Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt 9783504385590

Behandelt werden: Aktuelle BFH-Rechtsprechung Wird § 1 AStG noch durch DBA begrenzt? Country-by-Country Reporting - A

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Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt
 9783504385590

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Jürgen Lüdicke (Hrsg.) Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt

Forum der Internationalen Besteuerung

Band 46

Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt Herausgegeben von

Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater International Tax Institute Universität Hamburg mit Beiträgen von

Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Martin Kreienbaum Prof. em. Dr. Jörg Manfred Mössner Dr. Christine Osterloh-Konrad Daniel Sennewald Dr. Roland Wacker Diskussionsteilnehmer

Peter Carstens Dr. Berend Holst Prof. Dr. Jürgen Lüdicke und die Beitragsverfasser

2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61546-8 ©2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck: VUA Schaus, Büttelborn Printed in Germany

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Vorwort Das internationale Steuerrecht bleibt auch nach Abschluss der ersten Phase des BEPS-Projekts der OECD in Bewegung. Die Umsetzung der inzwischen vollständig vorliegenden Abschlussberichte steht ebenso noch bevor wie die Signierung des Multilateralen Instruments zur gleichzeitigen Änderung vieler Doppelbesteuerungsabkommen. Auf all dies müssen sich die Unternehmen einstellen und gegebenenfalls darauf reagieren. Der vorliegende Tagungsband dokumentiert die Referate und Diskussionen der unter dem Generalthema „Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt“ stehenden 33. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung des Interdisziplinären Zentrums für Internationales Finanz- und Steuerwesen (IIFS) der Universität Hamburg am 2. Dezember 2016. Herbert Krebühl, Mitglied des Ausschusses für Steuer- und Finanzpolitik der Handelskammer Hamburg, fordert die Gesetzgebung zu mehr Planungssicherheit sowie der inhaltlichen Ausrichtung am Normal- und nicht am Missbrauchsfall auf. Peter Tschentscher, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, fordert – mit Blick auf aktuelle Fehlentwicklungen bei „Dividendengeschäften“ – dazu auf, Grenzüberschreitungen zu vermeiden, die eine Stimmung befördern können, die sachlicher Gesetzgebungsarbeit unzuträglich ist. Roland Wacker bespricht aktuelle Entscheidungen des BFH zum internationalen Steuerrecht. Jörg Manfred Mössner befasst sich mit dem komplexen Verhältnis des § 1 AStG zu den Doppelbesteuerungsabkommen. Hubertus Baumhoff stellt die auf die Wirtschaft zukommenden praktischen Fragestellungen des Country-by-Country Reporting dar. Christine Osterloh-Konrad erläutert die Kernthesen des kürzlich dem BMF erstatteten Gutachtens des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen zu möglichen Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen. Daniel Sennewald gibt einen Überblick über praktische Folgen und Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs der DBA durch das BEPSProjekt.

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Vorwort Prof. Dr. Jürgen Lüdicke

Martin Kreienbaum stellt den materiellen Inhalt und die vorgesehene Wirkungsweise des unmittelbar vor der Tagung veröffentlichten Textes des „Multilateralen Instruments“ vor. Der vorliegende Tagungsband enthält die Referate sowie die sich daran anschließenden Podiumsdiskussionen zwischen Peter Carstens, Berend Holst, Martin Kreienbaum, Roland Wacker und den Referenten. Hamburg, im Mai 2017 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke

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Grußwort Sehr geehrter Herr Professor Lüdicke, sehr geehrter Herr Senator, meine sehr geehrten Damen und Herren, im Namen der Handelskammer Hamburg begrüße ich Sie alle sehr herzlich zur 33. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung. Die Handelskammer stellt ihre Räume seit langer Zeit sehr gerne für diese traditionelle Veranstaltung zur Verfügung, denn die Hamburger Wirtschaft, deren Rückgrat Außenhandel und Hafen sind, ist auf positive Rahmenbedingungen für internationale Investitionen angewiesen. Das gilt auch und gerade für das Steuerrecht. Denn Steuern sind Kosten und über zu wenig Kosten können wir uns in Deutschland wahrlich nicht beklagen. Umso wichtiger ist es, dass der deutsche Gesetzgeber für ein international wettbewerbsfähiges Steuerrecht sorgt. Die ständig steigende Komplexität und Kompliziertheit des Steuerrechts macht es aber den Unternehmen zunehmend schwerer, sich darin zurechtzufinden. Dies trifft insbesondere das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, die mittelständisch geprägten Familienunternehmen. Sehr geehrter Herr Senator, ich bin mir durchaus bewusst, dass die Schaffung und Verwaltung eines gerechten, effizienten und systematisch strukturierten Steuerrechts eine politische Daueraufgabe und leichter gesagt als getan ist. Dennoch bleibt der dringende Wunsch nach Steuervereinfachung, der seit Jahrzehnten von allen Akteuren – auch von uns – eingefordert wird. Leider hat sich hier bisher nicht viel getan. Im Gegenteil: Das Steuerrecht wird immer zerklüfteter und unübersichtlicher. Die zunehmend international verflochtene Wirtschaft ist ein komplexes, vielschichtiges Gebilde. Daran anknüpfende Steuerrechtsregelungen können deshalb denknotwendig nicht einfach sein. Der Steuergesetzgebungsprozess muss aber gerade wegen dieses Komplexitätsgrades verschiedene Leitlinien beachten. Nur so ist ein planvolles und für den Steuerbürger nachvollziehbares Steuerrecht möglich. Besonders wichtig erscheint uns als Leitlinie der Gesetzgebung: Es sollte mehr Planungssicherheit für die Unternehmen bei angemessener

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Grußwort Hans Herbert Krebühl

Rechtskontinuität geben. Gesetzgeberische „Schnellschüsse“ und systemdurchbrechende Abwehrregelungen sollten möglichst vermieden werden. Für systemverändernde Steuergesetze müssen stets nachvollziehbare „gute Gründe“ bestehen und offen und ehrlich kommuniziert werden. Unser Wunsch ist daher: Ein Steueränderungsgesetz pro Jahr mit ausreichender Vorlaufzeit für die Unternehmen. Ob dieses schon lange erwünschte gesetzgeberische Ziel tatsächlich irgendwann erreicht werden kann, bleibt abzuwarten. Eine gewisse Skepsis ist aber wohl angebracht. Ich bin mir dessen bewusst, dass der Wunsch nach einem „klugen“ Gesetzgeber für eine methodisch strukturierte „Schaffung von Recht“ leichter zu formulieren als umzusetzen ist. In den Fachministerien, die die Gesetzgebung vorbereiten, besteht ein langjähriges Know-how, was aber der Öffentlichkeit nur beschränkt zugänglich ist und oftmals in der „Hektik“ des Gesetzgebungsprozesses in Vergessenheit zu geraten scheint. Dennoch ist festzustellen: Der Gesetzgebungsprozess selbst muss strukturell verbessert werden. Darüber hinaus sollten Gesetze am „Normalfall“, nicht am Missbrauchsfall ausgerichtet werden. Thema der heutigen Tagung sind die internationalen Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt. Damit greifen Sie, lieber Herr Lüdicke, gemeinsam mit Ihren Mitstreitern im International Tax Institute der Universität Hamburg, wieder einmal ein hochaktuelles Thema auf und Ihre hochkarätigen Referenten und Diskussionspartner versprechen spannende und weiter führende Vorträge und Diskussionen. Meine Damen und Herren, wir als Handelskammer sind stolz darauf, dass wir diese Tagung nun schon seit langer Zeit begleiten dürfen, und würden gerne auch in der Zukunft den Rahmen für diese Veranstaltung stellen, denn wie die ungebremst hohe Teilnahme belegt, ist diese Tagung nicht nur in der Hamburger Steuerwelt fest verankert. Leider haben sich die Gewitterwolken, die seit mehr als einem Jahr über dem Ausrichter dieser Tagung, dem International Tax Institute der Universität Hamburg oder kurz IIFS, schweben, nicht verzogen. Im Gegenteil, sie sind noch dichter geworden. Wie von Herrn Prof. Lüdicke bei der letzten Tagung erwähnt, soll die bestehende Professur für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht, die aufgrund des viel zu frühen Todes von Herrn Prof. Schmehl seit einiger Zeit vakant ist, auf Betreiben der Fakul-

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Grußwort Hans Herbert Krebühl

tät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg in eine Professur für Seevölkerrecht umgewidmet werden. Daran haben leider viele Briefe von hochrangigen in- und ausländischen Institutionen und Persönlichkeiten an den Dekan der Fakultät und den Präsidenten der Universität, die sich vehement für einen Erhalt des steuerlichen Schwerpunktbereichs eingesetzt haben, nichts geändert. Ich möchte mich ausdrücklich auch bei Ihnen, sehr geehrter Herr Senator, für Ihre bisherige Unterstützung in dieser Angelegenheit bedanken, die Sie schon in Ihrem letztjährigen Grußwort von diesem Podium aus versprochen hatten. Wie ich bereits erwähnte, ist der Hamburger Hafen Rückgrat der hiesigen Wirtschaft. Daher begrüßen und unterstützen wir natürlich nachdrücklich, dass das Seerecht einen Schwerpunkt der rechtswissenschaftlichen Lehre und Forschung in Hamburg bildet und auch weiterhin bilden muss. Die Alternative kann aber nicht ein „entweder – oder“ sondern nur ein „sowohl – als auch“ sein. Beide Schwerpunkte, sowohl das See- als auch das Steuerrecht, waren bisher im Rahmen der Möglichkeiten auskömmlich besetzt – und das war gut so. Es erschließt sich daher für uns nicht, warum mit der Umwidmung der Professur Schmehl das Steuerrecht auf ein Maß zurückgeführt werden soll, mit dem der bisherige Qualitätsanspruch und die vielfältigen Aktivitäten des IIFS, wozu unter anderem diese Tagung gehört, nicht mehr im bisherigen Umfang aufrechterhalten werden können. Es ist uns völlig unverständlich, dass die erfolgreiche, national und international anerkannte Arbeit des IIFS durch die Ausdünnung der Ressourcen dramatisch eingeschränkt werden soll. Das Steuerrecht steht im Fokus der gesellschaftlichen und politischen Diskussion, wie die Vorschläge von G20, G7, OECD und EU nachdrücklich belegen. Eine Einstellung der Aktivitäten des IIFS, das sich auf die internationalen Aspekte der Besteuerung spezialisiert hat, würde sicherlich nicht nur in Fachkreisen mit Verständnislosigkeit aufgenommen werden. Eine derart wertvolle wissenschaftliche Basis für die im Zentrum der Gesellschaft geführte Diskussion einfach aufzugeben, dürfte dem Ansehen der Universität und dem Wissenschaftsstandort Hamburg schweren Schaden zufügen. Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Senator, ich bitte Sie weiterhin um Ihre tatkräftige Unterstützung, damit das über Jahrzehnte aufgebaute und national und international erfolgreich agierende IIFS nicht aufgelöst werden muss und diese Tagung auch in Zukunft in der bekannt herausragenden Qualität durchgeführt werden kann.

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Grußwort Hans Herbert Krebühl

Nach diesem eindringlichen Appell bleibt mir nur noch, Ihnen einen fruchtbaren und gewinnbringenden Tag zu wünschen. Ich möchte Sie ausdrücklich ermuntern, die Gelegenheit zu nutzen, mit den Experten über die vielfältigen Aspekte internationaler Unternehmensbesteuerung zu diskutieren. Ich wünsche Ihnen aufschlussreiche Informationen und wertvolle Erkenntnisse, aber auch gute Begegnungen und Gespräche am Rande des Fachprogramms, und, soweit Sie nicht aus unserer schönen Hansestadt kommen, genießen Sie anschließend unbedingt noch einige der vielen Hamburger Sehenswürdigkeiten oder unterstützen Sie die Hamburger Wirtschaft mit der Erledigung der langsam dringlich werdenden Weihnachtseinkäufe. Die vielen Geschäfte in der Nähe mit ihrer riesigen Auswahl laden dazu ein. Herzlichen Dank. Hans Herbert Krebühl Mitglied des Ausschusses für Steuer- und Finanzpolitik der Handelskammer Hamburg

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Grußwort Sehr geehrter Professor Lüdicke, sehr geehrter Herr Krebühl, sehr geehrte Damen und Herren, auch im Namen des Senats herzlich willkommen zu dieser 33. Tagung zur Internationalen Besteuerung. Ich kann den Ausführungen von Herrn Krebühl zur Nachfolge von Herrn Prof. Schmehl eigentlich nichts hinzufügen, aber Ihnen versichern, dass wir – bei allem Respekt vor der Freiheit der Universität und von Forschung und Lehre – die Plausibilität für eine steuerrechtliche Wiederbesetzung dieses Lehrstuhls weiterhin vertreten werden. Sie haben wieder aktuelle Themen im Programm, die eine steuerrechtliche Würdigung verdienen. Vielleicht darf ich aber im Rahmen dieses Grußwortes, unabhängig von der fachlichen Diskussion, eine Einschätzung zur allgemeinen steuerpolitischen Entwicklung geben, wie ich sie derzeit wahrnehme. Die Steuerpolitik insgesamt und die Themen der internationalen Besteuerung, die Sie auf Ihrer jährlichen Tagung besprechen, haben in der Bundespolitik und in der Arbeit des Bundesrates Jahr für Jahr zugenommen. Dabei geht es nicht mehr nur um die viel beachteten BEPS-Themen der OECD und der G20-Staaten, um Verrechnungspreise, Country-byCountry Reporting oder Lizenzboxen, die Einfluss darauf haben, wie das Steueraufkommen global tätiger Unternehmen international verteilt wird. Es geht in letzter Zeit auch zunehmend um Probleme, die zwar eine grenzüberschreitende Komponente haben, die wir in Deutschland aber im Wesentlichen mit uns selbst, mit unseren Unternehmen und Banken, mit unseren eigenen steuerrechtlichen Regelungen haben. Gerade gestern hat sich die Finanzministerkonferenz in Berlin in einer sehr ausführlichen Diskussion mit dem jüngsten BMF-Schreiben zur wirtschaftlichen Zurechnung bei Wertpapiergeschäften und der Anwendung der entsprechenden Grundsätze eines BFH-Urteils vom August letzten Jahres befasst. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass es in den letzten Jahren nicht nur unterschiedliche Formen sogenannter Cum-Ex-Geschäfte mit unzulässigen Mehrfachsteuererstattungen gegeben hat, sondern auch sogenannte Cum-Cum-Geschäfte, die, nicht alle, aber einige, aus-

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Grußwort Dr. Peter Tschentscher

schließlich der Steuervermeidung dienen sollten. Die Schäden für den Fiskus aus solchen Geschäften gehen vermutlich in die Milliarden. Man kann lange darüber streiten, ob immer allen Akteuren klar war, wer sich aus welchen Gründen an solchen Geschäften beteiligt hat. Ob es ein Unrechtsbewusstsein gegeben haben muss, ob der Staat vielleicht sogar selbst Schuld ist, wenn er Gesetzeslücken lässt, die dann gezielt genutzt werden. Mittlerweile befassen sich nicht nur Finanzämter und Betriebsprüfer, Steuerfahnder und Staatsanwaltschaften mit diesen Fragen, sondern auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages. Bei aller Komplexität der meisten Sachverhalte gibt es in Deutschland aber eine einfache und klare Haltung einer großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, der Politik, der Presse und der öffentlichen Meinung, dass es nicht in Ordnung ist, Geschäfte zu machen, deren Rendite nur darin besteht, Steuern nicht zu zahlen oder sich sogar Steuern anzueignen, die andere gezahlt haben. Die Politik reagiert auf solche Fälle zunehmend ungehalten und kommt selbst unter Druck. Auch in den Beratungen unter den Finanzministern gestern habe ich dieses – und zwar unabhängig von Parteizugehörigkeiten – wahrgenommen. Eine empörte Stimmung, in der weitreichende Entscheidungen zum Vorgehen der Politik und der Steuerbehörden getroffen werden könnten, ohne dass nüchtern über die Konsequenzen nachgedacht wird. Diese Stimmung überlagert dann auch das wichtige Verständnis und die Bemühungen um ein modernes Steuerrecht, das den Anforderungen unserer im Wettbewerb stehenden Unternehmen gerecht wird. Darauf hat Herr Krebühl gerade noch einmal sehr deutlich hingewiesen. Ich hoffe deshalb, dass es gelingt, Fehlentwicklungen im Bereich solcher Geschäfte – Cum-Ex-, Cum-Cum- und ähnlicher Geschäfte – vernünftig zu korrigieren, ohne dass es zu Kollateralschäden kommt. Sollten Sie als Steuerrechtsexperten dazu Hinweise haben oder mit Mandanten, Unternehmen, Banken oder Finanzinstituten über solche Fragen sprechen, legen Sie ein gutes Wort ein im Interesse der Allgemeinheit, die Grenze zur unzulässigen Steuergestaltung nicht zu überschreiten. Soweit meine Einschätzung zur, wenn ich es so sagen darf, politischen Großwetterlage in steuerlichen Problemzonen. Nun aber zu Ihren Fachthemen und Ihrem Programm. Ich wünsche Ihnen für Ihre Diskussionen auch in diesem 33. Jahr der Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung informative Vorträge und gute Diskussionen über die aktuellen Fragen und allen auswärtigen Gästen einen sehr

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Grußwort Dr. Peter Tschentscher

schönen Aufenthalt in unserer schönsten Stadt Deutschlands. Herzlichen Dank. Dr. Peter Tschentscher Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg

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Inhaltsverzeichnis Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge. Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Grußworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Roland Wacker Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Das Überschreiben von DBA (Treaty Override) . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Finale Verluste ausländischer Betriebsstätten und EU-Recht . . .

16

D. Währungsverluste i.Z.m. ausländischen und nach DBA freigestellten Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

E. Anrechnung ausländischer Steuern und Höhe der ausländischen Einkünfte – wirtschaftlicher Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. em. Dr. Jörg Manfred Mössner Wird § 1 AStG noch durch Doppelbesteuerungsabkommen begrenzt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einleitung und methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . .

50

B. Völkerrecht und nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

C. Art. 9 OECD-MA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

D. Anlass der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Saving-Clause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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F. Resumée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Wird § 1 AStG noch durch Doppelbesteuerungsabkommen begrenzt? Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Country-by-Country Reporting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Ausgangspunkt: OECD/G20-BEPS-Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Umsetzung in nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 C. Veröffentlichung des Country-by-Country Reporting . . . . . . . . . . 109 D. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 E. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Country-by-Country Reporting Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Dr. Christine Osterloh-Konrad Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 B. Die Zielsetzung einer Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 C. Anzeigepflicht und Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht . . . . . . . . 131 D. Zu den verfassungs- und europarechtlichen Grenzen . . . . . . . . . . 137 E. Die Ausgestaltung einer Anzeigepflicht in Deutschland . . . . . . . 141 F. Weiterführende rechtspolitische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . 146 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

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Daniel Sennewald Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs . . . 163 A. Hintergrund der Ausweitung des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs und Zielsetzung der OECD/G20 . . . . . . . 164 B. Verhinderung der künstlichen Vermeidung von Betriebsstätten (BEPS-Aktionspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 C. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 MinDirig Martin Kreienbaum Das Multilaterale Instrument zur Modifikation bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 A. Vorbemerkungen zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 B. Die Bestimmung der Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 C. Der zu verändernde Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 D. Nationale Umsetzung des Multilateralen Instruments . . . . . . . . 210 E. Materiell-rechtliche Änderungen bzgl. Art. 5 OECD-MA . . . . . . 212 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und das Multilaterale Instrument zur Modifikation bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter des I. Senats am Bundesfinanzhof

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Überschreiben von DBA (Treaty Override) . . . . . . . . . . I. BFH-Verfahren I R 66/09 – Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . II. Vorlagebeschluss . . . . . . . . . . III. Beschluss des BVerfG vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 . . . . . . . . . . . IV. Verfahrensfortgang . . . . . . . . V. Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . VI. Treaty Override und zeitlich nachfolgendes DBA . . . . . . . . 1. BFH-Urteil vom 25.5.2016 – I R 64/13, DB 2016, 2036 a) Leitsatz . . . . . . . . . . . . . b) Sachverhalt (gestrafft). . c) Aus den Gründen . . . . . 2. Anmerkungen . . . . . . . . . . VII. Unilateraler Betriebsstättenbegriff und Gewerbesteuer . . 1. BFH-Urteil vom 20.7.2016 – I R 50/15, DStR 2016, 2457 . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt . . . . . . . . . . b) Aus den Gründen . . . . . c) Leitsatz . . . . . . . . . . . . . 2. Anmerkungen . . . . . . . . . .

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C. Finale Verluste ausländischer Betriebsstätten und EU-Recht 16 I. Symmetriethese – EU-Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . 16 II. EuGH-Urteil Timac Agro vom 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 . . . . . . . 17

1. Sachverhalt (stark vereinfacht) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leitsatz 2. . . . . . . . . . . . . . III. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . D. Währungsverluste i.Z.m. ausländischen und nach DBA freigestellten Betriebsstätten I. Ausgangspunkt: BFH-Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 1. BFH-Urteil vom 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. BFH-Urteil vom 2.12.2015 – I R 13/14, DStR 2016, 853. . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt (vereinfacht). . . . . . . . . . . . . . . b) Aus den Gründen. . . . . 3. Finanzverwaltung/ Literatur . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsprechung des EuGH: Kontinuität oder Wandel? . . 1. EuGH-Urteil Deutsche Shell vom 28.2.2008 – C-293/06, BStBl. II 2009, 976. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. EuGH-Urteil X vom 10.6.2015 – C-686/13, IStR 2015, 557. . . . . . . . . . III. Folgerechtsprechung: BFH-Urteil vom 2.12.2015 – I R 13/14, DStR 2016, 853 . . IV. Anmerkungen . . . . . . . . . . . .

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht E. Anrechnung ausländischer Steuern und Höhe der ausländischen Einkünfte – wirtschaftlicher Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG I. Rechtlicher Rahmen . . . . . . . II. BFH-Urteil vom 6.4.2016 – I R 61/14, BFHE 253, 348 = DStR 2016, 1599 . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . 2. Aus den Gründen . . . . . . .

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3. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . III. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . 1. Feststellungsverfahren/ Veranlagungsverfahren . . 2. Materielle Aspekte des Besprechungsurteils . . . . . 3. Weiterungen für § 34d EStG . . . . . . . . . . . . 4. Weiterungen für § 50d Abs. 3 EStG . . . . . . . 5. § 10 Abs. 4 AStG . . . . . . .

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A. Einleitung Gegenstand meines Vortrags sind nicht die Entscheidungen des I. BFHSenats, die mit dem zu erwartenden Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen1 überschrieben werden sollen. Vielmehr wollen wir uns den jüngeren Rechtsprechungsentwicklungen zuwenden, von denen man annehmen kann, dass sie zumindest im Ausgangspunkt weiterhin in der Hand der Rechtsprechung bleiben. Demgemäß zunächst ein Blick auf das sog. Treaty Overriding sowie auf das Nebeneinander von unilateralem Recht und dem Recht der DBA. Anschließend einige Worte zu den Judikaten von EuGH und BFH rund um das Thema der sog. finalen Verluste einschließlich der Behandlung von Währungsverlusten. Den Abschluss bilden dann die bisherigen Antworten dazu, nach welchen Regeln in Fällen der Anrechnung ausländischer Steuern auf die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer die Höhe der ausländischen Einkünfte und damit der Anrechnungsbetrag zu ermitteln sind.

1 Entwurf v. 12.8.2016, BR-Drucks. 406/16. Vorgesehen ist u.a. die Änderung (bzw. Ergänzung) von § 50d Abs. 10 EStG (Erweiterung der Switch-over-Klausel), § 1 Abs. 1 AStG (Überschreiben von Art. 9 OECD-MA für Zwecke des Fremdvergleichs; s. dazu auch BR-Drucks. 406/16 [Beschluss]) und § 7 sowie § 9 Nr. 3 GewStG (Zuordnung der AStG-Hinzurechnungsbeträge zu den inländischen gewerbesteuerpflichtigen Betriebsstättengewinnen). Nach der Stellungnahme des Bundesrats (BR-Drucks. 406/16 [Beschluss]) soll § 50d EStG um einen neuen Absatz 12 ergänzt werden (Qualifikation von Arbeitnehmerabfindungen grundsätzlich als Entgelt für frühere Tätigkeit).

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B. Das Überschreiben von DBA (Treaty Override) I. BFH-Verfahren I R 66/09 – Sachverhalt „II. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind im Streitjahr 2004 zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielte im Streitjahr als Techniker – und wohl auch als Gesellschafter-Geschäftsführer – Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit bei einer im Inland ansässigen GmbH. Sein Bruttoarbeitslohn betrug insgesamt 133.276 Euro. Laut Arbeitgeberbescheinigung sind darin Einkünfte für in der Republik Türkei (Türkei) erbrachte Tätigkeiten in Höhe von 93.441 Euro enthalten. In ihrer Einkommensteuererklärung beantragten die Kläger, den für die Zeit vom 8. März bis 31. Dezember des Streitjahres auf die Türkei entfallenden Anteil des Arbeitslohns nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 steuerfrei zu belassen und nur den Differenzbetrag der Einkommensteuer zu unterwerfen. Da der Kläger keinen Nachweis über die Steuerfreiheit oder Steuerentrichtung für den auf die Tätigkeit in der Türkei entfallenden Arbeitslohn erbracht hat, behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) den gesamten im Streitjahr erzielten Bruttoarbeitslohn unter Hinweis auf § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. als steuerpflichtig.“2

Die Vorschrift (§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG) lautet: „Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden.“ „Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos; das Finanzgericht (FG) RheinlandPfalz wies sie mit Urteil vom 30. Juni 2009 6 K 1415/09 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1649) als unbegründet ab.“3

II. Vorlagebeschluss Der I. Senat hat mit Beschluss vom 10.1.20124 (ergänzt durch weiteren Beschluss vom 10.6.20155) das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der mit der Re-

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BFH v. 29.6.2016 – I R 66/09, IStR 2016, 98 Rz. 2 f. BFH v. 29.6.2016 – I R 66/09, IStR 2016, 98 Rz. 4. BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, BFHE 236, 304. BFH v. 10.6.2015 – I R 66/09, BFH/NV 2015, 1250.

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gelung des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 verbundenen Abkommensüberschreibung (sog. Treaty Override) vorgelegt.

III. Beschluss des BVerfG vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 Das BVerfG hat entgegen der Vorlage des BFH die Verfassungsmäßigkeit des Treaty Override – trotz seines völkerrechtlichen Verstoßes – bejaht und hierzu in den Leitsätzen seines Beschlusses wie folgt formuliert: „2. Aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, dass völkerrechtlichen Verträgen, soweit sie nicht in den Anwendungsbereich einer anderen, spezielleren Öffnungsklausel – insbesondere Art. 23 bis 25 GG – fallen, innerstaatlich der Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes zukommt. 3. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schränkt die Geltung des lex-posterior-Grundsatzes für völkerrechtliche Verträge nicht ein. Spätere Gesetzgeber müssen – entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes [Anm: also entsprechend dem Demokratieprinzip] – innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können. 4. Die Verfassungswidrigkeit völkerrechtswidriger Gesetze lässt sich nicht unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begründen. Dieser Grundsatz hat zwar Verfassungsrang, beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen. 5. Aus dem Rechtsstaatsprinzip kann ein (begrenzter) Vorrang des Völkervertragsrechts vor dem (einfachen) Gesetz oder eine Einschränkung des lex-posteriorGrundsatzes nicht abgeleitet werden.“

IV. Verfahrensfortgang Der BFH hat daraufhin das Revisionsverfahren fortgesetzt und mit dem nicht zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 29.6.20166 die Klage abgewiesen. Der I. Senat hat hierbei auch betont, dass nach dem vorgenannten Beschluss des BVerfG der auf dem Treaty Override beruhende Besteuerungszugriff auch mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist;7 auch dies wurde im Rahmen der Vorlage noch anders gesehen.

6 BFH v. 29.6.2016 – I R 66/09, IStR 2016, 981. 7 S. hierzu auch Frotscher, IStR 2016, 561.

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V. Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG 1. Weitere Vorlagen: Der I. Senat hat bekanntlich zwei weitere auf eine Abkommensüberschreibung zielende Normen dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt: zum einen im Verfahren I R 86/138 – Pilot einer irischen Fluggesellschaft mit Wohnsitz im Inland – die Regelung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG (Rückfallklausel bei Nichtbesteuerung im Quellenstaat aufgrund fehlender unbeschränkter Steuerpflicht) und zum anderen im Verfahren I R 4/139 – inländische KG erhält Darlehen von einer in Italien ansässigen natürlichen Person, die zugleich als Mitunternehmer an der KG beteiligt ist – die Bestimmung des § 50d Abs. 10 EStG. Beide Vorlagen betreffen jedoch nicht nur die Abkommensüberschreibung, sondern auch die jeweils angeordneten Rückwirkungen; auch diese stehen mithin auf dem Prüfstand des BVerfG. 2. Schrifttum: Der Beschluss des BVerfG10, der als Schlusspunkt einer intensiven und kontroversen Diskussion11 steht und insbesondere mit Rücksicht auf seine Ausführungen zum Demokratieprinzip überzeugt hat, ist auch im Schrifttum12 auf Zustimmung gestoßen. 3. EU-Recht: Vereinzelt wird jedoch die Ansicht vertreten, dass das Treaty Override gegen EU-Recht sowohl im Hinblick auf die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 3 EUV) als auch gegen die Gewährleistung der Grundfreiheiten des AEUV verstoße.13 Die Ansicht würdigt nicht hinreichend,14 dass der BFH in seinem Vorlagebeschluss15 die durch ein Treaty Override regelmäßig bewirkte Gleichbehandlung von Inbound- und Outbound-Aktivitäten unter Rück-

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BFH v. 20.8.2014 – I R 86/13, BFHE 246, 486 = BStBl. II 2015, 18. BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13, BStBl II. 2014, 791. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359. Musil, FR 2016, 297 (300). Z.B. Mitschke, DStR 2016, 376; Frenz, DVBl. 216, 509; Musil, FR 2016, 297; Kußmaul/Schwarz, Ubg 2016, 392; a.A. Stöber, DStR 2016, 1889: BVerfG habe Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes zu Unrecht zur bloßen Auslegungshilfe degradiert; Haarmann, BB 2016, 2775: Verstoß gegen Art. 3 GG mit Rücksicht auf abkommensrechtliche Schiedsklauseln. 13 Scherer, IStR 2016, 741; Stöber, DStR 2016, 1889. 14 Vgl. – differenzierend zwischen „bisherigem Ansässigkeits- und potenziellem Zuzugsstaat“ – Stöber, DStR 2016, 1889. 15 BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, BFHE 236, 304 Rz. 25.

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griff auf die Rechtsprechung des EuGH16 als nicht diskriminierend und damit als unionsrechtskonform erachtet hat.17 4. Zukünftige Praxis: Auch mit Rücksicht hierauf wird allerdings naheliegend die Befürchtung geäußert, der Gesetzgeber könne von dem nunmehr rechtssicheren Handlungsspielraum extensiv Gebrauch machen.18 Einen ersten Vorgeschmack vermittelt der bereits erwähnte Gesetzentwurf zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen.

VI. Treaty Override und zeitlich nachfolgendes DBA 1. BFH-Urteil vom 25.5.2016 – I R 64/13, DB 2016, 2036 a) Leitsatz „§ 50d Abs. 8 EStG 2002 (i.d.F. des StÄndG 2003) wird durch ein zeitlich nachfolgendes DBA nicht verdrängt.“

b) Sachverhalt (gestrafft) Die verheiratete Klägerin nahm im Streitjahr (2008) als „Democratization Officer“ in sog. sekundierter Position an einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE [im englischen Original: OSCE = Organisation for Security and Co-operation in Europe]) in Aserbaidschan teil; dabei war sie in die Organisation der Mission eingegliedert und unterlag ihren Weisungen. Sie erhielt für diese Tätigkeit (mit einem dortigen Aufenthalt von mehr als 183 Tagen) u.a. ein Tagegeld für Unterkunft und Verpflegung („Board and Lodging Allowance“ – BLA) in Höhe von insgesamt 45.793 Euro (Zahlung direkt von der OSZE auf ihr Konto). 16 EuGH v. 6.12.2007 – C-298/05 – Columbus Container Services, Slg. 2007, I-10451 betr. § 20 AStG. Das EuGH-Urteil stellt zugleich klar, dass das Verhältnis von originär nationalem Recht und den Rechten i.Z.m. bilateralen Abkommen (z.B. DBA) nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtshofs fällt. 17 S. zum Diskussionsstand auch ausführlich und instruktiv Lehner in Vogel/ Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 270a. 18 S. – z.B. – die Mahnung von Lehner, IStR 2016, 217, der Gesetzgeber solle sich beim Erlass völkerrechtswidriger Gesetze zurückhalten; den „Willkommensgruß“ von Gosch, DB 15/2016, M5; D. Riedel, Aufruf zur Vertragsuntreue, Handelsblatt v. 23.2.2016, S. 11.

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Unstreitig war, dass die Klägerin auch im Jahre 2008 sowohl ihren Wohnsitz als auch den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen i.S.v. Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Aserbaidschan im Inland hatte. Unstreitig war ferner, dass die Tagegelder aufgrund der Eingliederung der Klägerin in die OSZE nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 DBA-Aserbaidschan von der deutschen Einkommensteuer freizustellen waren und in der Republik Aserbaidschan aufgrund des Erreichens der 183-Tages-Grenze besteuert werden konnten. Die Tagegelder gehörten auch nicht zu den Vergütungen i.S.d. Art. 19 DBA-Aserbaidschan (Öffentlicher Dienst), da der OSZE als verstetigte Staatenkonferenz keine eigene Völkerrechtssubjektivität zukommt. Ferner lag auch kein Programm der wirtschaftlichen Zusammenarbeit i.S.v. Art. 19 Abs. 4 DBA-Aserbaidschan vor, da die Tagegelder nach den Feststellungen des FG nicht aus Mitteln gezahlt wurden, die ausschließlich von Deutschland bereitgestellt wurden. Unstreitig war schließlich auch, dass die Klägerin den nach § 50d Abs. 8 EStG für die Freistellung erforderlichen Nachweis der Besteuerung der Tagegelder in Aserbaidschan nicht erbracht hatte. Streitig war mithin allein, ob die Treaty Override-Regelung des § 50d Abs. 8 EStG (subject-to-tax-Klausel) deshalb nicht zum Zuge kommt, weil die Vorschrift durch das Steueränderungsgesetz 2003 v. 15.12.200319 eingefügt worden ist, das DBA-Aserbaidschan v. 25.8.2004,20 das eine solche Rückfallklausel nicht kennt, aber erst am 28.12.2005 in Kraft und erst ab 1.1.2006 anzuwenden ist.21 Aufgrund dieses zeitlichen Ablaufs hat die Vorinstanz (FG Hamburg)22 unter Rückgriff auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG sowie die lex-posterior-Regel angenommen, dass § 50d Abs. 8 EStG durch das später wirksam gewordene DBA verdrängt werde. Dem konnte sich der BFH nicht anschließen. Nach seiner Ansicht war § 50d Abs. 8 EStG auch in diesem Streitfall mit der Folge zu beachten, dass die Tagegelder in der Bundesrepublik der Einkommensteuer unterlagen. Die Klage war demnach abzuweisen.

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BGBl. I 2003, 2645 = BStBl. I 2003, 710. BGBl. II 2005, 1147 = BStBl. I 2006, 292. Vgl. BGBl. II 2006, 120 sowie Art. 31 Abs. 2 DBA-Aserbaidschan. FG Hamburg v. 21.8.2013 – 1 K 87/12, EFG 2013, 1932.

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c) Aus den Gründen „3. Das angefochtene Urteil verletzt […] Bundesrecht insoweit, als es der Regelung des § 50d Abs. 8 EStG 2002 n.F. im Streitfall keine die abkommensrechtliche Steuerfreistellung (s. zu 2.) wiederum ausschließende Wirkung beigemessen hat. […] a) […] Zu dem Zweck der Regelung, die sich als sog. subject-to-tax-Klausel auf solche Einkünfte bezieht, die in dem nach Abkommensrecht berechtigten Staat nicht deklariert wurden (s. z.B. Schwarz, Treaty overriding und § 50d EStG, 2016, S. 262 f.), heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs (BRDrucks 630/03, S. 66): ‚(Es) soll verhindert werden, dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, z.B. weil dann keine Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Steuerpflichtigen mehr bestehen. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, die Steuerbefreiung aufgrund DBA von einem solchen Nachweis abhängig zu machen. … Sind die Einkünfte der deutschen Besteuerung unterworfen worden, so ist nach Satz 2 der Steuerbescheid zu ändern, sobald der Steuerpflichtige den in Satz 1 geforderten Nachweis erbringt. Dadurch wird sichergestellt, dass das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats geschützt ist und die Gefahr einer sonst eintretenden Doppelbesteuerung vermieden wird. Nach Satz 3 ist § 175 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend anzuwenden. Danach beginnt die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Nachweis nach Satz 1 geführt wird. Der Steuerpflichtige hat damit ausreichend Zeit, die dem Abkommen entsprechende steuerliche Behandlung herbeizuführen.‘ b) [Vorrang gegenüber DBA.] Die durch das Zustimmungsgesetz zum DBA-Aserbaidschan in nationales Recht überführte Regelung des Abkommens (Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Aserbaidschan), die ein solches Nachweiserfordernis für eine Steuerfreistellung nicht vorsieht, hat keinen Vorrang gegenüber § 50d Abs. 8 EStG 2002 n.F. aa) Nach dieser Bestimmung wird ‚die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens‘ nur unter bestimmten Bedingungen gewährt. Auf diese Weise hat der Gesetzgeber in eindeutiger Weise zum Ausdruck gebracht, Abkommensrecht zu derogieren. Dabei ist dem FG nicht darin beizupflichten, dass sich dem Wortlaut des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. nicht eindeutig und zwingend entnehmen lasse, dass dieser Vorrang auch Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) erfassen soll, die nach Erlass des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. in Kraft getreten sind. Der Wortlaut lässt vielmehr keinerlei Einschränkung in zeitlicher Hinsicht erkennen (gl.A. z.B. Schwarz, a.a.O., S. 47, 287 f.; Wagner, EFG 2013, 1935, 1936). bb) [Keine Einschränkung mit Rücksicht auf jeweiligen Abkommensinhalt – keine lex-posterior-Regel.] Entgegen der Ansicht des FG lässt sich auch aus der Existenz von – dem Inkrafttreten der Regelung des § 50d Abs. 8 EStG 2002 n.F. zeitlich

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht nachfolgenden – DBA, die teilweise (wie im Streitfall) keinen Vorbehalt zur Anwendung der Freistellungsmethode enthalten, teilweise jedoch die Anwendung der Freistellungsmethode von der tatsächlichen Besteuerung im Ausübungsstaat abhängig machen (so beispielsweise Art. 22 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Bulgarien, BGBl. II 2010, 1287, BStBl. I 2011, 544; Art. 22 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Ungarn, BGBl. II 2011, 920, BStBl. II 2012, 156; Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien, BGBl. II 2010, 1334, BStBl. I 2011, 470), keine tragfähige Begründung zu einer Einschränkung des Wirkbereichs des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. ableiten (in der Sache aber z.B. Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 2008, S. 38 f.; Jochimsen, Internationale Steuer-Rundschau – ISR – 2016, 125, 127). Letzteres hieße, dem Normgeber – auf der Grundlage einer Verpflichtung, eine solche Sachfrage vorrangig bilateral zu regeln (zutreffend Hinweis von Cloer/Hagemann, Steuerrecht kurzgefasst 2014, 124) – den Willen zu unterstellen, durch das Zustimmungsgesetz im sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens die bereits vorhandene nationale Regelung mit einer einengenden Voraussetzung für die Steuerfreistellung (teilweise) außer Kraft zu setzen (‚national law override‘ […]) und deren Regelungszweck (s. zu § 50d Abs. 8 EStG 2002 n.F. bereits oben: Keine Freistellung der im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärten Einkünfte) nur noch nach abweichenden Maßgaben aufrecht zu erhalten (so im Ergebnis wohl Musil, Finanz-Rundschau 2016, 297, 302; Frenz, Deutsches Verwaltungsblatt 2016, 509, 511; s.a. Jochimsen, ISR 2016, 125, 128). Da dies aber für die geltende Abkommenslage im Streitfall nicht ersichtlich ist, kann die Anwendung der allgemeinen Auslegungsregel zum Vorrang des späteren Gesetzes (lex-posterior-Grundsatz) nicht zum Tragen kommen […]. cc) [Einklang mit Verständnis des BVerfG.] Eine dieser Rechtsansicht des Senats entsprechende Deutung dürfte auch den (den Senat allerdings insoweit nicht bindenden) Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seinem Beschluss vom 15. Dezember 2015 2 BvL 1/12 […]) zugrunde liegen. In diesem Beschluss hat das BVerfG entschieden, dass dahinstehen könne, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 n.F. eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) darstellt. Jedenfalls verbiete das Grundgesetz eine Überschreibung der dort genannten völkervertraglichen Vereinbarungen durch abweichende nationale Regelungen im Regelfall nicht. Dazu heißt es im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip als Prüfungsmaßstab (Rz. 88): ‚Eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) führt zu keiner größeren Rechtsunsicherheit, als sie mit den Grundsätzen der lex posterior und der lex specialis allgemein verbunden ist. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG seinen Willen zur Abkommensüberschreibung (Treaty Override) eindeutig zum Ausdruck gebracht hat (‚ungeachtet des Abkommens‘), so dass weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 wollte der (Bundes-)Gesetzgeber vielmehr offensichtlich eine gegenüber Zustimmungsgeset-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht zen zu Doppelbesteuerungsabkommen vorrangige Regelung treffen (vgl. Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 [390]).‘“

2. Anmerkungen 1. Auch wenn die Aussagen des BVerfG zur Auslegung des einfachen Rechts – sofern sie nicht auf durch die Verfassung geleiteten Erwägungen beruhen – die Gerichte nicht binden, hat der Beschluss des BVerfG vom 15.12.201523 die allgemeinen Grundsätze zur Lösung von Normkonflikten auf der Stufe des einfachen Rechts zutreffend zusammengefasst. Hiernach gilt, dass eine solche Kollision, auch wenn sie tranformiertes Recht (hier: Art. 59 GG i.V.m. völkerrechtlichem Vertrag) betrifft, nach der Zeitfolge oder nach der Spezialität der Regelungen aufzulösen ist.24 2. Hiervon ausgehend hat sich das Besprechungsurteil zutreffend dafür entschieden, in dem Treaty Overriding des § 50d Abs. 8 EStG die speziellere Regelung zu sehen, der auch gegenüber später in Kraft getretenen DBA Vorrang zukommt. Dies entspricht nicht nur dem (nicht bindenden; s.o.) Verständnis des BVerfG25. Die Sicht wird auch im Schrifttum26 zwischenzeitlich geteilt. 3. Dieses Grundverständnis wird auch auf sonstige abkommensüberschreibende Regelungen jedenfalls dann zu übertragen sein, wenn die jeweilige Norm die Absicht des Abkommensbruchs i.S.d. Melford-Klausel („ungeachtet des Abkommens“) unmissverständlich zum Ausdruck bringt.27 4. Anders liegen die Dinge nach dem Besprechungsurteil selbstverständlich dann, wenn dem DBA selbst (z.B. im Rahmen von Protokollvorbehalten) – wiederum unmissverständlich – der Wille zum Domestic-lawOverride zu entnehmen ist.

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BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 Rz. 50 f., 81. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 Rz. 88. Ausführlich und instruktiv Frotscher, IStR 2016, 561; Kußmaul/Schwartz, Ubg 2016, 392 (396); Brandis, BFH/PR 2016, 343; a.A. (nunmehr) Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 6c; Stöber, DStR 2016, 1893. 27 Zum Diskussionsstand s. z.B. Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 194 mwN; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2015, Rz. 307; weiter gehend BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13, BStBl. II 2014, 791 Rz. 38: „Auch ein verdecktes Treaty overriding ist aufgrund seines Inhalts und seiner Wirkungsweise als solches zu qualifizieren …“.

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VII. Unilateraler Betriebsstättenbegriff und Gewerbesteuer 1. BFH-Urteil vom 20.7.2016 – I R 50/15, DStR 2016, 2457 a) Sachverhalt „I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Einkaufsbüro in der Republik Türkei (Türkei) als nicht im Inland belegene Betriebsstätte i.S. von § 9 Nr. 3 des Gewerbesteuergesetzes 2002 in der für die Streitjahre (2004 bis 2010) geltenden Fassung (GewStG) anzusehen und dementsprechend der Gewerbeertrag zu kürzen ist. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt im Inland eine Importvermittlung. Sie vermittelt für eine weitere GmbH deren gesamten Wareneinkauf in der Türkei. Zu diesem Zweck unterhielt die Klägerin ein Einkaufsbüro in der Türkei. Außer den hieraus erlösten Vermittlungsprovisionen erzielte die Klägerin keine weiteren Umsätze. Die Klägerin hat das Einkaufsbüro in ihrer Steuererklärung als nicht im Inland belegene Betriebsstätte i.S. von § 9 Nr. 3 GewStG angesehen und dementsprechend den Gewerbeertrag um das Ergebnis des Einkaufsbüros in der Türkei gekürzt. Sie ist dabei davon ausgegangen, dass das Einkaufsbüro den Betriebsstättenbegriff des § 12 der Abgabenordnung (AO) erfüllt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA –) folgte dem zunächst im Rahmen der Gewerbesteuermessbescheide 2004 bis 2006. Nach einer Außenprüfung änderte das FA seine Auffassung dahingehend, dass das Einkaufsbüro in der Türkei aufgrund der ausdrücklichen Anordnung in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 16. April 1985 (BGBl. II 1989, 867, BStBl. I 1989, 472) – DBA-Türkei 1985 – (i.V.m. dem dazu ergangenen Zustimmungsgesetz vom 27. November 1989, BGBl. II 1989, 866) nicht als Betriebsstätte i.S. des § 9 Nr. 3 GewStG anzusehen sei. Dementsprechend änderte es die streitgegenständlichen Bescheide und gewährte die Kürzung gemäß § 9 Nr. 3 GewStG nicht mehr. Die Klägerin war dagegen weiterhin der Auffassung, dass für die Kürzung gemäß § 9 Nr. 3 GewStG der Betriebsstättenbegriff in § 12 AO maßgeblich sei. Der Begriff der ausländischen Betriebsstätte sei ausschließlich nach deutschem Steuerrecht auszulegen. Die gegen die streitgegenständlichen (Änderungs-)Bescheide gerichtete Klage blieb erfolglos; das Finanzgericht (FG) Köln wies sie mit Urteil vom 7. Mai 2015 10 K 73/13 (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2015, 1558) als unbegründet ab.“

b) Aus den Gründen „II. [Revision und Klage erfolgreich] Die Revision ist begründet. FA und FG haben die von der Klägerin bei der Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrages be-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht anspruchte Kürzung des Hinzurechnungsbetrages zu Unrecht abgelehnt. Das FGUrteil ist deshalb aufzuheben und die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide 2004 bis 2006 sowie die angefochtenen Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2004 bis 31. Dezember 2010 sind antragsgemäß abzuändern (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). 1. [Gewerbesteuerpflicht auf inländische Betriebsstätte] Der Gewerbesteuer unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG), d.h. soweit für ihn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Streitfall erfüllt. Dies war zwischen den Beteiligten in der Vorinstanz auch nicht streitig. Nach den Feststellungen der Vorinstanz, die für das Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend sind, unterhielt die Klägerin am Sitz ihrer Geschäftsleitung eine Betriebsstätte i.S. von § 12 AO. Soweit die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung nunmehr ausführt, dass von dort aus eine ‚operative Geschäftstätigkeit nicht betrieben worden sei‘, ist dieser Vortrag neu und kann deshalb im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden. 2. [Gewerbeertrag einschl. türkischer Betriebsstätte] Gemäß § 7 Satz 1 GewStG ist Gewerbeertrag der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt oder vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge. Der Gewerbeertrag entspricht somit, abgesehen von den gewerbesteuerlichen Zu- und Abrechnungen, grundsätzlich dem Gewinn aus Gewerbebetrieb, der der Bemessung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zugrunde zu legen ist. Zur Bemessungsgrundlage der Einkommen- und Körperschaftsteuer und damit auch zum Gewerbeertrag gehören nicht Einnahmen, die aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften als steuerfrei behandelt werden (vgl. z.B. Urteil des BFH vom 12. Januar 1978 IV R 84/74, BFHE 124, 204, BStBl. II 1978, 267; Senatsurteil vom 8. Mai 1991 I R 33/90, BFHE 165, 191, BStBl. II 1992, 437). Hiernach hat das FG im Ausgangspunkt zutreffend die Einnahmen aus dem in der Türkei belegenen Einkaufsbüro in die Ermittlung des Gewerbeertrages nach § 7 Satz 1 GewStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes – KStG –) einbezogen. Die Voraussetzungen der abkommensrechtlich (also bilateral) vereinbarten (sachlichen) Steuerfreistellung im Rahmen der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens liegen nicht vor. Das Einkaufsbüro in der Türkei ist nicht als Betriebsstätte anzusehen, da Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985 ausdrücklich anordnet, dass ‚eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, für das Unternehmen Güter oder Waren einzukaufen‘, nicht als Betriebsstätte gilt. [Aber: Kürzung gemäß § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG, da …] Die demnach allein streitige Frage, ob die Einnahmen aus dem in der Türkei belegenen Einkaufsbüro nach

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht § 7 Satz 1 i.V.m. § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG zu kürzen sind, ist entgegen der Annahme von FA und FG zu bejahen. a) Nach dieser Vorschrift wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags eines inländischen Unternehmens gekürzt, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt. So verhält es sich hier. aa) [Einkaufsbüro Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO] Das FG hat hierzu festgestellt, dass das in der Türkei belegene Einkaufsbüro der Klägerin die Voraussetzungen des Betriebsstättenbegriffs gemäß § 12 Satz 2 Nr. 6 AO, nach dem als Betriebsstätte insbesondere auch Ein- oder Verkaufsstellen anzusehen sind, erfüllt. bb) [Keine Verdrängung durch engeren DBA-Begriff] Soweit das FG – hieran anknüpfend – vertreten hat, dass der Betriebsstättenbegriff im DBA-Türkei 1985 den nationalen Betriebsstättenbegriff nach § 12 AO – sei es als lex specialis oder als vorrangige völkerrechtliche Vereinbarung i.S. von § 2 Abs. 1 AO – verdrängt, folgt dem der Senat nicht (gl.A. Lüdicke, IStR 2015, 770; Kahlenberg, ISR 2015, 380; […] unklar und teilweise widersprüchlich Drüen in Tipke/Kruse, § 12 AO Rz. 44; speziell zum Abkommensrecht Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 8; Hruschka in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 5 Rz. 25). [Keine Einwirkung des Abkommens] Nach ständiger Rechtsprechung des BFH legen die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) lediglich fest, in welchem Umfang die nach innerstaatlichem Recht bestehende Steuerpflicht entfallen soll. Die in den einzelnen DBA vorgenommene Bestimmung des Begriffs ‚Betriebsstätte‘ ist deshalb grundsätzlich nur im Rahmen der DBA anwendbar (BFH-Urteil vom 5. Juni 1986 IV R 268/82, BFHE 146, 447, BStBl. II 1986, 659; Senatsurteile vom 26. November 1986 I R 256/83, BFH/NV 1988, 82; vom 5. Oktober 1977 I R 90/75, BFHE 124, 29, BStBl. II 1978, 205; vom 7. März 1979 I R 145/76, BFHE 127, 517, BStBl. II 1979, 527; vom 2. April 2014 I R 68/12, BFHE 245, 98, BStBl. II 2014, 875; vom 11. März 2015 I R 10/14, BFHE 249, 241, BStBl. II 2015, 1049; vom 22. Dezember 2015 I R 40/15, BFHE 253, 174, BStBl. II 2016, 537). Letzteres ergibt sich ausdrücklich aus den in den Abkommen häufig verwendeten Formulierungen ‚Für die Anwendung dieses Abkommens gilt folgendes …‘ oder – wie im Einleitungssatz von Art. 3 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 – aus der Wendung ‚Im Sinne dieses Abkommens … bedeutet der Ausdruck …‘ (vgl. hierzu auch Lüdicke, IStR 2015, 770). Die Frage, ob im Ausland erzielte Einnahmen bei der Ermittlung der Einkünfte zu kürzen sind und auf welche Fälle sich die Möglichkeit einer solchen Kürzung erstrecken soll, ist dagegen eine Angelegenheit des innerstaatlichen Rechts. Das so verstandene ‚Nebeneinander‘ bilateraler Vereinbarungen in Form eines DBA und nationaler Steuernormen bedingt zugleich ein Nebeneinander der tatbestandlichen Voraussetzungen mit der Folge, dass die im Abkommen – abweichend von den nationalen Vorschriften – definierten Begriffe abkommensautonom auszulegen sind (Gosch, ISR 2013, 87; Gosch in Lüdicke, Vermeidung der Doppelbesteuerung und ihre Grenzen, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 42, 1; Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 113b, m.w.N.; aus der

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Senatsrechtsprechung z.B. Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 I R 4/13, BFHE 244, 1, BStBl. II 2014, 791, m.w.N.). [Grund: § 9 Nr. 3 GewStG knüpft nicht an DBA an.] Zwar ist der Gesetzgeber nicht gehindert, dieses ‚Nebeneinander‘ selbständiger Rechtskreise aufzuheben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 447, BStBl. II 1986, 659). Dies ist indes vorliegend nicht geschehen; § 9 Nr. 3 GewStG lässt eine abkommensrechtliche Verknüpfung nicht erkennen (vgl. Kahlenberg, ISR 2015, 380 unter Hinweis auf § 50d Abs. 9 und 11 des Einkommensteuergesetzes). Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der Regelung des § 9 Nr. 3 GewStG allein den innerstaatlich definierten Begriff zugrunde legen wollte. Denn durch die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 GewStG soll letztendlich die Konsequenz aus § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GewStG gezogen werden; danach unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Damit wird – wie auch die Überschrift des § 2 GewStG verdeutlicht – das Objekt der Steuerpflicht umschrieben. § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG bringt zugleich zum Ausdruck, dass sich die Steuerpflicht auf den Gewerbebetrieb nicht erstreckt, soweit er im Ausland betrieben wird. Für den Senat ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber bei der hierdurch bedingten Kürzung von einem einheitlichen Verständnis der ausländischen Betriebsstätte abweichen und zwischen DBA- und Nicht-DBA-Fällen unterscheiden wollte (vgl. Lüdicke, IStR 2015, 770). cc) [Demnach keine Normenkonkurrenz] Eine von der Vorinstanz angenommene ‚Normenkonkurrenz‘ zwischen § 12 AO und den jeweiligen abkommensrechtlichen Bestimmungen – im Streitfall Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985 – besteht daher nicht. Insofern stellt sich auch nicht die Frage nach dem Verhältnis von Abkommensrecht und (unilateralem) nationalem Steuerrecht (s. dazu Beschluss des BVerfG v. 15. Dezember 2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359, Rz. 48). dd) Ferner kommt den von der Vorinstanz als maßgeblich angesehenen unterschiedlichen Funktionen und Inhalten der Betriebsstättenbegriffe in § 9 Nr. 3 GewStG sowie Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985 auf der einen Seite und in § 12 AO auf der anderen Seite keine Bedeutung zu. Nichts anderes lässt sich daraus ableiten, dass sich der Anwendungsbereich des DBA-Türkei 1985 nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. b Doppelbuchst. dd DBA-Türkei 1985 ausdrücklich auch auf die Gewerbesteuer erstreckt. b) [Etwaige Nichtbesteuerung von Einkünften unerheblich] Weiterhin kann – abgesehen davon, dass eine Nichtbesteuerung der streitigen Einkünfte nur in Bezug auf die Gewerbesteuer erfolgt – auch nicht die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Abkommensziel gegen dieses Ergebnis angeführt werden. Zwar findet sich eine solche Zielsetzung z.B. in der (ministeriellen) ‚Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen‘ (Schreiben des BMF v. 17.4.2013, Stand: 22.8.2013, IStR, Beihefter 10/2013 unter II., berichtigt in IStR 2013, 440); im DBA-Türkei 1985 hat sie aber keinen Niederschlag gefunden (vgl. auch Lüdicke, IStR 2015, 770). c) [Auffassung der Verwaltung bindet den Senat nicht.] Dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 12 Tz. 4 (BMF-Schreiben v. 31.1.2014, BStBl. I

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht 2014, 290; zuletzt geändert durch das BMF-Schreiben v. 26.1.2016, BStBl. I 2016, 155), wonach § 12 AO nicht anzuwenden ist, soweit andere Rechtsvorschriften (z.B. DBA) abweichende Regelungen zum Begriff ‚Betriebsstätte‘ enthalten, kommt als bloßer Verwaltungsanweisung keine die Gerichte bindende Wirkung zu (z.B. Senatsurteil vom 24.7.2013 – I R 40/12, BFHE 242, 139, BStBl. II 2014, 272). 3. [Keine Abweichung von Rechtsprechung zur Investitionszulage] Schließlich weicht der Senat mit dem so verstandenen ‚Nebeneinander‘ bilateraler Vereinbarungen und (rein) nationaler Steuernormen nicht vom Urteil des III. Senats des BFH v. 14.8.1997 – III R 55/95 (BFHE 185, 86, BStBl. II 1998, 355) ab. Dieses Urteil ist zum Investitionszulagengesetz 1986 (InvZulG 1986) ergangen. Der III. Senat des BFH hat in seinen Entscheidungsgründen zwar ausgeführt, dass die Bestimmungen der DBA das Körperschaftsteuergesetz ergänzten und daher bei der Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1986 zu berücksichtigen seien. Er hat dies aber ausgerichtet an der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der sog. Forschungs- und Entwicklungszulage und insbesondere getragen von den ‚Elemente(n) der Ausgestaltung der Investitionszulage im (damaligen) Streitjahr 1998‘ befürwortet. Vor diesem Hintergrund vermag der erkennende Senat einen Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsprechung nicht zu erkennen.“

c) Leitsatz „Der in § 9 Nr. 3 GewStG verwendete Begriff der Betriebsstätte bestimmt sich nicht nach der Definition des jeweils einschlägigen DBA, sondern nach innerstaatlichem Recht (Bestätigung von BFH-Urteil vom 5.6.1986 – IV R 268/82, BFHE 146, 447, BStBl. II 1986, 659; Abweichung von AEAO zu § 12 Tz. 4; BMF v. 31.1.2014, BStBl. I 2014, 290, zuletzt geändert durch BMF v. 26.1.2016, BStBl. I 2016, 155).“

2. Anmerkungen 1. Auch wenn der Senat die Ansicht der Verwaltung nicht bestätigt hat, kann ich nicht erkennen, dass das vom BFH gefundene Ergebnis durchgreifenden Bedenken ausgesetzt sein könnte. Es sollte deshalb, was allerdings zum Zeitpunkt der Tagung noch nicht geschehen ist, zeitnah veröffentlicht werden. 2. Darüber hinaus sei bemerkt, dass die mit Aktionspunkt 7 der OECDEmpfehlungen zur Vermeidung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS) ausgesprochenen Empfehlungen betreffend die „Verhinderung der künstlichen Umgehung des Status der Betriebsstätte“28 – wenn auch nur partiell – damit verbunden sind, die im Besprechungsurteil letztlich entscheidungserheblichen Divergenzen der unterschied28 Vgl. OECD (2015), Erläuterung, G 20-Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, S. 15.

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lichen Begriffsbestimmungen der Betriebsstätte in § 12 AO einerseits und Art. 5 OECD-MA andererseits zu verringern. Ich darf insoweit auf die Ausführungen von Herrn Sennewald am Nachmittag verweisen.

C. Finale Verluste ausländischer Betriebsstätten und EU-Recht I. Symmetriethese – EU-Niederlassungsfreiheit Wird in einem DBA für ausländische Betriebsstätten (im Folgenden: BS) eines im Inland ansässigen Unternehmens die Freistellung vereinbart, erstreckt sich dies nach ständiger Rspr. auch auf die der ausländischen BS zuzuordnenden Verluste29. D.h.: Die Verluste sind allenfalls i.R.d. Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen (vgl. für Drittstaaten nach § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 [Aktivitätsklausel] und für EU-/EWRStaaten nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 Nr. 2 EStG). Andererseits erfuhr die Symmetriethese für in den EU-/EWR-Staaten belegene Betriebsstätten nach der Rspr. des EuGH und der hierauf fußenden Einschätzung des BFH dann eine Ausnahme, wenn es sich um sog. finale Verluste handelte. Hierzu hatte der BFH noch mit Urteil v. 5.2.201430 (betr. den Verkauf einer verlustträchtigen belgischen Betriebsstätte einer deutschen GmbH) entschieden (LS): „1. Der Senat hält auch für […] [das] DBA-Belgien daran fest, dass Deutschland für (laufende und Veräußerungs-)Verluste, die ein in Deutschland ansässiges Unternehmen in seiner in Belgien belegenen Betriebstätte erwirtschaftet, kein Besteuerungsrecht hat (sog. Symmetriethese; ständige Rechtsprechung). 2. Ein Verlustabzug kommt abweichend davon aus Gründen des Unionsrechts nur ausnahmsweise in Betracht, sofern und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im Quellenstaat – als sog. finale Verluste – steuerlich unter keinen Umständen anderweitig verwertbar sind (Anschluss an die ständige Rechtsprechung des EuGH). Eine derartige „Finalität“ ist gegeben, wenn die Verluste im Quellenstaat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können oder ihr Abzug in jenem Staat zwar theoretisch noch möglich, aus tatsächlichen Gründen aber so gut wie ausgeschlossen ist und ein wider Erwarten dennoch erfolgter späterer Abzug im Inland verfahrensrechtlich noch rückwirkend nachvollzogen werden könnte (Bestätigung des Senatsurteils vom 9.6.2010 – I R 107/09, BFHE 230, 35) […].“

29 Z.B. BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BFHE 245, 143 = BStBl. II 2014, 703 betr. gescheiterte Betriebsstättengründung. 30 BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFHE 244, 371 = DStR 2014, 837.

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Ganz anders liest sich nunmehr die jüngste Entscheidung des EuGH (Timac Agro).

II. EuGH-Urteil Timac Agro vom 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 1. Sachverhalt (stark vereinfacht) Die inländische Timac Agro GmbH unterhielt in Österreich eine BS. Für die VZ ab 1999 stellte sich die Frage, ob ein Verlust, der anlässlich der Veräußerung der österreichischen BS an eine Schwestergesellschaft der GmbH anfiel, von der Bemessungsgrundlage der inländischen KSt der GmbH abgezogen werden kann, obgleich nach dem DBA die BS-Ergebnisse aus Österreich in der BRD freigestellt werden (Symmetriethese; s.o.).

2. Leitsatz 2 „Art. 49 AEUV [Anm: Niederlassungsfreiheit] ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die einer gebietsansässigen Gesellschaft im Fall der Veräußerung einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte an eine gebietsfremde, zum gleichen Konzern wie die veräußernde Gesellschaft gehörende Gesellschaft die Möglichkeit verwehrt, die Verluste der veräußerten Betriebsstätte in die Bemessungsgrundlage der Steuer einzubeziehen, sofern aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die ausschließliche Befugnis zur Besteuerung der Ergebnisse dieser Betriebsstätte dem Mitgliedstaat zusteht [Anm: sog. Freistellungsmethode], in dem sie belegen ist.“

III. Anmerkungen 1. Der Kern des Urteils ist in Rz. 64 (i.V.m. Rz. 27) des Urteils nachzulesen: „Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Situationen ist in Rz. 27 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass sich eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, grundsätzlich nicht in einer mit der Situation einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbaren Situation befindet“.

D.h.: Nimmt man das Urteil beim Wort, geht die abkommensrechtliche Vereinbarung (Freistellung) und deren Verständnis in der Rspr. des BFH (Symmetriethese) in die EU-rechtliche Vergleichbarkeitsprüfung mit der

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Folge ein, dass bereits tatbestandlich ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit ausscheidet.31 Die Frage nach der Rechtfertigung (z.B. gemäß der territorialen Zuordnung der Besteuerungsrechte; keine doppelte Verlustnutzung) würde sich nicht mehr stellen.32 2. Rechtsprechungsänderung: Diese Sicht ist neu. Sie weicht – wie eingangs angesprochen – von der früheren Rspr. des EuGH (s. z.B. Urteil Lidl Belgium) und der Entscheidungspraxis des I. Senats ab. Ob die neue Sicht konsolidiert ist, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt.33 3. Die EU-Kommission hat am 17.6.2015 unter dem Aktionsschwerpunkt 3.1 folgenden Richtlinienvorschlag in Aussicht gestellt:34 „3.1. Verlustabzug innerhalb der EU Bis zur vollständigen Konsolidierung der gemeinsamen Bemessungsgrundlage sollten Unternehmensgruppen die in einem Mitgliedstaat entstandenen Verluste mit den in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Gewinnen verrechnen können. Die Kommission beabsichtigt, einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen. Damit wäre ein größeres Steuerhemmnis für Unternehmen im Binnenmarkt beseitigt. Unternehmen hätten bis auf weiteres die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Verlustausgleichs, so dass nur der Reingewinn in der EU besteuert würde. Damit die in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Verluste nicht zulasten des Besteuerungsstaats gehen, sollen diese Verluste nachbesteuert werden, sobald die Unternehmensgruppe schwarze Zahlen schreibt. Die Kommission plant, in ihren geänderten GKKB-Vorschlag ein entsprechendes Verfahren aufzunehmen.“

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich hierzu dahin geäußert, dass ein solches Verlustausgleichssystem „nicht unangemessen in das Recht der Mitgliedstaaten auf Besteuerung der Gewinne ein31 Ähnlich hat der EuGH in der Rs. Riskin und Timmermans, Urt. v. 30.6.2016 – C-176/15, IStR 2016, 732, ausgeführt, dass die Vorteile eines DBA (Anrechnung von Quellensteuer beim Dividendenbezieher) einen integralen Bestandteil der Bestimmungen des (jeweiligen) Abkommens bilden und zur allgemeinen Ausgewogenheit der Beziehungen zwischen den beiden Vertragsstaaten beitragen. 32 Henze, ISR 2016, 397 (399 f.). 33 Bejahend – z.B. – Doralt, Référendaire beim EuGH, ISR 2016, 173 (174); Müller, ISR 2016, 54; Benecke, IStR 2016, 83; Stöber, DStZ 2016, 582; ebenso wohl Schiefer, IStR 2016, 81: Ernüchterung, EuGH-Rspr. nicht konsistent; a.A. – mutmaßlich – Eisendle, ISR 2016, 37; Schnitger, IStR 2016, 72: erneute Vorlage, EuGH habe Progressionsvorbehalt nicht beachtet; Pohl/Burwitz, FR 2016, 561. 34 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung in der EU – Fünf Aktionsschwerpunkte (COM(2015) 302 final).

