperbilder und Schönheitsideale herausgestellt wurde, wird die Differenzierungsachse klassenbezogener Zugehörigkeit im Arbeitsverhältnis zwischen Depiladora und Kundin in den Waxing Studios eben gerade aufgrund der Positionierung als ‚Brasilianerin‘ und Anrufung als ‚Ausländerin‘ auch durch die Achsen ethnischer und kultureller Differenz bzw. deren performativer Herstellung in den Studios gebrochen (Kang 2010: 16f). Ethnisierende Praktiken wirken hierbei in zweierlei Richtung: Zum einen ist eine Ethnisierung eng gekoppelt an eine kulturelle Legitimierung der Expertise der Dienstleistenden und damit wiederum eng gekoppelt an das in der verAnderten Frau verortete und von ihr verkörperte Wissen. Dieses Wissen und daran geknüpfte ethnisierende wie de-ethnisierende Professionalitätsstrategien avancieren zum vermittelnden Element im sozialen Gefälle zwischen Dienstleistender und Dienstempfangender sowie zwischen der sozio-kulturellen Differenz als ‚Deutsche‘ und als ‚Ausländerin‘. Andererseits bedeutete das Zulassen einer Berührung und Modellierung des eigenen Körpers durch eine fremde Frau zugleich die Enthüllung nicht nur des eigenen Körpers, sondern auch ein Sich-Anvertrauen der eigenen intimen Derivate. Daher ermöglichen ethnisierende Praktiken, ähnlich wie in anderen Pflege- und Fürsorgekontexten, die Delegierung von Tätigkeiten, die mit Schmutz, Schamgefühlen und affektiver Ablehnung verbunden sind, an andere Personen; über eine VerAnderung der Dienstleistenden fällt hierbei das damit verbundene Eingeständnis eines eigenen derivativen Körpers für den Moment der Interaktion

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weniger ins Gewicht als wäre diese ‚gleich-auf‘ (vgl. hierfür auch Lan 2003). Ist jedoch daher die verrichtete Arbeit in den (Brazilian) Waxing Studios einmal mehr eine Delegierung ‚schmutziger Arbeit‘ an die ‚andere Frau‘? 6.3.2 ‚Doing the dirty work‘ reloaded?40 Alte/neue Dynamiken ethnisierter vergeschlechtlichter Arbeitsperformanz Die Referenz auf Bridget Andersons Diskussion über die Verrichtung „schmutziger Arbeit“ durch sozial wie ethnisch-rassifiziert verAnderte Frauen ist keine ungefähre. Anderson, wie andere Forscherinnen vor und nach ihr, haben für den Globalen Norden festgestellt, dass die Delegierung von feminisierten, unbezahlten und gesellschaftlich als ‚Arbeit‘ lange unsichtbar verbliebenen Tätigkeiten an verAnderte Frauen lange Zeit ein rassifizierter Ausweg aus dem Konflikt um Geschlechterregime in der Arbeitsverteilung, insbesondere die (‚private‘) Haus- und Fürsorgearbeit betreffend, war (vgl. Anderson 2000; Lutz 2007 und Gutiérrez Rodríguez 2010b für den deutschen Kontext). Da Migrantinnen und women of colour die umstrittene „zweite Schicht“ (Hochschild/Machung 1988 [2003]) von weißen Frauen der Mittelschicht übernahmen, sei es letzteren möglich geworden, sich weitestgehend erfolgreich in dem formellen, dominanten Arbeitsmarkt einzuschreiben (zur Kontroverse im deutschen Kontext siehe Kapitel 2). Auch wenn, wie im deutschen Kontext, eine direkte Kausalität dieser beiden Sachverhalte von einigen als zu undifferenziert betrachtet wird (z.B. BednarzBraun/Hess-Meining 2004), so ist eine Ethnisierung dieser feminisierten Arbeitsbereiche und eine damit zusammenhängende Rassifizierung der Ausführenden auch in Deutschland nicht mehr von der Hand zu weisen (Westphal 1996; Gutiérrez Rodríguez 2010b). Das habe ich auch für diese Studie anhand der Arbeitstrajektorien der Forschungsteilnehmerinnen aufgezeigt. Eine Ethnisierung (zunehmend) feminisierter Tätigkeiten wurde hierbei nicht nur in Bezug auf im ‚Privaten‘ verortete Arbeiten konstatiert, sondern insgesamt für den sich ausdifferenzierenden und beständig anwachsenden Dienstleistungsbereich in den globalen Städten des Nordens beobachtet (Brush 1999; Agustín 2003; Varela do Mar Castro 2003; Sassen 2000). Anderson, Glenn, Gutiérrez Rodríguez und andere führen diese Entwicklung auf eine noch immer wirkmächtige Kolonialität von Arbeit (vgl. Kapitel 2) zurück, die auch in ihrer historischen Verankerung kolonialer und feudaler Vergangenheit zu verstehen sei. Die Kolonialität manifestiert sich im Zusammenspiel von Alternativlosigkeit, Arbeitsbedingungen und (erwartete) Arbeitsperformanz, denen sich die Arbeiterinnen gegenübersehen: So handelt es sich bei diesen Tätigkeiten um solche, die von der jeweiligen Dominanzgesellschaft oftmals verschmäht werden, da sie

40 Zitiert nach dem Buchtitel von Bridget Anderson (2000).

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aufgrund ihrer gesellschaftlichen Abqualifizierung als ‚unqualifiziert‘, ‚einfach‘ und ‚unproduktiv‘ kategorisiert werden, schlecht bezahlt und körperlich wie emotional anstrengend sind, die Arbeiter/innen oftmals der Willkür des/der Vorgesetzten unterworfen sind (weil Arbeit und Arbeitsbedingungen oft nicht in den formalisierten Arbeitsmarkt und dessen Gesetzgebung eingegliedert sind) und den Arbeiter/innen darüber hinaus kaum berufliche Aufstiegschancen bereitgehalten werden. ‚Schmutzig‘ werden diese Arbeiten dabei über eine sozio-kulturelle Zuweisung affektiver Erscheinungen wie Ekel und Scham, die diese Tätigkeiten zugleich im Bereich gesellschaftlicher Ablehnung verorten. Diese Ablehnung, so Gutiérrez Rodríguez, habe auch ihre geschichtliche Verbindung (die Zuweisung dieser Arbeit an sozial wie kulturell verAnderte Person lässt sich etwa für feudale und koloniale Kontexte nachzeichnen). Sie wird jedoch doppelt manifest über die Personen, denen diese Arbeiten im Heute zugewiesen sind, da auch diese (mehrheits)gesellschaftlich abgelehnt werden (Gutiérrez Rodríguez 2010b). Die Alternativlosigkeit ist wiederum den miteinander verflochtenen Migrations-, Arbeits- und Geschlechterregimen geschuldet, in denen die Frauen subjektiviert werden. Als ‚schmutzig‘ werden diese Arbeiten aber auch aufgrund der Materialität kodiert, über die die Arbeit performt wird: Es handelt sich bei diesen Arbeiten in der Regel um körperintensive Dienstleistungen. Körperintensiv meint hierbei sowohl eine hohe körperlich-physische wie körperlich-affektive Investition in die Arbeit, die auch häufig in Bezug auf einen bzw. an einem anderen Körper verrichtet wird. Auch aufgrund dieser zweifachen körperlichen Dimension der Arbeit sieht Gutiérrez Rodríguez den geminderten Wert, dem diese Arbeit zugeschrieben wird. Denn dieser sei „mit den vergeschlechtlichten Vermächtnissen verbunden, die in einem hierarchischen epistemologischen System ihren Ausdruck finden, das Rationalität begünstigt und körperliche, emotionale und nachhaltige Fähigkeiten diskreditiert“ (2011: o.A.). Lisa Brush summiert diese Tätigkeitsbereiche daher unter die Bezeichnung „high touch“, denen die mit (hoher) Qualifikation, Komplexität und Professionalität kategorisierten Dienstleistungstätigkeiten, als „high tech“ von Brush bezeichnet, gegenüberstünden (Brush 1999: 162). Letztere sind dabei weder als feminisiert-/ethnisiert, dafür jedoch als unmarkiert weiß und maskulinisiert kodiert. Diese sozio-kulturelle Kodifizierung von körper-, emotions- und affektintensiver Dienstleistungsarbeit bestärkt, unter cartesianischer dualistischer Logik betrachtet, nicht nur eine Vergeschlechtlichung von Berührung und Ekel, sondern bedeutet darüber hinaus auch eine vergeschlechtlichte Ethnisierung beider (vgl. auch Gutiérrez Rodríguez 2010b). Stereotype Repräsentationsregime untermauern die Zuweisungen von verAnderten Frauen in diese Arbeitsbereiche; sie naturalisieren und essentialisieren die den Frauen zugewiesenen Kompetenzen und blenden hierbei aus, dass diese auf ein Erfahrungswissen zurückgehen, die sie sich innerhalb der wirkmächtigen Zugehörigkeitsregime mit Mühe und oft ohne Alternativen angeeignet haben.

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In dieser durch eine miteinander verdichtete Feminisierung und Ethnisierung materialisierende Hierarchie globalisierter, postindustrieller Arbeitsbereiche verortet sich auch die in Kosmetikstudios performte Körperarbeit im unteren Bereich. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine vergeschlechtlichte, emotionale, körperliche und daher hochgradig intime Arbeit, die von Frauen an Frauen (und zunehmend auch an Männern) ausgeführt wird. Auch Kosmetikarbeit wird darüber hinaus immer mehr von verAnderten Frauen übernommen und hierbei ähnlich wie andere körperintensive Dienstleistungen durch Ethnisierungs-/Rassifizierungspraktiken und daran gekoppelte Klassenpositionierungen unter den Interagierenden geprägt (Kang 2010: 4). Nicht zuletzt werden hierdurch auch die koloniale (wie feudale, vgl. Lutz 2007) Vergangenheit in den gegenwärtigen sozio-kulturellen Dynamiken präsent. Ebenso wie andere Fürsorgearbeiten ist Kosmetikarbeit als Dienstleistung auch durch eine historische Kolonialität markiert (nicht nur ihr Ergebnis bzw. Körperbilder und Schönheitsideal, wie oben gezeigt). Wer wen berührt, bzw. wer an wem die Arbeit verrichtet und wer sie empfängt, ist hierbei nicht nur eine Frage vergeschlechtlichter Klassenbeziehungen und internationaler neoliberaler Arbeitsteilung in Zeiten einer intensivierten Globalisierung. Zieht man beispielsweise den brasilianischen kolonialen Kontext heran, so wird die rassifizierte Dimension von Körperdienstarbeit zwischen ‚Herrenhaus und Sklavenhütte‘ (Freyre 2003 [1933]) allein an der Figur der mucama deutlich, also der versklavten Schwarzen Amme und Kinderhüterin, die die Kinder des Herrenhauses bis in deren Erwachsenenalter umsorgte und ihre Körper formte. Neben der Figur des Arztes war sie eine der wenigen, die – schaut man auf das Verhältnis ‚unter Frauen‘ – Kenntnisse über die körperlichen Sorgen ihrer Herrin hatte, die den Körper ihrer Herrin ‚verhätschelte‘, schön und respektabel machte.41 Bis heute ist es nicht nur für postkoloniale Kontexte wie den brasilianischen noch immer ‚normal‘, dass weiße Frauen von Schwarzen Frauen in kosmetischen Körperpflegekontexten verhätschelt, selten aber Schwarze Frauen von weißen Frauen bedient werden. Das lässt sich weder auf allein ökonomische, noch allein rassifizierte Regime der Kolonialität zurückführen. Stattdessen müssen diese in ihrer Verschränkung und epistemischen Persistenz, die bis in die Gegenwart hineinwirken, gesehen werden. Im Kontext der Kolonialität von Arbeit, die Migrant/innen im Globalen Norden am eigenen Leib erleben, übersetzt sich auch diese epistemische Kodifizierung in trans-

41 „Trotzdem sie Sklave ist“, so zitiert Freyre den Schriftsteller Joaquim Manuel de Macedo, „ist sie für die sinha [Tochter des Hausherrn] doch mehr als der Beichtvater oder der Hausarzt: Denn der Beichtvater kennt lediglich ihre Seele und der Arzt, selbst bei den schlimmsten gesundheitlichen Veränderungen, kennt nur unvollständig ihren kranken Körper. Aber die mucama kennt ihre Seele wie der Beichtvater und ihren Körper mehr noch als der Arzt.“ (Freyre 2003 [1933]: 423).

