Insolvenzverwaltung - natürliche Personen: Sachbearbeitung und Insolvenzabwicklung bei Verbrauchern, Selbständigen und Freiberuflern [2., neu bearb. Aufl. 2019] 9783814558264

Die insolvenzrechtliche Rechtsprechung hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt und viele Fallkonstellation

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Insolvenzverwaltung - natürliche Personen: Sachbearbeitung und Insolvenzabwicklung bei Verbrauchern, Selbständigen und Freiberuflern [2., neu bearb. Aufl. 2019]
 9783814558264

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Wipperfürth Insolvenzverwaltung – Natürliche Personen

Kanzleipraxis 2

Insolvenzverwaltung – Natürliche Personen Sachbearbeitung und Insolvenzabwicklung bei Verbrauchern, Selbständigen und Freiberuflern

2. Auflage

von Sylvia Wipperfürth

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH ˜ Köln

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© 2019 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln

Vorwort Die Insolvenzverwaltungspraxis hat in den letzten Jahren das Spektrum der Erfahrungswerte erweitern können. Die insolvenzrechtliche Rechtsprechung hat sich weiterentwickelt und Fallkonstellationen vertiefend beleuchtet. Diese Tendenz kann u. a. für den Bereich der Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag (im weitesten Sinne), Pfändungsschutzvorschriften für laufende Einkünfte (§§ 850 ff. ZPO) und das sog. „Bankguthaben“ (Pfändungsschutzkonto, § 850k ZPO), die Wirkungen einer Enthaftungserklärung i. S. v. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO und das insolvenzrechtlich geprägte Steuerrecht festgestellt werden. Das Insolvenzanfechtungsrecht (§§ 129 ff. InsO) wurde reformiert und auch über weitergehende Rechtsprechung geformt. Eine grundlegende Änderung erfuhr das Insolvenzrecht für den Bereich der natürlichen Personen insbesondere durch die Möglichkeit der vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung. Auch hierzu liegen bereits erste Erfahrungen zur Umsetzbarkeit, zu praktischen Problemlagen und auch zur Akzeptanz bzw. Relevanz vor. Die vorliegende zweite Auflage greift die neusten Tendenzen auf, wobei der Fokus der Darstellungen stets insbesondere auf den Praxistransfer gelegt wird. Zu nicht abschließend geklärten Rechtsfragen werden Fallkonstellationen beschrieben und denkbare bzw. gangbare Lösungswege entwickelt. Ausdrücklich möchte ich die Einladung an alle Leserinnen und Leser aussprechen, der Autorin Anregungen, Kritik und eigene Erfahrungswerte mitzuteilen, um den fruchtbaren Dialog zu fördern und im Austausch miteinander auch weiterhin problemsensibel und konstruktiv Ideen für die Rechtsanwenderpraxis zu entwickeln. Für Ihr Interesse und Ihre Zeit, welche Sie auf die Lektüre meiner Ausführungen verwenden, danke ich Ihnen sehr!

Alsdorf, im April 2019

Sylvia Wipperfürth

V

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

Vorwort ............................................................................................................ V Literaturverzeichnis .................................................................................... XIX A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte .................................. 1 ........ 1 I.

Vorüberlegung .............................................................................. 1 ........ 1

II. Ziele des Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen natürlicher Personen .................................................................... 1. Gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung .......................... 2. Restschuldbefreiung .............................................................. 3. Sanierung ............................................................................... 4. Vermeidung berufsrechtlicher Konsequenzen ....................

4 4 6 7 8

........ ........ ........ ........ ........

1 1 2 2 2

III. Ziele des Verbraucherinsolvenzverfahrens ................................ 39 ...... 10 1. Gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung ........................ 39 ...... 10 2. Restschuldbefreiung ............................................................ 40 ...... 10 IV. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren ................................................................ 41 1. Insolvenzschuldner ............................................................. 41 2. Insolvenzgläubiger .............................................................. 46 3. Gläubiger nachrangiger Forderungen ................................ 52 4. Absonderungsberechtigte Gläubiger ................................. 55 5. Aussonderungsberechtigte ................................................. 60 6. Dritte ................................................................................... 68 7. Der Gutachter/Sachverständige ......................................... 70 8. Der vorläufige Insolvenzverwalter ..................................... 77 9. Der Insolvenzverwalter ....................................................... 80 10. Der Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren, § 292 InsO ........................................................................... 89 11. Das Insolvenzgericht .......................................................... 93 12. Der (vorläufige) Gläubigerausschuss ................................. 98 13. Der (vorläufige) Sachwalter .............................................. 110 14. Schuldnerberater/Schuldnerberatungsstelle .................... 115

...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

10 10 11 13 13 15 16 16 17 18

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20 20 21 23 24

B. Schuldnerstruktur, Abgrenzung und Verfahrensart .......... 119 ...... 25 I.

Natürliche Personen ................................................................. 119 ...... 25

II. Schuldnerstruktur in Verbraucherinsolvenzverfahren ........... 121 ...... 25 1. Verbraucher ....................................................................... 121 ...... 25

VII

Inhaltsverzeichnis Rn.

2.

Seite

Ehemals Selbstständige mit überschaubaren Vermögensverhältnissen ...................................................................... 124 ...... 25

III. Schuldnerstruktur in Regelinsolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen ........................................ 1. Selbstständige .................................................................... 2. Freiberufler ........................................................................ 3. Ehemals Selbstständige mit nicht überschaubaren Vermögensverhältnissen/Forderungen aus Arbeitsverhältnissen ...................................................................... IV. Die richtige Verfahrensart und Verfahrenschronologie ......... 1. Die richtige Verfahrensart und Abgrenzungskriterien ... 2. Verfahrensablauf ............................................................... a) Vorbemerkungen ....................................................... b) Regulärer Ablauf in Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 ...................................................... aa) Regulärer Ablauf Verbraucherinsolvenzverfahren (Antragstellung bis 30.6.2014) ........ bb) Regulärer Ablauf Regelinsolvenzverfahren (natürlicher Personen mit Antragstellung bis 30.6.2014) .................................................... c) Ablauf in Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 ......................................................... aa) Regulärer Ablauf Verbraucherinsolvenzverfahren (Antragstellung ab 1.7.2014) ........... bb) Regulärer Ablauf Regelinsolvenzverfahren (natürlicher Personen mit Antragstellung ab 1.7.2014) .......................................................

127 ...... 26 127 ...... 26 129 ...... 27

130 ...... 27 131 131 139 139

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27 27 31 31

142 ...... 31 142 ...... 31

143 ...... 32 144 ...... 32 144 ...... 32

145 ...... 33

V. Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens und die Auswirkungen – Überblick ............................................................. 146 ...... 33 C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren ....................................... 148 ...... 37 I.

Der Insolvenzantrag ................................................................. 1. Eigenantrag ........................................................................ a) Grundlegendes ........................................................... b) Eigenantrag und Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung .......................................................... c) Eingangsentscheidung (§ 287a InsO) ...................... d) Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten ............ e) Insolvenzverfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 ......................................................... f) Besondere Voraussetzungen im Verbraucherinsolvenzverfahren .....................................................

VIII

148 ...... 37 151 ...... 37 151 ...... 37 158 ...... 38 159 ...... 38 160 ...... 39 161 ...... 39 163 ...... 39

Inhaltsverzeichnis Rn.

2.

185 187 187 189 196 199

...... ...... ...... ...... ...... ......

45 45 45 46 47 47

II. Stundung der Verfahrenskosten .............................................. 1. Deckung der Verfahrenskosten ........................................ 2. Stundung der Verfahrenskosten ....................................... a) Objektive Voraussetzungen ...................................... b) Subjektive (persönliche) Voraussetzungen .............. c) Folgen der Stundung .................................................

201 201 207 210 213 217

...... ...... ...... ...... ...... ......

48 48 49 49 50 51

III. Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung ....................... 1. Restschuldbefreiungsantrag und Eigenantrag ................. a) Kein isolierter Restschuldbefreiungsantrag ............. b) Eigenantrag ohne Restschuldbefreiungsantrag ........ c) Restschuldbefreiungsantrag ohne Eigenantrag (Regelinsolvenz) ........................................................ d) Restschuldbefreiungsantrag ohne Eigenantrag (Verbraucherinsolvenz) ............................................. 2. Rücknahme des Restschuldbefreiungsantrags .................

220 220 220 228

...... ...... ...... ......

52 52 52 53

IV. Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht ....... 1. Aufgaben und Befugnisse des Gutachters ....................... 2. Konsequenzen für den Schuldner .................................... 3. Vergütung des Gutachters ................................................ 4. Maßnahmen im Verwalterbüro ........................................

235 235 241 244 249

V. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts ........................ 1. Sicherungsmaßnahmen ..................................................... 2. Aufgaben und Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters ........................................................................... a) Der starke vorläufige Insolvenzverwalter ................ b) Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter ........... c) Verwertung und Notverwertung .............................. 3. Konsequenzen für den Schuldner .................................... 4. Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ............. 5. Maßnahmen im Verwalterbüro ........................................

250 ...... 66 250 ...... 66

3.

4.

178 178 179 180

Seite

Fremdantrag ...................................................................... a) Gläubigerantrag ......................................................... b) Zulässigkeit ................................................................ aa) Rechtliches Interesse ........................................ bb) Glaubhaftmachung des Bestehens einer Forderung .......................................................... cc) Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes .............................................................. Eröffnungsgründe ............................................................. a) Eröffnungsgründe – Überblick ................................. b) Zahlungsunfähigkeit .................................................. c) Drohende Zahlungsunfähigkeit ................................ Antragshäufung .................................................................

...... ...... ...... ......

43 43 43 43

182 ...... 43

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55 55 63 63 65

72 72 72 73 74 75 75

IX

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

VI. Fortführung des Geschäfts-/Praxisbetriebs im Eröffnungsverfahren ................................................................................... 294 ...... 76 1. Fortführung oder Einstellung des Geschäftsbetriebs ..... 294 ...... 76 2. Maßnahmen im Verwalterbüro ........................................ 308 ...... 80 VII. Arbeitsverhältnisse im Eröffnungsverfahren und Insolvenzgeld ............................................................................................ 1. Insolvenzgeld .................................................................... a) Zeitraum ..................................................................... b) Höhe ........................................................................... c) Antrag ......................................................................... d) Zahlung ...................................................................... e) Anspruchsübergang ................................................... 2. Insolvenzgeldvorfinanzierung .......................................... 3. Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Eröffnungsverfahren ............................................................................ VIII. Das Gutachten des Sachverständigen .................................... 1. Ermittlung der Vermögenswerte und Schuldenstruktur .............................................................................. 2. Bewertung von Vermögenswerten ................................... a) Allgemeines ................................................................ b) Bewertungsgrundlagen .............................................. c) Liquidationswerte ...................................................... d) Fortführungswerte .................................................... e) Inhalte eines Gutachtens ........................................... IX. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter ..... 1. Voraussetzungen, Vorteile und Nachteile der vorläufigen Eigenverwaltung .................................................. a) Hintergründe ............................................................. b) ESUG ......................................................................... c) Vorteile der (vorläufigen) Eigenverwaltung ............ d) Voraussetzungen der (vorläufigen) Eigenverwaltung .................................................................. e) Besondere Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) .......................................... 2. Aufgaben und Befugnisse des (vorläufigen) Sachwalters ........................................................................ 3. Konsequenzen für den Schuldner .................................... 4. Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters ........................

310 310 312 319 321 324 327 329

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377 ...... 94 382 ...... 95 390 ...... 96 395 ...... 97 397 ...... 97

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren ......................................... 398 ...... 99 I.

Die Eröffnungsentscheidung ................................................... 398 ...... 99

II. Ablauf des Verfahrens, Termine und Fristen .......................... 403 ...... 99 1. Arbeitsschritte ................................................................... 404 .... 100 X

Inhaltsverzeichnis Rn.

2.

Seite

Erstgespräch ...................................................................... 405 .... 101

III. Die Wirkungen der Eröffnung ................................................. 1. Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters ........ a) Inbesitznahme und Verwaltung ................................ b) Verzeichnisse und Übersichten (§§ 151 ff. InsO) ..... aa) Masseverzeichnis (§ 151 InsO) ........................ bb) Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) ................. cc) Vermögensübersicht (§ 153 InsO) .................. dd) Besonderheit bei Eigenverwaltung ................... ee) Frist .................................................................... c) Verwertung der Insolvenzmasse ............................... 2. Konsequenzen für den Schuldner .................................... 3. Verfügungen, Leistungen und Rechtserwerb nach Eröffnung (§§ 81, 82, 91 InsO) ............................... IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse .... 1. Insolvenzmasse .................................................................. 2. Verwaltung und Verwertung ............................................ 3. Freigabe einzelner Gegenstände aus dem Massebeschlag .............................................................................. a) Grundsätze der Freigabe ........................................... b) Freigabe einzelner Vermögenswerte und (Un-)Pfändbarkeit ..................................................... c) Abgrenzung ............................................................... d) Zeitpunkt der Freigabe .............................................. e) Treuhänder im vereinfachten Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 ............................ f) Form und Folgen der Freigabeerklärung ................. g) Freigabeerklärung bei fehlendem Erklärungsempfänger ................................................................... h) Besonderheiten bei Freigabe eines Grundstücks ..... 4. Aus- und Absonderungsrechte ........................................ a) Überblick Aus- und Absonderung ........................... b) Aussonderungsrechte ................................................ c) Absonderungsrechte .................................................. d) Steuerliche Bedeutung ............................................... e) Kollisionslagen ........................................................... f) Ausfall ........................................................................ V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit (§ 35 Abs. 2 InsO)? .................................................. 1. Richtungsweisende Entscheidung .................................... 2. Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO .................................................... a) Grundsätze der Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO ................................................................

411 411 411 414 415 431 439 444 445 446 459

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102 102 102 103 103 108 112 114 114 114 117

463 .... 118 488 .... 124 488 .... 124 500 .... 126 502 .... 127 502 .... 127 509 .... 128 513 .... 129 520 .... 131 521 .... 131 522 .... 132 529 532 534 534 535 555 596 597 608

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612 .... 151 612 .... 151 613 .... 151 613 .... 151 XI

Inhaltsverzeichnis Rn.

3. 4. 5.

b) Sondermasse nach Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO und Zweitinsolvenzverfahren ............... c) Unwirksamkeitserklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO ................................................................ d) Abgrenzung ............................................................... e) Die Freigabeerklärung – Wirksamkeit und Zeitpunkt ................................................................... f) Konsequenzen der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit für den Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner sowie Auswirkungen auf die Insolvenzmasse .............................................................. g) Nebeneinander von abhängiger Beschäftigung und freigegebenem Nebengewerbe .......................... h) Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO und Freigabe einzelner Gegenstände sowie Verhältnis zum Pfändungsschutz ............................................... Fortführung einer selbstständigen Tätigkeit ................... Übertragende Sanierung/Asset Deal ............................... Verwertung/Liquidation ...................................................

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen ............................................. 1. Allgemeines ....................................................................... 2. Grundsätze der Verwertung ............................................. 3. Ausgewählte Verwertungsfragen ..................................... a) Immaterielle Vermögensgegenstände ....................... b) Grundstücke/grundstücksgleiche Rechte ................ c) Bewegliches Sachanlagenvermögen .......................... d) Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ........ e) Kassenbestand ............................................................ f) Kraftfahrzeuge ........................................................... g) Steuererstattungsansprüche ...................................... h) Bausparguthaben, Lebensversicherungen und sonstige Finanzanlagen ............................................. i) Mietforderungen ........................................................ j) Mietkautionsrückzahlungsanspruch ......................... k) Genossenschaftsanteil ............................................... l) Laufende Einkünfte ................................................... m) Bankguthaben ............................................................ n) Erbschaft .................................................................... o) Anfechtungsansprüche .............................................. aa) Verbraucherinsolvenzverfahren ....................... bb) Grundlegendes .................................................. cc) Systematik ......................................................... dd) Allgemeine Voraussetzungen der Anfechtung ............................................................. ee) Die Anfechtungstatbestände ............................ XII

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194 199 200 201 204 215 224 226 226 227 228

920 .... 229 923 .... 231

Inhaltsverzeichnis Rn.

VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut und Masseunzulänglichkeit ....... 951 1. Verfahrenskosten (§§ 53, 54 InsO) ................................. 951 a) Gerichtskosten ........................................................... 955 b) Honorar des Sachverständigen ................................. 963 c) Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ................................................................... 967 d) Die Vergütung des Insolvenzverwalters ................... 982 e) Die Vergütung des Treuhänders (§ 292 InsO) ........ 991 f) Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters und des Sachwalters .......................................................... 997 g) Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses ............................................................... 1008 2. Sonstige Masseverbindlichkeiten ................................... 1011 a) Überblick ................................................................. 1011 b) Verjährung ............................................................... 1012 c) Vorläufige Insolvenzverwaltung ............................. 1013 d) Sonstige Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 InsO ...................................................... 1020 e) Sonstige Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 InsO ...................................................... 1030 f) Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner ([vorläufige] Eigenverwaltung) ...... 1032 3. Massearmut ...................................................................... 1034 4. Masseunzulänglichkeit .................................................... 1039 VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle ...................... 1. Insolvenzforderungen und Forderungsanmeldungen ..... 2. Der Prüfungstermin ........................................................ 3. Nachmeldungen und Nachprüfungstermin ................... 4. Nachträgliche Änderungen der Prüfergebnisse ............ 5. Nachrangige Forderungen .............................................. 6. Forderungen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (Deliktsforderungen) ...............

1047 1047 1055 1065 1067 1073

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1076 .... 272

IX. Gläubigerversammlung und Berichtstermin ......................... 1082 .... 273 1. Berichtstermin (Erste Gläubigerversammlung) ............ 1082 .... 273 2. Berichtswesen im eröffneten Verfahren ........................ 1086 .... 274 X. Vertragsverhältnisse ............................................................... 1. Überblick ......................................................................... 2. Wahlrecht (§ 103 InsO) .................................................. 3. Vormerkung (§ 106 InsO) ............................................. 4. Eigentumsvorbehalt (§ 107 InsO) ................................. 5. Mieterinsolvenz (§ 109 InsO) ........................................ a) Gewerbliche Mietverhältnisse (§ 109 Abs. 1 Satz 1 InsO) ......................................

1090 1090 1092 1098 1101 1109

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275 275 275 276 277 278

1110 .... 278 XIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

6. 7.

Seite

b) Wohnraummietverhältnisse (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO) ...................................... 1117 .... 279 Vermieterinsolvenz (§ 110 InsO) .................................. 1124 .... 280 Aufträge, Geschäftsbesorgungsverträge (§§ 115, 116 InsO) .......................................................... 1128 .... 281

XI. Arbeitsverhältnisse im eröffneten Insolvenzverfahren ........ 1. Arbeitsverhältnisse und deren Beendigung ................... 2. Entgeltansprüche der Arbeitnehmer .............................. 3. Betriebsveräußerung in der Insolvenz ...........................

1131 1131 1138 1142

.... .... .... ....

281 281 282 283

XII. Steuerliche und buchhalterische Pflichten ............................ 1144 .... 283 XIII. Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre ..................... 1. Vollstreckungsverbot (§ 89 InsO) ................................. 2. Vollstreckungsverbot für Massegläubiger (§ 90 InsO) ...................................................................... 3. Rückschlagsperre (§ 88 InsO) ........................................ XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss ............ 1. Grundlagen der Schlussrechnungslegung und der Schlussberichterstattung .......................................... a) Rechnungslegung – eröffnetes Verfahren .............. b) Rechnungslegung – Antragsverfahren .................... 2. Vorbereitung des Verfahrensabschlusses sowie Einzelheiten zur Rechnungslegung und zum Schlussberichtswesen .................................................................. a) Vermögensverwertung ............................................ b) Abgeltung Sicherungsrechte ................................... c) Forderungsprüfung und Schlussverzeichnis (Verteilungsverzeichnis) ......................................... d) Buchführung und Steuern ....................................... e) Vertragsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse ........ f) Insolvenzbuchhaltung ............................................. g) Aufbauvorschlag eines Schlussberichts .................. h) Nachtragsverteilung ................................................ 3. Arten des Verfahrensabschlusses ................................... a) Vorbemerkung ......................................................... b) Aufhebung (§ 200 InsO) ........................................ c) Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) ............... d) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§§ 208, 211 InsO) ..................................... e) Aufhebung nach rechtkräftiger Bestätigung des Insolvenzplans (§ 258 InsO) ............................ f) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) ..............................................

XIV

1156 .... 286 1156 .... 286 1162 .... 289 1163 .... 289 1168 .... 290 1168 .... 290 1168 .... 290 1174 .... 292

1175 .... 292 1175 .... 292 1179 .... 293 1186 1198 1199 1201 1205 1206 1212 1212 1214 1216

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1221 .... 302 1228 .... 303 1231 .... 303

Inhaltsverzeichnis Rn.

4. 5. 6.

g) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger (§ 213 InsO) ............................................................ Schlusstermin .................................................................. Schlussverteilung und Nachtragsverteilung .................. Vergütung ........................................................................

1235 1239 1240 1246

Seite

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303 304 304 306

E.

Die Wohlverhaltensperiode/Restschuldbefreiungsphase ........................................................................................ 1248 .... 307

I.

Wohlverhaltensperiode ........................................................... 1248 .... 307

II. Aufgaben und Befugnisse des Treuhänders gemäß § 292 InsO ............................................................................... 1. Rechtsstellung des Treuhänders (§ 292 InsO) .............. 2. Pfändbares Einkommen .................................................. a) Laufende Einkünfte aus einer Festanstellung bzw. Lohnersatzleistungen ..................................... b) Selbstständig tätiger Schuldner (§ 295 Abs. 2 InsO) ................................................. 3. Ausschüttung .................................................................. 4. Überwachungsauftrag ..................................................... 5. Rechnungslegung ............................................................ 6. Vergütung ........................................................................ III. Obliegenheiten des Schuldners .............................................. 1. Grundlegendes ................................................................ 2. Erwerbsobliegenheit (§ 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ........... 3. Herausgabe des Vermögens, das von Todes wegen erworben wird (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ..................... 4. Auskunftspflicht (§ 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO) ................. 5. Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO) .............................................. 6. Abführungsobliegenheit selbstständig Tätiger (§ 295 Abs. 2 InsO) ........................................................

1254 .... 307 1254 .... 307 1257 .... 308 1257 .... 308 1263 1267 1273 1275 1276

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1277 .... 312 1277 .... 312 1281 .... 313 1287 .... 314 1291 .... 315 1294 .... 315 1296 .... 316

F.

Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe ..................................................................................... 1298 .... 317

I.

Erteilung der Restschuldbefreiung ........................................ 1298 .... 317

II. Ausgenommene Forderungen ............................................... 1307 .... 318 III. Vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung und Verkürzungsmöglichkeiten .......................................................... 1310 .... 319 1. Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 ......... 1310 .... 319 2. Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 ............. 1312 .... 320

XV

Inhaltsverzeichnis Rn.

IV. Versagung der Restschuldbefreiung und die Konsequenzen der Versagung ......................................................................... 1. Hauptverfahren (§ 290 InsO) ........................................ a) Insolvenzstraftaten (§ 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ..... b) Unrichtige oder unvollständige Angaben (§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ....................................... c) Sperrfrist (§ 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO a. F.) .............. d) Begründung unangemessener Verbindlichkeiten und Vermögensverschwendung (§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO) ....................................... e) Verletzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten sowie Falschangaben (§ 290 Abs. 1 Nr. 5, 6 InsO) ................................... f) Erwerbsobliegenheit (§ 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO) ... g) Abführungspflicht (§ 295 Abs. 2 InsO) ................ 2. Restschuldbefreiungsphase (§§ 295 ff. InsO) ............... a) Versagung gemäß § 296 InsO ................................. b) Versagung gemäß § 297 InsO ................................. c) Versagung gemäß § 298 InsO ................................. 3. Nachträglicher Widerruf der Erteilung der Restschuldbefreiung ............................................................... 4. Schaubild Versagungsmöglichkeiten ..............................

Seite

1324 .... 322 1324 .... 322 1332 .... 325 1334 .... 325 1337 .... 326

1340 .... 326

1341 1345 1346 1347 1347 1356 1359

.... .... .... .... .... .... ....

327 327 328 328 328 329 330

1361 .... 330 1363 .... 331

V. Asymmetrische Verfahren ..................................................... 1364 .... 331 G. Insolvenzplanverfahren ........................................................ 1369 .... 333 I.

Insolvenzplan als Sanierungsmöglichkeit .............................. 1369 .... 333

II. Voraussetzungen des Planverfahrens .................................... 1. Schlechterstellungverbot ................................................ 2. Planvorlagerecht .............................................................. 3. Zeitpunkt der Planvorlage .............................................. 4. Ablauf eines Insolvenzplanverfahrens ........................... a) Überblick Ablauf ..................................................... b) Die Besonderheiten des Verfahrensablaufs ............ 5. Inhalt des Insolvenzplans ............................................... a) Vorbemerkung ......................................................... b) Gliederungsstruktur ................................................

1378 1378 1382 1384 1387 1387 1388 1400 1400 1401

.... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

335 335 335 336 337 337 337 340 340 340

III. Vergütungsrelevante Auswirkungen ..................................... 1423 .... 344 IV. Schlussrechnungslegung ......................................................... 1427 .... 345 V. Besonderheiten ....................................................................... 1428 .... 346 1. Anfechtungsansprüche im Insolvenzplanverfahren ...... 1428 .... 346 2. Deliktsforderungen im Insolvenzplan ........................... 1434 .... 347

XVI

Inhaltsverzeichnis Rn.

3. 4.

Seite

Vergessene Gläubiger ...................................................... 1437 .... 348 Besteuerung des Sanierungsgewinns .............................. 1440 .... 348

H. Eigenverwaltung .................................................................... 1450 .... 351 I.

Vorbemerkung ........................................................................ 1450 .... 351

II. Ablauf des Eigenverwaltungsverfahrens ............................... 1451 .... 351 III. Beendigung der Eigenverwaltung .......................................... 1458 .... 352 I.

Nachhaftung bei Stundung der Verfahrenskosten ........... 1460 .... 353

J.

Tod des Insolvenzschuldners ............................................... 1462 .... 355

I.

Vorbemerkungen .................................................................... 1462 .... 355

II. Tod des Schuldners im Eröffnungsverfahren ....................... 1463 .... 355 III. Tod des Schuldners im eröffneten Verfahren ....................... 1465 .... 355 IV. Tod des Schuldners in der Restschuldbefreiungsphase ........ 1468 .... 355 V. Tod des Schuldners nach Ablauf der Abtretungsfrist und vor Erteilung der Restschuldbefreiung .................................. 1470 .... 356 Stichwortverzeichnis ................................................................................... 357

XVII

Literaturverzeichnis Kommentare, Handbücher, Monographien Busch/Winkens/Büker Insolvenzrecht und Steuern visuell, 2. Aufl., 2014 Graeber/Graeber InsVV-Online Kommentar, 2019 Haarmeyer/Mock Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), 5. Aufl., 2014 Hess Insolvenzrecht, Großkommentar, 2. Aufl., 2013 Heyn/Kreuznacht/Voß Muster für eine Antragstellung siehe Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, 3. Aufl., 2014 Kahlert/Rühland Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl., 2011 Kübler/Prütting/Bork InsO – Kommentar zur Insolvenzordnung, Stand: März 2019 Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung herausgegeben von Kirchhof/Eidenmüller/Stürner, 3. Aufl., 2013/2014 (zit.: MünchKomm-InsO/Bearbeiter) Schmidt Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 7. Aufl., 2019 (zit.: HK-InsO/Bearbeiter) Stöber Forderungspfändung, 16. Aufl., 2013 Theiselmann Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 4. Aufl., 2019 Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung, 15. Aufl., 2019 Waza/Uhländer/Schmittmann Insolvenzen und Steuern, 12. Aufl., 2019 Wimmer Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 9. Aufl., 2018 (zit.: FK-InsO/Bearbeiter) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 8. Aufl., 2018

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XX

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XXI

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Kahlert/Schmidt Neues zu den steuerlichen Pflichten von Vermögensverwaltern, FR 2015, 596 Kemperdick Zum Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO, ZInsO 2013, 1116 Kloos Zur Standardisierung insolvenzrechtlicher Rechnungslegung, NZI 2009, 586 Langer/Bausch Die fortschreibende Rechnungslegung im Rahmen standardisierter Gutachten und Zwischenberichte, ZInsO 2011, 1287 Laroche Vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung trotz Stundung oder Verzicht auf Treuhänderbestellung -gangbare Wege zur Kostenreduktion in masse-und gläubigerlosen Insolvenzverfahren?!, ZInsO 2016, 144 Lorenz Die Verwertung von Urheberrechten, gewerblichen Schutzrechten und Domains, InsbürO 2018, 417 Nawroth/Steinbach Praktische Konsequenzen beim Zweitinsolvenzverfahren über die nach § 35 Abs. 2 InsO, ZInsO 2018, 700 Obermüller Das Pfändungsschutzkonto in der Insolvenz des Kontoinhabers, InsbürO 2013, 180 Olbing Gewerblichkeit des Anwalts und Einkommensteuerpflicht bei Zwangsverwaltung, AnwBl 2016, 33 Pape Erstattungsfähigkeit der Steuerberatungskosten bei Unverständnis der Finanzverwaltung, ZInsO 2004, 1049 Pohlner Die Durchführung einer Massenentlassungsanzeige, InsbürO 2013, 49 Riedel Fortgeltung von §§ 850 ff. ZPO-Beschlüssen in der Wohlverhaltensphase, InsbürO 2012, 168 Ries „Verfügung“ statt „Rechtshandlung“ in § 81 InsO oder – Der späte Triumph des Reichstagsabgeordneten Levin Goldschmidt, ZInsO 2005, 298 Schick Der Konkurs des Freiberuflers – Berufsrechtliche, konkursrechtliche und steuerrechtliche Aspekte, NJW 90, 2359 XXII

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XXIII

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Wipperfürth Qualitätssicherung durch den ForStaB (Fortgeschriebener Standardisierter Zwischenbericht) – Eine Zwischenbilanz im Interview mit Repräsentanten des AG, InsbürO 2014, 60 Wipperfürth Zahlungen an einen nachrangigen Grundschuldgläubiger - der Schornstein raucht, ZInsO 2014, 1264 Wipperfürth Nutzungsentschädigung für eine schuldnereigene Immobilie, InsbürO 2013, 88 Wipperfürth Das Erstgespräch – Vorbereitung und Durchführung, InsbürO 2012, 463 Wipperfürth Rote Karte auch für „Altfälle“? – zur Frage der Sperrfrist nach Einstellung des Erstverfahrens mangels Masse sowie ein Überblick über die „SperrfristRechtsprechung“, InsbürO 2012, 385 Wipperfürth „Mangelnde“ Verwertungsbefugnis vs. Freigabe – Befreit der Verwertungsausschluss des § 313 Abs. 3 InsO den Treuhänder von der Freigabeentscheidung?, InsbürO 2011, 418 Wipperfürth/Deppe Zwangssicherungshypothek, Insolvenzverfahren und der BGH – keine Pflicht zur Erteilung einer Löschungsbewilligung trotz Rückschlagsperre?, ZInsO 2016, 78 Wipperfürth/Schmittmann Das Grundstück im Insolvenzverfahren unter Berücksichtigung steuerlicher Bezüge – Teil 4, InsbürO 2019, 37 Wipperfürth/Schmittmann Insolvenzrechtliche Konsequenzen der Umwandlung einer gem. § 35 Abs. 2 InsO freigegebenen Selbstständigkeit in ein Nebengewerbe, ZInsO 2015, 2560 Wipperfürth/Schmittmann Grundbesitzabgaben im Insolvenzverfahren, InsbürO 2014, 382 Wischemeyer Freigabe einer selbständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO – Praxisfragen und Lösungswege, ZInsO 2009, 2121

XXIV

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte I. Vorüberlegung Wird über das Vermögen einer natürlichen Person ein Insolvenzverfahren er- 1 öffnet, kann dieses in der Form des Regelinsolvenzverfahrens (sog. „IN-Verfahren“) oder des Verbraucherinsolvenzverfahrens (sog. „IK-Verfahren“) geführt werden. Die Wahl der richtigen Verfahrensart steht dabei nicht im Ermessen der Beteiligten, sondern ist gesetzlich vorgegeben. Die maßgebliche Vorschrift ist § 304 InsO. Die gesetzlich vorgegebenen und von der Rechtsprechung weiterentwickelten Kriterien werden später noch im Einzelnen besprochen werden (o Kapitel B.IV.). Die Zielsetzung in beiden Verfahrensarten, die Erteilung der Restschuldbefreiung, ist nahezu ausnahmslos gleichgerichtet und unterscheidet sich in Abhängigkeit von der Frage, ob der Schuldner ein aktiv Selbstständiger ist und/oder ob die Vermögensverhältnisse überschaubar sind. Im Verfahrensablauf bestehen allerdings Unterschiede, auf die an den maßgeblichen Stellen ausführlich eingegangen werden wird. Einen ersten, weichenstellenden Überblick, welche Verfahrensart die richtige 2 ist, gibt nachfolgende Übersicht: Regelinsolvenzverfahren

Verbraucherinsolvenzverfahren

Aktiv Selbstständige/Freiberufler*

Verbraucher („Privatpersonen“)*

Ehemals Selbstständige/Freiberufler mit nicht überschaubaren Vermögensverhältnissen*

Ehemals Selbstständige/Freiberufler mit überschaubaren Vermögensverhältnissen*

* z. Zt. der Antragstellung

Nach Inkrafttreten des Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur 3 Stärkung der Gläubigerrechte,1) welches ab Eröffnung des Hauptverfahrens einen nahezu Gleichlauf in der Abwicklung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer natürlichen Person definiert, zeigen erste Erfahrungswerte, dass sich zwischen einem Regel- und einem Verbraucherinsolvenzverfahren ab dem Eröffnungsstichtag keine gravierenden Unterschiede mehr ergeben. II. Ziele des Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen natürlicher Personen 1. Gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung Als primäres Ziel des Insolvenzverfahrens definiert § 1 InsO die gemeinschaft- 4 liche und bestmögliche Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners. Dies bedeutet, dass das Vermögen, welches zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens als Haftungsmasse vorhanden ist, im Insolvenzverfahren an alle ___________ 1)

Vom 15.7.2013, verkündet am 18.7.2013, BGBl I, 2379 ff.

1

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

Gläubiger gleichmäßig im Verhältnis ihrer Forderungen verteilt wird (par conditio creditorum). Die Befriedigung der ungesicherten Insolvenzgläubiger vollzieht sich regelmäßig in Form einer sog. Quotenzahlung am Ende des Verfahrens sowie von evtl. weiteren Ausschüttungen in der sog. Wohlverhaltensphase (Restschuldbefreiungsverfahren). Die zu diesem Zweck vorhandenen Gelder hat der Insolvenzverwalter zuvor im Wesentlichen aus der Verwertung des Haftvermögens oder auch durch Fortführung einer selbstständigen Tätigkeit erwirtschaftet. 5 Gleichzeitig ist den Insolvenzgläubigern untersagt, Befriedigung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung zu suchen (vgl. §§ 89, 294 InsO). 2. Restschuldbefreiung 6 Im Insolvenzverfahren werden neben den Gläubigerinteressen auch die des Schuldners berücksichtigt (vgl. § 1 Satz 2 InsO). Soweit sich der Schuldner redlich verhält, erhält er am Ende des gesamten Verfahrens die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs durch Erteilung der Restschuldbefreiung. Dies erfolgt regelmäßig nach Ablauf von sechs Jahren ab Eröffnung des Verfahrens, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen auch bereits nach fünf oder drei Jahren oder noch vorzeitiger erreicht werden (vgl. § 300 InsO). 3. Sanierung 7 Ist der Schuldner selbstständig oder freiberuflich tätig, ist es Aufgabe des Insolvenzverwalters, auch die Fortführungs- und Sanierungsfähigkeit des schuldnerischen Betriebs zu prüfen. Die Sanierung unter Erhalt des Unternehmens ist kein originär definiertes Ziel des Insolvenzverfahrens.2) Die in der Insolvenzordnung niedergelegten rechtlichen Bedingungen bieten jedoch einen geeigneten Rahmen, die bestmögliche Gläubigerbefriedigung auch durch Fortführung und/oder Sanierung eines Schuldnerbetriebs sicherzustellen. 4. Vermeidung berufsrechtlicher Konsequenzen 8 Bei Selbstständigen oder Freiberuflern ist der Eintritt einer wirtschaftlichen Krise nicht nur mit finanziellen Einschnitten, sondern u. U. auch mit berufsrechtlichen Konsequenzen verbunden. 9 Die Verhinderung von berufsrechtlichen Konsequenzen gehört zwar ebenfalls – der Definition nach – nicht zu den originären Zielen des Insolvenzverfahrens. Allerdings kann, werden solche berufsrechtlichen Konsequenzen verhindert bzw. deren Gefahren frühzeitig erkannt, auch hierdurch die Fortführung/Sanierung des schuldnerischen Unternehmens/Kanzlei- oder Praxisbetriebs zu einer besseren Gläubigerbefriedigungsquote führen als dessen Zer___________ 2)

2

Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 108 f.

II. Ziele des Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen natürlicher Personen

schlagung. Eine frühzeitige Weichenstellung ist dabei von grundlegender Notwendigkeit. Soweit ein Gewerbebetrieb geführt wird, liegen bei Eintritt der wirtschaft- 10 lichen Leistungsunfähigkeit regelmäßig die Voraussetzungen für eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO vor.3) § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. […]

Eine solche Gewerbeuntersagung ist gemäß § 12 GewO unzulässig nach der 11 Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. während der Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans (§ 260 InsO). Ist z. Zt. der Anordnung gemäß § 21 InsO (bzw. der Insolvenzeröffnung) der Untersagungsbeschlusses bereits zugegangen, tritt die Sperrwirkung des § 12 GewO nicht ein.4) Eine (erweiterte) Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewO 12 kann maßgeblich (allein) auf die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden – z. B. aufgrund von Steuerschulden bzw. Beitragsrückständen – sowie auf die Nichterfüllung steuerlicher Erklärungspflichten gestützt werden.5) Einer die Unzuverlässigkeit begründende Überschuldung steht weder die Einleitung oder die wegen Masseunzulänglichkeit erfolgte Einstellung des Insolvenzverfahrens entgegen noch wird sie durch eine vom Insolvenzverwalter abgegebene Freigabeerklärung (wieder) beseitigt.6) Die Gewerbeuntersagung ist auch dann noch unverhältnismäßig, wenn der Betroffene ohne die Einnahmen aus dem Gewerbe dann auf Sozialhilfe angewiesen sein sollte.7) Das öffentliche Interesse am Ausschluss unzuverlässiger Personen vom selbstständigen Betrieb eines Gewerbes geht dem Interesse an der Vermeidung einer solchen Hilfsbedürftigkeit vor.8) Der in der Unzuverlässigkeit der Person begründeten Rechtfertigung für eine Gewerbeuntersagung kann nur durch Vorlage eines fundierten Sanierungskonzepts entgegengesteuert ___________ 3) 4)

5) 6) 7) 8)

BayVGH, Urt. v. 27.1.2014 – 22 BV 13.260, ZInsO 2014, 725; BVerG, Urt. v. 5.8.1965 – I C 69.62, BVerGE 22, 16. BayVGH, Urt. v. 27.1.2014 – 22 BV 13.260, ZInsO 2014, 725; siehe hierzu OVG, NRW, Urt. v. 12.4.2011 – 4 A 1449/08, ZVI 2011, 382, das dagegen annimmt, dass die Vollstreckung der Gewerbeuntersagung nach Anordnung der Sicherungsmaßnahmen bzw. im eröffneten Verfahren nicht mehr zulässig sei. VG Saarlouis, Urt. v. 22.8.2018 – 1 K 770/18, ZInsO 2018, 2258 ff., im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 15.4.2015 – 8 C 6.14, ZInsO 2015, 162. VG Saarlouis, v. 22.8.2018, a. a. O. VG Saarlouis, v. 22.8.2018, a. a. O. VG Saarlouis, v. 22.8.2018, a. a. O. (m. w. N.).

3

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

werden. Erst dann sind die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Wiedergestattung tendenziell positiv. Ist der Schuldnerbetrieb sanierungsfähig und ist dies bereits anfänglich absehbar, ist eine frühzeitige Weichenstellung auch hier unerlässlich. 13 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gewerbetreibenden führt nicht zur Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens über eine Gewerbeuntersagung.9) Der für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO maßgebliche Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung gilt auch für den Anwendungsbereich des § 12 Satz 1 GewO.10) Daher bewirkt ein erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eröffnetes Insolvenzverfahren nicht die Rechtswidrigkeit einer Gewerbeuntersagung wegen einer auf ungeordneten Vermögensverhältnissen beruhenden Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden.11) 14 Ein Freiberufler ist regelmäßig nicht Gewerbetreibender, sodass § 35 GewO nicht verfängt. Handelt es sich um eine freiberufliche Tätigkeit, die einhergeht mit der Verwaltung von Fremdgeldern (z. B. Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater), droht regelmäßig ein von der Berufskammer auszusprechender Widerruf der Zulassung zur Berufsausübung. 15 Welche Berufe unter den Terminus der Freiberufler zu fassen sind, ist abschließend nicht eindeutig definiert. Es handelt es sich um ein „soziologisches Ordnungsschema“.12) 16 Einen Anhaltspunkt bietet § 18 EStG mit der steuerrechtlichen Zuordnung der sog. freien „Katalogberufe“. Zur Abgrenzung der freien Berufe von Gewerbetreibenden mag der nachfolgende Punktekatalog eine Einordnung erleichtern. 17 Voraussetzungen für die Zuordnung zu einer freiberuflichen Tätigkeit: x

natürliche Person,

x

selbständige wirtschaftliche Tätigkeit,

x

persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Dienstleistungserbringung (kein Handeltreiben oder keine Massenproduktion),

x

kammergebundene oder kammerungebundene Berufe,

x

wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende, erzieherische oder ähnlich gelagerte Tätigkeiten,

x

besondere berufliche Qualifikation oder schöpferische Begabung,

___________ 9) 10) 11) 12)

4

BVerwG, Urt. v. 15.4.2015 – 8 C 6.14, ZInsO 2015, 162 = KTS 2016, 77 m. Anm. Kment. BVerwG, Urt. v. 15.4.2015, a. a. O. BVerwG, Urt. v. 15.4.2015, a. a. O. Schick, NJW 1990, 2359 ff.

II. Ziele des Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen natürlicher Personen

x

Anhaltspunkte § 18 EStG (enumerativer Katalog) und § 1 PartGG,

x

kein Gewerbebetrieb nach der Gewerbeordnung (GewO),

x

keine Weisungsgebundenheit (vgl. § 106 GewO; Abgrenzung „Scheinselbstständigkeit“).

Eine freiberufliche Tätigkeit ist in jedem Fall bei folgenden Berufsgruppen 18 gegeben: x

rechts-, steuer- oder wirtschaftsberatende Tätigkeit (z. B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer),

x

Heilberufe (z. B. Ärzte, Heilpraktiker, Dipl.-Psychologen, Krankengymnasten, Hebammen),

x

Berufe in der Informationsvermittlung/Kultur (z. B. Journalisten, Dolmetscher, Künstler, Schriftsteller, Designer, Dozenten),

x

naturwissenschaftliche/technische Berufe (z. B. Ingenieure, Architekten, hauptberufliche Sachverständige),

x

Apotheker.13)

Gerät ein Freiberufler infolge der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit in den 19 sog. „Vermögensverfall“ und ist er im Rahmen seiner beruflichen Praxis mit der Verwaltung von Fremdgeldern betraut, droht ein Widerruf der Zulassung durch die zuständige Berufskammer. Grund des Widerrufs ist der Schutz der Fremdgelder, da durch den Vermögensverfall die Gefahr besteht, dass der Berufsträger seine Aufgaben diesbezüglich nicht mehr mit der notwendigen Sorgfalt ausübt. Ein Widerrufsverfahren ist für folgende Berufsgruppen gesetzlich vorgesehen 20 (beispielhaft): Notare Ist ein Notar in Vermögensverfall geraten, ist er gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 21 BNotO seines Amtes zu entheben. Ein Vermögensverfall wird gesetzlich vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Notars eröffnet ist (§ 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO a. E.). Der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit bedarf es nicht, wenn die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO gegeben sind.14) Gefährden seine wirtschaftlichen Verhältnisse, die Art seiner ___________ 13) BVerfG, Urt. v. 13.2.1964 – 1 BvL 17/61 u. 1 BvR 494/60 u. 1 BvR 128/61, BVerfGE 17, 232 = NJW 1964, 1067. 14) BGH, Beschl. v. 20.3.2000 – NotZ 19/99, NJW 2000, 2359; hierzu ausf. auch Schmittmann, ZInsO 2006, 419 sowie zu Amtsenthebungsverfahren i. Ü. BGH, Beschl. v. 20.11.2000 – NotZ 99/00, DNotZ 2001, 571; BGH, Beschl. v. 3.11.2003 – NotZ 15/03, NZI 2004, 520 (Ls.); BGH, Beschl. v. 17.11.2008 – NotZ 130/07, ZIP 2009, 675; BGH, Beschl. v. 15.11.2010 – NotZ 6/10, ZIP 2011, 284.

5

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

Wirtschaftsführung oder Durchführung von Verwahrungsgeschäften die Interessen der Rechtsuchenden, ist dies als Amtsenthebungsgrund ausreichend. 22 Die Vermutung des Vermögensverfalls wird nicht dadurch widerlegt, dass durch einen Beschluss der Gläubigerversammlung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über „die vorläufige Fortführung des Notariats“ beschlossen und der Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung und Vorlage eines Insolvenzplans beauftragt wird.15) 23 Entkräftet wird diese Vermutung vielmehr erst durch Vorlage eines Insolvenzplans, der eine realistische und greifbare Möglichkeit darstellt, die Verbindlichkeiten umfassend mit der Aussicht auf Erteilung der Restschuldbefreiung zu regeln.16) Rechtsanwalt 24 Der Zulassungswiderruf wegen Vermögensverfalls für einen Rechtsanwalt ist geregelt in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, wenn durch den Vermögensverfall die Interessen der Ratssuchenden gefährdet sind. 25 Ist ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder ist er in das vom Insolvenz- oder Vollstreckungsgericht geführte Vermögensverzeichnis eingetragen, wird ein solcher Vermögensverfall gesetzlich vermutet. 26 Der Übergang der Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter (vgl. § 80 Abs. 1 InsO) führt nicht dazu, dass die Vermögensverhältnisse des Rechtsanwalts bereits deshalb wieder als „geordnet" anzusehen wären.17) 27 Der durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anzunehmende Vermögensverfall eines Rechtsanwalts ist in nach dem 30.6.2014 beantragten Verfahren durch den Beschluss der Ankündigung der Restschuldbefreiung gemäß § 287a Abs. 1 InsO noch nicht überwunden.18) Wird über das Vermögen eines Anwalts das Insolvenzverfahren eröffnet, ist die damit nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO verbunden gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls (erst) dann widerlegt bzw. die Vermögensverhältnisse wieder als geordnet anzusehen, wenn dem Schuldner entweder – nach der bis zum 31.6.2014 geltenden Rechtslage – am Ende des Insolvenzverfahrens durch Beschluss des Insolvenzgerichts die Restschuldbefreiung angekündigt wurde (§ 291 InsO a. F.) oder ein vom Insolvenzgericht bestätigter Insolvenzplan (§ 248 InsO) oder angenommener Schuldenbereinigungsplan (§ 308 InsO) vorliegt, bei dessen

___________ 15) 16) 17) 18)

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BGH, Beschl. v. 22.3.2004 – NotZ 23/03, ZIP 2004, 1006. BGH, Beschl. v. 20.11.2006 – NotZ 26/06, NJW 2007, 1287. BGH, Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511. BGH, Beschl. v. 29.12.2016 – AnwZ (Brfg) 53/16, Sachverhalt und Entscheidungsgründe in Auszügen InsbürO 2017, 161.

II. Ziele des Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen natürlicher Personen

Erfüllung der Schuldner von seinen übrigen Forderungen gegenüber den Gläubigern befreit wäre.19) Die Schwelle der potentiellen Gefährdung der Mandanteninteressen ist rela- 28 tiv niedrig anzusiedeln. So ist alleine die Stellung eines Antrags auf Erteilung der Restschuldbefreiung für sich genommen nicht geeignet, um die Ordnung der Vermögensverhältnisse zu belegen.20) Auch die Anstellung eines in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts in einer Einzelkanzlei vermag eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch arbeitsvertragliche Beschränkungen der Befugnisse des angestellten Rechtsanwalts nicht auszuschließen, weil deren Einhaltung in einer Einzelkanzlei nicht zuverlässig sichergestellt werden kann.21) Wird der Anwalt in einer Sozietät angestellt, droht kein Zulassungswiderruf, sofern er nicht verantwortlich Fremdgelder verwaltet und so die Interessen der Mandantschaft potentiell gefährdet. Ein Wiederzulassungsantrag ist möglich, wenn die Vermögensverhältnisse um- 29 fassend belegt und offen gelegt werden; zudem ist insbesondere ein Vortrag erforderlich hinsichtlich der bestehenden Forderungen und der konkreten Tilgungspläne.22) Die Vermögensverhältnisse können grundsätzlich erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens, mit welcher der Schuldner das Recht zurückerhält, über die vormalige Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO), und mit der Ankündigung der Restschuldbefreiung (§ 291 Abs. 1 InsO i. d. F. bis zum 30.6.2014) wieder als geordnet angesehen werden.23) In einer weiteren Entscheidung hat der Senat bereits im Jahr 2013 ausgeführt, dass die Beendigung eines Zwangsversteigerungs-/Zwangsverwaltungsverfahrens und die Löschung eines Haftbefehls nicht ausreichend sind; Voraussetzung für die erneute Wiederzulassung sei ein konkreter Vortrag, ob die Forderungen zwischenzeitlich getilgt worden sind oder in welcher Weise sie getilgt werden.24) Ähnliche Kriterien wie für das Amt des Notars oder den Beruf des Rechts- 30 anwalts sind auch für Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Patentanwälte anzulegen: Wirtschaftsprüfer Für Wirtschaftsprüfer regelt § 20 Abs. 5 WPO, dass die Zulassung zu wider- 31 rufen ist, wenn der Wirtschaftsprüfer sich nicht in geordneten Vermögensverhältnissen befindet, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber oder anderer Personen nicht gefährdet werden. ___________ 19) BGH, Beschl. v. 21.2.2018 – AnwZ (Brfg) 72/17, ZInsO 2018, 868; st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 29.12.2016 – AnwZ [Brfg] 53/16, ZInsO 2017, 650. 20) BGH, Beschl. v. 13.4.2000 – AnwZ (B) 28/99, ZIP 2000, 1018. 21) BGH, Beschl. v. 5.12.2005 – AnwZ (B)13/05, DB 2006, 725. 22) BGH, Urt. v. 26.11.2012 – AnwZ (Brfg) 53/11, openJur 2013, 2258; BGH, Beschl. v. 3.9.2013 – AnwZ (Brfg) 23/09, JurionRS 2013, 46332. 23) BGH, Beschl. v. 7.12.2004 – AnwZ (B) 40/04, NJW 2005, 1271. 24) BGH, Beschl. v. 4.2.2013 – AnwZ (B) 62/12, ZfIR 2013, 249.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

Steuerberater 32 Die Zulassung eines Steuerberaters ist wegen Vermögensverfalls zu widerrufen. Ein Vermögensverfall wird gesetzlich vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters eröffnet ist oder er in das vom Insolvenz- oder Vollstreckungsgericht geführte Vermögensverzeichnis eingetragen ist (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG). Allein die Ankündigung eines Insolvenzplans ist nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls eines Steuerberaters zu widerlegen.25) Ein bloßer Nachweis von Vermögensgegenständen ist zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls eines Steuerberaters nicht ausreichend.26) Die Darlegungslast erstreckt sich nicht nur auf den Nachweis von tatsächlich vorhandenen Vermögenswerten, sondern auch darauf, dass diese tatsächlich zur Schuldentilgung eingesetzt werden können und sollen.27) Die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls ist unter Berücksichtigung der dem Steuerberater obliegenden Darlegung seiner Vermögensverhältnisse nicht widerlegt worden, wenn das Gericht nicht zweifelsfrei feststellen kann, dass der Steuerberater im Zeitpunkt der Entscheidung wieder in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.28) Patentanwalt 33 Gegen den Patentanwalt ist ebenfalls ein Zulassungswiderruf wegen Vermögensverfalls auszusprechen. Auch hier wird ein solcher gesetzlich vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Patentanwalts eröffnet ist oder er in das vom Insolvenz- oder Vollstreckungsgericht geführte Vermögensverzeichnis eingetragen ist (§ 21 Abs. 2 Nr. 8 PatAnwO). Architekt 34 Beim Berufsstand des Architekten sind die jeweilige Landesgesetzgebung sowie die korrespondierende Judikatur zu beachten, wenn es um die Frage der Streichung von der Architektenliste wegen Vermögensverfalls geht. Dies ist nach den einschlägigen landesgesetzlichen Regelungen zu beurteilen. Durch die Streichung aus der Liste verliert der Architekt sowohl das Recht zur Führung der Berufsbezeichnung als auch das Bauvorlagerecht (vgl. z. B. § 70 Abs. 3 Nr. 1 BauO NRW). 35 Aus der Rechtsprechung seien beispielhaft erwähnt: x

Die Eröffnung des Konkursverfahrens lässt auf Unzuverlässigkeit des Architekten schließen.29)

___________ 25) 26) 27) 28) 29)

8

BFH, Urt. v. 18.12.2013 – VII B 40/13, BFH/NV 2014, 732. BFH, Urt. v. 30.3.2015 – VII B 3/15, BFH/NV 2015, 863. BFH, Urt. v. 30.3.2015, a. a. O. BFH, Urt. v. 22.8.2017 – VII B 23/17, BFH/NV 2017, 1633. OVG Lüneburg, Urt. v. 26.1.1995, NVwZ-RR 96, 261.

II. Ziele des Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen natürlicher Personen

x

Die Eröffnung des Konkursverfahrens lässt typischerweise ohne Hinzutreten weiterer Umstände die Eignung für den Architektenberuf entfallen.30)

x

Die zweimalige Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch einen Architekten führt zur Löschung aus der Architektenliste wegen Vermögensverfalls.31)

x

Der Vermögensverfall eines Architekten indiziert dessen mangelnde Zuverlässigkeit für den Architektenberuf.32)

Soweit die freiberufliche Tätigkeit der Gruppe der sog. Heilberufe zuzuordnen 36 ist, gelten die vorbeschriebenen Grundsätze zum Zulassungswiderruf wegen Vermögensverfalls grundsätzlich nicht, da alleine hierdurch die Patienteninteressen nicht gefährdet sind. Einen besonderen Einzelfall entscheid das Bundesverfassungsgericht im Jahr 37 2016: Ein Zahnarzt, der wegen Insolvenzverschleppung, Subventionsbetrugs und Betrugs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, genießt nicht mehr das für die Ausübung seines Berufs als Zahnarzt unabdingbar nötige Ansehen und Vertrauen.33) Der Zahnarzt war neben der freiberuflichen Tätigkeit auch Geschäftsführer einer GmbH, welche den Zahntechnikvertrieb zum Geschäftszweck hatte. Als Geschäftsführer dieser GmbH war er u. a. wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1, 4 InsO verurteilt worden. Das Bundesverfassungsgericht betonte jedoch die Notwendigkeit der Einzelfallbetrachtung. Zur Begründung eines Approbationswiderrufs muss der Betroffene ein schwerwiegendes Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Zahnarztes nicht zu vereinbaren ist.34) Der für die Annahme der Unwürdigkeit erforderliche Ansehens- und Vertrauensverlust kann – im Einzelfall – auch durch Straftaten bewirkt werden, die nicht im Arzt-Patienten-Verhältnis angesiedelt sind oder die ein außerberufliches Fehlverhalten betreffen.35) Für diese Berufsgruppen gestaltet sich die Fortführung des Praxisbetriebs im 38 Insolvenzverfahren regelmäßig schwierig, da der Insolvenzverwalter angesichts des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch über die notwendige Approbation verfügen müsste.

___________ 30) VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 8.3.1989, NVwZ-RR 90, 304. 31) VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 17.5.2006 – 9 S 2538/05, BauR 2006, 1798 (Ls.). 32) St. Rspr., zuletzt OVG Niedersachen, Beschl. v. 13.11.2006 – 8 ME 146/06, openJur 2012, 45047und Beschl. v. 29.7.2011 – 8 ME 36/11, openJur 2012, 52114. 33) BVerwG, Beschl. v. 16.2.2016 – 3 B 68.14, ZInsO 2016, 795. 34) BVerwG, Beschl. v. 16.2.2016, a. a. O. 35) BVerwG, Beschl. v. 16.2.2016, a. a. O.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

III. Ziele des Verbraucherinsolvenzverfahrens 1. Gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung 39 Das primäre Ziel auch im Verbraucherinsolvenzverfahren ist die gemeinschaftliche, bestmögliche Gläubigerbefriedigung (o Rn. 3 f.). 2. Restschuldbefreiung 40 In einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person (Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahren) ist auch der Neustart des Schuldners durch Erlangung der Restschuldbefreiung ein deklariertes Ziel, insbesondere aus der Sicht des Schuldners. IV. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren 1. Insolvenzschuldner 41 Schuldner im insolvenzrechtlichen Sinne ist die – in dem Fall – natürliche Person, gegen die sich der Insolvenzantrag richtet bzw. die den Antrag mit dem Ziel der Erteilung der Restschulbefreiung selbst gestellt hat. Als Haftungsmasse steht für die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger im Insolvenzverfahren grds. das Vermögen zur Verfügung, welches dem Schuldner zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung gehört und welches er während des Hauptverfahrens neu erwirbt, jeweils beschränkt auf die pfändbaren Vermögenswerte (§§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO). Über diese Haftungsmasse verliert der Insolvenzschuldner mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis; diese geht auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Soweit es sich um unpfändbares Vermögen handelt, berührt die Verfahrenseröffnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht. 42 Natürliche Personen sind insolvenzfähig i. S. v. § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO. Praxistipp: Das Insolvenzverfahren kann auch über das Vermögen juristischer Personen (z. B. GmbH), Personengesellschaften (z. B. OHG, KG), Vereine oder Sondermassen (z. B. den Nachlass eines Verstorbenen) eröffnet werden (vgl. § 11 InsO). Diese Insolvenzverfahren sind jedoch nicht Thema dieses Werkes.

43 Die Insolvenzfähigkeit wird durch die Anordnung einer gesetzlichen Betreuung (§ 1896 ff. BGB) nicht berührt. Steht der Schuldner unter gesetzlicher Betreuung, stellt sich die Frage, wer (der Schuldner oder der Betreuer) im Insolvenzverfahren wirksam Erklärungen abgeben und sonstige Verfahrenshandlungen vornehmen kann und wer richtiger Bekanntgabe-/Zustelladressat ist. Die Beantwortung dieser Fragen leitet sich auf das Verfahrensfähigkeit (nicht der Insolvenzfähigkeit) her. Über § 4 InsO finden diesbezüglich die Grundätze der §§ 51 ff. ZPO zur Prozessfähigkeit Anwendung. Verfahrens10

IV. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

fähig ist demnach jeder, der geschäftsfähig ist. Die gesetzliche Betreuung hat keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit des betreuten Schuldners, es sei denn, es ist ein Einwilligungsvorbehalt gemäß § 1903 BGB angeordnet. Zwar ist der Betreuer gesetzlicher Vertreter in dem ihm übertragenen Aufgabenkreis (§ 1902 BGB); der Betreute (Schuldner) bleibt aber handlungs- und geschäftsfähig. Der betreute Schuldner verliert seine Verfahrensfähigkeit (trotz evtl. vorhan- 44 dener Geschäftsfähigkeit), wenn der Betreuer, dem der Aufgabenkreis der Vermögenssorge zugeschrieben ist, dem Verfahren beitritt (§ 4 InsO i. V. m. § 53 ZPO).36) In diesem Fall sind die Verfahrenshandlungen im weiteren Verlauf vom Betreuer auszuüben.37) Gleichermaßen sind die Zustellungen an diesen vorzunehmen. Soweit kein Beitritt erfolgt und der Betreute verfahrensfähig ist, ist an diesen zuzustellen. Praxistipp: Der Aufgabenkreis des Betreuers ergibt sich aus der Bestallungsurkunde. Für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens ist die Betreuung nur von Bedeutung, wenn der Aufgabenkreis auch die Vermögenssorge umfasst. Tritt der Betreuer in dem Fall dem Verfahren bei (§ 53 ZPO), verliert der Schuldner seine Verfahrensfähigkeit. Ist hinsichtlich der Vermögenssorge ein Einwilligungsvorbehalt gemäß § 1903 BGB angeordnet, ist der betreute Schuldner insoweit nicht verfahrensfähig, d. h., dass sämtliche Prozesshandlungen und Erklärungen vom Betreuer vorzunehmen sind.

Soweit Informationen für das Insolvenzverfahren erheblich sind, ist der Schuld- 45 ner zur Auskunftserteilung und Mitwirkung verpflichtet (§ 97 InsO). Dies gilt bereits im Stadium des Eröffnungsverfahrens (§§ 20, 97 ff. InsO). Soweit der Insolvenzschuldner diesen Pflichten nicht nachkommt, kann die Auskunftserteilung (Eskalationsstufen folgend), zwangsweise gerichtlich herbeigeführt werden. Zudem drohen dem Schuldner die Versagung der Restschuldbefreiung (§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO) oder die Aufhebung der Verfahrenskostenstundung, sofern diese bereits bewilligt wurde (§ 4c Nr. 1 InsO). 2. Insolvenzgläubiger Unter dem Begriff der Insolvenzgläubiger versteht man alle Gläubiger, die zum 46 Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten persönlichen Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO). Diese Gläubiger können Befriedigung aus der Insolvenzmasse erlangen. Die Forderung der Gläubiger muss z. Zt. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen ___________ 36) BGH, Beschl. v. 24.6.1987 – IVb ZR 5/86, Rpfleger1987, 415; LG Hamburg, Beschl. v. 7.7.2008 – 326 T 16/08, ZInsO 2008, 1034. 37) Str. hinsichtlich der höchstpersönlichen Erklärungen; vgl. hierzu instruktiv Beth, ZInsO 2012, 316.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

den Schuldner begründet sein; auf die Fälligkeit kommt es nicht an, denn nicht fällige Forderungen gelten über § 41 InsO als fällig. 47 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens findet auch aus Gläubigersicht eine Zäsur statt: Die Gläubiger könnten ihre Forderungen nicht mehr gegen den Schuldner unmittelbar durchsetzen, sondern sind auf die von nun ab alleinig haftende Insolvenzmasse verwiesen. Die Geltendmachung erfolgt ab Eröffnung ausschließlich nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung (§ 87 InsO). Ausfluss dessen ist auch das ab Eröffnung geltende Verbot, eine Beitreibung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung zu verfolgen (§ 89 InsO). Den Gläubigern obliegt es vielmehr, wollen sie aus der Haftungsmasse Befriedigung erlangen, ihre Forderungen zur Insolvenztabelle geltend zu machen. Dies erfolgt nach einem festgelegten Verfahrensablauf, auf den im Kapitel Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle detailliert eingegangen wird (o Kapitel D.VIII.). Wurde die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung als begründet anerkannt, erhalten die Gläubiger am Ende des Verfahrens auf der Grundlage eines vom Insolvenzverwalter zu erstellenden Schlussverzeichnisses eine quotale Befriedigung auf ihre Forderung aus der Insolvenzmasse (Insolvenzquote o Kapitel D.XIV.), soweit die Masse hierfür ausreicht. In dieser quotalen Befriedigung der Gläubiger aus der insgesamt zur Verfügung stehenden Masse ist erneut der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung deutlich erkennbar. 48 Insolvenzgläubiger haben die Möglichkeit, auf diesem Wege am Insolvenzverfahren teilzunehmen mit der Aussicht, am Ende des Verfahrens eine (meist nur teilweise) Befriedigung zu erlangen. Eine Pflicht, die Forderungen geltend zu machen, besteht indes nicht. Die Teilnahme ist eine individuelle Entscheidung eines jeden Gläubigers; „erzwungen“ werden kann diese nicht. 49 In Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen steht im Regelfall die Restschuldbefreiung als das aus Schuldnersicht zu erreichende Verfahrensziel. Dies bedeutet für die Insolvenzgläubiger, dass sie den Teil der Forderung, mit dem sie nach den im Insolvenzverfahren vorgenommenen Verteilungen ausfallen, nach Erteilung der Restschuldbefreiung nicht mehr gegen den Schuldner durchsetzen können (§ 301 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Forderungen wandeln sich in Naturalobligationen und können zwar noch erfüllt werden, die Erfüllung ist aber nicht mehr zwangsweise durchsetzbar (sog. „unvollkommene Forderungen“). 50 Die Restschuldbefreiung gilt auch für und gegen die Gläubiger, die ihre Forderungen verspätet zur Insolvenztabelle angemeldet und daher nicht mehr an der Schlussverteilung partizipiert haben. 51 Verzichtet der Gläubiger gänzlich auf eine Teilnahme am Insolvenzverfahren, besteht in Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen mit dem Ziel der Erteilung der Restschuldbefreiung, dass diese auch gegen Gläubiger wirkt, die ihre Forderungen nicht zum Verfahren angemeldet haben

12

IV. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

(§ 301 Abs. 1 Satz 2 InsO).38) Auf eine Teilnahme am Insolvenzverfahren zu verzichten, um später, nach dem Verfahren die Forderung weiter beizutreiben, ist in diesem Fall also keine Alternative mit Erfolgsaussicht. 3. Gläubiger nachrangiger Forderungen Für einige Forderungen bestimmt die Insolvenzordnung, dass diese nur nach 52 der vollständigen Befriedigung der nicht nachrangigen, ungesicherten Insolvenzforderungen Befriedigung erlangen dürfen. Den Katalog der sog. Nachrangforderungen/nachrangigen Insolvenzforderungen beschreibt § 39 InsO: x

Die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen und Säumniszuschläge auf Forderungen der Insolvenzgläubiger.

x

Die Kosten, die den einzelnen Insolvenzgläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren erwachsen.

x

Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten.

x

Forderungen auf eine unentgeltliche Leistung des Schuldners.

x

Nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen.

Die Nachranggläubiger dürfen ihre Forderungen ebenfalls nur nach den insol- 53 venzrechtlichen Bestimmungen geltend machen (§ 87 InsO).39) Auch für sie gilt das Vollstreckungsverbot des § 89 InsO. Die Forderungen nachrangiger Gläubiger sind nur anzumelden, soweit das 54 Insolvenzgericht besonders zur Anmeldung dieser Forderungen auffordert (§ 174 Abs. 3 InsO). 4. Absonderungsberechtigte Gläubiger Absonderungsberechtigte Gläubiger genießen aufgrund ihrer besonderen 55 Rechtsstellung ein Recht auf bevorzugte Befriedigung aus dem Verwertungserlös eines massezugehörigen Vermögenswertes. Der Kreis der Absonderungsberechtigten ist in §§ 49 ff. InsO (nicht abschließend) geregelt.40) Zur abgesonderten Befriedigung können sowohl Rechte an beweglichem Vermögen (Mobiliarsicherheiten) als auch Rechte an unbeweglichem Vermögen (Immobiliarsicherheiten) autorisieren. ___________ 38) Andernfalls würde die Idee der Restschuldbefreiung völlig ins Leere laufen. 39) MünchKomm-InsO/Ehricke, § 39 Rn. 7. 40) MünchKomm-InsO/Ganter, Vor §§ 49 bis 52 Rn. 13.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

56 Insbesondere sind folgende, zur Absonderung berechtigende Sicherheiten in der Praxis relevant: x

Immobiliarsicherheiten (§ 49 InsO), z. B. Grundschulden, Hypotheken, Schiffshypotheken,

x

Pfandrechte (§ 50 InsO), insbesondere rechtgeschäftliche Pfandrechte, Pfändungspfandrechte, gesetzliche Pfandrechte,

x

Sicherungseigentum/-übereignung (§ 51 Nr. 1 InsO),

x

Sicherungszession (§ 51 Nr. 1 InsO),

x

Rechte aus erweitertem/verlängertem Eigentumsvorbehalt (§ 51 Nr. 1 InsO),

x

Zurückbehaltungsrechte wegen Verwendungen auf eine massezugehörige Sache (§ 51 Nr. 2 InsO),

x

Zurückbehaltungsrechte nach dem HGB41) (§ 51 Nr. 3 InsO),

x

fiskalische Sicherungsrechte an zoll-/steuerpflichtigen Vermögensgegenständen (§ 51 Nr. 4 InsO).

57 Beispiel: Der spätere Insolvenzschuldner hat sich zweieinhalb Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen neuen Pkw angeschafft, konnte den Kaufpreis jedoch nicht in voller Höhe zahlen. Sein Freund K. Melle lieh ihm einen Betrag von 5.000 €. Als Sicherheit übereignete der Schuldner ihm das Fahrzeug, bis er den Darlehensbetrag zurückzahlen kann. Die Rückzahlung konnte der Schuldner aber bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht leisten, sodass Melle im Insolvenzverfahren ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus Sicherungsübereignung zusteht. 58 Aufgrund seines Rechts auf abgesonderte Befriedigung erhält der Gläubiger insoweit bevorzugt Befriedigung vor den Insolvenzgläubigern und ist nicht auf die Quotenzahlung verwiesen. Reicht der Erlös aus der Verwertung des Absonderungsgutes nicht aus, um die gesicherte Forderung vollständig zu befriedigen, kann der Gläubiger den Forderungsbetrag, mit dem er ausgefallen ist, zur Insolvenztabelle geltend machen und insoweit eine weitere Befriedigungsmöglichkeit in Form der Quotenzahlung sicherstellen (§ 52 InsO). Gleiches gilt, soweit der Gläubiger auf das Absonderungsrecht verzichtet (§ 52 InsO). 59 Wie sich die Verwertung eines Absonderungsgutes und die entsprechende Erlösverteilung im Einzelnen darstellen, wird im Kapitel Aus- und Absonderungsrechte ausführlich besprochen werden (o Kapitel D.IV.4.). ___________ 41) Handelsgesetzbuch.

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IV. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

5. Aussonderungsberechtigte Von den Rechten, die zur abgesonderten Befriedigung berechtigen, sind sol- 60 che Rechte, die ein Recht auf Aussonderung begründen, zu unterscheiden. Merke: In der Praxis werden die Begriffe Aussonderungsrecht und Absonderungsrecht oftmals „in einem Atemzug“ verwendet. Aber: Aussonderungsrecht und Absonderungsrecht sind nicht vergleichbar und strikt voneinander abzugrenzen. Aussonderungsberechtigte sind keine Insolvenzgläubiger (§ 47 Satz 1 InsO). 61 Vielmehr können Sie zum Verfahren geltend machen, dass ein (in aller Regel im Besitz des Schuldners stehender) Gegenstand oder sonstiger Vermögenswert nicht zur Insolvenzmasse gehört. Die Insolvenzmasse (o Kapitel D.IV.1.) umfasst das dem Schuldner zum Zeit- 62 punkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehörende Vermögen sowie das Vermögen welches er während des Hauptverfahrens neu erwirbt, jeweils eingegrenzt auf die pfändbaren Vermögenswerte (§§ 35, 36 InsO). Wird nachgewiesen, dass ein Vermögensgegenstand weder rechtlich noch wirt- 63 schaftlich im Eigentum des Schuldners steht, kann der Berechtigte den Gegenstand herausverlangen. Die Zuordnung erfolgt grds. nach dinglichen Gesichtspunkten. Für schuldrechtliche Ansprüche kann dies zu einer vom dinglichen Recht abweichenden Vermögenszuordnung führen, wenn ein Treuhandverhältnis vorliegt, das nicht nur schuldrechtliche Beziehungen, sondern auch eine vollzogene dingliche Komponente aufweist.42) Dem Berechtigten steht ein Recht auf Aussonderung zu (§ 47 InsO). In der Verwalterpraxis von Bedeutung sind insbesondere folgende, zur Aus- 64 sonderung befähigende Rechte: x

Eigentum (vgl. § 985 BGB),

x

Mietkautionsanspruch, sofern keine Vermischung stattgefunden hat (vgl. hierzu § 551 BGB),43)

x

einfacher Eigentumsvorbehalt (§§ 929 Satz 1, 158 Abs. 1 BGB),

x

Erbschaftsansprüche (§ 2018 BGB).

Beispiel:

65

Der Schuldner fährt als Zweitwagen ein getuntes Leasingfahrzeug. Leasingfahrzeuge stehen nicht im Eigentum des Besitzers (= Schuldner), sondern im Eigen___________ 42) BGH Urt. v. 24.6.2003 – IX ZR 75/01, ZIP 2003, 1613. 43) BGH, Urt. v. 20.12.2007 – IX ZR 132/06, ZInsO 2008, 206.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

tum der Leasinggesellschaft, die im Insolvenzfall die Aussonderung des Fahrzeugs verlangen kann. Der geleaste Pkw unterliegt nicht dem Insolvenzbeschlag. 66 Führt der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Unternehmen unter Nutzung eines im Eigentum eines Dritten stehenden Gegenstands fort, muss er die hierfür zu entrichtende Miete, Leasingrate, Nutzungsentschädigung oder Pacht als Masseverbindlichkeit bestreiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 InsO; vgl. für gegenseitige Verträge auch § 103 InsO). 67 Wird das Unternehmen im Eröffnungsverfahren nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung fortgeführt, kann das Insolvenzgericht anordnen, dass solche grundsätzlich aussonderungsfähigen Gegenstände zur Fortführung eingesetzt werden dürfen, wenn sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 Halbs. 1 InsO). Eine solche Anordnung erfolgt regelmäßig nur auf Anregung des vorläufigen Insolvenzverwalters, der die erhebliche Bedeutung darzulegen hat. Der Nutzungsausfall ist in diesem Fall ebenfalls als Masseverbindlichkeit zu entrichten (§ 55 Abs. 2 InsO).44) Ein Anspruch auf Wertersatz besteht darüber hinaus nur, wenn die Nutzung über die vertragliche Abrede hinausgeht.45) 6. Dritte 68 Dritte sind grundsätzlich keine Verfahrensbeteiligten im engeren Sinne der Insolvenzordnung. Sie können je nach Fallgestaltung in das Verfahren einbezogen werden, wenn die Umstände dies gebieten, z. B. im Rahmen der Informationsbeschaffung, bei Leistung eines Verfahrenskostenvorschusses durch Dritte etc. 69 Soweit sich ein Vermögenswert, der im Eigentum eines Dritten steht, im Besitz des Schuldners befindet, kann jener die Aussonderung vom Insolvenzverwalter verlangen. Der Dritte ist dann Aussonderungsberechtigter. 7. Der Gutachter/Sachverständige 70 Das Insolvenzgericht ist vor einer Entscheidung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verpflichtet, festzustellen, ob die Voraussetzungen zur Eröffnung des Verfahrens vorliegen, insbesondere ob der vom Antragsteller vorgetragene Eröffnungsgrund gegeben ist und die Verfahrenskosten gedeckt sind bzw. die Voraussetzungen für eine Stundung der Verfahrenskosten vorliegen (ausschließlich natürlichen Personen eröffnete Möglichkeit, vgl. § 4a InsO) ist. 71 Nach Eingang eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt das Insolvenzgericht, insbesondere in Regelinsolvenzverfahren, soweit angezeigt auch in Verbraucherinsolvenzverfahren, zunächst einen Sachverständigen (Insolvenzgutachter). ___________ 44) BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZInsO 2012, 701. 45) BGH, Beschl. v. 8.3.2012, a. a. O.

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IV. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

Die Bestellung eines Sachverständigen ist Ausfluss des in § 5 Abs. 1 InsO 72 normierten Amtsermittlungsgrundsatzes und erfolgt durch Beweisbeschluss, der die vom Sachverständigen zu klärenden Fragestellungen definiert. Als Gutachter kommen in der Praxis meist Rechtsanwälte oder Steuerberater/ 73 Wirtschaftsprüfer in Betracht. Gesetzlich vorgeschrieben ist dies nicht; es ist daher auch zulässig, sachkundige Personen als Sachverständige zu bestellen, die nicht einer der genannten Professionen angehören. Im Rahmen seiner Befugnisse untersucht der Sachverständige die wirtschaft- 74 lichen Gegebenheiten des Schuldners. Die Ermittlungsergebnisse werden umfassend in dem einzureichenden Abschlussgutachten dargestellt. Auf der Basis dieses Gutachtens entscheidet das Gericht letztlich über die Insolvenzeröffnung. Sofern es gilt, Gegenstände die der künftigen Insolvenzmasse unterliegen, zu si- 75 chern, wird das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren Sicherungsmaßnahmen gemäß §§ 21 ff. InsO anordnen und einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, der diese Sicherung der Haftungsmasse gewährleistet. Die Anordnung kann gleichzeitig mit der Bestellung eines Sachverständigen einhergehen oder auch erst später – meist angeregt durch den Sachverständigen – erfolgen. Der Sachverständige selbst hat keine dahingehenden Sicherungsbefugnisse. Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist aber nicht zwingend. Liegen die Voraussetzungen für die Bestellung auch eines vorläufigen Insol- 76 venzverwalters vor, wird in einer ganz überwiegenden Zahl der Fälle die Person, welche (zunächst) als Sachverständiger beauftragt wurde, auch zum vorläufigen Insolvenzverwalter und später im Eröffnungsfall zum Insolvenzverwalter sowie zum Treuhänder in dem sich etwaig anschließenden Restschuldbefreiungsverfahren bestellt. Die Aufgabenkreise des Sachverständigen, des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und des Treuhänders sind unterschiedlich und voneinander zu trennen, auch wenn es sich um dieselbe Person handelt. Es besteht „Amtsverschiedenheit“. Auch bestehen für den Sachverständigen, den vorläufigen Insolvenzverwalter, den Insolvenzverwalter und den Treuhänder jeweils eigene Vergütungsansprüche (o Kapitel D.XIV.6). 8. Der vorläufige Insolvenzverwalter Soweit bereits beim Eingang des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfah- 77 rens oder im Eröffnungsverfahren durch den Sachverständigen Vermögen festgestellt wird, dass dem künftigen Insolvenzbeschlag unterliegen wird, gilt es, diese Haftungsmasse zu erhalten und zu sichern. Vor diesem Hintergrund ordnet das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen gemäß §§ 21 ff. InsO an. Eine der Anordnung fähige Sicherungsmaßnahme ist die Bestellung eines vor- 78 läufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO), dessen Aufgabe es ist, das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO).

17

A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

79 Das Gesetz unterscheidet zwei Arten von vorläufiger Insolvenzverwaltung, die neben weiteren Sicherungsmaßnahmen (o hierzu ausführlich Kapitel C.V.) angeordnet werden kann: den mit einer Zustimmungsbefugnis ausgestatten sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter und den mit voller Verwaltungs- und Verfügungskompetenz bedachten sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter. 9. Der Insolvenzverwalter 80 Liegen die Voraussetzungen für eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor, bestellt das Gericht im Eröffnungsbeschluss einen Insolvenzverwalter (§ 27 Abs. 1 InsO). Über seine Bestellung erhält der Insolvenzverwalter eine Bestellungsurkunde (§ 56 Abs. 2 InsO). Diese ist bei Beendigung des Amtes wieder zurückzugeben. 81 Die Gläubiger haben in der ersten Gläubigerversammlung das Recht, den zunächst zum Verwalter Berufenen im Amt zu bestätigen oder an dessen Stelle eine andere Person zu wählen (§ 57 InsO). Ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, ist dieser vor Bestellung des Verwalters anzuhören (§ 56a InsO). 82 Zum Insolvenzverwalter ist eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen (§ 56 Abs. 1 InsO). Die Auswahl hat das Gericht in Ausübung eines pflichtgemäßen Ermessens zu treffen.46) 83 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich der massebeschlagenen Vermögenswerte auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). In gleichem Umfang verliert der Schuldner das Recht, über die Gegenstände der Insolvenzmasse zu verfügen; eine dennoch getroffene Verfügung ist absolut unwirksam (§ 81 Abs. 1 Satz 1 InsO). Zur Sicherung der massezugehörigen Gegenstände kann der Insolvenzverwalter diese durch den Gerichtsvollzieher siegeln lassen (§ 150 InsO). 84 Das Aufgabenfeld des Insolvenzverwalters beschreibt sich im Wesentlichen durch: x

Inbesitznahme und Verwaltung der Insolvenzmasse (§ 148 InsO);

x

Erstellung eines Verzeichnisses der Massegegenstände (§ 151 InsO);

x

Erstellung eines Gläubigerverzeichnisses (§ 152 InsO);

x

Aufstellung einer Vermögensübersicht auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, in der die Gegenstände der Insolvenzmasse und

___________ 46) BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, ZIP 2006, 1355; hierzu Frind, ZInsO 2006, 729 sowie zu der Frage, ob es mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass juristische Personen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden können; BVerfG – 1 BvR 3102/13 (anh.).

18

IV. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

die Verbindlichkeiten des Schuldners aufgeführt und einander gegenübergestellt werden (§ 153 InsO); x

Verpflichtung zur handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung (§ 155 InsO, siehe auch § 34 AO);

x

Berichtserstattung gegenüber den Gläubigern (§ 156 InsO);

x

Verwertung der Massegegenstände unverzüglich nach dem Berichtstermin (§ 159 InsO);

x

Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen (§§ 129 ff. InsO);

x

Führung der Insolvenztabelle (§ 175 InsO);

x

Befriedigung der Insolvenzgläubiger auf der Grundlage eines Verteilungsverzeichnisses (§§ 187 Abs. 3 Satz 1, 188 InsO);

x

Pflicht zur Rechnungslegung gegenüber dem aufsichtführenden Insolvenzgericht (§§ 66, 57 InsO).

Für schuldhafte Pflichtverletzungen haftet der Insolvenzverwalter gegenüber 85 den Gläubigern (§ 60 InsO). Das Amt des Insolvenzverwalters endet mit Aufhebung oder Einstellung des 86 Insolvenzverfahrens. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und 87 zur Stärkung der Gläubigerrechte47) wurden die Aufgaben des Insolvenzverwalters in Verbraucherinsolvenzverfahren vom Treuhänder wahrgenommen (§ 313 InsO i. d. F. bis zum 30.6.2014). Die Rechtsstellung des Treuhänders in den bis zum 1.7.2014 beantragten vereinfachten Verfahren ist weitestgehend deckungsgleich mit der des Insolvenzverwalters. Wesentliche Unterschiede ergeben sich aus §§ 312, 313 InsO i. d. F. bis zum 30.6.2014 hinsichtlich der Verwertungseinschränkung für Absonderungsgut und des Auftragsvorbehalts bei der Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen. Praxistipp: In den bis zum 30.6.2014 beantragten Verbraucherinsolvenzverfahren steht das Recht zur Verwertung eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstands dem Gläubiger zu. Der Treuhänder (§ 313 InsO i. d. F. bis zum 30.6.2014) darf nur dann einen solchen Gegenstand verwerten, wenn der Gläubiger diese Verwertung innerhalb einer gerichtlich bestimmbaren Frist nicht vorgenommen hat (§ 173 Abs. 2 InsO). Ebenfalls ist der Treuhänder (§ 313 InsO i. d. F. bis zum 30.6.2014) in den bis zum 30.6.2014 beantragten Verbraucherinsolvenzverfahren nicht aus originärem Recht, sondern nur mit Auftrag der Gläubigerversammlung zur Insolvenzanfechtung berechtigt.

___________ 47) Vom 15.7.2013, verkündet am 18.7.2013, BGBl I, 2379 ff.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

88 In Verbraucherinsolvenzverfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 sind die vorbeschriebenen Einschränkungen mit Streichung der §§ 312 bis 314 InsO entfallen. 10. Der Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren, § 292 InsO 89 Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder der Einstellung nach § 211 InsO bestellt das Insolvenzgericht einen Treuhänder, auf den die pfändbaren Bezüge des Schuldners nach Maßgabe der Abtretungserklärung (§ 287 Abs. 2 InsO) übergehen (§ 288 InsO). 90 Das Amt des Treuhänders im Restschuldbefreiungsverfahren (auch Wohlverhaltensperiode/Wohlverhaltensphase genannt) ist vom Amt des Insolvenzverwalters zu unterscheiden. Zwar handelt es sich in einer überwiegenden Zahl der Verfahren um dieselbe Person, die jedoch in dem Zeitraum von Eröffnung bis zur Aufhebung/Einstellung des Verfahrens ein anderes Amt bekleidet als in der sich im Regelfall anschließenden Restschuldbefreiungs-/ Wohlverhaltensphase.48) 91 Die Pflichten und Befugnisse des Treuhänders im Restschuldbefreiungsverfahren ergeben sich aus § 292 InsO: x

Einzug und Verteilung des nach § 287 Abs. 2 InsO abgetretenen pfändbaren Einkommens bzw. der gemäß § 295 Abs. 2 InsO abgeführten fiktiv ermittelten Einkommensanteile49).

x

Entgegennahme und Verteilung der Hälfte des Vermögens, das der Schuldner von des von Todes wegen erwirbt oder welches er freiwillig zur Masse leistet.

x

Überwachung der Obliegenheiten bei entsprechendem Auftrag.

x

Rechnungslegung gegenüber dem Insolvenzgericht.

x

Ggf. Auskehr des „Motivationsrabattes“ an den Schuldner in den bis zum 30.6.2014 beantragten Verfahren (vgl. § 292 InsO i. d. F. bis zum 30.6.2014).

92 Bei Pflichtverstößen haftet der Treuhänder nach allgemeinem Zivilrecht (§ 280 BGB), mangels einer entsprechenden Verweisung nicht nach § 60 InsO analog.50) 11. Das Insolvenzgericht 93 Das Insolvenzgericht ist zuständig für die Durchführung der Insolvenzverfahren. ___________ 48) Ausnahme: asymmetrische Verfahren. 49) Siehe zur jährlichen Abführungspflicht BGH, Beschl. v. 19.7.2012 – IX ZB 188/09, ZInsO 2012, 1488. 50) HK-InsO/Streck, § 292 Rn. 14.

20

IV. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 2 Abs. 1 InsO für das Amtsge- 94 richt, in dessen Bezirk ein Landgericht seinen Sitz hat. Gemäß § 2 Abs. 2 InsO sind die Landesregierungen ermächtigt, die sachliche Zuständigkeit abweichend zu regeln. Örtlich zuständig ist gemäß § 3 InsO ausschließlich das Insolvenzgericht, in 95 dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt. Die funktionelle Zuständigkeit liegt gemäß § 3 Nr. 2 lit. e) RPflG beim 96 Rechtspfleger mit Ausnahme der in §§ 18, 19a RPflG beschriebenen Richtervorbehalte. Gemäß § 18 Abs. 2 RPflG hat der Richter zudem das Recht, sich das Insolvenzverfahren ganz oder teilweise vorzubehalten. Dem Insolvenzgericht obliegen insbesondere folgende Aufgaben:

97

x

Entscheidung über die Eröffnung oder Ablehnung des Insolvenzverfahrens,

x

Entscheidung über einen Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten,

x

Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß §§ 21 ff. InsO,

x

Bestellung des Insolvenzverwalters (§§ 27, 56 InsO),

x

Bestellung des Treuhänders (§ 288 InsO),

x

Terminbestimmungen (§ 29 InsO),

x

Vergütungsfestsetzungen (§§ 26a, 64 InsO),

x

Entscheidungen als besonderes Vollstreckungsgericht (vgl. z. B. § 36 Abs. 4 InsO),

x

Beaufsichtigung des Insolvenzverwalters (§ 58 InsO),

x

Eingangsentscheidung gemäß § 287a InsO,51)

x

Bestellung des Gläubigerausschusses (§ 67 InsO),

x

Durchführung des gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahrens in Verbraucherinsolvenzverfahren (§§ 306 ff. InsO).

12. Der (vorläufige) Gläubigerausschuss Der Gläubigerausschuss ist ein Vertretungsorgan der Gläubiger, welches von 98 der Gläubigerversammlung gewählt wird (§ 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO). Er repräsentiert die Gläubiger des Verfahrens und vertritt deren Interessen. ___________ 51) In Verbraucherinsolvenzverfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 Ankündigung der Restschuldbefreiung gemäß § 291 InsO a. F.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

99 Im eröffneten Verfahren kann das Insolvenzgericht ohne Mitwirkung der erst später stattfindenden Gläubigerversammlung einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn die Umstände des Verfahrens dies gebieten (§ 67 Abs. 1 InsO). Die Gläubigerversammlung entscheidet dann im Termin, ob der einberufene vorläufige Ausschuss beibehalten werden soll (§ 68 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO). 100 Damit der Gläubigerausschuss repräsentativ ist, legt § 67 Abs. 2 InsO fest, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen und die Kleingläubiger sowie ein Vertreter der Arbeitnehmer vertreten sein sollen. 101 Die Aufgaben des Gläubigerausschusses bestehen aus: x

Unterstützung und Überwachung des Insolvenzverwalters (§ 69 Satz 1 InsO);

x

Einsichtnahme in die Bücher und Geschäftspapiere(§ 69 Satz 2 InsO);

x

Prüfung des Geldverkehrs und -bestands (i. d. R. durch einen Kassenprüfer);

x

Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters (§ 160 InsO);

x

Entscheidung über eine Betriebsstilllegung (§ 158 InsO);

x

Entscheidung über die Verteilung der Masse (§ 187 Abs. 3 InsO);

x

Mitwirkung im Insolvenzplanverfahren (§ 218 InsO).

102 Mit Inkrafttreten des ESUG52) zum 1.3.2012 besteht die Möglichkeit, bereits im Eröffnungsverfahren einen Gläubigerausschuss einzusetzen (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a) InsO). Intention des Gesetzgebers war es, den Sanierungsgedanken unter Insolvenzschutz zu stärken und auszubauen. Den Gläubigern soll durch die Bestellung eines Gläubigerausschusses bereits im Eröffnungsverfahren die Möglichkeit eingeräumt werden, frühzeitigen Einfluss auf die Auswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, auf die Anordnung der Eigenverwaltung und auf die Bestellung des (vorläufigen) Sachwalters zu nehmen. Die Rechte der Gläubiger sollen hierdurch gestärkt werden. 103 Das Gesetz bezeichnet den im Antragsverfahren eingesetzten Ausschuss als „vorläufigen“ Gläubigerausschuss. Dies ist vom Grundsatz her eine stringente Lösung, insbesondere in Anlehnung an den Terminus des vorläufigen Insolvenzverwalters. Als „vorläufiger“ Gläubigerausschuss wurde bis dahin aber oftmals der gerichtlich nach Eröffnung, aber vor der ersten Gläubigerversammlung bestellte Ausschuss bezeichnet, da der „endgültige“ Ausschuss erst in ___________ 52) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 m. W. z. 1.3.2012, BGBl I, 2582.

22

IV. Verfahrensbeteiligte, Dritte und deren Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

der Versammlung durch die Gläubiger gewählt wird. Der Begriff des „vorläufigen Gläubigerausschusses“ ist also nicht eindeutig belegt. In der Praxis wird der vor Eröffnung bestellte Ausschuss auch der „vor-vorläufige“ oder „präsumtive“ Gläubigerausschuss genannt. In der Praxis ist die Zuordnung angesichts der sprachlichen Vieldeutigkeit nicht immer leicht. Im Eröffnungsverfahren unterscheidet das Gesetz zwischen dem sog. „Kann- 104 Ausschuss“, dem „Soll-Ausschuss“ und dem „Pflicht-Ausschuss“. Der „Pflicht-Ausschuss“ ist einzusetzen, wenn die in § 22a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 105 InsO festgelegten Schwellenwerte für Bilanzsumme, Umsatzerlöse und Arbeitnehmerzahl erreicht sind; andernfalls liegt die Einsetzungsentscheidung im Ermessen des Gerichts. Der „Soll-Ausschuss“ (oder „Antrags-Ausschuss“) soll auf Antrag eingesetzt 106 werden, wenn ein laufender Geschäftsbetrieb besteht oder nur einer der Schwellenwerte erreicht wird (§ 22a Abs. 2 InsO). Die Einsetzung eines „Kann-Ausschusses“ ist möglich, wenn die verfahrensbe- 107 dingten Umstände dies gebieten. Jedes Mitglied des Gläubigerausschusses wird für seine Tätigkeit besonders 108 vergütet und hat Anspruch auf Erstattung angemessener Auslagen (§ 73 InsO). Im Fall einer schuldhaften Pflichtverletzung haften die Mitglieder den Abson- 109 derungsberechtigten und den Insolvenzgläubigern gegenüber auf Schadensersatz (§ 71 InsO). 13. Der (vorläufige) Sachwalter Die Bestellung eines (vorläufigen) Sachwalters wird in sog. (vorläufigen) Ei- 110 genverwaltungsverfahren (o Kapitel H.) angeordnet. Mit dem Insolvenzverfahren unter Eigenverwaltung besteht für den Schuldner die Möglichkeit, unter „Insolvenzschutz“ sein Unternehmen zu sanieren, ohne dass ein Insolvenzverwalter bestellt wird, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergeht. Letztere verbleibt beim Schuldner (§§ 270 ff. InsO). In der Eigenverwaltung obliegt es dem gerichtlich bestellten Sachwalter, durch 111 Ausübung seiner Aufsichts- und Überwachungsfunktion die Gläubiger vor Schaden und nachteiligen Änderungen zu schützen. Ein Sachwalter kann erst mit Eröffnung des Verfahrens bestellt werden. Durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmungen 112 (ESUG)53) kann bereits im Eröffnungsverfahren für alle Verfahren, die seit dem 1.3.2012 beantragt werden eine „vorläufige Eigenverwaltung“ und damit ein vorläufiger Sachwalter bestellt werden (§§ 270a ff. InsO). ___________ 53) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 m. W. z. 1.3.2012, BGBl I, 2582.

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A. Verfahrensziel und Verfahrensbeteiligte

113 Die Befugnisse des (vorläufigen) Sachwalters sind im Verhältnis zu denen eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters weniger umfassend. 114 Der (vorläufige) Sachwalter hat einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit (vgl. § 12 InsVV). 14. Schuldnerberater/Schuldnerberatungsstelle 115 Der Schuldner kann sich im Insolvenzverfahren rechtlich beraten lassen. Die Rechtsberatung kann wegen der Gefahr der Interessenkollision nicht vom Insolvenzverwalter vorgenommen werden. Der Insolvenzverwalter ist ein amtlich bestellter Vermögensverwalter und nicht der „Anwalt des Schuldners“. 116 In Verbraucherinsolvenzverfahren ist – jedenfalls bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens – eine rechtliche Begleitung des Schuldners im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren der Regelfall. Gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist im Verbraucherinsolvenzverfahren eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Eröffnungsantrags, dass der Schuldner eine Bescheinigung vorlegt, die von einer geeigneten Person oder Stelle auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners ausgestellt ist und aus der sich ergibt, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolglos versucht worden ist. Eine solche geeignete Person oder Stelle können neben karitativen Einrichtungen auch solche sein, die kommerziell ausgerichtet sind oder Einzelpersonen, wenn sie jeweils die Anforderungen für die Anerkennung erfüllen. Rechtsanwälte sind ob ihres Berufsstandes „geeignete Personen“ in vorbeschriebenem Sinne. Auch sind solche Stellen zur Beratung in Verbraucherinsolvenzverfahren berechtigt, deren Eignung hierfür behördlich anerkannt ist („geeignete Stelle“). 117 Der Schuldner kann sich während des gesamten Verfahrens vor dem Insolvenzgericht von einer geeigneten Person oder einem Angehörigen einer als geeignet anerkannten Stelle vertreten lassen (§ 305 Abs. 4 InsO).54) Die Vertretung durch geeignete Stellen war in den Verbraucherinsolvenzverfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 begrenzt auf das Zustimmungsersetzungsverfahren.55) 118 Ob für die anwaltliche Vertretung Beratungshilfe zu gewähren ist, ist umstritten. Wegen des Nachrangs der Beratungshilfe verweisen viele Amtsgerichte an die kostenfreien Schuldnerberatungsstellen.56) ___________ 54) Es besteht jedoch keine Verpflichtung zur Vertretung (Begründung RegE, S. 34); hierzu, insbesondere auch zu Fragen der Finanzierung, Organisation und Haftungsfragen Grote/Pape, ZInsO 2013, 1433. 55) BGH, Beschl. v. 29.4.2004 – IX ZB 30/04, ZVI 2004, 337. 56) Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 4.9.2006 – 1 BvR 1911/06, ZInsO 2006, 1207.

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B. Schuldnerstruktur, Abgrenzung und Verfahrensart I. Natürliche Personen Der Terminus der natürlichen Person beschreibt den Menschen als Rechts- 119 subjekt. Natürliche Personen sind rechtsfähig, d. h. sie können Träger von Rechten und Pflichten sein. Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt (§ 1 BGB). Für rechtsfähige Personen bestimmt § 11 InsO die Insolvenzfähigkeit. Für natürliche Personen kommen sowohl das Regel- als auch das Verbraucher- 120 insolvenzverfahren in Betracht. Die Verfahrensart ist nicht frei wählbar. Welche Verfahrensart – Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahren – die richtige ist, richtet sich im Wesentlichen nach dem Umfang der Vermögensverhältnisse. Diesen Gedanken aufgreifend, sind in § 304 InsO Abgrenzungskriterien normiert, die die Einordnung des Verfahrens als Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahren festlegen (o Kapitel B.IV.). II. Schuldnerstruktur in Verbraucherinsolvenzverfahren 1. Verbraucher In Anwendung der in § 304 InsO normierten Abgrenzungskriterien ist das 121 Verbraucherinsolvenzverfahren zunächst einmal wirtschaftlich nicht selbstständig tätigen Personen eröffnet. Der in § 13 BGB zivilrechtlich definierte Verbraucherterminus kann hierbei 122 als Anhaltspunkt dienen, da er die Trennlinie zwischen gewerblich bzw. selbstständig Tätigem zu dem Personenkreis zieht, der seinen Lebensunterhalt aus einer unselbstständigen Tätigkeit bezieht. § 13 BGB Verbraucher Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.

Als Verbraucher i. S. v. § 304 InsO sind demnach insbesondere Angestellte, 123 Beamte, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Rentner, Schüler, Auszubildende und Studenten zu verstehen.57) 2. Ehemals Selbstständige mit überschaubaren Vermögensverhältnissen Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist darüber hinaus einer weiteren Perso- 124 nengruppe zugänglich – den ehemals Selbstständigen mit überschaubaren Vermögensverhältnissen. Der Begriff „Verbraucherinsolvenzverfahren“ ist vor diesem Hintergrund missverständlich und in vorbeschriebenem Sinne zu eng gefasst. ___________ 57) HK-InsO/Streck, § 304 Rn. 5.

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B. Schuldnerstruktur, Abgrenzung und Verfahrensart

125 Bei einer vormals selbstständig tätigen Person ist bei der Abgrenzung zunächst zu prüfen, ob eine „ehemalig“ selbstständige Tätigkeit vorliegt. Der maßgebliche Zeitpunkt ist der der Insolvenzantragstellung.58) Eine selbstständige Tätigkeit ist dann anzunehmen, wenn diese im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, frei von Weisungen Dritter für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübt wird.59) Übt der Insolvenzschuldner z. Zt. der Antragstellung aktiv eine selbstständige Tätigkeit aus, ist das Regelinsolvenzverfahren die richtige Verfahrensart. 126 Andernfalls müssen, unter dem Kriterium der überschaubaren Vermögensverhältnisse zusammengefasst, folgende weitere Voraussetzungen vorliegen, damit eine Zuordnung zum Verbraucherinsolvenzverfahren erfolgen kann: x

Überschaubar sind die Vermögensverhältnisse, wenn die Anzahl der Gläubiger maximal 19 beträgt. Nicht entscheidend ist die Anzahl der einzelnen, gegen den Schuldner bestehenden Forderungen.60) Das Insolvenzgericht kann jedoch auch bei weniger als 19 Gläubigern das Regelinsolvenzverfahren als die richtige Verfahrensart bestimmen, wenn im Einzelfall die Verschuldungsstruktur des Schuldners von ihrem Gesamterscheinungsbild nicht den Verhältnissen eines Schuldners in abhängiger Beschäftigung entspricht.61)

x

Zudem dürfen gegen den Schuldner keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Der Begriff der „Forderungen aus Arbeitsverhältnissen“ ist weit zu verstehen.62) Hierunter fallen alle Ansprüche, die im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis begründet wurden, insbesondere Lohn- und Gehaltsansprüche, Lohnsteuerforderung der Finanzverwaltung,63) Sozialversicherungsansprüche,64) Beitragsforderungen von Berufsgenossenschaften.

III. Schuldnerstruktur in Regelinsolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen 1. Selbstständige 127 Ist der Schuldner z. Zt. der Insolvenzantragstellung aktiv selbstständig, ist er stets – unabhängig von der Frage der Überschaubarkeit der Vermögensver___________ 58) 59) 60) 61) 62) 63)

BGH, Beschl. v. 14.11.2002 – IX ZB 152/02, ZVI 2002, 449. BGH, Beschl. v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04, ZIP 2005, 2070 = ZInsO 2005, 1163. BGH, Urt. v. 22.9.2005 – VII ZR 117/03, ZInsO 2005, 1164. BGH, Beschl. v. 24.7.2003 – IX ZA 12/03, ZVI 2004, 27. BGH, Beschl. v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04, ZIP 2005, 2070 = ZVI 2005, 598. U. a. BGH, Beschl. v. 20.1.2011 – IX 258/08, ZVI 2011, 224; BGH, Beschl. v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04, ZIP 2005, 2070. 64) U. a. BGH, Beschl. v. 20.1.2011 – IX ZR 238/07, ZVI 2011, 224; BGH, Beschl. v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04, ZIP 2005, 2070.

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IV. Die richtige Verfahrensart und Verfahrenschronologie

hältnisse – dem Regelinsolvenzverfahren zuzuordnen.65) Eine aktiv ausgeübte selbstständige Tätigkeit liegt vor, wenn sie so reorganisiert werden kann, dass eine vollständige Wiederaufnahme möglich ist. Übt der Schuldner eine selbstständige Nebentätigkeit aus, unterfällt er dem 128 Regelinsolvenzverfahren, wenn die Nebentätigkeit einen nennenswerten Umfang erreicht und sich organisatorisch verfestigt hat; eine nur gelegentlich ausgeübte Tätigkeit ist dagegen keine selbständige Erwerbstätigkeit.66) 2. Freiberufler Bei einem nicht gewerblich tätigen Freiberufler, der z. Zt. der Insolvenzan- 129 tragstellung aktiv seiner freiberuflichen Tätigkeit nachgeht, gelten hinsichtlich der Einordnung zum Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahren die gleichen Kriterien wie bei gewerblich Selbstständigen (oKapitel B.III.1.). 3. Ehemals Selbstständige mit nicht überschaubaren Vermögensverhältnissen/Forderungen aus Arbeitsverhältnissen Ist die selbstständige Tätigkeit z. Zt. der Antragstellung eingestellt, ist der 130 Schuldner als ehemals Selbstständiger einzuordnen. Ob das Regel- oder das Verbraucherinsolvenzverfahren die richtige Verfahrensart ist, bestimmt sich nach den Abgrenzungskriterien des § 304 InsO. Sind die Vermögensverhältnisse nicht überschaubar, ist ebenfalls das Regelinsolvenzverfahren anzuwenden. Auch bei überschaubaren Vermögensverhältnissen kann das Regelinsolvenzverfahren die richtige Verfahrensart sein, wenn Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen oder die Verschuldungsstruktur insgesamt dem eines Selbstständigen entspricht. IV. Die richtige Verfahrensart und Verfahrenschronologie 1. Die richtige Verfahrensart und Abgrenzungskriterien Die Abgrenzungskriterien zur Einordnung in die richtige Verfahrensart sind 131 in § 304 InsO geregelt. Die Entscheidung, welche Verfahrensart die richtige ist, obliegt dem Insolvenzgericht. Das Insolvenzverwalterbüro sieht sich in der Regel dann mit den Abgren- 132 zungskriterien konfrontiert, wenn hierzu im Rahmen eines Sachverständigenauftrags gutachterlich Stellung zu nehmen ist (ovgl. Kapitel C.VIII.). Legt sich der Insolvenzschuldner (insbesondere durch Wahl der jeweiligen 133 Antragsvordrucke) auf eine Verfahrensart fest – beantragt er also entweder die Eröffnung des Verbraucher- oder des Regelinsolvenzverfahrens – und hegt das Gericht Zweifel, dass die beantragte Verfahrensart die richtige ist, ist dem ___________ 65) BGH, Beschl. v. 14.11.2002 – IX ZB 152/02, ZVI 2002, 449. 66) BGH, Beschl. v. 24.3.2011 – IX ZB 80/11, ZIP 2011, 966.

27

B. Schuldnerstruktur, Abgrenzung und Verfahrensart

Schuldner ein entsprechender Hinweis zu erteilen und Gelegenheit zu weiteren Ausführungen beziehungsweise zur Umstellung des Antrags zu geben.67) Können die Zweifel entweder durch die Stellungnahme des Schuldners oder infolge einer Nichtreaktion nicht abschließend ausgeräumt werden, ist der Antrag als unzulässig abzuweisen.68) Ist der Eröffnungsbeschluss in einer bestimmten Verfahrensart rechtskräftig, kann eine nachträgliche Änderung nicht mehr erfolgen; dies gilt auch für den Fall, dass sich im weiteren Verlauf herausstellen sollte, dass die falsche Verfahrensart gewählt wurde.69) 134 Die Wahl der richtigen Verfahrensart hat nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur Stärkung der Gläubigerrechte70) nicht mehr ganz so erhebliche Auswirkungen auf den Ablauf des Verfahrens (jedenfalls nach Eröffnung), da nunmehr auch im Verbraucherinsolvenzverfahren das Insolvenzplanverfahren (oKapitel G.) als Option zur Verfügung steht sowie der Auftragsvorbehalt hinsichtlich der Insolvenzanfechtung (oKapitel D.VI.7.o)) und die Verwertungseinschränkung hinsichtlich der Absonderungsgüter entfallen sind (oKapitel D.IV.4.). Die wesentlichen Unterschiede ergeben sich aus nachfolgend dargestellten Übersichten über den Verfahrensablauf (oKapitel B.IV.2.). 135 Stellt ein (ehemaliger) Gesellschafter einer Personengesellschaft (KG, OHG, GbR) oder juristischen Person einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen, ist bei der Wahl der richtigen Verfahrensart darauf abzustellen, ob der (ehemalige) Gesellschafter als Selbstständiger i. S. d. Abgrenzungskriterien des § 304 InsO anzusehen ist. Eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit liegt vor, wenn sie im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, frei von Weisungen Dritter, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübt wird. 136 Für einen Gesellschafter einer Personengesellschaft ergibt sich eine beruflich selbstständige Tätigkeit bereits aus der Stellung als Gesellschafter, soweit er auch persönlich (voll) haftet (Gesellschafter einer OHG, Gesellschafter einer GbR, Komplementäre einer KG), da die Gesellschafter die eigentlichen Unternehmensträger der Gesellschaft sind.71) Dies gilt auch für den geschäftsführenden Alleingesellschafter einer Ein-Mann-GmbH.72) Eine selbstständige Tätigkeit ist auch für einen Mehrheitsgesellschafter einer juristischen Person anzunehmen (Gesellschaftsanteile von mehr als 50 %).73) Nebenberuflich Selbstständige sind nur bei Überschreitung der Bagatellgrenze des § 3 Nr. 26 ___________ 67) 68) 69) 70) 71) 72) 73)

28

LG Göttingen, Beschl. v. 30.1.2002 – 10 T 7/02, ZVI 2002, 205. BGH, Beschl. v. 12.2.2009 – IX ZB 215/08, NZI 2009, 384. BGH, Beschl. v. 24.3.2011 – IX ZB 80/11, NZI 2011, 410. Vom 15.7.2013, verkündet am 18.7.2013, BGBl I, 2379 ff. AG Leipzig, Beschl. v. 29.1.2010 – 401 IK 2141/09, ZInsO 2011, 2241. BGH, Beschl. v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04, ZIP 2005, 2060. BGH, Beschl. v. 12.2.2009 – IX ZB 15/08, ZIP 2009, 626.

IV. Die richtige Verfahrensart und Verfahrenschronologie

EStG und bei einer organisatorischen Verfestigung der selbstständigen Tätigkeit dem Regelinsolvenzverfahren zuzuordnen.74) 137

Merke: Die Vermögensmassen sind stets streng zu trennen. Für jeden einzelnen Vermögenswert ist daher zu prüfen, welchem Vermögen er zuzurechnen ist: dem Gesellschaftsvermögen, dem Gesellschaftermögen oder dem Vermögen des Organvertreters (bei Kapitalgesellschaften). Beispiel: Personengesellschaft Gesellschaftervermögen Gesellschafter 1

Gesellschaftervermögen Gesellschafter 2

Gesellschaftsvermögen GbR

Beispiel: Kapitalgesellschaft (z. B. GmbH) Gesellschaftervermögen Gesellschafter 1

Organvertretervermögen

Gesellschaftsvermögen GmbH

Gesellschaftervermögen Gesellschafter 2

Liegt insoweit eine aktive selbstständige Tätigkeit vor, ist das Regelinsolvenz- 138 verfahren die richtige Verfahrensart. Ist der Status zum Eröffnungszeitpunkt der eines ehemaligen Gesellschafters, gelten die Abgrenzungskriterien des § 304 Abs. 1 Satz 1 InsO. Demnach ist das Verbraucherinsolvenzverfahren die richtige Verfahrensart, wenn die Vermögensverhältnisse überschaubar sind und keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen vorliegen.

___________ 74) BGH, Urt. v. 24.3.2011 – IX ZB 80/11, ZInsO 2011, 932.

29

B. Schuldnerstruktur, Abgrenzung und Verfahrensart

Natürliche Person = Antragsteller

Zu keiner Zeit selbstständig tätig

Verbraucherinsolvenzverfahren

Selbstständig Tätiger

Aktive Selbstständigkeit z. Zt. der Antragstellung

Vormals selbstständige Tätigkeit

Regelinsolvenzverfahren

Überschaubare Vermögensverhältnisse

Verbraucherinsolvenzverfahren

Nicht überschaubare Vermögensverhältnisse

Regelinsolvenzverfahren

Forder. aus Arbeitsverhältnissen/-struktur ist die eines Selbstständigen

Regelinsolvenzverfahren

Abb. 1: Abgrenzungskriterien § 304 InsO

30

IV. Die richtige Verfahrensart und Verfahrenschronologie

2. Verfahrensablauf a) Vorbemerkungen Im Ablauf unterscheidet sich das Regelinsolvenzverfahren über das Vermögen 139 natürlicher Personen von einem Verbraucherinsolvenzverfahren, auch wenn beide Verfahren aus Schuldnersicht mit der Erteilung der Restschuldbefreiung ein identisches Ziel verfolgen können. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur 140 Stärkung der Gläubigerrechte75) haben sich für Verfahren, die ab dem 1.7.2014 beantragt wurden, einige Neuerungen ergeben. Nachfolgend werden die Unterschiede im jeweiligen regulären Ablauf gra- 141 fisch dargestellt. Nicht abgebildet sind die sog. „asymmetrischen Verfahren“, d. h. Verfahren, in denen die Abtretungsfrist des § 287 Abs. 2 InsO vor Aufhebung des Verfahrens abläuft. b) Regulärer Ablauf in Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 aa) Regulärer Ablauf Verbraucherinsolvenzverfahren (Antragstellung bis 30.6.2014) Der Ablauf eines regulären Verbraucherinsolvenzverfahrens mit Antragstel- 142 lung bis zum 30.6.2014 stellt sich wie folgt dar: gerichtliche Schuldenbereinigung

Insolvenzverfahren (eröffnet)

Wohlverhaltensphase

ggf. Gutachter/ vorl. Treuhänder

Treuhänder § 313 InsO

Treuhänder § 292 InsO

außergerichtliche Schuldenbereinigung

Antrag

Aufhebung

Eröffnung

Restschuldbefreiung Regeldauer 6 Jahre

Abb. 2: Ablauf eines regulären Verbraucherinsolvenzverfahrens mit Antragstellung bis zum 30.6.2014

___________ 75) Vom 15.7.2013, verkündet am 18.7.2013, BGBl I, 2379 ff.

31

B. Schuldnerstruktur, Abgrenzung und Verfahrensart

bb) Regulärer Ablauf Regelinsolvenzverfahren (natürlicher Personen mit Antragstellung bis 30.6.2014) 143 Einen Überblick über den Ablauf eines Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen einer natürlichen Person gibt nachfolgende Übersicht: Antragsverfahren ggf. vorl. Insolvenzverwaltung

Insolvenzverfahren (eröffnet)

Wohlverhaltensphase

ggf. Gutachter/ vorl. Insolvenzverwalter Insolvenzverwalter Antrag

Treuhänder § 292 InsO

Aufhebung

Eröffnung

Restschuldbefreiung Regeldauer 6 Jahre

Abb. 3: Ablauf eines regulären Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen einer natürlichen Person

c) Ablauf in Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 aa) Regulärer Ablauf Verbraucherinsolvenzverfahren (Antragstellung ab 1.7.2014) 144 Ein Verbraucherinsolvenzverfahren, welches seit dem 1.7.2014 beantragt wurde, läuft regulär wie folgt ab: außergerichtliche Schuldenbereinigung

gerichtliche Schuldenbereinigung

Insolvenzverfahren (eröffnet)

Wohlverhaltensphase

ggf. Gutachter/ vorl. Treuhänder

Insolvenzverwalter

Treuhänder § 292 InsO

Antrag

Aufhebung

Eröffnung

Restschuldbefreiung Regeldauer 6 Jahre

Verkürzungsmöglichkeit 3 oder 5 Jahre

Abb. 4: Regulärer Ablauf eines Verbraucherinsolvenzverfahrens bei Antragstellung ab 1.7.2014

32

V. Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens und die Auswirkungen – Überblick

bb) Regulärer Ablauf Regelinsolvenzverfahren (natürlicher Personen mit Antragstellung ab 1.7.2014) Wurde ein Regelinsolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Per- 145 son zur Eröffnung ab dem 1.7.2014 beantragt, ist der reguläre Verfahrensablauf wie folgt: Antragsverfahren ggf. vorl. Insolvenzverwaltung

Insolvenzverfahren (eröffnet)

Wohlverhaltensphase

ggf. Gutachter/ vorl. Insolvenzverwalter Insolvenzverwalter Antrag

Treuhänder § 292 InsO

Aufhebung

Eröffnung

Restschuldbefreiung Regeldauer 6 Jahre

Verkürzungsmöglichkeit 3 oder 5 Jahre

Abb. 5: Regulärer Ablauf eines Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen einer natürlichen Person bei Antragstellung ab 1.7.2014

V. Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens und die Auswirkungen – Überblick Das Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur Stärkung der Gläu- 146 bigerrechte76) hat neben der Möglichkeit zur Verkürzung der Restschuldbefreiungsphase in Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen insbesondere im Bereich der Verbraucherinsolvenzverfahren einige nicht unerhebliche Änderungen hervorgebracht. Soweit angezeigt, wird zu den einzelnen Themenkomplexen detaillierter ausgeführt und Stellung genommen werden.

___________ 76) Vom 15.7.2013, verkündet am 18.7.2013, BGBl I, 2379 ff.

33

B. Schuldnerstruktur, Abgrenzung und Verfahrensart

147 Einen Überblick über die wesentlichen Änderungen soll nachfolgende Übersicht geben: Auswirkungen der Reform auf Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen Thema

Regelinsolvenz

Verbraucherinsolvenz

Antragstellung Antragstellung Antragstellung bis 30.6.2014* ab 1.7.2014** bis 30.6.2014*

Antragstellung ab 1.7.2014**

Nein

nein

ja (§ 305 Abs. 5 Satz 3 InsO)

ja (§ 305 Abs. 5 Satz 3 InsO)

außergerichtlicher Nein Schuldenbereinigungsplan

nein

Antragsvoraussetzung RSB (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO)

Antragsvoraussetzung RSB (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO)

gerichtlicher Schuldenbereinigungsplan

Nein

nein

gerichtliches Ermessen

gerichtliches Ermessen

Terminologie (eröffnetes Verfahren)

Insolvenzverwalter

Insolvenzverwalter

Treuhänder § 313 InsO a. F.

Insolvenzverwalter

Verwertungsrecht bewegliches Absonderungsgut

ja (§ 166 InsO)

ja (§ 166 InsO) Gläubiger/ Treuhänder nur gemäß § 173 Abs. 2 InsO (§ 313 Abs. 3 InsO a. F.)

ja (§ 166 InsO)

Anfechtung (§§ 129 ff. InsO)

Insolvenzverwalter

Insolvenzverwalter

Insolvenzgläubiger/ Treuhänder mit Beauftragung durch GlVers. (§ 313 Abs. 2 InsO a. F.)

Insolvenzverwalter

Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO)

ja

ja

nein (§ 312 Abs. 3 InsO a. F.)

ja

Rückschlagsperre

1 Monat (§ 88 InsO)

1 Monat (§ 88 Abs. 1 InsO)

3 Monate (§§ 88, 312 Abs. 1 Satz 3 InsO a. F.)

3 Monate (§ 88 Abs. 2 InsO)

Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO)

ja (§§ 270 ff. InsO)

ja (§§ 270 ff. InsO)

nein (§ 312 Abs. 2 InsO a. F.)

nein (§ 270 Abs. 1 Satz 3 InsO)

1.000 € (§ 2 Abs. 2 InsVV)

600 € (§ 13 Abs. 1 InsVV)

1.000 € (§ 2 Abs. 2 InsVV), i. d. R. Verkürzung auf 800 € bzw. 600 €77) (§ 13 InsVV)

Formularzwang

Mindestvergütung 1.000 € (§ 2 Abs. 2 InsVV)

___________ 77) BGH, Beschl. v. 6.4.2017 – IX ZB 48/16, WM 2017, 825; BGH, Beschl. v. 14.12.2017 – IX ZB 101/15, ZIP 2018, 333.

