Intergouvernementalismus und Supranationalität als kommunizierende Grundmuster europäischer Integration [1 ed.] 9783428580019, 9783428180011

Mit Intergouvernementalismus nimmt sich die Untersuchung eines Phänomens an, das sich gehäuft in Reaktion auf die sogena

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Intergouvernementalismus und Supranationalität als kommunizierende Grundmuster europäischer Integration [1 ed.]
 9783428580019, 9783428180011

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Schriften zum Europäischen Recht Band 202

Intergouvernementalismus und Supranationalität als kommunizierende Grundmuster europäischer Integration

Von Maximilian Eitelbuß

Duncker & Humblot · Berlin

MAXIMILIAN EITELBUß

Intergouvernementalismus und Supranationalität als kommunizierende Grundmuster europäischer Integration

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 202

Intergouvernementalismus und Supranationalität als kommunizierende Grundmuster europäischer Integration

Von Maximilian Eitelbuß

Duncker & Humblot · Berlin

Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft – hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-18001-1 (Print) ISBN 978-3-428-58001-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Ohne den Besuch einer Eckersberg-Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle im Frühjahr 2016 wäre die vorliegende Arbeit vielleicht nicht zustande gekommen. So war es ein großes Glück, in Jörn Axel Kämmerer einen fürsorglichen Mentor zu wissen, dessen Ratschläge für mich stets von höchstem Wert waren. Ein Privileg war es, dass mir mit Vassilios Skouris ein Ansprechpartner zur Verfügung stand, dessen wohlmeinende Einblicke mir Mut gemacht haben. Beiden möchte ich für ihre Unterstützung sowie für die Erstellung der Gutachten aufrichtig danken. Die mündliche Promotionsprüfung fand am 21. November 2019 statt. Den Herausgebern der Reihe „Schriften zum Europäischen Recht“ möchte ich für die Aufnahme der Dissertation danken. Meinem Mitstreiter Lukas Schlegel gebührt großer Dank für seinen aufopferungsvollen Beistand, der nur mit wahrer Freundschaft zu erklären ist. Schließlich will ich meinen Großeltern Dorothee und Heinz (†) Conzelmann für ihre liebevolle und unerschütterliche Unterstützung während meiner gesamten Ausbildung bis hin zur Drucklegung dieser Arbeit von ganzem Herzen danken – eine bessere hätte ich mir nicht vorstellen können. Herrenberg, Juli 2020

Maximilian Eitelbuß

Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Erster Teil

Supranationale und intergouvernementale europäische Integrationsmuster 30

A. Der Supranationalitätsbegriff anhand gegensätzlicher Souveränitätsvorstellungen . . . 30 B. Abgrenzung der Grundmuster als begriffliches Gegensatzpaar . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Antagonismus der Grundmuster in der europäischen Integrationsgeschichte . . . . . . . 48

Zweiter Teil

Die Supranationalität in der (Euro-)Krise 68

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise . . . . . . . . 69 C. Analyse des Regelungsbedarfs in der Eurokrise: Supranationalität oder Intergouvernementalität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 D. Intergouvernementalismus als Ausweg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

Dritter Teil

Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen im Unionsrechtsrahmen 144

A. Unionsrechtmäßigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . 144 B. Unionsrechtliche Alternativlosigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus . . . . 194 C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus . . . . . . 218 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

8

Inhaltsübersicht Vierter Teil



Ausblick und Zusammenfassung 244

A. Integrationsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 B. Nutzbarmachung des Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 C. Zusammenfassende Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I.

Intergouvernementalismus in der Eurokrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

II. Erkenntnisinteresse: Supranationale Zukunftsfähigkeit bei intergouvernementaler Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Methodik und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Erster Teil Supranationale und intergouvernementale europäische Integrationsmuster 30



A. Der Supranationalitätsbegriff anhand gegensätzlicher Souveränitätsvorstellungen . . . 30 B. Abgrenzung der Grundmuster als begriffliches Gegensatzpaar . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I.

Unterscheidung nach Begriffskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Intergouvernementalismus und Intergouvernementalität . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Normative Supranationalität – normative Intergouvernementalität? . . . . . . . . 36 3. Supranational und intergouvernemental als institutionsbezogene Begriffe . . 38 4. Supranational und intergouvernemental als verfahrensbezogene Begriffe  – Gemeinschaftsmethode versus Koordinierung und „Unionsmethode“ . . . . . . 42 a) Vielfalt europäischer Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Intergouvernementalismus und neue „Unionsmethode“? . . . . . . . . . . . . . 45

II. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Die EU als Muster einer Begriffsgenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Unterscheidung anhand der Allokation von Hoheitsrechten . . . . . . . . . . . . . . 47 C. Antagonismus der Grundmuster in der europäischen Integrationsgeschichte . . . . . . . 48 I.

Die Entstehung der Supranationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Frühe Entscheidungen für ein Grundmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Anfeindungen der Supranationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

II. Der (Fort-)Bestand intergouvernementaler Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Integrationsfähigkeit intergouvernementaler Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Intergouvernementalismus als europäische Integrationstheorie . . . . . . . . . . . 54 a) Funktionalismus versus Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Theorie eines Neuen Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

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Inhaltsverzeichnis 3. Intergouvernementale Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Intergouvernementalität innerhalb des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Einstimmigkeitsvorbehalt  – Harmonisierung indirekter Steuern und GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Institutionelle Intergouvernementalität im Unionsgefüge  – Europäischer Rat und Euro-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Interne Übereinkommen – Intergouvernementalismus außerhalb des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 III. Supranationale-intergouvernementale Grundmuster und die Finalität Europas . . 65

Zweiter Teil

Die Supranationalität in der (Euro-)Krise 68

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise . . . . . . . . 69 I.

Kompetenzielle Asymmetrie der Wirtschafts- und Währungsunion . . . . . . . . . . . 69

II. Orientierung der Wirtschaftspolitik zwischen Supranationalität und Intergouvernementalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Wirtschaftspolitisches Koordinierungsverfahren und präventiver Arm der Haushaltsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Unverbindliche Akte von Unionsorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Unstatthaftigkeit des Vertragsverletzungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Überwachung der Haushaltsdisziplin und korrektiver Arm der Haushaltsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Verbindlichkeit und Durchsetzungsschwäche des Defizitverfahrens . . . . . 77 aa) Rechtspflicht zur Defizitvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 bb) Die Rolle der Unionsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Die haushaltspolitischen Verbotsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 C. Analyse des Regelungsbedarfs in der Eurokrise: Supranationalität oder Intergouvernementalität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I.

Rechtspolitisches Ziel: Eine stabilere Wirtschaftsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

II. Rechtspolitisches Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Reformvorschläge der Unionsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Der Bericht Herman Van Rompuys von 2012 – Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Der Fünf-Präsidenten-Bericht von 2015 – Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Inhaltsverzeichnis

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c) Das Reflexionspapier der Europäischen Kommission zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion von 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Sekundärrechtliche Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Das Reformpaket Economic Governance – Sixpack und Twopack . . . . . . 89 b) Reformschritte in Richtung einer Bankenunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Zwischenergebnis: Rechtspolitische Orientierung zwischen Supranationa­lität und Intergouvernementalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 D. Intergouvernementalismus als Ausweg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 I.

Die politische Option völkerrechtlicher Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Legitimationsfragen in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. „Trägereigenschaft“ des völkerrechtlichen Übereinkommens . . . . . . . . . . . . 95

II. Das Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge (IGA) . . . 97 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Ein Baustein der Bankenunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Abweichung vom geplanten einheitlichen unionsrechtlichen Vorgehen . . 99 2. Intergouvernementalität bei Vereinheitlichung der Fondsmittel . . . . . . . . . . . 100 3. Supranationalität durch intergouvernementale Verknüpfung zwischen SRM-​ Verordnung und IGA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Bedingtheit zwischen IGA und SRM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Befugnisverleihung an den SRB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalvertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Aufrechterhaltene intergouvernementale Strukturmerkmale . . . . . . . . . . . . . 108 a) Im Fiskalpolitischen Pakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Durch Bekräftigung der wirtschaftspolitischen Koordinierung . . . . . . . . . 110 c) Institutionalisierung der Euro-Vertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Supranationalität durch Intergouvernementalismus im Fiskalvertrag . . . . . . . 113 a) Einrichtung verbindlicher und vorzugsweise verfassungsrechtlicher Schuldenbremsen im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Befugnisverleihung an supranationale Unionsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Kommission als Hüterin der Schuldenbremse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Prüfungsumfang des EuGH hinsichtlich der Schuldenbremse . . . . . . 118 c) „Modifikation“ des Defizitverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 IV. Der Europäische Stabilitätsmechanismus und sein Gründungsvertrag (ESM) . . . 123 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Anfängliche bilaterale, intergouvernementale Kredite . . . . . . . . . . . . . . . 124

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Inhaltsverzeichnis b) Unionsrechtlich ausgestalteter Rettungsschirm: Der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Der erste intergouvernementale Rettungsschirm: Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 d) Der zweite und dauerhafte intergouvernementale Rettungsschirm . . . . . . 128 2. Intergouvernementale Organgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Der Gouverneursrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Die Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Supranationalität durch Intergouvernementalismus im ESM . . . . . . . . . . . . . 133 a) Gewährung von Stabilitätshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Makroökonomischer Prüfungsauftrag der Kommission . . . . . . . . . . . 134 bb) Ratifizierung des Fiskalvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Finanzhilfeinstrument und korrespondierende Auflagen . . . . . . . . . . . . . . 138 V. Zwischenergebnis: Mehr Intergouvernementalität, mehr Supranationalität . . . . . 141

Dritter Teil Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen im Unionsrechtsrahmen 144



A. Unionsrechtmäßigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . 144 I.

Unionsrechtliche Dogmatik der Übereinkommensautonomiebegrenzung . . . . . . 145 1. Kein generelles Verbot plurilateraler interner Übereinkommen . . . . . . . . . . . 145 a) Der völkerrechtliche Grundsatz vertragsautonomer Staaten . . . . . . . . . . . 146 b) Unzulässiger Umkehrschluss aufgrund ausdrücklicher Befugnistatbestände im Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Unzulässiger Umkehrschluss aufgrund der Verstärkten Zusammenarbeit . 150 d) Mitgliedstaatliche Souveränitätsresiduen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 e) Grenzen der Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Ausschließliche Zuständigkeitsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Geteilte Zuständigkeitsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Sonderfall Koordinierungskompetenz für die Wirtschaftspolitik? . . . 157 2. Spezialität des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Völkerrechtliche Beschneidbarkeit der Vertragsautonomie . . . . . . . . . . . . 159 b) Änderungsfestigkeit der Unionsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Justiziabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Konturierung der unionsrechtlichen Übereinkommensdogmatik durch die Entscheidung „Pringle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Legitimatorische Wirkung des neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV . . . . . . . . . . 166

Inhaltsverzeichnis

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b) Zuständigkeiten und Übereinkommensautonomie in der WWU . . . . . . . . 167 c) Verbotene Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln oder Veränderung ihrer Tragweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Zulässigkeitsgrenzen für Organleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Normative Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 bb) Erheblichkeit einer Befugnisverfälschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 cc) Sonderfall EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 e) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 II. Wahrung der Autonomiegrenzen durch die intergouvernementalen Maßnahmen in der Eurokrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Sachliche Zuständigkeitsbalance der Wirtschafts- und Währungsunion . . . . . 181 a) ESM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 aa) Wirtschaftspolitik statt Währungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 bb) Mitgliedstaateneigene Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Fiskalvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Kein Zuständigkeitsverstoß trotz bestehender primärvertraglicher Haushaltsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Kein Zuständigkeitsverstoß trotz Konkretisierungsbefugnissen der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) IGA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Einordnung als wirtschaftspolitische Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 185 bb) Einordnung als noch nicht gesperrte binnenmarktbezogene Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Unionsrechtmäßigkeit der inneren Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) ESM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Keine Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln für wirtschaftspolitische Koordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Zulässige Organleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (1) Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (2) EZB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (3) EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Fiskalvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Kein Verstoß gegen die Änderungsfestigkeit des Unionsrechts . . . . . 188 (1) Verschärfung des Defizitkriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Regeln zur wirtschaftspolitischen Koordinierung . . . . . . . . . . . . 188 (3) Umkehrung des Mehrheitsprinzips im Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (4) Die Einführung eines Euro-Gipfels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Keine Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

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Inhaltsverzeichnis cc) Zulässige Organleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (1) Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (2) EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) IGA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Keine Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Zulässige Organleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (1) EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (2) SRB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

B. Unionsrechtliche Alternativlosigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus . . . . 194 I.

Der Intergouvernementalismus im Konflikt mit dem Loyalitätsprinzip? . . . . . . . 194 1. Pflichtenlehre des unionalen Loyalitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Primat unionaler Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Bedeutung der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Umstrittene Begründung und Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Effektivitätserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Umkehrschluss aufgrund der Verstärkten Zusammenarbeit . . . . . . . . 200 cc) Suffzienz der allgemeinen Kompetenzdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 dd) Stillhalteverpflichtung nach Initiierung unionaler Rechtsetzung? . . . 203 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

II. Supranationale Alternativen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. ESM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Untauglichkeit des Art. 122 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Untauglichkeit des Art. 143 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Tauglichkeit des Art. 352 AEUV, aber Knappheit des Budgets . . . . . . . . . 206 aa) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Fiskalvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Eingeschränkte Tauglichkeit der WWU-Ermächtigungsnormen . . . . . . . . 209 aa) Art. 3 Fiskalvertrag – Nationale Schuldenbremsen . . . . . . . . . . . . . . . 210 bb) Art. 7 Fiskalvertrag – Umgekehrte qualifizierte Mehrheit . . . . . . . . . 212 cc) Suffizienz eines Euro-Gipfels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 dd) Art. 4, Art. 5, Art. 9 ff. Fiskalvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 b) Untauglichkeit des Art. 352 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Subsidiarität der Verstärkten Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Abwicklungsfonds auf Grundlage des Art. 114 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus . . . . . . 218 I.

Gestalterische Pflichten als Kehrseite intergouvernementaler Freiräume . . . . . . 218

Inhaltsverzeichnis

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II. Rechtspolitischer Nutzen supranationaler Elemente im Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Durchsetzbarkeit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Überführbarkeit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. Unionsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung des Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Paradigmatische Verstärkte Zusammenarbeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Finale Ausrichtung der Verstärkten Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Übertragbarkeit auf Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Ermunterung zur Differenzierung durch die Verstärkte Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Keine Pflicht der Mitgliedstaaten zur finalen Ausrichtung auf Unionsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Loyalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Keine selbständigen Ausgestaltungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Einheit des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Rechtseinheit im Konflikt mit flexibler Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 b) Sicherung der Rechtseinheit beim Intergouvernementalismus . . . . . . . . . 233 aa) Offenheit der Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Einheitliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 cc) Einheitlich-gleiche Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 dd) Überführung des Übereinkommensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4. Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 a) Schwache Rolle des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Keine unionsrechtliche Pflicht zur „demokratischeren“ Ausgestaltung . . 241 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

Vierter Teil

Ausblick und Zusammenfassung 244

A. Integrationsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 I.

Einzelne Zwecke der jeweiligen Integrationsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Vergemeinschaftung des Abwicklungsfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Synergien und Effizienzsteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) ESM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Fiskalvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Demokratische Rechenschaftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

16

Inhaltsverzeichnis II. Würdigung der Integrationsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Europäischer Währungsfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Richtlinie zur mitgliedstaatlichen Haushaltspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

B. Nutzbarmachung des Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 I.

Potential des Intergouvernementalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

II. Einhegung durch die Unionsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Zusammenfassende Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. E. am Ende The American Journal of International Law AJIL AöR Archiv des öffentlichen Rechts AVR Archiv des Völkerrechts BGBl. Bundesgesetzblatt BK Bonner Kommentar (zum Grundgesetz) Bundesministerium der Finanzen BMF Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten / Bank BRR-Richtlinie Recovery and Resolution Directive BT-Drs. Drucksache des Deutschen Bundestages Bulletin of the European Communities Bull. EC Cahiers de Droit Européenne CDE Center für Policy Research CEPR Common Market Law Review CMLR CPS Comparative Political Studies dbzgl. diesbezüglich ders. derselbe dies. dieselbe / n DNS Desoxyribonukleinsäure (hier allegorisch für Wesen / Charakter) DÖV Die Öffentliche Verwaltung Dok. Nr. Dokumenten-Nummer DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt ebd. ebenda European Constitutional Law Review ECLR Europäische Finanzstabilisierungsfazilität EFSF EFSM Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus Europäische Gemeinschaft / en EG (Vertrag über die Gründung der) Europäischen Gemeinschaft für Kohle EGKS(-Vertrag) und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (-in der Fassung EGV(-Maastricht /    Amsterdam / Nizza) von …) Europäische Investitionsbank EIB EL Ergänzungslieferung European Law Review ELR Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK Enzyklopädie Europarecht EnzEuR ESA European Supervisory Authorities (Vertrag zur Einrichtung des) Europäische(n) Stabilitätsmechanismus ESM(-Vertrag) ESMA European Securities and Markets Authority Europäisches System der Zentralbanken ESZB

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Abkürzungsverzeichnis

Veröffentlichungen des Europäischen Rates EUCO Verfahrensordnung des Gerichtshofs EuGH-VerfO European University Institute EUI Europäische Grundrechte Zeitschrift EuGRZ EuR Europarecht EUV(-Maastricht /  Vertrag über die Europäische Union (-in der Fassung von …)   Amsterdam / Nizza) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EuZW Europäische Verteidigungsgemeinschaft EVG (Vertrag zur Gründung der) Europäische(n) Wirtschaftsgemeinschaft EWG(-Vertrag) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht EWS Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ Festschrift / Liber Amicorum FS Financial Times FT GA Generalanwältin Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GASP German Law Journal GLJ Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland HdbStR House of Lords HL Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments HO-EU und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates in der Fassung i. d. F. id est i. e. im Ergebnis i. E. Übereinkommen / Intergovernmental Agreement über die Übertragung IGA von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge in Höhe von i. H. v. Im Sinne des / der i. S.  d. im Sinne (von) i. S. (v.) in Verbindung mit i. V. m. International Law Commission ILC Internationaler Währungsfonds / International Monetary Fund IWF / IMF Journal of Common Market Studies JCML JZ Juristenzeitung Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW lit. Buchstabe Ls. Leitsatz Memorandum / Memoranda of Understanding MoU The Max Planck Encyclopedia of European Private Law MPEEPL Max Planck Encyclopedia of Public International Law MPEPIL Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und VölkerMPIL recht mit weiteren Nennungen m. w. N. Neue Juristische Wochenschrift NJW Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ

Abkürzungsverzeichnis

19

Offene Methode der Koordinierung OMK Outright Monetary Transactions OMT Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen PJZS Rat „Wirtschaft und Finanzen“ Rat ECOFIN Recht der Internationalen Wirtschaft RIW Rs. Rechtssache RStruktFG Restrukturierungsfondsgesetz Revue trimestrielle de droit européenne RTD eur. siehe oben s. o. Einheitlicher Abwicklungsausschuss / Single Resolution Board SRB Einheitlicher Abwicklungsmechanismus / Single Resolution Mechanism SRM Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des SRM-Verordnung Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 Einheitlicher Aufsichtsmechanismus / Single Supervisory Mechanism SSM Stabilitäts- und Wachstumspakt SWP vgl. vergleiche Uabs. Unterabsatz Charta der Vereinten Nationen UN-Charter VerwArch Verwaltungsarchiv Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VVDStRL Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WM Wörterbuch des Völkerrechts WV Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge WVK Wirtschafts- und Währungsunion WWU YLJ Yale Law Journal Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZaöRV Zeitschrift für Europarechtliche Studien ZEuS Zeitschrift für Gesetzgebung ZG Zeitschrift für das Gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZHR Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres ZJI Zeitschrift für die juristische Schulung ZJS Zeitschrift für Öffentliches Recht ZöR Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften ZSE

„Die Abneigung der Staaten, aus dem Inhalt ihrer Machtfülle auch nur den geringsten Bruchteil einem gemeinsamen Institut zu übertragen, ist das größte Hindernis einer Weiterentwicklung dieser embryonalen Anfänge einer internationalen Verwaltungsorganisation.“ – Georg Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 1882, S. 164 f.

Einführung I. Intergouvernementalismus in der Eurokrise Die Eurokrise1 darf mittlerweile aus volkswirtschaftlicher Warte als überwunden angesehen werden.2 Alle Mitgliedstaaten und mithin sowohl die Eurozone als auch die EU insgesamt generieren seit einigen Jahren konstant Wachstum; die Arbeitslosigkeit ist wieder auf Voreurokrisenniveau; und selbst die Zustimmung der europäischen Öffentlichkeit zum Euro erreicht Rekordwerte3.4 Jüngst endete mit dem groß angelegten europäischen Finanzhilfenprogramm für Griechenland scheinbar gar einer der visibelsten Brandherde der Eurokrise.5 Freilich: Nach der einen Wirtschafts- und Finanzkrise mag vor der nächsten sein. Deshalb ist es nur verantwortungsbewusst, wenn die auf der Eurokrise beruhende Reformdynamik noch heute zu spüren ist und die politische Diskussion zwischen Mandatsträgern, Öffentlichkeit und Forschung mit Blick auf die Fortentwicklung der zumindest ehemals so dramatisch krisenanfälligen Wirtschafts- und Währungsunion noch alles andere als abgeschlossen ist.6

1

Zum Begriff „Eurokrise“ und seinem makroökonomischen Hintergrund Nitze, Finanz­ hilfen für Euro-Staaten in der Krise, 2015, S. 42 ff.; zum Plural der zugrundeliegenden „Krisen“ Kotzur, in: Europa als Rechtsgemeinschaft, 2013, S. 45, 46; Darstellung der ökonomischen Krisenursachen z. B. bei Enderlein, in: Jahrbuch der Europäischen Integration 2011, S. 37, 41 ff.; siehe zuletzt auch K. Weber, in: Reshaping the European Union, 2018, S. 183, 202 ff. 2 ESM-Direktor Klaus Regling, in: FAZ, 11. August 2017, S. 16; anders dagegen – wohl wegen der noch immer hohen Arbeitslosigkeit – allerdings Jean-Claude Juncker, Rede zur Lage der Union am 9. September 2015: „Die Krise ist nicht vorbei. Sie hat nur eine Pause eingelegt.“, Manuskript abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-15-5614_de.htm. 3 Siehe zuletzt Standard-Eurobarometer 89, Frühjahr 2018, S. 34. 4 Siehe Einleitung zur Mitteilung der Kommission vom 6. Dezember 2017, COM(2017) 821 final. 5 Siehe dazu die Pressemitteilung des ESM vom 20. August 2018, abrufbar unter https:// www.esm.europa.eu/press-releases/greece-successfully-concludes-esm-programme. 6 So auf europäischer Ebene zuletzt insbesondere die Vorschläge für ein Maßnahmenbündel im Dezember 2017 (vgl. dazu Mitteilung der Kommission vom 6. Dezember 2017, COM(2017) 821 final); siehe zuletzt auch die Beiträge von Feld et al., Refocusing the European fiscal frame­work, 2018; sowie Darvas / Martin / Ragot, Réformer les règles budgétaires européennes: simplification, stabilisation et soutenabilité, 2018.

22

Einführung

Selbst wenn mitunter Rechtsmissachtung die Eurokrise gespeist hat: Nicht nur erforderte eine glaubwürdige Reaktion auf die Eurokrise eine „Rückkehr zum Recht“;7 auch neugeschaffenes Recht nahm und nimmt eine tragende Rolle im Rahmen der Bekämpfung von Krisenursachen sowie der Abmilderung von Krisenfolgen ein. Konsequenterweise ist auch die rechtliche und rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer vielgestaltigen Rechtsmaterie, deren politische Initialzündung auf die Eurokrise zurückzuführen ist, nach wie vor im Gange. Die Reformen an und innerhalb der europäischen Wirtschaftsverfassung reichen im weitesteten Sinne von einer spezifischen, mikroökonomischen Regulierungsgesetzgebung des Finanzsektors – namentlich der neu geschaffenen Bankenunion – bis hin zu makroökonomischen Maßnahmen, gerichtet auf die Bekämpfung von untragbarer öffentlicher Verschuldung in einzelnen mitgliedstaatlichen Volkswirtschaften.8 Die Eurokrise forderte dabei nicht nur die Union heraus; gerade vor dem Hintergrund ihrer Erscheinungsform als (Mitglied-)Staatsschuldenkrise9 lastete besonderer politischer Handlungsdruck auch auf den Mitgliedstaaten selbst. Erschwerend kam eine besondere Krisenkonstellation hinzu: Da zum einen nicht alle Mitgliedstaaten an der Wirtschafts- und Währungsunion gleichermaßen partizipier(t)en und zum anderen nicht alle Mitgliedstaaten an übermäßiger Verschuldung ihrer öffentlichen Hand zu ersticken drohten, war die Interessenlage nicht kongruent; die Mitgliedstaaten waren folglich nicht ausnahmslos gewillt, an einem Strang zu ziehen. Am Ende erforderte der krisenbedingt große Handlungsdruck deshalb auch politischen Pragmatismus. So vielgestaltig wie die einzelnen Neuerungen an und innerhalb der Wirtschaftsverfassung der Sache nach sind, so unterschiedlich war schließlich auch das angewendete rechtliche Instrumentarium, das nicht nur auf Unionsebene ansetzte. Dort, wo andere Lösungen scheinbar verschlossen waren, förderte die besondere Krisendynamik schließlich ein Phänomen zutage,10 dass – wenngleich nicht neu – noch immer als Fremdkörper erscheint: Die Setzung von Recht auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen einigen bindungs-

7

Kirchhof, in: NJW 2013, S. 1, 3 f.; sowie Oppermann, in NJW 2013, S. 6 ff. Vgl. zur Differenzierung zwischen mikroökonomischer und makroökonomischer Wirtschaftsverfassung in Europa Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 13 ff. 9 Dazu Nitze, Finanzhilfen für Euro-Staaten in der Krise, 2015, S. 48 ff. 10 Siehe exemplarisch Wolfgang Schäuble, Rede vom 11. Januar 2013 in Heidelberg, Manuskript abrufbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Reden/2013/201301-11-heidelberg.html: „Da Änderungen des europäischen Sekundärrechts nur innerhalb des durch die Verträge gesetzten Rahmens möglich sind und Änderungen der Verträge selbst nur durch einstimmige Entscheidungen aller Mitgliedstaaten, sind gelegentlich dringend nötige Integrationsschritte […] tatsächlich nur gemäß der intergouvernementalen Methode möglich. Dies bedeutet vertragliche Vereinbarungen möglichst vieler Mitgliedstaaten außerhalb des europäischen Primär- und Sekundärrechts. Solche Second-Best-Lösungen sind suboptimale Lösungen, aber in der realen Welt besser als Stillstand und dabei häufig auch Wegbereiter für künftige, systemgerechtere Lösungen.“. 8

Einführung

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willigen, aber nicht allen Mitgliedstaaten der EU – synonym verwandt für den titelgebenden Intergouvernementalismus. Seit 2012 gibt es den ESM(-Vertrag),11 der im Wesentlichen die Errichtung eines Fonds für eine etwaige finanzielle Unterstützung von Mitgliedstaaten bezweckt; neben dem ESM soll ebenfalls seit 2012 der Fiskalvertrag12 als sein insbesondere auf solide mitgliedstaatliche Haushaltspolitik gerichtetes Gegenstück dienen; und schließlich gibt es seit 2014 das IGA,13 welches die Bankenunion durch auf einen Fonds übertragene Finanzmittel für etwaige Bankenabwicklungen unterstützen soll. Alle drei vorgenannten Fälle beruhen auf dem Einsatz völkerrechtlicher Verträge, die einige – nicht aber alle, deshalb auch: „inter se“ – Mitgliedstaaten der EU als Reaktion auf die sogenannte Eurokrise geschlossen haben. Einerseits soll diese Rechtsmaterie nach nahezu einhelliger Auffassung außerhalb der Unionsrechtsordnung stehen.14 Andererseits lassen sich aber ein Konnex zur Unionsrechtsordnung15 – denn in der Sache geht es um die Ausgestaltung des in Art. 120 ff. AEUV primärrechtlich angelegten wirtschaftspolitischen Teilbereichs der Wirtschaftsund Währungsunion – schon aufgrund der Zielsetzung: Bekämpfung und Vorbeugung eurokrisenhafter Entwicklungen, und gar eine auf die Unionsrechtsordnung

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Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, dem Großherzogtum Luxemburg, Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugie­ sischen Republik, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik und der Republik Finnland. 12 Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion zwischen dem Königreich Belgien, der Republik Bulgarien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, dem Großherzogtum Luxemburg, Ungarn, Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Republik Polen, der Portugiesischen Republik, Rumänien, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik, der Republik Finnland und dem Königreich Schweden. 13 Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge. 14 So die weit überwiegende Ansicht in der Literatur, siehe bspw. Dimopoulos, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 41, 47, 62 f.; Kadelbach, in: EuR 2013, S. 489, 494 f.; Thym, in: EuR Beiheft 2/2013, S. 23, 31; unabhängig von (den) konkreten Übereinkommen auch ders., Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 181; keine Stellungnahme geliefert, sondern nur die entsprechende Wortwahl des vorlegenden Gerichts aufgegriffen hat der EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“),ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 178: „[…] außerhalb des rechtlichen Rahmens der Union […]“; siehe dagegen nur den Vorschlag beim Editorial, in: ECLR 2015, S. 425, 431: „A first step is to avoid being too restrictive in qualifying the variety of agreements mentioned above between EU members states as EU law. All of these agreements […] are part of the EU legal order in the wide sense, and in this sense create and modify EU law.“. 15 Vgl. dazu von Bogdandy / Bast / Arndt, in: ZaöRV 2002, S. 77, 125.

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zurückzuführende Kausalität der Maßnahmen nicht von der Hand weisen;16 daher fallen häufig auch Begriffe wie „Nebenunionsrecht“17, „Unions(ergänzungs)völker­ recht“18, „Sonderverfassungsrecht für die Eurozone“19, „Satellitenverträge“20 oder „Ersatzunionsrecht“21. Ehemals  – und gleichsam ein Näheverhältnis verdeut­ lichend – wurde Recht dieser Art als „Komplementärrecht“ im Fundstellennachweis des EU-Rechts geführt.22 Mit „Interne Abkommen“ verwendet Heesen in ihrer gleichnamigen Monographie demgegenüber einen abstrakteren Begriff, den sie freilich tiefergreifend kategorisiert.23 Wuermeling verwendet für völkerrechtliche Verträge aller Mitgliedstaaten indessen den Begriff „Kooperatives Gemeinschaftsrecht“.24 Die Vielzahl der Begriffe25 sollte gleichwohl nicht den Blick darauf verstellen, dass die Wechselbeziehungen zwischen entsprechenden völkerrechtlichen Verträgen und der Unionsrechtsordnung stets individuell festzustellen sind – ein Vorhaben, welches die vorliegende Arbeit für den Eurokrisen-Intergouvernementalismus unternimmt.

II. Erkenntnisinteresse: Supranationale Zukunftsfähigkeit bei intergouvernementaler Realität Wenden Mitgliedstaaten der Europäischen Union allerdings intergouvernementale Formen gemeinschaftlicher Zusammenarbeit wie im Falle der forschungsgegenständlichen Maßnahmen an, so ist mit Verlässlichkeit zu beobachten, dass rechtswissenschaftliche Kommentatoren oder am politischen Prozess Beteiligte einerseits den Vorwurf erheben, die jeweilige Maßnahme sei – aus unterschiedlichen Gründen – mit Unionsrecht unvereinbar. Der andere Vorwurf, der genauso häufig zu beobachten ist, ist ein systemischer: Moniert wird die geringschätzig so bezeichnete „Flucht ins Völkerrecht“26. Mit der Wahl einer zwischenstaatlichen Methode, so die Kritik, würden die beteiligten Mitgliedstaaten einen „Exekutiv 16

Im Besonderen mit Blick auf diese „außer-unionale“ Rechtsschicht konzipieren einige Vertreter der Europarechtswissenschaft, wie zuletzt Pilz in seiner 2016 erschienenen Monographie, bereits eine „Fiskalunion“, siehe auch Blanke / Pilz, Die „Fiskalunion“, 2014; der Begriff geht wohl auf Wolfgang Schäuble zurück, worauf Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 61, verweist; weniger dezidiert Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477. 17 So der Begriff von Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9 ff. 18 Von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509. 19 Hufeld, in: EnzEuR 2014, § 22 Rn. 22 20 Thym, in: EuR-Beiheft 2 2013, S. 23, 31. 21 Lorz / Sauer, in: DÖV 2012, S. 573. 22 Siehe dazu von Bogdandy / Bast / Arndt, in: ZaöRV 2002, S. 77, 124 23 Heesen, Interne Abkommen, 2015, siehe insbesondere S. 9 ff. 24 Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 1988. 25 Siehe zu unterschiedlichen möglichen englischen Begriffen Bast / Heesen, „European Community, Supplementary Agreements between Member States, in: MPEPIL, 2011, Rn. 1. 26 Hatje, in: EuR Beiheft 2/2013, S. 5; Begriff von Häde, Euro-Rettung zwischen Exekutivprimat und Parlamentsvorbehalt, 2012, S. 15.

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föderalismus“27 erschaffen und damit die althergebrachte Gemeinschaftsmethode umgehen. Das führe nicht zuletzt zu einer Krise der europäischen Institutionen und folglich des europäischen Rechts, dem acquis communautaire.28 Die zwischenstaatliche, intergouvernementale Methode steht dabei schon begrifflich im Gegensatz zur Überstaatlichkeit, der europäischen Supranationalität. Durch diese Gegensätzlichkeit wird erklärbar, weshalb mit Entstehen des Eurokrisen-Intergouvernementalismus sodann die supranationale Maxime insgesamt als angegriffen gilt: Die Hinwendung zum Intergouvernementalismus wirkt systemwidrig oder jedenfalls rückschrittlich.29 Zum Teil wird der Intergouvernementalismus, die Gestaltung europäischer Politik durch Aushandlung rein zwischenstaatlicher Übereinkünfte und ohne Zuhilfenahme genuin unionsrechtlicher Verfahren, gar als zerstörerisch für die Idee der europäischen Integration verstanden.30 Diesen Ansichten liegt die allgemeine Überzeugung zugrunde, dass sich intergouvernementale und supranationale Konzepte zur rechtlichen Einrahmung europäischer Politik grundsätzlich im gegenseitigen Widerspruch befinden. Dabei ist die Europäische Union heute ein weit überwiegend supranational verfasster Zusammenschluss von einzelnen souveränen Mitgliedstaaten. Und das nicht ohne Sinn: So ist die Supranationalität prinzipieller Ausdruck einer „Zähmung“ nationaler und national-exekutiver Dominanz.31 Mit der Supranationalität verbindet sich die Hoffnung einer möglichst handlungsfähigen Union, die bei der Erreichung ihrer Ziele nicht von abweichenden Interessen einzelner Mitgliedstaaten aufgehalten werden soll. Zudem ermöglicht die supranational verfasste Rechtsordnung der Union die Setzung von in den einzelnen Mitgliedstaaten unmittelbar geltendem Recht, dessen Befolgung sie zudem noch kontrollieren und einfordern kann. In der Reaktion auf die Eurokrise indes scheinen sich die nationalen Exekutiven aufgebäumt und das Heft des Handelns teilweise an sich gezogen zu haben. Es ist an der Rechtswissenschaft, die sich abzeichnende Widersprüchlichkeit zu entschlüsseln. Deshalb handelt der Forschungsgegenstand von der gegenwärtigen Gestalt der Wirtschafts-

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Habermas, Zur Verfassung Europas, 2011, S. 43; ders., in: Grenzen der europäischen Integration, 2013, S. 61, 63; siehe zum Begriff bereits Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 3. 28 Sarrazin / Kindler, in: integration 2012, S. 213, 217. 29 Ein Umstand, der Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 372 ff., 381, 397, zu einer Warnung verleiten ließ; allgemeine Kritik, vor allem aber aus demokratietheoretischer Sicht bei Habermas, in: Grenzen der europäischen Integration, 2013, S. 61 ff.; vgl. Bertrand, in: L’Union européenne et le fédéralisme économique, 2015, S. 119, 131; siehe dazu auch Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. Juni 2015 zur Überprüfung des Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung: Bestandsaufnahme und Herausforderungen (2014/2145(INI)), P8_TA(2015)0238, Rn. 51, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/ sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2015-0238+0+DOC+PDF+V0//DE. 30 Vgl. Puetter, The European Council & The Council, 2014, S. 43. 31 Vgl. Magnette, L’Europe, l’Etat et la Démocratie, 2000, S. 25 ff. und 139 ff.

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(und Währungsunion) in ihrer besonderen, mit der Eurokrise zu Tage getretenen Ausprägung, dem völkerrechtlichen Intergouvernementalismus. Ziel dieser Arbeit ist, das Verhältnis zwischen Supranationalität und Intergouvernementalismus in der Eurokrisen-Reaktion zu entschlüsseln, um die Frage nach der gegenwärtigen und zukünftigen Rolle der Ersteren in dem für weitere Integrationsschritte so wichtigen – die Wichtigkeit verdeutlichen nicht zuletzt gegenwärtige rechtspolitische Bestrebungen, vor allem solche der Kommission32 – Bereich der Wirtschaftspolitik zu beantworten. Aber auch in anderen Politikbereichen, in denen die „Herren der Verträge“ die supranationale Stufe noch nicht erklimmen wollten, stellt sich berechtigterweise die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der supranationalen Idee. Dies ist letztlich auch die These, die dem „Neuen Intergouvernementalismus“ von Bickerton / Hodson / P uetter zugrunde liegt, worauf die vorliegende Untersuchung Bezug nehmen möchte.33 Wenn effiziente Rechtsetzung und sogar die Bekämpfung einer existenziellen Krise, wie die Eurokrise, intergouvernemental gelingt, wieso sollten die Mitgliedstaaten dann noch Hoheitsrechte an eine supranationale Rechtsordnung abgeben und auf diese Weise ihre eigene Souveränität freiwillig beschränken? Im Übrigen werden auch in Zukunft – so viel Prognose lässt sich wagen angesichts gegenwärtig vielfältig ausgemachter politischer Spaltungen34 – Änderungen am europäischen Primärrecht nur sehr aufwendig durchzusetzen sein.35 Schließlich ist selbst nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs keineswegs gesichert, dass die dann neuen alten EU-27 zuverlässig mit gemeinsamer Stimme sprechen. Vielleicht zu viele politische Differenzen tun sich wiederholt in unterschiedlichen, aber teilweise existenziellen Politikbereichen auf – sei es die Finanzpolitik oder Fragen von Einwanderung und Asyl. Ein probates Mittel könnte daher intergouvernemental vereinbartes Völkerrecht bleiben, dessen Beziehung zur Supranationalität aber klärungsbedürftig ist. Von Erkenntnisinteresse ist dabei sodann eine weitere Frage: Die allgemeine Rezeption ordnet den wirtschaftspolitischen Teil der WWU mit guten Gründen als noch im intergouvernementalen Stadium verharrendes Integrationsfeld ein. In Folge dessen ist häufig die Rede von einer strukturellen Asymmetrie der WWU: Dem besagten intergouvernementalen Politikbereich ist die musterhaft supranational ausgestaltete Währungspolitik gegenübergestellt.36 Spätestens die Eurokrise 32 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds vom 6. Dezember 2017, COM(2017) 827 final; Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Bestimmungen zur Stärkung der haushaltspolitischen Verantwortung und der mittelfristigen Ausrichtung der Haushalte in den Mitgliedstaaten vom 6. Dezember 2017, COM(2017) 824 final; siehe zuletzt auch die Bezugnahme im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU / CSU für die 19. Legislaturperiode, S. 8 ff., abrufbar unter https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitions​ vertrag_2018.pdf?file=1. 33 Bickerton / Hodson / Puetter (Hrsg.), The New Intergovernmentalism, 2015. 34 Siehe auch Bénassy-Quéré et al., in: CEPR Policy Insight 91, 2018, S. 2. 35 Vgl. Clément-Wilz, in: L’Union européenne et le fédéralisme économique, 2015, S. 101, 117. 36 Vgl. bspw. Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2015, § 22 Rn. 4.

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förderte sodann aber zutage, dass das gegenwärtige Verfahren der bloßen zwischen-mitgliedstaatlichen Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (Art. 5 Abs. 1 und 119 Abs. 1 AEUV) und der zugehörigen Überwachung der Haushaltspolitiken (Art. 126 AEUV) in der Wirtschaftsunion unzureichend, weil wenn auch nicht krisenauslösend, dann doch zumindest krisenverstärkend ist. Noch schlimmer: Ein effektives Mittel zur Eindämmung der Krise stand im gesamten Unionsrecht – weder in supranational noch in intergouvernemental ausgestalteten Bereichen – nicht zur Verfügung. Also war der europäische Gesetzgeber gefragt. Der politische Beobachter hätte eine resolute Lösung unter Rückgriff auf das überkommene supranationale Grundmuster erwarten können. Zwischenstaatlichkeit schien diskreditiert, weil ihr Grundproblem, die faktisch-praktische Unverbindlichkeit, Misstrauen erregen musste. Und doch setzten einige Mitgliedstaaten mehrfach auf intergouvernementale Varianten, um der Krise beizukommen. Wenn die intergouvernementale Konstruktion aber eigentlich gescheitert war, wie konnte es den Mitgliedstaaten möglich sein, vertrauenserweckende rechtliche Konstruktionen zu schaffen, und dabei trotzdem auf Zwischenstaatlichkeit zurückzugreifen?

III. Methodik und Überblick Methodisch führt die vorliegende Arbeit folglich eine Untersuchung der intergouvernementalen Maßnahmen vor dem Hintergrund des überkommenen supranationalen Grundmusters durch. Ausgangspunkt der Abhandlung ist deshalb zunächst, die begrifflichen Dimensionen des Gegensatzpaares „supranational“ und „intergouvernemental“, oder „Supranationalität“ und „Intergouvernementalismus“ bzw. „Intergouvernementalität“ zu erörtern. Ein zweiter Ausgangspunkt der Untersuchung beruht sodann auf einer Darstellung der Muster-(heraus-)bildung im Lauf der Integrationshistorie. Bedeutsamer Teil dessen ist wiederum eine am Gegensatz orientierte Betrachtung mit Schwerpunkt darauf, wie sich das Verhältnis der Grundmuster „Supranationalität“ und „Intergouvernementalität“ entwickelte und in welchem Verhältnis zueinander diese Grundmuster der europäischen Integration im Angesicht der aktuellen Gestalt der Unionsrechtsordnung stehen. Einem solchen ersten Teil schließt sich ein zweiter Teil an, der eine Analyse des Regelungsbedarfs anstrengt, wie ihn die Eurokrise herausgefordert hat. Für das Vorverständnis bedeutsam ist allerdings, zunächst die primärrechtliche Realität der WWU in Gestalt des Vertrags von Lissabon und unter Rückgriff auf die zu Grunde gelegte Gegensatzlehre von Supranationalität und Intergouvernementalität darzutun. Zum Vorverständnis gehört auch, die sekundärrechtlichen Aktivitäten des europäischen Gesetzgebers mit der Zielsetzung zu erfassen, inwiefern sie möglicherweise die bestehende Struktur der WWU modifiziert haben könnten. Daneben dient die Bezugnahme auf die sekundärrechtlichen Aktivitäten noch einem weiteren analytischen Ziel. So lässt sich der eingangs erwähnte Regelungsbedarf, der das zentrale Erkenntnisinteresse dieses Teils ausmacht, auch mittels Analyse

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besagten Sekundärrechts induktiv erschließen. Die These – die hier sinnhafterweise vorweggenommen werden soll  – lautet schließlich, dass der eurokrisen­ bedingte Regelungsbedarf prinzipiell mehr Supranationalität erforderte. Im weiteren Verlauf nimmt der zweite Teil seinen Anstoß sodann an der im Ausgangspunkt paradox anmutenden Situation, auf die bereits bei Darlegung des Forschungsgegenstands hingewiesen wurde: Die intergouvernementale Reaktion einiger Mitgliedstaaten und die politischen Gründe, auf denen sie basierte. Anschließend greift die Untersuchung die zentrale These dieser Arbeit auf, die von einer „Rettung“ der supranationalen Idee durch Rückgriff auf den forschungsgegenständlichen Intergouvernementalismus handelt. Noch vor der Frage, ob die internen Übereinkommen zulässig im Sinne des Unionsrechts sind, handelt dieser Teil sodann von der Ausgestaltung der Übereinkommen im Hinblick auf die Gegensätzlichkeit zwischen Supranationalität und Intergouvernementalität; die bereits erläuterte Gegensätzlichkeit bildet den Maßstab für die Analyse. Zum anderen findet in diesem Teil eine Analyse statt – vorher (siehe oben) und insbesondere nachher –, die die Tragweite der Supranationalität in der WWU ergründet. Im nachfolgenden dritten Teil geht es schließlich um die teilweise noch immer drängende Rechtsfrage, innerhalb welcher Spielräume die Unionsrechtsordnung intergouvernementale Rechtsetzung abstrakt und im konkreten Fall zulässt und welche Anforderungen das Unionsrecht in Bezug auf die Einführung einer solchen Rechtsschicht aufstellt. Grundlage der Untersuchung stellt die der supranationalen Rechtsordnung anheimgestellte Unions-Kompetenzordnung dar, auf die auch der EuGH in der maßgeblich Entscheidung „Pringle“37 rekurierte. Die Kehrseite einer Untersuchung europarechtlicher Zulässigkeit der intergouvernementalen Maßnahmen stellt die Frage nach rechtlich möglichen Alternativen innerhalb des Unionsrechts dar, die anschließend erfolgen soll. Zielsetzung des dritten Teils ist, mittels europarechtlicher Dogmatik aufzuzeigen, weshalb der beschrittene intergouvernementale Weg der rechtssicherste war. Zum anderen stellt sich in einem dritten Abschnitt die bedeutsame Frage, weshalb das inter­ gouvernemental erschaffene Recht Anleihen an supranationaler Formensprache und Ordnung nahm. Dabei gilt es zum einen zu hinterfragen, welchen Nutzen die intergouvernementalen Akteure aus entsprechenden Strukturen ziehen; zum anderen bleibt die dogmatische Frage, ob das Unionsrecht insofern Anforderungen an die Mitgliedstaaten bereithält und aus welchen Elementen der Unionsrechtsordnung sich entsprechende Vorgaben ergeben könnten. Damit ist neben der untersuchten Zulässigkeit und Alternativlosigkeit der Maßnahmen der letzte Schritt getan, um dem Vorwurf eines „integrationspolitischen Rückschlags“38 zu antworten. 37

EuGH, Urteil vom 12. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:756. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. Juni 2015 zur Überprüfung des Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung: Bestandsaufnahme und Herausforderungen (2014/2145(INI)), P8_TA(2015)0238, Rn. 51, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/ sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2015-0238+0+DOC+PDF+V0//DE. 38

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Im vierten Teil sind schließlich nicht nur die verschiedenartigen Entwicklungsperspektiven der intergouvernementalen Maßnahmen in der Eurokrise in den Blick zu nehmen; insbesondere erfolgt auch eine Bewertung der bisherigen Vorschläge zur Transformation. Anschließend sollen die Ergebnisse der gesamten Untersuchung dazu dienen, das Potential intergouvernemental-völkerrechtlichen Tätigwerdens und einer möglichen zugehörigen unions-(verfassungs-)rechtlichen Einhegung aufzuzeigen.

Erster Teil

Supranationale und intergouvernementale europäische Integrationsmuster A. Der Supranationalitätsbegriff anhand gegensätzlicher Souveränitätsvorstellungen Zentraler Untersuchungsmaßstab dieser Arbeit ist die Idee der Supranationali­ tät  – einem „Kunstwort“,1 dessen faszinierende Entwicklung seinen Anfang in den Verhandlungen über die Montanunion im Nachkriegseuropa des Jahres 1950 nimmt.2 So gesehen ist die supranationale Idee eine zuvorderst europäische3  – wenngleich sie freilich konzeptionell nicht an diese gebunden ist,4 aber doch erst durch die europäische Ausgestaltung eine spezifische Bedeutung erlangt.5 Überstaatlichkeit, Supranationalität, kann nur im Zusammenhang mit National­ staaten gedacht werden  – denn wo kein Nationalstaat, da kein überstaatliches Element.6 Mit dem Konzept der Nationalstaaten ist im geltenden Völkerrecht 1

Von Lindeiner-Wildau, La supranationalité en tant que principe de droit, 1970, S. 12 weist die Urheberschaft Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, 1901, Aphorismus Nr. 482, zu [Hervorhebungen nicht im Original]: „Warten und sich-vorbereiten; das Aufspringen neuer Quellen abwarten; in der Einsamkeit sich auf fremde Gesichte und Stimmen vorbereiten; vom Jahrmarkts-Staube und -Lärm dieser Zeit seine Seele immer reiner waschen; alles Christ­liche durch ein Überchristliches überwinden und nicht nur von sich abthun – denn die christliche Lehre war die Gegenlehre gegen die dyonische –; den Süden in sich wieder entdecken und einen hellen glänzenden geheimnisvollen Himmel des Südens über sich aufspannen; die südliche Gesundheit und verborgene Mächtigkeit der Seele sich wieder erobern; Schritt vor Schritt umfänglicher werden, übernationaler, europäischer, übereuropäischer, morgenländischer, endlich griechischer – denn das Griechische war die erste große Bindung und Synthesis alles Morgenländischen und eben damit der Anfang der europäischen Seele, die Entdeckung unserer ‚neuen Welt‘ […]“; siehe auch Pescatore, Le droit de l’intégration, 1972, S. 48. 2 Schorkopf, Der Europäische Weg, 2010, S. 41, 178; vgl. Mosler, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 911, 920; vgl. Jaenicke, „Supranationale Organisationen“, in: WV Bd. 3, 1962, S. 423. 3 Vgl. die Ausführungen von von Lindeiner-Wildau, La supranationalité en tant que principe de droit, 1970, S. 1 ff., der darauf verweist, dass das Wort „supranational“ positivrechtlich erstmals im EGKS-Vertrag Erwähnung fand (S. 7); siehe auch Pescatore, Le droit de l’intégration, 1972, S. 48 ff.; vgl. Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: MPEPIL, 2014, Rn. 17. 4 Vgl. von Lindeiner-Wildau, La supranationalité en tant que principe de droit, 1970, S. 64 ff.; vgl. Zuleeg, in: integration 1988, S. 103, 104 f.; Jaenicke, in: WV, S. 423 ff. 5 Vgl. Rosenstiel, Supranationalität. Eine Politik des Unpolitischen, 1962, S. 55 ff.; sowie Wehberg, in: Friedens-Warte 1954, S. 193, 204 f. 6 Zuleeg, in: integration 1988, S. 103.

A. Der Supranationalitätsbegriff 

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allerdings auch das zentrale Dogma der Souveränität oder der souveränen Gleichheit der Nationen (Art. 2 Abs. 1 UN-Charter) verbunden.7 Der vielen Theorien über die Verfasstheit Europas zugrundeliegende Dreiklang: (National-)Staat, Souveränität, Überstaatlichkeit, hat zu einem nur in großen Linien überschaubaren Diskussionsstand geführt, wo und wie das mittlere dieser drei genannten Elemente zwischen den anderen beiden allokiert werden sollte.8 Schon Ipsen formulierte 1972, dass es sich bei dieser Frage, i. e. „ob die Mitgliedstaaten ihre Souveränität eingebüßt oder sie bewahrt haben“, „zu den aus Sicht der Staats- und Völkerrechtslehre zur Wirtschaftsintegration meist erörterten Anliegen“ handele.9 Wie nicht überraschen sollte, lassen sich zwei entgegengesetzte Strömungen unterscheiden: Da gibt es diejenigen, die die Verortung von Souveränität streng an die Vorstellung (staatlicher) Letztverantwortung im Sinne einer „Kompetenz-Kompetenz“10 koppeln – diese stehe auch im System der verfassten Union nach wie vor uneingeschränkt den Mitgliedstaaten zu.11 Innerhalb dieser Verfasstheit der EU verdeutliche nicht zuletzt (der „Brexit“-)Art. 50 EUV und das dort niedergelegte mitgliedschaftliche Austrittsrecht den freiwilligen Charakter des Zusammenschlusses;12 freilich wird dieser Aussage genauso wenig jemand widersprechen wie derjenigen, mit Hinweis 7

Nach Graf Vitzthum ein „überkommenes Leitprinzip der Völkerrechtsordnung“, in: ders. / Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 2017, S. 1, 19 Rn. 45, das dogmengeschichtlich bis zu ­Bodin, Les six Livres de la République, 1961 (1583), S. 122 ff. und S. 211 ff. zurückverfolgt werden kann; mit Hinweis darauf Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 126 Fn. 162; einen Konnex zwischen Supranationalität und Souveränität erwähnt auch Terhechte, in: EnzEuR, Bd. 1, 2011, S. 329, 346 Rn. 32; ebenso die Ausführungen bei Mosler, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 911, 920 f.; vgl. auch Kokott, in: ZaöRV 2004, S. 517, 518 ff. 8 Ein Plädoyer für eine souveräne Union enthält die beachtlich rezipierte Rede Emmanuel Macrons in Paris vom 26.09.2017, Initiative pour l’Europe  – Discours d’Emmanuel ­Macron pour une Europe souveraine, unie, democratique, abrufbar unter http://www.elysee.fr/ declarations/article/initiative-pour-l-europe-discours-d-emmanuel-macron-pour-une-europesouveraine-unie-democratique/; mit Hinweis darauf Mayer, in: NJW 2017, S. 3631, 3637. 9 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 227; Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 144, verweist sodann darauf, dass dasselbe entsprechend auch für den Diskurs über die deutsche Bundesstaatstheorie Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts galt; dazu auch Oeter, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 73, 87 ff.; vgl. auch Hay, Federalism and Supranational Organizations, 1966, S. 32; vgl. aktuell Wendel, Permeabilität im europäischen Verfassungsrecht, 2011, S. 75 ff. 10 Begriffsgeschichtlich dazu Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 149 f.; grundlegend zum Begriff bspw. Haenel, Deutsches Staatsrecht, Bd. 1, 1892, S. 771 ff. 11 P. Kirchhof, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 1009, 1028; BK-Schorkopf, 2011, Art. 23 Rn. 66, der darauf hinweist, dass es gerade Ausdruck uneingeschränkter Souveränität ist, eine Organisation wie die Union herzustellen; Dreier-Wollenschläger, Bd. 2, 2015, Art. 23 GG Rn.  18; Maunz / Dürig-Scholz, 2017, Art. 23 GG Rn. 42; Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, 2000, S. 237; siehe auch Wagner, Grundbegriffe des Beschlussrechts der Europäischen Gemeinschaften, 1965, S. 51 f.; siehe auch bereits Schwantes, Die Supranationalität, 1962, S. 11 f.; sowie Bindschedler, Rechtsfragen der europäischen Einigung, 1954, S. 74. 12 Vgl. dazu Grabitz / Hilf / Nettesheim-Dörr, 66. EL 2019, Art. 50 EUV Rn. 3; Pache / Rösch, in: NVwZ 2008, S. 473, 479; Überblick der vormaligen und mittlerweile überholte Diskussion über ein mitgliedschaftliches Austrittsrecht Götting, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, 2000, S. 107 ff.; und Waltemathe, Austritt aus der EU, 2000, S. 29 ff.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

auf Art. 48 EUV die „Kompetenz-Kompetenz“ am Ende bei den Mitgliedstaaten zu verorten. Die Schlussfolgerung dieser Theorie, i. e. die Vorstellung von einer ungeteilt im Schoß der Mitgliedstaaten ruhenden Souveränität, wird allerdings von vielen Seiten angefochten;13 allen diesen Gegenströmungen ist letztlich die Grundüberzeugung gemein, wonach auch die Union Trägerin einer irgendwie gearteten Souveränität sein kann.14 Walter Hallstein brachte das zugrundeliegende Verständnis in einer Hamburger Rede 1958 einmal wie folgt auf den Punkt: „Die supranationale Lösung ist eine Konstruktion der Zusammenfassung […], bei der […] die Staaten […] auf einen Teil ihrer Souveränität zugunsten einer neugegründeten Gemeinschaftspersönlichkeit [verzichten], die aus ihnen als Mitgliedern besteht. Sie geben also ein Stück der Substanz ihrer Souveränität an den Verein ab, den sie gründen.“15 Allerdings ist dieser Diskurs  – so unterschiedlich die vorgebrachten Theorien auch sein mögen – insofern für die Idee der Supranationalität nicht weiter entscheidend, als sich alle Ansichten in einem Punkt einig sein müssen: Selbst wenn die Mitgliedstaaten nämlich keine Souveränität an die Union abgegeben haben sollten, so haben sie stattdessen jedenfalls Hoheitsrechte zwischen sich und der Union aufgeteilt.16 Der Aufteilung liegt dabei ein Übertragungsvorgang von Hoheits­rechten zugrunde, der sich seinerseits zergliedert in die Ausstattung der Union mit eigenen Hoheitsrechten durch gemeinschaftlichen Gründungsvertrag sowie die korrespondierenden nationalen Übertragungsrechtsakte.17 Ganz in diesem Sinne lesen sich auch die deutschen Staatszielbestimmungen in Art. 23 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG, die davon sprechen, dass zum Zwecke einer Verwirklichung des vereinten Europas „Hoheitsrechte“ übertragen werden können. So lässt sich zumindest mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts – welches im Übrigen aber der Auffassung ungeteilt mitgliedstaatlicher Souveränität anhängt – konzedieren, dass „der Begriff des Verbundes [i. e. hier die EU] eine enge, auf Dauer angelegte 13

Grundlegend und im Überblick dazu Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 144 ff.; siehe auch Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 429 ff., 439; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 2000, S. 530 ff., 534 ff.; vgl. auch Haltern, Was bedeutet Souveränität?, 2007, S. 98 ff. 14 Bekanntheit erlangt hat bspw. die Auffassung von „fusionierter Souveränität“, wie bei Ophüls, in: NJW 1951, S. 289 f.; auch Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, 1969, S. 40 f. 15 Zitiert nach Hallstein, in: Oppermann (Hrsg.), Europäische Reden, 1979, S. 70, 73. 16 Auf dieses Ergebnis stellt auch Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 230, ab; ders., in: FS Scheuner, 1973, S. 211, 214 f.; siehe auch Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 147 f.; Magnette, L’Europe, l’État et la démocratie, 2000, S. 156; die dargestellte Uneinigkeit im Schrifttum – des Inhalts: Souveränitätsübertragung oder nicht? – ist in manchen Fällen wohl auch deshalb bereits auf diese Weise aufzulösen, weil weder die englische noch die französische Sprache zwischen Hoheitsgewalt und Souveränität unterscheidet; es ist jeweils von „souveraineté“ bzw. „sovereignty“ die Rede, vgl. dazu Pescatore, Le droit de l’integration, 1972, S. 34; insofern auch zu beachten Kunz, in: AJIL 1952, S. 690, 697; Besson, in: MPEPIL, 2011, Rn. 81 ff. 17 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 60; ausführlich König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 2000, S. 61 ff.

B. Abgrenzung der Grundmuster als begriffliches Gegensatzpaar 

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Verbindung souverän bleibender Staaten erfasst, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt […]“.18 Von Bedeutung in diesem Zusammenhang ist des Weiteren, dass sich nicht schlechterdings eine Summe abgetretener, ehemals mitgliedstaatlicher Hoheitsrechte bilden lässt, die nunmehr der Union innewohnen. Eine solche – eher an „zivilistische“ Rechteabtretungen erinnernde – Ansicht lässt sich mit der tatsächlichen Verfasstheit der Union nicht in Einklang bringen, der ganz eigene Hoheitsrechte innewohnen, welche vielfach ohne Beispiel in mitgliedstaatlichen Verfassungen sind.19 Und doch: Überall dort, wo eine solche Übertragung von Hoheitsrechten stattgefunden hat, erhält das Muster der Supranationalität Kontur. Darin liegt der letztlich entscheidende Unterschied zu intergouvernementalen Formen staatlicher Zusammenarbeit – hierbei bleiben die sich zusammenschließenden Staaten im vollen Besitz ihrer Hoheitsgewalt und allen damit verbundenen Hoheitsrechten (zur gegensätzlichen Begriffsgenese infra B.).20 Von der supranationalen Vorstellung einer Übertragung von Hoheitsrechten ist schließlich der Schritt zum Begriff der (europäischen) Integration nicht mehr weit (infra C.).21

B. Abgrenzung der Grundmuster als begriffliches Gegensatzpaar Den titelgebenden und für die Forschung zentralen Begriffe dieser Arbeit, „Supranationalität“ und „Intergouvernementalismus“, die hier ausschließlich im Kontext der Verfasstheit der Europäischen Union zu verstehen sind, weist die Rechtswissenschaft ausgehend vom jeweiligen Wortstamm  – also „supranational“ und „intergouvernemental“  – jeweils verschiedenartige Bedeutungsebenen zu. Diese lassen sich in normative (dazu infra I. 2.) und deskriptive (dazu infra I. 3. und infra I. 4.) Kategorien gruppieren.22 Dabei können allerdings bislang weder die Rechtwissenschaft23 noch Nachbarwissenschaften24 mit einer allgemein an 18

BVerfG, „Lissabon-Urteil“ vom 30.06.2009, 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, Ls. 1. 19 König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 2000, S. 59 ff. 20 Vgl. Sachs-Streinz, 2018, Art. 23 GG, Rn. 58. 21 König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 2000, S. 34 ff., 38; vgl. Mosler, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 911, 921. 22 Vgl. Streinz, in: European Legal Methodology, 2017, S. 151, 156; vgl. auch die Unter­ suchungsansätze „Normativität“ und „Gestaltungsstruktur“ bei Delfs, Komplementäre Inte­ gration, 2015, S. 51 ff. 23 Thym, in: AVR 2012, S. 125, 139; Hinarejos, The Euro Area Crisis in Constitutional Perspective, 2015, S. 87. 24 Vgl. stellvertretend für die Politikwissenschaft Bickerton / Hodson / Puetter, in: JCMS 2015, S. 703, 705; mit Hinweis auf uneinheitliche Verwendungen dies., in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 42 ff.; aus historischer Sicht schreibt G. Mann, Deutsche Geschichte

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

erkannten Definition des Begriffs „intergouvernemental“ aufwarten.25 Auch der Begriff der Supranationalität erscheint bisweilen nicht eindeutig.26 Hinzu tritt eine weitere Schwierigkeit beim Vorhaben einer begrifflichen Abgrenzung: Bereits Rudolf Bindschedler hält im „Wörterbuch des Völkerrechts“ von 1961 fest, dass der Übergang zwischen intergouvernementalen internationalen Organisationen – oder „internationalen Organisationen des klassischen Typs“, wie er sie nennt – und supra­nationalen Organisationen „fließend“ sei, weil sich Fälle ausmachen lassen, in denen supranationale und intergouvernementale Elemente gemischt auftreten.27 Gemein ist sodann aber allen individuellen Nutzbarmachungen der Begriffe, dass sie stets in einem irgendwie gearteten, antonymischen Verhältnis einander gegenüberstehen.28 Daher greift die folgende Darstellung an vielen Stellen auf Elemente einer Begriffsherausbildung mittels Negativdefinition zurück. Allgemein führt dies zu folgendem  – vorweggenommenen  – Schluss: Je mehr die europäischen Mitgliedstaaten – und ganz im Wortsinne stellvertretend für diese die jeweilige nationale Gubernative  – innerhalb der Union in Vollbesitz ihrer Hoheits­rechte agieren, desto eher lässt sich der Begriff vom Intergouvernementalen applizieren.29 Das bedeutet gleichzeitig, dass intergouvernemental ist, wo die Mitgliedstaaten, und nicht etwa die Union als solche selbst, die Hauptakteure des europäischen Handelns sind.30 Ein Blick in die frühere Neuzeit Europas drängt sich förmlich auf: Das „Kongreß-Europa“, welches die gegen Kaiser Napoleon I. siegreiche Koalition spätestens 1815 etablierte, könnte man als einen Prototypen der intergouvernementalen Zusammenarbeit in Europa verstehen; so fußte dieses Europa doch auf dem Prinzip gemeinsamen europäischen Handelns bei gleichzeitigem Beharren auf einer kategorischen „Ichsucht“ der einzelnen Macht,31 welches letztlich in einem System des Gleichgewichts der Mächte resultierte.32 Um europa-(verfassungs-)rechtlichen Zwecken zu dienen, muss die folgende Begriffsherausbildung gerade von der Verfasstheit der EU und ihrer Vorgänger im des 19. und 20. Jahrhunderts, 1958, S. 48, bspw. über die Aufklärung im 18. Jahrhundert als einer „übernationalen Geistesbewegung“, wenngleich damit auch nicht mehr als die Beobachtung eines grenzüberschreitenden Phänomens gemeint sein dürfte. 25 Vgl. auch Eijsbouts / Reestman, in: ECLR 2015, S. 425, 426. 26 Siehe bspw. Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, 2018, S. 29 Rn. 61; auch dieser Umstand scheint dem Begriff schon in seinen jüngeren Zeiten eigen gewesen zu sein, siehe Schwantes, Die Supranationalität, 1962, S. 1. 27 Bindschedler, in: WV, Bd. 2, 1961, S. 70, 75.; dabei ist zu beachten, dass die Regelform der Internationalen Organisation auch heute noch intergouvernemental ist; vgl. Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: MPEPIL, 2014, Rn. 21. 28 Vgl. den Versuch einer Begriffsbildung von Pechstein, in: JZ 2010, S. 425, 426. 29 Vgl. Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 14; Stone Sweet / Sandholtz, in: European Integration and Supranational Governance, 1998, S. 1, 8.; siehe bereits Hay, Federalism and Supranational Organizations, 1966, S. 69. 30 Diese Definition legt Haltern, Europarecht und das Politische, 2005, S. 142, zugrunde. 31 G. Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 1958, S. 114 ff., 117. 32 Dazu Verosta, Europäisches Gleichgewicht, in: WV, 1960, S. 483, 484 f.; vgl. auch Bourquin, in: FS Wehberg, 1956, S. 89.

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Laufe der Zeit ausgehen (sodann allerdings sinnvollerweise nicht bis zum Metter­ nich-Europa des Wiener Kongresses zurückblicken). Wenn die Politikwissenschaft dem Begriffspaar „supranational“ und „intergouvernemental“ schließlich noch weitere Bedeutungsebenen zuweist,33 so sind diese für die vorliegende Unter­ suchung ohne analytische Bedeutung – sie soll sich auf eine allein dem rechtswissenschaftlichen Anliegen dienende Begriffsherausbildung beschränken. Die folgende Darstellung orientiert sich stattdessen an einer grundlegenden Untersuchung Peter Hays,34 dessen erforschte Supranationalitäts-Kategorien sich bis heute weder kategorial gewandelt haben noch aus heutiger Sicht kategorial zu ergänzen sind.35

I. Unterscheidung nach Begriffskategorien 1. Intergouvernementalismus und Intergouvernementalität Vorweg ist am intergouvernementalen Begriff selbst eine Unterscheidung mit dem Ziel der terminologischen Präzisierung vorzunehmen. So bezeichnet der Begriff „Intergouvernementalismus“ für die Zwecke dieser Arbeit die Gesamtheit einzelner intergouvernementaler Erscheinungen, gleichsam als Methode der Politikgestaltung.36 Intergouvernementalismus steht mit anderen Worten für eine spezifische Form der zwischenstaatlichen Herbeiführung gemeinsamer politischer Lösungen. Anders der Begriff „Intergouvernementalität“, der in Abgrenzung zum abstrakteren Begriff „Intergouvernementalismus“ eine tatsächliche Rechtsordnung oder den Teil einer solchen beschreibt. Im Unterschied zum auf die Methode ausgerichteten Begriff „Intergouvernementalismus“, kommt „Intergouvernementalität“ demnach eine systemische Bedeutung zu. Damit stellt die Intergouvernementalität das eigentliche terminologische Gegenteil von Supranationalität dar, wie im Folgenden anhand der unterschiedlichen Begriffskategorien aufgezeigt.

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Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 43 f., mit Hinweis auf unterschiedliche politisch-institutionelle „Verhaltensnormen“, die mit jedem der beiden Begriffe jeweils verbunden sind. 34 Hay, Federalism and Supranational Organizations, 1966, S. 31 ff. 35 Vgl. auch bereits Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 271; sowie ganz ähnlich und vor Hay bereits Schwantes, Die Supranationalität, 1962, S. 37. 36 Vgl. „1789 and all that“, in: The Economist, 11. Februar 2012: „Intergovernmentalism is the new fashion“; ein Verständnis wie hier legt auch Haltern, in: Certain Rectangular ­Problems of European Integration, 1996, S. 4, zugrunde.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

2. Normative Supranationalität – normative Intergouvernementalität? Supranationalität findet sich begrifflich häufig im Kleid der prominent von Joseph Weiler erstmals so titulierten „normativen Supranationalität“37 wieder.38 In diesem Fall soll Supranationalität Weiler zufolge die dezidierte supranationale Wirkung des Unionsrechts beschreiben, wie sie auf die Rs. „Van Gend en Loos“ aus dem Jahr 1963 zurückgeht und mit der Rs. „Costa / E.N.E.L.“ vom EuGH nur wenig später, 1964, weiterentwickelt wurde – interessanterweise handelte es sich Anfang der 60er-Jahre um eine Zeit, in der die europäische Einigungsidee sowohl politisch als auch institutionell-strukturell wenig greifbaren Fortschritt erzielte, und der EuGH (sozusagen) gegen den Trend agierte.39 In vielen Darstellungen heutzutage ist gerade diese normative Supranationalität sogar das einzige wesentliche defini­torische Merkmal des Supranationalitätsbegriffs;40 das liegt wohl daran, dass viele Darstellungen praktischerweise an Rechtsfolgen orientiert sind, oder darauf abzielen, gerade das Unionsrecht zu charakterisieren.41 Das Konzept der normativen Supranationalität beruht auf drei wesentlichen Eigenschaften:42 erstens und zweitens auf der Vorrangwirkung des Unionsrechts und auf ihrer Voraussetzung, der unmittelbaren Anwendbarkeit, sowie drittens der Sperrwirkung des Unionsrechts. Mit dieser Eigenschaften-Trias geht sodann aber einher, dass der normativen Supranationalität nur dort Bedeutung zukommt, wo dem Einzelnen von der Unionsrechtsordnung Rechte gewährt werden.43 Erkennbar zurückzuführen ist dies darauf, dass der EuGH sein spezifisches Verständnis von 37 Nicht zu verwechseln damit, dass der EGKS-Vertrag in Art. 9 bereits ausdrücklich von Supranationalität sprach und den Begriff mithin auch „normativierte“, indem er die Mitgliedstaaten verpflichtete, die Autorität der Behörde zu achten, siehe Zuleeg, in: integration 1988, S. 103, 106. 38 Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 271, 273 ff. spricht eigentlich von „normativen Supranationalismus“, weil er insbesondere auf die dem Phänomen zugrundeliegenden Aktivitäten des EuGH abstellt; in einem späteren und berühmt gewordenen Aufsatz verwendet Weiler, Yale Law Journal 1991, S. 2403, den Begriff nicht mehr ausdrücklich; dazu auch Maduro, in: Der Staat 2007, S. 319, 322 f.; Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 51 f. und 284 ff.; siehe bereits Ipsen, in: FS Scheuner 1973, S. 211, 222 ff., der neben den hier herausgearbeiteten Merkmalen zusätzlich auf gemeinsame Interessen und Zielorientierung (S. 216 ff.) sowie die Autonomie der europäischen Rechtsordnung (S. 220 ff.) als die Supranationalität definierende Merkmale rekurriert. 39 Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 270. 40 Bspw. Bergmann-Hoppe, 2015, „Supranationalität“; oder von Arnauld, Völkerrecht, 2014, S. 35, Rn. 91; eher ablehend indes noch Rosenstiel, Le principe de „supranationalité“, 1962, S. 44 f. 41 Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Nettesheim, 66. EL 2019, Art. 1 AEUV Rn. 65 f.; vgl. auch Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, 2007, S. 147 f. 42 Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 279, der hieran eine Parallele zu föderalen Systemen festmacht; zuletzt auch übersichtlich bei Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 39 ff. 43 Vgl. Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 39 f.

B. Abgrenzung der Grundmuster als begriffliches Gegensatzpaar 

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Supranationalität in den erwähnten grundlegenden Urteilen unter Bezugnahme auf Freiheitsrechte und den Schutz vor Diskriminierung entwickelte. Die vielzitierten Dogmen lauten: „[…] die Gemeinschaft stellt eine neue Ordnung des Völkerrechts dar […], deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen.“44; sowie „[…] den Mitgliedstaaten ist es unmöglich, gegen eine von ihnen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommene Rechtsordnung nachträgliche einseitige Maßnahmen ins Feld zu führen. Solche Maßnahmen stehen der Anwendung der Gemeinschaftsrechtsordnung daher nicht entgegen.“45 – die Prinzipien unmittelbarer Anwendbarkeit und der Vorrang­ wirkung des Unionsrechts waren geboren. Ausfluss der Vorrangwirkung des (supranationalen) Unionsrechts ist zudem seine Sperrwirkung, die den nationalen Gesetzgeber daran hindern möchte, bei einschlägiger Unionskompetenz selbst legislativ tätig zu werden.46 Der Begriff von normativer Supranationalität dient also der Normen­ hierarchiebildung im Verhältnis zwischen Unionsrecht und nationalem, mitgliedstaatlichem Recht.47 Eine normative Intergouvernementalität ist demgegenüber nicht bekannt. Freilich gibt es auch keinen Bedarf für eine spezifische Normativität des Intergouvernementalen; stehen einer Rechtsnorm nämlich aufgrund mangelnder supranationaler Herkunft die besonderen Wirkmechanismen im Verhältnis zu nationalem Recht nicht zu, so sind Fragen ihrer Normativität regelmäßig solche, die zum einen völkerrechtlich sowie zum anderen national und regelmäßig verfassungsrechtlich beantwortet werden. Dabei kommt der nationalen verfassungstraditionellen Präferenz entweder der monistischen oder der dualistischen Doktrin48 genauso wie der durchaus verfassungsindividuell verschiedenartigen Normqualität, die völkerrechtlichen Vereinbarungen zugebilligt wird,49 hervorgehobene Bedeutung zu. Der nationalverfassungsrechtlich bisweilen sehr unterschiedliche Umgang mit intergouvernementalen Normen zeigt aber, dass die Genese eines allgemeingültigen Verständnisses normativer Intergouvernementalität nicht zielführend sein kann. Deshalb ist an dieser Stelle angezeigt, negativ zu definieren: Eine Norm, der im 44

EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26–62 („Van Gend en Loos“), ECLI:EU:C:1963:1, S. 25. 45 EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs. 6–64 („Costa / E.N.E.L.“), ECLI:EU:C:1964:66, S. 1269 f. 46 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Nettesheim, 66. EL 2019, Art. 288 AEUV Rn. 130; Vedder / ​ Heintschel von Heinegg-Vedder, 2018, Art. 288 AEUV Rn. 32; hintergründig Bauerschmidt, in: EuR 2014, S. 277; siehe auch bereits Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 277. 47 Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 271. 48 Überblick bei Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, 2003, S. 334 ff.; de Witte, in: The Evolution of EU Law, 2011, S. 323, 325; siehe auch von ­Arnauld, Völkerrecht, 2014, S. 204 f. 49 Siehe bspw. Herdegen, Völkerrecht, 2018, § 22 Rn. 6.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Geltungsbereich der EU die supranationalen Wirkungen nicht zukommen, wirkt regelmäßig nur intergouvernemental; das bedeutet, dass sie im Verhältnis zum nationalen Rechtskreis gerade nicht normativ-supranational wirkt, sondern (einfach) völkerrechtlich50 – als Beispiel aus dem heutigen Unionsrecht wird vielfach die Rechtsmaterie der GASP angeführt.51 Auch Pechstein setzt bei seinem Versuch einer Begriffsgenese „intergouvernemental“ mit völkerrechtlicher Wirkung gleich und versteht gerade dies als Gegensatz zur Supranationalität.52 Daher bleibt es aber dabei, dass es keine spezifische normative Integouvernementalität gibt und auch kein Bedarf für eine solche Kategorie erkennbar ist. 3. Supranational und intergouvernemental als institutionsbezogene Begriffe Darüber hinaus kommt sowohl dem Begriff der Supranationalität als auch demjenigen der Intergouvernementalität jeweils seine eigene, spezifisch institu­tionelle Bedeutung zu. Im Falle der Supranationalität handelt es sich dabei um die – mit Wirkrichtung gegenüber den Mitgliedstaaten ausgestaltete – Unabhängigkeit der Institutionen.53 Die Union besitzt in Gestalt der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, des Europäischen Gerichtshofs54 und seit jüngster Zeit der Europäischen Zentralbank vier den Mitgliedstaaten gegenüber selbständige Organe. Ihre jeweiligen Organwalter – wenngleich auch von den Mitgliedstaaten entsandt55 – sind Vertreter der Union, und nicht etwa Vertreter der jeweiligen Mitgliedstaaten oder gar von mitgliedstaatlichen Regierungen.56 Die Unabhängigkeit der Institutionen 50

Vgl. Streinz, in: European Legal Methodology, 2017, S. 151, 154 f.; Pechstein / Drechsler, in: Europäische Methodenlehre, 2015, S. 129 Rn. 8; de Witte, in: Yearbook of European Law, 2011, S. 323, 361 f., weist zurecht darauf hin, dass die Wirkungen der „normativen Supranationalität“ letztlich auch völkerrechtlich konstruierbar wären, ohne sich auf die Besonderheit der Unionsrechtsordnung zu berufen – sein Argument lautet: pacta sunt servanda. 51 Dazu Pechstein, in: JZ 2010, S. 425 ff.; Thym, in: AVR 2012, S. 125 ff.; sowie Haratsch  / ​ Koenig / Pechstein, Europarecht, 2018, S. 30 f. 52 Pechstein, in: JZ 2010, S. 425, 426; dazu auch Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, Erster Band, 2002, S. 81. 53 Dazu schon Jaenicke, in: ZaöRV 1951, S. 46, 50 f.; Ipsen, in: FS Scheuner, 1973, S. 211, 218; anders Zuleeg, in: integration 1988, S. 103, 104, der Gefallen daran findet, den Begriff schlechterdings für alle internationalen Organisationen nutzbar zu machen; dann aber wie hier ebd., S. 106; wie hier schon von Lindeiner-Wildau, La supranationalité en tant que principe de droit, 1970, S. 3. 54 Siehe dazu Streinz, in: European Legal Methodology, 2017, S. 151, 155. 55 Dass es darauf nicht ankommt, sondern auf eine „sachliche Unabhänigkeit“ stellt auch schon Ipsen, in: FS Scheuner, 1973, S. 211, 218, heraus. 56 Vgl. bereits Jerusalem, Das Recht der Montanunion, 1954, S. 26; Lenaerts / Van Nuffel, European Union Law, 2011, S. 17 Rn. 1–021, verweisen zusätzlich darauf, dass das Europäische Parlament das einzige Organ der EU ist, dessen einzelne Repräsentanten nicht von mitglied-

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beruht insbesondere auf jener unabhängigen Stellung der Organwalter; so heißt es in Art. 17 Abs. 3 Uabs. 3 Sätze 1 und 2 EUV (und ähnlich schon in Art. 9 Abs. 5 und 6 EGKS-Vertrag), dass die Mitglieder der Kommission weder von einer (national-​ mitgliedstaatlichen) Regierung noch jeder anderen Stelle Weisungen entgegennehmen dürfen. Jean-Claude Piris ging in seiner vielfach zitierten Schrift „The Future of Europe“ gleichwohl so weit, das Wirken der Kommission als intergouvernemental zu bezeichnen.57 Er führte dies darauf zurück, dass nach altem Primärrecht alle Mitgliedstaaten jeweils einen Vertreter in die Kommission entsendeten.58 Dieser sei aufgrund seiner Abstammung stets abhängig von der jeweiligen nationalen Regierung gewesen. Piris’ Ansicht kann und konnte aber aufgrund der Regelung zur Unabhängigkeit der Kommissare in Art. 17 Abs. 3 Uabs. 3 Sätze 1 und 2 EUV nicht überzeugen. Kommissare sind die Hüter der Unionsverträge und gerade keine Vertreter der Mitgliedstaaten.59 Die Idee einer supranationalen – hier im Sinne einer unabhängigen – Institutionenlandschaft war bereits im Schuman-Plan, vor allem aber in seiner Umsetzung, dem EGKS-Vertrag, enthalten.60 Weil dem aber so ist, handelt es sich im Fall der institutionellen Unabhängigkeit um eine deutlich ältere Bedeutungsebene des Rechtsbegriffs „Supranationalität“ als noch diejenige der heute gleichwohl vielfach in Fragen der Exegese dominierenden „normativen Supranationalität“. Wenn aber somit schon vor den das Verständnis der „normativen Supranationalität“ prägenden Urteilen das Muster der Supranationalität im europäischen Primärrecht verankert war, so spricht einiges dafür, dass es sich hierbei auch um die eigentliche und ursprüngliche Bedeutungsebene handelt.61 Ihre unionsrechtlich besondere Bedeutung gewinnt die Unabhängigkeit der supranationalen Institutionen allerdings erst in Zusammenschau mit den ihnen (i. e. den Institutionen) übertragenen Befugnissen.62

staatlichen Regierungen ernannt werden; ähnlich von Lindeiner-Wildau, La supranationalité en tant que principe de droit, 1970, S. 8. 57 Piris, The Future of Europe, 2012, S. 132. 58 Seit 1. November 2014 ist die Kommission jedoch nach Art. 17 Abs. 5 Uabs. 1 EUV regelmäßig nicht mehr aus je einem Mitglied eines jeden Mitgliedstaats zusammengesetzt. Allerdings wurde von dieser Regel zuletzt am 22. Mai 2013 eine Ausnahme gemacht, sodass auch weiterhin jeder Mitgliedstaat einen Vertreter entsendet, siehe Beschluss des Europäischen Rates vom 22. Mai 2013, EUCO 119/13. 59 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Martenczuk, 66. EL 2019, Art. 17 EUV Rn. 74; Geiger / K han / ​ Kotzur-Geiger, 2017, Art. 17 EUV Rn. 1; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Schmidt / Schmitt von Sydow, 2015, Art. 17 EUV Rn. 98; vgl. auch Weiler, in: Yearbook of European Law, 1981, S. 267, 281 f. 60 Ophüls, in: NJW 1951, S. 289 ff.; siehe auch Mosler, in: FS Hallstein, 1966, S. 355 ff.; siehe auch Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7. 61 Ähnlich von Lindeiner-Wildau, La supranationalité en tant que principe de droit, 1970, S. 8. 62 Majone, Europe as the Would-be World Power, 2009, S. 179 ff.; Schweitzer, in: FS Armbruster, 1976, S. 75, 76.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Entscheidend für die Qualifikation als supranational ist nämlich nicht die Selbständigkeit der Organe per se. Erheblich wird die Selbständigkeit erst durch die Befugnis der (selbständigen) Organe, rechtsverbindliche Entscheidungen auch gegenüber den Mitgliedstaaten und den einzelnen Rechtsunterworfenen zu treffen. Prominent sind z. B. die jeweiligen Rollen, die die Kommission (allgemein Art. 17 Abs. 2 EUV) und das Europäische Parlament (allgemein Art. 14 Abs. 1 Satz 1 EUV) bei der Unionsgesetzgebung spielen. Auch wenn der individuelle Beitrag eines der beiden Organe für sich genommen die Mitgliedstaaten nicht bindet; indem – je nach spezifischem Gesetzgebungsverfahren – der jeweilige Beitrag des Organs unersetzlich ist, kommt seiner Entscheidung zumindest mittelbare Rechtsverbindlichkeit gerade auch gegenüber den Mitgliedstaaten zu. Daneben weisen die Unionsverträge bspw. ein eigenes und verbindliches System zur Durchsetzung von Unionsrecht gegenüber den Mitgliedstaaten auf (Art. 258 ff. AEUV). In seinem Rahmen kommen sowohl Entscheidungen der supranationalen Kommission wie auch solche des supranationalen EuGH erhebliche Bedeutung im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten zu. Entscheidungsbefugnisse wie die Initiierung eines Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258 AEUV) oder der daraufhin erfolgende Richterspruch sind es, die die institutionelle Unabhängigkeit erst in einem überstaatlichen Sinn ausgestalten. Das Streitbeilegungssystem der Unionsverträge hat zudem Anspruch auf Ausschließlichkeit (Art. 344 AEUV); das heißt, in einem Rechtsstreit parteinehmende Mitgliedstaaten können Verfahrensgegenstände mit Bezug zur Auslegung und Anwendung von Unionsrecht nicht bei anderen (internationalen oder nationalen) Gerichten anhängig machen,63 sondern müssen sich mit dem supranationalen Verfahren begnügen. Daneben kommt der Kommission manchmal auch die Rolle einer (obersten) Behörde zu, wie z. B. der Bereich der europäischen Wettbewerbspolitik (Eingriffsbefugnisse nach Art.  105 und 108 AEUV) verdeutlicht.64 Anders gestaltet – und daher nicht genuin supranational – ist aber der Euro­ päische Rat (Art. 15 EUV). Er repräsentiert vielmehr ein intergouvernementales Element in der institutionellen Ordnung der EU. Seine Organwalter sind Repräsentanten der an der Union mitgliedschaftlich beteiligten Staaten und somit abhängig von den Staaten und ihren jeweiligen Regierungen.65 Es ist gerade jene Abhängigkeit von nationalstaatlichen Regierungen, die den Begriff der Intergouvernementalität – auch unabhängig von der EU – vornehmlich prägt. Nichtregierungsorganisationen, und die ihnen gegebenenfalls eigenen Organe, sind mithin bereits per

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Calliess / Ruffert-Wegener, 2016, Art. 344 Rn. 1. Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 282. 65 Puetter, The European Council & The Council, 2014, S. 43; allgemein Bindschedler, in: WV, Bd. 2, 1961, S. 70, 75 ff., der im Falle einer mit intergouvernemental ausgestalteten Orga­nen versehenen Einheit von einer „internationalen Organisationen des klassischen Typs“ spricht; vgl. zur Rolle des Europäischen Rates und seines Präsidenten Armstrong, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 65, 72 ff. 64

B. Abgrenzung der Grundmuster als begriffliches Gegensatzpaar 

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definitionem keine intergouvernementalen Institutionen;66 alles andere wäre aber auch schwerlich mit dem Wortlaut zu vereinbaren. Intergouvernementale Institutionen oder Organe treffen Entscheidungen, die ihrerseits unmittelbar auf Entscheidungen mitgliedstaatlicher Entscheidungsträger (der Regierungen) zurückzuführen sind; maßgebliches Kriterium der Unterscheidung ist demnach die Abhängigkeit der Organwalter eines Organs von „Instruktionen ihrer Regierungen“67. Diesem Kriterium nach zu urteilen müsste neben dem Europäischen Rat auch der Rat als intergouvernementales Organ einzuordnen sein, wie es verbreitet geschieht.68 Denn auch der Rat ist besetzt mit Vertretern nationaler Regierungen (Art. 16 Abs. 2 EUV). Nimmt man das Abhängigkeits-Kriterium ernst, so kann es ferner grundsätzlich nicht darauf ankommen, ob die an einer entsprechenden Institution beteiligten Staaten nur einstimmig Beschlüsse fällen können.69 Denn ob Mehrheitsentscheidung oder nicht: Durch den Abstimmungsmodus allein ändert sich nichts daran, ob die maßgebliche Abhängigkeit von nationalen Regierungen vorliegt. Auch wenn der Rat deshalb anders als der Europäische Rat – der nach Art. 15 Abs. 4 EUV ohnehin grundsätzlich im Konsens beschließt – Entscheidungen regelmäßig mittels qualifizierter Mehrheit gemäß Art. 16 Abs. 3 und 4 EUV fällt, ändert sich prima facie nichts an seiner Einordnung als intergouvernementale Institution. Gleichwohl muss der Rat differenzierter als der Europäische Rat betrachtet werden.70 Im Unterschied zum Europäischen Rat ist der Rat neben Kommission und Europäischem Parlament tief eingebettet in die supranationale Organstruktur der Union.71 Dies führt dazu, dass der Rat gerade nicht nur in Abhängigkeit von nationalen Regierungen politische Entscheidungen fällt. Vielmehr ist die Wirksamkeit seiner Beschlüsse entscheidend von supranationalen Organen und Interessen72 abhängig, wofür exemplarisch seine Ko-Gesetzgeberschaft mit dem Europäischen Parlament (Art. 16 Abs. 1 EUV), vor allem aber das grundsätzliche Initiativrecht der Kommission (Art. 17 Abs. 2 EUV) steht. Der Rat ist deshalb zwar einerseits

66 Vgl. zu dieser Gegensätzlichkeit Meng, Das Recht der internationalen Organisationen – eine Entwicklungsstufe des Völkerrechts, 1979, S. 43, der „intergovernmental organizations“ „nongovernmental organizations“ entgegenstellt; Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: MPEPIL, 2014, Rn. 12. 67 So schon Bindschedler, in: WV, Bd. 2, 1961, S. 70, 75. 68 Puetter, The European Council & The Council, 2014, S. 43; Haltern, Europarecht und das Politische, 2005, S. 139 ff. 69 So schon Bindschedler, in: WV, Bd. 2, 1961, S. 70, 75. 70 So schon Pescatore, The Law of Integration, 1974, S. 7; ihm folgend Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 282. 71 Siehe dazu infra 4.a); aus ähnlichen Gründen ist Corbett, On the Community Method, 2011, S. 2 f., sogar kritisch im Hinblick auf eine Einordnung des Europäischen Rates als intergouvernemental. 72 Siehe dazu auch L.-J.  Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. 1, 1977, S. 410.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

mit Intergouvernementalität versehen; andererseits trägt er aber auch supranationale Züge und ist deshalb weder streng ausschließlich der einen noch der anderen Institutionengruppe zuzuordnen. 4. Supranational und intergouvernemental als verfahrensbezogene Begriffe – Gemeinschaftsmethode versus Koordinierung und „Unionsmethode“ a) Vielfalt europäischer Integrationsmethoden Walter Hallstein hob in seiner Hamburger Rede von 1958 einst auf einen weiteren Umstand ab, der das Wesen der europäischen Supranationalität bis heute ebenfalls prägen sollte: „[…] denn Supranationalität besteht darin, dass Entscheidungen ergehen können gegen den Willen einer nationalen Gewalt. Wo ein Repräsentant einer Regierung, ein Minister im Ministerrat, überstimmt werden kann, haben wir einen supranationalen Tatbestand vor uns.“73 Diese entscheidungs- und verfahrensbezogene Komponente des Supranationalitätsbegriffs arbeitete später auch Weiler in seinem erwähnten, berühmt rezipierten Aufsatz heraus und nannte sie „entscheidungsbezogene Supranationalität“.74 Kristallisationspunkt dieses verfahrensbezogenen Supranationalitätsbegriffs ist die sogenannte Gemeinschaftsmethode75 – ein Begriff, der sich weder im europäischen Primär- noch im Sekundärrecht wiederfindet.76 Dieses bisweilen auch in Anlehnung an den Vordenker „Monnet-Methode“77 genannte Verfahren europäischer Gesetzgebung basiert auf der Vorschlagsinitiative der Kommission (Art. 17 Abs. 2 EUV) mit anschließender Ko-Gesetzgeberschaft von Europäischem Parlament und Rat. Außerdem ist das Mehrheitsprinzip bei Entscheidungen im Rat Teil der Gemeinschaftsmethode (Art. 16 Abs. 3 EUV), welches dazu führen kann, dass Entscheidungen auch gegen den erklärten Willen eines Mitgliedstaats getroffen werden.78 Die Europäischen 73 Hallstein, in: Oppermann (Hrsg.), Europäische Reden, 1979, S. 70, 78; grundsätzlich zustimmend Ipsen, in: FS Scheuner, 1973, S. 211, 220. 74 Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 271 f.: „decisional supranationalism“, die allerdings begrifflich verknüpft ist mit der Unabhängigkeit der Institutionen (dazu supra 3.); siehe auch Haltern, in: Theorien der europäischen Integration, 2012, S. 339, 344, der mit „Entscheidungssupranationalismus“ übersetzt. 75 Calliess, in: FS Ress, 2016, S. 76, 92 f. 76 Definition der Gemeinschaftsmethode im White Paper „European Governance“ der Europäischen Kommission vom 25. Juli 2001, COM(2001) 428, abrufbar unter http://europa. eu/rapid/press-release_DOC-01-10_en.htm, S. 6; vgl. Schorkopf, in: Die Europäische Union am Scheideweg, 2015, S. 93, 96 ff. 77 Siehe Schorkopf, in: Die Europäische Union am Scheideweg, 2015, S. 93, 94 Fn. 3; vgl. Monnet, Erinnerungen eines Europäers, 1988, S. 348 f. 78 Prominent zuletzt die „Flüchtlingsumverteilung“ gegen die Stimmen von Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Tschechien, Beschluss (EU) 2015/1601; allerdings wird trotz der Möglichkeit zur Mehrheitsentscheidung häufig der Konsens aller Beteiligten gesucht, worauf Meng, Die Bankenabwicklungsregeln der EU – eine Fallstudie zur Unionsmethode, 2015,

B. Abgrenzung der Grundmuster als begriffliches Gegensatzpaar 

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Gemeinschaften und ihre zwölf damaligen Mitgliedstaaten führten das Element qualifizierter Mehrheitsentscheidungen im Rat der EWG erstmals mit der Einheitlichen Europäischen Akte ein, die am 1. Juli 1987 in Kraft trat. Das Element qualifizierter Mehrheitsentscheidung findet sich bis heute in Art. 16 Abs. 3 und 4 EUV wieder. Ein uneingeschränktes Vetorecht eines jeden Mitgliedstaats war fortan nicht mehr vorhanden. Im Ergebnis gaben die Mitgliedstaaten durch die Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte Hoheitsrechte ab.79 Auch nahm im selben Zug das Gewicht des gesetzgeberischen Initiativrechts der Kommission, heute in Art. 17 Abs. 2 EUV und Art. 294 Abs. 2 AEUV, zu.80 Schließlich konnten einzelne Mitgliedstaaten eine von der Kommission initiativ beschlossene Maßnahme regelmäßig nicht mehr mittels eines einzigen Vetos zu Fall bringen. Zuletzt beinhaltet der Begriff der Gemeinschaftsmethode auch die Überwachung der Unionsrecht- und Gesetzmäßigkeit der Handlungen von einzelnen Organen und Mitgliedstaaten durch den EuGH.81 Zwar gehört zur Realität des Vertrags von Lissabon auch, dass die Gemeinschaftsmethode an mehr als nur einer Stelle und auf verschiedene Art und Weise primärrechtlich modifiziert wird;82 bspw. gibt es vielfach Durchbrechungen des Mehrheitsprinzips im Rat, wie in Art. 113 AEUV. Und dennoch stellt die Gemeinschaftsmethode die „Default-Methode“83 der Integration im Sinne der Unionsrechtsordnung dar, wie nicht zuletzt ihr Niederschlag im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren in Art. 294 AEUV verdeutlicht. Jenseits bloß vereinzelter Modifikation der im Primärrecht angelegten Gemeinschaftsmethode enthält die Unionsrechtsordnung auch genuin andere (Integra­ tions-)Methoden. Wo dabei aber die Grenze zwischen bloßer Modifikation und der Genese einer eigenständigen, anderen Methode gezogen werden sollte, wird im Schrifttum nicht einheitlich beantwortet.84 Schwierigkeiten bereitet diese Frage schon deshalb, weil im Lauf der Jahrzehnte die Gemeinschaftsmethode notwendigen Anpassungen an neue politische Realitäten unterworfen war, wie zuvorderst erkennbar am zunehmenden politischen Gewicht des Europäischen Parlaments.85 Richtigerweise sollte eine Grenze dort gezogen werden, wo der supra­nationale S. 3, hinweist; siehe dazu empirisch https://www.euractiv.de/section/wahlen-und-macht/news/ ubersicht-zu-abstimmungen-des-ministerrates/; historisch zurückzuführen ist dies auf den sogenannten Luxemburger Kompromiss, vgl. dazu kritisch Hallstein, die Europäische Gemeinschaft, 1979, S. 112; vgl. dazu auch Craig, in: The Evolution of EU Law, 2011, S. 41, 44; vgl. auch Hallstein, in: FS Ophüls, 1965, S. 1, 9; vgl. dazu auch Weiler, in: YLJ 1991, S. 2403, 2461 ff. 79 Tsebelis / Garrett, in: International Organization 2001, S. 357, 359; vgl. Dehousse, in: The ‚Community Method‘, 2011, S. 3, 5. 80 G. Tsebelis / G. Garrett, in: International Organization 2001, S. 357, 359. 81 Vgl. Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267, 298 f. 82 Corbett, On the Community Method, 2011, S. 1 f.; Schorkopf, in: Die Europäische Union am Scheideweg, 2015, S. 93, 98 ff. 83 Dehousse, The Community Method, 2013; ähnlich Calliess, in: FS Ress, 2016, S. 76, 92. 84 Vgl. Schorkopf, in: Die Europäische Union am Scheideweg, 2015, S. 99 ff. 85 Vgl. Dehousse, The Community Method, 2013, S. 3 f.; Callies / Ruffert-Kluth, 2016, Art. 14 EUV Rn.  3 f.; siehe ausführlich Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hölscheidt, 66. EL 2019, Art. 14 EUV Rn. 5 ff.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Charakter, der in der Gemeinschaftsmethode tragend ist, nicht mehr als Bestand­teil einer Methode identifiziert werden kann. Das bedeutet: Je weniger die unabhän­gigen supranationalen Organe oder je weniger das Mehrheitsprinzip im Rat methodischer Bestandteil eines politischen Integrationsvorgangs sind – je weiter sich somit regelmäßig zugleich vom Modell nach Art. 289 Abs. 1, 294 AEUV (ordent­liches Gesetzgebungsverfahren) entfernt wird –, desto eher liegt eine andere Methode vor.86 Paradebeispiel ist die Politikkoordinierung:87 Im bereits erwähnten White Paper „European Governance“ stellte die Kommission die OMK vor, welche subsidiär dann zum Einsatz kommen sollte, wenn die („Default“-)Gemeinschaftsmethode (aus kompetenziellen Gründen) nicht anwendbar wäre.88 Das heutzutage berühmteste Beispiel für derlei Politikkoordinierung bildet die europäische Wirtschaftsbzw. die Haushaltspolitik – ein Politikbereich, der unter allen zu koordinierenden Politikbereichen die meisten primär- wie auch sekundärrechtlichen Vorschriften aufweist.89 Anders als im Fall der Gemeinschaftsmethode kommt bei der Politikkoordinierung – die aber genauso wie die Gemeinschaftsmethode durchaus auch verschiedenartig modifiziert in Erscheinung tritt – den Mitgliedstaaten regelmäßig die entscheidende Rolle zu;90 demgegenüber haben Europäisches Parlament und Kommission häufig nur Kontroll- bzw. unverbindliche Leitlinien- und Empfehlungs­ befugnisse inne. Der Politikkoordinierung geht es dabei weniger um Harmonisierung durch einheitliche Rechtsetzung, sondern vielmehr um Informationsaustausch zur Suche einer best practice, welche dann entsprechende nationale Rechtsetzung anregen soll;91 ihr bevorzugtes Instrumentarium ist soft law.92 Kennzeichen der Politikkoordinierung ist darüber hinaus auch das Einstimmigkeitsprinzip, sodass es sich insgesamt mangels supranationaler Verfahrenselemente um eine intergouvernemental ausgestaltete Integrationsmethode handelt, die ein verfahrensrechtliches Gegenmodell im Vergleich mit der Gemeinschaftsmethode darstellt.93 86

Vgl. die beiden von Dehousse, The Community Method, 2013, S. 2, genannten Merkmale; vgl. auch Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung, 1984, S. 96 f. 87 Vgl. Schorkopf, in: Die Europäische Union am Scheideweg, 2015, S. 93, 99; siehe dazu Braams, Koordinierung als Kompetenzkategorie, 2013, S. 8 ff.; siehe ausfühlrich dazu Schoen­ fleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 7 ff. 88 White Paper „European Governance“ der Europäischen Kommission vom 25. Juli 2001, COM(2001) 428, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_DOC-01-10_en.htm, S. 21; siehe auch Europäischer Rat 23. und 24. März in Lissabon, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/media/21030/europäischer-rat-lissabonschlussfolgerungen-des-vorsitzes.pdf; genauso wenig wie die Gemeinschaftsmethode erwähnt das Primärrecht auch den Begriff der Koordinierung nicht ausdrücklich, Schoenfleisch, Inte­ gration durch Koordinierung?, 2018, S. 8; und Braams, Koordinierung als Kompetenzkategorie, 2013, S. 8; hintergründig zur OMK Bodewig / Voß, in: EuR 2003, S. 310. 89 Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 8 f. 90 Insgesamt dazu Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 7 ff. 91 Möller, in: Das Europalexikon, 2013; vgl. auch Bodewig / Voß, in: EuR 2003, S. 310. 92 Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 17 ff. 93 Braams, Koordinierung als Kompetenzkategorie, 2013, S. 11 ff.; Armstrong, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 65, 76, spricht von „soft intergovernmentalism“.