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greifen sollte, die durch Wirtschaftstätigkeiten auf ihrem Gebiet erzielt werden“35. 4. Weitere Verfahren: Beim I. Senat des BFH ist u.a. das Verfahren I R 18/16 anhängig. Rechtsfrage (s. juris-Veröffentlichung): „Sind finale Verluste einer Betriebsstätte, die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung in Deutschland freizustellen sind und im Quellenstaat nicht mehr verwertet werden können, nach dem EuGH-Urteil Timac Agro vom 17. Dezember 2015 (C-388/14, EU:C:2015:829) nicht mehr aufgrund der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit abzugsfähig?“

5. Anrechnungsmethode: Die Vergleichbarkeit dürfte jedoch auch nach der Timac-Agro-Entscheidung zu bejahen sein, wenn die ausländischen BS-Ergebnisse nicht von der deutschen Ertragsteuer freigestellt sind, sondern die sog. Anrechnungsmethode vereinbart wird. Vgl. hierzu auch EuGH-Urteil Nordea Bank Danmark36. Die einschlägige Rz. 24 lautet: „Zur Vergleichbarkeit der Situationen ist festzustellen, dass in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die der Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, sich Betriebsstätten, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem anderen Staat des EWR-Abkommens belegen sind, grundsätzlich nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation gebietsansässiger Betriebsstätten vergleichbar wäre. Jedoch hat das Königreich Dänemark dadurch, dass es die Gewinne der in Finnland, Schweden und Norwegen belegenen Betriebsstätten der dänischen Besteuerung unterworfen hat, diese Betriebsstätten den gebietsansässigen Betriebsstätten im Hinblick auf den Verlustabzug gleichgestellt […].“

D. Währungsverluste i.Z.m. ausländischen und nach DBA freigestellten Betriebsstätten I. Ausgangspunkt: BFH-Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur 1. BFH-Urteil vom 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128 Der Senat hatte mit dieser Leitentscheidung im Hinblick auf die territoriale Zuordnung von Währungsverlusten i.Z.m. einer ausländischen Betriebsstätte erkannt (LS 5): „Der nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts ermittelte Gewinn einer ausländischen Betriebsstätte beinhaltet auch die wechselkursbedingten Wertverluste oder Wertsteigerungen. Die Umrechnung ist Bestandteil der Gewinnermittlung 35 ABl. EU 2016 C 71/42, Tz. 1.5. und 3.6. 36 EuGH v. 17.7.2014 – C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht der Betriebsstätte. Dies bedingt, daß der Wechselkurs eine Änderung der Zeitwerte der zu bewertenden Wirtschaftsgüter und Geschäftsvorfälle bewirken kann. Solche Wertänderungen beeinflussen dann ihrerseits die Höhe der Betriebsstätteneinkünfte, für die der Bundesrepublik das Besteuerungsrecht nach den DBA entzogen ist. Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Welteinkommensprinzip noch aus der aus dem Grundsatz des „dealing-at-arm’s length“ abgeleiteten fiktiven Selbständigkeit der ausländischen Betriebsstätte.“

Der BFH hat hierbei gesehen, dass der Währungsverlust in der Gewinnermittlung des Quellenstaates nicht in Erscheinung tritt und deshalb dort auch nicht besteuert werden kann. Dazu Rz. 23 des Urteils: „Ohne Bedeutung ist schließlich, daß der ausländische Staat, aus dem die Einkünfte stammen, die betreffenden Währungsverluste regelmäßig nicht berücksichtigen wird, weil sie dort nicht in Erscheinung treten (so aber […]). Zwar ist einzuräumen, daß Sinn und Zweck der bilateralen Doppelbesteuerung, nämlich die Vermeidung der doppelten Besteuerung, sich hierdurch in Einzelfällen in ihr Gegenteil verkehren können. Die Währungsverluste können gerade als (mittelbare) Folge der Freistellung ausländischer Betriebsstätten in ein steuerliches „Niemandsland“ fallen (so Hofmann, ebd., S. 883; Uhrmann, DB 1990, 2037, 2040), während sie sich in jenen Fällen, in denen zwischen Stammhaus- und Betriebsstättenstaat kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, im dann zu erfassenden Welteinkommen des Stammhauses niederschlagen werden.“

Und weiter zu Rz. 24: „Dieses von der Klägerin monierte und im Ergebnis möglicherweise unbefriedigende Ergebnis ist jedoch hinzunehmen. Die Freistellung in dem einen Vertragsstaat ist grundsätzlich nicht davon abhängig, ob im anderen Vertragsstaat eine tatsächliche Besteuerung erfolgt oder nicht […]. Unterbleibt eine solche Besteuerung, so kommt dies dem Steuerpflichtigen bei positiven Einkünften zugute. Bei negativen Einkünften schlägt sie für ihn faktisch in einen Nachteil um, ohne daß hierdurch jedoch – wie die Revision annimmt – in rechtlicher Weise Steueransprüche begründet würden. In dieser dem Steuerpflichtigen günstigen wie nachteiligen Wechselwirkung liegt zugleich der Unterschied zu Sachverhalten, bei denen sich die grundsätzliche Frage stellt, ob die Geltung des Doppelbesteuerungsabkommens die Erweiterung des innerstaatlichen Steueranspruchs nach sich ziehen kann […]. Im Übrigen kann sich ein etwaiger Betriebsstättenverlust durchaus auch steuerlich auswirken, entweder – wie auch bei der Klägerin – im Rahmen des § 2 AIG oder – wenn auch in Ermangelung einer § 32b EStG vergleichbaren Tarifbestimmung nicht im Anwendungsbereich des Körperschaftsteuergesetzes – im Rahmen der Berücksichtigung des negativen Progressionsvorbehalts gemäß § 2a Abs. 3 EStG.“

Diese Sicht wurde auch im jüngsten Urteil des BFH zu diesem Problembereich ausdrücklich bestätigt.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

2. BFH-Urteil vom 2.12.2015 – I R 13/14, DStR 2016, 853 a) Sachverhalt (vereinfacht) Die US-amerikanische Unter-PersGes. (X-LP) wurde liquidiert, mit der Folge eines Währungsverlusts aus der Rückzahlung der Einlagen an die inländische Gesellschafterin (KG = Oberpersonengesellschaft).

b) Aus den Gründen „(Rz. 21) Wie der Senat im Zusammenhang mit der Rückzahlung von Dotationskapital einer ausländischen Betriebsstätte im Einzelnen dargelegt hat, ist ein hierbei anfallender Währungsverlust der ausländischen und nach dem einschlägigen DBA „freigestellten“ Betriebsstätte zuzuordnen […]. Ebenso ist für Währungsverluste aus der Rückzahlung von Einlagen im Zusammenhang mit der Aufgabe des Betriebs einer ausländischen Unterpersonengesellschaft zu entscheiden; auch diese Vermögensminderung ist kausal und veranlassungsbezogen mit der mitunternehmerschaftlichen Beteiligung an der Unterpersonengesellschaft (hier: X-LP) verknüpft.“

3. Finanzverwaltung/Literatur Nicht überraschen kann, dass die Verwaltung diesem Ausgangspunkt zustimmt, während Teile des Schrifttums37 seit jeher Kritik üben.

II. Rechtsprechung des EuGH: Kontinuität oder Wandel? 1. EuGH-Urteil Deutsche Shell vom 28.2.2008 – C-293/06, BStBl. II 2009, 976 Der EuGH hat in der Nichtberücksichtigung eines Währungsverlusts i.Z.m. der Rückzahlung des Dotationskapitals einer abkommensrechtlich freigestellten (italienischen) Betriebsstätte einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (heute: Art. 49 AEUV) gesehen und dies wie folgt begründet (Rz. 44): „Bezüglich des Ausgangsverfahrens ist darauf hinzuweisen, dass der fragliche Steuernachteil einen besonderen im Geschäftsgang aufgetretenen Umstand betrifft, den nur die deutschen Steuerbehörden berücksichtigen können. Zwar hat jeder Mitgliedstaat, der ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung geschlossen hat, dieses durch Anwendung seines eigenen Steuerrechts durchzuführen und dementsprechend die Einkünfte zu bestimmen, die einer Betriebs37 S. insbesondere Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 179 ff., 182 f.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht stätte zuzuordnen sind, doch darf er Währungsverluste, die der Betriebsstätte naturgemäß nie entstehen können, nicht von der Besteuerungsgrundlage für das Stammhaus ausnehmen.“

Die Finanzverwaltung hat hierzu im BMF-Schreiben vom 23.11.200938 erläutert, dass die Urteilsgrundsätze nur für Währungsverluste i.Z.m. der Einstellung der Tätigkeit einer Betriebsstätte im EU-/EWR-Bereich greifen.

2. EuGH-Urteil X vom 10.6.2015 – C-686/13, IStR 2015, 557 Zum Währungsverlust aufgrund der (geplanten) Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen eines schwedischen Unternehmens an einer britischen Tochter-Kapitalgesellschaft führte der EuGH aus, dass in der Nichtberücksichtigung dieses Verlusts kein Verstoß gegen EU-Grundfreiheiten zu sehen sei. Da das schwedische Steuerrecht Gewinne und Verluste aus Anteilsverkäufen gleichermaßen nicht berücksichtigte, hat der EuGH es nicht beanstandet, dass hiervon auch die streitigen Währungsverluste erfasst werden. Aufgrund der symmetrischen Behandlung von Gewinnen und Verlusten – ungeachtet dessen, ob Beteiligung an ausländischer oder inländischer Kapitalgesellschaft – besteht keine Benachteiligung (ungünstigere Behandlung) durch Nichtberücksichtigung von Währungsverlusten. Die Grundfreiheiten (hier Niederlassungsfreiheit) begründen keine Verpflichtung zur Anpassung der Steuersysteme.39 Zur Abgrenzung zum Urteil Deutsche Shell führt der Gerichtshof sodann aus (Rz. 37): „In jenem Urteil hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der bei der Festsetzung der nationalen Besteuerungsgrundlage die Berücksichtigung eines Wechselkursverlusts eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens aus der Rückführung des Dotationskapitals, das es seiner in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gewährt hatte, ausgeschlossen ist.“

Zur maßgeblichen allgemeinen Regel des nationalen Rechts (Rz. 38–41): „38. Zu dieser Schlussfolgerung ist der Gerichtshof allerdings in einem anderen rechtlichen Zusammenhang gelangt als dem, der sich aus der Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung ergibt. Die in der Rechtssache, in der das Urteil Deutsche Shell (C-293/06, EU:C:2008:129 […]) ergangen ist, in Rede stehende nationale Regelung sah nämlich, worauf das vor38 BMF v. 23.11.2009 – IV B 5 - S 2118-a/07/10011, BStBl I. 2009, 1332. 39 Vgl. Rz. 30 ff.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht legende Gericht hingewiesen hat, als allgemeine Regel vor, dass Wechselkursgewinne besteuert wurden und spiegelbildlich Wechselkursverluste abzugsfähig waren, es sei denn, dass durch ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eine andere Regelung getroffen wurde. 39. Dies ist im Ausgangsverfahren jedoch nicht der Fall, da […] die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden schwedischen steuerrechtlichen Vorschriften im Hinblick auf Ergebnisse von „Geschäftszwecken dienende Anteile“ betreffenden Kapitalumsätzen, für die das Königreich Schweden entschieden hat, seine steuerliche Zuständigkeit im Allgemeinen nicht auszuüben, grundsätzlich neutral ist. 40. Unter diesen Umständen kann aus den Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nicht abgeleitet werden, dass dieser Mitgliedstaat – im Übrigen asymmetrisch – verpflichtet wäre, seine steuerliche Zuständigkeit auszuüben, um die Abzugsfähigkeit von Verlusten aus Umsätzen zuzulassen, deren Ergebnisse, wären sie positiv, jedenfalls nicht besteuert würden. 41. Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er steuerrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die grundsätzlich Gewinne aus Geschäftszwecken dienenden Anteilen von der Körperschaftsteuer befreien und dementsprechend den Abzug von Verlusten aus solchen Anteilen selbst dann ausschließen, wenn sich diese Verluste aus Wechselkursverlusten ergeben.“

III. Folgerechtsprechung: BFH-Urteil vom 2.12.2015 – I R 13/14, DStR 2016, 853 Es handelt sich um den bereits erwähnten Fall der Liquidation einer USamerikanischen PersGes. (X-LP) und die Frage danach, ob der anlässlich der Rückzahlung der Einlagen an die inländische Gesellschafterin (KG) erlittene Währungsverlust den Gewerbeertrag40 der inländischen KG

40 Die Frage, ob der Währungsverlust auch in den einheitlich und gesondert festzustellenden Gewinn der Gesellschafter der KG eingeht, war zwar gleichfalls Gegenstand des Klage- und Revisionsverfahrens (vgl. ausführlich Brandis, BFH/PR 2016, 226). Da die KG (Obergesellschaft) es aber versäumt hatte, den Feststellungsbescheid der Unterpersonengesellschaft (X-LP) anzufechten, musste die Klage bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen scheitern. LS 1: „Sind die aus der Beteiligung an einer Unterpersonengesellschaft erzielten und nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung befreiten ausländischen (hier: US-amerikanischen) Einkünfte gemäß § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO festzustellen, so ist in diesem Verfahren auch darüber zu entscheiden, ob ein Währungsverlust im Zusammenhang mit der Liquidation der Unterpersonengesellschaft (hier: Rückzahlung von Einlagen) bei der Besteuerung der Gesellschafter der Oberpersonengesellschaft zu berücksichtigen ist.“

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mindert. Letzteres hat der BFH mit folgenden Erwägungen41 verneint (Rz. 20 ff. der Gründe): „20. […] [W]eil auch in doppelstöckigen Strukturen die jeweilige Personengesellschaft (Ober- und Unterpersonengesellschaft) nach § 5 Abs. 1 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes 2002 (GewStG 2002) selbst Schuldnerin der Gewerbesteuer ist, wenn sie wie vorliegend einen Gewerbebetrieb unterhält. Hierauf aufbauend ordnet § 8 Nr. 8 GewStG 2002 an, dass Anteile am Verlust einer in- oder ausländischen offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Gesellschaft, bei der die Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Gewerbebetriebs anzusehen sind, dem Gewinn aus Gewerbebetrieb wieder hinzugerechnet werden, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind; spiegelbildlich hierzu sieht § 9 Nr. 2 GewStG 2002 eine Kürzung des Gewerbeertrags vor, soweit dieser um mitunternehmerschaftliche Gewinnanteile an einer in- oder ausländischen Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) erhöht worden ist (vgl. hierzu – einschl. der Rechtsentwicklung – Gosch in Blümich, § 9 GewStG Rz. 132). 21. Da die Verlusthinzurechnung nach § 8 Nr. 8 GewStG 2002 unabhängig davon zu beachten ist, ob das Beteiligungsunternehmen (hier: Unterpersonengesellschaft) der Gewerbesteuer unterliegt (BFH v. 23.10.1986 – IV R 319/84, BFHE 148, 67 = BStBl. II 1987, 64), und zudem auch Verluste aus der Beteiligungsveräußerung erfasst (Senatsbeschluss vom 24.11.1983 – I B 84/82, n.v.; Hofmeister in Blümich, § 8 GewStG Rz. 652), kann für den im anhängigen Verfahren zu beurteilenden Aufgabeverlust der Klägerin (Oberpersonengesellschaft) aus ihrer Beteiligung an der X-LP (Unterpersonengesellschaft) nichts anderes gelten. Auch dieser ist damit – ebenso wie ein Aufgabegewinn – strukturell von dem für die Oberpersonengesellschaft festzusetzenden Gewerbesteuermessbetrag zu sondern. Wie der Senat im Zusammenhang mit der Rückzahlung von Dotationskapital einer ausländischen Betriebsstätte im Einzelnen dargelegt hat, ist ein hierbei anfallender Währungsverlust der ausländischen und nach dem einschlägigen DBA „freigestellten“ Betriebsstätte zuzuordnen (Senatsurteil in BFHE 180, 286, BStBl. II 1997, 128; in BFHE 180, 576, BStBl. II 1996, 588). Ebenso ist für Währungsverluste aus der Rückzahlung von Einlagen im Zusammenhang mit der Aufgabe des Betriebs einer ausländischen Unterpersonengesellschaft zu entscheiden; auch diese Vermögensminderung ist kausal und veranlassungsbezogen mit der mitunternehmerschaftlichen Beteiligung an der Unterpersonengesellschaft (hier: X-LP) verknüpft.

41 Dabei hatte der Senat weder darauf einzugehen, ob die Klägerin sich im Hinblick auf ihre Beteiligung an der US-amerikanischen X-LP im Umfang von 24,29335 % auf die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit hätte berufen können (vgl. dazu BFH v. 29.11.2006 – I R 16/05, BFHE 216, 144; jüngst Gosch/ Schönfeld, IStR 2015, 755 m.w.N.), noch war darauf einzugehen, welche Folgerungen sich aus dem strukturellen Inlandsbezug der Gewerbesteuer ergeben (s. dazu z.B. BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BFHE 249, 241 = BStBl. II 2015, 1049; v. 17.9.2014 – I R 30/13, BFHE 247, 260).

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht 22. [Einklang mit EU-Recht] Entgegen der Ansicht der Klägerin gibt das Urteil des EuGH Deutsche Shell (EU:C:2008:129, BStBl. II 2009, 976) keine Veranlassung, die aus § 8 Nr. 8 GewStG 2002 abzuleitende Zuordnung des Währungsverlustes zu der Beteiligung an der X-LP infrage zu stellen (vgl. zum allgemeinen Diskussionsstand Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 7 OECD-MA [2008] Rz. 183). 23. Zwar hat der EuGH in diesem Urteil erkannt, dass die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der bei der Festsetzung der nationalen Besteuerungsgrundlage die Berücksichtigung eines Wechselkursverlusts eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens aus der Rückführung des Dotationskapitals, das es seiner in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte gewährt hatte, ausgeschlossen ist (zur Kritik s. Schlussantrag der Generalanwältin Kokott v. 22.1.2015 in der Rs. C-686/13, EU:C:2015:31). Mit dem Urteil X vom 10.6.2015 – C-686/13 (EU:C:2015:375, IStR 2015, 557) hat der EuGH diese Rechtsprechung jedoch dahin eingeschränkt, dass ein Mitgliedstaat, der nach seinem Steuerrecht sowohl die Gewinne aus Beteiligungen an einer Tochtergesellschaft von der Körperschaftsteuer befreit als auch den Abzug der hiermit zusammenhängenden Verluste generell ausschließt, zur Gewährleistung der Grundfreiheiten des Unionsrechts nicht verpflichtet ist, Wechselkursverluste aus der Veräußerung von solchen Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften bei der inländischen Körperschaftsteuer zum Abzug zuzulassen. Nichts anderes kann demgemäß für gewerbesteuerrechtliche Regelungen gelten, die wie § 9 Nr. 2 und § 8 Nr. 8 GewStG 2002 darauf gerichtet sind, den Gewerbeertrag symmetrisch sowohl um Gewinne als auch um Verluste aus der Beteiligung an einer in- oder ausländischen Personengesellschaft zu bereinigen; auch in diesem Regelungszusammenhang kann es nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils X (EU:C:2015:375, IStR 2015, 557) nicht fraglich sein (vgl. EuGH-Urteil C.I.L.F.I.T. v. 6.10.1982 – C-283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415), dass die Sonderung von Wechselkursverlusten, die anlässlich der Rückzahlung von Einlagen in das Vermögen der Unterpersonengesellschaft anfallen, aus dem Gewerbeertrag der Oberpersonengesellschaft nicht geeignet ist, die unionsrechtlichen Grundfreiheiten zu beschränken.“

IV. Anmerkungen 1. Schrifttum: Die Rezeption ist gemischt ausgefallen. Während Schlücke42 und Kempermann43 – in Anlehnung an die seit jeher bestehende Kritik an der BFH-Rspr. (s.o.) – die Zuordnung des Währungsverlusts zum inländischen Stammhaus fordern bzw. für gut vertretbar erachten, hat Kippenberg44 das Urteil in den Kontext der zunehmend „mit-

42 ISR 2016, 212. 43 FR 2016, 859. 44 IStR 2016, 431.

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gliedstaatfreundlichen“ Rspr. des EuGH gestellt. Insgesamt zustimmend Brandis45. 2. Systematischer Zusammenhang/Weiterungen: Kippenberg (a.a.O.) weist ferner m.E. zutreffend auf den Zusammenhang mit der jüngsten Entscheidung des EuGH (Timac Agro) zur Nichtberücksichtigung sog. finaler Verluste hin. Trotz der Kritik, die das Besprechungsurteil auch insoweit erfahren hat (Kempermann, a.a.O.), erscheinen weiter gehende Implikationen bspw. bei der Steuerbefreiung nach § 8b KStG naheliegend; auf das Revisionsverfahren46 wird verwiesen.

E. Anrechnung ausländischer Steuern und Höhe der ausländischen Einkünfte – wirtschaftlicher Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG I. Rechtlicher Rahmen Gehören mit ausländischer Quellensteuer belastete Einkünfte – insbesondere Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 34d Nr. 6 EStG) – zum Gewinn eines inländischen Betriebs, wird hierdurch zwar die Anrechnung der einbehaltenen ausländischen Steuer auf die deutsche Einkommensteuer nicht ausgeschlossen, jedoch ordnet die durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) vom 16.5.200347 in das EStG eingefügte Regelung des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG an, dass bei ihrer Ermittlung die Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen abzuziehen sind, „die mit den diesen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen“. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass der Umfang der den ausländischen Einkünften wirtschaftlich zuzuordnenden Aufwendungen zugleich den Anrechnungshöchstbetrag des § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG beeinflusst.48 45 BFH/PR 2016, 228. 46 I R 63/15 (Vorinstanz: FG Hessen v. 15.7.2015 – 4 K 2484/13, EFG 2016, 228). 47 BGBl. I 2003, 660 = BStBl. I 2003, 321. 48 § 34c [Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften] (Abs. 1 Sätze 1–5) „(1) Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, ist die festgesetzte und gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen, die auf die Einkünfte aus diesem Staat entfällt; das gilt nicht für Einkünfte aus Kapitalvermögen, auf die § 32d Absatz 1 und 3 bis 6 anzuwenden ist. (2) Die

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II. BFH-Urteil vom 6.4.2016 – I R 61/14, BFHE 253, 348 = DStR 2016, 1599 1. Sachverhalt „Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG), betreibt das substitutive Krankenversicherungsgeschäft. Die Klägerin bildete im Streitjahr 2005 Alterungs- bzw. Deckungsrückstellungen i.S. der §§ 12 Abs. 1 Nr. 2, 12a des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1. April 2015 (BGBl. I 2015, 434) geltenden Fassung (Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG a.F. –) und des § 341f des Handelsgesetzbuches (HGB) sowie Rückstellungen für Beitragsrückerstattung (§ 341e Abs. 2 Nr. 2 HGB). Von den Zuführungen zu den Rückstellungen entfielen 217.031.871 Euro auf rechnungsmäßige Zinsen i.S. des § 12c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VAG a.F. i.V.m. § 4 der Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung) sowie 103.556.111 Euro auf außerrechnungsmäßige Zinsen i.S. des § 12a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. Im Jahr 2005 erzielte die Klägerin laufende Erträge aus Kapitalbeteiligungen in Höhe von 325.502.773 Euro49. Davon entfielen 8.058.683 Euro auf ausländische Kapitalanlagen, die der Klägerin aufgrund der von ihr gehaltenen Anteile an inländischen, dem Investmentsteuergesetz (InvStG) unterliegenden Investmentvermögen zugerechnet wurden. Die von den Erträgen aus ausländischen Kapitalanlaauf die ausländischen Einkünfte nach Satz 1 erster Halbsatz entfallende deutsche Einkommensteuer ist in der Weise zu ermitteln, dass der sich bei der Veranlagung des zu versteuernden Einkommens, einschließlich der ausländischen Einkünfte, nach den §§ 32a, 32b, 34, 34a und 34b ergebende durchschnittliche Steuersatz auf die ausländischen Einkünfte anzuwenden ist. (3) Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens und der ausländischen Einkünfte sind die Einkünfte nach Satz 1 zweiter Halbsatz nicht zu berücksichtigen; bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte sind die ausländischen Einkünfte nicht zu berücksichtigen, die in dem Staat, aus dem sie stammen, nach dessen Recht nicht besteuert werden. (4) Gehören ausländische Einkünfte der in § 34d Nummer 3, 4, 6, 7 und 8 Buchstabe c genannten Art zum Gewinn eines inländischen Betriebes, sind bei ihrer Ermittlung Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen abzuziehen, die mit den diesen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. (5) Die ausländischen Steuern sind nur insoweit anzurechnen, als sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfallen.“ § 34d [Ausländische Einkünfte] „Ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Absatz 1 bis 5 sind […] 6. Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20), wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat hat oder das Kapitalvermögen durch ausländischen Grundbesitz gesichert ist; […].“ 49 Beträge wurden geändert.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht gen einbehaltenen und abgeführten ausländischen Quellensteuern in Höhe von 1.040.145 Euro behandelte die Klägerin in ihrer Körperschaftsteuererklärung 2005 in vollem Umfang als abzugsfähig. Nach einer Betriebsprüfung änderte das Finanzamt (FA) den Bescheid über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 2005 dahingehend, dass er lediglich von ausländischen Einkünften in Höhe von 1.966.932 Euro und anzurechnenden ausländischen Steuern in Höhe von 489.817 Euro ausging. Als in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einnahmen aus ausländischen Kapitalanlagen stehende Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen seien Teile der rechnungsmäßigen und der außerrechnungsmäßigen Zinsen, welche die Klägerin bei der Zuführung zu der Alterungs- bzw. Deckungsrückstellung und der Rückstellung für Beitragsrückerstattung berücksichtigt habe, sowie ein Teil der von der Klägerin für die Verwaltung von Kapitalanlagen aufgewandten Kosten nach § 34c Abs. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG –) vom 16.5.2003 (BGBl. I 2003, 660, BStBl. I 2003, 321) – EStG – von den ausländischen Einkünften abzuziehen.“

Der nach erfolgloser Klage50 erhobenen Revision hat der BFH insoweit stattgegeben, als Teile der „auf die rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen entfallenden Zuführungen zu den Deckungsrückstellungen und zu den Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen im Rahmen des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG von den ausländischen Einkünften zur Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags abgezogen wurden“. Im Übrigen (anteilige Zuordnung der Verwaltungskosten) blieb die Revision ohne Erfolg. Der Senat legte hierzu zunächst dar, dass – obgleich die Kapitalanträge aufgrund der Beteiligung der Klägerin an inländischen Spezial-Sondervermögen (jetzt: Spezial-Investmentfonds) erzielt wurden – über die Streitfragen im Rahmen des Körperschaftsteuerfestsetzungsverfahrens zu entscheiden war (s. hierzu auch die Anmerkungen). Die folgende Wiedergabe der Urteilsgründe beschränkt sich auf die materiellen Erwägungen des Urteils.

2. Aus den Gründen „3. [Wirtschaftlicher Zusammenhang] Der Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs ist in § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG nicht definiert. Er bestimmt sich nach dem allgemeinen Veranlassungsprinzip. a) [Veranlassungsprinzip] Dafür spricht zunächst die Bedeutung des Begriffs des wirtschaftlichen Zusammenhangs in anderen Rechtsnormen. Soweit im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nach § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG für die Berücksichtigung von Betriebsausgaben und Werbungskosten ein wirtschaftlicher Zusammen50 FG Münster v. 17.9.2014 – 10 K 1310/12 K, EFG 2015, 303.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht hang zu inländischen Einkünften erforderlich ist, müssen die Aufwendungen durch die inländischen Einkünfte veranlasst sein. Auf einen betriebsnotwendigen oder betriebswirtschaftlich notwendigen Veranlassungszusammenhang kommt es insoweit nicht an (s. für die Veranlassung durch eine inländische Betriebsstätte Senatsurteil v. 20.7.1988 – I R 49/84, BFHE 154, 465, BStBl. II 1989, 140; vgl. auch BFH-Urteil v. 14.11.1986 – VI R 209/82, BFHE 148, 460, BStBl. II 1989, 351). Dies entspricht auch der abkommensrechtlichen Zuordnung von Aufwendungen im Rahmen des im Streitjahr maßgeblichen Art. 7 Abs. 3 des OECD-MA von 2005 (Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 271, 331; vgl. auch Hemmelrath in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Art. 7 OECD-MA Rz. 129). [Allgemeine Grundsätze und Einzelfälle] Ebenfalls i.S. eines Veranlassungszusammenhangs ist der nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG erforderliche wirtschaftliche Zusammenhang mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden, teilweise steuerbefreiten Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen auszulegen. Auch für die Abgrenzung zu voll steuerpflichtigen Einnahmen ist im Rahmen einer wertenden Betrachtung maßgebend, aus welchen Gründen der Steuerpflichtige die Aufwendungen tätigt (BFH-Urteile v. 17.7.2013 – X R 17/11, BFHE 242, 126, BStBl. II 2013, 817; X R 6/12, BFH/NV 2014, 21; v. 28.2.2013 – IV R 49/11, BFHE 240, 333, BStBl. II 2013, 802; IV R 4/11, BFH/NV 2013, 1081). Wurde der angefallene Aufwand nicht vorrangig durch eine der beiden Einnahmearten ausgelöst, ist er anteilig und entsprechend dem rechtlichen und wirtschaftlichen Gehalt des Gesamtvorgangs aufzuteilen (Senatsurteil v. 27.3.2013 – I R 14/12, BFH/NV 2013, 1768). b) [Ebenso i.R.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG] Wird vor diesem Hintergrund in § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG eine gleichlautende Formulierung verwendet, ist dieser gleichfalls das Verständnis des allgemeinen Veranlassungszusammenhangs (§ 4 Abs. 4 EStG) zugrunde zu legen (so auch Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, Außensteuerrecht, § 34c EStG Rz. 201, 204; Kuhn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34c EStG Rz. 94; Endert in Frotscher/Maas, § 26 KStG Rz. 73; vgl. auch Pohl in Blümich, § 26 KStG Rz. 92a). Ob und inwieweit Aufwendungen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer Einkunftsart stehen, hängt danach von den Gründen ab, aus denen der Steuerpflichtige die Aufwendungen vornimmt. Maßgeblich ist die – wertende – Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen „auslösenden Moments“ (Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 21.9.2009 – GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl. II 2010, 672; v. 4.7.1990 – GrS 2/88, BFHE 161, 290, BStBl. II 1990, 817). [Selektion der Aufwandsursachen als Ergebnis einer wertenden Betrachtung] Dabei ist der Veranlassungszusammenhang nicht durch die (naturwissenschaftliche) Kausalität, sondern durch das Prinzip der wertenden Selektion der Aufwandsursachen gekennzeichnet (Senatsurteil in BFH/NV 2013, 1768). Stehen Ausgaben in mehreren Veranlassungszusammenhängen, ist zunächst zu prüfen, ob sich die Ausgaben den unterschiedlichen Ursachen zuordnen lassen. Ist eine anteilige Zuordnung nicht möglich, ist der vorrangige Veranlassungszusammenhang maßgeblich (Senatsurteile v. 15.1.2015 – I R 48/13, BFHE 248, 535, BStBl. II 2015, 713; v. 7.12.2005 – I R 34/05, BFH/NV 2006, 1068). Danach sind Aufwendungen der Ein-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht kunftsart zuzuordnen, die im Vordergrund steht und die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt. Maßgebend sind insoweit die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls (z.B. BFH-Urteile v. 16.11.2011 – VI R 97/10, BFHE 236, 61, BStBl. II 2012, 343; v. 25.11.2010 – VI R 34/08, BFHE 232, 86, BStBl. II 2012, 24; v. 7.2.2008 – VI R 75/06, BFHE 220, 407, BStBl. II 2010, 48; v. 5.4.2006 – IX R 111/00, BFHE 213, 341, BStBl. II 2006, 654; v. 30.3.1999 – VIII R 70/96, BFH/NV 1999, 1323). c) [Ausschließlicher Zusammenhang nicht erforderlich; Aufteilung] Im Unterschied zum unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang i.S. von § 3c Abs. 1 EStG (s. dazu BFH-Urteil v. 11.2.1993 – VI R 66/91, BFHE 170, 392, BStBl. II 1993, 450; vgl. auch zu § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 3 Satz 2 EStG i.d.F. v. 16.4.1997 Senatsurteile v. 27.7.2011 – I R 56/10, BFH/NV 2012, 181; v. 24.4.2007 – I R 93/03, BFHE 218, 83, BStBl. II 2008, 132) ist nach den vorgenannten Grundsätzen des Veranlassungsprinzips für § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG ein ausschließlicher Zusammenhang nicht erforderlich. Weisen die Aufwendungen einen Veranlassungszusammenhang sowohl mit ausländischen Einkünften i.S.d. § 34d EStG als auch mit inländischen Einkünften oder mit mehreren Arten von ausländischen Einkünften auf, so sind sie – ebenso wie bei den Einkunftsarten i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG (s. zu einer Aufteilung von Aufwendungen, die einen Veranlassungszusammenhang zu mehr als einer Einkunftsart aufweisen, BFH-Urteile v. 10.6.2008 – VIII R 76/05, BFHE 222, 313 = BStBl. II 2008, 937; v. 15.3.1994 – X R 58/91, BFHE 174, 84, BStBl. II 1994, 516; v. 23.1.1991 – X R 37/86, BFHE 163, 376, BStBl. II 1991, 398; v. 4.10.1990 – X R 150/88, BFH/NV 1991, 237) – aufzuteilen oder den Einkünften zuzurechnen, zu denen sie vorwiegend gehören. Dies trägt auch der Gesetzesbegründung Rechnung, nach der Aufwendungen den im Ausland erzielten Einnahmen auch dann zugeordnet werden sollen, wenn sie hierzu lediglich in einem mittelbaren Zusammenhang stehen (BT-Drucks. 15/119, 40). d) [Kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG] Die dargelegten Zurechnungskriterien verstoßen nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Soweit durch die Zuordnung von in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen eine Schlechterstellung betrieblicher Einkünfte gegenüber den im Privatvermögen erzielten Einkünften gesehen wird (so Müller-Dott, DB 2003, 1468 [1469]; Müller-Dott in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 26 KStG Rz. 89.1; vgl. auch Wagner in Blümich, § 34c EStG Rz. 60; Lüdicke, IStR 2003, 433 [434]), steht einer Verletzung des Gleichheitssatzes bereits entgegen, dass es im Bereich der Einkunftsarten, die sich nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG mit dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten bestimmen, – schon im rein innerstaatlichen Fall – an einer rechtlichen Grundlage für die Berücksichtigung von Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen fehlt. Damit beruht eine mögliche Schlechterstellung von betrieblichen Einkünften (Einkünften i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) i.R.d. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG – insbesondere in Bezug auf die den Vermögensstamm betreffenden Betriebsvermögensminderungen – ausschließlich auf dem Unterschied zwischen den Einkunftsermittlungsvorschriften. Die

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Betriebs- und Privatvermögen – und damit auch von Wertverlusten –, bei der Zuwächse und Minderungen des Vermögensstamms im Privatvermögen auf Grundlage des Dualismus der Einkunftsarten grundsätzlich außer Betracht bleiben, beim Betriebsvermögen hingegen in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließen, ist indes mit dem Gleichheitssatz vereinbar (s. Beschluss des BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BStBl. II 2011, 76). Liegt diese Grundentscheidung im Bereich der Bemessungsgrundlage innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt (vgl. BVerfG-Beschluss v. 9.7.1969 – 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302, BStBl. II 1970, 156), muss dies auch für die Einkünfteermittlung für Zwecke der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags gelten (vgl. Siegers in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 26 KStG Rz. 168). [Vergleich mit Freistellungsmethode unerheblich] Soweit überhaupt – wie die Klägerin meint – in der Berücksichtigung von in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen im Rahmen der Anrechnungsmethode eine Schlechterstellung im Verhältnis zur abkommensrechtlich angeordneten Freistellungsmethode zu sehen ist (vgl. auch Prokisch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 34c EStG Rz. B 123, B 126; Wassermeyer in Lüdicke/Mellinghoff/Rödder, Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, Festschrift für Dietmar Gosch, 2016, S. 439 [445]), ist diese jedenfalls ebenso vom Gestaltungsspielraum umfasst, der dem Verhandlungsführer und in Einklang damit dem Gesetzgeber bei der Umsetzung eines geschlossenen Abkommens in nationales Recht zukommt. Insbesondere kann sich die Klägerin nicht i.S. einer Meistbegünstigung auf Abkommen mit Drittstaaten berufen, die – abweichend von der gesetzlichen Grundregel des § 4 Abs. 2 InvStG i.V.m. § 26 Abs. 1 KStG – eine Freistellung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 InvStG vorsehen (vgl. Senatsurteil v. 20.5.2015 – I R 47/14, BFHE 250, 87, BStBl. II 2015, 808). 4. [Folgerungen für Streitfall] Nach diesen Maßgaben hat das FG teilweise zu Unrecht, teilweise im Ergebnis zutreffend Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen von den ausländischen Einkünften der Klägerin zur Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags abgezogen. a) [Deckungsrückstellung und Zinsen: vorrangiger Inlandsbezug] Die Verpflichtung der Klägerin zur Bildung einer Deckungsrückstellung und damit auch die darauf entfallenden Zuführungen von rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen sind nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt vorrangig dem Bereich des inländischen Versicherungsgeschäfts zugewiesen. Dies gilt auch, soweit sich die Höhe der außerrechnungsmäßigen Zinsen gemäß § 12a Abs. 1 Satz 2 VAG a.F. prozentual nach den über die rechnungsmäßige Verzinsung hinausgehenden Kapitalerträgen bestimmt. Der Umstand, dass bereits aus dem Geschäftsgegenstand der Klägerin, dem substitutiven Krankenversicherungsgeschäft, nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 VAG a.F. die Verpflichtung zur Bildung einer Deckungsrückstellung als Alterungsrückstellung i.S. des § 341f Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 HGB folgt, bildet gegenüber der rechnungsmäßigen Verknüpfung mit der Höhe der Kapitalerträge den vorrangigen Veranlassungszusammenhang.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht b) [Ebenso bei Rückstellungen für Beitragsrückerstattung] Gleiches gilt für die Zuführungen der Klägerin zu den Rückstellungen wegen Beitragsrückerstattung. Die Verpflichtung der Klägerin, versicherungstechnische Rückstellungen, zu denen nach § 341e Abs. 2 Nr. 2 HGB auch die Rückstellung für Beitragsrückerstattung zählt, zu bilden, ergibt sich bereits aus ihrer Eigenschaft als Versicherungsunternehmen. Zudem bezieht sich nach dem für die Klägerin maßgeblichen § 28 der Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (Versicherungsunternehmens-Rechnungslegungsverordnung) der Anspruch des Versicherungsnehmers auf erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattung auf den Schadensverlauf des einzelnen Versicherungsvertrags und somit auf das inländische Versicherungsgeschäft. Demgegenüber tritt der allein im Rahmen der erfolgsabhängigen Beitragsrückerstattung, die sich auf einen Teil des vom Versicherer insgesamt erzielten Ergebnisses bezieht, bestehende Zusammenhang zu den ausländischen Kapitalerträgen als untergeordneter Teil des insgesamt erzielten Ergebnisses […] zurück. […] d) [Aber: Verwaltungsaufwendungen sind aufzuteilen.] Die vom FA bei der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags berücksichtigten Verwaltungsaufwendungen wurden hingegen nach den nicht angegriffenen und bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) für die Verwaltung sämtlicher Kapitalanlagen der Klägerin aufgewandt. Auslösendes Moment sind sowohl die inländischen als auch die ausländischen Kapitalerträge; ein vorrangiger Zusammenhang besteht nicht. Soweit die Klägerin im Revisionsverfahren geltend macht, für die Verwaltung der den ausländischen Einkünften zu Grunde liegenden Beteiligungen seien im Gegensatz zu inländischen Kapitaleinkünften weit geringere Aufwendungen angefallen, steht dem die – nicht mit Verfahrensrügen angegriffene – Schätzungsbefugnis des FG nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 FGO i.V.m. § 162 AO entgegen. Die nach § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG erforderliche Zuordnung von Betriebsausgaben, die in mehreren Veranlassungszusammenhängen stehen, ist mangels unmittelbarer Zurechnungskriterien zu schätzen oder zu quoteln (vgl. Gosch in Kirchhof, EStG, 15. Aufl. 2016, § 34c Rz. 15; Senatsurteil in BFHE 183, 114, BStBl. II 1997, 657; BFH-Urteil in BFHE 222, 313, BStBl. II 2008, 937). Die vom FG vorgenommene Aufteilung nach dem Verhältnis der gesamten Aufwendungen für Kapitalanlagen zu den gesamten laufenden Erträgen ist nicht zu beanstanden. Dass diese Form der Zuordnung nur einen möglichen Anhaltspunkt für die Bestimmung des allgemein auf Kapitalanlagen entfallenden Rohgewinns bietet, stellt ihre Eignung als Schätzungsmaßstab nicht infrage. 5. [EU-Konformität] Die (anteilige) Berücksichtigung der Verwaltungskosten verstößt nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte – EG – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1, jetzt Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Ver-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht trags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – AEUV –, Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47). Demgemäß kann es auch im Streitfall nicht in Betracht kommen, den Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs in § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG im Rahmen einer unionsrechtskonformen Auslegung (dazu Senatsurteil v. 9.5.2012 – I R 73/10, BFHE 238, 1, BStBl. II 2013, 566) dahingehend abzumildern, dass er den auf ausländische Kapitalanlagen entfallenden Anteil der gesamten Kosten für die Verwaltung von Kapitalanlagen nicht erfasst. […]“

3. Leitsätze „1. Ob Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen mit den den ausländischen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen i.S.d. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, bestimmt sich nach dem Veranlassungsprinzip (§ 4 Abs. 4 EStG). 2. Weisen die Aufwendungen sowohl mit ausländischen Einkünften i.S.d. § 34d EStG als auch mit inländischen Einkünften oder mit mehreren Arten von ausländischen Einkünften einen Veranlassungszusammenhang auf, so sind sie aufzuteilen oder den Einkünften zuzurechnen, zu denen sie vorwiegend gehören. 3. Diese Zurechnungsgrundsätze verstoßen weder gegen Verfassungs- noch gegen Unionsrecht.“

III. Anmerkungen 1. Feststellungsverfahren/Veranlagungsverfahren Im Streitfall waren die Regelungen des § 34c Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 34d Abs. 1 Nr. 6 EStG nicht unmittelbar, sondern nur über „Umwege“ einschlägig; auch bedurfte es hierbei der Erörterung, ob das Klageziel wirklich durch die Anfechtung des Körperschaftsteuerbescheids erreicht werden konnte. Zu berücksichtigen war insoweit, dass die Klägerin die ausländischen Kapitalanlagen nicht unmittelbar hielt, sondern nach den Klarstellungen während des Revisionsverfahrens im Streitjahr (2005) an inländischen Investmentvermögen mit in- und ausländischen Kapitalanlagen beteiligt war. Zwar ordnet § 4 Abs. 2 Satz 4 InvStG die sinngemäße Geltung des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG an. Allerdings ist bei inländischen Spezial-Sondervermögen (jetzt: Spezial-Investmentfonds), die sich von Publikumsfonds durch ihre begrenzte Zahl von Anteilinhabern sowie den Umstand unterscheiden, dass die Anleger und die jeweilige Beteiligungshöhe zumeist bekannt sind (BT-Drucks. 15/1553, 130), nicht die Grundregel des § 13 Abs. 1 InvStG einschlägig, nach der die Besteue-

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rungsgrundlagen i.S.v. § 5 Abs. 1 InvStG nur gegenüber der Investmentgesellschaft gesondert festgestellt werden;51 vielmehr sieht die Sonderbestimmung des § 15 Abs. 1 Satz 3 InvStG ausdrücklich die entsprechende Geltung des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO mit der Folge vor, dass die investmentrechtlichen Besteuerungsgrundlagen gegenüber den Anlegern des Spezialfonds festzustellen sind und als Grundlagenbescheid gem. § 182 Abs. 1 AO Bindungswirkung entfalten. Wenngleich hierdurch der Spezialfonds „weitgehend wie eine Personengesellschaft behandelt wird“,52 bleibt insoweit zu beachten, dass sich die Feststellungen auf das Investmentvermögen beziehen.53 Demgemäß fällt weder die Entscheidung über die Zugehörigkeit der Investmentanteile zu einem inländischen Betriebsvermögen noch diejenige über die den ausländischen Einkünften wirtschaftlich zuzurechnenden Aufwendungen in den Regelungsbereich des Feststellungsverfahrens gem. § 15 Abs. 1 Satz 3 InvStG; vielmehr war hierüber – als Teil der persönlichen Tatbestandsverwirklichung – i.R.d. Körperschaftsteuerveranlagung zu befinden.54 Hiervon zu unterscheiden ist allerdings der Sachverhalt, dass der inländische Betrieb sowie die ausländischen Einkunftsquellen zum Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft gehören und deshalb die von den Mitunternehmern erzielten in- und ausländischen Einkünfte nach der dann unmittelbar anwendbaren Bestimmung des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO einheitlich und gesondert festzustellen sind. Da diese Feststellungen nicht nur die einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtigen Einkünfte, sondern auch die damit im Zusammenhang stehenden „anderen Besteuerungsgrundlagen“ umfassen, sind – in Übereinstimmung mit dem Sinn und Zweck eines solchen Verfahrens – hierzu auch die ausländischen Einkünfte i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG (einschl. ihrer Komponenten) zu rechnen.55

51 Vgl. jüngst FG Hessen v. 21.6.2016 – 4 K 960/15, EFG 2016, 1535 (Rev. I R 51/16), betr. anlegerbezogene Betrachtung und DBA-rechtliches Schachtelprivileg. 52 BT-Drucks. 15/1553, 131. 53 Haug in Moritz/Jesch, InvStG, 2015, § 15 Rz. 69. 54 De lege lata zustimmend Lüdicke J., ISR 2016, 326. 55 Wacker, IStR 2016, 671; Brandis, BFH/PR 2016, 307; vgl. aus der Rspr. vor allem BFH v. 16.3.1994 – I R 42/93, BFHE 174, 509 = BStBl. II 1994, 799; ferner BFH v. 18.7.1990 – I R 115/88, BFHE 161, 499 = BStBl. II 1990, 951; v. 28.4.2010 – I R 81/09, BFHE 229, 252 = BStBl. II 2014, 754.

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2. Materielle Aspekte des Besprechungsurteils Zur materiellen Seite des Besprechungsurteils und damit zum Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs (§ 34c Abs. 1 Satz 4 EStG) sei vorangestellt, dass seine Auslegung nur vor dem Hintergrund des Dialogs von Rspr. und Gesetzgeber und der hierbei schrittweise gewonnenen Erkenntnisse verständlich ist. Diese haben ihren Anfang darin genommen, dass zur früheren und bis 2002 geltenden Gesetzesfassung (§ 34c Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG a.F.), nach der ausländische Steuern nur insoweit anzurechnen waren, als sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen „Einkünfte“ entfielen, der I. Senat des BFH in ständiger Rspr. entschieden hat, dass hierbei nur die Aufwendungen als Betriebsausgaben einkunftsmindernd anzusetzen waren, die erstens im Fall der Kapitaleinkünfte gem. § 34d Nr. 6 EStG die Eignung zum Werbungskostenabzug i.R.v. § 20 EStG hatten56 und zweitens in einem „direkten wirtschaftlichen Zusammenhang zur Einnahmeerzielung“ standen (sog. direkte Gewinnermittlungsmethode). Der Senat hat sich bei Letzterem auf das „allgemeine Veranlassungsprinzip (§ 4 Abs. 4 EStG)“ berufen und hieraus u.a. abgeleitet, dass der Refinanzierungsaufwand für ausländische Kapitalanlagen nur unter der Voraussetzung einer konkret-objektbezogenen Finanzierung (d.h. Darlehensaufnahme für die einzelne Anlage) zu berücksichtigen sei; eine bloße laufzeitkongruente Refinanzierung der Aktiva war mithin nicht ausreichend.57 Ebenso wenig hatte er bei einem Lebensversicherer die rechnungs- und außerrechnungsmäßigen Zinsen (Zuführung zur Beitragsrückerstattung) in die aus den Auslandsbeteiligungen erzielten Einkünfte einbezogen.58 Fast erwartungsgemäß hat der Gesetzgeber hierauf mit dem StVergAbG59 reagiert und in der Begründung hierzu ausgeführt: „Aufgrund der vom Bundesfinanzhof entwickelten Rechtsprechung […] werden gegenwärtig bei der Ermittlung ausländischer Einkünfte eines inländischen Unternehmens Aufwendungen, die mit im Ausland erzielten Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, diesen Einnahmen nicht zugeordnet, wenn der Zusammenhang nur ein mittelbarer ist (z.B. im Zusammenhang mit ausländischen Portfolioanlagen gezahlte Refinanzierungszinsen). Dies führt zu einer 56 BFH v. 16.3.1994 – I R 42/93, BFHE 174, 509 = BStBl. II 1994, 799: isolierende Betrachtungsweise. 57 BFH v. 29.3.2000 – I R 15/99, BFHE 191, 521 = BStBl. II 2000, 577. 58 BFH v. 9.4.1997 – I R 178/94, BFHE 183, 114 = BStBl. II 1997, 657. 59 BGBl. I 2003, 660 = BStBl. I 2003, 321.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht sachlich nicht gerechtfertigten Erhöhung der ausländischen Einkünfte als Bezugsgröße bei der Berechnung des Höchstbetrags der auf die deutsche Einkommensteuer/Körperschaftsteuer anrechenbaren Steuern aus einem ausländischen Staat. Der neue § 34c Abs. 1 Satz 4 sieht vor, dass die mit ausländischen Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte zu berücksichtigen sind, wenn ausländische Einkünfte im Sinne des § 34d Nr. 3, 4, 6, 7 und 8 Buchstabe c Teil des Gewinns eines inländischen Betriebes sind.“60

Der Gesetzgeber hat damit einen „riskanten“ Weg eingeschlagen: Einerseits wollte er erkennbar die Rspr. brechen, andererseits hat er sich zur Verwirklichung dieses Ziels eines Tatbestandsmerkmals bedient, das vor allem in § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG61 (s. aber auch § 3c Abs. 2 EStG) gerade auf das Veranlassungsprinzip und damit auf die Zurechnungsgrundsätze verweist, die der I. Senat in seiner Rspr. zur früheren Rechtslage zum Anlass für das vorstehend skizzierte enge Verständnis genommen hat. Demgemäß konnte es auch nicht überraschen, dass die Gesetzeskorrektur Anlass zu vielfältigen Präzisierungsversuchen gegeben hat, die darauf gerichtet waren, die früheren Ergebnisse – trotz des geänderten Gesetzeswortlauts – zumindest in Teilen fortzuschreiben; gefordert wurde für den wirtschaftlichen Zusammenhang ein konkreter oder zweckgerichteter Bezug. Letzteres sei zwar für Refinanzierungskosten der Kapitalanlage oder Teilwertabschreibungen zu bejahen, nicht aber für allgemeine Verwaltungskosten oder Währungsverluste.62 Der Senat ist dem nicht gefolgt. Er hat sich vielmehr – in Abkehr von seiner bisherigen Sicht – dafür entschieden, (auch) den wirtschaftlichen Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG nach den erstmals im sog. Kontokorrentzinsenbeschluss vom 4.7.199063 entwickelten Kriterien des Veranlassungsprinzips zu deuten.64 Maßgeblich ist danach im Ausgangspunkt das die jeweiligen Aufwendungen auslösende Moment und die wertende Zurechnung dieses Moments zu den einzelnen Einkunftsquellen. Das Besprechungsurteil, auf dessen Einzelerläuterungen insoweit verwiesen werden darf, legt zutreffend dar, dass hiernach zwar die versicherungstechnischen Rückstellungen sowie die hierfür anzusetzenden rechnungs- und außerrechnungsmäßigen Zinsen einen ausschließlichen Inlandsbezug aufwei-

60 BT-Drucks. 15/119, 40. 61 Z.B. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BFHE 154, 465 = BStBl. II 1989, 140. 62 Z.B. Gosch in Kirchhof, EStG, 15. Aufl. 2016, § 34c Rz. 15; weiter Heinicke in Schmidt, EStG, 35. Aufl. 2016, § 34c Rz. 11. 63 BFH v. 4.7.1990 – GrS 3/88, BFHE 161, 290 = BStBl. II 1990, 817. 64 Dazu Wacker, BB 1991, 248.

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sen,65 hingegen Gemeinkosten (hier: Verwaltungskosten sämtlicher Kapitalanlagen) anteilig und zumeist im Wege der Schätzung den ausländischen Kapitaleinkünften zuzurechnen sind. Die anteilige Gemeinkostenzuordnung ist im Schrifttum auf Zustimmung gestoßen.66 Letzteres gilt – auch unter Beachtung der EU-rechtlichen Grundfreiheiten – selbst dann, wenn der Quellenstaat die dort erzielten Einkünfte „brutto“ oder nur nach Abzug der hierdurch veranlassten Einzelkosten besteuert und sich hierdurch ein sog. Anrechnungsüberhang ergibt.67 Mit Rücksicht auf die vom zuständigen FA befürwortete Kürzung der ausländischen Kapitaleinkünfte um Teilwertabschreibungen auf die den Einkünften zugrunde liegenden Kapitalanlagen hat das FG München mit Urteil vom 11.5.201668 wie folgt entschieden (LS 4): „Zu den Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen, die mit in Portugal erzielten Einkünften aus Kapitalvermögen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG stehen, gehören Depotgebühren und Gewerbesteuer, nicht hingegen Teilwertabschreibungen.“

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.69

3. Weiterungen für § 34d EStG Das Besprechungsurteil lässt offen, ob das Veranlassungsprinzip nicht nur für den Sonderfall des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG, sondern generell für die Bestimmung ausländischer Einkünfte in § 34d EStG greift. Hierfür spricht m.E., dass auch die Höhe der Einkünfte nach deutschem Recht zu ermitteln ist.70

4. Weiterungen für § 50d Abs. 3 EStG Ebenso blieb offen, ob dann, wenn die Steueranrechnung i.R.d. beschränkten Steuerpflicht zu gewähren ist (vgl. § 50 Abs. 3 EStG), der Veranlassungszusammenhang normspezifisch im früher vertretenen Sinne (Einzelkosten) zu beschränken sein könnte. Dies ließe sich zwar mit 65 66 67 68 69 70

Ausführlich Lüdicke J., ISR 2016, 326. Z.B. Lüdicke J., ISR 2016, 326; Sprang, NWB 2016, 3012. Brandis, BFH/PR 2016, 307. FG München v. 11.5.2016 – 6 K 2122/14, EFG 2016, 1363. Rev. I R 37/16. Heinicke in Schmidt, EStG, 35. Aufl. 2016, § 34c Rz. 11.

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Rücksicht auf den strukturellen Inlandsbezug und den objektsteuerartigen Charakter dieses Besteuerungszugriffs erwägen; andererseits differenziert das Gesetz selbst – ebenso wie in § 3c Abs. 1 und 2 EStG – deutlich zwischen dem wirtschaftlichen Zusammenhang in § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG und – wenn auch nur für Zwecke des Steuerabzugs – dem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang in § 50a Abs. 3 EStG.71

5. § 10 Abs. 4 AStG Nicht zu entscheiden war schließlich darüber, nach welchen Zurechnungsmaßstäben der wirtschaftliche Zusammenhang i.S.v. § 10 Abs. 4 AStG in den Fällen zu bestimmen ist, in denen die Zwischengesellschaft nicht nur passive – ihren Status begründende – Einkünfte, sondern auch nicht der Hinzurechnung unterliegende aktive Einkünfte erzielt. In der Literatur wird hierzu m.E. zutreffend auf das „allgemeine“ Veranlassungsprinzip und damit auf die vorstehend entwickelten Merkmale verwiesen.72

71 Wacker, IStR 2016, 671; vgl. zum unmittelbaren Zusammenhang auch EuGH v. 13.7.2016 – C 18/15 – Brisal und KBC Finance Ireland, juris, Rz. 46: Aufwendungen, die für die „Ausübung der Tätigkeit notwendig sind“. 72 Schönfeld/Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 10 AStG Rz. 424.

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer StB Peter Carstens Head of Tax, Otto (GmbH & Co. KG), Hamburg

Prof. em. Dr. Jörg Manfred Mössner Universität Osnabrück/Universität Paris-Sorbonne

Dr. Berend Holst Leiter Steuern und Zölle Konzern, Volkswagen AG, Wolfsburg

Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

MinDirig Martin Kreienbaum Leiter der Unterabteilung Internationales Steuerrecht, Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Prof. Dr. Lüdicke Herr Wacker, ich danke Ihnen für Ihren wunderbaren Vortrag, ein Überblick über die Highlights der Rechtsprechung Ihres Senats zum internationalen Steuerrecht und genügend Stoff zum Diskutieren! Wir haben uns vorab verständigt: Weil der Vortrag von Herrn Professor Mössner auch das Thema Treaty Overriding im Verhältnis von § 1 AStG zu den DBA behandeln wird, wollen wir die generelle Diskussion der beiden von Herrn Wacker vorgestellten Treaty-Override-Fälle aufschieben und das im Zusammenhang nach dem Vortrag von Herrn Mössner diskutieren. Wir werden jetzt die anderen Urteile des BFH besprechen.

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Dr. Holst Auch wenn die Treaty-Override-Fälle erst später behandelt werden sollen, möchte ich mit Blick auf eine drohende Gesetzesänderung im Zuge der BEPS-Gesetzgebung einleitend kurz auf den § 50d Abs. 8 EStG-Fall eingehen. Für diese Entscheidung habe ich als Steuerbürger ein gewisses Verständnis, denn es kann ja letztendlich nicht sein, dass beispielsweise bei Dienstreisen nach Italien das Bruttogehalt dem Nettogehalt entspricht. Insoweit ist es nicht völlig fernliegend, dass der Nachweis geführt wird, dass der eigentlich erhebungsberechtigte Staat sein Besteuerungsrecht jedenfalls kennt und darauf verzichtet hat. Im BEPS-Umsetzungsgesetz ist jetzt aber im Treaty Override des § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG eine Erweiterung der Subject-to-Tax-Klausel für den Fall vorgesehen, dass der ausländische Staat nicht alles auch tatsächlich besteuert. Das ist schon ein erheblicher Eingriff, den ich gerne mit Vertretern der Finanzverwaltung diskutieren würde. Was ist, wenn ein ausländischer Staat bewusst steuerfreie Investitionszuschüsse gibt, um Investoren anzulocken? Und was bedeutet das für die Expat-Besteuerung? Mein Unternehmen hat mehrere tausend Expats, die davon betroffen wären. Die korrekte steuerliche Abwicklung der Expat-Besteuerung ist schon jetzt sehr komplex, weil es ganz verschiedene Entsendungsbestandteile und unterschiedliche Regelungen in den Tätigkeitsstaaten gibt. Es gibt Umzugskosten, es gibt Kosten für Sicherheit, die in einigen Ländern zwingend notwendig sind. Es gibt Kosten für Look-and-See-Trips, ggf. einen Lebenshaltungskostenausgleich, es gibt Heimflüge usw. Die steuerliche Behandlung ist in jedem Staat anders geregelt und für ein Unternehmen seriös nicht administrierbar, weshalb sich die Industrie regelmäßig externer Dienstleister bedient. Die deutsche Industrie ist exportorientiert, Expats gehören da zur Unternehmenskultur. Die Steuerkosten der Expats übernehmen in aller Regel die entsendenden Unternehmen. Es wird eine Hypo-Tax einbehalten und alles andere tragen die Unternehmen. Wenn der Gesetzgeber jetzt so ein Fass aufmacht, erhöhen sich die Kosten für Expats erheblich, und die Compliance-Anforderungen sind noch schwerer bzw. kostenintensiver zu erfüllen. Das ist nach meiner Überzeugung kein verantwortungsvoller Umgang des Gesetzgebers mit dem Thema Treaty Override. Zu den finalen Verlusten: Ich beobachte eine generelle Tendenz des EuGH, nicht mehr in die Kasse der Mitgliedstaaten zu greifen. Dementsprechend sind die Entscheidungen, was grenzüberschreitende Verluste betrifft, zurückhaltender geworden. Allerdings muss man auch hinter-

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fragen, ob wirklich geeignete Fälle zum EuGH gelangt sind. Schaut man auf Timac Agro1, so handelt es sich um einen Konzernfall. Dort ist die Betriebsstätte durch Verkauf an eine Schwestergesellschaft weggestaltet worden. Das legt natürlich nahe zu sagen, dass es sich nicht um finale Verluste handelt. Der Fall Deutsche Shell2 war sicherlich ein anderer, sodass ich die Frage „finale Verluste bei Betriebsstätten“ noch nicht als endgültig entschieden ansehe. Timac Agro war ein Fall, den ich persönlich nicht zum EuGH getrieben hätte. Zum EuGH-Fall zu X3: Ich bin mir nicht sicher, ob aus dieser Entscheidung Rückschlüsse auf Betriebsstätten gezogen werden können, weil es sich um einen Kapitalgesellschaftsfall handelte. Was ich in dieser Entscheidung ein bisschen vermisse, ist die Abgrenzung zu Marks & Spencer4. Aber das ist eine andere Entscheidung des EuGH, zu der wir vielleicht später noch kommen. Das Thema anrechenbare ausländische Steuern nach § 34c EStG ist aus meiner Sicht ein ziemlich graues Feld. Der Steuerpraktiker hat ohnehin schon Schwierigkeiten, in der Betriebsprüfung zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen. Beispielsweise wird häufig diskutiert, inwieweit Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, die in der Regel einem Projekt vorausgehen, das nachfolgend lizenziert wird, dem lizenzierten Projekt noch zuzuordnen sind. Den Begriff „wirtschaftlicher Zusammenhang“ jetzt noch auszudehnen auf Verwaltungskosten oder vielleicht auch noch Verwaltungsgemeinkosten einzubinden, führt in der Praxis zu noch weniger Klarheit, die nach meiner Einschätzung jedoch dringend geboten wäre. Wir haben so ähnliche Diskussionen im Zusammenhang mit Anschaffungsnebenkosten bei Akquisitionen geführt. Dort gibt es mittlerweile relativ klare Regeln, ab welchem Zeitpunkt Aktivierungen zu erfolgen haben. Ich halte es für wünschenswert, im Zusammenhang mit § 34c EStG ebenfalls praxistaugliche Abgrenzungen im Sinne von Unternehmen und Finanzverwaltung zu etablieren. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Holst. Damit wir jetzt ein bisschen strukturiert diskutieren, würde ich vorschlagen, dass wir mit dem letzten Punkt anfangen, § 34c EStG. Sie haben auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die Sie 1 2 3 4

EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14 – Timac Agro, IStR 2016, 74. EuGH v. 28.2.2008 – C-293/06 – Deutsche Shell, IStR 2008, 224. EuGH v. 10.6.2015 – C-686/13 – X AB, IStR 2015, 557. EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03 – Marks & Spencer, IStR 2006, 19.

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im Zusammenhang mit Betriebsprüfungen möglicherweise auf sich zukommen sehen, aber die Schwierigkeiten setzen ja schon vorher an. Sie müssen eine Steuererklärung abgeben und die muss richtig sein. Zumindest sollte sie in der Nähe des Richtigen sein. Und da stellt sich die Frage: Was muss man jetzt eigentlich in die Höchstbetragsberechnung mit hineinnehmen, wenn Sie anrechenbare ausländische Steuern haben? Dann ist das ja unmittelbar virulent und Sie müssen sich erklären. Herr Carstens, haben Sie da schon drüber nachgedacht, was Sie da überhaupt reinnehmen? Carstens Da haben wir noch gar nicht drüber nachgedacht, also da warten wir mal in Ruhe ab. (Gelächter) Aber die Gemeinkosten spielen da natürlich eine Rolle. Vielleicht können wir da noch was erfahren, was man da reinrechnen muss. Personalkosten oder so etwas? Das hatten wir vor der Pauschallösung schon einmal im Zusammenhang mit steuerfreien Dividenden und nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben. Da haben wir dann auch fleißig diskutiert. Jetzt diskutieren wir gerade über die Abgrenzung bei Anschaffungsnebenkosten, da geht es uns genauso. Das ist alles sehr mühsam, da die Sachverhalte höchst individuell sind und jedwede Abgrenzung schwierig. Das führt zu Diskussionen, die praktisch kaum lösbar sind. Bei § 8b KStG hat man das mit den fünf Prozent irgendwann pauschaliert. Insofern ist man nicht besonders erfreut. Mit den anderen Urteilen kann man leichter leben, da die Wirkungen klarer sind. Zum Beispiel beim Treaty Override. Das ist umsetzbar und es gibt klare Regelungen. Prof. Dr. Lüdicke Herr Wacker, bei Ihnen ist ja noch ein Fall anhängig, Revision gegen FG München5, bei der es auch wohl um den § 34c EStG geht – können Sie schon sagen, wann da mit einer Entscheidung zu rechnen ist? Dr. Wacker Nein, aber ich kann Ihnen das Aktenzeichen nennen: I R 37/16. In dem Fall geht es u.a. um die Zuordnung von Depotgebühren.

5 FG München v. 11.5.2016 – 6 K 2122/14, EFG 2016, 1363.

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Prof. Dr. Lüdicke … und wenn man das erstinstanzliche Urteil liest, auch um die damals noch abzugsfähige Gewerbesteuer, also zumindest einige ganz handfeste Aspekte, die vielleicht das Verständnis vertiefen könnten. Dr. Wacker Sicherlich, auch mit Rücksicht auf bisher nicht entschiedene Detailfragen. Prof. Dr. Lüdicke Herr Kreienbaum, ist denn die Wertung, die der Steuerpflichtige für sich in der Steuererklärung wahrnimmt, auf jeden Fall vertretbar? Kreienbaum Einen Blankoscheck kann ich nicht ausstellen. Der BFH hat entschieden, dass der Begriff „wirtschaftlicher Zusammenhang“ in § 34c EStG nach den Grundsätzen des Veranlassungsprinzips (§ 4 Abs. 4 EStG) auszulegen ist. Bei Aufwendungen mit mehrfachem Veranlassungszusammenhang hat der BFH entschieden, dass diese aufzuteilen oder den Einkünften zuzurechnen sind, zu denen sie vorwiegend gehören. Das gilt über den entschiedenen Einzelfall hinaus, denn das Urteil wurde im Bundessteuerblatt ohne begleitendes BMF-Schreiben veröffentlicht. Nicht mehr und nicht weniger. Das Prinzip des allgemeinen Veranlassungszusammenhangs ist kein unbekanntes Neuland. Die Finanzverwaltung wird sich naturgemäß dennoch im Lichte der geführten Diskussion Gedanken über die Frage machen müssen, ob – und wenn ja, welcher – Handlungsbedarf besteht. Das tun wir, gemeinsam mit den Ländern, und wir sehen uns da in der Pflicht, insbesondere im Hinblick darauf, ob ausreichende Rechtssicherheit besteht. Ich kann Herrn Carstens darin zustimmen, dass dies kein einfaches Unterfangen ist. Und es ist in der Tat jetzt eine zusätzliche Komplexität eingebaut durch diese beiden von Herrn Wacker dargestellten zusätzlichen Wertungsebenen. Prof. Dr. Lüdicke Die allerdings nicht Herr Wacker, sondern wohl der Gesetzgeber zu verantworten hat.

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Kreienbaum Herr Wacker hat sie dargestellt. Ich habe nicht gesagt, dass er sie zu verantworten hat. (Gelächter) Dr. Wacker Nun, zum einen sind die Grundsätze des Veranlassungsprinzips vom Großen Senat des BFH in seinem ersten sog. Kontokorrentzinsenbeschluss aus dem Jahre 19906 entwickelt worden. Zum anderen ist der Gesetzesbegründung zum wirtschaftlichen Zusammenhang i.S.v. § 34c Abs. 1 EStG nur zu entnehmen, dass die frühere BFH-Rechtsprechung gebrochen werden sollte. In welchem Umfang und mit welchen Weiterungen, bleibt allerdings offen. In einer solchen – sagen wir offenen – Situation ist es naheliegend, dass der Richter das Gesetz insgesamt anschaut und sich die Frage stellt, wo und in welchem Kontext das Merkmal des wirtschaftlichen Zusammenhangs sonst noch verwendet wird und welche Konkretisierungen durch die Rechtsprechung hierzu vorliegen. Das ist das methodische Fundament unserer Entscheidung mit den aufgezeigten Folgen, insbesondere also mit Rücksicht auf das Erfordernis der wertenden Zuordnung. Flächendeckende Aussagen für sämtliche in Betracht kommende Aufwandsposten sind hiermit nicht verbunden; über einzelfallbezogene Fortentwicklungen (d.h., i.S.d. Veranlassungsprinzips wertende Aussagen) wird die zukünftige Rechtsprechung zu befinden haben. Ein Weiteres: Was die Entfaltung des Veranlassungsprinzips anbelangt, hat der erste Senat seine Beurteilung mit dem Besprechungsurteil – man kann sagen: stillschweigend – geändert. Mit anderen Worten: Man hätte bereits den früher verwendeten Einkünftebegriff im nunmehr entschiedenen Sinne (d.h. einer veranlassungsbezogenen Wertung) auslegen können. Dr. Holst Die Rechtsprechung hat natürlich regelmäßig gut abgrenzbare Sachverhalte zu beurteilen; die Praxis sieht da leider etwas anders aus. Generell muss man sagen, dass eine Nicht-Anrechenbarkeit von Steuern eine Doppelbesteuerung bedeutet und damit eine Belastung für in Deutschland ansässige Unternehmen, die z.B. von hier aus Lizenzen ins Ausland vergeben. Das machen ja auch nicht alle Unternehmen, zumal es woanders Patentboxen oder vergleichbare Präferenzsysteme gibt. Vielleicht 6 BFH v. 4.7.1990 – GrS 2–3/88, BStBl. II 1990, 817.

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muss sich der Gesetzgeber auch einmal überlegen, wie weit er da gehen will. Für mich besteht in diesem Zusammenhang keine Missbrauchsanfälligkeit, sondern wir bemühen uns, die Sachverhalte sachgerecht aufzuarbeiten, aber das sollte dann auch praktikabel erfolgen können. Prof. Dr. Lüdicke Ich meine, dass das Grundproblem darin liegt, dass Deutschland, jedenfalls in den DBA-Fällen, im Zusammenwirken mit dem anderen Staat, dem Quellenstaat, die Bruttobesteuerung erlaubt, aber nur bereit ist, auf Nettobasis anzurechnen. Das führt zu Brüchen, das ist ganz klar. Andererseits ist die Gesetzeslage, nämlich dass wir nicht vollumfänglich anrechnen, auch klar. Die Frage ist, ob das steuerpolitisch so sinnvoll ist, und das ist, glaube ich, der Punkt, den Sie angesprochen haben. Ich sehe Zustimmung von Herrn Holst. Gut. Gibt es noch Wortmeldungen auf dem Podium zu den finalen Verlusten oder zu den Währungsverlusten? Ich glaube, Einigkeit besteht wohl allenthalben, dass die EuGH-Rechtsprechung zurzeit mehr als unklar ist, weil sie sich nicht wirklich abgrenzt von früheren entgegenstehenden Urteilen. So gesehen habe ich mit einer gewissen Freude gehört, Herr Wacker, dass Sie durchblicken haben lassen, dass auch Ihr Senat das so sieht, dass vieles nicht klar ist, und wenn Revisionen anhängig sind, führt das ja vielleicht zu einer Vorlage. Das haben Sie nicht gesagt, das will ich Ihnen auch nicht in den Mund legen, aber aus meiner Sicht wäre das jedenfalls zu begrüßen. Dr. Wacker Lieber Herr Lüdicke, das haben Sie aber gerade eben getan. Prof. Dr. Mössner Ein kleiner Hinweis noch zu Timac Agro. Diese Entscheidung ist wirklich verwirrend, dies muss man sagen. Man muss nämlich zum Urteil die Schlussanträge des Generalanwalts7 lesen. Und dort steht an der entscheidenden Stelle, wenn man dies mit dem Urteil vergleicht, dass die österreichische Regierung gesagt hat, die Verluste sind nicht final, sondern sie können in Österreich noch berücksichtigt werden. Und dann folgt der nächste Satz zur Vergleichbarkeit der Situationen:

7 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet v. 3.9.2015.