34

V. Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens und die Auswirkungen – Überblick Auswirkungen der Reform auf Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen Thema

Regelinsolvenz

Verbraucherinsolvenz

Antragstellung Antragstellung Antragstellung bis 30.6.2014* ab 1.7.2014** bis 30.6.2014*

Antragstellung ab 1.7.2014**

Restschuldbefreiung

Ankündigung (§ 291 InsO)

Ankündigung (§ 291 InsO)

Eingangsentscheidung (§ 287a InsO)

Restschuldbefreiungsphase (Regelfall)

6 Jahre 6 Jahre, Ver(§§ 287 Abs. 2, kürzungsmög300 InsO) lichkeit auf 3 oder 5 Jahre (§§ 287 Abs. 2, 300 InsO)

6 Jahre (§§ 287 Abs. 2, 300 InsO)

6 Jahre, Verkürzungsmöglichkeit auf 3 oder 5 Jahre (§§ 287 Abs. 2, 300 InsO)

Treuhänder WVP

ja (§ 292 InsO)

Eingangsentscheidung (§ 287a InsO)

ja (§ 292 InsO) ja (§ 292 InsO)

ja (§ 292 InsO)

* Angabe der Norm i. d. F. bis zum 30.6.2014 ** Angabe der Norm i. d. F. ab dem 1.7.2014

35

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren I. Der Insolvenzantrag Im Insolvenzverfahren gilt der Antragsgrundsatz: Ein Verfahren wird nur auf 148 schriftlichen Antrag eröffnet (§ 13 Abs. 1 Satz 1 InsO). Antragsberechtigt sind gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO die Gläubiger (Fremd- 149 antrag) und der Schuldner (Eigenantrag). Eine Antragsrücknahme kann nur bis zur rechtskräftigen Entscheidung über 150 den Antrag in Form der Eröffnung oder der Abweisung erfolgen (§ 13 Abs. 2 InsO). 1. Eigenantrag a) Grundlegendes Stellt der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 151 sein Vermögen, spricht man von einem Eigenantrag. Mit dem Eröffnungsantrag ergeht nicht automatisch auch eine Entscheidung über eine einer natürlichen Person evtl. zu erteilende Restschuldbefreiung. Die Erteilung dieser muss gesondert beantragt werden (§ 287 Abs. 1 Satz 1 InsO). Im Verbraucherinsolvenzverfahren herrscht, im Gegensatz zum Regelinsol- 152 venzverfahren, Formularzwang (§§ 287 Abs. 5, 13 Abs. 4 Satz 2 InsO). Die Angaben in den Formularen sind erforderlich aber auch erschöpfend als Zulässigkeitsvoraussetzung für den Eröffnungsantrag. Die Zulässigkeit kann von der Beantwortung darüber hinausgehender zusätzlicher Fragenkataloge nicht abhängig gemacht werden.78) Im Regel- und im Verbraucherinsolvenzverfahren ist für den Eigenantrag 153 des Schuldners vorgeschrieben, dem Antrag ein Gläubigerverzeichnis inklusive der Forderungen beizufügen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 InsO). Stellt der selbstständige Schuldner mit einem nicht eingestellten Geschäftsbe- 154 trieb einen Eigenantrag (Regelinsolvenzverfahren), sollen in dem Verzeichnis x

die höchsten Forderungen,

x

die höchsten gesicherten Forderungen,

x

die Forderungen der Finanzverwaltung,

___________ 78) Begründung RegE, S. 34 (BT-Drucks. 17/11268): „Der Gesetzentwurf sieht vor, dass bei einem Insolvenzantrag nach § 305 InsO vom Schuldner nur die Angaben gefordert werden können, die in den amtlichen Formularen ausdrücklich genannt sind. Ziel dieser Änderung ist es, überzogene Auflagenverfügungen und damit verbundene Verfahrensverzögerungen zu vermeiden.“

37

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

x

die Forderungen der Sozialversicherungsträger und

x

die Forderungen aus betrieblicher Altersvorsorge

aufgelistet sein. 155 Zudem sind Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen. 156 Sofern der Schuldner die Eigenverwaltung oder die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt, sind diese Angaben zwingend zu machen (§ 13 Abs. 1 Satz 6 InsO). Gleiches gilt für den Fall, dass der Schuldner in seinem Unternehmen die Schwellenwerte des § 22a Abs. 3 Alt. 1 InsO erreicht (§ 13 Abs. 1 Satz 6 InsO). In diesem Fall prüft das Insolvenzgericht, ob ein vorläufiger Gläubigerausschuss einzusetzen ist. Praxistipp: Unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO sind die Angaben i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO zwingend. Sind diese unvollständig, ist der Antrag unzulässig. Liegen die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Satz 6 InsO nicht vor, handelt es sich „lediglich“ um Soll-Angaben. Eine Unvollständigkeit berührt die Zulässigkeit des Antrags nicht.

157 Der Schuldner ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO verpflichtet, die Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Angaben zu versichern.79) b) Eigenantrag und Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung 158 Der Eröffnungsantrag und der Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung sind zusammen einzureichen.80) c) Eingangsentscheidung (§ 287a InsO) 159 Hat der Insolvenzschuldner einen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt, kündigt das Insolvenzgericht bereits vor der Eröffnung des Verfahrens die Restschuldbefreiung an, sofern das Verfahren i. Ü. „eröffnungsreif“ ist (sog. Eingangsentscheidung, § 287a InsO). Hierbei wird durch Beschluss festgestellt, unter welchen Bedingungen der Schuldner die Restschuldbefreiung erlangen kann. Ist der Restschuldbefreiungsantrag unzulässig, hat das Gericht dem Schuldner Gelegenheit zu geben, den Eröffnungsantrag zurückzunehmen.

___________ 79) Vgl. im Verbraucherinsolvenzverfahren § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO. 80) BGH, Beschl. v. 25.9.2003 – IX ZB 24/03, NZI 2004, 511; BGH, Beschl. v. 8.7.2004 – IX ZB 209/03, NZI 2004, 593; BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 176/03, NZI 2005, 271.

38

I. Der Insolvenzantrag

d) Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten Ist der Schuldner vermögenslos und nicht in der Lage, die Verfahrenskosten 160 aus seinem Vermögen zu decken, besteht die Möglichkeit ihm die Verfahrenskosten zu stunden, wenn er die Restschuldbefreiung beantragt hat (§ 4a InsO). Eine Kostenstundung ist nur in Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen zulässig, wenn diese einen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gestellt haben (§ 4a Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Stundung ist für jeden Verfahrensabschnitt (d. h. Eröffnungsverfahren, Hauptverfahren, Restschuldbefreiungsverfahren) gesondert zu bewilligen (§ 4a Abs. 3 Satz 2 InsO). Die Stundung bewirkt, dass die Bundes- oder Landeskasse die rückständigen und entstehenden Gerichtskosten sowie etwaige auf diese übergegangenen Ansprüche eines beigeordneten Rechtsanwaltes nur noch nach den gerichtlichen Vorgaben geltend gemacht werden können. Ist der Schuldner nach Erteilung der Restschuldbefreiung nicht in der Lage, den gestundeten Betrag aus seinem Einkommen und seinem Vermögen zu zahlen, so kann das Gericht die Stundung verlängern und die zu zahlenden Monatsraten festsetzen; § 115 Abs. 1 bis 3 sowie § 120 Abs. 2 ZPO (Regelungen zur Prozesskostenhilfe) gelten entsprechend (§ 4b InsO). Merke: Stellt der Insolvenzschuldner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und verbindet diesen mit dem Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung sowie mit dem Antrag auf Bewilligung der Stundung der Verfahrenskosten, spricht man vom sog. „Antragsdreiklang“. e) Insolvenzverfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 Das Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur Stärkung der Gläu- 161 bigerrechte81) hat keine Änderungen hinsichtlich der Antragsberechtigung, des Antragszeitpunkts und der Antragsform an sich gebracht. Zusätzlich sind jedoch, will der Schuldner die Restschuldbefreiung erlangen, 162 weitere Angaben im Antrag erforderlich. f) Besondere Voraussetzungen im Verbraucherinsolvenzverfahren Ist das Verbraucherinsolvenzverfahren die richtige Verfahrensart (§ 304 InsO, 163 o Kapitel B.IV.), sind beim dem schriftlich einzureichenden Eröffnungsantrag weitere Besonderheiten zu berücksichtigen (§ 305 InsO). Der Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens ist nur zuläs- 164 sig, wenn der Schuldner zuvor einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch unternommen hat. Der Schuldner muss, bevor ein Verbraucherinsolvenzverfahren durchgeführt werden kann, demnach zunächst versuchen, ___________ 81) Vom 15.7.2013, verkündet am 18.7.2013, BGBl I, 2379 ff.

39

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

eine Einigung mit seinen Gläubigern herbeizuführen. Erst, wenn dieser Versuch gescheitert ist, kommt ein Verbraucherinsolvenzverfahren in Betracht. Das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs ist von einer geeigneten Person oder Stelle auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners zu bescheinigen (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Geeignete Personen bzw. Stellen sind z. B.: Rechtsanwälte, Steuerberater, Schuldnerberatungsstellen. 165 Im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren sind die Gläubiger gemäß § 305 Abs. 2 InsO verpflichtet, auf eine entsprechende Aufforderung hin kostenfrei eine schriftliche Forderungsaufstellung – geordnet nach Hauptforderung, Kosten und Zinsen – zu übermitteln. Die Aufforderung muss einen Hinweis darauf enthalten, dass eine Insolvenzantragstellung beabsichtigt ist. 166 Der auf dieser Grundlage erstellte außergerichtliche Schuldenbereinigungsplan, in dem der Schuldner regelmäßig, sofern vorhanden, sein pfändbares Vermögen einsetzt, um die Verbindlichkeiten über einen bestimmten Zeitraum zu regulieren, wird an die Gläubiger mit der Bitte um Zustimmung übermittelt. 167 Für die inhaltliche Ausgestaltung des Plans existieren keine gesetzlichen Vorgaben. Es empfiehlt sich eine Orientierung am gerichtlichen Schuldenbereinigungsplan. Folgende Punkte sollte der Plan enthalten: x

Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse

x

Zahlungs- und Tilgungsplan

x

Anpassungsklauseln

x

Regelung zu bestehenden Sicherheiten

x

Regelung zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen

x

Regelung zu Schufa-Eintragungen

x

ggf. Wiederauflebensklausel

168 Regelungsfreiheit besteht auch hinsichtlich der Ausgestaltung des Plans, sodass sich, je nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Schuldners, folgende Varianten anbieten: x

Einmalzahlungspläne

x

Ratenzahlungspläne

x

Ratenzahlungspläne kombiniert mit einer Einmalzahlung

x

flexible Pläne (z. B. bezugnehmend auf das jeweils pfändbare Einkommen)

x

(flexibler) Nullplan.82)

___________ 82) Flexibler Nullplan: Der Plan sieht in Ermangelung von pfändbaren Einkünften zunächst keine Zahlungen an die Gläubiger vor, enthält aber eine „Besserungsklausel“, durch die der Schuldner für den Fall, dass künftig pfändbares Einkommen erzielt werden sollte, dies zur Befriedigung der Gläubiger anbietet.

40

I. Der Insolvenzantrag

Der außergerichtliche Schuldenbereinigungsplan ist ein Vergleich i. S. d. § 779 169 Abs. 1 BGB und kommt nur zustande, wenn alle Gläubiger ausdrücklich ihre Zustimmung erklären. Sofern die Angaben des Schuldners (insbesondere zu den Vermögenswerten) nicht wahrheitsgemäß sind, ist der Plan unwirksam. Kommt der Schuldner seiner Zahlungsverpflichtung aus dem Schuldenberei- 170 nigungsplan nicht nach, muss der Gläubiger auf dem Rechtsweg einen Titel erwirken. Die ursprüngliche Forderung lebt nur wieder auf, wenn dies im Schuldenbereinigungsplan so geregelt ist. Der Plan ist gescheitert, wenn

171

x

mindestens ein Gläubiger seine Zustimmung verweigert bzw. nicht reagiert (Schweigen gilt nicht als Zustimmung) oder

x

ein Gläubiger in Kenntnis des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs die Zwangsvollstreckung beginnt (vgl. § 305a InsO).

Mit dem Scheitern der Einigung liegt eine der maßgeblichen Voraussetzungen 172 für die Durchführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens vor. Nach dem Scheitern hat der Schuldner eine Frist zur Einreichung des Eröffnungsantrags von sechs Monaten seit der letzten Ablehnung oder Zustimmung der Gläubiger einzuhalten. Im Fall eines Fristversäumnisses muss er erneut einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch unternehmen. Andernfalls ist der Insolvenzantrag unzulässig. Darüber hinaus sind beim Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenz- 173 verfahrens gemäß § 305 InsO folgende Unterlagen einzureichen: x

eine Bescheinigung, die von einer geeigneten Person oder Stelle auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners ausgestellt ist und aus der sich ergibt, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolglos versucht worden ist; der Plan ist beizufügen und die wesentlichen Gründe für sein Scheitern sind darzulegen;

x

Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung bzw. eine Erklärung, dass diese nicht beantragt wird,

x

(wird die Restschuldbefreiung beantragt) Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO,

x

Personalbogen,

x

Vermögensverzeichnis,

x

Vermögensübersicht,

x

Gläubiger- und Forderungsverzeichnis,

41

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

x

Richtigkeits- und Vollständigkeitserklärung,

x

gerichtlicher Schuldenbereinigungsplan. Praxistipp: Übersicht Voraussetzungen Verbraucherinsolvenzantrag Antrag, § 13 InsO

Eröffnungsgrund, § 16 InsO

Außergerichtliche Schuldenbereinigung

RSB-Antrag

Verfahrenskosten, § 26 Abs. 1 InsO

Schuldner/ Vordruck) und Vorlage der vorgeschriebenen Unterlagen

Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO

Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplans (6-Monatsfrist)

RSB-Antrag inkl. Abtretungserklärung gemäß § 287 InsO oder Erklärung, dass kein RSB-Antrag gestellt wird

Kostendeckende Masse

Gläubiger bei rechtlichem Interesse, Glaubhaftmachung der Forderung und des Eröffnungsgrundes

drohende Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO

alternativ: Verfahrenskostenstundung, § 4a InsO

174 Ist der Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens zulässig, kann das Verfahren ohne Durchführung der gerichtlichen Schuldenbereinigung nach Anhörung des Schuldners fortgesetzt werden, wenn der Schuldenbereinigungsplan nach Überzeugung des Gerichts voraussichtlich nicht angenommen wird (§ 306 Abs. 1 Satz 3 InsO). 175 Ein gerichtlicher Schuldenbereinigungsplan wird im Eröffnungsverfahren (nach Antragstellung und vor der Eröffnungsentscheidung) dann an die Gläubiger übersandt, wenn dieser nach der freien Überzeugung des Gerichts voraussichtlich angenommen wird. 176 Die Gläubiger erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von einem Monat. Geht die Stellungnahme nicht fristgerecht ein, gilt die Zustimmung zum Schuldenbereinigungsplan als erteilt. Wird der Plan angenommen, gelten der Insolvenzantrag und der Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung als zurückgenommen (§ 308 Abs. 2 InsO). Der Plan hat die Wirkung eines gerichtlichen Vergleichs i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (§ 308 Abs. 1 Satz 2 InsO). 177 Im gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahren besteht unter der Voraussetzung des § 309 InsO die Möglichkeit der Zustimmungsersetzung.

42

I. Der Insolvenzantrag

2. Fremdantrag a) Gläubigerantrag Wir ein Antrag eines Gläubigers eingereicht, handelt es sich um einen Fremd- 178 antrag. Ist der Schuldner eine natürliche Person, belehrt das Gericht den Schuldner, dass die Restschuldbefreiung grundsätzlich nur erteilt werden kann, wenn ein Eigenantrag gestellt wird (vgl. § 20 Abs. 2 InsO bzw. § 306 Abs. 3 InsO). b) Zulässigkeit Ein gläubigerinitiierter Fremdantrag ist nur zulässig, wenn der Gläubiger ein 179 rechtliches Interesse an der Eröffnung hat und das Bestehen seiner Forderung(en) gegen den Schuldner sowie das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes glaubhaft macht (§ 14 Abs. 1 Satz 1 InsO). Glaubhaftmachung ist nicht gleichzusetzen mit Beweisführung. Ein Umstand ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht der Überzeugung ist, dass die Behauptung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zutrifft (§ 4 InsO, § 294 ZPO).83) aa) Rechtliches Interesse Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO ist vom antragstellenden Gläubiger das recht- 180 liche Interesse glaubhaft zu machen. Zum Schutz des Schuldners vor u. U. mit einem Insolvenzverfahren einhergehenden einschneidenden Eingriffen in dessen Vermögensverhältnisse muss auf Gläubigerseite ein Rechtschutzinteresse hinsichtlich der Weiterverfolgung seines Antrags bestehen. Soweit mit dem Antrag offenkundig und ausschließlich Druck auf den Schuldner ausgeübt werden soll (das Insolvenzverfahren als „verlängerter Arm der Einzelzwangsvollstreckung“), dürfte das rechtliche Interesse fehlen, jedenfalls dann, wenn nicht zumindest auch die Durchführung eines Insolvenzverfahrens angestrebt wird. Dinglich gesicherte Gläubiger sind dann antragsberechtigt, sofern die Siche- 181 rung nicht vollumfänglich ist und der Schuldner in Höhe des Ausfalls persönlich haftet (vgl. § 52 InsO). Für Aussonderungsberechtigte hingegen fehlt es am Antragsrecht (§ 47 Satz 2 InsO). bb) Glaubhaftmachung des Bestehens einer Forderung Der Gläubiger muss z. Zt. der Entscheidung über die Eröffnung des Insol- 182 venzverfahrens Inhaber einer persönlichen Forderung gegen den Schuldner sein. Der Anspruch muss einen vermögensrechtlichen Charakter, demnach einen Geldwert haben und ggf. in einen solchen umgerechnet werden können (vgl. § 45 InsO). Nicht zur Antragstellung berechtigen daher z. B. Duldungs___________ 83) BGH, Beschl. v. 11.9.2003 – IX ZB 37/03, ZVI 2003, 538.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

oder Unterlassungsansprüche. Begleicht der Schuldner die Forderung des Gläubigers nach Antragstellung, aber vor Eröffnung, fehlt es zwar u. U. grds. z. Zt. der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens an der Zulässigkeit des Antrags, da eine Forderung des den Antrag stellenden Gläubigers gegen den Schuldner nicht (mehr) besteht. Ein „Auswechseln“ der Forderungen ist jedoch möglich.84) Erklärt der Gläubiger das Verfahren nach Begleichung der Forderung für erledigt, was ihm unbenommen bleibt, ist das Antragsverfahren zu beenden, da für eine Fortsetzung eines Verfahrens, welches ausschließlich auf Antrag eingeleitet wird, keine rechtliche Grundlage mehr besteht.85) 183 Erklärt der Gläubiger seinen Antrag nicht für erledigt (etwa weil das Entstehen künftiger Forderungen nicht ausgeschlossen werden kann bzw. überwiegend wahrscheinlich ist – z. B. Sozialversicherungsbeiträge bei weiter laufenden Arbeitsverhältnissen), wird der Antrag nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird (§ 14 Abs. 1 Satz 2 InsO).86) Hierdurch soll insbesondere gewährleistet werden, dass nach wie vor noch zahlungsunfähige Unternehmen dauerhaft nicht mehr werbend am Markt und im Geschäftsleben agieren, so dass sich ein ohne diese Regelung evtl. danach durch Fortagieren eines insolventen Unternehmens entstehender etwaiger Schaden begrenzen lassen soll. Eine Eröffnung des Verfahrens kann ohne Weiteres so einfach nicht mehr abgewendet werden. Dem Schuldner bleibt aber die Möglichkeit unbenommen, durch Gegenglaubhaftmachung, d. h. substantiierte Darlegung der Einwände, vorzutragen, dass die Voraussetzungen für eine Eröffnung des Verfahrens nicht vorliegen.87)

___________ 84) BGH, Beschl. v. 5.2.2004 – IX ZB 29/03, ZVI 2004, 408. 85) Siehe auch AG Köln, Beschl. v. 20.10.2017 – 75 IN 309/17, ZIP 2018, 500 zur Kostenentscheidung bei Vorliegen der Annahme, durch die Einleitung eines Verfahrens durch Fremdantrag sei die Verfolgung des Individualanspruchs mit maximalem Druck versehen worden sowie zur Fallabgrenzung AG Göttingen, Bschl. v. 9.1.2018 – 74 IN 210/17, ZIP 2018, 992; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 29.1.2018 – 45 IN 66/17 sowie AG Köln, Beschl. v. 2.2.2018 – 73 IN 210/17 und AG Köln, Beschl. v. 20.2.2018 – 73 IN 237/17, jeweils www.justiz.nrw.de. 86) Fassung aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 29.3.2017 (BGBl I, 654), in Kraft getreten am 5.4.2017; vgl. zu § 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 InsO i. d. F. bis zum 4.4.2017: Wurde innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem jetzigen Antrag ein zulässiger Insolvenzantrag über das Vermögen des Schuldners gestellt, kann der aktuelle Antrag von dem antragstellenden Gläubiger trotz fehlender, weil zwischenzeitlich beglichener Forderung weiter verfolgt werden, sofern das rechtliche Interesse an der Eröffnung des Verfahrens, das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes sowie der vorhergehende Antrag glaubhaft gemacht werden können; § 14 InsO mit Geltung für Verfahren, die ab dem 1.1.2011 beantragt worden sind (Art. 103e EGInsO); BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, ZVI 2013, 221 sowie BGH, Beschl. v. 18.12.2014 – IX ZB 34/14, ZIP 2015, 329. 87) Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht/Hefermehl, § 14 Rn. 68.

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I. Der Insolvenzantrag

Der Gläubiger ist bei einem jeden durch ihn initiierten Antrag gehalten, das 184 Bestehen der Forderung glaubhaft zu machen. Hierzu kann die Vorlage eines Titels ausreichend sein, zwingend erforderlich ist sie nicht, sodass auch nicht titulierte Forderungen dem Antrag zugrunde gelegt werden können, wenn ihr Bestand durch Einreichung möglichst vollständig anspruchsbegründender Unterlagen (z. B. Lieferscheine, Rechnungen, Kontoauszüge etc.) dargetan wird.88) cc) Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes Das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes (o Rn. 182 ff.) ist ebenfalls vom an- 185 tragstellenden Gläubiger glaubhaft zu machen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ausreichend und als geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung anzusehen sind insbesondere: x

die Vorlage einer eigenen Erklärung des Schuldners zu seiner fehlenden Liquidität,

x

die Vorlage einer Fruchtlosigkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers (§ 63 GVGA) bzw. Vollziehungsbeamten,

x

Indizien (z. B. mehr als sechsmonatiger Rückstand mit Sozialversicherungsbeiträgen89)),

x

fortlaufend steigender Forderungsstand trotz Teilzahlungen90)).

Vorzunehmen ist stets eine Gesamtwürdigung aller vorgetragenen Tatsachen.91)

186

3. Eröffnungsgründe a) Eröffnungsgründe – Überblick Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens muss stets begründet sein (§ 16 187 InsO). Die Gründe für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ergeben sich aus §§ 17 ff. InsO. Als Eröffnungsgründe kennt das Gesetz die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), 188 die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und die Überschuldung (§ 19 InsO).

___________ 88) 89) 90) 91)

OLG Köln, Beschl. v. 14.12.2001 – 2 W 146/01, ZInsO 2002, 772. BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457. BGH, Beschl. v. 9.1.2003 – IX ZR 175/02, ZIP 2003, 410. Kübler/Prütting/Bork/Pape, InsO, § 14 Rn. 88.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Merke: In Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen sind – bei einem Fremdantrag eines Gläubigers die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und – bei einem Eigenantrag des Schuldners die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) geeignete Eröffnungsgründe. Die Überschuldung (§ 19 InsO) ist in Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen kein geeigneter Eröffnungsgrund. Auch trifft natürliche Personen nach der Insolvenzordnung keine Pflicht zur Antragstellung (vgl. § 15a InsO, der nicht für natürliche Personen gilt).92) b) Zahlungsunfähigkeit 189 Der umfassende, alle Vermögensmassen betreffende Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit. 190 Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO, Legaldefinition). 191 In § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO ist die gesetzliche Vermutung normiert, dass Zahlungsunfähigkeit regelmäßig dann anzunehmen ist, wenn der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat. Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.93) Auch kann bereits die Nichtzahlung gegenüber einem einzigen Gläubiger ausreichen, wenn dessen Forderung von insgesamt nicht unerheblicher Höhe ist.94) 192 Zur Fälligkeit der Forderung i. S. d. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der BGH ausgeführt: „Eine Forderung ist in der Regel dann im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt.“95)

193 An das „ernsthafte Einfordern“ sind geringe Voraussetzungen zu stellen. Die Übersendung einer Rechnung ist hierfür bereits ausreichend.96) ___________ 92) 93) 94) 95) 96)

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Vgl. für Nachlassinsolvenzen die Antragspflichten der §§ 1980, 1985 BGB. BGH, Urt. v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87. Vgl. BGH, Urt. v. 27.4.1995 – IX ZR 147/95, ZIP 1995, 929. BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666. BGH, Beschl. v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875.

I. Der Insolvenzantrag

Der Schuldner muss nach objektiven Gesichtspunkten nicht mehr in Lage 194 sein, die fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Sämtliche dem Schuldner zur Verfügung stehenden Mittel sind hierbei zu berücksichtigen (insbesondere Barmittel, Buchgeld, Ausschöpfen des Kreditrahmens). Die Zahlungsunfähigkeit ist von einer vorübergehenden Zahlungsstockung 195 abzugrenzen. In einer Grundsatzentscheidung hat der BGH hierzu die sog. „3-10-Regel“ aufgestellt:97) „Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne liegt regelmäßig jedenfalls dann vor, wenn der Schuldner 10 % oder mehr seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten länger als drei Wochen nicht erfüllen kann, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Beträgt die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke weniger als 10 %, liegt Zahlungsunfähigkeit nur vor, wenn bereits absehbar ist, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.“

c) Drohende Zahlungsunfähigkeit Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist bei einem Eigenantrag ebenfalls ein 196 Eröffnungsgrund (§ 18 Abs. 1 InsO). Hierzu definiert § 18 Abs. 2 InsO, dass „der Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.“ Dem Schuldner wird hierdurch die Möglichkeit eingeräumt, bei frühzeitiger 197 Antragstellung die Möglichkeit der Sanierung unter Insolvenzschutz aufrechtzuerhalten.98) Im Unterschied zur bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit sind bei der 198 drohenden Zahlungsunfähigkeit auch die noch nicht fälligen, aber bereits absehbaren Verbindlichkeiten des Schuldners mit einzubeziehen. Hierzu bedarf es einer prognostischen Darstellung der künftigen Liquiditätsentwicklung des Schuldners bis zur Fälligkeit der bereits begründeten Forderungen. Es bedarf demnach i. a. R. der Vorlage eines Liquiditäts-/Finanzplans, den das Gericht vom Schuldner einfordern kann.99) 4. Antragshäufung Wie sich bereits aus den vorstehenden Absätzen ableiten lässt (vgl. §§ 20, 287 199 Abs. 1, 306 Abs. 3 InsO), sind mehrere parallele Anträge zulässig: Ein Schuldnerantrag neben einem oder mehreren Gläubigeranträgen oder auch nur mehrere Gläubigeranträge (mit den beschriebenen Konsequenzen im Hinblick auf ___________ 97) BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 98) Siehe in diesem Zusammenhang auf §§ 270a, 270b InsO. 99) HK-InsO/Schröder, § 18 Rn. 15.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

die Frage der Restschuldbefreiung). Mit Eingang bei Gericht wird jeder Antrag unter einem eigenen Aktenzeichen geführt. 200 Mit der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens erfolgt regelmäßig eine Verbindung der Verfahren (§ 4 InsO, § 147 ZPO).100) II. Stundung der Verfahrenskosten 1. Deckung der Verfahrenskosten 201 Aus dem Schuldnervermögen sind die Kosten des Insolvenzverfahrens (o Kapitel D.VII.) zu bestreiten. 202 Die Gerichtskosten berechnen sich nach §§ 35 ff., 11 GKG i. V. m. Kostenverzeichnis Nrn. 2310, 2320, 2311. Die Höhe der Wertgebühr richtet sich bei einem Eigenantrag des Schuldners nach dem Wert der Insolvenzmasse (§ 58 Abs. 1 GKG) z. Zt. der Beendigung des Verfahrens, bei einem Gläubigerantrag nach dem Betrag der Antragsforderung, es sein denn, der Wert der Insolvenzmasse ist geringer (§ 58 Abs. 2 GKG). Zu den Gerichtskosten zählen auch die Honoraransprüche eines gerichtlich bestellten Sachverständigen (Kostenverzeichnis zur § 1 GKG KV 9005; JVEG). 203 Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und des Treuhänders bestimmt sich nach § 65 InsO i. V. m. den Regelungen der InsVV. 204 Einen Überblick über die wichtigsten Verfahrenskosten gibt nachfolgende Übersicht: KV-Nr. 2310 Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens 0,5 Gebühr KV-Nr. 2320 Durchführung des Insolvenzverfahrens auf Schuldnerantrag 2,5 Gebühr KV-Nr. 2311 Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens 0,5 Gebühr, mindestens 180,00 € KV-Nr. 9004 Bekanntmachungskosten KV-Nr. 9005 Sachverständigenentschädigung (Gutachten, Rechnungsprüfer) §§ 21, 63 ff. InsO, § 11 InsVV Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters §§ 63 ff. InsO, 1 ff. InsVV Vergütung des Insolvenzverwalters §§ 293, 63 ff. InsO, § 14 InsVV Vergütung des Treuhänders (RSB)

205 Ob eine solch kostendeckende Masse vorhanden ist, ist vor der Eröffnungsentscheidung zu ermitteln. Dies geschieht i. a. R. durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen. 206 Ist eine Verfahrenskostendeckung aus dem Schuldnervermögen nicht gewährleistet, weist das Insolvenzgericht den Eröffnungsantrag mangels einer die ___________ 100) Vgl. BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888.

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II. Stundung der Verfahrenskosten

Verfahrenskosten deckenden Masse ab (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO; Ausnahme: Stundung). 2. Stundung der Verfahrenskosten Ist der Schuldner eine natürliche Person, besteht für ihn die Möglichkeit, die 207 Stundung der Verfahrenskosten (oKapitel D.VII.) zu beantragen, wenn sein Vermögen zu deren Deckung nicht ausreicht (§ 4a Abs. 1 Satz 1 InsO). Wird die Stundung bewilligt, unterbleibt eine Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse (§ 26 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Verfahrenskostenstundung ermöglicht somit auch mittellosen Schuldnern den Zugang zur Restschuldbefreiung. Die Stundung ist für jeden Verfahrensabschnitt gesondert zu bewilligen 208 (§ 4a Abs. 2 Satz 2 InsO). Das Vorliegen der objektiven und subjektiven Voraussetzungen muss daher im Eröffnungsverfahren (Eingang des Insolvenzantrags bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Eröffnung), im Hauptverfahren (Eröffnungsstichtag bis zur Aufhebung des Verfahrens) sowie im Restschuldbefreiungsverfahren (Aufhebung bis zur Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung) vorliegen. Die Stundung der Verfahrenskosten umfasst nicht den Zeitraum der An- 209 tragsvorbereitung (insbesondere nicht die Tätigkeiten im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren, welches im Verbraucherinsolvenzverfahren Zulässigkeitsvoraussetzung ist, vgl. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO). In der Vorbereitungsphase ist der Insolvenzschuldner auf die kostenfreie/kostengünstige Unterstützung von (anerkannten) Schuldnerberatungsstellen angewiesen. Ebenfalls besteht die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Vorbereitung des Insolvenzantrags unter gleichzeitiger Gewährung von Beratungshilfe, wenn die Voraussetzungen vorliegen.101) Die Beiordnung eines Anwalts im Insolvenzverfahren für den Zeitraum nach Antragseingang kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, insbesondere bei hochkomplexen Sachverhalten.102) a) Objektive Voraussetzungen Die Stundungsvoraussetzungen liegen objektiv vor, wenn der Schuldner 210 nicht in der Lage ist, aus seinem Vermögen im Wege der Einmalzahlung die Kosten des jeweiligen Verfahrensabschnitts aufzubringen; auf Ratenzahlung darf er nicht verwiesen werden.103) Der Vermögensbegriff ist mit dem Umfang der künftigen Insolvenzmasse 211 (demnach dem pfändbaren Vermögen, §§ 35, 36 Abs. 1 InsO) identisch. ___________ 101) Siehe hierzu BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 94/06, ZVI 2007, 468. 102) Siehe hierzu LG Bonn, Beschl. v. 2.9.2009 – 6 T 239/09, ZVI 2009, 444. 103) BGH, Beschl. v. 25.9.2003 – IX ZB 459/02, ZVI 2004, 58; BGH, Beschl. v. 18.5.2006 – IX ZB 205/05, ZVI 2006, 285 zur umfassenden Bewilligung je Verfahrensabschnitt.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

212 Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang ggf., ob der Ehegatte des Insolvenzschuldners im Rahmen der Ehegattenunterhaltsgewährung nicht vorschusspflichtig ist (§ 26 InsO, 1360a Abs. 4 BGB).104) b) Subjektive (persönliche) Voraussetzungen 213 Der Schuldner hat dem – ansonsten formlosen – Stundungsantrag eine Erklärung beizufügen, ob ein Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegt. Liegt ein solcher Grund vor, ist eine Stundung ausgeschlossen (§ 4a Abs. 1 Satz 3, 4 InsO). Die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH hat den gesamten Katalog des § 290 Abs. 1 InsO (i. d. F. bis zum 30.6.2014) als Ausschlusskriterium für eine Verfahrenskostenstundung angesehen.105) Dies solle verhindern, dass einem Schuldner eine Stundung gewährt wird, bei dem schon frühzeitig feststeht, dass Versagungsgründe etwa nach § 4c Nr. 5 InsO vorliegen, und somit die Stundung zeitnah aufgehoben werden müsste. 214 In Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 ist der Schuldner verpflichtet, dem Stundungsantrag lediglich noch eine Erklärung beizufügen, ob ein Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegt. 215 Mit dem Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur Stärkung der Gläubigerrechte106) hat der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung entwickelten Sperrfristen lediglich teilweise aufgegriffen; § 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO normiert die Unzulässigkeit des Antrags auf Erteilung der Restschuldbefreiung unzulässig ist, wenn dem Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5, 6 oder 7 InsO oder nach § 296 InsO versagt worden ist. Insbesondere für den in der Praxis nicht seltenen Fall der Missachtung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Erstverfahren erfolgt bei Zeiten keine Versagung der der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO, sondern die Aufhebung der Kostenstundung wegen dieser Pflichtverletzung gemäß § 4c InsO, woraus sich keine Sperrfrist für die Einleitung eines neuen Verfahrens ableiten lasse.107) Die zum Teil vertretene Ansicht, dass die zum alten Recht entwickelten Sperrfristen weiterhin – teilweise – auch für Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 anzuwenden seien,108) sind nach der hier vertretenen Auffassung kaum haltbar. Vielmehr hat der Gesetzgeber – in Kenntnis der Sperrfristrechtsprechung des BGH – die Beantragung eines neuen Verfahrens im Hinblick auf Vorverfahren für unzulässig zu erklären, ohne dass die gesamte Sperrfrist___________ 104) 105) 106) 107) 108)

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Vgl. hierzu grundlegend BGH, Beschl. v. 24.7.2003 – IX ZB 539/02, ZVI 2003, 405. BGH, Beschl. v. 19.5.2011 – IX ZB 142/11, ZInsO 2011, 1223. Vom 15.7.2013, verkündet am 18.7.2013, BGBl I, 2379 ff. BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 92/16, NZI 2017, 627. Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl., § 4a Rn. 38; HK-InsO/Streck, 6. Aufl., § 287a Rn. 9 ff., insbesondere auch Rn. 12; Kübler/Prütting/Bork/Wenzel, InsO, 2015, § 287a Rn. 14 ff.

II. Stundung der Verfahrenskosten

rechtsprechung kodifiziert wurde. Der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 31.10.2012 zu § 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO109) ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber Sperrfristen nur insoweit anordnen wollte, als der Schuldner im vorangegangenen Verfahren die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verletzt, unzutreffende Angaben gemacht oder Obliegenheiten nicht beachtet hat und deshalb auf Antrag eines Gläubigers die Restschuldbefreiung versagt worden ist. In einem vom BGH entschiedenen Fall über die Verfahrenseinstellung nach 216 Aufhebung der Kostenstundung aufgrund eines schuldnerischen Fehlverhaltens hielt der Senat nicht an seiner Rechtsprechung fest. Der Schuldner kann danach einen neuen Antrag auf Restschuldbefreiung verbunden mit einem neuen Antrag auf Insolvenzeröffnung stellen.110) Der Schuldner kann ohne Einhaltung einer Sperrfrist einen neuen Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, wenn in einem vorausgegangenen Insolvenzverfahren die Kostenstundung wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten aufgehoben und das Insolvenzverfahren sodann mangels Masse eingestellt worden ist.111) Der Schuldner handelt danach nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er nach Aufhebung der Kostenstundung und Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ohne Einhaltung einer Sperrfrist erneut einen Antrag auf Kostenstundung für ein neues Insolvenzverfahren stellt, auch wenn die Aufhebung der Kostenstundung darauf beruht, dass er seine Mitwirkungspflichten verletzt hat.112) c) Folgen der Stundung Wird die Stundung bewilligt, werden die Verfahrenskosten (oKapitel D.VII.) 217 aus der Staatskasse beglichen, soweit das im Insolvenzverfahren einbehaltene Vermögen zu deren vollständiger Deckung nicht ausreicht (vgl. zur Vorwegentnahme der Kosten § 53 InsO). Nach Erteilung der Restschuldbefreiung wird der von der Staatskasse veraus- 218 lagte Verfahrenskostenanteil vom Schuldner eingefordert, ggf. im Wege der Ratenzahlung und längstens für einen Zeitraum von vier Jahren ab rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 4b InsO). Auch besteht die Möglichkeit, unter den Voraussetzungen des § 4c InsO, die 219 Stundung jederzeit aufzuheben, legt der Schuldner ein entsprechendes sanktionswürdiges Verhalten an den Tag.

___________ 109) BT-Drucks. 17/11268 S. 25. 110) BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 92/16, NZI 2017, 627. 111) BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 92/16, NZI 2017, 627. 112) BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 92/16, NZI 2017, 627.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

III. Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung 1. Restschuldbefreiungsantrag und Eigenantrag a) Kein isolierter Restschuldbefreiungsantrag 220 Der Eröffnungsantrag und der Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung sind zusammen einzureichen (§ 287 Abs. 1 Satz 1 InsO).113) Dem Antrag ist die Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO beizufügen. Hiermit tritt der der Schuldner seine pfändbaren Einkünfte für die Zeit von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abtretungsfrist) an den gerichtlich bestellten Treuhänder ab. Dieses Erfordernis gilt auch für selbstständige, wenn der Schuldner als natürliche Person die Erteilung der Restschuldbefreiung anstrebt. Zwar sind die Einnahmen selbstständig Tätiger nicht von § 287 Abs. 2 InsO erfasst. Dafür sieht der Gesetzgeber aber (in dem Abschnitt des Restschuldbefreiungsverfahrens, wo bei zu diesem Zeitpunkt nicht Selbstständigen der § 287 Abs. 2 InsO Wirkung entfaltet) einen Ausgleich über die sog. „Abführungspflicht gemäß § 295 Abs. 2 InsO“ (fiktiv ermittelte Einkünfte) vor. Überdies weiß bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens niemand, wie sich der Sachverhalt einige Zeit, oft Jahre später darstellt, so dass es durchaus sein kann, dass auch der zu Beginn des Verfahrens aktiv selbstständige Schuldner in ein Festanstellungsverhältnis wechselt, so dass auch in diesen Verfahren dann in dem Abschnitt der Wohlverhaltensphase § 287 Abs. 2 InsO Wirkung entfalten kann. 221 In den Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 hat der Schuldner folgende Angaben zu tätigen, so er die Erteilung der Restschuldbefreiung begehrt:114) 222 Gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 InsO hat der Schuldner zu erklären, ob x

ihm in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag Restschuldbefreiung erteilt oder

x

die Restschuldbefreiung in den letzten fünf Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag nach § 297 versagt worden ist, oder

x

ob ihm in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5, 6 oder 7 InsO (ggf. i. V. m. § 297a InsO) oder nach § 296 InsO versagt worden ist.

223 Hintergrund dieser Erklärung ist die „Vorverlegung“ des Zeitpunkts zur Ankündigung der Restschuldbefreiung durch die Eingangsentscheidung gemäß § 287a InsO. ___________ 113) BGH, Beschl. v. 25.9.2003 – IX ZB 24/03, NZI 2004, 511; BGH, Beschl. v. 8.7.2004 – IX ZB 209/03, NZI 2004, 593; BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 176/03, NZI 2005, 271. 114) Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.2013, verkündet am 18.7.2013, BGBl I, 2379 ff.

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III. Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung

Bei Fehlen oder Unvollständigkeit der Erklärung ist der Schuldner unter Frist- 224 setzung aufzufordern, die fehlende Erklärung nachzureichen. Kommt der Schuldner dieser Aufforderung nicht nach, ist der Restschuldbefreiungsantrag als unzulässig zurückzuweisen. Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erklärung hat der Schuldner zu ver- 225 sichern. Bei vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen oder unvollständigen Angaben droht die Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO. Der Restschuldbefreiungsantrag ist gemäß § 287a Abs. 2 InsO unzulässig, wenn x

dem Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag Restschuldbefreiung erteilt worden ist;

x

dem Schuldner die Restschuldbefreiung in den letzten fünf Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag nach § 297 InsO versagt worden ist (Insolvenzstraftat);

x

dem Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5, 6 oder 7 InsO (ggf. i. V. m. § 297a InsO) oder nach § 296 InsO versagt worden ist.

226

Die vom BGH zu den Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 ent- 227 wickelte, sehr umfangreiche Sperrfrist-Rechtsprechung ist nur zum Teil kodifiziert worden.115) b) Eigenantrag ohne Restschuldbefreiungsantrag Stellt der Schuldner nur den Antrag auf Eröffnung, kann ein Antrag auf 228 Restschuldbefreiung innerhalb einer Notfrist (vgl. § 4 InsO, § 233 ZPO) von zwei Wochen, nachdem das Insolvenzgericht über die Möglichkeit der Restschuldbefreiung belehrt hat (§ 20 Abs. 2 InsO), nachgereicht werden. Bei Eingang des Antrags nach Fristablauf ist der Restschuldbefreiungsantrag als unzulässig zurückzuweisen oder rechtzeitig vom Schuldner zurückzunehmen. c) Restschuldbefreiungsantrag ohne Eigenantrag (Regelinsolvenz) Wurde seitens eines Gläubigers die Antragsinitiative ergriffen, ist das Gericht 229 im Regelinsolvenzverfahren gehalten, den Schuldner über die Möglichkeit der Restschuldbefreiung bei gleichzeitiger Stellung eines Eigenantrags zu belehren (§ 4 InsO, § 139 ZPO, § 20 Abs. 2 InsO). Die zweiwöchige Notfrist, den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung zu stellen, beginnt erst mit Einreichung des Eröffnungsantrags durch den Schuldner (Eigenantrag) zu laufen, da diese Frist einen Eigentrag voraussetzt.116) ___________ 115) Siehe zur Sperrfristrechtsprechung auch Wipperfürth, InsbürO 2012, 385 ff. 116) BGH, Beschl. v. 8.7.2004 – IX ZB 209/03, NZI 2004, 593.

53

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

230 Versäumt der Schuldner die Stellung des Eigenantrags, kann er einen Antrag auf Restschuldbefreiung im Falle der Eröffnung des Verfahrens aufgrund eines Gläubigerantrags ausnahmsweise dann noch – bis zur Aufhebung des Verfahrens – stellen, wenn das Gericht ihn nicht hinreichend belehrt hatte, dass er zur Erreichung der Restschuldbefreiung nicht nur einen entsprechenden Antrag, sondern darüber hinaus auch einen Eigenantrag auf Insolvenzeröffnung stellen muss.117) 231 Lag hingegen eine ordnungsgemäße Belehrung vor, ist der Schuldner mit seinem Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung präkludiert, wurde das Verfahren aufgrund eines Fremdantrags eröffnet.118) Dem Schuldner fehlt das für den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erforderliche Rechtsschutzinteresse, wenn er den erneuten Eigenantrag mit dem Ziel der Erteilung der Restschuldbefreiung stellt, obwohl ihm innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Eröffnungsantrag bereits einmal die Restschuldbefreiung in einem Insolvenzverfahren erteilt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn in dem vorausgehenden Verfahren Forderungen einzelner Gläubiger möglicherweise zu Unrecht mit dem Zusatz der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung festgestellt worden sind.119) d) Restschuldbefreiungsantrag ohne Eigenantrag (Verbraucherinsolvenz) 232 Im Verbraucherinsolvenzverfahren muss der Schuldner bei Antragstellung gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 2 InsO mit dem Eigentrag entweder einen Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung stellen oder eine Erklärung abgeben, dass Restschuldbefreiung nicht beantragt werden soll. § 305 Abs. 1 Nr. 2 InsO verdrängt als Spezialnorm den § 287 Abs. 1 Satz 1 InsO.120) Fehlt ein Antrag bzw. die Erklärung, ist der Schuldner zur Ergänzung, die binnen eines Monats vorzunehmen ist, aufzufordern (§ 305 Abs. 3 Satz 2, 3 InsO). Liegt ein Gläubigerantrag vor, ist der Schuldner ebenfalls darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit der Stellung eines Eigenantrags besteht (§ 306 Abs. 3 InsO). In diesem Fall beträgt die Frist drei Monate (§ 305 Abs. 3 Satz 3 InsO). 233 Nach fruchtlosem Fristablauf gilt der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als zurückgenommen (§ 305 Abs. 3 Satz 2 InsO). 2. Rücknahme des Restschuldbefreiungsantrags 234 Nimmt der Schuldner zulässigerweise den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung zurück, kann er – nach der Sperrfristrechtsprechung des BGH – ___________ 117) BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 176/03. 118) Vgl. BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 1/08, ZInsO 2008, 1138; BGH, Beschl. v. 3.7.2008 – IX ZB 182/07, NZI 2008, 609; BGH, Beschl. v. 7.5.2009 – IX ZB 202/07, ZVI 2009, 368. 119) BGH, Beschl. v. 4.2.2016 – IX ZB 71/15, ZVI 2016, 166. 120) MünchKomm-InsO/Stephan, § 287 Rn. 13.

54

IV. Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht

während des eröffneten Verfahrens keinen neuerlichen Antrag mehr stellen.121) Hat ein Gläubiger in dem gemäß § 300 Abs. 1 InsO a. F. zur Anhörung anberaumten Termin oder innerhalb der stattdessen gesetzten Erklärungsfrist einen zulässigen Versagungsantrag gestellt, kann der Schuldner seinen Antrag auf Restschuldbefreiung auch dann nur noch mit Zustimmung dieses Gläubigers zurücknehmen, wenn die Sache entscheidungsreif ist, keine weiteren Erklärungen der Beteiligten ausstehen und lediglich noch eine Entscheidung des Insolvenzgerichts zu treffen ist.122) IV. Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht 1. Aufgaben und Befugnisse des Gutachters Nach Eingang des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zieht das 235 Insolvenzgericht zwecks Verifizierung, ob die Eröffnungsvoraussetzungen vorliegen, einen Sachverständigen bei, der zu den vom Gericht definierten Fallfragen gutachterlich Stellung nimmt. Hierzu gehören im Wesentlichen: x

die Prüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des Schuldners;

x

die Feststellung, ob Auslandsbezug vorliegt;

x

die Prüfung des Erfordernisses der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (§§ 21 ff. InsO);

x

die Prüfung, welche Verfahrensart (Regel- oder Verbraucherinsolvenz) einschlägig ist;

x

die Prüfung des Vorliegens eines nach der Rechtsform des Schuldners maßgeblichen Eröffnungsgrundes (§§ 16 ff. InsO);

x

die Prüfung der Fortführungsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens;

x

die Feststellung, ob eine kostendeckende Masse vorhanden ist;

x

die Prüfung, ob eine Freigabe des schuldnerischen Unternehmens gemäß § 35 Abs. 2 InsO angezeigt sein wird;

x

die Ermittlung besonders bedeutsamer Rechtshandlungen, zu denen ggf. die Zustimmung der stimmberechtigten Gläubiger einzuholen ist (§ 160 Abs. 1 Satz 3 InsO);

___________ 121) Hierzu der BGH, Beschl. v. 1.7.2010 – IX ZA 20/10, JurionRS 2010, 19497: „Die Ausschlussfrist des § 287 Abs. 1 S. 2 InsO wird nur durch eine vollständige Belehrung in Gang gesetzt. Hat der Schuldner mit seinem vom Insolvenzgericht als zulässig behandelten Antrag auf Restschuldbefreiung die Frist gewahrt, diesen jedoch später aus Gründen, die mit dem Inhalt der gerichtlichen Belehrung nichts zu tun hatten, zurückgenommen, so ist ein erneuter Antrag nach Fristablauf unzulässig.“ 122) BGH, Beschl. v. 14.6.2018 – IX ZB 43/17, ZVI 2018, 380.

55

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

x

die Ermittlung von Umständen oder Verhaltensweisen des Schuldners, die im weiteren Verlauf des Verfahrens eine Versagung der Restschuldbefreiung rechtfertigen könnten;

x

ggf. die Prüfung, ob ein zulässig Insolvenzantrag vorliegt (§ 13 InsO).

236 In der Regel erwartet das Insolvenzgericht eine abschließende gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen innerhalb einer gerichtlich (frei) festgesetzten Frist von ca. drei bis sechs Wochen.123) Sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen, erstattet der Sachverständige bis zum Abschluss seiner Tätigkeit in regelmäßigen Abständen Zwischenberichte an das Insolvenzgericht, in denen er den Fortgang seiner Ermittlungen und die noch zu klärenden Sachverhalte darlegt. Die „Zwischenberichtsfristen“ werden vom Insolvenzgericht nach freiem Ermessen festgelegt und betragen i. d. R. durchschnittlich ca. zwei bis vier Wochen. 237 Der Ermittlungsumfang ist gesetzlich nicht vorgeschrieben und kann im Einzelfall inhaltlich und quantitativ abweichen. Die erforderlichen ersten Informationen erhält der Sachverständige primär vom Schuldner, der zu Auskunftserteilung verpflichtet ist (§§ 20, 97 InsO), in einem oder mehreren unverzüglich anzuberaumenden Besprechungstermin/en. 238 Der Gutachter informiert zudem die wichtigsten Verfahrensbeteiligten über das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsantrags. Dies sind in aller Regel die beteiligten Banken, die Finanzverwaltung und Sozialversicherungsträger. Die Information erfolgt einerseits, um die dort bestehenden Forderungen gegen den Schuldner zu ermitteln, nicht zuletzt aber vor dem Hintergrund, die Beteiligten im Hinblick auf mögliche Insolvenzanfechtungsansprüche (oKapitel D.VI.7.o)) „bösgläubig“ über den (wahrscheinlichen) Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu machen. 239 Sofern es gilt, Gegenstände die der künftigen Insolvenzmasse unterliegen, zu sichern, wird das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren Sicherungsmaßnahmen gemäß §§ 21 ff. InsO anordnen und einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, der diese Sicherung der Haftungsmasse gewährleistet. Die Anordnung kann gleichzeitig mit der Bestellung eines Sachverständigen einhergehen oder auch erst später – meist angeregt durch den Sachverständigen – erfolgen. Stellt der Sachverständige im Zuge seiner Ermittlungen fest, dass eine Sicherung der Gegenstände der künftigen Insolvenzmasse angezeigt ist, um vermögensschädigende Einflüsse zu verhindern, wird er unverzüglich die Anordnung entsprechender Sicherungsmaßnahmen anregen. 240 Um die Vermögensverhältnisse des Schuldners umfassend zu ermitteln und das nach Abschluss der Ermittlungen einzureichende Sachverständigengutachten vollständig und zeitnah abfassen zu können, empfiehlt sich, in der Praxis das Vorgehen anhand einer Checkliste.124) ___________ 123) Die Fristen variieren je nach Gericht und/oder Sachverhalt. 124) Wipperfürth, InsbürO 2012, 463.

56

IV. Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht FRAGENKATALOG ERSTGESPRÄCH Insolvenzverfahren Az. des Gerichts Eigenantrag/Fremdantrag von Antragsdatum (Eingang bei Gericht) Sachverhalt/Frage

Nein

ja

Angaben/Antworten

Nachweise liegen vor

I.

ALLGEMEINES

1.

Name, Vorname

2.

Geburtsname

3.

Geburtsdatum

4.

Geburtsort

5.

Anschrift

6.

Telefon – Festnetz

7.

Telefon – Mobil

8.

Fax

9.

Email

10.

Familienstand

11.

Unterhaltspflichten

a)

minderjährige Kinder

werden nachgereicht

aa) (jeweils) Name, Geburtsdatum bb) ausnahmsweise keine Unterhaltspflicht, weil […] cc) tatsächliche Unterhaltsleistung dd) eigene Einkünfte (Bar-/Naturalunterhalt) b)

volljährige Kinder aa) (jeweils) Name, Geburtsdatum bb) ausnahmsweise keine Unterhaltspflicht, weil […] cc) tatsächliche Unterhaltsleistung dd) eigene Einkünfte (Bar-/Naturalunterhalt)

c)

Ehegatte/geschiedener Ehegatte/Mutter der Kindes/Betreuender Elternteil aa) Name, Geburtsdatum bb) tatsächliche Unterhaltsleistung cc) eigene Einkünfte (Höhe)

d)

unterhaltsberechtigte Eltern aa) Name, Geburtsdatum bb) tatsächliche Unterhaltsleistung cc) eigene Einkünfte (Höhe)

57

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren Sachverhalt/Frage

Nein

ja

Angaben/Antworten

Nachweise liegen vor

12. 13.

anerkannte Schwerbehinderungen, sonst. Einschränkungen d. Erwerbstätigkeit erlernter Beruf zusätzlich bei Selbstständigkeit bzw. Gesellschaftsinsolvenz

14.

Angaben zur Schuldnerunternehmung

a)

vollständige Firma

b)

Sitz

c)

HR A Nr.

d)

Handelsregisterauszug

e)

evtl. Zweigniederlassungen (vollständige Bezeichnung incl. Sitz)

f)

Geschäftsbetrieb aa) Branche bb) laufender Geschäftsbetrieb (s. auch VI.) cc) eingestellter Geschäftsbetrieb (1) eingestellt am (2) Grund der Einstellung

g)

Gesellschaftsvertrag/-verträge

h)

Gesellschafterbeschlüsse seit Gründung

i)

Liste der aktuellen und ehemaligen Gesellschafter (Name/n und aktuelle Anschrift/en)

15.

Steuerberater (Name, Anschrift)

16.

Stand der Buchhaltung

a)

letzte BWA

b)

letzte Summen-/Saldenliste

c)

Bilanzen/Jahresabschlüsse der letzten 3 Jahre

17.

Personalbuchhaltung

a)

Arbeitsverträge + Kündigungen der zuletzt beschäftigten Arbeitnehmer

b)

Gehaltsabrechnungen aller AN der letzten 12 Monate + Angabe der Lohnrückstände (seit wann?)

c)

Beitragsnachweise, Lohnsteueranmeldungen der letzten 3 Monate

d)

Sozialversicherungsträger, Berufsgenossenschaften (jeweils Anschrift und Betriebs-/ Mitgliedsnummer)

e)

Angaben zum Betriebsrat

58

werden nachgereicht

IV. Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht Sachverhalt/Frage

Nein

ja

Angaben/Antworten

Nachweise liegen vor

II.

AKTIVA

1.

Grundbesitz

a)

Amtsgericht, Liegenschaft, Grundbuchblatt

b)

Eigentumsanteil

werden nachgereicht

aa) Alleineigentum bb) Miteigentum zu […] Anteil c)

Anschrift des Grundstücks

d)

Anordnung Zwangsverwaltung? ja/nein

e)

Anordnung Zwangsversteigerung? ja/nein

f)

Belastungen Abt. II, III

g)

Wer nutzt das Grundstück/die Immobilie aa) Selbstnutzung bb) Fremdnutzung durch […] (Mieteinnahmen s. u.)

h)

Besteht eine Gebäudeversicherung? aa) Versicherungsgesellschaft, Vers.-Nr. bb) Beitragsrückstände seit […]

i)

Nebenkosten aa) Grundsteuern (Zahlungsempfänger, Betrag, Fälligkeit) bb) Energiekosten (Zahlungsempfänger, Betrag, Fälligkeit) cc) Abwasser-/Kanalgebühren (Zahlungsempfänger, Betrag, Fälligkeit) dd) sonstige lfd. Kosten, z. B. Schornsteinfeger, Abfall, Straßenreinigung (Zahlungsempfänger, Betrag, Fälligkeit) ee) bei WEG – mtl. Hausgelder u. Verwaltergebühren (Zahlungsempfänger, Betrag, Fälligkeit)

2.

Kraftfahrzeuge (Pkw, Zweiräder, o. Ä. – jeweils Zulassungsbescheinigung I + II bzw. Betriebserlaubnis)

a)

Marke, Modell

b)

amtl. Kennzeichen

c)

Baujahr/Erstzulassung

d)

Kilometerlaufleistung

e)

Eigentum/Leasing/Finanzierung (Sicherungsübereignung); bei Leasing/Fremd- o. Sicherungseigentum Vorlage Vertragswesen

f)

Kfz-Versicherungen (Haftpflicht/Kasko) bei Versicherung […] unter Nr. […] + Beitragshöhe und Fälligkeit (ggf. Rückstände)

59

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren Sachverhalt/Frage

Nein

ja

Angaben/Antworten

Nachweise liegen vor

g)

KfZ-Steuer (letzter Bescheid)

h)

Fahrzeug(e) zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit/Selbstständigkeit erforderlich (§ 811 Abs. 1 Ziff. 5 ZPO)? aa) Arbeitszeiten/Schichtdiensttätigkeit? bb) Erreichbarkeit der Arbeitsstelle mit öffentl. Verkehrsmitteln (Fahrpläne)?

i)

Fahrzeug(e) als Hilfsmittel notwendig wg. körperlicher Gebrechen (§ 811 Abs. I Ziff. 12 ZPO)?

3.

Hausrat (wertvolle Gegenstände – konkrete Nachfrage!)

4.

Pfändbares Einkommen

a)

Name/Firma des Arbeitsgebers/Leistungsträgers nebst Anschrift und Personalnr./Az. (Vorlage Arbeitsvertrag/Leistungsbescheid)

b)

Höhe des Einkommens (Vorlage mind. der letzten 3 Gehaltsabrechnungen)

c)

evtl. Nebeneinkünfte (Daten u. Unterlagen wie 4. a) + b))

d)

Abtretungen der pfändbaren Einkommensanteil zug. Dritter

5.

Steuererstattungsansprüche

a)

Privat aa) evtl. Erstattungsguthaben (letzter Einkommensteuerbescheid) bb) Welche Lohnsteuerklasse (Vorlage Lohnsteuerbescheinigung) cc) bei Ehegatten: gemeinsame/getrennte Veranlagung; ggf.: wann erfolgte Wechsel?

b)

betrieblich (auch bei Gesellschaftsinsolvenz)

6.

Finanzanlagen (Lebensversicherungen, Bausparverträge o. Ä.)

a)

Lebensversicherungen (Versicherungsgesellschaft, Vers.-Nr.; Vorlage Vertrag)

b)

Bausparverträge (Bausparkasse, Bauspar-Nr.; Vorlage Vertrag)

c)

Wertpapiere, Aktiendepots

d)

Beteiligungen (Genossenschaftsanteile, Gesellschafterstellung o. Ä.)

e)

existieren zu a)-d) Rechte Dritter (Abtretungen, Verpfändungen, Pfändungen)

7.

Mietkautionsguthaben

8.

Mieteinnahmen

a)

Name, Anschrift d. Mieters (Mietvertrag)

60

werden nachgereicht

IV. Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht Sachverhalt/Frage

Nein

ja

Angaben/Antworten

Nachweise liegen vor

b)

letzte Mietzahlung (Datum, Betrag)

c)

Rechte Dritter (Pfändungen, Verpfändungen, Zwangsverwaltung, Abtretungen)

9.

Schmuck, sonstige wertvolle Gegenstände

10.

Forderungen gegen Dritte bzw. L+ L

a)

Vorlage Drittschuldnerverzeichnis mit vollständiger Bezeichnung des Drittschuldners, Forderungsgrund und -betrag)

b)

Rechte Dritter (Pfändungen, Verpfändungen, Zwangsverwaltung, Globalabtretungen, Abtretungen)

11.

Bankguthaben

a)

Giro-/Geschäftskonten (Angabe aller Konten nebst Kreditinstitut und Kontonummer)

werden nachgereicht

aa) Kontoauszüge aller Konten (Zeitraum mind. 6 Monate vor Antragsstellung bis Eröffnung) bb) Pfändungsschutz gem. § 850k ZPO eingerichtet am……und Höhe des Freibetrags bb) Rechte Dritter (Pfändungen, Verpfändungen, Abtretungen mit Nachweisen) b)

Sparbuch/Sparbücher/Sparkonten aa) aktuelles Guthaben und Buchungen mind. der letzten 6 Monate vor Antragstellung bis Eröffnung (Vorlage Sparbuch, Kontoauszüge) bb) Rechte Dritter (Pfändungen, Verpfändungen, Abtretungen)

c)

Schließfächer

12.

Patente/Lizenzen

13.

Sonstige Forderungen/Vermögenswerte (z. B. Internetdomain)

14.

Anfechtungen

a)

Befriedigungen einzelner Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung (haupts. 3 Monate vor Antragstellung) aa) Forderungspfändungen (Arbeitseinkommen, Bankguthaben, Ansprüche aus Versicherungen, Forderungen L+L) bb) Pfändungen Gerichtsvollzieher

b)

Ratenzahlungen an einzelne Gläubiger

c)

Zahlungen/Sicherheitenbestellung auf Druck einzelner Gläubiger

13.

Barkasse

a)

aktueller Barkassenbestand

b)

Kassenbuch (inkl. Originalbelege)+ Kassenberichte mind. 6 Monate vor Antragstellung bis Eröffnung

61

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren Sachverhalt/Frage

Nein

ja

Angaben/Antworten

Nachweise liegen vor

14.

Betriebs- und Geschäftsausstattung

a)

Inventarliste (möglichste genaue Gerätebezeichnung nebst Anschaffungsdatum + Anschaffungswert)

b)

evtl. Drittrechte (Verpfändungen, Pfändungen, Raumsicherungsverträge, Vermieterpfandrecht, Leasing, Sicherungsübereignung, Fremdeigentum)

15.

Vorratsbestand

a)

Inventurliste (möglichste genaue Bezeichnung nebst Kaufdatum + Kaufpreis, Angaben zu Zahlungen)

b)

evtl. Drittrechte (Verpfändungen, Pfändungen, Raumsicherungsverträge, Vermieterpfandrecht, Leasing, Sicherungsübereignung, Fremdeigentum, Eigentumsvorbehalt)

III.

PASSIVA

1.

Dauerschuldverhältnisse

a)

Miete (Vorlage Mietvertrag)

b)

Leasingverträge

c)

Telefon-/Internet-/Handyverträge

d)

Energielieferungsverträge

e)

Versicherungsverträge (Haftpflicht, Betriebshaftpflicht, Unfall, Hausrat etc.)

2.

Insolvenzforderungen (Gläubigerliste nebst vollständiger Anschriften, Forderungsbetrag, Forderungsgrund [mit Zuordnung betrieblich oder privat veranlasste Verbindlichkeit], ggf. Inkassodienstleister/Rechtsanwalt)

IV.

SONSTIGES

1.

Anhängige/laufende Rechtsstreite (Gegner, Gericht, Aktenzeichen, Verfahrensstand/ Termine, evtl. anwaltl. Vertreter)

2.

Aktuelle Pfändungen/Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (§§ 88, 89 InsO, ggf. § 129 ff InsO)

3.

Insolvenzgründe (Zeitpunkt der Zahlungseinstellung, Umsatzrückgänge, Forderungsverluste, Eintritt der Arbeitslosigkeit etc.)

V.

ZUSÄTZLICH BEI SELBSTSTÄNDIGKEIT/FREIBERUFLER + LAUFENDER GESCHÄFTSBETRIEB

1.

Derzeitiges Auftragsvolumen

a)

begonnene Aufträge mit Bearbeitungsstand

b)

nicht begonnene Aufträge

c)

Auftragsangebote/Auftragserwartungen

2.

Lieferanten/Bestellungen

a)

wichtigste Lieferanten

b)

offene Bestellungen

c)

dringende anstehende Bestellungen

62

werden nachgereicht

IV. Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht Sachverhalt/Frage

Nein

ja

Angaben/Antworten

Nachweise liegen vor

3.

Kundenliste (vollständige Datensätze inkl. Anschriften und Ansprechpartner)

4.

Dringende Wartungen/Reparaturen/ Investitionen

5.

Ist ein Warenwirtschaftssystem vorhanden?

6.

Je nach Branche: Verwendung eines EC-Cash-Geräts?

7.

Je nach Zielsetzung: Angabe potentieller Investoren

werden nachgereicht

2. Konsequenzen für den Schuldner Die erforderlichen Informationen hat der Schuldner in Erfüllung seiner Aus- 241 kunfts- und Mitwirkungsverpflichtung bereitzustellen (§§ 20, 97 InsO).125) Erfüllt der Schuldner diese Pflichten nicht oder nicht in der gebotenen Art bzw. dem gebotenen Umfang, kann das Insolvenzgericht unter Beachtung des Erforderlichkeitsgrundsatzes die zwangsweise Auskunftserteilung anordnen (vgl. §§ 97, 98 InsO). Zudem gefährdet der Insolvenzschuldner u. U. die Bewilligung der Verfahrenskostenstundung und die Erteilung der Restschuldbefreiung, da die Mitwirkung ebenfalls eine Obliegenheit darstellt (vgl. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO; § 4a Abs. 1 InsO). In einem evtl. Strafverfahren dürfen die erteilten Informationen nur mit Zu- 242 stimmung des Schuldners verwendet werden (strafrechtliches Verwertungsverbot des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO).126) Allein die Anordnung über die Bestellung eines Sachverständigen (Beweisbe- 243 schluss) hat keinen Einfluss auf die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Insolvenzschuldners. Sofern der Sachverständige die Gefahr der Schmälerung der Haftungsmasse befürchtet, regt er die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (§§ 21 ff. InsO) gegenüber dem Insolvenzgericht an, um den Erhalt der künftigen Insolvenzmasse sicherzustellen. Erst dann erfahren die Befugnisse des Schuldners Einschränkungen (o Kapitel C.V.). 3. Vergütung des Gutachters Die Tätigkeit des Sachverständigen ist – ggf. neben der des vorläufigen Insol- 244 venzverwalters – angemessen zu vergüten. Die Vergütung des Sachverständigen ___________ 125) Siehe hierzu OLG Jena, Beschl. v. 12.8.2010 – 1 Ss 45/10, ZInsO 2011, 732 sowie OLG Celle, Beschl. v. 19.12.2012 – 32 Ss 164/12, ZInsO 2013, 731. Die OLGe sehen den Insolvenzgutachter nicht als Auskunftsberechtigten i. S. v. § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO an. 126) Siehe auch hierzu OLG Jena, Beschl. v. 12.8.2010, a. a. O. und OLG Celle, Bechl. v. 19.12.2012, a. a. O., die konsequent wegen der fehlenden Stellung als Auskunftsberechtigter das Verwendungsverbot in dem Fall negieren; zu Recht kritisch: Kemperdick, ZInsO 2013, 1116.

63

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

richtet sich nach dem JVEG und ist als gerichtliche Auslage aus der Staatskasse zu begleichen (GKG – KV 9005). 245 Dem Sachverständigen, der neben einem vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wird, steht gemäß § 9 Abs. 2 JVEG127) ein Stundensatz in Höhe von 80 € zu. § 9 Abs. 2 JVEG „[…] (2) Beauftragt das Gericht den vorläufigen Insolvenzverwalter, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen (§ 22 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 der Insolvenzordnung, auch in Verbindung mit § 22 Absatz 2 der Insolvenzordnung), beträgt das Honorar in diesem Fall abweichend von Absatz 1 für jede Stunde 80 €. […]“

246 Wird ausschließlich ein Sachverständiger bestellt, ohne dass parallel die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wird (sog. „isolierter Sachverständiger“), sieht das Gesetz keine eindeutige Regelung vor. Aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 JVEG lässt sich ableiten, dass der Gesetzgeber ausschließlich den Fall geregelt hat, in dem der vorläufige Insolvenzverwalter auch als Sachverständiger agiert. Hierfür steht ihm „abweichend von Absatz 1“ ein Stundensatz von 80 € zu. Es wird daher die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber die Tätigkeit eines isolierten Sachverständigen den Vergütungsklassen des § 9 Abs. 1 JVEG zuordne.128) So sei bei der Bemessung des Honorars des Sachverständigen auf § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG abzustellen, was bedeute, dass die Leistung, die auf einem Sachgebiet erbracht wird, das in keiner Honorargruppe genannt wird, nach billigem Ermessen einer Honorargruppe zuzuordnen sei.129) Hierbei seien nach dem Wortlaut der Regelung die allgemein für Leistungen dieser Art außergerichtlich und außerbehördlich vereinbarten Stundensätze zu berücksichtigen.130) Angemessen dürfte eine Eingruppierung in die Honorargruppe 6 – 9 sein, sodass der Stundensatz des „isolierten Sachverständigen“ zwischen 90 € und 105 € liegen sollte.131) Die Gerichtspraxis weicht im Einzelnen aber hiervon ab und gewährt lediglich einen Stundensatz in Höhe von 80 €.132) Es ist daher zu empfehlen, vorab in Erfahrung zu bringen, welche Stundensätze beim jeweiligen Insolvenzgericht als abrechnungsfähig anerkannt werden. Ob das JVEG eine – auch mit Bezug auf ___________ 127) I. d. F. d. Art. 72. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (2. KostRMoG) v. 23.7.2013, BGBl I, 2586 m. W. v. 1.8.2013. 128) So auch LG Wuppertal, Beschl. v. 4.3.2014 – 16 T 37/14145, JurionRS 2014, 16084. 129) So OLG Bamberg, Beschl. v. 29.9.2017 – 8 W 75/17, ZInsO 2017, 2457. 130) So OLG Bamberg, Beschl. v. 29.9.2017 – 8 W 75/17, ZInsO 2017, 2457. 131) Ähnlich LG Wuppertal (a. a. O.), dass wenigstens eine Gleichstufung mit Gruppe 6 annimmt. 132) LG Schweinfurt, Beschl. v. 12.1.2017 – 41 T 212/16, ZInsO 2018, 1332.

64

IV. Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht

die Stundensätze für Sachverständigentätigkeit im Insolvenzverfahren ausgerichtete – Novellierung anstrebt,133) bleibt abzuwarten. Zusätzlich erhält der Sachverständige seine eigenen Auslagen sowie die Um- 247 satzsteuer aus der Staatskasse (§§ 7, 12 JVEG). Der gerichtlich beauftragte Sachverständige hat das Gutachten selbst und eigenverantwortlich zu erstellen.134) Der Sachverständige kann für unterstützende Tätigkeiten Hilfspersonen hinzuziehen.135) Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die Gesamtverantwortlichkeit des vom Gericht ausgewählten und bestimmten Sachverständigen nicht mehr gewährleistet ist.136) Nach Auffassung des AG Fulda sei für die Festsetzung der Vergütung des 248 vom Richter beauftragten Insolvenzsachverständigen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Rechtspfleger funktionell zuständig.137) 4. Maßnahmen im Verwalterbüro Nach Eingang des Gutachterauftrags und des Aktenempfangs empfehlen 249 sich in aller Regel folgende Arbeitsschritte: Praxistipp: Maßnahmen im Verwalterbüro nach Eingang des Gutachterauftrags • Aktenanlage und Erfassung der Beteiligten • Erstkontakt zum Schuldner (schriftlich/fernmündlich/persönlich) Die Kontaktdaten des Schuldners lassen sich in der Regel der Akte entnehmen. Zusätzliche Erkenntnisse bringen ggf. eine Internetrecherche und/oder ein erstes fernmündliches Gespräch mit dem Antragsteller. Bei einem laufenden Geschäftsbetrieb sollte der Gutachter in jedem Fall ein persönliches Aufsuchen am Geschäftssitz des Schuldners anstreben. Bereits mit Aufnahme des Erstkontakts sollte die Informationsbeschaffung anhand der Checkliste (o Kapitel C.IV.1.) erfolgen. • Fristen notieren: Abgabetermin Gutachten, ggf. Zwischenberichtsfristen, spätester Abgabetermin Gutachten bei laufendem Insolvenzgeldzeitraum (sobald der Zeitraum der Lohnrückstände bekannt ist, o Kapitel C.VII.) • Aktenrücksendung

___________ 133) So InsbürO 2018, 250. 134) AG Duisburg, Beschl. v. 19.1.2018 – 64 IN 267/14, ZInsO 2018, 622, auch weitergehend zum Tätigkeitsumfang eines isolierten Sachverständigen im Eigenverwaltungsverfahren. 135) AG Duisburg, Beschl. v. 19.1.2018, a. a. O. 136) AG Duisburg, Beschl. v. 19.1.2018, a. a. O. 137) AG Fulda, Beschl. v. 27.2.2018 – 91 IN 9/16, ZInsO 2018, 895.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren • Ggf. Anregung zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen (o Kapitel C.V.), sobald zu sichernde Vermögenswerte festgestellt werden, regelmäßig bei laufendem Geschäftsbetrieb. • Ggf. Einrichtung eines Anderkontos Manche Verwalterkanzleien richten ein Anderkonto erst ein, wenn Vermögen festgestellt wird, einige praktizieren die Einrichtung unabhängig hiervon in jedem Verfahren unmittelbar nach Gutachterbestellung. Die geübte Kanzleipraxis ist also zu beachten. • Anschreiben an weitere Beteiligte, insbesondere Hausbank/en, Steuerberater, Krankenkassen, Finanzamt, Versicherungen Bei der Bestellung ausschließlich zum Gutachter sind etwaig erfragte Informationen i. d. R. nur nach Vorlage einer Schweigepflichtentbindungserklärung/Vollmacht zur Informationsbeschaffung zu erhalten. Diese ist vom Schuldner zu unterschreiben. • Erfassung der Gläubiger • Ggf. Zwischenberichte an das Insolvenzgericht über die bis dahin entfalteten Tätigkeiten, wenn der Gutachterauftrag innerhalb der ersten Frist zur Einreichung des Abschlussgutachtens noch nicht abgeschlossen werden konnte. • Vermögenswerte ermitteln, Klärung evtl. Drittrechte • Erstellung des Abschlussgutachtens138) • Vergütungsabrechnung Gutachtertätigkeit139) Sobald zu sicherndes Vermögen festgestellt wird, ist die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß §§ 21 ff. InsO anzuregen. Die weiteren, sodann folgenden Arbeitsschritte betreffen die vorläufige Insolvenzverwaltung (oKapitel C.V.5.).

V. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts 1. Sicherungsmaßnahmen 250 Wurde der Insolvenzantrag vom Insolvenzgericht zugelassen, gilt es u. a., die künftige Insolvenzmasse – demnach das derzeitige Vermögen sowie den künftigen Neuerwerb (vgl. § 35 InsO) – zu ermitteln und zu sichern. Über die Anordnung von Maßnahmen, die den Erhalt der Haftungsmasse für die Gläubiger sicherstellen sollen, entscheidet das Insolvenzgericht durch Beschluss (§ 21 Abs. 1 Satz 1 InsO). Eines Antrags bedarf es insoweit nicht. Die Anordnung ergeht von Amts wegen und ist zu jedem Zeitpunkt des Eröffnungsverfahrens – auch vor abschließender Prüfung der Zulässigkeit des Eröffnungsantrags140) – möglich.

___________ 138) Muster siehe Heyn/Kreuznacht/Voß, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, Rn. 398 ff. 139) Muster siehe Heyn/Kreuznacht/Voß, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, Rn. 400 ff. 140) BGH, Beschl. v. 15.12.2011 – IX ZB 139/11, KSI 2012, 92.

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V. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

Als Entscheidungsgrundlage dienen entweder die Angaben des Antragstel- 251 lers im Antrag oder die Ermittlungsergebnisse des nach Antragseingang gerichtlich bestellten Sachverständigen (o Kapitel C.IV.). Da das Insolvenzverfahren einen massiven Eingriff in die Sphäre des Schuld- 252 ners bedeutet, ist stets eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände vorzunehmen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit zu beachten.141) Welche Anordnungen im konkreten Einzelfall angezeigt, erforderlich und 253 verhältnismäßig sind, entscheidet das Insolvenzgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Der Maßnahmenkatalog des § 21 Abs. 2, 3 InsO ist nicht abschließend, sondern beispielhaft zu verstehen.142) Im Fokus steht immer der Sicherungscharakter; Verwertungsbefugnisse zugunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters sind nur als Ausnahme zu erteilen und immer dann angezeigt, wenn hierdurch ein Schaden von der Masse abgewendet werden kann, der ohne diese Befugnisse entstehen würde.143) Die gängigsten Sicherungsmaßnahmen sind in der Praxis:

254

Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 InsO) o Hierzu sogleich in Kapitel C.V.2.

255

Untersagung oder einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das bewegliche Vermögen144) (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Das Vollstreckungsverbot des § 89 InsO, wonach Zwangsvollstreckungen für 256 einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens in die Insolvenzmasse und in das sonstige Vermögen des Schuldners unzulässig sind, gilt erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im Eröffnungsverfahren dagegen besteht für einzelne Gläubiger, selbst wenn die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wurde, die Möglichkeit der Durchführung der Zwangsvollstreckung. Hierdurch erlangte Sicherheiten werden zwar mit Eröffnung unwirksam gemäß § 88 InsO (Rückschlagsperre o Kapitel D.XIII.). Zudem unterliegen durch die Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigungen unter den Voraussetzungen der § 129 ff. InsO der insolvenzrechtlichen Anfechtung (oKapitel D.VI.7.o.); aber auch die Anfechtung setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Um im Antragsverfahren Vermögensabflüsse frühzeitig zu verhindern und Ver- 257 mögen/Liquidität zu sichern, können durch gerichtliche Anordnung Maß___________ 141) 142) 143) 144)

Exemplarisch BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, NZI 2001, 191. Vgl. Wortlaut des § 21 Abs. 2 Satz 1 InsO: „[…] kann insbesondere […]“. Hierzu grundsätzlich u. a. BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, NZI 2001, 191. Für unbewegliches Vermögen siehe §§ 30 ff. ZVG.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

nahmen der Einzelzwangsvollstreckung untersagt und einstweilen eingestellt werden. Von höchster Wichtigkeit ist diese Sicherungsmaßnahme insbesondere, wenn ein laufender Geschäftsbetrieb fortgeführt werden soll. 258 Die Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO betrifft hauptsächlich: x

die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche Vermögen (vgl. §§ 803 ff. ZPO),

x

die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte (§§ 828 ff. ZPO),

x

die zwangsweise Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (vgl. §§ 807 ff. ZPO),145)

x

die Herausgabevollstreckung (vgl. §§ 883 ff. ZPO),

x

die Räumungsvollstreckung (§ 885 ZPO),

x

die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen (vgl. §§ 887 ff. ZPO),

x

die Vollziehung von Arresten und einstweiligen Verfügungen i. S. d. §§ 928, 936 ZPO.146)

259 Hat ein Gläubiger einen Antrag auf Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung gestellt, ist diese Maßnahme nicht von § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO erfasst. Eine einstweilige Einstellung kann nur gemäß § 30d ZVG durch das Vollstreckungsgericht, nicht aber durch das Insolvenzgericht angeordnet werden. Anordnung einer vorläufigen Postsperre (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 InsO) 260 Die Anordnung einer vorläufigen Postsperre geht regelmäßig einher mit der Bestellung eines mindestens „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters und soll gewährleisten, dass dieser seiner Sicherungspflicht nachkommen kann. Gerade bei obstruierenden Schuldnern, die die Sicherungs- und Ermittlungsarbeit im Antragsverfahren behindern, ist die Anordnung einer vorläufigen Postsperre ein probates Mittel, diesem Verhalten zu begegnen. Das Gericht hat hierbei insbesondere die Verhältnismäßigkeit einer solchen Anordnung unter Berücksichtigung des Brief- sowie des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) zu beachten.147) Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO 261 Mit einer Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ist sichergestellt, dass bewegliches Aus-/Absonderungsgut zunächst für die Betriebsfortführung ___________ 145) BGH, Beschl. v. 24.5.2012 – IX ZB 275/12, NZI 2012, 560. 146) HK-InsO/Schröder, § 21 Rn. 54 f. 147) Vgl. OLG Celle, Beschl. v. 11.9.2000 – 2 W 87/00, NZI 2000, 583.

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V. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

eingesetzt werden darf, ohne dass der Berechtigte die Verwertung oder den Einzug verlangen kann. Voraussetzung ist, dass die jeweiligen Gegenstände für die Betriebsfortfüh- 262 rung von erheblicher Bedeutung sind. Eine pauschale Anordnung, ohne dass diese individualisierbare Ausführungen zu den betreffenden Gegenständen enthält, ist unwirksam. Daher bedarf auch die Anregung des Gutachters/vorläufigen Insolvenzverwalters, eine solche Anordnung zu treffen, genauer Ausführungen, aus welchem Grund der jeweilige Gegenstand für die Fortführung von erheblicher Bedeutung ist.148) Ohne weitere Präzisierung nicht ausreichend wäre z. B. die Formulierung „die gesamte Betriebs- und Geschäftsausstattung“. Die Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ist nicht gleichzusetzen mit 263 der sog. Einzelermächtigung, durch die der vorläufige Insolvenzverwalter ermächtigt wird, einzelfallbezogen Masseverbindlichkeiten zu begründen.149) Nutzt der vorläufige Insolvenzverwalter aufgrund einer Anordnung gemäß 264 § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO Gegenstände weiterhin, ergibt sich für den Berechtigten hieraus ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung von dem Zeitpunkt an, der drei Monate nach dieser Anordnung liegt (§§ 21 Abs. 1 Nr. 5, 169 Satz 2 InsO). Die Entschädigung ist aus der Insolvenzmasse zu bestreiten (§ 55 Abs. 2 InsO).150) Geht die Nutzung über die vertragliche Abrede hinaus, besteht zudem ein Anspruch auf Wertersatz.151) Einzelermächtigung In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle wird im Eröffnungsverfahren ein 265 „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt. Soll ein Geschäftsbetrieb fortgeführt werden, ergeben sich nicht selten Schwie- 266 rigkeiten, die Weiterbelieferung/-versorgung sicherzustellen, da aufseiten der Gläubiger Vorsicht das Handeln bestimmt. Die Gläubiger können sich – trotz bargeschäftlicher Zahlungszusagen,152) die der vorläufige Insolvenzverwalter regelmäßig erteilt – nicht sicher sein, dass ihre in der vorläufigen Insolvenzverwaltung begründeten Forderungen auch vor Eröffnung des Verfahrens noch bedient werden. Nach Eröffnung ist dem Insolvenzverwalter untersagt, Zahlungen auf vor Insolvenzeröffnung begründete Insolvenzforderungen zu leisten. Eine solche Zahlung wäre als Verstoß gegen die Befriedigungsreihen___________ 148) 149) 150) 151) 152)

BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZInsO 2010, 136. BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZInsO 2010, 136. BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZInsO 2012, 701. BGH v. 8.3.2012 a. a. O. Siehe hierzu BGH, Beschl. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZInsO 2002, 819.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

folge (§§ 53, 38, 209 InsO) haftungsbewehrt.153) Um die Weiterbelieferung/versorgung und somit die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs sicherzustellen, kann das Insolvenzgericht den vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter im Rahmen von § 22 Abs. 2 InsO ermächtigen, einzelfallbezogen Masseverbindlichkeiten zu begründen (Einzelermächtigung).154) Auf diesem Wege ist gewährleistet, dass die Geschäftspartner im vorläufigen Insolvenzverfahren, die Sicherheit im Rücken, dass die betreffenden Rechnungen auch nach Insolvenzeröffnung noch beglichen werden, mit der Weiterbelieferung fortfahren. 267 Die Anordnung gilt nicht für solche Zahlungsrückstände, die bereits vor Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung begründet wurden. Eine Verrechnung der Zahlungen zunächst auf die Altforderungen ist ausgeschlossen. 268 Eine Einzelermächtigung bedarf ebenfalls einer konkreten, individualisierten Ausführung; eine Pauschalanordnung schließt sich als unzulässig aus. Nach den Heidelberger Leitlinien155) soll es allerdings zulässig sein, eine Ermächtigung auch für einzelne Projekte/Projektgruppen (z. B. Bauprojekt „MarktHochhaus“) zu beschließen. Eine konkrete Projektbeschreibung nebst Darlegung des projektbezogenen Kostenaufwands ist allerdings auch hier unerlässlich. 269 Manch ein Lieferant oder Dienstleister beliefert bzw. leistet in diesem Stadium nur noch gegen Vorkasse. Auch dieses ist – entsprechend kalkuliert – über Abschlagszahlungen darstellbar unter der Zusicherung, dass eine stichtagsgenaue Abrechnung auf den Eröffnungstag erfolgt, um eine Leistungsabgrenzung zum jeweiligen Verfahrensabschnitt zu gewährleisten; etwaig bestehende Überschüsse werden nach finaler Leistungsabgrenzung erstattet. Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO) 270 Mit der Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO ist der Gläubigerausschuss gemeint, der vor Eröffnung des Verfahren bereits tätig werden kann (ovgl. Kapitel A.IV.). Leistungsgebot an Drittschuldner 271 Regelmäßig ergeht eine Aufforderung an Drittschuldner, nur noch an den vorläufigen Insolvenzverwalter zu leisten (§ 23 Abs. 1 Satz 3 InsO). Dies dient einerseits der direkten Liquiditätsgewinnung, da so verhindert wird, dass auf dem oftmals debitorisch geführten Schuldnerkonto eingehende Gelder „eingefroren“ oder verrechnet werden, die erst nach Eröffnung im Wege der Anfechtung (oKapitel D.VI.7.o)) liquiditätswirksam zur Masse verlangt werden ___________ 153) BGH, Beschl. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/04, NZI 2004, 435. 154) BGH, Beschl. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543. 155) Heidelberger Leitlinien, ZInsO 2009, 1848.

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V. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

können. Andererseits besteht so die Möglichkeit, evtl. an den Forderungen bestehende (manchmal kollidierende) Drittrechte sorgfältig zu prüfen. Betreten der Räume und Nachforschungen in den Räumen des Schuldners (§ 22 Abs. 3 Satz 1 InsO) Eine Anordnung, die das Betreten der Räume des Schuldners sowie das An- 272 stellen von Nachforschungen erlaubt, ist vor dem Hintergrund der „Verdunklungsgefahr“ gesetzlich vorgesehen. Hinsichtlich der Räume Dritter ist eine solche Anordnung nicht zulässig.156) Allgemeines Verfügungsverbot (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO) Ergeht die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots, bestellt das Ge- 273 richt regelmäßig einen vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners übergeht (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO), da andernfalls Verfügungen über das Vermögen des Schuldners nicht mehr möglich wären. Bei Anordnung i. S. v. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO handelt es sich um ein absolutes Verfügungsverbot (vgl. § 24 InsO i. V. m. §§ 81, 82 InsO). Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) Ordnet das Gericht an, dass Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zu- 274 stimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, ist gleichzeitig ein solcher zu bestellen. Zu beachten ist, dass ausschließlich Verfügungen157) dem Zustimmungsvorbehalt unterliegen. Verpflichtungsgeschäfte kann der Schuldner nach wie vor rechtlich wirksam eingehen. Praxistipp: Verfügung i. S. v. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO definiert sich als ein Rechtsgeschäft, durch das der Verfügende auf ein Recht unmittelbar einwirkt, es also entweder auf einen Dritten überträgt oder mit einem Recht belastet oder das Recht aufhebt oder es sonst wie in seinem Inhalt verändert.158)

Verfügungen des Schuldners nach Anordnung des allgemeinen Verfügungs- 275 verbots sind absolut unwirksam, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter diesen nicht zustimmt (§ 24 InsO i. V. m. §§ 81, 82 InsO).159) Eine Ausnahme hierzu bilden dingliche Rechte (z. B. Grundpfandrechte, Ei- 276 gentumsrechte), die zu ihrer Entstehung der Einigung und Eintragung im Grundbuch bedürfen. Fehlt zum Rechtserwerb lediglich noch die zum Zeit___________ 156) 157) 158) 159)

BGH, Beschl. v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, NZI 2009, 766. Im allgemeinen, zivilrechtlichen Sinne. BGH, Beschl. v. 4.5.1987 – II ZR 211/86, BGHZ 101, 24. FK-InsO/Schmerbach, § 21 Rn. 277.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

punkt der Anordnung des Zustimmungsvorbehalts beantragte Eintragung, hat der künftige Berechtigte bereits eine gesicherte Rechtsposition, wobei der Rechtserwerb nur noch von der Bearbeitung durch das Grundbuchamt abhängt. In diesem Fall hindert der Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO den Eintritt des Verfügungserfolges nicht.160) 2. Aufgaben und Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters 277 Die Insolvenzordnung sieht dem Grunde nach zwei Möglichkeiten vor, mit welchen Befugnissen der vorläufige Insolvenzverwalter ausgestattet werden kann. a) Der starke vorläufige Insolvenzverwalter 278 Dem Schuldner kann ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt werden; damit einher geht der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter hinsichtlich der (künftig) massebeschlagenen Vermögenswerte (sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter, §§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO). Im gleichen Umfang verliert der Schuldner das Recht zur Verwaltung und Verfügung über die betreffenden Gegenstände. Zwar bleibt er Rechtsträger161), seine gegen die Anordnung getroffenen Verfügungen sind jedoch absolut unwirksam (vgl. § 24 InsO i. V. m. § 81 InsO). Die Befugnisse des mit Verwaltungs- und Verfügungsmacht ausgestatteten vorläufigen Verwalters sind denen des Insolvenzverwalters angenähert. Ausfluss dessen ist auch, dass Verbindlichkeiten, die der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren begründet, als Masseverbindlichkeiten qualifiziert sind (§ 55 Abs. 2 InsO). Mit der starken vorläufigen Insolvenzverwaltung geht ein großes Haftungsrisiko für den Bestellten einher. Dies gilt insbesondere deswegen, weil er sich nach einer sehr, sehr kurzen Zeit bereits in einem ihm unbekannten und wahrscheinlich sehr stark finanziell kriselndem Unternehmen zurechtfinden und auch verantwortlich zeichnen muss. In der Praxis wird eher selten von der Anordnung einer starken vorläufigen Insolvenzverwaltung Gebrauch gemacht. b) Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter 279 Gilt es künftige, dem Massebeschlag unterliegende Gegenstände zu sichern, ordnet das Gericht einen sog. Zustimmungsvorbehalt an: Die Verfügungen des Schuldners sind in diesem Fall nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (sog. „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter, §§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO). Verfügungen des Schuldners sind bis zur Genehmigung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter schwebend unwirksam (vgl. § 185 Abs. 2 BGB). Verweigert der vorläufige Insolvenzverwalter die Zustimmung, ist eine Verfügung des Schuldners endgültig unwirksam. ___________ 160) BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, NZI 2012, 614. 161) MünchKomm-InsO/Haarmeyer, § 21 Rn. 24.

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V. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

Masseverbindlichkeiten können ebenfalls durch den „schwachen“ vorläufigen 280 Insolvenzverwalter begründet werden. Dies ist im Wesentlichen abhängig vom Umfang der gerichtlich angeordneten Sicherungsmaßnahme (o hierzu §§ 21 Abs. 1 Nr. 5, 55 Abs. 2 Satz 2 InsO). Zudem ist in § 55 Abs. 4 InsO eine gesetzliche Fiktion für Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis verankert, welche mit Insolvenzeröffnung als Masseverbindlichkeiten gelten, verankert, auf das an späterer Stelle – ebenso wie zur bahnbrechenden und gleichermaßen umstrittenen Entscheidung des BFH vom 9.12.2010162) – noch detailliert eingegangen werden wird (oKapitel D.VII.). Vor diesem Hintergrund werden ebenfalls Steuerverbindlichkeiten aus dem Eröffnungsverfahren zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet. c) Verwertung und Notverwertung Im Eröffnungsverfahren gilt die Prämisse der Sicherung und Erhaltung des 281 Schuldnervermögens durch den vorläufigen Insolvenzverwalter. Dies bedeutet auch, dass der vorläufige Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht mit einem Verwertungsrecht ausgestattet ist. Das Verwertungsrecht bleibt dem Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren 282 vorbehalten. Die Verwertung ist auch nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich erst nach dem Berichtstermin vorgesehen (vgl. § 159 InsO). Dem vorläufigen Insolvenzverwalter stehen nur dann Verwertungsbefugnisse 283 zu, wenn er hierdurch wenigstens eine Deckung der Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten sicherstellen muss (vgl. § 25 Abs. 2 InsO).163) Soweit ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestattet ist, bedarf es zur Verwertung keiner gesonderten Beschlussfassung des Insolvenzgerichts; klarstellend kann aber auch eine solche erfolgen.164) Ist „lediglich“ ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und sind Verwertungshandlungen wegen § 25 Abs. 2 InsO erforderlich, ist in jedem Fall eine dahingehende, gesonderte Beschlussfassung durch das Insolvenzgericht zu treffen, da der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter nicht mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnissen ausgestattet ist. Soweit dies zur Kostendeckung erforderlich ist, stehen dem vorläufigen In- 284 solvenzverwalter allerdings ausschließlich aus diesem Grund Verwertungsbefugnisse zu. In weiteren Ausnahmefällen ist er befugt, eine „Notverwertung“ zu initiie- 285 ren, wenn hierdurch Schaden von der Masse abgewendet werden kann. Dies ist insbesondere angezeigt, wenn sich verderbliche Waren im Schuldnerver___________ 162) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782. 163) Kübler/Prütting/Bork/Pape, InsO, § 25 Rn. 11. 164) AG Duisburg, Beschl. v. 29.3.2000 – 62 IN 10/00, DZWIR 2000, 306 m. Anm. Smid, DZWiR 2000, 308.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

mögen befinden und ein Zuwarten bis nach dem Berichtstermin ohne weiteren Schaden zulasten der Gläubigerbefriedigung nicht denkbar ist. 286 Die Notverwertung kann durch einen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter aus eigener Verfügungsbefugnis heraus vollzogen werden. Ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter muss einer vom Schuldner vorgenommenen Verwertungsverfügung zustimmen. Auch denkbar ist, dass das Insolvenzgericht den „schwachen“ vorläufigen Verwalter im Rahmen von § 22 Abs. 2 InsO mit der Verfügungsbefugnis nur für die Verwertung des/der einzelnen Vermögensgegenstands/Vermögensgegenstände ausstattet. 3. Konsequenzen für den Schuldner 287 Einher mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters gehen Einschränkungen auf Schuldnerseite. Der Schuldner verliert die Befugnis, alleine und rechtswirksam über Gegenstände der künftigen Insolvenzmasse zu verfügen. Ist eine schwache vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet, ist die Wirksamkeit der Verfügung abhängig von der Zustimmung des vorläufigen Verwalters; ist ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, verliert der Schuldner selbst seine Verfügungsbefugnis auf ganzer Linie, soweit der künftigen Masse zugehörige Gegenstände betroffen sind. 288 Aus Schuldnersicht sind dies einschneidende Maßnahmen und Veränderungen, die neben dem oft existenziellen Druck noch zusätzlich das Gefühl der Unsicherheiten hervorruft. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist an einer professionellen und effizienten Bearbeitung des Verfahrens interessiert und ist im Antragsverfahren auf Informationen des Schuldners angewiesen, um sich zügig ein umfassendes Bild über die schuldnerische Vermögenslage zu machen. Der Schuldner ist zur umfassenden Auskunftserteilung und Mitwirkung verpflichtet (§§ 20, 97, 98 InsO). Oft sind es jedoch die weniger wichtig erscheinenden „Randinformationen“, die einen reibungslosen Ablauf und insbesondere auch die Fortführung eines Unternehmens oder Praxisbetriebs gewährleisten. Um möglichst umfassend und zeitnah auf diese Informationen zurückgreifen zu können, hat die Praxis gezeigt, dass die Schaffung einer guten Kommunikationsbasis die Voraussetzung für einen reibungslosen, effizienten und auch im Ergebnis erfolgreichen Verfahrensverlauf ist. In der Praxis empfiehlt sich daher, Vorurteilen und Vorbehalten mit einer Rollenklärung zu begegnen, indem die Aufgaben, Befugnisse und Funktionen sowie die rechtliche Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters geklärt werden. Meist ist der Schuldner erstmalig mit einer derartigen Situation konfrontiert. Werden die Wirkungskreise eindeutig definiert, steigt die Bereitschaft zur Mitwirkung beim Schuldner in gleichem Maße, wie Vorbehalte, Misstrauen und Vorsicht abgebaut werden. Auch sollte klargestellt werden, dass der vorläufige Insolvenzverwalter nicht als der rechtlich beratende Vertreter des Schuldners agieren darf. Zielführend ist darüber hinaus eine transparente Arbeitsweise und auch Kommunikation der Arbeitsschritte und Planungsum74

V. Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

setzung. Letzteres empfiehlt sich sowohl gegenüber dem Schuldner als auch gegenüber dem evtl. Mitarbeiterstamm, denn insbesondere die Mitwirkungsbereitschaft der Arbeitnehmer ist bei einer angestrebten Sanierung von höchster Wichtigkeit. Diese Vorgehensweise versteht sich nicht als Allheilmittel; es existieren stets 289 auch solche Schuldner, die beabsichtigen, sich frei von jeglichen Moralvorstellungen mittels einer „geplanten Insolvenz“ mit möglichst wenig finanziellem und auch sonstigem Einsatz Ihrer Verbindlichkeiten zu entledigen. In diesem Fall sind meist nur die gesetzgeberischen Mittel und Wege zur notfalls zwangsweisen Auskunftserteilung zielführend. Soweit der Schuldner in freiberuflicher Praxis tätig ist, ist der vorläufige In- 290 solvenzverwalter bereits aus berufsrechtlichen Gründen auf die Mitwirkung des Schuldners zwingend angewiesen, da er in der Regel nicht über die personenbezogenen Fachkompetenzen, Zulassungen, Approbationen o. Ä. verfügt, um einen Praxisbetrieb aufrechterhalten zu können. Die zuvor beschriebenen Grundsätze gelten gleichermaßen für den nach Er- 291 öffnung bestellten Insolvenzverwalter. 4. Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters Der vorläufige Insolvenzverwalter hat einen Anspruch auf eine angemessene 292 Vergütung seiner Tätigkeit, die, da nicht jede vorläufige Insolvenzverwaltung in eine Verfahrenseröffnung mündet165), gesondert abzugelten ist (§ 63 Abs. 3 InsO, § 11 InsVV). Der Vergütung ist ein gesonderter Abschnitt gewidmet (o Kapitel D.XIV.6.). 5. Maßnahmen im Verwalterbüro Wurden Sicherungsmaßnahmen angeordnet, sind – in Ergänzung zu den 293 Arbeitsschritten nach Eingang des Gutachterauftrags (o Kapitel C.IV.4.) – folgende weitere Maßnahmen zu ergreifen, soweit diese im jeweiligen Verfahren aufgrund der ermittelten Vermögenswerte angezeigt sind: Praxistipp: Maßnahmen im Verwalterbüro nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen • Drittschuldnerdaten erfassen. • Zustellung des Beschlusses über die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen an Drittschuldner (i. d. R. zusammen mit dem Aufforderungsschreiben zum Forderungseinzug). • Zustellnachweis an das Insolvenzgericht (§ 8 Abs. 3 InsO). • Forderungseinzug bei Drittschuldnern.

___________ 165) Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 11 Rn. 1.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren • Ggf. Betriebsfortführung koordinieren (o Rn. 287 ff.). • Ggf. Antrag an das Grundbuchamt, Schiffsregister (Eintragung des vorläufigen Sperrvermerks, §§ 23 Abs. 3, 32, 33 InsO). Eine dahingehende Veranlassung besteht nur, wenn nicht bereits das Insolvenzgericht um entsprechende Eintragung ersucht hat (vgl. § 32 Abs. 2 InsO). • Vermögenswerte ermitteln und bewerten (Inventur, Inventarverzeichnis, Bilddokumentationen); ggf. ist die Hinzuziehung eines externen Bewerters/ Industriegutachter/Sachverständigen angezeigt. • Vermögenswerte sichern. Die Sicherung erfolgt abgestimmt auf den Charakter des vorläufigen Verfahrens. Die Maßnahmen können im Einzelfall in dem einen Verfahren angezeigt/zwingend erforderlich sein, in einem anderen Verfahren nicht. Soll z. B. ein Speditionsbetrieb fortgeführt werden, bedarf es keiner näheren Erläuterung, dass die Inbesitznahme sämtlicher Lkw-Schlüsselsätze völlig kontraproduktiv wäre. Der folgende Katalog ist daher anwendbar, sofern der Umfang der angeordneten Sicherungsmaßnahmen dies umfasst und die jeweilige Maßnahme im Verfahren angezeigt ist: • Inbesitznahme der Zulassungsbescheinigungen (Teil 2) • Kfz-Schlüsselsätze sicherstellen. • Barkassenbestand auf das Anderkonto einzahlen, soweit nicht zur Fortführung benötigt. • Inbesitznahme Schlüsselsätze Betriebsstätte, sofern nicht zur Fortführung benötigt. • Rechnungslegung nach Beendigung des Amtes und Abschluss der Tätigkeit (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 66 InsO.166) • Vergütungsantrag nach Beendigung des Amtes, spätestens jedoch mit Einreichung des Schlussberichts im eröffneten Verfahren.167)

VI. Fortführung des Geschäfts-/Praxisbetriebs im Eröffnungsverfahren 1. Fortführung oder Einstellung des Geschäftsbetriebs 294 Ist der Schuldner selbstständig tätig, werden zum Zeitpunkt der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung bereits die Weichen gestellt, in welche Richtung sich das Insolvenzverfahren entwickelt. In der hochsensiblen Anfangsphase sind insbesondere die Entscheidungsgrundlagen zusammenzustellen, die der Gläubigerversammlung nach Eröffnung eine abschließende Entscheidungsfindung über die Fortführung oder Stilllegung des Betriebs ermöglicht (§ 157 InsO). Soweit tatsächlich, rechtlich und betriebswirtschaftlich darstellbar, wird ein laufender Geschäfts-/Praxisbetrieb daher gerade im Eröffnungsverfahren zunächst bis auf Weiteres fortgeführt. Ist eine zeitnah nach Verfahrenseröffnung erfolgende übertragende Sanierung beabsichtigt, er___________ 166) Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 801 ff. 167) Muster: Heyn/Kreuznacht/Voß, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, Rn. 562 ff.

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VI. Fortführung des Geschäfts-/Praxisbetriebs im Eröffnungsverfahren

möglicht § 158 InsO dem Verwalter die Veräußerung vor dem Berichtstermin mit Zustimmung des Gläubigerausschusses, wenn dies die bestmögliche Masseverwertung darstellt. Sofern es dem Erhaltungsinteresse dient, besteht auch die Möglichkeit, das Unternehmen an einen potentiellen Erwerber bis zum Votum der Gläubigerversammlung zu verpachten.168) Ist eine Fortführung aus rechtlichen, tatsächlichen und/oder betriebswirtschaft- 295 lichen Gründen nicht darstellbar und muss der Betrieb vor Einberufung der Gläubigerversammlung eingestellt werden, ist nach Eröffnung bereits vor dem Berichtstermin die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen (§ 158 Abs. 1 InsO). Zuvor bzw. in dem Fall, in dem ein solches Gremium nicht berufen ist, muss der Schuldner unterrichtet werden (§ 158 Abs. 2 InsO). Der Verwalter entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen. Sofern dies zeitlich möglich und umsetzbar ist, sollte er jedoch zur Vermeidung von Haftungsansprüchen (vgl. § 60 InsO) die Einsetzung eines vorläufigen Ausschusses (§ 67 InsO) anregen.169) Diese Grundsätze dürften auch auf die (im Fall der schwachen vorläufigen Verwaltung vom Schuldner initiierten) Einstellung im Antragsverfahren übertragbar sein. Konstruktive Basis Eine Fortführung des operativen Geschäftsbetriebs im vorläufigen (wie auch 296 im eröffneten) Verfahren bedarf einer konstruktiven, koordinierten und zielgerichteten Arbeit auf ganzer Ebene. Angesichts der eingetretenen Krise trifft der vorläufige Insolvenzverwalter das folgende oder ein zumindest ähnliches Szenario an: Der Schuldner selbst steht unter Druck, sieht sich – ebenso wie evtl. Ange- 297 stellte – mit Existenzängsten konfrontiert und setzt evtl. alles daran, dass durch den „letzten Rettungsanker“ des Insolvenzverfahrens der Betrieb aufrechterhalten werden kann. Sicher, dies ist nicht in allen Verfahren der Fall – die Bandbreite der anzutreffenden Charaktere ist infinit. Ist der Schuldner bereits nicht willens oder in der Lage (z. B. aus gesundheitlichen Gründen), eine Betriebsfortführung sicherzustellen, sind in Regel alle weiteren Überlegungen zur Fortführung obsolet, da eine solche ohne den Schuldner kaum darstellbar ist. Dies gilt im Besonderen im Dienstleistungsbereich oder bei einer freiberuflichen Tätigkeit, da die Fortführungsfähigkeit maßgeblich von den in der Person des Schuldners verankerten besonderen Fähigkeiten und/ oder einer personengebundenen Zulassung/Approbation abhängt. Ist der Schuldner zur Mitwirkung auch mit Blick auf eine Fortführung bereit, 298 sind umgehend nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung Erstmaßnahmen zu ergreifen. Eine erfolgreiche Fortführung muss auch wirtschaftlich realisierbar sein. Um letztere Frage beantworten zu können, muss sich der vorläufige ___________ 168) OLG Rostock, Urt. v. 8.4.2011 – 5 U 31/08, NZI 2011, 488. 169) FK-InsO/Wegener, § 158 Rn. 3.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Insolvenzverwalter unverzüglich ein Bild über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens machen. Hierbei ist zweckdienlich, die Unterlagen und Informationen anhand einer Checkliste zusammenzutragen (o Kapitel C.IV.) und sodann auszuwerten. Zudem sind eine Sichtung und Auswertung der letzten aktuellen Unternehmenszahlen, Umsätze sowie eine Feststellung der Auftragslage unerlässlich. 299 Der (vorläufige) Insolvenzverwalter/Sachverständige ist bei einem laufenden Geschäftsbetrieb verpflichtet, die Fortführungsaussichten zu prüfen. Der Senat hat zum Umfang bzw. zur Art und Weise der Prüfungspflicht wie folgt ausgeführt:170) „Der Verwalter ist vor der Entscheidung zur Fortführung des Schuldnerunternehmens u. a. zu einer realistischen Einschätzung der Werthaltigkeit bestehender und künftig zu begründender Masseforderungen verpflichtet. Welche Überprüfungen der Verwalter im Einzelnen anstellen muss, ist eine Frage des Einzelfalls, die verallgemeinernden Rechtssätzen nicht zugänglich ist.“

300 Der Prüfungsumfang zur Fortführungsfähigkeit und -würdigkeit ist also einzelfallbezogen vorzunehmen und umfasst insbesondere folgende Punkte: x

Analyse der Krisenursachen

301 Eine Analyse der Krisenursachen ist ein erster und wichtiger Parameter, um die Erfolgsaussichten einer Betriebsfortführung einschätzen zu können. 302 Zunächst ist zu unterscheiden, ob die Ursachen der Insolvenz im privaten (externen) oder im betrieblichen (internen) Bereich des Schuldners zu finden sind. 303 Ist die Krise ausschließlich oder zu einem ganz überwiegenden Teil extern bedingt, sind die Fortführungs- und Sanierungsaussichten in aller Regel erfolgversprechend, da betriebsbedingte Gründe nicht oder in geringem Umfang vorliegen. Als externe Krisen kommen beispielsweise in Betracht: x

Übersteigertes Konsumverhalten

x

Spekulationsgeschäfte und Steuergestaltungsmodelle

x

Scheitern der Ehe

x

Änderungen der Vergütungsvorschriften

x

Immobilienfehlinvestitionen

304 Interne Krisen können z. B. sein: x

Fehlende Standortanalyse oder fehlende Reaktion auf veränderte Standortbedingungen;

x

fehlende oder mangelhafte Finanzplanung;

x

Fehlinvestitionen/-finanzierungen;

___________ 170) BGH, Beschl. v. 6.10.2011 – IX ZR 105/09, ZInsO 2012, 137.

78

VI. Fortführung des Geschäfts-/Praxisbetriebs im Eröffnungsverfahren

x

tatsachenferne Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung des Praxisbetriebs;

x

rückläufige Auftragslage bzw. Kunden-/Klienten-/Patientenzahlen;

x

hohe Forderungsausfälle/mangelhaftes Zahlverhalten oder Illiquidität der Kunden.

Sind die Krisen intern, also unternehmensbezogen, ist zu differenzieren, ob 305 die Fehler oder Ausfälle der Vergangenheit gerade auf die Liquidität durchschlagen, wobei der Betrieb ansonsten aber „gesund“ ist, oder ob zu erwarten ist, dass die Tendenz der Vergangenheit sich in naher Zukunft fortsetzen wird. Liegen die Krisenursachen im Bereich der rückläufigen Auftrags-/Kunden-/ Patienten-/Klientenzahlen und ist zu erwarten, dass sich diese Tendenz künftig fortsetzen wird, sind die Erfolgsaussichten einer Fortführung geringer als bei einem Unternehmen, das bei i. Ü. guter Auslastung in der Vergangenheit einen erheblichen Forderungsausfall eines Großkunden verzeichnen musste. Liegen Forderungsausfälle oder schleppendes Zahlungsverhalten der Kunden/Klienten vor, lohnt sich eine Analyse der Gründe der fehlenden oder zögerlichen Begleichung der Verbindlichkeiten. Werden z. B. bei einen Handwerkerbetrieb zahlreiche Mängeleinreden erhoben, ist zu erörtern, ob und inwieweit diese begründet sind. Die subjektive Wahrnehmung des Schuldners weicht verschiedentlich von den objektiven Bewertungskriterien ab, sodass zu prüfen ist, ob das Unternehmen unter dem Gesichtspunkt überhaupt fortführungsfähig ist. x

Finanz- und Liquiditätsplanung

Erst durch die Aufstellung einer fundierten Finanzplanung wird der vorläufi- 306 ge Insolvenzverwalter (gleichermaßen wie der Insolvenzverwalter nach Eröffnung) in die Lage versetzt, die Liquiditätssituation und -entwicklung eines fortgeführten Betriebs zu beurteilen, zu analysieren, zu steuern und kontinuierlich zu verfolgen. Auf dieser finanzwirtschaftlichen Entscheidungsgrundlage stellt der (vorläufige) Insolvenzverwalter sicher, dass sich die Entwicklung nicht zum Nachteil der Gläubiger auswirkt. Durch die regelmäßige Gegenüberstellung der Plan- und Istwerte erhält der Verwalter stets einen Überblick, ob die geplanten Zahlen auch tatsächlich den realisierten entsprechen. Zudem ist ein sorgfältig erstellter Liquiditätsplan im weiteren Verlauf des Verfahrens aus haftungsrechtlicher Sicht entlastend, sollten dich die Planzahlen aufgrund unvorhersehbarer Umstände nicht realisieren lassen.171) Praxistipp: Insbesondere in umfangreicheren Verfahren empfiehlt sich die Erstellung eines Gutachtens nach dem IDW S6-Standard.172)

___________ 171) BGH, Urt. v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, ZIP 2005, 311. 172) WPg Supplement 4/2012, S. 130 ff., FN-IDW 12/2012, S. 719 ff.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren Praxistipp: Wird eine Fortführung/Sanierung unter Eigenverwaltung im „Schutzschirmverfahren“ angestrebt, ist gemäß § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO eine Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorzulegen, aus der sich ergibt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Erforderlich ist ein aussagekräftiges, belastbares Sanierungskonzept i. S. e. fundierten Untersuchung unter Darlegung der wirtschaftlichen Entwicklung, einer Krisenanalyse, der angestrebten Sanierungsmaßnahmen und evtl. Sanierungshemmnissen sowie eine integrierte Sanierungsplanung (Ertrags-, Vermögens- und Finanzplan). Neben dem subjektiven Sanierungswillen müssen auch objektive Sanierungsfähigkeit und objektive Geeignetheit des Sanierungskonzepts vorliegen.

307 Wurde die Fortführungswürdigkeit und -fähigkeit des Betriebs bejaht, sind die unmittelbar nachstehenden Arbeitsschritte im Verwalterbüro ein Vorschlag zur weiteren Vorgehensweise. 2. Maßnahmen im Verwalterbüro 308 Wird ein Unternehmen in der vorläufigen Insolvenzverwaltung fortgeführt, ergeben sich die nachfolgend dargestellten Handlungsoptionen für den vorläufigen Insolvenzverwalter. Diese sollen als „roter Faden“ dienen und erheben angesichts der Diversität der Verfahren keinen Anspruch auf den Status einer Handlungspflicht oder auf Darstellung eines abschließenden Katalogs. Praxistipp: Maßnahmen im Verwalterbüro Betriebsfortführung • Abwicklung des laufenden Zahlungsverkehrs über das Anderkonto oder ein separates Fortführungsanderkonto. Im Hinblick auf die Bestimmung der vergütungsrechtlichen Berechnungsgrundlage, bei der „lediglich“ der Überschuss aus der Fortführung einfließt (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 b) InsVV), sind die ausschließlich die Fortführung betreffenden Vorgänge zu Einnahmen und Ausgaben so zu buchen, dass diese – abgestellt auf die Begründetheit – eindeutig der Fortführung zugeordnet werden können.173) Eine insoweit transparente Buchhaltung erleichtert beim Verfahrensabschluss die Vergütungsberechnung, die Schlussrechnungslegung und die Überprüfung durch das Insolvenzgericht. Die Praxis zeigt, dass eine Buchung auf einem zusätzlich zum „normalen“ verfahrensspezifischen Anderkonto zu eröffnenden Fortführungsanderkonto zur Transparenz wesentlich beiträgt. Soweit Zahlungszusagen erteilt Zahlungen und/oder Ausgaben aufgrund einer Einzelermächtigung anstehen, ist die Anlage einer Übersicht über die getätigten und noch anstehenden Ausgaben praxisbewehrt.

___________ 173) Siehe zu den einzelnen Konten Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 291 ff.

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VI. Fortführung des Geschäfts-/Praxisbetriebs im Eröffnungsverfahren • Regelmäßige Barkassenbestandseinzahlungen auf Anderkonto/Fortführungsanderkonto (Kassenbuchführung) • Lieferanteninformation und Forderungseinzug Zahlungseingänge zum Anderkonto/Fortführungsanderkonto sind sicherzustellen. Auf evtl. verwendeten schuldnerbetrieblichen Briefbögen ist die Bankverbindung des Schuldners zu streichen. Zudem empfiehlt sich, da viele Beteiligte die Stammkontendaten in ihrem Zahlsystem hinterlegt haben, ein besonders ins Auge fallender Hinweis auf die geänderte Bankverbindung! Lieferanten fordern gesonderte Zusagen (Zahlungszusagen), die der vorläufige Insolvenzverwalter zur Sicherstellung der Weiterbelieferung aussprechen wird. U. U. ist eine vorherige Einzelermächtigung beim Insolvenzgericht anzuregen. • Auftragsbestand/Kundenstamm sichern (transparente, vertrauensgewinnende Kommunikation zwischen dem Schuldner und dem vorläufigen Insolvenzverwalter) • Inventarverzeichnis und Bewertung des Sachanlagevermögens Ggf. ist eine Anregung zur Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO (o Kapitel C.V.) auszusprechen. • Anfangsinventur auf den Stichtag der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung sowie zum Stichtag der Beendigung des Amtes eine Endinventur (Umlaufvermögen) Wird der Betrieb nach der Insolvenzeröffnung weiter fortgeführt stellt die stichtagsbezogene Endinventur der vorläufigen Verwaltung gleichzeitig das in das eröffnete Verfahren überführte Vermögen dar (Anfangsinventurbestand Insolvenzverwaltung Hauptverfahren). • Aus- und Absonderungsrechte klären. Bei undurchsichtigen Rechtslagen oder Kollisionslagen empfiehlt sich bis zur abschließenden Klärung u. U. die Einrichtung eines weiteren Anderkontos, um betroffene Geldzuflüsse zu separieren. Soweit eine Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ergangen ist, sind evtl. Nutzungsentgelte/Wertersatzansprüche im Rang einer Masseverbindlichkeit mit einzuplanen. • Versicherungsschutz prüfen (branchenspezifisch). • Vertragsverhältnisse prüfen. Welche Vertragsverhältnisse sind zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zwingend erforderlich? Hinsichtlich der Energieversorger und Wasserlieferanten und anderer Versorger sind jeweils auf die Anordnung der vorläufigen Verwaltung und den Eröffnungszeitpunkt stichtagsbezogen Zählerstandablesungen anzustrengen. So ist gewährleistet, dass nur die Lieferungen im vorläufigen Verfahren und nicht ältere Verbindlichkeiten bedient werden (diese sind zur Tabelle anzumelden!). Mit Eröffnung erfolgt erneut eine stichtagsbezogene Abgrenzung, da die nach Eröffnung anfallenden Kosten Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren • Personalbezogene Tätigkeiten. Ausgewählte Mitarbeiter des Schuldners sind zur Betriebsfortführung unerlässlich. Zunächst empfiehlt sich, die Mitarbeiter über die aktuelle Situation und das weitere Vorgehen im Rahmen einer Betriebsversammlung zu informieren. Für den zu ermittelnden Insolvenzgeldzeitraum sind u. U. Insolvenzgeldvorfinanzierungen (o Kapitel C.VII.) zu veranlassen. In Anlehnung an den Insolvenzgeldzeitraum ist der angestrebte Eröffnungsstichtag zu bestimmen. Ggf. sind bereits Kündigungen vorzubereiten oder auszusprechen. Bei einer „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung ist die Kündigung vom Schuldner (schriftlich!) auszusprechen und nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam. Hierbei ist insbesondere darauf zu achten, dass arbeitsrechtliche Besonderheiten eingehalten werden (Zustimmungserfordernisse, Massenentlassungsanzeige, Kündigungsschutz etc.). • Oktroyierte Masseverbindlichkeiten berücksichtigen. Insbesondere Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis erfahren mit Eröffnung des Verfahrens eine Aufwertung zu Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 InsO174) bzw. § 55 Abs. 4 InsO. Wurde eine „starke“ vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet, sind die vom vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten solche der Masse gemäß § 55 Abs. 2 InsO. • Ggf. Aufnahme eines Massekredits.175)

309 Bei der Betriebsfortführung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind noch weitere Besonderheiten zu beachten, auf die an entsprechender Stelle noch näher eingegangen werden wird (o Kapitel D.). VII. Arbeitsverhältnisse im Eröffnungsverfahren und Insolvenzgeld 1. Insolvenzgeld 310 Beschäftigt ein selbstständig tätiger Schuldner Arbeitnehmer, kann er im unmittelbaren Vorfeld der Insolvenz oftmals die Löhne und Gehälter sowie die Lohnnebenkosten wegen fehlender finanzieller Mittel nicht mehr zahlen. 311 Die Arbeitnehmer sind, da die Insolvenz des Arbeitgebers auch für sie und ihre Familien existenzbedrohend ist, über ein staatliches „Auffangnetz“ abgesichert: das Insolvenzgeld. Die Voraussetzungen zur Gewährung von Insolvenzgeld sind in §§ 165 ff. SGB III geregelt. Die Zahlungen des Insolvenz-

___________ 174) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782. 175) Wohl über den Weg der Einzelermächtigung auch für den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter möglich; vgl. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR ZIP 2002, 1625 sowie zum Thema krit. Bähr/Schwartz in: Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, Rn. 126 ff.