B. Abgrenzung der Grundmuster als begriffliches Gegensatzpaar 

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b) Intergouvernementalismus und neue „Unionsmethode“? Neben Politikkoordinierung und Gemeinschaftsmethode tritt aber eine weitere, intergouvernementale Form gemeinschaftlicher Politikerzeugung in der EU:94 Es handelt sich um die Methode, der auch die hier forschungsgegenständlichen Übereinkommen der Eurokrisen-Reaktion entspringen, und die „intergouver­ nementale“ oder „zwischenstaatliche Methode“ genannt wird.95 Ihr methodisches Instrument ist die völkerrechtliche Kooperation, insbesondere mittels völkerrechtlicher Verträge;96 derartige Formen völkerrechtlicher Kooperation kommen sowohl innerhalb (dann nicht unbedingt Kooperation mittels völkerrechtlicher Verträge, z. B. GASP97) wie außerhalb des EU-Primärrechts98 (neben den hier forschungsgegenständlichen Übereinkommen z. B. das Schengener Recht) vor.99 Zudem wurde für Fälle von Intergouvernementalismus, in denen Mitgliedstaaten der EU beteiligt sind, der Begriff „Transgouvernementalismus“ vorgeschlagen.100 Dieser soll verdeutlichen, dass die Mitgliedstaaten der EU „intensiver“ kooperieren als dies in anderen internationalen Organisationen der Fall ist. Im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Supranationalität und Integouvernementalität führt er allerdings nicht weiter. In jüngster Zeit hat die zwischenstaatliche Methode außerhalb des Primärrechts­ rahmens anlässlich des intergouvernementalen Vorgehens in der Eurokrise mit dem Begriff „Unionsmethode“ offenbar eine neue Bezeichnung verliehen bekommen.101 Es war Angela Merkel, die diesen Begriff in einer Rede prägte.102 Laut Merkel sei die Unionsmethode auf die knappe Formel zu bringen: „Abgestimmtes solidarisches Handeln – jeder [i. e. die Union durch Unionsorgane sowie die Mitgliedstaaten] in seiner Zuständigkeit, alle für das gleiche Ziel“103. Es handele sich dabei um ein 94

Vgl. Dehousse, The Open Method of Coordination: A New Policy Paradigm?, 2002, S. 4; vgl. Hinarejos, The Euro Area Crisis in Constitutional Perspective, 2015, S. 87. 95 Siehe Bergmann, „Intergouvernementale Zusammenarbeit“, in: Handlexikon der Europäischen Union, 2015; siehe auch Europäische Kommission, 22. Mai 2002, Memo/02/102, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-02-102_de.htm. 96 Übersicht bei von Bogdandy / Bast / Heesen, in: ZaöRV 2002, S. 77, 124 ff. 97 Siehe dazu Pechstein, in: JZ 2010, S. 425 ff.; vgl. auch Thym, in: AVR 2012, S. 125 ff., der zumindest auf die Ähnlichkeit von GASP- und völkerrechtlichen Rechtsakten verweist. 98 Siehe dazu de Witte, in: Constitutional Change in the EU, 2000, S. 31; siehe z. B. auch die groß angelegte Systematisierung bei Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 9 ff. 99 Wallace, in: Policy-Making in the European Union, 2010, S. 69, 100 ff. möchte zwischen diesen beiden Fällen begrifflich differenzieren: „Intensive Transgovernmentalism“ soll die Kooperation innerhalb der Unionsrechtsordnung bezeichnen und „Intergovernmentalism“ lediglich für die externe Kooperation stehen. 100 Wallace, in: Policy-Making in the European Union, 2010, S. 69, 100 ff., wobei sie wörtlich von „intensive transgovernmentalism“ spricht; siehe auch Majone, Europe as the Would-be World Power, 2009, S. 193 f.; sowie ders., Dilemmas of European Integration, 2005, S. 163 ff. 101 Siehe Repasi, Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode, 2014; siehe dazu auch Editorial, in: ECLR 2015, S. 425 ff. 102 Angela Merkel, Rede vom 2. November 2010 am Collège d’Europe in Brügge. 103 Angela Merkel, Rede vom 2. November 2010, S. 6 f.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Verfahren, bei dem ein politisches Ziel zunächst auf Unionsebene determiniert und schließlich national umgesetzt werde – insofern erinnert die Methode deutlich an das Verfahren der Politikkoordinierung. Merkel führte indes noch weiter aus, dass es sich bei der Unionsmethode nach ihrem Verständnis um eine Mischung aus Gemeinschaftsmethode und koordinierendem, gemeinsamem Handeln der Mitgliedstaaten handele. Es zeigt sich, dass eine so verstandene Unionsmethode lediglich ein Sammelbegriff ist, dessen Hauptanliegen darin besteht, die Ausrichtung unterschiedlicher Ebenen104 (Union und Mitgliedstaaten) auf dasselbe Ziel zu verdeutlichen.105 Aufgrund dieser Sammel-Charakterisierung fällt es bereits schwer, bedingungslos das Attribut der Neuheit anzuerkennen.106 Ein solcher Begriff führt schließlich zu analytischer Unschärfe, da bereits unklar ist, welche Ebene konkret zuständig und welches spezifische Verfahren konkret in Gang gesetzt ist. Vor allem aber ist er – im Verständnis Angela Merkels in ihrer viel zitierten Rede – nicht gleichzusetzen mit der intergouvernementalen Methode: Dort werden die Mitgliedstaaten nämlich nach völkerrechtlichem Muster allein, d. h. ohne Zutun von Unionsorganen, und auf Basis des Einstimmigkeitsprinzips tätig.107

II. Zwischenergebnis 1. Die EU als Muster einer Begriffsgenese Die Begriffsgenese der Supranationalität (oder auch die Genese des intergouvernementalen Begriffs) muss sich zwangsläufig an der verfassten Gestalt der EU orientieren, stellt die EU doch den Mutterschoß der Supranationalität dar. Allerdings lässt sich aus der (vergangenen oder gegenwärtigen) Ausgestaltung der EU keine absolute Gewissheit über den Begriff „Supranationalität“ gewinnen. Zum einen würde eine solche absolut starre Begriffsherausbildung zukünftige Entwicklungen nicht abbilden – bereits ein oberflächlicher Blick in die Geschichte der europäischen Einigung zeigt nämlich, dass auch die Ausgestaltung der supranationalen Idee einem Evolutionsprozess unterworfen ist, wie anhand jeder der soeben dargestellten Kategorien nachempfunden werden kann. Zum anderen mangelt es an 104

Vgl. zum Ebenenbegriff im Mehrebenensystem Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 212 ff. 105 Vgl. Calliess, in: FS Ress, 2016, S. 73, 93; vgl. auch Meng, Die Bankenabwicklung der EU – eine Fallstudie zur Unionsmethode, 2015, S. 1, 2. 106 Kritisch Meng, Die Bankenabwicklung der Union – eine Fallstudie zur Unionsmethode, 2015, S. 2, f. 107 Vgl. Thym, in: AöR 2012, S. 125, 141; Zandonella, Pocket Europa, 2007, abrufbar unter http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-europa/16822/intergouvernemental; wohl auch Pechstein / Drechsler, in: Europäische Methodenlehre, 2014, S. 125, 128 Rn. 7; auch Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: MPEPIL, 2014, Rn. 16, sieht in (qualifizierten) Mehrheitsentscheidungen ein „supranationales Element“; vgl. hintergründig dazu Schwarz-Liebermann von Wahlendorf, in: WV, Bd. 1, 1960, S. 416.

B. Abgrenzung der Grundmuster als begriffliches Gegensatzpaar 

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einem vertrauenswürdigen Kriterium, anhand welchem bspw. abzumessen wäre, dass nur die von der Union vorgegebene Abstimmungsmehrheit supranational sein kann, jede andere aber nicht bzw. nur jede strengere, jede mildere aber nicht. Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Ausgestaltung der Union lediglich einen Anhalts­punkt zu liefern vermag. 2. Unterscheidung anhand der Allokation von Hoheitsrechten Die vorgenannten Kategorien Peter Hays können jeweils auf eine spezifische Allokation von Hoheitsrechten zurückgeführt werden: Entweder der Unionsebene fallen bestimmte (durch Übertragungsakte erlangte108) eigene Hoheitsrechte zu; dann handelt es sich um eine supranationale Gestaltungsform,109 die regelmäßig der normativen oder einer deskriptiven Kategorie zuzuordnen ist. Alternative intergouvernementale Gestaltungsformen sehen demgegenüber stets vor, dass die Mitgliedstaaten im „Vollbesitz“ ihrer Hoheitsrechte sind; allerdings üben die Mitgliedstaaten in intergouvernementalen Foren die Hoheitsrechte möglicherweise gemeinsam aus, wie z. B. im Fall der GASP.110 Die Hoheitsrechte bleiben aber auch in solchen intergouvernementalen Foren ungeteilt, weil jeder Mitgliedstaat zu jeder Maßnahme (normativ betrachtet oder im Rahmen institutioneller bzw. verfahrensmäßiger Ausgestaltung) einen eigenen unersetzlichen (Teil-)Zustimmungsakt erbringt. Hinarejos bezieht sich auf genau diese Gegensätzlichkeit zwischen Suprana­tionalität und Intergouvernementalismus und formuliert, dass der Intergouvernementalismus in „seiner reinsten Form“ auf dem Einstimmigkeitsprinzip beruhe, ohne dass die supranationalen Organe involviert seien; außerdem mangele es dem so geschaffenen Recht an den spezifischen Eigenschaften, die mit der normativen Supranationalität verbunden sind (dazu supra I. 2.).111 Was aber ist gemeint, wenn in diesem Kontext von Hoheitsrechten die Rede ist? Indizwirkung kommt dem deutsch-verfassungsrechtlichen Hoheitsrechtsbegriff zu, der vornehmlich in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Art. 24 Abs. 1 GG verankert wird.112 Das gilt jedenfalls für seine hauptsächlichen Begriffsmerkmale, die vom spezifisch 108 Siehe dazu supra A.; im Französischen ist von „transfer de compétence“ die Rede, siehe dazu Reuter, La Communauté européenne, 1953, S. 97; kritisch zum Begriff der Übertragung Hallstein, in: FS Ophüls, 1965, S. 1, 15. 109 Siehe schon Wehberg, in: Friedens-Warte 1954, S. 193, 209 f.; Ophüls, in: ZHR 1961, S. 136, 140. 110 Vgl. Schlochauer, in: FS Wehberg, 1956, S. 361, 363; vgl. Craig, in: The Evolution of EU Law, 2011, S. 13, 32. 111 Hinarejos, The Euro Area Crisis in Constitutional Perspective, 2015, S. 87. 112 Dazu Flint, Hoheitsrechte, 1998, S. 89 ff., der im Übrigen auch eine historisch-etymolo­ gische und deutsch-rechtshistorische Untersuchung anstrengt; vgl. auch Klein, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 1952, S. 11 ff.; siehe auch schon Schwantes, Die Supranationalität, 1962, S. 12; siehe für eine österreichische Perspektive Griller, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen, 1989, S. 154.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

grundgesetzlichen Kontext entkleidet sind und sich auf die Ausübung von Staatsbzw. staatsähnlicher Gewalt beziehen.113 Das wesentliche Begriffsmerkmal handelt von Hierarchisierung:114 Es geht um die Überordnung einer Ebene, deren Handeln rechtsgestaltend gegenüber untergeordneten Subjekten wirkt, das heißt gegenüber Bürgern, Behörden und Gerichten.115 Bezugspunkt sind sämtliche drei Staatsgewalten: Exekutive, Legislative und Judikative.116 Einer supranationalen Konstruktion ist deshalb im Unterschied zu einer intergouvernementalen stets eigen, dass die übergeordnete EU-Ebene rechtsverbindlich auftreten kann, ohne dass die Rechtswirkungen gegenüber dem einzelnen Subjekt notwendigerweise über einen ausdrücklichen Beitrag des zugehörigen Mitgliedstaats vermittelt sein müssen.

C. Antagonismus der Grundmuster in der europäischen Integrationsgeschichte I. Die Entstehung der Supranationalität 1. Frühe Entscheidungen für ein Grundmuster Die EU heute ist wie die EGKS damals eine überstaatliche, also eine mit einem „caractère supranational“ (Art. 9 EGKS-Vertrag)117 versehene, Organisation sui generis118; ihre supranationale Struktur lässt sich in normativen und deskriptiven Kategorien beschreiben, die gleichzeitig zur Negativdefinition des intergouvernementalen Grundmusters dienen (supra B. I.). Anders als noch im EGKS-Vertrag enthält das heutige europäische Primärrecht allerdings keine ausdrückliche Referenz zum Begriff der Supranationalität mehr;119 und auch im EGKS-Vertrag

113 Am Ende von Flints, Hoheitsrechte, 1998, S. 99, Untersuchung soll es sich hierbei sogar um das einzige einer etymologischen Analyse zu entnehmende Merkmal handeln. 114 Vgl. dazu auch die Unterscheidung zwischen Hoheitsrechten und Kompetenzen bei Flint, Hoheitsrechte, 1998, S. 100 ff.; vgl. dazu auch die Definition von Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 68 f. 115 König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 2000, S. 96 f.; Flint, Hoheitsrechte, 1998, S. 100. 116 König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 2000, S. 96; vgl. hierbei die Differenzierung zwischen „materiellen“ Gewalten und „formellen“ Gewalten bei Ruppert, Die Integrationsgewalt, 1969, S. 58. 117 Die deutsche Fassung lautete auf „überstaatlicher Charakter“; siehe auch Terhechte, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, S. 329, 346 Rn. 32. 118 Vgl. schon Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, 1969, S. 41. 119 Überhaupt schaffte es die ausdrückliche Bezugnahme des Begriffs „supranational“ kein anderes Mal mehr in europäische Einigungsverträge. Die einzigen weiteren Erwähnungen, im Vertrag über die Europäische Verteidigungsunion und die Europäische Politische Gemeinschaft, scheiterten, siehe Zuleeg, in: integration 1988, S. 103, 106; zu den Hintergründen Schneider, Institute for European Integration Research. Working Paper Series, 2010, S. 10; Hallstein, Der

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tilgte der Primärrechtsgeber 1965120 den Begriff „supranational“ schließlich endgültig aus.121 Der spezifische Charakterzug aber blieb unverändert im Primärrecht verankert.122 Ähnlich wie die drei Supranationalitäts-IntergouvernementalitätsKategorien lässt sich auch die Genese des supranationalen Grundmusters in unterschiedlichen Kategorien denken. Zum einen weist die Entstehungsgeschichte eine Komponente auf, die bereits in der Frühform der EGKS enthalten war: Es handelt sich um die Struktur­ entscheidung der Gründungsmitglieder, in Gestalt der Haute Autorité, der Hohen Behörde und des Gerichtshofs, der Court de justice, überstaatliche, unabhängige Institutionen einzurichten und sie mit Hoheitsrechten auszustatten. Indem die Gründungsmitgliedstaaten die EGKS mit unabhängigen Institutionen versahen, entschieden sie sich von Beginn an, der supranationalen Idee in der europäischen Integrationsgeschichte einen gewichtigen Stellenwert beizumessen. Dabei hätten die Gründungsmitgliedstaaten durchaus auch eine alternative, an intergouvernementalen Strukturen orientierte Organisation einsetzen können, um dem Zweck einer Zusammenlegung der Montanindustrie zu dienen.123 Man entschloss sich aber, dem französischen Vorschlag Robert Schumans zu folgen, dessen Kern­ gedanke die Vereinigung nationalstaatlicher Hoheitsrechte in der unabhängigen Hohen Behörde war.124 Der Schuman-Plan zielte darauf ab, einen einheitlichen Markt für Kohle und Stahl zu schaffen und ihn der Kontrolle unabhängiger Institutionen zu unterstellen, um auf diese Weise „ein zentrales wirtschaftliches Problem mit organisatorischen Mitteln zu lösen, die bisher nur [den einzelnen Mitgliedstaaten] gedient haben“.125 Schon damals schwang die Idee mit, dass der durch zwei Weltkriege auf zerstörerische Art und Weise herbeigeführte Bedeutungsverlust Mitteleuropas nur gemeinsam, und mittels Überwindung des eisernen Beharrens auf staatliche Souveränität, überwunden werden könne.126

unvollendete Bundesstaat, 1969, S. 40, formulierte, man habe die These zu entkräften versucht, die Nationen zerstören zu wollen; vgl. auch Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 1979, S. 62 f. 120 Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates, einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften („Fusionsvertrag“) vom 8. April 1965. 121 Vgl. Ipsen, in: FS Scheuner, 1970, S. 211. 122 Zuleeg, in: integration 1988, S. 103, 106; Jaenicke, „Supranationale Organisation“, in: WV Bd. 3, 1962, S. 423, 424; Schweitzer, in: FS Armbruster, 1976, S. 75 ff.; zur Bewerbung und Umsetzung des supranationalen Grundmusters in den Verhandlungen über die Römischen Verträge Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 54 ff. 123 Vgl. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 1979, S. 62 f. 124 Vgl. Jerusalem, Das Recht der Montanunion, 1954, S. 1; vgl. auch Ophüls, in: NJW 1951, S. 289 ff.; vgl. auch Schlochauer, in: FS Wehberg, 1956, S. 361, 363 f. 125 Mosler, in: ZaöRV 1951/1952, S. 1, 8; vgl. zur Experiment-Funktion der institutionellen Ausgestaltung der EGKS Narjes, in: EuR 1981, S. 414, 415. 126 Vgl. Hallstein, in: FS Ophüls, 1965, S. 1, 2 f.; vgl. Wendel, Permeabilität im europäischen Verfassungsrecht, 2011, S. 75; hintergründig Mosler, in: FS Hallstein, 1966, S. 355 ff.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Als zweiter Geburtsmoment127 der europäischen Supranationalität gilt das, was als „Supranationalisierung durch Judikatur“ bezeichnet werden kann, und zum Entstehen der „normativen Supranationalität“ (supra B. I. 2.) führte; diese Facette der supranationalen Integrationsgeschichte liegt bis heute dem Forschungsansatz der „Integration durch Recht“128 zugrunde.129 Zwar kommt als Urheber jener Integrationsbemühungen durch Recht nur der EuGH in Betracht;130 allerdings war es erst die mitgliedstaatliche Rezeption131 – allen voran durch die Gerichte, aber auch durch Exekutiven und Legislativen – die dieser Integrationsdynamik schließlich zu ihrer Wirksamkeit und ihrem Erfolg verhalf. Das ist bereits daran zu erkennen, dass sich der EuGH zur Durchsetzung der von ihm entwickelten „normativen Supranationalität“ nicht auf eigene (europäische) Durchsetzungsinstrumente verlassen konnte132 – derlei Instrumentarium gab und gibt es nicht. Es bedurfte folglich einer mitgliedstaatlichen Unterstützung – zumindest aber einer mitgliedstaatlichen Tolerierung. Vielfach wurde nach Gründen für diese mitgliedstaatliche Unterstützung gesucht, und vielfach auch nachvollziehbare Antworten gefunden:133 Ganz offenbar bewerteten die damals beteiligten Mitgliedstaaten den politischen Nutzen der Judikatur am Ende höher als die politischen Kosten. Daher ist auch diese zweite Kategorie einer europäischen Supranationalitätsgenese mittelbar auf einen mitgliedstaatlichen Beitrag zurückzuführen; auch wenn vordergründig europäische Institutionen eine Generatorfunktion einnahmen, die entscheidende Schlacht für die Supranationalität wurde in und von den Mitgliedstaaten geschlagen. 2. Anfeindungen der Supranationalität Zur ambivalenten europäischen Integrationsgeschichte gehört allerdings auch, dass die supranationale Idee vielfach politisch angefeindet und auch von der Europarechtswissenschaft oftmals fehlender Zukunftsfähigkeit bezichtigt wurde.134 Wie 127

Vgl. Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 1, der diesen Moment als „Geburtsstunde des Europarechts“ bezeichnet; Stone Sweet, in: GLJ 2007, S. 915 ff., sieht darin gar einen „Justizstaatsstreich“; ihm folgend und im Überblick Schilling, in: Der Staat 2012, S. 525, 547 ff. 128 Vgl. dazu Haltern, in: Theorien der europäischen Integration, S. 339 ff. 129 Vgl. dazu Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 14; siehe dazu bspw. den Beitrag Stone Sweets, The Judicial Construction of Europe, Oxford 2004. 130 Vgl. Stein, in: AJIL 1981, S. 1; Alter, Establishing the Supremacy of European Law, 2001, S. 5 ff.; vgl. auch Mayer, in: Europawissenschaft, 2005, S. 429, 456 ff. 131 Siehe dazu bspw. Wendel, Permeabilität im europäischen Verfassungsrecht, 2011, S. 415 ff.; Alter, Establishing the Supremacy of European Law 2001, S. 33 ff.; dieser Gedanke taucht auch im Modell von Paul Kirchhofs Staatenverbund auf, dazu HdbStR X, 2012, § 214 Rn. 1 ff.; vgl. dazu auch Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 217. 132 Haltern, in: Theorien der europäischen integration, 2012, S. 339, 342. 133 Überblick bei Haltern, in: Theorien der europäischen Integration, 2012, S. 339, 342 f. 134 Vgl. die einleitende Fragestellung bei Weiler, in: Yearbook of European Law 1981, S. 267: „Does it still make sense to refer to the Community as a supranational system? […] The term supranationalism is evocative of an earlier era of high aspirations which seems at odds with recent developments […]“.

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nicht verwundern dürfte, waren es Vertreter der Mitgliedstaaten, die die schwergewichtigsten Angriffe auf die Supranationalität lancierten – schließlich fürchteten sie ultimativ um ihre nationale Souveränität.135 Weiler brachte diese Ambivalenz einmal auf die Formel: „Je mehr eine [europäisch-supranationale] Normativität Bindungen auf und in den Mitgliedstaaten entfaltet, desto mehr möchten sie das Zustandekommen des zugrundeliegenden Rechts kontrollieren.“136 Damit versinnbildlichte Weiler ein Phänomen, welches auch als Komplementarität im Verhältnis zwischen supranationalen und intergouvernementalen Mustern in der europäischen Integrationsdynamik bezeichnet wird.137 Zuvorderst war es Charles de Gaulles Aversion gegenüber der Verstetigung supranationaler Charakterzüge, die eine bedeutende Blockade im Ministerrat der EWG auslöste – auch dies ist für sich genommen bis zur Paradoxie ambivalent (und nur mit den Gesetzmäßigkeiten von Politik und Opposition zu erklären), wenn man die bedeutende Rolle französischer Außenpolitik bei Implementierung der supranationalen Idee in der EGKS bedenkt.138 So blockierte Frankreich den Ministerrat anlässlich von Uneinigkeiten bei der gemeinsamen Agrarpolitik, denen ein Vorschlag zur Stärkung der Haushaltsbefugnisse der Gemeinschaft zugrunde lag, indem es ihm zwischen Juli und Dezember 1965 fernblieb (sogenannte „Politik des leeren Stuhls“). Die Blockade wurde erst durch eine Vereinbarung gelöst, die als Luxemburger Kompromiss139 in die europäische Geschichte einging.140 Fortan und mindestens bis zur Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 sollte das Einstimmigkeitsprinzip im Rat vorherrschen.141 Die Vorgänge zwischen der „Politik des leeren Stuhls“ über den Luxemburger Kompromiss bis zur Einheitlichen Europäischen Akte, oder später noch der Ioannina-Beschluss,142 stellen anschauliche Beispiele dafür dar, wie auch im übrigen Verlauf der europäischen Integrationsgeschichte mitgliedstaatliche Initiativen wiederholt versuchten, die Evolution des supranationalen Grundmusters 135

Zuleeg, in: integration 1988, S. 103, 106. Weiler, in: YLJ 1991, S. 2403, 2426 – im englischen Original: „The ‚harder‘ the law in terms of its binding effect both on and within states, the less willing states are to give up their prerogative to control the emergence of such law or the law’s ‚opposability‘ to them.“; vgl. dazu Stone Sweet, in: The Evolution of EU Law, 2011, S. 119, 134. 137 Haltern, in: Theorien der europäischen Integration, 2012, S. 339, 344; ders., Europarecht und das Politische, 2005, S. 291; ausführlich dazu und mit einem besonderen Augenmerk auf die Entwicklungsgeschichte der Römischen Verträge Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 47 ff.; zum Begriff „Komplementärrecht“ im früheren Duktus des CELEX-Veröffentlichungssystems von Bogdandy / Bast / Arlt, in: ZaöRV 2002, S. 77, 124 ff., der heutzutage im EUR-Lex-System durch „Übereinkommen zwischen Mitgliedstaaten“ ersetzt ist. 138 Hintergründig zur Opposition de Gaulles gegen die Pläne Robert Schumans sowie die Idee von supranationaler Integration Delcour, in: Die Zeit, 22. Januar 1965; sowie Kiersch, in: Politische Grundströmungen im europäischen Integrationsprozess, 1982, S. 153, 168; siehe zum Folgenden Schweitzer, in: FS Armbruster, 1976, S. 75, 80 ff. 139 Text abgedruckt in: EuR 1966, S. 73 f. 140 Kritisch dazu z. B. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 498. 141 Vgl. Weiler, in: YLJ 1991, S. 2403, 2456 ff.; vgl. auch Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 360 ff.; siehe dazu ausführlich Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung, 1984. 142 Siehe dazu Poensgen, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 1133 ff. 136

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

nicht schlechterdings seiner Eigendynamik zu überlassen: Schon die Verhandlungen über die Römischen Verträge und schließlich auch ihr institutioneller Niederschlag setzten die aus der EGKS bekannte Supranationalität unter Druck, indem der Ministerrat der EG bedeutenden Einfluss im Verhältnis zur Kommission bzw. ihrem Muster, der Hohen Behörde der EGKS, hinzugewann;143 ein anderes prominentes Beispiel aus der frühen europäischen Integrationshistorie stellt das Scheitern der (supranational konzipierten) EVG dar.144 Auch die Säulenstruktur der EU oder die Einführung des Europäischen Rats zeigen: Immer dann, wenn am supranationalen Grundmuster konstruktive Kritik geübt wurde, lautete der Gegenentwurf, stattdessen unter der Maßgabe des intergouvernementalen Grundmusters nach einer europäischen gemeinsamen Lösung zu suchen.

II. Der (Fort-)Bestand intergouvernementaler Phänomene 1. Integrationsfähigkeit intergouvernementaler Muster Ein nicht unerheblicher Teil der europäischen Integrationsgeschichte145 beruht seit jeher auf intergouvernementalen Phänomenen.146 Freilich: Einer solchen These liegt notwendigerweise die Prämisse zugrunde, dass der Vorgang der Integration im Kontext internationalen Rechts überhaupt intergouvernemental gedacht werden kann, dass also Integration oder europäische Integration nicht ausschließlich gleichbedeutend mit der Anwendung des supranationalen Grundmusters ist bzw. nur auf die Herbeiführung von Supranationalität gerichtet ist.147 Solche Lehren sind durchaus verbreitet.148 Ihre Anhänger stellen „Integration“ begrifflich zwar teilweise mit der (bloßen) „Kooperation“ auf dieselbe Ebene, um die zugrundeliegenden Phänomene kommensurabel zu machen; gleichzeitig erklären

143

Ausführlich dazu Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 54 ff.; Jaenicke, in: ZaöRV 1958, S. 153, 156 ff.; vgl. auch Pescatore, Die Geschichte der europäischen Einigung zwischen Realität und Utopie, 2007, S. 28 f. 144 Vgl. Jaenicke, in: ZaöRV 1958, S. 153, 156. 145 Vgl. dazu und mit Verweis auf die schon im Marshall-Plan angestrebte „engere Integration“ der westeuropäischen Staaten, Jaenicke, Europäische Integration, in: WV, Bd. 1, 1960, S. 466. 146 Siehe insbesondere für völkerrechtliches Vorgehen Heesen, Interne Abkommen, 2015; vgl. auch Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 54 ff.; vgl. im Übrigen die Theorie von Bickerton / Hodson / Puetter, Economic Governance in Europe, 2015, S. 1 ff. 147 Dieselbe Frage wirft Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 48 ff., auf; umgekehrt ist das supranationale Muster stets mit Integration verbunden. 148 Es scheint, dass die Auffassung von der notwendigen Verwandtschaft von Supranationalität und Integration sogar den Weg bis in Lehrbücher zum Europarecht gefunden hat, vgl. Herdegen, Europarecht, 2017, § 1 Rn. 13; vgl. im Übrigen auch Schorkopf, in: Die Europäische Union am Scheideweg, 2015, S. 93, 94 Fn. 3, und das Wort von der „Noch-nicht-Integration“; vgl. auch von Bogdandy, in: Der Staat 2001, S. 3, 37.

C. Antagonismus der Grundmuster in der europäischen Integrationsgeschichte 

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sie beide Vorgänge aber auch zu Alia.149 Kuschnick führt in diesem Zusammenhang aus, dass er unter „Staaten-Kooperation“ Formen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit verstehe, bei denen die beteiligten Staaten keine Hoheitsrechte abgeben und jene Staaten sich deshalb auch keiner Instanz unterwerfen würden, die mit solchen derivativen Hoheitsrechten operiere;150 letztlich erkennt er hierin dann stets (nur) die Zusammenarbeit auf Basis von Intergouvernementalität – diese sei aber (noch151) keine Integration. Über den Hintergrund einer solch strengen be­ grifflichen Unterscheidung äußert er sich auch: Es geht Kuschnick im Ergebnis darum, mit der Integration ein effizientes Modell zur Bewältigung von grenzüberschreitenden Aufgaben zu beschreiben, welches über die bloßen staatlichen Kapazitäten hinausdeutet. Da aber intergouvernementale Formen nicht über lediglich staatliche Kapazitäten hinausgehen, würde hierbei gerade keine Integration stattfinden.152 Den strengen Konnex zwischen Supranationalität und Integration kann man aber in erster Linie auch rechtshistorisch erklären, wie Delfs aufzeigt:153 So habe sich in jenem „Junktim“ insbesondere eine politische Hoffnung ausgedrückt, dass die supranationale Idee auch bei künftigen Integrationsschritten beherzigt werden würde, ganz im Stile der Entstehung der EGKS. Die streng am Konnex von Supranationalität und Integration haftenden Ansätze vernachlässigen indes, dass die Rechtshistorie der Entwicklung des supranationalen Musters nicht linear verlief. Wie aufgezeigt (supra I. 2.), erhielt die Supranationalität vielfach Gegenwind. Schließlich stellte sich schon in der frühen Integrationsgeschichte ein im Kompromiss gefundenes System mit sowohl supranationalen als auch intergouvernementalen Ansätzen ein, ein komplementäres System, welches bis heute fortlebt. Entfernt man intergouvernementale Integrationsschritte aber aus der Gleichung, so bleibt ein unvollständiges und lückenhaftes Bild Europas stehen.154

149

So Kuschnick, Integration in Staatenverbindungen, 1999, S. 69 ff.; siehe auch König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 2000, S. 34 ff., 38; jeweils mit Hinweis auf die Integrations­ lehre Rudolf Smends und sein Wort von Integration als „Herstellung oder Entstehung einer Einheit oder Ganzheit aus einzelnen Elementen, so daß die gewonnene Einheit mehr als die Summe der vereinigten Teile ist“ sowie „Bildung eines neuen Ganzen durch ein neues Zusammenspiel der bisher vereinzelten Glieder […], bei dem diese Glieder zugleich, in der gegenseitigen Beeinflussung […] ihre tatsächliche Art und ihren rechtlichen Status ändern müssen“, Staatsrechtliche Abhandlungen, 1994, S. 482 f.; in jüngerer Zeit Schneider, in: European Institute für Integration Research. Working Papers, 2010, S. 8. 150 Kuschnick, Integration in Staatenverbindungen, 1999, S. 71. 151 In Fällen transitorischer Supranationalität – wenn also der Übergang zu einem supranationalen Regime bereits in noch bloß intergouvernementalen Vorstufen angelegt ist – gehen jedenfalls König / Pechstein, Die Europäische Union, 2000 S. 109, Rn. 197, begrifflich schon von „Integration“ aus. 152 Kuschnick, Integration in Staatenverbindungen, 1999, S. 71. 153 Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 49 ff. 154 So im Ergebnis auch Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 50.

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Deshalb geht die vorliegende Arbeit auch nicht von einem solch engen Begriffs­ verständnis aus. Stattdessen ist Integration hinsichtlich der Grundmuster „Suprana­ tionalität“ und „Intergouvernementalität“ indifferent.155 Dafür spricht auch ein anderer Umstand: Zwar handelt es sich im Falle von „Integration“ mittlerweile durchaus um einen (europäischen) Rechtsbegriff. Allerdings macht ihn der Vertrag von Lissabon mit Ausnahme der Präambel zum EUV nur an einer Stelle (Art. 20 Abs. 1 Uabs. 2 EUV) nutzbar: So soll die Verstärkte Zusammenarbeit darauf ausgerichtet sein, den Integrationsprozess der Union zu stärken. Eine allgemein gültige Auslegung des Begriffs muss aber scheitern,156 weil es sich um einen in die Zukunft weisenden Terminus handelt, der eine konkrete Ausgestaltung jenseits vom Gebot der Unionsrechtskonformität nicht vorwegnimmt. Deshalb ist ein ursprüngliches Begriffsverständnis von Max Huber aufzugreifen, der „Integration“ zunächst schlechterdings als „Verdichtungsprozess“ auffasste.157 Frank Schorkopf hat diese Terminologie sodann bezogen auf den europäischen Integrationsprozess als „Verdichtung einer Interessen- und Sittengemeinschaft zur Rechtsgemeinschaft“ beschrieben.158 Wie dieser Prozess abläuft, ob supranational, intergouvernemental oder – wie so häufig – mittels Mischformen, will der Integrationsbegriff nicht vorwegnehmen. 2. Intergouvernementalismus als europäische Integrationstheorie Der Begriff des Intergouvernementalen tritt im politikwissenschaftlichen Kontext prominenter Weise im Zusammenhang mit den vielzähligen europäischen Integrationstheorien und dort namentlich als „Intergouvernementalismus“ in Erscheinung.159 Eine prägnante Umschreibung für den Forschungsgegenstand der europäischen Integration liefern Alec Stone Sweet und Wayne Sandholtz:160 Unter 155 Jaenicke, Europäische Integration, in: WV, Bd. 1, 1960, S. 466 f.; Bickerton / Hodson / ​ ­Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 40; aktuell auch Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 37 ff.; vgl. Bertrand, in: L’Union européenne et le fédéralisme économique, 2015, S. 119, 130 f. 156 Siehe schon Kaiser, in: FS Hallstein, 1966, S. 266, 268. 157 Huber, Die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts, 1928, S. 61 ff., der seinerseits auf die „Spencer’sche Evolutionstheorie“ verweist; vgl. zur Begriffsgeschichte auch Mosler, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 911, 921. 158 Schorkopf, Der Europäische Weg, 2010, S. 178. 159 Die Erforschung der europäischen Integration ist zwar nur ein Forschungsgegenstand im Feld unterschiedlicher regionaler Integrationsprozesse. Allerdings hat sich eine Vielzahl an wissenschaftlicher Theorienbildung am Beispiel der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union abgespielt, vgl. Bieling / L erch, in: Theorien der europäischen Integration, 2012, S. 9, 11. 160 Stone Sweet / Sandholtz, in: European Integration and Supranational Governance, 1998, S. 1, 9; allerdings ist auch in den Politikwissenschaften der Integrationsbegriff kein eindeutiger, vgl. Bieling / L erch, in: Theorien der europäischen Integration, 2012, S. 9, 11 f., die auch darauf hinweisen, dass dann zwischen „Kooperation“ und „Integration“ begrifflich kaum Unterschiede existieren.

C. Antagonismus der Grundmuster in der europäischen Integrationsgeschichte 

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europäischer Integration verstehen sie die Herausbildung von vertikalen und horizontalen Verbünden zwischen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Akteuren. Die vertikale Ebene bezeichnet das Verhältnis zwischen Europäischer Union und den Mitgliedstaaten sowie ihren jeweiligen Akteuren; die horizontale Ebene bezeichnet dagegen das Verhältnis zwischen Akteuren einzelner, verschiedener Mitgliedstaaten. Zentral scheinen darüber hinaus folgende Aspekte:161 Erstens ist es vornehmlich das Instrument des Rechts in Gestalt der Unionsverträge, das solch einen Verbund kreiert und zusammenhält.162 Betrachtet man zweitens die Integrationsgeschichte der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union, so ist die Regelungsmaterie dieser Verbünde vor allem wirtschaftspolitischer Natur, wie beispielsweise die Evolution des Binnenmarktes163 zeigt. Das bloße Phänomen der europäischen Integration soll also entsprechend dem von Stone Sweet und Sandholtz gewählten Ansatz per definitionem noch keine Aussage darüber treffen, ob der Integrationsprozess zu intergouvernementalen oder supranationalen Verbünden führt. Anders sah dies – eine bemerkenswerte Parallele zu den Ansätzen im rechtswissenschaftlichen Diskurs – Ernst B. Haas, einer der ersten Erforscher der europäischen Integration, 1958. Für seine Arbeit legte er eine Definition des Begriffs der europäischen Integration zugrunde, welche ausschließlich die Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale Institutionen als Integration verstand.164 Für solch eine enge Definition ist die Geschichte der europäischen Integration aber zu wechselhaft verlaufen und von unterschiedlichen politischen Phasen geprägt, weshalb auch aktuelle politikwissenschaftliche Forschungsbeiträge dem Haas’schen Konzept in diesem Punkt nicht mehr folgen.165 Der politikwissenschaftliche Diskurs über die Integrationstheorien baut auf den unterschiedlichen Erscheinungen auf, die im Laufe der europäischen Einigungshistorie auftraten. Die Absicht der Diskursteilnehmer war und ist noch heute, die treibenden Faktoren und Kräfte des europäischen Integrationsprozesses ausfindig zu machen.166 Dabei zeigt sich, dass trotz steter Anfechtungen der Intergouvernementalität bzw. dem Intergouvernementalismus als Modus im europäischen Einigungsprozess auch aus heutiger Sicht ein bedeutender Stellenwert zukommt und gar Ausgangspunkt für aktuelle Integrationstheorien ist.

161

Weiler, European Integration, in: MPEPIL, 2009, Rn. 9 ff. Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Winkler, 66. EL 2019, Art. 352 AEUV, Rn. 21. 163 Weiler, European Integration, in: MPEPIL, 2009, Rn. 10, verwendet hier den Begriff der „Marktintegration“. 164 Haas, The Uniting of Europe, 1958, S. 16. 165 Vgl. Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 4, 18. 166 Grimmel / Jakobeit, Politische Theorien der Europäischen Integration, 2009, S. 16. 162

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

a) Funktionalismus versus Intergouvernementalismus Wissenschaftshistorisch lässt sich das Spektrum der Theorien zur europäischen Integration im Wesentlichen in zwei bedeutsame Strömungen unterteilen:167 Intergouvernementalismus und Funktionalismus unterscheiden sich fundamental darin, welchen Akteuren sie die Gestaltungskraft für eine fortschreitende europäische Integration zuschreiben. Der Funktionalismus von David Mitrany, dem ersten prominenten Vertreter dieser Theorienschule, setzt bei den politischen Forderungen der europäischen Föderalisten um Altiero Spinelli an. Sowohl dem Funktionalismus als auch dem Föderalismus Spinellis ist eigen, den Nationalstaat als internationalen politischen Faktor einhegen zu wollen.168 Ihre Methoden sind indes unterschiedlich: Im Falle der Ideen der Föderalisten handelt es sich vornehmlich um politische Forderungen, denen ein (politik-)wissenschaftlicher Ansatz fernliegt; vielmehr waren die Föderalisten von der politischen Vision angetrieben, ein (vermutetes) politisches Momentum der Nachkriegszeit auszunutzen und die Nationalstaaten mit einem Schlag zu bändigen.169 Mitrany und die Funktionalisten demgegenüber zeigen mit ihrer Theorie auf, dass sie dieses Ziel mit gemeinsamen Institutionen erreichen möchten, die funktional zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes errichtet werden sollten, mit konkreten Befugnissen auch gegenüber den Teilnehmerstaaten auszustatten sind sowie auf einer mindestens teilweisen Unabhängigkeit diesen gegenüber gründen.170 Mitrany entwirft zudem das für den Funktionalismus entscheidende Bild, dass die europäische Integration schrittweise mittels der Häufung einer Vielzahl verschiedener Funktionen zu erfolgen habe, welche sich schließlich zu einer europäischen Exekutive forme.171 Die zweite entscheidende Idee ist der „Spill-over“ Haas’, welcher jene Anhäufung neuer Funktionen (sprich: Befugnissen) kausal auf das Agieren der gemeinsamen Institutionen zurückführt, die auf diese Weise zum Motor der Integration erklärt werden.172 Demgegenüber ist den intergouvernementalistischen Ansätzen zur Beschreibung des europäischen Integrationsprozesses gemein, die Mitgliedstaaten in Gestalt ihrer Regierungen als treibende und letztlich entscheidende Faktoren der europäischen Integration anzuerkennen.173 Als Begründer und einer der prominentesten Vertreter des Intergouvernementalismus gilt Stanley Hoffmann. Zwar schuf er mit seinem intergouvernementalistischen Ansatz noch keine politische Theorie, 167

Hooghe / Marks, Multi-Level Governance and European Integration, 2001, S. 2 ff., die der intergouvernementalen Schule indes ihren Multi-Level-Ansatz entgegensetzen; Bickerton  / ​ Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 43. 168 Grimmel / Jakobeit, Politische Theorien der Europäischen Integration, 2009, S. 19. 169 Siehe exemplarisch Spinelli, Manifest der Europäischen Föderalisten, 1958. 170 Mitrany, A Working Peace System, 1966, S. 159 ff. 171 Mitrany, A Working Peace System, 1966, S. 194. 172 Haas, The Uniting of Europe, 1958, S. 291 ff. 173 Vgl. Grimmel / Jakobeit, Politische Theorien der Europäischen Integration, 2009, S. 192.

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die abstrakte Gesetzmäßigkeiten formuliert und Prognosen für die zukünftige Entwicklung zulässt. Stattdessen analysierte er konkrete Abläufe und Gegebenheiten des europäischen Integrationsprozesses, um so insbesondere den (Neo-) Funktionalismus kritisch zu hinterfragen.174 Er hielt bereits 1964 den verschiedenen Anhängern der Supranationalität vor, einer Illusion nachzueifern.175 Recht zu geben schien ihm wenig später 1965 de Gaulles Politik des leeren Stuhls, mittels derer er die Aufweichung des Einstimmigkeitsprinzips im Ministerrat der EWG zu verhindern suchte und einen bedeutenden Integrationsschritt vorerst verhinderte.176 Sehr deutlich wurde dadurch die relative Stärke eines einzigen Mitgliedstaats, den Integrationsprozess in seinem Sinne mitzugestalten. Mit Hoffmanns ablehnender Haltung hängt unter anderem der Vorwurf zusammen, die Funktionalisten wüssten nicht, welches Ziel sie eigentlich anstrebten.177 Dem mag man sodann zwar einerseits entgegenhalten, dass offen erkennbares Ziel der Funktionalisten die Einhegung des Nationalstaats in supranationalen Institutionen war. Andererseits trifft der Vorwurf Hoffmanns aber auch – jedenfalls teilweise – zu. Schließlich sind die Funktionalisten und ihre Theorie nicht in der Lage, einen Endpunkt der europäischen Integration vorhersagen zu können. Wie weit die Supranationalisierung eines Tages in der Zukunft reichen wird, bleibt im Ungefähren. Nach Hoffmanns Ansicht seien einzig die beteiligten Staaten in der Lage, ein solches Ziel zu formulieren und anschließend konsequent zu verfolgen – und sei es auch nur ein kleinschrittiges. Den Grund für diese Struktur Europas sieht er letztlich darin, dass die Nationalstaaten auf dem Kontinent auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufhörten zu existieren – und zwar in vielen Bereichen noch immer mit ihren eigenen, oftmals gegensätzlichen Interessen,178 welche freilich manchmal übereinstimmen würden wie im Fall der Wohlstandsvermehrung der europäischen Gesellschaften.179 Allerdings geht Hoffmann bei seiner Kritik nicht so weit, die Bedeutung supranationaler Institutionen zu leugnen. Wo Konsens zwischen staatlichen Akteuren vorhanden sei, könnten supranationale Institutionen diesen verstärken. Die Begründung für seine Kritik setzt jedoch an einem grundlegenden Punkt an. So sei es keiner supranationalen Institution möglich, den erforderlichen Konsens zwischen den beteiligten staatlichen Akteuren herzustellen, ohne dass diese dazu bereit wären. Schließlich bedürfe es somit stets der mitgliedstaatlichen Initiative selbst – oder genauer: derjenigen der mitgliedstaatlichen Regierungen.180

174

Grimmel / Jakobeit, Politische Theorien der Europäischen Integration, 2009, S. 137. Hoffmann, in: The European Sisyphus, 1995, S. 9, 32. 176 Siehe auch supra I. 2. 177 Hoffmann, in: The European Sisyphus, 1995, S. 9, 32; Hoffmann, in: The European ­Sisyphus, 1995, S. 71, 85. 178 Hoffmann, in: The European Sisyphus, 1995, S. 71, 91 ff. 179 Hoffmann, in: The European Sisyphus, 1995, S. 9, 32 f. 180 Hoffmann, in: The European Sisyphus, 1995, S. 9, 33; Hoffmann, in: The European ­Sisyphus, 1995, S. 71, 81. 175

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Andrew Moravcsik positionierte sich in der Gefolgschaft Stanley Hoffmanns als weiterer prominenter Vertreter der intergouvernementalen Theorien.181 In seiner 1998 veröffentlichten Schrift „The Choice for Europe“ liefert er Anhaltspunkte dafür, dass treibender Faktor der europäischen Integration vor allem staatliche Interessen auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Handelspolitik waren. Dies gelte für jedes der fünf Beispiele: die Römischen Verträge, die Gemeinsame Agrarpolitik, das Europäische Währungssystem, die Einheitliche Europäische Akte und den Vertrag von Maastricht.182 Grundsätzlich anerkennt Moravcsik zwar, dass supranationale Institutionen theoretische Vorteile für den Erfolg eines aktiven europäischen Integrationsprozesses für sich reklamieren könnten. Diese seien unter anderen: „mehr technische Expertise“, „mehr Neutralität“ und „mehr Legitimität“.183 Indes seien die europäischen supranationalen Institutionen in der Realität mit all dem Vorstehenden gerade nicht hinreichend ausgestattet. Im Besonderen fehle es ihnen an dem entscheidenden Wissens- und Informationsvorsprung, um Ideen für die fortschreitende Integration effektiv umsetzen zu können.184 Umgekehrt seien es stets (mitglied-)staatliche Repräsentanten gewesen, die die Initiative ergriffen und ihre unterschiedlichen Interessen mittels Bereitschaft zu Kompromissen zu einem Ausgleich gebracht hätten. Als einzige Ausnahme macht Moravcsik – jedenfalls vordergründig – die Einheitliche Europäische Akte ausfindig, die 1987 zwischen den damaligen zwölf europäischen Mitgliedstaaten in Kraft trat: In diesem Fall ging die maßgebliche Initiative von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament aus. Allerdings zielte diese Initiative darauf ab, nationale gesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure anzusprechen und auf diese Weise den letztlich wiederum entscheidenden mitgliedstaatlichen Willensbildungsprozess in Gang zu setzen.185 Insgesamt unterstützt Moravcsik somit argumentativ die Auffassung Hoffmanns vom entscheidenden Einfluss der europäischen Mitgliedstaaten auf dem Weg hin zu mehr Integration – oder plastisch mit seinen eigenen Worten ausgedrückt: „die Europäischen Gemeinschaften haben [die] Machtpolitik nicht abgeschafft“.186 Indes gilt es zu erwähnen, dass auch die intergouvernementale Schule – bei aller Hervorhebung des integouvernementalen Elements – von derselben Zielvorstellung wie schon die Funktionalisten ausgeht, nämlich ein Europa mit supranationalen 181 Die von Moravcsik begründete Theorie firmiert unter Liberaler Intergouvernementa­ lismus, wobei die liberalistische Perspektive die staatsinterne Meinungs- und Präferenzenbildung miteinander im Wettbewerb stehender gesellschaftlicher Gruppen beschreibt, Grimmel  / ​ Jakobeit, Politische Theorien der Europäischen Integration, 2009, S. 192 f. 182 Moravcsik, The Choice for Europe, 1998, S. 472 ff. 183 Moravcsik, The Choice for Europe, 1998, S. 479, spricht von „more technical expertise, a reputation for neutrality, superior political skill and vision, greater legitimacy, consistently accurate political intelligence“. 184 Moravcsik, The Choice for Europe, 1998, S. 479 f. 185 Moravcsik, The Choice for Europe, 1998, S. 483 ff. 186 Moravcsik, The Choice for Europe, 1998, S. 485, aus dem Englischen „[…] the EC has not banished power politics […]“.

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Institutionen und supranationalen Entscheidungsmechanismen.187 Einzig der Weg dorthin soll nach Ansicht der alternativen Theorieschulen ein anderer sein. b) Theorie eines Neuen Intergouvernementalismus Vor dem Hintergrund der Herausbildung der intergouvernementalen Zusammenarbeit bei der Reaktion auf die Eurokrise sowie den ihr eigenen Rechtsschöpfungen, von ESM-Vertrag und Fiskalvertrag bis IGA,188 drängt sich die Frage nach der Bedeutung ebenjener Eurokrisen-Phänomene im Hinblick auf den „ureuro­päischen“ Streit zwischen den beiden Theorienschulen, Intergouvernementalismus oder (Neo-)Funktionalismus, einmal mehr auf. Einen Anhaltspunkt liefert die Theorie vom „Neuen Intergouvernementalismus“, die die Entwicklung seit dem Vertrag von Maastricht 1992 abbilden möchte, und die auf die drei Europa-(politik-)wissenschaftler Christopher J. Bickerton, Dermot Hodson und Uwe Puetter zurückgeht.189 Ihre Theorie basiert auf der Feststellung, dass insbesondere mit der gemeinsamen europäische Wirtschaftspolitik, aber auch (vor allem anfangs) mit der PJZS190 sowie der GASP seit dem Vertrag von Maastricht 1992 zwar mehrere neue Politiken in die europäische Rechtsordnung aufgenommen wurden, die die Primärrechtsgeber damit auch stets zu Angelegenheiten gemeinsamen Interesses machten. Allerdings gehe damit nicht etwa überall die Einführung der üblichen Gemeinschaftsmethode einher. So hätten die Mitgliedstaaten den supranationalen Institutionen nicht die für die Gemeinschaftsmethode typischen Funktionen gewährt; insbesondere sei sowohl das Vorschlagsrecht der Kommission modifiziert worden wie auch die gemeinsame Gesetzgebung von Rat und Parlament: Art. 68 AEUV sieht bspw. eine Initiatorfunktion des Europäischen Rates vor, was einer faktischen Einschränkung des Initiativrechts der Kommission gleichkomme;191 weitere Beispiele stellen die geschwächte Rolle der Kommission im Rahmen des Art. 121 AEUV sowie die grundsätzlich gestärkte Funktion von Europäischem Rat und Rat in Art. 26 und 28 EUV dar. Eine Erklärung für die offenbar sinkende Attraktivität der Gemeinschaftsmethode machen die Vertreter des Neuen Intergouvernementalismus unter anderem in der stark zunehmenden Zahl neuer EU-Mitgliedstaaten in den frühen 2000er-Jahren aus; so sei in einem immer größeren und immer heterogeneren Europa die Attraktivität von Hoheitsrechtsübertragungen geringer als in einem homogeneren Umfeld.192 187

Hooghe / Marks, Multi-Level Governance and European Integration, 2001, S. 2. Zur Verknüpfung dieser drei Abkommen mit dem Neuen Intergouvernementalismus siehe Howarth / Quaglia, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 146, 162. 189 Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 4. 190 Siehe zum Grad supranationaler Ausprägung dort Fremuth, Die Europäische Union auf dem Weg in die Supranationalität, 2010, insbesondere S. 278 ff. 191 Siehe auch von der Groeben / Schwarze / Hatje-Breitenmoser / Weyeneth, 2015, Art. 68 AEUV Rn. 14. 192 Majone, Europe as Would-be World Power, 2009, S. 188 ff. 188

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Bickerton, Hodson und Puetter bilden sodann mehrere Hypothesen zu ihrer Theorie eines Neuen Intergouvernementalismus heraus, die in der Zusammenschau die Hinwendung zu intergouvernementalen Strukturen unter Auslassung der supranationalen Idee in der Zeit nach Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht charakterisieren sollen.193 So sei diese Phase von zunehmend häufigen Verhandlungslösungen geprägt, die in allgemeinem Konsens zwischen den Mitgliedstaaten endeten anstelle von althergebracht-bekannten supranationalen Lösungen auf Basis von Mehrheitsentscheidung und unter maßgeblicher Beteiligung von supranationalen Organen („Hypothese 1“). Ihre Beobachtung konzentriert sich unter anderem auf die zunehmend starken Rollen des Europäischen Rats und des Rats im europäischen Institutionengefüge sowohl vor wie auch nach dem Vertrag von Maastricht.194 Gleichzeitig seien die supranationalen Organe nicht gestärkt worden und auch von sich aus nicht mit der Forderung nach ihrer Berücksichtigung bei voranschreitender Integration aufgefallen („Hypothese 2“).195 Dabei negieren die Vertreter des Neuen Intergouvernementalismus zwar nicht („Hypothese 3“), dass auch seit dem Vertrag von Maastricht neue Kompetenzen auf EU-Institutionen übertragen wurden. Indes wird argumentiert, dass die Delegation solcher Befugnisse überwiegend an sogenannte „De-novo-Institutionen“, hauptsächlich EU-Agenturen, stattfand – ein Beispiel dafür sei übrigens der ESM selbst und, überraschenderweise, auch die EZB,196 ohne aber ganz klar zu machen, ob man diese nun als supranationale Institution oder nicht einordnet. Diese aber seien mit den typischen supranationalen Organen nicht zu vergleichen, weil weitaus intergouvernementaler (i. S. v. abhängiger gegenüber der jeweiligen nationalen Gubernative) ausgestaltet.197 Letztlich kulminiert die Untersuchung von Bickerton, Hodson und Puetter in dem, was sie das „Integrationsparadox“ nennen:198 Seit dem Vertrag von ­Maastricht hätten die Mitgliedstaaten zwar für ein bis dahin unerreichtes Ausmaß an Integration gesorgt. Das Paradox liege nun aber darin, dass anders als bislang gewohnt, diese beachtlichen Integrationsbemühungen nicht mit einer Ausweitung auch der Supranationalität einhergingen. Stattdessen sei man neuerdings in einen „Exekutivföderalismus“199 verfallen.200

193

Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 28 ff. Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 29 f.; weiterführend dazu Puetter, The European Council & the Council, 2014. 195 Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 31 ff. 196 Dazu insbesondere Hodson, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 263 ff. 197 Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 32 f.; für das Beispiel Finanzmarktregulierung Howarth / Quaglia, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 146 ff. 198 Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 4; siehe auch Puetter, in: Journal of European Public Policy 2012, S. 161, 168. 199 Habermas, Zur Verfassung Europas, 2011, S. 43; ders. in: Grenzen der europäischen Inte­ gration, 2013, S. 61, 63. 200 Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 27. 194

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3. Intergouvernementale Kategorien a) Intergouvernementalität innerhalb des Unionsrechts Obschon kein anderer Wesenszug die EU heute wie damals zutreffender charak­ terisiert als ihre spezifische supranationale Ausprägung, die sich in den drei vorgenannten Kategorien äußert (supra B. I.), kann sie doch ohne die Bezugnahme auf intergouvernementale Phänomene nicht umfassend beschrieben werden. So sind nach wie vor (auch) innerhalb des Unionsrechtsrahmens intergouvernementale Phänomene feststellbar. aa) Einstimmigkeitsvorbehalt – Harmonisierung indirekter Steuern und GASP Typisch für die Unionsrechtsordnung ist bspw. der Einstimmigkeitsvorbehalt für Fragen rund um Steuern und Abgaben. So sehen die europäischen Verträge in Art. 113 AEUV das Einstimmigkeitsprinzip im Rat vor. Zwar hält die Unionrechtsordnung keine eigene Zuständigkeit zur Erhebung von Steuern oder Abgaben für die Union bereit; allerdings kann sie auf eine Zuständigkeit für die Harmonisierung der in Art 113 AEUV genannten Steuerarten zurückgreifen. Das in diesen Fällen die Einstimmigkeit als grundsätzlicher Ausfluss einer intergouvernementalen Metho­dik für sämtliche Bezugspunkte der Steuer- und Abgabenpolitik zu verstehen ist, verdeutlicht der Blick auf Art. 192 Abs. 2 Satz 1 lit. a) AEUV, Art. 194 Abs. 3 AEUV oder Art. 223 Abs. 2 AEUV.201 Freilich: Der Einstimmigkeits­ vorbehalt ändert nichts daran, dass es sich auch im Falle der Maßnahmen zur Steuerrechtsharmonisierung um normativ-supranationales Unionsrecht – also um Recht, welches sowohl vorrangig wirkt als auch in den nationalen Rechtsordnungen unmittelbare Anwendung findet202 – handelt.203 Unter einem generellen Einstimmigkeitsvorbehalt steht auch die GASP (Art. 31 Abs. 1 EUV), die bis heute die wohl bekannteste Ausprägung von Intergouvernementalität innerhalb des Unionsrechts darstellt.204 Dazu gehört, dass die politische Gestaltungsmacht der (supranationalen) Kommission stark eingeschränkt ist: So kommt der Kommission im Bereich der GASP nur dort ein Initiativrecht zu, wo sie eine entsprechende Befugnis auf andere, spezielle Bestimmungen in den Verträgen stützen kann, so wie im Fall von Außenhandelsbeziehungen (Art. 207 Abs. 2 i. V. m. 201

Grabitz / Hilf / Nettesheim-Seiler, 66. EL 2019, Art. 113 AEUV, Rn. 12. Supra B. I. 2. 203 Pechstein, in: JZ 2010, S. 425, 426, der ergänzend noch auf die Einstimmigkeit bei Entscheidungen nach Art. 115 AEUV verweist. 204 Vgl. Thym, in: AVR 2012, S. 125 ff.; sowie Pechstein, in: JZ 2010, S. 425 ff.; und ­Dehousse  / ​ Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 9; siehe auch Magnette, L’Europe, l’État et la démocratie, 2000, S. 142; und Hans-Joachim Cremer, in: Der Lissabonner Reformvertrag, 2009, S. 275, 284 ff.; sowie Haltern, Europarecht und das Politische, 2005, S. 142. 202

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Art. 289 Abs. 1 Satz 1 AEUV sowie Art. 207 Abs. 3 i. V. m. Art. 218 Abs. 3 AEUV) und der Entwicklungspolitik (Art. 209 i. V. m. Art. 289 Abs. 1 Satz 1 AEUV).205 Um im Übrigen für die Zwecke der GASP die Kommission funktional – insbesondere im Hinblick auf das Initiativrecht – zu ersetzen, führte der Primärrechtsgeber einen Hohen Vertreter ein (siehe Art. 27 sowie Art. 30 EUV).206 Anders als die Kommission ist der Hohe Vertreter indes merkbar abhängiger vom Europäischen Rat und mithin kein typisch supranationales Organ: So kann der Hohe Vertreter gemäß dem Verfahren aus Art. 18 Abs. 1 Satz 2 EUV und ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments jederzeit entlassen werden; daneben ergibt sich aus Art. 18 Abs. 2 Satz 2 EUV, dass er die GASP lediglich „im Auftrag des Rates“ durchführt. Ein deutliches Zeichen für die mangelnde supranationale Ausgestaltung der GASP ist auch, dass Europäischem Parlament und EuGH ihre sonst typischen Befugnisse im Rahmen der Gemeinschaftsmethode207 nicht zukommen. Weder kommt dem Parlament eine Mitentscheidungsbefugnis zu (vgl. Art. 31 und Art. 35 EUV), noch darf der EuGH Maßnahmen nach der GASP überprüfen (Art. 275 AEUV). Statt alledem sind die Mitgliedstaaten im Rat und im Europäischen Rat der entscheidende Faktor im Recht der GASP.208 Nicht nur weicht die GASP aber in verfahrensrechtlicher sowie in institutioneller Hinsicht vom supranationalen Ideal ab; auch die normative Supranationalität fehlt der GASP. Zwar schaffte der Primärrechtsgeber mit dem Vertrag von Lissabon das vormals bestehende Dreisäulenmodell ab, um fortan auch die GASP der einheitlichen Unionsrechtsordnung zu unterwerfen.209 Das primäre und sekundäre Recht der GASP wirkt aber dennoch nicht wie supranationales Unionsrecht in Bezug auf einen Vorrang oder eine unmittelbare Anwendbarkeit, sondern lediglich inter­ gouvernemental und völkerrechtsgleich.210 Freilich: Rechtsakte der GASP beziehen sich auch vielfach auf das Verhältnis zu Drittstaaten, wo europäisches Recht natürlicherweise nicht dieselben Rechtswirkungen erzeugen kann.211 Aber auch innerhalb der Union ist die nur eingeschränkte Rechtswirkung der GASP-Maßnahmen daran zu erkennen, dass der Erlass von Gesetzgebungsakten ausgeschlossen (Art. 24 Abs. 1 Satz 3 EUV), und das Instrumentarium sich stattdessen aus allgemeinen Leitlinien und Beschlüssen speist (Art. 25 EUV). Gleichsam als Voraussetzung der insgesamt intergouvernementalen Gestalt der GASP ist deshalb zu konstatieren, dass die Mitgliedstaaten der Union insofern (noch) keine Hoheitsrechte übertragen haben.212 205

Majone, Europe as the Would-be World Power, 2009, S. 194. Majone, Europe as the Would-be World Power, 2009, S. 194. 207 Dazu supra B. I. 4. a). 208 Thym, in: AVR 2012, S. 125, 140 ff. 209 Thym, in: AVR 2012, S. 125, 144; Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 80 ff. 210 Pechstein / Drechsler, in: Europäische Methodenlehre, S. 125, 128 Rn. 7. 211 Thym, in: AVR 2012, S. 125, 135, 154. 212 Pechstein, in: JZ 2010, S. 425, 429; Thym, in: AVR 2012, S. 125, 146 f. 206

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bb) Institutionelle Intergouvernementalität im Unionsgefüge – Europäischer Rat und Euro-Gruppe Der Einstimmimigkeitsvorbehalt als intergouvernementales Muster manifestiert sich insbesondere im Europäischen Rat; ein Organ, welches seinerseits institutioneller Ausfluss fortwährender Intergouvernementalität ist.213 Der Vertrag von Maastricht hob die Anerkennung dieses intergouvernementalen Elements auf eine neue Stufe, indem er Gipfeltreffen der mitgliedstaatlichen Staats- und Regierungschefs, die einen Beitrag zur europäischen politischen Agenda liefern, namentlich den Europäischen Rat, formell ins Institutionengefüge der EU aufnahm:214 Nachdem die im Europäischen Rat praktizierte Form der Politikkoordinierung lange Zeit rechtlich außerhalb des institutionellen Rahmens der Union stattgefunden hatte, entschied sich der Primärrechtsgeber, diesen Zustand zu verändern und die Institution nunmehr in Art. 15 EUV zu verankern. Zwar wirkt der Europäische Rat nicht direkt an Gesetzgebungsakten der EU mit; vielmehr gibt er der Union (bloße) Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen fest (Art. 15 Abs. 1 EUV).215 Und dennoch handelt es sich im Falle des Europäischen Rates um ein Organ, welches die mitgliedstaatlichen Interessen auf unionshöchster Ebene durchaus bedeutungsvoll vertritt.216 Insbesondere kommt dem Europäischen Rat eine Entscheidungskompetenz hinsichtlich gewisser, „besonders wichtiger“217 EU-Posten und -Ämter zu,218 wie nicht zuletzt das Vorschlagsrecht bei Ernennung des Präsidenten der Kommission (Art. 17 Abs. 7 EUV). Der Europäische Rat ist aber nicht das einzige Beispiel institutioneller Intergouvernementalität in der Unionsrechtsordnung. Daneben sorgt seit dem Vertrag von Lissabon Artikel 137 AEUV i. V. m. dem Protokoll betreffend die Euro-Gruppe, welches gemäß Art. 51 EUV Teil der Europäischen Verträge ist, für eine primärrechtliche Kodifizierung ebenjener Euro-Gruppe.219 Diese ist als Gremium der Wirtschafts- und Finanzminister der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, von intergouvernementaler Natur. Allerdings kommt der Euro-Gruppe keine 213

Siehe supra B. I. 3. Siehe dazu für die Zeit vor dem Vertrag von Lissabon bereits Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 1979, S. 115 ff.; siehe im Übrigen Haltern, Europarecht und das Politische, 2005, S. 142. 215 Siehe dazu Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 125. 216 Haltern, Europarecht und das Politische, 2005, S. 140; vgl. auch Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 360; Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 127, spricht von einem „Leitungsorgan der Union der Staaten“. 217 Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 15 EUV Rn. 15. 218 Siehe dazu Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 126 f. 219 Vgl. zur Situation vor der Kodifizierung im Primärrecht Beutel, Differenzierte Integration in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 2006, S. 169 ff. 214

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

Organfunktion im System der Union zu; auch fasst die Euro-Gruppe keine im Rahmen der Unionsordnung verbindlichen Entscheidungen. Ihre intergouvernementale Ausgestaltung zeigt sich darin, dass sie – anders als der Rat ECOFIN – zumeist im Konsens beschließt.220 Doch auch wenn das Gremium lediglich informeller Natur ist und nicht rechtsverbindlich agiert, steht die Euro-Gruppe doch für eine intergouvernementale Dominanz im Bereich der WWU. Insbesondere entspricht dem Euro-Gruppen-Ausschnitt des Rates ECOFIN nicht ein äquivalenter Ausschnitt des Europäischen Parlaments oder anderer Organe der Union.221 b) Interne Übereinkommen – Intergouvernementalismus außerhalb des Unionsrechts Dass zudem auch außerhalb der Unionsrechtsordnung intergouvernementale Zusammenarbeit zwischen europäischen Mitgliedstaaten seit jeher eine bedeutende Rolle spielt, ist nicht etwa aufgrund des zur Schau gestellten Intergouvernementalismus bemerkenswert – denn wie anders als intergouvernemental-völkerrechtlich sollen die Mitgliedstaaten außerhalb der Unionsrechtsordnung zusammenarbeiten? –, sondern vielmehr deshalb, weil es trotz der Existenz der EU bis in die Aktualität des Vertrags von Lissabon hinein Bedarf zwischen Mitgliedstaaten zu geben scheint, auch außerhalb der Unionsrechtsordnung zu kooperieren. Wenn davon die Rede ist, dass die Übereinkommen außerhalb der Unionsrechtsordnung stehen, dann bezieht sich dies darauf, dass die Rechtsnatur der Übereinkommen völkerrechtlich – ohne aber zugleich Änderungsverträge nach Art. 48 EUV darzustellen –, nicht etwa unionsrechtlich ist.222 Die Beispiele ganz verschiedener interner Übereinkommen, die im Verlauf der europäischen Integrationsgeschichte eine Rolle gespielt haben, sind zahlreich. Da gab es sowohl Übereinkommen zwischen allen Mitgliedstaaten (inter omnes), zwischen einigen, aber nicht allen (inter se), wie auch Abkommen zwischen nur zwei Mitgliedstaaten. Katalogisieren lassen sich die Übereinkommen nach unterschiedlichen Kriterien, wie z. B. zuletzt von Julia Heesen in einer groß angelegten Untersuchung vorgenommen.223 Heesen differenziert darin insbesondere anhand der „Beziehung[en] der Abkommen [i. e. der Übereinkommen] zum 220

Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Selmayr, 2016, Art. 137 AEUV Rn. 33. Vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-Selmayr, 2016, Art. 137 AEUV Rn. 33. 222 So die heute ganz überwiegende Auffassung, siehe Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 83 m. w. N.; vgl. auch zu den internen Eurokrisen-Übereinkommen Thym, in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 23, 31; zweifelnd indes das Editorial, in: European Constitutional Law Review 2015, S. 425 ff.; siehe zur früheren Diskussion ausführlich Schwartz, in: FS Grewe, 1981, S. 551 ff.; dies gilt im Übrigen trotz der „hybriden Natur“ (BVerfG, Urteil vom 19. Juni 2012, 2 BvE 4/11, Rn. 144) bspw. der Eurokrisen-Übereinkommen. 223 Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 9 ff.; siehe zu einer anderen Kategorisierung Bast  / ​ Heesen, European Community, Supplementary Agreements between Member States, in: ­MPEPIL, 2011. 221

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Unionsrecht“224. Der von Heesen angelegten Kategorienbildung geht es darum, aufzuzeigen, inwiefern Unionsrecht – und dabei vor allem Sekundärrecht – und das Übereinkommensrecht miteinander interagieren, ob die internen Übereinkommen auf einen Regelungsbedarf reagieren, der sich auf die EU zurückführen lässt, sowie ob das Übereinkommensrecht nicht auch seiner jeweiligen Substanz nach in Sekundärrecht hätte gegossen werden können. Keine besondere Aufmerksamkeit schenkt Heesen dabei allerdings der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Übereinkommen supranationale Merkmale beinhalten. Zwei der bekanntesten Beispiele dürften zum einen der sogenannte Schengen aquis225 sowie zum anderen der Vertrag von Prüm226 sein – während die Bekanntheit des ersteren aus der politischen Bedeutung der Offenheit der Grenzen für die europäische Idee erwächst, wurde dem letzteren Aufmerksamkeit dadurch zu teil, dass nur kurz nach Überführung des Schengenbesitzstands offenbar erneut Bedarf bestand, ein internes Übereinkommen auf dem Gebiet des sogenannten Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu verabschieden.227 In beiden diesen Fällen hat zwischenzeitlich indes dieselbe Entwicklung stattgefunden: Mittels (zumindest teilweiser) Ersetzung und gleichzeitiger Überführung der jeweiligen materiell-rechtlichen Substanz der Übereinkommen in den Unionsrechtsrahmen durch Sekundärrechtsgebung wurde aus intergouvernemental dominiertem Recht – bspw. sah der Schengen acquis einen intergouvernementalen Exekutivausschuss (Art. 131 f. Schengen II) vor, dem eine Vielzahl von Befugnissen zur Durchführung des Übereinkommens zukamen – normativ-supranationales Recht.

III. Supranationale-intergouvernementale Grundmuster und die Finalität Europas Das Phänomen der europäischen Integration ist und war228 ein dynamischer Prozess, welcher der europäischen Realität den steten Zustand von „zeit[-licher] Unerfülltheit“ verleiht.229 Solange Zielbestimmungen die Verfasstheit der Union prägen, ist dieser Prozess natürlicherweise noch unvollendet.230 Kommt er aber zum Ende, so hat Europa seinen (vorerst) finalen Zustand erreicht. Auf dem Weg dahin wirft die Vorstellung einer Finalität Europas indes viele Fragen auf. Eine 224

Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 9. Ursprünglich bestehend aus einem Übereinkommen vom 14. Juni 1985 („Schengen I“) sowie einem zweiten Übereinkommen vom 19. Juni 1990 („Schengen II“). 226 Eigentlich „Vertrag über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration“ vom Mai 2005. 227 Vgl. dazu Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 56 ff. 228 Siehe auch bereits Pescatore, Le droit de l’integration, 1972, S. 10; sowie L.-J. Constantinesco, in: Annales de la Faculté de droit de Liège 1979, S. 151, 179. 229 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 67. 230 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 67. 225

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1. Teil: Supranationale und intergouvernementale Integrationsmuster

dieser Fragen ist, ob sich die Union zukünftig in eine supranationale oder eine intergouvernementale Richtung bewegt.231 Blickt man auf die Verfasstheit der EU, dann zeigt sich auch gegenwärtig noch eine hybride Struktur, in der sich das supranationale neben dem intergouvernementalen Grundmuster niederschlägt (supra I. und II.):232 So finden sich sowohl Fälle, in denen die normative Supranationalität aufgeweicht und durch Intergouvernementalität ersetzt ist, wie auch im Übrigen Fälle institutioneller sowie verfahrensbezogener Intergouvernementalität, die sich von der typisch-supranationalen Gemeinschaftsmethode emanzipiert haben.233 Magnette weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass insbesondere die von ihm so titulierten „Königsrechte“, die er vornehmlich in den vier Bereichen Verteidigung, innere und äußere Sicherheit sowie Justiz verankert, nicht zufällig zu denjenigen Politikbereichen gehören, in denen supranationale Strukturen bislang am schwächsten ausgeprägt waren.234 Ergänzen sollte man die Wirtschafts- und Währungspolitik.235 Dabei ist Verständnis für das fortwährende Bedürfnis nach Intergouvernementalität durchaus angezeigt. Jedenfalls strukturell lässt sich die unveränderte Bedeutsamkeit von Intergouvernementalität schon darauf zurückführen, dass die Mitgliedstaaten ihren Status als „Herren der Verträge“ nach wie vor innehaben. Erkennbar wird diese Bedeutsamkeit schließlich nicht zuletzt dadurch, dass die Urform der europäischen Einigung, namentlich die Revision des Primärrechts, ein typisches intergouvernementales Phänomen darstellt. Wenn man aber die Entwicklung der europäischen Integration in ihren großen Zügen nachverfolgt, dann weist die Geschichte den Weg in Richtung von zunehmend mehr Supranationalität.236 Ein gewichtiges Indiz für diese Entwicklung ist, dass keine Fälle bekannt sind, in denen aus einem supranationalen Arrangement ein intergouvernementales geformt wurde;237 stattdessen gibt es bemerkenswerte Fälle, wie die Überführung internen Übereinkommensrechts in die Unionsrechtsordnung, die emblematisch für den umgekehrten Prozess stehen. Andererseits bleibt es auch für die Zukunft nicht unwahrscheinlich, dass in manchen Politikbereichen die intergouvernementale Zusammenarbeit konserviert wird, wie möglicherweise in der GASP. Darin muss auch kein Widerspruch liegen; vielmehr 231

Vgl. bereits Dehousse, in: Europe after Maastricht, 1994, S. 5, 12 ff. Vgl. bereits Magnette, L’Europe, L’État et la démocratie, 2000, S. 140, 144, der auch von „intergouvernementalem Föderalismus“ spricht; dieser Begriff stammt wohl von Croisat / Quermonne, L’Europe et le fédéralisme, 1999, S. 10, 61 ff. 233 Siehe zu letzterem auch Schorkopf, in: Die Europäische Union am Scheidweg, 2015, S. 93, 98. 234 Magnette, L’Europe, l’État et la démocratie, 2000, S. 146 f. 235 Dazu infra Zweiter Teil, B. 236 Siehe dazu Corbett, On the Community Method, 2011, abrufbar unter http://institutdelors. eu/wp-content/uploads/2018/01/onthecommunitymethod_r.corbett_ne_sept.2011.pdf, m. w. N.; sowie Dehousse, The Community Method, The EU’s „Default“ Operating System, 2013, abrufbar unter http://graspe.eu/document/G_communitymethod-feb13.pdf. 237 Vgl. bereits Dehousse, in: Europe after Maastricht, 1994, S. 5, 13. 232

C. Antagonismus der Grundmuster in der europäischen Integrationsgeschichte 

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schließen sich die Idee eines irgendwie föderal gearteten Europas und fortwährender Intergouvernementalität nicht gegenseitig aus.238 Immerhin tauchen intergouvernementale Kooperationsformen auch in entwickelten Bundesstaaten wie in Deutschland zwischen einzelnen Gliedstaaten auf.239 Nichtsdestoweniger liegen die Vorteile supranationaler Gestaltungsformen auf der Hand, sorgen sie doch insbesondere für schnellere, effizientere Verfahren, eine Entpolitisierung durch die maßgebliche Beteiligung eigener, unabhängiger Organe sowie für mehr Rechts­ sicherheit durch die Eigenschaften der normativen Supranationalität.240

238

Dehousse, in: Europe after Maastricht, 1994, S. 5, 14 f. Siehe dazu Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 400 ff. 240 Vgl. dazu bereits Schwartz, in: FS Caemmerer, 1978, S. 1067, 1111 ff.; siehe auch Thym, in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 23, 32 f. 239

Zweiter Teil

Die Supranationalität in der (Euro-)Krise A. Einführung „Unser Ziel ist es nicht, eine politische Union um ihrer selbst willen zu gründen. Nein, das Ziel ist, den Euro stabil zu machen – finanziell und ökonomisch, aber auch politisch solide. Das müssen wir machen.“ – Herman Van Rompuy, damals EU-Ratspräsident1

Es ist ein Zufall der internationalen Wirtschaftsgeschichte, dass der Chronist den Ausgangspunkt der Eurokrise, die durch den Zusammenbruch der Großbank Lehman Brothers 2008 ihren ursprünglichen Lauf als Wirtschafts- und Finanzkrise nahm,2 und den vorläufigen Zielpunkt der europäischen Integration, der am 13. Dezember 2007 unterzeichnete und am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon, aufgrund ihrer Quasi-Koinzidenz eigentlich in einem Atemzug nennen muss. Seither existiert ein in seinen Einzelheiten unübersichtliches Meinungsspektrum zur Frage, welche Weiterentwicklung die Lissabon-WWU nehmen soll im Angesicht der durch Lehman losgetretenen Entwicklungen. Nur in einem waren sich alle Diskurs-Teilnehmer bislang einig: Irgendeine Weiterentwicklung muss es geben, wofür stellvertretend auch das einleitende Wort Van Rompuys steht. Denn die Krise traf die Union, und insbesondere die WWU, unvorbereitet.3 Van Rompuy verdeutlicht sodann auch, worum es ging und noch immer geht, nämlich eine Umgestaltung der WWU zur Vermeidung einer weiteren Krise des Euro-Währungsgebiets. Dieser Teil der Untersuchung soll zwar keine konkreten Reformschritte aufzeigen oder die zahlreich existierenden Reformvorschläge bewerten;4 stattdessen soll er der Analyse gewidmet sein, ob, und falls ja welchem, Grundmuster europäischer Integration – Supranationalität oder Intergouver­ nementalität – sich der europäische Gesetzgeber bedienen wollte oder nach Ansicht einzelner politischer Akteure bedienen sollte. Dazu ist indes zunächst erforder 1

Zitiert nach FAZ vom 12. Oktober 2012, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/politik/ europaeische-union/europaeische-union-konstruktionsfehler-und-konfliktlinien-11923665.html; dasselbe Zitat stellt auch A. Weber, in: EuR 2013, S. 375, seinen Ausführungen voran. 2 Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, Rn. 2; eine Übersicht der Vorgänge liefert auch das House of Lords, HL Paper 260, 2012, S. 10 ff. 3 Dehousse / Boussaget, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 10. 4 Siehe bspw. Hinarejos, in: Cambridge, Legal Studies Research Paper Series Nr. 1, 2014; auch F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 271 ff.

B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise 

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lich, die vorkrisenhafte Gestalt der WWU auf Basis des Vertrags von Lissabon grundmustergerecht zu erfassen (infra B.). Anschließend soll der Reformbedarf ausgehend von den zentralen politischen Programmen und der bereits ergangenen Sekundärrechtssetzung bewertet werden – zunächst dahingehend, welche politischen Ziele erreicht werden sollten (infra C. I.), zum anderen analytisch mit Blick auf die grundmusterbezogene Ausgestaltung (infra C. II.).

B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise I. Kompetenzielle Asymmetrie der Wirtschafts- und Währungsunion Eigentlich spricht das europäische Primärrecht an der entscheidenden Stelle nicht von einer WW-Union. Dort wo das Primärrecht nämlich ihre Grundstrukturen verankert, in Titel VIII und Art. 119 ff. AEUV, lautet die Terminologie vielfach nur auf Wirtschafts- und Währungspolitik.5 Allerdings enthält das Primärrecht in Gestalt des Vertrags von Lissabon an vielen Stellen Verweise auf die WW-Union:6 Art. 66, Art. 121 AEUV und in gewisser Weise auch Art. 136 Abs. 1 AEUV erken­ nen im „Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion“ ein zentrales rechtliches Interesse von schützenswerter Qualität; daneben enthalten Art. 138 Abs. 1, Art. 139 und Art. 219 Abs. 4 AEUV dieselbe Terminologie; Art. 3 Abs. 4 EUV nennt „das Errichten einer Wirtschafts- und Währungsunion“ gar in einer Reihe mit anderen Zielen der Union.7 Es gibt sie also, und zwar auch im Duktus des europäischen Primärrechtsgebers: die WWU. Allerdings besteht die WWU mit den Bestimmungen über die Wirtschaftspolitik (im Wesentlichen Art. 120–126 AEUV – ergänzend enthält Art. 136 AEUV Regelungen speziell für die Eurozone) einerseits und den Bestimmungen über die Währungspolitik (Art. 127–133 AEUV) andererseits aus zwei unterscheidbaren Teilen, die sowohl institutionell getrennt als auch strukturell auf andere Leitlinien ausgerichtet sind. Eine strukturell rechtliche Einheit bilden die primärrechtlichen Vorschriften über die WWU insoweit kaum. Dieser Befund könnte kaum besser verdeutlicht werden als dadurch, dass nach Art. 139 Abs. 2 AEUV zwar diejenigen Mitgliedstaaten, die die gemeinsame Währung Euro noch nicht eingeführt haben, 5

Französisch: „politique“, englisch: „policy“; Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 13 ff. sowie S. 27 ff., sprechen in diesem Zusammenhang von Makroökonomik im Unterschied zur mikroökonomischen Ebene insbesondere des Binnenmarkts. 6 Begriffsgeschichtlich Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 192 ff. 7 Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, spricht von einem „operativen“ Ziel; Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, Rn. 1 spricht von einem „Errichtungsprojekt“ als „Unionsziel“; siehe auch W. Cremer, in: EuR 2016, S. 256, 265; vgl. dazu auch Pilz, in: DÖV 2012, S. 909, 911.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

von den währungspolitischen Bestimmungen weitgehend befreit sind. Für sich genommen ist dies noch kein Umstand, der zu Verwunderung animiert: Die volle Entfaltung der Währungsunion ist praktischerweise darauf ausgerichtet, dass die ihr unterworfenen Mitgliedstaaten als konstitutive Voraussetzung die gemeinsame Währung eingeführt haben. Die Besonderheit der Konstruktion ist vielmehr in der Zusammenschau mit den Bestimmungen über die Wirtschaftspolitik ausfindig zu machen. Diesen Bestimmungen sind nämlich  – mit einigen Ausnahmen  – grundsätzlich auch „Nicht-Euro“-Mitgliedstaaten unterworfen. Die hierdurch in Form des spezifischen Geltungsbereichs – nur Euro-Währungsgebiet hier, gesamtes Gebiet der EU da – bereits erkennbare Asymmetrie8 der WWU lässt sich nicht etwa damit erklären, dass die Einführung der einheitlichen Währung eine irgendwie geartete Endstufe der WWU darstellen würde, deren Vorstufe die Einhaltung der Vorgaben zur Wirtschaftsunion sind. Einer solchen Deutung stehen schon Art. 140 AEUV und das Protokoll Nr. 13 über die Konvergenzkriterien entgegen. Schließlich enthält der von diesen primärrechtlichen Bestimmungen aufgestellte Katalog sowohl Vorgaben, die der Wirtschaftspolitik zuzuordnen sind, wie eine auf Dauer tragbare Finanzlage oder ein maximales Zinsniveau von langfristigen Staatsanleihen, als auch solche, die währungspolitischen Ursprungs sind, wie spezifische Vorgaben zur Preisstabilität oder die Einhaltung von sogenannten Wechselkurs-Bandbreiten. Die Erklärung ist stattdessen in einem anderen Umstand zu suchen: Anders als im Bereich der supranationalen Währungsunion nehmen die Mitgliedstaaten an den gemeinschaftlichen Regeln der Wirtschaftsunion teil, ohne zugleich wesentliche Hoheitsrechte auf gemeinsame Institutionen zu übertragen (siehe dazu infra II.) – letztlich bleiben die Mitgliedstaaten für ihre Wirtschaftspolitik somit weitgehend selbst verantwortlich, oder in den Worten der Kommission: „Die WWU ist unter den modernen Währungsunionen insofern einmalig, als sie eine zentrale Währungspolitik mit dezentraler Verantwortung für die meisten wirtschaftspolitischen Bereiche verbindet, wobei gewisse Einschränkungen in Bezug auf die einzelstaatliche Haushaltspolitik bestehen. Im Gegensatz zu anderen Währungsunionen gibt es weder eine zentrale fiskalpolitische Funktion noch eine zentralisierte Fiskalkapazität (d. h. auch keinen föderalen Haushalt).“9

Ambivalenter Markenkern der WWU ist somit die supranationale – häufig auch in konstitutionalisierendem Kontext „zentral“10 genannte – Währungspolitik einer-

8 Hierbei handelt es sich um eine Asymmetrie; zumeist ist mit dieser Terminologie ein anderes gestaltungsstrukturelles Merkmal, also eine andere Asymmetrie, gemeint: die unterschiedliche Zuständigkeitsverteilung, siehe bswp. W. Cremer, in: EuR 2016, S. 256, 265; Bertrand, in: L’Union européenne et le fédéralisme économique, 2015, S. 119, 130. 9 Mitteilung der Kommission vom 28. November 2012, COM(2012) 777 final. 10 Häufig in englischsprachiger Literatur zu finden, so bspw. Hinarejos, in: Cambridge, Legal Studies Research Paper Series Nr. 1, 2014; siehe auch F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 23 ff.

B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise 

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seits11 und eine weitgehend in Verantwortung der Mitgliedstaaten befindliche, und folglich dezentrale, Wirtschaftspolitik andererseits.12 Es liegt eine kompetenzielle Asymmetrie vor. Konsequenterweise findet diese Asymmetrie bereits im primärrechtlichen Kompetenzkatalog einen Niederschlag: Art. 3 Abs. 1 lit. c) AEUV erwähnt die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik, Art. 5 Abs. 1 AEUV erwähnt dagegen die Koordinierung der Wirtschaftspolitik. Deutlich wird Art. 5 Abs. 1 Satz 1 AEUV: es sind (grundsätzlich) die Mitgliedstaaten, die ihre Wirtschaftspolitik selbst koordinieren, wenn auch im Rahmen der Union und mit gewissen Teil-Zuständigkeiten der Union.13 Mit dem für die Wirtschaftspolitik vorgesehenen Koordinierungsverfahren haben die Mitgliedstaaten geschaffen, was eine „kompetenzschonende Alternative“14 zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Union genannt wird. Die Währungsunion ist demgegenüber typisch supranational ausgestaltet.15 Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten selbst (Euro-)Währungspolitik nicht hoheitlich ausüben, sondern an ihrer statt die Union, insbesondere in Gestalt der EZB bzw. dem ESZB, auf diesem Feld hoheitlich tätig ist.16 Begrifflich umfasst die WWU-Währungspolitik  – insofern ganz typisch  – die Geld- und Wechselkurspolitik, die einheitlich für diejenigen Mitgliedstaaten sein soll, deren Währung der Euro ist. Zudem umfasst die Politik der für die einheitlich gemeinschaftliche Währungspolitik errichteten EZB auch die Aufsicht über Finanzinstitute, wie Art. 127 Abs. 6 AEUV bestimmt. Dass die Aufsicht über einen Zweig der (Privat-)Wirtschaft damit jedenfalls institutionell in die Nähe der Währungspolitik gerückt wird, ist erklärungsbedürftig und zeigt, wie die begrifflichen Grenzen zwischen Währungspolitik und Wirtschaftspolitik diffundieren.17 Die Begründung der Währungsunion lässt sich sodann durchaus als eine auftaktgebende Initiative auf dem Weg in Richtung politische Union begreifen, die sich von der bloßen Vollendung eines gemeinsamen Marktes emanzipiert.18 Wenn aber die Zuständigkeiten primärrechtlich so unterschiedlich ausgestaltet sind, und die Währungsunion aufgrund der zugrundeliegenden unionalen Zuständigkeit folgerichtig supranational ausgestaltet

11

Nach Ansicht von Magnette, L’Europe, l’État et la démocratie, 2000, S. 147, handelt es sich dabei um das einzige „Königsrecht“ der Mitgliedstaaten, welches vollwertig supranational ausgestaltet wurde. 12 Speziell für die Fiskalpolitik, insbesondere Steuererhebung, Hinarejos, in: Cambridge, Legal Studies Research Paper Series Nr. 1, 2014, S. 6 f. 13 Hintergründig dazu Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2015, § 22 Rn. 27; sowie infra II. 14 Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 2. 15 Vgl. Fünf-Präsidenten-Bericht, 2015, S. 7. 16 Vgl. Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, 292; siehe Bieber, in: The Question of Competence in the EU, 2014, S. 86, 96 ff.; vgl. auch Selmayr, in: EnzEuR, Bd. 4, 2015, § 23 Rn. 74. 17 Vgl. für die damit einhergehenden institutionellen Probleme Kämmerer / Starksi, in: ZG 2013, S. 318, 320 ff.; sowie Kämmerer, in: NVwZ 2013, S. 830 ff. 18 Vgl. Herdegen, Europarecht, 2017, § 1 Rn. 16.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

ist, wie balancierte der Vertrag von Lissabon dann die supranationale-intergouvernementale Dichotomie bei der Ausgestaltung der Wirtschaftsunion?19

II. Orientierung der Wirtschaftspolitik zwischen Supranationalität und Intergouvernementalität Müller-Graff bezeichnet die Regeln des Vertrags von Lissabon in Bezug auf die Wirtschaftsunion als „intergouvernemental-supranational“.20 Dadurch grenzt er die Wirtschaftsunion zwar einerseits von der Währungsunion ab, die supranationalen Strukturen gehorcht. Andererseits ist mit dieser Wortwahl auch der Mischcharakter der Wirtschaftsunion beschrieben, die sich eben nicht eindeutig entweder intergouvernementalen oder supranationalen Mustern zuordnen lässt. Andere Klassifikationen, die lediglich die intergouvernementalen Elemente ausfindig machen und deshalb insgesamt nur von einer intergouvernementalen Wirtschaftsunion sprechen, greifen zu kurz.21 Im Einzelnen lassen sich ausgehend von Müller-Graffs Einordnung die folgenden Teilanalysen anstellen. Im Ergebnis – soviel vorweg – ist die Bewertung zu teilen, dass das Recht der Wirtschaftsunion einen starken intergouvernementalen Rahmen hat und zusätzlich einzelne supranationale Elemente aufweist;22 oder mit anderen Worten: Intergouvernementalität ist die Leitlinie, der Supranationalität kommt im Unterschied dazu nur Unterstützungsfunktion zu.23 1. Wirtschaftspolitisches Koordinierungsverfahren und präventiver Arm der Haushaltsüberwachung a) Überblick Dem Maastrichter Primärrecht zufolge – das bis heute im Wesentlichen unverändert blieb – koordinieren die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik (Art. 120, 121 AEUV) grundsätzlich in eigener Verantwortung. Als Organ mitgliedstaat­ licher Repräsentanz auf europäischer Ebene kommt dem Rat im Koordinierungsverfahren nach Art. 121 AEUV besondere Bedeutung zu. So bestimmt der Rat die Grundzüge der Wirtschaftspolitik (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 AEUV). Im Übrigen verdeutlicht ein formulierungstechnischer Kunstgriff in Art. 121 Abs. 1 AEUV, 19

Aus den Politikwissenschaften gibt es den Vorschlag, die Ausgestaltung des Vertrags von Lissabon als „dual constitution“, einerseits mit supranationalen und andererseits mit intergouvernementalen Mustern, einzuordnen, siehe S. Fabbrini, in: CPS 2013, S. 1003. 20 Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, 290 ff.; ähnlich Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, Rn. 115. 21 So auch Selmayr, in: EnzEuR, Bd. 4, 2015, § 23 Rn. 78. 22 Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, 290 f.; vgl. auch Hodson, Governing the Euro Area in Good Times and Bad, 2011, S. 3 f. 23 Vgl. Tuori / Tuori, the Eurozone Crisis, 2014, S. 188.