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nationale Kontexte und prägt (sich in) die lokalen Bedingungen (vgl. hierfür Kang 2010 für den Fall von koreanischen Maniküre-Arbeiterinnen in New York). Für den konkreten Fall von brasilianischen Waxing Studios stellte sich daher die Frage, inwieweit sich die hier skizzierte (koloniale) Logik anderer Fürsorgearbeiten auch auf den Arbeitskontext in den Salons zuordnen lässt. Denn Waxing schien sich ähnlich wie, oberflächlich betrachtet, andere in Deutschland bereits ethnisierte Kosmetikbereiche („Thai-Massage-Studios“ oder von ‚Asiatinnen‘ dominierte „New York Nail Studios“) in diese Auffassung einzuordnen: Die körperliche wie affektive Dimension dieser intimen Arbeit, die sich gerade auf die Körpersubstanzen konzentriert, die als unrein, mit Ekel, Schmutz und Scham besetzt und animalisch kodiert und zugleich einer gesellschaftlichen Polemik ihres Für und Wider ausgesetzt sind, legt eine solche Einschätzung nahe. Dominiert wird diese Arbeit zudem noch immer von Frauen, die bereits in anderen Arbeitsbereichen mit diversen sozialen wie rassifizierenden VerAnderungspraktiken konfrontiert waren, die sie einerseits als ‚Ausländerinnen‘ positionierten, sich andererseits auch an stereotypen Vorstellungen der ‚Brasilianerin‘ ausrichteten, und darüber mit einer zusätzlichen Sexualisierung und Feminisierung der Frauen aufwarteten. Die nuancierte performative Affirmation stereotyper Vorstellungen in den Studios scheint die essentialierenden feminisierenden wie ethnisierenden Dynamiken obendrein zu untermauern und damit eine Kolonialität der Arbeit in den Studios zu unterstreichen. Doch wie ich im Verlauf dieses Kapitels zu zeigen gesucht habe, ist diese dualistische (auch wenn intersektional komplexe) Argumentation reduktionistisch. Sie ist nicht angemessen für die Vielschichtigkeit der Positionierungs-, Abgrenzungs- und Aushandlungspraktiken und darin verankerte Alteritätsvorstellungen in den Studios – und dies auf beiden Seiten, sowohl der der Depiladora als auch der der Kundin: Dies beginnt mit der Tatsache, dass sich brasilianische Migrantinnen den Bereich des Waxing in Berlin angeeignet haben. Waxing wurde als ‚kulturell‘ unmarkiert von einer Deutschen und einer Österreicherin eingeführt, die jedoch auf die Kompetenzen brasilianischer Depiladoras und Ausbilderinnen zählen mussten und aufgrund des raschen Erfolges sich zunächst auf die Affinität und Erfahrung mit der spezifischen Praxis sowie Vertrautheit mit körperintensiver Arbeit auf brasilianische Mitarbeiterinnen angewiesen sahen.42 Die unterschiedlichen Trajektorien, die die Brasilianerinnen dann zum eigenen Studio führten, wurden ausführlich nachgezeichnet (Kapitel 5). Die hierbei in allen Studios herausgestellte kulturelle Markierung als ‚brasilianisch‘, sowohl was die Praktik als auch das Ambiente, Körperlichkeiten wie Körperbilder und nicht zuletzt die Depiladoras selbst anbelangten, zeugt bereits von einer aktiv vorgenommenen Aneignungspraktik, auch wenn sich diese

42 Dies bestätigt sich auch durch den Umstand, dass die beiden ganz bewusst in von brasilianischen Migrantinnen konsumierten Medien gezielt Brasilianerinnen anwarben.

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nuanciert an dominanten Stereotypen und Imaginarien orientiert (um nicht zuletzt auch den Umsatz zu steigern). Aneignungspraktiken markieren auch die Arbeitsperformanz: Hierzu zählten verkörperte Professionalisierungsstrategien körperlicher wie emotionaler Art, in denen vor allem eine ‚eigene‘ kulturell kodierte Auffassung von Weiblichkeit beworben wurde, die sich sowohl vom (hyper-) sexualisiertem Stereotyp als auch von der defizitären Weiblichkeit der Deutschen abgrenzte, und damit auch die eigene Expertise im Arbeitssektor legitimierte. Anders als in Viktimisierungsdiskursen, die (zu Recht) in anderen rassifiziert-feminisierten Bereichen der körperintensiven Dienstleistungsarbeit geführt werden, zeigen die in dieser Arbeit vorgestellten Aneignungs- und Positionierungspraktiken einen zwar vorgegebenen, jedoch aushandelbaren Aktionsrahmen, in denen die Frauen die Gestaltung ihres Arbeitsbereiches in großen Maße (mit)bestimmbar sahen. Auch der Arbeitsaufnahme in einem Waxing Studio oder gar der Eröffnung eines eigenen Studios war schon eine von den Frauen getroffene Entscheidung vorausgegangen. Diese Einschätzung muss auch in Bezug auf die Einbettung ihrer Arbeit als Depiladora in den Migrations- und Arbeitstrajektorien der Frauen reflektiert werden. Nach der in der Migration erfahrenen Abqualifizierung ihrer beruflichen Kenntnisse und formalen Ausbildungen hatten viele, auch wenn nicht alle, zunächst in einem der Bereiche körperintensiver Tätigkeiten (‚schmutziger Arbeit‘) gearbeitet. Obwohl ihnen über feminisierende und rassifizierende VerAnderungspraktiken für diese Bereiche oftmals eine naturalisierte Expertise zugeschrieben wurde, erlebten sie in der Praxis oftmals eine Bevormundung und Zurechtweisung durch ihre Vorgesetzten. Diese hatten sich in vielfältigen Weisen manifestiert, angefangen bei ihren vermeintlich unzulänglichen Sprachkenntnissen, worüber sie als „dumm“ (Silvana H.) markiert wurden, über Vorführungen der „richtigen“ Ausführung der doch eigentlich scheinbar ‚einfachen‘, unqualifizierten‘ Tätigkeiten, worüber sie als „noch rückständiger“ (Ana*) markiert wurden, bis hin zu einem Anzweifeln ihrer (selbst in Deutschland erlangten) Kompetenzen allgemein, weil sie „dunkelhäutig[er]“ seien, und deshalb ‚von Natur aus‘ unzulänglich für die Erfüllung ‚deutscher‘ Bedürfnisse und Arbeitsstandards (Lecylana; vgl. Kapitel 4). Als Depiladora hingegen ist ihre direkte Bezugsperson die Kundin, nicht die Vorgesetzte, auch wenn die Kundin letztendlich für die Dienstleistung zahlt. Doch liegt die Wissenshoheit in dieser Konstellation bei der Depiladora, legitimiert durch die in der Arbeitsperformanz verkörperten Aneignungs- und Professionalisierungsstrategien und unterstützt durch wirkmächtige Repräsentationsregime über die ‚Brasilianerin‘. In der Kabine sind sie es, die die Situation weitestgehend kontrollieren und beeinflussen können. Dies beginnt bei der oben erwähnten Diskretion, die sie jederzeit verletzen könnten, geht über schmerzlindernde Performativitäten körperlicher wie emotionaler Art bis hin zu Umfang und Bereitwilligkeit der Vermittlung ihrer kosmetischen Kenntnisse und allgemeiner Körperpflege-Ratschläge an die Kundin.

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Zugleich bot ihnen die Arbeit in den Studios vielfältige Möglichkeiten des Lernens, sowohl was die behandelnde Interaktion mit den Kundinnen betraf (und über die das eigene Körperwissen geschärft wurde: „tocando e conhecendo; tocando e aprendendo“ [berühren und kennenlernen; berühren und erlernen], Angelica), und technisches wie kosmetisches Wissen über die Behandlung und dankbar wahrgenommene Weiterbildungen im Kosmetikbereich umfasste. Zudem lernten die Frauen auch in Sachen Unternehmensführung und gewannen finanzielle, administrative und behördliche Kenntnisse hinzu. Der Neuheit der Branche geschuldet, waren sie es zudem, die die Prägung gewisser Standards in Bezug auf Studioführung und Arbeitsperformanz beeinflussten, bevor es zu einer formellen Etablierung einiger dieser durch übergeordnete Organe wie dem Gesundheitsamt kam. Andererseits wurden Bemühungen um all diese Aspekte auch mit Wertschätzung der Kund/innen honoriert und führten zu einem anwachsenden Kund/innenkreis. Zugleich waren aber auch Abgrenzungs- oder gar Verneinungspraktiken zu beobachten, die sich dem dienend-unterwürfigen Beigeschmack widersetzten und vor allem über die emotionale performative Dimension gegenüber den Kundinnen ausgedrückt wurden. Das geschah etwa dann, wenn die rein physische Arbeit nicht aber das verhätschelnde Beiwerk geleistet wurde. So entscheiden sie, welchen Kundinnen sie welche Form der Behandlung zuteil werden lassen. Eine emotionale Verneinung und damit Widerstreben gegen die Erwartungen ihres Gegenübers ist letztlich eine Form von Agency, auch wenn diese vor allem in kleinen Studio sicher nur mit begrenzter zeitlicher Dauer durchzuhalten ist. So waren sich die Frauen bewusst, dass unzufriedene Kund/innen einen Schneeballeffekt auslösen können, wie Marta* verdeutlichte: „Gott sei Dank kommen immer neue Leute. Diese Arbeit ist sehr von der Mundpropaganda abhängig. Und das wirkt sich auch auf unsere Arbeit aus. Denn du weißt: ein zufriedener Kunde bringt dir vielleicht einen neuen, aber ein unzufriedener Kunde nimmt dir mindestens gleich drei andere weg“ (Ü.: ML). Eben diese enge Beziehung zwischen Kundin und Depiladora, die über die Arbeitsperformanz der Depiladora geprägt wird, gestaltet sich auch das Arbeitsverhältnis zwischen Studioleiterin und Depiladora vielschichtig und bricht mit dualen Positionierungen von Vorgesetzter und Dienstarbeitender. Dies ist ebenso in anderen Tätigkeitsfeldern der ‚schmutzigen Arbeit‘ anzutreffen, wurde in Studien zum high touch Sektor jedoch bisher kaum berücksichtigt. So ist die Studioleiterin darauf angewiesen, Depiladoras zu finden, die ihr Konzept von Arbeitsperformanz und Arbeitsergebnis weitestgehend umsetzen, ohne dass sie jedoch „ihre Art“ völlig den Mitarbeiterinnen preisgeben können. Leni erklärte mir diese Gratwanderung wie folgt: „Ich frage die Kundin jedes Mal: ‚Und wie war Bianca [ihre Mitarbeiterin auf Zeit]?‘ -‚Ja, sie war gut.‘ Aber wenn du mit den Kunden allein bist und dann fragst du noch einmal, dann sagen sie: ‚Ja, aber sie arbeitet so und so.‘ Jeder arbeitet anders, jeder hat seine Art wie man