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VII. Arbeitsverhältnisse im Eröffnungsverfahren und Insolvenzgeld

gelds erfolgen über die Bundesagentur für Arbeit. Der Arbeitgeber (= Unternehmer = Insolvenzschuldner) ist nicht insolvenzgeldanspruchsberechtigt. a) Zeitraum Insolvenzgeld wird für einen Zeitraum von maximal drei Monaten gezahlt 312 (§ 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Der Anspruchszeitraum gilt für die einem Insolvenzereignis vorausgegangenen drei Monate. Als Insolvenzereignis definiert § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers, die Abweisung des Antrags mangels Masse oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Beispiel: Insolvenzeröffnung: Insolvenzgeldzeitraum:

313 1.11. 1.8. – 31.10.

Wurde das Arbeitsverhältnis bereits vor dem Insolvenzereignis beendet, sind 314 die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses maßgeblich. Beispiel:

315

Insolvenzeröffnung:

1.11.

Beendigung des Arbeitsverhältnisses:

31.7.

Insolvenzgeldzeitraum:

1.5. – 31.7.

Soweit das Arbeitsverhältnis über den Eröffnungszeitpunkt hinaus fortdau- 316 ert, sind die Lohn- und Gehaltsansprüche der Arbeitnehmer, die nach Insolvenzeröffnung entstehen, als Masseverbindlichkeiten zu bedienen (§ 55 InsO). Beispiel: Insolvenzeröffnung: Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Insolvenzgeldzeitraum: Masseverbindlichkeit:

317 1.11. 31.12. 1.8. – 31.10. 1.11. – 31.12.

Sind die Löhne für einen längeren Zeitraum rückständig, ist der Arbeitneh- 318 mer hinsichtlich der ihm über den Dreimonatszeitraum hinaus zustehenden Ansprüche auf die Geltendmachung zur Insolvenztabelle verwiesen (§§ 38, 174 InsO).

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

b) Höhe 319 Insolvenzgeld wird in Höhe des Nettoarbeitsentgelts gezahlt (§ 167 Abs. 1 SGB III). 320 Zudem zahlt die Agentur für Arbeit auf Antrag der zuständigen Einzugsstelle (Krankenkasse) auch die für den Insolvenzgeld-Zeitraum rückständigen Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung sowie die Beiträge zur Arbeitsförderung (§ 175 SGB III). c) Antrag 321 Insolvenzgeld wird nur auf Antrag gezahlt (Vordruck „Insg 1“ der Bundesagentur für Arbeit). Liegt der Bundesagentur ein solcher Antrag vor, wendet sich die Behörde nach der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter (bzw. im Fall der Abweisung mangels Masse an den Schuldner), der auf der Grundlage der ihm vorliegenden Lohn/Gehaltsabrechnungen Insolvenzgeldbescheinigungen ausstellt. Aus diesem Grunde ist insbesondere darauf zu achten, dass die für diesen Zeitraum maßgeblichen Abrechnungen vorliegen bzw. zeitnah erstellt werden. 322 Der Antrag ist vom Arbeitnehmer innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Vorliegen des Insolvenzereignisses zu stellen (§ 324 Absatz 3 SGB III). Fristbeginn ist unabhängig von dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses immer das Insolvenzereignis. 323 Bei einem Fristversäumnis aus Gründen, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat, wird das Insolvenzgeld gewährt, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses gestellt und die Gründe für die Verzögerung ausführlich dargelegt worden sind. d) Zahlung 324 Die Zahlung von Insolvenzgeld setzt ein Insolvenzereignis voraus. Eine Zahlung erfolgt sodann regelmäßig rückwirkend für den Insolvenzgeldzeitraum. 325 Bis dahin sind die Arbeitnehmer grundsätzlich darauf verwiesen, diesen Zeitraum bis zum Geldfluss zu „überbrücken“. Für eine Vielzahl ist diese „Überbrückung“ jedoch angesichts der laufenden Kosten des Lebensunterhalts mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden bzw. finanziell nicht darstellbar. § 168 SGB III sieht für diesen Fall vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorschuss auf das Insolvenzgeld gezahlt werden kann. 326 Eine praxisbewehrte Alternative ist die Ausstellung einer sog. „Bankbescheinigung“. Wird ein Vorschuss nicht gezahlt, besteht die Möglichkeit, dass der vorläufige Insolvenzverwalter bestätigt, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde und dass der Arbeitnehmer aller Voraussicht nach einen Anspruch auf Insolvenzgeld haben wird. Unter Vorlage dieser Bescheinigung bei der eigenen Hausbank des Arbeitnehmers zeigt die 84

VII. Arbeitsverhältnisse im Eröffnungsverfahren und Insolvenzgeld

Praxis, dass viele Banken den Arbeitnehmern – meist unter der Voraussetzung der Abtretung der Insolvenzgeldansprüche – die Möglichkeit einräumen, das eigene Girokonto zinsfrei zu überziehen. Auf diese Weise ist jedenfalls sichergestellt, dass der Arbeitnehmer seinen Lebensunterhalt aus den liquiden Mitteln bestreiten kann. e) Anspruchsübergang In Höhe des gezahlten Insolvenzgeldes findet ein gesetzlicher Anspruchs- 327 übergang statt (§ 169 SGB III). Die Forderung des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung des Lohns/Gehalts geht auf die Agentur für Arbeit über. Diese Forderung kann nur im Rang eines Insolvenzgläubigers zur Tabelle an- 328 gemeldet werden (§ 55 Abs. 3 Satz 1 InsO). Eine Geltendmachung als Masseverbindlichkeit ist ausgeschlossen. Gleiches gilt für die in diesem Zeitraum anfallenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge (§ 175 SGB III). Das Insolvenzgeld ist gemäß § 3 Nr. 2b) EstG steuerfrei. 2. Insolvenzgeldvorfinanzierung Arbeitnehmer sind regelmäßig auf laufende Lohnzahlungen angewiesen. Soll 329 ein Betrieb fortgeführt werden, sind die Arbeitnehmer kaum zur Weiterarbeit zu motivieren, wenn sie drei Monate auf Ihr/en Gehalt/Lohn warten müssen. Ist die Fortführungsprognose positiv, besteht die Möglichkeit, das Insolvenz- 330 geld vorzufinanzieren. Hat der vorläufige Insolvenzverwalter die für den Insolvenzgeldzeitraum aus- 331 stehenden voraussichtlichen Lohn- und Gehaltsansprüche ermittelt, finanziert er das Insolvenzgeld über ein bei einer Bank i. H. d. Gesamtsumme zu beantragendes (kostenintensives) Darlehen vor. Zur Vorfinanzierung bedarf es der Zustimmung der Agentur für Arbeit 332 (§ 170 Abs. 4 SGB III). Wird dargelegt, dass der überwiegenden Teil der Arbeitsplätze bei Fortführung des Unternehmens erhalten bleibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zustimmung erteilt wird, hoch. Das finanzierende Kreditinstitut ist abgesichert über die von den Arbeit- 333 nehmern im Rahmen der Vorfinanzierung zu erklärende Abtretung der betreffenden Ansprüche. Zudem fallen zugunsten der Bank Zinsen an. Die Vorfinanzierung ist grundsätzlich auch im Rahmen einer (vorläufigen) 334 Eigenverwaltung (§§ 270a, 270b InsO) möglich, wobei Insolvenzgeld auch dann nur in dem Fall gezahlt wird, wenn es zu einer Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens kommt. Auch findet § 55 Abs. 3 InsO im Schutz-

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

schirmverfahren Anwendung.176) Ist eine vorherige Sanierung erfolgreich, ohne dass der Eröffnungsantrag beschieden wurde, besteht kein Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld.177) Praxistipp: Die Zahlung von Insolvenzgeld setzt immer ein Insolvenzereignis voraus. Ausgehend alleine von dieser Voraussetzung müsste der Insolvenzverwalter daher nur und erst im Eröffnungsfall Tätigkeiten entfalten und Insolvenzgeldbescheinigungen ausstellen. Es gibt jedoch eine Vielzahl anderer Gründe, warum sich bereits im Eröffnungsverfahren eine frühzeitige Klärung der Arbeitsverhältnisse und der daraus erwachsenden Ansprüche empfiehlt: • Insolvenzgeldvorfinanzierung bei Betriebsfortführung • Insolvenzgeldvorschuss oder „Bankbescheinigung“ • Feststellung der Höhe der aus den Arbeitsverhältnissen resultierender Insolvenzforderungen (bis zur Eröffnung begründete Ansprüche) und evtl. Masseverbindlichkeiten nach Eröffnung • Feststellung der mit dem Ziel der Sanierung erforderlicher (ggf. frühzeitiger) Kündigungen Die Anregung für die Praxis kann daher nur lauten: Es ist möglichst frühzeitig eine Liste der aktuell/zuletzt beschäftigten Arbeitnehmer anzufertigen, aus der sich mindestens die relevanten Eckdaten (Name, Adresse, Geburtsdatum, Betriebszugehörigkeit, Zeitpunkt der letzten Lohn-/ Gehaltszahlung, evtl. Kündigungsdatum, arbeitsrechtliche Besonderheiten, z. B. Schwerbehinderung, Betriebsrat, Mutterschutz, Elternzeit) entnehmen lassen. Parallel sollten folgende Informationen/Unterlagen angefordert werden: Betriebsnummer, Lohn-/Gehaltsabrechnungen der letzten sechs Monate, Arbeitsverträge, Meldungen zur Sozialversicherung, Lohnsteueranmeldungen, vollständige Liste der beteiligten Sozialversicherungsträger, anhängige Klageverfahren, Tarifverträge, evtl. Kündigungsschreiben nebst Zugangsnachweis.

3. Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Eröffnungsverfahren 335 Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung ist unter Beachtung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen bereits im Eröffnungsverfahren zulässig. Kündigungen werden unter Ausübung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO) durch diesen oder durch den Schuldner mit Zu___________ 176) BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 114/1, ZIP 2016, 1295 mit der Klarstellung, dass § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO zwar lediglich auf § 55 Abs. 2 InsO verweise, hinsichtlich § 55 Abs. 3 InsO jedoch eine planwidrige Regelungslücke bestünde, die durch eine analoge Anwendung zu schließen sei. 177) DA zu § 170 SGB III, Stand 1.6.2015.

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VIII. Das Gutachten des Sachverständigen

stimmung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2, 22 Abs. 2 InsO) ausgesprochen. Die Kündigung ist unter Beachtung der vertraglichen oder gesetzlichen Kün- 336 digungsfristen auszusprechen. Im eröffneten Verfahren ist dagegen die verkürzte – und daher im Einzelfall für das Verfahren „günstigere“ – Kündigungsfrist des § 113 InsO einzuhalten. Diese beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Für eine vom „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gilt diese verkürzte Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO nicht.178) Erst Recht kann sich eine Kündigung der Geschäftsleitung mit Zustimmung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters nicht auf diese verkürzte Kündigungsmöglichkeit stützen. Zu berücksichtigen sind stets evtl. arbeitsrechtliche Besonderheiten (z. B. Be- 337 triebsrat, Schwerbehinderung, Mutterschutz, Massenentlassungsanzeige179) etc.). Stets ist darauf zu achten, dass der Zeitpunkt des Zugangs der schriftlichen 338 Kündigung nachweisbar festgehalten wird. Dies kann durch persönliche Quittierung des Erhalts der Kündigung durch den Arbeitnehmer oder durch die bekannten postalischen Nachweise erfolgen. Soweit die Arbeitskraft des Arbeitnehmers nicht mehr gefordert ist, erfolgt 339 der Kündigungsausspruch regelmäßig unter sofortiger oder stichtagsbezogener Freistellung, wobei evtl. Resturlaubsansprüche und Ansprüche auf Freizeitgewährung auf die Zeit der Freistellung angerechnet werden können. Übersteigt die Freistellungszeit die Resturlaubsdauer, besteht die Möglichkeit, dasjenige auf den Vergütungsanspruch anzurechnen, was der Arbeitnehmer durch Einsatz seiner Arbeitskraft bei einem anderen Arbeitgeber erwirbt (§§ 615 Satz 2, 254 Abs. 2 Satz 1 BGB). Bereits anhängige Klageverfahren werden erst mit Eröffnung des Insolvenz- 340 verfahrens unterbrochen (§ 240 ZPO). Zu den Kündigungsvoraussetzungen nach Insolvenzeröffnung wird im ent- 341 sprechenden Kapitel näher ausgeführt werden (oKapitel D.). VIII. Das Gutachten des Sachverständigen Der Sachverständige hat den Auftrag, zum Abschluss seiner Ermittlungen 342 ein umfassendes Gutachten einzureichen, in dem er zu den ihm zur Klärung übertragenen Sachverhalten gutachterlich Stellung nimmt. Dieses Gutachten ist auch einzureichen, wenn der Sachverständige zeitgleich als vorläufiger Insolvenzverwalter tätig war. Das Fazit des Gutachtens ist i. a. R. eine Beschluss___________ 178) BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289. 179) Siehe hierzu instruktiv Pohlner, InsbürO 2013, 49 ff., 91 ff.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

empfehlung. Unter Gesamtwürdigung der gutachterlichen Ermittlungsergebnisse regt der Sachverständige an, das Insolvenzverfahren zu eröffnen, den Antrag mangels Masse abzuweisen oder den Antrag als unzulässig oder unbegründet zurückzuweisen. 343 Die Eröffnungsvoraussetzungen zu einem zulässigen und begründeten Antrag liegen vor, wenn die ermittelten Vermögenswerte die voraussichtlichen Kosten des Insolvenzverfahrens decken oder die Stundungsvoraussetzungen vorliegen, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wurde (§ 4a InsO). Sind die Kosten nicht gedeckt oder ergeben sich Anhaltspunkte, dass die beantragte Stundung nicht zu bewilligen ist, ist anzuregen, den Antrag auf Eröffnung mangels Masse abzuweisen. 344 Ein Antrag ist zulässig, wenn die Voraussetzungen der §§ 13, 14 InsO vorliegen. 345 Die Begründetheit des Antrags ist gegeben, wenn ein für die Rechtsform einschlägiger Eröffnungsgrund vorliegt. 346 Der Sachverständige führt zu jedem Unterpunkt des Gutachterauftrags ausführlich aus. 347 Bei der Vermögensdarstellung hat er die nachfolgenden Grundsätze und Besonderheiten zu beachten. 1. Ermittlung der Vermögenswerte und Schuldenstruktur 348 Der Sachverständige stellt in seinem Abschlussgutachten eine umfassende Vermögensanalyse des Schuldners vor (Überschuldungsstatus). In Verbraucherinsolvenzverfahren gehören hierzu alle privaten Vermögenswerte und Verbindlichkeiten. Bei Selbstständigen/ehemals Selbstständigen sind zusätzlich zu dem privaten Bereich die betrieblichen Vermögenswerte und Verbindlichkeiten anzuführen. 349 Zu jedem Vermögenswert (Aktiva) bedarf es sowohl einer Darstellung der Rechtsverhältnisse, als auch einer Bewertung unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. 350 Bei den Rechtsverhältnissen steht eine Darstellung unter der Kernfrage „Ist der Vermögenswert massezugehörig?“ im Vordergrund (§§ 35, 36 InsO). Zu schildern sind demnach die Eigentumsverhältnisse, die Frage der (Un-)Pfändbarkeit (§ 36 InsO) sowie die rechtliche Würdigung evtl. Drittrechte und Sicherungsrechte (Aussonderung bzw. Absonderung o Kapitel D.IV.4.). 351 Die Aufgabe des Sachverständigen besteht daneben in der Bewertung des Vermögens (o nachfolgend Ziffer 2.). 352 Dem gegenüberzustellen sind die Verbindlichkeiten (Passiva). Neben der Einordnung zu den jeweiligen Masseverbindlichkeiten sind hierbei auch die Zuordnung zu Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) und nachrangigen Insolvenz-

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VIII. Das Gutachten des Sachverständigen

forderungen (§ 39 InsO) vorzunehmen. Zudem sind die Sicherheiten zu den jeweiligen Forderungen der Gläubiger anzuführen. Merke: Der Wert der Drittrechte in der Aktiv-Übersicht ist stets identisch mit dem der Sicherheiten in der Passiv-Übersicht! 2. Bewertung von Vermögenswerten a) Allgemeines Bei der Bewertung von Vermögensgegenständen werden im Wesentlichen 353 zwei Wertansätze unterschieden: Der Liquidationswert und der Fortführungswert. Diese Unterscheidung ist bedeutsam bei selbstständig oder freiberuflich tätigen Schuldnern. Im Verbraucherinsolvenzverfahren oder in den Verfahren über das Vermögen 354 von Unternehmern, deren Geschäfts-/Praxisbetrieb bereits eingestellt ist, wird i. a. R. ausschließlich nach Liquidationswerten bemessen. Handelt es sich um einen laufenden, fortführungswürdigen und -fähigen Ge- 355 schäfts-/Praxisbetrieb, ist von Fortführungswerten (Going Concern) auszugehen, die i. a. R. höher liegen als die Liquidationswerte. Die Bewertung erfolgt auf den Stichtag der Entscheidung über den Insol- 356 venzeröffnungsantrag, da in diesem Moment die Frage des Vorliegens der Eröffnungsvoraussetzungen (demnach auch der Kostendeckung und des Insolvenzgrundes) zur Beantwortung ansteht. b) Bewertungsgrundlagen Die Wertfeststellung hat unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu erfol- 357 gen. Letzteres ist Ausfluss des Prinzips des Grundsatzes der bestmöglichen Verwertung, d. h. Verwertung mit maximaler Gewinnerzielung, den der Insolvenzverwalter nach Eröffnung stets beachten muss. Zudem haben die Verwertung und Verwaltung masseschonend, d. h. mit einem angemessenen und vertretbaren Kostenaufwand, zu erfolgen. Stellt sich heraus, dass bei der im eröffneten Verfahren anstehenden Verwer- 358 tung für die Insolvenzmasse kein die Verwaltungs- und Verwertungskosten übersteigender Erlös zu erwarten ist, kann der Insolvenzverwalter einen einzelnen Vermögenswert nach Insolvenzeröffnung aus dem Insolvenzbeschlag freigeben (oKapitel D.IV.3.). Die Bewertung von Aktivposten ist in manchen Fällen mit wenigen Schwie- 359 rigkeiten verbunden. So kann ein Rückkaufswert einer Lebensversicherung, die Höhe des Bausparguthabens, ein Sparguthaben o. ä. durch eine schriftliche Anfrage beim jeweiligen Vertragspartner ohne größere Umstände fest-

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

gestellt werden. Bei anderen Vermögenswerten ist die Wertermittlung aufwendiger oder verlangt spezifisches Fachwissen. 360 Befindet sich z. B. ein Pkw im Vermögen des Schuldners und liegen alle notwenigen Parameter (Marke, Fabrikat, Erstzulassung, Baujahr, Kilometerstand, Schäden, besondere Abnutzungserscheinungen etc.) vor, kann eine annähernde Feststellung des Marktwerts über Gebrauchtwagenportale (Internet) oder Gebrauchtwagenlisten realisiert werden. Auch diese Bewertung ist vergleichsweise noch ohne Schwierigkeiten möglich. Die meisten Industrieverwerter oder Kfz-Sachverständigen bieten die Möglichkeit, ein kostengünstiges Kurzgutachten erstellen zu lassen. Ein solches Gutachten bietet belastbare Wertangaben zum jeweiligen Pkw. 361 Sind allerdings Spezialmaschinen im Bestand der Betriebs- und Geschäftsausstattung eines Selbstständigen, kommt der Sachverständige meist nicht umhin, auf die Branchenkenntnisse eines Fachmannes zurückzugreifen. Hier besteht die Möglichkeit, sich eines Industriegutachters als Spezialisten zu bedienen. Die Erstellung eines Wertgutachtens durch einen Industriesachverständigen sollte auch immer das Mittel der Wahl sein, wenn Spezialwissen und/oder Branchenkenntnisse gefragt sind und sich der Wert nicht durch anderweitig zur Verfügung stehende (aktuelle!) Unterlagen problemlos und zuverlässig feststellen lässt. In Betracht kommen z. B. bereits vorliegende Wertgutachten neueren Datums, welche vor Einleitung eines Insolvenzverfahrens (durch den Schuldner, ein Kreditinstitut etc.) in Auftrag gegeben wurden, ein Kaufvertrag über den Gegenstand, wenn der Kauf noch nicht allzu lange zurückliegt und der Markt nicht erheblichen Schwankungen unterliegt, oder auch ein Angebot eines Interessenten. Letzteres sollte jedoch auf eine Wertentsprechung hin überprüft und nicht unreflektiert übernommen werden. Liegen solche Unterlagen nicht vor oder bestehen Zweifel, ist stets zu empfehlen, einen Spezialisten/Gutachter mit der Bewertung zu beauftragen. 362 Im Fall einer masseschädigen Verwertung auf der Grundlage einer vom Insolvenzverwalter initiierten (Falsch)Bewertung läuft dieser Gefahr, von den Gläubigern auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden (vgl. § 60 InsO).180) 363 Beauftragt der Gutachter/vorläufige Insolvenzverwalter einen externen Dritten mit der Bewertung, entstehen hierdurch zusätzliche Kosten. Diese können als Auslagen gemäß §§ 8 Abs. 1 Nr. 4, 12 JVEG über die Abrechnung des Insolvenzgutachters abgerechnet werden. Die Beauftragung eines Spezialisten sollte (als generell Möglichkeit oder im Einzelfall) mit dem Insolvenzgericht abgestimmt werden.181) Diese vorherige Anzeige wird von einigen Insolvenzgerichten unter Berufung auf § 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO gefordert. ___________ 180) BGH, Urt. v. 10.10.2013 – III ZR 345/12, WM 2013, 2225 zur Haftung eines Sachverständigen bei unrichtiger Verkehrswertermittlung im Zwangsversteigerungsverfahren. 181) AG Duisburg, Beschl. v. 19.1.2018 – 64 IN 267/14, InsbürO 2018, 203 = ZInsO 2018, 622 m. w. N. zu unterschiedlichen Auffassungen.

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VIII. Das Gutachten des Sachverständigen § 407a Abs. 3 ZPO – Weitere Pflichten des Sachverständigen (3) Der Sachverständige ist nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt. Praxistipp: Im Zweifel ist eine gutachterliche Bewertung durch einen Fachsachverständigen stets die Methode der Wahl. Eine vorherige Anzeige beim Gericht empfiehlt sich mindestens aus Transparenzgründen im Rahmen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit.

c) Liquidationswerte Im Verbraucherinsolvenzverfahren oder bei eingestelltem Geschäftsbetrieb 364 eines selbstständig Tätigen erfolgt die Bewertung unter Zerschlagungsgesichtspunkten. Die maßgebliche Kennzahl ist also der Zerschlagungswert oder Liquidationswert (auch Verkehrs- oder Marktwert). Im Liquidationsfall ist der Zerschlagungswert der im Fall der Veräußerung 365 am Markt voraussichtlich zu erzielende Erlös. Der Gutachter nimmt stets eine prognostische Wertbestimmung vor, wobei notwendig wertende Einschätzungen einfließen, die – zwar objektiv nachvollziehbar, aber dennoch subjektiv gefärbt – „nicht geeignet sind, die Gewissheit zu vermitteln, das Objekt werde bei einer Veräußerung genau den ermittelten Wert erzielen“182). Der Gutachter sollte den Grundsätzen der „kaufmännischen Vorsicht folgen“ und eine möglichst zutreffende Bewertungsgröße ermitteln. Ein gewisser Toleranzspielraum ist aber vertretbar und in Kauf zu nehmen, der im Einzelfall unter dem Aspekt der Angemessenheit und Toleranzgrenze zu beurteilen ist.183) Ein maßgeblicher Parameter bei der Wertfestsetzung ist der Grundsatz von 366 „Angebot und Nachfrage“. Bei entsprechend hoher Nachfrage kann nach Eröffnung durchaus ein Kaufpreis weit über dem Verkehrswert erzielt werden. Ist die Nachfrage gering, kann auch der umgekehrte Fall eintreten. Praxistipp: Ein Gegenstand ist stets so viel wert, wie jemand Drittes bereit ist, dafür zu zahlen.

d) Fortführungswerte Eine Bewertung nach Fortführungswerten erfolgt immer dann, wenn eine 367 Sanierung/Fortführung angestrebt ist. Bei einem „lebenden“ Unternehmen ___________ 182) BGH, Beschl. v. 19.6.2008 – V ZB 129/07, Rpfleger 2008, 588. 183) So auch BGH, Urt. v. 2.7.2004 – V ZR 213/03, ZIP 2004, 1758; BGH, Urt. v. 1.4.1987 – IVa ZR 195/87, JurionRS 1987, 13005.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

werden regelmäßige höhere Kaufpreise für die Vermögensgegenstände erzielt. Entscheidend ist unter diesen Gesichtspunkten der Nutzwert des Gegenstands. Die Fortführungswerte („Going Concern“) liegen regelmäßig höher als die Liquidationswerte. Im Übrigen kann hinsichtlich der Marktregularien sowie des Bewertungsspielraums auf die unmittelbar vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. e) Inhalte eines Gutachtens 368 Die inhaltliche Gestaltung eines Gutachtens ist stets abhängig vom Umfang der gutachterlich zu klärenden Fragestellungen. Auch stellen die Insolvenzgerichte zum Teil unterschiedliche Anforderungen an ein Abschlussgutachten. In den meisten Verwalterbüros wird ein Muster als Grundlage für die für das jeweilige Insolvenzgericht zu fertigenden Gutachten vorgehalten.184) 369 Nachfolgend soll dennoch eine Checkliste zur Verfügung stehen, die Anhaltspunkte dafür gibt, welche Themen inhaltlich in einer Vielzahl der Gutachten in der Praxis zu bearbeiten sind. Die Gliederungsreihenfolge kann im Einzelnen und auch „je nach gusto“ abweichen. Praxistipp: Checkliste Themen Abschlussgutachten A.

Auftrag

B.

Gutachten

I.

Allgemeine Angaben (ggf. tabellarische Übersicht)

II.

Rechtliche Verhältnisse

III.

Wirtschaftliche Verhältnisse

IV.

Arbeitsrechtliche Verhältnisse

V.

Unternehmerische Entwicklung

VI.

Rechtstreitigkeiten

VII. Maßnahmen im Eröffnungsverfahren VIII. Sanierungs-/Fortführungsmöglichkeiten/Insolvenzplanverfahren/ Eigenverwaltung IX.

Insolvenzgründe

X.

Deckung der Verfahrenskosten

XI.

Besondere Beschlussfassungen, § 160 InsO

XII. Verfahrensabwicklung (Besonderheiten) XIII. Auslandsbezug

___________ 184) Muster auch in: Heyn/Kreuznacht/Voß, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, Rn. 399.

92

IX. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter XIV. Vermögensstatus – Aktiva (tabellarisch und textliche Erläuterungen inkl. evtl. Drittrechte) XV. Vermögensstatus – Passiva (tabellarisch und textliche Erläuterungen inkl. evtl. Drittrechte) XVI. Beschlussempfehlung XVII. Zusammenfassung der Ergebnisse

IX. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter 1. Voraussetzungen, Vorteile und Nachteile der vorläufigen Eigenverwaltung a) Hintergründe Der Schuldner kann beantragen, das Insolvenzverfahren unter Anordnung 370 der Eigenverwaltung zu eröffnen. Ziel der Eigenverwaltung ist die Sanierung des Unternehmens unter Insolvenzschutz. Die Eigenverwaltung führt nach Eröffnung nicht zum Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen Insolvenzverwalter (§ 80 Abs. 1 InsO). Vielmehr ist der Schuldner berechtigt, unter Aufsicht eines Sachwalters über die Gegenstände der Insolvenzmasse zu verfügen und diese zu verwalten (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ein Insolvenzverfahren unter Eigenverwaltung ist keine grundlegend neue 371 Idee. Auch wurde bereits frühzeitig die Möglichkeit einer vorläufigen Eigenverwaltung diskutiert.185) b) ESUG Durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmun- 372 gen (ESUG)186) wurde die Möglichkeit, bereits im Eröffnungsverfahren unter Eigenverwaltung zu agieren, erst gesetzlich verankert. In Verfahren, die seit dem 1.3.2012 beantragt werden, kann bereits im Antragsverfahren eine „vorläufige Eigenverwaltung“ (§§ 270a, 270b InsO) angeordnet und ein vorläufiger Sachwalter (§ 270c InsO) bestellt werden. Diese richtungsweisende Gesetzesänderung hat zu einer Annahme des gesetzgeberischen Gedankens, durch frühzeitige Antragstellung eine Sanierung unter Insolvenzschutz zu erreichen, auch in der Praxis geführt. Insbesondere wurden die Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Gläubiger gestärkt, die durch das Gremium des (vor-)vorläufigen Gläubigerausschusses bereits im Eröffnungsverfahren wesentlich zum weiteren Verfahrensfortgang beisteuern können. ___________ 185) Vgl. exemplarisch Uhlenbruck, NZI 2001, 632, der seinerzeit dafür plädierte, dass über die Anordnungsoptionen zur vorläufigen Verwaltung ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit den Befugnissen eines „vorläufigen“ Sachwalters ausgestattet werden könne. 186) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 m. W. z. 1.3.2012, BGBl I, 2582.

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C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren Praxistipp: Ziele und Instrumente des ESUG • Bessere Nutzung von Sanierungschancen • Ausbau von Sanierungsinstrumenten • Anreize für eine frühere Stellung von Insolvenzanträgen • Verbesserung von Verfahrensabläufen • Verringerung von Blockademöglichkeiten • Stärkere Einbeziehung der Gläubiger in das Verfahren

373 Die (vorläufige) Eigenverwaltung ist allen Regelinsolvenzverfahren zugänglich. Merke: Das Verbraucherinsolvenzverfahren kann nicht unter Eigenverwaltung durchgeführt werden (§ 270 Abs. 1 Satz 3 InsO). 374 Das in § 270b InsO geregelte Schutzschirmverfahren ist eine besondere Ausgestaltung des auf Sanierung abzielenden vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens und nur unter den nachstehend genannten Voraussetzungen durchführbar. Das Schutzschirmverfahren bietet dem Schuldner eine Möglichkeit, innerhalb von drei Monaten ein Sanierungskonzept auszuarbeiten, welches sodann seine Umsetzung als Insolvenzplan erfährt. Die Intention des Gesetzgebers ist, dem Schuldner einen Anreiz zu geben, frühzeitig/rechtzeitig einen Antrag zu stellen, um durch ein professionell begleitetes Sanierungsverfahren seinen Geschäftsbetrieb unter Insolvenzschutz aufrechtzuerhalten. c) Vorteile der (vorläufigen) Eigenverwaltung 375 Die Insolvenz unter Eigenverwaltung hat insbesondere den Vorteil, dass das Know-how der bisherigen Geschäftsleitung voll eingesetzt werden kann. Ein zeit- und kostenintensives Einarbeiten eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters entfällt gleichzeitig. Dennoch steht im Verfahren mit dem (vorläufigen) Sachwalter eine fachkompetente Aufsichtsperson zur Verfügung, die insbesondere gläubigerschädigende Handlungen zu unterbinden berechtigt ist. 376 Bedingt durch die Voraussetzung, die an ein Eigenverwaltungsverfahren geknüpft sind, ist durch die hieraus resultierende frühzeitige Antragstellung die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Sanierung höher als bei einem – oftmals zu spät – beantragten Regelinsolvenzverfahren. d) Voraussetzungen der (vorläufigen) Eigenverwaltung 377 Die (vorläufige) Eigenverwaltung wird nur auf einen entsprechenden Antrag des Schuldners hin bewilligt. 378 Auch möglich, aber in der Praxis wenig bedeutend ist die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung auf Antrag der Gläubigerversammlung mit Zustimmung des Schuldners (§ 271 InsO). 94

IX. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter

Eine weitere, vom Antragsteller darzulegende Voraussetzung ist, dass keine 379 Umstände vorliegen, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Die Prüfpflicht des Insolvenzgerichts beschränkt sich hierbei auf den Vortrag des Schuldners, wobei die Unkenntnis hinsichtlich solcher Umstände ausreichend ist. Zudem entfällt eine (vor Inkrafttreten des ESUG erforderliche) Prognoseentscheidung des Insolvenzgerichts, wenn solche nachteiligen Umstände nicht bekannt sind. Vor der Anordnung ist eine Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses 380 vorgeschrieben, wenn dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt. Es war höchstrichterlich ungeklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen 381 im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO Masseverbindlichkeiten begründet werden können.187) Dies hat der BGH nunmehr klargestellt: Der Schuldner begründet auch außerhalb eines Schutzschirmverfahrens nur insoweit Masseverbindlichkeiten, als er vom Gericht hierzu ermächtigt worden ist.188) Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ist § 55 Abs. 4 InsO nicht entsprechend anwendbar.189) e) Besondere Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) Mit dem Schutzschirmverfahren, geregelt in § 270b InsO findet sich ein ge- 382 setzlich verankertes Sanierungsverfahren, durch welches der Insolvenzschuldner unter den nachfolgenden Voraussetzungen in die Lage versetzt wird, eine Sanierung durch Insolvenzplan vorzubereiten. Ein Schutzschirmverfahren kann unter folgenden, weiteren Voraussetzungen durchgeführt werden: Der Eröffnungsantrag und Antrag auf Eigenverwaltung gemäß § 270b InsO 383 kann nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit (oKapitel C.I.3.) oder Überschuldung gestellt werden. Ist bereits Zahlungsunfähigkeit (oKapitel C.I.3.) eingetreten, schließt dies ein Schutzschirmverfahren aus. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Antragstellung. Zudem muss der Schuldner beantragen, dass das Insolvenzgericht eine Frist 384 zur Vorlage eines Insolvenzplans festsetzt, die maximal drei Monate betragen darf (§ 270b Abs. 1 Satz 1, 2 InsO). Drei Monate sind für die vollständige Ausarbeitung eines Insolvenzplans kein allzu großzügig bemessener Zeitraum, sodass sich in der Praxis für den Schuldner empfiehlt, sich bereits vor ___________ 187) Keine Sachentscheidung in BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525. 188) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, WM 2018, 2373. 189) BGH, Urt. v. 22.11.2018, a. a. O.; beachte aber im Hauptverfahren BFH, Urt. v. 27.9.2018 – V R 45/16, ZIP 2018, 2854: Vereinnahmt der Insolvenzschuldner im Rahmen der Eigenverwaltung das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet dies eine Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Fortführung des BFH-Urteils vom 9.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996).

95

C. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

der Einreichung des Antrags frühzeitige Gedanken zum Insolvenzplan zu machen und vorbereitende Maßnahmen bereits im Vorfeld einzuleiten. Von Vorteil ist hierbei wohl in nahezu jedem Fall, auf die Unterstützung eines in Insolvenzplanverfahren erfahrenen Beraters zurückzugreifen. 385 Dem Antrag beizufügen ist eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation190) aus der sich ergibt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO). 386 Von dem vom Schuldner eingebrachten Vorschlag zur Bestellung eines namentlich benannten (geeigneten) vorläufigen Sachwalters darf das Gericht nur bei offensichtlicher Ungeeignetheit abweichen. Der vorläufige Sachwalter muss eine vom Schuldner unabhängige Person und vom Bescheinigenden personenverschieden sein und zudem Erfahrung in Insolvenzsachen und Durchführung von Sanierungskonzepten vorweisen können191). 387 Optional kann der Schuldner die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 1, 2 InsO beantragen. Hilfreich ist insbesondere die Anordnung der einstweiligen Einstellung bzw. Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hinsichtlich der beweglichen Güter. 388 Das Gericht kann ebenfalls auf Antrag einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen (§ 22a InsO). 389 Zudem ist eine Anordnung möglich, nach der der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründen kann (§ 270b Abs. 3 InsO entspr.). Im Eröffnungsverfahren zur Vorbereitung einer Sanierung kann der Schuldner nur dann Masseverbindlichkeiten begründen, wenn ihn das Insolvenzgericht auf seinen Antrag dazu ermächtigt hat.192) 2. Aufgaben und Befugnisse des (vorläufigen) Sachwalters 390 Liegen die Voraussetzungen zur Anordnung der Eigenverwaltung vor, bestellt das Insolvenzgericht einen Sachwalter (Hauptverfahren) bzw. in den Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung einen vorläufigen Sachwalter (Antragsverfahren). 391 Gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Sachwalter im Hauptverfahren die Pflicht, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen. Stellt er Umstände fest, die nachteilige ___________ 190) Vergleichbar qualifizierte Personen sind z. B. Steuerbevollmächtigte, vereidigte Buchprüfer (Begr. RegE, 62). 191) Zur Unabhängigkeit fordert das AG München, Urt. v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12, ZInsO 2012, 745, dass der Bescheinigende auch nicht als Schuldnervertreter auftreten darf. 192) BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831.

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IX. Vorläufige Eigenverwaltung und der vorläufige Sachwalter

Auswirkungen für die Gläubiger erwarten lassen, hat er dies dem Gericht und dem Gläubigerausschuss unverzüglich anzuzeigen (§ 274 Abs. 3 InsO). Der weitere Pflichtenkreis des Sachwalters umfasst im Hauptverfahren ins- 392 besondere: x

die Insolvenzanfechtung (§ 280 InsO),

x

die Tabellenführung und Verteilung (§ 283 InsO),

x

die Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§§ 285, 208 InsO).

Die Befugnisse des vorläufigen Sachwalters leiten sich teilweise aus denen des 393 Sachwalters (nach Eröffnung) ab und ergeben sich aus § 270a Abs. 1 i. V. m. §§ 274, 275 InsO. So hat er insbesondere folgenden Aufgabenbereich im Antragsverfahren: x

Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners.

x

Überwachung der Geschäftsführung und der Ausgaben für die Lebensführung.

Interventionsrechte genießt er in dem gesetzlich umrissenen Rahmen durch x

die Zustimmungsbefugnis bei Begründung von Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören (§ 270a Abs. 1 i. V. m. § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO), sowie

x

die Widerspruchsbefugnis bei Begründung von Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören (§ 270a Abs. 1 i. V. m. § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO).

394

3. Konsequenzen für den Schuldner Der Schuldner behält – als Ausnahme zu § 80 Abs. 1 InsO – ab Eröffnung 395 die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch über Gegenstände der Insolvenzmasse. Im Eröffnungsverfahren wird kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, sodass kein Zustimmungserfordernis besteht bzw. kein „vorgezogener“ Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter stattfindet. Der Schuldner sieht sich „lediglich“ der Aufsichtsführung inkl. der beschrie- 396 benen Veto-Rechte des (vorläufigen) Sachwalters ausgesetzt. 4. Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters Die Vergütung des Sachwalters und des vorläufigen Sachwalters wird wegen 397 des Sachzusammenhangs in einem gesonderten Abschnitt erläutert; auf die entsprechenden Ausführungen darf zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden (oKapitel D.VII.).

97

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren I. Die Eröffnungsentscheidung Liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor, 398 entscheidet das Insolvenzgericht durch Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ernennt einen Insolvenzverwalter (§ 27 InsO). In Verbraucherinsolvenzverfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 399 wurde ein Treuhänder benannt (§ 313 InsO a. F).193) 400

Der Eröffnungsbeschluss enthält folgende wesentliche Angaben: x

Firma oder Namen und Vornamen, Geburtsdatum, Registergericht und Registernummer, unter der der Schuldner in das Handelsregister eingetragen ist, Geschäftszweig oder Beschäftigung, gewerbliche Niederlassung oder Wohnung des Schuldners (§ 27 Abs. 2 InsO);

x

Namen und Anschrift des Insolvenzverwalters (§ 27 Abs. 2 InsO);

x

Stunde der Eröffnung (§ 27 Abs. 2 InsO);

x

Aufforderung an die Gläubiger zur Forderungsanmeldung binnen einer gerichtlich festgesetzten Anmeldefrist (§ 28 Abs. 1 InsO);

x

Aufforderung an die Gläubiger zur Mitteilung evtl. Sicherungsrechte an den Insolvenzverwalter (§ 28 Abs. 2 InsO);

x

Aufforderung an die Drittschuldner, ausschließlich an den Insolvenzverwalter zu leisten (§ 28 Abs. 3 InsO);

x

Bestimmung des Berichtstermins (§ 29 Abs. 1 InsO);

x

Bestimmung des Prüfungstermins (§ 29 Abs. 1 InsO).

Ist die Gläubigeranzahl gering und sind die Vermögensverhältnisse überschau- 401 bar, wird das Verfahren im Regelfall schriftlich durchgeführt (§ 5 Abs. 2 InsO). Der Eröffnungsbeschluss ist öffentlich bekanntzumachen und an den Schuld- 402 ner, die Gläubiger und die Drittschuldner zuzustellen (§ 30 InsO). Das Zustellwesen kann das Gericht gemäß § 8 Abs. 3 InsO auf den Insolvenzverwalter übertragen. Die Auslagen hierfür kann dieser gesondert in Rechnung stellen. II. Ablauf des Verfahrens, Termine und Fristen Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens treten die in §§ 80 ff. InsO normier- 403 ten Wirkungen ein. ___________ 193) Vgl. zur Regelung für die ab dem 1.7.2014 beantragten Verbraucherinsolvenzverfahren Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und der Stärkung der Gläubigerrechte v. 19.7.2013 (BGBl I, 2379).

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

1. Arbeitsschritte 404 Für das Insolvenzbüro bedeutet die Eröffnung regelmäßig zunächst folgende Arbeitsschritte: x

Abholen und Rücksendung der Insolvenzakte (falls diese nicht bereits im Eröffnungsverfahren vorgelegen hat);

x

Notieren der Fristen: 

Anmeldefrist, § 28 Abs. 1 InsO



Berichtstermin, (§§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 156 InsO)



Prüfungstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 176 InsO)



Niederlegungsfrist, § 175 Abs. 2 InsO (2/3-Frist, innerhalb derer die ungeprüfte Tabelle mit Forderungen und den Anmeldeunterlagen bei Gericht vorliegen muss)

x

Einpflegen der Gläubigerdaten in das insolvenzspezifische Programm;

x

Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger und Drittschuldner sowie Fertigung des Zustellnachweises ans Insolvenzgericht (falls dieser gemäß § 8 Abs. 3 InsO übertragen wurde);

x

Gerichtsakte sichten und Verfahrenseckdaten, Anhaltspunkte für Vermögenswerte notieren;

x

Schuldner zum Erstgespräch einladen unter gleichzeitiger Aufforderung, die verfahrensspezifisch beizubringenden Unterlagen einzureichen;

x

Erstgespräch mit dem Schuldner (persönliches Gespräch oder Ortstermin vereinbaren) zwecks Klärung der Vermögens- und Vertragsverhältnisse;

x

Sichtung und Auswertung der Schuldnerunterlagen;

x

Sekundärinformationsquellen heranziehen (z. B. Kreditinstitute, Versicherungsgesellschaften, Arbeitgeber etc.). Praxistipp: Eine digitale Fristenverwaltung muss genauso zuverlässig sein und Überprüfungssicherheit bieten wie eine herkömmliche Handakte! Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Fristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden.194)

___________ 194) BGH, Beschl. v. 9.7.2014 – XII ZB 709/13, lexetius.com/2014, 2603.

100

II. Ablauf des Verfahrens, Termine und Fristen

2. Erstgespräch Das persönliche Erstgespräch mit dem Schuldner ist gesetzlich nicht vorge- 405 schrieben und ist, soweit es sich um Verbraucherinsolvenzverfahren handelt, nicht in allen Verwalterbüros gängige Praxis. Anstelle eines persönlichen Gesprächs werden die klärungsbedürftigen Fragestellungen zur schriftlichen Beantwortung unter Beifügung der einzureichenden Unterlagen erbeten. Erfahrungsgemäß ist für den gesamten Verfahrensablauf das Führen eines per- 406 sönlichen Erstgesprächs mit dem Schuldner jedoch eine aus mehreren Gründen zu empfehlende Variante: Persönliches Erstgespräch

Ausschließlich schriftliche Kommunikation

Rückfrage-/Klärungsmöglichkeiten und „Nachhaken“ im unmittelbaren Austausch

Langwierige, schriftliche Kommunikation, ggf. über mehrere Schreiben hinweg sowie Fristenverwaltung zur Rückmeldung

Hintergrundinformationen, umfassende Informationen zum gesamten Sachverhalt

Nur punktueller Informationsfluss, da Bereitschaft, schriftlich auszuführen i. a. R. geringer ist, als mündlich vorzutragen.

Fragen werden direkt beantwortet.

Ggf. mehrmaliges Nachfassen erforderlich, da geringe Bereitschaft auf Schuldnerseite, schriftlich zu kommunizieren.

Grundstein zur weiteren Kommunikation im gesamten weiteren Verfahrensablauf durch Abbau von Vorbehalten, Ängsten, Unsicherheiten und Möglichkeit zur Beantwortung von Fragen (Achtung: Keine Rechtsberatung durch den Insolvenzverwalter!).

Vorbehalte, Unsicherheiten und Ängste bleiben beim Schuldner bestehen und manifestieren sich ggf.; Fragen bleiben unbeantwortet.

Rollenklärung im persönlichen Gespräch möglich

Rollenklärung auf dem schriftlichen Weg nur bedingt möglich

Insbesondere ist in einem persönlichen Gespräch eine Klärung der Rolle des 407 Insolvenzverwalters möglich. Die Erfahrung zeigt, dass dies oftmals Vorurteile, Vorbehalte, Unsicherheiten und auch Ängste beim Schuldner abzubauen in der Lage ist. Der Schuldner macht sich keine falschen Hoffnungen, dass der Insolvenzverwalter von nun ab „alles“ für ihn regelt und als Rechts- und manchmal auch Lebensberater fungiert. Dies sollte im Gespräch auch in der Sache deutlich, ggf. unter Einbindung eines notwendigen Maßes an Empathie herausgestellt werden. Andererseits ist ein solches Gespräch auch sehr geeignet, um etwaigen Vorurteilen, die sich im Vorfeld der Insolvenz aufgebaut haben, zu begegnen. Aus der Sicht des Schuldners betrachtet, stellt sich die Insolvenzsituation als ein erstmaliges Erleben nach einer Dauerbelastung durch eine längere/lange Zeit des Schuldenaufbaus dar. Der Schuldner hat i. a. R. keine rechtlichen (Vor)Kenntnisse, ist überfordert und unsicher hinsichtlich dessen, was ihn im weiteren Verfahren erwartet, insbesondere angesichts der Situation der lücken-

101

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

losen Offenlegung der privaten Verhältnisse vor einem fremden Menschen. Dem gegenüber stehen die Erfahrungswerte und das Interesse des Verwalters an einer effizienten und professionellen Verfahrensabwicklung. 408 Der Insolvenzverwalter ist nicht der „Feind“ des Schuldners – auch dieses Bild kann in einem Erstgespräch berichtigt werden: Insbesondere kann erörtert werden, dass der Verwalter nicht aus einer persönlichen Motivation, sondern ausschließlich aus der gesetzlich definierten, doppeltreuhänderischen Stellung heraus agiert. 409 Sicher ist auch: Dieses Vorgehen ist nicht immer, aber oftmals von Erfolg gekrönt. Ein solches Gespräch führt dazu, dass der Schuldner im weiteren Verfahrensfortgang eher Bereitschaft zur Mitarbeit zeigt (ohne hierzu mehrfach aufgefordert oder gar unter Androhung von Zwangsmaßnahmen „gezwungen“ werden zu müssen). Der Vorteil, den der Insolvenzverwalter hieraus zieht, ist eine ökonomische und effiziente Verfahrensabwicklung (z. B. keine wiederholten Aufforderungsschreiben und Fristenverwaltungsmaßnahmen). Der weitere Verfahrensablauf gestaltet sich – praxiserprobt – wesentlich reibungsloser, nimmt der Verwalter bereits ganz zu Anfang des Verfahrens diese Rollenklärung vor. 410 Zu einer professionellen Verfahrensabwicklung führt die Einhaltung folgender Grundsätze der Kommunikation: x

Den Schuldner mit seiner Situation wahrnehmen, respektieren;

x

Vorurteilsfreiheit, Neutralitätswahrung;

x

Darlegung der Aufgabe und Stellung des Insolvenzverwalters im Insolvenzverfahren;

x

Herausstellen der Eigenverantwortlichkeit des Schuldners (Parteienverfahren) o Auskunfts- und Mitwirkungspflichten, Obliegenheiten;

x

Vermeidung von Provokationen, aber auch keine „Verbrüderung“;

x

Klärung von Fragen zum Verfahrensablauf und zu den Obliegenheiten; Grenze zur Rechtsberatung beachten;

x

In vertrauenswürdigem Rahmen sämtliche relevanten Fragestellungen mit dem Schuldner besprechen, Angaben im Antrag überprüfen.

III. Die Wirkungen der Eröffnung 1. Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters a) Inbesitznahme und Verwaltung 411 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens findet ein Übergang der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis hinsichtlich der massebeschlagenen Gegenstände auf den Insolvenzverwalter statt (§ 80 Abs. 1 InsO).

102

III. Die Wirkungen der Eröffnung

Korrespondierend hierzu hat der Insolvenzverwalter die Insolvenzmasse 412 (o Kapitel D.IV.1), die sog. „Ist-Masse“ in Besitz zu nehmen und zu verwalten (§ 148 Abs. 1 InsO). Wurde die Eröffnung im Anschluss an ein vorläufiges Insolvenzverfahren beschlossen, erfolgte die Inbesitznahme im Rahmen der Sicherung bereits durch den vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO), der nicht zwingend, aber meist personenidentisch ist mit dem Insolvenzverwalter. Die Inbesitznahme durch den Insolvenzverwalter erfolgt aufgrund einer 413 freiwilligen Besitzverschaffung durch den Schuldner. Verweigert der Schuldner die Herausgabe der in seinem Gewahrsam befindlichen Gegenstände, kann der Verwalter aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses, die einen Titel i. S. v. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO darstellt, den Herausgabeanspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen (§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO, §§ 888, 885 ZPO). Die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses stellt allerdings keinen geeigneten Vollstreckungstitel gegen Dritte dar.195) b) Verzeichnisse und Übersichten (§§ 151 ff. InsO) Gemäß §§ 151 ff. InsO besteht zudem die Pflicht des Verwalters zur Einrei- 414 chung diverser Verzeichnisse und Übersichten: aa) Masseverzeichnis (§ 151 InsO) Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 151 InsO ein Verzeichnis der Massege- 415 genstände (Masseverzeichnis) aufzustellen. Zu erfassen sind alle Gegenstände, die der Insolvenzmasse gemäß §§ 35, 36 InsO (oKapitel D.IV.1.) zuzurechnen sind. Aufzunehmen sind demnach auch Gegenstände, die der Verwalter bislang noch nicht in Besitz nehmen konnte (§ 148 Abs. 1 InsO). Das Verzeichnis muss dazu geeignet sein, den Gläubigern einen umfassenden Überblick über die wirtschaftliche Lage des Schuldners – und damit die Befriedigungsgrundlage – zu verschaffen.196) Die Gegenstände der Insolvenzmasse sind durch eine Inventur/Bestands- 416 aufnahme zu erfassen. Stets ist das Vermögen mit den Liquidationswerten/Zeitwerten anzugeben, 417 d. h. – vereinfacht ausgedrückt – den im Rahmen der anstehenden Verwertung zu erwartenden Erlösen. Kommt eine Fortführung des Schuldnerunternehmens in Betracht, sind auch die Fortführungswerte mit anzugeben (§ 151 Abs. 2 Satz 1 InsO). Ob eine Fortführung in Betracht kommt, hat der Insol___________ 195) LG Trier, Beschl. v. 4.4.2005 – 4 T 4/05, ZVI 2005, 434; OLG Nürnberg, Urt. v. 24.6.2005 – 5 U 215/05, NZI 2005, 44; vgl. zur Zwangsräumung von Wohnraum BGH, Beschl. v. 25.6.2004 – IXa ZB 29/04, Rpfleger 2004, 640. 196) BGH, Beschl. v. 16.9.2010 – IX ZR 56/07, ZInsO 2010, 2234.

103

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

venzverwalter im Rahmen einer Fortführungsprognose zu ermitteln, sofern dies nicht bereits Aufgabe des Sachverständigen war. Diese Prognose dient der Gläubigerversammlung als Grundlage zur Entscheidung über die Fortführung oder Stilllegung im Berichtstermin (§ 157 InsO). Praxistipp: Ist der Geschäfts-/Praxisbetrieb des Schuldners zum Zeitpunkt der Einleitung des Insolvenzverfahrens bereits stillegelegt und ist eine Wiederaufnahme aus wirtschaftlichen, rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen nicht darstellbar, kann auf die Angabe der Fortführungswerte verzichtet werden. In diesem Fall ist die Angabe nur der Liquidationswerte ausreichend. Steht neben der Fortführung auch eine Freigabe der selbstständigen Tätigkeit (§ 35 Abs. 2 InsO, o Kapitel D.V.) zur Option, sind zusätzlich zu den Liquidations- und Fortführungswerten auch die Freigabewerte anzugeben. Der Insolvenzverwalter ist zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO), der Gläubigerversammlung zur umfassenden und transparenten Information und dem Insolvenzgericht sowie dem ggf. bestellten Gläubigerausschuss im Rahmen der Rechnungslegung verpflichtet. Nur dann, wenn alle in Betracht kommenden Befriedigungsszenarien transparent dargestellt werden, ist die Gläubigerversammlung in die Lage versetzt, über den Fortgang des Verfahrens zu entscheiden (§ 157 InsO).

418 Zu beachten ist, dass auch die mit Eröffnung entstehenden insolvenzspezifischen Ansprüche (im Bereich der natürlichen Personen im Schwerpunkt Anfechtungsansprüche) aufzunehmen sind. 419 Die Bewertung hat zunächst ohne Berücksichtigung von Drittrechten zu erfolgen. Drittrechte, die mit Eröffnung ein Absonderungsrecht (oKapitel D.IV.4.) begründen, sind in einer separaten Spalte mit ihrem tatsächlichen Wert anzugeben. 420 Umstritten ist, ob auch Aussonderungsgut aufzunehmen ist.197) Nach einer Empfehlung des IDW sind die Gegenstände, die der Aussonderung unterliegen, mit ihrem vollen Wert zu erfassen.198) Rechtlich sind diese Gegenstände unstreitig nicht massezugehörig (§§ 35, 36 InsO, o Rn. 475 ff. [509 ff.]). Ausgehend vom Wortlaut des § 151 InsO, der explizit auf die Insolvenzmasse abstellt, besteht nach dem Dafürhalten der Verfasserin für den wertmäßigen Ausweis von Aussonderungsgütern bereits aus diesem Grund kein Raum. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Aussonderungsrecht zweifelsfrei feststeht. Ist zum Zeitpunkt der Bestandsaufnahme noch unklar, ob ein Aussonderungsrecht tatsächlich besteht, empfiehlt sich, bis zur abschließenden Klärung mit einem Erinnerungswert zu arbeiten und die Problematik im Bericht ___________ 197) Dagegen: FK-InsO/Wegener, § 151 Rn. 8.; HK-InsO/Jarchow, § 151 Rn. 12; Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 72; dafür: Uhlenbruck/Maus, InsO, § 151 Rn. 3. 198) IDW RH HFA 1.010, FN-IDW 2008, 309 Rn. 18.

104

III. Die Wirkungen der Eröffnung

zu erläutern.199) Aus Gründen der Transparenz und Vollständigkeit ist zu empfehlen, die Aussonderungsgegenstände körperlich zu erfassen und ihnen keinen Wert zuzuweisen bzw. ein von dem Verzeichnis nach § 151 InsO separiertes, eigenes Verzeichnis der Aussonderungsgegenstände aufzustellen, im Rahmen dessen auch ein Ausweis zu vollen Werten unschädlich ist, solange diese Werte nicht in das Verzeichnis nach § 151 InsO einfließen. Hat der vorläufige Insolvenzverwalter bzw. Sachverständige im Antragsver- 421 fahren bereits eine Erfassung der Gegenstände veranlasst, kann selbstverständlich hieran angeknüpft werden. Auch können durch externe Sachverständige erstellte Bewertungsgutachten bei den Wertangaben verwendet werden, wenn diese im Antragsverfahren erstellt wurden und sich seitdem keine Wertveränderungen ergeben haben. Andernfalls bestehen gegen die Beauftragung eines Fachsachverständigen/Industriegutachters auch nach Eröffnung keine Bedenken, wenn die Bewertung der Gegenstände Spezialwissen verlangt oder mit sonstigen Schwierigkeiten verbunden ist (§ 151 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das Verzeichnis stellt die Aktivseite der Insolvenzbilanz dar.200) Alle Ver- 422 mögensgegenstände sind nach den vorbeschriebenen Grundsätzen einzeln anzuführen. Es empfiehlt sich, eine Gliederung in Anlehnung an die handelsrechtliche Bilanz gemäß § 266 HGB zu erstellen, abgestimmt auf die jeweilige Verfahrensart und ergänzt um die insolvenzspezifischen Ansprüche. Die Gliederung nach den handelsrechtlichen Kriterien ist gesetzlich für das Insolvenzverfahren nicht vorgeschrieben und (noch) nicht umfassend in den insolvenzspezifischen Buchhaltungsprogrammen umgesetzt. Insbesondere angesichts der Tendenzen zur Standardisierung der Insolvenzverwalterrechnungslegung201) erscheint es zweckmäßig, dies auch auf die Vermögensübersichten anzuwenden, die sich in der Form zudem dem betriebswirtschaftlich kundigen Gläubiger besser erschließen. In Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen ist neben der 423 Anpassung hinsichtlich der zu ergänzenden insolvenzspezifischen Vermögenswerte (z. B. Anfechtungsansprüche) die ausschließlich unternehmerisch ausgerichtete Struktur des § 266 HGB zu ergänzen um die Vermögenswerte des privaten Bereichs. Aus Gründen der Übersichtlichkeit empfiehlt sich eine Unterteilung in Betriebsvermögen und Privatvermögen, auch wenn rechtlich bei einer natürlichen Person keine unterschiedlichen Vermögens-/Haftungsmassen existieren.202) Zu Letzterem sind insbesondere zur Privatnutzung bestimmte Fahrzeuge, Ansprüche aus Lebensversicherungen, Bausparverträgen, privaten Sparanlagen und pfändbare Einkommensanteile etc. zu zählen. ___________ 199) So auch Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 72. 200) Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 55. 201) Vgl. exempl. Kloos, NZI 2009, 586, Langer/Bausch, ZInsO 2011, 1287; Wipperfürth, InsbürO 2014, 60. 202) Die Idee „Dafür haftet nur die Firma!“ ist demnach bei Einzelunternehmen schlicht nicht korrekt.

105

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

424 Die nachfolgende Übersicht soll als Anregung zur Gliederung dienen:203) Buch- Liquid.wert Wert204)

./. Drittrechte

+ = Kostenfreie Masse beiträge205)

A. Anlagevermögen I.

Immaterielle Vermögenswerte […]

II. Sachanlagen […] Summe Aktiva

425 Ein Stichtag, an dem die Vermögenswerte zu erfassen sind, ist gesetzlich nicht vorgegeben. Da das Masseverzeichnis jedoch in engem Zusammenhang mit der Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO (Aktivseite der „Eröffnungsbilanz“) steht, welche wiederum stichtagsbezogen auf den Zeitpunkt der Eröffnung zu erstellen ist, sind im Masseverzeichnis ebenfalls die zum Eröffnungszeitpunkt vorhandenen Massegegenstände zu erfassen. 426 In der Verwaltungspraxis zeigt sich eine Entwicklung, dass diverse Insolvenzgerichteerwarten, dass der Verwertungsverlaufs und die Verwertungsergebnisse über die gesamte Verfahrensdauer bis zur Schlussrechnungslegung fortlaufend bzw. fortgeschrieben dargestellt werden.206) Eine einheitliche Vorgehensweise hat sich insoweit noch nicht etabliert, auch existiert bislang keine gesetzliche Grundlage für die fortgeschriebene Darstellung des Masseverzeichnisses. 427 Eine Generierung über die einschlägigen, insolvenzspezifischen EDV Programme ist bisher noch nicht in Gänze möglich. 428 Soweit die Gerichte eine solche fortgeschriebene Darstellung fordern, soll das nachfolgende Beispiel, welches auf einer Idee und Konzeption des Amtsgerichts Aachen basiert, als Anregung dienen.207)

___________ 203) Siehe hierzu instruktiv auch Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 108. 204) Anm.: Ggf. muss zusätzlich ein Ansatz von Fortführungs- und ggf. Freigabewerten erfolgen. Die Übersicht ist um entsprechende Spalten zu ergänzen. 205) Anm.: In dieser Spalte sind die Kostenbeiträge gemäß §§ 170, 171 InsO bzw. der für die Verwertung vereinbarte Massekostenbeitrag darzustellen. Eine Saldierung der Kostenbeiträge mit den Drittrechten kollidiert mit dem Verbot des § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB (so auch Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 107). 206) Vgl. grundlegend Langer/Bausch, ZInsO 2011, 1287. 207) Vgl. hierzu ausführlich Langer/Bausch, ZInsO 2011, 1287 ff. und Langer/Bausch/ Wipperfürth, InsbürO 2014, 60 ff. sowie z. T. kritisch Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 211 ff.

106

Anlagevermögen

Immaterielle Vermögensgegenstände

Selbst geschaff. gewerbl. SchutzR u. ähnl. R. u. Werte

entgeltlich erworbene Konzessionen, gewerbl. Schutzrechte u. ä. Rechte

Geschäfts- oder Firmenwert

geleistete Anzahlungen

A.

I.

1.

2.

3.

4.

fortgeschriebene Vermögensübersicht zum Zwischen-/Bericht vom: [...] Vermögenspositionen in €

Aktiva (Betriebsvermögen)

Wert bei IE incl. Drittrechte

Spalte 1

Spalte 5

Wertberichtigung

Wert korrigiert

Drittrechte bei IE Wertberichtigung Drittrechte

Wert Drittrechte korrigiert

Spalte 6

Spalte 4

Spalte 2

Spalte 3

Fremdrechte

Masse

abgegolten

Spalte 7

noch abzugelten

Spalte 8

bisheriger Verw. erlös freie Masse

Spalte 9

noch zu erwartender Verw. erlös freie Masse

Spalte 10

freie Masse

III. Die Wirkungen der Eröffnung

107

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

429 Die Einteilung in nummerierte Spalten wurde aus redaktionellen Gründen von der Verfasserin vorgenommen und ist nicht Bestandteil der fortgeschriebenen Darstellung. Die Bewertung auf den Stichtag der Eröffnung wird in Spalte 1 dargestellt, die in der Darstellung in den Folgeberichten keine Änderung erfährt. Evtl. eintretende Änderungen, insbesondere Werterhöhungen oder -abschreibungen infolge der geänderten Markt-/Abnahmesituation werden in der Spalte 2 abgebildet. In Spalte 3 wird der berichtigte Wert eingestellt. In den Spalten 4 – 6 werden die Drittrechtsbelastungen – dem gleichen Wertberichtigungsprinzip folgend – abgebildet. Spalte 7 und Spalte 8 beschreiben die bereits abgegoltenen bzw. noch abzugeltenden Rechte. Dies hat auch aus Sicht des Verwalters den Vorteil, dass man stets eine aktuelle Übersicht über den Stand der Abgeltung der Fremdrechte hat. Ebenso gilt dies für die Spalten 9 und 10, die einen Überblick über die bereits erzielten bzw. noch zu erwartenden Verwertungserlöse geben. 430 Für das Verwalterbüro bietet dieses fortgeschriebene Modell den Vorteil, dass der letzte aktuelle Stand der Vermögenswertung und damit der noch ausstehende Handlungsbedarf jederzeit übersichtlich abgelesen werden kann. bb) Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) 431 Neben dem Masseverzeichnis gemäß § 151 InsO hat der Insolvenzverwalter ein Verzeichnis der Gläubiger des Schuldners zu erstellen (§ 152 Abs. 1 InsO). Dieses ist die vollständige Erfassung sämtlicher bekannter Gläubiger. Eine Vorprüfung, ob Forderungen begründet, einredebehaftet o. ä. sind, ist an der Stelle nicht gefordert. Diese Prüfung ist für die angemeldeten Forderungen dem Prüfungstermin vorbehalten. 432 Der Insolvenzverwalter hat in das Verzeichnis alle ihm bekannten Gläubiger aufzunehmen. Als Ermittlungsquellen dienen insbesondere x

die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners (§ 152 Abs. 1 Satz 1 InsO),

x

die sonstigen – schriftlichen oder mündlichen – Angaben des Schuldners (§ 152 Abs. 1 Satz 1 InsO), der auch insoweit zur Auskunftserteilung verpflichtet ist (§§ 97 ff. InsO),

x

die von den Gläubigern angezeigten Forderungen (§ 152 Abs. 1 Satz 1 InsO),

x

Erkenntnisse sonstiger Art (§ 152 Abs. 1 Satz 1 InsO).

433 Jeder Gläubiger ist mit vollständiger Anschrift und dem Grund sowie der Höhe der Forderung aufzunehmen (§ 152 Abs. 2 Satz 2 InsO). In der Praxis ist bei der Erfassung höchste Sorgfalt geboten: Die Gläubiger werden in der Regel in das EDV-Programm eingepflegt, in dem im weiteren Verfahrensverlauf auch Arbeiten zur Prüfung der Insolvenztabellenforderungen stattfinden. Ein vollstreckbarer Tabellenauszug einer festgestellten Forderung entfaltet die Wirkungen eines rechtskräftigen Urteils (§ 178 Abs. 3 InsO). Die Bezeichnung des Gläubigers ist daher den Grundsätzen der Zivilprozessordnung fol-

108

III. Die Wirkungen der Eröffnung

gend genau zu wählen (vgl. § 4 InsO i. V. m. §§ 50 ff., 313, 724 ff. ZPO). Wird bereits bei der ersten Erfassung der Gläubiger korrekt gearbeitet, erspart dies im weiteren Verfahrensverlauf Zeit, Arbeit und Mühen, die für Korrekturen im Fall der Falschbezeichnung aufgewendet werden müssen. Merke: Der Fokus beim Gläubigerverzeichnis liegt auf der vollständigen und korrekten Erfassung aller Gläubiger. Eine Gliederung des Verzeichnisses ist gesetzlich nicht vorgegeben. Mittelbar 434 lässt sich diese in vertikaler Hinsicht den Rangklassen der beteiligten Gläubiger entnehmen. Es empfiehlt sich die Aufnahme folgender Beteiligten, wobei die Unterteilung je nach den Vorstellungen insbesondere der Insolvenzgerichte variieren können: Praxistipp: Gläubigerverzeichnis A. Masseverbindlichkeiten I.

Verfahrenskosten, § 54 InsO

II. sonstige Masseverbindlichkeiten 1.

§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO

2.

§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO

3.

§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO

4.

§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO (vorl. Verwalter)

5.

§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO (Schuldner Eigenverwaltung)

6.

§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO (vorl. Verwalter)

7.

§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO (Schuldner Eigenverwaltung)

8.

§ 55 Abs. 4 InsO

9.

Unterhalt (§ 100 InsO)

10. Sozialplanansprüche (§ 123 Abs. 1 InsO) 11. Schadensersatz (§ 169 Satz 1 InsO) 12. Wertersatz (§ 172 Abs. 2 Satz 1 InsO)

109

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren B. Insolvenzforderungen, § 38 InsO oGängige Praxis ist eine Gruppenbildung nach den Kriterien des Forderungsgrundes, z. B. I.

Verbindlichkeiten aus L+L

II. Verbindlichkeiten ggü. Kreditinstituten III. Steuerverbindlichkeiten IV. Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen […] C. Nachrangige Insolvenzforderungen, § 39 InsO208) I.

§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO

II. § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO III. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO IV. § 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO V. § 39 Abs. 2 InsO

435 Soweit die Forderungen besichert sind, sind die Absonderungsrechte – korrespondierend zum Masseverzeichnis – in das Gläubigerverzeichnis aufzunehmen (§ 152 Abs. 2 Satz 1, 3 InsO). Die absonderungsberechtigten Gläubiger sind in Höhe des Teils der Forderung, die ungesichert ist bzw. im Zuge der Erlösverteilung aus der Verwertung des Absonderungsguts keine Zuteilung erhält (oKapitel D.IV.4.), Insolvenzgläubiger (Ausfallforderung vgl. § 52 InsO). 436 Aussonderungsberechtigte sind, steht das Aussonderungsrecht fest, nicht in das Verzeichnis aufzunehmen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 152 InsO, der die Aufnahme der Aussonderungsberechtigten nicht vorsieht. Ist zweifelhaft, ob ein Aussonderungsrecht besteht, sollte vorsichtshalber – wie auch im Masseverzeichnis – mit einem Erinnerungswert gearbeitet werden. Eine Ausnahme gilt bei Gegenständen, deren Aussonderung grundsätzlich verlangt werden kann, hinsichtlich derer aber eine Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ergangen ist: Soweit hieraus Wertersatzforderungen gemäß § 169 Satz 1 InsO erwachsen, stellen diese Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 InsO dar.

___________ 208) § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO spielt bei Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen keine Rolle und wird daher nicht angeführt.

110

III. Die Wirkungen der Eröffnung

Die nachfolgende Übersicht soll als Anregung zur Gliederung dienen: Buchwert

Gesamtverbindlichkeit

437

./. = + KostenSicherheiten Forderung beiträge209) aufgr. ungeAbsonderung sichert

A. Masseverbindlichkeiten […] B. Insolvenzforderungen, § 38 InsO […] C. Nachrangige Insolvenzforderungen, § 39 InsO […] Summe Passiva

Auch für das Gläubigerverzeichnis existiert kein gesetzlich vorgesehener Stich- 438 tag. Als Bestandteil der Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO (Passivseite der „Eröffnungsbilanz“) ist auch dieses Verzeichnis auf den Zeitpunkt der Eröffnung zu erstellen. Merke: Das Gläubigerverzeichnis gemäß § 152 InsO ist das Pendant zum Masseverzeichnis gemäß § 151 InsO. Die beiden Verzeichnisse sind in der Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO gegenüberzustellen. Wie in einer handelsrechtlichen Bilanz müssen sich Aktivseite und Passivseite in der Summe entsprechen. Das bedeutet bei der Aufstellung jeweils, dass die Werte der Absonderungsrechte auf der Aktivseite mit den Sicherheiten auf der Passivseite übereinstimmen müssen.

___________ 209) Anm.: In dieser Spalte sind die Kostenbeiträge gemäß §§ 170, 171 InsO bzw. der für die Verwertung vereinbarte Massekostenbeitrag darzustellen. Eine Saldierung der Kostenbeiträge mit den Drittrechten kollidiert mit dem Verbot des § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB (so auch Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 107).

111

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

cc) Vermögensübersicht (§ 153 InsO) 439 Die Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO ist die sog. Eröffnungsbilanz. In der Übersicht sind die Aktiva und die Passiva unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Besonderheiten gegenüberzustellen. Ein Nebeneinander von Aktiva und Passiva ähnlich einer handelsrechtlichen Bilanz (kontoförmige Bilanz) ist eine Möglichkeit der Darstellung; dies ist jedoch nicht zwingend vorgeschrieben. Die Vermögensübersicht muss sich auf die Werte des Masseund des Gläubigerverzeichnisses beziehen (§ 153 Abs. 1 Satz 2 InsO). Vereinfacht ausgedrückt ist die Bilanz ein „Nebeneinander der Verzeichnisse“. 440 Soweit das Verfahren gebietet, neben den Liquidations- auch die Fortführungsund ggf. Freigabewerte auszuweisen, empfiehlt sich aus Gründen der Übersichtlichkeit eine eigene Bilanz für den jeweiligen Gesichtspunkt (eine „Liquidationsbilanz“, ggf. eine „Fortführungsbilanz“, ggf. eine „Freigabebilanz“). 441 Ein Beispiel für den Aufbau einer Bilanz soll nachfolgende Illustration geben; aus Platzgründen wurde auf die Darstellung einer vollständigen Bilanz verzichtet: Beispiel: Aktiva

Passiva

[…]

[…] Summe Aktiva

Summe Passiva

442 Ein Beispiel für die Kohärenz bei Absonderungsrechten sei nachfolgend gegeben: Beispiel: Aktiva Buchwert

A.

Anlagevermögen

I.

Immaterielle Vermögenswerte

Liquid.Wert210)

./. Drittrechte

+ Kostenbeiträge211)

= freie Masse

[…]

___________ 210) Anm.: Ggf. muss zusätzlich ein Ansatz von Fortführungs- und ggf. Freigabewerten erfolgen. Die Übersicht ist um entsprechende Spalten zu ergänzen. 211) Anm.: In dieser Spalte sind die Kostenbeiträge gemäß §§ 170, 171 InsO bzw. der für die Immobilienverwertung vereinbarte Massekostenbeitrag darzustellen. Eine Saldierung der Kostenbeiträge mit den Drittrechten kollidiert mit dem Verbot des § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB (so auch Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 107).

112

III. Die Wirkungen der Eröffnung

II.

Buchwert

Liquid.Wert

./. Drittrechte

+ Kostenbeiträge

= freie Masse

125.000

100.000

100.000

9.000

9.000

Sachanlagen […]

2.

Techn. Anlagen und Maschinen […] Summe Aktiva

Passiva Buchwert

Gesamtverbindlichkeit

256.000

500.000

./. + = Sicherheiten KostenForderung aufgr. Ab- beiträge212) ungesichert sonderung

A. Masseverbindlichkeiten […] B. Insolvenzforderungen, § 38 InsO I.

Verbindlichkeiten aus L+L

100.000

9.000

509.000

[…] Summe Passiva

Von der Möglichkeit der Versicherung der Vollständigkeit der Übersicht an 443 Eides statt durch Erklärung des Schuldners (§ 153 Abs. 2 InsO) kann nur in Fällen Gebrauch gemacht werden, wenn erheblich Zweifel an den Angaben des Schuldners, die mit die Grundlage zur Erstellung der Übersicht bilden, bestehen.213)

___________ 212) Anm.: Die Kostenbeiträge kann der Gläubiger gegen den Insolvenzschuldner, jedoch nur im Rang einer Insolvenzforderung geltend machen (§ 4 InsO i. V. m. § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 213) HK-InsO/Jarchow, § 153 Rn.20.

113

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

dd) Besonderheit bei Eigenverwaltung 444 In der Eigenverwaltung gilt folgende Besonderheit hinsichtlich der Pflicht zur Aufstellung der Verzeichnisse gemäß § 151, 152 InsO und der Vermögensübersicht des § 153 InsO: Praxistipp: In der Eigenverwaltung ist die Erstellung der Verzeichnisse gemäß § 151, 152 InsO und der Vermögensübersicht des § 153 InsO Aufgabe des Schuldners (§ 281 Abs. 1 Satz 1 InsO). Den Sachwalter trifft eine Prüfungspflicht, aus der heraus er das Recht herleitet, Einwendungen gegen die Verzeichnisse und die Übersicht zu erheben (§ 281 Abs. 1 Satz 2 InsO).

ee) Frist 445 Die Verzeichnisse gemäß §§ 151, 152 InsO sowie die Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO sind spätestens eine Woche vor dem Berichtstermin beim Insolvenzgericht zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen (§ 154 InsO). In der Praxis empfiehlt sich, je nach Umfang des Verfahrens mit einer Vorfrist von 7 – 14 Tagen zu arbeiten. c) Verwertung der Insolvenzmasse 446 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Insolvenzmasse (o Kapitel D.IV.1.) auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Zur Insolvenzmasse gehören die zum Zeitpunkt der Eröffnung im Schuldnervermögen vorhandenen, pfändbaren Vermögenswerte sowie der während des Insolvenzverfahrens erlangte Neuerwerb (§§ 35, 36 InsO). Zu den Einzelheiten und Besonderheiten der Verwaltung und Verwertung wird nachfolgend näher ausgeführt werden (o Kapitel D.IV.1.). 447 Das Insolvenzverfahren ist bestimmt von der Gläubigerhoheit. So ist in § 157 Satz 1 InsO vorgesehen, dass die Gläubigerversammlung im Berichtstermin beschließt, ob das Unternehmen des Schuldners stillgelegt oder vorläufig fortgeführt werden soll. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der kodifizierte Regelfall die Fortführung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter. Dies ist selbstverständlich nicht in jedem Fall praktikabel, da in einer nicht zu geringen Zahl der Unternehmensinsolvenzen kein fortführungsfähiger Betrieb mehr vorgefunden wird und demnach vor dem Berichtstermin eine Stilllegung erfolgen muss. In diesem Fall bedarf es zur Stilllegung der Zustimmung des Gläubigerausschusses (§ 158 InsO). 448 Die Verwertung der Gegenstände der Insolvenzmasse ist erst nach dem Berichtstermin vorgesehen, soweit die Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht entgegenstehen (§ 159 InsO). Die Verwertung muss dann unverzüglich erfolgen und bedarf in bestimmten Fällen der Zustimmung des Gläubiger114

III. Die Wirkungen der Eröffnung

ausschusses bzw. der Gläubigerversammlung (§ 160 InsO). Den Grundsätzen des Insolvenzrechts folgend, ist die bestmögliche Verwertungsoption zu wählen (§ 1 InsO). Die Verwertung i. S. d. § 159 InsO bedeutet die Liquidation des Schuldnerunternehmens. Vor dem Berichtstermin und der vorerwähnten Beschlussfassung durch die Gläubiger über den Fortgang des Verfahrens ist die Verwertung von Massebestandteilen zulässig, dann allerdings im Rahmen der Verwaltung, nicht im Sinne einer Liquidation. Diese Handlungen erfolgen durch den Verwalter nach pflichtgemäßem Ermessen und bergen, je nach Konstellation auch Haftungspotential, falls eine Verwertung zum Nachteil der Gläubiger vorgenommen wird (z. B. Veräußerung unter Wert). In der Praxis bereitet die Abgrenzung bei Zeiten Schwierigkeiten und sorgt für Verwirrung. Beispiel:

449

Der Schuldner Gottfried betreibt einen Käseladen. Durch eine längere Erkrankung – Gottfried hatte sich beim Stolpern über einen 18,5 kg schweren Käselaib einen komplizierten Beinbruch zugezogen – musst er sein Geschäft längere Zeit geschlossen halten. Nach seiner Genesung konnten die Tageseinnahmen aus dem solide geführten und gut laufenden Betrieb die fehlenden Umsätze nicht mehr auffangen, sodass er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen musste. Der Insolvenzverwalter führt den rentablen Käseladen nach Eröffnung bis auf Weiteres fort. An dem vorstehenden Beispiel wird deutlich, dass eine Fortführung bis zum 450 Berichtstermin nicht darstellbar ist, wenn der Verwalter nach Insolvenzeröffnung nicht Massegegenstände (Käse) veräußern dürfte. Durch die Fortführung und den damit verbundenen Betrieb verwaltet er die Masse. Würde er jedoch die Käseschneidemaschine, die Waage und ähnliche Gegenstände des Betriebsvermögens veräußern, wäre dies eine Verwertungshandlung, eine Fortführung würde unmöglich werden. Die Gläubigerversammlung könnte im Berichtstermin nicht mehr über den Fortgang entscheiden, da bereits Tatsachen geschaffen wurden. Ist den Gläubigern hierdurch ein Schaden erwachsen, weil eine Fortführung die besseren Befriedigungsaussichten geboten hätte, macht sich der Insolvenzverwalter u. U. haftbar (§ 60 InsO). Soweit es die Verwaltung gebietet, sind Veräußerungen auch vor dem Be- 451 richtstermin zulässig. Neben den Erzeugnissen und Waren des fortgeführten Unternehmens ist ebenfalls der Forderungseinzug der Verwaltung zuzuordnen und bereits vor dem Berichtstermin indiziert.214)

___________ 214) Vgl. BGH, Urt. v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

452 Als Richtlinie kann für die Praxis folgender Merksatz dienen: Merke: Soweit Umlaufvermögen nicht ausnahmsweise zur Fortführung eines Geschäftsbetriebs erforderlich ist, steht § 159 InsO einer Veräußerung vor dem Berichtstermin insoweit nicht entgegen. Die Verwertung von Anlagevermögen ist grundsätzlich erst nach dem Berichtstermin statthaft. 453 Beispiel: In Abwandlung des vorstehenden Beispiels zum Käseladen ist anzunehmen, dass eine Fortführung nach Eröffnung nicht darstellbar ist, weil Gottfried nach wie vor gesundheitlich an der Ausübung seiner selbstständigen Tätigkeit gehindert ist. Der Insolvenzverwalter hat eine Woche nach Eröffnung die Möglichkeit, den Geschäftsbetrieb zu übertragen. 454 In der Abwandlung des Falles besteht die Möglichkeit einer übertragenden Sanierung, einer im Insolvenzverfahren sehr häufig gewählten Verwertungsalternative zum Erhalt der wirtschaftlichen Werte des Schuldnervermögens. Hierbei werden sämtliche Aktiva an einen Erwerber übertragen. Die Zahlungsverbindlichkeiten des Schuldners werden im Insolvenzverfahren abgewickelt. Auch eine übertragende Sanierung ist eine Form der Verwertung215) und demnach grundsätzlich erst nach dem Berichtstermin möglich. Jedoch wäre es im Beispiel kaum zumutbar, mit der Verwertung von Käsesorten mit kurzer Haltbarkeitsdauer bis dahin zuzuwarten. Der Gesetzgeber sieht daher in einem solchen Fall – ähnlich wie auch im Antragsverfahren unter vorläufiger Insolvenzverwaltung – eine Notveräußerung bereits vor dem Berichtstermin als zulässig an. Alternativ wäre möglich, den Käseladen an den potentiellen Erwerber bis zur Entscheidung der Gläubigerversammlung im Berichtstermin zu verpachten. 455 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es zu einer übertragenden Sanierung der Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung (§ 160 Abs. 2 Satz 1 InsO) sowie unter den besonderen Voraussetzungen auch weiterer Zustimmungen gemäß § 162, 163 InsO bedarf. Arbeitsrechtlich ist i. d. R. § 613a BGB einschlägig. 456 Auch gibt es eine Vielzahl von Verfahren, in denen eine Fortführung gar nicht erst in Betracht zu ziehen ist, etwa, weil der Geschäftsbetrieb des Schuldners bereits vor Einleitung des Insolvenzverfahrens eingestellt war. In diesem Fall hat der Verwalter ebenfalls die Gegenstände der Masse bestmöglich zu verwerten. Die Grundsätze der bestmöglichen Verwertung gehen einher mit der Prämisse, bei der Verwertung den höchsten Erlös zu erzielen. Gleichzeitig bedeutet dies auch, dass die Insolvenzmasse mit dem geringsten Massekosten___________ 215) Wellensiek, NZI 2002, 233.

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III. Die Wirkungen der Eröffnung

volumen zu belasten ist. Sind mit dem Erhalt des Vermögensgegenstands Kosten für die Masse verbunden, kann eine Verwertung vor dem Berichtstermin auch im Gläubigerinteresse angezeigt sein, da die Masseverbindlichkeiten vor der Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu begleichen sind. Vereinfacht ausgedrückt: Masseverbindlichkeiten vermindern also die Insolvenzquote. In manchen Fällen kann es daher angezeigt sein, vor dem Berichtstermin zu verwerten. In der Praxis wird in einem solchen Fall regelmäßig mit entsprechenden Genehmigungsvorbehalten in den Verwertungsvereinbarungen agiert. Der Insolvenzverwalter verwertet nach pflichtgemäßem Ermessen und berichtet der Gläubigerversammlung im Berichtstermin über die Maßnahmen und Ergebnisse. Hat eine bestmögliche und wertentsprechende Verwertung stattgefunden, besteht keine Gefahr, dass der Insolvenzverwalter sich insoweit gegenüber den Gläubigern haftbar macht. Erfolgt die Verwertung im Rahmen sog. Insolvenzverkäufe hat der Insolvenz- 457 verwalter die Bestimmungen des Wettbewerbsrechts, insbesondere §§ 3, 4, 5 UWG zu beachten. Unter Beachtung des Grundsatzes der bestmöglichen Verwertung ist der Verwalter i. Ü. frei in der Preisgestaltung, jedoch bei Insolvenzverkäufen reglementiert durch § 5 Abs. 4 UWG, wonach eine irreführende geschäftliche Handlung anzunehmen ist, wenn mit der Herabsetzung eines Preises geworben wird, sofern der Preis nur für eine unangemessen kurze Zeit gefordert worden ist. Erfolgt der so beworbene Insolvenzverkauf durch einen Verwerter ist darauf zu achten, dass nur Massegegenstände verwertet werden und nicht weitere, eigens für die Verwertung angeschaffte, verkaufsfördernde zusätzliche „Schmankerl“ (vgl. § 4 Nr. 4 UWG). Wird ein externer professioneller Verwerter beauftragt, der oftmals die öffent- 458 liche Versteigerung als Verwertungsformat wählt, ist mit Blick auf die Vergütung des Insolvenzverwalters darauf zu achten, dass die Verwertung zu den originären Kernaufgaben der Verwaltertätigkeit zählt. Delegationen führen insoweit ggf. zu Abschlägen bei der Vergütungsfestsetzung, sofern die Umstände des Verfahrens die Verwertung durch einen Dritten nicht rechtfertigen (z. B. wegen der bei der Versteigerung bestehenden Möglichkeit des Gewährleistungsausschlusses, einem Spezialmarkt oder bei größeren Massen.216)) 2. Konsequenzen für den Schuldner Im gleichen Umfang, wie die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den 459 Insolvenzverwalter übergeht (§ 80 Abs. 1 InsO), geht der Schuldner ihrer verlustig. Nach Insolvenzeröffnung kann er daher nicht mehr rechtswirksam über massezugehöriges Vermögen verfügen. Der Schuldner bleibt jedoch Rechtsträger, d. h. Eigentümer auch der insolvenzbefangenen Gegenstände. Vom Verwalter vorgenommene Verfügungen (dingliche Rechtsgeschäfte, aber auch Ausübung von Gestaltungsrechten wie Kündigungen, Widerrufen, An___________ 216) FK-InsO/Wegener, § 159 Rn. 11.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

fechtungen gemäß §§ 142 ff. BGB, Rücktritte §§ 349 ff. BGB, Aufrechnung gemäß §§ 389 ff. BGB) entfalten unmittelbare Wirkung für und gegen den Schuldner. 460 Auf den beruflichen Status des Schuldners hat die Eröffnung des Verfahrens nur bei selbstständig Tätigen einen mehr oder weniger einschneidenden Einfluss. Ist der Schuldner Kaufmann, ändert an dieser Eigenschaft auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nichts.217) Der Schuldner bleibt Kaufmann bis zu einer evtl. Einstellung oder Veräußerung des Geschäftsbetriebes. 461 Bei Gewerbetreibenden kann die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Gewerbeuntersagung gemäß § 35 GewO führen. Auch Freiberufler mit Fremdvermögen verwaltender Funktion droht in der Regel der Widerruf der Zulassung nach den jeweiligen berufsrechtlichen Bestimmungen. Oftmals ist hier, soll der Gewerbe-/Praxisbetrieb aufrechterhalten oder wieder aufgenommen werden, ein zeitnaher Insolvenzplan die einzige Möglichkeit zur Sicherung der Existenz im ausgeübten Berufsfeld (Konsolidierung durch Insolvenzplan). Bestenfalls wird bereits mit Einleitung des Verfahrens ein sog. „Prepackaged-Plan“ eingereicht (oKapitel G.). 462 Wird das Insolvenzverfahren unter Eigenverwaltung eröffnet (§ 270 InsO), verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch hinsichtlich der Massegegenstände beim Insolvenzschuldner. Der Sachwalter übernimmt eine Controllingfunktion mit Vetorechten in einem gesetzlich bestimmten Rahmen (oKapitel H.). 3. Verfügungen, Leistungen und Rechtserwerb nach Eröffnung (§§ 81, 82, 91 InsO) 463 Gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO sind Verfügungen des Schuldners über Massegegenstände nach Eröffnung absolut unwirksam. Die Bestimmung ist die logische Konsequenz aus § 80 Abs. 1 InsO, der die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ab Eröffnung auf den Insolvenzverwalter überträgt. 464 Zunächst ist zu prüfen, ob eine Verfügung des Schuldners vorliegt. Der Begriff der Verfügung ist weit zu verstehen und umfasst neben Rechtübertragungen, Rechtsänderungen, Rechtsbelastungen, Aufhebungen nach ganz überwiegender Meinung auch rechtsgeschäfts- und verfügungsähnliche Handlungen, insbesondere Zahlungen, Lastschriftbuchungsgenehmigungen, Mitteilungen und Anzeigen (§§ 149, 171, 409 Abs. 1, 415 Abs. 1 Satz 2, 416 Abs. 1 Satz 1, 478 Abs. 1 BGB, § 377 HGB), Fristsetzungen, Aufforderungen nach §§ 108 Abs. 2, 177 Abs. 2 BGB oder Androhungen nach §§ 384 Abs. 1, 1220 Abs. 1 Satz 1 BGB.218) ___________ 217) HK-InsO/Kuleisa, § 80 Rn. 31. 218) Zum Streitstand und m. w. N. siehe HK-InsO/Kuleisa, § 81 Rn. 6.

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III. Die Wirkungen der Eröffnung

Liegt eine Verfügung des Schuldners vor, greift § 81 InsO. Verpflichtungsge- 465 schäfte erfasst § 81 InsO hingegen nicht (Abstraktionsprinzip beachten!). Der Schuldner handelt, zielt er auf eine Verpflichtung der Insolvenzmasse ab, in Anlehnung an die Vertretungsregeln der §§ 164 ff. InsO ohne Vertretungsmacht und kann daher die Masse zu nichts verpflichten.219) Es besteht die Möglichkeit, dass der Insolvenzverwalter eine Genehmigung erteilt (§ 177 BGB), sollte das Geschäft für die Insolvenzmasse günstig sein. Wird eine Genehmigung nicht ausgesprochen, haftet allein das unpfändbare Neuvermögen des Schuldners (§ 179 BGB). Solche Neuverbindlichkeiten sind nicht von der Restschuldbefreiung erfasst (vgl. § 301 InsO). Liegt eine Verfügung des Schuldners vor, ist zu prüfen, ob der Gegenstand 466 überhaupt insolvenzbeschlagen ist. Über nicht massezugehörige Gegenstände kann der Insolvenzschuldner auch nach Eröffnung nach wie vor rechtswirksam verfügen. Bei Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse 467 in einem mehraktigen Rechtserwerb kann es problematisch sein, wenn die Ausführung vor Eröffnung begann, der Rechtserwerb aber erst nach Eröffnung mit Eintritt der letzten Wirksamkeitsvoraussetzung vollendet wird. Ist der mehraktige Rechtserwerb z. Zt. der Eröffnung des Insolvenzverfah- 468 rens bereits so weit gediehen, dass der Erwerbende ein sog. Anwartschaftsrecht für sich beanspruchen kann, steht dem endgültigen Rechtserwerb nach Eröffnung auch nichts mehr im Wege. Merke: Als Anwartschaft bezeichnet man die Rechtsposition des Erwerbers, wenn von einem mehraktigen Erwerbsvorgang schon so viele Teile vorgenommen worden sind, dass der endgültige Eintritt des Erwerbs einseitig vom Veräußerer nicht mehr verhindert werden kann. Anschaulich wird dies am Beispiel des Erwerbs von Immobiliarvermögen. 469 Zur Veräußerung von Grundstücken bedarf es eines mehraktigen Verfügungsgeschäfts in Form der dinglichen Einigung zwischen Verkäufer und Erwerber (Auflassung) sowie der Eintragung im Grundbuch (§§ 873, 925 BGB). Erst mit Eintragung des Erwerbers im Grundbuch erlangt dieser die Eigentumsrechte am Grundstück. Ist die dingliche Einigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt und liegt der Antrag auf Eigentumsumschreibung z. Zt. der Eröffnung beim Grundbuchamt vor, ist i. R. v. § 81 InsO nicht auf den Zeitpunkt der endgültigen Grundbuchumschreibung (nach Insolvenzeröffnung) abzustellen, sondern vielmehr auf den Eingang des rangwahrenden Antrags im Grundbuchamt (§ 878 BGB).220) Zu beachten ist allerdings, dass § 81 ___________ 219) Ries, ZInsO 2005, 298, 300. 220) Siehe dazu BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, ZIP 2012, 1256.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

InsO im vorläufigen Insolvenzverfahren entsprechend anwendbar und die Verfügung des Schuldner unwirksam ist (§ 24 Abs. 1 InsO), es sei denn, der vorläufige Insolvenzverwalter spricht eine Genehmigung aus. 470 Soweit Grundpfandrechte betroffen sind, ist bei der Hypothek die Akzessorietät zu beachten. Merke: Akzessorietät bedeutet, dass das Recht (z. B. die Hypothek) in ihrem Bestand von der gesicherten Forderung (z. B. Darlehensforderung) abhängt – das Sicherunrecht teilt das Schicksal der gesicherten Forderung. 471 Nimmt der Schuldner die Darlehensmittel erst nach Eröffnung (bzw. im vorläufigen Verfahren nach Anordnung der Verfügungsbeschränkungen) entgegen, kann kein Absonderungsrecht zugunsten des Gläubigers begründet werden, da der wirksame Rechtserwerb über (§ 24 Abs. 1 InsO i. V. m.) § 81 Abs. 1 InsO verhindert wird. Dies gilt auch, wenn das Recht bereits im Grundbuch eingetragen ist, denn das eingetragene Recht ist bis zur Valutierung der gesicherten Forderung ein Eigentümergrundpfandrecht.221) Wird gegenüber einem Dritten valutiert, verfängt § 81 Abs. 1 InsO nicht. Vielmehr ist der Vorgang nach Insolvenzeröffnung bei Vorliegen der Voraussetzungen über die Anfechtungsregeln abzuwickeln (§ 143 InsO, oKapitel D.VI.7.o.). 472 Bei der nicht akzessorischen Grundschuld kann der Eigentümer dem Gläubiger bis zur Bereitstellung der Darlehensmittel die Einrede der Nichtvalutierung aus der Sicherungsabrede entgegenhalten. Abgängig vom Zeitpunkt der Valutierung greifen auch in diesem Fall die Bestimmungen des § 81 Abs. 1 InsO (im vorläufigen Verfahren über § 24 Abs. 1 InsO). 473 Ist der Erwerber bei der jeweiligen Antragstellung auf Eintragung in seiner Rechtsposition ob einer bindenden Einigung gesichert und ist der Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung beim Grundbuchamt gestellt, kann er das Recht gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. §§ 878, 892 BGB gutgläubig erwerben, wenn die dingliche Einigung dem Eintragungsantrag zeitlich vorausgeht und der Erwerber bei Stellung des Antrags beim Grundbuchamt hinsichtlich der fehlenden (bzw. beschränkten) Verfügungsbefugnis auch gutgläubig war (Gutglaubenserwerb der Anwartschaft). Gutgläubigkeit scheidet regelmäßig dann aus, wenn zuvor bereits ein (vorläufiger) Insolvenzsperrvermerk eingetragen wurde (§ 32 InsO, ggf. i V. m. § 23 Abs. 3 InsO). 474 Für Leistungen an den Schuldner bestimmt § 82 InsO, dass diese schuldbefreiend nur noch an den Insolvenzverwalter erbracht werden können, wenn die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war. Der an den Schuldner Leistende wird nur dann von der Verpflichtung befreit, wenn er z. Zt. der Leistungserbringung hinsichtlich der Eröffnung des Verfahrens in Unkennt___________ 221) MünchKomm-InsO/Breuer, § 91 Rn. 27.

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III. Die Wirkungen der Eröffnung

nis war. Hatte er hingegen Kenntnis von der Leistung, kann der Insolvenzverwalter ihn erneut zur Leistung an die Insolvenzmasse auffordern. Die bereits an den Schuldner erbrachte („doppelte“) Leistung kann er von diesem nach bereicherungsrechtlichen Bestimmungen (o § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) zurückverlangen. Ist Eigenverwaltung angeordnet, sind §§ 81 und 82 InsO nicht unmittelbar 475 anzuwenden, da der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis behält, es sei denn das Insolvenzgericht bestimmt, dass die Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte von der Zustimmung des Sachwalters anhängt. Soweit Vollstreckungsmaßnahmen nach Antragstellung bzw. nach Eröff- 476 nung vorgenommen werden, schützen §§ 88, 89, 90 InsO die Insolvenzmasse vor Schmälerungen (oKapitel D. XIII.). Sonstiger Rechtserwerb nach Eröffnung ist, soweit er masseschmälernden 477 Charakter aufweist, d. h. Gegenstände der Insolvenzmasse betrifft, über § 91 InsO ausgeschlossen. § 91 InsO ist als Auffangtatbestand zu sehen für die Fälle, die nicht bereits über die §§ 81, 82, 88, 89, 90 InsO gegriffen werden. § 91 InsO verfängt in den Fällen, denen keine Verfügung des Schuldners oder eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme zugrunde liegt. Problemfeld: Vorausabtretungen Verfügt der Schuldner über wiederkehrende Bezüge, kann er die Forderun- 478 gen unter bestimmten Voraussetzungen zugunsten eines Dritten abtreten, soweit die Forderungen noch nicht durch Zahlung erloschen sind (§ 362 BGB) oder auch künftig erst entstehen (§ 398 BGB). Die Abtretung einer Forderung durch den Schuldner nach Insolvenzeröffnung ist über § 81 Abs. 1 InsO unwirksam. Bei der Abtretung künftiger Forderungen, der sog. Vorausabtretung, treten 479 die Wirkungen des Abtretungsvertrags erst mit Entstehen der Forderung ein. Bei einer Vorausabtretung ist es wichtig, dass bei Entstehen der Forderung eindeutig ist, welche Forderungen gegen welchen Drittschuldner in welchem Umfang abgetreten werden soll (Bestimmtheitsgrundsatz)222). Bei der Abtretung ist grundsätzlich zu beachten, dass unpfändbare Forde- 480 rungen nicht abgetreten werden können (§ 400 BGB). Der wichtigste Anwendungsfall im Bereich der Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen ist die Beachtung der Pfändungsfreigrenzen bei der Abtretung von Arbeitseinkommen (§§ 850 ff. ZPO). Ist der Schuldner ein Freiberufler, kann er Honorarforderungen ohne die 481 Zustimmung des Patienten bzw. Mandanten grundsätzlich nicht abtreten, da ein unlösbarer Konflikt zwischen der Auskunftserteilung (§ 402 BGB) und ___________ 222) BGH, Urt. v. 24.11.1975 – III ZR 81/73, WM 1976, 151.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

der Schweigepflicht der freien Berufe (vgl. § 203 Abs. 1 Ziff. 3 StGB) besteht.223) 482 Unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten betrachtet, ist bei einer Vorausabtretung § 91 InsO zu beachten. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens können Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Bei der Vorausabtretung ist die Verfügung des Schuldners bereits mit Abschluss des Abtretungsvertrags beendet. Die Wirkungen der Abtretung, damit der Rechtsübergang der Forderung, erfolgt jedoch erst mit dem Entstehen der Forderung. Entsteht die zuvor abgetretene Forderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, steht dem Rechtserwerb des Gläubigers § 91 Abs. 1 InsO entgegen. 483 Eine Ausnahme besteht dann, wenn der Zessionar (neue Gläubiger) bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der abgetretenen Forderung erlangt hat. In diesem Fall ist die Abtretung insolvenzfest.224) Gesichert ist eine Rechtsposition dann, wenn der Zedent (Abtretende) und der Forderungsschuldner diese ohne Mitwirkung des Neugläubigers einseitig nicht mehr zerstören können.225) Bei Arbeitseinkommen ist regelmäßig keine gesicherte Rechtsposition anzunehmen, da die Forderung auf Zahlung des Arbeitsentgelts erst durch Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung durch den Schuldner entsteht.226) Gleiches gilt bei Dienstverträgen, da der Vertrag durch Kündigung beendet werden kann bzw. der Dienstverpflichtete die ihm obliegende Leistung ohne Gründe, die einen Vergütungsanspruch begründen, verweigern kann.227) 484 Zu beachten ist auch, dass es einen gutgläubigen Erwerb von Forderungen grundsätzlich nicht gibt (Ausnahme §§ 2366 f. BGB, § 405 BGB). 485 In Insolvenzverfahren angestellt tätiger, natürlicher Personen mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 bildete § 114 Abs. 2 InsO a. F. insoweit eine Ausnahme zu § 91 Abs. 1 InsO, als die Vorausverfügung über Arbeitseinkommen ___________ 223) Siehe hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 10.10.2013 – III ZR 325/12, NJW 2014, 141. 224) BGH, Urt. v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, WM 2012, 549 und Urt. v. 20.9.2012 – IX ZR 208/11, WM 2012, 2292. 225) BGH, Urt. v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, WM 2012, 549. 226) BGH, Urt. v. 20.3.2003 – ZIP 2003, 808. 227) BGH, Urt. v. 20.9.2012 – IX ZR 208/11, WM 2012, 2292; BGH, Urt. v. 26.6.2008 – IX ZR 87/07, WM 2008, 1460; siehe zum Anspruch eines Kassenarztes BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, BGHZ 167, 363 sowie v. 20.10.2011 – IX ZR 10/11, WM 2011, 2294 und Beschl. v. 18.2.2010 – IX ZR 67/09, WM 2010, 567 (Vergütungsansprüche des Kassenarztes entstehen erst mit Erbringung der ärztlichen Leistungen, die Grundlage des endgültigen Honorarbescheids der KV sind. Eine gesicherte Rechtsposition an Honoraransprüchen kann der Zessionar erst erwerben, nachdem der Arzt vergütungsfähige Leistungen erbracht hat. Eine Vorausabtretung geht dann ins Leere, wenn der Insolvenzverwalter die Praxis des Schuldners fortführt.

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III. Die Wirkungen der Eröffnung

oder ähnliche Bezüge für die Dauer von zwei Jahren ab Eröffnung wirksam war (o zum Problemfeld nach Streichung des § 114 InsO siehe Kapitel D.VI.3.). Auch fällt der Kauf unter Eigentumsvorbehalt unter § 91 InsO. Zahlt der 486 Vorbehaltskäufer den (Rest)Kaufpreis, steht dem Eigentumserwerb auch nach der Eröffnung nichts entgegen, da dieser nur noch einseitig von der Zahlung des Käufers abhängt. Praxistipp: Wurde bereits vor Eröffnung eine starke Anwartschaftsposition erworben, die der Schuldner nicht mehr beeinflussen kann, hat diese ihre Massezugehörigkeit bereits verloren und der Rechterwerb kann durch § 91 InsO nicht mehr verhindert werden. § 91 InsO präkludiert indes nicht die Insolvenzanfechtung. Daher ist in der Praxis, selbst wenn der Rechtserwerb auch unter Berücksichtigung von § 91 InsO wirksam ist, zu prüfen, ob die zugrunde liegende Rechtshandlung nicht nach den §§ 129 ff. InsO anfechtbar ist. Die Prüfung ist eine zweistufige: 1. Wirksamkeit (§§ 81, 91 InsO; beachte auch § 88 InsO) 2. Falls ja: Anfechtbarkeit (§§ 129 ff., 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO)

Übersicht: Rechtshandlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Rechtshandlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Verfügungen des Schuldners, Leistungen an den Schuldner §§ 81, 82 InsO

Zwangsvollstreckungsmaßnahmen §§ 89, 90 InsO

Sonstiger Rechtserwerb § 91 InsO (Auffangtatbestand)

Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach oder innerhalb einer 1- bzw. 3Monatsfrist vor dem Insolvenzantrag § 88 InsO

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse 1. Insolvenzmasse 488 Der Begriff der Insolvenzmasse ist legaldefiniert in § 35 Abs. 1 InsO. § 35 Abs. 1 InsO Das Insolvenzverfahren erfasst das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

489 Unter Insolvenzbeschlag stehen hiernach die sog. Soll-Masse zum Eröffnungsstichtag sowie der sog. Neuerwerb. 490 Zur Insolvenzmasse zugehörig ist auch im Ausland befindliches Schuldnervermögen (Universalitätsprinzip).228) 491 Insbesondere im Bereich der natürlichen Personen wird die Vorschrift präzisiert durch § 36 InsO, der z. T. unter Bezugnahme auf Normen der Zivilprozessordnung grundsätzlich nur das pfändbare Vermögen dem Insolvenzbeschlag unterstellt. Auch hiervon definiert § 36 Abs. 2, 3 InsO wiederum Ausnahmen. 492 Die Systematik lässt sich wie folgt veranschaulichen: Rechtsträger: Schuldner = Eigentümer

Insolvenzmasse (Sondermasse)

nicht massezugehörig (Sondermasse)

Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters, § 80 Abs. 1 InsO

Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners

Gesamtes Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, § 35 Abs. 1 InsO. Unpfändbare Vermögenswerte; die ZPO-Vorschriften §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, 850g –850k, 851c, 851d ZPO gelten entsprechend, § 36 Abs. 1 InsO. Geschäftsbücher und landwirtschaftl. Geräte und Vieh sowie die zum Betrieb einer Apotheke unentbehrlichen Geräte, Gefäße und Waren (§ 811 Abs. 1 Nr. 4, 9 ZPO), § 36 Abs. 2 InsO. Hausrat, wenn ohne Weiteres ersichtlich ist, dass der zu erwartende Verwertungserlös zu dem Wert außer allem Verhältnis steht.

___________ 228) BGH, Urt. v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, ZIP 1985, 944.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

Das Vermögen, welches der Verwalter vorfindet, ist jedoch i. a. R. umfassender 493 oder geringer als die Soll-Masse, da sich zum Teil auszusondernde oder verheimlichte Vermögensgegenstände im Schuldnerbesitz befinden.229) Die tatsächlich vorgefundene Masse beschreibt man als sog. Ist-Masse. Soweit von Teilungsmasse die Rede ist, beschreibt dies das nach Verwertung 494 vorhandene Vermögen, bereinigt um die abgesonderten Befriedigungen, Aufrechnungen und Freigaben, nach Befriedigung der Massegläubiger.230) Der Begriff der Teilungsmasse stammt noch aus Zeiten der Konkursordnung (KO) und findet sich in der Insolvenzordnung so nicht mehr. Dennoch wird der Begriff oftmals noch erwähnt (auch in Literatur und Rechtsprechung). Korrekt wäre, von verteilungsfähiger Masse/Verteilungsbetrag/Verteilungsmasse zu sprechen. Hinsichtlich der Frage, ob ein Vermögenswert pfändbar ist, ist auf die Vor- 495 schriften für die Einzelzwangsvollstreckung der ZPO abzustellen (natürlich unter Beachtung der zuvor dargestellten insolvenzrechtlichen Besonderheiten). Für die beweglichen Gegenstände ist insbesondere § 811 ZPO zu beachten, für Forderungen und sonstige Rechte sind §§ 828 ff., 850 ff. ZPO maßgeblich. Sind massezugehörige Gegenstände beschädigt oder aus Massemitteln erwor- 496 ben worden, unterliegen auch die Schadensersatzansprüche bzw. die aus Massemitteln erworbenen Vermögenswerte dem Massebeschlag. In der Insolvenzordnung ist die Behandlung von Surrogaten zwar nicht verankert, wird in Anlehnung an § 2041 BGB bzw. §§ 285, 1247 BGB aber anerkannt.231) Daher sind auch Früchte und Nutzungen massezugehörig.232) Die Arbeitskraft des Schuldners sowie dessen Arbeitsverhältnis sind kein Be- 497 standteil der Insolvenzmasse.233) Vor diesem Hintergrund kann der Insolvenzverwalter den Schuldner nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zwingen.234) Dies gilt unabhängig von der insolvenzrechtlich normierten und bei Verstoß ggf. sanktionierten Erwerbsobliegenheit der § 287b InsO bzw. § 295 Abs. 1 Nr. 1. Der Obliegenheit kommt der Schuldner im eigenen Interesse mit dem Ziel der Erlangung der Restschuldbefreiung oder der Verhinderung der Aufhebung der bewilligten Verfahrenskostenstundung (§ 4c Nr. 4 InsO) nach. Eine zwangsweise durchzusetzende Erwerbspflicht besteht indes nicht. Der Insolvenzverwalter kann unter bestimmten Voraussetzungen auch einzel- 498 ne Gegenstände oder die selbstständige Tätigkeit aus dem Insolvenzbeschlag ___________ 229) 230) 231) 232) 233) 234)

FK-InsO/Ahrens, § 35 Rn. 10. FK-InsO/Ahrens, § 35 Rn. 11. FK-InsO/Ahrens, § 35 Rn. 22. BGH, Urt. v. 30.5.1958 – V ZR 295/56, NJW 1958, 1286. BAG; Urt. v. 20.6.2013 – 6 AZR 789/11, NZI 2013, 942. BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

freigeben (o Kapitel D.III.3.). Der mit Insolvenzeröffnung begründete Massebeschlag ist mit Zugang der Freigabeerklärung beendet. Diese Vermögenswerte sind (wieder) dem insolvenzfreien Vermögen zuzurechnen. Dies ist streng zu trennen von den bereits aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Vermögenswerten. Greifen die Vorschriften zur Unpfändbarkeit, wurde nie ein Massebeschlag begründet. Für eine Freigabeerklärung hinsichtlich solcher Gegenstände besteht daher kein Raum, da das durch die Freigabe erklärte Ausscheiden aus der Insolvenzmasse denklogisch voraussetzt, dass zunächst einmal Massebeschlag begründet wurde. 499 Übersicht Vermögensmassen: Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO) Altmasse → am Eröffnungsstichtag in der Insolvenzmasse vorhanden

Insolvenzfreies Vermögen

Neuerwerb → nach Eröffnung unter Massebeschlag erworben

Freigabe der selbstständigen Tätigkeit, § 35 Abs. 2 InsO

Freigabe einzelner Gegenstände

insolvenzfreies, da unpfändbares Vermögen (§§ 35, 36 InsO)

2. Verwaltung und Verwertung 500 Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Gegenstände der Insolvenzmasse auf den Insolvenzverwalter ist die Grundlage zur Befriedigung der Gläubiger. Durch die weitestgehende Unwirksamkeit von Verfügungen des Schuldners (§ 81 InsO) ist der Erhalt der Insolvenzmasse als Haftungsmasse sichergestellt. Gleiches gilt hinsichtlich der Drittschuldnerzahlungen, die bei positiver Kenntnis über die Insolvenzeröffnung schuldbefreiend nur noch an den Insolvenzverwalter geleistet werden können (§ 82 InsO). 501 Die Verwaltung der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter ist zu verstehen als „Bestandspflege“ der Masse und als Erhalt des Haftvermögens mit der sich anschließenden „Versilberung“ im Rahmen der Verwertung mit dem Ziel der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (par conditio creditorum).

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

3. Freigabe einzelner Gegenstände aus dem Massebeschlag a) Grundsätze der Freigabe Eine der Kernaufgaben des Verwalters ist – wie bereits dargestellt – die best- 502 mögliche Verwertung des Schuldnervermögens und die masseschonende Verwaltung dessen bis zur Verwertung. In dem „Gesamtpaket“ der Sondermasse Insolvenzvermögen befinden sich 503 bei Zeiten Gegenstände, bei denen der zu erwartende Verwertungserlös die Kosten der Verwertung nicht übersteigen wird.235) Im Insolvenzverfahren ist die bestmögliche und gleichmäßige Gläubigerbefriedigung oberster Grundsatz. Ist ein Erlös zugunsten der Masse nach Abzug der Verwertungskosten und ggf. der bis zur Verwertung anfallenden Kosten nicht zu erwarten, ist die Verwertung des einzelnen Gegenstands für die Gläubiger faktisch wertlos. Im Gegenteil können etwaige Kosten sogar zu einer Masseminderung führen (z. B. Kosten für Unterhaltung, Instandsetzung, Unterstellung, Lagerung, Versicherung, Steuern, Verwertung, etc.). Bei massebeschlagenen, grundpfandrechtlich besicherten Grundstücken über- 504 steigen Valuten der grundpfandrechtlich gesicherten Forderungen häufig den zu erwartenden Verwertungserlös des Grundstücks. Das Grundstück ist wertausschöpfend oder wertübersteigend belastet. Ist kein Zwangsverwaltungsverfahren angeordnet, sind die laufenden öffentlichen Lasten und Unterhaltungskosten des Grundstücks aus der Masse zu bedienen. Auch dies führt zu einer Masseschmälerung. In all den beschriebenen Fällen wäre eine Verwertung des einzelnen Gegen- 505 standes nicht mit einer Massemehrung, in manchen Fällen sogar mit einer Masseschmälerung verbunden. Die Verwertungsfrage ist demnach nicht ausschließlich eine rechtliche, sondern auch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise des Sachverhalts. Stellt der Insolvenzverwalter im Zuge der Prüfung der Verwertungsmöglichkeiten Schmälerungspotential zulasten der Insolvenzmasse fest, wird sich den Gegenstand aus der Masse freigeben, um ggf. weitere Nachteile von der Masse abzuwenden. Die Möglichkeit, einzelne Gegenstände aus dem Insolvenzbeschlag freizu- 506 geben, ist gesetzlich nicht ausdrücklich verankert, jedoch allgemein anerkannt.236) Das Recht zur Freigabe kann insbesondere aus der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO) gefolgert werden, lässt sich aber auch aus § 32 Abs. 3 InsO herleiten, wonach das Grundbuchamt nach Freigabe eines Grundstücks die Löschung des Sperrvermerks auf Ersuchen des Insolvenzgerichts oder auf Antrag des Insolvenzverwalters vornimmt. ___________ 235) Im Fall der Einzelzwangsvollstreckung hat der Gerichtsvollzieher in einem solchen Fall von der Pfändung Abstand zu nehmen (vgl. § 803 Abs. 2 ZPO). 236) Vgl. exemplarisch BGH, Urt. v. 21.4.2005 – IX ZR 281/04, ZInsO 2005, 594 ff.; Marotzke, ZVI 2003, 309, 313 ff.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Merke: Die Freigabe einzelner Gegenstände ist nicht gleichbedeutend mit der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO (o Kapitel D.V.2.)! 507 Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine (konstitutive) Freigabe erklärt werden kann, ist der mit Eröffnung zunächst begründete Massebeschlag des Gegenstands. Merke: Eine (konstitutive) Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag kann nur hinsichtlich eines zunächst vom Insolvenzbeschlag erfassten Gegenstands erklärt werden. 508 Daraus folgt, dass insbesondere hinsichtlich nicht massezugehöriger (insbesondere auszusondernder) Gegenständen eine Freigabe nicht erklärt werden kann und muss. b) Freigabe einzelner Vermögenswerte und (Un-)Pfändbarkeit 509 Auch unpfändbare Gegenstände gehören nicht zur Insolvenzmasse (vgl. §§ 35, 36 InsO), sodass eine diesbezüglich erklärte „Freigabe“ keinen rechtserheblichen Charakter haben kann.237) 510 Obacht ist jedoch geboten: „Werden aus unpfändbaren Mitteln neue Gegenstände angeschafft bzw. entstehen neue Ansprüche, unterliegen diese unter Umständen dem Insolvenzbeschlag.238) Die Unpfändbarkeit eines Vermögenswertes setzt sich demnach nicht fort an dem hierfür ins Schuldnervermögen gelangten Ersatzwert (Surrogat). Vielmehr ist die Frage der Massezugehörigkeit (und damit die Frage der Pfändbarkeit) für jeden einzelnen Vermögenswert (Gegenstand, Anspruch, Recht) gesondert und unabhängig von der etwaigen Herkunft der für die Anschaffung aufgewendeten Mittel zu prüfen.“239)

___________ 237) Die Praxis spricht bei einer solchen Freigabe oftmals von einer „unechten Freigabe“; für eine solche Erklärung besteht angesichts der bereits gesetzlich verankerten Unpfändbarkeit und des daraus folgenden fehlenden Massebeschlags nach Auffassung der Verfasserin kein Raum. 238) Vgl. BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZB 170/11, NZI 2013, 648; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 – IX ZB 247/11, ZIP 2013, 2112. 239) Vgl. BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZB 170/11, NZI 2013, 648; BGH. Beschl. v. 26.9.2013 – IX ZB 247/11, ZIP 2013, 2112; abweichend hierzu wohl Grote, ZInsO 2018, 1541, der den fehlenden Neuerwerb für eine Fortsetzung des Pfändungsschutzes an Surrogaten anführt (Differenztheorie: das Vermögen des Schuldners hat sich nicht geändert, daher besteht kein Neuerwerb).