B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise 

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dass die Mitgliedstaaten selbst für die jeweilige Wirtschaftspolitik verantwortlich bleiben: Es koordiniert nicht etwa der Rat, sondern es koordinieren die Mitgliedstaaten im Rat.24 Die (allgemeine) Wirtschaftspolitik umfasst vieles – freilich mit Ausnahme der bereits auf die Union übertragenen Zuständigkeiten, wie diejenigen für Agrarpolitik, Handel, Wettbewerb, oder die Binnenmarktpolitik25 – und wie es ein politisches „Programmwort“ nun einmal so will, lässt sich der spezifische Bedeutungsgehalt der Wirtschaftspolitik nicht für alle Zukunft festlegen.26 Einen Anhaltspunkt liefert der Fünf-Präsidenten-Bericht der Präsidenten von Kommission, Europäischem Rat, Euro-Gruppe, EZB und Europäischem Parlament aus dem Jahr 2015, der hier bspw. die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verortet.27 Die Regeln über die Koordinierung der Wirtschaftspolitik kamen nach ihrer Einführung mit dem Vertrag von Maastricht nicht lange ohne sekundärrechtlichen Anbau aus. Bereits 1997 erging sich der europäische Gesetzgeber in einer Ergänzung des geltenden Primärrechts in Gestalt des SWP – einem Maßnahmenbündel bestehend aus einer (unverbindlichen) Entschließung sowie zwei Verordnungen. Eine der beiden Verordnungen, (EG) Nr. 1466/97,28 gründet auf der Vorgängervorschrift des heutigen Art. 121 Abs. 6 AEUV, und gestaltet den präventiven Arm – der so genannt wird, weil er im Vorfeld des Anwendungsbereichs von Art. 126 AEUV greift – der Haushaltsüberwachung aus. Da mithin auch der SWP deutlich zur Vorgeschichte der Eurokrise gehört, darf er an dieser Stelle nicht fehlen. Dasselbe gilt für die entsprechende SWP-Reformverordnung von 2005 (EG) Nr. 1055/2005.29 b) Unverbindliche Akte von Unionsorganen Die vom Rat formulierten Grundzüge der Wirtschaftspolitik indes erwachsen zu keinem Zeitpunkt in verbindliche, mit normativ-supranationaler Wirkung ausgestattete Rechtsbefehle; so sind sie lediglich in (eben unverbindliche, Art. 288 Abs. 5 AEUV) Empfehlungen verpackt (Art. 121 Abs. 2 und 4 AEUV).30 Dieser Unverbindlichkeit entspricht es konsequenterweise, dass einem Mitgliedstaat im 24

Darauf verweist auch Hufeld, in: EnzEuR, 2014, S. 1310 Rn. 13. Calliess / Ruffert-Bandilla, 2017, Art. 119 AEUV Rn. 20; und Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 119 AEUV Rn. 4 stellen dabei auf jede („allgemeine“ Wirtschafts-)Politik ab, sofern sie bereichsübergreifend ist; siehe auch von der Groeben / Schwarze / Hatje-Yoo, 2015, Art. 119 AEUV Rn. 4. 26 Vgl. Clément-Wilz, in: L’Union européenne et le fédéralisme économique, 2015, S. 101, 102 f. 27 Mit Bezug darauf auch W.  Cremer, in: EuR 2016, S. 256, 262 f.; siehe Fünf-Präsidenten-Bericht, 2015, S. 7 ff. (siehe auch infra C. II. 1. b)). 28 Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken. 29 Verordnung (EG) Nr. 1055/2005 des Rates vom 27. Juni 2005 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken. 30 Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, 291. 25

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Falle einer Nichtbeachtung der Grundzüge des Rates, oder falls eine Gefahr für das ordnungsgemäße Funktionieren der WWU droht, zwar mit einer veröffentlichten Rats-Empfehlung begegnet werden kann (Art. 121 Abs. 4 Satz 3 AEUV); allerdings bleibt es im äußersten Fall auch dabei.31 Denn auch die Kommission – natürlicherweise ein genuin supranationales Organ – verfügt neben der ihr ebenfalls gewährten Möglichkeit, Empfehlungen zu entrichten (Art. 288 Abs. 5 AEUV differenziert nicht danach, welches Unionsorgan Ausgangspunkt einer Maßnahme ist32), über keine anderen Optionen, außer eine Verwarnung auszusprechen (Art. 121 Abs. 4 Satz 1 AEUV).33 Ein Mitgliedstaat kann sich folglich  – so die Konzeption des Primärrechts  – den koordinierten Grundzügen der Wirtschaftspolitik eigenverantwortlich entziehen. Auch enthält die Verordnung (EG) Nr. 1466/1997 im Wesentlichen nur Berichtspflichten, die für sich genommen keinen Beitrag zu einem Verzicht auf Hoheitsrechte dergestalt leisten würden, als im Gegenzug substantielle Supranationalität entstünde. So führte der präventive Arm der Haushaltsüberwachung weder verbindliche Rechtsakte ein, noch versah er (supranationale) Unionsorgane mit wesentlich neuen Befugnissen. Durch die Reform aus dem Jahr 2005 wurden die strukturell ohnehin unbedeutenden34 Vorschriften des SWP gar noch weiter gelockert, indem der europäische Gesetzgeber an verschiedenen Stellen für Flexibilisierung sorgte.35 Im Übrigen kommt dem Europäischen Parlament im Rahmen von Art. 121 AEUV keine Zuständigkeit zu; Rat (oder sein Präsident) und Kommission unterrichten es lediglich über den Gang des Verfahrens. Einzige Ausnahme ist die Rolle des Parlaments im Gesetzgebungsverfahren zu Einzelheiten der Koordinierungstechnik in Art. 121 Abs. 3 und 4 AEUV (Art. 121 Abs. 6 AEUV). Das Parlament tritt hier in ordentlicher Ko-Gesetzgeberschaft mit dem Rat und auf Initiative der Kommission auf (Gemeinschaftsmethode). Inwiefern diese Rechtsetzungskompetenz sodann für mögliche „Supranationalisierungen durch Sekundärrechtsakt“ im Hinblick auf eine von den Mitgliedstaaten unabhängigere Form der Wirtschaftsregierung herangezogen werden kann, ist unklar und wird denkbar unterschiedlich beantwortet.36 Selbst wenn – wie vielfach vorgebracht wird37 – ge 31

Streinz-Kempen, 2018, Art. 121 AEUV Rn. 1. Unverbindlich sind die Empfehlungen hier freilich im Verhältnis zum Rat, der der Adressat der Empfehlungen der Kommission ist (Art. 121 Abs. 2 Uabs. 1 und Abs. 4 Satz 2 AEUV). 33 Auch wenn die Verwarnung nicht ausdrücklich im Katalog von Art. 288 AEUV erwähnt ist, so scheint Einigkeit über ihre Unverbindlichkeit zu bestehen, siehe nur Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, 291; vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 121 AEUV Rn. 27 f. 34 Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 10. 35 W. Cremer, in: EuR 2016, S. 256, 267; siehe auch Juncker et al., Analytische Note, 12. Februar 2015, S. 4; siehe zudem die ausführlicher Bewertung bei Hentschelmann, Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, 2007, S. 1830 ff. 36 Zur Diskussion, die vor allem im Zusammenhang mit dem Sixpack große praktische Relevanz erlangt hat, siehe infra C. II. 2. a). 37 Siehe bspw. Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 369 ff. 32

B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise 

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rade das möglich sein sollte, so ändert es doch nichts daran, dass der europäische Gesetzgeber bis zum Ausbruch der Eurokrise jedenfalls keine solchen Schritte unternommen hatte. c) Unstatthaftigkeit des Vertragsverletzungsverfahrens Eine gesonderte Überschrift ist es wert, sich mit der Frage der Statthaftigkeit eines Vertragsverletzungsverfahrens auseinanderzusetzen. Wie es darum bestellt ist, ist umstritten.38 Weil aber der EuGH neben Kommission und Parlament das dritte wesentliche supranationale Organ darstellt – und weil die anderen beiden, wie soeben erörtert, mit nur schwachen, unverbindlichen Befugnissen ausgestattet sind –, ist eine Beantwortung hier auch von struktureller Bedeutung. Dem Grundsatz nach ist das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258–260 AEUV in sämtlichen Fällen uneingeschränkt eröffnet, in denen eine Verletzung europäischen Primärrechts oder auch niederen europäischen Rechts vorliegt.39 Für seine Statthaftigkeit im Rahmen der Koordinierung der Wirtschaftspolitik spricht sodann, dass anders als Art. 126 Abs. 10 AEUV, Art. 121 AEUV keinen ausdrücklichen Ausschluss eines Verfahrens vor dem EuGH enthält.40 Indes erscheint ein solches Ergebnis vom Primärrechts-System der Wirtschaftsunion nicht gewollt. So vermag schlechterdings nicht einzuleuchten, weshalb beim ungleich schärferen (infra 2.) und zeitlich später ansetzenden Defizitverfahren (Art. 126 AEUV) ein Gang vor den EuGH ausgeschlossen ist, im Vorfeld dessen im Rahmen der bloßen Koordinierung aber ein solcher Gang statthaft sein soll. Zusätzlich spricht gegen die Justiziabilität, dass die im Rahmen des Koordinierungsverfahrens ergehenden Akte unverbindlich sind; sie würden indes „durch die Hintertür“ quasi-verbindlich, wenn ein Gang vor den EuGH gestattet wäre.41 Dass die Ansicht strenger Justiziabilität schließlich nicht durchzuhalten ist, erkennen auch die grundsätzlichen Befürworter einer Statthaftigkeit des Vertragsverletzungsverfahrens an. So gibt es Stimmen, die zwar die Unverbindlichkeit der Rechtsakte im Verfahren nach Art. 121 AEUV zur Kenntnis nehmen und deshalb wohl das Vertragsverletzungsverfahren für nur eingeschränkt anwendbar erklären. Häde schlägt diesbezüglich bspw. vor, lediglich die generelle Bereitschaft eines Mitgliedstaates, an der Koordinierung teilzunehmen, für justiziabel zu erklären.42 Dem ist zuzu-

38

Siehe bspw. Streinz-Kempen, 2018, Art. 121 AEUV Rn. 8 m. w. N. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Karpenstein, 66. EL 2019, Art. 258 AEUV Rn. 29; Geiger / ​ Khan / Kotzur-Kotzur, 2017, Art. 258 AEUV Rn. 4; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Wunder­ lich, 2015, Art. 258 AEUV Rn. 5. 40 Mit diesem Argument Streinz-Kempen, 2018, Art. 121 AEUV Rn. 8; Vedder / Heintschel von Heinegg-Rodi, 2018, Art. 121 AEUV Rn. 8. 41 Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 121 AEUV Rn. 13. 42 Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 121 AEUV Rn. 15. 39

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

stimmen; allerdings handelt es sich bei der Frage der Teilnahme am Koordinierungsverfahren auch um ein den eigentlichen während des Verfahrens ergehenden Akten vorgelagertes Thema. Für das Koordinierungsverfahren selbst gilt, dass das Vertragsverletzungsverfahren wegen „Verstoßes“ gegen die Empfehlungen oder Verwarnungen unstatthaft ist. Auch insofern sieht das Primärrecht folglich keine substantielle Supranationalität vor. 2. Überwachung der Haushaltsdisziplin und korrektiver Arm der Haushaltsüberwachung a) Überblick Haushaltspolitik gehört der Diktion der WWU zufolge zur Wirtschaftspolitik – man könnte von besonderer Wirtschaftspolitik sprechen. Das bedeutet aber, dass auch die Haushaltspolitik im genuin mitgliedstaatlichen Zuständigkeitsbereich liegt. Allerdings kommt ihr auf Unionsebene ein besonderer Stellenwert zu, wie nicht zuletzt die Ausstattung mit einem eigenen primärrechtlichen, unionalen Überwachungsverfahren (Art. 126 AEUV) verdeutlicht. Hierbei handelt es sich zugleich um den Kern des korrektiven Arms der Haushaltsüberwachung. Die besondere Bedeutung der Haushaltspolitik unterstreicht auch Art. 119 Abs. 3 AEUV, der eine Referenz zum Ziel „gesunder öffentlicher Finanzen“ enthält, und wodurch gerade die mitgliedstaatliche Haushaltspolitik ausdrücklich in Bezug genommen wird.43 Die Vorgaben der Haushaltsdisziplin sind  – anders als noch jene lose Koordinierungsvorgabe für die allgemeine Wirtschaftspolitik  – eigentlich eindeutig formuliert. Die Kriterien aus Art. 126 Abs. 2 AEUV i. V. m. Art. 1 des Protokolls Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, welches gemäß Art. 51 EUV sogar Bestandteil des Primärrechts ist, waren und sind prima facie eindeutig: Erstens sind höchstens 3 Prozent Abweichung des geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizits vom Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen gestattet, und zweitens ist kein höherer öffentlicher Schuldenstand als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen erlaubt.44 Die genuin primärrechtlichen Vorgaben zur Haushaltsdisziplin erfuhren im Rahmen des SWP genauso wie schon ihre

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Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 119 AEUV Rn. 39 ff. Auf die Geltung dieser Referenzwerte verweist auch affirmativ eine den materiellen Regelungen des Fiskalvertrags vorangestellte Präambel: „In dem Bewusstsein, dass sichergestellt werden muss, dass ihr [dasjenige der Mitgliedstaaten] gesamtstaatliches Haushaltsdefizit 3 % ihres Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen nicht überschreitet und dass der öffentliche Schuldenstand 60 % ihres Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen nicht überschreitet oder sich in ausreichendem Maße auf diesen Wert hin verringert“. 44

B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise 

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wirtschaftspolitischen Nachbarvorschriften einen sekundärrechtlichen Anbau,45 und später wiederum eine Reform dieses Anbaus46. b) Verbindlichkeit und Durchsetzungsschwäche des Defizitverfahrens aa) Rechtspflicht zur Defizitvermeidung Eigentlich hätte bereits der Vorrang des Unionsrechts verhindern müssen, dass von den Defizitregeln abweichendes oder gegen die Defizitregeln verstoßendes nationales Recht erlassen oder angewandt wird.47 Allerdings fehlt den Haushaltsvorschriften regelmäßig die Drittwirkung oder – nach europarechtlicher Dogmatik – die unmittelbare Anwendbarkeit bzw. unmittelbare Wirkung, weshalb Einzelne sie jedenfalls nicht prozessual geltend machen können.48 Zwar vertritt auch Martin Selmayr die Ansicht, dass das Verbot eines übermäßigen öffentlichen Defizits grundsätzlich mangels unmittelbarer Anwendbarkeit nicht eingeklagt werden kann. Allerdings hält er das Verbot ausnahmsweise dann für unmittelbar anwendbar – mit der Folge einer möglichen Geltendmachung in nationalen Gerichts­verfahren durch Einzelne –, wenn der Rat nach Art. 126 Abs. 6 AEUV ein übermäßiges öffentliches Defizit festgestellt hat. Selmayrs Ansicht zufolge erwächst ein subjektives Recht des Einzelnen quasi durch einen Beschluss des Rates, weil das Verbot übermäßiger öffentlicher Defizite dann seine Bedingtheit verliere.49 Diese Ansicht ist allerdings nicht mit der unionsrechtlichen Dogmatik zur unmittelbaren Anwendbarkeit vereinbar. Denn auch das Unionsrecht bezweckt nicht den Schutz lediglich allgemeiner Rechtsgüter durch eine konstruierte individuelle Betroffenheit des Einzelnen.50 Erforderlich ist – obwohl vom EuGH freilich nie dergestalt dogmatisch aufbereitet –, dass die in Rede stehende Norm

45 Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit. 46 Verordnung (EG) Nr. 1056/2005 des Rates vom 27. Juni 2005 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit. 47 Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 126 AEUV Rn. 103; als mitgliedstaatlich parlamentarische „Integrationsverantwortung“ bezeichnet dies Kotzur, in: Europa als Rechtsgemeinschaft, 2013, S. 45, 51; siehe auch BVerfG, Urteil vom 12. September 2012, 2 BVR 1390, 1421, 1438, 1439,1440/12 – 2 BvE 6/12, Rn. 122 f.; BVerfG, Urteil vom 18. März, 2 BvR 1390/12 et al., Rn. 171; vgl. F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 29; vgl. Kirchhof, HdbStR X, 2012, § 214 Rn. 42. 48 Gröpl, in: Der Staat 2013, S. 1, 6; zum Unterschied zwischen der Konzeption subjektiver öffentlicher Rechte nach deutscher Staatslehre und im Unionsrecht Nettesheim, in: AöR 2007, S. 333, 355 ff.; vgl. für den entsprechenden deutsch-verfassungsrechtlichen Sachverhalt Maunz / Dürig-Kube, 2017, Art. 109 GG Rn. 234. 49 Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 254; siehe auch bereits ders., in: AöR 1999, S. 357, 395. 50 Siehe Nettesheim, in: AöR 2007, S. 333, 359.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

„von ihrem normativen Inhalt her den Rechtsstatus des Einzelnen berührt“.51 Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass der EuGH bisher nur in wenigen Fällen die unmittelbare Wirkung primärrechtlicher Normen bestätigt hat.52 Der Art. 126 Abs. 1 AEUV gehört bislang nicht dazu. Durch Auslegung lässt sich auch kein Bezug zum Rechtsstatus des Einzelnen begründen. Selbst eine „aggregierte Individualisierung“ des Einzelnen, der sein Recht inhaltsgleich mit einer abgrenzbaren Gruppe anderer teilt, wie z. B. im Falle von Umweltschutzstandards,53 lässt sich im Rahmen der Auslegung nicht erreichen. Vielmehr zielt die Vermeidung öffentlicher Defizite gerade auf einen Schutz der Öffentlichkeit als Ganzes, also des Gesamtstaats, ab. So ist die Durchsetzungsfähigkeit stattdessen auf spezielle vertragliche Regeln und ergänzendes Sekundärrecht angewiesen.54 bb) Die Rolle der Unionsorgane Zur primärrechtlichen Realität gehört indessen auch, dass nach Art. 126 Abs. 10 AEUV jedweder Weg zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens ausgeschlossen ist – ein deutlicher Beweis für die erschwerte Durchsetzungsfähigkeit und zudem ein Indiz für die mangelnde Supranationalisierung der haushaltsdisziplinarischen Vorgaben. Dem hält Federico Fabbrini eine Idee entgegen:55 Möglicherweise könnte die Auslegung der Defizitregeln vor dem Hintergrund entgegenstehenden nationalen Budgetrechts mittels eines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) an den EuGH gelangen. Auch wenn dem aufgrund des ausdrücklichen Wortlauts des Art. 126 Abs. 10 AEUV zuzustimmen wäre, so bleibt es doch dabei, dass die Haushaltsregeln keine einklagbaren Rechte verleihen und die Konstellation daher eine hypothetische bleibt. Dennoch existieren im Bereich der Haushaltspolitik mehr Unionsbefugnisse als noch im Rahmen der (ohnehin präventiv ausgestalteten) allgemeinen Wirtschaftspolitik. Das Monitoring, also die Überwachung der Haushaltsdisziplin, kommt nach den Vorschriften des Primärrechts vornehmlich der Kommission zu (Art. 126 Abs. 3 Satz 1, Abs. 3 Uabs. 2, Abs. 5, Abs. 6, und insbesondere Abs. 13 AEUV) – angelehnt an ihre typische supranationale Aufgabe als „Hüterin der Verträge“ (Art. 17 Abs. 1 Satz 3 EUV).56 Allerdings beschränkt sich das Tätigwerden der Kommission im Rahmen der Überwachung der Haushaltsdisziplin im Folgenden lediglich auf noch unverbindliche Maßnahmen, ohne spezifisch hoheitliche Ein 51

Classen, in: VerwArch 1997, S. 645, 667; siehe dazu insgesamt auch Frenz, in: DVBl. 1995, S. 408 ff. 52 Übersicht bei Sodan / Ziekow-Dörr, 2018, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, Rn. 188. 53 Dazu Classen, in: VerwArch 1997, S. 645, 658 ff. 54 Vgl. Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1, 11 f. 55 F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 48, der sich als Quelle der Inspiration auf Sabino Cassese bezieht. 56 Dazu Kotzur, in: Europa als Rechtsgemeinschaft, 2013, S. 45, 53 ff. und speziell im Defizitverfahren S. 60 ff.

B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise 

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griffswirkung. Dabei markiert eine Kommissionsbefugnis jedoch auch den Übergang hin zu dem verbindlichen Regelungsbereich des Defizitverfahrens:57 So kann nur die Kommission mittels Vorschlag nach Art. 126 Abs. 6 AEUV das eigentliche, schließlich auch mit repressiven Instrumenten versehene Defizitverfahren initiieren. Dass die Rolle der supranationalen Kommission somit eine durchaus beachtliche ist, liegt auch daran, dass der Rat den Vorschlag der Kommission zur Einleitung des Defizitverfahrens gemäß Art. 293 Abs. 1 AEUV nur einstimmig ändern kann.58 Indes: Im weiteren Verlauf des Defizitverfahrens und wenn final möglicherweise handfeste Sanktionen im Raum stehen (Art. 126 Abs. 7 ff. AEUV), kommt der Kommission sodann nicht mehr ein Vorschlagsrecht, sondern nur noch ein Empfehlungsrecht zu. Empfehlungen kann der Rat aber mit qualifizierter Mehrheit ändern. Primärrechtlich liegt also insgesamt zwar durchaus eine Initiativfunktion der Kommission vor, die allerdings abgeschwächt ist. Dies unterstreicht schließlich, dass die bedeutende Rolle im Defizitverfahren nicht den von mitgliedstaatlichen Einflüssen unabhängigen supranationalen Unionsorganen, sondern dem mitgliedstaatlich besetzten Rat zukommt59 – dieser tritt quasi an die Stelle des EuGH als unter entsprechenden Umständen und nach Maßgabe geltenden Rechts kontrollierendes (Art. 17 Abs. 1 Satz 3 EUV) und sanktionierendes (Art. 258 ff. AEUV) Organ.60 Einige Male sieht das Defizitverfahren durch „Kann“-Bestimmungen gekennzeichnete Ermessensentscheidungen des Rates vor. Primärrechtlich – und unverändert durch den SWP – ist dies nahezu bei jeder Verfahrensstufe der Fall, so in Art. 126 Abs. 9 (Fristsetzung nach der Feststellung eines übermäßigen Defizits) und Abs. 11 AEUV (Sanktionierung). Schon zu Beginn des Defizitverfahrens, wenn es in Art. 126 Abs. 6 AEUV um die eigentliche Feststellung eines übermäßigen öffentlichen Defizits geht, trifft der Rat eine politische Entscheidung mit Entscheidungs- oder Ermessensspielraum; er prüft die „Gesamtlage“ (Art. 126 Abs. 6 AEUV).61 Zwar mag es politisch durchaus Sinn ergeben, Flexibilität in der Regelhandhabung zu gewährleisten. Typischerweise wechseln sich Phasen mit unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Herausforderungen ab und manchmal sind durchaus drastische Maßnahmen erforderlich.62 Andererseits ist der Ermessensspielraum denkbar groß, wenn Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 von einer möglichen Abweichung in Situationen „außergewöhnlicher Ereignisse, [die] sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedstaats

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Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 126 AEUV Rn. 73. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 126 AEUV Rn. 73. 59 Dazu auch EuGH, Urteil vom 13. Juli 2004, Rs. C-27/04 (Kommission / Rat), ECLI:​ EU:C:2004:436, Rn. 76; Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 8 f.; Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 1, 8. 60 Vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-Hamer, 2015, Art. 126 AEUV Rn. 152. 61 Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, Erster Band, 2002, S. 325; Amtenbrink / de Haan, in: CMLR 2003, S. 1075, 1086. 62 Für Flexibilität in einem etwas anders gelagerten Kontext steht auch die Regel in Art. 122 AEUV. 58

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, spricht.63 Je nach Auslegung lässt dies eigentlich nur in Fällen gänzlich willkürlich erzeugter Defizite einen zwingenden Schluss zu. Immerhin: Im Rat hat Supranationalität insofern Einzug erhalten, als eine qualifizierte Mehrheit zur Beschlussfassung regelmäßig ausreichend ist. Ergänzend kommt aber noch ein anderer Aspekt hinzu. Der Rat ist gerade deshalb ein ungeeigneter Richter, weil er selbst ein politisches Organ ist. Schließlich vereinigen sich in ihm Vertreter mitgliedstaatlicher Regierungen; insofern zeigt sich sein zum Teil intergouvernemental veranlagtes Wesen.64 So entscheiden die Mitgliedstaaten im Rat, wenn sie über einen betroffenen Mitgliedstaat verhandeln, wohl immer auch mit einem Seitenblick auf die eigene haushaltspolitische Situation. Anders gewendet: Gewähren Mitgliedstaaten anderen Freiräume, so können sie sich selbst eines Tages eher in Sicherheit wähnen, wenn in ihren nationalen Haushalten entsprechende Situationen eintreten sollten.65 Die insgesamt schwache Rolle der Unionsorgane verdeutlicht auch die Tatsache, dass Mitgliedstaaten in der Vergangenheit vielfach gegen die Haushaltsregeln verstoßen konnten und auch der SWP nichts daran änderte, dass solche materiellen Verstöße ohne Folgen blieben.66 So kam es spätestens 2003 zum Schwur, als die Mitgliedstaaten im Rat eine in der Sache begründete Sanktionierung (genauer: Abmahnungen nach damaligem Art. 104 Abs. 9 EG-Vertrag) Frankreichs und Deutschlands wegen jeweiligen Verstoßes gegen die Defizitkriterien verhinderten.67 Wie in gehorsamer Folge dieser politischen Entscheidung brachten Kommission und Rat Reformen des SWP auf den Weg,68 die unter dem Deckmantel der Flexibilisierung neuerliche Aufweichungen der Regeln des Defizitverfahrens beinhalteten.69 Es liegt nahe, dass auch ebendiese Aufweichung des SWP jedenfalls mitursächlich für die Entstehung der der Eurokrise zugrundeliegenden Staats-

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Amtenbrink / de Haan, in: CMLR 2003, S. 1075, 1087. Supra Erster Teil, B. I. 3. 65 Amtenbrink / de Haan, in: CMLR 2003, S. 1075, 1095; dieser Gedanke taucht auch bei W. Cremer, in: EuR 2016, S. 256, 267 auf. 66 Siehe Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 119 AEUV Rn. 47; und Gröpl, in: Der Staat 2013, S. 1, 5 f.; vgl. Kirchhof, in: NJW 2013, S. 1, 3. 67 Auszug aus dem Entwurf eines Protokolls des Rats der Europäischen Union vom 27. November 2003, 15272/03 EXT 3, abrufbar unter http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ ST-15272-2003-EXT-3/de/pdf; zur teilweisen Europarechtswidrigkeit dieses Vorgehens siehe EuGH, Urteil vom 13. Juli 2004, Rs. C-27/04 (Kommission / Rat), ECLI:EU:C:2004:436. 68 Verordnung (EG) Nr. 1055/2005 des Rates vom 27. Juni 2005 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken; und Verordnung (EG) Nr. 1056/2005 des Rates vom 27. Juni 2005 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit. 69 Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 126 AEUV Rn. 20; siehe auch von der Groeben / Schwarze / Hatje-Hamer, 2015, Art. 126 AEUV Rn. 24; und Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 126 AEUV Rn. 90; Überblick bei Waigel, Europa als Rechtsgemeinschaft, 2013, S. 71, 77 ff. 64

B. Tragweite der Supranationalität in der Wirtschaftsunion vor der Eurokrise 

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schuldenkrise war.70 Freilich sieht auch Art. 126 AEUV diverse Ausnahmen vom eigentlich strengen haushaltsdisziplinarischen Grundsatz vor.71 Art. 126 Abs. 2 Satz 2 AEUV enthält drei Szenarien, in denen Mitgliedstaaten zulässigerweise von den „harten“ Zahlen der Haushaltsregeln abweichen dürfen. Zum einen gilt jeweils für die 3-Prozent- wie auch für die 60-Prozent-Regel, dass sie dann als nicht gerissen erachtet wird, wenn sich ein Mitgliedstaat ihr nur hinreichend schnell annähert. Zum anderen kann die 3-Prozent-Regel „vorübergehend“ und „ausnahmsweise“ überschritten werden. Außerdem sind für die Prüfung der „Gesamtlage“ (Art. 126 Abs. 6 AEUV) auch öffentliche Ausgaben für Investitionen und „sonstige einschlägige Faktoren“ (Art. 126 Abs. 3 AEUV) zu beachten. Insgesamt ergibt sich somit eine schizophrene Situation. Trotz der in Art. 126 Abs. 1 AEUV statuierten Rechtspflicht,72 übermäßige Defizite zu vermeiden, ebnete die vielfache Relativierung eigentlich strenger – durchaus mit Supranationalität versehener – Regeln der mitgliedstaatlichen Abweichung von den Haushaltsregeln den Weg.73 Etwas euphemistisch gewendet, waren die Regeln der Defizitvermeidung „nicht in den Köpfen [der nationalen Verantwortungsträger] verankert“74. Bezeichnend für diesen Befund ist die Statistik der unter Berufung auf Art. 126 AEUV geführten Defizitverfahren. So lassen sich seit dem SWP von 1997 und bis Sommer 2012 mehr als 60 gegenüber verschiedenen Mitgliedstaaten geführte, am Ende aber nicht in einem einzigen Fall sanktionierte Defizitverfahren zählen.75 3. Die haushaltspolitischen Verbotsnormen Wie erörtert, beruht die Konzeption der Wirtschaftsunion weitgehend auf intergouvernementalen Mustern; folglich spielt umgekehrt die Supranationalität – anders als im Bereich der Währungspolitik – nur eine deutlich untergeordnete Rolle. Eine wichtige Ausnahme von dieser strukturellen Grundsatzentscheidung bilden indes die haushaltspolitischen Verbotsnormen der Art. 123–125 AEUV. Während Art. 123 AEUV, hauptsächlich ein Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung, Be 70

In diese Richtung Bergmann, Stabilitäts- und Wachstumspakt, in: Handlexikon der Europäischen Union, 2015. 71 Siehe Gröpl, in: Der Staat 2013, S. 1, 3 f. 72 Siehe bereits Kortz, in: RIW 1997, S. 357, 360; und überzeugend Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, Erster Band, 2002, S. 253, 342, der auch auf andere Sprachfassungen verweist; Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 126 AEUV Rn. 8. 73 Vgl. Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, S. 1299, 1345 Rn. 101, der freilich darauf hinweist, dass das Rechtsbruch-Argument zu starr ist. 74 Altmaier, in: Europäische Solidarität und nationale Identität, 2013, S. 171, 173; übrigens war dies wohl insbesondere in großen Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich der Fall – anders als bspw. in den Benelux-Staaten, worauf Louis, in: CMLR 2006, S. 85, 89, hinweist. 75 Weber, in: DVBl 2012, S. 801.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

züge zur Währungspolitik aufweist,76 beinhalten Art. 124 (Verbot bevorzugten Zugangs zum Kapitalmarkt) und 125 AEUV (sogenanntes „No bail-out“) genuin wirtschaftspolitische Strukturvorschriften. Allen drei Vorschriften ist sodann aber gemein, dass sie als genuine Verbotsnormen konstruiert sind, deren Einhaltung von supranationalen Organen zu kontrollieren (Kommission) und durchzusetzen (Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH) ist.77 Analog dazu geben die Verbotsnormen auch für nationale Verfassungsgerichte Anlass zur Initiierung von Vorabentscheidungsverfahren hinsichtlich der Reichweite und der Begrenzung von Unionskompetenzen,78 oder einer Überprüfung nationaler Maßnahmen79. Sie bilden damit einen supranationalen Rahmen für die intergouvernemental aus­ gestaltete Wirtschaftsunion. Die Ratio dieses Arrangements ist, dass obwohl – oder besser: gerade weil – die Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik allein verantwortlich bleiben sollen, zur Gewährleistung der Stabilität des ganzen Konstrukts der WWU harte Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Das Ziel dieser Gestaltung ist, die WWU-Partizipanten der finanzpolitischen Eigenverantwortung allein durch Marktmechanismen auszusetzen,80 um so das Gemeinschaftsinteresse einer stabilen WWU gewährleisten zu können.

C. Analyse des Regelungsbedarfs in der Eurokrise: Supranationalität oder Intergouvernementalität? I. Rechtspolitisches Ziel: Eine stabilere Wirtschaftsunion Die Mitgliedstaaten des Einigungswerks von Maastricht paarten die Währungsunion, wie soeben dargestellt, mit einer Wirtschaftsunion. Und ähnlich wie im Falle der Währungsunion – dort die Preisstabilität – impften sie ihr eine Zielbestimmung ein (Art. 119 Abs. 3 a. E. AEUV): „gesunde öffentliche Finanzen“.81 Diesem Ziel, wie die Eurokrise in ihrer Gestalt als Staatsverschuldungskrise gezeigt hat, konnte die weitgehend intergouvernementale Konstruktion der Wirtschafts­ union (supra B. II.) nicht genügen.82 Konkret fehlte es an einer wirkungsvollen – 76

Vgl. auch die Urteile BVerfG, Urteil vom 21. Juni 2016, 2 BvR 2728/13 et al., Rn. 183 ff.; und EuGH, Urteil vom 16. Juni 2015, Rs. C-62/14, ECLI:EU:C:2015:400, insbesondere Rn. 45 ff. in Sachen OMT, die einigen Begründungsaufwand leisten mussten, um das umstrittene Programm noch dem ausschließlich währungspolitischen Mandat der EZB zuzuordnen. 77 Vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-Tutsch, 2015, Art. 123 AEUV Rn. 3. 78 Siehe z. B. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014, 2 BvR 2728/13 et al. 79 BVerfG, Urteil vom 18. März 2014, 2 BvR 1390/12 et al., Rn. 180. 80 Siehe hierzu EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:​ EU:C:2012:756, Rn. 133 ff. 81 Siehe dazu auch Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 183 ff., die argumentieren, dass erst die Eurokrise eine Verschiebung der primären Zielbestimmung der WWU von Preisstabilität hin zu Finanzstabilität bedeutet habe. 82 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 119 AEUV Rn. 47; siehe auch Pilz, in: DÖV 2012, S. 909, 910; Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477.

C. Analyse des Regelungsbedarfs in der Eurokrise

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möglicherweise hoheitlichen  – Kontrolle der gemeinsamen Regeln.83 Dass eine solche Rolle sodann möglicherweise der Kommission zufallen könnte, ist natür­ licherweise durch ihre Hüterinnen-Eigenschaft zu begründen.84 Doch nicht nur das. Nun, da die Krise ausgebrochen war, halfen weder der Befund über die Unzulänglichkeit der Wirtschaftsunion noch Instrumente zur Reparatur weiter. Schließlich herrschte eine Staatsverschuldungskrise,85 und es bedurfte Kapitals. Allerdings befand sich das WWU-Europa nunmehr in einem Dilemma: Einerseits waren Finanztransfers erforderlich, um jedenfalls die unter Refinanzierungsschwierigkeiten leidenden Mitgliedstaaten im Verbund zu halten, aber auch um einen eventuellen Flächenbrand durch Reaktionen des Kapitalmarkts zu vermeiden. Andererseits aber band die strenge Regel in Art. 125 AEUV und der Grundsatz „No bail-out“ den europäischen Entscheidungsträgern rechtlich die Hände; das Prinzip finanzpolitischer Eigenverantwortung musste gewahrt werden, wollte man nicht die Verfasstheit der WWU (primärrechtlich) insgesamt reformieren. Neben der Krisenanfälligkeit der existierenden WWU und des dringenden Kapitalbedarfs einiger ihrer Mitglieder galt es indes noch einen dritten Krisenherd zu bekämpfen, nämlich die Unterkapitalisierung vieler Banken.86 Mit der Krisenanfälligkeit bedeutender Teile des europäischen Bankenwesens verbunden war die Frage, wie europaweit sicherzustellen wäre, dass fallierende, sogenannte systemrelevante Banken nicht durch staatliche Kapitalzuschüsse die ohnehin schon bedrohliche haushalterische Situation der Staaten selbst verschlimmern würden – oder wie die im Europäischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs sich ausdrückten: „Es ist von ausschlaggebender Bedeutung, den Teufelskreis zwischen Banken und Staaten zu durchbrechen.“87 Europa strebte angesichts dieser krisenhaften Entwicklungen vor allem jenem Ziel entgegen, wie es der Ratspräsident Van Rompuy stellvertretend ausgerufen hatte (supra A.): Stabilität.88

83 Vgl. Majone, Europe as the Would-be World Power, 2009, S. 196 f.; F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 29; siehe auch Mattli / Stone Sweet, in: Journal of Common Market Studies 2012 Supplement 1, März 2012, S. 1, 14: „The current budgetary and monetary crisis shines a bright light on these problems, while revealing the striking absence of what Europe needs most: strong political leadership capable of forging a more federal EU.“. 84 Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 16. 85 Siehe dazu bspw. House of Lords, The euro area crisis, 2012, S. 10 ff. 86 Siehe House of Lords, The euro area crisis, 2012, S. 17; siehe auch Europäische Kommis­ sion, Analytische Note, 12. Feburar 2015, abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/ sites/beta-political/files/analytical_note_de_0.pdf, S. 3. 87 Europäischer Rat, 14. Dezember 2012, EUCO 205/12, S. 3. 88 Siehe dazu Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 183 f.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

II. Rechtspolitisches Programm 1. Reformvorschläge der Unionsorgane Die Rolle des Agendasetzers für strukturelle Reformen nach Ausbruch der Eurokrise changiert zwischen dem Europäischen Rat in Gestalt seines Präsidenten einerseits und der Europäischen Kommission andererseits. Beide Seiten legten Programminitiativen zur Erreichung von WWU-Stabilität vor; dabei verstehen sich die beiden Institutionen nicht als Gegenspieler, sondern kooperierten vielmehr auch miteinander, wofür exemplarisch der sogenannte Fünf-Präsidenten-Bericht steht89. Indes heißt es auch zu Beginn des Berichts des Ratspräsidenten Van Rompuy von 2012,90 er sei „[…] in enger Zusammenarbeit mit den Präsidenten der Kommission, der Euro-Gruppe und der EZB erarbeitet […]“. Freilich stellen die im Folgenden erörterten Reforminitiativen lediglich politische Programmvorschläge dar,91 ohne irgendeine rechtliche Bindungswirkung zu entfalten. Auch handelt es sich im Falle der erörterten Berichte nicht um die einzigen Initiativvorschläge. Allerdings liefern sie eindrückliche Anhaltspunkte dafür, welchen Reformweg die WWU möglicherweise gehen könnte und auf welche Weise. Dabei sind sie auch glaubhafter, sprich: bedeutsamer, als Einlassungen bspw. einzelner Staats- oder Regierungschefs.92 Wenn schließlich ein Unionsorgan – erst recht mehrere – eine Reforminitiative aufnehmen sollte(n) und vorträgt (vortragen), so hat sich die zugrundliegende Idee dadurch bereits „europäisiert“, und damit der bloß national-mitgliedstaatlichen Sphäre enthoben. a) Der Bericht Herman Van Rompuys von 2012 – Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion Bereits im Titel, den der Ratspräsident Van Rompuy seinem Bericht gab, deutet sich Reformdrang an: Die „echte“ WWU ist das Ziel – und ganz offenbar war sie jedenfalls 2012 noch nicht erreicht.93 Auch wenn der Bericht sodann sicherlich 89

Europäische Kommission, Die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden, 2015, abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/5-presidents-report_de_0.pdf. 90 Präsident des Europäischen Rats, Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion, EUCO 120/12, 26. Juni 2012, abrufbar unter https://www.consilium.europa.eu/ media/21554/131294.pdf. 91 Vgl. Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, § 22 Rn. 2. 92 Ein Beispiel hierfür liefert Wolfgang Schäubles Rede „Strategy for European Recovery“ vom 27. März 2014 in Brügge, S. 5: „For example, I could imagine having a European budget commissioner, who would be able to reject national budgets if they don’t correspond to the rules that we have jointly agreed. We have such an institution for competition rules, so why not for budget rules?“, abrufbar unter https://www.coleurope.eu/speeches; siehe zur Rede Schäubles auch F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 58. 93 Vgl. Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, § 22 Rn. 2, der dem Bericht auch beachtlichen Stellenwert gibt.

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durch den Ausbruch der Eurokrise katalysiert wurde; allein als Krisenreaktion begreift sich der Bericht nicht. Vielmehr knüpft der Bericht an den schon der ­Maastricht-WWU eingeschriebenen „Zielverwirklichungs- und Projektcharakter“94 (Art. 4 EUV) des Integrationsprogramms an. Der Bericht anerkennt sodann, dass die Wirtschaftspolitik grundsätzlich und in vielerlei Hinsicht im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten liegt, die sie eigenverantwortlich gestalten. Gleichzeitig fordert der Bericht, dass „nationale Maßnahmen den Gegebenheiten einer Währungsunion in vollem Umfang Rechnung tragen müssen, die mehrere Mitglieder zählt“.95 Wie aber mit diesem doppelten Standard umgehen? In den Worten des Berichts „muss es möglich sein, die Einhaltung der Regeln zu gewährleisten, wenn es zu negativen Auswirkungen auf andere EU-Mitglieder kommt“.96 Daher ist es folgerichtig, wenn sich der Bericht für eine „stärkere Durchsetzung“ der Regeln im Hinblick auf eine solide Haushaltspolitik ausspricht.97 Deutlich wird der Bericht dann aber nur bei einem Thema, nämlich der Bankenaufsicht. Hier fordert er eine Übertragung von Aufsichtsbefugnissen an die europäische Ebene, die mit (gemeinsamen) „Mechanismen für die Bankenrestrukturierung“ einhergehen sollte. Der Bericht fordert mithin die Übertragung von Hoheitsrechten, die der Union bis dato nicht zustanden, und beinhaltet insoweit eine Forderung nach mehr Supranationalität.98 Allerdings geht er nicht näher darauf ein, wie die vom Bericht ins Spiel gebrachte gemeinsame Restrukturierungsbehörde konstituiert sein soll; ob daher auch im Hinblick auf Abwicklung bzw. Restrukturierung substantielle Supranationalität entstehen soll oder es im Wesentlichen bei noch immer ausgeprägten nationalen Hoheitsrechten bleibt, wird nicht klar. Im Übrigen bleibt der Bericht in seinen Schlussfolgerungen aber zurückhaltender. So konstatiert er schließlich, dass die Beschlussfassung im Rahmen der WWU (auch weiterhin) sowohl im haushaltspolitischen wie im allgemein wirtschaftspolitischen Bereich auf dem Prinzip einer (nur) „gemeinsamen Ausübung von Hoheitsrechten“ beruhen solle;99 er fordert mithin gerade keine weitere Übertragung von Hoheitsrechten. Wie stattdessen aber dem auch von Van Rompuy erkannten Auftrag effektiv begegnet werden soll, die Einhaltung der gemeinsamen Regeln zu gewährleisten,100 bleibt im Weiteren unklar.101

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So auch Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, § 22 Rn. 2. Präsident des Europäischen Rats (supra Fn. 90), S. 2. 96 Präsident des Europäischen Rats (supra Fn. 90), S. 2. 97 Präsident des Europäischen Rats (supra Fn. 90), S. 3. 98 Präsident des Europäischen Rats (supra Fn. 90), S. 3 und 4 f. 99 Präsident des Europäischen Rats (supra Fn. 90), S. 3 und 5 f. 100 Präsident des Europäischen Rats (supra Fn. 90), S. 6. 101 Interessant ist in diesem Kontext indes, dass der Bericht die abstrakte Möglichkeit zukünf­ tiger Vertragsänderungen ins Spiel bringt, Präsident des Europäischen Rats (supra Fn. 90), S. 3; einen Hinweis darauf enthält auch Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, § 22 Rn. 2. 95

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b) Der Fünf-Präsidenten-Bericht von 2015 – Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden Eine in chronologischer Reihenfolge nächste Reforminitiative war der 2015 veröffentlichte, sogenannte Fünf-Präsidenten-Bericht, welchen namensgebend die jeweiligen Präsidenten der Kommission, der EZB, des Europäischen Rats, der EuroGruppe und des Parlaments unterzeichneten. Als Urheber des Berichts zeichnet allerdings die Europäische Kommission verantwortlich. In Gestalt einer analytischen Note der Präsidenten von Kommission, Europäischem Rat, Euro-Gruppe und EZB hat er einen früher im Jahr 2015 veröffentlichten kleinen Bruder.102 Hervor­ zuheben ist, dass auch dem Fünf-Präsidenten-Bericht ein dynamisches Verständnis der WWU zugrunde liegt. Ohnehin versteht er sich ausdrücklich als Fortentwicklung des Berichts von 2012. Erneut greift er das Wort von der angestrebten „echten Wirtschaftsunion“ auf. Dabei ist durchaus bemerkenswert, dass der Bericht – anders noch als sein Vorgänger – tatsächlich nur die „echte Wirtschaftsunion“ anspricht;103 damit weist er darauf hin, dass es speziell die Wirtschaftspolitik ist, die im Rahmen der WWU weiterzuentwickeln sein soll.104 Ein zentraler Terminus des Berichts ist das Suffix „-union“. So fordert der Bericht nicht nur die Fortentwicklung hin zu einer „echten Wirtschaftsunion“, sondern neben einer „Finanzunion“ (bestehend aus „Banken-“ und „Kapitalmarktunion“) auch eine „Politische Union“ und eine „Fiskalunion“.105 Letztere soll stellvertretend für „haushaltspolitische Nachhaltigkeit [und] die Stabilisierung der öffentlichen Haushalte“ stehen – damit knüpft sie an das vom Vorgängerbericht noch lose gelassene Ende an. Der Fünf-Präsidenten-Bericht macht sodann gleich zu Beginn deutlich, worauf die Weiterentwicklung hin zur „echten WWU“ hinausläuft: „Im Laufe der Zeit wird das unausweichlich dazu führen, dass mehr Souveränität gemeinsam ausgeübt wird.“ So könne „die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt [i. e. die EU] nicht allein mittels einer auf Regeln gegründeten Kooperation gesteuert werden“. Vielmehr sei ein Wandel erforderlich „von einem System der Regeln und Leitlinien […] hin zu einem System weitergehender Souveränitätsteilung im Rahmen gemeinsamer Institutionen […]“. Und noch deutlicher: „In der Praxis würde das bedeuten, dass die Mitgliedstaaten in zunehmendem Maß gemeinsame Entscheidungen über Teile ihrer jeweiligen nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitik akzeptieren müssten.“106 Mit anderen Worten fordert der Bericht, Hoheitsrechte im Bereich der Wirtschaftsunion zu übertragen und auf diese Weise für mehr Supranationalität 102

Europäische Kommission, Vorbereitung der nächsten Schritte für eine bessere wirtschafts­ politische Steuerung im Euro-Währungsgebiet, 2015, abrufbar unter https://ec.europa.eu/​ commission/sites/beta-political/files/analytical_note_de_0.pdf. 103 Fünf-Präsidenten-Bericht, 2015, S. 5; allerdings spricht der Bericht ebd. auch von der „echten WWU“ – die „echte Währungsunion“ wird indes nicht ausdrücklich gefordert. 104 Vgl. bereits Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, § 22 Rn. 4. 105 Fünf-Präsidenten-Bericht, 2015, S. 5; siehe auch W. Cremer, in: EuR 2016, S. 256, 260. 106 Siehe insgesamt Fünf-Präsidenten-Bericht, 2015, S. 5.

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zu sorgen; die Mitgliedstaaten sollen auf die Ausübung ungeteilter Souveränität zukünftig verzichten. Dazu passt auch, dass den Autoren des Fünf-Präsidenten-­ Berichts als Negativbeispiel der sogenannte Euro-Plus-Pakt107 dient, der aufgrund seines unverbindlichen Charakters keine praktische Relevanz erzeuge.108 Den Autoren des Berichts schwebt eine solche Entwicklung jedenfalls für den Bereich der allgemeinen Wirtschaftspolitik vor.109 Demgegenüber äußert sich der Bericht nicht dazu, inwiefern im Bereich der Haushaltspolitik, also dem korrektiven Arm, Hoheitsrechte auf die Union übergehen sollten;110 die vorgeschlagene Einrichtung einer Funktion zur makroökonomischen Stabilisierung des Euro-Währungsgebiets jedenfalls lässt sich sowohl mit als auch ohne spezifische Transfers von Hoheitsrechten vorstellen. Unterdessen macht der Bericht deutlich, dass es sich im Falle dieser Vision um eine langfristige Perspektive handele, die zunächst auf weitergehender „wirtschaftlicher Konvergenz und finanzieller Integration“ aufbauen müsse. Dazu solle die konsequente Anwendung des bereits bestehenden Rechts und die ergänzende Neuschaffung von Sekundärrecht dienen.111 c) Das Reflexionspapier der Europäischen Kommission zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion von 2017 Auch die letzte Initiative in dieser Reihe geht auf die Kommission als geistigem Urheber zurück.112 Anders als seine beiden Vorgänger, ist das Reflexionspapier aber nicht „in enger Zusammenarbeit“ mit anderen Unionsorganen entstanden. Stattdessen versteht sich das Reflexionspapier zum einen als Fortentwicklung und Ausgestaltung des Weißbuchs zur Zukunft Europas aus demselben Jahr113 und

107 Der Euro-Plus-Pakt. Stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz, siehe Schlussfolgerungen des Europäischer Rats vom 24./25. März 2011, EUCO 10/1/11, Anlage I. 108 Fünf-Präsidenten-Bericht, 2015, S. 8. 109 Fünf-Präsidenten-Bericht, 2015, S. 11. 110 Vgl. Fünf-Präsidenten-Bericht, 2015, S. 14 f.; die richtigen Fragen, die aber vom Fünf-Präsidenten-Bericht unbeantwortet bleiben, stellt indes die Analytische Note (supra Fn. 102), S. 10: „Wie können wir in allen Mitgliedstaaten eine solide Haushalts- und Wirtschaftslage sicherstellen?; Wie könnte eine bessere Umsetzung des Rahmens für die wirtschafts- und fiskalpolitische Steuerung erreicht werden?; Inwieweit kann der Rahmen der WWU vor allem auf festen Regeln beruhen?; Inwieweit ist die derzeitige gemeinsame Ausübung von Souveränität angemessen, um den wirtschaftlichen, finanziellen und fiskalischen Rahmenanforderungen der gemeinsamen Währung gerecht zu werden?“. 111 Fünf-Präsidenten-Bericht, 2015, S. 8. 112 Europäische Kommission, Reflexionspapier der Europäischen Kommission zur Vertie­ fung der Wirtschafts- und Währungsunion von 2017, abrufbar unter https://ec.europa.eu/ commission/sites/beta-political/files/reflection-paper-emu_de.pdf. 113 Europäische Kommission, Weißbuch zur Zukunft Europas vom 1. März 2017, COM(2017) 2025, abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/weissbuch_ zur_zukunft_europas_de.pdf.

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zum anderen als Fortentwicklung des zwei Jahre zuvor veröffentlichten Fünf-​Präsidenten-Berichts. Das Papier geht insbesondere auf die Vollendung der Bankenunion ein. Diese soll sowohl mit einem Instrument zur fiskalischen Letztsicherung versehen werden sowie mit einer gemeinsamen Einlagensicherung.114 Einen ähnlichen Stellenwert räumt das Papier sodann der Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion ein.115 Ein weiterer Leitbegriff ist schließlich die „Konvergenz“ der Volkswirtschaften,116 die das Papier zur anzustrebenden Maxime ausruft. In diesem Zusammenhang begreift das Papier das bestehende Europäische Semester, in dem die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik koordinieren,117 als von zentraler Bedeutung und „wichtigstes Instrument“. Der Grund hierfür ist schnell gefunden: Auch das Reflexionspapier attestiert, dass viele Kompetenzen, „die für die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit von entscheidender Bedeutung sind, nach wie vor in erster Linie in den Händen der Mitgliedstaaten liegen“.118 Allerdings findet sich auch im Reflexionspapier eine Referenz zur zukünftigen Ausrichtung: „Eine stärkere WWU lässt sich nur erreichen, wenn die Mitgliedstaaten bereit sind, in Angelegenheiten des Euro-Währungsgebiets innerhalb eines gemeinsamen Rechtsrahmens mehr Zuständigkeiten zu teilen und mehr Entscheidungen gemeinsam zu treffen.“119 Damit greift das Papier eine schon im Fünf-­ Präsidenten-Bericht befindliche Vision auf; allerdings wird es dieses Mal konkreter: Die Kommission schlägt sowohl Initiativen unter Rückgriff auf das bestehende Primärrecht als auch auf zwischenstaatliche Instrumente und sogar Änderungen des Primärrechts vor.120 Insbesondere bringt sie den Vorschlag von Vertragsänderungen ins Spiel, um die Kompetenzverteilung zwischen Kommission und Euro-Gruppe neu zu justieren.121 Zum ersten Mal in allen bislang dargestellten Reforminitiativen wird dadurch die Möglichkeit in Betracht gezogen, auch auf Grundlage von zwischenstaatlichen Übereinkünften Hoheitsrechte auf eine gemeinsame Ebene zu übertragen. Eine solche Aussage hätte man gemeinhin eher vom intergouvernemental organisierten Europäischen Rat erwartet, und nicht von der Kommission. Schließlich kann sie prima facie nicht davon ausgehen, im Rahmen von zwischenstaatlichen Initiativen mit Aufgaben betraut zu werden und muss so doch gegebenenfalls um den Verlust von eigener Einflussnahme fürchten. Ganz offenbar geht die Kommission 114

Europäische Kommission (supra Fn. 112), S. 19 f. Europäische Kommission (supra Fn. 112), S. 20 f. 116 Das Reflexionspapier der Europäischen Kommission (supra Fn. 112), S. 23, weist allerdings auch darauf hin, dass es unterschiedliche Konzeptionen von Konvergenz gibt: reale Konvergenz, nominale Konvergenz und Konvergenz der Konjunkturzyklen. 117 Siehe auch infra D. III. 2. b). 118 Europäische Kommission (supra Fn. 112), S. 24. 119 Europäische Kommission (supra Fn. 112), S. 27. 120 Europäische Kommission (supra Fn. 112), S. 27. 121 Europäische Kommission (supra Fn. 112), S. 27 f. 115

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sodann auch nicht davon aus, unbedingt an Einfluss hinzuzugewinnen. So schlägt sie nämlich vor, nicht sich selbst, sondern die Euro-Gruppe mit ratsähnlichen Entscheidungsbefugnissen zu betrauen.122 Die Kommission geht aber noch weiter und bringt gar ein – bislang inexistentes – europäisches Schatzamt ins Spiel, dem eine vorbereitende Funktion bei der zentralen Aufgabe der wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung zukommen soll.123 Auch hier soll die Letztentscheidung sodann in Gestalt der Euro-Gruppe gebündelt werden. Insgesamt setzt das Reflexionspapier somit vorerst den Schlusspunkt einer sich verfestigenden politischen Forderung nach mehr Supranationalität insbesondere in den Bereichen der Wirtschafts- und der Haushaltspolitik. 2. Sekundärrechtliche Reformen a) Das Reformpaket Economic Governance – Sixpack und Twopack Denselben Zielen wie auch der intergouvernementale Fiskalvertrag – laut seinem Art. 1 Abs. 1 auf „die Förderung der Haushaltsdisziplin, die Verstärkung der Koordinierung der Wirtschaftspolitiken und die Verbesserung der Steuerung des Euro-Währungsgebiets“ ausgerichtet – dienten teilweise auch andere, sekundärrechtliche Maßnahmen, die insgesamt als Reformpaket zur Economic Governance124 bekannt sind.125 Durch das Paket sollte eine erneute Reform des SWP vollführt werden. Sechs Reform-Rechtsakte der EU vom 8. und 16. November 2011, die vom Europäischen Parlament und dem Rat verabschiedet wurden und auf Vorschlägen der Kommission und der Arbeitsgruppe „Wirtschaftspolitische Steuerung“ des Rates beruhen, wurden als „Sixpack“126 bekannt.127 Grundlage dieser Maßnahmen waren 122

Europäische Kommission (supra Fn. 112), S. 28. Europäische Kommission (supra Fn. 112), S. 28. 124 Dieser Begriff taucht in der Pressemitteilung der Kommission vom 12. Mai 2010, IP/10/561, auf, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-10-561_en.htm; zum unterschiedlichen Begriffsverständnis von „economic government“ und „economic governance“ siehe Heise / Görmez Heise, Auf dem Weg zu einer Europäischen Wirtschaftsregierung, 2010, S. 6 f. 125 Schorkopf, in: FS Hesse, 2016, S. 251, 258, erblickt darin das Eingeständnis, dass es der WWU „nicht an Normativität, sondern an Durchsetzungskraft ihrer Vollzugsorgane mangelt“. 126 In der wissenschaftlichen Diskussion finden sich sowohl die Schreibweisen „Six-Pack“ oder „Six Pack“ als auch „Sixpack“. Die laut Duden zutreffende, wenngleich nicht explizit für diesen Terminus technicus geltende, deutsche Schreibweise für das Wort lautet „Sixpack“. Eine entsprechende Schreibweise wird für „Twopack“ verwendet. 127 Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung des haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet; Verordnung (EU) Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet; Verordnung (EU) 123

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Art. 121 Abs. 6, teilweise i. V. m. 136 und 126 Abs. 14 AEUV, ihr übergeordnetes Ziel die Stärkung der Regeln zur Haushaltsdisziplin der WWU.128 Mit seiner Initia­tive leitete der europäische Gesetzgeber wiederum eine Gegenbewegung zur vormaligen Aufweichung des SWP aus dem Jahr 2005 ein. Mit zwei weiteren Rechtsakten vom 21. Mai 2013, die auch auf Grundlage von Art. 136 i. V. m. 121 Abs. 6 AEUV ergingen, ergänzte der europäische Gesetzgeber schließlich das Sixpack durch ein „Twopack“.129 Im Besonderen fokussiert auf die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten bzw. die Defizitregeln und deren verbesserte Durchsetzung sind die präventive Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 sowie die repressive Verordnung (EU) Nr. 1173/2011.130 Als bedeutendes Novum gilt die Einführung eines besonderen Modus der Beschlussfassung, der das Zustimmungserfordernis umkehrt. Fortan gilt für die Verhängung von Sanktionen, wie in Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 vorgesehen, dass eine Sanktions-Empfehlung der Kommission dann Wirksamkeit erlangt, wenn die im Rat stimmberechtigen Mitgliedstaaten (Art. 12 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1173/2011) nicht mit qualifizierter Mehrheit (Art. 12 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 i. V. m. Art. 238 Abs. 3 lit. b) AEUV) binnen zehn Tagen ihre Ablehnung beschließen. Diese Regelungen weichen von der eigentlich in Art. 126 Abs. 13 Satz 3 i. V. m. Art. 238 Abs. 3 lit. a) AEUV vorgesehenen Mehrheitsregelung bewusst ab, um das Verfahren weniger der rein intergouvernementalen Verhandlung im Rat – und damit einhergehender Politisierung der Haushaltsregeln – auszusetzen.131 Auch wenn diese Veränderung des eigentlich in Art. 126 AEUV vorgesehenen Abstimmungsverfahrens von vielen Seiten mangels

Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken; Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökomischer Ungleichgewichte; Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten. 128 Pilz / Dittmann, in: ZEuS 2012, S. 53, 57. 129 Verordnung (EG) Nr. 472/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über den Ausbau der wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung von Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet, die von gravierenden Schwierigkeiten in Bezug auf ihre finanzielle Stabilität betroffen oder bedroht sind; Verordnung (EU) Nr. 473/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über gemeinsame Bestimmungen für die Überwachung und Bewertung der Übersichten über die Haushaltsplanung und für die Gewährleistung der Korrektur übermäßiger Defizite der Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet. 130 Zur „Aufwertung“ des Schuldenstandkriteriums durch das Sixpack, siehe Calliess  / ​ Schoen­f leisch, in: JZ 2012, S. 477, 479; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Hamer, 2015, Art. 126 AEUV Rn. 83. 131 Zur Entstehungsgeschichte Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1, 9 f.

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hinreichender Rechtsgrundlage scharf kritisiert wurde,132 so zeigt die derartige Straffung des Verfahrens doch Tendenzen in Richtung mehr Supranationalität; immerhin erlangt die (supranationale) Kommission im gleichen Ausmaß Befugnisse im Rahmen des Defizitverfahrens, wie die Mitgliedstaaten auf sie verzichten.133 Allerdings bleibt es grundsätzlich auch dabei, dass die Mitgliedstaaten für Wirtschafts- und speziell ihre Haushaltspolitik selbst verantwortlich bleiben. Auch nach dem Reformpaket Economic Governance fehlt den Regeln der WWU bzw. des SWP ein entscheidendes Element der (normativen) Supranationalität: die unmittelbare Anwendbarkeit.134 Als neuen Bereich für gemeinschaftliche Koordinierung ergänzt das Sixpack die Überwachung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte. Makro­ ökonomische Ungleichgewichte im Sinne der Vorschrift sind solche Trends, „die sich nachteilig auf das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschaft eines Mitgliedstaats oder der Wirtschafts- und Währungsunion oder der Union insge­ samt auswirken oder potenziell auswirken können“ (Art. 2 Verordnung (EU) Nr. 1176/2011). Derartige Trends werden von der Kommission bestimmt, die dabei auf Indikatoren zurückgreift wie die Leistungsbilanz, den Nettoauslandsvermögenstatus, Anteile an den Exportmärkten, nominale Lohnstückkosten, reale effektive Wechselkurse, die Entwicklung der Arbeitslosigkeit, Schulden des privaten oder des öffentlichen Sektors, Kreditströme des privaten Sektors und Immobilienpreise.135 Der Grund für die Ausweitung der Überwachung auf makroökomische Ungleichgewichte liegt darin, dass sie auf nationaler Ebene nicht auf dem herkömm­lichen Weg über die Anpassung der Wechselkurse ausgeglichen werden können.136 Die Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 enthält präventive, die Verordnung (EU) Nr. 1174/​ 2011 repressive Elemente. Manche Kommentatoren erblicken in der Sixpack-Reform und in den durch sie herbeigeführten Änderungen bereits eine „europäische Wirtschaftsregierung“.137 Über die Feinheiten des Begriffs lässt sich zwar streiten. Jedoch: Zwingend mit dem Begriff der Regierung ist das Konzept staatlicher Exekutivgewalt verbunden, welches in der Unionsrechtsordnung am ähnlichsten die Kommission repräsentiert.138 Worin diese im Falle des Sixpacks liegen soll, bleiben jene Stimmen schul 132

Siehe bspw. Häde, in: JZ 2011, S. 333 ff.; W. Cremer, in: EuR 2016, S. 256, 271 m. w. N.; Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 51; sowie Häde, in: Europäische Solida­r ität und nationale Identität, 2013, S. 193 ff., 196; anders Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 369 ff. 133 Pilz / Dittmann, in: ZEuS 2012, S. 53, 69. 134 Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 153 f. 135 Europäische Kommission, Occasional Papers 92, Februar 2012, abrufbar unter http:// ec.europa.eu/economy_finance/publications/occasional_paper/2012/pdf/ocp92_en.pdf; der Überblick findet sich auch bei Pilz / Dittmann, in: ZEuS 2012, S. 53, 73. 136 Pilz / Dittmann, in: ZEuS 2012, S. 53, 72. 137 Antpöhler, in: ZaöRV, S. 353, 360 f. 138 Die eigentliche Exekutivrolle der Union kommt übrigens der Kommission zu, so auch Sarrazin / Kindler, in: integration 3/2012, S. 213.

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dig, die eine „europäische Wirtschaftsregierung“ proklamieren. Schließlich bleibt die Durchsetzung der Regeln noch immer den Rechtsunterworfenen selbst überlassen, nämlich den im Rat vereinigten Mitgliedstaaten.139 Letztlich kann daran auch die Umkehrung des Abstimmungsmodus nichts verändern, die tendenziell die Schlagfertigkeit des Sanktionsmechanismus erhöht. Schließlich bleibt es dabei, dass der Rat gemäß Art. 126 Abs. 6 AEUV (siehe Art. 5 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1173/2011) ein übermäßiges Defizit feststellen muss genauso wie der Rat auch weiterhin gemäß Art. 126 Abs. 8 AEUV feststellen muss, ob Abhilfemaßnahmen geeignet sind (siehe Art. 6 Verordnung (EU) Nr. 1173/2011).140 Auch im neu hinzugefügten Bereich der Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte bleibt der Rat die zentrale Einrichtung. Hier verzichtete der europäische Gesetzgeber im Übrigen auch auf den umgekehrten Abstimmungsmodus (siehe Art. 3 Verordnung (EU) Nr. 1174/2011). Das durch das Sixpack somit nicht grundlegend veränderte System ist eher das einer Selbstverwaltung sich untereinander koordinierender Mitglieder. Der eingangs erwähnte Begriff „economic governance“ ist daher sprachlich präzise und „europäischen Wirtschaftsregierung“ vorzuziehen.141 Diesen Gedanken unterstützt auch die Normenhierarchie. Dass Sekundärrechtsakte eine europäische Exekutivgewalt für Wirtschaftspolitik kreieren sollen, wäre schwerlich mit dem Gedanken der begrenzten Einzelermächtigungen zu vereinbaren (Art. 5 Abs. 2 EUV). b) Reformschritte in Richtung einer Bankenunion Nicht nur die Makroökonomik142 der Mitgliedstaaten selbst und der WWU sollte stabiler werden. Der europäische Gesetzgeber schrieb sich genauso auf die Fahnen, den Konnex zwischen Staatsschulden und Bankschulden durch Regulierung dessen, was als „too big to fail“ bekannt ist, besser kontrollieren zu können.143 Aus der Not heraus betätigte sich der europäische Gesetzgeber und fing an, das zu schaffen, was „Bankenunion“ genannt werden sollte. Auch wenn dieses Projekt noch nicht abgeschlossen ist, da es jedenfalls nach Auffassung der Kommission noch um eine gemeinsame Einlagensicherung ergänzt werden soll,144 bestehen mit

139 Auch Calliess, in: Europa und die Welt, 2016, S. 73, 81 stellt fest, dass eine „Europäische Wirtschaftsregierung“ durch Erweiterung der Befugnisse der Kommission zu errichten wäre. 140 So auch Pilz / Dittmann, in: ZEuS 2012, S. 53, 70 f.; dies sieht zwar auch Antpöhler, in: ZaöRV, S. 353, 366, wenngleich er darin allerdings kein Hindernis zur Postulation seiner europäischen Wirtschaftsregierung sieht. 141 Calliess, in: VVDStRL Bd. 71, 2012, S. 163 f. 142 Siehe zum Begriff Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 27 ff. 143 Siehe dazu Pflock, Europäische Bankenregulierung und das „Too big to fail-Dilemma“, 2014, S. 15 ff.; siehe auch Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 91. 144 Siehe Mitteilung der Kommission vom 24. November 2015, COM(2015) 587 final; wie auch den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2015, COM(2015) 586 final; siehe zuletzt außerdem die Schluss-

C. Analyse des Regelungsbedarfs in der Eurokrise

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dem Aufsichtsregime SSM145 sowie dem Abwicklungsregime SRM146 bereits zwei bedeutende Pfeiler einer unionalen Bankenregulierung. In beiden Fällen, SSM und SRM, werden Unionszuständigkeiten für Aufsicht bzw. Abwicklung generiert, die so zuvor nicht bestanden: Die Aufsicht über systemrelevante Banken führt nunmehr die (supranationale)  EZB, die zu diesem Zweck Rechtsakte mit unmittelbarer Wirkung gegenüber Kreditinstituten erlassen kann (Art. 4 SSM-Verordnung) sowie nationale Regulierungsbehörden mittels Leitlinien und Weisungen anleiten kann (Art. 6 SSM-Verordnung).147 Im Rahmen des SRM kommen dem Abwicklungsausschuss, einer im supranationalen Recht verankerten sowie supranational verfassten148 EU-Agentur, Befugnisse zu, die ebenfalls unmittelbare Rechtswirkungen gegenüber betroffenen Kreditinstituten entfalten, wie insbesondere die Entscheidung über die Abwicklung (Art. 16 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 SRM-Verordnung). Auch die Gründung weiterer EU-Agenturen, den ESA, die zumeist nur mittels Leitlinien und Empfehlungen agieren, aber im Einzelfall verbindliche Maßnahmen gegenüber mitgliedstaatlichen Behörden oder Marktteilnehmern erlassen können, verstärkt den Gesamtbefund einer schrittweisen Supranationalisierung der europäischen Finanzmarktaufsicht.149 3. Zwischenergebnis: Rechtspolitische Orientierung zwischen Supranationalität und Intergouvernementalität In der Öffentlichkeit kursierte die Forderung nach der Abgabe von mitgliedstaatlichen Hoheitsrechten im Bereich der Wirtschaftspolitik in Reaktion auf die Eurokrise schon länger.150 Die rechtspolitische Entwicklung – unabhängig davon, ob bereits in Sekundärrecht gegossen151 oder bislang noch im Vorschlagssta-

folgerungen des Rates zu einem Fahrplan zur Vollendung der Bankenunion vom 17. Juni 2016, abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/06/17/conclusions-​ on-banking-union/. 145 Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 29. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank. 146 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010; siehe dazu ausführlicher infra D. II. 147 Siehe dazu Kämmerer, in: NVwZ 2013, S. 830 ff. 148 Siehe dazu infra D. II. 3. b). 149 So auch Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 14 f. 150 Hinweis hierauf bei F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 54 und mit Verweis auf: „1789 and all that“, in: The Economist, 11. Februar 2012; Guiso / Herrera, in: Il Sole 24 Ore, 23. Februar 2012. 151 Vgl. dazu Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 13 ff., 16.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

dium152 verharrend – spricht bis hierhin ebenfalls eine eindeutige Sprache: Den Unzulänglichkeiten bei der Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik soll genauso mit mehr Supranationalität, der Übertragung von bislang ungeteilten Hoheitsrechten, begegnet werden, wie dies auch bei der Vergemeinschaftung der Bankenregulierung durch die Bankenunion der Fall ist. Hier wie da gewinnen supranationale Organe und Mechanismen an Bedeutung;153 die Mitgliedstaaten verzichten zugunsten solcher gemeinsamen Lösungen auf die Ausübung von Hoheitsrechten, die sie zuvor noch weitgehend frei selbst ausüben konnten. Diese Entwicklung weist auf eine Gegenbewegung seit der Eurokrise hin. Denn vor der Krise war die Supranationalität in der WWU schwach bis überhaupt nicht ausgeprägt;154 genauso war der Bankenmarkt nur wenig europäisch-gemeinschaftlicher Regulierung unterworfen. Belastbare Mechanismen, um die Krise ab­ zufedern, hatte die supranationale Union zum Zeitpunkt ihres Ausbruchs nicht zu bieten;155 stattdessen war es gerade das Fehlen von Supranationalität und die dem entsprechende Bedeutung von Intergouvernementalität, die als krisenprovozierend gilt. Die Krise lässt sich somit auch als Krise der Supranationalität verstehen; mit der Wiederentdeckung der Supranationalität geht sodann gleichermaßen die Hoffnung auf eine wirksame Bekämpfung der Eurokrise sowie die Hoffnung auf eine nachhaltige Präventionsmechanik einher.

D. Intergouvernementalismus als Ausweg? I. Die politische Option völkerrechtlicher Übereinkommen 1. Legitimationsfragen in der Krise Der dritte und letzte Abschnitt in diesem zweiten Teil wirft sodann ein Licht auf das für die weitere Untersuchung zentrale Phänomen: den titelgebenden Intergouvernementalismus in der Eurokrisen-Reaktion. An und für sich ist es nicht verwunderlich, dass die Mitgliedstaaten, vertreten durch die jeweiligen Staats- und Regierungschefs, im Angesicht der Eurokrise das Heft des Handelns aufnahmen.156 Dehousse und Boussaguet weisen zur Begründung zunächst darauf hin, dass die mitgliedstaatlichen Staats- und Regierungschefs schlechterdings eine stärkere 152

Dazu auch Lefkofridi / Schmitter, in: European Political Science Review 2015, S. 3, 8 f. So weist F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 48 f., insbesondere auf die gesteigerte Bedeutung der Kommission hin. 154 Vgl. aber bereits die Forderungen im vorzeitigen Werner-Plan von 1970: „To ensure the cohesion of economic and monetary union, transfers of responsibility from the national to the Community plane will be essential.“ (Werner Report, Supplement to Bulletin 11-1970, S. 10, abrufbar unter http://aei.pitt.edu/1002/1/monetary_werner_final.pdf). 155 Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 10. 156 Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 13; vgl. Calliess, in: NVwZ 2012, S. 1 f. 153

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

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demo­k ratische Legitimation als die Kommission für sich beanspruchen können.157 Dabei dürfte fraglich sein, ob dies allein mit Blick auf das Ernennungsprozedere der Kommission darauf gestützt werden kann, dass die Kommission durch das Vorschlagsrecht des Europäischen Rates nach Art. 17 Abs. 7 EUV typischerweise auf eine verhältnismäßig längere Legitimationskette angewiesen ist.158 Auch mag eine längere Legitimationskette noch nicht nachvollziehbar erklären, weshalb nicht doch etwa die Kommission als immerhin europaweit berufene Institution reagierte. Allerdings muss man wohl konstatieren, dass der innenpolitische Druck auf die Staats- und Regierungschefs in Krisenzeiten ungleich höher sein dürfte als derjenige, den die Kommission spürt – so bedarf letztere nicht einmal ein mehrheitliches Vertrauen im Europäischen Parlament, wie aus Art. 17 Abs. 8 EUV und Art. 234 AEUV folgt. Dadurch ist letztlich denkbar, dass im Lauf der Amtszeit der Kommission ihr demokratisches Legitimationsniveau beträchtlich abnimmt.159 Hinzu kommt letztlich aber insbesondere, dass in Finanzkrisen typischerweise „Steuerzahlergeld“ auf dem Spiel steht; die Union selbst erhebt aber keine eigene Steuer und hat deshalb auch keine Steuerzahler  – dem Unionsbürger folgt also kein „Unionssteuerzahler“160 –, was ein entscheidender Grund für den verhältnismäßig geringeren politischen Druck sein dürfte, der gerade in der Eurokrise auf der Kommission lastet(e). Erneut wurzelt auch dieses Argument in Legitimationsfragen, weil die Union schlechterdings nicht legitimiert ist, ohne eine vorherige Mittelzuweisung seitens des Rates über national-mitgliedstaatliches Steuergeld zu verfügen.161 2. „Trägereigenschaft“ des völkerrechtlichen Übereinkommens Und dennoch überraschen die intergouvernementalen Reaktionen auch, hat die Eurokrise doch gezeigt, dass das in der Lissabonner Wirtschaftsunion verankerte intergouvernementale Muster bedeutende Schwächen aufweist. Dass sich die Mitgliedstaaten im Angesicht der Krise – zur Bekämpfung und zur zukünftigen Prävention vergleichbarer Entwicklungen – dennoch intergouvernementalen Mus 157

Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 13 f. Vgl. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 466, der deshalb von einer „Verflachung des Legitimationsniveaus“ spricht. 159 Siehe dazu Tiedtke, Demokratie in der Europäischen Union, 2005, S. 114. 160 Vgl. ein Plädoyer für eine EU-Steuer della Cananea, in: Legitimacy Issues of the European Union in the Face of Crisis, 2017, S. 95, 105 ff.; vgl. auch die Diskussion um eine europäische Finanztransaktionssteuer, dazu zuletzt z. B. die Einlassungen des deutschen Bundesfinanzministers Olaf Scholz vom 12. Juni 2018, abrufbar unter https://www.presseportal.de/pm/​ 51580/3967990 sowie die deutsch-französische Position von Anfang Dezember 2018, siehe https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/finanztransaktionssteuer-berlin-und-paris-specken-ab/​ 23712412.html. 161 Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 13; della Cananea, in: Legitimacy Issues of the European Union in the Face of Crisis, 2017, S. 95 ff. und insbesondere S. 102 ff. 158

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

tern zuwenden und auf der Rechtsgrundlage des Völkervertragsrechts agieren, ist deshalb nicht zuletzt aus rechtswissenschaftlicher Sicht erklärungsbedürftig.162 Freilich: Nur deshalb, weil die Mitgliedstaaten für die Rechtsetzung jeweils zum Mittel intergouvernemental ausgehandelter völkerrechtlicher Verträge griffen, ist noch keine Aussage über die innere Ausgestaltung der gewählten Rechtsstrukturen getroffen. Die völkerrechtlichen Übereinkommen bilden für sich genommen nur den Träger einer im Übrigen grundsätzlich den Parteien des jeweiligen Übereinkommens selbst überlassenen Ausgestaltung getreu intergouvernementalen oder supranationalen Grundmustern. Das beste Beispiel für diesen Vorgang stellen die europäischen Einigungsverträge dar; auch sie sind (formell) als völkerrechtliche Verträge einzuordnen.163 Der Charakter identischer Abstammung der jeweiligen Rechtsmaterien wird selbst dadurch nicht erschüttert, dass sich die Unionsrechtsordnung vom Völkerrecht emanzipiert hat oder sich sogar – als „eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts“164 – konstitutionalisierte.165 Schließlich ist, nach einem Satz Albert Hänels,166 die Natur einer Regelung von „ihrer Entstehungsform“ zu abstrahieren.167 Schon mangels anderer möglicher Formen und Instrumente verbindlicher Rechtsetzung zwischen Staaten handelt es sich auch bei den Unionsverträgen der Rechtsnatur nach um völkerrechtliche Verträge. Oder anders gewendet: Die Unionsverträge sind der räumlichen und sachlichen Geltung nach die größten vorkommenden internen Übereinkommen;168 und Völkerrecht stellt das ganz typische „Instrument“ zur Genese von primärem Unionsrecht dar.169 Zwar gibt es heutzutage ein spezielles Änderungsverfahren in Art. 48 Abs. 3 und 4 EUV, welches bei Änderung des Primärrechts zwingend zu befolgen ist. Allerdings ändert dies nichts daran, dass die Mitgliedstaaten die maßgebliche Verfügungsbefugnis innehaben und in jedem Fall stets einen völkerrechtlichen Vertrag miteinander

162 Vgl. Fabbrinis Kommentar, in: Kocharov (Hrsg.), EUI Working Papers, Law 2012/09, Another Legal Monster?, S. 17; vgl. auch Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, 303. 163 Kort, in: JZ 1997, S. 640; Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, 2002, S. 233; de Witte, in: International Law as Law of the European Union, 2012, S. 133, 134 f.; Schorkopf, in: VVDStRl Bd. 71, 2012, S. 184, 204; Klein / Schmahl, in: Graf Vitzthum / Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 2017, S. 247, 354 Rn. 250; Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 234; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meng, 2015, Art.  48 Rn.  2; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ohler, 66. EL 2019, Art. 48 EUV Rn. 14; Calliess / Ruffert-Cremer, 2016, Art. 48 EUV Rn. 1; Streinz, in: European Legal Methodology, 2017, S. 151, 154; die These Kutschers, in: Der Grundrechtsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1982, S. 35, 36, wonach der die „Integrationverträge“ keine völkerrechtlichen Verträge seien, scheint sich nicht durchgesetzt zu haben. 164 EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62 („Van Gend en Loos“), ECLI:EU:C:1963:1, S. 25. 165 Siehe Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 239 ff.; Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, 2002, S. 237 ff. 166 Hänel, Die vertragsmäßigen Elemente der Deutschen Reichsverfassung, 1873, S. 38. 167 Ipsen, in: FS Scheuner, 1973, S. 211, 220 f. 168 Vgl. Hessens Monographie, Interne Abkommen, 2015. 169 De Witte, in: International Law as Law of the European Union, 2012, S. 133 ff.

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

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abschließen, um das Primärrecht zu verändern.170 Regelungssysteme wie die forschungsgegenständlichen Übereinkommen sind in ihrer völkerrechtlichen Natur deshalb mit den der Unionsrechtsordnung zugrundeliegenden Rechtsakten eng verwandt. Für alle Mitgliedstaaten geltendes Primärrecht stellen sie freilich schon aufgrund der Nichtanwendung des Art. 48 EUV nicht dar. Im Übrigen kann letztlich auch nicht verwundern, wenn die vertragsschließenden Staaten intergouvernementale Strukturen einsetzen. Schließlich können sie auf diese Weise weitgehend ihre Hoheitsrechte bewahren, die in Budgetfragen besonders (verfassungs-)sensibel sind.171 Bei Analyse der drei Übereinkommen wird dabei allerdings augenfällig, dass in jedem einzelnen von ihnen zwar einerseits wenig verwunderliche, der völkerrechtlichen Vorgehensweise entsprechende intergouvernementale Strukturmerkmale auffindbar sind; andererseits lassen sich manche der auftretenden Strukturmerkmale schlechterdings nicht mit dem intergouvernementalen Grundmuster vereinbaren, weil die Vertragsstaaten mit den entsprechenden Strukturen auf Hoheitsrechte verzichten. Die jeweiligen Vertragsstaaten, allesamt Mitgliedstaaten der EU, haben mittels ihrer völkerrechtlichen „Träger“-Übereinkommen hybride Strukturen geschaffen, die im Rahmen ihrer individuellen Ausgestaltung sowohl auf intergouvernementale als auch auf supranationale Elemente zurückgreifen.

II. Das Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge (IGA) 1. Entstehungsgeschichte a) Ein Baustein der Bankenunion Der chronologisch jüngste der mittels intergouvernementaler Zusammenarbeit erzeugten Rechtsakte, die dieser Untersuchung zugrunde liegen, ist das Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge172  – für das hier vereinfacht nur von „Abwicklungsfonds“ oder „IGA“ gesprochen werden soll. Ausgangspunkt der neu geschaffenen Regeln war ein Vorschlag der Kommission 170 Siehe auch Calliess / Ruffert-Cremer, 2016, Art. 48 EUV Rn. 1; Grabitz / Hilf / Nettesheim-​ Ohler, 66. EL 2019, Art. 48 EUV Rn. 14. 171 Vgl. die Rechtsprechung des BVerfG, Urteil vom 19. Juni 2012, 2 BvE 4/11, Rn. 114; Urteil vom 18. März 2014, 2 BvR 1390/12 et al., Rn. 161 ff.: „Der Bundestag darf seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen.“. 172 In der wissenschaftlichen Diskussion wird dieses Übereinkommen häufig auch als „IGA“ für „Intergovernmental Agreement“ bezeichnet.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

zur Verordnungsgesetzgebung vom Juli 2013.173 Die Kommission hatte das Ziel ausgerufen,174 die Bankenunion weiterzuentwickeln und um ein gemeinsames Bankenabwicklungsregime zu ergänzen. Geplant war ein zentrales Regelwerk für den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus, den SRM, der gemeinsame Regeln für die Sanierung oder auch Abwicklung sogenannter systemrelevanter Banken schafft. Die Kommission stützte ihren Vorschlag auf die Vorschrift zur Rechtsharmonisierung im Binnenmarkt aus Art. 114 AEUV und beabsichtige folglich, die Neuregelung im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren auf den Weg zu bringen. Ein Teil des geplanten Regelwerks sollte die Einrichtung eines Abwicklungsfonds herbeiführen (vorgeschlagene Art. 64 ff.), dessen vornehmliches Ziel die Gewährleistung von Finanzstabilität durch die notfallmäßige Bereitstellung von Finanzmitteln (vorgeschlagener Art. 71 Abs.1) war. Der Abwicklungsfonds sollte die letzte Instanz einer Haftungs- und Eintrittskaskade bilden, die zunächst die Anteilseigner, dann die Gläubiger (zusammen sogenanntes „Bail-in“) und schließlich den gemeinsamen (einheitlichen) Abwicklungsfonds heranzieht. Durch die Einführung des Abwicklungsfonds strebte die Kommission eine weitgehende Vereinheitlichung der von Art. 100 Abs. 5 der BRR-Richtlinie geforderten Einrichtung nationaler (Abwicklungs-)Fonds an.175 Explizit geht die Kommission in der Begründung ihres Vorschlags auch auf den alternativen Weg eines Vorgehens mittels intergouvernementaler Zusammenarbeit ein. Eindringlich warnt sie dabei vor den Gefahren eines solchen zwischenstaatlichen Vorgehens. So berge es das Risiko, „die demokratische Qualität des EU-Entscheidungsprozesses und den Zusammenhalt des EU-Rechtssystems zu untergraben“.176 Darüber hinaus versucht die Kommission mögliche Vorbehalte gegenüber ihrem Vorschlag aus Gründen des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EUV) vorsorglich zu entkräften. Die von der Kommission angeführten Argumente für ein Tätigwerden mittels Verordnungsgesetzgebung lauten dagegen: Größenvorteile (des Abwicklungsfonds), Kosteneffizienz sowie gewährleistete Gleichbehandlung – sämtliche genannten Argumente beinhalten jedoch lediglich Vorteile im Vergleich mit bloßem einzelstaatlichem Vorgehen; Argumente gegen eine geplante intergouvernementale Zusammenarbeit stellen sie nicht dar.

173 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juli 2013, COM(2013) 520 final; vgl. auch den Überblick zur Entstehungs­ geschichte bei Meng, Die Bankenabwicklungsregelung der EU – eine Fallstudie zur Unionsmethode, 2015, S. 10 ff. 174 Siehe z. B. Mitteilung der Kommission vom 12. September 2012, COM(2012) 510 final. 175 Vgl. Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, S. 19. 176 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juli 2013, COM(2013) 520 final, S. 4.

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

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b) Abweichung vom geplanten einheitlichen unionsrechtlichen Vorgehen Bereits im Dezember 2013 entschied sich der Rat dann gleichwohl für ein abweichendes Vorgehen.177 Entgegen der Warnung der Kommission präferierte er nunmehr gerade ein Übereinkommen, das auf zwischenstaatlichem Wege zustande kommt und sich dem Mittel des völkerrechtlichen Vertrags bedient. Dieses Übereinkommen sollte allerdings nicht gänzlich losgelöst von einer geplanten Verordnungsgesetzgebung sein; vielmehr befand der Rat, nur für einen Teil der vorgeschlagenen SRM-Verordnung stattdessen eine zwischenstaatliche Regelung herbeizuführen – namentlich Bestimmungen in Bezug auf die Befüllung des Abwicklungsfonds mit (durch die Vertragsstaaten erhobenen) finanziellen Mitteln.178 Diese Haltung des Rates sowie der in ihm versammelten Mitgliedstaaten rief seitens des Europäischen Parlaments lautstarke Proteste hervor. So warf der Präsident des Europäischen Parlaments den Ratsvertretern wegen des beabsichtigten intergouvernementalen Vorgehens einen Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit aus Art 4 Abs. 3 EUV vor.179 Weiterhin befürchtete er durch dieses Vorgehen die Schaffung eines gefährlichen Präzedenzfalls, indem es sowohl das Initiativrecht der Kommission als auch das Mitentscheidungsrecht des Parlaments verletze.180 Die Gründe für ein Abweichen des Rates vom Kommissionsvorschlag lagen hauptsächlich in Deutschland:181 Die Bundesregierung machte Vorbehalte geltend und erhob rechtliche Zweifel am anfangs geplanten Finanzierungsmodell ohne die zwischengeschalteten Mitgliedstaaten, bei dem stattdessen eine Einrichtung des Unionsrechts direkt die Beiträge von den Banken einziehen würde. Die Rechts­

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Entscheidung des Rates vom 20. Dezember 2013, 18143/13 ECOFIN 1185, abrufbar unter http://register.consilium.europa.eu/doc/srv?l=EN&t=PDF&gc=true&sc=false&f=ST%20 18134%202013%20INIT; Überblick auch bei Meng, Die Bankenabwicklungsregelung der EU – eine Fallstudie zur Unionsmethode, 2015, S. 10 ff. 178 Vgl. Entscheidung des Rates vom 20. Dezember 2013, 18143/13 ECOFIN 1185, S. 4: „How­ever the obligation to transfer the contributions raised at national level towards the fund will not derive from the law of the Union. Such obligation will be established by the IGA, that will lay down provisions whereby the parties agree to reciprocally transfer the contributions that they raise at national level to the Fund.“. 179 Brief vom 20. Januar 2014, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/document/ activities/cont/201401/20140121ATT77977/20140121ATT77977EN.pdf; dazu umfänglich infra Dritter Teil, B. I. 180 Diesen Vorwurf enthält auch ein Brief der Vorsitzenden des Wirtschafts- und Finanzausschusses des Europäischen Parlaments an die griechische Ratspräsidentschaft vom 15. Januar 2014, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/document/activities/cont/201401/2014011 6ATT77594/20140116ATT77594EN.pdf, der darin nicht nur einen Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) sieht, sondern auch Verstöße gegen das unionsrechtliche Demokratieprinzip und das institutionelle Gleichgewicht. 181 Vgl. Meng, Die Bankenabwicklungsregelung der EU – eine Fallstudie zur Unionsmethode, 2015, S. 11.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

auffassung der deutschen Bundesregierung negierte im Ergebnis eine Regelungskompetenz der Union für die später in das IGA ausgelagerten Vorschriften; Art. 114 AEUV wurde als Kompetenzgrundlage für unzureichend erachtet.182 Neben den rein rechtlichen Argumenten bestanden in den Mitgliedstaaten allerdings auch eher politische Vorbehalte gegen die geplante Regelungsmechanik der Kommission. Zum einen bedeutete die Ratsinitiative eine attraktive Veto-Position für jeden Mitgliedstaat, die die Verhandlungsmacht gleichmäßig verteilen würde; auf diese Weise sollte jeder Mitgliedstaat weitgehend selbständig über einzelne Vereinheitlichungsschritte des Geldtopfes entscheiden können, um so noch möglichst lang ein „Einstehenmüssen“ nationaler Institute – und ultimativ unter Umständen ein „Einstehemüssen“ der Steuerzahler – für ausländische zu kontrollieren.183 Nichtsdestominder einigten sich die Vertreter der sich gegenüberstehenden Lager (Kommission, Europäisches Parlament und Rat) im Rahmen eines Trilog­ verfahrens schließlich noch rechtzeitig vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2014.184 Am Ende gab auch das Europäische Parlament seine Vorbehalte gegen die intergouvernementale Regelung des Abwicklungsfonds auf.185 Die übriggebliebenen Bestimmungen der vorgeschlagenen Verordnung mündeten sodann im Erlass der SRM-Verordnung, die noch 2014 in Kraft trat und deren Regelungen vollumfänglich seit dem 1. Januar 2016 gelten – zu beachten ist dabei aber, dass die Geltung der SRM-Verordnung auf die Euro-Mitgliedstaaten und die übrigen fakultativ teilnehmenden Mitgliedstaaten begrenzt ist.186 Das IGA selbst findet seit dem 1. Januar 2016 Anwendung (Art. 12 Abs. 2), nachdem bis zum 30. November 2015 eine ausreichende Zahl der insgesamt 26 unterzeichnenden Vertragsstaaten (alle Mitgliedstaaten außer dem Vereinigten Königreich und Schweden) den Vertrag ratifiziert hatte. 2. Intergouvernementalität bei Vereinheitlichung der Fondsmittel Das IGA regelt – worauf bereits sein offizieller Name hinweist – die Übertragung der Beiträge des Finanzsektors auf den Abwicklungsfonds und die (einheitliche) Nutzung derselben. Mit dem IGA verpflichten sich seine 26 Vertragsstaaten,

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Vgl. Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, S. 19 Rn. 6. Vgl. Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, S. 19 Rn. 6; vgl. auch Howarth  / ​ Quaglia, in: The New Intergovernmetnalism, 2015, S. 146, 158 und 162. 184 Dass sich in Anbetracht der Intensität des Streits relativ schnell eine Einigung ergab, ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass eine Lösung noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 dringend angestrebt war, um den Gesetzgebungsprozess nicht unnötig zu verlangsamen, vgl. Meng, Die Bankenabwicklungsregelung der EU – eine Fallstudie zur Unionsmethode, 2015, S. 10. 185 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. April 2014, P7_TA(2014)0341. 186 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU Nr. L 255 vom 30. Juli 2014, S. 1 ff. 183

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

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die jeweils von den betroffenen Finanzinstituten auf nationaler Ebene187 erhobenen Beiträge auf den Abwicklungsfonds zu übertragen (Art. 1 Abs. 1 lit. a). Ein anderes Verfahren sah noch die von der Kommission vorgeschlagene Verordnung vom Juli 2013 vor. Gemäß Art. 62 Abs. 3 Satz 1 des Verordnungsentwurfs sollte der Abwicklungsausschuss (siehe Art. 42 ff. SRM-Verordnung) die Beiträge per Beschluss gegenüber den betroffenen Finanzunternehmen festsetzen und letztere folglich direkt in den Abwicklungsfonds ihre Zahlungen leisten; außerdem sollte der Kommission gemäß Art. 62 Abs. 5 des Verordnungsentwurfs die zentrale Aufgabe zukommen, die Art, die Methode und die Anknüpfungspunkte der Beiträge festzusetzen.188 Die Zwischenschaltung der Mitgliedstaaten sowohl für die Erhebung der Beiträge bei den Finanzunternehmen als auch für deren Übertragung auf den Abwicklungsfonds war somit ursprünglich nicht vorgesehen. Indem die Mitgliedstaaten den Abwicklungsausschuss aber entpflichten, sprechen sie sich (in diesem Punkt) gegen die Zuständigkeit einer EU-Agentur aus, die aufgrund ihrer Genese durch (supranationales) Sekundärrecht und ihrer Entscheidungsstrukturen (regelmäßig einfache Mehrheit der Ausschussmitglieder, hier z. B. Art. 52 Abs. 1 SRM-Verordnung) bzw. ihrer institutionellen Unabhängigkeit (hier z. B. Art. 47 SRM-Verordnung) von den Mitgliedstaaten supranational verfasst ist;189 stattdessen vereinbarten die Vertragsstaaten – entsprechend dem intergouvernementalen Grundmuster – selbst hoheitlich bei der Fondsmittelerhebung agieren zu können. Ebenso wenig war die zweite zentrale Regelung des IGA im Verordnungsentwurf der Kommission vorgesehen; die Verpflichtung zur Übertragung der erho­ benen Beiträge auf den Abwicklungsfonds beinhaltet nämlich eine Besonderheit: Erst nach Ablauf einer bis zu acht Jahre währenden Übergangszeit sind die Mitgliedstaaten zur Übertragung auf einen wirklich einheitlich genutzten Abwicklungsfonds verpflichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt aber sind nationale Kammern innerhalb des (einheitlichen) Abwicklungsfonds die eigentlichen Beitragsempfänger, wie Art. 1 Abs. 1 lit. b) i. V. m. Art. 4 f. IGA verdeutlichen. Diese nationalen Kammern wachsen während der Übergangszeit schrittweise dergestalt zusammen, dass sie erst am Ende einen vollständig gemeinsam genutzten Abwicklungsfonds darstellen, der dann nicht mehr in einzelne Kammern unterteilt ist. Zweck der Regelung ist, die Rückgriffsfälle anfangs noch hauptsächlich mit nationalen Mit 187 Siehe Art. 100, 103 und 104 RL 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/ EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 (kurz: „BRR-Richtlinie“), in Deutschland umgesetzt durch §§ 12 ff. RStruktFG, siehe auch Erwägungsgrund 20 und Art. 67 Abs. 4 SRM-Verordnung. 188 Vgl. zur geplanten starken Rolle der Kommission Howarth / Quaglia, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 146, 157. 189 Vgl. Sölter, Rechtsgrundlagen europäischer Agenturen im Verhältnis vertikaler Gewaltenteilung, 2017, S. 91 f.

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teln regulieren zu können. So greift der Abwicklungsausschuss während der achtjährigen Übergangszeit stets primär auf die Kammern desjenigen Vertragsstaats zurück, der dem Ort der Niederlassung oder Provenienz der Zulassung des betroffenen Finanzunternehmens entspricht (Art. 5 Abs. 1 lit. a) IGA). Anders gewendet: Die Vereinheitlichung des Abwicklungsfonds i. S. einer Zentralisierung verläuft nur graduell – ein deutliches Abbild der mitgliedstaatlichen Verhandlungsmacht. Die Mitgliedstaaten bringen mit dieser Architektur zum Ausdruck, dass sie zwar grundsätzlich eine enge Zusammenarbeit anstreben, am Anfang aber sämtliche Hoheitsrechte, die mit der Erhebung von Finanzmitteln bei nationalen Regulierungsunterworfenen und deren Verteilung zusammenhängen, noch selbst in den Händen halten möchten.190 3. Supranationalität durch intergouvernementale Verknüpfung zwischen SRM-Verordnung und IGA a) Bedingtheit zwischen IGA und SRM Trotz der „Auslagerung“ der stattdessen im IGA enthaltenen Regelungen beinhaltet die SRM-Verordnung selbst weiterhin eine Vielzahl an Bestimmungen in Bezug auf den Abwicklungsfonds (Art. 67 ff.). Insbesondere der Gründungsakt des Abwicklungsfonds beruht nicht etwa auf einer Vorschrift des IGA, sondern geht auf Art. 67 Abs. 1 Satz 1 SRM-Verordnung („Hiermit wird der einheitliche Abwicklungsfonds errichtet.“) zurück; das IGA selbst ist gleichsam nur als Nachvollzug dieser Gründung konzipiert (Erwägungsgrund 7 IGA: „Mit der SRM-​ Verordnung werden insbesondere ein Fonds sowie die Modalitäten für dessen Inanspruchnahme festgelegt.“). Darüber hinaus ist es gerade eine Regelung der SRM-​ Verordnung, die in Art. 67 Abs. 3 den SRB zum „Eigentümer“ (englisch: „­owner“, französisch: „détenteur“)  – i. S. v. einem Innehaben der Verfügungsgewalt  – des Abwicklungsfonds erklärt. Folgerichtig und gleichsam als Einschränkung der Verfügungsgewalt des Abwicklungsausschusses zählt Art. 76 SRM-Verordnung abschließend die einzelnen Zwecke auf, für deren Verfolgung der Abwicklungsausschuss auf den Abwicklungsfonds zugreifen kann. Außerdem sieht Art. 69 SRM-Verordnung genauso wie Art. 102 BRR-Richtlinie eine sogenannte „Zielausstattung“ des Abwicklungsfonds vor – sein maximales Finanzvolumen in Abhängigkeit von der Summe der gedeckten Einlagen aller in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Kreditinstitute. Auch die Höhe und die Berechnung

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Diese Entwicklung provozierte den Präsidenten der EZB, Mario Draghi, bei seiner Anhörung vor dem Europäischen Parlament bereits zu dem Ausspruch: „Wir sollten keinen einheitlichen Abwicklungsmechanismus schaffen, der nur im Namen einheitlich ist … Ich appelliere an Sie und den Rat, zügig einen robusten SRM mit drei wesentlichen Elementen auf den Weg zu bringen: einem einheitlichen System, einer einheitlichen Behörde, und einem einheitlichen Fonds.“, vgl. Howarth / Quaglia, in: The New Intergovernmentalism, 2015, S. 146, 159 f.

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der einzelnen Beiträge betroffener Finanzunternehmen beruht auf Vorschriften der SRM-Verordnung (Art. 70 f.).191 Diverse Querverweise sowohl in SRM-Verordnung als auch im IGA auf den jeweils anderen Rechtsakt verdeutlichen die engmaschige Verknüpfung beider – anders gewendet: Man sieht beinahe, dass die beiden Rechtsakte „aus demselben Holz geschnitzt“ sind. Ausweislich des dem IGA vorangestellten Erwägungsgrund 11 sollen IGA und SRM-Verordnung in einem Ergänzungs- und Unterstützungsverhältnis stehen. Erkennbar ist, dass ohne IGA viele Regelungen der verbleibenden SRM-Verordnung keinen Sinn ergeben würden und folglich nicht anwendbar wären (Art. 1 Uabs. 3 SRM-Verordnung). Dasselbe gilt für die umgekehrte Konstellation mit dem Unterschied, dass das Funktionieren des IGA in Gänze auf den Bestand der SRM-Verordnung angewiesen ist, wie besonders die Vorschrift zur Gründung des Abwicklungsfonds (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 SRM-Verordnung) vor Augen führt. So ergibt dann auch die Vorschrift zur Anwendung des IGA Sinn, die gemäß Art. 12 Abs. 1 IGA entscheidend an das Inkrafttreten der SRM-Verordnung gebunden ist. Schließlich heißt es in Erwägungsgrund 11 des IGA dann auch, die jeweiligen Regeln sind „untrennbar“ miteinander „verbunden“. Auf diesen Zusammenhang gehen die Erwägungsgründe 17 und insbesondere 18 näher ein. Unter Berufung auf einen völkergewohnheitsrechtlichen Satz192 und einschlägige Bestimmungen des WVK erklären die Vertragsstaaten in Art. 9 IGA bestimmte Vorschriften der SRM-Verordnung zu wesentlichen Umständen, die die Grundlage für die Zustimmung der Vertragsparteien bilden (clausula rebus sic stantibus). Bei einer Änderung dieser Vorschriften können sich die Vertragsstaaten dann im Einklang mit Art. 62 WVK auf einen Grund für die Beendigung des Vertrages oder ein Rücktrittsrecht berufen. Allerdings sieht Art. 9 Abs. 2 IGA in solchen Fällen ein besonderes Verfahren vor, im Rahmen dessen andere Mitgliedstaaten den EuGH anrufen können (Art. 14 IGA), um feststellen zu lassen, ob eine „grundlegende Änderung der Umstände“ vorliegt. Somit ist die Existenz des Abwicklungsfonds von der unveränderten Geltung der SRM-Verordnung abhängig, einem supranationalen Sekundärrechtsakt; und auch umgekehrt ist die SRM-Verordnung zwar nicht existenziell auf das IGA angewiesen, jedenfalls aber ihre Anwendbarkeit (siehe insbesondere Art. 77 SRM-Verordnung).193 Auch wenn dieses im IGA enthaltene Quasi-Kündigungsrecht erneut ein deutlicher Ausdruck der Intergouvernmenta­ lität ist, da jeder Mitgliedstaat einzeln in die Lage versetzt wird, per Austritt seine hoheitliche Verfügungsgewalt über die vorgesehenen Mittel wiederzuerlangen; so lässt sich aus alledem doch auch ableiten, dass das IGA im Gefüge der unter 191

Dazu insgesamt auch Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016 Rn. 8: „Das IGA ist formell, materiell und institutionell aufs Engste in die Struktur der sog. Bankenunion eingegliedert.“. 192 Zur seit 1980 völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Prinzips der „clausula“, Heintschel von Heinegg, Treaties, Fundamental Change of Circumstances, in: MPEPIL, 2006, Rn. 4 ff. 193 Hufeld, in: FS Müller-Graff, 2015, S. 726, 731.

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schiedlichen Rechtsakte eine der vollen Wirksamkeit der SRM-Verordnung – bzw. darüber hinaus der Bankenunion – dienende Funktion einnimmt; anders gewendet: Das intergouvernementale Recht unterstützt beim Aufbau eines weitgehend supranational ausgestalteten Bankenabwicklungsregimes. Auch der EuGH wird, sollte er im Rahmen von Art. 14 IGA zur Auslegung von Übereinkommensbestandteilen befragt werden, auf die Kohärenz mit dem supranationalen Recht zu achten haben. Insbesondere ist anzunehmen, dass der EuGH das Übereinkommen sogar „im Lichte“ der SRM-Verordnung auslegen wird (Auslegung entsprechend dem Ziel und Zweck des Übereinkommens gemäß Art. 31 Abs. 1 WVK), um im Einzelfall Verordnungskonformität herzustellen. Diese Ansicht unterstützt auch die Lektüre der Erwägungsgründe zum IGA; so heißt es bspw. in Erwägungsgrund 11: „Durch dieses Übereinkommen werden weder die gemäß dem Unionsrecht festgelegten gemeinsamen Vorschriften berührt noch ändert sich dadurch deren Anwendungsbereich. Es soll vielmehr die Rechtsvorschriften der Union zur Bankenabwicklung komplementieren und die Verwirklichung der Politik der Union […] unterstützen und untrennbar mit ihr verbunden sein.“ b) Befugnisverleihung an den SRB Der SRB – eine genuine Agentur des Unionsrechts194 (Art. 42 Abs. 1 SRM-Verordnung) – ist nicht nur Inhaber der Verfügungsgewalt über die Mittel des Abwicklungsfonds; auch kommen dem Ausschuss Befugnisse zu, die an typischerweise supranationale Befähigungen der Kommission erinnern. So verleiht das IGA dem SRB Entscheidungsbefugnisse, die im Rahmen des Abwicklungsfonds rechtsverbindlich wirken.195 Die seit geraumer Zeit zu beobachtende „Agenturisierung“196, die auch mit der Bankenunion fortgeführt wird, ist im Gesamtbild der europäischen Verfasstheit allgemein ein Ausdruck von Supranationalisierungstendenzen, da die Mitgliedstaaten selbst im Zuständigkeitsbereich der Agenturen regelmäßig keine Hoheitsrechte (mehr) ausüben. Art. 10 Abs. 2 IGA sieht vor, dass der SRB denjenigen Vertragsparteien, die ihrer IGA-Verpflichtung auf Mittelbereitstellung (Art. 3 IGA) nicht nachkommen, eine Frist setzt und bei Verstreichen der Frist den Zugriff des betroffenen Vertragsstaats auf die Kammern anderer Vertragsstaaten gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. b) vorübergehend sperrt. Zwar ließe sich die Befugnis aus Art. 10 Abs. 2 IGA so deuten, dass dem SRB kein Ermessen zukommt, und er bei Nichteinhaltung der 194

Vgl. aktuell und hintergründig, aber ohne Bezugnahme auf den SRB, Sölter, Rechtsgrundlagen europäischer Agenturen im Verhältnis vertikaler Gewaltenteilung, 2017, insbesondere S. 41 ff. 195 Vgl. zu dieser Funktion von Agenturen allgemein zuletzt Sölter, Rechtsgrundlagen europäischer Agenturen im Verhältnis vertikaler Gewaltenteilung, 2017, S. 65 f. 196 Zum Begriff Sölter, Rechtsgrundlagen europäischer Agenturen im Verhältnis vertikaler Gewaltenteilung, 2017, S. 24.

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Verpflichtungen aus Art. 3 IGA gleichsam automatisch und reflexhaft eine Frist setzt bzw. hierzu sogar verpflichtet ist. Auch mit Blick auf die sogenannte „Meroni-Rechtsprechung“, die der EuGH zuletzt bei Beantwortung einer Rechtsfrage bezüglich der ESMA weiterentwickelte,197 ist jedenfalls davon auszugehen, dass dem SRB tatsächlich kaum Ermessensspielraum zukommt. Für die hier erhebliche Frage, ob dem SRB Entscheidungsbefugnisse verliehen sind, ist eine Überprüfung anhand der „Meroni“-Maßstäbe zur Tragweite eines Ermessensspielraums aber unbedeutend, da das spezifische Tätigwerden des SRB nach Art. 10 Abs. 2 IGA jedenfalls (verbindliche) Rechtswirkungen zeitigt, und das intergouvernementale IGA folglich einer unabhängigen, supranationalen Agentur entsprechende Befugnisse verleiht.

III. Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalvertrag) 1. Entstehungsgeschichte Dass rein zwischenstaatlicher Rechtsetzung bei der Bewältigung der Eurokrise eine bemerkenswerte und nicht nur einmalige Rolle zukommt, zeigt auch der Abschluss des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (kurz: „Fiskalvertrag“)198. Der politische Prozess zur Herbeiführung des Fiskalvertrags spielte sich in etwa zwei Jahre vor den Verhandlungen zum Abwicklungsfonds ab. Eine Initiative der deutschen und der französischen Regierung im Sommer 2011 markiert den Beginn dieses Prozesses.199 Auslöser der Initiative war die gemeinsame Überzeugung, dass trotz aller bisher erfolgten Reformanstrengungen innerhalb der WWU weitere Schritte zur Erreichung einer noch engeren Koordinierung für die Stabilität der nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitik erforderlich seien. Die Vorschläge dazu forderten insbesondere die Einführung nationaler – und vorzugweise verfassungsrechtlicher – Regelungen zur Gewährleistung ausgeglichener Haushalte und ein institutionalisiertes Format

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EuGH, Urteil vom 13. Juni 1956, Rs. C-9/56 („Meroni“), ECLI:EU:C:1958:7; sowie Urteil vom 22. Januar 2014, Rs. C-270/12 („Leerverkäufe“), ECLI:C:EU:2014:18, insbesondere Rn. 41 ff.; vgl. dazu Sölter, Rechtsgrundlagen europäischer Agenturen im Verhältnis vertikaler Gewaltenteilung, 2017, S. 80, der von einer Abkehr von der Meroni-Dogmatik durch die aktuelle Rechtsprechung ausgeht. 198 Siehe zum deutschen Zustimmungsgesetz BT-Drs. 17/9046; häufig findet sich in der wissenschaftlichen Rezeption auch der Begriff „Fiskalpakt“. Allerdings trägt bereits ein bestimmter Teil des Regelwerks (Art. 3 ff. Fiskalvertrag) die Überschrift „Fiskalpolitischer Pakt“ (in der englischen Fassung „Fiscal Compact“), weshalb hier ein anderer Begriff verwendet wird, siehe Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1 f.; siehe auch Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 109. 199 So auch Rinke, in: Internationale Politik, Januar / Februar 2012, S. 8 ff.; und Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1, 2.

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zur Steuerung des Euro-Währungsgebiets.200 Damit war das materielle Programm für den späteren Fiskalvertrag bereits in zentralen Bereichen vorgezeichnet. Zwar bestand zum Zeitpunkt der Verhandlungen über den Fiskalvertrag mit dem Euro-Plus-Pakt und dem Pakt für Wachstum und Beschäftigung201 bereits ein intergouvernemental vereinbartes Vertragswerk, welches sich auch dem Thema haushaltspolitischer Stabilität (der Euro-Plus-Pakt spricht von „langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen“ sowie „Stärkung der Finanzstabilität“) annahm.202 Deshalb ist es auch nachvollziehbar, wenn diese Pakte als Vorläufer des Fiskalvertrags gewertet werden.203 Ein bedeutender Unterschied liegt jedoch darin, dass sich die vertragsschließenden Staats- und Regierungschefs mit Euro-Plus-Pakt und Pakt für Wachstum und Beschäftigung jeweils nur „politisch“, und rechtlich nicht bindend geeinigt haben.204 Die im Rahmen des Fiskalvertrags geplanten Regelungen sollten anders als die vorgenannten unverbindlichen Pakte eigentlich und ursprünglich in das Primärrecht aufgenommen werden. Politisch lag der Grund hierfür wohl wieder – wie später auch im Falle der Ausgestaltung des Abwicklungsfonds – in Deutschland.205 Allerdings erfordern sowohl das ordentliche Vertragsänderungsverfahren in Art. 48 Abs. 2 bis 5 EUV als auch das unter anderem für die Wirtschafts- und Währungspolitik in besonderen Fällen einschlägige einfache Vertragsänderungsverfahren in Art. 48 Abs. 6 und 7 EUV einen einstimmigen Beschluss sämtlicher Mitgliedstaaten  – dies war nicht erreicht worden. Eine Änderung der Verträge scheiterte schließlich insbesondere an einem Veto des Vereinigten Königreichs, dessen Vertreter sich von allgemeinen europapolitischen Erwägungen leiten ließen: Die britische politische Führung hatte die Sorge, durch die Ratifizierung des 200

Gemeinsamer Deutsch-Französischer Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy vom 17. August 2011, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/ Archiv17/Pressemitteilungen/BPA/2011/08/2011-08-17-dt-franz-brief-rompuy.html. 201 Pakt für Wachstum und Beschäftigung, siehe Schlussfolgerungen des Europäischen Rats vom 28./29. Juni 2012, EUCO 76/2/12, Anlage. 202 Vgl auch Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 51 ff. 203 Vgl. Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2015, § 22, Rn. 135. 204 Hilpold, in: Neue europäische Finanzarchitektur, 2014, S. 3, 56 f.; vgl. auch Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 53, der z. B. darauf hinweist, dass es dem EuroPlus-Pakt an Sanktionen mangelt, und der deshalb von einem „zahnlosen Tiger“ spricht; siehe auch A. Weber, in: EuR 2013, S. 375, 380; Hinarejos, in: Legal Studies Research Paper Series, University of Cambridge, Paper 1, 2014, S. 12; siehe auch F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 31. 205 De Witte, Using International Law in the Euro Crisis, 2013, S. 8; vgl. auch Gesetzesbegründung BT-Drs. 17/9046, S. 1: „[…] ist es erforderlich, die Wirtschafts- und Währungsunion durch neue vertragliche Regelungen zu verstärken, um die Haushaltsdisziplin zu verbessern, gesunde öffentliche Finanzen zu erreichen und eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung zu ermöglichen. Ursprüngliches Ziel war es, diese Regelungen durch eine Änderung der Unionsverträge einzuführen. Dies ist derzeit nicht realisierbar.“ Vgl. auch Hofmann / Konow, in: ZG 2012, S. 138, 150; vgl. dazu und und zum Folgenden auch Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 109 ff.

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Fiskalvertrags einen weiteren Integrationsschritt mitzugehen, der final in die traditionell britischer Europapolitik widerstrebende Richtung einer politischen Union weisen würde.206 Der Vertreter der britischen Regierung und damalige Premier David Cameron hatte eine Zustimmung schließlich von Konzessionen der EU-Partner im Bereich der europäischen Finanzmarktregulierung abhängig gemacht.207 Die angedachten Ausnahmen für das Vereinigte Königreich innerhalb der Finanzmarktregulierung hätten jedoch einen „Integrationsrückschritt“ bedeutet, weil sie quasi-systemwidrige Privilegien für die City of London beinhaltet hätten.208 Die Forderungen Camerons, die somit auch der Sache nach in keinem Zusammenhang mit den späteren Regeln des Fiskalvertrags standen, fanden bei den anderen Vertretern im Europäischen Rat – insbesondere den Wortführern aus Frankreich und Deutschland209 – jedoch kein Gehör und so blieb es bei der britischen Vetoposition. Der Prozess mündete schließlich zunächst in einer am 9. Dezember 2011 erzielten Einigung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist.210 Darin heißt es: „Die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets sind der Auffassung, dass die anderen [i. e. die später im Fiskalvertrag mündenden Regelungen] Maßnahmen Bestandteil des Primärrechts sein sollten. In Anbetracht der Tatsache, dass unter den EU-Mitgliedstaaten kein Einvernehmen herrscht, haben sie beschlossen, sie im Rahmen einer zwischenstaatlichen Übereinkunft anzunehmen, die im März 2012 oder früher unterzeichnet werden soll.“ Die eigentlichen Verhandlungen des neuen Regelwerks verliefen sodann zügig – was freilich nicht zuletzt auf die krisenhafte Situation in Europa und die deshalb erforderliche politische Entschlossenheit und Tatkraft zurückzuführen ist. Bereits am 2. März 2012 erfolgte die Unterzeichnung des Vertragstextes durch 25 der damaligen 27 Mitgliedstaaten.211 Neben dem Veto des Vereinigten Königreichs legte die Tschechische Republik ein Quasi-Veto ein und unterzeichnete den Fiskalvertrag am Ende nicht. Dennoch: Die nach Art. 14 Abs. 2 Fiskalvertrag vorgesehene Mindestanzahl von zwölf ratifizierenden Vertragsstaaten lag rechtzeitig vor dem 1. Januar 2013 vor, sodass der Fiskalvertrag zum vorgesehenen Stichtag in Kraft treten konnte. Die Republik Kroatien, die seit dem 1. Juli 2013 Mitgliedstaat der EU ist, ist dem Fiskalvertrag seither noch nicht beigetreten,212 obwohl Art. 15 Fiskal­vertrag ein (die übrigen Vertragsstaaten bindendes) Beitrittsrecht für neue Mitgliedstaa 206

Vgl. P. Altmaier, in: Europäische Solidarität und nationale Identität, 2013, S. 171, 177. The Guardian vom 9. Dezember 2011, abrufbar unter https://www.theguardian.com/ world/2011/dec/09/david-cameron-blocks-eu-treaty. 208 Vgl. Hofmann / Konow, in: ZG 2012, S. 138, 150. 209 Vgl. Hofmann / Konow, in: ZG 2012, S. 138, 150. 210 Europäischer Rat, Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets vom 9. Dezember 2011, S. 7, abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/ docs/pressdata/de/ec/126678.pdf. 211 Frank Schorkopf hat eine Synopse der verschiedenen Entwurfsfassungen aufbereitet, die unter http://www.kj.nomos.de/fileadmin/zse/doc/synopse-fiskalvertrag.pdf abrufbar ist. 212 Siehe auch Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 2017, COM(2017) 824 final, S. 1 Fn. 2. 207

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ten vorsehen würde. Beachtlich ist indes, dass mit Bulgarien, Dänemark und Rumänien auch Nicht-Euro-Mitgliedstaaten den Fiskalvertrag vollständig ratifiziert haben. Daneben gelten die Regeln in Titel III des Fiskalvertrags allerdings nicht für Ungarn, Polen und Schweden, die insofern von der Ausnahmegenehmigung in Art. 14 Abs. 5 Fiskalvertrag Gebrauch gemacht haben.213 2. Aufrechterhaltene intergouvernementale Strukturmerkmale Der Fiskalvertrag gruppiert seine einzelnen Regelungen anhand von drei wesent­ lichen Teilen, die einleitenden Bestimmungen nachfolgen und allgemeinen, abschließenden Bestimmungen vorangehen. Diese materiellen Teile sind wie folgt über­schrieben: „Fiskalpolitischer Pakt“ (sprich: Regelungen zur Haushaltsdisziplin), „Wirtschaftspolitische Koordinierung und Konvergenz“ und „Steuerung des Euro-​Währungsgebiets“. Wie auch im Falle des Abwicklungsfonds gehen den eigentlichen Vorschriften des Fiskalvertrags ausführliche Präambeln voran, die – jedenfalls im Hinblick auf ihre Ausführlichkeit – den typischerweise europäischen Sekundärrechtsakten vorangestellten Erwägungsgründen ähneln. Es bietet sich an, jeden dieser Teile gesondert nach intergouvernementalen Strukturen zu untersuchen. a) Im Fiskalpolitischen Pakt Der Fiskalvertrag wiederholt – und verschärft teilweise – Regeln zur mitgliedstaatlichen Haushaltsdisziplin, die schon das bestehende Primärrecht in Art. 126 AEUV samt Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit sowie das Sixpack den Mitgliedstaaten auferlegen.214 Im Zentrum des fiskalpolitischen Pakts steht ein Kriterien-Katalog, dessen Erfüllung der Vermeidung eines übermäßigen öffentlichen Defizits dienen soll. Unter Verschärfung der bisherigen Vorschriften – der Fiskalvertrag spricht insofern von „Zusätzen“ zu den bereits bestehenden, unionsrechtlichen Verpflichtungen – erfordert der Fiskalvertrag nunmehr zumindest einen ausgeglichenen Haushalt der beteiligten Vertragsstaaten (Art. 3 Abs. 1 lit. b)).215 Ein solcher liegt grundsätzlich erst dann vor, wenn auch das strukturelle Defizit einen Grenzwert von 0,5 Prozent nicht übersteigt. Ausnahmsweise darf dieser Grenzwert auch bis zu 1,0 Prozent betragen, wenn der öffentliche Schuldenstand im Verhältnis zum BIP „erheblich“ unterhalb von 60 Prozent liegt und die Risiken für die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gering sind (Art. 3 Abs. 1 lit. b) und lit. d)). Eine weitere Ausnahme gilt für Fälle „außergewöhnlicher Umstände“ (Art. 3 Abs. 1 lit. c)), die sich regelmäßig der Kon 213

Siehe Bericht der Kommission vom 22. Februar 2017, C(2017) 1201 final, S. 2. Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 382 ff. 215 Vgl. Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 61. 214

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trolle des betroffenen Vertragsstaats entziehen müssen oder denen ein schwerer Konjunkturabschwung im Euro-Währungsgebiet oder der Union insgesamt zugrunde liegt. Dieses Begriffsverständnis unterscheidet sich übrigens nicht von der schon im Rahmen des reformierten SWP getroffenen Bestimmung, wie aus Erwägungsgrund 22, Art. 1 Nr. 8 a. E., Art. 1 Nr. 9 a. E., Art. 1 Nr. 12 a. E. Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 oder Art. 1 Nr. 2 lit. a) Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 hervorgeht. Auch das Schuldenstandkriterium findet Berücksichtigung im Fiskalvertrag. Art. 4 beruft sich allerdings ausdrücklich auf die schon im Rahmen des Sixpacks in Art. 1 Nr. 2 lit. b) Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 festgehaltenen Referenzwerte. Auch nach dem Fiskalvertrag gilt, dass die Einleitung eines Defizitverfahrens erst dann denkbar wird, wenn sich ein Mitgliedstaat dem Schuldenstandkriterium nicht wenigstens um ein Zwanzigstel jährlich annähert. Zwar ist neu, dass der Fiskalvertrag die vorgenannte Annäherung um ein jährliches Zwanzigstel zur Pflicht erhebt; dabei handelt es sich aber auch um die einzige, geringfügige Verschärfung schon bestehender Regeln. Jenseits dieser punktuellen Kriterienverschärfungen verändert der Fiskalvertrag das in Art. 126 AEUV festgelegte und durch den SWP modifizierte Defizitverfahren nicht. Insbesondere lässt der Fiskalvertrag die institutionelle Ausgestaltung unverändert.216 So weist Art. 4 a. E. Fiskalvertrag ausdrücklich darauf hin, dass das Defizitverfahren dem Rat im Rahmen von Art. 126 AEUV überantwortet bleiben soll. Auch die Ahndung des Defizitkriteriums bleibt unverändert ausschließlich primär- und sekundärrechtlich determiniert; Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fiskalvertrag enthält in Satz 3 lediglich eine Besonderheit institutioneller Natur: die Kommission wird ermächtigt, Vorschläge für den zeitlichen Rahmen der von den Vertrags­ staaten im Übrigen selbst zu verantwortenden „raschen Annäherung an ihr jeweiliges mittelfristiges Ziel“ (der Defizitverringerung) zu machen. Art. 5 Fiskalvertrag geht sodann nochmals ausdrücklich auf das Defizitverfahren „gemäß den Verträgen, auf denen die Europäische Union beruht“, ein. Allerdings gehen auch die dort erwähnten „Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme“ nicht über das hinaus, was im Rahmen des Defizitverfahrens seitens des Rats bereits festgesetzt werden kann (siehe insbesondere VO (EU) Nr. 1177/2011); Satz 2 verdeutlicht dies wie folgt: „Inhalt und Form dieser Programme werden im Recht der Europäischen Union festgelegt“. Insgesamt ändert der Fiskalvertrag also das im Primär- und Sekundärrecht angelegte, weitgehend von intergouvernementalen Mustern dominierte, Defizitverfahren nicht – dies wäre auch aus noch zu erörternden Gründen, deren Ursprung in Art. 48 EUV liegt, nicht möglich gewesen.217

216 So auch Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 62; siehe auch BVerfG, Urteil vom 12. September 2012, 2 BvR 1390 et al., Rn. 206: „Dies konkretisiert im Ergebnis den insoweit unbestimmten Art. 126 Abs. 2 Satz 2 lit. b) AEUV, dessen Überwachung jedoch weiterhin Kommission und Rat nach dem in Art. 126 AEUV geregelten Verfahren obliegt.“. 217 Siehe infra Dritter Teil, A. I. 2.

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b) Durch Bekräftigung der wirtschaftspolitischen Koordinierung Zwar erklären sich die Vertragsstaaten mit Art. 11 Fiskalvertrag dazu bereit, „größere, geplante wirtschaftspolitische Reformen“ untereinander zu „erörtern und gegebenenfalls [zu] koordinieren“. Wie genau dieses Verfahren der Erörterung und Koordinierung allerdings ablaufen soll, dazu äußert sich der Fiskalvertrag nicht ausdrücklich. Art. 11 spricht allerdings davon, dass im Rahmen der Koordinierung und Erörterung „die Organe der Union gemäß den Erfordernissen des Rechts der Europäischen Union einbezogen“ werden. Mit systematischem Blick auf Art. 2 Fiskalvertrag  – der herzustellenden und bei Auslegungsfragen zu beachtenden Konkordanz mit dem Unionsrecht – bedeutet dies, dass in der Praxis schlechterdings das weitgehend intergouvernemental determinierte Koordinierungsverfahren des bestehenden Primär- (Art. 121 AEUV) und Sekundärrechts (Verordnung (EU) Nr. 1175/2011)218 weiterhin betrieben wird. Mit anderen Worten bestätigen die vertragsschließenden Staaten im völkerrechtlichen Antlitz lediglich das bestehende System soweit dieses reicht. Allerdings erfährt der materielle Umfang der zwischen den Vertragsstaaten möglicherweise (Art. 11 spricht insofern von „gegebenenfalls koordinieren“) stattfindenden Koordinierung wirtschaftsbezogener nationaler Politiken eine Ausdehnung im Vergleich zum sogenannten Europäischen Semester. Mit dem Europäischen Semester existiert bereits ein Verfahren zur wirtschaftspolitischen Koordinierung der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Es hat seine aktuelle Gestalt durch eine Reform im Rahmen der Sixpack-Gesetzgebung erhalten und findet sich in Art. 2-a Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 wieder. Immerhin hält Art. 11 Fiskalvertrag die Vertragsstaaten dazu an, potentiell jede wirtschaftspolitische Reform zu koordinieren, sollte diese eine gewisse Geringfügigkeitsschwelle überschreiten. So weit geht das Europäische Semester nicht. In Art 2-a Abs. 2 lit. d) befindet sich lediglich eine Vorgabe, dass „nationale Reformprogramme der Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Strategie der Union für Wachstum und Beschäftigung“ zu übermitteln sind. Jede größere wirtschaftspolitische Reform ist damit aber gerade noch nicht angesprochen, wie die Ausrichtung auf die Strategie der Union für Wachstum und Beschäftigung verdeutlicht. Diese gründet wiederum auf den speziellen Vorgaben von Kommission und Rat über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik (Art. 2-a Abs. 2 lit. a) Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 i. V. m. Art. 121 Abs. 2 AEUV) und auf den beschäftigungspolitischen Leitlinien (Art. 2-a Abs. 2 lit. b) Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 i. V. m. Art. 148 Abs. 2 AEUV). Insgesamt steht das Europäische Semester zwar im Kontext der Überwachung von Fehlentwicklungen in nationalen Haushaltsplänen219 – allerdings nur von bestimmten. Somit dehnt der Fiskalvertag den Umfang der koordinierten Politiken zwar potentiell aus; indes liefert er aber keine eigenen Verfahrensvorgaben. Deshalb ist fraglich, 218 219

Siehe supra C. II. 2. a). Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 364.

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wie die Koordinierung derjenigen Wirtschaftspolitiken vonstatten geht, die nicht im Europäischen Semester koordiniert werden, sondern möglicherweise nur nach Fiskalvertrag. Sollen auch hier die Verfahrensregeln des Europäischen Semesters, gleichsam analog, angewandt werden? Aus Art. 2 Fiskalvertrag kann ein solcher Schluss jedenfalls nicht gezogen werden; schließlich agieren die Vertragsstaaten in diesem Fall eben gerade nicht sekundärrechtlich determiniert. Umgekehrt sprechen daher die besseren Gründe dafür, dass das Koordinierungsverfahren im entsprechenden Bereich gänzlich ohne spezifische Verfahrensvorschriften und daher ausschließlich intergouvernemental abläuft. Wäre es anders, so hätten die Verfasser des Fiskalvertrags nicht in Art. 11 explizit darauf hingewiesen, dass die Koordinierung den Erfordernissen des Unionsrechts zu folgen habe – den „Erfordernissen“ (englisch: „as required“, französisch: „que le droit de l’Union européenne le requiert“), an denen es hier gerade fehlt. c) Institutionalisierung der Euro-Vertragsstaaten Als der titelgebenden Steuerung zugehöriges Element beinhaltet der Fiskal­vertrag in Art. 12 f. Regelungen speziell für die Vertragsstaaten des Euro-Währungs­gebiets. Als insoweit einzige Regelung mit institutioneller Bedeutung ruft der Fiskalvertrag den Euro-Gipfel ins Leben. Seine Ausgestaltung erinnert an die Euro-Gruppe,220 auf die Art. 137 AEUV und das entsprechende, den Europäischen Verträgen beigefügte Protokoll Bezug nimmt. Maßgeblicher Unterschied ist jedoch, dass sich beim Euro-Gipfel Vertreter der Staats- und Regierungschefs vereinigen, wohingegen die Euro-Gruppe von den zuständigen Finanz- oder Wirtschaftsministern gebildet wird. Die Einführung dieser neuen Institution ist insoweit ein Nachvollzug der Zweiteilung zwischen Europäischem Rat (Art. 15 EUV) und Rat (Art. 16 AEUV) im Hinblick auf diejenigen Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Zusätzlich zu den Staats- und Regierungschefs derjenigen Vertragsstaaten, deren Währung der Euro ist, nimmt an den Sitzungen des Euro-Gipfels auch der Kommissions-Präsident teil; außerdem ergeht regelmäßig eine Einladung an den Präsidenten der EZB. Darüber hinaus vergrößert sich das Plenum des Euro-Gipfels zusätzlich um diejenigen Vertragsstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, wenn besondere Fragen anstehen und mindestens einmal im Jahr, wenn Beratungen zu bestimmten Fragen der Durchführung des Fiskalvertrags stattfinden (Art. 12 Abs. 3 Fiskalvertrag). Jedoch: In ihren unmittelbaren eigenen politischen Interessen müssen die übrigen Vertragsstaaten nicht betroffen sein, um an den Beratungen teilnehmen zu können. So sollen sie auch dann an den Beratungen teilnehmen, wenn allgemeine Fragen zur (möglichen Änderung der) Architektur des Euroraums anstehen, wobei die Teilnahme an den Beratungen gerade keine Teilnahmeabsicht an den erörterten Vorhaben voraussetzt. 220

Eine solche Parallele ziehen auch Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 483.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Wenngleich auch die Kodifizierung des Euro-Gipfels eine Aufwertung seines Status bedeutet; auch schon vor Inkrafttreten des Fiskalvertrags, zum ersten Mal im Oktober 2008, existierte der „Euro-Gipfel“ als Konferenz der Staats- und Regierungschefs, deren Währung der Euro ist.221 Ganz ähnlich ist auch die Geschichte der Euro-Gruppe die einer schrittweisen institutionellen Aufwertung.222 So fand dieses Gremium erst allmählich Eingang in die Europäischen Verträge; zuvor hatte der Europäische Rat aber bereits 1997 in Schlussfolgerungen vom 12. und 13. Dezember festgestellt, dass sich die Wirtschafts- und Finanzminister der Euro-Gruppe als Ausschnitt des Rates ECOFIN in informellem Rahmen treffen könnten.223 Der Status von Euro-Gipfel und Euro-Gruppe gleicht sich in einer entscheidenden Facette. Beide Gremien sind lediglich informeller Natur.224 Sowohl Euro-Gruppe als auch Euro-Gipfel haben keinerlei formale Entscheidungskompetenzen, die die Union oder ihre Rechtsunterworfenen binden. Sie unterscheiden sich insofern wesentlich von Rat oder Europäischem Rat. Dennoch dienen sie der Kompromissfindung innerhalb derjenigen Staatengruppe, deren Währung der Euro ist. Durch diesen informellen Charakter aber, der jegliche Vorgebundenheit negiert, handelt es sich um ein Paradebeispiel institutionalisierter Intergouvernementalität. Einziger Bezugspunkt zur supranationalen Sphäre ist die Berichtstätigkeit des Präsidenten des Euro-Gipfels an das Europäische Parlament (Art. 12 Abs. 5). Nicht zu verhindern ist, dass die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, Entscheidungen, die später auf Ebene des Rates ECOFIN oder des Europäischen Rates zu treffen sind, dergestalt vorwegnehmen, dass letzteren Gremien schließlich nur noch ein formeller Nachvollzug bereits getroffener Entscheidungen bleibt. Probleme entstehen hier zum einen deshalb, weil sich eine desintegrative Dynamik entfalten könnte; schließlich sind die Interessen der übrigen Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, auf Ebene der Euro-Gruppe bzw. des Euro-Gipfels nicht repräsentiert.225 Zum anderen entstehen jedenfalls dann Friktionen mit dem Loyalitätsgebot aus Art. 4 Abs. 3 EUV, wenn durch das Tätigwerden von EuroGruppe bzw. Euro-Gipfel „das Funktionieren oder Mitwirken der eigentlichen Unionsorgane behindert werden würde“.226 Gerade deshalb aber sollte auch hier eine unionsrechtkonforme Auslegung derartiges Tätigwerden der Mitgliedstaaten 221

Kunstein / Wessels, in: integration 2011, S. 308, 309, 312. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 66. EL 2019, Art. 137 AEUV Rn. 4. 223 Siehe auch Entschließung zu den Schlussfolgerungen der Tagungen des Europäischen Rates in Luxemburg vom 21. November und vom 12./13. Dezember 1997 und zur Amtszeit des luxemburgischen Vorsitzes, Dok. Nr. 51997IP1048, Rn. 29. 224 Für die Euro-Gruppe siehe Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 66. EL 2019, Art. 137 AEUV Rn.  1 f.; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Selmayr, 2016, Art. 137 AEUV Rn. 1, 5 f. 225 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Selmayr, 2016, Art. 137 AEUV Rn. 32 spricht insofern von einer „politischen Sorge der nicht am Euro teilnehmenden Mitgliedstaaten vor einer durch verstärkte Integration im Euro-Währungsgebiet bewirkten Spaltung des alle Mitgliedstaaten umfassenden EU-Binnenmarkts“. 226 Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 483; vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-​ Selmayr, 2016, Art. 137 AEUV Rn. 33. 222

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verhindern; bezeichnenderweise erwähnt Art. 2 Fiskalvertrag ausdrücklich das Loyalitätsgebot aus Art. 4 Abs. 3 EUV. 3. Supranationalität durch Intergouvernementalismus im Fiskalvertrag Dem Untersuchungsgegenstand europäischen Wirtschaftsregierens und dem Fiskalvertrag widmete sich zuletzt auch Federico Fabbrini ausführlich.227 Er will – nicht zuletzt im Fiskalvertrag – einen Trend hin zu mehr Supranationalität erkennen. Fabbrini spricht in diesem Zusammenhang von „Zentralisierung“ – im Ergebnis versteht er darunter, wie hier, genauso die Allokation von Hoheitsrechten in den Händen einer den Mitgliedstaaten übergeordneten europäischen Ebene bzw. die Übertragung von Hoheitsrechten seitens der Mitgliedstaaten. Er ergänzt seine Ausführungen zum Fiskalvertrag sodann um die vor allem sekundärrechtlich geprägten Entwicklungen (hier supra C. II. 2.) und kommt zu dem Ergebnis, dass das Niveau der Zentralisierung insgesamt stärker ausgeprägt ist als in dem von ihm gewählten Vergleichsrahmen, die Finanzverfassung der Vereinigten Staaten von Amerika; darin möchte er schließlich ein Paradoxon erkennen.228 Zur Begründung verweist er darauf, dass die EU – eben anders als die Vereinigten Staaten – (noch) nicht in einen föderalen Bundesstaat erwachsen ist; vielmehr wollten die Mitgliedstaaten die Wirtschaftspolitik weder im Vertrag von Maastricht noch im Vertrag von Lissa­ bon und anders als die Währungspolitik gerade nicht föderal bzw. supranatio­nal ausgestalten. Zwar haben EU und USA heutzutage gemein, dass sie jeweils eine Währungsunion formen. Dennoch mag es vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Verfasstheiten seltsam – oder im Sinne Fabbrinis paradox – anmuten, wenn die EU trotz mangelnder Staatsqualität im Vergleich zentralistischer verfasst ist. Ob sie das indes wirklich ist, bleibt nach Fabbrinis Ausführungen fraglich. Schließlich anerkennt auch er, dass die Bundesregierung der Vereinigten Staaten anstelle budgetärer Kontrollen eine Kompetenz für  – im Vergleich zur gliedstaatlichen Ebene  – erhebliche Steuer- und Ausgabenpolitik hat;229 Hoheitsrechte, die der Union auf der anderen Seite weitgehend fehlen, weil sie stattdessen „dezentral“ den Mitgliedstaaten zufallen.230 Wenn aber sowohl die Staatsqualität als auch die 227

F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 23 ff. und 50 ff.: „The Paradox of Centralization“. 228 F.  Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 50 ff., 54; interessant an dieser Stelle: Das „Integrationsparadoxon“, von dem Bickerton / Hodson / Puetter, in: The New Intergovern­mentalism, 2015, S. 1, 4, berichten, lautet gerade umgekehrt, handelt also davon, dass nach dem Vertrag von Maastricht zwar Integration „in beispielloser Häufigkeit“ stattgefunden habe, diese aber weitgehend ohne weitere Hoheitsrechteübertragung geschehen sei; speziell zur WWU, allerdings ohne die Entwicklungen nach der Eurokrise Puetter, in: Journal of European Public Policy 2012, S. 161, 168. 229 Hintergründig zur Geschichte dieser Kompetenzen Super, in Harvard Law Review 2005, S. 2544, 2575. 230 F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 53.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Finanzarchitektur von EU und USA derartig unterschiedlich sind, und zudem die Idee der Supranationalität in den USA natürlicherweise nicht existiert, dann sollte der Vergleich zwischen beiden Verfasstheiten für die hier vorliegende Unter­ suchung nicht weitergehend betrieben werden. a) Einrichtung verbindlicher und vorzugsweise verfassungsrechtlicher Schuldenbremsen im nationalen Recht Die zentrale Normstruktur des Fiskalvertrags ist die in Art. 3 Abs. 2 niedergelegte Pflicht zur Einführung einer „national“231-rechtlichen Schuldenbremse. Fabbrini und andere nennen jene Regelung in ihren Schilderungen – allerdings ohne den Grund hierfür wirklich deutlich zu machen, zumindest aber wohl wegen ihrer Wichtigkeit – vielfach auch „goldene Regel“.232 Der Begriff „goldene Regel“ richtet sich im Zusammenhang mit staatlicher Finanzpolitik allerdings allgemein auf eine andere Beziehung,233 wonach die öffentliche Nettoneuverschuldung im Haushaltsjahr die öffentlichen Investitionen nicht übersteigen soll.234 Die Regelung im Fiskalvertrag schweigt sich dagegen zum Thema öffentliche Investitionen aus, und beschränkt sich auf die Festsetzung einer Schuldenbremse. Als solche soll die Normstruktur natürlicherweise der Bekämpfung übermäßiger öffentlicher Defizite dienen. Damit knüpft sie direkt an die von Art. 126 Abs. 1 und 2 AEUV i. V. m. dem Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit aufgestellte Rechtspflicht an.235 Die Schuldenbremse soll laut Fiskalvertrag „vorzugsweise mit Verfassungsrang“ versehen sein, um dadurch normenhierarchisch über nationalem einfachen Recht zu stehen.236 Dass ein intergouvernementales Übereinkommen ein wechselseitiges Versprechen der Unterzeichnerstaaten beinhaltet, das jeweils nationale Verfassungsrecht zu modifizieren, ist eine rechtstechnische Seltenheit.237 Weiterhin heißt es in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Fiskalvertrag, dass die Regeln „verbindlicher und dauerhafter Art“ zu sein haben.238 Anfang 2017 veröffentlichte die 231

„Nationalrechtlich“ hier verwendet im Unterschied zu „unionsrechtlich“. F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 29 ff.; siehe für diese Wortwahl auch ders. sowie Maduro und Azoulai, in: Kocharov (Hrsg.), EUI Working Papers Law 2012/09, Another Legal Monster?; Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 13; Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1, 7; Clément-Wilz, in: L’Union européenne et le fédéralisme économique, 2015, S. 101, 115. 233 Truger, in: WISO direkt 35/2015, S. 1 m. w. N. 234 Truger, in: WISO direkt 35/2015, S. 1. 235 Siehe dazu supra B. II. 2. b) aa). 236 F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 32. 237 F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 32 f., der darauf hinweist, dass die Art und Weise der nationalrechtlichen Umsetzung von internationalen Abkommen typischerweise offengelassen wird. 238 Unklar bleibt, warum die Vertragsstaaten die Frage verfassungsrechtlicher Verankerung lediglich als „Soll“-Bestimmung formuliert haben. Im ursprünglichen Entwurf fand sich diese flexible Gestaltungsmöglichkeit auch nicht (siehe Synopse, supra Fn. 211). Plausibel erscheint 232

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Kommission einen Bericht,239 mit der sie der ihr gegenüber ausgesprochenen „Aufforderung“ aus Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Fiskalvertrag nachkommt, die Compliance der Vertragsstaaten mit der Regelung über die Schuldenbremse zu analysieren und zu bewerten. Die Kommission kommt in ihrem Bericht sodann zu dem Ergebnis, dass sämtliche an Art 3 Abs. 2 Fiskalvertrag gebundene Vertragsstaaten eine entsprechende dauerhafte und verbindliche nationale Regel geschaffen haben.240 Allerdings gebe es Unterschiede bei der Art und Weise der Umsetzung und folglich bei der voraussichtlichen Effektivität der Schuldenbremse, so der Bericht.241 Immerhin 11 von 22 verpflichteten Staaten haben eine nationale Umsetzung mit Verfassungsrang oder jedenfalls von normenhierarchischem Rang, der über einfachem Recht steht, gewählt. In den übrigen Fällen komme es, so die Kommission, sodann auf die Einrichtung „strenger und unabhängiger nationaler Kontrollmechanismen“ an. Damit zielt die Kommission auf die von der Pflicht zur nationalrechtlichen Einführung einer Schuldenbremse gleichsam mit umfasste Bestimmung in Art. 3 Abs. 1 lit. e) Fiskalvertrag ab. Diese sieht vor, dass Vertragsstaaten im Falle einer Abweichung von der geforderten Haushaltsdisziplin einen mitgliedstaatsspezifischen automatischen Korrekturmechanismus auslösen, der insbesondere einen festgelegten Zeitraum für (notwendige) Korrekturmaßnahmen vorsieht. Für diese Fälle weist Art. 3 Abs. 2 Satz 3 darauf hin, dass der Korrekturmechanismus uneingeschränkt die Vorrechte nationaler Parlamente zu wahren habe. Damit ist freilich nicht gemeint, nationale Parlamente dürften über die Frage des „Ob“ einer Ein­leitung von Korrekturmaßnahmen befinden. Schließlich würde dies die Pflicht zur Einführung eines automatischen Korrekturmechanismus ad absurdum führen. Demgegenüber sollen die nationalen Parlamente jedoch – nach hier vertretener Auffassung – die Möglichkeit bekommen, über das „Wie“, also die Art und Weise der Korrekturmaßnahmen, Entscheidungen zu fällen. Insgesamt ergibt sich somit das Bild einer Schuldenbremse, die das nationale Hoheitsrecht, über die Staatsverschuldung frei zu verfügen, begrenzt.242 Dies gilt umso mehr noch, als jedenfalls finanzhilfebedürftige Mitgliedstaaten durch den Konnex zwischen ESM-Vertrag und Fiskalvertrag sich kaum nur freiwillig an den Fiskalvertrag binden (wollten). Zwar bleibt die Haushaltspolitik dadurch nach wie vor Domäne eines jeden Mitgliedstaats selbst, die diese untereinander auch weiterhin lediglich nach dem in seinen Grundsätzen von Art. 126 AEUV vorge­ gebenen Verfahren koordinieren. Die neue Schuldenbremse im Fiskalvertrag die Erklärung von Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 482, die in diesem Kontext darauf verweisen, dass beispielsweise in Irland ein Referendum erforderlich wäre, wollte man den Regeln dort Verfassungsrang gewähren. 239 Bericht der Kommission vom 22. Februar 2017, C(2017) 1201 final. 240 Siehe Europäische Kommission (supra Fn. 239), S. 3. 241 Europäische Kommission (supra Fn. 239), S. 4. 242 F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 56, spricht davon, dass die „fiskalische Hoheitsgewalt und Autonomie“ der Vertragsstaaten durch den Fiskalvertrag „verringert“ wurde.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

stärkt aber das Verbot übermäßiger öffentlicher Defizite dergestalt, dass es nun mit den haushaltspolitischen Verbotsnormen in Art. 123–125 AEUV vergleichbar ist (siehe supra B. II. 3.). Hier wie da sind die Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten aufgrund eines übergeordneten Verbots eingeschränkt. Anders als im Falle der Verbote in Art. 123–125 AEUV wird die Schuldenbremse durch seine Inkorporierung im nationalen (Verfassungs-)Rahmen allerdings vornehmlich von nationalen Institutionen zu überwachen sein. Fabbrini hebt insofern insbesondere die Rolle nationaler Verfassungsgerichte hervor.243 In Deutschland bspw. erfolgt eine Überprüfung der Haushaltsgesetze auf Einhaltung der Schuldenbremse aus Art. 109 Abs. 3 GG sodann typischerweise mittels abstrakter Normenkontrolle (Art.  93 Abs. 1 Nr. 2 GG)  – bzw. in entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Verfahren – und wohl typischerweise auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Bundestages.244 Auch wenn somit nach alledem durch den Fiskalvertrag mehr Regelstrenge induziert wird;245 bis hierhin kann von einer Zentralisierung i. S. einer Allokation von Hoheitsrechten auf supranationaler Ebene noch keine Rede sein. Die Kontrolle über die verschärften Regeln selbst verbleibt auch weiterhin im lediglich nationalen Einflussbereich. Mit anderen Worten handelt es sich bis hierin – betrachtet man also die bloße Schuldenbremse isoliert – um eine Selbstbeschränkung der mitgliedstaatlichen Budgethoheit, die durch die idealerweise verfassungsrechtliche Ausgestaltung indes möglichst wirksam sein soll; spätestens mit ihrer Umsetzung ist aus der vermeintlich schwachen, weil völkerrechtlichen, Selbstverpflichtung aber eine deutlich kraftvollere geworden, was auch auf die speziellen Befugnisse supranationaler Unionsorgane im Zusammenhang der Schuldenbremse zurückzuführen ist.246 b) Befugnisverleihung an supranationale Unionsorgane aa) Kommission als Hüterin der Schuldenbremse In bemerkenswerter Anlehnung an die vom AEUV verliehenen „Hüter“-Funktionen statuiert Art. 8 Fiskalvertrag eine Art Vertragsverletzungsverfahren.247 Dabei geht es um die nationalrechtliche Umsetzung der Schuldenbremse des Fiskal­ vertrags, zu der sich die Vertragsparteien verpflichtet haben. Wie vorangehend 243

Vgl. F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 45 ff. Maunz / Dürig-Kube, 2017, Art. 109 GG Rn. 233 ff. 245 Vgl. Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 17. 246 Dehousse / Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7, 13 f.; F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 47 ff.; anders Miguel Maduro, in: Kocharov (Hrsg.), EUI Working Papers 2012/09, Another Legal Monster?, S. 5; und Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 486. 247 Vgl. Azoulai, in: Kocharov (Hrsg.), EUI Working Papers 2012/09. Another Legal M ­ onster?, S. 12 mit Verweis auf die Möglichkeit zur Festsetzung von finanziellen Sanktionen entsprechend Art. 260 AEUV (Art. 8 Abs. 2 AEUV); vgl. auch Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 484. 244

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bereits erwähnt, überträgt der Fiskalvertrag zunächst der Kommission eine Assess­ ment-Funktion zur Bewertung der Umsetzung der Schuldenbremse (Art. 8 Abs. 1 Satz 1). In diesem Zusammenhang kommt die Kommission nicht umhin, den Fiskalvertrag auszulegen; mit anderen Worten: Das intergouvernemental gesetzte Recht überträgt einer typisch supranationalen Institution die Befugnis zur Auslegung dieses Rechts. Im Unterschied zur Ausgestaltung des Art. 258 AEUV, der für die Kommission die Rolle des Initiators des Verfahrens vorsieht, wählten die vertragsschließenden Staaten für den Fiskalvertrag allerdings eine vermeintlich hoheitsrechtsschonendere Alternative. So ist es nicht die Kommission, die nach ihrem Assessment das Verfahren initiiert; stattdessen fällt der Ball zurück auf die Vertragsstaaten (Art. 8 Abs. 1 Satz 2). Die Formulierungstechnik des Fiskal­ vertrags bedarf an dieser Stelle indes einer tiefergehenden Analyse. So heißt es im Fiskalvertrag: „Gelangt die Kommission […] zu dem Schluss, dass diese Vertragspartei Art. 3 Abs. 2 [i. e. die Schuldenbremse] nicht nachgekommen ist, wird der Gerichtshof der Europäischen Union von einer oder mehreren Vertragsparteien mit der Angelegenheit befasst werden.“ Offenbar bewusst vermeidet der Fiskal­vertrag an dieser Stelle die Flexibilität einer „Kann“-Formulierung, wie ein Vergleich mit Art. 8 Abs. 1 Satz 3 vor Augen führt. Auch andere Sprachfassungen, wie Englisch („will be brought to the Court“) und Französisch („la Court sera saisie de la question“), scheinen den Vertragsstaaten kein Ermessen zu gewähren  – stattdessen handelt es sich um eine Antragspflicht bei entsprechender Bewertung durch die Kommission.248 Ermessen kommt im Stadium der Verfahrenseinleitung also lediglich der Kommission – wenngleich auch ohne Antragsbefugnis249 – zu und die Vertragsstaaten sind gleichsam nur zwischengeschaltet;250 allerdings können die Vertragsstaaten auch ohne vorheriges Tätigwerden der Kommission ein Verfahren initiieren (Art. 8 Abs. 1 Satz 3). In einem dem offiziellen Vertragstext beigefügten Anhang haben die Vertragsstaaten auch dafür Sorge getragen, dass kein Vakuum entsteht, sollte sich entgegen der gemeinsamen Pflicht keiner unten ihnen berufen fühlen, den Klageweg zum EuGH zu beschreiten, obwohl eine entsprechende Empfehlung der Kommission vorliegt. Für diesen Fall ist vorgesehen, dass die drei jeweils aktuell den Vorsitz des Rates führenden Vertragsstaaten Klage einreichen. Sollten jene vorsitzenden Mitgliedstaaten allerdings nicht auch gleichzeitig Vertragsstaaten des Fiskalvertrags sein, so kommt dieselbe Rolle den vorangegangenen vorsitzenden Staaten zu. Dieses Zusatzprotokoll verdeutlicht die im Verhältnis zu den Vertragsstaaten bedeutende Rolle der Kommission im Verfahren, oder umge-

248 Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 484; Azoulai, in: Kocharov (Hrsg.), EUI Work­ing Papers 2012/09. Another Legal Monster?, S. 12; Craig, in: ELR 2012, S. 231, 246. 249 Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1, 12 f.; dies wäre auch nicht vom insoweit als Rechtsgrundlage dienenden Art. 273 AEUV umfasst gewesen, der lediglich von Streitigkeiten „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht; a. A. wohl Pilz, in: DÖV 2012, S. 909, 915 f. 250 Der Hintergrund dessen dürfte in der Rechtsgrundlage des Art. 273 AEUV, der sich allein auf Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten bezieht, liegen, worauf Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 483, verweisen.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

kehrt: die Ernsthaftigkeit der Ermessensarmut der Vertragsstaaten. In jedem Fall handelt es sich aus Sicht der Union um einen Hinzugewinn von Befugnissen.251 bb) Prüfungsumfang des EuGH hinsichtlich der Schuldenbremse Im Anschluss liegt das Verfahren beim EuGH, der nunmehr ausgehend von der Bewertung der Kommission bzw. jener der Vertragsstaaten seine eigene Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Fiskalvertrag vornehmen muss. Durch Urteil kann der EuGH schließlich einem Vertragsstaat aufgeben, binnen einer zu bestimmenden Frist seine nationale Regel nachzubessern und somit seiner Pflicht aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Fiskalvertrag nachzukommen. Wie weit indes die Prüfungskompetenz des EuGH reicht, ist umstritten. Mindestens muss der EuGH prüfen dürfen, ob ein Vertragsstaat die Schuldenbremse mittels nationalrechtlicher Bestimmungen eingeführt hat, „die verbindlicher und dauerhafter Art“ (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Fiskalvertrag) sind. Genauso von seiner Prüfungskompetenz umfasst ist zumindest die Frage, ob der vertragsstaatliche Gesetzgeber einen „automatischen Korrekturmechanismus“ eingeführt hat, der unter anderem festgelegte Zeiträume für Abhilfemaßnahmen beinhaltet (Art. 3 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Abs. 1 lit. e) Fiskalvertrag). So viel lässt sich jedenfalls dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 Fiskalvertrag entnehmen.252 Nimmt man die Prüfungskompetenz ernst, so liegt im vorgenannten Prüfungsumfang allerdings auch teilweise die Kompetenz zur Prüfung des „Wie“ der Umsetzung. Schließlich handelt es sich im Falle der Kriterien „verbindlicher und dauerhafter Art“ um auslegungs- und wertungsbedürftige Prüfungspunkte. Auch die Erläuterungen zum Ratifizierungsgesetz des Deutschen Bundestages lassen sich in diesem Sinne deuten. So heißt es dort, dass die Regelung auch für den Fall eine Gerichtsbarkeit vorsieht, dass „eine Vertragspartei […] eine unzureichende Regelung […] implementiert hat“.253 Und weiter: „Zulässiger Gegenstand einer Klage [… ist] das innerstaatliche Bestehen eines Regelungsrahmens, der die […] Schuldenbremse […] garantiert.“254 Auch der Bundestag anerkennt folglich, dass die Prüfungskompetenz des EuGH nur vollwertig ist, wenn dieser auch die Art und Weise der Umsetzung in nationales Recht prüfen kann. Frank Schorkopf geht demgegenüber noch weiter.255 Er verweist auf das Telos der Bestimmung: Demnach beschränke sich das Prüfungsrecht des EuGH gerade nicht auf ein einmaliges Prüfungsrecht, ob eine entsprechende nationale Norm geschaffen wurde. Vielmehr solle diese Bestimmung dem Fiskalvertrag zu mehr Schlagfertigkeit verhelfen. Deshalb sei von der Prüfungskompetenz auch umfasst, ob die 251

Bertrand, in: L’Union européenne et le fédéralimse économique, 2015, S. 119, 136. Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1, 13. 253 BT-Drs. 17/9046 vom 20. März 2012, S. 21. 254 BT-Drs. 17/9046 vom 20. März 2012, S. 22. 255 Ohne ganz deutlich zu machen, worin ein solches weitergehendes Prüfungsrecht begründet sein soll, auch F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 48. 252

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Vertragsstaaten die Kriterien der Haushaltsdisziplin auch jedes Jahr beachten.256 Zur Unterstützung seiner Argumentation verweist er auf die Entstehungsgeschichte der Norm. So war in den ersten beiden Entwurfsfassungen noch vorgesehen, dass die nationalen Gerichte über die Anwendung der Regeln zu wachen hätten.257 Da dies nun nicht mehr im Vertragstext stehe, sei diese Kompetenz gewissermaßen dem EuGH angewachsen.258 Aus dem Umstand allein, dass dieser Satz nun nicht mehr in der konsolidierten Fassung auftaucht, lässt sich ein solcher Schluss jedoch nicht ziehen. Schließlich ist es auch ohne diese Bestimmung den nationalen Gerichten freigestellt – bzw. nach nationalem Recht sicherlich auch vorgesehen, insbesondere dann, wenn es sich tatsächlich um eine Regelung von Verfassungsrang handeln sollte –, auf deren Durchsetzung hinzuwirken. Auch nach Streichung des entsprechenden Satzes aus der Textfassung des Fiskalvertrags bedarf es somit des EuGH jedenfalls nicht zwingend, um auf die Durchsetzung der Regeln zur Haushaltsdisziplin hinzuwirken. Insbesondere aus einem anderen Grund ist die Auffassung einer weiten Prüfungskompetenz aber abzulehnen. Käme dem EuGH tatsächlich auch eine Prüfungskompetenz dahingehend zu, ob die Regeln des Art. 3 Abs. 1 Fiskalvertrag tatsächlich national durchgesetzt werden, so stellte dies eine Aussetzung des in Art. 126 Abs. 10 AEUV niedergelegten Prinzips dar. Schon weil der Fiskalvertrag in seinem Art. 2 aber ausdrücklich in Gestalt einer Auslegungsregel festhält, in Zweifelsfällen in voller Übereinstimmung mit den europäischen Verträgen zu sein, kann diese Auffassung letztlich nicht überzeugen.259 Allerdings gibt es neben dieser ersten Stufe, der notfalls gerichtlichen Überprüfung einer Einführung der Schuldenbremse im nationalen Recht, eine zweite Stufe gerichtlicher Prüfungskompetenz im Fiskalvertrag. In Art. 8 Abs. 2 wird ein nachgelagerter Rechtsweg zum EuGH für Fälle eröffnet, in denen vertragsbrüchige Staaten dem Urteil des EuGH nach Art. 8 Abs. 1 Fiskalvertrag nicht nachkommen. Klagebefugt sind wiederum die übrigen Vertragsstaaten. Außerdem kommt der Kommission auch im Rahmen dieses Verfahrens erneut die Stellung einer Berichterstatterin zu. Stellt der EuGH einen Verstoß gegen die Vorgaben aus seinem ersten Urteil (Abs. 1) fest, so kann er finanzielle Sanktionen von bis zu 0,1 Prozent des BIP des jeweils angeklagten Vertragsstaats verhängen. Die durch EuGH-Urteil verhängten Sanktionen entrichtet ein betroffener Vertragsstaat entweder an den ESM oder sogar direkt an den Gesamthaushaltsplan der EU. Durch dieses zweite Klageverfahren wird aus dem Institut der nationalen Schuldenbremsen, auf die sich die Vertragsstaaten gemeinschaftlich geeinigt haben, ein potentiell scharfes Schwert und rechtfertigt ihre Einordnung als zentrale Regelung des Fiskalvertrags. 256

Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1, 13. Erste Fassungen des Art. 8 Fiskalvertrag sprachen von: „The implementation of the rules put in place by the Contracting Parties to comply with Art. 3 (2) will be subject to review of the national Courts of the Contracting Parties.“, siehe Synopse (supra Fn. 211). 258 Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1, 13. 259 I. E. ablehnend auch Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 483; genauso Calliess, in: DÖV 2013, S. 785, 788; Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 73; Calliess, in: FS Ress, 2016, S. 73, 80; Pilz, in: DÖV 2012, S. 909, 914. 257

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Indessen kann auch der Fiskalvertag die Politisierung des Defizitverfahrens wohl nicht gänzlich abstellen. Weil der Fiskalvertrag in den beiden Absätzen des Art. 8 und auch das dem Fiskalvertrag beigefügte Protokoll im Wortlaut differenziert (Abs. 6 ebd. spricht von bloßer „Beabsichtigung“ und gerade keiner Selbstbindung), lässt sich eine Klagepflicht der Vertragsstaaten eben nur im Falle des Art. 8 Abs. 1 Fiskalvertrag feststellen. Die schärfere Verfahrensform in Art. 8 Abs. 2 Fiskalvertrag, deren Ende ein Sanktionsbeschluss sein kann, verlangt den Vertragsstaaten im Regelfall keine Pflicht zur Klageeinreichung ab.260 c) „Modifikation“ des Defizitverfahrens Eine Neuerung des bislang primär- und sekundärrechtlich ausgestalteten Systems zur Durchsetzung von Haushaltsdisziplin enthält die Regel in Art. 7 Fiskalvertrag. Sie zielt auf Situationen, in denen die Kommission die Initiierung eines Defizitverfahrens durch Feststellung eines übermäßigen öffentlichen Defizits empfiehlt (Art. 126 Abs. 6 AEUV). Der Fiskalvertrag lässt bewusst261 die Kompetenzen der Kommission unberührt; auch weiterhin kommt ihr die Funktion zu, ein Defizitverfahren auszulösen. Neu ist aber, dass der eigentlich entscheidungsbefugte Rat nunmehr regelmäßig einem Vorschlag oder einer Empfehlung der Kommission zustimmen wird, sollte er nicht mit qualifizierter Mehrheit einen ablehnenden Beschluss fällen. Die Vertragsstaaten verpflichten sich somit, Vorschläge oder Empfehlungen der Kommission grundsätzlich zu unterstützen. Dadurch beschränken sich die Vertragsstaaten selbst in ihrem primärrechtlich sehr weitreichenden Ermessensspielraum (siehe dazu supra B. II. 2.),262 der in der Vergangenheit Anlass für den Vorwurf einer „Politisierung“ des Defizitverfahrens darstellte. Diese Regel ist auch verbindlich, wenngleich nur im Rahmen einer Selbstbindung – schließlich fehlt im Falle des Art. 7 AEUV eine der Schuldenbremse ähnliche Einrichtung eines „Vertragsverletzungsverfahrens“.263 Dennoch beschränken die Mitgliedstaaten (freiwillig) die Ausübung ihrer Hoheitsrechte im Rahmen des Verfahrens nach Art. 126 AEUV. Insgesamt ist somit dem BVerfG stattzugeben, das befand: „Den in Art. 126 AEUV geregelten Verfahrensablauf ändert Art. 7 Fiskalvertrag nicht. Er bindet jedoch die politische Entscheidungsfreiheit der Vertragspartner im Rat und stärkt damit rechtlich wie faktisch den Einfluss der Europäischen Kommission im Defizitverfahren.“264 260

Überzeugend dazu Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 484. Siehe infra Dritter Teil, A. 3. d). 262 Vgl. erneut EuGH, Urteil vom 13. Juli 2004, Rs. C-27/04 (Kommission / Rat), ECLI:​ EU:C:2004:436, Rn. 86 ff. 263 Pilz, in: DÖV 2012, S. 909, 914. 264 BVerfG, Urteil vom 12. September 2012, 2 BvR 1390/12, Rn. 208; Hinweis darauf bei Pilz, in: DÖV 2012, S. 909, 914; a. A. offenbar Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 486, die „keine Übertragung neuer Hoheitsrechte“ feststellen, sondern eine „Absicherung längst übertragener Hoheitsrechte“. 261

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

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Das erforderliche Quorum der qualifizierten Mehrheit bestimmt sich dabei analog zu den einschlägigen Bestimmungen der Europäischen Verträge. Seit 1. April 2017 finden Bestimmungen des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen keine Anwendung mehr (siehe Art. 16 Abs. 4 AEUV). Deshalb gilt nunmehr – weil ein Fall des Art. 139 Abs. 4 lit. b) AEUV vorliegt – Art. 238 Abs. 3 lit. a) Satz 1 AEUV. Hierin liegt nun auch die Umkehrung des Abstimmungsverfahrens: Die qualifizierte Mehrheit nach Art. 238 Abs. 3 lit. a) AEUV ist gemäß Art. 126 Abs. 13 Satz 3 AEUV eigentlich zur Initiierung des Verfahrens vorgeschrieben. Jedenfalls für die Vertragsstaaten ändert dies der Fiskalvertrag und es genügt umgekehrt auch eine „qualifizierte Minderheit“265 für die Beschlussfassung. Fraglich ist dabei, ob der Fiskalvertrag, indem er auf die „analog zu den einschlägigen Bestimmungen der Verträge ermittelten qualifizierten Mehrheit“ (Art. 7 Satz 2) verweist, zugleich auch die Regel in Art. 238 Abs. 3 lit. a) Satz 2 AEUV einbezieht. Diese enthält eine Regel zur Sperrminorität (sprich hier: eine theoretische Zulassungsminorität) und führt dazu, dass Frankreich und Deutschland – regelmäßig jedenfalls bei Abstimmungen der Euro-Mitgliedstaaten266 – ohne Beteiligung eines weiteren betroffenen Mitgliedstaats über keine entsprechende Minorität verfügen, welche einem Vorschlag oder einer Empfehlung der Kommission trotz Gegenstimmen sämtlicher anderer abstimmungsberechtiger Mitgliedstaaten zur Annahme verhelfen könnte. Gegen eine Einbeziehung dieses Modus könnte sprechen, dass der Fiskalvertrag nach seinem Wortlaut nur die AEUV-Regeln zur Bestimmung einer „qualifizierten Mehrheit“ anwenden möchte; die qualifizierte Mehrheit ist aber auch ohne Sperrminorität vorstellbar. Außerdem geht es hier eben nicht um eine Sperrminorität, sondern – man stelle sich also einen entsprechenden Vorschlag oder Empfehlung der Kommission vor – eigentlich um eine Sperrmajorität mit theoretischer Zulassungsminorität. Andererseits kann in Fällen, in denen der AEUV selbst die qualifizierte Mehrheit verlangt, zwischen Art. 238 Abs. 3 lit. a) Sätze 1 und 2 AEUV gerade nicht getrennt werden; zur qualifizierten Mehrheit gehört reflexartig auch die Sperrminorität, wie Art. 238 Abs. 3 lit. a) Satz 2 Hs. 2 verdeutlicht. Der Wortlaut allein liefert somit kein eindeutiges Auslegungsergebnis. Auch der Normzusammenhang und der Sinn und Zweck der Norm müssen in Betracht gezogen werden (Art. 31 WVK). Dieser gibt aber nirgends einen Anhaltspunkt dafür, dass dem deutsch-französischen Tandem ein Privileg eingerichtet werden soll (i. e. die Zulassungsminorität), die über die ohnehin schon für das Völkerrecht unübliche Abweichung vom Prinzip „one state, one vote“267 im AEUV nochmals hinausgehen würde. Daher findet auch Art. 238 Abs. 3 lit. a) Satz 2 AEUV im Verfahren nach dem Fiskalvertrag Anwendung, und Deutschland und Frankreich können gemeinsam keine Zulassungsminorität beanspruchen. 265

Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 13. Siehe zu aktuellen demographischen Daten http://ec.europa.eu/eurostat/documents/​299​ 5521/8102200/3-10072017-AP-DE.pdf/392b38dc-6e5e-47dd-bd7a-e09acaab0ac1. 267 Siehe zum Einstimmigkeitsprinzip Schwarz-Liebermann von Wahlendorf, in: WV, Bd. 1, 1960. 266

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Unklar ist darüber hinaus, wie weit der materielle Anwendungsbereich der Regelung reicht. Keinen Aufschluss liefern insofern die travaux préparatoires; auch wenn zudem anfangs anderslautende politische Erklärungen auftauchten,268 so lässt sich der Verhandlungsgeschichte des Fiskalvertrags insbesondere nicht entnehmen, dass jemals eine eigentliche automatische Sanktionierung im Defizitverfahren angestrebt war.269 Die entscheidende Frage lautet vielmehr, auf welche Tatbestände des Art. 126 AEUV sich die Umkehrung des Mehrheitserfordernisses bezieht. Dem Wortlaut, „Unterstützung der Vorschläge oder Empfehlungen der Kommission, in denen diese die Auffassung vertritt, dass ein Mitgliedstaat gegen das Defizit-Kriterium verstößt“, könnte man entnehmen, dass sich die Regelung nur auf die Initiierung des Defizitverfahrens bezieht, also lediglich auf das Verfahren in Art. 126 Abs. 6 AEUV.270 Dieser Auffassung zufolge würde sich die Regelung also nicht auf spätere Sanktionsbeschlüsse im Verlauf des Defizitverfahrens beziehen (Art. 126 Abs. 9 und 11 AEUV). Allerdings: Zwar spricht Art. 7 Fiskalvertrag davon, dass Fälle betroffen sind, in denen „ein Verstoß gegen das Defizitkriterium“ zugrunde liegt. Indessen ist nicht einzusehen, warum nicht auch in Fällen der Art. 126 Abs. 9 und 11 AEUV ein solcher Verstoß i. S. des Fiskalvertrags vorliegen soll. Schließlich wird das Verfahren von Stufe zu Stufe stets deshalb weiter betrieben, weil ein Verstoß gegen bspw. das Defizitkriterium vorliegt. Außerdem spricht Art. 7 Fiskalvertrag ausdrücklich auch von Verstößen gegen Empfehlungen der Kommission. Empfehlungen liegen aber gerade nur in den späteren Verfahrensstadien vor, wie ein Blick auf Art. 126 Abs. 13 AEUV verdeutlicht. Daher bezieht sich Art. 7 nach seinem Wortlaut auf sämtliche Verfahrensstadien.271 Auch dem Sinn und Zweck lässt sich nichts anderes entnehmen. Allerdings ist der Gegenauffassung dahingehend stattzugeben, dass in vielen Fällen angestrebter Sanktionierung bereits Sixpack-Bestimmungen existieren, namentlich in Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 2, und insbesondere Art. 6 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 1173/2011, die genauso umgekehrte Abstimmungserfordernisse enthalten.272 Besondere Bedeutung entfaltet der Fiskalvertrag deshalb tatsächlich dort, wo die Sixpack-Bestimmungen noch eine Umkehrung der Abstimmungserfordernisse (bewusst) ausließen: der Initiierung eines Defizitverfahrens.273 Im Ergebnis verdeutlicht sich so das Anliegen des

268

Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 482 mit Hinweis auf Europäischer Rat, Erklä­ rung der Staats- und Regierungschefs des Eurowährungsgebiets vom 9. Dezember 2011, S. 3. 269 Vgl. Synopse (supra Fn. 211); besser, aber auch missverständlich: „weitgehende Automatisierung“ bei BT-Drs. 17/9046, S. 21. 270 So aber Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 482 f.; von der Groeben / Schwarze / ​ Hatje-Hamer, 2016, Art. 126 AEUV Rn. 57; Pilz, in: DÖV 2012, S. 909, 914. 271 Siehe Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 126 AEUV Rn. 98; ebenso auch Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 12 f. 272 Siehe dazu supra C. II. 2. a); dieses Argument taucht bei Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 482 f. auf. 273 Die Mitgliedstaaten hatten bei ihrer Rechtsetzung nach Art. 136 Abs. 1 AEUV schließlich das geltende Primärrecht zu achten, Pilz, in: DÖV 2012, S. 909, 914; zu den Grenzen und zur Primärrechtswidrigkeit des Sixpacks vgl. supra C. II. 2. a); dazu auch BT-Drs. 17/9046, S. 21.

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

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Fiskal­vertrags, das Defizitverfahren von allzu intergouvernenementalen Elementen zu emanzipieren und mehr Supranationalität einzurichten.

IV. Der Europäische Stabilitätsmechanismus und sein Gründungsvertrag (ESM) 1. Entstehungsgeschichte Der dritte und die Betrachtung schließlich komplettierende intergouvernemen­ tale Rechtsakt ist der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitäts­ mechanismus. Seine Herbeiführung fällt genauso wie die vorangehend geschilderten intergouvernementalen Maßnahmen in die Zeit nach Ausbruch der Eurokrise. Schließlich trat 2010 ein Zustand ein, der von den Gründern der EWU so nicht vorhergesehen war und demgegenüber sie deshalb auch nicht mit bereits etablierten Maßnahmen oder bereits bestehenden Instrumenten reagieren konnten:274 Mitgliedstaaten verloren den Zugang zum Kapitalmarkt.275 Während jedoch sowohl der Abwicklungsfonds als auch der Fiskalvertrag künftige krisenhafte Belastungen mitgliedstaatlicher Haushalte verhindern sollen und mithin Regeln zur Krisenvorbeugung enthalten, war und ist der vornehmliche Zweck des ESM, die Verschlimmerung der Eurokrise aufzuhalten und schließlich die Krise selbst abzuwenden. Kern seiner Bestimmungen ist daher die finanzielle Unterstützung von notleidenden Mitgliedstaaten mittels Krediten, die unter Auflagen und von einem gemeinsamen Fonds gewährt werden; in den Worten des Art. 3 Satz 1 ESM-Vertrag lautet diese Zielsetzung dann wie folgt: „Zweck des ESM ist es, Finanzmittel zu mobilisieren und ESM-Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, unter strikten, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen eine Stabilitätshilfe bereitzustellen, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist.“

Der ESM selbst ist allerdings das Produkt einer (rettungs-)kreditpolitischen Evolution.276 So gab es bereits im Voraus seiner Etablierung Maßnahmen im Euro-Währungsgebiet mit derselben Zielsetzung, der Gewährung von Hilfskrediten an Mitgliedstaaten mit Finanzierungsproblemen. Jedoch blieb es nicht bei den anfänglichen Hilfsmaßnahmen. Schrittweise entwickelten sich die Hilfsprogramme in Richtung größerer Kreditvolumina und zunehmender Dauerhaftigkeit der Kreditfazilitäten. 274

Im Unterschied zu Refinanzierungsschwierigkeiten von Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, sehen die Unionsverträge in Art. 143 f. AEUV Regelungen für den Fall von Zahlungsbilanzsschwierigkeiten solcher Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, vor, siehe dazu Herrmann, in: Herausforderungen und Perspektiven der EU, 2012, S. 51, 62. 275 Klaus Regling, in: FAZ vom 11. August 2017, S. 16. 276 Vgl. Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2014, S. 27 ff.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

a) Anfängliche bilaterale, intergouvernementale Kredite Als sich Anfang des Jahres 2010277 die Staatsschuldenkrise Griechenlands zuspitzte,278 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets – auch hierbei handelte es sich also wieder um eine Handlung des später so im Fiskalvertrag genannten Euro-Gipfels279 – zunächst auf ein konzertiertes Vorgehen zur Unterstützung Griechenlands.280 Neben einer („erheblichen“281) Finanzierung durch den IWF sollte das Hilfspaket bilateral gewährte Kredite von den übrigen Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets beinhalten, deren individuelle Beteiligung am Gesamtpaket sich wiederum nach ihrem jeweiligen Anteil am EZB-Kapitalschlüssel bemessen sollte. Das Kreditvolumen des Gesamtpakets betrug letzten Endes insgesamt 110 Milliarden Euro, wobei auf den IWF allein 30 Milliarden Euro entfielen. Die Laufzeit des Kreditpakets sollte drei Jahre betragen.282 Die einzigen gemeinschaftlichen Grundlagen des Vorgehens bilden zum einen die bereits erwähnte Erklärung des (späteren) Euro-Gipfels und daneben eine Erklärung desselben vom 7. Mai 2010.283 Eigentliche Rechtsgrundlage der Maßnahmen bilden sodann bilaterale, koordinierte Kreditzusagen gegenüber der Hellenischen Republik,284 die in einem gemeinsamen Loan Facility Agreement fixiert sind.285 Rechtsgrundlage ist somit gerade nicht genuines Unionsrecht, sondern ein

277 Am 20. Oktober 2009 veröffentlichte Griechenland „drastisch korrigierte“ und aus Sicht der Haushaltsregeln deutlich schlechtere Haushaltsdefizite, siehe Kunstein / Wessels, in: integration 2011, S. 308, 309 und 313; siehe auch die Dokumentation des BMF, abrufbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ ​Europa/​ Stabilisierung_des_Euro/2010-06-04-chronologie-euro-stabilisierung.html?nn=​24194&​view​ =pdf. 278 Siehe auch Herrmann, in: EuZW 2010, S. 413 f.; und Nettesheim, in: Nach der Finanzkrise, 2012, S. 31, 34 f. 279 Siehe Kunstein / Wessels, in: integration 2011, S. 308, 309; am Ende scherte allerdings die Slowakei, obwohl Euro-Mitgliedstaat, aus und beteiligte sich nicht an dem Rettungspaket für Griechenland, siehe Nettesheim, in: Nach der Finanzkrise, 2012, S. 37. 280 Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungs­ gebiets vom 25. März 2010; erste Andeutungen einer möglichen Hilfe bereits in der Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 11. Februar 2010. 281 Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungs­ gebiets vom 25. März 2010, S. 1; die Finanzierung des IWF belief sich schließlich auf 30 Milliarden Euro. 282 Statement by the Eurogroup vom 2. Mai 2010; IMF Press Release vom 2. Mai 2010, Press Release No. 10/176. 283 Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets vom 7. Mai 2010; vgl. Nettesheim, in: Nach der Finanzkrise, 2012, S. 35. 284 Nettesheim, in: Nach der Finanzkrise, 2012, S. 31, 35 f.; Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 27 f. 285 Loan Facility Agreement vom 8. Mai 2010.

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

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intergouvernemental vereinbartes Regelwerk,286 dessen Geltungsgrund wiederum im Völkerrecht wurzelt. Die Europäische Kommission handelte bei Abschluss des Loan Facility Agreements deshalb auch lediglich als Stellvertreter – also gerade nicht in Ausübung eines unionsrechtlich, primär- oder sekundärrechtlich, gewährten Mandats – für sämtliche Kreditgeber-Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland bzw. der für sie handelnden KfW. Bereits durch diese frühen Rettungsmaßnahmen offenbart sich, dass den Mitgliedstaaten schnell bewusst war, das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen zu müssen; schon früh musste den Mitgliedstaaten auch klar gewesen sein, dass die EU gar nicht über das für Rettungsmaßnahmen erforderliche Kapital verfügen würde.287 Während noch der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus EFSM auf Grundlage des Art. 122 Abs. 2 AEUV und mittels einer Verordnung des Rates erlassen wurde,288 errichteten 17 Euro-Mitgliedstaaten mit Beschluss vom 10. Mai 2010 und notariell beurkundetem Gesellschaftsvertrag vom 7. Juni 2010 die EFSF. Ein Grund für das intergouvernementale Vorgehen lag auch im begrenzten Budget der Union.289 Für die Finanzhilfen in Höhe von 60 Milliarden Euro des EFSM reichten die Kapazitäten der Union noch aus. Das Budget der Union wäre aber schlichtweg zu gering gewesen, um in einer Höhe von 440 Milliarden Euro Hilfen bereitzustellen, wie es die EFSF vorsah. So umfasste der Haushalt der Union im Jahr 2010 rund 123 Milliarden Euro und im Jahr 2011 rund 127 Milliarden Euro.290 Was für die EFSF galt, gilt umso mehr noch für den ESM. So verfügt der ESM über Kapital in Höhe von rund 705 Milliarden Euro. b) Unionsrechtlich ausgestalteter Rettungsschirm: Der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) Beinahe zur selben Zeit wie die Schnürung des Rettungspakets zur Stützung Griechenlands gerieten jedoch andere Mitgliedstaaten des Euro-Währungsraums in (Re-)Finanzierungsschwierigkeiten. Es zeichnete sich ab, dass auch Portugal, Italien, Irland und Spanien der Zugang zu den Kapitalmärkten bald verwehrt sein könnte.291 Der Rat – und erneut auch zum Teil nur die Euro-Gruppe – einigte sich sodann auf ein zweiteiliges Vorgehen.292 286 Vgl. Thym, in: EuZW 2011, S. 167, 168; anders sieht dies wohl Knopp, in: NJW 2010, S. 1777, 1778, der den Vorwurf erhebt, die kreditgebenden Mitgliedstaaten hätten in unzulässiger Weise an Art. 126, 136 sowie Art. 143 AEUV angeknüpft. 287 Vgl. dazu z. B. de Witte, ARENA Working Paper, 2013, S. 4. 288 Siehe infra b). 289 De Witte, ARENA Working Paper No. 4, Juni 2013, S. 3 ff., 7, 9. 290 Siehe Synopse im Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2011, Nr. 125/2011/EU und Euratom, ABlEU Nr. L 68 vom 15. März 2011, S. I/10. 291 Nettesheim, in: Nach der Finanzkrise, 2012, S. 31, 37; siehe auch Monatsbericht der EZB, Juni 2010, S. 38 f. 292 Siehe Beschluss der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten vom 9. Mai 2010, als Anlage zu Dok. Nr. 9614/10 vom 10. Mai 2010.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Ein erster Teil dieses temporären293 „europäischen Rettungsschirms“ fußt auf einem unionsrechtlich ausgestalteten Instrument. Dabei handelt es sich um eine Verordnung des Rates, die „die Bedingungen und Verfahren für die Gewährung von finanziellem Beistand der Union“ festhält (Art. 1 Verordnung (EU) Nr. 407/2010) und bereits am 13. Mai 2010 in Kraft trat.294 Als primärrechtliche Grundlage führt die Verordnung Art. 122 Abs. 2 AEUV an.295 Der Haushalt, also das maximale Kreditvolumen, des so errichteten EFSM beträgt 60 Milliarden Euro. Entscheidender Unterschied zwischen EFSM und den vorausgehenden, bilateral gewährten Krediten an die Hellenische Republik ist die Stellung der Union: Im Falle des EFSM tritt die Union als Gläubiger auf;296 die bilateralen Kredite an Griechenland vermittelte sie lediglich. Ebenso wie im Falle der bilateralen Hilfen an Griechenland ist eine Beteiligung des IWF auch im Falle des EFSM Voraussetzung für die Gewährung von Krediten.297 Dreimal gewährte die Kommission Finanzhilfen aus dem EFSM: Irland erhielt 22,5 Milliarden Euro, Portugal erhielt 24,3 Milliarden Euro und Griechenland erhielt zu Zwecken einer Brückenfinanzierung 7,16 Milliarden Euro.298 Trotz seines temporären Charakters findet sich im Verordnungstext keine Befristung wieder. Vermutlich hängt dies damit zusammen, dass zu Beginn der auftretenden (Re-)Finanzierungsschwierigkeiten schlechterdings nicht absehbar war, wie lange Nothilfen gewährt werden müssten. Allerdings war man sich offenbar politisch einig, dass der EFSM auf drei Jahre befristet sein soll und mithin im Mai 2013 auslaufen würde.299 Diese anfängliche Haltung schwand jedoch schließlich; so erhielt der Rat den EFSM auch später und nach Mai 2013 noch aufrecht, um den möglichen Bedarf an Brückenfinanzierungen abdecken zu können, den der Rat trotz Etablierung des ESM prognostizierte.300

293

Der temporäre Charakter des EFSM ist zum einen darauf zurückzuführen, dass sein Bestand mit der „beispiellosen Weltfinanzkrise“ seit 2008 zusammenhängt. Zum anderen ermächtigt auch die Rechtsgrundlage in Art. 122 Abs. 2 AEUV lediglich zu zeitlich auf die Dauer einer Notsituatition befristeten Hilfen, siehe von der Groeben / Schwarze / Hatje-­Smulders / ​Keppene, 2015, Art. 122 AEUV Rn. 27. 294 Verordnung (EU) Nr. 407/2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus; siehe auch Verordnung (EU) 2015/1360 des Rates vom 4. August 2015 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 407/2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus. 295 Dies ablehnend Kube / Reimer, in: NJW 2010, S. 1911, 1914. 296 Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 29. 297 Siehe Erwägungsgrund 5, Verordnung (EU) Nr. 407/2010. 298 Summary von EUR-Lex, 14. September 2015, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/?uri=LEGISSUM:ec0009. 299 So jedenfalls Nettesheim, in: Nach der Finanzkrise, 2012, S. 31, 38. 300 Siehe Erwägungsgrund 4, Verordnung (EU) 2015/2010.

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

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c) Der erste intergouvernementale Rettungsschirm: Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) Parallel zur Entwicklung des EFSM beschlossen die im Rat vereinigten Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets (die „Euro-Gruppe“) am 10. Mai 2010 schließlich, eine Zweckgesellschaft einzurichten, die mit einem Kapital von 440 Milliarden Euro ausgestattet sein sollte.301 Wiederum entsprach es der politischen Absicht der entsprechenden Rats-Vertreter, die zu gründende Einrichtung nur temporär und nicht länger als über die Dauer von drei Jahren hinaus aufrecht zu erhalten. Die ungleich größere Kapitalausstattung der EFSF verdeutlicht indes die limitierte Leistungsfähigkeit des Haushalts der Union, die mit Einrichtung des EFSM bereits an ihre Grenzen gelangt war.302 Den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets war somit bereits im Mai 2010 bewusst, dass größere finanzielle Beistandspakete – die auch nicht aus Mitteln des IWF gewährt werden sollten – gerade nicht aus dem Haushalt der Union gewährt werden könnten.303 Die Beteiligung der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, sollte sich erneut nach den auf sie jeweils entfallenden Anteilen am Kapital der EZB richten. Als Rechtssubjekt, das als Gläubiger die EFSF-Kredite gewähren würde, einigten sich die beschließenden Mitgliedstaaten schließlich auf eine Zweckgesellschaft luxemburgischen Rechts, die sodann mit Bürgschaften der beteiligten Mitgliedstaaten i. H. v. insgesamt 440 Milliarden Euro ausgestattet wurde.304 Die einzigen Anteilseigner dieser société anonyme waren die damaligen 17 Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist.305

301

Siehe Anlage zum Beschluss der im Rat der Europäischen Union vereinigten Vertreter der Regierungen der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten vom 9. Mai 2010, Dok. Nr. 9614/10. 302 Siehe de Witte, ARENA Working Paper, 2013, S. 4; der Gesamthaushalt der Union für das Jahr 2010 betrug „nur“ 141 Milliarden Euro, siehe EU-Haushalt 2010: Investitionen für Arbeitsplätze und Wachstum, IP/09/1958. 303 Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 30; de Witte, ARENA Working Paper, 2013, S. 4, verweist zudem darauf, dass die übrigen Mitgliedstaaten, die nicht Teil des Euro-Währungsgebiets sind, kein politisches Interesse daran hatten, über den Haushalt der Union mittelbar für die Erfüllung der Verbindlichkeiten durch Schuldner-Staaten mit zu haften – ein Aspekt, der übrigens später zum Erlass der Verordnung (EU) 2015/1360 führen sollte, siehe Erwägungsgrund 7. 304 Ohler, in: German Yearbook of International Law 2011, S. 47, 56, verweist darauf, dass der beschrittene Weg der Gründung einer privaten (Zweck-)Gesellschaft als Darlehensvehikel vermutlich die zeiteffizienteste Herangehensweise war und die Zeit für die Verabschiedung eines völkerrechtlichen Vertrages möglicherweise zu knapp; auf diesen Aspekt weist auch de Witte, ARENA Working Paper, 2013, S. 4, hin. 305 Gründungsstatut der EFSF abrufbar unter https://www.esm.europa.eu/sites/default/files/ efsf_status_coordonnes_23avrl2014.pdf.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

d) Der zweite und dauerhafte intergouvernementale Rettungsschirm Schon Ende 2010, zu einem Zeitpunkt als die EFSF noch nicht einmal Anleihen ausgegeben hatte, wurde bereits deutlich, dass der Kapitalmarkt nach einem unbefristeten Rettungsmechanismus im Euro-Währungsgebiet verlangte;306 die ökonomischen Rahmenbedingungen einiger Euro-Mitgliedstaaten trieben die europäischen Verantwortungsträger zu weiteren Schritten, die über das bisher Getane hinausgehen würden.307 Schließlich einigte sich der Europäische Rat noch in demselben Jahr darauf, einen neuen, dauerhaften Mechanismus zur Ablösung des EFSM und der EFSF zu etablieren308 – wenn auch beide weiterhin zur Abwicklung ihrer bestehenden Geschäfte existieren sollen. Beauftragt zur Erarbeitung eines ESM-Vertragswerks wurde die Euro-Gruppe in Kooperation mit der Kommission. Schon am 28. November 2010 hatte die Euro-Gruppe ein Konzept für eine Ausgestaltung des ESM vorgelegt.309 Die gleichsam intergouvernementale Dominanz des Rates und insbesondere auch des Europäischen Rates bei der Herbeiführung der maßgeblichen Schritte auf dem Weg zum ESM zeichnete sich damit bereits Ende 2010 ab. Mit einem weiteren Beschluss vom 25. März 2011 brachte der Europäische Rat sodann unter Anwendung des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens in Art. 48 Abs. 6 EUV die Ergänzung des Art. 136 AEUV durch Anfügung eines neuen Abs. 3 auf den Weg,310 mit dem eine Verknüpfung zwischen dem neu geschaffenen Recht und europäischem Primärrecht hergestellt wird. Schließlich riefen die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes durch Unterzeichnung des finalen Vertragswerks am 2. Februar 2012 und dessen sukzessive Ratifikation den ESM ins Leben; der Vertrag konnte sodann bereits am 27. September 2012 306 So Ohler, in: German Yearbook of International Law, 2011, S. 47, 57; Häde, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, § 14, Rn. 2; von „andauernden Gefahren der Finanzkrise“ als Auslöser weiteren Tätigwerdens spricht Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 64. 307 Insbesondere bestand die Gefahr einer Destabilisierung Italiens und Spaniens, siehe auch Nettesheim, in: Nach der Finanzkrise, 2012, S. 31, 41 f.; erste Hinweise auf die Initiative zur Einrichtung eines dauerhaften Unterstützungsmechanismus schon erkennbar beim Treffen des Europäischen Rates am 28. und 29. Oktober 2010, siehe Dokument EUCO 25/1/10 vom 30. November 2010, S. 2. 308 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 16. und 17. Dezember 2010, siehe Dokument EUCO 30/1/10 vom 25. Januar 2011. 309 Siehe Annex II zum Dokument EUCO 30/1/10 vom 25. Januar 2011. 310 Beschluss 2011/199/EU des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist; mit dieser Initiative reagierte der europäische (und primärrechtsändernde) Mitgesetzgeber auf eine vornehmlich in Deutschland geführte Debatte, die in Teilen die Legalität der bisherigen Finanzhilfen insbesondere vor dem Hintergrund der „No bail-out“-Regelung / der „Nichtbeistandsklausel“ in Art. 125 Abs. 1 AEUV, lautstark in Zweifel zog, so de Witte, ARENA Working Paper 2013, S. 6 f.; kritisch unter anderen Kube / Reimer, in: NJW 2010, S. 1911 ff.; dagegen (schon) damals unter anderen Nettesheim, in: Nach der Finanzkrise, 2012, S. 31, 56 ff. m. w. N.; zur Klärung zwischenzeitlich EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 129 ff.; kritisch dazu wiederum Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 16.

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in Kraft treten.311 Es war wie schon bei der dem EFSF zugrundeliegenden Initiative offenbar, dass die Mitgliedstaaten, die nicht Teil des Euro-Währungsgebiets sind, nicht am neu geschaffenen Rahmen teilnehmen würden, weil es schlechterdings an der innenpolitischen Durchsetzbarkeit der Rettung einer Fremdwährung mangelte.312 Eine vollständig primärrechtlich ausgestaltete Lösung war ohne die Unterstützung sämtlicher Mitgliedstaaten gemäß den Voraussetzungen der Vorschriften in Art. 48 EUV aber unmöglich. Lediglich die Verabschiedung des neu geschaffenen Art. 136 Abs. 3 AEUV trugen sie noch mit – allerdings auch nicht ohne Widerstand.313 Belege für die von Christoph Ohler angedeutete These, dass die Initiatoren des ESM – also die Vertreter der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist – es nicht den Unionsorganen überlassen wollten, über Mittel des ESM zu befinden und sie deshalb eine primärrechtliche Ausgestaltung des ESM unterbanden, sind demgegenüber nicht ersichtlich.314 Mit dem ESM läuten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets eine neue Phase der finanziellen Absicherung für die Staatshaushalte ein. Nicht nur ist der neue Mechanismus auf Dauer angelegt und darin von seinen Vorgängern, den nur punktuellen Unterstützungsmaßnahmen, zu unterscheiden. Insgesamt betrug das Volumen des ESM mit Gründung rund 705 Milliarden Euro (Art. 8 Abs. 1 ESM-Vertrag) – mit einer Kapazität für zu vergebende Darlehen von bis zu 500 Milliarden Euro geht das ESM-Programm dann nochmals über das Volumen der EFSF hinaus. Ein Novum ist daneben insbesondere die präventive Ausgestaltung der Finanzhilfeinstrumente schon im Voraus eines drohenden absoluten (Re-)Finanzierungsausfalls.315 Insbesondere zwei der insgesamt fünf Finanzhilfeinstrumente des ESM-Vertrags, namentlich diejenigen in Art. 14 („vorsorgliche ESM-Finanzhilfe“) und Art. 15 („Finanzhilfe zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten eines ESM-Mitglieds“), verdeutlichen diesen präventiven Ansatz. Allerdings sind die Finanzhilfeinstrumente jeweils an die Grundsätze in Art. 12 ESM-Vertrag geknüpft. Dort heißt es in Abs. 1: „Ist dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar, so kann der ESM […] Stabilitätshilfe gewähren.“ Zwar ist der Begriff „Finanzstabilität“ ein unbestimmter, dessen Bedeutung zudem unklar ist.316 Dennoch kommt durch Art. 12 ESM-Vertrag zum Ausdruck, dass die Finanzhilfen stets den 311 Siehe Übersicht des Verabschiedungsprozesses bereitgestellt von der Stiftung Wissen­ schaft und Politik, abrufbar unter https://www.swp-berlin.org/swp-themendossiers/derlissabonner-vertrag-in-zeiten-der-krise/der-esm-und-der-fiskalpakt/. 312 Vgl. dazu de Witte, ARENA Working Paper, Juni 2013, S. 4, 7. 313 Dies verdeutlicht die Verzögerung der erforderlichen Zustimmung durch die tschechische Staatsführung in Person des damaligen Staatspräsidenten Václav Klaus, siehe http://zpravy. e15.cz/domaci/politika/klaus-euroval-povazuji-za-zrudnou-vec-nepodepisu-jej-938718. 314 So aber Ohler, in: German Yearbook of International Law 2011, S. 47, 58. 315 Nettesheim, in: Nach der Finanzkrise, 2012, S. 31, 43 f. 316 Dazu und zum Versuch einer Begriffsbestimmung Pilz, Der Europäische Stabilitäts­ mechanismus, 2016, S. 66; siehe auch Ohler, in: German Yearbook of International Law, 2011, S. 47, 60 ff.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Charakter einer ultima ratio haben317 und zudem eine Gefahr bestehen muss, die nicht nur auf einen einzelnen Staat im Euro-Währungsgebiet bezogen ist318 – dies gilt selbst dann, wenn der ESM präventive Hilfen gewähren möchte, wie der Hinweis auf Art. 12 Abs. 1 in Art. 14 Abs. 1 ESM-Vertrag verdeutlicht. 2. Intergouvernementale Organgestaltung Eine erste Besonderheit des ESM-Vertrags ist, dass er dem ESM selbst Rechtspersönlichkeit gewährt (siehe Art. 32 ESM-Vertrag) – anders als noch im Fall des EFSF handelt es sich jedoch nicht um Rechtssubjektivität kraft privatrechtlicher Organisationsform. Freilich handelt es sich im Fall des ESM auch nicht etwa um ein Organ der EU,319 weshalb er sich bspw. konstitutiv von der EZB unterscheidet (der gemäß Art. 13 Abs. 1 EUV der Rechtsstatus eines Unionsorgans zukommt). Im Fall des ESM handelt es sich stattdessen um eine internationale Organisation, die mit eigener Rechtssubjektivität ausgestattet ist.320 Insofern gleicht der ESM hinsichtlich seiner formalen Rechtsnatur dem IWF.321 Die dem ESM gewährte Rechtssubjektivität ist sodann durch die Bestimmungen des Art. 32 ESM-Vertrag ausgestaltet; der ESM genießt vollständige Rechtssubjektivität (Art. 32 Abs. 2 Satz 1, Halbsatz 1). Allerdings genießt der ESM seinen Rechtsstatus nur im Hoheits­gebiet der ESM-Mitgliedstaaten (Art. 32 Abs. 1 Satz 1). Gegenüber Drittstaaten besteht grundsätzlich keine Rechtssubjektivität des ESM – genauso wenig wie innerhalb einer drittstaatlichen Rechtsordnung – solange diese ihn nicht anerkannt haben.322 Die Rechtspersönlichkeit des ESM ist schließlich auch Voraussetzung dafür, dass er sich am Kapitalmarkt mit Liquidität versorgen kann, wie es Art. 21 Abs. 1 ESM-Vertrag vorsieht.323 Als Konsequenz der Entscheidung, mit dem ESM eine eigenständige internationale Organisation324 einzurichten, haben die vertragsschließenden Staaten den ESM auch mit Organen ausgestattet, um dass er seinen Aufgaben nachkommen und die ihm gewährte Rechtspersönlichkeit 317 Ohler, in: German Yearbook of International Law, 2011, S. 47, 61; Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 69. 318 Ohler, in: German Yearbook of International Law, 2011, S. 47, 60. 319 Häde, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, S. 891, 893 Rn. 7. 320 Dimopoulos, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 41, 44; Häde, in: EnzEuR, 2014, Bd. 1, S. 891, 893 Rn. 7, nennt den ESM entsprechend der Wortwahl in Art. 1 Abs. 1 ESM-Vertrag „internationale Finanzinstitution“; Grimm, Zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion nach der Krise, 2016, S. 59 f. 321 Vgl. Art. IX, Section 2 Articles of Agreement of the International Monetary Fund; siehe zur Struktur des IWF Schlemmer-Schulte, International Monetary Fund (IMF) in: MPEPIL, 2014, Rn. 10 ff.; für einen Vergleich und eine Darstellung der Kooperationsformen zwischen IWF und ESM siehe Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 149 ff. 322 Dazu Schmalenbach, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: MPEPIL, 2014, Rn. 24 ff. 323 Ohler, in: German Yearbook of International Law 2011, S. 47, 62. 324 Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 149, spricht von einer „Inter­ nationalen Finanzinstitution“.

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ausüben kann. Die ESM-eigenen Organe sind der Gouverneursrat (Art. 5 ESM-Vertrag), das Direktorium (Art. 6 ESM-Vertrag) und der Geschäftsführende Direktor (Art. 7 ESM-Vertrag). Auch hinsichtlich der Organstruktur ist insofern eine Anlehnung an Strukturen des IWF erkennbar.325 a) Der Gouverneursrat Der Gouverneursrat besteht aus je einem Vertreter eines jeden ESM-Mitgliedstaats. Dieser Vertreter hat ein Regierungsmitglied des jeweiligen Mitgliedstaats zu sein, dessen Zuständigkeitsbereich die Finanzen sind (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 ESM-Vertrag). Regelmäßig sitzen im Gouverneursrat des ESM also die Wirtschafts- und Finanzminister der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Damit ähnelt der Gouverneursrat dem Rat ECOFIN (Art. 16 Abs. 2 EUV), in den freilich zusätzlich auch Vertreter der Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Währungsgebiets entsendet sind; darüber hinaus gleicht der Gouverneursrat damit in seiner persönlichen Zusammensetzung sogar der Euro-Gruppe (Art. 137 AEUV). Dazu passt, dass der Vorsitzende des Gouverneursrats in Personalunion wohl häufig auch der Präsident der Euro-Gruppe (Art. 137 AEUV i. V. m. Art. 2 Protokoll betreffend die Euro-Gruppe) sein wird (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 ESM-Vertrag).326 Wie auch im Falle der Euro-Gruppe (Art. 1 Sätze 3 und 4 Protokoll betreffend die EuroGruppe) können an den Sitzungen des Gouverneursrats die Kommission durch das für Wirtschaft und Währung zuständige Mitglied und die EZB durch ihren Präsidenten teilnehmen (Art. 5 Abs. 3 ESM-Vertrag). Gemäß Art. 5 Abs. 5 lit. f) ESM-Vertrag kommt es dem Gouverneursrat zu, über die Gewährung von Stabilitätshilfe (Art. 12 bis 18), der zentralen Aufgabe des ESM, zu entscheiden. Die intergouvernementale Herkunft des ESM kommt durch diese Ausgestaltung besonders zum Ausdruck: Die vertragsschließenden Mitgliedstaaten haben sich über den Gouverneursrat entscheidenden Einfluss auf die Politik des ESM gesichert. Ganz in diesem Sinne haben die ESM-Mitgliedstaaten vereinbart, dass der Gouverneursrat im Regelfall Entscheidungen im gegenseitigen Einvernehmen fällt,327 also nach Art. 4 Abs. 3 ESM-Vertrag per Einstimmigkeit aller anwesenden Mitglieder, einem typisch intergouvernementalen Modus. Zur Beschlussfähigkeit müssen darüber hinaus gemäß Art. 4 Abs. 2 ESM-Vertrag mindestens zwei Drittel der stimmberechtigten Mitglieder, auf die insgesamt mindestens zwei Drittel der Stimmrechte entfallen, anwesend sein. Ausnahmsweise, und wenn Kommission und EZB beide der Auffassung sind, dass ein dringendes 325 Horn, in: NJW 2011, S. 1398, 1401; Schorkopf, in: ZSE 2012, S. 1, 15; Häde, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, S. 891, 894 Rn. 8 m. w. N.; Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 150. 326 Häde, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, S. 891, 894 Rn. 9. 327 A. A. Kube, in: WM 2012, S. 245, 248, der ohne eine Begründung zu liefern davon ausgeht, dass der Gouverneursrat typischerweise Mehrheitsentscheidungen trifft.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Vorgehen erforderlich ist, um eine Bedrohung der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität des Euro-Währungsgebiets zu vermeiden, genügt für die Annahme eines Beschlusses nach Art. 5 Abs. 6 lit. f)  ESM-Vertrag auch eine Stimmenmehrheit von 85 Prozent der anwesenden Mitglieder (Art. 4 Abs. 4).328 Weitere, vornehmlich technische Entscheidungen trifft der Gouverneursrat indes per qualifizierter Mehrheit, deren Quorum 80 Prozent der abgegebenen Stimmen erfordert.329 Die für internationale Organisationen typische (intergouvernementale) Regelung „one state, one vote“,330 gilt indes nicht für den Gouverneursrat.331 Allerdings findet stattdessen auch nicht das gewichtete Verfahren im Rat der Europäischen Union, wie es Art. 238 Abs. 2 und 3 AEUV statuiert, Anwendung, wobei die entsprechenden mitgliedstaatlichen Bevölkerungszahlen als Richtwert dienen. Vielmehr kommt im Gouverneursrat – genauso wie im Direktorium des ESM – jedem mitgliedstaatlichen Vertreter soviel Stimmengewicht zu, wie seinem finanziellen Beitrag zum ESM in Relation zu den übrigen Vertragsstaaten entspricht (Art. 4 Abs. 7 ESM-Vertrag). b) Die Geschäftsführung Neben dem Gouverneursrat errichtet der ESM-Vertrag ein Direktorium; es handelt sich um ein Gremium, das typischerweise von (Finanz-)Staatssekretären oder vergleichbaren anderen nationalen Vertretern gebildet wird.332 So entsendet jeder Mitgliedstaat eine Person (und einen Stellvertreter) „mit großem Sachverstand im Bereich der Wirtschaft und der Finanzen“ (Art. 6 Abs. 1 ESM-Vertrag). Dem Direktorium kommen vornehmlich technische Entscheidungsbefugnisse zu.333 Zusätzlich trägt das Direktorium die Verantwortung für die Geschäftsführung (Art. 6 Abs. 6 ESM-Vertrag).334 Das bedeutet indes nicht, dass das Direktorium auch die Geschäfte führt; allerdings ist das Direktorium befugt, dem Geschäftsführenden Direktor gemäß Art. 7 Abs. 5 Halbsatz 2 ESM-Vertrag Weisungen zu erteilen. Der Geschäftsführende Direktor wird vom Gouverneursrat bestimmt (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 ESM-Vertrag). Für die Auswahl seiner Person gilt dieselbe Maxime wie auch im Falle der Auswahl des Direktoriums: „großer Sachverstand im Be 328

Somit kommt Deutschland auch im Rahmen des Dringlichkeitsverfahrens eine Sperrminorität zu, auf deren deutsch-verfassungsrechtliche Gebotenheit Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 486, verweisen. 329 Vgl. Bark / Gilles, in: EuZW 2013, S. 367, 368. 330 Siehe dazu Klein / Schmahl, in: Graf Vitzthum / Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 2017, S. 247, 278 Rn. 75. 331 Dieses Prinzip gilt freilich bspw. auch nicht beim IWF, Schlemmer-Schulte, International Monetary Fund (IMF), in: MPEPIL, 2014, Rn. 19. 332 Eine aktuelle Übersicht liefert https://www.esm.europa.eu/esm-governance: board_of_ directors; siehe auch Häde, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, S. 891, 895 Rn. 13. 333 Beispiele bei Häde, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, S. 891, 895 Rn. 13. 334 Häde, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, S. 891, 895 Rn. 14.

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reich der Wirtschaft und der Finanzen“. Zusätzlich muss es sich um einen Staatsangehörigen eines Mitliedstaates handeln, der oder die außerdem „einschlägige internationale Erfahrung“ aufweisen muss. Dass der Geschäftsführende Direktor in gesteigertem Maße vom verfassten Gouverneursrat abhängig ist, beweist auch die Befugnis des Letzteren, Ersteren durch Beschluss mit qualifizierter Mehrheit abzusetzen (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 ESM-Vertrag). Indem der Geschäftsführende Direktor einerseits vom intergouvernemental verfassten Gouverneursrat bestimmt wird und andererseits gegenüber dem ebenfalls intergouvernemental verfassten Direktorium weisungsgebunden ist, kommt zum Ausdruck, dass auch die Führung der laufenden Geschäfte des ESM weitgehend intergouvernemental ausgestaltet ist. 3. Supranationalität durch Intergouvernementalismus im ESM Der ESM wird weithin als ein prominenter Ausdruck europäischer Intergouvernementalität beschrieben – und dies unter Verweis auf den Gouverneursrat und das Direktorium des ESM auch mit gutem Grund. Allerdings gibt es auch Stimmen, die bereits früh an einer solch pauschalen Einordnung Zweifel äußerten.335 Im Blickpunkt stehen dabei die Bedingungen, unter welchen Stabilitätshilfe gewährt wird. Dabei lässt schon ein Vergleich mit der (supranationalen) EZB erste Zweifel an einem pauschalen Verweis auf die intergouvernemental ausgestalteten Organverhältnisse des ESM aufkommen: Die Organstruktur der EZB weist – ganz ähnlich wie die entsprechende Diktion beim ESM – einen Rat und ein Direktorium auf (Art. 283 AEUV); wie im Falle des ESM lagern die für die Arbeit der EZB zentralen Entscheidungsbefugnisse beim Rat, der insbesondere mit dem Leitzins (Art. 12.1 ESZB-Satzung) den neuralgischen Mechanismus der innereuropäischen Geldpolitik verantwortet.336 Zudem ist der Rat dem Direktorium übergeordnet, wie z. B. daran zu erkennen ist, dass der Rat letzterem Befugnisse übertragen kann.337 Eine beachtliche Parallele zwischen Rat von ESM und Rat von EZB ist nun aber, dass beide „föderal“ besetzt sind, indem die in ihnen vereinigten Personen Vertreter mitgliedstaatlicher Institutionen darstellen;338 beide erinnern insofern an organisierte Intergouvernementalität im institutionellen Gefüge der EU. Indes gilt es zu berücksichtigen, dass das Mandat der von den Mitgliedstaaten entsendeten (nationalen) Zentralbanker unabhängig – entsprechend den unionsrechtlichen Voraussetzungen aus Art. 130, 131 AEUV sowie Art. 14.2 ESZB-Satzung339 – ist.340 Anders als im Rat oder im ESM-Rat können die mitgliedstaatlichen Regierungen 335

So z. B. Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, 305; Corbett, Notre Europe, 2011, S. 3. Siehe Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 66. EL 2019, Art. 283 AEUV Rn. 4. 337 Streinz-Kempen, 2018, Art. 283 AEUV Rn. 8. 338 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 66. EL 2019, Art. 283 AEUV Rn. 7: „Diese föderale Organisation vermindert den Einfluss der Zentralgewalt.“; vgl. auch Gleske, in: FS Hahn, 1997, S. 123, 135 ff. 339 Vgl. Streinz-Kempen, 2018, Art. 283 AEUV Rn. 4. 340 Siehe dazu Wahlig, in: FS Hahn, 1997, S. 265 ff. 336

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

also keinen direkten Einfluss auf die Politik des EZB-Rates nehmen. Ein weiterer beachtlicher Unterschied ist schließlich auch darin zu finden, dass im Rat der EZB das Mehrheitsprinzip als Ausdruck der supranationalen Funktionslogik der EZB Anwendung findet.341 Um supranationale Elemente aufzuspüren, bedarf es also einer tiefer schürfenden Analyse der Funktionsweise des ESM. a) Gewährung von Stabilitätshilfe In der Zweckbestimmung des ESM (Art. 3 ESM-Vertrag) deutet sich bereits das regelmäßige Verfahren der Gewährung von Stabilitätshilfe und dessen Voraus­ setzungen an. Erforderlich ist zunächst, dass ein Mitgliedstaat „schwerwiegende Finanzierungsprobleme“ hat oder davon bedroht ist; und zweitens muss eine „nicht anders abwendbare Gefahr für die Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten“ bestehen. Diese makroökonomischen Voraussetzungen werden von einem politischen Kriterium flankiert: Der ESM erfordert auch die Ratifizierung des Fiskalvertrags. Kommt der ESM im Rahmen seines Assessments zum Ergebnis, dass sämtliche Voraussetzungen in einem spezifischen Programmfall vorliegen, so wählt er ein geeignetes Finanzhilfeinstrument (Art. 14–18 ESM-Vertrag)342 und die notwendigerweise mit diesem gewählten Instrument korrespondierenden Auflagen aus. aa) Makroökonomischer Prüfungsauftrag der Kommission Ist ein ESM-Mitglied der Auffassung, es leide unter „schwerwiegenden Finanzierungsproblemen“, so richtet es ein Stabilitätshilfeersuchen an den Vorsitzenden des Gouverneursrates (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 ESM-Vertrag). Dieses Ersuchen soll auch umfassen, welches Finanzhilfeinstrument nach Ansicht des begehrenden Mitgliedstaates zu erwägen wäre (Art. 13 Abs. 1 Satz 2); das Stabilitätshilfeersuchen hat folglich den Charakter eines Antrags. Dieser Antrag setzt anschließend ein bestimmtes Verfahren in Gang.343 Die Prüfung und Bewertung dieses Antrags kommt dabei der Kommission im Benehmen mit der EZB und teilweise gemeinsam mit dem IWF zu (Art. 13 Abs. 1 lit. b) ESM-Vertrag) (zusammen sogenannte „Troika“344). Der ESM-Vertrag konkretisiert den unbestimmten Begriff „schwerwiegende Finanzierungsprobleme“ dabei nur ansatzweise. In seine Bewertung einzustellen sind die Schuldentragfähigkeit des antragstellenden Mitgliedstaats (lit. b)) und der tatsächliche oder potenzielle Finanzierungsbedarf desselben (lit. c)). Eine 341 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 66. EL 2019, Art. 283 AEUV Rn. 8, der unzutreffenderweise auch das Prinzip „one state, one vote“ als supranational verstehen möchte. 342 Siehe dazu die Darstellung bei Bark / Gilles, in: EuZW 2013, S. 367, 369 f. 343 Häde, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, S. 891, 899 Rn. 32. 344 Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 70.

