Interkulturelle Behördenkommunikation: Eine gesprächsanalytische Untersuchung zu Verständigungsproblemen zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern in Berlin und Buenos Aires 9783110309539, 9783110308228

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Interkulturelle Behördenkommunikation: Eine gesprächsanalytische Untersuchung zu Verständigungsproblemen zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern in Berlin und Buenos Aires
 9783110309539, 9783110308228

Table of contents :
Dank X
1 Einleitung
1.1 Gegenstand und Relevanz der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick
2.1 Zum Begriff Migration
2.2 Migration nach Deutschland
2.2.1 Historische Entwicklung
2.2.2 Aktuelle Daten – Deutschland
2.3 Migration nach Argentinien
2.3.1 Historische Entwicklung
2.3.2 Aktuelle Daten – Argentinien
3 Theoretische Grundlagen
3.1 Die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern als Experten-Laien-Kommunikation
3.1.1 Zur Experten-Laien-Kommunikation
3.1.2 Wissensvermittlung und Verständigungsherstellung
3.1.3 Experten- und Laienrollen
3.2 Die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern als institutionelle Kommunikation
3.2.1 Institutionelle Kommunikation und Spezifika der Behördenkommunikation
3.2.2 Zu den Begriffen Asymmetrie, Hierarchie, Macht und Dominanz
3.3 Die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern als interkulturelle Kommunikation
3.3.1 Zu den Begriffen Kultur und Kommunikation
3.3.2 Zum Begriff Interkulturelle Kommunikation – mit Fokus auf der Rolle der Sprache in der interkulturellen Kommunikation
3.3.3 Ansätze zur Erforschung von interkultureller Kommunikation
3.4 Empirische Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten
3.4.1 Sozialwissenschaftliche und kommunikationspsychologische Ansätze
3.4.2 Kommunikations- und sprachwissenschaftliche Ansätze
3.5 Verständigungsprobleme und (fehlende) Kooperativität: Klärung zentraler Begriffe
3.5.1 Zum Begriff des Verständigungsproblems
3.5.2 Zum Kooperativitätsbegriff
4 Forschungsmethode und Datenkorpus
4.1 Überlegungen zur gesprächsanalytischen Untersuchung von Verständigungsproblemen
4.2 Datenerhebung
4.2.1 Vorgehensweise bei der Datenerhebung
4.2.2 Gestaltung des Fragebogens
4.2.3 Interviewereinfluss
4.3 Datenkorpus und Kurzvorstellung der Informanten
4.3.1 Datenkorpus
4.3.2 Die Gesprächsteilnehmer: Klienten
4.3.3 Die Gesprächsteilnehmer: Sachbearbeiter
4.4 Transkription
5 Diskussionsansatz
6 Analysen I: Verstehensprobleme in der Interaktion zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund – Wissensdivergenzen in drei Bereichen?
6.1 Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen
6.1.1 Rezeptive Sprachkompetenzen
6.1.2 Sprachproduktionskompetenzen
6.1.3 Zwischenfazit – Unterschiedliche Sprachkompetenzen
6.2 Kulturelle Wissensdivergenzen
6.2.1 Die T-Anrede
6.2.2 Kulturelle Praxen
6.2.3 Kulturelle Konzepte
6.2.4 Soziale Rollenverteilung
6.2.5 Zwischenfazit – Kulturelle Wissensdivergenzen
6.3 Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen
6.3.1 Lexik aus dem Behördenkontext, Fachtermini und Abkürzungen
6.3.2 Semantisch oder pragmatisch nicht eindeutige Fragen
6.3.3 Fehlendes fachlich-institutionelles Hintergrundwissen (Kontextwissen)
6.3.4 Fehleinschätzungen über erwartete Informationen – das Handlungsschema «Datenabfrage»
6.3.5 Zwischenfazit – Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen
6.4 Abschließende Bemerkungen: Verstehensprobleme und Wissensdivergenzen
6.4.1 Beobachtete Probleme
6.4.2 Problembearbeitung und Bearbeitungsinitiierungen
6.4.3 Zur Rolle der Sprache
7 Analysen II:Schuld ist immer der andere – Einschätzungen der Beteiligten übereinander
7.1 (Vor-)Urteile der Sachbearbeiter der vorliegenden Studie über Klienten
7.2 (Vor-)Urteile der Klienten der vorliegenden Studie über Behördenmitarbeiter
7.3 Einstellungen der Klienten zu den Behördenmitarbeitern – detaillierter
8 Analysen III: Mehr als Wissensdivergenzen – Streitinteraktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten
8.1 Zu den Begriffen Streit und Konflikt
8.2 Streit in der Interaktion zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern
8.3 Fragestellungen für die Analyse von Streitgesprächen im Korpus
8.4 Analyse Streitgespräch 1
8.4.1 Die Streitobjekte – Worüber wird gestritten?
8.4.2 Detail-Analyse Streitgespräch 1
8.4.3 Zwischenfazit – Streitgespräch 1
8.5 Analyse Streitgespräch 2
8.5.1 Die Streitobjekte – Worüber wird gestritten?
8.5.2 Detail-Analyse Streitgespräch 2
8.5.3 Zwischenfazit Streitgespräch 2
8.6 Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen
8.6.1 Vergleich der Streitgespräche 1 und 2
8.6.2 Parallelen zu weiteren Gesprächen
8.6.3 Zur Rolle der Sprache II
8.7 Ein Kontrast-Beispiel
8.7.1 Analyse Kontrast-Beispiel
8.8 Abschließende Bemerkungen – Mehr als Wissensdivergenzen
9 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse
9.1 Zusammenfassung der Beobachtungen – Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund
9.1.1 Verstehensprobleme im Zusammenhang mit Wissensdivergenzen
9.1.2 Einstellungen der Interaktanten zueinander
9.1.3 Streitinteraktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten
9.1.4 Zur Rolle der Sprache III
9.2 Implikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation
9.2.1 Trainingsentwürfe für die Kommunikation mit Migranten auf Behörden
9.2.2 Implikationen für den Umgang mit Verstehensproblemen im Zusammenhang mit Wissensdivergenzen in drei Bereichen
9.2.3 Implikationen bezüglich der Vermeidung oder Bearbeitung von Streit
9.3 Abschließende Bemerkungen zur Methode
9.4 Ausblick
Literaturverzeichnis
Internetquellenverzeichnis

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Katharina Rosenberg Interkulturelle Behördenkommunikation

Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie

Herausgegeben von Günter Holtus und Wolfgang Schweickard

Band 380

Katharina Rosenberg

Interkulturelle Behördenkommunikation Eine gesprächsanalytische Untersuchung zu Verständigungsproblemen zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern in Berlin und Buenos Aires

ISBN 978-3-11-030822-8 e-ISBN 978-3-11-030953-9 ISSN 0084-5396 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Medien Profis GmbH, Leipzig Druck und Bindung: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Dank 

 X

 1 1 Einleitung  1.1 Gegenstand und Relevanz der Arbeit  1.2 Aufbau der Arbeit   3

 1

2 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick  2.1 Zum Begriff Migration   5 2.2 Migration nach Deutschland   7 2.2.1 Historische Entwicklung   7 2.2.2 Aktuelle Daten – Deutschland   9 2.3 Migration nach Argentinien   17 2.3.1 Historische Entwicklung   17 2.3.2 Aktuelle Daten – Argentinien   21

 5

 26 3 Theoretische Grundlagen  3.1 Die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern als Experten-Laien-Kommunikation   26 3.1.1 Zur Experten-Laien-Kommunikation   28 3.1.2 Wissensvermittlung und Verständigungsherstellung   31 3.1.3 Experten- und Laienrollen   35 3.2 Die Kommunikation zwischen Migranten und Behörden­mitarbeitern als institutionelle Kommunikation   38 3.2.1 Institutionelle Kommunikation und Spezifika der Behördenkommunikation   38 3.2.2 Zu den Begriffen Asymmetrie, Hierarchie, Macht und Dominanz   41 3.3 Die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern als interkulturelle Kommunikation   44 3.3.1 Zu den Begriffen Kultur und Kommunikation   44 3.3.2 Zum Begriff Interkulturelle Kommunikation – mit Fokus auf der Rolle der Sprache in der interkulturellen Kommunikation   48 3.3.3 Ansätze zur Erforschung von interkultureller Kommunikation   51 3.4 Empirische Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten   56 3.4.1 Sozialwissenschaftliche und kommunikationspsychologische Ansätze   58

VI 

 Inhaltsverzeichnis

3.4.2 Kommunikations- und sprachwissenschaftliche Ansätze  3.5 Verständigungsprobleme und (fehlende) Kooperativität: Klärung zentraler Begriffe   67 3.5.1 Zum Begriff des Verständigungsproblems   67 3.5.2 Zum Kooperativitätsbegriff   70

 60

 74 Forschungsmethode und Datenkorpus  4 4.1 Überlegungen zur gesprächsanalytischen Untersuchung von Verständigungsproblemen   74 4.2 Datenerhebung   78 4.2.1 Vorgehensweise bei der Datenerhebung   78 4.2.2 Gestaltung des Fragebogens   80 4.2.3 Interviewereinfluss   81 4.3 Datenkorpus und Kurzvorstellung der Informanten   82 4.3.1 Datenkorpus   82 4.3.2 Die Gesprächsteilnehmer: Klienten   82 4.3.3 Die Gesprächsteilnehmer: Sachbearbeiter   83 4.4 Transkription   84 5 Diskussionsansatz 

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6 Analysen I: Verstehensprobleme in der Interaktion zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund – Wissensdivergenzen in drei Bereichen?   90 6.1 Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen   92 6.1.1 Rezeptive Sprachkompetenzen   99 6.1.2 Sprachproduktionskompetenzen   120 6.1.3 Zwischenfazit – Unterschiedliche Sprachkompetenzen   139 6.2 Kulturelle Wissensdivergenzen   149 6.2.1 Die T-Anrede   149 6.2.2 Kulturelle Praxen   153 6.2.3 Kulturelle Konzepte   159 6.2.4 Soziale Rollenverteilung   161 6.2.5 Zwischenfazit – Kulturelle Wissensdivergenzen   169 6.3 Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen   175 6.3.1 Lexik aus dem Behördenkontext, Fachtermini und Abkürzungen   175 6.3.2 Semantisch oder pragmatisch nicht eindeutige Fragen   194

Inhaltsverzeichnis 

Fehlendes fachlich-institutionelles Hintergrundwissen (Kontextwissen)   199 6.3.4 Fehleinschätzungen über erwartete Informationen – das Handlungsschema «Datenabfrage»   205 6.3.5 Zwischenfazit – Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen  6.4 Abschließende Bemerkungen: Verstehensprobleme und Wissensdivergenzen   222 6.4.1 Beobachtete Probleme   222 6.4.2 Problembearbeitung und Bearbeitungsinitiierungen   224 6.4.3 Zur Rolle der Sprache   228

 VII

6.3.3

7 Analysen II: Schuld ist immer der andere – Einschätzungen der Beteiligten übereinander   230 7.1 (Vor-)Urteile der Sachbearbeiter der vorliegenden Studie über Klienten   231 7.2 (Vor-)Urteile der Klienten der vorliegenden Studie über Behördenmitarbeiter   233 7.3 Einstellungen der Klienten zu den Behördenmitarbeitern – detaillierter   237 Analysen III: Mehr als Wissensdivergenzen – Streitinteraktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten   244 8.1 Zu den Begriffen Streit und Konflikt   245 8.2 Streit in der Interaktion zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern   248 8.3 Fragestellungen für die Analyse von Streitgesprächen im Korpus   250 8.4 Analyse Streitgespräch 1   255 8.4.1 Die Streitobjekte – Worüber wird gestritten?   256 8.4.2 Detail-Analyse Streitgespräch 1   257 8.4.3 Zwischenfazit – Streitgespräch 1   300 8.5 Analyse Streitgespräch 2   318 8.5.1 Die Streitobjekte – Worüber wird gestritten?   318 8.5.2 Detail-Analyse Streitgespräch 2   319 8.5.3 Zwischenfazit Streitgespräch 2   332 8.6 Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen   340 8

 215

VIII  8.6.1 8.6.2 8.6.3 8.7 8.7.1 8.8

 Inhaltsverzeichnis

Vergleich der Streitgespräche 1 und 2   340 Parallelen zu weiteren Gesprächen   347 Zur Rolle der Sprache II   358 Ein Kontrast-Beispiel   362 Analyse Kontrast-Beispiel   363 Abschließende Bemerkungen – Mehr als Wissensdivergenzen 

 370

9 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse   375 9.1 Zusammenfassung der Beobachtungen – Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund   378 9.1.1 Verstehensprobleme im Zusammenhang mit Wissensdivergenzen   378 9.1.2 Einstellungen der Interaktanten zueinander   383 9.1.3 Streitinteraktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten   384 9.1.4 Zur Rolle der Sprache III   388 9.2 Implikationen für eine verbesserte Behörden-MigrantenKommunikation   389 9.2.1 Trainingsentwürfe für die Kommunikation mit Migranten auf Behörden   390 9.2.2 Implikationen für den Umgang mit Verstehensproblemen im Zusammenhang mit Wissensdivergenzen in drei Bereichen   392 9.2.3 Implikationen bezüglich der Vermeidung oder Bearbeitung von Streit   402 Abschließende Bemerkungen zur Methode  9.3  407 9.4 Ausblick   409  412 Literaturverzeichnis  Internetquellenverzeichnis 

 437

Übersetzungen der spanischsprachigen Transkripte und Transkriptausschnitte, die in dieser Arbeit enthalten sind, werden nach Erscheinen des Bandes kostenfrei auf der Homepage des Verlags zugänglich gemacht.

Verzeichnis der im Text enthaltenen Graphiken Graphik 1: Ausländische Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland von 1951 bis 2009 .................................................................................................. 9 Graphik 2: Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Städten – Deutschland 2005........ 10 Graphik 3: Einwohner mit Migrationshintergrund in Prozent – Berlin 2007 .......................... 11 Graphik 4: Sinus-Migranten-Milieus® in Deutschland 2008 ...............................................15 Graphik 5: Selbstzuschreibungen Deutschkompetenzen RAM-Untersuchung 2006/2007 ....16 Graphik 6: Sprachkenntnisse der Migranten Argentinien .................................................144 Graphik 7: Sprachkenntnisse der Migranten Deutschland ................................................144 Graphik 8: Kritikpunkte von Klienten an Behördenmitarbeitern im Allgemeinen ................235 Graphik 9: Phasen der Streitentwicklung Streitgespräch 1............................................... 309 Graphik 10: Unkooperativität – Streitgespräch 1 ...............................................................312 Graphik 11: «Macht» – Streitgespräch 1 ...........................................................................313 Graphik 12: Phasen der Streitentwicklung Streitgespräch 2 ...............................................335 Graphik 13: Unkooperativität – Streitgespräch 2 ...............................................................337 Graphik 14: «Macht» – Streitgespräch 2 .......................................................................... 338 Graphik 15: «Typische» Schritte bei der Streitentwicklung ................................................ 344

Verzeichnis der im Text enthaltenen Tabellen Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12:

Bevölkerung in Deutschland 2009, höchste allgemeine Schulabschlüsse ...........13 Beschäftigung Migranten nach Sektoren und Herkunftsland, Männer (2001) ...... 23 Jahre Schulbesuch nach Herkunftsland (2001) ................................................. 24 Verständigungsprobleme Sprachkompetenzdivergenzen .................................145 Verständigungsprobleme Kulturelle Wissensdivergenzen ................................ 174 Verständigungsprobleme Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen ........... 220 Einschätzung über die Mitarbeiter der entsprechenden Behörde allgemein ..... 238 Zuordnung beobachtbarer Phänomene zu den erschließbaren Phänomenen ‹Macht›, ‹Image-Verletzung›, ‹Unkooperativität› ......................... 302 Durchsetzungsmittel der Interaktanten in Streitgespräch 1 und 2 .................... 346 Modalpartikeln in Streitgespräch 1 ................................................................361 Vergleich Streitgespräch 2 und «Kontrast-Beispiel» ........................................374 Beobachtete Verstehensprobleme Überblick ................................................. 378

Dank Dieses Buch stellt die überarbeitete Version meiner Dissertation dar, die im November 2011 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel eingereicht wurde. An dieser Stelle möchte ich zunächst den Herausgebern der Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie, Prof. Dr. Günter Holtus und Prof. Dr. Wolfgang Schweickard, für die Aufnahme in diese Reihe danken. Zudem bedanke ich mich bei Prof. Dr. Britta Thörle und Prof. Dr. Elisabeth Gülich, die mir bei der Anfertigung dieser Studie oft mit Rat, Tat und konstruktiver Kritik zur Seite standen. Großer Dank gilt sämtlichen Mitarbeitern und Klienten der Behörden in Berlin und Buenos Aires, die sich für die Gesprächsaufnahmen zur Verfügung gestellt haben. Ich danke dabei auch den Behörden, die hierzu die Genehmigung erteilten und ein starkes Interesse an einer Verbesserung der interkulturellen Behörden-Kommunikation zeigten. Viele konstruktive Diskussionen, gute Ideen und Tipps haben diese Studie immer wieder vorangebracht und mir beim Lösen einiger gedanklicher Knoten geholfen. Dafür danke ich ganz besonders Dr. Peter Rosenberg, Prof. Dr. Konstanze Jungbluth und Rita Vallentin sowie André Hamdorf für den oftmals hilfreichen Blick aus fachfremder Perspektive. Die Erstellung dieser Arbeit wurde durch ein Promotionsstipendium der Hanns-Seidel-Stiftung sowie durch ein Kurzstipendium für Doktoranden des DAAD gefördert. Mein Dank richtet sich daher auch an die entsprechenden Institutionen und besonders an die Mitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung für die nicht nur finanzielle, sondern auch ideelle Förderung.

1 Einleitung 1.1 Gegenstand und Relevanz der Arbeit 1977 verfassten René Goscinny und Albert Uderzo die Comic-Geschichte Asterix erobert Rom, deren Handlung angelehnt ist an die Sage des Herakles. Eine der schwierigsten Aufgaben, die die Protagonisten auf ihrem Weg in den «Olymp» bestehen müssen, ist es, den Passierschein A 38 zu bekommen im «Haus, das Verrückte macht» – einer Behörde. Die Kommunikation in Behörden ist häufig schwierig. Sie misslingt oft genug auch bei gleicher Muttersprache, gleichem kulturellem Hintergrund und bestem Willen. Besonders kompliziert kann sie sich gestalten, wenn einer der Gesprächspartner zudem einen Migrationshintergrund hat, unter Umständen über andere kulturelle und institutionelle Erfahrungen verfügt und in vielen Fällen sogar eine andere Muttersprache spricht. Im Zuge zunehmender Migrationsbewegungen kommen solche Situationen jedoch immer häufiger vor – und müssen Tag für Tag bewältigt werden. Gerade für Länder wie Argentinien, ein klassisches Einwanderungsland, und Deutschland, das sich seit einiger Zeit zunehmend als Einwanderungsland versteht, sind die Themen Migration und Integration – und damit auch der Umgang mit Migranten – von hoher Bedeutung. In den letzten Jahren werden in Deutschland und, vor allem im Zusammenhang mit der illegalen Einwanderung, auch in Argentinien hitzige Debatten über diese Themen geführt. Kontakte zu Behördenmitarbeitern stellen für viele Migranten die ersten Kontakte zur Aufnahmegesellschaft und einen entscheidenden Faktor im Prozess der («strukturellen») Integration (Heckmann/Tomei 1997) dar, womit ihnen im Rahmen der aktuellen Integrationsdebatten besondere Brisanz zukommt. Deutsche Behörden reagieren seit einigen Jahren mit der so genannten «interkulturellen Öffnung».1 Dieser Ansatz beschränkt sich jedoch hauptsächlich auf Projekte einzelner Kommunen oder Institutionen, ein umfassendes Gesamtkonzept lässt sich bislang nicht feststellen. In Argentinien ist die Verbesserung der Behördenkommunikation mit Migranten bislang kaum ein Thema – weder für die Wissenschaft noch für die Verwaltung selbst.

1 Hierunter fallen z. B. Weiterbildungen des vorhandenen Personals, um es auf sich ändernde Bedürfnisse in der Bevölkerung einzustellen, sowie Bestrebungen, mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund einzustellen.

2 

 Einleitung

Vorbereitende Interviews für diese Studie mit Migranten, mit einem Selbstständigen, der hauptberuflich Migranten zu Behördengängen begleitet, sowie mit leitenden Mitarbeitern verschiedener Behörden in Berlin und Buenos Aires zeigen, dass die Verständigung miteinander von beiden Seiten als problematisch wahrgenommen wird. Berichtet wird v. a. von Problemen aufgrund mangelnder Sprachkompetenzen vieler Klienten mit Migrationshintergrund in der jeweiligen Amtssprache, von komplizierten Formularen und «unverständlicher Behördensprache» (Vorinterview Migrant 1), von komplexen behördlichen Abläufen und fehlenden Erklärungen. Es wird aber auch berichtet von Gefühlen der Abhängigkeit, von unfreundlichen Behördenmitarbeitern und umgekehrt von aggressiven Klienten, Wutausbrüchen und Streit bis hin zu vereinzelter Bedrohung der Behördenmitarbeiter durch körperliche Gewalt. Worin aber bestehen Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten im Einzelnen? Inwiefern machen beispielsweise unterschiedliche Sprachkompetenzen die Kommunikation problematisch, worin bestehen Probleme, die mit den genannten komplexen behördlichen Abläufen zusammenhängen, und welche Bedeutung kommt unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen zu? (Wie) werden Abhängigkeits- oder Machtverhältnisse in den Interaktionen zum Problem? Was genau führt dazu, dass die Beteiligten einander mitunter nicht verstehen – oder dass es gar zu Wutausbrüchen und Streit kommt? Ziel der folgenden Untersuchung ist es, sich dem komplexen Feld von Verständigungsproblemen in diesem ebenso institutionell wie interkulturell geprägten Kontext anhand der Analyse authentischer Gespräche empirisch zu nähern, zu beschreiben, wie Probleme entstehen und welche Möglichkeiten die Beteiligten selbst finden, um ihnen zu begegnen. Daraus lassen sich letztlich Implikationen für eine Verbesserung der Behörden-Migranten-Kommunikation ableiten. Hierfür wurde eigens ein Korpus von 279 Gesprächsaufnahmen an der Dirección Nacional de Migraciones in Buenos Aires und mehreren Berliner Bürgerämtern und Jobcentern erhoben sowie zusätzlich eine Fragebogenumfrage und Interviews mit den Beteiligten durchgeführt. Dieses umfangreiche deutsch-argentinische Korpus ermöglicht es, Konstellationen zu vergleichen, in denen Migranten und Einheimische in der Regel unterschiedliche Muttersprachen sprechen (Deutschland) oder aber die gleiche Muttersprache in unterschiedlichen Varietäten verwenden und aus deutlich verschiedenen Herkunftskulturen stammen (Argentinien). Klarer als in vielen bisherigen Untersuchungen zur interkulturellen Behördenkommunikation kann auf diese Weise untersucht werden, welche Bedeutung sprachliche Kompetenzen von Migranten für die Verständigung in Behörden besitzen und wie sich Behördenkommunikation von Migranten im «Dreigestirn» von Interkulturalität, Interlingualität und Institutionalität gestaltet.

Aufbau der Arbeit 

 3

1.2 Aufbau der Arbeit Um zu klären, was es bedeutet, wenn von einer Kommunikation mit Migranten bzw. Klienten mit Migrationshintergrund gesprochen wird, wird zum Einstieg in die Thematik in Kapitel 2 ein Überblick gegeben über die (historische und aktuelle) Einwanderung in die beiden betrachteten Aufnahmeländer, Argentinien und Deutschland. Anschließend werden in Kapitel 3 theoretische Grundlagen der Studie und der aktuelle Forschungsstand umrissen, von dem die Untersuchung ausgeht. Da u. a. die Bedeutung von Wissensdivergenzen und deren Überbrückung für Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten betrachtet werden soll, wird diese zunächst als ein Fall von Experten-LaienKommunikation aufgefasst. Es wird also in Kapitel 3.1 zu besprechen sein, was eine Experten-Laien-Kommunikation charakterisiert, welche Möglichkeiten zur Überbrückung von Wissensdivergenzen in der Fachliteratur beschrieben werden, aber auch welche Möglichkeiten einer Aushandlung und unterschiedlichen Ausagierung von (Experten- und Laien-) Rollen in der Interaktion bestehen. Anschließend werden in Kapitel 3.2 Spezifika der Behördenkommunikation besprochen und herausgestellt, was diese zusätzlich zur unterschiedlichen Wissensverteilung zwischen den Interaktanten problematisch machen kann. Hierbei wird u. a. auf in der Literatur vielfach als problematisch beschriebene Machtasymmetrien zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten, gerade mit Migrationshintergrund, einzugehen sein. Zugleich findet die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern in einem interkulturellen Kontext statt. Daher werden in Kapitel 3.3 die Begriffe Kultur, Kommunikation und interkulturelle Kommunikation sowie verschiedene Ansätze zur Erforschung interkultureller Kommunikation beleuchtet. Angesichts des Korpus an Gesprächen mit Migranten in Argentinien, die nicht fremdsprachlich agieren, wird hier u. a. zu diskutieren sein, wie das Verhältnis von Interkulturalität und Interlingualität in der Fachliteratur behandelt wird. Kapitel 3.4 widmet sich dem aktuellen Forschungsstand zur empirischen Untersuchung von Bürger-Verwaltungs-Kommunikation und speziell zur Behördenkommunikation von Migranten in den hier betrachteten Ländern. Zentrale Ergebnisse sowohl sozialwissenschaftlicher und kommunikationspsychologischer als auch sprachwissenschaftlicher Ansätze werden hier zusammengefasst. Ausgangspunkt für diese Studie sind dabei v. a. sprachwissenschaftliche Arbeiten, auch zur intrakulturellen Bürger-Verwaltungs-Kommunikation (Wenzel 1984; Selting 1987) und insbesondere zur interkulturellen Behördenkommunikation: u. a. von Gumperz et al. (1979), Hinnenkamp (1985), Porila und ten Thije (2009a; 2009b) sowie aus dem spanischsprachigen Raum von Ciapuscio und Kesselheim (1997) sowie Codó (2008).

4 

 Einleitung

Wie gezeigt wird, gehen bisherige Arbeiten in diesem Kontext von sehr unterschiedlichen Auffassungen zum Begriff des Verständigungsproblems aus. Es wird also zu diskutieren sein, was in dieser Arbeit als Verständigungsproblem begriffen wird. In Kapitel 4 werden anschließend methodische Überlegungen zur gesprächsanalytischen Untersuchung von Verständigungsproblemen angestellt und die Vorgehensweise bei der Datenerhebung beschrieben. Aus einer Sichtung des Materials und basierend auf Überlegungen, die sich aus dem bisherigen Forschungsstand ergeben, werden in Kapitel 5 zentrale Forschungsfragen erarbeitet, denen es in den Analysen dieser Arbeit nachzugehen gilt. Die Analysen widmen sich zunächst dem Anliegen, die Entstehung von Problemen des gegenseitigen Verstehens nachzuzeichnen, die mit Wissensdivergenzen zusammenhängen können, und die von den Beteiligten selbst angewandten Möglichkeiten der Überbrückung von Wissensdivergenzen zu beschreiben (Kapitel 6). Empirisch wird ermittelt, welche Bedeutung dabei den Einflussgrößen Interkulturalität, Interlingualität und Institutionalität zukommt. Wie im Verlauf der Analysen erkennbar wird, wird darüber hinaus allerdings zu untersuchen sein, inwieweit Verständigungsprobleme in diesem Kontext möglicherweise über das reine Verstehen und über Wissensdivergenzen hinausgehen. Im Anschluss wird daher zunächst anhand der gesprächsextern – mittels Fragebogenumfrage und Interviews – erhobenen Daten betrachtet, welche Einstellungen die Interaktanten vor und nach den aufgezeichneten Gesprächen übereinander äußern, ob sie einander als (fachlich und sozial) kompetent einschätzen, als freundlich oder unfreundlich u. ä. (Kapitel 7). Dieses Kapitel bildet einen Übergang zum folgenden Analyseteil (Kapitel 8), in dem am Gesprächsmaterial selbst der Frage nachgegangen wird, ob und wie – auch wenn die Interaktanten einander vielleicht durchaus verstehen – problematische Interaktionen im interkulturellen Behördenkontext entstehen, in denen negative Einstellungen der Gesprächspartner zueinander (re-) produziert werden: Streitinteraktionen. Hier werden möglicherweise weniger Wissensdivergenzen im Zentrum stehen als vielmehr Rollendivergenzen und diskrepante Handlungsabsichten der Beteiligten. Zu untersuchen wird sein, wie sich Streit zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund entwickelt und inwieweit hier auch Machtasymmetrien in der Interaktion selbst zum Tragen kommen. In den Analysen wird – als der Studie unterliegende Konstante – jeweils ein Augenmerk auf die Rolle gerichtet, die unterschiedliche Sprachkompetenzen bei der Entstehung von Verständigungsproblemen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten spielen können. Zum Abschluss der Arbeit wird diskutiert, welche Implikationen für eine Verbesserung der Behördenkommunikation von Migranten sich aus den Analyseergebnissen ableiten lassen.

2 M  igration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick Diese Arbeit befasst sich mit der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten. Zunächst ist daher zu klären, was unter dem Begriff Migration zu verstehen ist und welches Ausmaß die Migration nach Deutschland und Argentinien zum Zeitpunkt der Untersuchung umfasst. Zudem zeigen sich einige Unterschiede zwischen den beiden betrachteten Ländern, beispielsweise bezüglich der Herkunftsländer der größten Migrantengruppen, deren durchschnittlichen Bildungsstands oder auch der Verteilung auf verschiedene Berufsgruppen.

2.1 Zum Begriff Migration Unter Migranten werden in der wissenschaftlichen Literatur Personen verstanden, die «ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft über die Grenzen von Nationalgesellschaften hinweg verändern» (Heckmann/Tomei 1997, 4). Die Entscheidung für die Migration erfolgt, wie Schirp (2001, 13) feststellt, in der Regel freiwillig, kann politisch oder religiös motiviert sein oder zur Verbesserung der persönlichen (z. B. finanziellen) Verhältnisse dienen. Der Begriff beinhaltet zudem meist ein endgültiges Verlassen der ursprünglichen Heimat ohne eine stets beibehaltene Rückkehr-Option (cf. ebd.). Diese Auffassungen enthalten allerdings einige Aspekte, die zu hinterfragen sind. Zum einen ist fraglich, ob eine Migrationsentscheidung tatsächlich als freiwillig bezeichnet werden kann – zumindest in Bezug auf Migranten, die in ihrer Heimat beispielsweise mit sehr schlechten Arbeitsbedingungen, mit religiöser Diskriminierung o. ä. konfrontiert sind. Diese sind zwar unter Umständen nicht explizit gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen, treffen aber die Entscheidung auszuwandern auch nicht vollständig freiwillig. Zumindest jedoch erfolgt eine Migrationsentscheidung selbstbestimmt. Zum anderen sind die Kriterien der Dauerhaftigkeit und Endgültigkeit zu hinterfragen. Der Begriff dauerhaft ist zu vage, um damit arbeiten zu können. Zudem erhalten viele Einwanderer eine Rückkehr-Option u. U. über lange Zeit aufrecht, verwirklichen diese aber nie. Eine Endgültigkeit des Aufenthaltes ist häufig weder von den Einwanderern selbst noch von der Aufnahmegesellschaft geplant, kommt aber trotzdem zustande.1 Tatsächlich ist allerdings eine Abgren-

1 Das lässt sich am Beispiel der in den 1970er Jahren nach Deutschland eingewanderten «Gastarbeiter» nachvollziehen, die als «Gäste» kamen, aber zu großen Teilen für immer blieben.

6 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

zung zu treffen zu Menschen, die sich mit einer klar befristeten Aufenthaltsdauer in einem anderen Land aufhalten, bspw. Reisende oder Gaststudierende. Für diese Arbeit wird unter dem Begriff Migration folglich verstanden: Eine selbstbestimmte Verlagerung des Lebensmittelpunktes über die Grenzen von Nationalgesellschaften hinweg mit unbefristetem Zeithorizont. Zu unterscheiden ist zudem der in jüngerer Zeit zunehmend verwendete Begriff der Transmigration (cf. Durand/Arias 2005). Hier wird der Wechsel zwischen Orten in verschiedenen Nationalgesellschaften (in der Regel zwischen räumlich nahe gelegenen Gebieten) nicht mehr als einmalige oder vorübergehende Ausnahmeerscheinung gesehen, sondern als «wiederkehrender Bestandteil von (Über-)Lebensstrategien» (Pries 2001c, 14), als Normalzustand. Es entsteht ein «hybrides Produkt aus identifikativen und sozialstrukturellen Elementen der Herkunfts- und der Ankunftsregion» (ebd., 17). Der Zeithorizont ist hierbei unbestimmt und sequenziell. Transmigration ist ein in Deutschland eher seltenes Phänomen, in Argentinien jedoch häufiger zu beobachten. Das liegt u. a. in der Entwicklung der Migration in die beiden Aufnahmeländer begründet, worauf im Folgenden näher eingegangen wird. Innerhalb des Oberbegriffs Migration lässt sich differenzieren nach Eliten-, Siedlungs- und Arbeitswanderung (cf. Bernecker/Fischer 1992, 207ss.), wobei dem die bei Schirp (2001, 13) erwähnte politisch oder religiös motivierte Migration anzufügen ist. Insbesondere der Arbeitswanderung lässt sich ein Großteil der gegenwärtigen Migration sowohl nach Deutschland als auch nach Argentinien zuordnen (cf. Rosenberg 2002, 2; Mesghena 2006: www.1). Ein weiterer, im Kontext dieser Arbeit wesentlicher Begriff ist der des Migrationshintergrundes.2 Eine trennscharfe Definition dieses Begriffes ist in der Literatur kaum zu finden. Das Statistische Bundesamt Deutschland definiert als Menschen mit Migrationshintergrund «alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil» (Statistisches Bundesamt Deutschland 2007: www.2).

2 Wenn in dieser Arbeit der besseren Lesbarkeit halber von «Migranten» gesprochen wird, sind damit ebenso Menschen gemeint, die selbst in das jeweilige Aufnahmeland eingewandert sind, wie solche, die zwar nicht selbst eingewandert sind, aber einen Migrationshintergrund haben (bspw. Kinder von Zugewanderten). Dies ist jedoch nur zulässig, da jeweils im Einzelfall untersucht wird, inwiefern der Umstand, ob die Klienten im Aufnahmeland geboren und aufgewachsen sind oder nicht, die untersuchten Interaktionen beeinflusst.

Migration nach Deutschland 

 7

Wesentlich ist daran, dass als Personen mit Migrationshintergrund auch Menschen aufgefasst werden, die zwar nicht selbst eingewandert sind, aber zumindest ein Elternteil haben, das zum Zeitpunkt seiner Geburt eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit hatte. Dahinter steht offenbar die Auffassung, dass für das alltägliche Zusammenleben der Gesellschaft nicht nur das Merkmal der eigenen Staatsangehörigkeit, sondern auch Kriterien wie die Herkunft der Eltern, damit verbunden eine bestimmte Herkunfts- oder Familienkultur, die Muttersprache u. ä. von Bedeutung sind.3 Insbesondere die Sprache wird hierbei immer wieder hervorgehoben (cf. Schroeder 2007; Mesghena 2006: www.1 u. a.). Der Begriff Migrationshintergrund scheint in Argentinien eine weniger wesentliche Rolle zu spielen als in Deutschland. Er wird in der Literatur kaum gebraucht. Das mag damit zusammenhängen, dass durch das in Argentinien übliche ius soli-Prinzip im Land geborene Kinder von Einwanderern ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt die argentinische Staatsangehörigkeit erhalten und auch in offiziellen Statistiken nicht getrennt geführt werden. Das allerdings hat Folgen für die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten der Betroffenen, jedoch nicht notwendigerweise für deren tatsächliche Teilhabe (wie das Beispiel Frankreich zeigt).

2.2 Migration nach Deutschland Im Folgenden wird zunächst die Entwicklung der Einwanderung nach Deutschland umrissen und ein Überblick über aktuelle Daten zur Migration in dieses Land gegeben. Anschließend werden vergleichend Daten zu Argentinien besprochen.

2.2.1 Historische Entwicklung Etwa seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat die Einwanderung nach Deutschland stetig zugenommen (cf. Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes 2005:

3 Dass dies mittlerweile als wichtiger angesehen wird als das Merkmal Staatsangehörigkeit dürfte mit dem Umstand zusammenhängen, dass über die Jahre immer mehr Zugewanderte eingebürgert wurden und auch die Zahlen der Nachkommen von Zugewanderten anstiegen, die eine deutsche Staatsangehörigkeit annahmen. Letzteres stellt u. a. eine Folge der so genannten Options-Regelung dar, nach der seit dem Jahr 2000 in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern (frühestens mit 18 Jahren) die deutsche Staatsangehörigkeit wählen können, wenn ein Elternteil seit mindestens acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (cf. Mesghena 2006: www.1).

8 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

www.3). Seit einiger Zeit wird es verstärkt als Einwanderungsland statt als Auswanderungsland gesehen. Allerdings zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass der Anteil an Ausländern in Deutschland bereits im Jahr 1910 bei etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung lag (cf. Mesghena 2006: www.1). Während der Weimarer Zeit und weiter in der Zeit des Dritten Reichs ging der Migrantenanteil in Deutschland stark zurück. Jedoch wurden während des Zweiten Weltkriegs mehr als 10 Millionen ausländische Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft verpflichtet (cf. Bundeszentrale für Politische Bildung: www.4).4 Für die Bundesrepublik Deutschland lässt sich die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg grob in drei Migrationsphasen unterteilen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit (bzw. im letzten Kriegsjahr) fand zunächst eine starke Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen (11–14 Millionen) aus den ehemaligen Ostgebieten und osteuropäischen Ländern statt. Die zweite Phase, von der Mitte der 1950er bis zum Beginn der 1970er Jahre, war u. a. in Folge des Krieges, aber auch aufgrund der prosperierenden Volkswirtschaft von einem starken Bedarf an Arbeitskräften geprägt, der zu einer aktiven «Gastarbeiter»-Anwerbepolitik der Bundesrepublik, v. a. aus dem Mittelmeerraum, führte. Mit der Wirtschaftskrise Anfang der 1970er Jahre (der «Ölkrise») begann allerdings, was die dritte Phase darstellt, eine Phase des Migrationsrückgangs. Die meisten EG-Staaten reagierten auf die Krise mit Anwerbestopps (cf. Joas 2007, 582). Die Migrationsentwicklung in der DDR unterschied sich davon deutlich. Erst Ende der 1970er Jahre wurden auch in der DDR verstärkt ausländische Arbeitskräfte angeworben; zuvor betraf die Einwanderung in die DDR in erster Linie politisch motivierte (z. T. auch klar befristete) Einwanderung, wie sowjetische Truppen oder Auszubildende und Studierende aus Asien, Afrika und Lateinamerika (cf. Mesghena 2006: www.1). Diese Migranten lebten oft deutlich getrennt von der einheimischen Bevölkerung (cf. Porila/ten Thije 2009a, 16). Seit den 1980er Jahren war die Einwanderung in die Bundesrepublik vornehmlich vom Familiennachzug geprägt oder fand über Asylanträge statt. Insbesondere im Verlauf der 1990er Jahre lässt sich wiederum ein enormer Anstieg des Migrantenanteils in Deutschland beobachten (cf. Graphik 1), u. a. durch die Zuwanderung von Spätaussiedlern (ca. zwei Millionen Russlanddeutsche u. a.) sowie die ansteigende Zuwanderung aus der Türkei.

4 Zwangsarbeiter stellen nach der oben entwickelten Definition von Migration allerdings keine Migranten dar.

Migration nach Deutschland 

 9

8.000.000 7.000.000 6.000.000 5.000.000 4.000.000 3.000.000 2.000.000 1.000.000

1951 1961 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

0

Graphik 1: Ausländische Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland von 1951 bis 2009 Quelle: Statistisches Bundesamt, Ausländerzentralregister (cf. Bundeszentrale für Politische Bildung: www.4)

2.2.2 Aktuelle Daten – Deutschland Etwa seit der Jahrtausendwende wird von einer «Neuen Ära deutscher Einwanderungspolitik» (Mesghena 2006: www.1) gesprochen. In der Zuwanderungsdebatte fand ein Paradigmen-Wechsel statt hin zur verstärkten Selbstauffassung Deutschlands als Einwanderungsland. Im Jahr 2005 lebten in Deutschland 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, was etwa 18,6 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Hiervon sind 7,3 Millionen Menschen im Ausland, 8 Millionen als Kinder ausländischer Eltern in Deutschland geboren. Auffällig ist, dass nur ca. 49 Prozent dieser Menschen mit Migrationshintergrund einen ausländischen Pass besaßen – 51 Prozent also nicht. Anzumerken ist zudem, das etwa zwei Drittel des im Jahr 2005 gezählten Bevölkerungsteils mit Migrationshintergrund erst nach 1950 eingewandert sind, was zeigt, dass Deutschland tatsächlich in jüngerer Zeit verstärkt zu einem Einwanderungsland wird (cf. Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes 2005: www.3). Allerdings ist seit Ende der 1990er Jahre die Abwanderung von Menschen mit Migrationshintergrund teilweise sogar höher als die offizielle Zuwanderung (cf. Mesghena 2006: www.1).

10 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

Ein Großteil der Migranten in Deutschland konzentriert sich auf die größeren Städte. Wie die Graphik 2 zeigt, nimmt dieser Anteil in einigen Städten ein beträchtliches Ausmaß an.

Stuttgart

38,9%

Frankfurt/Main

37,6%

Nürnberg

36,1%

Augsburg

35,0%

München

33,5%

Düsseldorf

31,1%

Köln

31,2%

Wuppertal

30,0%

Berlin

22,2% 0%

10%

20%

30%

40%

Deutsche mit Migrationserfahrung Deutsche ohne Migrationserfahrung Ausländer mit Migrationserfahrung Ausländer ohne Migrationserfahrung Daten: Statistisches Bundesamt 2007

Graphik 2: Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Städten – Deutschland 20055 Graphik entnommen aus: Migration in Europa/Bundeszentrale für Politische Bildung: www.5

Zudem zeigt der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes 2005, dass 98 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund im alten Bundesgebiet und in Berlin leben (cf. Bundeszentrale für Politische Bildung: www.5). Meldebezirke mit einem besonders hohen Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund in

5 Die Prozentangaben beziehen sich hier auf den Anteil an der Gesamtbevölkerung der Stadt. Das in der Graphik angeführte Merkmal «Migrationserfahrung» bezieht sich darauf, ob die entsprechenden Personen selbst eingewandert sind oder nicht. Zudem ist angeführt, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit haben oder nicht.

Migration nach Deutschland 

 11

Berlin sind Mitte (Wedding), Friedrichshain/Kreuzberg und Neukölln, v. a. NordNeukölln, Lichtenberg und Teile von Charlottenburg. In diesen Bezirken beträgt dieser Anteil im Jahr 2007 über 50, teilweise sogar bis 70 Prozent der Bevölkerung. Auch in den übrigen Teilen der Stadt liegt der Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund jedoch häufig bei über 25 Prozent (cf. Graphik 3). Stand 31.12.2007

50 bis unter 70 25 bis unter 50 10 bis unter 25 unter 10 weniger als 1000 Einwohner Wasserfläche Wald- oder Grünfläche

Graphik 3: Einwohner mit Migrationshintergrund in Prozent – Berlin 2007 Graphik entnommen aus: http://www.statistik-berlin-brandenburg.de: www.6

Die größten Einwanderergruppen in Deutschland stammen aus der Türkei, Italien, asiatischen und osteuropäischen Ländern, v. a. Polen (cf. Ausländerzentralregister 2010: www.7). In Berlin bilden türkische Menschen mit 24,2 Prozent der dort gemeldeten Migranten die größte Migrantengruppe, polnische die zweitgrößte (cf. Statistik-Berlin-Brandenburg.de: www.6). Die wichtigsten Gründe für die Einwanderung in die Bundesrepublik sind derzeit der Familiennachzug, politische und humanitäre Gründe (bspw. Spätaussiedler, Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten, Opfer von Naturkatastrophen) sowie zu einem besonders großen Anteil die Arbeitsmigration (cf. Mesghena 2006: www.1).

12 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

Mehr als 20 Prozent der Migranten leben bereits länger als 20 Jahre in Deutschland (cf. Amt für Statistik Berlin Brandenburg, www.6). Hier lässt sich also tatsächlich von einer «dauerhaften» Verlagerung des Lebensmittelpunktes (cf. Heckmann/Tomei 1997, 4) sprechen. Hinsichtlich der Altersstruktur zeigt sich, dass die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland eine besonders «junge» Gruppe darstellt. Unter Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren liegt der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland bei über 40 Prozent, während dieser Anteil in der Altersgruppe der über 65-Jährigen lediglich 13 Prozent ausmacht (cf. Migration in Europa/Bundeszentrale für Politische Bildung: www.5). Bezüglich des Bildungsstands der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zeigt sich im Vergleich mit der deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund eine auffällige Verteilung (s. u. Tabelle 1). Wenn man die unten angeführten Angaben für Haupt-, Realschulabschluss, Abitur und «ohne Schulabschluss» in Beziehung zur jeweiligen Gesamtzahl der Schulabgänger mit bzw. ohne Migrationshintergrund setzt, zeigt sich, dass in beiden Gruppen prozentual fast gleich viele Menschen einen Hauptschulabschluss besitzen (41,7 Prozent der Menschen ohne und 41,6 Prozent derjenigen mit Migrationshintergrund). Gleiches gilt für den Realschulabschluss (23 Prozent vs. 23,9 Prozent). An den jeweiligen Extremen geht die Schere allerdings stark auseinander: Gemessen an der Gesamtzahl der Schulabgänger in den jeweiligen Gruppen besitzen prozentual mehr Menschen mit Migrationshintergrund Abitur (26,8 Prozent) als Menschen ohne Migrationshintergrund (19,8 Prozent) – jedoch haben auch deutlich mehr Einwohner mit Migrationshintergrund gar keinen Schulabschluss (16,7 Prozent), als es unter denjenigen ohne Migrationshintergrund der Fall ist (1,9 Prozent). Bei einigen Migrantengruppen zeigen sich bezüglich der Schulabschlüsse sogar noch deutlichere Unterschiede zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Gerade in der größten Migrantengruppe in Deutschland – die also auch in der vorliegenden Untersuchung eine wichtige Rolle spielen dürfte – der Gruppe mit türkischem Migrationshintergrund, besitzen ca. 30 Prozent der Menschen gar keinen Schulabschluss, weitere 40 Prozent erreichen lediglich einen Hauptschulabschluss (cf. Gostomski 2008). Hinsichtlich der Beteiligung am Erwerbsleben ist zudem festzuhalten, dass sowohl in der Bevölkerung ohne als auch in der mit Migrationshintergrund unter den Erwerbstätigen die jeweils größten Gruppen als Angestellte (59,5 Prozent ohne, 48 Prozent mit Migrationshintergrund) oder Arbeiter/innen (23,2 Prozent ohne, 41,1 Prozent mit Migrationshintergrund) beschäftigt sind (cf. Statistisches Bundesamt Deutschland: www.2). Allerdings sind in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund prozentual etwas weniger Menschen als Angestellte und dafür deutlich mehr als Arbeiter/innen beschäftigt als in der Bevölkerung ohne Migra-

 13

Migration nach Deutschland 

Tabelle 1: Bevölkerung in Deutschland 2009, höchste allgemeine Schulabschlüsse Graphik entnommen aus: Statistisches Bundesamt Deutschland: www.2 Höchster allgemeiner Schulabschluss

Bevölkerung insgesamt

ohne Migrationshintergrund

mit Migrationshintergrund im engeren Sinne zusammen

Deutsche mit

Ausländer

ohne

mit

ohne

eigene(r) Migrationserfahrung in 1000

Mit Schulabschluss

65 770

55 554

9 927

4 308

686

4 144

789

27 343

23 156

4 125

1 782

207

1 774

361

polytechnische Oberschule

4 637

4 581

54

35



17



Realschule o.ä.

15 244

12 782

2 377

1 165

230

749

234

4 201

3 564

605

284

57

210

54

13 767

11 000

2 660

1 006

185

1 336

134

Ohne Schulabschluss

2 689

1 030

1 655

431

43

1 118

63

noch in schulischer Ausbildung

13 445

9 272

4 121

268

2 743

332

778

ohne Angaben zur Art des Abschlusses

578

471

106

37

5

59

5

Hauptschulabschluss

Fachhochschulreife Abitur o.ä.

tionshintergrund. Auffällige Unterschiede zeigen sich in der Gruppe der Erwerbslosen: Während im Jahr 2009 6,5 Prozent der erwerbsfähigen6 Bevölkerung ohne Migrationshintergrund erwerbslos waren, waren es 13 Prozent derjenigen mit Migrationshintergrund – doppelt so viele. Auch das vom Sinus-Institut für die deutsche Bevölkerung mit Migrationshintergrund entwickelte Milieumodell zeigt, dass es sich bei der Gruppe der Migranten in Deutschland um eine in sich sehr heterogene Gruppe handelt (cf. Graphik 4 unten). Große Anteile der Bevölkerung mit Migrationshintergrund verteilen sich sowohl auf die hinsichtlich der sozialen Lage als niedrig bis mittel

6  Nicht eingeschlossen sind in diese Zahlen also Rentner, Schüler etc. (cf. Finanz-Lexikon: www.8).

14 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

eingeordneten Milieus «Traditionelles Arbeitermilieu», «Adaptives Bürgerliches Milieu» und «Hedonistisch-subkulturelles Milieu» als auch auf die bezüglich der sozialen Lage als mittel bis hoch eingestuften Milieus «Statusorientiertes Milieu» und «Multikulturelles Performermilieu». Heterogenität zeigt sich hier aber nicht nur hinsichtlich der Kategorie der «sozialen Lage» (in die u. a. die oben erwähnten Angaben zu Bildungsniveau und Beteiligung am Erwerbsleben einfließen), sondern auch hinsichtlich der den Milieus zugeschriebenen traditionelleren oder moderneren Wertorientierungen, nach denen die Migrantenmilieus allerdings insgesamt geringere Anteile in den modernen Milieus zeigen (Gruppe C). Die Unterscheidung nach dem Herkunftsland zeigt auch hier große Unterschiede: Beispielsweise sind in der Gruppe der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund die Milieus mit höherer sozialer Lage eher klein (z. B. werden dem «Statusorientierten Milieu» nur 9 Prozent der Menschen mit türkischen Migrationshintergrund, insgesamt aber 12 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund zugeordnet), wohingegen dem «Religiös-verwurzelten Milieu» in dieser Gruppe ein deutlich höherer Anteil zugeordnet wird (19 Prozent mit türkischem Migrationshintergrund, 7 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund) (cf. Sinus-Institut www.9). Im Kontext dieser Arbeit ist zudem von nicht unerheblicher Bedeutung, dass die größten Zuwanderergruppen in Deutschland aus Ländern stammen, deren Landessprachen anderen Sprachfamilien angehören als das Deutsche (z. B. Turksprachen, semitische, slawische Sprachen). Amtliche Statistiken bezüglich der Sprachkompetenzen von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland existieren bislang nicht (cf. Haug 2008), gezielte Sprachstandserhebungen konzentrieren sich vornehmlich auf Kinder. Jedoch zeigen verschiedene Untersuchungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sich in Selbsteinschätzungen eher oder sogar sehr gute Deutschkompetenzen zuschreibt (cf. Graphik 5 s. u.). Nur fünf Prozent geben in einer Repräsentativbefragung «Ausgewählte Migrantengruppen in Deutschland 2006/2007» (RAM) an, über sehr geringe oder gar keine mündlichen Deutschkompetenzen zu verfügen (cf. Haug 2008, 23ss.). Allerdings schreiben sich immerhin 16 Prozent sehr geringe Kompetenzen im Schriftlichen zu (cf. ebd.). Auch hier sind Unterschiede je nach Herkunftsland zu beobachten. Beispielsweise verfügen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund durchschnittlich nach eigener Angabe über geringere Deutschkompetenzen als andere Migrantengruppen – was einer der Gründe für die in dieser Gruppe durchschnittlich niedrigeren Bildungsabschlüsse und u. U. auch eine geringere Beteiligung am Erwerbsleben sein dürfte (cf. Graphik 5). Mit Blick auf die empirische Untersuchung dieser Arbeit lässt sich festhalten, dass offenbar eine Datenerhebung in Berlin lohnt, da die Stadt insbesondere

 15

Migration nach Deutschland 

hoch 1 AB12 Statusorientiertes Milieu 12%

mittel 2

niedrig 3

Soziale Lage

Grundorientierung

B12 Intellektuellkosmopolitisches 11% Milieu

A3 Religiösverwurzeltes Milieu 7% AI

B23 Adaptives Bürgerliches Milieu 16%

AB3 Traditionelles Arbeitermilieu 16% B3 Entwurzeltes 3% Milieu AII

VorEthnische moderne Tradition Tradition Pflicht- und Konservativ- religi- Akzeptanzwerte, ös, stren- materielle Sicherge, rigide heit, traditionelle Moral Wertvorstellungen, kulturelle Enklave

Tradition

BI

© Sinus Sociovision 2008

BC2 Multikulturelles Performermilieu 13%

BC3 Hedonistischsubkulturelles Milieu 15% BII

KonsumIndividualisierung Materialismus SelbstverwirkStatus, Besitz, lichung, Leistung, Konsum, Aufstiegsorientierung, Genuss, bi- kulturelle Ambivalenz und soziale Akzeptanz Kulturkritik und Anpassung

Modernisierung

C MultiOptionalität Postmodernes WertePatchwork, Sinnsuche, multikulturelle Identifikation

Neuidentifikation

Graphik 4: Sinus-Migranten-Milieus® in Deutschland 2008 Graphik entnommen aus:Sinus-Institut: www.9

in einigen Bezirken über einen besonders hohen Migrantenanteil der Bevölkerung verfügt. Der Umgang mit Migranten dürfte also einen wesentlichen Teil des Arbeitsalltags an Berliner Behörden ausmachen. Zu erwarten steht, dass auch die Gruppe der Klienten, die in der vorliegenden Untersuchung an Behördengesprächen teilnehmen, in sich sehr heterogen sein wird, u. a. bezüglich ihrer Einstellungen, ihrer beruflichen Situation und ihres Bildungsstands. Zudem lebt ein großer Teil der aktuell in Deutschland gemeldeten Menschen mit Migrationshintergrund, wie gezeigt wurde, offenbar bereits seit vielen Jahren in dieser Aufnahmegesellschaft oder ist sogar dort geboren und aufgewachsen. Vorstellbar ist daher, dass viele der Klienten der empirischen Untersuchung bereits vergleichsweise gut in die Aufnahmegesellschaft integriert sind (bspw. kulturell, sozial; cf. Heckmann/Tomei 1997) und auch über bisherige Erfahrungen im Umgang mit Behörden und anderen Institutionen in Deutschland verfügen, was die Kommunikation mit Behördenmitarbeitern entscheidend beeinflussen kann. Aufgrund

16 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

Türkei

Ehem. Jugoslawien

Italien

Griechenland

Polen

Gesamt

Verstehen Sehr gut

36,2

48,1

51,6

46,6

42,7

42,7

Gut

27,0

34,3

29,4

30,4

31,1

29,7

Mittelmäßig

24,6

12,6

15,3

15,2

19,3

19,2

Schlecht

7,5

4,0

2,5

5,2

3,9

5,4

Sehr schlecht

3,6

1,0

0,6

2,3

2,8

2,4

Gar nicht

1,1

0,1

0,6

0,3

0,3

0,6

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Gesamt Sprechen Sehr gut

31,7

39,7

46,1

41,3

33,2

36,7

Gut

24,0

36,4

28,7

28,7

31,6

28,6

Mittelmäßig

26,0

16,5

19,5

19,9

24,7

22,2

Schlecht

12,9

5,5

4,1

6,5

6,3

8,8

Sehr schlecht

3,8

1,7

0,9

2,8

3,3

2,7

Gar nicht

1,6

0,2

0,7

0,8

0,8

1,0

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Gesamt Lesen Sehr gut

28,5

37,2

40,1

38,0

31,4

33,3

Gut

24,2

30,4

23,7

27,1

33,9

26,6

Mittelmäßig

18,7

19,4

22,1

15,2

18,7

19,1

Schlecht

13,9

7,0

9,0

9,3

10,2

10,9

Sehr schlecht

6,0

3,6

1,9

5,7

2,8

4,5

Gar nicht

8,7

2,4

3,2

4,7

3,0

5,6

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Gesamt Schreiben Sehr gut

24,5

30,4

32,0

31,5

32,2

27,5

Gut

18,9

20,4

16,3

22,0

25,7

19,7

Mittelmäßig

17,2

23,8

26,4

15,2

26,5

20,7

Schlecht

18,0

14,5

12,7

15,2

15,2

15,9

Sehr schlecht Gar nicht Gesamt

8,1

6,6

6,2

7,2

4,4

7,1

13,4

4,3

6,5

8,8

5,0

9,2

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Quelle: RAM 2006/2007. Ungewichtete Gesamtfallzahl 4.573. Angaben in Prozent (gewichtet). Graphik 5: Selbstzuschreibungen Deutschkompetenzen RAM-Untersuchung 2006/2007 Graphik entnommen aus: Haug (2008, 24)

Migration nach Argentinien 

 17

der hohen Konzentration einzelner Migrantengruppen (in erster Linie türkischstämmiger Menschen) insbesondere in einigen Bezirken Berlins ist allerdings auch eine starke Verhaftung in Personenkreisen ähnlicher Herkunft und in der entsprechenden Herkunftskultur oder einer im Aufnahmeland neu entstandenen Kultur denkbar, die sich aus Elementen der Herkunfts- wie auch der Aufnahmekultur (oder ganz neuen) zusammensetzt. Hierbei sowie insbesondere hinsichtlich der Sprachkompetenzen der Klienten mit Migrationshintergrund wird in den Analysen darauf zu achten sein, inwiefern sich unterschiedliche Sprachkompetenzen und kulturelle (sowie institutionelle) Erfahrungen in den Interaktionen selbst jeweils bemerkbar machen.

2.3 Migration nach Argentinien Zum Vergleich werden im Folgenden ähnliche Informationen, wie sie für den Fall Deutschland zusammengetragen wurden, bezüglich der Migration nach Argentinien vorgestellt.

2.3.1 Historische Entwicklung Argentinien ist eines der klassischen Einwanderungsländer Lateinamerikas. Nicht ohne Grund besagt ein altes Sprichwort, das Octavio Paz zugeschrieben wird: «Die Mexikaner stammen von den Azteken ab, die Peruaner von den Inkas und die Argentinier von den Schiffen» (Schirp 2001, 20). Etwa 90 Prozent der Bevölkerung stammen von (zumeist europäischen) Einwanderern ab (cf. Ilg 1982, 62). Zwischen 1857 und 1920 nahm Argentinien nach den USA weltweit am meisten Einwanderer auf. Kesselheim (2009, 16) bezeichnet die Einwanderung nach Argentinien, insbesondere für die Zeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre, sogar als die «größte relative Einwanderung der Welt». Bezüglich der Migrationsentwicklung lassen sich grob drei Einwanderungsphasen unterteilen: nach einschneidenden (politischen und historischen) Ereignissen sowie nach Unterschieden der Haupteinwanderergruppen (Herkunftsländer) und der jeweiligen Migrationstypen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts7 handelte es sich um eine vor allem auf die Städte beschränkte «Elitenwanderung» einzelner Migranten (cf. Ilg 1982, 60),

7 Argentinien erreichte im Jahr 1810 die Unabhängigkeit. Für die Zeit davor lässt sich also nicht von einer Migration nach Argentinien sprechen.

18 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

die erst später in eine umfangreiche «Siedlungswanderung» und dann in eine «Arbeitswanderung» überging (cf. Bernecker/Fischer 1992, 207ss.). Die erste große Einwanderungswelle nach Argentinien beginnt gegen Mitte des 19. Jahrhunderts und reicht etwa bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Unter der von dem argentinischen Politiker Juan Bautista Alberdi geprägten Maxime «Gobernar es poblar» (‹Regieren heißt bevölkern›) warb der Staat gezielt europäische Einwanderer an und strebte explizit ein Bevölkerungswachstum zur besseren Bewirtschaftung des Landes an (cf. Schirp 2001, 20), auch in der Überzeugung, man könne mit den Einwanderern «Unternehmergeist, Fortschrittsorientierung und ein modernes Staatswesen gleichsam importieren» (Kesselheim 2009, 16). Die Förderung der (europäischen) Einwanderung wurde in der Verfassung von 1853 (Art. 25) sogar als Staatsziel festgehalten. Cozzani de Palmada (2000, www.10) spricht für diese Zeit von einer «política proinmigratoria», auch Kesselheim (2009, 16) berichtet von «großzügigen Konditionen» für Einwanderer.8 Durch das ius soli-Prinzip erhielten zudem die Nachkommen von Immigranten bereits durch ihre Geburt auf argentinischem Staatsgebiet die argentinische Staatsbürgerschaft (cf. ebd.). Die staatliche Migrationsförderung führte in den folgenden Jahrzehnten zu einem enormen Anstieg der Einwanderung. Ab den 1880er Jahren nahmen Argentinien und Brasilien mehr als ein Fünftel der weltweiten europäischen Auswanderer auf (cf. Ilg 1982, 60ss.). Bis 1908 stieg der Migrantenanteil der in Argentinien lebenden Bevölkerung auf 45 Prozent (cf. Cozzani de Palmada 2000: www.10). Die große Mehrheit der Einwanderer dieser Zeit stammte aus Spanien und Italien (cf. Kesselheim 2009, 44). Eine zweite Einwanderungsphase reicht vom Anfang bis etwa zur Mitte des 2­­ 0. Jahrhunderts. Infolge der politischen und wirtschaftlichen Ereignisse im Europa dieser Zeit (Erster Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise, NS-Diktatur und Zweiter Weltkrieg) entwickelte sich eine weitere Welle der Einwanderung nach Argentinien. Doch auch in Argentinien verschlechterten sich die Lebensumstände infolge der Weltwirtschaftskrise zusehends, was relativ hohe Rückwanderungsquoten zur Folge hatte. Etwa ab 1930 führte das Land eine deutlich restriktivere Einwanderungspolitik, die so genannte Politik der puertas abiertas (der ‹offenen Türen›) wurde zunehmend infrage gestellt (cf. Courtis 2005; Cozzani de Palmada 2000: www.10). Dennoch war Argentinien weiterhin ein wichtiges Ziel politisch oder religiös motivierter Migration, u. a. als eines der Emigrationsziele der Flüchtlinge

8 Land wurde z. T. verschenkt, vielen Einwanderern wurde nach ihrer Ankunft kostenlose Unterkunft und Verpflegung angeboten, Arbeitsvermittlung betrieben etc. (cf. Dirección Nacional de Migraciones: www.11).

Migration nach Argentinien 

 19

und Gegner des Nationalsozialismus’ (cf. Schönwald 1998, 32s.; Schirp 2001, 8).9 Zu den europäischen Einwanderern dieser Zeit addierte sich bereits eine erste umfangreichere Welle lateinamerikanischer Immigranten. Cozzani de Palmada (2000: www.10) geht für die Zeit zwischen 1944 und 1954 von ca. 3.500.000 Einwanderern in Argentinien aus. Sie betont jedoch, die Einwanderungspolitik dieser Jahre sei äußerst selektiv gewesen, «con criterios que atendían tanto a la calificación laboral de los individuos como a ciertas condiciones culturales y psicológicas»10 (ebd.). Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich von einer dritten Phase sprechen, die von einem Rückgang europäischer Einwanderung und dem verstärkten Aufkommen innerlateinamerikanischer Migrationsbewegungen gekennzeichnet ist:11 «1960 marcó un punto de inflexión en la marcha de las migraciones. Desde esta fecha, en valores netos, mientras la corriente de europeos disminuye – y lo hace a razón de 400.000 individuos en cada período intercensal – la de limítrofes registra un incremento constante» (Cozzani de Palmada 2000, www.10).12

Bereits Mitte der 1950er Jahre überstieg die Zahl der Einwanderer aus benachbarten Ländern erstmals die europäische Einwanderung – was seitdem konstant der Fall ist (cf. Kesselheim 2009, 49). Es handelte sich hierbei mittlerweile verstärkt um Arbeitsmigration. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war allerdings von einer eher wechselhaften und ambivalenten Einwanderungspolitik geprägt. Eine Vielzahl von Amnestien für illegale Einwanderer wechselte mit einer insgesamt zunehmend restriktiveren Einwanderungspolitik, besonders während der Militärdiktatur (1976–1983) sowie unter Präsident Alfonsín (1984–1989) (cf. Cozzani Palmada 2000; Kesselheim 2009). Restriktionen richteten sich häufig insbesondere gegen die Einwanderung aus benachbarten Ländern.13

9 Gesicherte Zahlen gibt es hierzu nicht, da ein Großteil der Immigration jener Zeit illegal verlief. 10 ‹Mit Kriterien, die ebenso die berufliche Qualifikation der Individuen wie auch bestimmte kulturelle und psychologische Voraussetzungen berücksichtigten› (eigene Übersetzung, K.R.). 11 Gleichzeitig entwickelte sich Argentinien zunehmend von einem Einwanderungsland zu einem Auswanderungsland (cf. z. B. Garray 2000). 12 ‹Das Jahr 1960 markiert einen Wendepunkt in der Migrationsentwicklung. Seit diesem Zeitpunkt nimmt die europäische Einwanderung in absoluten Zahlen ab – und zwar um 400.000 Personen in jedem Zeitraum zwischen den Volkszählungen – während die Einwanderung aus Nachbarländern kontinuierlich zunimmt.› (eigene Übersetzung, K.R.). 13 Beispielsweise wurden nur bestimmte Berufsgruppen (bspw. Techniker, Wissenschaftler) und Personen mit ausreichendem Eigenkapital zugelassen – Anforderungen, die gerade viele innerlateinamerikanische Migranten nicht erfüllten (cf. Kesselheim 2009).

20 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

In der Folge vollzog sich ein immer größerer Teil der Einwanderung auf illegalem Wege.14 In Verbindung mit der Gründung des Mercosur 1991 wurden im Laufe der 1990er Jahre unter dem Prinzip der lateinamerikanischen «Brüderlichkeit und Integration» (principio de hermandad e integración latinoamericana) Restriktionen gegenüber Einwanderern aus den Mercosur-Staaten15 und den späteren estados asociados16 abgebaut und eine legale Ansiedlung zunehmend erleichtert. 1991 betrug der Anteil der inmigrantes limítrofes17 prozentual zur Gesamtheit der in Argentinien gemeldeten Ausländer bereits 50,2 Prozent (cf. ebd.). Zudem war Argentinien während der 1990er Jahre als Einwanderungsland auch wegen der Anbindung des Peso an den US-Dollar (1:1) besonders attraktiv (cf. Kesselheim 2009, 48), so dass «die Einwanderung aus den Nachbarländern trotz der sprunghaft anwachsenden Arbeitslosigkeit bis ins Jahr 2001 anhielt» (ebd., 49). Während der dramatischen Wirtschaftskrise des Landes 2001/02 ging die Einwanderung zwar etwas zurück, jedoch hebt Kesselheim (ebd., 17) hervor, die Einwanderungszahlen seien in dieser Zeit «nur kurzfristig beeinflusst worden». Neuere einwanderungspolitische Entwicklungen, wie das «Programa Nacional de Normalización Documentaria Migratoria», kurz «Patria Grande», brachten weitere Erleichterungen für Migranten aus den Mercosur-Staaten und den estados asociados mit sich. Während einer im Zuge dieses Programms stattfindenden regularización migratoria im Jahr 2006 wurden mehr als 200.000 Ausländer in Buenos Aires und Gran Buenos Aires eingebürgert (cf. Dirección Nacional de Migraciones, www.11). Zudem wurde im Jahr 2004 per Gesetz für alle (selbst illegale) Ausländer in Argentinien ein Recht auf Gesundheitsversorgung und Bildung festgelegt. Auch die Ausweisung illegaler Migranten wurde stark eingeschränkt. Die Entwicklung der Einwanderungspolitik Argentiniens über die letzten 150 Jahre lässt sich also als eine Entwicklung auffassen von einer expliziten «política proinmigratoria» (Cozzani Palmada 2000: www.10), über eine zunehmend restriktivere Einwanderungspolitik im Verlauf des 20. Jahrhunderts hin zu einer leichten Lockerung in der Gegenwart, die insbesondere einige Erleichterungen für Angehörige der Mercosur-Staaten und der estados asociados vorsieht. Von einer ursprünglich deutlich europäisch geprägten Einwanderung veränderte sich

14 Für eine detailliertere Beschreibung der Schwierigkeiten gerade für Immigranten aus den Nachbarländern Argentiniens s. Kesselheim (2009, 52). 15 Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und seit 2012 auch Venezuela. 16 Chile (1996), Bolivien (1997), Peru (2003), Kolumbien (2004), Ecuador (2004). 17 Als inmigración limítrofe wird die Einwanderung aus den Nachbarländern Argentiniens bezeichnet.

Migration nach Argentinien 

 21

die Migration nach Argentinien hin zu einer heutzutage sehr viel stärker innerlateinamerikanischen. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts nahm auch die Einwanderung aus asiatischen Ländern (v. a. Korea, Taiwan, Volksrepublik China) zu, diese umfasst jedoch bis heute keine außergewöhnlich großen Anteile (cf. Kesselheim 2009, 17).

2.3.2 Aktuelle Daten – Argentinien Auch wenn die frühere Stärke der Migration nach Argentinien ab der Mitte des 20. Jahrhunderts abgenommen hat, sind die Anteile der in jüngerer Zeit zugewanderten Ausländer immer noch recht hoch. Im Jahr 2001 waren 1.531.940 Ausländer in Argentinien gemeldet (INDEC 2001: www.12). Das entspricht etwa 4,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Allerdings stammen diese Zahlen der letzten bislang veröffentlichten Volkszählung in Argentinien gerade aus der Zeit der dortigen Wirtschaftskrise, während der, wie auch bereits während der wirtschaftlichen Verschlechterungen in den 1990er Jahren, zumindest kurzfristig die Einwanderung etwas zurückging (cf. Grimson 2005: www.13; Kesselheim 2009, 17). 2010 wurde zwar eine aktuelle Volkszählung durchgeführt, deren Ergebnisse sind jedoch zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Studie noch nicht veröffentlicht. Schätzungen gehen von einem mittlerweile höheren Migrantenanteil von bis zu 10 Prozent aus (cf. Castillo/Lekanda 2010). Nicht enthalten in dieser Zahl sind zudem im Land geborene Menschen mit Migrationshintergrund sowie illegale Immigranten, so dass der reelle Anteil der ausländischen Bevölkerung bzw. derjenigen mit Migrationshintergrund wohl deutlich höher liegen dürfte. Kesselheim (2009, 17) geht beispielsweise von Schätzungen von «mehr als 400.000» illegalen Einwanderern aus Nachbarländern Argentiniens aus. Ciapuscio und Kesselheim (1997, 107) beziehen sogar Schätzungen von 0,4 bis 1,1 Millionen illegalen Einwanderern ein.18 Die größten Migrantengruppen in Argentinien stammen aus den so genannten paises limítrofes, vor allem (in dieser Reihenfolge) aus Paraguay (21,2 Prozent der Ausländer), Bolivien (15,2 Prozent), Chile (13,9 Prozent) und Uruguay (7,6 Prozent) sowie aus Peru (5,8 Prozent)19 (cf. Pacecca/Courtis 2008, 20), wobei die

18 Generell zu statistischen Problemen im Kontext der illegalen Immigration in Südamerika s. auch Lattes (1990), nach Ciapuscio/Kesselheim (1997, 107). 19 Peruaner werden allerdings in staatlichen Statistiken, anders als in manchen Studien (cf. z. B. Cortés/Groismann 2004), nicht der inmigración limítrofe zugerechnet (cf. Kesselheim 2009, 49).

22 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

räumliche Nähe der Gebiete eine gewisse Transmigration begünstigt. Räumliche Nähe und wirtschaftliche Schwäche scheinen die entscheidenden Migration auslösenden Steuerungsfaktoren zu sein. Im Vergleich zu den 1990er Jahren änderte sich die Verteilung der Einwanderer aus den einzelnen Nachbarländern etwas. Während die bolivianische und die peruanische Einwanderung in den vergangenen Jahrzehnten stärker zunahm, ging diejenige aus Brasilien und Uruguay zurück (cf. ebd., 22; Kesselheim 2009, 49). Insgesamt nahm der Anteil der inmigración limítrofe an den in Argentinien lebenden Ausländern weiter zu und machte im Jahr 2001 bereits 60,3 Prozent der in Argentinien lebenden Ausländer aus (cf. ebd.; INDEC 2001). Allerdings stellen auch Italiener immer noch einen großen Anteil der ausländischen Bevölkerung in Argentinien (14,1 Prozent, cf. Pacecca/ Courtis 2008, 20). Ein Großteil der Einwanderer (47 Prozent der lateinamerikanischen Einwanderer, cf. Kesselheim 2009, 16) konzentriert sich mittlerweile auf den Großraum Buenos Aires.20 In aller Regel handelt es sich um Arbeitsmigranten sowie mitoder nachziehende Familienangehörige. Grimson (2005: www.13) betont dabei, ein wesentlicher Teil der gegenwärtigen Migranten in Argentinien arbeite in Niedriglohnsektoren oder sei illegal beschäftigt. Genauere Angaben finden sich bei Pacecca und Courtis (2008):

20 Kesselheim (2009, 47s.) unterteilt in diesem Zusammenhang verschiedene Phasen der Einwanderung: zunächst im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine «migración golondrina (‹Schwalbenmigration›)», die etwa dem Begriff der Transmigration entspricht, eine «migración por etapas» in den 1930er und 40er Jahren, während derer Einwanderer aus ländlichen Gebieten in Provinzstädte und anschließend nach Buenos Aires zogen, sowie eine «inmigración directa», in der etwa ab den 1960er Jahren Migranten immer häufiger direkt aus ihren Herkunftsländern nach Buenos Aires einwanderten.

Migration nach Argentinien 

 23

Tabelle 2: Beschäftigung Migranten nach Sektoren und Herkunftsland, Männer (2001) Tabelle entnommen aus: Pacecca/Courtis 2008, 30. (En porcentajes)

Bolivia

Brasil

Chile

Paraguay

Uruguay

Perú

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

16,9

42,9

10,5

4,2

1,8

1,0

Total Agricultura, ganadería, silvicultura y pesca Industrias manufactureras

14,3

7,8

10,5

11,1

12,1

11,8

Construcción

19,6

4,3

17,4

20,3

8,1

13,3

Comercio, reparaciones, hotelería y restaurantes

10,2

11,3

13,2

11,7

20,1

28,4

Transporte,almacenamiento y comunicación

3,0

3,7

4,9

3,9

9,8

4,3

Servicios comunales, sociales y personales

4,4

9,9

8,4

6,8

13,3

14,3

Ocupados en categorías seleccionadas

68,4

79,9

65,0

58,1

65,3

73,3

Buscan trabajo

26,5

12,6

25,5

35,2

23,8

16,7

Fuente: Proyecto IMILA del CELADE.

Die Autorinnen stellen fest, dass ein Großteil der männlichen Migranten aus Bolivien, Chile und Paraguay im Bauwesen tätig ist, wohingegen Brasilianer (teilweise auch Bolivianer) eher in der Landwirtschaft beschäftigt sind, Uruguayer und Peruaner im Handel und in der Gastronomie. Sie heben hervor, dass es sich hierbei in der Regel um geringqualifizierte Tätigkeiten in diesen Sektoren handelt (beispielsweise als Kellner, nicht als Restaurantbesitzer; cf. ebd., 32). Zudem zeigt die oben abgebildete Tabelle 2, dass insbesondere unter Bolivianern, Chilenen und Uruguayern rund ein Viertel, unter Paraguayern sogar mehr als ein Drittel der Migranten arbeitslos ist. Migrantinnen aus denselben Herkunftsländern sind zumeist im Bereich servicio doméstico beschäftigt, Bolivianerinnen auch im Handel (bspw. als Verkäuferinnen), Brasilianerinnen ebenfalls in der Landwirtschaft. Auffällig ist, dass viele Migrantinnen aus diesen Ländern offenbar in Berufen tätig sind, für die sie überqualifiziert sind (cf. ebd., 31). Gleichzeitig betonen die Autorinnen jedoch auch, dass im Gegensatz zu den männlichen Migranten, die meist über eine «calificación operativa» (ebd.) verfügen, ein Großteil der weiblichen Migrantinnen keine berufliche Ausbildung hat (cf. ebd.). Hinsichtlich des Bildungsniveaus der Migranten aus den paises limítrofes und Peru stellen Pacecca und Courtis (2008, 29) fest, dass der jeweils größte Anteil der Migranten aus Bolivien, Brasilien, Chile und Paraguay etwa vier bis

24 

 Migration nach Deutschland und Argentinien – ein Überblick

neun Jahre Schulausbildung genossen hat, während Uruguayer und vor allem Peruaner zu größeren Teilen offenbar über eine höhere Schulbildung mit mehr als zehn Jahren Schulbesuch verfügen. Zumindest unter den bolivianischen und brasilianischen Migranten besitzt jedoch auch etwa ein Drittel nur vier oder sogar weniger Jahre Schulbildung (s. Tabelle 3). Tabelle 3: Jahre Schulbesuch nach Herkunftsland (2001) Tabelle entnommen aus: Pacecca/Courtis 2008, 29 ARGENTINA: AÑOS DE ESCOLARIDAD APROBADOS DE MIGRANTES DE 10 AÑOS Y MÁS SEGÚN PAÍS DE ORIGEN, 2001 (En porcentajes) 4 años o menos

4 a 9 años

10 años y más

Bolivia

27,1

45,0

27,9

Brasil

29,2

40,0

30,8

Chile

17,6

51,4

31,0

Paraguay

19,6

58,1

22,3

Uruguay

6,9

43,6

49,5

Perú

7,0

17,4

75,6

Fuente: Proyecto IMILA del CELADE.

Bei der Mehrheit der inmigrantes limítrofes in Argentinien handelt es sich also offenbar um Menschen, die eine mittlere, teilweise aber auch sehr niedrige Schulbildung genossen haben und – wie man an den peruanischen Migranten sieht, auch unabhängig von dieser – zu großen Teilen eher in Niedriglohnsektoren beschäftigt sind. Dieser Umstand kann zumindest teilweise mit Vorurteilen und Diskriminierung zusammenhängen, der sich insbesondere indigene Migranten in Argentinien zuweilen ausgesetzt sehen (cf. Kesselheim 2009). Hierauf reagieren viele Migranten mit einem verstärkten Zusammenhalt innerhalb der eigenen Gruppen (cf. Grimson 2005: www.13). Das führt allerdings auf der anderen Seite zu dem oftmals beschriebenen Phänomen einer Segmentation der Einwanderergruppen (cf. Esser: www.14). Aus den in diesem Abschnitt dargelegten Informationen lässt sich für die empirische Studie dieser Arbeit festhalten, dass auch eine Datenerhebung in Buenos Aires, als dem Zentrum der Ansiedlung von Migranten in Argentinien, lohnt. Auch die Gruppe der Migranten in Argentinien ist relativ heterogen. Auch hier ist allerdings festzustellen, dass immerhin ein wesentlicher Teil der Migranten

Migration nach Argentinien 

 25

in Argentinien über eine eher niedrige bis mittlere Bildung verfügt und offenbar zumeist in Niedriglohnsektoren beschäftigt ist. Hervorzuheben ist, dass, anders als in Deutschland, in Argentinien nur solche Personen als Migranten gewertet werden, die selbst eingewandert sind. Auch in der Gruppe der Klienten der empirischen Studie werden sich also nur Migranten der ersten Generation befinden. Über die jeweilige Aufenthaltsdauer im Aufnahmeland lässt sich anhand dessen allerdings keine Aussage treffen. Bezüglich der Sprachkenntnisse der Migranten in Argentinien ist im Kontext der empirischen Untersuchung von besonderer Relevanz, dass zumindest die Amtssprache in sämtlichen der Hauptherkunftsländer Spanisch ist – wie auch im Aufnahmeland Argentinien. Zwar werden insbesondere in Paraguay und Bolivien von großen Teilen der Bevölkerung indigene Sprachen als Muttersprache gesprochen (in Paraguay v. a. Guaraní von knapp 86 Prozent der Bevölkerung, in Bolivien Quechua, Guaraní und Aimara sowie andere indigene Sprachen), jedoch beherrscht in beiden Ländern die Mehrheit der Einwohner ebenfalls muttersprachlich oder als erste Fremdsprache auch Spanisch (in Bolivien 88,9 Prozent, in Paraguay 69,4 Prozent; cf. Instituto Nacional de Estadística de Bolivia: www.15; Censo Nacional de Paraguay 2002: www.16). In Chile, Uruguay und Peru ist Spanisch die am weitesten in der Bevölkerung verbreitete Muttersprache. Die Mehrheit der gegenwärtigen Migranten in Argentinien beherrscht also die Sprache des Aufnahmelandes muttersprachlich oder zumindest relativ gut.

3 Theoretische Grundlagen Bei der Betrachtung der Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern sind verschiedene Forschungsbereiche von Belang. Zunächst wird auf den Forschungsstand zur Experten-Laien-Kommunikation und auf die Besonderheiten institutioneller Kommunikation, vor allem der Behördenkommunikation, eingegangen sowie der Forschungsstand zur interkulturellen Kommunikation (v. a. aus sprachwissenschaftlicher Perspektive) umrissen, soweit es für diese Arbeit relevant ist. Zudem werden schlaglichtartig einige im Rahmen dieser Studie relevante empirische Untersuchungen zur interkulturellen Behördenkommunikation skizziert.

3.1 D  ie Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern als Experten-Laien-Kommunikation Die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern wird in dieser Arbeit zunächst als ein Fall von Experten-Laien-Kommunikation (im Folgenden ELK) aufgefasst.1 Hiermit wird ein besonderer Aspekt der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten betont: der Umgang mit Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten und eventuelle Probleme, die hiermit verknüpft sein können. In dieser Arbeit wird Wissen2, angelehnt an die bereits von Platon entwickelte Auffassung des Begriffs, verstanden als von den Gesprächspartnern zum Zeitpunkt des Gesprächs für wahr gehaltene Annahmen. In der Forschung werden verschiedene Typen von Wissen unterschieden. Heinemann und Heinemann (2002, 125) differenzieren zwischen drei Haupttypen von Wissen: enzyklopädischem Wissen (Weltwissen), sprachlichem Wissen und Handlungswissen/Interaktionswissen. Auf einer anderen Ebene wird zudem – was im Kontext der ELK wesentlich ist – unterschieden zwischen Alltagswissen und Fachwissen (an späterer Stelle

1 Die Arbeit geht allerdings sowohl in methodischer als auch in inhaltlicher Hinsicht in gewisser Weise über den Kern dessen hinaus, was als ELK bezeichnet wird. Untersucht wird, inwieweit Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten in der Interaktion selbst tatsächlich eine Rolle spielen, aber ebenso wird betrachtet, inwiefern «Probleme» in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern über reine Wissensdivergenzen (und damit auch die Aufgabe der Wissensvermittlung) hinausgehen. Das wird an späterer Stelle näher erläutert. 2 Um den Begriff des Wissens rankt sich bereits seit den 1960er Jahren eine breite Diskussion, in die hier nicht eingestiegen werden soll (cf. bspw. Gettier 1963; Armstrong 1973).

Experten-Laien-Kommunikation 

 27

dieser Arbeit wird näher auf die Begriffe Expertenwissen und Laienwissen eingegangen): Unter Fachwissen versteht z. B. Palm (2001, 349) Wissen, das aus «expliziten, klaren und gut formulierten Einsichten» eines bestimmten Bereichs besteht. Zum Alltagswissen gehören dagegen auch «weniger klare Meinungen und Ansichten» (ebd.) sowie ein gewisses «Verweisungswissen» (cf. Müller 1997, 41), beispielsweise Wissen darüber, an wen man sich mit einer bestimmten Frage wenden kann. Rehbein (1998, 698) unterscheidet etwas genauer zwischen dem auf die alltägliche Wirklichkeit ausgerichteten Alltagswissen,3 auf spezifische Sachbereiche ausgerichtetem professionellem Wissen (Fachwissen) und semiprofessionellem Wissen sowie allgemeinem wissenschaftlichem Wissen. Auf sprachlicher Ebene ordnet er dem Alltagswissen die (All-)Gemeinsprache zu, dem professionellem Wissen die Fachsprache, dem semiprofessionellen verständliche Fachausdrücke und dem allgemeinen wissenschaftlichen Wissen die Wissenschaftssprache (cf. ebd.). Hervorzuheben ist des Weiteren, dass Wissen in der Interaktion verändert werden kann. Der Wissensvorrat ist also nie feststehend und vollständig, sondern wird immer erweitert, geändert und umstrukturiert. Beratungsgespräche,4 die einen großen Teil der Gespräche auf Behörden ausmachen, sind eindeutig auf Wissensvermittlung fokussiert. Aber auch in so genannten Datenklärungsgesprächen5 (cf. Porila/ten Thije 2009a) spielt Wissenstransfer eine wichtige Rolle. In allen Fällen kommen Klienten mit einem bestimmten Anliegen (oder auf Einladung der Behörde) zu einem Behördengespräch und erfahren dort, wie dieses Anliegen bearbeitet werden kann, welche Unterlagen sie einreichen müssen etc. Institutionelles, professionelles Wissen wird vom Behördenmitarbeiter an den Klienten vermittelt, umgekehrt aber auch das für die Bearbeitung eines Anliegens relevante Wissen vom Klienten an den Behördenmitarbeiter. Zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten kann eine

3 Rehbein (1998, 698) macht hier verschiedene Wissensstrukturtypen aus, u. a. partikulares Erlebniswissen, Musterwissen, Routinewissen etc. (cf. dazu näher Ehlich/Rehbein 1977). 4 Cf. dazu genauer Rehbein (1985b;c) sowie zu Beratungsgesprächen im Behördenkontext Becker-Mrotzek (2001, 1522). 5 Datenklärungsgespräche dienen i.d.R. dazu, in einem «formularähnlichen» Stil, Informationen von Klienten zu erfragen (bspw. für die Bearbeitung eines Ummeldeanliegens). Sie zeichnen sich durch eine Kette von (knappen) Fragen und Antworten aus. In Alltagsgesprächen sind solche Gespräche nur selten zu beobachten. In die empirische Untersuchung dieser Arbeit werden keine Gespräche einbezogen, in denen lediglich Unterlagen eingereicht werden, sondern ausschließlich solche, in denen in irgendeiner Form Wissen übermittelt wird. Auf Widerspruchsgespräche wird in dieser Arbeit nicht eingegangen (cf. dazu Becker-Mrotzek/Fickermann 1992).

28 

 Theoretische Grundlagen

asymmetrische Beziehung bestehen, die sich zumindest zu einem Teil auf unterschiedlich verteiltes Wissen gründen kann.6 Die Experten-Laien-Kommunikation tritt im hier betrachteten Fall allerdings in einem bestimmten institutionellen Kontext auf – nämlich dem Behördenkontext –, der einige Besonderheiten mit sich bringt. Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass im Fokus der Behördengespräche oftmals nicht ausschließlich die Vermittlung von Wissen steht, das zur Bearbeitung der Klientenanliegen erforderlich ist, sondern auch die tatsächliche Realisierung von Verwaltungsakten. Hierauf wird in Abschnitt 3.2 näher eingegangen. Zunächst ist allerdings zu klären, was eine Experten-Laien-Kommunikation generell charakterisiert.

3.1.1 Zur Experten-Laien-Kommunikation Das Forschungsgebiet der ELK ist eine zum Teil psychologisch orientierte linguistische Forschungsdisziplin, die inhaltlich in engem Zusammenhang mit der Fachsprachenforschung7 und der 1999 von Antos und Wichter ins Leben gerufenen Transferwissenschaft steht (cf. Antos/Wichter 2001).8 Die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten zählt zu den klassischen Bereichen, in denen ELK stattfinden kann, ebenso wie beispielsweise die Arzt-Patienten-Kommunikation (die bereits sehr intensiv untersucht wurde, cf. z. B. Löning/Rehbein 1993; Brünner/Gülich 2002; Birkner 2003; Adegbite/ Odebunmi 2006 u.v.m) oder die Lehrer-Schüler-Kommunikation (cf. z. B. Schweer 2007 u. a.). Eine ELK wird beschrieben als Kommunikation, die gekennzeichnet ist durch eine «systematische Wissensasymmetrie der beteiligten Kommunikationspartner [...] im Bezug auf den Gegenstand der Kommunikation» (Bromme/Jucks/Rambow 2004, 176). Wesentlich ist hierbei die Systematik der Asymmetrien, da auch jegliche andere Form der Kommunikation von Wissensasymmetrien geprägt ist – sogar überhaupt erst dadurch zustande kommen dürfte – die jedoch zumeist nicht systematisch verteilt sind. Zudem ist in diesem Kontext nicht nur die Quan-

6 Darauf, dass Asymmetrien im Verhältnis der Kommunikationspartner in diesem Kontext nicht ausschließlich auf unterschiedlich verteiltem Wissen gründen, wird u. a. in Kap. 3.2 näher eingegangen. 7 Eine ausführliche Darstellung des aktuellen Forschungsstandes der Fachsprachenforschung findet sich bei Simmonaes (2005). 8 Das Arbeitsfeld der Transferwissenschaft ist die Untersuchung und Verbesserung sozialer, medialer und insbesondere sprachlicher Formen des Wissenstransfers bzw. der Wissenskommunikation. Ziel ist es zu untersuchen, auf welche Weise Wissen besser transferiert werden kann.

Experten-Laien-Kommunikation 

 29

tität, sondern auch die Qualität des Wissens von Bedeutung. So wird «Expertenwissen» als dichter und kohärenter strukturiert angesehen als «Laienwissen», komplexe Zusammenhänge werden beispielsweise kurz in Form von Fachbegriffen wiedergegeben (cf. dazu Dressler/Wodak 1989; Bromme/Rambow 2001). Das hauptsächliche Kommunikationsziel stellt Bromme et al. (2004, 176) zufolge der (vertikale)9 Wissenstransfer vom Experten zum Laien dar, der den Laien befähigt, eine informierte und eigenständige Entscheidung zu treffen.10 Ein Experte wäre demnach eine Person, die über «professionelles» Wissen verfügt (Fachwissen auf einem bestimmten Gebiet; cf. ebd., 180), wohingegen ein Laie eine Person wäre, die sich einer Herausforderung gegenübergestellt sieht, die sie aufgrund mangelnden professionellen Wissens bzw. mangelnder Ausbildung und aufgrund der institutionellen Rahmenbedingungen nicht eigenständig lösen kann. Damit bestünde also ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis des Laien vom Experten, welches gerade für behördliche Kommunikation auch häufig beschrieben wird.11 Die Rollen von Experte und Laie sind allerdings nicht immer eindeutig vergeben. Zum einen ist Wissen in der Interaktion nur «relational» von Bedeutung, als «Mehr-Wissen gegenüber Weniger-Wissen» (Furchner 1997, 39), auch Laien verfügen oftmals über (semiprofessionelles) Vorwissen bezüglich des Kommunikationsgegenstandes, was die Kommunikation stark beeinflussen kann (cf. Brünner 2011, 16). Zum anderen ist ein Laie auch immer «Experte» für seinen eigenen Fall und verfügt über fallbezogenes Wissen, ohne das ein Kommunikationsanliegen (quasi im «Alleingang» des Experten) nicht bearbeitet werden könnte. Wesentlich ist vor allem, wie diese Rollen in der Interaktion selbst zum Tragen kommen. Hierauf wird in Abschnitt 3.1.3 näher eingegangen. Von den Beteiligten wird die ELK oft als schwierig angesehen, häufig misslingt sie auch tatsächlich (cf. Bromme/Rambow 2000). Schwierigkeiten liegen u. a. in der Unterschiedlichkeit der kognitiven Bezugsrahmen von Laien und Experten begründet, wobei gerade dies von den Beteiligten häufig nicht erkannt oder nicht berücksichtigt wird (cf. Bromme/Jucks/ Rambow 2004, 178s.). Todd (1984) spricht diesbezüglich von einem «frame-conflict». Der common ground (cf.

9 Von einem horizontalen Wissenstransfer spricht man dagegen im Fall einer Experten-Experten- oder Laien-Laien-Kommunikation, bspw. in Online-Fachforen. 10 Hier fällt der oben bereits angesprochene Unterschied zwischen Behördenkommunikation und «prototypischer» ELK besonders ins Auge, da in ersterer die Wissensvermittlung nicht notwendigerweise das «hauptsächliche» Kommunikationsziel, sondern lediglich ein Ziel neben der Realisierung von Verwaltungsakten darstellt. 11 Cf. dazu in detaillierterer Form Abschnitt 3.2.

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 Theoretische Grundlagen

Clark/Schaefer 1989) der Interaktanten – also die Menge des von ihnen geteilten Wissens, ihrer gemeinsamen Annahmen und Überzeugungen – ist relativ gering. In einer Kommunikationssituation treffen also die subjektiven Bezugsrahmen der Interaktanten aufeinander. Die Unterschiedlichkeit dieser liegt in erster Linie darin, dass die Wissensrepräsentation eines Experten vor allem auf die Aufgaben bezogen ist, die dieser alltäglich zu lösen hat: ein Umstand, den Bromme, Rambow und Sträßer (1996) mit dem Begriff der problemorientierten Konzeptintegration fassen. Dieser berücksichtigt die Kontextualisierung (situatedness) des Expertenwissens und hebt hervor, dass dieses durch den speziellen Arbeitskontext (re-)strukturiert wird. Neben explizitem, deklarativem (Fakten-) Wissen sind das prozedurale (Handlungs-) Wissen sowie Einstellungen und Erfahrungen in den Wissensbegriff des Expertenwissens eingeschlossen. Zudem enthält dieses implizites, oft nur schwer zu verbalisierendes Wissen, routinisiertes Denken, Wahrnehmen und Handeln. Diese Verdichtung, Kontextualisierung und Routinisierung des Expertenwissens kann eine ELK erschweren, abstrakte Konzepte müssen auf eine weniger abstrakte Stufe heruntergebrochen und erklärt werden. Laien dagegen haben u. U. Laientheorien über die behandelten Themen und ihr jeweiliges Umfeld (die auch relativ «änderungsresistent» sein können). Zudem fehlen Laien häufig Anknüpfungspunkte, um erhaltene Informationen überhaupt integrieren zu können (insbesondere Framing, Laien bleibt häufig der kontextspezifische «Sinn» bestimmter Details verborgen). Zur Erweiterung des common ground werden nun Informationen, die zunächst nur einem der beiden Gesprächspartner vorliegen, von diesem in die Interaktion eingebracht. Sie sind allerdings erst dann Teil des common ground, wenn der andere anzeigt, dass er diese Informationen auch aufgenommen hat (cf. Bromme/Jucks/Rambow 2004, 117). Die Autoren betonen (ebd.): «Durch die Interaktion wird der common ground nicht nur akkumuliert, sondern ggf. auch restrukturiert»: Im Frame gewinnt ein Faktum neue Bedeutung, wird zum Beispiel zu einem «Ausschlusstatbestand». Im Rahmen des groundings (Clark 1996) ist es allerdings auch möglich, NichtVerständnis zu erkennen zu geben – über Back-channeling, das Initiieren eines Wechsels (z. B. weiterführende Frage) und/oder nonverbale Signale, die anzeigen, ob der Hörer dem Sprecher folgt, – und Reparaturmechanismen anzuwenden (cf. ebd.). Dieser Umstand führt manche Autoren dazu, den «Sonderstatus» von ELK generell anzuzweifeln. Hierbei wird jedoch häufig nicht in Rechnung gestellt, dass in ELK u. U. auch die Ressourcen von Aushandlungsprozeduren ungleich verteilt sind und in ungleicher Weise Legitimität zugesprochen erhalten. Dies aber stellt eine empirische Frage dar, der in dieser Arbeit nachgegangen wird. Die Erweiterung des common ground verläuft umso effektiver, je genauer abgeschätzt werden kann, was der Gesprächspartner bereits weiß. Ein wichtiges

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Mittel zur Erweiterung des common ground ist daher der Perspektivenwechsel. Hierfür wird die Perspektive – Wissensstand, Einstellungen und Wahrnehmungsgewohnheiten (cf. Rambow 2000) – des Gegenübers zunächst eingeschätzt (Antizipation) und die eigenen Kommunikationsbeiträge darauf abgestimmt (Adaptation). Das gilt für jedwede Kommunikation, in einer Experten-Laien-Kommunikation aber können die Perspektivenunterschiede besonders gravierend sein (cf. Nückles 2001). Dieses Problem bezeichnet Hinds (1999) als den «curse of expertise». Mangelnde Kompetenzen der Wissensvermittlung auf Seiten des Experten aufgrund einer mangelnden Berücksichtigung dessen in seiner Ausbildung können erschwerend hinzukommen. Stammen Experte und Laie zudem aus verschiedenen Sprach- und/oder Kulturkreisen, können Verständigungsprobleme12 zwischen den Interaktionspartnern sich noch verstärken (cf. Rehbein 1985c, 361), worauf in den folgenden Kapiteln näher eingegangen wird. Gerade in der Face-to-Face-Kommunikation machen sich Schwierigkeiten im Prozess der Wissensvermittlung besonders bemerkbar, da von Seiten der Experten Strategien zur Vermittlung von Wissen spontan entworfen, eingesetzt und angepasst werden müssen, aber auch von Seiten der Laien Verständnisprobleme unmittelbar selbst erkannt und als bearbeitungsbedürftig markiert werden müssen.

3.1.2 Wissensvermittlung und Verständigungsherstellung Im Prozess der Wissensvermittlung sollen also Teile des «Expertenwissens» an den Laien vermittelt werden, was u. a. erfordert, diese Teile zunächst einmal zu explizieren, die Perspektive des Experten hinsichtlich der Laienperspektive umzustrukturieren und geeignete Formulierungen, Beispiele u. ä. zu finden, über die ein Alltagsbezug für den Laien hergestellt werden kann (cf. Bromme/Rambow 2000, 8). Wichtig ist hierbei die Ausrichtung des Rezipientendesigns (Sacks/ Schegloff/Jefferson 1974) auf den Laien, wobei allerdings auch der Laie rezipientengerecht kommunizieren sollte (cf. Hartog 1996).13 Zur Verständigungsherstellung – die gerade in einer ELK schwierig sein kann – können verschiedene Verfahren eingesetzt werden. Diese beziehen sich zwar

12 Eine eingehendere Klärung des Begriffs ‹Verständigungsproblem› wird in Kapitel 3.5 vorgenommen. 13 Auch der Laie müsste im Sinne einer erfolgreichen und störungsfreien Kommunikation sowohl die für die Bearbeitung seines Anliegens notwendigen Informationen verständlich vermitteln und würde idealerweise auch die «richtigen» Fragen stellen. Das ist allerdings höchstwahrscheinlich nicht immer der Fall, was in den Analysen dieser Arbeit zu prüfen sein wird.

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keinesfalls ausschließlich auf eine ELK, erhalten hier aber besonderes Gewicht. Sie sollen daher bereits an dieser Stelle der Arbeit besprochen werden. Zu diesen Verfahren gehören nach Selting (1987, 1) «einerseits bestimmte prospektive oder ‹prophylaktische› Verfahren und andererseits die Verfahren der [retrospektiven, K.R.] Bearbeitung von Verstehens- und Verständigungsproblemen». Verfahren der Verständigungsherstellung können also angewendet werden a) noch bevor es zu einem Verständigungsproblem kommt (antizipierend, prospektiv) bzw. allgemein zur rezipientengerechten (laienbezogenen) Textproduktion oder b) als Reaktion auf Verständigungsprobleme (zur Reparatur, retrospektiv). Antizipierte oder in der Interaktion manifeste Verständigungsprobleme können zum Teil daraus resultieren, dass es zuweilen schwierig ist, kognitive Inhalte (rezipientengerecht) zu versprachlichen und komplexe Sachverhalte (verständlich) darzustellen. Hierzu können verschiedene Veranschaulichungsverfahren dienen, die im Bereich der medizinischen elk beispielsweise von Brünner und Gülich (2002), Brünner (2011) sowie für das argentinische Spanisch u. a. von Ciapuscio (2003) untersucht wurden. Diese können entweder vom Experten verwandt werden (bspw. zur Erklärung komplexer medizinischer Sachverhalte) oder vom Laien (bspw. zur Beschreibung seines Problems, Krankheitsbilds etc.), gerade weil Letzterem oft die (Fach-) Begriffe zur Beschreibung fehlen. Während mit einigen Veranschaulichungsverfahren, wie der Verwendung von Metaphern, Vergleichen und Analogien, «Übertragungen aus bekannten Bereichen» (Brünner 2011, 296) vorgenommen werden, dienen andere Veranschaulichungsverfahren, wie Beispiele und Konkretisierungen, dazu, neue (u. U. abstrakte) Informationen auf eine konkretere und dadurch besser nachvollziehbare Ebene zu bringen. Mit Beispielerzählungen und Szenarios zudem wird an «vorhandene Erfahrungen aus dem privaten oder beruflichen Alltagsleben» (ebd.) angeknüpft. Solche Veranschaulichungsverfahren können also sowohl generell eine Hilfe beim Formulieren schwer darzustellender Sachverhalte sein als auch gezielt der Bearbeitung von Verstehens- und Verständigungsproblemen dienen (cf. Ciapuscio 2003). Zudem lassen sich verschiedene Verfahren unterscheiden, die vornehmlich der Bearbeitung dienen. Diese Bearbeitungen können jeweils pro- oder retrospektiv eingesetzt werden. Zudem können sie selbst- oder fremdinitiiert werden sowie vom «Problemverursacher»14 selbst oder von einem seiner Gesprächspart-

14 Der Begriff «Problemverursacher» wird in der Literatur zu Verständigungsproblemen häufig gebraucht (cf. z. B. Selting 1987), er steht hier allerdings in Anführungszeichen, da er zum einen

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ner durchgeführt werden (Selbst-/Fremdbearbeitungen; cf. Sacks/Schegloff/Jefferson 1977). Gülich und Kotschi (1996) unterscheiden zudem reformulative und nicht reformulative Bearbeitungen. I) Reformulative Bearbeitungen In reformulativen Bearbeitungen wird durch einen Vorschlag einer alternativen Formulierung auf einen bereits produzierten Ausdruck Bezug genommen – und dieser u. U. als ungenügend markiert und damit als Störung charakterisiert. Diese Bearbeitungen treten prototypisch mit einem Reformulierungsindikator auf (bspw. das heißt, mit anderen Worten, also; cf. ebd.). Innerhalb der reformulativen Bearbeitungen können 1. paraphrastische Verfahren sowie 2. nicht paraphrastische Verfahren unterschieden werden (cf. ebd.). Zu den paraphrastischen Verfahren gehören (totale oder partielle) wörtliche Rephrasierungen und nicht-wörtliche – expandierende, variierende oder reduzierende (cf. ebd., 60) – Paraphrasierungen.15 Nicht-paraphrastische Verfahren dagegen sind Distanzierungen und Korrekturen, die sich durch die zunehmende Einschränkung der Gültigkeit des Bezugsausdrucks unterscheiden (cf. Gülich/ Kotschi 1996, 65). Korrekturen – ein Verfahren, das gerade in der Kommunikation mit Nichtmuttersprachlern oft eine Rolle spielt, werden unterteilt nach Ausdrucks-, Formulierungs- oder Inhaltskorrekturen (cf. ebd.). Jefferson (1987) unterscheidet zudem zwischen «embedded» und «exposed corrections»,16 wobei in Letzteren die Korrektur selbst zumindest kurzzeitig zum zentralen Thema der Sequenz wird: «‹correcting› is now the interactional business of these interchanges» (ebd., 88s.). Sämtliche dieser Verfahren können (müssen aber nicht in jedem Fall) als Reparatur-Initiierungen oder als tatsächliche «Repairs» im Sinne von Sacks,

relativ wertend klingt, und da zum anderen häufig keine eindeutige «Verursacher»-Position zugewiesen werden kann. Wenn beispielsweise ein Klient den Sachbearbeiter nicht oder missversteht, kann das ebenso mit der Art und Weise der Sprachproduktion durch den Sachbearbeiter wie mit (Problemen) der Rezeption durch den Klienten zusammenhängen. 15 Die paraphrastischen Verfahren ordnet Hinnenkamp (1989) den «lexikalisch-semantischen Klarifizierungsstrategien» zu. Paraphrastische Bearbeitungsverfahren (ebenso Re- wie Paraphrasierung) können zudem durch «prosodische Klarifizierungsstrategien» (langsames Tempo, gehobene Lautstärke, intensivierte Intonationskurven etc.) sowie durch «De-Komplexifizierungsstrategien» (ebd.), z. B. die Entklammerung von Sätzen, unterstützt werden. (Ob es sich bei den von Hinnenkamp beschriebenen «Strategien» tatsächlich um Strategien handelt, bleibt allerdings offen.) 16 Hierbei bezieht Jefferson (ebd.) sich ausschließlich auf Fremdkorrekturen und nimmt Selbstkorrekturen explizit aus. (Näheres dazu s.u.)

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Schegloff, Jefferson (1977) dienen: Sequenzen, «in denen ein Interaktionspartner – oft in einer Nebensequenz – eine voraufgegangene Äußerung korrigiert oder präzisiert oder ein vom Rezipienten der Äußerung signalisiertes Verstehensproblem bearbeitet» (Selting 1987, 4). Dabei werden Selbstreparaturen (auch fremdinitiierte) in der Regel von den Gesprächspartnern bevorzugt, weil sie als gesichtswahrender gelten als Fremdreparaturen (cf. Selting 1987). Eine fremdinitiierte Fremdreparatur dagegen (insbesondere wenn es sich um eine Korrektur als besonders starke Einschränkung der Gültigkeit des Bezugsausdrucks handelt, cf. Gülich/Kotschi 1996, 65) kann einen stärkeren face threatening act (cf. Goffman 1955; Brown/Levinson 1987) darstellen. II) Nicht reformulative Bearbeitungen Zu den nicht-reformulativen Bearbeitungsverfahren zählen u. a. Generalisierungen, Explizierungen und Erklärungen. Letztere sind (ebenso wie die oben erwähnten Veranschaulichungsverfahren) nicht notwendigerweise durch eine Störung motiviert, sondern dienen u. U. globaleren diskursiven Zielen, rhetorischen oder argumentativen Strategien und dazu, Wissen zu komplexen Zusammenhängen herzustellen (cf. Gülich/Kotschi 1996; Brünner 2011, 347). Brünner (2011, 366ss.) befasst sich u. a. eingehender mit verschiedenen Typen von Erklärungen und unterscheidet beispielsweise kausale Erklärungen (die die Gründe für bestimmte Phänomene deutlich machen und Ursache-Wirkungszusammenhänge angeben) von funktionalen oder teleologischen (die die Funktion oder den Zweck eines Phänomens, Objektes etc. angeben). Zudem betont sie, dass gerade in Erklärungen häufig die erwähnten sprachlichen Veranschaulichungsverfahren sowie visuelle Mittel eingesetzt werden (cf. ebd., 370ss.). Rehbein (1994) befasst sich eingehender mit dem «reparativen Handlungsmuster» (ebd., 125) Erläutern, das er für besonders wichtig in einer ELK hält. Kindt (1984) geht zudem (allerdings nicht explizit auf eine ELK bezogen) auf die Verfahren der Widerspruchsklärung und der Portionierung ein, wobei in Letzterem ein komplexer Sachverhalt in kleine «Portionen» aufgeteilt und auf diese Weise Schritt für Schritt vermittelt wird. Über solche Bearbeitungsverfahren hinaus können verschiedene Verfahren der Verständnissicherung angewandt werden. In Inferenzüberprüfungen beispielsweise können eigene logische Schlussfolgerungen auf Informationen, die in einer Partner-Äußerung nicht explizit gemacht wurden, zur Überprüfung gestellt werden, indem der Partner um Verifizierung (oder Korrektur) gebeten wird. Zudem kann u. a. mit «rhetorischen Kontroll- und Klarifizierungsstrategien» (passe partout-Formen, tag questions, etc.; Hinnenkamp 1989) das Verständnis des Gesprächspartners überprüft werden.

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Die beschriebenen Verfahren können der Herstellung des Alltagsbezugs für den Laien und des Adressatenbezugs dienen. Sie dienen der Vermittlung von Expertenwissen, aber auch des jeweiligen spezifischen Wissens der Laien über ihren konkreten Fall sowie der Bewältigung von Verstehensproblemen, die dabei entstehen können. Wie u. a. Ciapuscio und Kesselheim (2005) zeigen, haben diese Verfahren allerdings nicht nur die Funktion der Wissensvermittlung, sondern können ebenfalls der Konstitution der Experten- bzw. Laienrollen in der Interaktion dienen (cf. auch Brünner 2011; Ciapuscio 2003; Ciapuscio/ Kesselheim 1997).

3.1.3 Experten- und Laienrollen Wie bereits hervorgehoben wurde, sind die Rollen von Experte und Laie nicht immer eindeutig verteilt. Zum einen lässt sich unterscheiden zwischen einer «sozialen» und einer «kognitiven Rollenzuweisung» (Bromme/Jucks/Rambow 2004, 117). Die soziale Rolle wird beispielsweise durch eine formale Ausbildung erworben, wohingegen die kognitive Rollenzuweisung auf problemlösungsrelevantem Wissen, Erfahrung und Können des Rollenträgers basiert. Häufig sind kognitive und soziale Rolle nicht deckungsgleich, da der Laie bezogen auf seine konkrete Problemstellung, seinen spezifischen Fall durchaus auch als Experte angesehen werden kann (cf. ebd.). Das hängt u. a. mit der sogenannten «bottomup»-Form des Wissenstransfers zusammen, ein Konzept, das den Umstand hervorhebt, dass auch Laien den Experten ein bestimmtes auf eigenen Erfahrungen basierendes Wissen vermitteln (cf. Antos 2001, 19). Zum anderen wurde bereits darauf hingewiesen, dass Wissen in der Interaktion nur relational von Bedeutung ist (als «Mehr-Wissen»/«Weniger-Wissen»; Furchner 1997, 39). Auch der Begriff des Experten ist dementsprechend im Grunde ein «relationaler Begriff» (Eberle 1994, 136). Ein Experte weiß vermutlich nicht alles auf einem bestimmten Gebiet – jedoch mehr als der Laie (zumindest wird dieser Anspruch erhoben).17 Auch Laien verfügen jedoch häufig über so genannte Laientheorien bezüglich des Gesprächsgegenstands sowie über (semiprofessionelles) Wissen aus bisherigen Kontakten mit Experten, beispielsweise früheren Behördenkontakten, im Migrantenkontext auch aus anderen Ländern, nämlich den entsprechenden Herkunftsländern. Die Einbeziehung solchen Laienwissens

17 Hitzler, Honer und Maeder (1994, 6) begreifen den Begriff des Experten als «eine soziale Etikettierung», die «aufgrund spezieller Kompetenzansprüche und/oder Kompetenzunterstellungen vorgenommen wird».

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im Prozess der Wissensvermittlung kann entscheidend zum Gelingen beitragen (cf. Brünner 2011). Hitzler (1994) erklärt nun, die Experten- und Laienrollen seien sowohl durch die institutionelle Eingebundenheit als auch durch eine gewisse Eigen- und Fremdleistung der Interaktionspartner determiniert. In der Interaktion selbst werden die Rollen von Experte und Laie durch das (sprachliche) Verhalten der Gesprächspartner immer wieder ausgehandelt bzw. neu bestätigt (cf. Ciapuscio/Kesselheim 2005; Hitzler 1994 u. a.), wobei die Interaktanten einander auch ihre Erwartungen anzeigen, die an diese Rollen geknüpft sind. Wesentlich scheint also v. a. zu sein, ob und wenn ja, wie diese Rollen in der Interaktion selbst von den Teilnehmern relevant gesetzt und interaktional ausgehandelt werden: die «konkreten Zuschreibungen von Expertenschaft im Kontext alltäglicher Sinnproduktion» (Eberle 1994, 139). Je nachdem wie die Interaktanten ihre Rollen im Gespräch ausagieren, kann zudem die Beziehung zwischen Experte und Laie unterschiedlich gestaltet werden. Insbesondere im Bereich der medizinischen Experten-Laien-Kommunikation findet sich seit einiger Zeit eine breite Diskussion um dieses Thema. Hervorzuheben sind in diesem Kontext beispielsweise die von Emanuel und Emanuel (1992) entwickelten Modelle der Arzt-Patienten-Beziehung, die sich, zumindest in Maßen, auch auf Behörden-Klienten-Beziehungen übertragen lassen. Die Autoren stellen dem klassischen «paternalistischen» Modell der ArztPatienten-Beziehung drei nicht-paternalistische Modelle gegenüber, in denen dem Patienten (dem Laien) verschiedene Grade an Autonomie eingeräumt werden: –– Im «paternalistischen Modell» agiert der Arzt als eine Art väterlicher «Alleinentscheider», der zwar im Sinne des Patienten entscheidet, diesen aber kaum in den Entscheidungsprozess einbezieht (cf. auch Klemperer/Rosenwirth 2005, 5). –– Im «informativen Modell» (cf. Emanuel/Emanuel 1992) agiert der Arzt als reiner Vermittler fachlicher Informationen, auf deren Basis der Patient eine eigenständige, informierte Entscheidung treffen kann. Dieses Modell kommt der oben zitierten Definition der Experten-Laien-Kommunikation von Bromme, Jucks und Rambow (2004) sehr nahe. –– Im «interpretativen Modell» (cf. Emanuel/Emanuel 1992) agiert der Arzt als Berater und Begleiter des Patienten, der Informationen vermittelt und hilft, diese auszuwerten. Damit begleitet er den Patienten in der Entscheidungsfindung stärker als im «informativen Modell», dem Patienten kommt jedoch weiterhin sehr große Autonomie zu. –– Im «deliberativen Modell» zuletzt (cf. ebd.) agiert der Arzt als Freund und Lehrer, der Informationen vermittelt und hilft, diese auszuwerten, aber auch

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Vorschläge macht und versucht, die im Sinne des Patienten besten Handlungsmöglichkeiten anzuführen. Die Entscheidung trifft der Patient selbst unter Anleitung des Arztes. Der kommunikative Anspruch in den verschiedenen Modellen steigert sich vom paternalistischen, über das informative und das interpretative bis hin zum deliberativen Modell, das besonders dialogisch orientiert ist. Die weiteste Autonomie kommt dem Patienten allerdings im informativen Modell zu, die geringste dagegen im paternalistischen. Auch wenn zunächst der Eindruck entsteht, die Wahl eines dieser Modelle hinge in erster Linie vom Arzt ab, so dürfte doch auch eine gewisse Aushandlung des jeweiligen Modells zwischen den Interaktanten stattfinden. Ein in aktueller Zeit viel hervorgehobenes Modell ist zudem das so genannte Shared-Decision-Making-Modell (cf. Klemperer/Rosenwirth 2005). Dieses Modell ist ebenfalls in kritischer Abgrenzung zum «paternalistischen» Modell etwa seit den 1990er Jahren entstanden und ähnelt dem von Emanuel und Emanuel (1992) beschriebenen «deliberativen» Modell. Noch stärker wird hierin allerdings die Zweiseitigkeit des Informationsflusses zwischen Arzt und Patient (auch der Patient informiert den Arzt über seine Bedürfnisse und Präferenzen) und die gemeinsame Entscheidungsfindung betont. Klemperer und Rosenwirth (2005, 6) heben hervor: «Arzt und Patient kommunizieren auf einer partnerschaftlichen Ebene über die objektiven und subjektiven Aspekte einer anstehenden Entscheidung». Vergleichbare Überlegungen sind m.E. bislang für Behörden-Klienten-Beziehungen nicht angestellt worden. Die für die Arzt-Patienten-Kommunikation entwickelten Modelle jedoch sind nur eingeschränkt auf die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten anwendbar – insbesondere deshalb, weil im Behördenkontext Klienten tatsächlich häufig nur sehr geringe Entscheidungsmöglichkeiten haben, die Behördenmitarbeiter ihnen also nur in eingeschränktem Maße größere Autonomie zusprechen können.18 Wesentlich ist im Kontext dieser Arbeit zunächst jedoch, dass Experten und Laien sich offensichtlich – trotz der zwischen ihnen u. U. bestehenden systematischen Wissensasymmetrien – auf verschiedene Weise zueinander positionieren können, dass sie ihre Rollen unterschiedlich gestalten können (wobei Laien z. B. mehr oder weniger Autonomie in der Entscheidungsfindung zukommen kann) – und dass die Interaktanten diesbezüglich sicher oft auch Präferenzen haben. Wie sich dies im Einzelnen gestaltet, wird im empirischen Teil der Arbeit zu untersuchen sein.

18 Auf einige Besonderheiten hinsichtlich der «Experten-» und «Laienrollen» in der Behördenkommunikation wird u. a. im folgenden Abschnitt näher eingegangen.

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3.2 D  ie Kommunikation zwischen Migranten und Behörden­mitarbeitern als institutionelle Kommunikation 3.2.1 I nstitutionelle Kommunikation und Spezifika der Behördenkommunikation Die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten kann nun einen «Sonderfall» von Experten-Laien-Kommunikation darstellen und findet in einem bestimmten institutionellen Kontext statt, der einige Besonderheiten mit sich bringt.19 Institutionelle Kommunikation findet in der deutschen Forschung etwa seit den 1970er Jahren verstärkt Beachtung (cf. Redder/Rehbein 1987).20 Sie kann in einem bestimmten Setting stattfinden (bspw. auf Behörden, vor Gericht, in Krankenhäusern, Schulen etc.), ist aber nicht notwendigerweise auf solche Settings festgelegt (cf. Drew/Heritage 1992, 3): «Rather, interaction is institutional insofar as participants› institutional or professional identities are somehow made relevant to the work activities in which they are engaged» (ebd., 3s.).

Hierbei stehen sich in der Regel zwei Parteien gegenüber: Agenten, als Vertreter der Institution, und Klienten, als «Nutznießer» oder «In-Anspruch-Nehmer» der Institution (cf. Ehlich/Rehbein 1977). Drew und Heritage (1992b) machen darauf aufmerksam, dass die Unterschiede zwischen institutioneller und alltäglicher Konversation fließend sind, heben jedoch verschiedene charakterisierende Eigenschaften hervor: Zum einen findet institutionelle Kommunikation immer mit einem bestimmten Aufgabenbezug statt, die Interaktion ist auf eine institutionell relevante Art zielgerichtet. Mindestens ein Gesprächspartner vertritt zudem eine Organisation (der Agent, Ehlich/Rehbein 1977), agiert also nicht frei, sondern an den Regeln dieser Organisation orientiert. Zum dritten gibt es bestimmte Einschränkungen, ein spezifisches Regelwerk bezüglich des (sprachlichen) Verhaltens v. a. auf Seiten der Vertreter der Institution (cf. ebd.). Die Kommunikation an Behörden stellt allerdings einen spezifischen Fall institutioneller Kommunikation dar. Becker-Mrotzek (1992) streicht die folgenden Besonderheiten der Behördenkommunikation heraus: –– Eine weitgehend festgelegte Reihenfolge des Gesprächsablaufs, –– eine institutionelle und gesellschaftliche Zwecksetzung der Gespräche,

19 Nach Rehbein (1980) gehören Behörden zu den Verwaltungsinstitutionen. 20 Für einen historischen Überblick zur institutionellen Kommunikation s. bspw. Redder (1983).

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–– eine funktionale Einbindung der Gespräche in den institutionellen Handlungszusammenhang, –– eine unterschiedliche Wissensverteilung zwischen dem Behördenmitarbeiter und dem Klienten (abstraktes Fachwissen vs. konkretes Fallwissen), 21 –– eine daraus resultierende unterschiedliche Aufgabenverteilung zwischen Behördenmitarbeiter und Klient, wobei Ersterer in der Regel über eine große Routine in der Ausführung des institutionellen Handelns verfügt, Letzterer zumeist nicht, –– ein starker, beiderseitiger Handlungs- und Zeitdruck, unter dem die Kommunikation steht, –– eine geringe Möglichkeit zur Wiederholung. Darüber hinaus lassen sich verschiedene Aspekte festhalten, die eine Behördenkommunikation (im Vergleich zur Kommunikation in anderen institutionellen Kontexten) u. U. besonders schwierig machen (cf. Porila/ten Thije 2009a, 33ss.): 1. Gespräche auf Behörden finden häufig unter der Bedingung statt, dass zumindest ein Gesprächspartner nur eingeschränkt freiwillig in das Gespräch eintritt (bspw. weil Klienten gesetzlich dazu verpflichtet sind). 2. Die Interaktanten verfolgen häufig unterschiedliche Ziele: Das Ziel eines Klienten ist von seinen jeweiligen Lebensumständen bestimmt, die dieser als einmalig erlebt und die oftmals auch existentiell für ihn sind. Der Sachbearbeiter dagegen ist in der Regel nicht persönlich vom Erfolg oder Misserfolg des Gesprächs betroffen. 3. Behördenmitarbeiter müssen zudem vom Einzelfall abstrahieren, typisieren, für alle Klienten in gleicher Form geltende Vorschriften anwenden. Zuweilen ist die Vereinbarung des Anspruchs der Gleichbehandlung aller Klienten mit den Zielen Klientenfreundlichkeit und Humanität schwierig. 4. Ein weiteres Problem des Behördenalltags ist die Schriftlichkeit der Kommunikation auf Behörden (cf. Ehlich/Becker-Mrotzek/Fickermann 1989, 9) – insbesondere im Migrantenkontext, weil viele Klienten aus eher mündlich strukturierten Gesellschaften stammen, aufgrund geringerer Schulbildung häufig kaum lesen und schreiben können, mangelnde Kompetenzen der entsprechenden Amtssprache haben etc. Auch für alphabetisierte Muttersprachler aber können kompliziert formulierte Formulare schwer verständlich sein.

21 Porila und ten Thije (2009b, 702) beschreiben dieses Wissen der Behördenmitarbeiter als «umfangreiches professionelles Wissen zu Zwecken, Bedingungen und Abläufen des institutionellen Handelns, sowie über institutionelle Strategien der Problembearbeitung», das der Klienten dagegen als «Alltagswissen, auf das sie zur Problembewältigung zurückgreifen».

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5. Aus diesen Punkten kann, wie in der Fachliteratur immer wieder hervorgehoben wird, eine grundsätzliche Asymmetrie zwischen den Interaktanten resultieren, die sich nicht nur auf Wissen bezieht, sondern auch auf Interessen und Erwartungen, Aufgaben, aber auch Handlungsmöglichkeiten («Machtposition» des Agenten vs. «Bittsteller»-Position des Klienten, Porila/ten Thije 2009a, 34). Porila und ten Thije (2009b, 701) fassen zusammen: «Behördliches Handeln lässt sich als hochgradig geregelt, kontrolliert und formalisiert beschreiben. Es beruht auf der Grundlage von Gesetzen und Vorschriften, es wird durch sie legitimiert und findet exakt geregelt und professionalisiert innerhalb einer klaren Hierarchie statt» (cf. dazu auch Becker-Mrotzek 2001, 1507).

Rehbein (1985a, 11) hebt zudem hervor, Verständigung (u. a. zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten) richte sich danach, «was mit der anstehenden Kommunikation faktisch erreicht werden soll». Diese Zielsetzung wird allerdings sehr häufig vom Behördenmitarbeiter getroffen, der Klient passt sich daran an (cf. Hinnenkamp 1985). Das wird Hinnenkamp (ebd.) zufolge besonders deutlich in Gesprächen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten. Hinnenkamp (ebd.) spricht in diesem Kontext sogar von einem «zwangskommunikativen Charakter» der Behördenkommunikation.22 Becker-Mrotzek (2001, 1509) bezeichnet das Verhältnis zwischen Klienten und Agenten, die die Verwaltung vertreten, als «durch Abhängigkeit und Dominanz» gekennzeichnet. Zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten – insbesondere wenn diese einen Migrationshintergrund haben – kann also ein deutliches Abhängigkeitsverhältnis bestehen, eine «Hierarchie» (Porila/ten Thije 2009b, 701), die sich nicht nur auf die Position in der Institution Behörde gründet, sondern ebenso auf systematische Wissensasymmetrien zwischen den Gesprächspartnern (auch bezüglich der Beherrschung einer Fachsprache, cf. Porila/ten Thije 2009a, 34) sowie auf unterschiedliche Erwartungen und Ziele (die z. T. aus unterschiedlichem Wissen resultieren), auf eine deutlich unterschiedliche Betroffenheit der Interaktanten und auf unterschiedliche Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten (Bestimmung der Zielsetzung, Sanktionsmöglichkeiten etc.). Angesichts der oben angestellten Überlegungen zu unterschiedlichen Möglichkeiten einer Rollen-Ausagierung und der Aushandlung von Rollen stellt sich allerdings auch im Behördenkontext die Frage (für die Empirie), inwiefern eine solche Hierarchie in der Interaktion selbst tatsächlich etabliert wird.

22 Dazu näher in Kapitel 3.4.

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3.2.2 Zu den Begriffen Asymmetrie, Hierarchie, Macht und Dominanz In Arbeiten zur Behördenkommunikation (insbesondere mit Migranten) spielen offenbar die Begriffe Asymmetrie, Dominanz, Macht und Hierarchie eine wichtige Rolle. Jedoch entsteht der Eindruck, dass diese Begriffe nicht immer ganz konsistent verwendet und teilweise synonym gebraucht werden. Im Folgenden sollen diese Begrifflichkeiten daher (bezogen auf kommunikatives Verhalten) noch einmal näher betrachtet werden – zumal sie, wie noch erkennbar wird, in den Analysen einiger Gespräche aus dem Korpus dieser Arbeit eine wesentliche Rolle spielen. Ein zentrales Thema in Untersuchungen zur Experten-Laien-Kommunikation, institutioneller und insbesondere Behördenkommunikation ist, wie ersichtlich wurde, die asymmetrische Beziehung der Interaktanten zueinander. Allerdings ist, wie u. a. Drew und Heritage (1992b, 47) deutlich herausstellen, auch in alltäglicher Kommunikation, in «ordinary conversation» (ebd.), eine Reihe von Asymmetrien verschiedenster Art zwischen den Interaktanten zu beobachten, zumindest auf einer «moment-to-moment basis» (ebd., 48). Linell und Luckmann (1991, 4) betonen sogar, wenn überhaupt keine Asymmetrien zwischen den Gesprächspartnern bestünden, «there would be little or no need for most kinds of communication!» Eine klare Dichotomie zwischen asymmetrischer institutioneller und symmetrischer alltäglicher Kommunikation simplifiziert also zu stark. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass in nicht-institutioneller Kommunikation Asymmetrien zwischen den Gesprächspartnern weniger systematisch verteilt sind:23 «particular features of talk in institutional contexts embody systematic asymmetries that are not ordinarily found in mundane conversation» (Drew/Heritage 1992b, 53).

Drew und Heritage (ebd., 49) unterscheiden bezüglich institutioneller Interaktionen verschiedene Arten von Asymmetrien: Asymmetrien, die die «participation rights» (ebd.) der Interaktanten betreffen, solche, die sich auf unterschiedlich verteiltes Wissen und «rights to knowledge» (ebd.) beziehen, sowie Asymmetrien hinsichtlich eines «differential access to organizational routines and procedures» (ebd.). Letztere beziehen sich darauf, dass die in der institutionellen Kommunikation besprochenen Themen für die Agenten oftmals Routinefälle darstellen, für die Klienten aber nicht, «for whom his or her case is unique and personal» (ebd.,

23 Die Systematik von Wissensasymmetrien in einer Experten-Laien-Kommunikation wurde bereits oben unter Absatz 3.1 hervorgehoben.

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51; cf. auch Porila/ten Thije 2009a, 33ss.; Becker-Mrotzek et. al. 1992). Zudem betonen Drew und Heritage (1992b, 50), gerade in institutioneller Kommunikation beträfen Asymmetrien entscheidend auch die Themenwahl und Kontrolle der «agenda» (ebd.) eines Gesprächs: In der Regel entscheiden die Agenten, worüber gesprochen wird und wie lange. Es wird also eine ganze Reihe von Asymmetrien zwischen Agenten und Klienten einer institutionellen Kommunikation herausgearbeitet. Dennoch ist das Begriffspaar – symmetrisch / asymmetrisch – in verschiedener Hinsicht nicht eindeutig geklärt. Brock und Meer (2004, 185) kritisieren insbesondere, in aller Regel werde nicht ausreichend zwischen horizontalen und vertikalen kommunikativen A-/Symmetrien unterschieden. In der Folge bleibt unklar, ob eine Beschreibung von Un-/Gleichheit sich auf unterschiedliche, aber hierarchieneutrale Aufgaben bezieht oder ob es um Hierarchien (vertikale Asymmetrien) geht. Die Aussagen von Drew und Heritage (1992b) zu Asymmetrien in institutioneller Kommunikation dürften sich in erster Linie auf vertikale Asymmetrien beziehen. Zum anderen bleibt häufig unklar, ob lokale oder globale (also «situations- und kategorienübergreifende»; Brock/Meer 2004, 185) Differenzen behandelt werden. Zuweilen werden Einzelbeobachtungen an verschiedenen Kategorien (z. B. bezüglich der Redeanteile, Unterbrechungen, Abschwächungen oder der Lautstärke) etwas vorschnell als globale Asymmetrien interpretiert. Brock und Meer (ebd.) fassen zusammen: «Insgesamt scheint die Benennung Asymmetrie in ihrer Allgemeinheit dazu geeignet zu sein, Ungleichgewichte sehr unterschiedlicher Art zu subsumieren.» Während Asymmetrie also zunächst als Oberbegriff für Ungleichheiten unterschiedlicher Art verwendet und damit dominanz-, macht- und hierarchieneutral definiert wird als «kommunikative Ungleichheit in Bezug auf ein spezifisches Kriterium oder Phänomen» (ebd., 203), betonen die Begriffe Dominanz, Macht und Hierarchie eine bestimmte Ausrichtung und Systematik der Asymmetrie zugunsten eines der Gesprächspartner. Diese drei letzteren Begriffe liegen jedoch nicht ganz auf einer Ebene: Dominanz ist i.d.R. bezogen auf das konkret beobachtbare kommunikative Verhalten, auf ein «interaktionell vollzogenes Übergewicht einer Position bzw. einer Person» im Gespräch (ebd., 202, Hervorhebung im Original).24 Macht und Hier-

24 Linell und Luckmann (1991, 9) unterscheiden dabei vier Manifestationsebenen von Dominanz: a) Dominanz hinsichtlich des «amount of talk», b) semantische Dominanz (bezüglich der Themenwahl, der Dominantsetzung von Perspektiven), c) interaktive Dominanz, die sich äußert in kontrollierenden Zügen (directing moves: z. B. Fragen) oder verhindernden Zügen (inhibiting moves: z. B. Themenabbrüche) sowie in Kontrollaktivitäten, mit denen Partneräußerungen be-

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archie dagegen lassen sich nicht direkt in der Interaktion beobachten, sondern allenfalls aus direkt beobachtbarem (sprachlichem) Verhalten ableiten. Diese beiden Begriffe beziehen sich auf soziale Ungleichheiten, die in systematischen kommunikativen Ungleichheiten ihren Ausdruck finden (diese u. U. bedingen), durch diese jedoch auch in der Interaktion selbst (re-)produziert werden können. Während Macht, als generelle Ressource, die zu Formen ungleicher Beziehungen zwischen den Interaktanten führt (cf. Brock/Meer 2004), nun nicht nur «positionsspezifisch» (ebd., 190) definiert ist, also in der Interaktion einmal dem einen und einmal dem anderen Gesprächspartner zukommen bzw. von diesem beansprucht werden kann, kann Hierarchie aufgefasst werden als «verkrustete», institutionell festgelegte Machtstrukturen. Eine Auffassung von kommunikativer Asymmetrie «als interaktionsstrukturelle Entsprechung des organisationsstrukturellen Konzepts ‹Hierarchie›», wie es Schmitt (2002, 119) formuliert, simplifiziert allerdings – selbst in Zusammenhängen, in denen eindeutige Befehlsstrukturen vorliegen. Auch bei einer institutionell «vorstrukturierten» Hierarchie zwischen den Interaktanten sind Asymmetrien in der Interaktion nicht immer zugunsten des Hierarchiehöheren zu beobachten, «da die jeweilige institutionelle Position (als Agent/ in oder Klient/in; als Vorgesetze/r und Mitarbeiter/in) nicht den einzigen kommunikationsrelevanten Faktor bildet» (Brock/Meer 2004, 202). Die Frage ist also, inwieweit sich Hierarchie in der Interaktion jeweils zeigt. Mit Bezug auf diese Arbeit bedeutet das: In der Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern lassen sich u. U. vertikale kommunikative Asymmetrien beobachten (z. B. Dominanz in Bezug auf Themenwahl, in Bezug auf Redeanteile, interaktive Dominanz etc.). Wenn diese systematisch zugunsten eines der Gesprächspartner bestehen, können sie Machtverhältnisse bzw. Machtansprüche anzeigen. Macht kann dabei aber ebenso dem Behördenmitarbeiter wie auch dem Klienten zukommen, theoretisch auch einmal Ersterem und einmal Letzterem in unterschiedlichen Phasen der Interaktion. Wenn jedoch (zumindest über einen Großteil eines Gesprächs hinweg) systematische kommunikative Asymmetrien zugunsten des Behördenmitarbeiters bestehen, lässt sich auf eine «organisationstrukturelle Bedingtheit kommunikativer Ungleichheit» (Brock/ Meer 2004, 189) schließen: eine Hierarchie, die in der Interaktion selbst relevant gesetzt wird.

wertet, ratifiziert oder disqualifiziert werden, und d) sogenannte «strategic moves» (deren Eigenschaften allerdings relativ unklar bleiben). Offen bleibt jedoch, wie das Verhältnis zwischen den Dimensionen dominanten Verhaltens gestaltet ist.

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 Theoretische Grundlagen

3.3 D  ie Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern als interkulturelle Kommunikation Die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern findet nun nicht nur in einem institutionellen, sondern zugleich in einem interkulturellen Kontext statt.25 In der aktuellen Forschung existieren zu interkultureller Kommunikation (im Folgenden IKK abgekürzt) international zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen. In Deutschland wird sie etwa seit den 1980er Jahren aufgrund zunehmender interkultureller Begegnungen infolge der Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zum Thema wissenschaftlicher Debatten (cf. Földes 2007, 10). Trotz oder auch gerade wegen der Vielzahl an Veröffentlichungen zu diesem Thema ist es allerdings schwierig, den Begriff – das «Konstrukt» (Földes 2007, 7) – Interkulturelle Kommunikation exakt zu fassen. Das hängt u. a. mit der langen Diskussion um die Begriffe Kultur und Kommunikation zusammen.

3.3.1 Zu den Begriffen Kultur und Kommunikation Bereits Kroeber und Kluckhohn (1952) verweisen beispielsweise auf mindestens 164 Definitionen des Kulturbegriffes. Zu den in der deutschen Forschung weit verbreiteten gehört der von Redder und Rehbein (1987) etablierte Gedanke eines «kulturellen Apparates», wonach Kultur aufgefasst wird als ein «funktionales Aggregat an sich verschiedener Handlungen zu bestimmten Zwecken» (ebd., 15, Hervorhebung K.R.). Der «kulturelle Apparat» konstituiert sich aus gesellschaftlichen Erfahrungen, daraus folgenden Denkstrukturen und Vorstellungsformen sowie daraus wiederum resultierenden Handlungspraktiken «in historisch standardisierter Form» (Rehbein 1985a, 30). Bei (bspw. ethnischen) Minderheiten enthalten die kulturellen Apparate, die deren Mitglieder handhaben, Charakteristika sowohl der Herkunftsgesellschaft (und deren Formationsspezifika) als auch die der Aufnahmegesellschaft (cf. ebd.). Straub (2007, 15) begreift Kultur als ein «Zeichen-, Wissens- und Orientierungssystem [...], das die Praxis, mithin das Handeln (Denken, Fühlen, Wollen und Wünschen) aller daran teilhabenden Personen strukturiert und ordnet,

25 Inwieweit hierbei allerdings Probleme in der Kommunikation tatsächlich auf Interkulturalität basieren, wird im Folgenden noch zu diskutieren sein.

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ermöglicht und begrenzt». Wesentlich ist, dass Kultur in der Regel als «Eigenschaft von Kommunikationsgemeinschaften» (Knapp 2003, 111) verstanden wird, wodurch dem Umstand Rechnung getragen wird, dass Menschen mehreren Kommunikationsgemeinschaften (Freundeskreise, Familien, Arbeitsgruppen, Religionsgemeinschaften, Nationalitäten etc.) – mit verschiedenen (Sub-)Kulturen – angehören können (cf. ebd.). Oftmals wird allerdings der Begriff Kultur sehr eng mit dem der Nation verbunden, was – gerade in Zeiten der Globalisierung und einer damit verbundenen Vermischung von so genannten «Nationalkulturen» durch Migrationsprozesse und interkulturelle Kontakte auf allen Ebenen – immer stärker kritisiert wird (cf. Porila/ten Thije 2009a, 25; Hinnenkamp 1994b, 49 u. a.).26 Der lange geltenden Fixierung auf eine gedachte (feststehende) Einheit von Raum und Kultur wird mittlerweile ein eher prozessuales Verständnis von Kultur (cf. z. B. Bolten 2004) gegenübergestellt. Zunehmend wird der beständige Aushandlungsprozess von Normen, Werten und Lebensweisen betont. Hier gilt es m.E. Acht zu geben, dass nicht alles als «Kultur» oder nichts als «Kultur» (sondern alles als individuell) aufgefasst wird. Ohne eine gewisse Festigkeit verliert der Begriff «Kultur» seine Bedeutung (cf. hierzu auch Moosmüller 2009; Rathje 2009). Für diese Arbeit soll nun eine gut greifbare Auffassung von Kultur verwendet werden, die ebenfalls dem Gedanken eines konstanten Wandels und Aushandlungsprozesses von Kultur sowie auch dem eines Orientierungscharakters Rechnung trägt: Kultur als eine Sammlung von «kollektiven Standardlösungen für Standardprobleme» (Porila/ten Thije 2009a, 26). Porila und ten Thije (ebd.) betonen: «Mitglieder unterschiedlicher Kulturen unterscheiden sich folglich danach, wie sie bestimmte wiederkehrende Probleme lösen und Bedürfnisse befriedigen.» Unter «Problemen» verstehen die Autoren hier alle Aufgaben, die die Mitglieder der entsprechenden Gemeinschaft lösen (bspw. Häuser bauen, eine Fahrkarte am Schalter kaufen, miteinander essen etc.). Die «Standardlösungen» beinhalten sowohl das kollektive Wissen um solche Lösungen (z. B. wie und warum baue ich ein Haus) als auch die konkreten Handlungen, die der Ausführung dieser Lösungen dienen (z. B. wie Leitungen gelegt werden, gemauert wird etc.), aber auch die Ergebnisse dieser Handlungen

26 Hinnenkamp (1994b, 60) geht davon aus, Kultur sei eine «inferierte und induzierte» Kategorie, und verweist darauf, dass Menschen dazu neigen, bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen einer Person als kulturgeprägt aufzufassen, wenn sie mit dem «Fremden» konfrontiert sind, dieselben Eigenschaften oder Verhaltensweisen aber als rein individuelle zu interpretieren, wenn die entsprechende Person ihrer eigenen Kultur entstammt.