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

Beispiel:

511

Der Schuldner ist Eigentümer eine gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Fahrzeugs. Er entschließt sich im Hautverfahren zur Veräußerung des Pkw, da ihn seit zwei Wochen ein Kollege, der seit 2 Monaten in seiner Nachbarschaft wohnt, in Fahrgemeinschaft mit zum Büro und nach Feierabend wieder mit heim nimmt. Der Kaufpreisanspruch in Höhe von 1.950 € (Surrogat) gegen den Käufer ist Bestandteil der Insolvenzmasse (Neuerwerb), da Pfändungsschutzvorschriften nicht einschlägig sind. Auf die Tatsache, dass der Pkw selbst unpfändbar war, kommt es nicht an. Der Pfändungsschutz setzt sich nicht an dem Ersatzwert (Kaufpreisanspruch) fort; insoweit ist unabhängig zu prüfen, ob Pfändungsschutz greift. Dieses ist vorliegend zu verneinen. Zum Teil wird eine hiervon abweichende Auffassung vertreten, welche im Kern 512 auf eine Fortsetzung des Pfändungsschutzes hinausläuft.240) Argumentiert wird dieses mit dem Fehlen des Merkmals „Neuerwerb“; ein solcher liege nicht vor, da sich das Vermögen des Schuldners nicht geändert habe (zuvor war ein Pkw vorhanden, jetzt ist es Bargeld gleichen Wertes).241) Diese „Differenztheorie“ ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht haltbar, da sie einer rechtlichen Grundlage entbehrt. Der BGH hat sehr klar herausgestellt, dass eine sog. „negative Surrogation“ (frei übersetzt: Fortsetzung des Pfändungsschutzes am Ersatzwert) nicht existiert.242) c) Abgrenzung Abzugrenzen ist die Freigabe einzelner Vermögenswerte nicht nur von der 513 Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO (o Kapitel D.V.2.), sondern auch von „Freigabe“-Begriffen, die in der Berufspraxis oftmals verwendet werden, ohne dass diese rechtliche eine „echte“ Freigabe darstellen. Als „echte“ Freigabe einzelner Vermögenswerte ist eine solche zu verstehen, 514 die sich auf einzelne Vermögenswerte bezieht und die zur Folge hat, dass der Insolvenzbeschlag dauerhaft aufgegeben wird. Sie verfolgt daher den Zweck der Befreiung der Masse von Masseverbindlichkeiten, die der Gegenstand verursacht/verursachen könnte, und ist damit Ausfluss des Grundsatzes der masseschonenden Verwaltung. Als „echte“ Freigabe mit den o. a. Wirkungen ist auch die sog. „modifizierte“ 515 Freigabe zu verstehen. Hierunter ist die „echte“ Freigabe eines einzelnen Vermögenswertes gegen Zahlung des Gegenwertes des Gegenstandes zur Masse zu verstehen. Diese Zahlung erfolgt dabei regelmäßig aus dem un___________ 240) So wohl Grote, ZInsO 2018, 1541. 241) So wohl Grote, ZInsO 2018, 1541. 242) Vgl. BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZB 170/11, NZI 2013, 648; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 – IX ZB 247/11, ZIP 2013, 2112.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

pfändbaren Schuldnervermögen. Bei einer vereinbarten Zahlung in Raten empfiehlt sich die Erklärung der Freigabe erst mit Eingang der letzten Rate. Bis dahin ist dem Schuldner die Auflage zu vermitteln, die lfd. Kosten, Versicherungsbeiträge und Steuern aus dem unpfändbaren Vermögen zu leisten (Nachweise!); diese Auflage genießt lediglich Innenverhältniswirkung und enthaftet die Masse im Außenverhältnis nicht. 516 In Anlehnung an eine Entscheidung des BAG wird im Schrifttum auch die Auffassung vertreten, dass eine Freigabe gegenüber einzelnen Gläubigern erklärt werden könne.243) So führt das BAG aus244): […]“ Die Treuhänderin hat das verschleierte Arbeitseinkommen des Schuldners aus dem Massebeschlag zugunsten der Klägerin als Gläubigerin freigegeben […]. Sie hat damit die nur zeitweilige Durchbrechung der Wiederholungswirkung der Pfändung fortlaufender Bezüge durch § 114 Abs. 3 InsO beendet und die Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss durch die Klägerin wieder zugelassen. Zugleich hat sich die Klägerin (Anm.: = Gläubigerin) verpflichtet, das beigetriebene verschleierte Arbeitseinkommen – nach ihrem Vortrag unter Abzug der ihr entstandenen Kosten – an die Insolvenzmasse abzuführen. […]“ 517 Hieraus wird demnach abgeleitet, dass zu Realisierung von pfändbarem Arbeitseinkommen nach den Regelungen zum sog. „verschleierten Einkommen“ (§ 850h Abs. 2 ZPO) eine Freigabe an den Gläubiger erklärt werden könne.245) Der Verfasserin erschließt sich diese Argumentation nicht. Eine (modifizierte) Freigabe zugunsten eines Gläubigers ist nach der hier vertretenen Auffassung rechtlich nicht möglich, auch jedenfalls nicht mit dem Ziel der „Umgehung des § 89 Abs. 1 InsO“. Auch liegt bei der Vollstreckung durch den Gläubiger kein Fall des § 89 Abs. 2 InsO vor.246) § 89 Abs. 2 InsO regelt die privilegierte Forderungsvollstreckungsmöglichkeit im Insolvenzverfahren, aber auch nur zugunsten privilegierter Gläubiger in Bezug auf Forderungen gegen den Schuldner, die nach Eröffnung begründet wurden. Im Zuge der Verwertung kann ein Insolvenzverwalter nach der hier vertretenen Auffassung als Verwertungshandlungen allenfalls einen Forderungsverkauf nebst Abtretung zugunsten eines Gläubigers vornehmen, nicht aber eine Freigabe an einen einzelnen Gläubiger erklären. Eine solche entfaltet bereits deswegen keine rechtlichen Wirkungen, da sie dem Gläubiger und nicht dem Schuldner als richtigem Erklärungsempfänger zugeht. 518 In der Praxis auch noch als Freigabe bezeichnet wird die „Freigabe“ eines Absonderungsgutes an den Gläubiger gemäß § 170 Abs. 2 InsO: „Hiermit geben ich den Gegenstand zur Verwertung frei“. Auch bei dieser Erklärung handelt es sich nicht um eine Freigabe im insolvenzrechtlich engeren Sinne. ___________ 243) BAG, Urt. v. 16.5.2013 – 6 AZR 556/11, ZIP 2013, 1433; so auch Arend/Tenbergen, InsbürO 2018, 332 ff. 244) BAG, Urt. v. 16.5.2013, a. a. O. 245) BAG, Urt. v. 16.5.2013, a. a. O.; so auch Arend/Tenbergen, InsbürO 2018, 332 ff. 246) So aber Arend/Tenbergen, InbürO 2018, 332 ff.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

Vielmehr beschreibt § 170 Abs. 2 InsO eine „Verwertungsüberlassung“ bzgl. eines mit Absonderungsrechten (o Kapitel D.IV2.) belegten Vermögensgegenstandes. Bei Überlassung des Gegenstandes zur Verwertung bleibt der Gegenstand Bestandteil der Insolvenzmasse. Lediglich das – ursprünglich dem Insolvenzverwalter gemäß § 166 Abs. 1 InsO originär zustehende – Verwertungsrecht bzgl. des Gegenstandes wird auf den Gläubiger übertragen, ohne dass diese Erklärung zur Aufgabe des Insolvenzbeschlags führt. Nicht selten trifft man im Berufsalltag auch auf die Erklärung der „Freigabe“ 519 des privaten Wohnraummietvertragsverhältnisses gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO: „Hiermit geben ich den Mietvertrag betr. die Wohnung XY aus der Insolvenzmasse frei.“ Auch diese Erklärung stellt keine Freigabe im insolvenzrechtlich engeren Sinne dar. Eine Freigabe von synallagmatischen Vertragsverhältnissen (Vertragsverhältnis auf Gegenseitigkeit) ist rechtlich nicht zulässig (oAnm.: Die sog. „Kontenfreigabe“ ist in Kapitel D.VI.3 besprochen). Die in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO geregelte Erklärung hat lediglich haftungsrechtliche Bedeutung, insoweit als sie die Masse bzgl. etwaiger nach Fristablauf entstehender Mietforderungen enthaftet („Enthaftungserklärung“). Wirksam abgegeben verweist sie auf die Konsequenz der alleinigen Haftung des Schuldners für Mietrückstände nach Ablauf einer dreimonatigen Frist. Die Erklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ist aber eine „freigabeähnliche Wirkung“ beizumessen.247) d) Zeitpunkt der Freigabe Rechtlich ist eine Freigabeerklärung erst dann und nur so lange zulässig, wie 520 auch Insolvenzbeschlag besteht, demnach vom Zeitpunkt der Eröffnung bis zur Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens bzw. darüber hinaus im Fall des Vorbehalts der Nachtragsverteilung (§ 203 InsO, o Kapitel D.XIV.5.). Die Möglichkeit der Freigabe sollte immer zeitnah nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geprüft werden, um das Entstehen von Masseverbindlichkeiten zu verhindern bzw. um diese auf das geringste Maß einzugrenzen. Vor einer vorschnellen Entscheidung wird indes ausdrücklich gewarnt, da die Freigabe rechtsbegründend und grundsätzlich nicht mehr rückgängig zu machen ist. e) Treuhänder im vereinfachten Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 In den bis zum 30.6.2014 beantragten Verbraucherinsolvenzverfahren besteht 521 eine Pflicht auch des Treuhänders im eröffneten vereinfachten Verfahren, die

___________ 247) BGH, Urt. v. 22.5.2014 – IX ZR 136/13, ZIP 2014, 1341; BGH, Beschl. v. 16.3.2017 – IX ZB 45/15, ZIP 2017, 33; BGH, Beschl. v. 13.7.2017 – IX ZB 33/16, IX ZB 33/16, ZVI 2017, 471.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Freigabeoption zu prüfen. Die Verwertungseinschränkung des § 313 Abs. 3 Satz 1 InsO248) hinsichtlich eines mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstands steht insoweit nicht entgegen, da die Frage des Massebeschlags rechtlich unabhängig von der Frage der Verwertungsbefugnis zu beurteilen ist.249) f) Form und Folgen der Freigabeerklärung 522 Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters ist materiell-rechtlich formlos möglich. Als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung entfaltet sie mit Zugang der Erklärung beim Schuldner (§ 130 Abs. 1 BGB) ihre rechtliche Wirkung mit der Folge, dass der Insolvenzbeschlag erlischt und der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Gegenstands wieder erlangt.250) Weiterer Voraussetzungen bedarf es zur Wirksamkeit der Freigabe nicht. Insbesondere ist bei der Freigabe von Grundstücken die Löschung des Insolvenzsperrvermerks im Grundbuch keine Wirksamkeitsvoraussetzung; diese ist rein deklaratorisch. Praxistipp: Mit Zugang der Freigabeerklärung beim Schuldner wird die Massezugehörigkeit des Gegenstands dauerhaft aufgegeben.251) Der freigegebene Gegenstand ist dem insolvenzfreien Neuvermögen zuzurechnen.252) Die Freigabe ist endgültig und kann grundsätzlich nicht rückgängig gemacht werden. Die Voraussetzungen der Freigabe sind daher im Vorfeld abschließend und sorgfältig zu prüfen.

Merke: Merksatz zur Freigabe von Gegenständen: „Einmal weg ist weg!“ 523 Der Schuldner ist nach Wirksamkeit der Freigabe wieder der Zahlungspflicht hinsichtlich laufender Verbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit dem freigegebenen Gegenstand anfallen, ausgesetzt. Hierbei handelt es sich um Neuverbindlichkeiten, die aus dem dem Schuldner verbleibenden unpfändbaren Einkommen zu bestreiten sind. 524 Die Masse wird für den Zeitraum nach Wirksamkeit der Freigabe grundsätzlich nicht mit weiteren Verbindlichkeiten belastet. 525 Eine Ausnahme hierzu bildet der Bereich der Umsatzsteuer. Wird eine aus dem Insolvenzbeschlag freigegebene belastete Immobilie nach Freigabe vom Schuld___________ 248) In der bis zum 30.6.2014 geltenden Fassung; Für den Insolvenzverwalter in Verbraucherinsolvenzverfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 gilt dies infolge der Streichung des § 313 InsO ohnehin. 249) Vgl. zur Problemstellung Wipperfürth, InsbürO 2011, 418 ff. 250) Vgl. u. a. BGH, Urt. v. 10.2.2007 – IX ZR 17/05, ZInsO 2007, 545 ff. 251) BGH, Urt. v. 5.10.1994 – XII ZR 53/93, BGHZ 127, 156. 252) VG Darmstadt, Urt. v. 29.9.2000 – 3 G 1777/00, ZIP 2000, 2007.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

ner veräußert und der Erlös zur Befriedigung der (absonderungsberechtigten) Grundpfandrechtsgläubiger verwendet, nimmt der BFH einen die Umsatzsteuerpflicht zulasten der Insolvenzmasse auslösenden Vorgang an, da in Höhe der Zahlung an die Grundpfandrechtsgläubiger die Masse entlastet wird.253) Für die Praxis ist daher zu empfehlen, mit Freigabeerklärung eine Aufforderung an den Schuldner für den Fall der Grundstücksveräußerung zu verbinden, eine Abschrift des Kaufvertrags beim Insolvenzverwalter einzureichen und anzugeben, ob und in welcher Höhe die Gelder an einen der Grundpfandrechtsgläubiger ausgekehrt wurden. Eine weitere Ausnahme ergibt sich bei der Freigabe von Wohnungs- und Teil- 526 eigentum, die grundsätzlich für zulässig erachtet wird.254) Nach einer Entscheidung des AG Mannheim befreit die Freigabe des Wohnungseigentums jedoch nicht von der Verpflichtung, Hausgeldforderungen, die nach der Freigabe fällig werden, als Masseschulden zu befriedigen.255) Vielmehr sind diese im Rang einer Altmasseverbindlichkeit zu befriedigen, wenn die Forderungen vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstanden sind; nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige fällig gewordene Wohngeldschulden sind Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1, 2 Nr. 3 InsO). Eine Dereliktion (Eigentumsaufgabe) ist bei Wohnungseigentum übrigens 527 nicht zulässig. Für Insolvenzgläubiger ist auch nach Freigabe ein Zugriff auf den freigege- 528 benen Gegenstand angesichts des Vollstreckungsverbots (§ 89 Abs. 1 InsO, o Kapitel D.XIII.1) nach wie vor ausgeschlossen.256) Wird ein Grundstück aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben, kann eine durch die Rückschlagsperre (§ 88 InsO, o Kapitel D.XIII.) unwirksam gewordene Zwangssicherungshypothek trotz des Vollstreckungsverbots (§ 89 InsO) im Zeitpunkt der Freigabe wieder wirksam werden, wenn diese noch im Grundbuch eingetragen ist.257) g) Freigabeerklärung bei fehlendem Erklärungsempfänger Ist der Schuldner nicht auffindbar bzw. unbekannten Aufenthalts, kann die 529 Freigabeerklärung faktisch nicht zugestellt werden, sodass die Wirksamkeit ___________ 253) Vgl. noch zu KO: BFH, Urt. v. 16.8.2001 – V R 59/99, ZInsO 2002, 222 ff. sowie zur Problematik Schmittmann, ZInsO 2006, 1299 ff. 254) Insbesondere OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.4.2008 – I 3 Wx 299/05, ZInsO 2007, 154 ff; Küpper, InsbürO 2007, 306 f. 255) AG Mannheim, Urt. v. 4.6.2010 – 4 C 25/10, ZInsO 2010, 1888 ff. 256) BGH, Beschl. v. 12.2.2009 – IX ZB 112/06, ZIP 2009, 818; so auch MünchKommInsO/Breuer, § 89 Rn. 1; BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZInsO 2006, 264. 257) BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZB 323/04, ZInsO 2006, 261 ff.: Die Konvaleszenz tritt sodann zum Zeitpunkt der Freigabe, nicht erst nach Beendigung des Verfahrens ein, da § 185 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 BGB entsprechend gilt.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

mit Zugang nicht erlangt werden kann. Gesetzlich ist eine Lösung für diesen Fall nicht verankert; auch liegt, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung vor. 530 Ein Lösungsweg ist die Bestellung eines Prozesspflegers (§ 4 InsO i. V. m. §§ 57, 58 ZPO).258) § 57 ZPO wird im Insolvenzverfahren jedenfalls dann für anwendbar gehalten, wenn es der Bestellung eines Prozesspflegers bei Klageerhebung gegen eine geschäftsführerlose insolvente GmbH bedarf.259) Diese Grundsätze dürften auch bei Fehlen eines Erklärungsempfängers bei einer empfangsbedürftigen Freigabeerklärung in sonstigen Fällen anwendbar sein. In diesem Fall ist die Unzustellbarkeit als Voraussetzung für die Bestellung eines Prozesspflegers durch Vorlage von Rückbriefnachrichten, fruchtlosen Einwohnermeldeamtsanfragen o. Ä. glaubhaft zu machen. 531 Alternativ besteht die Option der öffentlichen Zustellung der Freigabeerklärung (§ 132 Abs. 2 BGB) unter der Voraussetzung, dass sämtliche Bemühungen, eine zustellfähige Anschrift des Schuldnereigentümers zu ermitteln, nachweislich erfolgslos verlaufen sind (vgl. §§ 185 ff. ZPO). Der Nachweis kann ebenfalls durch Vorlage von Rückbriefnachrichten, fruchtlosen Einwohnermeldeamtsanfragen o. Ä. geführt werden. h) Besonderheiten bei Freigabe eines Grundstücks 532 Als einzelner Vermögenswert kann auch Immobiliareigentum des Schuldners aus er Insolvenzmasse freigegeben werden. Diese erfolgt in der Regel bei einem wertausschöpfend belasteten Grundbesitz, um weiterer Beeinträchtigungen der Masse (oktroyierte Masseverbindlichkeiten) zu verhindern. Die Freigabeerklärung ist auch bei Immobilien materiell-rechtlich formlos möglich und eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung deren Rechtswirkungen mit Zugang der Erklärung beim Schuldner eintreten (konstitutiv). Löschung des Insolvenzsperrvermerks nach Freigabe ist rein deklaratorisch i. S. d. Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis des Schuldners.260) Die Löschung des Sperrvermerks hat allerdings Indizwirkung. Ergibt sich aus einem Grundbuchauszug, dass ein Insolvenzvermerk gelöscht ist, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass das Grundstück nicht mehr dem Insolvenzbeschlag unterliegt.261) 533 Freigabe eines Grundstücks aus der Insolvenzmasse beinhaltet nicht (auch) die Freigabe etwaig bestehender Ansprüche auf Rückgewähr nicht valutierter ___________ 258) So Heyn, InsbürO 2011, 12. 259) OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.4.2001 – 3 W 23/01, ZInsO 2001, 472 f; v. 30.6.2011 – 3 W 119/11, JurionRS 2011, 35825; OLG Dresden, Beschl. v. 11.12.2001 – 2 W 1848/ 01, ZInsO 2003, 855. 260) OLG Naumburg, Beschl. v. 12.11.2013 – 12 Wx 43/13, ZIP 2014, 836; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.3.2013 – 3 W 164/12, NZI 2013, 952; OLG Celle, Beschl. v. 16.4.2015 – 4 W 57/15, ZIP 2015, 887. 261) BGH, Beschl. v. 30.8.2017 – VII ZB 23/14, ZIP 2017, 1919.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

Grundschulden.262) Die Grundstücksfreigabe erfasst demnach ausschließlich den unmittelbar an das Eigentumsrecht geknüpften Vermögenswert. Die Freigabe erstreckt sich auch auf den Anspruch auf Auskehr des Verwertungserlöses bzw. – bei grundpfandrechtlicher Belastung – des Verwertungsteilerlöses (sog. freie Erlösspitze nach Befriedigung der gesicherten Grundpfandrechtsgläubiger) bei Veräußerung des Grundstückes (im Wege der freihändigen Verwertung oder Zwangsversteigerung). Nicht von der Grundstücksfreigabe erfasst ist indes der Anspruch des Schuldners auf Rückgewähr nicht valutierenden Grundschulden. Der Rückgewähranspruch stellt demnach einen eigenständigen Vermögenswert dar. 4. Aus- und Absonderungsrechte a) Überblick Aus- und Absonderung Aus- und Absonderungsrechte sind Rechte Dritter an Gegenständen, die der 534 Schuldner in seinem Besitz hat. Die Berechtigten genießen im Insolvenzverfahren eine (nachfolgend näher beschriebene) bevorrechtigte Stellung vor den Insolvenzgläubigern. b) Aussonderungsrechte Das Aussonderungsrecht ist in § 47 InsO geregelt.

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§ 47 InsO Wer aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört, ist kein Insolvenzgläubiger. Sein Anspruch auf Aussonderung des Gegenstands bestimmt sich nach den Gesetzen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten.

Bereits dem Gesetzeswortlaut lässt sich entnehmen, dass aussonderungsfähige 536 Gegenstände nicht Bestandteil der Insolvenzmasse sind. Die Aussonderung der Gegenstände – i. a. R. vollzogen durch Herausgabe – ist eine Form der Bereinigung der Insolvenzmasse. Zur Aussonderung berechtigen insbesondere: x

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Eigentum (§§ 903, 985 BGB)

Ist jemand Eigentümer eines Gegenstands, kann er seinen Herausgabeanspruch 538 (§ 985 BGB) gegen den Insolvenzverwalter geltend machen (Dritteigentum, Leasing). x

Einfacher Eigentumsvorbehalt (§ 449 BGB)

Vereinbaren der Käufer und der Verkäufer einen Verkauf unter einfachem 539 Eigentumsvorbehalt, wird die Übereignung des Kaufgegenstands von der auf___________ 262) BGH, Beschl. v. 27.4.2017 – IX ZB 93/16, ZIP 2017, 1169; siehe auch Wipperfürth, InsbürO 2017, 358.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

schiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung abhängig gemacht (§§ 929, 158 Abs. 1 BGB). 540 Beispiel: Der Käufer behält sich das Eigentum an dem Kaufgegenstand bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises vor. Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass das Eigentum mit der Bezahlung der letzten Kaufpreisrate (oder des vollständigen Kaufpreises) automatisch auf den Käufer übergeht. 541 Der Käufer erlangt bereits zuvor den Besitz an dem Gegenstand. Der Verkäufer bleibt bis zur vollständigen Zahlung Eigentümer und kann aufgrund dessen in der Insolvenz des Käufers den Gegenstand zur Aussonderung verlangen, sofern der Eigentumsvorbehalt nicht bereits durch Verzicht, Verbindung, Vermischung und Verarbeitung, eines gutgläubigen Dritterwerbs oder der erlaubten Weiterveräußerung erloschen ist. x

Herausgabeansprüche des Erben (§§ 2018 ff. BGB)

542 Der Erbe kann von jedem, der aufgrund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat (Erbschaftsbesitzer), die Herausgabe des Erlangten verlangen. x

Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB)

543 Ist über das Vermögen des Grundstückseigentümers das Insolvenzverfahren eröffnet, ist das Recht auf Ausübung des Rechts (Nutzungsüberlassung, Furchtziehung) Gegenstand des Aussonderungsanspruchs i. S. d. § 47 InsO, nicht das Grundstückseigentum selbst. Der Nießbraucher hat gegen den Insolvenzverwalter einen Anspruch auf Nutzungsüberlassung und Fruchtziehung, der gemäß § 47 InsO vom Insolvenzverwalter zu beachten ist. x

Heimfallanspruch bei Erbbaurecht (§§ 1 ff. ErbbauRG)

544 Ein Erbbraurecht räumt als dingliches Recht einem anderen als dem Grundstückseigentümer das Recht ein, auf dem Grundstück des Eigentümers ein Gebäude zu errichten. Mit Einräumung des Erbbaurechts wird ein weiteres Grundbuchblatt angelegt, das Erbbaugrundbuchblatt, welches neben dem Grundstücksgrundbuchblatt geführt wird. Der an den Grundstückseigentümer zu entrichtende Erbbauzins läuft in der Regel über 99 Jahre, wobei kürzere Laufzeiten möglich sind. Nach Ablauf der Laufzeit besteht zugunsten des Grundstückeigentümers ein Anspruch auf „Rückgabe“ des Gebäudes (Heimfallanspruch). Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Erbbauberechtigten begründet dieser Anspruch ein Aussonderungsrecht.263)

___________ 263) Vgl. zur Anfechtbarkeit BGH, Urt. v. 19.4.2007 – IX ZR 59/06, NZI 2007, 462.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

x

Grunddienstbarkeit (§§ 1018 ff. BGB)

Die Belastung eines Grundstücks mit einer Grunddienstbarkeit räumt einem 545 Dritten das Recht ein, das Grundstück in bestimmter Weise zu nutzen (z. B. Wegerecht, Ausschluss von Bebauung, Wohnrecht). Die Ausübung des Rechts unterliegt der Aussonderung. x

Beschränkt persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff. BGB)

Beschränkt persönliche Dienstbarkeiten sind ebenfalls Grundstücksbelastun- 546 gen und räumen einer bestimmten Person die Befugnis ein, das belastete Grundstück in einzelnen Beziehungen zu nutzen. Der Unterscheid zum Nießbrauch, einem umfassenden Nutzungsrecht, besteht in der Beschränkung auf die Ausübung einzelner Aspekte der Grundstücksnutzung (z. B. Wohnungsrecht, § 1093 BGB). Der nach § 47 InsO der Aussonderung unterliegende Gegenstand muss in- 547 dividuell bestimmbar sein. Geld als Zahlungsmittel ist daher regelmäßig nicht auszusondern (Ausnahme: wertvolle Münzen als Sammlerstücke, nicht als generelles Zahlungsmittel). Der Anspruch auf Herausgabe der Mietkaution unterliegt nur dann der Aus- 548 sonderung, wenn der Vermieter (Schuldner) sie von seinem Vermögen getrennt angelegt hat; anderenfalls ist der Rückforderungsanspruch lediglich eine Insolvenzforderung.264) Der Aussonderungsanspruch kann vom Berechtigten gegenüber dem Insol- 549 venzverwalter geltend gemacht werden und ist nicht an eine bestimmte Form gebunden. Der Aussonderungsberechtigte ist nicht Insolvenzgläubiger i. S. d. § 38 InsO. 550 Erfolgte eine unberechtigte Veräußerung des Aussonderungsgutes vor Er- 551 öffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner bzw. nach Eröffnung durch den Insolvenzverwalter, kann der Aussonderungsberechtigte die Gegenleistung heraus verlangen, sofern diese noch unterscheidbar in der Masse vorhanden ist (Ersatzaussonderung, § 48 InsO). Das Aussonderungsrecht setzt sich an der Gegenleistung fort, soweit diese sich nicht mit der Insolvenzmasse vermischt. Der Kaufpreisanspruch nimmt als „einfache“ Insolvenzforderung i. S. d. § 38 InsO am nachfolgenden Insolvenzverfahren teil, da Sicherungsrechte an dem Kaufpreisanspruch des Schuldners gegen den Zweitkäufer mangels Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Vorbehaltsverkäufer gerade nicht bestehen. In der Praxis ist bei der Verwertung darauf zu achten, dass keine Gegenstän- 552 de, die der Aussonderung unterliegen veräußert werden. Ist noch nicht abschließend geklärt, ob an einem Gegenstand ein Aussonderungsrecht be___________ 264) BGH, Urt. v. 20.12.2007 – IX ZB 132/06, ZIP 2008, 469.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

steht, ist im Fall der Veräußerung zu empfehlen, den Erlös auf einem Sonderkonto zu verwalten, bis eine abschließende Klärung erfolgen kann. Der Berechtigte hat einen Anspruch auf Ersatzaussonderung (§ 48 InsO). Wird eine Separierung nicht vorgenommen und vermischt sich die Gegenleistung mit der Insolvenzmasse, erlischt der Anspruch auf Ersatzaussonderung. In diesem Fall steht dem Aussonderungsberechtigten jedoch ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dieser ist vom Insolvenzverwalter selbst oder als Masseverbindlichkeit aus der Masse zu bedienen (o weitergehend Kapitel D.VII.).265) Zudem besteht die Gefahr einer Regresspflicht des Insolvenzverwalters selbst, wenn er unter Nichtbeachtung des Aussonderungsrechts eine Verwertung initiiert hat. 553 Im vorläufigen Insolvenzverfahren besteht keine Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Aussonderung des Gegenstandes. Bei Verweigerung der Herausgabe begeht dieser demnach kein Pflichtverstoß.266) Das vorläufige Insolvenzverfahren ist gekennzeichnet durch eine Sicherungspflicht; die Klärung fremder Rechte bleibt regelmäßig dem Insolvenzverwalter nach Eröffnung vorbehalten.267) 554 Ist im vorläufigen Insolvenzverfahren eine Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ergangen, wonach der vorläufige Verwalter die Gegenstände weiterhin nutzen kann, besteht für den Aussonderungsberechtigten ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung und ggf. Wertersatz als Masseforderung (§§ 21 Abs. 1 Nr. 5, 169 Satz 2 InsO).268) Voraussetzung ist die Darlegung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, dass der Einsatz des Gegenstandes zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens erforderlich ist. Erforderlich ist gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO eine individualisierende Anordnung; formularmäßige Pauschalanordnungen sind unzulässig und unwirksam.269) Die Anordnung der Nutzungsrechte gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO270) gilt für Aussonderungs- und Absonderungsgut.271) Für den Berechtigten ergibt sich ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung (Zinszahlung) gemäß § 169 Satz 2 InsO (entspr.) für einen Zeitraum nach Ablauf von drei Monate nach der Anordnung.272) Die Zahlungen erfolgen als Masseverbind___________ 265) Richtet der (vorläufige) Insolvenzverwalter [oder Treuhänder] ein Anderkonto ein, so handelt es sich um ein offenes Vollrechtstreuhandkonto, aus dem ausschließlich der das Konto eröffnende Rechtsanwalt persönlich der Bank gegenüber berechtigt und verpflichtet ist (BGH, Urt. v. 20.9.2007 – IX ZR 91/06, ZIP 2007, 2279). 266) BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141. 267) BGH, Beschl. v. 14.12.2001 – IX ZB 105/00, ZIP 2000, 1839. 268) BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZInsO 2012, 701. 269) BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141. 270) BGH, Urt. v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, ZIP 2012, 1566; BVerfG, Beschl. v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1252. 271) BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141. 272) BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141; BGH, Urt. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2011, 1275.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

lichkeiten. Liegt keine Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO vor, richtet sich das Nutzungsrecht nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Schuldner und dem Aussonderungsberechtigten. Ein Anspruch auf Wertersatz für den durch die Nutzung eingetretenen Wertverlust ergibt sich neben einer Nutzungsausfallentschädigung nur, wenn die Nutzung über die vertragliche Abrede hinaus vorliegt (vgl. § 172 InsO),273) da die Nutzungsausfallentschädigung die vertragliche Abnutzung einschließt. In den ersten drei Monaten ist dagegen die übliche Abnutzung auszugleichen. Die Höhe des Wertverlustes kann anhand der Kauf- und Rückkaufpreise und der nach der durchschnittlichen Laufleistung ermittelten Gesamtlebensdauer geschätzt werden (Beispiel Lkw).274) Es empfiehlt sich daher eine Dokumentation des Zustandes des Gegenstandes z. Zt. der Übernahme durch den vorläufigen Insolvenzverwalter. c) Absonderungsrechte Die Absonderungsrechte, geregelt in §§ 49 ff. InsO, sichern dem Berechtig- 555 ten eine Position auf bevorzugte Befriedigung. Zur abgesonderten Befriedigung berechtigt sind insbesondere x

Immobiliarsicherheiten (§ 49 InsO)

Gläubiger, denen ein Recht auf Befriedigung aus Gegenständen zusteht, die 556 der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen (unbewegliche Gegenstände, insbesondere Grundstücke, Schiffe), haben ein Recht auf abgesonderte (bevorzugte) Befriedigung. Die Absonderungsberechtigten können Befriedigung nach den Regeln des ZVG (Zwangsversteigerungsgesetz) erlangen. So ist es z. B. zulässig, dass ein Grundpfandrechtsgläubiger parallel zum eröffneten Insolvenzverfahren die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung eines Grundstücks weiterbetreibt oder einleitet. Nach Eröffnung ist eine Titelumschreibung auf den Insolvenzverwalter erforderlich (vgl. § 727 InsO). Wurde bereits vor Insolvenzeröffnung ein Zwangsversteigerungs- und/ oder ein Zwangsverwaltungsverfahren eingeleitet, wird dieses nicht gemäß § 240 InsO unterbrochen. Auch bedarf es zur Fortführung keiner Umschreibung des Vollstreckungstitels mehr. Die dem Hypothekenhaftungsverband (§§ 1120 ff. BGB) zugehörigen Miet- 557 und Pachtforderung (§ 1123 Abs. 1 BGB) können nach Eröffnung nur zur abgesonderten Befriedigung herangezogen werden, wenn diese im Wege des Zwangsverwaltungsverfahrens beschlagnahmt werden (§§ 148 Abs. 1, 21 Abs. 2 ZVG).275) Bis zum Zeitpunkt der Beschlagnahme im Wege der Zwangsverwaltung durch den betreibenden Grundpfandrechtsgläubiger besteht grund___________ 273) BGH, Urt. v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2011, 1275. 274) BGH, Urt. v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ZIP 2016, 84. 275) BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

sätzlich ein Einzugsrecht des Insolvenzverwalters (vgl. §§ 146 Abs. 1, 20 Abs. 1, 2, 148 Abs. 1 Satz 1 ZVG).276) 558 Wurde im Wege der Zwangsvollstreckung eine Zwangssicherungshypothek ins Grundbuch eingetragen, ist zu prüfen, ob diese nicht der Rückschlagsperre des § 88 InsO unterfällt und damit die so erlangte Sicherung mit Eröffnung unwirksam wird. Durch die Rechtsprechung des BGH bestätigt, wird aber ein Anspruch auf Erteilung einer gemäß § 88 InsO unwirksam gewordenen Zwangssicherungshypothek so einfach nicht durchsetzbar sein. Eine durch die Rückschlagsperre des § 88 InsO unwirksam gewordene Zwangssicherungshypothek kann trotz des Vollstreckungsverbots des § 89 InsO infolge der Konvaleszenz (§ 185 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 BGB entspr.) wieder neu entstehen, wenn sie noch im Grundbuch eingetragen ist; dies gilt jedenfalls im Fall der Freigabe des Grundstücks aus dem Insolvenzbeschlag sowie nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ohne Verwertung des Grundstücks. Es handele sich hierbei, so der BGH, um eine absolute, aber schwebende Unwirksamkeit.277) Hat der BGH zunächst noch die Durchsetzbarkeit notfalls im Wege der Klageerhebung gemäß § 894 BGB konstatiert,278) verneinte er diesen in einer weiteren Entscheidung durch die Feststellung, dass kein Anspruch auf Erteilung der Löschungsbewilligung bestehe.279) Unzulässig nach Treu und Glauben seien in der Zwangsvollstreckung nur rechtsmissbräuchliche Eingriffe; eine solche Rechtsmissbräuchlichkeit sei bei einer Weigerung der Erteilung der Löschungsbewilligung nicht anzunehmen. Die Schuldnerinteressen seien beim Vollstreckungszugriff (anders als in rechtsgeschäftlichen Beziehungen) geschützt durch besondere Regelungen (z. B. § 765a ZPO); im Übrigen sei dem Schuldner ein zwangsweiser Zugriff zuzumuten.280) Zu der Argumentation ist nach der hier vertretenen Auffassung schon fraglich, auf wessen Interessensbeeinträchtigung – die des Schuldners oder die der Gläubigergesamtheit – es ankommt. Hiesiger Auffassung nach sind die Interessen der Gläubigergesamtheit diejenigen, auf die abzustellen ist. 559 Es besteht aber nicht nur kein einklagbarer Anspruch auf Erteilung der Löschungsbewilligung; darüber hinaus nimmt der BGH die Zulässigkeit des Einforderns sog. „Lästigkeitsentschädigungszahlungen“ an den Gläubiger der Zwangssicherungshypothek an, die dieser für die Erteilung der Löschungsbewilligung selbst bei solchen Hypotheken beanspruchen könne, die im Fall ___________ 276) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZInsO 2006, 1321 f.; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZInsO 2006, 872 f.; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZInsO 2010, 43 ff. 277) BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZIP 2006, 479; BGH, Beschl. v. 12.7.2012 – V ZB 219/11, ZIP 2011, 1876; BGH, Beschl. v. 19.5.2011 – IX ZB 284/09, ZIP 2011, 1372. 278) So noch BGH, Urt. v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZIP 2006, 479; BGH, Beschl. v. 12.7.2012 – V ZB 219/11, ZIP 2011, 1876. 279) BGH, Urt. v. 30.4.2015 – IX ZR 301/13, ZIP 2015, 1131. 280) BGH, Urt. v. 30.4.2015, a. a. O.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

der Zwangsversteigerung der Immobilie wegen Erschöpfung der Teilungsmasse keine Zuteilung mehr erhalten.281) Dabei ist jedoch eine Zahlung zulasten der Insolvenzmasse wegen Insolvenzzweckwidrigkeit ausgeschlossen.282) Eine Zahlung zulasten des erstrangigen Gläubigers ist jedenfalls nicht insolvenzzweckwidrig.283) Die Frage, ob eine aus der Insolvenzmasse vorgenommene Zahlung schlechthin als insolvenzzweckwidrig zu qualifizieren oder ob eine wirtschaftliche Betrachtung des Verhältnisses der Höhe der Zahlung und dem erzielten Massezufluss vorzunehmen ist, wurde ausdrücklich offen gelassen.284) Die vom BGH aufgestellten Grundsätze können mit guten Gründen ange- 560 zweifelt werden; letztlich finden sie aber auch ungeachtet dessen in der Praxis ihre Endlichkeit in der Umsetzbarkeit, nämlich dann, wenn keine erstrangige Grundpfandrechtsgläubigerin vorhanden ist, also die betr. Zwangssicherungshypothek erstrangig eingetragen ist. Nun ist guter Rat teuer – oder im Anfechtungsrecht zu finden! Wurde die Sicherung im Wege der Zwangsvollstreckung (= Eintragung der Zwangssicherungshypothek) innerhalb der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag oder nach dem Insolvenzantrag vorgenommen, ist diese Rechtshandlung grds. als sog. inkongruente Deckung anfechtbar gemäß § 131 Abs. 1 InsO.285) Damit ergibt sich die Rechtsgrundlage für die Erteilung der Löschungsbewilligung nicht aus § 894 BGB (i. V. m. § 88 InsO; vom BGH wie dargestellt eine Absage erteilt), sondern aus § 143 Abs. 1 InsO.286) Die Grundsteuer wird gemäß Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG von den Gemeinden 561 und Gemeindeverbänden, denen die Steuern auch zustehen, erhoben,287) nachdem die Finanzbehörde einen Messbescheid erlassen hat (§§ 13 GrStG). Die Festsetzung der Grundsteuer erfolgt gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 GrStG für das Kalenderjahr (1. Januar eines jeden Jahres). Die dingliche Haftung des Grundstücks für Grundsteuerforderungen ergibt sich aus § 12 GrStG. Aus § 77 Abs. 2 Satz 1 AO i. V. m. dem jeweiligen Kommunalabgabengesetz288) ergibt sich eine Duldungspflicht für öffentliche Grundstückslasten aus dem Steuerschuldverhältnis, demnach auch für die Grundsteuer.289) ___________ 281) 282) 283) 284) 285) 286) 287)

BGH, Beschl. v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884. BGH, Beschl. v. 20.3.2008, a. a. O. BGH, Urt. v. 20.3.2014 – IX ZR 80/13, ZIP 2014, 978. BGH, Urt. v. 20.3.2014, a. a. O.; hierzu auch krit. Wipperfürth, ZInsO 2014, 1264. Vertiefend siehe Wipperfürth/Deppe, ZInsO 2016, 78; a. A.: Becker, InsbürO 2017, 225. Vertiefend siehe Wipperfürth/Deppe, ZInsO 2016, 78; a. A.: Becker, InsbürO 2017, 225. Vgl. zur Grundsteuer: Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Rn. 2490; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 2441 ff. 288) Art. 13 BayKAG, § 3 BaWüKAG, § 12 BBKAG, § 4 HessKAG, § 13 LSAKAG, § 12 KAG M-V, § 11 NKAG, § 12 KAG NW, § 3 RPKAG, § 12 SaKAG, § 3 SächsKAG, § 15 ThürKAG. 289) Wipperfürth/Schmittmann, InsbürO 2019, 37.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

562 Bei Verwertung der Immobilie im Wege der Zwangsversteigerung werden die Grundsteuerforderungen wegen der aus den letzten zwei Jahren vor dem Zuschlag rückständigen Beträge im Zwangsversteigerungsverfahren bei der Erlösverteilung in der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG – demnach noch vorrangig vor den in der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG zu bedienenden Grundpfandrechtsgläubigern – befriedigt.290) Ältere Rückstände sind indes erst in der siebten Rangklasse zu befriedigen, § 10 Abs. 1 Nr. 7 ZVG.291) 563 Bei einer freihändigen Verwertung des Grundstücks ist das dingliche Recht (§ 12 GrStG) der Gemeinde/Kommune gleichermaßen zu berücksichtigen (es steht nicht im Grundbuch!). Die Grundsteuer ist als öffentliche Last des Grundstücks anzusehen, zugleich dingliches Recht i. S. v. Art. 5 Abs. 1 EuInsvO und berechtigt den Gläubiger zur abgesonderten Befriedigung.292) Haftung des Grundstücks besteht nach einer freihändigen Verwertung durch den Insolvenzverwalter am Grundstück fort.293) Im Fall von weiterhin bestehenden Steuerrückständen kann die Gemeinde also den Anspruch gegen den Erwerber erforderlichenfalls nach der Veräußerung zwangsweise durchsetzen. Dem Insolvenzverwalter ist demnach dringend eine Prüfung der Rückstände zu empfehlen, da Haftungsgefahr droht, wenn im notariellen Vertrag Lastenfreiheit bescheinigt wird.294) x

Pfandrechte (§ 50 InsO)

564 Besteht zugunsten eines Gläubigers ein rechtsgeschäftliches oder gesetzliches Pfandrecht bzw. ein im Wege der Zwangsvollstreckung erlangtes Pfändungspfandrecht, berechtigt dies ebenfalls zur abgesonderten Befriedigung. 565 Rechtsgeschäftlich kann ein Pfandrecht durch Verpfändung eines Gegenstands oder einer Forderung oder eines sonstigen Rechts entstehen (§§ 90, 1204 ff., 1273 ff., 1279 ff. BGB). Ist ein Recht nicht übertragbar (§ 1274 Abs. 2 BGB), kann es nicht Gegenstand eines Pfandrechts sein. 566 Gesetzliche Pfandrechte bestehen insbesondere zugunsten des Vermieters und Verpächters (§§ 559, 581, 592 BGB), des Pächters bei Mitverpachtung von Inventar (§ 583 BGB), des Gastwirts bei Beherbergungsverträgen (§ 704 BGB), des Sicherungsberechtigten aus der Hinterlegung (§ 233 BGB), des Spediteurs am Speditionsgut (§§ 410, 411 HGB), des Frachtführers am Frachtgut (§ 440 ___________ 290) Wipperfürth/Schmittmann, InsbürO 2019, 37. 291) Wipperfürth/Schmittmann, InsbürO 2019, 37. 292) Vgl. im Einzelnen: Wipperfürth/Schmittmann, InsbürO 2014, 382, 386; Wipperfürth/ Schmittmann, InsbürO 2019, 37 BGH, Beschl. v. 8.12.2016 – V ZB 41/14, InsbürO 2017, 258 = ZInsO 2017, 506 f. = ZIP 2017, 535 ff. = NZI 2017, 457 ff. m. Anm. Mankowski; BGH, Urt. v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZInsO 2010, 914 f. = NZI 2012, 482 ff. 293) BGH, Urt. v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZIP 2010, 994; Wipperfürth/Schmittmann, InsbürO 2014, 382, 386. 294) Wipperfürth/Schmittmann, InsbürO 2014, 382, 386.

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IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

HGB)295) und des Werkunternehmers für seine Werklohnforderung an den in seinem Betrieb befindlichen hergestellten oder reparierten Gegenständen (§ 647 BGB). Hinsichtlich des Vermieterpfandrechts ist gemäß § 50 Abs. 2 InsO zu beach- 567 ten, wonach das Absonderungsrecht nur wegen der im letzten Jahr vor Insolvenzeröffnung begründeten Mietrückstände geltend gemacht werden kann. Das Vermieterpfandrecht umfasst auch Fahrzeuge des Mieters, die auf dem gemieteten Grundstück regelmäßig abgestellt werden.296) Das Pfandrecht erlischt, wenn das Fahrzeug für die Durchführung einer Fahrt von dem Mietgrundstück – auch nur vorübergehend – entfernt wird.297) Es entsteht neu, wenn das Fahrzeug später wieder auf dem Grundstück abgestellt wird.298) Ebenfalls ein Recht auf abgesonderte Befriedigung begründet ein im Wege der 568 Zwangsvollstreckung erwirktes Pfändungspfandrecht (§§ 803 ff., 928 ff. ZPO), sofern dieses auch unter Berücksichtigung der Rückschlagsperre (§ 88 InsO) und unter anfechtungsrechtlichen Gesichtspunkten (o Kapitel D.VI.7.o)) insolvenzfest entstanden ist. x

Sicherungsrechte (§ 51 Nr. 1 InsO)

Unter die Sicherungsrechte des § 51 Nr. 1 InsO fallen insbesondere die praxis- 569 relevanten Rechte, resultierend aus folgenden Rechtsverhältnissen: x

Sicherungsabtretung (auch in Form der Globalzession oder des unechten Factoring)

Auch Forderungen können zur Sicherung einer Forderung abgetreten werden 570 (§§ 398 ff. InsO). Neben der grundsätzlich formlosen Abtretung wird eine Sicherungsabrede getroffen, aus der hervorgeht, dass die Zession nur sicherungshalber erfolgen soll. Nicht übertragbare Forderungen können nicht abgetreten werden (§§ 399, 571 400 BGB; z. B. arbeitsvertraglich vereinbartes Abtretungsverbot der Entgeltforderung). Bei einer Globalabtretung künftiger Forderungen ist ebenfalls der Bestimmt- 572 heitsgrundsatz zu beachten. Die mit der Entstehung auf den Gläubiger übergehenden Forderungen müssen hinreichend bestimmbar sein. Die Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen bedarf 573 der Offenlegung gegenüber dem Versicherer; eine stille, nicht angezeigte Abtretung ist absolut unwirksam.299) ___________ 295) 296) 297) 298) 299)

Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 18.4.2002 – IX ZR 291/01, ZIP 2002, 1204. BGH, Urt. v. 6.12.2017 – XII ZR 95/16, ZIP 2018, 236. BGH, Urt. v. 6.12.2017, a. a. O. BGH, Urt. v. 6.12.2017, a. a. O. BGH, Urt. v. 31.10.1990 – IV ZR 24/90, ZIP 1991, 31.

143

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

574 Die Abtretung von Steuererstattungsansprüchen ist der zuständigen Finanzbehörde auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck anzuzeigen (§ 46 Abs. 3 AO). x

Sicherungsübereignung

575 Zur Sicherung einer Forderung kann der Schuldner die Übereignung bestimmter Gegenstände zur Sicherheit mit dem Gläubiger vereinbaren. Voraussetzung ist eine Einigung über den Eigentumsübergang und die Übergabe (§ 929 BGB), ggf. unter einem Besitzmittlungsverhältnis (§ 930 BGB) oder Abtretung des Herausgabeanspruchs (§ 931 BGB). 576 Die Sicherungsübereignung muss dem Spezialitäten- und Bestimmtheitsgrundsatz entsprechen, d. h., dass der zu übereignende Gegenstand hinreichend bestimmt ist.300) Die Gegenstände müssen zum Zeitpunkt der Einigung so bestimmt sein, dass jeder, der die Vereinbarungen der Vertragsparteien kennt, die übereigneten Sachen ohne Schwierigkeiten von anderen unterscheiden kann; soll nur ein Teil einer größeren Menge übereignet werden, so bedarf es einer eindeutigen Abgrenzung gegenüber dem nicht übereigneten Teil. Nicht ausreichend ist eine mengen- oder wertmäßige Bezeichnung unter Bezugnahme auf Teile einer Sachgesamtheit (z. B. fünf Regale der Büroeinrichtung). 577 Insbesondere bei der Sicherungsübereignung der Gegenstände eines Warenlagers mit wechselndem Bestand muss hinsichtlich der später hinzutretenden Waren durch ein einfaches, nach außen erkennbares Geschehen im Zeitpunkt des Eigentumsüberganges für jeden, der die Parteiabreden kennt, ohne Weiteres erkennbar sein, welche konkreten Gegenstände sicherungsübereignet wurden. Ein solches Merkmal ist z. B. die genaue Beschreibung eines Raumes, in den die neuen Waren verbracht werden, die als Sicherungsgut dienen sollen (Raumsicherungsvertrag). x

Verlängerter Eigentumsvorbehalt

578 Der einfache Eigentumsvorbehalt erlischt mit Weiterverarbeitung des Gegenstands oder Weiterveräußerung. Die Kaufpreisforderung des Verkäufers und Lieferanten ist nur bis zu diesem Zeitpunkt abgesichert. Zur Sicherung der Kaufpreisforderung über den Zeitpunkt der Weiterverarbeitung oder Weiterveräußerung hinaus kann vereinbart werden, dass an die Stelle der Sicherheit am gelieferten Gegenstand eine Sicherheit am „wirtschaftlichen Surrogat“ entsteht (Vorausabtretungs- und Weiterverarbeitungsklauseln). Der Eigentumsvorbehalt wird in diesem Fall vertikal ausgedehnt. 579 Die Vorausabtretungsklausel ist eine Kombination aus einfachem Eigentumsvorbehalt und einer Zession der (künftigen) Forderung des Käufers gegen den Zweitkäufer (vgl. § 398 BGB).301) Anstelle der Kaufsache tritt die Kauf___________ 300) Exempl. BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 314/98, ZIP 2000, 1895. 301) Beachte ein evtl. Abtretungsverbot gemäß § 399 BGB, z. B. aus § 354a HGB.

144

IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

preisforderung des Käufers gegen den Zweitkäufer. Die Abtretung einer künftigen Forderung genügt dabei mit dem BGH302) dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, „[…] wenn durch diese Vorausabtretung die einzelne Forderung individuell so genügend bestimmt ist, dass es nur noch ihrer Entstehung bedarf, um die Übertragung mit der Entstehung ohne weiteres und zweifelsfrei wirksam werden zu lassen (vgl. dazu Weber in BGB-RGRK 12. Aufl. § 398 Rdn 68f m. w. N). Das gilt insbesondere auch für die als Sicherungsmittel des Warenkreditgläubigers anerkannte Vorausabtretung im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts (vgl. etwa Senatsurteil vom 3. April 1974 – VIII ZR 235/72 = WM 1974, 451 = NJW 1974, 1130).“

Die Vorausabtretung hat den Charakter einer Sicherungsabtretung.

580

Bei der Weiterverarbeitungsklausel wird der Käufer zur Verarbeitung (Ver- 581 bindung, Vermischung gemäß §§ 947, 948 BGB), die mit Zustimmung des Verkäufers (§ 183 BGB) geschieht, ermächtigt. Die Vereinbarung stellt eine Kombination aus einfachem Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung dar. Der Eigentumsvorbehalt geht nicht unter, sondern setzt sich an dem neu entstandenen Produkt fort und erlischt in der verlängerten Form erst durch Zahlung des Kaufpreises oder durch Verzichtserklärung des Verkäufers. Beispiel:

582

Die Ware bleibt bis zur vollständigen Bezahlung Eigentum des Verkäufers. Der Käufer ist berechtigt, den Kaufgegenstand im ordnungsgemäßen Geschäftsverkehr zu verarbeiten und zu veräußern. Die aus dem Weiterverkauf bzw. der Weiterverarbeitung resultierenden Forderungen tritt der Käufer bereits jetzt sicherheitshalber an den Verkäufer im vollen Umfang ab. Der Verkäufer ermächtigt den Käufer hiermit widerruflich, diese Forderungen einzuziehen. x

Erweiterter Eigentumsvorbehalt

Der erweiterte Eigentumsvorbehalt ist eine Vereinbarung zwischen Verkäu- 583 fer und Käufer, die inhaltlich festlegt, dass der Eigentumsvorbehalt nicht durch Zahlung gerade der geschuldeten Kaufpreiszahlung für die mit dem Eigentumsvorbehalt belastete Ware erlischt, sondern das Erlöschen erst dann eintritt, wenn der Käufer alle Forderungen (Kontokorrentvorbehalt) oder jedenfalls einen bestimmten Teil der Forderungen (dispositiver Umfang) aus der bestehenden Geschäftsbeziehung beglichen hat. Der Charakter des erweiterten Eigentumsvorbehalts ist horizontal. Rechtlich erfolgt eine Erweiterung der aufschiebenden Bedingung, unter der der Eigentumserwerb des Käufers steht, dahingehend, dass das Eigentum auf den Käufer erst dann übergeht (Vollrechtserwerb), wenn alle oder ein Teil der Forderungen des Verkäufers vollständig erfüllt sind (§§ 929, 158 Abs. 1 BGB).

___________ 302) BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 164/76, BGHZ 70, 86.

145

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

584 Beispiel: Der Kaufgegenstand bleibt bis zur Erfüllung aller Forderungen – einschließlich sämtlicher dem Verkäufer aus Kontokorrentkrediten zustehenden Saldoforderungen –, die dem Verkäufer aus jedem Rechtsgrund gegen den Käufer jetzt oder in der Zukunft zustehen, im Sicherungseigentum des Verkäufers. x

Zurückbehaltungsrechte (§ 51 Nr. 2, 3, InsO)

585 Normiert ist ein Zurückbehaltungsrecht wegen nützlicher Verwendungen an beweglichen Sachen, soweit deren Besitz vor Eröffnung des Verfahrens erlangt wurde, nur insoweit, als der Wert der Sache durch die Verwendung erhöht wurde und die Werterhöhung im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch vorhanden war. Zudem werden kaufmännische Zurückbehaltungsrechte unter die bevorzugte Befriedigungsmöglichkeit gefasst (vgl. § 369 HGB). x

Fiskalabsonderungsrechte (§ 51 Nr. 4 InsO)

586 Zugunsten der in § 51 Nr. 4 InsO genannten öffentlich-rechtlichen Gläubiger besteht ein Absonderungsrecht wegen der auf Massegegenständen lastenden Zölle und Steuern, soweit sich die Gegenstände in der Verfügungsgewalt der Behörden befinden oder diese zu deren Gunsten beschlagnahmt sind. 587 Zu prüfen ist zunächst, ob ein nach den allgemeinen Regeln wirksames Absonderungsrecht begründet wurde. Nicht wirksam ist z. B. die nicht gegenüber der Versicherungsgesellschaft angezeigte Abtretung von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertragsverhältnis. 588 Liegt grundsätzlich ein wirksames Absonderungsrecht vor, ist in einem nächsten Schritt festzustellen, ob dieses auch unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung wirksam begründet wurde (o Kapitel D.VI.7.o)). 589 Besteht ein insolvenzbeständiges Absonderungsrecht, kann der Insolvenzverwalter einen beweglichen Absonderungsgegenstand aus originärem Recht verwerten, wenn er hieran Besitz begründet hat (§ 166 Abs. 1 InsO). Bevor der Insolvenzverwalter den Gegenstand verwertet, hat er dem Absonderungsberechtigten Gläubiger mitzuteilen, auf welche Weise der Gegenstand veräußert werden soll (§ 168 Abs. 1 InsO). Zudem ist dem Absonderungsberechtigten die Möglichkeit einzuräumen, binnen einer Woche auf eine andere, für den Gläubiger günstigere Möglichkeit der Verwertung des Gegenstands hinzuweisen. Einem rechtzeitigen Hinweis muss der Verwalter nachgehen und entsprechende Verwertungsinitiativen einleiten. Andernfalls hat er den Gläubiger so zu stellen, wie wenn er sie wahrgenommen hätte (§ 168 Abs. 2 InsO). 590 Die Verwertung ist unverzüglich nach dem Berichtstermin einzuleiten (§ 159 InsO). Bis zur Verwertung muss der Insolvenzverwalter dem Absonderungsberechtigten ab dem Berichtstermin laufend die geschuldeten Zinsen aus der Insolvenzmasse zahlen (§ 169 InsO). Zudem besteht im Fall einer Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO im vorläufigen Verfahren die Möglichkeit, Wertersatz oder Nutzungsentschädigung aus der Insolvenzmasse zu verlangen. 146

IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

Das Absonderungsrecht räumt dem Berechtigten insoweit eine privilegierte 591 Stellung ein, als er aus dem Erlös, der aus der Verwertung des Absonderungsguts erzielt wurde, bevorzugt zu befriedigen ist. Die Abgeltung des Absonderungsrechts folgt den §§ 170, 171 InsO. Der Erlös ist nach Abzug der Bewertungs- und ggf. Verwertungskosten an den Berechtigten auszukehren. Hat der Verwalter das Absonderungsgut als solches festgestellt und geprüft bzw. Kollisionslagen mit Aus- und/oder anderen Absonderungsrechten identifiziert, kann er zugunsten der Masse einen Bewertungskostenbeitrag in Höhe von pauschal 4 % vom Bruttoerlös einbehalten (§§ 170, 171 Abs. 1 InsO). Eine einem evtl. Mehr- oder Minderaufwand entsprechende Anpassung ist nicht vorgesehen.303) Verwertet der Verwalter das Absonderungsgut (vgl. § 166 InsO), steht der 592 Masse zudem ein Anspruch auf Erstattung der mit der Verwertung verbunden Kosten zu. Angesetzt werden können die tatsächlichen Kosten, wenn diese erheblich höher oder niedriger sind als die in § 171 Abs. 2 Satz 1 InsO vorgesehene Pauschalabgeltung in Höhe von 5 %. Handelt es sich um einen steuerrelevanten Vorgang, ist zudem die Umsatzsteuerpflicht aus der Masse zu erfüllen, sodass der Umsatzsteuerbetrag ebenfalls nicht an den Absonderungsberechtigten auszukehren ist (§ 171 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die §§ 170, 171 InsO sind nicht anzuwenden auf unbewegliche Gegenstände, 593 die mit einem zur abgesonderten Befriedigung berechtigenden Recht belastet sind. Unbewegliche, mit einem Absonderungsrecht belastete Gegenstände können nach Maßgabe des § 165 InsO im Wege einer vom Insolvenzverwalter beantragten Zwangsversteigerung oder einer verwalterinitiierten freihändigen Veräußerung verwertet werden. Außerdem besteht für den Absonderungsberechtigten die Möglichkeit, die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung zu betreiben (o Rn. 528 ff.). §§ 170, 171 InsO sind auf unbewegliches Absonderungsgut nicht anwendbar. 594 Sie gelten nur für bewegliche Vermögensgegenstände. Der Insolvenzverwalter hat demnach gesetzlich keinen Anspruch darauf, aus dem Erlös zunächst eine Be- und Verwertungspauschale zu entnehmen und die Absonderungsansprüche gemäß §§ 170, 171 InsO abzurechen. Oftmals ist das Grundstück wertausschöpfend belastet, sodass auch bei einer 595 freihändigen Verwertung nur selten eine vollständige Befriedigung der Absonderungsberechtigten aus dem Verwertungserlös erfolgen kann. Infolge dessen verbleibt erst recht kein Übererlös zugunsten der Masse. Da die §§ 170, 171 InsO keine Anwendung finden, hätte der Verwalter den Aufwand der freihändigen Verwertung, ohne dass sich dies wirtschaftlich für die Masse auszahlt. In der Praxis wird daher zwischen dem Insolvenzverwalter und dem absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsgläubiger bei einer verwalterinitiierten Verwertung i. a. R. eine sog. „Lästigkeitsentschädigung“ als Masse___________ 303) BGH, Urt. v. 11.7.2002 – IX ZR 262/11, ZIP 2002, 1630.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

kostenbeitrag vereinbart. Dieser ist frei verhandelbar und beträgt durchschnittlich zwischen 1 % – 7 % des Verkaufserlöses. Die Vereinbarung wird entweder separat schriftlich fixiert oder findet Eingang in den notariellen Kaufvertrag, mit dem das Grundstück übertragen wird. d) Steuerliche Bedeutung 596 Zu beachten sind auch bei der Verwertung von Absonderungsgut, welches zwar belastet, aber dennoch der Masse zuzurechnen ist, evtl. steuerrechtliche Vorschriften (ausführlich o Kapitel D.XIV.). e) Kollisionslagen 597 Beim Zusammentreffen mehrerer Absonderungsrechte an dem-/denselben Gegenstand/Gegenständen gilt als Grundsatz: Das zeitlich rechtsgeschäftlich zunächst begründete Absonderungsrecht hat Vorrang (Prioritätsgrundsatz). Abzustellen ist dabei stets auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Sicherungsvereinbarung, auch dann, wenn es für künftige Forderungen bestellt ist (vgl. § 1209 BGB). 598 Bei Kollision mehrerer Pfändungspfandrechte gilt ebenfalls das Prioritätsprinzip. Dies ergibt sich aus § 804 Abs. 3 ZPO. § 804 Abs. 3 ZPO (3) Das durch eine frühere Pfändung begründete Pfandrecht geht demjenigen vor, das durch eine spätere Pfändung begründet wird.

599 Gemäß § 1208 BGB ist der gutgläubige Erwerb eines Vertragspfandrechts möglich, allerdings nur hinsichtlich der Vorrangstellung. 600 Bei einer Kollisionslage zwischen dem AGB-Pfandrecht eines Kreditinstituts mit einem Pfändungspfandrecht eines Gläubigers aus einer Kontenpfändung, gilt der Prioritätsgrundsatz: Das AGB-Pfandrecht der Bank/Sparkasse geht dem Pfändungspfandrecht des Vollstreckungsgläubigers vor. Die gilt nicht für die nach Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses eingehenden Zahlungen, die sich mit Gutschrift in Auszahlungsansprüche des Schuldners gegen das Kreditinstitut „umwandeln“. Hinsichtlich dieser Forderungen genießt das Pfändungspfandrecht des Gläubigers Vorrang, da andernfalls die Gefahr bestehen würde, dass das Pfändungspfandrecht durch das AGBPfandrecht ausgehöhlt würde. 601 Bei mehreren Abtretungen gilt ebenfalls das Prioritätsprinzip. Hier kommt es allerdings nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs der Abtretung beim Drittschuldner an, sondern auf das Ausstellungs-/Erklärungsdatum der Abtretung selbst. Das bedeutet, dass die zeitlich früher erklärte Abtretung einer später erklärten im Rang vorgeht, auch wenn die frühere später beim Drittschuldner eingeht.

148

IV. Umfang, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse

Bei einer Kollision von Lohn-/Gehaltsabtretung und Lohn-/Gehaltspfändung 602 ergeben sich in den Verfahren, die ab dem 1.7.2014 beantragt wurden, ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Kollisionslagen mehr, da § 91 InsO den Rechtserwerb nach Eröffnung ausschließt. Für Lohn-/Gehaltsansprüche, die nach Eröffnung entstehen, kann daher wegen § 91 InsO kein wirksames Pfandrecht zugunsten einzelner Gläubiger begründet werden. In den Verfahren, die bis zum 30.6.2014 beantragt wurden, gilt indes § 114 603 InsO. Bei einer Kollision zwischen einem aufgrund einer Lohnpfändung begründeten Pfändungspfandrecht und einer Gehaltszession lebt Letztere wieder auf, wenn die Lohnpfändung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 114 Abs. 3 InsO ihre Wirksamkeit verloren hat.304) Bei Kollisionen zwischen Sicherungsübereignung und Vermieterpfandrecht 604 gilt ebenfalls der Prioritätsgrundsatz. Wurde ein Gegenstand bereits sicherungsübereignet, bevor er in die Mietsache verbracht wurde, geht die Sicherungsübereignung vor. Das Vermieterpfandrecht bezieht sich nur auf im Schuldnereigentum stehende Gegenstände (§ 562 Abs. 1 BGB). Bei einer nach Verbringung in die Mietsache erklärten Sicherungsübereignung geht das Vermieterpfandrecht vor. Dies gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Sicherungsübereignung noch keine Mietrückstände bestehen, da das Vermieterpfandrecht auch erst künftig entstehende Forderungen aus dem Mietverhältnis sichert.305) In der Praxis trifft der Verwalter häufig auf eine Kollisionslage zwischen Siche- 605 rungseigentum, Vermieterpfandrecht und Eigentumsvorbehalt. Werden unbezahlte, unter einfachen Eigentumsvorbehalt erworbene Gegenstände in die Räumlichkeiten eingebracht, gilt zunächst der Vorrang des Eigentumsvorbehalts, da bis zur vollständigen Zahlung kein Eigentumsrecht des Schuldners begründet wird. Werden die Gegenstände vollständig bezahlt, wird zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Aushöhlung des Vermieterpfandrechts dessen Vorrang vor dem Sicherungseigentum angenommen.306) Bei einem angemieteten Warenlager mit wechselndem Bestand entsteht bei 606 einer gleichzeitigen Raumsicherungsübereignung an nachträglich eingebrachten Waren das Vermieterpfandrecht erstrangig und erst im Nachrang das Absonderungsrecht des Sicherungseigentümers.307) Bei fiskalischen Absonderungsrechten (§ 51 Nr. 4 InsO) wird der Grundsatz 607 der Priorität zugunsten dieser gegenüber einem Vermieterpfandrecht durchbrochen.308) ___________ 304) 305) 306) 307) 308)

BGH, Beschl. v. 12.10.2006 – IX ZR 109/05, NZI 2007, 39. BGH, Urt. v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191. FK-InsO/Imberger, § 51 Rn. 20 m. w. N. BGH, Urt. v. 12.2.1992 – XII ZR 7/91, NJW 1992, 1156. FK-InsO/Imberger, § 51 Rn. 85.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

f) Ausfall 608 Soweit der Absonderungsberechtigte auch Inhaber einer persönlichen Forderung gegen den Schuldner ist (zutreffend in einer ganz überwiegenden Zahl der Fälle), kann er, soweit er keine bevorzugte Befriedigung aus der Verwertung des Absonderungsgutes erfahren hat, seinen Ausfall zur Tabelle anmelden. Nur mit der nach der abgesonderten Befriedigung noch bestehenden, sodann ungesicherten Restforderung nimmt der Gläubiger an einer evtl. Schlussverteilung teil, wenn seine Forderung zur Tabelle festgestellt wurde. Ausfallprinzip greift erst bei der Quotenzahlung, nicht bereits bei Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle (§§ 52, 190 InsO). Die Berechnung des Ausfalls inkl. der nach Insolvenzeröffnung anfallenden Zinsen und Kosten (bis zur Verwertung des Absonderungsgutes) erfolgt in der Regel entsprechend § 367 BGB.309) 609 Die Anmeldung einer Forderung zur Tabelle ohne eine Beschränkung auf den Ausfall bedeutet allerdings keinen Verzicht auf ein Recht zur abgesonderten Befriedigung.310) Der Verzicht auf eine abgesonderte Befriedigung ist nur dann wirksam, wenn der belastete Massegegenstand hierdurch für die Masse frei wird.311) Der Verzicht auf ein Absonderungsrecht setzt nicht zwingend voraus, dass das Recht selbst nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts aufgegeben wird.312) Im Regelinsolvenzverfahren bedeutet dies, dass eine einseitige Verzichtserklärung auf die Rechte aus der Sicherungszweckerklärung gegenüber dem Insolvenzverwalter ausreichend ist.313) Dieser kann die Rückübereignung verlangen. Einen einseitigen Verzicht auf schuldrechtliche Forderungen sieht das Bürgerliche Recht nicht vor.314) Erforderlich ist vielmehr der Abschluss eines Erlassvertrages.315) In einem Verfahren unter Eigenverwaltung kann Verzicht auf ein Recht zur abgesonderten Befriedigung nur gegenüber dem Schuldner erklärt werden. Dieser muss den Verzicht annehmen.316) 610 Besteht kein Absonderungsrecht, nimmt der Insolvenzverwalter dieses aber (fälschlicherweise) an und stellt den Ausfall fest, ist § 190 InsO nicht entsprechend anwendbar.317) Vielmehr ist die Tabelle und das darauf basierende Schlussverzeichnis falsch; die Änderung eines falschen Schlussverzeichnisses kann auch noch in der Frist des § 197 InsO (Schlusstermin) verlangt und ___________ 309) 310) 311) 312) 313) 314) 315) 316) 317)

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BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, ZIP 2011, 579. BGH, Urt. v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, ZIP 2017, 686. BGH, Urt. v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, ZIP 2017, 686. BGH, Urt. v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, ZIP 2017, 686. BGH, Urt. v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, ZIP 2017, 686. BGH, Urt. v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, ZIP 2017, 686. BGH, Urt. v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, ZIP 2017, 686. BGH, Urt. v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, ZIP 2017, 686. BGH, Beschl. v. 22.10.2009 – IX ZB 49/09, ZInsO 2009, 2243.

V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

vorgenommen werden, ohne dass relevante Verzögerungen auftreten.318) Der Ausfallnachweis (bei bestehendem Absonderungsrecht) kann nur binnen der Frist des § 190 InsO geführt und nicht durch Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis (§ 197 InsO) nachgeholt werden.319) Als Verzicht auf Absonderungsrecht bei grundpfandrechtlichen Sicherheiten 611 ist i. S. v. §§ 52, 190 InsO ein Verzicht auf den Sicherungszweck einer Grundschuld ausreichend.320) Dies gilt auch dann, wenn das Recht nicht zugleich Forderungen sichert, die sich gegen einen Dritten richten (Mithaft).321) Ein Verzicht i. S. d. §§ 52, 190 InsO bei Grundpfandrechten ist nicht stets mit dem dinglichen Verzicht gemäß §§ 1168, 1175, 1192 Abs. 1 BGB gleichzusetzen.322) Will der Gläubiger hingegen auf das zur abgesonderten Befriedigung berechtigende Grundpfandrecht verzichten und in Höhe der gesicherten Forderung an der Schlussverteilung teilnehmen, ist der Verzicht in der zum grundbuchrechtlichen Vollzug geeigneten Form des § 29 GBO zu erklären.323) V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit (§ 35 Abs. 2 InsO)? 1. Richtungsweisende Entscheidung Die Entscheidung über die Fortführung des Geschäftsbetriebs des Schuldners 612 obliegt der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO). Die Entscheidung basiert auf dem vom Insolvenzverwalter zu erstattenden Bericht (§ 156 InsO). In der Praxis folgt die Gläubigerversammlung in einer ganz überwiegenden Zahl der Fälle der vom Verwalter im Rahmen der Berichterstattung ausgesprochenen Empfehlung, die auf den bisherigen Ermittlungsergebnissen basiert. 2. Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO a) Grundsätze der Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO Bei einem laufenden Geschäftsbetrieb eines Einzelunternehmers/Freiberuflers 613 ist der Insolvenzverwalter gehalten, die Möglichkeit der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit aus dem Insolvenzbeschlag zu prüfen. Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO besteht eine gesetzliche Pflicht des Insolvenzverwalters, sich hinsichtlich einer Freigabe der selbstständigen Tätigkeit gegenüber dem Schuldner zu erklären.

___________ 318) 319) 320) 321) 322) 323)

BGH, Beschl. v. 22.10.2009 – IX ZB 49/09, ZInsO 2009, 2243. BGH, Beschl. v. 22.10.2009 – IX ZB 49/09, ZInsO 2009, 2243. BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180. BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180. BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180. BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.

614 Sowohl für den Schuldner als auch für die Gläubiger ist dies eine richtungsweisende Entscheidung. Sofern ein Betrieb fortführungsfähig ist, wird der Verwalter die Fortführung nur dann empfehlen können, wenn diese auch das beste Befriedigungsergebnis für die Gläubiger darstellt. Andernfalls werden die Gläubiger sich gegen eine Fortführung und für eine Liquidation entscheiden. Im Berichtstermin stellt der Insolvenzverwalter daher in den Fällen, in denen eine Fortführung in Betracht zu ziehen ist, die Vermögensübersicht sowohl unter Fortführungs- als auch unter Liquidationsgesichtspunkten (ggf. zusätzlich noch unter Freigabegesichtspunkten) dar. Diese Entscheidungsgrundlage gibt den Gläubigern die Möglichkeit, sich ein umfassendes Bild zu machen, um sodann über die Fortführung oder Einstellung zu beschließen. 615 Welches aber ist das Kriterium, wonach der Insolvenzverwalter die Entscheidung für oder gegen eine Freigabe trifft? Vereinfach ausgedrückt kann man sagen, dass immer dann eine Freigabe angezeigt ist, wenn die Fortführungserträge nicht ausreichen, um „unter dem Strich“ eine Massemehrung zu bewirken. Die Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners fallen zunächst einmal als sog. Neuerwerb (§ 35 Abs. 1 InsO) in die Insolvenzmasse.324) Hiervon sind alle laufenden Betriebskosten, Steuern und sonstigen betrieblichen Auslagen im Rang einer Masseverbindlichkeit zu bestreiten. Zudem muss der Lebensunterhalt des selbstständigen Schuldners und dessen Familie sichergestellt sein. 616 Dies geschieht im Fall der Betriebsfortführung durch eine Unterhaltsgewährung aus der Insolvenzmasse, worüber die Gläubigerversammlung beschließen kann (§ 100 InsO). Auch möglich ist, dass der Schuldner einen Antrag gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. § 850i ZPO stellt, woraufhin das Insolvenzgericht unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls einen dem Schuldner zu belassenden Betrag festsetzt.325) 617 Um eine belastbare Entscheidungsgrundlage zu erhalten, ist der Insolvenzverwalter gehalten, sich durch eine betriebswirtschaftliche Analyse der Unternehmensergebnisse der jüngeren Vergangenheit sowie im Wege einer vorausschauenden Finanzplanung ein umfassende Bild über die wirtschaftliche Situation des schuldnerischen Unternehmens/Praxis-/Kanzleibetriebs zu machen, um anschließend die wahrscheinliche Entwicklung des Betriebs zu prognostizieren. Erzielt der Schuldner hiernach massemehrende Erträge, ist ___________ 324) BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, ZVI 2003, 170. 325) BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, ZVI 2003, 170.

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

der Betrieb über die Insolvenzmasse fortzuführen. Ist dies nicht der Fall, ist eine Freigabe der selbstständigen Tätigkeit angezeigt. Zudem sind bei der Entscheidung über die Freigabe einer selbstständigen Tä- 618 tigkeit weitere Faktoren mit einzubeziehen, die auf das Schicksal des Betriebs maßgeblich Einfluss nehmen. Hierzu gehören zunächst einmal der Fortführungswille des Schuldners, aber auch dessen Gesundheitszustand, Zuverlässigkeit sowie Veränderungstendenzen im Mitarbeiterstamm, eskalierte Konflikte auf Entscheidungsträgerebene und ähnliche, nicht unmittelbar in Zahlen fassbare Parameter. Die Rechtsnatur der Freigabe beschreibt der BGH wie folgt:326) „eine Art 619 Freigabe des künftig aus der selbstständigen Tätigkeit zu erwerbenden Vermögens, einschließlich der auf diese Tätigkeit bezogenen Vertragsverhältnisse“. Die Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO führt zur Aufhebung des Insolvenzbeschlags hinsichtlich des Neuerwerbs (Gewinns) ab der Freigabe.327) Sie erstreckt sich auf Vermögen, das der gewerblichen/freiberuflichen Tätigkeit gewidmet ist inkl. der diesbezüglichen Vertragsverhältnisse.328) Die Möglichkeit der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit ist eine insolvenz- 620 rechtliche Besonderheit, die angesichts der Vorgabe nur sehr weniger gesetzlicher Rahmenbedingungen immer noch nicht abschließend durch Rechtsprechung definiert ist und daher in der Praxis bisweilen ober der unterschiedlichen Auffassungen Diskussionspotential bietet. Der der Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 zugrunde liegende Grundgedanke ist dabei oft eine gute Hilfestellung: Der selbstständig tätige Schuldner kann nicht zur Aufgabe seiner Tätigkeit gezwungen werden, da er ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf freie Berufswahl und -ausübung genießt (Art. 12 GG). Umgekehrt widerspricht es sämtlich den insolvenzrechtlichen Grundsätzen, einen defizitären Geschäftsbetrieb zu Lasten der Masse (und damit zu Lasten und zum Nachteil der Gläubigergesamtheit) zwingend fortzuführen. Daraus resultiert das Bedürfnis, die Masse durch Enthaftung zu entlasten, unter gleichzeitiger Wahrung der verfassungsrechtlich geschützten Rechte des Schuldners. Diese Möglichkeit bietet § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO. Nach dem Wirksamwerden der Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 621 InsO wird die Masse aus der vom Schuldner fortgesetzten selbstständigen Tätigkeit nicht weiter verpflichtet, kann aber auch keine Rechte mehr herleiten. Der Schuldner kann danach – auch in Ausübung seiner Grundrechte – frei und unabhängig von jedem Insolvenzverwalter entscheiden, ob er den Geschäfts-/Praxis-/Kanzleibetrieb fortsetzt oder die Tätigkeit einstellt. Unter ___________ 326) BGH, Urt. v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11, ZIP 2012, 533; siehe auch Gehrlein, ZInsO 2016, 825, 829. 327) BVerfG, Beschl. v. 7.12.2016 – 2 BvR 1602/16, ZIP 2017, 433. 328) BT-Drucks. 16/3227, S. 17; BGH, Urt. v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11, ZIP 2012, 533; BAG, Urt. v. 21.11.2013 – 6 AZR 979/11, ZIP 2014, 339.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

anderem aus diesem Grund entbehrt die Theorie, es bedürfe einer vertraglichen Freigabevereinbarung zwischen Schuldner und Insolvenzverwalter,329) eine Absage zu erteilen; der Schuldner ist insoweit nicht schützenswert, als dass er sich auf nicht weniger als auf die Verfassung berufen kann. Eine Zustimmung zur Freigabe oder gar der vertraglich verbindlichen und übereinstimmenden Willenserklärung im Rahmen einer Freigabevereinbarung kann nicht gefordert werden. Darüber hinaus erscheint schon mehr als fraglich, ob die entscheidungsbefugte Einbindung des Schuldners, über die Insolvenzmasse betreffende Haftungsfragen mitzubestimmen, überhaupt anzunehmen ist. Insoweit ist angesichts des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO) allein der Insolvenzverwalter – als Partei kraft Amtes – entscheidungsbefugt. Eine Entscheidung oder Mitbestimmung des Schuldners im Rahmen der Entscheidung ist weder vorgesehen noch zweckdienlich. Die Erklärung des Insolvenzverwalters erfolgt in Ausübung seines Amtes. Auf die materielle Rechtsstellung des Schuldners wirkt die – im Gesamtvollstreckungsverfahren abgegeben Erklärung – nicht ein. Die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters beschreibt sich vielmehr nach der sogenannten „Amtstheorie“. Danach ist der Verwalter nicht gesetzlicher Vertreter des Schuldners (bzw. im Fall einer juristischen Person, nicht dessen Organ). Er ist vielmehr Amtstreuhänder, der materiell-rechtlich wie prozessual im eigenen Namen handelt, (ausschließlich) mit Wirkung für und gegen die Masse.330) Entsprechend wird die Insolvenzmasse nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung nicht mehr aus der selbstständigen Tätigkeit verpflichtet, kann aber hieraus auch keine Rechte mehr herleiten. Die Rechtsstellung des Schuldners als Rechtsinhaber und Unternehmer/Freiberufler bleibt insoweit völlig unberührt. Umgekehrt kann der Schuldner völlig frei entscheiden, ob er die selbstständige Tätigkeit auch im Insolvenzverfahren fortführt oder ob diese eingestellt werden soll. Entscheidet sich der Insolvenzschuldner gegen eine Fortführung, wird eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters in dem Moment der Einstellung des Geschäftsbetriebs obsolet. 622 Sollten diese, den Hintergrund beleuchtenden Argumente noch nicht überzeugen, sei als schlagendes solches angeführt, dass bereits der Wortlaut des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO keinen Raum für die Herleitung einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner schafft. Nach dem Gesetzeswortlaut besteht eine Pflicht des Insolvenzverwalters zur Abgabe der Erklärung, „ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können“. Für eine vertragliche Grundlage gibt der Wortlaut keinerlei Anhaltspunkt; dieser ist eindeutig, so dass sich auch im Wege der Auslegung keine solche Vertragsbeziehung herleiten lässt. ___________ 329) So aber Heinze, ZInsO 2018, 2569. 330) BGH, Urt. v. 26.1.2006 – IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260.

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

b) Sondermasse nach Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO und Zweitinsolvenzverfahren Die Freigabe schafft eine selbstständige Haftungsmasse für Neugläubiger.331) 623 Kein Zugriff besteht danach für Altgläubiger auf die freigegebene Sondermasse (Vollstreckungsverbot § 89 InsO). Ebenso haben die Neugläubiger keine Zugriffsrechte auf die „Alt-Masse“ (Insolvenzmasse). Nach Freigabe entsteht also eine nicht vom Insolvenzbeschlag des Erstver- 624 fahrens erfasste Sondermasse; daher wird auch die Zulässigkeit eines Zweitinsolvenzverfahren für grds. zulässig erachtet.332) Wird über das freigegebene Vermögen ein gesondertes Insolvenzverfahren er- 625 öffnet, ist ein in diesem Verfahren gestellter Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung jedenfalls solange unzulässig, als über seinen im Ausgangsverfahren gestellten Restschuldbefreiungsantrag nicht entschieden ist.333) Gegenstand des zweiten Insolvenzverfahrens ist das freigegebene Sonderver- 626 mögen.334) Das freigegebene Sondervermögen definiert sich als nur das Vermögen der selbstständigen Tätigkeit335) und nur das auf Grundlage der Freigabe erwirtschaftete Vermögen.336) Das Zweitinsolvenzverfahren ist demnach kein Insolvenzverfahren über das gesamte Vermögen einer natürlichen Person, sondern beschränkt sich ausschließlich auf die Sondermasse der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit. Gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbare Gegenstände unterfallen daher bei einer später erfolgenden Einstellung der freigegebenen Tätigkeit dem Massebeschlag des ersten Insolvenzverfahrens.337) Pfändbare Einkünfte aus einer abhängigen Beschäftigung nach Einstellung der selbstständigen Tätigkeit stehen entweder der Masse des ersten Verfahrens oder nach Ablauf der Abtretungsfrist bzw. Aufhebung allein dem Schuldner zu. Die Zulässigkeit der erneuten Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO im zwei- 627 ten Insolvenzverfahren ist nicht abschließend geklärt, wird aber in der Literatur zum Teil befürwortet.338) Bedenken gegen die Zulässigkeit könnten sich aus der Überlegung heraus ergeben, dass die Erfüllung der Abführungspflicht gemäß § 35 Abs. 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO bereits im ersten Verfahren besteht und damit im zweiten Insolvenzverfahren (über die freigegebene Tätigkeit) „leerläuft“. ___________ 331) 332) 333) 334) 335) 336) 337) 338)

BT-Drucks. 16/3227, S. 17; BGH, Beschl. v. 25.1.2018 – IX ZA 19/17, ZIP 2018, 543. BGH, Beschl. v. 9.6.2011 – IX ZB 175/10, ZIP 2011, 1326. BGH, Beschl. v. 18.12.2014 – IX ZB 22/13, ZIP 2015, 19. AG Hamburg, Beschl. v. 18.6.2008 – 67g IN 37/08, ZIP 2009, 384. A. A. z. B. Büttner, ZInsO 2017, 1057. Gehrlein, ZInsO 2016, 825. Gehrlein, ZInsO 2016, 825. So z. B. Wischemeyer, ZInsO 2009, 2121, 2130; HambKomm-InsO/Lüdtke, § 35 Rn. 259.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

628 Die die Zulässigkeit der zweiten Freigabe ablehnend, wird die Gegenauffassung argumentiert mit der Annahme einer Einzelfreigabe des Vermögenswertes „Sondervermögen gemäß § 35 Abs. 2 InsO freigegebene Tätigkeit“.339) Gegen diese Auffassung spricht, dass die Einzelfreigabe „Sondervermögen gemäß § 35 Abs. 2 InsO freigegebene Tätigkeit“ rechtlich zweifelhaft ist, da kein einzelner Vermögenswert (o Kapitel D.IV.3.), sondern eine Sachgesamtheit vorliegt. Die Insolvenzordnung kennt die Zulässigkeit von Insolvenzverfahren über Sondermassen, so z. B. den Nachlass; hier aber ist eine Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO absolut ausgeschlossen. 629 Unter der Annahme, eine weitere Freigabeerklärung in einem Zweitinsolvenzverfahren über das Vermögen der (im Erstverfahren erstmalig) freigegebenen selbstständigen Tätigkeit sei unzulässig, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen dies hätte: Es kann kaum als vertretbar erachtet werden, eine oktroyierte (defizitäre) Betriebsfortführung durch den Insolvenzverwalter zu befürworten; umgekehrt kann aber auch kein Zwang zur Einstellung der Tätigkeit angenommen werden, da diese mit dem verfassungsrechtlich geschützten Recht zur freien Berufswahl/-ausübung (Art. 12 GG) nicht vereinbar ist. 630 Der Meinungsstreit ist ungeklärt; wünschenswert wäre eine (ober-)gerichtliche Klärung dieser durchaus praxisrelevanten Problemlage. 631 Auch noch nicht mit abschließender Rechtsklarheit versehen ist die Frage der Erteilung der Restschuldbefreiung im zweiten Insolvenzverfahren (über das Vermögen der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit). 632 Im ersten Insolvenzverfahren besteht nach Erklärung der Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO die Abführungspflicht bzgl. des fiktiv pfändbaren Einkommens nach Maßgabe des § 295 Abs. 2 InsO (o Kapitel D.V.2.d)). Nach der hier vertretenen Auffassung greift im Fall des Einritts in eine abhängige Beschäftigung der Insolvenzbeschlag im Erstverfahren (§§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO) bzw., befindet sich das Erstverfahren bereits in der Restschuldbefreiungsphase, die Abtretung gemäß § 287 Abs. 2 InsO. Daher kann in einem zweiten Insolvenzverfahren (über die freigegebene selbstständige Tätigkeit) keine wirksame Abtretungserklärung abgegeben werden mit der Folge, dass ein Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung im zweiten Insolvenzverfahren unzulässig ist. 633 Aus Sicht eines Schuldners, der im Zweitinsolvenzverfahren die Erteilung der Restschuldbefreiung begehrt, könnte eine Lösung darin liegen, nach Beendigung des ersten Verfahrens die Rücknahme des Restschuldbefreiungsantrags im ersten Insolvenzverfahren zu erklären und einen Antrag auf Eröffnung eines dritten Insolvenzverfahrens inklusive des Antrags auf Erteilung der Restschuldbefreiung zu stellen mit dem Ziel, alle Verbindlichkeiten zu erfassen.340) ___________ 339) Nawroth/Steinbach, ZInsO 2018, 700. 340) So auch Nawroth/Steinbach, ZInsO 2018, 700; a. A. Büttner, ZInsO 2017, 1057, der für einen Antrag auf beschränkte Restschuldbefreiung plädiert.

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

c) Unwirksamkeitserklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO Soweit sich die Insolvenzgläubiger durch die Freigabeerklärung des Insolvenz- 634 verwalters gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO beeinträchtigt sehen, ordnet das Insolvenzgericht auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung die Unwirksamkeit der Erklärung an (§ 35 Abs. 2 Satz 3 InsO). Die Unwirksamkeit der Freigabeerklärung kann nur mit Wirkungen ex nunc (= ab dem Zeitpunkt der Beschlussfassung) mit Wirkungen nur für die Zukunft angeordnet werden.341) Die maßgebliche Prüfungskompetenz untersteht dabei dem Grundsätz der Gläubigerautonomie. Das Insolvenzgericht prüft i. R. v. § 78 Abs. 1 InsO, ob der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger entspricht.342) Ein solcher Antrag ist im Berichtstermin (§ 156 InsO) oder in einer besonderen Gläubigerversammlung (§ 75 InsO) zu stellen. Der Insolvenzverwalter stellt i. a. R. im Bericht zur ersten Gläubigerversammlung die Freigabewerte denen der Fortführung und der Liquidation gegenüber, sodass die Gläubiger anhand der Alternativszenarien transparentes und belastbares Zahlenmaterial jedenfalls zu diesem Zeitpunkt erhalten. d) Abgrenzung Die Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO ist nicht zu verwechseln mit der 635 Freigabe einzelner Vermögensgegenstände (oKapitel D.IV.3.). Merke: Eine Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO betrifft das „Gesamtpaket“ der selbstständigen Tätigkeit und ist nicht zu verwechseln mit der Freigabe einzelner Vermögensgegenstände. e) Die Freigabeerklärung – Wirksamkeit und Zeitpunkt Eine Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 InsO ist frühestens ab Eröffnung 636 und sodann jederzeit bis zur Aufhebung/Einstellung des Insolvenzverfahrens möglich. Der Insolvenzverwalter sollte die Entscheidung über die Freigabe zeitnah nach Erkennen einer defizitären Fortführung treffen, da er nur so die Insolvenzmasse von „belastenden“ Masseverbindlichkeiten, die aus der selbstständigen Tätigkeit resultieren, freihalten kann; eine Frist für die Erklärung ist aber nicht vorgesehen. Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters ist materiell-rechtlich formlos 637 möglich und entfaltet mit Zugang der Erklärung beim Schuldner (§ 130 ___________ 341) BSG, Urt. v. 10.12.2014 – B 6 KA 45/13 R, ZIP 2015, 1079 m. w. N.; siehe auch BGH, Urt. v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12, NZI 2013, 641. 342) LG Duisburg, Beschl. v. 24.6.2010 – 7 T 109/10, ZIP 2010, 2113.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Abs. 1 BGB) ihre rechtliche Wirkung: Der Insolvenzbeschlag erlischt. Die Freigabeerklärung ist demnach konstitutiv (rechtsbegründend). 638 Die Freigabe wird nach Anzeige des Verwalters gegenüber dem Insolvenzgericht öffentlich bekannt gemacht (§ 35 Abs. 3 InsO). Für die Praxis empfiehlt sich, an das Insolvenzgericht eine Abschrift der Freigabeerklärung nebst Zugangsnachweis (z. B. Quittung des Schuldners über den Erhalt, Zustellnachweis) zu übersenden. 639 Grundsätzlich gilt auch hinsichtlich der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit, dass diese, da rechtsbegründend, nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Allerdings besteht für den Gläubigerausschuss oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, für die Gläubigerversammlung die Möglichkeit, zu beantragen, die Unwirksamkeit der Erklärung des Insolvenzverwalters zu beschließen (§ 35 Abs. 2 Satz 3 InsO). f) Konsequenzen der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit für den Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner sowie Auswirkungen auf die Insolvenzmasse 640 Mit Wirksamkeit der Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 InsO nimmt das Insolvenzverfahren für den Insolvenzverwalter und auch den Schuldner einen anderen Verlauf als bei der Liquidation. 641 Mit Zugang der Freigabeerklärung enden die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des der selbstständigen Tätigkeit zuzuordnenden Vermögens endgültig und unbedingt.343) Der Insolvenzbeschlag wird insoweit (partiell) aufgehoben (Schaffung einer insolvenzfreien Sondermasse).344) Ergeht auf Antrag des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung kein anders lautender Beschluss (§ 35 Abs. 2 Satz 2 InsO), ist die Freigabe endgültig. Der Insolvenzverwalter selbst kann eine einmal erklärte Freigabe nicht mehr revidieren. Er hat fortan keinen Zugriff mehr auf die vom Schuldner erwirtschafteten Erträge. Dies gilt auch dann, wenn sich der Betrieb des Schuldners (entgegen der Prognose des Verwalters) erfolgreich und gewinnbringend entwickelt. Eine Freigabeentscheidung will daher wohl überlegt sein und sollte nicht vorschnell getroffen werden. Konnte der Insolvenzverwalter nicht absehen, dass sich der Betrieb des Schuldners gewinnbringender als seinerzeit prognostiziert entwickelt, wird dem Insolvenzverwalter kein vorwerfbares, pflichtwidriges Verhalten angelastet werden können, sodass auch eine Regresspflicht ausscheiden wird (vgl. § 60 InsO).

___________ 343) BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, ZVI 2003, 170. 344) BT-Drucks. 16/3227, S. 17; BGH, Beschl. v. 25.1.2018 – IX ZA 19/17, ZIP 2018, 543.

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

Übersicht Vermögensmassen: Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO) Altmasse → am Eröffnungsstichtag in der Insolvenzmasse vorhanden

642 Insolvenzfreies Vermögen

Neuerwerb → nach Eröffnung unter Massebeschlag erworben

Freigabe der selbstständigen Tätigkeit, § 35 Abs. 2 InsO

Freigabe einzelner Gegenstände

insolvenzfreies, da unpfändbares Vermögen (§§ 35, 36 InsO)

Die Freigabe eines freiberuflich selbstständig Tätigen ist wegen der berufs- 643 ständischen Konsequenzen im Bereich der vermögensverwaltenden Berufe problembehaftet, da eine Freigabe in aller Regel nur dann erklärt wird, wenn die fehlende Rentabilität festgestellt wird. Eine Konsolidierung kann hier ausschließlich durch einen Insolvenzplan erzielt werden, da nur durch ein geeignetes Sanierungskonzept die Vermutung des Vermögensverfalls entkräftet wird. Lediglich ein Insolvenzplan ist eine realistische und greifbare Möglichkeit, die Verbindlichkeiten umfassend mit der Erteilung der Restschuldbefreiung zu regeln; dies ist bei der Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO nicht der Fall.345) Eine Freigabe entkräftet nicht die Vermutung des Vorliegens des Vermögensverfalls.346) Nimmt der Insolvenzschuldner in einem Verbraucherinsolvenzverfahren nach 644 Aufhebung des Verfahrens in der Wohlverhaltensperiode eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit (neu) auf, bedarf es keiner Freigabeerklärung mehr. Der Insolvenzbeschlag endet mit Aufhebung des Verfahrens (§ 200 InsO). § 35 Abs. 2 InsO gilt nicht in der Wohlverhaltensphase, sondern nur im eröffneten Insolvenzverfahren. In der Wohlverhaltensperiode ist der § 295 Abs. 2 InsO unmittelbar anwendbar. Nach konstitutiver Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters ist über § 35 645 Abs. 2 Satz 2 InsO der für das Restschuldbefreiungsverfahren geltende § 295 Abs. 2 InsO entsprechend anwendbar. Danach trifft den Insolvenzschuldner, um eine Gleichbehandlung mit angestellt Tätigen herzustellen, eine Abführungspflicht hinsichtlich eines fiktiv zu berechnenden pfändbaren Einkommensanteils. ___________ 345) BGH, Beschl. v. 20.6.2011 – NotZ 26/06, NJW 2007, 1287. 346) OVG NRW, NJW-Spezial 2012, 77.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

646 In der Wohlverhaltensphase besteht eine mindestens jährliche Abführungspflicht.347) Der Senat begründete dies mit der in der Wohlverhaltensphase einmal jährlich anstehenden Verteilung der vorhandenen Gelder an die Insolvenzgläubiger (§ 292 Abs. 1 InsO). Diese sollen im Vergleich zu einem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines angestellt Tätigen, bei dem die Beträge monatlich einbehalten werden, nicht schlechter gestellt sein. Die Gläubiger dürfen keine Nachteile dadurch erfahren, dass eine Abführungspflicht erst am Ende der Wohlverhaltensphase angenommen wird. 647 Der Grundsatz der einmal jährlich bestehenden Abführungspflicht dürfte – jedenfalls unter Zugrundelegung der Argumentation zum Zeitpunkt der Gläubigerbefriedigung – auf das eröffnete Insolvenzverfahren nach Freigabe nicht unmittelbar anzuwenden sein, da i. a. R. erstmalig im Rahmen der Schlussverteilung eine Auskehr der vorhandenen Gelder an die Insolvenzgläubiger vorzunehmen ist. Der BGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 konstatiert, dass der Insolvenzverwalter „15 Monate nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung für diesen Zeitraum im laufenden Insolvenzverfahren den Zahlungsanspruch der Masse gegen den Schuldner geltend machen“ könne.348) 648 Die Höhe der gemäß der § 35 Abs. 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO vorzunehmenden Zahlungen ist gesetzlich nur insoweit vorgeschrieben, als diese einem fiktiven Maßstab folgen. Es besteht eine Abführungspflicht in Höhe der Beträge, die pfändbar wären, wenn der Insolvenzschuldner abhängig beschäftigt wäre (Fiktivberechnung). Die tatsächlichen Gewinne, die der Insolvenzschuldner erwirtschaftet, sind für die Ermittlung des Betrags völlig ohne Belang. 649 Den Insolvenzschuldner trifft eine Abführungspflicht auf der Basis eines fiktiv berechneten pfändbaren Einkommens nach dem Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO, wenn der tatsächliche Gewinn über der Pfändungsfreigrenze liegt, er also durch seine Gewinne überhaupt zu einer Leistung wirtschaftlich in der Lage ist.349) Eine Begründung, auf welcher Rechtsgrundlage die Annahme des 15-Monatszeitraums basiert, fehlt ebenso wie eine argumentative Herleitung. 650 Der tatsächliche Gewinn ist für die Bestimmung der Höhe des Abführungsbetrags nicht die Berechnungsgröße. Diese ist effektiv zu ermitteln durch Heranziehung der vom Schuldner zu erteilenden Auskünfte über seine beruflichen Qualifikationen, beruflichen Erfahrungswerte, ggf. besonderen Beeinträchtigungen, seine letzte Anstellung in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis sowie weiterer persönlicher und beruflich maßgeblicher Parameter. Das schließt auch die Frage ein, ob entsprechende Stellen auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind.350) Hinsichtlich seiner Qualifikation und Leistungsfähigkeit trifft den Schuldner im Umfang seiner im Insolvenzverfahren ___________ 347) 348) 349) 350)

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BGH, Beschl. v. 19.7.2012 – IX ZB 188/09, ZInsO 2012, 1488. BGH, Beschl. v. 19.7.2012 – IX ZB 188/09, ZInsO 2012, 1488. BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 43/12, NZI 2014, 46. BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 43/12, NZI 2014, 46.

V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

bestehenden Auskunftspflicht eine sekundäre Darlegungslast.351) Der selbständig tätige Insolvenzschuldner ist deshalb umfassend auskunftspflichtig hinsichtlich derjenigen Umstände, die für die Ermittlung des fiktiven Maßstabs erforderlich sind.352) Dabei müssen seine Auskünfte so konkret sein, dass ein Gläubiger die dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit bestimmen und das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ermitteln kann.353) Über seinen aus der selbständigen Tätigkeit erzielten Gewinn braucht der Schuldner dagegen grundsätzlich keine Auskunft zu erteilen, weil dieser für die Feststellung des fiktiven Nettoeinkommens unerheblich ist.354) Eine Abführungspflicht auf der Basis eines fiktiv berechneten pfändbaren Ein- 651 kommens (Maßstab § 295 Abs. 2 InsO) besteht aber nur dann, wenn der tatsächliche Gewinn über der Pfändungsfreigrenze liegt.355) Im Streitverfahren trifft den Schuldner die Darlegungs- und Beweislast, dass sein Gewinn unterhalb des ermittelten pfändbaren Betrages bei abhängiger Tätigkeit bleibt und er deshalb von der Abführungspflicht entsprechend § 295 Abs. 2 InsO befreit ist.356) Nach diesen Maßgaben ist zu ermitteln, welcher Betrag pfändbar wäre, wenn 652 er in einem entsprechenden Beschäftigungsverhältnis angestellt wäre. Die Pflicht zur Bestimmung der Höhe des Abführungsbetrags trifft jedoch nicht den Insolvenzverwalter. Auch stellt das Insolvenzgericht nicht die Höhe des pfändbaren Betrages fest. Vielmehr ist der Insolvenzschuldner gehalten, den korrekten Betrag zu ermitteln und zur Insolvenzmasse abzuführen. Die Praxis zeigt, dass viele Insolvenzschuldner mit dieser Ermittlung schlichtweg überfordert sind. Insoweit steht es jedem Schuldner frei, sich rechtlich beraten zu lassen. Eine Rechtsberatung – und damit Festsetzung des fiktiv pfändbaren Betrags – durch den Insolvenzverwalter ist nicht zulässig. Die Gefahr der Festlegung des Betrags durch den Insolvenzverwalter (Rechts- 653 beratung?) zeigt sich an einem vom LG Leipzig entschiedenen Fall: Leistet der selbstständige Schuldner im Rahmen seiner Abführungspflicht gemäß § 295 Abs. 2 InsO überhöhte Zahlungen an den Insolvenzverwalter, weil er irrtümlich annimmt, er müsse den Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit abführen, kann er einen Anspruch auf Erstattung der überhöhten Zahlungen gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB gegen die Insolvenzmasse haben.357) Zwar ist in den meisten Fällen zu beachten, dass – entgegen der Aussage des LG Leipzig – kein Kondiktionsanspruch gegen die Insolvenzmasse anzunehmen ist, da Anderkonten ganz häufig offene Vollrechtstreuhandkonten ___________ 351) 352) 353) 354) 355) 356) 357)

BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 43/12, NZI 2014, 46. BVerfG, Beschl. v. 7.12.2016 – 2 BvR 1602/16, ZIP 2017, 433. BVerfG, Beschl. v. 7.12.2016 – 2 BvR 1602/16, ZIP 2017, 433. BVerfG, Beschl. v. 7.12.2016 – 2 BvR 1602/16, ZIP 2017, 433. BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 43/12, NZI 2014, 461. BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 43/12, NZI 2014, 461 m. w. N. LG Leipzig, Urt. v. 8.2.2018 – 1 O 3139/16, NZI 2018, 322.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

sind, aus denen ausschließlich der das Konto eröffnende Rechtsanwalt persönlich der Bank gegenüber berechtigt und verpflichtet ist.358) Der Kondiktionsanspruch richtet sich nur dann gegen die Insolvenzmasse, wenn ein „echtes Sonderkonto“ ohne den treuhänderischen Charakter eines Anderkontos eingerichtet wurde. 654 Im Rahmen seiner Verwertungspflichten hat der Insolvenzverwalter darauf zu achten, dass das fiktiv berechnete pfändbare Einkommen unter Ansatz einer angemessenen Stundenzahl und eines adäquaten Entgelts unter Berücksichtigung der Fiktivmaßstäbe und evtl. Unterhaltsverpflichtungen korrekt ermittelt und abgeführt wird. Wird lediglich eine fiktive Teilzeitbeschäftigung angenommen, muss glaubhaft sein, dass der Schuldner keine Vollzeitanstellung gegen entsprechend höheres Entgelt finden könnte. Die sekundäre Beweislast trägt der Schuldner. 655 Wurde das fiktive Entgelt nicht anhand der vorstehenden Kriterien ermittelt, ist der Insolvenzverwalter gehalten, die Gläubiger hierüber zu unterrichten (Berichte/Zwischenberichte). Zahlt der Schuldner nach Freigabe seiner selbstständigen Tätigkeit im eröffneten Insolvenzverfahren den fiktiv ermittelten pfändbaren Betrag nicht, obwohl er hierzu aufgrund der ausreichenden Höhe seiner tatsächlich erwirtschafteten Gewinne wirtschaftlich in der Lage wäre, besteht ein einklagbarer Anspruch des Insolvenzverwalters gegen den Schuldner, welcher in Höhe des an die Masse abzuführenden Betrages vom Insolvenzverwalter auf dem Prozessweg geltend gemacht werden kann.359) 656 Reichen die Gewinne des Insolvenzschuldners aus, um den fiktiv ermittelten pfändbaren Betrag zur Masse abzuführen, hat der Insolvenzverwalter keinen Anspruch auf Vorlage der Steuerbescheide, Bilanzen, BWA oder ähnlicher, die Betriebsergebnisse darstellenden Dokumentationen. Entgegen der zum Teil geübten Praxis ist der Schuldner in diesem Fall nicht verpflichtet, solche Unterlagen regelmäßig vorzulegen. Ist der Schuldner indes nicht in der Lage, aus den Gewinnen die fiktiv ermittelten, pfändbaren Einkommensanteile zur Masse zu begleichen, weil diese unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegen, ist der Insolvenzschuldner gehalten, sich um eine angemessene Beschäftigung im Angestelltenverhältnis zu bemühen.360) Die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze zur Pflicht des Insolvenzschuldners, sich in einem solchen Fall um eine angemessene Beschäftigung zu bemühen, begründete der Senat mit der (bis zur Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens nur) in der Wohlverhaltensphase geltenden Erwerbsobliegenheit. In den Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 besteht gemäß § 287b InsO ab Eröffnung

___________ 358) BGH, Urt. v. 18.12.2008 – IX ZR 192/07, ZIP 2009, 531. 359) BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 43/12, NZI 2014, 461 m. w. N. 360) BGH, Beschl. v. 13.6.2013 – IX ZB 38/10, ZInsO 2013, 1586.

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

bereits eine Erwerbsobliegenheit, sodass die Grundsätze übertragbar sein dürften.361) In den Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 war die Abführungs- 657 pflicht im eröffneten Verfahren nicht der Erwerbsobliegenheit (die bis dahin im eröffneten Verfahren nicht normiert war), sondern der Mitwirkungspflicht geschuldet.362) Daher nahm der Senat eine Auskunftspflicht hinsichtlich der für die Ermittlung des fiktiven Maßstabs notwendigen Angaben des Schuldners an, sodass der Schuldner nur dann zur Auskunftserteilung auch über seine Gewinne aus seiner selbstständigen Tätigkeit verpflichtet war, wenn er finanziell nicht in der Lage war, die fiktiv ermittelten Beträge abzuführen.363) Aus einer jüngeren Entscheidung des BGH lässt sich ableiten, dass der BGH 658 wohl auch eine Vereinbarung zwischen Schuldner und Insolvenzverwalter für zulässig erachtet (Wer klagen darf, darf sich auch außergerichtlich vergleichen/vereinbaren).364) Der BGH hat hierin festgestellt: Hält der Schuldner eine mit dem Verwalter getroffene Zahlungsvereinbarung hinsichtlich der Freigabe einer Selbstständigkeit nicht ein, verletzt er seine insolvenzrechtliche Mitwirkungspflicht nicht.365) Eine Versagung der Restschuldbefreiung allein aus diesem Grund kommt nicht in Frage.366) Die Nichteinhaltung der mit dem Verwalter getroffenen Zahlungsvereinbarung reicht aber zur Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Versagungsgrundes aus.367) Bei Nichtleistung aufgrund der gesetzlichen Abführungspflicht gemäß § 35 659 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO ist eine Verletzung der nach § 97 Abs. 2 InsO obliegende Mitwirkungspflicht und Verwirklichung des Versagungsgrundes des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO anzunehmen.368) Vertragliche Verpflichtungen begründen keine Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten „nach diesem Gesetz“ i. S. v. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO; die Verletzung solcher Pflichten rechtfertigt es nicht, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen.369) Zur Glaubhaftmachung des Versagungsantrags genügt allerdings der Hin- 660 weis auf die mit dem Insolvenzverwalter vereinbarte, aber nicht eingehaltene Zahlungsverpflichtung des Schuldners, um eine Verletzung – auch – seiner nach dem Gesetz bestehenden Zahlungspflicht nach § 290 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 ___________ 361) Siehe BT-Drucks. 17/13535, S. 27 f.: „[…] Der Rechtsauschuss betont noch einmal die erhebliche Bedeutung der Erwerbsobliegenheit […] auch für selbstständig tätige Schuldner. […]“; a. A. Deppe, InsbürO 2018, 132. 362) BGH, Beschl. v. 13.6.2013 – IX ZB 38/10, ZInsO 2013, 1586. 363) BGH, Beschl. v. 13.6.2013 – IX ZB 38/10, ZInsO 2013, 1586. 364) BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – IX ZB 60/16, NZI 2018, 702. 365) BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – IX ZB 60/16, NZI 2018, 702. 366) BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – IX ZB 60/16, NZI 2018, 702. 367) BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – IX ZB 60/16, NZI 2018, 702. 368) BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – IX ZB 60/16, NZI 2018, 702; BGH, Beschl. v. 13.6.2013 – IX ZB 38/10, NZI 2013, 797; BGH, Beschl. v. 19.11.2015 – IX ZB 59/14, NZI 2016, 89. 369) BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, NZI 2003, 389.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

InsO glaubhaft zu machen.370) Wegen der indiziellen Bedeutung der vertraglichen Verpflichtung für das Bestehen einer gesetzlichen Zahlungspflicht hat nunmehr der Schuldner darzulegen, dass er nach dem Gesetz zu keinen höheren als zu den von ihm geleisteten Zahlungen verpflichtet war.371) Kann dies nicht festgestellt werden, ist von einer Verletzung der gesetzlichen Mitwirkungspflicht auszugehen (Beweislastumkehr).372) 661 Auch bei dem Schuldner, der trotz Erreichens des Rentenalters weiter abhängig beschäftigt ist, fällt das pfändbare Einkommen in die Insolvenzmasse. Von daher hat auch der selbstständig tätige Schuldner, der das Rentenalter erreicht hat, Zahlungen gemäß § 35 Abs. 2, § 295 Abs. 2 InsO zu leisten, wenn er weiterhin selbstständig tätig ist.373) Da sich solch ein Schuldner aber überobligatorisch bemüht, ist davon auszugehen, dass dieses bei der Bestimmung des Abführungsbetrags zu berücksichtigen ist.374) Erfolgen müssen wird dann wohl die Zusammenrechnung von Renten-/Versorgungsleistungen und fiktivem pfändbaren Einkommen in Anwendung von §§ 850e Nr. 2a, 850a Nr. 1 ZPO entsprechend. 662 Mit der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit aus dem Insolvenzbeschlag sind auch sämtliche Vertragsverhältnisse, die im Zusammenhang mit der Selbstständigkeit bestehen, freigegeben.375) Auch übernimmt der Schuldner nach Freigabe wieder vollumfänglich die Arbeitgeberstellung hinsichtlich der z. Zt. der Freigabe bestehenden Arbeitsverhältnisse.376) Aus der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht und nachvertraglichen Treuepflicht resultiert jedoch die Obliegenheit des Insolvenzverwalters, die Arbeitnehmer von der Freigabe und deren Wirkungen in Kenntnis zu setzen.377) Ansprüche, Klagen und sonstige Forderungen sind demnach an den Schuldner direkt zu richten, sofern sie aus dem Zeitraum nach Wirksamkeit der Freigabe resultieren. Die „Freigabe“ eines Geschäftsbetriebs nach § 35 Abs. 2 InsO begründet für den bereits zuvor tätigen Arbeitnehmer kein neues Arbeitsverhältnis in dem Sinne, dass ein neuer, eigenständiger Anspruch auf Insolvenzgeld entstünde, wenn auch hinsichtlich des „freigegebenen“ Geschäftsbetriebs (Neuvermögen) später ein Insolvenzantrag des Schuldners mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse abgewiesen wird.378) ___________ 370) 371) 372) 373) 374) 375)

BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – IX ZB 60/16, NZI 2018, 702. BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – IX ZB 60/16, NZI 2018, 702. BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – IX ZB 60/16, NZI 2018, 702. BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – IX ZB 60/16, NZI 2018, 702. BGH, Beschl. v. 26.6.2014 – IX ZB 87/13, ZIP 2014, 1598. Vgl. zum betrieblichen Mietverhältnis BGH, Beschl. v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11, ZInsO 2012, 481. 376) BAG, Urt. v. 21.11.2013 – 6 AZR 979/11, ZInsO 2014, 507. 377) BAG, Urt. v. 21.11.2013 – 6 AZR 979/11, ZInsO 2014, 507. 378) BSG, Urt. v. v. 23.5.2017 – B 12 AL 1/15 R – LSG NRW, ZIP 2017, 1970, im Anschluss an BSG, Urt. v. 17.3.2015 – B 11 AL 9/14 R, ZIP 2015, 1402.

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

Steuerlich ist zu beachten, dass Steuerverbindlichkeiten, die aus dem unmittel- 663 baren Zusammenhang aus der selbstständigen Tätigkeit nach Freigabe resultieren, keine Masseverbindlichkeiten darstellen.379) Der Schuldner hat diese aus seinen Einnahmen zu bestreiten. Die Finanzverwaltung vergibt für den freigegebenen Vermögensbereich (insolvenzrechtliche Sondermasse) eine weitere (dritte) Steuernummer, unter welcher der Insolvenzschuldner alle Steuererklärungen zur freigegebenen selbstständigen Tätigkeit zu fertigen hat. Eine dahingehende Pflicht des Insolvenzverwalters besteht nicht. Ein Anspruch auf Erstattung von Vorauszahlungen, die aus insolvenzfreiem Vermögen geleistet wurden, ist kein Vermögensgegenstand der Masse.380) Erstattungsansprüche, die – sowohl zeitlich, als auch angesichts der nach Freigabe geleisteten Vorauszahlungen – der freigegebenen Tätigkeit zuzurechnen sind, stehen dem Schuldner zu mit der Folge, dass auch das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht mehr besteht.381) Grundsätzlich erfolgt im Bereich der Einkommensteuer eine Zuordnung der einheitlich ermittelten Jahressteuer zu den verschiedenen insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen im Verhältnis der Einkünfte.382) Die Verteilung findet nach Maßgabe der in den einzelnen Abschnitten zu berücksichtigenden Besteuerungsmerkmale, insbesondere unter Beachtung der Gewinnermittlungsvorschriften statt.383) Sofern konkrete Zuordnung nicht möglich, ist Ermittlung im Schätzungswege zulässig.384) Für den Insolvenzschuldner kann eine Vorausabtretung künftiger Forderun- 664 gen nach Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit existenzielle Auswirkungen haben. Der Senat hat in seinem Urteil vom 18.4.2013 festgestellt, dass eine Vorausabtretung künftiger Forderungen ab dem Zeitpunkt der Freigabe wieder wirksam wird (Konvaleszenzwirkung).385) Bei der Vorausabtretung künftiger Forderungen ist die Abtretung an sich bereits mit Abschluss des Zessionsvertrags beendet. Der Rechtsübergang erfolgt jedoch erst mit Entstehung der Forderung. Entsteht die Forderung unter Insolvenzbeschlag, steht dem Rechtserwerb § 91 InsO entgegen, da eine gesicherte und damit schützenswerte Rechtsposition vor Eröffnung nicht erworben wurde. Die Vorausabtretung geht insoweit ins Leere. Nach einer Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 InsO wird die Vorausabtretung jedoch infolge Konvaleszenz (§ 185 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB) wieder wirksam. Der Schuldner erlangt nach Freigabe insoweit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des in___________ 379) Siehe zu Einkommensteuervorauszahlungen BFH, Urt. v. 18.9.2012 – VIII R 47/09, InsbürO 2013, 286. 380) BFH, Beschl. v. 6.3.2014 – VII S 47/13 PKH, BFH/NV 2014, 1013, siehe dazu BFH, Urt. v. 26.11.2014 – VII R 32/13, BStBl II 2015, 561; BMF-Schreiben v. 22.7.2015, IV A 3 – S 0062/15/10003 2015/0564516 – AEAO zu § 251 Nr. 9.1.4. 381) BFH, Urt. v. 6.3.2014 – VII S 47/13, InsbürO 2014, 366. 382) BMF-Schreiben v. 10.12.2015, IV A 3 – S 0062/15/10005 2015/0944849. 383) BMF-Schreiben v. 10.12.2015, IV A 3 – S 0062/15/10005 2015/0944849. 384) BMF-Schreiben v. 10.12.2015, IV A 3 – S 0062/15/10005 2015/0944849. 385) BGH, Urt. v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12, ZIP 2013, 1181.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

solvenzfreien Vermögens und damit auch hinsichtlich der in diesem Bereich entstehenden Forderungen wieder zurück. Dies hat zur Folge, dass § 91 InsO mangels Insolvenzbeschlag insoweit dem Rechtserwerb nicht entgegensteht. Die Pflicht des Insolvenzschuldners, die Rechte aus der Vorausabtretung zugunsten des Gläubigers zu bedienen, kollidiert in aller Regel mit der Abführungspflicht des selbstständig Tätigen (§ 35 Abs. 2 InsO i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO). Noch nicht entschieden ist, ob insoweit eine Festsetzung gemäß § 850i ZPO durch das Prozessgericht auch unter Berücksichtigung des gemäß § 295 Abs. 2 InsO abzuführenden Anteils unabhängig von den tatsächlichen Gewinnen in Betracht kommt. Der BGH habe „eingeräumt, dass die von ihm befürwortete Auslegung die Intentionen des § 35 Abs. 2 InsO beeinträchtigen kann (BGH, Urt. v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12 Rn. 27). Ein rechtlich zwingendes Verständnis kann indessen nicht allein aufgrund einer abweichenden Interessenabwägung einfach beiseitegeschoben werden. […]“386) 665 Interessant, bislang aber höchstrichterlich unbeantwortet ist auch die Frage. wie sich die Konvaleszenzwirkung im Verhältnis zur Restschuldbefreiung verhält. Gehrlein beantwortet diese wie folgt:387) „[…] Die Freigabe bezweckt nicht im Sinne einer vorweggenommenen Restschuldbefreiung, den Schuldner für alle Zukunft von einer Haftung gegenüber seinen Altgläubigern freizustellen. Wird das Insolvenzverfahren aufgehoben (§ 200 InsO), unterliegt der Schuldner grds. einer Nachhaftung (§ 201 InsO; BGH, v. 3.4.2014 – IX ZB 83/13 Rn. 5 ff.). Folgerichtig können Gläubiger nunmehr wie vor Verfahrenseröffnung aus gegen den Schuldner begründeten Sicherheiten wie einer Globalabtretung vorgehen (BGH, v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12). Was im Fall einer Restschuldbefreiung zu gelten hat, ist damit nicht entschieden. Hier spricht vieles dafür, dass ein Zugriff auf die im Voraus abgetretene Forderung ausscheidet, weil § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO revolvierende, nach Verfahrensbeendigung entstehende Sicherungen nicht erfasst. An ihnen bestand, weil sie erst nach Verfahrensaufhebung begründet wurden, im Insolvenzverfahren kein Absonderungsrecht. […]“ g) Nebeneinander von abhängiger Beschäftigung und freigegebenem Nebengewerbe 666 Vorbeschriebenen Grundsätze gehen zu einem ganz überwiegenden Teil davon aus, dass der Schuldner seine selbstständige Tätigkeit in Vollzeit ausübt. Reduziert der Schuldner den Umfang eines seinerzeit freigegebenen, in Vollzeit ausgeübten Gewerbes in ein Nebengewerbe, das vom Schuldner parallel zu einer in Vollzeit ausgeübten Festanstellung geführt wird, besteht ebenfalls unter Beachtung der vorbeschriebenen Maßgaben eine Abführungspflicht gemäß § 35 Abs. 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO. In entsprechender Anwendung des § 850e Nr. 2 ZPO sind die tatsächlich erzielten Erwerbseinkünfte aus der Anstellung des Schuldners mit den fiktiv ermittelten Beträgen gemäß ___________ 386) Gehrlein, ZInsO 2016, 825, 828. 387) Gehrlein, ZInsO 2016, 825, 829.