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weitere Konkretisierung, insbesondere im Hinblick auf die qualitative Schwere eines Finanzierungsproblems, enthalten die Vorschriften des ESM-Vertrags nicht. So ist bspw. nicht näher präzisiert, welchem Wert sich die Verzinsung von Staatsanleihen annähern muss. Aufgrund der präventiven Wirkrichtung des ESM-Mechanismus ist jedoch nicht erforderlich, dass ein Mitgliedstaat seine Staatsanleihen und die entsprechenden Kreditaufschläge erst gar nicht mehr bedienen kann. Aus an Grundmustern orientierter Sicht interessiert sodann die institutionelle Ausgestaltung des Verfahrens. Indem der ESM-Vertrag die erste Bewertung der Troika und nicht bloß dem Gouverneursrat, dem Direktorium oder gar nur dem Geschäftsführenden Direktor überantwortet, sollen gerade diejenigen Institutionen den Begriff „schwerwiegender Finanzierungsprobleme“ auslegen und subsumieren, denen offenbar sachdienliches Expertenwissen zugerechnet wird.345 Zudem handelt es sich in jedem Fall nicht um intergouvernementale Organe, sondern ganz im Gegenteil: mit EZB und Kommission sind zwei typisch supranationale Organe beteiligt. Letztverantwortlich ist bei alledem die Kommission: Art. 13 Abs. 1 ESM-Vertrag spricht davon, dass der Gouverneursrat gerade ihr die Prüfungsaufgabe überträgt; mit EZB und IWF setzt sich die Kommission sodann nur ins „Benehmen“. Im Übrigen kommt eine beachtliche institutionelle Unabhängigkeit der Troika zum Vorschein, indem der ESM-Vertrag den beteiligten Institutionen keinerlei Berichtspflichten, Weisungsgebundenheit oder sonstige Abhängigkeit von ESM-eigenen Organen auferlegt. Dies verdeutlicht, dass das Finanzhilfe-­Verfahren von einer supranationalen Struktur initiiert wird. Schon Kommission und EZB bewerten im Rahmen der von ihnen vorzunehmenden Prüfung des Ersuchens eines ESM-Mitglieds sodann die weiterhin entscheidende Frage, ob gegebenenfalls vorliegende, schwerwiegende Finanzierungsprobleme auch eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und die seiner Mitgliedstaaten erfüllen. Einen auffälligen Unterschied im Vergleich zu Art. 3 ESM-Vertrag enthält Art. 13 Abs. 1 Satz 3 lit. a) allerdings: Wohingegen Art. 3 noch von einer Gefahr für die „Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten“ spricht, enthält Art. 13 Abs. 1 Satz 3 lit. a) lediglich eine Prüfungsvorgabe hinsichtlich einer „Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt oder seiner Mitgliedstaaten“. Auf den ersten Blick scheint hierin ein Widerspruch zu liegen. Ein alternatives Verständnis der Voraussetzungen, wie in Art. 13 Abs. 1 Satz 3 lit. a) angedeutet, würde schließlich bedeuten, dass gerade keine unbedingte Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt vorliegen müsste. Zutreffender Weise ist indes von kumulativen Voraussetzungen auszugehen. Nicht nur sind die lediglich technischen Vorschriften in Art. 12 ff. ESM-Vertrag im Zweifel so auszulegen (Art. 31 Abs. 1 WVK), dass sie mit der Zwecksetzung des ESM aufgrund ihrer prominenten Stellung gleich zu Beginn des Vertrags und ihres Geltungsanspruchs für den ganzen Vertrag zu vereinbaren sind; so sollen die technischen Vorschriften in Art. 12 ff. ESM-Vertrag 345

Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 70.

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

lediglich der Ausgestaltung des von Art. 3 bereits in Grundzügen vorgegebenen Verfahrens dienen. Zudem statuiert Art. 13 Abs. 1 Satz 3 lit. a) bei systematischer Auslegung (Art. 31 Abs. 1 WVK) ohnehin kein alternatives Verhältnis der Voraussetzungen. So betrifft Art. 13 Abs. 1 Satz 3 lit. a) lediglich den formalen Prüfungsumfang, enthält umgekehrt aber keine Aussage über die materiellen Voraussetzungen. Im Ergebnis müssen deshalb beide Voraussetzungen – eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitglied­staaten – kumulativ vorliegen. Die zentrale Voraussetzung ist damit aber diejenige, die sich auf das Euro-Währungsgebiet insgesamt bezieht. Schließlich ist kaum ein Fall vorstellbar, in dem eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt besteht, die nicht zugleich auch in mindestens einem Mitgliedstaat eine Gefahr für die Finanzstabilität darstellen würde.346 Im Übrigen verlangt auch die primärrechtliche Anknüpfung in Art. 136 Abs. 3 Satz 1 AEUV das Vorliegen einer Gefahr für die Finanzstabilität347 des Euro-Währungsgebiets insgesamt. Der Begriff „Finanzstabilität“ ist unbestimmt und auslegungsbedürftig. Im Sinne des präventiven Charakters des ESM und der Gefahr, die Finanzkrisen bedeuten können, ist einer weiten Auslegung des Begriffs der Vorzug zu geben. Jedenfalls über „bloße“ Preisstabilität – mit der Finanzstabilität laut EuGH nicht gleichzusetzen sei – geht der Begriff hinaus.348 Eine Orientierungshilfe bieten die Stabilitätsgrundsätze der wirtschafts- und währungspolitischen Vorgaben des AEUV in Art. 119 Abs. 3:349 stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine tragfähige Zahlungsbilanz. Die Zielvorstellung der Finanzstabilität ist die Aufrechterhaltung bzw. die Herstellung eines Zustands, der finanzkrisenhaften Entwicklungen vorbeugt. Umgekehrt besteht also dann eine Gefahr für die Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet, wenn finanzkrisenhafte Entwicklungen drohen. Auch die EZB stellt im Rahmen ihres Verständnisses von Finanzstabilität auf ähnliche Gesichtspunkte ab. Ihr zufolge bezeichnet „Finanzstabilität“ einen Zustand „in dem das Finanzsystem  – welches aus Finanzintermediären, (Kapital-)Märkten und deren Infrastruktur besteht – fähig ist, Schocks und dem Auftreten makroökonomischer Ungleichgewichte standzuhalten“.350 346

Anders sehen dies von der Groeben / Schwarze / Hatje-Smulders / Keppenne, 2015, Art. 136 AEUV Rn. 16. 347 Trotz des konkreten Wortlauts mit der Begriffswahl „Stabilität“ legt auch der EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 136 diese Voraussetzung als mit der Finanzstabilität zusammenhängend aus. 348 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 347), Rn. 56; siehe auch Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 66; kritisch Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 16. 349 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 66. EL 2019, Art. 136 AEUV Rn. 55; Pilz, Der Euro­ päische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 67. 350 EZB, Financial Stability Review, Dezember 2012, S. 5 im Original: „Financial stability can be defined as a condition in which the financial system – which comprises financial intermediaries, markets and market infrastructures – is capable of withstanding shocks and the unravelling of financial imbalances.“; hierauf weist auch Ohler, in: German Yearbook of International Law 2011, S. 47, 61, hin.

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

137

All diese Auslegungsspielräume verdeutlichen, welcher beachtliche Ermessens­ spielraum (im tatbestandlichen, nicht im rechtsfolgenbezogenen Sinn) der Kommission im Rahmen ihres Assessments nach Art. 13 Abs. 1 ESM-Vertrag zukommt. Auch wenn letztlich der Gouverneursrat die Entscheidung darüber trifft, eine Finanzhilfefazilität zu gewähren; sollte die Kommission bei ihrer Prüfung zum Schluss kommen, dass die materiellen Voraussetzungen in einem vorgelegten Fall nicht gegeben sind, so ist der Gouverneursrat hieran auch gebunden, wie Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag verdeutlicht. Zwar handelt es sich um eine „Kann“-Bestimmung; dem darf aber nicht entnommen werden, dass sich der Gouverneursrat über ein ablehnendes Assessment hinwegsetzen kann; schließlich zeigt die Systematik des ESM-Vertrages, dass er bewusst auf in der Troika gebündeltes Expertenwissen setzt.351 Insbesondere ergibt sich aber aus der Systematik des ESM-Vertrages ein restriktives Verständnis: So spricht Art. 12 Abs. 1 davon, dass die Gewährung einer Finanzhilfe zur Wahrung der Finanzstabilität „unabdingbar“ (siehe z. B. auch englisch: „indispensable to safeguard the financial stability“, französisch: „indispensable pour préserver la stabilité financière“) sein muss (siehe auch Erwägungsgrund 6 ESM-Vertrag und Art. 136 Abs. 3 Satz 1 AEUV).352 Die Gewährung einer Finanzhilfe muss sich also förmlich aufdrängen, gleichsam eine ökonomische Notwendigkeit sein. Deshalb ist die „Kann“-Bestimmung in Art. 13 Abs. 2 so zu lesen, dass der Gouverneursrat zwar ein spezifisches mitgliedstaatliches Ersuchen ablehnen kann, nicht aber ein ablehnendes Troika-Assessment unbeachtet lassen darf. Die Überprüfungskompetenz des EuGH gemäß Art. 37 Abs. 3 ESM-Vertrag sollte indessen auf bloße „Ermessensfehler“ beschränkt bleiben; an denkbaren „Ermessensfehlern“ mögen solche Entscheidungen leiden, die willkürlich und deshalb schlechterdings nicht mit dem Zweck des ESM vereinbar sind.353 bb) Ratifizierung des Fiskalvertrags Eigentlich handelt es sich um eine weitere Voraussetzung der Gewährung von Stabilitätshilfe, die insofern in Art. 12 ff. ESM-Vertrag hineingelesen werden muss:354 Der dem Text des ESM-Vertrags vorangestellte Erwägungsgrund 5 weist darauf hin, dass der ESM nur dann ein Finanzhilfeinstrument bereitstellt, wenn ein um Stabilitätshilfe ersuchendes Mitglied auch den Fiskalvertrag ratifiziert hat und insbesondere seiner darin enthaltenen Pflicht zur Einführung einer nationalrechtlichen Schuldenbremse nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2 nachgekommen ist.

351

Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 70. Vgl. Ohler, in: German Yearbook of International Law 2011, S. 47, 61. 353 Vgl. Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, 306, und den Hinweis auf „offenkundige Fehlerhaftigkeit“. 354 Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 485 f. 352

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Indem die Vertragsstaaten derlei Akzessorietät herstellen, verstetigt sich zwar zum einen der den Übereinkommen zugrundeliegende Intergouvernementalismus; denn durch die Verknüpfung wird aus Sicht der Mitgliedstaaten die Ratifikation von zwei unterschiedlichen und rechtlich eigentlich selbständigen völkerrechtlichen Verträgen erforderlich. Insbesondere für potentielle Programmstaaten wird die Ratifikation des Fiskalvertrags so zur (ökonomischen) Pflicht; deutlich wird die Ultima-ratio-Funktion des ESM, dessen Mechanismen erst dann greifen sollen, wenn auch der Fiskalvertrag keine effektive Krisenprävention ermöglichen konnte.355 Ebenso beachtlich ist aber ein anderer Aspekt beim Zusammenspiel von ESM und Fiskalvertrag: Immerhin macht der Erwägungsgrund 5 des ESMVertrags nämlich nicht nur die Ratifikation zur Voraussetzung, sondern auch die Einführung einer national-(verfassungs-)rechtlichen Schuldenbremse samt Korrekturmechanismus (Art. 3 Fiskalvertrag). Nicht nur wird so die Bedeutsamkeit der Aufgabe von Hoheitsrechten im Zusammenhang mit der Einführung von (verfassungs-)rechtlichen Schuldenbremsen unterstrichen; auch kann über diesen Konnex die Kommission im Verfahren nach Art. 13 Abs. 1 ESM-Vertrag die Befolgung der Regelungen in Art. 3 Fiskalvertrag überprüfen. Deshalb ist Fabbrini im Ergebnis zuzustimmen, der auch im Angesicht der Akzessorietät von ESM und Fiskal­vertrag von einer bedeutenden Zentralisierung haushaltspolitischer Hoheitsrechte spricht.356 b) Finanzhilfeinstrument und korrespondierende Auflagen Sollte sich der Gouverneursrat am Ende der von der Kommission zu verantwortenden Prüfung dazu entschließen, grundsätzlich Stabilitätshilfe zu gewähren, so verweist er das Verfahren erneut an die Kommission, die sich wie zuvor mit EZB und IWF ins Benehmen setzt. Die so gebildete Troika handelt anschließend mit dem um Stabilitätshilfe ersuchenden ESM-Mitglied die spezifischen Konditionen seiner Unterstützung (Art. 13 Abs. 3 ESM-Vertrag) aus. Im Mittelpunkt des sogenannten MoU, welches die zu bestimmenden Konditionen festhält, steht nicht nur das gewählte Finanzhilfeinstrument (Art. 14 bis 18 ESM-Vertrag). Besondere Bedeutung kommt darüber hinaus den Auflagen zu, der sogenannten „Konditionalität“, mit welcher das ausgewählte Finanzhilfeinstrument zwingend zu koppeln ist, worauf Art. 12 Abs. 1 Satz 1 ESM-Vertrag hinweist: Der Syntax des Satzes weist darauf hin, dass sich der Ermessensspielraum („kann“, dazu auch supra a) aa)) nicht auf das Ob von Auflagen, sondern auf das Ob von Finanzhilfen bezieht. Der EuGH hat zudem darauf hingewiesen, dass die Festsetzung von Auflagen Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist, um den Anforderungen des Art. 125 AEUV gerecht

355

Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 71. F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 33; vgl. auch die Schlussfolgerung von Kube, in: WM 2012, S. 245, 248. 356

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

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zu werden.357 Insofern hält der EuGH den Konnex der Bereitstellung von Stabilitätshilfe nur im Austausch „gegen Reformen“358 auch für zwingend erforderlich. Konsequenterweise muss der ESM ein Stabilitätsprogramm beenden, wenn ein ESM-Mitglied die vereinbarten Auflagen verletzt.359 Denn nur so ist der zwingende Charakter der Auflagen auch glaubwürdig.360 Detaillierte Anforderungen an die Ausgestaltung dieser Auflagen lassen sich den vom ESM bezüglich eines jeden in Betracht kommenden Finanzhilfeinstru­ ments erlassenen Guidelines entnehmen.361 Inhaltlich dürfen die festgesetzten Auflagen nicht gegen die im Rahmen des (reformierten) SWP bzw. die gemäß Art. 126 AEUV und SWP erlassenen Stellungnahmen, Verwarnungen, Empfehlungen oder Beschlüsse verstoßen (Art. 13 Abs. 3 Uabs. 2 ESM-Vertrag). Umgekehrt dienen die Auflagen vielmehr dem Zweck, „die Vereinbarkeit der Tätigkeit des ESM […] mit den von der Union getroffenen Koordinierungsmaßnahmen [i. e. ebenjene Stellungnahmen, Verwarnungen, Empfehlungen oder Beschlüsse]“362 zu gewährleisten; somit fungieren die Auflagen als Instrument, die SWP-spezifischen Festsetzungen über den Umweg ökonomischen Drucks „durchzusetzen“.363 Indem die SWP-spezifischen Festsetzungen im MoU-Recht mitschwingen, findet eine Synthese zwischen formell intergouvernmentalem mit formell supranationalem Recht statt, deren Produkt aus dem Blickwinkel eines Programmstaates beleuchtet werden muss: Für sie handelt es sich um Recht in Gestalt von vertraglichen Kreditbedingungen, deren Zustandekommen sie aber nur teilweise beeinflussen können.364 Freilich: Die Rechtsnatur der MoU ist schillernd, wird ihnen doch in den Mitgliedstaaten eine bisweilen deutlich unterschiedliche Normqualität bei­ gemessen.365 Als Abrede zwischen einer internationalen Organisation und einem

357

EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 347), Rn. 136 f. Klaus Regling, in: FAZ vom 11. August 2017, S. 16; ähnlich Hufeld, in: FS Müller-Graff, 2015, S. 726, 732; Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, S. 1299, S. 1372 Rn. 163. 359 Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 71. 360 Kritisch insofern Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 16. 361 Abrufbar auf der Website des ESM unter https://www.esm.europa.eu/legal-documents?​ field_documents_category_tid%5B%5D=275: legal-preselect; vgl. im Übrigen zur ESM-Auflagenpraxis bspw. kritisch Triantafyllou, in: Grundlagen, aktuelle Entwicklungen und Perspektiven der Europäischen Währungsunion, 2012, S. 143, 146 ff.; und Pilz / Dittmann, in: DÖV 2011, S. 438, 444 ff. 362 EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“) ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 111. 363 Vgl. dazu von Bogdandy, in: EuR 2017, S. 487, 493: „[…] rechtlich obskure Instrumente völkerrechtlicher Natur […], deren Wirkung sich einer Zwangsjacke verdankt, die aus den ökonomischen Logiken einer Währungsunion gestrickt ist.“. 364 Siehe aber auch den dem EuGH, Urteil vom 20. September 2016, verbundene Rs. C-8/15 P bis C-10/15 P („Ledra“), ECLI:EU:C:2016:701, zugrunde liegenden Sachverhalt, bei dem das zyprische Parlament zunächst einen Gesetzgebungsvorschlag, der in einem vorläufigen MoU vorgesehen war, ablehnte und zur Neuverhandlung zurückverwies; vgl. auch Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 105, 229 ff. 365 Vgl. Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 232. 358

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2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

Mitgliedstaat derselben binden sie jedenfalls nicht die EU.366 Auch darüber hinaus wird die Verbindlichkeit der MoU vielfach abgelehnt.367 Von praktischer Relevanz ist jedoch, was einem Programmstaat bei Nichtbefolgung des MoU droht: Die Troika unter Verantwortung der Kommission überprüft die Einhaltung des vereinbarten Programms (Art. 13 Abs. 7 ESM-Vertrag) und stoppt die Hilfsleistungen, sollte es zu Verstößen kommen (siehe im Einzelnen Art. 14 Abs. 5, Art. 15 Abs. 5, Art. 16 Abs. 5 und Art. 17 Abs. 5 ESM-Vertrag);368 deshalb ist die praktisch-wirtschaftliche Verbindlichkeit der MoU unbestreitbar.369 Um in Wirksamkeit erwachsen zu können, erfordert das ausgehandelte MoU sodann aber noch eine erneute Zustimmung des Gouverneursrats (Art. 13 Abs. 3 Uabs. 1 Satz 2 und Abs. 4 ESM-Vertrag).370 Wieder deutet die Systematik des ESMRechts auf eine spezifische Aufgabenteilung hin: Der Troika wird Expertenwissen zugerechnet,371 dessen Manifestation der Gouverneursrat inhaltlich grundsätzlich nicht widersprechen soll372 – der Gouverneursrat kann die ausgehandelte Finanzhilfefazilität lediglich annehmen (oder aber auch ablehnen), nicht aber selbst modifizieren. Lehnt der Gouverneursrat eine erzielte Einigung ab, so wird das Verfahren aber sinnvollerweise nicht beendet, sondern an die Troika zur Neuverhandlung zurückverwiesen; schließlich steht die grundsätzliche Entscheidung zur Gewährung von Finanzhilfe (noch) im Raum (Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag). Das Verfahren der Festsetzung von ESM-Finanzhilfen zeigt somit: Zwar kommt dem intergouvernementalen Gouverneursrat an den entscheidenden Stellen des Verfahrens ein Zustimmungsvorbehalt zu – dieser veranlasste schließlich auch den EuGH dazu, die „Entscheidungsbefugnis im eigentlichen Sinne“ beim Gouver­ neursrat zu verorten373 –, die Kommission aber entscheidet an der Spitze der Troika

366

EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 362), Rn. 161. Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik in der Währungsunion, 2015, § 4 Rn. 60; ders., in: Europa als Rechtsgemeinschaft – Währungsunion und Schuldenkrise, 2013, S. 277, 289; vgl. auch Nettesheim, in: EuZW 2016, S. 801, 802. 368 Ähnlich Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 232 f., der aber darin irrt, dass in solchen Fällen ein Durchführungsbeschluss des Rates vorliegen soll, welcher die Auszahlung der Stabilitätshilfe an die Einhaltung der MoU koppele – stattdessen handelt es sich um ein ESM-internes Verfahren; wie hier Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 71. 369 So im Ergebnis auch Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik, 2015, § 4 Rn. 60; ders., in: Europa als Rechtsgemeinschaft – Währungsunion und Schuldenkrise, 2013, S. 277, 289. 370 An einer vorerst unwirksam gewordenen Zustimmung des Gouverneuersrats scheiterte zuletzt eine Kredittranche, die Griechenland gewährt werden sollte; die griechische Regierung hatte zuvor eine in einem MoU vereinbarte Steuererhöhungen nicht mehr umsetzen wollen, siehe Süddeutsche Zeitung vom 13. Juli 2013, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/ wirtschaft/euro-zone-der-griechenland-aerger-ist-zurueck-1.4053687. 371 Siehe auch EuGH, „Ledra“ (supra Fn. 364), Rn. 52. 372 Vgl. Lo Schiavo, in: Flexibility in the EU and Beyond, 2017, S. 195, 205. 373 EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 161, bestätigt durch Urteil vom 20. September 2016, verbundene Rs. C-105/15 bis C-109/15 367

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

141

sowohl über die Frage des „Ob“ als auch die Frage des „Wie“;374 es ist mit anderen Worten an der Kommission, die konkrete Finanzhilfefazilität mit Leben zu füllen. Indem der ESM-Vertrag mittels seiner Betonung der Konditionalitäten eine Verbindung zum genuin unionsrechtlichen SWP herstellt und die Gewährung der Finanzhilfe strikt akzessorisch ausgestaltet wissen möchte, gewährt er der Kommission – wie auch schon der Fiskalvertrag – bisher unbekannte Befugnisse, die nationale Budget-Hoheitsrechte von Programmstaaten im Ergebnis weitgehend beschränken.375

V. Zwischenergebnis: Mehr Intergouvernementalität, mehr Supranationalität Alle beschriebenen intergouvernementalen Maßnahmen in der Eurokrise haben gemein, dass die beteiligten Mitgliedstaaten sie einsetzten, um die WWU bewusst weiter zu entwickeln. Die übergeordnete Zielsetzung sämtlicher Maßnahmen ist die zukünftige Absicherung gegen finanzkrisenhafte Situationen.376 Lediglich der ESM ist zusätzlich darauf gerichtet, auch die Eurokrise reaktiv zu bekämpfen. Dieses Ziel soll durch das „Mittel des Rechts“377 erreicht werden – zwar handelt es sich nicht ausschließlich um genuines Unionsrecht, stattdessen allerdings um gemeinsames Recht aus völkerrechtlichen Verträgen. Den ökonomischen Marktmechanismen, deren Wirkung sich die Union in der Eurokrise ausgesetzt sah, versuchen die Mitgliedstaaten neue rechtliche Strukturen entgegenzusetzen. Der bloßen Wahl eines intergouvernementalen Instrumentariums lässt sich an und für sich aber noch keine Aussage über die Qualität der Koexistenz von unio­naler Supranationalität und Intergouvernementalismus entnehmen. Welchen Grundmustern ist das Recht, das intergouvernemental geschaffen wurde, angelehnt? Der intuitiv urteilende Beobachter würde intergouvernementale Konstruktionen, strukturelle Intergouvernementalität, mit starken Mitgliedstaaten, die sich ihre Hoheitsrechte behalten, erwarten; wenn die Mitgliedstaaten selbst durch Inter-

(„Mallis und Malli“), ECLI:EU:C:2016:702, Rn. 53; und Urteil vom 20. September 2016, verbundene Rs. C-8/15 P bis C-10/15 P („Ledra“), ECLI:EU:C:2016:701, Rn. 53; mit Kritik dazu Nettesheim, in: EuZW 2016, S. 801, 802. 374 Vgl. Nettesheim, in: EuZW 2016, S. 801, 802, der darauf hinweist, dass der Kommission auch nach Ansicht des EuGH, „Ledra“ (supra Fn. 373), Rn. 59, die Befugnis zukommt, ein aus ihrer Sicht unionsrechtswidriges MoU nicht zu unterzeichnen. 375 Dies verleitet Rademacher, in: EuR 2018, S. 140, 152, dazu, bereits von einer „supra­ nationalen Wirtschaftsregierung mit exekutiven Durchgriffsrechten“ zu sprechen. 376 Vgl. Craig, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 19 ff. 377 Vgl. dazu den Satz von Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 1973, S. 53: „Nicht Gewalt, nicht Unterwerfung ist als Mittel eingesetzt, sondern eine geistige, eine kulturelle Kraft: das Recht.“

142

2. Teil: Die Supranationalität in der (Euro-)Krise

gouvernementalismus Recht setzen, warum sollten sie dann Kontrolle in Form von Hoheitsrechten abgeben und Anleihe bei supranationalen Elementen nehmen? Die Analyse dieses Teils ergibt indes gerade ein solches, auf den ersten Blick kontraintuitives Ergebnis.378 Die Mitgliedstaaten gaben – jedenfalls für manche Bereiche – durch intergouvernementalen Akt Hoheitsrechte ab.379 So sind bspw. die Befugnisse supranationaler Organe durch die Übereinkommen in Bereichen gewachsen, die zuvor typischerweise von Mitgliedstaaten in freiem Ermessen ausgeübt wurden.380 Das gilt insbesondere für die Aufgaben, die der Kommission zuerkannt wurden. Zwar haben die intergouvernementalen Übereinkommen auch neue intergouvernementale Mechanismen zur Steuerung der WWU eingeführt; allerdings drehten die Mitgliedstaaten das Rad nicht etwa zurück und schufen Intergouvernementalität, wo zuvor Supranationalität geherrscht hatte. Verglichen mit dem status quo ante hat sich in Reaktion auf die Eurokrise nicht nur durch sekundärrechtliche Reformen mehr Supranationalität eingestellt, sondern auch durch intergouvernementale Zusammenarbeit. Just diese Beobachtungen waren es, die den eingangs zitierten Ratspräsidenten Herman Van Rompuy und seinen Co-Autoren Annick Steta wenig später ein Paradoxon feststellen ließen: „Il s’agit d’intergouvernemental par la force des choses, mais l’un des paradoxes de la crise, c’est que cette dimension intergouvernementale incarnée par le Conseil européen  a contribué au renforcement du rôle des institu­tions communautaires.“381 Freilich ist die dem allen zugrunde liegende Verwunderung gemindert, wenn man sich das Ergebnis des ersten Teils dieser Untersuchung vergegenwärtigt: der rechtspolitische Trend in Richtung von mehr Supra­ nationalität in der WWU. Im Falle der forschungsgegenständlichen Phänomene scheint es sich weder aus integrationspolitischer noch aus struktureller, an Grundmustern orientierter Sicht um einen Rückschritt zu handeln;382 das Dogma der supranationalen Union lebt auch in den Übereinkommen und scheint an vielen Stellen markant durch. Auch wenn die Mitgliedstaaten daher im Angesicht der Krise das Heft des Handelns an sich nahmen, um intergouvernemental für „Solidität“ (Herman Van Rompuy, siehe supra zu Beginn des zweiten Teils) zu sorgen: Sie bedienten sich dabei auch der supranationalen Idee. Dieser zweite Teil der Arbeit wurde mit einem Ausspruch Van Rompuys eingeleitet; er soll auch mit einem ebensolchen ausgeleitet und übergeleitet werden, der exemplarisch für das entschlossene Vorgehen der Mitgliedstaaten durch Heranziehung von Intergouverne­ mentalismus steht:

378

Mit demselben Ergebnis, allerdings nur mit Bezugnahme auf den Fiskalvertrag Dehousse  / ​ Boussaguet, in: Pouvoirs 2014, S. 7; und F. Fabbrini, Economic Governance in Europe, 2016, S. 47 ff. 379 So auch Peers, in: ECLR 2013, S. 37 ff., 38. 380 Clément-Wilz, in: L’Union européenne et le fédéralisme économique, 2015, S. 101, 116. 381 Van Rompuy / Steta, in: La Revue des deux mondes 2013, S. 15, 17. 382 Vgl. stattdessen aber Delfs, Komplementäre Integration, 2015, S. 381.

D. Intergouvernementalismus als Ausweg?

143

„Oft geht es nicht um die Wahl zwischen Gemeinschaftsmethode und zwischenstaatlichem Vorgehen, sondern um die Wahl zwischen einem koordinierten europäischen Standpunkt und dem Nichts.“383

Dieser Satz wirft bei allem zur Schau gestellten Pragmatismus zugleich die Frage auf, in welcher rechtlichen Beziehung die supranationale Unionsrechtsordnung und der Intergouvernementalismus, der bei Bewältigung der Eurokrise half und zugleich die Etablierung eines neuen Regimes europäischen Wirtschaftsregierens bedeutete, zueinanderstehen – dies gilt es im folgenden, dritten Teil zu klären.

383

Van Rompuy, Nicht die Renationalisierung der Europäischen Politik sondern die Europäisierung der Nationalen Politik, Rede vom 20. September 2010 in Paris, abrufbar unter http:// www.consilium.europa.eu/media/27491/116764.pdf.

Dritter Teil

Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen im Unionsrechtsrahmen A. Unionsrechtmäßigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus Für jeden, der an die Idee des Rechtsstaats auf europäischer Ebene glaubt, barg die Eurokrise Anlass zur Sorge.1 Dass in Krisenzeiten oftmals die Grenzen des Rechts herausgefordert werden, lässt sich mit Blick auf die Unvorhergesehenheit, die Krisen zumeist innewohnt, sowie der anschließend erforderlichen Reaktionsgeschwindigkeit, die Entscheidern abverlangt wird, nachvollziehen.2 Die Euro­k risenManöver sowohl des europäischen Gesetzgebers, der Unionsorgane wie auch der Mitgliedstaaten sahen sich in der Folge auch aus diesem Grund mit einer kritischen Prüfung durch Rechtswissenschaft und Gerichte konfrontiert. Der Intergouvernementalismus muss als Mittel der Wahl, um auf die Eurokrise zu reagieren, im Hinblick auf sein Verhältnis zum Unionsrecht gleich auf zweierlei Ebenen ausgelotet werden. Dabei geht es zum einen darum, wem in der Sache jeweils die Regelungskompetenz zukommt: der Union oder den mittels Übereinkommen (inter se) tätig gewordenen Mitgliedstaaten? Zum anderen dreht sich die Unionsrechtmäßigkeit aber auch um die innere Ausgestaltung des Intergouvernementalismus – insbesondere dort, wo es zu materiellen oder institutionellen Überlappungen zwischen Übereinkommensrecht und Unionsrecht kommt. Auch wenn sich diese Prüfpunkte gut unterscheiden lassen, sind sie doch beide auf die Frage zurückzuführen, welcher der beiden Ebenen eine entsprechende Kompetenz zukommt – und welcher nicht.

1 Vgl. Schorkopf, in: VVDStRL 2012, S. 183, 184 ff.; siehe allgemein zur Krise des europäischen Rechtsstaats von Bogdandy, in: EuR 2017, S. 487 ff. 2 Vgl. die Krisenmerkmale bei Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, 2018, S. 8 f.

A. Unionsrechtmäßigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus 

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I. Unionsrechtliche Dogmatik der Übereinkommensautonomiebegrenzung 1. Kein generelles Verbot plurilateraler interner Übereinkommen Auch wenn die Debatte über die Zulässigkeit unionsmitgliedstaatlich-intergouvernementaler Rechtsetzung außerhalb der Unionsverträge bereits seit längerer Zeit währt und durchaus unterschiedliche Ansichten hervorgebracht hat, so scheint doch die Grundüberzeugung überall akzeptiert, dass das Unionsrecht solche Übereinkommen nicht grundsätzlich verbietet.3 Immerhin vertritt auch der EuGH, wie zuletzt in der Rs. „Pringle“ aufgezeigt, diesen Standpunkt.4 Zu Beginn der europäischen Integrationsgeschichte und mindestens bis zum Fusionsvertrag von 19655 hätte vermutlich niemand ernstlich ein solches rechtliches Verbot in Erwägung gezogen; schließlich existierten damals sämtliche europäischen Einigungsverträge, die dann jedenfalls institutionell vereint unter dem gemeinsamen Dach der EG landeten, eigenständig und gleichsam nebeneinander. Ein Verbot intergouvernementaler Rechtsetzung hätte damals jeden dem EGKS-Vertrag nachfolgenden Einigungsvertrag bereits an einer solch brutalen Hürde scheitern lassen; die dem Einigungsprozess eigentlich inhärente Dynamik wäre abrupt versiegt. Auch heutzutage, in Zeiten einer ungleich vielfältiger entwickelten EU, bedürfte ein solches Verbot gewichtiger Gründe, um einen derartigen Eingriff in die Integrations­ dynamik zu rechtfertigen. Nichtsdestominder kochte auch diese grundsätzliche Frage im Rahmen der Diskussion um den Intergouvernementalismus in der Eurokrisen-Rettung erneut auf.6 Monographisch und unabhängig von der Eurokrisen-Rettung warf zuletzt Julia Heesen die Frage nach einem generellen Verbot interner Übereinkommen auf und lehnte ein solches am Ende ab.7 In der jüngeren Zeit spricht sich auch kein Autor mehr für eine vollständige Unzulässigkeit interner Übereinkommen aus. Daniel Thym und Bruno De Witte beriefen sich in Veröffentlichungen noch vor dem Vertrag von Lissabon beide auf die Verfasstheit der Union, genauer auf die 3

Vgl. Thym, in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 23, 33; ders., in: EnzEuR, Bd. 1 2014, § 5 Rn. 87. Vgl. Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 68: „[…] im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 EUV und Art. 5 Abs. 2 EUV befugt, untereinander eine Übereinkunft über die Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus wie des […] ins Auge gefassten [i. e. der ESM-Vertrag] zu treffen.“; siehe auch Urteil vom 30. Juni 1993, verbundene Rs. C-181/91 und C-248/91 (Parlament / Rat und Kommission) ECLI:EU:C:1993:271, Rn. 16; ähnlich Urteil vom 20. Mai 2008, Rs. C-91/05 (Kommission / Rat), ECLI:EU:C:2008:288, Rn. 61. 5 Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, abrufbar in deutscher Sprache unter http://www.politischeunion.de/fusion.htm, siehe auch BGBl. 1965 II, S. 1454 ff. 6 Siehe exemplarisch von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 511 f.; Repasi, EuR 2013, S. 45 ff. 7 Siehe Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 256 ff., insbesondere S. 268; die Frage klingt auch bei Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 16, an. 4

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Frage nach der „Kompetenz-Kompetenz“, welche unverändert bei den „Herren der Verträge“ ruhe. So kamen sie jeweils zum Ergebnis, dass völkerrechtliche Kooperationen zwischen einigen Mitgliedstaaten auch außerhalb des Unionsrechts weiterhin möglich sein müssen.8 Ebenso lehnt Julia Heesen in ihrer Untersuchung ein allgemeines unionsrechtliches Verbot oder einen unionsrechtlichen Erlaubnisvorbehalt für interne Übereinkommen ab. Letztlich greift auch sie auf die Kompetenzdogmatik zurück: Dort, wo die Mitgliedstaaten allein und mittels nationaler Maßnahmen agieren könnten, sei ihnen auch der Weg nicht verschlossen, mittels interner Übereinkommen mit einer Gruppe Gleichgesinnter zu kooperieren.9 a) Der völkerrechtliche Grundsatz vertragsautonomer Staaten Dem allgemeinen Völkerrecht lässt sich die bedeutungsvolle Aussage entnehmen, dass Staaten in ihrer Vertragsschlussaktivität grundsätzlich autonom sind (Art.  6  WVK10).11 Diese (Vertrags-)Autonomie für Staaten ist dem Völkerrecht gleichsam inhärent und letztlich auf das übergeordnete Prinzip souveräner Gleichheit zurückzuführen.12 Deshalb können völkerrechtliche Verträge auch die Vertragsabschlussfähigkeit einzelner Unterzeichnerstaaten regelmäßig nicht absolut ausschließen. Schließlich wirkt das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten übergeordnet in jede mögliche Vertragsgestaltung hinein. Völkerrechtliche Verträge müssen sich stattdessen mit einer bloßen Selbstbindung von Vertragsstaaten begnügen, deren jeweilige Vertragsautonomie dadurch aber unangetastet bleibt. Die Vertragspartner eines Staates können ihr Interesse an der Erfüllung eines (völkerrechtlichen) Vertrags daher nur beschützen, nicht aber absolut bewahren. So ist dem Kollektiv vertragsschließender Staaten gestalterisch die Möglichkeit unbenommen, Vertragsstrafen für Fälle vertragsbrüchiger Konkurrenzverträge vorzusehen.13 Nimmt man das Dogma vom vertragsautonomen Staat ernst und bezieht es auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so sollten interne Übereinkommen prima facie sehr weitreichend zulässig sein.14 Hinzu kommt, dass sowohl die Unionsrechtsordnung (in Gestalt der Unionsverträge und ihren konsekutiven Änderungen) als auch die intergouvernementale Eurokrisen-Reaktion beide jeweils auf genuin völkerrechtlichen Verträgen grün 8 Thym, Ungleichzeitigkeit, 2004, S. 318 mit Verweis auf das BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993, 2 BvR 2134/92 („Maastricht“); de Witte, in: Constitutional Change in the EU?, 2000, S. 32, 40; siehe auch von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 511. 9 Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 268 und 268 ff. 10 Zur völkergewohnheitsrechtlichen Geltung der WVK siehe Müller / Wildhaber, Praxis des Völkerrechts, 2001, S. 148 ff. 11 Ausführlich dazu Geiger, Die völkerrechtliche Beschränkung der Vertragsschlußfähigkeit von Staaten, 1979, S. 154 ff. 12 Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 47; Corten-Klein-Turp / Roch, 2011, Bd. 1, S. 107 f. 13 Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 47. 14 Vgl. Kort, in: JZ 1997, S. 640.

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den.15 Vor diesem Hintergrund verleitet der Grundsatz der unabdingbaren Vertragsautonomie der Staaten zunächst zu der Annahme, primäres Unionsrecht in Gestalt der Unionsverträge und interne Übereinkommen wie die vorliegenden stünden gleichberechtigt nebeneinander; weder das eine noch das andere könnte rechtsverbindlich über die jeweils andere Rechtsmaterie verfügen. Damit wäre die EU allerdings auf wackligem Fundament errichtet. Schließlich könnten die Mitgliedstaaten unter Berufung auf ihre Vertragsautonomie ohne Weiteres von einmal festgesetzten Regeln abweichen. Julia Heesen weist darauf hin, dass zu Beginn der europäischen Integration und damals noch in Bezug auf die Europäischen Gemeinschaften einige Stimmen solcherlei Ansätze durchaus vertraten und damit die Beständigkeit der Unionsrechtsordnung – offenbar bewusst – einem großen Risiko aussetzten.16 Zurückzuführen sind diese Ansichten aus der Frühzeit der europäischen Integration auf ein sehr weitgehendes und autonomiefreundliches Verständnis davon, welche Folgen die mitgliedstaatliche „Kompetenz-Kompetenz“ nach sich zieht: Möchten die Mitgliedstaaten einen Gründungsvertrag ändern, so sollen sie keinen Bindungen unterliegen, auch und gerade nicht den selbst gesetzten. In den Worten Franz Jerusalems soll „die Gesamtheit der Mitgliedstaaten jederzeit berechtigt [sein], durch mutuus dissensus den geschlossenen Vertrag wieder aufzuheben“.17 Insbesondere dann, wenn eine Änderung der Unionsverträge auch mittels intergouvernemental-völkerrechtlichem Vorgehen nur einer Gruppe von Mitgliedstaaten möglich gewesen wäre, hätte dies auch die Einheit des Unionsrechts ebensolchen Gefahren ausgesetzt.18 Allerdings ist bereits fraglich, ob diese weitreichend autonomiefreundliche Ansicht auch auf (interne) Übereinkommen nur einer Gruppe von Mitgliedstaaten zu übertragen war: Karl Carstens äußert sich hierzu zwar nicht ausdrücklich; viel deutet aber darauf hin, dass er ein eingeschränktes, nur auf die Gesamtheit der Staaten bezogenes Verständnis vertritt, wenn er postuliert: „Die Gesamtheit der Mitgliedstaaten steht über der Gemeinschaft. Ihr Wille ist die höchste Autorität.“19 Auch die Beispiele aus der Staatenpraxis, die er nennt, waren sämtlich von der Gesamtheit der Mitgliedstaaten ausgehende Vertragsänderungen.20 Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch aus den Ausführungen Heinz Wagners, der sich auf sogenannte uneigentliche Ratsbeschlüsse bezieht;21 dort, sprich: im Ministerrat, galt aber bis zur Einheitlichen Europäischen Akte noch das 15

Siehe dazu supra Zweiter Teil, D. I. 2. Siehe die Ausführungen bei Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 200 f. mit Verweis auf Carstens, in: ZaöRV, 1961, S. 1, 6, und 13 f.; und Wagner, Grundbegriffe des Beschlußrechts der europäischen Gemeinschaften, 1965, S. 117 f., 235 f.; vgl. von Bogdandy / Bast / Arndt, in: ZaöRV 2002, S. 77, 125. 17 Jerusalem, Das Recht der Montanunion, 1954, S. 16. 18 Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 201. 19 Carstens, in: ZaöRV 1961, S. 1, 6; ähnlich Jerusalem, Das Recht der Montanunion, 1954, S. 16. 20 Carstens, in: ZaöRV 1961, S. 1, 8 f. und 14. 21 Siehe Wagner, Grundbegriffe des Beschlussrechts der Europäischen Gemeinschaften, 1965, S. 229 ff.; siehe zum Begriff „uneigentliche Ratsbeschlüsse“ und seiner fehlenden Aktualität aber bereits von Bogdandy / Bast / Arndt, in: ZaöRV 2002, S. 78, 125. 16

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Einstimmigkeitsprinzip (siehe supra Erster Teil, B. I. 4. a)). Am deutlichsten äußert sich schließlich Ulrich Scheuner: „Sie [die Mitgliedstaaten] können jederzeit durch neuen Vertragsschluss den Vertrag abändern und erlassene Normen sekundärer Art aufheben oder abändern. Das gilt aber nur bei einhelliger Übereinstimmung aller Mitgliedstaaten.“22 b) Unzulässiger Umkehrschluss aufgrund ausdrücklicher Befugnistatbestände im Primärrecht Auch eine quasi-entgegengesetzte Rechtsauffassung existiert(e), die man als weitgehend „souveränitätsfeindlich“ bezeichnen könnte.23 Bekannt sind vor ­allem die Beiträge von Ivo E. Schwartz, der mehrfach seine Meinung bekundete, völkerrechtliche Verträge der Mitgliedstaaten inter se seien immer dann unzulässig, wenn sie (lediglich) der Verwirklichung eines Ziels der Gemeinschaft dienen würden.24 In all diesen Fällen komme, ihm zufolge, grundsätzlich ausschließlich der Gemeinschaft eine Regelungskompetenz zu.25 Normativ verankerte er diese Systemlogik im heutigen Art. 352 AEUV (ehemals Art. 235 EWG-Vertrag), einer „Flexibilitätsklausel“, die aufgrund ihrer Funktion auch als „Vertragsabrundungskompetenz“ bezeichnet wird.26 Allerdings schloss Schwartz die Möglichkeit intergouvernemental-völkerrechtlicher Übereinkommen der Mitgliedstaaten auch im Falle der Zielverwirklichung der Gemeinschaft nicht absolut aus. Schließlich gab es vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch gesonderte Tatbestände im Primärrecht, die den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Befugnis zur Aushandlung interner Übereinkommen in spezifischen Fällen einräumten (siehe Art. 20 Abs. 1 EGV-Maastricht; Art. 27 EGV-Maastricht; Art. 73 h Nr. 4 EGV-Maastricht; (Art. K.1 i. V. m.) K.3 Abs. 2 lit. c)  i. d. F. EUV-Maastricht / A rt. 34 Abs. 2 lit. d)  EUV-Amsterdam /  Art. 34 Abs. 2 lit. d) EUV-Nizza für den Bereich der PJZS; Art. K.7 EUV i. d. F. des Vertrags von Maastricht sowie insbesondere Art. 220 EGV-Maastricht/293 EGV-Amsterdam/293 EGV-Nizza für Fälle, die zugunsten der jeweiligen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats „den Schutz der Personen sowie den Genuss und den Schutz der Rechte zu den Bedingungen, die jeder Staat seinen eigenen Angehörigen einräumt, die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft, die gegenseitige Anerkennung der Gesellschaften im Sinne des […], die Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit bei Verlegung des Sitzes von einem Staat in einen anderen und die Möglichkeit der Verschmelzung von Gesellschaften, die 22

Scheuner, in: FS Verdross, 1960, S. 229, 237. Übersichtlich bei Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 256 ff., die insbesondere auf Ivo E. Schwartz verweist. 24 Auch heute noch taucht diese Ansicht vereinzelt in Kommentarliteratur auf, so z. B. ausführlich, wenngleich i. E. ablehnend von der Groeben / Schwarze / Hatje-Schröder, 2015, Art. 352 AEUV Rn. 56 ff. 25 Schwartz, in: FS Caemmerer, 1978, S. 1067, 1070 f.; ders., in: FS Drobnig, 1998, S. 163, 165. 26 Begriffe beide so auch bei Calliess / Ruffert-Rossi, 2016, Art. 352 AEUV, Rn. 2. 23

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den Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten unterstehen“ sowie „die Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung richterlicher Entscheidungen und Schiedssprüche“ sicherstellen). In diesen Fällen konnte dann umgekehrt der Gemeinschaft keine Zuständigkeit zukommen.27 Aus dieser Regelungstechnik leitete Schwartz sodann das für seine Ansicht entscheidendes Argument ab:28 Gerade weil spezielle Befugnisnormen für interne Übereinkommen existieren, sei, so Schwartz, e contrario – und dann, wenn es um die Verwirklichung von in Gemeinschafts- bzw. in Unionsverträgen aufgeführten Zielen gehe – in allen anderen und nicht ausdrücklich genannten Fällen, die tatbestandlich keine Anknüpfung an eine spezifische Norm zuließen, keine Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten vorhanden.29 Auf den ersten Blick erscheint Schwartz so als Vertreter eines generellen Verbots interner Übereinkommen. Das gilt – wiederum prima facie – umso mehr im heutigen Recht des Vertrags von Lissabon, nachdem die speziellen Befugnistatbestände weitgehend, und insbesondere der ehemalige Art. 220 EGV-Maastricht, aus dem Primärrecht verschwunden sind. Eine Ausnahme bilden heutzutage lediglich noch Art. 273 AEUV für Schiedsverträge, Art 73 AEUV für Verwaltungskooperationen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts,30 und Art. 350 AEUV speziell für Benelux-Kooperationen31 sowie neuerdings Art. 136 Abs. 3 AEUV. Der eingeschobenen Akzessorietät  – Zielverwirklichung  – kommt am Ende aber entscheidender Stellenwert zu. In Zusammenschau mit dem Bedeutungsgehalt, den er der Flexibilitätsklausel beimisst, lautet Schwartz’ These nämlich wie folgt: Sollen Ziele der Gemeinschaft – oder heute: der Union – gesetzgeberisch verwirklicht werden, so ist generell die Union und sind nur ausnahmsweise die Mitgliedstaaten zuständig; soll dagegen eine Politik geschaffen werden, die bislang noch keinem Ziel der Union entspricht, so bleiben im Grundsatz die Mitgliedstaaten selbst zuständig.32 Die Kompetenzfrage wird auf diese Weise mit der Frage nach den Zielen der Gemeinschaft bzw. den Zielen der Union verbunden. Zur Beantwortung der Frage, welche Politiken die Mitgliedstaaten noch intergouvernemental vereinbaren würden können, wäre nach dieser Auffassung folglich zunächst die Absteckung der Ziele der Union erforderlich. Im Bewusstsein dessen verweist Schwartz auf den (ehemaligen) Art. 2 EGV-Maastricht.33 Dieser beginnt 27

Schwartz, in: FS Caemmerer, 1978, S. 1067, 1078. Schwartz, in: FS Drobnig 1998, S. 163, 164 f. 29 Schwartz, in: FS Drobnig, 1998, S. 163, 164 f.; ähnlich bei Giegerich, Europäische Verfassung und deutsche Verfassung, 2003, S. 547 f. 30 Dazu Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 248 f. 31 Auch dazu Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 250 f. 32 Schwartz verweist hierfür auf eine Feststellung Bernhardts, in: Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, 1981, S. 86 Rn. 20: „Verträge der Mitgliedstaaten untereinander sind so weit zulässig, wie das Gemeinschaftsrecht die Hoheitsrechte der Staaten nicht beschränkt.“. 33 Schwartz, in: FS Drobnig, 1998, S. 163, 173; heute entsprechend in Art. 3 EUV, siehe Grabitz / Hilf / Nettesheim-Terhechte, 66. EL 2019, Art. 3 EUV Rn. 7. 28

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mit den Worten: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, […] durch die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion […] eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft […] zu fördern“; im heutigen Primärrecht entspricht dieser Zielbestimmung Art. 3 Abs. 4 EUV. Nimmt man die von Schwartz prominent vertretene Ansicht folglich ernst, so wären also gerade auch Politiken im Zusammenhang mit der WWU wegen ihrer Verknüpfung mit den Zielen der Gemeinschaft für intergouvernementales Vorgehen gesperrt. Dies würde nicht zuletzt negative Konsequenzen für die hier forschungsgegenständlichen Übereinkommen zeitigen, verfolgen sie doch allesamt das Ziel einer Stabilisierung der WWU.34 Andererseits lässt sich die Abschaffung fast aller ehemaliger ausdrücklicher Befugnistatbestände zur intergouvernementalen Vorgehensweise auch so deuten, dass in den ehemals genannten Fällen fortan eine unionsförmige Rechtsetzung in Gestalt sekundärrechtlicher Akte erwünscht ist. Eine grundsätzliche Aussage gegen interne Übereinkommen ließe sich – so interpretiert – aus der Evolution der Unionsverträge nicht herauslesen. Nur ermuntern die Unionsverträge nicht mehr ausdrücklich zum Abschluss entsprechender Übereinkommen – oder wie de Witte festhält, stelle intergouvernementales Übereinkommensrecht lediglich kein („normales“) Instrument unionsbezogener Rechtsetzung mehr dar.35 c) Unzulässiger Umkehrschluss aufgrund der Verstärkten Zusammenarbeit Ein ganz ähnliches Argument wie das von Schwartz in Bezug auf die (ehemaligen) ausdrücklichen Befugnistatbestände im Primärrecht geprägte lässt sich auch einem anderen primärrechtsspezifischen Institut entnehmen. Die Unionsverträge beinhalten in Art. 20 EUV und Art. 326 ff. AEUV ein besonderes Rechtsinstitut, das mit dem Vertrag von Amsterdam 1999 Eingang in die Unionsverträge fand und bis heute erhalten blieb: Die Verstärkte Zusammenarbeit;36 sie soll regelmäßig dem Motiv einer flexiblen Integration dienen, und einer Avantgarde-Gruppe von Mitgliedstaaten gestatten, sich in einem unionsrechtlichen Rahmen zusätz­ liche gemeinsame Regeln zu geben.37 Mit dem Forschungsgegenstand und anderen 34 Dies klingt an, wenn der am Ende der 1990er-Jahre angedachte, intergouvernemental herbeizuführende „Stabilitätspakt für Europa“ als europarechtswidrig gekennzeichnet wird, wie bei Giegerich, Europäische Verfassung und deutsche Verfassung, 2003, S. 539; differenzierter Häde, in EuZW 1996, S. 138, 140 ff.; allerdings dürfte wohl der mittlerweile eingefügte Art. 136 Abs. 3 AEUV eine Befugnisnorm i. S. d. vorgebrachten Ansicht sein. 35 De Witte, in: International Law as Law of the European Union, 2012, S. 133, 145. 36 Interessant ist der Hinweis Thyms, Ungleichzeitigkeit, 2004, S. 63, dass die Diktion „Zusammenarbeit“ eher nach der Stärkung intergouvernementaler Elemente klinge, und stattdessen eine Sprache wie „verstärkte Integration“ vorzuziehen gewesen wäre. 37 Thym, Ungleichzeitigkeit, 2004, S. 43 ff.; vgl. zum Begriff „flexible Integration“ Thym, in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 23 ff.; siehe hintergründig auch de Witte, in: CMLR 2018, S. 227, 228.

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internen Übereinkommen hat die Verstärkte Zusammenarbeit somit prima facie gemein, dass hier wie dort eine Gruppe von Mitgliedstaaten (und in beiden Fällen gerade nicht alle)  in einem spezifischen Sachbereich neue gemeinsame Regeln schafft.38 Allerdings hat der europäische Gesetzgeber in Gestalt der Mitgliedstaaten bzw. in Gestalt des Rates den Weg der Verstärkten Zusammenarbeit bislang selten eingeschlagen. In den ersten Jahren nach ihrer Einführung gab es gar keinen einzigen Fall, in dem die Mitgliedstaaten die Verstärkte Zusammenarbeit anwandten. Erst in den Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ergriffen die Mitgliedstaaten in einigen, bislang wenigen Fällen Initiative unter Anwendung der Verstärkten Zusammenarbeit.39 Zwei Beweggründe gaben dem Primärrechtsgeber seinerzeit entscheidenden Anlass, die Verstärkte Zusammenarbeit einzuführen.40 Zunächst drohte angesichts einer stetigen Erweiterung der Europäischen Union um neue Mitgliedstaaten eine langsame „Versteinerung“ des Rechtsetzungsprozesses.41 Schließlich hätten weitere Integrationsschritte die wechselseitige Abstimmung von zunehmend mehr, bisweilen denkbar unterschiedlichen nationalen Interessenlagen erfordert. Erster Zweck der Verstärkten Zusammenarbeit sollte deshalb sein, den europäischen Integrationsprozess nicht von der Vetoposition einzelner Mitgliedstaaten aufhalten zu lassen.42 Ein zweiter Beweggrund scheint daneben jedoch im Hinblick auf die Zulässigkeitsfrage interner Übereinkommen bedeutsamer: So strebten die Mitgliedstaaten es gerade an, eine technische Möglichkeit für sogenannte differenzierte Integration (i. e. ein Integrationsmodell, an dem gerade nicht alle Mitgliedstaaten partizipieren43), in einem vom Unionsrecht vorgegebenen Rahmen zu schaffen, um mittels unionaler Kernvorgaben zumindest etwas Vorhersehbarkeit bei derlei flexiblen Integrationsschritten zu gewährleisten. Wie Thym herausarbeitet, mag für einzelne Mitgliedstaaten dabei zwar ein jeweils anderes Motiv entscheidend 38

Thym, Ungleichzeitigkeit, 2004, S. 297; Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 262. Siehe von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 515. 40 Überblick der Entstehungsgeschichte bei Weickert, Die „verstärkte Zusammenarbeit“ als Institut des Unionsrechts, 2007, S. 8 ff. 41 Allerdings zeigen Äußerungen aus den 1970er-Jahren, dass europäischen Entscheidungsträgern dieses Problem schon früh auffiel. Exemplarisch und im Übrigen in Bezug auf die gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik, Leo Tindemans, in: Bulletin of the European Communities, Supplement 1/76, abrufbar unter http://aei.pitt.edu/942/1/political_tindemans_ report.pdf, S. 20; vgl. Martenczuk, in: ZEuS 1998, S. 447, 448 f. 42 Helmut Kohl und Jacques Chirac machten diesen Gedanken in einem gemeinsamen Brief (der sogenannte „Lettre de Baden-Baden“) an den Vorsitzenden des Europäischen Rats schon im Jahr 1995 plastisch: „Dans une Union élargie, nous voulons que tous les États membres puissent participer de la même façon aux progress de la construction européenne. Mais les difficultés momentanées de l’un des partenaires à suivre la marche en avant ne devraeint pas faire obstacle à la capacité d’action et de progrès de l’Union.“; diese Passage zitiert auch Thym, Ungleichzeitigkeit, 2004, S. 43 und nach Favret, in: CDE 1997, S. 555, 596 f.; Brief abgedruckt in: Internationale Politik 1996, Nr. 8, S. 80 f.; siehe auch Grieser, Flexible Integration in der Europäischen Union, 2003, S. 58; vgl. zudem Kortenberg, in: CMLR 1998, S. 833, 844 f. 43 Grundlegend dazu Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 21 ff., der selbst aber synonym von „Ungleichzeitigkeit“ spricht. 39

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

gewesen sein.44 Einig waren sich die Mitgliedstaaten des Vertrags von Amsterdam aber darin, ein gewisses Maß an Kontrolle über den andernfalls eher diffusen Prozess der differenzierten Integration wahren zu wollen. Möchten die Mitgliedstaaten im Sinne der Unionsverträge eine Verstärkte Zusammenarbeit begründen, so sind sie an spezifische formelle Voraussetzungen des Primärrechts gebunden: Chronologisch stets am Anfang steht die Initiierung des Verfahrens, die nur die Kommission, der Rat – als solcher, und somit nicht nur die später an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten über ihre jeweiligen Vertreter im Rat einzeln45 – und das Europäische Parlament gemeinsam nach Art. 329 Abs. 1 AEUV bewirken können. Ausnahmsweise tritt an die Stelle dieses Dreigespanns der Rat nach Art. 329 Abs. 2 AEUV alleine, sollte es sich um eine geplante Maßnahme aus dem Bereich der GASP handeln. Außerdem müssen sich in jedem Fall mindestens neun Mitgliedstaaten gefunden haben, die zusammen dann eine Verstärkte Zusammenarbeit begründen können (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EUV). Darüber hinaus muss die im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit begründete Politik zu jedem Zeitpunkt auch allen bis dahin unbeteiligten Mitgliedstaaten offenstehen (Art. 328 Abs. 1 AEUV und Art. 331 AEUV). Der Gedanke liegt nahe, in der Existenz der Verstärkten Zusammenarbeit gleichsam negativ eine Entscheidung des europäischen Primärrechtsgebers zu sehen, keine anderen Formen differenzierter Integration, insbesondere keine völkerrechtlichen Verträge zwischen Mitgliedstaaten, zuzulassen.46 Andernfalls könnten die Regelungen in den Unionsverträgen, und dort nicht zuletzt die formellen Voraussetzungen, schlechterdings umgangen werden.47 Eine differenzierte Ansicht bringt Pernice ins Spiel: Er sieht die Mitgliedstaaten lediglich „politisch“, nicht aber rechtlich an die Regeln der Verstärkten Zusammenarbeit gebunden; so habe jedenfalls politisch Konsens dahingehend bestanden, dass die „Option einer verstärkten Zusammenarbeit außerhalb der Verträge“ nicht mehr bestehen solle.48 Jenseits dieser Differenzierung zwischen „politischer“ und rechtlicher Verbindlichkeit kamen Zweifel an der (rechtlichen) Sperrwirkungs-These schon deshalb auf, weil bereits der Wortlaut der Unionsverträge eine solche absolute Wirkung der

44

Thym, Ungleichzeitigkeit, 2004, S. 297; vgl. auch Derpa, Die verstärkte Zusammenarbeit im Recht der Europäischen Union, 2003, S. 133. 45 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Becker, 2015, Art. 329 AEUV Rn. 10; Calliess / Ruffert- Ruffert, 2016, Art. 330 AEUV Rn. 1. 46 So wohl V. Constantinesco, in: RTD eur. 1997, S. 751, 755; vgl. Hofmann, in: EuR 1999, S. 713, 727 f., der diese Ansicht aber ablehnt; vgl. auch Bender, in: ZaöRV 2001, S. 729, 765, der zumindest vor Gefahren der außervertraglichen intergouvernementalen Zusammenarbeit warnen möchte. 47 Vgl. von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 514. 48 Pernice, in: Welche Verfassung für Europa?, 2001, S. 19, 38; vgl. auch Schauer, Schengen – Maastricht – Amsterdam, 2000, S. 151, der intergouvernementale Zusammenarbeit innerhalb einer Gruppe von Mitgliedstaaten außerhalb der Unionsverträge jedenfalls als rechtfertigugnsbedürftig einordnet.

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Verstärkten Zusammenarbeit nicht tragen würde.49 Dieses Wortlaut-Argument50 gründet darauf, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 20 Abs. 1 EUV lediglich unter Anwendung Verstärkter Zusammenarbeit handeln „können“ (englisch: „may“, französisch: „peuvent“), und ihnen somit umgekehrt keine Verpflichtung auferlegt ist, gerade im primärrechtlich ausdifferenzierten Rahmen vorzugehen.51 Zwar mögen die Anhänger dieses Arguments übersehen, dass Art. 20 Abs. 1 EUV einzig die Option schaffen will, Unionsorgane im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit zu entleihen: „Die Mitgliedstaaten […] können […] die Organe der Union in Anspruch nehmen.“52 Sinnvollerweise lässt sich das Wortlaut-Argument daher bei der Frage der Organleihe im Rahmen völkerrechtlich-intergouvernementalen Vorgehens anbringen (siehe infra 3.d)). Auch lässt sich der Formulierung unter Verwendung des Worts „können“ letztlich nur die Erkenntnis entnehmen, dass die Mitgliedstaaten nicht flexibel integrieren müssen.53 Im Übrigen gilt aber gleichwohl, dass allein aus dem Wortlaut nicht gefolgert werden kann, dass die Verstärkte Zusammenarbeit die einzige Option für differenzierte Integration darstellt.54 Denn hätte die Einführung der Verstärkten Zusammenarbeit Formen intergouvernementaler Zusammenarbeit außerhalb der Unionsverträge unterbinden wollen, so hätte es auch einer ausdrücklichen Exklusivität bedurft.55 Dieser Auffassung entspricht schließlich auch die europäische Übereinkommens-​Praxis.56 Die Mitgliedstaaten greifen – wie man nicht nur am Beispiel der Eurokrisen-Rettung feststellen kann – noch immer auf das Instrument der internen Übereinkommen zurück. Offenbar besteht also fortwährender Bedarf, auch interne Übereinkommen im Sinne der europäischen Integrationspolitik einzusetzen. Wäre die Möglichkeit zum Abschluss interner Übereinkommen mangels ausdrück­licher Erlaubnis in den Unionsverträgen nunmehr gänzlich verschlossen, so hätten die Mitgliedstaaten in vielen Fällen praktisch keine Möglichkeit, gegebenenfalls nützliche Integrationsschritte zu gehen.57 Zurückzuführen wäre ein solcher Para 49

Siehe zuletzt auch Miglio, in: European Constitutional Law Review 2018, S. 475, 495. Zu den Auslegungsmethoden im Unionsrecht Pechstein / Drechsler, in: Europäische Methodenlehre, 2014, S. 125, 129 ff. 51 Hofmann, in EuR 1999, S. 713, 729; von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 514; ­Grabitz / Hilf / Nettesheim-Blanke, 66. EL 2019, Art. 20 EUV, Rn. 28; Schwarze et al.-Hatje, 2012, Art. 20 EUV Rn. 36. 52 Vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-Becker, 2015, Art. 20 EUV Rn. 33. 53 Auch Thym, Ungleichzeitigkeit, 2003, S. 306 ff., möchte das Wortlaut-Argument ablehnen, weil er ihm keinen allgemeinen Aussagegehalt über die Anwendung der Verstärkten Zusammenarbeit hinaus zubilligt; vgl. auch Bender, in: ZaöRV 2001, S. 729, 765, der von einem alternativen Verhältnis ausgeht. 54 Siehe bereits Kellerbauer, Von Maastricht bis Nizza, 2003, S. 254 f. 55 A. A., aber im Ergebnis auch gegen eine aus der Existenz der Verstärkten Zusammenarbeit folgende Unzulässigkeit interner Übereinkommen, Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 263 ff. 56 Von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 514; Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 258. 57 Vgl. de Witte, in: International Law as Law of the European Union, 2012, S. 133 f. und 143 ff. 50

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

lyse-Zustand insbesondere auf die formellen Voraussetzungen, die das Regime der Verstärkten Zusammenarbeit beinhaltet. Versteht man sie als mindeste Hürde eines jeden Integrationsschritts, so haben sie das Potenzial, Integrationsschritte zu verhindern. Zwar sollen die Voraussetzungen dem Zweck dienen, die Verstärkte Zusammenarbeit möglichst unionsrechtsförmig auszugestalten; doch ist dies kein Selbstzweck. Die Regeln möchten schließlich erreichen, dass so viele Mitgliedstaaten wie möglich, so schnell wie möglich an einer Verstärkten Zusammenarbeit partizipieren, wie insbesondere Art. 328 AEUV erkennen lässt.58 So gesehen ist auch eine Verstärkte Zusammenarbeit nur eine „Übergangslösung“ auf dem Weg zu einer unionsförmigen Regelung in Gestalt von Sekundär- oder auch Primärrecht. Gerade deshalb können die Regelungen teleologisch nicht so verstanden werden, als wollten sie mögliche Integrationsschritte bereits im Ursprung verhindern, sollten diese die formellen Hürden der primärrechtlichen Verstärkten Zusammenarbeit nicht überwinden können. d) Mitgliedstaatliche Souveränitätsresiduen Das entscheidende Argument ist schließlich sowohl im Kontext der ehemals im Primärrecht enthaltenen Befugnistatbestände wie auch im Falle der Verstärkten Zusammenarbeit dasselbe: Allein der Existenz anderer im Primärrecht vorgesehener Instrumente kann kein Verbot völkervertraglich-intergouvernementalen Vorgehens entnommen werden – auch nicht im Falle von Regelungsbereichen, die im Primärrecht genannt werden oder Zielen der Union entsprechen; ein solcher Eingriff in die völkerrechtliche Vertragsautonomie wäre derart absolut, dass er auch im heutigen, weitreichend integrierten Unionsrechtssystem, das über viele eigene Instrumente der Rechtsetzung verfügt, ausdrücklich angeordnet sein müsste.59 Der zentrale Aspekt ist, dass bei Verkennung der völkerrechtlichen Vertragsautonomie eine Inversion der Kompetenzverteilung zwischen EU (früher EG) und den Mitgliedstaaten stattfindet, durch die man letzteren den Weg mittels intergouvernementaler Übereinkommen tätig zu werden in unzulässiger Weise abschneiden würde. So ist das dargestellte argumentum e contrario (supra b) und c)) fehlgehend: Eine (selbst herbeigeführte)  Souveränitätsbeschneidung dergestalt, dass innerhalb der Ziele der Union die Mitgliedstaaten untereinander nur noch dann handeln dürfen, wenn eine ausdrückliche Befugnisnorm existiert, verkennt den lediglich partiellen Charakter der Hoheitsrechte- und Kompetenzübertragung der Mitgliedstaaten an die Union.60 Überall dort, wo den Mitgliedstaaten keine

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Ähnlich von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 514 f. De Witte, in: Constitutional Change in the EU, 2000, S. 31, 40; vgl. auch Thym, Ungleichzeitigkeit, 2003, S. 308; Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 258; im Ergebnis auch Grieser, Flexible Integration in der Europäischen Union, 2004, S. 170 ff. 60 Ähnlich und auf das Verhältnis zur Verstärkten Zusammenarbeit bezogen Hofmann, in: EuR 2009, S. 713, 728. 59

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Kompetenz mehr zukommen sollte, haben sie dies auch ausdrücklich benannt; das wohl augenfälligste Beispiel sind die ausschließlichen Zuständigkeiten der Union (Art. 3 AEUV). Gesetzt den Fall, die Mitgliedstaaten hätten ihre Souveränität so weit einschränken wollen, dass ihnen nur noch dann Regelungsbefugnis zukommt, wenn dies ausdrücklich erwähnt wird, so hätten sie gerade dies – also einen Ausschluss ihrer Regelungsbefugnis in allen anderen Fällen – explizit festgehalten.61 Dafür spricht auch, dass die Mitgliedstaaten sich andernfalls von sämtlichen Befugnissen entsagt hätten, ohne ihrer eventuellen zukünftigen Bedürftigkeit bereits gewahr gewesen zu sein. Im Übrigen muss in Anerkennung des Ziels einer immer engeren Union gelten, dass ein Vorgehen mittels intergouvernementaler Rechtsetzung „integrationsfreundlicher“ und damit zielführender i. S. d. Union ist als der Verzicht auf ein Tätigwerden wegen vorgeblich mangelnder Befugnis.62 Bis dahin aber bleibt es dabei, dass die Variante interner Übereinkommen im Einzelfall lediglich politisch abgelehnt werden kann, von den unbeteiligten Mitgliedstaaten rechtlich aber grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.63 e) Grenzen der Kompetenzordnung Zwischen den Begriffen der Zuständigkeit und der Kompetenz eines Rechtsträgers, ob Union oder Mitgliedstaaten, lässt sich sinnvollerweise nicht unterscheiden.64 Dieser Umstand ist schon textlich zu erklären: Während der deutsche AEUVText der Unionsverträge von „Zuständigkeit“ spricht, steht an entsprechender Stelle französisch „compétence“ und englisch „competence“. Mitgliedstaatliche Zuständigkeiten sind positiv nicht anhand der Unionsverträge festzustellen. Die Unionsverträge legen positiv lediglich die Zuständigkeiten der Union, die jeweilige Reichweite dieser Zuständigkeiten und die institutionelle, horizontale Zuständigkeit innerhalb der Unionsrechtsordnung fest. Aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung folgt indessen, dass dort, wo der Union positiv keine Zuständigkeit zukommt, gleichsam negativ die Mitgliedstaaten zuständig bleiben.65 Beinahe sämtliche Voraussetzungen, die die Literatur oder die Rechtsprechung an interne Überkommen stellen, sind im Kern auf Fragen nach der Kompetenzordnung zurückzuführen.

61

Siehe auch de Witte, in: Constitutional Change in the EU, 2001, S. 31, 40. Giegerich, Europäische Verfassung und deutsche Verfassung, 2003, S. 545. 63 Siehe auch de Witte, in: Constitutional Change in the EU, 2000, S. 31, 40; vgl. grundsätzlich von Bogdandy / Bast / Arndt, in: ZaöRV 2002, S. 77, 126; Thym, Ungleichzeitigkeit, 2004, S. 318 f.; vgl. auch die Gesamtdarstellung von Bast / Heesen, European Community, Supplementary Agreements between Member States, in: MPEPIL, 2011, insbesondere Rn. 17; von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 511 m. w. N.; Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 52; Dimopoulos, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 41, 47 f.; vgl. auch Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 153. 64 Ähnlich Nettesheim, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 389, 390; siehe auch Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 136 f. 65 Insgesamt Nettesheim, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 389, 398 ff. und 410 f. 62

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Zunächst gilt das selbstverständlich für die Frage, ob die Mitgliedstaaten überhaupt die in Rede stehenden internen Übereikommen abschließen durften, oder ob sie dadurch in unzulässiger Weise in eine Unionszuständigkeit eingriffen. Aber auch die innere Ausgestaltung der Übereinkommen ist letztlich an der Kompetenz­ordnung zu messen, da die Änderungsfestigkeit der primärrechtlichen Unionsrechtsordnung genauso auf eine kompetenzielle Frage zurückzuführen ist. aa) Ausschließliche Zuständigkeitsbereiche Die Mitgliedstaaten bleiben immer dort uneingeschränkt zuständig und befugt, gegebenenfalls auch das Instrument interner Übereinkommen auszuwählen, wo sie auf ihre Souveränitätsresiduen zurückgreifen können, und wo der Union demgegenüber gar keine Zuständigkeit zukommt. Andererseits: Im selben Maße, wie die Mitgliedstaaten der Union Hoheitsrechte übertragen haben  – und dadurch auf die Ausübung ihrer Souveränität insoweit freiwillig verzichten66 –, ist auch die völkerrechtliche Vertragsabschlussfähigkeit der Mitgliedstaaten beschränkt. Im Falle der einzelnen ausschließlichen Unionskompetenzen ist die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ganz ausgeschlossen.67 Explizit hat der EuGH die mitgliedstaatliche Zuständigkeit zwar nur in Fällen ausgeschlossen, denen Übereinkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten zugrundelagen. Allerdings kann im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander (genauso wie bei einzel-mitgliedstaatlicher Gesetzgebung) nichts anderes gelten;68 schließlich wirken in dieser Konstellation die europäischen Verträge (unmittelbar) für alle Vertragsparteien. Genauso wenig hat sich der EuGH bislang zur Frage geäußert, ob die Mitgliedstaaten ein gegen eine ausschließliche Zuständigkeit der Union verstoßendes Übereinkommen nachträglich beenden müssten; dies dürfte indes wegen des bloßen Anwendungsvorrangs69 des Unionsrechts im Kollissionsfall abzulehnen sein.70

66

Siehe erneut EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. C-26/62 („Van Gend en Loos“), ECLI:EU:C:1963:1, S. 25; sowie Urteil vom 15. Juli 1964, Rs. C-6/64 („Costa / E.N.E.L.“), ECLI:​EU:C:1964:66, S.  1269. 67 EuGH, Urteil vom 31. März 1971, Rs. 22/70 („AETR“), ECLI:EU:C:1971:32, S. 273 ff.; Gutachten vom 11. November 1975, 1/75 („Lokale Kosten“), ECLI:EU:C:1975:145; sowie Gutachten vom 4. Oktober 1979, 1/78 („Naturkautschuk“), ECLI:EU:C:1979:224. 68 Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 52 m. w. N. 69 Siehe dazu Calliess / Ruffert-Ruffert, 2016, Art. 1 AEUV Rn. 18; sowie Streinz-Streinz, 2018, Art. 4 EUV; jeweils m. w. N. 70 A. A. Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 51.

A. Unionsrechtmäßigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus 

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bb) Geteilte Zuständigkeitsbereiche Auch in Fällen von zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilten (sprich: konkurrierenden71) Zuständigkeiten ist sodann kein Grund ersichtlich, weshalb von der grundsätzlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 AEUV statuierten Vorschrift abzuweichen wäre, wonach die Mitgliedstaaten eine Zuständigkeit dann und insoweit wahrnehmen, wie die Union (noch) nicht tätig geworden ist oder nicht mehr tätig wird.72 Dass stattdessen etwa nur einzelne mitgliedstaatliche Regelungen eines Sachbereichs zulässig sein sollten, kann schon deshalb nicht überzeugen, weil jedenfalls eine unverbindliche Abstimmung zwischen einzelnen regelungswilligen Mitgliedstaaten vom Unionsrecht nicht unterbunden werden kann.73 Auf welche Weise, ob, und mit welchen gesetzgeberischen Instrumenten die Mitgliedstaaten aber tätig werden, soll ihnen nach der Konzeption der geteilten Zuständigkeiten gerade ebenso offenstehen, wie materielle Fragen einer spezifischen angestrebten Regelung  – auch insofern handelt es sich schließlich um ein Souveränitätsresiduum der Mitgliedstaaten. Dies gilt umso mehr, als die Union auch nachdem die Mitgliedstaaten (auf welche Weise auch immer) tätig geworden sind, nicht daran gehindert ist, ihrerseits die Zuständigkeit durch Erlass eines Unionsrechtsakts an sich zu ziehen, welcher dann (anwendungs-)vorrangig gegenüber dem mitgliedstaatlichen wirkt.74 cc) Sonderfall Koordinierungskompetenz für die Wirtschaftspolitik? „Die Mitgliedstaaten koordinieren ihre Wirtschaftspolitik innerhalb der Union“ – so sieht es Art. 5 Abs. 1 Satz 1 AEUV vor. Mit dieser strukturellen Entscheidung des europäischen Primärrechtsgebers geht einher, dass anders als im Bereich der supranationalen Währungspolitik, die Mitgliedstaaten weitgehend ihre Hoheitsrechte zur Gestaltung von Wirtschaftspolitik behalten haben.75 Zwar findet in den Katalogen von Art. 3 AEUV (ausschließliche Zuständigkeiten) sowie Art. 4 AEUV (geteilte Zuständigkeiten) die Wirtschaftspolitik anders als die Währungspolitik (folgerichtig) auch keine ausdrückliche Erwähnung.76 Immerhin sind der Union aber doch gewisse Zuständigkeiten im Bereich der Wirtschaftspolitik übertra-

71

Siehe dazu Bauerschmidt, in: EuR 2014, S. 277, 285 ff. Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 52. 73 Siehe bereits Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 304 f. 74 Siehe dazu von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, 2015, Art. 2 AEUV Rn. 29; sowie Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 52. 75 Siehe dazu supra Zweiter Teil, B. II.; siehe dazu auch Herrmann, in: Herausforderungen und Perspektiven der EU, 2012, S. 51, 60; sowie W. Cremer, in: EuR 2016, S. 256, 265. 76 Indes gilt es freilich zu berücksichtigen, dass die Kompetenzkataloge selbst keinen Anspruch haben, den Inhalt der einzelnen Kompetenzkategorien festzulegen (Art. 2 Abs. 6 AEUV); siehe dazu Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 2 AEUV Rn. 1. 72

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

gen,77 weshalb der Auffangtatbestand des Art. 4 Abs. 1 AEUV greifen könnte, der in solchen Fällen regelmäßig von einer geteilten Zuständigkeit ausgeht.78 Die Einordnung als geteilte Zuständigkeit ließe sich sodann mit Verweis auf Art. 2 Abs. 3 AEUV stützen, welcher festhält, dass zwar die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik (selbst) koordinieren, „die Union“ aber für „die Festlegung von Rahmenregeln zuständig“ ist, wie bspw. im Fall des SWP bzw. des Sixpacks geschehen. Einer solchen Zuordnung widerspricht aber, dass die Mitgliedstaaten – anders als in anderen Fällen geteilter Zuständigkeiten – weitgehend für ihre eigene, koordinierte Wirtschaftspolitik zuständig bleiben.79 Die Mitgliedstaaten – und zugleich der maßgebliche Primärrechtsgeber – möchten sich ihrer wirtschaftspolitischen Befugnisse nicht entäußern. Vielmehr zeigt ein systematischer Blick, dass die wirtschaftspolitische Koordinierung in Art. 2 Abs. 3 AEUV bewusst von den geteilten Zuständigkeiten in Art. 2 Abs. 2 AEUV abgesondert wurde; deshalb überzeugt, wenn ausgehend von der stark mitgliedstaatlich geprägten Ausgestaltung vertreten wird, es handle sich im Fall der Koordinierung der Wirtschaftspolitik um eine Kompetenzkategorie eigener Art.80 Zuzustimmen ist folglich auch der von Braams formulierten Konsequenz, wonach im Fall der wirtschaftspolitischen Koordinierung die Maßnahmen der Union keine Sperrwirkung i. S. v. Art. 2 Abs. 2 AEUV entfalten;81 stattdessen bleibt es bei einer reinen Vorrangwirkung.82 2. Spezialität des Unionsrechts Könnten indes die Mitgliedstaaten – sofern ihnen eine Regelungszuständigkeit der Sache nach verblieben ist  – umgekehrt uneingeschränkt völkerrechtliche Verträge untereinander schließen, so wäre die bestehende Unionsrechtsordnung einem enormen Stabilitätsrisiko ausgesetzt.83 Um dieses Risiko einzuhegen, haben

77

Siehe dazu ebenfalls supra Zweiter Teil, B. II. Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Nettesheim, 66. EL 2019, Art. 2 AEUV Rn. 42; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, 2015, Art. 5 AEUV Rn. 5. 79 Dazu Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 154, 175; sowie Hufeld, in: EnzEuR, Bd. 4, 2014, § 22, Rn. 20: „Koordinierung, die kategorial mitgliedstaatliche Kompetenzinhaberschaft voraussetzt“. 80 Braams, in: Der Vertrag von Lissabon: Reform der EU ohne Verfassung?, 2008, S. 115, 128; dies., Koordinierung als Kompetenzkategorie, 2013, S. 131; so wohl auch Vedder / ​ ­Heintschel von Heinegg-Vedder, 2018, Art. 5 AEUV Rn. 2; sowie Streinz-Streinz, 2018, Art. 5 AEUV Rn. 2; unklar indes Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 5 AEUV Rn. 3; siehe aber auch Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 5 AEUV Rn. 10. 81 Braams, in: Der Vertrag von Lissabon: Reform der EU ohne Verfassung?, 2008, S. 115, 131; sowie dies., Koordinierung als Kompetenzkategorie, 2013, S. 238; die Sperrwirkung auf den Anwendungsvorrang beschränken möchte indes auch von der Groeben / Schwarze / ​ ­Hatje-Obwexer, 2015, Art. 5 AEUV Rn. 5. 82 Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 5 AEUV Rn. 10. 83 Siehe dazu die von Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 199 ff., aufgezeigten Konflikte. 78

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die „Herren der Verträge“ der Unionsrechtsordnung Sicherheitsvorkehrungen eingebaut. a) Völkerrechtliche Beschneidbarkeit der Vertragsautonomie Das allgemeine Völkerrecht ist sich der Gefahr konfliktreicher Überschneidungen mehrerer völkerrechtlicher Verträge bewusst.84 Es überrascht nicht, dass Konflikte auch im Zusammenhang mit den Gründungsverträgen internationaler Organisationen (oder den Unionsverträgen) entstehen können; in solchen Fällen handelt es sich dann regelmäßig um Kompetenzkonflikte.85 Zwar gibt es auch im Völkervertragsrecht den zentralen Normenkollisionsgrundsatz „lex posterior derogat legi priori“; allerdings schränkt das allgemeine Völkerrecht diese Regel ein, indem für die Änderung eines vorhergehenden Vertrags (also eine lex prior) allen an diesem Vertrag beteiligten Parteien spezifische Rechte zukommen, um das Risiko einer Änderung durch die Schaffung von legi posteriori einzuhegen. Diese Regeln finden sich in Art. 39 ff. WVK wieder. Daneben gilt stets, dass auch lex prior selbst spezifische Regeln beinhalten kann, welche die Möglichkeit nachfolgender Vertragsänderungen einschränken und die Nichtbefolgung dieser Beschränkungen gegebenenfalls sanktioniert (Art. 40 Abs. 1 Halbsatz 1 WVK). Dass auch internationale Organisationen  – und deshalb auch die EU als hochentwickelte internationale Organisationsform86 – änderungsfest ausgestaltet sein können, ordnet Art. 5 WVK gleich in zweifacher Hinsicht an: Zum einen erklärt er die vorstehend genannten Regeln als Bestandteil des WVK auch im Falle von Gründungsurkunden internationaler Organisationen für anwendbar; zum anderen gilt auch für jene Gründungsstatuten allgemein, dass sie abweichende, strengere Regeln beinhalten können, und gleichsam änderungsfester ausgestaltet sein können als vom WVK als „Default“-Regeln vorgesehen. b) Änderungsfestigkeit der Unionsrechtsordnung Eine entsprechende lex specialis enthält Art. 48 EUV,87 der (spezifische) Verfahrensvorschriften zur Änderung der Unionsverträge festlegt. Die dort vorge­sehenen Verfahren (ordentliches Änderungsverfahren und vereinfachtes Änderungsverfahren) verdrängen folglich die legi generali der Art. 39 ff. WVK und gehen über die dort genannten, weniger strengen Vorschriften für eine Änderung von völkerrecht 84 Überblick dazu bei Matz, Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge, 2005, S. 8 ff. 85 Vgl. Matz, Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge, 2005, S. 20 ff. 86 Vgl. Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 48; vgl. auch Geiger, Die völkerrechtliche Beschränkung der Vertragsschlußfähigkeit von Staaten, 1979; S. 166 f. 87 Zum Hintergrund einer Durchbrechung des Grundsatzes „lex posterior“ vgl. Sichert, Grenzen der Revision des Primärrechts, 2005, S. 128 und S. 317 ff.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

lichen Verträgen hinaus.88 Die Fähigkeit der Mitgliedstaaten, also das rechtliche „Können“, Verträge entgegen Art. 48 EUV zu schließen, ist zwar nicht absolut beeinträchtigt,89 allerdings unionsrechtswidrig.90 aa) Reichweite Schon 1976 hat der EuGH in der Rs. „Defrenne“ über die Verbindlichkeit der spezifischen Verfahrensvorschriften in Art. 48 EUV (damals Art. 236 EWGVertrag) geurteilt. Er kam zu dem Schluss, dass der im speziellen Fall in Rede stehende Grundsatz gleichen Entgelts für Mann und Frau in Art. 119 EWG-Vertrag (heute in Art. 157 AEUV) – „vorbehaltlich etwaiger Sondervorschriften – nur im Wege des Änderungsverfahrens nach [Art. 48 EUV]“ geändert werden könne.91 Die verfahrensgegenständliche Entschließung der Mitgliedstaaten genügte diesem Verfahren nach Ansicht des EuGH indes nicht. Die darin enthaltene Verzögerung des eigentlich in Art. 119 EWG-Vertrag angeordneten Beginns des „Equal-payPrinzips“ konnte das Recht des EWG-Vertrags folglich nicht verdrängen; die Mitgliedstaaten durften sich ohne Verstoß gegen Unionsrecht nicht auf die Verzögerung berufen. Die Verbindlichkeit der Verfahrensvorschriften lässt sich am besten mit der spezifischen, ausbalancierten Systematik im heutigen Art. 48 EUV erklären.92 Im Rahmen dieser Systematik sollen nicht nur die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ zum Zug kommen; auch die Kommission, das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente verfügen über Beteiligungsrechte, derer sie nicht durch mitgliedstaatliche Willkür beraubt werden sollen.93 Art. 48 EUV greift dabei aber nicht nur bei Änderungen, die sich auf den wörtlichen Unionsvertragstext beziehen, also formal gerade die Worte des Textes verändern.94 Auch wenn neu geschaffenes Recht ohne den Text selbst zu verändern in „Recht und Organisation“95, oder die „Funktionsfähigkeit“96 der Unionsrechts 88

De Witte, in: International Law as Law of the European Union, 2012, S. 133, 137 ff. Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 49; Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 321. 90 Siehe EuGH, Gutachten vom 14. Dezember 1991, 1/91 („EWR I“) ECLI:EU:C:1991:490, Rn. 35, 71. 91 EuGH, Urteil vom 8. April 1976, Rs. 43/75 („Defrenne“), ECLI:EU:C:1976:56, Rn. 56/58. 92 Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 457; de Witte, in: International Law as Law of the European Union, 2012, S. 133, 137. 93 Vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meng, 2015, Art. 48 EUV Rn. 3; zurecht verweist Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 439 ff., aber auf das noch immer völkerrechtstypisch von Intergouvernementalität dominierte System der Vertrags­ änderung. 94 So aber wohl Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ohler, 66. EL 2019, Art. 48 EUV Rn. 21; und Calliess / Ruffert-Cremer, 2016, Art. 48 Rn. 1; so wie hier demgegenüber Sichert, Grenzen der Revision des Primärrechts der Europäischen Union, 2005, S. 131; und von der Groeben / ​ Schwarze / Hatje-Meng, 2015, Art. 48 EUV Rn. 4. 95 Vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meng, 2015, Art. 48 EUV Rn. 31. 96 Sichert, Grenzen der Revision des Primärrechts der Europäischen Union, 2005, S. 131. 89

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ordnung eingreift, lässt sich eine Prüfung anhand des Art. 48 EUV nicht umgehen. In seinem Gutachten zum EMRK-Beitritt machte auch der EuGH dieses über rein textuelle Änderungen hinausgehende Rechtsverständnis deutlich.97 Die Schwelle zur Änderung war dort deshalb überschritten, weil „die Einbindung der Gemeinschaft in ein völkerrechtliches, andersartiges institutionelles System […] grundlegende institutionelle Auswirkungen sowohl auf die Gemeinschaft als auch auf die Mitgliedstaaten hätte“98 – gemeint war damit wohl insbesondere, dass sich die Gemeinschaft künftig den Urteilen des EGMR hätte unterwerfen müssen. Anders ausgedrückt fordert Markus Sichert – wenngleich er sich zum Recht vor dem Vertrag von Lissabon äußert –, dass sich der Schutz des Art. 48 EUV auf sämtliche Veränderungen der Rechtslage, die ohne Einhaltung der Verfahrensvorschriften erfolgen, erstrecken müsse.99 Ganz in diesem Sinne äußerte sich der EuGH zuletzt auch in der Rs. „Achmea“, der ein streitiges bilaterales Investitionsabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei zugrundelag.100 Besonders eine Abkommens-Klausel, die sämtliche Investitionsstreitigkeiten zwischen einem Investor des einen und dem jeweils anderen Mitgliedstaat stets einer schiedsgerichtlichen Streitbeilegung zuführen sollte, motivierte das Vorabentscheidungsersuchen. Der EuGH führte sodann aus, dass „eine internationale Übereinkunft die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeitsordnung und damit die Autonomie der [Unionsrechtsordnung …] nicht beeinträchtigen“ dürfe.101 Dagegen sind jedoch bloße Ergänzungen, die über bestehende primärrechtlichen Regelungen hinausgehen, auch ohne Beachtung besonderer Verfahrensvorschriften grundsätzlich zulässig102 – wenngleich sie freilich nicht in gleichrangiges Unionsprimärrecht erwachsen, sollten die Vorgaben des Art. 48 EUV nicht erfüllt sein. Vertragsänderungen sind demgegenüber bei Nichtbeachtung der Regeln des Art. 48 EUV stets unionsrechtswidrig. bb) Justiziabilität Bei alledem kann der EuGH aber das materielle Recht eines Änderungsvertrags selbst keiner Prüfung unterziehen; stattdessen kann der Gerichtshof aber im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258 AEUV)103 feststellen, dass die jeweils vertragsschließenden Mitgliedstaaten gegen die Formvorschriften aus Art. 48 EUV verstoßen haben. Daneben ist von seinem Mandat nur noch die 97

Ein Verweis hierauf ist auch bei Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 321, enthalten. EuGH, Gutachten vom 28. März 1996, 2/94, ECLI:EU:C:1996:140, Rn. 34 f. 99 Sichert, Grenzen der Revision des Primärrechts der Europäischen Union, 2005, S. 131. 100 EuGH, Urteil vom 6. März 2018, Rs. C-284/16 („Achmea“), ECLI:EU:C:2018:158. 101 EuGH, „Achmea“ (supra Fn. 100), Rn. 32. 102 Deutlich gemacht auch bei von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meng, 2015, Art. 48 EUV Rn. 31. 103 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ohler, 66. EL 2019, Art. 48 EUV Rn. 26. 98

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Auslegung (Art. 19 Abs. 1 Uabs. 1 EUV und 267 Abs. 1 AEUV) und die Durchsetzung (Art. 258 und 260 AEUV), nicht aber die materielle Überprüfung, von (rechtswidrig zustande gekommenen) primärrechtlichen Regelungen umfasst.104 Die Nichtigkeitsklage mit ihrer Regelung in Art. 263 AEUV findet nur Anwendung auf die dort erwähnten Rechtsakte und damit weder auf das maßgeblich von Mitgliedstaaten gesetzte Primärrecht noch auf intergouvernementales Übereinkommensrecht105. Zu den auszulegenden und gegebenenfalls durchzusetzenden Regeln der Unionsverträge zählen demgegenüber aber gerade auch die formalen Vorgaben des Art. 48 EUV.106 Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) kann der EuGH somit mittelbar einen Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften feststellen. Genauso kann der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens aber auch zur Auslegung einer beliebigen anderen und auch materiellen Vorschrift des Unionsrechts befragt werden, die durch eine den Formvorschriften widersprechende und folglich unionsrechtswidrige Primärrechtsänderung nunmehr Aus­legungsschwierigkeiten verursacht. So gestaltete sich auch in der Rs. „Defrenne“ der dem Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegte Sachverhalt. Der EuGH prüfte hier zwar nicht – und sollte es auch gar nicht – das materielle Recht einer unionsrechtswidrigen Vertragsänderung. Allerdings beantwortete er die gleichsam vorgelagerten Fragen, ob eine hypothetische Vertragsänderung vorlag und ob diese sodann den Formerfordernissen der Unionsverträge an eine solche Primärrechtsänderung entsprochen hat. Auch in der Rs. „Pringle“ lag dem EuGH neben anderen Fragen der Problemkreis zur Entscheidung vor, ob diverses bestehendes Unionsrecht so auszulegen sei, dass das neu geschaffene Recht in Gestalt des ESM-Vertrags damit nicht mehr zu vereinbaren wäre. Folglich sind intergouvernementale Übereinkommen zunächst stets daraufhin zu untersuchen, ob sie das Primärrecht ändern. Sollte dies zu bejahen sein, und sind die Verfahrensvorschriften des Art. 48 EUV nicht eingehalten, wie bspw. schon die erforderliche Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten nicht berücksichtigt,107 sind die entsprechenden Übereinkommen dann zwar nicht nichtig. Allerdings werden sie hinsichtlich ihrer Anwendung von den unionsrechtlichen Konkurrenzbestimmungen verdrängt (Anwendungsvorrang des Unionsrechts); sie sind insofern ohne Wirkung.108 Wenden beteiligte Vertragsstaaten solcherlei eigentlich verdrängtes Recht dennoch an, handeln sie „(unions-)vertragsverletzend“.

104 Schwarze et al.-Herrnfeld, 2012, Art. 48 EUV Rn. 16; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Ohler, 66. EL 2019, Art. 48 EUV Rn. 27. 105 Siehe dazu EuGH, Urteil vom 5. Mai 2015, Rs. C-146/13 (Spanien / Europäisches Parament und Rat der Europäischen Union), ECLI:EU:C:2015:298, Rn. 101. 106 Streinz, in: European Legal Methodology, 2017, S. 151, 157. 107 Hierauf verweist auch Häde, in: EuZW 1996, S. 138, 142. 108 Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 321.

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3. Konturierung der unionsrechtlichen Übereinkommensdogmatik durch die Entscheidung „Pringle“ Das intergouvernementale Vorgehen der Mitgliedstaaten in der Eurokrise hat (trotz oder wegen der vorgenannten Dogmatik – in jedem Fall aber wohl wegen der politischen Sensibilität finanzpolitischer Fragen) handfesten Streit aus­gelöst.109 Zum einen verursachte das Vorgehen in einzelnen Übereinkommens-Mitgliedstaaten Rechtsstreit, der sich bisweilen bis vor die Verfassungsgerichtsbarkeit bewegte.110 Am europaweit prominentesten wurde der Streit aber im Fall des ESM und in der Rs. „Thomas Pringle gegen Irland“ (oder kurz: „Pringle“) ausgetragen, die bereits 2012, kaum war der ESM am 27. September in Kraft getreten, vom EuGH entschieden werden musste. Man tut gut daran, sich aus heutiger Sicht in Erinnerung zu rufen, welcher enorme Druck damals auf dem Plenum des Gerichtshofs gelastet haben muss. Allein schon anhand seines Volumens von insgesamt mehr als 700 Milliarden Euro, einer Größe, die den EU-Haushalt um ein Vielfaches übertrifft, lässt sich die ökonomische und politische Wichtigkeit des ESM erkennen. Bezeichnenderweise entschied das Plenum des EuGH im Zuge des beschleunigten Verfahrens nach Art. 23a EuGH-Satzung und Art. 105 EuGH-VerfO, weil „die Art der Rechtssache ihre rasche Entscheidung erforderte“ (Art. 105 Abs. 1 EuGH-VerfO). Erst recht lässt sich die Drucksituation nachempfinden, wenn man sich vergegenwärtigt, dass 2012 die Eurokrise noch keineswegs ausgestanden war (immerhin gewährte der ESM die ersten Mittel aus einem Hilfsprogramm erst ab Dezember 2012 an Spanien; andere Hilfsprogramme wurden zuvor bilateral oder von der EFSF geschultert). Nicht nur verdeutlicht der ESM insofern das Ausmaß der Eurokrise, sondern vielmehr noch die gravierenden architektonischen Fehler der WWU.111 Der Verlauf der Wirtschaftsgeschichte wäre sicherlich ein anderer gewesen – möglicherweise mit Auswirkungen nicht nur auf die gemeinsame Währung, sondern darüber hinaus auch für das übrige europäische Integrationsprojekt –, wäre der ESM seinerzeit als unionsrechtswidrig eingestuft worden; nicht von ungefähr findet sich in der Rezeption der politischen Vorgänge im Europäischen Rat im Zusammenhang mit der Potenz des ESM das

109 Ablesbar auch an der Zahl der allein in Deutschland hierzu erschienenen rechtswissenschaftlichen Dissertationen, die sich vornehmlich mit der Eurorettungspolitik befassen, und dabei hauptsächlich die Unionsrechts-, oder die deutsche Verfassungsmäßigkeit der Finanzhilfen im Blick haben: zur Frage der deutschen Verfassungsmäßigkeit der Finanzhilfen zuletzt Röger, Finanzhilfemechanismen für die Eurozone, 2018; zur Frage der Unionsrechtmäßigkeit der Finanzhilfen Henseler, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion in der Krise, 2014; sowie Nitze, Finanzhilfen für Euro-Staaten in der Krise, 2015; allgemein zur Umgestaltung der WWU und deren Unionsrechtmäßigkeit Grimm, Zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion nach der Krise, 2016. 110 Siehe in Deutschland die Entscheidungen des BVerfG, Urteil vom 19. Juni 2012, 2 BvE 4/11; und Urteil vom 18. März 2014, 2 BvR 1390/12 et al. 111 Vgl. die knappe Analyse Nettesheims, in: NJW 2013, S. 14.