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arbeitet. Ich will ihr nicht beibringen, wie ich arbeite. .. Nein, das geht nicht. Ich habe mir so wie ich arbeite selbst beigebracht. Keine Lehrerin hat mir das beigebracht. Die zeigen dir, wie du den Spachtel hältst, worauf du achten musst, aber die andere Sachen musst du entwickeln, allein. Sie hat ihre Technik selbst entwickelt und ich habe meine, und es gibt Kunden die sagen: ‚Leni, ich mag wie du arbeitest‘. Aber insgesamt sind sie zufrieden mit ihr.“ (19.09.2012)

Die Weitergabe des eigenen Wissens, das oft den gewerblichen Erfolg ausgemacht hat (und bei vielen aufgrund ihres Zuspruchs als Depiladora sogar erst zum eigenen Studio geführt hatte), bedeutet immer zugleich, eine potentielle Konkurrentin aufzubauen. Das gilt gerade, weil aufgrund des Erfolgs der Branche der Markt noch nicht übersättigt war. Hinzu kommt, dass immer mehr Depiladoras sogar mit der Intention eine Ausbildung in einem Studio beginnen, sich nach ausreichend Berufserfahrung selbständig zu machen (weshalb andere Studioleiterinnen wie Silvana R. betonten, nur Frauen anzustellen, die erst kürzlich nach Deutschland gekommen und deren Netzwerke noch nicht zureichend ausgebildet waren, damit sie sich nach der Ausbildung sofort selbständig machten). So ist es auch keine Seltenheit, dass erfolgreiche Depiladoras, die sich innerhalb eines Studios eine eigene Stammkundschaft erarbeitet haben, mit diesen Kundinnen im Rücken ihr eigenes Studio eröffnen, das sich aufgrund der Nähe zu den Stammkundinnen meist auch noch in der Nähe zum alten Studio befindet. Aber auch für Depiladoras wie Andréa, die die abhängige Arbeit einer gewerblichen Selbständigkeit lange vorzogen, war die eigene Stammkundschaft eine taktische Ressource gegenüber der Arbeitgeberin: Um die Depiladora im Studio zu behalten, kommen Studioleiterinnen oft finanziell und arbeitszeitlich der Depiladora entgegen. Dies ist vor allem in Bezug auf die Kehrseite der Arbeit als Depiladora in einigen Waxing Studios wichtig, die sehr an ‚Dynamiken schmutziger Arbeitsverhältnisse‘ erinnern kann und betrifft zunächst die Arbeit des Waxing selbst: Neben ihrer emotionalen, affektiven und performativen Aspekte ist diese eben auch eine physische, sogar physisch harte Arbeit, die laut Andréa, würde man sie wie am Fließband ausführen, „trabalho de escravo“, Sklavenarbeit wäre. Über ihre Wertschätzung als Depiladora erklärte Andréa ihre verbesserte Stellung in den Studios, in denen sie bisher arbeitete, und damit verbundene Privilegien, etwa zu definieren, wie viele Stunden und in welcher Taktung sie behandelte. Hinzu kommt ein weitere Aspekt, den Waxing Studios mit anderen Formen des ethnisch-markierten wie nicht-markierten (klein- bzw. Familien-) Gewerbes, aber auch generell mit dem Schönheitsgewerbe, teilen: Wie in vielen Interviews immer wieder verhalten anklang, mussten Studioleiterinnen aufgrund der Saisonalität der Nachfrage und der vor allem zu Anfang recht schleppenden Etablierung eines neuen Studios sehr flexibel mit Arbeitszeiten (und Arbeitsverträgen) ihrer Mitarbeiterinnen verfahren. Ei-

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ne eigene gute Arbeitsperformanz und zufriedene Kundinnen können daher auch zu einem Druckmittel zur Formalisierung des Arbeitsverhältnisses werden. Die Wichtigkeit der Depiladora und ihrer Arbeitsperformanz für den Ruf des Studios insgesamt lässt sich auch in den Qype-Beiträgen und in meinen Gesprächen mit Kundinnen feststellen: Die Kundinnen kennen sie mit Namen, empfehlen sie Freundinnen weiter und bestehen bei Terminbuchungen auf eine Behandlung durch „ihre Depiladora“. Gerade da sich in den Studios die (situative) soziale Positionierung der Depiladoras gegenüber den Kundinnen über Professionalität und Vertrauen herstellt und mit Anerkennung verbunden ist, wird es den angestellten Depiladoras ebenfalls ein Stück weit möglich, sich in Bezug auf ihre Vorgesetzten zu positionieren. Dies ermöglicht auch ein gewisses Maß an Handlungsermächtigung. Doch können aufgrund des Erfolges der Waxing Branche, der sich in einem beständigem Anwachsen, in der Diversifizierung und Differenzierung des Sektors reflektiert, neue Dynamiken beobachtet werden, die die hier angesprochenen Möglichkeiten der Gestaltbarkeit der Arbeitsperformanz und Agency auf Seiten der Depiladora wie Studioleiterinnen immer mehr beeinflussen, sogar beschneiden können. 6.3.3 Abseits der Kabine: Neue Herausforderungen und Aushandlungsorte im Übergang zum urbanen Mainstream Die in dieser Arbeit vorgestellten Depiladoras und Leiterinnen von Waxing Studios sahen sich in den letzten Jahren neuen Herausforderungen gegenüber, die erwachsen, wenn eine zunächst neue Branche aus ihren Kinderschuhen heraustritt und sich im Mainstream etabliert. Diese Veränderungen beziehen sich auf ihre Kundinnen, auf die anwachsende Konkurrenz, auf die Beibehaltung eines ‚guten Rufes‘ und der eigenen Besonderheit im immer stärker anwachsenden und sich diversifizierenden Sektor. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist, dass – anders als im Falle von anderen Dienstleistungskontexten vermeintlich ‚schmutziger Arbeit‘ wie auch im Gegensatz zu Kategorisierungen sonstiger ethnischer/ethnisierter Gewerbesektoren – die Waxing Branche aufgrund ihres augenscheinlichen wirtschaftlichen Erfolges und der Popularität des umworbenen Ergebnisses eines haarlosen Körpers ein attraktives Unternehmens- und Arbeitsfeld für ‚deutsche‘ und andere ethnisch unmarkierte Frauen (und als Unternehmensmodell auch für Männer) geworden ist. Eben dieser Aspekt bricht erheblich mit der für ethnisierte wie rassifizierte Fürsorge- und Gewerbeformen konstatierten Dynamik, der zufolge sich ‚deutsche‘ bzw. dominanzgesellschaftliche Arbeiter/innen und Unternehmer/innen aus dem jeweiligen Tätigkeitsfeld zurückziehen und dieses verAnderten Arbeiter/innen bzw. Unternehmer/innen überlassen oder es ihnen gar zuweisen. Auch muss an dieser Stelle einmal mehr auf die Besonderheit verwiesen werden, dass Waxing Studios für die dort arbeitenden Frauen Dienstleistungsarbeit intimster Form der Fürsorge und gewerb-

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liches Unternehmen zugleich sind, die sich an ein mehrheitsgesellschaftliches Publikum richten. Wie diese Aspekte auf die genannten Veränderungen konkret Einfluss nehmen, wird im Folgenden detaillierter beschrieben. Mit der Etablierung als für viele Kundinnen zur Routine gewordene Kosmetikdienstleistung hat sich bei diesen Kundinnen zunächst einmal eine Vertrautheit mit Technik und Prozedere aufgebaut. Sie haben sich damit auch implizites Wissen darüber angeeignet, wie die Behandlung ‚richtig‘ (speziell an ihrem Körper) auszuführen sei. Dies betrifft sowohl die technische Seite (Wachstemperatur, Geschwindigkeit des Abreißens, Druck der Berührung etc.) als auch die damit eng verbundene performative Seite (hat die Depiladora die Temperatur des Wachses an der Kundin getestet, hat sie nach dem Schmerzempfinden gefragt, wie ist sie gelaunt, welche Schritte erklärt sie und welche nicht etc.). Internet-Foren und Waxing-Blogs (wie waxsisters), die von „Waxing-Fans“ ins Leben gerufen und frequentiert werden, sowie eine beständige Berichterstattung in Lifestyle-Magazinen komplementieren dieses körperlich über die Zeit erlangte implizite Wissen der Kundinnen. Zugleich bilden diese medialen Orte sowie Online-Foren aufgrund der neuen Interaktivität, die das worldwideweb erlaubt, auch Gelegenheit, die eigenen Erfahrungen und das eigene Wissen mit anderen zu teilen, und dieses zugleich von anderen erfahrenen ‚Waxerinnen‘ bestätigen oder korrigieren zu lassen. Gerade diese erfahrenen Kundinnen gehören zugleich einer sozio-ökonomischen Schicht an, die es ihnen erlaubte, die lange Zeit recht teuren Behandlungen regelmäßig und für alle gewünschten Körperstellen durchführen zu lassen. Viele Depiladoras bestätigten daher den Eindruck, den ich aus Gesprächen mit Kundinnen und Online-Foren gewonnen hatte, dass immer mehr Frauen bereits schon „ganz genau“ wüssten, was sie in der Kabine zu erwarten hätten, bzw. – normativer formuliert – was sie in der Kabine von der Depiladora erwarteten. Auf der anderen Seite werden aufgrund des Booms immer mehr neue Depiladoras trainiert, um mit der Nachfrage mithalten zu können. Deshalb treffen in vielen Studios oft neu-angelernte Depiladoras auf zunehmend erfahrenere Kundinnen. Dies führt oftmals dazu, dass die Wissenshoheit, wie sie viele von mir interviewte Depiladoras für sich einnehmen oder einfordern, immer mehr von Seiten der Kundinnen hinterfragt wird – wenn nicht in der Kabine, dann spätestens im Netz, und dort nicht selten in leidenschaftlichen Debatten mit den Studioleiterinnen. Dies hat wiederum zur Folge, dass Depiladoras bzw. Studioleiterinnen immer mehr darauf achten, dass die oben vorgestellten Professionalisierungsstrategien weitestgehend eingehalten werden (was zugleich auch Abgrenzungs- und Verneinungspraktiken seitens der Depiladoras gegenüber den Kundinnen erheblich einschränkt) und als „Qualitätsmerkmal“ für das eigene Studio markiert werden, um so die eigene Besonderheit zu betonen und Kund/innen zu halten oder zu werben. Verkompliziert wird dies allerdings aufgrund der anwachsenden Konkurrenz, nicht nur von anderen Brasilianerinnen, die oftmals sogar im eigenen Studio in eben