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

§ 35 Abs. 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO zusammenzurechnen.388) Im Rahmen der Zusammenrechnung ist nach hiesiger Auffassung jedoch zu berücksichtigen, dass der Schuldner gemäß § 295 Abs. 2 InsO den fiktiv pfändbaren Betrag aus einem angemessenen Anstellungsverhältnis schuldet und er bereits durch Ausübung einer Vollzeitanstellung den insolvenzrechtlichen Anforderungen an einen redlichen Schuldner genügt.389) Er bemüht sich im Weiteren überobligatorisch. Ein solches Bemühen hat der BGH in einem anders gelagerten Fall bereits insoweit gewürdigt, als die aus diesem Bemühen erzielten Einnahmen als Mehrarbeitsvergütung im Rahmen der Zusammenrechnung gemäß § 850e Nr. 2 ZPO in entsprechender Anwendung des § 850a Nr. 1 ZPO bis zur Hälfte pfandfrei gestellt werden.390) Der Argumentation des BGH folgend sind die überobligatorischen Bemühungen des Schuldners sowohl im Gläubiger- als auch im Schuldnerinteresse – in letzterem Fall wegen des Motivationscharakters – auch im beschriebenen Fall insoweit zu berücksichtigen, als dass das gemäß § 35 Abs. 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO fiktiv ermittelte Einkommen bei der Zusammenrechnung analog der Regelung für eine Mehrarbeitsvergütung entsprechend § 850a Nr. 1 ZPO zur Hälfte pfandfrei zu belassen ist.391) h) Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO und Freigabe einzelner Gegenstände sowie Verhältnis zum Pfändungsschutz Nutzt der Schuldner im Rahmen der gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO freige- 667 gebenen selbstständigen Tätigkeit einzelne Gegenstände kann fraglich sein, ob insoweit eine gesonderte Freigabe der Gegenstände erforderlich ist („…, insbesondere ….“-Freigaben …). Mit Gehrlein ist die Verfasserin der Auffassung, dass Vermögen, das für die 668 selbstständige Tätigkeit des Schuldners erforderlich ist, meist schon nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO pfändungsfrei und daher gemäß § 36 InsO insolvenzfrei ist, sodass die Voraussetzungen einer Freigabe nicht vorliegen.392) Bei einer Einstellung der selbstständigen Tätigkeit während des Hauptverfahren entfällt lediglich der Pfändungsschutz mit der Folge, dass der Gegenstand für den Insolvenzverwalter verwertbar wird. Wurde der Gegenstand indes im Rahmen einer „ …, insbesondere …“-Freigabe freigegeben, freut sich der Schuldner, da die Freigabe in dem Moment ihre Wirksamkeit entfaltet und der Insolvenzverwalter sich nicht auf Verwertbarkeit zugunsten der Masse berufen kann (Haftungspotential!). ___________ 388) Wipperfürth/Schmittmann, ZInsO 2015, 2560 ff. 389) Wipperfürth/Schmittmann, ZInsO 2015, 2560 ff. 390) Vgl. BGH, Beschl. v. 26.6.2014 – IX ZB 87/13, ZIP 2014, 1598 sowie AG Heidelberg, Beschl. v. 25.9.2014 – 55 IK 187/14, BeckRS 2015, 02644 = ZVI 2015, 56 mit Anm. Wipperfürth, VIA 2015, 38. 391) Wipperfürth/Schmittmann, ZInsO 2015, 2560 ff. 392) Gehrlein, ZInsO 2016, 825.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

669 Schafft der Schuldner aus den Einnahmen aus der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit neue Vermögenswerte an (z. B. einen Pkw), ist fraglich, ob sich die Freigabewirkung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO auch auf diese Anschaffungen (Surrogate) erstreckt. Dies ist zu bejahen: Die Freigabe erfasst auch Surrogate. Aus diesem Gewinn erworbene Gegenstände sind nicht wieder vom Insolvenzbeschlag erfasst.393) 670 Obacht ist geboten: Die Wertung ist anders, wenn der Schuldner einen (z. B. gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) unpfändbaren Gegenstand veräußert. Das Surrogat (Kaufpreisanspruch/Erlös) ist nicht vom Pfändungsschutz erfasst, da das Vollstreckungsrecht keine negative Surrogation kennt (anders ausgedrückt: der Pfändungsschutz bzgl. eines Vermögenswertes setzt sich nicht an dessen Surrogat fort!).394) Auch eine Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO entfaltet insoweit keine Wirkung! 671 Die in der Literatur bisweilen vertretene Gegenauffassung, die dafür plädiert, dass sich das Vermögen des Schuldners nicht ändert und somit im Ergebnis zur Fortsetzung des Pfändungsschutzes/zum Vorliegen der negativen Surrogation kommt, ist aus vorbeschriebenen Gründen abzulehnen.395) Vielmehr ist nach der hier vertretenen Auffassung die Frage des Pfändungsschutzes für jeden Vermögenswert gesondert zu betrachten. Hierbei kommt es auf die Entstehung/Begründetheit an (im Hauptverfahren). Unter der Annahme der Fortsetzung des Pfändungsschutzes an Surrogaten (worauf die Differenztheorie letztlich hinausläuft), würden Vorschriften wie § 850k ZPO im Ergebnis leerlaufen. Die Argumentation in Bezug auf die Einschlägigkeit bestimmter Pfändungsschutzvorschriften muss auch im Insolvenzverfahren (als einem Gesamtvollstreckungsverfahren) schon wegen §§ 35 Abs. 1, 36 InsO zu allererst rechtlich, nicht wirtschaftlich betrachtet werden. 3. Fortführung einer selbstständigen Tätigkeit 672 Wie im unmittelbar vorstehenden Kapitel ausgeführt, kommt eine Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit immer dann in Betracht, wenn die vom Schuldner im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit erwirtschaften Erträge im Ergebnis nicht zu Massemehrungen führen. Sind die Erträge hingegen hinlänglich, um über den Selbstbehalt des Schuldners und dessen Familie sowie den notwendigen Betriebsausgaben und steuerlichen Verpflichtungen hinaus einen Überschuss für die Masse darzustellen, führt der Insolvenzverwalter in aller Regel den Geschäfts-/Praxis-/Kanzleibetrieb des Schuldners fort. ___________ 393) Zutreffend Gehrlein, ZInsO 2017, 1352, 1355. 394) BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZB 170/11, NZI 2013, 648; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 – IX ZB 247/11, ZIP 2013, 2112. 395) So aber Grote, ZInsO 2018, 1541, der den fehlenden Neuerwerb für eine Fortsetzung des Pfändungsschutzes an Surrogaten anführt (Differenztheorie: das Vermögen des Schuldners hat sich nicht geändert, daher besteht kein pfändbarer Neuerwerb).

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

Die Betriebsfortführung ist in der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich gere- 673 gelt. Sie dient in aller Regel der Vorbereitung der Sanierung eines Unternehmens, sei es durch einen Insolvenzplan (o Kapitel G.) oder eine übertragende Sanierung (oKapitel D.V.2.5.). Eine ebenfalls gesetzlich vorgesehene, in den letzten Jahren wieder mehr Beachtung findende Alternative ist die Fortführung unter Eigenverwaltung, die bei Erfolg regelmäßig auch in einer Insolvenzplanlösung mündet (o Kapitel F.). Welches Sanierungsmodell mit dem Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung im Ergebnis das richtige ist, ist einzelfallabhängig durch Analyse der Finanzierungsmodelle, der Marktsituation, der Geschäftsstruktur und des Geschäftsmodells des Schuldners zu ermitteln. Eine Fortführung, die angesichts der Zielsetzung des Gesamtwerkes nur im 674 Überblick erläutert werden kann, ist nur dann darstellbar, wenn der Insolvenzverwalter diesen Prozess engmaschig begleitet durch ständige und kontinuierliche Kontrolle der betriebswirtschaftlichen Auswertungen des Schuldners. Auch hat der Insolvenzverwalter über einen branchenspezifisch angepassten Zeitraum die Entwicklung des Geschäftsbetriebs im Auge zu behalten. Dies geschieht in aller Regel durch Aufstellung einer Finanz-/Liquiditätsplanung. Die Fortführung im Insolvenzverfahren erfordert neben den besonderen juristischen Kenntnissen des Insolvenzrechts auch und insbesondere betriebswirtschaftliches Wissen und Können sowie strategische Planungskompetenzen und die Beachtung branchenspezifischer Besonderheiten. Im Zuge einer Fortführung sind oftmals Umstrukturierungsmaßnahmen erfor- 675 derlich. Erwähnt seien exemplarisch: personelle Umstrukturierungen, Veränderung von Arbeitsabläufen und Prozessschritten oder Outsourcing396) einzelner Bereiche, Verkleinerung der Betriebsstätte, Schließung von Filialen etc. Unerlässlich für eine Fortführung sind die Mitwirkungsbereitschaft des Schuld- 676 ners selbst, dessen Einbindung in die Verantwortungsbereiche sowie dessen Fähigkeiten und Wissen über prozedurale Vorgänge. Auch ist zu empfehlen, die Ursachen der Insolvenz zu analysieren. Liegt die 677 Krise z. B. in Marktveränderungsprozessen397) oder kontinuierlichem Rückgang der Auftragslage begründet, wird eine Fortführung schwerlich, wenn nicht gar unmöglich darstellbar sein. Ist ein merklicher Forderungsausfall (z. B. eines Großkunden) die Krisenursache, die Auftragslage aber im Übrigen positiv, sind die Aussichten für eine erfolgreiche Fortführung gut, wenn auch die weiteren maßgeblichen Parameter stimmen.

___________ 396) Auslagern bestimmter Arbeitsfelder, die meist nicht Kernkompetenz sind (z. B. statt Herstellung von Pralinen in Eigenmanufaktur kauft der Bäckermeister die Pralinen fortan ein). 397) Beispielsweise erfährt der Einzelhandel einen immensen Konkurrenzdruck durch den Versand- und Onlinehandel.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

678 Eine erfolgreiche Fortführung gelingt nur mit einer strategischen, durchdachten und geordneten Herangehensweise sowie einer professionellen und adäquaten Krisenkommunikation. Die Geschäftspartner des Schuldners sind durch die Insolvenz zunächst i. a. R. in ihrem Vertrauen erschüttert und begegnen einer Fortführung und Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung mit einem großen (und sicher auch gesunden) Maß an Skepsis. Dieses Vertrauen gilt es, zurückzugewinnen und zu stärken. Eine ungünstige Krisenkommunikation stellt die Weichen Richtung Liquidation, die spätestens dann besiegelt ist, wenn Kunden, Mitarbeiter und/oder Lieferanten wegbrechen. 679 Ein Vertrauensverlust erleidet auch die Belegschaft. Die Insolvenz des Arbeitgebers geht immer einher mit Existenzängsten seiner Mitarbeiter. Der insoweit eingetretene Vertrauensverlust ist ebenfalls durch eine qualifizierte Kommunikation auszugleichen. 680 Allein rechtliche Informationen sind insoweit nicht ausreichend. Vertrauen spielt sich überwiegend auf der nicht rationalen Ebene ab. Eine Fortführung ist nur dann erfolgreich, wenn dies rational anhand von Fakten nachvollziehbar ist und zudem emotional darauf vertraut wird, dass die weitere Zusammenarbeit auch von Dauer und erfolgreich sein wird. 681 Eine Fortführung eines schuldnerischen Geschäfts-/Praxisbetriebs ist insbesondere im Bereich der freiberuflichen Tätigkeiten nicht immer problemlos möglich. Das Know-how eines Unternehmers ist in jedem Insolvenzverfahren, das eine Fortführung anstrebt, zwingend erforderlich. Bei Freiberuflerinsolvenzen ergeben sich zudem noch rechtliche Schwierigkeiten aus den berufsständischen Bestimmungen. Die Fortführung einer Arztpraxis erfordert beispielsweise die Mitwirkung des in Insolvenz befindlichen Arztes. Die Fortführung ist möglich über die Insolvenzmasse (wirtschaftlich), die Approbation indes ist an die Person des Arztes gebunden. Ein Insolvenzverwalter, der keine Approbation besitzt, kann ohne Mitwirkung des Schuldners keine Fortführung bewerkstelligen, da er keine Patienten behandeln darf. 682 Auch im Bereich der vermögensverwaltenden Freiberufler konterkarieren oftmals berufsständische Regelungen zum Widerruf der Zulassung die Fortführung; die Zulassung wird in aller Regel mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens widerrufen, weil vermutet wird, dass der fremdgeldverwaltende Insolvenzschuldner in Vermögensverfall geraten ist. Eine Entkräftung der Vermutung des Vermögensverfalls kann nach Insolvenzeröffnung bestenfalls nur durch die Vorlage eines Insolvenzplans erfolgen.398) 683 Sämtliche Einnahmen gehören bei einer Fortführung als Neuerwerb zur Insolvenzmasse. Die Betriebsausgaben und steuerlichen Zahllasten sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 InsO. Aus der Insolvenzmasse ist ebenfalls der notwendige Selbstbehalt des Insolvenzschuldners aufzu___________ 398) BGH, Beschl. v. 20.11.2006 – NotZ 26/06, NJW 2007, 1287.

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

bringen, wobei dieser aus den erzielten Einnahmen zu bestreiten ist (§ 100 InsO bzw. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. § 850i ZPO).399) Nach Rechtsprechung des BGH sind die für die Mitarbeitet des Schuldners in dem fortgeführten Betrieb erhaltenen finanziellen Zuwendung aus der Insolvenzmasse wohl als Abgeltung der Mitarbeit – und nicht als Unterhalt – zu klassifizieren.400) Will der Insolvenzverwalter vermeiden, dass die finanziellen Zuwendungen an den im Betrieb weiter mitarbeitenden Schuldner das als Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Insolvenzverwalters einzustellende Betriebsergebnis schmälern, muss er die Vermutung widerlegen, dass mit den Zuwendungen der Arbeitseinsatz des Schuldners vergütet wird. Dies gilt auch, soweit die monatlichen Zahlungen die Pfändungsfreigrenzen der §§ 850 ff. ZPO nicht übersteigen und somit gemäß § 36 Abs. 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse gehören. Wurden die Zahlungen an den Schuldner als Gegenleistung für die Mitarbeit im fortgeführten Betrieb erbracht, haben sie Lohnersatzfunktion und sind zumindest in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b InsVV bei der Ermittlung der Berechnungsgrundlage für die Insolvenzverwaltervergütung abzuziehen, weil die Ausgaben durch die Unternehmensfortführung veranlasst sind.401) Nach der hier vertretenen Auffassung kann man mit guten Gründen an der 684 Klassifizierung als Zahlung mit Lohnersatzfunktion zweifeln. Es erscheint rechtlich kaum vertretbar, den den Schuldnerbetrieb fortführenden Insolvenzverwalter als arbeitsrechtlichen Arbeitsgeber anzusehen. Vielmehr tritt der Insolvenzverwalter mit Eröffnung des Verfahrens in die Stellung des Schuldners als Arbeitgeber. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt indes nicht dazu, dass der selbstständige Schuldner nunmehr in eine Art „Anstellungsverhältnis“ tritt. Überdies sieht das Gesetz zwei Möglichkeiten vor, wie der Selbstbehalt des Schuldners und seiner Familie sichergestellt werden kann. Zum einen besteht die Möglichkeit, den Selbstbehalt des Schuldners auf An- 685 trag gemäß § 850i ZPO pfandfrei zu stellen. Hierbei handelt es sich um eine konstitutive Beschlussfassung des Insolvenzgerichts auf Antrag des Schuldners mit einem größtmöglichen Rahmen zur vollstreckungsrechtlichen Interessenabwägung und Einzelfallentscheidung. Soweit Pfändungsschutz gewährt wird, ist der Insolvenzbeschlag ausgeschlossen mit der Folge, dass die Einkommensbestandteile weder Niederschlag in der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters noch in der Berechnungsgrundlage zur Bestimmung der Verwaltervergütung finden.

___________ 399) Eine analoge Anwendung im Insolvenzeröffnungsverfahren befürwortend LG Bonn, Beschl. v. 4.1.2013 – 6 T 339/12, ZInsO 2013 833. 400) So BGH, Beschl. v. 4.5.2006 – IX ZB 202/05, ZIP 2006, 1307; BGH, Beschl. v. 27.7.2006 – IX ZB 126/05, JurionRS 2006, 19882. 401) So BGH, Beschl. v. 4.5.2006 – IX ZB 202/05, ZIP 2006, 1307; BGH, Beschl. v. 24.5.2005 – IX ZB 6/03, NZI 2005, 567.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

686 Daneben besteht die Möglichkeit, dem Schuldner Unterhalt aus der Insolvenzmasse gemäß § 100 InsO zu gewähren. Hierbei liegt die alleinige Entscheidungshoheit bei den Gläubigern (Beschlussfassung), und zwar hinsichtlich des ob und des Umfangs. Auf eine Unterhaltsgewährung gemäß § 100 InsO hat der Schuldner allerdings keinen Rechtsanspruch.402) Dem Motivationscharakter kann indes Rechnung getragen werden, indem die Gläubiger den Unterhaltsbetrag auf einen Betrag oberhalb der Pfändungsfreigrenzen festlegen. Auch ist eine vorläufige Unterhaltsgewährung bis zur Beschlussfassung der Gläubigerversammlung auf der Grundlage der Entscheidung des Insolvenzverwalters (§ 100 Abs. 2 InsO). Hinsichtlich der Schlussrechnungslegung ist zu beachten, dass Unterhaltsleistungen gemäß § 100 InsO als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind. Es spricht nach hiesiger Auffassung nichts dagegen, diese den Ausgaben aus Betriebsfortführung zuzuordnen. Eine entsprechende Klassifizierung gilt für die vergütungsrechtliche Frage fort, wonach die Einnahmen aus Betriebsfortführung nur in Höhe des erzielten Überschusses Eingang in die Berechnungsgrundlage finden (§ 1 Abs. 2 Nr. 4b) InsVV). (Ober-)gerichtlich geklärt ist die Frage allerdings nicht. 687 Der BGH führt hierzu in abweichendem Zusammenhang lediglich und ohne nähere Begründung aus:403) „Gibt der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners frei, steht dem Schuldner für Forderungen aus seiner selbständigen Tätigkeit, die von der Freigabe der selbständigen Tätigkeit umfasst sind, im Verhältnis zur Masse kein Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte zu. […] Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte kann für Zahlungen auf Forderungen des Schuldners aus dessen selbständiger Tätigkeit, die zwar erst nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners beglichen werden, die aber in die Masse fallen, im Hinblick auf die nach der Freigabe vom Schuldner begründeten Neuverbindlichkeiten nicht gewährt werden. […] Kann der Schuldner seinen Unterhalt und den seiner Familie nicht aus seiner freigegebenen selbständigen Tätigkeit erwirtschaften, kann er Unterhaltsansprüche weiterhin gegen die Insolvenzmasse geltend machen (§ 100 InsO).“ 688 Die letzte Ausführung ist nach hiesiger Auffassung so nicht zutreffend, da § 100 InsO gerade keinen Rechtsanspruch des Schuldners darstellt. Auch ist die Aussage wohl sehr praxisfern, da die Gläubiger nach Erklärung der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit keine Zuflüsse hieraus zur Masse (und damit zu ihrer Befriedigung) erwarten können; es erscheint daher lebensfern anzunehmen, dass Gläubiger dem Schuldner gleichwohl Unterhalt aus der Insolvenzmasse zubilligen werden. 689 Zu beachten ist, dass die Lebenshaltungskosten des Insolvenzschuldners nur durch die Gläubigerversammlung zu beschließen bzw. durch das Insolvenzgericht festzusetzen sind. Eine eigenmächtige Entnahme des pfandfreien Anteils aus der Barkasse zur Erfüllung der Unterhaltspflichten und Finanzierung ___________ 402) Wipperfürth, InsbürO 2015, 515 ff. m. w. N. 403) BGH, Beschl. v. 6.4.2017 – IX ZB 40/16, ZIP 2017, 976.

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V. Fortführung, Liquidation oder Freigabe der selbstständigen Tätigkeit?

der Betriebskosten stellt einen Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO dar.404) 4. Übertragende Sanierung/Asset Deal Eine weitere, im Insolvenzverfahren bestehende Möglichkeit der Sanierung 690 ist die sog. übertragende Sanierung („Asset Deal“). Als Asset Deal bezeichnet man einen Unternehmensverkauf durch Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter ohne seinen Rechtsträger. Im Gegensatz hierzu wird bei einem sog. „Share Deal“ ein Unternehmen 691 durch Übertragung seines Rechtsträgers (so z. B. in der Gesellschaftsinsolvenz durch Abtretung aller Geschäftsanteile) vom Erwerber übernommen. Bei einem Share Deal gehen auf den Erwerber ebenfalls alle Verbindlichkeiten des Unternehmens über, sodass diese Form der Übertragung im Insolvenzverfahren eher die Ausnahme darstellt. Die übertragende Sanierung wird nach allgemeinen zivilrechtlichen Bestim- 692 mungen vollzogen (§§ 433 ff., 929 ff., 873 ff., 398 ff BGB). Ggf. sind besondere Formvorschriften zu beachten (z. B. notarielle Beurkundung beim Grundstücksverkauf, §§ 311b, 925 BGB). Sehr häufig wird indes eine übertragende Sanierung, also die Veräußerung 693 und Übertragung aller oder der meisten Wirtschaftsgüter des Unternehmens auf einen neuen Rechtsträger gewählt. Gegenstand des Kaufvertrags ist das Aktivvermögen des Schuldners (Assets), demnach alle Sachen, Rechte, sonstigen Vermögenswerte. Die Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners gehen nicht mit über und werden im Insolvenzverfahren nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen abgewickelt. Die Haftung des Erwerbers gemäß § 25 Abs. 1 HGB ist auf Unternehmensveräußerungen durch den Insolvenzverwalter nicht anwendbar, da andernfalls mögliche Verwertungsoptionen in Anbetracht der potentiellen Haftung des Erwerbers für die Schulden des bisherigen Unternehmensträgers erschwert würden.405) Die übertragende Sanierung erfolgt zu Fortführungswerten. In der Praxis die 694 meisten Schwierigkeiten bereitet in aller Regel die Preisfindung, da insbesondere das Element der bisherigen Ertragsstärke nur wenig Anhaltspunkte liefert, weil der Ertragswert durch Eintritt der Krise regelmäßig verschwindend gering ist. Allenfalls als Ansatzpunkt dienen können die Unternehmenszahlen der Vergangenheit; es bleibt dabei, dass der Erwerber in Anbetracht der Unkenntnis der künftigen Entwicklung etwas Ungewisses erwirbt. Im Hinblick auf den Grundsatz der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung ist 695 darauf zu achten, dass der Kaufpreis die Grenze der Liquidationswerte nicht unterschreitet. ___________ 404) BGH, Beschl. v. 19.5.2011 – IX ZB 94/09, openJur 2011, 94400. 405) St. Rspr., zuletzt BGH, Beschl. v. 9.11.2006 – IX ZA 27/06, openJur 2011, 9705.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

696 Werden die Unternehmensdaten der Vergangenheit dem Erwerber kundgetan, handelt es sich häufig um einen Einblick in einen sensiblen Bereich. Vor der Offenlegung ist daher zu empfehlen, eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen zu lassen. Daneben sind ebenfalls Abschlüsse von Vorverträgen oder die Abgabe von Absichtserklärungen (LOI – Letter of Intent) möglich und gängige Praxis. Insbesondere sind auch die Datenschutzregelungen der DGSVO zu beachten; im Zweifelsfall bietet sich die Einbindung eines Experten an. 697 Insolvenzrechtlich ist zu beachten, dass bei der Veräußerung des Unternehmens oder eines Betriebs im Ganzen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung, wenn ein Gläubigerausschuss nicht bestellt wurde, einzuholen ist. Bei einer Veräußerung des Unternehmens vor dem Berichtstermin verdrängt die Bestimmung des § 158 InsO als lex specialis die des § 160 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 InsO. Gemäß § 158 InsO ist, will der Insolvenzverwalter vor dem Berichtstermin das Unternehmen des Schuldners veräußern, die Zustimmung eines Gläubigerausschusses einzuholen, wenn ein solcher bestellt ist. Ein Verstoß gegen die Zustimmungspflicht hindert nicht die Wirksamkeit der Übertragung, sollte aber aus Verwaltersicht bereits aus Gründen der Haftung vermieden werden. 698 Arbeitsrechtlich ist zu beachten, dass eine übertragende Sanierung sämtliche Arbeitsverhältnisse schützt (§ 613a BGB). Übernimmt ein Erwerber im Rahmen des Betriebsinhaberwechsels den Geschäftsbetrieb, tritt er gemäß § 613a BGB in alle zu diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Ihn treffen demnach alle Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen, die auch für den insolventen Arbeitgeber gegolten haben. Dies birgt die Gefahr für den Erwerber, dass dieser sich, spricht er nach der übertragenden Sanierung betriebsbedingte Kündigung aus, einer Kündigungsschutzklage ausgesetzt sieht. Eine Möglichkeit, die Risiken des Erwerbers einzugrenzen, kann die Gründung einer Transfergesellschaft sein. Geht ein Arbeitsverhältnis auf eine Transfergesellschaft über, wird das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber in aller Regel durch einen Aufhebungsvertrag beendet. Der Arbeitnehmer wird lückenlos in eine zeitlich befristete Anstellung in der eigens für diesen Zweck gegründeten Transfergesellschaft aufgenommen. Der Arbeitnehmer kann so den Eintritt in die Arbeitslosigkeit vermeiden und bezieht für einen gewissen Zeitraum weiterhin Gehalt/Lohn über dem individuellen Arbeitslosengeldsatz. 699 Steuerrechtlich lösen verwalterinitiierte Unternehmensübertragungen im eröffneten Insolvenzverfahren keine Haftung des Erwerbers für Steuern und Abgabepflichten aus dem übertragenen Unternehmen aus (§ 75 Abs. 2 AO). 700 Die Erlöse aus der Veräußerung eines Betriebes oder Teilbetriebes sind Einkünfte i. S. d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG und unterliegen damit grundsätzlich der Einkommensteuerpflicht.406) Umsatzsteuerrechtlich gehören diese zu den steu___________ 406) Zu beachten sind ggf. Steuervergünstigungen gemäß § 34 Abs. 3 EStG.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

erfreien Einnahmen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG). Auch eine Gewerbesteuerpflicht besteht bei der Veräußerung eines Einzelunternehmens im Ganzen nicht. Bei Freiberuflern ergeben sich auch im Fall der übertragenden Sanierung Pro- 701 bleme. So können z. B. die Zulassung eines Arztes und der Vertragsarztsitz als höchstpersönliche, nichts sonderrechtsfähige Rechte nicht veräußert werden. Diese sind nicht Gegenstand der Insolvenzmasse.407) Auch kann eine Patienten- oder Mandantenkartei nur mit Zustimmung der betroffenen Patienten/ Mandanten übertragen werden, da diese der Schweigepflicht unterliegen. Verstöße dagegen sind strafbewehrt (§ 203 StGB), entsprechende Verträge nichtig (§ 134 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. § 203 StGB).408) 5. Verwertung/Liquidation Als Regelfall sieht die Insolvenzordnung die Verwertung der einzelnen Vermö- 702 gensgegenstände vor. Im Fall einer Unternehmensinsolvenz ist dies gleichbedeutend mit der Zerschlagung oder Teilzerschlagung des Betriebs. Auf ausgewählte Verwertungsfragen wird im nachfolgenden Kapitel näher eingegangen. VI. Ausgewählte Verwertungsfragen 1. Allgemeines Der Insolvenzverwalter ist gehalten, die Gegenstände der Insolvenzmasse durch 703 Veräußerung zu verwerten, sofern sich aus anderen Modellen (Insolvenzplan, Sanierungsalternativen) keine bessere Gläubigerbefriedigung erzielen lässt (vgl. § 159 InsO). Die Verwertung vollzieht sich – ggf. unter Beachtung besonderer Formvor- 704 schriften – nach den zivilrechtlichen Bestimmungen zum Verkauf (§ 433 ff. BGB) und der dinglichen Einigung nebst erforderlichenfalls der Besitzverschaffung (§§ 929 ff., 873 ff., 398 ff. InsO). 2. Grundsätze der Verwertung Die Verwertung ist unverzüglich nach dem Berichtstermin vorgesehen (§ 159 705 InsO). Ausgangspunkt der Verwertung ist die Insolvenzmasse, die sich überwiegend 706 aus dem Masseverzeichnis bzw. der Vermögensübersicht ergibt, ggf. ergänzt durch den Neuerwerb. Die Ermittlung der Vermögenswerte ist demnach der einleitende Schritt der sich anschließenden Verwertungshandlungen. Die Verwertung gehört zu den originären Hauptaufgaben des Insolvenzver- 707 walters. Sofern diese mit rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten verbun___________ 407) BSG, Urt. v. 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R, BeckRS 2000, 41267. 408) Bange, ZInsO 2006, 362 m. w. N.

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den ist, kann der Insolvenzverwalter spezialisierte Verwerter/Verwertungsfirmen mit der Veräußerung beauftragen. Gleiches gilt für die Realisierung von Forderungen durch Fachanwälte, wenn besondere Kenntnisse erforderlich sind, die den regulären Umfang der Verwertung, gemessen an einem Normalverfahren, überschreiten (vgl. auch § 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV).409) Delegiert der Insolvenzverwalter „einfache“ Verwertungssachverhalte, handelt es sich also um eine Regelaufgabe ohne besondere Schwierigkeiten, muss er sich unter Umständen den Abzug des durch die Delegation entstanden Kostenfaktors von seiner Vergütung gefallen lassen. 708 Bei umfangreichen Vermögensmassen empfiehlt sich, eine Verwertungsliste, die den aktuellen Stand der Verwertungsaktivität wiedergibt, anzulegen. Sofern dem Beispiel des fortgeschriebenen Berichtswesens (ForStaB410)) gefolgt wird, kann auch die Vermögensübersicht die Grundlage einer solchen Verwertungsliste bilden. Entsprechende Hilfestellung bieten auch manche Insolvenzverwaltungsprogramme. 3. Ausgewählte Verwertungsfragen 709 Nachfolgend werden einige markante Besonderheiten und „Klassiker“ der Verwertung aufgegriffen. Diese können angesichts der Zielsetzung dieses Werkes nur einen Überblick über regelmäßig aufkommende Verwertungsfragen zu den Einzelbereichen geben. a) Immaterielle Vermögensgegenstände 710 Die zum Anlagevermögen gehörenden immateriellen Vermögensgegenstände können im Einzelfall wertvoll sein und somit zu erheblichen Massemehrungen führen. Von praktischer Relevanz sind hier insbesondere gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte sowie der Geschäfts-/Firmenwert (Kundenstamm). Hierzu gehören im Wesentlichen auch Lizenzen, Marken, Gebrauchs-/ Geschmacksmuster, Patente, Lizenzen sowie Internet-Domains. Die Verwertung richtet sich nach den jeweiligen Bestimmungen des Rechts. Ist der Schuldner Erfinder bzw. Urheber stehen ihm die ausschließlichen Nutzungsrechte zu; die Nutzung durch Dritte ist grds. Ausgeschlossen.411) Nutzungsund Verwertungsrechte können indes übertragen werden.412) Für Spezialfragen

___________ 409) Vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 20.7.2004 – IX ZB 161/03, InsbürO 2004, 317; BGH, Beschl. v. 14.11.2013 – IX ZB 161/11, NZI 2014, 21; BGH, Beschl. v. 13.3.2014 – IX ZB 204/11, JurionRS 2014, 13397. 410) Zurückgehend auf die vom Amtsgericht Aachen entwickelten Grundsätze des „Fortgeschriebenen Standardisierten Berichtswesens (ForStab)“ siehe Langer/Bausch, ZInsO 2011, 1287. 411) Siehe auch vertiefend Lorenz, InsbürO 2018, 417. 412) Siehe auch vertiefend Lorenz, InsbürO 2018, 417.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

sind ggf. Fachleute (Patentanwälte o. Ä.) beizuziehen bzw. die Verwertung über spezielle Anbieter vorzunehmen.413) b) Grundstücke/grundstücksgleiche Rechte Zur Ermittlung von im Eigentum des Schuldners stehenden Grundbesitz oder 711 grundstücksgleichen Rechten ist die Einsichtnahme in einen aktuellen Grundbuchauszug unerlässlich, da sich aus dem Grundbuch die aktuelle Rechtslage ergibt. Ist der Insolvenzschuldner als Eigentümer (Abteilung I) oder Inhaber eines Rechts an einem fremden Grundstück (Abteilung II oder III) im Grundbuch eingetragen, ist der Insolvenzverwalter gehalten, das Grundstück bzw. Recht zu verwerten. Soweit im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldnereige- 712 nes Immobiliarvermögen bekannt ist, veranlasst das Insolvenzgericht in aller Regel von Amts wegen die Eintragung eines Insolvenzsperrvermerks in Abteilung II des Grundbuchs bzw. beim jeweiligen Recht des Schuldners (vgl. § 32 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 InsO). Der Insolvenzsperrvermerk hat lediglich deklaratorische Bedeutung.414) Der Insolvenzmassebeschlag besteht bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Insolvenzverwalter kann die sog. Verwalterversteigerung (Verwertung 713 im Wege der Zwangsversteigerung) betreiben (§ 165 InsO). Da eine freihändige Veräußerung jedoch in der Vielzahl der Fälle wesentlich ertragreicher war, war die Zwangsversteigerung durch den Insolvenzverwalter eher selten. Seitdem die Grundstückspreise steigen, erkennt die Praxis aber, dass durchaus auch im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens durchaus Übererlöses zu erzielen sind (Gebote je nach Lage der Immobilie weit über Verkehrswert). Bei der freihändigen Verwertung von schuldnereigenem Immobiliareigen- 714 tum sind die besonderen Formerfordernisse zum schuldrechtlichen Kaufvertrag, der gemäß § 311b Abs. 1 BGB notariell zu beurkunden ist, zu beachten. Die dingliche Einigung bedarf der ebenfalls notariellen Beurkundung (Auflassung gemäß §§ 873, 925 BGB). Der Rechtserwerb findet mit der Eintragung des Erwerbers im Grundbuch statt. Grundbuchrechtlich ist zudem die Bewilligung zur Eigentumsumschreibung gemäß § 19 GBO erforderlich, die in der Form des § 29 GBO vorliegen muss (notarielle Beglaubigung oder Beurkundung). Die Verwertung von belastetem Grundvermögen bedarf der Abstimmung 715 mit dem Grundpfandrechtsgläubiger. Der Erwerber ist regelmäßig an einer lastenfreien Übertragung interessiert. Diese kann der Insolvenzverwalter nur ___________ 413) Vgl. zum Lizenzvertragswesen BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 70/10, ZInsO 2012, 1611 und BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 24/11, ZInsO 2012, 1611. 414) Vgl. u. a. BGH, Urt. v. 1.2.2007 – IX ZR 17/05, ZInsO 2007, 545.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

gewährleisten, wenn der absonderungsberechtigte Grundpfandrechtsgläubiger eine Löschungsbewilligung erteilte. Das Absonderungsrecht des Grundpfandrechtsgläubigers ist aus dem erzielten Erlös abzugelten. Die §§ 170, 171 InsO gelten bei der Verwertung von unbeweglichem Absonderungsgut nicht (oKapitel D.XIV.). Der Insolvenzverwalter einigt sich daher regelmäßig mit dem absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsgläubiger auf einen Massekostenbeitrag. Dieser Massenkostenbeitrag ist grundsätzlich frei verhandelbar und beläuft sich auf durchschnittlich ca. 1 – 7 % des Erlöses. Zur Problematik einer Zwangssicherungshypothek mit Eintragung innerhalb der Rückschlagsperrfrist siehe Kapitel D.IV.4.c)). 716 Ist keine abweichende Verteilungsregelung getroffen, erfolgt die Erlösverteilung an die absonderungsberechtigten Gläubiger in Anlehnung an die Rangfolge nach §§ 10 – 14, 155 ZVG (vgl. § 49 InsO). Deckt der dem Absonderungsberechtigten zugeflossene Erlösanteil lediglich einen Teilbetrag der gesicherten Forderung, fällt er mit dem Restbetrag aus. In Höhe des Ausfalls nimmt er als ungesicherter Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) im Fall der Feststellung der Forderung an einer eventuellen Quotenausschüttung im Rahmen der Schlussverteilung teil (§ 52 InsO). 717 Liegt ein umsatzsteuerrelevanter Erwerbsvorgang vor, ist zu beachten, dass auch der frei ausgehandelte Massenkostenbeitrag als steuerbarer Vorgang der Umsatzsteuer unterliegt, welche aus der Masse zu entrichten ist.415) Unter bestimmten Voraussetzungen ist darüber hinaus auch Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit zu entrichten. Ein etwaiger bei der Veräußerung von Immobilien anfallende sog. Spekulationsgewinn unterliegt der Besteuerung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Es gilt grds. eine Spekulationsfrist von 10 Jahren.416) Die Einkommensteuerschuld, die aus der Verwertung der zur Insolvenzmasse (und zum Betriebsvermögen) gehörenden Wirtschaftsgüter resultiert, ist als sonstige Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren.417) Diese Einkommensteuerschuld ist auch dann in voller Höhe Masseverbindlichkeit, wenn das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet war und – nach Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger aus dem Verwertungserlös – der (tatsächlich) zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuerforderung zu befriedigen.418) Wurde die Zwangsverwaltung angeordnet, hat der Zwangsverwalter die Einkommensteuer des Vollstreckungs___________ 415) Vgl. BFH, Urt. v. 18.8.2005 – V R 38/04; BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2 – S 71 00/07/10037 DOK 2014/0332437, NZI I2 1014, 600. 416) Siehe BMF-Schreiben v. 20.12.2010 – IV C 1 – S 2256/07/10001:006, BStBl I 2011, 14 – zur praktischen Umsetzung v. BVerfG, Beschl. v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl II 2011, 76. 417) BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, BStBl II 2013, 759. 418) BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, BStBl II 2013, 759; Aufgabe der anderslautenden Rechtsprechung im BFH-Urteil v. 29.3.1984 – IV R 271/83, BFHE 141, 2 = BStBl II 1984, 602, unter 3.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

schuldners zu entrichten, soweit sie aus der Vermietung der im Zwangsverwaltungsverfahren beschlagnahmten Grundstücke herrührt.419) An der Entrichtungspflicht des Zwangsverwalters ändert sich nichts, wenn während der Zwangsverwaltung das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wird.420) Zur Problematik der Grundsteuer siehe Kapitel D.IV.4.c). Parallel zum Insolvenzverfahren darf auch ein absonderungsberechtigter 718 Gläubiger die Verwertung eines Grundstücks durch Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung suchen (§ 49 InsO). Die Insolvenzmasse wird bei wertausschöpfender Belastung in aller Regel nicht am Erlös partizipieren, es sei denn, der Insolvenzverwalter nimmt mit Ansprüchen auf Ersatz der Kosten der Feststellung der beweglichen Gegenstände, auf die sich die Versteigerung erstreckt (insbes. Zubehör) an dem Zwangsversteigerungsverfahren teil (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG). In diesem Fall stehen der Masse pauschal 4 % des Verkehrswertes der Gegenstände (§ 74 Abs. 5 Satz 2 ZVG) zu. Wird das Grundstück zu einem Barmeistgebot zugeschlagen, welches zu einem Übererlös reicht, steht dieser der Insolvenzmasse zu. Ist die Immobilie des Schuldners vermietet, stehen die Ansprüche auf Zahlung 719 der Mietzinsen auch bei einem grundpfandrechtlich belasteten Grundstück grds. der Masse zu (Ausnahme z. B. Nießbrauchrecht). Ein nach § 49 InsO absonderungsberechtigter Grundpfandrechtsgläubiger kann nur durch einen Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung eine bevorzugte Befriedigung aus den Mietansprüchen sicherstellen (§§ 146, 20 ZVG, §§ 1123, 1124 BGB).421) Bis zum Zeitpunkt der Beschlagnahme im Zwangsverwaltungsverfahren besteht das Einzugsrechts des Insolvenzverwalters fort, da erst die Anordnung der Zwangsverwaltung den Insolvenzbeschlag durchbricht. Ein Recht auf abgesonderte Befriedigung bzgl. der Mietforderungen ist allein aufgrund des Hypothekenhaftungsverbands nicht zu berücksichtigen. Ohne Anordnung der Zwangsverwaltung ist die Forderung mit dem Einzug durch den Insolvenzverwalter enthaftet und freie Insolvenzmasse. Soweit die Mietforderungen zusätzlich abgetreten oder gepfändet sind, ist diese Verfügung nur wirksam, soweit sie sich auf die Miete für den z. Zt. der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonat bezieht bzw. auch für den folgenden ___________ 419) BFH, Urt. v. 10.2.2015 – IX R 23/14, BFHE 249, 202 ff. = BStBl II 2017, 368 = BFH/NV 2015, 1018 ff. = ZfIR 2015, 573 ff. mit Anm. Onusseit = ZIP 2015, 1503 ff. = FR 2015, 622 ff. = NZI 2015, 672 ff. = BB 2015, 1764 (Hilbert) = NJW 2015, 2524 ff. mit Anm. Drasdo = ZInsO 2015, 1265 ff. = StuB 2015, 555 mit Anm. jh = IGZInfo 2015, 81 ff., dazu EWiR 2015, 581 f. (Cranshaw); vgl. Bauch/Hartwig, InsbürO 2016, 104 ff.; Breidert, IGZInfo 2015, 48 ff.; Engels, Rpfleger 2015, 525 ff.; Kahlert/Schmidt, FR 2015, 596 ff.; Olbing, AnwBl 2016, 33 f.; Schmittmann, ZfIR 2015, 545 ff.; de Weerth, NZI 2015, 643 ff.; BMF-Schreiben v. 3.5.2017 – IV A 3 – S 0550/15/10028. 420) BFH, Urt. v. 10.2.2015 – IX R 23/14, a. a. O. 421) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZIP 2010, 38.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Kalendermonat, wenn die Eröffnung nach dem fünfzehnten Tag des Monats erfolgt ist (§ 110 Abs. 1, 2 InsO). 720 Bei einer Verwertung einer vom Schuldner selbst bewohnten Immobilie kann, verweigert der Schuldner die „Herausgabe“, aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses die zwangsweise Räumung der Immobilie gegen den Schuldner betrieben werden (§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO). Eine Räumungsklage gegen den Schuldner ist nicht anzustrengen. Der Eröffnungsbeschluss ist allerdings keine geeignete Grundlage für die Durchsetzung einer Zwangsräumung gegen Dritte; hier wäre ein Räumungstitel im Klageweg zu erwirken. Zu beachten ist jedoch, dass auch die Zwangsräumung (also die zwangsweise Durchsetzung der Räumungsansprüche) durchaus mit Schwierigkeiten verbunden und sehr kostenintensiv sein kann. 721 Bis zu einer Verwertung entsteht bei Nutzung der eigenen Immobilie durch den Schuldner ein Anspruch des Insolvenzverwalters auf Nutzungsentschädigung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.422) Der Höhe nach richtet sich dieser nach dem ortsüblichen Mietspiegel für vergleichbare Wohneinheiten. Die Nichtzahlung durch den Schuldner stellt allerdings nach Auffassung des BGH keinen Versagungsgrund gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO (Verletzung der Mitwirkungspflicht) dar.423) Die erfolgreich geltend gemachte Nutzungsentschädigung muss auch bei einem belasteten Grundstück nicht an einen Grundpfandrechtsgläubiger ausgekehrt werden, da dieser Befriedigung nur nach den Regelungen des ZVG suchen kann (§ 49 InsO i. V. m. § 149 ZVG i. V. m. § 5 ZwVwV).424) c) Bewegliches Sachanlagenvermögen 722 Die Verwertung von beweglichem Sachanlagevermögen (insbesondere technische Anlagen und Maschinen, Gegenstände der Betriebs- und Geschäftsausstattungen, andere Anlagen) gehört ebenfalls zu den Schwerpunkten der Verwertungstätigkeit des Insolvenzverwalters. Insbesondere bei umfangreichem Anlagengut ist eine Delegation der Verwertungstätigkeit an Dritte gängig und zulässig. 723 Die Delegationsfrage ist keine generell zu beantwortende. Grds. ist das Amt des Insolvenzverwalters an Höchstpersönlichkeit geknüpft. Beauftragt der Insolvenzverwalter Dritte mit der Ausführung von Diensten oder Arbeiten (vgl. auch § 4 Abs. 1 InsVV), muss er diese Delegation – spätestens – im Rahmen des Antrags auf Festsetzung der Vergütung angeben. Gemäß § 8 Abs. 2 InsVV ist in dem Antrag ist u. a. näher darzulegen, welche Dienst- oder Werkverträge für besondere Aufgaben im Rahmen der Insolvenzverwaltung abgeschlossen worden sind (§ 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV). Der Insolvenzverwalter hat im ___________ 422) BGH, Beschl. v. 19.11.2015 – IX ZB 59/14, NZI 2016, 89. 423) BGH, Beschl. v. 19.11.2015 – IX ZB 59/14, NZI 2016, 89. 424) Wipperfürth, InsbürO 2013, 88.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Rahmen seines Vergütungsfestsetzungsantrags aufzuführen, für welche von ihm beauftragten Fachleute er das an diese entrichtete Entgelt aus der Masse entnommen hat, und das Insolvenzgericht ist berechtigt und verpflichtet zu überprüfen, ob die Beauftragung Externer gerechtfertigt war.425) Sodann ist zu differenzieren: Hat der Verwalter eine Regelaufgabe oder eine 724 Sonderaufgabe delegiert? Die Definitionen von Regelaufgaben und Sonderaufgaben ist ganz wesentlich geprägt von zahlreicher Rechtsprechung, die Anhaltspunkte gibt, wie der jeweilige Einzelfall zu argumentieren ist. Dem Grund nach kann man sagen, dass immer dann eine Sonderaufgaben vorliegt, wenn für deren Ausführung Spezialkenntnisse erforderlich sind oder diese einen überdurchschnittlich großen Umfang einnimmt. So darf z. B. ein Insolvenzverwalter, auch wenn er selbst Volljurist ist, Aufgaben, die ein Insolvenzverwalter ohne volljuristische Ausbildung im Allgemeinen nicht lösen kann, auf einen Rechtsanwalt übertragen und die dadurch entstehenden Auslagen aus der Masse entnehmen.426) Letztlich ist für jede Übertragung von Aufgaben auszuführen, ob ein großer Umfang vorhanden bzw. Spezialkenntnisse erforderlich waren und um welche es sich handelt.427) Diese Grundsätze gelten auch für die Übertragung der Be- und Verwertung von Gegenständen der Betriebs und Geschäftsausstattung. Im Zuge der Verwertung hat der Insolvenzverwalter Aus- und Absonderungs- 725 rechte zu beachten. Vor der Verwertung ist eine weitestgehende bis abschließende Klärung etwaiger Drittrechte zu empfehlen. Auch Kollisionslagen sollten geprüft und geklärt werden (oKapitel D.IV.4.). Sofern eine finale Klärung nicht möglich ist, ist bewährte Praxis, Verwertungserlöse auf einem einzurichtenden Sonderkonto bis dahin zu separieren. Aussonderungsgut (oKapitel D.IV.4.) darf der Insolvenzverwalter nicht 726 verwerten. Dieses ist nicht massezugehörig (oKapitel D.IV.4.). Hinsichtlich der Gegenstände, die mit einem Absonderungsrecht belastet 727 sind, besteht gemäß § 166 Abs. 1 InsO ein originäres Verwertungsrecht des Verwalters, sofern er die Gegenstände in seinem Besitz hat. Aus dem Verwertungserlös sind die Absonderungsrechte der Gläubiger entsprechend der §§ 170, 171 InsO abzugelten. Der Insolvenzmasse steht im Fall der Verwertung durch den Verwalter neben der 4 %igen Feststellungspauschale auch eine 5 %ige Verwertungspauschale bzw. ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich entstandenen Verwertungskosten zu, die vorweg (d. h. vor Auskehr des Verwertungserlöses an die Absonderungsberechtigten) zugunsten der Masse ___________ 425) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 2005, 36; BGH, Beschl. v. 3.7.2008 – IX ZB 167/07, JurionRS 2008, 16954. 426) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZIP 2005, 36; BGH, Beschl. v. 8.7.2010 – IX ZB 222/09, NZI 2010, 902; BGH, Beschl. v. 4.12.2014 – IX ZB 60/13, ZIP 2015, 138. 427) Einen guten und sehr umfassenden Überblick über Rechtsprechung und Literatur bietet Graeber/Graeber, InsVV-Online, § 8 Rn. 53 ff.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

zu entnehmen sind. Die Verwertungserlöse sind unverzüglich an die Absonderungsberechtigten auszukehren. 728 Sofern die Verwertung von Anlagevermögen eines der Umsatzsteuerpflicht unterliegenden Unternehmers erfolgt, ist zudem die Umsatzsteuer zur Masse auszukehren. Die an das Finanzamt abzuführende Umsatzsteuer ist eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 729 Übernimmt der Absonderungsgläubiger das Absonderungsgut (§ 168 Abs. 3 InsO), erhält die Masse ebenfalls den Verwertungskostenbeitrag, den Feststellungskostenbeitrag und die Umsatzsteuer aus dem Veräußerungsgeschäft.428) Der Verzicht auf das Absonderungsrecht stellt eine sonstige Leistung dar, die zu beziffern ist. 730 Davon abzugrenzen ist der Fall, in dem der Insolvenzverwalter dem Absonderungsgläubiger den Gegenstand zur Verwertung überlässt (§ 170 Abs. 2 InsO). Diese Überlassungserklärung spricht der Verwalter in der Regel dann aus, wenn er keine Möglichkeit der Verwertung sieht (z. B. kein geeigneter Erwerber). Die Masse erhält den Feststellungskostenbeitrag und die Umsatzsteuer aus dem Veräußerungsgeschäft, nicht aber den Verwertungsbeitrag. Die Umsatzsteuerpflicht der Masse (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) resultiert aus dem angenommenen Doppelumsatz (Lieferung Sicherungsgeber an Sicherungsnehmer und Lieferung Sicherungsnehmer an Erwerber).429) Bemessungsgröße ist das um die Massebeiträge geminderte Entgelt, also der Betrag, um den die Verbindlichkeiten aus dem Erlös getilgt werden.430) § 13b UStG greift in dem Fall nicht. 731 Gleiches gilt, wenn der Absonderungsgläubiger in den Fällen verwertet, in denen der Insolvenzverwalter (insbesondere mangels Besitzbegründung) kein Verwertungsrecht hatte (§ 173 InsO). Zwar erfährt auch hier die Masse faktisch keinen Vermögenszufluss aus der Verwertung selbst, haftet aber aus den beschriebenen Gründen für die Umsatzsteuer; ein Fall von § 13b UStG liegt auch hier nicht vor.431) Ist der Gegenstand zum Zeitpunkt der Eröffnung noch nicht verwertet, steht aber im Besitz des Absonderungsberechtigten, handelt es sich bei der Verwertung durch den Absonderungsberechtigten (immer noch!) um die Verwertung von Insolvenzmasse. Das Verwertungsrecht des Absonderungsberechtigten ändert nichts an der Massezugehörigkeit. Entsprechend ist auch die Darstellung der Verwertung dieses mit Absonderungsrechten belasteten Massegegenstandes durch den Absonderungsberechtigten vom Insolvenzverwalter im Rahmen der Rechnungslegung abzubilden. Die ___________ 428) BGH, Urt. v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZIP 2005, 2214. 429) Vgl. Abschn. 1.2 Abs. 1 Satz 2 UStAE; hierzu instruktiv Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 289 f. 430) BGH, Urt. v. 29.3.2007 – IX ZR 27/09, ZIP 2007, 1126. 431) BFH, Urt. v. 19.7.2007 – V B 222/06, ZIP 2007, 1998 = BStBl. II 2008, 163; BFH, Urt. v. 1.3.2010 – XI B 34/09, NZI 2010, 451 = BFH/NV 2010, 1142.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Frage der Verwertungsbefugnis ist daher stets zu trennen von der Frage der Massezugehörigkeit. Der Masse steht allerdings in beiden Fällen analog § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG, 732 §§ 170 Abs. 2, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO ein Anspruch auf Herausgabe der vom Gläubiger vereinnahmten Umsatzsteuer zu.432) Mit seiner Entscheidung vom 28.7.2011 hat sich der BFH in einem ergänzen- 733 den obiter dictum zur Frage der Steuerbarkeit der Massebeiträge erklärt.433) Bei dem gesetzlichen Feststellungskostenbeitrag handele es sich um eine nicht steuerbare Schadenersatzleistung. Verwertet der Insolvenzverwalter freihändig (§ 166 InsO), ist ein sog. Dreifachumsatz anzunehmen. Die Verwertung erfolge aufgrund eines fiktiven Geschäftsbesorgungsvertrags zwischen Sicherungsnehmer und Insolvenzverwalter, wobei der Insolvenzverwalter die Lieferung an den Erwerber wie ein Kommissionär für die Rechnung des Sicherungsnehmers erbringe. Aus dem angenommenen Dreifachumsatz auf fiktiver Geschäftsbesorgungsvertragsbasis folge, dass der gesetzliche Verwertungskostenbeitrag als Gegenleistung zu verstehen und damit steuerbar sei. Nicht erklärt hat sich der BFH indes zu der Frage, ob diese Gegenleistung den Grundsätzen des Kommissionsgeschäfts folgend, in der Verwertung aufgeht. Mit Schreiben vom 30.4.2014 hat das Bundesfinanzministerium hierzu näher 734 ausgeführt.434) Die nachfolgenden Grundsätze sind anzuwenden in allen offenen Fällen. Es wird jedoch nicht beanstandet, wenn für die vor dem 1.7.2014 ausgeführten Umsätze noch nicht so vorgegangen wurde.435) Bei der Verwertung eines mit Absonderungsrechten belasteten Grundstücks 735 durch den Verwalter gegen Zahlung eines frei ausgehandelten Kostenbeitrags ist dieser steuerbar.436) Gleiches gilt für die frei ausgehandelten Kostenbeiträge bei einer „kalten“ Zwangsverwaltung.437) Dies gilt selbstverständlich in beiden Fällen nur dann, wenn auch das Grundgeschäft eine steuerbare Leistung darstellt. Verwertet der Verwalter im Namen des Sicherungsnehmers bewegliches 736 Absonderungsgut, handelt es sich um einen Doppelumsatz (Lieferung Masse an Gläubiger, Lieferung Gläubiger an Erwerber). Die Feststellungskostenpauschale ist nicht steuerbar, auf die tatsächlichen Verwertungskosten bzw. die ___________ 432) BGH, Urt. v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZIP 2007, 1126. 433) BFH, Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZInsO 2011, 1904 = BStBl. II 2014, 406. 434) BMF-Schreiben v. 30.4.201 – IV D 2 – S 7100/07/10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600. 435) BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2 – S 7100/07/10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600 a. E. 436) UStAE Abschn. 1.2 Abs. 4 Satz 2, 3 n. F. = BFH, Urt. v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119. 437) UStAE Abschn. 1.2 Abs. 4 Satz 4 n. F. = BFH, Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZInsO 2011, 1904 = BStBl. II 2014, 406.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Verwertungskostenpauschale wird Umsatzsteuer erhoben. In diesem Fall hat der Verwalter eine Rechnung an Sicherungsnehmer über Verwertungskostenbeitrag auszustellen und im Übrigen nur die entsprechenden Auskehrungen vorzunehmen. 737 Erfolgt die Verwertung durch den Insolvenzverwalter im Namen der Masse (§ 166 InsO), liegt ein Dreifachumsatz nach den Grundsätzen des Kommissionsgeschäfts (Lieferung Masse an Sicherungsnehmer, Lieferung Sicherungsnehmer an Masse, Lieferung Masse an Erwerber) vor.438) Umsatzsteuer auf den Verwertungskostenbeitrag ist nicht zu entrichten. d) Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 738 Oftmals ist es dem Schuldner im Vorfeld der Insolvenz nicht gelungen, sämtliche Außenstände, d. h. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, die gegen Kunden bestehen, erfolgreich beizutreiben. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterliegen auch solche Forderungen dem Insolvenzbeschlag (§ 80 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter muss diese Forderungen geltend machen. Hinsichtlich der vor Insolvenzeröffnung abgetretenen Forderungen besteht ebenfalls ein Einzugsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 166 Abs. 2 InsO. 739 Sofern der Drittschuldner auf eine begründete und fällige Forderung nicht freiwillig leistet, ist der Insolvenzverwalter berechtigt, aus eigener Prozessstandschaft zu klagen. 740 Handelt es sich um eine bereits zugunsten des Schuldners titulierte Forderung, ist der Insolvenzverwalter nach Umschreibung des Titels ebenfalls befugt, die Zwangsvollstreckung nach Eröffnung (weiter) zu betreiben. 741 Unterliegt der Schuldner als Unternehmer der Umsatzsteuerpflicht, resultieren hieraus steuerrechtliche Konsequenzen. Wurde die Leistung im Zeitraum der vorläufigen „starken“ Insolvenzverwaltung erbracht, handelt es sich bei der Umsatzsteuerforderung um eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 2 InsO; die Umsatzsteuer ist (nach Saldierung) demnach aus der Insolvenzmasse ans Finanzamt abzuführen. 742 Ebenfalls im Rang einer Masseverbindlichkeit sind die Umsatzsteuerforderungen zu bedienen die vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen schwachen Insolvenzverwalters begründet worden sind (§ 55 Abs. 4 InsO439)). Hierbei ist zu beachten, dass § 55 Abs. 4 InsO dem Grund nach für alle Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2011 anwendbar ist, für Verfahren, in denen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ab dem 1.1.2015 erfolgte, ___________ 438) Statt bisher Einfachumsatz (Masse an Erwerber); vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 289 f. 439) Gilt für alle Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.1.2011; BMF-Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05/2012/0042691, BStBl I S. 83.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

gilt die Besonderheit: Es ist – auch einem der Soll-Versteuerung unterliegenden Schuldner – auf den Zeitpunkt des Einzugs der Forderung abzustellen. Für die Frage, ob Umsatzsteuerforderungen gemäß § 55 Abs. 4 InsO begründet werden, ist demnach auf den Forderungseinzug durch schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter abzustellen.440) Argumentiert wird dies mit einer zum Zeitpunkt der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung eintretenden Uneinbringlichkeit der Forderungen in dem „vorinsolvenzlichen Vermögensteil“; Einbringlichkeit tritt ein in dem Vermögensteil „Insolvenzmasse“, so dass eine Masseverbindlichkeit entstehen soll.441) Wurden die Leistungen vor Verfahrenseröffnung erbracht, sind die daraus 743 zugunsten des Schuldners resultierenden Forderungen jedoch bis zur Insolvenzöffnung noch nicht vollständig vereinnahmt, werden diese mit Eröffnung uneinbringlich.442) Zieht der Insolvenzverwalter diese Forderungen nach Insolvenzeröffnung ein, werden sie wieder einbringlich; die darauf entfallende Umsatzsteuer ist eine Masseverbindlichkeit gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 InsO.443) e) Kassenbestand Ist der Schuldner selbstständig tätig und führt eine Barkasse, unterliegt der volle 744 Barkassenbestand der Insolvenzmasse. Wird das Unternehmen fortgeführt, muss dem Schuldner die Abwicklung des täglichen Zahlungsverkehrs ermöglicht werden. Der Schuldner ist daher aufzufordern, die Tageseinnahmen auf einem Fortführungsanderkonto unter Abzug eines angemessenen Wechselgeldbestandes, der in der Kasse verbleiben soll, einzuzahlen. Zudem ist die Kassenbuchführung engmaschig zu überprüfen und mit den Einnahmen abzugleichen. Die Kasse ist im Fall einer Betriebsfortführung buchhalterisch abzubilden. Ordnungsgemäße Belege müssen (vollständig) vorliegen. Achtung Schwarzgeldkassen: Auch im Insolvenzverfahren ist es natürlich 745 nicht zulässig, aber dennoch möglich, eine Schwarzgeldkasse zu führen. Der Insolvenzverwalter kann versuchen, dies bestmöglich zu unterbinden, indem er konsequente Kontrollen durchführt. Dass es dennoch „Schlupflöcher“ gibt, ist kein Geheimnis. Die insolvenzrechtlichen und u. U. auch (steuer)strafrechtlichen Konsequenzen hat der Schuldner selbst zu verantworten. Insolvenzrechtlich droht bei Aufdecken von Schwarzgeldkassen die Versagung der Restschuldbefreiung, wenn diese vom Schuldner beantragt wurde. ___________ 440) BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, BStBl II 2015, 506 ff.; BMF-Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05 – 2012/0042691, BStBl I 2013, 83; BMFSchreiben v. 20.5.2015 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05 – 2015/0416027, BStBl I 2015, 476; BMF-Schreiben vom 18. November 2015 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05, DOK 2015/10377464, StuB 2015, 944. 441) Grundlegend hierzu BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl II 2011, 996 = ZIP 2011, 782. 442) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl II 2011, 996 = ZIP 2011, 782. 443) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl II 2011, 996 = ZIP 2011, 782, gilt für alle Verfahren mit Eröffnung ab dem 1.1.2012.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

746 Folgender Tipp sei an der Stelle erlaubt: Auch modernste Registrierkassen ermöglichen u. U. die Vereinnahmung von Schwarzgeldern. So erlauben manche Kassensysteme die Anlage eines „Testkellner-Zugangs“, der offiziell aussehende Kassenvorgänge erlaubt, die jedoch nicht buchungswirksam in die Registrierung einfließen. Auf den Belegen ist in diesen Fällen keine Mehrwertsteuer ausgewiesen oder der Beleg ist sogar mit Test-Beleg o. Ä. überschrieben. In welcher Form nicht buchungswirksame Nutzungsoptionen bestehen, kann beim Hersteller der Registrierkasse erfragt werden. f) Kraftfahrzeuge 747 Soweit Kraftfahrzeuge zur Insolvenzmasse gehören, sind diese grundsätzlich ebenfalls vom Insolvenzverwalter zu verwerten. Zu ermitteln ist zunächst, ob sie überhaupt massezugehörig sind, wofür sich die nachfolgende Prüfungsreihenfolge in der Praxis bewährt hat. 748 Zunächst ist zu klären, ob das Fahrzeug im Eigentum des Schuldners steht. Das ist nicht immer so eindeutig, wie es im ersten Augenblick scheinen mag. Das Eigentum an einem Kraftfahrzeug ergibt sich nicht – wie landläufig oftmals gemeint – aus der Eintragung im „Kfz-Brief“. Der Kraftfahrzeugbrief (Zulassungsbescheinigung Teil II) dokumentiert als verwaltungsrechtliche Urkunde ohne öffentlichen Glauben lediglich, auf welche Person ein Kfz bei der Zulassungsstelle zugelassen ist.444) Ausschlaggebend für die eigentumsrechtliche Zuordnung sind die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse. Derjenige, der das Fahrzeug erworben hat, ist regelmäßig auch der Eigentümer. Ein belastbares Dokument, welches als Indiz für den Eigentumsnachweis herangezogen werden kann, ist daher ein Kaufvertrag/Schenkungsvertrag. Dieser ist beim Schuldner anzufordern. Liegt ein solcher in schriftlicher Form nicht vor, ist der Schuldner aufzufordern, die Eigentumsverhältnisse anderweitig zu belegen. Ist er dazu dokumentarisch nicht in der Lage, gilt – ggf. zu Lasten des Schuldners – die sog. Haltervermutung: der Besitz des Fahrzeugbriefes (der Zulassungsbescheinigung Teil II) hat Indizfunktion hinsichtlich des zivilrechtlichen Eigentums.445) Überdies greift u. U. auch die Eigentumsvermutung nach § 1006 BGB. Danach wird zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache vermutet, dass er Eigentümer der Sache sei. Diese steht grds. der Verwertung des Fahrzeugs durch den Insolvenzverwalter nicht entgegen.446) 749 Steht das Fahrzeug nachweislich im Eigentum eines Dritten, berechtigt das Dritteigentum den Rechtsinhaber gemäß § 47 InsO zur Aussonderung des Gegenstandes.447) ___________ 444) Vgl. KG, Beschl. v. 12.4.2007 – 12 U 51/07, openJur 2012, 5790. 445) BGH, Urt. v. 19.6.2007 – X ZR 5/07, NJW 2007, 2844. 446) OLG Hamm, Urt. v. 30.10.2014 – I-5 U 2/14, MDR 2015, 143; OLG Hamm, Urt. v. 5.3.2012 – I-5 U 147/11, JurionRS 2012, 15221. 447) BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 212/09, ZIP 2010, 2009.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Ein praktisch bedeutsamer Fall, in dem das Fahrzeug nicht im Eigentum des 750 Schuldners steht, ist das Fahrzeugleasing. Ist der Pkw geleast, besteht ein Aussonderungsrecht der Leasinggeberin gemäß § 47 InsO. Ein Leasingfahrzeug ist nicht massezugehörig und demnach auch nicht zu verwerten. Dennoch lohnt sich ein Blick in die Ausgestaltung des Leasingvertrags. Manche Leasingverträge sehen vor, dass der Schuldner an dem Fahrzeug mit Zahlung der letzten Rate oder durch eine zusätzliche Zahlung Eigentum erwirbt bzw. erwerben kann. In einem solchen Fall wird mit Übergang der Eigentumsrechte auf den Schuldner grundsätzlich Insolvenzbeschlag begründet (Ausnahme: Unpfändbarkeit) mit der Folge, dass der Insolvenzverwalter den Pkw verwerten kann/muss. Ob sich die Verwertung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnt, insbesondere, wenn das Fahrzeug gegen Zahlung eines weiteren Betrags auszulösen ist, ist im Einzelfall zu prüfen. Insbesondere müssen hinreichend finanzielle Mittel über die Masse zur Verfügung gestellt werden können. Ist das Fahrzeug fremdfinanziert, sehen die Finanzierungsverträge regelmäßig 751 auch eine Sicherungsübereignung für den Fall der Nichteinhaltung der Ratenzahlung zugunsten der finanzierenden Bank vor. Die Besitzrechte am Pkw erhält der Schuldner. Das zugunsten des Kreditinstituts vereinbarte Sicherungseigentum begründet im Insolvenzverfahren ein Absonderungsrecht (§ 51 Nr. 1 InsO). Das Verwertungsrecht liegt beim Insolvenzverwalter (§ 166 Abs. 1 InsO), sofern der Insolvenzverwalter Besitz begründet hat. Mittelbarer Besitz ist ausreichend, sodass die Besitzrechte zugunsten des Verwalters dann anzunehmen sind, wenn der Schuldner das Fahrzeug in seinem Vollbesitz hat. Die Verwertung des Fahrzeugs als Absonderungsgut folgt insbesondere hinsichtlich der Erlösverteilung den §§ 170, 171 InsO. Steht das Fahrzeug im unbelasteten Eigentum des Schuldners, ist in einem 752 nächsten Schritt zu prüfen, ob das Fahrzeug ggf. unpfändbar ist. Unpfändbare Gegenstände gehören nicht zur Insolvenzmasse. Die Unpfändbarkeit eines Kraftfahrzeugs ergibt sich regelmäßig aus einer existenziellen Notwendigkeit heraus. Ist das Fahrzeug z. B. zwingend zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erfor- 753 derlich, unterliegt es dem Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Kann der Schuldner seinen Arbeitsplatz nicht in zumutbarer Weise durch Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, zu Fuß oder mit dem Rad erreichen, benötigt er das Fahrzeug, um seiner Erwerbstätigkeit weiter nachgehen zu können. Festzustellen ist die Entfernung zwischen der Wohnung des Schuldners und dessen Arbeitsstätte. Ist die Wegstrecke so kurz, dass dem Schuldner zuzumuten ist, diese zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen, ist das Fahrzeug nicht unpfändbar und damit massezugehörig. Letzteres ist anhand von Bus oder Bahnfahrplänen zu prüfen. Zu berücksichtigen sind auch wechselnde Einsatzorte, für die kein Dienstwagen zur Verfügung gestellt wird, sowie Wechsel- und Schichtdiensttätigkeit. Der Pfändungsschutz § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO fordert stets die Unzumutbarkeit des Zurücklegens der Wegstrecke zur Arbeitsstelle auf andere Weise; eine Einzel187

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

fallbeurteilung unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Schuldners, der öffentlichen Verkehrsanbindung und des Arbeitsverhältnisses ist hier unentbehrlich.448) 754 Unpfändbarkeit ist auch anzunehmen, wenn bei einer auf den künftigen Erwerb gerichteten persönlichen Tätigkeit (z. B. Berufsausbildung) mit einer alsbaldigen Aufnahme der neuen Erwerbstätigkeit sicher gerechnet werden kann.449) 755 § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO dient dem Schutz des Familienunterhalts. Daher ist auch ein im Eigentum des Schuldners stehendes Fahrzeug unpfändbar, wenn ein anderes Familienmitglied (z. B. der Ehegatte) der Hauptverdiener der Familie ist und somit maßgeblich den Lebensunterhalt bestreitet.450) 756 Einen weiteren, im Insolvenzverfahren praxisrelevanten Fall der Unpfändbarkeit definiert § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO. Danach ist ein Pkw unpfändbar, wenn er ein Hilfsmittel bei körperlichen Gebrechen darstellt. Bis zum Jahr 2011 war das Verständnis der Schutznorm, dass lediglich dann Unpfändbarkeit anzunehmen war, wenn das Fahrzeug unentbehrlich war. Die Rechtsprechungstendenzen haben sich seitdem geändert. Unpfändbarkeit des Pkw ist in erweiterter Auslegung des § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO bereits dann anzunehmen, wenn der Pkw dem gehbehinderten Schuldner dazu dient, einen Nachteilsausgleich herzustellen. In Anlehnung des Gedankens zur sozialen Integration ist der Pfändungsschutz insoweit auszudehnen, als das Fahrzeug dazu dient, die Gehbehinderung des Schuldners zu kompensieren und die Eingliederung ins öffentliche Leben zu erleichtern.451) 757 Ist das Fahrzeug unpfändbar, gehört es nicht zur Insolvenzmasse. Für eine Freigabe des Fahrzeugs besteht mangels Massebeschlag kein Raum. 758 Erklärt der Insolvenzverwalter dennoch eine „Freigabe“, kann eine solche Erklärung im weiteren Verfahrensverlauf masseschädigende Auswirkungen haben und ggf. Haftungsansprüche gegen den Verwalter auslösen. Die Voraussetzungen der Unpfändbarkeit des Fahrzeugs könnten nach Eröffnung wegfallen, etwa dann, wenn der Schuldner seinen Arbeitsplatz verliert oder an eine Arbeitsstelle wechselt, die das Halten eines Fahrzeugs nicht mehr zwingend erforderlich macht. Mit Wegfall der Unpfändbarkeit fällt das Fahrzeug in die Insolvenzmasse und ist vom Verwalter zu verwerten. Wurde das Fahrzeug zuvor „freigegeben“, entfaltet die Freigabe ihre unwiderrufliche Folge der dauerhaften Aufgabe des Insolvenzbeschlags. Das Fahrzeug steht für die Verwertung nicht mehr zur Verfügung, da zuvor die völlig überflüssige „Freigabe“ eines unpfändbaren Gegenstands erklärt wurde. Vor einer solchen Erklärung kann daher nur gewarnt werden. ___________ 448) 449) 450) 451)

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BGH, Beschl. v. 28.1.2010 – VII ZB 16/09, NJW-RR 2010, 642. BFH, Beschl. v. 8.7.2011 – II R 49/09, BStBl II 2011, 94. BGH v. 28.1.2010 – VII ZB 16/09, NJW-RR 2010, 642. BGH, Beschl. v. 16.6.2011 – VII ZB 12/09, ZInsO 2011, 1420.

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Steht im Eigentum des Insolvenzschuldners ein hochwertiges, unpfändbares 759 Fahrzeug, kann er darauf verwiesen werden, sich ein geringerwertiges Fahrzeug zuzulegen. In dem Fall hat der Verwalter dem Schuldner im Rahmen der sog. Austauschpfändung ein anders Fahrzeug mit annähernd gleicher Haltbarkeit und Lebensdauer zur Verfügung zu stellen.452) Eine solche Austauschpfändung scheitert aber in den meisten Verfahren an den fehlenden finanziellen (Masse-)Mitteln, die zur Bereitstellung der „Ersatzfahrzeugs“ erforderlich sind. Ein pragmatischer Weg, das Ergebnis dieser – gerade in einem Insolvenzverfahren – recht umständlichen und aufwendigen, manchmal aus finanziellen Gründen schlicht nicht durchführbaren Methode zu erzielen, kann ebenfalls mittels einer „modifizierten“ Freigabe erzielt werden: Dem Schuldner ist grds. ein unpfändbarer Gegenstand, versehen mit weniger Luxus aber gleicher Haltbarkeit und Lebensdauer,453) zu belassen. Zwischen dessen Wert und dem Wert des Luxusgegenstandes wird die Wertdifferenz ermittelt: gegen Zahlung dieser Wertdifferenz aus dem dem Schuldner verbleibenden unpfändbaren Einkommen, wird der Luxusgegenstand freigegeben. Ist der Pkw im Ergebnis massezugehörig, ist der Verwalter gehalten, zu prü- 760 fen, ob eine Verwertung des Fahrzeugs auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu einer Massemehrung führt. Ist die Verwertung unwirtschaftlich, d. h. nicht massemehrend oder gar masseschmälernd, obliegt dem Insolvenzverwalter, die Masse von (weiteren) Verbindlichkeiten freizuhalten durch Freigabe des Fahrzeugs aus dem Insolvenzbeschlag (oKapitel IV.3.). Die Wirtschaftlichkeit der Verwertung ist durch Gegenüberstellung der zu 761 erwartenden Verwertungserlöse und der anfallenden Verwaltungs- und Verwertungskosten festzustellen. Beim Kfz kann der Liquidationswert gutachterlich durch ein Verwertungsbüro oder einen Kfz-Sachverständigen ermittelt werden. Auch möglich ist, über einschlägige Onlineportale unter Eingabe der Parameter (Marke, Modell, Erstzulassung, Kilometerlaufleistung, Abnutzungserscheinungen, Unfallschäden) einen ungefähren Marktpreis zu eruieren. Nimmt der Insolvenzverwalter die Bewertung selbst vor, haftet er den Gläubigern auch für daraus evtl. resultierende Schäden (z. B. bei einer Veräußerung weit unter Wert). Übersteigt der Verwaltungs- und Verwertungsaufwand den zu erwartenden Verwertungserlös, ist eine Verwertung des Fahrzeugs wirtschaftlich nicht sinnvoll und eine Freigabe dringend zu empfehlen, um die Begründung weiterer Masseverbindlichkeiten zu vermeiden (vgl. zum Rechtsgedanken § 803 ZPO). Aus Gründen des Sachzusammenhangs sei an der Stelle ebenfalls die Kraftfahr- 762 zeugsteuer besprochen. Ist das Fahrzeug massezugehörig, ist die ab Insolvenzeröffnung anfallende Kfz-Steuer als Masseverbindlichkeit zu berücksichtigen (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Die Kfz-Steuer ist eine Jahressteuer (§ 11 KfzStG). ___________ 452) BGH, Beschl. v. 16.6.2011 – VII ZB 114/09, InsbürO 2011, 348 = Rpfleger 2011, 620. 453) BGH, Beschl. v. 16.6.2011 – VII ZB 114/09, InsbürO 2011, 348 = Rpfleger 2011, 620.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Auf den Stichtag der Eröffnung erfolgt eine Zäsur des laufenden Veranlagungszeitraums. Die bis zur Insolvenzeröffnung begründeten Steuerforderungen sind grundsätzlich zur Insolvenztabelle anzumelden, sofern keine Aufrechnungsmöglichkeit aus dem Zeitraum vor Insolvenzeröffnung besteht. Die ab dem Eröffnungsstichtag anfallenden Kfz-Steuern sind bei Massezugehörigkeit des Kraftfahrzeugs aus der Insolvenzmasse zu entrichten. Erstattungsansprüche aus dem Zeitraum vor oder während des eröffneten Verfahrens sind zur Masse zu ziehen. 763 Ist das Fahrzeug nicht massezugehörig – z. B. bei Unpfändbarkeit –, ist die Kfz-Steuer nicht als Masseverbindlichkeit zu berichtigen. Die Rechtsposition des Halters eines Kraftfahrzeugs ist kein Vermögen i. S. d. § 35 InsO. Vermögen einer Person sind deren Sachen und geldwerten Rechte und Güter. Die Rechtsposition des Halters eines Kfz ist kein geldwertes Recht oder Gut.454) g) Steuererstattungsansprüche 764 Steuererstattungsansprüche sind pfändbare Ansprüche und demnach – unabhängig von der Steuerart – Bestandteile der Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO, § 46 AO), wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist.455) Bei Insolvenzverfahren natürlicher Personen sei der Schwerpunkt der steuerlichen Betrachtung im Bereich der Einkommensteuer gelegt. 765 Der Veranlagungszeitraum für Einkommensteuer ist das Kalenderjahr (§ 20 EStG). Bei Eheleuten wird die Einkommensteuer einzeln oder zusammen veranlagt. Insoweit besteht ein Wahlrecht der Ehegatten (§§ 26a, 26b EStG). Nach Insolvenzeröffnung obliegt die Ausübung dieses Wahlrechts dem Insolvenzverwalter.456) Die Zustimmung des anderen Ehegatten zur Zusammenveranlagung kann nicht davon abhängig gemacht werden, dass durch den in nicht in Insolvenz befindlichen Ehegatten die Nachteile, welche zulasten Insolvenzmasse aus der Zusammenveranlagung entstehen, ausgeglichen werden.457) Bei einer Zusammenveranlagung der Eheleute haften diese als Gesamtschuldner jeweils für die gesamte Steuerschuld (§ 40 AO). Es besteht die Möglichkeit der Aufteilung der Steuerschuld auf Antrag (§§ 268 ff. AO). Der Aufteilungsmaßstab richtet sich nach dem Verhältnis der Beträge, die sich bei Zusammenveranlagung nach Maßgabe des § 26 EStG ergeben. Der gleiche Aufteilungsmaßstab ist auch auf Steuererstattungsansprüche anzuwenden. Die Ausübung des Antragsrechts zur Aufteilung der Steuerschuld obliegt nach Insolvenzeröffnung dem Insolvenzverwalter. ___________ 454) 455) 456) 457)

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BFH, Urt. v. 8.7.2011 – II R 49/09, ZInsO 2011 1502. BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04, ZInsO 2006, 139. BGH, Urt. v. 14.5.2007 – IX ZR 8/06, ZInsO 2007, 656. BGH, Urt. v. 18.5.2011 – XII ZR 67/09, ZInsO 2011, 1460.

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Das Recht der Steuerklassenwahl indes verbleibt am Schuldner.458) Allerdings 766 darf der Insolvenzschuldner ohne sachlichen Grund nicht in eine ungünstigere Steuerklasse wechseln, da dies ein Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit darstellt, da die Steuerklassenwahl die Höhe auch des pfändbaren Einkommens beeinflusst.459) Zumutbar ist in jedem Fall ein Wechsel in die Steuerklasse IV, um das liquide Einkommen zu erhöhen. Erstattungsansprüche aus dem Einkommensteuerschuldverhältnis sind immer 767 dann zur Insolvenzmasse einzufordern, wenn sie entweder für einen vor Insolvenzeröffnung oder im eröffneten Verfahren liegenden Zeitraum festgesetzt wurden. Die ab Aufhebung des Verfahrens festgesetzten Ansprüche stehen dem Insolvenzschuldner zu; dies gilt auch für eine Veranlagung für den Zeitraum der Wohlverhaltensperiode, da die Abtretung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht die Steuererstattungsansprüche erfasst.460) Erfolgt die Aufhebung des Insolvenzverfahrens während eines laufenden Veranlagungszeitraums (Kalenderjahr), sind die Steuererstattungsansprüche anteilig aufzuteilen. Beispiel:

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Am 1.7.2018 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 30.10.2018 wurde das Verfahren aufgehoben und in die Wohlverhaltensphase übergeleitet. Am 15.7.2019 wurde für das vorangegangene Veranlagungsjahr (2018) ein Steuererstattungsanspruch über 1200 € festgesetzt. Der Anspruch steht in Höhe von 10/12 (1000 €) der Insolvenzmasse, in Höhe von 2/12 (200 €) dem Schuldner zu. Aus der Einkommensteuerveranlagung können selbstverständlich auch Nach- 769 zahlungen resultieren, welche unter bestimmten Voraussetzungen Masseverbindlichkeiten darstellen. Diese seien aus Gründen des Sachzusammenhangs an der Stelle bereits besprochen. Eine Steuerforderung ist insolvenzrechtlich in dem Zeitpunkt begründet, zu dem der Besteuerungstatbestand vollständig verwirklicht ist. Wann eine Einkommensteuerforderung begründet ist, kann [bei Selbstständigen] auch von der Art der Gewinnermittlung abhängen.461) Bei einer Gewinnermittlung nach dem Realisationsprinzip durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) ist die Einkommensteuerforderung bereits begründet, wenn die Forderung realisiert ist (z. B. als Forderung gebucht). Bei einer Gewinnermittlung nach dem Zuflussprinzip durch Einnahmen-Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) ist eine Einkommensteuerforderung ist begründet mit tatsächlicher Vereinnahmung

___________ 458) BFH, Urt. v. 27.7.2011 – VI R 9/11, ZIP 2011, 2118; BGH, Beschl. v. 3.7.2008 – IX ZB 65/07, NZI 2008, 624. 459) BGH, Beschl. v. 5.3.2009 – IX ZB 2/07, NZI 2009, 326. 460) BGH, Urt. v. 21.7.2005 – IX ZR 115/04, ZVI 2005, 437 sowie im Anschluss BFH, Urt. v. 21.11.2006 – VII R 1/06, ZIP 2007, 347. 461) BFH, Urt. v. 9.12.2014 – X R 12/12, BStBl II 2016, 852 = ZIP 2015, 1035 ff., dazu EWiR 2015, 357 f. (Schmittmann).

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

770 Die insolvenzrechtliche Begründetheit ist im Fall der Betriebsaufgabe davon abhängig, wann diese stattfindet. Mit dem Verkauf von Anlagevermögen beginnt eine Betriebsaufgabe i. S. d. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG, wenn der Steuerpflichtige dadurch für den Gesamtbetrieb den Willen bekundet, die gewerbliche Tätigkeit endgültig einzustellen. Die Betriebsaufgabe ist beendet, wenn die letzte wesentliche Betriebsgrundlage veräußert oder in das Privatvermögen überführt worden ist. Bereits aus dem Beginn der Betriebsaufgabe resultiert ein notwendiger Wechsel von der bis dahin gewählten Einnahme-Überschussrechnung zum Betriebsvermögensvergleich.462) Der Eigenantrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist auch dann, wenn er vom Insolvenzgericht dem Finanzamt mitgeteilt wird, i. d. R. nicht als Betriebsaufgabeerklärung anzusehen. Eine solche Betriebsaufgabeerklärung muss eindeutig sein.463) 771 Ist der Schuldner Mitgesellschafter einer Personengesellschaft, können auch aus der Zurechnung der Gewinne bzw. Verluste Steuererstattungsansprüche bzw. Steuernachzahlungen resultieren. Die Zuordnung der aus Gewinnanteilen an einer Mitunternehmerschaft resultierenden Einkommensteuerschuld zu den insolvenzrechtlichen Forderungskategorien (Insolvenzforderung, Masseverbindlichkeit, insolvenzfreies Vermögen) betrifft die Einkommensteuerfestsetzung; hierüber ist deshalb nicht im Gewinnfeststellungsverfahren zu entscheiden.464) Die Einkommensteuerschulden, die aus der Verwaltung eines zur Masse gehörenden Gesellschaftsanteils entstehen, der entweder nach der Insolvenzeröffnung fortgeführt oder durch den Insolvenzverwalter neu begründet und nicht vom Insolvenzverwalter freigegeben worden ist, stellen Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 InsO) dar.465) 772 Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung.466) Entscheidend ist dabei, ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit die Steuerforderung insolvenzrechtlich begründet worden ist. Dies richtet sich ausschließlich nach steuerrechtlichen Grundsätzen.467) Für die insolvenzrechtliche Begründung des Einkommensteueranspruchs kommt es deshalb darauf an, ob der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand – insbesondere die Erzielung von Einkünften nach § 2 Abs. 1 EStG) – vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde.468) Auch die auf einem insolvenzbeding___________ 462) BFH, Urt. v. 9.12.2014 – X R 12/12, BStBl II 2016, 852. 463) BFH, Beschl. v. 1.10.2015 – X B 71/15, ZIP 2016, 225. 464) BFH, Urt. v. 1.6.2016 – X R 26/14, BStBl II 2016, 849 ff. = ZInsO 2016, 1820 ff., im Anschluss an BFH, Urt. v. 16.7.2015 – III R 32/13, BFHE 251, 102 = BStBl II 2016, 251. 465) BFH, Urt. v. 1.6.2016 – X R 26/14, BStBl II 2016, 849 ff. = ZInsO 2016, 1820 ff., im Anschluss an BFH, Urt. v. 16.7.2015 – III R 32/13, BFHE 251, 102 = BStBl II 2016, 251. 466) BFH, Urt. v. 3.8.2016 – X R 25/14, NZI 2017, 218. 467) BFH, Urt. v. 3.8.2016 – X R 25/14, NZI 2017, 218. 468) BFH, Urt. v. 3.8.2016 – X R 25/14, NZI 2017, 218.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

ten Ausscheiden eines (insolventen) Gesellschafters aus einer Personengesellschaft beruhenden Einkommensteuerschulden können nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten begründen.469) Der Gesellschaftsanteil eines Schuldners an einer Personengesellschaft gehört zur Insolvenzmasse. Bei einer Auseinandersetzung nach Verfahrenseröffnung tritt dann das Auseinandersetzungsguthaben an die Stelle der Beteiligung und wird Bestandteil der Insolvenzmasse.470) Eine dadurch entstandene Einkommensteuerverbindlichkeit wird somit „in anderer Weise durch die Verwaltung der Insolvenzmasse“ nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 InsO begründet und ist als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren.471) Masseverbindlichkeiten scheiden nicht deshalb aus, weil die Einkünfte aus einer Beteiligung an einer Personengesellschaft nicht in die Insolvenzmasse geflossen sind.472) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG sind u. a. die Gewinnanteile den Mitunternehmern zuzurechnen, die Personengesellschaft selbst ist nicht einkommensteuerpflichtig. Sie ist kein Subjekt der Einkommensteuer, die Gesellschafter sind Träger des Unternehmens und des Gesellschaftsvermögens, denen die Ergebnisse der gemeinschaftlichen Tätigkeit anteilig nach den vertraglichen oder gesetzlichen Gewinnverteilungsschlüsseln als originäre eigene Einkünfte zugerechnet werden.473) Sobald das Insolvenzverfahren durch Aufhebung (§ 200 InsO) oder Einstellung (§§ 20 7 – 216 InsO) beendet worden ist, gehen die steuerlichen Erklärungspflichten (§ 149 Abs. 1 AO i. V. m. Einzelsteuergesetzen) wieder auf den Schuldner über.474) Im Zeitpunkt der Aufhebung des Insolvenzverfahren endet der Insolvenz- 773 beschlag und auch das Amt des Insolvenzverwalters. Wurde ein Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gestellt, wird das Verfahren in den Abschnitt des Restschuldbefreiungsverfahrens übergeleitet. Soweit Steuererklärungen vor der Aufhebung durch den Insolvenzverwalter abzugeben waren, besteht diese Verpflichtung für den Insolvenzverwalter weiter fort, soweit er dieser Verpflichtung auch tatsächlich nachkommen kann.475) Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstandene, aber bereits während seiner Dauer begründete Steuererstattungsansprüche des Insolvenzschuldners unterliegen weiterhin dem Insolvenzbeschlag, falls mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre Nachtragsverteilung vorbehalten worden ist.476) Wird das Insolvenzverfahren nach der Schlussverteilung aufgehoben (§ 200 Abs. 1 InsO), ___________ 469) 470) 471) 472) 473) 474) 475)

BFH, Urt. v. 3.8.2016 – X R 25/14, NZI 2017, 218. BFH, Urt. v. 3.8.2016 – X R 25/14, NZI 2017, 218. BFH, Urt. v. 3.8.2016 – X R 25/14, NZI 2017, 218. BFH, Urt. v. 18.12.2014 – X B 89/14, ZIP 2015, 389 ff. BFH, Urt. v. 18.12.2014 – X B 89/14, ZIP 2015, 389 ff. BFH, Urt. v. 18.12.2014 – X B 89/14, ZIP 2015, 389 ff. AEAO zu § 251, Nr. 4.2; andere Auffassung BFH, Beschl. v. 22.10.2007 – VIII B 55/07: Hiernach kann nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter nicht mehr die Erfüllung steuerlicher Pflichten verlangt werden. 476) BFH, Urt. v. 28.2.2012 – VII R 36/11, BStBl II 2012, 451.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

jedoch eine Nachtragsverteilung angeordnet (§ 203 Abs. 1, 2 InsO), bleibt der Insolvenzverwalter ausnahmsweise befugt, anhängige Prozesse fortzusetzen und neue einzuleiten, mit denen die der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Masseaktiva realisiert werden sollen. Denn mit der Anordnung der Nachtragsverteilung tritt eine erneute Insolvenzbeschlagnahme ein.477) Mit der Anordnung der Nachtragsverteilung für etwaige „auf die Dauer des Insolvenzverfahrens“ entfallende Steuererstattungsansprüche steht fest, dass der Rechtsgrund für eine Erstattung während der Dauer des Insolvenzverfahrens gelegt worden sein muss.478) Der amtsgerichtliche Beschluss ist auch insoweit hinreichend bestimmt, weil sich aus der Formulierung „etwaiger (…) Steuererstattungsansprüche“ ergibt, dass Steuererstattungsansprüche im Zusammenhang mit allen Steuerarten von der Nachtragsverteilung erfasst sein sollen.479) h) Bausparguthaben, Lebensversicherungen und sonstige Finanzanlagen 774 Bausparguthaben, Auszahlungsansprüche aus Lebensversicherungen oder sonstigen Finanzanlagen sind als Geldforderung nach §§ 829, 835 ZPO pfändbar und damit massebeschlagen (§§ 35, 36 InsO). 775 Um den Anspruch auf Auskehr des Bausparguthabens, des Rückkaufswertes bzw. des Sparguthabens zur Insolvenzmasse zu realisieren, muss der Insolvenzverwalter in Ausübung seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis die Kündigung des jeweiligen Vertrags erklären. 776 Ist der Bausparvertrag als prämienbegünstigter Sparvertrag abgeschlossen worden (Wohnungsbauprämie), kann der Insolvenzverwalter die Auszahlung des Guthabens auch dann verlangen, wenn dies prämienschädlich ist, soweit nicht die vorzeitige Auszahlung ausdrücklich vertraglich ausgeschlossen wurde (§ 8 Abs. 1 WoPG i. V. m. § 46 AO). Die Wohnungsbauprämie wird vom Finanzamt an die Bausparkasse gezahlt. Vorsorglich sollte diese bei Einzug des Bausparguthabens ausdrücklich mit zur Auszahlung erbeten werden. 777 Der Anspruch auf Auszahlung des angesparten Bausparguthabens ist pfändbar und damit massebeschlagen; dies gilt nicht für den Anspruch auf Auszahlung des Bauspardarlehens. Dieser ist nicht pfändbar, da das Darlehen als sog. Baugeld der Zweckbindung zur Verwendung von Baumaßnahmen unterliegt und der Anspruch nicht übertragbar ist (§ 851 ZPO i. V. m. § 399 BGB). 778 Oftmals werden Bausparverträge von mehreren Personen (z. B. Eheleuten) abgeschlossen. Das Bausparkonto wird i. d. R. für die Berechtigten als OderKonto geführt, die eine Gesamtgläubigerstellung mit Einzelverfügungsbefug___________ 477) BFH, Urt. v. 20.9.2016 – VII R 10/15, BFH/NV 2017, 442 ff.; vgl. BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340. 478) BFH, Urt. v. 20.9.2016 – VII R 10/15, BFH/NV 2017, 442 ff.; vgl. BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340. 479) BFH, Urt. v. 20.9.2016 – VII R 10/15, BFH/NV 2017, 442 ff.; vgl. BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

nis innehaben.480) Diese Einzelverfügungsbefugnis bedeutet, dass einer der Berechtigten die Auszahlung des gesamten Guthabens verlangen kann und die Bausparkasse berechtigt ist, mit befreiender Wirkung auch gegenüber dem anderen Ehegatten an den einen zu leisten. Der Insolvenzverwalter kann daher grundsätzlich die Verfügungsbefugnis über das gesamte Bausparguthaben ausüben und diese zur Auskehr an die Insolvenzmasse verlangen.481) Zwar hat jeder der Berechtigten einen Auszahlungsanspruch in Höhe des gesamten Guthabens, die Kündigung des Vertrags können jedoch nur alle Berechtigten gemeinsam erklären. Durch die Insolvenz über das Vermögen eines der Berechtigten wird der Vertrag mit der Bausparkasse nicht beendet. Angesichts des nur gemeinsam ausübbaren Kündigungsrechts ist der einzelne nicht unbeschränkt verfügungsbefugt. Dies führt dazu, dass der Insolvenzmasse wirtschaftlich nur der Wert der dem Schuldner zustehenden Beteiligung zukommt.482) Nach einer durch alle Berechtigten ausgesprochenen Kündigung wird das Guthaben entsprechend der anteilsmäßigen Berechtigung aufgeteilt. Sofern der Anspruch des Schuldners mit Absonderungsrechten (z. B. aus Sicherungsabtretung) belastet ist, erfolgt die Erlösauskehr unter Berücksichtigung der §§ 170, 171 InsO nur bezogen auf den dem Schuldner anteilsmäßig zustehenden Wert. Sparguthaben des Schuldners unterliegen dem Insolvenzbeschlag und sind 779 zur Masse einzubehalten. Sofern mehrere Berechtigte ein Sparkonto als OderKonto führen, gilt das unter o Rn. 693 Ausgeführte. Der Masse steht wirtschaftlich die anteilige Sparsumme zu. Ist der Schuldner Alleinberechtigter, ist die Sparsumme in voller Höhe zur Masse zu ziehen. Auch unterliegt Guthaben, welches der Schuldner nach Eröffnung aus unpfändbarem Vermögen anspart, dem Insolvenzbeschlag (sog. Neuerwerb).483) Die Auszahlungsansprüche aus einer Kapitallebensversicherung unterliegen 780 ebenfalls der Pfändung und damit dem Insolvenzbeschlag. Der Rückkaufswert einer kapitalbildenden Lebensversicherung ist an den Insolvenzverwalter, der zur Kündigung berechtigt ist, auszukehren, wenn der Schuldner als Versicherungsnehmer zugleich versicherte Person ist (§ 169 VVG). Zu beachten ist die Pfändungsschutzvorschrift für Altersvorsorgevermögen, 781 § 851c ZPO. Zur Feststellung der Massezugehörigkeit ist bei Lebensversicherungen zu- 782 nächst zwischen einmaligen Auszahlungen der gesamten Versicherungssumme und der Auszahlung als Rente in monatlichen Raten zu unterscheiden. Monatliche Rentenleistungen können unter Beachtung der §§ 850 ff. ZPO in Höhe des pfändbaren Teils zur Insolvenzmasse einbehalten werden, wenn nicht die ___________ 480) 481) 482) 483)

BGH, Urt. v. 31.3.2009 – XI ZR 288/08, ZIP 2009, 904. OLG Hamburg, Urt. v. 19.10.2007 – 1 U 136/06, ZIP 2008, 88. BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 16/85, ZIP 1985, 1047. BGH, Beschl. v. 26.9.2013 – IX ZB 247/11, ZIP 2013, 2112.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Voraussetzungen zur Unpfändbarkeit der Leistungen nach § 851c ZPO vorliegen. Pfändungsschutz wird auf solches Vorsorgekapital beschränkt, das von dem Berechtigten unwiderruflich seiner Altersvorsorge gewidmet ist.484) § 851c ZPO bietet insbesondere Selbstständigen die Möglichkeit, eine Vorsorge für das Alter zu treffen. 783 Der Vorsorgevertrag muss gemäß § 851c Abs. 1 ZPO kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllen: x

Leistungsgewährung in regelmäßigen Zeitabständen lebenslang und nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres oder nur bei Eintritt der Berufsunfähigkeit (§ 851c Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

x

Kein Einsatz des Kapitals und der laufenden Rente als Kreditsicherungsmittel (z. B. durch Verpfändung oder Abtretung) und Ausschluss der Möglichkeit der vorzeitigen Vertragskündigung. Ist die Lebensversicherung also vorzeitig kündbar, greift der Pfändungsschutz des § 851c ZPO nicht (§ 851c Abs. 1 Nr. 2 ZPO).

x

Bezugsberechtigung nur des Schuldners oder dessen Hinterbliebenen (§ 851c Abs. 1 Nr. 3 ZPO).

x

Die Zahlung einer Kapitalleistung, ausgenommen eine Zahlung für den Todesfall, darf nicht vereinbart sein (§ 851c Abs. 1 Nr. 4 ZPO).

784 Kapitalbildende, vorzeitig kündbare Lebensversicherungen sind demnach nicht über § 851c ZPO geschützt. Bei Gewährung eines Kapitalwahlrechts zur Altersrente entfällt der Pfändungsschutz auch hinsichtlich einer vor der Altersrente gewährten und mit dieser zusammen der Existenzsicherung dienenden Berufsunfähigkeitsrente.485) 785 Sofern ein unwiderrufliches Bezugsrecht zugunsten eines Dritten eingeräumt wurde, erwirbt der Bezugsberechtigte die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag grundsätzlich sofort mit der Folge, dass kein Massebeschlag begründet wird.486) Im Falle der Insolvenz ist der Bezugsberechtigte aussonderungsberechtigt (§ 47 InsO). 786 Wandelt der Schuldner ein ursprüngliches widerrufliches Bezugsrecht nach Eintritt der Krise in ein unwiderrufliches Bezugsrecht um, kann eine Anfechtung nicht gegenüber der Versicherungsgesellschaft erklärt werden, da diese nicht der richtige Anfechtungsgegner ist. Auch der Schuldner sei in dieser Konstellation nicht geeigneter Anfechtungsgegner, so der BGH.487) Der Rückkaufswert kann nur zur Insolvenzmasse realisiert werden, wenn der Pfän___________ 484) 485) 486) 487)

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BGH, Beschl. v. 27.8.2009 – VII ZB 89/08, openJur 2011, 1673. BGH, Urt. v. 15.7.2010 – IX ZR 132/09, ZIP 2010, 1656. Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 18.6.2003 – IV ZR 59/02, NJW 2003, 2679. BGH, Urteil v. 13.10.2011 – IX ZR 80/11, NZI 2011, 937.

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

dungsschutz des § 851c ZPO nicht greift, nicht jedoch über die insolvenzrechtliche Anfechtung. Bei kapitalorientierten Verträgen ist die Regelung des § 851c Abs. 2 ZPO zu 787 beachten. Danach wird der Pfändungsschutz der privaten Altersversorgung, die den Anforderungen des § 851c ZPO entspricht, zusätzlich nach Lebensalter gestaffelt, jährlich in Höhe eines bestimmten Betrags auf das angesparte Kapital ausgedehnt. Dem Selbstständigen würde es wenig nützen, wenn zwar seine Rente nur in einem gewissen Umfang pfändbar ist, es aber nie so weit kommt, weil schon vorher die Versicherung eingezogen wird. Der angesparte Betrag ist nur in dem Umfang geschützt, in dem er für eine später zu leistende Rente in der Höhe, die dem pfändungsfreien Betrag entspricht, notwendig ist. Vor der Pfändung geschützt ist ausschließlich der jeweilige Sockelbetrag des § 851c Abs. 2 ZPO. Übersteigt der Rückkaufswert den Sockelbetrag, sind lediglich 30 % des übersteigenden Betrages vor dem Zugriff des Verwalters geschützt, allerdings nur bis zum dreifachen des Sockelbetrages. Der über den dreifachen Sockelbetrag hinausgehende Teil kann in vollem Umfang zur Insolvenzmasse realisiert werden. Sind die Ansprüche aus der Versicherung abgetreten, wird die Abtretung nur 788 wirksam, wenn diese gegenüber dem Versicherer schriftlich angezeigt wurde. Ist die Abtretung wirksam, ist ein Absonderungsrecht zugunsten des Zessionars zu berücksichtigen. Zuvor sollte jedoch geprüft werden, ob die Zession der Insolvenzanfechtung unterliegt (§§ 129 ff. InsO). Eine Besonderheit gibt es auch bei der sog. „Riesterrente“ zu beachten. 789 Pfändungsschutz für das in einem Riester-Vertrag angesparte Kapital besteht nur dann, wenn die Altersvorsorgebeiträge tatsächlich durch eine Zulage gefördert worden sind.488) Ausreichend für die Unpfändbarkeit ist, wenn der Altersvorsorgevertrag im Zeitpunkt der Pfändung förderfähig war, der Schuldner bereits einen Zulagenantrag für die entsprechenden Beitragsjahre gestellt hatte und die Voraussetzungen für die Gewährung einer Zulage vorlagen.489) Handelt es sich bei dem Anspruch aus Auszahlung der Altersvorsorgeleistung 790 um einen massebeschlagenen Vermögenswert, kann der Schuldner ein Interesse daran haben, seine Altersvorsorge dennoch zu sichern. In einem solchen Fall besteht die Möglichkeit der Freigabe des Anspruchs aus dem Insolvenzbeschlag gegen Zahlung des Gegenwertes zur Masse (sog. modifizierte oder erkaufte Freigabe).490) Die Freigabeerklärung ist gegenüber dem Insolvenzschuldner abzugeben und wird als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung mit Zugang beim Schuldner wirksam, § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie sollte jedoch erst nach Eingang der Gegenleistung erklärt werden, denn sie entfaltet – wie auch die echte Freigabe (ohne Gegenleistung) – konstitutive ___________ 488) BGH, Urt. v. 16.11.2017 – IX ZR 21/17, ZIP 2018, 135. 489) BGH, Urt. v. 16.11.2017 – IX ZR 21/17, ZIP 2018, 135. 490) Grundlegend BGH, Urt. v. 21.5.2005 – IX ZR 281/03, ZInsO 2005, 594; vgl. auch BGH, Beschl. v. 12.2.2009 – IX ZB 112/06, ZInsO 2009, 830.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Wirkung. Zu beachten ist, dass die Surrogate freigegebener Vermögenswerte insolvenzfreies Vermögen darstellen. 791 Der freigegebene Vermögenswert unterliegt nunmehr wieder der freien Verwaltungs- und Verfügungsberechtigung des Schuldners. Der Inhaber des Auszahlungsanspruchs gegen den Vertragspartner (Versicherungsgesellschaft, Kreditinstitut, Bausparkasse etc.) ist nach wie vor der Schuldner. Die Eröffnung bewirkt lediglich einen Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter (§ 80 Abs. 1 InsO). Die Forderungsinhaberschaft zugunsten des Schuldners indes besteht unverändert fort. Auch ist ein neuer Vertragsschluss mit der Freigabe nicht verbunden. 792 Schließt der Schuldner nach Eröffnung einen neuen Vertrag ab, unterliegt der hieraus resultierende Auszahlungsanspruch im Hauptverfahren als Neuerwerb vollumfänglich dem Insolvenzbeschlag. Dies gilt auch dann wenn der Schuldner die Beitragszahlungen/Ansparungen aus seinem unpfändbarem Einkommen leistet, da eine negative Surrogation nicht stattfindet, sich also der Pfändungsschutz am Surrogat nicht fortsetzt. 793 Ein nach wie vor beliebtes Modell der Vermögensbildung sind die vermögenswirksamen Leistungen. Als Bestandteil des Lohns/Gehalts des Schuldners sind die vermögenswirksamen Leistungen im Insolvenzverfahren zunächst bei der Ermittlung der pfändbaren Einkommensanteile von Bedeutung. Die vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers sind gemäß § 2 Abs. 7 Satz 2 VermBG nicht übertragbar und demnach auch nicht pfändbar (§ 851 ZPO). Sie sind bei der Ermittlung des der Berechnung des pfändbaren Anteils zugrunde zu legenden Einkommens in Abzug zu bringen (§ 850e Nr. 1 ZPO). 794 Der aus dem Arbeitnehmereinkommen vom (unveränderten Grund-)Gehalt aufgebrachten Sparanteil (vgl. § 11 VermBG) ist ebenfalls ein Teil des Lohns/ Gehalts und unterfällt demnach der Bestimmung des § 2 Abs. 7 Satz 2 VermBG. Folglich besteht auch hier Unpfändbarkeit. 795 Die Vermögensanlage indes, die durch Ansparung der vermögenswirksamen Leistungen gebildet wird (z. B. Bausparvertrag, Altersvorsorge), unterliegt den allgemeinen Bestimmungen zur Pfändbarkeit und ist demnach, soweit nicht Unpfändbarkeitstatbestände verfangen, zur Masse zu ziehen. 796 Ist der Schuldner an der Aufrechterhaltung des vermögensbildenden Vertrags interessiert, kann dieser grundsätzlich gegen Zahlung des angesparten Gegenwertes zur Insolvenzmasse vom Insolvenzverwalter freigegeben werden (modifizierte Freigabe). Doch Vorsicht: Nach einer Freigabe bedeutet die Weiterführung des Sparvertrags eine Schmälerung der Insolvenzmasse. Wie aufgezeigt, sind die vermögenswirksamen Leistungen bei der Berechnung des pfändbaren Lohns/Gehalts zu berücksichtigen mit der Folge, dass ein geringerer pfändbarer Einkommensanteil an die Masse abgeführt wird. Die Fortführung des Sparvertrags führt daher in diesem Fall mittelbar zu einem Gläubigernachteil.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Dies widerspricht grundsätzlich den gesetzgeberischen Zielen des Insolvenz- 797 verfahrens, das gemäß § 1 InsO auf die bestmögliche Verwertung des schuldnerischen Vermögens gerichtet ist; hierzu ist der Insolvenzverwalter verpflichtet.491) Unter Geltung von § 314 InsO a. F. sah Absatz 2 dieser Vorschrift im ver- 798 einfachten Verfahren als Ausfluss des Parteiverfahrens die Anhörung der Insolvenzgläubiger vor der vereinfachten Verteilung vor. Nach ersatzloser Streichung der Norm besteht nur noch die Möglichkeit der „modifizierten“ Freigabe. Auch bei der „modifizierten“ Freigabe sollte in Zweifelsfällen mit dem Ziel der Interessenwahrung aller Beteiligten eine Anhörung der Gläubiger erfolgen, um diesen die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Bestehen von Gläubigerseite keine Einwände gegen die modifizierte Freigabe mit der Konsequenz, dass der Schuldner dieses auch weiterhin aus den vermögenswirksamen Leistungen bedienen kann, spricht nichts gegen eine solche Vorgehensweise, da die Gläubiger sich konform erklärt haben. Alternativ könnte vom Schuldner gefordert werden, dass er die Nachteile, die durch die Reduzierung des pfändbaren Einkommensanteils entstehen, durch monatliche Zahlungen zur Masse ausgleicht. i) Mietforderungen Ist eine im Eigentum des Schuldners stehende Immobilie vermietet, stehen die 799 zum Zeitpunkt der Eröffnung ggf. noch offenen sowie die nach Insolvenzeröffnung fällig werdenden Mietforderungen als pfändbare Geldforderungen der Insolvenzmasse zu (§§ 35, 36 Abs. 1 InsO, §§ 829, 835 ZPO). Ein nach § 49 InsO absonderungsberechtigter Grundpfandrechtsgläubiger 800 kann nur durch einen Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung eine bevorzugte Befriedigung aus den Mietansprüchen sicherstellen (§§ 146, 20 ZVG, §§ 1123, 1124 BGB).492) Erst die Anordnung der Zwangsverwaltung durchbricht den Insolvenzbeschlag. Bis zur Beschlagnahme im Zwangsverwaltungsverfahren besteht das Einzugsrechts des Insolvenzverwalters fort.493) Soweit Mietforderungen abgetreten oder gepfändet sind, ist diese Verfügung 801 nur wirksam, soweit sie sich auf die Miete für den z. Zt. der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonat bezieht bzw. auch für den folgenden Kalendermonat, wenn die Eröffnung nach dem fünfzehnten Tag des Monats

___________ 491) Vgl. LG Duisburg, Beschl. v. 24.6.2010 – 7 T 109/10, InsbürO 2010, 446. 492) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZInsO 2006, 872; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZInsO 2010, 43. 493) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZInsO 2006, 872; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZInsO 2010, 43.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

erfolgt ist (§ 110 Abs. 1, Abs. 2 InsO).494) In der Folgezeit steht der Entstehung des Pfandrechts oder Pfändungspfandrechts § 91 InsO entgegen. 802 Nach Freigabe des Grundstücks fällt die Verpflichtung zur Unterhaltung des Grundstücks und Lastentragung ex nunc wieder dem Schuldner zu. Mit § 851b ZPO hat er die Möglichkeit, hinsichtlich der Forderungen aus dem Mietverhältnis besonderen Pfändungsschutz zu erlangen. § 851b ZPO gilt jedoch nicht im Insolvenzverfahren (vgl. § 36 Abs. 1 InsO). j) Mietkautionsrückzahlungsanspruch 803 In der Insolvenz des Mieters kann auch ein Mietkautionsrückzahlungsanspruch unter bestimmten Voraussetzungen zur Insolvenzmasse vereinnahmt werden. Der Vermieter hat eine ihm als Sicherheit überlassene Geldsumme bei einem Kreditinstitut zu dem für Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist üblichen Zinssatz anzulegen (§ 551 Abs. 3 BGB). Die Vorschrift ist abdingbar, d. h. die Parteien des Mietvertrags können abweichende Vereinbarungen treffen. Nicht abdingbar ist jedoch, dass die Anlage der Mietkaution getrennt vom Vermögen des Mieters erfolgen muss. Zudem müssen die Erträge (Zinsen) dem Mieter zukommen. 804 Der Anspruch gegen den Vermieter auf Rückgewähr der Mietkaution ist grds. pfändbar.495) Dies gilt allerdings erst ab Beendigung des Mietverhältnisses, da bis dahin Zweckgebundenheit vorliegt. Bevorrechtigt zu beachten ist auch das Recht des Vermieters, die Aufrechnung mit eventuellen aus dem Mietverhältnis resultierenden Forderungen zu erklären, auch wenn diese erst nach Eröffnung zur Zahlung fällig werden. Die Aufrechnungsmöglichkeit bestand bereits z. Zt. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; die Aufrechnungslage ist daher über § 94 InsO geschützt. 805 Ob der Insolvenzverwalter nach Wirksamwerden der Erklärung über die Enthaftung der Masse gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO noch als massebeschlagen realisieren kann, wenn das Wohnraummietverhältnis im Hauptverfahren beendet wird, war unklar, nicht zuletzt wegen zweier, sicher widersprechender BGH-Entscheidungen. So schrieb eine Entscheidung der Erklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO eine freigabeähnliche Wirkung (i. S. v. § 35 Abs. 2 InsO) zu.496) Dies würde dafür sprechen, dass auch der Mietkautionsrückzahlungsanspruch mit dem Wirksamwerden der Erklärung zu Lasten der Masse „enthaftet“ wäre, demnach der Insolvenzbeschlag insoweit beendet wäre. Eine andere Entscheidung steht im Wertungswiderspruch hierzu; diese beschreibt die Massezugehörigkeit des Rückzahlungsanspruchs aus ___________ 494) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZInsO 2006, 872; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZInsO 2010, 43. 495) Vgl. FG Nürnberg, Urt. v. 11.10.2007 – 3 V 1280/07, JurionRS 2008, 229016. 496) BGH, Urt. v. 22.5.2014 – IX ZR 136/13, ZIP 2014, 1341, dazu EWiR 2014, 453 (Ahrendt).

200

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Mietkaution, der zur Masse gezogen werden müsse, und zwar auch dann (und über die Nachtragsverteilung), wenn das Mietverhältnis erst nach der Aufhebung des Verfahrens endet und der Treuhänder in der Wohlverhaltensphase davon erfährt.497) Die Wertungswidersprüche haben sich durch zwei neuere Entscheidungen des 806 BGH aufgelöst. Danach wird der Anspruch des Schuldners auf Rückzahlung einer die gesetzlich zulässige Höhe nicht übersteigenden Mietkaution vom Insolvenzbeschlag frei, wenn der Insolvenzverwalter für das Wohnraummietverhältnis des Schuldners eine Enthaftungserklärung abgibt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO).498) Auch eine Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nicht mehr zulässig.499) Soweit der Schuldner die Gelder aus der Mietkaution zur Anmietung einer neu- 807 en Wohnung benötigt, ist der Rückzahlungsanspruch auf Antrag des Schuldners (§ 765a ZPO) nicht pfändbar, da dies eine unbillige Härte darstellen würde.500) In dem Fall wird der Schuldner einen Antrag auf Pfändungsschutz in Höhe der neu zu hinterlegenden Mietkaution stellen müssen (§ 765a ZPO). Bei Begründetheit des Antrags sind evtl. darüber hinausgehende Ansprüche aus dem „alten“ Mietverhältnis pfändbar und damit zur Masse zu vereinnahmen. Beispiel:

808

Mietkautionsguthaben Mietverhältnis „alt“

850 €

Zu hinterlegende Mietkaution Mietverhältnis „neu“

790 €

Dem Antrag des Schuldners § 765a ZPO wird stattgegeben

790 €

Massezufluss

60 €

k) Genossenschaftsanteil Ist der Schuldner Mitglied einer Genossenschaft, können zur Insolvenzmasse 809 grundsätzlich folgende Ansprüche realisiert werden: x

Genossenschaftsguthaben (Auseinandersetzungsanspruch)

Nach Insolvenzeröffnung ist der Insolvenzverwalter berechtigt, anstelle des 810 Schuldners die Mitgliedschaft zu kündigen (§ 66 Abs. 1 GenG). Die Kündigung muss gegenüber der Genossenschaft schriftlich erklärt werden (§ 66 Abs. 1, § 65 Abs. 2 Satz 2 GenG). Sie entfaltetet, ist sie spätestens drei Monate vor Ende des Geschäftsjahres zugegangen, zum Schluss des darauffolgenden ___________ 497) 498) 499) 500)

BGH, Beschl. v. 9.10.2014 – IX ZA 20/14, NZI 2014, 1064. BGH, Beschl. v. 16.3.2017 – IX ZB 45/15, ZIP 2017, 884. BGH, Beschl. v. 13.7.2017 – IX ZB 33/16, ZVI 2017, 471. Vgl. FG Nürnberg, Urt. v. 11.10.2007 – 3 V 1280/07, JurionRS 2008, 229016.

201

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Geschäftsjahrs (§ 65 GenG) ihre Wirkungen. Erst danach gelangt das Genossenschaftsguthaben zur Auszahlung. x

Anspruch auf Gewinnbeteiligung

811 Der Gewinn ergibt sich aus dem Überschuss der Aktiv- und Passivposten (Dividende). x

Anteil auf Beteiligung am Reservefonds

812 Ein Blick in die Satzung verrät, ob dem Schuldner im Fall des Ausscheidens ein Anteil auf Auszahlung einer Ergebnisrücklage zusteht. Diese unterliegt der Pfändung und ist damit zur Masse zu realisieren. 813 Regelmäßig Probleme bereiten in der Praxis die Fälle, in denen der Schuldner Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft und diese Mitgliedschaft Voraussetzung für die Nutzung des Wohnraums ist. 814 Rechtslage vor dem 19.7.2013: In der Mieterinsolvenz kann der Insolvenzverwalter die Mitgliedschaft des Mieters in einer Wohnungsgenossenschaft kündigen.501) Aus den Satzungen der Genossenschaften ergibt sich für den Fall des Ausscheidens des Mieters aus der Genossenschaft ein Kündigungsrecht der Genossenschaft hinsichtlich des Nutzungsverhältnisses. Der Schuldner verliert daher durch die Kündigung des Genossenschaftsanteils seinen Wohnraum. Unter Geltung des § 314 InsO a. F. bestand die Möglichkeit, dass der Schuldner den Gegenwert der Genossenschaftsanteile zur Insolvenzmasse leistet und dadurch den Erhalt seines Wohnraums sicherstellt. 815 Rechtslage seit dem 19.7.2013: Gemäß § 67c GenG kann die Mitgliedschaft im Insolvenzfall nicht gekündigt werden, wenn x

die Mitgliedschaft Voraussetzung für die Nutzung der Wohnung des Mitglieds ist und

x

das Geschäftsguthaben höchstens das Vierfache der Nettokaltmiete oder höchstens 2.000 € beträgt.