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Podiumsdiskussion: Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats „Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Situationen ist darauf hinzuweisen, dass sich Betriebsstätten, die in einem anderen als dem betreffenden Mitgliedstaat belegen sind, in Bezug auf Maßnahmen dieses Mitgliedstaats, die zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, grundsätzlich nicht in einer mit der Situation gebietsansässiger Betriebsstätten vergleichbaren Situation befinden […].8 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Situation einer in Österreich belegenen Betriebsstätte, über deren Ergebnisse die Bundesrepublik Deutschland keine Steuerhoheit ausübt und deren Verluste in Deutschland nicht mehr abzugsfähig sind, in Bezug auf Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft nicht mit der Situation einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte vergleichbar ist […].“9

M.a.W.: Der Generalanwalt hat die Aussage zur Vergleichbarkeit für den Fall nicht finaler Verluste gemacht. Nur: In dem Urteil selbst ist dieser Vorspruch weggelassen worden. Wollten sie damit die Rechtsprechung ändern? Es ist eine Kammerentscheidung, keine Plenumsentscheidung, das muss man auch sehen. Die Rechtslage ist offen, deshalb halte ich es auch für notwendig, dass noch eine neue Entscheidung kommt und dies klarstellt. Aber es muss ein geeigneter Fall sein. Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Holst, dieser Fall war völlig ungeeignet. Das war eine Konzernstrukturmaßnahme, so ähnlich wie Nordea10, und das hätte nie zum EuGH hingebracht werden dürfen. Das war fast ein Missbrauchsfall. Prof. Dr. Lüdicke Und die Tatsache, dass das so war, die findet sich ja sogar im Leitsatz des EuGH. Also, das ist schon bemerkenswert. Dr. Wacker Das ist richtig, aber nicht tragend. Und so weit lag der Fall Timac Agro auch nicht von dem sog. Belgienfall des BFH11 entfernt. Prof. Dr. Lüdicke Darf ich noch eine etwas weiterführende Frage in den Raum stellen? Der EuGH scheint ja jetzt, mindestens in diesen etwas unklaren neueren Entscheidungen, der Meinung zu sein, dass, wenn – wie in dem 8 9 10 11

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EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14 – Timac Agro, IStR 2016, 74 Rz. 27. Ebenda, Rz. 65. EuGH v. 17.7.2014 – C-48/13 – Nordea Bank Denmark, IStR 2014, 563. BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFHE 244, 371.

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schwedischen X-Fall – die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft steuerlich gar keine Rolle spielt, sowohl im Inlands- wie im Auslandsfall, es dann auch keine Währungsverluste mehr zu berücksichtigen gibt. Bei Timac Agro klang irgendwie durch, dass das alles keine Rolle mehr spielt, wenn die Betriebsstätte freigestellt ist. Nun haben wir in Deutschland eine Tendenz, von dieser kompletten Freistellung immer mehr abzurücken. Wir haben Subject-to-Tax-Klauseln, wir haben Aktivitätsklauseln, wir sind gerade dabei, den strikten Territorialitätsgrundsatz im Gewerbesteuerrecht aufzugeben mit § 7 Sätze 8 und 9 GewStG – da kann dann die ausländische Betriebsstätte plötzlich auch für die Gewerbesteuer eine Rolle spielen. Kann man angesichts dieser Entwicklungen eigentlich noch sagen, dass wir uns vollständig im Fahrwasser dieser EuGH-Entscheidungen befinden, wonach das alles außen vor bleiben sollte? Bei uns ist das ja gar nicht mehr so richtig außen vor. Kreienbaum Die Einschränkungen zur Freistellungsmethode, die Sie ansprachen, sind bei uns lang etabliert und gut begründet auf konkret abgrenzbare Fälle. In den Fällen, in denen wir umschwenken, im Wesentlichen bei Qualifikationskonflikten und im Rahmen der Subject-to-Tax-Klausel, können wir mit guten Gründen sagen, dass wir die Freistellung im Inland nicht hinnehmen wollen. Dass man daraus ableiten kann, wir nähmen generell von der Freistellung Abstand, will ich sehr bezweifeln. Wir wollen die Freistellung in den Fällen erreichen, in denen der Steuerpflichtige im anderen Staat unter dort herrschenden steuerlichen Wettbewerbsbedingungen handeln können soll. Wir verfolgen daneben das weitere Ziel der Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung. Ich sehe hier nicht einmal einen abkommenspolitischen Zielkonflikt. Insofern würde ich von grundsätzlichen Tendenzen hin zur Einschränkung der Freistellungsmethode und zur Erosion der dahinter stehenden Idee nicht reden. Prof. Dr. Lüdicke Das war jetzt auch gar nicht als steuerpolitische Kritik gemeint, sondern nur als Frage, ob das, was der EuGH seinen Entscheidungen offensichtlich zugrunde gelegt hat, noch so gilt. Da ist eine Beteiligung, die spielt steuerlich keine Rolle. Da ist eine ausländische Betriebsstätte, die spielt steuerlich keine Rolle, und zwar gar keine Rolle. Gilt das dann auch noch so, wenn sie manchmal eben doch eine Rolle spielt?

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Kreienbaum Ja, im Prinzip gilt das auch noch. Prof. Dr. Lüdicke Also ein bisschen Rosinenpickerei? Kreienbaum Das ist keine Rosinenpickerei, keine willkürliche Anerkennung bzw. Nichtanerkennung der steuerlichen Verhältnisse im anderen Staat. Die Einschränkung der Freistellungsmethode findet vielmehr unter klar beschriebenen Umständen unter Verfolgung steuerpolitischer Ziele statt. Die im Grundsatz geltende Freistellung ist in bestimmten Sachverhaltskonstellationen eingeschränkt. Prof. Dr. Lüdicke Und wenn die vorliegen, dann muss auch die Berücksichtigung der Verluste stattfinden, Herr Holst? Dr. Holst Grundsatz ist ja letztendlich immer der Symmetriegedanke, der den Entscheidungen zugrunde liegt. Deshalb bin ich der Auffassung, dass man gegebenenfalls auch Verluste im Inland wird berücksichtigen müssen. Das ist für mich Teil der Symmetrie. Kreienbaum Das wäre Ausdruck einer vollständigen Umsetzung des Symmetriegedankens, wenn mit der symmetrischen Behandlung im umgekehrten Fall auch das gleiche Ziel erreicht werden würde. Prof. Dr. Lüdicke Wäre … Herr Wacker, ein Schlusswort? Dr. Wacker Ich denke, ich habe schon genug gesagt.

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Wird § 1 AStG noch durch Doppelbesteuerungsabkommen begrenzt? Prof. em. Dr. Jörg Manfred Mössner Universität Osnabrück/Universität Paris-Sorbonne

A. Einleitung und methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung zum Thema . II. Geltung und Anwendung von Rechtsnormen . . . . . . . . III. Normkollisionen und deren Auflösung. . . . . . . . . . . . . . . . B. Völkerrecht und nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Völkerrechtliche Verträge – Art. 59 Abs. 2 GG . . . . . . . . . II. Transformation oder Adoption?. . . . . . . . . . . . . . . . III. Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. § 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Treaty Override . . . . . . . . . . . 1. BVerfG-Beschluss vom 15.12.2015 . . . . . . . . . . . . . 2. Arten von Treaty Override 3. Vorrang von Treaty Override-Bestimmungen . . . . . C. Art. 9 OECD-MA. . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . II. Non-self-executing . . . . . . . . III. Verrechnungspreisgrundsätze international . . . . . . . . . . . . . IV. Fremdvergleichsmaßstab und Darlehen . . . . . . . . . . . . .

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56 56 57 57 60 60 63 63 64

D. Anlass der Gesetzgebung . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . II. § 8b KStG . . . . . . . . . . . . . . . III. BMF-Schreiben vom 29.3.2011 . . . . . . . . . . . . . . . . IV. BFH-Urteile. . . . . . . . . . . . . . V. Nichtanwendungserlass vom 30.3.2016 und Ergänzung von § 3c EStG. . . . . . . . VI. § 1 AStG a.F. und § 1 Abs. 1 Satz 5 AStG-E – Klarstellung oder Neuregelung? . . . . . . . . 1. Inhalt von § 1 Abs. 1 AStG a.F. . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzesergänzung durch AmtshilfeRLUmsG-E . . . 3. Verordnung nach § 1 Abs. 6 AStG . . . . . . . . . . . 4. Verzicht auf Gesetzesergänzung . . . . . . . . . . . . .

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E. Saving-Clause . . . . . . . . . . . . I. USA-MC . . . . . . . . . . . . . . . . II. OECD und BEPS-Aktionspunkt 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bedeutung für Fremdvergleichsmaßstab . . . . . . . .

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F. Resumée . . . . . . . . . . . . . . . .

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Mössner – Wird § 1 AStG noch durch Doppelbesteuerungsabkommen begrenzt?

A. Einleitung und methodische Vorbemerkungen I. Vorbemerkung zum Thema Am 5.9.2016 wurde der Entwurf1 des Gesetzes zur Umsetzung der Änderung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen (AmtshilfeRLUmsG-E) in den Bundestag eingebracht. In seinem Art. 9 ist eine Ergänzung von § 1 Abs. 1 AStG um einen Satz 5 vorgesehen. Ob es sich dabei um ein Nichtanwendungsgesetz handelt, mit dem die Rechtsprechung des BFH konterkariert werden soll, nach der Art. 9 OECD-MA2 nur eine Korrektur des Zinses, nicht aber eine Teilwertberichtigung von Darlehensforderungen gegen ausländische verbundene Unternehmen erlaubt, ist Gegenstand meiner Überlegungen. Das Problem, um das es im Kern geht, ist eine Folge der fehlenden Finanzierungsneutralität im deutschen Steuerrecht. Dieses behandelt Eigenkapital- und Fremdkapitalfinanzierungen unterschiedlich, indem bei Eigenkapital Erträge gem. § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz bleiben oder gem. § 3 Nr. 40 EStG nur teilweise besteuert werden, andererseits aber Verluste des investierten Kapitals nicht oder nur teilweise berücksichtigt werden und andererseits bei Fremdkapital die Erträge der Besteuerung unterliegen, Verluste der Investition aber berücksichtigt werden. Ein Verbot von Teilwertabschreibungen bei Darlehensvergabe bedeutet eine Vermischung der beiden Regelungen, indem systemwidrig Erträge besteuert, Verluste aber nicht berücksichtigt werden. Im Zentrum meiner Überlegungen stehen drei Fragen: Was sagt Art. 9 OECD-MA zum Thema? Ergibt sich etwas anderes aus § 1 AStG? Und: Welche Wirkung hätte die vorgeschlagene Ergänzung von § 1 AStG?

II. Geltung und Anwendung von Rechtsnormen Doch zuvor sind einige methodische Vorklärungen erforderlich, da ansonsten die Gefahr von Missverständnissen besteht. Die erste Bemerkung betrifft den Unterschied von Geltung und Anwendung von rechtlichen Normen.

1 BT-Drucks. 18/9536. 2 „Art. 9 OECD-MA“ ist als Kurzform im Folgenden verwandt für „die Art. 9 OECD-MA entsprechenden Normen der jeweiligen von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen“.

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Eine Norm gilt, wenn sie existiert, oder: Sie existiert, wenn sie gilt. Die Geltung3 einer Norm richtet sich nach den Regeln über ihr Zustandekommen. Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtliche Normen gelten, wenn sie wirksam den völkerrechtlichen Normentstehungsprozess durchlaufen haben. Dies bedeutet, ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen zwei Staaten erhält mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden Geltung.4 Er bleibt in Geltung, bis dieser durch einen gegenteiligen Akt – etwa eine Kündigung – beendet wird. Dementsprechend gilt ein Gesetz, wenn die jeweiligen verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahren der Gesetzgebung durchlaufen sind. Entsprechendes gilt für Verordnungen. Davon zu unterscheiden ist die Anwendung5 der Norm. Sie setzt zunächst voraus, dass die Norm gilt und in Kraft getreten ist. So kann ein im Oktober zustande gekommenes Gesetz vorsehen, dass es ab 1.1. des Folgejahres in Kraft tritt. Erst ab dann können die materiellen Vorschriften angewandt werden. Die Unterscheidung von Geltung und Anwendung von Normen hat vielfältige Auswirkungen.6

III. Normkollisionen und deren Auflösung Eine dieser Auswirkungen zeigt sich bei der Kollision von Normen, d.h. bei dem Zusammentreffen von Normen mit gleichem Norminhalt. Larenz7 hat hierzu festgestellt: „Vieles ist noch streitig.“ Ich folge Larenz und Dietz8.

3 Zu den verschiedenen dogmatischen Positionen vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, 150 ff.; ich folge Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, Nr. 4c, 34a. 4 Detailliert zum völkerrechtlichen Vertragsabschlussverfahren s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, 2. Aufl. 2002, Teilbd. I/3, 549 ff. 5 Vgl. Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Recht, Bern 1971, 57 ff. 6 S. z.B. die Diskussion hinsichtlich des Verhältnisses von Europarecht und nationalem Recht, grundlegend Koller, Die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Recht, Bern 1971, 57 ff., und Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, 1969, passim. 7 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., Berlin 1991, 267. 8 Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und Delikt, Bonn/Köln 1934.

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Erste Voraussetzung einer echten Normkonkurrenz ist, dass es sich um geltende Normen handelt. Zweite Voraussetzung ist, dass ein Sachverhalt die Voraussetzungen mehrerer Normen erfüllt. Und die dritte Voraussetzung ist, dass sich die Rechtsfolgen beider Normen gegenseitig ausschließen. Ist Letzteres nicht der Fall, werden im Zweifel beide Normen angewandt. Ein Beispiel aus dem Steuerrecht wäre es, wenn durch einen geschäftlichen Vorgang Einkommensteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer ausgelöst werden. Normen wenden sich an ihre Adressaten und verlangen ein bestimmtes Verhalten. Die Rechtsordnung muss sicherstellen, dass der Adressat sich nicht widersprüchlichen Verhaltensgeboten ausgesetzt sieht. Dies verlangt der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit9 der Rechtsordnung, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt. Ein Konflikt zwischen zwei Normen kann auf zweierlei Weise aufgelöst werden: entweder als Geltungsvorrang – auch Rangvorrang – oder als Anwendungsvorrang. Der Geltungsvorrang ergibt sich aus der Stufenpyramide der Rechtsordnung oder durch Regeln des Grundgesetzes wie in Art. 25 und Art. 31. Ein Geltungsvorrang bedeutet, dass die höherrangige Norm die Geltung der niederrangigen Norm im Grundsatz aufhebt. So ist eine dem Gesetz widersprechende Verordnung nichtig. Das höherrangige Recht hebt die Geltung des niederrangigen auf. Im System des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das sog. Verwerfungsmonopol von Gesetzen, wenn diese nicht mit dem Grundgesetz übereinstimmen. Die Gerichte sind dann gem. Art. 100 GG zur Vorlage an das BVerfG verpflichtet. Anders ist es beim Anwendungsvorrang, der bei gleichrangigen Normen den Normenkonflikt löst. Er hebt nicht die Geltung der Norm auf, sondern er hindert nur die Anwendung in einem speziellen Fall. Grundlegend gilt in modernen Rechtsordnungen, dass ein späteres Gesetz vor dem früheren anzuwenden ist. Dies ist die bekannte lex-posterior-Regel. Begründet wird sie mit dem Demokratieprinzip. Der spätere, durch Wahlen legitimierte Gesetzgeber muss Regelungen aus früherer Zeit aufheben können. Hebt er die frühere Norm ausdrücklich auf, was in der Praxis bei ausdrücklichen Änderungen vorkommt, und erlässt eine neue Regelung für den gleichen Sachverhalt, ergeben sich keine Kol9 Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, JZ 1999, 864; Schwacke, Juristische Methodik, Stuttgart 2011, 7; s. auch BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth, BVerfGE 7, 198.

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lisionsfragen, da die alte Regelung nicht mehr gilt. Insofern steht die lexposterior-Regel dem Geltungsvorrang nahe, ist aber nicht mit ihm gleichzusetzen, da mit der Aufhebung der früheren Norm keine Normkollision mehr besteht. Es kann aber auch sein, dass eine neue Regel verabschiedet wird, ohne dass etwas über die andere Regel gesagt ist. Dies ist der eigentliche Anwendungsfall der lex-posterior-Regel. Sind Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge der alten und der neuen Norm identisch, so handelt es sich um eine wiederholende Norm. Solche wiederholenden Normen kennen wir aus den Anwendungsvorschriften, wenn es dort – z.B. in § 52 Abs. 1 EStG – heißt: „Diese Fassung des Gesetzes ist zum 1.1.xxxx anzuwenden.“ Dadurch werden nicht alle Normen der jeweiligen Gesetzesfassung zu späteren Gesetzen im Sinne der Kollisionsregel. Wäre dies anders, so hätte dies zur Folge, dass eine Treaty Override-Norm im Gesetz jedes Jahr die spätere wird, auch wenn ihre ursprüngliche Fassung bereits vor Jahren in das Gesetz eingefügt wurde. Auch wenn deren unveränderte Weitergeltung vom Willen des Gesetzgebers umfasst ist, sind wiederholende Normen keine späteren Gesetze i.S.d. lex-posterior-Regel. Als Ausnahme von dem Grundsatz der lex-posterior-Regel gilt die Regel, dass eine speziellere Norm vor der allgemeineren anzuwenden ist. Eine Spezialität im eigentlichen Sinne liegt vor, wenn die spezielle Norm alle Tatbestandsvoraussetzungen der allgemeinen enthält. Enthält die allgemeine Norm die Tatbestandsvoraussetzungen mit den Elementen a, b und c und gibt es eine Norm mit den Elementen der Voraussetzungen a, b, c und d, so regelt die speziellere Norm einen auch im allgemeinen Tatbestand enthaltenen Sachverhalt. Das Verhältnis der speziellen zur allgemeinen Norm lässt sich an folgendem Beispiel erläutern: Angenommen, der Quellensteuersatz auf Dividenden betrage 25 %. In einem anderen Gesetz ist vorgesehen, dass er in das EU-Ausland nur 10 % als Regel beträgt. Wird nun der Regelsteuersatz auf 30 % erhöht, so würde wohl keiner auf die Idee kommen, dass dies dann auch für das EU-Ausland gilt. Schließlich gibt es noch Normen, die man als spezielle Normen in einem weiteren Sinn bezeichnen kann. Dies sind die Ausnahmenormen; manchmal spricht man auch von Spezialität im Sinne einer Einschränkung. Sie wiederholen nicht den vollständigen Tatbestand oder beziehen sich nicht auf ihn insgesamt und fügen dann weitere Voraussetzungen hinzu, sondern sie betreffen nur ein Tatbestandsmerkmal und sehen dann eine abweichende Rechtsfolge vor. Derartige Normen

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kommen im Steuerrecht häufig vor. Ein Beispiel wäre § 8b Abs. 2 Satz 4 KStG, wenn es dort heißt: „Die Sätze 1 und 3 gelten nicht, …“. Die dritte Möglichkeit der Auflösung einer Kollision ist dann gegeben, wenn Normen sich in ihrem Anwendungsbereich teilweise überschneiden und ein Sachverhalt unter beide Normen fällt. Nehmen wir ein Beispiel aus dem EStG: Vermietung von Betriebsräumen durch einen Gewerbebetrieb. Dies erfüllt die Tatbestände der gewerblichen Einkünfte und der aus Vermietung und Verpachtung (VuV). Aufgrund der ausdrücklichen Subsidiaritätsregel tritt dann § 21 EStG zurück. Solche Regeln sind nicht immer ausdrücklich vorhanden, manchmal ist die subsidiäre Norm durch Auslegung ausfindig zu machen.

B. Völkerrecht und nationales Recht I. Völkerrechtliche Verträge – Art. 59 Abs. 2 GG Das Verhältnis zwischen Art. 9 OECD-MA und § 1 AStG bestimmt sich allgemein nach den Regeln des deutschen Rechts, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag und nationales Recht aufeinander treffen. Wie das BVerfG jüngst10 bestätigt hat11, bewirkt die grundgesetzliche Formulierung, dass völkerrechtliche Verträge der Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes bedürfen (Art. 59 Abs. 2 GG), dass völkerrechtliche Verträge den Rang eines Gesetzes in der nationalen Rechtsordnung erhalten. Der völkerrechtliche Vertrag kann auch Rechte und Pflichten für den Bürger schaffen, sofern die völkerrechtliche Vertragsnorm self-executing ist, d.h. klar, eindeutig und daher unmittelbar anwendbar, ohne dass es der Umsetzung durch den Gesetzgeber bedarf.

II. Transformation oder Adoption? Umstritten12 hingegen ist, wie die innerstaatliche Situation des Vertrags genau ist. Die aus dem 19. Jahrhundert stammende Transformationsleh10 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 m. Anm. Mitschke = IStR 2016, 191 = NJW 2016, 1295. 11 Zur h.M. vgl. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in Vitzthum, Völkerrecht, 6. Aufl 2013, 2. Abschn. Rz. 57 ff. (110 ff.); Rojahn in v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rz. 33, 44. 12 Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in Vitzthum, Völkerrecht, 6. Aufl 2013, 2. Abschn. Rz. 57 ff. (110 ff.); vgl. auch Nasdala in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 30/31 Rz. 32; s. auch Vogel, DBA, 5. Aufl., Einl. Rz. 61

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re13 sieht im Zustimmungsgesetz den Erlass eines mit dem Vertrag wortgleichen nationalen Gesetzes. Sie kommt heute aber nicht ohne die Annahme einer Vielzahl von stillschweigenden Bedingungen14 aus. Eleganter ist die Adoptionslehre15, nach der der Vertrag hinsichtlich Geltung, Auslegung und Existenz den völkerrechtlichen Regeln unterworfen ist, durch das Zustimmungsgesetz lediglich eine Erweiterung seiner Anwendung auf die nationale Rechtsordnung erfährt. Bis auf den BFH16 folgen die Obergerichte17 der Adoptionslehre, die auch in der Wissenschaft18 nahezu einhellig vertreten wird. Der dogmatische Unterschied zwischen beiden Theorien besteht darin, dass sich nach der Transformationstheorie Geltung und innerstaatliche Anwendung nach nationalem Recht richten, während bei der Adoptionstheorie die Geltung vom Völkerrecht und die Anwendung vom nationalen Recht bestimmt werden. Interessant – dies aber nur am Rande – ist die Behandlung zwischenstaatlicher Verwaltungsabkommen, wie z.B. die der Konsultationsvereinbarungen. Der BFH19 sieht in diesen auf dem Verordnungsrang angesiedelte Rechtsinstrumente, die dem Vertrag – sprich dem Gesetz – nicht widersprechen dürfen. Dabei übersieht er aber, dass der transformierte Vertrag unter der Bedingung20 seiner fortwährenden völkerrechtlichen, unveränderten Existenz steht. Im Völkerrecht gibt es aber keine Rangordnung21 der Quellen, sodass ein Verwaltungsabkommen auch ei-

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m.w.N.; Rojahn in v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rz. 33 m.w.N.; Streinz in Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rz. 60 ff. Grundlegend Rudolf W., Völkerrecht und deutsches Recht, 1967; vgl. auch Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in Vitzthum, Völkerrecht, 6. Aufl 2013, 2. Abschn. Rz. 41 ff. m.w.N. Sog. modifizierte Transformationstheorie, s. Geiger R., Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 237. Auch Inkorporationslehre, Absorptionslehre u.a., vgl. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in Vitzthum, Völkerrecht, 6. Aufl 2013, 2. Abschn. Rz. 39. St. Rspr., zuletzt BFH v. 7.7.2015 – I R 38/14, BFH/NV 2016, 180; Wassermeyer, DBA, Vor Art. 1 Rz. 11. St. Rspr.; Streinz in Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rz. 64. Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 28; Streinz in Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rz. 63. BFH v. 10.7.1996 – I R 4/96, BStBl. II 1997, 15; v. 2.9.2009 – I R 111/08, BStBl. II 2010, 387; v. 2.9.2009 – I R 90/08, BStBl. II 2010, 394; Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 43a zum Streitstand. Streinz in Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rz. 63. Mössner, Rechtsquellen, in Seidl-Hohenveldern, Lexikon des Rechts – Völkerrecht, 2. Aufl. 1992, 253.

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nen Vertrag inhaltlich ändern kann. Der BFH wendet also weiterhin etwas (das DBA in der alten Fassung) an, was auf völkerrechtlicher Ebene so nicht mehr existiert.

III. Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Steuerrecht Das DBA als völkerrechtlicher Vertrag wird mit dem Zustimmungsgesetz demnach im Gesetzesrang Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung und wirkt auf das nationale Steuergesetz ein. Mit seinen Regelungen steht es neben den nationalen Steuergesetzen. Wäre es ein spezielleres Gesetz,22 so genösse es Anwendungsvorrang. Dies gilt es zu überprüfen. Sicher ist es kein spezielleres Gesetz i.S.d. lex-specialis-Regel. Das wäre es nur, wenn es selbst auch die Besteuerung anordnete, also den vollständigen Steuertatbestand wiederholen würde. Dies ist aber bekanntlich nicht der Fall. Es greift vielmehr als objektive Steuerbefreiung23 bei der Freistellung partiell in den Steuertatbestand ein. Auch bei den anderen Regelungen wie z.B. der Absenkung eines Quellensteuersatzes wirkt es nur partiell auf den Steuertatbestand ein. Es handelt sich somit um Ausnahmenormen. Nur in einem weiteren Sinne kann man – wie dargelegt – von spezielleren Normen sprechen. Zur Klarheit sollte man diesen Begriff vermeiden. In der Literatur24 wird häufig der Begriff der Schrankenwirkung für die Wirkungsweise von DBA gebraucht. Dies ist kein methodologischer Begriff, sondern nur eine bildhafte Umschreibung des Ergebnisses einer Ausnahmenorm, indem sie den nationalen Steuertatbestand verändert.

IV. § 2 AO § 2 AO ordnet einen Anwendungsvorrang an. Seinem Wortlaut nach gehen die Normen eines DBA den nationalen Steuergesetzen vor. Damit 22 So Frotscher, IStR 2016, 561 (562); a.A. Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 2 Rz. 165; hiergegen mit treffender Begründung Frotscher, IStR 2016, 561 (563). 23 Vgl. Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 2.466 m.w.N. 24 Vgl. Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 68; Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Systematik Rz. 22: Beschränkungsfunktion; kritisch zu Recht Wassermeyer, DBA, Art. 1 Rz. 9.

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ist ein Vorrang angeordnet. Dieser Vorrang hat jedoch lediglich Gesetzesrang, kann folglich durch die anderen Kollisionsregeln außer Kraft gesetzt werden, insbesondere durch die lex-posterior-Regel. Allgemein25 wird § 2 AO daher als Auslegungsregel dahingehend verstanden, dass im Zweifel die Normen eines DBA angewandt werden sollen. Erst wenn der Bundesgesetzgeber durch eine spätere Vorschrift explizit von der Norm eines DBA abweichen will und er dies unmissverständlich deutlich macht, soll die spätere Vorschrift vor dem DBA angewandt werden. Ob sich aus der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG und des BFH möglicherweise etwas anderes ergeben könnte, lasse ich vorerst offen.

V. Treaty Override 1. BVerfG-Beschluss vom 15.12.2015 Unter dem Stichwort „Treaty Override“ ist seit Jahren26 eine Entwicklung in der Diskussion, bei der vermehrt nationale Steuergesetze den Abkommensregeln widersprechende Regelungen enthalten. Nach zahlreichen Beiträgen in der wissenschaftlichen Literatur27 hat der BFH sich von der Verfassungswidrigkeit des Treaty Override überzeugen lassen und das BVerfG angerufen.28 Dieses ist in einem ersten Verfahren am 15.12.201529 nicht der Ansicht des BFH gefolgt. Der BFH hatte seine Vorlage im Wesentlichen auf eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips gestützt, aus dem sich eine Verpflichtung ergäbe, dass die staatlichen Organe die völkerrechtlichen Vereinbarungen zu beachten hätten. Das BVerfG bringt demgegenüber das Demokratieprinzip in Stellung. Ein späterer Gesetzgeber könne nicht durch den früheren Gesetzgeber gebunden werden. Frau König will in ihrem Minderheitenvotum eine Abwägung im Einzelfall vornehmen. Die Senatsmehrheit 25 S. Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 4. 26 Vgl. Mössner, Rechtsschutz bei Treaty Override, in Fischer L., Besteuerung internationaler Konzerne, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 3, Köln 1993, 113, mit einer Darstellung der Ursprünge; s. auch Stöber, Zur verfassungs- und europarechtlichen (Un-)Zulässigkeit von Treaty Overrides, DStR 2016, 1889; Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Systematik Rz. 148 ff. m.w.N.; vgl. auch Jochimsen/Gradl, Normhierarchische Einordnung von Treaty Overrides, IStR 2015, 236. 27 Ausgelöst von Vogel K., JZ 1997, 161. 28 BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, IStR 2012, 426 zu § 50d Abs. 8 EStG; v. 20.8.2014 – I R 86/13, BStBl. II 2015, 18 zu § 50d Abs. 9 EStG. 29 Hierzu s. Frotscher, IStR 2016, 561.

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wertet demgegenüber die Freiheit des Gesetzgebers, der durch Wahlen legitimiert ist, höher. Ein kritischer Einwurf drängt sich auf: Wie steht es mit der Bindung des Gesetzgebers und der Freiheit aus dem Demokratieprinzip, wenn es zwischen der Zustimmung zu einem DBA und dem Treaty Override keine Wahlen gegeben hat, der Treaty Override-Gesetzgeber somit derselbe ist wie der, der dem DBA zugestimmt hat? Wenn ich Klaus Vogel30 recht verstanden habe, ging es ihm nicht darum, einen generellen Geltungsvorrang von DBA vor nationalem Recht zu begründen. Er wollte eine Kollisionsregel als Anwendungsvorrang. Es geht also nicht darum, ein DBA auf eine höhere Geltungsstufe zu heben, auf eine Stufe wie etwa in Art. 25 GG, für die die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehen sind. Bei einem Anwendungsvorrang stellt sich keine verfassungsrechtliche Frage, weil die Geltung der nicht angewandten Norm nicht beeinträchtigt wird. Nur bei einem Konflikt eines Gesetzes mit dem Grundgesetz gibt Art. 100 GG dem BVerfG das Verwerfungsmonopol.31 Der BFH wäre an sich nicht gehindert gewesen, einen Anwendungsvorrang etwa aus dem Rechtsstaatsprinzip selbst zu entwickeln. Er wählte jedoch einen anderen Weg, den der Vorlage nach Art. 100 GG. Offenbar ging er von einem Geltungsvorrang aus, sodass nach seiner Überzeugung die Treaty Overriding-Norm – in concreto § 50d Abs. 8 EStG – insgesamt nichtig wäre und er folglich gem. Art. 100 GG zur Vorlage verpflichtet war. Hätte das BVerfG einen Geltungsvorrang der Normen der DBA bestätigt, so wäre das Thema des Treaty Overrides ein für alle Mal erledigt gewesen. Angesichts der Zunahme dieser Erscheinung war die Vorlage den Versuch wert. Eine Verfassungswidrigkeit hätte man m.E. vielleicht mit den Besonderheiten des Normentstehungsprozesses bei völkerrechtlichen Verträgen begründen können. Die völkerrechtliche Norm, die dann mit dem Zustimmungsgesetz innerstaatlich anwendbar wird, kommt im Zusammenwirken mit dem anderen Staat und dessen Gesetzgeber zustande. Der deutsche Gesetzgeber kann dann ja oder nein sagen; seine Gesetz-

30 Vogel K., JZ 1997, 161; Vogel K., Maßstabsgesetze, Rückwirkungsverbote und völkerrechtliche Verträge, in Dörr, FS Schiedermaier, 2001, 123; Vogel K., Keine Bindung an völkerrechtswidrige Gesetze im offenen Verfassungsstaat, in Liber Amicorum Häberle, 2004, 498; in IStR 2005, 29, scheint er aufgrund von BVerfG-Entscheidungen seine Ansicht geändert zu haben; s. auch Lehner, IStR 2012, 389 (401 f.). 31 Detterbeck in Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 100 Rz. 7.

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gebung ist insoweit eingeschränkt.32 Stimmt er dem Vertrag zu, so entsteht einmal eine völkerrechtliche Bindung, aus der er sich als Gesetzgeber nicht unmittelbar lösen kann, da das Kündigungsrecht bei der Regierung liegt.33 Das BVerfG weist wiederholt auf diesen Umstand hin. Zugleich kommt es zur innerstaatlichen Anwendbarkeit. Man hätte nun gerne gewusst, ob sich daraus nicht eine etwas andere Bindung des Zustimmungsgesetzes als bei normalen Gesetzen ergibt, weil eine Verknüpfung mit der eingegangenen (völkerrechtlichen) Verpflichtung, aus der sich der Gesetzgeber nicht einfach durch ein neues Gesetz lösen kann, besteht. Ein späteres Gesetz zur Abkommensüberschreibung bewirkt ein Unterlaufen der verfassungsrechtlichen Regeln über den Abschluss völkerrechtlicher Verträge. Offenbar sieht das BVerfG dies nicht so. Ist folglich nach Ansicht des Gerichts ein Treaty Override nicht verfassungswidrig, so ist die Auflösung einer Normenkollision zwischen Vertrag und nationalem Recht Sache der Fachgerichte. Die Ausführungen des Gerichts34 zur lex-posterior-Regel sind überflüssig und zudem verwirrend, weil die lex-specialisRegel zwar erwähnt, ihr aber nicht nachgegangen wird. Die abschließende Prüfung des Treaty Overrides unter dem Gleichheitssatz folgt ganz traditionellen Bahnen, vor allem, da das Gericht als Maßstab das Willkürverbot nimmt, bei dem bereits einfache Gründe der Differenzierung rechtfertigend wirken. Insgesamt zählt dieses Urteil nicht zu den überzeugenden Urteilen des BVerfG. 1992 habe ich bereits an dieser Stelle über Treaty Override referiert. Ich könnte darauf verweisen, dass das BVerfG meine damaligen – vor 24 Jahren gemachten – Darlegungen nunmehr bestätigt. Wenn da nicht ein kleiner Unterschied wäre. Vor 22 Jahren begannen die Fälle von Treaty Override noch zögernd und betrafen eher Randgebiete. Heute sind sie nahezu flächendeckend und die Entscheidung des BVerfG ist geradezu eine Aufforderung35, verstärkt von diesem Instrument Gebrauch zu machen. Damals hatte ich von einer Ausweitung der Nichtbeachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen abgeraten und dafür plädiert, Treaty Override nur als ultima ratio einzusetzen. Angesichts der Vielzahl der entsprechenden Vorschriften stellt sich aber eher die Frage, ab wann der Grundsatz des pacta sunt servanda nicht mehr beachtet wird. 32 33 34 35

Rojahn in v. Münch/Kunig, GG, Art. 59 Rz. 60, 74. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 89. Rz. 49 ff., 88. So auch Gosch, DB 15/2016, M5.

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2. Arten von Treaty Override Betrachtet man die Treaty Overrides einmal genauer, so gibt es zumindest zwei Gruppen. Die eine Gruppe ist die, die auch Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ist: die Versagung einer im Abkommen vereinbarten Freistellung und deren Ersetzung durch die Anrechnungsmethode. Darin kann man durchaus keinen schweren Eingriff36 sehen, da beide Methoden der Beseitigung der Doppelbesteuerung im Prinzip gleichwertig37 sind, wie auch der EuGH38 mehrfach bestätigt hat. Die zweite Gruppe stellen diejenigen Bestimmungen eines DBA dar, die unmittelbar auf das nationale Steuerrecht einwirken. Ich erwähne einige wichtige: –

Der Betriebsstättenvorbehalt,39 der eine Zuordnung von Ausgaben zu einer Betriebsstätte nur dann vornimmt, wenn diese tatsächlich zur Betriebsstätte gehören. Hiergegen richtet sich § 50d Abs. 10 EStG, bei dem es auf die rechtliche Zuordnung ankommt.40



Der Korrekturmaßstab des Art. 9 OECD-MA in Form des Fremdvergleichspreises, der nunmehr möglicherweise durch die Neuregelung von § 1 AStG ausgehebelt werden soll.

Ein besonders krasser Fall eines Treaty Overrides wäre es, wenn beispielsweise der Quellensteuersatz für Dividenden, der im Abkommen mit dem Staat X auf 10 % reduziert wird, national einseitig im Verhältnis zu X oder allgemein auf 20 % angehoben würde.

3. Vorrang von Treaty Override-Bestimmungen Das BFH-Urteil vom 25.5.201641 bringt nun einen völlig neuen Gesichtspunkt in die Debatte, indem es offenbar von einem generellen Vorrang von Treaty Override-Bestimmungen ausgeht. Im Verfahren stellte sich die Frage, ob ein nach dem Inkrafttreten einer Treaty Override-Be36 So BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 99; vgl. Frotscher, IStR 2016, 561 (566). 37 Zu einem grundlegenden Vergleich s. Mössner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, in Vogel, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 1985, 135 ff. 38 EuGH v. 10.2.2011 – C-436/08 – Haribo, und C-437/08 – Österreichische Salinen, DB 2011, 508 = EuGHE 2011, I-305 Rz. 90. 39 Art. 11 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 3 OECD-MA. 40 Gosch in Kirchhof, EStG, 15. Aufl. 2016, § 50d Rz. 445 ff. 41 BFH v. 25.5.2016 – I R 64/13, DStR 2016, 2087 = IStR 2016, 770 m. Anm. Mitschke.

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stimmung abgeschlossenes DBA als späteres Gesetz der früheren nationalen Bestimmung vorgeht.42 Der BFH wendet in dieser Situation den lexposterior-Grundsatz nicht an und geht von einem Vorrang der früheren Norm aus. Dies begründet er nicht mit dem Spezialitäts- oder Subsidiaritätsprinzip, sondern er räumt der Treaty Override-Norm einen generellen Vorrang ein. Dazu zitiert er das BVerfG-Urteil, stellt aber zugleich fest, dass es sich insoweit um nicht bindende obiter dicta handelt. Neben den Konkurrenz auflösenden Regeln des späteren, spezielleren, subsidiären und Ausnahmegesetzes stellt das Gericht nunmehr einen Anwendungsvorrang fest, wenn der Gesetzgeber diesen Vorrang will. Im Hinblick auf die streitgegenständliche Norm des § 50d Abs. 8 EStG stellt das Urteil fest, dass man dem Gesetzgeber nicht den Willen unterstellen könne, „durch das Zustimmungsgesetz im sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens die bereits vorhandene nationale Regelung mit einer einengenden Voraussetzung für die Steuerfreistellung […] außer Kraft zu setzen.“43

Diesen Satz muss man zweimal lesen, um seine weitreichende Bedeutung zu erfassen. In den Worten des BVerfG, auf das sich der BFH insoweit beruft, wird dies noch deutlicher: Habe der Gesetzgeber einmal eindeutig seinen Willen zur Abkommensüberschreibung zum Ausdruck gebracht, so könne „weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen.“44

Dadurch wird deutlich gesagt, dass dieser Vorrang nicht mit einer der bekannten Kollisionsregeln übereinstimmt. Ist dies nun eine neue Regel, nach der eine Norm immer dann Vorrang besitzt, wenn der Gesetzgeber dies beim Erlass der Norm will: Anwendungsvorrang kraft Gesetzgeberwillens? Dies hätte dann aber auch Auswirkungen auf das Verständnis von § 2 AO.45 Entgegen dem bisher ganz allgemein geltenden Verständnis würde diese Norm einen generellen Anwendungsvorrang begründen. Dieser würde dann aber wiederum durch die Treaty Overriding-Norm 42 43 44 45

Hierzu Jochimsen, ISR 2016, 125. BFH v. 25.5.2016 – I R 64/13, DStR 2016, 2087 Rz. 18. So BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Tz. 88. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber den DBA „Vorrang vor den innerstaatlichen Steuergesetzen“ einräumen, sodass sie „allein durch spätere innerstaatliche Gesetze nicht abgeändert werden können“, BT-Drucks. 7/4292, 15.

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aufgehoben? Wie das? Müsste es dann nicht heißen „unbeschadet der Abkommen und des § 2 AO“? Und – so muss man das BVerfG fragen – aus welchem Grund kann die Abkommensnorm einen derartigen Vorrang nicht genießen? Wo bleibt dann das Demokratieprinzip? Vielleicht sind die Ausführungen doch eher im Zusammenhang mit dem entschiedenen Fall und rechtsdogmatisch anders zu sehen? Gegenstand der Verfahren sind Einkünfte aus nicht selbstständiger Tätigkeit im Ausland, die im ausländischen Staat nach dem DBA besteuert und im Inland freigestellt werden. Diese Freistellung ist an keine weiteren Voraussetzungen gebunden. § 50d Abs. 8 EStG gewährt die Freistellung aber nur unter der Voraussetzung, dass die Besteuerung im Ausland auch tatsächlich erfolgt46 und nachgewiesen wird. Fehlt es daran, so tritt die Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Steuer an die Stelle der Freistellung – sog. Switch-over-Klausel.47 Liest man nun die Regel des DBA in § 19 EStG hinein, so ergibt sich folgendes Bild: § 19 EStG i.V.m. § 1 EStG unterwirft Arbeitnehmereinkünfte für eine Tätigkeit im Ausland von im Inland Ansässigen der Einkommensteuer. Art. 23 eines DBA in seiner innerstaatlichen Anwendung wirkt als objektive Steuerbefreiung, wenn die Tätigkeit gem. Art. 15 DBA im Ausland besteuert werden kann. § 50d Abs. 8 EStG sieht hiervon eine Ausnahme vor, wenn eine Besteuerung im Ausland nicht nachgewiesen wird. Stellt man sich dieses als in § 19 EStG geregelt vor, so ergäbe sich ungefähr Folgendes: Satz 1: Die Einkünfte aus dem Ausland unterliegen der Einkommensteuer. Satz 2: Dies gilt nicht, wenn ein DBA mit dem Staat besteht und die Einkünfte gem. Art. 15 des DBA im Ausland besteuert werden. Satz 3: Satz 2 ist nicht anzuwenden, wenn die Besteuerung im Ausland nicht nachgewiesen wird. Man interpretiert vielleicht das BVerfG zutreffend, dass es die Rechtslage so sieht. Der Gesetzgeber hätte danach § 19 EStG so gestaltet und dann würde ein neu abgeschlossenes DBA Satz 3 nicht aufheben. Das Zustimmungsgesetz zu einem DBA würde dann jeweils unter dem Vorbehalt des Satzes 3 stehen. Ob diese Interpretation zutrifft, werden die Entscheidungen des BVerfG in den weiteren anhängigen Verfahren zeigen. 46 Bzw. von der Steuer befreit ist. 47 Hierzu s. näher Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 23 A/B Rz. 82 ff.

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Als Ergebnis muss man daher feststellen, dass das BVerfG-Urteil vom 15.12.2015 nicht alle Fragen zum Treaty Override beantwortet hat.

C. Art. 9 OECD-MA I. Vorbemerkung Ob die vorgeschlagene Ergänzung von § 1 AStG einen Treaty Override enthält, hängt davon ab, welche Aussagen sich dem Art. 9 OECD-MA zum Thema entnehmen lassen. Art. 9 OECD-MA hat sich inzwischen zu einer Spezialistenmaterie48 entwickelt, in der rechtliche, betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Aspekte zusammenkommen. In unserem Zusammenhang ist nur wichtig: –

Art. 9 OECD-MA ist systematisch keine Verteilungsnorm in dem Sinne, dass die Besteuerung der Einkünfte eines Steuerpflichtigen zwischen zwei Staaten geregelt wird. Vielmehr handelt es sich um die Einkünfte von zwei Steuerpflichtigen, die in unterschiedlichen Staaten ansässig sind.49



Allerdings hängt deren Besteuerung über den Verrechnungspreis zusammen. Für den einen sind es Kosten, für den anderen Einkünfte. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA hat die Einkünfteseite im Auge und erlaubt die Korrektur der Einkünfte nach oben. Erst über Art. 9 Abs. 2 OECDMA kommt die andere Seite ins Spiel. Der zu korrigierende Preis ist janusköpfig.



Art. 9 OECD-MA ist keine Missbrauchsverhinderungsnorm.50 Verrechnungspreise können zwar zur Gewinnverlagerung51 über die

48 Aus der Vielzahl der Literatur s. nur Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, 2016; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 9 Literaturverzeichnis vor Rz. 26; Kofler in Reimer/Rust, Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl. 2015, Rz. 1 (Literaturverzeichnis); Wassermeyer, DBA, Art. 9 Literaturverzeichnis vor Rz. 1; Rasch in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 9 29 Seiten Literaturverzeichnis; Baumhoff in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Kap. 3. 49 Vgl. Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 6; Nientimp in Mössner/Fuhrmann, AStG, 2. Aufl. 2011, Art. 9 Rz. 20; Rasch in Gosch/ Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 9 Rz. 6. 50 Becker in Flick/Wassermeyer/Becker, Kommentar zum Außensteuerrecht, OECD Verrechnungspreisgrundsätze, Erläuterungen zu Tz. 2 Rz. 6 (Juni 1997); Wassermeyer, DBA, Art. 9 Rz. 1: Verhinderung wirtschaftlicher Doppelbesteuerung als Telos der Vorschrift. 51 BEPS Actions 8–10.

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Grenze genutzt werden; dies zu verhindern, ist aber nicht das Ziel von Art. 9 OECD-MA.

II. Non-self-executing Das Verständnis von Art. 9 OECD-MA war lange schwankend.52 Inzwischen wird die Regelung so verstanden,53 dass sie keine Grundlage für Verrechnungspreiskorrekturen bildet, sie soweit nicht self-executing54 ist. Sie enthält einen Maßstab für nationale Korrekturnormen. Sie erlaubt nationale Verrechnungspreiskorrekturen, verbietet aber andere Maßstäbe als den Drittvergleich. Für Letzteres findet man auch die Bezeichnung der Sperrwirkung.55 Art. 9 OECD-MA wirkt nicht – anders als Art. 23 – als objektive Steuerbefreiung auf das nationale Recht ein. Grundlage für eine Korrektur eines Verrechnungspreises ist immer das jeweilige nationale Recht. Dieses muss sich aber an den internationalen Grundsätzen ausrichten.

III. Verrechnungspreisgrundsätze international Für das Thema ist nur relevant, was der Fremdvergleichsmaßstab bei Darlehen, insbesondere unbesicherten, einer Mutter- an ihre ausländische Tochtergesellschaft bedeutet. Der Maßstab des Fremdvergleichs ist abstrakt und bedarf der Konkretisierung. Die ergibt sich insbesondere aus den OECD-Leitlinien.56 52 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 16.291 ff. (16.293); insbesondere Autoren, die der Finanzverwaltung angehören, haben Art. 9 OECD-MA jegliche Wirkung gegenüber der nationalen Besteuerung bestritten; s. auch BMF v. 11.7.1974 – IWC 1 - S 1340 - 32/74, BStBl. I 1974, 442 Tz. 1.14.1. 53 Ganz h.M., vgl. nur Wassermeyer, DBA, Art. 9 Rz. 61 ff.; Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 9 Rz. 47; Habammer, IStR 2016, 525 (526 f.). 54 Kofler in Reimer/Rust, Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 11; Nientimp in Mössner/Fuhrmann, AStG, 2. Aufl. 2011, § 1 Rz. 20 m.w.N.; Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 18. 55 Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 9 Rz. 19 ff.; Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 8 Rz. 188 ff. (190); Rasch in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 9 Rz. 19; Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 20; vgl. auch Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, 695. 56 Über deren Bindungswirkung vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 9 Rz. 26 ff. (28, 29).

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IV. Fremdvergleichsmaßstab und Darlehen Die Fremdkapitalüberlassung einer Muttergesellschaft an ihre ausländische Tochtergesellschaft stellt i.S.v. Art. 9 OECD-MA eine finanzielle Beziehung dar und unterliegt dem Fremdvergleich. Derartige Darlehen müssen dem entsprechen, was fremde Dritte in einer vergleichbaren Situation vereinbart hätten.57 Zugleich ist die Muttergesellschaft Gesellschafterin der Tochtergesellschaft, sodass eine als Darlehen bezeichnete Kapitalzuführung in Wahrheit eine gesellschaftlich motivierte Kapitalzuführung sein kann. Daher muss zwischen gesellschaftsrechtlichen und schuldrechtlichen Beziehungen unterschieden werden. Ein Darlehen muss also in all seinen Bedingungen den Fremdvergleichstest bestehen. Die OECD-Dokumente58 bestätigen dieses Verständnis. Tz. 1.37 und 2.459 beschäftigen sich mit den Grundsätzen der Umqualifizierung60 von getätigten Geschäften. Als Grundsatz wird in Tz. 1.36 die Umqualifizierung legitimer Geschäfte als mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar bezeichnet. Davon werden dann zwei Ausnahmen zugelassen, von denen hier nur die erste interessiert. Dies ist der Fall, wenn „sich der wirtschaftliche Gehalt eines Geschäftes von seiner äußeren Form unterscheidet“. Als Beispiel wird eine Investition in ein verbundenes Unternehmen in Form eines verzinslichen Darlehens genannt, wenn ein derartiges Darlehen zwischen unverbundenen Unternehmen nicht gegeben worden wäre. Dann kann das Darlehen als Zurverfügungstellung von Eigenkapital umqualifiziert werden. Becker61 hat diese Umqualifizierung zwar als unzulässig bezeichnet. Die OECD Leit-

57 Hierzu vgl. z.B. Bärsch/Engelen, DB 2016, 191; Nientimp/Stein/Worm, IStR 2016, 781; Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 6.430. 58 Texte und Kommentierung in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, 2016. 59 OECD, Verrechnungspreisgrundsätze, 1995. 60 Vgl. zur Umqualifikation auch Böhmer, FR 2016, 880; Kroppen, Behandlung immaterieller Wirtschaftsgüter unter BEPS, in Lüdicke u.a., Besteuerung Internationaler Unternehmen, Festschrift für Prof. Dr. Dieter Endres, 2016, 203; Puls/Schmidtke/Träna, IStR 2016, 761; Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 6.429. 61 Becker in Flick/Wassermeyer/Becker, Kommentar zum Außensteuerrecht, OECD Verrechnungspreisgrundsätze, Erläuterungen zu Tz. 1.36 Rz. 2 (Juni 1997).

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linien62 von 2010 bestätigen die OECD Auffassung und die h.M.63 folgt dem. In Tz. 3 des Musterkommentars zu Art. 9 OECD-MA wird die Umqualifizierung im Zusammenhang mit nationalen Unterkapitalisierungsregeln für zulässig angesehen. In seiner „Segelanweisung“ für das FG bei der Rückverweisung im Verfahren I R 23/13 gibt der BFH64 dem FG den Hinweis, dass der Frage nachzugehen sei, ob das Darlehen überhaupt als solches verstanden werden kann und ernstlich gemeint ist, sodass es sich nicht um eine Einlage gehandelt hat. Was folgt daraus für ein unbesichert vergebenes Darlehen einer Mutteran ihre Tochtergesellschaft? Entscheidend ist, ob ein Dritter ein derartiges Darlehen vergeben hätte. Maßgebend65 sind hierfür der Verschuldungsgrad der Tochter und, ob sie selbst über hinreichende Sicherheiten auf einer stand-alone-Basis verfügt. Hätte ein Dritter ein ebensolches Darlehen unter Würdigung der Umstände auch ohne Sicherheit vergeben, ist das Darlehen als solches anzuerkennen. Weiterhin kommt es auf den Zinssatz an, ob er einem zwischen unverbundenen Unternehmen vereinbarten entspricht. Hätte ein Dritter das Darlehen vergeben, aber einen Risikozuschlag beim Zinssatz vereinbart, so ist eine Korrektur des Zinssatzes angezeigt. Hätte jedoch ein Dritter ein Darlehen unter den Umständen des Einzelfalls überhaupt nicht vergeben, so ist eine Umqualifikation in eine Eigenkapitalzuführung angezeigt. Ein Teilwertabschreibungsverbot des Darlehens lässt sich jedenfalls aus dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht ableiten. Dieser kennt nur die Korrektur des Verrechnungspreises hinsichtlich des Darlehenszinssatzes, aber keine anderen Maßnahmen. Die Umqualifizierung des Darlehens würde allerdings zu dem aus dem alten § 8a KStG bekannten Eigentor führen. Die der inländischen Muttergesellschaft gezahlten Zinsen würden dann bei ihr zu außer Ansatz bleibenden Dividenden. Die von der Finanzverwaltung angestrebte Mischung von Eigen- und Fremdkapital – steuerpflichtige Zinsen ja, Gewinnminderung bei Verlust des Kapitals nein – lässt sich damit nicht erreichen. Hier gilt: entweder – oder! 62 OECD, Verrechnungspreisrichtlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, Juli 2010, Tz. 1.64 ff. 63 Statt aller Kofler in Reimer/Rust, Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, 4. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 98 ff. 64 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261 Rz. 26. 65 Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 6.437.

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Mein Zwischenergebnis: Der BFH66 hat vollkommen zutreffend aus dem Fremdvergleichsmaßstab hergeleitet, dass dieser nur eine Korrektur der Höhe des Zinses erlaubt. Der BFH hat es dahingestellt sein lassen, ob § 1 AStG eine derartige Korrektur erlaubt. Dem wende ich mich jetzt zu.

D. Anlass der Gesetzgebung I. Vorbemerkung Der Vorschlag zur Ergänzung des § 1 Abs. 1 AStG ist der vorläufige Endpunkt einer längeren Entwicklung. Diese ist durch folgende Highlights markiert: –

Ergänzung von § 8b Abs. 3 KStG um die Sätze 4 bis 7 durch das JStG 2008,67



BMF-Schreiben vom 29.3.2011,68



BFH-Urteile vom 11.10.2012,69 17.4.201470 und 24.6.2015,71



Nichtanwendungserlass vom 30.3.2016,72



Ergänzung von § 3c Abs. 2 EStG und



Änderung von § 1 AStG hinsichtlich Geschäftsbeziehungen.

II. § 8b KStG Der BFH73 hat im Rahmen von § 8b Abs. 3 KStG zutreffend zwischen Eigenkapital- und Fremdkapitalfinanzierung unterschieden und Darlehen nicht den Anteilen gleichgestellt. Zuvor hat der Gesetzgeber, nachdem in der Literatur74 diese Ansicht überwiegend vertreten wurde, mit dem JStG 2008 durch Anfügung der Sätze 4 bis 8 in Abs. 3 von § 8b KStG reagiert und für Darlehen ein Abschreibungsverbot eingeführt. Diese sys-

66 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258. 67 JStG 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150 (3165 f.). 68 BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004, BStBl. I 2011, 277. 69 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046. 70 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261. 71 BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258 = IStR 2015, 748. 72 BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07, IStR 2015, 216. 73 BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674. 74 Z.B. Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8b Rz. 280 f.

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temwidrige75 Gesetzesergänzung schließt Teilwertabschreibungen von Darlehen unter weiteren Voraussetzungen aus, lässt aber eine Abschreibung dann zu, wenn ein Nachweis erbracht wird, dass auch ein Dritter ein derartiges Darlehen vergeben hätte. Der BFH hat eine Rückwirkung dieser Gesetzesergänzung abgelehnt. Personengesellschaften als Muttergesellschaften von Tochtergesellschaften konnten die Darlehensverluste i.R.d. Halb- und später Teileinkünfteverfahrens weiterhin uneingeschränkt geltend machen.

III. BMF-Schreiben vom 29.3.2011 Dies ließ das BMF nicht ruhen und für eine Darlehensgewährung an nahestehende ausländische Gesellschaften kommt es dann zu dem Schreiben vom 29.3.2011, das in der Folge für Unruhe sorgte. Auf die Argumente dieses Schreibens wird unten näher eingegangen.

IV. BFH-Urteile Neben den Vorlagen an das BVerfG wegen Treaty Override haben vor allem drei Urteile die Entwicklung beschleunigt. Dies ist zuerst die Entscheidung vom 11.10.2012, die eine verdeckte grenzüberschreitende Gewinnausschüttung zum Gegenstand hatte. Ein beherrschender Gesellschafter hatte ohne vorherige schriftliche Vereinbarung seiner Gesellschaft Managementkosten in Rechnung gestellt, für die dann einige Zeit danach schriftliche Vereinbarungen getroffen wurden. Wie bereits das FG76 hat der BFH dem Art. 9 OECD-MA eine inhaltliche Begrenzung der Korrekturmaßstäbe entnommen und hat daher die Anwendung der Regeln über eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) aus rein formellen Gründen abgelehnt. Die Sperrwirkung verhindere grenzüberschreitend die Annahme einer vGA allein aus formellen Gründen der Sonderbedingungen für beherrschende Gesellschafter. Art. 9 OECD-MA lasse keine Korrektur zu, wenn der Verrechnungspreis materiell dem Fremdvergleich entspreche. Die Entscheidung ist nicht nur mit Wohlgefallen aufgenommen worden, aber immerhin hat das BMF das Urteil im Bundessteuerblatt veröffentlicht.

75 Zu Kritik vgl. Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 8b Rz. 261; Schnitger/Fehrenbach, KStG, § 8b Rz. 415 m.w.N.; Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 6.477. 76 FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190.

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Im Urteil vom 17.12.2014 geht es nun um die Teilwertabschreibung eines grenzüberschreitend vergebenen, ungesicherten Darlehens. Der BFH lässt offen, ob eine Teilwertabschreibung der Darlehensforderung gem. § 1 AStG ausgeschlossen werde, da Art. 9 OECD-MA eine Sperrwirkung insoweit entfalte, als er nur die Korrektur des Zinses der Höhe nach erlaube: „Auch hier kann eine Einkünftekorrektur im Ergebnis deshalb nur dann in Betracht kommen, wenn der vereinbarte Preis seiner Höhe, also seiner Angemessenheit nach dem Fremdvergleichsmaßstab nicht standhält.“

Diese Erkenntnis bestätigt der BFH dann in der Entscheidung vom 24.6.2015.

V. Nichtanwendungserlass vom 30.3.2016 und Ergänzung von § 3c EStG Zwischenzeitlich wurde mit Gesetz vom 22.12.201477 § 3c Abs. 2 EStG durch eine Regelung ergänzt, die in Anlehnung an § 8b Abs. 3 Sätze 4 bis 8 KStG Gewinnminderungen wegen der Teilwertabschreibung von Darlehen unter weiteren Voraussetzungen ausschließt. Am 30.3.201678 folgt ein BMF-Schreiben zur Nichtanwendung der Urteilsgrundsätze der beiden Entscheidungen des BFH. Vor allem aus dem Wortlaut und der Auslegung des Begriffs der Bedingungen unter Heranziehung der historischen Auslegung kommt das BMF zu dem Ergebnis, dass Art. 9 OECD-MA und § 1 AStG den gleichen Korrekturmaßstab anwenden. Hiernach sei ein Verbot einer Teilwertabschreibung möglich.

VI. § 1 AStG a.F. und § 1 Abs. 1 Satz 5 AStG-E – Klarstellung oder Neuregelung? Zum (vorläufigen) Abschluss der Entwicklung kommt es mit dem EUAmtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz-Entwurf durch den Vorschlag der Ergänzung von § 1 Abs. 1 AStG um einen Satz 5. Die entscheidende Frage lautet: Schloss bereits der bisherige § 1 Abs. 1 AStG die Teilwertabschreibung von Darlehen aus, wie das Schreiben des BMF darlegt, oder enthält 77 Zollkodex-AnpG v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2420; hierzu Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 6.471 ff. 78 S. hierzu auch Puls/Schmidtke/Tränka, IStR 2016, 759; Nientimp/Stein/ Worm, IStR 2016, 784; Gebhardt/Glatz, IStR 2016, 787.

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die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 5 AStG-E eine neue Regelung? Danach entscheidet sich die Anwendung dieser Norm, insbesondere, ob sie rückwirkend angewendet werden kann.

1. Inhalt von § 1 Abs. 1 AStG a.F. Der Gesetzgeber,79 das BMF-Schreiben80 und die Wissenschaft81 sind sich einig, dass der deutsche Gesetzgeber mit § 1 AStG die in Art. 9 OECDMA enthaltenen Fremdvergleichsgrundsätze in nationales Recht umsetzen wollte, sodass es einen Widerspruch zwischen Art. 9 OECD-MA und § 1 AStG nicht gibt bzw. nicht geben sollte. Wenn Art. 9 OECD-MA, wie eben festgestellt, keine Missbrauchsbekämpfungsnorm82 ist, so muss dies auch für § 1 AStG zutreffen. § 1 Abs. 1 AStG wiederholt aber nicht den Wortlaut von Art. 9 OECD-MA, sondern ist eigenständig formuliert. Die Norm besteht – wie alle Normen – aus Tatbestandsvoraussetzungen und der Rechtsfolge. Die Voraussetzungen setzen sich aus folgenden wesentlichen Elementen zusammen: Gewinnminderung, Geschäftsbeziehungen zum Ausland, nahestehende Person, zugrunde gelegte Bedingungen, Fremdvergleichsgrundsatz. Als Rechtsfolge sieht § 1 AStG vor, dass Bedingungen, insbesondere Verrechnungspreise, so anzusetzen sind, „wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären“. Oder kürzer: Bei Geschäftsbeziehungen zu einer ausländischen Tochtergesellschaft gilt der Fremdvergleichsgrundsatz und dies hinsichtlich der Bedingungen dieser Geschäftsbeziehung. Zentral sind die Merkmale der Geschäftsbeziehung und der Bedingungen. Letzterer Begriff stellt auch in Art. 9 OECD-MA den Zentralbegriff dar, dort allerdings ergänzt um die Elemente der kaufmännischen und finanziellen Beziehungen. Daher muss an erster Stelle die Auslegung von

79 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 (Verwaltungsgrundsätze), BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.2. 80 Allg. Meinung, s. z.B. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 Rz. 33; Böhmer, FR 2016, 877 (879); Nientimp in Mössner/Fuhrmann, AStG, 2. Aufl. 2011, § 1 Rz. 63; Puls/Schmidtke/Tränka, IStR 2016, 762. 81 Wohingegen § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG zur Verhinderung von in der Literatur empfohlenen Gestaltungen geschaffen wurde, BT-Drucks. 16/6290, 73. 82 BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720; mehrfach bestätigt, z.B. BFH v. 29.4.2009 – I R 26/08, BFH/NV 2009, 1648.

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§ 1 Abs. 1 AStG stehen. Was ist unter den zugrunde gelegten Bedingungen einer Geschäftsbeziehung zu verstehen? Der BFH83 hatte den Begriff der Geschäftsbeziehung in § 1 AStG so verstanden, dass gesellschaftlich motivierte Beziehungen nicht darunter fallen. Der Gesetzgeber hat mit dem StVergAbG84 den Begriff der Geschäftsbeziehung so ausgeweitet, dass eine klare Abgrenzung von geschäftlich und gesellschaftlich kaum mehr möglich ist. In den Verwaltungsgrundsätzen von 198385 heißt es noch, dass zu prüfen sei, ob eine ernst gemeinte Darlehensgewährung oder eine verdeckte Gewinnausschüttung bzw. Einlage vorliege. In der Tat kann der Fremdvergleichsmaßstab nur zur Anwendung kommen, wenn es sich um eine ernst gemeinte Darlehensgewährung handelt, d.h., wenn auch ein Dritter, etwa eine Bank, ein entsprechendes Darlehen gewährt hätte. Dies hängt vor allem von der Bonität der Tochter, ihrem Vermögen und ihrem Verschuldungsgrad ab. Die neue Regelung in § 1 Abs. 5 AStG führt dazu, dass auch gesellschaftlich motivierte Kapitalzuführungen an die Tochtergesellschaft von § 1 AStG erfasst werden. Ob der Gesetzgeber dies hinreichend bedacht hat, bleibt ungewiss. Die enge Verknüpfung mit dem Begriff der Bedingung und die Rechtsfolge schränken die Wirkung dieser Erweiterung ein. Das Gesetz selbst spricht von „Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise)“. Bedingungen scheinen demnach zunächst einmal mehr als Preise zu sein. Andererseits muss sich eine Bedingung auch auf die Höhe der Einkunftsermittlung auswirken, damit es zu einer Einkommensminderung kommen kann. Damit muss eine Bedingung Einfluss auf die Höhe des Preises, hier des Zinses, haben. Daher ist dies bei einem Darlehen alles, was die Höhe des Zinses beeinflusst. Dies sind einmal die Konditionen des Darlehens selbst, wie Höhe, Laufzeit, Zinssatz, Sicherheit, Rückzahlungsmodalitäten, zum anderen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Marktsituation, insbesondere der Zinssatz, den Banken für vergleichbare Darlehen berechnen, die Bonität des Schuldners, die Notwendigkeit einer Besicherung, etwa durch Bankbürgschaft usw. § 1 AStG verlangt nun, dass der Einkunftsermittlung Bedingungen der Geschäftsbeziehung zugrunde gelegt wurden, die nicht dem Fremdvergleich entsprechen. Als Rechtsfolge sollen dann fiktiv 83 BT-Drucks. 15/119, 16, 53; Gesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 84 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 (Verwaltungsgrundsätze), BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.1. 85 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261 Rz. 26.

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dem Fremdvergleich entsprechende Bedingungen vorausgesetzt und der Verrechnungspreis dementsprechend festgelegt werden, sodass die Gewinnminderung ausgeglichen wird. Bei gesellschaftlich motivierten Kapitalzuführungen kann dies jedoch nicht immer erfolgreich sein, weil gesellschaftliche Beziehungen nur ausnahmsweise mit schuldrechtlichen verglichen werden können. Im Zweifel entsprechen sie nicht den schuldrechtlichen. Entspricht ein Darlehen entweder hinsichtlich des Zinssatzes oder wegen der fehlenden Sicherheit nicht dem Fremdvergleich, so ist eine Korrektur des „Verrechnungspreises“ gem. § 1 AStG möglich. Wie folgt aus der Vereinbarung eines nicht dem Fremdvergleich entsprechenden Verrechnungspreises, d.h. des Zinssatzes, das Verbot der Teilwertabschreibung der Darlehensforderung, wenn diese nicht oder nur teilweise zurückgezahlt werden kann? Dies ist eine Frage nach der möglichen Rechtsfolge. Also: Selbst wenn die Hingabe eines eigenkapitalersetzenden Darlehens eine Geschäftsbeziehung sein kann, heißt dies noch nicht, dass eine Teilwertabschreibung dieses Darlehens ausgeschlossen ist. Wie dargelegt, ist die Rechtsfolge der Norm, dass dem Fremdvergleich entsprechende Bedingungen fiktiv angesetzt werden. Auslöser ist die Vergabe eines ungesicherten Darlehens. Verlangte der Fremdvergleich als Rechtsfolge, dass eine Sicherheit angesetzt wird, so haben wir folgende Situation: Ein fremder Dritter hätte der Tochtergesellschaft bei einer stand-alone-Basis keinen unbesicherten Kredit gegeben. Damit hält das Darlehen insgesamt dem Fremdvergleich nicht stand. Folglich wäre es in den Worten des BFH86 kein ernst gemeintes Darlehen und wie schon beschrieben, müsste eine Umqualifikation in eine Einlage erfolgen. Somit kommt es zur Anwendung von § 1 AStG doch wohl nur dann, wenn auch ein fremder Dritter unter den gegebenen Umständen ein Darlehen ohne Sicherheit vergeben hätte. Oder was bedeutet der Hinweis des BFH auf ein „ernstgemeintes Darlehen“ sonst? Damit läge ein Darlehen im Anwendungsbereich von § 1 AStG, wenn die Situation der Tochtergesellschaft so ist, dass auch ein Dritter das Darlehen ohne Besicherung vergeben hätte. Dann wäre in der Regel ein Risikozuschlag beim Zinssatz anzusetzen. Ist dies nicht der Fall, so führt die Korrektur des Zinssatzes um einen Risikozuschlag dazu, dass das Darlehen dem Fremdvergleich entspricht. Als Folge würde die Gewinnminderung durch den erhöhten Zins besei86 BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004, BStBl. I 2011, 277.

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tigt. Eine Teilwertabschreibung wäre dann auch nach dem BMF-Schreiben vom 29.3.201187 möglich. Dieses Schreiben unterscheidet in Tz. 3.1 drei Fälle: –

Darlehen mit Sicherheit,



Darlehen ohne Sicherheit und mit Risikozuschlag und



Darlehen ohne Sicherheit und ohne Risikozuschlag.

Die beiden ersten seien fremdvergleichskonform, sagt das Schreiben. Da dann eine Korrektur nicht nach § 1 AStG erfolgt, besteht auch keine Notwendigkeit eines Ausschlusses einer Teilwertabschreibung. Bei der dritten Variante eines Darlehens scheide eine Teilwertabschreibung deshalb aus, weil es durch den Konzernrückhalt gesichert sei. Aus diesem Grunde sei generell, auch in rein nationalen Fällen, eine Teilwertabschreibung von Darlehen nicht möglich, da die Voraussetzungen von § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht erfüllt seien. Dies bedeutet nichts anderes, als dass auch das BMF-Schreiben vom 29.3.2011 ein Verbot einer Teilwertabschreibung nicht aus § 1 AStG ableitet, sondern aus anderen Gründen. Da der Konzernrückhalt aber nicht im Verhältnis Mutter-Tochter, sondern nur gegenüber Dritten wirkt,88 ist dieser Argumentation der Boden entzogen. Die Rechtsfolge von § 1 AStG erlaubt die Anpassung der Bedingungen der Geschäftsbeziehung.89 Es ist ein Darlehen vergeben worden, das wegen der wirtschaftlichen Lage nicht oder nur teilweise zurückgezahlt werden kann. Der Wert des Rückzahlungsanspruchs sinkt. War das Darlehen unbesichert, so würde der Ansatz einer fiktiven Sicherheit keine Korrektur einer Gewinnminderung durch einen Verrechnungspreis bewirken. Wie lässt sich eine Brücke von § 1 AStG zur Teilwertabschreibung schlagen? Der Gedankengang wäre wohl folgender: Wäre das Darlehen besichert, so würde bei der Nichtrückzahlung die Sicherung einspringen. Der Wertverlust des Darlehens würde durch die Sicherung ausgeglichen. Das heißt, bei einer dem Fremdvergleich entsprechenden Ausgestaltung des Darlehens – d.h. mit Sicherheitsleistung – wäre eine Teilwertabschreibung nicht erforderlich. Dies ist die Argumentation des FG Berlin-Brandenburg im Verfahren I R 23/13: „Die Ein87 BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258 = IStR 2015, 748. 88 Ebenso Ditz in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2294. 89 FG Berlin-Brandenburg v. 30.1.2013 – 12 K 12056/12, DStRE 2013, 1494 (1496).