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geflügelte Wort David Camerons, der von der Notwendigkeit einer „big bazooka“ sprach.112 Im Fall „Pringle“ lag dem höchsten europäischen Gericht somit zum ersten Mal ein Gegenstand der Eurokrisen-Rettung vor. Angesichts der Häufigkeit der intergouvernementalen Methode handelte es sich wohl nicht ganz zufällig zugleich um einen Beispielsfall dieses Phänomens, der den Stein des Anstoßes bildete. Das vorlegende Gericht aus Irland, der irische Supreme Court, befasste den EuGH indes im Angesicht der Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 1 lit. a) AEUV nicht eigentlich mit der Frage, ob der ESM-Vertrag rechtsgültig sei113 – er hätte eine solche Frage aufgrund der völkerrechtlichen Natur des ESM-Vertrags auch gar nicht stellen können. Stattdessen befragte das irische Gericht den EuGH, wie denn verschiedene primärrechtliche Bestimmungen gleichsam „im Lichte“ des ESM auszulegen seien, um anschließend selbst die Frage beantworten zu können, ob Irland durch „Ratifikation, Genehmigung oder Annahme“114 des ESM-Vertrags unionsrechtswidrig gehandelt hatte.115 In der Vorlagefrage des irischen Supreme Courts kam dieser Auftrag an den EuGH wie folgt zum Ausdruck: „Ist ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, dessen Währung der Euro ist, im Hinblick auf […] berechtigt, eine internationale Übereinkunft wie den ESM-Vertrag abzuschließen und zu ratifizieren?“116 Auch wenn der EuGH vor dem Hintergrund dieses Auftrags und seines Mandats sodann deutlich machte, dass er die Rechtmäßigkeit des ESM als solche nicht zu bewerten habe (exemplarisch: „Hierzu genügt die Feststellung, dass [… die Vorlagefrage …] die Auslegung verschiedener Bestimmungen des Unionsrechts betrifft und nicht die Auslegung von Bestimmungen des ESM-Vertrags“117), äußerte er sich an vielen Stellen dennoch ausdrücklich zum Kontext des ESM (wiederum exemplarisch: „Unter diesen Umständen ist auf [… die Vorlagefrage …] zu antworten, dass die […] dem nicht entgegenstehen, dass die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, eine Übereinkunft wie den ESM-Vertrag abschließen und ratifizieren.“118); die Ausgestaltung des ESM bildete somit nicht nur den Anlass der Auslegung, sondern floss auch in den Auslegungsvorgang und das -ergebnis ein. Der EuGH musste schließlich in vielfacher Hinsicht zum Verhältnis zwischen Primärrecht und ESM-Vertrag Stellung beziehen, um insgesamt mehr Licht ins bisweilen unklare Dunkel des Spielraums völkerrechtlich-intergouvernemen­talen 112 Anders als eine Bazooka, ein Raketenwerfer, der größtmögliche Zerstörung anrichten soll, ging es Cameron um größtmögliche finanzielle „Feuerkraft“ zur Erhaltung der WWU, siehe Parker / Barber, in: FT 9. Oktober 2011. 113 EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 77 ff. 114 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 2. 115 Vgl. EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 90. 116 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 28. 117 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 79. 118 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 182 (Hervorhebungen nicht im Original enthalten).

A. Unionsrechtmäßigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus 

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Tätigwerdens außerhalb des Unionsrechts zu bringen. Ausgehend von dem Grundsatz, dass gemeinsames mitgliedstaatliches Tätigwerden auch außerhalb des Unionsrechts zulässig ist, Unionsrecht aber stets beachtet werden muss (und insbesondere das Unionsrecht nicht geändert werden kann),119 konturierte der Gerichtshof Spezifika dieses besonderen Verhältnisses. Die Erkenntnisse des Gerichtshofs haben das Potential, als Zulässigkeits-Schablone auch in den übrigen Fällen intergouvernementalen Vorgehens bei der Eurokrisen-Rettung, dem Fiskalvertrag und dem Abwicklungsfonds, zu dienen. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich dabei auf solche Konturen der Übereinkommensdogmatik, die abstraktionsfähig sind und dadurch gleichsam Bedeutung für die übrigen Übereinkommen entfalten können. Daher kommt im Rahmen der nachgehenden Untersuchung insbesondere der Auslegung von Art. 125 („No bail-out“/Nichtbeistandsklausel) sowie Art. 122 und Art. 123 AEUV keine Bedeutung zu. Die Frage der Vereinbarkeit des ESM mit dem Grundsatz „No bailout“ darf – sowohl vor als auch nach „Pringle“ – als die am meisten diskutierte bezeichnet werden. Zwar musste der EuGH schwerwiegende Kritik für seine Rechtsauffassung einstecken,120 die den ESM vornehmlich wegen seiner Fähigkeit, einen (finanz-)hilfsbedürftigen Mitgliedstaat trotz der Gewährung von Finanzhilfen „zu einer soliden Haushaltspolitik zu bewegen“,121 in diesem Punkt für unionsrechtskonform erachtete. Spätestens mit Wirksamwerden von Art. 136 Abs. 3 AEUV, der schließlich normenhierarchisch auf derselben Stufe wie Art. 125 AEUV steht, dürften die rechtlichen Zweifel am ESM im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem „No bail-out“-Prinzip indes nicht mehr durchschlagend sein.122

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EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 69; mit Verweis auf Urteil vom 15. Januar 2002, Rs. C-55/00 („Gottardo“), ECLI:EU:C:2002:16, Rn. 32; vgl. allgemein zum Primat des Unionsrechts im Verhältnis zu völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten inter se de Witte, in: Constitutional Change in the EU, 2000, S. 45 ff.; siehe auch ausführlich Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 207 ff.; siehe auch supra 2.b). 120 Monographisch Nitze, Finanzhilfen für Euro-Staaten in der Krise, 2015, S. 60 ff.; sowie Grimm, Zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion nach der Krise, 2016, S. 66 ff.; siehe auch Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 15 f.; siehe dagegen die Zustimmung bei Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 269 ff. 121 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 137. 122 Vgl. Calliess, in: VVDStRL 2012, S. 113, 156; Hufeld, in: EnzEuR, 2014, § 22 Rn. 108; ders., in: FS Müller-Graff, 2015, S. 726, 729, 732; Keller, Vorgaben föderaler Ordnungen, 2014, S. 220; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 12. September 2012, 2 BvE 6/12 et al., Rn. 128 f.; Nitze, Finanzhilfen für Euro-Staaten in der Krise, 2015, S. 140; Grimm, Zur Reform der Wirtschaftsund Währungsunion nach der Krise, 2016, S. 95; vgl. auch Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, S. 187.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

a) Legitimatorische Wirkung des neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV Auslegungsfragen im Zusammenhang mit dem ESM-Vertrag waren indes nur ein Teil des vom irischen Supreme Court vorgelegten Fragenkatalogs; ein anderer Teil befasste sich mit dem Ratsbeschluss 2011/199, der nach Maßgabe des Art. 48 Abs. 6 EUV auf die Einführung des Art. 136 Abs. 3 AEUV abzielte, welcher später so auch Eingang in das Primärrecht fand. Diese Primärrechtsergänzung diente dem Zweck, die intergouvernemental-völkerrechtliche Vorgehensweise bei Einrichtung des ESM und dessen Wirkung als Finanzhilfefazilität zu legitimieren.123 Daran ändert auch der Umstand nichts, dass viele Stimmen124 in der Einfügung des Art. 136 Abs. 3 AEUV im Jahr 2011 hauptsächlich eine – insofern notwendige – Bestimmung sehen, um das „Bail-out“-Verbot aus Art. 125 AEUV außervertraglich nicht zu belasten125. Im Gegenteil: Wenn Art. 136 Abs. 3 AEUV im Übrigen126 lediglich deklaratorische Wirkung entfalten soll, so verdeutlicht seine Einfügung – anders gewendet – nur eine den Mitgliedstaaten ohnehin zustehende sachliche Regelungsbefugnis. Für diese Ansicht spricht, dass der Primärrechtsgeber Art. 136 Abs. 3 AEUV im vereinfachten Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV einführte. Im Rahmen dieses Verfahrens sind dem Primärrechtsgeber ausdrücklich nur Änderungen des Dritten Teils des AEUV über die internen Politiken und Maßnahmen der Union (Art. 26 ff.) gestattet. Insbesondere kann er im Rahmen dieses Verfahrens also nicht die sachlichen Kompetenzregelungen in den Art. 2 ff. AEUV ändern und der Union auf diese Weise Zuständigkeiten nehmen – für solche Vorhaben muss der Primärrechtsgeber das ordentliche Änderungsverfahren anwenden.127 Freilich ist allein durch die Wahl der Rechtsgrundlage noch keine absolute Aussage über die Rechtslage getroffen. Schließlich obliegt die Auslegung der unionsvertraglichen Regeln nicht dem Primärrechtsgeber. Dabei gilt es zu beachten, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Rs. „Pringle“ die Änderung in Art. 136 Abs. 3 AEUV anders als der ESM selbst noch nicht wirksam geworden war (dies erfolgte erst am 1. Mai 2013128); diese zeitliche Abfolge erklärt, warum bei den Vorabentscheidungsfragen rund um den ESM-Vertrag der EuGH auf die Bedeutung des Art. 136 Abs. 3 AEUV nicht mehr zu sprechen kam. Stattdessen beantwortete der EuGH aber eine dritte Vorlagefrage, die just das Verhältnis zwischen dem im Entstehen begriffenen Art. 136 Abs. 3 123

Siehe dazu Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 64 f. Rathke, in: DÖV 2011, S. 753, 756, 758. 125 So auch Nitze, Finanzhilfen für Euro-Staaten in der Krise, 2015, S. 130 f. m. w. N. 126 Allerdings scheint prominentester Weise die Bunderegierung die bloß deklaratorische Natur des Art. 136 Abs. 3 AEUV auch auf die Beziehung zu Art. 125 AEUV auszuweiten, wie das Vorbringen in BVerfG, Urteil vom 19. Juni 2012, 2 BvE 4/11, Rn. 59, zeigt. 127 Vgl. Grimm, Zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, 2016, S. 61 f.; vgl. Calliess / ​Ruffert-Cremer, Art. 48 EUV, 2016, Rn. 11. 128 Vgl. Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 136 AEUV Rn. 9; vgl. auch von der Groeben / ​ Schwarze / Hatje-Smulders / Keppenne, 2015, Art. 136 AEUV Rn. 12. 124

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AEUV und dem ESM-Vertrag erklärt wissen wollte. In aller Knappheit führte der EuGH aus, dass Art. 136 Abs. 3 AEUV lediglich die mitgliedstaatliche Zuständigkeit „bestätige“;129 „daher [sei] das Recht eines Mitgliedstaats, den ESM-Vertrag abzuschließen und zu ratifizieren, nicht vom Inkrafttreten des Beschlusses 2011/199 abhängig“. Die Funktion von Art. 136 Abs. 3 AEUV ist folglich eine lediglich deklaratorische;130 für die Konturierung der unionsrechtlichen Übereinkommensdogmatik spielt weder der Ratsbeschluss 2011/199 noch Art. 136 Abs. 3 AEUV eine Rolle. b) Zuständigkeiten und Übereinkommensautonomie in der WWU Der ESM ist ein Instrumentenbündel, welches Mitgliedstaaten, die an Refinan­ zierungsschwierigkeiten leiden, Unterstützung zur Wiederherstellung ihrer finanziellen Eigenständigkeit bietet; sämtliche Instrumente basieren dabei auf dem Konzept von „Finanzhilfen gegen Auflagen“ (siehe dazu supra Zweiter Teil, D. IV. 3. b)). Der irische Supreme Court war sich ausgehend von dieser Charakterisierung des ESM unsicher, wie die Bestimmungen über die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik (Art. 3 Abs. 1 lit. c) und Art. 127 AEUV) sowie die Bestimmungen über die Koordinierung der Wirtschaftspolitik (Art. 2 Abs. 3, 119 bis 121 und 126 AEUV) auszulegen seien. Unschlüssigkeit bestand nicht nur dahingehend, wie der ESM zwischen den beiden Polen Währungs- und Wirtschaftspolitik einzuordnen sei; daneben legte das irische Gericht auch die Frage vor, inwieweit der ESM – sollte er als wirtschaftspolitische Maßnahme einzuordnen sein – mit den primärrechtlichen Vorschriften zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik zu vereinbaren wäre. Unzulässig wäre auch nach Ansicht des EuGH sodann zunächst ein intergouver­ nementales Übereinkommen gewesen, welches in den ausschließlichen Kompetenzbereich der Union in Bezug auf die Währungspolitik eingegriffen hätte. Dass der ESM ein währungspolitisches Instrument sein soll, vermag aber nicht zu überzeugen; schließlich ist nach der Systematik des Unionsrechts entscheidendes Merkmal der Währungspolitik, dass sie auf die Preisstabilität ausgerichtet ist (Art. 127 Abs. 1 Satz 1 AEUV). In einem späteren Urteil musste der EuGH zwar feststellen, dass der Begriff der Währungspolitik primärrechtlich nur unscharf ausgestaltet ist;131 entscheidend sei deshalb aber bei Einordnung einer spezifischen Maßnahme gerade, welchem „Ziel“ diese diene sowie welche „Mittel“ zur Zielerreichung an 129

Siehe dazu supra 1.e)cc). Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Smulders / Keppenne, 2015, Art. 136 AEUV Rn. 14; Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 136 AEUV Rn. 18; a. A. Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 65; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 14. März 2014, 2 BvR 1390/12 et al., Rn. 179. 131 EuGH, Urteil vom 16. Juni 2015, C-62/14 („Gauland“), ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 42; „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 53. 130

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gewandt würden (siehe dazu z. B. den nicht abschließenden132 Katalog in Art. 127 Abs. 2 AEUV).133 Der EuGH geht folglich typisierend vor und lässt im Übrigen dem Gesetzgeber bemerkenswerte Gestaltungsfreiheit, indem dieser seine Maßnahme ausdrücklich einem spezifischen Ziel unterordnen kann. Dass dem Ziel einer Maßnahme ganz entscheidende Bedeutung zukomme, machte das Plenum auch in der Rs. „Pringle“ deutlich: Der ESM soll ausweislich seiner Art. 3 und 12 Abs. 1 der Finanzstabilität, und nicht der Preisstabilität, dienen; deshalb sei er auch nicht als währungspolitisches Instrument einzuordnen.134 Dies gelte selbst dann, wenn die Maßnahmen des ESM mittelbar Auswirkungen auf das währungspolitische Ziel der Preisstabilität zeitigen würden.135 Der Kläger im Ausgangsverfahren hatte schließlich vorgebracht, die zugrundeliegende Koordinierungskompetenz sei ein Beispiel für eine sachlich geteilte Kompetenz; da die Union bereits durch Empfehlungen nach Art. 121 und 126 AEUV tätig geworden sei, seien die Mitgliedstaaten bei Ausübung eigener Zuständigkeit gesperrt. Die Generalanwältin Kokott ließ die Beantwortung dieser Frage in ihrer Stellungnahme sodann zwar bewusst offen.136 Allerdings deutete sie in missverständlicher Weise an, sie sehe Fragen der Wirtschaftspolitik im Zuständigkeitsbereich der Union: „Für die Union besteht aber bereits nach Art. 5 Abs. 1 Uabs. 1 Satz 2 Halbsatz 2, Art. 119 Abs. 1 und Art. 120 ff. AEUV eine allgemeine Zuständigkeit für die Wirtschaftspolitik einschließlich der Regelung finanzieller Hilfen.“137 Aus dem Kontext ihrer Argumentation ergibt sich jedoch, dass sie damit lediglich die Konditionalität der ESM-Finanzhilfen rechtfertigen möchte, welche – wegen der erwähnten Unionskompetenz für die Wirtschaftspolitik – keine Ausdehnung von Unionszuständigkeiten bedeuten würde, und daher kein Verstoß gegen Art. 48 EUV vorliege. Einen Verstoß gegen die Kompetenzordnung vermag die GA am Ende aber insbesondere deshalb nicht festzustellen, weil der ESM nicht auf eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik abziele. Neben der Ab- und Eingrenzung von Währungs- und Wirtschaftspolitik nahm vor diesem Hintergrund auch der EuGH eine Auslegung der Bestimmungen zur wirtschaftspolitischen Koordinierung vor – und stimmte der Ansicht der GA weitgehend zu. So kommt der Gerichtshof schon nicht dazu, zu erklären, wie die primärrechtlichen Bestimmungen in Art. 2 Abs. 3, 119, sowie 121 bis 126 AEUV vor dem Hintergrund der spezifischen Ausgestaltung des ESM-Vertrags auszulegen 132

Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Selmayr, 2015, Art. 127 AEUV Rn. 9; vgl. Urteil vom 16. Juni 2015, C-62/14 („Gauland“), ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 54. 133 EuGH, Urteil vom 16. Juni 2015, C-62/14 („Gauland“), ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 46. 134 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 96. 135 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 97. 136 GA Kokott, Stellungnahme vom 26. Oktober 2012, Rs. 370/12 („Pringle“) ECLI:EU:​ C:2012:675, Rn. 93, wenngleich für sie am Ende aber die Zweifel an einer Unionszuständigkeit bzw. einer Verortung der Zuständigkeit für Wirtschaftspolitik als geteilte Zuständigkeit überwiegen (Rn. 93 ff.). 137 GA Kokott, Stellungnahme „Pringle“ (supra Fn. 136), Rn. 45.

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sind. Nach überzeugender Ansicht des EuGH stellen die Finanzhilfeprogramme des ESM nämlich vielmehr gar keine Koordinierungsmaßnahmen dar; anders als bei der wirtschaftspolitischen Koordinierung zielt der ESM tatsächlich nicht auf eine Abstimmung nationaler (Wirtschafts-)Politiken, sondern gewährt vielmehr quasi-bilaterale Finanzhilfen.138 Dass aufgrund der Auflagenpolitik die gewährten Finanzmittel schließlich nicht zur freien Verfügung stünden und auf diese Weise mittelbar mitgliedstaatliche Wirtschaftspolitik koordiniert würde, sei im Übrigen unschädlich.139 Auch diese letzte Wendung ist überzeugend; denn indem die ESM-Auflagen an die im Rahmen des primärrechtlichen und sekundärrechtlichen Rahmens des SWP gefassten Beschlüsse rückgebunden sind, wird kein Unionsrecht geändert – im Gegenteil: Den bestehenden SWP-Beschlüssen kommt nunmehr gesteigerte Wirksamkeit zu.140 Auf diese Weise unterstützt die Auflagenpolitik des ESM lediglich und reflexartig bereits bestehende Initiativen zur Koordinierung der ohnehin in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit141 befindlichen Wirtschaftspolitik. c) Verbotene Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln oder Veränderung ihrer Tragweite Dass intergouvernemental-völkerrechtliches Handeln der Mitgliedstaaten inter se primärrechtliche Vorschriften nicht beeinträchtigen darf, folgt bereits aus der Änderungsfestigkeit Letzterer. Es ist insofern auch nicht verwunderlich, dass (selbst) die Vorschriften über die wirtschaftspolitische Koordinierung (insbesondere Art. 121 und 126 AEUV) vertragsautonomiebeschneidend wirken. Allerdings sind beachtliche Bereiche des wirtschaftspolitischen Koordinierungsverfahrens in Sekundärrecht ausgelagert (der SWP in Gestalt des Sixpacks und des Twopacks, siehe dazu supra Zweiter Teil, C. II. 2. a)); dieser sekundärrechtlich ausgestaltete Bereich des spezifischen wirtschaftspolitischen Koordinierungsrechts unterliegt der aus Art. 48 EUV abgeleiteten Änderungsfestigkeit nicht – prima facie scheint dieses Recht daher großen Gefahren durch intergouvernementales Handeln ausgesetzt. Zwar äußerte der EuGH in „Pringle“ zunächst pauschal, dass sich „die Mitgliedstaaten bei Ausübung ihrer [Vertragsautonomie] nicht über die Beachtung des Unionsrechts hinwegsetzen dürfen“.142 Dabei machte der Gerichtshof aber auch deutlich, dass nicht nur Unionsprimärrecht, sondern auch untergeordnetes Recht von diesem Verbot geschützt sein soll, indem er speziell die wirtschaftspolitischen Koordinierungsmaßnahmen der Union in den Schutzbereich einbezog.143 In frühe­ 138

EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 110. EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 112. 140 Siehe supra Zweiter Teil, D. IV. 3. b). 141 Siehe dazu supra 1. e) cc). 142 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 69, 109. 143 Unklar noch insoweit EuGH, Urteil vom 15. Januar 2002, Rs. C-55/00 („Gottardo“), ECLI:EU:C:2002:16, Rn. 32 ff. 139

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

ren Entscheidungen machte der EuGH zudem bereits deutlich, dass jedenfalls die Vorrangwirkung des Unionssekundärrechts auch gegenüber internen Übereinkommen gelte.144 An anderer Stelle im Urteil „Pringle“ verankerte der Gerichtshof seine Rechtsauffassung des Beeinträchtigungs- und Veränderungsverbots sodann auch normativ: Art. 3 Abs. 2 AEUV verbiete intergouvernemental-völkerrechtlich tätigen Mitgliedstaaten, „gemeinsame Regeln oder deren Tragweite zu verändern“, weil ein solches Vorhaben mit dem Instrument internationaler Übereinkünfte ausweislich der benannten Vorschrift einen ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Union umfasse; darunter falle neben Unionsprimärrecht auch das -sekundärrecht.145 Diese normative Anknüpfung durch den EuGH wird vielfach angezweifelt.146 Im Ergebnis ist man sich zwar einig, dass auch Sekundärrecht einen unionsrechtlichen Schutz vor mitgliedstaatlichem internem Übereinkommensrecht erfährt; allerdings möchte man entgegen der Auffassung des EuGH diese allgemeine Rechtsfolge ausschließlich aus dem effet utile und dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Art. 4 Abs. 3 EUV ziehen.147 Anstatt das Problem damit als Kompetenzfrage einzuordnen, will die in der Literatur vertretene Gegenansicht offenbar ausschließlich mit dem Prinzip der Vorrangwirkung des Unionsrechts operieren.148 Dabei lässt sich den Vertretern der abweichenden Ansicht nicht nur entgegenhalten, dass das Loyalitätsgebot aus Art. 4 Abs. 3 EUV hochgradig auslegungsbedürftig ist und sich insbesondere für rechtswissenschaftliche Zwecke vornehmlich an der Kasuistik des EuGH orientieren muss (siehe dazu ausführlich infra B. I.). Zwar entnahm der EuGH in den Rs. „AETR“149 und „Open-Skies“150 dem Loyalitätsgebot tatsächlich ein Beeinträchtigungsverbot; allerdings erging diese Rechtsprechung auch, bevor Art. 3 Abs. 2 AEUV in Primärrecht gegossen wurde. Umgekehrt entstanden die Regeln in Art. 3 Abs. 2 AEUV gerade erst in 144

EuGH, Urteil vom 27. September 1988, Rs. C-235/87 („Matteucci“), ECLI:EU:C:1988:​ 460, Rn. 23; im Übrigen ergibt sich die Vorrangwirkung auch schon häufig aus den Übereinkommen selbst, wie z. B. in Art 134 Schengen-II, dazu Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 312. 145 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 99 ff. und insbesondere Rn. 106. 146 Zweifelnd auch bereits GA Kokott, Stellungnahme „Pringle“ (supra Fn. 136), Rn. 96 ff. 147 Siehe zuletzt Miglio, in: European Constitutional Law Review 2018, S. 475 ff.; Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 15; Thym, in: EnzEuR 2014, Bd. 1, § 5 Rn. 91, der dort von einem „Beeinträchtigungsverbot“ spricht, und insbesondere ebd. Fn. 263; ders., in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 23, 35; ähnlich de Witte, in: International Law as Law of the European Union, 2012, S. 133, 146 f.; kritisch auch Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 179, allerdings ohne Gegenvorschlag; allgemein dazu Grabitz / Hilf / Nettesheim-Schill / Krenn, 66. EL 2019, Art. 4 EUV Rn. 120; so wohl auch BVerfG, Urteil vom 18. März 2014, 2 BvE 6/12, Rn. 172. 148 Vgl. de Witte, in: International Law as Law of the European Union, 2012, S. 133, 146; vgl. auch Thym, in: EnzEUR 2014, Bd. 1, § 5 Rn. 91; so im Ergebnis auch Epiney, in: FS Ress, 2005, S. 441, 452 f. 149 EuGH, Urteil vom 31. März 1971, Rs. 22/70 („AETR“), ECLI:EU:C:1971:32, Rn. 20/22. 150 EuGH, Urteil vom 5. November 2002, Rs. 476/98 („Open-Skies“), ECLI:EU:C:2002:631, Rn. 136.

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Anlehnung an die „AETR“-Rechtsprechung,151 weshalb man sie vielmehr als (primärrechtlichen) Ausfluss des Loyalitätsprinzips verstehen kann. Darüber hinaus erfordert das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV), jeden Rechtsakt der Union kompetenziell rückzubinden.152 Handelt es sich bei einem streitigen Rechtsakt aber dem Regelungsgegenstand nach weder um einen Ausdruck ausschließlicher Unions-, noch geteilter Kompetenz, sondern um einen Kompetenzbereich sui generis wie im Fall der wirtschaftspolitischen Koordinierung,153 so fällt es schwer, intergouvernemental agierenden Mitgliedstaaten die Regelungskompetenz abzusprechen  – wenngleich auch die Vorrangwirkung des Unionsrechts bestehen bleibt. Gerade die Sperrwirkung erfordert aber, dass nicht nur eine unionale, sondern gerade keine mitgliedstaatliche Kompetenz vorliegt.154 In solchen Fällen verspricht Art. 3 Abs. 2 AEUV einen Ausweg. Jener Auffassung, die Art. 3 Abs. 2 AEUV lediglich auf Fälle externer Übereinkommen anwenden möchte,155 ist entgegenzuhalten, dass der Wortlaut – systematisch ausgelegt – anders als Art. 216 Abs. 1 AEUV (da: „Die Union kann mit einigen oder mehreren Drittländern […]“) nicht eindeutig ist: Art. 3 Abs. 2 AEUV enthält in keiner Sprachfassung eine Referenz zu Drittländern. Zwar schließt die Union sinnvollerweise zumeist nur mit Drittländern völkerrechtliche Übereinkommen wie in Art. 216 Abs. 1 AEUV vorgesehen; allerdings ist rechtstechnisch nicht ausgeschlossen, dass die Union mit einem oder einer Gruppe von Mitgliedstaaten ein völkerrechtliches Übereinkommen aushandelt – ein praktischer Anwendungsfall scheint Art. 50 Abs. 2 Satz 1 EUV zu sein.156 Auch greift der Einwand Nettesheims nicht, Art. 3 Abs. 2 AEUV sei seinem Sinn nach nur bei Vorliegen eines externen Übereinkommens zweckmäßig, da nur dort die Vorrangwirkung des Unionsrechts nicht greife.157 Denn dabei übersieht er, dass es Art. 3 Abs. 2 AEUV schon seiner systematischen Stellung nach nicht um bloße Vorrangigkeit geht, sondern vielmehr um die Regelungskompetenz und einer damit einhergehenden Sperrwirkung. Die vom EuGH in „Pringle“ getroffene Anknüpfung an Art. 3 Abs. 2 AEUV ist deshalb vorzugswürdig.

151 Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 3 AEUV Rn. 17; siehe Grabitz / Hilf / NettesheimNettes­heim, 66. EL 2019, Art. 3 AEUV Rn. 20. 152 Nettesheim, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 389, 407. 153 So die überwiegende Auffassung im Schrifttum, siehe supra 1.e)cc). 154 Vgl. Bauerschmidt, in: EuR 2014, S. 277, 282 ff. 155 Unter Verweis auf den Wortlaut GA Kokott, Stellungnahme „Pringle“ (supra Fn. 136), Rn. 96 ff.; Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 15; Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 179. 156 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Meng, 2015, Art. 50 EUV Rn. 7; andernfalls wäre nicht zu erklären, wie Art. 50 Abs. 3 EUV zu verstehen sein soll – wenn denn nicht so, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Austrittsabkommens der austrittswillige Mitgliedstaat noch Unionsmitgliedstaat ist. 157 Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 15.

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Aus alledem geht allerdings noch nicht hervor, wie das Verbot in Art. 3 Abs. 2 AEUV, „gemeinsame Regeln nicht zu beeinträchtigen sowie ihre Tragweite nicht zu verändern“, auszulegen ist. In Betracht kommt, in Anlehnung an die Änderungsfestigkeit des Primärrechts jede Veränderung der Rechtslage zu untersagen, bloße Ergänzungen aber zuzulassen. Zwar lautet das Verbot gerade (nur) auf „Beeinträchtigung“ (englisch: „affect“, französisch: „affecter“), sowie nicht auf Veränderung, sondern nur Veränderungen der „Tragweite“ (englisch: „scope“, französisch: „la portée“). Die Formulierung signalisiert, dass die Regelung Fälle unterbinden möchte, in denen die Wirkungen einer Vorschrift „konterkariert“ werden soll158; beeinträchtigt ist eine Vorschrift folglich nur dann, wenn der mit ihr verfolgte Zweck nicht erreicht werden kann. Daneben verändert eine intergouvernemental-völkerrechtliche Vorschrift die Tragweite einer bestehenden gemeinschaft­ lichen Regel schon deshalb nicht, weil sie nicht mit der normativen Supranationalität ausgestattet ist.159 Beinhaltet ein intergouvernementaler Rechtsakt indes ein unionsrechtlich vorgesehenes Ziel und geht darüber hinaus, so liegt regelmäßig kein Verstoß vor. Im Ergebnis besteht dann aber kein Unterschied im Vergleich zu einer (noch) zulässigen Ergänzung des Primärrechts. In diesem Sinne lassen sich auch die Ausführungen des EuGH verstehen, der in den ESM-Bestimmungen deshalb keine Beeinträchtigung des EFSM (Verordnung (EU) Nr. 407/2010) erkennen möchte, weil Ersterer das mit Letzterer verfolgte Ziel teile – und darüber lediglich hinausgeht, nicht aber die Zielerreichung unterminiert.160 Auch die Rats-Empfehlungen im Rahmen des Defizitverfahrens (Art. 126 Abs. 7 und 8 AEUV) würden nicht konterkariert, weil der ESM bei seiner Auflagenpolitik diese Empfehlungen stets zu beachten habe – dass eine Auflage insofern ein schärferes Schwert als die bloße Empfehlung sein kann, fällt dabei nicht ins Gewicht.161 d) Zulässigkeitsgrenzen für Organleihen Ein in Ansehung der intergouvernementalen Rettungsmaßnahmen in der Eurokrise virulent gewordenes Beispiel drohender Primärrechtsänderung ohne Beach­ tung der Regeln aus Art. 48 EUV sowie eines drohenden Verstoßes gegen das Beeinträchtigungsverbot sind (intergouvernementale) Organleihen.162 Dabei geht es um die auch in „Pringle“ in Frage stehende Konstellation, bei der intergouver 158

Grabitz / Hilf / Nettesheim-Nettesheim, 66. EL 2019, Art. 3 AEUV Rn. 24; vgl. auch Epiney, in: FS Ress, 2005, S. 441, 453. 159 Siehe dazu supra Erster Teil, B. I. 2. 160 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 106. 161 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 113. 162 So sah Calliess, in: FS Ress, 2016, S. 73, 95 dieses Thema als eines der noch ungeklärten Aspekte der intergouvernementalen Rettungsmaßnahmen; eine frühere Behandlung dieses Themas lieferte z. B. Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 207 ff.; der Begriff „Organleihe“ geht indes wohl auf Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, 1982, S. 212 ff., zurück.

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nemental agierende Mitgliedstaaten mittels internem Übereinkommen Organe, die natürliche Sprösslinge der Unionsrechtsordnung sind (Art. 13 Abs. 1 EUV), zur Anwendung übereinkommensspezifischer Vorschriften nutzbar machen. Der Kläger in dem der Rs. „Pringle“ zugrundeliegenden Verfahren trug vor, dass es außerhalb der Verstärkten Zusammenarbeit (Art. 20 EUV und Art. 326 ff. AEUV) keine Organleihe geben könne; eine dementsprechend restriktive Auffassung wird indes selten vertreten und wäre schon mit Art. 273 AEUV nicht kompatibel. Im Übrigen sind auch die jeweiligen Konstellationen nicht vergleichbar: Die Verstärkte Zusammenarbeit ist ein unionsrechtsinternes Institut; daraus ergibt sich, dass in ihrem Zusammenhang schon keine Organleihe stattfindet.163 Vielmehr handelt es sich im Falle der Verstärkten Zusammenarbeit um eine Situation neben vielen anderen (insbesondere im Zusammenhang mit der gemeinsamen Währung), in denen Unionsrecht gemeinsam mit seinen institutionellen Besonderheiten nicht auf alle Mitgliedstaaten Anwendung findet. Die Konstellation der intergouvernemental-völkerrechtlichen Organleihe ist dagegen anders gelagert – hier werden vor allem kompetenzrechtliche Fragen im Zusammenhang mit Art. 13 Abs. 2 EUV aufgeworfen. aa) Normative Verankerung Dem Mutterschoß des Unionsrechts entspringen insbesondere ein Organ, welches das Unionsrecht anwendet und über seine Durchsetzung wacht (die Europäische Kommission) sowie ein Organ, das über spezifische Verstöße gegen das Unionsrecht urteilt und dabei auch die Rechtsnormen des Unionsrechts auslegen kann (der EuGH); daneben existiert eine Zentralbank für die Umsetzung der Währungspolitik des Euro-Währungsgebiets (die EZB). Gerade die vorgenannten drei Organe sind attraktiv für Leihvorgänge durch intergouvernementale Übereinkom­ men, weil sie auch schon im Rahmen der Unionsrechtsordnung mit jeweils entweder exekutiven oder judikativen Aufgaben betraut sind. Entleihen intergouvernementale Strukturen diese Organe, müssen sie selbst keine Institutionen weder der einen noch der anderen Art erschaffen;164 es genügt, wenn sie diesen entliehenen Organen bestimmte Aufgaben zuweisen. Demgegenüber bedürfen die intergouvernemental agierenden Staaten des Europäischen Parlaments zumeist nicht – schließlich treten sie zum einen bereits selbst gesetzgeberisch durch Verabschiedung der Übereinkommen auf; zum anderen möchten und können sie die Kontrolle der Exekutive auch regelmäßig alleine ausüben. Auch der Rat bzw. der Europäische Rat kommt für Leihvorgänge in Frage. Das ist bereits mit der Natur der Übereinkommen zu erklären. Schließlich sind diese Organe genauso wie die Übereinkommen

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Vgl. auch GA Kokott, Stellungnahme „Pringle“ (supra Fn. 136), Rn. 174 f. Dieser Hinweis findet sich bereits bei Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, 1982, S. 212.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

intergouvernemental bestückt.165 Der entscheidende Grund, sich gegen eine Leihe des Rates zu entscheiden, dürfte aber oftmals darin liegen, dass im Rat auch solche Mitgliedstaaten vertreten sind, die gegebenenfalls nicht zu den Unterzeichnern eines intergouvernementalen Übereinkommens gehören. Der Problemkreis intergouvernemental veranlasster Organleihen ist nicht neu166 und war bereits umstrittener Gegenstand von höchsten Gerichtsentscheidungen. Auch seine Entscheidung in „Pringle“ möchte der EuGH ausdrücklich in der bereits bestehenden Rechtsprechungslinie verortet wissen.167 In den Rs. „Bangladesch“168 sowie „Lomé“169 formulierte der Gerichtshof eine grundsätzlich wohlwollende Linie, wonach die Strukturen intergouvernementaler Übereinkünfte auf Unionsorgane zugreifen können, ohne ausdrücklich formulierte Zulässigkeitsgrenzen beachten zu müssen.170 Seine Ansicht konkretisierte der Gerichtshof anschließend und zog eine notwendige Zulässigkeitsgrenze dort, wo die mittels Übereinkommen übertragenen „Aufgaben die dem [jeweiligen] Organ durch den EUV oder AEUV übertragenen Befugnisse […] verfälschen“.171 Andere Sprachfassungen sind englisch: „to alter“ oder französisch: „dénaturer“ formuliert – Begriffe, denen jeweils auch die Bedeutung einer Verfälschung i. S. e. Veränderung entnommen werden kann. Unionsvertraglicher Anknüpfungspunkt für den EuGH ist die Bestimmung in Art. 13 Abs. 2 EUV,172 wonach „jedes Organ […] nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen, die in den Verträgen festgelegt sind, handelt“.173 Bei genauer Betrachtung ist diese Rechtsprechung wenig verwunderlich: Dogmatisch erklärt schon die Verankerung organbezogener Wesensmerkmale im Primärrecht (wie neben anderem insbesondere Art. 17 und Art. 19 EUV) seine Ände­

165 Beachte aber die besondere Natur des Rates, der auch supranationale Charakteristika aufweist, siehe supra Erster Teil, B. I. 3. 166 Vgl. Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 315 ff. 167 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 158; Zweifel an der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Konstellationen machen Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 161, geltend; sowie Craig, in: ECLR 2013, S. 263, 277; zu den nicht weiter ins Gewicht fallenden Unterschieden Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 182. 168 EuGH, Urteil vom 30. Juni 1993, verbundene Rs. C-181/91 und C-248/91 („Bangladesch“), ECLI:EU:C:1993:271, da insbesondere Rn. 20. 169 EuGH, Urteil vom 2. März 1994, Rs. C-316/91 („Lomé“), ECLI:EU:C:1994:76, da insbesondere Rn. 41. 170 Vgl. ausführlich Peers, in: ECLR 2013, S. 37, 42 ff. 171 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 158; mit Verweis auf die bereits im Gutachten 1/00 vom 18. April 2002 ECLI:EU:C:2002:231, Rn. 20; sowie Gutachten 1/09 vom 8. März 2011 ECLI:EU:C:2011:123, Rn. 75, festgehaltene Rechtsauffassung. 172 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 153. 173 Etwas anders drückt GA Kokott, Stellungnahme „Pringle“ (supra Fn. 136), Rn. 169, den entsprechenden Prüfungsschritt aus: So macht sie die Grenze unzulässiger Organleihe daran fest, ob Organe durch neu gewährte Befugnisse gegen ihre jeweiligen aus den Unionsverträgen fließenden Pflichten verstoßen.

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rungsfestigkeit.174 Geht es dagegen um Befugnisse, die Unionsorganen aufgrund von untergeordnetem Recht zugewiesen bzw. durch ebensolches Recht konkretisiert wurden, so greift regelmäßig (nur) das Beeinträchtigungsverbot i. S. v. Art. 3 Abs. 2 AEUV. Die Änderungsfestigkeit umfasst wortlautgetreu gleichmäßig die Befugnisse, die Verfahren, die Bedingungen und die Ziele der Unionsorgane. Allerdings liegt der Schwerpunkt der Bewertung nach Ansicht des Gerichtshofs auf den Organ-Befugnissen.175 Erklärbar ist dies damit, dass die Kategorie der Befugnisse gleichsam als Oberbegriff der anderen Begriffe aufzufassen ist; so sind die Befugnisse eines jeden Organs bspw. an das EU- oder AEU-vertragsmäßige Verfahren wie auch die entsprechenden rechtlichen Bedingungen gebunden; außerdem sind die Befugnisse im Einklang mit den Zielen, die die Unionsverträge festhalten, auszuüben. Der EuGH erhebt die Änderungsfestigkeit der Befugnisse schließlich zu einem allgemeinen Prinzip der Gewährleistung des institutionellen Gleichgewichts.176 Diesem Prinzip kommt aber über die Aussagen des Art. 13 Abs. 2 EUV hinaus keine normative Wirkung zu; es ist deshalb an dieser Stelle als Figur verzichtbar.177 Seine eigentliche Verwendung hat das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts stattdessen zum einen in eigenmächtigen Kompetenz-Verschiebungen zwischen den Unionsorganen ohne Beachtung des ordentlichen Vertragsänderungsverfahrens und zum anderen in der Kompetenzausstattung unionsvertragsfremder Einrichtungen.178 Letztere Konstellation spielt hier keine Rolle.179 Schließlich liegt der Betrachtung der umgekehrte Sachverhalt zugrunde – es sollen gerade unionvertragseigene Institutionen verwendet werden, nicht etwa unions­ vertragsfremde. Auch ersteres Phänomen180 trifft nicht den Kern der hier vorliegenden Problematik, die verhältnismäßig anders gelagert ist. So liegt hier nicht etwa die Situation zugrunde, dass ein Organ sich gleichsam selbst ermächtigt und dabei in die Kompetenzen eines anderen eingreift. Stattdessen handelt das Problem davon, dass Mitgliedstaaten (wohlgemerkt: nicht als Rat bzw. Europäischer Rat) durch Übereinkommen ein Unionsorgan ermächtigen und ihm (neue) Aufgaben zuweisen. Indes ist durchaus denkbar, dass bei einer Organleihe in unzulässiger Weise einem entliehenen Organ die Kompetenzen eines anderen Unionsorgans übertragen werden. Konsequenterweise muss auch diese Situation eine Verfälschung der Befugnisse indizieren.181 Schließlich kann es nicht darauf ankommen,

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Vgl. Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 10. Siehe auch GA Kokott, Stellungnahme „Pringle“ (supra Fn. 136), Rn. 169. 176 Siehe dazu Nettesheim, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 389, 405 ff. 177 Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Nettesheim, 66. EL 2019, Art. 13 EUV Rn. 33; weniger kritisch Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 13 EUV Rn. 15 ff. 178 Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 13 Rn. 10 f. 179 Siehe dazu zuletzt monographisch Sölter, Rechtsgrundlagen europäischer Agenturen im Verhältnis vertikaler Gewaltenteilung, 2017, S. 279 ff. 180 Vgl. dazu Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsaufsicht und Gemeinschaftsrecht, 1994, S. 248 f. 181 Vgl. bereits Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, 1982, S. 212 f. 175

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

ob eine solche Veränderung des institutionellen Gleichgewichts von einigen Mitgliedstaaten oder von den Organen selbst ausgeht. In beiden Fällen handelt es sich nicht um die nach Art. 48 EUV berufenen Primärrechtsgeber. bb) Erheblichkeit einer Befugnisverfälschung Entscheidend ist zuletzt aber, wann die Grenze zur erheblichen Verfälschung von Befugnissen überschritten ist. Der EuGH selbst macht dies nicht deutlich.182 Dabei liegt eine Verfälschung zunächst sicherlich dann vor, wenn Befugnisse übertragen werden sollen, die den Organen nach den Unionsverträgen rechtlich nicht zustehen dürften,183 weil sie entweder in die Befugnisse anderer Organe eingreifen, oder weil sie einen Verstoß gegen spezifische Organpflichten bedeuten.184 In solchen Fällen handelt es sich um eine primärrechtsändernde Organleihe, die an Art. 48 EUV zu messen ist.185 Daneben ist von einer Verfälschung auch dann auszugehen, wenn neue Befugnisse wie insbesondere Entscheidungsbefugnisse gegenüber Mitgliedstaaten oder Einzelnen begründet werden sollen, die die Wirksamkeit von bereits bestehenden Organbefugnissen beschneiden – wenn also bspw. die Kommission nach geltendem Unions-(sekundär-)recht eine Maßnahme ohne Zustimmung des Rates herbeiführen kann, so kann auch mittels intergouvernementalem Rechtsakt hiervon keine Ausnahme eingeführt werden; allerdings liegt regelmäßig keine Verfälschung vor, wenn neue Befugnisse eingerichtet werden, bereits bestehende gleichzeitig aber im Hinblick auf Verfahren, Bedingungen und Ziele unverändert bleiben. Der EuGH scheint in seiner „Pringle“-Entscheidung allerdings hierüber noch hi­ nausgehen zu wollen: Offenbar sollen Unionsorganen keine „Entscheidungsbefugnisse im eigentlichen Sinne“ übertragen werden.186 In Anbetracht der spezifischen Ausgestaltung des ESM kann damit nur gemeint sein, dass (hier:) weder die Kommission noch erst recht die EZB Entscheidungen treffen, die unmittelbar gegenüber Mitgliedstaaten oder Einzelnen Rechtswirkungen entfalten  – diesen Umstand scheint der Gerichtshof anzusprechen, wenn er formuliert, dass „die Tätigkeiten beider Organe im Rahmen des ESM-Vertrags nur den ESM verpflichten“.187 Ob am Kriterium, keine „Entscheidungsbefugnisse im eigentlichen Sinne“ zu übertragen, festgehalten werden kann, erscheint indes fraglich: Erstens hat der EuGH in seinem Urteil zur Rs. „Ledra“ nunmehr zwar bekräftigt, dass weder Kommission noch EZB im Rahmen des ESM entsprechende Entscheidungsbefugnisse zu-

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Siehe auch Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 15. So auch Craig, in: ELR 2012, S. 231, 241. 184 So auch EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 62 ff. 185 Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 10. 186 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 161. 187 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 161. 183

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kommen würden.188 Allerdings machte er in demselben Urteil auch deutlich, dass die Kommission (trotz mangelnder Entscheidungsbefugnisse)  dennoch für Verstöße gegen die Grundrechte-Charta hafte.189 Zurecht wird das dieser Rechtsauffassung zugrundeliegende Konzept einer „Haftung ohne Entscheidungsbefugnisse“ angezweifelt  – denn wie und wofür soll ein Organ, dass keine Entscheidungen trifft, haftbar gemacht werden?190 Dem EuGH ist zudem entgegenzuhalten, dass auch er nicht erklären kann, mit welcher Begründung die unionsrechtliche Dogmatik eine Übertragung von Entscheidungsbefugnissen – ob diese nun mittelbar oder unmittelbar gegenüber dem Einzelnen wirken – untersagen soll.191 So hat die Entscheidung in „Ledra“ vielmehr den allenthalben vorgebrachten Einwand entkräftet, die entliehenen Unionsorgane könnten sich auf diese Weise „unionalen Rechtsbindungen entziehen“.192 Auch Art. 13 Abs. 2 EUV kann nicht entnommen werden, dass (Organ-)Befugnisse stets nur durch „die Verträge“ vorgegeben sein dürfen, wie der Wortlaut suggerieren mag;193 denn wie sonst ließe sich die regelmäßige Praxis rechtfertigen, mittels Sekundärrechtsakt Entscheidungsbefugnisse zu übertragen?194 Vielmehr handelt es sich bei der ausdrücklichen Bindung der Organbefugnisse an die ihnen durch die Unionsverträge übertragenen Befugnisse um einen Ausfluss des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung,195 welches die Mitgliedstaaten vor ausufernden Organkompetenzen schützen soll, nicht aber die (einzelnen) Mitgliedstaaten selbst bindet. Und zuletzt gilt es bei alledem auch zu beachten, dass die entliehenen Unionsorgane  – anders als der EuGH nach Art. 273 AEUV (dazu sogleich infra cc)) – nicht verpflichtet sind, die Befugnisse auch tatsächlich auszuüben.196 Manche Stimmen wollen die Zulässigkeit von Organleihen schließlich von einer Zustimmung aller Mitgliedstaaten abhängig machen.197 Dabei möchten sie 188

EuGH, Urteil vom 20. September 2016, verbundene Rs. C-8/15 P bis C-10/15 P („Ledra“), ECLI:EU:C:2016:701, Rn. 53. 189 EuGH, „Ledra“ (supra Fn. 188), Rn. 67 ff. 190 Nettesheim, in: EuZW 2016, S. 801 f. 191 Vgl. auch Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 15; a. A. noch Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 317, der umgekehrt der Unionsrechtsordnung ein generelles Verbot entnehmen wollte, Organleihen vorzunehmen, wenn dies nicht ausnahmsweise gestattet sei. 192 Siehe aber Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 11. 193 Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 182, weist insofern darauf hin, dass die Formulierung lediglich dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Genüge tun möchte. 194 Vgl. Kocharov (Hrsg.), EUI Working Papers, 2012/09, S. 7; de Witte / Beukers, in: CMLR 2013, S. 805, 846. 195 So auch Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 182. 196 Kocharov (Hrsg.), EUI Working Paper, 2012/09, S. 7. 197 Siehe zuletzt Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 182 f.; siehe auch Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 57 f.; von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 518 f.; sowie Piris, The Future of Europe, 2012, S. 127; zusätzlich fordert er jedenfalls im Falle des EuGH sogar dessen Zustimmung im Falle seiner Organleihe, ebd., S. 133.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

sich auch auf das Urteil in „Pringle“ beziehen. Zwar äußerte sich der EuGH nicht zu einem entsprechenden Zustimmungsvorbehalt; allerdings lag tatsächlich eine Zustimmung aller Mitgliedstaaten per Beschluss der Regierungschefs (kein Ratsbeschluss) vor,198 weshalb im Falle des ESM auch keine wirkliche Diskussion aufbrandete. Indes bleibt im Unklaren, welche rechtliche Relevanz einer solchen Zustimmung der EU-28 (bzw. EU-sämtliche Mitgliedstaaten) zukommen soll.199 Schließlich kommt der Gruppe aller Mitgliedstaaten lediglich im Rahmen von Art. 48 EUV eine Legitimation zu: Über primärrechtsrelevante Fragen entscheiden alle Mitgliedstaaten gemeinsam – dann bedarf es aber auch der Beachtung sämtlicher Formvorschriften in Art. 48 EUV;200 in anderen Fragen (wie hier) entfällt auf die Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit aber unionsrechtlich nicht mehr Legitimation als nur auf eine Gruppe.201 Auch die Union selbst wäre aber nicht verfügungsbefugt,202 ohne gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu verstoßen. Vielmehr entspricht allein das dargestellte Verfälschungsverbot dem dogmatisch sachgerechtesten Ausfluss der von Art. 48 EUV beschützten Änderungsfestigkeit; innerhalb der Grenzen dieses Verbots verbietet das Unionsrecht auch einer Gruppe von Mitgliedstaaten nicht, die Unionsorgane mit spezifischen Aufgaben zu betrauen. cc) Sonderfall EuGH Die Besonderheit einer Leihe des EuGH manifestiert sich im Unterschied zu sämtlichen anderen Organen darin, dass diese Konstellation explizit Eingang in das europäische Verfassungsrecht gefunden hat und daher ungleich weniger Probleme als die Leihe anderer Organe hervorrufen dürfte.203 Art. 273 AEUV statu­ iert, dass „[…] jede mit dem Gegenstand der Verträge in Zusammenhang stehende Streitigkeit zwischen Mitgliedstaaten [auch] per Schiedsvertrag anhängig gemacht [werden kann]“. Dennoch kamen auch im Zusammenhang mit der Rs. „Pringle“ unterschiedliche Zweifelsfragen in Bezug auf die Leihe des Gerichtshofs auf, die auf tatbestandliche Ungenauigkeiten zurückzuführen sind. Zunächst machte der EuGH deutlich, dass Art. 273 AEUV weder untersage, eine Schiedsvertragsklausel (wie in Art. 37

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Siehe Beschluss der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 20. Juni 2011, Dok.-Nr. 12114/11; hierauf verweist auch GA Kokott, Stellungnahme „Pringle“ (supra Fn. 136), Rn. 172. 199 Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 159 f., werfen dieselbe Frage auf und finden keine plausible Antwort. 200 Diese Konsequenz zieht Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 182 f. trotz einer Anknüpfung an Art. 48 EUV nicht. 201 Vgl. Peers, in: ECLR 2013, S. 37, 54 f. 202 So aber Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 10 f. 203 Vgl. Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 159.

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Abs. 3 ESM-Vertrag) im Voraus, also bevor überhaupt ein konkreter Rechtsstreit aufgetaucht ist, zu schließen; noch stehe Art. 273 AUEV dem Arrangement entgegen, potentiell unbeschränkt viele Streitfälle auf Basis derselben Klausel beim Gerichtshof anhängig zu machen.204 Der EuGH verweist zur Begründung seiner Ansicht auf den Sinn und Zweck des Art. 273 AEUV; dieser äußert sich bei Betrachtung der übrigen Tatbestandsmerkmale: Insbesondere die Passage, die einen „Zusammenhang“ zwischen Übereinkommens- und Unionsrecht fordert, zeigt auf, dass es der Vorschrift darum geht, Kohärenz herzustellen. So soll der EuGH überall dort tätig werden dürfen, wo sich seine Judikatur möglicherweise mit geltendem Unionsrecht überschneiden könnte. Wird der EuGH auf diese Weise entliehenermaßen tätig, so zeitigt dies nicht zuletzt für den Rechtsunterworfenen Vorteile, weil es die Rechtslage potentiell vereinheitlicht. Im Falle des ESM-Vertrags ergeben sich vielfache Überschneidungsmöglichkeiten, die einen Zusammenhang begründen können. Auch wenn der Gerichtshof schließlich darauf verwies, dass die ausgehandelten MoU im Einklang mit Unionsrecht zu stehen hätten,205 so hätte er genauso gut auf den Umstand der Organleihe verweisen können – sollten sich nämlich Fragen über den Umfang der Befugnisse einzelner Organe ergeben, so wäre eine Entscheidung hierüber beim EuGH am besten aufgehoben. e) Schlussfolgerung Die Entscheidung „Pringle“ war nicht nur im Jahr 2012 bedeutsam, als es angesichts der Eurokrise um die Zukunft der WWU – und vielleicht noch mehr als das: um die Zukunft des europäischen Einigungsprojekts – ging. Indem sich der EuGH sowohl mit Fragen zur (unzureichenden) Architektur der WWU als auch mit dem Instrument intergouvernemental-völkerrechtlicher Zusammenarbeit auseinandersetzen musste, blickt seine Entscheidung auf zentrale Krisenphänomene, ordnet sie rechtlich ein und schafft auf diese Weise Präjudiz für den Umgang mit dem (Eurokrisen-)Intergouvernementalismus. So weist die Entscheidung letztlich über die Hochphase der Eurokrise hinaus. Der Gerichtshof bekennt sich mit seiner Entscheidung „Pringle“ zu einer grundsätzlich wohlwollenden Einstellung gegenüber intergouvernementalem Instrumentarium.206 Im Intergouvernementalismus vermag er weniger eine Gefahr für den unionalen Zusammenhalt als ein Zeichen mitgliedstaatlicher politischer Schlagkraft zum Zweck des Zusammenhalts erkennen. Dies ist zu begrüßen, zeigt der Eurokrisen-Intergouvernementalismus doch, dass er die Vorzüge der Supranationalität keineswegs negiert.207 Um dass der mitgliedstaatliche Pragmatismus aber

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EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 172. EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 113), Rn. 174. 206 Vgl. Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 16. 207 Siehe supra Zweiter Teil, D. 205

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

nicht ausufert, zieht der EuGH Grenzen, die die überkommene Dogmatik der Übereinkommensautonomiebegrenzung um neue Konturen ergänzen. Ihre Stoßrichtung ist vornehmlich, den acquis communautaire vor zweckwidrigen intergouvernementalen Bestimmungen zu schützen. 4. Zwischenergebnis Aus Rechtsprechung und europarechtswissenschaftlichem Schrifttum lässt sich eine unionsrechtliche Dogmatik zum Umgang mit mitgliedstaatlichem, inter­ gouvernementalem Übereinkommensrecht inter se destillieren. Diese Dogmatik kann unter dem Schlagwort der Übereinkommensautonomiebegrenzung zusammengefasst werden. Dabei schwingt mit, dass auch eine Gruppe von Mitgliedstaaten grundsätzlich autonom ist, völkerrechtliche Übereinkommen mit grundsätzlich beliebiger Zielsetzung untereinander einzugehen. Freilich gilt dies aber zum Schutz der Beständigkeit des acquis c­ ommunautaire – worauf sich auch die übrigen, gleichsam unbeteiligten Mitgliedstaaten verlassen können müssen – nicht unbegrenzt. Zunächst muss eine Gruppe intergouverne­ mental agierender Mitgliedstaaten die Kompetenzordnung des Unionsrechts achten. Insbesondere ist es diesen Mitgliedstaaten deshalb nicht möglich, Vertragsänderungen  – weder in Wort noch in Geist  – herbeizuführen. Nicht nur das Unionsprimärrecht ist aber geschützt: Intergouvernemental herbeigeführtes Recht muss sich vielmehr stets daran messen lassen, keine Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln oder eine Veränderung ihrer Tragweite zu verursachen. Im Ergebnis erfährt deshalb der gesamte acquis communautaire einen einheitlichen Schutz vor entsprechendem mitgliedstaatlichem Zugriff. Schließlich unterfällt auch die intergouvernementale Organleihe spezifischen Autonomiebegrenzungen, die sich dadurch äußern, dass obschon grundsätzlich zulässig, keine Verfälschung eigener oder fremder Organbefugnisse resultieren darf. Wenngleich das Unionsrecht Intergouvernementalismus folglich keineswegs unterbindet, so ist doch jede Autonomiebetätigung der Mitgliedstaaten im Einzelfall anhand der in diesem Abschnitt herausgearbeiteten, spezifischen Vorgaben daraufhin zu untersuchen, ob die Balance zwischen supranationaler Unionsrechtsordnung und europäischem Intergouvernementalismus gewahrt ist.

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II. Wahrung der Autonomiegrenzen durch die intergouvernementalen Maßnahmen in der Eurokrise 1. Sachliche Zuständigkeitsbalance der Wirtschafts- und Währungsunion a) ESM aa) Wirtschaftspolitik statt Währungspolitik Einige Kommentatoren erachteten die Mitgliedstaaten zwar zur Herbeiführung des ESM grundsätzlich für kompetenziell unzuständig.208 Das vorgebrachte Argu­ ment gründete darauf, das Recht des ESM innerhalb der ausschließlichen Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik (Art. 3 Abs. 1 lit. c)  AEUV) zu verorten.209 Dem ist aber zu widersprechen, wie es auch der EuGH in der Rs. „Pringle“ tat. Der ESM ist kein währungspolitisches Instrument, sondern ein wirtschaftspolitisches i. S. d. Art. 5 und 120 ff. AEUV.210 Das folgt erstens daraus, dass der AEUV Finanzhilfen zwischen (Euro-)Mitgliedstaaten selbst lediglich in Art. 122 Abs. 2 AEUV vorsieht und deren Verbot – unter besonderen Umständen – allgemein in Art. 125 AEUV kodifiziert. In beiden Fällen handelt es sich aber um Bestimmungen, die der AEUV der Wirtschaftspolitik zuordnet.211 Art. 122 Abs. 2 diente darüber hinaus bereits als Rechtsgrundlage für eine Vorgängerinstitution des ESM – dem EFSM.212 Die Währungspolitik demgegenüber verfolgt andere Ziele als sie im ESM offenbar werden. Während der ESM der „Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt“ (Art. 3 ESM-Vertrag) dient, ist die Währungspolitik am vorrangigen Ziel der Preisstabilität ausgerichtet (Art. 127 Abs. 1 Satz 1 AEUV). Dass hierin trotz mancher ähnlichen Instrumente – so weist Benjamin Grimm darauf hin, dass sowohl ESM als auch ESZB vorsorgliche Kreditlinien, Darlehen und auch Anleihekäufe einsetzen213 – ein Unterschied liegt, macht die Ausrichtung des ESM deutlich. Anders als die Politik des ESZB muss der ESM seine Finanzhilfen mit Auflagen verbinden, die insbesondere wirtschaftspolitische214 Reformen wie Ausgabenkürzungen, Einnahmenerhöhung oder Umschuldungen betreffen215. Der Währungspolitik sind solche Auflagen mit dem Ziel einer 208

Angedeutet bei Kube, in: WM 2012, S. 245; ders., in: WM 2013, S. 57, 60. Heß, in: ZJS 2011, S. 207, 210 f.; sowie von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 512 f. 210 EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 54 ff. und Rn. 95 ff. 211 In Bezug auf die Art. 123 bis 125 AEUV auch EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 210), Rn. 59. 212 Vgl. Heß, in: ZJS 2011, S. 207, 210 f.; siehe dazu im Übrigen supra Zweiter Teil, D. IV. 1. b). 213 Grimm, Zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, 2016, S. 63. 214 So auch GA Kokott, Stellungnahme vom 26. Oktober 2012, Rs. 370/12 („Pringle“) ECLI:​ EU:C:2012:675, Rn. 83. 215 Siehe Pilz / Dittmann, in: DÖV 2011, S. 438, 444 ff. 209

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

allgemeinen Stabilisierung des Finanzsystems aber grundsätzlich fremd. Die EZB unterstützt die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union lediglich (Art. 282 Abs. 2 Satz  3  AEUV). Mit einem ähnlichen Argument zweifelte das deutsche BVerfG in seinem Vorlagebeschluss vom 14. Januar 2014 die Unionsrechtmäßigkeit des OMT-Programms der EZB an. Im Rahmen dieses – 2012 angekündigten – Anleihekaufprogramms der EZB sollten Staatsanleihen von Euro-Mitgliedstaaten am Sekundärmarkt unter der Bedingung gekauft werden, dass der jeweilige Emittent die mit Finanzhilfen des ESM (bzw. der EFSF) verbundenen Auflagen einhält.216 Diese Auflagen beträfen „neben der allgemeinen Wirtschafts- und Sozialpolitik vor allem die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten, die gemäß Art. 126 [AEUV] aber von Kommission und Rat überwacht“ werde. Aufgrund dieser „Parallelität“ sei nicht nur der ESM als wirtschafspolitische Maßnahme einzuordnen, sondern auch das OMT-Programm.217 In seiner daraufhin ergehenden Vorabentscheidung wies der EuGH die Argumentation des BVerfG zwar in Bezug auf das OMT-Programm zurück. Durch die konditionale Verknüpfung mit der Einhaltung der Auflagen sei eine wirtschaftliche Stabilisierung vorstellbar; dabei handele es sich allerdings nur um eine „mittelbare Auswirkung“. Entscheidend für die Beurteilung einer Maßnahme sei ihr Ziel.218 Damit wiederholte der EuGH, wie schon zuvor auch das BVerfG, den Maßstab aus dem Urteil „Pringle“.219 Die Unterscheidung anhand der Zielsetzung der Maßnahmen ist überzeugend, weil umgekehrt eine trennscharfe Unterscheidung nach der Art der Maßnahme häufig daran scheitern dürfte, dass das Unionsrecht weder für die Wirtschafts- noch für die Währungspolitik einen abschließenden Maßnahmenkatalog beinhaltet. bb) Mitgliedstaateneigene Zuständigkeit Eine mitgliedstaatliche Zuständigkeit für die Herbeiführung einer Institution wie sie der ESM darstellt wurde durch den Gerichtshof in „Pringle“ bestätigt, und überdies durch die Einführung des Art. 136 Abs. 3 AEUV unterstrichen. Allerdings liegt die Zuständigkeit für den ESM auch ohne die Bestimmung des Art. 136 Abs. 3 AEUV ausschließlich bei den Mitgliedstaaten.220 Deshalb ist es auch unproblema-

216

Siehe Presseerklärung der EZB vom 6. September 2012, abrufbar unter https://www.ecb. europa.eu/press/pr/date/2012/html/pr120906_1.en.html. 217 BVerfG, Vorlagebeschluss vom 14. Januar 2014, 2 BvR 2728/13 et al., Rn. 74 ff.; Wider­ spruch aber bei Thiele, in: EuZW 2014, S. 694, 698  – allerdings besteht zwischen dem OMT-Programm der EZB und den Finanzhilfe-Programmen des ESM noch immer der Unterschied, dass in letzteren die Auflagen ausgehandelt werden und das OMT-Programm die Auflagen lediglich einseitig zur Voraussetzung macht. 218 EuGH, Urteil vom 16. Juni 2015, Rs. C-62/14 (Peter Gauweilet et al. / Deutscher Bundestag), ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 64. 219 EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 210), Rn. 55. 220 Müller-Graff, in: integration 2011, S. 289, 302; siehe auch supra I. 3. a).

A. Unionsrechtmäßigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus 

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tisch, dass die Änderung des Art. 136 Abs. 3 AEUV erst nach Unterzeichnung des ESM-Vertrags wirksam wurde.221 Selbst wenn man die Koordinierungskompetenz für die Wirtschaftspolitik als geteilten Zuständigkeitsbereich auffassen möchte, so mangelte es an der Ausübung einer unionalen Zuständigkeit; denn der EFSM ist natürlicherweise von nur vorübergehender Dauer,222 und die EFSF basierte wie auch der ESM auf intergouvernementalem Tätigwerden der Mitgliedstaaten.223 b) Fiskalvertrag Der Fiskalvertrag war anders als der ESM-Vertrag (noch) nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung auf Unionsebene. Angesichts dessen, dass der Fiskalvertrag und der ESM beinahe gleichzeitig in Kraft traten und auch die Entscheidung in der Rs. „Pringle“ bereits 2012 erging, ist wohl auch nicht mehr zu erwarten, dass sich der EuGH mit dem Fiskalvertrag und Fragen seiner unionsrechtlichen Zulässigkeit je noch auseinandersetzen wird  – das gilt umso mehr, wenn man sich den in Art. 16 Fiskalvertrag enthaltenen Auftrag (die Überführung der Regelungsmaterie in den Unionsrechtsrahmen) vergegenwärtigt. Die Beantwortung der Zulässigkeitsfrage ist daher bislang eine Aufgabe, der sich hauptsächlich das europarechtswissenschaftliche Schrifttum stellt. Im Übrigen hat auch das BVerfG die Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit des Fiskalvertrags nicht beantwortet224 – das verwundert nicht, musste sich der erkennende Senat doch auch lediglich mit der Grundgesetzmäßigkeit der deutschen Zustimmungsgesetze zu den intergouvernementalen Maßnahmen auseinandersetzen. Am Rande erwähnte der erkennende 2. Senat jedoch in seiner jüngsten aus einer Reihe von Entscheidungen zum Gegenstand intergouvernementaler Rettungsmaßnahmen, dass er auch eine Regelung, die über die bestehenden Regelungen der WWU hinausgehe und auf völkerrechtlichem Weg erfolge, für grundsätzlich zulässig erachte.225 Der Senat geht dabei freilich nicht ausdrücklich auf die Frage ein, ob das mitgliedstaatlich-intergouvernementale Vorgehen bei Herbeiführung des Fiskalvertrags mit der Zuständigkeitsverteilung der wirtschaftspolitischen Koordinierung zu vereinbaren

221

Vgl. GA Kokott, Stellungnahme „Pringle“ (supra Fn. 214), Rn. 64. Siehe dazu supra Zweiter Teil, D. IV. 1. b). 223 Siehe dazu supra Zweiter Teil, D. IV. 1. c). 224 Vgl. Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9 f. 225 BVerfG, Urteil vom 18. März 2014, 2 BvE 6/12, Rn. 172: „Es steht den Mitgliedstaaten im Übrigen frei, über die bestehenden wirtschafts- und haushaltspolitischen Bindungen des Unionsrechts hinaus weitere Bindungen einzugehen, soweit diese nicht in Widerspruch zu den unionsrechtlichen Vorgaben geraten (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV). Die Bundesrepublik Deutschland kann daher innerstaatlich strengere Regelungen für ihre Haushaltspolitik einführen und sich auch entsprechend vertraglich verpflichten.“. 222

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

ist. Implizit macht er allerdings deutlich, dass er jene im Fall des Fiskalvertrags als nicht in unzulässiger Weise überschritten erachte. aa) Kein Zuständigkeitsverstoß trotz bestehender primärvertraglicher Haushaltsregeln Der Fiskalvertrag knüpft vor allem an die mitgliedstaatliche Haushaltspolitik, oder genauer: die nationale Haushaltsdisziplin, an. Abzulesen ist dies am zentra­ len Element des Übereinkommens, der Verpflichtung zur Einführung einer im nationalen (Verfas­­­sungs-)Recht verankerten Schuldenbremse (Art. 3 Fiskalvertrag). Der Fiskalvertrag gibt konkrete – und verglichen mit den bestehenden Vorgaben im Primärrecht auch merklich schärfere – numerische Haushaltsregeln vor (siehe insgesamt supra Zweiter Teil, D. III. 3. a)). Auch wenn das Primärrecht in Art. 126 AEUV i. V. m. dem Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit eine zentrale normative Verankerung der Haushaltsdisziplin enthält sowie darüber hinaus im Vorfeld und zur Prävention eines Defizitverfahrens nach Art. 126 AEUV die besonderen primärrechtlichen Regelungen des Art. 121 AEUV gelten; durch die Verortung gemeinsamer Regeln zur mitgliedstaatlichen Haushaltspolitik im Primärrecht ist noch keine Aussage über die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten getroffen. Die dortigen Bestimmungen erlegen den Mitgliedstaaten lediglich grundsätzliche Regeln zur Gestaltung ihrer eigenen öffentlichen Finanzen auf. Das bedeutet aber auch, dass die Mitgliedstaaten zur Gestaltung ihrer jeweiligen Haushalte selbst verantwortlich und zuständig bleiben.226 Freilich dürfen die Mitgliedstaaten die primärrechtlichen Bestimmungen dabei nicht verändern (siehe dazu infra 2. b)). bb) Kein Zuständigkeitsverstoß trotz Konkretisierungsbefugnissen der Union Allerdings hat auch die Union Regelungskompetenzen erhalten, namentlich jene in Art. 121 Abs. 6 und Art. 126 Abs. 14 AEUV. Von beiden Vorschriften machte der Unionsgesetzgeber – vereinzelt auch i. V. m. Art. 136 Abs. 1 AEUV – bereits im Zuge des Reformpakets Economic Governance Gebrauch.227 Im Falle des Art. 121 Abs. 6 AEUV handelt es sich um eine Unionskompetenz zur detaillierteren sekundärrechtlichen Ausformung des in Art. 121 Abs. 3 und 4 AEUV definierten Koordinierungsverfahrens. Für alle Mitglieder der Eurozone besteht zudem die Möglichkeit, über Art. 136 Abs. 1 AEUV und unter Rückgriff auf Art. 121 Abs. 6 AEUV Detailregelungen nur für die Eurozone festzulegen. Art. 126 Abs. 14 AEUV demgegenüber enthält eine Regelung, die der Union eine Kompetenz ver 226 227

Siehe dazu supra Zweiter Teil, B. II. 2. Siehe dazu supra Zweiter Teil, C. II. 2. a).

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leiht, das Defizitverfahren mittels Durchführungsbestimmungen zu konkretisieren und dabei insbesondere auch das Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit zu ändern. Indessen beschränkt sich die Befugnis der Union darauf, innerhalb des durch das Primärrecht vorgegebenen Rahmens zu bleiben und die dortigen Vorgaben weder formell noch materiell zu verändern.228 Schon normenhierarchisch will nicht einleuchten, wie durch Sekundärrechtsakte materielles Primärrecht veränderbar sein soll. Selbst wenn aber formelle und materielle Änderungen, wie sie bspw. das Reformpaket Economic Governance beinhaltete, auf Grundlage von Art. 136 Abs. 1 i. V. m. Art. 121 Abs. 6 AEUV zulässig wären,229 so kommt der Union dadurch lediglich eine Regelungsbefugnis für die Mitgliedstaaten der Eurozone zu, nicht aber für alle 25 am Fiskalvertrag beteiligten Mitgliedstaaten. Abgesehen davon kommt den per Unionsrechtsakt ergangenen Maßnahmen aber schon keine Sperrwirkung i. S. v. Art. 2 Abs. 2 AEUV zu, die die Ausübung einer mitgliedstaatlichen Zuständigkeit ausschließen könnte,230 vielmehr bleiben die Mitgliedstaaten selbst zuständig.231 c) IGA Auch im Zusammenhang mit dem Abwicklungsfonds bestehen Zweifel im Hinblick auf die Wahrung der spezifischen Zuständigkeitsgrenzen des Unionsrechts; diese sind allerdings erneut anders gelagert als noch in den Fällen des ESM oder des Fiskalvertrags. aa) Einordnung als wirtschaftspolitische Maßnahme Das IGA könnte zunächst genauso wie der ESM und der Fiskalvertrag als eine mitgliedstaatlich-koordinierte Maßnahme aufgrund der (ungeteilten mitgliedstaatlichen) Kompetenz für Wirtschaftspolitik einzuordnen sein; dann käme entsprechendem unionalen Tätigwerden keine Sperrwirkung zu und das IGA wäre prima facie kompetenzkonform. Das IGA zielt auf die Einsammlung von Finanzmitteln bei Finanzinstituten ab, um diese zu bündeln; auf diese Weise unterwirft das IGA 228

Bast / Rödl, in: EuGRZ 2012, S. 269, 275; Häde, in: Europäische Solidarität und nationale Identität, 2013, S. 196 f.; Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 51; kritisch in Bezug auf das Sixpack auch Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 171 ff. 229 So Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 371 ff. 230 Siehe dazu supra I. 1. e) bb); so aber wohl im Zusammenhang mit dem Fiskalvertrag ­Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 11, die aus Art. 121 Abs. 6 AEUV zumindest eine Zustimmungspflicht des Europäischen Parlaments ableiten möchten. 231 Siehe im Zusammenhang mit dem Fiskalvertrag auch Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 63; sowie Häde, in: Europäische Solidarität und nationale Identität, 2013, S. 193, 201; a. A. aber wohl Schwarze et al.-Hattenberger, 2012, Art. 126 AEUV Rn. 71.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

den Bankensektor jedenfalls soweit der SRM greift einer spezifischen Regulierung. Ziel des Abwicklungsfonds ist, die zukünftige Entlastung der nationalen Haushalte der Mitgliedstaaten sicherzustellen. Damit lässt sich grundsätzlich ein Konnex zur Koordinierung mitgliedstaatlicher Wirtschaftspolitik herstellen.232 bb) Einordnung als noch nicht gesperrte binnenmarktbezogene Maßnahme Allerdings liegt nahe, die mit dem IGA verwirklichte Maßnahme als eine binnenmarktbezogene Maßnahme einzuordnen, die deshalb dem geteilten Zuständigkeitsbereich unterfallen würde (siehe Art. 3 Abs. 2 lit. a) AEUV). Dazu müsste der Union aber eine Regelungskompetenz zukommen, auf die sie sich auch für die Einführung des Abwicklungsfonds hätte berufen können. In Betracht kommt hier Art. 114 AEUV, der als Ermächtigungsvorschrift auch schon der Einführung des SRM diente.233 Indes entfällt hier eine Sperrwirkung für mitgliedstaatliches Tätigwerden nicht nur deshalb, weil die Union ihre Regelungskompetenz zur Einführung des Abwicklungsfonds nicht ausgenutzt hatte, sondern vielmehr schon deshalb, da die Mitgliedstaaten im Rahmen des Gesetzgebungs-(trilog-)verfahrens (vgl. auch Art. 67 Abs. 1 Satz 2 SRM-Verordnung) gerade dazu ermächtigt wurden, intergouvernemental-völkerrechtlich tätig zu werden.234 2. Unionsrechtmäßigkeit der inneren Ausgestaltung a) ESM aa) Keine Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln für wirtschaftspolitische Koordinierung Der ESM ist darauf ausgerichtet, die bestehenden gemeinsamen Regeln und Maßnahmen zur wirtschaftspolitischen Koordinierung zu unterstützen; insbesondere die MoU-Konditionalitäten sollen die bestehenden Vorschriften nicht etwa beeinträchtigen, sondern ihre Wirksamkeit verbessern.235

232

Vgl. insofern auch Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, Rn. 62 ff. sowie 187, der die besondere Souveränitätssensibilität von national-mitgliedstaatlichen Haushaltsfragen unterstreicht. 233 Für die Tauglichkeit von Art. 114 AEUV als Ermächtigungsgrundlage Herrmann / Rosenfeldt, Gutachten, 2014, S. 9 ff.; zweifelnd indes Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, S. 25 ff. 234 Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, Rn. 80, 103, sowie 154; siehe dazu auch supra Zweiter Teil, D. II. 1. b). 235 Vgl. Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 155 ff.

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bb) Zulässige Organleihen (1) Kommission Indem die Vertragsstaaten der Kommission Befugnisse im Rahmen des ESM-​ Vertrages übertragen, findet keine Verfälschung ihrer bestehenden Befugnisse statt. Vielmehr handelt es sich um eine Erweiterung ihrer Befugnisse, die nicht im Widerspruch zu ihren unionsvertraglichen Pflichten steht, oder in die Befugnisse anderer Organ eingreift bzw. die Wirksamkeit der Befugnisse anderer Organe beschneidet; aus der „Hüterin der Verträge“ macht der ESM-Vertrag gewissermaßen eine „Hüterin der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets“ (vgl. Art. 13 ESM-Vertrag sowie supra Zweiter Teil D. IV. 3.). (2) EZB Zwar gilt auch in Bezug auf die Leihe der EZB, dass diese durch die ihr übertragenen Aufgaben nicht in die unionsrechtlichen Befugnisse anderer Organe eingreift. Der Fall der ebenfalls durch den ESM-Vertrag entliehenen EZB könnte sich aber deshalb von demjenigen der Kommission unterscheiden, weil die EZB anders als die Kommission mit organspezifischer Unabhängigkeit nach Art. 130, 282 Abs. 3 AEUV ausgestattet ist.236 Dabei gilt es zunächst zu berücksichtigen, dass die EZB – anders als die Kommission – im Rahmen des ESM-Vertrags keine verbindlichen Entscheidungen trifft;237 vielmehr wird die EZB von der Kommission nur ins Benehmen gesetzt, ohne dass letztere aber an die Auffassung der EZB gebunden wäre.238 Bedeutungsvoller ist indes, dass die EZB auch im Rahmen des ESM-Vertrags weder Berichtspflichten zu erfüllen hat, noch weisungsgebunden ist oder in sonstiger Abhängigkeit gegenüber ESM-eigenen Organen oder anderen Unionsorganen steht. Die unabhängige Wahrnehmung ihrer unionsrechtlichen Pflichten ist somit durch ihre ESM-Tätigkeit nicht gefährdet. (3) EuGH Der EuGH entscheidet über Auslegung der ESM-Vertragsregeln gemäß Art. 37 Abs. 3 ESM-Vertrag; dabei agiert der Gerichtshof gewissermaßen in zweiter Instanz, da Auslegungsfragen zuvor vom Gouverneursrat des ESM entschieden werden (Art. 37 Abs. 2 ESM-Vertrag). 236

Kritisch insofern Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 161; sowie Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 72 f. 237 Siehe dazu supra Zweiter Teil, D. IV. 3.; a. A. Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 72. 238 Anders ist dies lediglich im Fall des Art. 18 Abs. 2 ESM-Vertrag; siehe dazu von der Groeben / Schwarze / Hatje-Selmayr, 2015, Art. 282 AEUV Rn. 63.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Indem der EuGH dazu berufen ist, über die Auslegung des ESM-Vertrags letztgültig zu entscheiden, greift er weder in die Befugnisse anderer Organe ein, noch verstößt er damit gegen seine eigenen unionsrechtlichen Pflichten. Im Gegenteil: Da der ESM-Vertrag insbesondere durch die MoU-Konditionalität mit dem Unionsrecht verknüpft ist, kann der EuGH durch Auslegung des ESM-Rechts für eine kohärente Rechtsprechung sorgen; der „Pringle“-Entscheidung des EuGH ist schließlich darin beizupflichten, dass der notwendige Zusammenhang zum Recht der Union (Art. 273 AEUV) dadurch ebenfalls vorliegt. b) Fiskalvertrag aa) Kein Verstoß gegen die Änderungsfestigkeit des Unionsrechts (1) Verschärfung des Defizitkriteriums Sowohl die nominelle Verschärfung des Defizitkriteriums als auch die Vorgabe einer Verankerung im nationalen Recht, die der Fiskalvertrag mit seiner neuen Schuldenbremse vorsieht, gehen zwar über bereits bestehende Regelungen hinaus. Durch die Verschärfung bleiben allerdings die bestehenden Regelungen unverändert wirksam. Schließlich entspricht derjenige Mitgliedstaat, der die Regel aus Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fiskalvertrag befolgt, gleichsam auch den Vorschriften aus Art. 126 Abs. 1 und 2 AEUV i. V. m. Art. 1 des Protokolls Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit. Indem Mitgliedstaaten die Befolgung jener strengeren Defizitkriterien sogar im nationalen Recht verbindlich, dauerhaft und vorzugsweise per Verfassungsrecht festschreiben (Art. 3 Abs. 2 Fiskalvertrag), scheint eine Befolgung der Regeln sogar umso wahrscheinlicher. Die Verschärfung des Defizitkriteriums durch den Fiskalvertrag behindert somit nicht die Anwendung bestehender primärrechtlicher Vorschriften; ihre Funktionsfähigkeit ist mithin nicht eingeschränkt. Im Gegenteil: Setzen die Vertragsstaaten die insofern als Ergänzung zu verstehenden Regelungen des Fiskalvertrags um, so vermindert sich die Gefahr eines Verstoßes gegen unionsrechtliche Vorgaben.239 (2) Regeln zur wirtschaftspolitischen Koordinierung Genauso wenig ändern die Art. 9–11 Fiskalvertrag das bestehende (wirtschaftspolitische) Koordinierungsverfahren in Art. 121 AEUV; seine Funktionsfähigkeit bleibt uneingeschränkt bestehen. Vielmehr handelt es sich im Falle der fiskalvertraglichen Regelungen um eine zulässige Ergänzung, wenn die Mitgliedstaaten (i. e. die Vertragsstaaten) nunmehr nach Art. 11 Fiskalvertrag sämtliche „größeren wirtschaftspolitischen Reformen“ koordinieren sollen. 239

Nettesheim, in: NJW 2013, S. 14, 16; Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 482.

A. Unionsrechtmäßigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus 

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(3) Umkehrung des Mehrheitsprinzips im Rat Auch die Umkehrung des Mehrheitsprinzips im Rat für Verfahren nach Art. 126 AEUV begegnet vor dem Hintergrund der Änderungsfestigkeit des Primärrechts keinen durchgreifenden Bedenken.240 Art. 7 Fiskalvertrag sieht zwar vor, dass die Vertreter im Rat (die gleichzeitig zu den Vertragsstaaten des Fiskalvertrags gehören) regelmäßig den Vorschlag der Kommission unterstützen, und hiervon erst dann abweichen, wenn sich eine qualifizierte Mehrheit der Vertragsstaaten gegen einen Vorschlag ausspricht. Zum einen soll aber gerade nicht die Kommission vollständig an die Stelle des Rates treten, was andernfalls unter den Gesichtspunkten einer drohenden Veränderung bestehender Regeln problematisch wäre.241 Vielmehr bleibt es auch mit der Regel in Art. 7 Fiskalvertrag bei der von Art. 126 AEUV vorgeschriebenen Aufgabenverteilung zwischen Kommission und Rat. Schwerer wiegt demgegenüber der Verdacht, Art. 7 Fiskalvertrag könnte die in Art. 126 Abs. 6 i. V. m Abs. 13 Uabs. 3 und Art. 238 Abs. 3 lit. a) AEUV vorgesehene Mehrheitsregelung verändern.242 Dagegen wird angeführt, es handle sich im Falle der Verpflichtung nach Art. 7 Fiskalvertrag lediglich um eine freiwillige; die Vorgaben des Primärrechts seien gerade nicht modifiziert.243 Für eine solche Ansicht spräche, dass sich die Überprüfungsbefugnis des EuGH nach Art. 8 Fiskalvertrag nicht auch auf Art. 7 Fiskalvertrag bezieht. Indes lässt sich dem Wortlaut von Art. 7 Fiskalvertrag selbst nicht entnehmen, weshalb sich die Mitgliedstaaten nur freiwillig gebunden sehen sollten. Überzeugender scheint deshalb, Art. 7 Fiskal­vertrag als antizipierte Zustimmung der Mitgliedstaaten bei Maßnahmen im Rahmen des Defizitverfahrens zu lesen, die sie nur ausnahmsweise dann widerrufen, wenn sich eine entsprechende Zahl unter ihnen gegen einen Vorschlag wendet. Dieser Lesart zufolge ändert Art. 7 Fiskalvertrag das Defizitverfahren sowie insbesondere den Abstimmungsmodus (oder insgesamt die Funktionsweise) nicht;244 die Mitgliedstaaten verpflichten sich nur zu einem regelmäßigen Abstimmungsverhalten im Rahmen des bestehenden Defizitverfahrens. (4) Die Einführung eines Euro-Gipfels Die Einführung eines Euro-Gipfels (Art. 12 Fiskalvertrag) begegnet schon deshalb keinen Bedenken, da eine entsprechende Einrichtung bislang weder in den 240

A. A. Ortmann, in: EuZW 2015, S. 539 ff. Vgl. Kube, in: WM 2012, S. 245, 251. 242 Kritisch Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 11 ff., insbesondere aber mit Hinblick auf eine Lesart, wonach die Vorschläge der Kommission bereits ohne eine Zustimmung im Rat in Rechtskraft erwachsen sollen; dieses Verständnis legt auch Ortmann, in: EuZW 2015, S. 539, 540 zugrunde. 243 So Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 482 f. 244 Anders noch zum automatischen Sanktionsmechanismus in einem geplanten Vorläufer des Fiskalvertrags Häde, in: Europäische Solidarität und nationale Identität, S. 193, 199 m. w. N. 241

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Primärverträgen vorgesehen ist, noch weil der Euro-Gipfel Kompetenzen von anderen Organen „wegnimmt“ und diese damit verändern würde245. bb) Keine Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln Genauso wie der Fiskalvertrag primärrechtliche Vorschriften unverändert lässt und lediglich erweitert, beeinträchtigt er im Übrigen auch keine sekundärrechtlichen Vorschriften.246 Durch die Einführung der Schuldenbremse einschließlich einer verschärften numerischen Defizitregel geht der Fiskalvertrag vielmehr auch über die Sixpack-Regel zum mittelfristigen Haushaltsziel in Art. 2a der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 in der Fassung nach der Verordnung (EU) Nr. 1175/2011, dessen Defizit nicht mehr als ein 1 Prozent des BIP betragen soll, hinaus. Noch deutlicher regelt Art. 4 Fiskalvertrag die Beziehung zu den sekundärrechtlichen Sixpack-Vorgaben: Ausdrücklich verpflichten sich die Vertragsparteien darin, die in Art. 2 der Verordnung (EG) 1467/97 in der Fassung nach der Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 noch lediglich als Referenzmaß vorgegebene Verringerung des öffentlichen Schuldenstands um ein jährliches Zwanzigstel, nunmehr verbindlich einzuhalten.247 cc) Zulässige Organleihen Anders als noch im Fall des ESM-Vertrags konnte der Fiskalvertrag nicht auf die Zustimmung aller Mitgliedstaaten bauen. Diejenigen Stimmen, die für die Zulässigkeit einer Organleihe eine Zustimmung aller Mitgliedstaaten oder gar der Union fordern, machten ihre Kritik deshalb auch insbesondere am Fiskalvertrag fest.248 Nicht nur fehlte die Zustimmung aller Mitgliedstaaten, vielmehr lag sogar ein ausdrücklicher verbaler Protest des Vereinigten Königreichs vor. Auch wenn zweifelhaft ist, ob die anschließende Billigung der fortwährenden Organleihe seitens des Vereinigten Königreichs als Rücknahme des Protests aufgefasst werden kann;249 solange die Befugnisse der entliehenen Organe nicht durch den Fiskalvertrag verfälscht werden, bedurfte es der Zustimmung aller Mitgliedstaaten nicht.250

245

In diese Richtung aber Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 17; differenzierter Calliess / Schoen­ fleisch, in: JZ 2012, S. 477, 483. 246 Siehe Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 482; zu einer vormaligen Entwurfsfassung des Fiskalvertrags Kube, in: WM 2012, S. 245, 250. 247 Vgl. Kube, in: WM 2012, S. 245, 250 f. 248 Siehe exemplarisch Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9 ff. 249 So aber Hofmann / Konow, in: ZG 2012, S. 138, 152. 250 Siehe supra  I. 3. d); a. A. Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 484.

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(1) Kommission Die Kommission wird zwar an verschiedenen Stellen des Fiskalvertrags mit Aufgaben betraut. Keine dieser Aufgaben bedeutet aber einen Eingriff in die Befugnisse anderer Organe noch einen Verstoß gegen unionsrechtliche Pflichten der Kommission.251 Vielmehr sind die der Kommission übertragenen Aufgaben vielfach deckungsgleich mit bereits bestehenden Befugnissen der Kommission nach dem Sixpack bzw. dem Twopack.252 Die Rolle der Kommission im Verfahren nach Art. 8 Fiskalvertrag ähnelt sodann derjenigen, die sie auch nach Art. 258 AEUV bekleidet. Auch das Informationsrecht der Kommission hinsichtlich von Anleiheemissionen in Art. 6 Fiskalvertrag enthält keine verfälschende Befugnis in Anbetracht der Überwachungsfunktion, die der Kommission bereits nach Art. 121 AEUV zukommt.253 Zuletzt bedeutet auch die Befugnis der Kommission keine Verfälschung, nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Fiskalvertrag Korrekturmaßnahmen im Falle eines Verstoßes gegen die Schuldenbremse vorzuschlagen; insbesondere greift die Kommission hierdurch nicht in Befugnisse etwa des Rates nach Art. 126 AEUV ein, da die fiskalvertragliche Schuldenbremse ein eigenes, auf nationales (Verfassungs-)Recht zielendes Regime darstellt. (2) EuGH Die Leihe des EuGH, der nach Art. 8 Fiskalvertrag prüft, ob die Regeln der Schuldenbremse (adäquat) in nationales Recht umgesetzt wurden, ist an Art. 273 AEUV zu messen. Durch diese Prüfkompetenz greift der EuGH jedenfalls nicht in die Befugnisse anderer Organe unionsrechtswidrig ein. Unschädlich ist deshalb auch, dass die in Art. 8 Fiskalvertrag niedergelegte Befugnis zur Fristsetzung (Art. 8 Abs. 1 Satz 4) oder die Befugnis zur Verhängung von Geldstrafen – primärvertraglich ist dies nämlich nach Art. 260 AEUV nur dann möglich, wenn ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat  – über die unionsrechtlich vorgesehenen Befugnisse hinausgeht.254 Auch geht hierdurch nicht etwa der erforderliche Zusammenhang zum Recht der Union verloren. Zum Gegenstand der Verträge gehört vielmehr auch die Gewährleistung solider öffentlicher Finanzen. Gerade diesem Ziel dient aber der Fiskalvertrag insbesondere mit den Vorschriften in seinen Art. 3 und 8. Ein hinreichender Konnex mit dem Gegenstand der Verträge 251

So auch Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 178; grundsätzlich a. A. Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 20 f., der jede Befugnisverleihung ohne Beachtung des Art. 48 EUV ablehnt. 252 So auch Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 484. 253 Calliess / Schoenfleisch, in: JZ: 2012, S. 477, 484. 254 A. A. Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 14 Fn. 4; Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 11; sowie noch in Bezug auf eine vormalige Entwurfsfassung Kube, in: WM 2012, S. 245, 251.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

liegt daher vor.255 Auch ist die Vorschaltung der Kommission darüber hinaus keine unzulässige Umgehung der Regel in Art. 273 AEUV, nach der nur die Mitgliedstaaten Parteien eines Verfahrens sein können.256 Parteien des „Verletzungsverfahrens“ sind aber trotz dessen nur die Mitgliedstaaten als Vertragsstaaten; dies ist schon daran erkennbar, dass nur diese überhaupt durch den Fiskalvertrag gebunden sind, die Kommission dagegen lediglich mit Aufgaben betraut ist. Möglicherweise würde der EuGH aber gegen unionsrechtliche Pflichten verstoßen, wenn er durch sein Tätigwerden im Rahmen des Fiskalvertrags ein für das Defizitverfahren nach Art. 126 Abs. 10 AEUV ausgeschlossenes Vertragsverletzungsverfahren durchführt.257 Indes wendet der EuGH gerade kein Unionsrecht, sondern mitgliedstaatlich-intergouvernementales Recht an, welches lediglich einen Konnex zum Unionsrecht aufweist. Deshalb verursacht die Leihe des EuGH nicht nur keine Verfälschung von Organbefugnissen; zudem entspricht die vorgesehene Leihe auch den Voraussetzungen des Art. 273 AEUV. c) IGA aa) Keine Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln Das bestehende IGA entfaltet bereits deshalb kein Potential, das Unionsrecht zu beeinträchtigen, da es vielmehr eine vom Unionsrecht in Gestalt der SRM-Verordnung bewusst gelassene Lücke auszufüllen versucht.258 Wenn dagegen angeführt wird, dass das IGA die SRM-Verordnung beeinträchtigen könne, weil letztere nach ihrem Art. 77 von der Funktionsfähigkeit des Abwicklungsfonds abhängig sei,259 so verwechseln jene Stimmen das IGA mit seiner Aufkündigung. So verhilft das IGA dem SRM gerade zur vollen Funktionsfähigkeit; würden die Mitgliedstaaten demgegenüber das IGA kündigen bzw. erheblich modifizieren, so läge eine unionsrechtswidrige Beeinträchtigung nahe. Indes schützt das Beeinträchtigungsverbot nicht vor der bloßen Möglichkeit einer Beeinträchtigung durch einen actus contrarius.260 Genauso wenig ist eine Beeinträchtigung gemeinsamen Rechts darin zu erkennen, dass der Abwicklungsfonds mit einem Änderungsschutz nach Art. 9 IGA versehen ist. Insbesondere soll damit nicht ausgeschlossen sein, dass die SRM-Ver-

255

So dann auch Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 13; sowie Craig, in: ELR 2012, S. 231, 245. 256 So aber Craig, in: ELR 2012, S. 231, 245 ff.; sowie Fischer-Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 11 f. 257 In diese Richtung Schwarze et al.-Hattenberger, 2012, Art. 126 AEUV, Rn. 71. 258 Siehe schon supra Zweiter Teil, D. II. 3. a). 259 Herrmann / Rosenfeldt, Gutachten, 2014, S. 24. 260 Vgl. Epiney, in: FS Ress, 2005, S. 441, 454.

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ordnung geändert wird;261 bei einer Änderung kann es vielmehr lediglich zu einer Kündigung des IGA und damit der mitgliedstaatlich-intergouvernmentalen Unterstützung des SRM kommen. Das dadurch gegebenenfalls zutage tretende Unterlassen stellt aber noch keine Beeinträchtigung dar, da sich die Schutzrichtung des Beeinträchtigungsverbots nur gegen ein aktives Tätigwerden der Mitgliedstaaten richtet.262 bb) Zulässige Organleihe (1) EuGH Die dem EuGH übertragene Streitbeilegung stellt auch im Rahmen des IGA (Art. 14) keine Befugnisverfälschung dar. Der notwendige Zusammenhang zum Unionsrecht ergibt sich daraus, dass sich IGA und SRM gegenseitig bedingen; die Streitbeilegung durch den EuGH dient daher der Kohärenz bei Auslegung der jeweiligen Vorschriften. (2) SRB Zwar stellt der SRB kein Organ der Union, sondern eine durch Sekundärrechtsakt erschaffene Unionsagentur dar.263 Der auf Organe zugeschnittenen Verfälschungsdogmatik scheint daher bei Analyse der Befugnisverleihung an den SRB durch das IGA keine Bedeutung zuzukommen. Stattdessen ist die Befugnisverleihung am Beeinträchtigungsverbot zu messen. Erneut gilt aber, dass das IGA dem SRB Befugnisse verleiht, nicht etwa um die Funktionsfähigkeit des Unionsrechts zu konterkarieren, sondern vielmehr um die Funktionsfähigkeit des SRM zu gewährleisten.

261

So auch Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, Rn. 158 f. Jedenfalls richtet sich die Schutzrichtung des Beeinträchtigungsverbots nach der Rechtsprechung stets nur gegen ein aktives Tätigwerden der Mitgliedstaaten mittels interner Übereinkommen – siehe dazu supra I. 3. c). 263 Vgl. zum Agenturbegriff Sölter, Rechtsgrundlagen europäischer Agenturen im Verhältnis vertikaler Gewaltenteilung, 2017, S. 30 ff. 262

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B. Unionsrechtliche Alternativlosigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus I. Der Intergouvernementalismus im Konflikt mit dem Loyalitätsprinzip? 1. Pflichtenlehre des unionalen Loyalitätsprinzips Mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit hat ein schwierig zu umfassendes Rechtsprinzip Eingang in die Unionsrechtsordnung gefunden, dessen Abstraktheit auch durch das in der deutschsprachigen Rechtswissenschaft vielfach synonym verwendete Wort der Unionstreue264 nicht reduziert werden kann.265 Auch seine normative Verankerung in Art. 4 Abs. 3 EUV kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Loyalitätsprinzip in hohem Maße durch Gesetz, Rechtsprechung und Wissenschaft ausgestaltungsbedürftig ist.266 Die Unionsverträge differenzieren das Loyalitätsprinzip schließlich in vielfältiger Weise selbst aus und nehmen vereinzelt unmittelbar begrifflichen Bezug auf die Loyalität (Art. 13 Abs. 2 Satz 2 EUV und Art. 24 Abs. 3 EUV).267 Wie angesichts der Abstraktheit des Loyalitätsprinzips freilich nicht verwundern darf, nahm und nimmt die Rechtsprechung des EuGH die wohl bedeutendste Rolle bei der Ausdifferenzierung des Loyalitätsprinzips ein.268 Das gilt umso mehr noch, als bis zum Vertrag von Lissabon das geltende Primärrecht den Begriff der loyalen Zusammenarbeit überhaupt nicht enthielt.269 Der Rechtswissenschaft ist schließlich vor allem zu verdanken, ausgehend von der teil 264 Der Hintergrund hierfür scheint die Herstellung semantischer Vergleichbarkeit mit dem deutsch-verfassungsrechtlichen Gebot der Bundestreue (Art. 20 Abs. 1 GG) zu sein, vgl. Calliess / Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler, 2016, Art. 4 EUV Rn. 30; exemplarisch Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, 2004, S. 42 ff.; vgl. auch Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, 2001, S. 17; ausführlich zur rechtlichen Vergleichbarkeit Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip, 1992, S. 143 ff.; sowie Wille, Die Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft zur loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, 2003, S. 83 ff.; siehe auch Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue in der Europäischen Gemeinschaft, 1992, S. 18. 265 In einer Altauflage (und zum alten Art. 10 EGV) war dbzgl. noch von einem „dogmatischen Nebel“ die Rede, Calliess / Ruffert-Kahl, 2002, Art. 10 EGV Rn. 57; vgl. aktuell Calliess / ​ Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler, 2016, Art. 4 EUV Rn. 38; vgl. unterstützend Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, 2001, S. 14. 266 Calliess / Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler 2016, Art. 4 EUV Rn. 38; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, 2001, S. 40; Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, Rn. 101. 267 Siehe die überblickhafte Darstellung bei Calliess / Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler, 2016, Art. 4 EUV Rn. 39 ff. 268 Allgemein dazu von Bogdandy, in: FS Grabitz, 1995, S. 17 ff.; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, 2001, S. 41, der den EuGH hier gar als den Erschaffer bezeichnet; vgl. auch Wille, Die Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft zur loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, 2003, S. 76 ff. 269 Vgl. Wille, Die Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft zur loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, 2003, S. 19 ff.