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 Theoretische Grundlagen

(die Häuser). Die Autoren zählen hierzu auch Werte, Normen, Gefühle, Glauben. Dass es sich um Standardlösungen handelt, hebt den normativen Anspruch dabei hervor (normativ im Sinne des Normverständnisses Coserius (1952) als das, was sich in einer Gemeinschaft als das Übliche etabliert hat). Wenn sich die Standardprobleme einer Gemeinschaft nun ändern, ändern sich auch die Standardlösungen, werden neu ausgehandelt und an geänderte Bedürfnisse angepasst. Kulturen sind also veränderlich und in Bewegung und nicht alle Handlungsweisen eines Individuums können als «kulturell» bedingt angesehen werden. Ähnlich schwierig wie eine klare Fassung des Kulturbegriffs gestaltet sich die des Kommunikationsbegriffs. An dieser Stelle soll allerdings nicht in eine Diskussion um den Kommunikationsbegriff eingestiegen werden. Es sei lediglich auf einige für diese Arbeit wesentliche Aspekte hingewiesen. In der folgenden empirischen Untersuchung wird ausschließlich die mündliche Face-to-face-Kommunikation einbezogen. Kommunikation ist hierbei als multimodal zu begreifen (beinhaltet also auch Gestik, Mimik, weiteres nonverbales Handeln). In der empirischen Untersuchung, die den Kern dieser Arbeit ausmacht, kann allerdings aufgrund des methodischen Vorgehens, der Analyse von Audio-Aufnahmen von Gesprächen, nahezu ausschließlich verbale Kommunikation einbezogen werden, da Nonverbales in den Audio-Aufnahmen kaum abgebildet ist (lediglich in Form von nonverbalen Handlungen, die sich akustisch manifestieren, z. B. Lachen, Schläge auf den Tisch u. ä.), insbesondere auf die Einbeziehung von Gestik und Mimik muss verzichtet werden.27 Hervorzuheben ist zudem, dass Kommunikation Handeln ist (cf. Porila/ten Thije 2009a, 23). Dies gehört zwar längst zum wissenschaftlichen Konsens – trägt jedoch einige gerade im Kontext dieser Arbeit relevante Implikationen in sich und soll deshalb an dieser Stelle noch einmal betont werden. Zum einen ist Kommunikation gemeinsames (interaktionales) Handeln. Das bedeutet, dass alle Gesprächsteilnehmer – Sprecher wie Hörer – eine Interaktion gleichermaßen mitgestalten, und zwar in einer ständigen Wechselwirkung von Sprecher und Hörer im sprachlichen Handeln. Zum anderen werden in der Interaktion eben nicht ausschließlich Inhalte vermittelt (Sachverhalte konstituiert, cf. Kallmeyer 1985), sondern auch Beziehungen ausgehandelt, festgelegt oder reguliert.28 Das erhält besonderes Gewicht im Rahmen der bereits in Kapitel 3.1.3

27 Die Entscheidung, mit Audio- statt bspw. Video-Aufnahmen zu arbeiten, ist allerdings an die spezifischen Vorgaben des Behördenkontextes, insbesondere die Wahrung der Anonymität der Informanten, gebunden. 28 Cf. hierzu die 6 Ebenen der Interaktionskonstitution nach Kallmeyer (1985): Gesprächsorganisation, Handeln/Handlungskonstitution, Sachverhaltsdarstellung, soziale Identitäten und

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angestellten Überlegungen zur Beziehung zwischen «Experten» und «Laien» im Behördenkontext. Lucius-Hoene und Deppermann (2004) verwenden bezüglich der Beziehungsaushandlung in der Interaktion den Begriff der «Positionierung» und erläutern: «Positionierung bezeichnet zunächst ganz allgemein die diskursiven Praktiken, mit denen Menschen sich selbst und andere in sprachlichen Interaktionen auf einander bezogen als Personen her- und darstellen, welche Attribute, Rollen, Eigenschaften und Motive sie mit ihren Handlungen in Anspruch nehmen und zuschreiben, die ihrerseits funktional für die lokale Identitätsher- und -darstellung im Gespräch sind» (ebd., 168, Hervorhebung im Original).

In der Interaktion wird also durch das (sprachliche) Verhalten der Gesprächsteilnehmer auch Identität29 ausgedrückt und zugleich gebildet. Wegweisend in diesem Kontext ist der Ansatz von Le Page und Tabouret-Keller (1985), die sprachliches Verhalten als eine «series of acts of identity» (ebd., 14) bezeichnen. Sie erklären: «linguistic items are not just attributes of groups or communities, they are themselves the means by which individuals both identify themselves and identify with others» (ebd., 5).

Die Prozesse der Identitätsbildung beziehen sich hierbei auf die Schnittstelle zwischen individueller und Gruppenidentität: «Acts of identity» (ebd.) werden im Rahmen sozialer Interaktionen bearbeitet und dienen bei Ratifizierung dem Aufbau kollektiver Identität («Fokussierung») oder bei deren Ausbleiben dem Abbau kollektiver Identität («Diffusion»).30 Giles versteht im Rahmen seiner Accomodation Theory aufeinander bezogene, Unterschiede verringernde und Gemeinsamkeit betonende kommunikative Praktiken als «convergence», das Gegenteil als «divergence» (cf. Giles/St. Clair 1979).

Beziehungen, Gesprächsmodalitäten und Reziprozitätsherstellung sowie Knapps (2007) Unterscheidung zwischen der referentiellen und der sozialen Bedeutung von Äußerungen. 29 Der Begriff «Identität» kann sich auf Individuen oder Gruppen von Individuen beziehen. Er soll hier verstanden werden als «die als ‹Selbst› erlebte innere Einheit der Person» (Wermke 2001, 419), die es ihr und anderen Menschen ermöglicht, sie von «anderen gleicher Art zu unterscheiden und wieder zu erkennen» (Krappmann 1987, 132) (individuelle Identität), ebenso aber auch, eine Gruppe ähnlicher Personen überhaupt zu bestimmen (kollektive Identität). 30 So genannte «acts of identity» können selbstverständlich in jeder Form menschlichen Verhaltens auftreten. Sprachliches Verhalten erscheint jedoch in einiger Hinsicht besonders gut zur Identitätsrepräsentation und -formierung geeignet, da Sprache über eine «extra dimension» verfügt «in that we can symbolize in a coded way all the other concepts which we use to define ourselves and our society» (Le Page/Tabouret-Keller 1985, 247).

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 Theoretische Grundlagen

Identitätsbildung kann auf drei unterschiedlichen Ebenen geschehen. Bereits unabhängig vom Inhalt des Gesprochenen ist die Art, wie gesprochen wird (z. B. Standardsprache vs. umgangssprachlich geprägte Varietäten; Fachsprache vs. «Alltagssprache» etc.), eine Möglichkeit des Ausdrucks und der Formierung von Identität. Auf der kommunikativen Ebene kann durch das, worüber gesprochen wird – sogar auf semantisch-pragmatischer Ebene, durch die Bedeutung einzelner Begriffe im situativen Kontext bereits – individuelle und Gruppenidentität ausgedrückt und gebildet werden. Auf einer metakommunikativen Ebene ferner lässt sich über eben solche Formierungs- und Repräsentationsprozesse von Identität explizit sprechen. Gerade im Kontext der Kommunikation mit Migranten ist hierbei hervorzuheben, dass solche Prozesse der Identitätsher- und -darstellung, insbesondere der Fremdidentifizierung (des Identifizierens als XY), auch unfreiwillig geschehen können. Mit einem bestimmten Akzent, einer bestimmten Varietät (bspw. dem bolivianischen Spanisch oder der so genannten «Kanaksprak») oder auch mangelnden Sprachkompetenzen werden Eigenschaften assoziiert (bspw. mangelnde Intelligenz) und Identitätszuschreibungen vorgenommen. Zudem stehen gerade Nicht-Muttersprachlern (auch bei hohen Kompetenzen in der entsprechenden Fremdsprache) weniger Möglichkeiten offen, durch ihr sprachliches Verhalten Identität in gewünschter Weise nuanciert auszudrücken und zu schaffen. In diesem Sinne betont Hymes (1971) den Unterschied zwischen «competencies» und «belonging», zwischen der (erlernten) Kompetenz in einer Sprache und der wirklichen Zugehörigkeit zur Sprachgemeinschaft. Diese Überlegungen zeigen, dass in einer IKK nicht nur das gegenseitige Verstehen (im Sinne einer Einigung über Sachverhalte) problematisch werden kann, sondern Probleme auch auf der Ebene der Identitäts- und Beziehungsaushandlung auftreten können, was über die reine Verständigungsfunktion von Sprache hinausgeht.

3.3.2 Zum Begriff Interkulturelle Kommunikation – mit Fokus auf der Rolle der Sprache in der interkulturellen Kommunikation Der Begriff Interkulturelle Kommunikation wurde geprägt in einer Veröffentlichung von Hall (1959).31 Mittlerweile existiert eine Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zur IKK, einem interdisziplinären Forschungsfeld, das

31 Für einen detaillierteren Überblick zur Entwicklungsgeschichte der IKK-Forschung s. Rehbein (1985a).

Interkulturelle Kommunikation 

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sich u. a. zwischen den Bereichen Sozio- und Psycholinguistik, Diskurs- und Gesprächsanalyse, interkulturelle Pragmatik, Kulturanthropologie und Sprachdidaktik aufspannt (cf. Straub et al. 2009; Kotthoff/Spencer-Oatey 2007 u. a.). In der Wissenschaft besteht allerdings sowohl in terminologischer als auch inhaltlicher Hinsicht eine gewisse Uneinigkeit über den Forschungsgegenstand. So wird der Begriff interkulturelle Kommunikation recht unterschiedlich, teilweise sogar widersprüchlich verwendet, häufig finden sich gar keine oder unscharfe Definitionen (cf. z. B. Gumperz 2001; Roth 2004; Heringer 2004; Beniers 2006 u.a). Zudem existiert eine Vielzahl alternativer terminologischer und inhaltlicher Konzepte, die im Wesentlichen mit dem Gegenstandsbereich der IKK übereinstimmen (cf. z. B. «Interkommunikation» Wildgen 2003, 195; «multikulturelle Kommunikation» Takahashi 2002, 96ss.; «Transkulturelle Kommunikation» Hepp/Löffelholz 2002 u. a.). Offenbar ist keineswegs geklärt, was unter dem «Kompromisslabel» IKK (Hinnenkamp 1994a, 3) zu verstehen ist. Hinnenkamp (1994b, 51) bemerkt sogar relativ scharf: «Ihre multidisziplinäre Inanspruchnahme, ihr oftmals interdisziplinäres Aufgebot, zudem gepaart mit wissenschaftlicher wie außerwissenschaftlicher Konjunktur, ermöglichen eine ziemliche Subsumtionsbeliebigkeit.»

Zudem – und dies scheint aus linguistischer Sicht besonders gravierend – bleibt die Rolle der Sprache in der IKK mitunter unklar. Relativ weit gefasst und trotz der Unschärfe des Kultur-Begriffs lässt eine IKK sich verstehen als eine (sprachliche) Interaktion zwischen mindestens zwei Personen, die verschiedenen Kulturen angehören und dies in der Interaktion relevant setzen (cf. Földes 2007, 28; Hinnenkamp 1994b, 51). Sprache ist dabei, wie gesagt, multimodal zu verstehen. Hierbei gehen zahlreiche Linguisten von einer engen Verflochtenheit von Sprache und Kultur aus und sehen als wesentliches Charakteristikum einer IKK das fremdsprachliche Handeln zumindest eines der Partner (cf. z. B. Ammon 1991; Knapp 2004, Knapp/Knapp-Potthoff 1990, 66; Seifert 1996a, 19; Henze 1997; Rehbein 1985a, 30s. u. a.). Beispielsweise bezeichnet Knapp (2007, 413) IKK als «interpersonale Interaktion zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kommunikationsgemeinschaften, die hinsichtlich der ihren Mitgliedern gemeinsamen Wissensbestände und Formen sprachlichen Handelns differieren»,

und betont dabei (ebd.): «Ein wesentliches Charakteristikum von interkultureller Kommunikation ist jedoch damit gegeben, dass sich einer der Kommunikationspartner normalerweise einer Sprache oder Varietät bedienen muss, die nicht seine eigene ist.»

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 Theoretische Grundlagen

Auch Seifert (1996a, 19) fasst IKK als «Versuch der Verständigung zwischen (national bzw. ethnisch definierten) Angehörigen unterschiedlicher Kultur- und Sprachgemeinschaften», verwendet Kultur und Sprache also im einem Atemzug. Ähnliches findet sich bei Henze (1997, 90), die als Beobachtungsgegenstand der IKK kommunikative Probleme beschreibt, die aufkommen, «cuando culturas o grupos culturales con distintas lenguas entran en contacto». Ammon (1991, 11) begreift IKK sogar ausschließlich als «Kommunikation zwischen Sprechern verschiedener Muttersprachen». Der enge Zusammenhang von Sprache und Kultur zeigt sich jedoch nicht nur auf der Ebene von Gesamtsprachen, sondern sogar bei Einbeziehung verschiedener Varietäten, Kodes oder Ethnolekte. Die Möglichkeit einer innersprachlichen IKK beziehen Bruck (1994), Kiesling und Paulston (2005) u. a. sowie in der USamerikanischen Forschung bereits Labov, Gumperz und Tannen (cf. Gumperz 1961; Labov 1966; Gumperz/Tannen 1979 u. a.) ein. In anderen Arbeiten dagegen wird – zunächst unabhängig von der Analyse sprachlicher Differenzen – vor allem das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Subkulturen in einer IKK betont (cf. z. B. Tannen 1984; Auer/Kern 2001). Der Ansatz Redders und Rehbeins (1987, 17s.) lässt sich zwischen diesen unterschiedlichen Positionen ansiedeln, da sie IKK im engeren Sinne, als «kulturelles Handeln zwischen verschiedenen Aktanten und Aktantengruppen einer Gesellschaft und einer Sprache» (wenn deren kulturelle Apparate differieren), unterscheiden von IKK im weiteren Sinne, als «Kommunikation zwischen Aktanten verschiedener Gesellschaften und verschiedener Sprachen». Andere Autoren allerdings sprechen auch dann von einer interkulturellen Kommunikation, wenn daran Menschen derselben Muttersprache beteiligt sind (in unterschiedlichen Varietäten), die aber aus unterschiedlichen Ländern bzw. «Nationalkulturen» (Koptelzewa 2004, 64) stammen (cf. z. B. Ciapuscio/Kesselheim 1997, 105; Heinemann 1997, 191; Koptelzewa 2004, 64)32 – ein Gedanke, der in dem Konzept Redders und Rehbeins nicht enthalten ist. Offensichtlich besteht also Uneinigkeit bezüglich der Rolle der Sprache in der IKK. Es ist sicherlich weitgehend akzeptiert, dass Sprache einen «Schlüsselaspekt» einer Kultur darstellt (cf. Porila/ten Thije 2009b). Zum einen setzt Verstehen (auch kultureller Konzepte) in der Interaktion immer an der Perzeption der sprachlichen Äußerungsform an. Zum anderen werden bei der sprachlichen Realisierung auch Denk- und Vorstellungsformen übertragen (cf. Rehbein 1985a, 30s.). Seifert (1996a, 20) erklärt: «Sprache fungiert als Indikator der Art und

32 Koptelzewa (2004, 64) hebt allerdings als Charakteristikum einer IKK hervor, dass die Interaktanten «unterschiedliche Kommunikationsregeln» anwenden.

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Weise, wie eine Kultur die Wirklichkeit sieht». Zudem bestehen kulturspezifische sprachliche Muster, sprachliche Formen können interkulturell unterschiedliche Funktionen haben und gerade in der interkulturellen Kommunikation im institutionellen Kontext zeigt sich das kulturspezifisch geprägte Verhältnis von sprachlichen Mitteln und kommunikativen Zwecken: «In der institutionellen Kommunikation wird die Funktionalität der Sprache in ihrer kulturspezifischen Ausprägung augenfällig» (ebd., 31). Sprache in diesem Kontext ist jedoch offenbar nicht ausschließlich auf Gesamtsprache zu beziehen und eine Sprachgemeinschaft nicht mit einer Kulturgemeinschaft gleichzusetzen – das fremdsprachliche Handeln eines der Gesprächspartner kann also nicht in der Form als wesentliches Charakteristikum einer IKK angesehen werden, wie es in einigen Ansätzen (bspw. bei Ammon 1991) der Fall ist. Zudem bemerken Porila und ten Thije (2009a, 27): «Kultur ist zwar eng mit der Sprache verbunden, doch es ist ein häufiger Irrtum, dass das Beherrschen einer Fremdsprache zugleich das Beherrschen der entsprechenden Kultur bedeutet.»

Geklärt werden muss offenbar genauer, was an Sprache in diesem Kontext wichtig ist. Die gesprächsanalytische Arbeit mit authentischem Datenmaterial bietet diese Möglichkeit.

3.3.3 Ansätze zur Erforschung von interkultureller Kommunikation Maier und ten Thije (2012) fassen (im Bereich der Linguistik) vier Gruppen von Ansätzen zur Untersuchung von IKK zusammen, wobei die Kriterien der Differenzierung allerdings etwas unklar bleiben. Sie scheinen zum einen nach ihren Gegenständen differenziert zu werden (1–3), zum anderen nach ihrem Zweck (4): 1. Kontrastive Analyseansätze (prototypisch kontrastive Pragmatik) (z. B. BlumKulka/ House/ Kasper 1989; Barron 2003; House 2009), die die Bedeutung sprachlicher und kultureller Unterschiede, aber auch funktionaler Ähnlichkeiten, für eine interkulturelle Verständigung beschreiben und allgemeine Kategorien hierfür herausarbeiten. 2. Imagology Studies (Interkulturelle Hermeneutik), die kulturelle Repräsentationen von Kulturen und Gemeinschaften fokussieren (das «Bild vom anderen Land»), beispielsweise in Büchern, Filmen, Zeitschriften und anderen Darstellungsmöglichkeiten, in denen Bilder von Kulturen und Gemeinschaften geschaffen werden. 3. Interaction analyses (Gesprächsanalyse), also Ansätze, die die tatsächliche Realisierung interkultureller Verständigung in der Interaktion zum Gegenstand haben.

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 Theoretische Grundlagen

4. Transferorientierte Analyseansätze (transfer analyses), die Methoden erforschen, wie sich Erkenntnisse zu interkultureller Verständigung in Trainings, Schulungen und Mediation umsetzen lassen – sich also interkultureller Kompetenz widmen. Hinnenkamp (1994b, 55ss.) hebt Ansätze hervor, die im Rahmen der Interpretativen bzw. Interaktionalen Soziolinguistik arbeiten und davon ausgehen, dass Situationen und Kontexte der Interaktion nicht vorgegeben sind, sondern erst «mit den interaktiven und interpretativen Leistungen der Interaktionsteilnehmer relevant gemacht» (ebd., 56) werden. Dies zeigen sich die Interaktanten u. a. mit Kontextualisierungshinweisen an (cf. Gumperz 1982).33 Kritisch bemerkt Hinnenkamp (1994b, 58) dazu: «Der Blick für lokale Vorgänge und Inferenz induzierende linguistische Mittel mag zwar durch das Augenmerk auf die Kontextualisierungshinweise ungeheuerlich verschärft werden, gleichzeitig kaschiert und euphemisiert dieser Blick aber auch die Funktionen von Ressourcen, aus denen diese (und andere) Mittel geschöpft werden können – z. B. ungleich verteilte Rechte und Pflichten, die nicht lokal-interaktional erwachsen, sehr wohl aber die lokalen Produktionsbedingungen beeinflussen» (cf. dazu ebenfalls Rehbein 1994, 123s.).

Nicht alle Ansätze zu IKK lassen sich so klar unter eine dieser Gruppen subsummieren; nicht selten werden zudem beispielsweise kontrastive und interaktive Analyse kombiniert. Nach Földes (2007, 33s.) beruhen die meisten Ansätze zur Erforschung von IKK auf den folgenden vier (z. T. von ihm selbst kritisierten) Vorannahmen: 1. IKK trete auf, wenn Personen, die verschiedenen Kulturen angehören, aufeinander treffen. 2. Kultur bedeute eine Reihe von Vorschriften, wie man sich in einer bestimmten Gesellschaft verhalten oder nicht verhalten solle. 3. Die Beteiligten nähmen vom jeweils Anderen an, er verhalte sich genauso wie sie selbst und sei nicht in der Lage, sich an eine interkulturelle Situation anzupassen. 4. Interkulturalität werde als etwas Problematisches gesehen. Die Punkte 1 und 2 wurden bereits kritisch besprochen (s. Kapitel 3.3.1 und 3.3.2). Gegen die Punkte 3 und 4 wendet Földes (ebd.) sich selbst explizit und verweist

33 Gerade Kontextualisierungshinweise können im Übrigen stark kulturell geprägt sein (bspw. wie Lachen, Lautstärke, Gesprächstempo u. ä. in einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft interpretiert werden).

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auf (neuere) Ansätze, die zeigen, dass eine gemeinsame kulturelle und sprachliche Plattform in einer IKK durchaus geschaffen werden kann (cf. z. B. ten Thije 2002; Poncini 2004). Koole und ten Thije (1994b) sprechen in diesem Zusammenhang von einer «Interkultur», womit sie sich auf gemeinsame Handlungsstrukturen beziehen, die in längeren Kulturkontakten entstehen können. Tatsächlich konzentrierte sich die Forschung allerdings lange auf Missverständnisse in der IKK (z. B. Rehbein 1985a, 2001; Poncini 2004 u. a.); Interkulturalität wurde häufig als etwas Problematisches aufgefasst. Besonders deutlich wird das in Auffassungen von IKK wie der von Seifert (1996a, 19), der IKK begreift als «eine Kommunikation zwischen Individuen, deren kulturelle Wahrnehmungsmuster, Wissensbestände und Symbolsysteme unterschiedlich genug sind, um die Kommunikationssituation zu verändern und zu problematisieren». Rehbein (1994, 123) spricht sogar von einer «Problem-Kommunikation». In dieser Arbeit soll IKK keineswegs prinzipiell als etwas Problematisches gesehen werden; es bleibt aber unbestritten, dass in einer IKK eine Reihe von Problemen auftreten kann – und in vielen Gesprächen in diesem Kontext auch auftritt – die über die Schwierigkeiten einer intrakulturellen Kommunikation hinausgehen. Knapp und Knapp-Potthoff (1990, 68) betonen: «Kommunikation ist immer dem Risiko des Nichtverstehens, Mißverstehens und völligen Scheiterns ausgesetzt. In der IK ist dieses Risiko besonders groß, weil unerkannte Kulturunterschiede zusätzliche Verstehens- und Verständigungsprobleme verursachen».

Földes (2007, 20ss.) unterscheidet dabei die folgenden fünf Gruppen von Problemen: 1. Probleme im Hinblick auf Kultur 2. Probleme im Hinblick auf Sprache 3. Probleme im Hinblick auf Kommunikationsverhalten 4. Probleme im Hinblick auf Fremdheitserwartungen (cf. dazu auch Auernheimer 2002, der Überlegungen zu Stereotypisierungen anstellt) 5. Probleme im Hinblick auf Wahrnehmung und Rezeption interkulturellen Handelns. Die verschiedenen Arten von Problemen sind jedoch sicher nicht immer ganz so deutlich zu trennen, wie die Klassifizierung von Földes oben nahelegt, sondern eng miteinander vermengt. Beispielsweise lassen sich die von Gumperz (1982) untersuchten Missverständnisse aufgrund kultur- oder sprachspezifischer Kontextualisierungshinweise ebenso als Probleme im Hinblick auf Sprache als auch auf Kultur oder als Probleme im Hinblick auf Wahrnehmung und Rezeption interkulturellen Handelns auffassen.

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 Theoretische Grundlagen

Günthner und Luckmann (2002) führen Probleme in der IKK auf Wissensasymmetrien zwischen den Interaktanten zurück: Asymmetrien im allgemeinen Wissen, in gattungsbezogenem Wissen, auf der situativen Ebene verwendeter kommunikativer Gattungen, hinsichtlich der Muster und der Außenstruktur kommunikativer Gattungen. Solche Asymmetrien treten zwar auch in intrakultureller Kommunikation auf. «Aus naheliegenden Gründen treten Asymmetrien in interkultureller Kommunikation jedoch häufiger und deutlicher zutage» (ebd., 239). Die Autoren betonen (ebd.), solche Wissensasymmetrien würden zudem «häufig als Zeichen individueller Inkompetenz und Böswilligkeit gesehen und zum Anlaß der Bestätigung tradierter Stereotypen genommen». Entscheidende Störungsquellen liegen, wie bereits angemerkt wurde, häufig nicht auf der Inhalts-, sondern auf der Beziehungsebene (cf. Schulz von Thun 1981; 1992). In der deutschsprachigen Fachdiskussion wird zunehmend die Mehrdimensionalität interkultureller Kommunikationsprobleme betont (cf. dazu Auernheimer 2002). Zudem wird seit einiger Zeit, vor allem in angloamerikanischen Beiträgen, besonders der Aspekt der Macht hervorgehoben (cf. ebd.).34 Als einer der häufigsten Gründe für interkulturelle Missverständnisse wird bereits bei Rehbein (1985a, 13) die unterschiedliche Handhabung von Mechanismen zur Steuerung der Kommunikation (z. B. Organisation der Rederechtverteilung) genannt, worin sich u. a. Macht auf sprachlicher Ebene ausdrücken kann. Rehbein (ebd.) spricht explizit von Machtasymmetrien zwischen In- und Ausländern, wobei er Macht versteht als ein Mehr an Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten (aufgrund eines sozialen oder rechtlichen Status, anderer sozialer Netzwerke, eines höheren Wissens und besseren Zugangs zu Informationen etc.). Erst in jüngerer Zeit konzentriert die Forschung sich verstärkt auf die Herstellung von Verständigung in der Interaktion (positiver Ansatz), statt auf die reine Beschreibung von Missverständnissen und ihren Ursachen (negativ-deskriptiver Ansatz), und erkennt stärker an, dass IKK nicht nur als etwas Problematisches zu sehen ist, sondern auch Positives mit sich bringen kann, dass hierin Denkmuster erweitert, Repertoires bereichert werden. Immer häufiger wird auch betont, dass IKK nicht notwendigerweise Probleme der Verständigung enthalten muss, nur weil die Interaktanten verschiedenen Kulturen angehören. Földes (2007, 19) erklärt, Menschen seien «keine kulturbestimmten Roboter». Bei der Analyse kommunikativer Handlungen gelte es stattdessen, nach vier Parametern zu unterscheiden: nach persönlichen, kulturellen, strukturell-kon-

34 Zum Macht-Begriff s. Kapitel 3.2.2.

Interkulturelle Kommunikation 

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textuellen und universellen. Ein komplexes Bündel an Faktoren bilde die inneren und äußeren Rahmenbedingungen für kommunikative Prozesse (cf. ebd.). In ähnlicher Weise kritisiert auch Hinnenkamp (1994b, 59), Ansätze zu IKK suggerierten häufig eine «einseitige Abhängigkeit des Individuums von seiner Kultur». Auch Porila und ten Thije (2009b) führen an, Missverständnisse in einer IKK müssten nicht zwingend entstehen, weil die Interaktanten unterschiedliche sprachliche und kulturelle Hintergründe aufwiesen. Gesprächspartner sind sich in der Regel durchaus der Interkulturalität der Situation bewusst und versuchen, ihr kommunikatives Verhalten daran anzupassen. «Deshalb werden in der aktuellen Diskursanalyse mehr diejenigen sprachlichen Handlungsstrukturen berücksichtigt, die nicht auf bestehende Charakteristika der betreffenden Sprachen und Kulturen zurückzuführen sind, sondern diejenigen, die aus dem interkulturellen Kontakt selbst entstehen» (Porila/ten Thije 2009b, 6).

Koole und ten Thije (1994) warnen in diesem Kontext vor den «two pitfalls35 of intercultural studies»: der Fallgrube des «minimal object» und der der «maximal interpretation» (ebd.). Mit Ersterem beziehen sie sich auf eine zu limitierte Konzentration auf Missverständnisse in der IKK, mit Letzterem auf die Versuchung, zur Erklärung aller in einer Interaktion untersuchten Phänomene allein die Interkulturalität heranzuziehen, andere (z. B. institutionelle) Aspekte aber nicht zu bedenken. Die Fallgrube der «maximal interpretation» sehen sie gerade bei der Untersuchung von IKK im institutionellen Kontext gegeben. Ten Thije (2001, 2) weist darauf hin, dass zu hinterfragen sei, «to what extent the discourse is institutional and to what extent interculturally determined». Institutionelle Strukturen seien also zu einem gewissen Maße getrennt von interkulturellen zu betrachten, wozu auch die Interaktanten selbst offenbar (rudimentär) in der Lage sind (cf. Porila/ten Thije 2009b). Diese Überlegungen führen allerdings noch einen Schritt weiter. Kommunikation muss nämlich generell nicht notwendigerweise interkulturell sein, nur weil die Gesprächspartner über verschiedene sprachliche oder kulturelle Hintergründe verfügen, denn diese werden in der Interaktion selbst u. U. gar nicht relevant. Dausendschön-Gay (2010, 34) pointiert diesen Gedanken, indem er schreibt: «Aus der Perspektive des gesprächsanalytischen Ansatzes geht es [...] darum, in einem Gespräch selbst Hinweise dafür zu finden, dass Interkulturalität eine für die Beteiligten relevante Orientierung ist, die auf lokale Ereignisse im Verlauf der Interaktion einwirkt.»

35 Fallgruben.

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 Theoretische Grundlagen

Insgesamt zeigen die in diesem Kapitel angestellten Überlegungen, dass bei der Untersuchung interkultureller Kommunikation nicht lediglich das fremdsprachliche Handeln eines der Gesprächspartner als wesentliches Charakteristikum angesehen werden kann (wie bspw. bei Ammon 1991), sondern dass zu fragen ist, was an Sprache wichtig in diesem Kontext ist, in welchem Maße und worin der Anteil kultureller und der Anteil sprachlicher Differenz besteht sowie inwiefern kulturelle Differenz sich via sprachlicher zeigt. Zudem wird zu fragen sein, inwieweit Probleme überhaupt aus der Interkulturalität der Situation entstehen und inwieweit sie eher institutionell bedingt sind.

3.4 E  mpirische Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten Die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten findet also in einem ebenso institutionellen wie interkulturellen Kontext statt. Bei einer Betrachtung dieser Kommunikation müssen demnach zum einen die Eigenheiten der Behördenkommunikation (cf. Kapitel 3.2) sowie zum anderen interkulturelle Aspekte und – soweit gegeben – aus der unterschiedlichen Sprachkompetenz resultierende Aspekte beachtet werden. Eine erfolgreiche Vermittlung bedeutet in diesem Fall die Vermittlung professionellen Wissens an den Klienten (und zugleich die möglichst reibungslose Umsetzung von Verwaltungsakten), zugleich aber auch die Kompensierung des aus der Interkulturalität, u. U. aus unzureichender Fremdsprachenkompetenz und aus der Behördenspezifik resultierenden Problempotentials (cf. Porila 2006). Die Wahrscheinlichkeit für Verständigungsprobleme ist in diesem Zusammenhang besonders hoch: «the potential for communication problems is particularly high where intercultural communication takes place in institutional settings because the various problem areas coincide and reinforce one another» (Rost-Roth 2006, 189).

Nicht nur das Zusammenwirken interkultureller und institutioneller Aspekte kann hierbei zu erhöhtem Problempotential führen, sondern auch die besonders starke Betroffenheit der Klienten von den in derartigen Behördengesprächen getroffenen Entscheidungen. Porila und ten Thije (2009b, 699) betonen in diesem Rahmen, die interkulturelle Behördenkommunikation betreffe schließlich «biografisch notwendige und regelorientierte Diskurse, in denen die materiellen Grundbedingungen von Migrantenbiografien bearbeitet werden» – was ebenso für Gespräche auf Jobcentern (z. B. über eine Leistungsbewilligung) wie auch für solche auf Bürgerämtern und Einbürgerungsbehörden (z. B. über einen Antrag

Empirische Untersuchungen 

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auf Einbürgerung) oder gar an der Ausländerbehörde gilt (z. B. Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung). Interkulturelle Kommunikation in Institutionen und hierin auch die auf Behörden ist eines der ersten Anwendungsfelder, in denen interkulturelle Kommunikation untersucht wurde (cf. Rost-Roth 1994, 11). Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand eine Reihe von Arbeiten zu interkultureller Kommunikation in unterschiedlichen institutionellen Kontexten u. a. im Bereich der Kommunikations- und Sprachwissenschaft – zum Beispiel zur interkulturellen Arzt-Patienten-Kommunikation und medizinischen Beratung (z. B. Rehbein 1985; 1986; 1994; Traverso 2003; Gajo/Traverso 2003; Dreißig 2005; Hartog 2006), zu interkultureller schulischer (z. B. Rehbein 1987) und hochschulischer Kommunikation (z. B. Rost-Roth 2006), zu interkultureller Kommunikation in (Ausländer-, Sozial-) Beratungen (z. B. Backa 1987; Rehbein 1980); in der Rechtsprechung (Becker/Perdue 1982; Mattel-Pegam 1985); in Einzelhandel und Wirtschaft (Ohama 1987; Grießhaber 1985; Aschenbrenner-Wellmann 2003). Seit den 1980er Jahren rückt in Deutschland zunehmend auch die BürgerVerwaltungs-Kommunikation, nach und nach auch die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern, ins Zentrum wissenschaftlichen Interesses, da sich in dieser Zeit auch die Politik verstärkt den Themen Migration und Integration zuwendet. Auch das Gespräch in der Verwaltung (statt schriftlichen Texten) steht ab den 1980er Jahren stärker im Fokus der Forschung (cf. Becker-Mrotzek 2001, 1510). Ebenso fokussiert man auch in der Praxis der deutschen Verwaltungsinstitutionen ab dem Ende des 20. Jahrhunderts verstärkt auf eine Verbesserung der interkulturellen Kommunikation. Zunehmend wird eine «interkulturelle Öffnung» der Verwaltung angestrebt, wenngleich sich dies vornehmlich auf Einzelprojekte verschiedener Kommunen, nicht auf ein tatsächliches Gesamtkonzept bezieht (cf. Koptelzewa 2004, 37ss.). Es entsteht eine Reihe von Entwürfen zu Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Verwaltungsmitarbeiter (cf. z. B. Grießhaber 1987; Hoffmann 1995; Knapp-Potthoff 1997; ten Thije 2001; Grünhage-Monetti 2006; Porila/ten Thije 2009a u. a.). Handbücher für die (schriftliche) Bürger-Verwaltungs-Kommunikation werden entwickelt (cf. z. B. Bundesverwaltungsamt 2002) sowie Trainingsentwürfe für Behördenmitarbeiter, seltener für Klienten (cf. z. B. Brüning 2004). Dennoch «bleiben umfangreiche Forschungen zur Bürger-Verwaltungs-Kommunikation (auch im interkulturellen Kontext, K.R.) in der Folge aus» (BeckerMrotzek 2001, 1510),36 anders als beispielsweise im Unternehmensbereich (cf. Aschenbrenner-Wellmann 2003, 213s.). Viele der praxisorientierten Entwürfe bleiben zudem eher auf einer abstrakten Ebene, konkrete sprachliche Mittel, die für eine verbesserte Bürger-Verwal-

36 Berth und Esser (1997, 6) vertreten allerdings eine gegenteilige Meinung.

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 Theoretische Grundlagen

tungs-Kommunikation eingesetzt werden können, werden nur selten fokussiert (auf einzelne Ausnahmen wird an späterer Stelle dieser Arbeit eingegangen).37 In Argentinien entwickeln sich, obwohl das Land sich schon seit seiner Unabhängigkeit als Einwanderungsland versteht, kaum umfassende Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Verwaltung und Migranten. Im Folgenden werden verschiedene Ansätze zur Behörden-Migranten-Kommunikation, die für diese Arbeit relevant sind, skizziert.

3.4.1 Sozialwissenschaftliche und kommunikationspsychologische Ansätze Ein großer Teil der Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund stammt aus den Sozialwissenschaften und der Kommunikationspsychologie. Es handelt sich zumeist um qualitative empirische Untersuchungen, die sich hauptsächlich auf die Analyse von sekundären Quellen (Interviews, Befragungen, Gruppengespräche, z. T. Fragebögen) stützen und die subjektiven Perspektiven der Aktanten, ihre Einstellungen zu einander und ihre Ansichten über mögliche Hintergründe von Verständigungsproblemen untersuchen. Solche Untersuchungen laufen allerdings Gefahr, statt der «hard fact aus der Kommunikation selbst» (Hinnenkamp 1994b, 48) Stereotypen und Mythen abzubilden. Anzumerken bleibt zumindest, dass die Arbeit mit Interviews oder Fragebögen die Gefahr birgt, dass die Aktanten selbst nur in geringem Maße reflektiert von Problemen berichten können, dass Verständigungsprobleme vergessen oder in einer nicht der Realität entsprechenden Wichtigkeit und Reihenfolge berichtet werden etc. Trotzdem sind einige Ergebnisse dieser Studien als Ausgangspunkte für diese Arbeit zu verwenden. Verschiedene Untersuchungen (bspw. von Hoffmann 1982, Berth/Esser 1997, Riehle/Zeng 1998, Seifert 1996, u. a.) zeigen, dass beide Seiten die Kommunikation miteinander oftmals als problematisch (oder sogar traumatisch) ansehen.38

37 Trainingsentwürfe richten sich bspw. darauf, Klienten mit Migrationshintergrund einzuschärfen, dass Pünktlichkeit an deutschen Behörden besonders hochgeschätzt wird, oder aber Behördenmitarbeitern bewusst zu machen, dass viele Klienten mit einem bestimmten Migrationshintergrund andere soziale Rollenvorstellungen (insbesondere bezüglich der Männer-Frauen-Rollen) haben (cf. Berth/Esser 1997, 11). In Handbüchern wird empfohlen, Amtsgehabe zu vermeiden (cf. Bundesverwaltungsamt 2002). Es wird aber nur selten darauf eingegangen, wie konkret damit umgegangen, was im Einzelnen getan werden kann. Zudem wird häufig nicht beachtet, dass viele Interaktanten die Interkulturalität der Situation bereits antizipieren (cf. Porila/ ten Thije 2009b) und trotzdem Probleme entstehen können. 38 Basierend auf empirischen Untersuchungen entwickeln verschiedene Autoren «Regeln» oder Verhaltensvorschläge für den Umgang mit ausländischen Klienten (cf. Hoffmann 1982; Riehle/

Empirische Untersuchungen 

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Dabei werden von Klienten häufig Unfreundlichkeit oder gar Ausländerfeindlichkeit der Mitarbeiter kritisiert, von Seiten der Behördenmitarbeiter dagegen v. a. geringe Sprachkenntnisse ausländischer Klienten (cf. z. B. Hoffmann 1982; Berth/ Esser 1997; Riehle/Zeng 1998 u. a.). Auffällig ist zudem, dass Behördenmitarbeiter zuweilen in problembehafteten Interaktionssituationen auf Machteinsatz zurückzugreifen, um ihre Ziele (bzw. die der Institution) durchzusetzen (cf. Hoffmann 1982). Als besonders frustrierend und belastend werden gerade Kontakte an Ausländerbehörden beschrieben, was sich zum einen auf die besonders existentielle Bedeutung der dort behandelten Fälle für die Migranten zurückführen lässt, auf sehr komplexe, von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Vorschriften und Regelungen sowie auf besonders schlechte Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter (in Bezug auf Zeitdruck und Überlastung, aber auch Erwartungsdruck durch die Öffentlichkeit). Riehle (2001) verweist zudem auf eine gerade unter Mitarbeitern der Ausländerbehörden verbreitete negative Grundeinstellung der «latenten Abwehr». Zuwanderung und Zuwanderer würden von vielen Behördenmitarbeitern als «Problem» (Riehle 2001, 92) gesehen, Klienten als «Bittsteller» behandelt (cf. Porila/ten Thije 2009a, 34). Eine klientenorientierte Kommunikation steht dementsprechend nicht im Interesse vieler Behördenmitarbeiter.39 Die «Schuld» für ein Misslingen der Kommunikation wird, wie diese Untersuchungen zeigen, häufig beim jeweils anderen gesucht. Zu diesem Schluss kommt auch Seifert (1996a; 2000), der in seinen kommunikationspsychologischen Arbeiten ebenfalls Interviews mit Behördenmitarbeitern und ausländischen Klienten evaluiert und darlegt, dass die von ihm befragten Mitarbeiter häufig von überzogenen Ansprüchen, Aggressivität und einem gewissen «Basarverhalten» (Seifert 1996a, 340) der Klienten berichten. Ausgehend hiervon erarbeitet Seifert (1996b, 349) ein Konzept des «kommunikativen Eskalationszirkels», in dem beide Parteien jeweils der anderen Schuld an Problemen zuweisen und negative Vorurteile übereinander entwickeln, wodurch jedoch gerade die kritisierten Handlungsweisen des Gegenübers provoziert werden.40 Ein Strudel aus Misstrauen und Missverstehen entsteht. Das sieht Seifert begünstigt durch die Spezifik des Aufeinandertreffens behördentypischer Handlungsbedingungen und der unterschiedlichen Kulturzugehörigkeiten der Aktanten (cf. auch Porila 2006, 14s.).

Zeng 1998, 67ss.), die allerdings häufig recht vage und wenig konkret bleiben. 39 Klientenfreundlichkeit stößt jedoch oft auch aufgrund der jeweils anstehenden Aufgaben auf Probleme: «Aus einer Ausweisung wird keine Dienstleistung» (Freuding/Schultheis-Wurzer 2000, 15). 40 Einen ähnlichen zirkulären Mechanismus beobachtet bereits Hoffmann (1982, 38ss.).

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 Theoretische Grundlagen

3.4.2 Kommunikations- und sprachwissenschaftliche Ansätze Im Bereich der Sprach- und Kommunikationswissenschaften werden verschiedene Ansätze entwickelt, die, anders als die bislang aufgeführten, verstärkt authentisches Datenmaterial (Audio-, Videoaufzeichnungen) einbeziehen. Da Einstellungen und sprachliches Verhalten nicht auf lineare Weise miteinander verknüpft sind, ist es nur auf diese Weise möglich zu untersuchen, welche Probleme sich in der Interaktion tatsächlich zeigen, wie sie sich gestalten und wie die Interaktanten jeweils damit umgehen. Porila und ten Thije (2009b, 703) betonen in diesem Zusammenhang: «Mehrdeutigkeit in der Interaktion – ein wesentliches Merkmal der interkulturellen Kommunikation – wird mittels solcher Analysen von Interaktionen in ihren besonderen Prägungen erfassbar.» Die meisten Arbeiten in diesem Bereich fokussieren auf Probleme des gegenseitigen Verstehens bzw. die Herstellung von Verstehen. Wegweisend in der deutschen Forschung und prägend für diese Arbeit sind u. a. einzelne Untersuchungen zur Bürger-Verwaltungs-Kommunikation, die sich nicht auf den interkulturellen Kontext beziehen. Wenzel (1984), die ca. 50 Ton- und Videoaufnahmen von Gesprächen in Sozialämtern mit dem Ziel der Rekonstruktion von Verstehens- und Verständigungsprozessen zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten untersucht, beobachtet verschiedene Aspekte «verständigungsfördernden» und «verständigungsfeindlichen» Sprachhandelns. Unter Ersteren beschreibt sie beispielsweise verschiedene Mittel der Absicherung des Verstehens und Verständnisses beim Hörer, (rhetorische und rekonstruierende) Paraphrasen, (an die Klienten gerichtete) Aufforderungen zur Explizierung, Konkretisierung oder Spezifizierung, Möglichkeiten, den Verwaltungsprozess für Klienten «durchschaubar» (ebd.) zu machen, sowie die von ihr besonders hervorgehobenen Begründungen von Anweisungen, Ablehnungen etc. Unter Aspekten «verständigungsfeindlichen» Sprachhandelns bespricht sie vor allem (verbale und nonverbale) Mittel einer «direktiven Gesprächsführung» (ebd.). Selting (1987) dagegen fokussiert auf der Basis der Analyse von Gesprächen in einer Bürgerberatung und einem Sozialamt41 verschiedene Typen von Verständigungsproblemen in der Bürger-Verwaltungs-Kommunikation sowie die sprachlichen Mittel, mit denen diese signalisiert, und die Verfahren, mit denen sie bearbeitet werden können. Wesentlich im Rahmen dieser Arbeit ist zum einen ihre Unterscheidung zwischen «lokalen» und «globalen Verständigungsproble-

41 Selting bezieht zudem einzelne Gespräche ein, die von Klienten selbst in verschiedenen Behörden (u. a. Arbeitsamt, Finanzamt) erhoben wurden (cf. ebd., 30).

Empirische Untersuchungen 

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men» (ebd.) sowie die zwischen «Verstehensproblemen» und «Kooperationsproblemen» (ebd.).42 Unter «lokalen Verständigungsproblemen» fasst sie Probleme, «deren Bezugselemente die sequenziell unmittelbar voraufgegangene Äußerung bzw. der vorausgegangene Turn oder Elemente derselben sind» (ebd., 69), die also den weiteren Gesprächsablauf nicht betreffen. Diese werden isoliert vom Gesprächskontext bearbeitet (cf. ebd.). Die Bezugselemente «globaler Verständigungsprobleme» dagegen sind «größere Handlungskomplexe» (ebd., 169). Solche Probleme entstehen häufig aus divergenten Erwartungen der Gesprächspartner (bspw. Erwartungen bezüglich der Anliegensbearbeitung, Kooperationserwartungen etc.; cf. ebd.). Innerhalb der globalen Probleme betont Selting weiter, «Kooperationsprobleme» unterschieden sich von «globalen Handlungsverstehensproblemen» und auch von «Sachverhaltsproblemen» (ebd., 244) v. a. dadurch, dass bei Letzteren «die wechselseitige Unterstellung von Kooperation oder auch Kooperationswilligkeit beibehalten wird, während bei Kooperationsproblemen genau diese Unterstellung fallen gelassen wird» (ebd., 244). Zudem beobachtet Selting (ebd., 243s.) eine «Präferenzhierarchie» der verschiedenen Problemtypen, die von den Gesprächspartnern selbst, wie sich an der Behandlung der verschiedenen Typen zeigt, als «bevorzugtere» oder «weniger bevorzugte Problemtypen» (ebd., 243) eingeordnet und nach dem Ausmaß der empfundenen Störung der Interaktion gewichtet werden. Selting kommt hierbei zu dem Schluss, insbesondere Kooperationsprobleme würden von den Interaktanten selbst als gravierender eingestuft als andere Verständigungsprobleme (cf. ebd., 250).43 Auf diesen Arbeiten basieren auch einige neuere Untersuchungen zur Bürger-Verwaltungs-Kommunikation, beispielsweise die Arbeiten von Grönert (2004) und Malinkewitz (2010). Grönert (2004) konzentriert sich allerdings auf schriftsprachliche Behördenkommunikation anhand von Formularen und Bescheiden. Im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit ist jedoch ihre Feststellung von Relevanz, dass zusätzlich zur Verständlichkeit von Formularen auch Faktoren wie die Verständigungsbereitschaft und Akzeptanz der Klienten von Bedeutung für den Verlauf der Kommunikation sind. Diese «gehen über das reine Textverstehen heraus und erfordern die Beachtung der bisher eher vernachlässigten situativen und aufgabenspezifischen Rahmenbedingungen von Verwaltungskommunikation, sowie der individuellen Faktoren der Aktanten» (ebd., 35).

42 Selting trifft feinere Unterscheidungen innerhalb dieser Problemtypen, auf die hier nicht eingegangen wird. 43 Als eher «präferierten» Problemtyp dagegen bezeichnet Selting (1987, 243) lokale Verständigungsprobleme.

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 Theoretische Grundlagen

Auf diese Beobachtung wird an späterer Stelle dieser Arbeit näher einzugehen sein. Die Untersuchung von Malinkewitz (2010), der Telefongespräche zwischen Bürgern und Mitarbeitern der Service Center kommunaler Verwaltungen untersucht, weist eine besonders klare Anwendungsorientierung auf. Er formuliert verschiedene Empfehlungen für eine verbesserte Kommunikation in diesem Kontext (cf. ebd., 175ss.); u. a. Empfehlungen für die Sicherung des gegenseitigen Verstehens (bspw. ein klare Artikulation, die Erteilung präziser Auskünfte, die Vermeidung oder Erklärung von Fachbegriffen), für die Beziehungsgestaltung (die Signalisierung von Kooperationsbereitschaft, kooperative Sprecherwechselorganisation, die Vermeidung von direkter Kritik etc.) sowie zur Vermeidung einer «Verunsicherung des Bürgers» (ebd., 180) (bspw. die Erteilung verbindlicher Auskünfte, die Vermeidung von «Weichmachern» (ebd.) u. ä.). Die Analyseergebnisse von Malinkewitz bleiben allerdings oftmals eher an der Oberfläche und müssten weiter konkretisiert werden. Unter den Arbeiten, die speziell Behörden-Migranten-Gespräche fokussieren, sind für diese Arbeit vor allem Untersuchungen von Gumperz, Jupp und Roberts (1979), Hinnenkamp (1985), Porila und ten Thije (2009a; 2009b) sowie aus dem spanischsprachigen Raum Arbeiten von Codó (2008) sowie von Ciapuscio und Kesselheim (1997) relevant. Als Wegbereiter für die meisten aktuellen Untersuchungen in diesem Kontext kann die Arbeit von Gumperz, Jupp und Roberts (1979) gesehen werden. Diese Arbeit ist in mehrerer Hinsicht wegweisend. Sie fokussiert IKK in Face-to-faceGesprächen und beruht als eine der ersten auf authentischem Gesprächsmaterial aus dem Behördenkontext. Die Autoren untersuchen interkulturelle Missverständnisse in Schlüsselsituationen (gate keeping situations) und zeigen auch «diskursive Manifestationen von Rassismus und Diskriminierung» (Porila/ten Thije 2009b, 703) auf, wobei sie herausarbeiten, wie in Missverständnissen negative Fremdbilder aktualisiert werden können, die zu (ungewollten) Diskriminierungen führen können. Hierbei steht allerdings der institutionelle Zusammenhang noch nicht im Fokus der Untersuchung. Während frühe Untersuchungen zur IKK (u. a. an Behörden) sich noch hauptsächlich auf die Erklärung von Missverständnissen mit Hilfe des Konzepts der contextualisation cues (cf. Gumperz 1982; Auer 1986) konzentrierten, werden mittlerweile in der internationalen Forschung zu IKK verstärkt die linguistischen Strukturen der interkulturellen Verständigung bzw. der Herstellung eines common ground fokussiert (cf. z. B. Blommaert 1991; Clyne 1994; Koole/ten Thije 2001; Bühring/ten Thije 2006). Wie bereits erwähnt, wurde zudem in früheren Untersuchungen weniger berücksichtigt, dass Klienten und Agenten in interkultureller Interaktion z. T. die Interkulturalität des Gesprächs bereits antizipieren. Streeck (1985) dagegen zeigt,

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dass Gesprächspartner sich durchaus interkulturellen Situationen anpassen, Missverständnisse vorwegnehmen und vermeiden können. Bereits hervorgehoben wurde zudem, dass die frühe Forschung zur IKK mittlerweile dahingehend kritisiert wird, dass interkulturelle Aspekte z. T. überbewertet und andere (z. B. institutionelle) Ursachen für Verständigungsprobleme außer Acht gelassen oder vorschnell als interkulturelle eingeordnet wurden – was gerade im Behördenkontext wichtig wird. Neue Arbeiten zur interkulturellen Behördenkommunikation, wie die von Porila und ten Thije (2009a; 2009b), unterscheiden daher stärker zwischen institutionellen und interkulturellen Aspekten, was die Autoren auch in der Entwicklung von Vorschlägen für eine verbesserte interkulturelle Behördenkommunikation anhand der Analyse authentischer Gespräche in diesem Kontext berücksichtigen. Im Rahmen einer für Behördenmitarbeiter publizierten Gesprächsfibel entwickeln Porila und ten Thije (2009a) verschiedene Empfehlungen: einerseits zur Identifizierung von Missverständnissen und Nicht-Verstehen, andererseits zur Bearbeitung und Vermeidung solcher Verstehensprobleme: beispielsweise durch verschiedene paraverbale Mittel, durch einen «bewussten Umgang mit Fachsprache» (ebd.) und mit dem Satzbau, aber auch durch die aktive Unterstützung der Klienten beim Formulieren von Fragen und Anliegen. Porila (2006) widmet sich noch etwas konkreter einzelnen sprachlichen «Strategien» (ebd.), die sie als verständigungsfördernd in Behörden-Migranten-Gesprächen ausmacht, insbesondere der Verwendung direkter Rede. Auf diese Arbeiten wird im Verlauf der Arbeit noch häufiger eingegangen. Auf einer abstrakteren Ebene beschreiben Porila und ten Thije (2009b, 712ss.) zudem sprach- und kulturpolitische Maßnahmen zur Regulierung der Mehrsprachigkeit und Interkulturalität in Behörden. Sie beobachten sieben verschiedene Phasen: 1. In einer ersten Phase sind den Autoren zufolge interkulturelle Kommunikationsprobleme in Behörden und daher auch darauf ausgerichtete institutionelle Einrichtungen oder Regelungen nicht vorgesehen. 2. In einer zweiten Phase aber entwickeln Migranten allmählich institutionelles Wissen zum Umgang mit Behörden (zunächst Einzelpersonen). Diese helfen einander ohne direkte Unterstützung der Behörde. 3. In einer dritten Phase reagieren auch die Behörden und stellen bspw. Dolmetscher zur Verfügung. Ein solches Vorgehen erachten die Autoren allerdings als eher für Einzelfälle geeignet und für große Gruppen nicht tragbar. 4. In einer vierten Phase wird stärkere staatliche Förderung nicht-staatlicher (Migranten-) Organisationen bei der Unterstützung ihrer Zielgruppen im Behördenkontakt beschrieben. Parallel dazu werden u. U. Sprach- oder Integrationskurse von Seiten des Staates organisiert und zudem von Seiten der

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 Theoretische Grundlagen

Verwaltung eine Übersetzung wesentlicher Informationen angeboten (z. B. Informationsblätter in verschiedenen Sprachen). 5. In einer fünften Phase werden Mitglieder einzelner Migrantengruppen als Mitarbeiter in Institutionen eingestellt. Auf diese Weise wird eine symmetrischere Form der interkulturellen Kommunikation mit Klienten mit Migrationshintergrund erreicht. 6. In einer sechsten Phase wird die Gruppenbehandlung von einzelnen Migrantengruppen weiter institutionalisiert. Auch Migrantensprachen werden verstärkt toleriert (z. B. in Information und Anliegensberatung). 7. Eine von den Autoren beschriebene siebte Phase wird als kritische Grenze des Rechts- oder Nationalstaats bezeichnet. In einer solchen Phase fällt entweder eine politische Entscheidung für Integration und institutionelle Mehrsprachigkeit (wie z. B. in Belgien, der Schweiz oder Kanada; cf. Clyne 1998), oder es wird im Gegensatz dazu sprachliche Assimilation der Migrantengruppen angestrebt (z. B. in Form einer Verpflichtung zu Sprachkursen der Staatsprache etc.). Die Autoren betonen, einzelne Phasen könnten auch übersprungen werden. In Deutschland beobachten sie seit den 1990er Jahren Entwicklungen, die etwa der Phase 3 entsprechen (cf. ebd.). Mittlerweile jedoch sind in Deutschland auch Entwicklungen festzustellen, die der vierten oder sogar der fünften Phase entsprechen (z. B. Integrationskurse, mehrsprachige Informationsbroschüren, verstärkte Einstellung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund). Deutsch ist allerdings weiterhin die Amtssprache. In Argentinien dagegen sind eher Entwicklungen auszumachen, die der oben beschriebenen zweiten Phase ähneln. Dolmetscher werden nicht von Seiten der Verwaltung gestellt, sondern müssen von den Klienten selbst bestellt werden (bspw. gibt es private Migrantenberater, die Migranten auch zu Behördenbesuchen begleiten und Dolmetscher-Dienste anbieten), Informationsblätter sind in der Regel nur auf Spanisch erhältlich, es gibt kaum Mitarbeiter in den Behörden, die selbst Migranten sind, etc. Auch wenn die bislang aufgeführten Arbeiten sich in erster Linie der Untersuchung von Problemen des gegenseitigen Verstehens und dem Umgang hiermit widmen, verweisen mehrere dieser Arbeiten auch auf Probleme der Verständigung, die über das reine Verstehen hinausgehen (bspw. Seltings Kooperationsprobleme, die Betonung Wenzels einer «verständigungsfeindlichen» direktiven Gesprächsführung, auch die in Kapitel 3.2 herausgestellte Beobachtung von Machtasymmetrien zwischen Agenten und Klienten, In- und Ausländern bei Porila/ten Thije 2009b und im nicht behördlichen Kontext bei Rehbein 1985a, 13 u. a.).

Empirische Untersuchungen 

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Verschiedene Arbeiten zur interkulturellen Behördenkommunikation fokussieren sogar in erster Linie auf die Ausübung von Macht und Kontrolle in Gesprächen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten. Über das Problem der Verständigung hinaus widmet sich in Deutschland beispielsweise Hinnenkamp (1985) in seinen Überlegungen zum «zwangskommunikativen Charakter» der Behördenkommunikation der Thematik der Macht- und Zwangsausübung durch deutsche Behörden, die er in Zusammenhang zu geringeren Deutsch-Kompetenzen von Klienten mit Migrationshintergrund setzt.44 Anhand der Analyse von Gesprächsaufzeichnungen beobachtet er kommunikative Strategien der Behördenmitarbeiter, mit denen institutionell abgesicherte und sanktionierte Gewalt ausgeübt wird. Weiterhin argumentiert er, eine degradierende Kommunikation könne sogar zur Rückbildung der kommunikativen und sprachlichen Fähigkeiten der Klienten führen. Ähnliche Überlegungen stellt im spanischsprachigen Raum Codó (2008) an, die die Machtausübung von Behördenmitarbeitern in Verbindung zu Wissensasymmetrien zwischen den Gesprächspartnern bringt und betont, eine Wissensvermittlung werde im Rahmen der Machtausübung von Behördenmitarbeitern sogar systematisch verweigert: «the clients’ right to accurate and truthful information was systematically neglected» (ebd., 111). Sie arbeitet verschiedene Strategien der Klienten heraus, mit denen diese auf den «uninformative mode» (ebd., 115) ihrer Gesprächspartner reagieren: «indirect challenges» (bspw. Nachfragen nach der Bedeutung einer Abkürzung oder eines Fachterminus’, indirekte Initiierungen von Problembearbeitungen durch Rephrasierungen der Partneräußerung etc.); «open challenges» (bspw. die Äußerung von Unverständnis oder Kritik, Beschwerden, Vorwürfe); «offering solutions» (die Formulierung eigener Vorschläge zur Anliegensbearbeitung durch die Klienten, was u. U. dem von Seifert (1996a, 340) beschriebenen «Basarverhalten» entspricht); «trying to change footing» (cf. ebd., 127ss.). Allerdings stellt Codó (ebd., 147) heraus: «However, no matter how creative their strategies were, enquirers systematically failed to negotiate a more symmetrical stance with bureaucrats, a stance that would enable them to comprehend the hows, whens and whys of the bureaucracy they had to deal with».

44 Hinnenkamp (ebd.) vermutet zudem, mangelnde Sprachkenntnisse der Klienten würden von Behördenmitarbeitern zuweilen als Begründung für Anliegensablehnungen u. ä. vorgeschoben, indem bspw. ein Anliegen nicht direkt abgelehnt, sondern mit dem Verweis vertagt wird, der Klient müsse sich zunächst um einen Dolmetscher bemühen.

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 Theoretische Grundlagen

Diese Feststellungen erhalten im Rahmen der in Kapitel 3.1.3 angestellten Überlegungen zur Ausagierung der Rollen in der interkulturellen Behördenkommunikation besonderes Gewicht und werden an späterer Stelle dieser Arbeit erneut aufzugreifen sein. Machtausübung von Behördenmitarbeitern über Klienten scheint also gerade in der interkulturellen Behördenkommunikation eine besonders wichtige Rolle zu spielen – mehr noch als in einer intrakulturellen Behördenkommunikation vielleicht. Zuletzt bleibt hervorzuheben, dass in sämtlichen der bislang skizzierten Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern immer wieder ein zentrales Problem in der Fremdsprachigkeit der Klienten mit Migrationshintergrund – und dem Umgang damit von Seiten der Verwaltung – gesehen wird. Behörden-Migranten-Kontakte, die weniger stark von einer solchen Fremdsprachigkeit geprägt sind, werden seltener untersucht. Ciapuscio und Kesselheim (1997) befassen sich zwar in einer Untersuchung der Kommunikation mit (bspw. peruanischen, bolivianischen) Migranten an der argentinischen Ausländerbehörde mit interkultureller Behördenkommunikation, in der ein Großteil der Interaktanten dieselbe Muttersprache – in verschiedenen Varietäten – spricht. Im Fokus dieser Untersuchung stehen allerdings die Konstruktion nationaler Kategorisierungen in der interkulturellen Kommunikation und die Aushandlung von Rollen der Gesprächspartner (auch Expertenund Laienrollen). Sie fokussiert demnach nicht direkt auf Verständigungsprobleme.45 Ziel der hier vorliegenden Arbeit wird es u. a. sein zu untersuchen, welchen Einfluss auf die Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten der Umstand hat, ob Migranten fremdsprachlich agieren (müssen), wie es bei einem Großteil der Gespräche des deutschen Korpus der Fall sein dürfte, oder nicht, wie es vermutlich in den meisten Gesprächen des argentinischen Korpus der Fall sein wird (cf. dazu Kapitel 2).

45 Allerdings arbeiten die Autoren heraus, dass Konflikte bei der Aushandlung der Expertenund Laienrollen in dieser Kommunikation entstehen können. Insbesondere, wenn der ExpertenStatus der Behördenmitarbeiter angezweifelt wird (z. B. durch Zweifel an der Richtigkeit einer Aussage des Behördenmitarbeiters), beobachten sie Konflikte und eine regelrechte Verteidigung der Expertenrolle (z. B. durch schnelles Aufzählen gesetzlicher Vorschriften und Regelungen, die der Laie in der Kürze der Zeit nicht nachvollziehen oder überprüfen kann, durch die Verwendung von Fachsprache, direkte Verweise auf eine professionelle Ausbildung und Wissensdifferenzen; cf. ebd., 116s.).

Verständigungsprobleme und (fehlende) Kooperativität: Klärung zentraler Begriffe 

 67

3.5 V  erständigungsprobleme und (fehlende) Kooperativität: Klärung zentraler Begriffe Bei der Besprechung bisheriger Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Migranten und Verwaltung fällt auf, dass diese aus verschiedenen Gründen als problematisch eingeschätzt wird: zum einen aufgrund diverser Verständigungsprobleme (solcher, die das reine Verstehen betreffen, sowie solcher, die darüber hinausgehen, z. B. Kooperationsprobleme; Selting 1987),46 zum anderen aufgrund eines vielfältig asymmetrischen Verhältnisses zwischen den Interaktanten, wobei insbesondere die Ausübung von Macht durch Behördenmitarbeiter über die Klienten thematisiert wird. Auch von Konflikten und Aggressivität (vor allem von Klienten mit Migrationshintergrund) wird berichtet (cf. z. B. Hinnenkamp 1985; Seifert 1996a, Ciapuscio/Kesselheim 1997 u. a.). Erkennbar wird darin allerdings ein offenbar unterschiedliches Verständnis des Problembegriffs. Wenn die Machtausübung von Behördenmitarbeitern über Klienten als problematisch bezeichnet wird, scheint das ein von außen, vom Analysierenden, bestimmtes Problem zu sein. Wenn dagegen Probleme, die das gegenseitige Verstehen betreffen, behandelt werden, werden diese aus der Sicht der Interaktanten selbst als problematisch erfasst und in der Interaktion selbst als Problem manifest. Es bleibt also zunächst noch zu klären, was im Folgenden unter einem Problem in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten verstanden werden soll.

3.5.1 Zum Begriff des Verständigungsproblems In dieser Arbeit wird ein Problem als etwas aus der Teilnehmerperspektive selbst Bestimmtes aufgefasst, das in der Interaktion erkennbare Spuren hinterlässt: «Aus der Perspektive eines Interaktionsteilnehmers liegt ein Verständigungsproblem vor, wenn er relativ zu seinen Erwartungen oder den von ihm aufgebauten Erwartbarkeitsbeziehungen die folgenden Aktivitäten des Interaktionspartners nicht so interpretieren kann, daß sie seine Erwartungen erfüllen.» (Selting 1987, 49)

Diese (konversationsanalytisch orientierte) Auffassung Seltings bezieht auch den Standpunkt ein, dass die Einschätzung von Erfolg oder Misserfolg der Verständi-

46 Seltings Beobachtung bezieht sich allerdings, wie gesagt, nicht explizit auf Behörden-Migranten-Gespräche.

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 Theoretische Grundlagen

gung ebenfalls eine Interpretation und aus der Perspektive der Gesprächspartner selbst zu betrachten ist.47 Als Problem soll im Folgenden also begriffen werden, was die Interaktanten selbst als problematisch kennzeichnen, indem sie (explizit oder implizit, cf. hierzu auch Hinnenkamp 1998; Marti 2001) ein Bearbeitungsbedürfnis signalisieren. Auch die Ausübung von Macht durch Interaktanten über ihre Gesprächspartner wird dementsprechend nur dann als Problem aufgefasst, wenn sie von den Interaktanten selbst in irgendeiner Form als problematisch gekennzeichnet wird. Kindt (2002, 20) unterscheidet zwischen «normalen Verständigungsproblemen», die u. U. in der Kommunikation kaum ins Gewicht fallen, und «nachhaltigen Verständigungsstörungen». Auch Kindt und Rittgeroth (2009) gehen von einer Abstufung von Verständigungsproblemen bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Kommunikation aus. Als besonders gravierend sehen sie dabei solche Probleme an, die von den Gesprächsteilnehmern selbst nicht (unmittelbar) bemerkt werden oder die zwar bemerkt werden, deren Ursache aber nicht lokalisiert oder nicht bearbeitet wird bzw. werden kann (cf. ebd., 51). Gerade aufgrund dieses Umstands lässt sich überlegen, ob der konversationsanalytische Ansatz, als Problem ausschließlich das aufzufassen, was die Gesprächsteilnehmer selbst als Problem markieren, Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Durchaus denkbar ist es schließlich, dass aus der Analysierendenperspektive tatsächlich Probleme beobachtet werden, die die Interaktanten selbst nicht bemerken. Dem lässt sich allerdings zweierlei entgegen halten. Zum einen kann es vorkommen, dass aufgrund der eigenkulturellen Prägung des oder der Analysierenden (gegen die niemand gefeit sein dürfte) etwas als problematisch interpretiert wird, das für die Beteiligten selbst gar kein Problem darstellt. Zum anderen findet aus demselben Grund auch aus Analysierendenperspektive nur eine selektive Wahrnehmung bestimmter Probleme statt, wohingegen andere auch vom Analysierenden nicht bemerkt werden. Diesen Dilemmata entkommt man nur, indem man ausschließlich das einbezieht, was erkennbar von den Gesprächsteilnehmern selbst als problematisch gekennzeichnet wird (wobei auch später beispielsweise in Interviews vorgebrachte Problemeinschätzungen der Informanten zusätzlich zu den Gesprächsanalysen einbezogen werden können). Verständigungsprobleme können darüber hinaus nun, wie Selting (1987, 50) herausstreicht, einseitig oder wechselseitig vorliegen, wie bereits beschrieben, lokal oder global auftreten und Verstehenserwartungen betreffen («Verstehensprobleme», cf. ebd.), ebenso aber auch andere Erwartungen: Kooperationserwar-

47 Verständigung wird dabei als Leistung verstanden, «die im Interaktionsprozeß hergestellt werden muß und nicht per se gegeben ist oder nicht» (Selting 1987, 42).

Verständigungsprobleme und (fehlende) Kooperativität: Klärung zentraler Begriffe 

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tungen («Kooperationsprobleme», cf. ebd.), Erwartungen bezüglich der Geltung von Sachverhalten oder der Angemessenheit bestimmter Verhaltensweisen etc. (cf. Kindt 2002, 18).48 Seit einigen Jahren wird das Verstehen in unterschiedlichen institutionellen Kontexten (wieder) verstärkt in den Blick gefasst (cf. u. a. Deppermann et al. 2010). Deppermann (2010, 9) unterscheidet dabei folgende Gegenstände des Verstehens: «referentielle Bedeutungen, Redeintentionen, sequenzielle und rollengebundene Handlungserwartungen, fachliche oder künstlerische Konzepte, psychische Zustände, Bewertungen, soziale Typisierungen etc.». Hier fällt allerdings auf, dass Verstehen und Verstehenserwartungen tatsächlich deutlich von den oben angeführten weiteren Erwartungen an Verständigung zu trennen sind. Beispielsweise können «sequenzielle und rollengebundene Handlungserwartungen» (ebd.) des Gegenübers durchaus verstanden (also erkannt) werden – die eigenen Handlungserwartungen (Interessen und Ziele) jedoch davon differieren, was u. U. zu nachhaltigeren Störungen der Verständigung führt als reines Miss- oder Nicht-Verstehen. Eine solche Differenzierung tritt jedoch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Verständigungsproblemen oftmals in den Hintergrund, so dass der Begriff des Verstehens mehrdeutig verwandt wird. Auch Deppermann (ebd.) subsumiert «konfligierende Interessen und Ziele der Beteiligten, unterschiedliche Wissensbestände und Erfahrungshintergründe» unter Ursachen für Verstehenshindernisse, Nicht- oder Missverstehen. Verstehen ist, wie Deppermann (ebd., 13) betont, ein «prozessualer Gegenstand interaktiver Aushandlung in Sequenzen, die sich durch Nachfragen, Korrekturen, Präzisierungen, Erläuterungen etc. bilden». Verstehens- und Verständigungsprobleme können dabei auf verschiedene Art und Weise behandelt werden. Die Interaktanten, deren Erwartungen nicht erfüllt werden, können sich ein Problem selbst zuschreiben, es mit einer Problemmanifestation (Selting 1987, 50) signalisieren und damit eine Reparatur initiieren oder es dem Gesprächspartner zuschreiben und mit einer fremdinitiierten Fremdreparatur manifestieren. Welche Möglichkeiten zur pro- oder retrospektiven Selbst- oder Fremdbearbeitung bestehen, wurde bereits ausführlicher in Kapitel 3.1.2 vorgestellt.

48 Kindt und Weingarten (1983) unterscheiden verschiedene Arten von Verständigungsproblemen, die sie begreifen als «Zuordnungskoordinationsprobleme», die sich auf die Zuordnung von Äußerungen zu Sachverhalten bei der Äußerungsproduktion und umgekehrt von Sachverhalten (Bedeutungen) zu Äußerungen bei der Rezeption beziehen, allerdings ebenso andere Zuordnungsleistungen betreffen, beispielweise die Einigung über die Geltung von Sachverhalten oder in der Konfliktaustragung die Beurteilung der Angemessenheit von Verhaltensweisen (cf. auch Kindt 2002, 18).

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 Theoretische Grundlagen

Im Kontext behördlicher Kommunikation relevant sind dabei Deppermanns Überlegungen zu «beteiligungsrollenbezogenen Lizenzen und Pflichten» (Deppermann 2010, 9): «Verstehenspflichten sind oft asymmetrisch verteilt» (ebd.). Beispielsweise wird von einem Schüler erwartet, einen Lehrer zu verstehen und auch anzuzeigen, ob und was er verstanden hat; umgekehrt wird dies vom Lehrer nicht notwendigerweise erwartet. Wenn ein Lehrer einen Schüler nicht versteht, wird die Verursachung dieses Problems oftmals dem Schüler – nicht dem Lehrer – zugeschrieben. Ähnliches lässt sich auch für die Behörden-Klienten-Kommunikation annehmen.

3.5.2 Zum Kooperativitätsbegriff Ein erfolgreiches Behördengespräch beinhaltet zudem offenbar (was u. a. in Seltings Kooperationsproblemen thematisiert wird) auch beidseitige Kooperativität der Interaktanten. Nach Schank (1987, 31) ist Kooperativität «die grundlegende Voraussetzung für Verständigung im Gespräch». Schank und Schwitalla (1987b, 12) streichen heraus: «Kooperative Mitarbeit in Gesprächen besteht u. a. darin, daß jene grundlegenden Postulate und Regeln eingehalten werden, die für (glückende) Gespräche überhaupt konstitutiv sind: die von der Ethnomethodologie formulierten sogenannten Basisregeln der Interaktion, die von GRICE aufgestellten sogenannten Konversationsmaximen, die pragmatischen Axiome WATZLAWICKs u. a. sowie das Imagekonzept Goffmans.» (Hervorhebung im Original)

Kooperativität kann offenbar auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. Auf einer Ebene liegt die Anwendung der so genannten Basisregeln der Interaktion (cf. Cicourel 1973): 1. Die Reziprozität der Standpunkte, also die (idealisierende) Annahme, dass der Gesprächspartner «die Dinge an meiner Stelle so sehen würde wie ich und ich an seiner Stelle entsprechend» (Holly 1979, 142) – was als «minimale Basis für kooperatives Handeln» (Schank 1987, 23) gesehen wird. 2. Die Annahme der «thematischen Relevanz dialogischer Akte» (Spiegel 1995, 32; cf. Schank/Schwitalla 1987a, 318). 3. Die «Normalformvorstellung» (Spiegel 1995, 33), die Vorstellungen, die die Gesprächspartner darüber haben, wie Handlungsmuster oder Sprecherwechsel etc. üblicherweise ablaufen. Die wechselseitigen Unterstellungen, die die Gesprächspartner bezüglich dieser Punkte machen, ermöglichen – so die Ideal-Vorstellung – einen möglichst reibungslosen Ablauf sprachlicher Interaktion.

Verständigungsprobleme und (fehlende) Kooperativität: Klärung zentraler Begriffe 

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Auf einer weiteren Ebene, auf der Kooperativität wirksam werden kann, liegen die Konversationsmaximen von Grice (1979), auf die später noch genauer eingegangen wird. Diese Formen von Kooperativität unterscheiden sich allerdings von derjenigen, die Gesprächspartner einsetzen, «wenn sie sich bemühen, anstehende Interaktionsaufgaben so zu behandeln, daß sie zur Zufriedenheit aller und möglichst ohne große Trübung der Interaktionsbeziehungen durchgeführt werden können» (Spiegel 1995, 34). Auf dieser Ebene orientieren sich Erwartungen bezüglich der Kooperation «auch an den von Goffman (z. B. 1978) dargestellten Regeln der Imagepflege als Teilaspekt der Beziehungskonstitution und -Sicherung» (Selting 1985, 76). In einem ähnlichen Sinne unterscheidet Fiehler (1999, 52) zwischen «Koordinations- und Kooperationsleistungen im Gespräch» und «kommunikativer Kooperativität». Während «kommunikative Kooperation» Fiehler (ebd., 53) zufolge bedeutet, «Äußerungen in einer den (gemeinsamen) Konventionen entsprechenden Weise auf verschiedenen Ebenen miteinander in Beziehung zu setzen», begreift er «kommunikative Kooperativität» als «ein Konzept und eine Kategorie, die die Beteiligten selbst zur Qualifizierung von Kommunikationsverhalten verwenden» (ebd., 52). Unter Verhaltensweisen, die den Eindruck kommunikativer Kooperativität konstituieren, fasst er (ebd., 54ss.): –– Leistungen, die für die gemeinsame Sache bzw. alle Beteiligten wichtig und von Vorteil sind (z. B. Aktivitäten zur Strukturierung von Gesprächen); –– Leistungen, bei denen «Aktivitäten, die im Zuständigkeitsbereich einer bestimmten Person liegen (bei denen erschließbar ist, daß sie sie tun will, oder zu denen sie verpflichtet ist)» (ebd., 55), im Dienst der gemeinsamen Sache von anderen miterbracht werden (z. B. die gemeinsame Suche nach passenden Ausdrücken, Äußerungsfortsetzung u. ä., also Aktivitäten des gemeinsamen Formulierens); –– Verhaltensweisen, die die Aktivitäten der anderen Beteiligten konturieren und hervorheben (z. B. Rückmeldungen, Bestätigungen, Wiederholungen, zügige Anschlüsse an die Partneräußerungen, Eingehen auf und thematische Fortführung von Äußerungen des anderen etc.); –– Verhaltensweisen, die eine überdurchschnittliche «Berücksichtigung der Voraussetzungen des anderen (seines Wissens, seiner Fähigkeiten, seiner Interessen) im Dienst der gemeinsamen Sache» (ebd.) leisten (Zuschnitt der Äußerungen auf den Partner, Übernahme der Perspektive des anderen, Wahl präferierter Möglichkeiten, partnerbezogene Verständnissicherung).49

49 Diese Aussagen gründet Fiehler in erster Linie auf eigene Annahmen und Beobachtungen und nur z. T. auf Rechercheergebnisse in der wissenschaftlichen Literatur (cf. ebd.).

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 Theoretische Grundlagen

Fiehler (ebd.) betont, der Eindruck kommunikativer Kooperativität entstünde allerdings erst, wenn diese Verhaltensweisen in einer bestimmten Häufigkeit oder Intensität auftreten, und weist Kooperativität damit den Charakter einer «spezifischen Modalität der Gesprächsführung» (ebd.) zu. Berührungspunkte bestehen hierbei zu kommunikativen Verhaltensweisen wie «Unterstützen» (cf. Schmitt 1998) oder «Helfen», die jedoch anders als kommunikative Kooperativität durch stellvertretendes Handeln für einen Gesprächspartner gekennzeichnet sind, sowie zum Konzept der sprachlichen Höflichkeit (cf. bspw. Brown/Levinson 1987), das jedoch nicht notwendigerweise an das Vorliegen einer gemeinsamen Sache gebunden ist (cf. Fiehler 1999, 56). Schank (1987), der sich vor allem der Beschreibung von Unkooperativität widmet, fasst vier grobe Bereiche zusammen, in denen die Dimensionen kooperativen bzw. unkooperativen Handelns greifbar werden: –– Die (Verletzung der) Konversationsmaximen von Grice (z. B. wird die Maxime der Qualität verletzt durch Lügen, unzulässige Verallgemeinerungen der Vorgängeräußerung oder die Verkehrung von Partneräußerungen ins Negative, die der Relevanz wird verletzt durch Insistieren oder Ausweichen u. ä.; cf. ebd., 70) –– Die Gesprächsorganisation: Als unkooperatives Verhalten bezüglich der Gesprächsorganisation begreift Schank (ebd., 34) es, wenn selbst die «elementaren Leistungen und Erwartungen auf der Ebene der Gesprächsorganisation kaum noch erfüllt werden». Im Einzelnen umfasst unkooperatives Verhalten hierbei lange Pausen, schwankendes Tempo, schwankende Lautstärke, die Verletzung der Sprecherwechsel-Regeln und «unkooperative Themenwechsel» (ebd.), also Themenwechsel vor Abschluss eines Themas, ohne Abstimmung oder Ankündigung (cf. ebd., 35). –– Die (gestörte) Responsivität: «Responsiv am Gespräch teilnehmen heißt im allgemeinen, auf der Thema-, Beziehungs- oder Handlungsebene auf den Vorgängerbeitrag angemessen und erwartbar einzugehen.» (ebd.). Fehlende Responsivität wird dagegen als Ausdruck fehlender Kooperativität gesehen. Hierunter fasst Schank (ebd., 35s.) z. B. eine ausweichende Reaktion auf eine Frage, so genannte «transaktionale Disqualifizierungen» (ebd., 36), also beispielsweise implizite oder explizite Vorwürfe als ausweichende Reaktion auf eine Aufforderung etc. –– Die (gestörte) Argumentation: Argumentieren fasst Schank (ebd., 36) zunächst als kooperatives Handeln auf, auch bei prinzipiell gegensätzlichen Standpunkten. Als unkooperativ dagegen begreift er «absurdes Argumentieren» (ebd., 37), wobei Intentionen des Gesprächspartners «bewusst» (ebd.) ignoriert und ad absurdum geführt

Verständigungsprobleme und (fehlende) Kooperativität: Klärung zentraler Begriffe 

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werden, sowie das Abblocken von Argumentation, beispielsweise durch Gemeinplätze, wie «Das tut man nicht» (ebd., 38), oder durch ausbleibende Reaktion (Verweigerung von Argumentation). Die Einschätzung dieser Verhaltensweisen als unkooperativ scheint bei Schank allerdings in der Regel aus einer Analysierendenperspektive zu erfolgen. Im Kontext dieser Arbeit wird verstärkt darauf zu achten sein, inwiefern die Interaktanten selbst bestimmte Verhaltensweisen als unkooperativ markieren.

4 Forschungsmethode und Datenkorpus Die Betrachtung des Forschungsstandes und der theoretischen Grundlagen, von denen diese Arbeit ausgeht, öffnet bereits den Blick für einige Fragen, denen es näher nachzugehen gilt. Bevor allerdings in Kapitel 5 ausgehend vom zur Verfügung stehenden Material selbst konkretere Forschungsfragen für die Analysen entwickelt werden können, sind zunächst einige Überlegungen zum methodischen Vorgehen anzustellen und das Korpus zu beleuchten, mit dem im Folgenden gearbeitet wird.

4.1 Ü  berlegungen zur gesprächsanalytischen Untersuchung von Verständigungsproblemen Die Vorgehensweise dieser Arbeit ist gesprächsanalytisch, wobei ergänzend auch ethnographische Daten berücksichtigt werden. Der Analysegegenstand sind also natürliche, nicht experimentell erzeugte Gespräche, die aufgezeichnet (Audioaufzeichnungen) und in Transkripten festgehalten werden. Ziel der Arbeit ist eine möglichst genaue Beschreibung von Verständigungsproblemen in authentischen Gesprächen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten, die versucht, möglichst nah an der kommunikativen Form zu bleiben. Als Ausgangspunkte können für die empirische Untersuchung von Verständigungsproblemen hier u. a. die ethnomethodologische Konversationsanalyse und die funktionale Pragmatik dienen.1 Diese Beschreibungsansätze werden zwar häufig als mehr oder weniger unvereinbar behandelt, jedoch können die aus den jeweiligen Herangehensweisen resultierenden Perspektiven einander m.E. bis zu einem gewissen Grad fruchtbar ergänzen (cf. dazu auch Rost-Roth 2002, 221). Ziel der ethnomethodologisch orientierten Konversationsanalyse2 ist die Rekonstruktion von Regularitäten in Interaktionen, die Erforschung, wie Menschen in

1 Selbstverständlich gibt es darüber hinaus weitere Ansätze der Gesprächsforschung, die hier aber nicht berücksichtigt werden (cf. dazu u. a. Brinker/Sager 2010). Ich orientiere mich hier v. a. an aktuelleren gesprächsanalytischen Arbeiten, die meinem Forschungsinteresse möglichst nahe sind, insbesondere im Bereich institutioneller Kommunikation (z. B. Selting 1987, die einen konversationsanalytischen Ansatz verfolgt) und auch betrieblicher Kommunikation (z. B. Thörle 2005, deren Ansatz ebenfalls konversationsanalytisch orientiert ist, die aber auch ethnographische Daten einbezieht) sowie speziell interkultureller Kommunikation in Institutionen (z. B. Porila/ ten Thije 2009a; b; ten Thije 2001, deren Ansatz dagegen eher funktionalpragmatisch ist). 2 Ein Überblick zur ethnomethodologischen Konversationsanalyse findet sich u. a. bei Bergmann (2010).

Zur gesprächsanalytischen Untersuchung von Verständigungsproblemen 

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unterschiedlichen Kontexten Gespräche führen, welchen Prinzipien und (impliziten) Regeln Interaktanten während der Kommunikation folgen, aber auch die Bewältigung von Interaktionsproblemen und -aufgaben (cf. Deppermann 2008). Dies wird anhand detaillierter Sequenzanalysen untersucht. Die Analyse folgt dabei dem Gesprächsverlauf Schritt für Schritt, es werden keine Informationen einbezogen, über die die Interaktanten selbst an der entsprechenden Stelle in der Interaktion noch nicht verfügen. Zudem verlangt das radikale Empirieverständnis der Konversationsanalyse, dass keine vorformulierten Fragestellungen, Konzepte und Hypothesen an das Material herangetragen, sondern diese materialgestützt entwickelt werden (cf. ebd., 11). Das übliche Vorgehen für eine fallübergreifende Analyse folgt mehreren Schritten: a) Gegenstandskonstitution (die materialgestützte Entwicklung von Fragestellungen), b) Sampling (die systematische Suche nach Fällen, die zur Klärung der entwickelten Fragestellungen geeignet sind), c) Gegenstandsanalyse (Untersuchung anhand detaillierter Sequenzanalysen), d) Wiederholung der ersten drei Schritte bis zur theoretischen Sättigung (wobei u. U. die Gegenstandsbestimmung modifiziert werden muss) (cf. ebd.). Ein methodischer Grundsatz der Konversationsanalyse besteht dabei darin, sich so weit wie möglich an den manifesten Aktivitäten der Gesprächsteilnehmer selbst zu orientieren und deren eigene Blickwinkel zu rekonstruieren. Rost-Roth (2002, 222) betont: «Empirisch kann sich die Konversationsanalyse auf das von ihr beschriebene Prinzip stützen, daß sich die Interaktionsbeteiligten auch selbst wechselseitig signalisieren, wie ihre Äußerungen zu interpretieren sind bzw. interpretiert wurden und an welchen Punkten von Kontinuitäten oder Diskontinuitäten in bezug auf die sequentielle Organisation und Textkohärenz auszugehen ist».

Dieser Ansatz, ebenso wie das sequenzielle Vorgehen bei der Analyse wird auch in der vorliegenden Arbeit verfolgt. Untersucht wird, wie oben diskutiert, was die Interaktanten selbst als Verständigungsproblem kennzeichnen und bearbeiten, Probleme sollen also nicht aus einer Analysierendenperspektive identifiziert werden. Eine seit einiger Zeit in der Gesprächsforschung diskutierte Frage ist die Frage danach, inwieweit die Konversationsanalyse durch die Einbeziehung gesprächsexterner, ethnographisch erfassbarer Daten erweitert werden kann oder sollte. Während die Konversationsanalyse in ihrer strikten Form dies ablehnt, betont Deppermann (2001) beispielsweise, eine Ergänzung durch gesprächsexternes

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 Forschungsmethode und Datenkorpus

Wissen sei für eine umfassende Interpretation von Gesprächen unabdingbar. Gerade für die Untersuchung interkultureller Kommunikation scheint es unerlässlich, zumindest stellenweise «über die Sequenzanalyse hinauszugehen und rituelle, rahmenspezifische und ethnographische Besonderheiten des Kontexts mitzuerfassen» (Kotthoff 1994, 94).3 Auch die Interaktanten selbst konstruieren und aktualisieren ggf. Sinn über die (u. U. institutionelle) Gesprächssituation. Das in dieser Arbeit verfolgte gesprächsanalytische Vorgehen bezieht sich, wie Thörle (2005, 48) es formuliert, «auf eine Analysepraxis, die ‹im Kern auf den Erkenntnissen und der analytischen Mentalität der Konversationsanalyse› beruht (Deppermann 2001, 10), die aber in gewisser Hinsicht über konversationsanalytische Fragestellungen und Vorgehensweisen hinausgeht, indem sie zum einen auch ein inhaltlich-substantielles Erkenntnisinteresse hat und zum anderen in der Konversationsanalyse unübliche Methoden, wie z. B. den Rekurs auf ethnographische Daten, integriert.»

An Stellen, an denen dies Sinn ergibt, werden daher in dieser Arbeit auch Informationen aus Interviews und einer Fragebogenumfrage sowie Feldnotizen4 zur Erklärung der in den Gesprächsanalysen beobachteten Phänomene hinzugezogen. Diese Daten werden allerdings ausschließlich als Ergänzung im Anschluss an die Gesprächsanalysen einbezogen und nicht in diese selbst eingehen. Es handelt sich in erster Linie um Selbstangaben der Interaktanten über ihre Interpretationen der und Projektionen auf die Interaktion, ihre Ansichten über einander und ihr Vorwissen (z. B. über institutionelle Gespräche im Allgemeinen) sowie um Daten wie Herkunftsland, Schulbildung und Selbstangaben bezüglich ihrer Sprachkompetenzen. Erwartet wird, dass dies zur Rekonstruktion der subjektiven Sinnzuschreibungen der Interaktanten und zu einem besseren Verständnis der beobachteten Probleme in der Interaktion beiträgt. Hierdurch werden auch Perspektiven auf die Sinnzuschreibungen wie sie neuerdings im Rahmen ethnolinguistischer und perzeptionslinguistischer Forschungen zum Gegenstand gemacht werden, eröffnet: Es wird das Sprachwissen der Interaktanten zum Thema gemacht – ihre Deutungen, Annahmen, Evaluationen und Handlungsdispositionen, kurz ihre Konzepte, die in die Behördenkommunikation Eingang finden und in ihr aktualisiert werden können.

3 Der Konversationsanalyse wird zuweilen auch vorgeworfen, bei der Beschreibung von «Regularitäten» in der Interaktion implizit von einer US-amerikanischen Norm ausgehen. 4 Als Feldnotizen werden Informationen bezeichnet, die die Behördenmitarbeiter oder Klienten mir außerhalb der Gesprächsaufnahmen ungefragt und nicht im Kontext strukturierter Interviews oder der Fragebogenumfrage mitgeteilt haben.

Zur gesprächsanalytischen Untersuchung von Verständigungsproblemen 

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In gewissem Rahmen nähert die Herangehensweise dieser Arbeit sich damit auch der funktionalen Pragmatik an. In dieser werden soziale Parameter wie ‹Wissensbestände›, ‹Kulturen›, ‹Rolle› u. ä. von vornherein in die Analysen einbezogen. Die Analyse von Verständigungsproblemen erfolgt in der funktionalen Pragmatik u. a. über die Rekonstruktion von Handlungsmustern in Gesprächsverläufen (wobei Störungen beispielsweise erkennbar werden können an Musterbrüchen oder daran, dass einzelne Musterpositionen mehrfach durchlaufen werden). Reaktionen auf Probleme werden v. a. unter dem Handlungsaspekt analysiert (reparative Handlungsmuster). Bei der Untersuchung von Verständigungsproblemen kommt hier zudem der Rekonstruktion von Wissen bzw. Wissensdivergenzen insbesondere in Bezug auf verschiedene Rollen große Bedeutung zu. Die Einbeziehung von Variablen wie ‹Wissen›/‹Wissensdivergenzen›, ‹Kultur› und auch ‹Rolle› teilt die vorliegende Arbeit in gewisser Weise. Allerdings wird hier nicht davon ausgegangen, dass diese als externe Variablen, als «soziale Fakten» (Thörle 2005, 30; Hervorhebung K.R.) bestehen, die sprachliche Strukturen einseitig beeinflussen. Stattdessen wird untersucht, ob und wenn, wie Wissensdivergenzen, Kulturzugehörigkeiten/ Interkulturalität oder auch Rollen in der Interaktion selbst relevant gesetzt werden. Konversationsanalytisch orientierte Studien zur Konstitution von Teilnehmerkategorien beispielsweise zeigen, wie diese in Gesprächen interaktiv ausgehandelt werden (cf. z. B. Kesselheim 1998; Kesselheim 2003; Hausendorf/Kesselheim 2002). In diesen Studien wird die Auffassung vertreten, dass Kontext (und damit auch kulturelle Zugehörigkeit etc.) ein gesprächsinterner Faktor ist, über dessen Relevanz in der Interaktion selbst verhandelt wird. Damit soll nicht gesagt werden, dass alles in der Interaktion verhandelbar ist, dass Rollen, asymmetrische Verhältnisse etc. ausschließlich in der Interaktion selbst hergestellt werden. Auch die Gesprächsteilnehmer selbst agieren nicht völlig frei, haben z. B. bestimmte Rollenvorstellungen und –erwartungen im Kopf, verfügen über ein bestimmtes Vorwissen (u. U. auch übereinander) – wesentlich ist jedoch, ob dies tatsächlich eine Rolle in der Interaktion selbst spielt oder wenn ja, welche. Diese Beschreibungsansätze werden also als Ausgangspunkt genommen, um sich dem Phänomen ‹Verständigungsprobleme in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten› empirisch zu nähern. Das deutsch-argentinische Gesprächskorpus, auf dem die Arbeit basiert, ermöglicht es dabei, anders als in den meisten bisherigen Arbeiten in diesem Bereich, Konstellationen, in denen die Migranten meist nicht dieselbe Muttersprache sprechen wie die einheimischen Behördenmitarbeiter (wie im deutschen Korpus), mit solchen zu vergleichen, in denen die Interaktanten zwar oftmals die gleiche Muttersprache (Spanisch), aber unterschiedliche Varietäten

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 Forschungsmethode und Datenkorpus

verwenden und zudem aus verschiedenen Herkunftskulturen stammen (wie im argentinischen Korpus). Damit kann der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis Interkulturalität und Interlingualität sowie Institutionalität stehen. Ziel der Arbeit ist es, in einem qualitativen Ansatz zu beobachten und zu beschreiben, welche Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten auftreten, wie diese sich manifestieren und wie sie bearbeitet werden. Dies an einem großen Korpus von Gesprächen zu analysieren, ermöglicht übereinzelfallspezifische Aussagen.

4.2 Datenerhebung Um eventuelle Verständigungsprobleme in der Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern anhand authentischen Datenmaterials zu untersuchen, wurden insgesamt 279 Gespräche zwischen Sachbearbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund in der Dirección Nacional de Migraciones (Ausländerbehörde) in Buenos Aires und auf mehreren Berliner Behörden (Jobcenter, Einbürgerungsbehörde, Bürgerämter) aufgezeichnet. Die Datenerhebung konzentrierte sich auf diese beiden Städte, da ein vergleichsweise hoher Migrantenanteil in der Bevölkerung darauf schließen ließ, dass Kontakte zu Migranten auch zum dortigen Behördenalltag gehören. Es werden sowohl Leistungsbehörden als auch Eingriffsbehörden (cf. BeckerMrotzek 2001, 1506) in die Studie einbezogen, so dass ein relativ breites Aufgabengebiet in den betrachteten Interaktionen gewährleistet ist. Anzumerken ist allerdings, dass durch eine Datenerhebung an Jobcentern u. U. eine bestimmte Klientengruppe im Korpus stärker vertreten ist, als es der Normalverteilung in der Gesamtgesellschaft (bzw. in der gesamten Gruppe der Migranten im jeweiligen Aufnahmeland) entspricht. Möglich ist z. B., dass sich im Korpus vergleichsweise viele Gespräche mit Migranten befinden, die aufgrund einer niedrigen Bildung und/oder aufgrund geringer Sprachkenntnisse arbeitslos sind und als Klienten am Jobcenter vorsprechen.

4.2.1 Vorgehensweise bei der Datenerhebung In der Datenerhebung wurde wie folgt vorgegangen: In einem ersten Schritt wurden qualitative, leitfadengestützte Vorinterviews mit Integrationsbeauftragten und (Abteilungs-)Leitern verschiedener deutscher und argentinischer Behörden geführt, u. a. an mehreren Jobcentern und

Datenerhebung 

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Bürgerämtern in Deutschland, an der argentinischen Ausländerbehörde, dem dortigen Arbeitsamt und einer Stelle für die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse beim argentinischen Bildungsministerium. Zudem wurden Vorinterviews mit Migranten geführt, mit Mitarbeitern eines Nachbarschaftsvereins, der Migranten bei der Eingliederung in die argentinische Gesellschaft unterstützt, und mit einem Selbstständigen, der Migranten bei Behördengängen begleitet.5 Dies diente dazu, einen Überblick über die Einschätzungen Beteiligter zur Kommunikationssituation mit Migranten an den verschiedenen deutschen und argentinischen Behörden zu erhalten, u. a. zur Entscheidungsfindung, welche Behörden in die Studie einbezogen werden sollten. Anschließend wurde im Juli und August 2008 ein Korpus von 157 Gesprächen zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund an der argentinischen Ausländerbehörde sowie von Dezember 2008 bis April 2009 ein Korpus von 122 Gesprächen an zwei Berliner Jobcentern, einer Einbürgerungsbehörde und zwei Bürgerämtern erhoben. Die Informantenauswahl verlief folgendermaßen: In Argentinien konnte – wenn dies auch nicht ganz einfach war – die Einwilligung aller Mitarbeiter der Ausländerbehörde zur Aufzeichnung ihrer Gespräche im Vorfeld eingeholt werden.6 Daher wurden anschließend die auf ein Gespräch wartenden Klienten in einer Zufallsauswahl nach ihrer Teilnahmebereitschaft gefragt und bei Einwilligung zu dem jeweiligen Schalter begleitet, an dem ihre Wartenummer aufgerufen wurde (Einzeltermine bestanden hier nicht). Dadurch sind im argentinischen Gesprächskorpus Gespräche mit vergleichsweise vielen (15) verschiedenen Behördenmitarbeitern enthalten. In Deutschland dagegen erklärten sich nur einzelne Behördenmitarbeiter zu einer Teilnahme an der Studie bereit. Daher wurden jeweils die Klienten, die von diesen Mitarbeitern aufgerufen wurden oder Einzeltermine mit diesen hatten, um ihre Einwilligung zur Gesprächsaufzeichnung gebeten. Aus diesem Grund sind an den Gesprächen im deutschen Korpus etwas weniger verschiedene Behördenmitarbeiter (10) beteiligt. Während also in

5 Die Interviews konzentrierten sich auf Fragen zum Anteil der Klienten mit Migrationshintergrund an der entsprechenden Behörde und dem nationalen und sozioökonomischen Hintergrund der größten Migrantengruppen sowie auf die Einschätzungen der Beteiligten zu eventuellen Herausforderungen oder Problemen in der behördlichen Kommunikation mit Migranten, den von ihnen selbst vermuteten Hintergründen hierfür, Aktivitäten der Behörden, um sich speziell auf die Herausforderungen einer Kommunikation mit Migranten einzustellen u. ä. 6 Dies hing auch damit zusammen, dass der Leiter der Behörde seine Einwilligung pauschal für alle seine Angestellten gab. Die einzelnen Mitarbeiter hätten also explizit einer Teilnahme widersprechen müssen – wovor einige u. U. zurückschreckten.

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 Forschungsmethode und Datenkorpus

Argentinien sowohl die Auswahl der Klienten als auch die der Behördenmitarbeiter in einer Zufallsauswahl erfolgte, trifft das in Deutschland nur auf die der Klienten zu.7 Aus den aufgezeichneten Gesprächen wurden nach einem Grobtranskript 55 Gespräche für eine detailliertere Transkription und eine eingehendere Analyse ausgewählt, in denen sich deutliche Verständigungsprobleme erkennen ließen. Das bedeutet allerdings nicht, dass in den nicht detaillierter analysierten Gesprächen keine Verständigungsprobleme beobachtet wurden. Stattdessen stellen die ausgewählten Gespräche geeignete Beispiele für im Gesamtkorpus häufiger beobachtete Probleme dar.8 Zusätzlich wurde mit allen Klienten, die an der Studie teilnahmen, eine Fragebogenumfrage durchgeführt.9

4.2.2 Gestaltung des Fragebogens Der Fragebogen enthält soziodemographische Fragen und Fragen, die sich auf die eigene Einschätzung der Klienten über die Kommunikationssituation an Behörden generell (die vor der Gesprächsaufzeichnung abgefragt wurden) und über das aufgezeichnete Gespräch im Besonderen beziehen (welche nach der Gesprächsaufzeichnung abgefragt wurden) sowie auf die vier Integrationsdimensionen von Heckmann und Tomei (1997): die strukturelle Integration (Aufenthaltserlaubnis, Eingliederung in den Arbeitsmarkt etc.), die kulturelle Integration (z. B. das Feiern von Feiertagen, das Kochen bestimmter nationaltypischer Speisen etc.), die soziale Integration (z. B. Vereinsmitgliedschaften, persönliche Kontakte u. ä.) und die identifikatorische Integration (z. B. eigene Zugehörigkeitsdefinitionen). Da ein Teil der Klienten zumindest in Argentinien nicht alphabetisiert war, wurden die Fragebögen in Gesprächen mit den Klienten gemeinsam ausgefüllt. Hierbei wurden auch einige nicht im Fragebogen abgefragte Informationen von den Klienten übermittelt, die als Feldnotizen festgehalten wurden. In ähnlicher Weise wurden als Feldnotizen Informationen festgehalten, die die Sachbearbei-

7 Es ist dabei denkbar, dass sich in Deutschland vor allem solche Behördenmitarbeiter zu einer Teilnahme an der Studie bereit erklärten, die außergewöhnlich engagiert und klientenorientiert sind. Eine solche eventuelle Verzerrung ließ sich jedoch nicht umgehen und sie erscheint im Übrigen nach einer Sichtung des Materials auch nicht sehr wahrscheinlich. 8 Gespräche, an denen ein Sprachmittler entscheidend beteiligt war, werden nicht in die Studie einbezogen, da der Fokus der Analysen auf Gesprächen mit Migranten selbst liegt. 9 Der Fragebogen wurde zuvor einzelnen Migranten in einem Pretest vorgelegt und die spanische Version von Muttersprachlern überarbeitet.

Datenerhebung 

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ter in mehreren nicht aufgezeichneten persönlichen Gesprächen (bspw. zwischen den einzelnen Gesprächsaufnahmen) äußerten.10 Die Fragebogenumfrage, die Interviews und Feldnotizen dienen in erster Linie der Ergänzung der Gesprächsanalysen. Einbezogen werden einzelne Ergebnisse, sofern sie für die Interpretation der Gespräche von Relevanz sind: v. a. biographische Daten, wie Herkunftsland, Sprachkenntnisse, Geschlecht, sowie Angaben zur Einschätzung des Gesprächs und des Gesprächspartners durch die Informanten selbst, an Stellen, an denen dies sinnvoll erscheint, z. T. weitere Angaben z. B. zur Aufenthaltsdauer im Aufnahmeland, zu bisheriger Erfahrung mit Behördengesprächen etc. Auf eine detaillierte Auswertung aller Fragen des Fragebogens und der Interviews wird in dieser Arbeit zunächst verzichtet. Im Sinne der Nachhaltigkeit der Korpora steht jedoch eine Fülle von Daten zur Verfügung, die eine Weiterarbeit an dem Material gestatten. Denkbar wäre zum Beispiel eine spätere Bearbeitung der Frage, inwieweit beobachtbare Verständigungsprobleme damit korrelieren, ob Migranten beispielsweise sozial oder kulturell eher integriert in die Aufnahmegesellschaft sind oder nicht.

4.2.3 Interviewereinfluss Hervorzuheben ist, dass sowohl bei der Aufzeichnung der Gespräche als auch bei der Fragebogenumfrage, in den Interviews und persönlichen Gesprächen sicherlich ein gewisser Interviewereinfluss gegeben ist – zumal ich mich als Aufnahmeleiterin bei den meisten Gesprächsaufzeichnungen in dem Raum oder an dem Schalter aufhielt, in/an dem das aufgezeichnete Gespräch stattfand. Es ist daher gut möglich, dass die Ergebnisse der Studie leicht verzerrt sind. Zum Beispiel ist es möglich, dass Klienten ihre tatsächliche Aufenthaltsdauer im Aufnahmeland nicht nennen wollten, wenn sie illegal eingewandert waren, oder auch, dass gerade bei den Gesprächsaufnahmen die Interaktanten sich besondere Mühe gaben, Informationen verständlich zu vermitteln, nicht unfreundlich zu erscheinen etc. (Die Sachbearbeiter könnten mich dabei als Kontrolleurin empfunden haben, die Klienten als auf der Seite der Behörde stehend.) Dieses Problem, das Labov (1980) als Beobachterparadoxon bezeichnet – «um die Daten zu erhalten, die am wichtigsten für die linguistische Theorie sind, müssen wir beobachten, wie die Leute sprechen, wenn sie nicht beobachtet werden» (ebd.) – ist kaum zu

10 Diese Informationen wurden mit dem Einverständnis der Beteiligten festgehalten. Die «Feldnotizen» werden hier nicht zugänglich gemacht, können aber auf Nachfrage zur Verfügung gestellt werden.

82 

 Forschungsmethode und Datenkorpus

umgehen. Es wird in dieser Arbeit jedoch davon ausgegangen, dass Verständigungsprobleme unabhängig davon entstehen, ob die Interaktanten sich besondere Mühe geben, und dass die Interaktanten in erster Linie damit beschäftigt sind, ihre jeweiligen Aufgaben in der Interaktion zu bearbeiten, und sich nur in geringem Ausmaß von der Datenerhebung ablenken lassen.

4.3 Datenkorpus und Kurzvorstellung der Informanten 4.3.1 Datenkorpus Die folgenden Analysen basieren auf einem Korpus von 55 detailliert transkribierten Gesprächsaufzeichnungen (23 aus Argentinien und 32 aus Deutschland), was insgesamt ca. 13 Stunden Gesprächszeit ausmacht.11 Diese wurden nach einer ersten Materialsichtung aus dem Gesamtkorpus von 279 Gesprächen ausgewählt, da sie in der Interaktion manifeste Verständigungsprobleme enthalten. Diese sind z. B. erkennbar an expliziten Äußerungen des Nicht-Verstehens durch die Interaktanten, an ausbleibenden Antworten, an Signalen der Interaktanten, dass sie die konditionelle Relevanz nicht als erfüllt sehen etc., aber auch an anderen Hinweisen auf eine gestörte Kommunikation, z. B. gegenseitiges Anschreien, Aufforderungen an den Gesprächspartner zuzuhören u. ä. Zum Korpus gehören zudem Zusatzinformationen aus der Fragebogenumfrage und den in Feldnotizen festgehaltenen Gesprächen mit den jeweils an den Aufzeichnungen beteiligten Gesprächspartnern. Hauptsächlich vertretene Themen der aufgezeichneten Gespräche sind Antragstellungen für eine Einbürgerung, Beratungsgespräche in der Arbeitsvermittlung und Meldeangelegenheiten. Die Gespräche variieren stark hinsichtlich ihrer Länge (von einer sehr kurzen Dauer von ca. 5 Minuten bis hin einer Dauer von einer bis eineinhalb Stunden). Sie finden zumeist zwischen zwei Gesprächspartnern statt (Behördenmitarbeiter und Klient), an einigen Gesprächen sind allerdings auch Begleiter der Klienten beteiligt (häufig Familienangehörige oder Freunde).

4.3.2 Die Gesprächsteilnehmer: Klienten In dem in Argentinien erhobenen Korpus befinden sich ausschließlich Gespräche mit Klienten, die selbst zugewandert sind, in dem in Deutschland erhobenen dagegen sowohl Gespräche mit Klienten, die selbst zugewandert sind, als auch

11 Die unterschiedliche Anzahl der Gespräche in den beiden Korpusteilen beruht darauf, dass im deutschen Korpus einige besonders kurze Gespräche enthalten sind.

Datenkorpus und Kurzvorstellung der Informanten 

 83

solche mit Klienten, die nicht selbst zugewandert sind, aber einen familiären Migrationshintergrund haben. Die Hauptherkunftsländer der Klienten12 in Argentinien sind: Bolivien (32 Personen), Paraguay (28), Peru (16), China (14), Kolumbien (9), Mexiko (8), Dominikanische Republik (7) sowie Spanien (7). Insgesamt sind im argentinischen Korpus Klienten aus 29 Nationalitäten vertreten. In Deutschland dagegen stammen die größten Klientengruppen aus den folgenden Ländern: Türkei (55), Deutsche mit türkischem/kurdischem Migrationshintergrund (15), Libanon (7). Insgesamt sind in diesem Korpus Personen aus 37 Nationalitäten vertreten (darunter aus asiatischen, afrikanischen, u. a. arabischen, südamerikanischen, den GUS-Staaten etc.).13 Während im argentinischen Korpus die Gruppen der männlichen Klienten (77) und der weiblichen (80) nahezu gleich groß sind, sind im deutschen Korpus deutlich mehr männliche Klienten (81) als weibliche (41). Die Gruppe der Klienten in Argentinien ist im Durchschnitt relativ jung (122 Personen jünger als 35 Jahre und 34 Personen älter), in Deutschland sind die Anteile gleichmäßiger verteilt (64 Personen jünger als 35 Jahre, 58 älter). Im argentinischen Korpus hat zudem die größte Gruppe der Klienten (73 Personen) einen höheren Schulabschluss (mehr als 9 Jahre Schulbildung) oder eine mittlere Bildung (52 Personen, 5–9 Jahre Schulbildung), 32 Klienten allerdings haben eine sehr niedrige Schulbildung (weniger als 5 Jahre). Im deutschen Korpus dagegen hat die größte Gruppe einen mittleren Schulabschluss (63 Personen), 28 Personen haben eine höhere und 14 Personen eine niedrigere Schulbildung. 17 Personen machten hierzu allerdings keine Angabe.

4.3.3 Die Gesprächsteilnehmer: Sachbearbeiter In der Gruppe der Sachbearbeiter14 befinden sich im argentinischen Korpus etwas mehr Frauen (9) als Männer (6), im Alter von 23 bis 37 Jahren (zum Zeitpunkt der Umfrage). Es handelt sich häufig um Studenten, die in Teilzeit (z. T. allerdings auch Vollzeit) an der Nationalen Ausländerbehörde arbeiten. Im deutschen Korpus dagegen sind unter den Sachbearbeitern der einbezogenen Jobcenter und Bürgerämter fast nur Frauen vertreten (9 Frauen, 1 Mann), im Alter von 38 bis

12 Die folgenden Zahlen beziehen sich auf das Gesamtkorpus, nicht auf die 55 Klienten, deren Gespräche detaillierter analysiert werden. 13 Informationen zu den Sprachkenntnissen der Klienten, deren Gespräche analysiert werden, folgen im Analyseteil der Arbeit. 14 In dieser Arbeit wird im Übrigen zur einfacheren Lesbarkeit in der Regel das generische Maskulinum verwendet. Weibliche Sachbearbeiterinnen, Klientinnen etc. sind selbstverständlich eingeschlossen.

84 

 Forschungsmethode und Datenkorpus

59 Jahren. Diese arbeiten sämtlich hauptberuflich an den entsprechenden Behörden. Darunter sind mehrere Sachbearbeiter, die ein Studium absolviert haben (4), u. a. Islamwissenschaft. Eine Sachbearbeiterin hat selbst einen Migrationshintergrund, eine weitere verfügt über Türkisch-Kenntnisse. Sämtliche Sachbearbeiter sind Einheimische, also Argentinier bzw. Deutsche. Auch wenn also einige Unterschiede zwischen den beiden Korpora bereits hier erkennbar werden (bspw. unterschiedliche Hauptherkunftsländer, Altersverteilung oder durchschnittliche Bildungsgrade der Klienten, unterschiedliche Arten der Behörden mit dementsprechend variierenden Aufgabenbereichen, unterschiedliche Herkunftsländer und Muttersprachen der jeweiligen Sachbearbeiter sowie Konstellationen, in denen Klienten und Sachbearbeiter unterschiedliche Muttersprachen sprechen, im Gegensatz zu solchen, in denen die Gesprächspartner dieselbe Muttersprache sprechen), so sind die beiden Korpora doch sinnvoll miteinander zu vergleichen, da jeweils sehr ähnliche Grundkonstellationen bestehen: In allen Fällen handelt es sich um Klienten-Sachbearbeiter-Konstellationen und zugleich um Einheimische-Einwanderer-Konstellationen mit entsprechend denkbaren Asymmetrien des Wissens, der Handlungsrechte und –pflichten, der Gesprächsziele, des Betroffenheitsgrades etc., die in vergleichbaren behördlichen Kontexten stattfinden.

4.4 Transkription Die Transkription der Gesprächsaufzeichnungen orientiert sich an den HIAT-Transkriptionskonventionen und wurde mit dem Programm Exmaralda erstellt. Die Entscheidung für HIAT erfolgte aus Gründen einer möglichst leichten Lesbarkeit auch für Nicht-Linguisten, da die Transkripte prospektiv auch für später entwickelbare Trainingsmaßnahmen, Ratgeber o. ä. für Behördenmitarbeiter und/oder Klienten verwendbar sein sollen. Daher wird in Kauf genommen, dass bei einer Transkription nach den HIAT-Konventionen bereits beim Transkribieren selbst eine gewisse Interpretationsleistung vorgenommen werden muss (bspw. die Entscheidung, ob «Sie»/«sie» groß oder klein geschrieben wird etc.). Aus diesem Grund wird anstelle einer phonetischen Umschrift eine – nur zur Verdeutlichung in Zweifelsfällen phonetisch orientierte – Notation in der Standardorthographie verwendet. Es werden nur systematische Aussprachemerkmale notiert. Bei einer Notation in der Standardorthographie stellt sich allerdings das Problem, wie mit einer nicht-muttersprachlichen Realisierung – und auch mit verschiedenen Realisierungen je nach Varietät – umgegangen wird. Hier wurden Aussprachemerkmale dann notiert, wenn sie für die Verständigung der Interaktanten relevant wurden.

Transkription 

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–– Satzzeichen werden wie in der Standardschreibweise verwendet. –– Sprecherwechsel: Partiturnotation: Untereinander stehende Zeilen sind als parallel zu lesen. –– Betonung: Auffällige Betonung wird durch Unterstreichung gekennzeichnet. –– Intonation: Auffällige Intonation wird in einer Kommentarspur vermerkt. Auf eine Darstellung anhand von Akzenten (Gravis, Akut, Zirkumflex, Caron) wird verzichtet, da Akzentsetzung in der spanischen Orthographie eine andere Bedeutung zukommt. –– Prosodische Merkmale (Lautstärke, Tempo) sind in der Kommentarspur vermerkt. –– Pausen: • sehr kurzes Stocken, •• mittleres Stocken, ••• kurze Pause (unter einer Sekunde), ((1s)) Pause von 1 Sekunde. –– Verständlichkeit: ( ): unverständliche Passage (sag ich): vermuteter Wortlaut, der aber nicht mit Sicherheit rekonstruiert werden kann Venimo(s): nicht sicher identifizierbare Laute –– Unterbrechungen: «ich woll/»: Abbruch, Selbstunterbrechung eines Sprechers –– Dehnungen: Buchstabendopplung: «jaa» –– Kommentare werden in der Kommentarspur notiert. 15 –– Sprechersiglen: Sb: Sachbearbeiter/In Sb 2;3; etc.: Zweiter (dritter) an der Interaktion beteiligte/r Sachbearbeiter/in Kl: Klient/in Kl 2;3; etc.: Zweiter (dritter) an der Interaktion beteiligte/r Klient/in K: Aufnahmeleiterin

15 An einzelnen Stellen werden auch nonverbale Handlungen notiert, die während der Aufzeichnungen, bei denen ich anwesend war, beobachtet wurden.

5 Diskussionsansatz Wie herausgestellt wurde, kommt der Kommunikation von Behördenmitarbeitern mit Migranten besondere Brisanz zu, weil diese eine besondere behördliche Kommunikation darstellt, in der einerseits Agent und Klient aufeinander treffen, und die andererseits im Migrationskontext stattfindet, d.h. mit Klienten, die größtenteils nicht in dem Land aufgewachsen sind, in dem die Behördenkontakte stattfinden, über andere institutionelle und kulturelle Erfahrungen verfügen und u. U. eine andere Muttersprache sprechen. Die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten wird in dieser Arbeit u. a. als ein Fall von Experten-Laien-Kommunikation begriffen (und nicht nur als institutionelle Kommunikation), weil ein Augenmerk darauf gerichtet wird, inwieweit Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten und damit u. U. zusammenhängende Rollenzuschreibungen in den Interaktionen relevant werden. In einem solchen institutionellen und interkulturellen Kontext1 können Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten nun in mehrfacher Hinsicht eine Rolle spielen: Der Agent verfügt über Fachwissen bezüglich der im Gespräch behandelten Themen, der Klient dagegen i.d.R. über Alltagswissen und Wissen über seinen spezifischen Fall. Der Agent kann sich zudem auch als Angehöriger der (u. U. den «legitimen» Kontext definierenden) kulturellen Mehrheit präsentieren und spricht die Sprache, in der das Gespräch stattfindet, muttersprachlich, der Klient u. U. nicht. Demnach können mehrere Arten von Problemen entstehen, sich akkumulieren und sogar zum Scheitern der Kommunikation führen. Zum einen kann das Vorwissen des Klienten über Hintergründe und Erfordernisse institutionellen Handelns von dem in der Aufnahmegesellschaft etablierten abweichen, was die Kommunikation in der Folge erschweren kann (cf. Rehbein 1985a, 18s.). Durch besonders ausgeprägte Perspektivenunterschiede werden auch die Antizipation der Perspektive des Gegenübers und die Adaptation daran beeinträchtigt. Der common ground zwischen den Interaktanten ist unter Umständen noch geringer als in einer Behördenkommunikation ohnehin. Hierbei können auch unterschiedliche kulturelle Erfahrungen eine Rolle spielen. Zudem können Probleme aufgrund unterschiedlicher Sprachkompetenzen hinzutreten: Bezüglich des reinen Verstehens (bei Sprachkontakt) sowie – auch bei gleicher Muttersprache – bezüglich der Sozialsymbolik (z. B. Akzente, Ethnolekte) und der pragmatischen Rollen-

1 Wie bereits herausgestellt wurde, wird allerdings zu diskutieren sein, inwieweit Institutionalität und Interkulturalität die Kommunikation tatsächlich charakterisieren.

Diskussionsansatz 

 87

kommunikation. Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten können also in zwei oder sogar drei verschiedenen Bereichen bestehen und zu überbrücken sein: dem fachlich-institutionellen,2 dem kulturellen und u. U. dem sprachlichen. Zu untersuchen wird allerdings sein, inwiefern Wissensdivergenzen in der Interaktion selbst jeweils relevant gesetzt werden und tatsächlich zum Tragen kommen. Wie bereits hervorgehoben wurde, wird in bisherigen Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten häufig nicht zwischen diesen verschiedenen Bereichen, in denen Wissensdivergenzen auftreten können, unterschieden. Gerade zwischen institutionellen und interkulturellen Aspekten wird oft keine klare Unterscheidung getroffen (Fallgrube der «maximal interpretation», Koole/ten Thije 1994). Auch in den Arbeiten aber, die eine solche Differenzierung vornehmen, werden meist sprachliche und kulturelle Aspekte zu interkulturellen zusammengefasst und auch in der Analyse kaum getrennt betrachtet.3 Die drei Bereiche sind sicher teilweise miteinander verwoben. Gerade zwischen dem sprachlichen und dem kulturellen Bereich besteht ein enger Zusammenhang. Dennoch weist eine erste Durchsicht des Materials darauf hin, dass eine Differenzierung für die Analyse sinnvoll ist. Zum Beispiel lässt sich ein Unterschied sehen zwischen Problemen, die mit reinen Sprachkompetenzen zusammenhängen (wenn ein Klient beispielsweise ein Wort in der entsprechenden Fremdsprache nicht kennt) und solchen, die zumindest auch mit kulturellem Wissen zusammenhängen (beispielsweise über – u. U. sprachlich transportierte – kulturelle Konzepte) – was vor allem für die Bearbeitung des Problems in der Interaktion von Bedeutung sein dürfte. Es wird also zu prüfen sein, inwiefern Verständigungsprobleme in diesem Kontext mit (systematischen) Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten in diesen drei Bereichen zusammenhängen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei

2 Wenn im Folgenden von fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen gesprochen wird, sind damit Wissensunterschiede zwischen den Interaktanten gemeint, die mit einem bestimmten Fach- und Handlungswissen zusammenhängen, das sich speziell auf den Behördenkontext bezieht. 3 Darauf, dass eine solche Differenzierung sinnvoll sein kann, verweist aber beispielsweise Rost-Roth (2006, 208), die in einer Untersuchung zu interkulturellen Beratungsgesprächen im universitären Kontext unterscheidet zwischen a) allgemeinen Verstehensproblemen, die in jeder Konversation auftreten können, b) Verstehensproblemen, die mit dem institutionellen Setting zusammenhängen, c) Verstehensproblemen, die auf unterschiedliche Sprachkompetenzen zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern zurückgeführt werden und d) Verstehensproblemen, die auf «culture-specific knowledge and to cultural contrasts in action-related norms and expectations» (ebd.) zurückgeführt werden.

88 

 Diskussionsansatz

darauf gelegt, welchen Einfluss es auf die Kommunikation hat, wenn die Interaktanten dieselbe Muttersprache (in verschiedenen Varietäten) sprechen. Empirisch soll die Bedeutung ermittelt werden, die den Einflussgrößen Interkulturalität, Interlingualität und Institutionalität für die Verständigung zukommt. Bei der Betrachtung des Forschungsstands zur (interkulturellen) Behördenkommunikation zeigt sich, dass verschiedene Problembereiche beschrieben werden: –– einerseits Verstehensprobleme –– andererseits Probleme, die auf unterschiedlichen Erwartungen der Interaktanten basieren (z. B. Kooperationserwartungen, cf. Selting 1987), –– Probleme, die die Rollenaushandlung betreffen bzw. Erwartungen, die an diese Rollen geknüpft sind (cf. z. B. Ciapuscio/Kesselheim 1997), –– und ein oft als problematisch beschriebenes Machtverhältnis zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten, insbesondere mit Migrationshintergrund. Gerade für die Kommunikation mit Migranten ist anzunehmen, dass das gegenseitige Verstehen mitunter problematisch wird, wenn Wissensdivergenzen in den verschiedenen Bereichen sich bemerkbar machen. Es wird aber auch zu fragen sein, inwieweit auch dann Probleme in der Verständigung zu beobachten sind, wenn die Interaktanten einander prinzipiell verstehen und Wissensdivergenzen vielleicht kaum zum Tragen kommen. Das reicht etwas weiter als das, was in der Regel als Experten-Laien-Kommunikation betrachtet wird. Denkbar wären beispielsweise Probleme, die aufgrund unterschiedlicher Kooperations- oder Rollenerwartungen entstehen – was zwar mit Wissensdivergenzen zusammenhängen mag, aber vermutlich nicht allein damit. Auch ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den Interaktanten, was mehrfach als problematisch beschrieben wird (wobei dem Behördenmitarbeiter eine Machtposition zugeschrieben wird), kann in der Interaktion selbst als problematisch gekennzeichnet werden. Zu fragen ist hier allerdings zunächst, inwieweit entsprechende Rollen in der Interaktion ausagiert werden, ob sich ein asymmetrisches Verhältnis manifestiert, in dem dem Behördenmitarbeiter eine Machtposition zugeschrieben wird, und wie dies ggf. geschieht. Anschließend kann untersucht werden, wie Klienten darauf reagieren, ob sie sich z. B. dagegen wehren, wütend werden, ob sich hier unterschiedliche Rollenerwartungen zwischen den Interaktanten zeigen.4 So lässt sich aus dem Blickwinkel der Gesprächsteilnehmer selbst, statt aus einer Analysierendenperspektive, der Frage nachgehen, ob sich hier ein Problem ausmachen lässt.

4 Wenn Klienten eine «Machtposition» des Behördenmitarbeiters akzeptieren, dürfte schließlich kein Problem daraus entstehen.

Diskussionsansatz 

 89

Eine Interdependenz zwischen Verstehensproblemen, unterschiedlichem Wissensumfang, verschiedenen Erwartungen und Interpretationen der jeweiligen Rollen dürfte die Gefahr eines Misserfolgs vergrößern und den Kommunikationsaufwand in Bezug auf Reparaturen, Korrekturen, face work etc. erhöhen. Auf diese Weise wird eine möglichst umfassende Untersuchung der in diesem speziellen Kontext zu beobachtenden Verständigungsprobleme angestrebt, womit die Arbeit über viele bisherige Untersuchungen auf diesem Gebiet hinausgeht. Dabei soll keine Typisierung von Verständigungsproblemen erzielt, sondern v. a. erforscht werden, wie Probleme entstehen und welche Möglichkeiten die Interaktanten selbst finden, um diese zu bearbeiten. Zentrale Fragen der Arbeit sind: In welchen Bereichen bestehen Verständigungsprobleme zwischen den Interaktanten? Worin genau bestehen sie? Welche Rolle spielen Wissensdivergenzen und welche mangelnde (bzw. differente) Sprachkompetenzen? Inwieweit gehen Verständigungsprobleme über Wissensdivergenzen hinaus, inwieweit basieren sie auf unterschiedlichen Erwartungen der Interaktanten und auf dem interactional management sozialer Rollen? Wie werden die jeweiligen Probleme bearbeitet? Aus den Analyseergebnissen sollen zudem einige Implikationen für eine verbesserte Kommunikation in diesem Kontext abgeleitet werden. Ziel dieser Arbeit ist es allerdings zunächst nicht, ein konkretes Trainingskonzept zu entwickeln.

6 A  nalysen I: Verstehensprobleme Verstehensprobleme in der Interaktion zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund – Wissensdivergenzen in drei Bereichen? Die folgenden Kapitel widmen sich der empirischen Untersuchung von Verständigungsproblemen in der Kommunikation zwischen Klienten mit Migrationshintergrund und Behördenmitarbeitern in den beiden betrachteten Ländern, Deutschland und Argentinien. Zunächst werden Verstehensprobleme, die sich in den für diese Arbeit aufgezeichneten Gesprächen beobachten lassen, deren mögliche Hintergründe und Reaktionen darauf näher betrachtet. Als problematische Stellen im Gespräch werden dabei solche gewertet, in denen die Interaktanten selbst ein Bearbeitungsbedürfnis signalisieren, in denen also beispielsweise a) von den Interaktanten explizit Unverständnis angesprochen wird oder b) Pausen auftreten, die vom jeweiligen Gesprächspartner als auffallend markiert werden (wenn z. B. auf ein Angebot zur Turnübernahme keine Turnübernahme erfolgt und der erste Sprecher daraufhin selbst wieder das Wort ergreift, nachfragt o. ä.) oder aber c) ein inhaltlicher Bruch in der Kommunikation vorkommt, der von den Interaktanten selbst als solcher charakterisiert wird, z. B. eine Antwort, die sich nicht auf die vorangegangene Frage bezieht, wenn also die konditionelle Relevanz nicht erfüllt wird. Ein Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass die Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern sich besonders schwierig gestalten kann, weil Wissensdivergenzen zwischen Behördenmitarbeitern und den Klienten mit Migrationshintergrund, in drei Bereichen zu überbrücken sein können: dem fachlichen, dem kulturellen und dem sprachlichen. Die Frage dabei ist jedoch, ob und wie diese in der Interaktion selbst relevant werden. Daher wird im Folgenden untersucht, inwiefern Verstehensprobleme mit solchen Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten bezüglich fachlichinstitutionellen Wissens (z. B. Wissen über behördliche Abläufe), kulturellen Wissens (z. B. Wissen über bestimmte kulturelle Praxen) oder der Sprache zusammenhängen. Das bedeutet, dass bei den analysierten Gesprächssequenzen, in denen Verstehensprobleme auftreten, jeweils genau untersucht wird, inwieweit Probleme interkulturell, inwieweit interlingual und inwieweit eher institutionell

Analysen I: Verstehensprobleme 

 91

bedingt sind. Rein akustische Verstehensprobleme werden nicht einbezogen, da diese nicht mit Wissensdivergenzen zusammenhängen.1 In den Interviews und der Fragebogenumfrage, die die Gesprächsanalysen ergänzen, vermutet zumindest in Deutschland ein Großteil der Informanten selbst, Probleme in der Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern entstünden zu großen Teilen aufgrund unterschiedlicher Sprachkompetenzen. Immer wieder werden mehr Übersetzer oder fremdsprachliche Informationsbroschüren gefordert, in Trainings und Handbüchern für Behördenmitarbeiter (cf. z. B. Bundesverwaltungsamt 2002) oft geraten, sich sprachlich so einfach wie irgend möglich auszudrücken. Porila (2006, 83) empfiehlt beispielsweise die direkte Rede «als besonders anschauliches sprachliches Mittel». Zunächst wird daher untersucht, inwiefern Verstehensprobleme mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen der Interaktanten zusammenhängen, wie diese sich ggf. manifestieren und wie mit ihnen umgegangen wird. Anschließend wird der Zusammenhang zwischen Verstehensproblemen und kulturellen sowie fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen betrachtet. Hierfür wurden in einem Vor-Schritt zunächst in einer Grobanalyse der 55 detaillierter transkribierten Gespräche des Korpus verschiedene Phänomene beobachtet und Kollektionen ähnlicher Phänomene erstellt. Im Folgenden werden Ausschnitte aus einzelnen dieser Gespräche detaillierter analysiert, die als geeignete Beispiele für die beobachteten Verstehensprobleme angesehen werden können. Die Sortierung erfolgt dabei nach den möglichen Hintergründen oder «Ursachen» der Probleme. Die entsprechenden Probleme treten in der Regel in einer größeren Anzahl an Gesprächen (und hierin oftmals mehrfach) auf. Ein Anspruch auf Repräsentativität wird hier nicht erhoben, jedoch dürften sich zumindest Hinweise auf typische Verstehensprobleme in dem hier betrachteten Kontext ausmachen lassen. Für die Analyse lokaler Verstehensprobleme (cf. Selting 1987) ist es ausreichend, kürzere Ausschnitte aus den Gesprächen heranzuziehen. An späterer Stelle dieser Arbeit, wenn globalere Probleme (cf. ebd.) untersucht werden,

1 Gleichwohl können akustische Verstehensprobleme u. U. häufiger auftreten, wenn einer der Gesprächspartner fremdsprachlich agiert, da Muttersprachler auch bei akustisch schwer verständlichen Äußerungen möglicherweise leichter Rückschlüsse auf das Gesagte ziehen können (cf. Rost-Roth 2002, 236). Zudem ist hier zu bemerken, dass akustische Verstehensprobleme zumindest in den Gesprächen des argentinischen Korpusteils vermutlich häufig auftreten, da an der argentinischen Ausländerbehörde sämtliche Gespräche an Schaltern in einem großen Raum stattfinden, in dem sich zugleich die Wartenden (samt ihrer Angehörigen, v. a. Kinder) aufhalten, sodass ein konstant hoher Lautstärkepegel gegeben ist.

92 

 Analysen I: Verstehensprobleme

die die Beziehungsaushandlung zwischen den Interaktanten betreffen und für deren Betrachtung der Interaktionskontext besonders wichtig ist, werden jedoch längere Gesprächssequenzen bzw. vollständige Gespräche für Einzelfallanalysen herangezogen.

6.1 Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen Wie sehr im Extremfall unterschiedliche Sprachkompetenzen der Interaktanten das gegenseitige Verstehen tatsächlich negativ beeinflussen können, zeigt bereits ein erstes Beispiel, ein Ausschnitt aus einem Gespräch an einem Bürgeramt, Abteilung Meldeangelegenheiten, zwischen einer deutschen Sachbearbeiterin (Sb) und einem bengalischen Klienten (Kl). Es handelt sich um den Beginn des Gesprächs und die Klärung des Anliegens des Kl. Beispiel 1: P (Person) 93 dt. [1] Sb [v]

Die Nummer?

Oke. Was kann ich für Sie tun?

Kl [v]

Hier. KI gibt Sb die Wartenummer

Kl [k]

Kl gibt Sb ein

[2] Sb [v] Kl [k]

Sie wolln sich anmeldn ja? Denn brauch ich ma Ihrn Pass bitte. ((3s)) Den Formular.

[3] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

Pass.

Ham Sie denn vorher schon in Deu/in Ähm. reagiert nicht auf die Bitte nach dem Pass

[4] Sb [v]

Berlin gewohnt?

Verstehn Sie mich überhaupt? ((3s)) Na denn solltn

Kl [v]

Das.

Kl [k]

zeigt auf das Formular

 93

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

[5] Sb [v]

Se mit nem Dolmetscher vorbeikomm. ((2,5s)) Hm.

Da fehlt aba noch allerlei. • • Da bezieht sich auf das Formular

Sb [k]

[6] Sb [v]

fehlt • noch so gut wie alles.

Was/ • • was soll dis Foto? • • Kl hält Sb ein Foto hin.

Kl [k]

[7] Sb [v]

Was/Was soll dis Foto?

Kl [v]

Warum? • • Was wolln Sie mit dem Foto jetz machn? Ja.

Ja.

[8] Sb [v]

Was

• Sie mit dem Foto jetz machn wolln.

Kl [v]

Warum • legn Sie mir dis ((2s)) Mmm.

[9] Sb [v] Kl [v]

Foto vor?

Ja warum? ((1,5s)) Fottoo.

Ja warum? ((2,5s)) Mm • ja.

• • Sie • • • Mmm.

[10] Sb [v]

solltn mit eim Dolmetscher wiederkomm. • • Weil hier fehlt auch noch allerlei.

[11] Sb [v]

((3s)) Hmhm. Sb sieht sich das Formular an und tippt etwas.

Sb [k] Kl [v]

Wenn Sie mich

((2s)) Jaa. • • • Bit te ähh—

[12] Sb [v] Sb [k] Sb2 [v]

nich verstehn— tippt weiter Ick kann ihm dat nich erklärn. (lacht) Ich hab hier noch so viel

94 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[13] Sb [v]

Und das Foto weiß ich au nich warum.

Kannst du mir Sb blättert in den Unterlagen.

Sb [k]

[14] Sb [v]

helfn Sandra?

Sb [k]

Name geändert

Sb3 [v]

Übersetzn?

Was denn?

Kann sie nich/ Kannst du nich gut Englisch

[15] Sb3 [v] vielleicht? K [v]

Ja? Ich kann—

Also wenn dis oke is.