816 Die Kündigung durch den Insolvenzverwalter ist ferner ausgeschlossen, wenn durch Kündigung einzelner Geschäftsanteile eine Minderung auf das unverwertbare Geschäftsguthaben herbeigeführt werden kann. 817 Beträgt das Geschäftsguthaben mehr als 2.000 € bzw. das Vierfache der Nettokaltmiete und ist die Kündigung einzelner Geschäftsanteile nicht möglich, ___________ 501) BGH, Urt. v. 19.3.2009 – IX ZR 58/08, ZIP 2009, 875.

202

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

bleibt es bei dem Problem nach „altem Recht“: Die Kündigung der Mitgliedschaft in Gänze und der Verlust der Wohnung. Rechtslage seit dem 1.7.2014:

818

Für Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 gilt § 314 InsO a. F. (vereinfachte Verteilung) infolge der Streichung nicht mehr. Diese vermeintliche Problemlage kann jedoch über die sog. „modifizierte Freigabe“ (o Rn. 710) gelöst werden. Zahlt der Schuldner den Gegenwert der Ergebnisrücklage zur Masse, wird dieser Anspruch unter Verzicht der Ausübung des Kündigungsrechts durch den Insolvenzverwalter freigegeben, sodass der Schuldner seinen Wohnraum behalten kann. Problemkreis: „Altfälle“ Bei Insolvenzverfahren, die vor dem 19.7.2013 eröffnet wurden, kann es zu 819 folgenden Problemen kommen: x

Mitgliedschaft wurde nicht gekündigt und Beschluss gemäß § 314 InsO liegt vor.

Der Beschluss bleibt wirksam und der Schuldner muss evtl. Ratenzahlung 820 fortsetzen, sofern der Gegenwert nicht durch eine Einmalzahlung zur Masse geflossen ist. x

Mitgliedschaft wurde nicht gekündigt und Beschluss gemäß § 314 InsO liegt nicht vor.

Der Schuldner leistet Ratenzahlungen aufgrund der Vereinbarung zur modi- 821 fizierten Freigabe. Muss der Schuldner die Ratenzahlung fortsetzen? Die „modifizierte Freigabeerklärung“ stellt die Freigabewirkung unter die aufschiebende Bedingung, dass der Schuldner den Gegenwert vollständig zur Masse leistet. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht der Insolvenzmassebeschlag fort. Stellt der Schuldner die Zahlungen ein, kann der Insolvenzverwalter die Kündigung erklären, sofern nicht Unkündbarkeit gemäß § 67c GenG vorliegt. Die Verschärfung der Kündigungsvoraussetzungen in § 67c GenG gilt auch für Kündigungen, die nach dem 19.7.2013 in den am 19.7.2013 laufenden Insolvenzverfahren und in seit dem 19.7.2013 beantragten Verfahren ausgesprochen werden. Lediglich ausgeschlossen ist die Anwendung von § 67c GenG auf die vor Gesetzesänderung ausgesprochene Kündigung eines Anteils an einer Wohnungsgenossenschaft.502) Liegen die Voraussetzungen des § 67c GenG vor, kann der Insolvenzverwal- 822 ter zwar keine Kündigung aussprechen. Jedoch berührt dies die modifizierte Freigabe jedenfalls dann in ihrer Wirksamkeit nicht, wenn diese als Verwertungsvereinbarung zwischen Schuldner und Insolvenzverwalter ausgestaltet wurde, da eine Regelung außerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten getroffen ___________ 502) BGH, Urt. v. 18.9.2014 – IX ZR 276/13, ZIP 2014, 2142.

203

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

werden sollte und die Änderung der Gesetzeslage die Geschäftsgrundlage nicht berührt. Es bleibt demnach bei der Ratenzahlungsverpflichtung. l) Laufende Einkünfte 823 Im eröffneten Verfahren umfasst der Insolvenzbeschlag das gesamte Vermögen des Schuldners und damit auch den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens bzw. Entgeltersatzleistungen (§§ 35, 36 Abs. 1 InsO i. V. m. §§ 850 ff. ZPO). Der Insolvenzverwalter zieht das pfändbare Einkommen des Schuldners zur Masse, indem er den Arbeitgeber/Leistungsträger unter Übersendung des Eröffnungsbeschlusses zur Überweisung auffordert. Die Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO entfaltet ihre Wirksamkeit erst in der Wohlverhaltensperiode.503) Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Beginn der Abtretungsfrist bereits auf den Eröffnungsstichtag fällt (vgl. § 287 InsO). 824 Zum Aufgabenkreis des Insolvenzverwalters gehört im Rahmen des § 148 InsO auch die Kontrolle der vom Arbeitgeber/Leistungsträger vorgenommenen Pfändungsberechnung und ggf. die klageweise Durchsetzung der pfändbaren Einkommensansprüche gegen den Drittschuldner.504) Auch in der Wohlverhaltensperiode sind zumindest stichprobenartige Prüfungen vorzunehmen, auch wenn ein Überwachungsauftrag nicht erteilt wurde.505) Nach der h. M. ist der Treuhänder auch in der Wohlverhaltensperiode aktivlegitimiert, die Beträge einzuklagen.506) 825 Der Insolvenzverwalter darf keine unpfändbaren Beträge einziehen; andernfalls besteht mindestens Regresspotential gegenüber dem Schuldner (§ 60 InsO).507) 826 Der Insolvenzverwalter wird häufig mit dem Anliegen des Schuldners konfrontiert, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mitzuteilen (bzw. im Restschuldbefreiungsverfahren die Lohnabtretung nicht gegenüber dem Arbeitgeber offenzulegen), da der Schuldner den Verlust des Arbeitsplatzes befürchtet. Der Arbeitgeber kann sich für den Fall der fehlenden positiven Kenntnis in Bezug auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf seinen guten Glauben berufen und – gerade auch den pfändbaren Einkommensanteil – schuldbefreiend an den Schuldner zahlen (vgl. § 82 InsO für das Hauptverfahren und § 407 BGBG für das Restschulbefreiungsverfahren). Sieht der Insolvenzverwalter von der Offenlegung der Abtretung bzw. des Eröffnungsbeschlusses ab und überlässt dem Schuldner die Abführung der pfändbaren ___________ 503) BGH, Beschl. v. 3.11.2011 – IX ZR 45/11, ZInsO 2102, 20; FK-InsO/Ahrens, § 287 Rn. 128. 504) BGH, Beschl. v. 3.11.2011 – IX ZR 45/11, ZInsO 2012, 30. 505) LG Hannover, Urt. v. 27.6.2011 – 20 O 328/10, NZI 2011, 942; FK-InsO/Grote, § 292 Rn. 7a; HK-InsO/Streck, § 292 Rn. 2 m. w. N. 506) FK-InsO/Grote, § 292 Rn. 7, HK-InsO/Landfermann, § 292 Rn. 3; MünchKommInsO/Ehricke, § 292 Rn. 19. 507) BGH, Urt. v. 10.7.2008 – IX ZR 118/07, ZInsO 2008, 971.

204

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Beträge, ist er für die Kontrolle der korrekten Abführung verantwortlich und haftet der Masse für eventuelle Fehlbeträge.508) Behält der Insolvenzverwalter einen zu hohen Betrag ein, besteht die Gefahr, sich gegenüber dem Schuldner schadensersatzpflichtig zu machen (§ 60 InsO). Soweit der Insolvenzschuldner die Erweiterung des Pfändungsschutzes (z. B. 827 § 850c Abs. 4, § 850e ZPO) begehrt, gelten die Beschlüsse grundsätzlich für jeden Verfahrensabschnitt besonders, demnach zunächst nur für das eröffnete Verfahren, es sei denn, die Fortdauer auch in der Wohlverhaltensperiode ist ausdrücklich angeordnet.509) Entsprechende Grundsätze sind auch anzuwenden auf Beschlüsse, welche auf Antrag des Insolvenzverwalters gefasst werden (z. B. §§ 850c Abs. 4, 850e Nr. 2, 2a ZPO). Wurde das Einkommen des Schuldners vor Eröffnung einzelner Insolvenz- 828 gläubiger gepfändet und zur Einziehung überwiesen, gilt ab Eröffnung das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO. Bestehende Pfändungen werden nach der Eröffnung relativ unwirksam, d. h. die Verstrickung bleibt bestehen und sie behalten ihren Rang, dürfen aber nicht mehr bedient werden.510) Dieses gilt auch für den Fall der rückwirkenden Unwirksamkeit gemäß § 88 InsO. Bei einem Scheitern des Verfahrens leben die alten Pfändungen wieder auf. Eine durch Zwangsvollstreckung im letzten Monat vor dem Antrag auf Er- 829 öffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag erlangte Sicherung führt zur öffentlich-rechtlichen Verstrickung des Vermögensgegenstandes. Verstrickung tritt auch ein bei einer während der Dauer des Insolvenzverfahrens durchgeführten Zwangsvollstreckung.511) Die Wirkungen der Verstrickung dauern im Insolvenzverfahren fort, bis sie auf einem dafür vorgesehenen Weg beseitigt worden sind. Der Drittschuldner kann sich gegenüber dem Auszahlungsverlangen des Insolvenzverwalters damit verteidigen, dass die Verstrickung der Vermögenswerte fortbesteht.512) Wird die Vollstreckungsmaßnahme nicht von Amts wegen aufgehoben, muss der Insolvenzverwalter die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung bei dem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Vollstreckungsorgan, ggf. im Wege der Erinnerung geltend machen.513) Im Ergebnis werden zwar für nach Insolvenzeröffnung entstehende Ansprüche auf Zahlung des pfändbaren Einkommensanteils keine Vorrechte mehr für Gläubiger, die im Vorfeld die Zwangsvollstreckung im Wege der sog. Vorratspfändung514) betrieben haben, ___________ 508) 509) 510) 511) 512) 513) 514)

BGH, Beschl. v. 7.4.2011 – IX ZB 40/10, ZInsO 2011, 929. Riedel, InsbürO 2012, 168. BGH, Beschl. v. 24.3.2011 – IX ZB 217/08, ZInsO 2011, 812. BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 40/17, ZIP 2017, 2016. BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 40/17, ZIP 2017, 2016. BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 40/17, ZIP 2017, 2016. Zwangsvollstreckung in die zum Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bestehenden und alle künftig gegen den jeweiligen Drittschuldner noch entstehenden Ansprüche.

205

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

begründet werden können (vgl. § 91 InsO). Diese Forderungen sind aber nach wie vor verstrickt, und zwar auch dann, wenn die Sicherung im Wege der Zwangsvollstreckung innerhalb der Frist des § 88 InsO erlangt wurde, aber durch § 88 InsO unwirksam wird. 830 Die Wirkungen der Verstrickung dauern im Insolvenzverfahren fort, bis eine förmliche Aufhebung der Vollstreckungshandlung erfolgt ist.515) Ein milderes Mittel als die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ist vorliegend auch nicht ersichtlich.516) Der Erlass eines „Aussetzungsbeschlusses“ bzw. eine Ruhendstellung der Pfändung kommt nicht in Betracht, da es hierfür keine gesetzliche Grundlage gibt.517) Es ist davon auszugehen, dass mit Aussetzung die Ruhendstellung der Pfändung nach §§ 775 Nr. 4, 843 ZPO gemeint ist.518) Eine gesetzliche Grundlage für diese Anordnung durch das Vollstreckungsgericht gibt es nicht.519) Der Gläubiger ist grundsätzlich berechtigt, über das Vollstreckungsverfahren zu disponieren, soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht.520) Er sei jedoch nicht befugt, die Rechtswirkungen der nach dem Gesetz vorgesehenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch eine einseitige Anordnung dahin zu modifizieren, dass unter Aufrechterhaltung der Verstrickung sich aus dem Pfandrecht ergebende Rechtswirkungen vorübergehend entfallen.521) Gegebenenfalls muss der Insolvenzverwalter im Wege der Erinnerung die gerichtliche Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses begehren.522) Statthafter Rechtsbehelf ist vorliegend die Erinnerung gemäß § 766 ZPO. Zuständig für die Entscheidung über den Rechtsbehelf ist der Richter des Insolvenzgerichts, ___________ 515) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 516) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 517) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 518) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 519) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 520) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 521) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 522) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581.

206

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

§ 89 Abs. 3 InsO.523) Der Rechtspfleger hat jedoch eine Abhilfebefugnis, § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO analog, da sich das Erinnerungsverfahren nach den allgemeinen Regeln des § 766 ZPO richtet. Für diese Abhilfeentscheidung ist nach hiesiger Auffassung noch der Rechtspfleger des Vollstreckungsgerichts zuständig. Über die Abhilfe entscheidet der Einzelrichter oder der Spruchkörper, der die Entscheidung entlassen hat.524) Die Zahlungen, die auf Vollstreckungsmaßnahmen, die innerhalb der letzten 831 drei Monate vor Antragstellung bis zur Eröffnung ausgebracht wurden, geleistet wurden, unterliegen regelmäßig als inkongruente Deckung der Anfechtung (§ 131 InsO).525) Wegen nach Eröffnung entstehender, laufender Unterhalts- oder Delikts- 832 forderungen kann in den Differenzbereich zwischen § 850d ZPO und § 850c ZPO vollstreckt werden (Privileg auch im Insolvenzverfahren, § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO).526) Der Arbeitgeber/Leistungsträger hat demnach insgesamt drei Auszahlungen vorzunehmen: x

Unpfändbarer Einkommensanteil an den Schuldner,

x

pfändbarer Einkommensanteil an die Insolvenzmasse,

x

pfändbarer Differenzbetrag an den privilegierten Gläubiger (wegen laufender Forderungen).527)

Forderungsrückstände aus dem Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung hin- 833 gegen sind zur Insolvenztabelle anzumelden; eine Vollstreckung in den Vorrechtsbereich des § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO ist insoweit ausgeschlossen.528) Die Berechnungsgrundlage zur Bestimmung des pfändbaren Einkommensan- 834 teils ist nicht zwingend gleichzusetzen mit dem auf der Gehaltsabrechnung ausgewiesenen Nettoauszahlungsbetrag. Die Berechnungsgrundlage wird schematisch wie folgt ermittelt: Bruttoeinkommen ./.

Sozialabgaben

./.

Steuern

___________ 523) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 524) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 525) BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 203/07, ZVI 2008, 433; BGH, Urt. v. 26.6.2008 – IX ZR 87/07, ZVI 2008, 392. 526) Vgl. zur Wirksamkeit von dahingehenden Pfändungsbeschlüssen BAG, Urt. v. 17.9.2009, NJW 2010, 253. 527) Insoweit treffen den Insolvenzverwalter keinerlei Rechte und Pflichten. 528) BAG, Urt. v. 17.9.2009, NJW 2010, 253.

207

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

./.

vermögenswirksame Leistungen

./.

unpfändbare Einkommensbestandteile

=

Berechnungsgrundlage („Pfändungsnetto“)

835 Die Ermittlung der Berechnungsgrundlage zur Feststellung des pfändbaren Einkommensanteils erfolgte lange Zeit unter Abzug der unpfändbaren Beträge nach der Bruttomethode.529) Dem Schuldner sollten die in § 850a ZPO aufgeführten Beträge ungekürzt zufließen. Zudem sei es den Beteiligten nicht zuzumuten, zu den bei der Pfändung häufig vorkommenden unpfändbaren Kleinbeträgen die Nettobeträge herauszurechnen. Das BAG hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 17.4.2013 der „Bruttomethode“ eine Absage erteilt und entschieden, dass die unpfändbaren Beträge der „Nettomethode“ folgend (brutto vom Brutto oder netto vom Netto) abzuziehen seien.530) Die Steuer- und Sozialversicherungsanteile aus den unpfändbaren Beträgen müssen danach zunächst herausgerechnet und anschließend vom Nettoeinkommen abgezogen werden. 836 Beispiel: Schuldner & eine unterhaltsberechtigte Person BRUTTOMETHODE Juli 2018 Bruttoeinkommen

August 2018 2.500,– €

Bruttoeinkommen

2.500,– €

Urlaubsgeld

1.500,– €

Brutto gesamt

4.000,– €

LSt., SozAbgaben

700,– €

LSt., SozAbgaben

1.300,– €

Nettoeinkommen

1.800,– €

Nettoeinkommen

2.700,– €

Urlaubsgeld unpfändbar

1.500,– €

Pf.-Netto

1.200,– €

Pfb. Anteil

119,75 €

Pfb. Anteil

0,– €

ab voraussichtl. 7/2019 geringer

___________ 529) H. M.: „brutto vom Netto“, so LAG München, Urt. v. 30.5.2007 – 7 Sa 1089/06, ZInsO 2008, 760, bestätigt durch BAG, Urt. v. 30.7.2008 – AZ 10 AZR 459/07, NJW 2009, 167; Zöller/Stöber ZPO, § 850e Rn. 1b. 530) BAG, Urt. v. 17.4.2013 – 10 AZR 59/12, InsbürO 2013, 369.

208

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

NETTOMETHODE Juli 2014 Bruttoeinkommen

August 2014 2.500,– €

LSt., SozAbgaben

700,– €

Nettoeinkommen

1.800,– €

Bruttoeinkommen

2.500,– €

Urlaubsgeld

1.500,– €

Brutto gesamt

4.000,– €

LSt., SozAbgaben nur auf Bruttoeink. Nettoeinkommen

700,– € 3.300,– €

Urlaubsgeld

Pfb. Anteil

119,75 €

ab voraussichtl. 7/2019 geringer

unpfändbar

1.500,– €

Pf.-Netto

1.800,– €

Pfb. Anteil

119,75 €

ab voraussichtl. 7/2019 geringer

Der pfändbare Einkommensanteil ist unter Berücksichtigung der unterhalts- 837 berechtigten Personen (anhand der aktuellen Pfändungstabelle) zu ermitteln. Unterhaltsberechtigt können sein minderjährige und volljährige Kinder in der allgemeinen Schulausbildung bzw. der (Erst-)Ausbildung, getrennt lebende/ geschiedene Ehegatten, der nicht getrennt lebende Ehegatte sowie die Mutter oder der Vater eines gemeinsamen Kindes (Betreuungsunterhalt) oder (in aufsteigender Linie) auch die Eltern des Schuldners. Berücksichtigung finden die Unterhaltsverpflichtungen nur bei tatsächlicher Leistung des Schuldners (Natural- oder Barunterhalt). Eine Berücksichtigung erfolgt nur bei gesetzlicher Unterhaltspflicht.531) Unterhaltsleistungen an im Haushalt lebende, nicht gesetzlich Unterhaltsberechtigt („Bedarfsgemeinschaft“/faktische Unterhaltsleistung) sind kein Argument für eine Berücksichtigung als unterhaltsberechtigte Personen. Der Pfändungsfreibetrag ist nicht deshalb zu erhöhen, weil der Schuldner mit einer nicht unterhaltsberechtigten Person in einer sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt und diese wegen Zurechnung seines Einkommens nicht hilfebedürftig ist.532) Es erfolgt weder eine Berücksichtigung gemäß § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO noch nach § 850f Abs. 1a oder c ZPO noch nach § 765a ZPO, auch nicht in analoger Anwendung dieser Regelungen.533) Die Berücksichtigung einer nicht gesetzl. Unterhaltspflicht bei § 850f Abs. 1a ist nicht geklärt; hier hat aber jedenfalls der Schuldner zu beweisen, dass bei Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen ___________ 531) BGH, Beschl. v. 19.10.2017 – IX ZB 100/16, NZI 2017, 93. 532) BGH, Beschl. v. 19.10.2017 – IX ZB 100/16, NZI 2017, 93. 533) BGH, Beschl. v. 19.10.2017 – IX ZB 100/16, NZI 2017, 93.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

nach § 850c ZPO der notwendige Lebensunterhalt für sich und für die betreffenden Personen nicht gedeckt ist.534) 838 Verfügen die Unterhaltsberechtigten über eigene Einkünfte, gilt § 850c Abs. 4 ZPO. Berücksichtigt der Arbeitgeber unterhaltsberechtigte Personen, obwohl diese ihren Selbstbehalt aus ihren eigenen Einkünften bestreiten können, ist der Insolvenzverwalter gehalten, beim Insolvenzgericht zu beantragen, dass die Person nicht als unterhaltsberechtigt berücksichtigt wird. Eine feste Richtgröße für die Höhe der eigenen Einkünfte gibt es nicht. In seiner Grundsatzentscheidung vom 4.10.2005, in 2009 bestätigt, hat der BGH hierzu ausgeführt:535) „[„…] Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Gesichtspunkte für die Ausübung des Ermessens geben; eine bloß einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch536) aus, weil sie dem Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO widerspricht. […] […] In derartigen Fällen kommt in Betracht, bei der Berechnung des Freibetrags des Unterhaltsberechtigten die nach den sozialrechtlichen Regelungen die Existenzsicherung gewährleistenden Gesetze heranzuziehen und insoweit in tatrichterlicher Würdigung aller Umstände des Einzelfalls einen Zuschlag vorzunehmen, der berücksichtigt, dass die Regelungen über die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und seinen Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sichern wollen, sondern ihnen eine deutlich darüber liegende Teilhabe am Arbeitseinkommen erhalten bleiben soll […].“

839 Als Richtlinie kann daher der jeweils geltende Maßstab zu den SGB II Leistungsgrenzen evtl. zuzüglich eines bis zu 50 %igen Motivationsrabatts für Erwerbstätige herangezogen werden. Eine Einzelfallbetrachtung ist jedoch stets unerlässlich. 840 Der Insolvenzverwalter kann einen klarstellenden Beschluss des Insolvenzgerichts verlangen, dass der Unterhaltsberechtigte bei der Berechnung des pfändbaren Betrags nach § 850c Abs. 1 ZPO nicht zu berücksichtigen ist, wenn der Schuldner an den Unterhaltsberechtigten keinen Unterhalt leistet.537) Dieser umfasst die Feststellung über die zu berücksichtigenden unterhaltsberechtigten Angehörigen mit Hilfe eines klarstellenden Beschlusses (Blankettbeschluss; § 850c Abs. 1 ZPO).538) Dies ist nicht geleichbedeutend mit einer Beschlussfassung i. S. v. § 850c Abs. 4 ZPO (Feststellung der ___________ 534) BGH, Beschl. v. 19.10.2017 – IX ZB 100/16, NZI 2017, 93. 535) BGH, Beschl. v. 4.10.2005 – VII ZB 24/05, ZVI 2006, 19; BGH, Beschl. v. 5.11.2009 – IX ZB 101/09, ZInsO 2009, 2351. 536) Hervorhebungen durch die Verfasserin. 537) BGH, Beschl v. 28.9.2017 – VII ZB 14/16, NJW 2017, 3591. 538) BGH, Beschl. v. 28.9.2017 – VII ZB 14/16, NJW 2017, 3591.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Nichtberücksichtigung einer Person, die eigene Einkünfte bezieht und der der Schuldner tatsächlich Unterhalt leistet).539) Verfügt der Schuldner über mehrere Einkünfte, sind diese gemäß § 850e Nr. 2 841 bzw. 2a ZPO zusammenzurechnen. Eine entsprechende Anordnung der Zusammenrechnung von mehreren Arbeitseinkünften (§ 850e Nr. 2 ZPO) bzw. von Arbeitseinkünften und Sozialleistungen (§ 850e Nr. 2a ZPO) trifft das Insolvenzgericht auf Antrag des Insolvenzverwalters. Bezieht der Schuldner Geld- und Naturalleistungen (z. B. Dienstwagen) ist 842 der Arbeitgeber gehalten, auch ohne eine entsprechende Anordnung des Insolvenzgerichts eine Zusammenrechnung der Einkünfte vorzunehmen (§ 850e Nr. 3 ZPO). Einer gerichtlichen Anordnung bedarf es nicht. Der Schuldner kann eine niedrigere Bewertung der Naturalleistungen nur im Wege der Klage vor dem Prozessgericht erreichen, wenn der Drittschuldner bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens Geld- und Naturalleistungen zusammengerechnet hat.540) Für einen klarstellenden Beschluss des Insolvenzgerichts besteht mangels gesetzlicher Grundlage kein Raum.541) Bewohnt der Schuldner mietfrei eine eigene Immobilie, stellt dies kein Ein- 843 kommen i. S. v. § 850e Nr. 3 ZPO dar, da es sich bei der Nutzung weder um Arbeitsentgelt, Sozialleistung noch sonstige Leistungen des Arbeitgebers handelt.542) Die Zusammenrechnung mehrerer Arbeitseinkommen (§ 850e Nr. 2 ZPO) 844 oder die Zusammenrechnung von Arbeitseinkommen und Sozialleistungen (§ 850e Nr. 2a ZPO) erfolgt nur auf Antrag und nach entsprechender Beschlussfassung durch das Insolvenzgericht. Der Beschluss hat konstitutive Wirkung. Eine einfache Mitteilung des Insolvenzverwalters an den Arbeitgeber oder Leistungsträger ist nicht rechtsbegründend und schafft keine geeignete Grundlage für die Zusammenrechnung. Der unpfändbare Grundbetrag ist in erster Linie dem Arbeitseinkommen zu entnehmen ist, das die wesentliche Grundlage der Lebenshaltung des Schuldners bildet. Die Umsetzung des Beschlusses durch Zusammenrechnung ist Sache der Drittschuldner, die sich untereinander verständigen müssen. Auch die Zusammenrechnung von Altersrente und Nebeneinkommen eines 845 nicht mehr erwerbspflichtigen Schuldners ist zulässig.543) Die zur Aufbesserung der Rente erzielten Einnahmen können als Mehrarbeitsvergütung bis zur Hälfte pfandfrei gestellt werden (Motivationscharakter als Sinn und Zweck des § 850a Nr. 1 ZPO).544) Auch kann eine Zusammenrechnung von ___________ 539) 540) 541) 542) 543) 544)

BGH, Beschl. v. 28.9.2017 – VII ZB 14/16, NJW 2017, 3591. Hierzu BGH, Beschl. v. 19.4.2018 – IX ZB 27/17, NZI 2018, 528 m. w. N. Hierzu BGH, Beschl. v. 19.4.2018 – IX ZB 27/17, NZI 2018, 528 m. w. N. BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 85/12, ZInsO 2013, 549 ff. BGH, Beschl. v. 26.6.2014 – IX ZB 87/13, ZIP 2014, 1598. BGH, Beschl. v. 26.6.2014 – IX ZB 87/13, ZIP 2014, 1598.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Erwerbsunfähigkeitsrente und Nebeneinkommen beschlossen werden.545) Eine Zusammenrechnung von deutschen und ausländischen Rentenbezügen wird in analoger Anwendung von § 850e Nr. 2a ZPO für zulässig erachtet, wenn die ausländische Rente im Grundsatz pfändbar ist.546) 846 Ebenfalls als zulässig erachtet wird eine Zusammenrechnung von Altersrente und Verletztenrente,547) da lfd. gezahlte Verletztenrente (§ 56 SGB VII) gemäß § 54 Abs. 4 SGB I pfändbar ist wie Arbeitseinkommen und Lohnersatzfunktion genießt. Die Verletztenrente stellt eine gesetzlich geregelte Entschädigung dafür dar, dass der Verletzte infolge des Unfalls in seiner Fähigkeit beeinträchtigt ist, sich einen Erwerb zu verschaffen. 847 Bezieht der Schuldner in Bedarfsgemeinschaft „aufstockende Grundsicherung“, kann der Insolvenzverwalter keine Zusammenrechnung verlangen.548) 848 Auch scheidet eine Zusammenrechnung von pfändbaren Einkünften mit unpfändbaren Einkünften aus. Unpfändbar sind z. B.: Sozialhilfe, Wohngeld549), Kindergeld, Elterngeld, Erziehungsgeld, Betreuungsgeld550), Geldleistungen, die einen durch Gesundheits- oder Körperschaden bedingten Mehrbedarf ausgleichen sollen551) oder Leistungen der Pflegeversicherung. 849 Als ggf. nach Zusammenrechnung pfändbar gelten Ausbildungsbeihilfe, BaFöG, gesetzl. Renten, Arbeitslosengeld I und II552) und Übergangsgeld. 850 Stellt der Insolvenzverwalter nicht rechtzeitig einen Antrag auf Nichtberücksichtigung oder Zusammenrechnung, kann er die Beträge, die der Schuldner in der Zwischenzeit zu viel erhalten hat, nicht von diesem zurückverlangen.553) 851 Stellt der Schuldner einen Antrag auf Erhöhung der Pfändungsfreigrenze (§§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850f Abs. 1 ZPO), wird der Insolvenzverwalter regelmäßig im Rahmen von Stellungnahmen mit die Pfändungsschutzbegehren konfrontiert. 852 Ein „Klassiker“ ist ein Antrag auf Erhöhung der Pfändungsfreigrenze wegen Mehraufwendungen für weite Fahrt zur Arbeitsstätte (berufliche Mehrbelastung). Eine Einzelfallbetrachtung ist geboten, wobei als Orientierung dienen mag, dass die Grenze der zumutbaren Entfernungskilometer in bisheriger In___________ 545) AG Heidelberg, Beschl. v. 25.9.2014 – 55 IK 187/14, ZVI 2015, 56 mit Anm. Wipperfürth, VIA 2015, 38; a. A. VG Wiesbaden v. 9.12.2013 – 3 K 503/13.WI, ZVI 2014, 277 mit krit. Anm. Wipperfürth, VIA 2015, 23. 546) BGH, Beschl. v. 18.9.2014 – IX ZB 68/13, ZIP 2014, 2194. 547) BGH, Beschl. v. 20.10.2016 – IX ZB 66/15, NZI 2017, 295. 548) BGH, Urt. v. 25.10.2012 – IX ZB 263/11, ZInsO 2013, 1274. 549) Stöber, Forderungspfändung, Rn. 1358. 550) Stöber, Forderungspfändung, Rn. 1356. 551) Stöber, Forderungspfändung, Rn. 1359. 552) BGH, Beschl. 25.10.2012 – VII ZB 74/11, NZM 2013, 693. 553) BGH, Beschl. v. 3.11.2011 – IX ZR 46/11, NZI 2011, 979.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

stanzenrechtsprechung zwischen 20 und 30 km angenommen wird und eine darüberhinausgehende Belastung einen Mehraufwand i. S. v. § 850f Abs. 1 ZPO darstellt.554) Bei einem beihilfeberechtigten Privatversicherten rechtfertigen Kosten für 853 die medizinische Behandlung, die von der gesetzlichen Krankenkasse für den gesetzlich Versicherten und der Sozialhilfe für den Sozialhilfeberechtigten nicht übernommen würden, i. d. R. keine Erhöhung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens.555) Nimmt der pflegebedürftige Schuldner Pflegegeld nach § 37 SGB XI in Anspruch, kann sein Pfändungsfreibetrag nicht wegen der benötigten Hilfestellungen für die erforderliche Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung erhöht werden.556) Nimmt der pflegebedürftige Schuldner Sachleistungen nach § 36 SGB XI in Anspruch, kommt eine Erhöhung des Pfändungsfreibetrages in Betracht, wenn die Leistungen der Pflegeversicherung für eine erforderliche und verhältnismäßige Pflege wegen der in § 36 Abs. 3 SGB XI genannten Höchstbeträge nicht ausreichen, sofern die Sozialhilfe im Fall der Mittellosigkeit des Schuldners für die Pflegeleistungen aufkommen würde.557) Ob von Rentnern geleistete Einkommensteuervorauszahlungen eine Er- 854 höhung der Pfändungsfreigrenze rechtfertigen, ist, soweit ersichtlich, gerichtlich noch ungeklärt. Die Altersrentenbezüge werden ohne „Vorab-Steuerabzug“, also insgesamt ohne Abzug der Steuerbelastung, ausgewiesen und ausgezahlt. Der Rentner ist als Steuerschuldner selbst in der Verpflichtung, etwaige – je nach Renteneintrittsalter anteilige – Einkommensteuer auf die Rentenbezüge zu entrichten (regelmäßig Veranlagungspflicht, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird). Für eine „automatische“ Berücksichtigung der Steuerlast eines Rentners bei der Bestimmung der Pfändungsfreigrenze bzw. des pfändbaren Einkommensanteils ergibt sich bereits nach dem Wortlaut des § 850e Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 ZPO keine gesetzliche Grundlage, da hier nur die Beträge nicht mitzurechnen sind, die unmittelbar auf Grund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind. Bei Einkommensteuervorauszahlung fehlt es bereits an der Unmittelbarkeit, so dass eine Berücksichtigung im Rahmen von § 850e Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 ZPO ausscheidet. Dem Sinn und Zweck entsprechend soll § 850f Abs. 1 ZPO im Kern aus der Sicht des Schuldners ein Garant für die Sicherung des notwendigen Selbstbehaltes aus eigenen Einkünften heraus darstellen und ein Absinken unter den sozialrechtlichen Mindestsatz verhindern. Eine Erhöhung ___________ 554) Vgl. exempl. LG Trier, Beschl. v. 19.12.2014 – 5 T 118/14, BeckRS 2015, 08878 = ZVI 2015, 184 mit Anm. Wipperfürth, VIA 2015, 61; LG Halle, Beschl. 7.2.2000 – 14 T 33/00, Rpfleger 2000, 285; LG Münster, Beschl. v. 29.5.2009 – 5 T 18/09, juris; LG Mühlhausen, Beschl. v. 3.6.2016 – 1 T 37/16, juris. 555) BGH, Beschl. v. 21.12.2017 – IX ZB 18/17, ZIP 2018, 1420. 556) BGH, Beschl. v. 21.12.2017 – IX ZB 18/17, ZIP 2018, 1420. 557) BGH, Beschl. v. 21.12.2017 – IX ZB 18/17, ZIP 2018, 1420.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

der Pfändungsfreigrenze kann daher im Einzelfall angezeigt sein und ist vom Schuldner zu begründen.558) 855 Sonstige Einnahmen i. S. v. § 850i ZPO stellen z. B. Einmalzahlungen dar und sind nur auf Antrag hin einzelfallbezogen durch Beschluss des Insolvenzgerichts pfändungsfrei zu stellen. Grds. sind also Ansprüche auf Einmalzahlungen erst einmal in voller Höhe pfändbar. Hierunter fallen insbesondere Abfindungen aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Sozialplanansprüche, Ausgleichansprüche des Handelsvertreters gemäß § 89b HGB oder Stornoreserven bei ausgeschiedenen Versicherungsvertretern. Pfändungsschutz wird auf Antrag des Schuldners gewährt, wobei dem Schuldner von einer Einmalzahlung so viel zu belassen ist, wie er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt und den seiner weiteren Unterhaltsberechtigten bedarf.559) Der notwendige Unterhalt richtet sich nach § 850c ZPO. Der angemessene Zeitraum ist anhand des Einzelfalls zu bestimmen. 856 Der Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens während des laufenden Insolvenzverfahrens über einen Abfindungsanspruch ist grds. als Neuerwerb zu werten und unterliegt damit dem Insolvenzbeschlag (§ 35 Abs. 1 InsO). Insolvenzverwalter ist insoweit in entsprechender Anwendung von § 727 ZPO Rechtsnachfolger des Insolvenzschuldners.560) Wurde eine Aufhebungsvereinbarung bzgl. des Arbeitsverhältnisses während des Restschuldbefreiungsverfahrens geschlossen, sind die Abfindungszahlungen Bezüge i. S. d. § 287 Abs. 2 InsO.561) Abzustellen ist daher stets auf den Entstehungszeitpunkt (= Abschluss des Aufhebungsvertrags); eine vereinbarte Fälligkeit ist irrelevant. 857 Der Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte i. S. v. § 850i Abs. 1 ZPO erfasst insbesondere auch alle eigenständig erwirtschafteten Einkünfte,562) auch solche aus sog. kapitalistischer Tätigkeit, sofern die Einkünfte selbst erzielt, also eigenständig erwirtschaftet sind. Erfasst sind demnach z. B. Einnahmen aus Kapitalvermögen, Nießbrauch,563) Mieteinkünfte aus Untervermietung.564) Ein Schuldner, der seinen Lebensunterhalt aus erwirtschafteten Mieteinkünften bestreitet, kann im Insolvenzverfahren Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte beantragen, auch wenn die Mieteinkünfte im Zuge einer vereinbarten stillen Zwangsverwaltung an einen Gläubiger abgeführt werden, ___________ Wipperfürth, Insbüro 2018, 312. BGH, Beschl. v. 25.10.2012 – VII ZB 31/12, NZI 2013, 194. BAG, Beschl. v. 12.8.2014 – 10 AZB 8/14, ZIP 2014, 1938. BGH, Urt. v. 15.10.2009 – IX ZR 234/08, NZI 2010, 72; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 12.3.2013 – 12 O 3998/12, ZVI 2013, 275. 562) Grundsatzentscheidung BGH, Beschl. v. 26.6.2014 – IX ZB 88/13, ZIP 2014, 1542. 563) BGH, Beschl. v. 26.6.2014 – IX ZB 88/13, ZIP 2014, 1542. 564) BGH, Beschl. v. 23.4.2015 – VII ZB 65/12, NZI 2015, 661. 558) 559) 560) 561)

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

dem der Schuldner die Mietforderungen als Sicherheit abgetreten und dem er Grundschulden an den Mietobjekten bestellt hat.565) Pflichtteilsansprüche unterliegen beim Erbfall im Hauptverfahren grds. dem 858 Insolvenzbeschlag.566) Sonstige Einkünfte, die kein Erwerbseinkommen sind, können nur für unpfändbar erklärt werden, soweit dies erforderlich ist, damit dem Schuldner ein unpfändbares Einkommen in Höhe der von § 850c Abs. 1, 2a ZPO bestimmten Grundbeträge verbleibt.567) Sonstige Einkünfte i. S. d. § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 2 ZPO sind nur eigenständig erwirtschaftete Einkünfte. Pflichtteilsansprüche zählen nicht hierzu.568) Einkünfte eines Selbstständigen gehören (bereits wegen der Betriebsfort- 859 führung) in voller Höhe zur Insolvenzmasse, und zwar ohne Abzug beruflich bedingter Ausgaben. Auf Antrag des Schuldners kann eine Festsetzung des unpfändbaren Anteiles der Vergütungs-/Honorar-/Entgeltansprüche durch Beschluss gemäß § 850i ZPO erfolgen.569) Neben den Betriebsausgaben ist dem Schuldner dabei so viel zu belassen, wie er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt benötigt, aber nicht mehr, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Arbeitseinkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde (Verweis § 850i Abs. 1 ZPO auf die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO, insbesondere auch auf § 850a ZPO). Die individuelle Festsetzung gemäß § 850i ZPO erfolgt auch unter Beachtung auch von § 850a ZPO.570) Zum Einzug etwaig (fiktiv berechneter) pfändbarer Einkommensanteile eines 860 Selbstständigen, dessen selbstständige Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben wurde und zu der damit einhergehenden Abführungspflicht wurde bereits ausführlich unter Kapitel D.V.2.g)) ausgeführt. Zur Vermeidung von Wiederholungen sei an der Stelle auf diese Darstellungen verwiesen. m) Bankguthaben Ist die Rede von der „Pfändbarkeit von Bankguthaben“, ist damit regelmäßig 861 die Pfändbarkeit des Auszahlungsanspruchs des Schuldners aus dem Girovertragsverhältnis gemeint. Das Girokonto ist rechtlich als Kontokorrentkonto zu qualifizieren, demnach als ein Konto in laufender Rechnung nach § 355 HGB mit gegenseitigen Ansprüchen aus dem täglichen Saldo. Der An___________ 565) BGH, Beschl. v. 1.3.2018 – IX ZB 95/15, ZIP 2018, 737. 566) BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 184/09, ZIP 2011, 135. 567) BGH, Beschl. v. 7.4.2016 – IX ZB 69/15, ZIP 2016, 1078 in Ergänzung zu BGH ZIP 2014, 1542. 568) BGH, Beschl. v. 7.4.2016 – IX ZB 69/15, ZIP 2016, 1078 in Ergänzung zu BGH ZIP 2014, 1542. 569) BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167. 570) BGH, Beschl. v. 26.6.2014 – IX ZB 87/13, ZIP 2014, 1598; siehe auch BGH, Beschl. v. 6.4.2017 – IX ZB 40/16, ZIP 2017, 976.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

spruch des Schuldners auf Auskehr des Saldos ist also pfändbar gemäß §§ 829 ff. ZPO. 862 Pfändungsschutz besteht seit dem 1.1.2012 nur noch über § 850k ZPO, der über §§ 35, 36 Abs. 1 Satz 2 InsO auch im Insolvenzverfahren Anwendung findet. § 850k ZPO ist der einzige, gesetzlich vorgesehene Pfändungsschutz für „Bankguthaben“. Geschützt ist gemäß § 850k Abs. 1 ZPO grundsätzlich erstmal ein monatlich festgeschriebener Betrag, der Freibetrag, der – ebenso wie die Pfändungsfreigrenzen zum Arbeitseinkommen – i. a. R. alles zwei Jahre angepasst wird. Der Basisschutz ist der sog. Sockelfreibetrag. Darüber hinaus kann aufgrund eines vorzulegenden Nachweises weiterer Schutz gewährt werden in Höhe eines Freibetrags für die erste unterhaltsberechtigte Person, weitere Freibeträge für jede weitere unterhaltsberechtigte Person sowie ggf. laufende Geldleistungen, die wegen gesundheitlicher Gebrechen gewährt werden (Höhe je nach Einzelfall) und in Höhe des Kindergeld (tatsächlicher Betrag). 863 Anstelle des Sockel- oder erhöhten Freibetrags tritt der im Pfändungsbeschluss belassene Betrag, wenn wegen privilegierter Forderungen (§ 850d ZPO) vollstreckt wird (§ 850k Abs. 3 ZPO).571) Das Vollstreckungsgericht hat im Rahmen seines Beschlusses den pfändungsfreien Betrag grundsätzlich zu beziffern. Das gebietet das gesetzgeberische Ziel, den mit dem Pfändungsschutzkonto verbundenen Aufwand für die Banken und Sparkassen in einem vertretbaren Rahmen zu halten.572) 864 Die Einrichtung eines P-Kontos fordert Eigeninitiative des Schuldners, denn sie findet nur auf Antrag statt. Basisschutz (Sockelfreibetrag) erhält der Schuldner durch formlosen Antrag an die Bank. Begehrt er den erweiterten Basisschutz (erhöhter Freibetrag), muss er sog. „P-Konto-Bescheinigung“ beim Kreditinstitut vorlegen. Diese Bescheinigung wird durch Arbeitgeber, geeignete Personen oder Stellen i. S. d. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO, Familienkassen oder Sozialleistungsträger ausgestellt, nicht aber durch den Insolvenzverwalter oder das Insolvenzgericht. 865 Bewilligungsbescheid des Jobcenters über einmalige Leistung für die Erstausstattung der Wohnung stellt zugleich eine Bescheinigung über Einmalleistungen i. S. v. § 850k Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nach § 850k Abs. 5 Satz 2 ZPO dar.573) 866 Der Insolvenzverwalter hat, will er die Höhe des geschützten Betrags feststellen, gegen den Schuldner einen Herausgabeanspruch auf Vorlage der Be-

___________ 571) BGH, Beschl. v. 11.10.2017 – VII ZB 53/14, NJW 2018, 555. 572) BGH, Beschl. v. 11.10.2017 – VII ZB 53/14, NJW 2018, 555; vgl. BT-Drucks. 16/7615, S. 1. 573) BGH, urt. v. 19.10.2017 – IX ZR 3/17, ZIP 2017, 2290.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

scheinigung nach § 850k Abs. 5 Satz 2 ZPO (erhöhter Freibetrag), § 836 Abs. 3 ZPO, wobei die Vorlage von Kopien ausreichend ist.574) Als Missbrauchsprävention ist gesetzlich verankert, dass nur natürliche Per- 867 sonen ein P-Konto führen können (und zwar nur als Einzelkonto, nicht Gemeinschaftskonto). Jede Person darf nur ein P-Konto führen (Mitteilung an Auskunfteien möglich, § 850k Abs. 8 Satz 3 ZPO). Gemäß § 850k Abs. 7 Satz 2 ZPO besteht ein gesetzlicher Anspruch auf 868 Umwandlung eines bestehenden Kontos in ein P-Konto. Die Umwandlung ist keine Vereinbarung eines neuen Zahlungsdienstrahmenvertrags (§ 675f BGB).575) Kein gesetzlicher Anspruch besteht auf Neueinrichtung eines P-Kontos. Allerdings hat ein Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Einrichtung eines Basiskontos für Verbraucher nach dem ZKG.576) Ein Basiskonto kann auch als P-Konto geführt werden. Ein entsprechender Antrag auf Pfändungsschutz ist zeitgleich zum Einrichtungsantrag möglich (§ 33 Abs. 1 Satz 3 ZKG). Ein bereits bestehendes P-Konto bereitet im Antragsverfahren keine Schwie- 869 rigkeiten, da die Kontokorrentabrede durch die Anordnung von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen in ihrer Wirksamkeit nicht berührt wird.577) Verfügungen des Schuldners über geschützte Freibeträge sind ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters möglich, da sich die Verfügungsbeschränkung nur auf künftig massezugehöriges Vermögen erstreckt.578) Auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens berührt ein bestehendes P-Konto 870 nicht, da der Girovertrags nicht gemäß §§ 115, 116 InsO erlischt; §§ 115, 116 InsO gelten nur für massebeschlagene Vermögenswerte.579) Die geschützten Freibeträge unterliegen dem Pfändungsschutz gemäß §§ 35, 36 Abs. 1 InsO i. V. m. 850k ZPO; insoweit erfolgt kein Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter gemäß § 80 Abs. 1 InsO. Daher besteht auch kein Raum für eine „Freigabe des Kontos“ („Kontenfreigabe“) aus dem vermeintlichen Insolvenzbeschlag, denn dieser wurde angesichts des bestehenden gesetzlichen Pfändungsschutzes nie begründet. Soweit über die geschützten Freibeträge hinaus Gutschriften zum Konto erfolgen, sind die daraus resultierenden Ansprüche (pfändbare Anteile) Insolvenzmasse. Für eine Freigabe dieses Guthabens besteht kein Anlass. Im Gegenteil be___________ 574) BGH, Urt. v. 21.2.2013 – VII ZB 59/10, JurionRS 2013, 33219; BGH, Beschl. v. 9.2.2012 – VII ZB 49/10, ZInsO 2012, 599. 575) OLG Naumburg, Urt. v. 27.5.2011 – 10 U 5/11, JurionRS 2011, 42239. 576) Zahlungskontengesetz (ZKG) mit Inkrafttreten zum 18.6.2016 (BGBl I, 720 ff. 577) LG Stuttgart, Urt. v. 31.7.1995 – 12 O 53/95, WM 1996, 154; BGH, Urt. v. 20.3.1997 – IX ZR 71/96, ZIP 1997, 737. 578) Büchel, ZInsO 2010, 20; du Carrois, ZInsO 2010, 2279. 579) So auch Bitter, ZIP 2011, 149; Büchel, ZInsO 2010, 20; Casse, ZInsO 2012, 1402; Obermüller, InsbürO 2013, 18; LG Verden, Beschl. 19.9.2013 – 4 S 3/13, ZIP 2013, 1954.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

gründet eine Freigabe von Masse evtl. Haftungsansprüche gegen den Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO. 871 Besteht z. Zt. der Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen kein P-Konto, kann der Schuldner jederzeit im Antragsverfahren seinen Umwandlungsanspruch gemäß § 850k Abs. 7 Satz 2 ZPO ausüben. Dieser ist ein höchstpersönliches Recht und kann auch nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ausgeübt werden. 872 Einer „Freigabeerklärung“ des vorläufigen Insolvenzverwalters bedarf es selbstverständlich auch in diesem Fall nicht, zumal die generelle Erklärungsbefugnis jedenfalls eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters nach Auffassung der Verfasserin vom gesetzlichen Handlungsrahmen ohnehin nicht gedeckt wäre. 873 Die Ausübung des Umwandlungsanspruchs gemäß § 850k Abs. 7 Satz 2 ZPO nach Insolvenzeröffnung bereitet Schwierigkeiten. Zwar fällt dieser als höchstpersönliches Recht nicht in die Insolvenzmasse. Problematisch wird ein z. Zt. der Eröffnung noch nicht bestehendes P-Konto jedoch aus einem anderen Grund. Der (reguläre) Girokontenvertrag und die Kontokorrentvereinbarung erlöschen durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§§ 115, 116 InsO). Besteht z. Zt. der Eröffnung kein P-Konto, ist der Auszahlungsanspruch in voller Höhe Insolvenzmasse. 874 In der Einzelzwangsvollstreckung kann der Schuldner gemäß § 850k Abs. 1 Satz 4 ZPO innerhalb von vier Wochen ab Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses die Umwandlung verlangen. In der Literatur umstritten ist, ob an die Stelle des Zeitpunktes der Zustellung des Pfändungsund Überweisungsbeschlusses die Insolvenzeröffnung tritt infolge der entsprechenden Anwendung im Insolvenzverfahren.580) Der BGH hat sich in seiner Entscheidung vom 13.2.2014 hierzu nur eingeschränkt erklärt, indem er die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts für den auf eine wirksame oder mit Rückwirkung zu fingierende Umwandlung des Kontos in ein Pfändungsschutzkonto gestützten Antrag, den Treuhänder/Insolvenzverwalter zur Rücküberweisung des an ihn ausgekehrten Guthabens zu veranlassen, verneint hat.581) Auch bestehe keine Befugnis des Insolvenzgerichts, die Rechtswirksamkeit einer vereinbarten Umwandlung einschließlich des Zeitpunktes ihres Wirksamwerdens (vgl. § 850k Abs. 1 Satz 4 ZPO) für die Verfahrensbeteiligten bindend festzustellen.582) Ob nach der Eröffnung noch eine Umwandlung in ein Pfändungsschutzkonto beansprucht werden kann, sei vielmehr im Wege der Klage des Schuldners gegen die Bank zu klären.583) Die Rückzah___________ 580) Exempl. Büchel, ZInsO 2010, 20; Casse, ZInsO 2012, 1402; Obermüller, InsbürO 2013, 18. 581) BGH, Beschl. v. 13.2.2014 – IX ZB 91/12, ZInsO 2014, 687. 582) BGH, Beschl. v. 13.2.2014 – IX ZB 91/12, ZInsO 2014, 687. 583) BGH, Beschl. v. 13.2.2014 – IX ZB 91/12, ZInsO 2014, 687.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

lung des an den Insolvenzverwalter/Treuhänder (bereits) ausgekehrten Guthabens könne der Schuldner nur im Wege einer (Zahlungs)Klage gegen den Insolvenzverwalter/Treuhänder erreichen.584) Eine abschließende Klärung dieser Rechtsfrage bleibt also der weiteren Rechtsprechung vorbehalten. Der Senat hat jedoch (obiter) auf folgende Möglichkeit hingewiesen: § 765a 875 ZPO ist im Insolvenzverfahren entsprechend anwendbar. Eine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende, ganz besondere Härte könnte darin liegen, dass das Kontoguthaben am Tag nach dem Eingang des Arbeitslohns auf dem Konto an den Treuhänder/Insolvenzverwalter ausgezahlt worden sei, sodass dem Schuldner möglicherweise keinerlei Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verblieben sind.585) Dem Insolvenzverwalter ist zu empfehlen, stellt der Schuldner keinen Antrag 876 gemäß § 765a ZPO, die Gelder zu separieren, da dem Schuldner der Prozessweg eröffnet ist (Zahlungsklage?). Wird ein Girokonto als Gemeinschaftskonto (Und-Konto) geführt, bei dem 877 die Verfügungsbefugnis nur durch beide Kontoinhaber gemeinsam ausgeübt werden kann (eher seltener Fall), erlischt der Vertrag mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Berechtigten nicht.586) Nach einer Umwandlung werden sodann zwei getrennte Konten (P-Konto/P-Konto oder P-Konto/Girokonto) „fortgeführt“. Handelt es sich bei dem Gemeinschaftskonto um ein Oder-Konto, kann je- 878 weils einer der beiden Kontoinhaber alleine über das gesamte Guthaben verfügen (Gesamtgläubigerschaft i. S. d. §§ 428 ff. BGB).587) Auch in diesem Fall erlischt der Vertrag mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Berechtigten nicht.588) Die Umwandlung in ein P-Konto kann – vorbehaltlich der aufgezeigten Probleme – jeder der beiden verlangen. Die „Fortführung“ erfolgt sodann als zwei getrennte Konten (P-Konto/P-Konto oder P-Konto/Girokonto). Pfändungsschutz nach § 850k ZPO gilt nur für ein Girokonto, nicht für ein 879 Sparkonto.589) Dies gilt auch, wenn die Gelder zunächst Pfändungsschutz über § 850k ZPO oder §§ 850 ff. ZPO genossen haben. Der Neuerwerb unterliegt dem Insolvenzbeschlag. Eine negative Surrogation existiert in dem Fall nicht.590) Schöpft der Schuldner den Freibetrag in einem Monat nicht vollständig aus, 880 besteht die Möglichkeit der einmaligen Übertragung des unverbrauchten Gut___________ 584) 585) 586) 587) 588) 589) 590)

BGH, Beschl. v. 13.2.2014 – IX ZB 91/12, ZInsO 2014, 687. BGH, Beschl. v. 13.2.2014 – IX ZB 91/12, ZInsO 2014, 687. FK-InsO/Wegener, § 116 Rn. 43. BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 16/85, ZIP 1985, 1047. FK-InsO/Wegener, § 116 Rn. 42. AG Schwarzenbek, Beschl. v. 24.5.2012 – 5 M 962/12, ZVI 2012, 354. Vgl. BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZB 170/11, InsbürO 2013, 283 f.; BGH, Beschl. v. 26.9.2013 – IX ZB 247/11, ZIP 2013, 2112 f.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

habens in den Folgemonat (§ 850k Abs. 1 Satz 3 ZPO).591) In dem Fall gilt das First in-First-out-Prinzip. 881 Der BGH hat hierzu treffend ausgeführt:592) „Arbeitseinkommen anzusparen und dem Gläubigerzugriff zeitlich unbegrenzt vorzuenthalten, ist dagegen rechtlich nicht möglich.“ 882 Ein Vollstreckungsschuldner verfügt nur dann über das Pfändungsschutzkonto, wenn er die kontoführende Bank anweist, einen Zahlungsvorgang auszulösen, und diese den beauftragten Zahlungsvorgang ausführt.593) Der vergebliche Versuch einer Barabhebung stellt keine Verfügung über den Freibetrag dar.594) Verfügungen, die der Schuldner über sein pfandfreies Guthaben trifft, sind zunächst auf das übertragende Restguthaben aus dem Vormonat anzurechnen und erst nach dessen Erschöpfung auf den neuen Sockelfreibetrag des aktuellen Monats (First-in-first-out-Prinzip).595) Hebt der Inhaber eines Pfändungsschutzkontos, das ein Guthaben aufweist, von diesem Konto am letzten Tag des Monats, einem Samstag, an einem Bankautomaten des kontoführenden Kreditinstituts einen Geldbetrag ab, der das Guthaben nicht übersteigt, so hat er an diesem Tag i. S. v. § 850k Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO über sein Guthaben auf dem Pfändungsschutzkonto verfügt, auch wenn das Kreditinstitut die Buchung auf dem Girokonto erst am darauf folgenden Montag vornimmt.596) Der Zeitpunkt der Verfügung i. S. v. § 850k Abs. 1 ZPO als Barabhebung an einem Geldautomaten ist der Zeitpunkt der Abhebung des Geldes.597)Verfügt der Kontoinhaber nur über einen Teil seines Guthabens auf dem Pfändungsschutzkonto, das sich zusammensetzt aus im laufenden Monat gutgeschriebenen Beträgen und aus Guthaben aus dem Vormonat, das gemäß § 850k Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht von der Pfändung erfasst wird, so ist diese Verfügung zunächst auf das pfändungsfreie Guthaben aus dem Vormonat anzurechnen (Bestätigung des First-in-first-out-Prinzips).598) 883 Die sog. Monatsanfangsproblematik, d. h. die Fälle, in denen eine Gutschrift von Arbeitsentgelt/Sozialleistungen zum Monatsanfang für den laufenden Monat und bereits zum Ende des gleichen Monats für den folgenden Monat erfolgt, wurde gelöst durch § 835 Abs. 4 ZPO, der über § 850k Abs. 1 Satz 2 ZPO Anwendung findet. Problematisch war dies angesichts der festgeschriebenen Freigrenzen, die durch die zweifache Gutschrift in einem Monat regelmäßig überschritten wurde, wobei die Zahlungen für zwei aufeinanderfolgende Monate erfolgten. Wird künftiges Guthaben auf einem Pfändungsschutz___________ 591) 592) 593) 594) 595) 596) 597) 598)

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LG Essen, Urt. v. 21.6.2012 – 10 S 33/12, ZVI 2012, 381. BGH, Beschl. v. 10.11.2011 – VII ZB 64/10, ZInsO 2012, 145. BGH, Urt. v. 19.10.2017 – IX ZR 3/17, ZIP 2017, 2290. BGH, Urt. v. 19.10.2017 – IX ZR 3/17, ZIP 2017, 2290. BGH, Urt. v. 19.10.2017 – IX ZR 3/17, ZIP 2017, 2290. BGH, Urt. v. 17.10.2017 – XI ZR 419/15, ZIP 2017, 2292. BGH, Urt. v. 17.10.2017 – XI ZR 419/15, ZIP 2017, 2292. BGH, Urt. v. 17.10.2017 – XI ZR 419/15, ZIP 2017, 2292.

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

konto gepfändet und dem Gläubiger überwiesen, darf der Drittschuldner erst nach Ablauf des nächsten auf die jeweilige Gutschrift von eingehenden Zahlungen folgenden Kalendermonats an den Gläubiger leisten oder den Betrag hinterlegen (§ 835 Abs. 4 ZPO). Werden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für zurückliegende Zeiträume nachgezahlt, sind bei der Bemessung des pfändungsfreien Betrages gemäß § 850k Abs. 4 ZPO die nachgezahlten Beträge den Leistungszeiträumen zuzurechnen, für die sie gezahlt werden (Fortführung von BGH, Beschl. v. 25.10.2012 – VII ZB 31/12, MDR 2013, 57; vgl. BGH, Beschl. v. 24.1.2018 – VII ZB 27/17).599) Bezieht der Schuldner monatlich gleichbleibende unpfändbare Einkünfte, die 884 über der (ggf. erhöhten) Freibetragsgrenze liegen, ist eine betragsmäßig abweichende Festsetzung in Anlehnung an die Pfändungsfreigrenzen zum Arbeitseinkommen (§§ 850 ff. ZPO) durch das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners möglich (§ 850k Abs. 4 ZPO). Beispiel:

885

Schuldner, ledig, keine Unterhaltspflichten mtl. Einkünfte (unpfändbarer Betrag, § 850 ff. ZPO)

1.300,00 €

Unpfändbar § 850k Abs. 1 ZPO

1.133,80 €

„Doppelpfändung“

166,20 €

Das Insolvenzgericht kann den unpfändbaren Betrag abweichend auf 1.300,00 € monatlich festlegen (Beschluss). Eine betragsmäßig abweichende Festsetzung gemäß § 850k Abs. 4 ZPO ist 886 auch auf Antrag des Insolvenzverwalters möglich, wenn der Schuldner wegen Unterhaltspflichten einen erhöhten Freibetrag in Anspruch nimmt, die/der Unterhaltsberechtigte aber über ausreichend eigene Einkünfte verfügt (vgl. §§ 35, 36 Abs. 1 InsO i. V. m. § 850c Abs. 4 und § 850k ZPO). Ein anders gelagertes Problem der „Doppelpfändung“ stellt sich dann, wenn 887 der Schuldner monatlich variierende unpfändbare Einkünfte bezieht (z. B. infolge variierender Spesen). Eine betragsmäßig abweichende Festsetzung hilft hier nicht weiter. Eine Lösungsoption wäre § 850l ZPO in analoger Anwendung, indem eine 888 gerichtliche Anordnung einer bis zu zwölf Monaten befristeten Unpfändbarkeit ergehen würde. Problematisch ist in dem Fall regelmäßig die erforderliche Glaubhaftmachung, dass in den letzten sechs Monaten ganz überwiegend nur unpfändbare Beträge gutgeschrieben worden sind (unwahrscheinlich bei Doppelpfändung). Noch schwerer wiegt wohl, dass § 850l ZPO im ___________ 599) BGH, Beschl. v. 24.1.2018 – VII ZB 21/17, NJW-RR 2018, 570.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Insolvenzverfahren keine Anwendung findet (vgl. § 36 Abs. 1 InsO). Der BGH hat für dieses Problem den Weg zum „Quellenpfändungsschutz“ eröffnet.600) Bei monatlich unterschiedlich hohem, vom Sockelfreibetrag abweichenden unpfändbaren Einkommensanteil kann der abweichende Freibetrag gerichtlich durch Bezugnahme auf das vom Arbeitgeber pfändungsfreie Einkommen festgesetzt werden. 889 Beispiel: Schuldner, ledig, keine Unterhaltspflichten mtl. Einkünfte (unpfändbarer Betrag, § 850 ff. ZPO) Unpfändbar § 850k Abs. 1 ZPO „Doppelpfändung“

1.300,00 € – 1.500,00 € 1.133,80 € 166,20 € – 366,20 €

890 Ein weiterer Problemkreis der praktischen Anwendung besteht regelmäßig bei Selbstständigen. 891 Selbstständige verfügen neben dem Privatgirokonto (P-Konto) meist über ein weiteres Geschäftskonto. Jeder Schuldner darf aber nur ein P-Konto führen, sodass das Geschäftskonto nicht zur Führung als P-Konto zulässig ist (§ 850k Abs. 8 Satz 1 ZPO). Nach Auffassung der Verfasserin ist das P-Konto auch nicht auf den geschäftlichen Zweck ausgerichtet. 892 Dennoch kann, verfügt der Schuldner über nur ein Konto, das sowohl privat, als auch geschäftlich genutzt wird, dieses in ein P-Konto umgewandelt werden. Problematisch wird es dann, wenn nur der (ggf. erhöhte) Freibetrag nicht ausreicht, um die Aufwendung der privaten und geschäftlichen Bereiche zu decken. 893 Eine betragsmäßig abweichende Festsetzung gemäß § 850k Abs. 4 ZPO ist kaum praktikabel, da Umsätze regelmäßig höchst variabel sind. Die Anordnung eines „Quellenpfändungsschutzes“ ist zumeist auch schwierig, wenn nicht ausschließlich „Dauerkundschaft“ (abgeschlossener Kreis der „Quellen“) bedient wird. 894 Aus geschilderten Gründen wird eine Kontenfreigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter in den Insolvenzverfahren Selbstständiger für zulässig erachtet.601) Zu bedenken ist jedoch, dass eine Freigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter kein Aliud zu einem gerichtlichen Beschluss darstellt und eine Freigabe wohl auch auf Verwalterseite haftungsträchtig sein kann. Eine solche Kontenfreigabe würde nur in den Fällen erklärt, in denen der schuldnerische Betrieb über die Masse fortgeführt würde. Aus den nachfolgenden ___________ 600) BGH, Urt. v. 10.11.2011 – VII ZB 64/10, InsbürO 2012, 281 = ZInsO 2012, 145. 601) So Grote/Obermüller/Pape/Obermüller, Insolvenz und Sanierung – auf der Dauerbaustelle geht es weiter, Kap. I. 1. a).

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Gründen ist von einer solchen Freigabe bereits angesichts der Haftungsgefahren nach Auffassung der Verfasserin dringend abzuraten. Erfolgt eine Fortführung des Geschäftsbetriebs über die Insolvenzmasse, kann 895 dem Schuldner Unterhalt aus der Insolvenzmasse (§ 100 InsO) bzw. auf Antrag ein ihm zu belassender Betrag gemäß § 850i ZPO gewährt werden. Für die Auszahlung des Unterhalts/Selbstbehalts aus der Insolvenzmasse kann der Schuldner ein P-Konto einrichten; hier dürften i. a. R. die Freibeträge gemäß § 850k Abs. 1, 2 ZPO ausreichen. Wurde die selbstständige Tätigkeit aus der Insolvenzmasse freigegeben (§ 35 896 Abs. 2 InsO), sind mit der Freigabe des Geschäftsbetriebs auch sämtliche, damit verbundenen Vertragsverhältnisse freigeben.602) Dies ist auch für das Geschäftskonto anzunehmen, sodass es in dem Fall auch keiner Freigabe des Geschäftskontos mehr bedarf (Ein „bisschen Freigabe“ gibt’s nicht!). Wurde im Vorfeld des Insolvenzverfahrens die Einzelzwangsvollstreckung 897 gegen den Schuldner betrieben und dessen Ansprüche gegen die Bank im Wege der sog. Vorratspfändung603) gepfändet, können nach Insolvenzeröffnung entstehende, den Freibetrag übersteigende Auszahlungsansprüche grds. nur der Masse zustehen, da zugunsten der Gläubiger keine Rechte mehr begründet werden können (vgl. § 91 InsO). Diese Forderungen sind aber nach wie vor verstrickt, und zwar auch dann, wenn die Sicherung im Wege der Zwangsvollstreckung innerhalb der Frist des § 88 InsO erlangt wurde, aber durch § 88 InsO unwirksam wird.604) Der Insolvenzverwalter hat entsprechend der unter Kapitel D.VI.3.l) beschriebenen Grundsätze zu handeln, um die Wirkungen der Verstrickung zu beseitigen.605) Lastschriftbuchungen sind im Rahmen der Freigrenzen zulässig und vom 898 Schuldner zu genehmigen, nicht vom Insolvenzverwalter. Dies ergibt sich aus der Argumentation des BGH zur Verfügungsberechtigten des Schuldners in Höhe des sog. „Schonvermögens“ (= kein Neuerwerb).606) Bestimmungen über zusätzliche, über die normalen Kontoführungsgebühren 899 hinausgehenden Entgelte für die Führung eines P-Kontos sind unwirksam, da die Führung eines Kontos als P-Konto eine gesetzliche Verpflichtung darstellt, die als Nebenpflicht zur „normalen Kontenführung“ gilt und deren zu___________ 602) Vgl. zum Mietverhältnis BGH, Urt. v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11, ZInsO 2012, 481. 603) Zwangsvollstreckung in die zum Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bestehenden und alle künftig gegen den jeweiligen Drittschuldner noch entstehenden Ansprüche. 604) BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 40/17, ZIP 2017, 2016. 605) Siehe vertiefend auch AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 = ZIP 2018, 1941 = ZVI 2018, 447m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/1, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70.; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 606) BGH, Urt. v. 20.7.2010 – XI ZR 37/09, ZInsO 2010, 1534.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

sätzlicher Aufwand kostenmäßig nicht auf die Kunden abgewälzt werden kann.607) 900 Fordert die Bank pauschal ein Entgelt für die Nacherstellung von Kontoauszügen, ist die dahingehende Klausel im Preis- und Leistungsverzeichnis (z. B. „Nacherstellung von Kontoauszügen pro Auszug 15 €“) wegen Verstoßes gegen § 675d Abs. 3 Satz 2 BGB im Verhältnis zu Verbrauchern unwirksam. Der Schuldner kann demnach Zweitkontoauszüge anfordern und muss dafür ein Entgelt entrichten, was „an den tatsächlichen Kosten des Zahlungsdienstleisters ausgerichtet sein“ muss, die oft geringer sind als die Pauschalen.608) n) Erbschaft 901 Ist der Schuldner Erbe eines Dritten, sind insolvenzrechtlich zwei wesentliche Kriterien zu beachten, die maßgeblichen Einfluss auf die Bearbeitung haben: x

Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft,

x

Alleinerbe oder Mitglied einer Erbengemeinschaft. § 1922 Abs. 1 BGB Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über.

902 Fällt dem Schuldner eine Erbschaft an, gehen damit nicht zwingend wirtschaftliche Vorteile einher. Das Vermögen des Erblassers geht als Ganzes auf den Schuldnererben über – demnach nicht nur die Aktiva, sondern auch die Passiva (Gesamtrechtsnachfolge = Universalsukzession). 903 Ist der Nachlass überschuldet, kann der Schuldner die Erbschaft ausschlagen. Das Recht zur Ausschlagung ist ein höchstpersönliches Recht und kann auch nach Eröffnung nicht vom Insolvenzverwalter ausgeübt werden (vgl. § 83 Abs. 1 InsO). Die Ausschlagung einer Erbschaft ist weder eine Obliegenheitsverletzung noch eine Vermögensverschwendung, die die Versagung der Restschuldbefreiung rechtfertigt.609) Gleiches gilt für die Nicht-Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs.610) Erbfall im eröffneten Verfahren 904 Der Nachlass, der dem Schuldner im eröffneten Verfahren bis zur Aufhebung anfällt, fällt in vollem Umfang in die Insolvenzmasse. Dies gilt auch ___________ 607) BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 145/12 und XI ZR 500/11, ZInsO 2013, 264 und ZInsO 2013, 40. 608) BGH, Urt. v. 17.12.2013 – XI ZR 66/13, ZIP 2014, 259. 609) LG Mainz, Beschl. v. 23.4.2003 – 8 T 79/03, ZInsO 2003, 525. 610) Die Ausschlagung unterliegt auch dann nicht der Anfechtung (§§ 129 ff. InsO), wenn etwa die Ausschlagung in Gläubigerbenachteiligungsabsicht geschieht.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

dann, wenn der Nachlass der Testamentsvollstreckung unterliegt.611) Der unter Testamentsvollstreckung stehende Nachlass, der in die Insolvenzmasse fällt, bildet bis zur Beendigung der Testamentsvollstreckung eine Sondermasse, auf die die Nachlassgläubiger, nicht aber die Erbengläubiger Zugriff nehmen können.612) Auch kann hinsichtlich des Nachlasses die Nachtragsverteilung angeordnet werden (§ 203 InsO), wenn der Erbfall – und damit der Anfall der Erbschaft – vor Aufhebung des Verfahrens lag.613) Ist der Schuldner Mitglied einer ungeteilten Erbengemeinschaft steht dem 905 einzelnen Miterben keine unmittelbare dingliche Berechtigung an einem zum Nachlass gehörenden Gegenstand zu.614) Demnach fällt nicht sein Anteil an den Nachlassgegenständen, sondern sein Erbanteil in die Insolvenzmasse. Der Insolvenzverwalter ist in Ausübung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis berechtigt und verpflichtet, anstelle des Schuldnererben die Auseinandersetzung des Nachlasses zu betreiben (§ 2042 Abs. 1 BGB).615) Ein Pflichtteilsanspruch (§ 2303 BGB) entsteht mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1, 906 § 1922 Abs. 1 BGB. Der Pfändung ist er nur unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist (§ 852 ZPO). Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH kann der Pflichtteilsanspruch bereits vor der vertraglichen Anerkennung oder Rechtshängigkeit als in seiner zwangsweisen Verwertbarkeit aufschiebend bedingter Anspruch gepfändet werden.616) Der Anspruch unterliegt demnach einem bedingten Insolvenzbeschlag.617) Dass nicht der Verwalter, sondern nur der pflichtteilsberechtigte Schuldner über die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs zu entscheiden hat, ändert nichts an der Zugehörigkeit des Anspruchs zur Masse. Merke: Der Pflichtteilsanspruch ist massezugehörig, kann aber nur vom pflichtteilsberechtigten Schuldner geltend gemacht werden. Kann der angesichts eines bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens einge- 907 tretenen Erbfalls entstandene Pflichtteilsanspruch des Schuldners schon im eröffneten Verfahren geltend gemacht werden, unterliegt dieser dem Massebeschlag. Ist der Anspruch im eröffneten Verfahren entstanden und wird erst ___________ 611) BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 42/05, ZIP 2006, 1258; BGH, Beschl. v. 15.7.2010 – IX ZB 229/07, ZIP 2010, 1610. 612) BGH, Urt. v. 11.5.2006 – IX ZR 42/05, ZIP 2006, 1258. 613) BGH, Beschl. v. 15.7.2010 – IX ZB 229/07, ZIP 2010, 1610. 614) BGH, Urt. v. 17.11.2000 – V ZR 487/99, WM 2001, 477; BGH, Beschl. v. 24.1.2001 – IV ZB 24/00, WM 2001, 993. 615) BGH, Beschl. v. 19.11.2005 – V ZB 197/10, ZIP 2011, 1273. 616) BGH, Beschl. v. 8.7.1993 – IX ZR 116/92, ZIP 1993, 1662; BGH, Urt. v. 6.5.1997 – IX ZR 147/96, ZIP 1997, 1302. 617) BGH, Beschl. v. 25.6.2009 – IX ZB 196/08, NZI 2009, 563.

225

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

nach Aufhebung des Verfahrens geltend gemacht, kann eine Nachtragsverteilung angeordnet werden.618) Erbfall in der Wohlverhaltensphase 908 Fällt die Erbschaft dem Schuldner in der Wohlverhaltensphase an (Erbfall nach Aufhebung des Verfahrens), normiert § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO, dass der Schuldner dieses Vermögen an den Treuhänder zur Hälfte herauszugeben hat. Ein Verstoß gegen die Herausgabepflicht ist eine Obliegenheitsverletzung, die möglicherweise die Versagung der Restschuldbefreiung nach sich zieht. Die Obliegenheit kann nicht durch Übertragung eines Anteils am Nachlass erfüllt werden; der Schuldner hat die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zu betreiben und muss sodann die Hälfte des auf ihn entfallenden Vermögens – den Wert in Geld – (nach „Versilberung“) an den Treuhänder herausgeben.619) 909 Macht der Schuldner einen Pflichtteilsanspruch nicht geltend und verjährt dieser, stellt dies keine Obliegenheitsverletzung dar, da dies dem persönlichen Charakter zuwiderlaufen würde.620) Macht der Schuldner einen vor Ablauf der Abtretungsfrist entstandenen Pflichtteilsanspruch erst nach Ablauf dieser Frist geltend, muss er nicht mehr die Hälfte des Wertes an den Treuhänder abführen. Dies gilt auch für ein (noch) nicht angenommenes Vermächtnis.621) o) Anfechtungsansprüche aa) Verbraucherinsolvenzverfahren 910 Mit Inkrafttreten des überwiegenden Teils der Regelungen des am 18.7.2013 verkündeten Gesetzes zur Reform der Verbraucherinsolvenz- und der Restschuldbefreiungsverfahren622) zum 1.7.2014 wurden die Vorschriften §§ 312 bis 314 InsO gestrichen. 911 In den Verbraucherinsolvenzverfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 ist der Treuhänder (§ 313 InsO a. F.) zur Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO nur mit Auftrag der Gläubigerversammlung berechtigt (§ 313 Abs. 2 Satz 1, 3 InsO). Das originäre Anfechtungsrecht steht den Insolvenzgläubigern zu (§ 313 Abs. 2 Satz 1 InsO). 912 Der Insolvenzverwalter in Verbraucherinsolvenzverfahren, die ab dem 1.7.2014 beantragt werden, ist berechtigt (und verpflichtet), ohne Weiteres die insol___________ 618) BGH, Beschl. v. 16.7.2009 – IX ZB 72/09, ZInsO 2009, 1831; LG Münster, Beschl. v. 13.7.2009 – 5 T 296/09, NZI 2009, 657. 619) BGH, Beschl. v. 10.1.2013 – IX ZB 163/11, NZI 2013, 191. 620) BGH, Beschl. v. 25.6.2009 – IX ZB 196/08, NZI 2009, 563. 621) BGH, Beschl. v. 10.3.2011 – IX ZB 168/09, NZI 2011, 329. 622) Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 29.3.2017, BGBl I, 654.

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

venzrechtliche Anfechtung zu erklären und die Anspruchsdurchsetzung zu verfolgen. bb) Grundlegendes Die Insolvenzanfechtung kann ein schlagkräftiges und vielfach erheblich 913 massemehrendes Instrumentarium darstellen. Im Vorfeld der Insolvenz hat der Schuldner meist versucht, nach Eintritt der Krise zumindest noch Forderungen einzelner Gläubiger zu befriedigen. Auch haben einzelne Gläubiger nach Eintritt der Krise noch versucht, Ihre Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung beizutreiben. Das Anfechtungsrecht bezweckt den Erhalt der Aktivmasse und die Verhin- 914 derung der Verkürzung der Haftungsmasse für die Gläubigergesamtheit. Als Ausfluss des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes (par conditio creditorum) gibt das Insolvenzanfechtungsrecht ein Instrumentarium an die Hand, mit dem die (bevorzugte) Befriedigung einzelner zugunsten der Befriedigungsmöglichkeiten aller Gläubiger sichergestellt werden kann. Daneben können sonstige Vermögensabflüsse an nicht beteiligte Gläubiger im wirtschaftlichen Sinne rückabgewickelt werden. Praxistipp: Mit § 143 InsO erhält der Insolvenzverwalter eine originäre Anspruchsgrundlage. Der in anfechtbarer Weise aus der Aktivmasse ausgeschiedene Vermögenswert ist zur Insolvenzmasse zurückzuerstatten.

Am 4.4.2017 ist eine im Vorfeld lange diskutierte Reform des Anfechtungs- 915 rechts in Form des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen verkündet worden,623) in Kraft getreten weitgehend am 5.4.2017. Die Übergangsregelung Art. 103j EGInsO beschreibt die Anwendbarkeit der alten Rechtslage auf Insolvenzverfahren, die vor dem 5.4.2017 eröffnet worden sind (vorbehaltlich des Art. 103j Abs. 2 EGInsO), die bis dahin geltenden Vorschriften weiter anzuwenden. Im Rahmen einer Insolvenzanfechtung entstandene Ansprüche auf Zinsen oder die Herausgabe von Nutzungen unterliegen vor dem 5.4.2017 den bis dahin geltenden Vorschriften (Art. 103j Abs. 2 EGInsO). Für die Zeit ab dem 5.4.2017 ist auf diese Ansprüche § 143 Abs. 1 Satz 3 InsO in der ab dem 5.4.2017 geltenden Fassung anzuwenden (Art 103j Abs. 2 EGInsO). Der BFH hat jüngst und entsprechend seiner konsequenten Linie zum Ver- 916 ständnis von Masseverbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis auch die steuerlichen Konsequenzen der Anfechtung weiter definiert. Zahlt ein Gläubiger des Insolvenzschuldners Beträge, die er vor Insolvenzeröffnung ___________ 623) BGBl I, 2379 ff.

227

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

vom Insolvenzschuldner vereinnahmt hat, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens infolge einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung in die Insolvenzmasse zurück, hat der Insolvenzverwalter im Zeitpunkt der Rückzahlung den Vorsteuerabzug gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen.624) Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs führt zum Entstehen einer Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.625) Es entstehen keine Säumniszuschläge, wenn aufgrund einer Anfechtung des Insolvenzverwalters Steuern, die bis zum Ablauf des Fälligkeitstages vom Insolvenzschuldner gezahlt wurden, zurückgewährt werden.626) Dass die Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO aufgrund einer Rückzahlung an den Insolvenzverwalter zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 2 UStG führt, beruht unionsrechtlich auf Art. 185 MwStSystRL, nicht aber auf Art. 90 MwStSystRL.627) cc) Systematik 917 Die Systematik der Anfechtungsvorschriften erschließt sich aus nachstehender Übersicht: Grundnorm § 129

Kongruente Deckung § 130

Inkongruente Deckung § 131

Vorsätzliche Benachteiligung § 133

Unentgeltl. Leistung § 134

Bargeschäft § 142

Zeitpunkt d. Vornahme d. Rechtsh. § 140

Nahestehende Personen § 138 Rechtsfolgen § 143

Abb. 6: Systematik der Anfechtungsvorschriften (InsO)

___________ 624) 625) 626) 627)

228

BFH, Urt. v. 29.3.2017 – XI R 5/16, BStBl 2017 II, 738 ff. BFH, Urt. v. 29.3.2017 – XI R 5/16, BStBl 2017 II, 738 ff. BFH, Urt. v. 22.11.2017 – XI R 14/16, BStBl II 2018, 455. BFH, Urt. v. 13.11.2018 – V B 60/18, ZIP 2019, 184.

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

In den Insolvenzverfahren natürlicher Personen konzentriert sich die ganz 918 überwiegende Anzahl der Fälle auf den Bereich der §§ 130, 131, 133 und 134 InsO. Die nachfolgenden Ausführungen sollen anhand einiger „typischer“ Beispiele 919 einen ersten Einblick in das Anfechtungsrecht geben. Eine erschöpfende Besprechung des Anfechtungsrechts würde der Zielsetzung dieses Buches nicht entsprechen. Der Fokus liegt daher darauf, möglicherweise anfechtbare Sachverhalte zu erkennen und ein Gespür für diese zu entwickeln. dd) Allgemeine Voraussetzungen der Anfechtung Als allgemeine Tatbestandsvoraussetzung aller Anfechtungsansprüche muss 920 stets eine objektive Gläubigerbenachteiligung vorliegen, § 129 Abs. 1 InsO. Diese ist dann anzunehmen, wenn die anfechtbare Rechtshandlung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse und damit Verkürzung des Haftvermögens geführt hat.628) Die Minderung des Schuldnervermögens, das als Haftungsmasse zur Befriedigung der Gläubigergesamtheit zur Verfügung steht, kann eintreten durch eine Verkürzung der Aktivmasse oder eine Vermehrung der Schuldenmasse mit der Folge, dass dadurch eine Vereitelung, Erschwerung oder Verzögerung des Gläubigerzugriffs auf das Schuldnervermögen verbunden ist.629) Die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger müssen ohne die angefochtene Rechtshandlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gewesen sein. Eine Anfechtung scheidet mangels Gläubigerbenachteiligung aus, wenn der 921 aus dem Vermögen abgeflossene Gegenstand mangels Pfändbarkeit nicht dem Insolvenzbeschlag unterlag (vgl. §§ 35, 36 Abs. 1 InsO i. V. m. den Regelungen der ZPO, 8. Buch). „Da die Zugriffslage wiederhergestellt werden soll, die ohne die anfechtbare Handlung bestanden hätte, scheidet eine Anfechtung aus, wenn der veräußerte Gegenstand nicht der Zwangsvollstreckung unterlag und darum gemäß § 36 InsO nicht in die Insolvenzmasse gefallen wäre. Eine Gläubigerbenachteiligung ist eingetreten, weil der Schuldner die angefochtenen Zahlungen aus seinem pfändbaren Arbeitseinkommen erbracht hat.“630) An einer objektiven Gläubigerbenachteiligung fehlt es, wenn „die Zahlung aus insolvenzfreiem Vermögen des Schuldners erfolgte“. Befriedigt der Schuldner einen Gläubiger durch eine Verfügung über unpfändbare Gegenstände, ist die Befriedigung mangels Gläubigerbenachteiligung nicht anfechtbar, weil diese Gegenstände von vornherein nicht zur Insolvenzmasse i. S. d. §§ 35, 36 InsO gehören.631) Zu beachten ist auch, dass es ___________ 628) St. Rspr., vgl. exemplarisch BGH, Urt. v. 27.5.2003 – IX ZR 169/02, ZInsO 2003, 764. 629) BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 74/11, ZIP 2012, 1038. 630) BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 280/13 Rn. 12, 13, ZIP 2014, 1887; wohl auch LAG Köln, Urt. v. 6.3.2015 – 4 Sa 726/14, ZIP 2015, 2183, dazu EWiR 2016, 23 (Stiller). 631) BGH, Urt. v. 7.4.2016 – IX ZR 145/15 Rn. 17, ZIP 2016, 1174.

229

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

keine negative Surrogation gibt.632) Befriedigt der Schuldner Gläubiger aus Geldmitteln, die aus dem (ursprünglich) unpfändbaren Arbeitseinkommen stammen und auf dem Girokonto gutgeschrieben wurden, und handelt es sich nicht um ein Pfändungsschutzkonto (§ 850k ZPO), sind die Zahlungen unter den Voraussetzung der §§ 130 ff. InsO anfechtbar. Einige grundsätzliche Unterscheidungen, wann Gläubigerbenachteiligung vorliegend, können der nachstehende Übersicht entnommen werden: Praxistipp: Gläubigerbenachteiligung (+) Bei Entstehung eines Pfändungspfandrechts, da in der wirtschaftlichen Krise aus§§ 803 ff. ZPO kein Recht auf Befriedigung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung mit staatlichen Mitteln hergeleitet werden kann.633) (+) Bei Begleichung einer Verbindlichkeit durch den Schuldner, obwohl dieser eine Einwendung hätte entgegenhalten können.634) (+) Bei Veräußerungen von Gegenständen der Insolvenzmasse unter Wert durch den Insolvenzschuldner; die Gegenleistung soll aufgrund der vertraglichen Vereinbarung nur einzelnen Gläubigern zugutekommen.635) (+) Bei Veräußerung eines Sicherungsgutes unter Wert mit Zustimmung des Schuldners.636) (–) Bei Erbringung einer gleichwertigen Gegenleistung des Anfechtungsgegners. (–) Bei Bestellung einer angemessenen Sicherheit gegen Darlehensgewährung oder die Ablösung einer vollwertigen, selbst insolvenzbeständigen Sicherheit637).

922 Die Anfechtung erfasst alle Handlungen, die eine rechtliche Wirkung auslösen (Rechtshandlungen).638) Der BGH definiert eine Rechtshandlung als „jede bewusste Willensbetätigung, die eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann“.639) Rechtshandlungen sind jedes Tun und Unterlassen (§ 129 Abs. 1, 2 InsO). Zu den Rechtshandlungen zählen neben rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen auch Realakte, Prozesshandlungen sowie hoheitliche Vollstreckungsakte. Einzelne Anfechtungstatbestände schränken den Begriff der Rechtshandlung ein (vgl. z. B. § 133 Abs. 1 InsO auf ___________ 632) BGH, Beschl. v. 26.9.2013 – IX ZB 247/11, ZIP 2013, 2112; BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZB 170/11, NZI 2013, 648. 633) BGH, Urt. v. 9.9.1997 – IX ZR 14/97, ZIP 1997, 1929. 634) BGH, Urt. v. 6.4.1995 – IX ZR 61/94, ZIP 1995, 1021. 635) BGH, Urt. v. 9.2.1955 – IV ZR 173/54, NJW 1955, 394. 636) BGH, Urt. v. 9.1.1997 – IX ZR 1/96, ZIP 1997, 367. 637) BGH, Urt. v. 21.3.2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898. 638) Vgl. BGH, Urt. v. 15.10.1975 – VIII ZR 62/74, DB 1976, 673. 639) BGH, Beschl. v. 5.2.2004 – IX ZR 473/00, ZInsO, 2004, 499.

230

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

eine Rechtshandlung des Schuldners, § 134 InsO auf eine unentgeltliche Leistung des Schuldners oder § 132 InsO auf ein Rechtsgeschäft des Schuldners). ee) Die Anfechtungstatbestände Kongruente Deckung gemäß § 130 InsO Anfechtbar nach § 130 InsO sind unter den genannten Voraussetzungen kon- 923 gruente Befriedigungen oder Sicherungen eines Gläubigers. § 130 InsO – Kongruente Deckung (1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, 1.

wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte oder

2.

wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.

Dies gilt nicht, soweit die Rechtshandlung auf einer Sicherungsvereinbarung beruht, die die Verpflichtung enthält, eine Finanzsicherheit, eine andere oder eine zusätzliche Finanzsicherheit im Sinne des § 1 Abs. 17 des Kreditwesengesetzes zu bestellen, um das in der Sicherungsvereinbarung festgelegte Verhältnis zwischen dem Wert der gesicherten Verbindlichkeiten und dem Wert der geleisteten Sicherheiten wiederherzustellen (Margensicherheit). (2) Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen. (3) Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahe stand (§ 138), wird vermutet, dass sie die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.

Kongruenz bedeutet sinngemäß die „Übereinstimmung der Leistung mit der 924 Verpflichtung“. Der Gläubiger hat einen Anspruch auf eine Leistung dieser Art zu dieser Zeit. Als Anfechtungsgegner kommen im Rahmen von § 130 InsO nur Insolvenzgläubiger in Betracht, demnach auch absonderungsberechtigte Gläubiger, soweit sie einen persönlichen Anspruch gegen den Schuldner haben.640) § 130 InsO beinhaltet zwei objektive Anfechtungsvoraussetzungen: die Zah- 925 lungsunfähigkeit und die Dreimonatsfrist. Die Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 17 InsO (Legaldefinition) muss zum Zeit- 926 punkt der Rechtshandlung vorgelegen haben. Der Begriff der Zahlungsunfä___________ 640) BGH, Urt. v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZInsO 2007, 605.

231

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

higkeit hat durch die Rechtsprechung eine weitreichende Klärung erfahren.641) Bestimmte, höchstrichterlich herausgearbeitete Indizien gestatten den Schluss auf eine Zahlungseinstellung und damit auf Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 Satz 2).642) Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO) kann mithilfe einer Liquiditätsbilanz festgestellt werden.643) Insoweit sind während des Prognosezeitraums sämtliche liquiden Mittel des Schuldners wie auch die ihn treffenden Verbindlichkeiten zu beachten.644) Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet.645) Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder einer Unterdeckung von mindestens 10 % nicht.646) Diese Indizien sind ganz maßgeblich geprägt durch Rechtsprechung, so dass nachfolgender Überblick als Grundverständnis und Anhaltspunkt dienen soll; eine Einzelfallwürdigung ist niemals unentbehrlich. Schlagwort

Indiz

Betriebsnotwendigkeit

Rückstand mit erheblichen, ste- BGH v. 24.3.2016 – IX ZR 242/13; tig anwachsenden Verbindlich- BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12 keiten gegenüber dem Hauptlieferanten

Rechtsprechung

Betriebsnotwendigkeit

Monatelanger Rückstand auf betriebsnotwendige, fortlaufende Verbindlichkeiten

BGH v. 30.4.2015 – IX ZR 149/14

Eigene Erklärung

Eigene Erklärung der Illiquidität

BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZInsO 2013, 190 Rn. 21; BGH v. 14.7.2016 – IX ZR 188/15, ZInsO 2016, 1749 Rn. 17.

Existenzieller Gläubiger

Dem Schuldner ist regelmäßig an einer möglichst störungsfreien Geschäftsabwicklung gerade im Verhältnis zu seinem Hauptlieferanten gelegen. In der Nichtbegleichung allein seiner Forderung kann sich folglich die Zahlungseinstellung des Schuldners äußern.

BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZInsO 2013, 190 Rn. 23; BGH v. 9.6.2016 – IX ZR 174/15, ZInsO 2016, 1357 Rn. 24.

___________ 641) 642) 643) 644) 645) 646)

232

Gehrlein, ZInsO 2018, 354 ff. Gehrlein, ZInsO 2018, 354 ff. Gehrlein, ZInsO 2018, 354 ff. Gehrlein, ZInsO 2018, 354 ff. BGH, Urt. v. 17.12.2015 – IX ZR 61/14, ZIP 2016, 173. BGH, Urt. v. 17.12.2015 – IX ZR 61/14, ZIP 2016, 173.

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen Schlagwort

Indiz

Rechtsprechung

Inkongruenz

Inkongruente Zahlung nach Insolvenzantrag

BGH v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11; BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01

Inkongruenz

Inkongruente Deckung, weil BGH v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09 der Gläubiger eine Befriedigung oder Sicherheit erlangt hat, die er nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte.

Kreditlinie

Schuldner leistet bloße Teilzahlungen aus der lediglich geduldeten Überziehung des Kontos und bekommt auch künftig keinen zusätzlichen Kredit zu marktüblichen Bedingungen mehr, weil seine Hausbank eine Ausweitung der Kreditlinie abgelehnt hat.

BGH v. 21.1.2016 – IX ZR 32/14

Lastschrift

Zurückgegebene Lastschriften

BGH v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12; BGH v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08

Liefersperre (Androhung)

Es reicht, dass der Schuldner aus seiner objektivierten Sicht ernsthaft mit Umsetzung der Liefersperre rechnen musste.

BGH v. 9.6.2016 – IX ZR 174/15, ZInsO 2016, 1357 Rn. 26.

Operieren am finanzwirtschaftlichen Abgrund

Leistet die Schuldnerin wiederholt bloße Teilzahlungen über bei unterschiedlichen Kreditinstituten unterhaltenen Konten, deuten diese Umstände auf strategische Zahlungen der Schuldnerin, die sich zur Schonung ihrer schwindenden Liquidität auf Teilzahlungen über gerade eine hinreichende Deckung ausweisende Konten beschränkte. Diese Gegebenheiten tragen zu dem Gesamtbild eines am Rande des finanzwirtschaftlichen Abgrunds operierenden Schuldners bei, dem es auf Dauer nicht gelingt, bestehende Liquiditätslücken zu schließen, sondern der nur noch darum bemüht ist, trotz fehlender Mittel den Anschein eines funktionstüchtigen Geschäftsbetriebs aufrechtzuerhalten.

BGH v. 7.5.2015 – IX ZR 95/14, ZInsO 2015, 1262 Rn. 21; BGH v. 9.6.2016 – IX ZR 174/15, ZInsO 2016, 1357 Rn. 23.

233

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren Schlagwort

Indiz

Rechtsprechung

Ratenzahlung

Erklärt sich der Schuldner einer geringfügigen Forderung gegenüber dem Gerichtsvollzieher zum Abschluss einer Zahlungsvereinbarung bereit, muss der Gläubiger allein aus diesem Umstand nicht zwingend darauf schließen, dass der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (= Zahlungsunfähigkeit vorliegt – auch bedeutsam für Indizien gem. § 133 InsO.

BGH 9.7.2017 – IX ZR 178/16

Ratenzahlung

Aus der Äußerung des Schuld- BGH v. 14.7.2016 – IX ZR 188/15 ners, er könne die insgesamt offenstehende Forderung nicht sofort und nicht in einem Zuge bezahlen, musste der Gläubiger nicht zwingend auf dessen Zahlungseinstellung schließen. (Insgesamt Konkretisierung der Voraussetzungen der Anfechtung bei Ratenzahlung; keine schematische Betrachtung).

Ratenzahlung

Eine Bitte um Ratenzahlung ist nur dann ein Indiz für eine Zahlungseinstellung, wenn sie vom Schuldner mit der Erklärung verbunden wird, seine fälligen Verbindlichkeiten (anders) nicht begleichen zu können.

BGH v. 16.4.2016 – IX ZR 6/14, ZInsO 2015, 898 Rn. 4; BGH v. 25.2.2016 – IX ZR 109/15, ZInsO 2016, 628 Rn. 21.

Ratenzahlung

Bitte um Ratenzahlung, verbunden mit der Erklärung, fällige Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können, insbesondere, wenn die Ratenzahlung nach fruchtlosen Mahnungen und nichteingehaltenen Zahlungszusagen mit einem vom Gläubiger beauftragten Inkassounternehmen vereinbart wird.

BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 308/14; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06; BGH. v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08

Ratenzahlung

Indizien für eine ZahlungseinBGH v. 9.6.2016 – IX ZR 174/15 stellung sind gegeben, wenn der Schuldner selbst erteilte Zahlungszusagen nicht einhält oder verspätete Zahlungen nur unter dem Druck einer angedrohten Liefersperre vornimmt

Scheck

Nicht gedeckte/nicht eingelöste Schecks

BGH v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12; BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZInsO 2011, 1410 Rn. 17.

Schweigen

Monatelanges Schweigen auf Rechnungen und Mahnungen

BGH v. 25.2.2016 – IX ZR 109/15; BGH v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12

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VI. Ausgewählte Verwertungsfragen Schlagwort

Indiz

Rechtsprechung

Sozialversicherungsbeiträge

Mehr als halbjährliches Nichtbegleichen der Sozialversicherungsbeiträge

BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12

Sozialversicherungsbeiträge

Verspätete Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen über mehrere Monate

BGH v. 7.5.2015 – IX ZR 95/14; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03

Sozialversicherungsbeiträge

Jahrelange Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen

BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10

Steuerforderungen

Schleppende Zahlung von Steuerforderungen

BGH v. 7.5.2015 – IX ZR 95/14

Tabellen-Argument

Im maßgeblichen Zeitpunkt haben nicht unerhebliche, fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Eröffnung des Verfahrens nicht beglichen worden sind.

BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03; BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 280/13

Tabellen-Argument

Da die offenen Verbindlichkei- BGH v. 9.6.2016 – IX ZR 174/15, ten der sonstigen Gläubiger den ZInsO 2016, 1357 Rn. 20. Vergleichsmaßstab im Verhältnis zu der beglichenen Forderung des Anfechtungsgegners bilden, kann aus deren Erfüllung, die gerade im Wege der Anfechtung beseitigt werden soll, kein der Zahlungseinstellung gegenläufiges Indiz gewonnen werden.

Vertrösten

Immer wieder vertröstendes Verhalten des Insolvenzschuldners

BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01

Zahlung

Nichtbezahlung nur einer, nicht unwesentlichen Forderung

BGH v. 24.3.2016 – IX ZR 242/13; BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12; BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01

Zahlung

Zahlung erst nach widerstandsloser Titulierung, ohne berechtigte Einwände zu erheben.

BGH v. 25.2.2016 – IX ZR 109/15

Zwangsvollstreckung

Gläubiger (Fall: das Finanzamt) BGH v. 21.1.2016 – IX ZR 32/14; kann Zahlungen nur unter An- vgl. auch BGH v. 25.10.2012 – IX wendung von VollstreckungsZR 117/11 druck erwirken, was die kritische Liquiditätslage des Schuldners unterstreicht.)

Zwangsvollstreckung

Druckzahlungen: Zahlung zur Abwendung unmittelbar bevorstehender Zwangsmaßnahmen

BGH v. 17.7.2003 – IX ZR 272/02

Zwangsvollstreckung

Zahlungen erfolgen nur im Rahmen von Zwangsvollstreckungsverfahren

BGH v. 7.5.2015 – IX ZR 95/14; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06

Kann eine Liquiditätsbilanz erstellt werden, sollte diese über einen bestimmten 927 Zeitraum erstreckt werden. Mit einer Grundsatzentscheidung hat der BGH 235

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

die Maßstäbe für das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit – in Abgrenzung zur Zahlungsstockung – durch die „3-10-Regel“ festgelegt:647) „Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne liegt regelmäßig jedenfalls dann vor, wenn der Schuldner 10 % oder mehr seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten länger als drei Wochen nicht erfüllen kann, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Beträgt die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke weniger als 10 %, liegt Zahlungsunfähigkeit nur vor, wenn bereits absehbar ist, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.“

928 Die Dreimonatsfrist i. S. d. § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO berechnet sich nach § 139 InsO. Maßgeblich für die Fristbestimmung ist der Zeitpunkt des Eingangs des Eröffnungsantrags bei Gericht (Eingangsstempel!). Das Datum der Insolvenzeröffnung ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Der Zeitraum für Handlungen nach dem Insolvenzantrag (aber vor Insolvenzeröffnung) ist abgedeckt durch § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO.

3 Monate vor Antrag

Erfasster Zeitraum

Eröffnung

(§ 130 InsO)

929 Als subjektive Tatbestandsvoraussetzung fordert § 130 InsO die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit (bzw. bei § 130 Abs. 1 Satz Nr. 2 die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags) auf Gläubigerseite. In der Praxis erleichtert dem Insolvenzverwalter § 130 Abs. 2 InsO den Nachweis der Kenntnis, da danach dieser Kenntnis die Kenntnis von Umständen gleichsteht, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. In der Praxis geht es meist um das Zusammentragen von Indizien (E-Mail-Verkehr, Schriftwechsel etc.). Die Beweislast für die Kenntnis liegt beim Insolvenzverwalter. 930 Beispiel:648) Der Insolvenzschuldner unterbreitet allen Gläubigern vor dem Insolvenzantrag ein Vergleichsangebot, das jedoch nicht von allen Gläubigern angenommen wird. Der Gläubiger G nimmt das Angebot in modifizierter Form an und erhält neun bzw. fünf Wochen vor dem Insolvenzantrag jeweils 400,– €. 931 Kurzwürdigung: Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 17 InsO liegt vor, da der Schuldner nicht in der Lage ist, 90 % seiner Verbindlichkeiten innerhalb von drei Wochen zu regulieren. Da nicht alle Gläubiger Zahlungen erhalten, ist das objektive Tatbestandsmerk___________ 647) BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZInsO 2005, 807. 648) Sachverhalt in Anlehnung an OLG Rostock, v. 6.6.2003 – 3 U 129/03, ZVI 2003, 423.

236

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

mal der Gläubigerbenachteiligung erfüllt. Die Zahlungen erfolgten innerhalb des Dreimonatszeitraums (§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO). Die Gläubigerseite hatte Kenntnis vom Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, da die Informationen, die i. R. d. Sanierungsbemühungen flossen, den Schluss auf die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zulassen. Praxistipp: Beispiele § 130 InsO (+) Bei Rückführung eines Darlehens, wenn die Voraussetzungen des § 130 InsO i. Ü. vorliegen.649) (+) Begleichung von begründeten und fälligen in der vereinbarten Art und Weise, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 130 InsO vorliegen. Praxistipp: Ermittlungsansätze • Evtl. Ratenzahlungen erfragen. • Kontoauszüge sichten (bei Ratenzahlungen oft „glatte Zahlen“, hier 400,– €). • Sichtung der den Anmeldeunterlagen beigefügten Forderungsaufstellungen.

Inkongruente Deckung gemäß § 131 InsO Anfechtbar nach § 131 InsO sind unter den genannten Voraussetzungen in- 932 kongruente Befriedigungen oder Sicherungen eines Gläubigers. § 131 InsO – Inkongruente Deckung (1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, 1.

wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist,

2.

wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war oder

3.

wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, dass sie die Insolvenzgläubiger benachteiligte.

(2) Für die Anwendung des Absatzes 1 Nr. 3 steht der Kenntnis der Benachteiligung der Insolvenzgläubiger die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen. Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, dass sie die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger kannte.

___________ 649) Zuletzt BGH, Beschl. v. 26.6.2014 – IX ZR 130/13, ZIP 2014, 1497 m. w. N.

237

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

933 Bei einer inkongruenten Befriedigung oder Sicherung erhält der Gläubiger eine Leistung, die er nach dem Schuldverhältnis nicht oder nicht zu der Zeit und/ oder nicht in der Art beanspruchen konnte. Als Anfechtungsgegner kommen bei § 131 InsO auch nur Insolvenzgläubiger in Betracht. 1 – 3 Monate vor Antrag

Erfasster Zeitraum

Eröffnung

(§ 131 InsO)

934 Nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist jede inkongruente Deckung anfechtbar, die innerhalb eines Monats vor dem Antrag oder nach diesem Antrag erfolgt ist. Weitere Voraussetzungen sind nicht gefordert. 935 § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO fordert das (objektive) Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit. Erfasst sind alle Handlungen, die innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen wurden. 936 Bei § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung aufseiten des Anfechtungsgegners Voraussetzung für die Anfechtbarkeit (subjektives Tatbestandsmerkmal). § 131 Abs. 2 Satz 1 InsO lässt für die Kenntnis der Benachteiligung der Gläubiger ausreichen, wenn der Gläubiger Tatsachen kennt, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass der Schuldner seine Zahlungspflichten nicht mehr vollständig erfüllen kann (Beweiserleichterung). Der Insolvenzverwalter wird die ihm obliegende Beweisführung in dem Fall ebenfalls meist durch Indizien vornehmen. 937 Beispiel: Der Schuldner stellte am 15.8.2014 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Am 2.8.2014 und 18.7.2014 wurden durch das kontoführende Kreditinstitut Drittschuldnerzahlungen an einen Gläubiger geleistet. 938 Kurzwürdigung: Die Zahlungen sind anfechtbar gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da innerhalb des Monatszeitraums vor Insolvenzantragstellung eine inkongruente Befriedigung des Gläubigers stattfand. Bei Befriedigungen im Wege der Zwangsvollstreckung in „der Krise“ handelt es sich stets um inkongruente Deckungen.650) Praxistipp: Beispiele § 131 InsO (+) Bei Zahlungen an Gerichtsvollzieher/Vollziehungsbeamten, wenn der Schuldner nur noch die Wahl hat, die geforderte Zahlung sofort zu leisten oder die Vollstreckung zu dulden (keine Rechtshandlung des Schuldners).651)

___________ 650) St. Rspr., exemplarisch BGH, Urt. v. 9.9.1997 – IX ZR 14/97, ZIP 1997, 1929; BGH, Urt. v. 20.11.2001 – IX ZR 14/97, ZInsO 2002, 125. 651) BGH, Urt. v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, ZIP 2005, 494.

238

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen (+) Bei Zahlungen aus eingeräumter, ungekündigter Kreditlinie oder geduldeter Überziehung.652) (+) Zahlung von Lohnsteuer.653) Praxistipp: Ermittlungsansätze – Sichtung der Kontoauszüge (Drittschuldnerzahlungen sind als solche bezeichnet). – Anfrage an Kreditinstitute über vorliegende Zwangsvollstreckungsmaßnahmen.

Vorsatzanfechtung, § 133 Abs. 1 InsO Die Vorschrift § 133 InsO hat durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtssi- 939 cherheit bei Anfechtungen654) eine grundlegende Änderung erfahren. Erfasst sind sog. „Vorsatzanfechtungen“ als Rechtshandlungen des Schuldners anfechtbar, die innerhalb von vier bis zehn Jahren vor dem Insolvenzeröffnungsantrag oder nach diesem Antrag unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen Benachteiligung der Gläubiger vorgenommen wurden. Die Verkürzung auf die Frist von vier Jahren wurde im Zuge des insoweit am 5.4.2017 in Kraft getretenen Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen655) eingeführt; in der alten Fassung betrug die Frist ausschließlich zehn Jahre. Vorab sollen die beiden Gesetzesfassungen gegenübergestellt werden. § 133 InsO – Vorsätzliche Benachteiligung i. d. F. bis zum 5.4.2017 (1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. (2) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war. § 133 InsO – Vorsätzliche Benachteiligung i. d. F. ab dem 5.4.2017 (1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem

___________ 652) 653) 654) 655)

BGH, Urt. v. 7.5.2009 – IX ZR 140/08, ZIP 2009, 1124. BGH, Urt. v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513. BGBl I, 2379 ff. BGBl I, 2379 ff.

239

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. (2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre. (3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. (4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.

940 Als objektive Voraussetzungen fordert § 133 Abs. I InsO eine Rechtshandlung des Schuldners binnen einer 10-Jahresfrist. An einer solchen fehlt es beispielsweise bei einer Vollstreckungshandlung des Gläubigers, da der Schuldner dabei selbst nicht aktiv ist (handelt).656) Liegt eine kongruente oder inkongruente Deckungshandlung vor, verkürzt sich die Frist auf 4 Jahre (§ 133 Abs. 2 InsO). Ist die Rechtshandlung kongruent, muss die Zahlungsunfähigkeit z. Zt. der Rechtshandlung bereits eingetreten sein (vgl. Abs. 1 „drohend“). Zudem gilt in diesem Fall eine sog. „Nichtkenntnisvermutung“ (negative Vermutung): Liegt eine Zahlungserleichterungsvereinbarung (z. B. Ratenzahlung) vor, wird vermutet, dass der Anfechtungsgegner z. Zt. der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte (§ 133 Abs. 3 Satz 2 InsO). 941 Der Kern der Regelung ist der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auf Schuldnerseite (subjektives Tatbestandsmerkmal). Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bedeutet, dass der Schuldner mit dem Vorsatz gehandelt haben muss, die Gläubigergesamtheit zu benachteiligen. Eine Absichtshandlung fordert die Vorsatzanfechtung nicht; bedingter Vorsatz genügt657). Bedingter Vorsatz ist anzunehmen, wenn der Schuldner in dem Bewusstsein handelt, dass seine Handlung gläubigerbenachteiligende Auswirkungen hat und er dies billigend in Kauf genommen hat. Auch ist ein Benachteiligungsvorsatz bereits gegeben, wenn sich der Schuldner die Benachteiligung des Gläubigers nur als möglich vorstellt, sie aber in Kauf genommen hat, ohne sich durch die Vorstellung dieser Möglichkeit von seinem Handeln abhalten zu lassen.658) ___________ 656) BGH, Urt. v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, ZIP 2005, 494. 657) BGH, Urt. v. 27.5.2003 – IX ZR 169/02, ZIP 2003, 1506. 658) BGH, Urt. v. 24.6.2003 – IX ZR 228/02, ZIP 2003, 1554.

240

VI. Ausgewählte Verwertungsfragen

Die Beweislast, dass der Gläubiger diesen Vorsatz kannte, liegt beim Verwal- 942 ter. Gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird die Kenntnis gesetzlich vermutet, wenn der Anfechtungsgegner die drohende Zahlungsunfähigkeit kannte (s. dazu § 18 Abs. 2 InsO) und er wusste, dass die Rechtshandlung eine gläubigerbenachteiligende Wirkung hat. Diese Kenntnisvermutung greift bereits dann, wenn dem Gläubiger Umstände bekannt waren, die auf das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.659) 943

Beispiel: Elf Monate vor dem Insolvenzeröffnungsantrag zahlt der Schuldner an einen Gläubiger auf rückständige Forderungen. Zuvor hatte der Gläubiger bereits fruchtlos vollstreckt und mit der Stellung eines Insolvenzantrags gedroht. Der Schuldner selbst wollte unter allen Umständen ein Insolvenzverfahren vermeiden.

944

Kurzwürdigung: Der Schuldner hat aus der Motivation heraus gehandelt, das angedrohte Insolvenzverfahren abzuwenden. Ihm kam es nicht in erste Linie darauf an, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Hierbei nahm er in Kauf, andere, weniger gefährliche Gläubiger nicht befriedigen zu können. Eine solche, unter dem Druck eines bevorstehenden Insolvenzantrags geleistete Zahlung ist – als inkongruente Deckung – anfechtbar nach § 133 Abs. 1, 2 InsO (sog. „Druckzahlungen“).660) Praxistipp: Beispiele § 133 InsO (–) Wenn Schuldner nur noch die Wahl hat, die geforderte Zahlung sofort zu leisten oder die Vollstreckung zu dulden, ist also jede Möglichkeit eines selbstbestimmten Handelns ausgeschaltet, fehlt es an einer Rechtshandlung des Schuldners im Sinne von § 133 Abs. 1 InsO.661) (+) Bei Vornahme der Rechtshandlung oder Mitwirkung des Schuldners (Stichwort: selbstbestimmtes Handeln!): Hat sich der Gerichtsvollzieher oder Vollziehungsbeamte mit vorgeschlagenen Teilzahlungen zufriedengegeben ohne weitere Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten, ist die Möglichkeit zu selbstbestimmtem Handeln des Schuldners noch gegeben.662) Praxistipp: Ermittlungsansätze • Nachfrage beim Schuldner • Schriftliche Dokumentationen über die „Drohung“ der Antragstellung

___________ 659) 660) 661) 662)

BGH, Urt. v. 13.5.2004 – IX ZR 190/03, ZIP 2004, 1512. Vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2003 – IX ZR 272/02, ZInsO 2003, 850. BGH, Urt. v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, ZIP 2005, 494. BGH, Urt. v. 17.4.2008 – IX ZR 77/07, JurionRS 2007, 13818.

241

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Unentgeltliche Leistung, § 134 InsO 945 Unentgeltliche Leistungen des Schuldners, die innerhalb eines Vierjahreszeitraums vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden, sind gemäß § 134 InsO anfechtbar. § 134 InsO – Unentgeltliche Leistung (1) Anfechtbar ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. (2) Richtet sich die Leistung auf ein gebräuchliches Gelegenheitsgeschenk geringen Wertes, so ist sie nicht anfechtbar.

4 Jahre vor Antrag

Erfasster Zeitraum

Eröffnung

(§ 134 InsO)

946 Der Begriff der unentgeltlichen Leistung i. S. d. § 134 Abs. 1 InsO ist weit zu verstehen.663) Eine unentgeltliche Leistung liegt vor, wenn ein Vermögenswert des Schuldners zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Schuldnervermögen ein entsprechender Gegenwert zufließt. Im Gegensatz hierzu liegt Entgeltlichkeit vor, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas objektiv oder subjektiv nach dem Willen der Beteiligten Ausgleichendes erhalten hat.664) Ein „Klassiker“ sind Schenkungen i. S. v. § 518 BGB und Leistungen auf eine Nichtschuld. Es ist bei der Schenkungsanfechtung nach objektiven Maßstäben aus der Sicht des Empfängers zu beurteilen, ob er eine freigiebige Leistung des Schuldners erhalten hat.665) 947 Ausgenommen sind gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke geringen Wertes (§ 134 Abs. 2 InsO). dabei muss das Geschenk üblich sein und der Verkehrssitte gemäß aus gegebenem Anlass (Geburtstag, Hochzeit, Weihnachten, Ostern) entsprechen. Gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke an eine Person sind i. S. d. § 134 Abs. 2 InsO von geringem Wert, wenn sie zu der einzelnen Gelegenheit den Wert von 200 € und im Kalenderjahr den Wert von 500 € nicht übersteigen.666) 948 Zahlungen, die im Rahmen eines wirksam geschlossenen Arbeitsverhältnisses als Gegenleistung für die geleistete Arbeit vorgenommen werden, sind grundsätzlich entgeltlich und damit nicht nach § 134 InsO anfechtbar. Entgeltlich sind auch Zahlungen, die aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Bestimmungen erfolgen, die unter Durchbrechung des Grundsatzes „kein Entgelt ohne ___________ 663) Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 134 Rn. 5. 664) BGH, Urt. v. 10.5.1978 – VIII ZR 32/77 = JurionRS 1978, 16589; BGH, Urt. v. 29.11.1990 – IX ZR 29/90, ZIP 1991, 35. 665) BGH, Urt. v. 5.7.2018 – IX ZR 126/17, ZIP 2018, 1505. 666) BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 77/15, ZIP 2016, 583.

242

VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

Arbeit“ eine Entgeltzahlungspflicht ohne Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vorsehen.667) Eine Zahlung in Erfüllung einer vergleichsweise vereinbarten Freistellung ist in der Regel ebenfalls entgeltlich und damit nicht nach § 134 InsO anfechtbar.668) 949

Beispiel: Drei Jahre vor dem Insolvenzeröffnungsantrag verkauft der Schuldner seinen Oldtimer, BJ 1974 für 7.000,– € an seinen Nachbarn. Das Fahrzeug hatte der Schuldner zwei Jahre zuvor für 10.900,– € erworben und umfangreich aufbereiten lassen. Die Kfz-Werkstattkosten beliefen sich auf insgesamt 2.100,– €.

950

Kurzwürdigung: Augenscheinlich liegt hier keine unentgeltliche Leistung vor. Der Schuldner hatte einen Kaufvertrag mit seinem Nachbarn geschlossen und den Kaufpreis von 7.000,– € als Gegenleistung erhalten. Dennoch ist anzunehmen, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Veräußerung ca. 6.000,– € Mehrwert hatte im Verhältnis zum vereinbarten Kaufpreis von 7.000,– €. Hier liegt demnach eine teilweise unentgeltliche Leistung vor, da das Fahrzeug nicht wertentsprechend veräußert wurde. Auch diese unterliegen der Anfechtung.669) Zu prüfen ist anlassbezogen aber auch, ob das Rechtsgeschäft als Scheingeschäft ggf. nichtig ist (§ 117 Abs. 2 BGB). Praxistipp: Ermittlungsansätze • Oftmals „Zufallsfund“ (wegen langer Zeitspanne); • Information durch Gläubiger/unbeteiligte Dritte; • Prüfung von Kontoauszügen, aus denen sich Beitragszahlungen zu KfzVersicherungen, Erstattungen oder Abbuchungen von Kfz-Steuern oder der Geldfluss zum „Kaufvertrag“ entnehmen lassen.

VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen von Massearmut und Masseunzulänglichkeit 1. Verfahrenskosten (§§ 53, 54 InsO) Die Kosten des Insolvenzverfahrens gehören zu den Masseverbindlichkeiten 951 und sind vorab aus der Masse zu befriedigen (§ 53 InsO). Reicht die Insolvenzmasse nicht aus, um neben den Verfahrenskosten auch die sonstigen Masseverbindlichkeiten zu bedienen, liegt Masseunzulänglichkeit vor. In diesem Fall sind – entsprechend der Rangfolge des § 209 InsO – vorrangig die Verfahrenskosten zu befriedigen. ___________ 667) BAG, Urt. v. 17.12.2015 – 6 AZR 186/14, ZIP 2014, 1346. 668) BAG, Urt. v. 17.12.2015 – 6 AZR 186/14, ZIP 2014, 1346. 669) BGH, Urt. v. 2.4.1998 – IX ZR 232/96, ZIP 1998, 830.