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diesen Qualitätsgeheimnissen geschult wurden, sondern auch von Seiten der sich mehrenden ‚deutschen‘ Studios. Die Attraktivität der Branche hat nämlich in den letzten Jahren nicht nur Brasilianerinnen angezogen, sondern immer mehr deutsche Frauen (teils auch mit Migrationshintergrund) für den Job als Depiladora interessiert. Diese Frauen hatten sich über die Jahre der beruflichen Erfahrung nun ebenfalls das entsprechende Körperwissen und eine professionelle Arbeitsperformanz angeeignet, zeigten immer mehr die von Angelica angesprochenen „dom“ [Begabung] und „paixão“ [Leidenschaft] für die Arbeit, die eine gute Depiladora in ihren Augen ausmache. Zugleich funktionierte das Geschäft, wie es das Vorbild des ersten Studios Wax-in-the-City zeigte, auch ganz gut ohne eine kulturelle Markierung als ‚brasilianisch‘, wenn alle anderen Qualitätskriterien erfüllt wurden. Im auf den Preis ausgerichteten Wettbewerb um Kundinnen führten daher viele Studios in den letzten Jahren das „Groupon“-Prinzip ein: Bei diesem Prinzip kaufen Kund/innen online bei einem der beteiligten Studios mehrere Behandlungen zu einem Bruchteil des eigentlichen Behandlungspreises; Preise, die laut Andréa eigentlich jedes Studio „töten“ [matar] würden. Dies führte auf der einen Seite zu mehr Kundinnen, die zu von ihnen erwarteten gleichen Standards wie die „voll bezahlenden“ Kundinnen bedient werden mussten, auch wenn der von ihnen bezahlte Preis oft nicht einmal den prozentualen Lohn der Depiladora für die Behandlung deckte. Um die erhöhte Nachfrage durch GrouponKundinnen abzudecken, reduzierten bzw. pragmatisierten Studioleiterinnen die Arbeitsperformanz und damit auch Behandlungszeit, was viele Kundinnen wiederum als „reines Abarbeiten“ bezeichneten. Dies hatte wiederum negative Auswirkungen auf den Ruf einiger Studios, denn viele Groupon-Kundinnen gaben an, dass sie diesen eigentlich nur nutzten, um sich ein (neues) Stammstudio zu suchen. Trotz Groupon angemessen behandelt worden zu sein (was neben den genannten Aspekten auch die Wartezeit einschloss, denn Studios bevorzugten häufig die Kundinnen in der Warteliste, die den „vollen Preis“ bezahlten), wurde eher selten wertschätzend in den Foren herausgestellt. Umgekehrt wurde ein reines „Abarbeiten“ sehr viel öfter beklagt. Dies versetzte die Studioleiteiterinnen wiederum in ein Dilemma: Wie das Studio am Laufen halten, wenn die Groupon-Behandlungen eigentlich gewinnschädigend waren, Kundinnen jedoch immer mehr durch dieses Prinzip geworben wurden und eine auf das Nötigste reduzierte Behandlung wiederum einen schlechten Ruf einbrachte und weitere potentielle Neu-Kundinnen abhielt? Andererseits erweiterte sich der Kund/innenkreis erheblich über das Prinzip, da sich nun auch ein neues Kund/innenprofil angesprochen fühlte, das sich Waxing zu normalen Konditionen nicht hätte leisten können. Dieses bisher mit Waxing (als empfangende Dienstleistung) eher unerfahrene Publikum war zudem eines, das die Wissenshoheit der Depiladora (noch) nicht herausforderte oder anzweifelte und sich oftmals sehr dankbar gegenüber der ‚verhätschelnden‘ Dimension der Arbeitsperformanz zeigte – eine Dankbarkeit und entgegengebrachte Wertschätzung, die eben

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auch so wichtig für die Depiladora als Bestätigung ihrer Arbeit und ihrer Anerkennung als Person im Arbeitsverhältnis war. Darüber hinaus folgte auf eine Reklamation einer „Zwei-Klassen-Behandlung“ in einigen Studios, die zwischen ‚GrouponKundin‘ und ‚normaler Kundin‘ unterschieden, jedoch auch eine Differenzierung der Kundinnen untereinander: Gegenüber den Depiladoras/Studioleiterinnen, in Gesprächen mit mir und in Online-Foren wurde es zunehmend wichtig herauszustellen, dass man eben „keine Groupon-Kundin“ sei und wiederum ‚GrouponKundinnen‘ eigentlich auch keine andere Behandlung als eine reduzierte erwarten dürften. Sie bezogen dabei sogar verteidigende Positionen gegenüber den Studioleiteirinnen und deren Sorge, ihr Studio überhaupt über ‚Groupon-Kundinnen‘ am Laufen halten zu können und mahnten ein „bewussteres Konsumverhalten“ an. Die Sorge vieler Studioleiterinnen galt hingegen nicht nur dem wirtschaftlichen Überleben der eigenen Studios und dem Erhalt der eigenen Kundschaft. Die rasch ansteigende neue und daher oftmals auch „weniger professionelle“ (Angelica) Konkurrenz, die obendrein glaube, es handele sich hier „einfach nur um eine Goldmine“, die „ausgebeutet“ werden könne (Frances-Clai), und die mit den neuen ‚Dumping‘-Preisen durch das Groupon-Prinzip Behandlungen an das neue Zeitfenster anpassten, birgt zudem die Gefahr, dem Ruf der noch immer sehr jungen Branche insgesamt zu schaden. „Schlampigkeit“ und „Unsauberkeit“ waren dabei die größten Bedrohungen, da diese zuvorderst auf die brasilianischen Studios zurückfallen könnten. Denn ‚Brasilianerinnen‘ waren, wie vielfach in dieser Studie gezeigt, immer noch als ‚Ausländerinnen‘ angerufen, und ‚Ausländer‘ stünden in den soziokulturell kodierten Imaginarien und Repräsentationsregimen den ‚Deutschen‘ in Punkto Gründlichkeit, Hygiene und Arbeitsmoral, an die eben auch Qualität gebunden ist, noch immer nach. Dies machen auch sonstige Aufwertungsstrategien, wie die nuancierten Verkörperungen stereotyper Vorstellungen, nicht wett. In Gesprächen und Interviews häuften sich im letzten Jahr meiner empirischen Forschung daher Überlegungen über Vor- und Nachteile einer Einführung von untereinander anerkannten Ausbildungsdiplomen und Güte-Zertifikaten, oder gar über eine Bemühung um die offizielle Anerkennung des Berufes der Depiladora. Zugleich, so gaben andere Frauen wie Mariana oder Augusta zu bedenken, würde diese Forderung nach objektivierten Standards und mehr Kontrolle auch eine Einbuße der Handlungsmöglichkeiten und Gestaltbarkeiten der Arbeit in den Studios nach sich ziehen: Dies verdeutlicht sich etwa am Beispiel der für das Studio typischen Wachs-Mischung, über die viele ihre Besonderheit in Abgrenzung zu anderen Studios herausstellen, oder am Beispiel der studiointernen Ausbildung der Mitarbeiterinnen, die ebenfalls eng gekoppelt an die „richtige“ Technik und den „angebrachten Umgang mit den Kunden“ als etwas dem jeweiligen Studio „eigen“ betont wurde. Letztlich sah jede Depiladora ihre Arbeitsperformanz, ihr Handwerk und ihren Umgang mit den Kund/innen als außergewöhnlich, ihrer eigenen Kontrolle unterlegen und den eigenen Erfolg erklärend an, weshalb sie oft eine objektivierte Stan-

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dardisierung in Interviews ablehnten. Der situative, interaktive Moment in den Studios wurde dabei immer wieder unterstrichen, wie das spontane Angleichen der Arbeitsperformanz ganz nach Situation und Kundin sowie auch der eigenen Befindlichkeit, was ich als eine Kontrolle über die Interaktion durch die Depiladora deute.

Abbildung 6.10: Rabattpalette

Abbildung 6.11: Honig als Werbeträger bei Frances-Clai

Quelle. Homepage: AS Waxing (2014)

Quelle. Foto: Frances-Clai (2013), Depilbella

Aufgrund des Gefühls einer steigenden Unübersichtlichkeit der Branche (bedingt durch das Anwachsen der Anzahl von Studios wie Neu-/Kundinnen), die viele der Studioinhaberinnen mitgeholfen hatten aufzubauen und zu popularisieren, war es daher genau diese Kontrolle über die Interaktion in der Kabine, die viele als ihnen eigene Agency aufrechterhalten wollten. Doch ist auch die Interaktion in der Kabine keine mehr, die ausschließlich „innerhalb der vier Wände“ (Leni) verbleibt. Das Internet avanciert zum immer wichtiger werdenden, anonymisierten Ort der Bewertung der Arbeitsqualität in den Kabinen: Es bildete für Kund/innen eine anonyme Plattform, eigene Einschätzungen zu hinterlassen, die einem weiten Publikum zugänglich war, aber selten die Möglichkeit der Aushandlung seitens der Dienstanbie-

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tenden bereithielt – anders als ein Austausch face-to-face. Während einige Studioleiterinnen von einer neuen Form der Mund-zu-Mund-Propaganda, nun eben über ein weiterreichendes Kommunikationsmedium, schwärmten, sahen andere darin ein Versteck für unzufriedene Kund/innen, die „unfairerweise“ nicht den Dialog zu den Depiladoras oder Studioleiterinnen suchten, sondern lieber ‚ungesehen‘ kritisierten, sich also als identifizierbare Gegenüber einer direkten Aushandlung entzogen. Wieder andere vermuteten sogar, dass diese Plattformen auch von Konkurrentinnen genutzt wurden, um das eigene Studio zu diffamieren oder das Ihrige aufzuwerten, um sich damit einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, der sich eben nicht über die Arbeitsqualität im Studio erkläre. Der Anonymität der Kund/innenkritik und der unübersichtlich gewordenen mitkonkurrierenden Menge kulturell markierter und unmarkierter, von Männern ebenso wie Frauen geführter Studios, sowie die steigenden Angebote von Waxing in gängigen Schönheitssalons stellen immer mehr Studioleiterinnen die Besonderheit ihres eigenen Studios entgegen. Diese ist nicht mehr nur über einen Verweis und die Markierung als ‚brasilianisch‘ erfüllt. Erfolgreiche Studios verstehen sich aufgrund ihrer Arbeitsqualität (und der von ihnen ausgebildeten Mitarbeiterinnen) zunehmend als eigene Marke und damit als Garanten für eine gute Dienstleistung. Dies wird auch von neuen, potentiell als Unternehmerinnen Interessierte an der Waxing-Branche wahrgenommen. So mehren sich in letzter Zeit mehr und mehr Franchise-Abkommen. Was zunächst ein inter-urbanes Phänomen war (gerade weil Berlin in Sachen Ausbildung und Materialbeschaffung der zentrale Knotenpunkt für Wissensaustausch und Personennetzwerk rund um Waxing darstellte, von dem auch Unternehmensmodelle in andere deutsche Großstädte exportiert wurden), lässt sich zunehmend für Berlin selbst beobachten: Silvana H. von Bella Brasil hatte zu Beginn meiner Forschung lediglich ein Franchise-Studio in Karlsruhe unterhalten, das ein Freund von ihr leitete. Ende 2013 zählte sie neben ihrem eigenen drei Franchise-Studios, von denen ein weiteres in Berlin ist. Weiterhin war im selben Jahr Queen of Waxing fünf Mal in Berlin vertreten, Rio Wax dreimal in Berlin und einmal in Hamburg und Waxing Company zweimal in Berlin. Was den Frauen wie Silvana (Bella Brasil), Tereza (Queen of Waxing) oder Dalva (Waxing Company) hierbei wichtig erschien, war eine Sicherung der mit ihrem Studionamen verbundenen Qualität der Arbeit. Auch hier spielte Vertrauen und „das richtige Gefühl im Bauch“ (Tereza) gegenüber der neuen Unternehmerin eine große Rolle für die Entscheidung. Von Seiten der Neu-Unternehmerinnen bewogen „der gute Ruf“ des Studios (Ana*), „die Qualität der Produkte“ (Angelica), „die gute Ausbildung im Studio“ (Leni) und – auch – der freizügige Interpretationsrahmen für die Durchsetzung der eigenen Arbeitsperformanz, den ihnen das Mutterstudio zuließ, zu einer Franchise-Partnerschaft. Weitere Gründe waren vereinfachte Wege der Produktbeschaffung und der logistischen Hilfe in Studioaufbau und -leitung.