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künfteminderung, die durch […] den Substanzverlust des Darlehens eingetreten ist, [beruht] auf den Konditionen der Darlehensgewährung in Gestalt der (fehlenden) Besicherung der Darlehen. Es ist nicht fremdüblich, dass Darlehen ohne jede Sicherheit gewährt werden.“90 Das könne nicht durch den Zinssatz ausgeglichen werden, müsse also auf andere Weise erfolgen. Dieses Argumentationsschema besagt im Grunde genommen Folgendes: Alles hängt irgendwie mit allem zusammen, deshalb lässt sich auch alles folgern. Demgegenüber ist mit allem Nachdruck festzuhalten: Steuerrecht ist Eingriffsrecht und daher sind Eingriffe eindeutig und bestimmt gesetzlich festzulegen. Daher kommt es darauf an, welches Tatbestandsmerkmal von § 1 AStG als erkennbare Rechtsfolge ein Teilwertabschreibungsverbot ermöglichen würde. Der Inländer hat als Rechtsfolge seine Einkünfte so anzusetzen, wie sie wären, wenn das Darlehen so vergeben worden wäre, dass es dem Fremdvergleich entspricht. Hätte es eine Besicherung gegeben, wäre die Teilwertabschreibung überflüssig. Die Besicherung ist eine Bedingung i.S.v. § 1 AStG. Sie als Korrektur anzusetzen, würde aber die Gewinnminderung nicht ausgleichen. Die von der Finanzverwaltung dem § 1 AStG entnommene Rechtsfolge könnte allenfalls so begründet werden, dass in der konkreten Situation ein fremder Dritter ein Darlehen an die Tochtergesellschaft nur mit einer entsprechenden Besicherung vergeben hätte. Dies setzt eine genaue Analyse der Situation der Tochtergesellschaft und der Marktsituation voraus. Ist das eindeutige Ergebnis des Vergleichs mit den Verhältnissen zwischen fremden Dritten, dass ohne Sicherheit kein Darlehen vergeben worden wäre, so kann das Darlehen der Muttergesellschaft nicht als solches anerkannt werden. Auch diese Überlegung führt nicht weiter. Übrigens: Der BFH deutet dies ja auch in seiner Rückverweisung an das FG an, indem er die Prüfung anregt, ob es sich im Streitfall überhaupt um ein ernst gemeintes Darlehen handelt. Mein Zwischenfazit lautet somit, dass ein Teilwertabschreibungsverbot aus dem Fremdvergleich des § 1 AStG auch dann nicht in Betracht 90 Wie hier Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 6.494 ff.; offenbar anders Habammer, IStR 2016, 530, der aus § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG einen offenen Treaty Override zugunsten von § 1 AStG herleitet. Er begründet aber nicht, dass § 1 AStG das Verbot der Teilwertabschreibung ermöglicht.

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kommt, wenn ein unbesichertes Darlehen unter unabhängigen Dritten nicht vergeben worden wäre. Wäre es hingegen unbesichert vergeben worden, so bleibt auch gem. § 1 Abs. 1 AStG nur die Korrektur des Zinssatzes möglich.91 Das Ergebnis ist kein anderes als bei Art. 9 OECD-MA. Das kann auch nicht anders sein, wenn § 1 AStG die Grundsätze des Art. 9 OECD-MA im nationalen Recht verankern will und Art. 9 OECD-MA ein derartiges Verbot nicht kennt. Im Nichtanwendungsschreiben92 bringt das BMF ein weiteres Argument vor. Der Erlass richtet sich gegen die erwähnte BFH-Rechtsprechung zur Wirkung von Art. 9 OECD-MA. Zugleich bezieht sich der Erlass aber auch auf § 1 AStG. Soweit Art. 9 OECD-MA betroffen ist, wurde bereits gezeigt, dass sich das von der Finanzverwaltung behauptete Ergebnis nicht aus dieser Norm ableiten lässt. Für § 1 AStG könnte die Inbezugnahme bedeuten, dass § 1 AStG einen Treaty Override enthält.93 Der Erlass führt aus: Eine Beschränkung der Fremdvergleichskorrektur auf die Höhe des Verrechnungspreises widerspreche dem Sinn und Zweck von § 1 AStG, „weil die Bedingungen eines konkreten Geschäftsvorfalls so gestaltet sein können, dass alleine die Korrektur des Verrechnungspreises weder dazu geeignet ist noch ausreicht, ein Ergebnis zu erzielen, das dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.“ Das sei z.B. der Fall, wenn die Tochtergesellschaft erkennbar zahlungsunfähig sei. Abgesehen davon, dass einer zahlungsunfähigen Gesellschaft kein Dritter ein Darlehen geben würde, besagt diese Argumentation doch nichts anderes, als dass die in § 1 AStG vorgesehene Rechtsfolge das vom BMF angestrebte Ergebnis nicht enthält, dass die Norm aber nach ihrem Zweck eine derartige Rechtsfolge enthalten sollte. M.a.W.: Es besteht eine Lücke. Diese könnte nur durch eine Analogie geschlossen werden, für die aber kein Anhaltspunkt besteht. Die Ausweitung des § 1 AStG auch auf gesellschaftsrechtlich motivierte Beziehungen in schuldrechtlicher Form führt zur Anwendung eines Fremdvergleichsmaßstabs auf Situationen, die unter unverbundenen Dritten nicht vorkommen. Leider schweigen die Entscheidungen des BFH dazu, ob § 1 AStG zur Rechtfertigung eines Teilwertabschreibungsverbots taugt. Dies liegt da91 Vgl. hierzu Puls/Schmidtke/Tränka, IStR 2016, 762; zur Problematik von Nichtanwendungserlassen s. Pezzer; diese sind vor allem deshalb rechtswidrig, weil die Verwaltung eine Interpretationskompetenz in Anspruch nimmt, die den Obergerichten zusteht, vgl. z.B. § 115 Abs. 2 FGO. 92 Wie Habammer, IStR 2016, 530 (s. Fn. 90 auf S. 74). 93 BT-Drucks. 18/9536.

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ran, dass der BFH in den bisher ergangenen Entscheidungen die Klärung für nicht erforderlich hielt. Zunächst waren Korrekturmaßstab die vGA und die Sonderbedingungen für beherrschende Gesellschafter. Es folgten dann die beiden Entscheidungen, die Auslöser der Gesetzgebung sind. Auch hier lässt der BFH offen, was § 1 AStG sagt oder ermöglicht. Er stellt lediglich fest, dass Art. 9 OECD-MA nur Korrekturen der Höhe des Zinssatzes erlaubt. Daher braucht er auf § 1 AStG oder die vGA nicht einzugehen. In den weiteren Urteilen lässt er § 1 AStG wegen der Sperrwirkung dahingestellt.

2. Gesetzesergänzung durch AmtshilfeRLUmsG-E Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderung der EUAmtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen vom 5.9.201694 schlägt die Bundesregierung eine Erweiterung des § 1 Abs. 1 AStG um den Satz 5 vor. Dieser neue Satz soll lauten: „Der Inhalt des Fremdvergleichsgrundsatzes, der in den Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung enthalten ist, bestimmt sich nach den Regelungen dieses Gesetzes.“

Dieser Vorschlag muss im Zusammenhang mit der Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 6 AStG gesehen werden. Darauf wird gleich eingegangen. Jetzt geht es nur um die Gesetzesergänzung und ihre Bedeutung selbst. Für die Auslegung ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser sagt, dass der Inhalt des Fremdvergleichs sich nach den nationalen Vorschriften richtet. Dies kann so zu verstehen sein, dass Rechtsgrundlage einer Art. 9 OECD-MA entsprechenden Korrektur das nationale Recht, also § 1 AStG, ist. Dies ist jedoch selbstverständlich, wie oben gezeigt wurde. Andererseits könnte man den Wortlaut auch so verstehen, dass für den deutschen Fremdvergleichsgrundsatz Art. 9 OECD-MA kein Maßstab mehr sein soll, sodass bei einem Abweichen vom internationalen Standard die Sperrwirkung entfallen soll. An der Gesetzesbegründung95 ist bemerkenswert, dass sie bei § 1 AStG, wie auch schon früher, einen Gleichlauf der Verrechnungspreisberichtigung nach einheitlichen Kriterien anstrebt.96 Dies bedeutete früher, dass 94 BT-Drucks. 18/9536, 56. 95 Dies heben auch hervor Rasch/Tomsen, IWB 2016, 484; Lück, IWB 2016, 480; Sommer/Retzer, ISR 2016, 378. 96 BT-Drucks. 16/4841, 85.

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die nationale Berichtigung nach § 1 AStG am internationalen Fremdvergleichsgrundsatz ausgerichtet wurde. So heißt es beispielweise in der Gesetzesbegründung zum Unternehmenssteuerreformgesetz 2008,97 als § 1 AStG neu gefasst wurde: „Die Begriffe „Verrechnungspreise“ und „Fremdvergleichsgrundsatz“ werden in inhaltlicher Übereinstimmung mit internationalen Grundsätzen gesetzlich definiert.“ Also: Ausrichtung von § 1 AStG an den internationalen Grundsätzen. Dies bedeutet aber auch: Richtet sich der Fremdvergleichsmaßstab des § 1 AStG in der jetzigen Fassung am Maßstab des Art. 9 OECD-MA aus und erlaubt dieser nur eine Korrektur der Höhe des Zinses, so gilt dies auch für § 1 AStG. Würde sich daran etwas durch die Gesetzesänderung ändern? In der Begründung des Referentenentwurfs98 vom 31.5.2016 lesen wir, dass die neue Regelung „sicherstellen [soll], dass es nicht zu inhaltlichen Abweichungen zwischen den in der Substanz gleichlautenden Regelungen zum Fremdvergleichsgrundsatz [der Doppelbesteuerungsabkommen] […] und der nationalen Korrekturvorschrift des § 1 AStG kommt.“ Dies liegt noch auf der traditionellen Linie. Dies soll aber nunmehr dadurch erreicht werden, dass sich der Fremdvergleich der DBA nach den Regelungen des § 1 AStG ausrichtet, wie diese durch die Verordnung definiert werden. Dies könnte neu sein. Soll dies heißen, dass die Verordnung eigenständige, nationale Verrechnungspreisregelungen enthalten soll? Damit würden die Dinge auf den Kopf gestellt. Ist es das Ziel der Ausrichtung der nationalen Fremdvergleichsregelung am internationalen Standard, die Doppelbesteuerung zu verhindern und zugleich die Basis für Gegenberichtigungen nach Art. 9 Abs. 2 OECDMA zu schaffen, so bewirkte eine Ausrichtung am nationalen Maßstab das genaue Gegenteil. Eine Gegenberichtigung99 setzt voraus, dass die Berichtigung nach den internationalen Maßstäben erfolgt. Eine rein national ausgerichtete Berichtigung führt nicht zur Gegenberichtigung. Doppelbesteuerungen werden somit unausweichlich. Vergleicht man den Referentenentwurf mit dem Regierungsentwurf, so fällt auf, dass auf Seite 5 das Wort „nur“ nicht mehr enthalten ist. Nach dem Referentenentwurf sollte sich der Inhalt des Fremdvergleichsgrundsatzes nur nach den Regelungen des AStG bestimmen. Jetzt heißt es, dass er sich nach den Regelungen des AStG bestimmt. Haben die beiden

97 Referentenentwurf v. 31.5.2016, S. 56, 61. 98 Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 162 f. 99 BR-Drucks. 406/16, 31.

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Fassungen die gleiche Bedeutung? In der neuen Fassung jedenfalls bleibt das Verhältnis zu Art. 9 OECD-MA offen. Da jedoch die Begründung für die beiden Fassungen identisch ist, soll wohl kein Unterschied bestehen. Der Bundesrat schlägt in seiner Stellungnahme100 zur Klarstellung vor, dass die Worte „unbeschadet der Abkommen“ eingefügt werden. Er sieht demnach in dem Vorschlag einen Treaty Override. Auch sieht man im Schrifttum101, soweit es sich bisher zu § 1 Abs. 1 Satz 5 AStG-E geäußert hat, in dieser Bestimmung einen Treaty Override. Aber enthält die vorgeschlagene Ergänzung von § 1 Abs. 1 AStG wirklich einen Treaty Override bzw. ist es die Absicht der Bundesregierung, einen Treaty Override gesetzlich zu verankern? Eine eindeutige Antwort lässt sich nicht geben. Einerseits sagt der Wortlaut des Ergänzungsvorschlags, wenn man ihn nimmt, so wie er dasteht, nichts Neues, bzw. er wiederholt etwas, was bereits in § 1 AStG enthalten ist, nämlich, dass national der Fremdvergleichsgrundsatz angewandt werden soll. Andererseits soll – so auch die Gesetzesbegründung – die Ergänzung bewirken, dass die Rechtsprechung des BFH zur Sperrwirkung von Art. 9 OECD-MA beseitigt wird, weil sie eine „Fehlinterpretation“ von Art. 9 OECD-MA bedeute. Das Verständnis des BFH von der Sperrwirkung des Art. 9 OECD-MA lasse die internationale Entwicklung und die Staatenpraxis, wie sie sich aus den OECD Verrechnungspreisrichtlinien ergäbe, unbeachtet und behindere gerade die im Einklang mit der internationalen Entwicklung stehende Fortentwicklung des deutschen Rechts. Beide Auslegungen widersprächen der Auffassung, dass ein Treaty Override beabsichtigt sei.102 Der Bundesrat sieht dies offensichtlich anders, wenn er anregt, in die Formulierung noch aufzunehmen: „unbeschadet der Abkommen“. Daraus kann man folgern, dass der Bundesrat einen Fremdvergleichsmaßstab anstrebt, der nicht dem internationalen Standard entspricht.103 Wenn man einen Treaty Override beabsichtigt, so sollte man dies auch klar benennen und nicht drum herumreden. Allerdings muss man erkennen, dass sich dieser Treaty Override deutlich von denjenigen unterscheidet, bei denen es nur um einen Wechsel der Methode geht. Hier wird in erheblicher Weise in das durch das DBA geregelte materielle Steuerrecht eingegriffen. 100 Sommer/Retzer, ISR 2016, 379; Benz/Böhmer, Die Nichtanwendungsgesetze des RefE eines „Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes“, DB 2016, 1531 (1535). 101 In diesem Sinne auch Schnitger, IStR 2016, 641; Böhmer, FR 2016, 879. 102 So auch Sommer/Retzer, ISR 2016, 379. 103 Z.B. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 44, 49, 53.

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3. Verordnung nach § 1 Abs. 6 AStG Nach der Gesetzesbegründung zur Änderung des AStG soll ein Gleichlauf zwischen DBA und § 1 AStG sichergestellt werden. Daher, so die Begründung, „definieren“ § 1 AStG und die auf § 1 Abs. 6 AStG beruhende Rechtsverordnung „damit abschließend das deutsche Abkommensverständnis zum Inhalt des in den jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Fremdvergleichsgrundsatzes“. Eindeutig wird dadurch noch nicht, dass sich dieses deutsche Verständnis gegenüber dem Abkommen durchsetzt und ob sich das deutsche Verständnis von dem internationalen unterscheidet. Irritierend ist dann die weitere Darlegung, dass dies alles nur eine Klarstellung sei und Doppelbesteuerungen vermeide. Entscheidend wird sein, was die Rechtsverordnung gem. § 1 Abs. 6 AStG vorsehen wird und vorsehen kann. Da das BMF an der Weiterentwicklung der OECD-Verrechnungspreisgrundsätze aktiv mitarbeitet, spräche viel dafür, dass diese in die Verordnung aufgenommen werden. Es wäre schon recht eigenartig, wenn man in Paris etwas anderes als in Berlin vertreten würde. Eine andere Frage ist es, ob die Ermächtigungsgrundlage des Abs. 6 den Anforderungen von Art. 80 GG genügt. Danach muss die Ermächtigungsgrundlage Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnung angeben. Die Formulierung in Abs. 6, dass die Verordnung die Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes festlege, genügt diesem Erfordernis nur, wenn der Fremdvergleichsmaßstab im Allgemeinen hinreichend bestimmt ist. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit des Fremdvergleichs könnte man an Ausfüllung durch die internationalen Verrechnungspreisgrundsätze, wie sie die OECD entwickelt, denken. § 1 Abs. 6 AStG bezieht sich aber nicht explizit auf die internationalen Verrechnungspreisregelungen. Wie weit soll die Ermächtigungsgrundlage den Verordnungsgeber ermächtigen? Dies ist nicht klar erkennbar, weshalb erhebliche Zweifel bestehen, ob die Ermächtigungsgrundlage ausreicht. Da weder Art. 9 OECD-MA noch § 1 AStG, wie dargelegt, ein Verbot einer Teilwertabschreibung von Darlehen einer inländischen Gesellschaft an eine nahestehende ausländische Gesellschaft ermöglichen, kann ein solches auch nicht durch die Verordnung eingeführt werden. Da die Verordnung nur Einzelheiten, aber nicht Erweiterungen regeln kann, wäre sie insoweit nichtig, weil sie nicht auf einer wirksamen Ermächtigung beruht bzw. einer solchen widersprechen würde. Zudem ergäben sich eu-

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roparechtliche Probleme, da innerstaatlich nach § 3c Abs. 2 EStG eine 60-prozentige Abschreibung möglich wäre, grenzüberschreitend aber überhaupt keine Abschreibung zugelassen sein würde. Außer der Tatsache, dass die Verordnung ihre Ermächtigungsgrundlage überschreiten würde, käme es erst durch die Verordnung zum Treaty Override. Da der Treaty Override, wie das BVerfG dargelegt hat, seine Rechtfertigung im Demokratieprinzip findet, dieses aber nicht zugunsten des Verordnungsgebers wirkt und eine Verordnung kein Gesetz i.S.d. lexposterior-Regel ist, da nur formelle Gesetze104 von dieser Regel mit Vorrang ausgestattet werden, scheitert ein Teilwertabschreibungsverbot kraft Verordnung auch aus diesem Grunde. Man gewinnt den Eindruck, dass die Verwaltung mit dem Nichtanwendungsgesetz des § 1 Abs. 1 Satz 5 AStG-E darauf abzielt, die Interpretationshoheit der Gerichte durch Inanspruchnahme einer Auslegungskompetenz durch die Verordnung zu unterlaufen.

4. Verzicht auf Gesetzesergänzung Der Bericht des Finanzausschusses des Bundestages105 und ein Antrag der Koalitionsfraktionen106 schlägt vor, auf die Ergänzung von § 1 Abs. 1 AStG zu verzichten. Damit wäre eigentlich das Thema erledigt. Angesichts der jahrelangen Bemühungen der Finanzverwaltung, die Teilwertabschreibungen von Darlehen zu unterbinden, ist zu vermuten, dass dies kein endgültiger Verzicht ist. Vor allem bleibt die Reaktion des Bundesrates abzuwarten. In jedem Fall ist der – vielleicht vorläufige – Verzicht zu begrüßen, weil er die Chance eröffnet, die Rechtslage gründlich zu analysieren. Sollte der Verzicht, der leider nicht begründet wird, deshalb erfolgen, weil man erkannt hat, dass – wie hier ausführlich begründet – § 1 AStG die falsche Norm ist, um das Ziel zu erreichen, so wäre dies zu begrüßen. § 8b Abs. 3 KStG und § 3c Abs. 2 EStG existieren bereits, um Teilwertabschreibungen zu verhindern. Es wird zwar vertreten,107 dass die Sperrwirkung des Art. 9 OECD-MA auch gegenüber diesen Normen wirke. Da aber beide Normen Missbrauchsverhinderungsnormen sind, kann man daran zweifeln, dass Art. 9 OECD-MA in diesen Fällen der nationalen 104 105 106 107

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BT-Drucks. 18/10506, 3. Umdruck Nr. 17 Änderungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD. Schnorberger/Langkau, IStR 2015, 242. Ähnlich Habammer, IStR 2016, 531.

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Missbrauchsverhinderung entgegensteht.108 Um alle Zweifel zu beseitigen, könnte man in beiden Bestimmungen „unbeschadet der Doppelbesteuerungsabkommen“ einfügen.

E. Saving-Clause109 Wer allerdings glaubt, mit den bisherigen Erwägungen wäre die Problematik erledigt, sieht sich jedoch getäuscht. BEPS-Aktionspunkt 6 sieht eine Erweiterung des Musterabkommens durch Art. 1 Abs. 3 vor. Dieser lautet: „This convention shall not affect the taxation by a contracting State of its residents except with respect to the benefits granted under paragraph 3 of article 7, paragraph 2 of article 9 and articles 19, 20, 23, 24 and 25 and 28.“

I. USA-MC Diese sog. Saving-Clause entspricht langer US-amerikanischer Praxis110 und findet sich demgemäß auch im US-Musterabkommen: „Dieses Abkommen berührt nicht die Besteuerung durch einen Vertragsstaat von dort ansässigen Personen und von Staatsbürgern dieses Staates.“ Es folgt dann eine Zusatzregelung für solche Personen, die die US-Staatsbürgerschaft aufgeben. Im deutsch-amerikanischen DBA findet sich diese Regelung in Art. 1 Abs. 4 und 5 für die USA. Deutschland hat sich diese Klausel nicht einräumen lassen. Der Ursprung der Saving-Clause ist, dass die USA die Doppelbesteuerung nur durch die Anrechnung der ausländischen Steuer beseitigen und dass sie ihre Staatsangehörigen besteuern, gleichgültig, wo sie ansässig sind. Das DBA soll – abgesehen von den erwähnten Ausnahmen – nicht die Besteuerung der Ansässigen und Staatsangehörigen einschränken.

108 Vgl. Kofler, Some Reflections on the ‚Saving Clause‘, intertax 2016, 574 im Detail. 109 S. Kofler, Some Reflections on the ‚Saving Clause‘, intertax 2016, 574 (576) m.w.N. 110 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 16.291 ff. (16.293); insbesondere Autoren, die der Finanzverwaltung angehören, haben Art. 9 OECD-MA jegliche Wirkung gegenüber der nationalen Besteuerung bestritten.

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II. OECD und BEPS-Aktionspunkt 6 Die OECD schlägt nun die Einführung dieser Klausel als generellen Bestandteil von DBA vor. Damit sollen insbesondere nationale Missbrauchsverhütungsvorschriften – domestic anti-abuse rules – anwendbar bleiben. In der vorgeschlagenen Kommentierung hierzu in Tz. 26.18 heißt es dann, dass diese Regel das generelle Prinzip bestätige, dass ein DBA nicht die Besteuerung der Ansässigen durch einen Staat beschränke, mit Ausnahme der erwähnten Regeln wie Gegenberichtigungen, Anrechnungen und Freistellungen, Verständigungsverfahren usw. Damit geht die OECD von einer bloßen Klarstellung aus. Die Bestätigung eines allgemeinen Prinzips ist nicht die Einführung einer neuen Regel. Ob der BFH dies auch so sehen würde, erscheint eher fraglich. Dass aber die Finanzverwaltung mit Berufung darauf von einer bloßen Klarstellung sprechen wird, die auch ohne ausdrückliche Änderung der DBA angewandt wird, wird man für wahrscheinlich halten müssen.

III. Bedeutung für Fremdvergleichsmaßstab Unter den Ausnahmen der Saving-Clause ist Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht genannt. Von einer Minderheit111 abgesehen, die dem Art. 9 OECD-MA keine begrenzende Wirkung entnehmen will, entnimmt die ganz große Mehrheit der Gerichte, der Finanzverwaltungen einschl. des BMF in den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung112 und das Schrifttum eine Sperrwirkung hinsichtlich der nationalen Korrekturvorschriften. Da Art. 9 Abs. 1 OECD-MA wie auch § 1 AStG auf ansässige Unternehmen anwendbar ist, kann jeder Staat nach Ansicht von BEPSAktionspunkt 6 diesen Schutz versagen, ohne mit dem Abkommen in Konflikt zu geraten. Damit würde auch die Einfügung der Saving-Clause die Staaten bei einer entsprechenden Regelung in ihrem nationalen Steuerrecht von der Sperrwirkung im Hinblick auf ihre ansässigen Unternehmen befreien. Hier wären Korrekturen ohne Rücksicht auf den

111 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774 Tz. 1.2.3. 112 Vgl. Drüen, Verständigungsverfahren und Schiedsverfahren nach der EUSchiedskonvention in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, eine Festgabe, 2015, S. 505 (512 f.).

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Fremdvergleichsgrundsatz, wie er ausführlich in einer Menge internationaler Dokumente ausgeformt ist, möglich. Dies anzunehmen überrascht, vor allem, wenn man der Saving-Clause nur klarstellende Wirkung beimisst. Offen wäre dann auch, ob eine Gegenberichtigung gem. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA erfolgen könnte. Die Korrektur erfolgt zwar nicht dem Fremdvergleichsmaßstab entsprechend, sodass der andere Staat nicht zur Gegenkorrektur verpflichtet wäre. Zugleich entspricht aber die einseitige Korrektur dem Abkommen wegen Art. 1 Abs. 3 OECD-MA-E, sodass ein Verständigungsverfahren ausschiede. Ein Verfahren nach der EU-Schiedskonvention wäre wohl möglich, da diese auf dem Korrekturmaßstab des Fremdvergleichs beruht. Man sieht, dies alles ist noch nicht geklärt. Sollte jedoch die SavingClause Eingang in die Vertragspraxis finden, wäre es mit der Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA vorbei.

F. Resumée Die vorgeschlagene Ergänzung von § 1 Abs. 1 AStG um einen Satz 5 wirft viele Fragen auf. Art. 9 OECD-MA entfaltet Sperrwirkung gegen nationale Korrekturen, die nicht dem Fremdvergleichsmaßstab entsprechen. Ein Teilwertabschreibungsverbot für gewährte Darlehen kann dieser Norm nicht entnommen werden. Auch die Prüfung aller denkbaren Argumente ergibt, dass auch § 1 Abs. 1 AStG nicht als rechtliche Grundlage für ein Verbot einer Teilwertabschreibung bei Darlehen einer inländischen Gesellschaft an ihre ausländische Tochter dienen kann. Die vorgeschlagene Ergänzung von § 1 Abs. 1 AStG um einen Satz 5 in der Fassung des Regierungsentwurfs würde nicht zu einem Treaty Override führen, auch wenn sich nach der Gesetzesbegründung die Norm gegen die Rechtsprechung zur Sperrwirkung von Art. 9 OECD-MA richten soll. Die Entwicklung eines nationalen Fremdvergleichsmaßstabs, der sich nicht am internationalen Maßstab ausrichtet, durch die Verordnung gem. § 1 Abs. 6 AStG, wäre nicht durch die Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Der Verzicht auf die Ergänzung von § 1 AStG entsprechend dem Vorschlag des Finanzausschusses ist zu begrüßen, wenn ihm die Einsicht zugrunde liegt, dass § 1 AStG ungeeignet ist, um das erstrebte Ziel zu erreichen. Das Verbot einer Teilwertabschreibung von Darlehen ließe sich erreichen, wenn in § 3c Abs. 2 EStG und § 8b Abs. 3 KStG jeweils die

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Worte „unbeschadet eines Doppelbesteuerungsabkommens“ eingefügt würden. Beide Vorschriften sind jedoch als systemwidrige Vermischung von Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung möglichst eng auszulegen. Die Übernahme der Saving-Clause in die DBA, wie von BEPS-Aktionspunkt 6 vorgeschlagen, bedeutete eine grundlegende Änderung des Verständnisses von DBA.

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Wird § 1 AStG noch durch Doppelbesteuerungsabkommen begrenzt? Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Bonn

MinDirig Martin Kreienbaum Leiter der Unterabteilung Internationales Steuerrecht, Bundesministerium der Finanzen, Berlin

StB Peter Carstens Head of Tax, Otto (GmbH & Co. KG), Hamburg

Prof. em. Dr. Jörg Manfred Mössner Universität Osnabrück/Universität Paris-Sorbonne

Dr. Berend Holst Leiter Steuern und Zölle Konzern, Volkswagen AG, Wolfsburg

Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Prof. Dr. Lüdicke Lieber Manfred, wie du richtig gesagt hast, alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Du hast ein relativ großes Feld entfaltet, vom Treaty Override über die Sperrwirkung des Art. 9 OECD-MA und § 1 AStG in der bisher geltenden Fassung und über die Frage, was durch die Neuregelung erreicht werden soll bzw. erreicht werden kann, bis hin zu der Frage, welche Bedeutung der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA noch hat, falls die SavingClause eingeführt wird. Wir haben ausreichend Stoff zu diskutieren, zumal wir ja noch die beiden Urteile, die Herr Wacker zum Treaty Override vorgestellt hatte, mit in die Diskussion einbeziehen. Lassen Sie uns mit dem Treaty Override anfangen; ich denke, da ist Herr Kreienbaum angesprochen – das ist unvermeidlich.

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Kreienbaum Ja, vielen Dank Herr Lüdicke. Den rechtlichen Ausführungen von Herrn Wacker zu den beiden Urteilen I R 66/09 und I R 64/13 habe ich nichts hinzuzufügen. Die Urteile stoßen natürlich auf die freudige Zustimmung der Finanzverwaltung und vermutlich auch des Gesetzgebers, denn die Urteile räumen dem Gesetzgeber die Möglichkeit ein, seine Position auch nach Vertragsschluss eines DBA klarzustellen und gegebenenfalls zu korrigieren. Wir diskutieren diese Thematik unter der Überschrift „Treaty Override“. Mit diesem Begriff wird häufig konnotiert, dass ein Staat in fast boshafter Absicht das völkervertragsrechtlich Vereinbarte nicht mehr hinnehmen und einseitig verändern will. Der Begriff ist aber vielschichtiger, als er auf den ersten Blick erscheint. Zunächst mal muss man feststellen, dass es in der Regel dann zu einem Treaty Override kommt, wenn die Gerichte eines Staates den Willen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss in gewisser Weise auslegen und der Gesetzgeber eines Staates mit dieser Auslegung nicht übereinstimmen und nachfolgend davon abweichen will. Den Gerichten stehen Informationen zur Verfügung, aus denen sie auf den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Ratifizierung schließen. Der festgestellte mutmaßliche Wille des Gesetzgebers durch die Gerichte muss nicht notwendigerweise in beiden Saaten deckungsgleich festgestellt werden. Es kann durchaus sein, dass bei uns zwar der BFH zu dem Ergebnis kommt, dass ein Abkommen in gewisser Weise zu interpretieren ist, die andere Vertragspartei und die Gerichte des anderen Staates dies aber anders sehen. Es sind Fälle vorstellbar, in denen der Gesetzgeber nachher feststellt, dass er von vornherein nicht so verstanden werden wollte, wie ihn die Rechtsprechung in Würdigung aller Umstände ausgelegt und verstanden hat. Man muss diese Facetten mit im Blick haben, wenn man über die Möglichkeit für den Gesetzgeber, dann korrigierend einzugreifen, ohne das Doppelbesteuerungsabkommen gleich zu kündigen, diskutiert. Dass diese Möglichkeit erhalten bleibt, halte ich für eine im Ergebnis sachgerechte Lösung. Es ist nicht notwendigerweise – und das ist meine Botschaft – ein einseitiges Ignorieren vertraglicher Vereinbarungen, sondern es kann durchaus im positiven Sinne beider Vertragsparteien liegen, durch korrigierenden gesetzgeberischen Eingriff das gemeinsam Gewollte rechtswirksam umzusetzen. Ich würde auch gerne etwas zur Frage des § 1 Abs. 1 Satz 5 AStG sagen. Wir haben vom Antrag des Bundesrates gehört, der den Wortlaut ergän-

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zen und ausdrücklich feststellen wollte, dass es sich bei der Neufassung im § 1 Abs. 5 AStG-E um einen Treaty Override handelt. Die Bundesregierung hatte dies nicht vorgeschlagen. Kann man daraus Schlüsse ziehen mit Blick auf die Frage, ob § 1 AStG und die Ausformulierung des Fremdvergleichsgrundsatzes im nationalen Recht vom abkommensrechtlich vereinbarten Begriff abweichen sollen? Ich meine, dies ist nicht der Fall. Es ist durchaus auch denkbar, dass der Gesetzgeber der Auffassung ist, sich in der Ausformulierung des Fremdvergleichsmaßstabs im AStG und in den nachfolgenden Rechtsverordnungen innerhalb des abkommensrechtlichen Rahmens zu bewegen. Und schon allein um sicherzustellen, dass die unterhalb der Abkommensebene geregelten Begriffsbestimmungen und sonstigen Regelungen in allen Details und Einzelheiten Geltung erreichen, rechtfertigte sich eine entsprechende Klarstellung im AStG. Wir haben durch die beiden zitierten Urteilen erfahren, dass es dem Gesetzgeber erlaubt ist, das zu tun. Dies gilt völlig unabhängig von der Frage, ob mit einer solchen Regelung der abkommensrechtlich vereinbarte Regelungsgehalt überschrieben oder lediglich präzisiert wird. Die Bundesregierung war mit Blick auf die in Rede stehende Änderung des § 1 Abs. 5 AStG allerdings der Auffassung, es handele sich lediglich um eine Präzisierung des abkommensrechlich Vereinbarten und damit explizit nicht um einen Treaty Override. Der Entwurf der Neuregelung hat dies bewußt und klar dadurch zum Ausdruck gebracht, dass auf den Einschub „ungeachtet abkommensrechtlicher Bestimmungen“ verzichtet wurde. Auch und gerade vor dem Hintergrund des § 2 AO zur Frage des Vorrangs völkerrechtlicher Verträge kann man klar sagen, dass der Gesetzgebers den Anspruch hat, sich mit der Formulierung des Fremdvergleichsgrundsatzes im nationalen Recht innerhalb der abkommensrechtlich vereinbarten Rahmenbedingungen zu bewegen. Wollte der Gesetzgeber dies nicht, hätte er den Treaty Override positiv formulieren müssen. Zu beurteilen, ob der Gesetzgeber seinem eigenen Anspruch genügt, sich innerhalb des abkommensrechtlich gesetzten Rahmens zu bewegen, ist dann wiederum allein Sache der Rechtsprechung. Prof. Dr. Mössner Herr Kreienbaum, dann sollte der Gesetzgeber dies auch klarstellen. Es ist ja in der Literatur so verstanden worden, als wenn es ein Treaty Override wäre. Haben Sie das so verstanden? Ich finde Ihren Hinweis auf den Bundesrat sehr interessant. Sie bestätigen ja meine Auslegung, dass die Vorschrift im Grunde genommen den Gleichlauf bestätigt und nichts

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anderes anordnen will. Der Bundesrat will keinen Treaty Override, sondern einen „Discussion Override“. Es soll also nicht mehr diskutiert werden, was Art. 9 OECD-MA sagt. Das wäre eine neue Form, eine Art verbindliche Interpretation durch nationales Recht. Dies finde ich sehr, sehr spannend. Kreienbaum Nur eine kurze Replik darauf, um das klarzustellen: Mit dem Antrag des Bundesrats hätte sich der Gesetzgeber die Diskussion um die Frage erspart, ob die Ausformulierungen des Fremdvergleichsmaßstabs in den Rahmen abkommensrechtlicher Vereinbarungen passen. Gleichzeitig wäre damit allerdings zum Ausdruck gebracht worden, dass sich der Gesetzgeber über den Rahmen des Abkommensrechts hinwegsetzen will, was aus meiner Sicht nicht seiner Intention entspricht. Dr. Wacker Ich fürchte, ich muss die Harmonie etwas stören. Lassen Sie uns nochmal die Fälle abgrenzen. Es gibt Fälle, in denen darüber zu entscheiden ist, ob eine zweifelsfrei abkommensüberschreibende Vorschrift – in meinem Fall § 50d Abs. 8 EStG – auch ein erst später abgeschlossenes Doppelbesteuerungsabkommen verdrängt. Was wir jetzt anhand von Art. 9 OECD-MA in Verbindung mit § 1 AStG diskutieren, ist hingegen die Frage, ob die Vorschrift überhaupt auf eine Abkommensüberschreibung gerichtet ist. Hierzu sei bemerkt, dass der I. Senat entschieden hat, Art. 9 OECD-MA gestatte nur eine Korrektur der Höhe der Einkünfte. Im Übrigen – Korrektur dem Grunde nach – entfalte die Vorschrift Sperrwirkung. Geht man von dieser Interpretation aus und kombiniert man das mit dem Anliegen des § 1 AStG, so zielt letztere Vorschrift – entgegen der in der Gesetzesbegründung artikulierten Klarstellung – auf eine Abkommensüberschreibung. Die Situation ist nebenbei bemerkt nicht neu; ich darf insoweit auf die frühere Fassung des § 50d Abs. 10 EStG verweisen, mit der der Gesetzgeber versucht hat, im Rahmen einer sog. authentischen Interpretation den Bereich des Sonderbetriebsvermögens in den Unternehmensgewinn einbeziehen zu können. Zwischenergebnis an dieser Stelle: § 1 AStG in der beabsichtigten und zurückgestellten Form zielte auf ein Überschreiben des Abkommens, ohne dies kenntlich zu machen. Deshalb geht die Frage dahin, ob es auch einen verdeckten Treaty Override gibt. Das ist umstritten; der I. Senat hat dies allerdings bereits in der Vorlage zu § 50d Abs. 1 EStG verneint.

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Ein weiterer Aspekt ist, ob die Frage der Teilwertabschreibung von Darlehen – betr. Muttergesellschaften an Tochterkapitalgesellschaften – nach aktueller Rechtslage nicht einen anderen Einschlag bekommen hat, da hierzu nunmehr die Regelung des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG zu beachten ist. Hierzu wird vertreten, das Abzugsverbot wirke gewissermaßen „neutral“, d.h. ohne Rücksicht auf DBA-rechtliche Vorschriften; hinzukomme, dass die Regelung Missbräuche verhindern wollte und auch deshalb im Verhältnis zu Doppelbesteuerungsabkommen (Art. 9 OECD-MA) vorrangig sei. Kreienbaum Noch ganz kurz eine Nachfrage an Herrn Wacker: Ich habe den Treaty Override immer so verstanden, als beinhalte er begriffsnotwendig einen materiell-rechtlichen Konflikt. Und diesen materiell-rechtlichen Konflikt würde ich im Verhältnis von Art. 9 OECD-MA und der Ausformulierung des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 AStG nicht sehen. Würden Sie selbst in dem Fall, in dem Sie zum materiell-rechtlich gleichen Ergebnis kommen, immer von einem Treaty Override sprechen wollen? Dr. Wacker Nehmen wir einmal an, dass der I. Senat dem Art. 9 OECD-MA keine Sperrwirkung für eine Einkünftekorrektur beigemessen hätte. Dann gäbe es doch auch keinen Konflikt zwischen § 1 AStG und Art. 9 OECDMA. Die Frage heißt deshalb: Wer entscheidet über die Auslegung von Art. 9 OECD-MA? Prof. Dr. Lüdicke Ich möchte auf einen Punkt hinweisen. Wir reden hier über die Frage: Liegt ein Treaty Override vor? Das wurde gerade bei den letzten beiden Wortbeiträgen ganz deutlich. Der Treaty Override – man sieht es schon an der englischen Begriffsbildung – ist kein terminus technicus des deutschen Gesetzes. Das heißt, wir reden hier an sich über etwas, was noch zu definieren wäre. Ich glaube, gerade Ihre Ausführungen, Herr Wacker, haben deutlich gemacht, das ist noch zu definieren, nämlich ganz besonders deutlich in der Fallgruppe 2: Kann es einen verdeckten, ich bin versucht zu sagen: „versteckten“, Treaty Override geben? Man sieht ihn nicht, aber er ist doch da, so ähnlich muss man sich das ja möglicherweise vorstellen. Wenn in einer Norm nicht ausdrücklich steht, dass sie ungeachtet der DBA gelten soll, wenn andererseits im § 2 Abs. 1 AO, Herr Möss-

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ner hat darauf hingewiesen, steht, dass im Zweifelsfall die DBA den nationalen innerstaatlichen Normen vorgehen, woraus ergibt sich dann eigentlich, dass – ich benutze den Begriff jetzt ausdrücklich – ein Treaty Override vorliegt? Ich muss doch zunächst durch Auslegung überhaupt feststellen, dass eine bestimmte Norm des innerstaatlichen Steuerrechts, die die Rechtsfolge A hat, während gleichzeitig ein Abkommen anwendbar ist, welches die Rechtsfolge B hat, sich in dem konkreten Fall mit der Rechtsfolge A gegenüber der Rechtsfolge B durchsetzt. Früher hat der BFH ganz klipp und klar gesagt, dass ungeachtet des DBA das gilt, was in der Norm steht, wenn sie ausdrücklich die Rechtsfolge A „ungeachtet“ der Abkommen anordnet. Und jetzt frage ich, wie kann das denn sein, wenn das da nicht drinsteht? Also, gibt es diesen verdeckten Treaty Override überhaupt, oder diskutieren wir ein Gespenst? Das Gespenst hat allerdings letzte Woche in Form einer Veröffentlichung eines Urteils des Finanzgerichts Baden-Württemberg1 Fleisch angenommen. Das konnte von Herrn Wacker leider nicht kommentiert werden, weil Revision eingelegt worden ist. Dr. Wacker Naja, was heißt denn Gespenst! Es muss doch immer der Geltungsanspruch des Gesetzes ermittelt werden. Gut, wenn der Wortlaut dabei hilft. Wenn nicht, ist doch jedenfalls der Rückgriff auf die Materialien und den erkennbaren Willen des Gesetzgebers erlaubt. Ich darf insoweit noch auf die Vorlage zu § 50d Abs. 10 EStG verweisen. Prof. Dr. Lüdicke Das ist richtig, aber wenn ich mich richtig erinnere, hatte dieser ursprüngliche Text des § 50d EStG immerhin das Wort „Doppelbesteuerungsabkommen“ enthalten.2 Also es war klar, dass der Regelungsgegenstand irgendetwas mit Doppelbesteuerungsabkommen zu tun hatte und dass nicht allgemein ein nationaler Fall geregelt werden sollte. Dr. Wacker Ja, ähnlich war es auch hier vorgesehen. 1 FG Baden-Württemberg v. 7.6.2016 – 6 K 1213/14, IStR 2017, 329 (Rev. I R 80/16); vgl. dazu auch Lüdicke, IStR 2017, 289. 2 Die Passage in § 50d Abs. 10 EStG a.F. lautete: „… gelten diese Vergütungen für Zwecke der Anwendung des Abkommens …“; dazu BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13, BStBl. II 2014, 791.

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Prof. Dr. Lüdicke Das ist ja das Problem bei § 1 Abs. 1 Satz 5 AStG-Entwurf gewesen. Das BMF hat damit nur – und ich glaube Ihnen das, Herr Kreienbaum – den DBA-Begriff des Fremdvergleichs ausfüllen wollen. Sie haben mehrfach gesagt, der Gesetzgeber wollte das. Die Frage ist nur, was gelten würde, wenn die Norm gekommen wäre und dann ein späterer Gesetzgeber oder gar ein Verordnungsgeber – mal unterstellt, die Verordnung würde nach Art. 80 GG insoweit hinlänglich sein – doch materiell von dem Fremdvergleichsgrundsatz abweicht. Prof. Dr. Mössner Einen kurzen Hinweis noch – Herr Wacker hat es gerade gesagt: In der Gesetzesbegründung zu Satz 5 steht, dass Anlass der Gesetzesergänzung diese BFH-Urteile seien und dass man etwas anderes machen und diese Urteile brechen wolle. Also, das ist genau der Fall. Deshalb, Herr Kreienbaum, bin ich mir da nicht so sicher, wie man den Gesetzentwurf werten soll. Dr. Holst Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das Aserbaidschan-Urteil3 des BFH. Das war ja eine Entscheidung vom Finanzgericht Hamburg4, und so ganz abwegig fand ich diese eigentlich nicht. Der Gesetzgeber hat nach Einführung des § 50d Abs. 8 EStG in anderen Doppelbesteuerungsabkommen (z.B. Großbritannien) Subject-to-Tax-Klauseln aufgenommen. Im Fall Aserbaidschan fehlt eine solche Regelung, sodass es nicht zwingend ist, weiterhin von einer Anwendbarkeit des § 50d Abs. 8 EStG auszugehen. Das Zweite, was ich noch einmal wiederholen möchte im Zusammenhang mit Treaty Override: Ich habe meine Fragen zu § 50d Abs. 9 EStG mit den Beispielen offensichtlich an der falschen Stelle gestellt. Herr Lüdicke hat das dann, höflich wie er ist, überspielt, indem er die Fragen nicht aufgegriffen hat, aber ich denke, die haben schon eine Praxisrelevanz. Was ist mit der Änderung von § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG? Was ist mit steuerfreien Investitionszuschüssen im Ausland? Was ist mit der Expat-Besteuerung? Wie sollen wir als Industrie in Zukunft mit solchen Dingen umgehen? 3 BFH v. 25.5.2016 – I R 64/13, DStR 2016, 2087. 4 FG Hamburg. v. 21.8.2013 – I K 87/12, EFG 2013, 1932.

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Carstens Da kann ich mich nur anschließen. Dass wir die DBA jetzt sozusagen erst einmal nachrangig lesen sollen, habe ich verstanden. Die Leidenschaft für weiße Einkünfte steigt nicht unbegrenzt, das war vorher nicht so und das wollen wir jetzt auch nicht. Das ist irgendwie etwas, was – glaube ich – ein Modetrend war, die Qualifikationskonflikte der vergangenen Jahre, das will glaube ich sowieso kein Steuerabteilungsleiter mehr in seinem Konzern sehen. Aber wir haben schon Kollateralschäden, wie Kollege Holst bereits sagte. Zum Beispiel in § 50d Abs. 9 EStG, wenn wir eine ausländische Betriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft umwandeln, und das in dem Land, in dem wir das tun, steuerfrei ist, dass dann der deutsche Staat jetzt das Besteuerungsrecht für sich einfordert. Das hat mit weißen Einkünften im klassischen Sinne wenig zu tun, das ist weit weg von einer aggressiven Gestaltung. Das ist ein Thema, bei dem wir bei allem Verständnis für den Kampf gegen weiße Einkünfte eine Hilfe brauchen. Wir könnten uns ja auch diesen Treaty Override zunutze machen. Vielleicht kann das BMF dann auch die eine oder andere Regelung aus den BEPS-Geschichten für uns national überschreiben, dann allerdings zu unserem nationalen Vorteil und zu unser aller Vorteil. Da besteht, glaube ich, eine große Chance auch für Sie, Herr Kreienbaum, dass sich der Staat da auch positiv einbringt. (Gelächter) Kreienbaum Ich kann vielleicht schon gleich damit beginnen zu versuchen, mich für den Staat positiv einzubringen. Zu § 50d Abs. 9 EStG und zum künftig dort verwandten präzisierten Einkünftebegriff, der klarstellt, dass auch Einkunftsteile umfasst werden: Die Finanzverwaltung war auch schon in der Vergangenheit der Auffassung, dass der Begriff „Einkünfte“ auch einzelne Teile von Einkünften umfasst. Wir haben unsere DBA-Praxis schon vor Jahren dahin aus unserer Sicht klarstellend umgestellt und sprechen nicht nur von Einkünften, sondern auch von Teilen von Einkünften. Das entspricht auch dem internationalen Sprachgebrauch: income and items of income. Dementsprechend soll § 50d Abs. 9 EStG die explizite Klarstellung erfahren, dass nicht nur Einkünfte beispielsweise einer Einkunftsart in ihrer Gesamtheit erfasst werden, sondern auch dann von der Freistellung zur Anrechnung übergegangen wird, wenn Teile von Einkünften nicht besteuert werden. Dieses Verständnis, das international breit geteilt wird, ist schon in der Vergangenheit Auffassung der Finanzverwaltung gewesen. Erst später

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haben wir gelernt, dass die Rechtsprechung diese Auffassung nicht teilt und die Nichtbesteuerung lediglich von Einkunftsteilen ein Umschwenken zur Anrechnungsmethode nicht erlaubt. Die Finanzverwaltung hat schon, ich glaube im Jahre 2008, mit einem BMF-Schreiben5 zur Subjectto-Tax-Klausel Antworten auf diese Fragen gegeben. Aus der Erarbeitung und Fortführung dieses Schreibens ist mir bewusst, dass das in der Praxis nicht einfach umzusetzen ist. Allerdings wird man mit Blick auf Betriebsstätteneinkünfte auch sagen dürfen, dass die Ermittlung der Einkünfte im anderen Staat ohnehin die Feststellung erfordert, ob einzelne Einkunftsteile dort der Besteuerung unterlagen oder nicht. Insofern sehe ich dort das Argument des erhöhten Bürokratieaufwands nicht. Mit Blick auf andere Einkünfte – Herr Holst, Sie hatten Arbeitnehmereinkünfte erwähnt – mag das vielleicht eher der Fall sein. Da gestehe ich auch gern zu, dass es da auch zu Mehraufwand kommen kann. Ich hatte zu Anfang heute schon einmal den Zielkonflikt beschrieben zwischen der Frage der Gewährung der Freistellung auf der einen Seite, um Unternehmen zu erlauben, in anderen Staaten zu wettbewerbsfähigen Steuerbedingungen zu operieren, und auf der anderen Seite einem mittlerweile international breit anerkannten Ziel, nämlich der Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung. Da sehe ich nicht, wie man mit Blick auf diese Zielsetzung systematisch unterscheiden wollte oder es für richtig befände, dass einzelne Einkunftsteile unbesteuert bleiben sollen, während bei der Nichtbesteuerung beispielsweise aller Einkunftsteile einer Einkunftsart die Umstellung auf die Anrechnungsmethode der steuerpolitisch richtige Weg sein soll. Sie hören das öfter vonseiten der Finanzverwaltung: Die Einschränkungen der Freistellungsmethode sind der Preis für die Freistellungsmethode. Prof. Dr. Lüdicke Sie haben jetzt aber gesagt, das mag ja sein, dass das dann zu Mehraufwand führt. Aber das Problem ist, dass es auch zu mehr Steuern führt, je nachdem, wie die Konstellation ist. Nehmen wir das Beispiel von Herrn Holst mit der ausländischen Investitionszulage oder dem Investitionszuschuss. Wir haben in Deutschland einen Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent. Der ist weltweit einigermaßen niedrig. Wir haben in den meisten ausländischen Staaten einen höheren Körperschaftsteuersatz. Das heißt, wenn wir mal unterstellen, dass die Einkünfteermittlung

5 BMF v. 12.11.2008 – IV B 5 - S 1300/07/10080, BStBl. I 2008, 988.

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mehr oder weniger parallel läuft, im Ausland und im Inland, dann würden wir deutsche Steuern auf ausländische Betriebsstätteneinkünfte auch bei der Anrechnungsmethode nicht kassieren, mit oder ohne DBA. Deutsche Steuer würde deshalb nicht anfallen, weil die ausländische Steuer deutlich höher ist als die deutsche. Bei der Freistellungsmethode kassieren wir auch keine deutsche Steuer. Jetzt brechen wir einzelne freigestellte Einkünfte heraus, etwa den Investitionszuschuss, und der wird jetzt plötzlich in Deutschland steuerpflichtig. Was daran legislatorisch gerecht sein soll, hat sich mir noch nicht erschlossen. Dr. Holst Und ob das innerhalb der EU erlaubt ist, müsste auch noch diskutiert werden. Prof. Dr. Lüdicke Das ist eine weitere Frage, aber das ist meiner Ansicht nach das Grundproblem. Um meinen Punkt ganz klar zu machen: Das liegt daran, dass wir bei der Anrechnungsmethode eine Per-Country-Limitation haben, und bei der Freistellungsmethode machen wir jetzt eine Per-Item-Limitation. Das passt nicht zusammen. Und meiner Ansicht nach muss der Gesetzgeber sich da eine stimmige Lösung überlegen. Dass er die PerItem-Methode bei der Anrechnung möchte, kann ich mir nicht vorstellen, sie ist nicht empfehlenswert. Sie ist auch nicht verwaltbar. Wenn man also bei der Per-Country-Methode bleibt, dann meine ich, muss man, wenn man schon die Angst vor der doppelten Nichtbesteuerung hat, und die mag ja in Einzelfällen begründet sein, dann muss man meiner Ansicht nach eine zweite Ebene einziehen und sagen, es kommt aber nicht zur Erhebung einer deutschen Steuer, wenn es bei gedachter Anwendung der Anrechnungsmethode auf sämtliche Einkünfte aus dieser Betriebsstätte oder auf sämtliche Einkünfte aus diesem Arbeitsverhältnis ebenfalls nicht zu einer deutschen Steuererhebung käme wegen der PerCountry-Limitation. Das ist m.E. ganz dringend, aber in das laufende Gesetzgebungsverfahren leider nicht mehr einzuführen. Prof. Dr. Baumhoff Eigentlich haben wir ja schon eine Anti-Missbrauchsklausel im Zusammenhang mit freigestellten Betriebsstätteneinkünften, und zwar in Form des § 20 Abs. 2 AStG. Es gibt keinen Zweifel daran, dass diese Fälle, in denen die Betriebsstätte, wenn sie Kapitalgesellschaft wäre, mit ihren Ge-

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winnen eigentlich der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen würde, nicht hingenommen werden sollen. Das sind Fälle, die außerhalb der Kritik stehen. Diese Regelung reicht m.E. aus, um diese „Missbrauchsfälle“ steuerlich zu erfassen. Kreienbaum Herr Baumhoff, wenn ich das direkt sagen darf: Die Regelungen des AStG finden nur unter den engen, dort genannten Voraussetzungen Anwendung. Ich verstehe, dass das aus Ihrer Sicht ausreicht. Der Gesetzgeber hat sich aber aus den genannten Gründen anders entschieden. Prof. Dr. Lüdicke Aber der Gesetzgeber hat sich mit dem Problem der Zuviel-Besteuerung, wir können es auch schlicht Überbesteuerung nennen, durch das Herausbrechen einzelner freigestellter Einkünfte nicht auseinandergesetzt. Und gute Gesetzgebung würde das an sich tun. Dr. Holst Dies gilt umso mehr, als die Sachkenntnis des Gesetzgebers angesichts der Komplexität des Steuerrechts naturgemäß einer Unterstützung durch die Finanzverwaltung bedarf und diese doch sicherlich auch erhält. Kreienbaum Diese häufig wiederholte Bemerkung kommentiere ich nicht. Prof. Dr. Lüdicke Ach, früher waren Kollegen von Ihnen sogar schon mal stolz, wenn sie als Gehilfen des Gesetzgebers bezeichnet wurden.

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Country-by-Country Reporting Prof. Dr. Hubertus Baumhoff1 Wirtschaftsprüfer/Steuerberater Flick Gocke Schaumburg, Bonn

A. Ausgangspunkt: OECD/ G20-BEPS-Projekt . . . . . . . . . 97 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II. BEPS-Aktionspunkt 13 . . . . . 98 III. Grundlagen des Country-byCountry Reporting. . . . . . . . . 99 IV. Automatischer Informationsaustausch. . . . . . . . . . . . 100 B. Umsetzung in nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. BEPS-Umsetzungsgesetz . . . . II. Verrechnungspreisdokumentationsvorschriften in § 90 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . III. Anpassung der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aktuelle Entwicklungen . 2. Voraussichtliche Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritische Beurteilung . . . .

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IV. Country-by-Country Reporting in § 138a AO . . . . . . . . . 1. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . 2. Aufstellungspflichtige Unternehmen . . . . . . . . . . 3. Aufzeichnungsinhalt . . . . a) Einzubeziehende Steuerhoheitsgebiete und Konzerneinheiten . . . . . . . . b) Auszuweisende Positionen . . . . . . . . . . 4. Zeitpunkt der Abgabe und Sanktionsvorschriften . . .

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C. Veröffentlichung des Country-by-Country Reporting. . . 109 I. Vorschlag der EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Vereinbarkeit mit dem Steuergeheimnis – § 30 AO . 111 D. Kritische Würdigung. . . . . . . 112 E. Fazit und Ausblick . . . . . . . . 114

A. Ausgangspunkt: OECD/G20-BEPS-Projekt I. Überblick Mit dem BEPS-Aktionsplan2 hat die OECD 15 Maßnahmen zu den Ursachen und Auswirkungen von Gewinnverkürzung und -verlagerung

1 Der Autor dankt Christian Heider, M.Sc., Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg in Bonn, für seine wertvolle Unterstützung. 2 OECD, Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, Paris 2014.

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multinational tätiger Unternehmen vorgestellt. Zielsetzung des BEPSProjekts ist es, den Staaten Möglichkeiten einzuräumen, die Besteuerung stärker mit den unternehmerischen und wertschöpfenden Tätigkeiten zu verknüpfen und konkrete, international abgestimmte Gegenmaßnahmen zur Gewinnverkürzung und -verlagerung vorzunehmen.3 Die OECD hat Verrechnungspreisgestaltungen als ein wesentliches Instrumentarium für BEPS-Aktivitäten in multinationalen Unternehmen identifiziert. Eine Gegenmaßnahme ist in diesem Zusammenhang der in Aktionspunkt 13 vorgestellte standardisierte, dreiteilige Dokumentationsansatz für Verrechnungspreise. Dieser besteht aus einer landesspezifischen, unternehmensbezogenen Dokumentation („Local File“), einer Stammdokumentation („Master File“) und der länderbezogenen Berichterstattung („Country-by-Country Reporting“ – CbCR). Die derzeitige Umsetzung des CbCR in diverse nationale Steuerrechtsordnungen und der damit einhergehende automatische Informationsaustausch gibt Anlass zur Sorge, dass das Streitpotenzial zwischen den beteiligten Fisci zukünftig weiter zunehmen wird.

II. BEPS-Aktionspunkt 13 Der am 5. Oktober 2015 veröffentlichte finale Bericht der OECD zur Maßnahme 13 des BEPS-Aktionsplans (Verrechnungspreisdokumentation und CbCR) beinhaltet eine Neufassung des Kapitels V der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien (nachfolgend: OECD-VPRL).4 Durch die Neufassung soll insbesondere Transparenz in Bezug auf Verrechnungspreise im Konzernverbund geschaffen werden. Zudem soll – wie es heißt – die „bestehende Informationsasymmetrie zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung“ reduziert werden.5 Vor diesem Hintergrund hat die OECD drei Ziele der Verrechnungspreisdokumentation definiert:6 1. Es soll sichergestellt werden, dass sich die Steuerpflichtigen umfassend mit den Dokumentationsanforderungen auseinandersetzen, um

3 Vgl. OECD, Addressing Base Erosion and Profit Shifting, Paris 2013, 8. 4 Stand bislang: 1996. 5 Vgl. Bärsch/Engelen/Färber, DB 2016, 972 (973); Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (841); Groß, IStR 2016, 359. 6 Vgl. OECD, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13 – Final Report v. 5.10.2015 (nachfolgend: „OECD 2015“), 12.

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angemessene Verrechnungspreise für gruppeninterne Geschäftsbeziehungen festzusetzen. 2. Die Finanzbehörden sollen mit den notwendigen Informationen versorgt werden, um eine Risikoeinschätzung der Verrechnungspreisgestaltung („Transfer Pricing Risk Assessment“) durchführen zu können. 3. Die Finanzbehörden sollen mit Informationen versorgt werden, um eine vollständige Verrechnungspreisprüfung durchführen zu können. Das Nachreichen von Informationen im Rahmen der Betriebsprüfung soll dabei zulässig sein. Um die vorstehenden Ziele zu erreichen, empfiehlt die OECD einen standardisierten Verrechnungspreis-Dokumentationsansatz. Dessen Dreiteilung („Three-Tiered Approach“7) in „Local File“, „Master File“ und CbCR soll nach den Vorstellungen der OECD den Steuerpflichtigen dazu anhalten, eine einheitliche, konsistente und transparente Verrechnungspreispolitik und -dokumentation zu implementieren.8

III. Grundlagen des Country-by-Country Reporting Bei dem in Abschnitt C.3. des Kapitels V der OECD-VPRL vorgesehenen CbCR handelt es sich um einen neuen Bestandteil des OECD-Dokumentationsansatzes, der in dieser Form bislang unbekannt war.9 Die von der OECD ausgegebene Zielsetzung des CbCR ist es, Gewinnverkürzungen und -verlagerungen durch Verrechnungspreise zu identifizieren und infolgedessen Base Erosion and Profit Shifting zu vermeiden.10 Dabei soll den Finanzbehörden ein umfassender Überblick über die wirtschaftliche Tätigkeit des multinationalen Unternehmens in allen betroffenen Staaten gegeben werden.11 Das CbCR soll von multinationalen Unternehmen mit konsolidierten Umsatzerlösen von mehr als 750 Mio. Euro aufgestellt werden und u.a. Finanz- und Steuerinformationen enthalten. Nach Schätzungen der OECD entfällt die Erstellung eines CbCR für 85 bis 90 % der multinatio7 OECD, Executive Summaries, 2015, 37. 8 Vgl. OECD 2015, S. 14 Rz. 16. 9 Eine derartige Berichtspflicht bestand unabhängig von BEPS bislang nur für den Finanz- und Rohstoffsektor; vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2014, 127; Heber, IStR 2013, 522 (525 f.); Krauß, IStR 2014, 204 f. 10 OECD 2015, S. 16 Rz. 25. 11 OECD 2015, S. 16 Rz. 24.

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nalen Unternehmen. Die von der Aufstellungspflicht erfassten Unternehmen (also 10 bis 15 %) sollen nach Einschätzung der OECD allerdings weltweit 90 % der Umsätze generieren.12 Bei rund 6.000 Fällen soll es sich nach einer entsprechenden EU-Analyse13 weltweit um aufstellungspflichtige Unternehmen handeln, von denen knapp 2.000 in der EU angesiedelt sind. Zentrale Herausforderung bei der Implementierung des CbCR ist es, die Aussagekraft und Vergleichbarkeit der offenzulegenden Informationen zu gewährleisten, damit Fehlinterpretationen vermieden werden können. Dies setzt klare und leicht verständliche Definitionen der Berichtskategorien voraus, was der OECD m.E. nur bedingt gelungen ist.

IV. Automatischer Informationsaustausch Die Konzernobergesellschaft soll die CbCR-Daten elektronisch nach einem amtlich vorgeschriebenen Datensatz an die zuständige Finanzverwaltung übermitteln. Im Anschluss daran sollen die Daten im Rahmen des automatischen Informationsaustauschs zwischen dem Ansässigkeitsstaat der obersten Konzerngesellschaft und den anderen Staaten, in denen der Konzern eine Geschäftstätigkeit durch eine Tochtergesellschaft oder Betriebsstätte ausübt, ausgetauscht werden. Ein automatischer Informationsaustausch soll dabei allerdings nur erfolgen, sofern er auf einer vertraglichen Grundlage basiert. Entsprechende Rechtsgrundlagen hierfür können die „Mehrseitige Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte“ (CbC-MCAA), die Deutschland am 27.1.2016 unterzeichnet hat,14 sowie die angepasste EU-Amtshilferichtlinie (EUAHiRL) sein. Darüber hinaus ist ein bilateraler Austausch des CbCR über Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch (Tax Information Exchange Agreement – TIEA) sowie Verwaltungsabkommen denkbar, soweit eine entsprechende Regelung für den CbCR-Informationsaustausch aufgenommen wird.

12 OECD 2015, S. 21 Rz. 53. 13 SWD(2016) 117 final. 14 Derzeit haben 57 Staaten das CbC-MCAA unterschrieben (Stand: 26.1.2017).

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B. Umsetzung in nationales Recht I. BEPS-Umsetzungsgesetz Aus dem im Juni 2016 erschienenen Referentenentwurf des BMF zum BEPS-Umsetzungsgesetz ist ein entsprechender Regierungsentwurf entwickelt worden. Dieser ist i.R.d. Gesetzgebungsverfahrens mit einigen wenigen Anpassungen vom Bundeskabinett beschlossen und am 5.9.2016 dem Bundespräsidenten zugeleitet worden, um die Beschlussfassung des Bundestags herbeizuführen. Nachdem Stellungnahmen seitens des Bundesrats und der Bundesregierung erfolgten, beschloss der Bundestag am 1.12.2016 das BEPS-Umsetzungsgesetz. Die Zustimmung des Bundesrats erfolgte schließlich am 16.12.2016, sodass das Gesetz „zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen“ (kurz: „BEPS-Umsetzungsgesetz“) am 23.12.2016 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden konnte.15 In Bezug auf Aktionspunkt 13 beinhaltet es die Umsetzung sowohl des „Local Files“ als auch des „Master Files“ in § 90 Abs. 3 AO sowie die Vorschrift zur Erstellung und Übermittlung des CbCR in § 138a AO. Entsprechend der Gesetzesbegründung besteht das Hauptanliegen darin, Informationsasymmetrien abzubauen, indem die Transparenz über die betroffenen Steuerpflichtigen erhöht wird.16

II. Verrechnungspreisdokumentationsvorschriften in § 90 Abs. 3 AO Im Rahmen des „Local Files“ hat der Steuerpflichtige seine grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen sowie anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen mit Betriebsstätten zu dokumentieren. Der Gesetzgeber stellt mit dem BEPS-Umsetzungsgesetz nunmehr eindeutig klar, dass sich das „Local File“ – wie bereits auch zuvor verstanden – aus einer Sachverhalts- und einer Angemessenheitsdokumentation zusammensetzt.17 Die Sachverhaltsdokumentation umfasst die Darstellung der Geschäftsvorfälle, d.h. insbesondere Informationen zu den Beteiligungsverhältnissen, eine Funktions- und Risikoanalyse, eine Analyse der Marktverhältnisse sowie die Beschreibung der Wertschöpfungskette. Die Angemessenheitsdokumentation beinhaltet 15 BEPS-Umsetzungsgesetz v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 16 BT-Drucks. 18/9536, 2; Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (841). 17 Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 789 (792).

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eine Analyse der Verrechnungspreise, in der insbesondere die Darstellung und Begründung der Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode, Unterlagen über die Berechnung der konkreten Verrechnungspreise, eine Aufbereitung der zum Vergleich herangezogenen Preise bzw. Finanzdaten sowie Unterlagen über etwaige Anpassungsrechnungen aufzunehmen sind.18 Das „Local File“ entspricht mit der Untergliederung in Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation grundsätzlich den bisherigen Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO. Eine wesentliche Neuerung der Dokumentationspflichten stellt das „Master File“ dar, das „große“ Konzerne künftig aufzustellen haben. Dabei knüpft die Pflicht zur Erstellung des „Master Files“ zunächst an die Frage an, ob ein „Local File“ zu erstellen ist. Zu den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO zählen zudem gewerbliche Einkünfte i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG, mindestens eine Geschäftsbeziehung nach § 1 Abs. 4 AStG sowie erwirtschaftete Umsatzerlöse im vorangegangenen Wirtschaftsjahr von mind. 100 Mio. Euro. Die Zielsetzung des „Master Files“ ist es, den Finanzbehörden einen „groben“ Gesamtüberblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit und Systematik der Verrechnungspreisbestimmung zu liefern („Blueprint“)19. Angaben, die im „Master File“ u.a. Berücksichtigung finden sollen, sind –

eine grafische Darstellung des Organisationsaufbaus,



eine kurzgefasste Darstellung der Geschäftstätigkeit,



eine Gesamtstrategie für die Nutzung immaterieller WG in der Wertschöpfungskette sowie



eine allgemeine Beschreibung der konzerninternen Finanzierung.20

Um eine einheitliche Rechtsanwendung der Dokumentationsvorschriften sicherzustellen, sieht § 90 Abs. 3 Satz 11 AO eine Ermächtigungsgrundlage vor, die es dem BMF ermöglichen soll, durch Rechtsverordnung „Art, Inhalt und Umfang“ der zu erstellenden Aufzeichnungen zu bestimmen. In diesem Zusammenhang wird in der Gesetzesbegründung eine Anpassung der GAufzV im Anschluss an das Gesetzgebungsverfahren angekündigt.21

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BT-Drucks. 18/9536, 34 f. Nientimp/Stein/Schwarz, Ubg 2016, 399. BT-Drucks. 18/9536, 35. BT-Drucks. 18/9536, 33.

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Die neuen Dokumentationsvorschriften des § 90 Abs. 3 AO sind erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 beginnen (§ 22 Abs. 1 EGAO). Die Vorlage der Dokumentation kann die Finanzbehörde – wie auch bisher – nur im Rahmen einer Außenprüfung anfordern.22

III. Anpassung der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung 1. Aktuelle Entwicklungen Nachdem das BEPS-Umsetzungsgesetz nunmehr endgültig in Kraft getreten ist, hat der deutsche Gesetzgeber die Anpassung der GAufzV inzwischen ebenfalls vorangetrieben. In einem jüngst erschienenen Diskussionsentwurf des BMF zur GAufzV wird die Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO weiter konkretisiert. Der vorläufige Diskussionsentwurf erhält seine Rechtfertigung sowohl aus den Ergänzungen zu § 90 Abs. 3 AO im Bereich der Verrechnungspreisdokumentation als auch durch die Vorgaben des neuen Kapitels V der OECD-VPRL.