In diesem Gesprächsausschnitt zeigt sich eine Reihe von gegenseitigen Verstehens­ problemen. Das Gespräch beginnt zunächst ohne eine konventionelle Begrüßung, indem die Sb eine Frage nach der Wartenummer des Kl stellt, was auch nonverbal durch das Überreichen des Nummernzettels «beantwortet» werden kann. Allerdings gibt der Kl auch auf die den Hauptteil des Gesprächs einleitende Frage der Sb «Was kann ich für Sie tun» (in Partiturfläche 1: PF 1) keine (verbale) Anliegensdarstellung, sondern überreicht mit dem einzeln stehenden deiktischen Verweis «hier» ein Formular. Aus diesem schließt die Sb offenbar, dass der Kl eine Anmeldung vornehmen möchte und setzt zu einer Inferenzüberprüfung (cf. Kindt 1984) an, indem sie mit der tag question «ja?» zumindest formal um Bestätigung ihrer Schlussfolgerung bittet: «Sie wolln sich anmeldn ja?» (PF 2). Dass der Kl nicht mit dem konventionell erwarteten Rückmeldeverhalten reagiert, fällt nicht weiter auf, da die Sb unmittelbar an ihre eigene Äußerung anschließend mit der Bearbeitung des angenommenen Anliegens beginnt, indem sie um den Pass des Kl bittet. Auf diese Bitte folgt allerdings eine drei Sekunden lange Pause, die dem Kl zugeordnet werden kann, da er offenbar weder den Pass überreicht noch die Möglichkeit zur Turnübernahme ergreift. Da derartiges Schweigen (ohne erkennbare nonverbale Handlung) als implizite Problemmanifestation (cf. Selting 1987, 56s.) aufgefasst werden kann, wird an dieser Stelle im Gespräch erstmals ein Problem manifest. Die Sb wiederholt daraufhin ihre Aufforderung, den Pass zu überreichen, allerdings diesmal ohne syntaktische Einbettung des Objekts: «Den Pass» (PF 2, 3). Wieder reagiert der Kl aber nicht mit der Überreichung des Passes und signalisiert gleichzeitig durch das einzeln stehenbleibende Verzögerungssignal «ähm» sein Verstehens­

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

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problem. Die Sb versucht nun jedoch nicht, das Problem zu bearbeiten, sondern es zu umgehen. Sie fragt nach den einzelnen Informationen, die sie dem Pass entnehmen wollte: «Haben Sie denn vorher schon in Deut/in Berlin gewohnt?»­ (PF 3, 4) (mit der Partikel denn wird die Berücksichtigung des Kontextes der Äußerung durch die Sb signalisiert, gleichzeitig aber auch ein ebensolcher Kontext­ bezug vom Gegenüber eingefordert, cf. Weydt 2006). Die Reaktion des Kl jedoch – wieder ein deiktischer Verweis auf das übergebene Formular «das» – erfüllt weiter die konditionelle Relevanz nicht. Die Sb reagiert daher mit einer metakommunikativen Frage: «Verstehn Sie mich überhaupt?» (wobei die Generalisierung «überhaupt» verstärkend wirkt). Spätestens an dieser Stelle zeigt sie also an, dass sie nunmehr von einem Verstehensproblem ausgeht, das auf mangelnden (ihrer Äußerung «Verstehen Sie» zufolge rezeptiven) Sprachkompetenzen des Kl beruht. Auch im Anschluss an diese Frage entsteht eine drei Sekunden lange Pause, die dem Kl zuzuordnen ist. Das Ausbleiben einer Antwort des Kl bestärkt die Sb offenbar in ihrer Vermutung, er verfüge über unzureichende Sprachkompetenzen. Dies wird daran deutlich, dass sie an dieser Stelle eine erste Gesprächsbeendigungsinitiative durchführt, in der sie den Klienten auffordert, mit einem Dolmetscher wiederzukommen (PF 4, 5). Die Gesprächsbeendigungsinitiative scheitert jedoch, und zwar daran, dass der Kl in keiner Form darauf eingeht (weder verbal noch nonverbal, bspw. durch Verlassen des Raumes). Nach einem Verzögerungssignal «hm» zeigt die Sb daher doch eine Grundbereitschaft, das Anliegen des Kl zu bearbeiten, da sie sich offenbar das Formular anschaut. Gleichzeitig betont sie jedoch – angezeigt durch die adversative Konjunktion «aba» – die Problematik der Anliegensbearbeitung: «Da fehlt aba noch allerlei. Da fehlt noch so gut wie alles» (PF 5, 6). Aus dem Gespräch wird an dieser Stelle nicht ganz klar, ob der Kl die Äußerung der Sb, dass noch etwas fehle, versteht oder nicht. Zumindest aber überreicht er ihr wiederum wortlos ein Foto, das die Sb zur Bearbeitung des von ihr angenommenen Anliegens «Anmeldung» allerdings offenbar nicht benötigt. Ihre Verwirrung bzw. ihr Verständnisproblem über den Grund, aus dem der Kl ein Foto überreicht, signalisiert sie durch die explizite Rückfrage in PF 6: «Was/ • • was soll dis Foto? • • » (Selbstunterbrechung, Neuansatz, mehrfaches kurzes Zögern). Verstärkt wird der Eindruck von Verwirrung dadurch, dass die Sb diese Frage anschließend noch einmal in fast identischer Form wiederholt (PF 7). Die bestätigende Antwort des Kl, «ja» ohne weitere Ausführung, erfüllt die konditionelle Relevanz der Frage nicht, was die Sb ihm auch signalisiert, indem sie noch einmal nachfragt «Warum?» (PF 7). Das erneute Schweigen lässt auf weiter bestehende Verstehensprobleme des Kl schließen. Die Sb erkennt das offenbar und versucht eine anderes Mittel der

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 Analysen I: Verstehensprobleme

Verständnissicherung, indem sie eine erweiterte Paraphrase ihrer zuvor gestellten Frage anfügt, in der der Kl als Subjekt des Satzes direkter angesprochen wird: «Was wolln Sie mit dem Foto jetz machn?». Dies entspricht in etwa dem, was Hinnenkamp (1989) unter «lexikalische und semantische Klarifizierungsstrategien» fasst. Es entsteht allerdings der Eindruck, dass der Kl nur die Referenz auf das zentrale Objekt Foto versteht, da er erneut mit «ja» antwortet, womit wiederum die konditionelle Relevanz nicht erfüllt wird. Nochmals reagiert die Sb darauf mit einer leicht abgewandelten Wiederholung ihrer Frage, in der sie zum einen das Interrogativpronomen «was» durch stärkere Betonung und ein kurzes Stocken nach dem Wort prosodisch hervorhebt und zum anderen durch Inversion das Subjekt des Satzes betont: «Was • Sie mit dem Foto jetz machn wolln» (PF 8). Auch auf diesen Versuch der Verständigungssicherung erfolgt jedoch keine Antwort des Kl, sondern zunächst ein zwei Sekunden langes Schweigen und anschließend lediglich ein vager Zustimmungslaut oder auch ein Signal des Überlegens «mm». Noch einmal versucht die Sb, mithilfe einer Paraphrase ihrer Klärungsnachfrage Verstehen bzw. Verständigung herzustellen (PF 8, 9). Wiederum hebt sie dabei durch eine kurze anschließende Pause das Fragewort («warum») hervor, allerdings wird hier damit in betonter Weise eine Kausalbeziehung erfragt. Mit dieser Frage bezieht die Sb sich nun zudem direkt auf die Aktivität des Foto-Überreichens und senkt damit (zumindest etwas) den Abstraktionsgrad der Frage. Jedoch schweigt der Kl wiederum 1,5 Sekunden und wiederholt anschließend lediglich das Referenzobjekt «Fottoo». Der Eindruck verfestigt sich, dass der Kl ausschließlich diesen zentralen Begriff der bisherigen Äußerungen durch die Sb verstanden hat. Zudem weisen seine äußerst kurzen, nur jeweils ein Wort enthaltenden Äußerungen auch auf sehr geringe Sprachproduktionskompetenzen hin. Er kann offenbar sein Anliegen und auch sein Verstehensproblem nicht (für die Sb verständlich) formulieren. Zwei letzte Ansätze zur Verstehensherstellung versucht die Sb, indem sie zweimal – nun allerdings in sehr verkürzter Form – erneut nach dem Grund für das Überreichen des Fotos fragt: «Ja warum?» (PF 9). Die Bestätigungspartikel ja signalisiert zumindest eine formale Bestätigung der Klientenäußerung und damit den Bezug auf diese (cf. Weydt 2006). Auf beide Fragen erhält sie allerdings keine Antwort, die die konditionelle Relevanz erfüllt. Der Kl antwortet wiederum mit Zögern, einem Verzögerungs- oder Zustimmungslaut «mm» und der Bestätigung «ja». An dieser Stelle beschließt die Sb offenbar, dass eine Weiterführung des Gesprächs in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt nicht sinnvoll ist, was sie anzeigt, indem sie eine erneute Gesprächsbeendigungsinitiative einleitet – die fast wörtlich ihrer ersten Gesprächsbeendigungsinitiative in Partiturfläche 4 und 5 entspricht: «Sie solltn mit eim Dolmetscher wiederkomm» (PF 9, 10). Die damit

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ausgesprochene Ablehnung der Bearbeitung des Klientenanliegens wird abgemildert durch eine angefügte Begründung: «• • Weil hier fehlt auch noch allerlei» (PF 10). Die Partikel auch zeigt dabei an, dass die Sb offenbar aus zwei Gründen nicht mit dem Gespräch fortfahren möchte: wegen der als unzureichend empfundenen Sprachkenntnisse des Kl (worauf die Forderung nach einem Dolmetscher hinweist) und wegen des noch kaum ausgefüllten Formulars, dessen Bearbeitung dementsprechend aufwendig wäre. Ob die Reaktion des Kl «((2s)) Jaa. • • • Bitte ähh—» Verstehen anzeigt oder nicht, bleibt offen, seine angesetzte, aber nicht fortgeführte Bitte führt nicht zu einer direkten Reaktion der Sb. Sie schaut sich das Formular zwar noch einmal an, setzt aber nur noch einmal mit einem auf den Grund ihrer Gesprächsbeendigungsinitiative verweisenden Konditionalsatz an, der nicht zu Ende geführt wird: «Wenn Sie mich nich verstehn– » (PF 11, 12). Ab diesem Zeitpunkt spricht die Sb nicht mehr direkt mit dem Kl, verweigert das Gespräch also vollständig. Stattdessen schaltet sich nun eine andere Kollegin ein, spricht aber ausschließlich zur Sb – was dadurch angezeigt wird, dass in der dritten Person Singular über den Kl gesprochen wird sowie durch den im vorherigen Gesprächsteil nicht verwendeten Dialektgebrauch – «Ick kann ihm dat nich erklärn» (PF 12). Daraufhin betont die Sb selbst noch einmal, indem sie nun ebenfalls in der dritten Person Singular über den Kl spricht, dass sie zudem nicht wisse, weshalb er ihr ein Foto übergeben habe, fasst damit also die gegenseitigen Verstehensprobleme des Gesprächs abschließend zusammen und beendet jegliche Versuche, doch noch – in deutscher Sprache zumindest – Verstehen herzustellen. Anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass die Sb in diesem Gespräch nicht unnötigerweise auf einem für das Hauptthema des Gesprächs irrelevanten Problem beharrt, indem sie immer wieder nach dem Grund für das Überreichen des Fotos fragt. Stattdessen kann sie dies nicht übergehen, da sie sich das gesamte Anliegen des Kl – die Anmeldung – selbst lediglich aus dem überreichten (aber kaum ausgefüllten) Formular erschlossen hat (der Klient hat sein Anliegen schließlich mit keinem Wort geäußert). Die Tatsache, dass der Kl ihr nun ein Foto gibt, kann also ein Hinweis darauf sein, dass er doch ein anderes Anliegen hat und ist damit tatsächlich zentral für die Fortführung des Gesprächs. Ab diesem Moment beschließt die Sb, das Gespräch auf Englisch fortzuführen, was sie selbst aber offenbar nicht vornehmen kann. Daher fragt sie nun also danach, wer vom Englischen ins Deutsche und umgekehrt übersetzen könne. Die oben gezeigte Sequenz endet an dieser Stelle, da das Gespräch anschließend ausschließlich auf Englisch weitergeführt wird. Zuletzt scheitert es allerdings trotzdem, da der Kl auch kaum Englisch spricht. Die Verstehensprobleme in dieser Gesprächssequenz lassen sich offenbar tatsächlich auf unterschiedliche Sprachkompetenzen der Interaktanten zurück-

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 Analysen I: Verstehensprobleme

führen. Das wird daran deutlich, dass der Kl offensichtlich Probleme hat, ebenso (rezeptiv) die Fragen der Sb zu verstehen, wie auch (sprachproduktiv) sein Anliegen – und seine Verstehensprobleme – zu formulieren. Aus den wenigen EinWort-Äußerungen des Kl versteht die Sb nicht, was sein Anliegen ist. Die Sb versucht diverse pro- und retrospektive Verständigungssicherungsverfahren (cf. Kindt 1984) – Inferenzüberprüfung, wörtliche Rephrasierung, Paraphrasierungen, metakommunikative Fragen, klärende inhaltliche Rückfragen etc. – aber sämtliche Versuche, ebenso wie ihre Gesprächsbeendigungsinitiativen, scheitern, weshalb sie zuletzt das Gespräch vollständig verweigert und an eine andere Person abgibt, die es auf Englisch weiterführt. In diesem Beispiel verfügt der Klient eindeutig über derartig geringe Kompetenzen in der Sprache, in der das Gespräch zunächst geführt wird, dass das Gespräch nicht in dieser Sprache weitergeführt wird (und letztlich sogar abgebrochen wird). Das stellt allerdings eine Ausnahme dar. In fast allen anderen Gesprächen des Korpus – bis auf ein sehr ähnlich ablaufendes Gespräch des argentinischen Korpus, in dem ein Gespräch mit US-amerikanischen Klienten zunächst auf Spanisch, ab einem bestimmten Punkt aber auf Englisch geführt wird und ein weiteres aus dem argentinischen Datensatz, das nur mit einem Dolmetscher geführt werden kann – beherrschen die Klienten die Sprache, in der die Gespräche geführt werden, zumindest soweit, dass eine Kommunikation überhaupt möglich ist. Trotzdem verfügen die Interaktanten oftmals über unterschiedliche Sprachkompetenzen, was zu (lokalen, cf. Selting 1987) Verstehensproblemen führen kann. Hier wird bewusst von unterschiedlichen, nicht von «mangelnden» Sprachkompetenzen gesprochen, da eine von außen herangetragene Wertung vermieden werden soll, insbesondere bei der Analyse möglicher Verstehensprobleme zwischen Gesprächspartnern, die unterschiedliche Varietäten ein und derselben Sprache muttersprachlich sprechen. Es ist aber durchaus wahrscheinlich, dass die Interaktanten selbst – insbesondere bei Fremdsprachigkeit eines Klienten – eine derartige Wertung vornehmen und die Sprachkompetenzen des Sachbearbeiters als «vollständig» und damit als Orientierungsgröße auffassen, die Kompetenzen des Klienten dagegen als hiervon abweichend oder als «mangelnd» einstufen, sofern sich damit verbundene Verstehensprobleme manifestieren. Aus Analysierendenperspektive jedoch soll hier keinesfalls eines «Schuldzuweisung» für das Entstehen von Problemen vorgenommen werden. Wie bereits bemerkt, ist der in der Literatur oft verwendete Bergiff des «Problemverursachers» mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen, da Verstehensprobleme, die mit als abweichend eingestuften Sprachkompetenzen der Klienten zusammenhängen, zugleich natürlich auch immer mit nicht ausreichend an die Kompetenzen des Gegenübers angepassten (recipient design) Formulierungs- bzw. Verstehenskompetenzen der Behördenmitarbeiter zusammenhängen.

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Zu unterscheiden ist zudem zwischen als abweichend eingestuften sprachproduktiven und -rezeptiven Kompetenzen der Klienten. Diese Unterscheidung ist wesentlich, da im ersten Fall die Folge sein kann, dass die Klienten die Behördenmitarbeiter nicht oder missverstehen, im zweiten Fall aber, dass umgekehrt die Sachbearbeiter die Klienten nicht (in der intendierten Weise) verstehen. Wie später noch deutlicher wird, kann je nachdem auch anders mit den Verstehensproblemen umgegangen werden, andere «Lösungsvorschläge» können ratsam sein.

6.1.1 Rezeptive Sprachkompetenzen Verstehensprobleme, die mit (als abweichend eingestuften) rezeptiven Sprachkompetenzen der Klienten mit Migrationshintergrund zusammenhängen können (und zugleich mit entsprechenden Schwierigkeiten der Behördenmitarbeiter, klientengerecht zu formulieren), bestehen, wie die folgenden Analysen zeigen, in erster Linie auf der semantischen oder semantisch-lexikalischen Ebene. Folgende Aspekte lassen sich beispielsweise beobachten: 6.1.1.1 Satzbedeutung Gerade in Gesprächen mit fremdsprachigen Klienten entsteht häufig, wie es bereits in Beispiel 1 anklang, der Eindruck, dass die Klienten aus komplexeren Äußerungen der Behördenmitarbeiter lediglich einen einzelnen zentralen Begriff verstehen, von dem ausgehend auf eine (vermeintliche) Bedeutung der gesamten Äußerung geschlossen wird, die aber unter Umständen nicht der vom Sprecher intendierten entspricht. Dies wird anhand der folgenden Beispiele aus dem deutschen und dem argentinischen Korpusteil näher untersucht.2 Beispiel 2: P 1 dt. [12] Kl2

Aber das äh • • kann ich auch nicht richtich antworten oder kann ich nicht auch richtich

[13] Sb Kl2

((1s)) Äh worüber könn Sie jetz nich richtich sprechen? Über das Thema sprechen darüber.

2 Durch die Fettmarkierungen im Transkript sollen hier nur die jeweiligen Elemente visuell hervorgehoben werden, es handelt sich nicht um Transkription einer in der Äußerung realisierten prosodischen Hervorhebung.

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 Analysen I: Verstehensprobleme

[14] Sb

warum ich Ihre Frau eingeladn habe?

Oke. Nein Ja das versteh ich warum haben Sie eingeladen.

Kl2

[15] Sb

die Fra/ die grundsätzliche Frage is ob Frau Rosenberg das Gespräch • aufnehmen darf oder

Beispiel 3: P 10 arg. 3 [87] Sb

• • Acordate • ah

vos

• acordate insertar un certificado de ingreso porque no lo tenés

[88] Sb

en el pasaporte. • • • Sí?

((1s)) Tenés el pasaporte pero no tenés el Ah tengo pasaporte.

Kl2

[89] Sb

sello del ingreso. • • Al lado entonce tienen que pedir un certificao de ingreso.

[90] Sb Kl2

Ahí te di(g)o. ((5s)) Por el sector de al lado • pe(d)ís un ((1,5s)) A dónde? • • Acá?

Das Beispiel 2 stellt einen Ausschnitt aus dem Gespräch 1 des deutschen Korpus zwischen einem türkischen Klienten und einer deutschen Sachbearbeiterin eines Jobcenters dar. Beispiel 3 ist ein Ausschnitt aus dem Gespräch 10 des argentinischen Korpus zwischen einer argentinischen Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde und einem ghanaischen Klienten. In beiden Beispielen zeigt sich ein ähnlicher Ablauf der Äußerungen von Sachbearbeiterinnen und Klienten: Die Sb stellt eine Frage bzw. produziert eine Aufforderung, der Kl antwortet bzw. reagiert darauf und die Sb markiert dessen Äußerung als bearbeitungsbedürftig, indem sie signalisiert, dass sie die konditionelle Relevanz an dieser Stelle nicht als erfüllt ansieht und die Äußerung des

3 Übersetzungen der spanischsprachigen Transkriptausschnitte werden nach Erscheinen des Bandes kostenfrei auf der Homepage des Verlags zugänglich gemacht.

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Kl zurückweist (angezeigt mit Widerspruchspartikeln: «Oke. Nein» bzw. Bestätigung der Klientenaussage plus adversative Konjunktion «pero»: ‹aber›). In beiden Fällen wird also durch die Sachbearbeiterinnen ein Verstehensproblem auf Seiten der Klienten signalisiert. Auffällig ist, dass in den als «problematisch» bzw. bearbeitungsbedürftig markierten Antworten der Klienten jeweils ein Begriff aus der Frage der Sb herausgegriffen und in der Antwort wörtlich wiederholt wird («eingeladen», «pasaporte»), woraus sich schließen lässt, dass dieser Begriff verstanden wurde, da weiter auf ihn referiert wird, und von diesem ausgehend auf eine (vermeintliche) Bedeutung der gesamten Frage der Sb geschlossen wird. Diese Schlussfolgerungen entsprechen jedoch offenbar nicht den von den Sachbearbeiterinnen intendierten, was deren Reaktionen zeigen. In Beispiel 2 greift der Kl aus den zwei komplexeren Fragen: «Äh worüber könn Sie jetz nich richtich sprechn? Über das Thema warum ich Ihre Frau eingeladn habe?» nur ein Satzglied heraus: «warum ich Ihre Frau eingeladen habe». Darauf basierend interpretiert er die Frage der Sb, wie aus der Antwort erkennbar wird, als Frage danach, ob er verstanden habe, warum seine Frau eingeladen worden sei. Das Verstehensproblem mag in diesem Fall daher rühren, dass die Sb im zweiten Teil ihrer Frage Subjekt und Prädikat ausgelassen hat: Können Sie nicht über das Thema sprechen (warum ich Ihre Frau eingeladen habe), was einem Sprachlerner das Verstehen der Gesamtbedeutung des Satzes erschweren kann. In Beispiel 3 referiert der Kl in seiner Antwort auf die komplexere Äußerung der Sb «acordate insertar un certificado de ingreso porque no lo tenés en el pasaporte» (‹denk daran eine Einreisebescheinigung beizulegen weil du die nicht im Pass hast›) ausschließlich auf Verb und Objekt des Kausalsatzes («tener», «pasaporte»), was annehmen lässt, dass er diese (und auch die Negation «no») verstanden, nicht aber das Pronomen «lo» und die lokale Präposition «en» einbezogen hat. Er schlussfolgert daraus offenbar, die Aussage sei, dass er keinen Pass habe. Das zeigt sein Widerspruch an: «Tengo pasaporte» (‹Ich habe einen Pass›). In beiden Fällen signalisieren die Sachbearbeiterinnen anschließend, dass sie in den Reaktionen der Klienten die konditionelle Relevanz nicht erfüllt sehen, erkennen also Verstehensprobleme. Der Umgang damit gestaltet sich allerdings unterschiedlich: In Beispiel 2 wird die zunächst von der Sb gestellte Frage, worüber der Kl «jetz nich richtich sprechen» könne (PF 13), nicht vom Kl beantwortet – hier wird das Thema aber sofort fallen gelassen. Die Sb beendet das Thema mit einem abschließenden, aber auch die Aussage des Klienten bestätigenden «Oke» und leitet anschließend mit «nein» ein anderes (zuvor bereits angebrochenes) Thema ein: «die grundsätzliche Frage is ob Frau Rosenberg das Gespräch aufnehmen

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 Analysen I: Verstehensprobleme

darf». Hier wird das entstandene (lokale) Verstehensproblem also nicht wirklich gelöst, sondern lediglich übergangen. Das ist allerdings nur deshalb möglich, weil es sich um ein Nebenthema des Gesprächs handelt, dessen vollständige Klärung für den weiteren Verlauf des Gespräches nicht zwingend erforderlich ist. In Beispiel 3 dagegen wird das Verstehensproblem anders bearbeitet. Zwar zeigt die Sb durch ein Zögern von einer Sekunde leichte Irritation über die Reaktion des Kl an, bestätigt zunächst aber seine Äußerung «Tenés el pasaporte» (‹Du hast einen Pass›), bevor sie durch die adversative Konjunktion «pero» (‹aber›) Widerspruch bzw. eine Richtigstellung ankündigt und ihre Äußerung paraphrasiert: «no tenés el sello de ingreso» (‹du hast nicht den Einreise-Stempel›). Verständisfördernd in dieser Paraphrase ist, dass zum einen ein alltagssprachlicherer Begriff verwendet wird – «sello» (‹Stempel›), statt «certificado» (‹Bescheinigung›). Zum anderen wird dieser zusätzlich betont und somit hervorgehoben, dass das Objekt, auf das die Sb sich in ihrer Äußerung bezieht, der Stempel und nicht der Pass ist. Hier tragen also auch prosodische Mittel zu Bearbeitung des Problems bei. Im Anschluss wiederholt die Sb noch einmal den zuerst gebrauchten Begriff certificado de ingreso, womit sie verdeutlicht, dass die vorangegangene Paraphrase sich genau hierauf bezog. Dieses Vorgehen, eine komplexere Äußerung in zwei weniger komplexe bzw. in ihre wesentlichen Elemente aufzuteilen (zunächst die Referenz auf den Pass und anschließend die Referenz auf den Stempel im Pass), entspricht dem Verfahren der Portionierung (cf. Kindt 1984). Dies führt offenbar zur Klärung des Verstehensproblems, was daran erkenntlich wird, dass der Klient nun fragt, wohin genau er gehen müsse. Die weiterführende Frage zeigt also an, dass er die Information aufgenommen hat und sie somit Teil des common ground ist. In den Beispielen handelt es sich also offenbar um Verstehensprobleme, die mit Sprachkompetenzen zusammenhängen, und zwar bezüglich der Satzbedeutung. Bearbeitet werden solche Verstehensprobleme im Datenmaterial dieser Arbeit, wie in den Beispielen, oft durch eine Zurückweisung der Klientenäußerungen als Äußerungen, die die konditionelle Relevanz nicht erfüllen, und anschließend mit Paraphrasen oder (wörtlichen) Rephrasierungen. Zuweilen führt auch die zusätzliche Verwendung prosodischer Signale, u. U. auch von Gestik oder Mimik, was allerdings in den hier untersuchten Audio-Mitschnitten nicht nachvollzogen werden kann, zu besserem Verständnis. In verschiedenen Beispielen aber wird das Thema der nicht (korrekt) verstandenen Äußerung völlig fallen gelassen und werden Verstehensprobleme übergangen anstatt gelöst. 6.1.1.2 Registerprobleme Auf der lexikalisch-semantischen Ebene angesiedelt sind des weiteren Verstehensprobleme, die sich als Registerprobleme (cf. Schroeder 2007) fassen lassen. Einleuchtend erscheint, dass gerade Sprachlerner zunächst bestimmte Register

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beherrschen, abhängig davon, in welchem Rahmen sie eine Sprache erlernen (im Umgang mit ihren Kindern, in einer Sprachschule, am Arbeitsplatz etc.). Die volle Bandbreite feiner Abstufungsmöglichkeiten, die eine Sprache bietet, zu erlernen, kann viele Jahre dauern oder unter Umständen auch nie erfolgen. In einer Reihe der analysierten Gespräche fällt auf, dass insbesondere fremdsprachige Klienten Schwierigkeiten haben, hauptsächlich im Behördenkontext gebräuchliche Begriffe (z. B. Anschrift, domicilio) zu verstehen. Da es sich hierbei nicht ausschließlich um rein sprachlich bedingte Verstehensprobleme, sondern oft um fachlich-institutionell bedingte handelt, sollen sie an späterer Stelle noch einmal genauer besprochen werden. An dieser Stelle wird daher nur ein Beispiel untersucht, in dem ein Verstehensproblem auftritt, das mit dem Gebrauch behördentypischer (Fach-)Lexik zusammenhängen kann. Es handelt sich um einen Auszug aus einem Gespräch an einem Bürgeramt zwischen einer deutschen Sachbearbeiterin und einem türkischen Klienten (Kl2) sowie seiner Ehefrau (Kl3). Beispiel 4: P 104 dt. [1] Sb2 [v] Und Sie müssn denn noch Name und Anschrift des Wohnungsgebers hier eintragn.

[2] Sb2 [v]

Wat?

Sb2 [k] Tippt ((110s)) Kl2 [v]

Möschten Sie hier?

•••

[3] Sb2 [v]

Na Name und Anschrift des Ver/ des Vermieters.

Kl2 [v] Möschten Sie hier?

[4] Sb2 [v]

Weil/ weil Ihr Ausweis is falsch. Jaaa. • • Gebm Se mir/

Sb2 [k]

unterbricht sich mehrmals, weil ein Kind sehr laut schreit

[5] Sb2 [v] gebm Se mir jetz ma bitte die Einzahlungsquittung? Sb2 [k] Genervt Kl3 [v]

Er hat Sie nisch verstanden.

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 Analysen I: Verstehensprobleme

[6] Sb2 [v]

Ja aba ich hab dis jetz schon mehrmals gesagt und mehr als Name und

Kl3 [v] Deswegen.

[7] Sb2 [v] Anschrift des Vermieters kann ich Ihn nich sagn. Dis/ Jaa. Sb2 unterbricht das Gespräch mit

Sb2 [k]

[8] Sb2 [v]

Gebm Se mir ma bitte die Einzahlungsquittung. Dann

Sb2 [k] Kl2 und Kl3, weil das Kind zu laut schreit.

Genervt

[9] Sb2 [v] könn Se n draußn beruhjen gehn.

Die relativ lange Zeit, die zwischen der Äußerung der Sb («Und Sie müssn denn noch Name und Anschrift des Wohnungsgebers hier eintragn», PF 1) und der darauf folgenden Äußerung des Kl vergeht, nämlich fast zwei Minuten, während derer allerdings die Sb am Computer arbeitet, zeigt bereits an, dass hier ein erstes Verstehensproblem auf Seiten des Kl auftritt, was zu einer Nachfrage seinerseits führt: «Möschten Sie hier?» (PF 2). Diese Rückfrage ist allerdings – aufgrund syntaktischer Unvollständigkeit – semantisch nicht ganz eindeutig und könnte entweder darauf abzielen zu fragen, wo er «Name und Anschrift des Wohnungsgebers» eintragen soll, oder aber, was er eintragen soll. Das führt offenbar zu einem zweiten Verstehensproblem, diesmal auf Seiten der Sb, was diese durch eine – sehr knappe und dialektal formulierte – Klärungsnachfrage (cf. Selting 1987, 7ss.) anzeigt: «Wat?» (PF 2). Diese Frage, die sich nach Garvey (1979, 367) als «nonspecific request for repetition» einordnen lässt, zeigt an, dass die Sb die Äußerung des Kl – möglicherweise auch akustisch – nicht verstanden hat und eine Bearbeitung des Problems initiiert. Der Kl greift diese Initiierung auch auf und bearbeitet das Problem mit einer identischen Wiederholung seiner Äußerung (PF 3). Semantisch bleibt diese jedoch weiterhin unklar. Die Sb interpretiert die Frage des Kl offensichtlich als Frage danach, was er eintragen solle. Sie wiederholt dementsprechend die Objektphrase ihrer zuerst produzierten Äußerung, ersetzt allerdings das eher behördentypische (und in der deutschen Alltagssprache selten gebräuchliche) Element Wohnungsgeber durch das alltagssprachlichere Vermieter (PF 3). Die alltagssprachliche Paraphrasierung eines behördentypischen Elementes, dürfte einen Versuch darstellen, auf das

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Verstehensproblem des Kl einzugehen. Das weist darauf hin, dass die Sb das Verstehensproblem selbst auf den behördentypischen Sprachgebrauch zurückführt. Dennoch bleibt ihre Äußerung insgesamt recht behördensprachlich geprägt, da auch der Begriff Anschrift hauptsächlich im Behördenkontext gebräuchlich ist, anders als beispielsweise Adresse. Die Einleitung der Äußerung mit der Interjektion «Na», zeigt zudem an, dass im Grunde ein Verstehen der Äußerung als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Da der Kl darauf nicht reagiert, fügt die Sb zusätzlich eine Begründung für ihre Forderung an: «Weil/weil Ihr Ausweis is falsch» (PF 4). Verständnisfördernd wäre eine solche Begründung allerdings nur dann, wenn dem Kl die kausalen Zusammenhänge unklar wären, wenn er also nicht verstünde, weshalb er eine Information in ein Formular eintragen sollte. Wenn das Problem aber darin besteht, dass ihm das Referenzobjekt generell nicht klar ist, trägt die Begründung der Sb nicht zum Verständnis bei. Dementsprechend reagiert der Klient auch weiterhin nicht auf die Aufforderung der Sb. Diese lässt das Thema daraufhin fallen und beginnt ein neues, indem sie ihn nun auffordert, ihr seine Einzahlungsquittung zu übergeben (PF 4, 5). Sowohl die Intonation als auch die Modalpartikel mal in «Gebm Se mir jetz ma bitte die Einzahlungsquittung», welche in diesem Fall drängend wirkt, zeigen allerdings Gereiztheit der Sb an. Das scheinen auch der Kl und seine Ehefrau (Kl3) so aufzufassen, weshalb sich an dieser Stelle Kl3 einbringt und (metakommunikativ) anspricht, dass ihr Ehemann die Sb nicht verstanden habe (PF 5, 6). An dieser Stelle wird das Verstehensproblem erstmalig in aller Deutlichkeit thematisiert. Hier lässt sich eine Parallele zum Verfahren der «exposed correction» ­( Jefferson 1987) beobachten. Es handelt sich hierbei zwar nicht um eine Korrektur, jedoch wird die Bearbeitung des Verstehensproblems zum «interactional business» (ebd., 88) des Austauschs und eine Reparatur offen eingefordert. Darauf reagiert die Sb zunächst mit «Ja aba» (PF 6), wobei das «ja» zwar die Aussage von Kl3 bestätigt, die adversative Konjunktion «aba» jedoch einen Einspruch ankündigt, der sich nicht auf die Aussage «er hat Sie nicht verstanden» bezieht, sondern auf die Einforderung einer Reparatur. Ebenfalls metakommunikativ kommentiert die Sb nämlich, sie habe ihre Äußerung (welche Informationen eingetragen werden sollten) «jetz schon mehrmals» vorgebracht. In der Tat hatte sie ihre Aufforderung bereits einmal teilweise – aber offenbar nicht in ausreichend verständnisförderndem Maße – alltagssprachlich paraphrasiert. Mit der Fortführung «und mehr als Name und Anschrift des Vermieters kann ich Ihn nich sagn» (PF 6, 7) expliziert die Sb ihre eigenen Schwierigkeiten, verständnisfördernder zu paraphrasieren. Letztlich beendet sie mit einem gelängten, offen stehenbleibenden «jaa» das Thema endgültig (was auch im weiteren Gespräch nicht mehr aufgegriffen wird). Stattdessen wendet sie sich nach einer kurzen Unterbrechung erneut dem Thema der Einzahlungsquittung zu. Das Verstehens-

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 Analysen I: Verstehensprobleme

problem wird also nicht gelöst, sondern wiederum, wie bereits oben bei Beispiel 2 geschildert, übergangen. Ähnliche Schwierigkeiten beim Verständnis behördentypischer Äußerungen der Sachbearbeiter lassen sich auch in verschiedenen weiteren Gesprächen beobachten. Diese sollen jedoch in Kapitel 6.3 ausführlicher besprochen werden. Anzumerken ist an dieser Stelle bereits, dass Verstehensprobleme, die beispielsweise mit der Verwendung von Fachtermini zusammenhängen, auf fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen zurückgeführt werden können, die nicht notwendigerweise nur Nicht-Muttersprachler betreffen. In diesem Fall aber – bei einem Verstehensproblem, das offenbar mit einer zwar behördentypischen (fach­bezogenen, aber nicht facheigenen, cf. Seibicke 1976) Ausdrucksweise zusammenhängt, die für einen Muttersprachler jedoch durchaus verständlich sein dürfte – kann man von einem mit nicht-muttersprachlichen Kompetenzen zusammenhängenden Problem ausgehen. In einigen Gesprächen zeigen sich des Weiteren Verstehensprobleme, die umgekehrt mit einem Gebrauch besonders umgangssprachlicher Elemente verbunden sein können. Dies soll am folgenden Beispiel aus dem deutschen Korpusteil untersucht werden, einem Ausschnitt aus einem Gespräch an einem Job­ center mit einer vietnamesischen Klientin. Beispiel 5: P 35 dt. [1] Sb [v]

Frau XY ham Sie • Sie sind ganz alleine damals nach Deutschland gekomm?

Kl [v]

Ja? Jaa.

Bin

[2] Sb [v] Kl [v]

Bin alleine. • Auch keiner der Ihnen hilft mit den Kindern? alleine.

hmm • • Aba Nein keine.

[3] Sb [v]

so klappt dis • mit den Kindern da komm Sie klar • mit allm • hier so in Deutschland • dis

[4] Sb [v]

funktioniert alles? • • • Mit der Schule dis klappt alles gut das mein ich.

Kl [v]

Ja so • die Kinder?

Ja

[5] Sb [v]

Das

Kl [v]

Meine

• zur Schule das das geht und in den Kindergartn das schaffen Sie alles? Ähm ((4s))

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

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[6] Sb [v] Kl [v]

Mhm • ähm • So Ihre Kin/ Ihre • Ham Sie • Mädchen oder Jungen? nich verstande.

Ich habe

[7] Sb [v] Kl [v]

Zwei Mädchen • so und die Ältere die geht zur Schule • ja? • Dis ältere Kind? Geht ßwei Mädchen un

[8] Sb [v] Kl [v]

zur Schule?

Deine/ Ihre/ ein Kind geht zur Schule ((3s)) Meine Kinder

Und das funktioniert.

Ja. ei/ eine

[9] Sb [v]

Das ist gut • das klappt.

Kl [v]

Ja • Bisschen •ich/ die/ mein Tokter äh Bisschen Problem • mei/ mei/

[10] Sb [v] Kl [v]

Mhm • • Oke Frau XY machn Sie den Deutschkurs? nich Hilfe ßuhause un ähm

Ja? Ja.

Bereits in PF 3 ermöglicht die Sb der Kl durch kurze Pausen nach ihren Fragen mehrfach, den Turn zu ergreifen, was die Kl jedoch nicht tut. Die Fragen der Sb sind allerdings relativ vage und allgemein gehalten (nicht näher spezifiziertes Demonstrativpronomen «dis», Generalisierungen «mit allm», «dis funktioniert alles»). An dieser Stelle wird dementsprechend noch nicht ganz klar, ob die entstehende Pause in PF 4, die der Kl eindeutig zuzuordnen ist, da ihr durch die Frage der Sb das Rederecht zugewiesen wurde, auf ein sprachliches Verstehensproblem hinweist oder ob der Kl die Fragen der Sb inhaltlich unklar sind. Die Sb spezifiziert daraufhin ihre Frage, indem sie explizit den Bereich Schule anspricht: «Mit der Schule dis klappt alles gut» (PF 4). Dass es sich hierbei um eine Spezifizierung ihrer vorherigen Frage handelt, zeigt sie durch den metakommunikativen Kommentar «das mein ich» an. Auch hierauf reagiert die Kl allerdings erst nach einem kurzen Zögern, und zwar mit einer Rückfrage: «die Kinder?». Sie greift also, wie es oben anhand der Beispiele 2 und 3 bereits besprochen wurde, einen einzelnen Begriff aus der komplexen Äußerung der Sb heraus, hat aber eventuell nicht den vollständigen Satz verstanden. Sie setzt zu einer Antwort an, wird aber unterbrochen, als die Sb auf ihre Rückfrage antwortet und noch einmal spezifiziert bzw. ihre Frage aufteilt in

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 Analysen I: Verstehensprobleme

die beiden Bereiche Schule und Kindergarten: «zur Schule das das geht und in den Kindergarten das schaffen Sie alles?». Dennoch besteht offenbar weiterhin ein Verstehensproblem auf Seiten der Kl, was diese deutlich anzeigt durch den Verzögerungslaut «Ähm», eine vier Sekunden lange Pause und den metakommunikativen Kommentar «nich verstande», in dem das Verstehensproblem explizit wird (PF 5, 6). Zur Bearbeitung dieses Problems führt die Sb nun einen neuen inhaltlichen Aspekt ein mit der Frage, ob die Kinder der Kl Jungen oder Mädchen seien. Die Antwort darauf unterbricht sie allerdings sehr schnell mit einer Rephrasierung des Ausdrucks «zwei Mädchen» (PF 7), womit sie signalisiert, dass sie bereits verstanden hat und keine weiteren Zusätze erforderlich sind. Mit der neuen Information, dass es sich um Mädchen handelt, setzt sie zu einer erneuten (expandierenden) Paraphrase an, bei der sie die allgemeine Formulierung «Ihre Kinder» durch eine doppelte Spezifizierung «die Ältere» (weiblich und mit dem Zusatz des Alters) ersetzt. Als sie auch darauf keine Antwort erhält, paraphrasiert sie noch einmal: «dis ältere Kind» (dabei verwendet sie zwar wieder den ursprünglichen Ausdruck «Kind», spezifiziert aber, dass sie das «ältere» meint). Daran schließt sie die Frage an, ob dieses Kind zur Schule geht. Auch darauf erfolgt allerdings nicht die von der Sb intendierte Antwort, da die nach einer drei Sekunden langen Pause erfolgende Äußerung der Kl «meine Kinder» (PF 8) wieder auf beide Kinder referiert und offen stehen bleibt. Die Sb formuliert also erneut um und fragt – diesmal ohne Zusatz weiterer Merkmale «ein Kind geht zur Schule?». Dies bestätigt die Kl schließlich, so dass die Sb wieder auf ihre ursprüngliche Frage, «und das funktioniert», zurückkommt. In der Bearbeitung des Verstehensproblems in dieser Gesprächssequenz greift die Sb also auf das Verfahren der Portionierung (cf. Kindt 1984) einer komplexen Äußerung in kleinere Teile zurück, indem sie zuerst generell nach den Kindern der Kl fragt, anschließend den Schulbesuch eines der Kinder anspricht und erst danach auf ihre Ursprungsfrage zurückkommt, ob dieser erfolgreich sei. Auffällig ist, dass die Sb in ihren Paraphrasierungen der Ursprungsfrage von PF 3 bis 5 eine Reihe unterschiedlicher Verben gebraucht hatte, die allesamt deutlich umgangssprachlich markiert waren («klappt dis», «komm Sie klar», «dis funktioniert», «das geht», «dis schaffen Sie»). Möglich wäre also, dass die deutlich umgangssprachliche Ausdrucksweise zum Verstehensproblem beiträgt. Das scheint auch die Sb selbst zu vermuten, da sie in PF 8, 9, als sie wieder auf ihre Ursprungsfrage zurückkommt, diese noch zweimal paraphrasiert und dabei selbst jeweils das Verb durch Alternativen ersetzt: «das funktioniert» wird ersetzt durch das deutlich einfacher formulierte (aber nicht so sehr umgangssprachlich markierte) «Das ist gut» und zur Wiederholung noch einmal «Das klappt» hinzugesetzt.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 109

An dieser Stelle schließlich scheint die Verständigung wieder hergestellt zu sein, da die Kl nun auf die Ursprungsfrage der Sb antwortet. Sehr rasch wird sie allerdings wieder unterbrochen und die Sb beginnt nach einer Bestätigung («Mhm. Oke») ein neues Thema. Auffällig sind in diesem Gespräch im Übrigen die häufigen wörtlichen Rephrasierungen der Partneräußerungen durch die Sb – wobei in einem Fall sogar die erste Person Singular übernommen wird: «bin alleine» (PF 2). Diese können der gegenseitigen Verständnissicherung bzw. der Signalisierung des Verstehens dienen. Ebenfalls auffällig, jedoch im weiteren Gesprächsverlauf folgenlos ist das (vermutlich versehentliche) Duzen der Kl durch die Sb, welches jene sofort selbst korrigiert: «Deine/Ihre/ ein Kind...». 4 Wie an diesem Beispiel ersichtlich wird, gilt es offenbar stets abzuwägen, inwiefern die Verwendung eher alltagssprachlicher Elemente tatsächlich verständnisfördernd wirken kann. Dass ein deutlich behördensprachlicher Stil oftmals zu Verstehensproblemen gerade bei fremdsprachigen Klienten führen kann, erscheint logisch. Jedoch fungiert offensichtlich auch das Zurückgreifen auf alltagssprachliche Formulierungen nicht immer als «Allheilmittel», weil auch (zu) alltags- oder umgangssprachliche Elemente u. U. von fremdsprachigen Klienten nicht verstanden werden. Offenbar muss die verwendete Ausdrucksweise jeweils an die Sprachkompetenzen des einzelnen Klienten angepasst werden. Sachbearbeiter können ein besseres Verstehen erzielen, indem sie einerseits – in Anpassung an die Sprachfähigkeiten ihrer Klienten – behördliche Lexik möglichst vermeiden (bzw. diese erklären, paraphrasieren etc.), sich andererseits aber auch nicht deutlich umgangssprachlich ausdrücken. 6.1.1.3 Komplexe Äußerungen Das folgende Beispiel stellt einen Auszug aus einem Gespräch zwischen einer deutschen Mitarbeiterin eines Jobcenters und einer türkischen Klientin dar. In dieser Gesprächssequenz geht es darum, dass die Kl eine starke Sehbehinderung hat und herausgefunden werden soll, ob sie überhaupt «arbeitstauglich» ist, also vom Jobcenter in Arbeit vermittelt werden kann.

4 Es handelt sich hierbei um eine zweimalige selbstinitiierte Selbstkorrektur, zunächst formaler Art wegen der in offiziellen Kontexten als unangebracht interpretierten Anrede in der zweiten Person Singular und anschließend inhaltlicher Art, da ja nicht beide Kinder bereits zur Schule gehen, sondern nur eines der Kinder.

110 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Beispiel 6: P 17 dt. [29] Sb [v]

Also im Gutachtn steht • man sollte nochmal prüfn

Kl [v]

die Sehschwäche bei Ihnen • • Mhm.

[30] Sb [v]

um ganz • speziell rauszufindn wie mobil Sie sind. • • Ja? • Ich gucke jetz noch mal/

[31] Sb [v]

ich werde Rücksprache mit dem Arzt haltn • inwieweit das geht. • • Dann schick ich

[32] Sb [v]

Ihnen nochmal Unterlagn zu • für eine weitere Behandlung bei uns , also •

[33] Sb [v]

Kontrolluntersuchung • Prüfung • Könn Sie jetz aarbeitn unter den Umständn und an

[34] Sb [v]

einer Maßnahme teilnehm oder nicht. ((1,5s)) Auweia. • • Ham Sie das verstandn?

[35] Sb [v]

Also nochmal. Sie warn beim ärztlichn Dienst. Zweitausndsechs.

Sb [k]

Lacht

Kl [v]

Ein bisschen schon. Könn/

Kl [k]

Lacht auch

Ja.

[36] Sb [v] Kl [v]

Oder • der hat eine Schriftstück anhand dieser Unterlagn von Ihrm Arzt • • Ja.

[37] Sb [v]

festgestellt dass es eine große Sehschwäche gibt. Sie sind neunzich Prozent

[38] Sb [v] Kl [v]

schwerbeschädicht. Das wissn wir. • • Und da steht jetz im Gutachtn drinne • man Mhm.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 111

[39] Sb [v]

sollte nochmal prüfen • ob Sie • • mobil sind. Also ob Siie • an Maßnahmen teilnehm

[40] Sb [v]

können. Mit dieser Sehschwäche und mit dem Leidn was Sie habm.

Kl [v]

Oke kann isch m •

[41] Sb [v] Kl [v]

Genau. untersuchen

Dafür • schicke ich Unterlagen an Sie .

(lassen) • au/

Auffällig in diesem Gesprächssauschnitt ist, dass die Sb eine relativ lange Äußerung vorbringt (von PF 29 bis PF 34), in der sie durch viele kleine Pausen und eine tag question der Kl ermöglicht, Verstehen oder Unverständnis zu bekunden. Es erfolgt jedoch kein (akustisch erkennbares) Rückmeldeverhalten der Kl. Daraus schließt die Sb selbst, dass ein Verstehensproblem vorliegt, was sie sehr deutlich macht durch die ein Problem anzeigende Interjektion «Auweia» und die metakommunikative Rückfrage «Ham Sie das verstandn?» (PF 34). Die Antwort der Kl «Ein bisschen schon», veranlasst die Sb, das von ihr vermutete Verstehensproblem zu bearbeiten.5 Wenn man sich die vorangegangene Äußerung der Sb ansieht, fällt mehreres auf. Zum einen handelt es sich um eine relativ komplexe Äußerung, teilweise mit mehreren Nebensätzen und Einschüben. Zum Beispiel enthält der erste Satz der Sb in PF 29, 30 drei Nebensätze und einen Einschub: «Also im Gutachten steht • man sollte nochmal prüfn • die Sehschwäche bei Ihnen • • um ganz • speziell rauszufindn wie mobil Sie sind». Zum anderen werden relativ viele Informationen hintereinander vermittelt, nämlich zunächst, was im Gutachten steht, anschließend, wie die Sb vorgehen wird («ich gucke», «ich werde Rücksprache haltn», «dann schick ich Ihnen»), welche Unterlagen zugeschickt werden («für eine weitere Behandlung») und letztlich, um was für eine Kontrolluntersuchung es sich handelt («Könn Sie jetz aarbeitn...»). Zudem werden mehrere Ausdrücke gebraucht, die einem relativ hohen Register entsprechen bzw. eher in institutionellen Kontexten

5 Das Lachen beider Interaktanten an dieser Stelle kann dazu dienen, eine Face-Verletzung durch das Ansprechen (und Eingestehen) mangelnder sprachlicher Kompetenzen der Kl zu vermeiden. Es signalisiert Freundlichkeit und verweist u. U. implizit auf geteiltes Wissen der Interaktanten, bspw. darum, dass der zu besprechende Sachverhalt tatsächlich recht komplex und nicht leicht zu verstehen ist.

112 

 Analysen I: Verstehensprobleme

auftreten («Sehschwäche», «mobil», «Rücksprache», «Maßnahme» und «Kontrolluntersuchung», was allerdings prospektiv direkt bearbeitet wird, indem der alltagssprachlichere Begriff «Prüfung» angefügt wird). All das kann Hintergrund des beobachteten Verstehensproblems sein. Die Sb scheint v. a. ein Registerproblem und ein auf der Vielzahl an Informationen beruhendes Problem zu vermuten. Das lässt sich aus ihrer Bearbeitung des Problems entnehmen. Zunächst macht sie explizit, dass sie ihre vorangegangene Äußerung bearbeiten wird, durch «Also nochmal» (PF 35). Anschließend verweist sie auf die (gemeinsame) Vorgeschichte des zu besprechenden Themas und fasst das geteilte Wissen der Interaktanten zusammen (betont also den bereits vorhandenen common ground): «Sie warn beim ärztlichen Dienst.» [...] «festgestellt, dass es eine große Sehschwäche gibt. Sie sind neunzich Prozent schwerbeschädicht. Das wissen wir» (PF 35–38). Zudem konkretisiert sie diese Informationen, indem sie benennt, in welchem Jahr die Kl beim ärztlichen Dienst war («Zweitausndsechs»). Diese Information ist für die eigentliche Aussage, was im aktuellen Gutachten (von 2009) steht, im Grunde irrelevant, kann der Kl aber helfen, die Information zu verorten. Anschließend verweist sie lokal-deiktisch auf das Gutachten, um das es in dieser Sequenz geht: «und da steht jetz im Grutachtn drinne» (Betonung von da). Damit verdeutlicht sie den Kontext, in dem ihre vorangegangene Äußerung zu interpretieren ist, was verständnisfördernd wirken kann. Sie verwendet des Weiteren vornehmlich relativ kurze Hauptsätze. Zudem wird der Begriff «mobil» (PF 39) durch «an Maßnahmen teilnehm können» erläutert, was durch die Verwendung des Reformulierungsindikators «also» sowie durch die identische syntaktische Struktur angezeigt wird (auch durch die prosodische Ähnlichkeit, die kurze Pause an derselben Stelle im Satzteil): «ob Sie • • mobil sind. Also ob Siie • an Maßnahmen teilnehm können». Ebenfalls wird der Begriff «Sehschwäche» alltagssprachlicher paraphrasiert: «Leidn» (PF 40). Das führt offenbar zu besserem Verständnis. Die Kl bestätigt nun: «Ok» und zeigt durch ihre weitere Äußerung «kann isch m untersuchen (lassn)» (PF 40, 41) an, dass sie auch tatsächlich verstanden hat, was sie selbst tun soll. 6.1.1.4 Reaktionsdauer In verschiedenen Gesprächen sind ferner Verstehensprobleme zu beobachten, die zustande kommen, weil Sprachlerner häufig etwas langsamer reagieren, während die Sachbearbeiter in gewohntem Tempo fortfahren, wie im folgenden Beispiel. In diesen Fällen treten in der Regel wechselseitige Verstehensprobleme (cf. Selting 1987, 69) auf, in denen also beide Seiten einander nicht oder missverstehen.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 113

Beispiel 7: P 50 dt. Sb [v]

Sind Sie schonma vonner Polizei anjehaltn wordn? Was

Sb [k]

Aggressiver

Kl [v]

Nä nee ich versteh nich was jetz für die Strafe was dis soll

[15] Sb [v]

die Polizei is dis wissn Sie?

((1,5s)) Was jetz noch nich?

Kl [v]

Nnja noch nich.

Was für • die

[16] Sb [v] Kl [v]

Was/ was eine Polizei is wissn Sie aber? Polizei? Enschuldigun is nur

((1,5s)) Wei/ äh • •

[17] Sb [v]

((1s)) Ich würde sagn dann ham Sie keine Voraussetzungn. Die

Sb [k]

Faltet resigniert die Unterlagen zusammen

Kl [v]

Isch weiß nist.

Kl [k]

Sehr leise

[18] Sb [v]

deutsche Sprache beherrschn Sie nicht.

Sie könn mir eine einfache

Kl [v]

Doch • aber isch

Kl [k]

Ängstlich

isch weiß nisch isch hab/ isch

[19] Sb [v]

Frage nich beantwortn.

Kl [v]

hab keine Ahnung das von die Polizei isch hab nisch verstandn das is äh ähm die

[20] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

Sie müssn ein Sprachtest und ein Einbürgerungstest Frage. • Schullegung aber/ Kl seufzt

[21] Sb [v]

bestehn. Wie wolln Sie den bestehn wenn Sie nich ma ne Frage beantwortn könn?

114 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Bei diesem Beispiel handelt es sich um einen Auszug aus einem Gespräch einer deutschen Mitarbeiterin eines Bürgeramtes, Abteilung Einbürgerung, mit einer ägyptischen Klientin. Die Kl möchte einen Antrag auf Einbürgerung abholen, der ihr aber nicht ausgehändigt wird, bevor sie nicht einige Fragen zu ihrer persönlichen Situation beantwortet. Die Sb stellt, deutlich dialektal geprägt, zwei Fragen hintereinander, die sehr schnell aneinander anschließen: «Sind Sie schonma vonner Polizei anjehaltn wordn? Was die Polizei is dis wissen Sie?» (PF 14, 15). Somit ist nicht eindeutig, auf welche der beiden Fragen sich die Antwort der Kl («noch nich», PF 15) bezieht, was die Sb auch explizit macht, indem sie nach einer 1,5 Sekunden langen Pause hinterfragt: «Was jetz noch nich?» (PF 15). Das führt zu einer kurzen Verzögerung im Gesprächsablauf und zu Verwirrung auf beiden Seiten. Hier manifestiert sich also ein Verstehensproblem auf Seiten der Sb, das durch eine von dieser als uneindeutig markierten Reaktion der Kl auf eine vorhergehende Äußerung der Sb hervorgerufen wird. Die Klärungsnachfrage der Sb («Was jetz noch nich») führt wiederum zu einem Verstehensproblem auf Seiten der Kl. Es wird an dieser Stelle nicht ganz klar, ob die Kl die Klärungsnachfrage der Sb (akustisch oder inhaltlich) nicht verstanden hat oder ob ihr die Pragmatik der Äußerung unklar ist. Ihre Rückfrage «Was für • die Polizei?» (PF 16), die sich auf die zweite der beiden ursprünglichen Fragen der Sb bezieht, weist darauf hin, dass die Kl der Klärungsnachfrage der Sb lediglich entnommen hat, dass irgendetwas an ihrer eigenen Antwort offenbar nicht im Sinne der Sb war. Sie scheint zu vermuten, sie habe die zweite der beiden ursprünglichen Fragen der Sb nicht (korrekt) verstanden. Dieser Rückfrage fügt die Kl eine Entschuldigung an. Die Sb versucht daraufhin, ihr eigenes Verstehensproblem zu lösen, indem sie die Kl unterbrechend die zweite ihrer beiden vorangegangenen Fragen noch einmal in leicht abgeänderter Form rephrasiert: «Was eine Polizei is wissen Sie aba?» (PF 16). Auffällig ist an dieser Rephrasierung zweierlei. Zum einen verwendet die Sb hierin nicht mehr, wie in der vorangegangenen Äußerung den definiten Artikel «die Polizei», sondern stattdessen den indefiniten Artikel «eine Polizei». Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Frage sich generell auf den Funktionsbereich der Institution Polizei – unabhängig von nationalspezifischen Regelungen u. ä. – bezieht und nicht konkret auf den Begriff der Polizei in Deutschland, an den bestimmte Aufgaben und Rechte geknüpft sind. Das könnte der Kl prinzipiell helfen, die Frage auf Basis ihres eigenen (nations- und kulturspezifischen) Vorwissens zu beantworten, selbst wenn sie sich bezüglich der Funktion und des Aufgabenbereichs der Polizei in Deutschland nicht sicher ist. Zudem suggeriert die Sb sowohl durch die Satzstellung (Voranstellung des Objektsatzes) als auch durch den Gebrauch der Partikel «aba» eine Bestätigung des bereits vorhandenen Wissens der Kl. Allerdings kann die Kl aufgrund der Unterbrechung durch die Sb ihren Turn nicht beenden und eventuell erklären, wo ihr Verstehensproblem tatsächlich liegt.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 115

Die Kl reagiert darauf sehr zögerlich: «((1,5s)) Wei/äh • • Isch weiß nist» (PF 16, 17). Die 1,5 Sekunden lange Pause, die Selbstunterbrechungen und das Neuansetzen der Kl sowie sehr leises, auf Unsicherheit hinweisendes Sprechen, lassen darauf schließen, dass immer noch ein Verstehensproblem besteht. Die Sb interpretiert diese Äußerung der Kl eventuell als Verneinung der Frage, ob die Kl wisse, was der Begriff «Polizei» bedeutet, oder aber als Hinweis darauf, dass die Kl die gesamte Frage nicht verstanden hat. Sie zieht aus den Äußerungen der Kl zumindest den Schluss, dass diese über sehr geringe Deutschkenntnisse verfüge, und versucht eine erste Gesprächsbeendigungsinitiative: «Ich würde sagn dann ham Sie keine Voraussetzungn. Die deutsche Sprache beherrschn Sie nicht». Es handelt sich hierbei jedoch nicht nur um eine sehr deutliche Gesprächsbeendigungsinitiative, sondern zudem um eine klare Ablehnung des Anliegens der Kl (Einholung des Antrags auf Einbürgerung) – in außerordentlich starker Form (Generalisierungen «keine Voraussetzungen», «die deutsche Sprache»). Die Kl widerspricht, indem sie die adversative Interjektion «doch» vorbringt und dieser eine mit der ebenfalls adversativen Konjunktion «aber» eingeleitete Erklärung anfügt: «Doch • aber isch weiß nisch isch hab/isch hab keine Ahnung das von die Polizei isch hab nisch verstandn das is äh ähm die Frage». Die Selbstunterbrechungen und Neuansätze in dieser Äußerung sowie der Umstand, dass die Kl das Rederecht lange nicht abgibt, obwohl die Sb parallel spricht, weisen auf starke emotionale Beteiligung der Kl hin. Die Sb weist den Widerspruch jedoch zurück, indem sie mit einer parallelen Äußerung einsetzt, noch bevor die Kl ihre Erklärung vorbringen kann: «Sie könn mir eine einfache Frage nich beantwortn» (PF 18, 19). Diese Feststellung stellt eine direkte Kritik an der Kl dar, die zudem dadurch verschärft wird, dass die Sb der Frage, die die Kl ihrer Ansicht nach nicht (korrekt) beantworten kann, das Adjektiv «einfach» zuweist. Anschließend lässt die Sb die Kl zwar aussprechen, geht aber auf ihre Äußerungen kaum ein. Stattdessen reagiert sie mit einer (teilweise in einer rhetorischen Frage formulierten) Begründung der Ablehnung des Klientenanliegens, in der noch einmal die (nach Ansicht der Sb) mangelnden Sprachkompetenzen der Kl betont werden: «Sie müssn ein Sprachtest und ein Einbürgerungstest bestehn. Wie wolln Sie den bestehn, wenn Sie nich ma ne Frage beantwortn könn» (PF 20, 21). Auch in dieser Äußerung werden die Sprachkompetenzen der Kl von der Sb als äußerst gering dargestellt. Das zeigt sich an der Verwendung der verstärkenden Abtönungspartikel «nich ma», die impliziert, das tatsächlich noch viel mehr zu erwarten sei, was die Kl sämtlich nicht beherrsche.6

6 Auf Face-Bedrohungen, wie sie in diesem Gespräch mehrfach zu beobachten sind, wird an späterer Stelle in dieser Arbeit noch näher eingegangen.

116 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Die Frage, um die sich also der gesamte Wortwechsel rankt, ist die Frage danach, ob die Kl wisse, was der Begriff «Polizei» bedeutet. Wie gezeigt wurde, zeigt sich das erste Verstehensproblem in dieser Sequenz in PF 15, als die Kl in einer von der Sb als unklar dargestellten Weise auf die Fragen der Sb antwortet. Da allerdings die beiden Fragen der Sb sehr schnell aneinander anschließen und Sprachlerner häufig langsamer reagieren als Muttersprachler (weil sie längere Zeit benötigen, um zu verstehen und eine Antwort zu formulieren) kann sich die Antwort der Kl tatsächlich auf die erste Frage «Sind Sie schonma vonner Polizei anjehaltn wordn?» beziehen statt auf die Frage danach, ob sie wisse, was der Begriff «Polizei» bedeutet. Aus dem Gesprächsmaterial selbst wird nicht klar, ob der Kl tatsächlich der Begriff «Polizei» unbekannt ist oder ob das Verständigungsproblem darauf beruht, dass ihre Antwort nicht rasch genug an die erste Frage der Sb anschließt. Dass die Kl in PF 14, 15 und erneut in PF 19 allerdings selbst das Wort «Polizei» ohne erkennbares Zögern korrekt gebraucht, weist jedoch darauf hin, dass ihr dieses Wort doch bereits bekannt ist. Durch die Einbeziehung der Zusatzinformationen aus einem Interview mit der Klientin im Anschluss an die Gesprächsaufnahme klärt sich diese Frage, da die Klientin explizit antwortet, sie kenne den Terminus «Polizei». Das Verstehensproblem hängt also mit den Sprachkompetenzen der Klientin zusammen, beruht aber offenbar eher darauf, dass sie als nicht-deutsche Muttersprachlerin längere Zeit zum Verstehen der Frage und zum Produzieren der Antwort benötigt, als darauf, dass sie den Begriff «Polizei» nicht kennt. Auf dieses Beispiel wird an späterer Stelle noch einmal eingegangen, da der hier besprochenen Gesprächssequenz ein Verstehensproblem vorangeht, das mit dem Gebrauch von Fachtermini zusammenhängt. An dieser Stelle soll die Darstellung des Problems des langsameren Reagierens genügen. Auffällig ist in diesem Beispiel zudem, dass die Kl offenbar nicht nur Schwierigkeiten hat, die Äußerungen der Sb zu verstehen, sondern auch, selbst Äußerungen zu produzieren und ihr Verstehensproblem mitzuteilen. Auf Probleme, die mit Sprachproduktionskompetenzen zusammenhängen, wird im nächsten Kapitel eingegangen. 6.1.1.5 Zusammenfassende Bemerkungen: Rezeptive Sprachkompetenzen Ähnliche Verstehensprobleme wie die bisher betrachteten, die mit rezeptiven Sprachkompetenzen der Klienten – und dementsprechend offenbar auch mit der (mangelnden) Anpassung der Sachbearbeiter an diese – zusammenhängen, sind außer in den hier besprochenen Beispielen noch in mindestens zwei weiteren Gesprächen, je einem aus dem deutschen und dem argentinischen Korpusteil (darin jeweils mehrfach) zu beobachten.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 117

Die Analyseergebnisse werden zum Abschluss dieses Kapitels in einem Zwischenfazit noch einmal diskutiert. Bereits an dieser Stelle sollen allerdings die folgenen Beobachtungen festgehalten werden. Als Verfahren zur Bearbeitung derartiger Verstehensprobleme und zur Verständnissicherung ließen sich in den hier durchgeführten Analysen die folgenden feststellen: –– (identische oder leicht abgewandelte) Rephrasierungen, teilweise mit Hervorhebung einzelner Äußerungsteile (prosodisch oder durch veränderte syntaktische Struktur) (Bsp. 1, 4 und 5) –– (erweiternde oder reduzierende) Paraphrasen, zuweilen unter Verwendung alltagssprachlicherer oder in mehreren Sprachen vorkommender Elemente (Bsp. 1, 3, 4, 5, 6) –– Portionierung (cf. Kindt 1984) (Bsp. 3 und 5) –– Explikation des Hintergrundes des Bezugselements und Verweis auf bereits vorhandenes geteiltes Wissen (Bsp. 6) –– Spezifizierungen vager Fragen oder Äußerungen (Bsp. 5) –– Konkretisierungen (Bsp. 6) Zusätzlich erfolgen Verfahren der Versicherung des Verständnisses beim Interaktionspartner, vor allem in Form von metakommunikativen Fragen nach dem Verständnis oder in Form von tag questions sowie kurzen Pausen in den eigenen Äußerungen, in denen die Klienten Verstehen oder Unverständnis bekunden können. In fünf Fällen werden die beobachteten Verstehensprobleme allerdings nicht erfolgreich bearbeitet, sondern, zuweilen nach einigen gescheiterten Bearbeitungsversuchen, übergangen, das Thema gewechselt oder die Kommunikation ab einem bestimmten Punkt vollständig abgebrochen und jegliche weitere Bearbeitung verweigert bzw. aufgegeben. In aller Regel wird in den untersuchten Beispielen die Problembearbeitung von den Sachbearbeitern vorgenommen, die Klienten initiieren Reparaturen höchstens. Lediglich in zwei Gesprächen bearbeiten die Klienten Verstehensprobleme, und zwar ausschließlich dann, wenn die Sachbearbeiter durch explizite Klärungsnachfragen deutliche Reparaturinitiierungen vornehmen. Die beobachteten Problembearbeitungen finden zudem in aller Regel retrospektiv statt. Da in dieser Arbeit «Problem» jedoch auch interaktiv definiert wird, also als Verstehensproblem nur aufgefasst wird, was in der Interaktion selbst als bearbeitungsbedürftig gekennzeichnet wird, zählen prospektiv bearbeitete und dadurch in der Interaktion selbst u. U. nicht manifeste Verstehensprobleme im Grunde nicht dazu. Trotzdem fallen in den betrachteten Gesprächen einige Stellen auf, an denen Probleme offenbar antizipiert und prospektiv bearbeitet werden. Diese werden im Folgenden zumindest exemplarisch besprochen.

118 

 Analysen I: Verstehensprobleme

6.1.1.6 Exkurs: Prospektive Problembearbeitung Ein Gespräch, in dem verhältnismäßig viele prospektive Bearbeitungen antizipierter Verstehensprobleme zu beobachten sind, ist das Gespräch 17 des deutschen Korpusteils mit einer türkischen Klientin. Bereits oben bei der Besprechung des Beispiels 6 fiel auf, dass dem hauptsächlich in institutionellen Kontexten gebräuchlichen Terminus «Kontrolluntersuchung» direkt im Anschluss der alltagssprachlichere Begriff «Prüfung» angefügt wird, womit ein eventuelles Verstehensproblem im Zusammenhang mit einem solchen Fachterminus prospektiv bearbeitet wird. In demselben Gespräch finden an mehreren weiteren Stellen andere prospektive Problembearbeitungen statt, wie die folgenden zwei Beispiele zeigen. Beispiel 8: P 17 dt. [71] Sb [v]

Ergebnis vom Arzt . Aba von/ • vom Arzt vom Jobcenter.

Kl [v]

Mhm.

Ja? • Bitte dieses Jaha.

[72] Sb [v]

ausfülln. • • Habm Sie • Probleme? Jaa • habm Sie. • Augn. Ja?

Kl [v]

Und neunzich

Mhm.

[73] Sb [v]

Prozent • Grad der Behinderung.

Kl [v]

Bitte das mit angebm. • Und dann • Ihrn Arzt Mhm.

[74] Sb [v]

— Ja?

Kl [v]

Mein Augenarzt?

Augnarzt oder • allgemein. Sie sagn Lunge— Sie habm Atem Mhm

[75] Sb [v]

beschwerdn. Bitte • Arzt • hier hinschreibm.

Kl [ v]

ja.

Doktor mhmhm und • Skalitzer Oke.

Mhm.

[76] Sb [v] Kl [v]

Straße oder

Schlesisches Tor— Neeneenee Kottbser Torr.

Kottbusser Tor. Gut. Bitte unbedingt hier Jaa.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 119

Beispiel 9: P 17 dt. [95] Sb [v]

Wir guckn dann • • was sagt der Augnarzt was sagt der Lungnarzt.

Und dann krieg

Kl [v]

Oke.

[96] Sb [v]

ich • ein Ergebnis.

Kl [v]

Ja? Frau XZ kann nicht mehr • zum • Kurs. Oke. Ein Ergebnis.

Das/

[97] Sb [v] Kl [v]

Frau XY/ • Ja? Oke.

Oke.

Aber isch möschte • lernen ein Bisschen auf deutsch oder äh • is lange für diese

In Beispiel 8, PF 71, 72, wird ein Problem mit der Aufforderung «Bitte dieses ausfüllen» (und eventuell der Aktivität des Ausfüllens selbst) antizipiert. Die Sb bearbeitet dieses prospektiv, indem sie das Formular imaginär gemeinsam mit der Kl ausfüllt. Dabei schreibt sie nicht in das Formular, sondern geht beispielhaft mit der Kl einige Fragen durch und gibt Antwortvorschläge: «Habm Sie • Probleme? Jaa • habm Sie. • Augn.» Sie versichert sich des Verständnisses der Kl durch die tag question «Ja?». Zudem werden Äußerungen der Kl, in denen sie ihr Krankheitsbild beschreibt, wiederholt und Fachtermini hierfür vorgeschlagen: «Sie sagn Lunge— Sie habm Atembeschwerdn» (PF 74). Damit wird der Kl zum einen die abstraktere Handlungsaufforderung ‹ein Formular ausfüllen› in konkretisierender Form verdeutlicht. Zum anderen wird ihr das Ausfüllen selbst erleichtert, da sie von der Sb bereits Fachtermini genannt bekommt, die sie eintragen kann. Auch wird ein mögliches Verstehensproblem mit der Bezeichnung «Arzt» antizipiert und der Äußerung «Bitte Arzt hier hinschreibm» (PF 75), zur Verdeutlichung der Begriff «Doktor» angefügt, der für Fremdsprachler u. U. leichter verständlich ist, da er in vielen Sprachen, auch im Türkischen, existiert. Anschließend scheint die Sb ein Verstehensproblem mit dem Begriff «Adresse» oder dem behördentypischen «Wohnort» zu antizipieren. Sie fragt nicht danach, sondern gibt stattdessen wieder mögliche Antworten vor: «Skalitzer Straße oder Schlesisches Tor—» (PF 76). Die Kl zeigt, dass sie die (implizite) Frage nach einer Adresse verstanden hat, und korrigiert: «Neeneenee Kottbser Torr» (PF 76).

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 Analysen I: Verstehensprobleme

In Beispiel 9 wird dagegen wohl ein Verstehensproblem mit komplexen Äußerungen antizipiert. Die Sb verwendet sehr einfache Satzkonstruktionen, ausschließlich Hauptsätze sowie direkte Rede: «Wir guckn dann • • was sagt der Augnarzt was sagt der Lungnarzt.» (PF 95). Zudem wird ein Problem mit dem Begriff «Ergebnis» antizipiert und dieser konkretisiert, indem wiederum unter Verwendung direkter Rede Beispiele für mögliche Ergebnisse eines ärztlichen Gutachtens angeführt werden: «Frau XY kann nich mehr • zum • Kurs. Frau XY/» (PF 96, 97). Diese Verfahren – imaginäres gemeinsames Durchgehen eines Formulars, Vorgeben von Antwortmöglichkeiten, Vermeidung komplexer Äußerungen, Verwendung direkter Rede und Anführen von Beispielen zur Konkretisierung eines Sachverhalts – können prospektiv mögliche Verstehensprobleme der Klienten bearbeiten, noch bevor sie entstehen, und somit schneller zum gegenseitigen Verständnis beitragen.

6.1.2 Sprachproduktionskompetenzen Die bislang untersuchten Verstehensprobleme hingen mit rezeptiven Sprachkompetenzen der Klienten und mit den am Rezipienten orientierten Sprachproduktionskompetenzen der Sachbearbeiter zusammen. Es handelte sich also um Verstehensprobleme auf Seiten der Klienten, die die Sachbearbeiter nicht bzw. missverstanden. Auch sprachproduktive Kompetenzen der Klienten (und nicht ausreichend ausgeprägte Kompetenzen der Sachbearbeiter bezüglich des Verstehens nichtmuttersprachlicher Äußerungen) können aber eine wichtige Rolle spielen. Im Folgenden werden also Verstehensprobleme analysiert, in denen Sachbearbeiter die Klienten nicht oder missverstehen. Selting (1987) bemerkt, dass unterschiedliche Arten von Problemen auch unterschiedlich bearbeitet werden. In den folgenden Analysen soll daher ein Augenmerk darauf gelegt werden, ob hier andere Bearbeitungsverfahren dieser Probleme als in den oben besprochenen Beispielen zu beobachten sind. 6.1.2.1 Die lexikalisch-semantische Ebene In verschiedenen Gesprächen entsteht der Eindruck, dass Verstehensprobleme auftreten, die mit Sprachproduktionskompetenzen auf lexikalisch-semantischer Ebene zusammenhängen. Dies soll im Folgenden an einigen Beispielen untersucht werden.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

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6.1.2.1.1 «Falsche» Wortwahl und Switches in andere Sprachen Zuweilen lässt sich beobachten, dass Klienten eine Wortwahl treffen, die offenbar nicht den Erwartungen der Behördenmitarbeiter entspricht. Das kann eine Strategie darstellen, Formulierungsprobleme zu überbrücken, führt in einigen Fällen aber zu Verstehensproblemen, wie im folgenden Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen einer türkischstämmigen Klientin und einer deutschen Mitarbeiterin eines Jobcenters. Beispiel 10: P 5 dt. [1] Kl2

Ich wollte noch was fragn. Wenn wir jetz in Urlaub fahrn müssn/ äh in Urlau/ Urlaub fahrn

[2] Sb Kl2

Für eine Woche? möschtn müssn wir dann vor einer Woche äh Bescheid sagn?

Vor einer

[3] Sb Kl2

Ja also ich sach jetz mal Sie werdn sicher früher buchn wolln aber • es is zeitnah zu Woche.

[4] Sb

beantragn. Also dis heißt ein zwei Wochn vorher.

Durch eine Klärungsnachfrage in PF 2 zeigt die Sb ein lokales Verstehensproblem an mit der Formulierung der Kl «müssn wir dann vor einer Woche äh Bescheid sagn?». Dieses scheint die Sb selbst zunächst auf phonetischer Ebene zu vermuten. Das erschließt sich daraus, dass sie als Bearbeitungsvorschlag eine als Frage formulierte phonetische Korrektur der von der Kl geäußerten temporalen Präposition vor anbringt, indem sie diese durch die Präposition für («für eine Woche») ersetzt. Es handelt sich um eine «embedded correction» (Jefferson 1987). Diese wird jedoch von der Kl zurückgewiesen, indem sie den entsprechenden Teil ihrer vorangegangenen Äußerung («Vor einer Woche») in identischer Form wiederholt.7 Daraus schließt die Sb offenbar, dass es sich nicht um ein Problem der pho-

7 Das beschreibt Jefferson (1987, 95) als klassichen Verlauf einer «rejected correction» nach dem Muster: Urspungsäußerung X, Vorschlag einer alternativen Äußerung Y, Wiederholung der Äußerung X.

122 

 Analysen I: Verstehensprobleme

netischen Realisierung handelt, sondern dass mit vor hier tatsächlich ein zeitlicher Bezug genommen werden soll. Da der Zeitpunkt, auf den Bezug genommen werden soll, aber offensichtlich nicht in der Vergangenheit liegen kann (was aus dem Kontext deutlich wird), muss eben dieses vor sich nun auf den Zeitpunkt des zu Beginn der Sequenz angesprochenen Urlaubs beziehen. Die Sb verdeutlicht dies selbst, indem sie zum Ende ihrer Antwort den Ausdruck «vor einer Woche» erneut, diesmal auf lexikalischer Ebene, korrigiert: «ein zwei Wochn vorher». Damit ist das Verstehensproblem an dieser Stelle durch eine (fremdinitiierte) Fremdkorrektur (cf. Sacks/Schegloff/Jefferson 1977, 367 s.) behoben. Auch bei dem folgenden Beispiel handelt es sich um ein Verstehensproblem, das lexikalisch-semantisch bedingt sein dürfte. Beispiel 11: P 43 dt. Sb Kl2

Nee Herr XY lassn Se ma Ihre Frau sprechn. Ich will ja auch hörn wie sie jetz sollse halt/

[7] Sb Sb [k]

spricht. Frau XY • was möchtn Sie denn? An Kl gerichtet

Kl

((4s))

Ich möchte ein Mann um Deutsch

Kl [k]

Nachdenklicher Blick

Über das ganze Gesicht strahlend

[8] Sb Kl

((3s)) ähm • • alsoo solln wir dann erstma weitermachn mit dem Kurs? sprechen.

In diesem Gespräch an einem Berliner Jobcenter wird eine türkische Klientin gefragt, ob sie mit einem Deutschkurs fortfahren möchte. Da zunächst ihr Ehemann (Kl2) an ihrer Stelle antworten möchte, wird von der Sb explizit darauf hingewiesen, dass diese Frage sich an die Kl selbst richtet: «Frau XY • was möchtn Sie denn?» (PF 6). Die Kl zögert relativ lang (4 Sekunden) und ist anschließend offenbar stolz oder froh, eine Antwort produzieren zu können, was ihr Gesichtsausdruck («über das ganze Gesicht strahlend») anzeigt. Ihre Antwort («Ich möchte ein Mann um Deutsch sprechen») scheint sich jedoch zunächst nicht direkt auf die Frage zu beziehen. Das Problem der Sb, die Klientenäußerung zu verstehen, zeigt sich an ihrem 3 Sekunden langen Zögern, dem Verzögerungslaut «ähm», einem erneuten kürzeren Zögern und der Längung des Endvokals bei «alsoo» (PF 8).

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 123

Problematisch ist in der vorangegangenen Äußerung der Kl in erster Linie die Formulierung «Ich möchte ein Mann» (mangelnde Kohärenz). Das bestätigt die Sb auch selbst, da sie im Anschluss an die Gesprächsaufnahme bemerkt, vor allem die Formulierung «ein Mann» habe sie «aus dem Konzept» gebracht (Feldnotizen Sb e zu Gespräch 43dt.). Hintergrund des Verstehensproblems ist in diesem Fall also eine aus Sicht der Sb falsche Wortwahl («ein Mann»), die aus einer falschen Übersetzung aus der Muttersprache der Kl resultieren kann, da das türkische Wort adam sowohl ‹Mann› als auch ‹Mensch› bedeutet.8 Die Bearbeitung des Problems (eine fremdinitiierte Fremdreparatur) erfolgt mittels einer Inferenzüberprüfung (cf. Kindt 1984) durch die Sb: «alsoo solln wir dann erstma weitermachn mit dem Kurs?». Die Einleitung dieser Frage mit «also» zeigt an, dass es sich hierbei um eine Zusammenfassung dessen handelt, was die Sb aus der Äußerung der Kl verstanden zu haben glaubt.9 Durch die steigende Intonation am Satzende wird die Kl um Bestätigung oder Zurückweisung dieser Zusammenfassung gebeten. Dass sie die Frage nicht verneint, wird als Ratifizierung aufgefasst und das Thema anschließend beendet. Ob es sich hierbei um eine tatsächliche Ratifizierung handelt, ob das Verstehensproblem also erfolgreich bearbeitet wurde, bleibt allerdings im weiteren Verlauf des Gesprächs offen. Die bislang beobachteten Probleme auf lexikalisch-semantischer Ebene wurden jeweils mit fremdinitiierten Fremdreparaturen bearbeitet. Die Sachbearbeiter signalisierten also ein Problem, initiierten eine Bearbeitung und führten diese selbst durch (Inferenzüberprüfung; Korrektur), was die Klienten bestätigen oder zurückweisen konnten. Ein Versprachlichungsproblem, das auf andere Art und Weise bearbeitet wird und letztlich auch nicht zu einem tatsächlichen Verstehensproblem führt, ist in Beispiel 12 zu beobachten. Es handelt sich hierbei um einen weiteren Ausschnitt aus dem oben bereits in Teilen besprochenen Gespräch 17 des deutschen Korpus mit einer türkischen Klientin an einem Berliner Jobcenter. In dieser Sequenz geht es darum, ob und falls ja, wie viele Stunden pro Woche die Kl trotz ihrer starken Sehbehinderung an einem Deutschkurs teilnehmen kann.

8 In diesem Fall wäre es ein Problem der semantischen Äquivalenz. 9 Fragen dieser Art, die Ja-Nein-Antworten ermöglichen, sind im Übrigen auch ein häufig verwandtes Mittel, um Sprechern mit geringeren Sprachproduktionskompetenzen Antworten zu erleichtern.

124 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Beispiel 12: P 17 dt. [23] Sb [v] Kl [v]

Wie viele/

Genau.

((1,5s)) Deer ähm äh der Mann auch dee • Schule? • Weitermachn?

((1,5s)) Aber

[24] Sb [v] Kl [v]

Schwer. das is ähh • • bisschen • •

schwer • • für die Treppe? • ßweiter oder dritte •

[25] Kl [v]

Etage. • • Für mir ganz schweer. • • •

Die Sb nimmt vermutlich bereits aufgrund des bisherigen Verlaufs des Gesprächs an, dass die Kl relativ starke Versprachlichungsprobleme, vor allem auf lexikalisch-semantischer Ebene und bezüglich der syntaktischen Struktur hat. Darauf weist auch in diesem Gesprächsausschnitt eine Vielzahl (meist kurzer) Pausen in den Äußerungen der Kl hin. In ihren Äußerungen fehlen teilweise Verben und Präpositionen, was allerdings nicht zu Verstehensproblemen auf Seiten der Sb führt. In PF 24 zeigt sich ein sehr deutliches Versprachlichungsproblem der Kl, da ihre Äußerung «Aber das is ähh • • bisschen • •» offen stehen bleibt und nicht mit dem entsprechenden Prädikativum vervollständigt wird. Offenbar hat sie Schwierigkeiten, dieses zu benennen und initiiert durch ihr Zögern selbst eine Bearbeitung. Das erkennt die Sb unmittelbar und greift zu dem Verfahren der «interaktiven Vervollständigung» (Gülich 1986), indem sie selbst das gesuchte Adjektiv vorbringt («schwer»), was von der Kl im Anschluss wiederholt und damit bestätigt wird.10 Einen Moment später, in PF 25 gebraucht die Kl das Adjektiv erneut, diesmal verstärkt durch die Steigerungspartikel «ganz». Damit hat sie es offenbar endgültig aufgenommen. Hervorzuheben ist an diesem Beispiel, dass die Bearbeitung des hier beobachteten Problems zum einen nicht von der Sb, sondern von der Kl selbst initiiert wird, und zum anderen, dass diese mittels der interakti-

10 Auffällig ist hierbei, dass die Sb das entsprechende Wort nicht in Frageform vorschlägt, sondern durch sinkende Intonation am Wortende anzeigt, dass es sich hierbei um eine Feststellung handelt. Sie scheint sich also sehr sicher zu sein, dass es sich um das von der Kl gesuchte Wort handelt.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 125

ven Vervollständigung gemeinsam von beiden Interaktanten vorgenommen wird und keine Fremdreparatur wie in den oben besprochenen Beispielen ist. Auch im argentinischen Korpus lassen sich Verstehensprobleme beobachten, die mit den Sprachproduktionskompetenzen der Klienten zusammenhängen. Als ein Beispiel für ein Problem auf der lexikalisch-semantischen Ebene soll das folgende besprochen werden. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem oben bereits erwähnten Gespräch mit einem ghanaischen Klienten an der argentinischen Ausländerbehörde. Beispiel 13: P 10 arg. [191] Sb4 [v] A una habitación? • O un departamento habitación particular? Kl2 [v]

No

No. Poné eh • • • s

[192] Sb4 [v]

Qué de Santiago del Estero?

Kl2 [v] un • • (un colega de Estero).

Liesón qué es? (liaison)

[193] Sb4 [v] Kl2 [v] No sé unaa—

No pues • Vos dices que vienen de Santiago del Estero? De ahí pero • •

In dieser Sequenz geht es um den Wohnort des Kl in Buenos Aires. Die Sb hat die Adresse bereits erhalten und möchte nun wissen, um was für eine Art von Wohnung es sich handelt. Ihre Vorschläge für mögliche Antworten («habitación»: ‹Wohnung› und «departamento habitación particular»: ‹einzelnes Zimmer›, PF 191) verneint der Kl: «No no». Anstelle dessen erklärt er: «s un • • (un colega de Estero)» (‹es ist ein • • (Kollege aus Estero)›). Diese Antwort versteht die Sb allerdings nicht – u. U. akustisch oder aber weil eine Präposition (con z. B.) fehlt. Sie initiiert mit einer Klärungsnachfrage, die eine «specific request for repetition» (Garvey 1979) darstellt, eine Bearbeitung: «Qué de Santiago del Estero?» (‹Was aus Santiago de Estero?›). Die Antwort des Kl, «(liaison)», ist jedoch akustisch schwer zu verstehen, zudem handelt es sich um ein französisches Wort, das im Spanischen auch als Lehnwort nicht gebräuchlich ist. Akustisch versteht die Sb den Kl offenbar, da sie seine Äußerung wiederholt (in spanischer Aussprache: «Liesón»). Ihr Verstehensproblem bezieht sich dagegen auf die Wortbedeutung, was sie in ihrer Frage «Liesón qué es» (‹Liesón was ist das?›) (PF 192) explizit macht.

126 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Der Kl setzt daraufhin zu einer Erklärung an: «No sé unaa–» (PF 193). Ebenso die Einleitung «no sé» (‹Ich weiß nicht›), die entweder als Hesitationsmarker dienen oder explizit die Übersetzungsschwierigkeit ausdrücken kann, wie auch die Längung des Endvokals des Artikels «unaa» und das anschließende Zögern zeigen jedoch Schwierigkeiten des Kl, die Erklärung zu Ende zu bringen und das Verstehensproblem zu bearbeiten. Der ohne Substantiv offen stehen bleibende Artikel «una», weist, genau wie im oben besprochenen Beispiel 12, darauf hin, dass der Kl an dieser Stelle ein Versprachlichungsproblem auf lexikalisch-semantischer Ebene hat, dass ihm also ein Wort fehlt. Hier findet jedoch keine interaktive Vervollständigung statt – was damit zusammenhängen mag, dass die Sb ihre Unkenntnis des zu übersetzenden Begriffs bereits explizit gemacht hat. Sie lässt dem Kl jedoch auch kaum Zeit, das Problem auf andere Art zu bearbeiten und bricht den Erklärungsversuch mit der (Ablehnung signalisierenden) Interjektion «No pues» ab (PF 193). Das Thema wird beendet, ohne das Verstehensproblem erfolgreich bearbeitet zu haben. Die Sb initiiert ein neues Thema und fragt, ob der Klient aus Santiago de Estero komme.

6.1.2.1.2 Unidiomatische oder varietätenbedingt unerwartete Formulierungen Beispiel 14: P 38 dt. Sb [v]

Wir machn das so • ich klär das und wenn ich das geklärt habe ruf ich Sie an. Ham Sie n

[2] Sb [v] Kl [v]

Telefon?

Was? Äh i/ isch hab Telefon aba ich weiß nich äh • gibs bei Ihnen oda nisch?

Hab

[3] Sb [v] Kl [v]

Moment ich gucke. isch gegebm oda wa?

In diesem Beispiel manifestiert sich ein Verstehensproblem der Sb in PF 2, was durch die Klärungsnachfrage «Was?» (eine «nonspecific request for repetition», Garvey 1979), explizit gemacht wird. Auffällig an der vorherigen Äußerung des Kl ist, dass das Objekt des Satzes «gibs bei Ihnen oda nisch?» fehlt. Zudem ist die Formulierung «gibs bei Ihnen» zwar (grammatisch und lexikalisch) nicht inkorrekt, aber offenbar für die Sb unerwartet.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 127

Bearbeitet wird das Problem vom Kl selbst durch eine Umformulierung seiner Äußerung: «Hab isch gegebm», woraufhin die Sb unverzüglich Verstehen anzeigt und weitere Ausführungen abbricht mit der Antwort «Moment ich gucke». Möglicherweise führt hier zur Verstehensherstellung, dass der Kl erstens von der dritten Person Singular in die erste wechselt (also seine eigene Aktivität dabei in den Vordergrund rückt) und zweitens vom Präsens in das Perfekt, wodurch auf den Prozess der Übermittlung (der Telefonnummer) verwiesen wird. Dadurch erhält die Äußerung erst semantische Eindeutigkeit, obgleich immer noch das Objekt des Satzes fehlt. Die ursprüngliche Äußerung «gibs bei Ihnen», die sich auf den vorangegangenen Satz «isch hab Telefon» bezog, hätte ebenso gut eine Frage danach sein können, ob die Sb ein Telefon habe (das fehlende Objekt des Fragesatzes hätte also das Telefon sein können). Da aber aus dem Kontext des Gesprächs heraus beiden Interaktanten klar ist, dass der Kl der Sb wohl kaum ein Telefon «gegebm» haben dürfte, lässt sich aus seiner Aussage nun leichter schlussfolgern, dass er auf eine Telefonnummer referiert. Es handelt sich hierbei offenbar um ein Beispiel für ein Verstehensproblem, das mit einer zwar nicht fehlerhaften, aber unidiomatischen Formulierung zusammenhängt. Solche unidiomatischen Formulierungen sind vermutlich vor allem in Gesprächen mit Nicht-Muttersprachlern zu beobachten und können auf Übertragungen aus der Mutter- in die Fremdsprache basieren (cf. Porila/ten Thije 2009a). Ähnliche Verstehensprobleme können jedoch auch dann auftreten, wenn die Interaktanten dieselbe Muttersprache, aber unterschiedliche Varietäten derselben sprechen, nämlich wenn ein Gesprächspartner eine varietätentypische Formulierung verwendet, die dem Gegenüber weniger geläufig ist. Beispiel 15: P 115 arg. [2] Sb [v]

Dame tu cédula la fotocopia de tu cédula • • eh la tarjeta de ingreso al país

Kl [v]

Eh? Hice perder.

[3] Sb [v] Kl [v]

No la tenés?

Bueno vamos a ver si pasa en el sistema. No (la) hice perder.

In diesem Ausschnitt aus einem Gespräch an der argentinischen Ausländerbehörde mit einem bolivianischen Klienten, der Spanisch als seine Muttersprache angibt, tritt ein (leichtes) Verstehensproblem der Sb in PF 2 auf, angezeigt durch den eine unbestimmte Frage oder Bitte um Wiederholung signalisierenden Laut «Eh?».

128 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Das Problem bezieht sich offenbar auf die vorangegangene Äußerung des Kl: «Hice perder» (wörtlich: ‹ich machte verlieren›). Hierbei handelt es sich um eine im bolivianischen, nicht aber im argentinischen Spanisch übliche, also varietätentypische Formulierung, der die standardspanische Formulierung «lo/la perdí» entspräche (cf. Palacios 2008). Das Problem wird allerdings direkt im Anschluss an die Problemmanifestation von der Sb (also fremd-) bearbeitet, und zwar durch eine als Frage formulierte (und damit als Inferenzüberprüfung dienende) standardsprachliche Paraphrasierung: «No la tenés?» (‹Du hast sie nicht?›).11 Dass es sich hierbei um eine treffende Paraphrasierung seiner vorangegangenen Äußerung handelt, bestätigt der Kl durch eine Wiederholung seiner eigenen Äußerung, womit das Verstehensproblem an dieser Stelle gelöst ist. Verstehensprobleme, die im Zusammenhang mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen auf lexikalisch-semantischer Ebene stehen, treten darüber hinaus in einer Reihe von weiteren Gesprächen auf, die jedoch nicht alle im Einzelnen hier besprochen werden können. 6.1.2.2 Grammatische Aspekte Im folgenden Gesprächsausschnitt lässt sich ein Verstehensproblem zwischen dem Klienten, einem türkischen Mann, und der deutschen Sachbearbeiterin eines Bürgeramtes beobachten, das möglicherweise auf Schwierigkeiten des Klienten mit der Grammatik zurückgeht. Beispiel 16: P 103 dt. [1] Sb [v]

So bittschön.

Kl [v]

Ähh • isch hab eine Problem. Vorr • gestern hab isch meinn • die Karrte

[2] Sb [v] Kl [v]

Mhm von die BV/BVG weißtu?

Berlinpass.

Mhm

Was is Ja. Schon gew/wascht weißtu?

[2] Sb [v] Kl [v]

damit?

Achso. Ha isch schon gewascht. • • Ist gewascht. • Bei • Waschmaschine hab isch

11 Das Verb ist hierbei allerdings der argentinischen, teilweise aber auch der bolivianischen Varietät entsprechend konjugiert (voseo).

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 129

Zu Beginn dieser Sequenz leitet der Kl sein Anliegen ein, indem er erklärt, er habe ein Problem (PF 1) und ansetzt, dieses zu beschreiben: «Vorr • gestern hab isch meinn • die Karrte von die BV/BVG» (PF 1, 2). An diesem Punkt unterbricht er sich selbst, um sich anhand der hier als tag question funktionierenden Redewendung «weißtu» zunächst der Aufmerksamkeit und des Verständnisses der Sb zu versichern. Durch Hörerrückmeldungen («Mhm») und eine Präzisierung der vom Kl vorgebrachten Äußerung mit der offiziellen Bezeichnung «Berlinpass» (die vom Kl bestätigt wird: «Ja») signalisiert die Sb Verstehen. Der Kl fährt daher mit seiner Äußerung fort. An dieser Stelle sind jedoch zwei sich problematisch auswirkende Aspekte zu beobachten: Zum einen zeigt die Klientenäußerung «Schon gew/gewascht» ein fehlerhaftes Partizip Perfekt. Zum anderen fehlen nun – da der Beginn des Satzes durch die eigene Unterbrechung und die Präzisierung durch die Sb bereits etwas weiter entfernt ist – in diesem Satzglied Hilfsverb und Subjekt. Mit «weißtu» versucht der Kl sich erneut des Verständnisses beim Hörer zu vergewissern. An der Klärungsnachfrage der Sb (die dem Typ der «potential request for elaboration» entspricht, Garvey 1979) «Was is damit?» (PF 2, 3) zeigt sich jedoch, dass an dieser Stelle ein Verstehensproblem auftritt. Daher rephrasiert der Kl seine Äußerung, fügt nun aber Subjekt und Hilfsverb («Ha isch») hinzu. Das Ausbleiben einer Reaktion der Sb weist allerdings auf ein weiter bestehendes Verstehensproblem hin, was der Kl offenbar auch in dieser Weise auffasst. Er versucht eine Bearbeitung seiner vorangegangenen Äußerung in Form einer Umformulierung im Passiv: «Ist gewascht». Weiterhin besteht allerdings eine fehlerhafte Konjugation des Partizip Perfekt von waschen. Da die Sb in der Folge immer noch nicht reagiert, versucht der Kl eine andere Form der Problembearbeitung. Er paraphrasiert seine Äußerung erneut, verwendet nun jedoch gar keine Verben mehr (umgeht also potentielle Fehlerquellen bei der Konjugation), sondern eine Nominal-Konstruktion: «Bei Waschmaschine». Zwar enthält auch diese noch einen Fehler bezüglich der Präposition (bei statt in) und der Artikel fehlt, das scheint aber weniger erheblich zu sein, da die Sb nun durch die Interjektion «Achso» Verstehen signalisiert. Ein ähnliches Verstehensproblem lässt sich auch im nächsten Beispiel beobachten: Beispiel 17: P 22 dt. [97] Sb [v] Kl [v]

Ja. andre Frage.

Meine/ äh isch habe eine Kollege • äh der kauft äh Laibel

130 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[98] Kl [v]

nischt neu äh • isch glaube R/Restpost oder was • Dschanns • äh sagt isch • Sache • in

[99] Kl [v]

Berlin aba isch muss gefunde eine Lage oda ein Laden. • Isch sofort äh äh ((1s)) diese

[100] Sb [v] Kl [v]

Nochmal. Also Sie ham – Arbeit oda muss • isch zurück mit äh Sie sprechen?

Ja.

[101] Kl [v]

Meine Kollege nischt in Deutschland. Äh • raus • Amerikan. Äh hab isch viele Sache

[102] Sb [v]

Mhm?

Sb [k]

Skeptisch

Kl [v]

äh Dschenns • • äh äh Transport hier. • N in Deutschland.

Äh sagt sie/

[103] Kl [v]

isch • suche einen Lagen oder äh Laden. Lagen oder eine äh Laden wir kaufen. • Äh

[104] Sb [v] Kl [v]

Na wenn Sie jetzt ein Gewerbe • habm isch muss • mit Sie sprechen oder–

Auch hier wird die komplexe Äußerung des irakischen Kl, die von PF 97 bis 100 reicht, offenbar von der Sb nicht verstanden. Sie initiiert eine Bearbeitung und fordert den Kl zur Wiederholung auf: «Nochmal. Also Sie ham–» (PF 100). Die vorangegangene Äußerung des Kl, auf die sich dieses Verstehensproblem bezieht, zeichnet sich durch Folgendes aus: Viele Selbstunterbrechungen und Neuansätze, Stocken und Verzögerungslaute («äh») in der Äußerung des Kl weisen bereits auf dessen Schwierigkeiten beim Produzieren der Äußerung hin. Die Äußerung weist an mehreren Stellen grammatische Fehler auf (z. B. «isch muss gefunde», PF 99). Verben und Artikel werden häufig ausgelassen (z. B. in den Äußerungen: «äh sagt isch • Sache • in Berlin», «isch sofort äh äh ((1s)) diese Arbeit oda»). Zudem werden zentrale Elemente der Äußerung phonetisch «falsch» oder zumindest von der üblichen Aus-

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 131

sprache abweichend realisiert (v. a. die Anglizismen «Jeans» > «Dschanns» und «Label» > «Laibel» statt «Læibel»).12 Versprachlichungsprobleme (cf. Gülich/ Kotschi 1996) bestehen hier also v. a. bezüglich der syntaktischen Struktur und der phonetischen Realisierung (teilweise auch auf lexikalisch-semantischer Ebene, z. B. «Lage oder ein Laden», PF 99). Anders als im oben besprochenen Beispiel 16, führt das Auslassen der Verben hier nicht zu einer Verstehenssicherung, sondern eher zu Unverständnis. Allerdings werden hier auch nicht wie oben sehr einfache Nominal-Konstruktionen verwendet, sondern es entstehen schlichtweg Lücken in der Äußerung, unvollständige Sätze. Daraus entsteht offenbar ein Verstehensproblem der Sb, weshalb diese, wie oben beschrieben, eine Problembearbeitung initiiert. Der Kl setzt daraufhin zu einer erneuten Darstellung seines Anliegens an (PF 101, 102). Auch diese nun folgende Äußerung des Kl ist jedoch durch unvollständige Syntax, v. a. fehlende Verben, Präpositionen und (Personal-) Pronomen gekennzeichnet (z. B. «Meine Kollege nischt in Deutschland», «Äh • raus • Amerikan») sowie durch eine weiterhin abweichende phonetische Realisierung insbesondere des Anglizismus› «Jeans» (allerdings etwas abgeändert: «Dschenns» statt wie zuvor «Dschanns»). Die vielen kurzen Pausen und Verzögerungssignale zeigen weiterhin Versprachlichungsprobleme an. Die Reaktion der Sb, lediglich ein vager Zustimmungs- oder Überlegenslaut «mhm?», lässt sich als Hinweis auf ein immer noch bestehendes Verstehensproblem auffassen. Erst als der Kl in PF 103 und 104 erneut auf seine eigentliche Frage hinleitet, verwendet er mehr (und zwar korrekt konjugierte) Verben: «isch suche einen Lagen oder äh Laden» (statt «isch muss gefunde») und «eine äh Laden wir kaufen». Durch die Verwendung von Verben wird auch seine Hauptfrage verständlich: «Isch muss • mit Sie sprechen oder—». Diese Frage enthält zwar noch einen Kasusfehler, dieser führt aber nicht zu einem Verstehensproblem.13 Der Umstand, dass die Sb anschließend zu einer Antwort ansetzt, zeigt, dass das Verstehensproblem an dieser Stelle behoben ist.

12 Weitere Verstehensprobleme, die im Zusammenhang mit einer unüblichen phonetischen Realisierung stehen, werden in Abschnitt 6.1.2.4 besprochen. 13 Dieser Kasusfehler ist nicht nur bei Sprachlernern, sondern auch im Berliner Dialekt sehr oft zu beobachten (cf. z. B. P. Rosenberg 1986; Dittmar/Schlobinski 1988; Schönfeld/Reiner/Grünert 2001).

132 

 Analysen I: Verstehensprobleme

6.1.2.3 Morphologie Zudem lassen sich Verstehensprobleme auf Seiten der Behördenmitarbeiter auch bereits im Zusammenhang mit leichteren Schwierigkeiten der Klienten mit der Morphologie der entsprechenden Fremdsprache beobachten. Das wird im nächsten Beispiel recht deutlich: Beispiel 18: P 114 dt. [104] Was fürn rot-

Sb [v]

Brauchn ein Foto.

Kl [v]

Un die Personal/ diese rot deutsche Pass auch ein Passbild für die Kinda.

[105] Sb [v]

deutscher Pass?

Reisepass. Ja auch. Alles Fotos.

Kl [v] Kl2 [v]

Reisepass. Diese rote • Pass.

Aha

((2,5s)) Reisepass.

Dieses Gespräch findet an einem Berliner Bürgeramt statt mit einer türkischen Klientin (Kl) und ihrem ebenfalls türkischen Ehemann (Kl2). In der Äußerung der Kl «diese rot deutsche Pass» fehlt ein (Flexions-) Morphem (-e). Die Sb erhält daher offenbar den Eindruck, es handele sich um ein zusammengesetztes Adjektiv: rot-deutsch, da sie eben dieses Adjektiv in ihrer ein Verstehensproblem anzeigenden Klärungsnachfrage («specific request for specification», Garvey 1979), selbst gebraucht (PF 104, 105). Die Zusammensetzung von Adjektiven unter Auslassung des letzten Morphems beim ersten der verknüpften Adjektive ist im Deutschen ein relativ typisches Wortbildungsverfahren.14 Auf die Rückfrage der Sb folgt ein relativ langes Schweigen (2,5 Sekunden), das den beiden Klienten zugeordnet werden kann, da diesen der Turn zugewiesen wurde. Das lässt entweder auf Versprachlichungsprobleme der Klienten oder aber auf ein wechselseitiges Verstehensproblem schließen (wenn also die Klienten nun die Frage der Sb nicht verstanden hätten). Letztlich ergreift Kl2, der Ehemann der Kl, den Turn und unternimmt eine Fremdbearbeitung des Problems, indem er den vollständigen Fachterminus «Reisepass» nennt. Das unterstützt die Kl selbst, indem sie erstens die Äußerung des Kl2 prosodisch leicht verändert wiederholt (nämlich mit Betonung des Bestimmungswortes des Kompositums

14 Da die Farbe rot zudem mit einer bestimmten politischen Richtung assoziiert wird, ergäbe im Übrigen die Zusammensetzung «rot-deutsch» noch eher einen Sinn als beispielsweise «blau-deutsch».

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 133

«Reise-») und anschließend ihre vorangegangene Äußerung rephrasiert, wobei sie an dieser Stelle das Adjektiv «deutsch» auslässt und zudem das Adjektiv «rot» morphologisch korrekt produziert: «Diese rote Pass». (Der weiterhin bestehende Genusfehler stellt anscheinend keine weitere Schwierigkeit für das gegenseitige Verständnis dar.) Die erneute Nennung des Adjektivs «rot» ist allerdings für die Bearbeitung des Problems gar nicht mehr erforderlich, da die Sb bereits auf die Erwähnung des Terminus’ «Reisepass» reagiert und Verstehen anzeigt (Rephrasierung «Reisepass», Bestätigung «Ja auch»). Auffällig ist an diesem Beispiel, dass die Behördenmitarbeiterin hier eine fehlerhafte Morphologie regelrecht zum Gesprächsthema macht, obgleich diese nicht das hauptsächliche Gesprächsthema darstellt. 6.1.2.4 Phonetik Zuletzt lassen sich in den analysierten Gesprächen, wie bereits in Beispiel 17, auch Verstehensprobleme beobachten, die mit der phonetischen Realisierung einzelner Äußerungsteile zusammenhängen können. Diese sollen im Folgenden näher untersucht werden. Das nächste Beispiel ist ein Ausschnitt aus einem Gespräch in der Arbeitsvermittlung eines Berliner Jobcenters. Die Klientin ist eine vietnamesische Immigrantin, die seit sieben Jahren in Deutschland lebt, aber erst seit kurzer Zeit einen Deutschkurs besucht hat. Beispiel 19: P 35 dt. Sb [v]

Ham Sie Fraagen?

Kl [v]

((3s)) Ähm können Sie für mik fragen ähm • i/ ik nehme Deuschkurs un

[15] Kl [v]

dann spreken gut un dann äh können Sie für mik äh ähm ((4s)) Aubietung? • • •

Au • bietung? Leiser, zu sich

Kl [k]

[16] Kl [v]

••

Kl [k]

selbst

Ik ve/ vergessen • • Au/ Aubietung • Aubietung Flüsternd

ähm für für für für • für • für • Kosmetik

Lauter

[17] Sb [v] Kl [v]

eine Ausbildung soo jetz machen oder mmm

Ja

Ja • we/ gerne • wenn Sie • besser • Deutsch Ja

134 

 Analysen I: Verstehensprobleme

In dieser Sequenz wird ein Versprachlichungsproblem der Kl erkennbar an einem vier Sekunden langen Zögern sowie mehreren Verzögerungslauten in PF 15, bevor sie das Wort «Aubietung» äußert. Dass hier zudem ein Verstehensproblem der Sb auftritt, lässt sich deutlich daran erkennen, dass die Sb auf die Frage «Können Sie für mik äh ähm ((4 s)) Aubietung?» (PF 15) nicht reagiert, obwohl ihr der Turn durch die Frage der Kl (steigende Intonation am Äußerungsende) eindeutig zugewiesen wurde. Nach einer kurzen Pause wiederholt die Kl den Ausdruck «Aubietung» etwas langsamer, mit einem Stocken nach der ersten Silbe und wiederum mit steigender Intonation, womit sie die Sb zu einem Verstehenssignal o. ä. auffordert. Da diese weiterhin nicht reagiert (bzw. keine auf der Audioaufnahme erkennbare Reaktion zeigt), nimmt die Kl an, dass sie ein falsches Wort gewählt hat, was sie explizit anspricht: «Ik ve/ vergessen». Nach einem kurzen Zögern wiederholt sie den entsprechenden Begriff erneut, ohne erkennbare phonetische Variation. Die Selbstunterbrechung und der Neuansatz bei der Produktion der Äußerung sowie die sehr leise Aussprache zeigen allerdings Unsicherheit an: «Au/ Aubietung». Anschließend wiederholt sie den Begriff noch einmal, etwas lauter und greift dann zu einem anderen Mittel der Problembearbeitung: Sie beschreibt anhand eines Beispiels die Funktion des Bezugselements: «für für für für • für • für • Kosmetik machen oder mmm» (PF 16, 17). Die mehrfache Wiederholung der finalen Präposition «für» (durch kurze Pausen getrennt) kann entweder auf Versprachlichungsprobleme oder auf Schwierigkeiten beim Suchen nach einem geeigneten Beispiel hinweisen. Die koordinierende Konjunktion «oder», der statt einer Alternative ein Verzögerungslaut «mmm» folgt, zeigt an, dass «Kosmetik» lediglich ein Beispiel darstellt. Auf diese Weise – durch die Verortung des Begriffs im Kontext – gelingt es der Kl, Verstehen herzustellen. Die Sb signalisiert Verstehen, indem sie den fraglichen Begriff («Ausbildung») nun selbst wiederholt, in besonders deutlicher phonetischer Realisierung und mit prosodischer Hervorhebung der ersten Silbe «Aus-» (PF 17). Daran wird ersichtlich, dass das Verstehensproblem in diesem Beispiel tatsächlich auf einer von der üblichen abweichenden phonetischen Realisierung eines Begriffs beruht, dass dieser Begriff aber – anders als die Kl zunächst selbst vermutet – korrekt ist. Schwierigkeiten bereiteten der Kl offenbar besonders die Laute «s», «l» und «d», die u. U. in ihrer Muttersprache nicht in dieser Form gebräuchlich sind. Aussprachebedingt dürfte ebenso das folgende Beispiel für ein Verstehensproblem sein: Beispiel 20: P 22 dt. [129] Sb [v] Kl [v]

• • Ja in Pankow is die Stelle. Aba s kann sein dass

• Nochmal? Pankoof ne?

Paankoof?

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

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Auch in diesem Gespräch (mit einem irakischen Klienten) wird ein Verstehensproblem erkennbar durch eine Wiederholungsaufforderung durch die Sb («nochmal») sowie ein kurzes Zögern nach dieser Wiederholung, bevor die Sb antwortet («• • Ja»). Problematisch ist in diesem Fall offenbar eine von der üblichen abweichende phonetische Realisierung des Bezirksnamens Pankow, in der der Kl jeden Buchstaben deutlich ausspricht: «Pankoof». Auf die Bitte der Sb um Wiederholung, versucht er den Bezirksnamen sogar noch deutlicher auszusprechen und spricht auch den ersten Vokal besonders lang aus: «Paankoof». Obwohl die phonetische Realisierung der Äußerung sich nur unwesentlich von der vorherigen unterscheidet, signalisiert die Sb an dieser Stelle Verstehen, indem sie bestätigt «Ja» und konkretisiert «in Pankow is die Stelle». Dabei verwendet sie selbst die übliche Aussprache [paɳko]. Die bislang besprochenen phonetisch bedingten Verstehensprobleme liegen, wie gezeigt werden konnte, darin begründet, dass die Klienten eine phonetische Realisierung eines Ausdrucks verwenden, die von der üblichen abweicht und teilweise den phonetischen Mustern ihrer Muttersprache entspricht. Dass eine unterschiedliche phonetische Realisierung allerdings auch bei gleicher Muttersprache – jedoch unterschiedlichen Herkunftsvarietäten – von Sachbearbeiter und Klient zu Verstehensproblemen führen kann, zeigt das folgende Beispiel. Es handelt sich hierbei um einen Ausschnitt aus einem Gespräch in der Dirección Nacional de Migraciones, Bereich Mercosur, zwischen einer argentinischen Sachbearbeiterin und einem bolivianischen Klienten, der Spanisch als seine Muttersprache angibt.15 Beispiel 21: P 117 arg. Sb [v] Kl [v]

Alguna calle algo? Bolivia • Santa Cruz.

No de Bolivia estamos hablando • de De acá o dee

[13] Sb [v]

Bolivia.

Cómo?

Kl [v]

Barrio Teʒcio • barrio

Kl [k]

Sehr leise

Barrio? Barrio Teʒcio.

Tensio? Teʒcio?

Tech? Teʒcio.

[14] Sb [v]

Así como se habla • Tech?

Algún número una calle algo? • • De qué calidad

Kl [v]

Si e(s) un barrio.

Kl [k]

Flüsternd

15 Der Klient gibt zudem an, auch im Alltag, beispielsweise mit seinen Kindern, Spanisch zu sprechen.

136 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Der Klient wird nach seiner Adresse gefragt. Er nennt das Stadtviertel, in dem er lebt, und spricht dies Barrio Teʒcio aus (PF 13). An dieser Stelle wird das Lautschrift-Symbol ʒ (IPA) verwandt, um einen Laut wie in Französisch «je» darzustellen, da dieser Laut im Standard-Spanischen nicht existiert und es daher kein entsprechendes Graphem im Spanischen gibt. Im Zusammenhang mit der Nennung dieses Ortsnamens durch den Kl in PF 13 entsteht offenbar ein Verstehensproblem auf Seiten der Sb, das durch mehrmalige Rückfragen ihrerseits signalisiert wird. 16 Auf die erste, sehr leise vorgebrachte Äußerung des Kl «Barrio Teʒcio barrio»,17 reagiert sie zunächst mit der Frage «cómo?», die generell zur Wiederholung auffordert und dementsprechend auch auf ein akustisches Verstehensproblem hinweisen kann. Nach der Wiederholung des Ortsnamens durch den Kl, etwas lauter, aber in gleicher phonetischer Realisierung, fordert die Sb ihn zu einer erneuten Wiederholung nur des zweiten Teils des Ortsnamens auf, in dem sie den ersten Teil mit steigender Intonation rephrasiert: «Barrio?». Daran wird deutlich, dass der zweite Teil des Namens, «Teʒcio», Problemträger des Verstehensproblems ist. Da der Kl nun lauter spricht und die Interaktanten einander direkt gegenüber sitzen, ist nun auch nicht mehr von einem rein akustischen Verstehensproblem auszugehen. Auf die nächsten beiden Wiederholungen des stets auf dieselbe Weise (allerdings einmal mit steigender, einmal mit gleichbleibender Intonation) ausgesprochenen Ortsnamens reagiert die Sb mit Inferenzüberprüfungen, nämlich mit unterschiedlichen Formulierungen dessen, was sie verstanden zu haben meint. Dass der Kl nach ihrer Formulierung «Tensio» noch einmal den Ortsnamen in seiner zuvor gebrauchten Aussprache wiederholt, fasst sie offenbar als Korrektur auf. Daher bietet die Sb eine andere Formulierung an, «Tech», die zur Verstehenssicherung noch einmal wiederholt wird. Schließlich bestätigt der Klient: «Sí es un barrio». Da diese Antwort sehr leise, nur flüsternd vorgebracht wird und der Vorschlag der Sb, «Tech», nicht ganz der ursprünglichen Aussprache des Kl, Teʒcio, entspricht, könnte es sich allerdings weniger um eine tatsächliche Einigung auf den korrekten Ortsnamen als vielmehr um einen Verzicht des Kl auf weitere Korrekturen handeln.

16 Auf ein weiteres Verstehensproblem auf Seiten des Kl in PF 12, angezeigt durch seine Rückfrage «de acá o dee», wird an späterer Stelle eingegangen. 17 Die Wiederholung von «barrio» im Anschluss an die Nennung des Ortsnamens «Barrio Teʒcio» weist auf Unsicherheit hin, die mit dem vorangegangenen Wortwechsel zwischen den Interaktanten zusammenhängen kann. Auf diesen wird an späterer Stelle unter Punkt 6.2 eingegangen.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 137

Wie es zu dem hier beobachteten Verstehensproblem kommt, erklärt sich erst aus gesprächsexternem Wissen über die entsprechenden Varietäten des Spanischen, die die Interaktanten sprechen. Im bolivianischen Spanisch wird der Buchstabe «r» häufig wie «ʒ» ausgesprochen (wie auch in einigen nördlichen Regionen Argentiniens, cf. Palacios 2006). Das Stadtviertel könnte dementsprechend Barrio Tercio heißen. Im argentinischen Spanisch der La-Plata-Region allerdings existiert dieser Laut nicht. Ähnlich klingend wäre das in der La-Plata-Region wie «ʃ» ausgesprochene «y» oder «ll» (wie in «yo», ausgesprochen: «ʃo»), welches aber nur vor Vokalen, nicht wie hier vor dem Konsonanten «c» vorkommt. Auch dieses Verstehensproblem hängt also, trotz gleicher Muttersprache der Interaktanten mit einer – in diesem Fall varietätenbedingt – von der erwarteten abweichenden phonetischen Realisierung eines Ortsnamens zusammen.18 6.1.2.5 Problemunabhängige Verstehenssicherung Die bislang besprochenen Verfahren der Problembearbeitung fanden, wie bereits erwähnt, retrospektiv statt. Prospektive Problembearbeitungen wurden im Zusammenhang mit unterschiedlichen Sprachproduktionskompetenzen der Interaktanten nicht beobachtet. In den Analysen sind allerdings einige Besonderheiten bei Verfahren der generellen Verstehenssicherung zu beobachten, die auftreten, auch wenn kein Verstehensproblem manifest wird, und daher nicht als Problembearbeitungen besprochen wurden: Ein generelles Verfahren der Verstehenssicherung sind Hörerrückmeldungen in Form von Wiederholungen einer Äußerung (eines Äußerungsteils) des Partners, die Verstehen und Aufmerksamkeit signalisieren und gleichzeitig dem Gegenüber die Möglichkeit für eine Bestätigung oder Korrektur geben (womit sie auch als Inferenzüberprüfungen gelten können) (cf. Henne/Rehbock 1982). Gerade in den Gesprächen mit Nicht-Muttersprachlern, die für diese Arbeit aufgezeichnet wurden, sind solche Hörerrückmeldungen von Seiten der Sachbearbeiter häufig zu beobachten. Hiermit wird also nicht-muttersprachlichen Gesprächspartnern deutlich signalisiert, dass man sie verstanden hat, zugleich aber auch immer wieder das überprüft, was man verstanden zu haben meint. Ein Gespräch, in dem dies besonders deutlich zu beobachten ist, ist wiederum Gespräch 17 des deutschen Korpus, wie die folgenden drei Beispiele zeigen.

18 Ein ähnliches Problem im Zusammenhang mit einer varietätenbedingt unterschiedlichen phonetischen Realisierung eines Personennamens ist auch in einem weiteren Gespräch zwischen einem argentinischen Sachbearbeiter und einem bolivianischen Klienten zu beobachten: P 43 arg.

138 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Beispiel 22: P 17 dt. Sb [v]

Sie jetz irgndwo • • Sprachschule • besuchn.

Kl [v]

Ja? Ja isch äh isch

isch habe noch nisch

[8] Sb [v] Kl [v]

Noch nich gefundn. gefunden. Noch nisch/Nein.

Auffällig hieran ist, dass die Sb einen Teil der Äußerung der Kl (ohne Nennung des Subjektes) fast identisch wiederholt, lediglich mit leicht geänderter Aussprache der Negationspartikel («nisch» > «nich»). Dass durch solche Hörerrückmeldungen auch das Verstandene zur Überprüfung gestellt wird, zeigt die Reaktion der Kl, die die Wiederholung der Sb bestätigt. Hörerrückmeldungen in Form solcher identischen Wiederholungen der Äußerungen des Gegenübers zeigen sich in diversen analysierten Gesprächen. Besonders auffällig ist dabei, dass teilweise sogar (grammatisch oder lexikalisch) falsche Formulierungen der Nicht-Muttersprachler von den Muttersprachlern identisch wiederholt werden, wie im folgenden Beispiel. Beispiel 23: P 17 dt. [135] Sb [v]

Andre einpacken Jetz • • noch eine so nehmen • • andre einpacken?

Kl [v] Kl [k]

Ja?

Kl packt Unterlagen ein.

[136] Sb [v]

genau. Das • einpackn. Ich geb Ihn was zum Einpackn.

Während in diesem Fall die Äußerung der Kl identisch wiederholt wird (einschließlich des fehlenden Artikels und der Formulierung im freien Infinitiv), wird in anderen Fällen allerdings die Äußerung des Nicht-Muttersprachlers in der Wiederholung vom Muttersprachler korrigiert (meist mit einer «embedded correction», Jefferson 1987):

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 139

Beispiel 24: P 17 dt. [50] • • Also äh • wird noch

Sb [v] Kl [v]

die Lernen für die/ • deine Augen noch es geht schlimmer.

[51] Sb [v] Kl [v]

schlimmer

wenn Sie jetz den ganzn Tag guckn müssn. Ja.

Jaa ganze Tag mm is/

In diesem Fall erfolgt die Wiederholung der Klientenäußerung erst nach einem kurzen Zögern der Sb und dient offenbar als Inferenzüberprüfung, was durch das Konjunktionaladverb «also» angezeigt wird, das eine Zusammenfassung des zuvor Gesagten einleitet. Zudem wird die Klientenäußerung hier von der Sb in korrigierter Form wiedergegeben (korrigierte Satzstellung und korrigiertes Hilfsverb): «wird noch schlimmer».

6.1.3 Zwischenfazit – Unterschiedliche Sprachkompetenzen Wie gezeigt wurde, hängen Verstehensprobleme in vielen der untersuchten Gespräche mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen der Interaktanten zusammen. Diese werden also in den Interaktionen selbst relevant. Sie betreffen ebenso die semantische wie auch die pragmatische Ebene, ebenso Syntax und Grammatik wie Lexik, Morphologie und Phonetik. Folgende Aspekte fallen dabei auf. 6.1.3.1 Beobachtete Probleme Die häufigsten Verstehensprobleme (s. Zusammenfassung in der unten stehenden Tabelle Nr. 4) auf Seiten der Klienten entstehen im Zusammenhang mit komplexen Äußerungen der Sachbearbeiter (dreimal) und bezüglich der Satzbedeutung (viermal). Dabei wird beispielsweise ausschließlich ein Element, zum Teil ein einzelner Begriff, verstanden und daraus auf eine vermeintliche Satzbedeutung geschlossen. Zudem kommen Registerprobleme vor, die sich entweder auf einen besonders behördentypischen Sprachgebrauch oder umgekehrt auf einen deutlich umgangssprachlichen beziehen, sowie Probleme, die mit einer verzögerten Reaktionsdauer bei Nicht-Muttersprachlern zusammenhängen können. Probleme, die mit einem komplexen Satzbau in Äußerungen von Sachbearbeitern

140 

 Analysen I: Verstehensprobleme

sowie mit einem behördentypischen Sprachgebrauch zusammenhängen, beobachten beispielsweise auch Porila und ten Thije (2009a) bei nicht-muttersprachlichen Klienten auf Behörden und empfehlen daher einen bewussten Umgang mit dem Satzbau und mit der Fachsprache. Auffällig ist allerdings, dass signifikant öfter Verstehensprobleme auf Seiten der Sachbearbeiter zu beobachten sind als andersherum Verstehensprobleme auf Seiten der Klienten. In 11 der 55 analysierten Gespräche (darin mehrfach) verstehen zwar die Klienten die Sachbearbeiter nicht oder falsch. Hinzu kommen unter Umständen weitere Fälle, in denen Klienten eigene Verstehensprobleme nicht signalisieren und die dadurch in der Interaktion selbst vielleicht gar nicht manifest werden. In 24 der 55 Gespräche aber – und darin ebenfalls jeweils mehrfach – verstehen die Sachbearbeiter die Klienten nicht oder falsch.19 Solche Verstehensprobleme treten im Korpus vor allem im Zusammenhang mit Versprachlichungsproblemen der Klienten auf lexikalisch-semantischer Ebene auf (viermal, in weiteren fünf Fällen treten Versprachlichungsprobleme auf dieser Ebene auf, die aber nicht zu Verstehensproblemen führen). Weitere Probleme hängen mit einer unüblichen phonetischen Realisierung zusammen (sechsmal) oder mit der Produktion unvollständiger Sätze (fünfmal). Zudem sind Verstehensprobleme zu beobachten, die auf grammatisch fehlerhaften Äußerungen der Klienten und fehlenden (Flexions-) Morphemen beruhen. Es ist dementsprechend wichtig, dass Behördenmitarbeiter sich einerseits um möglichst einfache Formulierungen bemühen – was nicht nur einen bewussten Umgang mit Satzbau und Fachsprache bedeutet, sondern auch, nicht zu umgangssprachlich zu formulieren, nicht zu schnell voranzuschreiten und eventuell «überdeutlich» zu kontextualisieren. Andererseits sind sie darüber hinaus gefordert, auch selbst das Verstehen zu trainieren und Klienten bei der Sprachproduktion zu unterstützen.20 Hierauf verweisen auch andere Studien zur Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten (cf. Porila/ten Thije 2009a), dieser Punkt wird jedoch meist nicht sehr ausführlich behandelt. Zudem bedeutet dies aber, dass auch (gerade fremdsprachige) Klienten spezifische dem entsprechenden sprachlichen Register angepasste bzw. auf institutionelle Gespräche zugeschnittene Sprachförderungen erhalten können. Es wird

19 Versprachlichungsprobleme, die nicht zu Verstehensproblemen führen, sind hierin nicht eingerechnet. 20 Zumal in nur drei der 55 Gespräche die Sprachkompetenzen der Klienten in der entsprechenden Fremdsprache derart gering sind, dass eine Kommunikation in dieser Sprache ohne Dolmetscher gar nicht möglich ist.

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 141

allerdings noch zu überlegen sein, inwiefern sich diese Feststellung auf mögliche zu entwickelnde Lösungsansätze für die beobachteten Probleme auswirken kann. In den bisherigen Analysen zeigt sich darüber hinaus, dass unterschiedliche Sprachkompetenzen nicht ausschließlich das gegenseitige Verstehen beeinträchtigen, sondern dass dies auch auf der Beziehungsebene negative Folgen mit sich bringen kann, wenn Sachbearbeiter beispielsweise gereizt reagieren, wenn Klienten sie nicht verstehen (wie in Beispiel 4) oder sich auch zumindest latent facebedrohend verhalten, indem sie Klienten unterstellen, die entsprechende Sprache überhaupt nicht zu beherrschen (z. B. «die deutsche Sprache» in Beispiel 7). 6.1.3.2 Problembearbeitungen Bezüglich der Problembearbeitungen lässt sich Folgendes festhalten. Die meisten der beobachteten Verstehensprobleme werden retrospektiv bearbeitet – was, wie bereits erwähnt, damit zusammenhängt, dass in dieser Arbeit in der Interaktion selbst manifeste Probleme einbezogen werden, also nicht solche, die sich aufgrund einer prospektiven Bearbeitung gar nicht erst als Problem manifestieren. Auffällig ist hierbei, dass bei Verstehensproblemen auf Seiten der Klienten ausschließlich Selbstbearbeitungen der Probleme durch die «Problemverursacher», also die Sachbearbeiter zu beobachten sind. Die Klienten bearbeiten in keinem hier untersuchten Fall Probleme, deren Verursacher sie nicht selbst sind. Von den Verstehensproblemen auf Seiten der Sachbearbeiter dagegen werden von den insgesamt 15 gezeigten Beispielen neun selbst von den Klienten (den «Verursachern») bearbeitet, ein Problem wird von einem Dritten bearbeitet und immerhin fünf Probleme werden von den Sachbearbeitern (also fremd-) bearbeitet.21 Diese Fremdbearbeitungen finden in Form von Inferenzüberprüfungen und Korrekturen statt. In nur einem Fall ist eine gemeinsame Bearbeitung in Form einer interaktiven Vervollständigung zu beobachten (allerdings entsteht in diesem Fall aus dem Versprachlichungsproblem kein tatsächliches Verstehensproblem). Hinsichtlich der wenigen beobachteten Fremdbearbeitungen durch Sachbearbeiter zeigt sich dabei, dass vor allem Verstehensprobleme im Zusammenhang mit Versprachlichungsproblemen auf lexikalisch-semantischer Ebene sowie mit einer unüblichen phonetischen Realisierung fremdbearbeitet werden – u. U. weil in diesen Fällen die Problemträger (also die «problematischen» Elemente der Klientenäußerung) besonders leicht zu identifizieren sind.

21 Hier zeigt sich u. U. eine Art sprachlicher «Paternalismus».

142 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Es kann daher für die Entwicklung von Lösungsansätzen für eine verbesserte Behördenkommunikation mit Migranten ratsam sein, weitere Möglichkeiten der Unterstützung der Klienten bei der Bearbeitung von ihnen «verursachter» Verstehensprobleme zu eruieren – zumal die Fälle von Verstehensproblemen aus den gezeigten Beispielen, in denen die Sachbearbeiter solche durch die Klienten «verursachten» Probleme fremdbearbeiten, auffällig schnell geklärt werden. Hierauf wird zum Ende der Arbeit in Kapitel 9.2 eingegangen. Eine Fremdbearbeitung derartiger Verstehensprobleme durch die Sachbearbeiter birgt allerdings gleichzeitig die Gefahr, dass Probleme nur vermeintlich gelöst werden, dass also beispielsweise ein ausbleibender Widerspruch des Klienten (auf eine Inferenzüberprüfung oder eine Korrektur) als Ratifizierung gewertet wird, ohne dass dies gesichert wäre (wie in Beispiel 21 u. a.). Wie bereits bei Selting (1987) bemerkt, lässt sich also eine deutliche Präferenz für Selbstbearbeitungen feststellen – besonders ausgeprägt in den Fällen, in denen die Sachbearbeiter «Problemverursacher» sind, aber auch in der Mehrzahl der Fälle, in denen die Klienten «Problemverursacher» sind. Das kann aus Gründen der Face-Wahrung geschehen (cf. ebd.) oder weil davon ausgegangen wird, der Verursacher könne ein Problem auch am besten «reparieren». Besonders häufige Verfahren der Selbstbearbeitung von Problemen durch die Sachbearbeiter sind Re- und Paraphrasierungen der eigenen «problemtragenden» Äußerungen – teilweise unterstützt durch prosodische Mittel (Betonungen, langsameres Tempo, Pausen), zum Teil zudem in konkretisierender Form (z. B. durch die Herausstellung klarer zeitlicher Bezüge) – sowie das Mittel der Portionierung (cf. dazu die unten abgebildete Tabelle). In fünf Fällen allerdings werden die Verstehensprobleme überhaupt nicht erfolgreich bearbeitet, sondern umgangen durch Themenwechsel oder Gesprächsbeendigungsinitiativen. Selbstbearbeitungen durch die Klienten erfolgen hauptsächlich in Form von Re- und Paraphrasierungen eigener Äußerungen sowie anhand der Beschreibung der Funktion eines Bezugselements. 6.1.3.3 Bearbeitungsinitiierungen Zudem zeigt sich bei der Analyse der oben vorgestellten Beispiele, dass die Bearbeitungen von Verstehensproblemen so gut wie immer fremdinitiiert werden. Lediglich Bearbeitungen von Versprachlichungsproblemen, die nicht zu Verstehensproblemen führen, werden teilweise selbstinitiiert (was möglicherweise der Grund dafür ist, weshalb in diesen Fällen keine Verstehensprobleme entstehen). Auffällig ist aber, wie diese Bearbeitungsinitiierungen im Einzelnen geschehen. Es zeigt sich nämlich, dass die Sachbearbeiter ihre Verstehensprobleme in allen Fällen explizit anzeigen, durch Klärungsnachfragen, explizite Aufforderungen zur Wiederholung oder durch zur Frage gestellte Korrekturen. Damit allerdings

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen 

 143

wird dem Klienten oft die Bearbeitung alleine überlassen. Zudem bleiben die Klärungsnachfragen oft vage (z. B. «Wat?»), so dass in drei Fällen zumindest das Verstehensproblem von den Klienten falsch eingeordnet wird oder Schwierigkeiten erkennbar werden, es ausreichend zu bearbeiten (mehrfache Neuansätze, lange Paraphrasen, die noch nicht zum Verständnis führen etc.). Die Klienten dagegen äußern Verstehensprobleme nur sehr selten explizit (in den gezeigten Beispielen nur in zwei Fällen sowie in einem Fall durch einen Dritten). Stattdessen zeigen sich Verstehensprobleme auf Seiten der Klienten eher implizit an nicht erfüllter konditioneller Relevanz, an ausbleibenden Antworten bzw. Schweigen oder fehlendem Hörerrückmeldeverhalten. Zwar werden auch diese implizit signalisierten Verstehensprobleme in allen untersuchten Beispielen erkannt und auch bearbeitet, aber in fünf Fällen werden Probleme zunächst falsch eingeordnet, dauert es vergleichsweise lang, bis ein Problem bemerkt wird, oder eine aufwendige Bearbeitung erfolgt, weil dem Sachbearbeiter nicht klar ist, wo genau das Problem liegt. Daraus lässt sich ableiten, dass auch für Klienten Trainingsmaßnahmen gewinnbringend sein können, in denen sie u. a. lernen, ihre Verstehensprobleme expliziter und klarer kundzutun. 6.1.3.4 Muttersprache vs. Fremdsprache – Sprachkompetenzen in den Korpusteilen Im Vergleich der beiden Korpusteile fällt zuletzt auf, dass Verstehensprobleme im Zusammenhang mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen im deutschen Datensatz deutlich häufiger auftreten als im argentinischen – nämlich in insgesamt 20 der 32 analysierten Gespräche im deutschen Korpusteil und in nur 7 der insgesamt 23 Gespräche des argentinischen. Das dürfte zu großen Teilen daran liegen, dass in der in Argentinien befragten Migrantengruppe die durchschnittlichen Spanischkenntnisse sehr viel höher liegen als bei der in Deutschland befragten Vergleichsgruppe die Deutschkenntnisse. So sind allein 73,9 Prozent der befragten Klienten in Argentinien Spanisch-Muttersprachler. Zudem sind auch unter den Nicht-Muttersprachlern die Spanischkenntnisse bei der in Argentinien befragten Migrantengruppe im Durchschnitt relativ hoch, die Deutschkenntnisse bei der in Deutschland befragten Gruppe dagegen sind durchschnittlich deutlich niedriger (wobei allerdings eine breite Streuung zu beobachten ist). Das zeigen auch die beiden unten abgebildeten Graphiken 6 und 7. In dieser Gruppe sind also die Sprachkompetenzdivergenzen zwischen Klienten und Behördenmitarbeitern – im Durchschnitt wohlgemerkt – vermutlich geringer als in der in Deutschland befragten Gruppe. Allerdings zeigen die Analysen, dass in immerhin drei der 23 untersuchten Gespräche aus dem argentinischen Datensatz auch Verstehensprobleme aufgrund unterschiedlicher Sprachkompetenzen entstehen, obwohl die Interak-

144 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Prozent

tanten dieselbe Muttersprache sprechen, und zwar in zwei Fällen aufgrund einer dem Gegenüber ungewohnten phonetischen Realisierung und in einem Fall aufgrund einer varietätentypischen Formulierung.

80 60 40 20 0 verstehe wenig, kann nicht viel sagen

verstehe viel, kann nicht viel sagen

verstehe alles, kann nicht ganz so viel sagen

sehr kann gut/fließend alles, ausdrücken, was ich möchte

Muttersprache

Prozent

Graphik 6: Spanischkenntnisse der Migranten Argentinien

25 20 15 10 5 0 verstehe wenig, kann nicht viel sagen

verstehe viel, kann nicht viel sagen

verstehe alles, kann nicht ganz so viel sagen

sehr kann gut/fließend alles, ausdrücken, was ich möchte

Graphik 7: Deutschkenntnisse der Migranten Deutschland

Muttersprache

Manifestation

Selbst

Retro Registerproblem – (Alltagsspr.) Paraphrasierung – Schweigen (behördentypische/ – explizite Rückfragen – Paraphrasierung mit Angebot umgangssprachliche (z.B. «Möschten Sie hier?») verschiedener Alternativen Lexik) – explizite metakommunikative («das klappt», «das funktioniert», Thematisierung des «das ist gut») Verstehensproblems – Spezifizierung (selbst: «nich verstande» – Portionierung oder durch Dritte: «Er hat – Übergehung des Problems durch Sie nisch verstandn») Themenwechsel, – metakommunikative Thematisierung des eigenen Bearbeitungsproblems (Mehr als XY kann ich Ihnen nicht sagen)

2x (aus den Beispielen: P 104 dt., 35 dt.)

4x (aus den Beispielen: P 93 dt., 1 dt., 10 arg., 35 dt.)

Pro-/ Selbst-/ Anzahl retro- FremdGespräche mit spektiv bearbeitung diesem Problem Selbst

Bearbeitung

Retro – (Identische) Rephrasierung der eigenen vorangegangenen Äußerung (teilweise prosodisch abgeändert) – (alltagssprachliche) Paraphrasierung – Ignorierung/Umgehung des Problems durch Themenwechsel oder Gesprächsbeendigungsinitiativen – metakommunikative Fragen («Verstehn Sie mich überhaupt?», «Sie verstehn gar nich oder ein Bisschen oder–»)

Verstehensproblem – Wiederholung des zentralen Satzbedeutung Elements (Herausgreifen eines – Nicht-Erfüllung der zentralen Elements konditionellen Relevanz ohne Verstehen der (z.B. «Fottoo», gesamten Äußerung «Wir brauchen des GesprächsDolmetscher auch») partners) – Schweigen

Art des Problems

Tabelle 4: Verständigungsprobleme Sprachkompetenzdivergenzen (angelehnt an Selting 1987, 160)

Rezeptiv

Rezeptiv

Sprachkompetenzen

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen   145

Manifestation

Antizipiert: Verstehensproblem (behördentypische) Lexik der Fremdsprache

Antizipiert: Problem abstrakte Handlungsaufforderung/ abstrakte Begriffe

Reaktionsdauer wechselseitiges Verstehensproblem

/

/

Pro

– Paraphrasierung durch Synonyme, Pro die in mehreren Sprachen existieren – Beispiele

– Konkretisierung – Beispiele – Nennen von Fachtermini – Verwendung direkter Rede

3x (aus den Beispielen: P 17 dt. plus 2 weitere: P 46 dt., P 57 arg.)

Selbst

Selbst

z.B. P 17 dt.

z.B. P 17 dt.

Selbst- und 1 x fremd (aus den Beispielen: P 50 dt.)

Selbst

Pro-/ Selbst-/ Anzahl retro- FremdGespräche mit spektiv bearbeitung diesem Problem

Retro – Fremdinitiierung der Bearbeitung durch explizite metakommunikative Rückfragen («Ham Sie das verstandn?») – Einbettung neuer Informationen in bereits vorhandenen common ground – Konkretisierung – Paraphrasierung der Äußerung mit einfacherer syntaktischer Konstruktion – Alltagsspr. Paraphrasierung

Bearbeitung

– explizite Rückfragen beider – Rephrasierung eigener Äußerungen Retro Interaktanten («Was jetz – Umgehung des Problems durch noch nich?», «Was für die Gesprächsbeendigungsinitiativen Polizei?»), – «Aneinander-vorbei-Reden»

Verstehensproblem – fehlendes Rückmeldekomplexe Äußerungen verhalten des Hörers

Art des Problems

Rezeptiv (angenommen von Sb)

Rezeptiv (angenommen von Sb)

Rezeptiv, sprachproduktiv

Rezeptiv

Sprachkompetenzen

146   Analysen I: Verstehensprobleme

Verstehensproblem unübliche phonetische Realisierung

– a) Rephrasierung mit geänderter – Aufforderung zur Wiederholung («Nochmal», phonetischer Realisierung «Barrio?») – b) identische Rephrasierung – Schweigen/ ausbleibende – c) Beschreibung der Funktion des Antwort, Bezugselements (anhand von – explizite Klärungsnachfragen Beispielen) («Was ham Sie?», «Cómo?») – d) Inferenzüberprüfung

– Paraphrasierung mit einfacher (z.B. Nominal-) Konstruktion

Verstehensproblem – explizite Klärungsnachgrammatisch falsche fragen («Was is damit») Äußerungen Retro

Retro

– (identische) Rephrasierung, teilweise Retro mit Einfügung der zuvor fehlenden Elemente

Retro

Pro

Verstehensproblem – explizite Klärungsnachunvollständige Sätze fragen («Wat?») (z.B. fehlendes – Aufforderung zur WiederSubjekt, Prädikat, ect.) holung («Nochmal»)

– Einfache Satzkonstruktionen, Hauptsätze (keine Nebensätze) – Verwendung direkter Rede

– Inferenzüberprüfung

/

Verstehensproblem – Nonverbal: Überreichen v. vollständig fehlende Unterlagen verbale Äußerungen – Bearbeitungsinitiierung durch explizite Rückfragen («Warum»)

Antizipiert: Verstehensproblem komplexe Äußerungen z.B. P 17 dt.

Sprachproduktiv

Rezeptiv (angenommen von Sb)

2 x (aus den Beispielen: P 103 u. 22 dt.)

Sprachproduktiv

Sprachproduktiv

5 x (aus den Beispielen: SprachP 104 dt., 22 dt. plus 3 produktiv weitere: P 37, 63, 87dt.)

a)–c) Selbst 6 x d) Fremd (aus den Beispielen: P 22 dt., 35 dt., 39 dt., 117 arg. plus 2 weitere: P 89 dt., P 43 arg.)

Selbst

Selbst

Fremd, 3 x (aus den Beispielen: gescheitert P 93 dt. plus 2 weitere: P 50 arg., 137arg.)

Selbst

Divergenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen   147

Retro

Retro

Versprachlichungs- – Zögern (an der Position – a) Interaktive Vervollständigung problem lexikalischim Satz, an der das – b) Übergehen des Problems durch semantische Ebene entsprechende Element Themenwechsel (ohne Verstehensstünde) – c) Korrektur (durch direkten problem) – Fehlproduktionen (z.B. Gesprächspartner oder Dritte) Kardinal statt Ordinalzahlen)

Retro

Retro

a) Selbstund fremd b) / c) Fremd (teilweise durch Dritte)

Fremd (durch Dritte)

Fremd

Selbst

Sprachkompetenzen

5x (aus den Beispielen: P 17 dt., 10 arg., 22 dt., 5 dt., plus 1 weiteres: P 57 arg.)

1x (aus den Beispielen: P 114 dt.)

Sprachproduktiv

Sprachproduktiv

4x Sprach(aus den Beispielen: produktiv P 5 dt., 43 dt., 10 arg., plus 1 weiteres: P 92 dt.)

2x Sprach(aus den Beispielen: produktiv P 38 dt. plus 1 weiteres: P 115 arg.)

Pro-/ Selbst-/ Anzahl retro- FremdGespräche mit spektiv bearbeitung diesem Problem

– explizite Klärungsnachfrage – Paraphrasierung mit Fachterminus («Was fürn rot-deutscher (durch Dritte) Pass?»)

Verstehensproblem morphologische Sprachproduktionsprobleme

– als Feststellung formulierte Korrekturen («Ein zwei Wochn vorher») – Inferenzüberprüfung

Verstehensproblem – als Frage formulierte lexikalisch-semantiKorrekturen («Für eine sche VersprachliWoche?») chungsprobleme – auffällig lange Pausen – Verzögerungslaute

Bearbeitung

– Paraphrasierung

Manifestation

Verstehensproblem – explizite Klärungsnachunidiomatische oder frage («Was?») varietätentypische Formulierungen

Art des Problems

148   Analysen I: Verstehensprobleme

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 149

6.2 Kulturelle Wissensdivergenzen In den Interaktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten lassen sich zudem mehrere Probleme feststellen, die mit Divergenzen zwischen den Interaktanten bezüglich kulturellen Wissens zusammenhängen können. Diese werden im Folgenden näher betrachtet.

6.2.1 Die T-Anrede Ein Phänomen, das ebenso sprachlich bedingt wie kulturellen Ursprungs sein kann, ist die T-Anrede (Duzen). Während – bei Nicht-Muttersprachlern – die Verwendung der T-Anrede zumindest auch ein Sprachlernerphänomen sein kann, kann sie zugleich Anzeichen kulturell bzw. sprachlich unterschiedlicher Anredenormen sein. Auffällig ist hier, dass in Argentinien die Behördenmitarbeiter fast ausnahmslos die T-Anrede, die Klienten jedoch in der Regel die Null-Anrede (in einzelnen Fällen auch T-Anrede) verwenden. Die deutschen Behördenmitarbeiter dagegen siezen ihre Klienten durchgehend, wohingegen die T-Anrede im deutschen Korpus ausschließlich von (einigen) Klienten verwendet wird. Das führt nicht immer zu tatsächlichen Verständigungsproblemen. Einige Klienten (v. a. bolivianischer Herkunft) in Argentinien sowie mehrere deutsche Behördenmitarbeiter bemerken aber im Anschluss an die Gesprächsaufnahmen, sie hielten die T-Anrede in einem offiziellen Rahmen für durchaus auffällig, eher unhöflich oder sogar «distanzlos» (cf. Feldnotizen Sb e Dt.). Ähnlich interpretiert wird u. U. ein oft zu beobachtender deutlich informeller Gesprächsstil der Klienten (wenn z. B. gesagt wird «gerafft» statt «verstanden»). Zuweilen wird die T-Anrede auch in der Interaktion selbst explizit thematisiert und sogar sanktioniert – also als Problem, wenn auch nicht als Verstehensproblem, gekennzeichnet: Beispiel 25: P 104 dt. Sb2 [v] • Jajaa. Wissn Se ich muss nur/ Nee du gar nich. • Sie wenn dann bitte ja? Kl2 [v]

Musst du so machn.

[34] Kl2 [v] isch nächste Mal (anders).