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Doch trotz all dieser neuen Herausforderungen und damit einhergehenden Aushandlungen, denen sich die Studioleiterinnen aufgrund des Eintretens von Waxing in die urbanen Mainstream-Konsumkultur gegenübersahen, überwog bei vielen das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen und in eine honorierender Anerkennung durch ihre Kund/innen. Einige Studios verwehrten sich daher den neuen Entwicklungen rund um Groupon-Angebote und Franchise-Erweiterungen, wie Frances: „Ich will kein Franchise an eine fremde Person vergeben, weil ich weiß wie ich mein Konzept mache – aber ich weiß nicht wie du es umsetzen wirst. Weil du deine Leistung in deinem Geschäft bringst, aber das mit meinem Namen. Ich kann nicht sicher sein, wie du arbeitest. Ich kann nicht garantieren, ob du dein Wachs danach weiter benutzt, oder was du für eine Mitarbeiterin hast.“ (Frances-Clai, 26.09.2012)

Leni sagte mir, dass es für sie trotz des Franchise und des guten Rufes der Marke Queen of Waxing nicht hieße, sich darauf ausruhen zu können oder dass dadurch Kund/innen hin- und herpendeln würden: „Wenn du in ein Restaurant gehst, weil ein Koch gut kocht, gehst du nicht in ein anderes, nur weil es den gleichen Namen hat, denn der Koch ist nur in dem einen Restaurant“. Frances-Clai führte diesen Aspekt noch weiter und wirkte eher gelassen: „Ich mag das Wort Konkurrenz nicht. Ich sage es so: Es gibt viele Angebote. Für mich gibt es keine Konkurrenz. Entweder kommen die Kunden zu mir weil sie mich mögen, weil ich gut bin. Aber das ist keine Konkurrenz. Es ist eher so: Das ist Leistung. Die Kunden fühlen sich bei mir wichtig. Sie schätzen mich als Person wert. Sie mögen das. Das ist mein Zuhause, das ist mein Puls hier, und ich kämpfe allein. Das Wohl meiner Kunden ist mir wichtiger als das was die anderen sagen, denn das hier ist mein Leben, mein Verdienst.“ (26.09.2012)

Während sie also darauf verwies, dass allein die gute Arbeit ihr die nötigen Kundinnen garantieren würde, unabhängig der Menge anderer Angebote um sie herum, war Andréa darüber hinaus überzeugt, dass Berlin hinsichtlich des Waxings noch längst nicht ausgeschöpft sei. Ganz im Gegenteil sollten viel mehr Studios eröffnet und Werbung betrieben werden, damit die Branche noch bekannter werde und der Gang ins Studio wie in Brasilien zu einer „Normalität“ einer jeden Deutschen gehöre. Sie sah die aktuellen Konkurrenzkämpfe vielmehr als ein Zeichen einer schlechten Ortswahl durch die Studioleiterinnen, die noch immer um die begehrten Viertel in Berlin-Mitte, Steglitz, Prenzlauer Berg und Charlottenburg kämpften und sich trotz der teuren Mieten dort gegenseitig auf die Füße träten, während ganze Stadtviertel nur darauf warten würden, endlich für Waxing erschlossen zu werden. Ihr zufolge hätten diese Frauen noch nicht bemerkt, dass Waxing mittlerweile aus der Nische einer finanziell privilegieren Kundschaft herausgetreten sei und mittlerweile Deutsche, egal welcher Klasse (und zunehmend auch welchen Geschlechts), bereit

K OMMERZIALISIERUNG

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seien, sich dieser verhätschelnden Körperpflegearbeit zu unterziehen und dafür entsprechend zu bezahlen. Das Differential, was den Studioleiterinnen und Depiladoras, egal ob ‚deutsch‘ oder ‚brasilianisch‘, die Kundinnen bescheren werde, ist trotz der physischen, emotionalen, affektiven und (Betriebs-) wirtschaftlichen Herausforderungen eine, so die Interviewpartnerinnen, durch „paixão“ (Leidenschaft) und „amor“ (Liebe) geprägten Arbeit, ausgestattet mit „calor humano“ (menschliche Wärme) und „humanidade“ (Menschlichkeit). Denn gerade in dieser feminisierten Dimension sei Unternehmerschaft und Dienstleistung erfolgreich, würde die Kund/innen an sie binden und selbst gegen die wachsende Konkurrenz dauerhafter, jedoch technisierter, Enthaarungsmethoden bestehen. Diese Form der Differenzierung über emotionale wie affektive Einbettungen der eigenen Arbeit soll letztlich jedoch nicht allein als kulturell wie individuell angelegte Aufwertungsstrategie interpretiert werden. Weniger noch darf sie essentialisierend vergeschlechtlicht gelesen werden. Vielmehr deutet sie darüber hinaus auch auf eine Veränderung der Geschäftsgestaltung von Unternehmen, die im Kontext der sich ausbreitenden personenbezogenen Dienstleistungswirtschaft arbeiten. Die für Pflegearbeitskontexte herausgestellte emotionale wie affektive Seite wird von den Frauen im erweiterten Sinne auch als Garantie für den Erfolg des Geschäftes und damit ihres Unternehmens selbst verstanden. Deshalb umfasst diese affektiv wie emotional gezeichnete Subjektivierung nicht nur kunden-/konsumentenorientierte interaktive Arbeitsperformanzen, sondern Geschäftspraktiken unter einer (neoliberalen, neukapitalistischen) Konsumkultur, in der ein ‚selling‘ bzw. ‚marketing self‘ scheinbar immer wichtiger wird. Außerhalb dieser wirtschaftlichen Dimension stellt sich jedoch auch die Frage, inwieweit damit eben auch gerade für verAnderte Frauen Formen der gesellschaftlichen Anerkennung und Teilhabe zusammenhängen. Dies werde ich nachfolgend zusammenfassend diskutieren.

7 Zusammenfassung: Anerkennung im Dazwischen von intimer Arbeit und migrantischer Unternehmerschaft

Selbständigkeit und Anerkennung sind zwei Aspekte, die sich in den Narrativen der Interviewpartnerinnen immer wieder finden ließen, mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen belegt wurden und oftmals über die Arbeit in den Studios hinausreichten. Der Erfolg der Berliner Waxing Studios bot vielen von ihnen seit der Einführung des Geschäftsmodells Mitte der 2000er Jahre nicht nur eine alternative Arbeitsgelegenheit zu bisherigen Tätigkeitsbereichen, die ihnen oftmals durch ihren Status als Migrantin und Frau zugewiesen wurden. Sie erlangten nun auch Zuspruch und Anerkennung ihrer Kund/innen, und zwar nicht nur in Bezug auf ihr Arbeitswissen. Vor allem durch die Aneignung des Waxing-Geschäftszweiges und die Etablierung eines eigenen Studios erlangten viele eine Sichtbarkeit, die über ihre Arbeitsperformanz in den Kabinen hinausreichte. Ihr näheres soziales Umfeld, eigene Freunde und Verwandte sowie die des Partners (bzw. Ex-Partners) beobachteten die beruflichen Veränderungen und reagierten entsprechend darauf. Leni erzählte mir: „Die Familie meines Mannes, alle finden das toll. Sie freuen sich für mich und staunen. Aber vor allem meine Mutter, denn sie weiß wie sehr ich mich immer selbständig machen wollte. Meine Mutter ist sehr stolz, aber.- .. Das ist natürlich ein Grund stolz zu sein […]“. Auch Angelica bestätigte das für ihren Freundeskreis und ihre Kundschaft: „Sie sehen meinen alltäglichen Kampf [batalha], und sie bewundern mich sehr dafür“. Ähnlich wie in diesen Zitaten nehmen viele Aussagen der Frauen indirekt Bezug auf vielfältige Formen der Anerkennung für das von ihnen Erreichte. Dies drückte sich, wie in diesen Beispielen, in Worten wie „bewundern“, „stolz sein“, „toll finden“, „staunen“ oder „respektieren“ aus. Neben dieser Sichtbarkeit erarbeiteten sich die Frauen über ihre neue Rolle als Geschäftsführerin vor allem Handlungsspielräume, die ihnen in ihren Migrationstrajektorien weitestgehend verwehrt geblieben waren. Sie nahmen diese häufig jedoch erst als solche wahr, als sie ihr Leben vor und nach ihrer „Geschichte mit dem

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Wachs“ verglichen. Damit verbunden sahen sie auch eine sich ihnen endlich eröffnende Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe. Dies zeigt sich beispielsweise in einer Antwort Silvanas auf meine Frage nach den Vorteilen der gewerblichen Selbständigkeit: „Man lernt viel wenn man selbständig ist. Man lernt wie man sich hier verhalten kann, wie man selbständig lebt. Man lernt viel. Und dann lebt man endlich. .. Dann ist man ein Teil von diesem Land. ... Ich dachte anfangs, dass ich hier vielleicht nie leben könnte. Es ist mir hier so kalt. Es ist mehr kalt als warm. .. Ich dachte, ich schaffe das nicht. . Die Sprache ist so schwer, ich dachte ich lerne sie niemals. .. Das war aber nur eine Frage der Zeit. Und heute sehe ich die Sache anders. Früher habe ich gesagt, ich werde auch nie deutsch sein. Und heute bin ich manchmal deutscher als die Deutschen in bestimmten Sachen [beide lachen].“

Silvana H. eröffnete mir in ihrer Antwort einen weit größeren Bedeutungsrahmen von Selbständigkeit, als ich ihn in meiner Frage angedacht hatte. Selbständigkeit ist ihr zufolge zugleich Bedingung wie Ziel eines permanenten Lernens, sich in dieser Gesellschaft selbst – und vor allem unabhängig – verorten zu können. Dies aber hatte sie lange nicht für möglich gehalten. Sie machte das in diesem Interview an scheinbar zweit- oder drittrangigen Dingen fest, wie dem Klima oder – später im Interview – am Essen. Allerdings umfasste dies, zieht man ihre migrations- und arbeitsbiographischen Erzählungen hinzu, ebenso Formen von Diskriminierung und ein beständiges und oftmals ermüdendes Aushandeln von Teilhabe oder gar Zugehörigkeit. Das deutet sich beispielsweise über ihre Referenz auf ein ‚Deutsch-Sein‘ an. Erst die mittels und in der Selbständigkeit erlernten Kompetenzen, die in Deutschland gesellschaftlich als wichtig erachtet werden, ermöglichten ihr, sich als Mitglied des hiesigen gesellschaftlichen Miteinander anerkannt zu fühlen, also nicht mehr ein Dasein an dessen Rand zu führen, sondern „endlich zu leben“ und „Teil von diesem Land zu werden“. Es ist die Sichtbarkeit als erfolgreiche Arbeiterin bzw. die Möglichkeit, über den Geschäftszweig Waxing sich als solche sichtbar positionieren zu können, die eng mit der den Frauen nun zuteil werdenden gesellschaftlichen Anerkennung verwoben ist. Denn viele von ihnen hatten unter ähnlicher Aufopferung bereits vor ihrem Einstieg ins Waxing-Geschäft gearbeitet. Ihre Tätigkeiten lagen zuvor meist in Bereichen, die als ‚einfach‘ oder ‚schmutzig‘ markiert und über ein ‚weibliches‘ oder auch ‚ethnisch naturalisiertes‘ Arbeitsvermögen kodiert waren. Das ließ ihre Anstrengungen häufig unsichtbar bleiben. Auch zog ein Verweis auf einige dieser Arbeitsfelder Stigmatisierungen nach sich, weshalb viele es unterließen, ihre Arbeit gegenüber anderen zu thematisieren. Ihre Positionierung als Unternehmerinnen in einem neuen, erfolgreichen Geschäftszweig – obwohl im feminisierten Bereich der Kosmetikpflege gelagert, für dessen spezielle Dienstleistung ihnen zudem auch eine kulturelle Affinität zuge-