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weise schon als „punktuell-apodiktisch“270, teilweise als „innovativ-progressiv“271 umschriebenen Kasuistik, die unterschiedlichen Facetten (oder sogar etwas sperrig: „Subprinzipien“272) des Loyalitätsprinzips typisiert zu haben. Seit jeher steht das Loyalitätsprinzip für (Handlungs- und Unterlassungs-) pflichten zur Förderung der Funktionsfähigkeit der Union, die über ein schlichtes pacta sunt servanda hinausgehen.273 Schon Art. 5 EWGV zielte auf die Mitgliedstaaten und erlegte ihnen ausdrücklich Pflichten auf.274 Auch der EuGH sprach anfangs nicht etwa vom Grundsatz oder dem Prinzip, sondern vielmehr von der „Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit“.275 Das aus dem Loyalitätsprinzip fließende Pflichtenprogramm darf allerdings nicht uneingeschränkt in mitgliedstaatliche Zuständigkeitsbereiche diffundieren, sondern bedarf in jedem Einzelfall gesonderten Begründungsaufwands.276 Darüber hinaus darf das Loyalitätsprinzip auch nicht zu blindem Gehorsam gegenüber einem Unionsprimat, zu Gleichmacherei und zur Einebnung unterschiedlicher, in demokratischen Willensbildungsprozessen geformten nationalen und regionalen Partikularinteressen führen, ohne dem Zusammenspiel der verschiedenen Hoheitsträger im Mehrebenensystem nicht den Garaus zu machen. Die Angemessenheit des Rechtsprinzips der Loyalität scheint daher nur dann gewahrt, wenn es „Einheit stiftet“ und gleichzeitig „Vielfalt schützt“.277 Dieser zweiseitigen Sinnhaftigkeit des Loyalitätsprinzips entspricht seine bewusst reziproke Ausgestaltung: Art. 4 Abs. 3 EUV nimmt sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten in die Pflicht sowie als dritte Dimension die Mitgliedstaaten untereinander;278 teilweise wird in der gegenseitigen Treuepflicht der Unionsorgane eine vierte Dimension des Loyalitätsprinzips in Art 4 Abs. 3 EUV ausgemacht.279

270

Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, 2001, S. 14 m. w. N. Calliess / Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler, 2016, Art. 4 EUV Rn. 38. 272 Calliess / Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler, 2016, Art. 4 EUV Rn. 39 ff. 273 Epiney, in: FS Ress, 2005, S. 441, 444; vgl. auch Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, 2004, S. 45; vgl. Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 187 m. w. N. 274 Vgl. Wille, Die Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft zur loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, 2003, S. 24 ff. 275 Siehe EuGH, Urteil vom 10. Februar 1983, Rs. 230/81 (Luxemburg / Europäisches Parlament), ECLI:EU:C:1983:32, Rn. 37; sowie Urteil vom 15. Januar 1986, Rs. 52/84 (Kommission / ​ Belgien), ECLI:EU:C:1986:3, Rn. 16; siehe aber jüngst EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 148. 276 Vgl. Wille, Die Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft zur loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, 2003, S. 130 ff.; vgl. auch Epiney, in: FS Ress, 2005, S. 441, 445. 277 Ausdrücke bei von Bogdandy, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 13, 54. 278 Callies / Ruffert-Kahl, 2016, Art. 4 EUV Rn. 46; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Schill / Krenn, 66. EL 2019, Art. 4 EUV Rn. 61; sowie Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, 2001, S. 61; Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, 2004, S. 43; vgl. auch von Bogdandy, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 13, 55. 279 Vedder / Heintschel von Heinegg-Vedder, 2018, Art. 4 EUV Rn. 31; vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, 2015, Art. 4 EUV Rn. 146. 271

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Nach der Rechtsprechung im Fall „Hurd“ war zunächst unklar, ob das Loyalitäts­ prinzip auch in interne Übereinkommen hineinwirken würde.280 Immerhin statuierte der Gerichtshof, dass „[Loyalitäts-]Pflichten, die im Rahmen der [primärrechtlichen] Verträge bestehen, nicht auf gesonderte Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten angewandt werden können“.281 Allerdings relativierte der Gerichtshof diese Auffassung sogleich wieder, und schloss: „Anders wäre es nur, wenn eine Maßnahme zur Durchführung eines solchen von den Mitgliedstaaten […] geschlossenen Übereinkommens die Anwendung einer Bestimmung der Verträge […] behindern würde.“282 Dass der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit auch für intergouvernemental agierende Mitgliedstaaten inter se gilt, steht mittlerweile aber auch beim Gerichtshof außer Frage.283 Ohnehin erschien nach der Rechtsprechung „Hurd“ unklar, wie der EuGH eine entgegenstehende Ansicht denn begründen würde; schließlich trifft im Falle intergouvernementaler Tätigkeit schlechterdings jeden Mitgliedstaat einzeln, und folglich das Kollektiv, eine Treuepflicht.284 Schon aufgrund seines „dynamisch-evolutiven“285 Charakters ist das Aufdröseln der einzelnen Pflichten des Loyalitätsprinzips nur im Hinblick auf eine Typisierung erkenntnisreich; diese kann im Rahmen deduktiver Rechtsfindung bei der Formulierung seither nicht ausdrücklich erwähnter (Loyalitäts-)Pflichten helfen. Umfangreicheren Typisierungsversuchen ist regelmäßig dieselbe Zergliederung eigen:286 Auf einer ersten Stufe wird zwischen Pflichten der jeweiligen Dimension (Mitgliedstaaten-Union, Union-Mitgliedstaaten, Mitgliedstaaten-Mitgliedstaaten287) unterschieden, auf einer zweiten zwischen Pflichten der jeweiligen verpflichteten Hoheitsgewalt (Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung)288; die mitgliedstaatliche Gesetzgebung unterliegt auf einer dritten Ebene schließlich unterschiedlichen Pflichten, die in Durchführungs-Unterstützungspflichten, Ko 280 Vgl. von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 515; anders offenbar Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 232. 281 EuGH, Urteil vom 15. Januar 1986, Rs. C-44/84 („Hurd“), ECLI:EU:C:1986:2, Rn. 38. 282 Ebd. Rn. 39. 283 Siehe zuletzt auch EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 275), Rn. 148 ff. 284 Vgl. die Argumentation bei Kort, in: JZ 1997, S. 640, 645 f.; im Ergebnis auch von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 515 f. m. w. N. 285 Wille, Die Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft zur loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, 2003, S. 24. 286 Die monographischen Darstellungen sind allerdings allesamt etwas in die Jahre gekommen, siehe: Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, 2004, S. 47 ff.; Wille, Die Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft zur loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, 2003, S. 24 ff.; aktueller natürlicherweise die Kommentarliteratur – hier übersichtlich und umfangreich Calliess / Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler, 2016, Rn. 55 ff. 287 Vereinzelt findet sich hier auch die Verankerung eines unionseigenen Solidaritätsprinzips der Mitgliedstaaten untereinander wieder, welches nicht zuletzt in der Eurokrise Aufmerksamkeit gewann, exemplarisch Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 159 ff.; sowie allgemein Calliess / Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler, 2016, Art. 4 EUV Rn. 41. 288 Vgl. Klamert, The Principle of Loyalty in EU Law, 2014, S. 23 f.

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operations- bzw. Koordinationspflichten, Beeinträchtigungs-Unterlassungspflichten289 sowie Stillhalteverpflichtungen unterteilt werden können. Die letzteren beiden Typenkategorien fließen als Unterlassungspflichten aus Art. 4 Abs. 3 Satz 3 EUV, der die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, „alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“.290 Die auf die Zukunft gerichtete Stillhalteverpflichtung entspricht dem auf die Gegenwart zielenden Beeinträchtigungsverbot, welches kompetenzrechtlich durch Art. 3 Abs. 2 AEUV aufgeladen ist (siehe dazu supra A. I. 3. c)) – im Fall der Stillhalteverpflichtung allerdings bislang ausdrücklich nur für den Fall externer Übereinkommen mit Drittstaaten. So vertrat der Gerichtshof schon früh die Ansicht, dass Mitgliedstaaten, die ein (externes291) Übereinkommen abschließen möchten, „schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt […] gehalten [sind], im Rahmen dieser Übereinkommen keine Verpflichtungen zu übernehmen, welche die Gemeinschaft bei der Ausführung [ihrer …] Aufgabe behindern könnten“.292 Über die normative Verwandtschaft mit dem Beeinträchtigungsverbot hinaus wurde eine Stillhalteverpflichtung zuletzt im Zusammenhang mit dem Eurokrisen-Intergouvernementalismus aber auch dann vertreten, wenn zwar noch keine hinreichend konkretisierte Beeinträchtigung293 zu befürchten ist, aber dennoch ein unionsförmiges Rechtsetzungsverfahren möglich gewesen wäre  – dabei geht es folglich um einen allgemeinen Primat unionaler, sekundärrechtlicher Rechtsetzung.294 2. Primat unionaler Rechtsetzung Zu Beginn ist die Ausgangslage zu verdeutlichen: Ein Primat unionsförmiger (Sekundär-)Rechtssetzung besteht jedenfalls dort, wo der Union eine ausschließliche Zuständigkeit zukommt – entweder weil der Union nach dem Primärrecht eine ausdrückliche ausschließliche Zuständigkeit zufällt, oder aber weil im Bereich der konkurrierenden Zuständigkeiten bereits ein Sekundärrechtsakt vorliegt, der die Mitgliedstaaten sodann sperrt (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 AEUV). In diesen Fällen handelt es sich um klassische Kompetenzfragen, die daher auch an dieser 289

Vgl. dazu auch EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 275) Rn. 148 ff. Calliess / Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler, 2016, Art. 4 EUV Rn. 101 ff. 291 Die umfangreichere Einhegung externer Übereinkommen lässt sich dadurch rechtfertigen, dass diese regelmäßig nicht einseitig aufgekündigt werden können und zusätzlich nicht alle Vertragsstaaten durch Unionsrecht gebunden sind – siehe Epiney, in: FS Ress, 2005, S. 441, 452 ff. und insbesondere 455 ff. 292 EuGH, Urteil vom 14. Juli 1976, verbundene Rs. 2, 4 und 6/76 („Kramer“), ECLI:​ EU:C:1976:114, Rn. 44/45 [Hervorhebung durch der Verfasser]. 293 Siehe dazu supra A. I. 3. c). 294 Vgl. Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 59; ähnlich ders., Gemeinschaftsmethode sticht Unionsmethode, 2014. 290

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Stelle erwähnt sind (siehe supra A. II. 1.). Nach Ansicht mancher Autoren soll es jenseits dieser reinen Kompetenzdogmatik weitere Felder geben, die einer Stillhalteverpflichtung der Mitgliedstaaten unterfallen – eng verwandt ist die Stillhalteverpflichtung in diesem Zusammenhang mit der Sperrwirkung des Unionsrechts. Weil aber die Sperrwirkung gerade an die Kompetenzdogmatik anknüpft,295 geht die Diskussion um das „Recht des ersten Zugriffs“296 auch darüber noch hinaus.297 Die Befürworter eines solchen unionalen Vorgriffsrechts verweisen auf das Institut der Verstärkten Zusammenarbeit.298 Die Verstärkte Zusammenarbeit, genauso wie interne Übereinkommen einer Gruppe von Mitgliedstaaten, ist zwar stets eine avantgardistische Maßnahme; allerdings soll der Begründung einer Verstärkten Zusammenarbeit ein einstimmiger Ratsbeschluss sowie die Zustimmung von Kommission und Europäischem Parlament vorangehen (Art. 20 Abs. 2 EUV i. V. m. Art. 329 AEUV). Schon indem insofern die versammelte Legislative der Union an jeder einzelnen Verstärkten Zusammenarbeit im Ursprung mitwirkt, zeigt sich ihr Ultima-ratio-Charakter – denn zuvor würde die Unionslegislative einen einheitlich-universell im Unionsgebiet geltenden Rechtsakt erlassen, sollte sie diesen für sinnvoll erachten. Wenn nun aber schon die Verstärkte Zusammenarbeit gleichsam subsidiär gegenüber einem (universellen) Sekundärrechtsakt ist, so möchten einige Stimmen im Schrifttum dieselbe Subsidiarität erst recht auf interne Übereinkommen angewendet sehen.299 Doch nicht nur das: Auch das Vorgehen mittels Verstärker Zusammenarbeit selbst habe Vorrang gegenüber internen Übereinkommen, weil insofern ein allgemeines Prinzip für unionsförmiges Handeln streite – namentlich der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.300 a) Bedeutung der Treuepflicht Auf den ersten Blick unterscheiden sich die befürwortenden Stimmen  – obschon gerade allesamt für einen Primat unionaler Rechtsetzung auch jenseits der Kompetenzdogmatik werbend – deutlich im Hinblick auf den Umfang der Treuepflicht. Am strengsten positionieren sich diejenigen, die vermeintlich für eine ab 295

Vgl. Bauerschmidt, in: EuR 2014, S. 277 ff. Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 309. 297 Vgl. Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 58. 298 Nachdem die Verstärkte Zusammenarbeit sowohl bei der Frage nach der generellen Zulässigkeit interner Übereinkommen (dazu supra A. I. 1. c)) sowie der Organleihe (dazu supra A. I. 3. d)) argumentative Verwendung fand, handelt es sich im hiesigen Kontext um das dritte Mal, dass ein Umkehrschluss gezogen wird. 299 Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 59; von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 516; Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 309; vgl. auch ders., in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 23, 35 f. 300 Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 59 f.; vgl. auch Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 309; V. Constantinesco, in: RTD eur. 1997, S. 751, 755; Marten­ czuk, in: ZEuS 1998, S. 447, 464; Hofmann, in: EuR 1999, S. 713, 728. 296

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solute Stillhaltepflicht werben.301 Die Mitgliedstaaten würden nach dieser Ansicht unionsrechtswidrig agieren, wenn sie einen Gegenstand intergouvernemental regelten, den auch die europäisch-supranationale Ebene hätte regeln können. Allerdings formuliert diese Ansicht niemand in vergleichbarer Bedingungslosigkeit aus – sie kann auch nicht überzeugen: Denn was, wenn die Unionsebene nicht tätig werden möchte? Sollen regelungsinteressierte Mitgliedstaaten auch dann stillhalten? Damit würden Vetopositionen einzelner Mitgliedstaaten beachtlich weit in die Regelungshoheit anderer Mitgliedstaaten (wohlgemerkt im Bereich konkurrierender Zuständigkeiten) hineinwirken. Auch aufgrund solcher Erwägungen spricht sich eine Vielzahl daher lediglich für eine Konsultationspflicht aus: Die Unionsebene sei zunächst anzurufen, oder gleichsam anzuhören, um ihr so gerade das besagte „Recht des ersten Zugriffs“ zu gewähren.302 In concreto soll diese Konsultationspflicht schließlich nur eine Pflicht zum Dialog oder zur Verhandlung umfassen.303 Umgekehrt indes – ausgehend von der Union (genauer: der Kommission) in Richtung der Mitgliedstaaten oder untergeordneten Ebenen – soll es keine spezifischen Konsultationspflichten geben. Warum aber der Unionsebene im Bereich der konkurrierenden Zuständigkeiten insofern ein Privileg zu gewähren sein soll, bleibt bei den Ausführungen der Befürworter unklar; vielmehr liegt nahe, eine solche Pflicht als unverhältnismäßig abzulehnen. Unterstützung verdient indes eine andere Position, die das Loyalitätsgebot als interne Richtschnur für intergouvernementales Agieren verstehen möchte. So vertreten bspw. Calliess / Schoenfleisch mit Blick auf den durch den Fiskalvertrag installierten Euro-Gipfel (Art. 12 Fiskalvertrag), dass das mitgliedstaatliche Agieren innerhalb dieses Gremiums am Loyalitätsgebot zu messen sei.304 So seien sie insbesondere gehalten, das Wirken der (ordentlichen) Unionsorgane nicht zu beeinträchtigen.305 Ob diese Stufe allerdings schon dann erreicht ist, wenn die im Euro-Gipfel (informell) organisierten Mitgliedstaaten ein „Abstimmungskartell“ bilden, ist zweifelhaft.306 Denn seinem Zweck nach geht es dem Loyalitätsgebot stets um die Ausrichtung auf gemeinsame, unionale Ziele. Neben ein bloßes Ab-

301

So wohl Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 59. Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 309 mit dem Verweis auf die Konsultationen, die vor dem Schengener Recht durchgeführt wurden; vgl. auch Hofmann, in: EuR 1999, S. 713, 728; sowie von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 506, 516. 303 Von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 516. 304 Calliess / Schoenfleisch, in: JZ 2012, S. 477, 483. 305 Siehe auch EuGH, Urteil vom 15. Januar 1986, Rs. C-44/84 („Hurd“), ECLI:EU:C:1986:2, Rn. 39; und Thym, in: EuZW 2011, S. 167. 306 Dafür Thym, in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 23, 36; sowie in diese Richtung schon ders., Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 313; vgl. auch Fischer-­L escano  / ​ Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 12 f., allerdings erscheint der Hinweis einer möglichen (rechtswidrigen?) Privilegierung der Fiskalpolitik ggü. z. B. der Sozial- und Beschäftigungspolitik schlechterdings eine Frage poltischen Ermessens, nicht rechtlicher Zulässigkeit zu sein. 302

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stimmungskartell muss daher mindestens ein Element treten, dass inhaltlich-­ materiell gerade unionale gemeinsame Ziele hintertreiben möchte, etwa wenn der Euro-Gipfel dazu übergehen würde, Maßnahmen vorzubereiten, die gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. b) Umstrittene Begründung und Reichweite aa) Effektivitätserwägungen In aktuellen Veröffentlichungen findet sich häufig keine ausführliche Begründung eines Primats unionaler Rechtsetzung. Anders bei de Witte:307 Er führt die Vorrangigkeit unionaler Rechtsetzung auf Effektivitätserwägungen zurück.308 So sei regelmäßig ein Sekundärrechtsakt effektiver, weil nur dort die Grundsätze unmittelbarer Anwendbarkeit und Vorrang des Unionsrechts einen Wirksamkeitsvorsprung bedeuten würden. Allerdings mag es de Witte nicht gelingen, das vorgebrachte Effektivitätsgebot dogmatisch rückzubinden. Das Effet-utile-Postulat, dem eine Effektivitätsidee inhärent wäre, ist lediglich ein Auslegungsgrundsatz und dient der möglichst effektiven Realisierung von Unionsrecht und seiner Ziele.309 Am Ende scheint sich de Witte daher selbst nicht ganz sicher, wie weit seine Effektivitätserwägungen einen Primat unionaler Rechtsetzung tragen sollen: So schränkt er seine Rechtsauffassung – wiederum ohne näheren Begründungs­aufwand – dort ein, wo das Primärrecht die Mitgliedstaaten zur Kooperation anhält.310 bb) Umkehrschluss aufgrund der Verstärkten Zusammenarbeit Für einen Vorrang der Verstärkten Zusammenarbeit könnte indes sprechen, dass sie der europäische Primärrechtsgeber auch deshalb einführte, um fortan ein unionsförmiges Verfahren anstelle von Gestaltungen außerhalb der Unionsrechtsordnung anbieten zu können.311 Wenn auch die Einführung der Verstärkten Zusammenarbeit nicht einen absoluten Ausschluss völkerrechtlichen Tätigwerdens der Mitgliedstaaten untereinander bedeutete, so lässt dies an sich noch keinen Schluss für Konkurrenzkonstellationen zu, in denen eine Verstärkte Zusammenarbeit mög-

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De Witte, in: Constitutional Change in the EU, 2000, S. 31, 52 ff. Argumentativer Hintergrund ist ein Kommuniqué der Kommission über das Subsidiaritätsprinzip, Bull. EC 10–1992, S. 116, 123, abrufbar unter http://aei.pitt.edu/65264/1/BUL370. pdf: „[…] for subsidiarity surely also means not legislating at Community level when action is already being taken at international level and proving just as effective as Communtiy action.“. 309 Vgl. Potacs, in: EuR 2009, S. 465 ff.; siehe auch Bergmann, „Effet utile“, Handlexikon der EU, 2015. 310 De Witte, in: Constitutional Change in the EU, 2000, S. 31, 54 f. 311 Papayannis, in: ZEuS 2008, S. 219, 240 f. 308

B. Alternativlosigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus

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lich wäre. Erneut taucht ein bereits aus der grundsätzlichen Diskussion bekanntes Argument auf: Sollte die Verstärkte Zusammenarbeit nicht vorrangig anzuwenden sein, so könnten integrationswillige Mitgliedstaaten ihre spezifischen Voraussetzungen stets umgehen; insbesondere wenn sich eine Maßnahme ihrem Gegenstand nach mittels Verstärkter Zusammenarbeit herbeiführen ließe (weil eine Regelungskompetenz der Union besteht), die Herbeiführung dann aber verfahrenstechnisch scheitert (z. B. mangels ausreichender Zahl teilnehmender Mitgliedstaaten oder mangels Zustimmung eines zustimmungsbedürftigen Unionsorgans wie sämtlicher im Rat vertretenen Mitgliedstaaten), könnten interne Übereinkommen als (All-)Heilmittel dienen. Die Verstärkte Zusammenarbeit könnte auf diese Weise, so der Vorwurf, praktisch unbedeutend werden.312 Dieser These liegt die Prämisse zugrunde, dass Mitgliedstaaten grundsätzlich diejenige Rechtsetzungsmethode wählen, die mit den denkbar geringsten (formellen) Anforderungen aufwartet. Dabei übersehen Anhänger dieser Auffassung die gewichtigen Unterschiede, die jeweils die eine oder die andere Rechtsmaterie natürlicherweise mit sich bringen würden: Während auf der einen Seite (unionales) Sekundärrecht vorliegt, handelt es sich in dem anderen Fall lediglich um Völkerrecht.313 Während ersteres folg­lich nationalem Recht vorgeht,314 ist dies im Falle des letzteren anders. Der Unionsgesetzgeber hat daher einen Anreiz, sich gegen ein internes Übereinkommen und für die Verstärkte Zusammenarbeit zu entscheiden, weil er in letzterem Fall auf Garantien hinsichtlich der Verbindlichkeit des Rechts auch jenseits seiner Staatsgrenzen vertrauen kann. Eine Umgehung der Verstärkten Zusammenarbeit scheint deshalb nicht unbedingt zu besorgen. cc) Suffizienz der allgemeinen Kompetenzdogmatik Wenn die Befürworter eines weitreichenden Primats unionaler Rechtsetzung auf Subsidiaritätsgedanken rekurrieren, so nehmen sie selten das primärrechtseigene Subsidiaritätsprinzip in Bezug (allgemein seit dem Vertrag von Maastricht und heute in Art. 5 Abs. 3 EUV315).316 Das verwundert nicht, liegt doch im Wortsinn der Subsidiarität schon die Idee, dass „der kleineren Einheit der Vorrang im Handeln gegenüber der größeren Einheit nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zukommt“.317 Im Mehrebenensystem der Union ist die allem übergeordnete, supranationale Unionsebene folglich dem Grundsatz nach subsidiär, sofern keine 312

Papayannis, in: ZEuS 2008, S. 219, 241. Siehe auch Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 265. 314 Zum Recht einer Verstärkten Zusammenarbeit von der Groeben / Schwarze / Hatje-Becker, 2015, Art. 20 EUV Rn. 64. 315 Vgl. dazu ausführlich Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1999, S. 65 ff. 316 Bei von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 516, klingt eine entsprechende Referenz an. 317 Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 5 EUV Rn. 19. 313

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

ausschließliche Zuständigkeit derselben vorliegt. Allerdings ist das Subsidiaritätsprinzip Einschränkungen unterworfen, die sich schon am Wortlaut in Art. 5 Abs. 3 EUV festmachen lassen: Kumulativ318 muss eine vorgesehene Maßnahme zum einen auf einer untergliedrigen Ebene „ausreichend verwirklicht werden können“ sowie zum anderen nicht „besser (wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen) auf Unionsebene zu verwirklichen sein“. Um eine Aussage über die Subsidiaritätsfrage zu treffen, muss eine Abwägung vorgenommen werden, in deren Zusammenhang auch eine Rolle spielt, wie viele Mitgliedstaaten ein spezifischer Regelungsgegenstand betrifft und wie effizient, im Hinblick auf das angestrebte Ziel, eine unionseigene Lösung deshalb sein könnte.319 Da insofern im Falle transnationaler Phänomene eine Durchbrechung der Subsidiarität eher in Betracht kommt, scheint das Prinzip gerade im Kontext intergouvernementalen Tätigwerdens besondere Aufmerksamkeit zu verdienen. Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung ist das Subsidiaritätsprinzip im Falle intergouvernementaler Zusammenarbeit allerdings schon quasi-tatbestandlich nicht anwendbar.320 So solle das Subsidiaritätsprinzip gerade nur die untergeordneten Ebenen im Mehrebenensystem schützen; dieser Schutzzweck gelte aber nicht, wenn es sich schlechterdings um eine andere transnationale Kooperationsform (im Vergleich zur Unionsebene) handele.321 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass das Subsidiaritätsprinzip gerade die Unionsebene beschränken soll, und nicht die Mitgliedstaaten – ob einzeln oder gemeinschaftlich-kooperativ.322 Eine derartige Wirkrichtung lässt sich dem Subsidiaritätsprinzip – auch nicht im Hinblick auf Effizienzerwägungen – nicht entnehmen. Ob die Mitgliedstaaten mithin einen Primat unionaler Rechtsetzung zu beachten haben, geht aus dem primärrechtlichen Subsidiaritätsprinzip nicht hervor. Seinem Sinn und Zweck zufolge möchte das Subsidiaritätsprinzip – gemeinsam mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV) sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EUV) – mitgliedstaatliche Handlungsfreiräume oder auch „Vielfalt“323 erhalten. Es bleibt daher dabei, dass jenseits der Kompetenzdogmatik kein Raum für einen Primat unionaler Rechtsetzung ist.324

318

Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 5 EUV Rn. 30. Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 5 EUV Rn. 39 ff.; sowie ders. ausführlich, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1999, S. 104 ff.; siehe außerdem zum „Effizienzkriterium“ Schwarze / Becker / Hatje / Schoo-Lienbacher, 2012, Art. 5 EUV Rn. 25. 320 Frowein, in: FS: Peter Lerche, 1993, S. 401, 408; 321 Von der Groeben / Schwarze / Hatje-Kadelbach, 2015, Art. 5 EUV Rn. 36. 322 Vgl. in diesem Sinne auch die rechtshistorische Argumentation bei Toth, in: CMLR 1992, S. 1079, 1098 f. 323 Von Bogdandy, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 13, 54. 324 So wohl auch Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, Rn. 95. 319

B. Alternativlosigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus

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dd) Stillhalteverpflichtung nach Initiierung unionaler Rechtsetzung? Möglicherweise entsteht eine Stillhalteverpflichtung für mitgliedstaatliches Tätigwerden aber dann, wenn sich in einem bestimmten Fall bereits eine Unionsrechtsgebung in einer näher zu bestimmenden Form konkret abzeichnet. Jedenfalls für Fälle, denen (unions-)externe Gegenstände zugrunde liegen, scheint die Rechtslage eindeutig:325 Weil die Union und ihre Mitgliedstaaten nach außen nicht mehrfach und gegebenenfalls mit widersprüchlichen Positionen vertreten werden sollen, nimmt auch der EuGH eine Sperrwirkung dann an, wenn „die Kommission dem Rat [bereits] Vorschläge unterbreitet hat, die, obgleich sie vom Rat nicht angenommen worden sind, den Ausgangspunkt eines abgestimmten gemeinschaftlichen Vorgehens darstellen“.326 Der EuGH hat diese Rechtsauffassung indes nie auf den Bereich interner Übereinkommen übertragen, auch weil die Interessenlage dort eine andere sein dürfte: Inkohärenzen sind regelmäßig schon aufgrund des Beeinträchtigungsverbots bzw. der Vorrangwirkung nicht zu besorgen.327 Ungeachtet dessen hat man zuletzt im Zusammenhang mit den Eurokrisen-Intergouvernementalismus wieder Stimmen vernommen, die eine Stillhalteverpflichtung entsprechend dem genannten Grundsatz auch inter se vertreten.328 De lege lata fehlt es aber an einem durchschlagenden rechtlichen Argument, weshalb auch insofern über die Kompetenzordnung hinaus eine Stillhalteverpflichtung anzunehmen sein sollte.329 3. Zwischenergebnis Insgesamt ist ein Primat unionaler Rechtsetzung, der so weit reicht, dass auch im Falle ihrer eigentlichen Zuständigkeit den Mitgliedstaaten ein (intergouvernementales) Vorgehen untersagt werden könnte, abzulehnen. In diesem Sinne lässt sich auch der EuGH deuten, der im Hinblick auf ein eventuell mögliches Vorgehen auf Grundlage von Art. 352 AEUV die Mitgliedstaaten jedenfalls nicht verpflichtet sieht, diese Option auch zu ziehen.330 325

Exemplarisch Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 60 f. EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005, Rs. C-266/03 (Kommission / Luxemburg), ECLI:EU:C:​ 2005:341, Rn. 59; siehe schon Urteil vom 5. Mai 1981, Rs. C-804/79 (Kommission / Vereinigtes Königreich), ECLI:EU:C:1981:93, Rn. 28; zuletzt bestätigt durch Urteil vom 20. April 2010, Rs. C-246/07 (Kommission / Schweden), ECLI:EU:C:2010:203, Rn. 74. 327 So auch Repasi, in: EuR 2013, S. 45, 61. 328 Herrmann / Rosenfeldt, Europarechtliche Grundlagen und Grenzen der Errichtung eines einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus, 2014, S. 25; allgemein Bast / Heesen, European Community, supplementary Agreements between Member States, in: MPEPIL, 2011, Rn. 11. 329 Vgl. Hilf, in: EuR 1997, S. 1, 7; ausführlich Gronen, Die „Vorwirkung“ von EG-Richtlinien, 2006, S. 18 ff., 73; vgl. Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, S. 62. 330 EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:756, Rn. 67. 326

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Auch der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verlangt kein anderes Ergebnis. Vor dem Hintergrund seines Sinns und Zwecks, die Ziele der Union möglichst effektiv zu erreichen, scheint es vielmehr möglich, dass sich die Outs im Zusammenhang des Eurokrisen-Integouvernmentalismus in die Nähe eines Loyalitätsverstoßes manövrierten, indem sie die übrigen Mitgliedstaaten nicht bei ihren Vorhaben unterstützen und insoweit letztere deshalb den Weg in den Intergouvernementalismus antraten. So bereitet jedenfalls das Unterfangen Schwierigkeiten, die britische Position bei den Verhandlungen zum Fiskalvertrag vor dem Hintergrund einer auf effektive Zielerreichung getrimmten Dogmatik zu rechtfertigen; so sei ins Gedächtnis gerufen, dass David Cameron seine Zustimmung zur primärrechtlichen Einführung des Fiskalvertrags von zusammenhanglosen Forderungen auf anderem politischen Gebiet abhängig machte.331 Freilich ist die Frage, ob nicht ein solches politisches Gebahren vielmehr die europäische Loyalitätspflicht auf den Plan rufen sollte, bislang weder in der Kasuistik noch im Schrifttum erörtert, sodass dem politischen Primat insofern wohl noch keine Rechtspflicht entgegenstehen sollte.

II. Supranationale Alternativen? Obschon ein allgemeiner Vorrang unionaler Rechtssetzung jenseits der Kompetenzdogmatik folglich nicht überzeugend zu begründen ist, gilt es dennoch, die Präferenz der Mitgliedstaaten zu untersuchen. Denn wenn auch keine Rechtspflicht besteht, so liefert das Vorgehen der Mitgliedstaaten doch eine politische Indikation, ob eine Abkehr332 von supranationalen Formen der Zusammenarbeit bzw. der Rechtsetzung stattfindet. Auch der Duktus der „Flucht ins Völkerrecht“333 lässt sich – ungeachtet seiner etwas dramatisch anmutenden Insinuation – allenfalls dann halten, wenn den Mitgliedstaaten bei Genese der intergouvernementalen Zusammenarbeit auch supranationale Instrumente bereitgestanden hätten, die sie aber (aus welchen Gründen auch immer) verschmähten. Bei der Untersuchung möglicher, genuin unionsrechtlicher, alternativer Rechtsetzung gilt es im Folgenden zu berücksichtigen, dass einzelne Regelungsbestandteile auch einzeln bewertet werden können; denn könnte andernfalls ein Regelungsbestandteil nur deshalb nicht unionsrechtsförmig erlassen werden, weil er mit anderen Regelungsbestandteilen verbunden ist, so wäre einem Missbrauch durch intergouvernemental-völkerrechtlich agierende Mitgliedstaaten „Tür und Tor geöffnet“.

331

Siehe supra Zweiter Teil, D. III. 1. Vgl. Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 261, 295, der von einem möglichen „Schritt rückwärts“ spricht. 333 Hatje, in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 5. 332

B. Alternativlosigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus

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1. ESM a) Untauglichkeit des Art. 122 Abs. 2 AEUV Schon der ESM-Vorläufer EFSM ging auf eine Verordnung des Rates zurück, die ihrerseits auf Grundlage von Art. 122 Abs. 2 AEUV erging.334 Dabei gab es schon in diesem Zusammenhang rechtliche Zweifel ob der Rechtmäßigkeit einer Anknüpfung an Art. 122 Abs. 2 AEUV. Jedenfalls nahm der europäische Gesetzgeber rechtliche Unsicherheiten in Kauf, als er die Schwankungen an den Märkten für Staatsanleihen vom Mai 2010 im Sinne des Art. 122 Abs. 2 AEUV als „außergewöhnliches Ereignis“ qualifizierte.335 Auch könnte durch das Vorgehen das Verhältnis zu Art. 125 AEUV überstrapaziert sein.336 Anders als der EFSM bezogen sich die ihm nachfolgenden Rettungsschirme – insbesondere der ESM – allerdings nicht nur auf eine kurzfristig angelegte „Finanz­ spritze“ in einer akuten Notsituation. Schon die institutionelle Ausgestaltung des ESM mit eigenen (und geliehenen) Organen sowie sein Wesen als internationale Finanzorganisation (Art. 1 Abs. 1 ESM-Vertrag) verdeutlichen seine Dauerhaftigkeit. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum – und wohl auch innerhalb des Europäischen Rates selbst337 – geht aber davon aus, dass der Sinn und Zweck des Art. 122 Abs. 2 AEUV langfristig angelegte Finanzhilfeprogramme untersagt.338 Dieser sei vielmehr darauf ausgerichtet, in Notsituationen, die typischerweise ein aufgrund ihrer Plötzlichkeit kurzfristig wirkendes Überraschungsmoment aufweisen, der europäischen Gemeinschaft eine Rechtsgrundlage für Solidarmaßnahmen an die Hand zu geben. Darüber hinaus dient der ESM der Finanzstabilität des gesamten Währungsgebiets, und nicht (nur) der Notrettung eines einzelnen Mitgliedstaats.339 Dann aber ist es nur konsequent, die für Ausnahmesituationen zugeschnittene Regelung in Art. 122 Abs. 2 AEUV als Rechtsgrundlage zu vermeiden: Für den ESM wäre eine Regelung aufgrund Art. 122 Abs. 2 AEUV nicht in Betracht gekommen.

334

Verordnung (EU) Nr. 407/2010, ABlEU Nr. L 188 vom 12. Mai 2010, S. 1. Thym, in: EuZW 2011, S. 167, 169; Adamski, in: CMLR 2012, S. 1319, 1329 f.; vgl. Nitze, Finanzhilfen für Euro-Staaten in der Krise, 2015, S. 93 ff.; siehe aber de Gregorio ­Merino, in: CMLR 2012, S. 1613, 1632 ff.; Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 284 ff.; sowie Grabitz / Hilf / Nettes­heim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 122 AEUV Rn. 27. 336 Vgl. Thym, in: EuZW 2011, S. 167, 169; siehe allerdings Louis, in: CMLR 2010, S. 971, 983 ff.; dagegen wohl auch EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 330), Rn. 131. 337 In diese Richtung EUCO 30/10 vom 17. Dezember 2010, S. 5 Rn. 4. 338 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 122 AEUV Rn. 28; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Smulders / Keppenne, 2015, Art. 122 AEUV Rn. 27; Häde, in: EnzEuR, Bd. 1, 2014, § 17 Rn. 2 m. w. N.; siehe auch EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 330), Rn. 65.; zweifelnd aber Dimopoulos, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 41, 59. 339 Darauf stellt auch mitunter der EuGH, „Pringle“ (supra Fn. 330), Rn. 65 ab. 335

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

b) Untauglichkeit des Art. 143 AEUV Selmayr – seinerseits ranghoher Mitarbeiter der Kommission – geht bei der Suche nach alternativen unionsrechtseigenen Ermächtigungsnormen für einen ESM auf die Geschichte des Art. 143 AEUV ein, der vor Schaffung der WWU in Gestalt des Vertrags von Maastricht tatsächlich eine bedeutende Funktion für finanziellen Beistand zwischen Mitgliedstaaten einnahm.340 Allerdings findet Art. 143 AEUV seit der Euro-Einführung 1999 tatbestandlich nur auf solche Mitgliedstaaten Anwendung, für die eine Ausnahmegenehmigung i. S. v. Art. 139 ff. AEUV gilt.341 Mit Beginn der dritten Stufe der WWU ersetzt aber das spezifische Euro-Regime diejenigen Aufgaben, die zuvor noch gemäß Art. 139 Abs. 2 AEUV national bleiben. Anstatt wie Selmayr also die „grundsätzliche Zulässigkeit“ von (unionseigenen) Finanzhilfemaßnahmen zu proklamieren, verdeutlicht die gegenwärtige Systematik der WWU in Gestalt ihrer finalen Stufe im Gegenteil den Ausnahmecharakter des Art. 143 AEUV. c) Tauglichkeit des Art. 352 AEUV, aber Knappheit des Budgets aa) Voraussetzungen Das bedeutendste Potential zur Einführung einer ESM-ähnlichen Regelung durch supranationales Recht hätte Art. 352 AEUV. Die Kompetenzergänzungsklausel aus Art. 352 AEUV dient gerade dazu, jenseits der vorgesehenen Zuständigkeiten der Union unionsförmige Regelungen möglich zu machen, um eines der Ziele der Union zu verwirklichen. Erforderlich für die Ausübung dieser auch „Flexibilitätsklausel“ genannten Vorschrift ist – in typisch intergouvernementaler Manier und gleichsam „souveränitätsschonend“342  – ein einstimmiger Rats­ beschluss, jedoch nach Vorschlag der Kommission und mit Zustimmung des Parlaments. Ist diese Hürde aber genommen, führt der Einsatz der Flexibilitätsklausel anschließend nicht nur zu supranationalem Recht, sondern gar zu „supranationalen Kompetenzgewinnen“:343 Nachdem einmal mittels Art. 352 AEUV Recht geschaf 340

Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 300 f. mit Verweis auf die Aktivierung einer Zahlungsbilanzfazilität nach Art. 143 AEUV: Entscheidung des Rates vom 22. März 1971 über die Einführung eines Mechanismus des mittelfristigen finanziellen Beistands, 71/142/EWG; in der Eurokrise, die als weltweite Finanzkrise auch einige Nicht-Eurostaaten traf, nahm allerdings die Verordnung (EG) 332/2002 des Rates vom 18. Februar 2002 zur Einführung einer Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten, anstelle des Verfahrens nach Art. 143 AEUV eine tragende Rolle ein, so Grabitz / Hilf / Nettesheim-Bandilla, 66. EL 2019, Art. 143 AEUV Rn. 34. 341 Vgl. Häde, in: EuZW 2009, S. 399, 401; Adamski, in: CMLR 2012, S. 1319, 1330; sowie Schwarze / Becker / Hatje / Schoo-Potacs, 2012, Art. 143 AEUV Rn. 1. 342 Winkler, in: EuR 2011, S. 384, 389. 343 Winkler, in: EuR 2011, S. 384, 389.

B. Alternativlosigkeit des Eurokrisen-Intergouvernementalismus

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fen wurde, ist die mitgliedstaatlich-parallele Zuständigkeit, wie regelmäßig bei konkurrierenden Zuständigkeiten, fortan gesperrt.344 Darüber hinaus ist anerkannt und in der europäischen Integrationsgeschichte bereits zahlreich erfolgt, dass über die Flexibilitätsklausel auch (selbst-)rechtsfähige Einrichtungen der Union geschaffen werden können.345 Eine Grenze der Anwendung des Art. 352 AEUV stellt freilich erneut Art. 48 EUV dar; Vertragsänderungen können genauso wenig auf Art. 352 AEUV gestützt werden, wie sie auf ein internes Übereinkommen gestützt werden können.346 Mit ihrer Funktionalität erscheint die Flexibilitätsklausel als „Integrationsmotor par excellence“.347 Allerdings ist ihre Anwendung neben den bereits erwähnten Zustimmungsvorschriften, wie insbesondere dem Einstimmigkeitsvorbehalt im Rat, weiteren tatbestandlichen Einschränkungen ausgesetzt: Zum einen kann der Unionsrechtsgeber die Flexibilitätsklausel nur schalten, wenn es sich im Falle der erstrebten Maßnahme um die Verwirklichung von Unionszielen handelt. Zum anderen muss die Maßnahme gerade erforderlich sein, um das entsprechende Ziel zu erreichen. Darüber hinaus muss die Maßnahme in einem in den Verträgen festgelegten Politikbereich ergehen. bb) Anwendung Wie Selmayr erinnerte, wurde die Flexibilitätsklausel (in Gestalt der Vorgängerinnen der heutigen Vorschrift) auch in der Vergangenheit bereits mehrfach dazu genutzt, Finanzhilfefazilitäten zu kreieren.348 Die letzte einer Reihe von Verordnungen stellt just diejenige dar, die die bereits erwähnte, auf Art. 143 AEUV fu­ ßende Ratsentscheidung von 1971 weitgehend verdrängte: Die Verordnung (EU) Nr. 332/2002 gilt bis heute;349 ihr Zweck befindet sich gleich zu Beginn in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 und versteht sich als ein „gemeinschaftliches System des mittelfristigen finanziellen Beistands, aufgrund dessen einem oder mehreren Mitgliedstaaten, die von Leistungs- oder Kapitalbilanzschwierigkeiten betroffen oder ernstlich bedroht sind, Darlehen gewährt werden können“; der Anwendungsbereich der Fazilität ist auf Nicht-Euro-Mitgliedstaaten beschränkt (Art. 1 Abs. 1 Satz 2); um 344

Vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-Schröder, 2015, Art. 352 AEUV Rn. 60. Übersicht dazu bei Calliess / Ruffert-Rossi, 2016, Art. 352 AEUV Rn. 80. 346 Siehe zur Vorgängervorschrift in Art. 235 EWG-Vertrag EuGH, Gutachten vom 28. März 1996, 2/94 ECLI:EU:C:1996:140; siehe nunmehr auch Gutachten vom 18. Dezember 2014, 2/13 ECLI:EU:C:2014:2454. 347 Vgl. Götz, in: Kompetenzverteilung, 2002, S. 83, 100. 348 Ausführliche Darstellung zur Chronologie: Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 301 ff. 349 Aktuell diskutiert der europäische Gesetzgeber über eine Anpassung der Finanzhilfe­ fazilität an die neuen Mechanismen insbesondere des ESM, vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Schaffung einer Fazilität des finanziellen Beistands für Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist (COM/2012/0336); vgl. auch Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 304. 345

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

ihr Volumen von anfangs 12 Milliarden Euro, das allerdings im Zuge der Finanzkrise auf aktuell 50 Milliarden Euro vervielfacht wurde, zu finanzieren, nimmt die Kommission namens der EU Anleihen auf den Kapitalmärkten oder bei Finanzinstitutionen auf (Art. 1 Abs. 2). In vielfacher Hinsicht erinnert die Fazilität für Nicht-Euro-Mitgliedstaaten von 2002 bereits an den ESM; die Parallele liegt auf der Hand: Hier wie da findet ein gemeinschaftlicher350 finanzieller Beistand statt, um krisenhafte Zustände zu durchbrechen. Allerdings liegt dem ESM anders als der Fazilität die Zielvorstellung zugrunde, die Finanzstabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets zu wahren. Hierbei dürfte es sich um ein für den Tatbestand des Art. 352 AEUV hinreichend qualifiziertes Unionsziel handeln;351 zwischenzeitlich hat dieses Ziel in Art. 136 Abs. 3 AEUV auch ausdrücklichen Eingang ins Primärrecht gefunden. Im Falle seiner Ausrichtung auf die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten handelt es sich darüber hinaus auch um einen Politikbereich der Verträge.352 Dass schließlich gerade ein unionales Handeln zur Zielerreichung erforderlich gewesen wäre, ergibt sich bereits daraus, dass sich der ESM in mehrfacher Hinsicht genuinen Unionsorganen bedient und darüber hinaus durch die Konditionalitäten-Politik abhängig vom Unionsrecht ausgestaltet ist.353 Weil im Übrigen auch sämtliche Mitgliedstaaten konsentierten,354 hätte einer Nutzbarmachung der Flexibilitätsklausel rechtlich nichts mehr im Wege gestanden. Der EU fehlten und fehlen indes die budgetären Möglichkeiten, ein Volumen wie das des ESM zu schultern.355 Mittels unionseigener Rechtsetzung, wie insbesondere solcher auf Grundlage von Art. 352 AEUV, kann die Union finanzielle Mittel nur aus ihrem eigenen Haushalt, dessen Einnahmen und Ausgaben auszugleichen sind (Art. 310 Abs. 1 AEUV), schöpfen.356 Das folgt bereits daraus, dass die Union bei all ihrem Handeln auf eine Finanzierung durch ihre Eigenmittel angewiesen ist (Art. 311 Satz 2 AEUV). Dem möchte Dimopoulos mit Verweis auf den European Development Fund widersprechen, der tatsächlich nicht mit dem EU-Haushalt verknüpft ist;357 eine Parallele verbietet sich für Zwecke einer Nutzbarmachung des Art. 352 AEUV indes, weil der European Development Fund auf einem 350

Bisweilen wird darin auch die Ausprägung eines europäischen Solidaritätsprinzips gesehen, siehe bspw. Pilz, Der Europäiche Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 191 ff. 351 Vgl. Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 303. 352 Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 305; vgl. grundsätzlich zur weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals Grabitz / Hilf / Nettesheim-Winkler, 66. EL 2019, Art. 352 AEUV Rn. 57 f.; siehe auch Geiger / K han / Kotzur-Khan, 2017, Art. 352 AEUV Rn. 6 ff.; einschränkend indes Calliess / Ruffert-Rossi, 2016, Art. 352 AEUV Rn. 41. 353 Vgl. insgesamt Dimopoulos, in: The Constitutionalization of European Budgetary ­Constraints, 2014, S. 41, 59. 354 Siehe auch supra Zweiter Teil, D. IV. 1. d). 355 Siehe dazu de Witte, ARENA Working Paper Nr. 4, 2013, S. 6 f. 356 Middleton, in: FS Piris, 2012, S 421, 436. 357 Dimopoulos, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 41, 61.

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externen Übereinkommen basiert.358 Auch Selmayr tritt der Ansicht einer Eigenmittelfinanzierung entgegen.359 Die Beispiele, die er anführt, und in denen eine Finanzierung gemeinschaftsinternen Handelns durch Garantien oder Bürgschaften der Mitgliedstaaten sichergestellt wurde, beziehen sich aber allesamt auf die Vorgängervorschrift des Art. 143 AEUV, welcher heute in Abs. 2 Satz 1 lit. c) expressis verbis die Querfinanzierung mittels mitgliedstaatlicher Kredite vorsieht. Im Übrigen bleibt es aber beim Grundsatz der Gesamtdeckung (Art. 20 HO-EU). Zwar hätten die Mitgliedstaaten parallel zur Einführung eines unionsrechtlichen ESM-Äquivalents auch die Eigenmittel der Union massiv erhöhen können.360 In jedem Fall wäre aber nicht vermeidbar gewesen, dass auch unwillige Mitgliedstaaten den ESM mittelbar über den EU-Haushalt finanzieren – ein Effekt, der den politischen Interessen nicht entsprochen haben dürfte und für den die erforderliche Einstimmigkeit wohl nicht herzustellen gewesen wäre. Selmayr wirbt zur Lösung dieses Problems für eine Kombination der Flexibilitätsklausel mit der Verstärkten Zusammenarbeit.361 Ein solches Vorgehen wäre laut Selmayr mangels eines ausdrücklichen primärrechtlichen Verbots auch zulässig gewesen. Dem ist aber schon im Hinblick auf die unterschiedliche Zielrichtung von Art. 352 AEUV und Art. 326 ff. AEUV zu widersprechen: Hier strebt eine unionale Lösung Einheitswahrung an, da differenzierte Integration. Außerdem erscheint es systemwidrig, wenn die spezifische Bedingung der Verstärkten Zusammenarbeit, nur im Falle bestehender Unionszuständigkeiten  – und somit gerade nicht als Abrundungskompetenz – gezogen werden zu können, durch eine Kombination mit Art. 352 AEUV umgangen werden könnte. Mit anderen Worten: Nur weil das Primärrecht eine Kombinationslösung scheinbar nicht untersagt, gilt es dennoch, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu berücksichtigen. 2. Fiskalvertrag a) Eingeschränkte Tauglichkeit der WWU-Ermächtigungsnormen In einem Vortrag vor kleiner Gruppe aus dem Jahr 2012 rechtfertigte Peter Altmaier stellvertretend für die deutsche Bundesregierung den Fiskalvertrag als Element einer notwendigen Weiterentwicklung der WWU-Statik und bedeutsames Gegenstück zum ESM.362 Im Rahmen dieses Vortrags ließ Altmaier durchschei 358 Informationen und völkerrechtliche Gründungsdokumentation abrufbar unter https:// ec.​europa.eu/europeaid/funding/funding-instruments-programming/funding-instruments/ european-development-fund_en. 359 Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 306 f. 360 Ausführlich Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 307 f., der für die Einführung von Anleihetätigkeit als neues Eigenmittel (sprich: „Eurobonds“) plädierte. 361 Selmayr, in: ZÖR 2013, S. 259, 305 f. 362 Altmaier, in: Europäische Solidarität und nationale Identität, 2013, S. 171 ff.

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nen – ohne sich aber festlegen zu wollen –, dass der Fiskalvertrag auch mittels europäischem Sekundärrecht hätte vereinbart werden können. Allerdings habe der Fiskalvertrag auch darauf abgezielt, ein möglichst deutliches politisches Statement gesamteuropäischer Entschlossenheit auszusenden, nicht zuletzt um die Kapitalmärkte zu besänftigen.363 Was dort nur angedeutet wird (Altmaier verstand seinen Vortrag dezidiert nicht als fachjuristisch364), nahm auch das europarechtliche Schrifttum auf und strengte tiefergehende Untersuchungen an. Unter verschiedenartiger Bezugnahme auf die sekundärrechtlichen Ermächtigungsnormen lässt sich ein gemischtes Bild zeichnen. aa) Art. 3 Fiskalvertrag – Nationale Schuldenbremsen Der „goldenen Regel“ des Fiskalvertrags, den national-rechtlichen Schuldenbremsen, in Art. 3 kommt aus rechtspolitischer Sicht die bedeutendste Funktion zu; auf ihre Normierung entfällt im Vergleich mit den übrigen Vorschriften des Fiskalvertrags wohl der größte Anteil einer insgesamt die Kapitalmärkte besänftigenden Zielvorstellung des Fiskalvertrags. Zum einen nimmt Art. 3 in Abs. 1 insbesondere eine numerische Verschärfung der Haushaltsregeln vor. Referenzpunkt dieser Verschärfung waren die zum Zeitpunkt der Verhandlung und Inkraftsetzung des Fiskalvertrags bereits bestehenden ökonomischen Kennzahlen im Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit. Das Primärrecht bezieht sich in Art. 126 Abs. 14 AEUV auf dieses Protokoll und räumt in Uabs. 2 dem Rat eine ausdrückliche Ermächtigung ein, „nach Anhörung des Europäischen Parlaments sowie der Europäischen Zentralbank die geeigneten Bestimmungen, die sodann das […] Protokoll ablösen, zu verabschieden“. Auch wenn unklar ist, wie weit die Befugnis in Art. 126 Abs. 14 Uabs. 2 AEUV reicht – von unterschiedlichen Betitelungen als „Sonderform der Vertragsänderung“365 über „sekundärrechtlich gesteuerte Vertragsentwicklung“366 abgesehen, vertritt die Mehrheit im Schrifttum,367 dass lediglich eine Ersetzung von primärem mittels sekundärem Recht stattfindet, wogegen vereinzelt die Setzung von Primärrecht durch den Rat angenommen wird368 –, so eint doch alle Ansichten, dass eine materielle Änderung der Rechtslage ermöglicht wird. Unter Berufung auf diese Ermächtigung hätte folglich auch der Rat eine Verschärfung der Haushaltsregeln, wie in Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fiskalvertrag vorgesehen, be-

363 Ebd., S. 177, spricht Altmaier sogar von einem Zeichen, „die politische Union Europas vollenden“ zu wollen. 364 Altmaier, in: Europäische Solidarität und nationale Identität, 2013, S. 171, 173. 365 Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 126 AEUV Rn. 69. 366 Hentschelmann, Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, 2007, S. 1200. 367 Vgl. Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 126 AEUV Rn. 71 m. w. N. 368 Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 349.

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schließen können.369 Indes erfordert Art. 126 Abs. 14 Uabs. 2 eine hier gerade nicht vorhandene Einstimmigkeit im Rat; und eine Durchbrechung des Einstimmigkeitsgebots ist wegen der ausdrücklichen Ausnahme in Art. 136 Abs. 1 nicht möglich.370 Daneben enthält Art. 3 in Abs. 2 aber die strukturell bedeutendere Regel: Einführung nationaler Schuldenbremsen inklusive eines automatischen Korrekturmechanismus. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich hiermit dazu, in einem souveränitätssensiblen Bereich spezifische nationale Vorschriften und Prozeduren einzuführen. Eine denkbare Anknüpfung für eine primärrechtliche Ermächtigungsvorschrift stellt Art. 136 Abs. 1 lit. a) allein oder i. V. m. Art. 121 Abs. 6 AEUV dar. Indes dient diese Vorschrift ausschließlich dazu, europäisch-gemein­schaftliche Koor­ dinierungsverfahren herbeizuführen, keine nationalen.371 Zwar entzündete sich anlässlich der Diskussion um die Rechtmäßigkeit der Sixpack-Rechtsetzung ein handfester Streit über die Reichweite der Ermächtigungs­vorschriften;372 selbst nach einer extensiven Auslegung dient die Ermächtigungskette aber allenfalls dazu, europäisch-gemeinschaftliche Überwachungsmechanismen zu verschärfen bzw. einzuführen, keine nationalen.373 Bezeichnenderweise realisierte der europäische Gesetzgeber auch nie eine Initiative der Kommission, die auf sekundärrechtlicher Grundlage eine ähnliche nationale Schuldenbremse einführen wollte.374 Wie Armstrong vorträgt, wäre eine Pflicht zur Einführung einer vornehmlich verfassungsrechtlichen nationalen Schuldenbremse mittels Sekundärrecht in den Verdacht geraten, gegen das Achtungsgebot aus Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV zu verstoßen.375 Diesem liegt die allgemeine Vorstellung zugrunde, dass die Union zumindest grundlegende Verfassungsentscheidungen der Mitgliedstaaten zu respektieren hat.376 Gerade die Frage der Verschuldungsfähigkeit als Teil der Haushaltsautonomie einer staatlichen Einheit scheint aber schon wegen ihrer Bedeutsamkeit für das Demokratieprinzip eine grundlegende Entscheidung der jeweiligen Verfassungsväter zu sein.377

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Vgl. Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 383 f. Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 136 AEUV Rn. 6; vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 64. EL 2018, Art. 136 AEUV Rn. 29. 371 Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 6; ähnlich Armstrong, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 65, 70, der insbesondere auf das mitgliedstaatliche Ermessen bei Umsetzung von einschlägigem Unionsrecht verweist. 372 Vgl. ausführlich Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 66. EL 2019, Art. 136 AEUV Rn. 24 ff. 373 Vgl. Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 377 f. 374 Siehe Art. 4, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates, KOM(2011) 821 endgültig; vgl. dazu auch Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 384. 375 Armstrong, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 65, 70. 376 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Schill / Krenn, 66. EL 2019, Art. 4 EUV Rn. 16; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Obwexer, 2015, Art. 4 EUV Rn. 29; ausführlich hinsichtlich der bundesverfassungsgerichtlichen Dogmatik Calliess / Ruffert-Puttler, 2016, Art. 4 RUV Rn. 17. 377 Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. März 2014, 2 BvR 1390/12 et al., Rn. 161 sowie 172 f. 370

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Auch Art. 126 Abs. 14 Uabs. 2 AEUV kommt (die Einstimmigkeit vorausgesetzt) insofern nicht als Anknüpfungspunkt für eine geltungsgleiche sekundärrechtliche Regelung in Betracht; schließlich lässt diese Ermächtigungsnorm lediglich zu, die Bestimmungen über die Durchführung des primärrechtlich in Art. 126 AEUV vorgegebenen Defizitverfahrens zu modifizieren.378 Eine gänzlich neue, rein nationale Kontrollebene einzuführen, ist bislang aber nicht Teil des von Art. 126 AEUV vorgegebenen Programms. Sofern die vorgesehenen Regelungen Art. 126 AEUV inhaltlich indes nicht widersprechen, würde Art. 126 Abs. 14 Uabs. 2 AEUV zwar eine taugliche Ermächtigungsgrundlage darstellen.379 In jedem Fall könnte auf dieser Grundlage aber keine Kontrolle der nationalen Schuldenbremsen durch den EuGH (Art. 8 Fiskalvertrag) eingeführt werden, ohne gegen die Vorschrift in Art. 126 Abs. 10 AEUV zu verstoßen. Auch aus der Sixpack-Regelung in Art. 6 Abs. 1 lit. b) und c) der Richtlinie 2011/85/EU380 oder der Twopack-Regelung in Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 473/2013 kann nichts anderes geschlussfolgert werden, da in beiden Fällen den Mitgliedstaaten nicht mit denselben Zwangsmaßnahmen entsprechend Art. 8 Abs. 2 Fiskalvertrag begegnet werden kann. Somit scheidet die Möglichkeit entsprechenden sekundärrechtlichen Tätigwerdens zur Einführung einer nationalrechtlichen Schuldenbremse der Mitgliedstaaten aus. bb) Art. 7 Fiskalvertrag – Umgekehrte qualifizierte Mehrheit Um die Position der Kommission zu stärken, die im Defizitverfahren als Initiativgeber fungiert, und das Defizitverfahren somit effizienter zu gestalten, sieht Art. 7 Fiskalvertrag eine Umkehrung des Mehrheitserfordernisses im Rat vor. Vorschläge und Empfehlungen der Kommission sollen nur noch dann abgelehnt werden, wenn sich eine qualifizierte Mehrheit der im Rat vereinigten mitgliedstaatlichen Vertreter gegen eine Initiative ausspricht. Damit vervollständigt der Fiskalvertrag eine Tendenz, die bereits durch das Sixpack vorgezeichnet wurde; ließ das Sixpack noch manche Verfahrensschritte von der Umkehrung des Mehrheitserfordernisses verschont, so übernimmt Art. 7 dies nun für das ganze Defizitverfahren.381 Obschon die Zulässigkeit der entsprechenden Sekundärrechts­gebung umstritten ist,382 wäre nach hier vertretener Auffassung die Regelung eines solchen Abstimmungsverhaltens auch nach Art. 136 Abs. 1 lit. a) i. V. m. Art. 126 Abs. 14 AEUV sekundärrechtlich möglich gewesen. Wenn die überwiegende Ansicht aber darauf verweist, dass Art. 136 Abs. 1 lit. a) keine auf Art. 126 Abs. 14 AEUV

378 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2004, C-27/04 (Kommission / Rat), ECLI:EU:C:2004:436, Rn. 78. 379 So ausdrücklich von der Groeben / Schwarze / Hatje-Hamer, 2015, Art. 126 AEUV Rn. 157; vgl. bereits Häde, in: EuZW 1996, S. 138, 140. 380 Dazu auch Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 384 f. 381 Vgl. Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 387. 382 Siehe zum Sixpack supra Zweiter Teil, C. II. 2. a).

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gründende Rechtsetzung zulässt, so kann dies in diesem Fall nicht überzeugen:383 Der ausdrückliche Ausschluss von Art. 126 Abs. 14 AEUV bezieht sich nur auf die Ersetzung des Protokolls Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit in Gestalt der dort enthaltenen, numerischen Haushaltskriterien, da diese von Primärrechtsqualität sind (vgl. Art. 51 EUV) und zielgebend für das Verfahren nach Art. 126 AEUV. Wäre Art. 126 AEUV aber auch im Übrigen nicht von Art. 136 Abs. 1 AEUV zugänglich, so liefe die Bezugnahme in lit. a) auf die Haushaltsdisziplin faktisch leer.384 Systematische Erwägungen ergeben deshalb, dass die Umkehrung des Mehrheitserfordernisses (wie in Art. 7 Fiskalvertrag vorgesehen) auch auf Sekundärrecht hätte gestützt werden können.385 cc) Einrichtung eines Euro-Gipfels Auch wenn dem Euro-Gipfel (Art. 12 Fiskalvertrag) keine Entscheidungsbefugnisse zukommen, und er lediglich informell institutionalisiert ist; er bildet dennoch das fehlende Puzzlestück zwischen dem Europäischen Rat und der Euro-Gruppe (Art. 137 AEUV), insofern er ein Forum der Staats- und Regierungschefs der Euro-Mitgliedstaaten zur Verfügung stellt. Als eine neue Institution, die im Übrigen vielfach mit Unionsorganen kooperieren soll (so nehmen an den informellen Tagungen regelmäßig auch der Kommissionspräsident sowie der Präsident der EZB teil; auch der Präsident des Europäischen Parlaments kann eingeladen werden, jedenfalls aber hat der Euro-Gipfel eine Berichtspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament), kommt dem Euro-Gipfel quasi-verfassungsstrukturelle Bedeutung zu. Das ist nicht nur an der Kooperation mit anderen Unionsorganen, sondern auch daran zu erkennen, dass der Euro-Gipfel Steuerungsfunktionen der (noch immer) nationalen Haushaltspolitiken übernimmt (Art. 12 Abs. 2). Sekundärrechtlich hätte eine solche Struktur schon mangels Ermächtigungsgrundlage nicht eingerichtet werden können;386 weder Art. 121 Abs. 6 noch Art. 126 Abs. 14 AEUV ermächtigen zur Institutionengründung.

383

So aber Calliess / Ruffert-Häde, 2016, Art. 136 AEUV Rn. 6 m. w. N.; siehe auch Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 10. 384 So auch Antpöhler, in: ZaöRV 2012, S. 353, 378, der mit demselben Ergebnis allerdings Art. 121 Abs. 6 AEUV „ausnahmsweise auch für das Defizitverfahren“ anwenden möchte; ob man indes den Tatbestand des Art. 136 Abs. 1 teleologisch reduziert, oder denjenigen des Art. 121 Abs. 6 analog anwendet, macht methodisch keinen Unterschied. 385 A. A. Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 11 ff., der aber nicht erklären kann, wie dann die von ihm auch erwähnte Umkehrung der Mehrheitserfordernisse in Art. 4 Abs. 2, 5 Abs. 2 sowie 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 1173/2011 möglich sein soll. 386 Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 18.

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dd) Art. 4, Art. 5, Art. 9 ff. Fiskalvertrag Daneben gibt es andere, weniger zentrale, Bestimmungen im Fiskalvertrag, die einer sekundärrechtlichen Regelung zugänglich gewesen wären: Art. 4 Fiskalvertrag bekräftigt ohnehin lediglich die Verwirklichungsbereitschaft der Vertragsstaaten im Hinblick auf bereits bestehendes Sekundärrecht (eine Regelung wäre aufgrund Art. 136 Abs. 1 lit. a) i. V. m. Art. 121 Abs. 6 AEUV möglich gewesen387). Art. 5 Fiskalvertrag spezifiziert sodann einen Verfahrensbestandteil des Defizitverfahrens, bevor es zu Sanktionierungen kommen kann: So sollen Mitgliedstaaten, die sich im Defizitverfahren befinden, selbst einen politischen Plan erarbeiten und vorlegen, der Lösungsmöglichkeiten aufzeigt. Weil es sich auch hier nicht um eine Änderung des Protokolls Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit handelt (siehe dazu insgesamt supra A. II. 2. b), wäre eine Sekundärrechtsschöpfung aufgrund Art. 136 Abs. 1 lit. a) i. V. m. Art. 126 Abs. 14 AEUV möglich gewesen.388 Schließlich wäre die Ausdifferenzierung der wirtschaftspolitischen Koordination in Art. 9 ff. Fiskalvertrag einem Sekundärrechtakt aufgrund Art. 136 Abs. 1 lit. b) i. V. m. Art. 121 Abs. 6 AEUV zugänglich gewesen.389 Art. 11 Satz 2 Fiskalvertrag, der erklärt, die Organe der Union in die Koordinierung nach Art. 9 und 11 Satz 1 einzubeziehen, liest sich dann auch so, als soll an das bereits in Art. 121 Abs. 3 und 4 AEUV enthaltene Verfahren angeknüpft werden. b) Untauglichkeit des Art. 352 AEUV Bislang unbeachtet blieb die Frage einer Nutzbarmachung der Flexibilitätsklausel, um die fiskalvertraglichen Vorschriften unionsrechtsförmig herbeizuführen. Anders als im Falle des ESM steht dem Fiskalvertrag immerhin nicht die praktische Unzulänglichkeit des Unionsbudgets im Wege. Auch die materiellen Anforderungen (Zielausrichtung, Politikbereich der Verträge sowie Erforderlichkeit) sind in paralleler Argumentation wie schon beim ESM erfüllt.390 Indes würde eine Regelung wie die vorgesehene Befugnis des EuGH, die Schuldenbremse zu überwachen (Art. 8 Fiskalvertrag), eine Änderung der Vorschrift in Art. 126 Abs. 10 bedeuten – daher kommt eine Lösung über die Ermächtigung in Art. 352 AEUV nicht in Betracht.

387

Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 8 f., 25. A. A. Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 10 und 25. 389 Pernice, Legal Opinion, 2012, S. 16, 26. 390 Auch der Fiskalvertrag ist auf die Stabilität des Euro-Währungsgebiets (einem Unionsziel) sowie mit der Wirtschafts- und insbesondere der Haushaltspolitik auf einen Politikbereich der Verträge ausgerichtet; zudem wäre ein unionsrechtliches Vorgehen auch erforderlich gewesen, worauf erneut die Nutzbarmachung genuiner Unionsorgane hindeutet. 388

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Schließlich gilt es zudem zu berücksichtigen, dass der Fiskalvertrag exempla­ risch für differenzierte Integration steht: Der Fiskalvertrag wurde gerade nicht von allen Mitgliedstaaten getragen. Der Zweck der Flexibilitätsklausel liegt indes nicht darin, flexible Integrationsformen zu fördern; stattdessen steht die Flexibilität der primärrechtlichen -klausel für flexible Zuständigkeitsausdehnung, um einen Bereich einer einheitlichen unionsrechtlichen Regelung zuzuführen. Wären aber sämtliche Mitgliedstaaten seinerzeit für die Initiative des in den Fiskalvertrag gegossenen Normenprogramms offen gewesen, so hätten die Mitgliedstaaten wohl ohnehin den Gang einer Primärrechtsänderung angetreten.391 c) Subsidiarität der Verstärkten Zusammenarbeit Nach Herbeiführung des Fiskalvertrags hat sich eine häufig kaum näher begründete Ansicht verbreitet, welcher zufolge der Fiskalvertrag anstelle der völkervertragsrechtlichen Umsetzung auch auf eine Verstärkte Zusammenarbeit hätte gegründet werden können.392 Ein Vorgehen mittels Verstärkter Zusammenarbeit hätte auch prima facie auf der Hand gelegen, ist es doch gerade dafür vorgesehen, Vetoblockaden einzelner (integrations-)unwilliger Mitgliedstaaten zu brechen,393 um einer Gruppe von mindestens neun integrationswilligen Mitgliedstaaten ein Voranschreiten innerhalb des Unionsrechtsrahmens zu gestatten. Auch den Vertragsstaaten war das Institut der Verstärkten Zusammenarbeit durchaus im Bewusstsein, wie die Präambeln und Art. 10 Fiskalvertrag verdeutlichen; beinahe klingt schlechtes Gewissen an, wenn die Vertragsstaaten „auf den Wunsch der Vertragsparteien, konsequenter auf die in Art. 20 EUV und 326 bis 334 AEUV vorgesehene Verstärkte Zusammenarbeit zurückzugreifen, ohne den Binnenmarkt zu beeinträchtigen“, hinweisen. Allerdings stellen die Vertragsstaaten sogleich fest, dass neben der Verstärkten Zusammenarbeit ja (auch) Art. 136 (Abs. 1) AEUV eine differenzierte Integration für die Eurozone ermögliche.394 Die scheinbar gleichrangige Gegenüberstellung der Verstärkten Zusammenarbeit und der Ermächtigungsvorschrift in Art. 136 Abs. 1 AEUV ist dabei allerdings missverständlich: Die Verstärkte Zusammenarbeit ist streng subsidiär und gleichsam die ultima ratio unionaler Rechtsetzung erst dann, wenn ein Ziel nicht auch anders erreicht werden kann.395 Auch wenn das Verhältnis zwischen der Verstärkten Zusammenarbeit nach 391 Vgl. de Witte, ARENA Working Paper Nr. 4, 2013, S. 8 f.; siehe dazu auch supra Zweiter Teil, D. III. 1. 392 Nur angedeutet insofern z. B. bei Schwarze-Hattenberger, 2012, Art. 126 Rn. 71; Fischer-​ Lescano / Oberndorfer, in: NJW 2013, S. 9, 10; sowie de Witte, ARENA Working Paper Nr. 4, 2013, S. 8. 393 Siehe dazu supra A. I. 1. c). 394 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 66. EL 2019, Art. 136 AEUV Rn. 15 ff., spricht mit Blick auf Art. 136 AEUV sogar von einer „Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaftspolitik“. 395 Siehe dazu Grieser, Flexible Integration in der Europäischen Union, 2003, S. 58 ff.

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Art. 20 EUV und 326 ff. AEUV und Art. 136 Abs. 1 AEUV – immerhin handelt es sich hier wie da um Formen differenzierter Integration – nicht geklärt scheint: Vorrang für WWU-bezogene Gesetzgebung dürfte Art. 136 Abs. 1 AEUV immerhin schon wegen des Spezialitätsgrundsatzes zukommen. Vor dem Hintergrund des Subsidiaritätskriteriums bleiben nur noch einzelne Regelungen, die möglicherweise auf Grundlage der Verstärkten Zusammenarbeit hätten ergehen können. So stellt sich die Frage, ob die numerische Verschärfung des Defizitkriteriums in Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fiskalvertrag mittels Verstärkter Zusammenarbeit auf den Weg gebracht hätte werden können – einem Vorgehen nach Art. 136 Abs. 1 AEUV hätte schließlich die Tatbestandsausnahme von Art. 126 Abs. 14 AEUV im Weg gestanden. Unbestritten dient die Verstärkte Zusammenarbeit als Vetobrecher, und prima facie scheint es nicht darauf anzukommen, ob eine blockierte Ermächtigungsnorm Einstimmigkeit, eine qualifizierte oder eine einfache Mehrheit voraussetzt. Indes ist eine Verstärkte Zusammenarbeit nicht in der Lage, bestehendes Unionsrecht zu ändern (Art. 326 Abs. 1 AEUV); daher scheidet der Weg einer Verschärfung des Defizitkriteriums mittels Verstärkter Zusammenarbeit aus. Möglicherweise hätte die Verstärkte Zusammenarbeit schließlich aber für die Schuldenbremse oder die Regelungen über den Euro-Gipfel eingesetzt werden können. Wiederum muss an das Prinzip des Vetobrechers erinnert werden: Die Verstärkte Zusammenarbeit soll zum Einsatz kommen, wenn eine andere unionsförmige Regelung an der erforderlichen Stimmenmehrheit im Rat scheitert. Dies impliziert aber zugleich, dass die Verstärkte Zusammenarbeit dort inadäquat ist, wo die Union gar nicht hätte tätig werden können. Mit anderen Worten: Es bedarf einer Unionszuständigkeit, um mittels Verstärkter Zusammenarbeit vorzugehen, auch wenn sich dies nicht ausdrücklich aus den primärrechtlichen Vorschriften ergibt.396 Eine Unionskompetenz für sowohl die Schuldenbremse mit Kontrolle durch den EuGH wie auch die Einrichtung des Euro-Gipfels fehlt aber gerade, sodass sich die mitgliedstaatliche Avantgarde nicht hätte auf die Verstärkte Zusammenarbeit berufen können. 3. Abwicklungsfonds auf Grundlage des Art. 114 AEUV Verglichen mit ESM-Vertrag und Fiskalvertrag erfolgte die Herbeiführung des Abwicklungsfonds in einer besonderen Konstellation: Das IGA stellt den einzigen Fall dar, bei dem die Kommission bereits eine konkrete Ermächtigungsnorm zur Regelung selbst ins Spiel gebracht hatte (Art. 114 AEUV); erst nachdem die Kommissionsinitiative bereits im Raum stand, entschlossen sich die im Rat vereinigten

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Siehe Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 65 ff.; sowie Hatje, in: EuR 2005, S. 148, 157; von der Groeben / Schwarze / Hatje-Becker, 2015, Art. 20 EUV Rn.  42; Grabitz / Hilf / Nettesheim-Blanke, 66. EL 2019, Art. 20 EUV Rn. 36.

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Mitgliedstaaten einen anderen, nämlich den schließlich realisierten intergouvernemental-völkerrechtlichen Weg, einzuschlagen.397 Offensichtlich scheiterte die Einführung des Abwicklungsfonds mittels genuiner Unionsrechtsetzung daher auf politischer Ebene. Umstritten ist darüber hinaus aber, ob für eine unionsrechtsförmige Ausgestaltung des Abwicklungsfonds eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung gestanden hätte. Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens positioniert: So hätte nach Auffassung des deutschen Bundesministeriums der Finanzen das IGA nicht rechtssicher auf Art. 114 AEUV gestützt werden können – wenngleich es eine Erklärung für seine Auffassung schuldig bleibt.398 Dabei ist jedenfalls im Tatbestand des Art. 114 AEUV kein Hinderungsgrund auszumachen. Als essentieller Bestandteil des SRM dient auch der Abwicklungsfonds einer insoweit erforderlichen Harmonisierung399 des Binnenmarkts.400 Denn andernfalls lässt sich nicht erklären, weshalb der Abwicklungsfonds auf Basis des Art. 67 Abs. 1 SRM-Verordnung konstituiert wird; vielmehr müsste man dann konsequenterweise auch zur Kompetenzwidrigkeit der SRM-Verordnung gelangen.401 Die Etablierung des Abwicklungsfonds mittels einer unionseigenen Vorschrift auf Basis von Art. 114 AEUV begegnet indes einem anderen gewichtigen Vorbehalt. So kann die Union Art. 114 AEUV nicht einsetzen, um die Mitgliedstaaten zu finanziellen Beiträgen zu verpflichten, die über den Eigenmittelbeschluss nach Art. 311 AEUV hinausgehen.402 Zwar würden die Beiträge der Finanzinstitute nicht zu Eigenmitteln der Union erwachsen, da insofern eine funktionale Trennung zwischen dem Haushalt der Union und dem Haushalt des Abwicklungsfonds besteht (siehe Art. 58 Abs. 1 SRM-Verordnung).403 Nichtsdestominder lässt sich Art. 311 AEUV entnehmen, dass Mitgliedstaaten im Unionssystem grundsätzlich im Voll-

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Siehe dazu supra Zweiter Teil, D. II. 1. Monatsbericht des Bundesministeriums der Finanzen vom 24. März 2015, abrufbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2015/03/Inhalte/ Kapitel-3-Analysen/3-4-zweite-saeule-bankenunion-abwicklungsrichtlinie.html: doc51220​body​ Text4. 399 Siehe zuletzt EuGH, Urteil vom 22. Januar 2014, Rs. C-270/12 („ESMA“), ECLI:EU:​ C:2014:18, Rn. 100: „ Was den Anwendungsbereich von Art. 114 AEUV angeht, ist daran zu erinnern, dass ein auf diese Rechtsgrundlage gestützter Rechtsakt zum einen Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten umfassen und zum anderen die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben muss.“. 400 Siehe ausführlich Herrmann / Rosenfeldt, Gutachten, 2014, S. 9 ff.; grundsätzlich zustimmend auch Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, S. 31 ff., der allerdings Zweifel ob der Verfügungsgewalt des SRB über den Abwicklungsfonds hegt (S. 35 ff.). 401 Dagegen aber auch ECOFIN 787, abrufbar unter http://s3.documentcloud.org/documents/​ 786051/1352413.pdf, Rn. 28 ff. 402 Ebd., Rn. 54. 403 Herrmann / Rosenfeldt, Gutachten, 2014, S. 17; zustimmend Meng, Die Bankenabwicklungsregelung der EU – eine Fallstudie zur Unionsmethode, 2015, S. 13. 398

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besitz ihrer budgetären Hoheitsrechte bleiben, und sie somit gegen ihren Willen keine Mittel bereitstellen müssen.404 Auch wenn die vorgesehenen Beiträge ausschließlich auf die betroffenen Finanzinstitute und nicht etwa die mitgliedstaatlich-nationalen Haushalte entfallen; durch die Möglichkeit des Abwicklungsfonds, auch auf Ex-post-Beiträge (Art. 5 Abs. 1 lit. d) IGA) zugreifen zu können sowie Darlehen aufzunehmen (Art. 5 Abs. 1 lit. e) IGA), besteht jedenfalls die Gefahr, dass im Ausnahmefall die mitgliedstaatlichen Budgets für Engpässe des Abwicklungsfonds einstehen müssen.405 Um entsprechende Bedenken auszuräumen, erscheint aber die Vorschrift in Art. 67 Abs. 2 SRM-Verordnung zweckdienlich.406 Indes bliebe die latente Gefahr, dass die Vorschriften eines auf Art. 114 AEUV basierenden Abwicklungsfonds per Mehrheitsbeschluss geändert werden.407 Daher bräuchte es Schutzvorkehrung wie die clausula rebus sic stantibus in Art. 9 IGA auch im unionförmigen Rechtsakt. Ein solches unilaterales Kündigungsrecht eines Unionsrechtsakts wäre zwar untypisch und bislang beispiellos, weil genuin völkerrechtlich. Allerdings ist nicht ersichtlich, warum dies nicht auch im Rahmen von Unionsrecht möglich sein sollte. Nach alledem wäre im Ergebnis die Herbeiführung des Abwicklungsfonds auch auf Grundlage von Art. 114 AEUV möglich gewesen; als aber im europäischen Trilogverfahren schließlich eine Einigung gefunden wurde, die die Auslagerung des Abwicklungsfonds in das IGA vorsieht, verankerte man diese Systematik auch in der SRM-Verordnung. Ohne eine gleichzeitige Änderung der SRM-Verordnung, könnte der europäische Gesetzgeber somit auch den Abwicklungsfonds nicht in Sekundärrecht gießen.

C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus  I. Gestalterische Pflichten als Kehrseite intergouvernementaler Freiräume Wenn die Mitgliedstaaten in Reaktion auf die Eurokrise zwar weder die unionsrechtlichen Grenzen intergouvernemental zugänglicher Gestaltungsfreiräume überschritten haben (supra A.), noch zum Teil gar alternative Rechtsetzungsinstrumente im bestehenden Unionsrechtsrahmen für eine vergleichbar ausgestaltete Struktur zur Verfügung gestanden hätten (supra B.), so bleibt doch die Frage unbeantwortet, weshalb die Mitgliedstaaten vielfach für supranationale Gestal 404

Vgl. Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, Rn. 62 ff. Dagegen aber Herrmann / Rosenfeldt, Gutachten, 2014, S. 18. 406 So wohl auch Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, Rn. 66. 407 Mit Hinweis darauf Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, Rn. 66, der ausgehend davon zur Insuffizienz von Art. 114 AEUV gelangt. 405

C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus    219

tungselemente optierten. Denn obschon die Mitgliedstaaten aus dem Unionsrecht ausscheren mussten oder wollten, um ihre Regelungsziele zu erreichen, nahmen sie dennoch Anleihe bei typischen Instituten der Unionsrechtsordnung. Reagierten die Mitgliedstaaten damit auf eine aus dem Unionsrecht zu entnehmende Gestaltungspflicht, die die Förderung und Implementierung supranationaler Elemente verlangt (infra III.) oder handelten sie lediglich rechtspolitisch opportun (infra II.)? Gestalterische Pflichten sind die rechtsdogmatische Kehrseite der vom geltenden Unionsrechtsrahmen gewährten Freiräume für mitgliedstaatliches Agieren. Solche gestalterischen Pflichten lassen sich bspw. auch im Bereich der Verstärkten Zusammenarbeit herauskristallisieren. Dort gilt es insbesondere, die Ausrichtung der Verstärkten Zusammenarbeit auf einen Integrationsfortschritt abzusichern sowie eine Mindestteilnehmerzahl zu beachten, die Stellung der (noch-)nicht-teilnehmenden Mitgliedstaaten abzusichern sowie für Offenheit Sorge zu tragen.408 Auch wenn die „Herren der Verträge“ im gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Zustand der Union noch in vielen Fällen grundsätzlich vertragsautonom handeln und bestimmte Sachmaterien völkerrechtlich fabrizierten gegenseitigen Bindungen jenseits des Unionsrechts409 unterwerfen können, nicht aber regeln müssen; üben die Mitgliedstaaten ihre Freiheiten gemeinschaftlich aus, so strahlt das Unionsrecht aber in dieses Recht hinein. So existieren bspw. mit dem Vertragsänderungs- oder dem Beeinträchtigungsverbot und ihrer speziellen Ausprägung des Verbots der Verfälschung der Befugnisse von Unionsorganen negative Gestaltungspflichten. Umgekehrt sind ausgewählte Grundprinzipien und Leitgedanken des Unionsrechts aber daraufhin zu untersuchen, ob ihnen eine auftragsähnliche, positive Gestaltungspflicht derart entnommen werden kann, Supranationalitätsaffinität einzufordern.

II. Rechtspolitischer Nutzen supranationaler Elemente im Intergouvernementalismus 1. Rechtsvereinheitlichung Zwar handelt es sich im Falle von Unionsrecht einerseits und dem völkerrechtlich-intergouvernemental geschaffenen Recht andererseits um zweierlei verschiedenartige, grundsätzlich getrennt voneinander existierende Rechtskreise. Das gilt jedenfalls für den Bereich des Unionssekundärrechts. Das Unionsprimärrecht und das völkerrechtlich geschaffene Recht haben immerhin denselben völkerrecht­

408

Siehe hierzu ausführlich Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 62 ff., der von „zehn Geboten“ spricht. 409 Auf den Umstand gemeinschaftlicher Verpflichtung in einem eigentlich autonomen Bereich weist schon Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 1988, S 185, hin.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

lichen Mutterschoß gemein.410 Darüber hinaus sind aber auch Unionsprimärrecht und Völkerrecht in vielerlei Hinsicht wesensverschieden.411 Zuletzt und gerade anlässlich der intergouvernementalen Reaktionen in der Eurokrise regten sich indessen erste Stimmen im internationalen Schrifttum, die auch intergouvernemental-völkerrechtlich generiertes Recht als neue Form von Unionsrecht verstehen möchten;412 intergouvernemental-völkerrechtlich generiertes Recht soll sich also einreihen in den Bestand aus europäischem Primär-, Sekundär- sowie Tertiärrecht. Dabei bleibt unerwähnt, dass eine solche Evolution (oder Revolution?) letztlich vom EuGH ausgehen müsste; denn es ist nicht nur der EuGH, der das Recht der Union auslegt, sondern es war auch der EuGH, der dem Unionsrecht mit seiner Rechtsprechung erst zu seinem Selbststand verhalf.413 Es trifft sich insofern, dass der EuGH in den hier betrachteten Fällen von Inter­ gouvernementalismus stets mit der Aufgabe betraut ist, auch das jeweilige (genuin völkerrechtliche) Recht auszulegen. Allerdings erscheint zweifelhaft, ob der EuGH einen anderen Gesetzgeber als die nach der Unionsrechtsordnung berufenen zur Schaffung von Unionsrecht akzeptieren würde (vgl. insbesondere Art. 48 EUV sowie Art. 294 AEUV). Im Wesentlichen dürfte auch der EuGH die für die Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen maßgeblichen Vorschriften in Art. 31 ff. WVK in den Blick nehmen.414 Die jeweiligen Vertragsstaaten schufen indes weder im ESM-Vertrag noch im Fiskalvertrag oder dem IGA Anhaltspunkte dafür, dass es sich um Unionsrecht handeln soll. Stattdessen grenzten sie das völkerrechtlich geschaffene Recht ab, indem sie die Übereinkommen bspw. damit markierten, „nur insoweit zu gelten, wie sie mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar seien“ (Art. 2 Abs. 2 Fiskalvertrag sowie Art. 2 Abs. 2 IGA), oder sich erneut zur „strikten Einhaltung des Rahmens der Europäischen Union“ verpflichteten (Erwägungsgrund 4 ESM-Vertrag). Eine solche Abgrenzung und hierarchische Unterordnung lässt nur den vertragstechnischen Schluss zu, dass auch die teilhabenden Staaten von zweierlei Rechtskreisen ausgehen. Deshalb gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Formensprache des Unionsrechts gleichsam rechtsdogmatisch erweitert werden müsste. Immerhin kann die Entleihung des EuGH aber im Vorfeld der Genese eines „neuen Unionsrechts“ wirken: Indem der EuGH auch im Rahmen der Übereinkommen berufen ist, kann er seine Rechtsprechung an die zum genuinen Unionsrecht ergangene Judikatur angleichen und auf diese Weise rechtsvereinheitlichend wirken. Auch andere von den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer völkerrechtlich-intergouvernementalen Tätigkeit eingesetzten supranationalen Elemente haben rechts 410

Siehe supra A. I. 1. a). Siehe insbesondere die normative Supranationalität, supra Erster Teil, B. I. 2. 412 Eijsbouts / Reestman, in: ECLR 2015, S. 425, 428 ff., die insbesondere auf die identische völkerrechtliche Natur von Unionsprimärrecht und intergouvernementalen Übereinkommen inter se verweisen (S. 431); sowie Peers, in: ECLR 2013, S. 37 ff. 413 Siehe supra Erster Teil, B. I. 2. 414 Vgl. Thym, in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 23, 31. 411

C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus    221

vereinheitlichende Funktion. Indem bspw. die ESM-Politik auf die im Rahmen von Art. 126 AEUV und dem SWP ergangenen Entscheidungen der Unionsorgane ausgerichtet ist,415 wird intergouvernementales und übriges Unionsrecht unter derselben finalen Richtung der Gewährleistung von Finanzstabilität zusammengefasst. Auch die strenge Akzessorietät des Abwicklungsfonds und seine wechelseitige Inbezugnahme mit der SRM-Verordnung, demzufolge intergouvernementales und supranationales Recht eine Sinneinheit bilden, führt zur Entstehung eines vereinheitlichten Rechtsrahmens. 2. Durchsetzbarkeit des Rechts Das mittels Übereinkommen geschaffene Recht ist Völkerrecht und als solches per se durchsetzungsschwach; erst recht gilt dies im Vergleich mit Unionsrecht – denn anders als Unionsrecht wird Völkerrecht natürlicherweise weder von der Kommission „behütet“ noch vom EuGH „bewacht“.416 Stattdessen ist die Com­ pliance, also die Befolgung von Recht, im Völkerrecht vielfach von eher politischen Faktoren wie der Reputation bzw. dem drohenden Reputationsverlust, der Rezipro­ zität sowie der Sorge vor Retaliation abhängig;417 eine den Staaten übergeordnete Herrschaftsgewalt mit Fähigkeiten zur Rechtsdurchsetzung gegenüber den Mitgliedstaaten (sowie gegenüber Einzelnen) fehlt. Der Unionsrechtsordnung liegt ein anderes Selbstverständnis zugrunde. Auch wenn drohender Reputationsverlust oder Reziprozität vielleicht noch ein (sehr weicher) Faktor für Compliance sein mag, der auf den völkerrechtlichen Ursprung des Unionsrechts hindeutet; jedenfalls der Retaliationsgedanke, der zu (vergleichsweise härteren) Gegenmaßnahmen berechtigen würde, ist der Unionsrechtsordnung aber fremd.418 Stattdessen ist die Unionsrechtsordnung mit einem eigenen System zur Rechtdurchsetzung versehen, das auf den Befugnissen unionseigener Organe basiert und sich vom Völkerrecht abhebt.419 Zwar kann auch die Union zu Zwecken der Rechtsdurchsetzung keinen unmittelbaren Zwang gegenüber den Mitgliedstaaten einsetzen – als unmittelbare Zwangsform käme ohnehin lediglich kriegerisches Verhalten in Betracht. Mittelbare Zwangsformen sind dem Unionsrecht indes nicht fremd: So sieht die institutionelle Ordnung der Union in Gestalt der Kommission eine Einrichtung vor, die die Anwendung der Verträge behütet 415

Siehe supra Zweiter Teil, D. IV. 3. b). Vgl. zur geteilten „Hüterfunktion“ von Kommission und EuGH in der Unionsrechtsordnung Grabitz / Hilf / Nettesheim-Martenczuk, 66. EL 2019, Art. 17 EUV Rn. 17. 417 Siehe die drei „R’s“ bei Guzman, How International Law Works, 2008, S. 33 ff. 418 Ausführlich Klamert, in: EuR 2018, S. 159, 160 f. m. w. N. wie Hinweis auf Ausführungen des EuGH, zuletzt im Urteil vom 23. Mai 1996, Rs. C-5/94 („Hedley Lomas“), ECLI:EU:​ C:1996:205, Rn. 20: „[…] ein Mitgliedstaat [ist] nicht berechtigt, einseitig Ausgleichs- oder Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, um einer möglichen Mißachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften durch einen anderen Mitgliedstaat entgegenzuwirken“. 419 Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, 2002, S. 145. 416

222

3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

(Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EUV); das bedeutet, dass im Regelfall der Kommission die Wahrnehmung typischerweise exekutiver Aufgaben innerhalb der EU zukommt. Zu den Befugnissen der Kommission gehört nicht nur, dass sie (Vertragsverletzungs-)Verfahren (Art. 258, 260 AEUV) gegen Mitgliedstaaten initiieren kann, sondern in ausdrücklich genannten Fällen auch die Möglichkeit, unmittelbar Entscheidungen gegenüber den Mitgliedstaaten zu treffen, wie z. B. im Beihilfenrecht (Art. 108 Abs. 2 AEUV).420 Neben der Kommission sieht die institutionelle Ordnung der Union den EuGH als Organ zur Rechtsdurchsetzung vor. So legt der Gerichtshof nicht nur das Unionsrecht einheitlich aus, sondern er ahndet als nächste Instanz auch Unionsrechtsverletzungen (quasi-einheitlich). Um Unionsrecht durchzusetzen, kann der EuGH  – häufig aber nachdem zunächst ein erstes Urteil nach Art. 260 Abs. 1 AEUV nicht befolgt wurde – gegenüber einem Mitgliedstaat die Zahlung eines Pauschalbetrags und eines Zwangsgelds verhängen (Art. 260 Abs. 2 oder alternativ ohne vorhergehendes erstes Urteil Abs. 3 AEUV).421 Wenn intergouvernemental agierende Mitgliedstaaten im Rahmen von Übereinkommen inter se auf jene zentralen Einrichtungen der supranationalen Institutionenlandschaft zurückgreifen, für die sowohl die Kommission als auch der EuGH stehen, so soll auch dies insbesondere der besseren Durchsetzbarkeit des geschaffenen Vertragsvölkerrechts dienen. Anstatt auf die typischerweise „soften“ Durchsetzungsmechanismen des Völkerrechts zu vertrauen, sollen Kommission und EuGH mit Entscheidungsbefugnissen versehen sein, die ihren originär primärrechtlichen Befähigungen nachgebildet sind. Dabei kommt der Kommission im Rahmen der Übereinkommen aber regelmäßig eine schwächere Rolle als im Rahmen des Unionsprimärrechts zu; anders als vom Unionsrecht vorgesehen, kann die Kommission unmittelbar keine („Völkervertrags“-)Verletzungsverfahren einleiten (vgl. Art. 8 Fiskalvertrag, Art. 37 ESM-Vertrag sowie Art. 14 IGA). Allerdings: Im Rahmen des fiskalvertraglichen Sanktionsverfahrens kommt der Kommission letztlich durch den von ihr zu erstattenden Bericht hintergründig doch eine entscheidende Funktion zu.422 Dass die intergouvernemental agierenden Mitgliedstaaten keinen Bedarf sehen, eigene, neue institutionelle Mechanismen zur Rechtsdurchsetzung zu schaffen – sich aber gleichsam nicht auf rein völkerrechtliche Muster verlassen möchten –, zeigt auch ein Blick auf den Abwicklungsfonds: Anstelle der Kommission ermächtigt das IGA den SRB, eine Unionsagentur, Maßnahmen unter den Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 zu ergreifen, die auf die (mittelbare) Durchsetzung der Pflicht zur Übertragung der Fonds-Beiträge gerichtet sind.423

420

Siehe Kämmerer, in: MPEEPL, 2012, Bd. 1, S. 561, 565. Ausführlich zur Sanktionspraxis und zu Kombinationslösungen Calliess / Ruffert-Cremer, 2016, Art. 260 AEUV Rn. 11 ff. m. w. N. 422 Siehe supra Zweiter Teil, D. III. 3. b) aa). 423 Siehe supra Zweiter Teil, D. II. 3. b). 421

C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus    223

3. Überführbarkeit des Rechts In allen im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Fällen intergouvernemental-völkerrechtlichen Agierens bleibt die Überführung der jeweils geschaffenen Rechtsmaterie in das (supranationale)  Unionsrecht nicht nur politisches, sondern teilweise sogar rechtliches Ziel: Im Falle des Fiskalvertrags ergibt sich dies aus der ausdrücklichen Regelung in Art. 16; im Falle des Abwicklungsfonds ergibt sich dieser Umstand aus seiner Systematik, die eine schrittweise Vereinheitlichung der anfangs national verkammerten Finanzmittel vorsieht (Art. 5 IGA) sowie aus der ausdrücklichen Vorgabe in Art. 16 Abs. 2 IGA; der ESM soll jedenfalls nach vereinzelt vorgetragenen politischen Zielvorstellungen prospektiv vollständig in den unionsrechtlichen Schoß überführt – und gar zum „Europäischen Währungsfonds“ weiterentwickelt – werden.424 Diese Überführung in herkömmliches Unionsrecht vermag umso einfacher zu gelingen, je mehr supranationale Elemente im intergouvernemental geschaffenen Recht bereits enthalten sind: So muss der europäische Gesetzgeber keine oder nur wenige neue institutionenbezogene Vorschriften positiv schaffen oder negativ abschaffen, wenn die Übereinkommen bereits Organleihe betreiben. Die im IGA enthaltene Akzessorietät im Verhältnis zum bestehenden supranationalen Recht der SRM-Verordnung möchte ihrerseits erreichen, dass der SRM unverändert und mithin insbesondere „aufnahmefähig“ bleibt, solange eine vollständige Überführung des Abwicklungsfonds noch nicht erfolgt ist. Und umgekehrt: Indem die Vertragsstaaten des Fiskalvertrags bereits durch die Einführung einer vorzugsweise verfassungsrechtlichen Schuldenbremse ihre Hoheitsrechte eingeschränkt haben, fällt die national-mitgliedstaatliche Compliance mit einer Überführung der fiskalvertraglichen Materie in das Unionsrecht leichter – schließlich sind Haushaltspläne zwar (und insbesondere die planmäßigen Ausgaben) regelmäßig längerfristig ausgelegt, die Schuldenbremsen mittlerweile aber schon seit geraumer Zeit eingeführt.425​

424

Siehe z. B. den Vorschlag der Kommission zur Überführung des ESM-Rechts in Verordnungsrecht vom 6. Dezember 2017, COM(2017) 827 final; siehe auch den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD der 19. Legislaturperiode, abrufbar unter https://www.bundesregierung. de/Content/DE/_Anlagen/2018/03/2018-03-14-koalitionsvertrag.pdf;jsessionid=8FF3F10B5 C3207510E8B81775CCD752B.s1t2?__blob=publicationFile&v=6, S. 9: „Den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wollen wir zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, der im Unionsrecht verankert sein sollte. Die Rechte der nationalen Parlamente bleiben davon unberührt.“. 425 Vgl. den Bericht der Kommission vom 22. Februar 2017, C(2017) 1201 final.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

III. Unionsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung des Intergouvernementalismus 1. Paradigmatische Verstärkte Zusammenarbeit? Vereinzelt gehen wissenschaftliche Abhandlungen von der Musterhaftigkeit der Verstärkten Zusammenarbeit für sämtliche Formen differenzierter Integration aus.426 So sollen sich bspw. die unionsrechtlichen Zulässigkeitskriterien für interne Übereinkommen an denjenigen für eine Verstärkte Zusammenarbeit orientieren bzw. gleichsam paradigmatisch aus ihnen abzuleiten sein.427 Einer solchen Musterbildung ist indes entgegenzutreten: Die Zulässigkeit interner Übereinkommen richtet sich nach einer eigenen Dogmatik, die der Kompetenzverteilung der verfassten Union zu entnehmen ist.428 Andererseits überrascht die Musterbildung nicht; schließlich hat der Primärrechtsgeber mit den Vorschriften über die Verstärkte Zusammenarbeit (Art. 20 EUV sowie Art. 326 ff. AEUV) ein aus seiner Sicht wünschenswertes Instrument für differenzierte Integration in eine allgemeine Ermächtigungsnorm gegossen. Indem die Verstärkte Zusammenarbeit Eingang in die Unionsverträge fand, machte der Primärrechtsgeber aber nicht nur deutlich, innerhalb welcher Grenzen er differenzierte Integration eingehegt sehen möchte; gleichzeitig floss in die normative Ausgestaltung ein, an welchen unionalen „Leitgedanken“429 eine Verstärkte Zusammenarbeit ausgerichtet sein sollte. a) Finale Ausrichtung der Verstärkten Zusammenarbeit Die Verstärkte Zusammenarbeit soll nicht etwa jedem erdenklichen Zweck (innerhalb der sachlichen Zuständigkeitsbereiche der Union) dienen können. Als unionseigene Handlungsform ist sie auf die Art. 1 Abs. 2 EUV entnommene Zielbestimmung einer „immer engeren Union“ ausgerichtet; unmissverständlich fordert Art. 20 Abs. 1 Uabs. 1 EUV ein, dass eine Verstärkte Zusammenarbeit die „Verwirklichung der Unionsziele zu fördern sowie ihre Ziele und ihren Integrationsprozess zu stärken“ hat. Tatsächlich zeigt auch die Entstehungsgeschichte der in Primärrecht gegossenen Verstärkten Zusammenarbeit, dass es bei ihrer 426 Auch Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 308 ff., möchte seine „fünf Gebote“ für intergouvernemental-völkerrechtliches Handeln jedenfalls begrifflich an die „zehn Gebote“ der Verstärkten Zusammenarbeit (siehe dazu ebd., S. 62 ff.) anlehnen. 427 So z. B. von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 515 ff.; vgl. für die grundsätzliche Muster­ gültigkeit der Verstärkten Zusammenarbeit auch Calliess, in: NVwZ 2018, S. 1, 8. 428 Siehe supra A. I.; vgl. auch die Ablehnung bei de Witte, in: Constitutional Change in the EU, 2000, S. 31, 57; so letztlich auch Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 297 ff., der einzeln auf die verschiedenen Kompetenzbereiche eingeht. 429 Begriff von Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 64; alternativ könnte man auch von einer Zielbestimmung sprechen.