Ja. Mach

150 

 Analysen I: Verstehensprobleme

In diesem Gesprächsausschnitt zwischen einem türkischen Klienten und einer deutschen Behördenmitarbeiterin wird die vom Kl verwendete T-Anrede explizit abgelehnt und korrigiert – was der Kl unmittelbar ratifiziert: «Ja. Mach isch nächste Mal (anders)», womit er die Korrektur anerkennt und Besserung gelobt. Die durch Selbstunterbrechung exponierte Fremdkorrektur, die kategorische Ablehnung «Nee», die starke Negationspartikel «gar nich», die Druck ausübende «Wenn-dann»-Formulierung und die affirmationseinfordernde tag question «ja» am Ende der Äußerung lassen Zurückweisung und Korrektur durch die Sb recht scharf wirken. Diese Schärfe legt nahe, dass die Sb nicht lediglich von sprachlichen oder kulturellen Wissensdivergenzen ausgeht, sondern das Gefühl hat, der Klient wahre den der Situation angemessenen Abstand und Respekt nicht. Es ist allerdings denkbar, dass weder die Klienten an deutschen Behörden noch die argentinischen Behördenmitarbeiter «gezielt» durch die Verwendung solcher Elemente eine Art von Nähe zwischen den Interaktanten zu etablieren versuchen, die in formelleren Kontexten als unangemessen gewertet werden kann. Stattdessen kann die Verwendung dieser Elemente durch Klienten im deutschen Korpus auch in der Fremdsprachigkeit begründet liegen. Der Kl in diesem Beispiel verfügt nach eigener Angabe über geringere Deutschkenntnisse und zeigt sich im Übrigen auch im restlichen Gespräch nicht erkennbar distanzlos. Hierzu lassen sich auch einige weitere Beispiele aus anderen Gesprächen hinzuziehen. a) Beispiel 26: P 38 dt. [31] Kl [v]

Is schwer.

Kann ich warte so langge • guckma ich bin • • so schwer aba ich bi/ ich

b) Beispiel 27: P 38 dt. [28] Kl [v]

ob ich hergekommen und alles abgelaufn ab sechs Wochen kannst/ kannste vergessn

Beide Beispiele sind dem Gespräch Nr. 38 des deutschen Korpus entnommen. Mehrfach verwendet der (türkischstämmige) Kl in diesem Gespräch die T-Anrede (ebenso wie die Klienten 5, 17, 22, 37, 104 und 114 des deutschen Korpus). Auffällig ist jedoch, dass diese Anrede hauptsächlich (wie in den hier gezeigten Beispielen) in bestimmten Formulierungen gebraucht wird. Dazu gehören «guckma», wie in Beispiel a, und «kannste vergessen», wie in Beispiel b; in anderen Gesprächen wird häufig «weißtu» gebraucht. Solche Formulierungen können – gerade von

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 151

Sprachlernern, die oftmals Sprachkenntnisse in informelleren Kontexten erwerben, beispielsweise in einer Sprachschule oder von den eigenen Kindern – als feststehende Redewendungen aufgefasst werden (womit die Formulierung in der 2. Person Singular in den Hintergrund träte). Es handelt sich jeweils um klitische (bzw. reduzierte) Äußerungen, was eventuell Formelhaftigkeit anzeigt («Chunks»). Dafür spricht zudem, dass derselbe Kl die Sb im übrigen Gesprächsverlauf siezt: a) Beispiel 28: P 38 dt. [1] Sb [v]

Gutn Morgen Herr XY

Ja • ich kenn Sie. Sie warn ja auch Ja. Sie kenn misch schon was?

Kl [v]

b) Beispiel 29: P 38 dt. [12] Sb [v] Kl [v]

Ja • dann buchn die bei mein/ ich hab ja ne Vertretung dann buchn die bei Oktober. Sie ham Urlaub gehabt ne?

Die Verwendung der T-Anrede in den oben gezeigten Beispielen kann also auf die Fremdsprachigkeit und ein Zurückgreifen des Sprachlerners auf bestimmte, u. U. als feststehende Redewendungen interpretierte Formulierungen zurückgehen. Ebenfalls ist die T-Anrede bei vielen Sprachlernern die zuerst erlernte Anrede, wenn die Sprache in einem eher informellen Kontext erlernt wurde – Distanzlosigkeit oder mangelnden Respekt einem Behördenmitarbeiter gegenüber bedeutet sie jedoch nicht notwendigerweise. Während die T-Anrede in Deutschland ausschließlich von Klienten und v. a. in bestimmten Formulierungen gebraucht wird, wird sie in Argentinien von Behördenmitarbeitern nahezu durchgängig verwendet: Beispiel 30: P 144 arg. [1] Sb [v] Kl [v]

Sí decime.

Las tarjetas entradas Eh • para retirar la precaria • dónde mee • dirijo eh me/ o sea

[2] Sb [v] Kl [v]

al país y la cédula.

mhmm • Tome asiento por favor. Este • • entra(d)a (al) país • el último...

152 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[3] Sb [v] Kl [v]

((04:30 Min.)) ta bien • tu precaria dónde está?

(Viniste) a Ehh la/ todavía no la retiré.

Estaba cer/

Auffällig in diesem Auszug eines Gesprächs zwischen einer argentinischen Sachbearbeiterin und einem paraguayischen Klienten ist, dass die Sb zwar mehrfach die T-Anrede verwendet («decime»: ‹sag mir›, «tu precaria»: ‹deine precaria›, «viniste»: ‹du bist gekommen›), in der Formulierung «tome asiento» (‹nehmen Sie Platz›) (PF 2) jedoch die höfliche Anrede (Usted) gebraucht. Da sie während des restlichen Gesprächsverlaufs allerdings ausschließlich die T-Anrede wählt, lässt sich vermuten, dass es sich bei der höflichen Anrede in «tome asiento» um eine Art Standardformulierung handelt, die sie unabhängig von der im übrigen Gesprächsverlauf gebrauchten Anredeform verwendet. In diesem Fall wird die T-Anrede zwar nicht in der Interaktion als Problem manifest, jedoch erklärt der Kl im Anschluss an die Gesprächsaufzeichnung, er halte sie für unhöflich. Negativ aufgefallen ist diese Anrede zudem den Klienten 32 (kolumbianisch), 67 (bolivianisch), 115 (bolivianisch) und 47 (paraguayisch). Während den Aussagen dieser Klienten zufolge eine solche Anredeform in offiziellen Kontexten in ihren Heimatländern eher unüblich ist, ist sie in Argentinien auch im Behördenkontext durchaus üblich. Denkbar wäre, dass dies mit dem in Argentinien sehr verbreiteten (pronominalen und verbalen) voseo (T-Anrede mit «vos») zusammenhängt. Der voseo ist eine ehemalige pluralische Höflichkeitsform (cf. Rona 1967), was eventuell seine Verwendung in formelleren Kontexten auch nach dem Wandel zu einer persönlicheren und singularischen Anrede erleichtert. Es handelt sich offenbar um eine gewisse Neutralisierung der Höflichkeitsdistinktion, die durch Personalpronomen ausgedrückt wird.22 Klienten, die die Verwendung des voseo nicht gewöhnt sind, vermissen u. U. eine respektvolle Distanz in der Anrede – ohne dass dies notwendigerweise der Intention der argentinischen Sachbearbeiter entspricht. Allerdings ist der (ebenfalls pronominale und verbale) voseo auch in Paraguay und in weiten Teilen Boliviens verbreitet, hat sich dort aber anscheind in formelleren Kontexten nicht durchgesetzt – wofür zumindest die Angaben der befragten Klienten sprechen. Hier zeichnet sich also eine kulturell bzw. sprachlich unterschiedliche Anredenorm ab, die indirekt zu Verständigungsproblemen und sogar Vorurteilen führen kann.

22 Gleichwohl existiert die Anrede «Usted» im argentinischen Spanisch.

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 153

Auch wenn die T-Anrede zudem teilweise in der Interaktion selbst als Problem markiert wird, handelt es sich allerdings nicht um Verstehensprobleme im ursprünglich für diese Arbeit formulierten Sinn. Im Folgenden sollen daher Verstehensprobleme in den Interaktionen untersucht werden, die ebenfalls mit kulturellen Wissensdivergenzen zusammenhängen können.

6.2.2 Kulturelle Praxen Unterschiedliche kulturelle Praxen23 zwischen Sachbearbeitern und Migranten können häufig zu Verstehensproblemen führen. Das folgende Beispiel zeigt ein Problem, das in über 30 Prozent der analysierten Gespräche des argentinischen Korpus auftritt. Beispiel 31: P 74 arg. [1] Sb [v]

Domicilio en Buenos Aires por favor. • • Calle y número.

Síi • •

Kl [v]

Calle XY.

Kl2 [v]

Calle XY.

[2] Sb [v] Kl [v] Kl2 [v]

número?

Esto queda en? 0000

Acazú. Acazú es.

Hier wird ein Verstehensproblem erkennbar an der ausbleibenden Antwort der (peruanischen) Kl auf die Frage nach ihrem Wohnsitz («Domicilio», PF 1). Nach einem kurzen Zögern bearbeitet die Sb dieses Problem, indem sie paraphrasiert: «Calle y número» (PF 1). Hiermit unterteilt sie zudem den abgefragten Sachverhalt (Wohnsitz) in zwei Einzelteile (Straße, Hausnummer), was dem von Kindt (1984) beschriebenen Verfahren der Portionierung ähnelt. Die Bearbeitung ist

23 Darunter werden hier Handlungsgepflogenheiten, ein «Komplex aus regelmäßigen Verhaltensakten und praktischem Verstehen» (Reckwitz 2003, 290) begriffen, wobei wesentlich ist, wie «kultureller Sinn», kulturelles Wissen und Denken «im gemeinsamen Handeln tatsächlich praktiziert wird» (Hörning/Reuter 2004, 13). Es geht also um Kultur als «doing X», um «Kultur als Performance» (Bachmann-Medick 2007, 104).

154 

 Analysen I: Verstehensprobleme

offenbar erfolgreich. Jedoch antwortet zunächst Kl2, eine Begleitperson, die Kl selbst wiederholt diese Antwort. Die Hausnummer wird allerdings von der Kl erst auf Nachfrage genannt. Es ist nicht klar erkennbar, ob es sich in diesem Beispiel um ein Verstehensproblem des eher im Behördenkontext gebräuchlichen Begriffs «domicilio» handelt (ein Registerproblem), dessen Bearbeitung durch die alltagssprachliche Paraphrasierung (bzw. Portionierung) erfolgreich gelingt, oder ob das Problem andere Hintergründe hat, da die Kl die Antwort erst mit der Hilfe der Kl2 formuliert. Ähnliches zeigt sich im folgenden Beispiel: Beispiel 32: P 117 arg. [3] Sb [v]

tu domicilio acá? Cuál es? ((3s)) Domicilio acá en Argentina • cuál es? Dónde vivís acá?

Kl [v]

Ahh

[4] Sb [v]

La calle?

Kl [v]

Mar del Plata.

Kl [k]

Ort geändert

El número? Veintcinco de Mayo.

número ehh Sehr leise

Kl dreht sich um und fragt

[5] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

Siete? Sietecientocuarentayseis

Estado civíl? Siete • sietecientoscuarentayseis.

• Civíl?

jemanden. Schnell (Nummer ist geändert)

Auch hier wird das Problem des bolivianischen Kl – dessen Muttersprache nach eigener Angabe Spanisch ist –, auf die Frage nach seiner Adresse («domicilio acá?»: ‹Wohnsitz hier›, PF 3) zu antworten, an seinem drei Sekunden langen Zögern deutlich. Zunächst behandelt die Sb das Problem als Verstehensproblem des (stilistisch hohen bzw. behördensprachlichen) Ausdrucks «domicilio» (anstelle des dem Kl eventuell vertrauteren «dirección»), indem sie ihre Frage erst wörtlich rephrasiert und anschließend (variierend) paraphrasiert («Dónde vivís acá?»: ‹Wo wohnst du hier?›). Im Anschluss signalisiert der Kl tatsächlich auch erstmalig Verstehen und antwortet – allerdings mit der Nennung der Stadt, in der er lebt, «Mar del Plata», nicht mit der Nennung seiner vollständigen Adresse. Die Frage «Dónde vivís acá?» ist jedoch semantisch auch nicht ganz eindeutig. Die Sb

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 155

fragt daraufhin, ebenso wie in Beispiel 31, explizit nach der Straße und anschließend nach der Hausnummer (PF 4). Diese zweite Frage aber kann der Kl nicht selbst beantworten – obwohl er sie offenbar zumindest sprachlich versteht. Er fragt eine Begleitperson, die ihm die entsprechende Antwort mitteilt. Erneut wird das Problem durch die Mithilfe Dritter erfolgreich bearbeitet. Kurz darauf, als er nach seiner Adresse in Bolivien gefragt wird, wiederholt sich das Verstehensproblem jedoch: Beispiel 33: P 117 arg. Sb [v] Tu domicilio en Bolivia cuál es?

Dónte vivías vos Bolivia?

Kl [v]

(((3s)))

En Santa Cruz

Kl [k]

will fragen

[12] Sb [v] Kl [v]

Alguna calle algo? Bolivia • Santa Cruz.

No de Bolivia estamos hablando • de De acá o dee

[13] Sb [v]

Bolivia.

Cómo?

Kl [v]

Barrio Teʒcio • barrio

Kl [k]

sehr leise

Barrio? Barrio Teʒcio.

Tensio? Teʒcio?

Tech? Teʒcio.

Auch auf diese Frage kann der Kl selbst nicht (unmittelbar) antworten, er zögert erneut drei Sekunden und setzt an, eine Begleitperson zu fragen. Bevor er von dieser jedoch eine Antwort erhält, insistiert die Sb: «Dónde vivías vos en Bolivia?» (‹Wo hast du in Bolivien gewohnt?›, PF 11). Erneut interpretiert die Sb das Zögern des Kl offenbar als Verstehensproblem, das sie mit der Paraphrasierung ihrer eigenen Frage bearbeitet. Die auffällige Betonung auf «vos» signalisiert zudem, dass die Sb es als ungewöhnlich ansieht, dass der Kl bei einer Frage nach seiner eigenen Adresse eine Begleitperson konsultiert. Dieser antwortet daraufhin wiederum mit der Nennung des Ortes in Bolivien, in dem er gelebt hat. Die Selbstkorrekturen «Santa Cruz · Bolivia · Santa Cruz» zeigen dabei Verunsicherung an. Die Sb zeigt allerdings, wie bereits in Beispiel 32, an, dass diese Antwort nicht der von ihr intendierten entspricht, indem sie erneut nach der Straße fragt: «Alguna calle algo?» (PF 12). Diese Frage scheint den Kl zu verwirren, was sich an seiner (nicht vollständig formulierten) Rückfrage «De acá o dee/» (‹Hier oder iin/›, PF 12) zeigt. Er ist

156 

 Analysen I: Verstehensprobleme

offensichtlich nicht sicher, ob nach einer Adresse in Bolivien oder in Argentinien gefragt wird. Die darauf folgende – und den Kl unterbrechende – Korrektur durch die Sb «No de Bolivia estamos hablando · de Bolivia» (‹Nein wir reden von Bolivien · von Bolivien›) drückt Gereiztheit aus (Unterbrechung, betonte Verneinung «No», verstärkende Wiederholung: «de Bolivia», Verwendung der ersten Person Plural in «estamos hablando», was anzeigt, dass vom Kl ebenfalls erwartet wird, darüber zu sprechen). Offenbar handelt es sich hier um ein Verständigungsproblem, das nicht nur eine Verzögerung in den institutionellen Abläufen hervorruft, sondern auch das Verhältnis zwischen den Interaktanten, ihre Ansichten übereinander beeinflusst.24 Im Anschluss an diese Frage folgt die in Kapitel 6.1 bereits besprochene Sequenz (Bsp. 21), in der ein erneutes Verstehensproblem aufgrund der Aussprache des Wohnortes «Barrio Teʒcio» auftritt. Auch hier weisen die sehr leise vorgebrachten Äußerungen des Kl auf Verunsicherung hin. Nach einer letzten Wiederholung («Algún número una calle algo?») wird die Frage nach Straße und Hausnummer letztlich fallen gelassen, mit der Frage «De qué calidad?» (‹Welcher Art?›, PF 14) initiiert die Sb ein neues Thema. Das Problem wird also nicht erfolgreich bearbeitet. In diesem Beispiel entsteht sehr deutlich der Eindruck, dass es sich nicht lediglich um ein Verstehensproblem handelt, das sich auf den (eher behördensprachlichen) Begriff «domicilio» bezieht und durch eine Paraphrase bearbeitet werden kann – sondern dass der Kl tatsächlich die Antworten auf die Fragen nach einem Straßennamen und einer Hausnummer nicht kennt. Es scheint ihn sogar zu verwirren, dass bezüglich seines Wohnsitzes in Bolivien überhaupt nach einem Straßennamen gefragt wird. Stattdessen assoziiert er die Frage nach einem Straßennamen unmittelbar mit seinem Wohnsitz in Argentinien, was an der Rückfrage «De acá o dee/» (PF 12) erkennbar wird. Zur Klärung dieses Phänomens tragen die im Verlauf der Studie als Feldnotizen festgehaltenen Äußerungen einiger bolivianischer Klienten bei, die auf dieses Problem angesprochen wurden, als während der Datenerhebung erkennbar wurde, dass die Frage nach einer Adresse mehrfach zu Problemen führte (die Klienten P 98 arg.; P 99 arg.; P 117 arg.; P 139 arg.). Mehrere Klienten erklärten, es sei zumindest in ländlichen Gegenden in Bolivien und Paraguay nicht üblich, voll-

24 Die Sachbearbeiterin verwendet im Übrigen eine Art Telegramm-Stil, fast schon «foreigner talk» (kurze Sätze, kein Subjekt, Verb, Artikel, fehlende Höflichkeitsabstufungen/-marker; fehlende Kontext-Einbettung, fehlende Mittel, die die Sprecher-Hörer-Beziehung erkennen lassen, allerdings ohne grammatische Reduktion).

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 157

ständige Adressen einschließlich eines Straßennamens und einer Hausnummer zu verwenden. Gerade in kleineren Orten, aber auch Stadtvierteln haben offenbar viele Straßen keine Straßenschilder (vielleicht auch generell keine Namen) und Hausnummern – was auch nicht notwendig ist, wenn man wenig Kontakt zu offiziellen Stellen, wie Behörden, hat. Aus diesem Grund haben viele Klienten offenbar Probleme, auf die Frage nach ihren Heimat-Adressen (und, wenn diese Praxis auf die neue Heimat übertragen wird, auch auf die nach ihrer argentinischen Adresse) zu antworten. Eventuell sehen sich einige Migranten erstmalig mit der argentinischen Praxis (Straßennamen und Hausnummern abzufragen) konfrontiert, wenn sie in Kontakt mit dortigen Behörden treten. Vielen Behördenmitarbeitern dagegen sind andere (bolivianische, paraguayische) Praxen offenbar nicht bekannt. Dieses Verständigungsproblem beruht also, obwohl es von den Sachbearbeitern in der Regel als Registerproblem o. ä. bearbeitet wird, auch auf unterschiedlichen kulturellen Praxen bzw. kulturellen Wissensdivergenzen. Gerade im behördlichen Rahmen erlangt offenbar bestimmtes Wissen eine besondere Bedeutung, das je nach Herkunftskultur unterschiedlich verbreitet sein kann. Das soeben besprochene Problem ist eines, das ausschließlich im argentinischen Korpusteil zu beobachten ist. Andere Verstehensprobleme, die mit der Unkenntnis kultureller Praxen zusammenhängen können, zeigen sich jedoch auch im deutschen Korpusteil. Beispiel 34: P 114 dt. [45] Sb [v]

Jut. So. Und dann brauch ich ne

Kl [v] Kl [k]

Bitteschön. Kl und Kl2 unterhalten sich kurz auf Türkisch

[46] Sb [v] Kl [v]

Bescheinigung vonner Moschee.

Da Sie ((2s)) Was für ne Bescheinigung bitte?

[47] Sb [v]

Kopftuch tragn aufm Foto. ((1,5s)) Auf deutschn Dokumentn is keine

[48] Sb [v]

Kopfbedeckung zulässich. Deswegn brauchn wa wenn Sies aus Glaubmsgründn

158 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[49] Sb [v] Kl [v]

machn ne Bescheinigung auser Moschee. ((1,5s)) Isch mach dis nur so. Ne das is/

[50] Sb [v] Kl [v]

Ja nur dann äh müssn Se dis i/isch bin nisch feste Mos- • -lem was weiß isch.

[51] Sb [v]

Kopftuch abnehm • • auf den Fotos. Dis darf nur aus Glaubmsgründn drauf sein. •

[52] Sb [v]

Ansonstn sind solche • Dokumente imma ohne Kopfbedeckung. • • Da darf keine

[53] Sb [v] Kl [v]

Kopfbedeckung sein. Da müssn die Haare zu sehn sein. Achso. • • Was machn wa

In dieser Gesprächssequenz werden mehrere Verstehensprobleme der Kl (einer türkischen Immigrantin) erkennbar. Zunächst fällt auf, dass sie auf die Aufforderung der Sb («Und dann brauch ich ne Bescheinigung vonner Moschee», PF 45, 46) zwei Sekunden lang zögert. Anschließend macht sie ihr Verstehensproblem explizit, indem sie eine Rückfrage stellt (eine «specific request for specification»; cf. Garvey 1979): «Was für ne Bescheinigung bitte?» (PF 46). Dieses Verstehensproblem bearbeitet die Sb zunächst mit einer Begründung: «Da sie Kopftuch tragn aufm Foto» (PF 46, 47). Ein erneutes 1,5 Sekunden langes Schweigen, das der Kl zugeordnet werden kann, zeigt jedoch, dass das Problem noch nicht erfolgreich bearbeitet ist. Die Begründung der Sb scheint nicht ausreichend zu sein. Diese greift daher zu einer weiteren Erläuterung der institutionellen Regelungen in diesem Kontext: «Auf deutschn Dokumentn is keine Kopfbedeckung zulässich» (PF 47,48). Unmittelbar anschließend kommt sie auf die angesprochene Bescheinigung zurück und begründet: «Deswegn brauchn wa wenn Sies aus Glaubmsgründn machen ne Bescheinigung auser Moschee» (PF 48, 49). Auch diese Begründung führt jedoch nicht zur Lösung des Verstehensproblems, was an einem erneut der Kl zuzuordnenden 1,5 Sekunden langen Schweigen erkennbar wird. Statt auf den ersten Teil der Äußerung der Sb, die generelle Zulässigkeit von Kopfbedeckungen auf Fotos, bezieht sich die Kl in ihrer Folgeäußerung ausschließlich auf den zweiten Teil («wenn Sies aus Glaubmsgründn

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 159

machen»). Sie betont, sie trage das Kopftuch nicht aus Glaubensgründen, sondern «nur so» (PF 49). Möglicherweise glaubt sie, sie müsse keine Bescheinigung beibringen, wenn sie das Kopftuch nicht aus Glaubensgründen trägt. Daraufhin setzt die Sb zu einer Handlungsvorgabe an, in diesem Fall müsse die Kl das Kopftuch auf dem Bild abnehmen, und erläutert, ein Kopftuch dürfe ausschließlich aus Glaubensgründen auf einem Passfoto getragen werden. «Ansonstn» müssten «solche Dokumente imma ohne Kopfbedeckung» sein (PF 52). Diese Aussage wiederholt sie zur Verdeutlichung noch einmal (PF 52, 53) und fügt zudem eine kausale Erklärung (cf. Brünner 2011, 366) der institutionellen Regelung an: «Da müssn die Haare zu sehn sein» (PF 53). An dieser Stelle signalisiert die Kl Verstehen: «Achso» (PF 53). Das Verstehensproblem mag in diesem Fall verschiedene Ursachen haben. Zum einen kann es auf fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen (Unkenntnis der entsprechenden institutionellen Bestimmungen) beruhen. Andererseits zeigen sich hier u. U. kulturelle Wissensdivergenzen: Eine Klientin, die es gewohnt ist, immer Kopftuch zu tragen, versteht möglicherweise nicht, weshalb auf einem Passfoto kein Kopftuch getragen werden darf. Die Klientin würde in diesem Fall also den Kontext nicht kennen, in dem die Regelung, dass auf einem Passfoto kein Kopftuch getragen werden darf, sinnvoll ist. Diese institutionelle Regelung könnte ihr aus diesem Grund, selbst wenn sie ihr genannt wird, nicht einleuchten. Erst die kausale Erklärung, eine Kopfbedeckung sei nicht zulässig, weil die Haare sichtbar sein müssten, scheint hier zu einer Lösung des Verstehensproblems zu führen.

6.2.3 Kulturelle Konzepte Im argentinischen Korpusteil sind zudem Verstehensprobleme zu beobachten, die mit unterschiedlichen kulturellen Konzepten25 zusammenhängen können. Beispiel 35: P 117 arg. [1] Sb [v] Kl [v]

Nacionalidad? ((3s)) Qué nacionalidad tenés? ((5s)) Dónde naciste? Ah • nací en • La Paz oo?

25 Im Unterschied zu kulturellen Praxen (als Handlungsgepflogenheiten) werden hier unter kulturellen Konzepten Grundvorstellungen, Auffassungen etc. verstanden.

160 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[2] Sb [v] Kl [v]

No. Dónde nació? Eh en qué país naciste? En Bolivia • Santa Cru(z) oo nací en Bolivia.

An einem drei Sekunden langen Zögern des bolivianischen Kl auf die Frage der Sb nach seiner Nationalität (im Formularstil: «Nacionalidad?») wird ein deutliches Verstehensproblem erkennbar. Auch auf eine erweiternde Wiederholung der Frage («Qué nacionalidad tenés?») schweigt der Kl vergleichsweise lang (fünf Sekunden). Immer noch besteht ein Verstehensproblem, das sich offenbar auf den Begriff «nacionalidad» bezieht. Die Sb bearbeitet dieses anschließend mit einer (alltagssprachlicheren) Paraphrase: «Dónde naciste?» (‹Wo bist du geboren?›). Hierauf reagiert der Kl zumindest und antwortet – offensichtlich verunsichert (langgezogene, offen stehen bleibende Konjunktion «oo») – allerdings nicht mit der Nennung seines Herkunftslandes bzw. seiner Nationalität, sondern mit der Nennung seiner Geburtsstadt. Indem die Sb diese Antwort zurückweist («No») signalisiert sie, dass sie die konditionelle Relevanz nicht als erfüllt ansieht. Sie wiederholt ihre Frage (diesmal die höfliche Anrede Usted verwendend) und paraphrasiert anschließend noch einmal: «En qué país naciste?». Hierbei spezifiziert sie ihre Frage, indem sie explizit nach dem Geburtsland fragt («qué país»). An dieser Stelle nennt der Kl schließlich sein Herkunftsland, Bolivien, zeigt jedoch weiterhin starke Unsicherheit (Nennung einer weiteren Stadt bzw. eines «Departamentos», offen stehen bleibende Konjunktion mit Vokaldehnung: «Santa Cru(z) oo»). Die Wiederholung, «nací en Bolivia», wirkt allerdings bestärkend. Daraufhin betrachtet die Sb das Problem offensichtlich als erfolgreich bearbeitet und wechselt das Thema. Erkennbar wird in diesem Beispiel also ein deutliches Verstehensproblem, das sich auf die Frage nach der Nationalität bezieht – das jedoch offenbar nicht ausschließlich mit der Verwendung des Begriffs «nacionalidad» zusammenhängt und auch durch eine alltagssprachliche Paraphrase nicht ohne Weiteres gelöst werden kann. Selbst eine klare Frage nach seinem Geburtsland führt zu Verwirrung bzw. Unsicherheit des Kl. Da der Kl nach eigener Angabe Spanisch-Muttersprachler ist, dürften Sprachverstehensprobleme – gerade mit einer alltagssprachlichen Formulierung wie «Dónde naciste?» – hier auszuschließen sein. Dem könnte jedoch ein kulturell geprägtes Selbstverständnis als Nation oder aber als Ethnie zugrunde liegen. Während Argentinier sich in der Regel sehr stark als eine zusammengehörige Nation empfinden (weshalb es der Sb vielleicht schwerfällt nachzuvollziehen, dass der Kl auf diese Frage keine Antwort weiß), wird Bolivien dagegen eher, wie Grimson (2000, 177) bemerkt, «postulada

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 161

como multiétnica», also als ein Zusammenschluss einzelner ethnischer Gruppen gesehen, so dass sich auch bolivianische Migranten vielleicht weniger über ihre Nationalität als vielmehr über ihre ethnische Zugehörigkeit (z. B. als Quechua oder Guaraní) definieren. Hier wird offenbar ein Verstehensproblem deutlich, das mit einem bestimmten – kulturell geprägten – Konzept von Nationalität zusammenhängt. Im deutschen Korpus sind solche Probleme nicht zu beobachten.

6.2.4 Soziale Rollenverteilung Ausschließlich im deutschen Datensatz tritt dagegen eine Reihe von (wechselseitigen) Verstehensproblemen in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund auf, die auf unterschiedlichen Männer- und Frauen-Bildern bzw. einer unterschiedlichen sozialen Rollenverteilung zu basieren scheinen. Hierbei handelt es sich um eher globale Probleme (im Sinne Seltings 1987), die sich nicht nur auf einzelne Äußerungen beziehen. Dies findet sich besonders in Gesprächen mit männlichen türkischstämmigen Klienten, wie die folgenden Beispiele zeigen. Beispiel 36: P 37 dt. Sb [v]

Gut. • Habm Sie denn noch eine Frage?

Was is das? • Das is

Kl [v]

Ja das.

KI [k]

Wirft Sb ein Schreiben der Krankenkasse hin

[67] Sb [v] Kl [v]

von Ihrer Kranknkasse.

Ja klar. Das is Ihrs. Das brauch ich ja auch Mein • • Das (is) meine.

[68] Sb [v]

gar nich. Könn Se wieder mitnehm.

Jaa • was is damit?

Kl [v]

(i)s meine

Hier • • Frau • (is) meine.

Kl [k]

Lauter

Klopft auf das Schreiben

[69] Sb [v] Kl [v]

Herr XY ich weiß jetz nich was Sie mir sagn wolln.

Ja. Is Problem. Hier • is Frau.

Nee (i)s

162 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[70] Sb [v] Kl [v]

Ja • und was soll ich jetz machn? falsch. Is mein weiß du?

Was? Ja muss man ändern ne?

Hier •

[71] Sb [v] Kl [v]

Ja. guckma.

Herr XY ich kann Ihn da nich helfen Meine • is Name • Name • muss du/ muss/

[72] Sb [v]

wenn Sie ein Problem mit Ihrer Kranknkasse habm oder was auch imma müssn Sie mit denen

[73] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

sprechn. Da bin ich doch gar nich für zuständich. Nee isch • wart ma. KI geht auf den Flur

Es handelt sich um ein Gespräch mit einem türkischen Klienten, der auf ein Schreiben seiner Krankenkasse deutend – pragmatisch relativ unklar – formuliert: «Mein • • Das (is) meine». Die Sb versteht offensichtlich, worauf sich das Possessivpronomen «mein» bezieht (nämlich auf den vor ihr liegenden Brief), nicht aber, weshalb ihr dies mitgeteilt wird. Explizit wird das an ihrer Klärungsnachfrage «Jaa • was is damit?» (wobei die Vokallängung in der Bestätigungspartikel «jaa» Irritation anzeigen mag). Der Kl rephrasiert seine Äußerung: «Hier • • Frau • (is) meine» (PF 68), wobei er seine ursprüngliche Äußerung um den Zusatz «Frau» erweitert. Unklar ist allerdings, ob er damit die Sb adressiert. Diese versteht jedoch weiterhin nicht und macht dies mit einem metakommunikativen Kommentar erneut auch deutlich. Daraufhin spricht der Kl explizit ein «Problem» an, das sich offenbar auf das Schreiben der Krankenkasse bezieht («Is Problem») und erklärt dieses: «Hier is Frau» (wobei er möglicherweise erneut auf das Schriftstück zeigt). Dies ratifiziert die Sb zunächst («Ja»). Das scheint jedoch nicht die vom Kl intendierte Reaktion zu sein, da er widerspricht («Nee»), erläutert «(i)s falsch» und erneut rephrasiert «is mein», wobei er Bestätigung einfordert durch die tag question «weiß du?». Die Sb versteht offenbar, dass etwas an dem Schriftstück der Krankenkasse fehlerhaft ist (was sie ratifiziert mit «Ja»), sieht sich jedoch dafür nicht zuständig und zeigt dies durch eine explizite Frage an: «und was soll ich jetz machen?». Als der Kl daraufhin eine Handlung vorschlägt («muss man ändern»), fragt die Sb zunächst zurück («Was?). Als er jedoch auf das Schriftstück verweisend

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 163

(«guckma») die allgemein gehaltene Handlungsaufforderung «muss man» an die Sb direkt richtet («muss du»), weist diese die Zuständigkeit explizit von sich: «Da bin ich doch gar nich für zuständich». Das scheint immer noch nicht die vom Kl intendierte Reaktion zu sein. Er unterbricht das Gespräch mit einer selbst unterbrochenen Korrektur («Nee isch/») und der Bitte «wart ma» und verlässt den Raum. Kurz darauf kehrt er mit einem Begleiter (Kl3) zurück: Beispiel 37: P 37 dt. [75] Kl [v]

Hier is. Kl gibt Kl3 das Schreiben

Kl [k] KI3 [v] Isch soll hier helfn meinta.

Zeig ma.

Jas guckma. Is Name von seine

[76] Sb [v] Kl [k]

Ja. KI sagt etwas auf Türkisch

KI3 [v] Frau ne?

Ja aba is sein Brief meinta. Die sind seine • äh die Briefe •

[77] Sb [v]

Achso. Ja aba jetz gehn die Briefe an seine Frau weil er is ja erwerbsunfähich.

KI3 [v] warn imma für ihn.

Der Hinzugerufene (Kl3) präsentiert sich als ‹Helfer› und sieht sich das entsprechende Schriftstück der Krankenkasse an. Offensichtlich versteht er, unmittelbar nachdem er sich dieses angesehen hat – und zwar obwohl er den Kl zuvor nicht kannte und dementsprechend auch nicht mit dem Sachverhalt vertraut war –, worin das eigentliche Problem besteht. Anstatt, wie zuvor der Kl, zu wiederholen, dass jenem das fragliche Schreiben gehöre, fokussiert Kl3 den Kernpunkt des Problems und erklärt: «Is Name von seine Frau ne?», was die Sb bestätigt («Ja»). Anschließend gibt Kl3, einen Widerspruch einleitend («Ja aba») eine (u. U. zuvor vom Kl auf Türkisch vorgebrachte) Äußerung des Kl wieder: «is sein Brief meinta» (PF 76). Da weiterhin kein Hörerrückmeldeverhalten der Sb erfolgt, fährt Kl3 fort, indem er diese Aussage zunächst auf mehrere Briefe bezieht («Die sind seine») und nach einem kurzen Zögern in die Vergangenheit setzt: «• äh die Briefe warn imma für ihn», wobei das Temporaladverb «imma» die Aussage generalisiert.

164 

 Analysen I: Verstehensprobleme

An dieser Stelle signalisiert die Sb Verstehen («Achso»). Im Anschluss geht sie auf das offenbar vom Kl gesehene Problem ein, leitet selbst einen Widerspruch ein («Ja aba») und fährt fort: «jetz gehn die Briefe an seine Frau». Dem fügt sie eine Begründung an: «weil er is ja erwerbsunfähich». Dem Analysierenden wird erst aus der Antwort der Sb erkennbar, dass das «Problem» des Kl offenbar darin besteht, dass die Briefe der Krankenkasse an seine Frau, nicht an ihn gerichtet sind, obwohl sie zuvor «imma» an ihn gerichtet waren. Am darauf folgenden Wortwechsel zwischen Kl3 und der Sb wird das noch etwas deutlicher: Beispiel 38: P 37 dt. [78] Kl3 [v] Ja aba er meint isch will das wieda ßu mir ham. Weil is seine Kranknkasse

[79] Sb [v]

Achso • weil das früher alles auf ihn lief und jetz is seine Frau der Kopf der

Kl3 [v] undsoweita.

[80] Sb [v]

Bedarfsgemeinschaft.

Kl [v] KI3 [v]

Und das passt ihm nich.

Jaa jetz versteh ich Is mein Kasse mein Briefe.

Ja genau

Kl3 verdeutlicht, weiterhin für den Kl sprechend, dieser wolle selbst die Briefe erhalten (wobei Kl3 u. U. zur szenischen Darstellung direkte Rede verwendet: «isch will das wieda ßu mir ham»), da es «seine Kranknkasse» sei. Noch einmal zeigt die Sb Verstehen an («Achso») und fasst ihre Schlussfolgerungen zusammen: «weil das früher alles auf ihn lief und jetz is seine Frau der Kopf der Bedarfsgemeinschaft. Und das passt ihm nich» (PF 79, 80). Mit «das passt ihm nich» (pejorativ für «gefällt ihm nicht») lässt sie dabei eine negative Wertung erkennen. Die Schlussfolgerungen der Sb ratifiziert der Kl, indem er seinen Standpunkt explizit macht: «Is mein Kasse mein Briefe», woraufhin die Sb erneut explizit Verstehen ausdrückt: «Jaa jetz versteh ich». Im Anschluss versucht die Sb, dem Kl zu erläutern, weshalb die Briefe nicht mehr an ihn gerichtet sind:

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 165

Beispiel 39: P 37 dt. [82] Sb [v]

• Herr XY das geht nich. Ihre Frau is jetz die Ansprechpartnerin für Ihre gesamte

[83] Sb [v]

Bedarfsgemeinschaft • also für Sie auch und Ihrn Sohn.

Kl [v]

Ja Ihre Frau weil die is nich Frau is?

[84] Sb [v] Kl [v]

erwerbsunfähich gemeldet. Aba isch bin • Mann is mein Kasse • Krankekasse wieso nisch meine

Die Sb betont, die Ehefrau des Kl sei mittlerweile die Ansprechpartnerin der Bedarfsgemeinschaft. Auf eine Rückfrage des Kl («Frau is?») fügt sie eine Begründung an: «weil die is nicht erwerbsunfähich gemeldet» (im Gegensatz zum Kl selbst). Implizit bleibt dabei die Information, dass Erwerbsunfähige nicht als Kopf einer Bedarfsgemeinschaft fungieren können. An der folgenden Äußerung des Kl wird allerdings deutlich, dass dieser nicht nur nicht versteht, weshalb er selbst nicht mehr Kopf der Bedarfsgemeinschaft ist (aufgrund einer Unkenntnis der institutionellen Bestimmungen beispielsweise), sondern dass er offenbar meint, er müsse Kopf der Bedarfsgemeinschaft sein, weil er der «Mann» ist: «Aba isch bin • Mann». Hier wird ein bestimmtes Bild bezüglich der Männer- und Frauen-Rollen in der Gesellschaft bzw. in der Familie deutlich: dem Mann stünde darin die Funktion eines Oberhaupts der Bedarfsgemeinschaft zu. Das Geschlecht wird jedoch in den Vorschriften der Agentur für Arbeit nicht als Kriterium für die Einsetzung einer Person als Kopf der Bedarfsgemeinschaft hinzugezogen. Zu diesem Verstehensproblem tragen nun zum einen mangelnde Sprachproduktionskompetenzen des Kl bei (unvollständige Sätze, fehlendes Verb, Objekt etc., wodurch Äußerungen wie «is meine» pragmatisch unklar bleiben). Aufgrund dieser kann er nicht verständlich vermitteln, worin sein «Problem» besteht, was ihn stört. Allerdings scheint ein Rollenbild, wie es der Kl vertritt, auch der Sb soweit fremd zu sein, dass sie aus seinen Äußerungen zumindest nicht unmittelbar darauf schließt. Kl3 dagegen, der einen ähnlichen Migrationshintergrund wie Kl hat, durchschaut das Problem offenbar sofort. Dieses Verstehensproblem beruht demnach ebenso auf unterschiedlichen Sprachkompetenzen wie auch auf kulturellen Wissensdivergenzen bzw. kulturell verschiedenen Rollenbildern.

166 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Diese zeigen sich in demselben Gespräch allerdings bereits an früheren Stellen: Beispiel 40: P 37 dt. [11] Sb [v] Kl [v]

Warum ich Sie eingeladn habe? muss/ isch muss hier •warum Frau?

Nee warum Frau muss?

[12] Sb [v]

Ach Ihre Frau. Ich habe Ihre Frau auch eingeladn weil sie ebm auch hier beim Jobcenter is

[13] Sb [v]

und dann muss sie ja auch/

KI [v]

Mein Arbeitgeber schreibt vor dass wir alle Kunden Ja aba wa/

[14] Sb [v]

beim Jobcenter regelmäßig einladn.

Kl [v]

Nein

Nein Herr XY ich möchte nisch n/ (reicht) isch hier genug oda?

[15] Sb [v]

Ihre Frau auch sehn. Sie muss auch sowieso ein Deutschkurs machn.

Kl [v]

Warum Frau soll? • Brauch nisch

[16] Sb [v] Kl [v]

Herr XY Ihre Frau kann überhaupt kein Deutsch und das geht nich. Deut/Deutsch lern alles oke.

Hier tritt ein Problem auf, das anschaulich zeigt, wie schwierig es häufig ist, klar zwischen Verstehensproblemen und anderen Verständigungsproblemen zu trennen. In diesem Beispiel wird nämlich zunächst ein Verstehensproblem auf Seiten der Sb erkennbar, das sich auf eine Frage des Kl bezieht («isch muss hier • warum Frau?», PF 11). Die Sb reagiert mit einer Inferenzüberprüfung: «Warum ich Sie eingeladn habe?» (PF 11), die der Kl allerdings korrigiert: «Nee warum Frau muss?». An dieser Stelle signalisiert die Sb Verstehen («Ach Ihre Frau») und beantwortet die Frage des Kl («Ich habe Ihre Frau auch eingeladn weil...», PF 12). Dieses Verstehensproblem der Sb ist offenbar dadurch entstanden, dass in der

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 167

ersten Äußerung des Kl sowohl ein Verb als auch ein Possessivpronomen fehlte und ist durch die Verwendung eines Verbs in der zweiten Äußerung des Kl erfolgreich bearbeitet (das Hilfsverb ‹müssen› scheint hier ausreichend für eine Bedeutungsbestimmung zu sein, ein Vollverb wie ‹herkommen› o. ä. ist offenbar aus dem Kontext für die Sb erschließbar). Es handelt sich um ein sprachkompetenzbedingtes Verstehensproblem. Zugleich zeigt sich in diesem Beispiel aber auch ein weiteres Verstehensproblem auf Seiten des Kl: Er versteht nicht, weshalb seine Frau etwas «muss» (wie aus der Antwort der Sb ersichtlich wird, bezieht sich das Hilfsverb offenbar auf die Aktivität ‹auf der Behörde erscheinen›). Dieses Verstehensproblem, das der Kl in seinen zwei Fragen in PF 11 explizit macht, wird von der Sb mit der Begründung bearbeitet, «alle Kunden» würden regelmäßig vom Jobcenter eingeladen (bzw. zu Terminen bestellt, die Formulierung einer Einladung bedeutet nicht, dass die Klienten diese tatsächlich ablehnen können). Zur Legitimierung ihrer Aussage beruft die Sb sich zudem auf ihren Arbeitgeber. Hier jedoch unterbricht der Kl die Sb (wie bereits zuvor einmal) mit einem Widerspruch («Nein») und stellt eine erneute Frage: «nisch (reicht) isch hier genug oda?». Offenbar ist er der Ansicht, es genüge, dass er auf der Behörde erscheint. Dies verneint die Sb jedoch und betont erneut: «ich möchte Ihre Frau auch sehn», PF 14, 15). Sie fügt dem eine weitere Begründung für die Notwendigkeit eines Erscheinens der Ehefrau des Kl beim Jobcenter an: «Sie muss auch sowieso ein Deutschkurs machn». Immer noch scheint dies dem Kl jedoch nicht einzuleuchten. Erneut fragt er, diesmal unter besonderer Betonung des Fragewortes «Warum Frau soll?». Nach einem kurzen Zögern macht er zudem seine Ansicht explizit: «Brauch nisch Deut/Deutsch lern alles oke». Spätestens an dieser Stelle entsteht der Eindruck, dass der Kl nicht lediglich nicht versteht, weshalb seine Frau auf dem Jobcenter erscheinen muss oder Deutsch lernen soll, sondern dass er dies ablehnt und seine vorherigen Fragen weniger einem Verstehensversuch als vielmehr einem Widerspruch dienten. Kurze Zeit später wechselt die Sb daher ihre Strategie und greift statt weiterer Begründungen zu einer Drohung, mit der sie versucht, ihre Forderung durchzusetzen: Beispiel 41: P 37 dt. [20] Sb [v]

Herr XY ich sage Ihnen das jetz nochma ganz klar: Entweder

[21] Sb [v]

Sie machn jetz hier mit und Ihre Frau macht einen Deutschkurs • ja? • oder wir kürzn Ihre

168 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[22] Sb [v] Kl [v]

Leistungen. • So einfach is das.

Das sind immer so vier Stundn

Wie lang äh wie viel is Stundn?

Sie adressiert den Kl namentlich («Herr XY»), womit die illokutionäre Kraft der folgenden Äußerung verstärkt wird. Anschließend leitet sie mit einem metakommunikativen Kommentar («ich sage Ihnen das jetz nochma ganz klar») eine auf diese Weise zusätzlich hervorgehobene Drohung ein: «Entweder Sie machen jetz hier mit und Ihre Frau macht einen Deutschkurs • ja? • oder wir kürzn Ihre Leistungen». Die affirmationseinfordernde tag question («ja?») zwischen den beiden Äußerungsteilen wirkt hierbei verstärkend. Dem Kl wird also Unkooperativität vorgeworfen (fehlendes «Mitmachen», fehlende Beteiligung an einer «kollektiven» Aktion, mit einer Unterspezifizierung «Mitmachen»=«Ihre Frau macht einen Deutschkurs»). Eine Leistungskürzung wird angedroht, sollte er an seiner Ansicht, seine Frau müsse nicht auf dem Jobcenter erscheinen, festhalten. Damit wird eine Zuspitzung auf zwei Handlungsalternativen vorgenommen (mitmachen oder Leistungskürzung). In der Äußerung der Sb wird allerdings gleichzeitig eine Zuspitzung vorgenommen auf die Alternative «Sie» (Individuum, Klient) vs. «wir» (die Behörde). Dies steht im Grunde im Widerspruch zu der eingeforderten Beteiligung an einer kollektiven Aktion. Durch die Kontrastierung (Sie – wir) wird stattdessen behördliche Autorität aktualisiert. Dies wird zudem verstärkt durch den angefügten Kommentar: «So einfach is das» (die Behörde kann «einfach» Leistungen kürzen). Das oben beschriebene Problem wird nicht mehr wie anfangs als Verstehensproblem behandelt (das mit Erklärungen oder Begründungen bearbeitbar wäre), sondern als Interessensdivergenz, auf die die Sb mit einem Durchsetzungsversuch (Drohung) reagiert. Daraufhin zeigt der Kl sich unmittelbar kooperativ und signalisiert mit einer Nachfrage, wie viele Stunden dieser Kurs umfasse, die Bereitschaft, auf die Forderung der Sb einzugehen. Ähnliche Beispiele finden sich im deutschen Korpusteil in weiteren vier Gesprächen. In sämtlichen Fällen handelt es sich um männliche türkische Migranten, die den Standpunkt vertreten, ihre Ehefrauen sollten nicht zu Gesprächen auf dem Jobcenter eingeladen werden, da es genüge, wenn sie als Ehemänner erschienen, oder die ihre Ehefrauen zu den Gesprächen begleiten und über das gesamte Gespräch hinweg für diese antworten, selbst wenn die Frauen direkt angesprochen werden – was z. T. auch in der Interaktion selbst thematisiert wird:

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 169

Beispiel 42: P 43 dt. Sb Kl2

Nee Herr XY lassn Se ma Ihre Frau sprechn. Ich will ja auch hörn wie sie jetz sollse halt/

Letzteres mag auch damit zusammenhängen, dass die Ehefrauen u. U. über geringere Deutschkenntnisse als ihre Ehemänner verfügen. Möglich ist jedoch, dass dahinter auch ein Rollenverständnis steht, demzufolge die (deutschsprachige) Öffentlichkeit der soziale Raum eines Mannes, das Private, die (türkischsprachige) Familie, dagegen der Raum einer Frau ist. Zumindest sind einige Klienten offenbar der Auffassung, es sei «genug», dass sie für die Frauen auf der Behörde erschienen. Derartige Verständigungsprobleme, die mit einer unterschiedlichen sozialen Rollenverteilung zusammenhängen, sind ausschließlich im deutschen Korpusteil zu finden. Es handelt sich hierbei allerdings nicht mehr um Verstehensprobleme im eigentlichen Sinn, sondern offenbar eher um unterschiedliche Erwartungen und Ziele der Interaktanten für das Gespräch.

6.2.5 Zwischenfazit – Kulturelle Wissensdivergenzen Wie die hier besprochenen Beispiele zeigen, sind in einer Reihe von Gesprächen Verstehens- und Verständigungsprobleme zu beobachten, die im Zusammenhang mit kulturellen Wissensdivergenzen zwischen den Interagierenden stehen. Anzunehmen ist, dass kulturelle Wissensdivergenzen in Behörden-Migranten-Gesprächen sogar öfter zum Tragen kommen als hier beobachtet wird. Zum einen ist es möglich, dass gerade im Bereich kultureller Wissensdivergenzen verschiedene Verstehens- und Verständigungsprobleme von den Gesprächsteilnehmern selbst nicht erkannt werden. Es wurde bereits besprochen, weshalb Probleme, die von den Interaktanten nicht bemerkt werden, in dieser Arbeit nicht in die Analysen einbezogen werden können. Hinzu kommt, dass Verständigungsprobleme, die auf kulturellen Wissensdivergenzen basieren, u. U. oft in der Interaktion selbst gar nicht manifest werden, sondern sich auf andere Art und Weise auswirken (bspw. in Form von (Vor-) Urteilen der Interaktanten übereinander, Missverständnissen, die sich erst im Anschluss an eine Interaktion bemerkbar machen u. ä.). Darauf deuten bereits bei einer ersten Sichtung des Materials die Angaben der Behördenmitarbeiter und Klienten in der Fragebogenumfrage und in den in Feldnotizen festgehaltenen persönlichen Gesprächen hin, die in Kapitel 7 noch näher besprochen werden.

170 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Das zeigt sich teilweise auch in den hier untersuchten Phänomenen, z. B. bezüglich der asymmetrischen Verwendung der T-Anrede (in Deutschland ausschließlich von Klienten, in Argentinien in erster Linie von Behördenmitarbeitern). Diese wird z. T. in der Interaktion selbst als Problem gekennzeichnet und beispielsweise bearbeitet anhand einer fremdinitiierten exponierten («exposed», Jefferson 1987) Fremdkorrektur. Oftmals allerdings wird dies in der Interaktion selbst nicht thematisch, aber in Interviews mit Behördenmitarbeitern und Klienten als unhöflich, distanzlos oder unangemessen benannt. Ähnliches beobachten auch Ciapuscio und Kesselheim (1997), die ebenfalls eine an der argentinischen Ausländerbehörde verbreitete Verwendung der T-Anrede Klienten gegenüber beschreiben (voseo) und betonen, viele Klienten begriffen dies als Ausdruck einer «superioridad» (ebd., 114s., was sich in etwa als Behandlung «von oben herab» übersetzen ließe). Es handelt sich hierbei offenbar um ein Problem in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten (das nicht immer lokal in der Interaktion manifest wird), das zum Teil auf Sprachkompetenzunterschieden, zum Teil auf verschiedenen Anredenormen beruht und weniger das reine gegenseitige Verstehen betrifft als negative Einstellungen der Interaktanten übereinander hervorrufen kann. 6.2.5.1 Beobachtete Probleme Zudem sind Verstehensprobleme in den Gesprächen des Korpus zu beobachten, die aus unterschiedlichen kulturellen Praxen und Konzepten (bzw. dem Wissen darüber) resultieren – welche oftmals in einem einzelnen Begriff gebündelt sind (domicilio, nacionalidad).26 Verstehensprobleme können darüber hinaus auch aus einer Kombination fachlich-institutioneller und kultureller Wissensdivergenzen entstehen, beispielsweise, weil institutionelle Regelungen (z. B. Unzulässigkeit einer Kopfbedeckung auf Passbildern) den Klienten unbekannt, solche Bestimmungen aber zugleich u. U. aufgrund kultureller Wissensdivergenzen auch unerwartet sind (z. B. weil die Klienten gewohnt sind, immer ein Kopftuch zu tragen, auch auf Passbildern). Einige globalere Verstehensprobleme hängen zudem mit einer kulturell verschiedenen sozialen Rollenverteilung bzw. Rollenerwartungen der Interaktanten zusammen (v. a. Männer-Frauen-Rollen), wobei den Interagierenden Wissen über oder Verständnis für die diesbezüglichen Erwartungen des Gegenübers fehlt.

26 Das erinnert an das, was Heringer (2004, 174) als «Hotwords» bezeichnet, Begriffe, die stark «kulturell aufgeladen» sind und «jede Menge Kultur» (ebd.) enthalten.

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 171

Verstehensprobleme im Zusammenhang mit kulturellen Wissensdivergenzen lassen sich im Korpus insbesondere auf Seiten der Klienten beobachten, z. T. aber auch auf Seiten der Sachbearbeiter (v. a. im Zusammenhang mit unterschiedlichen Erwartungen bezüglich der Männer- und Frauen-Rollen).27 6.2.5.2 Bearbeitungsinitiierungen und Bearbeitungen Ähnlich wie bei den Verstehensproblemen, die sich auf unterschiedliche Sprachkompetenzen zurückführen lassen, zeigt sich auch in diesem Bereich, dass Bearbeitungsinitiierungen von Klienten so gut wie nie explizit vorgenommen werden. Probleme manifestieren sich eher an ausbleibenden oder die konditionelle Relevanz nicht erfüllenden Antworten. Die Sachbearbeiter dagegen nehmen mit expliziten Klärungsnachfragen häufiger auch Fremdinitiierungen vor. Auch hier ist zudem eine klare Präferenz für Selbstbearbeitungen zu erkennen – einige Probleme werden jedoch auch erst durch eine Beteiligung Dritter gelöst: z. B. Personen, die einen ähnlichen Migrationshintergrund haben wie die Klienten, in deren Gesprächen ein Verstehensproblem aufkommt, die aber u. U. mit der Kultur des Aufnahmelandes (bzw. des Behördenmitarbeiters) stärker vertraut sind und als «Mittler» zwischen den Parteien fungieren. Auffällig ist, wie die beobachteten Verstehensprobleme im Einzelnen bearbeitet werden: Verstehensprobleme, die mit unterschiedlichen kulturellen Praxen und Konzepten zusammenhängen, werden in der Interaktion selbst häufig zunächst als Registerprobleme behandelt und (in Form selbstinitiierter Selbstbearbeitungen) von den Behördenmitarbeitern mit alltagssprachlicher Paraphrasierung bearbeitet – was jedoch nicht immer erfolgreich ist, da manche Klienten beispielsweise tatsächlich nicht auf Fragen nach ihrer Adresse antworten können. Daran zeigt sich sehr deutlich, dass für die Analyse eine Unterscheidung zwischen kulturellen Wissensdivergenzen und Sprachkompetenzdivergenzen sinnvoll ist und eine Bearbeitung von Problemen, die aus Ersteren resultieren, nicht in gleicher Weise erfolgt und erfolgen kann wie die von Problemen, die auf Letzteren basieren. Oft werden gerade solche Probleme erst dann gelöst, wenn Dritte sich an der Problembearbeitung beteiligen und zwischen Behördenmitarbeiter und Klient vermitteln. Verstehensprobleme, die auf einer Kombination fachlich-institutioneller und kultureller Wissensdivergenzen beruhen, werden – zumindest im hier besproche-

27 Zur Übersicht über die hier untersuchten Verstehens- und Verständigungsprobleme s. auch Tabelle 5, s.u.

172 

 Analysen I: Verstehensprobleme

nen Beispiel – u. a. über eine Erklärung institutioneller Regelungen bearbeitet, die zugleich die kulturellen Wissensdivergenzen zu überbrücken scheint. Schwierigkeiten bei der Selbstbearbeitung von Verstehensproblemen zeigen sich in den Beispielen v. a. bei der Bearbeitung von Problemen im Zusammenhang mit einer unterschiedlichen sozialen Rollenverteilung bzw. diesbezüglichen Rollenerwartungen: In den hier gezeigten Beispielen aus Gespräch 37 des deutschen Korpus sind die (Selbst-) Bearbeitungsversuche des Klienten, der versucht, seine Erwartungen explizit zu benennen, – aufgrund geringerer Sprachproduktionskompetenzen – nicht erfolgreich. Auch hier werden Probleme oftmals erst durch die Vermittlung durch Dritte gelöst, die die Rollenerwartungen beider Seiten kennen – gerade dann, wenn Klienten aufgrund geringerer Sprachkompetenzen ihre eigenen diesbezüglichen Erwartungen nicht (ausreichend) explizit machen können. Verständigungsprobleme in diesem Kontext sind zudem nicht ausschließlich eine Frage unterschiedlichen Wissens, sondern auch unterschiedlicher Ziele und Erwartungen. 6.2.5.3 Zusammenfassende Bemerkungen Es ist also eine Reihe von Verstehens- und weiteren Verständigungsproblemen zu beobachten, die auf kulturellen Wissensdivergenzen basieren und die zum Teil mit interlingualen Problemen interagieren. Im Vergleich der argentinischen und der deutschen Daten zeigen sich Unterschiede, die möglicherweise mit den verschiedenen Herkunftskulturen der Klienten zusammenhängen: Während z. B. Probleme bei der Frage nach einer Adresse ausschließlich im argentinischen Korpusteil vorkommen, sind Probleme, die auf unterschiedlichen Erwartungen bezüglich der Männer- und Frauenrollen basieren, ausschließlich im deutschen zu beobachten. Des Weiteren zeigt sich, dass nicht nur nicht-muttersprachliche, sondern auch muttersprachliche Klienten mit Migrationshintergrund mit (z. T. gravierenden) Problemen konfrontiert sind, die typisch für Migranten sind. Interkulturelle Probleme bestehen offenbar auch unabhängig von muttersprachlichen oder nicht-muttersprachlichen Kompetenzen. An verschiedenen Stellen zeigt sich allerdings eine enge Verknüpfung kultureller Wissensdivergenzen und mangelnder Sprachkompetenzen nicht-muttersprachlicher Klienten: Gerade wenn Klienten über geringere Sprachproduktionskompetenzen verfügen (und daher z. B. Erwartungen bezüglich der Männer-Frauen-Rollen nicht adäquat vermitteln können), muss von Behördenmitarbeitern besonders viel aus dem Kontext erahnt werden und ist besonders viel Wissen auch über die kulturellen Gewohnheiten, Praxen, Konzepte und Rollenerwartungen des Gegenübers erforderlich, um eine erfolgreiche Verständigung zu erzielen.

Kulturelle Wissensdivergenzen 

 173

Verstehensprobleme, die mit kulturellen Wissensdivergenzen zusammenhängen, lassen sich u. U. durch breiteres Vorwissen über die Herkunftskultur des jeweiligen Gesprächspartners vermeiden. Wenn sie jedoch einmal aufgetreten sind, zeigt sich, dass eine Bearbeitung dieser Probleme offenbar schwer fällt. Die entsprechenden Passagen aus dem Korpus deuten darauf hin, dass den Sachbearbeitern diesbezügliche Probleme mitunter durchaus bekannt sind, sie aber nicht – hier noch weniger als in anderen Fällen – zu geduldigen Erklärungen bereit sind, sondern rasch «amtlich» werden (Drohungen, Aktualisierung behördlicher Autorität). In diversen Fällen werden diese Probleme, wie gezeigt wurde, gar nicht oder nicht erfolgreich bearbeitet, falsch eingeschätzt (als Registerprobleme statt als Probleme auf Basis kultureller Divergenzen) oder erst durch die Vermittlung Dritter gelöst. Das kann darauf zurückzuführen sein, dass solche Probleme u. U. für die Interaktanten besonders schwer zu identifizieren und einzuordnen sind (auch weil Bearbeitungsinitiierungen oft nicht explizit erfolgen, wodurch also Probleme selbstinitiiert bearbeitet werden müssen) sowie darauf, dass sie mitunter auch nur äußerst schwer in der Interaktion selbst bearbeitet werden können (wenn beispielsweise Klienten ihre Adresse tatsächlich nicht nennen können). Hiermit mag im Übrigen der Umstand zusammenhängen, dass Möglichkeiten zur Bearbeitung derartiger Verstehens- und Verständigungsprobleme, die auf kulturellen Wissensdivergenzen basieren, in Praxisempfehlungen für Behördenmitarbeiter oftmals nicht detailliert berücksichtigt werden (cf. bspw. Porila/ten Thije 2009a, 44ss., die unter interkulturellen Problemen nahezu ausschließlich auf sprachkompetenzbedingte Probleme eingehen).28 Welche Bearbeitungsverfahren sich zur Überbrückung solcher kulturellen Wissensdivergenzen eignen mögen, wird daher in Kapitel 9.2 noch einmal detaillierter besprochen.

28 Probleme im Zusammenhang mit unterschiedlichen Erwartungen bezüglich der Männer- und Frauen-Rollen werden allerdings in einigen Trainingsvorschlägen aufgegriffen (cf. z. B. Berth/ Esser 1997).

Manifestation

Retro

Soziale – Explizite Klärungsnachfragen Rollenverteilung (Verstehensprobleme und unterschiedliche Erwartungen/Ziele)

Retro – Explizite Benennung eigener Erwartungen – teils gescheitert – Vermittlung Dritter – Drohung, Aktualisierung behördlicher Autorität, Kontrastierung und Zuspitzung auf Handlungsalternativen («Sie» – «wir», «So einfach ist das»)

Retro

– a) 1 x (aus den Beispielen: P 38 dt.) – b) 5 x

4x (aus den Beispielen: P 117 arg. plus 3 weitere) Selbst 5x (und Dritte) (aus den Beispielen: P 37 dt., P 43 dt., plus 3 weitere)

Selbst

Selbst 6x (und Dritte) (aus den Beispielen: P 117arg, P 74 arg.,; P 114 dt., plus 5 weitere)

Fremd

Pro-/ Selbst-/ Anzahl Gespräche mit retro- Fremddiesem Problem spektiv bearbeitung

– Schweigen/ausbleibende Antworten – (Alltagsspr.) Paraphrasierung – Retro – Nicht-Erfüllung der konditionellen teils gescheitert Relevanz – «Portionierung», Aufteilung des abgefragten Sachverhalts in kleinere Einheiten (z.B. Calle, número) – teils gescheitert – Erklärung institutioneller Regelungen – Vermittlung Dritter

– a) Fremdinitiierte exponierte Fremdkorrektur – b) /

Bearbeitung

Kulturelle Konzepte – Schweigen/ausbleibende Antworten – (Alltagsspr.) Paraphrasierung (z.B. nacionalidad) – Nicht-Erfüllung der konditionellen (z.T. mit steigender Konkretisierung) Relevanz

Kulturelle Praxen (z.B. domicilio; Kopftuch auf Passbildern)

T-Anrede – a) Teils in der Interaktion selbst (Interpretiert als unthematisiert höflich, distanzlos, – b) Teils erst in Interviews als unangemessen) Problem benannt

Art des Problems

Tabelle 5: Verständigungsprobleme Kulturelle Wissensdivergenzen

174   Analysen I: Verstehensprobleme

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 175

6.3 Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen Während divergente Sprachkompetenzen und kulturelle Wissensdivergenzen hauptsächlich in der Kommunikation mit Migranten auftreten, können Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten, die auf fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen basieren, generell in behördlicher Kommunikation (oder Experten-Laien-Kommunikation) vorkommen. Migranten jedoch sind unter Umständen sogar mit stärkeren Wissensdivergenzen in diesem Bereich konfrontiert als Einheimische, da sie a) möglicherweise weniger landestypisches institutionelles Wissen besitzen und b) oft auch anderes institutionelles (Vor-)Wissen als Einheimische. Zudem können fachlich-institutionell bedingte Probleme mit sprachkompetenzbedingten interagieren. Das kann gerade bei der Verwendung von Fachtermini oder einer hauptsächlich im Behördenkontext gebräuchlichen Lexik zum Tragen kommen.

6.3.1 Lexik aus dem Behördenkontext, Fachtermini und Abkürzungen Eine Sichtung des Datenmaterials zeigt, dass in beiden Korpusteilen recht häufig Verstehensprobleme auftreten, die auf der Verwendung von Lexik zu basieren scheinen, die hauptsächlich im Behördenkontext gebräuchlich ist oder dort zumindest eine andere Bedeutung als im alltäglichen Sprachgebrauch erhält (im deutschen Korpusteil in zwölf der 32 Gespräche, im argentinischen in sieben der 23 Gespräche, mehrmals innerhalb der einzelnen Gespräche). Solche Probleme stellen einen typischen Fall von Verstehensproblemen zwischen Experten und Laien dar.29 Brünner (2011, 247) bemerkt beispielsweise: Fachbegriffe «erscheinen in der Kommunikation zwischen Experten und Laien als das typische und größte Problem überhaupt». Fachlexik ist – gerade im Behördenkontext – beispielsweise aus Gründen einer größtmöglichen semantischen Präzision oftmals nicht vermeidbar. Gerade nicht-muttersprachlichen, jedoch auch muttersprachlichen Klienten ist solche Lexik aber häufig nicht bekannt. Hinzu kommt, dass mit Fachbegriffen auch unausgesprochenes Fachwissen verbunden ist, das vielen Klienten fehlt. Sachbearbeiter können oftmals nicht korrekt einschätzen, welche Ausdrücke von ihren Klienten verstanden werden,

29 Besonders im Bereich der medizinischen Experten-Laien-Kommunikation wurden Probleme im Zusammenhang mit der Verwendung von Fachbegriffen bereits häufig untersucht (cf. z. B. Hartog 1996, Gülich 1999; Brünner 2005b).

176 

 Analysen I: Verstehensprobleme

oder geben aus Zeit- oder Routine-Gründen nicht genügend Erklärungen (cf. dazu auch Porila/ten Thije 2009a). Inwiefern dies zu Verstehensproblemen in den Interaktionen führt, woran sich dies ggf. manifestiert und auf welche Weise solche Probleme bearbeitet werden können, wird an einigen folgenden Beispielen besprochen. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen Problemen der Klienten mit dem Verstehen von Fachtermini, bestimmter behördentypischer Lexik oder Abkürzungen und solchen mit dem Gebrauch. Es soll mit Ersteren begonnen werden. Beispiel 43: P 6 dt. [3] Sb [v]

Nehm Se ma bitte Platz.

Kl [k]

Schließt die Tür

Ich hab jetz soon bisschn mitbekomm • dass äh

[4] Sb [v]

Sie auch mietrechtliche Probleme haabn. • • • Sie hattn Probleme mit der Miete?

Kl [v]

Die Miete

[5] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

a. eh höher geworde

Was ham wann da? Ab • • eheh/

eh este/ eh elfte.

Stammelnd

In diesem Auszug aus einem Gespräch zwischen einer Mitarbeiterin eines Jobcenters und einem türkischen Klienten, zeigt sich ein Verstehensproblem in PF 4, als der Kl die Möglichkeit zur Turnübernahme erhält, diese jedoch nicht ergreift. Offenbar schließt auch die Sb selbst aus dem kurzen Schweigen, das auf ihre Äußerung folgt, auf ein Verstehensproblem. Sie bezieht dieses auf den Ausdruck «mietrechtliche Probleme» – wobei v. a. das Adjektiv «mietrechtlich» als Fachlexik aufzufassen ist – und bearbeitet es mit einer alltagssprachlicheren Paraphrasierung: «Sie hattn Probleme mit der Miete?». Diese Paraphrase enthält allerdings eine Bedeutungserweiterung der ursprünglichen Äußerungsbedeutung, da unter «Probleme mit der Miete» mehr als nur «mietrechtliche» Probleme fallen können.30 Das zeigt sich auch in der Antwort des

30 Die Sb zeigt nicht an, ob sie sich dessen bewusst ist, beispielsweise mit einem metakommunikativen Kommentar o. ä.

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 177

Kl, der zwar die Paraphrase versteht, womit das Verstehensproblem also zunächst erfolgreich bearbeitet ist, aber ein Problem benennt (Mietsteigerung), das nicht notwendigerweise ein «mietrechtliches» ist. Auf die Frage nach «mietrechtlichen Problemen» wird jedoch im weiteren Gesprächsverlauf nicht weiter eingegangen. Im Anschluss an diese Gesprächssequenz wird zunächst das Thema Mietsteigerung weiter behandelt (und besprochen, ob das Jobcenter die gestiegene Miete weiter übernimmt), anschließend ein Themenwechsel vorgenommen. Hier führt die alltagssprachliche Paraphrasierung dazu, dass von der präzisen Bedeutung der Fachlexik abgewichen und diese «aufgeweicht» wird. Diese Gefahr bergen alltagssprachliche Paraphrasen u. U. häufiger. Eine weitere Schwierigkeit bei der Bearbeitung von ähnlichen Verstehensproblemen anhand der Verwendung alltagssprachlicher Paraphrasen zeigt sich im folgenden Beispiel: Beispiel 44: P 50 dt. [10] Sb [v]

Voraussetzung keine strafrechtlichen Verurteilungen wie siehts damit aus?

Kl [v]

((3s))

Kl [k]

KI schaut Sb

[11] Sb [v] Kl [k]

Das müssn Sie wissn. Ich nich. ((2s)) Hat ein Gericht Sie zu einer Strafe fragend an

[12] Sb [v] Kl [v]

verurteilt?

Wissn Sie was das Wort Strafe ((2s)) Weiß jetzt nisch was ich darauf/ • kein Ahnung

[13] Sb [v] Sb [k]

bedeutet? ((3,5s)) Sie könn sich nichts darunter vorstelln was das Wort bedeutet hm? betont verständnisvoll

[14] Sb [v]

Sind Sie schonma vonner Polizei anjehaltn wordn? Was

Sb [k]

Aggressiver

Kl [v]

Nä nee ich versteh nich was jetz für die Strafe was dis soll

178 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[15] Sb [v] Kl [v]

die Polizei is dis wissn Sie?

((1,5s)) Was jetz noch nich? Nnja noch nich.

Es handelt sich hierbei um einen Auszug aus einem Gespräch mit einer ägyptischen Klientin auf einer Einbürgerungsbehörde, in dem die Kl einen Antrag auf Einbürgerung stellen möchte.31 Die Sb zählt die hierfür notwendigen Voraussetzungen auf. Auch hier wird ein Verstehensproblem erkennbar an einer drei Sekunden lang ausbleibenden Antwort der Kl auf eine – allerdings relativ komplexe – Frage der Sb: «Voraussetzung keine strafrechtlichen Verurteilungen wie siehts damit aus?». Zunächst scheint die Sb aus diesem Zögern der Kl den Schluss zu ziehen, die Kl wisse die Antwort tatsächlich nicht: «Das müssn Sie wissn. Ich nich.» In ihrer Äußerung macht sie der Kl daraus einen impliziten Vorwurf (sie müsse es wissen). Als jedoch anschließend weiterhin keine Antwort der Kl erfolgt, geht die Sb offenbar von einem Verstehensproblem aus, das sie selbst auf den der Fachlexik zuzuordnenden Ausdruck «strafrechtliche Verurteilungen» bezieht. Sie paraphrasiert also alltagssprachlicher: «Hat ein Gericht Sie zu einer Strafe verurteilt». Damit «zerlegt» sie den Fachbegriff in seine Einzelteile (Strafe, rechtlich> Gericht, verurteilt). Jedoch ist das Verstehensproblem der Kl damit offensichtlich noch nicht erfolgreich bearbeitet, was diese explizit macht: «Weiß jetzt nisch was ich darauf/». Die Sb selbst geht daraufhin von einem rein sprachkompetenzbedingten Problem aus und fragt, ob die Kl das Wort «Strafe» kenne. Als sie hierauf keine Antwort erhält, beantwortet sie sich diese Frage selbst (PF 13) und geht fortan von äußerst geringen Deutschkompetenzen der Kl aus. Die hieran anschließende Sequenz (ab PF 14) wurde bereits in Kapitel 6.1 besprochen. Das Verstehensproblem wird auch im weiteren Gesprächsverlauf nicht erfolgreich bearbeitet. Auffällig ist jedoch, dass die Kl in PF 14 das Wort «Strafe» selbst gebraucht, und zwar ohne erkennbares Stocken oder Unsicherheit bei der Verwendung des Begriffs («was jetz für die Strafe was dis soll»). Denkbar ist, dass die Kl das Wort «Strafe» versteht (und verwenden kann). Trotzdem scheint sie die Frage, ob ein Gericht sie zu einer Strafe verurteilt habe, nicht zu verstehen. Möglich wäre dabei, dass sie andere Begriffe, die in dieser Frage verwendet werden, nicht versteht – beispielweise das tatsächlich hauptsächlich in institutionellen Kontexten gebräuchliche Verb «verurteilen» – oder aber dass sie nicht versteht, weshalb sie danach gefragt wird. In letzterem Fall, hätte das Verstehensproblem seine Wurzeln in einer Unkenntnis behördlicher Regelungen (Vorgabe, dass für

31 Aus demselben Gespräch wurde ein weiterer Auszug bereits in Kapitel 6.1 analysiert.

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 179

eine Einbürgerung keine strafrechtlichen Verurteilungen vorliegen dürfen). Diese wurden allerdings von der Sb explizit zu Beginn dieser Sequenz angeführt. In ersterem Fall dagegen wäre die Bearbeitung des Verstehensproblems durch eine alltagssprachliche Paraphrasierung nicht erfolgreich gewesen, weil die Paraphrase für die – nicht-deutsch-muttersprachliche – Kl nicht ausreichend alltagssprachlich ist. Die Sb scheint auch unsicher zu sein, was als behördensprachliche Lexik erklärungsbedürftig sein könnte und was der Gemeinsprache angehört. Dies zeigt die zumindest vorgebliche Zweifelsfrage, ob die Kl wisse, «was die Polizei is» in PF 14, 15. Dass es sich eventuell nur um eine vorgebliche (also rhetorische) Bitte um Inferenzbestätigung handelt, deutet die subjekt- und prädikatlose Ellipse in der Rephrasierung «Was jetz noch nich» an. Die Annahme, dass die Paraphrase «Hat ein Gericht Sie zu einer Strafe verurteilt» für die Kl nicht ausreichend alttagssprachlich ist, wird gestützt durch die Einbeziehung weiterer Daten aus der Fragebogenumfrage. Da die Kl angibt, hauptsächlich mit ihren Kindern Deutsch zu sprechen, wäre durchaus denkbar, dass ein Verb wie ‹verurteilen› für sie als Sprachlernerin, die die deutsche Sprache hauptsächlich in informellen Kontexten gebraucht, immer noch recht behördentypische, institutionelle Lexik darstellt. Dieses Beispiel zeigt also, dass eine weitere Schwierigkeit bei der Bearbeitung von Problemen des Verstehens von Lexik aus dem Behördenkontext anhand alltagssprachlicher Paraphrasierungen darin bestehen kann, dass es gerade im Kontakt mit Nicht-Muttersprachlern zuweilen schwer ist einzuschätzen, was den alltagsweltlichen Erfahrungen eines Klienten noch entspricht und was ihm nicht mehr vertraut ist. Schwierigkeiten, Fachlexik klientengerecht zu paraphrasieren, werden von einigen Sachbearbeitern auch explizit angesprochen. Ein Beispiel hierfür wurde bereits in Kapitel 6.1 besprochen («Mehr als Name und Anschrift des Vermieters kann ich Ihn nich sagn», Beispiel 4). Eine andere Möglichkeit der Bearbeitung von Problemen, die mit der Verwendung behördentypischer Lexik zusammenhängen, zeigt das folgende Beispiel aus dem argentinischen Korpusteil. Beispiel 45: P 57 arg. [18] Sb [v]

tiene que traer laa • el estatuto de la empresa que le confiere • el poder especial s/ para

[19] Sb [v]

representar la empresa y para poder firmar contratos. Y ésto/

Sb [k]

Schnell

Kl [v]

Eso no lo entendí. No lo entendí.

180 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[20] Sb [v]

Esto/ El • no es Michael XY.

Kl [v]

Qué necesito?

El es • Roberto XZ • que • trabaja No.



como

Claro.

[21] Sb [v] Kl [v]

representante legal.

Para que yo sepa que esta empre/empresa le/ le da con/ le Sí.

[22] Sb [v]

confiere el poder especial para representar tiene que tener un estatuto. Es un poder que

[23] Sb [v]

tiene que estar certi/certificado ante escribano publico que dice que • la empresa (le

[24] Sb [v]

otorgó) el poder especial a él para poder firmar contratos y representar la empresa.

Kl [v]

Y dónde vas para hacer

Kl [k]

Genervt

Auch in diesem Ausschnitt aus einem Gespräch an der Dirección Nacional de Migraciones mit einer niederländischen Klientin, einer Nicht-Muttersprachlerin der spanischen Sprache, scheint die Verwendung eines Fachterminus durch die Sb – zusammen mit einer Unkenntnis der Kl bezüglich der hinter diesem Terminus stehenden Verfahren und Gesetze – zu einem Verstehensproblem zu führen: «estatuto de la empresa» (‹Firmenvollmacht›, PF 18). Die Sb setzt zwar direkt im Anschluss an die Verwendung dieses Terminus zu einer Bearbeitung an (u. U. weil sie ein Problem bereits antizipiert, bevor es manifest geworden ist, oder weil die Kl nonverbal Unverständnis signalisiert, was auf der Audioaufzeichnung nicht erkennbar wäre). Sie ersetzt «estatuto» durch die alltagssprachlichere Formulierung «poder especial» (‹spezielle Vollmacht›) und stellt zudem (alltagssprachlich) dessen Funktion dar: ein «poder» für den Zweck X, nämlich «para representar la empresa y para poder firmar contratos» (‹um die Firma zu repräsentieren und Verträge zu unterschreiben›) (cf. hierzu auch Brünner 2011, 258). Sie spricht dabei allerdings schnell, was verstehenshinderlich wirken kann. Als die Sb fortfahren will («Y esto/»), unterbricht die Kl sie und macht ihr weiterhin bestehendes Verstehensproblem explizit: «Eso no lo entendí» (‹Das habe ich nicht verstanden.›), was sie zur Verstärkung noch einmal wörtlich rephra-

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 181

siert. Die Sb geht daraufhin zur Erklärung, was ein «estatuto de la empresa» ist, in sehr kleinen Schritten vor. Zunächst geht sie auf den Arbeitgeber der Kl ein, der dieses «estatuto» mitbringen soll: «El es • Roberto XZ • que • trabaja • como representante legal» (‹Er ist Roberto XY der als gesetzlicher Vertreter arbeitet›, PF 20, 21). Bereits in dieser Äußerung macht sie mehrere kurze Pausen, die der Kl die Möglichkeit zur Turnübernahme eröffnen und damit die Möglichkeit, Verständnis oder Unverständnis zu äußern. Die Kl signalisiert soweit Verständnis («Claro»; «Sí»). Daraufhin beschreibt die Sb noch einmal die Funktion des «estatuto», also wofür es benötigt wird: «Para que yo sepa que esta empre/empresa [...] le confiere el poder especial a él para poder firmar contratos y representar la empresa». Darin geht sie zunächst auf ihre eigene Perspektive ein («Para que yo sepa»: ‹damit ich weiß›) und verdeutlicht anschließend noch einmal langsamer, welche Informationen ein solches «estatuto» enthält, nämlich, ob «Roberto XZ» tatsächlich von der Firma berechtigt ist, Verträge zu unterschreiben und die Firma zu repräsentieren. Diese inhaltliche Beschreibung der Funktion des entsprechenden Dokuments scheint das Verstehensproblem nun doch erfolgreich zu bearbeiten, so dass die Kl anschließend lediglich nachfragt, wie sie dieses Dokument erhält. Eine wiederum andere Art der Bearbeitung ähnlicher Verstehensprobleme wird im folgenden Beispiel erkennbar, einem Auszug aus einem Gespräch des deutschen Datensatzes an einem Jobcenter mit einem türkischen Ehepaar. Der inhaltliche Kontext, aus dem der Gesprächsausschnitt stammt, ist ein Vorschlag der Sachbearbeiterin, einen staatlich geförderten Deutschkurs zu besuchen, falls ein solcher nicht bereits stattgefunden hat. Beispiel 46: P 1 dt. [53] Sb [v]

Fünf Monate?

Kl [v]

Sechs nei fünf fünf

Kl [k]

Lachend

Übers Bundesministerium für Migration äh also n n Ja

[54] Sb [v]

BAMF-Kurs war das? • Wissen Se das noch?

Kl2

Wer hat denn/ wer hat den Kurs War ähh • •

[55] Sb [v] Kl2

finanz/ äh bezahlt? Ham Sie das selber bezahlt?

Oke • dann war das Ich hab selber bezahlt.

182 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[56] Sb [v]

wahrscheinlich über die Volkshochschule

Kl2

oder übern über

Oke • • ähm • • Sie

War war • Volkshochschule.

Dass die Klienten ein Verstehensproblem mit der behördenspezifischen Abkürzung «BAMF-Kurs» haben, lässt sich an dem langgezogenen Verzögerungslaut «ähh» und der darauf folgenden Pause anstelle einer Antwort in PF 54 erkennen («War ähh • •»). Offensichtlich wissen sie nicht genau, was ein «BAMF-Kurs» ist. Auffällig ist hier, dass die Sb der eher behördenintern gebräuchlichen Abkürzung «BAMF» bereits eine wörtliche Erläuterung «übers Bundeministerium für Migration» voranstellt. Brünner (2011, 262) spricht bei solchen Auflösungen von Abkürzungen, die die Struktur des Fachbegriffs («BAMF») durchschaubar machen, von einer «Analyse des Fachwortes». Die Sb bricht diese jedoch selbst ab. Eventuell geht dem die Annahme voraus, dass der Begriff «BAMF-Kurs» den Klienten u. U. eher bekannt sei als die nicht abgekürzte Formulierung. Da dies offensichtlich nicht der Fall ist, konkretisiert die Sb ihre Frage unter dem Gesichtspunkt der Bezahlung des Kurses, greift also das wesentliche Merkmal dieser «BAMF-Kurse» heraus, dass sie staatlich gefördert sind. Zudem wählt sie einen möglichst einfachen bzw. alltagssprachlichen Sprachstil und korrigiert sich an einer Stelle selbst, indem sie den ursprünglich gewählten (eher hochsprachlichen) Ausdruck «finanziert» abbricht und durch das umgangssprachlichere «bezahlt» ersetzt. Hier, wie auch bereits bei der der Abkürzung «BAMF» vorangestellten Wortanalyse lassen sich Versuche erkennen, sich generell möglichst verständlich zu machen. Das weist auf ein gewisses Monitoring von Verstehensproblemen (ein Problembewusstsein für behördentypische Lexik) hin. Diese neue Frage kann Kl2 beantworten, woraufhin die Sb eine Schlussfolgerung zieht, «wahrscheinlich über die Volkshochschule», welche unmittelbar von Kl 2 ratifiziert wird. Auf diese Weise kann das Verstehensproblem also umgangen werden. Die Sb erhält die abgefragte Information, obgleich offen bleibt, ob die Klienten den Begriff «BAMF-Kurs» verstanden haben. Wie sie zu dieser Schlussfolgerung kommt, erläutert die Sb den Klienten allerdings erst kurze Zeit später, indem sie noch einmal auf den Terminus «BAMF-Kurs» zurückkommt: Beispiel 47: P 1dt. [68] Sb [v]

Diese BAMF-Kurse • so nenn/ so nennt sich das • die sind über dieses Bundesamt für

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 183

[69] Sb [v]

Migration gefördert und bezahlt • • dauern in der Regel länger als vier Monate ja? Ähm die

Mit der Erläuterung, dass «BAMF-Kurse» über das Bundesamt für Migration gefördert werden, macht sie deutlich, weshalb sie zuvor nach der Finanzierung des Kurses gefragt hat. Mit dem Kommentar «so nennt sich das» wird zudem herausgestellt, dass es sich bei «BAMF-Kurs» um einen Fachbegriff handelt. Auch hier lässt sich eine ähnliche Verwendung eines alltagssprachlichen Stils beobachten wie bereits im vorigen Auszug. Wiederum wird der Ausdruck «gefördert» durch das alltagssprachliche «bezahlt» ergänzt, was hier, da es sich nicht um eine inhaltliche Ergänzung handelt, als Selbstkorrektur zu werten ist. In verschiedenen Fällen werden Verstehensprobleme, die mit der Verwendung von Lexik oder Abkürzungen aus dem Behördenkontext zusammenhängen, zudem bereits von Sachbearbeitern antizipiert und prospektiv bearbeitet. Das lässt sich ebenfalls an einem Auszug aus demselben Gespräch Nr. 1 des deutschen Korpusteils kurze Zeit später beobachten: Beispiel 48: P 1 dt. [74] Sb [v]

Ich kann Ihnen ne MAE • also n Ein-Euro-fünfzig-Job anbieten •

Hier unterbricht die Sb ihren Satz («Ich kann Ihnen ne MAE») und fügt, angekündigt durch ein kurzes Stocken und den Reformulierungsindikator «also» (cf. Gülich/Kotschi 1996) die außerhalb des Behördenkontexts weiter verbreitete Formulierung «Ein-Euro-fünfzig-Job» ein. Es handelt sich also um ein «downgrading» (Brünner 2011, 256), die nachgestellte «Übersetzung» eines Fachbegriffs in die Alltagssprache. Hier tritt kein Verstehensproblem auf. Auch im folgenden Beispiel wird ein antizipiertes Verstehensproblem prospektiv bearbeitet: Beispiel 49: P 35 dt. [21] Sb [v]



Kl [v]

Ja

Kl [k]

fließender • besser Deutsch sprechen und dann machn wir das okay?

Gut • Oke.

Danke. lachend

dann

184 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[22] Sb [v]

Mach ich jetz noch die Eingliederungsvereinbarung • • soo

schwupp oke • ähm • Wie soll ich blättert

Sb [k]

[23] Sb [v]

Ihnen das jetz erklärn?

Ich mache noch ein Vertrag • jaa? • Dass Sie jetz in den Deutschkurs •

[24] Sb [v] Kl [v]

gehn.

Okay? Ja.

Gut. Ja.

In diesem Ausschnitt aus einem Gespräch an einem Jobcenter mit einer vietnamesischen Klientin, die nach eigener Angabe über sehr geringe Deutschkenntnisse verfügt,32 wird von der Sb selbst ein Verstehensproblem mit dem Fachterminus «Eingliederungsvereinbarung» antizipiert und explizit gemacht: «Wie soll ich Ihnen das jetz erklärn?» (PF 22, 23). Anschließend ersetzt die Sb den Fachterminus «Eingliederungsvereinbarung» durch den alltagssprachlicheren Begriff «Vertrag». Sie versucht, sich anhand einer durch Vokaldehnung und kurze Pausen besonders hervorgehobenen tag question («jaa?») des Verständnisses der Kl zu versichern. Da diese jedoch nicht reagiert, erweitert die Sb den Ausdruck «Vertrag», indem sie zur Konkretisierung die in diesem festgehaltene Vereinbarung beschreibt: «dass Sie jetz in den Deutschkurs gehn». Das scheint das Verstehen der Kl zu sichern, die nun antwortet: «Ja». Ebenfalls von einer Sachbearbeiterin antizipiert, aber auf andere Weise bearbeitet, wird ein Verstehensproblem im folgenden Beispiel. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem Gespräch am Jobcenter mit einem kurdischen Mann, der seit etwa zehn Jahren in Deutschland lebt und nach eigener Einschätzung auch relativ gut Deutsch spricht.33 Der Klient in diesem Beispiel hat eine Bäckerei eröffnet. Die Sachbearbeiterin schlägt ihm nun vor, beim Jobcenter ein so genanntes Einstiegsgeld zu beantragen und erklärt das übliche Vorgehen bei der Gewährung eines Einstiegsgeldes.

32 Ihre Angabe entspricht der Antwortmöglichkeit des Fragebogens «Ich verstehe in einem Gespräch wenig und kann nicht viel sagen». 33 Seine Angabe entspricht der Antwortmöglichkeit des Fragebogens «Ich kann in einem Gespräch praktisch alles ausdrücken, was ich möchte».

 185

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

Beispiel 50: P 38 dt. [4] Sb [v]

Wenn/ wenn alle Unterlagen komplett eingereicht sind und danach stelln Sie n neuen Antrag

[5] Sb [v]

und dann gucken wir ob wirs weiterbewilligen könn.

Kl [v]

Wir könn das maximal zwei Jahre hmm

[6] Sb [v]

bewillign

Kl [v]

••

insgesamt. Und alle halbe Jahre wird neu geprüft. Und dis Ganze • ähm • wird

genau

Jaja

[7] Sb [v]

degressiv gehandhabt • dis heißt • nachm halbm Jahr kriegn Se sozusagn weniger Leistungn

Kl [v]

Mhm

[8] Sb [v]

als fürs erste halbe Jahr.

Kl [v]

Ne? Weil die • äh die Einnahm solln sich ja ausbaun. mhm

mhmm

[9] Sb [v]

sagn Se mal

((2s)) Ja • darum

Kl [v]

aba • aba eh ich krieg meine ähh • wie heißt das? Die Einstiegsgeld ne?

[10] Sb [v]

geht′s jetz grade. Sie müssn das beantragn. Ich geb Ihn jetz/

Kl [v]

War sechs Monate oder? ((1,5s)) äh

[11] Sb [v] Kl [v]

Ja • also Sie stelln n Antrag • dann kann ich das bewillign für sechs Monate. Einstiegsgeld.

[12] Sb [v]

Danach stelln Sie noch n Antrag auf Weiterbewilligung. • Dann kann ich wieder sechs

186 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[13] Sb [v]

Monate machn aba weniger/ also das wird sozsagn immer weniger • ja? Warum? Weil Sie ja

[14] Sb [v]

mehr verdienen solln also sozusagn dass die/ dass die staatliche Hilfe unter das rutscht

Kl [v]

Jaja

hmm ja

[15] Sb [v]

was Sie selber erwirtschaftn.

Wie bereits in den vorangegangenen Beispielen wird auch hier ein Verstehensproblem des Kl mit dem eher behördentypischen Ausdruck «degressiv» (PF 7) von der Sb antizipiert. Noch bevor dieses in der Interaktion manifest wird, bearbeitet sie es prospektiv, indem sie die Bedeutung des Adjektivs «degressiv» erläutert. Eingeleitet wird die Bearbeitung mit dem Kommentar: «dis heißt». Es folgt eine auf den speziellen Kontext (die Gewährung des Einstiegsgeldes) bezogene Beschreibung der Auswirkungen eines «degressiven» Vorgehens: «nachm halben Jahr kriegen Sie sozusagen weniger Leistungn» (PF 7). Die Sb beschreibt also das Prozedere der Auszahlung des Einstiegsgeldes und begründet, nachdem der Kl Verstehen signalisiert hat (Hörerrückmeldeverhalten: «mhm», PF 8) zudem, weshalb das Einstiegsgeld nach einem halben Jahr gesenkt wird: «Weil die • äh die Einnahm solln sich ja ausbaun» (PF 8). Dass jedoch trotzdem ein Verstehensproblem auf Seiten des Kl besteht, zeigt sich an seiner Nachfrage «aba eh ich krieg meine ähh wie heißt das? Die Einstiegsgeld ne?» (PF 9). Diese Nachfrage scheint die Sb zu irritieren, was ihr relativ langes Zögern vor einer erneuten Antwort anzeigt. Sie verweist zunächst darauf, dass sie dies bereits erklärt hat: «darum gehts jetz grade», betont «Sie müssn das beantragn» und setzt an, mit der Anliegensbearbeitung fortzufahren: «Ich geb Ihn jetz/» (PF 10). An dieser Stelle unterbricht der Kl sie jedoch mit einer weiteren Rückfrage: «War sechs Monate oder? ((1,5s)) äh Einstiegsgeld?». Daran, dass der Kl glaubt, das Einstiegsgeld werde nach sechs Monaten eingestellt, wird erkennbar, dass ihm die Bedeutung eines «degressiven» Vorgehens noch nicht vollständig verständlich ist. Die Sb bestätigt die Frage des Kl zunächst («Ja») und beschreibt dann das Vorgehen bei der Gewährung eines Einstiegsgeldes noch einmal etwas detaillierter. Dabei geht sie relativ kleinschrittig vor und geht mit dem Kl imaginär die einzelnen Schritte des institutionellen Ablaufs durch: «also Sie stelln n Antrag • dann kann ich [...]. Danach stelln Sie [...]. • Dann kann ich wieder [...]» (PF 11–13). Zudem greift sie erneut zu einer alltagssprachlichen Paraphrase: «aba weniger/

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 187

also das wird sozsagn immer weniger», wobei sie ihre bereits in PF 7 gebrauchte Formulierung «kriegn Se sozusagn weniger Leistungn» noch etwas vereinfacht, indem auch der Begriff «Leistungn» vermieden wird. Dies grenzt bereits fast an foreigner talk (cf. z. B. Rehbein 1994). Mit «sozusagen» signalisiert die Sb hier wie auch oben jeweils die «Übersetzungsleistungen». Mit einer tag question («• ja?») versichert sie sich darüber hinaus des Hörerverständnisses. Schließlich begründet sie noch einmal, weshalb das Einstiegsgeld nach den ersten sechs Monaten gekürzt wird: «Warum? Weil Sie ja mehr verdienen solln» (PF 13, 14). Die Einleitung der Begründung mit einer rhetorischen Frage («Warum?») erinnert an einen «Lehr-Lern-Diskurs» (cf. z. B. Rehbein 1994; Brünner 2005a).34 Sie kann dazu dienen, die Aufmerksamkeit des Kl zu fokussieren und auch sein (aus dem bisherigen Gesprächsverlauf) bereits vorhandenes Wissen aufzurufen (cf. dazu auch Brünner 2011, 278). Diese Begründung erweitert sie noch etwas: «dass die staatliche Hilfe unter das rutscht was Sie selber erwirtschaftn» (PF 13–15). An dieser Stelle signalisiert der Kl zweimal parallel zur Äußerung der Sb Verstehen: «Jaja», «hmm ja» (PF 14). Die Bearbeitung des Verstehensproblems geschieht in diesem Beispiel also über die Beschreibung eines «degressiven» Vorgehens auf den konkreten Fall der Gewährung eines Einstiegsgeldes bezogen. Die bislang betrachteten Verstehensprobleme bezogen sich sämtlich direkt auf das Verstehen von Fachtermini, Abkürzungen aus dem Behördenkontext o. ä. In verschiedenen Fällen scheint Klienten allerdings auch allein der Unterschied zwischen zwei behördlichen Begriffen unklar zu sein. Hieran zeigt sich deutlich, dass dies nicht nur eine Frage sprachlichen Wissens ist, sondern auch eine fachlich-institutionellen Wissens.35 Beispiel 51: P 114 dt. [17] Sb [v]

jetz/ also s gibt nur n Personalausweis oder n Reisepass.

Kl [v]

• • Sind dis nisch gleische?

[18] Sb [v] Kl [v]

Nee. Der äh • Ausweis is der kleine Scheckkartnformat—

Ja. Und Ja. Denmein ich.

34 Thörle (2005, 158) spricht in einem ähnlichen Kontext von einem «didaktischen Diskurs». 35 Basierend auf vergleichbaren Beispielen weisen Bührig und ten Thije (2005) darauf hin, dass institutionelle und interkulturelle Aspekte analytisch deutlich voneinander zu trennen sind.

188 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[19] Sb [v] Kl [v]

Reisepass is son Buch.

Und was möchtn Sie? Mhm.

Beides mhm. Beides. Also • beides muss ich

Bei diesem Beispiel handelt es sich um einen Ausschnitt aus einem Gespräch einer türkischen Frau an einem Berliner Bürgeramt. Auffällig ist hier, dass ihr zwar die Fachtermini «Personalausweis» und «Reisepass» offenbar nicht gänzlich unbekannt, aber doch nicht vollständig klar sind, da sie sie für zwei Bezeichnungen desselben Ausweistyps hält: «Sind dis nisch gleische?» (PF 17).36 Diese Frage der Kl verneint die Sb zunächst: «Nee». Anschließend bearbeitet sie das Verstehensproblem, und zwar in diesem Fall – was im Korpus relativ selten zu beobachten ist – anhand der Beschreibung äußerer Merkmale der unterschiedlichen Ausweisarten (anstelle einer Beschreibung der unterschiedlichen Funktion beispielsweise): «Der äh • Ausweis is der kleine Scheckkartnformat» (PF 18). Bereits nach der Beschreibung des Aussehens des Personalausweises zeigt die Kl Verstehen an und antwortet zunächst «Ja den mein ich». Auch wenn ihr der Unterschied zwischen den beiden Ausweisarten nicht bewusst war, scheint die Kl eine Vorstellung vom äußeren Erscheinungsbild der Ausweise zu haben. Die Sb fährt nach einer Ratifizierung («Ja») allerdings fort, den Unterschied zu beschreiben: «Und Reisepass is son Buch» (PF 18, 19). Damit wird das Verstehensproblem offenbar erfolgreich bearbeitet. Sämtliche bislang besprochenen Beispiele stammen aus Gesprächen mit Nicht-Muttersprachlern. Wie gezeigt werden konnte, basieren die Verstehensprobleme, die sich auf eine von Behördenmitarbeitern verwendete Lexik aus dem Behördenkontext beziehen, jedoch nicht ausschließlich auf Sprachkompetenzunterschieden. Zudem zeigt sich im argentinischen Korpus, dass auch Klienten, die dieselbe Muttersprache wie die Behördenmitarbeiter sprechen, in auffällig vielen Fällen Schwierigkeiten haben, behördentypische Begriffe zu verstehen. Ein Fachterminus, der hierbei besonders häufig zu Verstehensproblemen führt (in drei der 23 detaillierter transkribierten argentinischen Gespräche sowie in weiteren

36 Hier zeigt sich im Übrigen, dass Migranten noch stärkere Verstehensprobleme im Zusammenhang mit fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen haben können als Einheimische, da sie über weniger landestypisches institutionelles Vorwissen verfügen. Einheimische dagegen sind beispielsweise i.d.R. bereits von Kindesbeinen an vertraut mit dem Unterschied zwischen einem Personalausweis und einem Pass.

 189

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

sieben Fällen im Gesamtkorpus) ist der Terminus «estado civíl» (‹Familienstand›). Besonders auffällig ist dabei, dass Verstehensprobleme mit diesem Terminus immer auf dieselbe Art und Weise von Sachbearbeitern bearbeitet werden: a) Beispiel 52: P 115 arg. [7] Sb [v]

Domicilio acá? Es éste? Bolivar 0000?

Estado civíl?

KI [v]

Sí.

soltero casado ((2s)) eh • qué?



[8] KI [v]

soltero.

b) Beispiel 53: P 139 arg. [1] Sb [v]

Tu estado civíl?

• • eh • soltero?

Kl [v]

Sí sí.

Soltero.

Kl [k]

sehr selbstsicher

c) Beispiel 54: P 117 arg. [5] Sb [v]

Siete?

Kl [v]

sietecientocuarentayseis

KI [k]

Schnell (Nummer ist geändert)

Estado civíl? Siete • sietecientoscuarentayseis.

• Civíl?

[6] Sb [v] KI [v]

Síi • sos casaado soltero oo

Casado? ehh

Estudios que tengas cr/cruzados? Sí.

Alle drei Klienten der Beispiele a) bis c) sind Bolivianer und geben in der Fragebogenumfrage an, Spanisch sei zumindest eine ihrer Muttersprachen. Zudem erklären sie explizit, auch in der Familie regelmäßig Spanisch zu sprechen. In Beispiel a) zeigt sich ein Verstehensproblem, das sich auf den Terminus «estado civíl» bezieht, an einem zwei Sekunden langen Schweigen, dass ein-

190 

 Analysen I: Verstehensprobleme

deutig dem Kl zugeordnet werden kann, dem von einem kurzen Stocken gefolgten Hesitationsmarker «eh» sowie der expliziten Rückfrage «qué?». In Beispiel b) dagegen antwortet der Kl auf die Frage «Tu estado civil?» und bestätigt diese (sehr selbstsicher) mit «Sísí». Dass die Sb die konditionelle Relevanz hier nicht als erfüllt ansieht, wird an ihrem darauf folgenden Zögern, dem Hesitationsmarker «eh» und einer Rückfrage erkennbar, die das von ihr offenbar wahrgenommene Verstehensproblem bearbeiten soll (auf die Bearbeitung wird in Kürze eingegangen). Auffällig ist hier, dass der Kl antwortet und dabei sogar große Sicherheit signalisiert. Hier entsteht der Eindruck, dass er selbst nicht von einem Verstehensproblem ausgeht, sondern meint, er habe die Frage verstanden. In Beispiel c) zeigt sich das Verstehensproblem wiederum an einer Rückfrage des Kl, in der ein Teil des von der Sb gebrauchten Terminus aufgegriffen wird: «Civíl?». In allen drei Beispielen werden diese Verstehensprobleme in derselben Form bearbeitet – und zwar anhand der Vorgabe von Beispiel-Antworten (ähnlich einem Multiple-Choice-Test): «casado» (‹verheiratet›) und «soltero» (‹ledig›) bzw. nur «soltero». Dies erfolgt in zwei Fällen (a und b) ohne syntaktische Einbindung, einmal (Beispiel c) in Form einer direkt an den Kl gerichteten Frage: «sos casaado soltero oo». Als Beispiele sind diese Antwortmöglichkeiten gekennzeichnet durch eine Aneinanderreihung ohne Konjunktionen sowie durch die offen stehen bleibende Konjunktion «oo» im Anschluss an die Beispiel-Antworten in Beispiel c). In Beispiel c) werden sie zudem hervorgehoben durch eine Vokallängung («casaado»). In Beispiel b) wird nur eine Beispiel-Antwort («soltero») gegeben, da der Kl diese unmittelbar darauf ratifiziert. In den Beispielen a) und b) führt das Vorbringen solcher Beispiel-Antworten zu einer sofortigen Lösung des Verstehensproblems, in Beispiel c) allerdings ist das Verstehensproblem hierdurch noch nicht unmittelbar gelöst. Der Kl zögert immer noch («ehh»), woraufhin die Sb erneut die erste Antwortmöglichkeit abfragt («Casado»), was im Anschluss vom Kl bestätigt wird. Der Verwendung von Beispiel-Antworten kommt hier eine Doppelfunktion zu: Zum einen wird die erfragte Information («estado civil») durch das Anführen von Beispielen auf eine konkretere, leichter nachvollziehbare Ebene gebracht (cf. Brünner 2011, 296). Zum anderen können die Klienten aus den vorformulierten Antworten eine auswählen, statt selbst eine Antwort zu formulieren. Die Verwendung von Beispiel-Antworten kann also in zweierlei Hinsicht hilfreich bei der Bearbeitung von Verstehensproblemen sein. Die bislang betrachteten Beispiele enthalten sämtlich Verstehensprobleme auf Seiten der Klienten, die auf der Verwendung von Lexik aus dem Behörden-

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 191

kontext durch Behördenmitarbeiter basieren. Erkennbar werden sie zumeist an einer verzögerten oder gänzlich ausbleibenden oder aber einer die konditionelle Relevanz nicht erfüllenden Antwort der Klienten. Zuweilen werden sie auch durch Rückfragen der Klienten explizit sowie in einigen Fällen von den Sachbearbeitern antizipiert. Bearbeitet werden sie ausschließlich durch die Sachbearbeiter (also die «Problemverursacher») selbst, meist anhand alltagssprachlicherer Paraphrasierung, was mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist, beispielsweise geringerer Präzision der Paraphrase im Vergleich zum Fachterminus. Zudem werden Probleme hier bearbeitet durch das Vorbringen von Beispiel-Antworten, aus denen der Klient auswählen kann, aber auch durch das Herausgreifen eines wesentlichen Merkmals oder die Beschreibung der Funktion des mit dem Fachterminus bezeichneten Objekts sowie durch die Beschreibung des Aussehens dieses Objektes. In einigen Gesprächen fällt allerdings auf, dass auch Verstehensprobleme auf Seiten der Sachbearbeiter auftreten, die mit dem Gebrauch behördentypischer (Fach-) Lexik durch Klienten verbunden sein können. Auch Klienten gebrauchen zuweilen behördentypische Lexik (u. U. um sprachliche Konvergenz zu erzielen oder auch um eigene Expertise auszudrücken) – sie tun dies aber z. T. in offenbar fehlerhafter Weise oder verwenden unpräzisere Begriffe. Dies führt in mehreren Fällen zu Korrekturen durch die Behördenmitarbeiter – gerade weil im Behördenkontext größtmögliche semantische Präzision erforderlich ist. Das lässt sich an den folgenden Beispielen näher betrachten. a) Beispiel 55: P 114 dt. [15] Sb [v] Kl [v]

Plus was? Diese Urkunde für misch jetz und

plus die äh diese • (Urkun) oda so.

[16] Sb [v] Kl [v]

Urkunde? Sacht mir jetz nix. mein Kinda.

Ich kenn ((1,5s)) Wie heißt dis • nochmal?

[17] Sb [v] Kl [v]

jetz/ also s gibt nur n Personalausweis oder n Reisepass. • • Sind dis nisch gleische?

192 

 Analysen I: Verstehensprobleme

b) Beispiel 56: P 4 dt. [5] Sb [v] Und äh die ham gesagt ich muss die neue Bescheid ähh dahin bring. • Deswege ich

Kl [v]

[6] Sb [v] Kl [v]

Oke

Neuer Bescheid heißt neuer Bewilligungsbescheid.

hab hier auch gebringt • damit ich diese Leiser

Kl [k]

[7] Sb [v] Kl [v]

Vom Jobcenter. Ja.

Ja.

In beiden Fällen (a und b) werden von den nicht-muttersprachlichen Klientinnen (bei a) einer türkischen und bei b) einer papua-neuguineischen Klientin) Begriffe verwendet («Urkunde», «Bescheid»), die zumindest einem relativ hohen stilistischen Niveau entsprechen oder, wie im Falle von «Bescheid», sogar hauptsächlich im Behördenkontext gebräuchlich sind. In Fall a) manifestiert sich daraufhin ein Verstehensproblem auf Seiten der Sb. Diese wiederholt fragend den entsprechenden Begriff: «Urkunde?» und macht ihr Verstehensproblem explizit: «Sacht mir jetz nix». Aus dem vorherigen Gesprächsverlauf geht allerdings zumindest hervor, dass die Gesprächspartnerinnen über das Thema Ausweis sprechen und der Terminus «Urkunde» sich offenbar hierauf bezieht. Der Terminus ist jedoch zum einen nicht sehr präzise und wird zum anderen üblicherweise nicht gebraucht, um auf einen Ausweis zu referieren. Ihre terminologischen Schwierigkeiten macht die Kl nach einem 1,5 Sekunden langen Schweigen ihrerseits deutlich, indem sie nachfragt «Wie heißt dis nochmal?». Zur Bearbeitung schlägt die Sb zwei semantisch eindeutigere Fachtermini vor: «Personalausweis» und «Reisepass», aus denen die Kl auswählen kann, was sie im weiteren Gesprächsverlauf auch tut. Das damit verbundene Verstehensproblem der Kl wurde bereits besprochen. In Fall b) dagegen entsteht kein Verstehensproblem, jedoch wird der von der Kl verwendete Begriff «Bescheid» zur Verstehenssicherung durch die Sb spezifiziert. Dabei unterbricht sie die Kl («Oke»), greift den von der Kl verwendeten Begriff auf (wobei sie eine Korrektur des Genus vornimmt): «Neuer Bescheid»

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 193

und fügt einen semantisch präziseren Fachterminus an: «neuer Bewilligungsbescheid». Nach einer Ratifizierung durch die Kl spezifiziert sie weiter, von welcher Behörde der Bewilligungsbescheid ausgestellt wurde: «Vom Jobcenter». Als auch dies von der Kl bestätigt wird, ist das Referenzobjekt semantisch eindeutig bezeichnet. Ein solches interaktives «upgrading» (Brünner 2011, 253), also die fachsprachliche Reformulierung einer Partner-Äußerung, dient zum einen dazu, sich zu versichern, dass man tatsächlich über dasselbe spricht (eindeutige Bezeichnung des Referenzobjektes), kann aber auch dazu dienen, dem Klienten den entsprechenden Fachbegriff nahe zu bringen (Lerneffekt) und wird als didaktisch sinnvoll angesehen (cf. ebd.). In beiden Fällen zeigen sich also Verstehensprobleme oder zumindest eine Verzögerung im Gesprächsablauf, die damit zusammenhängen, dass die Klientinnen aus Unkenntnis der korrekten Terminologie – aber in dem Versuch, sich der Institutionalität der Situation möglichst angemessen auszudrücken – semantisch unpräzise oder sogar falsche (bzw. unübliche) Termini gebrauchen. In beiden Fällen findet eine Bearbeitung in Form einer Präzisierung der Begriffe durch die Sachbearbeiterinnen statt. Zuweilen versuchen allerdings auch Klienten selbst, durch eine behördensprachliche Paraphrasierung alltagssprachlicher Begriffe größere semantische Präzision zu erreichen: Beispiel 57: P 38 dt. [27] Kl [v]

ich hab schon versucht. Ich war da. Ich hab eine ßettel geschrie/ äh gekricht • Bescheinigung •

[28] Sb [v] Kl [v]

Ja • ja • • jaja ob ich hergekommen und alles abgelaufn ab sechs Wochen kannst/ kannste vergessn

Hier nimmt der Kl, ein Kurde türkischer Herkunft, eine Selbstkorrektur vor, unterbricht sich («ßettel geschrie/ äh gekricht») und formuliert nach einem kurzen Stocken den alltagssprachlichen Begriff «ßettel» durch den präziseren Ausdruck «Bescheinigung» um, der ihm offenbar im Behördenkontext angemessener erscheint. Das ließe sich als eine prospektive Bearbeitung eines antizipierten Verstehensproblems durch einen Klienten auffassen. Verstehensprobleme, die, wie die bislang besprochenen, mit der Verwendung von Lexik aus dem Behördenkontext zusammenhängen, treten also in

194 

 Analysen I: Verstehensprobleme

beiden Teilen des Korpus relativ häufig auf, in rund 30 Prozent der Gespräche in jedem Korpusteil. Das betrifft ebenso das Verstehen wie auch den Gebrauch solcher Lexik durch Klienten, gerade wenn es sich um Nicht-Muttersprachler handelt – aber, wie an verschiedenen Beispielen aus dem argentinischen Korpus deutlich wurde, auch wenn die Klienten Spanisch-Muttersprachler sind. Dies ist also nicht nur eine Folge von Sprachkompetenzdivergenzen, sondern zumindest auch fachlich-institutioneller Wissensdivergenzen– obgleich sich die verschiedenen Arten von Problemen akkumulieren können.

6.3.2 Semantisch oder pragmatisch nicht eindeutige Fragen Im vorangegangenen Abschnitt konnte gezeigt werden, dass Verstehensprobleme auf Seiten der Behördenmitarbeiter zum Teil darauf basieren, dass Klienten – auch wenn sie behördentypische (Fach-)Lexik verwenden – häufig unpräzise Begriffe oder Formulierungen wählen. In einer Reihe von Gesprächen in beiden Korpusteilen treten allerdings auch Verstehensprobleme auf, die darauf basieren können, dass die Sachbearbeiter nicht genügend präzise formulieren und beispielsweise semantisch oder pragmatisch nicht eindeutige Fragen stellen.37 Auffällig ist hierbei, dass sowohl an deutschen als auch an argentinischen Behörden bestimmte Fragen immer wieder (und zwar auch von unterschiedlichen Sachbearbeitern) semantisch uneindeutig formuliert werden. Beispiel 58: P 50 dt. [50] Sb [v]

Wo ham Sie geheiratet?

Beide Unterlagn von Ihnn.

In Berlin.

Kl [v]

Berlin.

Kl2 [v]

Mhm.

In Berlin.

[51] Sb [v]

Beim Standesamt?

Kl [v] Kl2 [v]

Äh • Wilmersdorf.

Also beim Standesamt ja?

Nich bei Ihrer

Schön/

Schöneberg. Standesamt.

37 Dies zeugt erneut, dass für auftretende Verstehensprobleme keinesfalls immer «mangelnde» bzw. abweichende Kompetenzen und Kenntnisse der Klienten verantwortlich sind.

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 195

[52] Sb [v] Kl2 [v]

Botschaft sondern beim Standesamt. Nee

Gut dann bekomm ich Nee beim Standesamt ja.

Dieses Beispiel stellt einen Ausschnitt aus einem Gespräch auf einer Einbürgerungsbehörde mit einem ägyptischen Ehepaar dar.38 In PF 50 stellt die Sb den Klienten eine Frage: «Wo ham Sie geheiratet?». Kl2, der Ehemann, antwortet darauf: «In Berlin», was von seiner Ehefrau (Kl) bestätigt wird. Auch die Sb wiederholt diese Antwort zunächst wörtlich (was von den Klienten als Ratifizierung gewertet werden kann). Anschließend spezifiziert sie ihre Frage jedoch und verdeutlicht damit, dass die vorherige Antwort der Klienten nicht der von ihr erwarteten entspricht: «Beim Standesamt?» (PF 51). Kl2 nennt daraufhin den Bezirk, in dem sie getraut wurden (der Hesitationsmarker an dieser Stelle kann darauf hinweisen, dass Kl2 überlegt, an welchem Standesamt in Berlin die Trauung stattfand). Die Kl will diese Aussage korrigieren («Schön/»), wird aber von der Sb unterbrochen mit der einer Verstehensicherung dienenden Reformulierung ihrer Frage: «Also beim Standesamt ja?» (PF 51). Erst an dieser Stelle wird für die Klienten erkennbar, welche Information die Sb erwartet – dass also zuvor ein Verstehensproblem bestand. Kl2 ratifiziert unmittelbar darauf: «Standesamt», während die Kl parallel ihre zuvor unterbrochene Korrektur des Bezirksnamens vollendet: «Schöneberg». Ebenfalls parallel dazu, führt die Sb jedoch noch einmal zur Absicherung des gegenseitigen Verstehens eine Inferenzüberprüfung durch: «Nich bei Ihrer Botschaft sondern beim Standesamt», was wiederum von Kl2 ratifiziert wird: «Nee beim Standesamt ja». In diesem Beispiel zeigt sich also deutlich ein Verstehensproblem auf Seiten der Klienten, das eine recht aufwändige Bearbeitung nach sich zieht. Dieses basiert auf einer Frage der Sb, die semantisch nicht eindeutig ist. Auf die Frage «Wo ham Sie geheiratet?» kann ebenso mit der Nennung eines Standesamtes wie aber auch mit der Nennung einer Stadt, eines Bezirks oder eines Landes geantwortet werden. Dieselbe Frage (in derselben semantisch uneindeutigen Formulierung) führt auch in mindestens zwei weiteren Gesprächen des Korpus zu ähnlichen Verstehensproblemen. Auch die Rückfrage der Sb in PF 51 «Beim Standesamt?» ist semantisch nicht eindeutig; sie lässt sich ebenso als Entscheidungsfrage wie als Bitte um Ergänzung verstehen, also als Bitte um Nennung des entsprechenden Standesamtes (was in diesem Beispiel geschieht: «Wilmersdorf»

38 In früheren Kapiteln dieser Arbeit wurden bereits andere Ausschnitte aus diesem Gespräch, das zu Beginn ausschließlich mit der Ehefrau dieses Ehepaares stattfand, analysiert.

196 

 Analysen I: Verstehensprobleme

bzw. «Schöneberg»). Erst durch eine zweite Rückfrage der Sb («Also beim Standesamt ja?») wird die Frage semantisch wirklich eindeutig formuliert. Allerdings kommt die fehlende Eindeutigkeit dieser Frage auch erst dadurch zum Tragen, dass den Klienten fachlich-institutionelles Vorwissen fehlt. Wären ihnen die institutionellen Abläufe vertrauter, hätten sie die von der Sb intendierten Antworten u. U. antizipieren können. Vergleichbare Probleme zeigen sich auch im argentinischen Korpus: a) Beispiel 59: P 32 arg. [7] Sb [v]

((3s)) Está en Capital eh?

Estudios que hayas

((14s)) Estado civil? Sb tippt am Computer.

Sb [k] Kl [v]

Mhm.

Soltera.

[8] Sb [v]

terminado?

Kl [v]

Estás en la universidad.

((4s))

Terminado? • No. Stoy estudiando.

Sí. • Sí.

b) Beispiel 60: P 115 arg. [8] Estudios que terminaste?

Sb [v] Kl [v]

soltero.

Primaria? No.

Sí? • • A qué te

La primaria la hiciste? Sí.

Sí.

[9] Sb [v]

dedicás ahora?

Kl [v]

De qué trabajas? Trabajo.

Panadería.

c) Beispiel 61: P 117 arg. [6] Sb [v] Kl [v]

Síi • sos casaado soltero oo

Estudios que tengas cr/cruzados?

Casado? ehh

Sí.

Estoy así dee

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 197

[7] Sb [v] Kl [v]

Estudios que tengas terminados • por ejemplo secundaaria ((3s)) Cómo có/ cómo estudios?

[8] Sb [v] Kl [v]

primaaria terciaarios. Qué terminaste?

Secundarios terminados? Trabajás? Secundarios.



Auch in Beispiel a), b) und c) treten Verstehensprobleme auf, die alle auf derselben semantisch unklar formulierten Frage nach einem Schulabschluss basieren. Beispiel a) ist ein Ausschnitt aus einem Gespräch mit einer kolumbianischen Klientin. Hier bestehen zwei Unklarheiten. Zum einen kann der Begriff estudios sich ebenso auf eine Schulausbildung wie auf ein (Universitäts-)Studium beziehen. Zum anderen kann die Formulierung «que hayas terminado» (‹die du abgeschlossen hast›) als Frage danach verstanden werden, welche Ausbildung bis zum aktuellen Zeitpunkt abgeschlossen wurde oder ob bereits eine Ausbildung abgeschlossen wurde. Die Kl versteht offensichtlich Letzteres und antwortet deshalb zunächst mit einer Rückfrage «Terminado?», anschließend mit der Äußerung «No. Stoy estudiando» (‹Ich studiere›). Daraufhin nimmt die Sb eine Inferenzüberprüfung vor: «Estás en la universidad», was die Kl bestätigt. Auch in Beispiel b), einem Ausschnitt aus einem Gespräch mit einem bolivianischen Immigranten, zeigt sich ein ähnliches Verstehensproblem. Die Antwort des Kl («No») wird von der Sb als nicht die konditionelle Relevanz erfüllend markiert, indem sie zu einer Bearbeitung ansetzt: in diesem Fall durch die Anführung eines Beispiels («Primaria»: ‹Grundschule›). Dies ratifiziert der Kl (auf eine Rückfrage hin zudem ein zweites Mal). In beiden Fällen (a und b) können die Verstehensprobleme im Übrigen durch die Verwendung eines sehr knappen, formularähnlichen Stils (anstelle der Verwendung vollständiger Sätze) verstärkt worden sein. Pragmatisch unklar ist in Beispiel b) zudem die im Anschluss folgende Frage der Sb «A qué te dedicás ahora?» (‹Welcher Sache widmest du dich jetzt›). Die Antwort des Kl «trabajo» (‹ich arbeite›) stellt eine mögliche Antwort auf diese Frage dar. An der Reaktion der Sb wird jedoch erkennbar, dass sie auch hier die konditionelle Relevanz nicht erfüllt sieht. Zur Bearbeitung greift sie das vom Kl gebrauchte Verb «trabajar» auf und fügt eine zweite, pragmatisch eindeutiger formulierte Frage an: «De qué trabajás?» (‹Als was arbeitest du›), was vom Kl in der offenbar von der Sb intendierten Art und Weise beantwortet wird: «Panadería» (‹Bäckerei›).

198 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Beispiel c) ist ein Ausschnitt aus einem weiteren Gespräch mit einem bolivianischen Klienten. Auch hier wird ein Verstehensproblem erkennbar an einer Selbstunterbrechung des Kl, einer drei Sekunden langen Pause und einer darauf folgenden Rückfrage: «cómo estudios?» (‹wie Studien?›). Zur Bearbeitung des Problems rephrasiert die Sb in diesem Fall zunächst ihre eigene Äußerung: «Estudios que tengas terminados» (wobei sie den Ausdruck «cruzados», ‹durchlaufen›, ersetzt durch den weniger umgangssprachlichen «terminados»). Anschließend führt sie, wie auch die Sb in Beispiel a) einige Beispiele an, die sie explizit auch als Beispiele kennzeichnet («por ejemplo» sowie eine Aneinanderreihung der Beispiele ohne Konjunktionen) und durch Vokallängung hervorhebt: «secundaaria primaaria terciaarios». Im Anschluss daran formuliert sie zudem ihre Frage erneut: «Qué terminaste?». Auf diese Weise wird das Verstehensproblem erfolgreich bearbeitet, der Kl antwortet: »Secundarios». Vergleichbare Verstehensprobleme aufgrund semantisch oder pragmatisch uneindeutiger Fragen der Sachbearbeiter treten im argentinischen Korpusteil in mindestens drei weiteren Gesprächen auf. Auffällig an den hier besprochenen Beispielen sind die Schnelligkeit, mit der die Behördenmitarbeiter (ohne auch nur kurz zu zögern) im Anschluss an die Problemanifestationen auf Bearbeitungsmöglichkeiten zurückgreifen, sowie die Ähnlichkeit der jeweiligen Bearbeitungen. Hier zeigt sich, dass Behördenmitarbeiter routinisierte Lösungsstrategien für offenbar häufiger auftretende Probleme entwickeln. In allen Fällen dürften die Verstehensprobleme zumindest auch damit zusammenhängen, dass die Klienten (aufgrund fehlenden fachlich-institutionellen Wissens) nicht einschätzen können, worauf sich die uneindeutigen Fragen der Sachbearbeiter beziehen und welche Informationen diese benötigen. Während Klienten mit breiterem institutionellem Vorwissen u. U. in der Lage sind, die jeweils intendierte Antwort zu antizipieren, wählen Klienten mit geringerem institutionellem Wissen häufig eine andere Antwort, was z. T. aufwändige Bearbeitungen durch die Sachbearbeiter oder sogar eine weiter reichende Verwirrung der Klienten und damit eine Verzögerung im Kommunikationsprozess nach sich zieht. Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten fallen jedoch nicht nur dann ins Gewicht, wenn unklare Fragen gestellt werden, sondern führen auch in verschiedenen anderen Situationen zu Verstehensproblemen. Während die in den Abschnitten 6.3.1 und zum Teil auch 6.3.2 besprochenen Verstehensprobleme sich zumindest weitgehend auch durch Sprachdefizite erklären lassen, betreffen die folgenden Beispiele – in jeweils zunehmendem Maße – institutionsspefizisches Wissen.

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 199

6.3.3 Fehlendes fachlich-institutionelles Hintergrundwissen (Kontextwissen) Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten in einer Experten-Laien-Kommunikation bestehen oftmals nicht nur «im Bezug auf den Gegenstand der Kommunikation» (Bromme/ Jucks/Rambow 2004, 176), sondern auch bezüglich eines fachlich-institutionellen – in diesem Fall auf den Behördenkontext bezogenen – Hintergrund- oder Kontextwissens. In vielen Fällen können Behördenmitarbeiter nicht korrekt einschätzen, wie groß die Wissensdivergenzen zwischen ihnen und den Klienten sind, über welche Informationen Klienten bereits verfügen und welche vermittelt werden müssen. Im folgenden Beispiel aus dem argentinischen Korpusteil wird dies von einer Klientin explizit thematisiert. 6.3.3.1 Beispiel 62: P 58 arg. [2] Sb [v] Kl [v]

Y pero igual • se te vence en un mes. Hay • • Tengo que volver acá • a volver a hacer el trámite?

[3] Sb [v]

que ver qué te piden. Si capa(z) que te piden que presentes algo que faalta si?

Kl [v]

Sí por eso y si me

[4] Sb [v] Kl [v]

No allá falta algo tengo que ir acá a darles

recepción de docu/no ahí enfrente • recepción Allá también?

[5] Sb [v]

de documentación.

Kl [v]

Eh? Okay bueno. • No es evidente.

No es evidente. • • Me lo decís como si

[6] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

• Noo no. • Es ahí. fueraa

Bueno no sé • okay • bueno graciasss. lacht ironisch

200 

 Analysen I: Verstehensprobleme

In diesem Gespräch mit einer französischen Klientin geht es darum, an welcher Stelle der Ausländerbehörde fehlende Unterlagen nachgereicht werden können. Die Kl fragt zu Beginn des hier dargestellten Ausschnitts, wohin sie sich zu diesem Zweck wenden muss: «Tengo que volver acá • a volver a hacer el trámite?» (‹Muss ich hierher zurückkommen • um wieder mit dem Verfahren zu beginnen?›, PF 2). Die Sb geht jedoch zunächst nicht direkt darauf ein, weshalb die Kl ihre Frage erneut formuliert und dabei Teile der vorherigen Äußerung der Sb aufgreift: «si me falta algo tengo que ir acá a darles» (‹wenn mir etwas fehlt muss ich hierher kommen und es Ihnen bringen›, PF 3, 4). Sie wird allerdings von der Sb unterbrochen mit einer (knappen) inhaltlichen Korrektur: «No allá» (‹Nein da›, PF 4). Diese nur aus dem lokalen Deiktikon «allá» bestehende Aussage ist allerdings relativ vage. Sie wird u. U. gestisch (z. B. durch Zeigen in eine bestimmte Richtung) unterstützt. Die Kl fragt daher noch einmal nach: «Allá también?» (‹Da auch?›). Erst daraufhin setzt die Sb zu einer eindeutigen Ortsangabe an, wobei sie sich selbst unterbricht («recepción de docu/») und eine weitere lokaldeiktische Information einfügt («no ahí enfrente»: ‹nein da drüben›), bevor sie die entsprechende Stelle der Behörde benennt: «recepción de documentación». An dieser Stelle signalisiert die Kl Verstehen: «Okay bueno». Durch die ungenaue Richtungsangabe «allá» und die Korrektur durch die Sb gewinnt die Kl jedoch offenbar den Eindruck, die Sb halte ihre Frage für unnötig. Sie betont im Anschluss noch einmal explizit den Wissensunterschied, indem sie erklärt «no es evidente» (‹das ist nicht selbstverständlich›) und auf die Verwunderung der Sb hin («eh?») erläuternd einen metakommunikativen Kommentar anfügt: «me lo decís como si fueraa» (‹du sagst mir das als wäre ees›). Sie führt ihre Äußerung nicht zu Ende, die Sb reagiert jedoch unmittelbar darauf mit einer entschuldigend wirkenden Äußerung: «Noo no. • Es ahí» (‹Nein nein. • Es ist da›). Wie schwierig es jedoch tatsächlich sein kann, das Hintergrundwissen der Klienten einzuschätzen, zeigt ein weiteres Beispiel. Beispiel 63: P 10 arg. [43] Sb [v]

Vos sos el que tienee •

Kl [v]

(Hay que hacer uno uno por trabajo)

Kl2 [v] hijo argentino • nosotro.

[44] Sb [v] Kl2 [v]

o sea • te/ tenés aalguien que te pueda contratar a vos?

Sí? Sí.

Alguien que te Sí.

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 201

[45] Sb [v]

pueda poner en blanco?

Kl [v]

Ah es porque nosotros trabaamo • en calle.

Kl2 [v]

((1,5s)) No.

Es handelt sich hierbei um einen Ausschnitt aus einem Gespräch des argentinischen Datensatzes mit einem ghanaischen Klienten (Kl), der eine «radicación por trabajo» (Einbürgerung über Arbeit) beantragen möchte, und einem Bekannten von ihm (Kl2). Hierfür muss der Kl einen Nachweis über eine berufliche Anstellung erbringen. Die Sb fragt ihn dementsprechend, ob er die Möglichkeit habe, einen Arbeitsvertrag zu erhalten: «Tenés aalguien que te pueda contratar a vos?» (PF 44). Darauf antwortet der Kl zunächst mit der Bestätigungspartikel «sí». Auch als die Sb anschließend noch einmal nachfragt («Sí?»), bestätigt der Kl dies. Die Sb gibt sich mit dieser Aussage jedoch noch nicht zufrieden und konkretisiert ihre Frage ein weiteres Mal dahingehend, ob der Kl auch einen legalen Arbeitsvertrag bekommen könne (relativ umgangssprachlich formuliert): «Alguien que te pueda poner en blanco?» (wörtlich: ‹jemanden, der dich in weiß setzen kann›). Diese Frage verneint der Kl. Hieran zeigt sich, dass ihm offenbar zuvor nicht klar war, dass er, um eine «radicación por trabajo» zu beantragen, nicht nur generell eine Anstellung in Argentinien vorweisen muss, sondern dass es sich um eine legale handeln muss. Auch wenn die Sb das geringe fachlich-institutionelle Hintergrundwissen des Kl in diesem Fall korrekt eingeschätzt hat, zeigt dieses Beispiel, dass es in der Tat mitunter sehr schwierig sein kann, solche extremen Wissensdivergenzen einzuschätzen und Missverständnisse diesbezüglich zu vermeiden. Verstehensprobleme aufgrund fachlich-institutioneller Wissensdivergenzen treten allerdings nicht nur auf Seiten der Klienten auf (u. a. bei der Vermittlung von Wissen vom Behördenmitarbeiter an den Klienten), sondern oft auch auf Seiten der Behördenmitarbeiter, wenn Klienten beispielsweise – aus Unkenntnis der fachlich-institutionellen Hintergründe – Fragen stellen oder Äußerungen vorbringen, die die Behördenmitarbeiter zunächst nicht verstehen. Das wird an den folgenden zwei Beispielen deutlich. Beispiel 64: P 87 dt. [12] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

Dis wars dann für Sie jetzt. Ja.

Hmhm. Ja.

Wie lang müssn wir jetzt relativ leise

202 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[13] Sb [v] Kl [v]

Wie bitte? warten noch?

Wofür? • Worauf? Wie langge müssen wir warten noch?

• • Sie

Lauter

Kl [k]

[14] Sb [v] Kl [v]

Wer?

Was soll die von Ihn krie/ was sie/

kriegen was von euch oder?

Meine Tochter.

s/so/

((2s)) Nee. Ne Bestetijung gibs nich. Sie kann • gerne

[15] Sb [v] Kl [ v]

was möchte sie? Eine Bestätigung oder—

Der Kontext dieser Gesprächssequenz mit einem bosnischen Klienten auf einem Bürgeramt ist, dass der Klient die Scheidung seiner Tochter auf dem Amt meldet. Nachdem alle Unterlagen eingereicht sind, initiiert die Sb die Gesprächsbeendigung: «Dis wars dann für Sie jetzt». Der Kl ratifiziert dies zwar («Ja»), stellt anschließend jedoch noch eine Frage: «Wie lang müssn wir warten noch?» (PF 12, 13). An dieser Stelle wird ein Verstehensproblem der Sb manifest, sie bittet um Wiederholung: «Wie bitte?» (PF 13). Daraufhin rephrasiert der Kl seine Frage fast wörtlich (u. U. geht er von einem akustischen Verstehensproblem aus). Damit ist das Problem jedoch nicht erfolgreich bearbeitet. Zwei weitere Rückfragen der Sb (mit Selbstkorrektur: «Wofür? • Worauf?») zeigen, dass sie nicht versteht, auf welches Referenzobjekt sich die Frage des Kl bezieht. Nach einem kurzen Stocken expliziert dieser seine Erwartung: «Sie kriegen was von euch oder?». Immer noch aber versteht die Sb nicht, wovon der Kl spricht: «Wer?». Auch auf die Antwort «Meine Tochter» hin, löst sich die Verwirrung der Sb nicht, was an mehrfachen Selbstunterbrechungen und Reformulierungen ihrer eigenen Folgeäußerung erkennbar wird: «Was soll die von Ihn krie/ was sie/ s/so/ was möchte sie?» (PF 14, 15). Erst als der Kl explizit benennt, was er erwartet, nämlich «eine Bestätigung» der Behörde, versteht sie, lehnt jedoch nach einer zwei Sekunden langen Pause ab: «((2s)) Nee. Ne Bestetijung gibs nich» (PF 15). Das Verstehensproblem in diesem Beispiel basiert offenbar auf unterschiedlichen Erwartungen der Interaktanten bezüglich des weiteren institutionellen Ablaufs. Aus Unkenntnis des üblichen Ablaufs erwartet der Kl offensichtlich, eine Bestätigung zu erhalten. Für ihn stellt sich daher nur die Frage, wann er

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 203

diese bekommt – was aus der Perspektive der Sb jedoch eine unerwartete Frage darstellt. Ähnliche Verstehensprobleme zeigen sich auch im argentinischen Korpusteil. Beispiel 65: P 47 arg. [7] Kl [v]

Supongo • • si sii é(s)te me lo hicieron así

[8] Kl [v]

me lo/ • • Si se puede hacer • yo/ yo digo no? • Van a hacerlo así? A poner un sello no? En

[9] Sb [v] Kl [v]

Cómo? Qué si lo hacés así? (la) parti(da) (de) nacimiento sí? Por ésto yo digo.

Sí por eso. • •

[10] Sb [v] Kl [v]

• A ver. • • Es Me saquen una fotocopia así • Vo(s) necesita(s) la fotocopia oo la original?

[11] Sb [v] Kl [v]

para la legalización de este documento? Y qué quisiste? Sí.

No Eh • sacarme esta hoja yy poner la

[12] Sb [v]

no porque ésto legaliza ésto. • Cada • papel tiene su • legalización . • • No sirve toda la misma

Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem Gespräch mit einem paraguayischen Klienten, dem ein Beglaubigungsstempel auf einer Kopie seiner Geburtsurkunde fehlt. Hierfür formuliert der Kl selbst einen Lösungsvorschlag, wie mit dem Problem des fehlenden Stempels umgegangen werden könnte. Diesen führt er als persönliche Annahme ein: «Supongo» (‹Ich nehme an›). Anschließend formuliert er seinen Vorschlag (etwas zögernd und stockend vorgebracht): «si sii é(s) te me lo hicieron así me lo/ • • Si se puede hacer •» (‹wenn Sie mir das so machen würden dann/ • • Wenn man das machen kann›). An dieser Stelle unterbricht er sich kurz und betont erneut, es handele sich um eine Idee seinerseits: «yo/ yo digo no?» (‹ich/ich sage das ja?›). Nun reformuliert er seinen Vorschlag als Frage: «Van a hacerlo así?» (‹Werden Sie das so machen?›). Aus dem Transkript wird

204 

 Analysen I: Verstehensprobleme

nicht erkennbar, worauf der Kl sich mit dem Adverb «así» (‹so›) bezieht. Anzunehmen ist, dass er seine Äußerung gestisch unterstützt. Zur Verdeutlichung bezieht er sich zudem explizit auf den fehlenden Stempel: «A poner un sello no? En (la) parti(da) (de) nacimiento sí?» (‹Stempeln nicht? Auf der Geburtsurkunde ja?›). Diverse tag questions in seiner Äußerung können die Funktion haben, sich des Hörerverständnisses zu versichern. Es entsteht jedoch ein Verstehensproblem auf Seiten der Sb, die durch mehrfache explizite Klärungsnachfragen eine Bearbeitung initiiert: «Cómo? Qué si lo hacés así?» (‹Wie? Was wenn du das so machst?›, PF 9). Zunächst reagiert der Kl darauf allerdings mit einer – an dieser Stelle ungewöhnlich erscheinenden – Ratifizierung: «Sí por eso. • •» (‹Ja deshalb›). Erst im Anschluss daran setzt er zu einer Erklärung an: «Me saquen una fotocopia así» (‹Sie machen eine Kopie so›). Er unterbricht sich jedoch kurz darauf und versichert sich zunächst der institutionellen Anforderungen (u. U. zur Absicherung, ob sein Lösungsvorschlag überhaupt möglich ist): «Vos necesitas la fotocopia o la original?» (‹Brauchst du die Kopie oder das Original?› PF 10). Anstelle einer Antwort, stellt die Sb jedoch eine eigene Rückfrage, eingeleitet mit einem Hesitationsmarker («• A ver. • •»): «Es para la legalización de este documento?» (‹Ist das für die Beglaubigung dieses Dokumentes?›). Zunächst versucht die Sb offenbar zu klären, worauf sich der Vorschlag des Kl generell bezieht. Nach einer Ratifizierung durch diesen («Sí») formuliert sie eine Klärungsnachfrage, die darauf abzielt zu erfahren, was der Kl nun vorzuschlagen versucht: «Y qué quisiste?» (‹Und was wolltest du?›, PF 11). Das Verstehensproblem wird hieran noch einmal überaus deutlich. Daraufhin formuliert der Kl seinen Vorschlag etwas deutlicher: «Eh • sacarme esta hoja yy ponerla» (‹Äh • diese Seite nehmen und sie legen an›). An dieser Stelle unterbricht die Sb ihn und signalisiert Verstehen, lehnt den Vorschlag jedoch ab: «No no porque ésto legaliza ésto» (‹Nein nein weil dieses das hier beglaubigt›). Verstärkend erläutert sie weiter: «Cada papel tiene su legalización. • • No sirve toda la misma» (‹Jedes Papier hat seine Beglaubigung. • • Es geht nicht alle mit der gleichen zu beglaubigen›, PF 11, 12). Erkennbar wird hier, allerdings erst aus der Reaktion der Sb, dass sich die vorherige Äußerung des Kl in PF 10, «Me saquen una fotocopia así», offenbar auf die anschließend expliziter benannte «esta hoja» bezieht – offensichtlich eine mit einem Beglaubigungsstempel versehene Seite eines anderen Dokumentes. Sein Vorschlag besteht also darin, diese beglaubigte Seite zu kopieren und als Beglaubigung an die (unbeglaubigte) Geburtsurkunde zu heften. Dieser Vorschlag beruht auf einer Unkenntnis der institutionellen Vorgaben sowie darauf, dass dem Kl die Funktion eines Beglaubigungsstempels offenbar nicht bekannt ist. Da die Sb jedoch derartige Wissensdivergenzen offensichtlich nicht erwartet, bedarf es mehrerer Rückfragen der Sb sowie einer detaillierten Beschreibung der

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 205

einzelnen Schritte der vom Kl vorgeschlagenen Handlung durch diesen, bis das Verstehensproblem gelöst ist. Vergleichbare Verstehensprobleme, die damit zusammenhängen, dass Klienten institutionelle Abläufe und Hintergründe nicht kennen, treten insgesamt recht häufig in beiden Korpusteilen auf (in mindestens sechs von 32 Gesprächen des deutschen und sieben von 23 des argentinischen Datensatzes). Auf einige weitere Beispiele wird an späterer Stelle noch einmal ausführlicher eingegangen.

6.3.4 Fehleinschätzungen über erwartete Informationen – das Handlungsschema «Datenabfrage»39 In verschiedenen Gesprächen sind des Weiteren Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten zu beobachten, die darauf zu basieren scheinen, dass Klienten zuweilen nicht einschätzen können, welche Informationen Sachbearbeiter von ihnen erwarten. Das hängt nicht immer, wie in Abschnitt 6.3.2 besprochen, damit zusammen, dass Sachbearbeiter semantisch oder pragmatisch nicht eindeutige Fragen stellen, sondern kann auch auf eine Unkenntnis der institutionellen Abläufe auf Seiten der Klienten zurückgehen. Drei Beispiele lassen sich hierfür heranziehen. Beispiel 66: P 1 dt. [40] Sb [v]

Ähm is denn das erste Kind jetz in der Kita untergebracht oder...