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schrieben wird – bricht zunächst hingegen mit sozialen Stigmatisierungen und naturalisierenden Anrufungen durch wirkmächtige Repräsentationsregime. (Gewerblich) selbständig zu sein bricht hierbei vor allem mit Abhängigkeitszuweisungen, wie sie lange Zeit in Zerrbildern über Migrantinnen allgemein – kulturell defizitär, sozial unselbständig und wirtschaftlich abhängig – eingefasst waren. Die Kategorisierung brasilianischer Frauen als Heiratsmigrantinnen hatte hierzu ihre ganz eigene Wirkung und übersetzte die rechtliche Abhängigkeit zu einem Ehepartner in viele andere Bereiche alltäglicher Erfahrungen. Stereotypen Vorstellungen über brasilianische Frauen geschuldet, wurde ihre verkörperte/einverleibte Weiblichkeit – fürsorglich-mütterlich und zugleich (hyper-)sexualisiert – darüber hinaus als eine geschlechtliche Abhängigkeit markiert und zeichnete die Frauen einmal mehr als Ehepartnerin, Mutter und Hausfrau. In diesem Rollenmodell wurden sie abseits von dem positioniert, was gesellschaftlich als Arbeit kodiert ist bzw. abseits eines formalisierten Arbeitsmarktes. Als Unternehmerinnen stehen sie hingegen für eine wirtschaftliche Selbständigkeit, die doppelt zu lesen ist: Einerseits steht diese für das eigene wirtschaftliche Überleben, die (zumindest nach außen hin) nicht direkt an (deutsche) Dritte gebunden ist, wie an den Unterhalt des Ehemannes oder an staatliche Wohlfahrtsleistungen, die eng an das Bild der abhängigen (Heirats-)Migrantin gekoppelt werden. Andererseits meint diese Art der Unternehmerschaft auch, nicht in die Sphäre der den Deutschen kulturell als ‚eigen‘ gekennzeichneten Lohnarbeit einzudringen, die von der Mehrheitsgesellschaft bis heute noch als deutsches Normalarbeitsverhältnis verstanden und über gesetzliche Regelungen sowie diskriminierende interpersonelle Praktiken vor dem Eindringen von ‚Ausländern‘ geschützt wird. Zugleich vereint die wirtschaftliche Selbständigkeit maskulin kodierte Zuschreibungen wie Risikobereitschaft und Unternehmergeist und bricht dadurch doppelt mit den genannten geschlechtlichen Abhängigkeitsvorstellungen. Auch markiert die Unternehmerschaft eine formalisierte Teilhabe am Arbeitsmarkt: Die Sichtbarkeit der Studios – nicht nur als physische, zugängliche Orte im urbanen Raum sondern auch in ihren konkreten Komponenten wie Rechnungen, betriebliche Steuernummer und Gewerbeeintrag – fällt mit einer Sichtbarkeit der formalisierten Eingliederung in das deutsche Wirtschafts- und Finanzsystem zusammen. Die Arbeit und damit das wirtschaftliche Handeln der Frauen ordnen sich in objektivierte Kriterien und in einen legalen Rahmen ein. So erwecken die Ausgestaltung der Studios und die Art der darin angebotenen Dienstleistung trotz ihrer kulturellen Markierung beim mehrheitsgesellschaftlichem Publikum nicht den Eindruck einer ethnischen Enklavenwirtschaft parallel zur formalen ‚deutschen‘ Wirtschaft, wie sie in ‚Ghettodiskursen‘ zu ‚ethnischen‘ Unternehmen‘ in nicht allzu ferner Vergangenheit polemisiert wurden. Die Ausgestaltung der Studios und der Dienstleistung bemüht sich vielmehr um eine Sichtbarkeit für eine mehrheitsgesellschaftliche Klientel und verspricht, deren Ansprüche und Bedürfnisse zu kennen.

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Andererseits übersetzen sich die formalisierten, objektivierten Wirtschaftskriterien bis in das Austauschverhältnis zwischen Dienstgebender und Dienstnehmender. Es ist etwa über Preistabellen konkretisiert und entzieht sich (zumindest) auf dieser Ebene inter-subjektiven Aushandlungen und darin oftmals manifesten (anderen) Abhängigkeiten. Der Rezeptionstresen in den Studios markiert eben diese Objektivierung für den Moment der Bezahlung, in dem sich Kundin und Rezeptionistin/Studioleiterin/Depiladora gegenüber stehen: Bis hin zur körperlichen Haltung sind sich Zahlende und Bezahlte in ihrer Position beim Geschäftsabschluss gleich. Gerade für die Frauen, die zuvor in Privathaushalten oder generell ohne Arbeitsverträge gearbeitet hatten, bilden diese objektivierten Geschäftsbedingungen eine Loslösung von inter-subjektiven Abhängigkeiten, die Spielraum für Willkür in der Ausgestaltung einer von ihnen erwarteten Dienstleistung und deren letztlicher Entlohnung bereithält. Doch gehen Auffassungen von Selbständigkeit über die Unternehmerschaft und das wirtschaftliche Handeln hinaus und wirken bis in die Dienstleistungsarbeit und ihre kulturelle Auslegung hinein. So werben die Frauen durchaus mit einer als kulturell als eigen verstandenen Körperlichkeit und daran geknüpfter Körperpflege, die auch kulturell kodierte Verkörperungen von Weiblichkeit umfassen. Anders als eine Anpassung an oder gar Unterordnung unter vermeintlich dominante deutsche (bzw. globalisierte) Vorstellungen lehnen sie das Dienstleistungsergebnis, die dafür notwendige Methode und ein daran geknüpftes Körperwohlgefühl an eigene Kriterien an. Hierfür nutzen sie globale Körperbilder und daran gebundene Diskurse und Praktiken für ihre eigene kulturelle Markierung im lokalen Kontext Berlins: Ihren Dienst – sowohl die physische Modellierung des Körpers der Kundin, wie die praktischen Tipps und Ratschläge für Körperpflege und Körpergefühl sowie entsprechende Verteidigungs-Narrative entgegen einer Polemik des zugrunde liegenden Körperideals – sehen sie als ein „Geben“ an ihre Kundinnen oder sogar als ein „Erziehen“ [educar] der Deutschen. Dabei berufen sie sich auf eine kulturell verortete Körperlichkeit, die sie als gepflegter und damit hygienischer, moderner und nicht zuletzt ‚menschlicher‘ verstehen. Nicht zuletzt positionieren sie sich damit auch konträr zu den feministischen Diskursen des Globalen Nordens, die in der Körperhaarentfernung eine der letzten Kolonialisierungen des weiblichen Körpers sehen (Hildebrandt 1999). So zeichnen die Depiladoras in letzter Instanz das Ergebnis eines haarlosen Körpers und das damit verbundene Körpergefühl selbst als einen Gefallen an sich selbst und vermitteln dies auch an ihre Kundinnen. Frances-Clai erzählte: „Es gibt Frauen, die machen es für einen Mann. Aber wir, zum Beispiel, denken nicht so. Ich mache es für mich. Weil ich mich damit wohl fühle. Und weil es hygienisch ist. Ich bin jetzt solo. Das bedeutet aber, dass ich trotzdem keinen Urwald haben muss, nur weil ich allein bin. Nein! Ich mache es, weil ich die Haare hier nicht haben will. So fühle ich mich sauber. Und

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trotzdem bin ich auch eine emanzipierte Frau, oder nicht? Bin ich das? Und das hat mit meinen Haaren nichts zu tun.“

Vielmehr stellt sie dem gegenüber heraus: „Emanzipiert ist eine Frau, die ihren eigenen Weg geht und ihre Sache macht. Aber mit Körperhygiene hat das nichts zu tun, seinen eigenen Weg zu gehen. Aber das ist auch falsch gesagt: Mensch, wenn sie die Haare mag, dann mag sie die. Emanzipiert ist eine Frau, die einen eigenen Weg will und nicht von jemand abhängig ist. Aber das hat mit Haare hier oder da nichts zu tun. Und das erklären wir auch den Kundinnen so.“

Die Kontroverse um Haarentfernung wird von Interviewpartnerinnen wie FrancesClai sogar umgekehrt, indem sie sich dafür aussprechen, sich im Umkehrschluss nicht maskulin geben zu müssen, um emanzipiert zu sein. Die vielfältigen Formen von „Erziehung“, die in diesem Sinne auch über Körperpflegetipps hinausreichen können, finden in der Kabine statt, bei denen die Kundin, waagerecht liegend, passiv den Anweisungen der Depiladora folgt und von deren unmittelbaren Professionalität abhängig ist und ihr darin vertrauen muss. Die Hoheit über das Arbeitswissen liegt hierbei (noch) ganz bei den Depiladoras. Dies ist bedeutsam, wenn man die Arbeits- und Migrationstrajektorien der Depiladoras/Studioleiterinnen einbezieht: Viele ihrer Kundinnen entsprechen dem Profil früherer Arbeitgeberinnen vor allem in Haushalts- und Betreuungstätigkeiten. In diesen Tätigkeiten wurden die brasilianischen Frauen oftmals, trotz Zuschreibungen eines naturalisierten Arbeitsvermögens in diesen Bereichen, über die korrekte Durchführung belehrt. Im Gegensatz dazu können sie sich nun – ebenfalls aufgrund kulturalisierter Zuschreibungen, aber eben auch aufgrund ihrer aktiven Aneignung der Waxing-Branche – als Expertin ihrer Arbeit positionieren und Standards für die Behandlung formulieren. * Soweit zunächst zu den erarbeiteten Aushandlungsspielräumen und Positionierungen, die in der Überschneidung von Unternehmerschaft und intimer Arbeit im Waxing-Geschäft möglich werden, und die von den Interviewpartnerinnen teils gezielt herausgestellt wurden. Allerdings blieben – trotz dieser kleineren und größeren persönlichen und gewerblichen Errungenschaften und der damit verbundenen Anerkennung – bei keiner der Frauen die Schilderungen auf eine Erfolgsnarrative begrenzt. Bezugnahmen auf Anerkennung und Bewunderung durch andere, die die Frauen mit Stolz erfüllten, relativierten die Interviewpartnerinnen als oftmals von außen an sie herangetragene und als im Vergleich zu vorherigen Arbeitserfahrungen zu bewertende Aspekte. Die Andeutung einer Relativierung zeigte sich beispielsweise in der eingangs zitierten Aussage von Leni: „Meine Mutter ist sehr stolz,

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aber.- .. Das ist natürlich ein Grund stolz zu sein“. Die Einbindung eines „aber“, das jedoch nicht weiter ausgeführt und mit einer Pause vom Fortlauf der Erzählung abgesetzt wurde, und die darauffolgende, scheinbar an sich selbst gerichtete Bestätigung, dass es „natürlich“ diesen Grund zum Stolz-Sein gäbe, eröffneten Raum für weitere Nachfragen. Eine allzu euphorische Bewertung wurde so trotz des Erreichten eingedämmt. In den einzelnen Kapiteln klang bereits an, wie sehr Risiken und Sorgen, harte Arbeit und oft auch gesundheitliche Belastungen die gewerbliche Selbständigkeit begleiteten. Allein die Durchführung dieser Forschung war von der begrenzten Zeit der Interviewpartnerinnen und deren spürbarer Erschöpfung, gerade bei Interviewterminen nach Feierabend, geprägt. Die eingangs angerissene Erzählung Angelicas soll daher stellvertretend für die Ambivalenz der unternehmerischen Arbeit herangezogen werden: „Sie sehen meinen alltäglichen Kampf und sie bewundern mich sehr dafür. Denn sie sehen, dass ich von Montag bis Samstag, von neun bis acht Uhr abends arbeite. Sie sagen, dass sie das nie so schaffen würden. Und manchmal fragen sie mich, wie ich das mache, also wie ich das schaffe. .. [tiefes Durchatmen] .. Ich habe schon immer, seit ich Kind bin, gearbeitet. Ich kenne gar nichts anderes. Wenn du also nur das kennst, dann merkst du auch nicht, dass dir etwas fehlt. Klar fehlt mir ein bisschen Urlaub, so zwei drei Wochen URLAUB, aber- .. Aber das ist sehr schwierig, denn wenn der Monat zu Ende geht und du nicht einmal das Geld rein hast, um deine Rechnungen zu bezahlen, dann wäre ich ja auch nicht glücklich, oder? Es ist ein Haufen Bürokratie, und so Dinge. Ich muss viel arbeiten, weil die Ausgaben auch so hoch sind. Manchmal arbeitest du nur um STEUERN, STEUERN, STEUERN zu bezahlen. Von daher,- also der Nachteil ist, dass du überhaupt keine freie Minute mehr hast .. [tiefes Durchatmend] .. Du bist ständig müde ... Wenn du krank bist, dann kommen die Probleme erst recht. .. Aber der Vorteil ist, dass du kein Chef mehr hast, der über dich bestimmt. Und manchmal verdiene ich etwas mehr, aber dann auch wieder weniger. .. Mhm, so ist das. Das ist die harte Seite. Ich denke, dass alles seine Vor- und Nachteile hat. Auf der anderen Seite ist es ein großer Kampf, aber eben auch ein großer Triumpf, hier etwas zu eröffnen und etwas zu schaffen, gerade hier in Deutschland, wo so was hier doch so schwierig ist.“