2. Voraussichtliche Anpassungen Änderungen ergeben sich in Bezug auf den Diskussionsentwurf sowohl für das „Local File“ als auch für das „Master File“. Im Rahmen des „Local Files“ fallen einige redaktionelle Anpassungen an, die jedoch lediglich klarstellenden Charakter besitzen. Daneben sollen sich die vom Steuerpflichtigen zu erstellenden Aufzeichnungen gem. § 1 Abs. 1 GAufzV-E künftig auch auf die für die Verrechnungspreisbestimmung wirtschaftlich bedeutsamen Umstände eines Geschäftsvorfalls beziehen. Diejenigen Umstände, die nicht zivilrechtlicher Natur sind, sollen dabei ebenfalls dokumentarisch erfasst werden. Insofern liegt in der Formulierung des Diskussionsentwurfs eine Betonung der Relevanz von sämtlichen wirtschaftlichen Umständen für die Verrechnungspreisbestimmung. Eine Differenzierung zwischen Sachverhaltsdokumentation (§ 1 Abs. 2 GAufzV-E) und Angemessenheitsdokumentation (§ 1 Abs. 3 GAufzV-E) findet i.R.d. Verrechnungspreisdokumentation – wie bisher auch – unverändert statt. Es wird aber verdeutlicht, dass die im Rahmen einer Funktions- und Risikoanalyse vorgenommene Gewichtung und Vertei22 Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 789 (795); Schreiber, DB 2016, 1456 (1459).

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lung von Funktionen und Risiken künftig darzustellen und quantitativ nachvollziehbar zu erläutern sind.23 In § 4 GAufzV-E wird der Begriff der landesspezifischen, unternehmensbezogenen Dokumentation eingeführt. Vorbehaltlich der Erleichterungen des § 6 GAufzV-E ist das „Local File“ von allen Steuerpflichtigen zu erstellen. Folgende Punkte werden künftig zusätzlich zum bisher bestehenden Dokumentationskatalog nach § 4 GAufzV gefordert: –

Die Beschreibung der Managementstruktur sowie auch der Organisationsstruktur (Unternehmensorganigramm) des inländischen Steuerpflichtigen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 lit. d GAufzV-E),



die Benennung der Personen, welche die für die Geschäftsbeziehungen maßgeblichen Entscheidungen tatsächlich treffen und damit die Entscheidungskompetenz innehaben (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV-E), sowie



der Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung und die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren und zur Preisbestimmung verwendeten bedeutsamen Informationen (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a und b GAufzV-E).

In § 4 Abs. 2 GAufzV-E werden im Wesentlichen die Regelungen bzgl. der Umlageverträge aus § 5 GAufzV übernommen. Neu ist allerdings die Anforderung an den Steuerpflichtigen, bei der Verwendung von Datenbanken detaillierte Informationen zur Suchstrategie, zu den Suchkriterien sowie zum Selektionsprozess offenzulegen, damit die Finanzverwaltung den Suchprozess selbst nachvollziehen kann (§ 4 Abs. 3 GAufzV-E).24 In diesem Zusammenhang soll der Steuerpflichtige ebenso dazu verpflichtet werden, der Finanzverwaltung einen Datenzugriff auf die von ihm genutzte Datenbank zu ermöglichen, um bei Bedarf eigene Recherchen durchführen zu können (§ 4 Abs. 3 Satz 4 GAufzV-E). § 5 GAufzV-E führt das „Master File“ ein, das Steuerpflichtige zu erstellen haben, sofern ihr Umsatz im vorangegangenen Wirtschaftsjahr nicht weniger als 100 Mio. Euro betragen hat (vgl. § 90 Abs. 3 Satz 3 AO). Die detaillierten Anforderungen an den Inhalt des „Master Files“ sind in einer separaten Anlage zu § 5 GAufzV-E beigefügt. Entgegen den Vorstellungen der OECD, die Stammdokumentation in einer weit verbreiteten Sprache zu verfassen,25 soll die Erstellung grundsätzlich in deutscher 23 Diskussionsentwurf zur GAufzV, 14. 24 Diskussionsentwurf zur GAufzV, 18. 25 OECD 2015, 18 Rz. 39.

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Sprache erfolgen. Nur auf gesonderten Antrag des Steuerpflichtigen ist die Vorlage des „Master Files“ in einer anderen Sprache (z.B. Englisch) möglich (§ 5 Abs. 1 Satz 4 GAufzV-E). Die Schwellenwerte für die Befreiung zur Erstellung einer schriftlichen Verrechnungspreisdokumentation erfahren einen Anstieg um 20 Prozentpunkte. Demnach sind gem. § 6 Abs. 2 GAufzV-E diejenigen Steuerpflichtigen von einer Erstellungspflicht befreit, die weder Lieferentgelte i.H.v. 6 Mio. Euro noch Leistungsentgelte i.H.v. 600.000 Euro im laufenden Geschäftsjahr realisiert haben.

3. Kritische Beurteilung Insgesamt kommt es durch die vorstehenden Ausführungen aufgrund des GAufzV-Diskussionsentwurfs – sollte er in dieser Form tatsächlich umgesetzt werden – zu deutlich schärferen Dokumentationsanforderungen für den Steuerpflichtigen. Vor allem die Bestimmungen zur Darstellung von Informationen zu den Entscheidungskompetenzen sowie dem Preissetzungsprozess werden den Dokumentationsaufwand für den Steuerpflichtigen in der Praxis erhöhen. Aufgrund der Tatsache, dass der „Price Setting Approach“ und damit eine ex-ante-Betrachtung gewählt wurde, bleibt abzuwarten, ob diese Entscheidung auf internationaler Ebene für zusätzliche Konflikte sorgen wird. Denn ausländische Fisci wählen nicht ausschließlich den „Price Setting Approach“, sondern gestatten auch wahlweise den „Outcome Testing Approach“.26 Die Wahl unterschiedlicher Zeitpunkte zur Verrechnungspreisbestimmung könnte in diesem Zusammenhang jedoch zu weiteren Doppelbesteuerungsfällen führen, die wiederum durch zeitaufwändige Streitschlichtungsverfahren geklärt werden müssen. Eine einheitliche Lösung wäre in dieser Hinsicht wünschenswert. Darüber hinaus erfolgt bedauerlicherweise keine nähere Erläuterung zu dem unbestimmten Begriff der „außergewöhnlichen Geschäftsvorfälle“ (§ 3 Abs. 2 GAufzV-E). Mithin bleibt es bei der allgemeinen Definition und den damit verbundenen Beispielen, die in der Vorschrift aufgeführt werden. Zusätzlicher Dokumentationsaufwand ergibt sich durch die elektronische Darlegung der Informationen zu den Datenbankstudien. 26 Während der Fremdvergleich beim „Price Setting Approach“ im Zeitpunkt der Verrechnungspreisfestsetzung und anhand der bis dato verfügbaren Informationen geführt wird, erfolgt er beim „Outcome Testing Approach“ ex-post auf Basis des tatsächlichen Ergebnisses der konzerninternen Transaktionen.

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Hier bleibt abzuwarten, inwiefern die Ermöglichung eines Datenbankzugangs durch den Steuerpflichtigen zugunsten der Finanzverwaltung für weiteren Diskussionsstoff sorgen wird. Eine zeitnahe Umsetzung des BMF-Diskussionsentwurfs wird insbesondere aufgrund der vorgesehenen Rechtsgültigkeit der Verrechnungspreisbestimmungen aus § 90 Abs. 3 AO ab dem Veranlagungszeitraum 2017 erwartet.

IV. Country-by-Country Reporting in § 138a AO 1. Zielsetzung Entsprechend der Gesetzesbegründung ist das ausdrückliche Ziel des CbCR, der Finanzverwaltung eine erste Einschätzung steuerlicher Verrechnungspreisrisiken und anderer steuerlicher Risiken hinsichtlich Gewinnverlagerungen und -verkürzungen zu ermöglichen. Die Informationen des CbCR sollen dabei nicht dazu geeignet sein, die (Un)Angemessenheit von Verrechnungspreisen zu belegen, und sie sollen darüber hinaus auch nicht für eine globale, formelhafte Gewinnaufteilung verwendet werden.27

2. Aufstellungspflichtige Unternehmen Grundsätzlich ist das CbCR nach § 138a Abs. 1 AO von der inländischen Konzernobergesellschaft („Ultimate Parent Entity“)28 zu erstellen, sofern –

der Konzernabschluss mindestens ein Unternehmen mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland oder mindestens eine ausländische Betriebsstätte umfasst und



die konsolidierten Umsatzerlöse im vorangegangenen Wirtschaftsjahr mind. 750 Mio. Euro betragen haben.

Es besteht nach § 138a Abs. 3 AO zudem die Möglichkeit, dass ausländische Konzernobergesellschaften inländische Konzerngesellschaften mit der Abgabe und Übermittlung des CbCR beauftragen (sog. beauftragte Gesellschaft bzw. „Surrogate Parent Entity“)29. 27 BT-Drucks. 18/9536, 37; s. auch Rasch/Tomson, IWB 2016, 483 (488). 28 Bärsch/Engelen/Färber, DB 2016, 972 (976). 29 Grotherr, IStR 2016, 991 (993); Nientimp/Stein/Schwarz, Ubg 2016, 399 (401).

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Jede inländische Konzerngesellschaft oder Betriebsstätte ist sekundär gem. § 138a Abs. 4 Satz 1 AO ebenso zur fristgerechten Übermittlung des CbCR verpflichtet, sofern das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) keinen Report von der ausländischen Konzernobergesellschaft erhalten hat. Diese Berichtspflicht entfällt, sobald ein CbCR an das BZSt übermittelt worden ist.

3. Aufzeichnungsinhalt a) Einzubeziehende Steuerhoheitsgebiete und Konzerneinheiten Es sind alle Steuerhoheitsgebiete („Tax Jurisdictions“) zu erfassen, in denen Konzernunternehmen und Betriebsstätten ansässig bzw. belegen sind. Es sind jedoch nur diejenigen Unternehmen und Betriebsstätten im CbC-Reporting auszuweisen, die in den Konzernabschluss im Wege der Voll- oder Quotenkonsolidierung einbezogen werden. Konzernunternehmen, die z.B. aus Wesentlichkeitsgründen nicht in den Konzernabschluss einbezogen werden (§ 296 Abs. 2 HGB), werden auch nicht für das CbCR erfasst.30 Die anzugebenden Finanzinformationen sind aggregiert für ein gesamtes Steuerhoheitsgebiet auszuweisen.31 Die OECD empfiehlt, dass Betriebsstätten nach ihrer Belegenheit in dem CbCR zu erfassen sind. Finanz- und Steuerpositionen einer transparent besteuerten Personengesellschaft werden den entsprechenden Betriebsstätten der Personengesellschaft zugeordnet. Hat eine transparent besteuerte Personengesellschaft keine Betriebsstätte, sind die Angaben in einer gesonderten Zeile des CbCR auszuweisen.32

b) Auszuweisende Positionen In Tabelle 1 sind gem. § 138a Abs. 2 Nr. 1 AO folgende aggregierte Positionen auszuweisen: –

Umsatzerlöse und sonstige Erträge, sowohl aus Geschäftsvorfällen mit nahestehenden Unternehmen als auch mit fremden Unternehmen, und ihre jeweilige Summe,



die im Wirtschaftsjahr gezahlten Ertragsteuern,



die im Wirtschaftsjahr für dieses Wirtschaftsjahr gezahlten und zurückgestellten Ertragsteuern,

30 Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (844). 31 BT-Drucks. 18/9536, 38; s. auch Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (844). 32 Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (844 ff.).

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das Jahresergebnis vor Ertragsteuern,



das Eigenkapital,



der einbehaltene Gewinn,



die Zahl der Beschäftigten sowie



die materiellen Vermögenswerte.

Tabelle 2 des länderbezogenen Berichts besteht gem. § 138a Abs. 2 Nr. 2 AO aus einer nach Steuerhoheitsgebieten gegliederten Auflistung aller Unternehmen und Betriebsstätten, unter Angabe von deren wichtigsten Geschäftstätigkeiten. Eine nähere Erläuterung, was konkret unter den „wichtigsten Geschäftstätigkeiten“ zu verstehen ist und ob sich diese mit quantitativen Maßstäben bemessen lassen, wird darüber hinaus jedoch nicht gegeben.33 Stattdessen werden in diesem Zusammenhang in der Gesetzesbegründung u.a. die Geschäftsfelder Forschung und Entwicklung, Besitz oder Verwaltung von geistigem Eigentum, Einkauf oder Beschaffung, Verarbeitung oder Produktion sowie Verkauf, Marketing oder Vertrieb aufgeführt.34 Der länderbezogene Bericht enthält einen dritten Berichtsteil, in dem ergänzende Angaben gemacht werden können, die nach Ansicht der Muttergesellschaft zum Verständnis der geschilderten Informationen erforderlich sind. Die Informationen aus diesem Teil sollen dazu beitragen, Rückfragen von ausländischen Steuerbehörden bei bestehenden Auslegungsdifferenzen zu vermeiden.

4. Zeitpunkt der Abgabe und Sanktionsvorschriften Grundsätzlich ist das CbCR erstmalig für Wirtschaftsjahre nach dem 31.12.2015 zu erstellen (§ 31 Satz 1 EGAO). Die Übermittlung des CbCR durch primär mitteilungspflichtige Unternehmen an das BZSt hat spätestens ein Jahr nach Ablauf des entsprechenden Wirtschaftsjahres zu erfolgen (§ 138a Abs. 6 Satz 1 AO). Entspricht das Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr, so ist das erste CbCR spätestens am 31.12.2017 einzureichen.35 Aufgrund der gesetzlichen Verankerung in § 138a AO wird das CbCR dem Sanktionsrahmen des § 162 AO entzogen. Damit finden die Sankti33 Grotherr, IStR 2016, 991 (1002 f.); Nientimp/Stein/Schwarz, Ubg 2016, 399 (402). 34 BT-Drucks. 18/9536, 38 f.; Grotherr, IStR 2016, 991 (1003). 35 Bärsch/Engelen/Färber, DB 2016, 972 (976); Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (848).

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onsvorschriften des § 162 Abs. 3 f. AO, also insbesondere die Beweislastumkehr sowie die Schätzung von Bemessungsgrundlagen, auf das CbCR keine Anwendung. Mit der Einordnung in § 138a AO besitzt das CbCR nur informierenden Charakter und wird daher unter die Anzeigepflichten subsumiert.36 Die Sanktionierung einer Verletzung der neuen Mitteilungspflichten wird in den Bußgeldvorschriften durch Einfügung eines neuen § 379 Abs. 2 Nr. 1c AO geregelt. Kommt ein Steuerpflichtiger seiner Mitteilungspflicht demnach nicht nach, handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die bei Vorsatz mit einer Geldbuße von bis zu 10.000 Euro geahndet wird; bei Leichtfertigkeit ist eine Sanktionierung mit höchstens 5.000 Euro vorgesehen (vgl. § 379 Abs. 4 AO, § 377 Abs. 2 AO i.V.m. § 17 Abs. 2 OWiG). Länderbezogene Berichte, die zwar vollständig, aber fehlerhaft sind, werden dem Wortlaut nach von § 379 Abs. 2 Nr. 1c AO nicht erfasst.37 Trotz des Umstands, dass das CbCR dem Sanktionsrahmen des § 162 Abs. 3 f. AO entzogen worden ist – was aus Sicht der Steuerpflichtigen durchaus zu begrüßen ist –, handelt es sich bei den vorstehenden Geldbußen um verhältnismäßig bescheidene Strafen,38 die dem Charakter einer symbolischen Strafe entsprechen und im Gegensatz zu anderen Staaten vergleichsweise gering sind.39

C. Veröffentlichung des Country-by-Country Reporting I. Vorschlag der EU-Kommission Die EU-Kommission hat am 12.4.2016 einen Vorschlag zur Änderung der EU-Bilanzrichtlinie (2013/34/EU) vorgelegt, wonach wesentliche Bestandteile des CbCR in der EU auf der Internetpräsenz multinationaler Unternehmen für fünf Jahre zu veröffentlichen sind.40 Besorgniserregend ist dabei vor allem die Argumentation der EU-Kommission für eine solche Veröffentlichung. Diese regt explizit eine „öffentliche Kontrolle“ – insbesondere der Ertragsteuerbelastung – multinationaler Unternehmen durch die Öffentlichkeit an. Hierdurch soll angeblich das Vertrauen 36 Nientimp/Stein/Schwarz, Ubg 2016, 399 (403); Schreiber, DB 2016, 1456 (1459). 37 Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (849). 38 Rasch/Tomson, IWB 2016, 483 (490). 39 Im Gegensatz zu Deutschland verhängt Österreich diesbezüglich bspw. eine Geldstrafe i.H.v. max. 50.000 Euro; die Schweiz dagegen ahndet Verstöße bis zu einer Höhe von 250.000 CHF (rund 230.000 Euro); vgl. dazu Grotherr, IStR 2016, 991 (1005). 40 EU-Kommission v. 12.4.2016, COM(2016) 198 final.

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der Öffentlichkeit in die Unternehmensbesteuerung wiedergewonnen werden.41 Die Art der Umsetzung des Vorschlags durch die EU-Kommission ist politisch brisant. Denn die EU-Amtshilferichtlinie, auf deren Basis das CbCR in der Europäischen Union zwischen den Finanzbehörden ausgetauscht werden soll, kann nur durch einen einstimmigen Beschluss des Ministerrates geändert werden. Die EU-Bilanzrichtlinie, auf deren Basis nun die Veröffentlichung des CbCR geplant ist, kann hingegen mit qualifizierter Mehrheit durch den Ministerrat geändert werden. Ein „Veto“ durch die Bundesregierung gegen diese Veröffentlichungsinitiative würde somit ins Leere laufen, falls sich nicht weitere Mitgliedstaaten ebenfalls gegen die Veröffentlichung aussprechen. Allerdings ist der juristische Dienst des Rates zu dem Schluss gekommen, dass die Änderung der EU-Bilanzrichtlinie nur einstimmig beschlossen werden kann. Bundesfinanzminister Schäuble hat damit einen wichtigen „Etappensieg“ errungen. Es ist jedoch noch unklar, ob sich die EU-Kommission dem Votum des juristischen Dienstes anschließen wird. Auch die Bundesregierung hat derzeit Schwierigkeiten, sich in dieser Frage eindeutig zu positionieren. Das federführende Justiz- und das Wirtschaftsministerium sprechen sich für, das Bundeskanzleramt und das BMF gegen eine Veröffentlichung aus. Das Bekenntnis der Bundesregierung, dass der Austausch des CbCR ausschließlich mit den betroffenen Finanzverwaltungen zu erfolgen hat, ist vor diesem Hintergrund positiv zu würdigen.42 Der Vorschlag der EU-Kommission zur Veröffentlichung länderbezogener Berichte auf der Homepage der multinationalen Unternehmen ist strikt abzulehnen. Denn durch die Veröffentlichung des CbCR können den betroffenen Unternehmen Nachteile gegenüber Wettbewerbern erwachsen, die von der Veröffentlichungspflicht nicht betroffen sind.43 Außerdem können durch die Offenlegung diverser Kennzahlen Reputationsschäden für das betroffene Unternehmen ausgelöst werden. Darüber hinaus sollten Finanzverwaltungen bei der Prüfung von Verrechnungspreisen nicht von einer „öffentlichen Überprüfung“ getrieben werden können. Der Al-

41 EU-Kommission v. 12.4.2016, COM(2016) 198 final, 2, 9 und 11. 42 BT-Drucks. 18/9536, 42 f.; s. auch Sommer/Retzer, ISR 2016, 283 (288). 43 Hendricks in Oestreicher, Base Erosion und Profit Shifting, Herne 2015, 124.

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leingang der EU-Kommission steht im Übrigen auch nicht im Einklang mit dem erzielten Konsens des BEPS-Projekts.44

II. Vereinbarkeit mit dem Steuergeheimnis – § 30 AO Grundsätzlich haben die Finanzbehörden – auch nach Auffassung der OECD45 – sicherzustellen, dass keine vertraulichen Informationen aus dem „Local File“, dem „Master File“ und dem CbCR an die Öffentlichkeit gelangen.46 In diesem Zusammenhang ist allerdings fraglich, ob das CbCR überhaupt im Einklang mit dem Steuergeheimnis gem. § 30 AO steht. Dazu muss sichergestellt werden, dass ausschließlich die involvierten Finanzbehörden Zugang zu den Informationen erhalten. Denn ein grenzüberschreitender Datenaustausch ist grundsätzlich nur zulässig, sofern die Informationen zur Durchführung eines Abkommens oder Anwendung des innerstaatlichen Rechts „erforderlich“ und „voraussichtlich erheblich“ sind.47 Allerdings ist gem. § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO eine Offenbarung der erlangten Kenntnisse zulässig, soweit sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen wird. Insofern steht die geplante Pflicht zur Erstellung und Übermittlung des CbCR an das BZSt durch § 138a AO wohl im Einklang mit dem Steuergeheimnis. Der Empfängerstaat des CbCR hat ebenso gesetzliche Regelungen zu implementieren, um eine Sicherung der übermittelten Daten zu gewährleisten. Dazu gehören auch Maßnahmen, den Zugriff innerhalb der zuständigen Behörde zu begrenzen und die Personen sorgfältig auszuwählen, denen die Auswertung der Daten gestattet wird. Des Weiteren ist eine gesetzliche Grundlage für die Sanktionierung und Bestrafung des Verstoßes gegen das Steuergeheimnis zu schaffen. Dies setzt voraus, dass bspw. durch Softwareprogramme unautorisierte Veröffentlichungen von Informationen, die dem Steuergeheimnis unterliegen, zurückverfolgt werden können.

44 Benz/Böhmer, DB 2016, 2501 (2505 f.); Sommer/Retzer, ISR 2016, 283 (288). 45 In diesem Zusammenhang verweist die OECD auf ihr Handbuch „Keeping It Safe“, vgl. OECD 2015, 19 f. Rz. 45; s. auch Pinkernell, FR 2014, 964 (969 f.). 46 Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (850). 47 FG Köln v. 7.9.2015 – 2 V 1375/15, IStR 2015, 835 Rz. 77 ff.

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D. Kritische Würdigung Die Aussagekraft des CbCR ist fraglich und lässt nur bedingt Rückschlüsse auf mögliche Gewinnverlagerungen aufgrund unangemessener Verrechnungspreise zu. Denn der qualitative Ansatz des Fremdvergleichsgrundsatzes und die quantitative Betrachtung des CbCR sind nicht kompatibel. Dies wird z.B. dadurch offensichtlich, dass das CbCR immaterielle Vermögenswerte ausblendet und darüber hinaus auch keine Unterscheidung zwischen wesentlichen Personal- und Risikofunktionen vornimmt.48 Die Zielsetzung des CbCR, den Finanzbehörden eine risikoorientierte Verrechnungspreisprüfung zu ermöglichen, wäre nur dann erreicht, wenn es die Wertschöpfungsbeiträge der Konzerneinheiten eindeutig wiedergeben würde. Dies ist aufgrund der gewährten Informationen allerdings nicht möglich.49 Werden bspw. eine F&E-Gesellschaft, Vertriebsgesellschaft und mehrere Produktionsgesellschaften aggregiert erfasst, schränkt dies die Aussagekraft der Zahlen erheblich ein. Des Weiteren besteht aufgrund der vorliegenden Inkonsistenzen das Risiko, dass die Finanzbehörden der betroffenen Staaten die Informationen jeweils einseitig zu ihren Gunsten interpretieren bzw. auswerten.50 Denn die i.R.d. internationalen Unternehmensbesteuerung vermeintlich „benachteiligten Staaten“ erhalten bislang nicht zugängliches Zahlenmaterial, um dann ggf. eigenmächtige Einkünftekorrekturen zu ihren Gunsten durchführen zu können.51 Somit läuft der deutsche Gesetzgeber, der als großer Unterstützer des BEPS-Projekts und dessen innerstaatlicher Umsetzung auftritt, Gefahr, dass sich das CbCR für ihn zu einem „Trojanischen Pferd“ entwickelt. Es ist daher mit einer Zunahme von Einkünftekorrekturen ausländischer Staaten und daraus resultierenden Doppelbesteuerungen für die Unternehmen zu rechnen. In diesem Zusammenhang wird es als logische Konsequenz dann auch zu einer Zunahme von Verständigungs- und Schiedsverfahren kommen.52 Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle in das BEPS-Projekt involvierten Staaten der Vereinbarung einer abkommensrechtlichen Schiedsklausel 48 Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (849 f.); Pinkernell, FR 2014, 964 (971). 49 Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (850). 50 Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (850); Rasch/Tomson, IWB 2016, 483 (490). 51 Pinkernell, FR 2014, 964 (970). 52 Bittner/Dawid/Hoffmann, IWB 2014, 218 (222); Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (850); Hendricks in Oestreicher, Base Erosion und Profit Shifting, Herne 2015, 111.

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zugestimmt haben und viele Doppelbesteuerungsabkommen entsprechende Schiedsklauseln nicht enthalten, sondern allenfalls die Möglichkeit der Einleitung von Verständigungsverfahren vorsehen. Ferner betonen die OECD und das BMF in diesem Kontext, dass eine mögliche „geografische Divergenz“ zwischen Gewinnzuordnung und den erfassten Indikatoren wirtschaftlicher Aktivität keinen Rückschluss auf unangemessene Verrechnungspreisgestaltungen zulässt.53 Somit kann das CbCR keine detaillierte Prüfung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen einzelner Transaktionen ersetzen. Vielmehr sind auch zukünftig eine vollständige Funktions- und Risikoanalyse sowie eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen. Jedoch zeigt die Betriebsprüfungspraxis bei Verrechnungspreisfällen bereits heute (z.B. in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Indien), dass „ergebnisorientiert“ geprüft wird.54 Durch Austausch des CbCR erhält diese ergebnisorientierte Prüfung eine noch breitere Grundlage. Zudem besteht in diesem Zusammenhang das große Risiko, dass einzelne Staaten eine formelhafte Aufteilung der Konzerngewinne vornehmen55 oder die CbCR-Daten sogar zu einem Fundament für eine Unitary-Taxation werden. Hierin besteht m.E. die größte Gefahr des CbCR. Beklagenswert ist in diesem Zusammenhang die Regelung des § 117c Abs. 4 Satz 2 AO. Diese bestimmt, dass bei dem Austausch des CbCR durch das BZSt mit ausländischen Steuerbehörden keine Anhörung der inländischen Beteiligten stattfindet. Insofern wird von dem Grundsatz in § 117 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 91 Abs. 1 AO, dass bei der Durchführung zwischenstaatlicher Rechts- und Amtshilfe eine Anhörung des inländischen Beteiligten stattzufinden hat, Abstand genommen. In diesem Zusammenhang scheint unklar, wie der Steuerpflichtige Bedenken gegen einen Austausch – z.B. bei Fehlgebrauch der Informationen für pauschale Einkünftekorrekturen oder bei Verstößen gegen das Steuergeheimnis durch die beteiligten Fisci – in der Praxis hervorbringen kann.56 Denn in der Begründung zu § 138a Abs. 7 Satz 2 AO wurde ein Verzicht auf den Informationsaustausch in solchen Fällen in Aussicht gestellt, um zunächst die Bedenken des Steuerpflichtigen vonseiten des BZSt auszuräumen bzw. Fragen mit dem anderen Staat zu erörtern.

53 54 55 56

BT-Drucks. 18/9536, 37; OECD 2015, 16; Pinkernell, FR 2014, 964 (971). Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 840 (850). Bittner/Dawid/Hoffmann, IWB 2014, 218 (222). Schreiber, DB 2016, 1456 (1460 f.).

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E. Fazit und Ausblick –

Die i.R.d. CbCR gesteigerte Transparenz multinationaler Unternehmen wird, bedingt durch den automatischen Informationsaustausch, international zu einem intensiveren Ringen um Steuersubstrat führen. Damit einhergehend ist mit einer Zunahme von Doppelbesteuerungen aufgrund von Verrechnungspreiskorrekturen zu rechnen, die nur über langwierige und aufwendige Verständigungs- und Schiedsverfahren beseitigt werden können.



Der deutsche Gesetzgeber als großer Unterstützer des BEPS-Projekts läuft Gefahr, dass sich das CbCR für ihn zu einem „Trojanischen Pferd“ entwickelt, wenn andere Staaten künftig CbCR-basierte Einkünftekorrekturen durchführen, die nicht im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz stehen und dann letztlich – bei entsprechenden Gegenkorrekturen – deutsches Steuersubstrat schmälern.



Der Vorschlag der EU-Kommission zur Veröffentlichung der länderbezogenen Berichte auf der Homepage multinationaler Unternehmen ist strikt abzulehnen. Es bleibt zu hoffen, dass ein öffentliches CbC-Reporting künftig nicht stattfinden wird.

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Country-by-Country Reporting Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Bonn

MinDirig Martin Kreienbaum Leiter der Unterabteilung Internationales Steuerrecht, Bundesministerium der Finanzen, Berlin

StB Peter Carstens Head of Tax, Otto (GmbH & Co. KG), Hamburg

Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Dr. Berend Holst Leiter Steuern und Zölle Konzern, Volkswagen AG, Wolfsburg

Prof. Dr. Lüdicke Herr Professor Baumhoff, vielen Dank für diesen umfassenden Überblick über die neuen Verpflichtungen aus dem Country-by-Country Reporting. Ich denke, die Unternehmensvertreter sollten das erste Wort haben. Carstens Fangen wir mal mit dem kleineren Unternehmen an. Vielleicht eingangs: Die Umsetzung von Master File, Local File und auch dem Country-byCountry Reporting, so wie das jetzt vorgesehen ist, ist irgendwie konsumierbar für uns. Es ist allerdings so, dass das für ein Unternehmen der Größe meines Arbeitgebers nicht mehr in-house zu stemmen ist. Da wenden wir uns vertrauensvoll an Leute, die das gerne machen. Die freuen

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sich auch und sind da nach meinem Eindruck auch ganz gut beschäftigt. Im Grunde wird bei diesem Thema das, was wir als Verrechnungspreisdokumentation bisher haben sollten oder hatten, umgegossen in Master File und Local File. Das wird ein bisschen anders dargestellt, ist aber deshalb nicht weniger aufwendig. Man sollte nicht denken, dass das deshalb weniger Papier braucht. Das machen wir ganz brav. Das ist bisher, glaube ich, auch ganz bodenständig und vernünftig umgesetzt worden. Zu der Frage, ob da noch was passiert, warten wir nochmal die Verwaltungsvorschrift ab, die dann noch kommt. Aber gut, man ist intensiv damit beschäftigt und interessant wird dann eher die Frage, was mit diesen Sachen passiert. Und da kann ich die Bedenken von Herrn Professor Baumhoff nur teilen. Diese EU-Veröffentlichung bietet Raum für jedweden Presseartikel. Da kann man dann sehen, dass das Einkommen der Gesellschaft ganz, ganz hoch ist und die gezahlten Steuern ganz, ganz niedrig, das ist dann schon mal per se verdächtig, mindestens verdächtig, wenn nicht schon ganz böse. Dass es sich vielleicht um steuerfreie Dividenden handelt, das steht ja nicht in diesen Zeilen, das muss man dann erfragen. Da war ja auch neulich, glaube ich, in der Süddeutschen ein großer deutscher Konzern, der so ein Problem hatte. Da wurden Fehlinterpretationen auch nochmal über mehrere Seiten ausgewalzt, obwohl das bei steuerfreien Einkünften eigentlich völlig unspektakulär ist. Steuerfreie Einkünfte gibt es auch in Deutschland. Das ist nicht immer böse. Aber das würde, glaube ich, in der Presse erhebliche Unruhe verursachen. Deshalb ist es gut, wenn die Bundesrepublik Deutschland das verhindert. Ich bin etwas skeptisch, was die Vertraulichkeit der Daten in den ausländischen Finanzbehörden anbelangt. Das ist vielleicht eine unbegründete Skepsis, vielleicht sind die ausländischen Finanzbehörden aber auch viel schärfer als bei uns. Aber das warten wir mal in Ruhe ab. Ich vermute, dass der ein oder andere Großkonzern da dann doch nochmal die Presseabteilung in Bewegung setzen muss. Meine Erwartung ist, dass den von Professor Baumhoff genannten Punkten wenig hinzuzufügen ist. Es ist natürlich für unser Land als Exportnation in Summe betrachtet tendenziell nicht ideal, dass die Ausländer jetzt über das Country-by-Country Reporting und die Verteilung des Besteuerungssubstrats meinen, die Aufteilung vornehmen zu können. Das wird zu erheblich mehr Doppelbesteuerung und zu erheblich mehr Streit um diese Themen führen. Das ist, glaube ich, etwas, was globalen Handel insgesamt nicht erleichtert. Der globale Handel wird ja auch an anderen Stellen kritisch gesehen, insofern passt es in die Zeit. Früher hätte man sich mit so etwas an die OECD gewandt, denn die soll ja Handel erleich-

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tern. Da schließt sich dann der Kreis – die hat das hier gerade initiiert. Ich glaube, eigentlich mit guten Gründen, aber dann mit einem vielleicht nicht ganz so guten Ergebnis. Wir sehen das heute Nachmittag ja nochmal bei BEPS 7. Unser Gefühl von multinationalen Steuergestaltungen und dass das irgendwie nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn irgendein US-Multi dann doch sehr niedrige Steuersätze zahlt, das haben wir alle und das verstehen wir auch alle. Was man daraus gemacht hat, ist etwas, was, glaube ich, diese Unternehmen gerade nicht trifft, aber uns. Insofern teile ich die Bedenken von Herrn Professor Baumhoff vollumfänglich. Dr. Holst Dann kommen wir zu einem etwas größeren Unternehmen. Wir nehmen uns des Themas zunächst nur in-house an. Ich teile generell die Aussagen von Herrn Baumhoff. Der Sinn und Zweck des Country-byCountry Reportings (CbCR) steht auf dem Papier, faktisch wird es zum Rosinenpicken führen, mit der Folge drohender Doppelbesteuerungen. Zu den in das CbCR einzubeziehenden Unternehmen habe ich allerdings noch eine Frage bezüglich der at-Equity-Unternehmen. Wir beziehen diese nicht ein mit dem Argument, dass diese schon an anderer Stelle voll konsolidiert sind. Das ist hoffentlich Common Sense. Ein bisschen schmunzeln muss man bei der drohenden Strafe von bis zu 5.000 Euro. Wenn man sich damit tatsächlich freikaufen könnte, wäre das angesichts der enormen Befolgungskosten eine sehr wirtschaftliche Alternative. Es ist insbesondere die drohende sekundäre Aufstellungspflicht, die die Unternehmen zur pünktlichen Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen treiben wird. Zur Veröffentlichungsidee der EU-Kommission: Ich sehe das ganze CbCR-Konzept dadurch gefährdet. Das Konzept ist ein Informationsaustausch auf Augenhöhe. Und wenn Ländern wie z.B. den USA, Korea, China und Russland, die bisher sowieso nicht dem multilateralen Informationsaustausch zugestimmt haben, auf dem Silbertablett alle Daten präsentiert werden, dann werden sich diese Länder schwerlich dazu bewegen lassen, solchen multilateralen Verwaltungsvereinbarungen beizutreten. Deswegen plädiere ich dafür, von dieser Veröffentlichungsidee Abstand zu nehmen. Eine verpflichtende einseitige Veröffentlichung würde das ganze BEPS-Projekt konterkarieren, weil Europa einen Schritt vorweggehen würde und andere weit hinterher blieben. Wenn man sich noch einmal vor Augen hält, wieso BEPS eigentlich entstanden ist, wäre

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das absurd, da europäische Unternehmen eher selten mit niedrigen Steuersätzen aufgefallen sind. Nochmal zu dem Thema drohende Doppelbesteuerung: Ich finde es sehr bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, viel mehr Länder für eine verbindliche Schiedsvereinbarung gewinnen zu können, denn es besteht schon eine große Gefahr, dass viele Besteuerungskonflikte auf den Schultern der international tätigen Unternehmen ausgetragen werden. Praktische Schwierigkeiten bei der Aufbereitung des CbC-Reportings sehe ich insbesondere bei Betriebsstätten, da diese häufig systemseitig nicht gesondert erfasst werden. Prof. Dr. Lüdicke Ja, Herr Kreienbaum, sind Sie da optimistisch? Kreienbaum Auch ich teile einige der Bemerkungen, die hier auf dem Podium gemacht wurden. Ich möchte vielleicht auch zum Hintergrund noch erläutern, warum sich Deutschland innerhalb der Diskussionen auf OECDG20-Ebene bereit erklärt hat, Country-by-Country-Informationen einzufordern und auszutauschen. Dieser Punkt war insbesondere für die beteiligten G20-Nicht-OECD-Staaten der Hauptpunkt im gesamten BEPSProjekt. Wir haben gleichzeitig den Gedanken verfolgt, Bestrebungen gerade im Staatenkreis der großen Entwicklungsländer und Schwellenländer entgegenzuwirken, nach denen nach nationalen Vorschriften weitergehendere Informationen gefordert werden sollen. Da ist zunächst jeder Staat frei, im Rahmen seiner Souveränität Regeln zu schaffen, die dort ansässige Unternehmen verpflichten würden, den Finanzverwaltungen Daten ohne jede Beschränkung bereitzustellen. Vor diesem Hintergrund haben wir erreicht, dass der nunmehr im Zusammenhang mit dem weltweiten Country-by-Country Reporting bereitzustellende Datensatz im Verhältnis zu den ursprünglichen Planungen sehr stark eingeschränkt wurde. Wir haben zudem erreicht, dass der Kreis der einbezogenen Unternehmen eingeschränkt wurde, indem wir die Schwelle, die Herr Baumhoff genannt hatte, nämlich in Höhe von 750 Millionen Euro Umsatz pro Jahr eingezogen haben. Wir haben erreicht, dass die erhaltenen Informationen beim Empfänger vertraulich zu behandeln sind, auch das ist ein wesentlicher Punkt. Und wir haben die ebenfalls schon erwähnte Verwendungsbeschränkung vereinbart.

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Diese Daten dürfen für die Anpassung von Verrechnungspreisen nicht genutzt werden. Zu der Frage, ob wir jetzt darauf vertrauen dürfen, dass die genannten Punkte, die wir verhandelt haben, eingehalten werden, ist zu sagen, dass wir auf OECD-G20-Ebene ein sogenanntes Monitoring vereinbart haben. Dies bedeutet, dass Staaten mit Blick auf die Frage, ob sie diese Bedingungen einhalten, also insbesondere auch die vereinbarte Vertraulichkeit und Verwendungsbeschränkungen, geprüft werden. Vereinbart ist, dass wir uns im Jahre 2020 anschauen, welche praktischen Erfahrungen wir mit dem Datenaustausch gemacht haben. Dabei werden die Ergebnisse des Monitoring mit einfließen. Ich habe mir noch einige andere Punkte notiert. Zunächst zum Anhörungsrecht: Der Steuerpflichtige erstellt den Country-by-Country Report, und nur dieser wird ausgetauscht. Schon vor dem tatsächlichen Austausch hat der Steuerpflichtige Kenntnis darüber, dass der von ihm zusammengestellte Datensatz, so wie er ihn erstellt hat, zwischen Finanzverwaltungen ausgetauscht wird. Er weiß zudem, mit welchen Staaten dieser Datensatz ausgetauscht wird. Und die deutsche Finanzverwaltung wird ein offenes Ohr haben, wenn es da zu Schwierigkeiten kommt. Wir wollen im Rahmen der Evaluierung 2020 wissen, welche Erfahrungen wir mit dem Austausch von CbCR-Daten gemacht haben, und da wird die Finanzverwaltung nicht auf die Erfahrungen der Steuerpflichtigen verzichten wollen. Zur Strafe: Hier sind 5.000 Euro genannt worden, letztendlich sind es in dem Entwurf, der gestern in der ersten Lesung im Bundestag war, 10.000 Euro geworden – was im Ergebnis aber auch keinen großen Unterschied macht. Ich stimme Herrn Holst, der darauf hingewiesen hat, dass das eigentliche Schwert der Sekundärmechanismus ist, darin vollständig zu. Wir sind in Europa verpflichtet, für innerhalb der EU ansässige Unternehmen im Rahmen des Sekundärmechanismus entsprechende Daten einzufordern, wenn nicht die Muttergesellschaft oder eine von der Muttergesellschaft benannte Person diese Daten liefert. Nach der OECD-Vereinbarung steht es Staaten frei, von dieser Regelung Gebrauch zu machen. Zum Stichwort „öffentliches Country-by-Country Reporting“ ist alles gesagt. Der Rechtsdienst des Europäischen Rates ist zu der Schlussfolgerung gekommen, dass über Public Country-by-Country Reporting nicht im Rahmen des Art. 50 AEUV entschieden werden darf, also nicht auf Basis qualifizierter Mehrheit, sondern nur auf Basis von Art. 115 AEUV, der Einstimmigkeit verlangt. Die Kommission hin-

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gegen ist weiterhin der Meinung, dass die Rechtsauffassung des Rates eine von mehreren möglichen Rechtsauffassungen sei. Die Kommission hat ihren eigenen Rechtsdienst beauftragt, diese Frage auch noch einmal zu bewerten. Was bedeutet das für die Position Deutschlands? Herr Baumhoff hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung hier bisher keine eindeutige Position eingenommen hat. Der Bundesfinanzminister hat sich zwar klar gegen öffentliches Country-by-Country Reporting ausgesprochen, aber innerhalb der Bundesregierung gibt es divergierende Auffassungen darüber. Nun kann der EU-Justizministerrat öffentliches CbCR im Rahmen der Rechnungslegungsrichtlinie mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Dann stellt sich die Frage, wie die Mitgliedstaaten mit einer entsprechenden Richtlinie umgehen. Soweit sind wir aber noch nicht. Es bleibt zunächst abzuwarten, ob die Bilanzrichtlinie mit ihrer Änderung zu Public Country-by-Country Reporting so durchkommt oder nicht. Die Sachargumente dazu sind ausgetauscht und hier auf dem Podium scheint dazu auch keine Meinungsverschiedenheit zu bestehen. Ich habe noch ein Stichwort aufgeschrieben. Es wurde das Bedauern darüber ausgedrückt, dass wir uns auf OECD-G20-Ebene nicht haben durchringen können, alle gemeinsam ein Schiedsverfahren zu vereinbaren und uns dazu zu bekennen. Dazu ist festzuhalten, dass die Bundesregierung sich klar zu Schiedsverfahren im Steuerbereich bekannt hat. Die Bundesregierung wird Schiedsverfahren auch durch das Multilaterale Instrument vereinbaren. Wir haben weiterhin auf Ebene der G20, deren Präsidentschaft wir in diesem Monat übernommen haben, das Stichwort „Tax Certainty“ auf die G20-Agenda gebracht und wollen diesen Themenkomplex unter deutscher Präsidentschaft in den Vordergrund stellen. Dazu gehören auch Streitbeilegungs- und Streitvermeidungsverfahren, beginnend mit Joint Audits über Verständigungsverfahren und Schiedsverfahren. Auch die Frage der Vorhersehbarkeit steuerlicher Belastungen – dieser Punkt klang heute Morgen schon mal an – und die Beständigkeit von Rechtsnormen gehören dazu. Dr. Wacker Aus Sicht der Rechtsprechung vielleicht zum Country-by-Country Reporting der Hinweis darauf, dass sich der Betreffende auch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 114 FGO zur Wehr setzen kann. Es ist hierzu auch im letzten Jahr ein erfolgreiches Verfahren vor

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dem Finanzgericht Köln1 geführt worden. Der Betreffende hatte sich erfolgreich dagegen gewandt, dass ein nicht anlassbezogener Informationsaustausch auf Regelungen der Doppelbesteuerungsabkommen gestützt werden sollte. Ganz allgemein ist dazu zu sagen, dass wir an einer Zeitenwende zum automatischen grenzüberschreitenden Datenaustausch stehen. Es liegt auf der Hand, dass hierdurch die Gefahr entsteht, berechtigte Interessen der Betroffenen zu verletzen. Hinzu kommt, dass die Grenzen eines solchen Informationsaustauschs von der Rechtsprechung erst noch gefunden und präzisiert werden müssen. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank für die Hinweise, Herr Wacker. Jetzt beweisen wir mal, dass wir wirklich ein Saalmikrophon haben. Mein Bruder hat sich gemeldet, der heißt auch Lüdicke. Prof. Dr. Jochen Lüdicke2 Kurze Frage an Herrn Kreienbaum: Sind Sie möglicherweise deswegen relativ verhalten optimistisch, dass der deutsche Staat nicht leidet, weil wir für Familienunternehmen in der Rechtsform der Personengesellschaft ein riesiges Problem bei dem Country-by-Country Reporting haben, dass wir die Einkommensteuer der Personengesellschafter im Country-by-Country Reporting nicht erfassen, sodass also der auf den Gewinn entfallende deutsche Steueranteil der großen deutschen Personengesellschaften, der ja nur das Element der Gewerbesteuer hat, dementsprechend scheinbar relativ niedrig kommt? Aber bei den Personengesellschaften haben wir ein weiteres Problem, dass nämlich die Vergleichbarkeit rechts und links überhaupt nicht mehr gegeben ist, wenn wir uns nämlich Länder vorstellen, die Personengesellschaften intransparent und Personengesellschaften transparent besteuern. Da das ein speziell deutsches und – eingeschränkt – österreichisches Problem ist: Wäre es nicht an der Zeit, hier im Rahmen der internationalen Regelungen eine Ausnahmevorschrift vorzusehen, bis man sich auf eine sachgerechte Information geeinigt hat? Denn ich stelle mir vor, wie die einzelnen Staaten darauf reagieren. Ich glaube, die Personengesellschaften, und das sind insbesondere die großen deutschen Personengesellschaften, sind in Wirklichkeit die großen Verlierer dieser BEPS-Bericht1 FG Köln v. 7.9.2015 – 2 V 1375/15, IStR 2015, 835. 2 Prof. Dr. Jochen Lüdicke ist Präsident des Bundesverbands der Steuerberater e.V. und Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Düsseldorf.

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erstattung. Auch wenn man vielleicht ein bisschen zynisch sagen kann, dass Deutschland doch eigentlich ganz gut aussieht mit einer ganz niedrigen Steuerquote für Personengesellschaften, werden, glaube ich, die Personengesellschaften im Zweifel in jedem Land angegriffen, weil man die Unterschiede zwischen transparenter und intransparenter Besteuerung im Country-by-Country Reporting nicht mal durch Anlagen zum Bericht betragsmäßig darstellen kann. Das ist schlicht in den Berichtsfeldern nicht vorgesehen. Ich glaube, hier – sorry to say it – hat das BMF etwas geschlafen. Kreienbaum Uns ist bewusst, dass die Vergleichbarkeit der Daten auch im internationalen Kontext eingeschränkt ist. Das fängt schon damit an, dass nach unterschiedlichen nationalen Vorschriften entsprechende Daten zusammengezogen werden können. Darüber haben wir auch bei den Diskussionen um CbCR im internationalen Staatenkreis gesprochen. Alle Berichtspflichtigen haben die Möglichkeit und sind auch dazu aufgefordert, darzustellen, wie Daten ermittelt worden sind. Das System soll in sich schlüssig sein. Die Frage Personengesellschaften/Kapitalgesellschaften spielt bei der Interpretation des Datenmaterials selbstverständlich auch eine Rolle. Das Bewusstsein, dass eine vollständige Vergleichbarkeit auf Basis vollständig einheitlicher Vorschriften nicht gegeben ist, ist bei den Beteiligten vorhanden. Dies gilt auch mit Blick auf gesellschaftsrechtliche Besonderheiten in verschiedenen Staaten. Von Beginn der Diskussionen an war klar, dass wir auf Basis unterschiedlicher Regelungsumfelder der beteiligten Staaten arbeiten, die wir nicht vereinheitlichen können. Carstens Mein Arbeitgeber ist eine Personengesellschaft und wir haben den ersten dry run für dieses Zahlenwerk gemacht und ich kann Ihnen versichern, das ist so wenig aussagekräftig, da können Sie nichts interpretieren. Das ist vollständig erratisch. Da mischen sich lauter Einkommensbestandteile, die überhaupt keiner Besteuerung unterliegen, einige nur der Gewerbesteuer … Das ist ein bunter Strauß von unterschiedlichen Effekten. Da wird das auf Länderebene aggregiert und das führt dazu, dass – wie auch in dem Vortrag von Professor Baumhoff genannt – unterschiedlichste Branchen aggregiert werden. Wir sind ein Konzern, der vorrangig im Handel tätig ist, aber auch im Bereich der Finanzdienstleis-

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tungen relativ stark ist und im Service, also Hermes, das mischt sich in einem solchen Maße, dass das nicht interpretationsfähig ist. Das sind auch meine Bedenken. Jeder Staat wird sagen, dass das nicht sein kann, weil das vollständig unplausibel erscheinen könnte. Die Interpretation wird für einen ausländischen Fiskus sehr anspruchsvoll und bietet jeden Raum für Fehldeutungen. Das wird in der Praxis für Probleme sorgen. Prof. Dr. Lüdicke Ich meine, wir haben alle aus dem, was Herr Kreienbaum gesagt hat, verstanden, dass es letztlich eine politische Maßnahme im Rahmen der OECD-BEPS-Gespräche gewesen ist. Darf ich nur mal ganz ketzerisch fragen: Die deutsche Finanzverwaltung wird ja solche Daten auch aus dem Ausland geliefert bekommen. Der eine oder andere ausländische Staat wird sich ja vorschriftsgemäß verhalten. Wird das überhaupt ausgewertet werden oder geht das gleich in den Rundordner? (Gelächter) Kreienbaum Diese Frage lässt sich sehr gut datenschutzrechtlich beantworten: Es wäre uns gar nicht gestattet, die Daten ungenutzt zu lassen. (Gelächter) Prof. Dr. Baumhoff Vielleicht darf ich an dieser Stelle doch mal ein bisschen dogmatisch werden – Herr Wacker hat gerade das Stichwort „Zeitenwende“ benutzt. Hierzu etwas ketzerisch gefragt: Haben wir mit diesem Datenmaterial jetzt die Basis für eine Unitary Taxation gelegt? Gibt es möglicherweise demnächst Staaten, die auf die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes verzichten werden? Werden diese Staaten ihre eigenen Formeln zur Gewinnaufteilung bilden, nach eigenen Algorithmen? Und kommen wir jetzt sukzessive vom Fremdvergleichsgrundsatz weg? Herr Kreienbaum, Sie haben vorhin gesagt, es sei Ihnen in den Verhandlungen gelungen, die verschiedenen Arten von Datenwünschen noch zu reduzieren. Könnte es in den nächsten Jahren passieren, dass manche Staaten sagen werden: „Also das, was wir jetzt hier an Daten haben, das ist schon ganz ordentlich, da können wir im Hinblick auf eine formelhafte Gewinnaufteilung schon ein paar Kennzahlen bilden. Aber wir hätten gerne noch das und das gewusst, und vielleicht auch jetzt branchenbezogen, sodass die Daten nicht mehr so aggregiert sind, denn das ist in der Tat sehr verwischend, was die Aussagekraft angeht, und wenn man das jetzt noch ein bisschen verfeinert, dann können wir einen schönen Algorith-

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mus bilden, am besten jeder Staat seinen eigenen, aus dem sich dann der angemessene Anteil des Gewinnkuchens für das jeweilige Land ableiten lässt.“ Ich stelle mir jetzt mal meine Kollegen aus der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre vor, die eher quantitativ unterwegs sind, die jetzt mithilfe des Datenmaterials diverse Kennzahlen bilden und versuchen, Zusammenhänge zu ermitteln, und dann irgendwann eine Formel gefunden haben, mit der wir den auf ein Land anteilig entfallenden Konzerngewinn bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma genau justieren können. Darf ich das jetzt nochmal hier zur Diskussion stellen? Kreienbaum Ja, vielen Dank. Herr Baumhoff, ich hatte mir mit Bezug auf Ihre Frage noch etwas aufgeschrieben aus Ihrem Vortrag: „Gesteigerte Transparenz wird zu intensiverem Ringen um Steuersubstrat führen.“ Das ist eine Frage von Ursache und Wirkung. Ist nicht die gesteigerte Transparenz schon der Ausdruck von stärkerem Steuerwettbewerb? Ich bin der Auffassung, dass das der Fall ist. Wir befinden uns schon in einem stärkeren Ringen um Steuersubstrat. Und es ist uns bisher gelungen, innerhalb des BEPS-Projekts Fragen der Reallokation von Besteuerungsrechten weitgehend zu vermeiden. Ob das in Zukunft auch weiter vermieden werden kann, ist eine ganz andere Frage. Das BEPS-Projekt ist aus meiner Sicht nicht der Anstoß für eine solche Diskussion, sondern der Ausdruck eines stärkeren Ringens um Steuersubstrat. Prof. Dr. Baumhoff Das heißt also, es ist doch eine gewisse Zeitenwende, die jetzt hier eintritt, natürlich auch durch die ganze BEPS-Diskussion ausgelöst. Aber wir sehen jetzt schon bei Aktionspunkt 13, was dabei herauskommt. Und wie geht es weiter? Da kommen wir in eine andere Kultur des internationalen Miteinanders und der Konkurrenz der Besteuerungsrechte. Kreienbaum Ich würde vielleicht nicht den Ausdruck „Zeitenwende“ benutzen, aber wir haben im Sommer dieses Jahres das sogenannte Inclusive Framework gegründet. Das ist eine Gruppe von mittlerweile über 90 Staaten, die sich alle zu den BEPS-Grundsätzen, zu den Mindeststandards und zu deren Implementierung bekannt haben. Diese Staaten nehmen mit Blick auf die Implementierung und mit Blick auf die Fortentwicklung der BEPSGrundsätze auf gleichberechtigter Basis an den weiteren Diskussionen

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teil. Auch materiell-rechtlich sind noch nicht alle Punkte vollständig abgearbeitet. So stehen beispielsweise weitere Arbeiten im Bereich der digitalen Wirtschaft an, und auch im Bereich der Verrechnungspreise ist das BEPS-Programm noch nicht vollständig abgearbeitet. In diesem jetzt größeren Kreis ergibt sich naturgemäß eine andere Diskussionsdynamik und eine andere Schnittmenge der beteiligten Interessen im Vergleich zu einer Situation von vor vielleicht fünf Jahren, als 34 relativ homogene, entwickelte Industriestaaten den Beginn des BEPS-Prozesses diskutierten. Diese Entwicklung würde ich als kontinuierlichen Prozess bezeichnen, der die wirtschaftliche Globalisierung auch auf Ebene der Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen mit dem Ziel abbildet, einen weltweit einheitlichen Standardsetzer in Steuersachen zu bilden. Wir haben mit dem Inclusive Framework bereits jetzt ein aus der OECD gewachsenes Entscheidungsgremium, das sich um Steuerstandards kümmert. Das ist eine ganz andere und aus meiner Sicht vorteilhaftere Situation, als wenn beispielsweise die UN sich insoweit durchgesetzt hätte. Und insofern sollte niemand den Wert der Vereinbarungen unterschätzen, die wir über das Inclusive Framework herstellen. Die Alternativsituation wäre nicht, dass in der Zukunft alles so bliebe, wie es in der Vergangenheit war, als die OECD-Mitgliedstaaten weltweite Standards und Maßstäbe in Steuersachen weitgehend definieren und durchsetzen konnten. Wenn Sie die Vermeidung der Doppelbesteuerung als oberstes Ziel für sich akzeptieren, können Sie dies nicht erreichen, wenn Sie mit einer Teilgruppe von Staaten reden. Wir können national der Auffassung sein, dass ein enger Betriebsstättenbegriff – wir kommen ja heute Nachmittag noch dazu – für unseren Standort günstig ist. Das hilft uns aber nicht, wenn viele andere Staaten dieser Welt einer anderen Auffassung sind. Und diese Strömungen und Entwicklungen müssen wir steuerpolitisch aufgreifen. Prof. Dr. Lüdicke Herr Kreienbaum, vielen Dank. Ich glaube, das hat nochmal deutlich gemacht, dass der Ausdruck „Zeitenwende“ vielleicht doch nicht völlig verkehrt ist. Die Frage ist doch, wie man ihn interpretiert. Und ich kann eigentlich nur wiederholen, was ich heute Morgen schon gesagt habe: Für Ihr neues Amt als Leiter des Steuerausschusses der OECD kann man Ihnen wirklich nur eine glückliche Hand auch im Sinne Deutschlands und der übrigen Industriestaaten wünschen. Das muss uns nicht daran hindern, hier dennoch nationale Umsetzungsmaßnahmen kritisch zu beleuchten, dafür gibt es ja gelegentlich gute Gründe, auch wenn man die

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vielleicht in unterschiedlichen Städten Deutschlands unterschiedlich sieht. Meine Damen und Herren, wir danken nochmal den Referenten des Vormittags und gehen in die Mittagspause. Sie finden in Ihren Unterlagen das norddeutsche Büffet. Da ist alles aufgeführt, was es gibt – wie beim Country-by-Country Reporting. Das heißt aber nicht, dass Sie auf alles zugreifen müssen!

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Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen Dr. Christine Osterloh-Konrad Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 128 B. Die Zielsetzung einer Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . I. Die veranlagungsunterstützende Zielsetzung . . . . . . . . . II. Die Abschreckungsfunktion. III. Die rechtspolitische Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anzeigepflicht und Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht. I. Die drei Bereiche legaler steueroptimierender Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bedeutung der Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht. III. Relevanz für eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anzeigepflicht und Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . V. Folgerungen für die Ausgestaltung einer Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Zu den verfassungs- und europarechtlichen Grenzen . 137 I. Anzeigepflicht und Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 137 II. Anzeigepflicht und Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

III. Anzeigepflicht und Europarecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 E. Die Ausgestaltung einer Anzeigepflicht in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einschränkung auf reproduzierbare Gestaltungen . . . II. De-minimis-Erfordernis? . . . III. Modellhafte Steuergestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Innovative Steuergestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ein Sondertatbestand für internationale Steuergestaltungen? . . . . . . . . . . . . . . VI. Persönlicher Anwendungsbereich der Anzeigepflicht . . VII. Die Einführung eines Registriernummernsystems . . . . . F. Weiterführende rechtspolitische Überlegungen . . . . . . . I. Handlungswille und Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Qualität der staatlichen Reaktionen auf die Anzeigen III. Die Anzeigepflicht als Element eines fairen Steuersystems? . . . . . . . . . . .

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A. Einleitung Anzeigepflichten für Steuergestaltungen erfreuen sich international in den vergangenen Jahren zunehmender Beliebtheit. Auch die OECD empfiehlt den nationalen Steuergesetzgebern in ihrem abschließenden Bericht zu BEPS Action 12 aus dem Jahre 2015 die Einführung eines solchen Instruments.1 In Vorbereitung einer politischen Entscheidung darüber, ob eine Anzeigepflicht auch in Deutschland eingeführt werden sollte, hat das Bundesministerium der Finanzen dem Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen Mitte 2015 den Auftrag erteilt, die rechtlichen Rahmenbedingungen und den möglichen Zuschnitt einer Anzeigepflicht im Rahmen eines wissenschaftlichen Gutachtens zu erörtern. Das Gutachten liegt seit Mitte 2016 vor und wurde Anfang 2017 in Buchform veröffentlicht;2 auf ihm basiert der folgende Beitrag.

B. Die Zielsetzung einer Anzeigepflicht Eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen soll Gesetzgeber und Verwaltung über bestimmte steuerlich motivierte Gestaltungen informieren. Solche Anzeigepflichten gibt es in einer ganzen Reihe von Staaten, unter anderem in den USA, in Kanada, in Großbritannien, in Südafrika, in Portugal und in Irland.3 Wenn man sich im Rechtsvergleich ansieht, wozu derartige Instrumente von Steuergesetzgebern weltweit eingesetzt werden, lassen sich drei unterschiedliche Zielsetzungen unterscheiden.4

I. Die veranlagungsunterstützende Zielsetzung Die erste unter ihnen ist vor allem im amerikanischen System sehr dominant: die veranlagungsunterstützende Zielsetzung. Damit ist gemeint, dass die Anzeigepflicht dazu dient, bestimmte Steuererklärungen „auszuflaggen“, bei denen die Finanzverwaltung genauer hinschauen sollte. 1 OECD, Action 12: 2015 Final Report on Mandatory Disclosure Rules v. 5.10.2015; abrufbar unter www.oecd.org/tax/mandatory-disclosure-rules-action12-2015-final-report-9789264241442-en.htm. 2 Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017. 3 Für eine ausführliche rechtsvergleichende Analyse s. Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 2012. 4 Ausführlich hierzu Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 3 ff.

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In einem solchen System indiziert die Anzeigepflichtigkeit einer Gestaltung idealiter einen besonderen Prüfungsbedarf in der Einzelveranlagung. Deswegen arbeitet das amerikanische System unter anderem mit sogenannten listed transactions, d.h. Gestaltungen, die von der Finanzverwaltung auf einer Liste veröffentlicht und jeweils mit einer Nummer versehen werden.5 Steuerpflichtige, die eine solche Gestaltung umsetzen, müssen die jeweilige Nummer in ihrer Steuererklärung angeben. Dies ermöglicht es der Finanzverwaltung, zügig die entsprechenden Erklärungen herauszufiltern, wenn sie sich dafür entscheidet, eine bestimmte Gestaltung – etwa wegen fehlender economic substance – anzugreifen.

II. Die Abschreckungsfunktion Die zweite Funktion von Anzeigepflichten ist stets eine sekundäre, weil sie nicht unmittelbar etwas mit der Informationsbeschaffung zu tun hat, kann aber dennoch von großer Bedeutung sein: die Abschreckungsfunktion. Sie findet sich beispielsweise im britischen System.6 Ein hierauf ausgerichtetes Anzeigepflichtsystem zielt u.a. darauf ab, Steuerpflichtige und Berater von aggressiver steuerlicher Planung abzuhalten, und zwar unabhängig davon, ob die entsprechenden Gestaltungen nach geltendem Recht als korrekturbedürftige Umgehungsgeschäfte (z.B. nach § 42 AO) zu qualifizieren sind oder nicht. Der Gesetzgeber möchte ganz allgemein verhindern, dass überhaupt bis an die Grenze zum Gestaltungsmissbrauch geplant wird. Daher wird die Anzeigepflichtigkeit einer Gestaltung in derartigen Systemen häufig auch mit weiteren negativen Rechtsfolgen verbunden.

III. Die rechtspolitische Zielsetzung Die dritte denkbare Zielsetzung von Anzeigepflichten, die sich wiederum unmittelbar auf die Erlangung von Informationen richtet, kann man mit dem Begriff „rechtspolitisch“ bezeichnen. Dahinter verbirgt sich die Überlegung, dass Gesetzgeber und Verwaltung ein Interesse daran haben, darüber informiert zu werden, welche Arten von Steuergestaltungen derzeit „en vogue“ sind, um bei Bedarf eingreifen zu können, etwa weil eine bestimmte Gestaltung die Verwirklichung des Ziels steuerlicher Belastungsgleichheit in besonderer Weise infrage stellt. Ein rechts5 U.S. Department of the Treasury Regulations § 1.6011-4(b)(2). 6 Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 187 m.w.N.

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politisch ausgerichtetes Anzeigepflichtsystem richtet sich also darauf, Gesetzgeber und Verwaltung frühzeitig über potenziell unerwünschte Steuergestaltungen zu informieren, damit sie bei entsprechendem Handlungsbedarf zeitnah reagieren können. Für das deutsche Steuersystem empfiehlt sich eine Ausrichtung der Anzeigepflicht an dieser Zielsetzung.7 Der Begriff „unerwünscht“ wird hier ganz bewusst anstelle anderer denkbarer Begriffe wie „aggressiv“ oder „missbräuchlich“ verwendet, um klarzustellen, dass damit keine rechtliche (und erst recht keine moralische) Bewertung einer Gestaltung verbunden ist. „Unerwünscht“ meint in diesem Zusammenhang „unerwünscht aus Sicht des Fiskus“. Wie sogleich noch näher auszuführen ist, hat dies nichts mit der Legitimität und schon gar nicht mit der Legalität einer Gestaltung zu tun. Aus fiskalischer Sicht unerwünscht können nicht nur Gestaltungen sein, die unter Missbrauchsverdacht stehen (§ 42 AO), sondern auch solche, die nach geltendem Recht zweifellos funktionieren (also die erstrebten steuerlichen Vorteile auslösen), denen der Gesetzgeber aber möglicherweise für die Zukunft durch eine Gesetzesänderung entgegentreten möchte. Als denkbare Ursachen für die Unerwünschtheit einer Gestaltung kommt einerseits in Betracht, dass sie gemessen an den vom Gesetzgeber getroffenen Belastungsentscheidungen als besteuerungswürdig erscheint, aber nach dem Gesetzeswortlaut keiner oder nur einer reduzierten Steuerlast unterliegt. Diese Fallgruppe könnte man als „Steuervermeidung im System“ bezeichnen. Andererseits kann eine Gestaltung auch deshalb unerwünscht sein, weil sie Inkongruenzen zwischen verschiedenen Steuerrechtsordnungen ausnutzt. Hier lässt sich von „Steuervermeidung zwischen den Systemen“ sprechen. Dass die rechtspolitische Zielsetzung ökonomisch sinnvoll ist, ergibt sich bereits daraus, dass steueroptimierende Planung generell Wohlfahrtsverluste verursacht.8 Dass diese Zielsetzung zudem verfassungsrechtlich legitim ist, zeigt in bemerkenswerter Klarheit die jüngste Erbschaftsteuerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf. Dort lässt sich nachlesen, dass Gestal7 Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 4 f. 8 Evans in Head/Krever, Tax Reform in the 21st Century – A Volume in Memory of Richard Musgrave, 529 (539); Weisbach, 55 Tax Law Review, 2002, 215 (222); Hellwig, 26 Virginia Tax Review, 2006–2007, 1005 (1008 ff.).

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tungen, die steuerliche Vorteile generieren, welche im Widerspruch zu grundlegenden Belastungsentscheidungen des Gesetzgebers stehen, das Ideal der in Art. 3 Abs. 1 GG fundierten Belastungsgleichheit im Steuerrecht infrage stellen. Daher müssen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Gerichte und Verwaltung die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente (z.B. § 42 AO) nutzen, um gegen solche Gestaltungen vorzugehen.9 Ist ein Gesetz allerdings so lückenhaft, dass es auch unter Berücksichtigung dieser Möglichkeiten derart weitgehende Gestaltungsspielräume eröffnet, dass es das Ideal der Belastungsgleichheit grundlegend verfehlt, so ist das Gesetz selbst verfassungswidrig.10 Sowohl Gesetzgeber als auch Rechtsprechung und Verwaltung sind also auf die möglichst weitgehende Durchsetzung steuerlicher Lastengleichheit verpflichtet. Hierzu gehört auch das Vorgehen gegen Gestaltungen, die einen steuerlichen Vorteil vermitteln, der im Widerspruch zur Belastungsentscheidung des Gesetzgebers steht. Eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen kann dazu beitragen, dieses Ziel zu verwirklichen. Richtet man eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen an der rechtspolitischen Zielsetzung aus, so muss das Instrument primär Informationen über die abstrakte Struktur von Gestaltungen abfragen. Denn anhand solcher Informationen können sich der Gesetzgeber oder auch die Verwaltung überlegen, ob und in welcher Form sie auf bestimmte Gestaltungsspielräume im geltenden Recht reagieren sollten. Zusätzlich interessieren unter diesem Blickwinkel allerdings auch Informationen über die Verbreitung einer Gestaltung. Denn sie ermöglichen die Einschätzung der fiskalischen Bedeutung konkreter Gesetzeslücken und damit eine Bewertung der Frage, wie dringlich eine Gesetzesänderung ist. Erhält der Gesetzgeber beispielsweise davon Kenntnis, dass ein bestimmtes Steuersparmodell am Markt massiv vertrieben wird, so kann dies einen dringenden Handlungsbedarf indizieren, der allein aufgrund der Kenntnis der entsprechenden Gesetzeslücke noch nicht ersichtlich ist.

C. Anzeigepflicht und Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht Gegen die Zulässigkeit einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen wird zuweilen eingewandt, sie widerspreche dem Grundsatz der Gestaltungs9 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50 (85). 10 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50 (84).

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freiheit im Steuerrecht.11 Bei näherer Betrachtung hat beides allerdings nichts miteinander zu tun, jedenfalls dann nicht, wenn die Anzeigepflicht konsequent an der rechtspolitischen Zielsetzung ausgerichtet und als reines Informationsinstrument ausgestaltet wird, also nicht mit zusätzlichen belastenden Rechtsfolgen verbunden ist. Diese These soll im Folgenden erläutert werden.

I. Die drei Bereiche legaler steueroptimierender Planung Im Ausgangspunkt zielt eine Anzeigepflicht auf legale steueroptimierende Planung ab. Dieses Feld kann man in drei Unterbereiche aufteilen. Erstens gibt es Gestaltungen, die aus Sicht des Gesetzgebers unerwünscht sind und schon de lege lata korrigiert werden können, z.B. unter Einsatz von § 42 AO. Zweitens gibt es Gestaltungen, die zwar aus steuerlichen Gründen umgesetzt oder in einer bestimmten Weise strukturiert werden, aber aus Sicht des Gesetzgebers dennoch erwünscht bzw. zumindest akzeptiert sind. Das bedeutet, dass sich keine Belastungsentscheidung des Gesetzgebers identifizieren lässt, die dagegen sprechen würde, diesen Gestaltungen die mit ihnen intendierten Steuervorteile zuzuerkennen. Ein Beispiel hierfür ist die freie Rechtsformwahl. Seit Langem ist es anerkannt, dass es nicht zu beanstanden ist, wenn der Steuerpflichtige die steuerlich günstigste Rechtsform für seine wirtschaftlichen Aktivitäten wählt, da sich der Gesetzgeber seinerseits dafür entschieden hat, verschiedene Rechtsformen steuerlich unterschiedlich zu belasten.12 Ein weiteres, noch eindeutigeres Beispiel ist die Nutzung gezielter Verhaltensanreize in den Steuergesetzen. Wenn der Steuerpflichtige sich entscheidet, eine Steuersubvention in Anspruch zu nehmen, und den betreffenden Tatbestand verwirklicht, so stehen ihm die entsprechenden steuerlichen Vorteile auch dann zu, wenn seine Entscheidung ausschließlich steuerlich motiviert ist. Drittens gibt es einen Bereich von Gestaltungen, die aus Sicht des Gesetzgebers unerwünscht sein mögen, denen sich aber dennoch de lege lata die steuerlichen Vorteile nicht versagen lassen, weil sie weder unter § 42 AO noch unter eine spezielle Antimissbrauchsbestimmung fallen. Eine rechtspolitisch motivierte Anzeigepflicht zielt zwar nicht ausschließlich, 11 Flämig, DStR 2007, Beihefter zu Heft 44, 2 (5 f.). 12 BFH v. 22.8.1951 – IV 246/50 S, BFHE 55, 449.