243

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

952 Zu den Verfahrenskosten zählen gemäß § 54 Nr. 1 InsO die Gerichtskosten. Die Gerichtskosten werden vom Insolvenzgericht berechnet. Im Insolvenzverwalterbüro ist dennoch wichtig zu wissen, wie diese berechnet werden, da die Frage der Deckung der Verfahrenskosten insbesondere in den Verfahren, in denen keine Verfahrenskostenstundung gewährt wurde, ein die Verfahrensbearbeitung kontinuierlich begleitender Aspekt ist. 953 Gemäß § 54 Nr. 2 InsO sind zudem die Vergütung und Auslagen des vorläufigen Verwalters, des Insolvenzverwalters, des Sachwalters, des Treuhänders und der Mitglieder des Gläubigerausschusses Verfahrenskosten. Die Vergütung und Auslagen werden jeweils auf Antrag durch das Insolvenzgericht festgesetzt. Rechtsgrundlage für die Festsetzung sind die entsprechenden Normen der InsO, des JVEG und der InsVV. 954 Ist der Schuldner mittellos, besteht die Möglichkeit, die Verfahrenskosten zu stunden (§ 4a InsO). a) Gerichtskosten 955 Zu den Verfahrenskosten zählen zunächst die Gerichtskosten (§ 1 Abs. 1 GKG): x

Gebühren für das Verfahren über den Eröffnungsantrag (Nr. 2310, 2311 GKG KV)

956 Der Insolvenzantrag löst eine halbe Gebühr aus (Eigenantrag Nr. 2310 KV, Fremdantrag Nr. 2311 KV). Die Berechnungsgrundlage ist der Wert der Insolvenzmasse im Zeitpunkt der Beendigung des Antragsverfahrens, wobei Absonderungsrechte nicht berücksichtigt werden. Bei einem Gläubigerantrag ist zu beachten, dass die Berechnungsgrundlage höchstens der Nominalwert der vom Gläubiger verfolgten Forderung beträgt, jedoch eine Mindestgebühr von 180 € zu erheben ist (Nr. 2311 KV). 957 Bei Eingang mehrerer Insolvenzanträge werden mehrere selbständige Antragsverfahren geführt, die jeweils eigenständig die Verfahrensgebühren auslösen. Mit Eröffnung des Verfahrens werden die Antragsverfahren zu allen zulässigen Anträgen miteinander verbunden (§ 4 InsO i. V. m. § 147 ZPO). Zu den Verfahrenskosten zählt nur die Gebühr, die durch den zur Eröffnung führenden Antrag ausgelöst wurde. Kostenschuldner für die übrigen Gebühren sind die jeweiligen Antragsteller, die den Erstattungsanspruch im Rang einer Insolvenzforderung zur Tabelle geltend machen können, sofern der Antrag zulässig war. x

Gebühren für die Durchführung des Verfahrens (Nr. 2320 ff., 2330 ff. GKG KV)

958 Die Gerichtskosten betragen bei einem Schuldnerantrag 2,5 Gebühren (Nr. 2320 KV) und bei einem Gläubigerantrag 3 Gebühren (Nr. 2330 KV). Eine Anrechnung der Gebühren des Antragsverfahrens wird nicht vorge-

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

nommen. Für das Restschuldbefreiungsverfahren entsteht keine zusätzliche Gebühr. Die Gebühr für einen nachträglichen Prüfungstermin (Nr. 2340 GKG KV) 959 ist nicht zu den Verfahrenskosten zu zählen. Die Kosten in Höhe von 20 € werden gegen den Anmeldenden erhoben. Die Berechnungsgrundlage für die Gerichtskosten ist der Wert der Insolvenz- 960 masse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens. Der Neuerwerb wird hinzugerechnet. Aus- oder Absonderungsrechte sind nicht in die Berechnungsgrundlage einzubeziehen (§ 58 Abs. 1 GKG). Bei einer vorzeitigen Beendigung des Verfahrens reduzieren sich die Gebühren 961 in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Beendigung in unterschiedlicher Höhe. Im Verfahrensabschnitt des Restschuldbefreiungsverfahrens fallen keine weiteren Gerichtskosten an. x

Auslagen des Gerichts (Nr. 9000 ff. GKG KV)

Zu Auslagen zählen insbesondere die Zustellungs- und Bekanntmachungs- 962 kosten (Nr. 9002, 9004 KV), die Kosten einer Vorführung des Schuldners (Nr. 9006 KV) und die Kosten des Sachverständigen (Nr. 9005 KV). Diese sind in einzelfallabhängiger Höhe zu berücksichtigen. b) Honorar des Sachverständigen Wird im Antragsverfahren ein Sachverständiger mit der Erstellung des Gut- 963 achtens beauftragt, ist dieser besonders zu entschädigen. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob eine Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. nach Eröffnung zum Insolvenzverwalter erfolgt. Die Vergütungsansprüche sind isoliert voneinander zu beachten. Der Sachverständige wird nach dem JVEG entschädigt. Eine Eingliederung 964 erfolgt in der Regel in Honorargruppe 7 oder 8 (§ 9 JVEG). Die Höhe des Stundensatzes ist insoweit gesetzlich nicht abschließend gere- 965 gelt. Gemäß § 9 Abs. 2 JVEG beträgt der Stundensatz 80 €, wenn das Gericht den vorläufigen Insolvenzverwalter beauftragt, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen. Wird eine Tätigkeit als isolierter Sachverständiger entfaltet, ohne parallel auch zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden zu sein, enthält§ 9 JVEG keine ausdrückliche Regelung. Die hierzu ergangene Rechtsprechung und Gerichtspraxis ist uneinheitlich. Die Stundensätze bewegen sich regelmäßig zwischen 95 € und 115 €. Gut gefolgt werden kann nach der hier vertretenen Auffassung einer Entscheidung des OLG Zweibrücken.670) Danach richtet sich die Höhe der ___________ 670) OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.8.2016 – 6 W 45/16, ZIP 2016, 2427.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Vergütung des in einem Regelinsolvenzverfahren bestellten Sachverständigen, der nicht zugleich als vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wurde (sog. isolierter Sachverständiger), nicht nach § 9 Abs. 2 JVEG, sondern liegt regelmäßig darüber.671) Für die Eingruppierung des Sachverständigen in eine Honorargruppe kommt es auf den dem Sachverständigen erteilten Auftrag an, nicht auf das Ergebnis seines Gutachtens.672) 966 Der Anspruch auf Vergütung oder Entschädigung erlischt, wenn er nicht binnen drei Monaten (ab Eingang des Gutachten) bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat, geltend gemacht wird (§ 2 Abs. 1 JVEG). Es empfiehlt sich demnach, die Kostennote bereits zusammen mit dem Gutachten einzureichen. c) Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters 967 Der vorläufige Insolvenzverwalter hat gemäß § 63 Abs. 3 InsO, § 11 InsVV einen eigenständigen Vergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet, ungeachtet einer eventuellen Personenidentität mit dem nach Eröffnung des Verfahrens bestellten Insolvenzverwalter.673) 968 Der Anspruch wird mit Beendigung der Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter fällig (Verfahrenseröffnung, die Ablehnung der Eröffnung, die Verfahrensaufhebung, die Entlassung des vorläufigen Insolvenzverwalters und dessen Tod). 969 Nicht festgesetzte Ansprüche verjähren in drei Jahren (§ 195 BGB). Die Verjährungsfrist beginnt am Ende des Jahres, in dem der Anspruch auf Vergütung entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Die Verjährung des Vergütungsanspruchs des vorläufigen Insolvenzverwalters ist bis zum Abschluss des eröffneten Insolvenzverfahrens gehemmt.674) Rechtskräftig festgesetzte Vergütungsansprüche unterliegen der dreißigjährigen Verjährung (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB). 970 Er erhält in der Regel 25 % der Vergütung des Insolvenzverwalters bezogen auf das Vermögen, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt. Maßgebend für die Wertermittlung ist der Zeitpunkt der Beendigung der vorläufigen Verwaltung oder der Zeitpunkt, ab dem der Gegenstand nicht mehr der vorläufigen Verwaltung unterliegt. Die Regelvergütung ergibt sich daher aus der Staffelvergütung des § 2 InsVV, die wiederum auf der Basis der Berechnungsgrundlage des § 1 InsVV ermittelt wird. 971 Bei der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters sind Absonderungsrechte bei Feststellung der Berechnungsgrundlage nur zu berücksichtigen, wenn sich der vorläufige Verwalter in erheblichem Umfang, d. h. über das ___________ 671) 672) 673) 674)

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OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.8.2016 – 6 W 45/16, ZIP 2016, 2427. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.8.2016 – 6 W 45/16, ZIP 2016, 2427. BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296. BGH, Beschl. v. 22.9.2010 – IX ZB 195/09, NZI 2010, 977.

VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

übliche Maß hinaus mit ihnen befasst hat (§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV). Die im Vergleich zu einem „Normalverfahren“ erhebliche Befassung ist in jedem Fall in dem Vergütungsantrag darzulegen. Die dortigen Ausführungen sollten nicht im Widerspruch zum Berichtswesen stehen, sondern anhand der Berichterstattung schlüssig und nachvollziehbar sein. Die Vergütung des vorläufigen Verwalters ist zu- und abschlagsfähig (§ 10 972 InsVV i. V. m. § 3 InsVV). Zuschläge erhöhen den Regelbruchteil (25 %) um den Prozentsatz, der als Zuschlag gewährt wird.675) Der zuzuschlagende Prozentsatz ist dabei ebenfalls ausgehend von der fiktiven Mindestvergütung des endgültigen Verwalters zu bestimmen.676) Beispiel:

973 = 37.500 €

25 % von 150.000 € Zuschlag

= 15.000 €

10 % von 150.000 € Vergütung: 25 % + Zuschlag 10 % =

35 % von 150.000 € =

52.500 €

Die in § 3 InsVV angeführten Tatbestände sind nicht abschließend. Durch die 974 Rechtsprechung wurden zahlreiche Zu- und Abschlagskriterien herausgearbeitet, die sich in sog. „Faustregeltabellen“ finden. Bei der Beantragung der Vergütungsfestsetzung können diese allenfalls als Anhaltspunkte herangezogen werden, um auf dieser Basis sodann verfahrensspezifisch die Kriterien herauszuarbeiten. Eine schematische Betrachtung bietet sich nicht an.677) Erhöhungsfaktoren sind stets einzelfallbezogen zu begründen. Die Abgrenzungskriterien der entfalteten Tätigkeiten im Verhältnis zu einem 975 „Normalverfahren“ wurden vor Inkrafttreten der Regelung des § 63 Abs. 3 InsO zu § 2 InsVV – demnach gesetzessystematisch zur Regelvergütung des Insolvenzverwalters – entwickelt. Angesichts der in § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV i. d. F. bis zum 18.7.2013678) verankerten ausdrücklichen Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 InsVV wurde hinsichtlich der Kriterien eines Normal- bzw. Regelverfahrens auf die zum eröffneten Verfahren entwickelten quantitativen und qualitativen Merkmale verwiesen. Demnach wurden auch die Zu- und Abschlagskriterien, die für die Regelvergütung des Insolvenzverwalters galten, auf die Vergütungsfestsetzung für die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters ___________ 675) 676) 677) 678)

BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 127/04, ZIP 2006, 672. BGH, Beschl. v. 27.9.2012 – IX ZB 243/11, ZInsO 2013, 840. BGH, Beschl. v. 24.7.2003 – IX ZB 607/02, NZI 2003, 603. Siehe Art. 5 Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.2013, BGBl I, 2379 m. W. v. 19.7.2013.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

entsprechend angewendet. Hinsichtlich der Einzelheiten zu den Zu- und Abschlagskriterien darf auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen werden. 976 In § 63 InsO und in § 11 InsVV, jeweils i. d. F. ab dem 19.7.2013679), fehlt es an einer entsprechenden Verweisung. Ob die bis dahin im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten Kriterien (dennoch) weiterhin Anwendung finden, ist derzeit unklar. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung verbleibt insoweit wohl abzuwarten. Eine Grundlage für die – weiterhin – entsprechende Anwendung könnte insoweit § 10 InsVV bieten, der als Generalverweisung auch die §§ 2, 3 InsVV mit erfasst. Jedenfalls ergeben sich aus den §§ 11 ff. InsVV keine Anhaltspunkte für die Nicht-Anwendbarkeit auch der Regelungen zu den Zu- und Abschlagsfaktoren. Rechtsprechung zur Neufassung der Vergütungsvorschriften existiert, soweit ersichtlich, bislang aber noch nicht. Die Unterschiede hinsichtlich der Rechte und Pflichten eines vorläufigen Insolvenzverwalters sind bei der Anwendung der §§ 1 ff. InsVV und der Bemessung der angemessenen Vergütung zu berücksichtigen, so sie Auswirkungen auf die tatsächlichen Tätigkeiten und Belastungen des vorläufigen Insolvenzverwalters hatten.680) Die Vergütungsregeln für den Insolvenzverwalter sind daher nicht schematisch, sondern in einer den Besonderheiten angepassten Weise auf den vorläufigen Insolvenzverwalter zu übertragen. 977 Haarmeyer/Mock plädieren dafür, dass quantitative Zuschläge faktisch ausgeschlossen seien, da die als Berechnungsgrundlage heranzuziehende „Gesamtvermögensmasse“ der Unternehmensstruktur bereits Rechnung trage.681) Erhöhungen seien indes nur darstellbar über eine „Variierung des Regelsatzes“.682) 978 Für qualitativ bedingte Zuschlagskriterien bleibe insoweit Raum, als Erschwernisse auf die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters erheblich belastende Auswirkungen hatten und denen insoweit nicht bereits Rechnung getragen werde über eine hohe/höhere Berechnungsgrundlage.683) Ob sich diese Ansicht durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls aber ist die Zuschlagsfähigkeit vom Verwalter einzelfallbezogen und konkret vorzutragen. 979 Auch der vorläufige Insolvenzverwalter hat Anspruch auf eine Mindestvergütung. Diese beträgt in Abhängigkeit von der Gläubigeranzahl mindestens 1000 € und erhöht sich von 11 bis zu 30 Gläubigern für je angefangene 5 Gläubiger um 150 € bzw. ab 31 Gläubiger für je angefangene 5 Gläubiger um 100 €. Anmeldende Gläubiger (vgl. § 2 Abs. 2 InsVV) existieren im vorläufigen Verfahren noch nicht, da eine Forderungsanmeldung erst ab Eröffnung möglich ist. Einzubeziehen sind daher alle Gläubiger, denen nach den ___________ 679) Siehe Art. 5 Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.2013, BGBl I, 2379 m. W. v. 19.7.2013. 680) Graeber/Graeber, InsVV-Online, § 11 Rn. 1. 681) Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 11 Rn. 42 ff. 682) Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 11 Rn. 43, 104 ff. 683) Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 11 Rn. 108.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

Unterlagen des Schuldners die Forderung zusteht und mit deren Anmeldung zu rechnen ist.684) Der vorläufige Verwalter hat Anspruch auf Ersatz angemessener Auslagen 980 (§ 10 InsVV i. V. m. § 8 Abs. 3 InsVV). Bei Übertragung des Zustellwesens sind diese Auslagen besonders zu erstatten.685) Für den Fall der Abweisung oder Rücknahme eines Antrags ist zu beachten, 981 dass die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht zu den Verfahrenskosten zählt, also nicht vom Antragsteller zu tragen ist.686) d) Die Vergütung des Insolvenzverwalters Der Insolvenzverwalter hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung (§ 63 982 Abs. 1 InsO). Die Festsetzung erfolgt durch das Insolvenzgericht (§ 64 InsO). Die Vergütung ist, ausgehend von einem durchschnittlichen Insolvenzverfahren 983 („Regelverfahren“) charakterisiert durch eine vom Wert der Insolvenzmasse abhängige Vergütung. Diese ist als degressive Staffelvergütung ausgestaltet (§ 2 InsVV). Mit steigender Höhe der Insolvenzmasse verringert sich der prozentual bemessene Vergütungsanteil von 40 % bis auf 0,5 %. Die Berechnungsgrundlage bildet die Insolvenzmasse, die sich regelmäßig 984 aus der Schlussrechnung des Verwalters ergibt (§ 1 InsVV). Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 InsVV werden Aus- und Absonderungsrechte in Höhe des Wertes, mit dem sie abgefunden wurden, vom Sachwert der Gegenstände abgezogen, auf die sich diese Rechte erstreckten. Soweit Massegegenstände mit Absonderungsrechten belastet sind, werden diese gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 InsVV berücksichtigt, wenn sie durch den Verwalter verwertet werden. Der Mehrbetrag der Vergütung, der auf diese Gegenstände entfällt, darf jedoch 50 % des Betrages nicht übersteigen, der für die Kosten ihrer Feststellung in die Masse geflossen ist. Im Übrigen werden die mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände nur insoweit berücksichtigt, als aus ihnen der Masse ein Überschuss zusteht. Ferner sind Fortführungskosten von der Berechnungsgrundlage in Abzug zu 985 bringen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2, lit b) InsVV).687) Die Zuordnung der im jeweiligen Zeitraum erzielten Einnahmen und Ausgaben und der darauf basierenden Überschussermittlung wird buchhalterisch wie vergütungsrechtlich durch ein Abstellen auf die Begründetheit der Forderungen vorgenommen, wobei ergänzende Rangklassen ggf. zu beachten sind (exempl. Einzelermächtigung). Bei der Bestimmung des Überschusses werden im Eröffnungs___________ 684) 685) 686) 687)

BGH, Beschl. v. 4.2.2010 – IX ZB 129/08, ZInsO 2010, 493. BGH, Beschl. v. 21.11.2006 – IX ZB 129/05, NZI 2007, 244. BGH, Beschl. v. 26.1.2006 – IX ZB 231/04, NZI 2006, 239. Vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – IX ZB 179/07, ZInsO 2008, 1262.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

verfahren begründete, aber bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichene Masseverbindlichkeiten vom Wert der Insolvenzmasse abgesetzt.688) 986 Je nach Umfang der Tätigkeit kann ein Zu- oder Abschlag gewährt werden (§ 3 InsVV). Die Festsetzungskriterien sind anhand des Einzelfalles verfahrensspezifisch zu prüfen; § 3 InsVV enthält keine abschließende Aufführung. Zahlreiche Zu- und Abschlagskriterien wurden im Wege der Rechtsfortbildung definiert, die bei der Beantragung der Vergütungsfestsetzung als Anhaltspunkte herangezogen werden können. Eine verfahrensspezifische Argumentation wird dadurch jedoch nicht entbehrlich. Hinsichtlich der Besonderheiten darf auf die einschlägige Fachliteratur zum Thema „Vergütung“ verwiesen werden. Generell kann festgestellt werden, dass Erhöhungen nur dann zur Festsetzung gelangen, wenn sie einzelfallbezogen und verfahrensspezifisch argumentiert sind. Die Vergütung des Insolvenzverwalters ist eine Tätigkeitsvergütung, so dass eine höhere Vergütung dann anzuerkennen ist, wenn entsprechend umfangreiche Tätigkeiten entfaltet wurden. Diese sind anhand eines jeweiligen Verfahrensverlaufs im Vergütungsantrag darzulegen und finden sich bestenfalls schon als dezente Hinweise im laufenden Berichtswesen während des Verfahrensverlaufs. 987 Wird eine geringe Masse verwaltet, kann der Insolvenzverwalter eine Mindestvergütung beantragen, die sich nach der Kopfzahl der anmeldenden Gläubiger, nicht nach der Zahl der angemeldeten Forderungen richtet (§ 2 Abs. 2 InsVV). In Abhängigkeit von der Anzahl der Anmeldenden beträgt die Mindestvergütung 1.000 € und erhöht sich von 11 bis zu 30 Gläubigern für je angefangene 5 Gläubiger um 150 € bzw. ab 31 Gläubiger für je angefangene 5 Gläubiger um 100 €. In Verbraucherinsolvenzverfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 ermäßigt sich die Mindestvergütung auf 800 €, wenn in einem Verfahren die Unterlagen nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO von einer geeigneten Person oder Stelle erstellt werden. 988 In Klein-/Verbraucherinsolvenzverfahren ist nach vom BGH aufgestellten Grundsätzen u. U. eine Herabsetzung der Regelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV angezeigt.689) Dies begründet der BGH u. a. damit, dass die Aufgaben und Pflichten eines Treuhänders eines eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahrens erheblich geringer ausfallen als die eines Insolvenzverwalters eines vergleichbaren Regelinsolvenzverfahrens. Eine nach dem Wegfall des Treuhänders gemäß § 313 InsO a. F. auch im Verbraucherinsolvenzverfahren Vergütung des Insolvenzverwalters richte sich allgemein nach § 2 InsVV. Dies könne dann unangemessen sein, wenn ein Insolvenzverwalter (IK) gleichwohl nur die Aufgaben und Pflichten zu beachten und erfüllen habe, wie der weggefallene Treuhänder des Verbraucherinsolvenzverfahrens. Daher sei re___________ 688) BGH, Beschl. v. 2.3.2017 – IX ZB 90/15, ZIP 2017, 979; BGH, Beschl. v. 6.4.2017 – IX ZB 23/16, ZInsO 2017, 982. 689) BGH, Beschl. v. 6.4.2017 – IX ZB 48/16), NZI 2017, 459 = ZInsO 2017, 901 = ZVI 2017, 396.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

gelmäßig ein Abschlag gerechtfertigt, sofern die Tätigkeit des Insolvenzverwalters in einem Verbraucherinsolvenzverfahren tatsächlich nicht über die Tätigkeit eines Treuhänders nach §§ 313 f. InsO a. F. hinausgeht.690) Dieses kann einen Abschlag auf die Regelvergütung rechtfertigen.691) Sofern die Tätigkeit des Insolvenzverwalters in einem Verbraucherinsolvenzverfahren tatsächlich nicht über die Tätigkeit eines Treuhänders nach §§ 313 f. InsO a. F. hinausgeht, ist daher regelmäßig ein Abschlag gerechtfertigt, der dazu führt, dass sich der Vergütungssatz des Insolvenzverwalters im Ergebnis am bisherigen Vergütungssatz für einen Treuhänder (600 €) orientiert.692) In den Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014, in denen nach Er- 989 öffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens die Aufgaben des Insolvenzverwalters durch den Treuhänder (§ 313 InsO) wahrgenommen werden, hat dieser einen eigenen Vergütungsanspruch. Dieser beträgt gemäß § 13 InsVV a. F. 15 % der verwalteten Masse, mindestens jedoch 600 €. Die Mindestvergütung erhöht sich gemäß § 13 Abs. 2 InsVV a. F. je nach Anzahl der anmeldenden Gläubiger um 150 € bzw. 100 €. Ist dem Insolvenzverwalter das Zustellwesen übertragen (vgl. § 8 Abs. 3 InsO), 990 können die hierfür entstandenen Auslagen zusätzlich zu den Auslagen/der Auslagenpauschale (§ 8 InsVV) in Ansatz gebracht werden. e) Die Vergütung des Treuhänders (§ 292 InsO) Der Treuhänder in der Wohlverhaltensperiode (§ 292 InsO) hat einen eige- 991 nen Vergütungsanspruch. Das Amt ist unabhängig von dem des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren. Obwohl in der Praxis meist dieselbe Person bestellt wird, ist dies nicht zwingend vorgeschrieben. Zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Treuhänder muss keine Personenidentität bestehen. Die Vergütung des Treuhänders berechnet sich nach § 14 InsVV. Auch für 992 diesen Verfahrensabschnitt wird die Vergütung als Staffelvergütung (5 – 1 % von der verwalteten Masse) gewährt. Wird in der Wohlverhaltensphase kein pfändbares Einkommen einbehalten 993 und/oder die Hälfte des von Todes wegen erhaltenen Vermögens an den Treuhänder geleistet oder ist die verwaltete Vermögensmasse wertmäßig zu gering, hat der Treuhänder einen Mindestvergütungsanspruch, der gemäß § 14 Abs. 2 InsVV 100 € pro Jahr der Tätigkeit beträgt. Verteilt der Treuhänder im Rahmen der jährlichen Ausschüttungen an mehr als 5 Gläubiger, erhöht sich die Vergütung für je angefangene 5 Gläubiger um jeweils 50 €. ___________ 690) BGH, Beschl. v. 6.4.2017 – IX ZB 48/16), NZI 2017, 459 = ZInsO 2017, 901 = ZVI 2017, 396. 691) BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 82/15), InsbürO 2017, 29. 692) BGH, Beschl. v. 6.4.2017 – IX ZB 48/16), NZI 2017, 459 = ZInsO 2017, 901 = ZVI 2017, 396.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

994 Auslagen können lediglich in Höhe des tatsächlichen Anfalls in Ansatz gebracht werden (§ 16 Abs. 1 Satz 3 InsO). 995 Hält der Treuhänder einen Auftrag zur Überwachung der Obliegenheiten des Schuldners (§ 292 Abs. 2 InsO), kann er hierfür zusätzlich Vergütung verlangen (§ 15 InsVV). Diese beläuft sich auf 35 €/Std., höchsten jedoch besteht ein Anspruch in Höhe der Vergütung gemäß § 14 InsVV. Eine abweichende Regelung durch die Gläubigerversammlung ist jedoch möglich. Auch kann der Treuhänder von der Gläubigerversammlung einen Vorschuss zur Abdeckung seiner Vergütung verlangen § 15 Abs. 2 Satz 2 InsVV). 996 Die Festsetzung der Vergütung ist Aufgabe des Insolvenzgerichts bei Beendigung des Amts (§ 16 Abs. 1 InsVV). Es besteht die Möglichkeit der Vorschussentnahme aus den vereinnahmten Beträgen (§ 16 Abs. 2 InsVV). Die Rechnung ist, erfolgt die Erstattung im Fall der Verfahrenskostenstundung auch für den Abschnitt der Wohlverhaltensperiode aus der Staatskasse, mit dem jährlichen Ausschüttungsbericht beim Insolvenzgericht zwecks Zahlung aus der Staatskasse einzureichen. Sind die Verfahrenskosten für die Restschuldbefreiungsphase nicht gestundet und auch nicht aus den verwalteten Einnahmen gedeckt, besteht ein Anspruch gegen den Insolvenzschuldner. Leistet dieser nicht, kann der Treuhänder einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung stellten (§ 298 InsO). f) Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters und des Sachwalters Vergütung des Sachwalters im eröffneten Verfahren 997 Die Vergütung des Sachwalters im eröffneten Verfahren ist in § 12 Abs. 1 InsVV geregelt und beträgt in der Regel 60 % der Vergütung des Insolvenzverwalters (§ 2 Abs. 1 InsVV). 998 Gemäß § 10 InsVV sind für die Festsetzung die Regelungen der §§ 1 – 9 InsVV entsprechend anwendbar. Die Vergütung bestimmt sich demnach nach dem Wert der Insolvenzmasse z. Zt. der Schlussrechnung (Berechnungsgrundlage). §§ 10 Abs. 1, 1 Abs. 2 InsVV ist dagegen nicht anwendbar, da die Verwertung nicht zu den Aufgaben eines Sachwalters gehört.693) 999 Unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 InsVV ist die Vergütung eines Zuschlags fähig. Zuschläge nach §§ 10 Abs. 1, 3 InsVV sind dagegen nur bei einer Tätigkeitsentfaltung möglich, die in massiv erhöhtem Ausmaß anfällt.694) Wird ein Zu- oder auch Abschlag gewährt, bezieht sich dieser stets auf den 60 %igen Bruchteil der Vergütung.695) Die Fortführung des Geschäftsbetriebs liegt bereits in der Natur einer Eigenverwaltung.696) Die wäh___________ 693) 694) 695) 696)

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Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 12 Rn. 5. Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 12 Rn. 8. Haarmeyer/Mock, Insolvenzrechtliche Vergütung (InsVV), § 12 Rn. 12. AG Dortmund, Beschl. v. 5.12.2016 – 259 IN 13/14, ZInsO 2016, 2499.

VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

rend dieser Zeit anfallende Prüfung der Rentabilitäts- und Liquiditätssituation ist im Hinblick auf § 274 Abs. 3 InsO originäre Aufgabe des Sachwalters.697) Die Gewährung eines Zuschlags für eine Betriebsfortführung ist nicht grds. ausgeschlossen.698) Dabei sind jedoch auch eine vorzeitige Aufhebung sowie eine Anrechnung der Vergütung als vorläufiger Sachwalter aus dem Eröffnungsverfahren als mögliche Abschlagsfaktoren nach § 3 Abs. 2 InsVV in die Bestimmung eines Gesamtzuschlags einzubeziehen.699) Ermöglicht der Schuldner im Rahmen der Betriebsfortführung die Überwachung und Kontrolle jederzeit und bereitet die Unterlagen auf, so kommt ein Zuschlag für die Begleitung der Fortführung nicht in Betracht.700) Prüfungsund Mitwirkungshandlungen im Rahmen eines vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans rechtfertigen keinen Zuschlag für den Sachwalter, da es sich um eine gesetzliche Regelaufgabe handelt.701) Die Mitwirkung an Sanierungsbemühungen, eine engmaschige Liquiditätsüberwachung sowie die Befassung mit Aus- und Absonderungsrechten rechtfertigen keine Zuschläge für den Sachwalter in der Eigenverwaltung.702) Vergütung des vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters ist gesetzlich weder in der Insol- 1000 venzordnung (InsO) noch in der insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung (InsVV) geregelt. Die Höhe der Vergütung ist daher im Wege der Rechtsfortbildung zu defi- 1001 nieren. Einige Kernentscheidungen liegen zwischenzeitlich vor, welche eine Orientierung bieten. Dem vorläufigen Sachwalter sind daher nur die Tätigkeiten zu vergüten, die 1002 ihm vom Gesetz oder vom Insolvenzgericht und den Verfahrensbeteiligten in wirksamer Weise übertragen worden sind.703) Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters ist in Anwendung der Vorschriften über die Vergütung des (endgültigen) Sachwalters festzusetzen; die Vorschriften über die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters sind nicht entsprechend anwendbar.704) Die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläufigen Sachwalters ist die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des (endgülti___________ 697) 698) 699) 700) 701) 702) 703)

AG Dortmund, Beschl. v. 5.12.2016 – 259 IN 13/14, ZInsO 2016, 2499. AG Dortmund, Beschl. v. 5.12.2016 – 259 IN 13/14, ZInsO 2016, 2499. AG Dortmund, Beschl. v. 5.12.2016 – 259 IN 13/14, ZInsO 2016, 2499. LG Duisburg, Beschl. v. 14.9.2016 – 7 T 24/16, ZInsO 2016, 2101. LG Duisburg, Beschl. v. 14.9.2016 – 7 T 24/16, ZInsO 2016, 2101. LG Duisburg, Beschl. v. 14.9.2016 – 7 T 24/16, ZInsO 2016, 2101. BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14), DZWIR 2016, 540 = NZI 2016, 796 = ZInsO 2016, 1637; BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963 = ZInsO 2016, 207. 704) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14), DZWIR 2016, 540 = NZI 2016, 796 = ZInsO 2016, 1637.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

gen) Sachwalters.705) Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters beträgt im Normalfall 25 v. H. der Regelvergütung des Insolvenzverwalters.706) Die Festsetzung der Vergütung des vorläufigen Sachwalters erfolgt mit der Festsetzung der Vergütung des Sachwalters; dem vorläufigen Sachwalter ist nach Eröffnung auf seinen Antrag ein Abschlag in Höhe der zu erwartenden Vergütung für die Tätigkeit als vorläufiger Sachwalter zu gewähren.707) 1003 Zuschläge können insbesondere in Betracht kommen x

bei Unternehmensfortführung

x

bei begleitenden Bemühungen zur übertragenden Sanierung

x

bei Zusammenarbeit mit einem eingesetzten vorläufigen Gläubigerausschuss

x

bei hoher Zahl von Mitarbeitern des fortgeführten Unternehmens

x

bei Übernahme des Zahlungsverkehrs

x

bei Überwachung der Vorfinanzierung der Löhne und Gehälter.708)

1004 Der Umstand, dass der Schuldner einen Berater mit insolvenzrechtlicher Expertise als Generalbevollmächtigten bestellt hat, rechtfertigt keinen Abschlag.709) Die Bemessung der Zuschläge im Einzelfall ist Aufgabe des Tatrichters, der als Ergebnis einer angemessenen Gesamtwürdigung einen Gesamtzuschlag (oder Gesamtabschlag) festzulegen hat.710) Der Aufgabenzuschnitt des vorläufigen Sachwalters führt regelmäßig zu deutlich geringeren Zuschlägen als für vergleichbare zuschlagspflichtige Tätigkeitsbereiche des Verwalters im Regelinsolvenzverfahren.711) 1005 Bei beantragter Eigenverwaltung kann im Eröffnungsverfahren der vorläufige Sachwalter vom vorläufigen Gläubigerausschuss mit Zustimmung des Schuldners beauftragt werden, einen Insolvenzplan auszuarbeiten; weitere Aufgaben können dem vorläufigen Sachwalter auf diesem Weg über sein von Gesetz und Insolvenzgericht festgelegtes Tätigkeitsfeld hinaus nicht übertragen wer___________ 705) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 ZInsO 2016, 1637. 706) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 ZInsO 2016, 1637. 707) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 ZInsO 2016, 1637. 708) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 ZInsO 2016, 1637. 709) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 ZInsO 2016, 1637. 710) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 ZInsO 2016, 1637. 711) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 ZInsO 2016, 1637.

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– IX ZB 70/14), DZWIR 2016, 540 = NZI 2016, 796 = – IX ZB 70/14), DZWIR 2016, 540 = NZI 2016, 796 = – IX ZB 70/14), DZWIR 2016, 540 = NZI 2016, 796 = – IX ZB 70/14), DZWIR 2016, 540 = NZI 2016, 796 = – IX ZB 70/14), DZWIR 2016, 540 = NZI 2016, 796 = – IX ZB 70/14), DZWIR 2016, 540 = NZI 2016, 796 = – IX ZB 70/14), DZWIR 2016, 540 = NZI 2016, 796 =

VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

den.712) Der vorläufige Sachwalter darf im Rahmen seiner Überwachungsund Kontrolltätigkeit die Eigenverwaltung beratend begleiten in dem Sinne, dass er sich rechtzeitig in die Erarbeitung der Sanierungskonzepte und die Wahrnehmung sonstiger Aufgaben einbinden lässt und rechtzeitig zur Durchführbarkeit der beabsichtigten Maßnahmen äußert; eine nur nachlaufend wahrgenommene Überwachung ist unzureichend.713) Die Auslagenpauschale des vorläufigen Sachwalters bemisst sich nach § 12 1006 Abs. 3 InsVV.714) Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters ist analog § 26a InsO festzusetzen, 1007 wenn es wegen der Rücknahme des Eröffnungsantrages nicht mehr zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens und zur Bestellung eines Sachwalters kommt.715) g) Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses Die Mitglieder des Gläubigerausschusses erhalten für ihre Tätigkeit eine Ver- 1008 gütung (§ 73 InsO, §§ 17, 18 InsVV). Regelmäßig werden der Zeitaufwand und der Umfang der Tätigkeit durch Gewährung von Stundensätzen honoriert. Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses beträgt regelmäßig zwischen 35 € und 95 € je Stunde. Dies gilt über § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO auch für Mitglieder im vorläufigen Gläubigerausschuss. Die Vergütung der Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses für die Erfüllung der ihm nach § 56a InsO und § 270 Abs. 3 InsO zugewiesenen Aufgaben beträgt einmalig 300 € (§ 17 Abs. 2 InsVV). Nach der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder eines vorläufigen Sachwalters richtet sich die weitere Vergütung nach § 17 Abs. 1 InsVV. Voraussetzung für die Festsetzung der Vergütung eines Gläubigerausschuss- 1009 mitglieds ist die Stellung eines schriftlichen Vergütungsantrags des Ausschussmitglieds an das Insolvenzgericht.716) Der Insolvenzverwalter kann den Antrag nicht für das Ausschussmitglied stellen und ist auch nicht Adressat des Vergütungsantrags.717) Evtl. Auslagen der Gläubigerausschussmitglieder sind gemäß § 18 Abs. 1 InsVV 1010 einzeln anzuführen und zu belegen.718) Eine Berechnung als Auslagenpauschale analog § 8 Abs. 3 ist nicht zulässig.719) Soweit eine Umsatzsteuer anfällt, ist diese gemäß § 18 Abs. 2 InsVV entsprechend § 7 InsVV zu ersetzen.720) ___________ 712) 713) 714) 715) 716) 717) 718) 719) 720)

BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14), NZI 2016, 963 = ZInsO 2016, 207. BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14), NZI 2016, 963 = ZInsO 2016, 207. BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14), NZI 2016, 963 = ZInsO 2016, 207. AG Köln, Beschl. v. 25.1.2017 – 73 IN 411/16, NZI 2017, 322 = ZInsO 2017, 514 = ZIP 2017, 980. Graeber/Graeber, InsVV-Online, § 17 Rn. 12. Graeber/Graeber, InsVV-Online, § 17 Rn. 12. Graeber/Graeber, InsVV-Online, § 17 Rn. 16. Graeber/Graeber, InsVV-Online, § 17 Rn. 16. Graeber/Graeber, InsVV-Online, § 17 Rn. 16.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

2. Sonstige Masseverbindlichkeiten a) Überblick 1011 Zu den Masseverbindlichkeiten zählen insbesondere die in § 55 InsO angeführten Positionen. Voraussetzung ist, dass die Verbindlichkeiten nach Eröffnung entstanden sind bzw. über die Fiktion des § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeiten gelten. Daneben ergeben sich weitere im Rang einer Masseverbindlichkeit zu regulierende Forderungen: x

Unterhaltsansprüche (§§ 100, 101 InsO),

x

Notgeschäftsführung (§§ 115, 118 InsO),

x

Verbindlichkeiten aus einem Sozialplan (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO),

x

Kosten des Antragstellers bei Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 Abs. 2 InsO),

x

Zinsansprüche absonderungsberechtigter Gläubiger (§ 169 InsO),

x

Wertverlustausgleichsanspruch bei der Weiternutzung von Absonderungsgut (§ 172 InsO),

x

Kosten eines Feststellungsrechtsstreits (§ 183 Abs. 3 InsO),

x

Verschiedene Ansprüche bei Nachlassinsolvenzen (§ 324 InsO).

b) Verjährung 1012 Über einen sehr langen Zeitraum war die Frage der Verjährung von Masseverbindlichkeiten ungeklärt, da eine gesetzliche ausdrückliche Regelung nicht vorliegt. Eine solche fehlt immer noch; zwischenzeitlich liegt aber eine obergerichtliche Entscheidung zu der sehr praxisrelevanten Frage vor. Der BGH hat grundlegend entschieden,721) dass weder die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter nach § 208 Abs. 1 InsO noch die Aufnahme der Altmasseforderung in eine vom Insolvenzverwalter geführte Liste (Masseschuldtabelle) zur Hemmung der Verjährung führen. Eine entsprechende Anwendung der §§ 205, 206 BGB scheidet aus.722) Die [Alt-]Massegläubiger können und müssen die Hemmung oder den Neubeginn der Verjährung ihrer Altmasseforderungen durch Einleitung weiterer Schritte gegen den Insolvenzverwalter bewirken, welche die Voraussetzungen der jeweiligen Tatbestände der §§ 203 ff. BGB erfüllen.723) Aus Sicht des Insolvenzverwalters empfiehlt sich demnach die fristgerechte Begleichung sonstiger Masseverbindlichkeiten, sofern die Insolvenzmasse dazu ausreicht bzw. eine umgehende Befriedigung der Altmasseverbindlichkeiten im Rang des § 209 Abs. 1 ___________ 721) BGH, Urt. v. 14.12.2017 – IX ZR 118/17, ZIP 2018, 233. 722) BGH, Urt. v. 14.12.2017 – IX ZR 118/17, ZIP 2018, 233. 723) BGH, Urt. v. 14.12.2017 – IX ZR 118/17, ZIP 2018, 233.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

Nr. 3 InsO, sobald die Masseunzulänglichkeit wieder behoben ist. Gegenüber Massegläubigern, deren Masseforderung verjährt ist, hat der Insolvenzverwalter die Einrede der Verjährung zu erheben. Der Insolvenzverwalter kann und sollte gegenüber den Altmassegläubigern, deren Altmasseforderungen unstreitig sind, auf die Einrede der Verjährung verzichten, insbesondere um eine unnötige Feststellungsklage der betroffenen Altmassegläubiger zu vermeiden. c) Vorläufige Insolvenzverwaltung Nach dem grundsätzlichen Verständnis werden Masseverbindlichkeiten nach 1013 Insolvenzeröffnung begründet (Rechtsgrund). In bestimmten Einzelfällen werden auch vor Insolvenzeröffnung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter bereits solche Verbindlichkeiten begründet (z. B. §§ 55 Abs. 4, 100 Abs. 2 InsO analog). Ist der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis ausgestattet, kann er unproblematisch auch Masseverbindlichkeiten begründen (vgl. § 55 Abs. 2 InsO). Problematisch kann sich dies darstellen beim schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter. Insbesondere im Zuge einer Betriebsfortführung ist der schwache vorläufige 1014 Insolvenzverwalter darauf angewiesen, u. U. auch Masseverbindlichkeiten zu begründen, da die Aufrechterhaltung eines laufenden Geschäftsbetriebs mit Kosten verbunden ist, welche bis zur Insolvenzeröffnung nicht immer beglichen werden können (Zeit-/Abgrenzungsproblem). „Einfach so“ kann der Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung die Forderungen nicht mehr begleichen, wenn der Gläubiger der Forderung Inhaber einer Insolvenzforderung (ggf. unbesichert) ist, da Zahlungen an einzelne Insolvenzgläubiger insolvenzzweckwidrig sind; sie durchbrechen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung. Da gesetzliche Grundlagen (bis auf wenig Ausnahmen) fehlen, hat die Praxis 1015 verschiedene Methoden entwickelt. Neben der als zulässig erachteten Vorschuss-/Abschlagszahlung werden sehr 1016 häufig (immer noch) „Zahlungszusagen“ ausgesprochen. Die Zusage des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters zum Ausgleich solcher Forderungen begründet keine Masseverbindlichkeit.724) Ein zulässiger Weg führt über die sog. Einzelermächtigung. Ein schwacher 1017 vorläufiger Insolvenzverwalter kann nur insoweit, als dieser vom Insolvenzgericht ermächtigt worden ist, einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zulasten der späteren Insolvenzmasse begründen.725) Für den vorläu___________ 724) Siehe zur Zusage, ein Nutzungsentgelt an den Sicherungseigentümer auszukehren, BGH, Urt. v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, ZIP 2006, 1641. 725) BGH, Urt. v. 7.5.2009 – IX ZR 61/08 Rn. 13 m. w. N., ZIP 2009, 1477; BGH, Urt. v. 13.1.2011 – IX ZR 233/09 Rn. 9, NZI 2011, 143; BGH, Urt. v. 4.12.2014 – IX ZR 166/14, ZInsO 2015, 261.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

figen Verwalter ohne Verfügungsbefugnis gilt § 55 Abs. 2 InsO nur insoweit, als dieser vom Insolvenzgericht ermächtigt worden ist, einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen.726) 1018 Auch eine Anordnung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 5 InsO kann zum Anfall von Masseverbindlichkeiten führen, unter die der Anspruch des Berechtigten auf Nutzungsausfallentschädigung (Zinszahlung) gemäß § 169 Satz 2 InsO entsprechend für einen Zeitraum nach Ablauf von 3 Monate nach der Anordnung fällt.727) 1019 Verbindlichkeiten, die der starke vorläufige Verwalter im Antragsverfahren begründet, werden mit Eröffnung gesetzlich zu einer Masseverbindlichkeit aufgewertet (§ 55 Abs. 2 InsO). d) Sonstige Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 InsO 1020 Masseverbindlichkeiten resultieren aus nach Eröffnung vorgenommenen Handlungen des Insolvenzverwalters (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO). Zu den in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung begründeten Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) zählen solche Verbindlichkeiten, die aufgrund gesetzlicher Regelungen zulasten der Masse werden (oktroyierte Verbindlichkeiten). Insbesondere sind hierunter Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und öffentlich-rechtliche Abgabenforderungen zu fassen, soweit diese nach Eröffnung entstanden sind. 1021 Wählt der Insolvenzverwalter i. S. v. § 103 InsO die Erfüllung von Verträgen, kann er die Leistung beanspruchen und muss die Gegenleistung als Masseverbindlichkeit bedienen. Als Ausnahme zu § 103 InsO sind einige Vertragsverhältnisse besonders geschützt, indem die „einfache“ Erfüllungswahl nicht zulässig ist. So kann der Insolvenzverwalter z. B. ein geschäftliches Mietvertragsverhältnis nicht einfach durch „Nichteintrittserklärung“ gemäß § 103 InsO faktisch beenden, sondern muss dieses formal kündigen; hierbei ist allerdings auch die Masse geschützt, da § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO eine (je nach Vertragslaufzeit verkürzte) dreimonatige Kündigungsfrist bestimmt. Die bis zum Wirksamwerden der Kündigung anfallenden Mietverbindlichkeiten sind als Masseverbindlichkeiten zu begleichen. Gleichermaßen verhält es sich mit Arbeitsverhältnissen, für die gemäß § 113 InsO identische Fristen und Maßgaben gelten. Ein Mietvertragsverhältnis über privaten Wohnraum kann der Insolvenzverwalter gar nicht kündigen; er kann gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO die Haftung der Masse aber auf eine Dreimonatsfrist beschränken. ___________ 726) BGH, Urt. v. 7.5.2009 – IX ZR 61/08 Rn. 13 m. w. N., ZIP 2009, 1477; BGH, Urt. v. 13.1.2011 – IX ZR 233/09 Rn. 9, NZI 2011, 143; BGH, Urt. v. 4.12.2014 – IX ZR 166/14, ZInsO 2015, 261. 727) BGH, Urt. v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, ZIP 2012, 1566; BVerfG, Beschl. v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1252.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

Auch hieraus können also u. U. Masseverbindlichkeiten anfallen (falls der Schuldner die Mieten, die innerhalb der Frist fällig werden, nicht zahlt). Im Rahmen einer Betriebsfortführung ist zu beachten, dass die hieraus re- 1022 sultierenden Masseverbindlichkeiten gesondert als „fortführungsbedingt“ gebucht werden, da nur der erzielte Überschuss Eingang in die [Schlussrechnung und in die] Berechnungsgrundlage zur Verwaltervergütung findet (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 b) InsVV). Die sonstigen, abwicklungsbedingten Masseverbindlichkeiten werden nicht von der Berechnungsgrundlage abgezogen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV). Zu beachten ist beim Einzug von Forderungen durch den Insolvenzverwalter 1023 für vor Insolvenzeröffnung erbrachte Leistungen, dass die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Ist-, sondern auch bei der Sollbesteuerung eine Masseverbindlichkeit (insbesondere Umsatzsteuerforderung) begründet.728) Die BFH-Rechtsprechung vom 9.12.2010 erhebt damit eine grundsätzlich als Insolvenzforderung einzuordnende Insolvenzforderung in den Rang einer Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Bei der Verwertung eines Grundstücks erhält der Verwalter statt der Kosten- 1024 pauschale (§§ 170, 171 InsO sind nicht anwendbar) regelmäßig einen frei ausgehandelten Kostenbeitrag. Die Verwertung erfolgt, folgt man dem BFH und dem BMF, aufgrund einer Geschäftsbesorgungsvereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsgläubiger. Der Insolvenzverwalter erbringt damit eine steuerbare Leistung mit der Folge, dass auf die Massekostenbeiträge Umsatzsteuer zu erheben und im Rang einer Masseverbindlichkeit abzuführen ist.729) Gleiches gilt für die Durchführung der „kalten“ Zwangsverwaltung; auch hier ist der Kostenbeitrag steuerbar.730) Voraussetzung ist stets, dass das Grundgeschäft der Umsatzsteuer unterliegt. Anders ausgedrückt: Bei der Verwertung eines Privatgrundstücks eines Verbraucherschuldners fällt keine Umsatzsteuer an, da der Schuldner nicht Unternehmer i. S. v. § 2 Abs. 1 UStG ist. Verwertet der Verwalter bewegliches Absonderungsgut im Namen der Masse, 1025 nimmt das BMF – fiktiv – einen sog. „Dreifachumsatz“ an. Der Dreifachumsatz731) lässt sich wie folgt darstellen: x

Lieferung Masse an Sicherungsnehmer (fiktiv),

___________ 728) BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl II 2011 S. 996 sowie hierzu BMF-Schreiben v. 9.12.2011 – IV D 2 – S 7330/09/10001:001. 729) UStAE Abschn. 1.2 Abs. 4 Satz 2, 3 n. F. = BFH, Urt. v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 = BStBl. II 2007, 183; BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2 – S 7100/ 07/10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600. 730) UStAE Abschn. 1.2 Abs. 4 Satz 4 n. F.) = BFH, Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZInsO 2011, 1904 = BStBl. II 2014, 406; BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2 – S 7100/07/ 10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600. 731) Statt bisher Einfachumsatz: Masse an Erwerber.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

x

Lieferung Sicherungsnehmer an Masse (fiktiv),

x

Lieferung Masse an Erwerber (tatsächlich).

Erforderlich sind daher die Ausstellung einer Rechnung der Masse an den Absonderungsberechtigten sowie eine gleichlautende Gutschrift. 1026 Beispiel: Abrechnung gegenüber dem Absonderungsberechtigten732) 23.800,00 Brutto-Verwertungserlös ./. 3.800,00 an die Masse zu zahlende Umsatzsteuer gemäß § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO ./. 952,00 4 % Feststellungskostenbeitrag ./. 1.000,00 tatsächliche Verwertungskosten = 18.048,00 Schuldentilgung bei Sicherungsnehmer 3.429,12 19 % USt. 21.477,12 Brutto-Entgelt 1027 Der Sicherungsnehmer erhält also denselben Betrag wie vorher, nur, dass eine zusätzliche Rechnung plus eine Gutschrift erforderlich werden (Papierkram). In dem Fall wird also vom BMF keine (isolierte) Erhebung von Umsatzsteuer (nur) auf den gesetzlichen Verwertungskostenbeitrag angenommen.733) 1028 Masseverbindlichkeiten ergeben sich auch aus gegenseitigen Verträgen (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung gegenseitiger Verträge (§§ 103 ff. InsO) oder ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Verträge nach Eröffnung (ggf. für eine bestimmte Zeit) bestehen bleiben (vgl. z. B. zum Mietverhältnis § 109 Abs. 1 InsO), sind die daraus resultierenden Verpflichtungen aus der Masse zu erfüllen. 1029 Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) sind ebenfalls als Masseverbindlichkeiten zu regulieren (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Doch hier ist Obacht geboten. Richtet der (vorläufige) Insolvenzverwalter ein Anderkonto ein, so handelt es sich um ein offenes Vollrechtstreuhandkonto, aus dem ausschließlich der das Konto eröffnende Rechtsanwalt persönlich der Bank gegenüber berechtigt und verpflichtet ist.734) § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO spielt also hier keine Rolle; eine etwaige Masseunzulänglichkeit ist nicht von Belang. Vor der Insolvenzeröffnung eingetretene Bereicherungen erzeugen ___________ 732) Beispiel entnommen aus BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2 – S 7100/07/10037 DOK 2014/0332437, NZI 2014, 600. 733) Entgegen BFH, Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZInsO 2011, 1904 = BStBl. II 2014, 406 (ergänzendes obiter dictum). 734) BGH, Urt. v. 20.9.2007 – IX ZR 91/06, ZIP 2007, 2279.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

lediglich Insolvenzforderungen.735) Geht auf einem Konto der Insolvenzschuldnerin oder einem „echten“ Insolvenzsonderkonto eine Zahlung ein, die nicht für die Insolvenzschuldnerin bestimmt war, liegt hingegen eine „echte“ Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO vor; der Betrag an den Leistenden zurückzahlen, sofern keine Masseunzulänglichkeit gegeben ist. Dies hat auch vergütungsrechtliche Konsequenzen. Der Wert einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse ist in der Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Gerichtskosten sowie der Vergütung des Insolvenzverwalters vollständig zu berücksichtigen.736) Nichts anderes gilt, wenn eine rechtsgrundlose Zahlung auf ein vom Insolvenzverwalter eingerichtetes Insolvenzsonderkonto erbracht wird, aus dem die Masse berechtigt ist.737) Da diese Erhöhung nicht zu Lasten der Gläubiger gehen soll, mindert sich der Bereicherungsanspruch in Höhe der durch die Zahlung zum Nachteil der Masse verursachten Kosten.738) e) Sonstige Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 InsO In § 55 Abs. 4 InsO findet sich eine landläufig als „Fiskusprivileg“ bezeich- 1030 nete Regelung, die bestimmt, dass Verbindlichkeiten des Insolvenzverwalters aus dem Steuerschuldverhältnis für Verfahren, die ab dem 1.1.2011 beantragt werden,739) nach Eröffnung zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet werden. § 55 Abs. 4 InsO bestimmt, dass Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners 1031 aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten. Bei der Anwendung bei Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach dem 31.12.2014 ist auf den Forderungseinzug durch schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter abzustellen (Zufluss).740) Dies gilt auch bei einem Schuldnerunternehmen, welches der sog. Soll-Versteuerung unterliegt. Als Begründung führt der BFH – ausgerichtet auf die Grundsätze zur Umsatzsteuer – an, dass bereits zum Zeitpunkt der Anordnung der schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung eine Uneinbringlichkeit der offenen Forderung in dem „vorinsolvenzlichen“ Vermögensteil ein___________ 735) BGH, Urt. v. 7.5.2009 – IX ZR 61/08, NZI 2009, 475, 476 = ZInsO 2009, 1102. 736) BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 164/14), NZI 2015, 362 = ZInsO 2015, 742 = ZIP 2015, 738; BGH, Beschl. v. 9.6.2016 – IX ZB 27/15, ZInsO 2016, 1604 = ZIP 2016, 1450. 737) BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 164/14), NZI 2015, 362 = ZInsO 2015, 742 = ZIP 2015, 738; BGH, Beschl. v. 9.6.2016 – IX ZB 27/15, ZInsO 2016, 1604 = ZIP 2016, 1450. 738) BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 164/14), NZI 2015, 362 = ZInsO 2015, 742 = ZIP 2015, 738; BGH, Beschl. v. 9.6.2016 – IX ZB 27/15, ZInsO 2016, 1604 = ZIP 2016, 1450. 739) BMF-Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05 – 2012/0042691, BStBl I S. 83; BMF-Schreiben v. 20.5.2015 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05, BStBl I 2015, 476 = Anwendungsschreiben zu § 55 Abs. 4 InsO; BMF-Schreiben v. 18.11.2015 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05, DOK 2015/10377464: Anwendung des Schreibens v. 20.5.2015. 740) BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, BStBl II 2015, 506 ff.; BMF-Schreiben v. 18.11.2015 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05, DOK 2015/10377464, StuB 2015, 944.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

trete, da der Schuldner selbst nicht mehr zum Forderungseinzug berechtigt sei. Faktisch werden also – im Bereich der Umsatzsteuer unabhängig von einer Soll- oder Ist-Versteuerung – die Wirkungen der Insolvenzeröffnung vorverlagert. f) Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner ([vorläufige] Eigenverwaltung) 1032 In der Praxis besteht bisweilen das Bedürfnis, auch in der (vorläufigen) Eigenverwaltung Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 InsO begründen zu können. Gesetzliche Regelung existieren ausdrücklich in § 270b Abs. 3 InsO (Sonderfall Schutzschirmverfahren) und § 278 InsO (Unterhalt aus der Insolvenzmasse als Entnahmerecht des Schuldners). Es war höchstrichterlich ungeklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO Masseverbindlichkeiten begründet werden können. Sachentscheidung enthalten auch zwei vom BGH getroffene Entscheidungen nicht.741) Ausdrücklich zum Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) ist beschrieben, dass der Schuldner im Eröffnungsverfahren zur Vorbereitung einer Sanierung der Schuldner nur dann Masseverbindlichkeiten begründen kann, wenn ihn das Insolvenzgericht auf seinen Antrag dazu ermächtigt hat.742) Dies entspricht der normierten Rechtslage. Der BGH erwähnt aber die Schuldnerkompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO:743) „Zu der vereinzelten Auffassung des AG Hannover (AG Hannover v. 30.4.2015 – 909 IN 294/15) und des AG Montabaur (AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12), wonach der eigenverwaltende Schuldner schon originär nach dem Gesetz Masseverbindlichkeiten begründe, ohne dass es eines Antrags auf Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten bedürfe, führt er aus, dass diese Ansicht von der weit überwiegend vertretenen Meinung (LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12; AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12; AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12; AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 4/12; HambKommInsO/Fiebig, 5. Aufl., § 270a Rn. 34; Ringstmeier, in: Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 270a Rn. 8; HK-InsO/Landfermann, 7. Aufl., § 270a Rn. 18 ff.; Graf-Schlicker, InsO, 4. Aufl., § 270a Rn. 16 ff.; Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl., § 270a Rn. 6; Pape, in: Kübler/Prütting/ Bork, InsO, 2012, § 270a Rn. 19 f.; Münch-Komm-InsO/Kern, 3 Aufl., § 270a Rn. 41 ff. m. w. N.; Marotzke, DB 2013, 1283, 1288 f.; Undritz, BB 2012, 1551, 1552 f.; Pape, ZIP 2013, 2285, 2292; ders., ZInsO 2013, 2129, 2134; Klinck, ZIP 2013, 853, 855; ders., ZInsO 2014, 365, 366; Buchalik/Kraus, ZInsO 2012, 2330, 2331; dies., ZInsO 2013, 815, 816 f.) abweiche, nach welcher der Schuldner oder der vorläufige Sachwalter im Eröffnungsverfahren nach ___________ 741) BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZIP 2013, 525; BGH, Urt. v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831. 742) BGH, Urt. v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831. 743) BGH, Urt. v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831.

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VII. Verfahrenskosten, sonstige Masseverbindlichkeiten und die Folgen

§ 270a InsO nur dann Masseverbindlichkeiten begründet, wenn ihn das Insolvenzgericht auf einen entsprechenden Antrag dazu ermächtigt hat.“ In einer weiteren Entscheidung führt der BGH aus:744) „Der Schuldner be- 1033 gründet auch außerhalb eines Schutzschirmverfahrens nur insoweit Masseverbindlichkeiten, als er vom Gericht hierzu ermächtigt worden ist. Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ist § 55 Abs. 4 InsO nicht entsprechend anwendbar.“ Ob letzteres auch die Finanzverwaltung mitträgt, bleibt zu bezweifeln. 3. Massearmut Voraussetzung für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist grundsätzlich 1034 die Deckung der Verfahrenskosten. Stellt sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens heraus, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um diese Kosten des Verfahrens (oKapitel D.VII.) zu decken, ist Massearmut eingetreten. Das Insolvenzgericht stellt das Verfahren nach § 207 InsO ein. Die Einstellung des Insolvenzverfahrens wegen Massearmut erfolgt von Amts wegen durch das Insolvenzgericht, das die Ausführungen des Verwalters zur Massearmut überprüft. Die gilt nicht, wenn die Kosten des Insolvenzverfahrens gemäß § 4a InsO 1035 gestundet sind. Wird die Bewilligung der Verfahrenskostenstundung aufgehoben (§ 4c InsO) 1036 und sind die Verfahrenskosten nicht gedeckt, erfolgt ebenfalls eine Einstellung gemäß § 207 InsO. Dem Schuldner wird regelmäßig Gelegenheit eingeräumt, den nicht gedeckten Fehlbetrag der Verfahrenskosten einzuzahlen. Kann (oder will) er dies nicht darstellen, ist ihm der Weg zu Erteilung der Restschuldbefreiung versperrt; eine Einstellung gemäß § 207 InsO schließt die Erteilung der Restschuldbefreiung aus.745) Die Einleitung des Verfahrens nach § 207 InsO obliegt dem Insolvenzver- 1037 walter als insolvenzspezifische Pflicht. Es empfiehlt sich die Aufstellung einer Kostendeckungsbilanz, wodurch eine ständige Prüfung der Kostendeckung erfolgen kann. Im Zweifel ist ein Status anzufertigen, aus dem sich ergibt, ob die bereits angefallenen und noch anfallenden Kosten des Verfahrens weiterhin befriedigt werden können. Etwaige Zuschläge zur Verwaltervergütung sind einzurechnen. Hat sich herausgestellt, dass die Insolvenzmasse nicht einmal mehr ausreicht, 1038 um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken, ist der Insolvenzverwalter nach dem Wortlaut des § 207 Abs. 3 InsO nicht mehr berufen, Massegegenstände zu verwerten. Er hat vielmehr nur noch die Verpflichtung, die vorhandenen Barmittel an die Kostengläubiger zu verteilen. In § 207 Abs. 3 Satz 1 InsO ist bestimmt, dass die Masse dazu zu verwenden ist, zuerst die ___________ 744) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, WM 2018, 2373. 745) AG Flensburg, Beschl. v. 26.7.2011 – 56 IN 201/11, JurionRS 2011, 23981.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Auslagen des Verfahrens und erst danach die Kosten des Verfahrens zu befriedigen.746) Ein Unterschied zwischen den Auslagen des Gerichts und denen des Verwalters wird dabei nicht gemacht. 4. Masseunzulänglichkeit 1039 Von der Massearmut zu unterscheiden ist die Masseunzulänglichkeit. Hier sind zwar die Kosten des Verfahrens, nicht aber die fälligen Masseverbindlichkeiten gedeckt (§ 208 InsO). Das Vorliegen der Masseunzulänglichkeit muss der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht anzeigen. Die Beurteilung, ob eine Masseunzulänglichkeit bereits eingetreten ist oder einzutreten droht, obliegt demnach dem Insolvenzverwalter. 1040 Die Bestimmung der (drohenden) Masseunzulänglichkeit basiert – je nach Verfahrensstadium – auf prognostischen Werten hinsichtlich der noch zu realisierenden freie Masse, die zusammen mit der bereits erlösten Masse höher sein muss als die gesamten Massekosten zzgl. der sonstigen Masseverbindlichkeiten. Ist die Masse kleiner, liegt Masseunzulänglichkeit vor. 1041 Das Insolvenzgericht hat die Anzeige der Masseunzulänglichkeit öffentlich bekanntzumachen (§ 208 Abs. 2 InsO). Die Anzeige ist darüber hinaus sämtlichen Massegläubigern gemäß § 208 Abs. 2 Satz 2 InsO gesondert zuzustellen. Das dahingehende Zustellwesen wird regelmäßig auf den Insolvenzverwalter übertragen. So erhalten die Gläubiger frühzeitig Informationen darüber, dass die Masseverbindlichkeiten nicht vollständig beglichen werden können. In Anbetracht der Befriedigungsreihenfolge bei Masseunzulänglichkeit können die Gläubiger nach dem aktuellen Stand des Verfahrens sodann nicht mit einer Befriedigung der zur Insolvenztabelle angemeldeten Insolvenzforderungen rechnen. 1042 Reicht das Schuldnervermögen zwar zur Deckung der Massekosten, nicht aber zur (vollständigen) Deckung der sonstigen Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 InsO aus, liegt Massenunzulänglichkeit vor (auch Masseinsuffizienz). Die Befriedigungsreihenfolge richtet sich nach § 209 InsO. Praxistipp: Befriedigungsreihenfolge § 209 InsO 1. Kosten des Insolvenzverfahrens. 2. Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind (Neumasseverbindlichkeiten), ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. 3. Die übrigen Masseverbindlichkeiten (Altmasseverbindlichkeiten), unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 InsO bewilligte Unterhalt.

___________ 746) BK-InsO/Gruber, § 207 Rn. 32 ff.; HK-InsO/Weitzmann, 4. Aufl., § 207 Rn. 21a; MünchKomm-InsO/Hefermehl, § 207 Rn. 58 ff.; Hess, InsO, § 207 Rn. 42 ff.

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VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle

Es besteht ein Vollstreckungsverbot gemäß § 210 InsO. Sobald der Insolvenz- 1043 verwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, ist die Vollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit i. S. d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig. Sobald der Insolvenzverwalter die Insolvenzmasse nach Maßgabe des § 209 InsO 1044 verteilt hat, stellt das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren ein (§ 211 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter hat für seine Tätigkeit nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gesondert Rechnung zu legen. Abzustellen ist auf die Begründetheit der Forderungen. Die Unterscheidung nach Alt- und Neumassegläubiger hat zu erfolgen, und zwar unabhängig davon, ob Masseunzulänglichkeit angezeigt wurde oder nicht.747) Es empfiehlt sich daher eine permanente Zulänglichkeitsberechnung, die 1045 jederzeit Auskunft über den Stand der Deckung der Masseverbindlichkeiten gibt, sowie das Führen einer Masseschuldtabelle, die kontinuierlich aktualisiert und fortgeschrieben wird. Gemäß § 61 Satz 1 InsO ist der Verwalter dem Massegläubiger persönlich 1046 zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er dessen Masseforderung, die er durch eine Rechtshandlung selbst begründet hat, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllen kann. Die Haftung kann vermieden werden, wenn die Begründung der Masseschuld dann unterlassen oder verhinder wird, wenn er zu diesem Zeitpunkt erkennen konnte, dass die Masse zur Erfüllung der Verbindlichkeit voraussichtlich nicht ausreichen werde. Die ggü. § 60 InsO alternative Haftungsnorm des § 61 InsO gilt nur für Gläubiger, die im Verfahren Masseansprüche haben oder gehabt hätten, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet worden wäre. VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle 1. Insolvenzforderungen und Forderungsanmeldungen Gläubiger, denen z. Zt. der Eröffnung ein Vermögensanspruch gegen den In- 1047 solvenzschuldner zusteht (Insolvenzgläubiger, § 38 InsO), können diese Forderung nur noch nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen weiterverfolgen (§ 87 InsO). Abzustellen ist auf die Begründetheit der Forderung; auf die Fälligkeitszeitpunkte kommt es hierbei wegen § 41 InsO nicht an. Die Beitreibung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung ist ab der Eröffnung 1048 unzulässig (§ 89 InsO). Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird (§ 240 ZPO). Die Geltendmachung des Anspruchs erfolgt durch schriftliche Anmeldung 1049 der Forderung beim Insolvenzverwalter (§ 174 Abs. 1 Satz 1 InsO). Mit Er___________ 747) BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

öffnung des Verfahrens bestimmt das Insolvenzgericht eine Anmeldefrist (§ 28 Abs. 1 InsO). Es handelt sich hierbei nicht um eine Ausschlussfrist, d. h. Forderungen können auch nach Ablauf dieser Frist noch zur Tabelle angemeldet werden. Eine Prüfung der verspäteten Anmeldungen erfolgt sodann in einem für die Gläubiger kostenpflichten weiteren Prüfungstermin (Nachprüfungstermin, § 177 InsO). 1050 Dem Insolvenzverwalter obliegt die Tabellenführung und die Forderungsprüfung (§§ 174, 175 InsO). Nach Eröffnung stellt er aufgrund einer in den allermeisten Fällen vom Insolvenzgericht ausgesprochenen Übertragung des Zustellwesens den Eröffnungsbeschluss an die Gläubiger zu (vgl. § 8 Abs. 3 InsO) und fordert die Gläubiger gleichzeitig auf, ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anzumelden. 1051 Damit der Insolvenzverwalter die Forderungsprüfung vornehmen kann, sind bei der Anmeldung der Betrag sowie Grund der Forderung (Lieferung und Leistung, Miete, Darlehen, Schadensersatz etc.) anzugeben und Unterlagen, die geeignet sind, den Bestand der Forderung nachzuweisen, beizubringen (Titel. Rechnungen, Lieferscheine, Forderungsberechnung, Kostennachweise etc.). Die Forderungen sind in inländischer Währung geltend zu machen; ausländische Währungen sind nach dem Kurswert z. Zt. der Verfahrenseröffnung in inländische Währung umzurechnen (§ 45 InsO). Zinsansprüche sind unter Angabe von Zinssatz und Zeitraum auszurechnen; die Zinsberechnung ist nicht Aufgabe des Verwalters. Zinsen können grundsätzlich nur für die Zeit bis zum Eröffnungsstichtag zur Insolvenztabelle geltend gemacht werden. 1052 Zudem sind Tatsachen vorzutragen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass der Forderung eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder eine Steuerstraftat des Schuldners nach den §§ 370, 373, 374 AO zugrunde liegt (§ 174 Abs. 2 InsO). In diesem Fall ergeht seitens des Gerichts eine Widerspruchsbelehrung an den Schuldner (§ 175 Abs. 2 InsO). Haben Gläubiger vorgetragen, die Forderung stamme aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, so hat der Schuldner im Widerspruch zusätzlich anzugeben, ob dieser Vortrag bestritten wird. Der Schuldner hat insoweit ein eigenes Widerspruchsrecht nur im Hinblick auf den Deliktscharakter (sog. Attributswiderspruch). 1053 Gläubiger, die abgesonderte Befriedigung an einem Sicherungsgut beanspruchen können, sind Insolvenzgläubiger, soweit ihnen der Schuldner auch persönlich haftet (§ 52 InsO). Die persönliche Forderung können sie zur Insolvenztabelle anmelden, soweit diese ungesichert ist. 1054 Die Forderungsanmeldung kann auf amtlichen Vordrucken, die vom Landesministerium zum Download bereitgestellt werden, vorgenommen werden. Die Anmeldungen sind in zweifacher Ausfertigung vorzunehmen. Eine Ausfertigung verbleibt in den Unterlagen des Insolvenzverwalters, eine Anmeldung ist zur Niederlegungsfrist (§ 175 Abs. 1 Satz 2 InsO) an das Insolvenzgericht 266

VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle

zu senden und vom Gericht zur Einsichtnahme der Beteiligten niederzulegen. Die Niederlegungs- oder auch Drittelfrist ist der Zeitraum zwischen dem Ablauf der Anmeldefrist (§ 28 Abs. 1 InsO) und dem Prüfungstermin (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Auch diese Frist ergibt sich aus dem Eröffnungsbeschluss. Das Gericht bestimmt den Termin, indem der Zeitraum zwischen dem Ablauf der Anmeldefrist und dem Prüfungstermin in Tagen oder Wochen ausgerechnet und „durch drei“ geteilt wird; der letzte Tag des ersten Drittels ist der Fristablauf für die Vorlage der ungeprüften Insolvenztabelle. Die Prüfung der Forderung wird vom Verwalter vorbereitet, aber erst im Prüfungstermin vorgenommen. Die geprüfte Tabelle sollte ca. 3 – 7 Tage vor dem Prüfungstermin beim Insolvenzgericht vorliegen; evtl. gerichtsspezifische Besonderheiten gilt es jedoch zu beachten. So kann es sein, dass in der Praxis die beiden Arbeitsschritte „Übersendung der ungeprüften Tabelle“ und „Übersendung der geprüften Tabelle“ in einem Schritt zusammengefasst werden und die geprüfte Tabelle gemeinsam mit den Unterlagen zu den Forderungsanmeldungen bereits zur Niederlegungsfrist an das Gericht übersandt wird. 2. Der Prüfungstermin Die Prüfung der Forderungen erfolgt im Prüfungstermin, der im Verbrau- 1055 cherinsolvenzverfahren regelmäßig im schriftlichen Verfahren durchgeführt wird (§ 5 Abs. 2 InsO). Der Prüfungstermin wird im Eröffnungsbeschluss bestimmt und kann mit dem Berichtstermin verbunden werden. Die Prüfung der Forderung erfolgt in der Praxis vorbereitend zum Prüfungs- 1056 termin. Erst mit Abhaltung des Prüfungstermins ist die Forderung des Gläubigers jedoch bestandskräftig geprüft. Als Prüfungsleitfaden empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Praxistipp: Prüfungsleitfaden Tabelle 1. Vollständige Gläubigerbezeichnung • Name/korrekte Firma und Anschrift des Gläubigers • ggf. gesetzlicher Vertreter (Geschäftsführer, Vorstand, Eltern, Betreuer etc.) • Aktenzeichen 2. Verfahrensbevollmächtigter (Rechtsanwalt, Inkasso, sonst. Dritte) Eine gesonderte Vollmacht ist bei einer Anmeldung durch einen Rechtsanwalt entbehrlich (vgl. § 4 InsO i. V. m. § 88 Abs. 2 ZPO), muss aber für Quotenausschüttung als Geldempfangsvollmacht vorliegen. Bei einer Anmeldung durch ein Inkassounternehmen als Vertreter des Gläubigers ist die Vorlage einer Vollmacht bereits für die Anmeldung zur Insolvenztabelle zwingend notwendig. Die in § 88 Abs. 2 ZPO aufgeführte Einschränkung gilt lediglich für Rechtsanwälte. 3. Datum der Anmeldung Eingangsdatum (Eingangsstempel!)

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren 4. Forderungsart z. B. Warenlieferung, Dienstleistung, Arbeitsentgelt, Sozialversicherungsbeiträge, Steuern, … 5. Belege • Belegen die der Anmeldung beigefügten Unterlagen die geltend gemachte Forderung? • Schlüssigkeit (z. B. stimmen Rechnungsbeträge mit Anmeldeforderung überein?) • Namensidentität (Schuldner und Gläubiger)? • ggf. Forderungsberechnung (insbesondere, wenn Teilzahlungen erfolgt sind) • Vergleich mit Kreditorenliste des Schuldners 6. Mögliche Verjährung Die Einrede der Verjährung gemäß § 214 BGB muss durch den Insolvenzverwalter erhoben werden (Bestreiten der Forderung) 7. Zinsansprüche • Zeitraum der Zinsberechnung • Zinshöhe • Zinsbescheinigung • Verjährung der Zinsansprüche (§§ 195, 197 Abs. 2 BGB) 8. Nebenforderungen Belege für Nebenforderung (z. B. Mahngebühren, Kosten der Zwangsvollstreckung etc.) 9. Absonderungsrechte 10. Rechtsstreitigkeiten Ggf. ist zu prüfen, ob beim erkennenden Gericht die Unterbrechung des Rechtsstreites nach § 240 ZPO bereits beachtet wurde. 11. Vollstreckungstitel 12. Deliktsforderung = Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung Gesonderte Kennzeichnung, § 174 Abs. 2 InsO

1057 Bei der Prüfung der Forderungen gibt es im Wesentlichen folgende Prüfungsergebnisse: x

Feststellung der Forderung

1058 Ist die Forderung begründet, wird diese zur Insolvenztabelle festgestellt. Nur festgestellte Forderungen nehmen an einer evtl. Schlussverteilung teil. Die Eintragung in die Tabelle wirkt für die festgestellten Forderungen ihrem

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VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle

Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (§ 178 Abs. 3 InsO). Wird eine Forderung nicht oder nur vom Schuldner bestritten, so gilt sie für das 1059 weitere Insolvenzverfahren entsprechend der Anmeldung als festgestellt (§ 178 InsO). Bei angeordneter Eigenverwaltung verhindert auch der Widerspruch des Schuldners die Feststellung der Forderung (§ 283 Abs. 1 Satz 2 InsO). Liegt für die Forderung bereits ein vollstreckbarer Schuldtitel vor (Urteil, 1060 notarielles Anerkenntnis, Steuerbescheid u. ä.), so ist es Sache grds. des Bestreitenden, den Widerspruch mit den allgemein zulässigen rechtlichen Mitteln weiterzuverfolgen. Liegt kein solcher Schuldtitel vor, obliegt es dem vermeintlichen Gläubiger, die Feststellung der Forderung auf dem hierfür allgemein vorgesehenen Rechtsweg zu betreiben (Feststellungsklage). Die Feststellung einer titulierten Forderung zur Insolvenztabelle setzt die Vorlage des Originaltitels weder im Prüfungstermin noch im Feststellungsrechtsstreit voraus.748) Bestreitet der Insolvenzverwalter die Forderung gleichwohl und nur deswegen, weil der vollstreckbare Titel nicht vorgelegt wurde, setzt er sich der Gefahr einer Feststellungsklage aus. Nur wenn der Titel mit Vollstreckungsklausel im Original im bzw. zum Prüfungstermin vorliegt und die Titulierung geprüft werden kann, ist eine Forderung als titulierte Forderung zu behandeln. Nur dann obliegt es dem Insolvenzverwalter, ein Bestreiten der Forderung zu verfolgen (§ 179 Abs. 2 InsO; sog. negative Feststellungsklage). Liegt der vollstreckbare Titel nicht (rechtzeitig) vor, wird die Forderung wie eine nicht titulierte Forderung behandelt. In diesem Fall ist der Gläubiger gehalten, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu verfolgen. Ein Insolvenzgläubiger hat spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung gegenüber dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für welchen Betrag die Feststellungsklage erhoben oder das Verfahren in dem früher anhängigen Rechtsstreit aufgenommen ist (§ 189 InsO). Wird der Nachweis rechtzeitig geführt, so wird der auf die Forderung entfallende Anteil bei der Verteilung zurückbehalten, solange der Rechtsstreit anhängig ist. Wird der Nachweis nicht rechtzeitig geführt, so wird die Forderung bei der Verteilung nicht berücksichtigt. x

Feststellung der Forderungen auf den Ausfall

Erhebt ein Absonderungsberechtigter auch persönliche Forderungen gegen 1061 den Schuldner, ist er zur anteilsmäßigen Befriedigung aus der Insolvenzmasse (Quote) jedoch nur berechtigt, soweit er auf eine abgesonderte Befriedigung verzichtet hat oder bei ihr ausgefallen ist (§ 52 InsO). Hat der absonderungsberechtigte Gläubiger noch keine Befriedigung aus der Verwertung des Absonderungsgutes erhalten, wird seine persönliche, zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung „auf den Ausfall“ festgestellt. Eine uneingeschränkte ___________ 748) BGH, Urt. v. 1.12.2005 – IX ZR 95/04, InsbürO 2006, 158 = ZInsO 2006, 102.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

Feststellung der Forderung erfolgt nach Abgeltung des Absonderungsrechts durch Erlösauskehr noch in Höhe des endgültigen Ausfalls. x

Bestreiten der Forderung

1062 Der Insolvenzverwalter bestreitet eine Forderung, wenn die Prüfung ergibt, dass die Forderung in der angemeldeten Höhe oder in dem Rang nicht besteht, die Forderung unbegründet oder verjährt oder auch nicht ausreichend belegt ist (z. B. keine Belege, Verjährung, Pauschalanmeldung, Zinsaufstellung fehlt, etc.). Auch das Bestreiten nur eines Teilbetrags der Forderung ist möglich. 1063 Zum Bestreiten einer angemeldeten Forderung ist neben dem Insolvenzverwalter auch der Schuldner sowie jeder Insolvenzgläubiger berechtigt (jeweils selbstständiges Recht). Das Gericht informiert allerdings nach der Forderungsprüfung nur diejenigen Gläubigerinnen und Gläubiger, deren Forderungen ganz oder teilweise bestritten worden sind. Ihnen erteilt das Insolvenzgericht von Amts wegen einen Auszug aus der Insolvenztabelle, aus dem das Ergebnis der Prüfung hervorgeht. 1064 Das Insolvenzgericht wird im Termin lediglich die abgegebenen Erklärungen beurkunden nicht aber darüber entscheiden, ob ein Widerspruch begründet ist. Hat der Schuldner im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren eine Forderung bestritten, so kann der Gläubiger Klage auf Feststellung der Forderung gegen den Schuldner erheben. War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig, so kann der Gläubiger diesen Rechtsstreit gegen den Schuldner aufnehmen (§ 184 Abs. 1 InsO). 3. Nachmeldungen und Nachprüfungstermin 1065 Forderungen, die erst nach Ablauf der gerichtlichen Anmeldefrist angemeldet werden, können in einem auf Anregung des Insolvenzverwalters hin zu bestimmenden Nachprüfungstermin geprüft werden (§ 177 InsO). Nachmeldungen sind grundsätzlich im Hauptverfahren immer möglich. Eine nach Veröffentlichung und Niederlegung des Schlussverzeichnisses angemeldete Forderung nimmt an der Schlussverteilung nicht mehr teil, kann aber gleichwohl noch in die Tabelle eingetragen und geprüft werden.749) Nach Veröffentlichung des Schlussverzeichnisses können Änderungen ausschließlich nur noch nach den Regelungen der §§ 189 – 193 InsO erfolgen. 1066 Die Kosten der zusätzlichen Prüfung hat der säumige Gläubiger zu tragen (§ 177 Abs. 1 Satz 2 InsO). Diese belaufen sich derzeit auf 20 €. 4. Nachträgliche Änderungen der Prüfergebnisse 1067 Eine nachträgliche Änderung der Prüfungsergebnisse ist grundsätzlich möglich. ___________ 749) BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, ZIP 2007, 876.

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VIII. Forderungsanmeldung und Insolvenztabelle

Eine einseitige Änderung des Prüfungsergebnisses einer festgestellten Forde- 1068 rung durch den Insolvenzverwalter ist nicht mehr möglich. Eine nachträgliche Änderung kann in dem Fall nur durch Rücknahme der Forderung durch den Gläubiger erklärt werden. Wurde eine Forderung zunächst auf den Ausfall festgestellt und weist der 1069 Gläubiger nach Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Absonderungsgutes seinen endgültigen Ausfall nach, kann die persönliche Forderung in Höhe des ungesicherten Teils nachträglich vom Insolvenzverwalter festgestellt werden. Hat der Gläubiger einer zunächst bestrittenen Forderung einen Mangel (feh- 1070 lende Belege, falsche Berechnung o. Ä.) behoben, kann auch diese Forderung nachträglich (ggf. in Teilhöhen) festgestellt werden. Hat ein Gläubiger anderweitig (z. B. durch Inanspruchnahme eines weiteren 1071 Gesamtschuldners oder durch zulässige Auf-/Verrechnungen) außerhalb des Insolvenzverfahrens Befriedigung erlangt, obliegt es ihm, insoweit die Rücknahme der Forderung zur Insolvenztabelle zu erklären. Auch die (teilweise) Rücknahme kann als nachträgliche Änderung des Prüfergebnisses in der Tabelle eingetragen werden. Nach Veröffentlichung des Schlussverzeichnisses können Änderungen ausschließlich nur noch nach den Regelungen der §§ 189 – 193 InsO erfolgen. Die nachträglichen Änderungen der Prüfergebnisse sind stets an das Insol- 1072 venzgericht zu kommunizieren. 5. Nachrangige Forderungen Nachrangigen Forderungen können nur angemeldet werden, wenn das Ge- 1073 richt ausdrücklich zur Anmeldung solcher Forderungen aufgefordert hat (§ 174 Abs. 3 InsO). Eine solche Aufforderung ergeht in der Praxis nur äußerst selten, da eine Zuteilung von Geldern auf den Nachrang nur bei vollständiger Deckung der Verfahrenskosten, der sonstigen Masseverbindlichkeiten und einer 100 %-Quotenzahlung auf alle festgestellten Forderungen der Insolvenzgläubiger in Betracht kommt. Nachrangige Forderungen sind in Insolvenzverfahren über das Vermögen 1074 natürlicher Personen: x

Die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen und Säumniszuschläge (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO),

x

die Kosten der Verfahrensteilnahme (§ 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO),

x

Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten (§ 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO),

x

die Forderungen auf eine unentgeltliche schuldnerische Leistung (§ 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO). 271

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

1075 Bei der Anmeldung ist auf den Nachrang hinzuweisen und die von der Gläubigerin oder von dem Gläubiger beanspruchte Rangstelle zu bezeichnen. Soweit ein Gläubiger eine eigentlich in den Nachrang einzuordnende Forderung (§ 39 InsO) als Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zur Tabelle anmeldet, ist diese im Rang des § 38 InsO zu bestreiten. Die Forderungsanmeldungen sind daher auch daraufhin zu prüfen, ob im „falschen Rang“ angemeldet wurde. Ausschlaggebend ist hier der Forderungsgrund. 6. Forderungen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (Deliktsforderungen) 1076 Bei der Geltendmachung von Forderungen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind einige Besonderheiten zu beachten. Gläubiger einer solchen Forderungen haben ein gesteigertes Interesse an der Feststellung auch des Deliktattributes, da solche Forderungen von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen sind und demnach auch nach Durchlaufen des Insolvenzverfahrens weiter auch im Wege der Zwangsvollstreckung verfolgt werden können. 1077 Der Schuldner hat ein genau gegenläufiges Interesse, da er ja gerade die umfassende Erteilung der Restschuldbefreiung begehrt. Daher hat er insoweit auch ein eigenes Widerspruchsrecht, welches sich ausschließlich auf das Attribut „Delikt“ bezieht. Die Klärung, ob eine solche Forderung nun Deliktcharakter genießt oder nicht, ist, wenn dies streitig ist, außerhalb des Insolvenzverfahrens vorzunehmen. 1078 Der Insolvenzverwalter hat insoweit keine Interventionsmöglichkeit; er konstatiert lediglich, ob eine ordnungsgemäße Anmeldung des Deliktcharakters erfolgt ist, prüft aber nicht, ob dieser insoweit auch begründet ist. 1079 Bei der Anmeldung von Deliktsforderungen muss der gesamte Sachverhalt der vorsätzlichen unerlaubten Handlung wiedergegeben worden sein; der zugrunde liegende Lebenssachverhalt ist zu beschreiben.750) Nicht ausreichend ist eine bloße Bezeichnung der Straftat (nicht des Sachverhalts) oder sog. „Kreuzchenanmeldungen“. Der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ist bei der Forderungsanmeldung so zu beschreiben, dass der aus ihm hergeleitete Anspruch in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfrei bestimmt ist und der Schuldner erkennen kann, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird; einer schlüssigen Darlegung des (objektiven und subjektiven) Deliktstatbestandes bedarf es insoweit jedoch nicht.751) 1080 Der Gläubiger einer Deliktsforderung kann, da diese Forderung von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen ist, grds. – auch in den Vor___________ 750) BGH, Urt. v. 9.1.2014 – IX ZR 103/13, ZIP 2014, 278. 751) BGH, Urt. v. 9.1.2014 – IX ZR 103/13, ZInsO 2014, 236 sowie zum Zeitpunkt BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 151/12, KKZ 2014, 77.

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IX. Gläubigerversammlung und Berichtstermin

rechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO – die Zwangsvollstreckung in das Arbeitseinkommen des Schuldners betreiben. Ob eine Vollstreckung wegen einer Forderung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung [nur] mittels eines Tabellenauszuges (§ 850f Abs. 2 ZPO, § 175 Abs. 2, 302 InsO) zulässig ist, ist umstritten. Das LG Essen und das LG Lübeck halten die vollstreckbare Ausfertigung der Insolvenztabelle zu einer als vorsatzdeliktisch angemeldeten Forderung als Grundlage einer Vollstreckung gemäß § 850f Abs. 2 ZPO für geeignet.752) Eine Rechtsbeschwerde ist beim BGH unter Aktenzeichen VII ZB 91/17 zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch anhängig. Widerspruch des Schuldners steht nur dann der Vollstreckung durch den 1081 Gläubiger entgegen, wenn er sich gegen die angemeldete Forderung insgesamt richtet.753) Bei einem isoliertem Attributswiderspruch kann der Gläubiger gemäß § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO die Vollstreckung aus der Eintragung und Feststellung seiner Forderung zur Insolvenztabelle betreiben, da das Bestehen der Forderung unstreitig und die Forderung daher als tituliert zu behandeln ist. IX. Gläubigerversammlung und Berichtstermin 1. Berichtstermin (Erste Gläubigerversammlung) Im Berichtstermin hat der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage 1082 des Schuldners und ihre Ursachen zu berichten (§ 156 Abs. 1 InsO). Dies ist in der Regel auch die erste Gläubigerversammlung, sofern das Verfahren nicht schriftlich durchgeführt wird (vgl. § 5 Abs. 2 InsO). Auf der Basis der Vermögensverzeichnisse und Übersichten (§§ 151 – 153 InsO) 1083 informiert der Insolvenzverwalter die Gläubiger im Berichtstermin über die Vermögensverhältnisse sich Schuldners, die Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens, welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. Der Berichtstermin dient demnach der umfassenden Information der Gläu- 1084 biger als Basis für eine Entscheidungsfindung über den Fortgang des Verfahrens (§ 157 InsO). Soweit das Verfahren schriftlich durchgeführt wird, wird auch der Bericht zur Einsichtnahme der Beteiligten niedergelegt. Manche Verwalterbüros halten auch die Möglichkeit vor, dass Gläubiger sich auf elektronischem Wege über den aktuellen Verfahrensstand informieren können. Durch individuell zugeteilte Codes können sie sich im Informationssystem des Verwalterbüros einloggen und das aktuelle Berichtswesen einsehen (z. B. GIS – Gläubigerinformationssystem). ___________ 752) LG Essen, Beschl. v. 7.4.2017 – 10 T 103/17, ZVI 2017, 422; LG Lübeck, Beschl. v. 24.4.2018 – 7 T 185/18, NZI 2018, 609, a. A.: LG Koblenz, Beschl. v. 6.11.2017 – 2 T 723/17, NZI 2018, 569. 753) BGH, Beschl. v. 3.4.2014 – IX ZB 93/13, ZIP 2014, 1185.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

1085 Zum Berichtstermin fertigt der Insolvenzverwalter einen ausführlichen Bericht, in dem die allgemeinen Verfahrensdaten (Antragstellung, Verfahrenskostenstundung, Eröffnung, Antrag Restschuldbefreiung etc.), die persönlichen Daten/Informationen über den Schuldner (Geburtsdatum, Familienstand, beruflicher Werdegang, Unterhaltspflichten, Mitwirkungsverhalten etc.), die Ursachen der Insolvenz sowie eine Erläuterung der Verzeichnisse und Übersichten (§§ 151 – 153 InsO) inkl. der hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Hintergrundinformationen enthalten sind. 2. Berichtswesen im eröffneten Verfahren 1086 Im eröffneten Verfahren hat der Insolvenzverwalter fortlaufend über den Fortgang Zwischenbericht zu erstatten. Die Zwischenbeichterstattung erfolgt in regelmäßigen Abständen, die vom Gericht vorgegeben werden. Die Berichtsfristen lassen sich der Niederschrift über den Berichts-/Prüfungstermin entnehmen. Diese betragen je nach Gericht i. d. R. sechs oder zwölf Monate. 1087 Die Zwischenberichte bauen auf dem Bericht zur ersten Gläubigerversammlung/Berichtstermin auf und bilden die weitere Entwicklung und den Fortgang der Verwertung/Fortführung im letzten Berichtszeitraum ab. Für den Aufbau bietet sich an, diesen in der Struktur stets wie im ersten Bericht beizubehalten. Dies gewährleistet Übersichtlichkeit. Soweit ein fortgeschriebenes Berichtswesen vom Gericht gefordert wird, sind die fortgeschriebenen Vermögensübersichten auf den aktuellen Stand der Verwertung anzupassen und textlich zu erläutern. Soweit diese Fortschreibung nicht erforderlich ist, reichen die textlichen Erläuterungen über die Verwertungserfolge in Anlehnung an die Aktivseite der Vermögensübersicht aus. Die Ausführungen sollten dem Maßstab gerecht werden, dass ein unbeteiligter Dritter den Verlauf des Verfahrens anhand des Berichtswesens ohne Schwierigkeiten nachvollziehen kann. Ein Katalog an Leitfragen kann sehr hilfreich sein. Praxistipp: Leitfragen Zwischenberichtswesen • Was wurde verwertet? • Wie hoch war der Verwertungserlös? • (Ggf.) Warum weicht der Erlös von der Prognose im Erstbericht/vorhergehenden Bericht ab (höher/niedriger)? • Welche Probleme/Besonderheiten haben sich bei der Verwertung ergeben? • Welche Vermögenswerte wurden ggf. neu entdeckt?

1088 Das Zwischenberichtswesen ist bis zur Schlussrechnungslegung und Schlussberichtserstattung kontinuierlich fortzuführen.

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X. Vertragsverhältnisse

Um sicherzustellen, dass die Berichte auch fristgerecht beim Gericht vorlie- 1089 gen, sind die Berichtsfristen fortlaufend zu führen. Gerade bei einer Vielzahl verwalteter Verfahren ist eine sorgfältige Fristenverwaltung unerlässlich. X. Vertragsverhältnisse 1. Überblick In §§ 103 ff. InsO finden sich die Regelungen über die Wirkungen der Eröff- 1090 nung des Insolvenzverfahrens auf bestehende, bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig abgewickelte Vertragsverhältnisse. In § 103 InsO findet sich die Grundnorm für Vertragsverhältnisse; in den 1091 §§ 104 ff. InsO sind Besonderheiten zu einzelnen Vertragsverhältnissen – zum Teil abweichend von § 103 InsO – geregelt. 2. Wahlrecht (§ 103 InsO) In der Grundnorm § 103 InsO ist das einseitige Wahlrecht des Insolvenz- 1092 verwalters normiert. Als Grundsatz gilt daher, dass z. Zt. der Eröffnung noch nicht abgewickelte Vertragsverhältnisse nicht automatisch erlöschen. Dies ist besonders bedeutsam für Dauerschuldverhältnisse (z. B. Leihe, Energielieferungsverträge, Telefonverträge etc.). Bei der Eigenverwaltung tritt der Schuldner an die Stelle des Insolvenzver- 1093 walters (§§ 270 ff. InsO). Der Insolvenzverwalter kann demnach wählen, ob er den Vertrag erfüllen 1094 und vom anderen Teil Erfüllung verlangen kann. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 103 InsO ist, dass der Vertrag im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung von beiden Seiten nicht vollständig erfüllt ist, also die jeweils geschuldeten Leistungen noch nicht oder noch nicht vollständig erbracht sind.754) Der Vertragspartner kann den Insolvenzverwalter zur Ausübung des Wahl- 1095 rechts auffordern, der sich sodann unverzüglich zu erklären hat (§ 103 Abs. 2 Satz 2 InsO). Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung, ist die schuldnerseitig zu erbrin- 1096 gende Leistungspflicht eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO).755) Der Insolvenzverwalter muss den Vertrag in der Form und mit dem Inhalt übernehmen, wie er ihn vorfindet, demnach auch mit allen Nebenpflichten, Gewährleistungsrechten und Rücktrittsrechten. Eine Aufrechnung mit Insolvenzforderung gegen die Masseforderung ist gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig. ___________ 754) BGH, Beschl. v. 17.7.2003 – IX ZB 448/02, ZInsO 2003, 751. 755) BGH, Urt. v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZInsO 2002, 577.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

1097 Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab, wird der Erfüllungsanspruch des Vertragspartners undurchsetzbar mit der Folge, dass dieser als Gläubiger einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden kann (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO). 3. Vormerkung (§ 106 InsO) 1098 Befindet sich ein Grundstück im Schuldnervermögen, welches der Schuldner bereits vor Eröffnung des Verfahrens verkauft hat, ohne, dass der Eigentumswechsel bereits im Grundbuch vermerkt ist, werden die Ansprüche des Käufers auf Eigentumsumschreibung regelmäßig durch eine im Grundbuch eingetragene Vormerkung gesichert (Abteilung II). Durch eine Vormerkung wird ein Berechtigter in die Lage versetzt, einen schuldrechtlichen Anspruch (z. B. einen im Grundstückskaufvertrag vereinbarten Anspruch auf Eigentumsübertragung eines Grundstücks) dinglich zu sichern. Die Vormerkung ist geregelt in §§ 883 ff. BGB und kein dingliches Recht, sondern ein „Sicherungsmittel eigener Art“ (sui generis). Gemäß § 883 Abs. 2 BGB ist eine Verfügung, die nach der Eintragung der Vormerkung über das Grundstück oder das Recht getroffen wird, insoweit unwirksam, als sie den Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würde. Zudem kommt ihr eine rangwahrende Funktion zu (§ 883 Abs. 3 InsO). Die Vormerkung ist akzessorisch zu dem gesicherten schuldrechtlichen Anspruch.756) 1099 § 106 InsO schützt den Vormerkungsberechtigten für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldnereigentümers. Ist zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung bereits eine Vormerkung zugunsten eines Dritten im Grundbuch eingetragen, kann der Berechtigte für seinen Anspruch Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen (§ 106 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter ist – in Durchbrechung des Grundsatzes des Erfüllungswahlrechts (§ 103 InsO) – gehalten, den durch Vormerkung gesicherten Anspruch zu erfüllen. Das in § 103 InsO normierte Wahlrecht ist entsprechend beschnitten. Der Berechtigte kann vom Insolvenzverwalter Erfüllung verlangen, wie er sie – ohne das Insolvenzverfahren – vom Schuldner hätte verlangen können.757) Der Anspruch ist insolvenzfest758) und aus der Insolvenzmasse auszusondern,759) es sei denn, die Eintragung der Vormerkung unterliegt der insolvenzrechtlichen Anfechtung. 1100 Besteht ein über § 106 InsO gesicherter Anspruch, muss der Insolvenzverwalter diesen erfüllen, d. h. die Auflassung erklären (§§ 873, 925 BGB) und/ oder die Eintragung bzw. Löschung bewilligen (§ 19 GBO). ___________ 756) 757) 758) 759)

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BGH, Urt. v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, ZInsO 2002, 487. BGH, Urt. v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, ZInsO 2001, 1056. BGH, Urt. v. 19.3.1998 – IX ZR 242/97, ZInsO 1998, 89. BGH, Beschl. v. 13.3.2008 – IX ZB 39/05, ZInsO 2008, 558.

X. Vertragsverhältnisse

4. Eigentumsvorbehalt (§ 107 InsO) In § 107 InsO ist – abweichend von § 103 InsO – geregelt, welche Wirkungen 1101 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Kaufverträge des Schuldners hat, in denen eine bewegliche Sache vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verkauft und unter Eigentumsvorbehalt geliefert worden ist. Die Einräumung von Eigentumsvorbehaltsrechten zugunsten eines Lieferan- 1102 ten ist von erheblicher praktischer Bedeutung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines reibungslosen Warenumschlagskreislaufs. Der Eigentumsvorbehalt ist eine Form einer Warenkreditsicherheit. Eigentumsvorbehaltsregelungen können unterschiedlicher Natur sein. Neben 1103 dem in § 449 BGB normierten einfachen Eigentumsvorbehalt sind der verlängerte und der erweiterte Eigentumsvorbehalt von praktischer Bedeutung. Einfacher Eigentumsvorbehalt Der einfache Eigentumsvorbehalt ist zum Thema „Aussonderungsrecht“ aus- 1104 führlich erläutert. Verlängerter Eigentumsvorbehalt Zum verlängerten Eigentumsvorbehalt finden sich in den Erläuterungen zum 1105 „Absonderungsrecht“ ausführliche Darstellungen. Erweiterter Eigentumsvorbehalt Ebenfalls zum Themenkreis der „Absonderungsrechte“ wurde der erweiterte 1106 Eigentumsvorbehalt erörtert. § 107 Abs. 1 InsO bestimmt für den Fall der Verkäuferinsolvenz, dass der 1107 Käufer die Erfüllung des Kaufvertrags verlangen kann. Das Anwartschaftsrecht des Käufers ist geschützt und kann nicht durch Ablehnung der Erfüllung des Kaufvertrags durch den Insolvenzverwalter zerstört werden. Erklärt der Insolvenzverwalter dennoch den Rücktritt vom Kaufvertrag, ist die Rückgewähr einer bereits vom Käufer erbrachten Teilleistung eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. In der Käuferinsolvenz sichert § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO den Verbleib einer 1108 unter Eigentumsvorbehalt gelieferten beweglichen Sache im Schuldnerbesitz. Erst unverzüglich nach dem Berichtstermin hat der Insolvenzverwalter zu erklären, ob er die Erfüllung des Vertrags wählt (§ 103 Abs. 2 Satz 2 InsO). Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab, kann der Verkäufer die Kaufsache nach § 47 InsO aussondern. Trifft der Insolvenzverwalter eine positive Erfüllungswahl, ist der Kaufpreis aus der Masse zu entrichten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

5. Mieterinsolvenz (§ 109 InsO) 1109 Eine im Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen zentrale Norm ist § 109 InsO. Die Vorschrift verfängt bei Mietverhältnissen, die der Schuldner als Mieter/Pächter eingegangen ist. a) Gewerbliche Mietverhältnisse (§ 109 Abs. 1 Satz 1 InsO) 1110 Mietverhältnisse über Gewerbeobjekte haben oftmals eine lange Laufzeit (zehn Jahre sind keine Seltenheit). § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO gewährt dem Insolvenzverwalter ein einseitiges Sonderkündigungsrecht. Der Insolvenzverwalter kann das gewerbliche Mietverhältnis mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende kündigen, soweit nicht vertraglich kürzere Fristen vereinbart sind. Hierdurch werden die nach Eröffnung aus dem Mietverhältnis anfallenden Masseverbindlichkeiten auf einen überschaubaren Zeitraum begrenzt. § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO dient also dem Erhalt der Insolvenzmasse. 1111 Steht unmittelbar nach Eröffnung fest, dass das gewerbliche Mietverhältnis angesichts einer anstehenden Einstellung des Geschäftsbetriebs nicht mehr fortgesetzt werden soll, empfiehlt sich der Ausspruch einer frühzeitigen Kündigung. 1112 Wird der Geschäftsbetrieb des Schuldners nach Eröffnung zunächst fortgeführt und entscheidet sich erst im weiteren Verfahrensverlauf, dass das Mietverhältnis beendet werden soll, kann sich der Insolvenzverwalter zu jedem Zeitpunkt im eröffneten Verfahren auf das Sonderkündigungsrecht berufen. 1113 Die Kündigung des Mietverhältnisses bedarf der Schriftform (§ 568 Abs. 1 BGB). 1114 Der Insolvenzverwalter ist mit Wirksamwerden der Kündigung zur Herausgabe der gemieteten Räume, nicht aber zur Räumung verpflichtet, wenn die Gegenstände vor Verfahrenseröffnung eingebracht wurden.760) 1115 Beruft sich der Vermieter hinsichtlich der Gegenstände auf das Vermieterpfandrecht und hat der Verwalter Besitz an den Gegenständen begründet, erfolgt eine Abrechnung des Absonderungsrechts nach den §§ 170, 171 InsO unter entsprechender Massebeteiligung. 1116 Der Vermieter kann ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, oder wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse kündigen (§ 112 InsO). Die Mietforderungen, die bis zum Ende der Vertragslaufzeit entstehen würden, aber durch die vorzeitige Beendigung des Mietvertrags durch den Insolvenz___________ 760) BGH, Urt. v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, ZInsO 2001, 751.

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X. Vertragsverhältnisse

verwalter nicht mehr entstehen, kann der Vermieter als Schadensersatzforderung zur Insolvenztabelle geltend machen. b) Wohnraummietverhältnisse (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO) Soweit es sich um angemieteten Wohnraum des Schuldners handelt, kann der 1117 Insolvenzverwalter keine Kündigung aussprechen. Der Wohnraum des Schuldners ist auch im Insolvenzverfahren geschützt. Um jedoch auch aus diesem Vertragsverhältnis eine weitreichende Auszehrung der Masse zu verhindern, besteht über § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO die Möglichkeit der „Enthaftung“ der Masse. Anstelle der Kündigung kann der Insolvenzverwalter gegenüber dem Vermieter erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf von drei Monaten zum Monatsende nach Zugang der Enthaftungserklärung fällig werden, nicht mehr gegenüber der Insolvenzmasse geltend gemacht werden können. Entrichtet der Insolvenzschuldner die bis dahin fälligen Mietzinsen nicht, sind dies Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Beispiel: Insolvenzeröffnung Zugang der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) Keine Masseverbindlichkeiten

1118 5.3.2014 10.3.2014 5.3. – 30.6.2014 ab 1.7.2014

Die nach Ablauf der Frist entstehenden Mietforderungen muss der Schuld- 1119 ner aus seinem unpfändbaren Einkommen bestreiten. Gerät er mit den Zahlungen in Verzug, kann der Vermieter gegenüber dem Schuldner die Kündigung erklären. Die Enthaftungserklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO wirkt auch bei einem 1120 Wechsel des Vermieters gegen den neuen Eigentümer, wenn die Erklärung vom Insolvenzverwalter in Unkenntnis des Wechsels gegenüber dem Voreigentümer abgegeben wurde.761) Ist das Mietverhältnis bereits vor Insolvenzeröffnung aufgelöst, nutzt der 1121 Schuldner die Wohnung dennoch weiter, kann der Anspruch des Vermieters auf Entrichtung einer Nutzungsentschädigung nicht als Masseverbindlichkeit, sondern nur Insolvenzforderung geltend gemacht werden.762) Der Anspruch wird auch nicht dadurch zur Masseverbindlichkeit, dass der Insolvenzverwalter auf das Herausgabeverlangen des Vermieters nicht eingeht, da der Rückgabeanspruch des Vermieters (§ 546 BGB) als Insolvenzforderung vor Insolvenzeröffnung entstanden ist und dies den Anspruch auf Nutzungsentschädigung mit einschließt. ___________ 761) BGH, Urt. v. 23.2.2012 – IX ZR 29/11, ZIP 2012, 784. 762) BGH, Urt. v. 21.12.2006 – IX ZR 66/05, ZIP 2007, 340.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

1122 Resultiert aus der Nebenkostenabrechnungen ein „Guthaben“, ist der Erstattungsanspruch des Schuldners Insolvenzmasse, wenn das Guthaben in den Zeitraum des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO fällt.763) Umfasst der Rückzahlungsanspruch auch Heiz- und Nebenkosten, die aus staatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gezahlt wurden, unterliegen diese dem Pfändungsschutz nach § 54 Abs. 4 SGB I und sind damit nicht massezugehörig.764) 1123 Ein Anspruch des Schuldners auf Rückzahlung einer die gesetzlich zulässige Höhe nicht übersteigenden Mietkaution wird vom Insolvenzbeschlag frei, wenn der Insolvenzverwalter für das Wohnraummietverhältnis des Schuldners eine Enthaftungserklärung abgibt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO).765) Auch eine Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nicht mehr zulässig.766) 6. Vermieterinsolvenz (§ 110 InsO) 1124 Ansprüche aus einem Mietverhältnis gegen einen eine Schuldnerimmobilie nutzenden Mieter sind als Geldforderungen pfändbar und daher Insolvenzmasse. Solange der Mieter zahlt, sind die Forderungen durch den Insolvenzverwalter einzuziehen. Bedarf für ein Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters besteht in diesem Fall nicht. 1125 Für die Insolvenz des Vermieters regelt § 110 InsO die Wirkungen der Eröffnung des Verfahrens für den Fall, wenn der Schuldner im Vorfeld der Insolvenz über die Mietansprüche verfügt hat (Vorausverfügungen). 1126 Soweit die Mietforderungen abgetreten oder gepfändet sind, ist diese Verfügung nur wirksam, soweit sie sich auf die Miete für den z. Zt. der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonat bezieht bzw. auch für den folgenden Kalendermonat, wenn die Eröffnung nach dem fünfzehnten Tag des Monats erfolgt ist, § 110 Abs. 1, Abs. 2 InsO.767) In der Folgezeit kann ein Pfandrecht oder Pfändungspfandrecht wegen § 91 InsO nicht mehr insolvenzfest begründet werden. 1127 Im Insolvenzverfahren kann ein nach § 49 InsO absonderungsberechtigter Grundpfandrechtsgläubiger nur durch einen Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung eine bevorzugte Befriedigung aus den Mietansprüchen sicherstellen (§§ 146, 20 ZVG, §§ 1123, 1124 BGB).768) ___________ 763) 764) 765) 766) 767)

AG Göttingen, Urt. v. 18.6.2009 – 21 C 33/09, NZI 2009, 607. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20.10.2011 – L 5 1546/09, ZInsO 2012, 489. BGH, Beschl. v. 16.3.2017 – IX ZB 45/15, ZIP 2017, 884. BGH, Beschl. v. 13.7.2017 – IX ZB 33/16, ZVI 2017, 471. Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZInsO 2006, 872; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZInsO 2010, 43. 768) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZInsO 2006, 1321; BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZInsO 2006, 872.; BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZInsO 2010, 43.

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XI. Arbeitsverhältnisse im eröffneten Insolvenzverfahren

7. Aufträge, Geschäftsbesorgungsverträge (§§ 115, 116 InsO) Ein z. Zt. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehender Auftrag oder Ge- 1128 schäftsbesorgungsvertrag (z. B. Rechtsanwaltsmandat, Steuerberatermandat, Girokontenvertrag) erlischt „automatisch“ mit Eröffnung (§§ 115, 116 InsO). Besteht z. Zt. der Eröffnung des Verfahrens Pfändungsschutz über ein Pfän- 1129 dungsschutzkonto (P-Konto), gilt dieser Schutz auch im Insolvenzverfahren mit der Folge, dass die Auszahlungsansprüche des Schuldners in Höhe der Freibeträge nicht in die Insolvenzmasse fallen (§§ 35, 36 Abs. 1 InsO i. V. m. § 850k ZPO). §§ 115, 116 InsO erfassen jedoch nur Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge, die einen Bezug zur Insolvenzmasse haben. Dies ist bei einem P-Konto gerade nicht der Fall, sodass der Girokontenvertrag von der Eröffnung des Verfahrens unberührt bleibt.769) Dies entspricht der gesetzgeberischen Intention, da das P-Konto den automatischen Schutz des Selbstbehalts gewährleisten soll. Ein Erlöschen würde dies konterkarieren. Auch Steuerberater- oder Rechtsanwaltsmandate, die der Schuldner vor Ver- 1130 fahrenseröffnung erteilt hatte, erlöschen mit Eröffnung kraft Gesetzes. Der Mandatierte kann daher aufgrund des ursprünglichen Auftrags keine Zahlung aus der Insolvenzmasse verlangen, wenn er nach Insolvenzeröffnung kein Mandat vom Insolvenzverwalter erhalten hat. Erteilt der Insolvenzverwalter ein Mandat, sind die Honorare als Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu bedienen (ggf. als Betriebsfortführungskosten, sofern eine solche Betriebsfortführung vorliegt und das Mandat damit in Zusammenhang steht). XI. Arbeitsverhältnisse im eröffneten Insolvenzverfahren 1. Arbeitsverhältnisse und deren Beendigung Die Insolvenzeröffnung hat auf den Bestand von Arbeitsverhältnissen keinen 1131 Einfluss.770) In der Insolvenz des Arbeitnehmers bleibt das Arbeitsverhältnis unberührt, 1132 da die Arbeitsleistungen des angestellten Schuldners nicht Bestandteil der Insolvenzmasse sind. In der Insolvenz des Arbeitgebers tritt der Insolvenzverwalter mit Eröffnung 1133 infolge des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO) an die Stelle des Schuldners als Arbeitgeber. Gibt der Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung diese selbstständige 1134 Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse frei (§ 35 Abs. 2 InsO), umfasst die Freigabe auch die in dem Geschäftsbetrieb des Insolvenzschuld___________ 769) So auch Bitter, ZIP 2011, 149; Büchel, ZInsO 2010, 20; Casse, ZInsO 2012, 1402; Obermüller, InsbürO 2013, 180. 770) BAG, Urt. v. 15.12.1987 – 3 AZR 420/87, ZIP 1988, 327.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

ners zum Eröffnungszeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse. Diese fallen mit Wirksamwerden der Freigabeerklärung ohne Bestandsveränderungen wieder in den Verfügungsbereich des Insolvenzschuldners zurück.771) 1135 Der Insolvenzverwalter kann – genauso wie der im Schuldnerbetrieb angestellte Arbeitnehmer – ein Dienstverhältnis jederzeit ordentlich kündigen (§ 113 Satz 1 InsO). Gemäß § 113 Satz 2 InsO beträgt die Kündigungsfrist drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Die Kündigungsfrist gilt beidseitig, d. h. sowohl für den Insolvenzverwalter, als auch für den im Schulterbetrieb angestellten Arbeitnehmer. Der Anwendungsbereich des § 113 Satz 2 InsO ist damit definiert auf alle Arbeitsverhältnisse, deren Kündigungsfristen länger sind als drei Monate. Gehen gesetzliche, tarifvertragliche oder einzelvertragliche Kündigungsfristen über den Dreimonatszeitraum hinaus, gibt § 113 Satz 2 InsO die Möglichkeit, diese auf die Höchstfrist von drei Monaten zu kappen.772) 1136 Die vorgenannten Fristen gelten für jede ordentliche Kündigung. Das Recht zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung wird dadurch nicht berührt. 1137 Wird die ordentliche Kündigung unter Ausnutzung der kürzeren Kündigungsfrist vom Insolvenzverwalter ausgesprochen, so kann er der Arbeitnehmer wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses Schadensersatzforderungen zur Insolvenztabelle anmelden (§§ 113 Satz 3, 38, 174 ff. InsO). Soweit vertraglich oder nach dem Charakter des Dienstverhältnisses geschuldet, sind arbeitsrechtliche Zustimmungen (z. B. des Betriebsrates, nach dem Schwerbehindertengesetz) selbstverständlich auch in der Insolvenz zu beachten. 2. Entgeltansprüche der Arbeitnehmer 1138 Entgeltansprüche der Arbeitnehmer aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung sind grundsätzlich Insolvenzforderungen nach § 38 InsO und gemäß den insolvenzrechtlichen Bestimmungen zur Insolvenztabelle geltend zu machen (§§ 38, 87, 174 ff. InsO). 1139 Die Arbeitnehmer sind jedoch hinsichtlich der vor Eröffnung rückständigen Entgeltforderungen für einen Zeitraum von maximal drei Monaten über das Insolvenzgeld abgesichert. 1140 Ansprüche der Arbeitnehmer auf Zahlung des Entgelts für die Zeit ab Insolvenzeröffnung des Insolvenzverfahrens sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. Die Masseverbindlichkeiten fallen bis zum Wirksamwerden der Kündigung zulasten der Insolvenzmasse an. Dies gilt auch für den Fall, dass die Leistungen seitens des Arbeitnehmers nicht erbracht werden (z. B. keine Arbeitsleistung wegen Freistellung oder Erkrankung). In ___________ 771) BGH, Urt. v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11, ZIP 2012, 533. 772) Vgl. LAG Kiel, Urt. v. 28.4.2004 – 3 Sa 551/03, NZI 2004, 638.

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XII. Steuerliche und buchhalterische Pflichten

den Fällen der Masseunzulänglichkeit wird der Rang nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 InsO) von der Entscheidung bestimmt, ob der Insolvenzverwaltung das Arbeitsverhältnisse fortführt oder unverzüglich kündigt.773) Eine Neu-Masseverbindlichkeit (§ 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO) stellt das Entgelt für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen kann. Neu-Masseverbindlichkeiten werden gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO auch dann begründet, wenn der Insolvenzverwalter die Gegenleistung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse in Anspruch nimmt. Wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit infolge einer Freistellung in nicht in Anspruch genommen wird, stellen diese nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Alt-Masseverbindlichkeiten dar. Urlaub oder Urlaubsentgeltansprüche sind dem Zeitraum zuzuordnen, in 1141 dem der Anspruch Urlaub tatsächlich erfüllt wird.774) Wird das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Verfahrens beendet, ist der auf den Zeitraum entfallende Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG eine Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. 3. Betriebsveräußerung in der Insolvenz Entscheidet sich der Insolvenzverwalter nach Eröffnung für eine sog. über- 1142 tragende Sanierung (Betriebsveräußerung), sind die Arbeitsverhältnisse inhaltsgleich vom Erwerber fortzusetzen (§ 613a BGB). § 613a BGB wird in st. Rspr. auch für den Betriebsübergang nach Insolvenzeröffnung angewandt.775) Der Erwerber haftet jedoch nicht für Altverbindlichkeiten aus den Arbeits- 1143 verhältnissen.776) Zudem bietet die Insolvenzordnung mit §§ 123, 124 ebenso die Möglichkeit, im Rahmen eines Sozialplans einen sachgerechten Ausgleich zwischen Arbeitnehmerschutz und dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens herzustellen. XII. Steuerliche und buchhalterische Pflichten Durch die Insolvenzeröffnung werden die handelsrechtlichen und steuerlichen 1144 Pflichten des Schuldners nicht berührt (§ 155 InsO). Der Schuldner bleibt weiterhin verpflichtet, Bücher zu führen, Jahresabschlüsse zu erstellen und seinen Steuererklärungspflichten nachzukommen. Diese Pflicht geht jedoch auf den Insolvenzverwalter über, soweit die Insolvenzverwaltung reicht. ___________ 773) BAG, Urt. v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, ZIP 2004, 1323. 774) BAG, Urt. v. 15.2.2005 – 9 AZR 78/04, ZIP 2005, 1653; BAG, Urt. v. 15.6.2004 – 9 AZR 431/03, ZIP 2004, 1660. 775) Vgl. BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, ZIP 2003, 222; BAG, Urt. v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94 ZIP 1996, 1941; BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, ZIP 1980, 117. 776) Vgl. BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, ZIP 2003, 222; BAG, Urt. v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, ZIP 1996, 1941.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

1145 Diese Pflicht umfasst bei einem laufenden Geschäftsbetrieb auch die Pflicht, die laufende Buchhaltung des Schuldnerbetriebs zu führen. Diese ist neben der „Insolvenzverwalterbuchhaltung“, die die Grundlage der Rechnungslegung (§ 66 InsO) darstellt, zu fertigen. Auch sind für den Zeitraum des eröffneten Verfahrens bzw. für die Zeit vor Eröffnung, soweit dies noch aussteht, Jahresabschlüsse zu fertigen. 1146 Der Insolvenzverwalter ist befugt, den mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens neu beginnenden Geschäftsjahresrhythmus zu ändern. Das kann geschehen durch eine Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister, aber auch durch eine sonstige Mitteilung an das Registergericht.777) Die Entscheidung des Insolvenzverwalters, zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr der Gesellschaft zurückzukehren, muss durch eine Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister oder durch eine sonstige Mitteilung an das Registergericht jedenfalls noch während des ersten laufenden Geschäftsjahrs nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach außen erkennbar werden.778) Die gesetzliche Anordnung in § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO, dass die Wirksamkeit der Bestellung eines Abschlussprüfers für ein vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endendes Geschäftsjahr durch die nach der Bestellung erfolgte Eröffnung nicht berührt wird, gilt nicht nur für das Geschäftsjahr vor der Eröffnung des Verfahrens, sondern auch für die davor liegenden Geschäftsjahre.779) 1147 Soweit bei Insolvenzeröffnung bereits keine handelsrechtliche Pflicht mehr bestand, weil der Betrieb bereits eingestellt war, besteht auch nach Insolvenzeröffnung keine Buchführungspflicht mehr. 1148 Der Insolvenzverwalter ist gemäß § 34 AO Vermögensverwalter, der die steuerlichen Pflichten der Eigentümer der Vermögen oder deren gesetzlicher Vertreter zu erfüllen hat. Damit einher geht die Pflicht des Insolvenzverwalters, dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den verwalteten Mitteln entrichtet werden (Haftungsschuldner). Steuerschuldner bleibt aber nach wie vor der Schuldner selbst. 1149 Für den Insolvenzverwalter ergibt sich die Steuererklärungspflicht aus seiner Rechtsstellung als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO). Nur er ist zur Abgabe von Steuererklärungen befugt (§ 58 Abs. 2 AO). Dies gilt sowohl hinsichtlich der Erklärungen, die auf den Veranlagungszeitraum im eröffneten Verfahren fallen als auch hinsichtlich der Erklärungen, die für die Zeit vor Verfahrenseröffnung noch ausstehen.

___________ 777) BGH, Beschl. v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, ZIP 2014, 433. 778) BGH, Beschl. v. 21.2.2017 – II ZB 16/15, ZIP 2017, 732; Bestätigung von BGH, Beschl. v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, ZIP 2015, 88 Rn. 13. 779) BGH, Beschl. v. 8.5.2018 – II ZB 17/17, ZIP 2018, 1358.