Kl2[v]

Is jetz grad in Kita. Er is

[41] Kl2[v]

erste drei vier Wochen nich klar gekommen. Wir ham nur zwei Stunde da gelassen. Ist bei

[42] Sb [v] Kl2[v]

mhmm ihm geblieben • immer.

Äh jetz grade bleibt langsam langsam wenn is ein Tag drei

39 Das Konzept des «Handlungsschemas» stammt zwar im Grunde nicht aus der Konversationsanalyse, eignet sich aber sehr gut zur Beschreibung der in diesem Abschnitt besprochenen Beobachtungen.

206 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[43] Sb [v]

Oke. Ähm

Kl2 [v] Stunde vier Stunde. Wenn weint rufen an wir holen ab. Aber jetzt langsam geht.

[44] Sb [v]

Und dann ham Sie wahrscheinlich n Halbtagsplatz bekomm ja? Äh also vier ähm bis fünf

Dieses Beispiel stellt einen weiteren Ausschnitt aus dem Gespräch Nr. 1 des deutschen Datensatzes mit einem türkischen Ehepaar dar. Kl2 ist der Ehemann. Dieser Gesprächsausschnitt steht im Kontext einer Sequenz, in der die Interaktanten darüber sprechen, ob die Kl, die Ehefrau des Paares, die sich bislang im Mutterschutz befand, an einer Arbeitsmaßnahme teilnehmen kann oder ob sie ihr Kind noch in Vollzeit betreuen muss. Auffällig an diesem Gespräch ist, dass der Kl2 mehrfach relativ ausführliche Antworten auf Fragen der Sb gibt, wie in dem hier präsentierten Beispielausschnitt. Die Frage der Sb in PF 40 («is denn das erste Kind jetz in der Kita untergebracht») lässt zunächst eine klare Ja-Nein-Antwort erwarten, der Zusatz «oder...» (wobei die Konjunktion offen stehen bleibt) lässt jedoch auch weitere Ausführungen zu. Der Kl2 antwortet zwar zunächst klar auf die Frage («Is jetz grad in Kita»), fügt dem jedoch in einem langen Turn, während dessen die Sb lediglich eine Hörerrückmeldung gibt («mhmm»), eine Reihe weiterer Informationen an (PF 40–43). Ausführlich beschreibt er die Schwierigkeiten, die es während der ersten Wochen der Kita-Betreuung ihres Kindes gab, die Dauer der Kita-Betreuung pro Tag, wie sie als Eltern darauf reagierten und dass sich das Problem mittlerweile gebessert hat. Zusätzlich zur von der Sb erfragten Information liefert er also vier weitere Informationen. Darauf reagiert die Sb allerdings knapp mit einem themenabschließenden «Oke» und einer weiterführenden Frage: «Und dann ham Sie wahrscheinlich n Halbtagsplatz bekomm ja?». Sie lässt den Kl also zwar aussprechen, geht aber nicht auf die vier zusätzlich gegebenen Informationen ein und beendet das Thema (Kitabetreuung ja oder nein). Sehr deutlich wird daran, dass sie die vom Kl selbst eingebrachten zusätzlichen Informationen für ihre weitere Handlungsentscheidung (ob die Ehefrau des Kl2 in eine Arbeitsmaßnahme vermittelt wird) für irrelevant hält. Hier entsteht der Eindruck, dass die Sb einem bestimmten Handlungsschema folgt – das man als «Datenabfrage» bezeichnen kann (was außerhalb behördlicher Kontexte in längeren Sequenzen kaum vorzufinden ist) – und ausschließlich Fakten abfragt, die für ihre eigenen weiteren Entscheidungen von Bedeutung

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 207

sind. Weiterführende Äußerungen der Klienten werden daher unterbunden oder nicht beachtet. Der Kl2 dagegen stellt seine persönliche Situation so umfassend wie möglich dar. Er kann u. U. nicht einschätzen, welche Informationen für die Sb relevant sind bzw. hält die zusätzlichen Informationen für relevant. Ähnliches zeigt sich auch im argentinischen Korpusteil: Beispiel 67: P 75 arg. [101] Sb [v]

Legalmente • sos soltero • casado?

Kl [v]

((3s)) soltero • • no sé e/ en mi carnet me pusieron como

Kl [k]

sehr leise

[102] Sb [v]

No no no • al margen de lo que figura en el carnet vos me tenés que decir si sos soltero o

Kl [v]

soltero • pero e/ estoy

[103] Sb [v]

casado. Porque la cédula la pudiste sacar cuando estabas soltero, ahora puedes estar casado.

Kl [v]

soltero

soltero

[104] Sb [v] Kl [v]

Sí? Vos me tenés que decir cómo es tu estado civíl ahora. Sí sí está

Soltero? Sí soltero.

[105] Sb [v] Kl [v]

Por qué me dijiste que me fije en la cédula entonces? Soltero.

mm • Lo que pasa e(s) que m/

[106] Sb [v] Kl [v]

Y ahora? Qué? Estás mi cédula m/ me me figura como soltero lo más ante/ pero no sé en re(a)lidad e/

[107] Sb [v] Kl [v]

casado?

No importa. Por eso estoy diciendo. • Vos estás casado ahora? En Bolivia pero aqui



208 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[108] Sb [v] Kl [v]

No importa! Legalmente vos estás casado? pero aquí no/ n/ no

Listo. Eso sí. • Esto sí.

Pero no

[109] Sb [v] Kl [v]

No tenés qué? teengo lo papeele

No importa. No. te los voy a pedir. Lo(s) otro(s) papeles solamente ahí. ’tá ahí.

[110] Sb [v]

(E)stoy preguntando si sos soltero o casado.

Kl [v]

Casado en Bolivia.

Kl [k]

sehr schnell

Auch in diesem Gespräch mit einem bolivianischen Klienten stellt die Sb in PF 101 eine Frage, die eine klare Antwort erwarten lässt: «Legalmente • sos soltero • casado?» (‹Rechtsverbindlich • bist du ledig • verheiratet?›). Der Kl jedoch antwortet nach einem drei Sekunden langen Zögern sehr leise, er sei ledig. Hier wird bereits Unsicherheit des Kl bezüglich seiner Antwort erkennbar. Daran schließt er zudem weitere Informationen an: «• • no sé e/ en mi carnet me pusieron como soltero • pero e/ estoy» (‹ich weiß nicht i/in meinem Ausweis steht ledig • aber ich b/bin›). Auch die Einleitung dieser Äußerung mit einem Hesitationsmarker, mehrfache Selbstunterbrechungen und Stocken zeigen an, dass der Kl unsicher ist. Offenbar stimmt der Eintrag in seinen Ausweisdokumenten nicht mit seinem tatsächlichen Familienstand überein – was eine Information darstellt, die für die Sb in der Tat von Bedeutung sein könnte. Diese unterbricht den Kl jedoch mit einer Zurückweisung dieser Zusatzinformation: «No no no •» – wobei die dreifache Negationspartikel die Zurückweisung relativ stark wirken lässt. Sie erläutert, sie benötige diese Information unabhängig davon, was im Ausweis stehe, da der im Ausweis eingetragene Familienstand schließlich nicht notwendigerweise aktualisiert sein muss. Dabei geht sie auf zwei parallel zu ihrer Äußerung vom Kl vorgebrachte Antworten («soltero»: ‹ledig›) nicht ein und unterbricht auch weitere Ausführungen des Kl («Sí sí está»: ‹Ja ja das ist›) unmittelbar mit einer Rückfrage («Sí?») sowie einer erneuten Aufforderung: «Vos me tenés que decir cómo es tu estado civíl ahora» (‹Du musst mir sagen welchen Familienstand du jetzt hast›, PF 104). Eine erneute Antwort des Kl, er sei ledig, hinterfragt die Sb noch einmal, woraufhin der Kl ein viertes Mal ratifiziert: «Soltero». Mit ihrer daran anschließenden Rückfrage («Por qué me dijiste que me fije en la cédula entonces?»; ‹Warum

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 209

hast du mir dann gesagt, ich soll im Ausweis nachsehen?›) bezieht die Sb sich erst an dieser Stelle auf die in PF 101 vorgebrachte Zusatzinformation des Kl («en mi carnet me pusieron…»). Der Kl zögert zunächst («mm •») und leitet eine – wiederum stockend und mit mehreren Selbstunterbrechungen formulierte – Erklärung ein: «m/ mi cédula m/ me me figura como soltero lo más ante/ pero no sé en re(a)lidad e/» (‹i/in meinem Ausweis st/steht ledig aber ich weiß nicht in Wirklichkeit äh/›, PF 106). Erneut wird er jedoch von der Sb unterbrochen, die wiederum auf ihre ursprüngliche Frage nach seinem aktuellen Familienstand zurückführt. Der Kl setzt also wiederum zu einer Antwort an: «En Bolivia pero aqui» (‹In Bolivien aber hier›), wird aber wieder von der Sb unterbrochen, die ihn diesmal recht scharf zurecht weist: «No importa» (‹Das ist egal›) und ihre Frage erneut formuliert, ob er zum jetzigen Zeitpunkt verheiratet sei (PF 107). Der Kl ratifiziert dies (widerspricht also seiner vorherigen Aussage, er sei ledig). Er setzt aber wiederum zu einer weiterführenden Äußerung an: «pero aquí no/ n/no» (‹aber hier ni/n/nicht›). Statt an dieser Stelle zu fragen, was der Kl damit meint, oder ihn seine Äußerung vollenden zu lassen, unterbricht die Sb ihn wiederum mit einer noch etwas schärferen Zurückweisung dieser Zusatzinformation: «No importa! Legalmente vos estás casado?» (‹Das ist egal! Rechtverbindlich bist du verheiratet?›, PF 108). Dies bestätigt der Kl, woraufhin die Sb das Thema für beendet erklärt: «Listo» (‹Fertig›, PF 108). Der Kl bringt jedoch noch eine weitere Information ein: «Pero no teengo lo papeele» (‹Aber ich haabe die Papiiere nicht›, PF 108, 109). Auf eine Rückfrage hin versucht er zu erläutern, welche Papiere er meint, wird jedoch wiederum von der Sb unterbrochen mit einer das dritte Mal im gleichen Wortlaut formulierten Zurückweisung dieser Information: «No importa. No te los voy a pedir» (‹Das ist egal. Ich werde die nicht von dir verlangen›). Wiederum macht sie also explizit, dass sie diese Information (bzw. die vom Kl benannten Dokumente) nicht benötigt. Im Anschluss verweist sie in einem metakommunikativen Kommentar noch einmal auf ihre «eigentliche» Frage – woraufhin der Kl nun ohne weitere Informationen knapp und sehr schnell antwortet: «Casado en Bolivia» (‹Verheiratet in Bolivien›, PF 110). Auch in diesem Beispiel zeigt sich also, dass die Sb «harte Fakten» abzufragen versucht und sich dabei offenbar an einem Handlungsschema «Datenabfrage» orientiert, in dem weiterführende Informationen des Kl nicht vorgesehen und aus ihrer Sicht irrelevant sind («no importan»). Der Kl dagegen versucht offenbar, seine Situation so umfassend, wie es ihm nötig erscheint, darzustellen. Erst nach mehrfachen Zurechtweisungen durch die Sb passt er sich dem Handlungsschema der Sb an und gibt klare, ausschließlich auf die erfragte Information zugeschnittene Antworten ohne weitere Ausführungen.

210 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Hier fällt allerdings ebenfalls auf, dass das Verständigungsproblem in diesem Fall vermutlich rascher hätte gelöst werden können, wenn die Sb den Kl bereits zu Beginn der Sequenz hätte seine Informationen vollständig und ausführlich vorbringen lassen. In ähnlicher Weise argumentieren auch bereits BeckerMrotzek, Ehlich und Fickermann (1992, 246), die «unter dem Gesichtspunkt der Zeitökonomie zunächst paradox erscheinende Forderung», Klienten «mehr Redezeit einzuräumen», erweise sich «im Resultat als effektiver». Während in den beiden bislang besprochenen Beispielen die Klienten jeweils Informationen übermitteln, die zwar über die von den Sachbearbeitern erfragten Informationen hinausgehen, jedoch den Klienten offenbar für die Bearbeitung des Gesprächsanliegens bzw. im Kontext des jeweils behandelten Themas relevant erscheinen, entsteht im folgenden Beispiel der Eindruck, der Kl versuche darüber hinaus, Informationen zu übermitteln, die ihn in einem bestimmten Licht erscheinen lassen. In diesem Beispiel dauert die Einigung der Interaktanten auf das Handlungsschema (reine) «Datenabfrage» noch etwas länger als in den bisherigen. Beispiel 68: P 46 dt. [9] Sb [v]

Für die Einbürgerung • gibs imma bestimmte Voraussetzungen die n

Kl [v]

Ahja.

[10] Sb [v]

Antragsteller erfülln muss. Das is einmal der Aufnthalt in Deutschland • Seit wann

Kl [v]

Ja.

[11] Sb [v]

sind Sie in Deutschland?

Kl [v]

Seit sechsunddreißich Jahren. Seit • sechsundreißich Jahre ́

[12] Sb [v]

Mhm.

Wolln wa s hoffn. Lachend

Sb [k] Kl [v]

Das reischt glaub ich.

Kl [k]

Lachend

Und • deutsche Eltern ha/ die sind schon

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 211

[13] Sb [v]

Ähh • lassn Sie mich erst weiterredn?

Sb [k]

Zurechtweisend

Kl [v]

Oke. ((1s)) Gut. • Die zweite Schnell

eingebürgert.

Ja.

[14] Sb [v]

Voraussetzung is dass man keine strafrechtlichn Verurteilungn hat. Wie siehts da aus

Kl [v]

Hab isch/ • äh •

[15] Sb [v]

bei Ihn?

Kl [v]

Alles sauber ja?

Das brauch ich nich.

is sauber. • • Isch hab auch Führungszeugnis weil isch hab Wachschutz

[16] Sb [v] Kl [v]

Mir reicht das erstma wenn Sie mir sagn dass Sie keine Strafn habm. gemacht hab.

Ja.

[17] Sb [v]

• • Die dritte Voraussetzung is Arbeit. Wie siehts damit aus?

Kl [v]

Aja.

Zurzeit bin isch

[18] Sb [v] Kl [v]

arbeitslos. • Aba isch • bemühe misch. Isch bin Gärtner. In ein zwei Monat hab isch

[19] Sb [v] Kl [v]

Mhm. Seit/ seit wann sind Sie arbeitslos? wieda für • einem Jahr Arbeit.

• Isch hab ähh ((2s)) vorijes Jahr •

[20] Sb [v] Kl [v]

hm? hab isch • Wachschutz gemacht • für sechs siebm Monate.

• • Und Arbeit hab

[21] Sb [v] Kl [v]

Mm wir redn ja jetz vom Jetz. Sie stelln ja heute den auch/ früher auch fümßehn Jahre gearbeitet.

Ja. • • Äh •

212 

 Analysen I: Verstehensprobleme

[22] Sb [v] Kl [v]

Antrach.

Nich vor fünfzehn Jahrn. isch red ja nisch ähh • von jetz • hier.

Mhm. Aba zur Antragstellung • muss Ja.

Dieses Gespräch findet mit einem türkischen Klienten an einer Einbürgerungsbehörde statt. Der Klient möchte einen Antrag auf Einbürgerung stellen, woraufhin die Sachbearbeiterin ihn zum einen über die Voraussetzungen für diese Antragstellung informiert und zum anderen bereits erste Fakten abfragt, um entscheiden zu können, ob er überhaupt einen solchen Antrag stellen kann. Auch in diesem Beispiel zeigt sich, dass der Kl jeweils relativ ausführlich auf Fragen der Sb antwortet bzw. Informationen übermittelt, die die Sb offenbar nicht benötigt. Die erste Frage der Sb («Seit wann sind Sie in Deutschland?», PF 11) beantwortet der Kl noch recht kurz: «Seit • sechsundreißich Jahre», was die Sb zur Bestätigung wiederholt (mit leichter grammatischer Korrektur): «Seit sechsunddreißich Jahren. Mhm». Dem fügt der Kl allerdings (lachend) an: «Das reischt glaub ich». Auch die Sb lacht daraufhin und erwidert: «Wolln wa s hoffn», lässt sich also auf die scherzhafte Modalität des Kl zunächst ein. Ungefragt übermittelt der Kl zudem eine weitere Information, seine Eltern seien ebenfalls bereits «eingebürgert», also «Deutsche» (PF 13). Nun weist die Sb ihn jedoch metakommunikativ zurecht: «Ähh • lassn Sie mich erst weiterredn?» (PF 13). Als der Kl dies ratifiziert («Ja») leitet die Sb mit der themenabschließenden Formulierung «Oke. ((1s)) Gut. •» eine in schnellem Tempo formulierte Frage ein, die sich auf die «zweite Voraussetzung», nämlich strafrechtliche Verurteilungen, bezieht (PF 14,15). Parallel zu ihrer Äußerung setzt der Kl zu einer Antwort an («Hab isch/ • äh •») unterbricht sich jedoch und lässt die Sb erst aussprechen. Im Anschluss antwortet er: «is sauber». Wiederum parallel zu einer rephrasierenden Rückfrage der Sb («Alles sauber ja?») fügt er jedoch Zusatzinformationen an: «Isch hab auch Führungszeugnis weil» (PF 15). Noch bevor er dies aber abschließen kann («isch hab Wachschutz gemacht hab»), weist die Sb dies zurück: «Das brauch ich nich». Sie erläutert allerdings, weshalb: «Mir reicht das erstma wenn Sie mir sagn dass Sie keine Strafn habm» (PF 16), woraufhin der Kl Verstehen signalisiert (Erkenntnisprozessmarker: «Aja»). Die Sb fährt daher fort, eine dritte Voraussetzung für eine Einbürgerung zu nennen («Arbeit») und prüft, ob der Kl darüber verfügt (PF 17). Wiederum antwortet dieser zunächst direkt auf die Frage: «Zurzeit bin isch arbeitslos», fügt dem jedoch in einem längeren Turn weitere Informationen hinzu: «• Aba isch • bemühe misch. Isch bin Gärtner. In ein zwei Monat hab isch wieda für • einem Jahr Arbeit» (PF 17–19). Diese Informationen sind nicht direkt auf die Bearbeitung des Gesprächsanliegens bezogen, lassen den Kl jedoch in einem positiveren Licht erscheinen: Er ist

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 213

nicht ausschließlich arbeitslos, sondern «bemüht» sich um Arbeit. Es ist allerdings möglich, dass der Kl diese Information auch für relevant im Kontext eines Antrags auf Einbürgerung hält. Auf diese zusätzlichen Informationen geht die Sb jedoch nicht ein, sondern bezieht sich in einer folgenden Frage nur auf die von ihr erfragte Information: «Mhm. Seit/ seit wann sind Sie arbeitslos?». Darauf antwortet der Kl allerdings nicht direkt, sondern beschreibt zunächst seine bisherige berufliche Situation (PF 19–21). Auch diese nicht von der Sb erfragten Informationen werden zurückgewiesen: «Mm wir redn ja jetz vom Jetz». Sie stellt damit heraus, dass sie diese Informationen für die Behandlung des besprochenen Themas für irrelevant erachtet. Während der Kl dies ratifiziert («Ja»), führt die Sb noch etwas weiter aus: «Sie stelln ja heute den Antrach. Nich vor fünfzehn Jahrn» (PF 21, 22). An dieser Stelle rechtfertigt der Kl sich: «isch red ja nisch ähh • von jetz • hier». Ab diesem Moment antwortet der Kl deutlich knapper (meist nur noch mit «Ja» oder «Nein») auf Fragen der Sb. Etwas später im Gesprächsverlauf wird er jedoch erneut zurechtgewiesen: Beispiel 69: P 46 dt. Sb [v]

Die vierte Voraussetzung is die deutsche Spraache. •

Kl [v]

Die brauch

Kl [k]

schmunzelnd

[30] Sb [v] Kl [v]

Darum gehts gar nich. Könn Sie mir isch nisch. Die • kenn isch schon auswendich.

[31] Sb [v] Kl [v]

nachweisn • dass Sie die deutsche Sprache erworbm habm? Ja.

Grundschule war isch hier • Berufschule

[32] Sb [v] Kl [v]

Mhm. Das heißt Sie habm also die Schule in Deutschland besucht. Oberschule war isch auch hier.

Jja.

Die Sb formuliert hier formal keine Frage, sondern nennt lediglich eine vierte Voraussetzung für eine Einbürgerung: «die deutsche Spraache. •» (PF 19). Schmunzelnd antwortet der Kl darauf «Die brauch isch nisch. Die • kenn isch schon aus-

214 

 Analysen I: Verstehensprobleme

wendich». Er wechselt also erneut in einen eher scherzhaften Modus. An dieser Stelle geht die Sb darauf allerdings nicht ein, sondern weist die Äußerung des Kl scharf (was u. a. die Verwendung der Gradpartikel «gar» signalisiert) als irrelevant zurück: «Darum gehts gar nich. Könn Sie mir nachweisn ...». Auch hier wird deutlich, dass die Sb ausschließlich Fakten abfragen, kein Gespräch, wie es in alltäglichen Kontexten üblicher ist, führen will. Recht ausführlich antwortet der Kl darauf: «Grundschule war isch hier • Berufschule Oberschule war isch auch hier» (PF 31, 32). Auch diese Aufzählung einzelner Schularten ist für die Sb offenbar irrelevant; sie fasst diese in ihrer Folgeäußerung zusammen: «Das heißt Sie habm also die Schule in Deutschland besucht». Ab diesem Moment stellt sich der Kl offenbar auf die Vorgehensweise der Sb ein und antwortet ausschließlich mit der Übermittlung erfragter Informationen, ohne weitere nicht abgefragte Informationen zu übermitteln. In allen drei in diesem Abschnitt besprochenen Fällen entsteht der Eindruck, dass die Sachbearbeiter versuchen, einem Handlungsschema zu folgen, das im Voraus festgelegt und für alle Klienten gleichermaßen gültig ist. Unter Umständen an einer Datenmaske im Computer orientiert fragen sie (meist in relativ knapper Form) Daten ab, die für ihr weiteres Vorgehen relevant sind, und erwarten offenbar von den Klienten ausschließlich auf diese Fragen bezogene Antworten ohne Zusatzinformationen. Die Klienten dagegen antworten ausführlicher und übermitteln eine Reihe von Informationen, die nicht explizit von den Behördenmitarbeitern erfragt werden. Das kann einerseits damit zusammenhängen, dass den Klienten fachlich-institionelles Wissen fehlt – darüber, welche Informationen für das weitere Vorgehen relevant sind, sowie über typische institutionelle Gesprächsabläufe und Handlungsschemata (institutionelles Handlungswissen) –, andererseits aber auch auf unterschiedlichen Zielen der Interaktanten für das Gespräch basieren: möglichst zeitsparende Übermittlung relevanter Informationen, um rasch eine Entscheidung treffen zu können, vs. möglichst umfassende Darstellung der eigenen Situation, teilweise gepaart mit Versuchen, sich selbst auf eine bestimmte (positive) Art und Weise zu präsentieren. Hier zeigt sich eine Ähnlichkeit zu den von Selting (1987) untersuchten Kooperationsproblemen. Zumindest aus den Reaktionen der Sachbearbeiter (überaus deutlich in expliziten Zurechtweisungen) lässt sich erkennen, dass diese das Verhalten der Klienten als unkooperativ auffassen, bezogen auf die an ihren Zielen orientierten Kooperationserwartungen. Ob die Klienten allerdings das Verhalten der Behördenmitarbeiter ebenfalls als unkooperativ ansehen, ist aus den hier betrachteten Daten nicht zu erkennen.40

40 Auf Kooperationsprobleme in Gesprächen zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten wird an späterer Stelle dieser Arbeit näher eingegangen.

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 215

6.3.5 Zwischenfazit – Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen Verstehens- und Verständigungsprobleme, die im Zusammenhang mit fachlichinstitutionellen Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten stehen, treten in beiden Korpusteilen außerordentlich häufig auf – in insgesamt mindestens 32 der 55 detaillierter analysierten Gespräche (z. T. mehrfach innerhalb einzelner Gespräche, so dass mindestens 46 Fälle solcher Probleme beobachtet werden können). Es handelt sich dabei um sehr ähnliche Probleme in beiden Korpusteilen, also offenbar um relativ behördentypische Probleme, unabhängig davon, an welcher Art von Behörde und in welchem Land die Gespräche stattfinden. 6.3.5.1 Beobachtete Probleme Die häufigsten Verstehensprobleme in diesem Bereich basieren auf der Verwendung von Lexik aus dem Behördenkontext (in insgesamt 19 der 55 Gespräche), lassen sich also den Sprachkompetenzproblemen im weiteren Sinne zuordnen. Dabei sind zum einen Verstehensprobleme auf Seiten der Klienten zu beobachten, wenn Behördenmitarbeiter Fachtermini oder hauptsächlich im Behördenkontext gebräuchliche Abkürzungen verwenden. Allerdings entstehen auch auf Seiten der Behördenmitarbeiter Verstehensprobleme, wenn Klienten Fachlexik fehlerhaft gebrauchen oder unpräzise Begriffe wählen. In den meisten der hier besprochenen Beispiele (7 von 10) treten Verstehensprobleme im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Fachlexik in Gesprächen mit Nicht-Muttersprachlern auf. Ein Zusammenhang mit Sprachkompetenzen ist dabei durchaus wahrscheinlich, hauptsächlich oder ausschließlich im Behördenkontext gebräuchliche Lexik ist gerade für fremdsprachige Klienten oftmals schwer zu verstehen. Jedoch zeigt sich im argentinischen Korpusteil, dass auch Klienten, die dieselbe Muttersprache wie die Behördenmitarbeiter sprechen, in auffällig vielen Fällen Schwierigkeiten haben, behördentypische Begriffe zu verstehen, wie z. B. «estado civil» (ein Terminus, dessen Gebrauch in besonders vielen Fällen zu Verstehensproblemen führt). In verschiedenen Fällen scheint Klienten auch allein der Unterschied zwischen zwei behördlichen Begriffen, wie «Personalausweis» und «Pass», unklar zu sein. Hieran zeigt sich deutlich, dass dies nicht nur eine Frage von Sprachkompetenzen ist, sondern auch eine fachlich-institutionellen Wissens. Die zweitgrößte Gruppe der hier beobachteten Verstehensprobleme geht auf fehlendes Hintergrund- oder Kontextwissen der Klienten zurück (in 13 Fällen). Verstehensprobleme auf Seiten der Klienten in diesem Kontext treten beispielsweise auf, wenn Behördenmitarbeiter vage bzw. nicht ganz konkrete Angaben machen (in dem hier besprochenen Beispiel vage Richtungsangaben), aus denen Klienten mit geringerem Hintergrundwissen keine (oder falsche) Schlüsse ziehen

216 

 Analysen I: Verstehensprobleme

können. Denkbar ist allerdings, dass derartige Verstehensprobleme oftmals gar nicht in der Interaktion selbst manifest werden, sondern erst hinterher (wenn Klienten beispielsweise zu einer falschen Stelle der Behörde gehen). Fehlendes Hintergrundwissen der Klienten kann jedoch auch zu (aus Sicht der Behördenmitarbeiter) unerwarteten Fragen oder unerwarteten (z. T. undurchführbaren) Handlungsvorschlägen der Klienten führen. Eng damit verbunden sind des Weiteren Verstehensprobleme auf Seiten der Klienten, die entstehen, weil Behördenmitarbeiter semantisch oder pragmatisch uneindeutige Fragen stellen. Diese sind in neun der 55 detaillierter analysierten Gespräche des Korpus zu beobachten. Auffällig ist hieran, dass Klienten mit breiterem institutionellem Hintergrundwissen die von den Sachbearbeitern erwarteten Antworten u. U. eher antizipieren könnten, Klienten mit geringerem Hintergrundwissen jedoch «falsche» Antworten auf solche uneindeutigen Fragen geben. Hieran, ebenso wie an den zuvor besprochenen Problemen, zeigt sich, dass gerade in der Kommunikation mit Klienten mit geringerem institutionellem Hintergrundwissen besonders ausgeprägte semantische (und pragmatische) Präzision erforderlich ist. Die bislang aufgeführten Probleme sind zumeist als «lokale» Verständigungsprobleme (cf. Selting 1987) einzustufen. Es sind jedoch auch (in fünf der 55 Gespräche) Probleme zu beobachten, die eher als «globale» aufgefasst werden können: Probleme, die damit zusammenhängen, dass Sachbearbeiter einem hier als «Datenabfrage» bezeichneten Handlungsschema folgen, in dem sie den Klienten verschiedene (meist knappe) Fragen stellen und ebenso knappe, klare Antworten erwarten – die Klienten jedoch umfassende Antworten geben und mehr Informationen liefern als die Behördenmitarbeiter erfragen. Das kann damit zusammenhängen, dass Klienten nicht einschätzen können, welche Informationen für die Anliegensbearbeitung relevant sind, und dass sie u. U. auch andere Erwartungen an das Gespräch haben (sich erst auf dieses Schema «Datenabfrage» einstellen müssen). Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass Verstehensprobleme im Zusammenhang mit fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten nicht notwendigerweise interkulturelle Probleme darstellen. Dennoch zeigt sich, dass in Gesprächen mit Migranten besonders starke Wissensdivergenzen in diesem Bereich (u. U. stärkere als in Gesprächen mit Einheimischen) zum Tragen kommen – zum einen weil Klienten teils über geringes (landestypisches) institutionelles Vorwissen zu verfügen scheinen (z. B. bezüglich des Unterschieds zwischen einem Personalausweis und einem Pass, der Einheimischen i.d.R. bekannt sein dürfte, oder bezüglich des Umstandes, dass mit einem Arbeitsvertrag ein legaler Arbeitsvertrag gemeint ist). Zum anderen vermischen sich Probleme aufgrund fachlich-institutioneller Wissensdivergenzen auch mit Problemen auf-

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 217

grund von Wissensdivergenzen in anderen Bereichen. Bereits im letzten Kapitel wurde ein Problem besprochen, das ebenso mit kulturellen Wissensdivergenzen wie mit fachlich-institutionellen zusammenhing (Zulässigkeit des Kopftuchs auf Passfotos). In diesem Kapitel zeigt sich deutlich, dass oftmals auch Sprachkompetenzprobleme mit fachlich-institutionell bedingten verwoben sind. Das wird besonders deutlich bei Verstehensproblemen, die auf der Verwendung von Fachlexik beruhen. Es zeigt sich jedoch auch dann, wenn Klienten beispielsweise aufgrund fehlenden fachlich-institutionellen Hintergrundwissens Fragen stellen oder Handlungsvorschläge vorbringen, die für die Behördenmitarbeiter unerwartet sind, und ihre eigenen Erwartungen zur Bearbeitung des Problems anschließend nicht präzise formulieren können. 6.3.5.2 Bearbeitungsinitiierungen und Bearbeitungen Folgendes lässt sich bezüglich der Bearbeitungsinitiierungen und Bearbeitungen von Verstehensproblemen in diesem Bereich festhalten: Wenn Behördenmitarbeiter Fachtermini oder hauptsächlich im Behördenkontext gebräuchliche Abkürzungen verwenden, werden Verstehensprobleme der Klienten meist an ausbleibenden Antworten (z. T. Hörerrückmeldungen mit fragender Intonation) erkennbar oder (seltener) von den Klienten explizit gemacht (z. B. metakommunikative Thematisierung von Nicht-Verstehen: «Eso no lo entendí», P 57 arg.; explizite Rückfragen, z. B. «qué?»). Bearbeitet werden diese fast ausschließlich von den «Problemverursachern», den Sachbearbeitern, selbst, besonders häufig anhand alltagssprachlicher Paraphrasierungen (in sechs der 10 gezeigten Beispiele). Wie besprochen wurde, ist die Verwendung alltagssprachlicher Paraphrasen jedoch mit verschiedenen Schwierigkeiten verbunden, beispielsweise weil diese weniger präzise sind als Fachlexik oder weil schwer einzuschätzen ist, was den alltagsweltlichen Erfahrungen gerade von Nicht-Muttersprachlern entspricht und was ihnen nicht vertraut ist. Weitere Möglichkeiten der Bearbeitung solcher Verstehensprobleme, die in den untersuchten Beispielen festgestellt werden konnten, sind: Bearbeitungen anhand der Beschreibung der Funktion eines mit einem Fachterminus bezeichneten Objekts, anhand des Herausgreifens zentraler Merkmale dieses Objekts (z. B. staatlich finanzierte Sprachkurse: «BAMF-Kurse») oder über die Formulierung von Beispiel-Antworten (z. B. «soltero», «casado»). In einem Fall erfolgt die Bearbeitung eines Verstehensproblems zudem über die Beschreibung des Aussehens verschiedener mit Fachtermini bezeichneter Objekte. Offensichtlich bestehen Unterschiede in der Bearbeitung solcher Verstehensprobleme je nachdem, welcher Art die mit der von Klienten nicht verstandenen Fachlexik bezeichneten Objekte sind (abstrakter, z. B. «mietrechtliche Probleme», oder konkret greifbar, z. B. Pass).

218 

 Analysen I: Verstehensprobleme

Zuweilen werden solche Verstehensprobleme auch von Behördenmitarbeitern antizipiert und prospektiv bearbeitet – hier durch alltagssprachliche Paraphrasierung. Wenn umgekehrt Fachlexik von Klienten fehlerhaft oder unpräzise gebraucht wird, führt dies z. T. zu Rückfragen der Sachbearbeiter und einer Fremdbearbeitung des Problems durch diese (z. B. in Form von Vorschlägen verschiedener alternativer Fachtermini), teilweise auch zu unmittelbaren Fremdkorrekturen (wobei z. B. ein unpräziser Begriff präzisiert wird). Der Umgang der Behördenmitarbeiter mit Fachlexik weist insgesamt auf ein relativ ausgeprägtes Monitoring für Verstehensprobleme in diesem Bereich hin. Sie scheinen sich darüber im Klaren zu sein, dass gerade die Verwendung von Fachlexik zu Verstehensproblemen führen kann, antizipieren Probleme und greifen zur retrospektiven Bearbeitung auf eine Bandbreite von verschiedenen Bearbeitungsverfahren zurück. Die Problematik von Fachlexik ist vermutlich im öffentlichen Bewusstsein «angekommen» (cf. dazu auch Brünner 2011, 247). Probleme, die daraus resultieren, dass Behördenmitarbeiter vage Angaben machen, die die Klienten aufgrund geringeren fachlich-institutionellen Hintergrundwissens nicht einordnen können, werden in den hier besprochenen Beispielen entweder an expliziten Rückfragen der Klienten manifest oder von den Sachbearbeitern bereits antizipiert. Bearbeitet werden sie in der Regel von den Behördenmitarbeitern selbst, v. a. durch Präzisierung von Informationen («allá»>«recepción de documentación»; Arbeitsvertrag > legaler Arbeitsvertrag). Wenn dagegen fehlendes Hintergrundwissen der Klienten zu für die Behördenmitarbeiter unerwarteten Fragen oder Handlungsvorschlägen führt, werden daraus resultierende Verstehensprobleme in der Regel an expliziten Rückfragen der Behördenmitarbeiter erkennnbar (wodurch zugleich eine Bearbeitung initiiert wird). Diese werden zumeist von den Klienten selbst bearbeitet, v. a. durch eine klarere Benennung und Ausformulierung der eigenen Erwartungen oder Handlungsvorschläge. Verstehensprobleme der Klienten im Zusammenhang mit nicht eindeutigen Fragen der Sachbearbeiter, werden meist daran erkennbar, dass die Behördenmitarbeiter anzeigen, dass sie durch die Antworten der Klienten die konditionelle Relevanz nicht erfüllt sehen. Die Behördenmitarbeiter bearbeiten diese Probleme ebenfalls jeweils selbst, indem sie eindeutigere Fragen stellen, z. T. zusätzlich Inferenzüberprüfungen vornehmen und Beispiel-Antworten vorformulieren, aus denen die Klienten auswählen können. Insgesamt bemerkbar ist, dass auch hier – wie es bereits bei Verstehensproblemen im Zusammenhang mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen und kulturellen Wissensdivergenzen auffiel – Behördenmitarbeiter ihre Verstehensprobleme in aller Regel explizit machen (durch Klärungsnachfragen u. ä.), während

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen 

 219

Verstehensprobleme der Klienten häufiger an ausbleibenden oder die konditionelle Relevanz nicht erfüllenden Antworten erkennbar werden. Allerdings zeigt sich, dass Klienten bei fachlich-institutionell bedingten Verstehensproblemen immerhin überhaupt zuweilen explizite Rückfragen stellen (was bei Problemen im Zusammenhang mit Sprachkompetenzunterschieden oder kulturellen Wissensdivergenzen kaum der Fall ist). Eventuell weist das auf ein stärkeres Monitoring für Verstehensprobleme in diesem Bereich auch auf Seiten der Klienten hin. Zudem zeigt sich auch hier, wie in den Kapiteln 6.1 und 6.2, eine eindeutige Tendenz zu Selbstbearbeitungen. Ausschließlich bei Verstehensproblemen der Sachbearbeiter, die auf einem fehlerhaften Gebrauch von Fachlexik durch Klienten beruhen, sind Fremdbearbeitungen zu beobachten (Korrekturen oder Vorschläge «korrekter» Fachtermini). Bei Problemen, die mit dem Schema «Datenabfrage» zusammenhängen – wenn also Klienten aus Sicht der Behördenmitarbeiter «zu viele» oder irrelevante Informationen übermitteln – erscheint es allerdings wenig sinnvoll, von «Problemverursachern» zu sprechen – und damit auch, zwischen Selbst- und Fremdbearbeitungen oder -initiierungen zu unterscheiden. Auffällig ist jedoch, dass in sämtlichen Fällen das Verhalten der Klienten von den Sachbearbeitern als abweichend oder «problematisch» gekennzeichnet wird und Bearbeitungen von diesen vorgenommen werden, in Form von Rephrasierungen der selbst gestellten Fragen, Themenbeendigungen (z. B. anhand themenabschließender Elemente wie «Oke», «Gut» u. ä., wobei Zusatzinformationen der Klienten ignoriert werden), Zusammenfassungen ausführlicher Klientenantworten in wenigen Worten sowie anhand expliziter metakommunikativer Zurecht- und Zurückweisungen («Lassn Sie mich erst weiterredn?»; «No importa»). Solche Probleme können fehlendes Kontextwissen oder auch unterschiedliche Rollenvorstellungen und entsprechende sprachliche Handlungen (Datenabfrage vs. Narration) zur Grundlage haben.

– Explizite Klärungsnachfragen – (Fremd-)Korrekturen

– Nicht-Erfüllung der konditionellen – Formulierung eindeutigerer Fragen Relevanz – Inferenzüberprüfung – (vage) Klärungsnachfragen – Beispiel-Antworten

Lexik aus Behördenkontext II (Fachtermini/ Abkürzungen: Gebrauch)

Semant./pragm. nicht eindeutige Fragen

– Vorschläge verschiedener Fachtermini – Korrektur

– Alltagssprachliche Paraphrasen – Erklärung anhand der Funktion des mit dem Terminus bezeichneten Objekts (funktionale Erklärung) – Abfrage zentraler Merkmale (einzelner Elemente des mit dem Terminus bezeichneten Sachverhalts) – Beschreibung des Aussehens des mit dem Terminus bezeichneten Objekts – Beispiel-Antworten

– Ausbleibende Antworten – Explizite Äußerung von Nicht-Verstehen («weiß jetz nisch»; «Eso no lo entendí») – Klärungsnachfragen – Z.T. antizipiert

Lexik aus Behördenkontext I (Fachtermini/ Abkürzungen: Verstehen)

Bearbeitung

Manifestation

Art des Problems

Tabelle 6: Verständigungsprobleme Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen41

Retro

Retro

Retro (z.T. auch pro)

Selbst

Fremd

Selbst

9x (aus den Beispielen: P 50 dt.; P 32 arg.; P 115 arg.; P 117 arg. plus 5 weitere)

7x (aus den Beispielen: P 4dt.; P 114 dt., plus 5 weitere)

19 x (aus den Beispielen: P 50 dt.; P 6 dt.; P 35 dt.; P 38 dt.; P 1 dt.; P 114 dt.; P 57 arg., P 115 arg.; P 39 arg.; P 117 arg., plus 9 weitere)

Pro-/ Selbst-/ Anzahl Gespräche mit retro- Fremdbear- diesem Problem spektiv beitung

220   Analysen I: Verstehensprobleme

– explizite Klärungsnachfragen

Hintergrundwissen II (Verstehensprobleme der Sachbearbeiter) ?

41 Verstehensprobleme der Klienten sind hellgrau markiert, solche auf Seiten der Behördenmitarbeiter dunkelgrau.

«Datenabfrage» – erkennbar an unmittelbarer – Selbstrephrasierungen (der eigenen Retro (Fehleinschätzungen Bearbeitung durch Sachbearbeiter Frage, um ausschließlich relevante über erwartete InforInformationen zu erhalten) mationen) – Beendigungen von Partner initiierter Themen – Zusammenfassungen ausführlicher Klientenantworten in wenigen Worten – Metakommunikative Zurecht- und Zurückweisungen

Selbst

a) Pro Selbst b) Retro

– klarere Benennung eigener Erwartun- Retro gen (allerdings z.T. durch geringere Sprachkompetenzen erschwert)

– a) antizipiert – a) Nachfragen nach Verständnis – b) Explizite Klärungsnachfragen des Kl + klarere Formulierung (z.T. mit Verweis auf Wissensunter- – b) eindeutigere Angaben schiede)

Hintergrundwissen I (Verstehensprobleme der Klienten, v.a. bei vagen/uneindeutigen Angaben durch Sachbearbeiter)

5x (aus den Beispielen: P 1 dt.; P 46 dt.; P 75 arg., plus 2 weitere)

6x (aus den Beispielen: P 87 dt.; P 47 dt., plus 4 weitere)

9x (aus den Beispielen: P 58 arg.; P 10 arg., plus 7 weitere)

Fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen   221

222 

 Analysen I: Verstehensprobleme

6.4 A  bschließende Bemerkungen: Verstehensprobleme und Wissensdivergenzen Verstehensprobleme sind in einer großen Anzahl von Gesprächen in beiden Korpusteilen zu beobachten (in etwa 25 Prozent aller aufgezeichneten Gespräche, von denen 55 Gespräche detaillierter analysiert wurden). Wie die Daten zeigen, hängen viele dieser Probleme tatsächlich mit Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten zusammen, die in der Interaktion selbst also zum Tragen kommen. Sie treten in drei Bereichen auf, dem fachlich-institutionellen, dem kulturellen und dem sprachlichen. Diese Probleme beziehen sich hauptsächlich auf die Aushandlung von Sachverhalten, die besonders durch Wissensdivergenzen erschwert wird.

6.4.1 Beobachtete Probleme Verstehensprobleme, die im Zusammenhang mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen der Interaktanten stehen, treten auf Seiten der Klienten v. a. aufgrund komplexer Äußerungen der Sachbearbeiter oder bezüglich der Satzbedeutung auf. Sie treten jedoch auch – und zwar offenbar sogar noch häufiger – auf Seiten der Sachbearbeiter auf, v. a. im Zusammenhang mit Versprachlichungsproblemen der Klienten auf lexikalisch-semantischer Ebene, mit einer unüblichen phonetischen Realisierung oder mit der Produktion unvollständiger Sätze durch Klienten. Unter Umständen versprachlichen die Klienten allerdings Verstehensprobleme auch lediglich in geringerem Maße, weshalb Verstehensprobleme von Klienten in den hier untersuchten Interaktionen auch seltener thematisch werden. Wie herausgearbeitet wurde, betrifft dies nicht ausschließlich fremdsprachige Klienten, sondern zumindest teilweise auch Muttersprachler, auch aufgrund varietätenbedingter Unterschiede. Sprachkompetenzbedingte Verstehensprobleme sind in 27 der 55 eingehender analysierten Gespräche (20 des deutschen und 7 des argentinischen Korpusteils) auszumachen. Zudem ist eine Reihe von Verstehens- und weiteren Verständigungsproblemen zu beobachten, die auf kulturellen Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten basieren (in mindestens 14 der 55 Gespräche). Unterschiede zwischen den beiden Korpusteilen zeigen sich hier v. a. im Zusammenhang mit den jeweiligen herkunftskulturellen Erfahrungen der Klienten. Probleme betreffen u. a. verschiedene Anredenormen (im argentinischen Korpus, im deutschen konnte gezeigt werden, dass dies auch eine Frage der Sprachkompetenzen sein kann). Zudem basieren Verstehensprobleme in diesem Bereich auf unterschied-

Abschließende Bemerkungen: Verstehensprobleme und Wissensdivergenzen 

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lichen kulturellen Praxen und Konzepten (die oftmals in einem einzigen Begriff gebündelt sind: domicilio, nacionalidad) sowie auf einer kulturell verschiedenen sozialen Rollenverteilung. Insbesondere in der letztgenannten Kategorie (divergierende Rollenverteilung) handelt es sich allerdings nicht mehr um reine Wissensdivergenzen. Hinzu treten in besonders vielen Fällen (in mindestens 32 der 55 detaillierter analysierten Gespräche, ebenfalls mehrfach innerhalb der Gespräche) fachlichinstitutionell bedingte Verstehensprobleme, die sich in den beiden Korpusteilen sehr ähneln. Diese betreffen besonders häufig die Verwendung von Lexik aus dem Behördenkontext – und zwar auch bei Muttersprachlern – oder basieren auf unterschiedlich verteiltem institutionellem Hintergrundwissen. Verstehensprobleme hängen darüber hinaus auch damit zusammen, dass Sachbearbeiter teilweise einem hier als «Datenabfrage» bezeichneten Handlungsschema zu folgen scheinen, indem sie knappe Fragen stellen und knappe Antworten erwarten, wohingegen die Klienten versuchen, ihr Anliegen möglichst umfassend zu schildern. Gerade bei der Untersuchung behördlicher Kommunikation mit Migranten zeigt sich die Wichtigkeit einer Unterscheidung zwischen interkulturellen (in besonderer Weise Migranten betreffenden) und institutionellen (also häufiger auch für Einheimische geltenden) Aspekten, da in vielen Fällen Probleme weniger aus der Interkulturalität der Situation als aus der Institutionalität bzw. dem Behördenkontext entstehen. Allerdings lassen sich in Gesprächen mit Migranten teilweise besonders starke fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen beobachten – u. U. stärkere als in Gesprächen unter Einheimischen. Auch innerhalb der interkulturellen Probleme erweist sich eine Unterscheidung zwischen sprachkompetenzbedingten Verstehensproblemen und solchen, die auf anderen kulturellen Wissensdivergenzen basieren, als sinnvoll. Dies ist auch von Bedeutung für die Möglichkeiten einer Bearbeitung, da Verstehensprobleme in den verschiedenen Bereichen offenbar unterschiedlich bearbeitet werden können. Anzumerken ist dabei, dass in diversen Gesprächen auch eine Kombination mehrerer Verstehens- und Verständigungsprobleme festgestellt werden kann, die aus Wissensdivergenzen in unterschiedlichen Bereichen resultieren. Herauszustreichen ist zudem, dass in allen Bereichen sowohl Verstehensprobleme auf Seiten der Klienten als auch auf Seiten der Behördenmitarbeiter auszumachen sind. Das impliziert, dass nicht nur Behördenmitarbeiter gefordert sind, verständlicher zu kommunizieren, sondern dass dies umgekehrt auch für Klienten gilt. Zugleich bedarf es hierbei offenbar einer stärkeren Unterstützung der Klienten durch die Behördenmitarbeiter. Darüber hinaus zeigt sich – gerade was Sprachkompetenzen und kulturelles Wissen anbelangt –, dass Behördenmitarbeiter nicht immer schlichtweg über

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 Analysen I: Verstehensprobleme

mehr Wissen verfügen als Klienten, sondern dass die Interaktanten über unterschiedliches Wissen verfügen (unterschiedliches kulturelles Wissen und varietätenbedingte Unterschiede bezüglich der Sprachkompetenzen). «Wissen» ist jedoch nicht die einzige Quelle von Verständigung und Verständigungsproblemen, wie sich z. B. in unterschiedlichen Rollenvorstellungen zeigt und in den unterschiedlichen Reaktionen, insbesondere der Sachbearbeiter: Während als reine Verstehensprobleme diagnostizierte Klienten-Äußerungen eher Erklärungen nach sich ziehen, lösen Rollendivergenzen und unterschiedliche Erwartungen bezüglich des Gesprächsablaufs (z. B. der Wunsch männlicher Klienten, ihre Frauen vor der Behörde «mitzuvertreten»; «Datenabfrage» vs. ausführlichere Darstellung des eigenen Anliegens) explizite Zurechtweisungen, z. T. Drohungen, behördliche Anordnungen etc. aus.

6.4.2 Problembearbeitung und Bearbeitungsinitiierungen Bezüglich der Bearbeitungsmöglichkeiten lassen sich einige Auffälligkeiten festhalten. a) Selbstbearbeitungen In allen Bereichen, in denen sich Verstehensprobleme manifestieren, ist eine klare Präferenz für Selbstbearbeitungen zu beobachten (cf. dazu auch Selting 1987). Klienten bearbeiten in keinem einzigen Fall ein Problem, das sie nicht selbst «verursacht» haben, fremd. Die Sachbearbeiter führen also in sämtlichen Fällen, in denen sie «Problemverursacher» sind, Selbstbearbeitungen durch. Sachbearbeiter führen allerdings in Fällen, in denen sie nicht «Problemverursacher» sind, zuweilen auch Fremdbearbeitungen durch: hauptsächlich bei Verstehensproblemen, die mit Sprachproduktionsproblemen im weiteren Sinne zusammenhängen – nämlich mit Versprachlichungsproblemen auf lexikalisch-semantischer Ebene und mit einer unüblichen phonetischen Realisierung sowie z. T. auch bei fehlerhaftem Gebrauch von Fachlexik oder beim Gebrauch unpräziser Begriffe durch Klienten (Präzisierungsvorschläge, Korrekturen u. ä.). Das mag als eine Art sprachlicher «Paternalismus» angesehen werden. Fremdbearbeitungen sind allerdings auch bei Verständigungsproblemen zu beobachten, bei denen die Sachbearbeiter offenbar das Verhalten ihrer Gesprächspartner als unkooperativ, unangemessen u. ä. werten (T-Anrede, als zu ausschweifend aufgefasste Antworten etc.). In diesen Fällen werden Fremdbearbeitungen, sogar exponierte fremdinitiierte Fremdkorrekturen, verwandt, die sonst eher vermieden werden. Hier geht es offensichtlich um mehr als reines gegenseitiges Verstehen.

Abschließende Bemerkungen: Verstehensprobleme und Wissensdivergenzen 

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In den meisten Fällen allerdings verzichten auch Sachbearbeiter auf Fremdbearbeitungen und überlassen die Bearbeitung von Problemen den Klienten selbst. Das mag damit zusammenhängen, dass Fremdbearbeitungen in der Regel als face-bedrohender eingeschätzt werden als Selbstbearbeitungen (cf. Selting 1987). Zudem bergen Fremdbearbeitungen die Gefahr, dass Probleme nur vermeintlich gelöst werden, dass also beispielsweise ein ausbleibender Widerspruch des Klienten (auf eine Inferenzüberprüfung oder eine Korrektur) als Ratifizierung gewertet wird, ohne dass dies gesichert wäre. Allerdings sind auch mit der beobachteten Tendenz zu Selbstbearbeitungen einige Schwierigkeiten verbunden: Gerade bei geringeren Sprachproduktionskompetenzen der Klienten zeigt sich in diversen der besprochenen Beispiele, dass von den Klienten «verursachte» Verstehensprobleme kaum von diesen selbst bearbeitet werden können. Wenn Verstehensprobleme auftreten, weil Klienten aufgrund geringer Sprachproduktionskompetenzen selbst Äußerungen produzieren, die die Sachbearbeiter nicht verstehen, ist dies offensichtlich. Das betrifft jedoch auch Probleme, die auf unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen basieren, beispielsweise wenn Klienten von anderen Rollenbildern (MännerFrauen-Rollen) ausgehen als Sachbearbeiter, dies aber nicht adäquat vermitteln können. Auch im Bereich fachlich-institutioneller Wissensdivergenzen zeigt sich dies: Wenn Klienten beispielsweise selbst aufgrund einer Unkenntnis institutioneller Hintergründe Fragen stellen, die die Sachbearbeiter nicht (unmittelbar) verstehen, gelingt es ihnen auch aufgrund mangelnder Sprachproduktionskompetenzen oftmals nicht, ihre Erwartungen verständlich zu machen. Insgesamt fällt auf, dass bei der Problembearbeitung durch Klienten in aller Regel sehr wenig Unterstützungsleistungen (cf. z. B. Schmitt 1998) durch die Sachbearbeiter stattfinden. b) Bearbeitungsinitiierungen Zudem zeigt sich, dass Klienten Problembearbeitungen nur in seltenen Fällen explizit initiieren. Probleme manifestieren sich meist an ausbleibenden oder die konditionelle Relevanz nicht erfüllenden Antworten. Selbst wenn Klienten explizit Bearbeitungen initiieren, geschieht dies in der Regel über relativ vage Rückfragen (z. B. «eh qué?»: «äh was?»). Die Sachbearbeiter dagegen initiieren Bearbeitungen eher mit expliziten Klärungsnachfragen, Bitten um Wiederholung oder durch zur Frage gestellte Korrekturen etc. Teilweise bleiben allerdings auch Rückfragen der Sachbearbeiter relativ unpräzise (z. B. «Wat?»). Solche vagen Rückfragen, ebenso wie die von den Klienten in der Regel nur implizit erfolgenden Problemsignalisierungen, können dazu führen, dass Probleme falsch eingeschätzt werden und eine Bearbeitung misslingt – was in einigen Fällen vorkommt.

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 Analysen I: Verstehensprobleme

c) Unterschiedliche Bearbeitungen und Bearbeitungsnotwendigkeiten Insbesondere im Bereich der kulturellen Wissensdivergenzen zeigt sich, dass gerade Probleme, die mit unterschiedlichen kulturellen Praxen oder Konzepten zusammenhängen – die oftmals über einen einzigen Begriff transportiert werden – häufig zunächst als sprachkompetenzbedingte oder Registerprobleme aufgefasst und mit alltagssprachlichen Paraphrasierungen bearbeitet werden. Dies ist oftmals nicht erfolgreich, woran erkennbar wird, dass sprachkompetenzbedingte Probleme und solche, die auf unterschiedlichem kulturellem Wissen basieren, nicht (immer) auf dieselbe Art und Weise bearbeitet werden können. Zudem zeigt sich, dass Probleme, die auf einer Kombination aus fehlendem institutionellem Wissen der Klienten und unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen resultieren, ebenfalls teilweise als institutionelle (nicht als interkulturelle) Probleme bearbeitet werden. In mehreren Fällen werden Probleme, die mit kulturellen Wissensdivergenzen zusammenhängen, gar nicht von den Interaktanten selbst, sondern erst durch eine Vermittlung Dritter erfolgreich gelöst. Kulturelle Unterschiede werden in den Gesprächen dagegen kaum thematisiert. Generell fällt in den Problembearbeitungen eine starke Tendenz zu reformulativen Bearbeitungen auf. Sprachkompetenzbedingte Probleme werden in erster Linie reformulativ bearbeitet: hauptsächlich über (oft wörtliche) Rephrasierungen und (expandierende oder reduzierende) Paraphrasierungen eigener «problemtragender» Äußerungen, teilweise allerdings von Sachbearbeitern auch über das Mittel der Portionierung, von Klienten in einigen Fällen auch anhand der Beschreibung der Funktion eines Bezugselements. Relativ häufig werden solche sprachkompetenzbedingten Probleme jedoch auch einfach übergangen. Bei fachlich-institutionell bedingten Problemen dagegen ist eine größere Bandbreite an Bearbeitungsmöglichkeiten auszumachen. Auch diese werden zwar sehr häufig reformulativ bearbeitet: z. B. über alltagssprachliche Paraphrasierung, v. a. wenn Probleme auf der Verwendung von Fachlexik basieren (was jedoch, wie herausgearbeitet wurde, mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist: z. B. geringere semantische Präzision der Paraphrasen), und durch Präzisierungen eigener Angaben oder Fragen. Bearbeitungen werden jedoch auch durchgeführt anhand der Beschreibung der Funktion, anhand des Herausgreifens zentraler Merkmale oder über die Beschreibung des Aussehens eines mit einem Fachterminus bezeichneten Objekts sowie über die Formulierung von BeispielAntworten, aus denen Klienten wählen können.42

42 Weitere Veranschaulichungsverfahren, wie sie beispielsweise von Brünner und Gülich (2002) für die medizinische Experten-Laien-Kommunikation beschrieben werden, sind hier allerdings kaum zu beobachten.

Abschließende Bemerkungen: Verstehensprobleme und Wissensdivergenzen 

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Insgesamt zeigt sich v. a. bei den Behördenmitarbeitern ein vergleichsweise ausgeprägtes Problembewusstsein für Verstehensprobleme, die auf unterschiedlichen Sprachkompetenzen basieren, sowie für solche, die mit fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen zusammenhängen – insbesondere mit der Verwendung von Fachlexik. Hier werden Probleme teilweise antizipiert und auch retrospektiv diverse Bearbeitungsverfahren eingesetzt. Das weist darauf hin, dass den Behördenmitarbeitern hier ein gewisses Problempotential bekannt ist und sie verstärkt darauf achten, derartige Probleme zu vermeiden oder bestmöglich zu bearbeiten. Bei Verstehensproblemen im Zusammenhang mit kulturellen Wissensdivergenzen scheint das weniger der Fall zu sein. Das deckt sich in gewisser Weise damit, dass auch in Ratgebern und Trainingsvorschlägen für Behördenmitarbeiter häufig in erster Linie auf den Umgang mit Fachlexik und mit sprachkompetenzbedingten Verstehensproblemen der Klienten geachtet wird (cf. Liedke/ Redder/Scheiter 2002; ten Thije 2001; Porila/Ten Thije 2009a). d) Über Wissensdivergenzen hinaus Wie oben bereits angemerkt, zeigt sich, dass bei Verständigungsproblemen, die weniger reine Verstehensprobleme zu sein scheinen, als vielmehr an die von Selting (1987) untersuchten Kooperationsprobleme erinnern – wenn nämlich Sachbearbeiter eine knappe Übermittlung erfragter Informationen erwarten, Klienten jedoch aus ihrer Sicht zu ausschweifend antworten – Bearbeitungen auch stattfinden in Form von Themenbeendigungen, Zusammenfassungen ausführlicher Klientenantworten sowie zum Teil anhand expliziter metakommunikativer Zurecht- und Zurückweisungen («Lassn Sie mich erst weiterredn?»; «No importa»). In ähnlicher Weise zeigen sich auch bei Rollendivergenzen (bezüglich der Männer-Frauen-Rollen) die Behördenmitarbeiter mitunter nicht zu geduldigen Erklärungen bereit, sondern werden schnell «amtlich», greifen zu Zurechtweisungen, Drohungen und Aktualisierungen behördlicher Autorität. Oftmals scheinen Probleme in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund zumindest nicht ausschließlich eine Frage unterschiedlichen Wissens, sondern auch eine unterschiedlicher Erwartungen und Ziele zu sein. Offensichtlich ist auch nicht immer nur das gegenseitige Verstehen betroffen, sondern auch (Vor-) Urteile und Einstellungen über bzw. zu einander werden produziert oder verstärkt. Welche Implikationen die hier festgehaltenen Beobachtungen für PraxisEmpfehlungen für eine verbesserte Kommunikation in diesem Kontext tragen, wird in Kapitel 9.2 besprochen.

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 Analysen I: Verstehensprobleme

6.4.3 Zur Rolle der Sprache Hinsichtlich der Bedeutung der Sprachkompetenzen von Klienten mit Migrationshintergrund ist festzuhalten, dass asymmetrische Sprachkompetenzen offenbar ein großes Problem darstellen, das an Behördenmitarbeiter zwei Herausforderungen stellt: selbst Äußerungen zu produzieren, die Nicht-Muttersprachler leichter verstehen können (nicht zu komplex, zu schnell voranschreitend, zu behördenspezifisch, aber auch nicht zu umgangssprachlich etc.) und Äußerungen zu verstehen, die durch fehlerhafte Grammatik, Aussprache, Lexik etc. geprägt sind – was auch bedeutet, zumindest zu versuchen zu verstehen und die voreilige Annahme zu vermeiden, ein Klient beherrsche die entsprechende Sprache überhaupt nicht. Besonders im deutschen Korpus lässt sich beobachten, dass deutlich mehr Verstehensprobleme auftreten, die auf (mangelnden) sprachproduktiven und nicht rezeptiven Kompetenzen der Klienten beruhen – und damit auf entsprechenden Verstehenskompetenzen der Behördenmitarbeiter. Es ist also für Behördenmitarbeiter hilfreich, Kenntnisse über die Merkmale zumindest der hauptsächlich vertretenen Migrantensprachen oder -varietäten zu erwerben. Welche enge Verknüpfung mit Sprachproduktionskompetenzen der Klienten auch bei Problemen im Bereich kultureller und fachlich-institutioneller Wissensdivergenzen besteht, zeigt sich besonders an den beobachteten Schwierigkeiten einer (Selbst-) Bearbeitung solcher Probleme: z. B. an Schwierigkeiten der Klienten, Rollenbilder oder Handlungsvorschläge etc. sprachlich präziser und adäquater zu formulieren. Die Aushandlung von Verständigung mit «imperfekten» Sprechern als (didaktisches) Ziel bedeutet offenbar: Problemidentifizierung, Herausfinden, was unverstanden ist, Probleme bearbeiten (durch Re- und Paraphrasierung eigener Äußerungen, Kontexteinbettung von Einzelinformationen, Portionierung etc.), aber auch Raum geben für Selbstbearbeitungen durch Klienten und Klienten hierbei sowie bei der generellen Äußerungsproduktion unterstützen. Probleme, die mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen der Interaktanten zusammenhängen, treten allerdings nicht nur dann auf, wenn einer der Gesprächspartner fremdsprachlich handelt, sondern auch dann, wenn die Interaktanten dieselbe Muttersprache, aber unterschiedliche Varietäten derselben sprechen und über anderes kulturelles und institutionelles Vorwissen verfügen. Zwar sind im argentinischen Korpus, in dem ein Großteil der Klienten die Amtssprache Spanisch als Muttersprache angibt und in dem auch die nichtspanisch-muttersprachlichen Klienten im Durchschnitt höhere Kenntnisse der Amtssprache angeben als die Klienten im deutschen Korpus, tatsächlich weniger Verstehensprobleme zu beobachten, die auf differenten Sprachkompetenzen

Abschließende Bemerkungen: Verstehensprobleme und Wissensdivergenzen 

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basieren. Aber auch Varietätenunterschiede sowie ein hauptsächlich im Behördenkontext üblicher Sprachgebrauch (estado civil; Registerprobleme) führen zu Verstehensproblemen, und auch kulturell geprägte Konzepte (wie nacionalidad) sowie kulturelle Praxen (domicilio) werden über Sprache transportiert.43 Zudem beeinflussen unterschiedliche Sprachkompetenzen und auch Varietätenunterschiede nicht nur das Verstehen von Sachverhalten, sondern auch die Aushandlung von Beziehungen. Zum Beispiel verstehen Migranten, die den voseo nicht gewöhnt sind, die Sachbearbeiter inhaltlich zwar sehr wohl, fassen diese Anredeform aber u. U. trotzdem als informell und mitunter als unhöflich auf (cf. z. B. Feldnotizen P 32 arg., P 43 arg., P 50 arg.).

43 Für eine umfassendere Betrachtung müssten sicherlich auch monokulturelle Daten einbezogen werden – nicht nur interkulturelle – was jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist.

7 A  nalysen II: Einschätzungen übereinander Schuld ist immer der andere – Einschätzungen der Beteiligten übereinander In den bisherigen Analysen fällt also an verschiedenen Stellen auf, dass «Wissen» nicht die einzige Quelle von Problemen in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten ist und dass Probleme auch nicht nur das gegenseitige Verstehen betreffen, sondern auch Einstellungen der Interaktanten zueinander und (Vor-)Urteile übereinander in den Interaktionen produziert oder verstärkt werden können. Im Folgenden sollen daher ergänzend auch gesprächsexterne Daten einbezogen und untersucht werden, welche Einstellungen die Klienten und Sachbearbeiter vor und nach den aufgezeichneten Gesprächen explizit übereinander äußern. Da der Fokus dieser Arbeit jedoch auf der Analyse des Gesprächsmaterials selbst liegt, werden die folgenden Überlegungen wesentlich knapper gehalten. In der Fragebogenumfrage dieser Arbeit und in Gesprächen mit den Klienten wurden u. a. deren Einschätzungen festgehalten, zunächst über die Mitarbeiter der jeweiligen Behörde im Allgemeinen (vor den aufgezeichneten Behördengesprächen) und anschließend (nach der Gesprächsaufzeichnung) über den einzelnen Sachbearbeiter, mit dem gesprochen wurde. Ebenso wurden Einschätzungen der Sachbearbeiter über ihre Klienten im Allgemeinen notiert.1 Im Behörden-Migranten-Kontext wurden solche Einstellungen der Beteiligten zueinander in verschiedenen, v. a. soziologischen, Studien untersucht (cf. Hoffmann 1982; Seifert 1996a; Berth/Esser 1997; Riehle/Zeng 1998 u. a.). Berichtet wird in erster Linie von negativen Einstellungen und Erfahrungen (cf. Kapitel 3.4): Auf Seiten der Klienten (insbesondere mit Migrationshintergrund) werden Gefühle der Angst, Ohnmacht und Schikanierung durch Behördenmitarbeiter (cf. Hoffmann 1982; Riehle/Zeng 1998) benannt, ein als «forsch, rustikal und knapp» empfundener Umgangston an Behörden (cf. Freuding/Schultheis-Wurzer 2000, 16) und «unfreundliches Verhalten» (Berth/Esser 1997, 10) der Behördenmitarbeiter sowie das Klischee «des gleichgültigen und arbeitsscheuen Beamten» (Porila 2006, 34). Es wird allerdings auch eine Tendenz zur Negativtypisierung angenommen, also die Neigung, negative Behördenerfahrungen schwerer zu gewichten als positive (cf. Riehle/Zeng 2001, 21).

1 Insbesondere bei der Umfrage unter den Klienten ist ein gewisser Einfluss durch die Situation der Datenerhebung zu erwarten, da sich hier zum einen Sprachschwierigkeiten mit dem deutsch- bzw. spanischsprachigen Fragebogen zeigen mögen und da zum anderen die Klienten auch unsicher gewesen sein mögen, inwieweit ihre Angaben in der Umfrage den Behördenmitarbeitern zugänglich sein würden.

(Vor-)Urteile der Sachbearbeiter der vorliegenden Studie über Klienten  

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Behördenmitarbeiter dagegen sehen sich laut Riehle und Zeng (1998) häufig als überlastet und unter emotionalem und zeitlichem Druck stehend, empfinden Klienten als «Problem» (Riehle 2001, 92) und nehmen sie als «Bittsteller» wahr (cf. Porila/ten Thije 2009a, 34). Insbesondere Klienten mit Migrationshintergrund wird zuweilen generalisierend Anspruchsverhalten und ein Missbrauch des Sozialstaates vorgeworfen (cf. Riehle/Zeng 1998; Berth/ Esser 1997) sowie Aggressivität und ein gewisses «Basarverhalten» (Seifert 1996a). Porila (2006, 48) fügt dem hinzu, aus den Äußerungen von Mitarbeitern einer deutschen Ausländerbehörde über Klienten ließen sich in etwa zwei Gruppen von Klientenbildern ausmachen: die «Schmarotzer oder die Kriminellen auf der einen und die Ehrlichen und Armen auf der anderen Seite (cf. eine ähnlich dichotome Aufteilung der Verwaltungsklientel bei Rogas u. a. 1997, 91)», wobei der negative Kliententyp deutlich häufiger thematisiert werde als der positive. Zudem werden – nicht nur im Behördenkontext – zum Teil bestimmten Migrantengruppen negative Eigenschaften zugeschrieben, wie z. B. mangelnde Intelligenz bei Bolivianern und anderen indigenen Einwanderern (cf. Kesselheim 2009, 146s.). Von beiden Aktantenseiten wird häufig die Schuld an Kommunikationsschwierigkeiten der jeweils anderen Seite zugesprochen. Ausgehend hiervon erarbeitet Seifert (1996b, 349) das Konzept des «kommunikativen Eskalationszirkels» und beschreibt «zirkuläre, sich negativ verschärfende Kommunikationsverläufe», an deren Anfang jeweils «divergierende Deutungen von Situationen und gegenseitigen Verhaltensweisen stehen» (ebd.) und die Prozesse des Eintreffens gegenseitig antizipierten negativ bewerteten Handelns und damit eine Bestätigung für erneute Voreingenommenheit bei den Beteiligten enthalten (cf. dazu auch Kap. 3.4.1).

7.1 ( Vor-)Urteile der Sachbearbeiter der vorliegenden Studie über Klienten Die Einschätzungen der Beteiligten übereinander, die in der empirischen Untersuchung dieser Arbeit geäußert werden, ähneln diesen Beobachtungen. Auch hier werden von beiden Seiten in erster Linie negative Einschätzungen des Gegenübers geäußert. Von Seiten der Behördenmitarbeiter werden an den Klienten vor allem die folgenden Punkte kritisiert (Reihenfolge nach Häufigkeit der Nennungen):2

2 Diese Punkte wurden in den als Feldnotizen festgehaltenen Gesprächen mit Behördenmitarbeitern genannt. Die Aussagen der Klienten unten sind ebenfalls in den Feldnotizen festgehal-

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 Analysen II: Einschätzungen übereinander

In Argentinien: –– Klienten sind oft unvorbereitet und haben nicht alle Unterlagen dabei, weil sie sich nicht richtig informieren (cf. Feldnotizen Sb b; e; f Argentinien). –– Die Klienten sind ungebildet, können auf die einfachsten Fragen keine Antwort geben, sind «tontos» (v. a. bolivianische und paraguayische Migranten) (cf. Feldnotizen Sb b; f Arg.). –– Einige Klienten sind sehr aggressiv, streiten, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen: «se emocionan», «se meten contigo», «mucha bronca» (cf. Feldnotizen Sb e; f Arg.). –– Viele Klienten haben eine starke Anspruchshaltung (cf. Feldnotizen Sb e Arg.). –– Einige Klienten lügen offen (cf. Feldnotizen Sb f Arg.). –– Die wollen verhandeln, wenn ihnen etwas nicht einleuchtet (cf. Feldnotizen Sb f Arg.). –– Die sprechen «lustig» (es wird dann z. B. über bestimmte Formulierungen, einen Akzent etc. gelacht) (cf. Feldnotizen Sb g Arg.). –– Manche Klienten verstehen einen nicht, manche tun aber auch nur so, als verstünden sie nicht (cf. Feldnotizen Sb g Arg.). In Deutschland: –– Klienten haben eine starke Anspruchshaltung. Viele Klienten sind unselbständig und fordern sehr viel von den Sachbearbeitern (cf. Feldnotizen Sb a; g; d; e Deutschland): «Die geben halt alles ab und sagen: Mach mal» (Sb e). –– Gespräche mit Klienten (gerade mit Migrationshintergrund) eskalieren häufig, Konflikte entstehen, Klienten verhalten sich (auch körperlich) aggressiv (cf. Feldnotizen Sb a; b; d Dt.). Gerade wenn Absagen erteilt werden müssen, Anliegen abgelehnt werden, «dann flippen die richtig aus» (Sb a). Mehrfach wird auf den «Notknopf» verwiesen, über den Sachbearbeiter Hilfe rufen können, wenn die Situation ihnen gefährlich erscheint, «wenn einer wirklich sauer wird» (Sb d). –– Die Klienten selbst wollen nichts leisten, sind unzuverlässig und erscheinen nicht einmal zu Terminen oder sind unpünktlich, kooperieren nicht (cf. Feldnotizen Sb a; b; g Dt.). «Die gehen immer davon aus, dass man an der

ten. Z. T. machten die Klienten diese Äußerungen ungefragt, z. T. stellen die Aussagen Antworten auf die Frage 8 des Fragebogens dar: «Wenn Ihnen die Kommunikation mit Behörden manchmal schwierig vorkommt: Was meinen Sie, woran das liegen könnte?» (offene Antwortmöglichkeit) – wobei hier nicht explizit nach Einschätzungen zu Behördenmitarbeitern gefragt wurde (diese Interpretation der Frage erfolgte also von den Klienten selbst).

(Vor-)Urteile der Klienten der vorliegenden Studie über Behördenmitarbeiter 

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Behörde den ganzen Tag nur Kaffee trinkt und darauf wartet, dass sie gnädigerweise mal erscheinen. Beim Arzt machen die das ja auch nicht» (Sb a). Geringe Deutschkenntnisse (auch in der 3. Generation) (cf. Feldnotizen Sb a; b; g Dt.). Manche Klienten wollen betrügen (cf. Feldnotizen Sb a; b; e Dt.); «Verarschen» und «Abzocke des Sozialstaates» (cf. Feldnotizen Sb e Dt.). Gerade türkische Männer akzeptieren einen als Frau «nicht als Autoritätsperson» und verhalten sich auch ihren Frauen gegenüber bevormundend (cf. Feldnotizen Sb b; e Dt.). Klienten sind oft unhöflich und «distanzlos» (cf. Feldnotizen Sb b; e). Die Klienten «erzählen gern», wollen viele persönliche Dinge erzählen, für die aber keine Zeit ist (cf. Feldnotizen Sb d; e Dt.). Klienten, v. a. mit Migrationshintergrund, wollen oft verhandeln (cf. Feldnotizen Sb b Dt.). Klienten sind mitunter «undankbar» (cf. Feldnotizen Sb a Dt.). «Die wollen die Sprache nicht lernen» (cf. Feldnotizen Sb g Dt.).

Es wird allerdings (im deutschen Korpus) auch Positives geäußert, beispielsweise erklären einige deutsche Sachbearbeiter, besonders vietnamesische Klienten seien sehr höflich, freundlich, selbständig und engagiert (cf. Feldnotizen Sb b; e Dt.). Auch wird Verständnis geäußert für Klienten, die das «Behördendeutsch» schlecht verstehen (cf. Feldnotizen Sb g Dt.).

7.2 ( Vor-)Urteile der Klienten der vorliegenden Studie über Behördenmitarbeiter Auch von Klienten werden einige Kritikpunkte an Sachbearbeitern (der entsprechenden Behörden im Allgemeinen) geäußert. Insgesamt äußern sich 22 Klienten in Deutschland und 44 in Argentinien – wohlgemerkt ohne dass explizit danach gefragt wurde – negativ über Sachbearbeiter. Hauptkritikpunkte sind dabei die folgenden: In Argentinien: –– Willkür: «Siempre inventan algo» (P 19 arg.) (Annahme, dass Sachbearbeiter sich häufig «ausdenken», dass noch Dokumente fehlen etc.; 13 Klienten). –– Unfreundliches, unhöfliches Verhalten der Sachbearbeiter (ähnliche genannte Eigenschaften sind: genervt, gelangweilt, ungeduldig, arrogant, abweisend, behandeln Klienten von oben herab) (10 Klienten).

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 Analysen II: Einschätzungen übereinander

–– Man erhält keine ausreichenden/korrekten Informationen von den Sachbearbeitern: «Nunca te dicen todas las informaciones» (P 148 arg.) (8 Klienten). –– Mangelnde fachliche Kompetenz der Sachbearbeiter: «son malinformados», «nadie sabe qué hacer» (P 40 arg.), «son desubicados, totalmente» (P 43 arg.) (5 Klienten). –– Sachbearbeiter erklären zu wenig (4 Klienten). –– Es ist schwierig, die Sachbearbeiter zu verstehen, weil sie sich kompliziert ausdrücken. «Tienen otros términos» (P 105 arg.) (3 Klienten). –– Die Sachbearbeiter haben etwas gegen Ausländer (3 Klienten). –– Die Mitarbeiter sind oft sehr direkt und geben sehr knappe Antworten (2 Klienten). –– Sie gehen nicht genug auf die Klienten ein: «A veces no te hacen caso» (P 27 arg.). –– Sachbearbeiter sind oft abgelenkt, spielen mit dem Handy, unterhalten sich privat mit ihren Kollegen und machen dann Fehler (P 29 arg.). Zudem wird generell kritisiert, die Abläufe an der Behörde seien chaotisch, und Klienten würden immer wieder von einer Abteilung zur anderen geschickt: «Te mandan de ahí pa allá» (P 40 arg.); «Todo un lio» (P 12 arg.) (insgesamt von 12 Klienten kritisiert). Weitere Kritikpunkte sind die komplizierte Bürokratie (6 Klienten), lange Wartezeiten (3 Klienten), überfüllte, laute Räume und die weite räumliche Entfernung der Abteilungen (2 Klienten). In Deutschland: –– Behördenmitarbeiter hören nicht zu, nehmen sich keine Zeit für ihre Klienten, sind faul und «die wollen einfach nicht arbeiten» (P 24 dt.) (5 Klienten). –– Behördenmitarbeiter sind unfreundlich und harsch, behandeln einen «von oben herab», «als ob sie was Besseres wären» (P 29 dt.) (5 Klienten). –– Behördenmitarbeiter geben widersprüchliche Informationen (3 Klienten). –– Klienten werden hin und her geschickt:«Man muss immer woanders hin» (3 Klienten). –– «Maßregelung» und Druck durch Behördenmitarbeiter (2 Klienten). –– Willkür der Sachbearbeiter (1 Klient). Kritisiert werden auch die komplizierte Bürokratie (6 Klienten) und lange Wartezeiten (2). Zudem berichten Sachbearbeiter selbst von Vorwürfen wie Rassismus und Faulheit («dass man an der Behörde den ganzen Tag nur Kaffee trinkt», Feldnotizen Sb a Dt.). Wie erkennbar wird, bestehen offenbar einige Ähnlichkeiten in den Einschätzungen der deutschen und argentinischen Informanten über ihr jeweiliges Gegenüber.

(Vor-)Urteile der Klienten der vorliegenden Studie über Behördenmitarbeiter  

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In beiden Ländern kritisieren Behördenmitarbeitern an ihren Klienten eine Anspruchshaltung, Betrugsversuche, Aggressivität und Streitlust sowie z. T. mangelnde Sprachkenntnisse (wobei manche Sachbearbeiter davon ausgehen, diese würden von einigen Klienten vorgetäuscht). Eine niedrige Bildung der Klienten wird allerdings nur in Argentinien erwähnt, Undankbarkeit, Machotum und Distanzlosigkeit dagegen nur in Deutschland. In beiden Ländern werfen Klienten den Behördenmitarbeitern Unfreundlichkeit, Faulheit, Willkür und fachliche Inkompetenz bzw. die Übermittlung unzureichender oder widersprüchlicher Informationen vor. Die Häufigkeit, mit der diese Kritikpunkte geäußert werden, unterscheidet sich jedoch je nach Land: Die meistgeäußerten Kritikpunkte in Deutschland sind Faulheit und Unfreundlichkeit, in Argentinien Willkür und Unfreundlichkeit (cf. Graphik 8). Graphik 8: Kritikpunkte von Klienten an Behördenmitarbeitern im Allgemeinen Deutschland

Faulheit Unfreundlichkeit Widersprüchliche Infos Hin- und herschicken Druck Willkür Argentinien

Willkür Unfreundlichkeit unzureichende Info Inkompetenz Fehlende Erklärung Fachsprache Direktheit Nicht eingehen Abgelenkt

Zudem lassen sich hier Parallelen zu einigen der bereits in früheren Untersuchungen festgestellten Ansichten von Klienten und Behördenmitarbeitern übereinander finden. So entspricht die Annahme, Klienten wollten betrügen, dem

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 Analysen II: Einschätzungen übereinander

von Porila (2006) beobachteten Klientenbild der «Schmarotzer und Kriminellen» oder auch dem von Riehle und Zeng (1998) sowie Berth und Esser (1997) beschriebenen Vorwurf des Missbrauchs des Sozialstaates (was Sb e des deutschen Korpusteils als «Abzocke des Sozialstaats» bezeichnet). In ähnlicher Weise findet sich in der Ansicht einiger Sachbearbeiter, die Klienten wollten «verhandeln», das von Seifert (1996a) beobachtete «Basarverhalten» wieder. Die Unselbständigkeit und Anspruchshaltung, die einige Sachbearbeiter an den Klienten kritisieren, findet ebenso bereits bei Riehle und Zeng (1998) sowie Berth und Esser (1997) Erwähnung. Auch bezüglich der Ansichten der Klienten über Behördenmitarbeiter lassen sich entsprechende Ähnlichkeiten zu Ergebnissen bisheriger Studien finden. Beispielsweise mögen die bei Hoffmann (1982) sowie Riehle und Zeng (1998) erwähnte Empfindung von Ohnmacht gegenüber Behördenmitarbeitern oder noch deutlicher die bei Porila (2006) beschriebene Gleichgültigkeit von Behördenmitarbeitern Aussagen wie «Behördenmitarbeiter hören nicht zu» entsprechen. Auch das von Porila (2006) genannte Bild eines «arbeitsscheuen Beamten» wird sichtbar in der Annahme, Behördenmitarbeiter seien faul und wollten «nur Kaffee trinken». Verschiedene dieser (Vor-) Urteile der Behördenmitarbeiter und Klienten übereinander könnten nun mit dem (sprachlichen) Verhalten der Gesprächspartner in den Interaktionen selbst, mit Verstehensproblemen und Missverständnissen, zusammenhängen. In den Analysen in Kapitel 6 entstand an verschiedenen Stellen der Eindruck, dass (Vor-) Urteile z. T. in den Gesprächen selbst entstehen oder bereits vorhandene verstärkt werden. Beispielsweise kann auf einer von Klienten als «unangemessen» aufgefassten Verwendung der T-Anrede (voseo) durch argentinische Behördenmitarbeiter (cf. Kapitel 6.2) die Einschätzung mehrerer Klienten in Argentinien basieren, die Sachbearbeiter behandelten sie von oben herab oder seien unhöflich (cf. dazu auch Ciapuscio/Kesselheim 1997). Eine Verwendung der T-Anrede durch (nichtmuttersprachliche) Klienten in Deutschland dagegen könnte Hintergrund des (Vor-) Urteils sein, Klienten mit Migrationshintergrund seien häufig «distanzlos» und würden ein (plump vertrauliches) Basarverhalten an den Tag legen – was die Reaktionen einzelner Sachbearbeiter an den entsprechenden Stellen in der Interaktion auch nahe legen. Auf Problemen einiger Klienten in Argentinien, auf die Frage nach der eigenen Adresse («domicilio») zu antworten, können (Vor-)Urteile argentinischer Behördenmitarbeiter beruhen wie, Klienten seien «tontos» und könnten auf die einfachsten Fragen nicht antworten. Zugleich können derartige Verstehens- und Verständigungsprobleme bereits vorhandene Vorurteile auch wieder verstärken (als Bestätigung für erneute Voreingenommenheit; cf. Seifert 1996b). Umfrageergebnisse wie diese erhöhen also die Notwendigkeit detaillierter Gesprächsanalysen und zeichnen allein genommen noch kein vollständiges Bild.

Einstellungen der Klienten zu den Behördenmitarbeitern – detaillierter 

 237

7.3 E  instellungen der Klienten zu den Behördenmitarbeitern – detaillierter Bezöge man ausschließlich Äußerungen wie die bislang festgehaltenen ein, könnte leicht der Eindruck entstehen, dass Klienten und Behördenmitarbeiter hauptsächlich negativ übereinander denken. Es bleibt aber zu bedenken, dass bislang nur die Ansichten derjenigen 66 (von 279) Klienten einbezogen wurden, die sich ungefragt über Behördenmitarbeiter äußerten. Es ist durchaus möglich, dass sich vor allem solche Informanten hier äußerten, die etwas zu kritisieren hatten. Aus diesem Grund wurden in der Fragebogenumfrage noch einmal alle Klienten gezielt zu ihren Einschätzungen über die Mitarbeiter der jeweiligen Behörde befragt.3 Die Auswertung dieser Daten ergibt ein anderes Bild. Die Einschätzungen der Klienten über Behördenmitarbeiter (im Allgemeinen wie auch im konkreten Einzelfall) fallen im Durchschnitt recht positiv aus. Dabei werden die Behördenmitarbeiter in Argentinien im Schnitt sogar noch etwas positiver bewertet als in Deutschland.4 Die folgende Tabelle 7 veranschaulicht zunächst die Einschätzungen der befragten Klienten über Mitarbeiter der jeweiligen Behörde im Allgemeinen. Sie wurden hierbei zu den folgenden Aspekten befragt: Ausbildung der Mitarbeiter, Freundlichkeit, Sympathisches Auftreten, Toleranz Ausländern gegenüber, Gestresstheit und Arbeitslust der Mitarbeiter. In der äußersten rechten Spalte sind die Mittelwerte aus den Antwortwerten dargestellt, wobei die Skala der Antwortmöglichkeiten von 1=sehr negativ bis 5=sehr positiv reicht. Hohe Mittelwerte stellen also durchschnittlich eher positive Antworten dar, während niedrigere Mittelwerte signalisieren, dass viele Informanten eher negative Antworten geben. Zudem sind für jede der Antwortmöglichkeiten die prozentualen Anteile derjenigen Informanten (gemessen an der Gesamtzahl der jeweils befragten Informanten) angegeben, die diese Antwort wählen.

3 Da mit den Behördenmitarbeitern keine Fragebogenumfrage durchgeführt wurde, lassen sich bei diesen nur die oben genannten, in persönlichen Gesprächen notierten Einschätzungen festhalten. 4 Anzumerken ist hier allerdings erneut, dass auch eine gewisse Scheu der Klienten eine Rolle gespielt haben mag, sich in der Umfrage offen negativ zu äußern.

238 

 Analysen II: Einschätzungen übereinander

Tabelle 7: Einschätzung über die Mitarbeiter der entsprechenden Behörde allgemein Kategorie

Land

Ausbildung

Deutschland

1,6%

7,4%

27,9%

34,4%

12,3%

16,4%

3,58

Argentinien

1,9%

12,7%

14,6%

46,5%

2,5%

20,4%

3,45

Deutschland

3,3%

15,6%

29,5%

27,0%

8,2%

16,4%

3,25

Argentinien

1,3%

6,4%

17,8%

45,2%

7,6%

20,4%

3,66

Sympathisches Auftreten

Deutschland

3,3%

18,9%

31,1%

19,7%

10,7%

16,4%

3,19

Argentinien

7,0%

18,5%

12,7%

35,7%

4,5%

20,4%

3,15

Toleranz

Deutschland

1,6%

5,7%

29,5%

22,1%

24,6%

16,4%

3,75

Argentinien

2,5%

10,8%

14,0%

36,9%

13,4%

21,0%

3,61

Ruhig (vs. gestresst)

Deutschland

2,5%

23,0%

39,3%

12,3%

4,9%

18,0%

2,93

Argentinien

2,5%

12,7%

12,7%

35,0%

15,3%

20,4%

3,61

Arbeitslust

Deutschland

9,8%

33,6%

27,0%

9,8%

3,3%

16,4%

2,56

Argentinien

7,0%

25,5%

21,0%

23,6%

1,3%

20,4%

2,83

Freundlichkeit

Mittelwert über alle Kategorien

1 Sehr 2 Eher 3 4 Eher 5 Sehr k.A. negativ negativ Neutral positiv positiv

Mittelwert (1–5)

Deutschland

3,21

Argentinien

3,39

Wie deutlich wird, sind die Beurteilungen der Behördenmitarbeiter durch Klienten sowohl in Deutschland als auch in Argentinien insgesamt neutral bis eher positiv (in Argentinien im Mittelwert aller Beurteilungskategorien ein klein Wenig positiver als in Deutschland). In der in Deutschland befragten Informantengruppe findet sich der höchste Mittelwert (3,75) bei den Antworten zu der Frage nach der Toleranz (vs. Ausländerfeindlichkeit) der Behördenmitarbeiter. Hier ist die durchschnittliche Ansicht der Informanten demnach, die Mitarbeiter der entsprechenden Behörde seien «eher tolerant». Etwa ein Viertel der Befragten gibt an, sie hielten Behördenmitarbeiter sogar für «sehr tolerant». Nur ein geringer Teil beurteilt diese als «eher ausländerfeindlich» (5,7 Prozent) oder «sehr ausländerfeindlich» (1,6 Prozent). Der zweithöchste Wert findet sich bei der Frage nach der Ausbildung der Behördenmitarbeiter. Der Mittelwert 3,58, liegt zwischen den Antworten «neutral» und «eher gut ausgebildet».

Einstellungen der Klienten zu den Behördenmitarbeitern – detaillierter 

 239

Anschließend folgen in der Gruppe der Klienten in Deutschland die Werte für Freundlichkeit (3,25) und sympathisches Auftreten der Mitarbeiter (3,19). Beide Mittelwerte liegen nahe an der mit dem Wert 3 bezeichneten Antwort «neutral», was also bedeuten könnte, dass viele Informanten Behördenmitarbeiter weder als auffallend freundlich bzw. sympathisch noch als auffallend unfreundlich bzw. unsympathisch empfinden (was in beiden Fällen auch etwa ein Drittel der Befragten explizit angibt). Hier ist allerdings zu beachten, dass die Streuung bei diesen Werten recht hoch ist. Immerhin 35,2 Prozent der Befragten, also mehr als ein Drittel, halten Behördenmitarbeiter für «eher» oder sogar «sehr freundlich» und ebenfalls 30,4 Prozent diese für «eher» oder «sehr sympathisch». Recht viele Informanten geben jedoch auch an, Behördenmitarbeiter als «eher» oder «sehr unfreundlich» (18,9 Prozent) bzw. «eher» oder «sehr unsympathisch» (22,2 Prozent) wahrzunehmen. Ersichtlich wird, dass die Meinungen über Freundlichkeit und sympathisches Auftreten der Sachbearbeiter offenbar stark auseinander gehen. Die niedrigsten Werte sind bei der in Deutschland interviewten Gruppe bezüglich der Eigenschaften Gestresstheit und Arbeitslust der Mitarbeiter zu beobachten. Bei Ersterer ergibt sich ein Mittelwert von 2,93, was in etwa der Antwort «neutral» entspricht. Jedoch antworten 25,5 Prozent der Befragten, sie hielten Behördenmitarbeiter generell für «eher» oder «sehr gestresst». Die überwiegende Mehrheit, fast 40 Prozent, aber gibt an, diese für weder explizit gestresst noch ausdrücklich nicht gestresst zu halten. Der Mittelwert bei der Frage nach der Arbeitswilligkeit der Behördenmitarbeiter liegt sogar noch niedriger bei 2,56, was bereits in Richtung der Aussage «eher arbeitsunwillig» (Wert 2) tendiert. 43,4 Prozent der Informanten erklären explizit, ihrer Ansicht nach seien Behördenmitarbeiter in der Regel «eher» oder sogar «sehr arbeitsunwillig» (Letzteres äußern fast 10 Prozent). Nur ca. 13 Prozent der Interviewten sehen sie als «eher» oder «sehr arbeitswillig/hilfsbereit». In der in Argentinien befragten Vergleichsgruppe dagegen finden sich die positivsten Beurteilungen bezüglich der Eigenschaften «Freundlichkeit der Mitarbeiter»5 (Mittelwert 3,66) sowie «Toleranz gegenüber Ausländern»6 und «Ruhigkeit» (vs. «Gestresstheit»)7 der Mitarbeiter (beide Mittelwerte 3,61). Da die Streuungen bei diesen drei Kategorien nicht sehr hoch sind, entsprechen diese Mittelwerte recht gut der von der Mehrheit vertretenen Meinung, Behördenmitar-

5 Das spanischsprachige Begriffspaar im Fragebogen ist: «muy amables» vs. «muy desagradables». 6 «Muy tolerantes vs. «muy xenófobos». 7 «Muy tranquilos» vs. «muy estresados».

240 

 Analysen II: Einschätzungen übereinander

beiter im Allgemeinen seien «eher freundlich», «eher tolerant» und «eher ruhig/ nicht gestresst». Auffällig ist allerdings, dass sich trotzdem in dieser Gruppe bezüglich der Toleranz gegenüber Ausländern etwas negativere Ansichten finden als bei den Informanten in Deutschland. Immerhin 13,3 Prozent sind der Ansicht, Behördenmitarbeiter seien «eher» oder «sehr ausländerfeindlich» (in Deutschland 7,3 Prozent). Zudem fallen die Beurteilungen der Ausbildung8 von Behördenmitarbeitern in Argentinien etwas negativer aus. Zwar liegt der Mittelwert hier mit 3,45 nur wenig unter dem der deutschen Vergleichsgruppe. Die Mehrheit der Informanten erklärt auch hier, sie hielten Behördenmitarbeiter generell für «eher gut ausgebildet». Jedoch geben deutlich weniger Informanten als in Deutschland an, Behördenmitarbeiter für «sehr gut ausgebildet» zu halten (2,5 Prozent statt 12,3 Prozent wie in Deutschland). 14,5 Prozent der Informanten in Argentinien erklären dagegen, Behördenmitarbeiter seien «eher» oder sogar «sehr schlecht ausgebildet». Bei den Antworten zur Frage danach, ob Behördenmitarbeiter sympathisch9 seien, zeigt sich in dieser Gruppe eine recht hohe Streuung der Antworten, weshalb der Mittelwert von 3,15 die Meinungen nur ungenügend widerspiegelt. Die überwiegende Mehrheit der in Argentinien interviewten Informanten (40,2 Prozent) findet Behördenmitarbeiter «eher» oder «sehr sympathisch». Etwa ein Viertel dagegen hält diese für «eher» oder «sehr unsympathisch», was den entsprechenden Ergebnissen der in Deutschland geführten Umfrage ähnelt. Ebenso wie in Deutschland lassen sich bezüglich der Arbeitswilligkeit10 der Behördenmitarbeiter die negativsten Beurteilungen feststellen (obgleich ein wenig positiver geurteilt wird als in Deutschland). Mit 2,83 liegt der Mittelwert hier zwischen den Werten für die Antworten «eher arbeitsunwillig» und «neutral». Etwa ein Drittel der Informanten äußert die Ansicht, Behördenmitarbeiter seien «eher» oder «sehr arbeitsunwillig». Fast ein Viertel aber sieht diese als «eher arbeitswillig/hilfsbereit» – kaum jemand jedoch als «sehr arbeitswillig/ hilfsbereit». Insgesamt ergibt sich für die in Deutschland befragte Informantengruppe in etwa folgendes Bild über Behördenmitarbeiter: Behördenmitarbeiter werden im Allgemeinen als recht gut ausgebildet und in aller Regel nicht ausländerfeindlich

8 «Muy bien educados» vs. «muy mal educados». Da die Fragebögen mit den Klienten gemeinsam ausgefüllt wurden, wurde klar gestellt, dass die Begriffe sich auf Ausbildung und nicht auf Erziehung/Höflichkeit bezogen. 9 «Muy modestos/simpáticos» vs. «muy arrogantes». 10 «Muy dispuestos a trabajar/ayudar» vs. «muy indignados/de mala gana».

Einstellungen der Klienten zu den Behördenmitarbeitern – detaillierter 

 241

angesehen (was den oben genannten Rassismusvorwurf entschärfen mag) sowie als relativ freundlich, aber nicht ganz so sympathisch, zudem häufig gestresst und eher arbeitsunwillig. In Argentinien ergibt sich ein ähnliches Bild: Hier werden Behördenmitarbeiter von den Klienten in der Regel als recht freundlich und ebenfalls als eher nicht ausländerfeindlich eingeschätzt, zudem – anders als das die deutsche Vergleichsgruppe sieht – als nicht besonders gestresst, als eher gut ausgebildet (wenn auch nicht so gut, wie es die in Deutschland Befragten sehen) und sympathisch, ebenfalls aber als eher arbeitsunwillig. Abgesehen davon, dass in beiden Ländern Behördenmitarbeiter als recht «arbeitsscheu» angesehen werden (was im Übrigen den oben aus der Literatur bereits erwähnten (Vor-) Urteilen entspricht) und dass sie zumindest in Deutschland auch als eher gestresst empfunden werden, scheinen die Meinungen über Behördenmitarbeiter bei der Mehrheit der Informanten nicht so negativ auszufallen wie häufig vermutet wird. Trotz dieses insgesamt neutralen bis leicht positiven Befundes lassen sich zumindest in Deutschland negative Einschätzungen der Klienten beobachten bezüglich der Schwierigkeit des generellen Umgangs mit Behörden. So ergibt die Fragebogenumfrage in Deutschland, dass etwa 72 Prozent der Informanten den Umgang mit Behörden im Allgemeinen als «eher schwierig» empfinden. Nur 12 Prozent empfinden diesen als «nicht so schwierig», kein einziger Informant aber als «gar nicht schwierig». Hinzu kommt, dass in dieser Informantengruppe etwa die Hälfte derjenigen, die den Umgang mit Behörden als schwierig empfinden, denkt, dies liege zumindest auch daran, dass Behördenmitarbeiter zu wenig erklären. Bei der in Argentinien durchgeführten Umfrage zeigt sich dagegen ein etwas positiveres Bild. Hier halten insgesamt sogar 44 Prozent der Informanten den Umgang mit Behörden für «eher» oder sogar «gar nicht schwierig». Demgegenüber stehen jedoch 37 Prozent, die ihn als «eher» oder «sehr schwierig» empfinden. Die überwiegende Mehrheit der Informanten gibt an, die Mitarbeiter erklärten ausreichend. Jedoch äußern immerhin 27 Prozent, der Umgang mit Behörden sei deshalb zuweilen schwierig, weil die Mitarbeiter nicht ausreichend erklären. Nach dieser Betrachtung der Einschätzungen von Klienten über Behördenmitarbeiter im Allgemeinen werden im Folgenden die Ansichten der Klienten nach den Gesprächsaufzeichnungen über ihre jeweiligen Gesprächspartner untersucht. Zunächst fällt auf, dass der bisherige Eindruck, Behördenmitarbeiter würden für gut ausgebildet gehalten, sich auch hier bestätigt. Bei einer Frage nach der fachlichen Kompetenz der entsprechenden Sachbearbeiter liegt der Mittelwert

242 

 Analysen II: Einschätzungen übereinander

der Antworten in der Informantengruppe in Deutschland bei 1,99, in der in Argentinien bei 2,5. Da die Werte der Antwortmöglichkeiten bei dieser Frage von 0=sehr niedrig über 1=nicht so hoch und 2=eher hoch bis 3=sehr hoch reichten, entsprechen die Mittelwerte 1,99 bzw. 2,5 in etwa den Aussagen «eher hohe» Fachkompetenz bzw. «eher» bis «sehr hohe» Fachkompetenz. Auffällig ist dabei, dass die in Argentinien Interviewten die Fachkompetenz der Sachbearbeiter, mit denen sie selbst gesprochen haben, positiver beurteilen als die in Deutschland Befragten, obgleich sie die Ausbildung von Behördenmitarbeitern im Allgemeinen durchschnittlich etwas schlechter beurteilen. Bezüglich der Einschätzung über die soziale Kompetenz der Sachbearbeiter ergeben sich dagegen in beiden Ländern etwas niedrigere Werte. Hier liegen die Mittelwerte der Antworten bei 1,68 in Deutschland und 1,99 in Argentinien. Während der Mittelwert der argentinischen Teilnehmergruppe damit zwar unter dem Mittelwert bezüglich der Frage nach der Fachkompetenz der Sachbearbeiter liegt, aber doch noch in etwa der Antwort «eher hohe soziale Kompetenz» entspricht, liegt der Mittelwert der deutschen Vergleichsgruppe zwischen den Werten 1=«nicht so hohe» und 2=«eher hohe soziale Kompetenz», dürfte also geteilte Auffassungen wiederspiegeln. 28 Prozent der in Deutschland Befragten geben sogar an, die soziale Kompetenz des Sachbearbeiters, mit dem sie gesprochen haben, für «eher» oder sogar «sehr niedrig» zu halten», was in Argentinien (immerhin) knappe 19 Prozent äußern. Zusätzlich wurden die Informanten nach ihrem Gesamteindruck gefragt, ob der entsprechende Sachbearbeiter insgesamt gut auf sie eingegangen sei. Auch hier sind im Durchschnitt in der Gruppe in Deutschland etwas negativere Beurteilungen zu beobachten als in der argentinischen Vergleichsgruppe, wenn auch immer noch recht positive. So ist unter den in Deutschland Befragten etwa ein Viertel der Informanten der Meinung, der Sachbearbeiter sei «eher nicht» (18 Prozent) oder sogar «gar nicht gut» (6,6 Prozent) auf sie eingegangen. Etwa die Hälfte der Informanten urteilt jedoch, der Sachbearbeiter sei «gut» (26,2 Prozent) oder «sehr gut» (23 Prozent) auf sie eingegangen. In Argentinien erklären sogar 78 Prozent, der Mitarbeiter sei «eher» (37 Prozent) oder sogar «sehr gut» (41 Prozent) auf sie eingegangen. Nur 11 Prozent stimmen dem nicht zu. Wie sich zeigt, haben die meisten Informanten in beiden Ländern nicht den Eindruck, dass der Behördenmitarbeiter nicht gut auf sie eingegangen sei. Die 25 Prozent, die sich in der deutschen Teilnehmergruppe jedoch negativ äußern, stellen immer noch eine durchaus bedenkenswerte Größe dar. Hinzu kommt, dass von vielen Klienten Erfolg oder Misserfolg eines Gesprächs darauf zurückgeführt wird, ob der Sachbearbeiter ihrer Ansicht nach auf sie eingegangen ist oder nicht. So sind 40 Prozent der in Deutschland befragten Informanten, die nach Abschluss des Gesprächs mit einem Sachbearbeiter erklären, ihr Anliegen

Einstellungen der Klienten zu den Behördenmitarbeitern – detaillierter 

 243

sei nicht erfolgreich bearbeitet, der Ansicht, dies liege zumindest auch daran, dass der Sachbearbeiter nicht gut auf sie eingegangen sei.11 Insgesamt zeigt sich also, dass die Einstellungen der Klienten Behördenmitarbeitern gegenüber nicht so negativ ausfallen, wie es die eingangs genannten ungefragt geäußerten (Vor-) Urteile einiger Interaktanten über einander vermuten ließen. Dennoch sind zumindest bei einem Teil der Befragten recht negative Voreinstellungen und auch nach den Gesprächen getroffene Beurteilungen der Behördenmitarbeiter zu beobachten. Diese beziehen sich weniger auf die Fachkompetenz der Behördenmitarbeiter als vielmehr auf deren soziale Kompetenz (auf Klienten einzugehen, freundlich zu sein etc.) sowie auf die Arbeitslust (nicht –fähigkeit). Zum einen zeigen die hier besprochenen Ergebnisse, dass auch die Interaktanten selbst offensichtlich mehr als nur das reine gegenseitige Verstehen als problematisch einschätzen. Zum anderen zeigen die teils negativen Einschätzungen der Klienten über ihren jeweiligen Gesprächspartner gerade nach den aufgezeichneten Gesprächen, dass offenbar auch in den Interaktionen selbst etwas geschieht, das sie zu solchen Einschätzungen veranlasst oder vorherige Annahmen verstärkt.

11 Denkbar wäre allerdings, dass einige Klienten pauschal urteilen, der Mitarbeiter sei nicht gut auf sie eingegangen, sobald sie feststellen, dass sie ihr Anliegen nicht erreichen.

8 A  nalysen III: Streitinteraktionen Mehr als Wissensdivergenzen – Streitinteraktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten Bei den bisher am Gesprächsmaterial analysierten Problemen in der Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern (Kapitel 6) handelt es sich, wie gezeigt wurde, in erster Linie um Verstehensprobleme, die mit dreierlei Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten zusammenhängen: mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen, mit Divergenzen hinsichtlich kulturellen Wissens und hinsichtlich fachlich-institutionellen Wissens. Bereits in den bisherigen Analysen fiel jedoch an verschiedenen Stellen auf, dass Probleme nicht ausschließlich auf Wissensdivergenzen beruhen, dass nicht nur die reine Wissensvermittlung schwierig ist – zumal nicht einseitig vom Experten zum Laien gedacht –, sondern dass auch die Einigung auf ein Schema «Datenabfrage» zum Beispiel problematisch sein kann. Bei solchen Problemen handelt es sich nicht mehr um reine Verstehensprobleme, jedoch lassen auch diese sich noch in gewisser Weise als wissensdivergenzbedingt einordnen, da sie beispielsweise mit einem bei den Interaktanten unterschiedlichen institutionellen Handlungswissen zusammenhängen, mit Vorkenntnissen über typische Handlungsschemata, über das übliche institutionelle Vorgehen in der jeweiligen Situation u. ä. Das kann gleichwohl auch eine Frage unterschiedlicher Ziele für das Gespräch, von Wertedivergenzen, sein. Auch in Kapitel 7 zeigt sich, dass von den Informanten selbst nicht nur Wissensdivergenzen und das gegenseitige Verstehen als problematisch wahrgenommen, sondern von einem Teil der Klienten z. B. Unfreundlichkeit und mangelnde soziale Kompetenz der Behördenmitarbeiter kritisiert werden (subjektives Problemempfinden der Beteiligten). Von Seiten der Behördenmitarbeiter wird u. a. häufig von Verhandlungsversuchen der Klienten und sogar von Konflikten mit teilweise starken Aggressionen berichtet – was offenbar als noch gravierender empfunden wird als reine Verstehensprobleme.1 Gerade bei Verhandlungsversuchen oder gar Konflikten geht es weniger darum, ob die Interaktanten einander verstehen oder nicht bzw. missverstehen, sondern vielmehr darum, ob sie Informationen, Handlungsvorschläge etc. des anderen akzeptieren.

1 Welche Bedeutung die Informanten gerade Konflikten beimessen, lässt sich daraus entnehmen, dass darauf sehr häufig – und mit Vehemenz – insbesondere von Behördenmitarbeitern hingewiesen wurde. Das kann natürlich auf Vorurteilen basieren und wird sicher auch subjektiv überspitzt wahrgenommen – enthält aber vermutlich einen wahren Kern.

Zu den Begriffen Streit und Konflikt  

 245

Ähnliche Beobachtungen finden sich bei Rehbein (1994) in einer Untersuchung zu interkulturellen Arzt-Patienten-Gesprächen sowie bei Grönert (2004) zur (schriftlichen) Bürger-Verwaltungs-Kommunikation. In beiden Arbeiten werden Störungen im Interaktionsverlauf behandelt, die weniger auf mangelndes gegenseitiges Verstehen als auf fehlende Verständigungsbereitschaft und Akzeptanz des Gegenübers zurückgeführt werden. Es handelt sich also um Probleme, die zwar auf Wissensdivergenzen basieren können, in deren Zentrum aber nicht ausschließlich die Überbrückung von Wissensdivergenzen steht, sondern eher die (Un-)Vereinbarkeit unterschiedlicher Ansichten, Interessen, Erwartungen. In mindestens acht der 55 detaillierter analysierten Gespräche des Korpus fallen nun Probleme auf, die ganz offensichtlich nicht mehr nur mit Wissensdivergenzen zu tun haben. Bereits bei einer ersten Durchsicht des Datenmaterials zeigt sich, dass die Interaktanten in diesen Gesprächen durchaus verstehen, was der jeweils andere sagt, die Kommunikation aber trotzdem keineswegs störungsfrei oder gar «gelungen» verläuft: Die Gesprächsteilnehmer schreien sich gegenseitig an, machen einander Vorwürfe, fallen einander ins Wort – Verhaltensweisen, die in der wissenschaftlichen Literatur als Indizien2 für die Eskalation eines Streits aufgefasst werden (cf. Spiegel 1995, 25). Wie kommt es nun dazu, dass – auch wenn das gegenseitige Verstehen gesichert ist – sich solche für beide Seiten unerfreulichen Interaktionsverläufe entwickeln? Für eine umfassende Untersuchung von Problemen in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten scheint es wesentlich, auch diese Gespräche genauer zu betrachten. Bevor jedoch in die Analyse dieser Gespräche eingestiegen wird, wird es nötig sein, sich zumindest überblickshaft mit der Forschung zu Streitgesprächen und Konflikten auseinanderzusetzen.

8.1 Zu den Begriffen Streit und Konflikt In der wissenschaftlichen Literatur3 werden vielfach die Begriffe Streit und Konflikt synonym verwandt (cf. z. B. Schwitalla 1987; Bliesener 1984 u. a.), in der englischsprachigen Literatur zu diesem Thema wird in der Regel gar keine Unterscheidung getroffen (cf. Grimshaw 1990a). Eine Abgrenzung der beiden Begriffe

2 Spiegel (1995, 25) spricht sogar von «Eskalationskriterien» (Hervorhebung K.R.). 3 Die Konfliktforschung ist natürlich ein sehr weites Forschungsfeld, das sich zwischen verschiedenen Disziplinen, wie den Politikwissenschaften, der Soziologie, der (Sozial-)Psychologie oder auch der mathematischen Spieltheorie aufspannt. Für diese Arbeit relevant sind vor allem (linguistische) Untersuchungen zu Konflikt- bzw. Streitgesprächen.

246 

 Analysen III: Streitinteraktionen

voneinander erscheint jedoch sinnvoll und für die weiteren Analysen hilfreich, wie im Folgenden ersichtlich wird. In Anlehnung an Definitionen des Konfliktbegriffs von Schank (1987, 25), Spiegel (1995, 16) und Piontkowski (1988, 3) u. a. wird ein Konflikt im Folgenden zunächst verstanden als Diskrepanzen zwischen mindestens zwei Gesprächspartnern bezüglich (zumindest anfänglich) als einander konträr gegenüberstehend wahrgenommener Sachverhalte, Verhaltens- oder Wertvorstellungen, von denen die Interaktanten glauben, Übereinstimmung erwarten zu können. Wesentlich hierbei ist die Hervorhebung einer erwartbaren Übereinstimmung, die gerade im Migrationskontext eine wichtige Rolle spielt. Wenn die Interaktanten nämlich keine Übereinstimmung erwarten (z. B. aufgrund eines Bewusstseins für die Interkulturalität der Situation), würden Diskrepanzen zwischen ihnen u. U. nicht als Konflikt gewertet. Je nachdem, welche Diskrepanzen einem Konflikt zugrunde liegen, lässt sich von verschiedenen Konfliktformen sprechen: von Sachverhaltskonflikten, Meinungskonflikten, Verhaltenskonflikten, Wertekonflikten etc. (cf. Spiegel 1995, 16).4 Zudem können Konflikte auf verschiedene Arten ausgetragen werden – ebenso kooperativ wie unkooperativ (cf. Spiegel 1995, 16). Die Definitionen zum Konfliktbegriff sind also relativ weit gehalten; die Austragung eines Konflikts in der Interaktion kann ebenso Verhandlungen oder Diskussionen wie auch offenen Streit umfassen. Da allerdings zwischen einer Verhandlung und einem Streit offensichtlich ein Unterschied besteht hinsichtlich des Störungspotentials für die Kommunikation und der Nachhaltigkeit dieser Störung, ist eine Abgrenzung des Streitbegriffs notwendig. In Abgrenzung zu anderen oppositionellen Austragungsformen eines Konflikts begreift Spiegel (1995, 19) einen Streit als «eine verbale,5 kontroverse und unkooperative Austragungsform von Konflikt, die unter anderem durch Mißachtung des Partnerimages gekennzeichnet ist». Prototypisch wird ein Streit mit hoher Emotionalität ausgetragen (cf. ebd., 19). Auch Schwitalla (1987, 107) begreift «als definiens für ‹Streitgespräch› – über bloße Differenzen oder Unver-

4 Zu einer weiteren Kategorisierung von Konflikten s. auch Grimshaw (1990b, 283ss.). 5 Ein Streit muss allerdings nicht immer mündlich ausgetragen werden. Mit Blick auf moderne Kommunikationskanäle, wie Internet-Chat-Foren, ist durchaus vorstellbar, dass ein Streit auch schriftlich beim «chatten» (dem Austausch von Kurznachrichten via Internet) ausgetragen werden kann. Wichtiger ist u. U. die Unmittelbarkeit des Austausches hierbei, die einer Face-to-faceKommunikation sehr nahe kommt (konzeptionelle Mündlichkeit; cf. Koch/Oesterreicher 1985).

Zu den Begriffen Streit und Konflikt  

 247

einbarkeiten von Meinungen hinaus – eine bestimmte negative, verletzende Behandlung des Selbstwertgefühls des anderen, des ‹Images› wie es GOFFMAN verstanden hatte» und betont zudem die Notwendigkeit einer ernsthaften Interaktionsmodalität (cf. auch Klomfass 1995, 14). Es bleibt allerdings zu hinterfragen, ob Image-Verletzungen tatsächlich als Kriterium, als «definiens» (Schwitalla 1987, 107) eines Streits gesehen werden können oder ob es sich hierbei eher um eine prototypische Eigenschaft handelt. In diesen Aufassungen nicht enthalten, nichtsdestotrotz aber m.E. ein wesentliches Charakteristikum eines Streits, ist zudem der Einsatz kommunikativer Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen oder Ansichten gegenüber denen des Streitgegners.6 Ein Streit zeichnet sich in besonderem Maße dadurch aus, dass die Interaktanten gerade nicht geneigt sind, sich vom Gesprächspartner überzeugen zu lassen, sondern um jeden Preis ihre eigenen Standpunkte durchzusetzen versuchen. Ausgehend von dem oben entwickelten Konfliktverständnis soll daher Streit im Folgenden zunächst begriffen werden als Interaktive Verhandlung eines Konflikts, der unter Aufgabe eines gemeinsamen Handlungsziels (also unkooperativ) ausgetragen wird, wobei in der Regel Handlungsstrategien und/oder –intentionen des Gegenübers thematisch werden und kommunikative Mittel eingesetzt werden, die der Durchsetzung der eigenen Interessen (Einstellungen, Absichten etc.) dienen sollen.7 Ebenso wie bezüglich eines Konfliktes lassen sich auch bei einem Streit verschiedene Typen von Streitgesprächen unterscheiden, je nach den in Frage stehenden Objekten: z. B. Streitgespräche über Sachverhalte, zukünftige Handlungen oder Zuschreibungen von Images der Gesprächspartner (cf. Schwitalla 1987, 107s.). Diese können sicherlich überlappen. In einem Gespräch kann ein Streit nun, wie Spiegel (1995, 24) herausstellt, (stufenweise) eskalieren oder aber anhand verschiedener «Deeskalationstechniken» (ebd., 26) abgeschwächt oder beigelegt werden. Als Indizien für eine Streiteskalation oder sogar als streitsteigernd (cf. ebd., 25) werden dabei Verhaltensweisen beschrieben wie «Basisregelverletzungen in Form von Interaktionsblockaden, Lautstärkesprünge (Anschreien) und vieles andere mehr» (ebd.). Eine Deeskala-

6 Rehbock (1987, 177) spricht von dem Ziel der «Überwindung der entgegenstehenden Einstellungen oder Absichten». 7 Anzumerken ist dabei, dass es natürlich schwierig ist, eine solche Definition von außen an ein Gespräch heranzutragen. Die Kategorien der Interaktanten selbst sind jedoch in der Regel wohl kaum zu erkennen (da Interaktanten selten explizit machen, dass sie selbst von einem Streit ausgehen).

248 

 Analysen III: Streitinteraktionen

tion eines Streits ist dagegen erkennbar an einer ruhigeren Sprechweise, «Freundlichkeiten jeder Art» (ebd., 26), Aussprechen-Lassen, positiven Bestätigungen des Gesprächspartners etc. (cf. ebd.). Als «Deeskalationstechniken» beschreibt Spiegel (ebd.): «Aktivitäten, die eine beginnende Eskalation einzugrenzen oder abzubiegen versuchen». Darunter fallen also die von Holly (1979) und Goffman (1982) untersuchten konfliktmindernden Korrektive, Renormalisierungsaktivitäten (cf. Kallmeyer 1979) und konfliktreduzierend wirkende sprachliche Mittel, wie sie Schwitalla (1987) beschrieben hat: paralinguistische Phänomene, wie ruhiges, freundliches Sprechen, Eingeständnisse, Entschuldigungen, die Honorierung des Gegenübers u.v.m. Schwitalla geht allerdings kaum darauf ein, weshalb diese Mittel konfliktreduzierend wirken können (z. B. Minderung des eigenen Face, Stärkung des Face des anderen) und inwiefern hierbei kulturspezifische Unterschiede zu bedenken sind. Um einen Streit beizulegen, müssen zudem alle Interaktanten daran mitarbeiten (cf. Spiegel 1995, 26). Eine nur von einem Gesprächspartner ausgehende Streitbeilegung ist vermutlich auch unter Einsatz verschiedenster Deeskalationstechniken nicht möglich.

8.2 S  treit in der Interaktion zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern Mit Streitgesprächen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten hat sich die Forschung bislang nur wenig befasst. Die meisten Untersuchungen zur Migranten-Behörden-Kommunikation (oder auch zur Bürger-Verwaltungs-Kommunikation im intrakulturellen Kontext) konzentrieren sich stattdessen eher auf die Art von Problemen, die hier unter Verstehensproblemen gefasst werden (cf. z. B. Porila/ten Thije 2009a; 2009b), oder gehen gar nicht gesprächsanalytisch vor (cf. Seifert 1996a;b, Hoffmann 1982, Riehle/Zeng 1997 u. a.). Die von Selting (1987) untersuchten Kooperationsprobleme, die hier bereits mehrfach Erwähnung fanden, dürften prinzipiell Konfliktpotential enthalten,8 führen aber offenbar nicht immer zu offenem Streit – zumindest bespricht Selting in ihren Analysen keine Streitgespräche nach der oben entwickelten Auffassung eines Streits. Verschiedene Berührungspunkte werden allerdings an späterer Stelle dieser Arbeit noch näher besprochen.

8 Kooperationsprobleme lassen sich auch in sämtlichen im hier vorliegenden Korpus beobachteten Streitgesprächen finden. Darauf wird in den folgenden Analysen noch näher eingegangen.

Streit in der Interaktion zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern 

 249

Grönert (2004) und Malinkewitz (2010) gehen ebenfalls auf die Häufigkeit von Konflikten in (intra- und interkultureller) Bürger-Verwaltungs-Kommunikation ein. Grönert (2004) konzentriert sich jedoch auf nicht-mündliche Kommunikation, die Analysen von Malinkewitz (2010) werden kaum detailliert an authentischem Datenmaterial durchgeführt und bleiben daher an der Oberfläche. Im Kontext ihrer Untersuchung zur Kommunikation zwischen Migranten und Mitarbeitern der Ausländerbehörde in Buenos Aires beobachten Ciapuscio und Kesselheim (1997, 116s.), dass es insbesondere dann zu Konflikten zwischen den Interaktanten kommt, wenn Klienten die Richtigkeit einer Aussage des Sachbearbeiters bezweifeln und die Sachbearbeiter ihre Expertenrolle verteidigen.9 Hierauf wird an späterer Stelle noch einmal genauer eingegangen. Dennoch setzen auch Ciapuscio und Kesselheim einen anderen Fokus und widmen sich nur am Rande der Untersuchung von Konflikten. Mit Streit oder Konflikten in anderen institutionellen Kontexten befassen sich dagegen beispielsweise Brock und Meer (2004) im Bereich Medien, Mehan (1990) anhand der Analyse eines Gesprächs zwischen Ärzten und Patienten in einem «mental hospital», mit Konflikten in beruflichen Kontexten u. a. Thörle (2005) (Arbeitsgruppen) und Schmitt (2002) (Gespräche zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern). Für die folgenden Überlegungen sind v. a. diejenigen Untersuchungen von Belang, die Streit (oder Konflikte) in Gesprächen behandeln, in denen ähnlich starke Unterschiede bezüglich der Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten (einschließlich Sanktionsmöglichkeiten etc.) bestehen können wie in den hier untersuchten Behördengesprächen. Sowohl Schmitt (2002) als auch Mehan (1990) arbeiten z. B. Asymmetrien in den Durchsetzungsmöglichkeiten von «Hierarchiehöheren» und «–niederen» in Streitgesprächen heraus. Zumindest Mehan (1990) geht allerdings nur am Rande darauf ein, worin sich dies im Einzelnen manifestiert. Thörle (2005, 190) dagegen schließt aus ihren Analyseergebnissen, die «gängige Behauptung, wonach Statushöhere über mehr Möglichkeiten verfügen, unkooperative Strategien anzuwenden (cf. z. B. Poro 1999, 147s.)», sei zu relativieren. Auf diese Arbeiten wird im Folgenden noch näher einzugehen sein. Die Frage danach, welche Bedeutung Hierarchien und Asymmetrien zwischen den Gesprächspartnern gerade in Streitgesprächen zukommt, dürfte auch und sogar besonders für die Bürger-Verwaltungs-Komunikation im Migrationskontext von Relevanz sein – wobei darauf zu achten sein wird, inwiefern dies jeweils in der Interaktion selbst zum Tragen kommt.

9 Hier ist etwas unklar, ob die Autoren sich nach der oben getroffenen Unterscheidung auf Streit oder andere Austragungsformen von Konflikten beziehen.

250 

 Analysen III: Streitinteraktionen

8.3 F ragestellungen für die Analyse von Streitgesprächen im Korpus Streitgespräche zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten treten zwar offenbar nicht sehr häufig auf (wie erwähnt, in acht von 55 Gesprächen des Korpus), sind aber von besonders schwerwiegender Problematik. Während bei Verstehensproblemen die Interaktanten zumindest in der Regel noch dasselbe Ziel verfolgen, ist das bei Verhandlungen beispielsweise bereits nicht mehr der Fall. Diese können jedoch durchaus noch kooperativ geführt werden. Selting (1987) beobachtet, wie bereits erwähnt, in ihrer Untersuchung zu Verständigungsproblemen in Interaktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten (ohne Migrationshintergrund) dagegen «Kooperationsprobleme», die aus unterschiedlichen Kooperationserwartungen der Interaktanten – einander gegenüberstehenden «behördlichen Kooperationsformen und an alltagsweltlicher Kommunikation orientierten Kooperationserwartungen» (ebd., 243) – entstehen und gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass «die wechselseitige Unterstellung von Kooperation oder auch Kooperationswilligkeit» (ebd., 244) fallen gelassen wird. In dem hier untersuchten Korpus lässt sich ebenfalls eine Reihe von ähnlichen Kooperationsproblemen feststellen. Hier verhalten sich die Interaktanten also – zumindest aus Sicht des jeweiligen Gegenübers – nicht mehr kooperativ. Das bedeutet aber noch nicht, dass sie streiten. Ein Kooperationsproblem bestünde im Grunde bereits dann, wenn die Interaktanten «aneinander vorbei reden». In den in diesem Korpus beobachtbaren Gesprächen, in denen sich offenbar Streit entwickelt, treten dagegen zu dem Aspekt der Unkooperativität zwei Aspekte hinzu, die in den von Selting untersuchten Gesprächen nicht in derart starker Form ausgemacht werden, nämlich gegenseitige Image-Verletzungen und eine ausgeprägte Intransigenz, also sehr starke Bestrebungen der Gesprächspartner, ihre eigenen Interessen in der Interaktion durchzusetzen. Streitgespräche beeinträchtigen nicht nur die «Effizienz» der Kommunikation10 in besonderem Ausmaß (sind also besonders zeitaufwändig, enthalten lange Sequenzen, die zumindest nicht ausschließlich dem «ursprünglichen» Ziel des Gesprächs dienen, der Bearbeitung des Klienten-Anliegens), sondern sie sind für alle Beteiligten auch besonders unerfreulich, können die Einstellungen nicht nur einander, sondern auch anderen Klienten/Behördenmitarbeitern gegenüber negativ beeinflussen und sich langfristig negativ auf die Behörden-Klienten-Kommunikation auswirken. Es verwundert daher nicht, dass Streit in den Interviews

10 Gerade im Behördenkontext mit entsprechendem Zeitdruck (cf. Becker-Mrotzek 2001) ist eine effiziente Gesprächsführung besonders wichtig.

Fragestellungen für die Analyse von Streitgesprächen im Korpus  

 251

und Feldnotizen dieser Arbeit vergleichsweise häufig erwähnt wird, obwohl er im Grunde sehr viel seltener auftritt als reine Verstehensprobleme. Eine nähere Betrachtung gerade von Streitgesprächen zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten lohnt daher – zumal Streit oder Konflikte in diesem Kontext, wie oben ausgeführt, bislang kaum im Detail untersucht wurden. Für die Analyse von Streitgesprächen werden im Folgenden zwei Hauptfragen fokussiert. Gerade unter dem anwendungsorientierten Gesichtspunkt einer Verbesserung der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten stellt sich folgende erste Frage: Wie entwickelt sich Streit in Gesprächen zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten? Da sämtliche im Folgenden zu betrachtenden Streitgespräche des Korpus nicht beigelegt werden, die Interaktanten also im Streit auseinandergehen,11 ist es nicht möglich zu untersuchen, wie sich Streit beilegen lässt – sehr wohl aber, wie er sich entwickelt, was zur Streitsteigerung beiträgt oder auch welche Aktivitäten zur Konfliktreduzierung versucht werden, aber möglicherweise scheitern. Ein Augenmerk soll dabei darauf gelegt werden, ob sich behördenspezifische Einflussfaktoren auf die Streitentwicklung ausmachen lassen. Zudem treten die hier untersuchten Streitgespräche in einem speziellen Kontext auf – nämlich zwischen Gesprächspartnern, die, wie in den Kapiteln 3.2 und 3.4 herausgestellt wurde, anders als in alltäglichen Streitgesprächen gewissermaßen hierarchisch zueinander stehen können – nicht nur hinsichtlich der bereits besprochenen Wissensdivergenzen in mehreren Bereichen, sondern auch bezüglich ihrer Aufgaben (z. B. beraten, in Arbeit vermitteln etc.) und Handlungsmöglichkeiten (z. B. Sanktionsmöglichkeiten), die an ihre sozialen Rollen als Behördenmitarbeiter und Klient geknüpft sind. Hierarchie soll dabei aufgefasst werden als in Form einer sozialen Rangordnung institutionell festgelegte Machtstrukturen.12 Bis zu einem gewissen Grad können die Rollen der Gesprächspartner also sozial vordefiniert sein, die Frage ist jedoch, inwiefern dies in der Interaktion, im Streit, selbst relevant wird. So können die Interaktanten, wie es in Kapitel 3.1.3 am Beispiel der Arzt-Patienten-Kommunikation besprochen wurde, ihre jeweiligen Rollen unterschiedlich ausagieren. Auch wenn zwischen ihnen eine institutionell verankerte Hier-

11 Das ist häufig der Fall. Grimshaw (1990b, 280) spricht von einer in der bisherigen Konfliktforschung beobachtbaren «overestimation of the proportion of disputes which are in some way ‹resolved›». 12 Zur Unterscheidung der Begriffe Macht, Hierarchie, Asymmetrie und Dominanz s. Kapitel 3.2.2.

252 

 Analysen III: Streitinteraktionen

archie bestehen mag, muss diese in der Interaktion selbst nicht relevant werden, muss der «Hierarchiehöhere» seine Rolle nicht dergestalt ausagieren, nicht offen Macht oder Dominanz ausüben. Es kann aber durchaus der Fall sein. Umgekehrt ist dagegen auch denkbar, dass – gerade in einem Streit – auch der «Hierarchieniedere» versucht, seine Ansichten durchzusetzen und in der Interaktion eine gewisse Macht über den Gesprächspartner zu erlangen, bzw. zumindest Dominanzverhalten zeigt. Oben wurde herausgearbeitet, dass ein Streit u. a. dadurch charakterisiert ist, dass kommunikative Mittel eingesetzt werden, die der Durchsetzung der eigenen Interessen (Einstellungen, Absichten etc.) dienen sollen. Solche Durchsetzungsversuche können Formen der (versuchten) Machtausübung in der Interaktion darstellen. In einem Streit geht es also zu einem wesentlichen Teil um Durchsetzung und insofern um Macht dem Streitpartner gegenüber. Grimshaw (1990b, 307) betont: «power [...] of some sort will be the currency in conflict talk». Eine gewisse Form der (versuchten) Machtausübung ist von beiden Streitparteien erwartbar. Macht soll dabei verstanden werden als Ressource, die zu Formen ungleicher Beziehungen zwischen den Interaktanten führt (cf. Brock/Meer 2004). Zur groben Veranschaulichung lassen sich drei Positionierungsmöglichkeiten13 der Interaktanten zu einander festhalten: 1) Eine symmetrische Positionierung: Nivellierung Sachbearbeiter Klient 2a) Eine asymmetrische Positionierung zueinander: Sachbearbeiter

Klient

2b) Eine umgekehrte asymmetrische Positionierung: Klient Sachbearbeiter Die Gesprächspartner können sich also in der Interaktion mehr oder weniger symmetrisch bzw. macht-neutral zueinander positionieren, so dass nicht offen Macht ausgeübt wird oder sich ein deutliches Dominanzverhalten zeigt. Ande-

13 Zum Begriff der Positionierung cf. Lucius-Hoene/Deppermann (2004).

Fragestellungen für die Analyse von Streitgesprächen im Korpus  

 253

rerseits können die Interaktanten sich auch (vertikal) asymmetrisch zu einander positionieren, so dass entweder der Sachbearbeiter versucht, Macht über den Klienten auszuüben, oder aber der Klient versucht, Machtansprüche dem Sachbearbeiter gegenüber geltend zu machen. Diese Positionierungen können im Verlauf des Gesprächs vermutlich wechseln und werden nicht in jedem Fall über das gesamte Gespräch hinweg beibehalten. An diese Überlegungen schließt sich daher ein zweiter Fragenkomplex an, der sich aus der entwickelten Definition von Streit ergibt. Gerade in einer Konstellation der Gesprächspartner, in der diese derart unterschiedliche Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten haben, stellt sich die Frage, wer sich wie dem anderen gegenüber durchzusetzen versucht, und ob die Interaktanten über unterschiedliche Durchsetzungsmöglichkeiten zueinander verfügen. Wie werden also «larger social activitites within local talk» (Goodwin/Goodwin 1990, 86) sichtbar? Als zweiter Fragenkomplex lässt sich dementsprechend formulieren: Wie wird Macht in der konfliktären Interaktion (von wem) aktualisiert? Entsprechen Asymmetrien im Streitverhalten der Gesprächspartner (sofern sich solche beobachten lassen) einer möglicherweise institutionell verfestigten Hierarchie zwischen ihnen? Verschiedene Untersuchungen zu Streitgesprächen in anderen institutionellen Kontexten, die in ähnlichen Konstellationen der Gesprächspartner stattfinden (ArztPatient; Vorgesetzer-Mitarbeiter), weisen darauf hin, dass Asymmetrien im sprachlichen Verhalten der Konfliktpartner «bestehende» Hierarchien widerspiegeln. Schmitt (2002, 119) begreift Asymetrien im sprachlichen Verhalten sogar «als interaktionsstrukturelle Entsprechung des organisationsstrukturellen Konzepts ‹Hierarchie›». Er arbeitet heraus, wie sich im Konfliktgespräch Asymmetrie zwischen den Interaktanten in einem «Ungleichgewicht im Einsatz interaktiver, gesprächsrhetorischer und wissensspezifischer Ressourcen»14 (ebd., 131) zeigt, das zu einem «strukturellen Ungleichgewicht in den Handlungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten von Hierarchiehöheren und Hierarchieniederen» (ebd.) führt (obgleich er auch Spielräume hierbei betont, worauf er aber nicht näher eingeht). Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass die Begriffe Asymmetrie und Hierarchie hier z. T. als Voraussetzung und Folge zugleich aufgefasst werden. Es wird näher herauszustellen sein, woran Asymmetrien und Hierarchien in der Interaktion zu erkennen sein können, wobei zwischen beobachtbaren Phänomenen (bspw.

14 Diese drei Begriffe (interaktive, gesprächsrhetorische, wissensspezifische Ressourcen) befinden sich allerdings auf verschiedenen Ebenen und sind nicht trennscharf.

254 

 Analysen III: Streitinteraktionen

einer Dominanz eines Gesprächspartners in Bezug auf die Themenselektion o. ä.) und erschließbaren Phänomenen (wie Macht, Hierarchie) zu unterscheiden ist. Mehan (1990) untersucht zudem im Arzt-Patienten-Kontext, «how institutionalized power is displayed and used to resolve disputes» (ebd., 160). Er geht allerdings nur am Rande darauf ein, worin sich dies im Einzelnen manifestiert. Auch diverse Studien zur Bürger-Verwaltungs-Kommunikation, z. B. Wenzel (1984), die u. a. «direktive Gesprächsführung» von Behördenmitarbeitern untersucht, oder auch Überlegungen zum «zwangskommunikativen Charakter» der Behördenkommunikation (Hinnenkamp 1985), weisen eher darauf hin, dass Asymmetrien im kommunikativen Verhalten der Gesprächspartner «vorgegebenen» Hierarchien zwischen Behördenmitarbeiter und Klient entsprechen. Thörle (2005) dagegen kommt in ihrer Analyse eines konfliktären Gesprächs in einer Arbeitsgruppe gerade zu dem Schluss, dass «Status»-Unterschiede sich nicht immer in unterschiedlichen Möglichkeiten im Streit ausdrücken. Zu fragen ist also, ob eine hierarchische Beziehung zwischen Behördenmitarbeiter und Klient tatsächlich im Streit etabliert wird, und wenn, wie sich dies im Einzelnen in den Interaktionen manifestiert (ob bspw. Wissensasymmetrien in den bereits besprochenen drei Bereichen betont werden, «institutionalisierte Macht» z. B. in Form von Sanktionsmöglichkeiten eingesetzt wird etc.). Zu fragen ist, wie Streit und ungelöste Konflikte entstehen, welchen Einfluss auf die Streitentwicklung Formen der Aktualisierung von Macht im Streitgespräch haben – und vor allem, wie auch Klienten versuchen, Machtansprüche geltend zu machen und ihre eigenen An- oder Absichten durchzusetzen. Zur Untersuchung der oben gestellten Fragen werden im Folgenden zwei Streitgespräche zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten – eines aus dem in Deutschland und eines aus dem in Argentinien erhobenen Korpusteil – exemplarisch analysiert, die als geeignete Beispiele für die im Korpus vorkommenden Streitgespräche gesehen werden können. Hierfür ist ein anderes methodisches Vorgehen erforderlich als für die Analyse der bislang besprochenen Verstehensprobleme. Anstelle einzelner Gesprächsausschnitte werden die Gespräche im Ganzen analysiert, da davon auszugehen ist, dass sich ein Streit nicht an einzelnen Äußerungen oder Sequenzen festmachen lässt,15 also lokale Handlungen nicht nur lokale Folgen haben, Reaktionen auf Vorgängeräußerungen zum Teil erst mit einiger Verzögerung erfolgen und gerade für die Untersuchung der Streitentwicklung der weitere Kontext16 im

15 Einzelne Äußerungen können gleichwohl durchaus Konfliktpotential enthalten. 16 Kontext im Sinne Sacks’ als «positioning of an utterance within an environment of other talk (or other action)» (Goodwin/Goodwin 1990, 98).

Analyse Streitgespräch 1 

 255

Gespräch von Bedeutung ist. Da es sich um Einzelfallanalysen handelt, kann kein Anspruch auf Repräsentativität erhoben werden. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass sich gerade in detaillierten Einzelfallanalysen Phänomene beobachten lassen, denen mit Blick auf zukünftige Praxisempfehlungen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation allgemeinere Bedeutung zukommt. Der Gewinn eines sequenziellen Vorgehens bei der Analyse liegt dabei darin, Schritt für Schritt untersuchen zu können, wie ein Streit sich entwickelt. Die Analysen werden durch Beobachtungen aus weiteren Streitgesprächen des Korpus ergänzt. Anschließend wird, als Kontrast-Beispiel, ein Gespräch aus dem argentinischen Korpus hinzugezogen, das sich aufgrund starker Ähnlichkeiten bezüglich des Settings und der behandelten Thematik gut mit dem zu analysierenden Streitgespräch aus dem argentinischen Korpus vergleichen lässt – in dem aber kein Streit entsteht. Anhand eines solchen Vergleiches lässt sich herausarbeiten, welche sprachlichen Mittel dem Entstehen eines Streits – unter weitgehend gleichen Voraussetzungen für das Gespräch – entgegenwirken können.

8.4 Analyse Streitgespräch 1 Das im Folgenden zu besprechende Gespräch findet zwischen einer deutschen Sachbearbeiterin eines Jobcenters und einem Klienten türkischer Abstammung (P 39dt.) statt, der bereits seit mehreren Jahren in Deutschland lebt und nach eigener Aussage über gute Deutschkompetenzen verfügt.17 Die Gesprächspartner kennen sich aus früheren Gesprächen, da die Sachbearbeiterin bereits seit einem Jahr für den Klienten zuständig ist. Es handelt sich bei dem Gespräch um ein Routine-Gespräch, zu dem der Klient eingeladen wurde. Solche RoutineGespräche werden mit allen Klienten der Jobcenter in regelmäßigen Abständen geführt und dienen zum einen dazu zu besprechen, welche Bewerbungsinitiativen die Klienten seit dem vorigen Gespräch ergriffen haben und ob sie möglicherweise bereits eine Einstellung in Aussicht haben. Auf diesen Informationen basierend entscheiden die Sachbearbeiter, wie sie weiter vorgehen, um den Klienten in Arbeit zu vermitteln. Zum anderen dienen die Gespräche dazu, dass Klienten eigene Fragen besprechen können. Das bedeutet, dass vermutlich beide Gesprächspartner – zumindest aber die Sachbearbeiterin – relativ feste Vorstellungen darüber haben, was sie in diesem Gespräch besprechen möchten. Darin unterscheiden sich solche Routine-Gespräche von anderen Behördengesprä-

17 Der Klient wählt auf dem Fragebogen die Antwortmöglichkeit «Ich kann in einem Gespräch praktisch alles ausdrücken, was ich möchte».

256 

 Analysen III: Streitinteraktionen

chen, wie z. B. Gesprächen auf einem Bürgeramt, in denen zwar die Klienten mit einem bestimmten Anliegen in das Gespräch hineingehen, die Behördenmitarbeiter aber vor dem Gespräch noch nicht wissen, welche Themen besprochen werden sollen. Die Aufnahme beginnt kurz nach dem Gesprächsbeginn, da das Aufnahmegerät erst nach der Einwilligung der beiden Gesprächspartner eingeschaltet wurde. Vor Beginn der Aufnahme haben sich die Interaktanten begrüßt. Die Aufnahme endet mit der Verabschiedung der Gesprächspartner bzw. dem Aufbruch des Klienten. Sie dauert insgesamt 16:56 Minuten. Für die Analyse wird das Gespräch in fünf Phasen unterteilt. Die Unterteilungskriterien werden in der Analyse erkennbar. Zur besseren Lesbarkeit wird das Transkript in einzelnen Teilen jeweils vor der Analyse der entsprechenden Gesprächsphase präsentiert.