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aber doch primär auf diesen Bereich ab. Denn sie möchte es dem Gesetzgeber ermöglichen, gegen aus seiner Sicht problematische Gestaltungen, die nach geltendem Recht „funktionieren“, möglichst schnell für die Zukunft vorzugehen.

II. Die Bedeutung der Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht Gestaltungsfreiheit bedeutet in diesem Zusammenhang zunächst, dass es diesen dritten Bereich überhaupt gibt. Der Gesetzgeber gestaltet die Steuertatbestände aus und bringt damit zum Ausdruck, was er belasten möchte und was nicht. Zusätzlich lassen sich Missbräuche durch § 42 AO ausschließen. Jenseits des Anwendungsbereichs dieser Norm besteht für den Fiskus jedoch kein Anlass für Beanstandungen, wenn der Steuerpflichtige in den Bereich, den ihm der Gesetzgeber offengelassen hat, steuerlich motiviert hineinplant. Die so verstandene Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht ist ein Reflex der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung.13 Sie impliziert, dass es steuerlich motivierte Gestaltungen gibt, deren steuerliche Ergebnisse nicht der Regelungsintention des Gesetzgebers entsprechen, die aber dennoch nach geltendem Recht funktionieren. Anders formuliert: Es gibt Lücken im Gesetz, die sich nicht ohne Gesetzesänderung schließen lassen. Dass es nicht zu beanstanden ist, wenn der Steuerpflichtige auf der Grundlage der bestehenden Gesetze steueroptimierend plant, hat auch das Bundesverfassungsgericht als Kern des Grundsatzes der Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht identifiziert.14 Das bedeutet gleichzeitig – und auch das lässt sich aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ableiten –: Gestaltungen in diesem Bereich sind nicht nur legal, sondern auch in jeder Hinsicht legitim. Eine Gleichsetzung von „aus Sicht des Gesetzgebers bzw. des Fiskus unerwünscht“ und „illegitim“ wäre unzutreffend. Der Steuerpflichtige darf auf die Gesetze reagieren, er darf steueroptimierend planen. Kommt es hierbei zu Ergebnissen, die dem Gesetzgeber missfallen, so muss dieser die Gesetze ändern. Schließlich folgt daraus auch, dass allein die Absicht, Steuern zu sparen, nicht darüber entscheiden kann, ob eine Gestaltung mithilfe einer Antimissbrauchsbestimmung wie § 42 AO korrigiert werden kann. Dem Ge13 Schön, DStJG 33 (2010), 29 (39). 14 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23/57 und 1 BvL 34/57, BVerfGE 9, 237 (250).

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setzgeber ist es daher verwehrt, eine Antimissbrauchsvorschrift einzuführen, die allein an die Motive des Steuerpflichtigen anknüpft.

III. Relevanz für eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen Was ergibt sich aus diesen Überlegungen für eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen? Wie bereits ausgeführt, wird eine rechtspolitisch motivierte Anzeigepflicht vor allem den dritten Bereich adressieren, in dem die erstrebten Steuervorteile de lege lata nicht versagt werden können, weil es ihr darum geht, steuerliche Schlupflöcher für die Zukunft durch Gesetzesänderungen zu stopfen. Daneben kann sie auch den ersten Bereich in den Blick nehmen, in dem bereits nach geltendem Recht eine Korrektur möglich ist. Denn sie lässt sich beispielsweise einsetzen, um die einheitliche Anwendung existierender Antimissbrauchsinstrumente wie § 42 AO zu fördern. So betrachtet stellt sich die Anzeigepflicht als ein Instrument dar, mit dem der Gesetzgeber Verhaltensanreize der Steuergesetze beobachtet. Eine rechtspolitisch ausgerichtete Anzeigepflicht dient also der Ermittlung der realen Auswirkungen von Gesetzen, um feststellen zu können, ob und in welcher Form ggf. nachzusteuern ist. Sie engt hingegen den Bereich steuerlicher Gestaltungsfreiheit nicht ein. Auch insofern sie dazu beiträgt, etwaige Lücken im Gesetz für die Zukunft zu schließen, steht sie nicht in Widerspruch zur Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht. Denn ebenso wenig wie sich „unerwünscht“ mit „illegitim“ gleichsetzen lässt, bedeutet umgekehrt „legitim“ notwendigerweise „de lege ferenda zu akzeptieren“. Dass eine bestimmte Gestaltung nach geltendem Recht die intendierten Steuervorteile produziert, sagt nichts darüber aus, dass dies in Zukunft so bleiben müsste. Pointiert ausgedrückt bedeutet das: Der Satz, im Steuerrecht herrsche Gestaltungsfreiheit, sagt etwas über das geltende Recht aus, nicht aber darüber, ob dieser Rechtszustand auch künftig fortexistieren wird. Dem Gesetzgeber steht es vielmehr jederzeit frei, die Gesetze zu ändern. Zur Vorbereitung solcher Änderungen kann er sich eines Instruments wie der Anzeigepflicht bedienen, das ihn darüber informiert, wie die Bürger auf die bestehenden Gesetze reagieren. Mit der Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht hat das nichts zu tun.

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IV. Anzeigepflicht und Rückwirkungsverbot In den vorstehenden Ausführungen wurde verschiedentlich bereits deutlich, dass die Anzeigepflicht in aller Regel nur zu Rechtsänderungen für die Zukunft führen dürfte. Dem liegt ein vergleichsweise strenges Verständnis des Rückwirkungsverbots zugrunde, wie es sich aus der jüngeren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ableiten lässt.15 Ihm zufolge sind rückwirkende belastende Änderungen der Steuergesetze grundsätzlich unzulässig, auch wenn es darum geht, Gesetzeslücken zu schließen; nur in außerordentlichen Konstellationen kann eine Rückwirkung zulässig sein. Zu einem in dieser Weise verstandenen Rückwirkungsverbot wirkt die Anzeigepflicht gewissermaßen komplementär. Je strenger man das Rückwirkungsverbot handhabt, desto eher lässt sich nämlich argumentieren, dass es dem Gesetzgeber möglich sein müsse, die Auswirkungen seiner Steuergesetze durch eine Anzeigepflicht zu beobachten, damit er bei Fehlentwicklungen pro futuro zügig gegensteuern kann. Insgesamt betrachtet können sich Gestaltungsfreiheit, Rückwirkungsverbot und Anzeigepflicht zu einem System ergänzen, in dem sich auf der einen Seite die Steuerpflichtigen und ihre Berater auf den derzeitigen Rechtszustand verlassen und mit ihm planen können, während aber auf der anderen Seite der Gesetzgeber sie auf Informationen in Anspruch nehmen kann, um eine verlässliche Grundlage für die Entscheidung darüber zu erlangen, in welchen Punkten er für die Zukunft gegensteuern möchte.

V. Folgerungen für die Ausgestaltung einer Anzeigepflicht Aus diesen Überlegungen lassen sich gewisse Folgerungen für die Ausgestaltung der Anzeigepflicht ziehen.16 Denn die These, dass zwischen der Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht und der Einführung einer Anzeigepflicht noch nicht einmal ein Span15 S. insbesondere BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1; v. 7.7.2010 – 2 BvL 1/03 u.a., BVerfGE 127, 31; v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05 u.a., BVerfGE 127, 61; v. 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302; für eine ausführliche Analyse s. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 38 ff. 16 S. hierzu Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 11 ff.

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nungsverhältnis, geschweige denn ein Widerspruch besteht, ist nur richtig, wenn die Anzeigepflicht tatsächlich als reines rechtspolitisches Informationsinstrument ausgestaltet wird. Das bedeutet zunächst, dass sie sich nicht auf Gestaltungen unter Missbrauchsverdacht beschränken und mit ihr gleichzeitig kein Urteil über die Missbräuchlichkeit verbunden werden sollte. Denn aus rechtspolitischer Sicht interessieren gerade auch solche Gestaltungen, die nach geltendem Recht nicht zu beanstanden sind. Ferner gilt es zu vermeiden, eine Gestaltung allein deswegen in irgendeiner Weise zusätzlich zu belasten, weil sie anzeigepflichtig ist, etwa durch einen pauschalen Missbrauchsverdacht oder durch verfahrensrechtliche Nachteile. Denn bei einer rechtspolitisch orientierten Anzeigepflicht geht es darum, Handlungsbedarf für Gesetzesänderungen pro futuro zu identifizieren und dabei insbesondere auch Gestaltungen in den Blick zu nehmen, die nach geltendem Recht nicht zu beanstanden sind. Da eine solche Anzeigepflicht auch auf gänzlich legitime Gestaltungen abzielt, die von der Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht gedeckt sind, wäre es nicht gerechtfertigt, einen Steuerpflichtigen, der in dieser derzeit völlig legitimen Weise plant, zusätzlich zu belasten. Die Verletzung der Anzeigepflicht muss natürlich sanktioniert werden, nicht aber die Umsetzung einer anzeigepflichtigen Gestaltung als solche. Deswegen eignet sich ein solches Instrument auch nicht für das Risikomanagement im Veranlagungsverfahren. Denn die Tatsache, dass eine Gestaltung anzeigepflichtig ist, sagt nichts darüber aus, ob sie missbräuchlich ist und ob im konkreten Veranlagungsverfahren ein gesteigerter Prüfungsbedarf besteht. Ein letzter Punkt in diesem Zusammenhang: Die Anzeigepflicht sollte auch nicht gezielt zur Abschreckung eingesetzt werden. Diese Vorgabe lässt sich sogar verfassungsrechtlich untermauern. Denn nach dem oben Gesagten heißt „Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht“, dass der Gesetzgeber seinen „Claim“ durch die Steuergesetze absteckt und die Steuerpflichtigen in dem Spielraum, den ihnen diese Gesetze lassen, legitimerweise steuerlich optimierend planen dürfen. Mit dieser Grundaussage wäre es aber kaum vereinbar, wenn der Gesetzgeber bestimmte Gestaltungen zwar nicht durch die Einzelsteuergesetze belastet, aber das Verfahrensrecht so ausgestaltet, dass die Implementierung dieser Gestaltungen für die Steuerpflichtigen mit massiven Nachteilen verbunden sind, sodass sie hiervon effektiv abgeschreckt werden. Denn unter dem Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung folgt aus dem Um-

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stand, dass eine bestimmte steuerlich motivierte Gestaltung nach geltendem Recht die erstrebten steuerlichen Vorteile generiert, gleichzeitig, dass ihre Umsetzung vollständig legitim und dem Steuerpflichtigen freigestellt ist. Hiermit verträgt es sich nicht, wenn der Gesetzgeber die Steuerpflichtigen und/oder ihre Berater gezielt in einer Weise belastet, dass sie von Planungen im Grenzbereich abgehalten werden.

D. Zu den verfassungs- und europarechtlichen Grenzen Die rechtlichen Grenzen einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen sollen an dieser Stelle lediglich knapp rekapituliert werden.17

I. Anzeigepflicht und Bestimmtheitsgrundsatz Der erste relevante Punkt, der in der Diskussion immer wieder aufgegriffen wird, betrifft die Frage, ob man ein solches Instrument in hinreichend bestimmter Weise ins Steuerverfahrensrecht implementieren kann.18 Nähert man sich dieser Frage auf abstrakter Ebene, hat man also noch keinen konkreten Tatbestand vor Augen, so ist es naturgemäß schwierig, hierzu Stellung zu nehmen. Doch zumindest lässt sich festhalten, dass eine zweckmäßige und maßvolle Ausgestaltung einer rechtspolitisch orientierten Anzeigepflicht nicht an Bestimmtheitsanforderungen scheitern dürfte. Denn eine Auswertung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bestimmtheitsgrundsatz zeigt, dass das Gericht ihn als vergleichsweise flexiblen Mindeststandard handhabt.19 Hierbei sind die konkreten Anforderungen an die Bestimmtheit einer Norm in erheblichem Umfang von der jeweiligen Regelungsmaterie abhängig. Das Bundesverfassungsgericht sieht das Bestimmtheitserfordernis nicht als starren Maßstab. Vielmehr erlaubt es dem Gesetzgeber den 17 Für eine ausführliche Darstellung s. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 19 ff. 18 Zur Diskussion s. Stellungnahme des IDW zum Gesetzentwurf eines JStG 2008 v. 9.10.2007, 13; Schenke, Verfassungs- und europarechtliche Fragen des § 138a AO (Stand: 25.6.2007), DATEV-LexInform Nr. 0208905, Teil 1 C.III.1. und D.I.; Scholz, Rechtsgutachterliche Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (§ 138a AO) v. 31.7.2007, DATEV-LexInform Nr. 0208904, 8. 19 S. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 19 ff.

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Einsatz unbestimmter Rechtsbegriffe umso eher, je weniger es ihm im konkreten Kontext möglich ist, sein Regelungsziel mit präziseren Begriffen zu erreichen.20 Speziell mit Blick auf die steuerlich motivierte Planung hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass es sich beim Steuerrecht um einen Bereich handele, in dem die Bürger in erheblichem Umfang auf die Gesetze reagieren und gezielt planen, um der Belastung auszuweichen, und hieraus ein Argument für die Zulassung richterlicher Rechtsfortbildung hergeleitet.21 Der Umstand, dass es der Gesetzgeber insoweit mit einem moving target zu tun hat, kann in gleicher Weise den Einsatz unbestimmter Rechtsbegriffe rechtfertigen. Dies lässt die Folgerung zu, dass die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bei der Ausgestaltung eines Anzeigepflichtregimes in weitem Umfang möglich sein müsste. Allerdings ist aus rechtsvergleichender Sicht ein Caveat angebracht. Im Ausland gibt es viele Systeme, in denen die Verwaltung in weitem Umfang Fallgruppen definiert, in denen die Anzeigepflicht greift.22 Dies hat den Vorteil, dass das System auf neue Entwicklungen im Markt für Steuergestaltungen schneller reagieren kann, als wenn jedes Mal der Gesetzgeber aktiv werden muss. Die Festlegung der Kriterien für eine Anzeigepflicht dürfte in Deutschland allerdings nicht im Wesentlichen der Verwaltung überantwortet werden. Ein solches Regime wäre mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar, weil dann das Regelungsprogramm fehlen würde, das der Gesetzgeber vorgeben muss.23

II. Anzeigepflicht und Grundrechte Im Vordergrund der grundrechtlichen Prüfung einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen steht die Frage ihrer Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG, der Berufsfreiheit der Berater, die von einer solchen Regelung betroffen wären. Auch hierbei handelt es sich um eine Frage, die sich in abstracto ohne einen konkreten Gesetzesvorschlag kaum beantworten lässt. Man kann aber zumindest überprüfen, an welchem Maßstab sich 20 BVerfG v. 13.12.1966 – 1 BvR 512/65, BVerfGE 21, 1 (3 f.). 21 S. BVerfG v. 12.3.1985 – 1 BvR 571/81 u.a., BVerfGE 69, 188 (203). 22 Vgl. für die USA § 6707A (c) (1) IRC; für Großbritannien § 306 (1) Finance Act 2004. 23 S. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 25.

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ein solches Instrument messen lassen müsste. Konkret: Auf welcher Stufe der sog. Drei-Stufen-Theorie würde es sich bewegen? Wenn die Anzeigepflicht in maßvoller Weise ausgestaltet wird, ist sie als Berufsausübungsregelung zu klassifizieren und damit durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls zu rechtfertigen.24 Dass es sich bei der Bekämpfung von Umgehungsgestaltungen um ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel handelt, wurde oben bereits kurz begründet. Infolgedessen hängt die Verfassungskonformität eines Anzeigepflichtregimes letztlich davon ab, ob es in verhältnismäßiger Weise ausgestaltet wird. Hierbei gilt es vor allem, Wettbewerbsverzerrungen weitgehend zu vermeiden und die administrative Belastung in Grenzen zu halten. Sowohl für die Verwaltung als auch für die Steuerpflichtigen und die Berater muss das Instrument handhabbar bleiben.

III. Anzeigepflicht und Europarecht Aus europarechtlicher Sicht sind im Wesentlichen zwei Dinge zu beachten. Das erste ist das Verbot der nicht diskriminierenden Beschränkung. Der grenzüberschreitende Fall darf im Vergleich mit dem Inlandsfall nicht ohne validen Grund einer faktischen Mehrbelastung ausgesetzt werden.25 Kennt beispielsweise ein anderer Mitgliedstaat eine Anzeigepflicht und wird eine grenzüberschreitende Gestaltung dort angezeigt, so könnte es problematisch sein, wenn die Anzeigepflicht in Deutschland zusätzlich in vollem Umfang erfüllt werden müsste. In einem solchen Fall sollte der deutsche Fiskus auf eine erneute Anzeige verzichten und lediglich die Vorlage der ausländischen Anzeige (in Übersetzung) verlangen, wenn seinem Informationsbedürfnis dadurch gleichermaßen gedient ist. Das lässt sich regelungstechnisch in den Griff bekommen. Problematischer ist das Verbot der diskriminierenden Beschränkung, das beispielsweise bei einem Spezialtatbestand für internationale Qualifikationskonflikte einschlägig wäre.26 Ein solcher Spezialtatbestand stand 2007 mit dem damaligen § 138a AO-E auf der Agenda des Gesetz24 S. ausführlich Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 27 ff. 25 S. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 63 ff. 26 S. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 58 ff.

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gebers.27 Auch derzeit kann man darüber nachdenken, zumal die OECD in ihrem Bericht zu Aktionspunkt 12 ausdrücklich empfiehlt, dass man die internationale Steuergestaltung anders behandeln solle als die nationale.28 Sobald man dieser Empfehlung folgt, etwa indem man bei Qualifikationskonflikten eine spezielle Anzeigepflicht greifen lässt, ergibt sich ein europarechtlicher Rechtfertigungsbedarf. Aus der Rechtsprechung des EuGH fällt auf den ersten Blick eine ganze Reihe von denkbaren Rechtfertigungsgründen für diskriminierende Beschränkungen ins Auge, über die man im vorliegenden Zusammenhang nachdenken könnte. In Betracht käme etwa die Wirksamkeit der Steueraufsicht29 oder auch die Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse30. Es ließe sich argumentieren, die Anzeigepflicht bereite gesetzgeberische Maßnahmen vor, welche die Verwirklichung dieser Rechtfertigungsgründe unterstützten. Des Weiteren könnte auch die Vermeidung der Steuerumgehung31 infrage kommen. Das Problem ist allerdings, dass alle diese Rechtfertigungsgründe in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nur auf Normen angewandt wurden, die unmittelbar der Umsetzung des entsprechenden Belangs dienten.32 Eine Norm, die unmittelbar die Wirksamkeit der Steueraufsicht verbessert, lässt sich möglicherweise über den entsprechenden Rechtfertigungsgrund legitimieren. Eine Norm, die unmittelbar rein künstliche Gestaltungen adressiert, lässt sich eventuell mit dem Interesse an der Bekämpfung der Steuerumgehung rechtfertigen. Auf nur vorbereitende Maßnahmen wurde jedoch bisher keiner dieser Rechtfertigungsgründe erstreckt. Die Anzeigepflicht wäre aber eine solche vorbereitende Maßnahme. Sie führt nicht selbst dazu, dass die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse ausgewogener würde, und verhindert keine Umgehungen. Legt man die bisherige europarechtliche Judikatur zugrunde, so ist deshalb fraglich, ob sich eine diskriminierende Anzeigepflicht rechtfertigen 27 S. § 138a AO-E, abrufbar unter http://rsw.beck.de/rsw/upload/FDMA/StGest AnzPflG_RefEntw.pdf. 28 OECD, Action 12: 2015 Final Report on Mandatory Disclosure Rules v. 5.10.2015, S. 10 und Tz. 223 ff. 29 EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95 – Futura Participations und Singer, Slg. 1997, I-2471 Rz. 31. 30 EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03 – Marks & Spencer, Slg. 2005, I-10837; v. 25.2.2010 – C-337/08 – X Holding, Slg. 2010, I-1215. 31 EuGH v. 16.7.1998 – C-264/96 – ICI, Slg. 1998, I-4695 Rz. 26. 32 S. näher Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 79.

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ließe. Zwar ist denkbar, dass der EuGH bereit sein könnte, die bisher anerkannten Rechtfertigungsgründe so zu kombinieren oder weiterzuentwickeln, dass sie auch eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen abdecken könnten, aber das lässt sich keinesfalls sicher prognostizieren. Vor allem aber wäre selbst dann noch keinesfalls sicher, dass sich gerade auch die Mehrbelastung des grenzüberschreitenden Falls rechtfertigen ließe.33 Denn hierfür müsste sich argumentieren lassen, der grenzüberschreitende Fall stelle mit Blick auf das rechtspolitische Ziel der Anzeigepflicht ein besonderes Problem dar, sodass eine Differenzierung zwischen nationaler und internationaler Steuergestaltung erforderlich sei. Dies ist aber fraglich. Zwar stellt die Informationsbeschaffung im Veranlagungsverfahren in internationalen Sachverhalten für die Finanzverwaltung ein größeres Problem dar als in rein nationalen Fällen; dies rechtfertigt beispielsweise erweiterte Mitwirkungspflichten. Doch im Hinblick auf das rechtspolitische Interesse an der Kenntnis der abstrakten Struktur unerwünschter Steuergestaltungen ist ein qualitativer Unterschied zwischen nationalem und grenzüberschreitendem Fall nicht ersichtlich, auch wenn derzeit die internationale Steuergestaltung aufgrund des BEPS-Prozesses deutlich im Vordergrund steht.

E. Die Ausgestaltung einer Anzeigepflicht in Deutschland Stellt man sich die Frage, wie eine rechtspolitisch ausgerichtete Anzeigepflicht in Deutschland im Einzelnen ausgestaltet werden könnte, so gilt es zuvörderst darauf zu achten, dass das Instrument handhabbar bleibt. Plakativ gesprochen darf nicht die Situation entstehen, dass sich jeder Berater fünfmal am Tag fragen muss, ob er eine Anzeige abzuschicken hat. Auch der Verwaltung ist nicht damit gedient, wenn jedes Jahr Tausende oder Zehntausende von Anzeigen eingehen. Dies bedeutet, dass sich die Ausgestaltung der Anzeigepflicht nicht an der Zielsetzung orientieren sollte, sämtliche Gestaltungen zu erfassen, die aus Sicht des Fiskus möglicherweise unerwünscht sind. Gleichzeitig ist es aus den bereits genannten und weiteren34 Gründen ebenso wenig sinnvoll, die Anzeigepflicht tatbestandlich auf missbrauchsverdächtige oder auf aus Sicht des Fiskus unerwünschte Gestaltungen zu beschrän33 S. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 82. 34 Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 11 u. 84.

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ken. Daraus folgt, dass andere Kriterien identifiziert werden müssen, um den Tatbestand angemessen zu begrenzen.

I. Einschränkung auf reproduzierbare Gestaltungen Eine erste sinnvolle Einschränkung ergibt sich aus der rechtspolitischen Zielsetzung in Zusammenschau mit dem Rückwirkungsverbot: Die Anzeigepflicht sollte sich auf reproduzierbare Gestaltungen beschränken.35 Denn die Anzeige einer echten Einzelfallgestaltung, etwa einer hoch komplexen, individuell auf einen bestimmten Konzern abgestimmten Umstrukturierung ist aus der Perspektive der rechtspolitischen Zielsetzung wenig sinnvoll, weil etwaige korrigierende Maßnahmen des Gesetzgebers zu spät greifen dürften – die Gestaltung wird dann bereits umgesetzt sein. Die Filterfunktion dieser Einschränkung ist allerdings nicht besonders stark, weil sich die meisten Gestaltungstypen nicht nur im Anlassfall umsetzen lassen. Überwiegend werden gleich gelagerte Sachverhalte zumindest denkbar sein. Daher reicht diese Einschränkung bei Weitem nicht aus, um das Instrument handhabbar zu machen.

II. De-minimis-Erfordernis? Um die Anzeigepflicht weiter zu begrenzen, könnte man über ein betragsmäßiges de-minimis-Erfordernis nachdenken.36 Beispielsweise ließe sich die Anzeigepflicht an ein bestimmtes finanzielles Volumen einer Gestaltung anknüpfen oder auch daran, dass die Einnahmen eines Beraters aus der Vermarktung bzw. Implementierung einer Gestaltung eine bestimmte Höhe überschreiten. Derartige Grenzen sind denkbar, haben allerdings mit dem rechtspolitischen Informationsinteresse, das hinter der Anzeigepflicht steht, wenig zu tun. Insbesondere können auch Steuersparmodelle, die im einzelnen Umsetzungsfall nur geringe Steuerausfälle produzieren, bei hinreichend

35 Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 85. 36 Für einen rechtsvergleichenden Überblick über derartige Erfordernisse s. Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 2012, 206.

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häufiger Implementierung einen erheblichen rechtspolitischen Handlungsbedarf begründen.37 Vorzuziehen wäre daher eine Einschränkung, die sich unmittelbar an der rechtspolitischen Zielsetzung orientiert. Hierfür gilt es Bereiche zu identifizieren, in denen das rechtspolitische Informationsinteresse besonders groß ist.

III. Modellhafte Steuergestaltungen Dieser Ansatz legt es nahe, als Kernbereich einer Anzeigepflicht modellhafte Steuergestaltungen anzusehen.38 Damit sind Gestaltungen gemeint, die nicht nur abstrakt reproduzierbar sind, sondern die gezielt auf wiederholte Umsetzung hin entwickelt werden und sich weitgehend unabhängig von der konkreten Lage des jeweiligen Steuerpflichtigen implementieren lassen. Für die konkrete Ausgestaltung eines hierauf abzielenden Tatbestands kommen verschiedene Varianten in Betracht.39 Ausländische Anzeigepflichtsysteme knüpfen häufig an die Existenz einer standardisierten Dokumentation an.40 In derartigen Regelungen wird eine bestimmte Vermarktungssituation zum Anlass genommen, eine Gestaltung anzeigepflichtig zu stellen. Solche Vorschriften lassen sich allerdings vergleichsweise leicht umgehen. Daher ist es zweckmäßiger, auf der Tatbestandsebene unmittelbar an die Modellhaftigkeit anzuknüpfen, beispielsweise unter Rückgriff auf das „vorgefertigte Konzept“ i.S.d. § 15b EStG.41

37 So auch OECD, Action 12: 2015 Final Report on Mandatory Disclosure Rules v. 5.10.2015, Tz. 89. 38 Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 87 ff. 39 Ausführlich Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 101 ff. 40 S. für Großbritannien SI 2006/1543, § 10(2)(a): „The arrangements have standardised, or substantially standardised, documentation …“; für Irland s. § 817DA (4) Taxes Consolidation Act 1997. 41 S. näher Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 103 ff.

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IV. Innovative Steuergestaltungen Sollte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich einer auf modellhafte Gestaltungen zugeschnittenen Anzeigepflicht für zu eng halten, so wäre darüber nachzudenken, daneben auch noch besonders innovative Gestaltungen zu adressieren, die noch nicht vertieft in der Fachwelt diskutiert wurden, beispielsweise weil erst eine vor Kurzem vorgenommene Gesetzesänderung sie ermöglicht hat.42 Dass derartige Gestaltungen aus rechtspolitischer Sicht von besonderem Interesse sind, liegt auf der Hand. Fraglich ist jedoch, wie sie sich tatbestandlich hinreichend zielgenau erfassen lassen. Im Ausland wird hierfür häufig auf Indikatoren wie Vertraulichkeitsverpflichtungen, die Vereinbarung einer erfolgsabhängigen Vergütung einzelner Beteiligter oder auch die vertragliche Absicherung des Steuervorteils zurückgegriffen.43 Derartige Merkmale könnten für das deutsche Recht übernommen werden, dürften jedoch wegen ihrer geringen Marktüblichkeit hierzulande keinen großen Anwendungsbereich haben. Infolgedessen stellt sich die Frage, ob im Tatbestand der Norm stattdessen unmittelbar an den Innovationsgehalt einer Gestaltung angeknüpft werden könnte. Da dies gesetzgebungstechnisch ausgesprochen schwierig ist, fällt die Bewertung an dieser Stelle sehr zwiespältig aus.44

V. Ein Sondertatbestand für internationale Steuergestaltungen? Die obigen Überlegungen zum Europarecht schließlich begründen eine erhebliche Skepsis gegenüber Bestrebungen, einen Sondertatbestand für internationale Steuergestaltungen einzuführen.45 Hinzu kommt, dass dies gar nicht notwendig ist, wenn die problematischen Fälle auch im internationalen Bereich über Tatbestände erfasst werden, die auf die Modellhaftigkeit oder auf den Innovationsgehalt einer Gestaltung Bezug

42 Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 88 f. 43 Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 106 ff. m.w.N. 44 Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 112 ff. 45 Ausführlich Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 117 ff.

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nehmen, und zwar unabhängig davon, ob die betreffenden Sachverhalte einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen.

VI. Persönlicher Anwendungsbereich der Anzeigepflicht Im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich finden sich international verschiedenste Modelle, Steuerpflichtige und/oder sogenannte Promotoren, die an der Entwicklung oder an der Vermarktung der entsprechenden Gestaltung in irgendeiner Weise beteiligt sind, auf Auskunft in Anspruch zu nehmen.46 Für Deutschland dürfte es sich im Interesse einer möglichst geringen Belastung der Steuerpflichtigen und ihrer Berater empfehlen, sich auf die Promotoren zu beschränken und auf die Steuerpflichtigen nur subsidiär zurückzugreifen, wenn es keinen Promotor gibt, beispielsweise bei inhouse-Gestaltungen.47

VII. Die Einführung eines Registriernummernsystems Eine wichtige Entscheidung, die bei der Ausgestaltung des Anzeigepflichtsystems getroffen werden muss, betrifft die Einführung eines Registriernummernsystems, wie es sich in vielen anderen Staaten findet.48 In einem solchen System wird einer angezeigten Gestaltung eine Nummer zugewiesen. Der Promotor der Gestaltung muss diese Nummer an diejenigen Steuerpflichtigen weitergeben, die diese Gestaltung implementieren. Die Steuerpflichtigen wiederum geben diese Nummer in ihrer individuellen Steuererklärung an. Ein solches System hat nicht nur im Rahmen eines veranlagungsunterstützenden, sondern auch im Rahmen eines rechtspolitisch ausgerichteten Anzeigepflichtsystems Vorteile. Denn der Fiskus gewinnt dadurch Informationen auch aus der Einzelveranlagung. Anhand dieser Informationen lässt sich beispielsweise überprüfen, ob etwaige Meldungen des Promotoren über den Umfang der Vermarktung eines Modells zutreffend sind. Die Registriernummern bieten somit eine zusätzliche Informationsquelle insbesondere im Hinblick darauf, wie weit ein Modell am Markt verbreitet ist. Zudem versprechen sie gewisse Vereinfachungsund Vereinheitlichungseffekte, weil der mit einer konkreten Steuerer46 Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 2012, 210 ff. 47 Näher Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 123 ff. 48 Von den rechtspolitisch ausgerichteten Anzeigepflichtsystemen verzichtet lediglich Portugal vollständig auf Registriernummern.

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klärung befasste Beamte leichter auf etwaige bereits vorhandene Verwaltungsvorschriften oder sonstige verwaltungsinterne Vorarbeiten zur jeweiligen Gestaltung zurückgreifen kann. Doch hat ein Registriernummernsystem auch zwei große Nachteile. Erstens verursacht es einen nicht unerheblichen Mehraufwand; insbesondere erstreckt es das Anzeigepflichtsystem letztlich über die Promotoren hinaus auf sämtliche Steuerpflichtigen, die anzeigepflichtige Gestaltungen umsetzen. Zweitens kann damit de facto ein Stigmatisierungseffekt verbunden sein, obgleich ein solcher de iure, wie oben ausgeführt, mit der Anzeigepflicht gerade nicht verknüpft werden sollte. Es erscheint nämlich fraglich, ob sich die Vorgabe, die Umsetzung einer anzeigepflichtigen Gestaltung als solche dürfe den betreffenden Steuerpflichtigen keinem Missbrauchsverdacht aussetzen, in der Praxis der Veranlagung tatsächlich umsetzen lässt, wenn über die Registriernummern eine Identifizierung erst einmal erfolgt ist.

F. Weiterführende rechtspolitische Überlegungen Zu der Frage, ob ein Anzeigepflichtsystem insgesamt nicht nur als rechtlich zulässig, sondern auch als rechtspolitisch empfehlenswert bezeichnet werden kann, ist abschließend dreierlei zu sagen.

I. Handlungswille und Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers Erstens ergibt ein solches Instrument überhaupt nur dann Sinn, wenn der politische Wille vorhanden ist, gegen Gestaltungen vorzugehen, die das Ideal steuerlicher Belastungsgleichheit in besonderer Weise infrage stellen. Diese Frage lässt sich nicht aus rechtswissenschaftlicher Sicht beantworten, sondern muss auf politischer Ebene geklärt werden. Daher äußert sich das Gutachten des Max-Planck-Instituts im Ergebnis auch nicht zu der Frage, ob in Deutschland tatsächlich eine Anzeigepflicht eingeführt werden sollte, auch wenn dies in den Medien teilweise anders berichtet wurde. Es erörtert nur, unter welchen Bedingungen und in welcher Form ein solches Instrument sinnvoll sein könnte, und widerlegt pauschale Bedenken an seiner Zulässigkeit.

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II. Die Qualität der staatlichen Reaktionen auf die Anzeigen Zweitens hängt der rechtspolitische Erfolg eines Anzeigepflichtsystems nicht nur davon ab, ob die hierdurch erlangten Informationen überhaupt verwendet werden, sondern auch davon, in welcher Form dies geschieht. Führt das System zur Einführung einer Vielzahl spezialgesetzlicher Antimissbrauchsbestimmungen, die mit heißer Nadel gestrickt werden, so erweist es sich vermutlich bei näherem Hinsehen als nicht sonderlich hilfreich. Wenn es in Großbritannien als Erfolg des dortigen Anzeigepflichtsystems gehandelt wird, dass in den ersten acht Jahren seit seiner Einführung bereits 93 Gesetzesänderungen zur Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen erfolgt sind,49 so ist alles andere als klar, ob dies tatsächlich eine Erfolgsgeschichte ist. Denn entscheidend ist nicht in erster Linie die Quantität, sondern die Qualität der Reaktion des Gesetzgebers auf die Anzeigen.

III. Die Anzeigepflicht als Element eines fairen Steuersystems? Drittens droht die Anzeigepflicht in Deutschland als ein Fairnessproblem wahrgenommen zu werden, wenn nicht gleichzeitig die Transparenz für die Steuerpflichtigen und ihre Berater verbessert wird.50 Dies dürfte auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die Initiative zur Einführung eines solchen Instruments im Jahre 2007 auf derart vehementen Widerstand in Fachkreisen stieß. Im Spiel der Steueroptimierung operiert nicht nur der Staat, sondern auch der Steuerpflichtige in vielerlei Hinsicht unter Unsicherheit. Einerseits schwebt über steuerlich motivierten Gestaltungen das Damoklesschwert des generalklauselhaften § 42 AO; andererseits weigert sich die Finanzverwaltung, bei derartigen Gestaltungen eine verbindliche Auskunft zu erteilen, weil sie potenziellen Umgehern nicht auch noch behilflich sein möchte.51 Ein Blick ins Ausland zeigt, dass es Systeme gibt, die für deutlich mehr Planungssicherheit sorgen. So existiert in Australien 49 S. National Audit Office, Tax avoidance: tackling marketed avoidance schemes, 2012, 23, abrufbar unter www.nao.org.uk/report/tax-avoidance-tack ling-marketed-avoidance-schemes/. 50 Ausführlich Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, 149 ff. 51 AEAO zu § 89, Tz. 3.5.4 Satz 1.

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mit dem sog. product ruling sogar ein Instrument, mit dem ein Berater ein von ihm entwickeltes Steuersparmodell auch unabhängig vom konkreten Steuerfall zur Überprüfung durch die Finanzverwaltung stellen kann.52 Und das französische Steuerrecht sieht ein spezielles Verfahren verbindlicher Auskünfte für den Bereich der dortigen allgemeinen Antimissbrauchsbestimmung (GAAR) vor.53 In einem System wie dem deutschen, in dem beide Seiten unter relativ starker Unsicherheit operieren, droht eine Maßnahme, welche die Transparenz einseitig zugunsten des Fiskus erhöht, als unfair wahrgenommen zu werden. Daher empfiehlt es sich, ihre Einführung durch eine Maßnahme zur Verbesserung der Steuerplanungssicherheit zu flankieren. Denn das Interesse des Steuerpflichtigen an der Möglichkeit, unter weitgehender Rechtssicherheit zu planen, ist ebenso legitim wie das Interesse des Gesetzgebers an frühzeitiger Informationsgewinnung, um effizient gegen Lücken im Steuersystem vorzugehen.

52 S. Schedule 1 Division 358 Taxation Administration Act 1953 sowie die Verwaltungsanweisung PR 2007/71 zum Product Ruling System, abrufbar unter http://law.ato.gov.au/atolaw/view.htm?docid=PRR/PR200771/NAT/ATO/ 00001. 53 Art. L.64 B Livre des Procédures Fiscales.

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Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer StB Peter Carstens Head of Tax, Otto (GmbH & Co. KG), Hamburg

Dr. Christine Osterloh-Konrad Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München

Dr. Berend Holst Leiter Steuern und Zölle Konzern, Volkswagen AG, Wolfsburg

Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

MinDirig Martin Kreienbaum Leiter der Unterabteilung Internationales Steuerrecht, Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Frau Osterloh-Konrad, das war in jeder Hinsicht interessant. Es ist auch Neuland. Ich schaue mal aufs Podium – möchten Sie jetzt solche Anzeigepflichten haben? Dr. Holst Ich bin ja nur subsidiär betroffen. Also, es geht ja eher gegen die Promotoren. Prof. Dr. Lüdicke Ja, aber Sie machen ja in-house auch etwas. Zum Leidwesen der Promotoren. (Gelächter)

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Podiumsdiskussion: Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen

Dr. Holst Das wird immer behauptet; dabei wird aber ausgeblendet, in welchem wirtschaftlichen Umfeld wir uns befinden. 6 % steuerlich nicht abzugsfähige Nachzahlungszinsen in einem 0 % Zinsumfeld, Reputationsrisiken mit Blick auf angeblich aggressive Steuergestaltungen; es gibt schon eine veränderte Welt. Unternehmen werden vorwiegend nach operativen Ergebnissen gesteuert. Betriebsprüfungen hängen zum Teil zehn Jahre und mehr hinterher, sodass sich die nicht abzugsfähige Zinsbelastung signifikant aufsummiert. Als Praktiker ist man vielleicht generell risikoscheuer. Für mich erschließt sich der Begriff der Steuergestaltung ohnehin nicht ganz. Vielleicht können Sie mir Beispiele dafür nennen, wann eine solche Anzeigepflicht konkret bestehen soll. Prof. Dr. Lüdicke Wahrscheinlich wird das irgendetwas sein, was gerade mit dieser Industrie nichts zu tun hat! Dr. Osterloh-Konrad Wenn ich darauf direkt reagieren darf: Meine Vorstellung wie auch die meiner Koautoren ist, dass tatsächlich sehr viele Unternehmen und Berater gar nicht von der Anzeigepflicht erfasst werden, wenn man das Instrument hinreichend zielgenau zuschneidet. Insbesondere vertreiben viele Berater gar keine Steuersparmodelle; aber es gibt umgekehrt sogar Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, und auch in-house werden insbesondere im Bankbereich solche Modelle entwickelt. Wie mein Vortrag deutlich gemacht haben sollte, kann man ein Anzeigepflichtsystem überhaupt nur dann sinnvoll implementieren, wenn man mit erheblichen Einschränkungen auf Tatbestandsebene arbeitet. Das Ergebnis darf keinesfalls sein, dass jedes Unternehmen, das betrieblich veranlasste Transaktionen steuerlich optimiert, solche Anzeigen absetzen muss. Dr. Holst Vielleicht kann ich doch einmal mit Beispielen aus der Praxis helfen. Deutschland hat die Entscheidung getroffen, Teilwertabschreibungen auf ausländische Beteiligungen steuerlich nicht zuzulassen. Das ist steuersystematisch durchaus korrekt. Es gibt in Europa aber Länder, die das anders geregelt haben und steuerwirksame Teilwertabschreibungen auf ausländische Beteiligungen zulassen. Im Falle eines risikobehafteten Investments in eine Auslandsbeteiligung ist es dann nicht ganz fernlie-

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gend, diese Beteiligung über eine operative Gesellschaft in einem solchen Steuerregime zu erwerben. Soll eine solche simple Gestaltung schon anzeigepflichtig sein? Dr. Osterloh-Konrad Modellhaft wäre das jedenfalls nicht. Es basiert nicht auf einem vorgefertigten Konzept. Aber, um das klarzustellen: Ich argumentiere hier nicht auf der Basis konkreter Gesetzgebungsvorschläge, die momentan ohnehin noch nicht auf dem Tisch liegen, sondern auf der Basis der Überlegungen in unserem Gutachten. Dr. Holst Und was passiert, wenn ich das bei der nächsten Akquisition genauso mache? Prof. Dr. Lüdicke Und der Herr Carstens macht das auch! (Lacher) Carstens Das steht vielleicht sogar in Mandantenbriefen. Dr. Osterloh-Konrad Dann ist ein Grenzbereich erreicht. Wir haben intern anhand des Beispiels der Cash-GmbH nach altem Erbschaftsteuerrecht lange darüber diskutiert, wie eine relativ einfache Idee einzuordnen ist, die sich auch als vorgefertigtes Konzept „unter die Leute bringen“ lässt. Wenn man sich die Rechtsprechung zu § 15b EStG anschaut, die ihrerseits sehr geschwankt hat, dann gibt es ein einschlägiges BFH-Urteil, das m.E. ganz gut zu dem passt, was wir uns vorgestellt haben.1 Am Beispiel: Weist man einen konkreten Mandanten, bei dem eine Unternehmensnachfolge ansteht, auf die Möglichkeit der Cash-GmbH hin, so befindet man sich nicht im Bereich des vorgefertigten Konzepts. In dem Moment aber, in dem man das Ganze aufschreibt und an eine Mehrzahl von Personen verschickt, für die es interessant sein könnte, sieht das schon anders aus. Noch klarer lässt sich die Frage beantworten, wenn man mit Vorratsgesellschaften arbeitet und damit nicht nur die Idee, son1 BFH v. 6.2.2014 – IV R 59/10, BStBl. II 2014, 465.

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dern auch einen Teil der erforderlichen Strukturen „vermarktet“. Im Kern geht es um das „Vorgefertigtsein“, das auf eine mehrfache Implementierung abzielt. Das ist noch nicht der Fall bei einer einfachen Idee; das kann aber der Fall sein, wenn diese Idee schon in Strukturen eingebettet wird und der Berater dann mit der Idee an einen Markt herantritt, auch wenn dieser Markt begrenzt ist. Schwierige Grenzfälle wird es allerdings immer geben. Dr. Holst Gut, dann habe ich noch ein zweites Beispiel: Zypern führt möglicherweise ein Notional Interest Deduction-System ein, das einen fiktiven Betriebsausgabenabzug auf Eigenkapital von 2,5 % pro Jahr vorsieht. Ein Unternehmen entscheidet sich, dort eine Gesellschaft mit einem Eigenkapital von 1 Milliarde Euro zu gründen und es mit entsprechendem Personal auszustatten, um von dort aus die Konzernfinanzierung und weitere Finanzgeschäfte vorzunehmen. Unter Berücksichtigung des fiktiven Betriebsausgabenabzugs von 25 Mio. Euro pro Jahr bleibt die Konzernfinanzierung im Ergebnis steuerfrei. Wäre eine solche Gestaltung auch schon anzeigepflichtig, insbesondere vielleicht auch vor dem Hintergrund, dass andere Unternehmen dieser Idee folgen? Dr. Osterloh-Konrad Hier können wir uns über zwei Dinge unterhalten. Der erste Aspekt ist die Modellhaftigkeit. Das hängt tatsächlich mit der konkreten Situation zusammen. Wenn eine solche Idee an einen größeren Mandantenkreis vermarktet oder auch innerhalb eines Konzerns an verschiedene Gesellschaften weitergegeben wird, dann würde ich persönlich sagen, dass eine Anzeigepflicht für modellhafte Gestaltungen einen solchen Vorgang erfassen würde, und hielte das auch für angemessen. Die zweite ist die Frage des Innovationsgehalts bei nicht modellhaften Gestaltungen. Wenn wir über einen Tatbestand sprechen, der auf innovative Gestaltungen abzielt, so würde dieser keine Gestaltungen erfassen, die in Fachkreisen allgemein bekannt sind. Dr. Holst Aber kann denn der deutsche Gesetzgeber in solchen Fällen überhaupt eingreifen?

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Dr. Osterloh-Konrad Hier liegt natürlich ein Problem. Aber das lässt sich nicht als Tatbestandsvoraussetzung einer Anzeigepflicht verankern. Ein solches Instrument wird immer in gewissem Umfang überschießend sein. Carstens Ich finde das im Prinzip im ersten Schritt nicht unsympathisch, diese Anzeigepflicht. Wenn man an Cum-ex denkt und vergleichbare Gestaltungen, dann erscheint das nicht von vornherein vollkommen abwegig. Allein, mir fehlt der Glaube, dass man das Gesetz so zuschneidern kann, dass es dann genau solche Fälle träfe. Ich glaube, dass der Anwendungsbereich vollkommen undeutlich wäre und die Beschreibung dessen, was als „modellhaft“ gilt. Und, Kollege Holst hat es bereits angesprochen, was soll das denn nun konkret ausmachen? Ich kann mir das in der Praxis überhaupt nicht vorstellen. Und wenn wir jetzt einen Schritt zurückgehen und mal schauen, was in den letzten Jahren an Transparenz erhöhenden Gesetzen verabschiedet wurde, erscheint eine solche gesetzgeberische Ergänzung auch nicht zwingend erforderlich. Wir haben den IT-Zugriff für die Finanzverwaltung, wir haben die Transfer Pricing Dokumentation, wir haben das Country-by-Country Reporting, wir haben solche Vorgaben wie FATCA, es gibt einen Common Reporting Standard usw. Wir haben die Jahresabschlüsse, die zum Finanzamt geschickt werden, wir haben die E-Bilanz, wir kriegen demnächst das Panama-Gesetz mit der Nennung von ausländischen Beteiligungen, das die Transparenz noch mal deutlich erhöht – ich habe jetzt nicht das Gefühl, dass die Unternehmen der Finanzverwaltung Informationen vorenthalten können. Nun diskutieren wir über die Anzeigepflicht von sog. Gestaltungen – was immer das denn ist. Wenn ein Mandantenrundschreiben schon dazu führt, dass man die Lösung als modellhaft erkennen kann, weil das dann auch andere Steuerpflichtige machen, ist das problematisch und schwierig. Was ist mit Sachen, die man innovativ selbst erfunden hat, wie beispielsweise die Cash-GmbH, da ist man mutmaßlich der erste Anwender und danach wird es ins Mandantenrundschreiben eines befreundeten Beraters aufgenommen – muss man dann rückwirkend die Gestaltung anzeigen? Diese Diskussion führt in Wälder, aus denen wir nicht wieder rausfinden. Das lässt mich bei dem vordergründig nicht unsympathischen Gesetzgebungsvorhaben skeptisch sein. Wenn sich das auf die in der Vergangenheit von Teilen der Kreditwirtschaft vertriebenen Modelle beschränken würde, könnte die Anwendung des Gesetzes praktikabel

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sein. Aber ob es dem Gesetzgeber gelingen wird, den Anwendungsbereich so präzise zu formulieren, dass es die Dinge trifft, die es treffen soll, da bin ich doch skeptisch. Prof. Dr. Lüdicke Herr Kreienbaum, wir stehen jetzt in einem gewissen Spannungsverhältnis. Wir haben einmal den OECD-Report, der solche Anzeigepflichten als best practice darstellt und anregt, dass Staaten, die so etwas nicht haben, darüber nachdenken sollen, sie einzuführen. Wobei der Report nicht sagt, ob das so steuerpolitisch ausgerichtet werden sollte, wie Frau OsterlohKonrad das vorgeschlagen hat, oder ob man das veranlagungsunterstützend und/oder für irgendwelche anderen Zwecke macht. Das ist das eine. Dann gibt es den Druck einer tatsächlichen oder wahrgenommenen Öffentlichkeit, dem ja im „wahren Norden“ inzwischen auch stattgegeben worden ist. Ich habe hier eine Pressemitteilung2, da steht oben drüber: „Schleswig-Holstein – der echte Norden“ – also aus Hamburger Sicht bestreite ich das mal, aber na gut: „Schleswig-Holstein fordert gesetzliche Regelung für Anzeigepflicht von Steuergestaltungen“. Und die Finanzministerin hat dann auch gleich erklärt, dass sie dem Herrn Bundesfinanzminister bereits einen fertig formulierten Gesetzgebungsvorschlag zugeleitet hat. Der ist jetzt allerdings noch nicht transparent. Aber es hört sich nicht so an, als ob da genau das drinstünde, was in dem Gutachten für das Bundesfinanzministerium drinstand. Und die Frage ist, welcher Vorschlag sich in dem politischen Prozess durchsetzen wird. Herr Kreienbaum, gibt es aus Sicht des BMF, ich sage jetzt mal wirklich ganz seriös, als Gehilfe des Gesetzgebers, ein steuerpolitisches Interesse, frühzeitig, bevor es über die Veranlagung und über die Betriebsprüfung ohnehin bekannt wird, solche Dinge zu erfahren, und wenn ja, welche? Würden Sie es genauso sehen wie Frau Osterloh-Konrad, dass man, wenn man einen steuerpolitischen Zweck verfolgt, ihn nicht gefährden und die Anzeigepflichten von anderen Zwecken deutlich trennen und davon freihalten sollte?

2 Finanzministerium Schleswig-Holstein, Pressemitteilung v. 21.11.2016, abrufbar unter: www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/VI/Presse/PI/PDF/ 2016/161121_anzeigepflichtSteuergestaltungen.pdf;jsessionid=8E7C796C204F 27B3827BA04AACB83097?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 19.7.2017).

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Kreienbaum Zunächst kann man aus dem Umstand, dass das BMF das Max-PlanckInstitut mit diesem Gutachten beauftragt hat, gut ablesen, dass ein gewisses Interesse besteht, sich mit diesem Thema zu befassen und sich anzuschauen, welche Möglichkeiten sich da eröffnen. Das Interesse besteht auch aufseiten der Länder – Sie haben gerade Schleswig-Holstein genannt –, aber das Gleiche gilt sicherlich auch für viele andere Bundesländer. Wir haben seit einiger Zeit eine Arbeitsgruppe mit den Ländern zu diesem Thema. Die Herausforderungen, die mit der konkreten Formulierung eines solchen möglichen Vorschlags verbunden sind, haben wir, meine ich, bereits gut herausgearbeitet. Auch ich sehe insbesondere in Fragen der Bestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit entsprechender Offenlegungspflichten eine große Herausforderung für uns. Wie erfasse ich abstrakt, aber hinreichend bestimmt dasjenige, was ich sehen möchte? Die Frage der Verhältnismäßigkeit des Mittels zum zu erreichenden Ziel ist erheblich, auch vor dem Hintergrund, dass Informationen der Finanzverwaltung möglicherweise aus anderen Gründen schon vorliegen. Handelt es sich um Informationen, die die Finanzverwaltung noch gar nicht hat, oder geht es um Informationen, die die Finanzverwaltung zu einem frühzeitigeren Zeitpunkt oder auch in einer in bestimmter Weise aufbereiteten Form haben möchte? Das sind wesentliche Fragen, die wir noch beantworten müssen. Ich finde die Idee von Anzeigepflichten nicht vollständig abwegig, wie es vorhin von Vertretern der Wirtschaft zum Ausdruck kam. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Gestaltungsberatung gibt, die gezielt abgefragt und dadurch auch verhindert werden kann. Zum Common Reporting Standard beispielsweise, dem Standard zum automatischen Informationsaustausch zu Finanzkonten, hören wir aus mehreren Staaten, dass es koordinierte Gestaltungsberatung für Finanzinstitute gibt, wie man diesen Standard umgehen kann, wie ich erreichen kann, dass Finanzkonten oder bestimmte dahinter stehende Personen nicht gemeldet werden müssen. Oder wie ich umgehen kann, den wirtschaftlich Begünstigten identifizieren zu müssen. Bei Beratungsleistungen zu solchen Gestaltungen kann ich mir vorstellen, sie konkret in einer gesetzlichen Formulierung zu fassen. Daraus würde sich auch ein konkreter Erkenntnisgewinn ableiten, den die Finanzverwaltung nicht auf anderem Wege erreichen könnte.

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Prof. Dr. Lüdicke Das, was Sie jetzt gesagt haben, klingt deutlich anders als das, was vor ein paar Jahren in dem § 138a AO vorgesehen war. Dr. Wacker Ich würde gerne bei Herrn Kreienbaum zur Bereichseinteilung nachfragen. Wenn vorgeschlagen wird, nur im Bereich der rechtspolitisch unerwünschten Gestaltungen eine Meldepflicht ins Auge zu fassen, nicht hingegen im Bereich 1, der ist hier umschrieben als Bereich, der nach anderen Vorschriften schon de lege lata korrigierbar ist, zum Beispiel nach § 42 AO, stellt sich dann nicht die Frage, ob eine solche Abgrenzung trennscharf ist? Hinzu kommt: Ist es nicht so, dass man – auch beim BFH – sehr häufig erst nach Rechtskraft des Urteils weiß, ob § 42 AO greift? Ein ebenso wichtiges Anliegen wäre deshalb ein Auftrag zu mehr Normenklarheit. Ich meine Normenklarheit im Hinblick auf die ganz besonderen Anforderungen des Steuerrechts. M.a.W.: Eine steuerrechtliche Norm ist nach meinem Dafürhalten umso vollkommener, je gestaltungssicherer sie ist und je weniger Spielraum sie in den Randzonen lässt. Dr. Osterloh-Konrad Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor, das ich gerne aufklären möchte. Die von mir getroffene Unterscheidung zwischen dem ersten Bereich, in dem Gestaltungen bereits nach geltendem Recht – etwa unter Rückgriff auf § 42 AO – korrigiert werden können, und dem dritten Bereich, in dem dies nicht der Fall ist, soll nicht bedeuten, dass der Tatbestand der Anzeigepflicht nur Letzteren erfassen sollte. Die Anzeigepflicht muss vielmehr sinnvollerweise auch den ersten Bereich bzw. Teile davon abdecken. An Missbräuchlichkeit oder fehlende Missbräuchlichkeit sollte man tatbestandlich keinesfalls anknüpfen. Das hat mehrere Gründe. Vor allem wäre es völlig dysfunktional, einen Tatbestand zu schaffen, der vom Steuerpflichtigen oder vom Berater verlangt zu beurteilen, ob eine Gestaltung missbräuchlich ist oder nicht. Gemeint habe ich allerdings, dass sich das rechtspolitische Informationsinteresse des Fiskus vor allem auf den dritten Bereich richtet. Denn im ersten Bereich, wo das geltende Recht beispielsweise über § 42 AO bereits reagieren kann, besteht rechtspolitisch kein vergleichbarer Handlungsbedarf. Hier kann eine Anzeigepflicht dazu beitragen, die Normanwendung im Veranlagungsverfahren zu vereinheitlichen. Wichtiger aber ist der dritte Bereich, also Gestaltungen, die derzeit „funktionieren“, die der

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Gesetzgeber jedoch möglicherweise für die Zukunft abstellen möchte. Aber das heißt nicht, dass der erste Bereich vollständig aus der Anzeigepflicht herausfallen sollte. Dr. Wacker Okay. Kreienbaum Ich stimme Herrn Wacker und Frau Osterloh-Konrad darin zu, dass es keine Trennschärfe gibt zwischen den genannten Bereichen. Die Abschreckungswirkung wird bei 1 auch erreicht, und vor allen Dingen auch bei 3. Das hat Frau Osterloh-Konrad schon dargestellt. Ich denke, dass es hier jeweils um die Hauptzielrichtung geht und dass alle drei Bereiche gemeinsam betroffen sein können. Mit Blick auf die Normenklarheit: Ich hatte diesen Aspekt mit dem Begriff „Bestimmtheit“ umschrieben, vielleicht ist der Begriff „Normenklarheit“ umfassender. Darin sehe auch ich eine wesentliche Herausforderung. Lassen Sie mich als Seitenbemerkung noch einmal betonen, dass dieser Punkt dem BMF sehr am Herzen liegt. Wie bereits erwähnt, liegt ein Hauptaugenmerk unserer G20-Präsidentschaft im Steuerbereich auf dem Bereich „Tax Certainty“. Darunter fassen wir auch die Normenklarheit, Bestimmtheit und Beständigkeit von Regelungen. Prof. Dr. Lüdicke Ich vermute, Herr Wacker hatte jetzt die deutschen Normen im Auge. (Gelächter) Dr. Wacker Ich finde, das wäre ein guter Ausgangspunkt. Dr. Andresen3 Die Frage ist doch, worüber wir sprechen. Wir sprechen über den Import eines Rechtskonzepts, das primär in Selbstveranlagungsstaaten gang und gäbe ist, wie z.B. den USA, England usw. Die Frage ist: Ist ein solches Rechtskonzept im deutschen Steuerrecht überhaupt gut aufgehoben? Und da fehlen mir ein bisschen zwei Aspekte. Einmal: Passt das über3 Dr. Ulf Andresen ist Tax Partner bei PwC in Frankfurt am Main.

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haupt ins Rechtssystem? Denn ich glaube, dass wir Deutschen das gar nicht können, wie im Selbstveranlagungssystem Großzügigkeit walten lassen, gepaart mit höheren Strafen bei Nichtbefolgung. Uns fehlt nämlich die Großzügigkeit im Umgang mit solchen Aspekten. Wir wollen Genauigkeit. Und zum zweiten die Frage: Hat man sich beim MPI auch damit auseinandergesetzt, was man an entlastenden Maßnahmen für den Steuerpflichtigen hat, wenn man den Steuerpflichtigen systemwidrig einer höheren Belastung aussetzt? Wir sprechen immer nur über Belastung. Kann der Steuerpflichtige sich bei Einführung einer systemwidrigen Anzeigepflicht unter Umständen darauf einstellen, dass das dann systemwidrige Veranlagungsverfahren wegfällt, oder können wir uns darauf gefasst machen, dass keine flächendeckenden Betriebsprüfungen mehr stattfinden? (Gelächter) Prof. Dr. Blumers4 Ich denke, ein Hauptproblem liegt doch darin, dass wir im Vergleich zu den Staaten, die solche Methoden eingeführt haben, ein so komplexes Steuerrecht haben, dass die Rechtslage eigentlich gar nicht mehr ausreichend klar ist, um so ein Instrument einzuführen. Das hat sich eben, meine ich, auch schon an dem Vortrag von Frau Osterloh-Konrad gezeigt, und auch an ihren Antworten. Das Gesetz ist so hoch komplex, weil es immerzu neu ergänzt und ergänzt und ergänzt wird. Wer klug ist – und ich kenne viele Promotoren (ich weiß nicht, wo der Begriff jetzt plötzlich herkommt) –, der geht doch heute hin und legt solche Ideen nicht mehr offen. Denn das Gesetz gebiert die Ideen unmittelbar, indem es veröffentlicht wird, oder schon im Entwurf die Regelungsfehler und Gestaltungschancen zeigt. Andererseits gibt es doch inzwischen viele Steuerberater, die das Finanzamt anrufen und sagen: „Herr Sowieso oder Frau Sowieso, ich weiß was. Da macht einer so ein Modell.“ Man wird interessante Gestaltungen heute doch zurückhalten und nur wenigen Leuten überhaupt auf den Tisch legen. Und andererseits ist es doch so, dass die Verwaltung auch gar nicht mehr darauf reagiert. Ich führe nur zwei Beispiele an, an denen Sie das sehen können. Anfang 2010 hat der I. Senat des BFH in einem DBA-Fall mit Frankreich über die KGaA-Problematik entschieden, wo man plötzlich natürliche Personen und Personengesellschaften, die dort die Komplementärstellung innehatten, mit einbezog in die steuerlichen Konsequenzen der KGaA als Kapitalgesellschaft. Da4 Prof. Dr. Wolfgang Blumers ist Partner der Sozietät Blumers & Partner Partnerschaftsges. für Rechtsanwälte, Steuerberater in Stuttgart.

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rauf haben so viele, ich habe es mir angesehen, Modelle verkauft in ihren Vorträgen, stundenlang, und die Verwaltung, was hat sie gemacht? Sie hat erst Ende 2012 reagiert! Und heute geht sie hin und wendet die Entscheidung auf die Zeit bis dahin nicht mehr an, weil sie sich darüber grün ärgert. Aber sie hat damals nicht sofort einen Fuß in die Tür gestellt, um die unerwünschten Folgen zu vermeiden. Oder ein anderer Fall: Eben kam die Cash-GmbH hoch. Der Fall ist genauso schön. Die Cash-GmbH – das hat jeder gesehen – ist doch kein Fall, den man anzeigen muss! Den Fehler haben selbst Finanzbeamte im Bundesfinanzministerium gesehen! Da musste man nicht darauf hinweisen! (Gelächter) Sondern viel interessanter ist doch, dass man im Jahre 2013 das Erbschaftsteuergesetz ergänzt hat, und zwar hat man die Finanzmittel plötzlich differenzierend zum Teil zum Verwaltungsvermögen gerechnet. Dort hat man ein neues Loch gerissen, nach welchem man wieder Cash-GmbHs generieren konnte. Bloß, das haben wir dann nicht mehr veröffentlicht. Das haben wir in aller Stille angewandt. Das heißt, darüber redet hier keiner. Aber verstehen Sie, das waren nur zwei Beispiele, an denen man sehen kann, was unser hoch komplexes Steuerrecht zulässt. Aber es gibt eine Entwicklung, die Sie vielleicht mal aufgreifen sollten: Es gibt Gestaltungen, vor allen Dingen im Großraum Frankfurt, da dort die entsprechende Klientel sitzt, die sich nur mit Steuerarbitrage befassen. Und diese Fälle, die das Steuerrecht nur nutzen, um daran zu verdienen und gar keinen eigenen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, das sind vielleicht die Fälle, die man aufgreifen sollte und die man vielleicht auch genügend differenzierend erkennen kann. Aber alles andere sehe ich nicht. Vielen Dank. Dr. Baßler5 Frau Osterloh-Konrad, ich habe Ihren Vortrag so verstanden, dass Sie die Anzeigepflicht grundsätzlich vor allen Dingen unter rechtspolitischen Motiven oder mit einer rechtspolitischen Stoßrichtung für gut befinden. Herrn Kreienbaums Votum habe ich als Zustimmung verstanden. Mich würde interessieren, wie Finanzverwaltung und Gesetzgeber sicherstellen könnten, dass die Informationen, die dem Gesetzgeber über eine Anzeige zugehen, der Finanzverwaltung nicht veranlagungsunterstützend zugänglich gemacht werden.

5 Dr. Johannes Baßler ist Partner bei Flick Gocke Schaumburg in Hamburg.

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Dr. Osterloh-Konrad Ganz kurz zu den verschiedenen Fragen. Erster Punkt: Import eines Instruments aus Selbstveranlagungssystemen in ein System der Offizialveranlagung. Wenn man sich anschaut, wie der Alltag der Veranlagung in Deutschland und in den Selbstveranlagungssystemen aussieht, so ist der Unterschied nicht so groß, wie er auf den ersten Blick zu sein scheint. Der zweite Punkt ist aber ein durchaus berechtigter. Wenn man die Anzeigepflicht als veranlagungsunterstützendes Instrument ausgestaltet und dem US-amerikanischen System annähert, läuft man tatsächlich in Probleme hinein, auch in die Schwierigkeit, die Herr Kreienbaum schon angesprochen hat: Es lässt sich schwerlich verfassungsrechtlich rechtfertigen, wenn die Finanzverwaltung Steuerpflichtige oder Berater auf Informationen in Anspruch nimmt, die sie eigentlich schon hat, die aber verwaltungsintern nicht effizient gebündelt und genutzt werden. Und zum Stichpunkt „komplexes Steuerrecht“: Wenn Sie sich das USamerikanische oder das britische Steuerrecht ansehen, werden Sie feststellen, dass beide Systeme mindestens genauso kompliziert sind wie unser Steuersystem. In meiner Vorstellung sollten Abgrenzungsprobleme in einem rechtspolitisch ausgerichteten und angemessen eng zugeschnittenen Anzeigepflichtsystem so gelöst werden, dass sich der Adressat der Anzeigepflicht im Zweifel für eine Anzeige entscheidet, weil sie abgesehen vom damit verbundenen Aufwand keine negativen Rechtsfolgen für ihn hat. Das heißt, meine Lösung für diese Fälle wäre es, im Zweifel das entsprechende Formular auszufüllen und abzusenden, um auf der sicheren Seite zu sein und das Bußgeld zu vermeiden. Blickt man auf die ausländischen Vorbilder, so sieht man, dass das tatsächlich einigermaßen zügig geht und keinen großen Aufwand verursacht. In einem solchen System wird die Anzeigepflicht ohnehin nicht besonders oft greifen. Sogar im britischen System, das tatbestandlich relativ ausgreifend ist und viele Fallgruppen erfasst, sieht man in der Statistik, dass nicht allzu viele Anzeigen bei der Finanzverwaltung eingehen. Deswegen sind wir auch für Deutschland optimistisch, dass sich der Verwaltungsaufwand auf Verwaltungs- wie auf Beraterseite angemessen begrenzen lässt. Letzter Punkt: Die Frage der Normenklarheit, die Herr Wacker angesprochen hat. Ich halte das tatsächlich für ein wichtiges Thema. Es hat nicht unmittelbar etwas mit dem Instrument der Anzeigepflicht zu tun, aber es ist eine Vorfrage. Gerade deshalb gefällt mir auch die jüngste Erbschaft-

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steuerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts so gut, weil sie diesbezüglich die Verantwortungsbereiche zwischen Gesetzgeber und Steuerpflichtigem deutlich abgrenzt. Prof. Dr. Lüdicke Ja, vielen Dank, Frau Osterloh-Konrad. Das klang schon wie ein Schlusswort, aber mir liegt noch ein Punkt am Herzen. Es ist mehrfach England erwähnt worden. Und in England kann man besichtigen, wie sich Anzeigepflichten über die Jahre entwickeln können. Dort wurden vor etwa zwölf Jahren Anzeigepflichten eingeführt (sog. DOTAS-System [Disclosure of Tax Avoidance Schemes]). Zunächst bestanden im Einzelnen definierte Anzeigeverpflichtungen. Danach trat eine Entwicklung ein, die Frau Osterloh-Konrad bereits angesprochen hat. Der Gesetzgeber hat die Anzeigepflichten inzwischen mehrfach verschärft. Auch jetzt ist aktuell schon wieder eine weitere Verschärfung des Systems im Gespräch, die mit dem nächsten britischen Jahressteuergesetz im April 2017 kommen könnte. Ich möchte Ihnen nur einmal ein Gefühl dafür geben, in welche Richtung sich das britische System inzwischen bewegt hat – und dabei spreche ich nicht von den diversen Verpflichtungen der Promotoren, die z.T. noch schärfer als die Steuerpflichtigen getroffen werden. Hier also nur ein Blick auf die Steuerpflichtigen! Die Steuerpflichtigen erhalten für ein angezeigtes Modell von den Promotoren eine Nummer und müssen diese Nummer bei der Steuererklärung mit angeben. So weit, so gut – könnte man meinen. Sofern allerdings die steuerliche Behandlung des „Modells“ zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem streitig wird und gerichtlich entschieden wird, treten erhebliche Folgen ein. Verliert der Steuerpflichtige, muss er eine penalty von 20 % entrichten, weil er ein solches „Modell“ verwendet hat – und das, obwohl das „Modell“ unbestrittener Maßen völlig legal und legitim ist, wie ja auch Frau Osterloh-Konrad es herausgestellt hat. Verwendet man ein zweites Mal ein derartiges „Modell“, steigt das Risiko: Verliert man den Fall vor Gericht, steigt die penalty auf 40 %, beim dritten Mal auf 60 %. Den Promotoren kann bspw. auferlegt werden, dass sie auf ihrer Homepage veröffentlichen müssen, wenn sie oder die fraglichen Steuerpflichtigen einen Rechtsstreit um ein solches „Modell“ verloren haben usw. Dies meinte ich mit der Gefahr, dass sich solche am Anfang zielgerichteten Anzeigepflichten in eine andere Richtung weiterentwickeln. Diese Gefahr sollte jedem bewusst sein, der sich für die Einführung solcher Anzeigepflichten ausspricht – wehret den Anfängen. (Applaus)

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Dr. Osterloh-Konrad Ich bin generell skeptisch gegenüber slippery-slope-Argumenten. Aber ein System wie in England möchte ich hier tatsächlich auch nicht haben. Da sind wir uns völlig einig. Wir beurteilen wohl nur das Risiko unterschiedlich, dass sich die Dinge in diese Richtung entwickeln könnten.