Die Wortwahl Angelicas, von einer batalha – einem Kämpfen, Ringen und Mühen – zu sprechen, ist keine zufällige. Sie bezieht sich nicht nur darauf, den Schwierigkeiten einer gewerblichen Selbständigkeit in Deutschland und der deutschen Bürokratie zu trotzen, was sie als vitória – als Triumph und Errungenschaft – herausstellt. Vielmehr unterstreicht sie ihre alltägliche batalha, indem sie den Vorteilen auch die Nachteile der Unternehmerschaft gegenüberstellt, die die genannten Begleitumstände umfassen. Auffällig ist einmal mehr, dass vor allem die für Außenstehende sichtbare harte Arbeit als Bezugspunkt für die ihr zukommende Bewunde-

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rung betont wird. Diese motivierte einen Vergleich und die Erkenntnis, dass ihre Bewunderer kaum in dieser Intensität zu arbeiten in der Lage wären. Diesbezüglich ist die Ambivalenz von arbeitsbezogener Anerkennung zunächst kritisch vor dem Hintergrund subjektivierter Arbeit in einer postfordistischen Dienstleistungsgesellschaft zu bewerten. Stephan Voßwinkel unterstrich hierfür zwei Auswirkungen arbeitsbezogener Anerkennung: die der Handlungsermöglichung (da sie die beruflichen Position oder auch Identität beeinflusst) und die der Handlungsdeterminierung (da sie an soziale Erwartungen gebunden ist; Voßwinkel 2002: 68). Die Handlungsermöglichungen wurden in den vorherigen Abschnitten und im Laufe der einzelnen Kapitel weitestgehend skizziert. Handlungsdeterminierungen wurden bereits angerissen und werden im Folgenden vertieft. Zugleich stellte Voßwinkel eine verbindende und eine kompetitive Dimension von Anerkennung heraus: Die in der Anerkennung implizite Würdigung erfolge über geteilte Werte und ermögliche darüber Zugehörigkeit (ebd.: 69). Das wurde auch im obigen Zitat Silvanas beispielhaft für die Studioleiterinnen angedeutet. Die Würdigung richtet sich also vor allem an schwere Arbeit. Genau diese Dimension der Anerkennung wird auch in den Interviews mit den Studioleiterinnen bestätigt. Sie bezieht sich auf ihren Arbeitsalltag und die darüber hinaus beobachteten Mehrfachbelastungen als zugleich alleinerziehende Mütter bzw. Mütter und Ehefrauen. Hart arbeiten zu können bricht daher nicht nur mit stereotypen Vorstellungen über ‚Brasilianerinnen‘. Hart arbeiten zu können als stereotypes (Selbst-)Bild der Deutschen bildet in ihrer Sichtbarkeit zugleich eine Gemeinsamkeit, die den Frauen nun zugestanden wird und sogar darüber hinausgeht. Die kompetitive Seite sieht Voßwinkel hingegen in der Anerkennung für eine besondere, individuelle Leistung, die eine Differenz markiere und eher im Sinne einer Bewunderung anstatt einer Würdigung zu verstehen sei (S. 70). Genau diese Dimension, die sich im Beispiel der brasilianischen Studioleiterinnen/Depiladoras lange auf ihr besonderes handwerkliches Können und das damit verbundene Expertinnenwissen bezog, wird aktuell vor dem Hintergrund einer zunehmenden deutschen Konkurrenz immer stärker herausgefordert. Gerade da sich Formen der Anerkennung mit der Etablierung des Geschäftszweiges in der Berliner Konsumkultur immer mehr auf die erste Dimension der Würdigung schwerer bzw. intensiver Arbeit bezieht, stellt sich im Sinne Fritz Böhles eine weitere Frage: In welcher Weise lässt sich Anerkennung von den Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen abkoppeln und wird somit zu einer Kompensation für ansonsten belastende Arbeitsbedingungen (2010: 472f)? Diese Frage hat, aufgrund der Überlappung von intimer Arbeit und Unternehmerschaft, für das Beispiel der Waxing-Branche eine gesonderte Gewichtung: So sind die Arbeitsbedingungen neben dem hohen Arbeitsvolumen und der Mehrfachbelastung der Frauen als Studioleiterin auch durch die körperintensive, affektdurchzogene und letztlich physisch wie emotional anstrengende Arbeit der Frauen als Depiladora geprägt.

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Indem die Kundinnen die batalha der Studioleiterinnen würdigen und dabei oft ihre physisch-intensive Arbeit als Depiladora am Körper der Kundin ausblenden, lenken sie möglicherweise von eben dieser intimen, vielleicht kompromittierenden eigenen Rolle als Kundin ab. Zugleich mag auch die besondere Würdigung, wenn die Depiladora besonders viel Zeit und Aufmerksamkeit auf die sensitiven Bedürfnisse ihrer Kundin verwendet hat, davon ablenken, dass unter den Gesichtspunkten einer rationalisierten Wirtschaftlichkeit eine solche intensive, ‚verhätschelnde‘ Arbeitsaufwendung gewinnschädigend sein kann. Anerkennung kann so im Moment der dienstleistenden Interaktion zu einem subjektivierbaren Instrument werden, von den objektivierten Behandlungskriterien abzuweichen, wie sie im Preiskatalog und in der terminlichen Taktung der Kund/innen manifest sind. Die Interaktion wird abhängig gemacht von den individuellen Bedürfnissen der Kundin. Die Handlungsdeterminierung von Anerkennung äußert sich in diesen Erwartungshaltungen, die Kundinnen bezüglich der Arbeitsperformanz einnehmen. Dies kann bis zu einer neuen Abhängigkeit führen, die wiederum Ähnlichkeiten aufweist zu anderen Dienstverhältnissen, vor allem im Rahmen der Reinigungs- und Fürsorgearbeit in Privathaushalten. Gerade weil Anerkennung (wie eben auch Kritik und damit verbundene Aberkennung) der Arbeitsperformanz der Depiladoras oftmals nicht im direkten Gegenüber von Dienstempfangender und Dienstleistender geäußert wird, sondern häufig in der so wichtigen Mund-zu-Mund-Propaganda und in anonymisierten Online-Foren, ist das Eingehen auf diese subjektiven Bedürfnisse der Kundin immer wichtiger für den Ruf des Studios selbst geworden. Letztlich markierten die Interviewpartnerinnen gerade über diese emotionale, individualisierte Seite ihrer Arbeitsperformanz ein Differential zur aufkommenden Konkurrenz, die die Frauen auch an die Spezifik ihrer Dienstleistung rückbinden. In Lenis folgender Aussage werden diesbezüglich mehrere Aspekte zusammengefasst: „Ich mag keine Distanz. Ich bin so nah an den Kunden. Ich sehe die Kunden nackt. Ich hatte gestern eine zum ersten Mal hier bei mir gehabt. Und sie sagte: ‚Mensch, ich habe mir so viele Gedanken über Intimwaxing gemacht. Und jetzt ich liege hier nackt vor dir und ich fühle mich gut‘ – das ist das Wichtigste für mich, wenn ich das höre. Und wenn ich nachher höre: ‚Wow, das sieht toll aus‘; und wenn ich die Leute sehe, die extra von anderen Bezirken zu mir kommen, nur weil die sagen: ‚Ah Leni, so wie du arbeitest, so arbeitet keiner.‘ Das ist, was ich hier erreichen wollte. Ich wollte anders als die anderen Studios sein, aber auf eine andere Art. Unsere Preise sind die gleichen. Aber ich wollte immer eine besondere Beziehung, ein besonderes Verhältnis mit den Kunden haben. Die Kunden müssen das Gefühl haben, dass sie besonders sind. […] Sie schätzen meine Arbeit, meine Sympathie, sie haben gesagt, dass sie sich wohl bei mir fühlen. Ich habe eine, die mir sogar gesagt hat: ‚Leni, jedes Mal, wenn wir einen Termin machen, freue ich mich‘ [beide lachen]. Ich habe geantwortet: ‚Oh, das ist schön, dass man sich auf ein Intimwaxing freut. Da gibt es wirklich schönere Sachen,

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die man machen kann.‘ Aber ich habe das Gefühl, dass sie das an mir schätzen. Und ich muss mit meiner Arbeit zufrieden sein. Nicht einfach nur so ‚lala‘ machen [sie bewegt ihre rechte Hand in schnellen Wischbewegungen hin und her] und sonst nichts.“

Leni führt in dieser Aussage die im Laufe der Studie herausgearbeiteten unterschiedlichen Dimensionen der intimen, emotionalen und körperlich-handwerklichen Arbeitsperformanz zusammen. Diese zielt in ihrer Gesamtheit auf ein Wohlgefühl und die Zufriedenheit der Kundinnen bewusst ab und hat ein besonderes – und eben individualisiertes – Verhältnis zu ihnen zum Ergebnis, das als solches auch von den Kund/innen bestätigt wird. Zugleich betonte Leni, dass sie diese Erwartung auch an sich selbst stelle. Dies wirke sich auch auf den Geschäftserfolg und letztendlich in konkreten Zahlen aus. Wie in vorherigen Kapiteln gezeigt wurde, heißt dies aber eben nicht, dass die geschäftlichen Beziehungen von freundschaftlich-empathischen Verhältnissen überlagert oder gar verwischt werden und eine Abgrenzung des eigentlich wirtschaftlichen Austauschverhältnisses damit aufgelöst wird (wie einige Forscher/innen vor allem für dienstwirtschaftliche Ausbeutungsverhältnisse in der Pflege- und Fürsorgearbeit konstatieren). Die Überlagerung der vormalig als scheinbare „hostile worlds“ (also einander entgegengesetzten Sphären) gezeichneten Bereiche von Intimität und Kommerzialisierung, von Empathie und Handel, von Gefühl und Arbeit (Zelizer 2005), sind mittlerweile feste Variablen in einer Konsumkultur, bei der das Erleben, Empfinden und Erfahren zum Lebensstil erhoben wird und zunehmend in lange als intim markierte Bereiche eindringt und sie ‚entprivatisiert‘. Und so wird gerade für den in diesem Bereich anwachsenden Dienstleistungssektor auch seitens der Dienstnehmenden immer mehr ein „attentive other“ (nach McDowell 2009) erwartet, was die Diskussion um eine neue Subjektivierung von Arbeit erweitert. Der Erfolg der Waxing-Branche, wie ihn sich die Frauen angeeignet haben, ist als Teil all dieser Entwicklungen zu verstehen (weshalb auch die feministische Kritik dieser Körperpraktik über das ihr zugrundenliegende Ideal hinausgehend Überlegungen zu diesem sensitive turn mit einbeziehen müsste). Doch muss einmal mehr darauf verwiesen werden, dass die Tertiarisierung vieler dieser Praktiken intimer körperintensiver Arbeit vor allem in globalen Städten wie Berlin zunehmend verAnderten Menschen zugewiesen wird (bzw., wie im Fall von Waxing, von diesen auch aktiv angeeignet wird). Kritisch ist, inwieweit diese Zuweisung den Regeln eines in high tough und high tech segmentierten Arbeitsmarktes unterlegen ist, damit auf Schließungen des Arbeitsmarktes und des (Weiter-)Bildungszuganges – speziell für verAnderte Frauen – verweist und daher vor dem Hintergrund ineinander verschränkter Arbeits-, Migrations- und Geschlechterregime zu lesen ist. So waren die Interviewpartnerinnen nach ihrer Migration vielfältigen abqualifizierenden Praktiken und Aberkennungen in Bezug auf vorherige Ausbildungen, Arbeitserfahrungen und Arbeitswissen ausgesetzt, die institutionell