8.4.1 Die Streitobjekte – Worüber wird gestritten? Wie erwähnt, dienen Routine-Gespräche wie dieses dazu, die Arbeitsmöglichkeiten des Klienten zu klären und über das weitere Vorgehen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu entscheiden. In diesem Fall entscheidet die Sachbearbeiterin, wie bei einer ersten Durchsicht des Transkriptes auffällt, auf Basis der Informationen, die sie vom Klienten erhält, ihn einer Trägergesellschaft zuzuweisen, die über Kontakte zu verschiedenen Arbeitgebern verfügt, Bewerbungstrainings anbietet und den Klienten in Arbeit vermitteln soll. Genau diese Entscheidung der Sachbearbeiterin lehnt der Klient allerdings zumindest anfangs ab (später zeigt er sich teilweise kooperationsbereit, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen). Eindeutig bestehen hier Diskrepanzen zwischen den Gesprächspartnern bezüglich einander (zumindest anfänglich) konträr gegenüberstehender Verhaltensvorstellungen und –absichten. Es liegt also ein Konflikt vor. Wie sich daraus ein offener Streit entwickelt, wird im Folgenden untersucht. Die Zuweisung zur Trägergesellschaft (und die Ablehnung durch den Klienten) stellt das zentrale Streitobjekt dar: Die Sachbearbeiterin will den Klienten der Trägergesellschaft zuweisen, der Klient will nicht zugewiesen werden. Das umstrittene Objekt bilden dementsprechend «Handlungen, die eine Person in der Zukunft ausführen soll (vom Standpunkt eines Fordernden) oder will (vom Standpunkt dieser Person selbst)» (Schwitalla 1987, 109). Im Streitgespräch werden zudem verschiedene Nebenthemen konfliktär behandelt, was in der folgenden Analyse detaillierter betrachtet werden soll.

Analyse Streitgespräch 1 

 257

8.4.2 Detail-Analyse Streitgespräch 1 Das Gespräch wird nun seiner sequenziellen Struktur folgend analysiert. Hierbei wird darauf geachtet, wie sich das jeweilige Verhalten der Interaktanten auf die Streitentwicklung auswirkt und welcher Gesprächspartner (wann und in welcher Form) versucht, Macht über den anderen zu erlangen oder einzusetzen. Dabei können auch Kategorien wie Unkooperativität und Image-Verletzungen eine Rolle spielen. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass Unkooperativität, Image-Verletzungen und insbesondere Macht keine direkt in der Interaktion beobachtbaren Phänomene sind (cf. dazu auch Kapitel 3.2.2), sondern allenfalls aus dem kommunikativen Verhalten der Interaktanten erschließbare. Dabei kann in drei Schritten vorgegangen werden: Ein konkret beobachtbares (sprachliches) Verhalten lässt sich ggf. aufzeigen, dieses kann einer bestimmten (linguistischen) Kategorie zugeordnet werden und diese wiederum einem erschließbaren (sozialen, interaktionalen) Phänomen (wie Macht, Image-Verletzung etc.). Beispielsweise lassen sich vielleicht Sprecherwechsel an nicht übergaberelevanten Stellen beobachten oder Äußerungen der Interaktanten, die sich nicht direkt auf die Partner-Äußerungen beziehen (was konkret beobachtbar wäre). Diese könnten als Verletzungen der Sprecherwechsel-Regeln oder nicht bzw. teilresponsive Redebeiträge eingeordnet werden (kategorielle Zuordnung), was wiederum als unkooperatives Verhalten aufgefasst werden könnte (erschließbar). Auch könnten die Interaktanten Handlungen des Gegenübers thematisch machen (beobachtbar), was sich als Vorwurf oder Kritik einordnen ließe (Zuordnung) und als Image-Verletzung interpretiert werden kann (erschließbar). In ähnlicher Weise ließe sich vielleicht beobachten, dass einer der Interaktanten z. B. mehr Fragen oder Aufforderungen formuliert als der andere (was wieder beobachtbar wäre), sich also interaktive Dominanz zeigt (Zuordnung, cf. Linell/ Luckmann 1991), was auf Machtverhältnisse schließen lassen kann (aber nicht muss). Deutlicher als Machtmittel würden sich dagegen offene Thematisierungen von Macht (Zuordnung), z. B. in Form eines Ansprechens von Sanktionen (beobachtbar) deuten lassen. Auf diese Überlegungen wird, wenn sich Evidenz hierfür zeigt, im Anschluss an die Analysen noch einmal ausführlicher eingegangen. Das Gespräch beginnt, dem typischen Ablauf der Routine-Gespräche am Jobcenter entsprechend, mit einer Klärung der aktuellen Arbeitsmöglichkeiten des Klienten.

258 

 Analysen III: Streitinteraktionen

8.4.2.1 Phase 1: Gesprächsbeginn (PF 1–27) [1] Sb [v]

So • wir ham uns ja länger nich gesehn. Die letzte Tätigkeit war bis • Ende Julei ne?

Kl [v]

Ja

[2] Sb [v] Kl [v]

Bauhelfer

Un nu? Ja

Un nu? • Die Fi/ Firma is Pleite gegang be/ beßiehungsweise den

[3] Sb [v] Kl [v]

Seit dem war nix mehr ja? Auftrag verlorn.

Seitdem war nix mehr. Un äh seit der ßeit

[4] Kl [v]

versuch ich meine Pappe wieder ßu/ßurück ßu kriegn. Am erstn erstn wird so eine • Kantine

[5] Kl [v]

eröffnet. Da hab ich ne Arbeit aba ich muss • jetz • gestehn eignlich bin sehr deprimiert.

[6] Sb [v]

Was? Versteh nich. Moment • ab erstn erstn ham Sie ne Arbeit in Aussicht.

Kl [v]

Ja • wenn isch

[7] Sb [v] Kl [v]

Na dis Thema is aba schon n Bisschen älter mit dem aba meine Pappe ßurück kriege.

[8] Sb [v] Kl [v]

Führerschein.

Ja? Das hängt von dem

von dem Geld ab. Ich sach mal • • und wenn isch das

[9] Kl [v]

Ding rumkriege • auch meine Militärgeschischte • also dis sin sehr sehr gute Aussichtn • dass

[10] Kl [v]

ich da anfang kann. Ich muss nur in diese Zeit bis dahin eimfach meine Pappe und meine

Analyse Streitgespräch 1 

 259

[11] Sb [v] Kl [v]

Sie müssn noch Militärdienst leistn? Militärgeschischte noch erledign • irgndwie irgndwas.

[12] Kl [v]

Ja • leider. Ansonstn hab isch kein gültige Pass. Die werdn mein Pa/ mein Pass entziehn dann

[13] Sb [v] Kl [v]

Was isn jetz mit dem Ausweis? hab isch voll verlorn.

Jetz hab isch immer noch in der

[14] Sb [v] Kl [v]

Kann ich ma sehn? Tasche aba nisch mehr lange.

Ja • aba ob ich ma Aba nich mehr lange.

[15] Sb [v]

den Ausweis sehn kann.

Kl [v]

Aba natürlisch. Wenn isch/ wenn isch • an mein Geburtstach läuft

[16] Kl [v]

jetz meine Militärzeit ab • dann werd isch mein Pass nich mehr verlängert • • also automatisch

[17] Sb [v] Kl [v]

Na wenn Sie einreisen. • • Wenn Sie nich einreisn die behaltn den Pass.

Nein. Ich muss mein

[18] Sb [v] Kl [v]

Ja Pass verlängern hier • wenn es abgelaufn is

Der is ja • der is aber wenn es Militärdienst nisch

[19] Sb [v] Kl [v]

aus Zweitausendundfünf wie lange isn der gültich der Pass? Da is alles drinne. Er wird

260 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[20] Sb [v] Kl [v]

Auf jedn Fall der Aufnthaltstitel is verlängert bis • Zweitausendacht und wat weiß ich

[21] Sb [v]

unbefristet.

Kl [v]

Jaa ich

weiß.

Und den Pass müssn Se in der Türkei

Ja aba da/ damit hat dis ja nisch ßu tun.

[22] Sb [v]

machn beziehungsweise inner Botschaft.

Kl [v]

Bei der Botschaft. Aba wenn ich das nich vorlegn

[23] Sb [v] Kl [v]

Ja kann dass ich mein Militärdiens/dienst nisch geleistet habe dann behaltet die eimfach mein

[24] Sb [v] Kl [v]

Ja Pass.

Dann krieg isch kein Pass mehr. Und dann automatisch • isch weiß nisch was ich

[25] Sb [v] Kl [v]

So isses. Dann machn Se doch Ihrn Militärdienst. hier bin • • heimatlos • Asylant • • illegal.

[26] Sb [v]

Nö.

Kl [v]

Ja ham Sie sechstausnd Euro für mich?

Kl [k]

aggressiv gestikulierend

Aber ich hab n Träger zu dem ich Sie Also!

[27] Sb [v] Kl [v]

jetz zuweise.

Ich habe einen Träger der Sie zu/ zu dem ich Sie zuweise Was ham Sie?

Diese Phase beginnt mit dem Start der Aufnahme, unmittelbar nach der Begrüßung der Interaktanten und ihrer Einwilligung zur Gesprächsaufzeichnung. Sie endet mit der ersten Erwähnung des Streitobjektes durch die Sachbearbeiterin

Analyse Streitgespräch 1 

 261

(Sb), der Zuweisung des Klienten (Kl) zu einer Trägergesellschaft, in Partiturfläche 26 und 27. In dieser ersten Phase sind bis kurz vor ihrem Ende kaum explizite Signale von Wut oder Verärgerung, gegenseitige Vorwürfe oder ähnliches zu beobachten. Es wird aber ein Kooperationsproblem im Sinne Seltings (1987) erkennbar, da die Interaktanten offenbar unterschiedliche Kooperationserwartungen haben, was im Folgenden näher betrachtet wird. Zunächst eröffnet die Sb das Gespräch mit einer Referenz auf Kontakte in der Vergangenheit: «So • wir ham uns ja länger nich gesehn». Direkt im Anschluss beginnt sie, ihr eigenes Anliegen für das Gespräch – die Klärung der momentanen Arbeitsmöglichkeiten des Kl – zu bearbeiten. Ihre erste Frage zielt darauf zu erfahren, ob der Kl seit ihrem letzten Gespräch gearbeitet hat: «Die letzte Tätigkeit war bis • Ende Julei ne?»18 (PF 1), was der Kl mit «Ja» bestätigt. Die Sb scheint allerdings weitere Informationen zu erwarten, was deutlich wird an ihrer – semantisch allerdings nicht eindeutigen – Rückfrage «Und nu?» (PF 2). Die Antwort des Kl kann als (stark) kooperativ interpretiert werden, da er zunächst zur Ratifizierung die Äußerung der Sb wiederholt (starke Kohäsion) und erläutert, weshalb er nicht mehr bei seinem bisherigen Arbeitgeber beschäftigt ist. Die Reaktion der Sb, die präzisierende Frage «Seit dem war nix mehr ja?», zeigt allerdings, dass diese Antwort nicht die von ihr gewünschten Informationen enthält, nämlich ob der Kl im Zeitraum von Ende Juli bis zum Zeitpunkt des Gesprächs (Dezember) beschäftigt war. Damit markiert sie die Äußerung des Kl als aus ihrer Sicht unkooperativ, nämlich die Grice-Maxime der Relevanz verletzend. Sie hat die entsprechende Information allerdings bereits durch die Bestätigung der schon in PF 1 gestellten Frage nach dem Ende der letzten Tätigkeit des Kl erhalten. Daher wirkt ihre erneute Frage hier wie eine Betonung des Umstands, dass der Kl in der Zwischenzeit arbeitslos war, was einen impliziten Vorwurf und damit eine Image-Verletzung, einen face threatening act (FTA: Kritik), darstellen kann (cf. Goffman 1955; Brown/Levinson 1987). Der Kl scheint die Äußerung allerdings nicht als Vorwurf aufzufassen oder akzeptiert diesen, zumindest lässt sein Verhalten weiter auf Kooperativität schließen (erneute wörtliche Wiederholung der Äußerung der Sb zur Ratifizierung: «Seit dem war nix mehr»). Anschließend fügt er weitere Informationen an, die er offenbar für die Bearbeitung des Anliegens der Sb für relevant hält. Seine Äußerung enthält drei nicht auf den ersten Blick mit einander verknüpfte Aspekte: eine Information, was er seit Juli im Kontext einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt getan hat (Versuch seinen offenbar verlorenen Führerschein zurückzuerhalten), einen Hinweis

18 Das Gespräch wurde im Dezember desselben Jahres aufgezeichnet.

262 

 Analysen III: Streitinteraktionen

darauf, dass er eine Stelle ab dem ersten Januar in Aussicht hat (wobei allerdings die Kohärenz mit seinem ersten Satz nicht klargestellt wird: unmittelbarer Anschluss ohne jegliche Kohärenzmarker) und eine Fokusverschiebung in PF 5 auf seinen persönlichen Gefühlszustand: «aba ich muss • jetz • gestehn eignlich bin sehr deprimiert.» Im letzten Teil seiner Äußerung leitet der Kl also einen Themenwechsel ein. Insbesondere die Formulierung «ich muss gestehn», aber auch die generelle Hervorhebung des folgenden Äußerungsteils durch einen metakommunikativen Kommentar an sich verleihen der Information «bin sehr deprimiert» dabei besonderes Gewicht. Da zudem keine Darstellung des Grundes für seinen deprimierten Zustand erfolgt, ist davon auszugehen, dass der Kl im Weiteren über dieses Thema sprechen möchte und möglicherweise eine Rückfrage der Sb oder eine andere Interesse signalisierende Reaktion erwartet. Die Sb hinterfragt allerdings in einem unmittelbaren Anschluss (so dass dem Kl also auch keine Gelegenheit bleibt, in einem Folgeturn das Thema Depression weiter auszuführen) die Äußerung des Kl, er habe ab dem 01.01. eine «Arbeit in Aussicht» (PF 6). Auffällig ist daran, dass nur ein Teil der Klientenäußerung in dieser Inferenzüberprüfung aufgegriffen wird – und zwar nicht der Teil der Äußerung, in dem der Kl ein neues Thema eingeleitet hat. Damit nimmt die Sb also eine klare Themenselektion vor. Schmitt (2002, 120) spricht in einem ähnlichen Kontext von einer Themensteuerung durch «Aspektualisierung». Auf diese Weise lenkt die Sb das Gespräch wieder auf die von ihr für relevant gehaltene Thematik zurück und behandelt den vom Kl beabsichtigen Themenwechsel als irrelevant und insofern unkooperativ (Verletzung der Grice-Maximen der Relevanz und der Quantität). Hier zeigt sich sehr deutlich ein Kooperationsproblem, also unterschiedliche Kooperationserwartungen der Gesprächspartner: Die Sb hat offenbar, wie Selting (1987, 243) formuliert, «behördliche» Kooperationserwartungen. Sie erwartet Kooperation vom Kl in der Form, dass er die für ihr Gesprächsanliegen (Klärung seiner momentanen Arbeitsmöglichkeiten) relevanten und von ihr abgefragten Informationen beiträgt – und nur diese.19 Der Kl dagegen möchte offenbar auch persönliche Sorgen thematisieren (die aber auch mit den Möglichkeiten seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt zusammenhängen können) und stellt, wie Selting (ebd.) schreibt, «an alltäglicher Kommunika-

19 Dies ähnelt den bereits besprochenen Problemen im Zusammenhang mit dem Schema «Datenabfrage», wobei ebenfalls Klienten aus Sicht der Behördenmitarbeiter irrelevante Informationen übermitteln, was zum Teil Zurechtweisungen durch die Sachbearbeiter zur Folge hat. Rehbein (1994) beobachtet im Übrigen in ähnlicher Weise in interkulturellen Arzt-Patienten-Gesprächen, dass Beschwerdeschilderungen von Patienten, die nicht in die vom Arzt durchgeführte Musterposition passen oder aus Sicht des Arztes zu ausführlich sind, ignoriert, als peripher behandelt oder bagatellisiert werden.

Analyse Streitgespräch 1 

 263

tion orientierte Kooperationserwartungen» an die Sb: Verständnis oder Eingehen auf seine Sorgen. In diesem Moment dürften also beide Gesprächspartner dem jeweils anderen Unkooperativität zuschreiben. Der Kl bestätigt jedoch die Frage der Sb und markiert ihr Verhalten an dieser Stelle nicht als unkooperativ. Stattdessen akzeptiert er das von ihr initiierte Thema und beharrt nicht auf dem von ihm versuchten Themenwechsel. Für diesen Moment kann die Sb ihre Kooperationserwartungen durchsetzen. Er schränkt allerdings die Aussage, er habe eine Stelle in Aussicht, ein, indem er erklärt, er müsse dafür zunächst seine «Pappe ßurück» erhalten (PF 7). Auf letztere Information reagiert die Sb mit einem impliziten Vorwurf: «Na dis Thema is aba schon n Bisschen älter mit dem Führerschein» (PF 7, 8). Durch die Partikel «na» und das hier als adversative Partikel fungierende «aber» wird Widerspruch oder Distanzierung angekündigt.20 Das Thema «Führerschein» wird als «n Bisschen älter» und damit wiederum als aktuell irrelevant markiert (Themenkontrolle der Sb). Zusätzlich wird Distanz geschaffen durch die Verwendung des standardsprachlichen Ausdrucks Führerschein statt des deutlich umgangssprachlich markierten Pappe, das der Kl verwendet hatte (Divergenz). Dadurch wirkt die Äußerung der Sb «scheltend», was eine asymmetrische Positionierung der Sb zum Kl ausdrückt und auch einen (leichten) face threatening act für den Kl darstellen kann. Auf diesen impliziten Vorwurf reagiert der Kl mit einer Rechtfertigung: «Das hängt von dem Geld ab» (PF 8). Schwitalla (1987, 102) zählt Rechtfertigungen in Anlehnung an Holly (1979) zu den «konfliktmindernden Korrektiven», denen als konfliktsteigernde Reaktionsmöglichkeiten auf Vorwürfe beispielsweise Gegenvorwürfe gegenüber stehen. Anschließend versucht der Kl, sein Image aufzuwerten, indem er betont, er habe sogar «sehr gute Aussichtn», die erwähnte Stelle zu erhalten. Eventuelle Schwierigkeiten – das Fehlen des Führerscheins und zusätzlich eine «Militärgeschischte», die er noch absolvieren muss – spielt er herunter (Modalpartikel «nur»; Adverb «eimfach»): «Ich muss nur in diese Zeit bis dahin eimfach meine Pappe und meine Militärgeschischte noch erledign». Abschwächend wirken zudem die hedges «irgndwie irgndwas» (PF 10, 11). Auf die «guten Aussichten» des Kl geht die Sb allerdings nicht ein. Stattdessen reagiert sie wiederum mit einer Klärungsnachfrage, die sich auf den vom Kl eingeführten thematischen Aspekt «Militärgeschischte» bezieht: «Sie müssn noch Militärdienst leistn?» (PF 11). Auffällig ist daran, dass erneut eine Themensteuerung durch Aspektualisierung

20 Hier zeigt sich eine Ähnlichkeit zu den von Günthner (2000, 109) besprochenen «dissensankündigenden Vorlaufelementen», die Nichtübereinstimmungen häufig einleiten.

264 

 Analysen III: Streitinteraktionen

vorgenommen wird und wiederum sprachliche Divergenz betont wird, indem die Sb statt des vom Kl verwendeten umgangssprachlichen Ausdrucks «Militärgeschischte» den standardsprachlichen Ausdruck «Militärdienst» gebraucht. Auch in diesem Fall akzeptiert der Kl die Themenwahl der Sb, ratifiziert «Ja • leider» (PF 12) und beschreibt anschließend die negativen Folgen, die es für ihn hätte, wenn er den Militärdienst nicht absolvierte: «Ansonstn hab isch keine gültige Pass. Die werdn mein Pa/Pass entziehn dann hab isch voll verlorn» (PF 12). Die schnellen Anschlüsse, das Stocken mit Neuansatz bei «Pa/Pass» und die Selbstparaphrasierung zeigen eine starke emotionale Involvierung, ebenso wie die umgangssprachliche Verstärkungspartikel «voll» in der sehr intensive Probleme bezeichnenden umgangssprachlichen Redewendung «voll verlorn». Deutlich wird, dass das Absolvieren des Militärdienstes dem Kl große Sorgen bereitet. Die Sb geht auf das vom Kl initiierte Thema Passverlängerung ein, wobei sie allerdings den Fokus von der vagen Angabe des Kl «ansonstn» auf das akut für sie relevante «jetzt» lenkt («Was isn jetz mit dem Ausweis?», PF13). Dieser betont erneut und wiederum sehr emotional (Abbrüche, Neuansätze, Selbstparaphrasierungen) seine Sorgen, man werde ihm den Pass entziehen, wenn er den Militärdienst nicht leiste (PF 15–17). Diesmal reagiert die Sb mit einer Einschränkung: «Na wenn Sie einreisn».21 Das kann beschwichtigend gemeint sein, ist aber, was Schank (1987, 37) die unkooperative Strategie «absurdes Argumentieren» nennt, da der Pass abläuft, auch ohne dass der Kl Landesgrenzen überschreitet. Dass der Kl diese Argumentation der Sb selbst auch für unkooperativ (die Relevanz-Maxime verletzend) hält, zeigt er, indem er widerspricht, er müsse den Pass in Deutschland verlängern (PF 17, 18). Im Anschluss spricht er zum dritten Mal seine Sorge an: «aber wenn es Militärdienst nisch». Hier verwendet er im Übrigen zum ersten Mal selbst die standardsprachliche Bezeichnung «Militärdienst». Erneut führt die Sb jedoch eine Aspektualisierung durch, indem sie den Aspekt des Ablaufdatums des Passes fokussiert: «wie lange isn der gültich der Pass?» (PF 19). Wiederum zeigt der Kl allerdings Bereitschaft zur Kooperation, verfolgt das von ihm initiierte Thema zunächst nicht weiter, sondern beantwortet die Frage.

21 Mit «einreisen» ist offenbar Einreisen in die Türkei gemeint. Dass der Pass, über den hier gesprochen wird, offenbar der türkische Pass des Kl ist (und es sich dementsprechend bei dem zu absolvierenden Militärdienst auch um den Militärdienst in der Türkei handelt), wird allerdings erst kurze Zeit später im Gespräch explizit gemacht. Die Gesprächspartner teilen aber offensichtlich beide dieses Wissen.

Analyse Streitgespräch 1 

 265

In ihrer folgenden Äußerung vollzieht die Sb einen Fokussprung und betont, der Aufenthaltstitel sei zumindest unbefristet – was aber, wie der Kl anschließend explizit macht, mit seinem Problem «ja nisch ßu tun» hat (PF 21). Hiermit markiert er die Äußerung der Sb also als unkooperativ, was diese eventuell als face threatening act interpretiert, da sie ihn an dieser Stelle sofort unterbricht und betont «Jaa ich weiß». Verstärkt wird der explizite Hinweis auf ihr Wissen hierbei durch die Betonung des Prädikats und durch die Vokallängung der Bestätigungspartikel «jaa». Die Darstellung ihres Wissens erweitert sie zudem: «Und den Pass müssn Se in der Türkei machen beziehungsweise inner Botschaft» (PF 21, 22), was der Kl durch eine Rephrasierung der Partner-Äußerung ratifiziert: «Bei der Botschaft» (PF 22). In PF 22 bis 25 fokussiert er jedoch, bereits zum vierten Mal, seine Sorgen – weiterhin sehr ausführlich und hochemotional, was die Steigerung «heimatlos • Asylant • illegal» (PF 25) anzeigt. Die viermalige Wiederaufnahme und starke Emotionalität der Beschreibung seiner Sorgen, was geschieht, wenn er den Militärdienst nicht absolviert, macht überaus deutlich, dass es offenbar ein – allerdings nicht benanntes – Hindernis gibt, diesen Militärdienst abzuleisten. Hierauf geht die Sb allerdings mit keinem Wort ein. Sie verhält sich also weiterhin den «an alltäglicher Kommunikation orientierten Kooperationserwartungen» (Selting 1987, 143) des Kl entsprechend unkooperativ. Stattdessen blockiert sie jegliche weitere Ausführungen dieser Sorgen durch den Kl mit der themenabschließenden Formulierung «So isses» und dem Handlungsvorschlag «Dann machen Se doch Ihrn Militärdienst» (PF 25). Insbesondere durch die klare Themenbeendigung und durch die Modalpartikeln «dann» und «doch» im Handlungsvorschlag wird hier das Verhalten des Kl als unkooperativ und seine Äußerungen als für den Gesprächskontext (aus Behördensicht) irrelevant markiert. Erneut wird also ein klares Kooperationsproblem erkennbar. Auffällig ist, dass die Sb an dieser Stelle versucht, ihre eigenen («behördlichen», Selting 1987, 243) Kooperationserwartungen durchzusetzen durch Themensteuerung (bzw. – beendigung) und den Vorschlag einer Handlung, der zwar nicht unbedingt einen direktiven Gesprächszug (cf. Linell/Luckmann 1991, 9) darstellt, aber doch die Reaktionsmöglichkeiten des Kl einschränkt und forcierenden Charakter trägt, u. a. da hier die Lösbarkeit des Vorschlags (durch die Verwendung der Modalpartikel «doch») klar unterstellt wird (cf. Kallmeyer/Schmitt 1996, 51). Erwartbare Reaktionen auf einen solchen Vorschlag wären Annahme oder (begründete oder unbegründete) Ablehnung. Die Reaktion des Kl dagegen fällt anders aus und lässt sich als demonstrativ unkooperativ auffassen. Er stellt eine rhetorische Frage, die, was aus dem Kontext klar ist, nur mit nein beantwortet werden kann: «Ja ham Sie sechstausnd Euro für mich?» (PF 26). Diese Reaktion des Kl ist nicht nur kaum responsiv, sondern

266 

 Analysen III: Streitinteraktionen

stellt auch absurdes Argumentieren dar. Seine Äußerung ist für die Sb vermutlich pragmatisch kaum klar, da etwaige Kosten (von 6000 Euro) im Zusammenhang mit der Absolvierung des Militärdienstes zuvor nicht angesprochen wurden. Die Äußerung erfolgt unvermittelt und ohne klare Heraustellung der Kohärenz. Es kann angenommen werden, dass der Kl damit die vorherigen Äußerungen der Sb als unkooperativ markiert und seine Reaktion eine «demonstrative Verweigerung» von Kooperativität als «Reaktion auf vorgängige Regelverstöße» (Kallmeyer 1979, 72s.) darstellt. Deutlich stellt er damit heraus, dass er die Aufforderung der Sb für widersinnig hält und sie seiner Ansicht nach nicht einmal explizit ablehnen muss. Ein solcher mit der direkten Anrede «Sie» an die Sb gerichteter sowie durch aggressives Gestikulieren unterstrichener impliziter Vorwurf kann als eindeutiger Angriff auf das Image der Sb gesehen werden. Zudem stellt die rhetorische Frage einen direktiven Gesprächszug dar, durch den die Sb in ihren Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist und unter Rechtfertigungsdruck steht. Auch durch die direkte Adressierung wirkt die Äußerung forcierend (cf. Kallmeyer/Schmitt 1996, 50). Hier versucht der Kl anscheinend, Macht in der Interaktion zu erlangen. An dieser Stelle wird deutlich, dass der bislang lediglich von unterschiedlichen Kooperationserwartungen geprägte Austausch zwischen den Interaktanten in einen Streit umschlägt, gekennzeichnet durch beidseitige (z. T. demonstrative) Unkooperativität, Angriffe auf das Partner-Image und Bestrebungen, in der Interaktion Macht über den anderen zu gewinnen. Die Sb rechtfertigt sich nun allerdings nicht, sondern verhält sich, als nehme sie die Frage des Kl durchaus ernst, und reagiert mit einer knappen, umgangssprachlich markierten Verneinung (was Desinteresse signalisieren kann): «Nö» (PF 26). Daraufhin unterstreicht der Kl nochmals die von ihm empfundene Absurdität der Handlungsaufforderung der Sb («Also!»), was erneut ihr Image verletzt. Hier wird die Sichtweise des Kl gegenüber der der Sb dominant gesetzt.22 In der Folge bricht diese das aktuelle Thema (Militärdienst) vollständig ab. Sie greift die Äußerungsstruktur der Frage des Kl zwar auf («Aber ich hab»), führt aber gleichzeitig einen ganz neuen Aspekt ein: «Aber ich hab n Träger zu dem ich Sie jetz zuweise» (PF 26, 27) – womit sie eine klare Blockade jeglicher weiterer Argumentation vornimmt.23 Die Handlung des Zuweisens stellt nicht nur eine äußerst direktive Handlung dar, sondern sogar die offene Thematisierung (und Umsetzung) institutionali-

22 Die Perspektivierungsstruktur Fremdperspektive ablehnen, Eigenperspektive relevant setzen entspricht typisch dem Kernschema «Eigenperspektive dominant setzen» (cf. Keim 1999, 123). 23 S. zu solchen in streitintensiven Sequenzen häufig vorkommenden Blockaden auch Spiegel (1995, 182ss.).

Analyse Streitgespräch 1 

 267

sierter Macht («institutionalized power», Mehan 1990, 160). Der Sb stehen aufgrund ihrer Position in der Institution Jobcenter andere Handlungsmöglichkeiten offen als dem Kl – was sie an dieser Stelle explizit macht, womit sie zugleich die Argumentation des Kl unterbindet und ihre eigenen Ziele im Konflikt verstärkt durchsetzt. Es handelt sich hierbei um eine sprachliche Handlung, die dem entspricht, was Habermas (1990, nach Harris 1995, 122) «institutionally bound speech acts» nennt. Bezüglich einer Zuweisung ist zudem zweierlei festzuhalten: Zum einen wird hier in der ersten Person Singular ein transitives Verb gebraucht (ich weise Sie zu). Es wird also lediglich die Handlung der Sb fokussiert, der Kl befindet sich dagegen in der Position eines nicht selbständig handlungsfähigen «Objektes». Damit wird das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Interaktanten klar herausgestellt – ganz anders als bspw. bei einem Angebot oder sogar einer Aufforderung. Zum anderen gehört zuweisen zu den deklarativen Sprechakten (cf. Searle 1971). Die Zuweisung ist vollzogen in dem Moment, in dem sie ausgesprochen wird. Hier wird Macht also nicht nur thematisiert, sondern auch angewandt. Dem Kl bleiben dementsprechend tatsächlich keine weiteren Handlungsmöglichkeiten. Die Äußerung der Sb lässt sich auffassen als Versuch, a) ihr Image zu reparieren als diejenige, die in der Lage (und in der institutionellen Position) ist, Handlungsaufforderungen oder –festlegungen vorzunehmen (und nicht nur Widersinniges von sich gibt) und b) den sich hier erstmals offen manifestierenden Streit sofort zu beenden durch den Einsatz institutionalisierter Macht. Für den Moment scheint das im Übrigen zu gelingen. Der Streit bricht erst etwas später im Gespräch wieder auf. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass diese erste Phase des Gesprächs erst zum Ende hin eine Streiteröffnung enthält. Insgesamt ist sie bis kurz vor ihrem Ende aber von relativer Kooperativität gekennzeichnet. Schank (1987, 70ss.) führt, wie in Kapitel 3.5.2 dargestellt, vier Dimensionen (un-) kooperativen Handelns an: (un-/kooperative) Gesprächsorganisation, (Verletzung der) Grice-Maximen (Quantität, Qualität, Relevanz, Art und Weise), (gestörte) Responsivität,24 (gestörte) Argumentation. Hinsichtlich der Gesprächsorganisation scheinen die Interaktanten das Verhalten ihres Gegenübers als kooperativ aufzufassen (glatte Sprecherwechsel, gegenseitige Ratifizierungen, Back-channeling etc.). Als (vom Gesprächspartner) unkooperativ markiertes Verhalten zeigt sich jedoch hinsichtlich der Responsivität der Redebeiträge und der

24 Schank (1987, 35) fasst Responsivität folgendermaßen: «Responsiv am Gespräch teilnehmen heißt im allgemeinen, auf der Thema-, Beziehungs- oder Handlungsebene auf den Vorgängerbeitrag angemessen und erwartbar einzugehen.»

268 

 Analysen III: Streitinteraktionen

teils verletzten Maxime der Relevanz sowie gegen Ende der Phase auch in gestörter («absurder», Schank 1987, 37) Argumentation. Unkooperatives Verhalten scheint dabei jedoch bis kurz vor Ende der Phase nicht explizit (also nicht als «demonstrative Verweigerung» von Kooperation; Kallmeyer 1979, 72s.) zu geschehen und dürfte auf ein Kooperations(erwartungs)problem (cf. Selting 1987) zurückgehen. Auch offene Angriffe auf das Partner-Image sind erst kurz vor Ende der Phase zu beobachten, hauptsächlich von Seiten des Kl. Allerdings können auch die Themenzurückweisungen und impliziten Vorwürfe duch die Sb als face threatening acts aufgefasst werden. Zudem zeigt sich im Überblick über diese Gesprächsphase, dass die Sb fast ausnahmslos Fragen stellt und zwei Einschränkungen der Äußerungen des Kl vorbringt – während der Kl die gesamte Zeit über darauf reagiert. Es ist eine klare interaktive Dominanz der Sb (cf. Linell/Luckmann 1991, 9) zu beobachten. Dieses Verhalten dürfte dem Anliegen der Sb entsprechen, sich zu Beginn des Gesprächs einen Überblick über die aktuellen Arbeitsmöglichkeiten des Kl zu verschaffen. Raum für eigene Fragen wird ihm kaum gelassen. Zudem führt die Sb mehrfach eine Themenselektion durch (Aspektualisierung). Hier zeigt sich also auch semantische Dominanz (cf. ebd.). Damit setzt sie ihr Gesprächsanliegen (Klärung der Arbeitsmöglichkeiten des Kl) dem Anliegen des Kl gegenüber (Thematisierung seiner Sorgen) durch. Auffällig ist nun, dass der «Auslöser» dafür, dass das Gespräch in PF 25 erstmals in einen Streit umschlägt, eine Äußerung der Sb ist, die a) vom Kl offenbar als (stark) unkooperativ aufgefasst wird und b) die erste deutliche Aktualisierung von Macht in diesem Gespräch darstellt (Blockade weiterer Argumentation, Handlungsvorschlag, der die Sorgen des Kl als irrelevant darstellt). Das führt offenbar dazu, dass der Kl sich erstmals demonstrativ unkooperativ verhält und selbst forcierender agiert (Rechtfertigungsdruck)25 – was die Sb wiederum mit expliziter Thematisierung und Realisierung institutionalisierter Macht beantwortet.

25 Hierin zeigt sich sehr deutlich die Zweiseitigkeit eines Konflikts oder Streits (cf. Schwitalla 1987). Erst aufgrund der ebenfalls unkooperativen und Machtansprüche demonstrierenden Reaktion des Kl lässt sich von einem Streit ausgehen. Einseitig unkooperatives, Macht ausübendes Verhallten nur einer Partei dagegen würde noch keinen Streit darstellen.

Analyse Streitgespräch 1 

 269

8.4.2.2 Phase 2: Handlungsfestlegung vs. vollständige Ablehnung (PF 27–52) [27] Sb [v]

jetz zuweise.

Kl [v]

Ich habe einen Träger der Sie zu/ zu dem ich Sie zuweise Was ham Sie?

[28] Sb [v]

und der Sie in Arbeit vermitteln soll. ((1,5s)) Wenn Sie ab erstn erstn eine

[29] Sb [v]

sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufnehm • • dann sind Sie da raus.

Kl [v]



Isch/ isch muss dis

[30] Sb [v] Kl [v]

Bis zum Januar? Ja isch muss • bis dahin • mein Militärdienst erledign

Also inzwischen •

[31] Sb [v] Kl [v]

Gut. Wenn Sie/wenn Sie zum Militärdienst bis Mai. Bis zum erste willsch meine Pappe ham.

Damit isch meine Arbeit a/a/auf/aufnehm kann

[32] Sb [v]

Wenn Sie zum Militärdienst gehn sagn Sie mir das hier an und dann sind Sie für die

Kl [v]

ja muss/muss ich ja

[33] Sb [v] Kl [v]

Zeitn raus. Genau.

Aba ich bin auch verpflichtet äh • Sie hier zu

mu/muss ik ja sonst bin ik nich versichert

[34] Sb [v] Kl [v]

integrieren und deswegen weis ich Sie jetz zu nen Träger zu.

((1s)) Und wat soll

[35] Sb [v] Kl [v]

Nee. • • Ja dis wieda bitteschön sein? Wieda so ne Bewerbungding?

Ja.

270 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[36] Sb [v]

der macht auch Bewerbung mit Ihnen aber der hat

Kl [v]

Wissen Se isch hab isch hab zwei Mal so ne

[37] Sb [v] Kl [v]

nein dis is kein Berwerbungdinger gemacht un das hat

Herr XY das das/ das hat nichts gebracht. Das hat wirklich

[38] Sb [v]

is/ Hörn Se ma zu!

Kl [v]

nichts gebracht.

Ja ich merke dass Sie aufgeregt sind. Es nutzt aba Ich bin total aufgeregt. (dis is für misch)

[39] Sb [v] Kl [v]

mal nichts. Ich muss Sie/ Ja ich muss Sie aba vermitteln. Gut ich bin hierher

gekommn

Isch möchte nisch therapiert

[40] Sb [v] Kl [v]

Sie werdn nich therapiert. werdn. Isch möchte keine Therapie habm. ((1s)) Wenn Sie könn gebm Se m/ma eine abschl

[41] Kl [v]

Arbeit • legal • dann geh isch wie ein normales Mensch zu arbeitn aba bitte

[42] Kl [v]

• isch bitte Sie wirklich darum • isch möchte wirklich nischt therapiert werdn. Das is mehr als zeig Therapie

[43] Kl [v]

seh ik nisch. Sie habn mich imma hingeschä/geschickt. Schreiben Sie ma • Bewarbung, schreiben Sie mal

[44] Kl [v]

Bewarbung Bewarbung hin Bewarbung her. Die Leute zahln Se 5000 was weiß ich wieviel tausnd für paar Wochn.

[45] Sb [v] Kl [v]

Gut. Dann geben Sie mir eine Bewerbungsmappe und ich geb die dem Also isch bitte Sie

Analyse Streitgespräch 1 

 271

[46] Sb [v]

Arbeitgeberservice. Die ham die Kontakte zu den Arbeitgebern. Aba ich muss Sie •

[47] Sb [v]

vermitteln • und ich • das is kein Bewerbungstraining.

Kl [v]

Sie könn mich ja

gerne vermitteln.

[48] Sb [v] Kl [v]

Herr XY hörn Se mir jetz ma zu? Sie kriegn jetz von mir ne Zuweisung zu Ham Se Arbeit für mich?

[49] Sb [v]

eim Träger der Sie in Arbeit vermitteln soll. Der hat Kontakte zu Arbeitgebern und der

[50] Sb [v] Kl [v]

übernimmt genau die Vermittlung. Okeh, ich werd diese Leue ma anrufen • ich

[51] Kl [v]

werd ma hörn ob sie für misch eine Arbeit habn

[52] Sb [v] Kl [v]

Ja darum gehts ja auch Aba die solltn/

die solltn mir bitte nisch sagen dass isch ma/ma hinsetzen

Phase 1 endete, wie erläutert, mit einem Versuch der Sb, eine weitere Behandlung des Themas Militärdienst abzublocken durch die explizite Aktualisierung institutionalisierter Macht (cf. Mehan 1990) in Form einer Zuweisung des Kl zu einer Trägergesellschaft. Hierauf reagiert der Kl allerdings zunächst noch nicht unkooperativ mit einer zur Wiederholung auffordernden Frage: «Was ham Sie?» (PF 27). Unklar bleibt, ob diese aus Ungläubigkeit oder aufgrund eines tatsächlichen, bspw. akustischen, Verstehensproblems geäußert wird. Die fast wörtliche Rephrasierung der Sb: «Ich habe einen Träger der Sie zu/zu dem ich Sie jetz zuweise» wird etwas abgemildert durch die angefügte Erläuterung der Funktion des Trägers: «der Sie in Arbeit vermitteln soll» (PF 28). Weiterhin handelt es sich um eine stark einseitige Handlung, die ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Gesprächspartnern deutlich macht, jedoch eines, das einen positi-

272 

 Analysen III: Streitinteraktionen

ven Effekt für den Kl mit sich bringt. Ebenfalls abschwächend wirkt eine Einschränkung der zeitlichen Gültigkeit der Zuweisung: «Wenn Sie ab erstn erstn eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufnehm • • dann sind Sie da raus» (PF 28,29). Noch einmal thematisiert der Kl seine bereits mehrfach geäußerten Sorgen: Militärdienst und Führerschein. Die Sb unterbricht ihn jedoch mit «Gut» und fokussiert erneut nur einen Aspekt seiner Äußerung, der für ihr weiteres Vorgehen relevant ist: «Wenn Sie zum Militärdienst gehn sagn Sie mir das hier an» (PF 31, 32). Anschließend lenkt sie auf die Aktivität der Zuweisung zurück – hebt jedoch nun auch ihre eigene eingeschränkte Handlungsmöglichkeit (Verpflichtung) hervor: «Aba ich bin auch verpflichtet äh • Sie hier zu integrieren und deswegn weis ich Sie jetz zu nen Träger zu» (PF 33, 34). Die Betonung eigener eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten (die als Begründung für die Zuweisung angegeben werden: «deswegn») kann als Entschuldigung und damit auch als konfliktreduzierendes Mittel angesehen werden (cf. Schwitalla 1987, 103). Allerdings gebraucht die Sb auch in dieser Äußerung ein transitives Verb (jemanden integrieren), fokussiert also ausschließlich ihre eigene Handlung und stellt den Kl damit in eine passive Position. Zudem kann der Hinweis auf die Handlungsverpflichtung der Sb auch den Eindruck hervorrufen, sie weise den Kl nur deshalb einer Trägergesellschaft zu, um überhaupt irgendetwas tun zu können, und nicht, weil diese Handlung dem Kl tatsächlich hilft. Trotz des eventuellen Deeskalationsversuchs der Sb scheint die Zuweisung selbst – wenn auch verzögert, da diese Aktivität bereits mehrfach in PF 26–28 angesprochen wurde – eher als Auslöser für ein erneutes Aufkommen des Streits zu wirken. An dieser Stelle reagiert der Kl wieder in einer Form, die von der Sb als deutlich unkooperativer aufgefasst werden kann, sowie mit einem Versuch, Macht in der Interaktion zu gewinnen: mit zwei schnell aneinander anschließenden Fragen, die weniger inhaltliches Klärungsbedürfnis als vielmehr starken Widerspruch ausdrücken und die Sb in eine Rechtfertigungsposition bringen: «Und wat soll dis wieda bitteschön sein? Wieda so ne Bewerbungding?» (PF 34, 35). Der Widerspruch wird insbesondere ausgedrückt durch «bitteschön». Zudem zeigt die zweimalige Betonung von «wieder» an, dass der Kl in der Vergangenheit offenbar bereits an ähnlichen Maßnahmen teilgenommen hat. Die folgende Rechtfertigung der Sb, die (etwas widersprüchlich) mit einer Nein-ja auch-aber-Struktur reagiert («Nee • • Ja der macht auch Bewerbung mit Ihnen aba der hat/», PF 36, 37), wird vom Kl sehr schnell unterbrochen mit einer Betonung, er habe bereits «zwei Mal» etwas ähnliches versucht und das habe ihm, wie er zur Verstärkung auch noch einmal wiederholt, «wirklich nichts gebracht» (PF 37, 38). Diese Äußerung des Kl ist hochemotional: Stocken, Neuansätze, Wiederholung der zentralen Aussage, Steigerungspartikel.

Analyse Streitgespräch 1 

 273

Einen Versuch der Sb, den Turn wieder zu erlangen und ihre Ausführung zu Ende zu bringen, lässt der Kl nicht zu, was als «forcierender Umgang mit der Rederechtverteilung» (Kallmeyer/ Schmitt 1996, 47) angesehen werden kann. Er gibt das Rederecht erst ab, als die Sb ihn mit einem (stark betonten) metakommunikativen Kommentar direkt namentlich anspricht und explizit auffordert «Herr XY das is/Hörn Se ma zu!» (PF 38). Hier lässt sich, wie häufig in Streitgesprächen (cf. Spiegel 1995), ein regelrechter Kampf um das Rederecht beobachten. Die Aufforderung zuzuhören, die aufgrund der namentlichen Adressierung ebenfalls forcierend wirkt, da hiermit die Handlungsverpflichtung für den Adressaten herausgestellt wird (cf. Kallmeyer/Schmitt 1996, 50), stellt zudem einen «account» für die Einschätzung des Verhaltens des Gesprächspartners als unkooperativ dar. Dass der Kl daraufhin explizit seine Betroffenheit thematisiert («Ich bin total aufgeregt», PF 38) kann als Entschuldigung für sein Verhalten (Verletzung der Sprecherwechselregeln) und damit als konfliktreduzierendes Mittel aufgefasst werden (cf. Schwitalla 1987, 103). Die Sb geht darauf ein und zeigt Verständnis. Die konfliktreduzierende Wirkung wird jedoch unmittelbar darauf aufgehoben durch das Abblocken weiterer Argumentationsversuche (cf. Schank 1987, 38): «Es nutzt aba mal nichts» (PF 38, 39). Einen erneuten Versuch des Kl, das Rederecht zu erlangen, lässt die Sb nicht (sofort) zu, stattdessen verweist sie zum zweiten Mal auf ihre eigene eingeschränkte Handlungsfreiheit («Ich muss Sie aba vermitteln», PF 39). Mit beiden Äußerungen («Es nutzt aba mal nichts» und «Ich muss...») wird auf (vorgebliche) «Sachzwänge» verwiesen. Der Kl deutet ihre Äußerung allerdings negativ um: «Isch möchte nisch therapiert werdn», was er durch eine Selbstparaphrase zudem unterstreicht. Die Sb widerspricht, ihr Einwand findet jedoch kein Gehör, da der Kl parallel weiter spricht. In einem langen Turn beharrt er auf seiner negativen Wertung und führt hochemotional aus, dass er die von ihm erwartete Handlung für eine reine Therapiemaßnahme hält, für ein Bewerbungstraining, wie die, an denen er bereits mehrfach teilgenommen hat und die ihm nicht geholfen haben. Die Emotionalität wird deutlich an schnellem Sprechtempo (kaum Pausen), der dreifachen Wiederholung der Bitte, dieses Vorgehen nicht zu wählen («bitte», «isch bitte Sie wirklich», «isch bitte Sie»), an der Steigerungspartikel «wirklich» («isch möchte wirklich nischt therapiert werden») und der mehrfachen Betonung der Begriffe «Therapie/therapieren» und «Bewerbung». Er macht überaus deutlich, dass er arbeiten möchte – «wie ein normales Mensch» (PF 41) – aber nicht an einem Bewerbungstraining teilnehmen. Die Umdeutung der Zuweisung zu einem Träger als Bewerbungstraining und «Therapie» kann als «unzulässig» (Schank 1987, 37) – und damit als «absurdes Argumentieren» (ebd.) – angesehen werden, da die Sb die Aufgaben des Trägers

274 

 Analysen III: Streitinteraktionen

bereits erläutert und weder von einer Therapie noch ausschließlich von einem Bewerbungstraining gesprochen hat. Der Kl widerspricht der Sb also im Grunde gar nicht direkt (bspw. indem er äußert, er wolle nicht zugewiesen werden), sondern redet an ihr «vorbei». An dieser Stelle schließt die Sb die Ausführungen des Kl äußert knapp mit «Gut» ab (PF 45), gibt eine alternative Handlungsaufforderung («Dann geben Sie mir eine Bewerbungsmappe», PF 45) und betont zum dritten Mal ihre eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten: «Aba ich muss Sie vermitteln» (PF 46, 47). Erst im Anschluss daran erklärt sie explizit, es handele sich nicht um ein Bewerbungstraining (worauf sie zuvor mit der erwähnten Nein-ja auch-aber-Struktur reagierte). Auch diese Äußerung bleibt aber ungehört, da der Kl sie an dieser Stelle bereits unterbricht und zumindest prinzipielle Kooperationsbereitschaft zeigt: «Sie könn mich ja gerne vermitteln» (PF 47). Die schnell anschließende, fordernde Frage: «Ham Sie Arbeit für mich?» (PF 48) zeigt allerdings, welche Art von Vermittlung er akzeptieren würde. An dieser Stelle unterbricht die Sb ihn. Mittlerweile agieren beide Interaktanten also auch auf der Ebene der Sprecherwechselorganisation erkennbar unkooperativer. Sie zeigt zudem erneut explizit, dass sie das Verhalten des Kl für unkooperativ hält, indem sie ihn auffordert zuzuhören (PF 48). Besondere Stärke erhält die Aufforderung wieder durch die direkte namentliche Adressierung, das temporale Deiktikon «jetz», die hier verstärkend wirkende Modalpartikel «ma» und die steigende Betonung zum Satzende hin. Mit einem schnellen Anschluss, der dem Kl keine Möglichkeit lässt, ohne eine klare Verletzung der Sprecherwechselregeln wieder das Wort zu ergreifen, formuliert sie abermals: «Sie kriegn jetz von mir ne Zuweisung zu eim Träger» (PF 48, 49) – was wieder die Unidirektionalität der Handlung betont («Sie kriegen») und verdeutlicht, dass eine Zustimmung des Kl nicht erforderlich, ein Widerspruch dementsprechend zwecklos ist. Im Anschluss erläutert sie allerdings noch einmal die Aufgaben des Trägers (Kontakte zu Arbeitgebern, Vermittlung in Arbeit, PF 49, 50). An dieser Stelle scheint die Erläuterung erstmals konfliktreduzierend zu wirken, da der Kl sich nun zumindest prinzipiell kooperationsbereit im Sinne der Sb zeigt. Er willigt ein: «Okeh, ich wird diese Leute ma anrufn» (PF 50) – was von der Sb auch bestätigt wird: «Ja darum gehts ja auch» (PF 52). Hiermit endet die Phase der vollständigen Ablehnung der Zuweisung. Hervorzuheben ist an dieser Stelle zweierlei: Zum einen wird in dieser Phase der Konflikt bezüglich der An- bzw. Absichten der Interaktanten klar erkennbar: Die Sb legt, dem typischen Ablauf der RoutineGespräche am Jobcenter folgend, das weitere Vorgehen fest (Zuweisung) – was der Kl aber vollständig ablehnt.

Analyse Streitgespräch 1 

 275

Zum anderen ist ab dieser Phase das Gespräch stärker von der «Modalität ‹Streit›» (Spiegel 1995, 91) bestimmt. Die Interaktanten markieren ihr Verhalten gegenseitig zunehmend als unkooperativer, was insbesondere Verletzungen der Sprecherwechsel-Regeln (von beiden Interaktanten) und Non-Responsivität der Redebeiträge (v. a. des Kl) betrifft und zumindest von der Sb auch mehrfach explizit gemacht wird (Aufforderungen zuzuhören).26 Auch ihr Verhalten aber lässt sich als unkooperativer auffassen, v. a. dass sie mehrfach weitere Argumentation blockiert (z. B. in PF 38, 39: «Es nutzt aba mal nichts») und damit ihr Handeln als «objektive» Notwendigkeit darstellt. Zugleich zeigen sich in dieser Phase mehrere Aktivitäten der Interaktanten, die als Versuche aufgefasst werden können, Macht über den Gesprächspartner zu erlangen: der «Kampf» um das Rederecht und damit um Dominanz im Gespräch hinsichtlich des «amount of talk» (Linell/Luckmann 1991, 9), weitere Themenselektion durch die Sb sowie besonders die Aktualisierung institutionell «verankerter» Macht durch die (unidirektionale) Handlung einer Zuweisung. In Reaktion darauf vollzieht auch der Kl einige direktive Gesprächszüge (cf. ebd.), vornehmlich vorwurfshafte Fragen, die Rechtfertigungsdruck auf die Sb ausüben. Offene Image-Verletzungen sind in dieser Phase nicht zu beobachten. Denkbar ist jedoch, dass der Kl sein Image generell durch den Einsatz institutionalisierter Macht durch die Sb gefährdet sieht. Hierauf wird an späterer Stelle noch einmal näher eingegangen. Es lassen sich allerdings in dieser Phase des Gesprächs auch einige Aktivitäten der Interaktanten beobachten, die einer Konfliktreduzierung dienen könnten: auf Seiten des Kl die Entschuldigung oder zumindest Begründung des eigenen Verhaltens; auf Seiten der Sb die Hervorhebung eines positiven Effekts der «Zuweisung» für den Kl und die zweifache Betonung eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten. Zudem ist hervorzuheben, dass die Sb auf die Argumente des Kl (ein Bewerbungstraining helfe ihm nicht) eingeht, indem sie zweimal erläutert, ihm werde kein Bewerbungstraining angeboten, sondern Kontakt zu Arbeitgebern vermittelt. Dass der Kl sich zum Ende der Phase zumindest prinzipiell kooperationsbereit zeigt, mag eine Folge der Kombination einer Aktualisierung von Macht durch die Sb mit dem Vorbringen inhaltlicher Argumente sein.

26 Hier wird offenbar eine grundsätzliche Unterstellung für Kommunikation fallen gelassen, nämlich die, dass einer dem anderen zumindest zuhört.

276 

 Analysen III: Streitinteraktionen

8.4.2.3 Phase 3: Prinzipielle Kooperationsbereitschaft bei gleichzeitig beibehaltener Opposition (PF 52–75) [52] Sb [v] Kl [v]

Ja darum gehts ja auch Aba die solltn/

die solltn mir bitte nisch sagen dass isch ma/ma hinsetzen

[53] Kl [v] Kl [k]

soll

und Bewerbung schreibn soll und zwei mal zwei macht vier klopft auf den Tisch

[54] Sb [v]

Nein das is kein

Kl [v] Kl [k]

• so möschte isch bitte nich haben. Von mir aus Sie können alle klopft auf den Tisch

[55] Sb [v]

Bewerbungstrainig

Kl [v]

Leistungen einstellen. Wirklich. Isch kann nich mehr • • hier, isch kann mir nichmal ne

[56] Sb [v] Kl [v]

Herr XY Sie Jacke kaufen • Sehen Sie? Wat wolln die davon diese Leute von mir?

[57] Sb [v] Kl [v]

kriegen ne Leistung und Sie sind hier verpflichtet mitzuwirken. Ich will mit • ich werd

[58] Kl [v]

• isch such eine Arbeit isch kann mit die scheiß 300 Euro nisch leben davon muss isch

[59] Kl [v]

auch/ auch noch Strom zahln • • und dam/ kann sowieso nich leben • wenn isch drei

[60] Kl [v] Kl [k]

Tage mm su Hause Brot habe die restlichen Tage habe isch kein Brot zu Hause. Haut

Analyse Streitgespräch 1 

 277

[61] Sb [v]

Können Sie sich jetzt n bisschen beruhign bitte? • •

Kl [v] Kl [k]

Is mit der Faust auf den Tisch

[62] Kl [v]

immer gleiches Spiel, deswegn reg ich mich auf jetz.Ist das immer gleiches Spiel. • • •

[63] Sb [v] Kl [v]

Ja!

Darf

Wenn die Leute Arbeit habn gerne • gerne. Isch/ Isch verweigere keine Arbeit. Aber

[64] Sb [v]

ich/

Kl [v]

ich verweigere einfach ich will diese Bewerbunggeschichte nicht. Ich war in der

[65] Kl [v]

Schule isch habs gelernt das und diese. Isch weiß dass ich auf diese • private

[66] Sb [v] Kl [v]

Dis is/ Dinger • diese • für swei Wochen hier 4000 Euro gezahlt habe oda zahle (Wat weiß ich). Laut

Kl [k]

[67] Sb [v]

Schreien Sie/

Kl [v]

Weiß ich nisch warum bin isch dann zur Schule gegangn? Warum hat/hatt ich dann so

Kl [k]

sehr laut

[68] Sb [v] Kl [v]

Herr XY Sie hören mir nicht zu. Es ist kein Bewerbungstraining. • ne Schulpflicht?

[69] Sb [v]

Dass Sie mit Ihnen die Bewerbungsunterlagen auch auf Vordermann bringn is eine

278 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[70] Sb [v]

Sache aba es geht darum dass sie Kontakt zu Arbeitgebern habn und Sie vermitteln

[71] Sb [v]

solln. • Verstehn Sie?

Kl [v]

Ja geb/gebn Sie ma die Adresse isch werd morgn ma die Leute

[72] Sb [v] Kl [v]

Des is aba auch • verbindlich anrufen frag isch ma ob/ob sie für misch Arbeit habn.

[73] Sb [v] Kl [v]

was ich Ihnen dazu mitgebe. Aba wenn ich sachs ma gleich diese Dame is auch hier

[74] Kl [v]

Zeuge • wenn Se sagen, ich soll mich ma hinsetzen Bewerbung schreibn dann schmeiß

[75] Kl [v]

ich die Papier einfach in das Gesicht zu die Leute • und dreh isch mich um geh ich

Die prinzipielle Zustimmung, im Sinne der Sb zu kooperieren und sich an den Träger zu wenden, schränkt der Kl unmittelbar zu Beginn der dritten Phase wieder ein. Er erhält damit die Opposition weiterhin aufrecht. Die Sb unterbrechend wiederholt er in einem langen (durch Klopfen auf den Tisch unterstrichenen) Turn ausführlich, er sei nicht zu einem Bewerbungstraining bereit. Dass er dies für eine seiner Intelligenz unwürdige Maßnahme hält, verdeutlicht er, indem er der Aktivität «Bewerbung schreibn» den (nicht als solcher explizit gemachten) Analogieschluss «und zwei mal zwei macht vier» anfügt (PF 53). Trotz eines versuchten erneuten Einwands der Sb gibt er das Rederecht nicht ab, sondern erklärt jegliche zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht angesprochenen Sanktionsmöglichkeiten von vornherein für unwirksam: «Von mir aus Sie können alle Leistungen einstellen» (PF 54, 55). Er zeigt sich also zwar prinzipiell kooperationsbereit, kündigt aber künftige Unkooperativität an (falls er ein Bewerbungstraining absolvieren soll) und greift einem möglichen Machteinsatz der Sb vor. Zudem initiiert der Kl ein neues Thema. An dem Beispiel, er könne sich «nichmal ne Jacke kaufen» beschreibt er seine missliche finanzielle Situation

Analyse Streitgespräch 1 

 279

und adressiert die Sb direkt: «Sehen Sie?» (PF 56). Das kann die Funktion haben, ihr implizit mangelnde Hilfe bei der Arbeitssuche vorzuwerfen. Gleichzeitig wird damit eine eventuelle Sanktion (Leistungsentzug) nicht mehr als irrelevant für die Kooperationsbereitschaft des Kl, sondern als unmenschlich dargestellt, da sich der Kl bereits mit der Unterstützung durch das Jobcenter in einer schlechten finanziellen Lage befindet. An dieser Stelle greift die Sb, wiederum mit direkter namentlicher Adressierung des Kl, auf institutionalisierte Macht zurück. Explizit weist sie auf das Abhängigkeitsverhältnis des Kl hin: «Herr XY Sie kriegen ne Leistung und Sie sind hier verpflichtet mitzuwirken» (PF 56, 57). Obwohl der Kl hier direkt adressiert wird, wird die Äußerung im (Zustands-) Passiv (ohne Agens) formuliert, was den Hinweis auf das Abhängigkeitsverhältnis noch unterstreicht. Die Sb zeigt hier nicht nur, dass sie das Verhalten des Kl für äußerst unkooperativ hält, sondern verweist nun selbst implizit auf die vom Kl bereits angesprochenen Sanktionsmöglichkeiten, die sich aus seiner Kooperationsverpflichtung ergeben. Diese explizite Thematisierung des aus ihrer Sicht unkooperativen Verhaltens des Kl zusammen mit dem Hinweis auf seine institutionell verankerte Kooperationsverpflichtung, also der Thematisierung institutionalisierter Macht, zeigt Wirkung. Der Kl zeigt sich erneut explizit kooperationsbereit: «ich will mit • ich werd • isch such eine Arbeit» (PF 57, 58). In seiner durch mehrfache Selbstkorrekturen geprägten Äußerung vollzieht er eine Steigerung von der Erklärung vager Zukunftsabsichten (wollen), über konkrete Zukunftsabsichten (werden) hin zu einer aktuellen Handlung (suchen, im Präsens). Er bezieht Kooperationsverpflichtung und -bereitschaft eindeutig auf eine Kooperation bei der Arbeitssuche – nicht aber notwendigerweise bei allen Handlungsvorschlägen der Sb. In einem folgenden langen und wieder durch Schlagen auf den Tisch aggressiv unterstrichenen Turn erhält er den erwähnten impliziten Vorwurf an die Sb aufrecht, indem er weiter seine schlechte finanzielle Situation darstellt: «isch kann mit die scheiß 300 Euro nisch leben» (PF 58). Diese Aussage, die durch die Verwendung eines Vulgarismus bereits hochemotional wirkt, wird gestützt durch ein weiteres Beispiel, das die finanzielle Not (anders als im Beispiel Jacke) auch in elementaren Lebensbereichen zeigt: «Wenn isch drei Tage mm su Hause Brot habe die restlichen Tage habe isch kein Brot zu Hause» (PF 59, 60). Das Streitobjekt hat sich offenbar verschoben. Anstelle der Zuweisung zu einem Träger wird mittlerweile die generelle Hilfe durch das Arbeitsamt thematisiert. Auf dieses Thema und damit auf implizite Vorwürfe an sie selbst lässt die Sb sich allerdings nicht ein. Erneut reagiert sie stattdessen mit einer metakommunikativen Thematisierung des Konflikts selbst bzw. der Modalität der Äußerungen des Kl: «Können Sie sich jetz n bisschen beruhigen bitte?» (PF 61). Durch die

280 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Verwendung von Höflichkeitsmarkern («bitte») und die Abschwächung durch «n bisschen» wirkt diese Aufforderung allerdings deutlich freundlicher als die vorherigen Aufforderungen zuzuhören in PF 38 und 48. Die folgende (reflektierte) Begründung des Kl für sein Verhalten – «Is immer gleiches Spiel, deswegn reg ich mich auf jetz» (PF 61, 62) – lässt sich trotz des darin enthaltenen impliziten Vorwurfs als Renormalisierungsaktivität (cf. Schwitalla 1987, 103) auffassen. Nochmals erklärt er sich zudem prinzipiell kooperationsbereit («Wenn die Leute Arbeit haben gerne • gerne. Isch/Isch verweigere keine Arbeit», PF 63), rephrasiert jedoch wiederum seine Äußerung, er verweigere «diese Bewerbunggeschichte» (PF 64). Seine Aussage bleibt demnach dieselbe: Zu Arbeit ist er bereit, zu einem Bewerbungstraining nicht. Zwei weitere Versuche der Sb, das Rederecht zu erlangen («Darf ich/», PF 64; «Dis is/, PF 66) scheitern. Im Anschluss vollzieht der Kl einen Fokussprung und bringt zwei weitere Argumente ein, die Kosten eines Bewerbungstrainings (Kritik: hinausgeworfenes Geld, 4000 Euro) und die Betonung, er habe schließlich eine Schule besucht, benötige also keine Hilfe beim Schreiben von Bewerbungen. Seine Äußerungen wirken stark fordernd, da er die Sb mit einer Reihe von Fragen adressiert: «warum bin isch dann zur Schule gegangn? Warum hatt/hatt isch dann so ne Schulpflicht?» (PF 68). Dass er dabei sehr laut spricht, kommentiert die Sb metakommunikativ: «Schreien Sie/» (PF 67). Kurz darauf thematisiert sie zudem erneut die von ihr gesehene Unkooperativität des Kl, indem sie ihn wiederum direkt adressiert («Herr XY») und ihm vorwirft: «Sie hören mir nicht zu» (PF 68). Hierbei handelt es sich nun nicht mehr wie zuvor um eine Aufforderung zuzuhören, sondern bereits um eine vorwurfshafte Feststellung (in-situ-Vorwurf im Äußerungsformat eines Aussagesatzes, cf. Günthner 2000, 95ss.). Anschließend hebt sie –zum vierten Mal – explizit hervor, es handele sich nicht um ein Bewerbungstraining. Auch die Sb rephrasiert also immer wieder ihre eigenen Äußerungen. Ihre Ausführung, worin der Sinn ihrer Zuweisung bestehe («Es geht darum dass sie Kontakt zu Arbeitgebern haben und Sie vermitteln solln, PF 70, 71) beendet die Sb mit der Frage «Verstehn Sie?». Da hiermit eine Ratifizierung eingefordert wird, kann der Kl nicht, wie mehrfach zuvor, über ihre Äußerungen hinweg gehen. Der Kl ratifiziert dies zwar und zeigt sich auch erneut kooperationsbereit, indem er erklärt, er werde «morgn ma die Leute anrufn» (PF 71, 72). Gleich darauf schränkt er aber – ebenfalls zum vierten Mal – seine Kooperationsbereitschaft ein, falls ihm ein Bewerbungstraining angeboten werde. Zudem bezieht er (evtl. zur Stärkung seiner Position) nun auch die Aufnahmeleiterin ein: «Diese Dame is auch hier Zeuge» (PF 73,74) und kündigt eine aggressive körperliche Handlung an: «dann schmeiß ich die Papier einfach in das Gesicht zu die Leute» (PF 74, 75).

Analyse Streitgespräch 1 

 281

Zusammenfassend lässt sich in dieser Phase eine Stagnation der Argumentation der beiden Streitpartner feststellen. Beide Gesprächspartner rephrasieren in erster Linie eigene Äußerungen: Der Kl zeigt sich prinzipiell kooperationsbereit, erhält aber konstant die Opposition aufrecht, indem er – insgesamt viermal – betont, wenn ihm ein Bewerbungstraining angeboten würde, werde er die Kooperation verweigern. Die Sb dagegen wiederholt immer wieder (zweimal in dieser und zweimal in der vorherigen Phase), ihm werde kein Bewerbungstraining angeboten. Insbesondere der Kl geht dabei kaum auf die Äußerungen der Sb ein, aber auch diese bietet ihm nicht an, die Kooperation mit der Trägergesellschaft z. B. abzubrechen, sollte ihm dort nur ein Bewerbungstraining angeboten werden. Im Verlauf dieser Phase ist eine weitere Steigerung des Streits festzustellen. Zum einen zeigt sich zunehmend als unkooperativ interpretierbares (und interpretiertes) Verhalten v. a. auf der Ebene der Sprecherwechselorganisation sowie, besonders im Verhalten des Kl, auf der Ebene der gestörten Responsivität. Zum anderen zeigen sich zunehmend Aktivitäten, die sich als Versuche, Macht in der Interaktion zu erlangen, interpretieren lassen: die vorwurfshaften Fragen des Kl an die Sb (Rechtfertigungsdruck) und die vorwegnehmende Entkräftung potentieller Sanktionen sowie auf Seiten der Sb im Gegenzug die erneute offene Thematisierung institutionalisierter Macht (Verweis auf Kooperationsverpflichtung des Kl). Zudem wirken die permanenten Selbstrephrasierungen beider Gesprächspartner stark insistierend. Zum dritten sind nun einige offene Image-Verletzungen auszumachen. Auch lässt sich eine gesteigerte Aggressivität im Verhalten des Kl feststellen (Schläge auf den Tisch, Vulgarismus, Ankündigung einer aggressiven körperlichen Handlung, schnelles und lautes Sprechen, was von der Sb auch mehrfach thematisiert wird).27 Dennoch sind auch in dieser Phase Aktivitäten der Interaktanten zu beobachten, die konfliktreduzierend wirken könnten: z. B. die mehrfache metakommunikative Thematisierung der Streitmodalität durch die Sb oder ihre Versuche, den Kl inhaltlich zu überzeugen, ihm werde kein Bewerbungstraining angeboten sowie auf Seiten des Kl die reflektierende Begründung, weshalb er sich aufregt. Diese Aktivitäten führen jedoch nicht zu einer Konfliktreduzierung, da sie im konstanten Wechsel mit forcierenderen und unkooperativeren Aktivitäten erfolgen.

27 Aggressivität zeigt sich (nicht nur jedoch) insbesondere an non- und paraverbalem Verhalten. Wie bereits bemerkt, konnten aus Gründen der Anonymisierung der Daten keine Videoaufzeichnungen der Gespräche angefertigt werden. Daher können nur akustisch wahrnehmbare nonverbale Handlungen in die Analyse einbezogen werden.

282 

 Analysen III: Streitinteraktionen

8.4.2.4 Phase 4: Weitere Verschärfung des Streits, Einigung durch Zwang (PF 76–108) [76] Sb [v] Kl [v]

Ja gut dann müssen wir prüfen ob ne Sanktion fällich is. Sage ich Ihnen wieda weg.

[77] Sb [v] Kl [v]

gleich wies is.

Habn Sie noch/ Machn Sie!

Das is nich Sinn der Sach/

Ich sage Ihnen gleich: Stellen Sie meine alle

[78] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

Gut, dann schreibn Se Leistungen sofort ab •

Wenn Se möschtn. Klopft auf den Tisch

[79] Sb [v]

mir hier/ unterschreibn Se mir das wir hier Leistungen einstellen solln. Machen Sie ne

[80] Sb [v] Kl [v]

Erklärung dass Sie keine Leistung mehr möchtn. Das/ge/ge/ge/gebn Sie mir mal die Papiere • Isch werd mal mit die Leute redn.

[81] Sb [v] Kl [v]

Es geht nich darum Isch kanns nicht • ich krieg langsam psychisch Probleme • • •

[82] Sb [v]

Sie zu ärgern sondern sie zu unterstützn.

Kl [v]

Aba das is keine Unterstützung mit

[83] Kl [v]

Bewerbung • schreibm undsoweita. Wie viel Wochn? ((1s)) Zwei Wochn

[84] Sb [v] Kl [v]

Nein. wieda und dann • sind Sie zufriedn?

Die sind/ die treffn Ich hab wieda nix.

Analyse Streitgespräch 1 

 283

[85] Sb [v]

Sie ja

Kl [v]

Hauptsache ich äh fall von den Statistiken runter. Hauptsache dass die äh • wat weiß ich • lauter

Kl [k]

[86] Kl [v]

Bundes- • anstalt für Arbeits undsoweita sagn kann so wir ham eine Million Arbeitslose. klatscht in die Hände

Kl [k]

[87] Sb [v] Kl [v]

Nein • nein nein Sie bleibm/ in der Statistik bleibm Sie arbeitslos wenn Wow wir ham wieda wat geschafft.

[88] Sb [v]

Sie da sind. Das is gar nich der Punkt sondern der Punkt is dass die/ die Vermittler/ die

Kl [v]

oke gebm Sie/

gebm

[89] Sb [v] Kl [v]

Ja Sie mir die Papiere.

ich werde die Leute ma anrufn eimfach fragn ob die für misch Arbeit

[90] Sb [v] Kl [v]

Darum gehts. habm.

Okey

das mach isch ja. • • Aber ich sachs ihn ma• ich setz mich nich da hin•

[91] Kl [v]

zwei Wochen lang oder drei Wochen lang oder wieviel Wochen lang schreib ich keine

[92] Sb [v] Kl [v]

Das w/ werden Sie dann mit denen besprechen • Bewerbung mehr • das mach ich nich mehr.

[93] Sb [v] Kl [v]

nicht mit mir Wenn sie aber mit sone Dinga komm • diese Dame is auch hier

284 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[94] Kl [v]

Zeuge.• • Wirklich. • • • Kann ich ihre Name nenn• bitteschön?

K [v]

Das reicht Ja könn Sie machen

an Interviewerin gewandt

Kl [k]

[95] Kl [v]

langsam.

Bitte mir ma hier aufschreibn da.

Bewerbung hin Bewerbung her • ob ich

[96] Sb [v] Kl [v]

Also • hier is die Adresse • • und hier steht auch genau drin was nich schreibn kann oder was weiß ich.

[97] Sb [v]

sie machn • • ja?• wenn Sie sagen Sie brauchn kein Bewerbungstrening dann nehm sie Sie da raus. Die

[98] Sb [v]

machn auch Berwerbungstrening aber die sind nicht vornehmlich an Bewerbungs/ Es geht darum dass die

[99] Sb [v]

Ihn Arbeit vermitteln solln • • • ok?

Kl [v]

Wenn ich da hingehe • • ich werd immer leier/ Leute einfach sagen • ham

[100] Sb [v] Kl [v]

Genau! Als Bauhelfer können sie Se eine Arbeit füar misch. Isch hab bis jetz das und das und das

[101] Sb [v] Kl [v]

ja auch arbeitn. wenn Se

was haben •gerne. Aber wenn se auch darauf bestehn • ich sachs ihnen

[102] Kl [v]

nochmal: ich soll mich mal hinsetzen • hiern Tee machen • was weiß ich was fürn schreibm

[103] Kl [v]

• • zwei Wochen dann haben sie erledigt. Das möschte/ Das möscht isch wirklisch nischt.

Analyse Streitgespräch 1 

 285

[104] Kl [v]

Hinterher könn Sie mir alle meine Leistungen ab/ abstelln dann geh (i)sch dann eimfach

Kl [k]

steht auf und will gehen, lauter

[105] Sb [v] Kl [v]

Eh wir sind noch nich fertich. Sie kriegn hier noch die klaun • we/ wenn Sie nisch ma auf

[106] Sb [v]

Zuweisung. Wartn Se noch n Moment. Das is die Zuweisung die zeign Se beim Träger vor.

[107] Sb [v]

Krieg ich eine Unterschrift hier und eine hier.

Kl [v]

Ja • Sie könn das

Moment ich muss erstma lesn.

[108] Sb [v] Kl [v]

durchlesn.

((2s)) Das is keine private Firma. Das is ein Träger der Wieda so ne private Firma.

Während in Phase 3 mehrfache Versuche der Sb zu beobachten waren, den Kl inhaltlich zu überzeugen (allerdings in Kombination mit impliziter Sanktionsdrohung), scheint sie eine Überzeugung durch Erklärung ab diesem Punkt aufzugeben und eher Zwang einzusetzen. Nun spricht die Sb explizit Sanktionsmöglichkeiten an: «dann müssn wir prüfen ob ne Sanktion fällich is» (PF 76). Dies wird, wie an früherer Stelle im Gespräch bereits, als (vorgeblicher) Sachzwang dargestellt: «Sage ich Ihnen gleich wies is» (PF 76, 77). Hier wird ein klarer Versuch der Sb deutlich, den Streit zu beenden durch die explizite Thematisierung institutionalisierter Macht – als äußerstes Druckmittel, da vorherige inhaltliche Argumentationsversuche scheiterten. Der Kl entkräftet die Sanktionsdrohung jedoch wiederum mit der sehr knappen Aufforderung «Machn Sie!» (PF 77). Nach einem kurzen Ringen der Streitpartner um das Rederecht betont er: «Stellen Sie meine alle Leistungen sofort ab» (PF 77, 78). Hier wird eine von der Sb nicht angesprochene und dementsprechend mit den Worten von Schank (1987, 70s.) «unzulässige» Generalisierung vorgenommen, mit der die Partneräußerung in schlimmstmöglicher Weise negativ interpretiert wird («alle Leistungen», «sofort»). Dies zählt Schank

286 

 Analysen III: Streitinteraktionen

(ebd.) zu den «unkooperativen Strategien». Wiederum unterstreicht der Kl seine Äußerung durch Klopfen auf den Tisch, was den Eindruck von Aggressivität oder zumindest starker Emotionalität verstärkt. Zudem stellt er die Sanktion (statt als Sachzwang) als persönliche Entscheidung (sogar Wunsch) der Sb dar: «Wenn Se möschtn» (PF 78). Wie bereits zuvor wird ein potentieller Einsatz institutionalisierter Macht durch die Sb also vom Kl entkräftet. Die Sb nimmt in der Folge zumindest vordergründig seine Äußerungen – einschließlich der Generalisierung «alle Leistungen» – ernst, fordert ihn auf, ihr schriftlich seinen Verzicht auf weitere Leistungen durch das Jobcenter zu bestätigen, und beginnt somit, ihre institutionalisierte Macht nicht nur als Drohung in der Interaktion zu thematisieren, sondern auch in die Realität umzusetzen: «Gut dannn schreibm Se mir hier/ unterschreibn Se mir das wir hier Leistungen einstellen solln» (PF 78–79). Zur Intensivierung paraphrasiert sie zudem noch einmal: «Mach Sie ne Erklärung dass Sie keine Leistung mehr möchtn» (PF 79, 80). Sehr schnell wird deutlich, dass der Kl seine vorherigen Äußerungen nicht ernst gemeint hat. Der Beginn einer Realisierung institutionalisierter Macht durch die Sb zeigt unmittelbare Wirkung auf die Streitentwicklung. Umgehend signalisiert der Kl wieder größere Kooperationsbereitschaft und formuliert unter fünfmaligem Stocken: «Das/ge/ge/ge/ gebn Sie mir mal die Papiere • Isch wird mal mit die Leute redn» (PF 80). Anschließend betont er erneut seinen emotionalen Zustand (wiederum interpretiertbar als Entschuldigung seines Verhaltens): «Isch kanns nicht • ich krieg langsam psychisch Probleme» (PF 81). Hierauf reagiert auch die Sb wieder in einer als kooperativer interpretierbaren Form und betont, sie handele schließlich im Sinne des Kl: «Es geht nich darum Sie zu ärgern sondern sie zu unterstützn» (PF 82). Diese positive Auslegung des konfliktauslösenden Vorfalls – die im Übrigen einen der wenigen eindeutigen «accounts» in der Interaktion selbst für einen Streit darstellt («ärgern») – lässt sich als Renormalisierungsaktivität ihrerseits auffassen (cf. Schwitalla 1987, 108ss.). An dieser Stelle wäre ein Wendepunkt im Streit hin zu einer Renormalisierungsphase durchaus möglich. Obwohl der Kl sich nun mittlerweile – wenn auch unter Sanktionsdruck – bereit zeigt, die Zuweisung zu akzeptieren, ist er jedoch offenbar noch nicht bereit, den Streit beizulegen. Anstelle dessen greift er die Äußerung der Sb auf, widerspricht jedoch: «Aba das is keine Unterstützung» (PF 82). Zudem stellt er die Zuweisung wieder als persönlichen Wunsch der Sb dar: «und dann • sind Sie zufriedn?» (PF 84). Anschließend vollzieht er einen erneuten Fokussprung und betont, es ginge dem Arbeitsamt generell nicht darum, ihm zu helfen, sondern: «Hauptsache isch äh fall von den Statistiken runter» (PF 85). Damit wird erneut ein starker Vorwurf an das Arbeitsamt (und damit auch an die Sb als dessen Ver-

Analyse Streitgespräch 1 

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treterin) erhoben. Diesen elaboriert er im Anschluss weiter: «Hauptsache dass die äh • wat weiß ich • Bundes • anstalt für Arbeits undsoweita sagn kann so wir ham eine Million Arbeitslose. Wow wir ham wieda wat geschafft» (PF 85–87), wobei er bei «so» in die Hände klatscht. Das Klatschen, ebenso wie die Verwendung direkter Rede, in der er das personalisierte Arbeitsamt sprechen lässt, verstärkt den Vorwurf.28 Mittlerweile wird im Streit die generelle Hilfsbereitschaft des Arbeitsamts thematisiert. Die Sb unterbricht ihn mit der dreifachen Negation «Nein • nein nein» und widerspricht, er bleibe in der Statistik, geht also auf die Argumentation des Kl ein. Im Anschluss erklärt sie sein Argument aber für irrelevant: «Das is gar nich der Punkt, sondern der Punkt is dass» (PF 88). Jedoch wird sie vom Kl unterbrochen, bevor sie diese Erklärung vollenden kann. Dieser bricht also selbst weitere Argumentation ab («Oke»; PF 88) und erklärt, er werde sich an den Träger wenden, rephrasiert aber nun zum sechsten Mal seine kategorische Ablehnung eines Bewerbungstrainings: «das mach ich nich mehr» (PF 91, 92). An dieser Stelle verweist die Sb ihn an die Zuständigen bei der Trägergesellschaft und verweigert explizit eine weitere Diskussion zu diesem Thema: «nicht mit mir» (PF 92, 93). Dennoch rephrasiert der Kl (zum siebten Mal) seine Äußerung, wobei er zur Bekräftigung erneut die Aufnahmeleiterin einbezieht: «Diese Dame is auch hier Zeuge» (PF 93, 94). Anschließend übergibt die Sb ihm ein Dokument mit den Kontaktdaten des Trägers, geht jedoch dabei nun erkennbar auf die Argumente des Kl ein: «wenn Sie sagen Sie brauchn kein Bewerbungstrening dann nehm sie Sie da raus» (PF 97). Wiederum aber vollzieht der Kl dieselben Schritte wie zuvor: Er zeigt sich zuerst prinzipiell kooperationsbereit (was die Sb stark ratifiziert: «Genau!»), lehnt anschließend jedoch zum achten Mal Kooperation ab, wenn er ein Bewerbungstraining absolvieren solle. Wiederum adressiert er die Sb direkt: «wenn Se auch darauf bestehn» (PF 101) und erklärt noch einmal eventuelle Sanktionen für unwirksam: «Hinterher könn Se mir alle meine Leistungen ab/ abstelln» (PF 104). Dabei droht er sogar unter Anfügung einer nicht vollständig formulierten Schuldzuweisung an die Sb: «geh (i)sch dann eimfach klaun • we/wenn Sie nisch ma

28 Es handelt sich hierbei allerdings nicht um eine originalgetreue oder verzerrte Wiedergabe direkter Rede, die bspw. der szenischen Darstellung kommunikativer Ereignisse dienen kann (cf. Günthner 2000, 226ss.), da hier nicht auf ein reales kommunikatives Ereignis Bezug genommen wird. Stattdessen wird hier eine Unterstellung vorgenommen, in der ausschließlich die Perspektive des Sprechers selbst zum Ausdruck gebracht wird.

288 

 Analysen III: Streitinteraktionen

auf/» (PF 104, 105). Damit wird die eventuelle Sanktion durch Leistungsentzug sogar als Grund für eine von ihm angedrohte Straftat dargestellt. Anschließend will der Kl offenbar gehen und damit weitere Kooperation völlig verweigern. In diesem speziellen institutionellen Kontext am Jobcenter, in einem Routine-Gespräch, zu dem der Klient verpflichtet ist, kann ihm das allerdings untersagt werden. Damit unterscheiden sich derartige Gespräche am Jobcenter wesentlich von anderen Gesprächen auf Behörden, da Klienten, die auf eigene Veranlassung mit einem bestimmten Anliegen in ein Behördengespräch gehen, dieses unter Verzicht auf die Klärung ihres Anliegens eigenmächtig abbrechen können. Die Sb unterbricht ihn mit dem Ausruf: «Eh wir sind noch nich fertich» (PF 105). Diese reine Feststellung wirkt befehlsähnlicher als eine Aufforderung zu bleiben, die der Kl auch ablehnen könnte. Dies wird allerdings abgeschwächt durch die angefügte Aufforderung: «Wartn Se noch n Moment» (zeitliche Einschränkung «n Moment», Kl als entscheidungsfähige Person angesprochen). Gefolgt wird dies jedoch durch eine weitere, das Überreichen der Zuweisungsdokumente begleitende, ohne Höflichkeitsmarker formulierte Feststellung: «Krieg ich eine Unterschrift hier und eine hier» (PF 107). Auch dieses Verhalten lässt sich als Form der Aktualisierung von (institutioneller) Macht in der Interaktion auffassen. Der Kl weist dies jedoch, die Sb unterbrechend, zumindest vorerst zurück: «Moment» (PF 107). Die Weigerung, einer Aufforderung (sofort) nachzukommen, wird, wie Goodwin und Goodwin (1990, 94) beschreiben, häufig von Gesprächspartnern in Konflikten eingesetzt «to display their relative power or status vis-àvis each other». Die vom Kl angefügte Begründung («ich muss erstmal lesn», PF 107) schwächt die Weigerung etwas ab, lässt sich aber als «Blockieren der fremdbestimmten Handlungsvorgabe und Übergang zum selbstbestimmten Handeln» (Kallmeyer/Schmitt 1996, 60) ansehen. Die Begründung wird von der Sb explizit akzeptiert: «Ja • Sie könn das durchlesn» (PF 107, 108). Eine solche «offizielle» Bestätigung durch die Sb unterstreicht dabei eine (zumindest von der Sb vertretene) Zustimmungsnotwendigkeit durch diese. Anschließend unterschreibt der Kl offenbar. Hervorzuheben ist an dieser Phase des Gesprächs, dass die Sb ihr Anliegen hier ausschließlich durch die offene Thematisierung und begonnene Realisierung institutionalisierter Macht durchsetzt. Der Kl betont zwar noch weitere vier Male, er weigere sich an einem Bewerbungstraining teilzunehmen, fügt sich aber letztlich. In dieser Phase eskaliert der Streit aber zunächst weiter: Die Interaktanten zeigen beide an, dass sie das Verhalten des anderen als noch unkooperativer als zuvor ansehen, unterbrechen einander immer häufiger und verweigern

Analyse Streitgespräch 1 

 289

z. T. weitere Kommunikation völlig, der Kl «überspitzt» Äußerungen der Sb in «unzulässigen Generalisierungen» (Schank 1987, 70s.). Zudem ist ein regelrechtes Ringen um Macht in der Interaktion zu erkennen: Die Sb aktualisiert v. a. verstärkt institutionell verankerte Macht (explizite Sanktionsdrohung, Umsetzung in die Realität) und formuliert außerdem mehrere Aufforderungen (teils in Form von Feststellungen). Der Kl akzeptiert dieses von der Sb etablierte Machtverhältnis jedoch nicht, entkräftet z. B. die Sanktionsdrohung der Sb zweimal und weigert sich, Aufforderungen (sofort) nachzukommen. In fünf Vorwürfen an das (personalisierte) Arbeitsamt und an die Sb selbst ist auch eine klare Zunahme an (starken) Angriffen auf das Image der Sb zu sehen. Weiterhin ist das Verhalten des Kl von Aggressivität geprägt, was sich v. a. an non- und paraverbalen Handlungen zeigt (Schlagen auf den Tisch; Klatschen, schnelles Tempo, Lautstärke). Verschiedene Aktivitäten der Sb, die konfliktreduzierend wirken könnten, scheitern auch in dieser Phase: Der Versuch, eine gemeinsame Basis zu etablieren (eine Sanktion sei «nich im Sinn der Sach/»; PF 77) wird vom Kl unterbrochen; der expliziten Erklärung der Sb, im Sinne des Kl zu handeln, wird unmittelbar widersprochen; ein letzter Versuch hervorzuheben, man wolle dem Kl kein Bewerbungstraining anbieten, bleibt ungehört, und auf Versicherungen des Hörerverständnisses erfolgt kein Rückmeldeverhalten vom Kl. 8.4.2.5 Phase 5: «Nachverbrennungen» (Spiegel 1995, 117) (PF 108–147) [108] Sb [v]

durchlesn.

Kl [v]

((2s)) Das is keine private Firma. Das is ein Träger der Wieda so ne private Firma.

[109] Sb [v] Kl [v]

• die Vermittlung/ Tr/ Träger

heißt das • gar nisch • GmbH Gesellschaft mit Be/ Beteiligungsverhaftung

[110] Sb reagiert nicht, Tippgeräusche

Sb [k] Kl [v]

bitteschön.

((11s)) Integration. ((78s)) (Ach das wäre vielleischt)

[111] Sb [v] Kl [v]

Herr XY ich versteh spreschn hier wundabar. Schön dass wir irgnwas bespreeschen ((15s))

290 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[112] Sb [v]

ehrlich gesagt Ihr Problem damit gar nich ganz

Kl [v]

Das ist eine Unterstützung • • es geht nich darum

Ich versteh/ ich/ ich

schauen Sie ma

[113] Sb [v]

Sie zu ärgern • • • ja ich schaue mal

Kl [v]

we/ wenn jetz Arbeitsamt • ihre Pflicht nicht tut • Arbeit geben kann • dann• warum schieben sie ihn zu den privaten

[114] Sb [v] Kl [v]

Weil die Vermittlung/ Firm? • • die Leute Warum vermitteln Se Se uns (nich)? Als Arbeitamt • als Amt • warum machn Se n

[115] Sb [v] Kl [v]

Ja da sprechn Sie ma gerne das nicht? Sind Sie hier verflischtet mir diese äh Zettel ßu verteiln oder wie?

[116] Sb [v]

mit unserm Geschäftsführer drüber aba nich mit mir. Die Vermittlung ausge/

Kl [v]

Ich werd morgn mit meim Ab-

[117] Sb [v] Kl [v]

Ja das könn Sie gerne machn. geordnetn ma darüber redn.

Jeder macht sisch hier seine Arbeit

[118] Sb [v] Kl [v]

Herr XY leischter und wir sind dann dabei die Blödn.

Ja • ich Ich bin total aufgeregt bitte.

[119] Sb [v] Kl [v]

merke das schon. Wenn Se an meine Stelle wärn würde wa/ würde wahrscheinlich äh an die

[120] Kl [v]

Decke hochspring • könn Se mir aba glaubm. ((8s))

Analyse Streitgespräch 1 

 291

[121] Sb [v] Kl [v]

((7s)) Nein das nehm sie mit • das zeign se beim Träger vor. Isch hab keine (Lust) mehr.

[122] Sb [v]

((5s)) So und das is die Eingliederungsvereinbarung über die Teilnahme • das kenn Sie

[123] Sb [v]

schon. Eins für Sie und eins für mich.

Kl [v]

Da krieg ich bitte auch ne Unterschrift. Schön

[124] Sb [v] Kl [v]

Jaa lesn Ses sich durch. ((11s)) Stift kratzt auf Papier

Ersma durschlesn.

[125] Sb [v] Kl [v]

mhmm Aba eine Sache möscht isch Ihnen ma noch sagn • als ich letztes Mal hier war •

isch

[126] Sb [v] Kl [v]

Was wollt ma • damals wie isch noch Pappe gehabt habe wollt isch ma Berrskraffahra machn

[127] Sb [v]

ham Sie?

Ja

Kl [v]

Berrufskraftfahrer wollt ich ma machen • • Wir ham dafür kein Geld • • und hinterher

Kl [k]

deutlicher

[128] Kl [v]

nach drei Wochen schicken se mich zu irgendeim Bewerbungskursus dann hab/ erfahr isch

[129] Kl [v]

wat weiß ich zahlt Arbeitsamt für dieses Bewerbung für 4000 Euro • • • hallo• bitteschön?

292 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[130] Kl [v]

We/ wenn Sie ma dis damals investiert hättn hätt ich hier jetz seit zwei drei vier Jahrn

[131] Sb [v] Kl [v]

Sie ham kein Führerschein • hallo? ununterbrochn Arbeit gehabt • so.

Damals hatt ich das. Damals hatt ich

[132] Sb [v] Kl [v]

Sie ham mir schon Anfang des Jahres erzählt dass der Führerschein weg ist. das.

Ja aba dav/ Davor war

[133] Sb [v] Kl [v]

Davor war ich aber nich für Sie zuständich. • Außerdem das.

Isch

isch meine • isch möschte nisch

[134] Kl [v]

verarscht werdn von diesem Land.

((1s)) Und dann hinterher/ • •

[135] Kl [v]

ich hab auch zwei • • Papier mitgebracht. Da/ da ham die garantiert • •

[136] Kl [v]

dass die mich aufnehm. Hundert pro. Ich hatte ne Bestätigung von zwei

[137] Kl [v]

deutschen Firma als Kraftfahrer sogar das Amt hat das nich mal finanziert und nach

[138] Kl [v]

drei Wochen/ genau nach drei Wochen schicken se mich zu irgendwelche Bewerbungs

[139] Kl [v]

so/ ich sitze da• • diese Ang/ sogenannte Akademiker redet mit die Leute• die bring

[140] Kl [v]

mir mein Deutsch bei • angeblisch. Wenn der Akademiker sagt (das s nisch gutt),

Analyse Streitgespräch 1 

 293

[141] Sb [v] Kl [v]

Herr XY ich bin nich dafür da Ihre Aggressionen dann scheiß ich auf Deutsch darauf.

[142] Sb [v]

auszuhaltn • oke? • Das is mir jetz n Bisschen zuviel hier ehrlich gesagt.

Kl [v]

Is oke. Das wars

[143] Sb [v] Kl [v]

Ja ich hätte gern eine Eingliederungsvereinbarung unterschriebm zurück. • • dann? Das wars.

[144] Sb [v]

Gut. Und dann stelln Se sich da vor und ich hoffe dass das für Sie klappt. • Ich versteh schon

[145] Sb [v]

Ihr Problem • glaubm Se mir mal.

Kl [v]

Sie verstehn überhaupt gar nüscht könn Se mir aba glaubm

[146] Sb [v] Kl [v]

Die müssn Se mitnehm. Die müssn Sie mitnehm und da • Sie verstehn überhaupt jar nüscht.

[147] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

vorzeign.

Ja denn Sie verstehn überhaupt jar nüscht.

Tschüss. Sie tun nur so. Kl geht wortlos

Obgleich der Kl mittlerweile die Zuweisung durch die Sb (wenn auch nur unter Sanktionsandrohung) akzeptiert hat, führt er in seinen folgenden Äußerungen mehrere «Nachverbrennungen» (Spiegel 1995, 117) durch: «Korrektiv-Versuche von Image-Verletzungen» (ebd.), die in der Interaktion zuvor entstanden sind und noch nicht repariert werden konnten.29

29 Als «Nachverbrennungen» sollen hier Handlungen aufgefasst werden, die das Partner-Image

294 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Zunächst kommentiert er, noch während er offenbar die Zuweisungsunterlagen unterschreibt: «Wieda so ne private Firma» (PF 108). Dieser Kommentar enthält zwei implizite Vorwürfe an die Sb: Mit «Wieda» wird die Handlung der Sb (Zuweisung) erneut in den Kontext einer Reihe von vorherigen – aus Sicht des weiterhin arbeitslosen Kl unwirksamen – ähnlichen Maßnahmen gestellt. Mit «so ne private Firma» wird erneut der Vorwurf thematisiert, das Arbeitsamt selbst biete keine ausreichende Hilfe, sondern vermittle nur. Die Sb greift den Vorwurf inhaltlich auf und setzt, nach einem zwei Sekunden langen Zögern, was Irritation ausdrücken kann, zu einer Rechtfertigung an: «((2s)) Das is keine private Firma. Das is ein Träger der • die Vermittlung/» (PF 108, 109). Sie wird jedoch sehr schnell vom Kl unterbrochen – und zwar mit einer Korrektur, die sich auf den bereits mehrfach von ihr gebrauchten Fachterminus «Träger» bezieht: «Tr/Träger heißt das • gar nisch» (PF 109). Daran ist mehreres hervorzuheben: Zum einen werden durch die Unterbrechung die Sprecherwechselregeln verletzt, sie kann also als unkooperativ aufgefasst werden. Zum anderen stellt eine Korrektur, die sich auf einen Fachterminus bezieht, eine category bound activity (cf. Sacks 1992) eines fachlichen Experten bzw. einer Person dar, die über mehr fachliches Wissen an diesem Punkt verfügt als die korrigierte Person. Der Kl zweifelt damit nicht nur – was eine deutliche Image-Gefährdung (sowie als Diskreditierung des Gegenübers in Form einer Kritik an seinen Voraussetzungen auch eine forcierende Aktivität, cf. Kallmeyer/Schmitt 1996) darstellt – das Fachwissen der Sb an, sondern betont gleichzeitig sein eigenes Fachwissen. Auch das kann als Versuch gesehen werden, Macht in der Interaktion zu erlangen: Macht über Wissen. Die Korrektur erhält zudem besondere Schärfe durch die Verwendung der verstärkenden Gradpartikel gar. Zum dritten, und das ist ein wesentlicher Aspekt, handelt es sich um eine Korrektur, die nicht dem besseren gegenseitigen Verständnis dient. Der Begriff ist bereits mehrfach gefallen, er wird offensichtlich von beiden Gesprächspartnern in derselben Art und Weise verstanden. Eine Korrektur an dieser Stelle kann also ausschließlich die Funktion haben, das (vermeintlich) mangelnde Fachwissen der Sb zu kritisieren – womit ihre Berechtigung, Handlungsalternativen in diesem Kontext zu formulieren, auf die reine Anstellung in der Behörde reduziert wird – ihr Image zu beschädigen und zugleich eigenes Fachwissen hervorzuheben. Unmittelbar im Anschluss führt der Kl eine offenbar aus seiner Sicht in diesem Kontext korrekte Abkürzung an: «GmbH». Er greift jedoch zu einer falschen Aus-

verletzen und zugleich das eigene Image des Sprechers aufwerten können – die aber nicht mehr der Durchsetzung eigener Ziele, An- oder Absichten in der Interaktion dienen.

Analyse Streitgespräch 1 

 295

formulierung dieser Abkürzung: Gesellschaft mit Be/Beteiligungsverhaftung» (PF 109). Ein angefügtes «bitteschön» (PF 110) wirkt affirmationseinfordernd. Bereits das Stocken bei «Be/Beteiligungsverhaftung» weist allerdings auf eine leichte Unsicherheit seinerseits mit dieser Formulierung hin. Dadurch scheitert der Versuch, eigenes Fachwissen zu betonen, im Umkehrschluss wird die Gefährdung des Images der Sb hinfällig. Das dürfte eine Erklärung dafür sein, weshalb die Sb überhaupt nicht (verbal) auf die Äußerung des Kl reagiert. Eine Minute und 44 Sekunden lang schweigend fährt sie fort, am Computer zu arbeiten. Ein solches langes Schweigen auf eine Image-Verletzung hin lässt sich allerdings ebenfalls als Form der Sanktionierung werten: als Aufkündigung jeglicher Kooperativität. Das Schweigen wird vom Kl auch explizit als unkooperativ thematisiert. Nach einer Minute und 19 Sekunden, einem für ein Face to face-Gespräch außerordentlich langen Schweigen, kritisiert er dieses explizit in ironischer Form: «(Ach das wäre vielleischt) sprechen hier wundabar. Schön dass wir irgnwas bespreechen» (PF 110, 111). Dennoch reagiert die Sb weitere 15 Sekunden lang nicht (verbal). Anschließend thematisiert sie, den Kl wiederum namentlich adressierend, das konfliktauslösende Moment: «Herr XY ich versteh ehrlich gesagt Ihr Problem damit nich ganz» (PF 111, 112). Das kann als Renormalisierungsversuch interpretiert werden, als Versuch, eine gemeinsame Basis herzustellen. Sie spricht unmittelbar weiter (lässt damit allerdings einen Versuch des Kl, sein Problem zu erläutern, «Ich versteh/ ich/ich», nicht zu) und betont noch einmal, ihr Vorgehen sei als Hilfsmaßnahme für den Kl gedacht: «das is eine Unterstützung • • es geht nich darum Sie zu ärgern» (PF 112, 113). Als der Kl versucht, sie zu unterbrechen, indem er sie direkt anspricht («Schaun Sie mal»), reagiert die Sb darauf, indem sie seine Formulierung aufgreift: «Ja ich schaue mal». Diese Formulierung wirkt jedoch weniger kooperativ, als vielmehr ironisch, da aus dem Kontext deutlich ist, dass die Formulierung des Kl («Schaun Sie mal») eher als Einleitungsformel als als Aufforderung, sich tatsächlich etwas anzuschauen, gedacht sein dürfte. Hierin lässt sich ein weiteres «Machtspiel» sehen. Sie überlässt dem Kl jedoch im Anschluss das Rederecht. Dieser ergreift das Wort allerdings nicht für eventuelle Renormalisierungsaktivitäten, sondern formuliert eine Reihe weiterer, äußerst scharfer Vorwürfe an das Arbeitsamt und damit auch an die Sb als dessen Vertreterin: Erneut wirft er dem Amt vor, ihn nicht selbst in Arbeit zu vermitteln (was dessen «Pflicht», PF 113, wäre). Zudem formuliert er weitere, direkt an die Sb gerichtete Vorwürfe im Frageformat (u. a. «Warum-Äußerungen», Günthner 2000): «Warum vermitteln Se Se uns nich?», verstärkend: «warum machen Se n das nich?» (PF 114, 115) und ob sie verpflichtet sei, «Zettel ßu verteiln» (F 115). Die Betonung des Personalpronomens «uns» lässt die Gegenüberstellung der beiden Parteien – Sie (das Amt) und wir (die Arbeitslosen) – besonders deutlich hervortreten. Durch solche

296 

 Analysen III: Streitinteraktionen

klaren Vorwürfe, die zudem in Frageform formuliert sind, wird eindeutig Rechtfertigungsdruck ausgeübt. Die Sb rechtfertigt sich jedoch nicht, sondern verweigert ein Gespräch über die vom Kl vorgebrachten Vorwurfspunkte, indem sie ihn an ihren Vorgesetzten verweist: «da sprechen Se ma gerne mit unserm Geschäftsführer drüber aba nich mit mir» (PF 115, 116). Insbesondere die Betonung «nich mit mir» (was exakt ihrer bereits zuvor gebrauchten Formulierung in PF 92, 93 entspricht) macht ihre Kooperationsverweigerung explizit. Daraufhin thematisiert der Kl anhand einer Drohung explizit Macht: «ich wird morgn mit meim Abgeordnetn ma darüber redn» (PF 116, 117). Die Sb entkräftet die Drohung jedoch auf dieselbe Weise, auf die zuvor der Kl ihre Sanktionsdrohung entkräftete, nämlich indem sie sie explizit akzeptiert: «Ja das könn Sie gerne machen» (PF 117). Gefolgt wird die Drohung des Kl von einem weiteren scharfen Vorwurf an das Arbeitsamt: «Jeder macht sisch hier seine Arbeit leischter und wir sind dann dabei die Blödn» (PF 117, 118). Der Vorwurf, das Arbeitsamt habe kein Interesse zu helfen, wurde bereits mehrfach geäußert. Hier ist er, da er nicht mehr eingesetzt wird, um ein entsprechendes Anliegen in der Interaktion durchzusetzen, als «Nachverbrennung» (Spiegel 1995, 117) aufzufassen. Erneut konstituiert der Kl zwei Gruppen: die Arbeitslosen («wir») und das Arbeitsamt («jeder ... hier»).30 Dass er sich nun bereits mehrfach nicht mehr als einzelner Klient, sondern als Angehöriger einer Gruppe präsentiert, kann dazu dienen, seine Position zu stärken. Im Anschluss wechselt er jedoch von einer eher aggressiven Modalität, in der er die Vorwürfe vorgebracht hat, zu einer explizit mit «bitte» Verständnis erbittenden Thematisierung der eigenen Betroffenheit: «Ich bin total aufgeregt bitte» (PF 118). Zudem versucht der Kl, auf persönlicher Ebene an die Sb – nicht mehr als Vertreterin einer Institution, sondern als Privatperson – zu appellieren, sie möge sich in seine Situation versetzen: «Wenn Sie an meine Stelle wärn würde wa/würde wahrscheinlich äh an die Decke hochspring» (PF 119, 120). Das lässt sich als Renormalisierungsaktivität auffassen, weil er damit zum einen eine Entschuldigung für sein Verhalten andeutet (seinen aufgebrachten Gefühlszustand) und zum anderen eine gemeinsame Basis schafft, indem er Ähnlichkeiten zwischen ihm und der Sb betont. Tatsächlich tritt in der Folge, nach einem erneuten längeren Schweigen, auch eine (kurze) Phase der Einigung ein. Die Sb überreicht dem Kl eine Eingliederungsvereinbarung31, die er mit der Bestätigung «schön» offenbar entge-

30 Zur Konstitution von Gruppen in Gesprächen s. z. B. Kesselheim (2009); Hausendorf (2000). 31 Eine Eingliederungsvereinbarung ist ein Vertrag zwischen Klienten und Behörde, in dem die

Analyse Streitgespräch 1 

 297

gennimmt. Es ist nicht zu erkennen, ob diese Bestätigung ironisch gemeint ist. Mit dem Hinweis «das kenn Sie schon» wird von der Sb zudem an gemeinsame bisherige Erfahrungen erinnert und eine gemeinsame Basis noch einmal betont. Im Anschluss fordert sie den Kl, diesmal unter Verwendung von Höflichkeitsmarkern, auf zu unterschreiben: «Da krieg ich bitte auch ne Unterschrift» (PF 123). Erneut weist der Kl die Aufforderung jedoch mit der Bemerkung «Ersma durschlesn» zurück, was von der Sb akzeptiert wird: «Jaa lesn Ses sich durch» (PF 124). Die Vokallängung bei «jaa» kann jedoch Gereiztheit ausdrücken. Offenbar unterschreibt der Kl anschließend wortlos, da während eines 11 Sekunden langen Schweigens in der Aufnahme das Kratzen eines Stiftes zu hören ist. Dennoch fügt er kurz darauf eine weitere «Nachverbrennung» an. Möglicherweise versucht er auf diese Weise, sein Image, das durch die Fügung in die Zuweisung gefährdet ist, zu reparieren. Mit der adversativen Konjunktion «Aba» und dem metakommunikativen Kommentar «eine Sache möscht isch Ihnen ma noch sagn» leitet er ein offenbar neues Thema ein. Er bringt einen weiteren Vorwurf vor, wodurch trotz der prinzipiellen Einigung über das ursprüngliche Konfliktmoment, die Zuweisung, eine Opposition erhalten bleibt. Narrativ erklärt er, er habe vor einiger Zeit, als er noch einen Führerschein besaß («damals wie ich noch Pappe gehabt habe», PF 126) eine Ausbildung als Berufskraftfahrer absolvieren wollen. Man habe ihm aber mitgeteilt, dafür könne er vom Arbeitsamt kein Geld erhalten. Er greift an dieser Stelle u. U. zur szenischen Darstellung wieder zu einer direkten Rede, in der er das Arbeitsamt sprechen lässt: «Wir ham dafür kein Geld» (PF 127). Anschließend sei er jedoch zu einem, seiner Ansicht nach sehr teuren, Bewerbungstraining geschickt worden: «zahlt Arbeitsamt für dieses Bewerbung für 4000 Euro» (PF 129). Er wirft dem Arbeitsamt also vor, Geld für seiner Ansicht nach unnötige Maßnahmen auszugeben, anstatt ihm eine Ausbildung zu finanzieren. Damit bezieht er sich auf ein längst vergangenes Ereignis, aus dem jedoch aktuell in der Interaktion ein Vorwurf konstruiert wird.32 Dieser wird verstärkt durch die Interjektion «Hallo» und ein affirmationseinforderndes «bitteschön» (PF 129). Mit seiner folgenden Äußerung («Wenn Sie ma dis damals investiert hättn hätt ich hier jetz seit zwei

Pflichten und Leistungen beider Seiten bei der Arbeitssuche und das weitere Vorgehen festgelegt werden. 32 Es handelt sich hier also nicht um eine Beschwerdegeschichte im Sinne Günthners (2000), da hier keine vergangenen Vorwürfe rekonstruiert werden, sondern aktuell ein Vorwurf aufgebaut wird, der sich aber auf Vergangenes bezieht.

298 

 Analysen III: Streitinteraktionen

drei vier Jahrn ununterbrochn Arbeit gehabt») weist er dem Arbeitsamt noch einmal explizit die Schuld an seiner aktuellen Situation zu. Die Sb weist diesen Schuldvorwurf allerdings zurück: «Sie ham kein Führerschein» und greift darin auch die Äußerungsstruktur des Kl auf, indem auch sie zur Verstärkung die fragend formulierte Interjektion «Hallo?» anfügt (PF 131). Als der Kl widerspricht, zum damaligen Zeitpunkt habe er noch einen Führerschein besessen (PF 131, 132), blockiert die Sb jedoch weitere Argumentation und betont, sie sei damals ja noch nicht für ihn «zuständich» gewesen (PF 133). Damit wird der Vorwurf des Kl zwar in keiner Weise entkräftet, die Schuld jedoch von der Sb auf andere geschoben und weitere Kommunikation über dieses Thema verweigert. Ein solches Vorgehen ist ausschließlich im institutionellen Kontext möglich, in dem zeitlich klar beschränkte Zuständigkeitsbeziehungen zwischen den Interaktanten bestehen. In der Folge wechselt der Kl in eine nun deutlich aggressivere Modalität (Vulgarismus: «isch möschte nisch verarscht werdn von diesm Land»; PF 133, 134). Auffällig ist an dieser Stelle im Übrigen, dass die Gegenüberstellung wir, die Arbeitslosen, und die anderen, das Arbeitsamt, in ein anderes Oppositionspaar überzugehen scheint: «ich», der Migrant vs. «dieses Land», die Aufnahmegesellschaft Deutschland. Anschließend führt der Kl – ausführlich und hochemotional – seinen Vorwurf weiter aus und endet mit der aggressiven Äußerung (erneuter Vulgarismus): «Dann scheiß ich auf Deutsch darauf» (PF 141). An dieser Stelle blockiert die Sb weitere Ausführungen, indem sie sehr schnell anschließend metakommunikativ die Modalität der Äußerungen des Kl thematisiert (und ihn auch an dieser Stelle wieder namentlich anspricht): «Herr XY ich bin nich dafür da Ihre Aggressionen auszuhaltn» (PF 141, 142). Die narrativen Vorwurfssequenzen des Kl (in Kombination mit dem Gebrauch von Vulgarismen) scheinen also dazu zu führen, dass der Streit hier erneut klar benannt wird. Die angefügte tag question «oke?» wirkt hierbei affirmationseinfordernd. Zudem fügt sie an, dieser Streit werde ihr «n Bisschen zuviel hier ehrlich gesagt» (PF 142). Damit versucht sie offenbar, den Streit zu beenden durch Verweigerung weiterer Argumentation. Die Thematisierung der Streitmodalität kann prinzipiell konfliktreduzierend wirken (cf. Schwitalla 1987). In der Folge jedoch kündigt der Kl selbst jegliche Kooperation auf und führt eine Gesprächsbeendigungsinitiative durch mit der abschließenden Feststellung «Is oke» und der selbst beantworteten Frage «Das wars dann? Das wars» (PF 142, 143). Die Sb geht auf die Beendigungsinitiative des Kl ein, versucht allerdings zum Gesprächsende noch eine Renormalisierung zu erreichen. Das lässt sich daran erkennen, dass sie a) dem Kl gute Wünsche mitgibt und seine Perspektive als

Analyse Streitgespräch 1 

 299

die ihre darstellt: «ich hoffe dass das für Sie klappt» (PF 144) und b) explizit Verständnis für den Kl formuliert: «Ich versteh schon Ihr Problem» (PF 144, 145). Die Äußerung von Verständnis wird verstärkt durch die Aufforderung «glaubm Se mir mal» (PF 145). Damit wird eine Neubegründung der Sozialbeziehung (cf. Schwitalla 1987, 42) versucht. Schwitalla (ebd., 137) spricht von einer «typischen Abschlußfunktion» (ebd., 136) solcher Mittel und erklärt: «Man trennt sich leichter mit einer Floskel der Anerkennung als im offenen Streit» (ebd., 137). Der Kl akzeptiert diesen letzten Versuch einer Konfliktreduzierung durch die Sb jedoch nicht. Hieran wird die «Zweiseitigkeit konfliktreduzierender Prozesse» (ebd., 139) sehr deutlich. Eine Konfliktreduzierung ist nur möglich, wenn sich beide Konfliktpartner darauf einlassen. Stattdessen widerspricht der Kl der Verständnis-Äußerung der Sb explizit – und zwar drei Mal wörtlich rephrasierend: «Sie verstehn überhaupt gar nüscht», «Sie verstehn überhaupt jar nüscht», «Sie verstehn überhaupt jar nüscht» (PF 145–147). Hierbei übernimmt er die Äußerungsstruktur der Sb und fügt ebenfalls an: «könn Se mir aba glaubm». Während die Sb darauf mit einem resignierten «Ja denn» reagiert, hebt der Kl in seiner letzten Äußerung noch einmal hervor: «Sie tun nur so». Damit gibt er seiner Enttäuschung über das Verhalten der Sb und im Übrigen auch dem über das ganze Gespräch implizit vorhandenen Kooperationsproblem (cf. Selting 1987) Ausdruck. Letztlich trennen sich die Interaktanten im Streit. Der Kl verlässt wortlos den Raum und reagiert auch auf eine Verabschiedung der Sb («Tschüss», PF 147) nicht. Das Gespräch endet also, ohne dass der Streit tatsächlich beigelegt ist, obwohl eine Einigung über das hauptsächliche Streitobjekt (Zuweisung) erreicht werden konnte – in nicht unwesentlichem Ausmaß durch die Aktualisierung institutionalisierter Macht durch die Sb. Charakterisierend ist für diese letzte Phase des Gesprächs, dass sie – trotz einer (unter Sanktionsandrohung erreichten) Einigung über das zentrale Streitobjekt Zuweisung – eine Reihe von «Nachverbrennungen» (Spiegel 1995, 117) des Kl enthält. Es ist dementsprechend davon auszugehen, dass der Kl durch die Aktivitäten der Sb im Verlauf des Gesprächs sein Image als gefährdet ansieht. In der Folge versucht er in erster Linie, das Image der Sb zu verletzen – anhand der Korrektur eines von ihr gebrauchten Fachterminus’ und anhand einer ganzen Reihe von Vorwürfen an die Sb und an das Arbeitsamt. Zum Teil werden diese in narrativer Form vorgebracht. Anschließend an diese narrativen Sequenzen thematisiert die Sb den Streit explizit, behandelt sie also selbst als besonders gravierend. Denkbar wäre, dass diese Vorwürfe als demonstrativ unkooperativ aufgefasst werden, da sie offensichtlich nicht dazu dienen, durch Kritik aktuell etwas zu verbessern, sondern reine «Nachverbrennungen» darstellen.

300 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Zudem lassen sich in der Formulierung einer Drohung durch den Kl und im erneuten Zurückweisen einer Aufforderung letzte Versuche erkennen, Macht in der Interaktion auszuüben, was auch durch die mehrfache Konstitution von Gruppen («wir», die Arbeitslosen vs., «jeder», das Amt; «wir» die Migranten vs. «dieses Land») gestützt wird. Geprägt sind die Äußerungen des Kl weiterhin von Aggressivität (Vulgarismen). Die Sb reagiert auf die «Nachverbrennungen» durch den Kl mit demonstrativer Verweigerung von Kooperation (Schweigen, «nich mit mir», PF 115, 116). Die zum Ende des Gesprächs von ihr versuchten letzten Renormalisierungsaktivitäten (metakommunikative Thematisierung der Streitmodalität, gute Wünsche und Signalisierung von Verständnis für den Kl) stehen also im Widerspruch zu ihrem vorherigen Verhalten, was erklären mag, weshalb sie vom Kl (dreimal) zurückgewiesen werden.

8.4.3 Zwischenfazit – Streitgespräch 1 Zwei Fragen wurden für die Untersuchung der Streitgespräche gestellt: die Frage danach, wie sich Streit in diesem Behörden-Migranten-Kontext entwickelt, und die Frage danach, wie im Streit Macht aktualisiert wird und ob sich eine «organisationsstrukturelle Bedingtheit kommunikativer Ungleichheit» (Brock/Meer 2004, 189) (Hierarchie) in der Streitinteraktion selbst beobachten lässt, ob die Gesprächspartner also unterschiedliche Möglichkeiten haben, ihre Absichten und Ansichten im Streit durchzusetzen. Beide Fragen sind eng miteinander verbunden, da sich Formen der Aktualisierung von Macht auch auf die Streitentwicklung auswirken. Bevor die Analyseergebnisse gebündelt werden, soll allerdings noch einmal auf die Überlegung eingegangen werden, dass die Kategorien Unkooperativität, Image-Verletzungen und Macht, die in der Analyse der Streitentwicklung relevant wurden, keine direkt in der Interaktion beobachtbaren, sondern erst aus dem kommunikativen Verhalten der Gesprächspartner erschließbare Phänomene sind. 8.4.3.1 Schwierigkeiten bei der Analyse Tatsächlich lässt sich eine ganze Reihe von sprachlichen Handlungen der Interaktanten beobachten, die als Unkooperativität, Image-Verletzungen und/oder Machtmittel interpretiert werden können und häufig auch von den Gesprächspartnern so interpretiert wurden: z. B. über den Gesprächsverlauf zunehmende Sprecherwechsel an Stellen, die nicht übergaberelevant sind (also Verletzungen der Sprecherwechsel-Regeln, interpretierbar als unkooperatives Verhalten);

Analyse Streitgespräch 1 

 301

zunehmende Fragen der Interaktanten, die früheres Handeln des Gegenübers thematisch machen (einzuordnen als Vorwürfe, interpretierbar als Image-Verletzungen); Themenbeendigungen oder Themenselektion durch die Sb (also eine semantische Dominanz, was u. U. auf ein Machtverhältnis zwischen den Interaktanten schließen lassen kann) oder auch Aktivitäten wie die Zuweisungen und Sanktionsandrohungen der Sb sowie eine Drohung des Kl (also Aktivitäten, die sich recht deutlich als Machtmittel interpretieren lassen). Hervorzuheben ist dabei aber, dass diese Schlussfolgerungen bzw. Interpretationsleistungen in gewisser Weise von außen (aus einer Analysierendenperspektive) erfolgen, da die Kategorien der Interaktanten selbst oft nicht eindeutig erkennbar sind. Sie zeigen einander zwar zum Teil an, dass sie das Verhalten des Gesprächspartners als unkooperativ auffassen (hier lassen sich zuweilen sogar relativ eindeutige «accounts» ausmachen, z. B. Aufforderungen zuzuhören, also zumindest minimal zu kooperieren), und teilweise auch, dass sie ihr Face verletzt sehen (z. B. in Form von Rechtfertigungen, Gegenangriffen o. ä.), äußern dies aber in aller Regel nicht explizit (bspw. in Form einer Aussage wie «ich fühle mich durch deine Äußerung verletzt»). Dass sie die Aktivitäten des Gegenübers als Machtmittel interpretieren, machen die Interaktanten in dem hier besprochenen Gespräch gar nicht explizit. Äußerungen wie «Sie haben mir nichts zu befehlen», was «accounts» hierfür wären, sind nicht zu beobachten. Dabei fällt in den Analysen auf, dass die in der Interaktion beobachtbaren Phänomene (v. a. wenn keine eindeutigen «accounts» vorliegen) meist nicht nur einem einzigen erschließbaren Phänomen (Macht, Image-Verletzung etc.) zugeordnet werden können. Das lässt sich exemplarisch an verschiedenen beobachteten Phänomenen zeigen (s. Tabelle 8).33

33 Eine solche Betrachtung sämtlicher beobachteter Phänomene würde an dieser Stelle zu weit führen.

302 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Tabelle 8: Zuordnung beobachtbarer Phänomene zu den erschließbaren Phänomenen ‹Macht›, ‹Image-Verletzung›, ‹Unkooperativität› Beobachtbares Phänomen

Kategorielle Zuordnung

– Aspektualisierung – Beendigungen vom Partner initiierter Themen – Themen-Relevantsetzung u. ä.

Semantische Dominanz

– Fragen – Aufforderungen zuzuhören u. ä.

Interaktive Dominanz

– Fragen, die Handlungen des Vorwürfe/Kritik anderen thematisch machen – Korrekturen (z. B. Fachterminus) – Selbstrephrasierungen

– Sprecherwechsel an nicht übergaberelevanten Stellen

Nicht-Eingehen auf den anderen/Insistieren

Interaktion: Erschließbares Phänomen

Macht

Image-Verletzung

Unkooperativität

Verletzung der Sprecherwechsel-Regeln

Die grau unterlegten, die Zeilen kreuzenden Pfeile zeigen, dass verschiedene beobachtbare Phänomene sowohl als unkooperatives Verhalten als auch als ImageVerletzungen als auch als Machtmittel gewertet werden können. Beispielsweise können Beendigungen vom Partner initiierter Themen als Machtmittel eingesetzt werden und dabei implizite Image-Verletzungen oder Bedrohungen des (negativen) Face des Partners darstellen (cf. Brown/Levinson 1987). Aufforderungen zuzuhören sind zwar als klarer «account» für ein als unkooperativ empfundenes Verhalten zu werten, können aber zugleich als Kritik am Verhalten des Gegenübers und damit als Image-Verletzungen aufgefasst werden, und sie stellen Aktivitäten dar, mit denen die Handlungsmöglichkeiten des Gegenübers beschränkt werden, und damit Machtmittel. Solche Überlegungen lassen sich auch für eine Reihe weiterer beobachtbarer Phänomene anstellen. Das lässt sich darauf zurückführen, dass ‹Unkooperativität›, ‹Image-Verletzungen› und ‹Macht› im Grunde drei Blickwinkel auf dasselbe Verhalten darstellen. Dabei wäre Unkooperativität die interaktive Dimension, Image-Verletzung die Face- (oder auch Identitäts-) Dimension und Macht die soziale (auch institutionelle) Dimension – mit aufsteigender Generalisierung der sozialen Bedeutung kommunikativer Praxen.

Analyse Streitgespräch 1 

 303

Das bedeutet, dass beispielsweise Unterbrechungen entweder «nur» als unkooperatives Verhalten gewertet werden (was also «nur» negative Folgen für die interaktive Dimension enthielte) oder aber auch als Bedrohung des negativen Face (cf. Brown/Levinson 1987) des Gesprächspartners (mit negativen Folgen für die Face-Dimension) – oder sie werden sogar als besonders gravierend, nämlich als einseitige Gesprächssteuerung, als «forcierender Umgang mit der Rederechtverteilung» (Kallmeyer/Schmitt 1996, 47) und damit als Machtmittel interpretiert (mit negativen Folgen für die soziale Dimension). In letzterem Fall wären die beiden anderen Dimensionen (interaktive und Face) mitenthalten. Für die Streitpartner selbst kann das bedeuten, dass ein Verhalten des einen u. U. vom anderen als deutlich gravierender eingestuft wird, als es intendiert war. Bevor die Entwicklung des Streits in dem betrachteten Gespräch zusammenfassend besprochen wird, sollen zunächst die von den Interaktanten verwendeten Mittel zur Durchsetzung ihrer An- oder Absichten im Streit über die Gesprächsphasen hinweg betrachtet und besprochen werden, inwiefern sich kommunikative Asymmetrien beobachten lassen und inwiefern auf Versuche der Machtausübung in der Interaktion zu schließen ist. 8.4.3.2 Asymmetrien im kommunikativen Verhalten und Formen der Aktualisierung von Macht 8.4.3.2.1 Themenselektion Über die erste Phase des Gesprächs hinweg ist eine semantische Dominanz der Sb zu beobachten (cf. Linell/Luckmann 1991, 9) – was eine Form der Machtausübung im Gespräch darstellen kann: der Macht zu bestimmen, worüber gesprochen wird. Konkret beobachtbar ist, dass die Sb, meist anhand einer Aspektualisierung, die Themen auswählt, die behandelt werden. Zum Ende der ersten Phase führt sie zudem zwei klare Beendigungen vom Kl initiierter Themen durch. Auch im weiteren Gesprächsverlauf sind sieben Beendigungen vom Kl initiierter Themen durch die Sb zu beobachten (durch Verweise an andere Gesprächspartner, ausbleibende Reaktion, metakommunikative Kommentare zur Modalität der Partneräußerungen, themenabschließende Formulierungen, wie «So isses», sowie mehrfach durch Themenwechsel unter Einsatz institutionalisierter Macht: Zuweisung). An mehreren Stellen versucht sie erfolglos, ein vom Kl initiiertes Thema zu beenden. Mehrfach setzt sie zudem Themen relevant, viermal in positiver Form («darum geht’s», PF 52 und 90; «es geht darum, dass», PF 70 und 98) und dreimal in negativer Form («es geht nich darum [...] sondern», PF 81/82 und 112), «Das is gar nich der Punkt sondern der Punkt is», PF 88). Über das gesamte Gespräch hinweg stellt das von der Sb initiierte Thema der Zuweisung zu einem Träger (und der Widerspruch durch den Kl) das hauptsäch-

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 Analysen III: Streitinteraktionen

liche Gesprächsthema dar. Jedoch bringt auch der Kl ab der zweiten Phase des Gesprächs eine Reihe weiterer Themen ein, auf die die Sb zunächst meist eingeht (die sie allerdings etwas später dann häufig abbricht): die mit dem Thema Zuweisung zusammenhängenden Themen Bewerbung und Therapie, das Thema Sanktionen (das der Kl initiiert, nicht die Sb), die in verschiedenen Vorwürfen initiierte Thematik generelle Hilfeleistung und Hilfsbereitschaft des Jobcenters und die Themen Aufführung des Kl in den Statistiken sowie schlechte finanzielle Lage des Kl. Über weite Strecken des Gesprächs bestimmt also der Kl, worüber gesprochen wird; die Sb reagiert. 8.4.3.2.2 Selbstrephrasierungen Dieser Punkt ist eng mit dem Punkt Themenselektion verbunden, wird aber getrennt besprochen, da es sich hierbei um ein besonders salientes Phänomen handelt. Über einen Großteil des Gesprächs hinweg fällt auf, dass beide Interaktanten ihre eigenen Äußerungen immer wieder selbst rephrasieren, v. a. die zentralen Aussagen ‹ich weise Sie zu› vs. ‹ich will nicht therapiert werden/an einem Bewerbungstraining teilnehmen› etc. Daran ist zweierlei hervorzuheben: Zum einen sind diese Äußerungen non-responsiv, nämlich kaum bezogen auf die jeweiligen Partner-Äußerungen. Die Interaktanten gehen beide oft nicht auf die vom Partner initiierten Themen ein, sie widersprechen einander nicht einmal direkt (die Ablehnung einer Teilnahme an einem Bewerbungstraining/ einer Therapie entspricht nicht direkt der Ablehnung einer Zuweisung zu einem Träger), sondern sie reden «aneinander vorbei». Dem entspricht auch der mehrfache Vorwurf des Nicht-Zuhörens an den Kl. Zum anderen kann die permanente Rephrasierung eigener Äußerungen als Form des Insistierens – nach Kallmeyer und Schmitt (1996, 67) ein forcierendes Verhalten – und damit ebenfalls als Machtmittel aufgefasst werden. Auffällig ist, dass solche Selbstrephrasierungen gerade in Phasen des Gesprächs zu beobachten sind, in denen der Streit eskaliert. 8.4.3.2.3 Gesprächssteuerung Zu Beginn des Gesprächs steuert die Sb eindeutig das Gespräch, in erster Linie durch Fragen, auf die der Kl reagiert. Das lässt sich u. U. als institutionell «verankerte» Asymmetrie ansehen. Der Kl ergreift in dieser ersten Phase ausschließlich das Wort, wenn ihm von der Sb das Rederecht zugewiesen wird. Hier lässt sich also eine interaktive Dominanz (cf. Linell/Luckmann 1991, 9) der Sb ausmachen, was sich allerdings über den Verlauf des Gesprächs hinweg verändert. Immer stärker steuert der Kl das Gespräch. Beispielsweise fällt auf, dass die Sb in der ersten Gesprächsphase noch acht Fragen formuliert, im übrigen Gesprächsverlauf jedoch nur noch eine tatsächliche Frage und eine reine Verstehensfrage («Was ham Sie?», PF 126/127) sowie einige tag questions (und zwei als Frage

Analyse Streitgespräch 1 

 305

formulierte Aufforderungen). Der Kl dagegen stellt in der ersten Phase nur zwei Fragen (davon eine reine Verstehensfrage: «Was ham Sie?», PF 27). Im weiteren Gesprächsverlauf stellt er jedoch 14 Fragen, sämtlich fordernd oder vorwurfshaft, wovon er eine unmittelbar selbst beantwortet. Hinzu kommen zwei Korrekturen sowie zwölf Vorwürfe des Kl an die Sb oder an das Jobcenter. Diese üben einen klaren Rechtfertigungsdruck auf die Sb aus. Insgesamt scheint die Sb ab der zweiten Phase des Gesprächs hauptsächlich auf Fragen, Korrekturen und Vorwürfe des Kl zu reagieren, statt selbst das Gespräch zu steuern. Auch die Verteilung des Rederechts verschiebt sich im Gesprächsverlauf zugunsten des Kl. In der ersten Gesprächsphase lassen sich i.d.R. glatte Sprecherwechsel beobachten (bis auf eine Unterbrechung durch die Sb). Ab der zweiten Phase des Gesprächs sind jedoch zunehmend unkooperative Sprecherwechsel zu beobachten sowie deutlich mehr vom Kl selbst vorgenommene Turnübernahmen: Die Sb unterbricht den Kl insgesamt siebenmal, der Kl jedoch unterbricht die Sb insgesamt vierzehnmal. Neunmal gibt er zudem das Rederecht nicht ab, obwohl die Sb versucht, das Wort zu ergreifen. Umgekehrt gibt die Sb nur dreimal das Rederecht nicht ab. Der Kl ergreift deutlich häufiger unter Verletzung der Sprecherwechsel-Regeln den Turn selbst und behält ihn dann auch. Auch lassen sich auf Seiten des Kl mehr längere Turns feststellen als auf Seiten der Sb, die i.d.R. kurze Turns hat. Insgesamt lässt sich im Verlauf des Gesprächs eine zunehmende interaktive Dominanz des Kl ausmachen (cf. Linell/ Luckmann 1991, 9). Allerdings formuliert die Sb in späteren Gesprächsphasen mehrfach Aufforderungen, die sich auf das kommunikative Verhalten des Kl beziehen (zuzuhören, sich zu beruhigen, weiterhin am Gespräch teilzunehmen etc.). Diese sind darüber hinaus z. T. in Form von Feststellungen formuliert (z. B. «Eh wir sind noch nich fertich», PF 105) und erfolgen auffällig häufig unter namentlicher Addressierung des Kl, was nicht nur der Aufmerksamkeitsfokussierung dienen kann, sondern auch besonders forcierend wirkt. Beide Interaktanten versuchen also, die Gesprächssteuerung, für sich zu beanspruchen. 8.4.3.2.4 Handlungssteuerung Auch ist über das gesamte Gespräch hinweg eine Reihe von Aufforderungen der Sb an den Kl zu beobachten, die sich auf gesprächsexterne Handlungen beziehen (z. B. sich an die Trägergesellschaft zu wenden, zu unterschreiben etc.). Auffällig ist, dass auch hier einige Handlungsaufforderungen in Form von reinen Feststellungen vollzogen werden («Krieg ich eine Unterschrift hier und eine hier», PF 107; «Da krieg ich bitte auch ne Unterschrift», PF 123). Feststellungen bieten, wie besprochen, anders als tatsächliche Aufforderungen oder gar Bitten rein formal keine Ablehnungsmöglichkeit.

306 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Allerdings formuliert auch der Kl insgesamt fünf Aufforderungen an die Sb (in der Interaktion erfüllbare: ihm Dokumente zu geben, und nicht in der Interaktion erfüllbare: ihm Arbeit zu geben und Leistungen zu entziehen, wobei Letztere wohl nicht ernst gemeint sind). Zudem lehnt er mehrfach Handlungen ab, zu denen er aufgefordert wird. Nicht nur widerspricht er über einen Großteil des Gesprächs hinweg der von ihm erwarteten Handlung (sich an eine Trägergesellschaft zu wenden). An zwei Stellen weigert er sich auch explizit, Aufforderungen (unmittelbar) nachzukommen – obwohl diese als Feststellungen formuliert sind. Wie herausgestellt, beobachten Goodwin und Goodwin (1990, 94), dass gerade in Konflikten Interaktanten dieses Mittel häufig zur Demonstration von Macht oder Status im Vergleich zum Gegenüber verwenden. In Reaktion darauf macht allerdings jeweils die Sb durch «offizielle» Ratifizierungen («Ja • Sie könn das durchlesn»; PF 107, 108) die (vorgebliche) Notwendigkeit ihrer Zustimmung deutlich. Durch die Handlungssteuerung, um die hier gerungen wird, wird potentiell das negative Face (Brown/Levinson 1987) des Gegenübers bedroht. Zugleich scheinen insbesondere Bedrohungen des negativen Face der Sb durch den Kl auch als Bedrohungen ihres positiven Face interpretiert zu werden, als Infragestellung ihrer «Amtsautorität», worauf sie mit verstärkter «Amtlichkeit» reagiert. 8.4.3.2.5 Gruppenbildung An zwei Stellen im Gespräch bezieht der Kl die (im übrigen Gesprächsverlauf unbeteiligte) Aufnahmeleiterin als «Zeuge» ein. Der Zusammenschluss mit einer weiteren Person kann der Stärkung der eigenen Position dienen – als Absicherung, bspw. gegen spätere Unterstellungen, sowie durch die rein zahlenmäßige Mehrheit. Kallmeyer und Schmitt (1996, 49) sprechen hier vom «Argument der großen Zahl»: «‹Wir› sind viele, in jedem Fall eine gesellschaftlich relevante Größe». In ähnlicher Weise ist vermutlich auch die mehrfache Etablierung von Wir-Gruppen (z. B. «wir», die Arbeitslosen, die Klienten vs. die Behördenmitarbeiter) durch den Kl zu interpretieren. Er präsentiert seine Ansichten als die einer Gruppe, nicht als die einer Einzelperson. So werden zudem regelrechte Feindbilder oder zumindest klare Fronten aufgebaut. Ähnliche Aktivitäten der Sb sind nicht zu beobachten. 8.4.3.2.6 Explizite Thematisierung und Ausübung von Macht Die Sb thematisiert an mehreren Stellen im Gespräch explizit institutionalisierte Macht. Dabei handelt es sich zum einen um die Zuweisung selbst, um die gestritten wird. Insgesamt fünfmal vollzieht die Sb im Gespräch den Sprechakt der Zuweisung («ich weise Sie zu», «Sie kriegn vom mir jetz ne Zuweisung» etc.). Es

Analyse Streitgespräch 1 

 307

wurde bereits herausgestellt, dass es sich hierbei um einen deklarativen «institutionally bound speech act» (cf. Habermas 1990) handelt. Zudem handelt es sich um eine unidirektionale sprachliche Handlung (transitives Verb), die den Kl als «Patiens» in eine passive Position stellt, als Person, die zugewiesen wird. Dem Kl bleiben dementsprechend keine Möglichkeiten, eine Zuweisung abzulehnen. Hier lässt sich tatsächlich ein klarer Einsatz von Macht in der Interaktion ausmachen, der dabei besonders stark das negative Face des Kl bedroht. Zudem droht die Sb (zweimal explizit, einmal implizit) mit Sanktionen, was sie einsetzt, um ihr Ziel (Zuweisung mit Unterschrift des Kl) im Gespräch durchzusetzen. An mehreren Stellen im Streit fällt allerdings auf, dass der Kl – z. T. sogar vorwegnehmend – einen möglichen Einsatz institutionalisierter Macht durch die Sb entkräftet, indem er bspw. betont Sanktionen zustimmt – und diese damit für unwirksam erklärt. Indem er die institutionalisierte Macht der Sb nicht anerkennt, gewinnt er selbst an Macht in der Interaktion (und «repariert» Verletzungen seines negativen Face). Letztlich aber akzeptiert er diese Macht der Sb doch, die Sanktionsdrohung zeigt Wirkung. Zudem thematisiert auch der Kl z. T. explizit Macht, bspw. in Form einer Drohung (mit «seinem» Abgeordneten zu sprechen). Diese wird allerdings von der Sb unmittelbar darauf entkräftet. Hier fällt zudem auf, dass wesentliche Gelingensbedingungen (cf. Searle 1971) des Sprechaktes einer Drohung kaum erfüllt sind, die Drohung also im Grunde nicht gelingen kann: Der Sprecher müsste in der Lage sein, die angedrohte Handlung auch durchzuführen (was er vermutlich nicht ist) und diese müsste für den Hörer negative Konsequenzen haben (was sie vermutlich nicht tut). Des Weiteren lässt sich auch vom Kl geübte Kritik am Fachwissen der Sb als Thematisierung von Macht auffassen (Macht über Wissen) bzw. als Thematisierung einer Wissensasymmetrie zwischen den Interaktanten. An zwei Stellen im Gespräch korrigiert der Kl die Sb («damit hat dis nisch ßu tun», PF 21 und «Träger heißt das • gar nisch», PF 109), kritisiert ihr (vermeintlich mangelndes) Fachwissen und stellt gleichzeitig sein eigenes Wissen heraus. In beiden Fällen scheitern die vorgebliches Expertentum des Kl betonenden Aktivitäten jedoch – in einem Fall, weil die Sb sehr deutlich betont, dass dieses Wissen geteilt wird («Jaa ich weiß», PF 21), und im anderen Fall dadurch, dass der Kl selbst eine falsche Alternative des von ihm korrigierten Fachterminus’ formuliert, womit die Darstellung seines eigenen professionellen Wissens nicht gelingt. Auffällig ist an der zweiten Korrektur, dass diese, anders als die erste, nicht dem besseren gegenseitigen Verständnis dient, sondern offenbar lediglich der Verletzung des Partner-Images und dem Versuch, Macht zu erlangen bzw. die des anderen einzuschränken. Darauf reagiert die Sb mit Verweigerung jeglicher Kooperativität (01:44 Minuten langes Schweigen).

308 

 Analysen III: Streitinteraktionen

8.4.3.2.7 Zusammenfassende Bemerkung: Asymmetrien im kommunikativen Verhalten An verschiedenen Stellen – besonders während der ersten Gesprächsphase, aber auch später – lassen sich also Asymmetrien im sprachlichen Verhalten der Streitpartner zugunsten der Sb beobachten. Letztlich setzt diese ihre Absichten v. a. durch die verstärkte explizite Thematisierung und Realisierung institutionalisierter Macht (Zuweisung und mehrmalige Sanktionsdrohung) durch. Allerdings fällt auf, dass sämtliche hier besprochenen Bereiche von Aktivitäten, die als Machtmittel interpretiert werden können, von beiden Interaktanten bearbeitet werden. In allen Bereichen wehrt der Kl sich gegen ein mögliches Machtverhältnis zugunsten der Sb34 – und zwar teilweise sehr erfolgreich. Tatsächlich scheinen sich kommunikative Asymmetrien im Verlauf des Gesprächs sogar in den meisten Bereichen zugunsten des Kl umzukehren. Zunehmend bestimmt der Kl, welche Themen behandelt werden, insistiert, steuert das Gespräch, stärkt seine Position durch Gruppenbildung, verweigert Aufforderungen und thematisiert explizit Macht (z. B. durch die Drohung, die Kritik am mangelnden Wissen der Sb etc.). Auch dem Kl steht also eine Reihe von Möglichkeiten offen, seine An- bzw. Absichten in der Interaktion durchzusetzen. Diese wirken oft stark face-bedrohend und unkooperativ. An drei Punkten zeigt sich allerdings ein klares Ungleichgewicht der Durchsetzungsmöglichkeiten der Interaktionspartner: 1. Der Versuch des Kl, Macht über die Präsentation von Fachwissen zu erlangen, scheitert, da er über dieses Wissen tatsächlich nicht verfügt. 2. Die Drohung des Kl scheitert, da die angedrohte Handlung kein wirkliches Druckmittel darstellt und vom Kl vermutlich kaum durchführbar ist, die Gelingensbedingungen einer Drohung sind also nicht erfüllt. 3. Dem offenen Einsatz institutionalisierter Macht durch die Sb (Zuweisung, zu der eine Zustimmung des Kl nicht erforderlich ist, sowie die Androhung einer Sanktion und deren begonnene Umsetzung in die Realität) hat der Kl nichts entgegenzusetzen. Er versucht zwar, diese zu entkräften, beugt sich ihr letztlich aber doch. Die Interaktanten verfügen also über unterschiedliche Ressourcen, ihre An- oder Absichten im Streit durchzusetzen. Eine gewisse «organisationsstrukturelle

34 In gewissem Sinne bleibt ihm allerdings auch nicht viel anderes übrig, wenn er den «normalen» Gang der Dinge (nach dem die Rechte und Pflichten institutionell verteilt wären) durchbrechen will – insbesondere, wenn er wenig nuancierende Mittel einsetzt (bzw. einsetzen kann, u. U. aufgrund mangelnder Sprachkompetenzen).