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Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs Daniel Sennewald Dipl.-Finw. (FH), Steuerberater Siemens AG, München

A. Hintergrund der Ausweitung des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs und Zielsetzung der OECD/G20 . 164 B. Verhinderung der künstlichen Vermeidung von Betriebsstätten (BEPS-Aktionspunkt 7) . . I. Betriebsstättenvermeidung durch Nutzung von Kommissionären sowie ähnlichen Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige Rechtslage . . . . . 2. Geplante Änderungen. . . . a) Der abhängige Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . aa) „… Verträge abschließen“. . . . . . bb) „… die wesentliche Rolle für den Abschluss von Verträgen zu spielen“ . . . . b) Der unabhängige Vertreter . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen auf gängige Geschäftsmodelle . . . . . . . 4. Gestaltungsmöglichkeiten zur Reduzierung von Betriebsstättenrisiken. . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Betriebsstättenvermeidung mithilfe der Ausnahme für bestimmte Tätigkeiten nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA . . . .

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1. Bisherige Rechtslage . . . . 2. Geplante Änderungen . . . 3. Auswirkungen auf gängige Geschäftsmodelle . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Änderungen der Bau- und Montagebetriebsstättenregelung nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige Rechtslage . . . . 2. Geplante Änderungen . . . a) Principal Purpose Test . b) Automatic Rule . . . . . . 3. Auswirkungen auf gängige Geschäftsmodelle . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit und Ausblick . . . . . . . . I. Fazit aus Sicht eines Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Multilaterale Instrument zur Umsetzung der BEPS-Maßnahmen in bilateralen DBA . . . . . . . . 2. Fortentwicklung des UN-MA. . . . . . . . . . . . . . . 3. Unilaterale Umsetzungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . a) Australien . . . . . . . . . . b) Indonesien . . . . . . . . . . c) Taiwan . . . . . . . . . . . . . d) Israel . . . . . . . . . . . . . . .

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs

A. Hintergrund der Ausweitung des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs und Zielsetzung der OECD/G20 Nicht erst seit der Initiierung des Base Erosion and Profit Shifting (BEPS)Projekts durch die OECD wird die Definition der Betriebsstätte intensiv diskutiert. Denn vor dem Hintergrund, dass gemäß OECD-MA für Unternehmensgewinne ausnahmsweise nur dann abweichend vom Ansässigkeitsstaat dem Quellenstaat ein Besteuerungsrecht zugewiesen wird, wenn und soweit die unternehmerische Tätigkeit in diesem durch eine dort belegene Betriebsstätte ausgeübt wird,1 kommt der Frage der Betriebsstättenbegründung eine entscheidende Bedeutung zu. Wann eine Betriebsstätte begründet wird, definiert Art. 5 OECD-MA abschließend. Diese Regelung folgt dem international weitgehend akzeptierten Leitgedanken, dass der Quellenstaat das Besteuerungsrecht nach Art. 7 OECD-MA nur dann gegenüber dem ausländischen Unternehmer ausüben darf, wenn dessen unternehmerische Tätigkeit eine gewisse Intensitätsschwelle erreicht, dieser also nicht nur lockere wirtschaftliche Beziehungen unterhält bzw. lediglich geringfügig am Wirtschaftsleben teilnimmt.2 Der Wortlaut der Betriebsstättendefinition des Art. 5 OECDMA wurde in den letzten Jahrzehnten kaum geändert, sodass sich diverse Streitfragen auch aufgrund neuer, sich stark verändernder Geschäftsmodelle (insbesondere im Bereich der Digitalen Wirtschaft) ergaben. Es wurde vielfach, allen voran von den Schwellen- und Entwicklungsländern, kritisiert, dass diese Geschäftsmodelle mit den bestehenden – sich an der physischen Bindung orientierenden – Regelungen nur schwer abzubilden sind. So würden nunmehr vermehrt die (früher) als Hilfs- und Nebentätigkeiten definierten Aktivitäten (bspw. Auslieferungslager) die entscheidenden Wertschöpfungsbeiträge liefern. Eine adäquate, an der tatsächlichen Wertschöpfung orientierte Besteuerung dieser Tätigkeiten sei mit den bestehenden Regelungen aber nicht möglich. In der Folge wurden bereits vor BEPS zahlreiche kontrovers diskutierte Änderungsvorschläge3 seitens der OECD und deren Mitgliedstaaten 1 Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA. 2 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 1; BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BFHE 189, 292 = BStBl. II 1999, 694. 3 Vgl. z.B. Ditz, Aktuelles zur Betriebsstättendefinition auf Ebene der OECD und in der Rechtsprechung, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 41, 2012, 109; Kofler, Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von Betriebs-

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zum Kommentar zu Art. 5 OECD-MA vorgebracht,4 die zum Ziel hatten, auch ohne Abänderung des Wortlauts des Art. 5 OECD-MA eine schrittweise Absenkung der Schwelle zur Betriebsstättenbegründung zu erreichen. Dies lässt sich vor allem an der Intention erkennen, die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Betriebsstätte in Form einer festen Geschäftseinrichtung gem. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA soweit aufzuweichen,5 dass damit die Einführung einer „Quasi-Dienstleistungsbetriebsstätte“6 und folglich eine weitere Annäherung an die Regelungen des UN-MA erreicht würde. Hinzu kamen schlagzeilenträchtige Diskussionen zu Steuerstrategien von US-Unternehmen wie Google, Starbucks und Amazon7, die zwar legal, aber aus Sicht der Öffentlichkeit „unmoralisch“ durch Gewinnverschiebungen weg vom Ort ihrer Entstehung hin zu Ländern mit niedrigen Steuersätzen nur sehr geringe Steuerbeträge trotz Milliardengewinne zahlten. All dies gipfelte in den Nachwehen der globalen Finanzkrise von 2008 in der Angst einer Vielzahl von Staaten, erhebliches Steueraufkommen zu verlieren, und erzeugte einen enormen politischen und medialen Druck. Hierdurch sahen sich auch die höchsten politischen Ebenen zur Handlung „genötigt“, sodass letztlich die G20-Staats- und Regierungschefs in ihrer Abschlusserklärung zum G20-Gipfel in Los Cabos vom 18./19.6.2012 betonten, Base Erosion und Profit Shifting (BEPS) auslösende Steuergestaltungen bekämpfen zu wollen. Im Nachgang wurde die BEPS-Initiative mit dem OECD-Bericht „Addressing Base Erosion

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stätten, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 43, 2014, 113; Schönfeld, Neue Entwicklungen zur Betriebsstätte im Internationalen Steuerrecht: Betriebsstättenbegriff, DStJG 36, 233; Esterer, FS Wassermeyer, 2015, 137. OECD (2011), Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention v. 12.10.2011 (abrufbar unter www.oecd.org/tax/treaties/48836726.pdf); OECD (2012), Revised Proposals concerning the Interpretation and Application of Article 5 v. 19.10.2012 (abrufbar unter www.oecd.org/ctp/treaties/PermanentEstablishment.pdf). Art. 5 OECD-MK Rz. 42.11–42.48. Aufgrund der schwindenden Bedeutung des Tatbestandsmerkmals der Verfügungsmacht; vgl. Reiser/Cortez, IStR 2013, 6 (6 ff.); Reimer, IStR 2009, 378 (378 ff.). http://www.telegraph.co.uk/finance/personalfinance/tax/9673358/StarbucksAmazon-and-Google-accused-of-being-immoral.html; https://www.heise.de/ newsticker/meldung/Steuertricks-der-IT-Konzerne-am-Pranger-1750049.html.

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und Profit Shifting“ ins Leben gerufen.8 Im Zuge der hierdurch initiierten Diskussionen wurde am 19.7.2013 der Aktionsplan zur Bekämpfung von BEPS auf einem Treffen der G20-Finanzminister vorgestellt und veröffentlicht.9 Dieser Aktionsplan sieht fünfzehn Punkte vor, die den Staaten nationale und internationale Instrumente bieten sollen, um die Besteuerungsrechte stärker an der wirtschaftlichen Tätigkeit ausrichten zu können.10

Abb.: Übersicht BEPS Aktionspunkte, Quelle: OECD

Hiervon stellt Aktionspunkt 7 ein zentrales Thema des BEPS-Aktionsplans dar. Dieser befasst sich mit der seitens der OECD identifizierten „künstlichen Vermeidung der Betriebsstättenbegründung“ durch missbräuchliche Gestaltungen, die mit den hierin enthaltenen Maßnahmen künftig verhindert werden soll. Denn im Rahmen der BEPS-Konsultationen hatte die OECD festgestellt, dass die bisherige Betriebsstättendefinition spezielle (missbräuchliche) Strukturen zur Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung ermöglicht bzw. sogar gefördert habe. Als Folge sei vielfach zulasten der Quellenstaaten eine angemessene Aufteilung 8 OECD (2013), Addressing Base Erosion and Profit Shifting, OECD Publishing. 9 OECD (2013), Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, OECD Publishing. 10 Pross/Petzold, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Wie geht es weiter?, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 43, 2014, 1.

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der Besteuerungsbefugnisse zwischen den involvierten Staaten unterblieben. Die OECD hatte in diesem Zusammenhang insbesondere die nachfolgenden Entwicklungen im Fokus:11 –

zunehmende Tendenz bei multinationalen Konzernen zur Abschmelzung von (funktionsschwachen) Eigenhändlern (sog. Fully-fledged oder Limited Risk Distributor) zu Kommissionären;



keine (ausreichende) Besteuerungsmöglichkeit von Geschäftsaktivitäten mit teils hohem Wertschöpfungsbeitrag im Quellenstaat, insbesondere bei neuartigen Geschäftsmodellen der Digitalen Wirtschaft (z.B. Onlinehändler mit Auslieferungslager);



Vermeidung von Betriebsstättenbegründungen aufgrund der künstlichen Aufspaltung von Verträgen bzw. Geschäftsaktivitäten im Konzern respektive zwischen nahestehenden Personen.

Am 5.10.2015 wurde der Abschlussbericht zu Aktionspunkt 712 zusammen mit den übrigen Berichten veröffentlicht und am 8.10.2015 von den G20-Finanzministern in Lima sowie am 15./16.11.2015 von den G20Staats- und Regierungschefs in Antalya gebilligt. Der 51 Seiten umfassende finale Report enthält umfangreiche Vorschläge zur Änderung von Art. 5 Abs. 3 bis 6 OECD-MA sowie des dazugehörigen Kommentars. Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen des Aktionspunkts 7 hat die deutsche Finanzverwaltung verlautbaren lassen, dass eine Beibehaltung des abkommensrechtlichen (bisherigen) Betriebsstättenkonzepts zwar wünschenswert sei, eine Anpassung an veränderte Gegebenheiten aber der erfolgreichen Bewahrung der Grundkonzeption sogar dienlicher sein könne. In jedem Falle müsse ein möglichst weitgehender internationaler Konsens über die Reichweite des Betriebsstättenbegriffs erhalten bleiben. In diesem Kontext wurde auch erklärt, dass Deutschland sachgerechte und international konsensfähige Änderungen der Betriebsstättendefinition auch dann unterstützt, wenn diese in praxi teilweise zu einem ge11 OECD (2015), Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, 9–11 – Final Report OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris, abrufbar unter http://dx.doi.org/ 10.1787/9789264241220-en. 12 OECD (2015), Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7 – Final Report, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris, im Folgenden als „finaler Report“ zitiert.

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wissen Nettoverlust deutschen Steuersubstrats bzw. zu zusätzlichen ausländischen Betriebsstätten deutscher Unternehmen mit ausländischen Aktivitäten führen würden.13

B. Verhinderung der künstlichen Vermeidung von Betriebsstätten (BEPS-Aktionspunkt 7) Der Abschlussbericht zu Aktionspunkt 7 ist in vier Teile gegliedert: –

Kapitel A – Betriebsstättenvermeidung durch Nutzung von Kommissionären sowie ähnlichen Gestaltungen,



Kapitel B – Betriebsstättenvermeidung mithilfe der Ausnahme für bestimmte Tätigkeiten nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA,



Kapitel C – Andere Strategien zur Vermeidung einer Betriebsstätte (Aufteilung von Verträgen, Vertrieb von Versicherungen ohne Betriebsstätte),



Kapitel D – Gewinnzurechnung bei Betriebsstätten und Verhältnis zu BEPS-Ergebnissen der Maßnahmen zu Verrechnungspreisen.

I. Betriebsstättenvermeidung durch Nutzung von Kommissionären sowie ähnlichen Gestaltungen 1. Bisherige Rechtslage Die Vorschriften des Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA folgen dem Grundgedanken, dass ein Unternehmen unter gewissen Voraussetzungen so behandelt werden soll, als habe es eine Betriebsstätte in einem Staat, wenn eine Person in diesem Staat für das Unternehmen (unternehmerisch) tätig wird und das Unternehmen keine feste Geschäftseinrichtung gem. Art. 5 Abs. 1 und 2 OECD-MA unterhält.14 Gemeint sind hier in erster Linie Fälle, in denen eine Person für ein Unternehmen tätig ist und dabei eine Vollmacht besitzt und diese gewöhnlich ausübt, um im Namen des Unternehmens Verträge abzuschließen (abhängiger Vertreter).15 Wenn das Unternehmen jedoch in diesem Vertragsstaat seine Geschäftstätigkeit durch einen unabhängigen Vertreter, wie einen Makler oder Kommissionär, ausübt und dieser im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt, wird die Begründung einer Vertreterbetriebs13 Schmidt-Heß, IStR 2016, 165 Tz. 3. 14 Art. 5 Abs. 5 OECD-MK Rz. 31. 15 Vgl. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA.

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stätte verneint.16 Gerechtfertigt wird diese Ausnahmeregelung aus der Überlegung, dass ein unabhängiger Vertreter dem Vertretenen regelmäßig ein unter fremden Dritten übliches Entgelt in Rechnung stellen wird.17 Daher wird der Vorteil, den der Vertretene aus der Zwischenschaltung des Vertreters erzielt, dem fremdüblichen Entgelt entsprechen müssen, sodass der Betriebsstättengewinn des Vertretenen stets 0 Euro betragen würde.18 Ein Kommissionsverhältnis19 wird nach BEPS-Aktionspunkt 7 definiert als „eine Vereinbarung, auf deren Grundlage ein Unternehmen in einem bestimmten Staat Güter, Waren oder auch Dienstleistungen im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung eines in diesem Staat nicht ansässigen Unternehmens (Kommittent) vertreibt, das Eigentümer dieser Produkte ist“. Aus Sicht der OECD wurden Kommissionärsstrukturen von multinationalen Konzernen häufig zur Steuervermeidung bzw. Gewinnverschiebung genutzt, sodass diese im Rahmen des BEPS-Projekts im besonderen Blickpunkt standen.20 Mit sog. Funktionsabschmelzungen durch die Vertriebstochtergesellschaften, die zunächst als Eigenhändler agierten und dann hinsichtlich deren Funktions- und Risikoprofil auf einen Kommissionär abgeschmolzen wurden, konnte einerseits der an die Tochtergesellschaft zu verrechnende Preis im Einklang mit den bestehenden Verrechnungspreisregelungen de lege lata reduziert werden,21 sodass sich die zu versteuernden Gewinne der meist in einem Hochsteuerland ansässigen Tochtergesellschaft minimieren ließen. Andererseits konnte mithilfe von (konzerninternen) Kommissionären auch die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte vermieden werden. Denn soweit die als Kommissionär abgeschmolzene Tochtergesellschaft im Rahmen ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt, ist die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte nach der derzeitigen Fassung des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA (unabhängiger Vertreter) i.d.R. ausgeschlossen.22 Etwas anderes kann dann gelten, wenn 16 17 18 19 20 21

Vgl. Art. 5 Abs. 6 OECD-MA. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 221. Sieker, DB 1996, 981. Im Original: „Commissionaire Arrangement“. Finaler Report, Rz. 5. Im Gegensatz zum Eigenhändler ist der Kommissionär i.d.R. nicht der rechtliche Eigentümer der von ihm vertriebenen Produkte, sodass der Quellenstaat grds. nur die vom Kommissionär erwirtschaftete (geringere) Provision besteuern kann. 22 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 203b; entscheidend ist, dass die Tochtergesellschaft auch tatsächlich die Funktionen und Risiken aus-

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diese Tochtergesellschaft noch zusätzliche Funktionen (bspw. After-Sales Services, Gewährleistungsarbeiten) ausübt. Grundsätzlich soll aus deutscher Sicht die Frage, ob ein unabhängiger Vertreter im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt, danach beurteilt werden, ob die Vertretertätigkeit nach der Verkehrsanschauung innerhalb des jeweiligen Berufsbildes liegt und dem gegenwärtigen Aufgabenbereich des betreffenden Geschäftszweiges entspricht, selbst wenn diese Tätigkeit nur von einzelnen branchengleichen Unternehmen in vergleichbarer Weise besorgt wird.23 M.a.W. handelt jeder unabhängige Vertreter im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit, wenn er wie ein „ordentlicher“ Kommissionär/Makler auftritt und sein Entgelt dem Fremdvergleich standhält. Im Übrigen ist auch darauf abzustellen, ob der unabhängige Vertreter für mehrere oder nur für einen einzigen Vertretenen handelt.24 Seitens der Steuerpflichtigen wurde bei konzerninternen Kommissionären daher argumentiert, dass dieser für mehrere Konzerngesellschaften als Kommissionär tätig und folglich unabhängig i.S.d. Vorschrift sei. Weiteren Handlungsbedarf identifizierte die OECD hinsichtlich (missbräuchlicher) Gestaltungen im Zusammenhang mit dem Innehaben von Abschlussvollmachten. So wurde in praxi die Vertreterbetriebsstätte vermehrt dadurch (künstlich, aber unter Achtung des geltenden Steuerrechts) vermieden, indem zwar der Vertreter im anderen Staat die Verträge (materiell) im Namen des ausländischen Unternehmens mit den Kunden ausverhandelte, sodass in vielen Ländern der Vertrag auch zivilrechtlich bereits als abgeschlossen galt, die förmliche Vertragsunterzeichnung jedoch im Ansässigkeitsstaat des vertretenen Unternehmens erfolgte. Derartige Gestaltungen sind nach bisheriger Fassung des Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA deshalb möglich, weil es in vielen Jurisdiktionen umstritten ist, ob eine Vertreterbetriebsstätte nur unter Verwendung einer rechtlichen oder auch einer faktischen Abschlussvollmacht begründet werden kann. Eine sog. faktische Abschlussvollmacht ist dann gegeben, wenn eine Person bevollmächtigt ist, alle Einzelheiten eines Vertrags verbindlich für das Unternehmen auszuhandeln. Denn dann kann davon ausgegangen werden, dass die Person, der zwar förmlich keine Vertretungsmacht erteilt worden ist, dennoch die Vollmacht „in diesem Staat“ ausübt, selbst wenn der Vertrag letztlich (von einer anderen Person) in dem Staat unterübt, die dem Auftreten eines (externen) Unternehmers nach der Art eines unabhängigen Maklers/Kommissionärs entspricht. 23 BFH v. 23.9.1983 – III R 76/81, BStBl. II 1984, 94. 24 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 231.

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zeichnet wird, in dem das vertretene Unternehmen ansässig ist (wirtschaftliche Betrachtungsweise).25 Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise stellt an sich einen Widerspruch zum klaren Wortlaut des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA dar. Denn bei streng zivilrechtlicher Auslegung bedarf es einer formellen Abschlussvollmacht. Dennoch hat sich die OECD zwischenzeitlich (auch) der wirtschaftlichen Betrachtungsweise angeschlossen und am 28. Januar 2013 den MK entsprechend geändert.26 Diese Weiterentwicklung war seinerzeit u.a. dem Recht der Common-Law-Staaten geschuldet, in denen nicht zwischen unmittelbarer und mittelbarer Stellvertretung unterschieden wird. In diesen Ländern wird vielmehr angenommen, dass der Prinzipal an von einem Vertreter geschlossene Verträge mit Dritten üblicherweise auch dann gebunden ist, wenn dieser im eigenen Namen auftritt.27 Des Weiteren spricht auch die ausdrückliche Aufzählung des Kommissionärs in Art. 5 Abs. 6 OECD-MA für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, da der Kommissionär nach § 384 Abs. 1 HGB Verträge nur im eigenen Namen abschließt und dieser folglich kein Vertreter i.S.d. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA sein könne, wenn es ausschließlich auf den (förmlichen) Vertragsabschluss im fremden Namen ankäme. Trotz dieser Klarstellungen der OECD gab es auch in jüngster Vergangenheit hierzu diverse Urteile mit durchaus divergierenden Ergebnissen. So schlussfolgerten die Gerichte in den Urteilen zu Zimmer (Frankreich)28 und Dell (Norwegen)29, dass Art. 5 Abs. 5 OECD-MA eine rechtliche Bindung des Vertretenen durch die vom Vertreter abgeschlossenen Verträge voraussetzt. Im Urteil zu Dell (Spanien)30 wird hingegen eine Vertreterbetriebsstätte bereits bei faktischer Bindung des Prinzipals angenommen. Auch die deutsche Finanzverwaltung31 sowie Teile der Lite-

25 Art. 5 Abs. 5 OECD-MK Rz. 33. 26 Art. 5 Abs. 5 OECD-MK Rz. 32.1. 27 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 201a (Doktrin des undisclosed principal); dazu Avery Jones/Ward, ET 1993, 154 (158); Persico, Intertax 2000, 66 (68 f.); Pleijsier, Intertax 2001, 218 (221 f.), m.w.N. 28 Conseil d’Etat v. 31.3.2010, Nr. 304715 und 308525. 29 Noregs Hogsterrett v. 2.12.2011, HR-2011-2245-A. 30 Spanisches Oberstes Gericht v. 8.6.2015 – 182/2012 – Dell, Tribunal Supremo v. 12.12.2012. 31 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 (VWG Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 Rz. 215; v. 24.12.1999 – IV B 4 S 1300 - 111/99 (VWG Betriebsstätten), BStBl. I 1999, 1076 Tz. 1.2.2.

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ratur haben die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte bei Vorliegen einer faktischen Vollmacht unter bestimmten Voraussetzungen bejaht.32

2. Geplante Änderungen Zur Lösung dieser Streitfragen und um die dargestellten Missbrauchsfälle künftig zu verhindern, wird im BEPS-Aktionspunkt 7 eine Ausweitung der Vertreterbetriebsstättendefinition durch umfangreiche Änderungen des Art. 5 Abs. 4 bis 6 OECD-MA sowie des dazugehörigen Kommentars vorgeschlagen.

a) Der abhängige Vertreter Die Neufassung des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA zum abhängigen Vertreter soll nunmehr wie folgt lauten: „Ist ungeachtet der Abs. 1 und 2 jedoch vorbehaltlich des Abs. 6 eine Person in einem Vertragsstaat für ein Unternehmen tätig und schließt sie dabei gewöhnlich Verträge ab, oder spielt sie gewöhnlich eine wesentliche Rolle, die zum Abschluss von Verträgen führt, die routinemäßig ohne wesentliche Veränderungen vom Unternehmen abgeschlossen werden, und werden diese Verträge a) im Namen des Unternehmens, oder b) zur Übertragung des Eigentums, oder des Rechts zur Nutzung von Wirtschaftsgütern, die das Unternehmen besitzt oder zu nutzen berechtigt ist, oder c) zur Erbringung von Dienstleistungen durch dieses Unternehmen geschlossen, so wird das Unternehmen so behandelt, als habe es in diesem Vertragsstaat für alle von der Person für das Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten eine Betriebsstätte, es sei denn, diese Tätigkeiten beschränken sich auf die in Abs. 4 genannten Tätigkeiten, die, würden sie durch eine feste Geschäftseinrichtung ausgeübt, diese Einrichtung nach dem genannten Absatz nicht zu einer Betriebsstätte machen.“

Künftig ist es also nicht mehr zwingend erforderlich, dass vom Vertreter Verträge ausdrücklich im Namen des ausländischen Unternehmens abgeschlossen werden. Denn zur Begründung einer Vertreterbetriebsstätte soll es jetzt ausreichend sein, dass eine Person „gewöhnlich eine wesentliche Rolle spielt, die zum Abschluss von Verträgen führt“, soweit diese Verträge „routinemäßig ohne wesentliche Veränderungen vom Unternehmen abgeschlossen werden“. Die OECD verankert also die bisher nur im MK enthaltene „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ direkt im Wortlaut des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA und erweitert den Anwendungsbereich 32 Hruschka in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 5 OECD-MA Rz. 136.

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noch darüber hinaus. Das Vorhandensein einer formalen Abschlussvollmacht ist folglich nicht mehr entscheidend. Dies wird auch in der vorgeschlagenen Anpassung des Kommentars zu Art. 5 Abs. 5 OECD-MA nochmals verdeutlicht.33

aa) „… Verträge abschließen“ Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob ein Vertrag abgeschlossen wurde, ist das jeweilige im Einzelfall zugrunde zu legende Vertrags-/ Zivilrecht des entsprechenden Staates. Demnach kann ein Vertrag auch (für das vertretene Unternehmen) als abgeschlossen gelten, wenn der Vertreter dem potenziellen Kunden einen Standardvertrag übergibt, und dieser – ohne weiter gehende aktive Handlung des Vertreters – die Vertragsbedingungen akzeptiert.34 Des Weiteren wird klargestellt, dass eine Person, die sämtliche Elemente und Details eines Vertrags verhandelt, der das Unternehmen bindet, als die Person angesehen werden kann, die den Vertrag abschließt (selbst wenn der Vertrag außerhalb des Staates unterzeichnet wird).

bb) „… die wesentliche Rolle für den Abschluss von Verträgen zu spielen“ Indem es zudem künftig ausreicht, dass der Vertreter „gewöhnlich die wesentliche Rolle für den Abschluss von Verträgen spielt“, wenn diese Verträge regelmäßig ohne weitere Änderungen vom vertretenen Unternehmen abgeschlossen werden, wird die Einführung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise noch zusätzlich untermauert. Laut finalem Report sollen hiervon insbesondere folgende Fälle umfasst werden: –

Der Vertragsabschluss resultiert direkt aus Aktivitäten einer Person, selbst wenn der Vertrag rechtlich nicht durch diese abgeschlossen wird, wie im Fall des Handelsvertreters;



Aktivitäten einer Person, die regelmäßig auf einen Vertragsabschluss abzielen (i.S.v. Vertriebspersonal35 des Unternehmens);



Aktivitäten einer Person, die sich darauf beschränken, den Kunden über die Preisstruktur (ohne diese verhandeln zu können) und die Rahmenbedingungen eines Vertragsabschlusses zu informieren.

33 Art. 5 Abs. 5 OECD-MK Rz. 32.6., finaler Report. 34 Art. 5 Abs. 5 OECD-MK Rz. 32.4., finaler Report. 35 Im Original: „Sales Force“.

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Reine Marketing-/Werbeaktivitäten einer Person (d.h. ausschließliches Anpreisen von Produkten) sollen jedoch nicht unter diese Regelung fallen. Letztlich ist hieraus erkennbar, dass es darauf ankommt, ob die Handlungen des Vertreters entscheidend dazu beitragen, den Kunden zum Vertragsabschluss zu motivieren. Diese „weichen“ Kriterien bzw. unscharf formulierten Tatbestandsvoraussetzungen sind in praxi nur schwerlich zu handhaben. Denn es wird sich mit ausländischen Finanzverwaltungen trefflich darüber streiten lassen, ob, und falls ja, welche Aktivitäten wesentlich für die Kaufentscheidung des Kunden waren. Hier muss in künftigen Betriebsprüfungen sicher mit fragwürdigen Bewertungen gerechnet werden. Da es durch die Neuregelung nicht mehr zwingend darauf ankommt, dass vom Vertreter ausdrücklich Verträge im Namen des (ausländischen) vertretenen Unternehmens abgeschlossen werden, können somit nunmehr auch Kommissionäre von der Regelung des Art. 5 Abs. 5 OECDMA erfasst werden.36 Ausdrücklich keine Vertreterbetriebsstätte soll nach Rz. 32.12 des MK zu Art. 5 Abs. 5 OECD-MA bei Tätigkeiten eines sog. Low-Risk-Distributors („funktionsschwacher Eigenhändler“) begründet werden, soweit dieser tatsächlich im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handelt. Dies soll unabhängig davon gelten, wie lange der Low-Risk-Distributor (LRD) Eigentümer der vertriebenen Produkte ist.37 Es bleibt aber abzuwarten, wie aufgrund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise Fälle zu beurteilen sind, in denen der LRD ein dem Kommissionär vergleichbares Funktions- und Risikoprofil innehat.38 Wie bisher werden auch weiterhin unabhängige Vertreter nach Art. 5 Abs. 6 OECD sowie Aktivitäten eines Vertreters, die nur Vorbereitungsund Hilfstätigkeiten i.S.d. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA darstellen, von der Vertreterbetriebsstättenbegründung ausgenommen. Die im finalen Report vorgeschlagenen Änderungen dieser Vorschriften (vgl. nachfolgend unter B.I.2.b und B.II.) werden den Anwendungsbereich der vorgenann-

36 S. auch Bendlinger, IStR 2016, 914. 37 D.h. auch bei Vertriebsstrukturen mit Flash-Title. 38 Vgl. BEPS Monitoring Group: Comments on the Public Discussion Draft on Confirming amendments to chapter IX of the transfer pricing guidelines, Rz. 4 (abrufbar unter https://bepsmonitoringgroup.wordpress.com).

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ten Ausnahmen von der Betriebsstättenbegründung jedoch künftig deutlich einschränken.

b) Der unabhängige Vertreter Die Neufassung des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA zum unabhängigen Vertreter liest sich nunmehr wie folgt: Nach Art. 5 Abs. 6 Buchst. a OECD- MA gilt Abs. 5 nicht, „wenn die in einem Vertragsstaat für ein Unternehmen des anderen Vertragsstaates tätige Person im erstgenannten Vertragsstaat eine Geschäftstätigkeit als unabhängiger Vertreter ausübt und im Rahmen ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit für das Unternehmen tätig ist. Ist eine Person jedoch ausschließlich oder nahezu ausschließlich für ein oder für mehrere Unternehmen tätig, mit dem oder denen sie eng verbunden ist, so gilt diese Person in Bezug auf dieses oder diese Unternehmen nicht als unabhängiger Vertreter im Sinne dieses Absatzes.“

Es wird also an der Grundregel festgehalten, dass ein unabhängiger Vertreter, der im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt, keine Vertreterbetriebsstätte begründet. Allerdings werden künftig Makler und Kommissionäre nicht mehr explizit als unabhängig qualifiziert. Ferner werden an das Vorliegen der Unabhängigkeit strengere Anforderungen gestellt. So ist gem. Art. 5 Abs. 6 Buchst. a OECD-MA eine Abhängigkeit dann gegeben, wenn die betreffende Person „ausschließlich oder fast ausschließlich für ein oder mehrere Unternehmen tätig wird, mit dem oder denen sie eng verbunden ist.“ Im Sinne dieser Vorschrift handelt ein Vertreter dann (fast) ausschließlich, wenn Verkäufe, die der Vertreter für nicht eng verbundene Unternehmen tätigt, weniger als 10 % seines gesamten Vertriebs ausmachen. Der Vertreter gilt somit dann als abhängig, wenn die mit externen Dritten abgeschlossenen Geschäfte einen lediglich unwesentlichen Umfang erreichen. Es kann also künftig nicht mehr argumentiert werden, dass ein (konzerninterner) Vertreter deswegen unabhängig ist, weil er für mehrere andere eng verbundene Unternehmen tätig wird.39 Definiert wird der Begriff des eng verbundenen Unternehmens, auf den auch in diversen anderen Neuregelungen des Art. 5 OECD-MA Bezug genommen wird, in einem neu eingeführten Art. 5 Abs. 6 Buchst. b OECD-MA: „Für Zwecke der Anwendung dieses Artikels gilt eine Person als mit einem Unternehmen eng verbunden, wenn sie an dem Unternehmen mindestens 50 % des 39 Schoppe/Reichel, BB 2016, 1245.

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs wirtschaftlichen Eigentums besitzt (oder im Fall einer Gesellschaft, mindestens 50 % der Stimmrechte und am Kapital oder an den Eigenmitteln der Gesellschaft), oder wenn eine andere Person mindestens 50 % des wirtschaftlichen Eigentums (oder im Fall einer Gesellschaft, mindestens 50 % der Stimmrechte und am Kapital oder an den Eigenmitteln der Gesellschaft) an der Person und am Unternehmen besitzt. Eine Person gilt jedenfalls einem Unternehmen eng verbunden, wenn sich aus den relevanten Umständen ergibt, dass Kontrolle ausgeübt werden kann oder beide unter der Kontrolle ein- und derselben Person oder eines Unternehmens stehen.“

Demnach gelten Gruppenunternehmen zukünftig immer als eng verbunden. Selbst wenn keine tatsächliche Beteiligung vorliegt, gelten die Parteien auch dann als verbunden, wenn ein Unternehmen einer Person Rechte in einem entsprechenden Umfang einräumt (oder umgekehrt).

3. Auswirkungen auf gängige Geschäftsmodelle Die umfangreichen an der Vertreterbetriebsstättenregelung vorgenommenen Änderungen werden weitreichende Auswirkungen auf bestehende Vertriebsstrukturen haben. Die nachfolgenden Beispiele sollen dies veranschaulichen. Beispiel 1: Onlinehändler Die D-GmbH (ansässig im Staat D) vertreibt ihre Waren und Dienstleistungen global über ihre Website. Die im Staat A ansässige A-Ltd., 100-prozentige Tochtergesellschaft der D-GmbH, versendet zur Gewinnung von Kunden im Staat A E-Mails und kontaktiert potenzielle Kunden via Telefon. Interessierten Kunden erklärt die A-Ltd. die standardisierten Vertragsbedingungen sowie die Preistabellen. Bei konkretem Kaufinteresse verweist die A-Ltd. auf die Website der D-GmbH. Die Kunden schließen die (Standard-)Verträge online direkt mit der D-GmbH über deren Website. Die A-Ltd. wird für ihre Tätigkeiten auf Provisionsbasis vergütet. Weitere eigene Geschäftsaktivitäten übt die A-Ltd. nicht aus.

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs Lösung: Nach den bisherigen Regelungen wäre der Fall mangels Abschlussvollmacht der A-Ltd. als unkritisch beurteilt worden. Basierend auf den geänderten Regelungen zur Vertreterbetriebsstätte wird die D-GmbH aber nunmehr eine Vertreterbetriebsstätte im Staat A begründen. Denn im vorliegenden Fall spielt die A-Ltd. die wesentliche Rolle für das Zustandekommen der Verträge. Die A-Ltd. kann auch nicht als unabhängiger Vertreter i.S.d. Art. 5 Abs. 6 OECD-MA angesehen werden. Sollte aber der Fall alternativ so ausgestaltet sein, dass die D-GmbH die Website unter Berücksichtigung der besonderen Kundenwünsche im Staat A hinsichtlich Produktportfolio, Sprache und Währung landesspezifisch anpasst, kann zumindest diskutiert werden, ob nicht ggf. die Website – und nicht die A-Ltd. – die entscheidende Rolle für die Kaufentscheidung gespielt hat. Beispiel 2: Key Account Manager („KAM“) Die im Staat D ansässige D-GmbH verhandelt für ihre 100-prozentigen ausländischen Vertriebstochtergesellschaften A, B und C aus der Konzernzentrale heraus mit einem globalen Kunden die Konditionen für weltweite Lieferverträge. Der KAM (Mitarbeiter der D-GmbH) verhandelt hierfür einen für alle Vertriebstochtergesellschaften gültigen Rahmenvertrag. Allerdings werden die sich auf den Rahmenvertrag beziehenden Lieferverträge direkt zwischen den Vertriebstochtergesellschaften und deren lokalen Kunden abgeschlossen.

Lösung: Aufgrund der Ausverhandlung des weltweiten Rahmenvertrags, dessen Konditionen auch für die lokalen Lieferverträge bindend sind, ergibt sich das Risiko der Begründung je einer Vertreterbetriebsstätte für die Vertriebstochtergesellschaften A, B und C im Staat D. Selbiges Problem kann im Übrigen auch im Falle von zentralen Verhandlungen von Einkaufsrahmenverträgen entstehen, allerdings nur dann, wenn die Einkaufstätigkeit die Grenze der Vorbereitungs- und Hilfstätigkeit i.S.d.

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs Art. 5 Abs. 4 OECD-MA überschreitet.40 Um letztlich entscheiden zu können, ob tatsächlich Vertreterbetriebsstätten anzunehmen sind, wäre daneben u.a. auch zu prüfen, ob einerseits das Kriterium „gewöhnlich“ (d.h., die Vertragsverhandlung stellt einen nicht nur einmaligen Vorgang dar) erfüllt ist und die D-GmbH andererseits nicht als unabhängiger Vertreter i.S.d. Art. 5 Abs. 6 OECD-MA anzusehen wäre.41 So ist hier anhand des konkreten Einzelfalls insbesondere zu klären, ob die D-GmbH im Rahmen ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit sowie nicht (fast) ausschließlich für eng verbundene Unternehmen tätig wird.

4. Gestaltungsmöglichkeiten zur Reduzierung von Betriebsstättenrisiken Um böse Überraschungen sowie unnötige und kostenintensive Doppelstrukturen in Form einer Vertriebstochtergesellschaft und einer (daneben) zusätzlich angenommenen Vertreterbetriebsstätte zu vermeiden, sind Bestandsaufnahmen bestehender Vertriebsstrukturen und deren Analyse unabdingbar. Nachfolgende Punkte sollten hierbei beachtet werden: –

Analyse und Dokumentation der vom vertretenen Unternehmen und der Vertriebstochtergesellschaft ausgeübten Funktionen und Risiken. Hierbei kann das im Annex 1 des Discussion Draft zur Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments (BEPS-Aktionspunkt 7) enthaltene Muster einer Funktions- und Risikoanalyse hilfreiche Anhaltspunkte liefern.



Soweit die Vertriebsgesellschaft als Eigenhändler (also im eigenen Namen und auf eigene Rechnung) tätig wird, darf das vertretene ausländische Unternehmen keine Weisungen hinsichtlich der von der Vertriebstochtergesellschaft übernommenen Funktionen erteilen.



Wie auch bisher ist eine fremdübliche Vergütung der Vertriebstochtergesellschaft entscheidend. Denn selbst dann, wenn der ausländische Staat eine Betriebsstätte annehmen würde, sollte dieser kein Gewinn zugeordnet werden dürfen („Nullsummentheorie“).



Grenzfälle, wie beispielsweise bei einem funktionsschwachen Eigenhändler, dessen Funktions- und Risikoprofil einem Kommissionär gleicht, sollten überdacht und ggf. angepasst werden.

40 Art. 5 Abs. 5 letzter Halbs. OECD-MA und Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA, finaler Report. 41 Auch eine Konzernmuttergesellschaft kann abhängiger Vertreter sein.

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Um die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Vertriebstochtergesellschaften fundiert dokumentieren zu können, sollten diese auch im stärkeren Maße gegenüber Dritten am Markt aktiv werden.

5. Fazit Es bleibt festzuhalten, dass die von der OECD vorgeschlagenen Änderungen zur Vertreterbetriebsstättenregelung für die Praxis erhebliche Probleme nach sich ziehen werden. Denn mit der Neufassung von Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA wurde die Möglichkeit verpasst, endlich eine rechtssichere und praktikable Regelung zur Vertreterbetriebsstätte zu schaffen. Stattdessen hat man sich erneut einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe (wie bspw. „die wesentliche Rolle für den Abschluss von Verträgen zu spielen“) bedient. Damit erhöhen sich die bisher schon bestehenden mannigfaltigen Graubereiche dieser Vorschrift, da auch eine Klarstellung zu den bereits existierenden Streitfragen (bspw., wann das Kriterium „gewöhnlich“ als erfüllt gilt) unterblieben ist. Die OECD schlägt damit eine Regelung vor, die der (oft profiskalischen) Interpretation der ausländischen Finanzverwaltungen zugänglich ist und den Steuerpflichtigen mit Rechtsunsicherheiten und daraus resultierenden Risiken wie Doppelbesteuerung, Zinsen, Strafschätzungen, Nichtabzugsfähigkeit von Aufwendungen sowie strafrechtlichen Vorwürfen nebst potenzieller Verweigerung des Zugangs zum Verständigungsverfahren zurücklässt. Es muss ferner bedacht werden, dass neben den körperschaftsteuerlichen Konsequenzen auch Implikationen bei der Umsatz- und Lohnsteuer entstehen können.42 Abschließend ist erwähnenswert, dass die Sicherstellung von funktionsund risikoadäquaten Verrechnungspreisen anstatt der angedachten Ausweitung der Vertreterbetriebsstättendefinition sicher zielführender gewesen wäre. Denn die vorgeschlagenen Änderungen werden eine Vielzahl neuer Betriebsstätten mit entsprechenden Registrierungs- und Steuererklärungspflichten nach sich ziehen, denen aber – zutreffende Verrechnungspreise vorausgesetzt – unter Umständen kein bzw. nur ein geringer Gewinn zuzurechnen sein wird. Des Weiteren erkennen sowohl die OECD43 als auch die deutsche Finanzverwaltung44 selbst an, dass die „Nullsummentheorie“ (wohl) in einer Vielzahl von Fällen greifen wür42 Zulasten des deutschen Steueraufkommens. 43 Zuletzt: Example 1 (Rn. 21–39), Discussion Draft BEPS ACTION 7 Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments. 44 VWG BsGA, VA1226538, Rz. 422.

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de. Nämlich insbesondere immer dann, wenn das vertretene Unternehmen sämtliche Risiken verwaltet, ist ein der Vertreterbetriebsstätte zuzuweisender Ertrag vollständig an den Vertreter weiterzugeben, sodass dieser Betriebsstätte im Endergebnis kein Gewinn mehr zugerechnet werden kann. Den Steuerpflichtigen verbleibt in diesem Zusammenhang nur die Hoffnung, dass der zum 1.1.2017 von Deutschland übernommene Vorsitz des OECD-Steuerausschusses45 dazu genutzt wird, diesbezüglich bereits existierende positive Regelungsbeispiele einem internationalen Konsens zuzuführen. Ein solches kann etwa das DBA Deutschland–Österreich sein, welches regelt, dass im Fall verbundener Unternehmen keines dieser Unternehmen als Vertreterbetriebsstätte eines anderen verbundenen Unternehmens behandelt wird, wenn die jeweiligen, anderenfalls zur Begründung einer Vertreterbetriebsstätte führenden Funktionen durch Ansatz angemessener Verrechnungspreise, einschließlich eines diesem verbleibenden Gewinns, als abgegolten gelten.46

II. Betriebsstättenvermeidung mithilfe der Ausnahme für bestimmte Tätigkeiten nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 1. Bisherige Rechtslage Mithilfe der Regelungen des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA werden feste Geschäftseinrichtungen, die gem. Art. 5 Abs. 1 und 2 OECD-MA eine Betriebsstätte begründen würden, aus dem Betriebsstättenbegriff wieder ausgeklammert.47 Um dies zu erreichen, enthält Art. 5 Abs. 4 OECD-MA eine Auflistung an Tätigkeiten (Negativkatalog), die per Definition nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen sollen. Art. 5 Abs. 4 OECDMA hat somit „lex specialis“-Charakter gegenüber den allgemeinen Betriebsstättenregelungen.48 Hintergrund der Ausnahmevorschrift ist, dass den Tätigkeiten des Negativkatalogs kein bedeutender Beitrag zur Wertschöpfung des Unternehmens beigemessen wird und diese i.d.R. auch nicht unmittelbar auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind. Die in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA genannten Einrichtungen und Bestände werden daher als Vorbereitungs45 OECD Committee on Fiscal Affairs (CFA), abrufbar unter www.oecd.org/ tax/martin-kreienbaum.htm. 46 Vgl. Protokoll zum DBA Deutschland/Österreich v. 5.4.2002, Nr. 2 (zu Art. 5). 47 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 151. 48 Vgl. BFH v. 23.1.1985 – I R 292/81, BStBl. II 1985, 417 (419).

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und Hilfstätigkeiten49 zusammengefasst.50 Für diese Tätigkeiten würde sich die Bemessung des auf die Betriebsstätte entfallenden Gewinns in praxi als sehr schwierig erweisen.51 Des Weiteren fiele der Betriebsstättengewinn aufgrund der ausgeübten Funktionen und Risiken nur gering aus. Zur Vermeidung unnötiger administrativer Aufwendungen in Form von steuerlichen Registrierungs- und Erklärungspflichten sowie aus Vereinfachungsgründen52 wird daher in diesen Ausnahmefällen zu Recht auf eine Betriebsstätte verzichtet. Eine Tätigkeit ist dann vorbereitend i.S.d. Vorschrift, wenn sie zeitlich vor der Haupttätigkeit ausgeübt wird, z.B. die Planung einer Haupttätigkeit wie die Entnahme von Bodenproben vor Beginn einer Bautätigkeit oder die Auditierung und Zertifizierung von Lieferanten. Hilfstätigkeiten sind hingegen dadurch gekennzeichnet, dass sie parallel neben oder zeitlich nach der Haupttätigkeit ausgeübt werden und von dieser in ihrer Art verschieden sind. Die üblicherweise nicht auf Umsatzoder Gewinnerzielung ausgerichteten Hilfstätigkeiten wirken nur unternehmensintern und unterstützen die Haupttätigkeit (bspw. Einrichtungen zu Werbezwecken, Einkauf). Entscheidend für die Qualifikation als Hilfstätigkeit ist letztlich, ob die Tätigkeit einen wesentlichen und maßgeblichen Teil der Tätigkeit des Gesamtunternehmens ausmacht.53 Bei den Aktivitäten des aktuellen Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis d OECDMA handelt es sich per Definition um Vorbereitungs- bzw. Hilfstätigkeiten und dies nach Auffassung des BFH54 und der OECD55 selbst dann, wenn die genannten Aktivitäten tatsächlich eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung für das Unternehmen haben. Wie eingangs bereits geschildert, haben sich vor allem in der Digitalen Wirtschaft Geschäftsmodelle entwickelt, bei denen derzeit als Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten definierte Aktivitäten tatsächlich die ent49 Oftmals auch als Hilfs- und Nebentätigkeiten bezeichnet. 50 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 152. 51 Vgl. Art. 5 OECD-MK Rz. 23; Lang in Gassner/Lang/Lechner, Die Betriebsstätte im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 1998, 77 ff. 52 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 152. 53 Vgl. Art. 5 OECD-MK Rz. 24 Satz 2. 54 Vgl. BFH v. 23.1.1985 – I R 292/81, BStBl. II 1985, 417. 55 Vgl. OECD, Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention, Oktober 2011, 26 ff., abrufbar unter www.oecd.org/tax/treaties/48836726.pdf; sowie OECD, Revised Proposals concerning the Interpretation and Application of Article 5, Oktober 2012, 24 ff., www.oecd.org/ctp/treaties/PermanentEstablishment.pdf.

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scheidenden Wertschöpfungsbeiträge liefern (vgl. Auslieferungslager, die eine schnelle und umgehende Lieferung von im Internet bestellten Waren ermöglichen). Aus Sicht der OECD steht daher die aktuelle Fassung des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA nicht mehr mit dessen ursprünglichem Sinn und Zweck im Einklang. Im Aktionspunkt 7 des finalen BEPS-Reports wird folglich eine Änderung dieses Absatzes sowie der auf diesen gerichteten Rz. 21 bis 30 des OECD-MK vorgeschlagen (vgl. nachfolgend unter B.II.2.). Im Zusammenhang mit der Vorschrift des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA hat die OECD außerdem weiteren Handlungsbedarf identifiziert, um Gestaltungen, die auf eine betriebsstättenvermeidende Aufsplittung bestimmter Geschäftsaktivitäten abzielen, zu verhindern. Hier seien vermehrt Fallgestaltungen aufgekommen, in denen zwar die Gesamttätigkeit eine Haupttätigkeit darstelle, jedoch durch die Aufteilung bzw. Aufsplittung von Geschäftsaktivitäten zwischen verbundenen Unternehmen jeder Teil für sich genommen lediglich einen Vorbereitungs- bzw. Hilfscharakter habe. Zwar sieht bereits Rz. 27.1 in der aktuellen Fassung des Kommentars zu Art. 5 Abs. 4 Buchst. f OECD-MA vor, dass eine Zusammenrechnung der Tätigkeiten mehrerer fester Geschäftseinrichtungen eines Unternehmens in einem Staat erfolgen soll, sofern diese komplementäre Funktionen ausüben (z.B. Lagerung von Gütern in einer Geschäftseinrichtung und deren Vertrieb in einer anderen Geschäftseinrichtung). Dennoch soll aufgrund der unterstellten „einfachen“ Möglichkeit, derartige Geschäftsaktivitäten zwischen verbundenen Unternehmen aufzusplitten, künftig die Zusammenrechnung von Funktionen mehrerer in einem Staat unterhaltener fester Geschäftseinrichtungen auch für den Fall geboten sein, dass diese von eng verbundenen Unternehmen ausgeübt werden („Anti-Fragmentierung“).

2. Geplante Änderungen Mithilfe der Änderung des Wortlauts von Art. 5 Abs. 4 OECD-MA soll durch Ergänzung nach der Auflistung des Ausnahmekatalogs um folgenden Halbsatz: „[…] vorausgesetzt, dass diese Tätigkeiten oder im Fall des lit. f) die Gesamttätigkeit der festen Geschäftseinrichtung vorbereitender Art sind oder eine Hilfstätigkeit darstellen.“

klargestellt werden, dass künftig sämtliche Aktivitäten des Negativkatalogs nur noch Vorbereitungs- bzw. Hilfstätigkeiten sein dürfen und folg-

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lich die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA dann nicht mehr greift, wenn in der Gesamtschau die genannten Aktivitäten eine wesentliche Tätigkeit des Unternehmens darstellen. Seitens der Literatur wurde bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die Regelung in Buchst. e richtigerweise hätte vorangestellt werden sollen, da die in Buchst. a bis d geregelten Sachverhalte Unterfälle zu Buchst. e seien.56 Der künstlichen Aufspaltung von Geschäftsaktivitäten unter eng verbundenen Unternehmen soll zusätzlich mit der Einfügung eines neuen Abs. 4.1 entgegnet werden (sog. „Anti-Fragmentation-Rule“). Demnach kommt Art. 5 Abs. 4 OECD-MA dann nicht zur Anwendung, wenn: „ein Unternehmen im anderen Vertragsstaat eine feste Geschäftseinrichtung unterhält und – gleichzeitig dasselbe Unternehmen oder ein eng verbundenes Unternehmen57 im entsprechenden Staat entweder bereits eine Betriebsstätte58 begründet hat oder – bei einer Zusammenbetrachtung der ausgeübten Funktionen desselben Unternehmens oder der eng verbundenen Unternehmen nicht mehr von Vorbereitungs- bzw. Hilfstätigkeiten ausgegangen werden kann, und es sich hierbei um komplementäre Funktionen handelt, die Teil einer zusammenhängenden Geschäftsaktivität sind.“

Nachfolgendes erläuterndes Beispiel sieht hierzu Rz. 30.4 des MK zu Art. 5 OECD-MA i.d.F. des finalen Reports vor: Beispiel 3: Das im Staat R ansässige Unternehmen RCo produziert und vertreibt Anwendungen. Das im Staat S ansässige Tochterunternehmen SCo (welches zu 100 % von RCo gehalten wird) betreibt lokal ein Geschäft zum Vertrieb der von RCo bezogenen Anwendungen. Darüber hinaus besitzt RCo ein kleines Warenlager im Staat S, in welchem es einige größere Artikel lagert, die identisch zu den im Laden von SCo ausgestellten Teilen sind. Sofern ein Kunde einen solchen Artikel von SCo

56 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 152; Reimer, IStR 2017, 1 (1 ff.). 57 Das Tatbestandsmerkmal des „eng verbundenen Unternehmens“ entspricht der Regelung des neuen Art. 5 Abs. 6 Buchst. b OECD-MA. 58 Nach den Erläuterungen in der Lösung des Beispiels B) in Rz. 30.4 in Art. 5 OECD-MK, finaler Report, wird ausgeführt, dass dieses Kriterium auch dann erfüllt ist, wenn ein in dem Staat ansässiges Unternehmen über eine entsprechende Einrichtung verfügt und die ansässige Gesellschaft hierdurch ihr Unternehmen betreibt (im nachfolgenden Beispiel der Laden der im Staat S ansässigen Gesellschaft SCo).

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs kauft, entnehmen deren Mitarbeiter den Artikel aus dem Warenlager von RCo, was zu einem Eigentumsübergang auf SCo führt.

Abb.: Beispiel B, Rz. 30.4 des MK zu Art. 5 OECD-MA Lösung: Bei isolierter Betrachtungsweise und unter Heranziehung der bisher gültigen Regelungen des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA würde das von RCo im obigen Fall betriebene Warenlager von lediglich untergeordneter Bedeutung sein und keine Betriebsstätte im Staat S begründen. Allerdings ist nunmehr der neue Abs. 4.1 einschlägig, sodass aufgrund der Tatsache, dass SCo und RCo eng verbundene Unternehmen und die im Staat S von RCo und SCo ausgeübten Funktionen komplementär zueinander sind, die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA keine Anwendung finden kann. Bei Vorliegen sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA würde nunmehr die RCo im Staat S eine Betriebsstätte begründen.

3. Auswirkungen auf gängige Geschäftsmodelle Mit nachfolgender Darstellung59 hat das Bundesfinanzministerium (BMF) recht plakativ die Auswirkungen der vorgenannten Änderungen des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA aufgezeigt. (Siehe Abbildungen auf nächster Seite)

59 Abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardarti kel/Themen/Steuern/beps-15-aktionspunkte.html.

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Abb.: Fallbeispiel – Empfehlung zu Aktionspunkt 7: Aktualisierung des Betriebsstättenbegriffs, Quelle: Bundesfinanzministerium

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Hinsichtlich des Auslieferungslagers wird das BMF nachfolgendes Geschäftsmodell im Blick gehabt haben: Beispiel 4: Auslieferungslager im Staat I Die D-GmbH (ansässig im Staat D) vertreibt Waren und Dienstleistungen (z.B. Bücher, CDs, Haushaltgeräte etc.) global über einen Onlineshop. Die Kunden schließen den Kaufvertrag direkt mit der D-GmbH über deren Website. Um die Kunden nach Eingang der Bestellung binnen 24 Stunden beliefern zu können, unterhält die D-GmbH in den jeweiligen Ländern Auslieferungslager, in denen die entsprechenden Waren bevorratet werden. Für die Kunden stellt die zuverlässige Lieferung ohne lange Wartezeiten ein entscheidendes Kaufargument dar, weshalb sich diese häufig gegen Angebote von Konkurrenten mit vergleichbarem Produktportfolio entscheiden. Im vorliegenden Fall beliefert die D-GmbH ihre Kunden im Staat I über ihr Warenlager in I.

Abb.: Steuerliche Implikationen des Auslieferungslagers nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA Lösung: Nachdem in der Vergangenheit das Warenlager der D-GmbH im Staat I nach Art. 5 Abs. 4 OECD-MA noch von der Betriebsstättenbegründung ausgenommen wurde, muss nunmehr angenommen werden, dass aufgrund des wesentlichen Beitrags des Warenlagers zum Unternehmenserfolg keine Hilfstätigkeit vorliegt und somit die Ausnahmeregel des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA nicht mehr greift. Soweit zusätzlich die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA erfüllt sind, begründet das Warenlager nunmehr eine Betriebsstätte im Staat I.

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Jedoch wird nicht „nur“ das Auslieferungslager künftig einer kritischen Überprüfung der Betriebsstättenrisiken durch den Steuerpflichtigen bedürfen. So können daneben u.a. auch Ausstellungslager, Einkaufstätigkeiten oder Informationsbeschaffungen zu einer Betriebsstätte führen,60 wenn diese Aktivitäten als wesentlich für die Wertschöpfung des Gesamtunternehmens zu beurteilen sind bzw. diese einen signifikanten Bezug zum Kerngeschäft des jeweiligen Unternehmens haben. In praxi wird dies regelmäßig die Frage aufwerfen, wann die Wesentlichkeitsgrenze als überschritten gilt. Denn an konkreten und erläuternden Beispielen hierzu fehlt es in dem finalen Report. Beispiel 5: Langzeitwartungsvertrag für ein Kraftwerk im Staat I Die I-Ltd. (ein im Staat I ansässiges Unternehmen) hat vor mehreren Jahren ein Kraftwerk im Staat I errichtet. Der ebenfalls im Staat I ansässige Kunde schließt mit der I-Ltd. einen Wartungsvertrag über eine Laufzeit von zwölf Jahren ab, der sowohl die Fehleranalyse als auch Reparatur (inkl. Ein- und Ausbau etwaiger defekter Teile) innerhalb von 48 Stunden beinhaltet, um die Betriebsausfälle so gering wie möglich zu halten. Für die Lieferung der Ersatzteile unterbeauftragt die I-Ltd. die (100-prozentige) Konzernmuttergesellschaft D-GmbH im Staat D. Die D-GmbH wiederrum bedient sich ihres Ersatzteillagers im Staat I, um eine schnelle Belieferung gemäß den Kundenbedingungen garantieren zu können.

Lösung: Ähnlich wie im Beispiel 4 stellt sich hier die Frage, ob das Ersatzteillager wesentlich für den Geschäftserfolg des (Gesamt-)Unternehmens ist. Somit muss der Steuerpflichtige bewerten, ob entweder das rechtzeitige Vorhandensein der von der D-GmbH gelieferten Ersatzteile oder ggf. die Fehleranalyse sowie die fachmännische Reparatur der Spezialisten der I-Ltd. die wesentlichen Wertschöpfungsfak60 Soweit die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA erfüllt sind.

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs toren sind.61 Zudem ist fraglich, wie eine Beurteilung im Falle eines diversifizierten Unternehmens mit vielen unterschiedlichen Geschäftsbereichen und Produkten (bspw. Medizinprodukte, Züge, Kraftwerke etc.) zu erfolgen hat. Aber selbst wenn man letztlich zu dem Schluss kommen würde, dass das Ersatzteillager (weiterhin) eine Vorbereitungs- bzw. Hilfstätigkeit i.S.d. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA darstellt, muss künftig zusätzlich geprüft werden, ob u.U. die Anti-FragmentationRule des Art. 5 Abs. 4.1 OECD-MA greift und letztlich doch eine Betriebsstätte anzunehmen wäre.

4. Fazit Auch wenn die Änderung des Wortlauts des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA aus Sicht der OECD sowie Teilen der Literatur aufgrund des ursprünglichen Sinn und Zwecks der Vorschrift eine sach-62 und zeitgerechte Anpassung des Negativkatalogs darstellen mag, muss der Steuerpflichtige auch hier weitere Rechtsunsicherheiten sowie zunehmende Doppelbesteuerung erwarten. Aufgrund des Fehlens klarer und eindeutiger Beispiele im OECD-Kommentar – insbesondere zu der Frage, wann die Tätigkeiten als wesentlich i.S.d. Vorschrift zu qualifizieren sind – ist mit unterschiedlichen Beurteilungen seitens der Steuerpflichtigen, der ausländischen (und ggf. inländischen) Finanzverwaltungen und der Gerichte zu rechnen. Hier wird der Steuerpflichtige gehalten sein, zum Nachweis, weshalb aus seiner Sicht lediglich Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten vorliegen, eine entsprechende Dokumentation anzufertigen. Des Weiteren ist erkennbar, dass von den Änderungen nicht nur die zunächst im Fokus stehende Digitale Wirtschaft betroffen ist, sondern auch die traditionelle Industrie. Eine Überprüfung existierender Geschäftsmodelle sowie Konzernstrukturen ist nicht zuletzt auch aufgrund der Anti-Fragmentation-Rule, mit der hier ebenfalls eine Konzernbetrachtung eingeführt wird, zwingend geboten. Dies wird vor allem für internationale Konzerne mit komplexen Strukturen und Verflechtungen einer Herkulesaufgabe gleichkommen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang zudem die Frage, wie der Steuerpflichtige in unklaren Fällen vorgehen soll, um das Risiko etwaiger strafrechtlicher Konsequenzen zu reduzieren.63 61 In Rz. 22.1 des Art. 5 Abs. 4 OECD-MK wird indikativ erläutert, dass ein Warenlager, in dem Ersatzteile gelagert werden, die für After-Sales-Geschäftsaktivitäten (durch dasselbe Unternehmen?) genutzt werden, grds. keine Hilfsund Nebentätigkeiten darstellen sollen. 62 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 152. 63 Proaktive bzw. prophylaktische Anmeldung einer Betriebsstätte mit Abgabe einer Nullerklärung?

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Am Ende sei ferner kritisch hinterfragt, ob all der Aufwand gerechtfertigt ist. War doch ursprünglicher Sinn und Zweck der Regelung, aus Vereinfachungsgründen feste Geschäftseinrichtungen, denen nur ein geringer Gewinn zuzuallokieren wäre bzw. bei denen (bis dato) die Gewinnermittlung als schwierig erachtet wurde, von dem Betriebsstättenbegriff wieder auszunehmen. Mit den vorgenommenen Änderungen werden nunmehr auch diese Fälle vermehrt eine Betriebsstätte begründen und in der Folge einen für den Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung erheblichen Mehraufwand durch steuerliche Registrierungen und Erklärungsverpflichtungen kreieren. Mit einem deutlichen Zuwachs des Steueraufkommens wird wohl nur in den wenigsten Fällen zu rechnen sein.

III. Änderungen der Bau- und Montagebetriebsstättenregelung nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA 1. Bisherige Rechtslage Auch für die Bau- und Montagebetriebsstätte findet das erklärte Ziel der abkommensrechtlichen Betriebsstättenregelung entsprechende Berücksichtigung, dass nur bei Vorliegen einer hinreichenden Partizipation an der Infrastruktur bzw. des Wirtschaftslebens des Quellenstaats eine selbige begründet werden soll. Aufgrund der besonderen Form der Bau- und Montagebetriebsstätte bemisst sich die Intensitätsgrenze nicht nach der (technischen) Intensität der Tätigkeit, sondern aus Vereinfachungsgründen ausschließlich nach einer relativ leicht messbaren Zeitgrenze (Betriebsstättenschonfrist).64 Daher sieht Art. 5 Abs. 3 OECD-MA eine Sonderregelung für Bau- und Montagearbeiten vor, nach der bei einer Bauausführung oder Montage eine Betriebsstätte nur dann begründet wird, wenn diese Tätigkeiten einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten überschreiten. Aus Sicht der OECD hat diese Regelung – auch aufgrund der bisherigen, strikt unternehmensbezogenen Betrachtungsweise – zu missbräuchlichen Gestaltungen geführt. Demnach seien Bau- und Montageverträge zwischen nahestehenden Unternehmen häufig künstlich so aufgesplittet worden, dass unter Ausnutzung der Betriebsstättenschonfrist eine Betriebsstättenbegründung, die damit einhergehende steuerliche Registrierungsverpflichtung sowie eine Besteuerung im Quellenstaat vermieden werden konnten. Bereits mit der am 23.7.1992 überarbeiteten Rz. 18 des 64 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 91.

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MK zu Art. 5 OECD-MA wurde eine Antimissbrauchsregelung eingeführt, um Strukturierungen Einhalt zu gebieten, mit denen für jeden Vertragspartner durch (künstliche) Teilvertrags-Zuweisungen an mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen Einsatzfristen unterhalb der Betriebsstättenschonfrist von zwölf Monaten sichergestellt werden sollten:65 „Die Zwölfmonatsgrenze hat zu Missbräuchen geführt; so wurden Fälle festgestellt, in denen Unternehmen (hauptsächlich Unternehmer oder Subunternehmer, die auf dem Festlandsockel arbeiteten oder im Zusammenhang mit der Erforschung und der Ausbeutung des Festlandsockels tätig waren) ihre Verträge in mehrere Teile aufteilten, von denen jeder einen Zeitraum von weniger als zwölf Monaten abdeckte und jeweils einer anderen Gesellschaft zugewiesen war, die jedoch zum selben Konzern gehörte. Abgesehen davon, dass solche Missbräuche nach Maßgabe des Einzelfalles unter die von Gesetzgebung und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze gegen Missbräuche fallen können, bleibt es den betroffenen Staaten unbenommen, in zweiseitigen Verhandlungen entsprechende Lösungen für sie zu vereinbaren.“

Abb.: Beispiel zu Rz. 18 des MK zu Art. 5 OECD-MA

Aufgrund des hierin enthaltenen Verweises auf die allgemeinen Missbrauchsregeln der jeweiligen Vertragsstaaten handelt es sich hierbei nicht um eine abkommensrechtliche Vorschrift, sodass Quellenstaaten ohne eine entsprechende unilaterale Gesetzesgrundlage derzeit keine adäqua-

65 Um somit die Begründung einer Bau- und Montagebetriebsstätte für jedes beteiligte Konzernunternehmen zu vermeiden.

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ten Maßnahmen zur Sicherstellung ihres Besteuerungsrechts ergreifen können.66

2. Geplante Änderungen Um steuerlich motivierten Aufsplittungen von Verträgen künftig besser entgegentreten zu können, hat die OECD zwei alternative Maßnahmen im Abschlussbericht zum BEPS-Aktionspunkt 7 vorgeschlagen. Hierbei handelt es sich um die Einführung eines Principal Purpose Test oder einer sog. Automatic Rule.

a) Principal Purpose Test Hinsichtlich des PPT wird auf die bereits im Aktionspunkt 6 („Preventing the Granting of Treaty Benefits in Inappropriate Circumstances“) vorgeschlagene allgemeine (abkommensrechtliche) Missbrauchsregelung verwiesen. Diese soll künftig in einen neu gefassten Art. 10 OECD-MA („Entitlements for Treaty Benefits“) aufgenommen werden. Demnach werden die Abkommensvergünstigungen des Art. 5 Abs. 3 OECD-MA dann nicht gewährt, wenn die Erlangung des Vorteils67 ein wesentlicher Zweck („Principal Purpose“) der gewählten Strukturierung war.68 Zur Konkretisierung empfiehlt die OECD die Aufnahme eines erläuternden Beispiels in dem OECD-MK zur allgemeinen Missbrauchsregelung. In dem geschilderten Beispiel erfolgt die Erfüllung eines Bauund Montagevertrags mit einer Dauer der lokalen Bau- und Montagetätigkeiten von insgesamt 22 Monaten dergestalt, dass die lokalen Leistungen so zwischen eng verbundenen Unternehmen aufgeteilt werden, dass beide Unternehmen für sich isoliert betrachtet die einschlägige Betriebsstättenschonfrist von zwölf Monaten gem. Art. 5 Abs. 3 OECD-MA nicht überschreiten. Der Vertrag wird hierbei bereits in der Angebotsphase entsprechend aufgeteilt. Zudem haften die verbundenen Unternehmen gegenüber deren Kunden gesamtschuldnerisch für die Erfüllung des Bauund Montagevertrags.

66 Vgl. Lüthi, IWB Fach 10 Gruppe 2, 875 ff. (877). 67 Also die Ausnutzung der 12-Monats-Schonfrist. 68 S. hierzu die Alternativregelung der UN unter C.II.2.

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Abb.: Beispiel J zum Principal Purpose Test – finaler Report, Teil C, I.

Die OECD schlussfolgert aus diesem Beispiel, dass die Gestaltung (widerlegbar) als steuerlich motiviert und daher missbräuchlich zu werten sei. Als Konsequenz sei die Betriebsstättenschonfrist als abkommensrechtliche Vergünstigung nicht zu gewähren. Somit würden beide verbundenen Unternehmen jeweils eine Betriebsstätte im Staat der Anlagenerrichtung begründen. Es obliegt hierbei dem Steuerpflichtigen nachzuweisen, dass (gewichtige) wirtschaftliche Gründe entscheidend für die Wahl der Gestaltung waren.

b) Automatic Rule Soweit Länder keinen Gebrauch von der PPT-Regelung machen wollen, schlägt die OECD stattdessen die Einführung einer sog. Automatic Rule vor. In Anlehnung an Rz. 42.45 des OECD-MK zur Dienstleistungsbetriebsstätte ist nunmehr folgende Formulierung der Definition einer Bau- und Montagebetriebsstätte (Art. 5 Abs. 3 OECD-MA) angedacht:69 „Für den alleinigen Zweck der Feststellung, ob der Zwölfmonatszeitraum des Art. 5 Abs. 3 überschritten ist, werden

69 Vergleichbare Regelungen finden sich bereits in Art. 5 Abs. 3 und 5 DBA UK– Australien v. 21.8.2003 und in Art. 6 Abs. 5 und 6 der Nordic Convention („Convention between Denmark, Finland, Iceland, Norway, and Sweden for the avoidance of double taxation with respect to taxes on inheritances and gifts v. 12.9.1989; Inkraftreten: 19.8.1992“).

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs a) wenn ein Unternehmen eines Vertragsstaats im anderen Staat Aktivitäten im Zusammenhang mit einer dort durchgeführten Bauausführung oder Montage ausübt und diese Aktivitäten innerhalb eines Zeitraums von weniger als zwölf Monaten durchgeführt werden und b) zusammenhängende Tätigkeiten, die jeweils 30 Tage überschreiten, auf der gleichen Baustelle oder im Zusammenhang mit dem gleichen Bau- und Montageprojekt während verschiedener Zeiträume von einem oder mehreren mit dem erstgenannten Unternehmen eng verbundenen Unternehmen ausgeübt werden, diese Zeiträume zu dem Tätigkeitszeitraum des erstgenannten Unternehmens hinzugerechnet.“

Folgende Kriterien sollen zur Annahme von „zusammenhängenden Tätigkeiten“ führen: –

Separate Kundenverträge enthalten zwar unterschiedliche Aktivitäten, wurden aber mit denselben oder diesen nahestehenden Personen abgeschlossen.