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verankert wie interpersonell performt wurden. Die ihnen nun entgegengebrachte arbeitsbezogene Anerkennung findet bei vielen außerhalb der Bereiche statt, in denen sie sich vor ihrer Migration qualifiziert hatten, sondern eben in einem Bereich, der dem high touch zugeordnet werden kann. Erfahrungen der Abqualifizierung im Migrationsprozess und aktiv gesuchte Professionalisierungsstrategien in eben jenen neuen zugewiesenen/bereitgehaltenen Arbeitsfeldern sind eng miteinander verbunden. Zieht man Vergleiche zu anderen Migrationskontexten von Brasilianer/innen hinzu, scheint es, als gliederten sie sich in einem Brasilianer/innen bereitgehaltenen „Sympathiemarkt“ (Padilla/Gomez 2012) ein. Über diesen werden gleichzeitig stereotype Repräsentationen reproduziert und gefestigt. Obwohl dieser Aspekt bei einer Diskussion um den Erfolg der Studioleiterinnen/Depiladoras wichtig ist, hat diese Studie allerdings zu zeigen gesucht, dass das Gefüge aus arbeitsbezogenen Zuweisungen, Positionierungen und Handlungsräumen weit komplexer ist. Vor allem die aktiven, strategischen Aneignung- und Sichtbarkeitspraktiken der Frauen durchkreuzen dualistische Interpretationen. Die Unternehmerschaft in diesem Bereich trägt zu dieser Komplexität bei. Hingegen wird die unternehmerische Selbständigkeit besonders in Bezug auf Migrant/innen als Ausdruck gewertet, dass diese nicht gleichberechtigt am mehrheitsgesellschaftlichen Arbeitsmarkt teilhaben können. Im Ringen um einen solchen eigens geschaffenen Zugang nehme die Selbständigkeit risikobehaftete und oftmals selbstausbeuterische Züge an, wie sich in vielen Beispielen dieser Studie auch bestätigen ließ. So möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf Lenis „Aber“ und die anschließende Auslassung zurückkommen, die sie auf mein Nachfragen ergänzt: „Das ist nicht alles hier. Wer selbständig ist, weiß was das für ein hartes Leben ist. Wenn man Erfolg hat, wenn alles gut läuft, ist das schön. Aber ich sehe das nicht als einen Grund, dass man stolz sein soll. Ich wäre stolzer, wenn ich hier einen gut bezahlten Job hätte.“

Allerdings sprachen sich andere Frauen, wie Frances-Clai oder Dalva, ganz gezielt gegen ein abhängiges Arbeitsverhältnis und für die gewerbliche Selbständigkeit aus. Unabhängig von individuellen Vorlieben bleibt jedoch zu kritisieren, dass sich viele, wollten sie nicht in eben jenen oft schlecht bezahlten, zugewiesenen Tätigkeitsfeldern arbeiten, einer Alternativlosigkeit gegenübersahen. Als Unternehmerinnen repräsentieren sie in diesem Sinne sowohl einen ihnen widerfahrenen strukturellen Ausschluss wie einen neoliberalen „Aktivierungsimperativ“ (Lanz 2007). Dieser trifft sie, wie gezeigt, als verAnderte Frauen mehrfach. Dennoch haben sie ihn sich zum Vorteil angeeignet. Zu kritisieren ist daher, dass sich für viele erst hierüber ein Gegenzeichnen zu stereotypen Repräsentationen und Kategorien, manifest in den vielen ethnisch-vergeschlechtlichten Zuweisungen als Brasilianerinnen,

Z USAMMENFASSUNG

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eröffnete – auch wenn die Frauen selbst mit kulturellen Bezugnahmen für ihr Geschäftsmodell werben. * Aufgrund all dieser Ambiguitäten und Komplexitäten entzieht sich das Beispiel der brasilianischen Berliner Waxing Studios dichotomen Erklärungsansätzen, die sich auf die Unternehmerschaft, die Arbeitsperformanz und Formen sozialer Anerkennung beziehen. Die Komplexität liegt in der Spezifik der Dienstleistung, der Überlappung von intimer Arbeit und Unternehmerschaft der Frauen, sowie in ihrer aktiv gesuchten Aneignung der Waxing-Branche. Über individuelle Geschichten und Trajektorien – angefangen bei den Migrationserfahrungen, Arbeitsmarkteingliederungen und damit verbundenen Auseinandersetzungen mit Ausschluss- und Repräsentationsregimen, über die einzelnen Wege in die gewerbliche Selbständigkeit bis hin zu ganz konkreten Aneignungs- und Professionalisierungspraktiken in den Studios in der Interaktion mit den Kundinnen – suchte diese Studie akteurszentrierte Interpretations- und Erklärungsansätze aufzuzeigen und nachzuvollziehen. Darüber hinaus sollten diese Ansätze kollektivgeschichtliche Prozesse wie übergeordnete Regime offenlegen, aber eben auch deren ganz konkrete Wirkmächtigkeiten auf die Akteurinnen verdeutlichen sowie die sich trotzdem ergebenden Aushandlungsräume aufzeigen. Ein erweiterter Arbeitsbegriff, wie er hier angewandt wurde, ermöglichte dies ebenso wie eine geschlechtersensible, gefühls- und körperbezogene Ethnographie des Partikulären (Abu-Lughod 1991). So wurden Zuweisungs- und Positionierungspraktiken entlang ineinander verschränkter vergeschlechtlichter, rassifizierter/ethnisierter, klassifizierter und kultureller Zugehörigkeits- und Repräsentationsregime im Kontext der interaktiven Arbeit in den Studios herausgestellt. Hierbei wurde eingehender diskutiert, wann, wie und warum einige dieser Praktiken in der Arbeitsperformanz sowie im Kontext von arbeitsbezogener Anerkennung sichtbarer und andere verdeckt bleiben, welche herausgefordert werden konnten und welche persistent bleiben. Zugleich stellte ich Aneignungs-, Aushandlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten vor, die sich diese Frauen über die Schnittstelle ihrer Positionen als Studioleiterinnen und zugleich Depiladoras in den Berliner Studios erarbeiteten. Nicht zuletzt sollte die vielfache Fokussierung dieser Studie und ihre Einbettung an der Schnittstelle zu unterschiedlichen und selten einander überlappenden Forschungsfeldern ebenfalls auf Komplexitäten verweisen, statt sich einseitig angelegten Argumentationslinien einzuordnen. Abschließend sei gesagt, dass es mein Anliegen war, diese Frauen weder als Opfer intersektionalisierender struktureller Benachteiligungen noch als strategisch handelnde Opportunistinnen zu zeichnen. Ebenso wenig lassen sich ihre arbeitsbezogenen Praktiken als funktionalistische Ausschöpfung wirtschaftlicher Opportunitäten oder aber als kultur- und/oder geschlechtsessentialisierendes Tun verstehen.

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Die Frauen sind weder personalisierte Replikate der vergeschlechtlichten kulturellen und sozialen Ordnungen, noch ‚Kriegerinnen‘ [„guerreiras“, nach einer Aussage Anas*] gegen herrschaftliche Strukturen und Repräsentationen. Und so fällt mir eine wertende Positionierung schwer, die ihrer Arbeit, ihrer gesellschaftlichen Position als Dienstleistende, Unternehmerin und Depiladora und ihrer ambivalenten gesellschaftlichen Anerkennung gerecht werden. Einen klaren Standpunkt beziehen möchte ich allerdings bezüglich der „terms of contract“, in die all diese Positionen der Frauen eingebettet sind sowie bezüglich der Möglichkeiten, die darüber hinaus den Frauen für eine gesellschaftliche Teilhabe offen stehen. Diese Möglichkeiten sind tatsächlich noch immer keine favorablen für die Frauen. Andere Formen gesellschaftlicher Teilhabe sind für viele der Frauen noch immer hochgradig begrenzt. Abzuwarten ist, inwieweit sich eine bereits beobachtete ‚De-Ethnisierung‘ und Popularisierung der Branche auf die Arbeitsbedingungen, Arbeitsperformanz und Formen der Anerkennung für die Frauen auswirkt. Wird es innerhalb der Branche eine Teilung geben in Studios, die sich entsprechend den finanziellen Möglichkeiten der Kund/innen weniger auf ein ‚Verhätscheln‘ konzentrieren und mehr auf ein ‚Abarbeiten‘? Und wer wird diese Arbeit jeweils leisten? Wie wird sich dies auf die Lokalisierung der Studios im Berliner Raum auswirken? Und welche Konsequenzen hat das auf die Arbeitsbedingungen? Potential für eine Entwicklung der Branche sehen die Frauen durchaus, ebenso wie für ihre eigene Position als Studioleiterinnen und Depiladoras. Verbunden ist diese Stellung mit einer ganz speziellen Aufgabe, wie es Andréa mir sagte: „Mein Ziel ist es, meine Arbeit gut zu machen und damit diese wunderbare brasilianische Arbeit bekannt zu machen. Es ist egal, ob ich in einem eigenen Studio oder für andere arbeite. Aber mein großes Ziel ist, diese wunderbare Sache bekannt zu machen und die brasilianische Depilation unter den Leuten zu verbreiten!“

Zum Abschluss sei angemerkt, dass sich Andréa 2015 nun doch für ein eigenes Studio, in Berlin-Friedrichshain, entschied – ihr „Happy Brazilian Waxing Studio“.

Abbildung 7.1: Andréa Quelle. Foto: Andréa M. (2016)

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Kultur und soziale Praxis Daniel Kofahl, Sebastian Schellhaas (Hg.) Kulinarische Ethnologie Beiträge zur Wissenschaft von eigenen, fremden und globalisierten Ernährungskulturen Januar 2017, ca. 180 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3539-3

Christian Lahusen, Stephanie Schneider (Hg.) Asyl verwalten Zur bürokratischen Bearbeitung eines gesellschaftlichen Problems Januar 2017, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3332-0

Christian Lahusen, Karin Schittenhelm, Stephanie Schneider Europäische Asylpolitik und lokales Verwaltungshandeln Zur Behördenpraxis in Deutschland und Schweden Dezember 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3330-6

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Kultur und soziale Praxis Bärbel Völkel, Tony Pacyna (Hg.) Neorassismus in der Einwanderungsgesellschaft Eine Herausforderung für die Bildung Dezember 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3454-9

Maren Ziese, Caroline Gritschke (Hg.) Geflüchtete und Kulturelle Bildung Formate und Konzepte für ein neues Praxisfeld Oktober 2016, 448 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3453-2

Martina Kleinert Weltumsegler Ethnographie eines mobilen Lebensstils zwischen Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung 2015, 364 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2882-1

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