Analyse Streitgespräch 1 

 309

Bedingtheit kommunikativer Ungleichheit» (Brock/Meer 2004, 189) lässt sich beobachten. Diese ist aber nicht einfach existent, sondern Gegenstand aufwändiger Aushandlungsprozesse in der Interaktion selbst. 8.4.3.3 Streitentwicklung Was lässt sich hinsichtlich der Entwicklung des Streits beobachten – auch im Zusammenhang mit dem Einsatz von Macht in der Interaktion? Der Streit entwickelt sich über die mehrere Phasen:

1

Vorphase: unkooperatives Verhalten + semantische u. interaktive Dominanz der Sb

1b

Take-off: demonstr. Unkooperativität des Kl, Sb setzt Macht ein (Zuweisung)

2

Vollständige Ablehnung/Konflikt: beide unkooperativer, mehr explizite Thematisierung von Macht

3

Prinzipielle Kooperationsbereitschaft bei gleichzeitig beibehaltener Opposition: Selbstrephrasierungen, verhärtete Fronten, Kl dominanter

4

Einigung durch Zwang: verstärkte explizite Thematisierung von Macht durch Sb (Sanktionsdrohung), Kl fügt sich letztlich

5

„Nachverbrennungen“: Verletzung des Partner-Images und Aufwertung des eigenen durch Kl

Graphik 9: Phasen der Streitentwicklung Streitgespräch 1

1. Rückwirkend lässt sich die erste Phase des Gesprächs als eine Vorphase vor dem offenen Streit betrachten, die aber bereits eine Streiteröffnung (eine Take-off-Phase) enthält. In dieser Phase sind eine deutliche (semantische und interaktive) Dominanz sowie zumindest tendentiell unkooperatives Verhalten der Sb (Non-Responsivität, Ignorierung/Beendigung der vom Kl initiierten Themen, die für ihn offenbar von großer Relevanz sind) und latente ImageVerletzungen durch die Sb (implizite Vorwürfe, ebenfalls als implizite face threatenting acts interpretierbare Beendigungen vom Kl initiierter Themen etc.) zu beobachten. Das scheint den Kl zu stören: Er reagiert mit demonstrativer Verweigerung von Kooperativität (v. a. auf eine klare Beendigung eines von ihm mehrfach initiierten Themas Militärdienst). Daraufhin findet eine erste Aktualisierung institutionalisierter Macht durch die Sb statt (Zuweisung). 2. Ab diesem Moment entwickelt sich ein Streit um diese Zuweisung. Die Interaktanten agieren beide zunehmend unkooperativer, formulieren immer

310 

 Analysen III: Streitinteraktionen

mehr und offenere gegenseitige Vorwürfe; immer mehr Versuche, Dominanz zu erlangen, und immer mehr explizite Thematisierungen von Macht sind zu beobachten. Der in dieser Phase noch vollständigen Ablehnung der Zuweisung durch den Kl versucht die Sb inhaltliche Argumentation entgegenzusetzen. Das gelingt allerdings nicht. Es entsteht der Eindruck, dass das Gespräch der Sb «aus den Händen gleitet» und sie es nicht mehr, wie zu Gesprächsbeginn, kontrolliert. 3. Nach einer erneuten Macht-Aktualisierung durch die Sb (erneute Zuweisung) folgt eine Phase, in der der Kl sich immerhin prinzipiell kooperationsbereit zeigt. Er erhält jedoch konstant die Opposition aufrecht, er werde nur unter bestimmten Bedingungen kooperieren. Hier stagniert der Streit. Die Gesprächspartner rephrasieren in erster Linie ihre eigenen Äußerungen, sie insistieren: Der Kl zeigt sich prinzipiell kooperationsbereit, aber nur unter bestimmten Bedingungen, die Sb besteht auf der Zuweisung. Dabei gehen die Interaktanten kaum aufeinander ein und widersprechen einander nicht einmal direkt – was sie selbst offenbar auch so sehen (Vorwurf des NichtZuhörens). Die Fronten verhärten sich (wozu auch die Gruppenkonstitution durch den Kl, Klienten vs. Amt/Agenten, beiträgt). Es sind allerdings auch einige Renormalisierungsaktivitäten von beiden Seiten zu beobachten, die aber nicht zu einer tatsächlichen Renormalisierungsphase führen. Hier zeigt sich ein permanenter Wechsel zwischen forcierenden Aktivitäten («verschärfter Gangart», Kallmeyer/Schmitt 1996) und Versuchen der Renormalisierung. Auffällig ist, dass jeweils dann, wenn einer der Interaktanten Renormalisierungsaktivitäten durchführt, der andere darauf nicht eingeht, sondern stattdessen forcierender agiert (s. dazu auch Graphik 10 und 11 unten). 4. Versuche der Sb, den Kl in Kombination mit expliziter Thematisierung institutionalisierter Macht durch weitere inhaltliche Argumentation zu überzeugen, scheitern. Dieser setzt mehrfache Vorwürfe und Verletzungen des Partner-Images ein, wird zunehmend aggressiver und unkooperativer und versucht, selbst mehr Macht in der Interaktion zu erlangen. Er insistiert im Gesprächsverlauf immer stärker, formuliert eigene Aufforderungen und fordernde Fragen und übt Rechtfertigungsdruck auf die Sb aus. Das wirkt stark konfliktiv, da auf diese Weise nicht nur das negative Face der Sb durch den Kl bedroht wird, sondern diese Aktivitäten offenbar auch als Bedrohung des positiven Face aufgefasst werden (Infragestellung der «Amtsautorität»). Darauf reagiert die Sb jeweils mit verstärkter «Amtlichkeit». Zum Ende hin thematisiert sie immer offener Macht (v. a. Sanktionsdrohungen) und setzt sich damit, durch Zwang, letztlich auch durch: Der Kl unterschreibt die Zuweisungspapiere, das hauptsächliche Streitthema ist damit beendet.

Analyse Streitgespräch 1 

 311

5. Dennoch folgt eine letzte Phase, die von «Nachverbrennungen» durch den Kl geprägt ist. Hier geht es offenbar v. a. darum, das Partner-Image zu verletzen (u. a. in narrativen Sequenzen, die dazu führen, dass die Sb den Konflikt mehrfach klar benennt) und Macht in der Interaktion zu demonstrieren – die allerdings unabhängig von der Durchsetzung eigener Absichten im Streit zu sehen ist, da das zentrale Streitthema bereits (zugunsten der Absichten der Sb) beendet ist. Das Gespräch endet ohne Beilegung des Streits. Zur Veranschaulichung ist im Folgenden die Entwicklung des als unkooperativ interpretierbaren Verhaltens der Interaktanten (Graphik 10) und ihrer Versuche, Macht in der Interaktion zu erlangen (Graphik 11), über den Streitverlauf hinweg noch einmal abgebildet. Anhand der Graphiken lassen sich einige Aspekte hinsichtlich der Streitentwicklung in diesem Gespräch sehr gut aufzeigen. Die Ausschläge nach rechts zeigen dabei (wie bei einer seismographischen Aufzeichnung) als unkooperativ bzw. als Machtmittel interpretierbare Aktivitäten der Interaktanten an. Die graue Linie zeichnet das Verhalten des Klienten nach, die schwarze das der Sb. Die «Warnschilder» in Graphik 10 kennzeichnen Image-Verletzungen. Die Ausschläge nach rechts und links wie auch die Abstände zwischen den einzelnen Punkten von oben nach unten entsprechen jedoch keinem festen Maßstab, sondern dienen lediglich der Veranschaulichung der Analyseergebnisse. Selbstverständlich ist kaum messbar, ob eine bestimmte Aktivität z. B. tatsächlich als um einen Wert X «unkooperativer» aufgefasst wird als eine andere. Ob sie aber zumindest generell als (stark oder weniger stark) unkooperativ aufgefasst wird, lässt sich oft an der entsprechenden Schärfe der Reaktion des Streitpartners erkennen.

312 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Unkooperativität Unkooperativität   Streitgespräch  1      

  – –  

Phase 1  

Phase 2

 

 

 

 

Ratifizierungen („Genau“)

Selbstreflexion (eigene Aufgebrachtheit) Signalisierung Kooperationsbereitschaft

Phase 3 Selbstreflexion (aufgebracht) +Signalisierung Kooperationsbereitschaft Signalisierung Kooperationsbereitschaft Betonung gemeinsames Ziel (nicht ärgern, sondern unterstützen) Signalisierung Kooperationsbereitschaft Einwilligung Unterschrift

Phase 5

 

  +

 

+     Themenblockierung,   non-responsives   !  Verhalten   Abbruch Partner-Thema: „So isses“   Demonstrative Unkoop.   ! (rhetorische Frage)   Zuweisung/Themenbeendigung,   Wiederholung: Zuweisung     Unterbrechung + WH Zuweisung   (non-responsiv)   Verweigerung Turnabgabe + Selbstrephrasierung   (Reaktion von Sb: „Hörn Se ma zu“)     Verweigerung Turnabgabe   + „Es nutzt aba ma nichts“   „absurdes Argumentieren“ (Therapie)   Selbstrephr. (non-responsiv) + Verweigerung   Turnabgabe (Reaktion von Sb:   „Hörn  Se mir jetz ma zu“)   Themenbeendigung durch !   implizite Sanktionsdrohung !   „absurdes Argumentieren“   Verweigerung Turnabgabe + Vorwürfe   Selbstrephrasierungen (non-responsiv)   Widerspruch: ist keine Unterstützung   ! Verweigerung   Turnabgabe   + Versuch: Gesprächsabbruch Vorwürfe Verweigerung Gesprächsbeendigung:   „Eh  wir sind noch nich fertich“     ! Nachverbrennung:   Unterbrechung + Korrektur   Demonst. Verweigerung v. Koop.   !   2. Nachverbrennung:   Unterbrechungen + Vorwürfe Explizite Verweigerung v.   Koop.: „nich   mit mir“ non-responsives Verhalten !   !   3. Nachverbrennung   Gesprächsabbruch +  

Selbstreflexion („total aufgeregt“)

Phase 4

 

Eingehen auf Kl-Äußerung Äußerung Metakomm. Thematisierung konfliktauslösender Vorfall Selbstreflexion (eigene Aufgebrachtheit)

Ratifizierung Etablierung v. Gemeinsamkeit: Wenn Sie an meiner Stelle wärn Einwilligung 2. Unterschrift Eingehen auf Kl-Äußerung Äußerung v. Verständnis für Kl

Vorwurf: Sie verstehn

   

Graphik 10: Unkooperativität – Streitgespräch 1 Graphik 11: (rechte Seite): «Macht» – Streitgespräch 1

überhaupt nichts

 

Analyse Streitgespräch 1 

 313

Macht – Phase 1

+ Interakt.+semant. Dominanz Kritik an Fachwissen: „damit hat das ja nisch zu tun“ Betonung Fachwiss.: „Ja ich weiß“ Themenabbruch + Handlungsaufforderung Rechtfertigungsdruck + Kritik: „also!“ Zuweisung

Phase 2

Wiederholung Zuweisung Betonung: eigene eingeschränkte Handlungsfreiheit

Betonung: eigene eingeschränkte Handlungsfreiheit Betonung: eigene eingeschränkte Handlungsfreiheit Prinzipielle Einwilligung

Zeitl. Einschränkung Wiederholung Zuweisung Fordernde Fragen Widerspruch, Insistieren Handlungsaufforderung Fordernde Fragen Zuweisung Themen-Relevantsetzung: Darum geht’s Insistieren + vorwegnehmende

Phase 3 Prinzipielle Einwilligung

Entkräftung Sanktion Insistieren + Vorwurf:

Prinzipielle Einwilligung

Rechtfertigungsdruck Aufforderung: Beruhigen Insistieren + Vorwurf: Rechtfertigungsdruck Aufforderung: Zuhören, Insistieren + Themen-Relevantsetzung Insistieren+Gruppenbildung Sanktionsdrohung

Phase 4 Einwilligung Betonung: Unterstützen statt ärgern Eingehen auf Argument von Kl: Zurücktreten vom eigenen Standpunkt Einwilligung: Unterschrift Rechtfertigung

Entkräftung Umsetzung in Realität Widerspruch + Fordernde Fragen Gruppenbildung Vorwegnehmende Entkräftung Sanktion + Gesprächsabbruch Aufforderung: Bleiben und unterschreiben Handlungsverweigerung Offizielle Ratifizierung Vorwurf: Rechtfertigungsdruck Nachverbrennung: Korrektur Fachterminus Ignorieren Vorwürfe (Frageformat) Verweis an Geschäftsführer Drohung Entkräftung

Widerspruch + Fordernde Fragen

Betonung: Unterstützen statt ärgern

Gruppenbildung

auf Argument von Kl: 314  Eingehen  Analysen III: Streitinteraktionen

Vorwegnehmende Entkräftung Sanktion + Gesprächsabbruch

Zurücktreten vom eigenen

Aufforderung: Bleiben

Standpunkt

und unterschreiben

Einwilligung: Unterschrift Rechtfertigung –

Macht

Handlungsverweigerung Offizielle Ratifizierung

+ Vorwurf: Rechtfertigungsdruck Nachverbrennung: Korrektur

Phase 5

Fachterminus Ignorieren Vorwürfe (Frageformat) Verweis an Geschäftsführer Drohung Entkräftung Entschuldigung

Vorwurf + Gruppenbildung Aufforderung Unterschrift Handlungsverweigerung

Unterschrift

Offizielle Ratifizierung (Zustimmungsnotwendigkeit) Nachverbrennung: narrativer Vorwurf Zurechtweisung: ich bin nicht

Etablierung v. Gemeinsamkeit

dafür da ... Gesprächsabbruch + Widerspruch

zu Graphik 11: «Macht» – Streitgespräch 1

An diesen Graphiken lassen sich einige Punkte noch einmal besonders gut nachvollziehen: 1. Besonders auffällig ist in beiden Graphiken zunächst, dass bei beiden Interaktanten permanente Wechsel zwischen unkooperativem und kooperativem Verhalten sowie zwischen Versuchen, Macht zu erlangen, und Zurücknahme zu beobachten sind («Zickzack»-Linien). Sehr deutlich zeigt sich hierin also der oben bereits angesprochene permanente Wechsel zwischen «verschärfter Gangart» (Kallmeyer/Schmitt 1996) und Aktivitäten, die eine Renormalisierung ermöglichen könnten. Dabei scheint immer gerade dann, wenn der eine Gesprächspartner sich zurücknimmt bzw. Kooperativität signalisiert, der andere sich eher forcierend und unkooperativ zu verhalten. Sie reagieren dabei offenbar verzögert auf die jeweils als unkooperativ/forcierend aufgefassten Aktivitäten des Gegenübers zuvor (bzw. reagieren verzögert mit Kooperativität/Zurücknahme, während der Gesprächspartner jedoch schon wieder die Gangart verschärft). Graphisch zeigt sich das daran, dass die beiden Linien in den Graphiken streckenweise regelrechte Rauten abbilden. Das kann ein Grund dafür sein, weshalb es nicht zu einer Renormalisierungsphase kommt, und zeigt, dass ein Streit sich hier im wahrsten Sinne des Wortes «aufschaukelt», selbst wenn vielleicht keiner der Gesprächspartner streiten «will».

Analyse Streitgespräch 1 

 315

2. Zudem wird deutlich erkennbar, dass zu Beginn des Gesprächs die Sb mehr oder weniger den «Ton» vorgibt, ihr Verhalten vom Kl als eher unkooperativ und dominant interpretiert wird – worauf dieser reagiert und «nachzieht» (die Ausschläge der grauen Linie erfolgen also nach denen der schwarzen Linie). Ab der Mitte der zweiten Streitphase schlägt dies jedoch um, und die Sb scheint eher auf die (als unkooperativ/forcierend aufgefassten) Aktivitäten des Kl zu reagieren. Erst in der fünften Phase, kurz vor Gesprächsende, lässt sich das Verhalten der Sb als unkooperativer auffassen, obgleich der Kl sich in dieser Phase streckenweise eher kooperativ zeigt (sich also auf der linken Seite «aufhält»). Daraufhin verweigert er am Gesprächsende schließlich jegliche Kooperation. 3. Insgesamt entsteht dabei der Eindruck, dass die Interaktanten einander in ihrem unkooperativen und forcierenden Verhalten jeweils vorantreiben. Das zeigt sich besonders am Gesprächsanfang: Im Verlauf der ersten Phase sind zunächst Ausschläge der schwarzen Linie der Sb zu beobachten, woraufhin v. a. zum Ende der Phase hin, das Verhalten des Kl einen stark unkooperativen/forcierenden Eindruck macht, worauf wiederum die Sb mit noch klarer wahrnehmbarer Unkooperativität bzw. Machtmitteln reagiert. Hier wird das Take-off, das «Abheben» des Streits erkennbar. 4. Beide Graphiken zeigen darüber hinaus, dass die Ausschläge zum Ende des Streits hin immer weiter auseinandergehen. Besonders starke Ausschläge in Bezug auf Unkooperativität des Kl sowie in Bezug auf Machtmittel der Sb markieren dabei offenbar die Phasenübergänge: Die Sb scheint also Macht immer dann einzusetzen, wenn der Kl ein von ihr als stark unkooperativ markiertes Verhalten zeigt (s. z. B. ihre Aufforderungen zuzuhören) – womit der Streit in eine jeweils neue Phase gelangt. Ganz besonders deutlich wird das am Übergang von Phase 3 zu Phase 4 (in beiden Graphiken): Hier fasst die Sb das Verhalten des Kl offenbar als sehr unkooperativ auf, woraufhin sie explizit Macht einsetzt (Sanktionsdrohung und begonnene Umsetzung der Drohung in die Realität, um den Kl zur Kooperation zu «zwingen»). 5. In Graphik 11 («Macht») lässt sich zudem erkennen, dass in den letzten beiden Gesprächsphasen die Ausschläge nach links deutlich seltener werden, die Interaktanten sich also kontinuierlich forcierender (u. U. aber trotzdem zum Teil kooperativ)35 verhalten – was dem entsprechen dürfte, was Kallmeyer und Schmitt (1996) als «Pressing» bezeichnen. Während sich in Phase 4 vor allem das Verhalten des Kl als «Pressing» ansehen lässt, gilt das in Phase 5

35 Im Vergleich der beiden Graphiken miteinander zeigt sich hier, dass Unkooperativität und Versuche, Macht zu erlangen, nicht immer miteinander einhergehen. Man kann sich durchaus kooperativ verhalten, aber trotzdem zu Machtmitteln greifen.

316 

 Analysen III: Streitinteraktionen

sehr deutlich auch für die Sb – in dieser Phase scheinen beide Interaktanten regelrechte «Machtkämpfe» auszufechten. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass die Linie der Sb in dieser Graphik fast über das ganze Gespräch hinweg stärkere Ausschläge nach rechts abzeichnet als die Linie des Kl: Das bildet ab, dass die Sb über stärkere Machtmittel als der Kl verfügt (eine Zuweisung bspw. stellt ein stärkeres Machtmittel dar als fordernde Fragen o. ä.). 6. Graphik 10 («Unkooperativität») zeigt zudem, dass zum Ende des Streits hin auch die offenen Image-Verletzungen zunehmen, und zwar vom Kl ausgehend, während in der ersten Streitphase eher latente Image-Verletzungen durch die Sb zu beobachten sind. Allerdings weist das Verhalten des Kl in den späteren Streitphasen, insbesondere die Nachverbrennungen in Phase 5, darauf hin, dass auch er sein Image verletzt sieht. 7. In beiden Graphiken wird letztlich erkennbar, dass die beiden Linien am Ende klar auseinander gehen: Die Sb versucht zum Ende doch noch einzulenken (sich kooperativer und weniger forcierend zu zeigen) und das Gespräch friedlich zu beenden – was aber in Widerspruch zu ihrem vorherigen Verhalten steht. Der Kl verweigert dies schließlich völlig. Die Sequenzanalyse zeigt also sehr klar, dass das Gespräch offensichtlich nicht von Beginn an ein Streitgespräch ist, sondern sich ein Streit erst aus den wechselseitigen (als unkooperativ, image-verletzend, forcierend interpretierten) Aktivitäten beider Gesprächspartner im Verlauf des Gesprächs entwickelt – und zwar, indem die Interaktanten einander (zeitversetzt) in ihrem unkooperativen, forcierenden, face-bedrohenden Verhalten jeweils vorantreiben. Diese Bobachtung wird auch durch einige in der Fragebogenumfrage erhobene Zusatzinformationen gestützt: Der Kl wurde vor Beginn des Gesprächs zu seinen Ansichten über die Mitarbeiter der entsprechenden Behörde im Allgemeinen befragt. Da die Interaktanten einander bereits aus früheren Gesprächen kennen, fließen in diese Angaben vermutlich auch seine Einstellungen zu der an diesem Gespräch beteiligten Sb ein. Es zeigt sich, dass er die Mitarbeiter der Behörde im Allgemeinen für eher gut ausgebildet, sehr tolerant, eher ruhig/entspannt und eher arbeitswillig/hilfsbereit hält. Bezüglich der Fragen, ob er die Behördenmitarbeiter als «freundlich» und «sympathisch» einschätzt, gibt der Kl «neutral» an – also weder explizit unfreundlich oder unsympathisch noch explizit freundlich oder sympathisch. Im Vergleich zu den Angaben aller befragten Klienten stellen die Angaben des Kl durchschnittliche, bezüglich des Punktes «Arbeitswilligkeit» sogar besonders positive Werte dar. Insgesamt scheint er keine ausdrücklich negativen Einstellungen den Mitarbeitern der Behörde gegenüber zu haben. Auch das zeigt, dass der Streit hier nicht schlichtweg auf vor dem Gespräch bestehenden (Vor-) Urteilen basiert, sondern offenbar aus der Interaktion selbst heraus entsteht.

Analyse Streitgespräch 1 

 317

Zentral scheint dabei die erste Phase des Gesprächs zu sein, aus der heraus sich der Streit erstmalig eröffnet: Wie die Graphiken oben abbilden, fasst hier v. a. der Kl das Verhalten der Sb als unkooperativ, latent face-bedrohend und auffällig dominant auf. Sie gibt offenbar den «Ton» vor und agiert ihre Rolle bereits hier deutlich als Höherstehende aus, positioniert sich asymmetrisch zum Kl. Der Streit bricht anschließend offen aus, als in Form der Zuweisung das erste Mal explizit die institutionellen Machtprivilegien der Sb ausgeübt werden – obwohl dies dazu gedacht sein könnte, den Streit allgemein oder zumindest die weitere Behandlung einzelner im Streit fokussierter Themen zu beenden. Die Sb scheint mit der Thematisierung von Macht zwar jeweils auf ein als stark unkooperativ empfundenes Verhalten des Kl zu reagieren, jedoch markiert jede Aktualisierung von Macht durch die Sb den Übergang zu einer neuen Streitphase, führt zu weiteren unkooperativen Aktivitäten des Kl und zu immer stärkeren Versuchen seinerseits, selbst Machtansprüche geltend zu machen – was ihm teilweise auch gelingt. Allerdings haben die Machtmittel des Kl eine andere Qualität als die der Sb: Dem Kl gelingt es zwar, Dominanz in mehreren Bereichen zu erzielen, eine Zuweisung oder eine Sanktionsdrohung (also «sanktionsbewehrte» sprachliche Handlungen), wie sie von der Sb vorgebracht werden, stellen jedoch stärkere Machtmittel dar. Zuletzt setzt die Sb ihre Absichten (Zuweisung) durch, damit ist aber der Streit nicht beendet. Insbesondere die Nachverbrennungen und das «Ringen um Macht» zum Ende hin zeigen, dass im Grunde zwei Streitpunkte existieren: Erstens möchte der Kl nicht einer Trägergesellschaft zugewiesen werden, da er glaubt, das helfe ihm nicht, eine Anstellung zu finden (Interessenskonflikt). Zweitens stört ihn offenbar gerade die Ohnmachtsposition, die er in der Beziehung SachbearbeiterKlient erhält. Das könnte erklären, weshalb der Streit auch nach der Unterschrift des Kl auf den Zuweisungspapieren – also nach der Beendigung des hauptsächlichen Streitthemas – noch ca. sechs Minuten fortgeführt wird. Schließlich behält der Kl das letzte Wort und bricht das Gespräch, trotz der Einlenkungsversuche durch die Sb, eigenmächtig unter einigen letzten Vorwürfen ab – die Verweigerung jeglicher Kooperation und ein letzter Einsatz von Macht im Gespräch. Es entsteht also der Eindruck, dass die Interaktanten nicht nur um eine vom Kl erwartete, von ihm aber abgelehnte Handlung streiten, sondern zumindest auch um ihre (asymmetrische) Beziehung zueinander. Während die Sb sich – zunehmend im Verlauf des Gesprächs – als Höherstehende, als An- bzw. Zuweiserin, als Vertreterin der (allein) entscheidenen Institution positioniert (wobei der Kl damit in eine klar passive Position gestellt wird, als Person, die nicht mitentscheiden kann/darf), versucht der Kl in Reaktion darauf zunehmend, sich gegen eine solche asymmetrische Positionierung zu wehren oder sie sogar umzukehren.

318 

 Analysen III: Streitinteraktionen

8.5 Analyse Streitgespräch 2 Zum Vergleich soll nun ein Streitgespräch aus dem argentinischen Korpusteil besprochen werden. Diese Analyse konzentriert sich vor allem auf die Schritte in der Streitentwicklung und wird etwas straffer gehalten als die Analyse des Streitgesprächs 1. Es handelt sich um ein Gespräch an der Dirección Nacional de Migraciones, Bereich Extra-Mercosur, zwischen einer argentinischen Sachbearbeiterin und einer spanischen Klientin (P 78 arg.). Die Klientin will sich einbürgern lassen. Anders als in Streitgespräch 1 kontaktiert die Klientin auf eigene Veranlassung die Behörde, da sie ein klar definiertes Anliegen (Einbürgerung) hat. Die Gesprächspartner kennen sich auch hier offenbar aus früheren Gesprächen. Allerdings lebt die Klientin erst seit einigen Wochen in Argentinien. Hervorzuheben ist, dass die Interaktanten in diesem Gespräch dieselbe Muttersprache (Spanisch) sprechen, wenn auch in unterschiedlichen Varietäten. Die Vorbedingungen dieses Gesprächs unterscheiden sich also von denen des Streitgesprächs 1. Die Gesprächsaufzeichnung beginnt auch in diesem Fall erst kurz nach Gesprächsbeginn. Zuvor wurden die Gesprächspartner nach ihrem Einverständnis mit der Aufnahme gefragt. Eine Begrüßung fand nicht im üblichen Sinne statt. Stattdessen leitete die Sb das Gespräch ein mit der Frage nach der Wartenummer der Kl, die diese ihr wortlos überreichte. Die Aufzeichnung endet mit dem Gesprächsende. Sie ist insgesamt 5:14 Minuten lang.

8.5.1 Die Streitobjekte – Worüber wird gestritten? Eine erste Durchsicht des Transkriptes zeigt, dass die Klientin in ihren Unterlagen für den Einbürgerungsantrag eine Beglaubigung aus Spanien mitgebracht hat, die in Argentinien nicht anerkannt wird, da hier eine international gültige Apostille erforderlich wäre. Die Klientin glaubt jedoch – auf Basis ihres auf Spanien bezogenen institutionellen Vorwissens –, über eine gültige Beglaubigung zu verfügen, und versteht nicht, weshalb sie nach einer anderen gefragt wird. Es handelt sich also zunächst um ein Verstehensproblem, das auf fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen beruht. Hier zeigt sich erneut, dass Migranten z. T. mit stärkeren Wissensdivergenzen in diesem Bereich konfrontiert sind als Einheimische, weil sie über anderes (nicht unbedingt weniger) institutionelles Vorwissen verfügen. Daraus entwickelt sich jedoch ein Streit. Die Klientin akzeptiert weder die von der Sachbearbeiterin übermittelten Informationen (dass die von ihr mitgebrachte Beglaubigung ungültig ist) noch die daraus resultierende Handlungsaufforderung (beim spanischen Konsulat eine gültige Beglaubigung einzuholen). Sie

Analyse Streitgespräch 2  

 319

verfolgt dagegen das Ziel, ohne weitere Verzögerung im Prozess der Einbürgerung fortzufahren. Auch hier bestehen eindeutig Diskrepanzen hinsichtlich der Ansichten und Handlungsabsichten der Gesprächspartner.

8.5.2 Detail-Analyse Streitgespräch 2 Auch dieses Gespräch wird Schritt für Schritt analysiert. Die Analyseergebnisse werden anschließend mit denen der Analyse des Streitgesprächs 1 aus dem deutschen Korpusteil zusammengeführt. Das Gespräch wird für die Analyse wiederum in mehrere Phasen unterteilt, die Transkriptausschnitte werden jeweils vor der Analyse einer Phase präsentiert. 8.5.2.1 Phase 1: Gesprächsbeginn, Einreichung der Unterlagen [1] Sb [v]

Sí. Por qué te radicás? • Por estudios?

Kl [v]

Eh/

Sí. ((2,5s))

Esos son lo realees • las fotocopias Bezug nehmend auf ihre Unterlagen

Kl [k]

[2] Sb [v]

Igual es que quedaa el • original.

Tu apellido e Sb spricht privat mit Kollegen.

Sb [k] Kl [v]

son éstas.

Aha.

[3] Sb [v]

Rubi o Rubio?

Kl [v]

Ah te pusieron Rubi. Rubio.

Ya es que se confundían y no podían renovar el

[4] Kl [v]

papel y lo hago mañana. ((5s)) Igual lo dije ahí en lo dee • eh • donde me tomaron las

[5] Kl [v]

huellas y me dijeron que no había ningún problema porque los demás datos estaban

[6] Sb [v] Kl [v]

((7s)) Dónde estaban las fotocopias del pasapor/ (acá) ((9s)) Partida de bien.

320 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[7] Sb [v] Kl [v]

nacimiento original y copia? • • Esta. Aquí estaba el originaal ((2s)) Eso es? No. ((1s)) Sí.

Die erste Gesprächsphase beginnt mit dem Start der Aufzeichnung, unmittelbar nach der Gesprächseröffnung durch eine Frage nach der Wartenummer der Kl. Auffällig ist hier, dass das Gesprächsanliegen von der Kl nicht formuliert wird und auch vor Beginn der Gesprächsaufzeichnung nicht benannt wurde. Der Sb ist aber offenbar bewusst, welches Anliegen die Kl verfolgt. Sie fragt nicht danach, sondern lediglich nach dem Grund für die Beantragung einer Einbürgerung: «Por qué te radicás?» (‹Weshalb siedelst du dich an?›, PF 1). Vermutlich entnimmt sie diese Information Formularen, die die Kl ihr vorgelegt hat, oder erinnert sich aus einem früheren Gespräch über dasselbe Anliegen an die Kl. Die Kl beginnt unmittelbar damit, ihr Gesprächsanliegen zu bearbeiten und überreicht der Sb offenbar einige Dokumente und Kopien, die diese entgegennimmt, während sie sich (privat) mit Kollegen unterhält. Anschließend kommt eine Frage nach dem Nachnamen der Kl auf, der offenbar in den Unterlagen falsch notiert wurde. Auf die folgende relativ ausführliche Erläuterung der Kl, wie es dazu gekommen ist, geht die Sb nicht (verbal) ein. Auch erläutert sie nicht, ob die falsche Notierung des Namens etwaige Folgen mit sich bringt. Stattdessen folgen ein sieben Sekunden langes Schweigen, eine Frage nach den Passkopien der Kl (die die Sb selbst beantwortet) sowie die äußerst knappe Aufforderung an die Kl: «Partida de nacimiento original y copia?» (‹Geburtsurkunde Original und Kopie?›, PF 6, 7). Fehlende Kohäsionsmarker lassen die Äußerungen der Sb wie die Abarbeitung einer Liste erscheinen. Die Kl überreicht der Sb die gewünschten Unterlagen. In dieser Phase verhalten sich die Gesprächspartner relativ kooperativ. Auffällig ist lediglich ein gewisser «Listenstil» der Äußerungen der Sb, der wohl auf den Zweck dieser ersten Gesprächsphase, die Einreichung und Entgegennahme der Unterlagen, zurückzuführen ist. Anschließend kommt es allerdings zu einem Verstehensproblem zwischen den Interaktanten. 8.5.2.2 Phase 2: Aufkommen eines wissensdivergenzbedingten Verstehensproblems [8] Sb [v] Kl [v]

((1s)) Dónde está la legalización?

((1s)) No ((1,5s)) Cómo la legalización?

Analyse Streitgespräch 2  

 321

[9] Sb [v]

está apostillado.

Kl [v]

Aquí no?

((5s)) No está legalizado el documento. Claro. • Eso es.

((2,5s)) A

[10] Sb [v] Kl [v]

No. No es la ver • cómo no está legalizado? Esto es la apostilla que te ponen • en el registro civil

[11] Sb [v]

apostilla. La apostilla es • o sea la Apostilla • (la firma) ((4s)) Eso e la apostilla.

Kl [v]

de Madrid.

((3s))

Diese Sequenz beginnt mit der Einführung eines problematischen Aspektes, nämlich der Information durch die Sb, dass in den Unterlagen der Kl eine Beglaubigung fehlt. Auffällig ist allerdings die Art und Weise, in der diese Information an die Kl übermittelt wird, nämlich über eine Frage: «Dónde está la legalización?» (‹Wo ist die Beglaubigung?›, PF 8). Die Einführung eines Problems durch eine Frage – anstelle einer Mitteilung – unterstellt der Kl ein bestimmtes Vorwissen (in diesem Fall das Wissen darum, dass eine entsprechende Beglaubigung beigebracht werden muss: Präsupposition), worüber die Kl aber als fachlicher Laie u. U. nicht verfügt. Zudem wird die Frage ohne jegliche Höflichkeitsmarker und Kohäsionsmittel formuliert. Sie kann von der Kl als Schuldzuweisung interpretiert werden (dass sie wider besseres «Wissen» keine Beglaubigung erbracht hat), was allerdings an dieser Stelle der Interaktion nicht klar festzustellen ist. Unmittelbar im Anschluss wird ein Verstehensproblem auf Seiten der Kl erkennbar an ihrem 1,5 Sekunden langen Zögern sowie der expliziten Rückfrage «Cómo la legalización?» (‹Wie, die Beglaubigung?›, PF 8). Auffällig ist, dass die Sb zur Bearbeitung dieses Verstehensproblems – trotz mehrfacher Rückfragen und Widersprüche der Kl («Aquí no? Claro. Eso es.», PF 9; «Cómo no está legalizado?», PF 10) – zunächst ausschließlich ihre eigenen Äußerungen (leicht abgeändert) rephrasiert: «No está apostillado» (‹Das trägt keine Apostille›, PF 8, 9), «No está legalizado el documento» (‹Das Dokument ist nicht beglaubigt›, PF 9). Diese Selbstrephrasierungen der Sb sind nicht responsiv, beziehen sich so gut wie gar nicht auf die Äußerungen der Kl (nicht einmal mit einer Antwortpartikel), können also als unkooperatives Verhalten aufgefasst werden. Weiterhin verwendet die Sb keine Höflichkeitsmarker, Kontextverweise u. ä.

322 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Die Kl verdeutlicht ihr weiter bestehendes Verstehensproblem, indem sie erklärt, der Stempel auf ihrem Dokument sei die Apostille, die sie in Spanien erhalten habe (PF 10, 11). Sie wird jedoch mit einer Korrektur der Sb unterbrochen: «No. No es la apostilla» (‹Nein. Das ist nicht die Apostille.›, PF 10, 11; die Doppelung der Negationspartikel lässt die Korrektur besonders hervortreten). Im Anschluss fügt diese jedoch, sich mehrfach selbst unterbrechend und neu ansetzend ein Beispiel an, was als kooperativeres Verhalten angesehen werden kann. Sie verweist offenbar auf ein anderes Dokument und erklärt: «Eso es la apostilla» (‹Das ist die Apostille›, PF 11). Mit diesem Beispiel (mit dem rein visuell auf einen Unterschied zwischen den beiden Stempeln auf den Dokumenten verwiesen wird) wird das Verstehensproblem allerdings offenbar weiterhin nicht erfolgreich bearbeitet. Erkennbar wird das an einem erneuten Zögern der Kl (3 Sekunden) und einer erneuten Rückfrage (PF 12), die sie aber selbst abbricht. Die Kl lässt ihr Verstehensproblem dementsprechend bestehen und gibt sich mit dem Verständnis des Umstands zufrieden, dass ihre Beglaubigung zumindest nicht die erwünschte ist.36 Anstatt weitere Versuche zu unternehmen, das Verstehensproblem zu bearbeiten, führt sie nun einen inhaltlich neuen Aspekt ein und argumentiert, sie benötige die entsprechende Beglaubigung nicht, um ihren Einbürgerungsantrag zu stellen.

36 Der Hintergrund dieses Verstehensproblems wird erst ersichtlich, wenn man gesprächsexternes Wissen hinzuzieht: Eine Apostille ist eine spezifische Beglaubigungsform im internationalen Urkundenverkehr. Die Klientin scheint dagegen lediglich eine allgemeine (nicht für den internationalen Gebrauch bestimmte) Beglaubigung zu haben. Der Unterschied zwischen einer solchen allgemeinen Beglaubigung («legalización») und einer Apostille ist ihr offenbar nicht bekannt (fachlich-institutionelle Wissensdivergenz); diese Wissensdivergenz wird nicht überbrückt. Dass die Sachbearbeiterin zudem die beiden Begriffe «legalizar/legalización» und «apostillar» synonym gebraucht (anstatt gerade den Unterschied zwischen ihnen zu erläutern), dürfte das Verstehensproblem zusätzlich verstärken.

Analyse Streitgespräch 2  

 323

8.5.2.3 Phase 3: Verhandlungsversuch der Klientin 8.5.2.3.1 Phase 3a) Argumentation anhand eines Vergleichs [12] Kl [v]

Entonces qué son la/ • y una amiga mia que hizo el visado lo tiene igual que yo. • Y

[13] Sb [v] Kl [v]

((4s)) No está legalizado el documento. no le han dicho nada.

((6s)) Pues yo he todo

[14] Sb [v] Kl [v]

((1,5s)) No sé dónde los papeles en una misma y no/ o sea me lo hubiesen apostillado.

[15] Sb [v]

los llevaste y no/no/ pa sacar lo/ Bién. No te lo ha apostillado.

Kl [v]

Ya lo sé pero (esta

[16] Kl [v]

dirección)/ Es que exactamente hace una semana así lo hizo • Paloma • una amiga

[17] Kl [v]

mia • y tiene • los mismos documentos que tengo yo porque hicimos (ésto) juntas

[18] Kl [v]

O sea unos sí otros no.

Der Verhandlungsversuch der Kl beginnt damit, dass sie einen Vergleich anführt mit einer ähnlichen Situation, die von Kollegen der Sb (in derselben Abteilung der Behörde) anders gehandhabt wurde. Sie berichtet in PF 12 von einer Freundin, die dieselben Unterlagen wie sie eingereicht habe, deren Unterlagen jedoch ohne Apostille akzeptiert wurden («Y no le han dicho nada»: ‹und ihr hat man nichts gesagt›).37 Die Sb zögert daraufhin recht lang (4 Sekunden), was Irritation ausdrü-

37 Argumentationsversuche dieser Art sind bei Klienten in dieser Studie öfter zu beobachten.

324 

 Analysen III: Streitinteraktionen

cken kann und rephrasiert anschließend in PF 13 wörtlich die bereits in PF 9 vorgebrachte Äußerung: «No está legalizado el documento» (‹Das Dokument ist nicht beglaubigt›). Diese paraphrasiert sie kurz darauf ein fünftes Mal, ohne auf weitere Äußerungen der Kl einzugehen. Das kann als nicht responsives und aufgrund der Häufung der Selbstrephrasierungen als zunehmend unkooperatives Verhalten aufgefasst werden sowie als Form des Insistierens (cf. Kallmeyer/Schmitt 1996). Die Kl signalisiert allerdings weiterhin Kooperativität und bestätigt zunächst: «Ya lo sé» (‹Ich weiß schon›, PF 15). Die Information, dass ihr eine Apostille fehlt, hat sie also, wie sie hiermit explizit macht, verstanden. Dennoch versucht sie ein zweites Mal (eingeleitet mit der adversativen Konjunktion «pero»: ‹aber›) in PF 15 bis 18, anhand des Vergleiches mit ihrer Freundin zu argumentieren. Diesmal führt sie den Vergleich etwas detaillierter aus und nennt in PF 16 sogar den Vornamen ihrer Freundin («Paloma • una amiga mia», ‹Paloma • eine Freundin von mir›).38 Sie bricht ihre Äußerung kurz darauf jedoch selbst ab und ändert ihre Argumentationsstrategie, indem sie nun offene Vorwürfe an die Sb richtet.

8.5.2.3.2 Phase 3b) Etablierung von Gemeinsamkeit vs. Vorwürfe [18] Kl [v]

. O sea unos sí otros no. ((4s)) Es que cada día me dices una cosa cuando vengo.

[19] Sb [v]

• • No. Eso e una cosa que te piden. No está legalizado. Esto está bien. Si ésto no lo

[20] Sb [v]

tiene— • Lo tiene que tener. Si es el requisito. Si vos pasas por informes • (lo que te

[21] Sb [v] Kl [v]

dan) lo dicen. No sé. • Es lo que te piden. Si te pondrías un poquito de acuerdo porque/

Häufig wird in einer Beispielerzählung (cf. Brünner/Gülich 2002) ein Vergleich mit Bekannten angeführt, die in einer ähnlichen Situation anders behandelt wurden, um anzuzeigen, dass die eigene Situation «normalerweise» anders gehandhabt würde. 38 Da sie nur den Vornamen, nicht den vollständigen Namen der Freundin nennt, kann dies nicht dazu gedacht sein, dass die Sb diese beispielsweise in ihrem Computersystem suchen und den Fall überprüfen kann. Die Erwähnung des Namens dürfte hier zu Illustrationszwecken erfolgen.

Analyse Streitgespräch 2  

 325

[22] Sb [v] Kl [v]

((1,5s)) No pasaste por informes? • Vamoos.

Sí. Y • es que • estaba aquí cuatro veces.

[23] Sb [v] Kl [v]

Mhm. Y el otro día por ejemplo no me dijeron nada de ésto. • Me dijeron que me faltaba

[24] Sb bespricht sich sehr leise mit Sb2.

Sb [k] Kl [v]

ésto.

In PF 18 formuliert die Kl zwei Äußerungen, die als Vorwürfe an die Sb aufgefasst werden können: ein impliziter «O sea unos sí otros no» (‹Also manche ja andere nein›: Willkür) und nach einem vier Sekunden langen Schweigen ein expliziterer: «cada día me dices una cosa cuando vengo» (‹Jeden Tag sagst du mir etwas anderes wenn ich herkomme›: Wankelmütigkeit o. ä.). Während die Sb auf die erste der beiden Äußerungen mit Schweigen, also mit (demonstrativer) Verweigerung von Kooperation, reagiert, widerspricht sie der zweiten explizit («No») und legitimiert ihre Aussagen als institutionell verankert. Das wird unter anderem dadurch umgesetzt, dass sie sich auf Dritte beruft und anstelle der ersten Person Singular die dritte Plural verwendet (zusätzlich hervorgehoben durch stärkere Betonung): «Eso es una cosa que te piden» (‹Das ist eine Sache, die sie fordern›, PF 19). Die Sb präsentiert sich damit deutlich als Vertreterin der Institution, die von dieser getroffene Entscheidungen lediglich ausführt.39 Aus beiden (korrektiven) Reaktionen lässt sich entnehmen, dass die Sb die Äußerungen der Kl tatsächlich als Vorwürfe und Image-Verletzungen auffasst. Hier wird eine Streitmodalität in diesem Gespräch klarer erkennbar. Indem die Sb ihre bereits mehrfach getroffene Aussage («No está legalizado»: ‹Das ist nicht beglaubigt›) noch einmal wiederholt, insistiert sie weiter. Deeskalierend dagegen kann eine anschließende Bemerkung der Sb bezüglich eines offenbar korrekt beglaubigten Dokumentes, «Esto está bien» (‹Das hier ist gut›,

39 Ein ähnliches Verhalten ließ sich auch bei der Sachbearbeiterin in Streitgespräch 1 beobachten (z. B. «Ich muss Sie vermitteln»). Das scheint typisch für die Rolle eines Vertreters einer Institution zu sein.

326 

 Analysen III: Streitinteraktionen

PF 19), interpretiert werden: als Versuch, über eine positive Bemerkung der Kl gegenüber eine Deeskalation zu erreichen. Sie hebt anschließend erneut hervor, die Kl benötige eine entsprechende Beglaubigung: «Si esto no lo tiene– • lo tiene que tener» (‹Wenn das hier das nicht hat • es muss das haben›, PF 19, 20), was sie zusätzlich durch eine erneute Berufung auf institutionelle Vorgaben begründet: «Si es el requisito» (‹Wenn das die Anforderung ist›). Allerdings erhebt die Sb im Anschluss daran selbst einen impliziten Vorwurf an die Kl, diese hätte sich über die erforderlichen Unterlagen informieren können: «Si vos pasas por informes (lo que te dan) lo dicen» (‹Wenn du zur Information gehst (was sie dir geben) die sagen dir das›, PF 20, 21). Die Kl zeigt allerdings nicht an, ob sie dies als Vorwurf interpretiert. Das Verstehensproblem der Kl (der Unterschied erforderliche Apostille – beigebrachte Beglaubigung) findet keine Erwähnung, obgleich es immer noch nicht erfolgreich bearbeitet wurde. Daraufhin ändert die Kl erneut ihre Strategie. Sie geht nicht auf die Äußerung der Sb ein. Stattdessen bittet sie diese: «Si te pondrías un poquito de acuerdo porque/ Vamoos» (‹Wenn du dich ein bisschen einverstanden zeigen würdest weil/ Komm schoon›). Hiermit versucht die Kl offenbar, Gemeinsamkeit zu etablieren, die Sb auf einer persönlichen Ebene – als Gleichgestellte – anzusprechen. Sie verwendet die T-Anrede, bittet um Einverständnis und fügt die umgangssprachlich geprägte Aufforderung «vamoos» (zusätzlich durch Vokallängung prosodisch hervorgehoben) in der ersten Person Plural an. Ihre Bitte wird abgeschwächt durch die Verwendung des Diminutivs «poquito» (‹ein bisschen›). Das kann konfliktreduzierend wirken. Gleichzeitig wird damit aber auch unterstellt, die Entscheidung, ob eine Apostille erforderlich sei oder nicht, hinge einzig vom Gutwillen der Sb ab, deren vorherige Betonung einer eingeschränkten Handlungsfähigkeit aufgrund institutioneller Vorgaben wird ignoriert. Dadurch wirkt die Äußerung der Kl offenbar weniger konfliktreduzierend als vielmehr konfliktsteigernd. Das kurze Zögern der Sb mag bereits Irritation ausdrücken. Anschließend reagiert sie kaum responsiv, sondern fragt – knapp und ohne Kohäsionsmarker – «No pasaste por informes?» (‹Warst du nicht bei der Information?›, PF 22). Sie lenkt also von einer persönlichen Ebene wieder auf die fachliche zurück. Zudem wird hier der implizite Vorwurf, die Kl hätte sich ausreichend informieren müssen, deutlicher. Nun rechtfertigt die Kl sich und erklärt, sie sei in der Tat bereits mehrfach an der Information gewesen, man habe sie aber bislang nicht auf die fehlende Beglaubigung hingewiesen. Offen bleibt, ob sie sich damit über ein eventuelles Fehlverhalten anderer Behördenmitarbeiter beschwert oder ob sie der Sb vorwirft, etwas von ihr zu verlangen, das von anderen Behördenmitarbeitern nicht verlangt werde. Der Versuch der Kl, Gemeinsamkeit zu etablieren, schlägt also wieder in Kritik um.

Analyse Streitgespräch 2  

 327

8.5.2.4 Phase 4: Handlungsanweisung durch die Sachbearbeiterin [24] Sb [k]

Sb bespricht sich sehr leise mit Sb2.

Sb2 [v]

Estás por un año? Formal? • • • Si no que te cambien

[25] Sb [v]

Andá al

Kl [v]

Cuatro.

Sb2 [v] la constancia. Cuánto tiempo te quedás? Un año?

((1s)) Ah.

[26] Sb [v] consulado de España. Kl [v] Sb2 [v]

Pero si es que he todos Si te falta éso tenés que ir al consulado de España.

An dieser Stelle tritt eine zweite Sachbearbeiterin in das Gespräch ein (Sb2). Diese initiiert, nachdem sie sich unter Ausschluss der Kl mit der Sb besprochen hat, ein neues Thema (Aufenthaltsdauer der Kl), das aber im übrigen Gesprächsverlauf nicht weiter behandelt wird. Stattdessen bringt die Sb hier erstmals, relativ abrupt, einen Handlungsvorschlag vor: «Andá al consulado de España» (‹Geh zum spanischen Konsulat›, PF 25, 26). Dieser Vorschlag wird im Imperativ (und in T-Anrede) formuliert, wodurch er eher wie eine Anweisung als wie ein Vorschlag wirkt. Hierbei handelt es sich um eine deutlich forcierende Aktivität (explizite Fremdbestimmung des weiteren Handelns des Gesprächspartners, cf. Kallmeyer/Schmitt 1996), die in ihrer Unvermitteltheit auch als unkooperatives Verhalten angesehen werden kann. Die Sb2 unterstützt die Sb mit einer Paraphrase (PF 26), wodurch die Sachbearbeiterinnen eine gemeinsame «Front» bilden. Auf die Handlungsanweisung geht die Kl allerdings nicht eindeutig ein. Stattdessen versucht sie noch einmal zu argumentieren, sie benötige die entsprechende Beglaubigung nicht. Hierbei geht sie in derselben Reihenfolge von Handlungsschritten vor wie in ihrem ersten Verhandlungsversuch: Argumentation anhand eines Vergleichs, Versuch, Gemeinsamkeit zu erzielen, Vorwürfe.

328 

 Analysen III: Streitinteraktionen

8.5.2.5 Phase 5: Zweiter Verhandlungsversuch der Klientin 8.5.2.5.1 Phase 5a) Argumentation anhand eines Vergleichs [27] Sb [v]

De dónde los llevaste?

Kl [v] los documentos y no me lo apostillaron. Y estoy diciendo que hace/

Pues e

[28] Sb [v]

La cosa es que te van/ te van a po/

Kl [v] España. Donde me hice todos los trámites. Sb2 [v]

Lo que pasa es que

[29] Kl [v]

Pero si he todos los documentos y estoy diciendo

Sb2 [v] la/ la apostilla no es ésta. O sea—

[30] Kl [v] que hace una semana vino Paloma mi • roommate • y tiene los mismos papeles que

[31] Kl [v] yo que lo hicimos. • No. Te lo demuestro. Los traemos. • Para ver si entró en trámite sehr schnell

Kl [k] Sb2 [v]

Pero no está apostillado.

[32] Kl [v] el visa(d)o o no. Porque ella irá a recoger. Sí. (ella) irá a recoger el visado. • • O sea Sb2 [v]

Ya entró en trámite?

Ein zweites Mal versucht die Kl zu verhandeln. Zunächst bestätigt sie allerdings die mehrfach vorgebrachte Aussage der Sb, ihre seien Dokumente nicht beglaubigt: «no me lo apostillaron» (‹sie haben mir das nicht mit einer Apostille versehen›). Anschließend setzt sie zu einem metakommunikativen Kommentar an, wird aber von der Sb unterbrochen mit der Frage, woher sie die entsprechenden Dokumente habe, was die Kl beantwortet: aus Spanien. Erneut wird sie unterbrochen als die Sb zu einer Erläuterung ansetzt («La cosa es que», ‹Die Sache ist, dass›), die von der Sb2 fortgeführt wird: «la apostilla no es ésta» (‹die Apostille ist nicht das›, PF 29). Darauf geht jedoch die Kl nicht ein.

Analyse Streitgespräch 2  

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Stattdessen rephrasiert nun die Kl selbst ihre eigene Aussage, ihre Freundin habe dieselben Dokumente eingereicht wie sie. Dabei nennt sie wiederum den Vornamen der Freundin und beschreibt diese zudem detaillierter als ihre Mitbewohnerin («mi roommate»). Auch das Verhalten der Kl (non-responsive Selbstrephrasierung) lässt sich also mittlerweile als etwas unkooperativer und als Insistieren (cf. Kallmeyer/ Schmitt 1996) auffassen. Sie stärkt ihre Argumentation dadurch, dass sie erklärt, sie könne die Unterlagen ihrer Freundin auch vorweisen («Te lo demuestro»: ‹Ich zeige sie dir›, PF 31) und diese seien bereits akzeptiert worden: «ella irá a recoger» (‹sie kommt, um [die Unterlagen] abzuholen›, PF 32). Einen erneuten Hinweis der Sb2, ihre Unterlagen seien nicht beglaubigt, übergeht sie dabei, da sie parallel weiterspricht. Ebenso wie bei ihrem ersten Argumentationsversuch, wechselt sie anschließend die Argumentationsstrategie. 8.5.2.5.2 Phase 5b) Etablierung von Gemeinsamkeit vs. Vorwürfe [33] Kl [v] que te pongas un poquito de acuerdo porque me decís que unas cosas sí o no. Sb2 [v]

No. Es

[34] Sb [v]

Imposible.

Kl [v]

No. Imposible? • Imposible? Lo traigo ahora. • Entonces me lo

Sb2 [v] imposible quee—

[35] Kl [v] haceis. ((1s)) Sí? O no? Pues me voy a mi casa si no lo haceis. • Porque/ es que • son sehr schnell

Kl [k]

[36] Kl [v] los mismos papeles porque fuimos juntas en España. Sb2 [v]

Y el otro Traelos. Traelos porque lo siento

[37] Kl [v]

día vine aquí y me dijeron que me faltaba ésto. No me dijeron absolutamente/ estos

Sb2 [v] pero/

[38] Kl [v] papeles porque ya los habían mirado. • Sabes que/ poned os un poquito de acuerdo.

330 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[39] Kl [v] ((2,5s))

Es que he venido siete veces ya y cada día me dices una cosa. ((2s)) Sabes no

[40] Sb [k]

Sb reagiert nicht.

Kl [v] n/no sé. ((38s))

In PF 33 bringt die Kl dieselbe Bitte vor wie bereits in PF 21, diesmal als Aufforderung (im Subjunktiv) formuliert: «que te pongas un poquito de acuerdo» (wörtlich: ‹auf dass du dich ein bisschen einverstanden zeigen mögest›). Sie begründet diese Bitte allerdings – was im Gegensatz zu dem darin implizierten Versuch einer Etablierung von Gemeinsamkeit steht – mit dem ebenfalls zuvor schon geäußerten Vorwurf (Willkür) an die Sb «porque me decís que unas cosas sí o no» (‹weil du mir bei einigen Sachen ja sagst und bei anderen nein›, PF 33). Das wirkt weiter konfliktsteigernd. Nun reagiert die Sb 2 mit einer klaren Ablehnung: «No». Sie schließt die Bitte der Kl sogar kategorisch aus («Es imposible quee/», ‹Es ist unmöglich, dass/›, PF 34), was die Sb nun durch eine Rephrasierung unterstützt. Das weist die Kl allerdings zurück («No») und fragt zweimal nach: «Imposible? Imposible?» (‹Unmöglich? Unmöglich?›, PF 34). Die zweimalige Wiederholung und die Formulierung als Frage können hier ebenso Verärgerung wie Ungläubigkeit anzeigen. Anschließend lassen sich eindeutig forcierende Aktivitäten der Kl beobachten. Zunächst erklärt sie, sie werde «es» (die fragliche Apostille oder die Unterlagen der Freundin) sofort bringen («Lo traigo ahora»: ‹Ich bringe es jetzt›, PF 34). Darauf folgend formuliert sie eine Feststellung mit imperativischer Wirkung: «Entonces me lo haceis» (‹Dann macht ihr das für mich›, PF 34, 35). Als daraufhin keine Reaktion der Sachbearbeiterinnen erfolgt, diese also mit Verweigerung von Kooperation reagieren, fordert die Kl eine solche ein: «Sí? O no?» (‹Ja oder nein?›, PF 35). Anschließend thematisiert sie sogar offen Macht, indem sie in schnellem Tempo eine Drohung formuliert, sie werde anderenfalls gehen: «Pues me voy a mi casa si no lo haceis» (‹Nagut, ich geh nach Hause, wenn ihr das nicht macht›, PF 35). Zur Begründung beruft sie sich ein weiteres Mal auf den Fall ihrer Freundin. Die analytische Einordnung dieser Äußerungen der Kl hängt davon ab, worauf sich «lo» in «lo traigo ahora» (PF 34) bezieht. Wenn das Objekt des Satzes sich auf die Unterlagen der Freundin bezieht, dann können die darauf folgenden forcierenden Äußerungen (eigene Handlungsanweisung, Drohung) Versuche darstellen, das eigene Anliegen (Fortführung des Einbürgerungsprozesses ohne die fragliche Apostille) durchzusetzen. Wenn sich das Objekt allerdings auf die geforderte Apostille bezieht – sollte die Kl also der Forderung nachkommen

Analyse Streitgespräch 2  

 331

wollen, die Durchsetzung ihres Anliegens also bereits aufgegeben haben – dann könnten ihre folgenden Äußerungen als «Nachverbrennungen» (Spiegel 1995) zu sehen sein, als Versuche, über den Einsatz von Macht in der Interaktion das eigene Image aufzuwerten. Daraufhin signalisiert die Sb2 nun eher Kooperativität. Sie fordert die Kl auf, die fraglichen Unterlagen vorzuzeigen («Traelos»: ‹Bring sie›) und schwächt die Schärfe dieser imperativischen Forderung ab, indem sie sich explizit entschuldigt: «lo siento pero/» (‹es tut mir leid aber/›, PF 36, 37). Die Kl unterbricht sie jedoch sehr rasch, noch bevor Sb2 die Entschuldigung vollendet (sie reagiert also nur auf die Aufforderung), indem sie erneut betont, man habe ihr bislang nie mitgeteilt, dass sie eine Apostille benötige. In PF 38 versucht die Kl allerdings ein drittes Mal, Gemeinsamkeit zu etablieren, indem sie zunächst implizit um Verständnis bittet durch die (selbst abgebrochene) Einleitung «sabes que/» (‹Weißt du, dass/›) und anschließend ihre Bitte um Einverständnis (diesmal an beide Sachbearbeiterinnen gerichtet) rephrasiert: «ponedos un poquito de acuerdo» (‹zeigt euch ein bisschen einverstanden›). Diesmal formuliert sie ihre Bitte bereits im Imperativ, diese wirkt also fordernder als die zwei vorherigen Bitten, sich einverstanden zu zeigen. Als darauf von den Sachbearbeiterinnen keine Reaktion erfolgt, wiederholt sie (ebenfalls zum dritten Mal) fast wörtlich den an die Sb gerichteten Vorwurf «Es que he venido siete veces ya y cada día me dices una cosa» (‹Es ist, dass ich schon siebenmal hier war und jeden Tag sagst du mir eine Sache›, PF 39). Da weiterhin keine Reaktion der Sachbearbeiterinnen erfolgt, bittet die Kl wiederum um Verständnis: «Sabes no n/no sé» (‹Weißt du, ich/ich weiß nicht›), ein weiterer möglicher Deeskalationsversuch. Sie wechselt also mehrfach zwischen Bitten um Verständnis (potentiell konfliktreduzierend) und Vorwürfen (konfliktsteigernd). Dennoch reagieren die Sachbearbeiterinnen auch darauf 38 Sekunden lang nicht (verbal). 8.5.2.6 Phase 6: Zweite Handlungsanweisung durch die Sachbearbeiterin, Sequenzende [40] Sb [v]

Andá al consulado de España que ahí seguramente te lo Sb reagiert nicht.

Sb [k] Kl [v]

n/no sé. ((38s))

[41] Sb [v] Kl [k]

legalizan. Kl geht wortlos.

332 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Nach diesem langen Zögern reagiert letztendlich die Sb. Sie geht jedoch nicht auf die Argumentationsversuche der Kl ein, sondern rephrasiert wörtlich ihre zuvor bereits vorgebrachte Handlungsanweisung im Imperativ: «Andá al consulado de España» (‹Geh zum spanischen Konsulat›). Damit weist sie zum einen die Argumente der Kl implizit (durch Nicht-Beachtung) zurück (verhält sich also im Sinne der Kl weiter unkooperativ). Zum anderen lässt sich die Anweisung wieder als Form der Aktualisierung von Macht in der Interaktion auffassen. Jedoch mindert die Sb die Schärfe der Formulierung, indem sie hinzusetzt, im Konsulat werde man der Kl sicher helfen. Die Kl geht daraufhin allerdings wortlos. Das Gespräch endet ohne eine Einigung der Interaktanten.

8.5.3 Zwischenfazit Streitgespräch 2 Ähnlich wie im oben besprochenen Streitgespräch 1 aus dem deutschen Korpusteil lassen sich auch in diesem Streitgespräch verschiedene Versuche der Gesprächspartner beobachten, ihr jeweiliges Anliegen (Beendigung des Gesprächs unter Auflage, eine Apostille einzuholen, vs. Fortführung des Einbürgerungsprozesses ohne diese Apostille) durchzusetzen. Folgende Beobachtungen lassen sich diesbezüglich zunächst festhalten: 8.5.3.1 Asymmetrien im kommunikativen Verhalten und Formen der Aktualisierung von Macht 8.5.3.1.1 Themenselektion In der ersten Gesprächsphase ist eine klare semantische Dominanz der Sb zu beobachten. Sämtliche behandelten Themen werden in dieser Phase von der Sb initiiert, die Kl geht darauf ein. Im weiteren Gesprächsverlauf initiiert zwar auch die Kl eine Reihe von Themen (bspw. indem sie Fragen formuliert). Jedoch zeigt sich, dass die Sb über das gesamte Gespräch hinweg kaum auf die Themeninitiierungen der Kl eingeht (sie teilweise sogar durch eine imperativisch formulierte Handlungsanweisung blockiert) und Fragen unbeantwortet lässt. 8.5.3.1.2 Selbstrephrasierungen Die mehrfachen Para- und Rephrasierungen der eigenen Äußerungen der Sb zeigen nicht nur mangelnde Responsivität, sondern können auch eine Form der Aktualisierung von Macht in der Interaktion darstellen. Damit hält die Sb konstant an ihren eigenen Aussagen fest und gesteht der Kl keinerlei Einfluss auf ihr weiteres Vorgehen zu. Allerdings rephrasiert auch die Kl mehrfach eigene Äußerungen, ohne auf die vorherigen Äußerungen der Sb einzugehen. Beide Interaktanten «insistieren».

Analyse Streitgespräch 2  

 333

8.5.3.1.3 Gesprächssteuerung Während der ersten Gesprächsphase ist eindeutig eine interaktive Dominanz der Sb zu beobachten (was zumindest z. T. auch zu ihrer semantischen Dominanz führen dürfte). Sie stellt in erster Linie Fragen, auf die die Kl antwortet. Im späteren Verlauf des Gesprächs formuliert allerdings auch die Kl zunehmend Fragen. Auf einen Großteil dieser Fragen durch die Kl geht die Sb jedoch nicht ein. Auffällig ist, dass die Kl die Sb viermal unterbricht und mehrfach trotz der Versuche der Sb, das Rederecht zu erlangen, dieses nicht abgibt. Hierin lässt sich ein «forcierender Umgang mit der Rederechtverteilung» (Kallmeyer/Schmitt 1996, 47) erkennen. Zudem formulieren die Interaktanten beide eine Reihe von Vorwürfen an ihren Gesprächspartner (die Sb macht der Kl mehrfach den Vorwurf, sich nicht ausreichend informiert zu haben, die Kl wirft der Sb Willkür und inkonsistentes Verhalten vor). Damit üben die Interaktanten Rechtfertigungsdruck aufeinander aus und diskreditieren ihren Streitgegner, was Kallmeyer und Schmitt (1996, 60) ebenfalls als forcierendes Verhalten einstufen. Die Sb rechtfertigt sich allerdings nur an einer Stelle, die Kl mehrfach. 8.5.3.1.4 Handlungssteuerung In der zweimaligen imperativisch formulierten Handlungsanweisung der Sb an die Kl («Andá al consulado de España») lässt sich eine eindeutige Machtausübung erkennen. Zudem wird diese jeweils nach einem langen Schweigen in Reaktion auf die Verhandlungsversuche der Kl eingesetzt und dient offenbar der Einleitung einer Gesprächsbeendigung. Darin lassen sich also zwei Formen der Machtausübung erkennen: die Macht, den anderen (in scharfer Form) zu einer bestimmten Handlung zu bringen, und die Macht, das Gespräch zu beenden. Die Kl kommt dieser Handlungsanweisung jedoch nicht (unmittelbar) nach. Sie lehnt sie zwar nicht explizit ab, setzt jedoch mehrfach an zu argumentieren. Zudem formuliert auch die Kl mehrere (metakommunikative) Aufforderungen. Ihre Bitten an die Sb, beispielsweise sich mit dem Anliegen der Kl einverstanden zu zeigen, werden im Gesprächsverlauf immer fordernder. Während die erste Bitte noch im Konditional formuliert ist («si te pondrías»), ist die zweite bereits im Subjunktiv formuliert («que te pongas»), also etwas fordernder, aber immer noch ausdrücklich höflich, die dritte aber ist bereits eine imperativische Aufforderung («ponedos»). Gegen Ende des Gesprächs äußert sie eine als Feststellung formulierte – also im Grunde nicht ablehnbare – Handlungsaufforderung: «Entonces me lo haceis». Diese wird jedoch von der Sb vollständig ignoriert.

334 

 Analysen III: Streitinteraktionen

8.5.3.1.5 Gruppenbildung In der vierten Phase des Gesprächs tritt eine zweite Sachbearbeiterin in das Gespräch ein, die in erster Linie die Position der ersten Sb stärkt, deren Äußerungen wiederholt und unterstützt. Hier findet also eine reale Gruppenbildung statt. Auffällig ist, dass zu diesem Zeitpunkt im Gespräch erstmalig die oben erwähnte imperativische Handlungsanweisung an die Kl formuliert wird, das erste Mal also eindeutig Macht ausgeübt wird. Auch die Kl versucht jedoch, Gruppen zu konstituieren (jedoch nicht in der Realität anwesende), indem sie sich mehrfach auf den Vergleichsfall ihrer Freundin beruft, um ihr Anliegen durchzusetzen (wobei sie die erste Person Plural gebraucht, z. B. «lo hicimos», PF 17; PF 31). 8.5.3.1.6 Explizite Thematisierung von Macht Eine explizite Thematisierung von Macht lässt sich in einer Drohung der Kl sehen («Me voy a mi casa si no lo haceis»). Ob diese allerdings von Gewicht für die Sb ist, scheint fraglich. Ebenso wie bei der Drohung durch den Kl im Streitgespräch 1 sind auch hier die Gelingensbedingungen einer Drohung (v. a. dass die angedrohte Handlung negative Konsequenzen für den Hörer hat) kaum erfüllt. Von Seiten der Sb sind allerdings keine expliziten Thematisierungen von Macht zu beobachten. 8.5.3.1.7 Zusammenfassende Bemerkung: Asymmetrien im kommunikativen Verhalten Auffällig ist hierbei, dass die Kl zwar eine ganze Reihe von Mitteln verwendet, um sich im Streit durchzusetzen, – dass ihr dies jedoch kaum gelingt. Die Sb rechtfertigt sich nicht, sie reagiert weder auf Aufforderungen noch auf die Drohung oder auf die Berufungen auf Dritte. Auch Themeninitiierungen der Kl werden so gut wie nicht aufgegriffen. Zentrale Durchsetzungsmittel der Sb sind dagegen – neben der Ignorierung jeglicher von der Kl verwendeter Mittel – konstante Selbstrephrasierungen und Handlungsanweisungen. Letztlich setzt die Sb ihr Anliegen durch, die Kl bricht das Gespräch jedoch ab, ohne dass der Streit beigelegt wäre. Hier lässt sich relativ klar eine kommunikative Ungleichheit der Interaktanten beobachten. 8.5.3.2 Streitentwicklung Auch in diesem Gespräch zeigt sich, dass ein Streit sich erst im Verlauf des Gesprächs entwickelt und über verschiedene Phasen hinweg steigert. Betrachtet man auch hier die Zusatzinformationen aus der Fragebogenumfrage, so fällt allerdings auf, dass die Kl offenbar bereits mit eher negativen Einstellungen den Mitarbeitern der Behörde gegenüber (also u. U. auch der Sb gegenüber) in das Gespräch hineingeht. Die Kl gibt vor dem Gespräch an, sie hielte die Mitarbeiter der Dirección Nacional de Migraciones im Allgemeinen für eher schlecht ausgebildet, eher unfreundlich, sehr arrogant und eher arbeitsunwil-

Analyse Streitgespräch 2  

 335

lig. Allerdings erklärt sie ebenso, sie für eher tolerant (Ausländern gegenüber) und eher ruhig/entspannt zu halten. Im Vergleich mit den durchschnittlichen Angaben der Klienten bezüglich ihrer Einschätzungen der Behördenmitarbeiter sind diese Beurteilungen der Kl relativ negativ. Trotzdem zeigt sich, dass das Verhalten der Kl während der ersten Phasen des Gesprächs nicht erkennbar als unkooperativ interpretiert wird (und dazu auch keinen Anlass bietet). 1

Vorphase: Gesprächsbeginn: Listenstil, semant./interakt. Dominanz der Sb

2

Verstehensproblem: Schuldzuweisung an Kl

3a

Take-off: Verhandlungsversuch 1: Vergleich m. Freundin von Kl, nonresponsives, insistierendes Verhalten von Sb

3b

Etablierung von Gemeinsamkeit vs. Vorwürfe durch Kl, Sb non-responsiv, insistierend + implizite Vorwürfe

4

Handlungsanweisung durch Sb

5a

Verhandlungsversuch 2: Vergleich mit Freundin durch Kl (insistierender, unkooperativer); Sb non-responsiv, insistierend

5b

Weitere Steigerung: (fordernde) Bitten um Verständnis und Vorwürfe durch Kl („Nachverbrennungen“); Sb insistierend + kategorische Ablehnung

6

2. Handlungsanweisung: durch Sb, Gesprächsabbruch durch Kl

Graphik 12: Phasen der Streitentwicklung Streitgespräch 2

1. Auffällig ist zu Beginn des Gesprächs ein gewisser «Listenstil» der Sb, die eine Reihe von (knappen) Fragen ohne Verwendung von Höflichkeits- und Kohärenzmarkern stellt. Die Gesprächspartner scheinen das Verhalten des anderen aber beide nicht als unkooperativ aufzufassen. 2. In der zweiten Phase kommt ein Verstehensproblem auf: Die Sb übermittelt der Kl die Information, dass eine Apostille fehlt – in Form einer als Schuldzuweisung interpretierbaren Frage – was die Kl nicht versteht, da sie glaubt, eine gültige Apostille mitgebracht zu haben. Das Verstehensproblem wird nicht erfolgreich bearbeitet. Die Sb rephrasiert in erster Linie mehrfach eigene Äußerungen (und fügt ein Beispiel an, das jedoch nicht zur Verstehenssicherung beiträgt). Das kann zum einen als unkooperatives Verhalten angesehen werden (fehlende Responsivität). Zum anderen wird damit deutlich, dass die Sb nicht von ihrem Standpunkt abweicht, unabhängig davon, was die Kl (bspw. widersprechend) vorbringt. Die Äußerungen der Kl perlen, metaphorisch gesprochen, wirkungslos von ihr ab.

336 

 Analysen III: Streitinteraktionen

3. Die Kl selbst gibt allerdings die Klärung des Verstehensproblems letztlich auf. Stattdessen unternimmt sie einen Verhandlungsversuch. Hieran zeigt sich, dass ein Konflikt (im Sinne von Diskrepanzen hinsichtlich der Ansichten und Ziele der Interaktanten) aufkommt: Die Kl will die von der Sb gewünschte Apostille nicht einholen, sondern ohne diese mit der Bearbeitung ihres Anliegens fortfahren. In ihrem Argumentationsversuch geht die Kl dreischrittig vor: Sie zieht einen Vergleich mit einer Freundin heran (Gruppenbildung), versucht, die Sb zu «überreden» (sich einverstanden zu zeigen) und auf einer persönlichen Ebene Gemeinsamkeit herzustellen. Als dies nicht gelingt, da die Sb sich konstant non-responsiv verhält und fast ausschließlich eigene Äußerungen rephrasiert, greift die Kl letztlich zu Vorwürfen. Ab dieser Phase lässt sich stärkere (z. T. demonstrative) Unkooperativität beider Interaktanten beobachten, mehr gegenseitige Vorwürfe, Image-Verletzungen und forcierende Aktivitäten. Dies lässt sich als Take-off-Phase des Streits ansehen. Sämtliche Aktivitäten der Kl werden dabei von der Sb nahezu völlig ignoriert. 4. In der vierten Phase des Gesprächs (in der zudem eine zweite Sachbearbeiterin in das Gespräch eintritt, die die erste Sb unterstützt und deren Position stärkt), blockiert die Sb die Argumentationsversuche der Kl nachdrücklich und bringt eine imperativische Handlungsanweisung vor, die eine Gesprächsbeendigung einleiten könnte. Diese kann (aufgrund ihrer Abruptheit) als unkooperatives Verhalten sowie als klares Machtmittel aufgefasst werden. 5. Darauf reagiert die Kl mit einem zweiten Verhandlungsversuch, der fast gleich aufgebaut ist wie der erste: ein Vergleich mit der Freundin, Versuche, Gemeinsamkeit herzustellen und die Sb zu «überreden» und – als das nicht gelingt – forcierendere Aktivitäten: (als Feststellung formulierte) Handlungsanweisung an die Sb, explizite Thematisierung von Macht in Form einer Drohung. Der Streit steigert sich; in Reaktion auf die Handlungsanweisung und die Ignorierung ihrer Aktivitäten durch die Sb versucht auch die Kl verstärkt, Machtansprüche geltend zu machen. Hierin lassen sich möglicherweise sogar einige «Nachverbrennungen» ausmachen, die nicht mehr darauf abzielen, das eigene Anliegen durchzusetzen, sondern ausschließlich dazu gedacht sind, das eigene Image über die Erlangung von Macht über den Gesprächspartner (Anweisung, Drohung) aufzuwerten. Jedoch appelliert sie kurz darauf ein drittes Mal an die Sachbearbeiterinnen, sie mögen auf ihre Wünsche eingehen. Dies wird allerdings wiederum nicht beachtet, woraufhin die Kl erneut scharfe Vorwürfe an die Sachbearbeiterinnen äußert. 6. Darauf reagiert die Sb mit (demonstrativer) Verweigerung von Kooperation, schweigt 38 Sekunden lang und rephrasiert – ohne auf die Äußerungen der Kl einzugehen – in identischer Form ihre bereits geäußerte Handlungsanweisung im Imperativ. Im Anschluss bricht die Kl das Gespräch ab, verweigert also selbst jegliche weitere Kooperation.

 337

Analyse Streitgespräch 2  

Zur Veranschaulichung lassen sich auch für dieses Streitgespräch die als unkooperativ bzw. als Machtmittel interpretierbaren Aktivitäten der Gesprächspartner graphisch darstellen. Hierbei zeichnet wiederum die graue Linie das Verhalten der Klientin, die schwarze das der Sachbearbeiterin nach (die Sb2 wird hier aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht einbezogen).

Unkooperativität   –

+

           

Phase 1

Phase 2

Unvermittelte Einführung eines Problems (Apostille) als Frage

Versuch Problembearbeitung

      Phase 3a   (Vergleich mit Freundin)       Phase 3b   Etablierung v.   Gemeinsamkeit         Rechtfertigung     Phase 4     Phase 5a       Phase 5b Bitte um Verständnis (aber   rephrasierend   und non-responsiv)   Bitte um Verständnis (aber   rephrasierend und non-responsiv)   Bitte um   Verständnis (aber   rephrasierend und non-responsiv)   Phase 6      

Selbstrephrasierungen

mit Beispiel

 

(non-responsiv)

Selbstrephrasierungen (non-responsiv): zunehmend unkoop. Vorwürfe

!

Demonstrative Verweigerung v. Koop.

!

Selbstrephrasierungen: zunehmend unkoop. + impliziter Vorwurf

!

Selbstrephrasierungen:

Abrupte Frage: “No pasaste por

Vergleich m. Freundin

informes?”

Selbstrephra-

sierungen

Abrupte Handlungsanweisung Unterbrechungen Selbstrephrasierungen (nonresponsiv): zunehmend unkoop.

!

Vorwürfe Demonstrative

Verweigerung v. Koop. Vorwürfe

!

Vorwürfe

!

Demonstrative Verweigerung v. Koop. Abrupte Handlungsanweisung Gesprächsabbruch

    Graphik 13: Unkooperativität – Streitgespräch 2      

(wortlos)

338 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Macht –

+

  Phase 1

Semant./interakt. Dominanz

Phase 2

Fordernde Frage + Schuldzuweisung Schuldzuweisung Gruppenbildung

Phase 3a

Insistieren Insistieren+Vorwürfe

Phase 3b

(Rechtfertigungsdruck)

Bitte um Verständnis

Insistieren + Berufung auf Dritte (“lo que piden”)

Rechtfertigung

Schuldzuweisung: informieren Schuldzuweisung: besser informieren Handlungsanweisung

Phase 4 Gruppenbildung

Phase 5a

Insistieren Stärkere Aufforderung: Verständnis

Phase 5b

Rechtfertigungsdruck Insistieren

Kategorische Ablehnung: Imposible

Bitte um Verständnis (fordernder)

Bitte um Verständnis (Imperativ)

Phase 6

Insistieren Handlungsanweisung Drohung Rechtfertigungsdruck 2. Handlungsanweisung Gesprächsabbruch

Graphik 14: «Macht» – Streitgespräch 2

Auch hier ist zu erkennen, dass der Streit sich erst im Verlauf des Gesprächs entwickelt und kontinuierlich steigert, indem die Interaktanten einander in ihrem   zunehmend als unkooperativ interpretierbaren und forcierenden Verhalten (im Wechsel hin und her) vorantreiben.   Die Graphiken zeigen, dass Ausschläge nach rechts (also vom Gegenüber   als unkooperativ markierte Aktivitäten bzw. Machtmittel) v. a. ab Phase 3 zu

Analyse Streitgespräch 2  

 339

beobachten sind. Bereits in Phase 2 aber fällt auf, dass das Verhalten der Sb sich (anders als das der Kl) eher als unkooperativ und forcierend auffassen lässt – was den Übergang zu Phase 3 markiert. Darauf reagiert nämlich auch die Kl zunächst etwas forcierender und im Verlauf der Phase 3 wird auch ihr Verhalten zunehmend von der Sb als unkooperativ markiert (Take-off-Phase). Allerdings versucht sie auch, an die Sb zu appellieren, und bittet um Verständnis, was sich als eher kooperatives Verhalten ansehen lässt. Ähnliches lässt sich in Streitgespräch 1 beobachten und scheint ein typisches Element beim «Take-off» von Streitinteraktionen zu sein. Ab Phase 3 nehmen auch gegenseitige Image-Verletzungen deutlich zu (s. Graphik 13). Insgesamt zeigt sich in beiden Graphiken deutlich, dass insbesondere die Sb – bis auf eine Stelle in der Interaktion, an der sie (erfolglos) versucht, das Verstehensproblem der Kl anhand eines Beispiels zu bearbeiten – kontinuierlich weniger Kooperationsbereitschaft signalisiert und forcierender agiert. Hier ist, anders als in Streitgespräch 1, kein permanenter Wechsel zwischen «verschärfter Gangart» (Kallmeyer/Schmitt 1996) und Renormalisierungsaktivitäten, sondern eine konstante Steigerung zu beobachten. Lediglich bei der Kl sind einzelne Aktivitäten auszumachen, die eine Renormalisierung einleiten könnten, v. a. Versuche, Gemeinsamkeit zu etablieren und mehrfache Bitten um Verständnis, worauf die Sb jedoch nicht eingeht (auch nicht verzögert, wie es in Streitgespräch 1 zuweilen der Fall war). Allerdings werden auch diese Bitten um Verständnis durch die Kl im Gesprächsverlauf zunehmend fordernder und wirken – da sie mehrfach rephrasiert werden – non-responsiv und insistierend. Insgesamt ist bei beiden Gesprächspartnerinnen also eine kontinuierliche Steigerung der (vom Gegenüber) als unkooperativ und forcierend interpretierten Aktivitäten zu beobachten. Dabei scheint auch hier die Sb Machtmittel (Insistieren, Anweisungen) besonders dann einzusetzen, wenn das Verhalten der Kl (ihrer Ansicht nach offenbar) unkooperativer wird, und zwar u. U. um Verhandlungsversuche der Kl zu unterbinden. Darauf reagiert diese allerdings nur noch forcierender – bis sie gegen Ende des Gesprächs sogar offen Macht einzusetzen versucht (eigene Handlungsanweisung, Drohung). Anders als in den Graphiken zu Streitgespräch 1 gehen hier die beiden Linien am Gesprächsende nicht auseinander. Die Sb versucht hier nicht einzulenken, sondern greift letztlich noch einmal zu einem klaren Einsatz von Macht, einer zweiten Handlungsanweisung – woraufhin die Kl das Gespräch wortlos abbricht. Auch in diesem Gespräch entwickelt sich ein Streit also aus einem Gesprächsverlauf heraus, in dem von Beginn an, wie in der ersten Phase des Streitgesprächs 1, ein zumindest aus Sicht der Kl offenbar unkooperatives Verhalten der Sb zu

340 

 Analysen III: Streitinteraktionen

beobachten ist (fehlende Responsivität), die auf die Äußerungen der Kl kaum eingeht, sondern mit demonstrativer Verweigerung von Kooperation und permanenten Selbstrephrasierungen reagiert. Dieses Verhalten wird u. U. von der Kl nicht nur als Unkooperativität, sondern auch als Image-Verletzung und sogar als Insistieren aufgefasst, also als ein Verhalten, das auch die soziale Dimension negativ beeinträchtigt. Ähnliches ist auch in Streitgespräch 1 aufgefallen und mag einen «typischen» ersten Schritt in der Entwicklung eines Streits zwischen Sachbearbeitern und Klienten darstellen. Die Verhandlungsversuche der Kl, worin die Diskrepanzen zwischen den Interaktanten bezüglich ihrer An- bzw. Absichten deutlich erkennbar werden, werden von der Sb offenbar ihrerseits als Unkooperativität aufgefasst, was einen «typischen» zweiten Schritt darstellen kann. Daraufhin setzt diese (wie in Streitgespräch 1 unidirektionale) Handlungsanweisungen ein, u. U. um ihr eigenes Anliegen rasch durchzusetzen, das Gespräch also möglichst «effizient» im Sinne der Behörde (kurz, ausschließlich auf den Handlungsplan der Sb bezogen) zu gestalten. Auch hier positioniert sich die Sb asymmetrisch zur Kl als «Anweiserin» und Vertreterin der (allein, ohne Einbeziehung der Kl) entscheidenden Institution. Hierin lässt sich ein dritter Schritt in der Streitentwicklung im hier betrachteten Kontext sehen. Das scheint zu einer konstanten Streitsteigerung zu führen sowie dazu, dass auch die Kl – in einem vierten Schritt – versucht, zunehmend mehr Macht in der Interaktion zu erlangen. In zunehmendem Maße lässt sich ihr Verhalten als unkooperativer, image-verletzend und insistierender auffassen – bis hin zu eigenen Handlungsanweisungen und expliziter Thematisierung von Macht –, je länger die Sb ihre Äußerungen ignoriert und je forcierender diese sich verhält. Auch hier entsteht der Eindruck, dass die Kl nicht nur ein anderes Anliegen verfolgt als die Sb, sondern dass sie, ebenso wie den Kl in Streitgespräch 1, gerade die asymmetrische Positionierung zwischen den Gesprächspartnern stört, die von der Sb etabliert wird.

8.6 V  ergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 8.6.1 Vergleich der Streitgespräche 1 und 2 Die beiden Streitgespräche lassen sich bis zu einem gewissen Grad miteinander vergleichen. Zu bemerken ist dabei allerdings, dass ein Vergleich ganzer Gesprächsverläufe einige Probleme mit sich bringt. Selbstverständlich finden die Gespräche nicht unter exakt denselben Bedingungen statt, verschiedene

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 341

Gesprächsteilnehmer treffen aufeinander, die teilweise unterschiedliche (u. a. kulturelle, fachliche, sprachliche) Voraussetzungen und unterschiedliche Voreinstellungen einander gegenüber haben. Die beiden hier betrachteten Gespräche finden an verschiedenen Behörden und zu verschiedenen Themen statt, sogar in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Sprachen. Die Gespräche sind also keinesfalls zur Gänze miteinander vergleichbar – ein Problem, das sich allerdings bei der Arbeit mit authentischen Gesprächsdaten, die nicht in einer Laborsituation erhoben sind, notwendigerweise stellt. Dennoch finden beide Gespräche in ähnlichen Konstellationen der Gesprächspartner statt (zwischen Agenten und Klienten an Behörden, ausgerichtet auf ein bestimmtes Anliegen etc.). In beiden Gesprächen entwickelt sich zudem ein Streit zwischen den Gesprächspartnern. Hierbei fallen einige Gemeinsamkeiten der Gespräche ins Auge, die näher besprochen werden sollen. Der Vergleich wird sich dabei auf einzelne Aspekte konzentrieren: die Mittel, die die Interaktanten einsetzen, um ihre jeweiligen Anbzw. Absichten durchzusetzen, sowie die Faktoren, die dazu beitragen, dass sich im Verlauf der Gespräche ein Streit entwickelt. Bezüglich der Entwicklung eines Streits sind folgende Beobachtungen hervorzuheben: 1. In beiden Gesprächen ist weniger das gegenseitige Verstehen problematisch als vielmehr die unterschiedlichen An- oder Absichten der Interaktanten. Wissensdivergenzen (vor allem fachlich-institutionelle) zwischen den Interaktanten spielen zwar auch hier eine wichtige Rolle. Der Konflikt in Streitgespräch 2 beruht sogar auf einem Verstehensproblem der Klientin. In Streitgespräch 1 haben die Interaktanten auch aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Wissensdivergenzen unterschiedliche Durchsetzungsmöglichkeiten im Streit oder unterschiedliche Möglichkeiten der Machtausübung (z. B. gescheiterte Korrektur der Sb durch den Kl). Dennoch verstehen die Klienten die Informationen, die ihnen die Behördenmitarbeiterinnen übermitteln, verstehen auch die entsprechenden Handlungsvorschläge oder –anweisungen – sie akzeptieren diese jedoch nicht. In beiden Gesprächen steht im Zentrum des Streits eine Handlung, die die Klienten ausführen sollen, aber nicht ausführen möchten, weil sie diese Handlungen für zeitaufwändig, unnötig oder sogar sinnlos halten. Es bestehen also Diskrepanzen bezüglich der Handlungsabsichten bzw. -ziele der Interaktanten (Konflikt) – woraus sich ein Streit entwickelt. 2. Auffällig ist dabei, dass in beiden Fällen zunächst ein von den Klienten als deutlich unkooperativ markiertes Verhalten der Sachbearbeiterinnen zu beobachten ist (in Streitgespräch 2 über das gesamte Gespräch hinweg, in Gespräch 1 besonders in der ersten Gesprächsphase), was sich vor allem auf

342 

 Analysen III: Streitinteraktionen

der Ebene der (gestörten) Responsivität zeigt.40 Die Sachbearbeiterinnen gehen kaum auf die Äußerungen der Klienten ein, ignorieren Argumente, blockieren von den Klienten initiierte Themen etc. Daran zeigt sich auch eine deutliche semantische Dominanz. Ebenso ist (zumindest zu Beginn der Gespräche) eine interaktive Dominanz der Sachbearbeiterinnen auszumachen. Zudem lassen sich in beiden Gesprächen bereits zu Gesprächsbeginn implizite Image-Verletzungen durch die Sachbearbeiterinnen erkennen (Streitgespräch 2: Frage nach der fehlenden Apostille: Präsupposition; Streitgespräch 1: insistierende Fragen nach Bewerbungsaktivitäten des Kl: impliziter Vorwurf, keine ausreichenden Maßnahmen bei der Arbeitssuche zu ergreifen). Es ist also zumindest am Gesprächsanfang (in Gespräch 2 noch länger) ein eher unkooperatives, dominantes und latent face-bedohendes Verhalten der Sachbearbeiterinnen festzustellen. 3. In beiden Gesprächen wird darüber hinaus die von den Klienten erwartete Handlung in Form einer Handlungsanweisung (imperativische Aufforderung: «Andá al consulado...» in Streitgespräch 2) oder sogar –festlegung (Zuweisung in Streitgespräch 1) formuliert, was eine klare Form der Aktualisierung von Macht in der Interaktion darstellt. Beides (Nicht-Eingehen auf Klienten-Äußerungen sowie Aktualisierung von Macht im Gespräch) mag dazu gedacht sein, die Gespräche möglichst effizient, im Sinne von kurz und stringent auf das behördliche Anliegen gerichtet, zu gestalten. 4. Die Sachbearbeiterinnen in beiden Gesprächen agieren eine Rolle aus als vorgebliche «Informationsübermittler», Übermittler «objektiver» Notwendigkeiten («es lo que piden»; «ich muss Sie vermitteln», «Sag ich Ihn gleich wies is») und tatsächlich als «Alleinentscheider», als diejenigen im Gespräch, die (als Vertreterinnen der Behörde) festlegen, wie der Gesprächspartner weiter vorgehen soll und ihm dieses lediglich mitteilen. Es wird deutlich gemacht, dass den Klienten kein Mitentscheidungsrecht über das weitere Vorgehen zukommt (klar erkennbar an permanenten Selbstrephrasierungen der Sachbearbeiterinnen, An- bzw. Zuweisungen, Sanktionsdrohungen etc.). Wenn man sich die eingangs erwähnten drei möglichen Positionierungen der Gesprächspartner zueinander in Erinnerung ruft, entspricht das der zweiten Positionierungsmöglichkeit: einer asymmetrischen Positionierung, in der den Sachbearbeitern mehr (Entscheidungs- und Durchsetzungs-) Macht

40 Ein solches Verhalten der Sachbearbeiter kann im Übrigen gemeint sein, wenn Klienten in der Fragebogenumfrage mehrfach kritisieren, Behördenmitarbeiter gingen nicht ausreichend auf sie ein, seien desinteressiert etc.

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 343

zukommt als den Klienten und dies auch in der Interaktion ausagiert wird. In Streitgespräch 2 zeigt sich das noch deutlicher als in Streitgespräch 1. Während die Sachbearbeiterin in Streitgespräch 1 zumindest in den späteren Gesprächsphasen (stellenweise) einen positiven Effekt ihrer Handlungsfestlegung für den Klienten hervorhebt und zudem mehrfach auf ihre eigenen eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten hinweist (was betont, dass auch sie als «Hierarchiehöhere» an Vorgaben gebunden und kein «Alleinentscheider» – wenn auch die Vertreterin der allein entscheidenen Behörde – ist), ist Vergleichbares in Streitgespräch 2 nicht zu beobachten. Hervorzuheben ist allerdings, dass die Klienten in der Tat in beiden Fällen nicht mitentscheiden können: Wenn eine Beglaubigung fehlt, dann liegt es nicht im Ermessensbereich der Sachbearbeiterin (nicht einmal der Behörde), ob diese eingeholt werden muss oder nicht. Wesentlich ist jedoch, dass die Rolle als «Entscheider» von den Sachbearbeiterinnen in der Interaktion selbst deutlich ausagiert wird. 5. Gerade dagegen wehren die Klienten sich und beginnen selbst, unkooperativer, image-verletzender und auch forcierender zu agieren – woraufhin auch die Sachbearbeiterinnen wieder unkooperativer, image-verletzender und forcierender reagieren: Der Streit bricht aus (Take-off). Besonders in Streitgespräch 1 fällt dabei auf, dass die Interaktanten permanent wechseln zwischen unkooperativem und forcierendem Verhalten einerseits und Aktivitäten, die eine Renormalisierung einleiten könnten, andererseits. Zeitversetzt treiben sie einander dabei in ihrem unkooperativen und forcierenden Verhalten voran, wodurch der Streit sich im wahrsten Sinne des Wortes «aufschaukelt». 6. In beiden Streitgesprächen verwenden die Interaktanten sehr ähnliche Mittel zur Durchsetzung ihrer An- bzw. Absichten (s.u. Tabelle 9): Es werden nahezu dieselben Punkte – jeweils von beiden Interaktanten – bearbeitet: Themenselektion, Selbstrephrasierungen (Insistieren), Gesprächs- und Handlungssteuerung, Gruppenbildung und explizite Thematisierung von Macht. In beiden Gesprächen sind zunächst kommunikative Asymmetrien zugunsten der Sachbearbeiterinnen zu beobachten, die sich aber im Gesprächsverlauf teilweise zugunsten der Klienten verschieben. Die Sachbearbeiterinnen verfügen jedoch letztlich über mehr oder stärkere Ressourcen zur Durchsetzung. Ein Unterschied zeigt sich darin, dass sich im Streitgespräch 1 die Sachbearbeiterin v. a. über die explizite Thematisierung von Macht (v. a. Sanktionsdrohungen) durchsetzt, die Sachbearbeiterin im Gespräch 2 dagegen v. a. durch Insistieren und Ignorieren der Partner-Äußerungen (Selbstrephrasierungen) sowie explizite Handlungssteuerung (Anweisungen). In beiden Gesprächen insistieren allerdings auch die Klienten deutlich. Es treten Versuche auf, Gemeinsamkeit zu etablieren, an die Sachbearbeiterin-

344 

 Analysen III: Streitinteraktionen

nen auf persönlicher (statt rein fachlicher) Ebene zu appellieren; dem folgen Vorwürfe und Drohungen. Eine deutliche Kritik am Fachwissen der Sachbearbeiterin, wie in Streitgespräch 1, wird in Streitgespräch 2 nicht formuliert. Auch hier impliziert die Klientin aber Zweifel an der Fachkompetenz der Sachbearbeiterin (Vorwurf, immer andere Informationen zu geben). Gegen Ende der Gespräche versuchen die Klienten in beiden Gesprächen, die Machtverhältnisse in der Interaktion regelrecht umzukehren (eigene Anweisungen, Korrekturen, Drohungen, Nachverbrennungen etc.), was der eingangs beschriebenen Positionierungsmöglichkeit 3 entspricht: einem umgekehrt asymmetrischen Verhältnis, in dem der Klient Macht über den Sachbearbeiter ausübt (was zumindest dem Klienten in Gespräch 1 auch z. T. gelingt). Die Äußerungen des Klienten in Streitgespräch 1 wirken zudem oft abrupt und brüsk (brüsker als die der Klientin in Gespräch 2), er verwendet auch eine Reihe von Vulgarismen und aggressiven sprachlichen Bildern. Das könnte allerdings zumindest teilweise auch in geringeren Fremdsprachenkompetenzen begründet liegen, z. B. fehlenden Mitteln zur Modalisierung. Hierauf wird später noch einmal näher eingegangen. 7. Als «typische» Schritte in der Entwicklung eines Streits zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten lassen sich also die folgenden ausmachen:

1

Vorphase: unkoop. Verhalten + semantische u. interaktive Dominanz des Sb (fehlende Responsivität, Themenselektion, Frage-„Batterien“ etc.)

2

Diskrepanzen werden explizit gemacht: Kl widerspricht/argumentiert

3

Verstärkte „Amtlichkeit“ des Sb in Reaktion auf als unkooperativ aufgefasstes Verhalten des Kl (Selbstrephrasierungen, Betonung von „Sachzwängen“, An-/Zuweisungen etc.)

4

Take-off: Zunehmende Unkooperativität und Versuche, Macht zu erlangen, durch Kl: Selbstrephrasierungen, Vorwürfe etc.

5

Sequenzielle „Aufschaukelung“: Versuche, einander in unkooperativem, forcierendem, image-verletzendem Verhalten zu übertreffen, z.T. im permanenten Wechsel mit Renormalisierungsaktivitäten

6

„Nachverbrennungen“: Verletzung des Partner-Images/Aufwertung des eigenen durch Kl (exponierte Fremdkorrektur, (narrative) Vorwurfssequenzen)

Graphik 15: «Typische» Schritte bei der Streitentwicklung

Diese offenbar «typische» Abfolge, die Rollen-Ausagierung, die Mittel, die zur Durchsetzung im Streit verwendet werden (v. a. verstärkte «Amtlichkeit») machen dabei das «Behördenspezifische» der Streitentwicklung aus.

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 345

8. Erkennbar wird in beiden Gesprächen, dass die Klienten offenbar in den Entscheidungsprozess einbezogen werden wollen und Widerspruch aufkommt, sobald «über ihren Kopf hinweg» entschieden wird. Hier zeigt sich eine Parallele zu den Modellen, die u. a. Emanuel und Emanuel (1992) für Arzt-Patienten-Beziehungen entwickelt haben: auf der einen Seite das so genannte «paternalistische» Modell (in dem der Arzt über das weitere Vorgehen entscheidet, der Patient sich danach richtet) und auf der anderen Seite das Shared-decision-Modell (gemeinsame Entscheidungsfindung). Möglicherweise würde von den Klienten in den beiden betrachteten Gesprächen Letzteres präferiert. Insgesamt entsteht in beiden Gesprächen der Eindruck, dass die Klienten den Sachbearbeiterinnen nicht glauben, dass diese in der Lage (oder willens) sind, sinnvoll im Sinne der Klienten zu agieren (sie in Arbeit zu vermitteln oder den Einbürgerungsvorgang zu bearbeiten). Im Grunde wird hier, wie es bereits Ciapuscio und Kesselheim (1997) in ihrer Untersuchung zu Gesprächen an der argentinischen Ausländerbehörde beobachten, der Expertenstatus der Sachbearbeiterinnen angezweifelt – was zumindest auch eine Reaktion auf das Verhalten der Sachbearbeiterinnen darstellt. Wesentlich scheint dabei vor allem die Art und Weise zu sein, in der eine Handlungsanweisung bzw. –festlegung vorgenommen wird: nach einer Reihe von Nicht-Beachtungen der Klientenäußerungen, in themen- oder gesprächsabschließender Funktion und in Form einer Aktualisierung von Macht in der Interaktion. Gerade wenn Klienten zu einer Handlung gebracht werden sollen, die sie u. U. nicht ausführen wollen (was entweder vorher abzusehen ist, wie bei der Einholung weiterer Unterlagen oder einer Apostille, was für den Klienten zusätzlichen Aufwand bedeutet und den beabsichtigten Prozess bspw. der Einbürgerung verzögert, oder aber aus den Klientenäußerungen rasch hervorgeht, wie im Fall der Ablehnung der Zuweisung), kommt es offenbar stark darauf an, wie die Behördenmitarbeiter vorgehen: Wenn Klienten an dieser Stelle den Eindruck erhalten, der Sachbearbeiter verhalte sich unkooperativ und wolle durch Machtausübung in der Interaktion seine eigenen (behördlichen) Ziele durchsetzen – wenn sie also den Eindruck erhalten, an eine (ignorante) Behörde ausgeliefert zu sein (Macht) – reagieren sie u. U. eher mit Widerspruch und verstärkten Durchsetzungsversuchen ihrer Absichten. Angesichts radikal unterschiedlicher Perspektiven sind Klienten offenbar äußerst sensibel für Machtfragen.

346 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Tabelle 9: Durchsetzungsmittel der Interaktanten in Streitgespräch 1 und 2

ThemenSelektion

Selbstrephrasierungen

Gesprächssteuerung

Handlungssteuerung

Gruppenbildung

Streitgespräch 1

Streitgespräch 2

Sb

– Semant. Dominanz Phase 1 – Mehrere Beendigungen vom Kl initiierter Themen auch im weiteren Gesprächsverlauf – Mehrfache Themen-Relevantsetzung

– Semant. Dominanz Phase 1

Kl

– Mehrfache Themeninitiierung – Ignorierung einiger von Sb initiierter Themen

– Mehrfache Themeninitiierung (auf die Sb allerdings nicht eingeht)

Sb

– Mehrfache Selbstrephrasierungen – Konstante Selbstrephrasierungen (v.a. Zuweisung) (No está apostillado)

Kl

– Konstante Selbstrephrasierungen – Mehrfache Selbstrephrasierungen (kooperieren ja, Bewerbungs(Vergleich mit Freundin, Bitte um training nein) Einverständnis an Sb etc.)

Sb

– Interaktive Dominanz Phase 1 – Interaktive Dominanz Phase 1 – Mehrfache Fragen, (metakommu- – Im Gesprächsverlauf zunehmend nikative) Aufforderungen etc. Vorwürfe (Rechtfertigungsdruck) – Forcierender Umgang mit der Rederechtverteilung

Kl

– Zunehmende interaktive Dominanz ab Phase 2 – Fragen – Vorwürfe (Rechtfertigungsdruck) – Forcierender Umgang mit der Rederechtverteilung

– Im Gesprächsverlauf zunehmend Vorwürfe (Rechtfertigungsdruck) – Forcierender Umgang mit der Rederechtverteilung

Sb

– Aufforderungen (sich an Trägergesellschaft zu wenden, zu unterschreiben etc.) – Handlungsvorschlag – Zuweisung

– Explizite Handlungsanweisungen

Kl

– Eigene Aufforderungen – Handlungsverweigerung

– Bitten, später Aufforderungen an Sb, sich einverstanden zu zeigen – Eigene Handlungsanweisung

Sb

/

– Reale Gruppe mit Sb2

Kl

– „wir“, die Arbeitslosen vs. die Behördenmitarbeiter – Einbeziehung eines «Zeugen»

– Berufung auf Freundin

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

Explizite Thematisierung von Macht

Streitgespräch 1

Streitgespräch 2

Sb

– Zuweisung – Sanktionsdrohung – Betonung von Fachwissen (in Reaktion auf Kritik durch Kl)

/

Kl

– Vorwegnehmende Entkräftung – Drohung eventueller Sanktionsdrohungen – Drohung – Kritik am Fachwissen/Thematisierung des Expertenstatus der Sb

 347

8.6.2 Parallelen zu weiteren Gesprächen Parallelen lassen sich auch in vielen weiteren Streitgesprächen des Korpus beobachten. Hierzu sollen im Folgenden exemplarisch einige Auszüge aus zwei weiteren Gesprächen hinzugezogen werden.41 Gespräch 38 des argentinischen Korpusteils mit einer italienischen Klientin und deren argentinischer Begleitung42 und Gespräch 90 des deutschen Korpusteils, mit einem türkischen Klienten.43 Der Kontext der Gespräche ist der folgende: In Gespräch 38 des argentinischen Korpusteils möchte die Klientin eine Arbeitserlaubnis beantragen. Offenbar fehlen ihr dafür einige Unterlagen, um deren Notwendigkeit sich im Verlauf des Gesprächs ein Streit entwickelt. Dem Gespräch ist zumindest ein Gespräch zwischen der Klientin und einer der beteiligten Sachbearbeiterinnen (Sb2) zum selben Thema vorausgegangen. In Gespräch 90 des deutschen Korpusteils möchte der Klient einen Bekannten in seiner Wohnung anmelden. Hierfür fehlt ihm jedoch eine Bestätigung der Hausverwaltung, dass er untervermieten darf. Diese soll er zunächst einholen, was er aber ablehnt.

41 Auf eine detaillierte Analyse dieser Gespräche wird verzichtet. Die folgenden Beobachtungen dienen lediglich dazu, exemplarisch die bisher angestellten Überlegungen an weiteren Gesprächen zu prüfen. 42 Gespräche, an denen einheimische Begleiter beteiligt sind, werden in dieser Arbeit nur dann einbezogen, wenn die Begleiter nicht (über einen Großteil des Gesprächs hinweg) als Übersetzer in Kraft treten, da der Fokus der Arbeit auf Gesprächen mit Migranten selbst liegt. In diesem Fall beteiligt sich die argentinische Begleiterin nur am Rande am Gespräch. 43 Es werden lediglich einzelne Auszüge aus den entsprechenden Transkripten präsentiert. Die vollständigen Transkripte einschließlich der Übersetzung aus dem Spanischen ins Deutsche werden nach Erscheinen des Bandes kostenfrei auf der Homepage des Verlags zugänglich gemacht.

348 

 Analysen III: Streitinteraktionen

In beiden Gesprächen zeigt bereits eine thematische Analyse der Gespräche, dass – ebenso wie in den bereits besprochenen Streitgesprächen 1 und 2 – im Gesprächsverlauf ein Streit entsteht, der sich auf Handlungen bezieht, die die Klienten durchführen sollen, aber nicht wollen (fehlende Unterlagen einholen). Auffällig ist, dass auch in diesen Gesprächen die Klienten – zum Teil relativ ausführlich – erläutern, dass und weshalb sie die von ihnen erwarteten Handlungen nicht ausführen wollen oder (in Gespräch 38 arg.) nicht ausführen können – worauf die Sachbearbeiterinnen jedoch nicht eingehen. Beispiel 70: P 38 arg. [41] Sb [v]

Sí.

Kl [v] El título de la propiedad tiene que ser legalizado entendés? Contador puublico todo eso. Pero · eso

[42] Kl [v] (no sé si me ayuda) trabajar en la casa del señor. Entendés? Eso acabamos que el

[43] Kl [v] señor demuestre que vive ahí • que paga luuz que paga gastos vive ahí. Entonces yo no

[44] Sb [v]

Bueno

Kl [v] entiendo por qué tengo que tra/ traer un un título de propiedad y (algo de contadores

[45] Sb [v]

Bueno dame ésto. Sb liest

Sb [k] Kl [v] puublicos). Además la/ la escritura la tiene el banco porque es una hipoteca. Sb2 [v]

Hola.

[46] Sb2 [v] Kl [v]

Está bien pero no sale que esté Es que la escritura la tiene el banco. Porque es una hipoteca.

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 349

[47] Sb2 [v] certificada. Kl [v]

Pero lo tiene el banco. • Tiene todo el banco.

Kl [k]

ungläubig lachend

Die Kl in Gespräch 38 arg. erläutert sehr ausführlich, sie verstehe nicht, weshalb sie die fehlenden Unterlagen, die beglaubigte Kopie der Besitzurkunde eines Hauses, einholen solle und könne dies auch nicht tun, da das Haus mit einer Hypothek belastet und die Original-Besitzurkunde bei einer Bank hinterlegt sei. Auf diese Ausführungen gehen beide beteiligten Sachbearbeiter allerdings kaum ein. Der Sb lässt sich zwar zumindest von der Kl ein Schriftstück geben, auf dem wohl weitere Informationen zu deren Äußerungen enthalten sind, zieht sich jedoch anschließend ohne weitere Kommentare vollständig aus dem Gespräch zurück. Die Sb2 dagegen beendet das von der Kl behandelte Thema äußerst knapp mit einem themenabschließenden «Está bien» (‹Ist gut›, PF 46) und wiederholt, ähnlich wie die Sachbearbeiterin in Streitgespräch 2, anschließend fast wörtlich eine zuvor von ihr selbst geäußerte Aussage: «pero no sale que esté apostillado» (‹aber hier steht nicht, dass das beglaubigt ist›). Damit bezieht sie sich also inhaltlich überhaupt nicht auf die Äußerungen der Kl. Ähnliches zeigt sich in Gespräch 90 des deutschen Korpusteils: Beispiel 71: P 90 dt. Kl [v]

Aba mein Kolle/Kollege hat dis auch gemacht und war überhaupt kein Problem. Er

[12] Sb [v] Kl [v]

Ja dis hab ich schon verstandn. Aba wohnt ja nur jetz bei mir bis er was anderes hat. Ne Wohnung und so.

[13] Sb [v] Kl [v]

Sie brauchn ne Bestätigung von der Hausverwaltung. Ey s kann ja wohl nisch wahr sein

Auch hier zeigt der Kl an, dass er die erforderliche Bestätigung der Hausverwaltung nicht einholen will und dies auch nicht für notwendig erachtet. Er zieht – ähnlich wie die Kl in Streitgespräch 2 – einen Vergleich mit dem Fall eines Freundes («Kollege») hinzu. In diesem Beispiel geht die Sb zwar auf die Äußerungen des Kl ein («Ja dis hab ich schon verstandn»), beendet aber das von ihm initiierte

350 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Thema (Vergleich mit dem Freund) durch eine mit der adversativen Konjunktion «Aba» eingeleitete Rephrasierung einer vorherigen eigenen Äußerung. In beiden Fällen verhalten sich die Sachbearbeiterinnen, ebenso wie in den oben besprochenen Streitgesprächen, aus Sicht der Klienten unkooperativ und dominant (Themenselektion), was die Klienten dadurch anzeigen, dass sie selbst kaum Kooperativität signalisieren und mit verstärkten Durchsetzungsversuchen reagieren – und zwar wiederum auf sehr ähnliche Weise wie in den bereits besprochenen Streitgesprächen 1 und 2. Beispiel 72: P 38 arg. Kl 2 [v]

Vos no podés decir/ • Ustedes

[48] Sb2 [v]

Sí.

Sí.

Síí.

Ahora le Sehr schnell

Sb2 [k] Kl 2 [v] leyeron ésto?

Entendieron lo que dice?

Lo leíste en serio?

Cómo no.

[49] Sb2 [v] explico por qué es? Acá dice que es copia. No está firmada. Nosotros para recibir una copia

[50] Sb2 [v] siempre tiene que estar certificada. Porque nosotros no podemos certificar una copia.

[...] [61] Sb2 [v]

Sí.

Contrato de locación

Sb2 [k]

Knapp

Schnell

Kl [v] Vos leé acá en voz alta que dice. «Título de propiedad»

Después?

Kl [k]

Laut

[62] Sb2 [v] oo/ u otro del lugar donde se/

• • Igual yo te digo/

Kl [v]

Original?

Kl [k]

Knapp

Si vos pasaste por Decime.

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 351

[63] te van a decir si todo • todo tiene que ser original y copia igual

Sb2 [v] informes segura mente Kl [v]

No no no no

[64] Sb2 [v] que en cualquier/ yo te digo/ Kl [v]

Está bien ponele que acá

Ésta es la página oficial.

Otra cosa. Leé abajo por favor. • •

[65] Kl [v]

Leé abajo porque/ Es allá. Qué dice con/ con respecto a la/ la declaración o sea a lo que

[66] Sb2 [v]

Acreditar la solvencia económica

Kl [v] certifique que él puede pagar mi sueldo? Qué dice?

y/ Y acá

[67] Sb2 [v]

Sí y qué pasó con eso?

Sb2 [k]

Monoton

Kl [v] qué dice? Ejemplos.

Los ejemplos. Leé los ejemplos. Qué dice? Los

[68] Sb2 [v] Sb2 [k] Kl [v] ejemplos.

Bueno quieres leerlo está a la Murmelt etwas No en voz alta por favor! Yo no leo acá.

[69] Sb2 [v] disposición. Yo ya sé los ejemplos que piden. Kl [v]

No no no. Acá está. • • Entonces por qué ayer me dijeron

In diesen Auszügen fällt auf, dass die Klientin und ihre Begleitung (Kl2) deutlich forcierender agieren: Zunächst formuliert Kl2 eine regelrechte «Fragen-Batterie» an die Sb gerichtet. Sie bezieht sich auf ein bestimmtes Schriftstück, in dem aufgeführt ist, welche Unterlagen für die Beantragung einer Arbeitserlaubnis erfordlich sind (und in dem die von der Sb2 gewünschte beglaubigte Kopie offenbar nicht verzeichnet ist) und fragt mehrfach und nachdrücklich, ob die Sb2 gelesen und verstanden habe, was in diesem Schriftstück stehe. Insbesondere die ver-

352 

 Analysen III: Streitinteraktionen

stärkende Wiederholung «Lo leíste en serio» (‹Hast du das echt gelesen›, PF 48) zeigt, dass die Kl2 offensichtlich nicht glaubt, dass die Sb2 dieses Schriftstück gelesen hat. Sie wechselt sogar in einen ironischen Modus: «Cómo no» (‹Wie auch nicht›). Auf diese Weise drückt die Kl2 überaus deutlich ihre Zweifel an der Fachkompetenz der Sb2 aus, was als Image-Verletzung aufgefasst werden kann. Indem sie selbst (fordernde) Fragen stellt, übernimmt sie zudem in diesem Moment eindeutig die Gesprächssteuerung und lässt die Sb2 kaum zu Wort kommen. An dieser Stelle versucht offensichtlich die Kl2, Macht in der Interaktion über die Sb2 zu demonstrieren. Kurze Zeit später formuliert die Kl selbst eine Reihe von starken (imperativisch, in T-Anrede formulierten) Aufforderungen und sogar Handlungsanweisungen an die Sb (aus dem von der Kl mitgebrachten Schriftstück, auf das sich bereits die Kl2 bezogen hatte, vorzulesen): «Vos leé acá en voz alta qué dice.» (‹Lies hier laut vor, was da steht.›, PF 61), zum Nachdruck laut und knapp «Después?» (‹Danach?›), «Original?», «leé abajo por favor»: (‹lies bitte unten›), prosodisch zudem hervorgehoben «leé abajo» (‹lies unten›), mehrfach «Qué dice» (‹Was steht da?›) sowie sehr scharf und stark betont «No en voz alta por favor»: (‹Nein, laut bitte›). Auf diese forcierenden Aktivitäten beider Klientinnen reagiert die Sb jeweils, in dem sie sich deutlich als Expertin präsentiert: In PF 48 bis 50 führt sie – explizit angekündigt – eine Handlung durch, die nur ein Gesprächspartner vollziehen kann, der über mehr Wissen als der andere verfügt, nämlich eine Erklärung: «le explico por qué es...» (‹ich erkläre Ihnen weshalb das so ist›). Indem sie diese category-bound activity (cf. Sacks 1992) herausstreicht, präsentiert sie sich als «Expertin» in dieser Situation. Zudem spricht sie sehr schnell, lässt den Klientinnen keine Möglichkeit, (ohne klare Verletzung der Sprecherwechselregeln) das Wort zu ergreifen, und erhält damit die Gesprächssteuerung zurück.44 Sie beruft sich auf ihre eigenen Unterlagen («Acá dice»), legitimiert ihre Aussage als universell («siempre tiene que estar certificada»: ‹das muss immer zertifiziert sein›) und konstituiert eine «Wir-Gruppe» der Behördenmitarbeiter («nosotros»: ‹wir›). Zusätzlich fügt sie an «tiene que ser esto certificado · legalizado · firma» (‹es muss das hier zertifiziert sein · beglaubigt · Unterschrift›), wobei der zentrale Begriff («certificado») immer weiter vereinfacht wird, bis die Sb2 fast eine Art von foreigner talk (cf. Ferguson 1975; Thompson 1991) gebraucht – obwohl sie mit einer Muttersprachlerin (Kl2) spricht. Deutlich betont sie Wissensdivergenzen zwischen ihr und den Klientinnen und behauptet ihren (bezweifelten) «Expertenstatus».

44 Ein ähnliches Verhalten beschreiben auch Ciapuscio und Kesselheim (1997, 116s.) als Verhalten, über das eine Expertenrolle in der Interaktion konstituiert wird.

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 353

Auf ähnliche Weise streicht sie auch in Reaktion auf die Handlungsaufforderungen (zu lesen) in PF 68 und 69 ihr Fachwissen heraus, womit sie ihren Expertenstatus wieder herstellt und ihr Image repariert: «Yo ya sé los ejemplos que piden» (‹Ich kenne die Beispiele, die gefordert werden›). Zudem legt sie der Kl nahe, das entsprechende Schriftstück selbst zu lesen, womit deren Wissen wiederum als geringer dargestellt wird als das der Sb2. Auch der Klient in Gespräch 90 des deutschen Korpusteils signalisiert im Gesprächsverlauf zunehmend geringere Kooperationsbereitschaft, verhält sich image-verletzender und forcierender: Beispiel 73: P 90 dt. Kl [v]

Ey s kann ja wohl nisch wahr

Kl [k]

Lauter

[14] Sb [v]

Ja das hab ich schon verstandn. Das is

Sb [k]

zu Kl

Kl [v]

sein oda? Sch mein/ isch/ ey Kolleje hat mir gesacht (er hat genau das—)

[15] Sb [v]

jetz nich dis Problem. Dis Problem is erstmal dass ich von Ihrer Hausverwaltung eine

[16] Sb [v]

Bestätigung brauche. Dass Sie bei dem Herrn wohn dürfn. zu KI2

Sb [k] Kl [v]

(unverständlich) Isch

[17] Sb [v] Kl [v]

Ja das liegt möchte den Mann in meine Wohnung • ham • oder morrgen. Isch möchte/

Aba meine

[18] Sb [v]

ja/

Ja aber das liegt ja auch nich/ Ja. Aba nur weil Sie im Zugzwang

Kl [v]

meine Kollege muss • heute/ Herrgoott

354 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[19] Sb [v]

sind könn Sie uns jetz nich unter Druck setzn. Wir brauchn bestimmte Unterlagn dass

[20] Sb [v]

Sie sich hier anmeldn dürfn.

Kl [v]

Mmm. Isch bin jetz schon fümfunzwanzisch Jahrre isch

[21] Sb [v]

Jaa was bisher war is/

Kl [v]

komme hier. Warum jetz is jede Mal was Neues?

Ja aber der Herr • äh möchte sich jetz

[22] Sb [v]

bei uns anmeldn und dann brauchn wir von der Hausverwaltung ne Bestätigung. Is

[23] Sb [v]

doch kein Problem. Rufn Se die Hausverwaltung an • ham ja ne Telefonnummer • und

[24] Sb [v]

dann komm Se morgn eimfach wieda. • • Und dann geht das auch. Kein Problem.

[25] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

Nöö die Probleme machn/ Jaja.

Machen Sie nur Problem mehr nisch.

Doch

steht auf

[26] Sb [v]

Wolln Sie dis Anmel/ wolln Sie dis Anmeldeformular nich mitnehm? Dann is oke.

Kl [k]

schimpft laut auf Türkisch

[27] Sb [v]

Dann hat sich die Sache erledicht. Dann komm Se späta wieda.

Explizit äußert der Kl Verärgerung: «Ey s kann ja wohl nisch wahr sein oder?» (PF 13, 14). Mehrfach gibt er trotz einiger Unterbrechungsversuche durch die Sb das Rederecht nicht ab. Etwas später formuliert er klare Vorwürfe an die Sb: z. T. im Frageformat «Warum jetz is jede Mal was Neues?» (PF 21), z. T. im Aussage-

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 355

Format, direkt an die Sb gerichtet: «Machen Sie nur Problem mehr nisch» (PF 25). In letzterer Äußerung sind zudem zwei Vorwurfspunkte enthalten: Die Sb «macht Probleme» und sie macht «mehr nisch», wird also u. U. als faul, arbeitsunwillig o. ä. eingeschätzt. Darauf reagiert die Sb mit verschiedenen Mitteln: mehrfache Unterbrechungen der Partner-Äußerungen, Themen-Relevantsetzung («Das ist jetz nich dis Problem. Dis Problem is erstma...», PF 14, 15), mehrfache (insistierende) Selbstrephrasierungen («Wir brauchen bestimmte Unterlagen», «dann brauchn wir von der Hausverwaltung ne Bestätigung» etc.), Konstituierung einer «WirGruppe» von Behördenmitarbeitern («Wir brauchn») sowie gegen Ende ein imperativischer Handlungsvorschlag («Rufn Se die Hausverwaltung an», PF 23), ein Gegenvorwurf an den Kl (mit Widerspruch: «Nöö die Probleme machen/») und letztlich eine klare Gesprächsbeendigungsinitiative durch eine imperativische Handlungsaufforderung («Dann komm Se späta wieda», PF 27). Deutlich stellt die Sb dabei, ähnlich wie die Sachbearbeiterinnen in Streitgespräch 1 und 2, die (vorgebliche) Macht des «Faktischen» heraus (Sachzwänge), was sich beispielsweise an der Themenrelevantsetzung («Dis Problem is») und an der mehrfachen Verwendung des Verbs «brauchen» zeigt. In diesem Gespräch ist allerdings auch ein Renormalisierungsversuch der Sb zu beobachten: In PF 22 bis 24 thematisiert und schwächt sie den konfliktauslösenden Vorfall ab: «Is doch kein Problem» sowie «komm Se morgn eimfach wieda. • • Und dann geht das auch. Kein Problem». Dies scheitert allerdings, da der Kl widerspricht, es sei eben doch ein «Problem». In beiden Gesprächen, Gespräch 38 des argentinischen und Gespräch 90 des deutschen Korpusteils, fällt insgesamt auf, dass die Sachbearbeiterinnen Rollen ausagieren als «Experte» (P 38 arg.) oder als «Informationsübermittler», Übermittler von «Sachzwängen», angeblich «objektiven» Notwendigkeiten (P 90 dt.) – in beiden Fällen als Höherstehende und «(Allein-) Entscheider». In beiden Fällen setzen die Sachbearbeiterinnen sich, genauso wie in den oben besprochenen Streitgesprächen 1 und 2, letztlich durch. Auch hier wehren sich die Klienten jedoch trotzdem weiter gegen die von den Sachbearbeitern etablierte asymmetrische Positionierung. Das zeigt sich an zwei letzten Beispielen aus den beiden Gesprächen: Beispiel 74: P 38 arg. [74] Sb2 [v] Kl [v]

Ya te lo informaron. Sí me/ Pará! Te puedo decir otra cosa?

Claro. • Al menos que te lo

356 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[75] Sb2 [v] informaron eh Kl [v]

No sé si se llama/ eh ayer me dijeron que tenía que legalizarlo en el Colegio de

[76] Kl [v] Contadores Puublicos. • Bueno no se llama así sino que se llama como dice acá ((lacht kurz

[77] Sb2 [v]

Perdón

Kl [v] auf)) que se llama ehh Consejo Profesional de Ciencias Económicas • no sé si ésto es lo que/

[78] Sb2 [v] Perdón si no/ eh no utilizamos los términos ex actos / Kl [v]

No no pues pero vos me estás hablando

[79] Kl [v] de términos y después • o sea que de/ de algo que ésto es/ es/ ésto no está valida pero eso sí

Die Sb unterbrechend leitet die Kl metakommunikativ ein neues Thema ein: «Te puedo decir otra cosa?» (‹Kann ich dir etwas anderes sagen?›, PF 74). Anschließend korrigiert sie, ähnlich wie der Klient in Streitgespräch 1, einen von der Sachbearbeiterin offenbar in einem vorherigen Gespräch gebrauchten Fachterminus («Colegio de Contadores Puublicos» > «no se llama así sino [...] que se llama ehh Consejo Profesional de Ciencias Económicas»: ‹das heißt nicht so sondern [...] es heißt ähh Consejo ...›). Wie in Streitgespräch 1 handelt es sich hier nicht um eine Korrektur, die für das gegenseitige Verstehen in dieser Situation notwendig ist. Stattdessen dient die Korrektur offenbar ausschließlich dazu, in einer «Nachverbrennung» das (aus Sicht der Kl mangelnde) Fachwissen der Sb2 zu kritisieren und deren Image zu beschädigen sowie das eigene zugleich aufzuwerten. Die Sb2 reagiert darauf mit einer Entschuldigung: «Perdón. Perdón si no/ eh utilizamos los términos exactos/» (‹Entschuldigung. Entschuldigung wenn wir/ äh nicht die exakten Termini gebrauchen/›). Die Wiederholung und zusätzliche Betonung von «perdón» zeigen allerdings zumindest Irritation. Die Kl unterbricht sie jedoch erneut und kündigt Widerspruch an («pero»). Sie wendet sich direkt an die Sb2 (T-Anrede «vos», zusätzlich betont) und erklärt, wenn die Sachbearbeiter von ihren Klienten den Gebrauch korrekter Termini erwarteten («vos me estás hablando de términos», ‹du erzählst mir etwas von

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 357

Fachbegriffen›), sollten auch sie diese korrekt gebrauchen. Auf diese Weise übt die Kl nicht nur starken Rechtfertigungsdruck auf die Sb2 aus, sondern fordert gleichzeitig ein im Grunde symmetrisches Verhältnis zwischen den Gesprächspartnern ein, in dem Anforderungen für alle Beteiligten gleichsam gelten. Auch in Gespräch 90 des deutschen Korpusteils äußert der Kl zum Gesprächsende einen letzten expliziten Vorwurf an die Sb: Beispiel 75: P 90 dt. Kl [v]

Alles Probblem weißt

[28] Sb [v] Kl [v] Kl [k]

Nee wir verstehn Sie nich. du? Verstehn die • u/uns ga nich. Kl und Kl2 gehen und knallen die Tür zu.

Diese Sequenz schließt an die Gesprächsbeendigungsinitiative der Sb an («Dann komm Se späta wieda»). Der Kl geht unter letzten Vorwürfen («Alles Probblem weißt du? Verstehn die • u/uns ga nich»). Auffällig ist hier, dass der Kl, genau wie der Klient in Streitgespräch 1, offenbar den Eindruck hat, die Sb verstehe ihn nicht (und wolle ihn u. U. auch nicht verstehen). Das scheint ein Kritikpunkt zu sein, den offenbar mehrere Klienten vertreten. Die Sb beantwortet dies mit Ironie: «Nee wir verstehn Sie nich» und behält damit das letzte Wort. Das Gespräch endet, wie die anderen besprochenen, ohne Beilegung des Streits. Insgesamt zeigt sich auch in diesen Gesprächen zumindest zu Gesprächsbeginn ein unkooperatives Verhalten der Sachbearbeiterinnen (v. a. auf der Ebene der gestörten Responsivität) sowie eine von diesen etablierte asymmetrische Positionierung der Interaktanten zueinander – woraufhin die Klienten jedoch selbst auch forcierender agieren und teilweise sogar versuchen, die asymmetrische Positionierung umzukehren, selbst also Macht in der Interaktion auszuüben. In sämtlichen Fällen scheint die von den Klienten erwartete und abgelehnte Handlung nicht das einzige Streitobjekt zu sein, sondern die Beziehung der Interaktanten zueinander im Streit verhandelt zu werden – was sich besonders deutlich an den beschriebenen «Nachverbrennungen» zeigt, in denen gar nicht mehr das hauptsächliche Streitthema behandelt wird. Es können einige Faktoren ausgemacht werden – was u. a. das Verhalten der Sachbearbeiter betrifft – die offenbar Streit in Behörden-Klienten-Gesprächen zumindest begünstigen: Unkooperativität, v. a. auf der Ebene der Responsivität der Äußerungen, (implizite) Face-Bedrohungen bereits zu Gesprächsbeginn

358 

 Analysen III: Streitinteraktionen

sowie offene Machtausübung, auch dann, wenn diese möglicherweise einer Beendigung aufkommenden Streits dienen soll. Gerade wenn Diskrepanzen zwischen den Interaktanten bezüglich ihrer Handlungsabsichten bestehen – wenn also Klienten zu einer Handlung gebracht werden sollen, die sie offenbar nicht ausführen wollen –, werden diese Verhaltensweisen offenbar problematisch. Das ist weitgehend unabhängig davon, welche Nationalitäten oder Herkunftskulturen die Interaktanten haben oder welchen Geschlechts sie sind. In den hier betrachteten Gesprächen konnten auffällige Gemeinsamkeiten beobachtet werden, obwohl teilweise türkische Männer mit deutschen Frauen, teilweise aber auch spanische und italienische Frauen mit argentinischen Frauen kommunizierten. Sicher mag es Kulturkreise geben, deren Mitglieder eher als die anderer Kulturkreise geneigt sind, beispielsweise Machtdistanzen zu akzeptieren (cf. Hofstede 2010). Das lässt sich aus den erhobenen Daten allerdings nicht erkennen.

8.6.3 Zur Rolle der Sprache II Bezüglich der Frage, inwiefern sich hier unterschiedliche Sprachkompetenzen bei der Entwicklung von Streit bemerkbar machen, lassen sich einige Überlegungen anstellen. Es fällt auf, dass der Umstand, ob die Interaktanten dieselbe Muttersprache sprechen (wie in Streitgespräch 2) oder einer der Interaktanten eine Fremdsprache spricht (wie in Streitgespräch 1 und den beiden zuletzt betrachteten Gesprächen) zunächst keinen großen Unterschied auszumachen scheint, zumindest soweit es aus den Daten erkennbar ist. In sämtlichen Fällen verfügen die Sachbearbeiter zwar offenbar letztlich über mehr (oder andere, stärkere) Ressourcen zur Durchsetzung ihrer An- oder Absichten – aber nicht unbedingt weil sie als Muttersprachler mit Nicht-Muttersprachlern streiten. Auch die nicht-muttersprachlichen Klienten verfügen, obgleich teilweise einige Sprachproduktionsschwierigkeiten beobachtet werden können, über eine ganze Reihe von sprachlichen Mitteln, die der Durchsetzung ihrer Ansichten dienen sollen. Möglich wäre allerdings, dass einige Auffälligkeiten im sprachlichen Verhalten nicht-muttersprachlicher Klienten im Streit, die von Behördenmitarbeitern u. U. als Unkooperativität oder forcierendes Verhalten aufgefasst werden – und damit streitsteigernd wirken können –, mit mangelnden Sprachkompetenzen zusammenhängen. Zum Beispiel wäre denkbar, dass die auffällig häufigen Selbstrephrasierungen – bei geringen Nuancierungen – des Klienten in Streitgespräch 1 (konstante Wiederholung, er sei prinzipiell kooperationsbereit, aber nicht bereit zu einem

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 359

Bewerbungstraining) zumindest auch damit zusammenhängen, dass der Klient meint, sich als Nicht-Muttersprachler nicht verständlich machen zu können. An verschiedenen Stellen in diesem Gespräch lässt sich auf (zumindest leichte) Formulierungsschwierigkeiten des Klienten schließen. Beispielsweise wird im Verlauf des Gesprächs erkennbar, dass er ein Bewerbungstraining für unter seinem Niveau hält – er sagt dies aber an keiner Stelle explizit, sondern greift stattdessen zu verschiedenen nicht als solche explizit gemachten Analogieschlüssen, wie «die solltn mir bitte nisch sagen dass isch ma/ma hinsetzen soll und Bewerbung schreiben soll und zwei mal zwei macht vier». Hier entsteht der Eindruck, dass er zu solchen Formulierungen greift, wenn ihm die sprachlichen Mittel fehlen, das, was er aussagen möchte, exakter zu fassen. Am Ende des Gesprächs äußert der Klient ein Gefühl des Nicht-Verstanden-Werdens sogar explizit (mehrfach wiederholt: «Sie verstehn überhaupt nüscht»). In ähnlicher Weise äußert sich auch der Klient des Gesprächs 90 des deutschen Korpusteils (s.o.: «Verstehn die • u/uns ga nich»). Möglicherweise haben Klienten, die fremdsprachlich agieren, häufiger den Eindruck, sich nicht verständlich machen zu können – zumal dann, wenn aus dem Verhalten der Sachbearbeiter nicht erkennbar ist, ob diese tatsächlich nicht verstehen, was die Klienten ihnen sagen möchten, oder ob sie aus anderen Gründen (bspw. zur Durchsetzung im Streit) nicht auf die Argumente der Klienten eingehen und auf ihren eigenen Ansicht bestehen. Die mehrfachen Selbstrephrasierungen des Klienten wirken aber offenbar insistierend oder zumindest non-responsiv (unkooperativ). Geringe Nuancierungsmittel, die der Relevanzauszeichnung und der «Abtönung» der Illokution dienen könnten, werden von Sachbearbeitern offenbar als Zeichen der Intransigenz und als von Gegenargumenten unaffiziertes wiederholtes Vorbringen des eigenen Anliegens – als «Basarverhalten» (Seifert 1996a) – gesehen. Die Sachbearbeiterin in Streitgespräch 1 reagiert hierauf mehrfach ausdrücklich, z. B. indem sie deutlich herausstellt, dass sie das Verhalten des Klienten als unkooperativ auffasst («Hörn Se mir jetz mal zu!», «Sie hörn mir nicht zu» etc.). Außerdem wirken die Äußerungen des Klienten in Streitgespräch 1 zum Teil sehr brüsk (brüsker als beispielsweise die der Klientin in Streitgespräch 2) und unvermittelt, pragmatisch kaum verständlich: z. B. «gebm Se mir die Papiere» (PF 89); «Wat wolln die davon diese Leute von mir?» (PF 56); «Sie könn mich ja gerne vermitteln. Ham Se Arbeit für mich?» (PF 47, 48); «isch such eine Arbeit isch kann mit die scheiß 300 Euro nisch leben» (PF 58) oder auch Äußerungen wie «Ja ham Sie 6000 Euro für mich?» (PF 26) und «Isch möchte nisch therapiert werdn» (PF 39, 40), die der Klient formuliert, ohne dass zuvor von Kosten (6000 Euro für die Absolvierung des Militärdienstes) oder von einer Therapie die Rede war. Solche Äußerungen wirken dadurch abrupt und zum Teil wie «absurdes Argumentieren» (Schank 1987, 37), fehlendes «Zuhören» oder «am Partner vorbei Reden» – was

360 

 Analysen III: Streitinteraktionen

im Fall des Streitgesprächs 1 von der Sachbearbeiterin ja auch mehrfach explizit angemerkt wird. Das kann verschiedene Ursachen haben: Vielleicht sind die Äußerungen gezielt brüsk und unvermittelt formuliert (über die Intention lässt sich hier schließlich keine Aussage treffen), vielleicht handelt es sich tatsächlich um starke Durchsetzungsversuche im Streit, um eine bestimmte Art zu streiten – zumindest möglich wäre es jedoch auch, dass dem Klienten aufgrund seiner nicht-muttersprachlichen Kompetenzen im Deutschen auch sprachliche Mittel fehlen (oder zumindest ein Gespür für deren Angebrachtheit), z. B. kritischen Äußerungen eine gewisse Schärfe zu nehmen und Bezüge klarer herzustellen (über eine stärkere Verwendung von Kohärenzmarkern, Abtönungspartikeln, metakommunikativen Kommentaren o. ä.). Beispielsweise fällt auf, dass der Klient zwar verschiedene Abtönungspartikeln verwendet – jedoch v. a. die eine («überstrapazierte») Partikel «mal». Nach Ruof (1981) sind die fünf häufigsten Abtönungspartikeln im gesprochenen Deutsch (in dieser Reihenfolge) «ja», «auch», «halt», «aber» und «schon». Nach Rabanus (1996), der sich allerdings auf Internet-Chatforen bezieht, sind es «auch», «aber», «ja», «nur» und «mal». Hier fällt auf, dass die Sachbearbeiterin eine ganze Reihe dieser Abtönungspartikeln im Gesprächsverlauf verwendet: «mal» (8x), «ja» (6x), «aber/aba» (4x), «auch» (4x) sowie «schon» (3x), zudem jeweils einmal «doch», «denn» und «eben». Der Klient dagegen verwendet zum einen weniger verschiedene Abtönungspartikeln und zum anderen auch fast alle seltener als die muttersprachliche Sachbearbeiterin: Viermal gebraucht er «ja», ebenfalls viermal «aber/aba» (davon zweimal in der feststehenden Redewendung «könn Se mir aba glaubm»), zweimal «auch» und einmal «nur». Die Partikel «mal/ma» gebraucht er dagegen in 23 Fällen – 1,35 Mal pro Minute. (Rabanus (1996) beschreibt eine durchschnittliche Verwendung dieser Partikel von 0,22 Mal pro Minute.) Es ist also denkbar, dass «Unvermitteltheit» und «Abruptheit» hier auch Ausdruck fehlender Modalisierungsmöglichkeiten sind, die wenig andere Möglichkeiten der Aushandlung unterhalb der Schwelle offener Aufkündigung der Kooperativität und der Face-Verletzung lassen. Auffällig ist des Weiteren, dass der Klient in Streitgespräch 1 (anders als die muttersprachliche Klientin in Streitgespräch 2) eine Reihe von Vulgarismen und aggressiven sprachlichen Bildern gebraucht (in denen aggressive körperliche Handlungen beschrieben werden: «dann schmeiß ich die Papier einfach in das Gesicht zu die Leute», PF 74, 75). Auch hier ist zu überlegen, ob ihm sprachliche Mittel fehlen, z. B. starke Verärgerung auf andere Art auszudrücken. Unter Umständen wirkt das Verhalten des Klienten in Streitgespräch 1 also auch aufgrund seiner Sprachkompetenzen, insbesondere fehlender Nuancierungs- und Modalisierungsmöglichkeiten, besonders brüsk, unvermittelt, intran-

Vergleichende Bemerkungen und Parallelen zu weiteren Streitgesprächen 

 361

Tabelle 10: Modalpartikeln in Streitgespräch 1 Partikel

Sachbearbeiterin

Klient

mal/ma

8

23

ja

6

4

aber/aba

4

2 + 2 in feststehender Redewendung

auch

4

2

schon

3

/

doch

1

/

denn

1

/

eben

1

/

nur

/

1

sigent und aggressiv. Gerade das aber scheint für die Sachbearbeiterin jeweils die Übergänge von einer Phase des Streits zur nächsten zu signalisieren und zu verstärkter Etablierung von Macht in der Interaktion durch diese – und damit zu einer Steigerung des Streits – zu führen. Es ist allerdings schwer auszumachen, ob das Verhalten des Klienten hier tatsächlich mit seinen Fremdsprachenkompetenzen zusammenhängt oder nicht. Am Datenmaterial lässt sich kaum belegen, ob hier Sprachkompetenzen tatsächlich eine Rolle spielen. Wie die Analysen deutlich zeigen, verhalten sich auch Muttersprachler im Streit sehr ähnlich, rephrasieren eigene Äußerungen immer wieder, formulieren brüske und unvermittelte Äußerungen und verwenden vermutlich auch (wenn auch nicht in den hier untersuchten Streitgesprächen) Vulgarismen etc. Der Gegenstand der Analysen in diesem Kapitel sind Streitinteraktionen, die folglich bei Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Es lässt sich jedoch annehmen, dass Nicht-Muttersprachler ein solches Verhalten u. U. auch aufgrund geringerer Sprachkompetenzen – auch wenn sie nicht streiten (wollen) – noch häufiger an den Tag legen als Muttersprachler und brüsker, abrupter oder aggressiver erscheinen als intendiert ist.45 Dies wird in den in Kapitel 9.2 zu diskutierenden Implikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation wieder aufzugreifen sein.

45 Ähnliche Überlegungen finden sich ja bereits bei Gumperz et al. (1979), die illustieren, wie durch leichte Änderungen beispielsweise in der Intonation eine gewöhnliche Informationsfrage

362 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Zu bemerken ist an dieser Stelle allerdings, dass in sämtlichen Streitgesprächen des Korpus die nicht-muttersprachlichen Klienten zumindest (nach eigener Aussage) gute Kenntnisse der Sprache haben, in der das jeweilige Gespräch stattfindet. Denkbar wäre daher auch, dass Klienten, die der entsprechenden Sprache weniger mächtig sind, sich zu offenem Widerspruch oder gar Streit oft nicht in der Lage fühlen.

8.7 Ein Kontrast-Beispiel Vor dem Hintergrund der bisherigen Analysen wird zum Abschluss des Kapitels im Folgenden ein Kontrast-Beispiel hinzugezogen. Ein Vergleich mit den zuvor betrachteten Streitgesprächen lässt die entscheidenden Parameter, die im Takeoff des Streits wirksam werden, deutlich hervortreten, da dieses Gespräch hinsichtlich seines Settings und der darin behandelten Thematik dem oben besprochenen Streitgespräch 2 sehr ähnlich ist. In diesem Gespräch entwickelt sich jedoch, trotz der weitgehend gleichen Bedingungen, kein Streit. Zu untersuchen ist also, inwiefern dieselbe Thematik wie in Streitgespräch 2 hier anders behandelt wird. Dieses Gespräch findet, wie Streitgespräch 2, an der argentinischen Ausländerbehörde statt, zwischen einem argentinischen Sachbearbeiter und wiederum einer spanischen Klientin (P 37 arg.). Für die Analyse wird nur eine Sequenz des Gesprächs ausgewählt, in der dasselbe Verstehensproblem wie in Streitgespräch 2 auftritt – und derselbe Handlungsvorschlag erfolgt. Auch in diesem Gespräch möchte die Klientin die Einbürgerung beantragen, auch ihr fehlt die geforderte Apostille, und auch sie glaubt, sie verfüge bereits über eine Apostille, da sie eine Beglaubigung eines spanischen Richters eingeholt hat. Auffällig ist, dass diese Sequenz zum einen deutlich kürzer, also auch «effizienter», ist als die entsprechende Sequenz in Streitgespräch 2 (ca. 1 Minute und 20 Sekunden vs. 5 Minuten und 14 Sekunden in Streitgespräch 2) und zum anderen weniger konfliktiv verläuft.

leicht als Vorwurf aufgefasst werden kann etc. Hinnenkamp (1998) betont, dass durch solche Missverständnisse ausgelöste Irritationen zu einem grundlegenden Missverstehen führen können, das sogar zum Scheitern der Kommunikation führen kann.