C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus    225

Einführung gerade darum ging, Integrationsschritte zu ermöglichen, die andernfalls durch einzelmitgliedstaatliches Veto geblockt sein könnten.430 Der Verstärkten Zusammenarbeit geht es nicht nur darum, integrationspolitische Rückschritte zu vermeiden.431 Vielmehr geht es darum, einen positiven Beitrag in Richtung der Verwirklichung der Unionsziele zu leisten (vgl. Art. 3 EUV). An und für sich handelt es sich hierbei freilich um keine überraschende Regelung; so weist Thym darauf hin, dass jedes Unionshandeln an den Zielen der Union ausgerichtet sein muss,432 wie sich (ausdrücklich) bereits aus dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 4 EUV) ergibt.433 Überraschend ist deshalb vielmehr, dass der Primärrechtsgeber sich offenbar genötigt sah – möglicherweise um die politischen Gegner einer primärrechtlich institutionalisierten Verstärkten Zusammenarbeit zu besänftigen434  – der Verstärkten Zusammenarbeit eine solche Formel in ihre „DNS“ zu schreiben. Das kann nur darauf zurückzuführen sein, dass bei Formen differenzierter Integration das Gebot der Ausrichtung auf Unionsziele besonderes gefährdet ist, weil eine Avantgarde möglicherweise dazu neigt, ihre eigenen, gruppenspezifischen Interessen zu bevorzugen. b) Übertragbarkeit auf Intergouvernementalismus Auch der Eurokrisen-Intergouvernementalismus ist immerhin auf Unionsziele – insbesondere die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes  – ausgerichtet. ­Haben die Mitgliedstaaten die Finalität der Verstärkten Zusammenarbeit beachtet und waren sie dazu verpflichtet? Der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Art. 5 Abs. 4 EUV verpflichtet jedenfalls nur die Union bzw. die Unionsorgane. Eine parallele, die Mitgliedstaaten verpflichtende Verhältnismäßigkeitsvorschrift enthalten die Unionsverträge nicht; die Mitgliedstaaten sind allenfalls an nationalverfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebote gebunden, die sich aber genauso wenig auf das Verhältnis zur Union beziehen.435 Möglicherweise stellt aber die ausdrückliche Kenntlichmachung der Finalität der Verstärkten Zusammenarbeit – auch wenn sie im Hinblick auf die Verstärkte Zusammenarbeit lediglich deklaratorisch ist436 – eine generelle, positive Gestaltungspflicht für jedwede mitgliedstaatliche Initiative mit dem Ziel differenzierter Integration dar. 430

Siehe supra A. I. 1. c). Vgl. Ehlermann, in: EuR 1997, S. 362, 372. 432 Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 63 f. 433 Ausführlich hierzu Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 198 ff. m. w. N.; a. A. indes Grabitz / ​ Hilf / ​Nettesheim-Bast, 66. EL 2019, Art. 5 EUV Rn. 70; sowie von der Groeben / Schwarze / ​ ­Hatje-Kadelbach, 2015, Art. 5 EUV Rn. 51. 434 Vgl. dazu Grieser, Flexible Integration in der Europäischen Union, 2003, S. 52 f. 435 Vgl. die Übersicht bei Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 48 ff. 436 Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 64. 431

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

aa) Ermunterung zur Differenzierung durch die Verstärkte Zusammenarbeit Zwar kann der bloßen primärrechtlichen Existenz der Verstärkten Zusammenarbeit nicht entnommen werden, dass die mitgliedstaatliche Zusammenarbeit mittels externem Übereinkommen unzulässig ist437 – und nach hier vertretener Ansicht folgt selbst dann keine Unzulässigkeit, wenn die Verstärkte Zusammenarbeit in einer spezifischen Situation eigentlich möglich wäre, aber am politischen Willen scheitert.438 Umgekehrt wohnt den Regeln über die Verstärkte Zusammenarbeit vielmehr ein grundsätzlich differenziert-integrationsfreundlicher Charakter inne;439 so lässt sich Art. 20 Abs. 1 Uabs. 2 Satz 1 EUV auch als Ermunterung dergestalt lesen, „darauf ausgerichtet [zu sein …], den Integrationsprozess der Union zu stärken“. Sollten sich für eine integrative Politik weniger als die erforderlichen neun Mitgliedstaaten zusammenfinden, so ist der Weg zur Verstärkten Zusammenarbeit verschlossen.440 Wäre einer solchen Gruppe grundsätzlich integrations­williger Mitgliedstaaten aber darüber hinaus jeder Weg gemeinsamer Kooperation unzugänglich, würde dies eine mit der mitgliedstaatlichen Praxis nicht zu vereinbarende Störung des Fortgangs der Integration bedeuten.441 Julia Heesen pointiert diesen Gedankengang schließlich wie folgt: Indem der Primärrechtsgeber die Verstärkte Zusammenarbeit einführte, verrechtlichte er ein Prinzip,442 welches differenzierte Integration grundsätzlich und formunabhängig für zulässig erachtet.443 Heesen führt den Gedanken in ihrer Untersuchung zwar nicht weiter aus, aller­ dings handelt es sich um die konsequente Schlussfolgerung der von vielen Stimmen (wie auch hier) vertretenen allgemeinen Zulässigkeit externer Übereinkommen trotz Verstärkter Zusammenarbeit. Historisch-genetisch könnte einer solchen Ansicht zwar zu entgegnen sein, dass im Rahmen der Verhandlungen über die Verstärkte Zusammenarbeit jedenfalls mitschwang, insbesondere auch unionsrechtsexterne, völkerrechtliche Kooperationsformen der Mitgliedstaaten inter se 437

Siehe supra A. I. 1. c). Siehe supra B. I. 2. b) bb). 439 Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 264; vgl. für die grundsätzlich integrationsermunternde Fähigkeit auch Grieser, Flexible Integration in der Europäischen Union, 2003, S. 58, die auf das Drohpotential, blockierende Mitgliedstaaten könnten sich am Ende nur selbst exkludieren, abstellt. 440 Vor der Eurokrisen-Rettung war der Vertrag von Prüm der einzige Konfliktfall, siehe dazu Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 263. 441 Umgekehrt fassen Gaja, in: CMLR 1998, S. 855, 870; und Wessels, in: Die Europäische Union nach Amsterdam, 1998, S. 217 f., die formellen Voraussetzungen selbst eher als Hemmnis dafür auf, im Einzefall zur Verstärkten Zusammenarbeit zu optieren, und sehen stattdessen interne Übereinkommenslösungen begünstigt. 442 Siehe zur Prinzipienhaftigkeit auch Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 265 f. m. w. N.; vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Blanke, 66. EL 2019, Art. 20 EUV Rn. 4; vgl. aber Martenczuk, in ZEuS 1998, S. 447, 473; vgl. auch Bender, in: ZaöRV 2001, S. 729, 766, f. 443 Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 265. 438

C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus    227

einzudämmen.444 Allerdings kommt dem historisch-genetischen Argument grundsätzlich keine oder nur eine sehr geringe Bedeutung in der insofern maßgeblichen Praxis des EuGH zu.445 Umso mehr Gewicht kann im Einzelfall dem Telos einer Vorschrift des Primärrechts zukommen; Leitsätze für eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck sind die Unionsziele, die möglichst durch die übrigen primärrechtlichen Bestimmungen verwirklicht sein sollen bzw. verwirklicht werden können sollen.446 Für die Auslegung i. S. prinzipieller Anerkenntnis und Ermutigung zur differenzierten Integration der Vorschriften über die Verstärkte Zusammenarbeit streitet schließlich, dass nur dadurch gewährleistet werden kann, dass die Mitgliedstaaten auch in solchen Bereichen, die ihrer Zuständigkeit unterfallen, größtmögliche Gestaltungsfreiheit nicht zuletzt zum Erreichbarmachen der Unionsziele haben. bb) Keine Pflicht der Mitgliedstaaten zur finalen Ausrichtung auf Unionsziele Wenn aber den ins Primärrecht gegossenen Vorschriften über die Verstärkte Zusammenarbeit eine allgemeine Aufmunterung zu differenzierter Integration entnommen werden kann, dann erscheint der gedankliche Schritt nicht fernzuliegen, gleichsam als Kehrseite jener Aufmunterung eine Pflicht mitgliedstaatlichen intergouvernementalen Agierens zur finalen Ausrichtung auf Unionsziele (insbesondere Art. 3 EUV) anzunehmen. Schließlich geht die Aufmunterung von dem Leitmotiv aus, dass differenzierte Integration der Erreichung von Unionszielen förderlich sein kann, und final der „immer engeren Union“ (Art. 1 Uabs. 2 EUV) dient. Ganz in diesem Sinne vertreten einige Stimmen aus dem Schrifttum, dass auch die „unionspolitisch handelnden Mitgliedstaaten“ auf die Unionsziele verpflichtet seien.447 Die Gegenauffassung hält den aus ihrer Sicht klaren Wortlaut des Art. 3 Abs. 6 EUV dagegen.448 Auch der EuGH stand seither einer gestalterischen Verpflichtung der Mitgliedstaaten eher skeptisch gegenüber.449 Zwar repliziert die erstgenannte Ansicht, dass der Wortlaut, der ausdrücklich „die Union“ in die Pflicht nimmt, „tätigkeitsbezogen“, und „nicht institutionell“ zu deuten sei.450 Allerdings steht einer so gearteten Verpflichtung entgegen, dass die Mitgliedstaaten mög­

444

Vgl. Grieser, Flexible Integration in der Europäischen Union, 2003, S. 53. Pechstein / Drechsler, in: Europäische Methodenlehre, 2015, § 7 Rn. 33 ff. 446 Pechstein / Drechsler, in: Europäische Methodenlehre, 2015, § 7 Rn. 27 ff. 447 Calliess / Ruffert-Ruffert, 2016, Art. 3 EUV Rn. 4; so wohl auch Wiesner, Unionsziele im Europäischen Verfassungsrecht, 2008, S. 35. 448 Streinz-Pechstein, 2018, Art. 3 EUV Rn. 4. 449 EuGH, Urteil vom 29. September 1987, Rs. 126/86 (Fernando Roberto Giménez Zaera / Instituto Nacional de la Seguridad), ECLI:EU:C:1987:395, Rn. 10 f.; weniger deutlich aber in dieselbe Richtung Urteil vom 18. Juni 1991, Rs. 260/89 („ERT“), ECLI:EU:C:1991:254, Rn. 39 f. 450 Calliess / Ruffert-Ruffert, 2016, Art. 3 EUV Rn. 4. 445

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

licherweise auch Bereiche intergouvernemental regeln möchten, die (noch) gar keinem Unionsziel entsprechen,451 sondern auf ein anderes, bislang nicht im Unionsrahmen abgebildetes Ziel ausgerichtet sind. Wenn das Unionsrecht deshalb auch verlangen würde, das unionsrechtsexterne Handeln auf Unionsziele auszurichten, so bliebe den Mitgliedstaaten keine grenzübergreifende Kooperationsform mehr übrig. Man wird deshalb differenzieren müssen: Zwar sind die Mitgliedstaaten auch dazu verpflichtet, aktiv auf die Ziele der Union hinzuarbeiten – aber eben nicht nur, sondern andere politische Ziele sind rechtlich genauso möglich, solange sie den Unionszielen nicht widersprechen. Freilich existiert immerhin eine Unterlassungspflicht, gerichtet auf eine verbotene Störung der Unionsziele;452 denn darin liegt regelmäßig ein Verstoß gegen das Loyalitätsprinzip (Art. 4 Abs. 3 Uabs. 2 Satz 2 EUV).453 Eine Beschränkung auf unionszielgerichtetes Tätigwerden stellt sich somit aber zu einschneidend dar. Es bleibt dabei, dass die Unionsziele positiv lediglich die Union binden. 2. Loyalitätsprinzip Schon im Rahmen der Alternativlosigkeit der intergouvernementalen Maßnahmen ging diese Untersuchung auf das althergebrachte Prinzip454 des heutzutage ausdrücklich in Art. 4 Abs. 3 EUV enthaltenen „Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit“ ein.455 Dass das Loyalitätsprinzip auch im Rahmen der an dieser Stelle untersuchten Ausgestaltungspflichten in Betracht kommt, ist auf seine hochgradige Auslegungsbedürftigkeit zurückzuführen, die in der Vergangenheit schon sowohl Rechtsprechung als auch die Rechtswissenschaft unter Beweis stellten. So könnte ausgehend von der umfassenden Abstraktheit der primärrechtlichen Umschreibung des Loyalitätsprinzips der Gedanke naheliegen, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des völkerrechtlich-intergouvernementalen Agierens inter se positiven Gestaltungspflichten unterliegen, die just eine Ausprägung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit darstellen.

451

Indes: Die Ziele der Union sind weitläufig und vielfältig, vgl. Hatje, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 801, 822; sowie Reimer, in: EuR 2003, S. 992, 997. 452 Calliess / Ruffert-Ruffert, 2016, Art. 3 EUV Rn. 4 m. w. N. 453 Diese negative Pflicht bzw. „mittelbare Pflicht“ dürfte nach hier vertretener sowie der Meinung von Reimer, in: EuR 2003, S. 992, 1006, die einzige Pflicht der Mitgliedstaaten sein. 454 Vgl. Calliess / Ruffert-Puttler / Kahl, 2016, Art. 4 EUV Rn. 23 ff. sowie Grabitz / Hilf / Nettes­ heim-Schill / Krenn, 66. EL 2019, Art. 4 EUV Rn. 59; siehe auch Klamert, The Principle of ­Loyalty in EU Law, 2014, S. 10 f. 455 Siehe supra B. I. 1.

C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus    229

a) Handlungspflichten Anerkanntermaßen fließen aus dem Loyalitätsprinzip gerade auch auf die mitgliedstaatliche Ebene gerichtete bzw. durch mitgliedstaatliche Einrichtungen zu verwirklichende Handlungspflichten.456 Diese Handlungspflichten beziehen sich insbesondere auf eine wirksame Umsetzung des Unionsrechts dort, wo das Unionsrecht dies auch verlangt – oder in den Worten des Art. 4 Abs. 3 Uabs. 2 Satz 1 EUV: die „Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben“. Schon diese allgemeine Aussage in Art. 4 Abs. 3 EUV macht deutlich, worauf die Handlungspflichten abzielen: So geht der Grundsatz von einem Szenario aus, im Rahmen dessen das von den Mitgliedstaaten geforderte Handeln stets eine Reaktion auf ausdrückliche Pflichten darstellt, die sich bspw. aus Verordnungen, Richtlinien oder auch EuGH-Entscheidungen sowie Entscheidungen der Kommission ergeben können. So weit aber noch nicht genug; Handlungspflichten können darüber hinaus auch da bestehen, wo noch kein unionsrechtliches Pflichtenprogramm geronnen ist: Art. 4 Abs. 3 Uabs. 2 Satz 2 EUV spricht davon, dass „die Mitgliedstaaten die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe unterstützen“. Anders als noch die Konstel­ lation aus Art. 4 Abs. 3 Uabs. 2 Satz 1 EUV, verlangt die Unterstützungspflicht in Satz 2 lediglich, dass ein anknüpfbarer Sachverhalt vorliegt, dem seinerseits wiederum konkrete, durch die Union wahrgenommene Aufgaben zugrundeliegen – die konkrete Unterstützungspflicht ist in diesen Fällen aber regelmäßig ungeschrieben. Als anknüpfbare Aufgabe der Union kam bislang bspw. die Aufgabe der Kommission aus Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EUV, für die Anwendung der Verträge sowie der von den Organen kraft der Verträge erlassenen Maßnahmen Sorge zu tragen, insbesondere im Rahmen von Vertragverletzungsverfahren in Betracht. Reflex dieser Aufgabe soll eine Auskunfts-(unterstützungs-)pflicht eines beteiligten Mitgliedstaats sein.457 b) Keine selbständigen Ausgestaltungspflichten Keinen Platz räumte die aus dem Loyalitätsprinzip fließende Handlungspflichtendogmatik (einschließlich der Unterstützungspflichten) bislang selbständigen Ausgestaltungspflichten der Mitgliedstaaten ein; das gilt insbesondere für Konstel­ 456 In aktuellen Kommentarstellen nimmt die Darstellung der mitgliedstaatlichen Handlungspflichten regelmäßig den größten Teil ein – ein Indiz für ihre Dominanz im Rahmen der unterschiedlichen Ausprägungen des Loyalitätsprinzips –, siehe Calliess / Ruffert-​Calliess  / ​ Kahl / Puttler, 2016, Art. 4 EUV Rn. 39 sowie Rn. 55 ff. sowie von der Groeben / ​Schwarze / ­Hatje-​ Obwexer, 2015, Art. 4 EUV Rn. 94 ff. 457 EuGH, Urteil vom 26. April 2005, Rs. C-494/01 (Kommission / Irland), ECLI:EU:C:​ 2005:250, Rn. 197; und Urteil vom 5. Oktober 2006, Rs. C-275/04 (Kommission / Belgien), ECLI:EU:C:2006:641, Rn. 82 ff.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

lationen, in denen Mitgliedstaaten Übereinkommensrecht inter se schaffen.458 Zwar handeln die Mitgliedstaaten auch in Bereichen, die sie vollständig in ihrer eigenen Zuständigkeit beließen, nicht losgelöst von Ausprägungen des Loyalitätsprinzips.459 Allerdings handelt es sich in diesem Fall lediglich um ein Beeinträchtigungsverbot, welches negativ solche Ausgestaltungsvarianten untersagt, die der vollen Entfaltung von Unionsrecht entgegenstehen könnten.460 Solange kein spezifisches unionsrechtliches Imperativ vorgegeben ist, lässt sich aber keine Pflicht der Mitgliedstaaten aus dem Loyalitätsprinzip ableiten, positiv-aktiv in der einen oder anderen Weise geartete Gestaltungen vorzunehmen. Insbesondere gibt es regelmäßig keine Pflicht, im Rahmen von intergouvernementalem Tätigwerden der Mitgliedstaaten untereinander supranationalitätsaffine Gestaltungsvarianten zu bevorzugen, indem etwa die Unionsorgane mit Aufgaben betraut werden müssten, das mitgliedstaatliche Übereinkommensrecht in streng dienender Unterwürfigkeit gegenüber sinnverwandtem supranationalem Recht konstruiert werden müsste, oder die Mitgliedstaaten etwa bereits Hoheitsrechte einschränken müssten. Die Mitgliedstaaten können im Hinblick auf das Loyalitäts­ prinzip weitgehend frei zwischen intergouvernementalen und supranationalen Strukturen wählen, wenn sie mittels Übereinkommensrecht zusammenarbeiten. Dafür spricht nicht nur der Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 Uabs. 2 EUV, sondern insbesondere der systematische Zusammenhang der Vorschrift. Aus dem unmittelbaren Regelungsumfeld des Loyalitätsprinzips wird ersichtlich, dass und wie sehr auch die mitgliedstaatlichen Interessen gegenüber ausufernden unionseigenen Interessen geschützt sind durch den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung der Union (Art. 4 Abs. 1 sowie Art. 5 Abs. 2 EUV) sowie das Subsidiaritäts- (Art. 5 Abs. 3 EUV) und das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 4 EUV). So sind die Mitgliedstaaten zwar gehalten, die Ziele der Union zu fördern; allerdings geht diese der Unterstützungspflicht eng verwandte Förderpflicht nicht so weit, dass die Mitgliedstaaten nicht vornehmlich auch ihre eigenen Interessen verfolgen dürften, wo diese nicht im Widerspruch zu unionalen Zielen stehen.461 Schließlich ist es konsequent, wenn Armin Hatje im Falle intergouvernemental-völkerrechtlicher Maßnahmen der Mitgliedstaaten untereinander (wörtlich spricht er von „äußerer Differenzierung“) nur einen Ausdruck „fortdauernder Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten“ erkennt, und gerade nicht die Manifestation eines „gemeinschaftsrechtlichen Prinzips“ wie bspw. demjenigen des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit.462 458

A. A. Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 267, die als Ausfluss des Loyalitätsgebots verlangt, dass intergouvernmental völkerrechtlich agierende Mitgliedstaaten mit den Unionsorganen zusammenarbeiten müssen sowie andere beteiligungswillige Mitgliedstaaten nicht ausschließen dürfen. 459 Klamert, The Principle of Loyalty in EU Law, 2014, S. 24 m. w. N.; siehe auch Grabitz / ​ Hilf / Nettesheim-Schill / Krenn, 66. EL 2019, Art. 4 EUV Rn. 121. 460 Vgl. Fischer-Lescano / Oberndorfer, NJW 2013, S. 9, 12. 461 Vgl. Calliess / Ruffert-Calliess / Kahl / Puttler, 2016, Art. 4 EUV Rn. 93. 462 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 2001, S. 95.

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3. Einheit des Unionsrechts Ein weniger greifbares Prinzip ist die Idee der Einheit des Unionsrechts; denn anders als der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit lässt es sich nicht ohne Weiteres normativ rückbinden. Vielmehr ist die Einheitsidee die entscheidende Facette des anerkannt Hallstein’schen Postulats der europäischen Rechtsgemeinschaft bzw. Europas als Rechtsgemeinschaft,463 und damit Ausfluss einer Deutungshypothese für den Charakter des europäischen Einigungsprojekts, welches maßgeblich durch Recht zusammengehalten werden soll.464 Möglicherweise dienen die supranatio­ nalen Ausflüsse der intergouvernmentalen Eurokrisen-Reaktion nicht nur einer opportunistischen (supra II.), sondern vielmehr einer obligatorischen Rechts­ vereinheitlichung. Für eine derartige Ausgestaltungspflicht spräche, wenn die Einheit der Rechtsordnung nicht anders als durch supranationalitätsaffine Gestaltungen garantiert werden könnte. a) Rechtseinheit im Konflikt mit flexibler Integration Die Einheit des Unionsrechts symbolisiert das rechtsstaatliche Gebot, dass innerhalb des Unionsgebietes das gemeinsame Recht einheitlich angewandt wird465 und gleichmäßig für sämtliche Rechtsunterworfenen gilt;466 umgekehrt soll dieser Gedanke die Differenzierung des Unionsrechts, also die Zerfaserung gemeinsamen Rechts in unterschiedliche Teil-(rechts-)gemeinschaften, einhegen. Mit dem Einheitsparadigma konkurrieren folglich von Natur aus alle Formen differenzierter Integration wie auch die intergouvernemental-völkerrechtliche Zusammenarbeit.467

463

Vgl. Grieser, Flexible Integration in der Europäischen Union, 2003, S. 252; grundsätzlich und feierlich Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, 1969, S. 33: „Die Gemeinschaft ist eine Schöpfung des Rechts. Das ist das entscheidend Neue, was sie gegenüber früheren Versuchen auszeichnet, Europa zu einigen. Nicht Gewalt, nicht Unterwerfung ist als Mittel eingesetzt, sondern eine geistige, eine kulturelle Kraft, das Recht. Die Majestät des Rechts soll schaffen, was Blut und Eisen in Jahrhunderten nicht vermochten. Denn nur die selbstgewollte Einheit hat Aussicht auf Bestand, und Rechtsgleichheit und -einheit sind untrennbar miteinander verbunden. Keine Rechtsordnung ohne Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit aber bedeutet Einheit. Auf dieser Einsicht beruht der Vertrag von Rom, und darum schafft er eine Friedensordnung par excellence.“; Hallstein wie hier auch zitiert bei Franz C. Mayer, in: NJW 2017, S. 3631, 3633. 464 Vgl. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 1979, S. 53 ff. 465 Diesen Aspekt betont insbesondere Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 236 ff. 466 Siehe Giegerich, Europäische Verfassung und deutsche Verfassung im transnationalen Konstitutionalisierungsprozeß, 2003, S. 539. 467 Hölscheidt, in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 61, 69; vgl. auch mit Bezugnahme auf den ESM Chiti / Texeira, in: CMLR 2013, S. 683, 694 ff.; siehe auch Tuori / Tuori, The Eurozone Crisis, 2014, S. 194; vgl. auch die Kritik bei Giegerich, Europäische Verfassung und deutsche Verfassung im transnationalen Konstitutionalisierungsprozeß, 2003, S. 539.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Je mehr flexible Integration jedoch stattfindet, desto eher drängt sich die Frage auf, ob der Einheitsidee überhaupt noch eine Paradigmenhaftigkeit zukommt.468 Versteht man indes die einheitliche Anwendung von Unionsrecht als entscheidendes Merkmal des Einheitsparadigmas, so mildert sich die Konfliktträchtigkeit flexibler Integrationsformen ab – schließlich ist im Falle uneinheitlicher Geltung per se noch keine Aussage darüber getroffen, ob ein in Frage stehender Rechtsakt nicht etwa von den beteiligten Mitgliedstaaten einheitlich angewandt wird;469 genauso wenig gibt es einen Automatismus, wonach uneinheitlich, also nur für eine Gruppe von Mitgliedstaaten, geltendes (Unions-)Recht dazu führt, dass anderes, einheitlich geltendes Recht nunmehr plötzlich uneinheitlich angewandt wird. Schon in Anbetracht der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten scheint es sodann nahezuliegen, dem Aspekt der einheitlichen Geltung nicht den entscheidenden Stellenwert zuzubilligen  – das gilt auch für Fälle der intergouvernemental-völkerrechtlichen Zusammenarbeit, deren Rechtmäßigkeit nämlich genauso auf Fragen der Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten zurückzuführen ist.470 Denn in ihren Zuständigkeitsbereichen können die Mitgliedstaaten Recht setzen, welches entweder nur für sie selbst, jedenfalls aber nicht für sämtliche Mitgliedstaaten gilt. Letztlich handelt es sich bei der Zulässigkeit sowie der Genese flexibler Integration um eine bewusste Entscheidung des europäischen Primärrechtsgebers bzw. der Mitgliedstaaten im Rahmen der ihnen verbliebenen Zuständigkeiten.471 Auch unabhängig vom spezifischen Aufkommen flexibler Integrationsformen musste sich die Hypothese der europäischen Rechtsgemeinschaft gerade in jüngster Zeit wiederholt Bewährungsproben politischer sowie rechtswissenschaftlichkonzeptioneller472 Art stellen – dies wird sich wohl auch in vorhersehbarer Zukunft nicht ändern.473 Allerdings fehlt es bis heute an glaubhaften Alternativen, die die Idee der Rechtsgemeinschaft ablösen können sollen.474 Freilich muss die Einheit des Unionsrechts verteidigt werden. Solange aber die europäischen Institutionen, allen voran EuGH und Kommission, diese Verteidigung zur allgemeinen Akzeptanz der Mitgliedstaaten besorgen, ist auch die europäische Rechtsgemeinschaft wehrhaft.

468 Siehe Nettesheim, in: EuR-Beiheft 2, 2013, S. 7 ff.; sowie bereits Grieser, Flexible Inte­ gration in der Europäischen Union, 2003, S. 252 ff. 469 So Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 237. 470 Siehe insgesamt supra A. I. 1. e). 471 Vgl. Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 238. 472 Vgl. insbesondere von Bogdandy, MPIL Research Paper Series, 2018–02; sowie 2017–12; und ders., in: EuR 2017, S. 487 ff. 473 Siehe die übersichtliche Darstellung bei Franz C. Mayer, in: NJW 2017, S. 3631, 3633 ff. m. w. N., der schließlich aber für die weiterhin geltende Relevanz des Konzepts der europäischen Rechtsgemeinschaft plädiert. 474 Franz C. Mayer, in: NJW 2017, S. 3631, 3636.

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b) Sicherung der Rechtseinheit beim Intergouvernementalismus Die Idee der europäischen Rechtsgemeinschaft steht folglich insbesondere für die Gewährleistung eines einheitlichen Rechtsrahmens, welcher nachprüfbar sein muss475 – und zwar überall dort, wo entsprechendes Recht auch einen Anspruch auf Einheitlichkeit erhebt. Wenn also bspw. die Grundfreiheiten allen Unions­bürgern zustehen, dann muss die europäische Rechtsgemeinschaft, abgesichert durch ihre Institutionen, diese auch überall einheitlich gewährleisten, mitgliedstaatliche Einrichtungen diese überall gleich berücksichtigen (insgesamt die einheitliche Geltung) – notfalls muss allen Betroffenen einheitlicher Rechtsschutz gewährt werden. Auch kann sich eine Gruppe von Mitgliedstaaten nicht dergestalt von der europäischen Rechtsgemeinschaft isolieren, dass sie bei Anwendung gruppenspezifischen Rechts gleichzeitig die Auslegung gemeinsamen Rechts verzerren. Unabhängig davon, ob das intergouvernemental geschaffene Recht in der Eurokrisen-Reaktion für sich genommen eine eigene, gleichsam nach innen gerichtete Absicht auf Einheitlichkeit hegt (wie wohl jedes gemeinschaftliche Regelwerk wie insbesondere Verträge), gilt auch für jenes Übereinkommensrecht, dass es dem Anspruch einer europäischen Rechtsgemeinschaft nicht zuwiderlaufen darf. So darf das Übereinkommensrecht weder der einheitlichen Auslegung von Unionsrecht noch der einheitlichen Geltung oder dem unionsrechtlich-einheitlichen Rechtsschutz hinderlich sein. Ausgehend hiervon stellt sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung die Frage, ob das Übereinkommensrecht, um den vorgenannten Anforderungen genüge zu tun, auf eine bestimmte Art und Weise ausgestaltet sein muss, oder ob das Übereinkommensrecht diesen Anforderungen ohnehin schon von Natur aus nachkommt. aa) Offenheit der Übereinkommen Der Unionsrechtsordnung kann kein Gebot entnommen werden, wonach lediglich räumlich einheitliches, also überall im gesamten Unionsgebiet gleichermaßen geltendes, Recht zulässig wäre. Im Gegenteil: Ungleichzeitiges Unionsrecht ist ein häufiges Phänomen, das in ganz unterschiedlichen Spielarten auftritt.476 Schon das Primärrecht selbst enthält Ungleichzeitigkeit, indem die dritte Stufe der WWU (teilweise: noch …) nicht auf alle Mitgliedstaaten Anwendung findet;477 ein aktuelles sekundärrechtliches Beispiel sind die Vorschriften über die Bankenunion. Dennoch handelt es sich um ein allgemeines Integrationsziel, früher oder später im gesamten Unionsgebiet räumlich einheitliche Geltung herzustellen und das bislang 475 Schorkopf, in: AöR 2011, S. 323, 336, der zudem noch auf die rechtsgemeinschaftliche Erforderlichkeit einer „minimalen Chance auf Durchsetzung“ rekurriert. 476 Siehe allgemein Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004; vgl. Schorkopf, in: NVwZ 2018, S. 9, 11 f. 477 Vgl. Übersicht bei Grabitz / Hil / Nettehseim-Palm, 66. EL 2019, Art. 140 AEUV Rn. 37 ff.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

nur differenziert existierende Recht schließlich vollständig auszuweiten – plastisch ausgedrückt lautet die Marschroute zwar „Europa verschiedener Geschwindigkeiten“, nicht aber „Europa à la carte“.478 Allerdings kann die finale Herstellung räumlich einheitlicher Geltung letztlich nur auf mitgliedstaatlicher Freiwilligkeit bauen, und nicht auf rechtlich durchsetzbaren Pflichten.479 Das gilt zwar nicht für die Vorschriften zur Partizipation an der dritten Stufe der WWU, denen im Grundsatz ein verpflichtender Charakter innewohnt.480 Dafür zeigt sich am Paradebeispiel für ungleichzeitiges Unionsrecht, der Verstärkten Zusammenarbeit, dass nicht-teilnehmende Mitgliedstaaten nicht dazu gezwungen werden können, avantgardistisches Recht zu übernehmen, solange entsprechendes Recht nicht die für die ordentliche europäische Gesetzgebung erforderliche Mehrheit im Rat hat; Art. 328 Abs. 1 Uabs. 2 AEUV beinhaltet lediglich einen an die Kommission und die im Übrigen teilnehmenden Mitgliedstaaten gerichteten Förderungsauftrag, auf eine möglichst große Zahl insgesamt teilnehmender Mitgliedstaaten hinzuwirken. Eine Pflicht zur Aufnahme möglichst vieler Mitgliedstaaten lässt sich den Vorschriften in Art. 327 ff. AEUV indes nicht entnehmen481 – eine solche wäre schon nicht mit der auf Freiwilligkeit basierenden Idee der Teilhabe an einer Verstärkten Zusammenarbeit in Einklang zu bringen. Ein allgemeines Gebot, proaktiv Vorkehrungen für eine finale einheitliche Geltung zu schaffen, scheint der Unionsrechtsordnung daher genauso wie generell räumlich-einheitlich geltendes Recht fremd zu sein.482 Indes: Art. 328 Abs. 1 AEUV legt fest, dass solche Mitgliedstaaten, die die Teilnahmevoraussetzungen erfüllen, von einer Verstärkten Zusammenarbeit nicht ausgeschlossen werden können. Das hierin zutage tretende Prinzip der Offenheit lässt sich auf die in Art. 1 Abs. 2 EUV niedergelegte Zielvorstellung einer „immer ­engeren Union der Völker Europas“ zurückführen.483 Insofern scheint es nicht fernzuliegen, in der Offenheit ein Prinzip zu erkennen, welches für sämtliche Formen von Ungleichzeitigkeit gilt und somit auch für intergouvernemental-völkerrechtliche Zusammenarbeit.484 Wenn folglich sowohl der ESM-Vertrag (Art. 44) wie auch der Fiskalvertrag (Art. 15) und das IGA (Art. 13) ausdrückliche Vorschriften zur Offenheit enthalten, so könnten die jeweiligen Vertragsstaaten durch Einfügung der entsprechenden Klauseln möglicherweise lediglich pflichtwahrend gehandelt haben. Indes spricht gegen die Ausweitung des Offenheits-Prinzips 478

A. A. Hellwig, in: EuZW 2018, S. 222, 224. Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 249. 480 Siehe Grabitz / Hilf / Nettesheim-Palm, 66. EL 2019, Art. 140 AEUV Rn. 38, 41; Kortz, Die Entscheidung über den Übergang in die Endstufe der Wirtschafts- und Währungsunion, 1996, S. 257 ff. 481 Vgl. von der Groeben / Schwarze / Hatje-U. Becker, 2015, Art. 328 AEUV Rn. 9 f.; vgl. auch Grabitz / Hilf / Nettesheim-Blanke, 66. EL 2019, Art. 327 Rn. 2. 482 Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Blanke, 66. EL 2019, Art. 328 AEUV Rn. 3. 483 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Blanke, 66. EL 2019, Art. 328 Rn. 1. 484 Vgl. Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 310, die die Offenheit auf das Loyalitätsgebot zurückführt, allerdings eine Offenheit ausdrücklich nur für manche interne Übereinkommen fordert. 479

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auf intergouver­nemental-völkerrechtliche Zusammenarbeit, dass sich diese – im Unterschied zu genuinem Unionsrecht – noch in einem Zustand befindet, der schon mangels normativer Supranationalität eine geringere integrative Wirkung entfaltet und daher keine gesteigerten Anforderungen an eine räumlich einheitliche Geltung stellt. Daher ist es nur folgerichtig, für den Bereich des mitgliedstaatlichen Völkerrechts inter se (noch) keine Offenheit zu fordern.485 Indem die Vertragsstaaten in ESM-Vertrag, Fiskalvertrag und IGA dennoch Offenheits-Klauseln einbauten, handelten sie somit freiwillig getreu den Pflichten für Ungleichzeitigkeit mittels supranationalem Recht. bb) Einheitliche Auslegung Die einheitliche Auslegung des Unionsrechts wird im Geltungsbereich der europäischen Verträge vom EuGH gewährleistet und abgesichert. Wenn im Rahmen der intergouvernementalen Eurokrisen-Reaktionen teilweise eine Bezugnahme auf europäisches Sekundärrecht oder auch Tertiärrecht stattfindet, dann besteht jedenfalls eine hypothetische Gefahr, dass letzterem (also dem genuinen Unionsrecht) im Rahmen des Vollzugs des Übereinkommensrechts eine abweichende Auslegung widerfährt und die Vertragsstaaten der jeweiligen Übereinkommen auf diese Weise das genuine Unionsrecht „verfälschen“. So berücksichtigt der ESM bspw. im Rahmen der von ihm gemeinsam mit den Programmstaaten vereinbarten Konditionalitäten bereits bestehendes Sekundär- und nachgelagertes Tertiärrecht (Art. 13 Abs. 3 Uabs. 2 ESM-Vertrag, siehe dazu supra Zweiter Teil, D. IV. 3. b)). Der EuGH führte in der Sache „Pringle“ aus, dass die konditionalen Auflagen, an die die Unterstützung mit Finanzmitteln aus dem ESM gekoppelt ist (Art. 3, 12 Abs. 1 und 13 Abs. 3 Uabs. 1 ESM-Vertrag), zwar „kein[e] Instrument[e] zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten“ seien. Damit ist einerseits gemeint, dass der ESM im Rahmen seiner Auflagen-Praxis nicht mit dem Verfahren konkurriert, das Art. 121 AEUV andeutet.486 Andererseits anerkannte auch der EuGH das Potential der Konditionalitäten, „die Form eines makroökonomischen Anpassungsprogramms haben [zu] können“. Dies stelle allerdings lediglich die Vereinbarkeit mit Art. 125 AEUV genauso wie die Vereinbarkeit mit den Koordinierungsmaßnahmen sicher. Damit ist allerdings ausgesprochen, dass die Konditionalitätenpolitik in die Nähe der Programme rückt, die auch unter Art. 126 AEUV und dem neuen SWP, inklusive Sixpack und Twopack, durchgeführt werden können.487 So sieht Art. 7 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 vor, dass der Rat im Falle des Bestehens eines übermäßigen makroökonomischen Ungleichgewichts 485

Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 314. Vgl. EuGH, Urteil vom 27. November 2012, Rs. C-370/12 („Pringle“), ECLI:EU:C:2012:​ 756, Rn. 111. 487 Dimopoulos, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 41, 45. 486

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

i. V. m. Art. 121 Abs. 4 AEUV Maßnahmeempfehlungen machen kann – selbiges gilt im Falle übermäßiger öffentlicher Defizite nach Art. 126 Abs. 7 und 8 AEUV. Es ist denkbar und mehr noch: sogar angestrebt, dass sich die Auflagen im Rahmen einer Hilfsmaßnahme des ESM schließlich an ebenjenen Maßnahmeempfehlungen orientieren. Diese Verknüpfung verdeutlicht Art. 13 Abs. 3 Uabs. 2 ESM-Vertrag. Die im MoU festgehaltenen Auflagen stehen demzufolge „in voller Übereinstimmung mit den im AEUV vorgesehenen Maßnahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung […] einschließlich etwaiger an das betreffende ESM-Mitglied gerichteter Stellungnahmen, Verwarnungen, Empfehlungen oder Beschlüsse“. Am Ende werden die Auflagen des ESM auch über die Empfehlungen hinausgehen können, solange sie den Empfehlungen nicht materiell widersprechen.488 In jedem Fall wird aber der ESM regelmäßig nicht darum herumkommen, die bereits bestehenden, genuin unionsrechtlichen Maßnahmen auch auszulegen. Deutlich wird die vereinheitlichende Verknüpfung von Unionsrecht und Übereinkommensrecht auch in Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 472/2013, welcher das Pendant zu Art. 13 Abs. 3 Uabs. 2 ESM-Vertrag darstellt. Hier wird sekundärrechtlich festgehalten, dass sich die Kommission im Rahmen ihrer Befugnisse innerhalb des ESM an die europäischen Vorgaben zu halten hat (Art. 7 Abs. 2 Uabs. 2 ESM-Vertrag). Ein weiteres Beispiel neben der Ausgestaltung des ESM ist die Bedingtheit des Abwicklungsfonds, der in seiner Existenz von der unveränderten Fortgeltung der SRM-Verordnung abhängig ist. So greift auch der Abwicklungsfonds in erheblichem Ausmaß auf bestehendes (Unions-)Sekundärrecht zurück, wie in Art. 2 Abs. 3 IGA besonders deutlich wird, welcher die Begriffsbestimmungen des Art. 3 der SRM-Verordnung bei Anwendung des IGA für maßgeblich erklärt; im Rahmen einer Prüfung aufgrund der clausula rebus sic stantibus in Art. 9 IGA zeitigt die von einem Vertragsstaat unternommene Auslegung von Bestimmungen der SRM-Verordnung sodann gegebenenfalls konkrete Rechtsfolgen. Vordergründig überrascht es schließlich nicht, dass sowohl der ESM-Vertrag wie auch der Fiskalvertrag und das IGA jeweils auf den EuGH zurückgreifen, um übereinkommensinternem Streit zwischen Vertragsstaaten (oder auch zwischen Vertragsstaaten und dem ESM) beizukommen; immerhin lässt sich auf diese Weise gegebenenfalls auch die wünschenswerte einheitliche Auslegung von genuinem Unionsrecht institutionell absichern. Allerdings ist die Entleihung des EuGH als Organ zur Streitbeilegung insofern nicht erforderlich, da die europäische Normenhierarchie bereits eine einheitliche Auslegung gewährleistet. So gilt der Vorrang des Unionsrechts auch im Verhältnis zum Übereinkommensrecht;489 diese Vorrangigkeit bewirkt dann neben anderem auch, dass das Übereinkommensrecht – wo erforderlich – stets nur im Einklang mit einschlägigem Unionsrecht ausgelegt

488 Dimopoulos, in: The Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 41, 45. 489 Siehe dazu ausführlich Heesen, Interne Abkommen, 2015, S. 207 ff.

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werden darf und umgekehrt eine Verfälschung der Auslegung von Unionsrecht bereits aus normenhierarchischen Gründen unmöglich ist. cc) Einheitlich-gleiche Geltung Die rechtsstaatlich gebotene Einheit des Unionsrechts erfordert nicht nur sicherzustellen, dass die Auslegung von genuinem Unionsrecht nicht verfälscht wird; auch darf die gleichmäßige Geltung von unionsrechtlichen Vorschriften nicht unterlaufen werden490 – das hier untersuchte Übereinkommensrecht darf also weder dazu führen, dass die aufgrund der Übereinkommen geschaffenen Rechtsträger, wie insbesondere der ESM, noch die mit den Übereinkommen entliehenen Unionsorgane oder Agenturen (der Abwicklungsausschuss im Rahmen des IGA) in einem Rechtsraum frei von unionalen Bindungen agieren. Auch die Vertragsstaaten haben bei Schaffung des Übereinkommensrechts die abstrakt-hypothetische Gefahr von Unionsrechtswidrigkeiten erkannt und infolgedessen vertragstechnische Vorkehrungen getroffen, aufgrund welcher Unionsrechtsverstöße ausgeschlossen sein sollen (siehe Art. 2 Abs. 2 Fiskalvertrag sowie Art. 2 Abs. 2 IGA): Das jeweilige Übereinkommensrecht soll stets nur insofern Anwendung finden, als es noch unionsrechtskonform ausgelegt werden kann; bei Uneinigkeit kann ein Vertragsstaat wiederum Klärung über den entliehenen EuGH herbeiführen. Auffällig bei einer Gesamtschau der drei hier forschungsgegenständlichen Übereinkommen ist, dass der ESM keine dementsprechende Vertragsklausel zur Absicherung der Unionsrechtskonformität enthält. Indes: Der Vorrang des Unionsrechts führt für sich genommen bereits dazu, dass sich die Mitglied­staaten mittels Übereinkommensrecht nicht der Geltung von Unionsrecht entziehen können, wenn es zu Konfliktsituationen zwischen beiden Rechtsmaterien kommt; Art. 2 Abs. 2 Fiskalvertrag sowie Art. 2 Abs. 2 des IGA sind insofern nur von deklaratorischer Bedeutung. Ganz in diesem Sinne hatte sich der EuGH im Jahr 2016 mit einer Frage der Geltung des Unionsrechts im Verhältnis zum spezifischen Rechtsrahmen der intergouvernemental-völkerrechtlichen Übereinkommen, und zwar gerade im Fall des ESM, auseinanderzusetzen, die auch nach der maßgeblichen „Pringle“-Entscheidung noch offengeblieben war.491 Die „Ledra“-Entscheidung vom 20. September492 steht exemplarisch für das Verständnis des Gerichtshofs vom Vorrang des Unionsrechts in solchen Situationen, in denen es um durch Übereinkommen entliehene Unionsorgane geht. Der Entscheidung des Gerichtshofs lag ein zwischen der 490 Siehe mit Verweis auf die aufgrund Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG gebotene rechtsstaatliche Entwicklung der EU Kube, in: WM 2012, S. 245, 252. 491 Vgl. Forsthoff, in: EuZW 2018, S. 108, 111. 492 EuGH, Urteil vom 20. September 2016, verbundene Rs. C-8/15 bis C-10/15 P („Ledra“), ECLI:EU:C:2016:701.

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3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

Republik Zypern auf der einen sowie der ESM-Troika, bestehend aus Kommission, EZB und IWF, auf der anderen Seite ausgehandeltes MoU zugrunde. Dieses MoU sollte insbesondere die Umwandlung von Einlagen bei zwei zyprischen Bank­ instituten in Anteile an den entsprechenden Instituten beinhalten. Ganz in diesem Sinne brachte Zypern nationale Rechtsakte auf den Weg, die solche Maßnahmen anordneten. Gegen diese Maßnahmen wandten sich daraufhin die Kläger und begehrten schließlich vor dem EuGH Klärung der Frage, ob die Kommission mittels ihres Beitrags zur Aushandlung sowie der darin zum Ausdruck kommenden Billigung eines angeblich unionsrechtswidrigen MoU ihrerseits gegen europäisches Recht verstoßen habe.493 Durch die Untätigkeit der Kommission im Hinblick auf die Beachtung einschlägigen Unionsrechts seien die Kläger in ihrem Eigentumsrecht aus Art. 17 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta sowie aus Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 1 der EMRK verletzt.494 In seiner Entscheidung bestätigte der EuGH sodann, dass die Kommission – obschon sie außerhalb der Unionsrechtsordnung agiere495 – sehr wohl an Unionsrecht, wie nicht zuletzt an die von den Klägern bezeichneten Grundrechte, gebunden sei.496 Dies gilt grundsätzlich für alle ent­ liehenen Unionsorgane, nicht aber für die Mitgliedstaaten, da diese insofern i. S. v. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EU-Grundrechtecharta kein Unionsrecht ausführen.497 Mit seiner Entscheidung unterstreicht der Gerichtshof, dass die Mitgliedstaaten die Unionsorgane zwar entleihen und für ihre Zwecke einsetzen können; dem Unionsrechtsrahmen, welchem sie entstammen, entkommen die Organe dadurch aber nicht. Indem die Mitgliedstaaten also Unionsorgane im Rahmen ihrer intergouvernementalen Zusammenarbeit einsetzen, bedienen sie sich nicht nur genuin supranationalen Organen (Kommission, EuGH, EZB); auch führt die Entleihpraxis dazu, dass die Unionsgrundrechte Eingang in die Übereinkommen finden498 und die Unionsbürger mithin gleichsam supranationale Rechtsschutzmöglichkeiten erhalten, die ihnen im Falle lediglich mitgliedstaatlicher Ausführung der Übereinkommen nicht zustehen würden.499 dd) Überführung des Übereinkommensrechts Möglicherweise lässt sich dem Einheitsgebot des Unionsrechts eine Pflicht entnehmen, das intergouvernemental-völkerrechtliche Übereinkommensrecht regelmäßig bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, jedenfalls aber zu einem undefinierten Zeitpunkt in der Zukunft in den genuinen Unionsrechtsrahmen zu überführen.

493

EuGH, „Ledra“ (supra Fn. 492), Rn. 44–46. EuGH, „Ledra“ (supra Fn. 492), Rn. 47. 495 EuGH, „Ledra“ (supra Fn. 492), Rn. 54. 496 EuGH, „Ledra“ (supra Fn. 492), R. 57 ff. 497 EuGH, „Ledra“ (supra Fn. 492), Rn. 67. 498 Nettesheim, in: EuZW 2016, S. 801. 499 Frenz, in: EuR 2017, S. 332, 340. 494

C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus    239

Immerhin sind sowohl der Abwicklungsfonds als auch der Fiskalvertrag (anders der ESM) so ausgestaltet, dass beide entweder automatisch im Unionsrechtsrahmen aufgehen oder jedenfalls in Unionsrecht transformiert werden müssen. Gegen eine derartige Pflicht spricht aber, dass nicht einmal der Verstärkten Zusammenarbeit eine entsprechend gestalterische Pflicht entnommen werden kann, obschon diese zur Differenzierung innerhalb des Unionsrechts führt.500 Noch deutlicher wird die Indifferenz des Unionsrechts aber mit Blick auf die dritte Stufe der WWU: So ist der Systematik in Art. 139 ff. AEUV zwar dem Grundsatz nach zu entnehmen, dass das Ziel der Union eine Eurozone darstellt, die deckungsgleich mit dem Geltungsbereich der europäischen Verträge ist.501 Allerdings zeigen die jeweiligen Sonderregelungen für sowohl das Vereinigte Königreich als auch für Dänemark, dass die Mitgliedstaaten von einem dauerhaften „Opting-out“ Gebrauch machen können. Wenn dies aber damit selbst in Bezug auf Unionsprimärrecht gilt, dann kann erst recht für den völkerrechtlich-intergouvernementalen Bereich keine gestalterische Pflicht eines definierten oder undefinierten Integrationszeitpunkts bestehen. Im Übrigen würde eine Überführungspflicht im Widerspruch dazu stehen, dass dem Unionsrecht bereits keine Offenheitspflicht gegenüber anfänglich nicht be­ teiligten Mitgliedstaten und in Bezug auf intergouvernementale Zusammenarbeit zu entnehmen ist. Denn andernfalls könnte eine Überführung (bei Vorliegen der entsprechenden Zulässigkeitsvoraussetzungen) nur mittels Verstärkter Zusammenarbeit erfolgen, die ihrerseits aber einer Offenheitspflicht unterfällt; somit würde die Annahme einer Überführungspflicht eine Offenheitspflicht auf Umwegen bedeuten. Auch aus praktischen Gründen kann die Annahme einer Überführungspflicht nicht überzeugen. Denn vielfach wäre eine Überführung nur dann möglich, wenn alle Mitgliedstaaten zustimmen (Art. 48 EUV); indes vermag getreu dem Grundsatz „res inter alios acta“ ein völkerrechtliches Übereinkommen inter se die übrigen Mitgliedstaaten nicht zur Zustimmung einer Vertragsänderung zu zwingen (vgl. Art. 34 f. WVK). 4. Demokratieprinzip a) Schwache Rolle des Europäischen Parlaments Dass dem Intergouvernementalismus ein grundsätzliches Demokratiedefizit unterstellt wird,502 überrascht jedenfalls aus rechtspolitischer Warte nicht. Schließlich liegen ihm völkerrechtliche Verträge zugrunde. Die völkerrechtliche Vertre-

500

Vgl. Thym, Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht, 2004, S. 62 ff. Von der Groeben / Scharze / Hatje-Göttlinger, 2015, Art. 139 AEUV Rn. 1. 502 Allgemein Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 158 ff.; siehe auch Bertrand, in: L’Union européenne et le fédéralisme économique, 2015, S. 119, 133 f.; siehe auch Pernice et al., Die Krise demokratisch überwinden, 2012, S. 57. 501

240

3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

tung von Staaten, die auf die Herbeiführung von verbindlichen Normen gerichtet ist, leidet aber stets daran, dass das verfassungsrechtlich determinierte Equilibirum innerstaatlicher Rechtsetzung einseitig zugunsten der Exekutive verschoben ist.503 Weil aber den Unionsmitgliedstaaten die Möglichkeit völkerrechtlichen Zusammenarbeitens untereinander nach wie vor unbenommen ist, bleibt auch die damit natürlicherweise einhergehende „rudimentäre demokratische Legitimierung“ weiterhin europäische Realität.504 Im Falle des Eurokrisen-Intergouvernementalismus lässt sich zudem feststellen, dass das Europäische Parlament auch in Bezug auf die innere Ausgestaltung der jeweiligen Übereinkommen – anders als die Kommission, der EuGH oder auch die EZB – nur ganz periphere Erwähnung findet (vgl. nur Art. 12 Abs. 5, 13 Fiskalvertrag sowie Art. 16 Abs. 1 IGA). Die Kritik am Eurokrisen-Intergouvernementalismus fußte auch deshalb stets auf systemischen Erwägungen dergestalt, dass der europäische – aber nicht gleichzeitig der unionale – Gesetzgeber (die Mitgliedstaaten) durch den Rückgriff auf den Intergouvernementalismus gleichsam einen Rückschritt vollziehe. Nicht mehr die Idee einer auf repräsentativer Demokratie fußenden Rechtsgemeinschaft, sondern intransparenter Interessenausgleich sei Maxime des Vorgehens.505 Richtig ist, dass nicht einmal jene Befugnisse, die dem Europäischen Parlament im Rahmen der (ebenfalls intergouvernementalen506) GASP gemäß Art. 36 EUV zustehen, sich in ESM-Vertrag, Fiskalvertrag oder dem IGA wiederfinden. Allerdings handelt es sich auch bei diesen GASP-Befugnissen gerade nicht um solche zur Mitentscheidung; die Befugnisse des Europäischen Parlaments im Rahmen der GASP beschränken sich vielmehr auf Informationsrechte und unverbindliche Empfehlungen. Insgesamt bleibt das Europäische Parlament somit auch im Bereich der GASP in einer schwachen Rolle.507 Es ist just diese schwache Repräsentanz des Europäischen Parlaments, die von Arnauld dazu motivierte, auch im Rahmen des Eurokrisen-Intergouvernementalismus entsprechend Art. 17 Abs. 8 EUV eine allgemeine Berichtspflicht der entliehenen Kommission an das Europäische Parlament zu fordern.508 Dabei bleibt aber unklar, auf welcher Grundlage gegenwärtig,

503 Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 165 f.; vgl. auch Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 200 ff. 504 Siehe dazu auch Haltern, Völkerrecht statt Verordnungsrecht, 2016, S. 67 ff.; siehe für einen Vergleich zwischen Übereinkommen einerseits und Verordnungsgesetzgebung andererseits Schwartz, in: FS Caemmerer, 1978, S. 1067, 1089 f. 505 Ruffert, in: EuR 2011, S. 842, 854 f.; ähnlich Kadelbach, in: EuR 2013, S. 489, 497; vgl. auch Ruffert, in: FS Klein, 2013, S. 643, 650; sowie Dimopoulos, in: Constitutionalization of European Budgetary Constraints, 2014, S. 41, 50, 55. 506 Siehe dazu supra Erster Teil, C. II. 3. a) aa). 507 Vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-Kaufmann-Bühler / Meyer-Landrut, 66. EL 2019, Art. 36 EUV Rn. 34; insbesondere kann von einer Beteiligung desselben bei der Legislative daher keine Rede sein, a. A. wohl Thym, in: AVR 2012, S. 125, 134. 508 Von Arnauld, in: FS Klein, 2013, S. 509, 519.

C. Überschießende Supranationalität des Eurokrisen-Intergouvernementalismus    241

jenseits von rechtspolitischen Vorstellungen, eine entsprechende gestalterische Pflicht der intergouvernemental agierenden Mitgliedstaaten fußen soll.509 b) Keine unionsrechtliche Pflicht zur „demokratischeren“ Ausgestaltung In Betracht kommt, eine entsprechende gestalterische Pflicht dem europäischen Demokratiegrundsatz aus Art. 2 und 10 EUV zu entnehmen. Demzufolge könnte jedenfalls mit Blick auf die innere Ausgestaltung des Übereinkommensrechts eine Einbeziehung des Europäischen Parlaments erforderlich sein. Immerhin gelten die in Art. 2 EUV niedergelegten „Verfassungsprinzipien“510 nicht nur für die Union, sondern auch für die Mitgliedstaaten, die bei ihrer Nichtbeachtung einem Verfahren nach Art. 7 EUV unterworfen werden können.511 Die Mitgliedstaaten können sich diesen Bindungen auch nicht einfach entziehen, wenn sie mittels intergouvernementaler Übereinkommen zusammenarbeiten. Dies gilt umso mehr noch, wenn wie hier ausschließlich Mitgliedstaaten der Union, und keine Drittstaaten, handeln. Auf Unionsebene bündelt sich der Demokratieanspruch der Unionsrechts­ ordnung insbesondere in der durch das Europäische Parlament vermittelten Legitimität sowie der demokratischen Rückbindung der mitgliedstaatlichen Vertreter im Rat (Art. 10 EUV). Allerdings agieren die Mitgliedstaaten mit und innerhalb des Eurokrisen-Intergouvernementalismus gerade nicht auf dieser Unionsebene. Auch wenn sie Anleihe bei supranationalen Gestaltungsformen nehmen und die der Unionsebene eigene Supranationalität mithin unterstützen, bleibt es dabei, dass die Mitgliedstaaten lediglich auf der ihnen noch überlassenen völkerrechtlich-intergouvernementalen Ebene handeln. Hinzu kommt, dass es hier um Übereinkommen inter se geht. Da folglich die mitgliedstaatliche Legitimation nur über eine Gruppe der Mitgliedstaaten erfolgt, müsste – um beim System der dualen Legitimation nach Art. 10 EUV zu bleiben – ein entsprechender Ausschnitt des Europäischen Parlaments gebildet werden.512 Dass die schwache Rolle des Europäischen Parlaments im Übrigen nicht etwa systemwidrig ist, zeigt ein Blick auf die ebenfalls schwache Rolle, die dem Europäischen Parlament im Rahmen der primärrechtlichen Ausgestaltung der wirtschaftspolitischen Koordinierung und insbesondere dem Defizitverfahren zugestanden wird: Weder im Verfahren nach Art. 121 AEUV noch im Defizitverfahren 509

Von Arnauld, ebd., verweist insofern allgemein auf die Ergänzungsfunktion des Übereinkommensrechts im Verhältnis zum Unionsrecht. 510 Wenngleich das Unionsrecht von „Werten“ spricht, ist eine (historisch-)genetische Nähe zum Begriff „Prinzipien“ nicht von der Hand zu weisen, vgl. Grabitz / Hilf / Nettesheim-​ Hilf / Schorkopf, 66. EL 2019, Art. 2 EUV Rn. 21. 511 Grabitz / Hilf / Nettesheim-Hilf / Schorkopf, 66. EL 2019, Art. 2 EUV Rn. 40; Calliess / Ruffert-Calliess, 2016, Art. 2 EUV Rn. 32. 512 Siehe hierzu die Idee vom Parlament mit variabler Geometrie bei Piris, The Future of Europe, 2012, S. 127 ff.

242

3. Teil: Intergouvernementale Realität und supranationale Anforderungen

des Art. 126 AEUV kommen dem Europäischen Parlament Befugnisse zu, die mit der Rolle der Kommission oder des Rates schritthalten könnten; Art. 121 Abs. 5 AEUV gewährt dem Parlament lediglich ein Informationsanspruch  – im Defizitverfahren des Art. 126 AEUV fehlt dieses sogar. Anders als der Kommission oder dem Rat kommen dem Europäischen Parlament folglich insbesondere keine Entscheidungsbefugnisse zu. Im Fall des Art. 126 AEUV ist dies genauso wie auch im Fall des ESM513 oder des Fiskalvertrags schon damit zu erklären, dass sie allesamt die national-mitgliedstaatliche Budgethoheit zum Gegenstand haben; solange und soweit die intergouvernemental tätigen Mitgliedstaaten aber über ihre jeweils eigene Haushaltshoheit verfügen, ist das Europäische Parlament nicht verfügungsbefugt, sondern die mitgliedstaatlichen nationalen Parlamente.514 Es bleibt deshalb dabei: Die Vertragsstaaten kontrollieren nicht nur die ursprüngliche intergouvernementale Rechtsetzung, sondern gestalten auch die Anwendung der Regeln und deren Durchsetzung im Wesentlichen frei aus; sie bleiben durch die Nichtberücksichtigung des Europäischen Parlaments allerdings nicht hinter einer gegenwärtigen unionsrechtlichen Gestaltungspflicht zurück.

D. Zwischenergebnis Der zweite Teil dieser Untersuchung zeigte bereits, dass das intergouvernementale Instrument in der Eurokrisen-Reaktion supranationale Ideen nicht negiert. Im Gegenteil: Der Eurokrisen-Intergouvernementalismus bedient sich zum einen im Rahmen seiner jeweiligen inneren Ausgestaltung auch supranationaler Elemente; zum anderen unterstützt er das supranationale Recht, indem er dieselbe Zielrichtung wie dieses aufweist: Beide eint das Ideal von der finanzkrisenfesteren, insgesamt stabileren WWU. Auch wenn man daher im Intergouvernementalismus eine willkommene Unterstützung des europäischen Integrationsprozesses erkennen kann, begegnet die Wahl dieses Mittels doch vielfacher Kritik. Dabei zeigt der dritte Teil dieser Untersuchung, dass das Instrument im Fall der drei betrachteten Einsätze dieser Kritik standhält. Weder handelten die jeweils beteiligten Mitgliedstaaten unionsrechtswidrig, noch blieben ihnen supranationale Alternativen innerhalb der Unionsrechtsordnung mit Ausnahme der aus politischen Gründen gescheiterten Vertragsänderung. Zuletzt zeigt die Untersuchung, dass sich der Intergouvernementalismus darüber hinaus freiwillig, gleichsam überschießend, supranationalen Mustern bediente, um sein Integrationsprogramm zu erreichen. 513

Siehe dazu ausführlich Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016, S. 88 ff. Letztlich kulminiert die Frage nach einer ausreichenden demokratischen Legitimation deshalb auch in national-verfassungsrechtlichen Fragen, nicht aber unionsrechtlichen, vgl. Calliess, in: VVDStRL, 2012, S. 113, 158 ff.; bejahend im Hinblick auf eine damit einhergehende Stärkung der mitgliedstaatlichen Parlamente Haltern, Völkerrecht statt Verordnungs­ recht, 2016, Rn. 144. 514

D. Zwischenergebnis 

243

Insgesamt handelt es sich im Falle der forschungsgegenständlichen Phänomene deshalb weder aus integrationspolitischer noch aus struktureller, an Grundmustern orientierter Sicht um einen Rückschritt: Das Dogma der supranationalen Union lebt auch im Eurokrisen-Intergouvernementalismus. Dennoch: Solange die Unionsrechtsordnung die Möglichkeit zum intergouvernementalen Vorgehen bietet, und sich die Mitgliedstaaten deshalb des Völkerrechts zur Regelung europäischer Integrationsbemühungen bedienen können, fließt die damit verbundene, schwächere demokratische Legitimierung unvermeidbar auch in solche Bemühungen ein. Auch deshalb ist eine Überführung des intergouvernementalen Rechts in die Unionsrechtsordnung für die Zukunft angezeigt.

Vierter Teil

Ausblick und Zusammenfassung A. Integrationsauftrag I. Einzelne Zwecke der jeweiligen Integrationsvorhaben Die hier betrachteten internen Eurokrisen-Übereinkommen sind ihrem Wesen nach alle Kinder ebendieser Krise, und als solche alle aus der Not geboren. Freilich sind sie dadurch nicht etwa ungewollt. Ganz im Gegenteil stehen sie symbolisch für einen entschiedenen und wirkungsorientierten Handlungswillen auch und gerade in krisenhafter Zeit. Andererseits wohnt den Übereinkommen als Ausfluss ihrer Entstehungsgeschichte gleichzeitig ein temporärer Charakter inne. So sollen alle hier betrachteten Übereinkommen – allerdings mit durchaus unterschiedlicher Zwecksetzung – einer Evolution unterworfen sein, die sie früher oder später aus intergouvernementalem Schoß zunehmend in die Unionsrechtsordnung integriert. 1. Vergemeinschaftung des Abwicklungsfonds Dem Abwicklungsfonds ist ein Integrationsauftrag immanent, gerichtet auf eigene Eingliederung in die hergebrachte europäische Rechtsordnung (in Form von Primär- oder Sekundärrecht). So haben die Vertragsstaaten in den Abwicklungsfonds einen Integrations-Automatismus eingebaut: Nach Ablauf des in Art. 1 Abs. 1 lit. b) IGA vorgesehenen achtjährigen Übergangszeitraums erübrigt sich der Zweck des IGA teilweise, da zu diesem Zeitpunkt sämtliche zuvor noch in nationalem Zugriff befindlichen Finanzmittel vollständig in den Zugriff der Union übergegangen sind und die einzelnen Kammern gleichzeitig „aufhören zu bestehen“. Dann bedarf auch die Anwendung der SRM-Verordnung insofern des IGA nicht mehr. Allerdings bleibt das IGA auch nach Ablauf des achtjährigen Übergangszeitraums als gegenseitige Verpflichtungserklärung bestehen, die in mitgliedstaatlicher Verantwortung eingesammelten Beiträge der Banken auf den Abwicklungsfonds zu übertragen (Art. 1 Abs. 1 lit. a) IGA). Der Zweck der (Teil-)Integration des Abwicklungsfonds offenbart sich beim Blick auf Sinn und Zweck des SRM.1 Dem SRM geht es bei angestrebter voller 1

Vgl. Wojcik / Ceyssens, in: EuZW 2014, S. 893 ff.

A. Integrationsauftrag 

245

Funktionsfähigkeit um eine Vergemeinschaftung von Risiken einzelner nationaler Banken in einzelnen Mitgliedstaaten. Sein Ziel ist gerade nicht, durch die Bildung nationaler Kammern die einzelnen nationalen Beiträge langfristig zu verschonen; Ziel des finalen Abwicklungsfonds ist vielmehr, dass sämtliche nationalen Beiträge gleichmäßig zur Haftung herangezogen werden können.2 2. Synergien und Effizienzsteigerung Verglichen mit den anderen internen Eurokrisen-Übereinkommen stellt der Integrationsauftrag des Abwicklungsfonds einen Sonderfall dar. Weder der Fiskalvertrag noch der ESM basieren auf einer ähnlichen Funktionslogik, die gleichsam in die „DNS“ des Übereinkommens selbst die graduelle Vergemeinschaftung hineingeschrieben hat. Der Zweck des Integrationsauftrags ist in den Fällen des Fiskalvertrags und des ESM folglich jeweils anderweitig zu suchen. Aufschluss liefern insofern die Verordnungs- bzw. Richtlinien-Vorschläge der Kommission, die am 6. Dezember 2017 veröffentlicht wurden, und die sich insbesondere einer angestrebten Transformation von Fiskalvertrag und ESM, also ihrer Überführung oder Integration in die Unionsrechtsordnung annehmen.3 a) ESM Der ESM soll demzufolge zu einem Europäischen Währungsfonds „ausgebaut“ werden.4 Die Kommission verfolgt mit ihrem auf einen entsprechenden Ausbau und die Transformation des ESM gerichteten Vorschlag den Zweck, durch „die Einbindung zwischenstaatlicher Vereinbarungen in den Rechtsrahmen der EU […]

2 Siehe SRM-Verordnung, Erwägungsgründe 9 sowie insbesondere 19: „[…] Wenn die Finanzierung der Abwicklung von Instituten langfristig national bliebe, würde die Verbindung zwischen Staaten und dem Bankensektor nicht völlig gekappt, und die Anleger würden weiterhin Darlehensbedingungen aufstellen, die sich nach dem Niederlassungsort der Banken und nicht nach ihrer Kreditwürdigkeit richten. […]“. 3 Ohne Bezugnahme auf Transformationsbemühungen indes zuletzt die Reformvorschläge der Euro-Gruppe (siehe Term sheet on the European Stability Mechanism Reform vom 4. Dezember 2018, abrufbar unter https://www.consilium.europa.eu/media/37267/esm-termsheet-041218_final_clean.pdf), die vom Euro-Gipfel am 14. Dezember 2018 gebilligt wurden (Vermerk des Euro-Gipfels vom 14. Dezember 2018, EURO 503/18, abrufbar unter https://www.consilium.europa.eu/media/37599/14-eurosummit-statement-de.pdf); mit knapper Bezugnahme auf ein Transformationsvorhaben allerdings wiederum die vorhergehende Presse­m itteilung von Kommission und ESM vom 19. November 2018, abrufbar unter https:// www.esm.europa.eu/press-releases/joint-position-future-cooperation-between-europeancommission-and-esm. 4 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates vom 6. Dezember 2017, COM(2017) 827 final (bestehend aus einem Verordnungs-Entwurf sowie einem Satzungs-Entwurf); kritisch dazu Stark, in: FAZ vom 18. Januar 2018, S. 16.

246

4. Teil: Ausblick und Zusammenfassung

Governance und Beschlussfassung [zu] stärken“.5 Es geht ihr folglich darum, „Syner­gien“ zu schaffen und so die „Effizienz“ nicht nur des ESM (dann Europäischer Währungsfonds), sondern der gesamten WWU zu steigern. Die Probleme, die die Kommission im Fall der derzeitigen Konstruktion ausmacht, würden in dem „Nebeneinander“ von Unionsrecht und intergouvernementalem Übereinkommensrecht liegen. So setze „die Beschlussfassung bei der intergouvernementalen Methode üblicherweise mühsame nationale Verfahren voraus“, weshalb das „erfor­ derlichen Tempo für ein wirksames Krisenmanagement“ nur schwer zu erreichen sei.6 Allerdings vermag der Vorschlag der Kommission nicht zu offenbaren, woraus die angestrebten Effizienzgewinne resultieren sollen;7 denn weder der Verordnungs-Entwurf noch der zugehörige Satzungs-Entwurf des geplanten Europäischen Währungsfonds enthalten im Hinblick auf das Beschlussverfahren substantielle Änderungen. Zwar streben die Art. 12 f. des Satzungs-Entwurfs nunmehr an, dass Stabilitätshilfe ohne den IWF gewährt wird, und Kommission und EZB allein eine Programmstaaten-Assessment vornehmen. Allerdings bleibt es dabei, dass das bestimmende Gremium, welches nach wie vor Gouverneursrat genannt werden soll, rein mitgliedstaatlich dominiert ist. b) Fiskalvertrag Ungleich dem ESM und auch anders als der Abwicklungsfonds enthält der Fiskalvertrag eine imperativ formulierte Vorschrift, die von den Vertragsstaaten verlangt, binnen fünf Jahren ab seinem Inkrafttreten, also bis zum 1. Januar 2018, Vorkehrungen zu treffen, die die Rechtsmaterie des Fiskalvertrags in genuines Unionsrecht transformieren (Art. 16). Auch wenn somit die Vertragsstaaten die eigentlichen Adressaten der Transformations-Aufforderung sind, war es die Kommission, die mit ihrem Verordnungs-Vorschlag Ende 2017 auf den Imperativ einging.8 Auch wenn sich Art. 16 Fiskalvertrag kein Stichtag zur Transformation entnehmen lässt, da er nur „notwendige Schritte mit dem Ziel der Überführung“ binnen einer fünfjährigen Frist verlangt; bloße Vorschläge – und zum 1. Januar 2018 war nicht mehr geschehen – dürften dem Anspruch des Art. 16 jedenfalls nicht genügen. Die Kommission beschränkt ihren Überführungsvorschlag sodann auf die  – auch aus ihrer Sicht – zentrale Regelung des Fiskalvertrags: die Schuldenbremse. 5 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates vom 6. Dezember 2017, COM​ (2017) 827 final, S. 3. 6 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates vom 6. Dezember 2017, COM​ (2017) 827 final, S. 3. 7 Deutscher Bundestag, Fachbereich Europa, 26. Januar 2018, Europarechtliche Probleme bei der Überführung des ESM in das EU-Recht und zu dessen Weiterentwicklung zu einem Europäischen Währungsfonds. 8 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 2017, COM​ (2017) 824 final; Hinweis darauf auch bei Graf von Luckner, European Law Blog, 9. April 2018.

A. Integrationsauftrag 

247

Durch eine Überführung speziell dieser Regelungsmaterie möchte die Kommission eine „Vereinfachung“ der Regeln zur Haushaltsdisziplin bewirken. Dies soll sodann die Handhabbarkeit der Regeln erleichtern, sodass „sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene eine wirksamere und systematischere Überwachung der Umsetzung und Durchsetzung der Haushaltsregeln stattfindet“.9 Insbesondere sollen durch die Überführung in Zukunft sich gegenseitig widersprechende Maßnahmen mitgliedstaatlichen und unionalen Ursprungs vermieden werden können. Wie im Fall des ESM, erwartet die Kommission auch für die Transformation des Fiskalvertrags eine Effizienzsteigerung. Allerdings bleibt es auch nach dem Kommissions-Vorschlag für eine neue Richtlinie dabei, dass die eigentliche Schuldenbremse einschließlich ihres Korrekturmechanismus national-(verfassungs-)rechtlich ausgestaltet ist. Warum allein der Austausch einer zuvor völkerrechtlichen Verpflichtungsgrundlage durch eine unionsrechtliche Richtlinie Effizienzsteigerungen herbeiführen soll, bleibt fraglich. Schließlich sieht schon der Fiskalvertrag vor, Rechtsstreitigkeiten falls erforderlich vor dem EuGH beizulegen. Ein Regime wie in Art. 8 Abs. 2 Fiskalvertrag kann der Richtlinien-Vorschlag der Kommission aber nicht adäquat ersetzen, ohne gegen Art. 126 Abs. 10 AEUV zu verstoßen10 – die Effizienz des Richtlinien-Vorschlags dürfte insofern nicht an diejenige des Fiskalvertrags hinreichen. Im Übrigen hat der Fiskalvertrag nach eigener Analyse der Kommission in den vertraglich gebundenen Mitgliedstaaten bereits zu annehmbaren Resultaten im Hinblick auf die Umsetzung der Schuldenbremse geführt.11 Insofern ist nicht zu erwarten, dass die Transformation in Richtlinienrecht die Mitgliedstaaten zu nennenswerten Änderungen veranlassen wird. 3. Demokratische Rechenschaftspflicht Sowohl die ESM-Konstruktion wie auch die Materie des Fiskalvertrags sollen durch die Transformation schließlich eine „größere demokratische Rechenschaftspflicht“ sowie eine (daraus resultierende) gesteigerte „Legitimität“ erfahren:12 Die Gründe des Kommissionsvorschlags zum Europäischen Währungsfonds sprechen davon, dass „sowohl die nationalen Parlamente als auch das Europäische Parlament in Bezug auf die Durchführung der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU mehr Kontrollrechte erhalten“.13 Anders als die völkerrechtlichen Vorgänger sollen die vorgeschlagenen Neuerungen im Unionsrecht wurzeln, weshalb 9

Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 2017, COM​ (2017) 824 final, S. 3. 10 Vgl. supra Dritter Teil, B. II. 2. a) aa). 11 Bericht der Kommission vom 22. Februar 2017, C(2017) 1201 final. 12 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 2017, COM​ (2017) 824 final, S. 4; sowie Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates vom 6. Dezember 2017, COM(2017) 827 final, S. 19, Erwägungsgrund 9. 13 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates vom 6. Dezember 2017, COM​ (2017) 827 final, S. 4.

248

4. Teil: Ausblick und Zusammenfassung

natürlicherweise das Europäische Parlament als Rechenschaftsempfänger in den Blick gerät. Art. 5 Abs. 1 des Verordnungs-Entwurfs für einen Europäischen Währungsfonds schreibt eine Rechenschaftspflicht des Währungsfonds gegenüber dem Europäischen Parlament vor, welche neben die nach nationalen Regeln bereits bestehende Rechenschaftspflicht gegenüber nationalen Parlamenten (vgl. auch Art. 6 des Verordnungs-Entwurfs) tritt. Allerdings enthält auch der vorgeschlagene Europäische Währungsfonds keine Mitentscheidungsbefugnisse für das Europäische Parlament; vielmehr beschränkt sich sein Anspruch auf die Intensivierung von Transparenz. Der Kommissions-Vorschlag für eine Transformation des Fiskalvertrags enthält sodann lediglich eine Berichtspflicht der Kommission nach Art. 5 des Richtlinien-​ Entwurfs gegenüber Europäischem Parlament und Rat, die sich auf den Zustand der mitgliedstaatlich-individuellen Umsetzung der Vorschriften ebenjenen Richtlinien-Entwurfs bezieht. Einer solchen Berichtspflicht ist die Kommission auch in der Vergangenheit auf Basis des Art. 8 Fiskalvertrag bereits nachgekommen, wenngleich die Adressaten des Berichts in diesem Fall regelmäßig nur die Vertragsstaaten sind.

II. Würdigung der Integrationsvorhaben 1. Europäischer Währungsfonds Der von der Kommission vorgeschlagene Europäische Währungsfonds, der auf einer Verordnung nach Art. 352 AEUV gründen soll, begegnet erheblichen Zweifeln. Auch der Fachbereich Europa des Bundestages weist in einem wissenschaftlichen Gutachten auf rechtliche Probleme hin und macht Vorbehalte gegen den Vorschlag geltend.14 Zunächst bleibt es dabei, dass auch der Vorschlag der Kommission keine Lösung offenbart, woher die Union das erforderliche Budget für den Währungsfonds nehmen soll.15 Ganz offenbar soll der ESM mit seinem gesamten Kapital in dem neuen Währungsfonds aufgehen und letzterer also auch in Bezug auf die Verfügungsgewalt über das Kapital der Rechtsnachfolger des ESM werden.16 Ein Unionsrechtsakt – selbst dann, wenn er mit der notwendigen Einstimmigkeit im Rat ergeht – reicht dazu aber nicht aus.17 Erforderlich ist, dass die völkerrechtlichen Schöpfer des ESM, also sämtliche Vertragsstaaten, gemäß den jeweils verfassungsrechtlichen Vorschriften ihre Zustimmung zur Transformation 14

Deutscher Bundestag, Fachbereich Europa, 26. Januar 2018, Europarechtliche Probleme bei der Überführung des ESM in das EU-Recht und zu dessen Weiterentwicklung zu einem Europäischen Währungsfonds. 15 Dazu supra Dritter Teil, B. II. 1. c) bb). 16 Vgl. Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates vom 6. Dezember 2017, COM(2017) 827 final, Art. 2 Abs. 1. 17 Siehe letztlich auch Vorschlag der Kommission (supra Fn. 16), Erwägungsgrund 21.

A. Integrationsauftrag 

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des ESM geben, indem sie den ESM-Vertrag praktisch beenden und sein Vermögen seinem Rechtsnachfolger zur Verfügung stellen (Art. 59 WVK). Unabhängig davon übersieht der Vorschlag aber insbesondere das Verhältnis zwischen Art. 352 AEUV und Art. 136 Abs. 3 AEUV und dem nunmehr auf dieser Grundlage geschaffenen ESM. Durch die Einfügung des Art. 136 Abs. 3 AEUV hat der europäische Primärrechtsgeber (nochmals ausdrücklich) verdeutlicht, dass den Mitgliedstaaten die Befugnis zur Errichtung eines Mechanismus wie des ESM zukommt. Jedenfalls mittels der angestrebten sekundärrechtlichen Lösung auf Basis von Art. 352 AEUV lässt sich diese Entscheidung des Primärrechtsgebers auch nicht umgehen.18 Stattdessen bedürfte die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds einer Vertragsänderung, welche dann aber aufgrund der mit ihr verbundenen Kompetenzverlagerung nicht mehr im vereinfachten Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV möglich wäre.19 2. Richtlinie zur mitgliedstaatlichen Haushaltspolitik Zum Zweck einer vollständigen Überführung des Regelungsbestandes des Fiskalvertrags in den Unionsrechtsrahmen fehlt es an einer genügenden Ermächtigungsgrundlage. Die Kommission sieht in ihrem Richtlinien-Vorschlag Art. 126 Abs. 14 Uabs. 2 AEUV vor; allerdings musste sie auch erkennen, dass insbesondere eine Nutzbarmachung des EuGH, wie in Art. 8 Fiskalvertrag vorgesehen, nicht in das vorgeschlagene Sekundärrecht fließen kann, ohne einen Verstoß gegen Art. 126 Abs. 10 AEUV zu provozieren. In seiner insoweit reduzierten Fassung kann der Richtlinien-Vorschlag auf Art. 126 Abs. 14 Uabs. 2 AEUV gestützt werden. Ob die Mitgliedstaaten hierdurch aber ihrem Integrationsauftrag aus Art. 16 Fiskalvertrag noch Genüge tun, bleibt fraglich. Eine Vermeidung von Effizienzverlusten wäre – entsprechend dem ursprünglich geplanten Vorhaben20  – nur dann ausreichend zu besorgen, wenn auch im Falle des Fiskalvertrags eine Lösung durch Primärrechtsänderung erfolgen würde. Ungeachtet der Frage ihrer Reichweite, bedürfte die Ausübung der Ermächtigungsgrundlage in Art. 126 Abs. 14 Uabs. 2 AEUV aber – ganz ähnlich wie eine Vertragsänderung – eine einstimmige Entscheidung im Rat, welche im Zeitpunkt der Vereinbarung des Fiskalvertrags gerade nicht zur Verfügung stand; ob diese erreicht werden kann, ist stets eine Frage des politischen Verhandlungsprozesses im Rat.21

18 Brauneck, in: EWS 2018, S. 81, 83 f.; siehe auch Grabitz / Hilf / Nettesheim-Winkler, 66. EL 2019, Art. 352 AEUV Rn. 83 f. 19 Im Ergebnis auch Deutscher Bundestag (supra Fn. 14), S. 11 ff. 20 Vgl. supra Zweiter Teil, D. III. 1. 21 Kritisch im Hinblick auf Art. 126 Abs. 14 Uabs. 2 AEUV deshalb auch Graf von Luckner, European Law Blog, 9. April 2018.

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4. Teil: Ausblick und Zusammenfassung

B. Nutzbarmachung des Intergouvernementalismus I. Potential des Intergouvernementalismus Der hier untersuchte Intergouvernementalismus bestätigt nur auf den ersten Blick und nur teilweise eine auf den dogmatischen Antagonismus der jeweiligen Grundmuster zurückgehende Trennung zwischen intergouvernementalen Maßnahmen und europäischer Supranationalität. Im Rahmen einer Analyse der in Reaktion auf die Eurokrise aufgetretenen intergouvernementalen Phänomene zeigt sich vielmehr eine facettenreiche Verknüpfung zwischen supranationalen Mustern und intergouvernementalem Recht. Weder die Wahl des intergouvernementalen Ins­ truments selbst, noch die Art und Weise seines Einsatzes lief dabei europäischem Recht zuwider; stattdessen war das mitgliedstaatlich-intergouvernementale Vorgehen weitgehend alternativlos. Die Wahl des intergouvernementalen Instrumentariums diente insbesondere als Ausweg in Situationen, in denen entsprechende Vertragsänderungen politisch kaum möglich erschienen, weil nicht alle Mitgliedstaaten an einem Strang zu ziehen gewillt waren. Gerade dieses Ausweg-Potential des Intergouvernementalismus macht ihn so wertvoll für ein auch in Zukunft voranschreitendes europäisches Integrationsprojekt, und stellenweise unabkömmlich – insbesondere in Krisenzeiten entfaltet der dem Intergouvernementalismus eigene politische Pragmatismus, der nicht zuletzt in der Umgehung europäischer Mehrheitserfordernisse fußt, eine zusätzliche Anziehungskraft22. Dass dem auch auf das Völkerrecht zurückgreifenden Intergouvernementalismus entgegen einschlägiger Prognosen weiterhin Bedeutung im Instrumentenkasten europäischer Rechtsetzung zukommt,23 zeigte zuletzt seine Nutzbarmachung im Fall des Europäischen Patentgerichts,24 welches sich ähnlich wie seine Eurokrisen-Verwandten in einem spezifisch-abgestimmten Zusammenspiel mit genuin unionsrechtlichen Vorschriften befindet.25 Betrachtet man allerdings die bisherigen Vorschläge zur Weiterentwicklung der WWU – und insbesondere die Idee eines Eurozonenbudgets –,26 so fällt auf, dass intergouverne 22 Siehe dazu die Aussage Wolfgang Schäubles in Bezug auf die Migrationskrise, Interview vom 3. Juli 2016, veröffentlicht auf welt.de, abrufbar unter https://www.welt.de/politik/ deutschland/article156764432/In-Europa-nicht-so-weitermachen-wie-bisher.html: „Jetzt ist die Zeit für Pragmatismus. Wenn nicht alle 27 von Anfang an mitziehen, dann starten halt einige wenige. Und wenn die Kommission nicht mittut, dann nehmen wir die Sache selbst in die Hand, lösen die Probleme eben zwischen den Regierungen. Dieser intergouvernementale Ansatz hat sich in der Euro-Krise bewährt.“. 23 Siehe bspw. de Witte, in: Constitutional Change in the EU, 2000, S. 31, 57 f. 24 Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (2013/C 175/01) vom 20. Juni 2013. 25 Vgl. zur Bestätigung der Vorgehensweise durch den EuGH, Urteil vom 5. Mai 2015, Rs. C-146/13 (Spanien / Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union), ECLI:​ EU:C:2015:298; sowie Urteil vom 5. Mai 2015, Rs. C-147/13 (Spanien / Rat der Europäischen Union), ECLI:EU:C:2015:299; siehe zur Kritik Jaeger, in: EuR 2015, S. 461 ff. 26 Siehe den Überblick bei Pilz, in: EuZW 2017, S. 637 ff.; sowie Schoenfleisch, Integration durch Koordinierung?, 2018, S. 242 ff.

B. Nutzbarmachung des Intergouvernementalismus 

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mental-völkerrechtliche Instrumente darin keine Erwähnung finden. Dies ist vor dem Hintergrund der Urheberschaft der Reformvorschläge aber nicht weiter verwunderlich: Von Kommission oder Europäischem Parlament ist kaum zu erwarten, intergouvernementale Maßnahmen vorzuschlagen und sich damit dem Primat der Mitgliedstaaten ausgesetzt zu sehen. Weitreichende Reformen der WWU werden aber ohne Berücksichtigung eines Vertragsänderungsverfahrens unmöglich bleiben.27 Die intergouvernementale Alternative sollte deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen werden – wenngleich dies freilich einen ausreichenden politischen Willen mindestens einer Gruppe von Mitgliedstaaten voraussetzt.

II. Einhegung durch die Unionsrechtsordnung Dabei zeigte die vorangehende Untersuchung auch, dass sich ein wie in der Eurokrisen-Reaktion eingesetzter Intergouvernementalismus keineswegs der Unionsrechtsordnung entziehen möchte. Im Gegenteil gestalteten die jeweils beteiligten Mitgliedstaaten die intergouvernementalen Regelwerke auf freiwillige Weise supranationalitätsaffin aus: So streben die beteiligten Mitgliedstaaten überwiegend nicht nur die Integration des intergouvernementalen Rechts in die (supranationale) Unionsrechtsordnung an; auch befinden sich intergouvernementales und supranationales Recht zum Teil in einer Symbiose, die sich nicht zuletzt darin äußert, dass beide Rechtssphären auf dasselbe Ziele ausgerichtet sind. Insbesondere aber bedienen sich die intergouvernemental agierenden Mitgliedstaaten der supranationalen Institutionenlandschaft. Auf diese Weise entsteht nicht nur ein Intergouvernementalismus, der keine Abkehr vom supranationalen Grundmuster bedeutet; die supranationale Union kann sogar vom Intergouvernementalismus profitieren.28 Zum einen stellen die supranationalen Elemente ein Gegengewicht zur Intergouvernementalität dar. Zum anderen dient die Verwebung intergouvernementaler und supranationaler Muster aber auch der Rechtsvereinheitlichung sowie der leichteren Überführbarkeit des Rechts. Anstatt intergouvernementale Lösungen daher politisch oder rechtlich verhin­ dern zu wollen, sollte die Unionsrechtsordnung besser zu einem mit supranationalen Elementen versehenen Intergouvernementalismus ermutigen  – dies gilt gerade für solche Fälle, in denen andernfalls nur Vertragsänderungen eine mögliche Alternative wären, die aber häufig an politischen Gründen scheitern werden. Vorstellbar wäre deshalb, ein primärrechtliches Leihangebot entsprechend dem Art. 273 AEUV auch für die Kommission einzurichten. Eine solche Vorkehrung könnte schließlich eine Berichtspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament vorsehen, an die die entliehene Kommission stets gebunden wäre, um dadurch gleichzeitig dem Europäischen Parlament den Intergouvernementalismus in der Zukunft nicht vorzuenthalten. 27 28

Siehe auch Pilz, in: EuZW 2017, S. 637, 642. Ähnlich Peers, in: ECLR 2013, S. 37, 40.

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4. Teil: Ausblick und Zusammenfassung

C. Zusammenfassende Schlussfolgerungen – Die Vielschichtigkeit der Eurokrise forderte die politische Handlungsfähigkeit der EU, mehr aber wohl noch diejenige der Mitgliedstaaten heraus. So vielschichtig die Herausforderungen, so vielgestaltig fielen die Reaktionen auf die Krise – nicht zuletzt aus rechtlichem Blickwinkel – aus. – In einer spezifischen Gemengelage, die geprägt war von der Notwendigkeit, schnelle politische Ergebnisse zu erzeugen sowie von Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und rechtlichen Unsicherheiten, wandten sich die Mitgliedstaaten wiederholt und jeweils gruppenweise neben anderen Instrumenten auch intergouvernementalen Arrangements zu, um dem Selbstverständnis zufolge pragmatische Notlösungen mit den Mitteln des Völkerrechts zu generieren. – Solche intergouvernementalem Arrangements lassen sich in drei zentralen rechtlichen Reaktionen auf die Krise des Euro-Währungsraums erkennen: dem ESM, dem Fiskalvertrag sowie dem Abwicklungsfonds  – allesamt völkerrechtliche Übereinkommen nur einer Gruppe von Mitgliedstaaten. – Diese rechtspolitische Entwicklung hin zu einem Eurokrisen-Intergouvernementalismus überrascht zwar nicht ausnahmslos; dies gilt insbesondere mit Blick auf die mit den intergouvernementalen Arrangements einhergehende Veto­brecherFunktion, die darauf beruht, dass sich gerade nur die jeweils beteiligten Mitgliedstaaten inter se – innerhalb ihrer Gruppe – binden und gleichzeitig solche Mitgliedstaaten außen vor lassen, die für ein gemeinsames Vorgehen nicht zur Verfügung stehen. – Das geronnene Übereinkommensrecht erlangt auf diese Weise einen Stellenwert, der eigentlich sogar geringer ist als derjenige eines kleinsten gemeinsamen Nenners. Denn gemeinsam sind die intergouvernementalen Arrangements nur bedingt. Andererseits lassen sich die internen Übereinkommen aber insofern als Ausdruck von kleinsten gemeinsamen Nennern verstehen, als die Mitgliedsstaaten durch sie gerade noch eine gemeinschaftlich-orientierte Politik betreiben, bevor sie stattdessen zu lediglich bilateralen oder gar – wo überhaupt möglich – zu nationalen Maßnahmen greifen müssten. – Demgegenüber kann die intergouvernementale Entwicklung allerdings auch verwundern und sogar beunruhigen. Immerhin bilden Intergouvernementalismus bzw. Intergouvernementalität gerade in Bezug auf die strukturelle, institutionelle sowie normative Gestalt des europäischen Einigungswerks den konzeptionellen Gegenspieler der althergebrachten (europäischen) Supranationalität. – Dabei ist die voranschreitende Integration Europas typischerweise mit der sukzessiven Ausweitung der Supranationalität verbunden, die durch die sogenannte Gemeinschaftsmethode, aber auch durch Vertragsrevisionen oder die Rechtsprechung des EuGH erfolgen kann. Im Aufkommen des Intergouvernementalismus ließe sich daher prima facie eine Gefahr für das Voranschreiten supranationaler

C. Zusammenfassende Schlussfolgerungen 

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Erscheinungsformen innerhalb der EU-Rechtsordnung (und damit vielleicht der Integration als solcher) erkennen – oder möglicherweise sogar ein Rückschritt, dessen Wurzeln in der Bekämpfung der supranationalen Integration durch die intergouvernementalen, nationalen Gegenspieler liegen. – Allerdings zeigen sich auch heute noch zahlreiche intergouvernementale Erschei­ nungsformen innerhalb der Unionsrechtsordnung; die Unionsrechtsordnung basiert folglich nicht nur auf supranationalen, sondern in begrenztem Ausmaß auch auf intergouvernementalen Ideen. Und nicht nur das: Auch intergouvernementales Übereinkommensrecht einer Gruppe von Mitgliedstaaten, das noch dazu Bezüge zur Unionsrechtsordnung aufweist, ist keine neuartige Erscheinungsform der Reaktion auf die Eurokrise, sondern findet als Instrument voranschreitender Integration eine Vielzahl von Vorgängern. Man kann deshalb so weit gehen, in der fortwirkenden Bedeutung von Intergouvernementalismus den völkerrechtlichen Mutterschoß auch der Unionsrechtsordnung zu erkennen. – Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass im Angesicht der Eurokrise nicht nur die Analyse des rechtspolitischen Handlungsbedarfs mehr Supranationalität i. S. einer effektiveren Kontrolle gemeinsamer Regeln zu fordern schien, sondern auch die rechtspolitische Tendenz in den übrigen europäischen Reaktionen – das heißt mit Ausnahme des Eurokrisen-Intergouvernementalismus – mehr supranationale Lösungen generierte. Mehr supranationales Europa schien die Losung für eine moderne und vor allem stabilere WWU zu sein. Umso mehr erscheinen intergouvernementale Lösungen als Fremdkörper. – Dabei zeigt eine eingehende Untersuchung sämtlicher intergouvernementaler Maßnahmen in der Eurokrise, dass diese keineswegs Intergouvernementalität erschaffen, wo zuvor Supranationalität herrschte. Vielmehr enthalten die Maßnahmen in unterschiedlichen Facetten supranationale Elemente, wie insbesondere die Leihe genuin supranationaler Organe sowie andere strukturelle Formen eigener Hoheitsrechtebeschränkungen bzw. -übertragungen auf eine gemeinschaftliche Ebene. – Solche Hoheitsrechteverschiebungen äußern sich wiederum einerseits institutionell in den Befugnissen von entliehener Kommission, EuGH oder SRB sowie andererseits normativ wie im Falle der „goldenen Regel“ im Fiskalvertrag. – Außerdem sind die intergouvernementalen Arrangements auf dieselben Ziele wie verwandtes originäres Unionsrecht ausgerichtet. Doch nicht nur das: Im Fall des Abwicklungsfonds bilden originär supranationales und intergouvernementales Recht eine Symbiose, wobei beide Rechtsmaterien einander wechselseitig bedingen. – Im Ergebnis führt der Eurokrisen-Intergouvernementalismus daher strukturell betrachtet sowohl zu mehr Intergouvernementalität als auch zugleich zu mehr Supranationalität.

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4. Teil: Ausblick und Zusammenfassung

– Dabei zeigt die Untersuchung auch, dass die intergouvernemental agierenden Mitgliedstaaten den Anforderungen des Unionsrechtsrahmens nicht zuwiderhandelten. – Ferner standen den Mitgliedstaaten aber auch weitgehend gar keine unionsrechtlichen Alternativen zur Verfügung, um gleichwertige Maßnahmen mit genuinem Unionsrecht zu konstruieren. Denn weder die Verstärkte Zusammenarbeit, noch Art. 352 AEUV oder spezielle Ermächtigungsnormen hätten ESM-Vertrag oder Fiskalvertrag in ihrer spezifischen Ausgestaltung tragen können. Die einzige Variante – die aber schon in einem Frühstadium an politischen Gründen scheiterte – wären Primärrechtsänderungen gewesen. – Auch wenn die Mitgliedstaaten – solange sie sich in den von der Unionsrechtsordnung vorgegebenen kompetenziellen Grenzen bewegen – in einem intergouvernementalen Freiraum tätig waren, agierten sie doch supranationalitätsaffin, indem sie systematisch supranationale Errungenschaften in ihre Übereinkommenswerke integrierten. – Damit handelten die Mitgliedstaaten zwar nicht ganz uneigennützig, dienen die supranationalen Elemente doch ihrem Interesse an Rechtsvereinheitlichung sowie besserer Durchsetzbarkeit der intergouvernementalen Vorschriften. Nichtsdestominder stellten die Mitgliedstaaten eine Supranationalitätsaffinität unter Beweis, ohne dazu verpflichtet gewesen zu sein. – Die Affinität für den supranationalen Gedanken wird nicht zuletzt auch darin sichtbar, dass die Mitgliedstaaten die intergouvernementalen Maßnahmen nur als temporäre Zwischenschritte auf dem Weg zu genuin unionsrechtlichen Lösungen verstehen. – Insgesamt zeigt sich so, dass Intergouvernementalismus eher als Chance, denn als Rückschritt oder gar als Gefahr für ein fortschreitendes europäisches Integra­ tionsprogramm zu bewerten ist.

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Sachverzeichnis Acquis communautaire  25, 180 Agentur / EU-Agentur  60, 93, 101, 104 f., 237 Akzessorietät  138, 149, 221, 223 Änderungsfestigkeit  156, 169, 172, 175, 178, 189 Anleihen  128, 208 Anwendungsvorrang  156, 162 Assessment  117, 137 Asymmetrie  26, 70 f. Auffangtatbestand 158 Avantgarde  216, 225 Bail-in 98 Bankenaufsicht 85 Bankenunion  22 f., 88, 92, 94, 98, 104, 233 Beeinträchtigungsverbot  170, 172, 175, 192 f., 197, 219, 230 Beitrittsrecht 107 Berichtspflicht  74, 135, 187, 213, 240, 248, 251 Bilateral  124, 126, 161, 163, 252 Binnenmarkt  55, 98, 215 Budgethoheit  116, 242 Budgetrecht 78 Clausula rebus sic stantibus  103, 218, 236 Compliance  115, 221, 223 Defizitverfahren  75, 79, 81, 109, 120, 122 f., 185, 189, 192, 212, 214, 241 f. Demokratiedefizit 239 Deutschland  67, 80, 99, 106 f., 116, 121, 125, 217 Dogmatik  28, 77, 163, 177, 180, 204, 224 Drittländer 171

Ermessen  104, 117, 142 Ermessensspielraum  79, 105, 120, 137 f. Euro-Gipfel  111 f., 124, 189 f., 199 f., 213, 216 Euro-Gruppe  63 f., 73, 84, 86, 88 f., 111 f., 125, 127 f., 131, 213 Europäischer Währungsfonds  223, 245 ff. Europäisches Semester  88, 110 f. Euro-Plus-Pakt  87, 106 EWG  51, 57 EWG-Vertrag 160 Exekutive  25, 48, 50, 56, 173, 240 Expertenwissen  135, 137, 140 EZB-Rat 134 Finanzmarktregulierung 107 Flexibilisierung  74, 80 Flexibilität  79, 117, 215 Flexibilitätsklausel  148 f., 206 ff., 214 f. Föderal  67, 70, 113, 133 Frankreich  51, 80, 107, 121 GASP  38, 47, 59, 61 f., 66, 152, 240 Geldstrafen 191 Geschäftsführender Direktor  131 ff. Griechenland  21, 124 ff. Harmonisierung  44, 61 Institutionelles Gleichgewicht  175 f. Integrationsmotor 207 Interessenausgleich 240 Internationale Organisation  130, 139 Investitionsabkommen 161 IWF  124, 126 f., 130 f., 134 f., 138, 238, 246 Judikatur  50, 179, 220

Effet utile  170 EGKS  48 f., 51 ff. EGKS-Vertrag  39, 48, 145 Eigenverantwortung  82 f. Einheitliche Europäische Akte  43, 51, 58, 147 Einstimmigkeitsprinzip  44, 47, 51, 57, 61, 148

Kapitalmarkt  82, 123, 128, 130, 136 Kapitalmarktunion  86, 88 Kasuistik  170, 195, 204 Klage  117 f. Kohärenz  104, 179, 193

Sachverzeichnis Kompetenzdogmatik  146, 198, 202, 204 Kompetenz-Kompetenz  31 f., 146 f. Kompetenzverteilung  88, 154, 224 Koordinierungsverfahren  71 f., 76, 110 f., 188, 211 Legitimation  95, 178, 241 Makroökonomisch  22, 87, 91 f., 134, 136, 235 Marktmechanismen  82, 141 Mehrebenensystem  195, 201 f. Nichtigkeitsklage 162 No bail-out  82 f., 165 OMT-Programm 182 Pacta sunt servanda  195 Politisierung  90, 120 Preisstabilität  70, 82, 136, 167 f., 181 Prinzip der begrenzte Einzelermächtigung ​ 155, 171, 178, 202, 209 Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit  76, 108, 114, 184 f., 188, 210, 213 f. Protokoll Nr. 13 über die Konvergenz­ kriterien 70 Qualifizierte Mehrheit  80, 121, 189, 212 Rat ECOFIN  64, 112, 131 Ratifikation  128, 138, 164 Rechenschaftspflicht  247 f. Rechtsgrundlage  91, 96, 124, 166, 181, 205 Rechtsnatur  64, 96, 130, 139 Rechtspersönlichkeit  130, 148 Rechtsvereinheitlichung  231, 251 Refinanzierungsschwierigkeiten  83, 167 Reformpaket Economic Governance  91, 184 f. Reziprozität 221 Römische Verträge  52, 58 Sanktionen  79, 90, 119 Schiedsvertrag  149, 178 Schuldentragfähigkeit 134 Schuman-Plan  39, 49 Selbstbindung  120, 146

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Souveränität  26, 31 f., 49, 51, 86 f., 155 f. Souveränitätsresiduen 156 Sperrminorität 121 Sperrwirkung  36 f., 158, 171, 185 f., 198, 203 Spezialitätsgrundsatz 216 Staatsanleihen  70, 135, 182, 205 Staatsschuldenkrise  80 f., 124 Steuergeld 95 Steuerzahler  95, 100 Subjektives Recht  77 Subsidiaritätsprinzip  98, 201 f. SWP  73 f., 76, 79 ff., 89 ff., 109, 139, 141, 158, 169, 221, 235 Systemrelevant  83, 93 Tertiärrecht  220, 235 Tragfähigkeit  106, 108 Transgouvernementalismus 45 Trilogverfahren 218 Troika  134 f., 137 f., 140 Übereinkommensdogmatik  165, 167 Ultima ratio  130, 215 Umgehung  192, 201, 250 Unionsbürger  95, 238 Unionstreue 194 Vereinigtes Königreich  26, 100, 106 f., 190 Vereinigte Staaten von Amerika  113 Verfahrensvorschriften  111, 159 ff., Verfassungsrang  114 f., 119 Vergemeinschaftung  94, 245 Verhältnismäßigkeit 202 Verordnungsgesetzgebung  98 f. Vertragsänderung  162, 210, 239, 242, 249 Vertragsänderungsverfahren  106, 249 Vertragsautonomie  146 f., 154, 169 Vertragsverletzungsverfahren  40, 75, 78, 116, 120, 161, 222 Veto  100, 106 f., 225 Volkswirtschaft  22, 86, 88 Vorabentscheidungsverfahren  78, 82, 162 Vorrang des Unionsrechts  77, 200, 236 f. Vorrangwirkung  36 f., 158, 170 f., 203 Willkür 160 Zielbestimmung  82, 150, 224