Der Abschluss zusätzlicher Verträge ist eine logische Konsequenz des ursprünglichen Vertrags, der mit derselben oder einer nahestehenden Person abgeschlossen wurde.



Die Aktivitäten wären ohne steuerplanerische Erwägungen üblicherweise in einem Kundenvertrag geregelt worden.



Die unterschiedlichen Verträge enthalten gleichartige oder vergleichbare Tätigkeiten.



Die in separaten Verträgen vereinbarten Tätigkeiten werden von denselben Mitarbeitern erbracht.

Die Automatic Rule hat zur Konsequenz, dass bei Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen eine unmittelbare Zusammenrechnung der Tätigkeitsdauer von eng verbundenen Unternehmen für die Frage der Überschreitung der Betriebsstättenschonfrist erfolgt. Wie auch bereits in den vorgeschlagenen Änderungen zu Art. 5 Abs. 4 und 4.1 OECD-MA („AntiFragmentation-Rule“) ist eine Abkehr von der bisherigen strikt unternehmensbezogenen Regelung hin zu einer Konzernbetrachtung erkennbar. Des Weiteren wird dem Steuerpflichtigen im Gegensatz zum PPT jedwede Exkulpationsmöglichkeit genommen, sodass zur Entkräftung der Annahme eines Missbrauchsfalls das Anführen von wesentlichen außersteuerlichen Gründen, die ggf. tatsächlich für die Gestaltung ausschlaggebend waren, nicht möglich ist.70 70 Vielfach kritisch kommentiert, u.a. BIAC Stellungnahmen v. 9.1.2014, Rz. 87, sowie v. 12.6.2015, Rz. 13.

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3. Auswirkungen auf gängige Geschäftsmodelle Mit der Einführung sowohl der sog. Automatic Rule als auch des PPT werden für die Praxis vielfältige Herausforderungen verbunden sein. Insbesondere im Falle der Automatic Rule ist nunmehr damit zu rechnen, dass vermehrt Fallgestaltungen als (nicht widerlegbare) Missbrauchsfälle qualifiziert werden, in denen steuerplanerische Erwägungen keine bzw. eine nur untergeordnete Rolle spielen. So war die Bau- und Montageindustrie in der Vergangenheit eher Doppelbesteuerung denn doppelter Nichtbesteuerung ausgesetzt, was sich durch die Neuregelungen künftig noch deutlich verschärfen wird. Beispiel 6: Errichtung eines Kraftwerks Das im Staat S ansässige Staatsunternehmen SCo vergibt den Auftrag für die Errichtung eines neuen Kraftwerks im Staat S (Gesamterrichtungsdauer ca. 22 Monate). Die Bau- und Montagearbeiten werden voraussichtlich 19 Monate andauern. Die Tiefbauarbeiten (Dauer ca. 3 Monate), die vor Beginn der Anlagenerrichtung abgeschlossen sein müssen, führt die SCo selbst durch. Um Verzögerungen und Probleme zu vermeiden, beauftragt die SCo die im Staat D ansässige D-GmbH mit der anleitenden Überwachung der Tiefbauarbeiten. Aufgrund der Vergaberegeln des Staates S, die eine vermehrte Nutzung von lokalen Unternehmen vorschreibt, vergibt die SCo die nach Abschluss der Tiefbauarbeiten beginnenden Bau- und Montagetätigkeiten (ca. 19 Monate) in einem separaten Vertrag an die SUBCo, eine im Staat S ansässige 100-prozentige Tochtergesellschaft der D-GmbH. Das DBA zwischen Staat D und S entspricht dem OECD-MA in der Form des finalen Reports und enthält die Automatic Rule.

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs Lösung: Aufgrund der im Staat S erbrachten Überwachungsleistungen der D-GmbH werden nach der Automatic Rule die von dem eng verbundenen Unternehmen SUBCo durchgeführten Bau- und Montagearbeiten der D-GmbH für Zwecke der Betriebsstättenfristberechnung hinzugerechnet. In der Folge gilt die Betriebsstättenschonfrist von zwölf Monaten als überschritten und die D-GmbH begründet trotz einer tatsächlichen lokalen Präsenz von lediglich drei Monaten eine Betriebsstätte im Staat S. Die D-GmbH kann mithin nicht vorbringen, dass die Gestaltung ausschließlich außersteuerliche Gründe hatte, da eine Exkulpationsmöglichkeit im Gegensatz zum PPT nicht vorgesehen ist. Die D-GmbH hat nur noch die (in praxi wohl wenig erfolgversprechende) Möglichkeit zu argumentieren, dass keine zusammenhängenden Tätigkeiten vorliegen. Abwandlung 1: Der Sachverhalt stellt sich wie im Ursprungsfall dar. Allerdings werden abweichend davon sämtliche lokale Tätigkeiten (Tiefbauarbeiten, Bau- und Montagearbeiten) von der SUBCo erbracht. Etwaiges von SUBCo für die Erbringung ihrer Leistungen benötigtes Personal wird von der D-GmbH über eine konzerninterne Arbeitnehmerentsendung auf Anfrage zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der Arbeitnehmerentsendung erfolgt der Übergang der wirtschaftlichen Arbeitgebereigenschaft auf die SUBCo, da diese die Personalkosten trägt, die Weisungen erteilt und für die Arbeitsleistung der zur Verfügung gestellten Mitarbeiter haftet.71 Die D-GmbH erbringt ausschließlich Lieferungen (u.a. Fertigung des Kessels in D und Auslieferung aus D heraus) und Leistungen (wie Planung und Engineering) im Staat D. Für die Vertragserfüllung haften die D-GmbH und die SUBCo gegenüber dem Kunden gesamtschuldnerisch.

71 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 (VWG Arbeitnehmerentsendung), BStBl. I 2001, 796.

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs Lösung: Da die D-GmbH nicht im Staat S tätig wird, sondern sämtliche lokale Leistungen von der SUBCo erbracht werden, greift die Automatic Rule nicht. Es erfolgt keine Hinzurechnung der von der SUBCo erbrachten Leistungen zur D-GmbH für Zwecke der Betriebsstättenfristberechnung. Daran ändert auch die Arbeitnehmerentsendung der D-GmbH sowie die gesamtschuldnerische Haftung nichts. Dem Sinn und Zweck der Regelung folgend ist bei dieser Strukturierung keine Gewinnverlagerung bzw. Steuervermeidung gegeben. Sämtliche lokale Leistungen werden von der SUBCo im Staat S der Besteuerung unterworfen. Eine unterstellte Betriebsstätte der D-GmbH würde kein anderes Ergebnis liefern.72 Abwandlung 2: Der Sachverhalt stellt sich wie im Ursprungsfall dar. Allerdings soll nunmehr ein Kraftwerk bestehend aus zwei Blöcken (Block A und B) errichtet werden. Die Dauer der lokalen Bau- und Montagearbeiten beträgt für Block A 10 Monate und Block B 7 Monate. Aufgrund des noch nicht weit fortgeschrittenen Netzausbaus entscheidet sich der Kunde SCo für eine separate und nachgelagerte Vergabe der Blöcke A und B. Zunächst wird Block A, dann Block B errichtet. Der Vertrag für die Errichtung des Blocks A wird an die D-GmbH vergeben. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Bauarbeiten im Jahr 10 vergibt die SCo den Bau des Blocks B im Jahr 11 aufgrund geänderter Vergaberichtlinien (vermehrte Beauftragung von lokalen Unternehmen) an die SUBCo.

Lösung: Trotz getrennter Vergabe und zeitlich aufeinanderfolgender Bau- und Montagetätigkeiten erfolgt eine automatische Hinzurechnung der Tätigkeiten der SUBCo für Zwecke der Betriebsstättenfristberechnung der D-GmbH in S. Somit begründet die D-GmbH nach Abschluss ihrer Tätigkeiten rückwirkend eine Betriebsstät72 S. auch BIAC Stellungnahme v. 5.9.2016 zum Discussion Draft: BEPS Action 7 – Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Rz. 22, Example B.

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Sennewald – Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs te im Staat S, möglicherweise mit weiter gehenden negativen Konsequenzen (wie bspw. nachträgliche Lohnversteuerung der vor Ort tätigen Mitarbeiter, Strafzinsen, Nichtabzugsfähigkeit von Betriebsausgaben mangels zeitnaher Erstellung der Betriebsstättenbuchführung, Gewinnschätzungen etc.). Die D-GmbH hat keine Exkulpationsmöglichkeit, um durch Vorbringen der tatsächlich vorliegenden wirtschaftlichen Gründe die Annahme einer Betriebsstätte zu vermeiden. Es verbleibt auch hier lediglich die Möglichkeit, das Vorliegen zusammenhängender Tätigkeiten zu widerlegen.

4. Fazit Im Endergebnis bleibt festzuhalten, dass bei Vergleich der beiden Alternativen die PPT-Regelung der Einführung einer Automatic Rule aus Sicht des Steuerpflichtigen vorzuziehen ist. Denn wie der Name schon verlauten lässt, erfolgt im Falle der Automatic Rule eine unmittelbare Hinzurechnung von zusammenhängenden Tätigkeiten von eng verbundenen Unternehmen. Die Bewertung, wann Tätigkeiten als zusammenhängend gelten, wird im ersten Schritt die (prüfende) Finanzverwaltung vornehmen, sodass sich der Steuerpflichtige immer in der Verteidigungsposition befindet und damit stets die Auffassung des jeweiligen Betriebsprüfers wird widerlegen müssen. Die recht spärlichen und schwammig umschriebenen Kriterien, die dem Steuerpflichtigen von der OECD zur Beantwortung der Frage, wann zusammenhängende Tätigkeiten vorliegen, an die Hand gegeben werden, lassen einen starken Anstieg von Streitund Doppelbesteuerungsfällen befürchten. Ferner bedarf die Automatic Rule zur Sicherstellung der steuerlichen Compliance einen hohen Monitoringaufwand, der in Zeiten von komplexen Konzernstrukturen und dezentral bzw. regional aufgestellten Konzernen in praxi erhebliche interne Ressourcen binden sowie hoher Investitionen in IT-Tools bedürfen wird. Die damit verbundenen Compliancerisiken liegen auf der Hand und lassen die Unternehmen an die Grenze des Leistbaren stoßen. Sollte ggf. erst nachträglich durch den Betriebsprüfer eine Zusammenrechnung erfolgen und daraus folgend eine Betriebsstätte angenommen werden, sind u.a. Zinsen, Strafzahlungen, nicht abzugsfähige Betriebsausgaben sowie ggf. strafrechtliche Vorwürfe die Konsequenz. Des Weiteren, und das haben die geschilderten Fälle eindrucksvoll aufgezeigt, kann nunmehr selbst durch kurze lokale Aktivitäten und eine somit lediglich untergeordnete Teilnahme am Wirtschaftsleben des Quellenstaats eine Betriebsstätte begründet werden. Damit wird der Kerngedanke des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs ad ab-

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surdum geführt. Bedenkt man in diesem Zusammenhang, dass derartigen Betriebsstätten nur geringe Gewinne zuzurechnen sind, der umfangreiche Registrierungs-, Buchhaltungs- und Steuererklärungsaufwand (für Finanzverwaltungen und Steuerpflichtige) aber dennoch unverändert bleibt, ist festzustellen, dass die vorgeschlagenen Änderungen zur Erreichung der von der OECD mit dem BEPS-Projekt verfolgten Ziele nur unzureichend beitragen können. Dem PPT kann zumindest zugutegehalten werden, dass dem Steuerpflichtigen noch eine Möglichkeit eröffnet wird, nachzuweisen, dass für die Gestaltung insbesondere außersteuerliche Gründe maßgeblich waren. Allerdings fehlen harte Kriterien, die klar festlegen, wann gewichtige wirtschaftliche Gründe vorliegen. Auch hier liegt die Beweislast letztlich beim Steuerpflichtigen. Es verbleibt zudem auch die Frage, wie der Nachweis geführt werden kann und welche Anforderungen an eine derartige Dokumentation seitens der Finanzverwaltungen gestellt werden, damit der Steuerpflichtige den (zunächst) angenommenen Missbrauchsfall erfolgreich widerlegen kann.

C. Fazit und Ausblick I. Fazit aus Sicht eines Unternehmens Die obigen Ausführungen zu den einzelnen Maßnahmen des BEPS-Aktionspunktes 7 sowie die aufgezeigten Beispiele machen deutlich, mit welchen Herausforderungen und Rechtsunsicherheiten Unternehmen aufgrund der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs durch das BEPS-Projekt zu kämpfen haben werden. Insbesondere der stark exportorientierten deutschen Wirtschaft wurde durch das vor allem auch von Deutschland forcierte BEPS-Projekt ein Bärendienst erwiesen. Nicht nur ist aufgrund der unscharf formulierten Regelungen, bei denen in der praktischen Umsetzung erheblicher Interpretationsspielraum verbleibt, ein deutlicher Anstieg von Doppelbesteuerungsfällen sowie Verständigungsverfahren erwartbar.73 Durch die geschaffenen Rechtsunsicherheiten müssen Unternehmen bzw. deren Vertreter im schlimmsten Falle auch (steuer-)strafrechtliche Konsequenzen fürchten.

73 Soweit diese der Steuerpflichtige aufgrund der langen Verfahrensdauern und mangelndem Einigungszwang überhaupt betreibt.

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Um diesen Risiken zu begegnen, lassen sich nachfolgende Handlungsempfehlungen ableiten: –

Bestandsaufnahmen und Analyse bestehender Konzernstrukturen;



Implementierung eines Tools zur Überwachung und Analyse von ausländischen Geschäftsaktivitäten innerhalb des Konzerns zur Sicherstellung der steuerlichen Compliance;



in Graubereichen proaktives Anmelden von Betriebsstätten, ggf. mit Abgabe einer Nullsteuererklärung zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen. Alternativ: Einholung einer (verbindlichen) Vorabauskunft;



Überprüfung der Marktausrichtung im Konzern (bspw. Bündelung von Technologien in bestimmten Gesellschaften);



Entwicklung von Dos and Don’ts für den Vertrieb (soweit aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe überhaupt möglich);



Überprüfung von Konzernstrukturen zur Vermeidung von kostenintensiven Doppelstrukturen (d.h. Betriebsstätte und Tochtergesellschaft), ggf. mit der Konsequenz der Schließung ausländischer Tochtergesellschaften und der Etablierung einer Betriebsstätte.



Überprüfung und ggf. Veränderung bestehender Vertriebsstrukturen (bspw. von Agent zu Eigenhändler);



Beobachtung weiterer auf BEPS basierender Rechtsentwicklungen sowohl auf internationaler als auch auf lokaler Ebene.

In jedem Falle bleibt zu hoffen, dass die OECD zeitnah zu der Erkenntnis gelangen wird, dass BEPS nicht mit einer Vielzahl neuer Betriebsstätten bekämpft werden kann, denen unter Beachtung der Betriebsstättengewinnermittlungsgrundsätze ein meist nur vernachlässigbarer Gewinn zuzurechnen sein wird. Dies gilt im Besonderen auch für die Vertreterbetriebsstätte, bei der die OECD richtigerweise die „Nullsummentheorie“ vertritt. Insofern ist wünschenswert, dass für derartige Fälle Entlastungen bzw. Vereinfachungsregelungen für Steuerpflichtige und Finanzverwaltungen geschaffen werden. Denn mit einer steigenden Zahl von Betriebsstätten wird auch der damit verbundene Registrierungs-, Buchhaltungs- und Steuererklärungsaufwand deutlich zunehmen, sodass sich die Kosten-/Nutzenfrage für alle Beteiligten stellt. In diesem Zusammenhang bleibt auch abzuwarten, wie der abschließende Report zur Gewinnzurechnung bei Betriebsstätten (siehe Kapitel D des finalen Re-

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ports) ausfallen wird. Der am 4.7.2016 veröffentlichte Entwurf74 hat insbesondere auch deshalb bereits zu vielen Diskussionen geführt,75 weil sämtliche Ausführungen und Schlussfolgerungen darin auf den Authorized OECD Approach (AOA) fußen, die OECD hierin aber selbst dessen schleppende Umsetzung in innerstaatliches Recht rügt. Durch die unterschiedliche Umsetzung und Interpretation des AOA ist auch in dem Bereich der Betriebsstättengewinnermittlung die Rechtsunsicherheit erkennbar gestiegen, ebenso wie das Risiko der Doppelbesteuerung.76

II. Ausblick 1. Das Multilaterale Instrument zur Umsetzung der BEPS-Maßnahmen in bilateralen DBA Bereits Anfang 2015 wurde eine Ad-Hoc Arbeitsgruppe77 von dem OECD-Steuerausschuss78 und den G20-Staaten dazu ermächtigt, ein Instrumentarium zu entwickeln, welches die im Rahmen des BEPS-Projekts verabschiedeten und auf Doppelbesteuerungsabkommen bezogenen Initiativen in allen Abkommen der teilnehmenden Staaten (global gibt es über 3.000 bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen) schnell und effizient umzusetzen vermag. Am 24.11.201679 hat die OECD nunmehr den Entwurf einer „Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent BEPS“ (MLI) in englischer sowie französischer Sprachfassung sowie ein begleitendes Explanatory Statement80 veröffentlicht. Das MLI enthält zum einen abstrakte Regelungen, die sich allein auf die Frage der Funktionalität des MLI beziehen, und zum anderen Sach74 Discussion Draft BEPS Action 7 – Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 4.7.2016. 75 Vgl. BIAC Stellungnahme v. 12.6.2015 zum Discussion Draft BEPS Action 7 – Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments. 76 Vgl. auch Sennewald/Geberth, DB 2017, 31. 77 Bestehend aus OECD-Staaten einschließlich aller interessierter Drittstaaten, erstmals konstituiert am 5./6.11.2015. 78 Committee for Fiscal Affairs der OECD (CFA). 79 Pressemitteilung der OECD (abrufbar unter www.oecd.org/ctp/beps/count ries-adopt-multilateral-convention-to-close-tax-treaty-loopholes-and-improvefunctioning-of-international-tax-system.htm). 80 Sowohl die Multilateral Convention als auch das Explanatory Statement sind abrufbar unter www.oecd.org/tax/treaties/multilateral-convention-to-imple ment-tax-treaty-related-measures-to-prevent-beps.htm.

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recht81 (also die abkommensrechtlichen Regelungen der einzelnen BEPSAktionspunkte). Das MLI ermöglicht den Signatarstaaten eine Kombination verschiedener Regelungen, womit die Flexibilität, aber auch die Komplexität deutlich erhöht wird. Zu begrüßen ist jedoch, dass kein Signatarstaat dazu „gezwungen“ wird, sämtliche vorgeschlagenen BEPSMaßnahmen unverändert umzusetzen. Allerdings gibt es einen bestimmten Mindeststandard, der zu implementieren ist.82 Dem Vernehmen nach wird Deutschland den Aktionspunkt 2 zu den hybriden Gestaltungen nicht unterzeichnen, hingegen aber den Änderungen in Art. 5 Abs. 3 OECD-MA zu den Bau- und Montagebetriebsstätten („splitting up of contracts“) und Art. 5 Abs. 4 OECD-MA (Negativkatalog) folgen. Zu begrüßen ist, dass die Änderungen zur Vertreterbetriebsstätte wohl nicht auf die Zustimmung Deutschlands treffen. Zwar unterstützt Deutschland die Änderung des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA zum abhängigen Vertreter, nicht aber die den unabhängigen Vertreter betreffende Neuregelung des Art. 5 Abs. 6 OECD-MA. Da eine Änderung der Vertreterbetriebsstättenregelungen nur bei gemeinsamer Aufnahme beider Vorschriften möglich ist, erwägt Deutschland, auf deren Umsetzung zu verzichten.83 Wie sich andere Staaten positionieren werden, bleibt abzuwarten. So gibt es bspw. von der britischen Finanzverwaltung84 Indikationen, dass diese auf die Implementierung der vorgeschlagenen Änderungen zu Art. 5 Abs. 4, 4.1 OECD-MA zu den Vertreterbetriebsstätten (Art. 5 Abs. 5 und 6 OECDMA) sowie zur künstlichen Vertragsaufsplittung bei Bau- und Montagebetriebsstätten (Art. 5 Abs. 3 OECD-MA) verzichten möchte. Nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. ii des MLI müssen die Signatarstaaten die DBA benennen, die von dem MLI erfasst werden sollen (sog. Covered Tax Agreements). Diesbezüglich hat Deutschland dem Vernehmen nach bereits eine Liste mit ca. 30 DBA erstellt, die dem MLI unterstellt werden sollen. Hierzu ist anzumerken, dass Deutschland die DBA, die sich bereits in bilateralen DBA-Verhandlungen befinden, nachvollziehbarerweise nicht im MLI aufnehmen wird. Der Text des MLI hat bis dato noch keine rechtliche Bindungswirkung. Die OECD plant hierfür im Juni 2017 eine Regierungskonferenz in Pa81 Reimer, IStR 2017, 1. 82 Dies sind Teile von Aktionspunkt 6 und 14. 83 https://online.ibfd.org/kbase/#topic=doc&url=/highlight/collections/beps/html/ beps_de.html&q=BEPS+Country+Monitor+countries+monitors&WT.z_nav=Na vigation. 84 HM Revenue and Customs.

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ris, bei der das MLI synchronisiert zwischen allen teilnehmenden Staaten unterzeichnet werden soll.85 Nach Art. 27 Abs. 2 MLI steht das MLI unter Ratifizierungsvorbehalt und tritt drei Monate nach Hinterlegung der fünften Ratifikationsurkunde bei der OECD in Kraft.86 Ein frühestmögliches Inkrafttreten in einzelnen Mitgliedstaaten ist somit erst zum 1.10.2017 möglich.87 Zu begrüßen ist die neu gewonnene Erkenntnis des deutschen Gesetzgebers, dass zwar die Notifizierung bezüglich des MLI eine einseitige völkerrechtliche Erklärung und damit kein Vertrag nach Art. 59 GG ist, die abkommensrechtlichen Änderungen aber sehr wohl der Zustimmung durch den Bundesrat nach Art. 105 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 106 Abs. 3 GG bedürfen. Denn nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG stellt die Änderung der abkommensrechtlichen Regelungen durch das MLI ein Zustimmungsgesetz dar. Die Zustimmung des Bundesrats wird also für jedes aufgrund des MLI zu ändernde DBA benötigt. Diese Vorgehensweise hat neben der Wahrung der rechtsstaatlichen Grundsätze auch den ganz praktischen Vorteil, dass für jedes zu ändernde DBA die genaue Formulierung und der genaue Platz im DBA bestimmt werden müssen, sodass die Rechtsanwender (Gerichte, 85 Anm. des Verfassers: Zwischenzeitlich haben Deutschland und weitere 67 Staaten das MLI am 7.6.2017 in Paris unterzeichnet. Zudem haben sich acht weitere Staaten formal zur Unterzeichnung verpflichtet. In diesem Rahmen wurden zugleich die Optionen und Vorbehalte, die einzelne Staaten mit Blick auf die jeweiligen Artikel des MLI auf ihre DBAs anwenden möchten („Auswahlentscheidungen“), veröffentlicht. Die deutsche Auswahlentscheidung, die zugleich die DBAs enthält, die im Zuge der Umsetzung des MLI geändert werden sollen, wurde ebenfalls veröffentlicht. Demnach hat Deutschland 35 DBAs als „covered tax agreements“ aufgenommen (darunter China, Österreich, UK und die USA). Bei seinen Auswahlentscheidungen hat Deutschland erfreulicherweise auf die Umsetzung von Großteilen der im BEPS-Aktionspunkt 7 enthaltenen Maßnahmen für diese DBAs verzichtet. So wurden die vorgeschlagenen Änderungen für die Bau- und Montage- (Art. 5 Abs. 3 OECDMA) sowie die Vertreterbetriebsstätte (Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA) nicht berücksichtigt. Einzig die Änderungen zum Art. 5 Abs. 4 OECD-MA (Art. 13 MLI) haben Einfluss gefunden. Abschließend bleibt zu hoffen, dass die abgelehnten Maßnahmen des Aktionspunkts 7 nicht am Ende doch noch durch die Hintertür in bilateralen DBA-Verhandlungen großflächigen Einzug in das deutsche DBA-Netzwerk finden und das seit dem 1.1.2017 in Kraft getretene DBA Deutschland–Australien ein einmaliger „Betriebsunfall“ bleibt. 86 Vgl. Art. 34 Abs. 1 MLI; Reimer, IStR 2017, 1. 87 Aufgrund des späten Termins der Regierungskonferenz und der Bundestagswahl im September 2017 wird ein Inkrafttreten in Deutschland frühestens Anfang 2018 zu erwarten sein.

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Finanzverwaltung sowie Steuerpflichtige) einen konsolidierten Text vorliegen haben werden, der zumindest in dieser Hinsicht rechtssicher angewandt werden kann.

2. Fortentwicklung des UN-MA Das UN Committee of Experts schlägt in seinem Report v. 4.10.201688 die weitgehende Übernahme der seitens der OECD vorgeschlagenen Maßnahmen gegen BEPS unter entsprechender Änderung des UN-MA und dessen Kommentars vor. Gerade im Hinblick auf den allgemeinen PPT ist interessant zu beobachten, dass hierfür von der UN zwei alternative Regelungen angesprochen werden. So gilt als Grundregel, dass ein Missbrauchsfall bereits dann angenommen wird, wenn ein wesentlicher Zweck für die Gestaltung die Inanspruchnahme der Abkommensvergünstigungen war. Abweichend davon können Staaten aber klarstellend regeln, dass nur die Fälle aufgegriffen werden sollen, in denen die Nutzung der günstigeren DBA-Regelungen der wesentliche Zweck für die Gestaltungwahl war.

3. Unilaterale Umsetzungsmaßnahmen Diverse Staaten haben bereits vor Abschluss des MLI unilaterale Maßnahmen zur Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs (auch im Zusammenhang mit Aktionspunkt 1) bzw. zur Implementierung von Antimissbrauchsregelungen im Zusammenhang mit Betriebsstätten ergriffen:

a) Australien Bereits mit Wirkung zum 1.1.2016 ist in Australien das sog. Multinational Anti-Avoidance Law (MAAL) in Kraft getreten.89 Die hierin enthaltenen Regelungen sind zum Teil deutlich schärfer als die Automatic Rule und zielen im Wesentlichen auf Gestaltungen ab, in denen ein ausländisches Unternehmen Lieferungen oder Leistungen gegenüber einem australischen Kunden erbringt und ein australisches (Konzern-)Unternehmen damit zusammenhängende Leistungen in Australien ausführt. In diesen Fällen soll eine Betriebsstätte des ausländischen Unternehmens in Australien angenommen werden. Da es sich bei dem MAAL um eine Missbrauchsregelung handelt, ist davon auszugehen, dass diese vorran88 E/C-18/2016/CRP.10. 89 www.parlinfo.aph.gov.au.

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gig zu bestehenden DBA angewandt wird (Treaty Override). Abschließend sei angemerkt, dass das erste DBA, das sämtliche BEPS-Regelungen (inkl. der Automatic Rule) enthält, das bereits am 1.1.2017 in Kraft getretene DBA zwischen Deutschland und Australien ist.90

b) Indonesien In Indonesien wurde im März 2016 ein Gesetzesvorschlag veröffentlicht, der ausländische Internetunternehmen bzw. Unternehmen, die inbound digital services erbringen, dazu verpflichten soll, sich mit einer Niederlassung (Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 2 OECD-MA) in Indonesien steuerlich zu registrieren. Indonesien möchte damit sicherstellen, digital services in Indonesien der Umsatz- und Körperschaftsteuer unterwerfen zu können.

c) Taiwan Auch in Taiwan stehen inbound digital services im Zentrum der Diskussionen. Im Rahmen einer offiziellen Verlautbarung der taiwanesischen Finanzverwaltung sollen von ausländischen Unternehmen erbrachte inbound digital services in Taiwan der Besteuerung unterliegen. Um dieses Ziel zu realisieren, wird u.a. mit dem indonesischen Ansatz sympathisiert. Inzwischen wurde als erster Schritt eine umsatzsteuerliche Registrierungspflicht für derartige Leistungen auf den Weg gebracht.91

d) Israel Im April 2016 wurde von der israelischen Finanzverwaltung ein Rundschreiben veröffentlicht, das die künftige Besteuerung von online erbrachten Dienstleistungen in Israel ermöglichen soll.92 Im Mittelpunkt stehen hier Unternehmen wie Facebook, Google etc. Mit diesem Rundschreiben soll das Konzept einer „virtuellen Betriebsstätte“ eingeführt 90 www.financeminister.gov.au/media-release/2015/11/13/new-tax-treaty-signedgermany. 91 www.loc.gov/law/foreign-news/article/taiwan-vat-on-cross-border-sale-of-digi tal-services/. 92 Circular 4/2016 betreffend „Online Activities of Foreign Corporations in Israel“ (abrufbar unter https://www.law.co.il/en/news/israeli_internet_law_up date/2016/04/11/Israeli-Guidelines-for-Taxing-Foreign-Companies-Online/; https://www.bloomberg.com/news/articles/2016-04-11/israel-to-levy-new-ta xes-on-google-facebook-in-policy-shift.

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werden. Demnach wird eine Betriebsstätte eines ausländischen Online Service Providers in Israel begründet, wenn eine wesentliche wirtschaftliche Präsenz93 in Israel besteht. Hierfür sollen Kriterien wie die Anzahl der Online-Transaktionen mit israelischen Kunden sowie auf die Bedürfnisse des israelischen Marktes optimierte Dienstleistungen (Sprache, Währung, Art der Dienstleistungen) maßgeblich sein. Erfreulicherweise wird in dem Rundschreiben aber klargestellt, dass diese Regelungen nur dann zur Anwendung kommen, wenn kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht. Somit handelt es sich hierbei nicht um einen Treaty Override.

93 Im Original: „significant economic presence“.

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Das Multilaterale Instrument zur Modifikation bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen MinDirig Martin Kreienbaum1 Leiter der Unterabteilung Internationales Steuerrecht Bundesministerium der Finanzen

A. Vorbemerkungen zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

D. Nationale Umsetzung des Multilateralen Instruments . 210

B. Die Bestimmung der Vertragspartner . . . . . . . . . . . 208

E. Materiell-rechtliche Änderungen bzgl. Art. 5 OECD-MA. . 212

C. Der zu verändernde Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . 209

A. Vorbemerkungen zum Thema Das Multilaterale Instrument, das ich Ihnen vorstellen will, ist als solches außerordentlich komplex. Die Komplexität erfährt darüber hinaus noch eine Steigerung mit Blick auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung ins nationale Recht. Den Anlass, heute auf das Multilaterale Instrument einzugehen, bildet der Umstand, dass die OECD vergangene Woche ihren fertigen Entwurf des Mehrseitigen Übereinkommens (Multilaterales Instrument – MLI) vorgestellt hat. Thematisch berührt das MLI auch die gerade vorgestellten Änderungen zu Art. 5 OECD-MA sowie die weiteren abkommensbezogenen Änderungen der BEPS-Empfehlungen. Das Multilaterale Instrument ist im Grunde nichts anderes als ein Änderungsprotokoll zu bestehenden DBA mit der Besonderheit, dass es nicht nur ein bilaterales Abkommensverhältnis betrifft, sondern durch Beteiligung einer theoretisch unbeschränkten Anzahl von Vertragspartnern die gleichzeitige Änderung einer Vielzahl von bilateralen Abkommen herbeiführen soll. Mit dem MLI bewegen wir uns demnach zunächst auf der Ebene des Völkervertragsrechts. Ausgangspunkt der Überlegungen

1 Erweiterte Fassung des im Rahmen der Podiumsdiskussion gehaltenen Koreferats.

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zum Entwurf des MLI war, dass wir uns auf OECD-Ebene im Rahmen des BEPS-Projekts auf verschiedene abkommensbezogene Rechtsänderungen verständigt haben. Teilweise sind dies verpflichtende Mindeststandards, teilweise handelt es sich um Vereinbarungen auf niedrigerem Verbindlichkeitsgrad. Diese Empfehlungen und Mindeststandards können durch das MLI umgesetzt werden. Die dazu notwendigen Änderungen können aber auch durch bilaterale Verhandlungen erreicht werden. Eine (politische) Verpflichtung der Staaten, die am OECD-BEPS-Prozess mitgewirkt haben, vom MLI Gebrauch zu machen, besteht nicht. Das weltweite Abkommensnetz umfasst nach OECD-Angaben mehr als dreitausend DBA, in Deutschland selbst sind gut neunzig DBA in Kraft. Wollte man diese einzeln individuell nachverhandeln, würde es vermutlich sehr lange dauern, bis dann der BEPS-Standard in das weltweite Abkommensnetz Eingang gefunden hätte. Mithilfe des MLI sollen nun die abkommensbezogenen Ergebnisse des OECD-BEPS-Prozesses beschleunigt in eine Vielzahl bilateraler Abkommensverhältnisse implementiert werden. Ich werde im Folgenden zunächst auf die Frage eingehen, welche Abkommen durch das MLI geändert werden und wie sie identifiziert werden. Dann gehe ich auf die Frage ein, welche Vorschriften potenziell im MLI enthalten sind und wie einzelne Staaten die Vorschriften, die sie für sich akzeptieren möchten, auswählen und benennen können. Abschließend spreche ich die insbesondere aus deutscher Sicht nicht nur äußerst komplexe und schwierige, sondern auch noch nicht vollständig beantwortete Frage an, wie das völkervertragsrechtlich vereinbarte MLI wirksam in nationales Recht umgesetzt werden kann. Denn es ist vermutlich nicht damit getan, dass allein das Multilaterale Instrument als solches ratifiziert wird.

B. Die Bestimmung der Vertragspartner Welche Abkommen werden geändert? Das Multilaterale Instrument kann nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Doppelbuchst. ii des MLI nur solche DBA erfassen und ändern, die von den beteiligten Vertragsstaaten übereinstimmend als „erfasste Steuerabkommen“ (sog. „covered tax agreements“) benannt wurden. DBA, die bei Ratifikation des MLI von den Vertragspartnern nicht als „erfasste Steuerabkommen“ genannt wurden, können nach der Regelungsmechanik des MLI zu einem späteren Zeitpunkt nachgemeldet werden. Nach Vorstellungen der

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OECD soll das MLI diese DBA dann in der Fassung, die zum Zeitpunkt der späteren übereinstimmenden Meldung durch die jeweiligen Vertragspartner in Kraft ist, ändern. Ob dies in den einzelnen Vertragsstaaten tatsächlich zu den gewünschten Änderungen führt, hängt allerdings von den jeweils nationalen rechtlichen Erfordernissen ab. An der Erarbeitung des Multilateralen Instruments haben sich rund 100 Staaten beteiligt. Nicht alle, aber die weit überwiegende Zahl der Beteiligten möchte die abkommensbezogenen Änderungen aus dem BEPS-Prozess auch mittels des MLI umsetzen. Diese Staaten haben der OECD gemeldet, mit welchen anderen Staaten sie ihr jeweiliges Abkommensverhältnis durch das MLI ändern möchten. Dies trifft auch auf Deutschland zu. Um festzustellen, mit welchen unserer Vertragspartner wir unsere DBA durch das MLI ändern möchten, haben wir unser Abkommensnetz durchgekämmt. Solche Abkommen, die sich zurzeit in fortgeschrittenen Verhandlungsstadien befinden, haben wir ausgeschlossen. Das gilt insbesondere für Abkommen, die bereits paraphiert oder gar unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert sind. Hierdurch vermeiden wir, dass wir parallele Umsetzungsprozesse anstoßen, durch die die gleichen Abkommen auch geändert werden sollen. Das Bemühen, parallele Änderungsprozesse ein und desselben Abkommens zu vermeiden, hat die Zahl der Länder, mit denen wir über das Multilaterale Instrument unsere Abkommen ändern möchten, deutlich reduziert. Andere Staaten sind ähnlich vorgegangen. Die sich daraus ergebende Schnittmenge enthält die Staaten, mit denen wir Abkommensänderungen über das Multilaterale Instrument herstellen werden.

C. Der zu verändernde Vertragsinhalt Welche Inhalte werden verändert? Nach Erörterung der Frage der Bestimmung der Vertragspartner stellt sich die Frage nach dem zu verändernden Vertragsinhalt. Grundsätzlich ist zu sagen, dass das MLI eine sehr ausgeprägte Flexibilität in der Frage der Einbeziehung der einzelnen Regelungsinhalte erlaubt. Vertragsstaaten sind weitgehend frei darin, einzelne Regelungsinhalte zu wählen oder nicht zu wählen oder auch Vorbehalte zu einzelnen Regelungsaspekten auszudrücken. Durch das große Maß an Flexibilität soll eine hohe Akzeptanz für das MLI im internationalen Staatenkreis erreicht werden. Neben Regelungen zur Änderung von Titel und Präambel können vor allem materielle Regelungen zu den BEPS-Aktionspunkten 2

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(Hybride), 6 (Abkommensmissbrauch), 7 (Verhinderung der künstlichen Vermeidung von Betriebsstätten) und 14 (Streitbeilegung) gewählt werden. Zu den einzelnen Punkten, die mit Blick auf zu ändernde Vertragsinhalte aus deutscher Sicht erstrebenswert erscheinen, kann ich mich zum jetzigen Zeitpunkt nur vorsichtig äußern. Vor öffentlichen Äußerungen werden zunächst noch interne Abstimmungsprozesse innerhalb der Bundesregierung und zwischen Bund und Ländern zu Ende geführt werden müssen. Ebenso steht eine Vorabunterrichtung des Parlaments noch aus. Einiges lässt sich aber an der jüngeren deutschen Abkommenspolitik ablesen. So enthält beispielsweise die Präambel der deutschen Verhandlungsgrundlage bereits eine weiter gehende Formulierung als die nun im Rahmen des MLI angebotene Lösung. Während sich die Präambel des MLI auf den Wunsch nach Vermeidung der Nichtbesteuerung in Fällen der Steuerumgehung und Steuervermeidung beschränkt, ist die Formulierung der deutschen Verhandlungsgrundlage umfassender. Sie erfasst Situationen der Nichtbesteuerung unabhängig vom subjektiven Interesse. Im Zusammenhang mit Regelungen zur Verhinderung des Abkommensmissbrauchs – einem Mindeststandard nach den BEPS-Beschlüssen – bietet das MLI zwei verschiedene Versionen an. Staaten können die sehr detaillierten „Limitation-on-Benefits“-Regeln nach US-amerikanischem Vorbild wählen oder einen abstrakten sog. „Principal-Purpose-Test“, eine Regelung zur Verhinderung des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, die im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des § 42 AO entspricht. An der bisherigen deutschen Abkommenspolitik lässt sich auch hier gut die Präferenz Deutschlands ablesen. Mit Blick auf Streitbeilegungsverfahren ist ebenfalls die politische Positionierung Deutschlands absehbar. Deutschland gehört zu den G20-Staaten, die sich bereits auf Ebene der Finanzminister für bessere Streitbeilegungsverfahren ausgesprochen und ihre Bereitschaft zur Vereinbarung von Schiedsverfahren erklärt haben.

D. Nationale Umsetzung des Multilateralen Instruments Wie wird das MLI in Deutschland umgesetzt? Nun zu der spannenden Frage, wie wir über das Multilaterale Instrument die konkreten abkommensrechtlichen Verhältnisse in Deutschland verändern können. Das Multilaterale Instrument selbst als mehrseitiger völkerrechtlicher Vertrag unterliegt einem Ratifizierungsvorbehalt, bedarf demnach der Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat. Nach den bis-

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herigen Erörterungen im Ressortkreis reicht die Ratifikation des Multilateralen Instruments nicht aus, um sämtliche Rechtsänderungen mit Blick auf konkrete bilaterale DBA-Verhältnisse präzise herzustellen. Dies hat mehrere Gründe. Einer der Gründe ist, dass das Multilaterale Instrument nur in zwei authentischen Vertragssprachen vorliegt, nämlich in Englisch und in Französisch. Mit Blick auf die Herstellung ausreichender Rechtssicherheit wird eine Änderung eines in anderen Vertragssprachen geschlossenen DBA, beispielsweise des DBA Deutschland-Portugal, nicht mit einem Vertrag in englischer oder in französischer Sprache hergestellt werden können. Ebenso wie bei einem herkömmlichen bilateralen DBA die jeweiligen Sprachfassungen der Vertragsstaaten gegenseitig und einvernehmlich auf Übereinstimmung geprüft und anerkannt werden, wird dies aller Voraussicht nach auch für die durch das MLI zu ändernden DBA gelten. Der zweite Punkt betrifft die Bestimmtheit der Änderungsbefehle. Jeder einzelne Änderungsbefehl mit Blick auf die Änderung konkreter Artikel und Absätze in den jeweiligen deutschen DBA-Vertragsgesetzen muss hinreichend bestimmt sein bzw. zu einer hinreichend bestimmten Rechtsänderung führen. Das MLI zielt mit seinen Änderungsbefehlen auf eine Vielzahl unterschiedlicher Ausgangstexte und kann aus diesem Grund nicht jede spezifische Situation individuell adressieren. Für die Umsetzung in Deutschland ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch aus diesem Grunde eine zusätzliche Abstimmung mit dem jeweiligen Vertragsstaat erforderlich, die die Änderungsbefehle mit Blick auf den jeweils konkreten Ausgangstext präzisiert. Die Konzeption, die wir ins Auge fassen, sieht eine zusätzliche Konsultationsvereinbarung zwischen den Verwaltungsbehörden der jeweiligen Vertragsstaaten auf Basis des Multilateralen Instruments mit Blick auf die konkreten vorzunehmenden Änderungen und in den Sprachen der Vertragsstaaten vor. Diese Konsultationsvereinbarung wird aller Voraussicht nach zumindest in Deutschland dann Grundlage für eine Änderung des Vertragsgesetzes zum jeweils betroffenen DBA darstellen. Ob ähnliche Umsetzungserfordernisse in anderen Staaten vorliegen, hängt von den individuellen rechtlichen Verhältnissen dort ab. Das MLI erlaubt zeitlich eine Flexibilität, die auf entsprechende nationale Umsetzungsbedürfnisse Rücksicht nimmt. Art. 35 Abs. 7 MLI sieht in Bezug auf das Inkrafttreten der Änderungen in bilateralen Vertragsverhältnissen die Möglichkeit eines Vorbehalts vor, der auf den Abschluss innerstaatlicher Verfahren für das Wirksamwerden des Übereinkommens abstellt.

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Deutschland macht von diesem Vorbehalt Gebrauch mit der Folge, dass Änderungen konkreter bilateraler Abkommen nicht wirksam werden, bevor Deutschland bei der OECD notifiziert hat, dass die deutschen innerstaatlichen Voraussetzungen zur wirksamen Umsetzung der Änderungen vorliegen. Die durch das Multilaterale Instrument erhoffte zeitliche Beschleunigung würde zwar in Teilen vereitelt, wenn die konkreten bilateral vereinbarten Veränderungsvereinbarungen in einem oder in beiden Staaten einem zusätzlichen Ratifizierungserfordernis unterlägen. Allerdings dürfen auch in einem solchen Fall die positiven Effekte des MLI nicht unterschätzt werden, die insbesondere darin liegen, dass durch das MLI schon eine völkervertragsrechtliche Festlegung auf die Inhalte erfolgt ist und insoweit die unter Umständen langwierigen Verhandlungen zu materiellen Rechtsänderungen entfallen. Eine gewisse Beschleunigung des Umsetzungsprozesses wäre sicher auch dann erreicht, wenn man die Konsultationsvereinbarungen bei uns im Gesetzgebungsprozess als Paket verhandeln würde – vielleicht mit 30 oder 40 Staaten gemeinsam und dann nur über die Punkte, die wir im Multilateralen Instrument gewählt haben. Vor dem Hintergrund der beschriebenen, ohnehin erforderlich werdenden konkreten Abstimmung mit den anderen Vertragsstaaten über das MLI hinaus ist nicht auszuschließen, dass Deutschland mit einigen Vertragspartnern eine zügige Vereinbarung über BEPS-/MLI-Vertragsinhalte durch ein konventionelles DBA-Revisionsprotokoll und nicht über das MLI zu erreichen sucht. Die beschriebenen Szenarien werden allerdings zurzeit noch innerhalb der Bundesregierung diskutiert. Die Botschaft heute für Sie ist, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausreicht, dass wir lediglich das Multilaterale Instrument ratifizieren. Es wird in Deutschland mit Blick auf die jeweiligen bilateralen Vertragsverhältnisse ein zusätzlicher Gesetzgebungsprozess erforderlich sein.

E. Materiell-rechtliche Änderungen bzgl. Art. 5 OECD-MA Mit Blick auf den Umstand, dass wir Art. 5 OECD-MA später im Detail noch diskutieren wollen, möchte ich noch kurz auf die materiell-rechtlichen Änderungen mit Bezug auf die künstliche Vermeidung von Betriebsstätten zurückkommen. Bezüglich der dargestellten Änderungen

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ist es sehr wahrscheinlich, dass einige der innerhalb des BEPS-Projekts vorgeschlagenen Änderungen zur Annahme von Betriebsstätten im Rahmen des MLI von Deutschland akzeptiert werden. Das gilt namentlich für die aus unserer Sicht deklaratorischen Änderungen in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA. In diesem Fall entspricht es schon bisher der Auffassung der deutschen Steuerverwaltung, dass die in Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECDMA erforderlichen Tatbestandsmerkmale zur vorbereitenden und Hilfstätigkeit auch die Buchst. a bis d durchdringen. Die genannten Tätigkeiten gelten nur dann nicht als Betriebsstätte, wenn es sich dabei um vorbereitende Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten handelt. Mit Blick auf die möglichen Änderungen zu Art. 5 Abs. 5 und Abs. 6 OECD-MA zur Vertreterbetriebsstätte nehme ich nicht allzu viel vorweg, wenn ich darauf hinweise, dass diese Regelungen nur gemeinsam gewählt werden können. Vor dem Hintergrund nicht unerheblicher fiskalischer Risiken und steuerlicher Befolgungskosten im Quellenstaat gerade bei den Regelungen zum unabhängigen Vertreter sehe ich keine ausgeprägte Neigung des Gesetzgebers, diese Änderungen im Rahmen des MLI zu akzeptieren.

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Steuerliche Risiken der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und das Multilaterale Instrument zur Modifikation bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer StB Peter Carstens Head of Tax, Otto (GmbH & Co. KG), Hamburg

MinDirig Martin Kreienbaum Leiter der Unterabteilung Internationales Steuerrecht, Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Dr. Berend Holst Leiter Steuern und Zölle Konzern, Volkswagen AG, Wolfsburg

Prof. Dr. Lüdicke Herr Sennewald, Herr Kreienbaum, haben Sie beide vielen Dank für Ihre hochinformativen Vorträge. Wir werden jetzt beide Vorträge gemeinsam diskutieren, sollten dies aber versuchen, in strukturierter Weise zu tun. Erlauben Sie mir nur einleitend eine kurze Anmerkung mit Bezug zu dem Multilateralen Instrument. Wir betreten da Neuland. Dessen ist sich auch die OECD bewusst gewesen. Möglicherweise war man dort etwas zu euphorisch, was die Möglichkeiten angeht, durch das Multilaterale Instrument auf einen Schlag alles Mögliche gleichzeitig nur in Englisch und Französisch zu ändern. Ich habe mich vor einigen Monaten aus gegebenem Anlass etwas näher mit der Frage des darin liegenden

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Sprachproblems beschäftigt1 und habe mich gefragt, wie sich später aus diesem zunächst nur in Englisch und Französisch abgeschlossenen Vertrag mit vielen optionalen Klauseln rechtssicher der Inhalt unserer deutschen DBA erschließen soll. Ich bin sehr beruhigt, dass das BMF eine Änderung jedes einzelnen DBA (auch) in deutscher Sprache plant und dem Rechtsanwender damit unsichere Puzzlearbeit erspart bleibt. Im Übrigen ist wohl auch hinsichtlich des Art. 5 OECD-MA klar geworden, wo in Deutschland die Reise hingeht, und das ist jetzt eine schöne Basis, Herr Holst, Herr Carstens, für Kommentare von Ihrer Seite. Dr. Holst Zunächst zu dem, was einleitend gesagt worden ist. Wir haben natürlich ein Interesse daran, Betriebsstätten zu vermeiden, aber nicht zielgerichtet, sondern einfach, weil diese sehr verwaltungsaufwendig sind und im Zweifel in der Gewinnabgrenzung auch streitanfällig. Wir agieren deswegen international grundsätzlich über Tochtergesellschaften und wenn Mitarbeiter längere Zeit im Ausland beschäftigt sind, werden diese lokalisiert. Nichtsdestotrotz gelingt uns das nicht immer. Schon unter den jetzigen Regeln haben wir zuweilen Schwierigkeiten, die Annahme von Betriebsstätten seitens anderer Staaten abzuwehren. Das ist für uns weniger ein ertragsteuerliches Problem, denn ein Cost-Plus-Zuschlag auf einen Dienstreisenden ist im Zweifel tragbar. Es ist oft mehr ein Lohnsteuer-/Umsatzsteuer-Compliance-Problem, wenn man eine Betriebsstätte hat, die man gar nicht erkennt. Insofern war ich über das Beispiel auf Chart 132 etwas erschrocken. Unterstellen wir einmal Folgendes: Volkswagen verkauft an ein international tätiges Unternehmen 100.000 Autos. Das Kontingent kann in den jeweiligen Ländern bei den lokalen Vertriebsgesellschaften abgerufen werden. Das zöge dann, nach Ihrer Lösung, Herr Sennewald, möglicherweise eine Betriebsstätte der jeweiligen ausländischen Vertriebsgesellschaft in Deutschland nach sich. Ich empfände diese Lösung als eher künstlich und würde aus steuerlicher Sicht argumentieren, dass das deutsche Steuersubstrat dadurch sichergestellt wird, dass die ausländische Vertriebsgesellschaft mit Blick auf die von der Konzernmutter geschaffene Kundenbeziehung eine geringere Vertriebsmarge erhält. Was passiert nun mit der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs nach Art. 5 Abs. 5 und 6 des OECD-MA? Ist sicher1 Vgl. Austry et al., The Proposed OECD Multilateral Instrument Amending Tax Treaties, Bulletin for International Taxation 2016, 683–689. 2 Abgedruckt in diesem Tagungsband auf S. 177.

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gestellt, dass es zu einer einheitlichen Auslegung zwischen den DBAVertragspartnern kommt? Kreienbaum Herr Holst, das ist natürlich vollständig richtig. Zur Regelungsmechanik: Die konkrete DBA-Änderung setzt u.a. voraus, dass sich für das MLI zwei Staaten gegenseitig benennen und diese Staaten auch sagen, dass sie diese konkrete Norm in ihrem bilateralen Abkommensverhältnis ändern wollen. Dr. Holst Genau das wollen Sie ja nicht. Kreienbaum Mit Blick auf Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA können diese Vorschriften nur gemeinsam gewählt werden. Innerhalb des MLI kann ich nicht Art. 5 Abs. 5 OECD-MA wählen und die Änderungen in Art. 5 Abs. 6 OECDMA ablehnen. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass der Appetit des Gesetzgebers, beides gemeinsam zu wählen, schmaler ist als der Appetit des Gesetzgebers gewesen wäre, wenn man Art. 5 Abs. 5 und Abs. 6 OECD-MA jeweils hätte einzeln wählen können. Bei künftigen Abkommensrevisionen auf bilateraler Ebene besteht dieser Zwang selbstverständlich nicht und Staaten sind völlig frei in der Formulierung der betriebsstättenbegründenden Tatbestände. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank für diese diplomatisch formulierte Aufklärung. Wir sind uns einig, dass, wenn in einem konkreten Fall Abs. 5 und Abs. 6 nicht gewählt werden, die auf Folie 133 aufgezeigten Gefahren nicht bestehen, es sei denn – Herr Wacker sagte gerade, überschrieben ist überschrieben –, dass wir dem anderen Staat zugestehen, was wir gelegentlich auch machen, nämlich einen Treaty Override zu veranstalten. Dann ist es halt so, dass der andere Staat das anders regelt als wir. Ob ein Verständigungsverfahren in solchen Fällen eines Treaty Override Aussicht auf Erfolg hat, das können wir, wenn noch Zeit ist, übrigens gleich kurz ansprechen, denn ein Vertreter der Finanzverwaltung hat das bei der IStR-Tagung in Berlin vor drei Wochen in Abrede gestellt. Er hat sogar in Abrede 3 Abgedruckt in diesem Tagungsband auf S. 177.

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gestellt, dass man das überhaupt beantragen kann. Das halte ich für hoch problematisch. Aber was in solchen Fällen bei einem Verständigungsverfahren herauskommt, ist eine ganz andere Frage. Ich hoffe jetzt, Herr Holst, das hat Sie nicht völlig verschreckt! Dr. Holst Ich vertraue darauf, dass der Appetit der Finanzverwaltung gesättigt ist. Carstens Ich kann das gerne nochmal unterstreichen. Auch wir versuchen, jedwede Betriebsstätte zu vermeiden, und suchen Lösungen mit Kapitalgesellschaften – nicht etwa aus steuergestalterischen Aspekten, sondern schlicht aus administrativen Gesichtspunkten. Betriebsstätten können hohe Verwaltungskosten verursachen, sind anfällig für Streit und unerkannte Betriebsstätten sind von großem Übel. Nebenbei gibt es Lohnund Umsatzsteuerfolgen, die ja verschiedentlich anklangen und die große Ausmaße haben können. Deshalb versuchen wir, das zu vermeiden, wo immer wir können, und gründen Kapitalgesellschaften. Wir haben zudem Kommissionsgesellschaften, da wird das Thema ggf. eine Rolle spielen. Die Erwartung, dass, wenn irgendwo ein Vertriebler unterwegs ist, wir gleich eine Betriebsstätte anmelden müssen oder der Einkäufer kaum das Flugzeug verlassen hat und schon dürfen wir deklarieren, war keine gute. Insofern ist es erfreulich, wenn der deutsche Staat mit einem gewissen Augenmaß an die Umsetzung herangeht. Wir haben ansonsten natürlich, wie auch aus dem Country-by-Country Reporting heraus schon diskutiert, eine Tendenz zur Doppelbesteuerung zu erwarten und ich glaube, dass BEPS-7 geeignet ist, diese Tendenz zu verstärken. Was mich nochmal interessieren würde, Herr Kreienbaum: Ist denn der deutsche Fiskus der Meinung, dass er mit diesen Maßnahmen Auswirkungen auf die Gestaltungen von US-Tech-Firmen mit den Lägern im Inland erzeugen wird? Kreienbaum Soweit Ihre Frage Auslieferungslager und Ähnliches betrifft, geht es zunächst um die Anwendung des Negativkatalogs in Art. 5 Abs. 4 OECDMA. Die deutsche Finanzverwaltung war auch schon vor Beginn der Diskussionen um die Verhinderung der künstlichen Vermeidung von Betriebsstätten der Auffassung, die dort in den Buchstaben a bis d genannten Ausschlusstatbestände griffen nur unter der weiteren Voraussetzung, dass es sich um vorbereitende Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten handele.

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Insofern ändert sich aus deutscher Perspektive nichts. Entscheidender ist allerdings die Frage der Gewinnzumessung für die Betriebsstätte. Hier stehen noch weitere Arbeiten der OECD aus, insbesondere auch mit Blick auf die Frage, ob die Vertreterbetriebsstätte in Art. 5 Abs. 5 OECD-MA ein Besteuerungsrecht an den Gewinnen des Stammhauses vermittelt, das über seine fremdvergleichskonforme Vergütung des Vertreters hinausgeht. Die Diskussion dazu dauert noch an und wenn es bei der sog. Nullsummentheorie bleibt, wird hier kein zusätzlicher Gewinn zugeordnet werden können. Prof. Dr. Lüdicke Herr Kreienbaum, es ist mehrfach das Problem der Arbeitnehmerbesteuerung angesprochen worden, die ja wegen der Regelung in Art. 15 Abs. 2 Buchst. c des OECD-Musterabkommens an das Vorhandensein einer Betriebsstätte anknüpft. Die Grundidee, als das mal eingeführt worden ist – man konnte das schon damals für richtig oder falsch halten –, war, dass, wenn ein Unternehmen in einem anderen Staat eine Betriebsstätte hat und wenn ein Arbeitnehmer auf Kosten dieser Betriebsstätte entlohnt wird, also mit anderen Worten der Betriebsstättengewinn gemindert wird, dass dann der Betriebsstättenstaat vom ersten Tag an, also ohne die Karenzfrist von 183 Tagen, besteuern können soll. Ob es eine wirkliche Rechtfertigung dafür gegeben hat, war schon immer ein bisschen fraglich. Jetzt weiten wir den Betriebsstättenbegriff immer mehr aus, sodass das schwer zu administrieren ist. Und jetzt hören wir außerdem noch, dass es möglicherweise eine ganze Reihe von Betriebsstätten geben wird, denen nahezu kein Gewinn zuzuordnen ist, weil sie keine wesentlichen Funktionen ausüben. Trotzdem sollen die Löhne noch weiter vom ersten Tag an besteuert werden. Hier drängt sich die Frage an den künftigen Vorsitzenden des OECD-Steuerausschusses auf: Wäre das ein Projekt, das die OECD einmal sine ira et studio angehen könnte, nämlich zu überlegen, ob dieser Buchstabe c nicht einfach gestrichen wird? Kreienbaum Bei der Frage der weiteren Auswirkungen der Begründung der Betriebsstätte über die reine Frage der Zuordnung von Gewinn hinaus, nämlich gerade lohnsteuerrechtliche Aspekte und auch umsatzsteuerliche Aspekte, besteht auch bei der deutschen Finanzverwaltung ein Problembewusstsein. Ich denke, dass wir aus deutscher Perspektive ein Interesse an einer solchen Diskussion haben. Auf internationaler Ebene ist das al-

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lerdings schwierig zu diskutieren. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass mit der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs auch eine gewisse Erwartungshaltung bestimmter Beteiligter einhergeht, diesen Betriebsstätten auch einen Gewinn zuzumessen. Prof. Dr. Lüdicke Ich sehe keine Wortmeldungen mehr. Offene Fragen werden wir bei den Tagungen der nächsten Jahre behandeln. Sie finden wie üblich immer am ersten Freitag im Dezember statt, nämlich am 1. Dezember 2017 und am 7. Dezember 2018. Damit darf ich die Tagung schließen, wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende in der schönsten norddeutschen und nordeuropäischen Stadt. Krebühl Weltstadt!

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Stichwortverzeichnis § 1 AStG 39, 49 f., 54, 60, 63, 67, 69 ff., 82 f., 85 ff., 91, 102 § 34c EStG 26, 28 ff., 41 ff. § 4 Abs. 4 EStG 33, 35, 43 § 42 AO 129 ff., 147, 156, 210 § 50d EStG 3 ff., 37, 40, 58, 60 ff., 88, 90 ff. abhängiger Vertreter 168 Abkommensmissbrauch 210 Abschlussvollmacht 170, 177 Abzugsverbot 89 Adoptionslehre 55 After-Sales Services 170 Aktionspunkt 13 97 f., 101, 124 Aktionspunkt 6 81 f., 191 Aktivitätsklausel 16, 47 Alterungsrückstellung 27 f. Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz-Entwurf (AmtshilfeRLUmsGE) 49 f., 69, 76 Angemessenheitsdokumentation 101 ff. Anrechnung 2, 26, 81, 94 – ~shöchstbetrag 26, 28, 31 f. – ~smethode 19, 31, 60, 93 f. Ansässigkeitsstaat 5, 170 Anschaffungsnebenkosten 42 Anti-Fragmentation-Rule 183, 188 Anzeigepflicht 127 ff., 134 ff., 149 ff. Art. 5 OECD-MA 13, 163 ff.7 ff., 177 ff., 186 ff., 201 f., 204, 207, 212 f., 216 f., 219 Art. 9 OECD-MA 49 f., 54, 60, 63 ff., 68 ff., 75 ff., 85, 88 f. ausländische Steuer 26, 35, 41 f., 62, 81, 94 Authorized OECD Approach (AOA) 200 Automatic Rule 163, 191 ff., 203 f. Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) 98 f., 112, 164 f.

– ~-Umsetzungsgesetz 40, 97, 101, 103 Bemessungsgrundlage 3, 12, 17 f., 31, 109 Bestimmtheitsgrundsatz 137 Betriebsausgabenabzug 152 Betriebsprüfung 28, 41 f., 99, 113, 150, 154, 158, 174 Betriebsstätte 11 ff., 24, 29, 41, 46 f., 60, 92, 94, 100 f., 107 f., 118, 164 f., 168, 172, 178 ff., 183 f., 186 ff., 192, 197 ff., 203 ff., 210, 213, 216, 218 f. – Bau- und Montage~ 189, 192, 201 – Vertreter~ 169 ff., 174 f., 177 ff., 199, 201, 213, 219 – virtuelle ~ 204 – ~ngewinne 169, 219 – ~ngründung 165 f., 175, 186 – ~nverluste 20, 163 – ~nvermeidung 163, 168, 180 – ~vorbehalt 60 Bilanzrichtlinie 109 f., 120 Binnenmarkt 18 Cash-GmbH 151, 153, 159 Country-by-Country Reporting (CbCR) 97 ff., 106, 109, 115 f., 118 ff., 153, 218 – Public ~/öffentliches ~ 119 f. – Veröffentlichung des ~ 114, 119 f. Cum-ex 153 Deckungsrückstellung 27 f., 31 Demokratieprinzip 4 f., 52, 57, 62, 80 Depotgebühren 37, 42 Deutsche Shell 21 f., 25, 41 Digitale Wirtschaft 164, 167, 181, 188 Diskussionsentwurf 103, 105 f. Dividenden 42, 53, 60, 66, 116 Doppelbesteuerung 3, 8, 11, 13, 17, 20 f., 23, 44, 46, 60, 76 f., 79, 81, 112, 116 ff., 125, 179, 194, 200, 218

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Stichwortverzeichnis Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) 10, 14, 20, 49, 51, 56, 61, 77, 84, 86, 89 f., 113, 121, 200, 207, 215 Doppelte Nichtbesteuerung/Doppelnichtbesteuerung 14, 47, 93 f. DOTAS-System (Disclosure of Tax Avoidance Schemes) 161 Drittstaat 16, 31 Einkünfte, weiße 92 EU-Kommission 18, 109 ff., 114, 117 Expat-Besteuerung 40, 91 FATCA 153 Finale Verluste 16, 19, 40 f., 45 f. Finanzverwaltung 21 f., 41, 43, 66, 74 f., 80, 82, 86, 92 f., 95, 98, 104, 106, 110, 119, 123, 128 f., 147 f., 153, 155, 159 ff., 167, 171, 174, 179, 188, 189, 197 ff., 201, 203 f., 217 ff. Freistellung 7 ff., 16 f., 20, 31, 47 f., 56, 60, 62, 82, 92 f. – ~smethode 9, 17, 31, 47 f., 93 f. Fremdvergleich 64 f., 68, 71 ff., 76, 79, 81, 83, 170 – ~sgrundsatz 66, 70, 75 ff., 83, 87, 89, 114, 123 – ~smaßstab 49, 64 f., 67, 69, 75, 77 ff., 82 f., 87 f. G20 97, 118 ff., 157, 163 ff., 200, 210 Gemeinkosten 37, 42 Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) 18 Gesamthandsvermögen 34 Geschäftsleitung 12, 106 Gestaltung – Einzelfall~ 142 – Umgehungs~ 139 – ~sfreiheit 131, 133 ff. – ~smissbrauch 129 Gewinnausschüttung – verdeckte ~ 68, 71

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Gewinnverkürzung und -verlagerung 6, 15, 50, 97 ff. Hinzurechnungsbesteuerung 95 Höchstbetragsberechnung 42 Hybride 201, 210 Hypo-Tax 40 Immaterielle Wirtschaftsgüter 102 Inclusive Framework 124 f. Informationsaustausch 100, 114, 121 InvStG 27, 31, 33 f. Kapitalverkehrsfreiheit 32 Kommissionär 167 ff., 174 f., 178 – ~sstrukturen 169 Kontokorrentzinsenbeschluss 36, 44 Konzernobergesellschaft 100, 106 f. Lex-posterior-Regel 7 f., 53, 57 Limitation-on-Benefits (LOB) – ~-Regel 210 Limited Risk Distributor/Low Risk Distributor (LRD) 167 »Local File« 98 f., 101 ff., 111, 115 f. Marks & Spencer 41 »Master File« 98 f., 101 ff., 111, 115 f. Meistbegünstigung 31 Missbrauch 210; s.a. Abkommensmissbrauch – (Anti-)~sregelungen/bestimmung 132 f., 147 f., 190 f., 203 – ~sverdacht 136, 146 Mitwirkungspflichten 141 Monitoring 119 Montagebetriebsstätte 189, 192, 201 Multilaterales Instrument (MLI) 207 Nicht abzugsfähige Betriebsausgaben 42, 197 Nichtanwendungs– ~erlass/~schreiben 49, 67, 69, 75 – ~gesetz 78 Niederlassungsfreiheit 16 f., 19, 21 ff.

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Stichwortverzeichnis Nordea 19, 46 Norm – ~kollision 49, 51, 53 – ~konkurrenz 52 Nullsummentheorie 178 f., 219 OECD-MA 13, 16, 25, 29, 49 f., 54, 60, 63 ff., 68 ff., 75 ff., 82 f., 85, 88 f., 163 ff., 167 ff., 177 ff., 186 ff., 201, 204, 207, 212 f., 216 f., 219 OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 78 OECD/G20 BEPS-Projekt 97 f., 111 f., 114, 117 f., 124, 164, 169, 198, 208, 213 Offizialveranlagung 160 Patentbox 44 Per-Country-Limitation/Per-Item-Limitation 94 Personalkosten 42, 195 Personengesellschaft 25, 34, 68, 107, 121 f. Principal Purpose Test (PPT) 163, 191 f., 210 Progressionsvorbehalt 20 Qualifikationskonflikt 47, 92 Quellenstaat 5, 16, 20, 37, 45, 164, 166 f., 189 f., 197, 213 Rechtssicherheit 43, 148, 211 Rechtsstaatsprinzip 4, 9, 52, 57 f. Registriernummernsystem 145 f. Rückfallklausel 5, 7; s.a. Subject-toTax-Klausel Rückwirkungsverbot 135, 142 Sachverhaltsdokumentation 101, 103 Sanktionsvorschriften 97, 108 Saving-Clause 49, 81 ff. Schiedsverfahren/-gerichtsbarkeit 112, 120, 210 Self-executing/Non-self-executing 49, 54, 64 Spezial-Investmentfonds 28, 33

Spezial-Sondervermögen 28, 33 Steueraufkommen 165 Steuergeheimnis 97, 111, 113 Steuergestaltung 117, 127 f., 130 f., 134, 137 f., 140 f., 143 f., 149 f., 154, 165 Steuerplanung – ~ssicherheit 148 Steuersubstrat 114, 124, 168, 216 Steuerumgehung 140, 210 Steuervergünstigungsabbaugesetz 28 Steuervermeidung 130, 169, 196, 210 Steuerwettbewerb 124 Streitbeilegungsmechanismus, s. Verständigungsverfahren Subject-to-Tax-Klausel 7 f., 40, 47, 91 Substanz 77 Switch-over-Klausel 62 Symmetriethese 16 f. Tätigkeitsstaat 8 f., 40 Teilwertabschreibung 36 f., 50, 66, 68 f., 72 ff., 79, 83, 89, 150 Territorialitätsprinzip/-grundsatz 47 Timac Agro 17, 19, 26, 41, 45 f. Tochtergesellschaft 25, 64 ff., 68, 70, 72, 74 f., 169 f., 194, 216 Transfer Pricing 99, 153; s.a. Verrechnungspreise Transformationslehre 54 Transparenz 98, 101, 114, 124, 147, 153 Treaty Override 3 ff., 9 f., 39 f., 42, 49, 53, 57 ff., 63, 68, 75, 78, 80, 83, 85 ff., 204, 217 – Arten von ~ 49, 60 Umsatzsteuer 52, 216 Umstrukturierung 142 unabhängiger Vertreter 169 f., 175, 177 f. Unternehmensbesteuerung 110, 112 Unternehmensgewinne 88 Unternehmensnachfolge 151

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Stichwortverzeichnis Veranlassungszusammenhang, auch Veranlassungsprinzip 28 ff., 35 ff., 43 f. Verbundene Unternehmen 50, 65 f., 175, 178, 180, 182 ff., 191, 193, 195, 197 Vergleichbarkeitsprüfung 17 Verhandlungsgrundlage – deutsche, auch DE-VG 210 Verrechnungspreis(e), auch Transfer Pricing 63 ff., 68, 70, 72 ff., 77, 98 f., 102, 106, 110, 119, 125, 168, 179 f. – ~dokumentationsvorschriften 97 ff., 101, 103, 105, 116 – ~grundsätze 49, 64, 79 Verständigungsverfahren/-vereinbarung 82 f., 113, 120, 179, 198

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Verwaltungsaufwand, auch Verwaltungskosten/Verwaltungsgemeinkosten 28, 32, 37, 41, 160, 218 Verwerfungsmonopol 52, 58 Völker(vertrags)recht/völkerrechtlicher Vertrag 4, 10, 49, 51, 54 ff., 87, 207 Währungsverlust 2, 19 ff., 36, 45, 47 Wertschöpfung 164, 180, 187 Wettbewerb, s. Steuerwettbewerb Wirtschaftlicher Zusammenhang 26, 28, 41, 43 Wirtschaftsgut 20 Wohnsitzstaat, s. Ansässigkeitsstaat Zinsen 27 f., 31, 35 f., 66, 179, 197

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