Ein Kontrast-Beispiel 

 363

8.7.1 Analyse Kontrast-Beispiel 8.7.1.1 Phase 1: Aufkommen des wissensdivergenzbedingten Verstehensproblems [5] Sb [v]

Preguntale por si las dudas. ((1,5s)) Igual pará/• antes de llamarlo te

[6] Sb [v]

digo/ • • te digo otra cosa.

Kl [v]

La partida • lo que faltaría es el apostil. • Sí? • Viste Sí?

[7] Sb [v]

como los antecedentes penales • están apostillados—

Kl [v]

Este es el apostillo. • • Porque el/

[8] Kl [v]

• el juzgadoo • • el juzgado es él que apostilla. • Solamente el juzgado pueste/ puede

[9] Sb [v] Kl [v]

Claro. apostillar en mi país. ((1,5s)) No hay ningúnn • gobie/ ehh • no hay ningún otro

[10] Sb [v]

((1s)) Claaro. Lo que pasa es que lo que estamos pidiendo es el apostil/Quién Sb wird

Sb [k] Kl [v]

quee—

[11] Sb [v]

me llama?

((9s)) Sí? • Ehh • faltaríaa/ • • es eh • es un sellito si? El

Sb [k]

vom einem Kollegen unterbrochen. Zu Kl

[12] Sb [v]

apostil. • Esto/ ésto sirve solamente en España. Sí? Bueno una vez que sale de España

[13] Sb [v]

• sí? lo que/ no está legalizado ese papel. • Es igual que con/ viste los antecedentes

364 

 Analysen III: Streitinteraktionen

[14] Sb [v] Sb [k] Kl [v]

penales? Que tienen el apostil • atrás. • • Ese es una legalización que le hacen pra/ • Zeigt auf das Dokument Ehe.

[15] Sb [v] Kl [v]

para poder utilizarla en otros paises. • Sí? Así lo apostillan. Sí?

Ehh • yo creo que Sí.

In diesem Gespräch manifestiert sich dasselbe Verstehensproblem wie in Streitgespräch 2. Auch hier verfügt die Kl über eine spanische Beglaubigung, die in Argentinien nicht (als Apostille) anerkannt wird. Auffällig ist jedoch, dass dieser Umstand hier vom Sb anders eingeführt wird als es in Streitgespräch 2 der Fall war. Zunächst kommt der Sb auf diesen Aspekt nicht unvermittelt zu sprechen, sondern leitet ihn ein mit «te digo otra cosa» (‹ich sage dir eine andere Sache›). Damit verdeutlicht er bereits an dieser Stelle, dass er der Kl etwas mitteilt, das sie noch nicht weiß bzw. wissen kann. Anders als in Streitgespräch 2 wird hier der Kl also kein impliziter Vorwurf gemacht. Anschließend verweist der Sb auf das Dokument, um das es geht, stellt also das Referenzobjekt klar («La partida») und übermittelt die Information, dass bei diesem Dokument eine Apostille fehlt. Dabei geht er sehr vorsichtig vor und formuliert im Konditional: «lo que faltaría es el apostil» (‹was hier fehlen würde ist die Apostille›). Zudem versichert er sich sofort des Hörer-Verständnisses durch die tag question «Sí?» (‹Ja?›) und fügt zur weiteren Erläuterung ein Beispiel an: «Viste como los antecedentes penales • están apostillados» (‹Siehst du, wie der Strafregisterauszug • mit einer Apostille versehen ist›). Die Pause nach «antecedentes penales» kann einer zusätzlichen Betonung dienen. Ein Verstehensproblem tritt jedoch unabhängig davon auf, da dieselben fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten bestehen wie in Streitgespräch 2. Auch hier widerspricht die Kl und erklärt: «Este es el apostillo» (‹Das ist die Apostille›). Diese Aussage stützt sie, indem sie das in Spanien übliche Vorgehen beschreibt: «Porque [...] el juzgado es él que apostilla» (‹weil der Richter der ist, der eine Apostille ausstellt›) und dies noch einmal paraphrasiert. Daraufhin signalisiert der Sb deutlich Kooperativität, indem er die Aussagen der Kl zweimal bestätigt in PF 9 mit «Claro» und anschließend in PF 10 noch einmal durch die Vokallängung betont «Claaro». Im Anschluss erläutert er, dass dennoch eine Apostille benötigt werde. Dabei beruft er sich auf institutionelle Vorschriften (allerdings anders als in Streitgespräch 2 in der ersten Person Plural formuliert, nicht in der dritten): «lo que estamos pidiendo es el apostil/» (‹das worum wir bitten ist die Apostille›).

Ein Kontrast-Beispiel 

 365

Da er an dieser Stelle kurz von einem Kollegen unterbrochen wird, kommt er ein zweites Mal auf seine Aussage zurück, die er wiederum im Konditional formuliert: «Ehh • faltaríaa/» (‹Äh was fehlen würde/›). Anstatt im Anschluss jedoch, wie die Sachbearbeiterin in Streitgespräch 2, lediglich seine eigene Äußerung zu wiederholen, unterbricht er sich und setzt zu einer Erklärung an, was eine Beglaubigung sei: «es eh • es un sellito» (‹es ist äh es ist ein Stempelchen›). Das Diminutiv dabei mag abschwächend wirken. Nach einer weiteren Hörerrückversicherung anhand einer tag question («Sí?») greift er die Aussage der Klientin auf und fügt in PF 12 eine Erklärung an, die die bestehende Wissensdivergenz überbrückt: «Esto sirve solamente en España» (‹Das gilt nur in Spanien›). Anschließend führt er seine Erklärung in relativ kleinen Schritten weiter aus, die er durch tag questions (Hörerrückversicherung) und Pausen (Möglichkeit zur Turnübernahme, für Rückfragen, Widerspruch etc.) gliedert: «Sí? Bueno una vez que sale de España • sí? Lo que/ no está legalizado ese papel» (‹Ja? Gut, sobald man das Land verlässt • ja? Ist es/ ist das Papier nicht mehr beglaubigt›). Er bestätigt also die Aussage der Klientin, dass sie eine Beglaubigung besitze, erklärt aber zugleich, worin das Problem besteht. Damit hebt er jedoch auch ihr Vorwissen hervor und widerspricht ihr nicht lediglich, was als Face-work angesehen werden kann. Zur Verständnisförderung greift der Sb zudem noch einmal das bereits erwähnte Beispiel auf (welches durch «Es igual que/»: ‹Es ist genau wie› als Beispiel gekennzeichnet wird): «Es igual que/viste los antecedentes penales?» (‹Es ist genau wie/siehst du den Strafregisterauszug?›). Dadurch dass er dies als Frage formuliert, ermöglicht er der Kl Raum beispielsweise für die Signalisierung von Unverständnis. Zudem verdeutlicht er, ähnlich wie die Sb in Streitgespräch 2, das Beispiel visuell, indem er auf den gemeinten Stempel verweist und erklärt: «Que tienen el apostil • atrás» (‹Der hat die Apostille • hinten drauf›). Am Beispiel der «antecedentes penales» erklärt der Sb zudem positiv, was eine korrekte Beglaubigung wäre (nicht nur negativ, was keine korrekte Beglaubigung ist): «una legalización que le hacen para poder utilizarlar en otros países» (‹eine Beglaubigung die gemacht wird um sie in anderen Ländern benutzen zu können›). Mit mehreren tag questions versichert er sich des Verständnisses der Kl, woraufhin diese auch Verständnis signalisiert: «Sí» (‹Ja›). Das Verstehensproblem wird hier offenbar erfolgreicher bearbeitet als im Streitgespräch 2.

366 

 Analysen III: Streitinteraktionen

8.7.1.2 Phase 2: Handlungsvorschlag durch den Sachbearbeiter [15] Sb [v]

para poder utilizarla en otros paises. • Sí? Así lo apostillan. Sí?

Kl [v]

Ehh • yo creo que Sí.

[16] Sb [v]

en el consulado español • • ehh • te lo permitan. Sí? para que lo puedas • apostillar.

[17] Sb [v] Kl [v]

Para/ Por que hay mucha gente que por ahí se viene sin el apostil ((1s)) Ehe.

••y Claro.

[18] Sb [v] Kl [v]

ellos lo que hacen es facilitar/ Claro. Yo pensaba que como sóolo puede apostillar el

Recht früh, bereits nach etwas über einer Minute macht der Sb einen Handlungsvorschlag. Es handelt sich um denselben Vorschlag, der auch in Streitgespräch 2 geäußert wurde, in diesem Fall aber erfolgt er sehr viel früher und wird zudem nicht im Imperativ formuliert, sondern sehr indirekt als Vermutung unter der Verwendung von hedges: «Ehh • yo creo que en el consulado español • • ehh • te lo permitan» (‹Äh • ich glaube dass sie die das im spanischen Konsulat • • ähh • ausstellen›). Auf diese Weise wird, im Gegensatz zu Streitgespräch 2, nicht offen eine Machtposition übernommen, sondern der Gesprächspartner als gleichgestellt behandelt. Noch einmal eröffnet der Sb der Kl durch die tag question «Sí?» die Möglichkeit nachzufragen, bevor er seine Äußerung beendet. Zudem generalisiert er in PF 17: «hay mucha gente que por ahí se viene sin el apostil» (‹es gibt viele Leute die hierher ohne Apostille kommen›). Damit, dass er andeutet, dass das Problem viele Klienten betrifft, dass es sich also um ein alltägliches Problem handelt, wird dieses abgeschwächt – was wiederum als Face-work anzusehen ist. Darauf reagiert die Kl bestätigend mit «Claro». Der Sb fährt daher fort und betont erneut, in der spanischen Botschaft würde ihr geholfen.

Ein Kontrast-Beispiel 

 367

8.7.1.3 Phase 3: Einigung und Ende der Sequenz [18] Sb [v]

ellos lo que hacen es facilitar/

Kl [v]

Claro. Yo pensaba que como sóolo puede apostillar el

[19] Sb [v] Kl [v]

El juzgado. ((2s))

Claaro.

Sí sí sí.

El juzgado/ Y es el juzgado quien te lo da. Y no lo puedes sacar en otro lugar.

[20] Sb [v]

Perfecto. Lo que pasa es que éso si/ sirve pa España . • • Para todo España. • Una vez

Kl [v]

• • Entonces pensé que por eso/

[21] Sb [v] Kl [v]

que ese papel sale de España • tiene que estar legalizado. Sí? Ehe.

Tá bien? Claro.

Bueno.

Noch einmal bestätigt die Kl sowohl ihr Verständnis als auch ihr Einverständnis mit den Aussagen des Sb: «Claro». Im Anschluss kommentiert sie ihre eigene Perspektive und thematisiert die Ursache des Verstehensproblems: «Yo pensaba que como sóolo puede apostillar el/ ((2s))» (‹Ich dachte weil nur der/ eine Apostille ausstellen kann/). Sie bricht ihre Äußerung selbst ab und zögert. Daraufhin vervollständigt der Sb ihre Äußerung (interaktive Vervollständigung). Damit zeigt er an, dass er ihre bereits in PF 8 geäußerte Information (in Spanien könne nur ein Richter beglaubigen) verstanden und noch im Gedächtnis hat. Zudem können solche Unterstützungsleistungen als deutlich kooperatives Verhalten aufgefasst werden (cf. Fiehler 1999). Die Kl fährt also fort, indem sie noch einmal ihren Gedankengang sowie ihre Schwierigkeit erläutert, eine für Argentinien gültige Beglaubigung bereits im Vorfeld einzuholen: «Y es el juzgado quien te lo da. Y no lo puedes sacar en otro lugar. • • Entonces pensé que por eso/» (‹Und es ist der Richter der das ausstellt. Und man kann das nicht an einem anderen Ort bekommen. • • Deshalb dachte ich/›). Bereits während ihrer Äußerungen gibt der Sb mehrere (durch Vokallängung und Wiederholung zusätzlich hervorgehobene) bestätigende Kommentare, unterbricht sie damit allerdings nicht: «Claaro» sowie «Sí sí sí». Solche sprachlichen Handlungen, die die Aktivitäten des Gesprächspartners konturieren und hervorheben, können ebenfalls als besonders kooperatives Verhalten angesehen werden (cf. Fiehler 1999).

368 

 Analysen III: Streitinteraktionen

Zudem drückt der Sb Lob oder Begeisterung aus durch «Perfecto», was wiederum als positives Face-work anzusehen ist. Daraufhin wiederholt er noch einmal die Begründung, weshalb er ihre Beglaubigung trotzdem nicht annehmen könne: «éso si/sirve pa España» (‹das gi/gilt für Spanien›). Durch die Betonung von España verdeutlicht er dabei den Unterschied zwischen einer national gültigen Beglaubigung und einer international gültigen Apostille. Zudem wiederholt er fast wörtlich seine bereits in PF 12, 13 angeführte Erklärung: «Una vez que ese papel sale de España • tienen que estar legalizado. Sí?» (‹Sobald dieses Papier Spanien verlässt • muss es beglaubigt sein. Ja?›).46 Die Pause zwischen Haupt- und Nebensatz sowie die tag question am Ende ermöglichen der Kl wiederum eine Turnübernahme bzw. eröffnen die Möglichkeit, nachzufragen oder Verständnis zu äußern. Diese nutzt sie durch die Bestätigungen «Ehe» und «Claro». Trotzdem versichert sich der Sb noch einmal ihres Verständnisses und ihres Einverständnisses mit seinen Äußerungen: «Tá bien?» (‹Ok?›), was sie erneut ratifiziert: «Bueno». Damit einigen sich die Interaktanten, das Verstehensproblem ist behoben, und die Möglichkeiten für ein weiteres Vorgehen sind abgesprochen. Ein Streit ist hier – trotz desselben Verstehensproblems und desselben Handlungsvorschlags wie in Streitgespräch 2 (der also auch die die Kl hier einen zusätzlichen Aufwand bedeutet) – nicht aufgekommen. Zweierlei fällt nun auf. Erstens wird das Verstehensproblem hier anders bearbeitet als in Streitgespräch 2. Dabei sind bereits die Ausgangsannahmen der Interaktanten in den Gesprächen verschieden. In Streitgespräch 2 geht die Sachbearbeiterin davon aus, dass die Klientin im Grunde wissen müsste, dass ihre Beglaubigung nicht gültig ist, oder stellt den Sachverhalt zumindest dergestalt dar, da sie den Aspekt mit einer Frage («Dónde está...?») an die Klientin einführt. In dem hier untersuchten Gespräch dagegen macht der Sachbearbeiter von Anfang an deutlich, dass er sich der entsprechenden Wissensdivergenz bewusst ist, da er den Aspekt in Form einer Mitteilung einführt («te digo otra cosa», «lo que faltaría»). Eine solche Berücksichtung der Voraussetzungen des Gesprächspartners kann als kooperatives Verhalten angesehen werden (cf. Fiehler 1999). Die Sachbearbeiterin in Streitgespräch 2 bearbeitet im gesamten Gesprächsverlauf das Verstehensproblem nicht. Sie vermittelt lediglich die Information, dass – nicht weshalb – die Beglaubigung der Klientin ungültig ist. In diesem Gespräch dagegen vermittelt der Sachbearbeiter zum einen Wissen darüber, dass die Beglaubigung der Klien-

46 Auffällig ist allerdings auch in diesem Gespräch, dass der Sb ebenfalls wie die Sb in Streitgespräch 2 die Begriffe «apostil» und «legalizar/legalización» synonym gebraucht.

Ein Kontrast-Beispiel 

 369

tin ungültig ist, zum anderen aber auch Wissen darüber, weshalb das so ist. Er gibt also eine tatsächliche Erklärung (weshalb) anstelle einer reinen Mitteilung (dass). In beiden Fällen führen die Sachbearbeiter jeweils ein Beispiel an, um die Wissensvermittlung zu unterstützen. Während die Sachbearbeiterin in Streitgespräch 2 allerdings lediglich auf ein anderes Dokument verweist und erklärt, dies sei eine Beglaubigung, fügt der Sachbearbeiter in diesem Gespräch seinem Beispiel («antecedentes penales») wiederum eine Erklärung bei, die der Klientin hilft, wirklich zu verstehen. Die große Zahl an tag questions in den Äußerungen dieses Sachbearbeiters fungiert zusätzlich als Rückversicherungen des HörerVerständnisses. Zweitens lässt sich hinsichtlich der (symmetrischen oder asymmetrischen) Positionierung der Interaktanten zueinander, hinsichtlich der Aktualisierung von Macht in der Interaktion, Folgendes beobachten: In Streitgespräch 2 lässt sich deutlich ausmachen, dass die Sachbearbeiterin ihre Rolle als Institutionsvertretern ausagiert und sich als (vorgebliche) «Informationsübermittlerin» und (tatsächliche) «Alleinentscheiderin» präsentiert. Die Klientin in Streitgespräch 2 versucht zwar mehrfach, Gemeinsamkeit zu etablieren, darauf reagiert die Sachbearbeiterin allerdings immer wieder eher unkooperativ und mit erneutem Einsatz von Macht in der Interaktion (Handlungsanweisung, reine Mitteilungen, die Unterlagen der Kl seien nicht beglaubigt etc.). Eventuell glaubt die Sachbearbeiterin sogar, durch Verweise auf reine «Sachzwänge» (der Behördenregelungen) eine Minderung von Machtasymmetrien zu betreiben. Aus der Klienten-Perspektive agiert die Sachbearbeiterin jedoch als Vertreterin der Behörde, so dass dieses Mittel ins Leere geht und den Eindruck des Insistierens nur verstärkt. Gegen Ende des Gesprächs versucht die Klientin in Reaktion darauf schließlich fast, eine Umkehrung der asymmetrischen Positionierung zu erreichen, indem sie selbst anweist und sogar droht. Durch eine erneute imperativisch fomulierte Handlungsanweisung setzt die Sachbearbeiterin schließlich ihr Anliegen durch, das Gespräch endet jedoch im Streit. In dem hier untersuchten Gespräch dagegen lassen sich kaum Versuche erkennen, Macht in der Interaktion explizit zu etablieren. Der Sachbearbeiter führt das Problem (die fehlende Apostille) im Konditional und als Mitteilung formuliert ein (weist der Klientin also keine Schuld zu), erklärt der Klientin, weshalb ihre Unterlagen nicht beglaubigt sind (bezieht sie also stärker mit ein), er macht einen Handlungsvorschlag, statt einer Anweisung, der zudem durch die Verwendung von hedges vage gehalten wird. Zudem eröffnet er der Klientin sehr viele Möglichkeiten zu Turnübernahmen (für Nachfragen oder Widerspruch z. B.), versichert sich konstant des Hörer-Verständnisses und bestätigt mehrfach die Äußerungen der Klientin. Er verhält sich nicht nur nicht unkoope-

370 

 Analysen III: Streitinteraktionen

rativ, sondern sogar in einer Form, die als stark kooperativ aufgefasst werden kann und wird (Unterstützungsleistungen, Hervorhebung der Aktivitäten der Klientin, Berücksichtigung ihrer Voraussetzungen, Aussprechen-lassen, Eröffnung von Möglichkeiten zur Turnübernahme, betonte Responsivität etc.) und betreibt mehrfach positives Face-Work (z. B. Lob). Die Klientin reagiert darauf deutlich kooperativer als die Klientin in Streitgespräch 2, signalisiert Verstehen und Akzeptanz. Der Sachbearbeiter in diesem «Kontrast-Beispiel» agiert damit seine Rolle als Institutionsvertreter nicht derart aus wie die Sachbearbeiterin in Streitgespräch 2, etabliert sich nicht als «Anweiser» und «Alleinentscheider», sondern eher als «Ratgeber». Eine solche «nivelliertere», eher gleichgestellte Beziehung der Interaktanten kann offenbar (auch im Behördenkontext) zu einem effizienteren Verlauf des Gespräches führen – vielleicht, weil Klienten in einem solchen Beziehungsverhältnis eher geneigt sind, Informationen zu akzeptieren, als wenn sie sich in einem stark asymmetrischen Verhältnis, in dem offen Macht ausgeübt wird, «niedriger» gestellt fühlen als die Behördenmitarbeiter. «Nivelliert» soll gleichwohl in Anführungszeichen stehen, da das Verhältnis der Interaktanten zueinander trotzdem in gewisser Weise hierarchisch sein mag (da der Sachbearbeiter z. B. in der Tat weitere Entscheidungsbefugnisse hat als die Klientin) – aber ohne dass dies in der Interaktion selbst ausagiert wird, ohne (oder zumindest mit weniger starker) Bedrohung des sozialen Territoriums und des Face der Klientin.

8.8 A  bschließende Bemerkungen – Mehr als Wissensdivergenzen Wie die Analysen zeigen, ist eine Reihe von Gesprächen im Korpus enthalten, in denen offenbar tatsächlich weniger das reine gegenseitige Verstehen problematisch ist, als vielmehr die Akzeptanz von Informationen und Handlungsentscheidungen der Behördenmitarbeiter durch die Klienten. Dabei werden z. T. sogar jegliche «Prämissen» in Frage gestellt: Klienten wollen z. T. nicht nur von ihnen erwartete Handlungen nicht ausführen, sondern «glauben» u. U. nicht einmal, dass diese sinnvoll, in ihrem Interesse oder überhaupt erforderlich sind. Diskrepanzen zwischen den Interaktanten in Bezug auf ihre An- oder Absichten kommen im Behördenkontext immer wieder vor, da Klienten häufig zu Handlungen gebracht werden müssen, die sie nicht ausführen wollen, die ihnen zusätzlichen Aufwand bereiten etc. Mitunter entwickelt sich aus solchen Diskrepanzen aber sogar offener Streit – was dazu führt, dass diese Gespräche vergleichsweise ineffizient sind, lang

Abschließende Bemerkungen – Mehr als Wissensdivergenzen  

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dauern, aufwändige Bearbeitungen erfordern und letztlich vermutlich doch negative Einstellungen der Interaktanten übereinander vorherrschen und in zukünftige Gespräche getragen werden. Dass sich ein Streit entwickelt, liegt dabei offenbar nicht schlichtweg darin begründet, ob die Interaktanten bereits mit negativen (Vor-) Urteilen übereinander in die Gespräche hineingehen oder besonders streitbereit sind.47 Streit entzündet sich in den hier betrachteten Gesprächen auch nicht an (erkennbaren) Missverständnissen zwischen den Interaktanten aufgrund unterschiedlicher (kultureller) Erfahrungen (s. z. B. Gumperz 1982). Er entwickelt sich jeweils aus den Interaktionen selbst heraus. Auffällig ist dabei, dass in sämtlichen Gesprächen des Korpus, in denen sich ein Streit entwickelt, von Beginn an ein (aus Sicht der Klienten) unkooperatives, dominantes und latent face-bedrohendes Verhalten der Sachbearbeiter zu beobachten ist – wobei die Sachbearbeiter jeweils eine Rolle als «Alleinentscheider» bzw. als Vertreter der (allein entscheidenden) Institution ausagieren – worauf die Klienten ihrerseits mit stark forcierenden Aktivitäten reagieren. Es entsteht der Eindruck, dass zumindest manche Klienten offensichtlich an einer Entscheidungsfindung beteiligt werden wollen und sich gegen ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den Interaktanten wehren, teilweise sogar dergestalt, dass sie versuchen, Asymmetrien regelrecht umzukehren. Gerade wenn Klienten zu einer Handlung veranlasst werden, die sie offenbar nicht ausführen wollen, wenn also Konflikte bezüglich der jeweiligen Handlungsabsichten der Interaktanten bestehen, scheint eine solche Rollen-Ausagierung durch die Sachbearbeiter (zumindest tendentiell) konfliktsteigernd zu wirken. Hier entsteht also der Eindruck, dass die Entwicklung eines Streits zumindest teilweise von den Sachbearbeitern selbst – wenn auch nicht gezielt – provoziert wird. Sie begreifen Widerspruch und Argumentationsversuche der Klienten, insbesondere wenn diese von den Klienten mehrfach rephrasiert werden (bei geringen Nuancierungs- und Modalisierungsmitteln), offenbar als unkooperativ, als «Widersetzlichkeit», und beantworten dies – u. U. im Interesse einer möglichst «effizienten» Gesprächsführung im Sinne der Institution – mit verstärkter «Amtlichkeit». Das Ergebnis scheint jedoch gerade keine «effiziente» Gesprächsführung zu sein, sondern eine kontinuierliche Steigerung des Streits. Es zeigt sich des Weiteren, dass in sämtlichen betrachteten Streitgesprächen die Interaktanten sehr ähnliche Mittel zur Durchsetzung ihrer An- oder Absichten einsetzen:

47 Gerade Klienten mit Migrationshintergrund wird ja beispielsweise von Sachbearbeitern teilweise Aggressivität und Streitlust zugeschrieben (s. Feldnotizen).

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 Analysen III: Streitinteraktionen

Zentrale Mittel der Durchsetzung auf Seiten der Sachbearbeiter sind dabei v. a. Selbstrephrasierungen (Insistieren, Ignorierung der Klienten-Äußerungen), starke Handlungssteuerung (Anweisungen, Aufforderungen in Form von Feststellungen u. ä.) sowie explizite Thematisierung und Realisierung von (institutionalisierter) Macht, teilweise auch eine explizite Betonung von Fachwissen (Expertenstatus). Zudem ist in den Streitgesprächen in der Regel, zumindest über Strecken der Gespräche hinweg, eine klare interaktive und semantische Dominanz der Sachbearbeiter zu beobachten (Themenselektion, Themen-Relevantsetzung, «Frage-Batterien» u. ä.). Die Klienten setzen dem in fast allen Punkten eigene Durchsetzungsversuche entgegen, verhalten sich – reaktiv – selbst dominanter in Bezug auf Themenwahl oder Gesprächssteuerung, agieren selbst forcierender hinsichtlich der Handlungssteuerung (eigene Handlungsaufforderungen oder sogar –anweisungen an die Sachbearbeiter, Verweigerung fremdbestimmter Handlungen etc.), thematisieren selbst explizit Macht (in Form von eigenen Drohungen, aber auch vorwegnehmender Entkräftung von Drohungen der Sachbearbeiter), zweifeln das Fachwissen der Sachbearbeiter ausdrücklich an und betonen teilweise eigenes (semi-) professionelles Wissen, und sie insistieren selbst (Selbstrephrasierungen). Dabei scheint es sich um typische Durchsetzungsmittel im Streit – im Behördenkontext – zu handeln, die offenbar relativ unabhängig von Herkunftskultur, Muttersprache (Fremdsprachigkeit) oder auch Geschlecht der Interaktanten verwendet werden. Denkbar ist allerdings, wie in Abschnitt 8.6.3 diskutiert, dass ein solches Verhalten bei nicht-muttersprachlichen Klienten zumindest auch mit fehlenden Fremdsprachenkompetenzen zusammenhängen kann, dass sie beispielsweise häufig (und wenig nuanciert) eigene Äußerungen rephrasieren, weil sie meinen, sich nicht verständlich machen zu können, dass ihre Äußerungen aufgrund fehlender Nuancierungs- und Modalisierungsmittel u. U. besonders brüsk, abrupt und intransigent wirken – dass ihr Verhalten also von den Behördenmitarbeitern als Signal für Übergänge in eine neue Streitphase interpretiert wird, obgleich es möglicherweise nicht dergestalt intendiert ist. Bei der Streitentwicklung können also interlinguale Aspekte zu institutionellen (Ausagierung der Institutionsvertreter-Rolle, typische Phasenabfolge, typische Durchsetzungsmittel wie Sanktionsdrohungen, Anweisungen etc.) hinzutreten (bzw. diese erst recht hervorrufen). Auffällig ist, dass sich letztlich in allen Streitgesprächen die Sachbearbeiter durchsetzen, jedoch erst nach langwierigen Phasen der Aushandlung. Zumindest bis zu einem gewissen Grad lassen sich also tatsächlich unterschiedliche Durchsetzungsmöglichkeiten der Interaktanten ausmachen. Auch den Klienten aber stehen durchaus diverse Möglichkeiten offen, zumindest Dominanz in der Inter-

Abschließende Bemerkungen – Mehr als Wissensdivergenzen  

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aktion zu erlangen. Von einer apriori eindeutigen Entsprechung kommunikativer Asymmetrien und sozialer Asymmetrien (einer gewissermaßen vorgegebenen Hierarchie zwischen Behördenmitarbeiter und Klient) lässt sich also nicht sprechen – auch nicht in Gesprächen mit Nicht-Muttersprachlern. Stattdessen findet eindeutig eine Aushandlung der Beziehung der Interaktanten zueinander in der Interaktion selbst statt. Der Vergleich mit einem «Kontrast-Beispiel» – einem Gespräch, dass sowohl hinsichtlich seines Settings (Art der Behörde, Konstellation der Gesprächspartner, Nationalitäten, Muttersprache etc.) als auch hinsichtlich der behandelten Thematik gut mit einem der Streitgespräche (Streitgespräch 2) vergleichbar ist – zeigt, dass Sachbearbeiter, auch wenn im Grunde dieselben Aufgaben bearbeitet, dieselben Themen behandelt, dieselben Entscheidungen getroffen und die Klienten zu denselben Handlungen veranlasst werden müssen, ihre Rolle auch anders ausagieren können, als es in den betrachteten Streitgesprächen der Fall ist. In diesem «Kontrast-Beispiel» positioniert der Sachbearbeiter sich nicht derart asymmetrisch zur Klientin wie in den übrigen Gesprächen, präsentiert sich nicht als «Alleinentscheider», sondern eher als «Ratgeber» und verwendet keines der oben aufgeführten Durchsetzungsmittel (Insistieren, explizite Thematisierung von Macht, starke Handlungssteuerung etc.). Stattdessen werden hier soziale Asymmetrien (die bestehen, da auch in diesem Fall die Klientin kein tatsächliches Mitentscheidungsrecht hat) kaum relevant gesetzt (bspw. Vorschlag, statt Anweisung). Der Sachbearbeiter betreibt hier ausdrücklich positives Face-work und verhält sich explizit kooperativ. Hier entwickelt sich kein Streit – obwohl auch hier von der Klientin eine Handlung erwartet wird, von der anzunehmen ist, dass sie sie nicht ausführen will, da sie ihr zusätzlichen Aufwand bereitet. Hier zeigt sich z. T. auch ein enger Zusammenhang zwischen der Bearbeitung von Verstehensproblemen und Akzeptanz: Erklärungen des Sachbearbeiters, die die Klientin in die Lage versetzen zu verstehen, weshalb und nicht nur dass eine bestimmte Handlung erforderlich ist, scheinen Akzeptanz zu fördern. Sicherlich sind diese Beobachtungen nicht vorschnell zu verallgemeinern. Es kann nicht geschlussfolgert werden, dass eine solche Rollen-Ausagierung durch den Sachbearbeiter prinzipiell zur Vermeidung eines Streits beiträgt – oder auch dass umgekehrt eine andere Art der Rollen-Ausagierung (als «Alleinentscheider») zwingend zu einem Streit führt. Wie oben hervorgehoben wurde, besteht ein Grundproblem bei der vergleichenden Arbeit mit natürlichen Gesprächsdaten und beim Vergleich ganzer Gesprächsverläufe darin, dass jeweils unterschiedliche Aktanten beteiligt sind. Es ist also durchaus möglich, dass andere Klienten klare Machtverhältnisse problemlos akzeptieren oder auch dass die Klientin im «Kontrast-Beispiel» weniger Streitbereitschaft aufweist als die Klienten in den betrachteten Streitgesprächen.

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 Analysen III: Streitinteraktionen

Tabelle 11: Vergleich Streitgespräch 2 und «Kontrast-Beispiel» Aufgaben

Streitgespräch 2

Kontrast-Beispiel

«Anamnese»: Apostille fehlt

Frage, Schuldzuweisung (Präsupposition): «Dónde está la legalización?»

Mitteilung eines der Klientin unbekannten Sachverhalts im Konditional: «otra cosa», «Lo que faltaría...»

Bearbeitung des Verstehensproblems (geforderte Apostille – beigebrachte Beglaubigung)

Selbstrephrasierungen («No está legalizado/apostillado») + Beispiel (erfolglos)

Bestätigung des KlientenWissens und Erweiterung, Beispiel, Erklärungen

Entscheidung über weiteres Vorgehen: Apostille einholen

Allein-Entscheidung, unvermittelt

Einbeziehung der Klientin, die selbst entscheiden muss/darf

Veranlassung der Klientin zur Handlung «Apostille beim spanischen Konsulat einholen»

Anweisung (2x), imperativisch, T-Anrede, in themen-/ gesprächsbeendigender Funktion

Vorschlag, sehr indirekt formuliert, hedges («Yo creo que en el consulado...») + Begründung

Auch soll keinesfalls unterstellt werden, dass die «Schuld» für das Aufkommen eines Streits einzig bei den Sachbearbeitern liegt. Streit entwickelt sich in allen betrachteten Gesprächen schließlich in nicht unwesentlichem Maße auch daraus, dass die Klienten forcierend, unkooperativ und teilweise ausdrücklich face-bedrohend agieren – wenn auch eher reaktiv und gelegentlich vielleicht «wider Willen». Den Beobachtungen lassen sich aber mit Blick auf Praxisempfehlungen gerade für Behördenmitarbeiter einige Implikationen entnehmen, die in Kapitel 9.2 besprochen werden. Es zeigt sich ein klares Muster, das zumindest die Annahme zulässt, dass die Ausagierung einer Rolle als «Ratgeber» in einem eher «nivellierten» Verhältnis der Interaktanten zueinander gerade bei der Behandlung «schwieriger» Themen (also bspw. wenn Klienten Handlungen ausführen sollen, die sie nicht ausführen möchten) geeigneter ist als die Ausagierung einer «Alleinentscheider»-Rolle durch Sachbearbeiter, als eine deutlich asymmetrische Positionierung der Interaktanten zueinander.

9 Z  usammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse Ziel der Studie war es, empirisch Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund in Deutschland und Argentinien zu untersuchen. Zum Einstieg wurde daher ein Überblick über die (historische und aktuelle) Migration in die beiden betrachteten Länder gegeben und u. a. aufgezeigt, dass ein im Kontext dieser Arbeit zentraler Unterschied in den jeweiligen Hauptherkunftsländern der Migranten und den entsprechenden Muttersprachen liegt. Während in Argentinien ein Großteil der Migranten dieselbe Muttersprache (Spanisch) spricht wie die Aufnahmegesellschaft, allerdings in verschiedenen Varietäten, ist das in Deutschland nicht der Fall. Eine vergleichende Betrachtung der Behörden-Migranten-Kommunikation in diesen beiden Ländern ermöglichte es also, empirisch zu ermitteln, welche Bedeutung muttersprachlichen Sprachkompetenzen der Klienten für die Verständigung in diesem Kontext zukommt. In Kapitel 3 wurden anschließend einige theoretische Grundlagen der Studie besprochen: In dieser Arbeit wurde die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten zunächst als ein Fall von Experten-Laien-Kommunikation angesehen, als eine Kommunikation, in der systematische Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten zu überbrücken sein können. Daher wurden nach einer Besprechung der Charakteristika einer Experten-Laien-Kommunikation verschiedene Möglichkeiten zur Überbrückung von Wissensdivergenzen und zur Bearbeitung von Verständigungsproblemen zusammengefasst: Veranschaulichungsverfahren, reformulative und nicht-reformulative Bearbeitungsverfahren, Verfahren der Verständnissicherung. Im Rahmen dieser Arbeit wurde v. a. als wesentlich erachtet, inwiefern Wissensdivergenzen und deren Überbrückung in den Interaktionen selbst jeweils zum Tragen kommen. Wie betont wurde, sind Experten- und Laienrolle allerdings nicht apriori als eindeutig vergeben anzusehen, sondern werden in einer Interaktion jeweils ausgehandelt und können unterschiedlich ausagiert werden. Diesen Überlegungen kommt auch im Kontext der Behördenkommunikation Bedeutung zu. Als Spezifika einer Behördenkommunikation wurden neben einer institutionellen Zwecksetzung der Gespräche und einer gewissen Starrheit der Kommunikationsabläufe v. a. eine unterschiedliche Wissensverteilung zwischen den Interaktanten, unterschiedliche Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten sowie unterschiedliche Betroffenheit und Ziele (cf. Becker-Mrotzek et al. 1992; Porila/ten Thije 2009a) herausgestrichen. Darauf basierend gehen verschie-

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

dene Autoren – gerade für die Behördenkommunikation mit Migranten – von Abhängigkeitsverhältnissen, von Macht, Dominanz oder gar einer Hierarchie zwischen den Interaktanten aus (cf. z. B. Hinnenkamp 1985; Becker-Mrotzek 2001¸ Porila/ten Thije 2009b). Diese Begriffe liegen allerdings, obgleich häufig synonym gebraucht, nicht ganz auf einer Ebene: Dominanz bezieht sich auf ein konkret beobachtbares kommunikatives Verhalten (z. B. ein «Übergewicht» der Redeanteile eines Gesprächspartners), Macht und Hierarchie dagegen auf soziale Ungleichheiten, die in kommunikativen Ungleichheiten ihren Ausdruck finden und zugleich durch diese (re-)produziert werden können, sich aber nicht direkt in der Interaktion beobachten lassen. Macht sollte dabei nicht als «positionsspezifisch» (Brock/Meer 2004, 190) definiert angesehen werden, kann also zu einem Zeitpunkt vom einen, zu einem anderen Zeitpunkt vom anderen Gesprächspartner ausgeübt werden. Hierarchie dagegen wurde aufgefasst als in Form einer sozialen Rangordnung institutionell festgelegte Machtstrukturen. Angesichts der angestellten Überlegungen zu verschiedenen Möglichkeiten der Aushandlung und Ausagierung von Rollen stellte sich hier die Frage, inwiefern Macht oder Hierarchie in der Interaktion selbst tatsächlich etabliert werden. Eine solche Fragestellung geht über den Kern von Experten-Laien-Kommunikation, deren Fokus auf Prozessen der Wissensvermittlung, hinaus. Da die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten zudem in einem interkulturellen Kontext stattfindet, folgte ein Überblick über im Rahmen der Arbeit relevante Forschungsansätze zu interkultureller Kommunikation (v. a. aus sprachwissenschaftlicher Perspektive). Hier wurde insbesondere herausgearbeitet, dass das Verhältnis von Interkulturalität, Interlingualität und Institutionalität in der Behörden-Migranten-Kommunikation sowie die Frage, inwieweit diese für die Interaktanten selbst relevante Orientierungen darstellen, empirische Fragen bilden, denen in dieser Arbeit nachgegangen werden sollte. Schlaglichtartig wurden anschließend einige für die Arbeit grundlegende bisherige Untersuchungen zur Behördenkommunikation im Allgemeinen und speziell mit Migranten (v. a. in Deutschland) vorgestellt. Wie gezeigt wurde, wird an dieses Thema in unterschiedlicher Weise herangegangen: anhand der Arbeit mit Sekundärquellen (Fragebögen, Interviews) oder anhand der Analyse authentischer Gesprächsdaten. Eine Kombination von Analysen natürlicher Gespräche und von Sekundärquellen wird in diesem Kontext eher selten angewandt. Die Vorteile eines solchen kombinierten Vorgehens werden mit Bezug auf diese Arbeit unter Punkt 9.3 noch einmal besprochen. Zudem zeigte sich, dass zwar seit einiger Zeit in Studien zur interkulturellen Behördenkommunikation verstärkt darauf geachtet wird, interkulturell bedingte Verständigungsprobleme (und Möglichkeiten der Verständigungsherstellung) von institutionell bedingten getrennt zu betrachten, dass aber innerhalb der interkulturellen

Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse 

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Aspekte kaum zwischen sprachkompetenzbedingten und anderen kulturellen differenziert wird. In den verschiedenen bisherigen Studien zur Kommunikation zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern ließen sich zudem unterschiedliche Auffassungen des Problem-Begriffs ausmachen: In einigen Arbeiten werden bestimmte Phänomene v. a. aus einer Analysierendenperspektive als problematisch eingeordnet. Andere Arbeiten betrachten, von welchen Problemen in der Kommunikation die Beteiligten berichten (in Einstellungsstudien etc.). Dagegen konzentrieren sich verschiedene gesprächsanalytische Arbeiten darauf, was sich in der Interaktion selbst als Problem manifestiert. Dieser Auffassung eines Verständigungsproblems – als interaktiv definiert – schloss sich die vorliegende Arbeit an. Um Probleme in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten anhand der Analyse authentischer Gespräche untersuchen zu können, wurde ein Korpus von 279 Gesprächsaufzeichnungen zwischen Migranten und Mitarbeitern der Direccion Nacional de Migraciones in Buenos Aires und verschiedener Berliner Bürgerämter, Einbürgerungsbehörden und Jobcenter zusammengestellt. Zusätzlich wurden eine Fragebogenumfrage mit sämtlichen Klienten der aufgezeichneten Gespräche und Einzelgespräche mit den Behördenmitarbeitern geführt, um auch gesprächsexterne Daten ergänzend einbeziehen zu können. Nach einer Grobtranskription aller Gespräche wurden 55 Gespräche, in denen sich Verständigungsprobleme manifestierten, für eine detaillierte Transkription und Analyse ausgewählt. Auf Basis einer ersten Sichtung des Datenmaterials sowie basierend auf den Überlegungen, die sich bei der Besprechung des Forschungsstandes ergaben, wurden nun mehrere Forschungsfragen für die Analyse formuliert: In welchen Bereichen (Interkulturalität, Interlingualität, Institutionalität) lassen sich Verständigungsprobleme zwischen den Interaktanten beobachten? Worin genau bestehen sie? Welche Rolle spielen Wissensdivergenzen und welche mangelnde (bzw. differente) Sprachkompetenzen? Wie werden die jeweiligen Probleme bearbeitet? Inwieweit gehen Verständigungsprobleme über Wissensdivergenzen hinaus, inwieweit basieren sie auf unterschiedlichen Erwartungen der Interaktanten und auf dem interactional management sozialer Rollen? Im Verlauf der Arbeit wurde die Frage ergänzt, was für die Entwicklung von Streit ausschlaggebend ist. Die Analysen gliederten sich in drei Teile: Erstens wurden Verstehensprobleme in den Gesprächen im Zusammenhang mit Wissensdivergenzen untersucht sowie Möglichkeiten zur Bearbeitung dieser. Zweitens wurden Einstellungen der Interaktanten übereinander betrachtet, die in der Fragebogenumfrage und in den Interviews geäußert wurden. Drittens wurden Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten besprochen, die nicht mehr allein das reine Verstehen betreffen: die Entwicklung von Streit.

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

Die wesentlichen Analyseergebnisse sollen im Folgenden zusammenfassend besprochen werden. Im Anschluss werden einige abschließende Überlegungen bezüglich der Rolle muttersprachlicher vs. nicht-muttersprachlicher Kompetenzen der Klienten in den hier betrachteten Gesprächen angestellt. In Abschnitt 9.2 werden zudem mögliche Implikationen der Analyseergebnisse für eine Verbesserung der Kommunikation in diesem Kontext diskutiert. Zuletzt wird der Nutzen des methodischen Vorgehens der Arbeit besprochen und ein Ausblick auf weitere Forschungsdesiderata gegeben, die sich aus dieser Arbeit ergeben.

9.1 Z  usammenfassung der Beobachtungen – Probleme in der Verständigung zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund 9.1.1 Verstehensprobleme im Zusammenhang mit Wissensdivergenzen In Kapitel 6 wurden zunächst Verstehensprobleme in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund untersucht, Probleme, die darin bestehen, dass die Interaktanten einander nicht oder missverstehen. Viele dieser Probleme hängen mit Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten zusammen, die also in der Interaktion selbst zum Tragen kommen. Das betrifft Sprachkompetenzen, kulturelles Wissen und fachlich-institutionelles Wissen. 9.1.1.1 Beobachtete Verstehensprobleme Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die beobachteten Verstehensprobleme im Zusammenhang mit Wissensdivergenzen in den verschiedenen Bereichen: Tabelle 12: Beobachtete Verstehensprobleme Überblick Verstehensprobleme auf Seiten der KLIENTEN Unterschiedliche Sprach-/Varietätenkompetenzen

– Komplexe Sätze – Satzbedeutung – Registerprobleme: stilistisch besonders hohe oder umgangssprachliche Formulierungen – Kontextualisierung – Zu schnelles/nicht an die Reaktionsdauer der Klienten angepasstes Vorgehen

Zusammenfassung der Beobachtungen 

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Kulturelle Wissensdivergenzen

– Kulturelle Praxen (z. B. domicilio, Kopftuch) – Kulturelle Konzepte (z. B. nacionalidad)

Fachl.-institutionelle Wissensdivergenzen

– Lexik aus dem Behördenkontext – Semantisch/pragmatisch uneindeutige Fragen – Institutionelles Hintergrundwissen/Framing von sprachlichen Handlungen

Verstehensprobleme auf Seiten der SACHBEARBEITER Unterschiedliche Sprach-/Varietätenkompetenzen

– Fehlende oder unvollständige Äußerungen der Klienten – Grammatisch fehlerhafte Äußerungen – Versprachlichungsprobleme der Klienten auf lexikalisch-semantischer Ebene – Unidiomatische oder varietätentypische Formulierungen – Unübliche phonetische Realisierung

Kulturelle Wissensdivergenzen

– Für die Sachbearbeiter unerwartete/nicht nachvollziehbare Erwartungen bezüglich der sozialen Rollenverteilung

Fachl.-institutionelle Wissensdivergenzen

– (Unüblicher) Gebrauch von Fachlexik durch Klienten – Unerwartete Fragen und Handlungsvorschläge der Klienten

Klienten haben also Verstehensprobleme, die sich auf das Verstehen komplexer Sätze, generell der Satzbedeutung, bestimmter stilistisch besonders hoher oder umgekehrt auch besonders umgangssprachlicher Formulierungen beziehen. Sie haben Verstehensprobleme, die sich auf bestimmte kulturelle Praxen und Konzepte beziehen sowie Probleme, die sich auf das Verstehen von Lexik aus dem Behördenkontext beziehen oder mit einem geringeren institutionellen Hintergrundwissen zusammenhängen. Zugleich lässt sich eine Interdependenz beobachten, wenn etwa die pragmatische Funktion von Fragen der Behördenmitarbeiter für Klienten unklar bleibt, da ihnen das institutionelle Prozedere (Fallkategorien, Leistungsvoraussetzungen etc.) unklar ist. Umgekehrt haben aber auch Behördenmitarbeiter Probleme, ihre Klienten zu verstehen, z. B. aufgrund von Versprachlichungsproblemen der Klienten auf lexikalisch-semantischer Ebene, grammatisch fehlerhaften Äußerungen oder einer unüblichen phonetischen Realisierung – und zwar auch in Gesprächen mit Muttersprachlern. Verstehensprobleme auf Seiten der Behördenmitarbeiter bestehen zudem aufgrund kulturell unterschiedlicher Erwartungen bezüglich der sozialen Rollenverteilung sowie aufgrund eines (unüblichen) Gebrauchs von Fachlexik durch Klienten oder aufgrund unerwarteter Fragen und Handlungsvorschläge der Klienten, die auf deren fehlendem institutionellen Hintergrundwissen basieren.

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

Die am häufigsten beobachteten Probleme hängen dabei mit fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen zusammen (in 32 von 55 Gesprächen). Die zweitgrößte Gruppe der beobachteten Probleme basiert auf unterschiedlichen Sprachkompetenzen (27 von 55 Gesprächen) und das «Schlusslicht» bilden solche Probleme, die mit kulturellen Wissensdivergenzen zusammenhängen (14 von 55 Gesprächen). Denkbar ist allerdings, dass gerade Letztere in der Interaktion selbst zuweilen gar nicht thematisch werden, weil derartige Verstehensprobleme sich u. U. nicht immer unmittelbar in der Interaktion manifestieren bzw. versprachlichen lassen oder aber auch von den Interaktanten selbst nicht erkannt werden. Zwischen den beiden Korpusteilen lassen sich zudem einige Unterschiede, jedoch auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten ausmachen: Im argentinischen Korpusteil sind zwar weniger – aber immerhin auch – Verstehensprobleme zu beobachten, die mit unterschiedlichen Sprach- bzw. Varietätenkompetenzen der Interaktanten zusammenhängen. Bezüglich der Verstehensprobleme, die auf kulturellen Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten basieren, sind einige Unterschiede festzustellen, die sich möglicherweise auf die jeweiligen Herkunftskulturen der Beteiligten zurückführen lassen. Beispielsweise wurden Probleme, die mit kulturell verschiedenen Erwartungen bezüglich der Männer- und Frauen-Rollen zusammenhängen, häufig im deutschen Teil beobachtet, nicht aber im argentinischen; dagegen wurden Probleme, die mit der Frage nach einer Adresse zusammenhängen, sehr häufig im argentinischen Teil, nicht aber im deutschen, beobachtet. Die beobachteten Verstehensprobleme, die auf fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen zwischen den Beteiligten basieren, ähneln sich dagegen in den beiden Korpusteilen sehr stark. Das legt die Annahme nahe, dass es sich hierbei um behördentypische Verstehensprobleme handelt, unabhängig von der jeweiligen Art der Behörde, dem Land und der Sprache, in dem bzw. der ein Gespräch stattfindet. Dreierlei ist darüber hinaus hervorzuheben: 1. Verstehensprobleme treten sowohl auf Seiten der Klienten als auch auf Seiten der Behördenmitarbeiter auf. Letztgenanntes wurde zumindest in Bezug auf sprachkompetenzbedingte Probleme sogar besonders häufig beobachtet. Das impliziert, dass Behördenmitarbeiter nicht nur gefordert sind, verständlicher zu kommunizieren, sondern dass auch ihre Verstehenskompetenz geschult werden muss sowie dass Klienten bei der Formulierung ihrer Anliegen stärker unterstützt werden können und sollten. 2. In allen Bereichen treten Probleme auch in Gesprächen mit muttersprachlichen Klienten auf – es sind sogar Verstehensprobleme zu beobachten, die mit unterschiedlichen Sprach- bzw. Varietätenkompetenzen zusammenhängen. Hierauf wird in Abschnitt 9.1.4 (s.u.) noch einmal näher eingegangen.

Zusammenfassung der Beobachtungen 

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3. Gerade was Sprachkompetenzen und kulturelle Wissensdivergenzen anbelangt, verfügen Behördenmitarbeiter nicht schlichtweg über mehr, sondern die Interaktanten über unterschiedliches Wissen. Zu bemerken ist jedoch, dass in der Regel die Erfahrungen und Erwartungen der Behördenmitarbeiter als eine Art Richtgröße gesetzt werden, an der Klienten sich aus Sicht der Behördenmitarbeiter zu orientieren haben. 9.1.1.2 Institutionalität, Interkulturalität, Interlingualität Institutionalität, Interkulturalität und Interlingualität sind offenbar stark miteinander verknüpft. Klienten mit Migrationshintergrund verfügen z. T. beispielsweise a) über weniger und b) u. U. über anderes institutionelles Vorwissen als Einheimische. Zudem interagieren Verstehensprobleme in verschiedenen Bereichen von Wissensdivergenzen. Beispielsweise wurde beobachtet, dass Klienten mit geringeren Sprachproduktionskompetenzen sowohl eigene Verstehensprobleme als auch ihre eigenen Erwartungen, die auf (mangelndem) institutionellem Wissen basieren, schlechter formulieren können – was wiederum zu Verstehensproblemen auf Seiten der Sachbearbeiter führen kann. Hier interagieren also institutionelle und interlinguale Probleme. Auch interagieren institutionelle und interkulturelle Probleme, wenn Klienten beispielsweise institutionelle Regelungen u. a. aufgrund ihrer kulturellen Erfahrungen nicht verständlich sind (bspw. Zulässigkeit eines Kopftuchs auf Passbildern). Bei einer Reihe von Verstehensproblemen scheint allerdings eher die Institutionalität als die Interkulturalität der Situation eine zentrale Rolle zu spielen. In anderen Fällen zeigt sich deutlich, dass interkulturelle Probleme auch unabhängig von interlingualen bestehen können. Um Verstehensprobleme zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund möglichst klar bestimmen zu können, ist eine Differenzierung zwischen interkulturellen, interlingualen und institutionellen Aspekten also unerlässlich. Zudem konnte gezeigt werden, dass Verstehensprobleme, die mit Wissensdivergenzen in verschiedenen Bereichen zusammenhängen, auch unterschiedlich bearbeitet werden (können). 9.1.1.3 Bearbeitungen der Verstehensprobleme Während sprachkompetenzbedingte Probleme in der Regel reformulativ (v. a. paraphrastisch) bearbeitet werden, werden Verstehensprobleme aufgrund fachlich-institutioneller Wissensdivergenzen darüber hinaus mit einer Reihe weiterer Verfahren bearbeitet (funktionale Erklärung, Herausgreifen zentraler Merkmale, Beschreibung des Aussehens eines mit einem Fachterminus bezeichneten Objekts, Präzisierung etc.). Besonders auffällig ist allerdings, dass gerade Ver-

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

stehensprobleme, die auf kulturellen Wissensdivergenzen basieren, zum Teil als sprachkompetenzbedingte bearbeitet werden – z. B. mit (alltagssprachlichen) Paraphrasierungen des Begriffs «domicilio». Dies ist in mehreren Fällen nicht erfolgreich, was zeigt, dass tatsächlich unterschiedliche Bearbeitungsnotwendigkeiten für Verstehensprobleme in den verschiedenen Bereichen bestehen. Im Allgemeinen bearbeiten die Interaktanten in den Gesprächen Verstehensprobleme zwar letztlich erfolgreich. Einige Schwierigkeiten bei der Bearbeitung lassen sich jedoch beobachten: Eine generelle Schwierigkeit liegt in einer klar auszumachenden Tendenz zu Selbstbearbeitungen. In mehreren Fällen ist festzustellen, dass v. a. Klienten von ihnen «verursachte» Probleme kaum selbst bearbeiten können – wobei auch kaum Unterstützungsleistungen durch die Behördenmitarbeiter beobachtet wurden. Fremdbearbeitungen von Problemen haben allerdings größeres face-bedrohendes Potenzial (oder können zumindest als sprachlicher «Paternalismus» gedeutet werden). Zudem werden sowohl in Fremd- als auch in Selbstbearbeitungen durch Sachbearbeiter Verstehensprobleme zum Teil nur vermeintlich bearbeitet: Ausbleibende Äußerungen von NichtVerstehen durch Klienten z. B. im Anschluss an Selbstrephrasierungen der Sachbearbeiter sowie ausbleibender Widerspruch im Anschluss an Fremdkorrekturen oder Inferenzüberprüfungen durch Sachbearbeiter werden häufig als Ratifizierungen (miss-)gedeutet – Probleme geringer Interaktivität. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass Verstehensprobleme zum Teil fehleingeschätzt und dementsprechend nicht (sofort) erfolgreich bearbeitet werden. Das dürfte zumindest teilweise darin begründet liegen, dass insbesondere die Klienten Verstehensprobleme nur sehr selten explizit machen (und selbst wenn, dann eher mit vagen Rückfragen, wie «qué?»). Die Behördenmitarbeiter dagegen äußern ihre Verstehensprobleme deutlich häufiger explizit, jedoch in vielen Fällen ebenfalls nur in Form vager Rückfragen (z. B. «Wat?»). Zudem fällt auf, dass mehrfach Verstehensprobleme gar nicht bearbeitet, sondern übergangen oder umgangen werden – was zwar im Sinne einer effizienten (zeitsparenden und ausschließlich auf die Bearbeitung eines bestimmten Anliegens ausgerichteten) Behördenkommunikation liegen kann, aber eine tatsächlich erfolgreiche gegenseitige Verständigung nicht sichert. In verschiedenen Fällen werden Verstehensprobleme erst durch das Eingreifen Dritter gelöst. 9.1.1.4 Über Wissensdivergenzen hinaus Während sich die betrachteten Verstehensprobleme hauptsächlich auf die Aushandlung von Sachverhalten (cf. Kallmeyer 1985) beziehen, die besonders durch Wissensdivergenzen erschwert wird, fallen bei der Analyse verschiedene Probleme in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten auf, die zwar in gewissem Sinne mit Wissensdivergenzen zwischen den Interaktanten

Zusammenfassung der Beobachtungen 

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zusammenhängen, jedoch nicht ausschließlich damit. Diese betreffen auch nicht allein das gegenseitige Verstehen und auch nicht nur die reine Aushandlung von Sachverhalten. Beispielsweise fällt auf, dass die Verwendung der T-Anrede (die offenbar teils auf geringen Sprachkompetenzen, teils auf kulturell oder sprachlich verschiedenen Anredenormen basiert) die Einstellungen der Interaktanten übereinander negativ beeinflussen kann. Auch zeigt sich, dass hinter Problemen, die mit einer kulturell verschiedenen sozialen Rollenverteilung zusammenhängen, wie auch hinter Problemen, die sich aus dem von einigen Behördenmitarbeitern verfolgten Schema «Datenabfrage» ergeben, zumindest nicht nur Wissensdivergenzen, sondern auch unterschiedliche Erwartungen und Ziele der Interaktanten stehen. Auffällig ist hierbei, dass solche Probleme – anders als reine Verstehensprobleme – zum Teil zu exponierten Fremdkorrekturen («Du gar nich»), Drohungen («Entweder Sie machen jetz hier mit und Ihre Frau macht einen Deutschkurs [...] oder wir kürzn Ihre Leistungen») und scharfen Zurechtweisungen («lassn Sie mich erst weiterredn?») durch die Sachbearbeiter führen. Hier zeigt sich in der Interaktion selbst, dass oftmals weniger das Verstehen und die Sachverhaltsaushandlung zum «Problem» werden, als vielmehr die Beziehungsaushandlung und die Einstellung der Interaktanten zueinander.

9.1.2 Einstellungen der Interaktanten zueinander In Kapitel 7 wurden daher auch zusätzlich zu den Gesprächsaufzeichnungen erhobene Daten aus der Fragebogenumfrage und den Feldnotizen einbezogen und untersucht, welche Einstellungen die Beteiligten außerhalb der betrachteten Gespräche explizit übereinander äußern. Hier zeigt sich, dass zumindest von einem Teil der Befragten recht negative Ansichten über die jeweilige Gegenseite (Behördenmitarbeiter – Klienten) geäußert werden, vor allem hinsichtlich sozialer Kompetenzen. Während Klienten an Behördenmitarbeitern in beiden Ländern beispielsweise Unfreundlichkeit, Willkür, mangelndes Eingehen auf die Klienten und Arbeitsunwilligkeit kritisieren – und hierauf zum Teil auch Misserfolge bei der gewünschten Bearbeitung ihres Anliegens zurückführen – kritisieren Behördenmitarbeiter an Klienten u. a. Aggressivität, Undankbarkeit, Unhöflichkeit, Betrugsversuche und mangelnde Akzeptanz des Behördenmitarbeiters als Autoritätsperson sowie in Argentinien mangelnde Bildung oder sogar «Dummheit» der Klienten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wie erwähnt, auch andere (bspw. soziologische) Untersuchungen zur Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten (cf. z. B. Porila 2006, 34; Berth/Esser 1997; Seifert 1996a).

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

Einige dieser negativen Einstellungen der Interaktanten übereinander können dabei auf Missverständnissen beruhen: z. B. die Klienten in Deutschland nachgesagte Unhöflichkeit/ Distanzlosigkeit auf einer mit geringeren Sprachkompetenzen verbundenen, im Behördenkontext als unangemessen gewerteten Verwendung der T-Anrede; die Klienten in Argentinien nachgesagte Dummheit auf Verstehensproblemen aufgrund kultureller Wissensdivergenzen, z. B. bei der Frage nach ihrer Adresse etc. (Vor-) Urteile der Interaktanten übereinander können also in der Interaktion selbst entstehen oder verstärkt werden. Die Ergebnisse zeigen dabei, dass auch die Interaktanten selbst offenbar viel mehr als nur das reine gegenseitige Verstehen als problematisch erachten. Deutlich wurde, dass am Gesprächsmaterial noch näher zu untersuchen blieb, inwieweit Probleme in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten über Verstehensprobleme und über Wissensdivergenzen hinausgehen können.

9.1.3 Streitinteraktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten In verschiedenen Gesprächen des Korpus waren nun kaum Verstehensprobleme zu beobachten, die Kommunikation verlief aber trotzdem keinesfalls problemfrei, weil sich Anzeichen eines Streits ausmachen ließen (Vorwürfe, gesteigerte Lautstärke bis hin zum Anschreien, zunehmende gegenseitige Unterbrechungen etc.). Hier gehen Probleme in der Verständigung offensichtlich weit über reine mit Wissensdivergenzen verbundene Verstehensprobleme hinaus. Solche Gespräche scheinen zwar deutlich seltener aufzutreten als Interaktionen, in denen in erster Linie Verstehensprobleme die Kommunikation erschweren – sie können jedoch gravierende Folgen nach sich ziehen, insbesondere was negative Einstellungen der Interaktanten übereinander betrifft, die auch in spätere Gespräche hineingetragen werden können. Das zeigte sich u. a. an stark negativen Einschätzungen des Gegenübers durch die Gesprächspartner nach solchen Streitgesprächen. Die exemplarische Analyse von vier Streitgesprächen des Korpus (zwei detailliert und zwei in Auszügen besprochenen, je zwei aus jedem Korpusteil) erbrachte diesbezüglich aufschlussreiche Ergebnisse: Es konnte gezeigt werden, dass ein Streit sich jeweils im Verlauf der Gespräche selbst entwickelt und nicht nur darauf basiert, dass die Klienten von vornherein aggressiv oder die Behördenmitarbeiter schlichtweg vorurteilsbeladen sind. Ausgangspunkt hierbei ist in sämtlichen Fällen ein offenbar für beide Interaktanten relevanter Konflikt (Diskrepanzen) bezüglich einer den Klienten abverlangten, von ihnen aber abgelehnten Handlung.

Zusammenfassung der Beobachtungen 

 385

Zentral scheint dabei zu sein, wie die Behördenmitarbeiter jeweils ihre Rolle ausagieren – nämlich in allen betrachteten Streitgesprächen als «Alleinentscheider» und «Anweiser», in einer klar asymmetrischen Positionierung mit offener Machtausübung – und wie das jeweilige Konfliktthema (die von den Klienten erwartete und abgelehnte Handlung) eingeführt wird: bspw. in Form einer Schuldzuweisung, einer Anweisung oder Zuweisung, in themenabschließender oder sogar gesprächsbeendigender Funktion, nach einer Phase des (als unkooperativ aufgefassten) Nicht-Reagierens auf Klienten-Äußerungen etc. Darauf reagieren Klienten ihrerseits mit verstärkten Durchsetzungsversuchen ihrer An- bzw. Absichten, in zunehmend unkooperativen und face-bedrohenden Äußerungen. Als «typische» Schritte bei der Entwicklung eines Streits im hier untersuchten Kontext konnten die folgenden ausgemacht werden: 1. Eine Vorphase, in der die Sachbearbeiter sich semantisch und interaktiv dominant und aus Sicht der Klienten unkooperativ verhalten, nicht auf Klienten-Äußerungen eingehen, von Klienten initiierte Themen blockieren etc. 2. Eine Phase, in der Diskrepanzen zwischen den Interaktanten z. B. bezüglich ihrer Handlungsabsichten verbalisiert werden, in der die Klienten zu argumentieren beginnen. 3. Verstärkte «Amtlichkeit» der Sachbearbeiter in Reaktion auf die offenbar als unkooperativ empfundenen Argumentationsversuche der Klienten bzw. die Ablehnung der von den Klienten erwarteten Handlung: Selbstrephrasierungen, Betonung von «Sachzwängen», An- und Zuweisungen etc. 4. Ein «Take-off» des Streits, gekennzeichnet durch zunehmende Unkooperativität und Versuche, Macht zu erlangen, auf Seiten der Klienten (Selbstrephrasierungen, Vorwürfe). 5. Anschließend folgt eine sequenzielle «Aufschaukelung» des Streits, indem die Interaktanten einander in ihrem (unkooperativen, forcierenden und/oder face-bedrohenden) Verhalten gegenseitig vorantrieben. Die Sequenzanalyse zeigt hierbei sehr deutlich, wie auf ein latent unkooperatives Verhalten des einen Gesprächspartners (A) der andere (B) jeweils noch unkooperativer (z. T. mit demonstrativer Unkooperativität) reagiert, wie auf ein dominantes Verhalten von A (z. B. in Bezug auf Themenwahl) B ebenfalls forcierender reagiert, wie daraufhin A erneut verstärkt Macht einsetzt (z. B. zu einer expliziten Thematisierung von Macht greift) und B in Reaktion darauf noch stärkere Machtmittel einzusetzen versucht (z. B. eine Drohung) – so dass sich ein Streit im wahrsten Sinne des Wortes «aufschaukelt». Dabei wechseln die Interaktanten z. T. permanent zwischen «verschärfter Gangart» (Kallmeyer/Schmitt 1996) und Renormalisierungsaktivitäten, agieren aber zeitversetzt: Während A «einlenkt», sich kooperativer und weniger forcierend verhält, tut B genau das Gegenteil und reagiert damit noch auf die vorherige (unkooperative/ forcie-

386 

 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

rende) Äußerung von A; während B anschließend «einlenkt», reagiert A wieder unkooperativer oder forcierender. Auffällig ist dabei, dass die Interaktanten unabhängig von ihrer kulturellen Herkunft oder auch ihrer Muttersprache jeweils sehr ähnliche Mittel zur Durchsetzung im Streit verwenden: Die Klienten versuchen einerseits, Gemeinsamkeit herzustellen und an die Behördenmitarbeiter auf einer persönlichen Ebene zu appellieren, andererseits greifen sie im Streitverlauf zu Vorwürfen, Kritik an den Fachkompetenzen des Sachbearbeiters, verhalten sich dominanter in Bezug auf Gesprächs- und Handlungssteuerung, insistieren und drohen sogar. Die Behördenmitarbeiter dagegen insistieren in erster Linie (permanente Selbstrephrasierungen), verhalten sich teilweise äußerst dominant in Bezug auf die Handlungssteuerung (Anweisungen) und thematisieren explizit Macht in der Interaktion (Zuweisungen, Sanktionsdrohungen). Letztlich setzen die Behördenmitarbeiter sich in jedem der Gespräche bezüglich des hauptsächlichen Konfliktthemas durch – und zwar durch ein deutlich forcierendes, eine asymmetrische Positionierung etablierendes Verhalten (explizite Thematisierung von Macht in Streitgespräch 1, klare Handlungsanweisungen sowie starkes Insistieren unter Ignorierung der Klienten-Äußerungen in Streitgespräch 2). Änliches bemerkt, wie bereits erwähnt, auch Codó (2008, 147):1 «However, no matter how creative their strategies were, enquirers systematically failed to negotiate a more symmetrical stance with bureaucrats, a stance that would enable them to comprehend the hows, whens and whys of the bureaucracy they had to deal with».

6. Damit enden die Streitgespräche jedoch nicht, sondern die Klienten versuchen jeweils, sich gerade gegen eine solche Positionierung in «Nachverbrennungen» zum Gesprächsende zu wehren. Sämtliche Streitgespräche enden ohne eine Beilegung des Streits. Die «Machtposition», die Behördenmitarbeitern oftmals zugeschrieben und meist eher aus einer Analysierendenperspektive als Problem benannt wird (cf. Hinnenkamp 1985; Porila/ ten Thije 2009a u. a.), wird in den Interaktionen selbst problematisch, wenn eine entsprechende Rollen-Ausagierung stattfindet – weil zumindest einige Klienten sich offenbar im Streit mit eigenen Durchsetzungsversuchen dagegen zu wehren versuchen. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, dass nicht nur Migranten betreffen dürfte. Allerdings können die Übergänge von einer Streitphase zur nächsten in

1 Codó bezieht sich allerdings nicht direkt auf Streitgespräche.

Zusammenfassung der Beobachtungen 

 387

Signalisierung und Interpretation migrantenspezifisch sein. Ein bestimmtes auf fehlenden Fremdsprachenkompetenzen (Nuancierungs-, Modalisierungsmitteln) fußendes Verhalten eines Klienten kann beispielsweise vom Sachbearbeiter als besonders unkooperativ oder forcierend und damit als Signal für den Übergang in eine neue Phase aufgefasst werden, was die sequenzielle «Aufschaukelung» vorantreibt. Auch bei der Entwicklung von Streit kommen also institutionelle Faktoren (Rollen-Ausagierung, typische Phasenabfolge etc.) und interlinguale zusammen. Eine solche Rollen-Ausagierung, wie sie hier beobachtet werden konnte, scheint nun ein zumindest in Deutschland und Argentinien – möglicherweise international – relativ typisches Verhalten von Behördenmitarbeitern zu sein. Wie ein «Kontrast-Beispiel» zeigte, können Behördenmitarbeiter jedoch – auch unter weitgehend gleichen Voraussetzungen und bei der Behandlung gleicher Themen – ihre Rolle in der Interaktion auch ganz anders ausagieren: z. B. als «Ratgeber» statt als «Anweiser» und «Alleinentscheider», stärker auf die Ratifizierung durch den Klienten orientiert, in einer weniger asymmetrischen Positionierung zum Klienten und mit weniger (offener) Machtausübung. Das kann u. U. eine problemfreiere Kommunikation und effizientere (Zeit und Bearbeitungsaufwand sparendere) Gesprächsführung ermöglichen. In dem besprochenen «Kontrast-Beispiel» zumindest entwickelt sich kein Streit, obwohl dasselbe «schwierige» Thema (fehlende Unterlagen, Erwartung an die Klientin, diese einzuholen) behandelt wird wie in einem der Streitgespräche. Zudem ist die Sequenz, in der dieses Thema behandelt wird, im «Kontrast-Beispiel» erkennbar kürzer als im Streitgespräch. Aus dem Vergleich der Streitgespräche mit diesem «KontrastBeispiel» lassen sich also einige Hinweise entnehmen, wie möglicherweise zu einer weniger problematischen Kommunikation beigetragen werden kann. Diese werden in Abschnitt 9.2 noch einmal besprochen. Insgesamt konnte in den Analysen gezeigt werden, dass in problematischen Interaktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten die Überbrückung von Wissensdivergenzen – also das, was Experten-Laien-Kommunikation im Kern ausmacht – nur die eine Seite ist, die mit Expertise, also Wissen zu tun hat. Interessen, Rollenobligationen, (kulturelle) Wertorientierungen und Macht lagern sich an Wissensdivergenzen an oder überlagern diese auch mitunter. Die Sequenz, die häufig von Divergenz über Konflikt zu Streitinteraktionen führt, geht über das Konzept von Experten-Laien-Kommunikation hinaus. Die Untersuchung dessen, was eine Behörden-Migranten-Kommunikation problematisch macht, erfordert eine integrierte Beschreibung der Aushandlung von Wissen, der Konstruktion sozialer Rollen und diskursiver Macht.

388 

 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

9.1.4 Zur Rolle der Sprache III Wie die Analysen zeigen, können differente Sprachkompetenzen der Interaktanten die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund deutlich erschweren. Das betrifft zum einen das gegenseitige Verstehen – in der einen wie in der anderen Richtung. In 50 Prozent der detaillierter analysierten Gespräche (27 von 55) sind Verstehensprobleme zu beobachten, die auf unterschiedlichen Sprachkompetenzen der Interaktanten beruhen. Zugleich werden Verstehensprobleme, die mit kulturellen oder fachlich-institutionellen Wissensdivergenzen zusammenhängen, hierdurch verstärkt. Wie besprochen wurde, interagieren Probleme der Institutionalität und der Interkulturalität häufig mit Problemen der Interlingualität. Das betrifft v. a. Gespräche mit Nicht-Muttersprachlern. Verstehensprobleme können aber, wenn auch seltener, auch aus varietätenbedingten Unterschieden resultieren. Zudem führt u. U. auch ein behördentypischer Sprachgebrauch und die Verwendung einzelner Begriffe, in denen zum Teil ganze kulturelle Konzepte und Praxen gebündelt sind (z. B. nacionalidad, domicilio), zu Verstehensproblemen, von denen auch Muttersprachler betroffen sind. Darüber hinaus können unterschiedliche Sprachkompetenzen und Varietätenunterschiede auch Auswirkungen auf der Beziehungsebene nach sich ziehen: beispielsweise die Verwendung der T-Anrede von Nicht-Muttersprachlern, die u. U. als unangebracht im Behördenkontext gewertet wird und zum Teil zu exponierten Fremdkorrekturen führt, aber auch unter Muttersprachlern die Verwendung des voseo, die von Migranten in Argentinien, die diese Anrede im Behördenkontext nicht gewohnt sind, als unhöflich oder unangebracht aufgefasst wird. Das geht also über die reine Verständigungsfunktion von Sprache hinaus. Sprachkompetenzen können sogar die Entwicklung eines Streits beeinflussen. Bei der Analyse der Streitinteraktionen lassen sich zwar wenig konkret greifbare Unterschiede beobachten zwischen Streitgesprächen mit muttersprachlichen und mit nicht-muttersprachlichen Klienten. Dass Nicht-Muttersprachler geringere Durchsetzungschancen, geringere (sprachliche) Ressourcen im Streit haben, lässt sich aus den Daten nicht eindeutig erkennen. Wie diskutiert wurde, kann aber ein Zusammenhang zwischen einem von den Sachbearbeitern als forcierend oder unkooperativ markierten Verhalten nicht-muttersprachlicher Klienten und ihren Sprachkompetenzen bestehen. Äußerungen von Nicht-Muttersprachlern können – insbesondere aufgrund fehlender Nuancierungs- und Modalisierungsmittel – besonders brüsk, abrupt, aggressiv und intransigent erscheinen. Häufige Selbstrephrasierungen über das gesamte Gespräch hinweg können damit zusammenhängen, dass Nicht-Muttersprachler u. U. meinen, sich nicht verständlich machen zu können (und deshalb immer wieder in fast identi-

Implikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation 

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scher Form ihre Äußerungen wiederholen) – was aber häufig als Insistieren oder Unkooperativität (Non-Responsivität) aufgefasst wird. Äußerungen von NichtMuttersprachlern können also auch ungewollt streitsteigernd wirken.2 Unterschiedliche Sprachkompetenzen bringen offensichtlich Problempotenzial für die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten mit sich, v. a. was das gegenseitige Verstehen bei der Aushandlung von Sachverhalten, aber auch die Beziehungsaushandlung betrifft. Gerade die Behördenkommunikation mit nicht-muttersprachlichen Klienten stellt also für beide Seiten eine Herausforderung dar. Trotzdem zeigt sich recht klar, dass auch Migranten, die dieselbe Muttersprache wie die Aufnahmegesellschaft, aber in unterschiedlichen Varietäten sprechen, mit diversen – migrantenspezifischen – Problemen konfrontiert sind: Auch diese haben zum Teil Verstehensprobleme aufgrund unterschiedlicher Sprachkompetenzen, auch diese haben Verstehensprobleme aufgrund kultureller und (teilweise migranten-spezifischer) fachlich-institutioneller Wissensdivergenzen und auch diese sind mit Problemen konfrontiert, die über Wissensdivergenzen hinausgehen.

9.2 I mplikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation Mit Blick auf Empfehlungen für eine Verbesserung der Kommunikation in diesem Kontext lässt sich nun überlegen, welche Implikationen die in dieser Arbeit herausgearbeiteten Beobachtungen in sich tragen. Ein Trainingskonzept soll hier nicht erarbeitet werden – kann aber zu einem späteren Zeitpunkt auf Basis der Analyseergebnisse durchaus angestrebt werden. Aus den Analyseergebnissen lassen sich einige mögliche Trainingsinhalte ableiten, beispielsweise unterschiedliche sprachliche Taktiken, um Verstehensprobleme und eventuell auch eine Eskalierung von Streit zu vermeiden oder zu reparieren. Hierbei können Aspekte unterschieden werden, die sich speziell auf Gespräche mit Migranten beziehen, und solche, die generell für die Kommunikation auf Behörden auch mit einheimischen Klienten relevant sein können. Zu erzielen wäre eine gesteigerte interkulturelle Kommunikationsfähigkeit der Beteiligten. Knapp-Potthoff (1997) fasst fünf Komponenten zusammen, aus

2 Muttersprachler verhalten sich im Streit zwar sehr ähnlich (rephrasieren eigene Äußerungen, verwenden Vulgarismen, verhalten sich brüsk etc.) – aber nicht aufgrund fehlender anderer Ausdrucksmöglichkeiten im Zusammenhang mit mangelnden Sprachkompetenzen (also nicht mehr oder weniger «versehentlich»).

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

denen sich eine solche interkulturelle Kommunikationsfähigkeit zusammensetzen kann (cf. auch ten Thije 2001, 181): 1. Eine affektive Komponente: z. B. Toleranz, Einfühlungsvermögen 2. Allgemeines Wissen über Kultur und Kommunikation 3. Kulturspezifisches Wissen (z. B. bezogen auf kulturelle Hintergründe großer Migrantengruppen – aber auch auf Seiten der Migranten Wissen über kulturelle Hintergründe der Aufnahmegesellschaft) 4. Gesprächsstrategien für die erfolgreiche Bewältigung interkultureller Situationen 5. Lernstrategien zur Erweiterung des Wissens über andere Kulturen und Kommunikationsgemeinschaften Hierzu formuliert Knapp-Potthoff (1997, 202) interaktionsbezogene Strategien (gewissermaßen Maximen), die trotz einiger Vagheiten mögliche Inhalte interkultureller Trainings darstellen können. Auf diese wird im Folgenden an verschiedenen Stellen noch verwiesen; sie werden dabei teils kritisch besprochen. Derartige allgemein mit Bezug auf interkulturelle Kommunikation in verschiedenen Kontexten bezogene Strategien sind allerdings im Behördenkontext nur eingeschränkt umsetzbar. Beispielsweise betont Knapp-Potthoff (ebd.), es gelte, Tabuverletzungen zu vermeiden (was im Übrigen auch für eine allgemeine, nicht interkulturelle, Kommunikationsfähigkeit gilt) – was jedoch im Behördenkontext z. T. kaum möglich ist, da beispielsweise zur Bearbeitung vieler Anliegen sehr sensible, persönliche Daten von den Klienten erfragt werden müssen. Auch schlägt Knapp-Potthoff (ebd.) vor, man solle sich bemühen, eine gemeinsame Sprache zu finden – was ebenfalls schwierig wird, wenn als Amtssprache Deutsch vorgeschrieben ist (cf. ten Thije 2001, 183). Etwa seit Ende der 1970er Jahre sind nun verschiedene auf interkulturelle Kommunikationsfähigkeit bezogene Trainingskonzepte entwickelt worden, die sich gezielt auf interkulturelle Kommunikation auf Behörden beziehen.

9.2.1 Trainingsentwürfe für die Kommunikation mit Migranten auf Behörden Das erste in Deutschland entwickelte Konzept einer an Behördenmitarbeiter gerichteten Weiterbildungsmaßnahme speziell für die Kommunikation mit Migranten stellt die bereits in Kapitel 3.4 erwähnte Studie von Hoffmann (1982) dar. Das Konzept umfasst einige wissensvermittelnde Bausteine zur Ausländerpolitik, zur Situation von Migranten in Deutschland und zu kulturspezifischem Wissen über die Herkunftsländer der Klienten mit Migrationshintergrund. Auch werden Rollenspiele zur Simulation von Behördengesprächen vorgeschlagen. In ähn-

Implikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation 

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licher Weise gehen Frey, Haller und Weber (1995) und auch Grünhage-Monetti (2006) vor. Letztere richtet sich im Gegensatz zu den meisten anderen Ansätzen dabei nicht nur an Behördenmitarbeiter, sondern auch an Vertreter von Migrantenorganisationen sowie Multiplikatoren und Behördenleiter.3 Neben eher psychologisch orientierten Konzepten für interkulturelle Kommunikationstrainings (wie cultural awareness, culture assimilator, critical incidents) wurden zudem einige Ansätze entwickelt, die Ergebnisse der Angewandten Gesprächsforschung (cf. Brünner et al. 2002) einbeziehen und bei denen die Betonung auf der Verwendung authentischer Aufnahmen und auf der didaktischen Unterscheidung zwischen institutionellen und interkulturellen Problemfaktoren in der Behördenkommunikation liegt. Wegweisend ist dabei bis heute die Arbeit von Gumperz, Jupp und Roberts (1979), aus der u. a. das bis heute aktuelle Trainingsvideo ‹Cross Talk› resultierte. Liedke, Redder und Scheiter (2002) erarbeiten einen Trainingsentwurf, der auf Gesprächsaufnahmen aus einer Ausländerbehörde beruht. Auf dieser Basis entwickelt ten Thije (2001) ein detailliertes «diskursorientiertes» (ebd.) Trainingskonzept. Die Ergebnisse einer Durchführung dieses Trainingskonzeptes, in dem mit der Simulation authentischer Fälle (SAF; cf. Becker-Mrotzek/Brünner 2002b) gearbeitet wird, werden in Lambertini und ten Thije (2004) diskutiert. Die Autoren zeigen, dass das «SAF»-Verfahren besonders geeignet ist, um zu lernen, tradierte, eingeschliffene Handlungen und Sichtweisen kritisch zu reflektieren und Handlungsalternativen zu entwickeln. Wesentlich ist dabei, dass Simulationen im «SAF»-Verfahren, anders als traditionelle Rollenspiele, auf authentischen Gesprächsdaten aus dem konkreten Arbeitsalltag der Beteiligten basieren, wodurch die in die Simulation einfließenden beruflichen Aspekte empirisch besser abgesichert und didaktisch systematisiert sind (cf. ebd.). Porila und ten Thije (2009a) entwickeln, ebenfalls basierend auf authentischen Gesprächsdaten, eine für den Alltagsgebrauch von Behördenmitarbeitern gestaltete «Gesprächsfibel», in der einschlägige sprachwissenschaftliche Forschungsergebnisse mit Bezug auf interkulturelle Behördenkommunikation vermittelt und unmittelbar umsetzbare Empfehlungen für die Kommunikation mit Migranten formuliert werden.

3 Auch Berth und Esser (1997) stellen einige nach eigener Aussage der Autoren vorläufige Überlegungen an, wie Trainingsmaßnahmen für Klienten mit Migrationshintergrund gestaltet werden könnten (wobei sie v. a. mit der Critical incidents-Methode arbeiten und Aspekte fokussieren wie eine an deutschen Behörden erforderliche Pünktlichkeit u. ä., für die Klienten sensibilisiert werden sollen). Zum einen wird hieraus jedoch noch kein konkretes Trainingskonzept erarbeitet, zum anderen bleibt fraglich, ob die hier fokussierten critical incidents tatsächlich in der Realität relevanten Problemen entsprechen.

392 

 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

Wie ersichtlich wird, konzentrieren sich die meisten dieser Konzepte auf Trainingsmaßnahmen für Behördenmitarbeiter, weniger auf solche für Klienten mit Migrationshintergrund. Dem kommt allerdings auch eine gewisse Berechtigung zu. Zum einen ist es leichter möglich, Trainingsmaßnahmen für Erstere überhaupt zu organisieren. Trainings für Letztere könnte man zwar beispielsweise im Rahmen von Integrationskursen anbieten, diese sind jedoch ohnehin inhaltlich relativ «überladen». Zum anderen haben Letztere ohnehin an vielen «Fronten» zugleich zu «kämpfen»: Sie agieren zum Teil fremdsprachlich, versuchen, institutionelle Sachverhalte zu verstehen, befinden sich in einer für sie ungewohnten Kommunikationssituation etc. Es ist also in gewisser Weise realistischer, davon auszugehen, dass eine Verbesserung der Kommunikation in diesem Kontext eher erzielt werden kann über eine gezielte Schulung der Behördenmitarbeiter. Auch in den folgenden Überlegungen werden daher Empfehlungen für Behördenmitarbeiter im Zentrum stehen, die Seite der Klienten mit Migrationshintergrund wird jedoch zumindest stellenweise mit in den Blick genommen. Einige der in den aufgeführten Trainingskonzepten, Handbüchern und Gesprächsfibeln enthaltenen Empfehlungen für eine verbesserte Behördenkommunikation mit Migranten finden sich auch in den aus den Ergebnissen dieser Arbeit ableitbaren wieder. Dies wird im Folgenden jeweils angemerkt. An anderen Stellen tragen die Beobachtungen dieser Arbeit dazu bei, solche Empfehlungen zu erweitern. Im Folgenden werden also verschiedene Implikationen für eine Verbesserung der Behörden-Migranten-Kommunikation besprochen, die die Beobachtungen der Kapitel 6 bis 8 in sich tragen.

9.2.2 I mplikationen für den Umgang mit Verstehensproblemen im Zusammenhang mit Wissensdivergenzen in drei Bereichen 9.2.2.1 Generelle Empfehlungen Zunächst lassen sich einige generelle Empfehlungen für die Behördenkommunikation speziell mit Migranten ableiten: –– Noch stärker als in intrakultureller Behördenkommunikation gilt es, kontinuierlich auf Anzeichen von Nicht-Verstehen beim Gesprächspartner zu achten, um Verstehensprobleme möglichst rasch bearbeiten zu können. Anzeichen können z. B. die explizite (metakommunikative) Äußerung von Unverständnis oder explizite Rückfragen sein, aber auch – was u. U. schwerer zu erkennen ist – ausbleibendes Back-channel-behaviour, Schweigen, eine nicht erfüllte konditionelle Relevanz, (fragende) Gestik/Mimik o. ä. Zur Verstehenssicherung tragen dabei (metakommunikative) Rückfragen bei: z. B. «Verstehn Sie mich überhaupt?» (Gespräch 93 dt.); «Sie verstehn gar nich oder ein Bisschen oder–» (Gespräch 1 dt.).

Implikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation 

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–– In den Analysen fallen mehrere Fehleinschätzungen (und damit auch z. T. erfolglose Bearbeitungen) von Verstehensproblemen auf. Offenbar gilt es zu lernen, Probleme schneller richtig einzuschätzen oder gezielt nachzufragen (z. B. «Was genau haben sie nicht verstanden?», «Meinten sie...?» etc.). –– Wesentlich ist es – und zwar für Klienten ebenso wie für Behördenmitarbeiter – eigene Verstehensprobleme möglichst unmittelbar und so klar wie möglich anzuzeigen, beispielsweise über möglichst konkrete Klärungsnachfragen. –– Häufig in der Fachliteratur geäußert wird zudem die Empfehlung, keine voreiligen Schlussfolgerungen zu ziehen. Knapp-Potthoff (1997, 202) formuliert beispielsweise die Maxime: «Erwarte, dass kulturbedingte Andersartigkeit die Interaktion beeinflussen kann, und lege dich so spät wie möglich auf eine Interpretation der Äußerungen – auch der nonverbalen – deines Kommunikationspartners fest». Auch wenn vermutlich die meisten an einer interkulturellen Kommunikation Beteiligten durchaus von der «Andersartigkeit» ihres Gegenübers ausgehen, scheint v. a. der zweite Teil dieser Maxime wesentlich zu sein. An diversen Stellen in den Analysen wird deutlich, dass voreilige Schlussfolgerungen gezogen werden, die negative Konsequenzen für den weiteren Gesprächsverlauf haben können: bspw. die Annahme, die Klientin in Gespräch 50 dt. verfüge über äußerst geringe Deutschkompetenzen und verstünde das Wort «Polizei» nicht, obwohl sie vermutlich lediglich mehr Zeit zum Reagieren gebraucht hätte; ebenso die Annahme, eine Verwendung der T-Anrede durch nicht-muttersprachliche Klienten lasse auf Unhöflichkeit und Distanzlosigkeit schließen. Es gilt also zu vermeiden, dass «verfestigte Fremdbilder» (ten Thije 2001, 195), wie sie sich u. a. in den aus der Fragebogenumfrage und den Interviews herausgearbeiteten (Vor-) Urteilen der Beteiligten übereinander widerspiegeln, reproduziert werden. Anhand der herausgearbeiteten Verstehensprobleme im Zusammenhang mit verschiedenen Bereichen von Wissensdivergenzen und der von den Interaktanten selbst angewandten Bearbeitungsmöglichkeiten lassen sich zudem verschiedene spezifischere Empfehlungen ableiten. 9.2.2.2 Umgang mit sprachkompetenzbedingten Verstehensproblemen Wie die Daten zeigen, treten häufig Verstehensprobleme auf, die mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen der Interaktanten zusammenhängen. Die Aushandlung von Verständigung gerade mit «imperfekten» Sprechern sollte also ein (didaktisches) Ziel darstellen. Dabei können allerdings auch varietätenbedingte Unterschiede zum Tragen kommen. Behördenmitarbeiter sehen sich zum einen der Anforderung gegenüber gestellt, Äußerungen möglichst angepasst an die jeweiligen Sprachkompetenzen ihrer Klienten zu produzieren (um antizipierte Probleme zu vermeiden oder

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

manifeste Probleme retrospektiv zu bearbeiten). Das kann, wie sich aus den Analysen entnehmen lässt, im Einzelnen bedeuten: –– Nicht zu behördenspezifisch, aber auch nicht zu umgangssprachlich formulieren (insbesondere auf Ersteres wird an späterer Stelle noch einmal eingegangen). –– Weniger komplexe Sätze verwenden oder eigene Äußerungen mit einfacherer syntaktischer Konstruktion paraphrasieren. Einen «bewussten Umgang mit dem Satzbau» empfehlen u. a. auch Porila und ten Thije (2009a). Hinnenkamp (1989) verweist ebenfalls auf verschiedene «De-Komplexifizierungstrategien» (Entklammerung von Sätzen, stärkere Verwendung von Hauptsätzen statt Nebensätzen etc.). Hilfreich kann es dabei auch sein, direkte Rede zu verwenden. Das zeigen ebenso die Daten dieser Arbeit wie die Ergebnisse einer Untersuchung von Porila (2006). Ebenfalls geeignet gerade zur Bearbeitung von Problemen des Verstehens komplexer Äußerungen ist, wie herausgearbeitet wurde, die Einbettung neuer Informationen in einen bereits vorhandenen common ground, die Portionierung komplexer Sachverhalte sowie insbesondere bei komplexeren Fragen die Verwendung von Beispiel-Antworten, aus denen der Klient auswählen kann. –– Auf eine klare Gesprächsstrukturierung achten. –– Klienten Zeit zum Verstehen von Äußerungen (und zum Reagieren) lassen. In Gespräch 50 des deutschen Korpusteils wurde beobachtet, dass (zu) schnelle Anschlüsse an eigene Äußerungen durch die Sachbearbeiter problematisch werden können. –– Zur retrospektiven Bearbeitung von Verstehensproblemen (v. a. auf lexikalisch-semantischer Ebene): Paraphrasierungen – u. U. unter Verwendung von Synonymen, die in mehreren Sprachen existieren (z. B. «Doktor», s. Bsp. 10), sowie unter Verwendung von Beispielen – oder prosodisch veränderte Rephrasierungen. Generell hilfreich sind hierbei sicherlich «prosodische Klarifizierungsstrategien» (Hinnenkamp 1989): langsam, ausreichend laut sprechen, möglichst dialektfrei etc. (cf. dazu auch Porila/ten Thije 2009a). Zudem dürfte auch die Nutzung mehrerer Kanäle, unterstützende Gestik und Mimik hilfreich sein, was jedoch an den Audiodaten, mit denen hier gearbeitet wurde, größtenteils nicht nachvollziehbar ist. Die Daten zeigen allerdings, dass häufig nicht nur das Sprachverstehen, sondern zu großen Teilen die Sprachproduktion durch Klienten problematisch sein kann. Es gilt also für Behördenmitarbeiter, nicht nur selbst leichter verständlich zu formulieren, sondern auch Äußerungen zu verstehen, die durch fehlerhafte Gram-

Implikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation 

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matik, Aussprache, Lexik etc. geprägt sind – was auch bedeutet, zumindest zu versuchen, zu verstehen und die voreilige Annahme zu vermeiden, ein Klient beherrsche die entsprechende Sprache überhaupt nicht. Zudem können Behördenmitarbeiter nicht-muttersprachliche Klienten auch bei der Äußerungsproduktion unterstützen.4 Das dürfte auch hilfreich bei der Bearbeitung von kulturellen und fachlich-institutionellen Verstehensproblemen sein, da auch hier geringere Sprachproduktionskompetenzen der Klienten zum Teil erschwerend wirken. Hierauf wird in Trainingsentwürfen und Ratgebern häufig nur am Rande eingegangen. Es wird zwar beispielsweise bemerkt, eine Unterstützung nicht-muttersprachlicher Klienten beim Sprechen und aktives Zuhören seien von Bedeutung für die Vermeidung von Verstehensproblemen (cf. z. B. Porila/ ten Thije 2009a), wie sich dies jedoch gestalten kann, wird lediglich ansatzweise behandelt. Im Einzelnen kann das bedeuten: –– Verstehen lernen. Hierzu gehört, Wissen zu erwerben über typische Merkmale besonders häufiger Migrantenvarietäten (z. B. Aussprache im bolivianischen Spanisch), über häufige Formulierungsprobleme etc., Übung zu erlangen im Verstehen von Äußerungen, die durch fehlerhafte Grammatik, Aussprache oder Lexik geprägt sind (sich «einhören») sowie höchste Konzentration beim Zuhören, aktives Zuhören (cf. Rogers 1982). –– Eigene Verstehensprobleme so klar wie möglich anzeigen: (freundliche) Aufforderungen zur Wiederholung, möglichst konkrete Klärungsnachfragen (statt «Wat?» «Was genau meinen Sie mit ...») etc. –– Klienten Raum geben für die eigene Äußerungsproduktion sowie für die Selbstbearbeitung von Problemen: Beteiligungsmöglichkeiten eröffnen (cf. Schmitt 1998), dem Sprecher Zeit lassen, ihn aussprechen lassen, keine Ungeduld signalisieren etc. –– «Anspornen und den Weg weisen» (Schmitt 1998, 74): bspw. herausstellen, dass die Formulierungsanstrengungen des Klienten von Bedeutung für den weiteren Gesprächsverlauf sind, ihn bei der Selbstbearbeitung von Problemen «leiten», z. B. indem um Klärung bestimmter Teile der (ein Verstehensproblem auslösenden) Äußerung gebeten wird. Schließlich zeigen die Analysen, dass in mehreren Fällen Klienten selbst die Bearbeitung eines von ihnen «verursachten» Problems abbrechen – wozu sie also ermuntert und wobei sie unterstützt werden können. –– Gezielte Unterstützung bei der Äußerungsproduktion und bei der Selbstbearbeitung von Problemen kann z. B. geschehen über: «interaktive Vervoll-

4 Zu unterstützenden Verfahren im Gespräch s. auch Schmitt (1998).

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

ständigung» (Gülich 1986), Vorschläge präziserer Termini, wenn Klienten offenbar nach präzisen Begriffen suchen, auch Korrekturen. Insbesondere Fremdkorrekturen sind jedoch potentiell face-bedrohend. Sie können allerdings metakommunikativ kommentiert oder zur Überprüfung gestellt werden, wodurch eine Face-Bedrohung gemindert wird. –– Absicherung des eigenen Verständnisses vom Klienten produzierter Äußerungen: z. B. über Inferenzüberprüfungen. Zudem kann Klienten über Hörerrückmeldungen signalisiert werden, dass ihre Äußerungen verstanden wurden (cf. Porila/ten Thije 2009a). Aus verschiedenen Beobachtungen dieser Arbeit lassen sich zudem einzelne Empfehlungen für Klienten ableiten: Beispielsweise können selbst «verursachte» Probleme, die mit grammatisch fehlerhaften Äußerungen oder einer unüblichen phonetischen Realisierung zusammenhängen, bearbeitet werden anhand –– einer Paraphrasierung unter Verwendung einfacher Satzkonstruktionen, bei denen man sich sicherer ist, –– unter Verwendung von Nominalkonstruktionen, –– durch Rephrasierung mit geänderter phonetischer Realisierung oder –– anhand der Beschreibung der Funktion des Bezugselements (mit Beispielen). Zu betonen ist an dieser Stelle letztlich, dass in den Analysen festgestellt wird, dass auch muttersprachliche Migranten bzw. Migranten, in deren Gesprächen kaum sprachkompetenzbedingte Verstehensprobleme auszumachen sind, zum Teil mit diversen anderen – nicht unmittelbar sprachbedingten – migrantenspezifischen Verstehensproblemen konfrontiert sind. Das bedeutet also, dass nicht davon ausgegangen werden darf, dass lediglich deshalb, weil Klienten die jeweilige Amtssprache offenbar sehr gut oder sogar muttersprachlich beherrschen, keine Probleme in der Kommunikation auftreten können, die über die Probleme einheimischer Klienten hinausgehen. Dies gilt es, auch in Trainingsmaßnahmen explizit herauszustellen und Behördenmitarbeiter hierfür zu sensibilisieren. 9.2.2.3 Umgang mit Verstehensproblemen aufgrund kultureller Wissensdivergenzen Wie herausgearbeitet wurde, gestaltet sich sowohl die Identifizierung als auch die Bearbeitung von Verstehensproblemen, die mit kulturellen Wissensdivergenzen zwischen den Gesprächsteilnehmern zusammenhängen, besonders schwierig. Aus den Daten lassen sich zur Vermeidung solcher Probleme zunächst folgende Empfehlungen ableiten:

Implikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation 

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–– Wissen erwerben über potenzielle critical incidents, denen vorgebeugt werden kann. Zum Beispiel zeigt sich, dass bestimmte Probleme immer wieder auftreten (bspw. im Zusammenhang mit der offenbar kulturell geprägten Praxis, «Adressen» in Form von Straßennamen und Hausnummern zu haben). Dem kann man vorbeugen, indem man Klienten aus bestimmten Herkunftsländern bereits im Vorfeld (bspw. über Informationsblätter oder am Informationsschalter) gezielt darauf hinweist, dass für die Bearbeitung verschiedener Anliegen z. B. eine Adresse genannt werden muss, so dass die Klienten sich rechtzeitig darüber informieren können und die Verstehensprobleme nicht erst im Behördengespräch entstehen. –– Kulturspezifisches Wissen (über verschiedene kulturelle Praxen, Konzepte, Rollenerwartungen etc.) kann u. U. dazu beitragen, den Gesprächspartner richtig zu verstehen, z. B. bei Verstehensproblemen im Zusammenhang mit einer kulturell verschiedenen sozialen Rollenverteilung. Knapp-Potthoff (1997, 202) formuliert beispielsweise die Maxime: «Nutze spezifisches Wissen von den fremden Kommunikationsgemeinschaften sowie allgemeines Wissen über Unterschiede zwischen KG für Hypothesen über die vom jeweiligen Kommunikationspartner intendierte Bedeutung». Hierbei ist allerdings größte Vorsicht geboten, da solche «Hypothesen» leicht in Stereotype und Vorurteile münden und zu Über- oder Fehlinterpretationen einer vermeintlich intendierten Bedeutung führen können. Wenn eine solche Maxime überhaupt Anwendung finden sollte, dann gilt es also unbedingt, die Richtigkeit der angestellten Hypothesen abzusichern (bspw. anhand von Inferenzüberprüfungen) und dabei nicht das Face des Gegenübers zu verletzen. –– Selbstreflexion: Auch ein stärkeres Bewusstsein für die eigenen kulturellen Hintergründe kann hierbei hilfreich sein. –– Keine voreiligen Schlüsse ziehen (gerade was die Beziehungsebene betrifft). Das gilt ebenso für die Behördenmitarbeiter (z. B. bei einer Verwendung der T-Anrede durch nicht-muttersprachliche Klienten) wie auch für die Klienten (z. B. bei der Verwendung der T-Anrede durch argentinische Behördenmitarbeiter, die zum Teil von anderen Anredenormen ausgehen als ihre Klienten). Zur Bearbeitung solcher Verstehensprobleme lässt sich zudem Folgendes ableiten: –– Kulturelle Unterschiede und problemtragende Momente metakommunikativ thematisieren. Auch Knapp-Potthoff (1997, 202) formuliert als Strategie für eine Verbesserung der interkulturellen Kommunikationsfähigkeit: «Setze metakommunikative Verfahren zu Prophylaxe und Reparatur von Missverständnissen ein, allerdings nur insoweit, als sie das Gesicht des Kommunikationspartners nicht bedrohen.» Eine solche metakommunikative Thematisie-

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

rung findet in den untersuchten Gesprächen an keiner Stelle statt, hätte aber an diversen Stellen hilfreich sein können. Eigene Erwartungen explizit benennen (was für beide Seiten gilt). Inferenzüberprüfung: Schlussfolgerungen ziehen, sie jedoch immer zur Überprüfung stellen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Konkretisierende Paraphrasierung (z. B. wenn manifest wird, dass Klienten bestimmte kulturelle Konzepte nicht kennen, bspw. nacionalidad, so konkret wie möglich paraphrasieren, z. B. «En que país naciste?») Zum Teil kann zudem das Verfahren der «Portionierung», die Aufteilung eines abgefragten Sachverhalts in kleinere Einheiten, auch bei Verstehensproblemen hilfreich sein, die auf kulturellen Wissensdivergenzen basieren (z. B. bei domicilio > «Calle, número»). Wie gezeigt wurde, gelingt eine solche Bearbeitung allerdings nicht immer.

9.2.2.4 Umgang mit Verstehensproblemen aufgrund fachlich-institutioneller Wissensdivergenzen Wie die Daten zeigen, treten in Behördengesprächen mit Migranten auch Probleme auf, die v. a. in der Institutionalität der Kommunikation fußen. Daraus ableitbare Empfehlungen betreffen also nicht nur die Kommunikation mit Migranten, sondern können für den generellen Arbeitsalltag von Behördenmitarbeitern hilfreich sein – ihnen kommt allerdings u. U. noch mehr Gewicht zu, wenn Klienten mit Migrationshintergrund beteiligt sind (Akkumulation von Problemen in verschiedenen Bereichen von Wissensdivergenzen, teilweise anderes institutionelles Vorwissen bei Klienten mit Migrationshintergrund etc.). In verschiedenen interkulturellen Kommunikationstrainings und Ratgebern für Behördenmitarbeiter finden solche institutionellen Aspekte daher ebenfalls zumindest teilweise Eingang (cf. ten Thije 2001; Porila/ ten Thije 2009a u. a.). Die Analyseergebnisse dieser Arbeit zeigen auch in diesem Bereich, dass Behördenmitarbeiter gefordert sind, selbst möglichst verständlich zu formulieren, Wissen verständlich zu vermitteln, aber auch Äußerungen der Klienten besser zu verstehen (bspw. bei einer fehlerhaften Verwendung von Fachlexik, bei unerwarteten Fragen oder Handlungsvorschlägen durch Klienten mit geringerem institutionellem Hintergrundwissen etc.). Das kann im Einzelnen bedeuten: –– Bewusster Umgang mit Fachsprache (cf. auch Porila/ten Thije 2009a u. a.). Die Behördenmitarbeiter in den in dieser Arbeit untersuchten Gesprächen greifen beispielsweise auf folgende Möglichkeiten zum Umgang mit Problemen zurück, die mit der Verwendung von Lexik aus dem Behördenkontext durch Behördenmitarbeiter zusammenhängen:

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–– alltagssprachliche Paraphrasen (allerdings kann damit die semantische Präzision abnehmen!),5 –– die Erläuterung der Funktion des mit dem Terminus bezeichneten Objekts (funktionale Erklärung, cf. Brünner 2011, 366), –– die Abfrage zentraler Merkmale des mit dem Terminus bezeichneten Sachverhalts (z. B. BAMF-Kurs > finanziert durch...), –– die Beschreibung des Aussehens des mit dem Terminus bezeichneten Objekts (wobei dies nur erfolgreich sein kann, wenn der Klient das Aussehen des entsprechenden Objekts, wie Personalausweise oder Pass, kennt), –– Beispiel- oder Multiple-choice-Antworten, aus denen die Klienten auswählen können, wenn ein mit einem Fachterminus bezeichneter Sachverhalt abgefragt wird. Fachtermini können nicht immer vermieden werden, u. a. aus Gründen der Präzision. Ihnen können jedoch zumindest solche wie die hier aufgezählten Mittel zur Bearbeitung von Verstehensproblemen angefügt werden – entweder in einer Voranstellung einer alltagssprachlichen Paraphrase o. ä. vor dem Fachterminus («upgrading», Brünner 2011, 253) oder im Anschluss daran («downgrading», ebd., 256). Auffällig ist hierbei, dass Veranschaulichungsverfahren, wie sie in der medizinischen Experten-Laien-Kommunikation häufiger beobachtet wurden (cf. z. B. Brünner/Gülich 2002; Brünner 2011), in den hier untersuchten Gesprächen eher selten verwendet werden. Beispielsweise sind keine Beispielgeschichten, keine Metaphernverwendung, kaum Vergleiche etc. zu beobachten. Auch «Eselsbrücken», wie sie Brünner (2011, 292) in medizinischer Experten-Laien-Kommunikation beobachtet, werden nicht gegeben. Zu überlegen wäre, ob solche Verfahren hier geringere Anwendung finden, weil sie u. U. für eine Behördenkommunikation weniger geeignet sind als für eine medizinische Kommunikation – oder ob sich Behördenmitarbeiter hier noch etwas «abschauen» könnten. Gerade die Verwendung von «Eselsbrücken», von Vergleichen oder Beispielgeschichten könnte z. B. durchaus sinnvoll zur Überbrückung von Wissensdivergenzen auch im Behördenkontext sein.

5 Auch Brünner (2011, 252) verweist am Beispiel medizinischer Experten-Laien-Kommunikation darauf, dass die Verwendung alltagssprachlicher Begriffe anstelle von Fachbegriffen irreführend werden kann, wenn z. B. ein alltagssprachlicher Begriff, wie «Kalk», der Bedeutung eines fachsprachlichen, wie «Plaque», nicht vollständig gerecht wird.

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

–– Auch eine (fehlerhafte) Verwendung solcher Lexik durch Klienten kann zu Verstehensproblemen führen (cf. dazu im medizinischen Kontext auch Brünner 2011, 271ss.). Dem kann beispielsweise begegnet werden mit –– Vorschlägen verschiedener (korrekter) Fachtermini, Unterstützung bei der Suche nach präzisen Fachbegriffen (s. dazu auch Porila/ten Thije 2009), –– Korrekturen (wobei wiederum Vorsicht geboten ist: potentielle FaceBedrohung), –– Inferenzüberprüfung. –– Semantisch und pragmatisch möglichst eindeutig formulieren (Fragen, eigene Angaben etc.). Auch hierbei kann die Verwendung von Beispiel-Antworten (wie «casado, soltero») das Verständnis erleichtern. –– Institutionelle Sachverhalte und Verfahren erklären. Die Analysen zeigen verschiedene Verstehensprobleme auf, die mit fehlendem institutionellem Hintergrundwissen der Klienten zusammenhängen. Hierbei kann, wie die Daten zeigen, auch die «Portionierung» komplexer Sachverhalte hilfreich sein, die Erklärung einzelner Schritte behördlicher Abläufe (cf. dazu auch Porila/ten Thije 2009a) sowie eine Zusammenfassung und Wiederholung eigener Äußerungen zur Einprägung. –– Durch fehlendes Hintergrundwissen können auch unerwartete Fragen und Lösungsvorschläge der Klienten auftreten. Hier gilt es für Behördenmitarbeiter zunächst, eigene Verstehensprobleme durch explizite Klärungsnachfragen anzuzeigen. Zur Bearbeitung solcher Probleme eignen sich beispielsweise Inferenzüberprüfungen. Die Klienten selbst können zur Bearbeitung eigene Erwartungen und Annahmen möglichst klar und strukturiert benennen. Dabei können sie von Behördenmitarbeitern wiederum unterstützt werden. –– Wie gezeigt wurde, treten zudem Probleme auf, die mit einem von Behördenmitarbeitern häufig verfolgten Schema «Datenabfrage» zusammenhängen und darauf basieren, dass Klienten zum Teil nicht einschätzen können, welche Informationen von ihnen erwartet werden und welche relevant für die Bearbeitung ihres Anliegens sind bzw. worin die Relevanz liegt. In solchen Situationen greifen Behördenmitarbeiter in den untersuchten Gesprächen beispielsweise auf folgende Mittel zurück: –– Selbstrephrasierungen (der eigenen Frage, um ausschließlich relevante Informationen zu erhalten), –– Beendigungen von Partner initiierter Themen, –– Zusammenfassungen ausführlicher Klientenantworten in wenigen Worten, –– metakommunikative Zurecht- und Zurückweisungen.

Implikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation 

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In der Tat erreichen die Behördenmitarbeiter in den besprochenen Beispielen damit eine Rückführung in das von ihnen angestrebte Schema «Datenabfrage». Allerdings haben sämtliche dieser sprachlichen Handlungen face-bedrohendes Potenzial und können zudem als unkooperativ aufgefasst werden. Anstelle dessen könnte man vergleichbaren Problemen jedoch auch begegnen, indem die vom Klienten erwarteten Handlungen metakommunikativ thematisiert werden (bspw. über eine Einleitung wie «Antworten Sie erst einmal bitte nur direkt auf die Fragen, die ich Ihnen stelle» – oder retrospektiv über eine Bitte, sich auf bestimmte Informationen zu beschränken, sowie eine Begründung, weshalb vorerst lediglich bestimmte Informationen benötigt werden). Abzuwägen gilt es letztlich jedoch sowohl für Behördenmitarbeiter als auch für Klienten, inwieweit ein Verstehens- oder Verständigungsproblem tatsächlich von Relevanz für den weiteren Gesprächsverlauf ist. Nicht jedes Verstehensproblem muss vermutlich bearbeitet werden, damit eine Interaktion erfolgreich verlaufen kann. Aus Gründen des an Behörden meist gegebenen Zeitdrucks können Probleme also u. U. auch übergangen werden, wie es in den Gesprächsaufnahmen dieser Arbeit auch mehrfach der Fall ist. Diese Abwägung dürfte sich jedoch in der Praxis relativ schwierig gestalten, da die Relevanz eines Verstehensproblems vermutlich häufig erst mit einiger Verzögerung zu erkennen ist. Generell lassen sich zudem einige organisatorische Überlegungen anstellen: Sämtliche Bearbeitungen und Möglichkeiten zur Vermeidung von Verstehensproblemen nehmen Zeit in Anspruch. Es ist also mehr Zeit einzuplanen für Gespräche mit Migranten – was z. B. an Jobcentern, an denen in der Regel Einzeltermine mit den Klienten vereinbart werden, durchaus möglich wäre. Das bedeutet allerdings mit Blick auf die Zukunft auch, mehr Mitarbeiter einzustellen. Zudem erfordert ein erfolgreicher kommunikativer Umgang mit Klienten mit Migrationshintergrund Übung und Erfahrung. Sinnvoll wäre es also, Klienten mit Migrationshintergrund speziell geschulten Mitarbeitern «zuzuteilen» bzw. mehr Sachbearbeiter mit eigenem Migrationshintergrund zu beschäftigen, spezielle Schalter für Klienten mit Migrationshintergrund einzurichten etc.6 Gerade gegenläufig dagegen sind Entwicklungen, wie sie aktuell zu beobachten sind, wenn beispielsweise an Jobcentern gezielt darauf geachtet wird, dass Behördenmitarbeiter nicht ausschließlich für Klienten mit Migrationshintergrund zuständig sind (weshalb

6 Die verstärkte Beschäftigung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund wird in Deutschland bereits angestrebt, in Argentinien bislang nicht. Inwiefern dies zu einer erfolgreicheren Behördenkommunikation mit Migranten führt, ist allerdings m.E. noch nicht eingehend untersucht worden.

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

z. B. eine Zuordnung der Klienten zu den für sie zuständigen Sachbearbeitern mittlerweile nicht mehr nach den Anfangsbuchstaben der Nachnamen stattfindet, da viele Nachnamen von Klienten mit Migrationshintergrund mit bestimmten Buchstaben beginnen, z. B. «Ö»). Inwiefern solche Überlegungen allerdings in die Praxis umsetzbar sind, ist durchaus fraglich – v. a. aufgrund fehlender finanzieller Mittel an Behörden.

9.2.3 Implikationen bezüglich der Vermeidung oder Bearbeitung von Streit Wie deutlich herausgearbeitet wurde, werden in Behördengesprächen jedoch nicht nur Verstehensprobleme relevant, die mit Wissensdivergenzen in verschiedenen Bereichen zusammenhängen. Stattdessen spielen auch unterschiedliche Erwartungen und Ziele, unterschiedliche Absichten der Interaktanten eine wichtige Rolle. In einigen Gesprächen entwickelt sich aus solchen Diskrepanzen zwischen den Interaktanten offener Streit – was zum einen zu aufwändiger Bearbeitung führt und Gespräche besonders ineffizient machen kann und zum anderen negative Einstellungen der Beteiligten übereinander (re-) produziert, die auch in zukünftige Gespräche hineingetragen werden können. In Ratgebern und Trainingsentwürfen für Behördenmitarbeiter, wie den oben aufgeführten, wird hierauf jedoch kaum eingegangen. Die meisten dieser Ansätze konzentrieren sich stattdessen vornehmlich auf Verstehensprobleme. Den Analysen dieser Arbeit lassen sich allerdings einige Hinweise entnehmen, wie Streit im Behördenkontext möglicherweise entgegengetreten werden kann. Gerade wenn Klienten beispielsweise zu Handlungen gebracht werden sollen (oder müssen), die sie offenbar nicht durchführen möchten – wenn also Diskrepanzen zwischen den Gesprächsteilnehmern bestehen bezüglich ihrer Handlungsabsichten – scheint ein bestimmtes Verhalten der Behördenmitarbeiter, eine Ausagierung der Rolle des Institutionsvertreters, eine asymmetrische Positionierung zum Klienten als (vorgeblicher) «Informationsübermittler» und (tatsächlicher) «Alleinentscheider» («Anweiser», «Zuweiser» etc.) problematisch zu werden. Statt dessen scheint eine «nivelliertere» Beziehung zwischen den Interaktanten, eine Etablierung des Behördenmitarbeiters als «Ratgeber» besser geeignet zu sein, um eine erfolgreichere, also effizientere und weniger konfliktäre, Kommunikation zu erreichen. Das bedeutet – angesichts der analysierten Streit-Vorbereitungsphase – im Einzelnen ein betont kooperatives Verhalten der Behördenmitarbeiter und ausdrückliche Imagepflege sowie – in besonderem Maße – ein (sprachliches) Verhalten, in dem (u. U. bestehende) Machtverhältnisse in der Interaktion selbst nicht relevant gesetzt werden. Ein Großteil der von Schwitalla (1987, 108ss.) beschriebe-

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nen konfliktreduzierenden Mittel dürfte im Übrigen auch deshalb konfliktreduzierend wirken, weil diese Mittel genau auf diesen drei Ebenen ansetzen: Kooperativität, Face-work/Imagepflege, Relativierung von Machtdistanzen in der Interaktion. Auf Basis der Analysen lässt sich im Einzelnen empfehlen: 9.2.3.1 (Betonte) Kooperativität Dazu gehört beispielsweise: –– Themeninitiierungen des Klienten zulassen oder sie zumindest nicht unvermittelt (ohne metakommunikative Einbettung) abbrechen. Auch wenn Behördengespräche meist unter Zeitdruck stattfinden, kann zumindest metakommunikativ thematisiert werden, dass über ein vom Klienten initiiertes Thema in diesem Moment nicht gesprochen werden kann. –– Auf den Klienten (bzw. seine Äußerungen) eingehen: Mehrfache Re- oder Paraphrasierungen eigener Äußerungen ohne Bezug auf die vorangehenden Partner-Äußerungen können als non-responsives Verhalten aufgefasst werden. Stattdessen signalisieren, dass die Partner-Äußerungen zumindest aufgenommen wurden (auch wenn diesen widersprochen wird). Die eigene Argumentation in Anpassung an die Argumente des Gegenübers variieren: z. B. statt mehrfacher Rephrasierung der eigenen Aussage, dass bestimmte Unterlagen des Klienten fehlen, erklären, weshalb diese benötigt werden. –– Früh Lösungsvorschläge anbieten (bspw. informieren, wo oder wie fehlende Unterlagen eingeholt werden können): lösungsorientiertes Handeln statt Betonung von «Verfehlungen» des Gegenübers. –– Den Gesprächspartner aussprechen lassen (Sprecherwechsel an übergaberelevanten Stellen – was allerdings je nach den Regeln der entsprechenden Kommunikationsgemeinschaft unterschiedlich sein kann). –– Betont Kooperativität signalisieren, z. B. wie im «Kontrast-Beispiel» über: –– explizite Ratifizierungen («Claro», «Sí sí») oder Wiederholungen der Äußerungen des Gegenübers (Handlungen, die die Aktivitäten des Gegenübers konturieren und hervorheben, cf. Fiehler 1999), –– Unterstützungsleistungen (Aktivitäten des anderen miterbringen, cf. ebd.), –– Herausstellung der Responsivität eigener Äußerungen (z. B. durch metakommunikative Kommentare, wie «Auch wenn Sie sagen, dass... möchte ich trotzdem noch einmal betonen, dass ...»), –– Aktivitäten, die es (gerade fremdsprachigen) Klienten erleichtern, den Äußerungen des Behördenmitarbeiters zu folgen, z. B. starke Verwendung von Kohärenzmarkern, Aktivitäten zur Strukturierung des Gesprächs, –– eine besondere Berücksichtigung der Voraussetzungen des anderen (seines Wissens, seiner Fähigkeiten, seiner Interessen) (cf. ebd.).

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

Hier sind zudem einige der von Schwitalla (1987) als konfliktreduzierend beschriebenen Mittel einzuordnen: z. B. Konsensäußerungen, Kompromissangebote, die Signalisierung von Verständnis für den Gesprächspartner (Ausdruck des guten Willens, cf. ebd.). Insbesondere Letzteres wirkt jedoch, wie die Analyse des Streitgesprächs 1 zeigt, offenbar nicht konfliktreduzierend, wenn die Signalisierung von Verständnis in erkennbarem Widerspruch zum übrigen kommunikativen Verhalten des Sprechers steht (was zu einer Zurückweisung der Äußerung durch den Gesprächspartner führen kann: «Sie verstehn überhaupt nichts»). 9.2.3.2 Face-work betreiben Das betrifft einerseits das positive, andererseits das negative Face des Gegenübers (cf. Brown/Levinson 1987).7 In den Gesprächen beobachtete Aktivitäten, die das positive Face des Gesprächspartners betreffen, sind z. B.: Aktivitäten, die ausdrücklich Imagepflege betreiben, das Face des Gegenübers «heben»: –– Lob8 und Honorierung des Gegenübers (cf. auch Schwitalla 1987) und seiner bisherigen Handlungen. Im «Kontrast-Beispiel» ist u. a. ein klares Lob zu beobachten («perfecto») sowie die Hervorhebung «positiver» Leistungen des Gegenübers (welche Unterlagen die Klientin bereits mitgebracht hat). Das betrifft allerdings auch die Vermeidung potentiell face-bedrohender Aktivitäten, z. B.: –– Schuldzuweisungen, –– (auch implizite) Vorwürfe, –– Kritik an den Handlungen des Gegenübers etc.

7 Zu bedenken ist hierbei allerdings, dass die von Brown und Levinson (1987) angestellten Überlegungen zu face-threating acts (FTAs) bzw. sprachlicher Höflichkeit sich v. a. auf eine US-amerikanische Norm beziehen. Gerade in interkultureller Kommunikation können jedoch kulturell (bzw. in verschiedenen Kommunikationsgemeinschaften) verschiedene Erwartungen bezüglich sprachlicher Höflichkeit eine wesentliche Rolle spielen. Die Analysen zeigen allerdings, dass zumindest die Interaktanten in den hier untersuchten Gesprächen diverse solcher Aktivitäten, wie sie von Brown und Levinson als FTAs beschrieben werden, selbst auch als FTAs auffassen (z. B. Schuldzuweisungen, Kritik am eigenen (Fach-) Wissen etc.). 8 Brown/Levinson (1987) schreiben allerdings gerade Lob und Komplimenten zugleich ein face-bedrohendes Potential bezüglich des negativen Face zu (weil damit die Erwartung einer bestimmten Reaktion des Hörers verbunden ist, bspw. Dank – wodurch seine eigene Handlungsfreiheit eingeschränkt wird). Das dürfte allerdings vermutlich eher bei einer auffälligen Häufung oder einer deutlichen Exponierung von Lob zum Tragen kommen.

Implikationen für eine verbesserte Behörden-Migranten-Kommunikation 

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Kritik ist vermutlich in vielen Fällen, gerade in Behördengesprächen (und insbesondere in Gesprächen an Jobcentern, die teilweise auch einen gewissen «Erziehungs»-Anspruch verfolgen) nicht vollständig zu vermeiden. Zumindest aber kann Kritik (Schuldzuweisungen, Vorwürfe etc.) vermieden werden, die sich auf Aspekte bezieht, die für die Bearbeitung des Gesprächsanliegens nicht zentral sind. Zudem kann Kritik entschärft werden durch ein vorangestelltes Lob o. ä., durch metakommunikative Kommentare oder durch eine Abschwächung der Schwere der «Verfehlung» des Gegenübers (bspw. durch die Betonung, dass es sich um eine alltägliche «Verfehlung» handelt, die nicht nur vom Gegenüber allein begangen wird, wie im «Kontrast-Beispiel»). –– Ebenfalls potentiell face-bedrohend sind auch die bereits als unkooperatives Verhalten erwähnten Beendigungen vom Partner initiierter Themen, da diese damit als irrelevant markiert werden. Auch aus diesem Grund gilt es, Themeninitiierungen entweder zuzulassen oder Themenbeendigungen zumindest metakommunikativ zu begleiten. Aktivitäten, die das negative Face betreffen, sind dagegen beispielsweise: –– Aktivitäten, die den negative politeness strategies (Brown/Levinson 1987) zugerechnet werden: z. B. «Be indirect» («lo que faltaría...»), «Use hedges or questions» («yo creo…»), «Apologize» (was in den hier untersuchten Gesprächen nicht beobachtet wurde, jedoch durchaus geeignet erscheint: z. B. «Es tut mir leid, aber leider fehlt doch noch etwas...»). –– Zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen wären dagegen Aktivitäten, die Handlungsdruck auf das Gegenüber ausüben, z. B. Anweisungen, Forderungen, Drohungen, Warnungen. Solche Aktivitäten bedrohen nicht nur das negative Face des Gegenübers, sondern etablieren zugleich Machtstrukturen, finden sich also auch im folgenden Punkt 9.2.3.3. Brown und Levinson (ebd.) zählen auch Vorschläge zu dieser Gruppe – Vorschläge üben allerdings deutlich weniger starken Handlungsdruck aus als beispielsweise Anweisungen und bedrohen damit auch weniger stark das negative Face. –– Zudem fällt in den Analysen auf, dass Bedrohungen des negativen Face von Seiten der Klienten gegenüber den Sachbearbeitern (z. B. durch eigene Aufforderungen, Anweisungen etc.) im behördlichen Kontext stark konfliktiv wirken und unmittelbar mit einer Bedrohung des positiven Face verknüpft werden (als Infragestellung der «Amtsautorität»). Hier lässt sich Behördenmitarbeitern u. U. empfehlen, solche Aktivitäten der Klienten nicht (unmittelbar) als Bedrohungen des positiven Face zu begreifen, sondern sie als reine «Aufforderungen» zu reinterpretieren, also ein «down-ranking» im Sinne der RankPower-Distance-Skala von Brown und Levinson (1987) vorzunehmen.

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

9.2.3.3 Machtdistanzen in der Interaktion selbst nicht relevant setzen Zu vermeiden oder abzuschwächen sind – soweit irgend möglich – Aktivitäten, die Machtdistanzen zwischen den Beteiligten in der Interaktion relevant setzen, z. B.: –– Handlungsanweisungen oder gar Zuweisungen, –– die explizite Thematisierung von Macht (bspw. in Form von Sanktionsdrohungen), –– Insistieren, Ignorierung der Äußerungen/Argumente des Gegenübers, –– Themenselektion, bspw. über Aspektualisierung u. ä. Stattdessen kann eine «nivelliertere» Positionierung zum Klienten erreicht werden über: –– Handlungsvorschläge bzw. Aktivitäten, die geringeren Handlungsdruck auf das Gegenüber ausüben. Auf diese Weise können Behördenmitarbeiter sich als Ratgeber präsentieren, wobei die Entscheidung über die Ausübung der vorgeschlagenen Handlung jedoch dem Klienten selbst überlassen bleibt. –– Eine Einbeziehung des Gegenübers in die Entscheidungsfindung, bspw. durch das Präsentieren verschiedener Möglichkeiten für das weitere Vorgehen, anstelle einer eigenmächtigen Auswahl einer dieser Möglichkeiten. Auch wenn Behördenmitarbeiter häufig gezwungen sind, sich an bestimmte institutionelle Vorgaben zu halten, stehen doch meist Handlungsspielräume offen, die dem Klienten offen gelegt werden können (s. dazu auch ten Thije 2001). –– Eine Darstellung eigener Abhängigkeiten (die signalisiert, dass auch der Behördenmitarbeiter kein «Alleinentscheider» ist). Allerdings kann hierdurch beim Klienten auch der Eindruck entstehen, einer «alleinentscheidenden» Behörde «ausgeliefert» zu sein und nicht einmal mit einer entscheidungsbefugten Person, sondern lediglich mit einem reinen «Informationsübermittler» zu sprechen. Was als Deeskalierung durch den Sachbearbeiter gemeint ist, kann aus der Perspektive des Klienten als Berufung auf die «anonyme» Macht der Behörde (deren Vertreter der Sachbearbeiter ist) gesehen werden und eskalierend wirken. –– Verschiedene als konfliktreduzierend beschriebene Mittel (cf. Schwitalla 1987) wie Eingeständnisse (eigener Fehler, Unsicherheit etc. des Behördenmitarbeiters oder der Institution), Entschuldigungen etc. –– Eine Betonung des Willens, im Sinne des Klienten zu handeln (der Behördenmitarbeiter arbeitet für den Klienten, nicht umgekehrt). Wesentlich ist es zudem auch hier, keine voreiligen Schlussfolgerungen über die Intentionen des Gegenübers zu ziehen. Wie besprochen wurde, können Äußerungen insbesondere fremdsprachiger Klienten brüsker, aggressiver, unkooperativer

Abschließende Bemerkungen zur Methode  

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etc. erscheinen, als sie vielleicht gemeint sind und damit u. U. «unfreiwillig» den Übergang in eine neue Streitphase signalisieren. Empfehlungen wie (betont) kooperatives Verhalten und Face-work gelten allerdings ebenso für die Klienten selbst. Sehr wichtig scheint es dabei, viel Modalisierungsarbeit zu leisten. Darüber hinaus können auch Klienten zu einem erfolgreicheren (weniger konfliktären) Verlauf eines Gesprächs beitragen, indem sie es beispielsweise (so früh wie möglich) metakommunikativ ansprechen, wenn sie das Verhalten des Behördenmitarbeiters als unkooperativ, non-responsiv, ihr negatives Face bedrohend o. ä. ansehen. Auch sie selbst können, eingedenk des Zeitdrucks an Behörden, Aktivitäten zur Gesprächsstrukturierung vornehmen und die Kohärenz ihrer Äußerungen klar herausstellen. Zumindest teilweise lässt sich dies beispielsweise in Sprachkursen trainieren, u. a. indem metakommunikative Kommentare, wie «Ich möchte über drei Themen mit Ihnen sprechen: Erstens...», eingeübt werden. Damit können u. U. Themenbeendigungen und ein non-responsives Verhalten der Behördenmitarbeiter vermieden werden. Auch können Klienten, um in die Entscheidungsfindung einbezogen zu werden, explizit nach weiteren Handlungsmöglichkeiten fragen etc. Diese Überlegungen stellen selbstverständlich kein «Patentrezept» dar. Streit kann sicher trotzdem entstehen – u. U. ist ein solches Verhalten, wie es hier für Behördenmitarbeiter vorgeschlagen wurde, nicht einmal bei allen Klienten angebracht. Hierzu wäre weitere Forschung, v. a. Analysen von Streitvermeidungsinteraktionen, erforderlich. Dennoch legen die Analysen die Vermutung nahe, dass die hier besprochenen Verhaltensweisen tendenziell geeignet sind, die Behandlung «schwieriger» Themen zu entschärfen.

9.3 Abschließende Bemerkungen zur Methode Insgesamt konnte durch die detaillierte Analyse des interaktiven Geschehens herausgearbeitet werden, was Interaktionen zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten – aus Sicht der Beteiligten selbst statt aus eine Analysierendenperspektive – «problematisch» machen kann, wo, wann und wie genau Probleme in der Verständigung auftreten. Beobachtungen, welche Möglichkeiten die Interaktanten selbst für eine Bearbeitung solcher Probleme finden und welche Bearbeitungen mitunter auch scheitern, erbrachten gerade für die Entwicklung von Empfehlungen für eine verbesserte Behördenkommunikation mit Migranten wichtige Hinweise. Dabei konnte empirisch ermittelt werden, auf welche Weise differente Sprachkompetenzen, kulturelle und fachlich-institutionelle Wissensdivergenzen in den Interaktionen jeweils relevant werden und wie daraus Verstehensprobleme entstehen.

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

Im Verlauf der Analysen zeigte sich zudem, dass Probleme in der Kommunikation nicht ausschließlich auf Wissensdivergenzen beruhen und das reine Verstehen betreffen. Es konnte beobachtet werden, wie beispielsweise (Vor-)Urteile der Interaktanten übereinander in der Interaktion selbst (re-)produziert werden. Am Gesprächsmaterial konnten sogar entscheidende Parameter herausgearbeitet werden, die bei der Entwicklung von Streit zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten wirksam werden können. Für die Analyse von Verstehensproblemen in der Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten war es dabei ausreichend, Gesprächsausschnitte zu betrachten, da es sich in der Regel um lokale Probleme handelte. Die Analyse von Streitgesprächen dagegen erforderte es, gesamte Gesprächsverläufe einzubeziehen und Einzelfallanalysen durchzuführen. Gerade bei der Analyse der Streitgespräche zeigte sich der große Vorteil eines sequenziellen Vorgehens. Auf diese Weise ließ sich detailliert aufzeigen, wie sich ein Streit jeweils entwickelte, dass es sich also nicht von Beginn an um Streitgespräche handelte, sondern die Gespräche immer wieder auch eine ganz andere Wendung hätten nehmen können. Schritt für Schritt ließ sich beobachten, wie sich Streit im wahrsten Sinne des Wortes interaktiv «aufschaukelte», wie die Interaktanten einander in ihrem unkooperativen, forcierenden, face-bedrohenden Verhalten jeweils «vorwärtstrieben» und wie z. T. auch dann, wenn einer der Gesprächspartner einen Schritt zurücktrat (sich etwas kooperativer, weniger forcierend etc. zeigte), der andere in einer verzögerten Reaktion auf vorherige Äußerungen des Gegenübers eine «verschärfte Gangart» (Kallmeyer/Schmitt 1996) einschlug. En détail konnten «phasenweise Verschärfungen der Interaktion» (ebd., 87) nachgezeichnet werden. Dabei ist eine «typische» Phasenabfolge zu beobachten, über die allerdings u. U. unterschiedliche Interpretationen bei den Interaktanten vorliegen, was ein sprunghaftes Aufschaukeln hervorbringt. Anzumerken ist dabei, dass trotz eines zu Beginn dieser Arbeit befürchteten Interviewereinflusses und eines Einflusses durch die Aufnahmesituation («Beobachterparadoxon», Labov 1980) eine Vielzahl von Verstehensproblemen und sogar offener Streit beobachtet werden konnten. Augenscheinlich sind die Interaktanten viel zu sehr damit beschäftigt, ihre jeweiligen Aufgaben zu bearbeiten, um sich tatsächlich von einer Aufnahmesituation langfristig ablenken zu lassen (sich bspw. besonders «zusammenzunehmen»). Für die Ziele dieser Arbeit – eine Identifizierung der in der Interaktion zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten relevanten Verständigungsprobleme und auch die Erarbeitung von Implikationen für eine Steigerung der (interkulturellen) Kommunikationsfähigkeit der Beteiligten – ist ein klarer Gewinn des gewählten gesprächsanalytischen Vorgehens zu erkennen. Eine Untersuchung, die statt mit authentischen Gesprächsdaten ausschließlich mit Sekundärquel-

Ausblick 

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len (Fragebögen, Interviews) gearbeitet hätte, wie ein Großteil der sozialwissenschaftlichen oder kommunikationspsychologischen Ansätze (z. B. Hoffmann 1982; Seifert 1996a; 1996b; Berth/Esser 1997; Riehle/Zeng 1998), hätte diesen Zielen nicht gedient. Jedoch lieferten die Interviews und die Fragebogenumfrage dieser Arbeit durchaus wichtige Zusatzinformationen. Beispielsweise ermöglichte erst das in Interviews erworbene Hintergrundwissen über bestimmte landes- oder kulturtypische Wohnpraktiken (z. B. es gewohnt zu sein, Straßennamen und Hausnummern zu kennen) zu verstehen, weshalb – nicht nur wie – bolivianische oder paraguayische Migranten und argentinische Behördenmitarbeiter diesbezüglich häufig mit Verstehensproblemen konfrontiert sind. Die Ergänzung der Ergebnisse der Gesprächsanalysen durch – an einzelnen Stellen – anschließend hinzugezogene gesprächsexterne Daten erwies sich also für die Ziele dieser Studie als ebenfalls gewinnbringend. Während in einigen Fällen solche Zusatzinformationen dazu dienten, das in den Gesprächsanalysen herausgearbeitete sprachliche Verhalten der Interaktanten besser einordnen zu können, dienten in anderen Fällen Ergebnisse der Gesprächsanalysen dazu, Angaben der Interaktanten in der Fragebogenumfrage oder den Interviews besser einordnen zu können. Zuletzt bleibt hervorzuheben, dass der Vergleich der beiden Korpusteile sehr ergiebig war, wodurch sowohl Unterschiede zwischen den Korpusteilen als auch einige auffällige Ähnlichkeiten bezüglich der Probleme, Bearbeitungen, des sprachlichen Verhaltens der Interaktanten im Streit etc. herausgearbeitet werden konnten. Insbesondere der Vergleich eines Korpusteils mit Gesprächen, in denen ein Großteil der Migranten dieselbe Muttersprache sprach wie die Behördenmitarbeiter, und eines Korpusteils mit Gesprächen, in denen dies nicht der Fall war, ermöglichte es herauszuarbeiten, welche Rolle muttersprachliche vs. nicht-muttersprachliche Kompetenzen der Klienten in Behörden-Migranten-Gesprächen spielen können. Dies brachte u. a. mit Blick auf Praxisempfehlungen wichtige Ergebnisse zu Tage.

9.4 Ausblick In dieser Arbeit wurden also diverse Probleme herausgearbeitet, die die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Klienten mit Migrationshintergrund beeinträchtigen, sowie verschiedene Möglichkeiten zum Umgang damit. Wie gezeigt werden konnte, bedeutet «erfolgreiche» Behördenkommunikation mit Migranten nicht «nur» die erfolgreiche Überbrückung von Wissensdivergenzen und die Vermeidung bzw. Lösung von Verstehensproblemen, sondern geht zum Teil auch weit darüber hinaus, wobei Wissensdivergenzen, Rollenkonflikte

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 Zusammenfassung und abschließende Diskussion der Ergebnisse

und Machtaushandlung sogar zu Streit «wider Willen» führen können – zu einem wahren «Haus, das Verrückte macht». Die Ergebnisse dieser Arbeit öffnen den Blick für einige künftige Forschungsziele. Zum einen kann für eine weitere Betrachtung wissensdivergenzbedingter Probleme eine stärkere Einbeziehung der bereits erhobenen gesprächsexternen Daten aus der Fragebogenumfrage und den Interviews gewinnbringend sein. Die Fragebögen enthalten u. a. eine Reihe von Fragen, die sich auf verschiedene Integrationsdimensionen (cf. Heckmann/Tomei 1997) beziehen: z. B. Fragen zu sozialen Kontakten der Klienten zu Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft, nach ihren Einstellungen zur und Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft, nach bisherigen Erfahrungen mit Behördenkontakten etc. Hierauf basierend lassen sich Überlegungen anstellen, ob in Gesprächen mit Klienten, die bereits relativ gut in die jeweilige Aufnahmegesellschaft integriert sind, weniger Verstehensprobleme zu beobachten sind, die auf kulturellen Wissensdivergenzen beruhen – oder ob Klienten, die über mehr Erfahrung mit Behördenkontakten verfügen, mit geringeren Verstehensproblemen konfrontiert sind, die mit fachlich-institutionellen – aber auch mit Sprachkompetenzen – zusammenhängen. Denkbar wäre z. B., dass sich nicht-muttersprachliche Klienten in häufigen Behördenkontakten spezielle darauf bezogene Sprachkompetenzen aneignen. Zum anderen zeigte sich bei der Analyse der Streitgespräche, dass hier weiterer Forschungsbedarf besteht, was v. a. die Analyse von Streitvermeidungsinteraktionen betrifft. Hierfür wäre eine Erweiterung des bestehenden Korpus erforderlich. Mit einem Korpus, in dem mehr Gespräche enthalten sind, in denen ähnliche Themen behandelt werden wie in den hier untersuchten Streitgesprächen, in denen jedoch (wie im «Kontrast-Beispiel») kein Streit entsteht oder Streit beigelegt wird, ließe sich der bislang durchgeführte kontrastive Vergleich weiter ausbauen. Auf diese Weise ließe sich überprüfen, ob eine unterschiedliche Rollen-Ausagierung der Behördenmitarbeiter (oder auch der Klienten) bei der Behandlung «schwieriger» Themen – worauf die Ergebnisse dieser Arbeit hinweisen – systematisch zu weniger konfliktären Gesprächen führt. Die Kommunikation zwischen Behördenmitarbeitern und Migranten stellt an sämtliche Beteiligte vielfältige Anforderungen – die durch eine wissenschaftliche Erforschung und die Umsetzung der Forschungsergebnisse in gezielten Schulungen für beide Seiten jedoch gemeistert werden können. Das Anliegen dieser Arbeit war es, eine möglichst umfassende Beschreibung der unterschiedlichen Verständigungsprobleme in diesem Kontext vorzunehmen, sowie, im Unterschied zu einigen in dieser Arbeit genannten Studien, dabei den jeweils eigenen Verständigung affizierenden Anteil der Einflussgrößen Interlingualität, Interkulturalität, Institutionalität zu betonen und empirisch zu ermit-

Ausblick 

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teln. Erst dies erlaubt es, die Interdependenz dieser Faktoren zu ermessen, die behördliche Interaktionen mit Migranten mitunter ineffektiv und auch konfliktiv geraten lassen. Die Analyse der Aushandlungsprozeduren in der Behördenkommunikation von Migranten und daraus abgeleitete Empfehlungen sollen dazu beitragen, dass das «Haus, das Verrückte macht» den Interaktanten – auf beiden Seiten – mehr Verständigung gestattet und sie etwas weniger «tonto» entlässt.

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