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XII. Steuerliche und buchhalterische Pflichten

Soweit in der Verwalterpraxis dem Schuldner die Pflicht zu Fertigung von 1150 Steuererklärungen zugesprochen wird, kann dieser sich berechtigt und sanktionslos weigern, diese zu erstellen. Die Pflicht des Schuldners beschränkt sich auf Beibringung der zur Erstellung der Erklärungen erforderlichen Unterlagen.780) Die Fertigung von Steuererklärungen ist originäre Pflicht des Insolvenzver- 1151 walters. Dies gilt jedenfalls, soweit sich die Erklärungen auf den üblichen Rahmen beschränken und besondere steuerrechtliche Kenntnisse nicht gefordert sind. Soweit die Fertigung der Erklärungen den üblichen Umfang überschreitet und/oder besondere Fachkenntnisse erforderlich sind, ist die Beauftragung eines Steuerberaters auf Kosten der Insolvenzmasse zulässig (§ 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV).781) Bei masselosen Stundungsverfahren reicht die Insolvenzmasse nicht aus, um daraus die Kosten eines Steuerberaters als Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO) zu zahlen. In diesem Fall ist bei der Finanzbehörde darauf hinzuwirken, dass die Steuerschuld sachgerecht geschätzt wird. Die für die sachgerechte Schätzung erforderlichen Unterlagen sind beim Schuldner anzufordern und an das Finanzamt weiterzuleiten. Beharrt die Finanzverwaltung auf der Abgabe der Erklärung, besteht ein Anspruch auf Erstattung des notwendigen Steuerberaterhonorars als Auslagenersatz gegen die Staatskasse.782) Nach der Rechtsprechung des BFH handelt das Finanzamt nicht ermessensfehlerhaft, wenn es gegen den Insolvenzverwalter ein Zwangsgeld zur Durchsetzung der Steuererklärungspflicht festsetzt, obwohl bekannt ist, dass sich aus den Steuererklärungen keine steuerlichen Auswirkungen ergeben.783) Bei Eheleuten erfolgt die steuerliche Einzel- oder Zusammenveranlagung nach 1152 Festlegung durch die Ehegatten (Wahlrecht gemäß §§ 26a, 26b EStG). Nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines der Ehegatten obliegt die Ausübung des Wahlrechts dem Insolvenzverwalter.784) Die Zustimmung des anderen Ehegatten zur Zusammenveranlagung kann nicht davon abhängig gemacht werden, dass durch den nicht in Insolvenz befindlichen Ehegatten die Nachteile, welche zulasten der Insolvenzmasse aus der Zusammenveranlagung entstehen, ausgeglichen werden.785) Bei Zusammenveranlagung besteht ___________ 780) BGH, Beschl. v. 18.12.2008 – IX ZB 197/07, NZI 2009, 327. 781) Vgl. BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZInsO 2004, 1348 ff. in Fortführung von BGHZ 139, 309 ff. zur Beauftragung eines Rechtsanwalts: Ein Insolvenzverwalter darf, auch wenn er selbst Volljurist ist, Aufgaben, die ein Insolvenzverwalter ohne volljuristische Ausbildung im Allgemeinen nicht lösen kann, auf einen Rechtsanwalt übertragen und die dadurch entstehenden Auslagen aus der Masse entnehmen. 782) Siehe hierzu: BGH, Urt. v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, InsbürO 2004, 317 f. = DZWiR 2004, 468 ff. m. Anm. Graeber; BGH, Urt. v. 14.11.2013 – IX ZB 161/11, NZI 2014, 21; BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZB 204/11, JurionRS 2014, 13397. 783) BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, ZIP 2013, 83. 784) BGH, Urt. v. 24.5.2007 – IX ZR 8/06, ZInsO 2007, 656. 785) BGH, Urt. v. 18.5.2011 – XII ZR 67/09, NZI 2011, 647.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

die Möglichkeit der Aufteilung der Steuerschuld gemäß §§ 268 AO auf Antrag. Der Aufteilungsmaßstab richtet sich nach dem Verhältnis der Beträge, die sich bei Einzelveranlagung nach Maßgabe des § 26a EStG ergeben. Das Antragsrecht steht nach Eröffnung wegen § 80 Abs. 1 InsO dem Insolvenzverwalter zu. Die gilt auch für Erstattungsansprüche. 1153 Das Recht der Steuerklassenwahl verbleibt beim Schuldner.786) Allerdings sollte er eine ungünstigere Steuerklasse ohne sachlichen Grund nicht wählen, da dies als Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit gewertet werden kann; zumutbar ist ein Wechsel in Steuerklasse IV, um das liquide Einkommen (und damit den zur Masse abzuführenden pfändbaren Anteil) zu erhöhen.787) 1154 Mit der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit (§ 35 Abs. 2 InsO) enden die handelsrechtlichen und steuerlichen Pflichten für den Bereich des freigegebenen Unternehmens ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Freigabe (Zugang der Freigabeerklärung beim Schuldner). Steuerverbindlichkeiten werden als Masseverbindlichkeiten nur insoweit begründet, als diese durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse entstehen.788) Mit der Freigabe des Geschäftsbetriebs endet der Insolvenzbeschlag mit der Folge, dass hieraus keine Steuern zulasten der Masse entstehen können. Entsprechend finden auch handelsrechtliche und steuerliche Pflichten ihr Ende. Nach Freigabe fallen diese an den Schuldner zurück, der sodann mit dem nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Neuvermögen auch für Steuerverbindlichkeiten haftet. 1155 Der Insolvenzbeschlag endet ebenfalls mit Aufhebung oder Einstellung des Verfahrens, sodass ab dem Zeitpunkt keine steuerlichen oder handelsrechtlichen Pflichten des Insolvenzverwalters mehr bestehen. Die gilt auch, wenn das Verfahren nach Aufhebung in die Wohlverhaltensperiode übergeleitet wird. Der Treuhänder (§ 292 InsO) ist nicht Vermögensverwalter i. S. d. Abgabenordnung (§ 34 AO).789) XIII. Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre 1. Vollstreckungsverbot (§ 89 InsO) 1156 § 89 Abs. 1 InsO beschreibt ein allgemeines Vollstreckungsverbot für alle Insolvenzgläubiger, die – dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung entsprechend – ihre Forderungen nur noch nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen verfolgen können. Das Vollstreckungsverbot gilt für Insolvenz___________ 786) BFH, Urt. v. 27.7.2011 – VI R 9/11, ZIP 2011, 2118; BGH, Beschl. v. 3.7.2008 – IX ZB 65/07, NZI 2008, 624. 787) BGH, Beschl. v. 5.3.2009 – IX ZB 2/07, NZI 2009, 326. 788) BFH, Urt. v. 7.4.2005 – V R 5/04, ZInsO 2005, 774. 789) So jedenfalls OFD Koblenz, Vfg. v. 30.6.1999 – S 0550 A/S 0130 A-St 52 3/St 53 1, ZInsO 1999, 566.

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XIII. Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre

gläubiger über die gesamte Dauer des eröffneten Verfahrens und bezieht sich sowohl auf Vollstreckungsmaßnahmen in Gegenstände der Masse, als auch in sonstiges insolvenzfreies Schuldnervermögen und freigegebene Gegenstände.790) In den Anwendungsbereich von § 89 Abs. 1 InsO fällt auch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung.791) Aus- und Absonderungsrechte bleiben von § 89 InsO unberührt. In der Wohlverhaltensperiode setzt sich das Verbot fort (eigenständige Rege- 1157 lung des § 294 InsO). Unzulässig ist sowohl der Beginn einer neuen, als auch die Fortsetzung einer 1158 bereits begonnenen Vollstreckungsmaßnahme. § 89 Abs. 1 InsO beseitigt nicht die einmal wirksame öffentlich-rechtliche Verstrickung, bewirkt keine materielle Unwirksamkeit und keine völlige Aufhebung des Pfändungspfandrechts an fortlaufenden Bezügen, sondern nur die temporäre Nichtdurchsetzbarkeit für die Dauer des Insolvenzverfahrens.792) Verstrickung tritt auch ein bei einer während der Dauer des Insolvenzverfahrens durchgeführten Zwangsvollstreckung.793) Die Wirkungen der Verstrickung dauern im Insolvenzverfahren fort, bis sie auf einem dafür vorgesehenen Weg beseitigt worden sind. Der Drittschuldner kann sich gegenüber dem Auszahlungsverlangen des Insolvenzverwalters damit verteidigen, dass die Verstrickung der Vermögenswerte fortbesteht.794) Es besteht die Möglichkeit, die Verstrickungswirkung durch Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme nicht von Amts wegen zu beseitigen.795) Andernfalls muss der Insolvenzverwalter die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung bei dem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Vollstreckungsorgan, ggf. im Wege der Erinnerung geltend machen.796) Nach Insolvenzeröffnung entstehende Ansprüche, die im Vorfeld im Wege der Zwangsvollstreckung durch sog. Vorratspfändung797) Gegenstand der Vollstreckung waren, sind nach wie vor verstrickt. Dies gilt für § 88 InsO und für § 89 InsO. Die Wirkungen der Verstrickung dauern im Insolvenzverfahren fort, bis eine 1159 förmliche Aufhebung der Vollstreckungshandlung erfolgt ist.798) Ein milderes Mittel als die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlus___________ 790) 791) 792) 793) 794) 795) 796) 797)

BGH, Beschl. v. 12.2.2009 – IX ZB 112/06, ZInsO 2009, 830. BGH, Beschl. 17.4.2013 – IX ZB 300/11, ZInsO 2013, 984. BGH, Beschl. 24.3.2011 – IX ZB 217/08, ZInsO 2011, 1608. BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 40/17, ZIP 2017, 2016. BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 40/17, ZIP 2017, 2016. BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 40/17, ZIP 2017, 2016. BGH, Urt. v. 21.9.2017 – IX ZR 40/17, ZIP 2017, 2016. Zwangsvollstreckung in die zum Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bestehenden und alle künftig gegen den jeweiligen Drittschuldner noch entstehenden Ansprüche. 798) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

ses ist vorliegend auch nicht ersichtlich.799) Der Erlass eines „Aussetzungsbeschlusses“ bzw. eine Ruhendstellung der Pfändung kommt nicht in Betracht, da es hierfür keine gesetzliche Grundlage gibt.800) Es ist davon auszugehen, dass mit Aussetzung die Ruhendstellung der Pfändung nach §§ 775 Nr. 4, 843 ZPO gemeint ist.801) Eine gesetzliche Grundlage für diese Anordnung durch das Vollstreckungsgericht gibt es nicht.802) Der Gläubiger ist grundsätzlich berechtigt, über das Vollstreckungsverfahren zu disponieren, soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht.803) Er sei jedoch nicht befugt, die Rechtswirkungen der nach dem Gesetz vorgesehenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch eine einseitige Anordnung dahin zu modifizieren, dass unter Aufrechterhaltung der Verstrickung sich aus dem Pfandrecht ergebende Rechtswirkungen vorübergehend entfallen.804) Gegebenenfalls muss der Insolvenzverwalter im Wege der Erinnerung die gerichtliche Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses begehren.805) Statthafter Rechtsbehelf ist vorliegend die Erinnerung gemäß § 766 ZPO. Zuständig für die Entscheidung über den Rechtsbehelf ist der Richter des Insolvenzgerichts, § 89 Abs. 3 InsO.806) Der Rechtspfleger hat jedoch eine Abhilfebefugnis, § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO analog, da sich das Erinnerungsverfahren nach den allgemeinen Regeln des § 766 ZPO richtet. Für diese Abhilfeentscheidung ist nach hiesiger Auffassung noch der Rechtspfleger des Vollstre-

___________ 799) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 800) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 801) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 802) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 803) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 804) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 805) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 806) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581.

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XIII. Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre

ckungsgerichts zuständig. Über die Abhilfe entscheidet der Einzelrichter oder der Spruchkörper, der die Entscheidung entlassen hat.807) Ausgehend vom Sinn und Zweck des § 89 Abs. 1 InsO (Erhalt der Haftungs- 1160 masse zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger) findet er hinsichtlich der massebefangenen Gegenstände ebenfalls Anwendung auf Gläubiger, deren Forderungen nach der Verfahrenseröffnung begründet wurden (Neugläubiger). Da dem Schuldner im Laufe des Insolvenzverfahrens „lediglich“ der notwendige Selbstbehalt zugesprochen wird, mangelt es für einen erfolgreichen Zugriff durch Neugläubiger regelmäßig bereits rein praktisch an entsprechendem Haftungssubstrat. Möglich ist für Neugläubiger eine Zwangsvollstreckung in freigegebene Vermögenswerte oder die gemäß § 35 Abs. 2 InsO freigegebene selbstständige Tätigkeit. Für Insolvenzgläubiger ist diese Möglichkeit wegen § 89 Abs. 1 ausgeschlossen. § 89 Abs. 2 InsO beschreibt eine Ausnahme für Unterhalts- und Delikts- 1161 gläubiger (§§ 850d, 850f ZPO), die wegen laufender Forderungen in den massefreien Korridor des laufenden Einkommens (privilegiert Forderungspfändung) unterhalb der Regelpfändungsgrenze (§ 89 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850c ZPO) vollstrecken dürfen. Der Teil des laufenden Einkommens, der gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 InsO, § 850c ZPO „regulär“ pfändbar ist, unterliegt als Neuerwerb dem Insolvenzbeschlag und steht der Masse zu. Unterhaltsrückstände aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung sind zur Insolvenztabelle geltend zu machen; insoweit kann die Befriedigung nicht nach Eröffnung über § 89 Abs. 2 InsO in dem Vorrechtsbereich gesucht werden.808) 2. Vollstreckungsverbot für Massegläubiger (§ 90 InsO) Gläubigern von Masseverbindlichkeiten, die nicht durch Rechtshandlungen 1162 des Insolvenzverwalters begründet wurden, ist für die Dauer von sechs Monaten ab Eröffnung die Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung untersagt, soweit nicht § 90 Abs. 2 InsO für einzelne Gläubigergruppen eine Ausnahme definiert. Sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, ist die Vollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit i. S. d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig (§ 210 InsO). Im Übrigen besteht für Massegläubiger kein Vollstreckungsverbot. 3. Rückschlagsperre (§ 88 InsO) Sicherheiten, die im letzten Monat für dem Insolvenzantrag im Wege der 1163 Zwangsvollstreckung erlangt wurden, werden mit Insolvenzeröffnung unwirksam (Rückschlagsperre, § 88 Abs. 1 InsO). Im Verbraucherinsolvenzverfahren ___________ 807) AG Essen, Beschl. v. 1.8.2018 – 163 IK 206/15, NZI 2018, 67 m. w. N. und wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2018 – 74 IK 155/18, ZIP 2019, 685 = ZVI 2019, 70; a. A. AG Dresden, Beschl. v. 31.5.2018 – 545 IK 1176/17, ZInsO 2018, 1581. 808) BAG, Urt. v. 17.9.2009 – 6 AZR 369/08), NZI 2010, 35.

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D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

ist der Zeitraum auf die letzten drei Monate vor dem Antrag ausgeweitet (§ 88 Abs. 2 InsO). 1164 Die Rechtsfolgewirkung wird erst mit Eröffnung des Verfahrens ausgelöst und tritt, ohne dass es einer weiteren Erklärung oder Handlung des Insolvenzverwalters bedarf, kraft Gesetzes (ipso iure) ein. 1165 Die Fristberechnung folgt § 139 InsO; der maßgebliche Zeitpunkt ist der, in dem die Wirkungen des Pfändungspfandrechts bzw. der Beschlagnahme eintreten (z. B. bei beweglichen Gegenständen die Inbesitznahme durch den Gerichtsvollzieher, § 808 Abs. 1, 2 ZPO, bei der Forderungspfändung die Zustellung an den Drittschuldner, §§ 829 Abs. 3, 846 ZPO). Bei der Pfändung künftig erst entstehender Forderungen entsteht das Pfandrecht erst in dem Moment des Entstehens der gepfändeten Forderung selbst.809) 1166 § 88 InsO bewirkt die absolute, gegenüber jedermann wirkende, jedoch zeitlich auf die Dauer des Insolvenzbeschlags beschränkte Unwirksamkeit (nach BGH „schwebende Unwirksamkeit“810)). Dies hat zur Folge, dass eine Zwangshypothek im Moment der Freigabe des Grundstücks unter Beibehaltung der bis dato nicht gelöschten, ggf. aber um einen Rangvermerk zu ergänzenden Grundbuchposition wieder auflebt811) und Forderungen ggf. weiterhin der öffentlich-rechtlichen Verstrickung unterliegen (o Kapitel D.XIII.1). 1167 § 88 InsO ist als Ergänzung zum Anfechtungsrecht (o Kapitel D.VI.7.o)) zu verstehen. Wurde die Vollstreckungsmaßnahme im maßgeblichen Zeitraum des § 88 InsO ausgebracht und hat der Gläubiger daraufhin bis zur Eröffnung des Verfahrens (teilweise) Befriedigung erlangt, ist die Vollstreckungsmaßnahme unwirksam gemäß § 88 InsO. Die Befriedigung (Abfluss von Schuldnervermögen) ist indes über § 143 InsO zur Masse zurückzuverlangen (o Kapitel D.VI.7.o)); Befriedigungen, die im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt wurden, sind i. d. R. inkongruente Deckungen i. S. v. § 131 InsO. XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss 1. Grundlagen der Schlussrechnungslegung und der Schlussberichterstattung a) Rechnungslegung – eröffnetes Verfahren 1168 Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 66 Abs. 1 InsO bei Beendigung seines Amtes Rechnung zu legen. Die Schlussrechnungslegung erfolgt gegenüber der Gläubigerversammlung (§ 66 Abs. 1 Satz 1 InsO); das Insolvenzgericht nimmt eine Vorprüfung der Schlussrechnung vor (§ 66 Abs. 2 Satz 1 InsO). ___________ 809) BGH, Urt. v. 20.3.2003 – IX ZR 166/02, ZInsO 2003, 372; BGH, Urt. v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, ZInsO 2004, 270; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.1.2003 – 17 U 69/02, ZInsO 2003, 283. 810) BGH, Urt. v. 19.1.20006 – IX ZR 232/04, ZInsO 2006, 261. 811) BGH, Urt. v. 19.1.20006 – IX ZR 232/04, ZInsO 2006, 261.

290

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

Zielsetzung des Insolvenzverfahrens ist die gemeinschaftliche Gläubigerbe- 1169 friedigung und, soweit darstellbar, die Sanierung des Schuldnerunternehmens. Das Insolvenzverfahren dient als gesetzliches Ordnungsverfahren der Haftungsverwirklichung und der Sanierung. Die Schlussrechnungslegung erfolgt i. d. R. durch Gegenüberstellung der Ein- 1170 nahmen und Ausgaben des Verwalters. Die Schlussrechnung baut auf der laufenden Rechnungslegung des Verwalters und den vorgelegten Berichten und Verzeichnissen auf. Die Rechnungslegung muss hinsichtlich der Buchungsvorgänge so beschaffen sein, dass sämtliche Geschäftsvorfälle richtig, vollständig, zeitnah und ordentlich aufgezeichnet worden sind. Das Zahlenwerk, bei dem es sich um eine eigene Buchhaltung (Verwalter- 1171 buchhaltung) handelt, wird regelmäßig textlich erläutert im Schlussbericht. Der Schlussbericht gibt den Verfahrensverlauf in zusammengefasster Form wieder und stellt die Verwertungsergebnisse, Verwertungsschwierigkeiten und die Verwertungserfolge dar. Er versteht sich auch als „Rechenschaftsbericht“ des Insolvenzverwalters, der den Verfahrensbeteiligten ein vollständiges Bild über die Tätigkeit des Insolvenzverwalters vermittelt und damit eine Grundlage bildet für die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltertätigkeit. Der Schlussbericht gibt ebenfalls Auskunft darüber, in welcher Form und 1172 Höhe Sicherheiten Einzelner abgegolten wurden (Aussonderung von Gegenständen; Erlösauskehrungen an Absonderungsberechtigte). Die Gläubiger können den Schilderungen zudem entnehmen, mit welcher Befriedigungsquote sie rechnen können. Damit zu den Befriedigungsaussichten belastbare Aussagen getätigt werden können, müssen in Vorbereitung der Schlussrechnungslegung und des Schlussberichtes eine Vielzahl von Prüfungen vorgenommen und Veranlassungen getroffen werden. Die Schlussrechnung ist zugleich Tätigkeitsbericht und Rechenschaftsbe- 1173 richt des Insolvenzverwalters. Die Prüfungstiefe des Insolvenzgericht i. R. d. Aufsichtsführung beschränkt sich auf folgende Parameter: x

formelle Prüfung, insbesondere rechnerische Prüfung und Belegwesen;

x

Prüfung beschränkt sich daher nicht auf eine lediglich formelle Überprüfung (Arg. Rechenschaftsbericht);

x

Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit und Vollständigkeit;

x

keine Zweckmäßigkeitsprüfung, d. h. das Insolvenzgericht hat keine Befugnis, an Ermessensentscheidungen des Insolvenzverwalters zu zweifeln, sondern hat diese zu akzeptieren;

x

keine Weisungsbefugnis des Insolvenzgerichts;

x

identische Maßstäbe gelten auch bei der externen Schlussrechnungsprüfung.

291

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

b) Rechnungslegung – Antragsverfahren 1174 Wurde im Antragsverfahren die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet, hat auch der vorläufige Insolvenzverwalter – unabhängig von der Unterscheidung „schwacher“ oder „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter – bei Beendigung seines Amtes Rechnung zu legen (§ 21 Abs. 2 Satz. 1 Nr. 1 InsO i. V. m. § 66 InsO). Adressaten der Rechnungslegung sind das Insolvenzgericht und wohl auch der Schuldner (§§ 666, 259 BGB).812) Praxistipp: Wird der vorläufige Insolvenzverwalter mit Eröffnung zum Insolvenzverwalter bestellt (Personenidentität), ist ob der Amtsverschiedenheit für beide Verfahrensabschnitte (vorläufiges Verfahren und eröffnetes Verfahren) Rechnung zu legen.

2. Vorbereitung des Verfahrensabschlusses sowie Einzelheiten zur Rechnungslegung und zum Schlussberichtswesen a) Vermögensverwertung 1175 Einer der ersten und wohl der wichtigste Indikator dafür, dass ein Verfahren „abschlussreif“, d. h. der Schlussrechnungslegung fähig ist, ist der Stand der Vermögensverwertung. Wurden das massezugehörige Vermögen vollständig verwertet, können in jedem Fall der Verfahrensabschluss eingeleitet und die noch ausstehenden Arbeitsschritte angegangen werden. 1176 Stehen noch einzelne Vermögenswerte zur Verwertung aus, ist zu prüfen, ob absehbar eine Verwertung abgeschlossen werden kann. Ist dies der Fall, sollte mit der Schlussrechnungslegung noch zugewartet werden. Andernfalls sollte überprüft werden, ob hinsichtlich des Erlöses aus der Verwertung des Gegenstands die Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) angeordnet werden kann. 1177 Im Schlussbericht ist zu den einzelnen Vermögenswerten zu erläutern, aus welchen Gründen das Verwertungsergebnis erzielt wurde. Der Verwalter stellt auf den Stichtag der Eröffnung eine Vermögensübersicht auf (§ 153 InsO. Diese weist den voraussichtlich zu erwartenden Verwertungserlös aus (Prognosewert). Bei der Verwertung des Gegenstands weichen die tatsächlich erzielten Erlöse mal mehr, mal weniger und mal gar nicht vom Prognosewert ab. Im Schlussbericht ist (spätestens!) zu erläutern, aus welchen Gründen ein vom prognostizierten Wert abweichender Erlös erzielt wurde und worauf evtl. Verwertungsschwierigkeiten zurückzuführen sind. 1178 Wurde das Berichtswesen im laufenden Verfahren ausführlich und sorgfältig geführt, ergeben sich die Einzelheiten regelmäßig aus dem Bericht zur ersten Gläubigerversammlung/Stichtagsbericht sowie den nachfolgenden Zwischenberichten. Wurde das Modell der fortgeschriebenen Berichterstattung gewählt, ___________ 812) Hierzu Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 802 f.

292

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

bilden die tabellarischen, fortgeschriebenen Übersichten die Historie und das Ergebnis der Verwertung ebenfalls ab. Ggf. sind einzelne Aktenvorgänge zu der Verwertung des Gegenstands beizuziehen. Insbesondere gilt dies für die Handakten evtl. anhängiger Prozesse (z. B. zum Forderungseinzug, Anfechtungsansprüchen etc.). b) Abgeltung Sicherungsrechte In Vorbereitung des Schlussberichts und der Schlussrechnungslegung ist eben- 1179 falls zu prüfen, ob sämtliche Sicherungsrechte berücksichtigt und (vollständig und korrekt) abgegolten wurden. Die Abgeltung der Absonderungsrechte richtet sich in einem ersten Schritt nach der originäre Verwertungsbefugnis und in einem zweiten Schritt nach der tatsächlichen Verwertung. Unterliegen Forderungen Drittrechten, ist § 166 Abs. 2 InsO zu beachten. 1180 Der Verwalter darf eine Forderung, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat, einziehen oder in anderer Weise verwerten. Das originäre Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters besteht demnach nicht bei anderen Sicherungsrechten, die zur abgesonderten Befriedigung berechtigten (z. B. Pfandrechte). Diese darf der Gläubiger selbst und unmittelbar einziehen, ohne dass der Masse ein Erlösanspruch zusteht. § 166 Abs. 2 InsO gilt nur bei sicherungszedierten Forderungen. Bei beweglichem Absonderungsgut gilt: Das Verwertungsrecht des Insol- 1181 venzverwalters besteht bei Besitzrechten gemäß § 166 Abs. 1 InsO z. Zt. Insolvenzeröffnung. Hierbei ist mittelbarer Besitz ausreichend (Ausn.: der Absonderungsberechtigte ist selbst unmittelbarer Besitzer).813) Vor Verwertung hat der Insolvenzverwalter seine Verwertungsabsicht beim Absonderungsberechtigten anzuzeigen (§ 168 Abs. 1 Satz 1 InsO). Danach besteht eine Gelegenheit des Gläubigers zur Anzeige einer günstigeren Verwertungsoption binnen 1 Woche (§ 168 Abs. 1 Satz 2 InsO). Zeigt er eine günstigere Verwertungsoption an, kann dieses auch Übernahme durch den Sicherungsgläubiger selbst geschehen (§ 168 Abs. 3 InsO). Hierbei handelt es sich immer noch um eine Verwalterverwertung.814) Kann der Insolvenzverwalter das Besitzrecht zur Zeit der Eröffnung nicht 1182 für sich beanspruchen, besteht ein originäres Verwertungsrecht der Sicherungsgläubiger (§ 173 Abs. 1 InsO). Die Erlösverteilung, also die Abgeltung der Sicherungsrechte, erfolgt gemäß 1183 §§ 170, 171 InsO, ist der Insolvenzschuldner Unternehmer gemäß § 2 Abs. 1 UStG und handelt es sich um eine steuerbare Leistung auch unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer, sodann ggf. unter Beachtung des Dreifachum___________ 813) Siehe BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419; v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, ZIP 2015, 2286; v. 14.4.2016 – IX ZR 176/15, ZIP 2016, 1301. 814) BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZIP 2005, 2214.

293

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

satzes (o Kapitel D.VI.3c). Die Erlösverteilung ergibt sich aus dem nachfolgenden Schaubild: … Insolvenzverwalter & Besitz des Insolvenzverwalters 4 % Feststellungsbeitrag (pauschal v. Bruttoerlös)

… Sicherungsgläubiger & Besitz … Sicherungsgläubiger ohne des Insolvenzverwalters Besitz des Insolvenzverwalters 4 % Feststellungsbeitrag (pauschal v. Bruttoerlös)

5 % Verwertungsbeitrag (pauschal v. Bruttoerlös) oder tatsächliche Verwertungskosten (Nachweis)

./.

19 % Umsatzsteuer vom Bruttoerlös (→ Masseverbindlichkeit § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO

Bruttoerlös (→ Masseverbindlichkeit § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO

./.

./.

19 % Umsatzsteuer vom Bruttoerlös (→ Masseverbindlichkeit § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06)

1184 Auch ist darauf zu achten, dass die Abgeltung der Sicherungsrechte buchhalterisch korrekt dargestellt wird. Ein Beispiel sei nachfolgen an die Hand gegeben: 1820 00 Anderkonto II

11.900 € an 4884 30 Verwertung techn. Anlagen u. Maschinen (besichert)

7522 00 Auskehr Drittrechte (techn. Anlagen u. Maschinen)

11.900 € an 4080 30 Umsatzsteuer § 171 InsO nach IE (Abwicklung)

11.900 € 1.900 €

an 4060 30 Feststellungsbeiträge § 171 I InsO nach IE (Abwicklung)

476 €

an 4030 31 Verwertungsbeiträge § 171 II InsO nach IE (Abwicklung)

595 €

an 1820 00 Anderkonto II

8.929 €

1185 Zur Abgeltung von Absonderungsrechten an Immobilien sei auf die Ausführungen unter o Kapitel D.VI.3b) verwiesen. c) Forderungsprüfung und Schlussverzeichnis (Verteilungsverzeichnis) 1186 Die Verteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger erfolgt auf der Basis eines Schlussverzeichnisses (§ 188 InsO). Die Verteilung ist vom Insolvenzverwalter vorzunehmen (§ 187 Abs. 3 Satz 1 InsO). 1187 Ausschüttungen können bereits im Rahmen einer Abschlagsverteilung erfolgt sein. Dies kommt jedoch nahezu ausschließlich in umfangreichen, massehaltigen Verfahren vor, die sich über einen längeren Abwicklungszeitraum hinziehen. 1188 Die Schlussverteilung erfolgt nach dem Schlussbericht auf der Grundlage des Schluss-/Verteilungsverzeichnisses an die Gläubiger, deren Forderungen uneingeschränkt festgestellt sind.

294

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

Ein Insolvenzgläubiger, dessen Forderung nicht festgestellt ist und für dessen 1189 Forderung ein vollstreckbarer Titel oder ein Endurteil nicht vorliegt, muss den Widerspruch im Feststellungsprozess verfolgen. Er hat spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung des Schlussverzeichnisses dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für welchen Betrag die Feststellungsklage erhoben oder das Verfahren in dem früher anhängigen Rechtsstreit aufgenommen ist (§ 189 Abs. 1 InsO). Wird der Nachweis rechtzeitig geführt, so wird der auf die Forderung entfallende Anteil für die Dauer des Rechtsstreits zurückgestellt (§ 289 Abs. 2 InsO); andernfalls wird die Forderung bei der Verteilung nicht berücksichtigt. Ein Gläubiger, der zur abgesonderten Befriedigung berechtigt ist, hat spätestens innerhalb der Ausschlussfrist (§ 189 Abs. 1 InsO) nachzuweisen, dass und für welchen Betrag er auf abgesonderte Befriedigung verzichtet hat oder bei ihr ausgefallen ist (§ 190 Abs. 1 InsO). Die Praxis spricht hier oft vom „endgültigen Ausfallnachweis“/der „endgültigen Ausfallmitteilung“. Wird der Nachweis nicht rechtzeitig geführt, so wird die Forderung bei der Verteilung nicht berücksichtigt. Praxistipp: Oftmals sind in Verwalterbüros unterschiedliche Sachbearbeiterzuständigkeiten für die Abwicklung des Verfahrens und die Tabellenbearbeitung vergeben. Um eine optimale, zügige, professionelle und aus Verwaltersicht auch wirtschaftliche Verfahrensabwicklung darstellen zu können, ist es von höchster Wichtigkeit, dass an diesen Schnittstellen reibungslos und fortlaufend kommuniziert wird! Eine Verwalterkanzlei funktioniert wie ein „Schweizer Uhrwerk“: Greifen zwei Räder nicht ineinander oder hakelt es an der ein oder anderen Stelle, blockiert das ganze Uhrwerk. Bei einer Uhr sind alle Räder und Rädchen gleichbedeutend wichtig – das gleiche gilt in einer Verwalterkanzlei. Kein/e Sachbearbeiter/Abteilung ist wichtiger als ein/e andere/r!

Im Zuge der Vorbereitung des Verfahrensabschlusses ist darauf zu achten, dass 1190 keine ungeprüften Forderungen mehr vorliegen. Sollte dies der Fall sein, empfiehlt sich, vor Einreichung des Schlussberichtes und der Schlussrechnungslegung, gegenüber dem Insolvenzgericht anzuregen, einen Nachprüfungstermin anzuberaumen (§ 177 InsO). So ist gewährleistet, dass alle angemeldeten Forderungen geprüft sind. Forderungen, die nach Veröffentlichung und Niederlegung des Schlussverzeichnisses angemeldet werden, nehmen nicht mehr an einer Schlussverteilung teil.815) Sind alle Forderungen abschließend und mit dem endgültigen Prüfergebnis 1191 in die Tabelle angetragen, steht dem Verfahrensabschluss aus diesem Bereich nichts mehr entgegen. Auf der Grundlage der „bereinigten Tabelle“ stellt der Insolvenzverwalter das 1192 Schlussverteilungsverzeichnis auf (§ 188 InsO). Hierdurch zeigt der Verwalter ___________ 815) BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, ZIP 2007, 876.

295

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

die Summe der Forderungen und den für die Verteilung verfügbaren Betrag aus der Insolvenzmasse an; beide Werte sind öffentlich bekannt zu machen. Das Verzeichnis ist auf der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen. 1193 Eine Verteilung auf nicht in das Verzeichnis aufgenommene Forderungen ist nach Ablauf der Ausschlussfrist, innerhalb derer Gläubiger Einwendungen gegen das Verzeichnis erheben können (§§ 189, 194, 197 InsO), ausgeschlossen. 1194 In das Verzeichnis sind folgende Forderungen aufzunehmen: x

festgestellte Forderungen (§§ 178 Abs. 1, 183 InsO);

x

vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderungen, bei denen im Prüfungstermin ein vollstreckbarer Schuldtitel, ein Endurteil oder ein Vollstreckungsbefehl vorliegt (§ 189 InsO);

x

nicht festgestellte Forderungen, wenn gegenüber dem Verwalter die Erhebung der Feststellungsklage oder die Aufnahme eines Rechtsstreits nachgewiesen ist (§ 189 InsO);

x

bedingte Forderungen, wenn bei der auflösend bedingten Forderung die Bedingung nicht eingetreten bzw. bei aufschiebend bedingten Forderungen die Anwartschaft nicht aussichtslos ist (§ 191 InsO);

x

Ausfallforderungen, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger nachweist, dass die Verwertung des Absonderungsguts betrieben wird und den Betrag des mutmaßlichen Ausfalls glaubhaft macht (§ 190 Abs. 2 InsO) bzw. wenn der Absonderungsberechtigte auf sein Absonderungsrecht verzichtet.

1195 Der Insolvenzverwalter haftet für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Verteilungsverzeichnisses.816) 1196 Eine Änderung des Verteilungsverzeichnisses nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO ist nur durch einen Beschluss des Insolvenzgerichts aufgrund der Einwendung eines Gläubigers, die nur mündlich im Schlusstermin selbst erhoben werden kann (§ 197 InsO), möglich. 1197 Im Fall der Eigenverwaltung ist das Verteilungsverzeichnis vom Schuldner zu erstellen und niederzulegen (§ 283 Abs. 2 InsO). d) Buchführung und Steuern 1198 Bei Einleitung des Verfahrensabschlusses ist zu prüfen, ob die steuerlichen und buchhalterischen Pflichten i. S. d. § 155 InsO („Schuldnerbuchhaltung“) erfüllt wurden. Im Schlussbericht sind zum Stand der Buchhaltung angesichts der Pflicht des Insolvenzverwalters (§ 155 InsO) Ausführungen zu machen. ___________ 816) Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 29.11.1982 – 5 U 232/81, ZIP 1983, 341.

296

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

e) Vertragsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse Bei Einleitung des Verfahrensabschlusses empfiehlt sich die Prüfung, ob alle 1199 Vertrags- und Arbeitsverhältnisse ordnungsgemäß beendet und in welchem Umfang evtl. aus der einstweiligen Fortsetzung resultierende Masseverbindlichkeiten bereits bedient wurden bzw. noch zur Zahlung offenstehen. Im Schlussbericht ist zu den Kündigungen, den Gründen für eine evtl. Fort- 1200 setzung des Vertrags-/Arbeitsverhältnisses, zu Sozialplanregelungen, den Umständen eines Betriebsübergangs u. Ä. zu schildern. f) Insolvenzbuchhaltung Die spezifische Insolvenzbuchhaltung wird in der ganz überwiegenden Zahl 1201 der Verwalterbüros in speziellen, auf den insolvenzspezifischen Bedarf ausgerichteten Softwareprogrammen geführt. Wurde im Verfahren sorgfältig und richtig gebucht, kann die Schlussrechnung bei Verfahrensabschluss „auf Knopfdruck“ erstellt werden. In Vorbereitung des Verfahrensabschlusses ist genau das zu prüfen: Sind alle 1202 Buchungen vollständig und richtig (d. h. buchhalterisch korrekt, das richtige Konto, keine „Ungeklärten Einnahmen“, keine unbegründeten „Durchlaufenden Posten“)? Ein praktisches Problem stellt regelmäßig der nicht einheitlich definierte Kon- 1203 tenrahmen für Insolvenzverfahren dar. Einige Experten haben sich dem Ziel verschrieben, dieses Problem anzugehen und einen Standardisierten Kontenplan auszuarbeiten. Die Verwaltertätigkeit stellt dabei hohe Anforderungen, da eine Harmonisierung von insolvenzspezifischen Besonderheiten, buchhalterischen Vorgaben sowie steuerlichen und handelsrechtlichen Aspekten angestrebt werden muss. Hinzu kommt, dass die Bestrebungen zur Vereinheitlichung eines fortgeschriebenen, standardisierten Berichtswesens ebenfalls eingearbeitet werden könnten. In der aktuellen Verwalterpraxis ist wichtig, dass der Umgang mit dem in der 1204 Kanzlei vorgehaltenen Programm sicher beherrscht wird und eine Zuordnung zu den einzelnen Konten817) von vorneherein sichergestellt ist. Dies spart nicht nur doppelte Arbeit, sondern insbesondere in Vorbereitung des Verfahrensabschlusses eine Menge Zeit, die durch die Nach- und Aufarbeitung möglicherweise lange zurückliegender Sachverhalte investiert werden muss.

___________ 817) Siehe hierzu sehr anschaulich und ausführlich Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, Rn. 454 ff.

297

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

g) Aufbauvorschlag eines Schlussberichts 1205

Praxistipp: Roter Faden – Aufbau eines Schlussberichts I.

Allgemeines

1.

Verfahrensdaten

2.

Persönliche Daten/Unternehmensdaten

II.

Situation bei Eröffnung des Verfahrens und ergriffene Maßnahmen im Eröffnungsverfahren

III.

Vertragsverhältnisse

IV.

Arbeitsverhältnisse

V.

Handels- und steuerrechtliche Rechnungslegung (§ 155 InsO)

VI.

Verwertungs- und Abwicklungsmaßnahmen

VII. Rechtsstreitigkeiten (Aktivprozesse/Passivprozesse) VIII. Noch nicht liquidiertes Vermögen und Nachtragsverteilung IX.

Insolvenztabelle

X.

Ausgenommene Forderungen (§ 302 InsO)

XI.

Schlussrechnung

1.

Massebestand

2.

Verfahrenskosten

3.

Masseverbindlichkeiten

4.

Insolvenzforderungen

5.

Schlussverteilung und Quotenprognose

XII. Verfahrensabschluss

h) Nachtragsverteilung § 203 Abs. 1, 2 InsO

1206

Auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen ordnet das Insolvenzgericht eine Nachtragsverteilung an, wenn nach dem Schlusstermin 1.

zurückbehaltene Beträge für die Verteilung frei werden,

2.

Beträge, die aus der Insolvenzmasse gezahlt sind, zurückfließen oder

3.

Gegenstände der Masse ermittelt werden.

(2) Die Aufhebung des Verfahrens steht der Anordnung einer Nachtragsverteilung nicht entgegen.

298

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

Eine Nachtragsverteilung kommt immer dann in Betracht, wenn mit der Verwertung eines Gegenstands bis zur Durchführung der Schlussverteilung nicht gerechnet werden kann oder ein Vermögenswert nach Aufhebung des Verfahrens erst ermittelt wurde und infolge dessen bei der Schlussverteilung noch nicht berücksichtigt werden konnte. Voraussetzung ist, dass der Gegenstand Bestandteil der Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO) ist. Wurde die Nachtragsverteilung angeordnet, kann der Insolvenzverwalter, des- 1207 sen Verwaltungs- und Verfügungsberechtigung mit Aufhebung des Verfahrens endet, den Gegenstand auch nach Aufhebung noch verwerten. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Gegenstands dauert über den Zeitpunkt der Aufhebung des Verfahrens hinaus. Trotz sorgfältiger und umfassender Feststellung der Insolvenzmasse kann es 1208 vorkommen, dass nachträglich noch Vermögenswerte festgestellt werden, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht bei der Schlussverteilung mitberücksichtigt und somit nicht an die Gläubiger verteilt werden konnten. § 203 InsO stellt sicher, dass die im Schlussverzeichnis (§ 188 InsO) aufgeführten Gläubiger auch hieraus noch Befriedigung erlangen können. Praktische Beispiele hierfür sind insbesondere: x

Prozessbefangene Ansprüche, wobei der Ausgang des im eröffneten Verfahren anhängig gemachten Prozesses noch nicht absehbar ist;

x

Steuererstattungsansprüche, soweit diese aus dem in das eröffnete Verfahren fallenden Veranlagungszeitraum resultieren;818)

x

versteckte Vermögensgegenstände, die der Schuldner verborgen gehalten oder über die er verbotswidrig verfügt hat;819)

x

Erlöse, die der Schuldner nach Aufhebung des Verfahrens aus dem Einzug einer massebeschlagenen Forderung erzielt hat.820) Praxistipp: Steuererstattungsansprüche, die nach Aufhebung des Verfahrens entstanden, aber bereits während des eröffneten Verfahrens begründet wurden, unterliegen weiterhin dem Insolvenzbeschlag. Voraussetzung ist, dass die Nachtragsverteilung angeordnet wurde.821) Es ist daher dringend anzuraten, mit Einreichung des Schlussberichts die Anordnung der Nachtragsverteilung anzuregen.

___________ 818) BFH, Urt. v. 28.2.2012 – VII R 36/11, BStBl II 12012, 451 = ZIP 2012, 933. 819) BGH, Beschl. v. 6.12.2007 – IX ZB 229/06, ZIP 2008, 322. 820) BGH, Beschl. v. 26.1.2012 – IX ZB 111/10, ZIP 2012, 437; Zwar ist eine Nachtragsverteilung hinsichtlich des Erstattungsanspruchs nicht mehr möglich, da der Schuldner den Betrag bereits eingezogen hat. Zulässig ist aber eine Nachtragsverteilung hinsichtlich des an den Schuldner erstatteten Betrages (Erlöses). 821) So BFH, Urt. v. 28.2.2012 – VII R 36/11, BStBl II 12012, 451 = ZIP 2012, 933.

299

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren Mit der Anordnung der Nachtragsverteilung für etwaige „auf die Dauer des Insolvenzverfahrens“ entfallende Steuererstattungsansprüche steht fest, dass der Rechtsgrund für eine Erstattung während der Dauer des Insolvenzverfahrens gelegt worden sein muss.822) Der amtsgerichtliche Beschluss ist auch insoweit hinreichend bestimmt, weil sich aus der Formulierung „etwaiger (…) Steuererstattungsansprüche“ ergibt, dass Steuererstattungsansprüche im Zusammenhang mit allen Steuerarten von der Nachtragsverteilung erfasst sein sollen.823)

1209 Die Nachtragsverteilung findet in jedem Fall bei entsprechender gerichtlicher Anordnung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 InsO) statt (vgl. § 203 Abs. 2 InsO). Ebenfalls kann eine Nachtragsverteilung bei Einstellung des Verfahrens wegen Masseunzulänglichkeit angeordnet werden (§ 211 Abs. 3 InsO i. V. m. §§ 203 ff. InsO). Mit der h. M. ist die Anordnung der Nachtragsverteilung auch bei Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 207 InsO) eine zulässige Verfahrensweise.824) 1210 Ausgeschlossen ist die Anordnung der Nachtragsverteilung indes bei einer Einstellung des Verfahrens wegen Wegfalls des Eröffnungsgrunds (§ 212 InsO) bzw. mit Zustimmung der Gläubiger (§ 213 InsO) oder aufgrund rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans (§ 258 InsO). 1211 Nach Verwertung des Gegenstands hat der Insolvenzverwalter den Verwertungserlös aufgrund des Schlussverzeichnisses zu verteilen und darüber gegenüber dem Insolvenzgericht Rechnung zu legen. 3. Arten des Verfahrensabschlusses a) Vorbemerkung 1212 Unabhängig von der Art des Verfahrensabschlusses hat der Insolvenzverwalter in jedem Fall abschließend Rechnung zu legen und einen Schlussbericht einzureichen. Die unterschiedlichen Arten des Verfahrensabschlusses haben hierauf keine Auswirkungen, sondern legen lediglich die „Richtung“ fest, die das Verfahren hinsichtlich der Gläubigerbefriedigung nimmt. 1213 In der Literatur teilweise umstritten ist, ob der Insolvenzverwalter vor einer Verfahrensaufhebung nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans gemäß § 258 InsO (o Kapitel G.) zur Schlussrechnungslegung gemäß § 66 InsO verpflichtet ist. Als Argument der Gegenauffassung wird angeführt, dass der Insolvenzplan bereits umfänglich die Verwaltungstätigkeiten und die Verwertungshandlungen abbilden muss. Da genau dies jedoch der Fall ist, ist es in der Praxis mit wenig Mehraufwand verbunden, eine „zusätzliche“ Schlussrechnung zu erstellen, da diese „auf Knopfdruck“ zur Verfügung steht. Um___________ 822) BFH; Urt. v. 20.9.2016 – VII R 10/15, BFH/NV 2017, 442 ff.; vgl. BGH, Urt. v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340. 823) BFH, Urt. v. 20.9.2016 – VII R 10/15, BFH/NV 2017, 442 ff.; vgl. BGH v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340. 824) FK-InsO/Wagner, § 203 Rn. 15 m. w. N.

300

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

fassende textliche Erläuterungen (Schlussbericht) dürften angesichts der Ausführlichkeit der Darlegungen im Insolvenzplan indes obsolet sein. Überdies entbindet ein vereinbarter Verzicht den Insolvenzverwalter nicht von dem Rechenschaftsbericht gegenüber dem Insolvenzgericht (§ 58 InsO). b) Aufhebung (§ 200 InsO) Nach Vollzug der Schlussverteilung (§ 196 InsO) wird das Verfahren durch 1214 Beschluss des Insolvenzgerichts aufgehoben (§ 200 Abs. 1 InsO). Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet das Amt des Insolvenzverwalters ebenso wie der Insolvenzbeschlag und damit auch die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO), die sodann wieder an den Schuldner zurückfällt. Eine Ausnahme hierzu bildet lediglich das Vermögen, welches der Nachtragsverteilung vorbehalten ist (§§ 203 Abs. 2, 205 InsO. Darüber hinaus wird regelmäßig – abgesehen vom notwenigen Selbstbehalt des Schuldners – kein Vermögen mehr vorhanden sein, da der Insolvenzverwalter dies im eröffneten Verfahren verwertet hat. Bei masselosen Verfahren (sog. „Null-Verfahren“), erfolgt ebenfalls eine Aufhe- 1215 bung nach § 200 Abs. 1 InsO ohne Vollzug der Schlussverteilung, wenn die Verfahrenskosten gemäß § 4a InsO gestundet sind. Eine Einstellung gemäß § 207 InsO kommt in diesen Fällen nicht in Betracht. c) Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) Das Verfahren wird mangels Masse eingestellt, wenn sich nach der Eröffnung 1216 herausstellt, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Sind die Verfahrenskosten nicht gestundet (§ 4a InsO), wird das Verfahren 1217 nur dann eröffnet, wenn eine kostendeckende Masse vorhanden ist (§ 26 InsO). Die Verfahrenskostendeckung kann vor Eröffnung des Verfahrens nur anhand prognostischer Werte festgestellt werden. Nach Eröffnung des Verfahrens hat der Insolvenzverwalter stets darauf zu achten, dass die Verfahrenskosten (oKapitel D.VII.) gedeckt sind. Stellt sich im Verlauf des Verfahrens heraus, dass dies nicht mehr das Fall ist, ist das Verfahren (zwingend) gemäß § 207 Abs. 1 InsO einzustellen. Die Einstellung erfolgt (von Amts wegen) durch Beschluss des Insolvenzgerichts, das jedoch regelmäßig erst durch die Berichterstattung des Insolvenzverwalters im laufenden Verfahren von der nicht vorhandenen kostendeckenden Masse erfährt. In der Praxis regt daher der Insolvenzverwalter die Einstellung gemäß § 207 Abs. 1 InsO an, sobald er feststellt, dass die Massekosten nicht gedeckt sind. Sind die Massekosten (§ 54 InsO) gedeckt, die sonstigen Masseverbindlich- 1218 keiten (§ 55 InsO) jedoch nicht, ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, Masseunzulänglichkeit anzuzeigen. Die Masseunzulänglichkeit ist aber kein Kriterium für eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 207 Abs. 1 InsO.

301

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

1219 Vor der Einstellung gemäß § 207 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht eine Gläubigerversammlung einzuberufen (§ 207 Abs. 2 InsO). 1220 Vor der Einstellung hat der Insolvenzverwalter die Verfahrenskosten zu berichtigen (§ 207 Abs. 3 InsO). Sind diese nicht vollständig gedeckt, sind zunächst die Auslagen des Gerichts und des Insolvenzverwalters zu begleichen. Der sodann noch verbleibende Massebestand ist auf die Gerichtsgebühren und die Vergütung des Insolvenzverwalters im Verhältnis ihrer Beträge zu verteilen. d) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§§ 208, 211 InsO) 1221 Sind die Verfahrenskosten gedeckt, reicht die Insolvenzmasse jedoch nicht mehr aus, um daneben die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zu erfüllen, liegt Masseunzulänglichkeit vor (§ 208 InsO). Dies ist vom Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht anzuzeigen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO). 1222 Kann der Insolvenzverwalter im Verlauf des Verfahrens absehen, dass voraussichtlich eine solche Situation eintreten wird (drohende Masseunzulänglichkeit), ist auch dies dem Insolvenzgericht anzuzeigen (§ 208 Abs. 1 Satz 2 InsO). 1223 Das Insolvenzgericht hat die Anzeige der Masseunzulänglichkeit öffentlich bekanntzumachen (§ 208 Abs. 2 Satz 1 InsO). Den Massegläubigern ist sie besonders zuzustellen (§ 208 Abs. 2 Satz 1 InsO). 1224 Ist Eigenverwaltung angeordnet, obliegt die Anzeigepflicht dem Sachwalter (§ 285 InsO). 1225 Da die Verfahrenskosten gedeckt sind, kommt eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 207 Abs. 1 InsO nicht in Betracht. Der Insolvenzverwalter muss daher die Masse weiterhin verwerten und verwalten. Nach Abschluss der Verwertung reicht der Insolvenzverwalter die Schlussrechnung und den Schlussbericht ein. 1226 Nach Anberaumung eines Schlusstermins und Verteilung der Insolvenzmasse gemäß den Bestimmungen des § 209 InsO (o Rn. 917), wird das Verfahren gemäß § 211 Abs. 1 InsO eingestellt. 1227 Im Bereich der Rechnungslegung ist § 211 Abs. 2 InsO zu beachten: Der Insolvenzverwalter muss für seine Tätigkeit nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gesondert Rechnung legen. Die Rechnungslegung verteilt sich somit auf zwei Zeiträume: x

Rechnungslegung für den Zeitraum vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit und

x

Rechnungslegung für den Zeitraum nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit.

302

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss

e) Aufhebung nach rechtkräftiger Bestätigung des Insolvenzplans (§ 258 InsO) Wurde ein Insolvenzplanverfahren (o hierzu ausführlich Rn. 1216 ff.) unter 1228 Annahme des Plans durch die Gläubiger und mit Zustimmung des Schuldners durchgeführt, bestätigt das Insolvenzgericht den Plan (§§ 248, 252 InsO). Nach Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses hebt das Gericht das Insolvenz- 1229 verfahren auf (§ 258 InsO). Nach Aufhebung des Verfahrens erlischt das Amt des Verwalters und der 1230 Schuldner erhält das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 InsO). Einschränkungen ergeben sich allenfalls hinsichtlich der Rechtshandlungen, die nach den Ausführungen des gestaltenden Teils unter den Zustimmungsvorbehalt des Planüberwachers gestellt werden (§ 263 InsO). f) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) Fällt der Grund, der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt hat nach 1231 Eröffnung weg, kann das bereits eröffnete Verfahren vorzeitig beendet werden (§ 212 InsO). Eine vorzeitige Einstellung gemäß § 212 InsO kommt nur auf Antrag des Schuldners in Betracht, wenn der Schuldner unter Nutzung aller zulässigen Beweismittel glaubhaft macht, dass weder gegenwärtig noch absehbar ein Eröffnungsgrund gegeben ist (§ 212 Satz 2 InsO). Mit der Einstellung des Verfahrens erhält der Schuldner das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen. Das Insolvenzverfahren kann nicht wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes ein- 1232 gestellt werden, wenn nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung bei noch laufendem Insolvenzverfahren Restschuldbefreiung erteilt wird (asymmetrisches Verfahren) und dadurch die Insolvenzforderungen, die zur Eröffnung des Verfahrens geführt haben, zu unvollkommenen Verbindlichkeiten geworden sind.825) Soweit bereits Forderungsanmeldungen vorliegen, sind diese zu prüfen, da die 1233 Insolvenzgläubiger die Möglichkeit haben, einen vollstreckbaren Tabellenauszug zu beantragen. Der Sinn und Zweck der Norm impliziert bereits, dass eine vorzeitige Ein- 1234 stellung nur dann in Betracht kommt, wenn auch die Verfahrenskosten und alle Masseverbindlichkeiten gedeckt sind. g) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger (§ 213 InsO) Das Insolvenzverfahren wird auf Antrag des Schuldners eingestellt, wenn er 1235 nach Ablauf der Anmeldefrist die Zustimmung aller Insolvenzgläubiger bei___________ 825) BGH, Beschl. v. 23.1.2014 – IX ZB 33/13, NZI 2014, 229.

303

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren

bringt, die Forderungen angemeldet haben (§ 213 Abs. 1 Satz 1 InsO). Vor dem Ablauf der Anmeldefrist kann eine Einstellung erfolgen, wenn außer den Gläubigern, deren Zustimmung der Schuldner beibringt, andere Gläubiger nicht bekannt sind (§ 213 Abs. 2 InsO). 1236 Bei Gläubigern, deren Forderungen vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter bestritten werden, und bei absonderungsberechtigten Gläubigern entscheidet das Insolvenzgericht nach freiem Ermessen, inwieweit es einer Zustimmung dieser Gläubiger oder einer Sicherheitsleistung gegenüber ihnen bedarf (§ 213 Abs. 1 Satz 2 InsO). 1237 Insbesondere in Verfahren mit wenigen Gläubigern oder in den Fällen, in denen Drittmittel zur Befriedigung der Gläubiger angeboten werden können, kann der Schuldner über § 213 InsO eine schnelle Beendigung des Verfahrens erzielen.826) 1238 Das Insolvenzgericht ist gehalten, bei einer Einstellung gemäß § 213 InsO darauf zu achten, dass die Verfahrenskosten und alle Masseverbindlichkeiten gedeckt sind. 4. Schlusstermin 1239 Nach Prüfung der Schlussrechnung bestimmt das Insolvenzgericht von Amts wegen den Schlusstermin (§ 197 InsO). Im Schlusstermin wird die Schlussrechnung des Insolvenzverwalters erörtert und über das Schicksal nicht verwerteter Gegenstände entschieden. Auch können Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis nur mündlich im Schlusstermin erhoben werden. 5. Schlussverteilung und Nachtragsverteilung 1240 Grundlage für die Schlussverteilung ist das Verteilungsverzeichnis/Schlussverzeichnis. Die Schlussverteilung darf nur mit Zustimmung des Insolvenzgerichts vorgenommen werden. 1241 Die Verteilung erfolgt nach dem Verhältnis der Forderungen, die im Schlussverzeichnis aufgenommen sind. 1242 Für noch nicht abschließend geklärte Forderung ist im Bedarfsfall eine Rückstellung zu bilden. 1243 Die Verteilungsreihenfolge beschreibt sich wie folgt: Praxistipp: Verteilungsreihenfolge 1. Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO, vgl. Kapitel D.VII.) 2. Sonstige Masseverbindlichkeiten (insbesondere § 55 InsO, vgl. Kapitel D.VII.)

___________ 826) Vgl. dazu ausführlich Haarmeyer, ZInsO 2009, 556.

304

XIV. Schlussrechnungslegung und Verfahrensabschluss 3. Ansprüche aus einem Sozialplan (§ 123 Abs. 2 InsO) Ansprüche aus einem Sozialplan sind unechte Masseverbindlichkeiten. Sind die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht vollständig gedeckt, erfolgt keine Zuteilung an die Sozialplangläubiger. Andernfalls ist der Überschuss zu 1/3 auf die Sozialplangläubiger und zu 2/3 auf die Insolvenzgläubiger auszukehren. Da die Sozialplanansprüche insgesamt nicht mehr als 1/3 des Verteilungsvolumens, das an die Insolvenzgläubiger ausgezahlt wird, ausmachen dürfen, sind ggf. anteilig Kürzungen vorzunehmen. 4. Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) im Verhältnis der Forderungen (Quote) Quotenberechnung: (verteilungsfähiger Betrag : festgestellte Forderungen) x 100 = X,XX % 5. Ggf. nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO) nur bei Aufforderung zur Anmeldung 6. Ggf. Überschuss an den Schuldner (§ 199 InsO)

Liegt Masseunzulänglichkeit vor, ist die Verteilungsreihenfolge des § 209 InsO einzuhalten. Nach den Verfahrenskosten sind zunächst die Neu-Masseverbindlichkeiten (§§ 209 Abs. 1 Nr. 2, 55 InsO) und erst nach vollständiger Befriedigung dieser die Alt-Masseverbindlichkeiten (§§ 209 Abs. 1 Nr. 3, 55 InsO) zu bedienen. Soweit § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO den Vorrang der Verfahrenskosten anordnet, ist dieser unabhängig vom Entstehungszeitpunkt dieser Kosten und genießt absoluten Vorrang vor dem Ausgleich der Neu-Masseverbindlichkeiten. Bei Masseunzulänglichkeit sind die Masseverbindlichkeiten nicht vollständig gedeckt, sodass eine Quotenzahlung an die Gläubiger nicht erfolgt.

1244

Als Beispiel für die Ermittlung des verteilungsfähigen Betrags sei folgende, nur 1245 für Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person geltende Berechnung827) an die Hand gegeben: 50.000,00 €

Einnahmen aus Verwertung Überschuss aus Betriebsfortführung Einnahmen BF

120.000,00 €

./. Ausgaben BF

–99.000,00 €

./. Absonderungsrechte (abgegolten/noch abzugelten) ./. evtl. Kostenvorschuss Dritter (auch nicht vergütungsrelevant, § 1 Abs. 2 Nr. 5 InsVV) ./. evtl. Drittmittel zur Erfüllung des Insolvenzplans (auch nicht vergütungsrelevant, § 1 Abs. 2 Nr. 5 InsVV) Masse

21.000,00 € –25.000,00 € –€ –€ 46.000,00 €

___________ 827) Für die Insolvenzverfahren über das Vermögen von juristischen Personen und Personengesellschaften gilt eine etwas abweichende, insbesondere um die streitige Position des § 93 InsO ergänzte Berechnung.

305

D. Das eröffnete Insolvenzverfahren davon sind zu decken –28.000,00 €

Verfahrenskosten, § 54 InsO sonstige oder besondere Masseverbindlichkeiten bereits beglichen noch offen Unterdeckung

13.000,00 € –20.000,00 €

–20.000,00 € –2.000,00 €

6. Vergütung 1246 Die Vergütung des Insolvenzverwalters wird in der Regel mit Einreichung des Schlussberichts und der Einreichung der Schlussrechnungslegung zur Festsetzung beantragt. Zur Vergütungsberechnung darf hinsichtlich der Einzelheiten auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. 1247 Soweit die Insolvenzmasse die Kosten des Insolvenzverfahrens deckt, ist die Vergütung nach Festsetzung durch das Insolvenzgericht und Rechtskraft des Beschlusses der Masse zu entnehmen. In Verfahren, die auf Basis der Verfahrenskostenstundung eröffnet wurden (§ 4a InsO) erfolgt eine Erstattung der Vergütung aus der Staatskasse, wenn die im Verfahrensverlauf generierte Masse nicht dazu geführt hat, dass es einer Einstandspflicht der Staatskasse nicht mehr bedarf, die Masse also die Vergütung des Insolvenzverwalters neben weiteren Verfahrenskosten (oKapitel D.VII.) deckt. Praxistipp: Die Ausführungen im Vergütungsantrag, insbesondere zur Begründung der Zuschlagsfaktoren, müssen sich im Berichtswesen/Tätigkeitsbericht wiederfinden. Soweit in Verwalterbüros verschiedene Sachbearbeiter/Abteilungen mit der Vorbereitung des Schlussberichts (Schlussrechnungslegung) und des Vergütungsantrags betraut sind, ist auch an der Schnittstelle eine gute Kommunikation unerlässlich.

306

E. Die Wohlverhaltensperiode/Restschuldbefreiungsphase I. Wohlverhaltensperiode Ziel des Insolvenzverfahrens über das Vermögen natürlicher Personen ist – aus 1248 Schuldnersicht – die Erlangung der Restschuldbefreiung. So soll, nach der Intention des Gesetzgebers, selbstständigen Einzelunternehmern, Freiberuflern und auch Privatpersonen die Möglichkeit eines sog. „Fresh Start“ eröffnet werden. Die Restschuldbefreiung hat der Gesetzgeber an die Voraussetzung geknüpft, 1249 dass sich der Schuldner diese durch redliches Verhalten unter Einsatz seiner pfändbaren Habe zur bestmöglichen Schuldentilgung „verdient“. Über den Zeitpunkt der Aufhebung des „eigentlichen“ Insolvenzverfahrens 1250 (eröffnetes Verfahren, in dem die Gläubigerforderungen geklärt und das pfändbare Vermögen mit dem Ziel der Gläubigerbefriedigung verwertet wird) dauert die sog. Wohlverhaltensperiode oder Restschuldbefreiungsphase an. Die Laufzeit der für die Erteilung der Restschuldbefreiung zwingenden erforderlichen Abtretung gemäß § 287 Abs. 2 InsO (Abtretungsfrist) beginnt nominell bereits mit Eröffnung des Verfahrens. Im eröffneten Verfahren läuft diese Abtretungsfrist zeitlich parallel bis zur Aufhebung, wobei ausschließlich die Regelungen für das eröffnete Verfahren maßgeblich sind. Nach Aufhebung des Verfahrens, deren Zeitpunkt ausschließlich vom Ver- 1251 fahrensverlauf und der „Abschlussreife“, nicht aber gesetzlich bestimmt ist, gelten ohne Unterbrechung nur noch die Regelungen der Restschuldbefreiungsphase bis zum Ablauf der Abtretungsfrist des § 287 Abs. 2 InsO. Diese umfasst insgesamt regulär einen Zeitraum von sechs Jahren ab Eröffnung und damit die Verfahrensabschnitte des eröffneten Verfahrens und der Restschuldbefreiungsphase; die Abtretungsfrist kann unter bestimmten Voraussetzungen verkürzt werden. Die Erteilung der Restschuldbefreiung ist nur bei Vorhandensein einer Ver- 1252 fahrenskosten deckenden Masse oder bei Verfahrenskostenstundung möglich. Im Fall der Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 207 InsO) kann die Restschuldbefreiung nicht erteilt werden. Die Insolvenzgläubiger können auch nach Aufhebung des Verfahrens und 1253 Überleitung in die Restschuldbefreiungsphase Befriedigung nicht im Wege der Einzelzwangsvollstreckung suchen; diese ist gemäß § 294 Abs. 1 InsO bis zur Entscheidung des Gerichts über den Restschuldbefreiungsantrag (§ 300 Abs. 1 InsO) wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes untersagt. II. Aufgaben und Befugnisse des Treuhänders gemäß § 292 InsO 1. Rechtsstellung des Treuhänders (§ 292 InsO) Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet das Amt des Insolvenzverwalters 1254 und damit einhergehend auch dessen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO). 307

E. Die Wohlverhaltensperiode/Restschuldbefreiungsphase

1255 Ist die Erteilung der Restschuldbefreiung beantragt, schließt sich (nahtlos) der eigenständige Verfahrensabschnitt der Restschuldbefreiungsphase an.828) 1256 Die aufgrund der Abtretung weiterhin zum Verfahren abzuführenden pfändbaren Beträge (§ 287 Abs. 2 InsO) bzw. die aufgrund der Fiktivberechnung abzuführenden Beträge eines Selbstständigen (§ 295 Abs. 2 InsO) sowie die Hälfte des Vermögens, das der Schuldner von Todes wegen erhält (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO), werden vom Treuhänder (§ 292 InsO) einbehalten und an die Gläubiger ausgeschüttet. Der Treuhänder ist in aller Regel personenidentisch mit dem Insolvenzverwalter; es kann jedoch auch eine andere Person zum Treuhänder der Wohlverhaltensphase bestellt werden. 2. Pfändbares Einkommen a) Laufende Einkünfte aus einer Festanstellung bzw. Lohnersatzleistungen 1257 Dem Treuhänder wird nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners übertragen. Der Treuhänder hat die gemäß § 287 Abs. 2 InsO abgetretenen pfändbaren Einkommensanteile einzubehalten und die Abtretung gegenüber dem Arbeitgeber oder Drittschuldner offenzulegen. Diese Pflicht zur Unterrichtung des Drittschuldners gilt für jeden Wechsel des Arbeitgebers/Leistungsträgers und ist formlos möglich. 1258 Bei Vorliegen einer Zession eines Beamten, ist die öffentliche Kasse (Behörde) durch Vorlage einer öffentlichen oder amtlich beglaubigten Urkunde darüber in Kenntnis zu setzen (§ 411 BGB). Bis zur entsprechenden Benachrichtigung gilt die Zession als nicht bekannt. § 411 BGB ist kein materiellrechtliches Wirksamkeitserfordernis. Die Abtretung ist wirksam, die öffentliche Kasse hat jedoch gemäß § 411 Satz 2 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht. Im eröffneten Insolvenzverfahren bedarf es zum Einzugsrecht des Insolvenzverwalters keiner Abtretungserklärung i. S. d. § 287 Abs. 2 InsO, da die pfändbaren Anteile der Bezüge über §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO i. V. m. §§ 850 ff. ZPO vom Insolvenzbeschlag erfasst sind. Die Kasse kann mithin insoweit nur an den Verwalter schuldbefreiend leisten. Ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 411 BGB besteht nicht. Gemäß § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Treuhänder gehalten, die Kasse über das Vorliegen der Abtretung in Kenntnis zu setzen. Da es sich mit dem BGH bei der Abtretungserklärung um eine prozessuale Erklärung handelt, die als besondere Voraussetzung für die Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens gilt,829) entfaltet diese keine materielle Wirkung. Der Übergang der Bezüge erfolgt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusses über die Bestellung zum Treuhänder der Restschuldbefreiungsphase (§ 291 InsO) infolge der Bestimmung des Treuhänders durch das Gericht ___________ 828) BGH, Beschl. v. 29.6.2004 – IX ZB 90/03, NZI 2004, 635. 829) BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, ZIP 2006, 1651.

308

II. Aufgaben und Befugnisse des Treuhänders gemäß § 292 InsO

und dessen Amtsübernahme als gesetzlich angeordnete Folge.830) Der Treuhänder in der Restschuldbefreiungsphase hat bereits aufgrund des Beschlusses ein Einzugsrecht (vgl. auch Rückschluss aus § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Behörde (öffentliche Kasse) hat demnach bereits aufgrund der gerichtlichen Beschlussfassung an den Treuhänder zu leisten. Der Vorlage der Abtretungserklärung in der von § 411 BGB geforderten Form bedarf es nicht mehr. Demnach besteht auch kein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 411 BGB (str.)831). In der Praxis wird der Treuhänder nicht selten mit der Bitte konfrontiert, 1259 von der Information des Arbeitgebers über die bestehende Abtretung abzusehen. Von der Information des Arbeitgebers sollte nur in besonders begründeten Ausnahmefällen Abstand genommen werden, z. B. wenn der Schuldner in einem sensiblen Bereich arbeitet und der Verlust des Arbeitsplatzes bei Kenntnis des Drittschuldners wahrscheinlich ist (unbillige Härte).832) In diesem Fall obliegt die Abführung der pfändbaren Beträge dem Schuldner.833) Haben sich Änderungen in der Einkommenssituation des Schuldners ergeben, 1260 ist dieser grundsätzlich mitteilungspflichtig. In der Praxis fragt der Treuhänder zumeist aktiv (einmal jährlich) die aktuelle Einkommenssituation beim Schuldner an. Hierzu ist er eigentlich nur verpflichtet, wenn er von der Gläubigerversammlung mit der Überwachung der Einhaltung der Obliegenheiten beauftragt wurde. In der Praxis überwacht der Treuhänder die Einhaltung der Obliegenheiten regelmäßig, da dieses die allermeisten Insolvenzgerichte so verlangen, auch, um evtl. über eine Aufhebung der Verfahrenskostenstundung (§ 4c InsO) zu entscheiden. Der Treuhänder ist ob des Übergangs der Verfügungsbefugnis über die nach 1261 § 287 Abs. 2 InsO abgetretenen Beträge verpflichtet, zu prüfen, ob der Arbeitgeber unter Beachtung von §§ 850 ff. ZPO tatsächlich die pfändbaren Beträge abführt und, sollten diese nicht oder in zu geringer Höhe abgeführt werden, diese gegenüber dem Drittschuldner zunächst anzumahnen und notfalls klageweise geltend zu machen.834) In Verbraucherinsolvenzverfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 ist 1262 u. U. über den Zeitpunkt der Aufhebung hinaus ein bevorzugtes Befriedigungsrecht des Abtretungsgläubiger aus § 114 InsO zu beachten. Die Aufhebung verkürzt die Zwei-Jahre-Geltungsdauer des Vorrechts nicht.

___________ 830) 831) 832) 833) 834)

BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, ZIP 2006, 1651. A. A. z. B. FK-InsO/Grote, § 292 Rn. 6 m. w. N. So auch FK-InsO/Grote, § 292 Rn. 6. BGH, Beschl. v. 7.4.2011 – IX ZB 40/10, NZI 2011, 451. OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.3.2012 – I 17 U 8/11, NZI 2012, 516; BGH, Urt. v. 3.11.2011 – IX ZR 45/11, ZIP 2012, 95.

309

E. Die Wohlverhaltensperiode/Restschuldbefreiungsphase

b) Selbstständig tätiger Schuldner (§ 295 Abs. 2 InsO) 1263 Ist der Schuldner selbstständig tätig, werden seine hieraus erzielten Einkünfte nicht von der Abtretung des § 287 Abs. 2 InsO erfasst. Gemäß § 295 Abs. 2 InsO obliegt dem Schuldner die Abführung eines fiktiv, unabhängig vom tatsächlichen Einkommen ermittelten Betrags aus einem angemessenen abhängigen Beschäftigungsverhältnis, den weder der Treuhänder noch das Gericht festsetzt. Bei der Abführungspflicht handelt es sich um eine Obliegenheit, auf die wegen des Sachzusammenhangs bereits an anderer Stelle eingegangen wird (o Kapitel D.VI.3.l). Die Abführungspflicht ist regelmäßig, mindestens einmal jährlich zu erfüllen.835) Insoweit wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen zum pfändbaren Einkommen (o Kapitel D.VI.3.l)verwiesen. 1264 Ist der Schuldner nicht in der Lage, die fiktiven Beträge aus den erwirtschafteten Einnahmen zu bestreiten, obliegt ihm, sich um eine abhängige Beschäftigung zu bemühen; andernfalls riskiert er die Versagung der Restschuldbefreiung.836) 1265 Seine Auskunftspflicht (§ 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO) bezieht sich grundsätzlich nur auf Tatsachen, aus denen die fiktive abhängige Tätigkeit bestimmt und das fiktive Nettoeinkommen ermittelt werden kann.837) 1266 Ein parallel zu einem eröffneten Erstinsolvenzverfahren laufendes Zweitinsolvenzverfahren wird nach Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit für zulässig erachtet und erfasst nur das nicht an den Treuhänder des Erstverfahrens abgetretene Vermögen.838) Die Erfüllung der Abführungspflicht im Erstverfahren ist sicherzustellen.839) 3. Ausschüttung 1267 Die einbehaltenen Beträge sind einmal jährlich aufgrund des Schlussverzeichnisses an die Insolvenzgläubiger zu verteilen. Das erste Jahr beginnt mit der Aufhebung des Verfahrens. In Verfahren, die ab dem 1.7.2014 beantragt wurden, kann die Verteilung bei geringfügigen Verteilungsbeträgen längstens bis zum Ende der Laufzeit der Abtretung ausgesetzt werden. 1268 Diese Verteilung ist nur dann vorzunehmen, wenn die nach § 4a InsO gestundeten Verfahrenskosten abzüglich der Kosten für die Beiordnung eines Rechtsanwalts berichtigt sind. Zur Verteilungsmasse gehören die Beträge, die der Treuhänder aufgrund der Abtretung (§ 287 Abs. 2 InsO) bzw. durch die Zahlungen des selbstständigen Schuldners (§ 295 Abs. 2 InsO) erlangt. Zudem ist das Vermögen, was der Schuldner anlässlich eines Todesfalles erlangt ___________ 835) 836) 837) 838) 839)

310

BGH, Beschl. v. 19.7.2012 – IX ZB 188/09), NZI 2012, 718. BGH, Beschl. v. 19.7.2012 – IX ZB 188/09), NZI 2012, 718. BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – IX ZB 165/11), NZI 2013, 404. AG Göttingen, Beschl. 16.9.2011 – 71 IN 89/11, NZI 2011, 861. AG Göttingen, Beschl. v. 5.10.2007 – 74 IN 295/07, ZVI 2007, 534.

II. Aufgaben und Befugnisse des Treuhänders gemäß § 292 InsO

(§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO), an den Treuhänder zur Hälfte abzuführen und von diesem zu verteilen. Liegt in Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 eine Vorausabtre- 1269 tung vor, die gemäß § 114 Abs. 1 InsO a. F. für eine Dauer von zwei Jahren ab Eröffnung zur bevorzugten Befriedigung berechtigt, hat der Gläubiger in einer Fallvariante unter Verzicht auf das Absonderungsrecht seinen endgültigen Ausfallbetrag angezeigt, der nach Feststellung zur Insolvenztabelle in der Höhe in das Schlussverzeichnis als Verteilungsgrundlage eingeflossen ist. Dies ist gleichbedeutend mit der Erklärung, inwieweit er zur Befriedigung seiner Forderung auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens bis zum Ablauf der Zwei-Jahres-Frist (§ 114 Abs. 1 a. F. InsO) auf sein Absonderungsrecht verzichtet. Auch möglich ist eine Erklärung, inwieweit er aus der Sicherheit vorgehen will, um darauf basierend den Ausfallbetrag zu schätzen. Im Interesse der Rechtsklarheit für alle Beteiligten und der Verfahrensökonomie ist ihm zuzumuten, eine solche Schätzung zum endgültigen Ausfallbetrag vorzunehmen.840) Ändern sich im Laufe der Wohlverhaltensphase Forderungen durch zulässige 1270 Aufrechnungen, ist der Verteilungsschlüssel anzupassen. Zulässig ist z. B. eine Aufrechnung des Finanzamtes gegen nicht mehr insolvenzbeschlagene Erstattungsansprüche aus der Zeit der Restschuldbefreiungsphase mit Insolvenzforderungen.841) Führt die Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers gegen Forderungen des Schuldners, die von seiner Abtretungserklärung nicht erfasst sind, während ihrer Laufzeit zu einer teilweisen Befriedigung, so darf der Insolvenzgläubiger an den weiteren Verteilungen nur nach dem Berücksichtigungswert seiner Restforderung teilnehmen.842) Eine Änderung des Verteilungsverzeichnisses nach Aufhebung des Verfahrens ist nicht mehr zulässig, sodass der Verteilungsschlüssel rein rechnerisch anzupassen ist. Entspricht das Verteilungsverzeichnis in der Wohlverhaltensphase nicht mehr der materiellen Rechtslage, weil ein Gläubiger zwischenzeitlich (z. B. durch Aufrechnung einen anderen Gesamtschuldner) befriedigt wurde, ist der Treuhänder zur Erhebung der Verteilungsabwehrklage gehalten.843) Wird im Verlaufe der Restschuldbefreiungsphase Vermögen in nur geringfü- 1271 giger Höhe einbehalten, kann der Treuhänder die Verteilung längstens bis zum Ende der Abtretungsfrist aussetzen, wenn dies angemessen erscheint (§ 292 Abs. 1 Satz 4 InsO). Der Treuhänder hat dies dem Gericht einmal jährlich unter Angabe der Höhe der erlangten Beträge mitzuteilen. In Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 steht dem Schuldner gemäß 1272 § 292 Abs. 1 Satz 4 InsO a. F. ein sog. Motivationsrabatt zu. Von den Beträgen, ___________ 840) 841) 842) 843)

Im Erg. auch BGH, Urt. v. 2.7.2009 – IX ZR 126/08, ZIP 2009, 1580. BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 116/11, ZIP 2012, 1087 = ZInsO 2012, 975. BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 116/11, ZIP 2012, 1087 = ZInsO 2012, 975. BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 116/11), ZIP 2012, 1087 = ZInsO 2012, 975.

311

E. Die Wohlverhaltensperiode/Restschuldbefreiungsphase

die während des fünften Jahres der Treuhandphase beim Treuhänder eingehen, beläuft sich der an den Schuldner auszukehrende Betrag auf 10 %, für das sechste Jahr auf 15 %. Ob bei Zählung der Jahre an die Aufhebung des Verfahrens oder an die Eröffnung anzuknüpfen ist, ist in der Praxis umstritten und wird unterschiedlich gehandhabt. Eine Einschränkung erfährt die Auszahlung, wenn die gestundeten Verfahrenskosten noch nicht durch die eingegangenen Beträge ausgeglichen sind (§ 292 Abs. 1 Satz 5 InsO a. F.). 4. Überwachungsauftrag 1273 Die Gläubigerversammlung kann dem Treuhänder zusätzlich die Aufgabe übertragen, die Erfüllung der Obliegenheiten des Schuldners zu überwachen (§ 292 Abs. 12 InsO). Der Treuhänder hat gegenüber den Gläubigern unverzüglich Nachricht zu erstatten, wenn er einen Verstoß gegen diese Obliegenheiten (o Rn. 1129 ff.) feststellt. Eine Pflicht zur Überwachung besteht nur dann, wenn die dem Treuhänder dafür zustehende zusätzliche Vergütung gedeckt ist oder vorgeschossen wird. 1274 In der Praxis kommt die Erteilung eines Überwachungsauftrags so gut wie nicht vor. Dies liegt darin begründet, dass der Treuhänder zumeist ohnehin die Einkommensverhältnisse und den aktuellen Wohnsitz des Schuldners überprüft, um die Verteilung an die Gläubiger in Höhe der richtigen Beträge sicherzustellen. Da hierdurch der wichtigste Teil der Obliegenheiten bereits in Erfüllung des gesetzlichen Aufgabenkreises durch den Treuhänder „überwacht“ wird, sehen die wenigstens Gläubiger – auch unter dem wirtschaftlichen Gesichtspunkt – keine Notwendigkeit, einen zusätzlichen, kostenträchtigen Überwachungsauftrag zu erteilen. 5. Rechnungslegung 1275 Auch der Treuhänder der Wohlverhaltensphase hat bei der Beendigung seines Amtes dem Insolvenzgericht Rechnung zu legen. Die Rechnungslegung bezieht sich ausschließlich auf den Zeitraum der Restschuldbefreiungsphase und folgt den gleichen Grundsätzen wie die Rechnungslegung im eröffneten Verfahren (oKapitel D.XIV.). 6. Vergütung 1276 Der Treuhänder der Wohlverhaltensphase hat einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit. Zu den Einzelheiten wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die bisherigen sachbezogenen Ausführungen verwiesen (o Kapitel D.VII.1.e)). III. Obliegenheiten des Schuldners 1. Grundlegendes 1277 Die Restschuldbefreiung, die ein Schuldner erreichen möchte, ist nicht nur daran geknüpft, dass er seine pfändbare Habe zur Regulierung der Insolvenzver312

III. Obliegenheiten des Schuldners

bindlichkeiten einsetzt. Darüber hinaus muss er einige, gesetzlich geregelte Obliegenheiten erfüllen. Die Restschuldbefreiung wird in den Verfahren, die ab dem 1.7.2014 beantragt 1278 werden, bereits vor Eröffnung des Verfahrens angekündigt (Eingangsentscheidung gemäß § 287a InsO). In den Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 erfolgt die Ankündigung gemäß § 291 InsO a. F. nach dem Schlusstermin vor der Aufhebung des Verfahrens und Überleitung in die Wohlverhaltensperiode. Mit einem Verstoß gegen diese Obliegenheiten riskiert der Schuldner, dass 1279 die Restschuldbefreiung versagt wird. Die Obliegenheiten sind geregelt in § 295 InsO.

1280

§ 295 InsO Obliegenheiten des Schuldners (1) Dem Schuldner obliegt es, in dem Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist 1.

eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben und, wenn er ohne Beschäftigung ist, sich um eine solche zu bemühen und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen;

2.

Vermögen, das er von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht erwirbt, zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herauszugeben;

3.

jeden Wechsel des Wohnsitzes oder der Beschäftigungsstelle unverzüglich dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen, keine von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge und kein von Nummer 2 erfasstes Vermögen zu verheimlichen und dem Gericht und dem Treuhänder auf Verlangen Auskunft über seine Erwerbstätigkeit oder seine Bemühungen um eine solche sowie über seine Bezüge und sein Vermögen zu erteilen;

4.

Zahlungen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur an den Treuhänder zu leisten und keinem Insolvenzgläubiger einen Sondervorteil zu verschaffen.

(2) Soweit der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt, obliegt es ihm, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre.

2. Erwerbsobliegenheit (§ 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO) Dem Schuldner obliegt es gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO, eine angemessene 1281 Erwerbstätigkeit auszuüben und, wenn er ohne Beschäftigung ist, sich um eine solche zu bemühen und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen. Gemäß § 287b InsO besteht diese Erwerbsobliegenheit bereit ab Eröffnung 1282 des Verfahrens in den ab dem 1.7.2014 beantragten Verfahren. Auch in den Verfahren, die bis zum 30.6.2014 beantragt wurden, ist mittelbar eine solche Erwerbsobliegenheit für das eröffnete Verfahren abzuleiten, wenn dem Schuldner die Verfahrenskosten gestundet wurden (vgl. § 4c Nr. 4 InsO). Ob eine vom Schuldner ausgeübte Tätigkeit angemessen und zumutbar ist, ist 1283 nach den persönlichen Voraussetzungen des einzelnen zu beurteilen. Abzu313

E. Die Wohlverhaltensperiode/Restschuldbefreiungsphase

stellen ist auf die Ausbildung und bisherige Berufstätigkeit sowie die persönlichen Verhältnisse. Zudem sind der Umfang der Tätigkeit und die Höhe des erzielten Einkommens maßgebliche Richtgrößen. 1284 Ist der Schuldner erwerbslos, muss er sich um eine Erwerbstätigkeit bemühen. Der BGH setzt hierfür mit zwei bis drei Bewerbungen pro Woche strenge Maßstäbe an.844) 1285 Ein Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit wird nicht angenommen bei: x

Einer tatsächlich fehlenden Möglichkeit zur Erzielung pfändbarer Einkünfte;845)

x

einer sehr geringen Möglichkeit, eine über eine Halbtagstätigkeit hinausgehende Tätigkeit zu finden;846)

x

Aufnahme eines Erststudiums im zeitlich üblichen Rahmen nach dem Abitur;847)

x

Fortsetzung einer schon seit Jahren auf ärztlichen Rat praktizierten Teilzeittätigkeit.848)

1286 Ein Verstoß liegt dagegen vor bei: x

Wahl der Steuerklasse V durch eine verheiraten Schuldner ohne sachlichen Grund, da durch das sich hierdurch ergebende niedrige Pfändungsnetto kein pfändbarer Betrag erzielt wird;849)

x

fehlendem Nachweis über das Bemühen um eine Beschäftigung;850)

x

fehlendem Bemühen um eine Vollzeitbeschäftigung, wenn lediglich eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wird.851)

3. Herausgabe des Vermögens, das von Todes wegen erworben wird (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO) 1287 Eine weitere Obliegenheit des Schuldners normiert § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO, dass der Schuldner Vermögen, das er von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht erwirbt, zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herauszugeben hat. ___________ 844) 845) 846) 847) 848) 849) 850) 851)

314

BGH, Beschl. v. 13.9.2012 – IX ZB 191/11, ZInsO, 2012, 1958. BGH, Beschl. v. 22.10.2009 – IX ZB 160/09, ZInsO 2009, 2210. BGH, Beschl. v. 5.4.2006 – IX ZB 50/05, ZInsO 2006, 547. AG Göttingen, Beschl. v. 19.2.2002 – 4 IK 175/00, ZInsO 2002, 385. AG Regensburg, Beschl. v. 20.4.2004 – 2 IN 217/02, ZInsO 2004, 692. BGH, Beschl. v. 5.3.2009 – IX ZB 2/07, ZInsO 2009, 734. BGH, Beschl. v. 27.4.2010 – IX ZB 267/08, NZI 2010, 693. BGH, Beschl. v. 14.1.2010 – IX ZB 242/06), ZInsO 2010, 393.

III. Obliegenheiten des Schuldners

Zur Erfüllung dieser Obliegenheit muss der Schuldner, ist er Mitglied einer 1288 Erbengemeinschaft, die Auseinandersetzung beitreiben; die Übertragung des Erbanteils ist nicht ausreichend.852) Das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft hingegen bleibt als höchstpersön- 1289 liches Recht beim Schuldner und stellt bei Ausübung keinen Obliegenheitsverstoß dar.853) Kein Verstoß liegt hingegen vor bei dem Verzicht auf die Geltendmachung 1290 eines vor Aufhebung oder in der Wohlverhaltensperiode angefallenen Pflichtteilsanspruches oder Vermächtnisse.854) 4. Auskunftspflicht (§ 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO) Gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat der Schuldner unverzüglich, d. h. ohne 1291 schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB), jeden Wohnsitz- und Arbeitsplatzwechsel dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen. Ein Verstoß gegen diese Obliegenheit wird bereits bei einer Mitteilung des Wohnsitzwechsels nach mehr als zwei Wochen bejaht.855) Darüber hinaus darf er keine von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge 1292 und kein Vermögen, das er von Todes wegen erwirbt, verheimlichen. Auf Verlangen muss er dem Gericht und dem Treuhänder Auskunft über seine 1293 Erwerbstätigkeit oder seine Bemühungen um eine solche sowie über seine Bezüge und sein Vermögen erteilen. 5. Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO) Der Schuldner hat gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO Zahlungen zur Befriedigung 1294 der Insolvenzgläubiger nur an den Treuhänder zu leisten und keinem Insolvenzgläubiger einen Sondervorteil zu verschaffen. Die Vorschrift ist Ausfluss des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes, der 1295 sich über das eröffnete Verfahren hinaus bis in die Wohlverhaltensperiode hinein erstreckt. Zahlungen aus dem unpfändbaren Vermögen sollen keinen Verstoß gegen die Obliegenheiten begründen.856)

___________ 852) Beschl. v. 10.1.2013 – IX ZB 163/11, ZVI 2013, 114. 853) LG Mainz, Beschl. v. 23.4.2003 – 8 T 79/03, ZInsO 2003, 525. 854) BGH, Beschl. v. 18.12.2008 – IX ZB 249/07), ZInsO 2009, 299; BGH, Beschl. v. 25.6.2009 – IX ZB 196/08, ZInsO 2009, 1461; BGH, Beschl. v. 10.3.2011 – IX ZB 168/09, InsbürO 2011, 187. 855) BGH, Beschl. v. 11.2.2010 – IX ZA 46/09, NZI 2010, 39. 856) AG Göttingen, Beschl. v. 5.8.2005 – 74 IN 162/04, ZInsO 2005, 1002.

315

E. Die Wohlverhaltensperiode/Restschuldbefreiungsphase

6. Abführungsobliegenheit selbstständig Tätiger (§ 295 Abs. 2 InsO) 1296 Dem Selbstständigen obliegt die Abführung eines vom ihm selbst zu ermittelnden fiktiven pfändbaren Einkommensanteils (o Kapitel D.V.2.). Diese Beträge hat er unabhängig von der Höhe der tatsächlich erzielten Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit abzuführen. Ist er wegen zu geringer Höhe nicht leistungsfähig, muss er sich um eine angemessene Beschäftigung bemühen.857) 1297 Verwendet der Schuldner den gesamten Jahresüberschusses vermeintlich für Investitionen in den Geschäftsbetrieb ohne nähere Angaben, liegt ein Verstoß gegen die Obliegenheit des § 295 Abs. 2 InsO vor.858)

___________ 857) BGH, Beschl. v. 7.5.2009 – IX ZB 133/07, ZInsO 2009, 1217. 858) BGH, Beschl. v. 18.2.2010 – IX ZB 211/09, ZVI 2010, 317.

316

F. Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe I. Erteilung der Restschuldbefreiung Die Restschuldbefreiung wird gemäß § 300 Abs. 1 InsO durch Beschluss des 1298 Insolvenzgerichts nach Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Treuhänders und des Schuldners erteilt, sofern keine Versagung aus den in diesem Kapitel beschriebenen Gründen ausgesprochen werden muss. Die rechtskräftige Erteilung der Restschuldbefreiung wirkt gemäß § 301 Abs. 1 1299 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger, auch wenn sie ihre Forderungen nicht zur Insolvenztabelle angemeldet haben und soweit die Forderung nicht gemäß § 302 InsO ausgenommen sind (o Rn. 1159 ff.). In Höhe der nicht befriedigten Forderungen werden diese gemäß § 301 Abs. 3 1300 InsO zu sog. unvollkommenen Verbindlichkeiten (Naturalobligationen). Dies bedeutet, dass sie zwar freiwillig erfüllt, nicht aber mehr zwangsweise durchgesetzt werden können; § 201 Abs. 1 InsO gilt nicht. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen kann der Schuldner mit der Vollstreckungsgegenklage begegnen. Die Gläubiger haben keinen Anspruch auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle (§ 201 Abs. 2 Satz 3 InsO). Die Restschuldbefreiung berührt nicht

1301

x

Forderungen von Neugläubigern,

x

Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners,

x

dingliche Sicherheiten der Gläubiger (§ 301 Abs. 2 Satz 1 InsO).

Gemäß § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO berührt die Restschuldbefreiung nicht die 1302 Rechte der Insolvenzgläubiger aus einem Recht, das im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Sicherungsabtretungen begründen zwar grundsätzlich ein Absonderungsrecht gemäß § 51 Nr. 1 InsO. Dieses ist auch insoweit zu berücksichtigen, als durch den Insolvenzverwalter nach Eröffnung pfändbare Beträge einbehalten werden, die aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens resultieren. Die Entstehung eines solchen Absonderungsrechts wird jedoch im Fall der 1303 Vorausabtretung hinsichtlich der ab Eröffnung entstehenden pfändbaren Forderungen wegen § 91 Abs. 1 InsO verhindert, sodass § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO dem Wortlaut nach nicht einschlägig ist (ein Absonderungsrecht ist nicht entstanden). § 91 Abs. 1 InsO regelt „lediglich“ die Unwirksamkeit der Vorausabtretung, 1304 sodass angesichts der vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Konvaleszenz859) mit Wegfall des Insolvenzbeschlags anzudenken ist, ob der Gläubiger sich auf ___________ 859) BGH, Urt. v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12, ZIP 2013, 1181.

317

F. Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe

ein nach Erteilung der Restschuldbefreiung geschütztes dingliches, grundsätzlich der Absonderung fähiges Recht berufen kann. Die Antwort auf diese Frage gibt § 294 Abs. 2 InsO, der bereits auf den Zeitpunkt der Überleitung in die Wohlverhaltensperiode die Nichtigkeit der Vorausabtretung über künftige Entgeltforderungen bestimmt. Nichtige Rechtsgeschäfte sind – im Gegensatz zu unwirksamen – jedoch nicht der Konvaleszenz fähig (vgl. § 185 Abs. 2 Satz 1 BGB), da die Nichtigkeitsfolge eine von vorneherein bestehende, dauerhafte und gegenüber jedermann geltende ist, aus der niemand mehr eine Rechtsfolge herleiten kann. Der aus einer Vorausabtretung Berechtigte kann sich demnach nicht auf eine schützenswerte Rechtsposition nach Erteilung der Restschuldbefreiung berufen und aus dieser Rechtsposition Befriedigungsrechte herleiten. Bereits unter Geltung von § 114 Abs. 1 InsO a. F. ist die Vorausabtretung in ihrer Wirksamkeit auf eine Dauer von zwei Jahren ab Eröffnung begrenzt. Mit der Streichung des § 114 InsO ist die eindeutige Regelung zur zeitlich begrenzten Wirksamkeit nunmehr entfallen. Sofern daraus der Rückschluss gezogen werden sollte, dass die Vorausabtretung in ihrer Wirksamkeit nicht (mehr) berührt wird (vgl. § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO), würde dies nicht zuletzt das Ziel der Restschuldbefreiung völlig unterlaufen, da die Abtretungsgläubiger nach Erteilung der Restschuldbefreiung uneingeschränkt Befriedigung aus den pfändbaren Einkommensanteilen verlangen könnten. Die Forderungen werden durch Erteilung der Restschuldbefreiung zu sog. unvollkommenen Verbindlichkeiten im engeren Sinne (Naturalobligationen), die zwar freiwillig erfüllt, aber nicht durchgesetzt werden können. Die Erfüllung einer Forderung ohne materiellrechtliche Verbindlichkeit kann nicht im Klagewege geltend gemacht werden. Das Ziel und die Wirkungen der Restschuldbefreiung würden nach Auffassung der Verfasserin konterkariert, würden die Abtretungsgläubiger angesichts der nach Erteilung der Restschuldbefreiung fortdauernden Wirksamkeit – bestenfalls volle – Befriedigung ihrer Forderung durch fortlaufenden Einzug der pfändbaren, abgetretenen Einkommensanteile suchen können. Es bleibt jedoch zu vermuten, dass hinsichtlich dieser Frage nur im Wege der Rechtsprechung Klarheit geschaffen werden kann. 1305 Gemäß § 303 Abs. 1 InsO kann auf Antrag eines Insolvenzgläubigers die Erteilung der Restschuldbefreiung widerrufen werden. 1306 Der Antrag ist nur binnen einer einjährigen Notfrist nach Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung zulässig. Der Gläubiger muss das Vorliegen der Voraussetzungen des § 303 Abs. 1 InsO glaubhaft machen. Zudem muss er zur freien Überzeugung des Gerichts darlegen, dass er vor der Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung keine Kenntnis von dem Obliegenheitsverstoß des Schuldners hatte. II. Ausgenommene Forderungen 1307 Die Restschuldbefreiung berührt gemäß § 302 InsO nicht: x

318

Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (Deliktsforderungen, § 302 Nr. 1 InsO),

III. Vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung und Verkürzungsmöglichkeiten

x

Verbindlichkeiten aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat (§ 302 Nr. 1 InsO),

x

Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373, 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist (§ 302 Nr. 1 InsO),

x

Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten (§ 302 Nr. 2 InsO),

x

Verbindlichkeiten aus zinslosen Darlehen, die dem Schuldner zur Begleichung der Kosten des Insolvenzverfahrens gewährt wurden (§ 302 Nr. 3 InsO).

Der Gläubiger hat die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechts- 1308 grundes nach § 174 Abs. 2 InsO anzumelden. Forderungen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners (Deliktsforderungen) werden von der Restschuldbefreiung nicht erfasst, sofern der Gläubiger im Rahmen der Forderungsanmeldung gemäß § 174 Abs. 2 InsO zudem die Tatsachen angegeben hat, aus denen nach seiner Einschätzung folgt, dass es sich um eine deliktische Forderung handelt, und der Schuldner diesem Vortrag nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts, dass eine Deliktsforderung angemeldet wurde (§ 175 Abs. 2 InsO), nicht gemäß § 178 Abs. 1 InsO widersprochen hat. Bei einem Widerspruch des Schuldners gegen den Deliktscharakter kann der Gläubiger in einem zivilgerichtlichen Feststellungsstreit außerhalb des Insolvenzverfahrens die Deliktseigenschaft der Forderung durchsetzen (§ 201 Abs. 2 InsO). Je nach Feststellung in diesem Prozess ist die Forderung von der Restschuldbefreiung erfasst oder gemäß § 302 Nr. 1 InsO ausgenommen. Der Prozess hat i. Ü. keine weiteren Auswirkungen auf den Fortgang des Insolvenzverfahrens. Die Deliktseigenschaft ist unabhängig von der Frage der Begründetheit der 1309 Forderung zu beurteilen. Die Forderung kann also in voller Höhe zur Tabelle festgestellt worden und im Rahmen der Verteilung berücksichtigt worden sein, ohne dass die Deliktseigenschaft hierauf Einfluss hätte. Letztere betrifft lediglich die Frage der Erfassung von der Restschuldbefreiung. Zur Vollstreckung von Deliktsforderungen aufgrund eines Tabellenauszugs siehe (o Kapitel D.VIII.6.). III. Vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung und Verkürzungsmöglichkeiten 1. Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 Die Laufzeit der Abtretungserklärung beginnt mit Eröffnung des Insolvenz- 1310 verfahrens und dauert insgesamt regelmäßig sechs Jahre. Vor Aufhebung des eröffneten Verfahrens kündigt das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung an (§ 291 InsO).860) ___________ 860) BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, ZIP 2006, 1651.

319

F. Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe

1311 Eine vorzeitige Erlangung der Restschuldbefreiung ist auf Antrag des Schuldners möglich mit Zustimmung aller Gläubiger (§ 213 InsO) oder in Verfahren, in denen kein Gläubiger seine Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet hat, wenn die Verfahrenskosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten gedeckt sind bzw. wenn später in der Wohlverhaltensphase feststeht, dass sämtliche Gläubiger befriedigt wurden und die Kosten in voller Höhe getilgt sind.861) Auf Antrag des Schuldners ist die Wohlverhaltensphase vorzeitig zu beenden und die Restschuldbefreiung auszusprechen, wenn der Schuldner mit allen Insolvenzgläubigern, die Forderungen zur Tabelle angemeldet haben, in der Wohlverhaltensperiode einen Vergleich schließt und die Ansprüche dieser Gläubiger danach durch Teilzahlung und Teilerlass erloschen sind, sofern er belegt, dass die Verfahrenskosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten getilgt sind.862) Gleiches muss auch gelten, wenn der Schuldner während der Wohlverhaltensphase alle zur Insolvenztabelle festgestellten Forderungen einschließlich der Verfahrenskosten durch Zahlung getilgt hat. 2. Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 1312 In Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 bietet § 300 InsO Möglichkeiten zur Verkürzung in den normierten Fällen. 1313 Gemäß § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO kann der Schuldner die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung beantragen, wenn die Verfahrenskosten berichtigt sind und infolge Befriedigung oder mangels Anmeldung kein Insolvenzgläubiger (mehr) existent ist sowie die sonstigen Masseverbindlichkeiten befriedigt sind. Frühester Zeitpunkt (keine Anmeldungen) ist wohl der Ablauf der Anmeldefrist (§ 28 InsO). Dem Verständnis von „keine Anmeldung“ steht es gleich, wenn sämtliche angemeldeten Forderungen bestritten wurden (und die Feststellung nicht verfolgt wird). 1314 Die Vorschrift ist wohl so zu lesen, dass die Verfahrenskosten aus der vorhandenen Masse bzw. infolge einer freiwilligen Zahlung des Schuldners zur Masse gedeckt sind. Ohne eine Auskunft des Insolvenzverwalters über die Höhe der Verfahrenskosten und die Höhe des vorhandenen Massebestandes wird es dem Schuldner kaum möglich sein, zu beurteilen, ob ein Verkürzungsantrag erfolgversprechend ist. Sind keine Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten offen, kann dem Schuldner die vorzeitige Restschuldbefreiung nur erteilt werden, wenn er tatsächlich die Verfahrenskosten berichtigt hat und ihm nicht nur Verfahrenskostenstundung erteilt wurde.863) Als Argument wird angeführt, dass ein Anreiz geschaffen werden solle, die Verfahrenskosten aufzubringen und auf diese Weise die Staatskasse zu entlasten.864) Die ___________ 861) 862) 863) 864)

320

BGH, Beschl. v. 17.3.2005 – IX ZB 214/04, NZI 2005, 399. BGH, Beschl. v. 29.9.2011 – IX ZB 219/10, NZI 2011, 947. BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 29/16, ZIP 2016, 91 m. w. N. BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 29/16, ZIP 2016, 91 m. w. N.

III. Vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung und Verkürzungsmöglichkeiten

Wirtschaftlichkeit eines solchen Verfahrens, an dem keine Gläubiger teilnehmen, ist höchst fraglich, da dieses auch als Belastung der Staatskasse angesehen werden kann, insbesondere, wenn die Kosten nach einer weiteren vierjährigen Nachhaftungsphase (§ 4b InsO) niedergeschlagen werden, weil der Schuldner nach wie vor mittellos ist. In der Literatur wird daher der Vorschlag vertreten, auf die Bestellung eines Treuhänders für die Wohlverhaltensperiode zu verzichten, wenn in einem Verfahren keine Forderungsanmeldung erfolgt ist.865) Das Insolvenzgericht kann dem BGH folgen und die Verfahren auch ohne Gläubigerbeteiligung fortsetzen. Alternativ besteht die Möglichkeit, dem BGH nicht zu folgen und die Berichtigung der Verfahrenskosten auch durch die bewilligte Stundung annehmen, was – mangels vorhandener Gläubiger – nach § 300 Abs. 4 InsO wahrscheinlich nicht angegriffen werden wird.866) Zum Teil wird auch der Literaturmeinung gefolgt, sich auf ein treuhänderloses Verfahren einzulassen,867) das zwar einen Teil der Kosten einspart, einer rechtlichen Grundlage aber entbehrt. Gemäß § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO kann der Schuldner die vorzeitige Er- 1315 teilung der Restschuldbefreiung beantragen, wenn drei Jahre der Abtretungsfrist verstrichen sind und die Insolvenzgläubiger mit mindestens 35 % Quote befriedigt werden können. Das insolvenzrechtliche Verständnis der Befriedigungsreihenfolge fordert, dass die Verfahrenskosten gedeckt sind und die sonstigen Masseverbindlichkeiten beglichen werden können (vgl. § 53 InsO). Bereits der Wortlaut der Norm („drei Jahre der Abtretungsfrist verstrichen 1316 sind“) lässt darauf rückschließen, dass der Gesetzgeber für das Vorliegen der Voraussetzungen eine Stichtagslösung normiert hat. Der Schuldner hat das Vorliegen der Voraussetzungen zum Stichtag glaubhaft zu machen. Eine Antragstellung vor diesem Stichtag wird also bereits daran scheitern, dass die Glaubhaftmachung von Tatsachen vorzeitig nicht gelingen kann. Ein Antrag nach dem Stichtag ist jederzeit zulässig; der Schuldner muss bei einem später gestellten Antrag das Vorliegen der Voraussetzungen stichtagsbezogen glaubhaft machen. Eine aktive Hinweispflicht des Insolvenzverwalters ist nach hiesiger Auffassung 1317 abzulehnen, da dies unzulässig Rechtsberatung darstellen würde und mit der Doppeltreuhandstellung des Insolvenzverwalters nicht vereinbar wäre. Bejaht wird indes ein Anspruch des Schuldners gegen den Insolvenzverwalter auf Erteilung der Informationen, welche er zur Glaubhaftmachung seines Antrags braucht. Zur Berechnung der Quote ist der Schuldner neben einer Auskunft zu den 1318 Verfahrenskosten (oKapitel D.VII.) darauf angewiesen, einen Überblick über die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen (nebst Prüfergebnissen) vom Insolvenzverwalter zu erhalten. Diese Informationen sind relativ verbind___________ 865) Vgl. Erdmann, ZInsO 2007, 873; Laroche, ZInsO 2016, 144; krit. Weiland, VIA 2016, 41. 866) Schmerbach, NZI 2016, 1007; AG Göttingen, Beschl. v. 5.5.2017 – 74 IK 97/16, NZI 2017, 531. 867) Laroche, ZInsO 2016, 144.

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F. Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe

lich zu erteilen, wenn der Stichtag (3 Jahre) im Abschnitt des Restschuldbefreiungsverfahrens liegt, da zu diesem Zeitpunkt bereits die Gerichtskostenrechnung vorliegt, die Vergütung des Insolvenzverwalters festgesetzt wurde und auch das Schlussverzeichnis steht. Ein gewisses Maß an Unverbindlichkeit kann der Vergütungsanspruch des Treuhänders sein. Liegt der Stichtag (3 Jahre) im Hauptverfahren, kann eine Auskunft des Insolvenzverwalters im Hinblick auf die Verfahrenskosten nur „vorbehaltlich der Gerichtskostenrechnung und der Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalters“ sowie „vorbehaltlich etwaiger Forderungsnachmeldungen“ erteilt werden. 1319 Problematisch kann die Prüfung und auch die Erreichung der 35 % Quote werden, wenn die Deckungsquote durch Drittmittel finanziert werden soll, da diese wegen des Erfordernisses der Verfahrenskostendeckung gezahlt sein müssen, in diesem Moment aber die Masse und damit die Berechnungsgrundlage der Gerichtskosten und der Vergütung des Insolvenzverwalters erhöhen („Aufschaukeleffekt“). 1320 Gemäß § 300 Abs. 2 InsO ist zudem vom Schuldner ein Herkunftsnachweis bzgl. der Befriedigungsmittel, die nicht der Abtretungserklärung unterfallen, zu erbringen. 1321 Gemäß § 300 Abs. 2 Nr. 3 InsO kann der Schuldner nach Ablauf von fünf Jahren Abtretungsfrist (ab Eröffnung des Verfahrens) die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung beantragen, wenn die Verfahrenskosten „berichtigt“, d. h. gedeckt sind. 1322 Auch diesbezüglich ist das Vorliegen der Voraussetzungen stichtagsbezogen glaubhaft zu machen, so dass bereits deswegen eine Antragstellung vor dem Stichtag ausscheiden dürfte. Eine Antragstellung zu einem späteren Zeitpunkt unter Glaubhaftmachung der Tatsache, dass die Voraussetzungen zum Stichtag vorliegen ist zulässig. 1323 Eine weitere Möglichkeit zur frühzeitigen Erlangung der Restschuldbefreiung ist zudem das Insolvenzplanverfahren, welches auch in Verbraucherinsolvenzverfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 zulässig ist. Dem Insolvenzplanverfahren ist ein eigenes Kapitel in diesem Buch gewidmet (o Kapitel G.). IV. Versagung der Restschuldbefreiung und die Konsequenzen der Versagung 1. Hauptverfahren (§ 290 InsO) § 290 InsO

1324

Die Restschuldbefreiung ist durch Beschluss zu versagen, wenn dies von einem Insolvenzgläubiger, der seine Forderung angemeldet hat, beantragt worden ist und wenn 1.

322

der Schuldner in den letzten fünf Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag wegen einer Straftat nach den §§ 283 – 283c des Strafgesetzbuchs rechtskräftig zu einer Geld-

IV. Versagung der Restschuldbefreiung und die Konsequenzen der Versagung strafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist, 2.

der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden,

3.

(weggefallen)

4.

der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, dass er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet oder ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert hat,

5.

der Schuldner Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten nach diesem Gesetz vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat,

6.

der Schuldner in der nach § 287 Absatz 1 Satz 3 vorzulegenden Erklärung und in den nach § 305 Absatz 1 Nummer 3 vorzulegenden Verzeichnissen seines Vermögens und seines Einkommens, seiner Gläubiger und der gegen ihn gerichteten Forderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat,

7.

der Schuldner seine Erwerbsobliegenheit nach § 287b verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt; dies gilt nicht, wenn den Schuldner kein Verschulden trifft; § 296 Absatz 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(2) 1Der Antrag des Gläubigers kann bis zum Schlusstermin oder bis zur Entscheidung nach § 211 Absatz 1 schriftlich gestellt werden; er ist nur zulässig, wenn ein Versagungsgrund glaubhaft gemacht wird. 2Die Entscheidung über den Versagungsantrag erfolgt nach dem gemäß Satz 1 maßgeblichen Zeitpunkt. (3) Gegen den Beschluss steht dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger, der die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt hat, die sofortige Beschwerde zu. Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen.

Bei einem Verstoß gegen die Obliegenheiten läuft der Schuldner Gefahr, dass 1325 die Restschuldbefreiung versagt wird. Voraussetzung für die Erlangung der Restschuldbefreiung ist demnach ein redliches Verhalten des Schuldners (§ 1 Satz 2 InsO). § 290 InsO definiert einen abschließenden Katalog von Versagungstatbe- 1326 ständen für das Hauptverfahren (eröffnetes Verfahren). Eine Versagung der Restschuldbefreiung bedarf zu den Tatbeständen des § 290 1327 InsO stets eines dahingehenden Gläubigerantrags. Das Vorliegen des Versagungsgrundes ist glaubhaft zu machen.

323

F. Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe

1328 In Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 kann dieser nur im Schlusstermin gestellt werden. Danach können Versagungsanträge bis zum Ablauf der Wohlverhaltensperiode nur noch auf die §§ 295 ff. InsO gestützt werden. 1329 Wurde der Eröffnungsantrag ab dem 1.7.2014 gestellt, können Versagungsgründe gemäß § 290 InsO bis zum Schlusstermin sowie unter den Voraussetzungen des § 297a InsO auch nach Aufhebung/Einstellung (gemäß § 211 InsO) des Verfahrens in der Wohlverhaltensperiode geltend gemacht werden. Voraussetzung einer Versagung gemäß § 297a InsO ist ein Antrag eines Insolvenzgläubigers spätestens sechs Monate nach Kenntnis vom nachträglichen Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 290 Abs. 1 InsO. Der Versagungsgrund und der Zeitpunkt der Kenntniserlangung sind glaubhaft zu machen. 1330 Die Versagungsgründe haben durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte868) eine inhaltliche Änderung erfahren. Einen Überblick über die Änderungen gibt die nachfolgende Aufstellung: Norm

Änderungen mit Geltung für ab dem 1.7.2014 beantragte Verfahren

§ 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO

Erheblichkeitsschwelle: Verurteilung zu mehr als 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten innerhalb der letzten 5 Jahre vor Antragstellung

§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO

Unverändert

§ 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO

Weggefallen; vgl. aber Eingangsentscheidung als Zulässigkeitsvoraussetzung (§ 287a InsO)

§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO

Verlängerte Frist: 3 Jahre

§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO

Erweiterung: Verstöße im Eröffnungsverfahren

§ 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO

Erweiterung: Falschangaben gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 InsO über die Unzulässigkeitsgründe gemäß § 287a Abs. 2 InsO

§ 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO

Neuer Tatbestand: Verstöße gegen Erwerbsobliegenheit im Hauptverfahren (eröffnetes Verfahren; § 287b InsO)

___________ 868) Siehe BGBl I 2013, 2379.

324

IV. Versagung der Restschuldbefreiung und die Konsequenzen der Versagung

Das Vorliegen von Versagungsgründen hat ebenfalls Einfluss auf die Frage der 1331 Verfahrenskostenstundung bzw. -aufhebung (vgl. § 4a InsO bzw. § 4c InsO). Wird bei Vorliegen eines der genannten Versagungsgründe die Stundung nicht bewilligt oder aufgehoben, ist ein erneuter Stundungsantrag im selben Verfahren unzulässig. a) Insolvenzstraftaten (§ 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO) In den bis zum 30.6.2014 beantragten Verfahren setzt eine Versagung gemäß 1332 § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Rechtskraft des Strafurteiles voraus, wobei ein konkreter Bezug zum Insolvenzverfahren gefordert ist. Eine Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß § 59 StGB stellt eine Verurteilung nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar. Zu beachten sind die Tilgungsfristen des § 46 Abs. 1 BZRG, da eine Verurteilung nicht berücksichtigt wird, wenn Tilgungsreife bereits im Zeitpunkt des Eröffnungsantrages eingetreten war. In Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 sind die Tilgungsfristen des 1333 BZRG nicht mehr relevant. Stattdessen wurde die Erheblichkeitsschwelle eingefügt, wonach Verurteilungen von mehr als 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten als Versagungsgrund beachtlich sind, wenn sie innerhalb der letzten fünf Jahre vor Antragstellung erfolgten, gerechnet vom Zeitpunkt der Rechtskraft an. Auch eine Verurteilung nach dem Eröffnungsantrag und nach Eröffnung stellt einen Versagungsgrund gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar. Die rechtkräftige Verurteilung muss bei Geltendmachung des Versagungsgrundes vorliegen; in Anbetracht des Wirkungsrahmens des § 290 Abs. 1 InsO ist eine rechtskräftige Verurteilung nach dem Schlusstermin keine Grundlage für einen Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO (vgl. § 290 Abs. 2, 297a Abs. 1 InsO). Erfolgt die rechtskräftige Verurteilung in dem Zeitraum zwischen Schlusstermin und Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder in dem Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist, verfängt § 297 InsO. b) Unrichtige oder unvollständige Angaben (§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO) Falschangaben oder unvollständige Angaben des Schuldners begründen dann 1334 eine Versagung nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wenn der Schuldner diese (subjektiv) mit dem Ziel, Leistungen zu erhalten oder zu vermeiden, innerhalb von drei Jahren vor Antragstellung gemacht hat. Ein Verstoß liegt z. B. vor bei: x

1335

Vorsätzlich oder grob fahrlässigen Falschangaben/unvollständigen Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen in der Zeit zwischen Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Schlusstermin, um einen Kredit zu erhalten, Leis-

325

F. Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe

tungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder Leistungen an öffentlichen Kassen zu vermeiden;869) x

unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Schuldners zu den wirtschaftlichen Verhältnissen einer Personengesellschaft, für deren Verbindlichkeiten er unbeschränkt haftet;870)

x

nicht mitgeteilter Nebentätigkeit.871)

1336 Das Vorliegen eines Verstoßes wird dagegen z. B. verneint: x

Wenn bei einer Einkommenssteuerklärung die Unrichtigkeit nicht feststeht, sondern nur auf Schätzungen des Finanzamtes beruht;872)

x

bei Falschangaben zur Auszahlung des Rückkaufswertes einer Lebensversicherung.873)

c) Sperrfrist (§ 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO a. F.) 1337 § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist nur anzuwenden auf Verfahren, die bis zum 30.6.2014 beantragt wurden. Danach ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt oder nach §§ 296 oder 297 InsO versagt worden ist. 1338 Der BGH nimmt eine analoge Anwendung an für Verfahren, in denen die Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO versagt wurde und begrenzt die Sperrfrist für einen erneuten Restschuldbefreiungsantrag auf drei Jahre.874) 1339 In den Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 sind die Sperrfristen nunmehr in der Eingangsentscheidung gemäß § 287a InsO niedergelegt unter teilweiser Kodifizierung der „Sperrfrist-Rechtsprechung“ des BGH. d) Begründung unangemessener Verbindlichkeiten und Vermögensverschwendung (§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO) 1340 In der Praxis hat die Vorschrift nur in Einzelfällen Bedeutung, da eine Versagung regelmäßig an der Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung scheitert. Für Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 ist die Frist auf drei Jahre verlängert worden. ___________ 869) 870) 871) 872) 873) 874)

326

BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 260/10, ZVI 2012, 78. BGH, Beschl. v. 11.9.2003 – IX ZB 37/03, ZVI 2003, 538. LG Stuttgart, Beschl. v. 9.1.2001 – 19 T 394/00, NZI 2001, 38. BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – ZB 29/04, ZVI 2006, 162. LG Düsseldorf, Beschl. v. 6.1.2009 – 25 T 810/08, ZVI 2009, 125. BGH; Beschl. v. 16.7.2009 – IX ZB 219/08, ZVI 2009, 422.

IV. Versagung der Restschuldbefreiung und die Konsequenzen der Versagung

e) Verletzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten sowie Falschangaben (§ 290 Abs. 1 Nr. 5, 6 InsO) Der Schuldner ist zur umfassenden Mitwirkung und vollständigen Auskunfts- 1341 erteilung im eigenen Interesse verpflichtet, da er andernfalls Gefahr läuft, dass die Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 oder Nr. 6 InsO versagt wird. Der Schuldner ist verpflichtet, ohne besondere Nachfrage Angaben zu allen 1342 möglicherweise bedeutsamen Umständen zu machen.875) Ein Verstoß ist z. B. anzunehmen bei:

1343

x

Verschleiern der Einkommensverhältnisse,876)

x

Verschweigen eines Bankkontos877) oder ausländischen Grundvermögens,878)

x

der Nichtangabe von Einkünften auch unterhalb der Pfändungsfreigrenze,879)

x

Nichtangabe eines Gläubigers im Eröffnungsantrag,880)

x

Nichtabführung pfändbarer, an den Schuldner ausgezahlter Einkommensanteile,881)

x

unterlassener Information über Aufnahme einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit.882)

Ein Verstoß liegt z. B. nicht vor bei: x

Unklarer Fragestellung,883)

x

Angabe einer streitigen Forderung als wertlos,884)

x

Aufgabe einer Arbeitsstelle.885)

1344

f) Erwerbsobliegenheit (§ 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO) In den Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 ist die Verletzung der 1345 Erwerbsobliegenheit im eröffneten Verfahren (§ 287b InsO) ein Grund, die Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO zu versagen. Es dürften ___________ 875) 876) 877) 878) 879) 880) 881) 882) 883) 884) 885)

BGH, Beschl. v. 13.1.2011 – IX ZB 163/10, ZInsO 211, 396. BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 277/03, ZVI 2005, 276. BGH, Beschl. v. 19.5.2011 – IX ZB 142/11, ZInsO 2011, 1223. BGH, Beschl. v. 17.3.2005 – IX ZB 260/03, ZVI 2005, 641. BGH, Urt. v. 7.3.2002 – ZR 12/01, ZIP 2002, 761. BGH, Beschl. v. 9.10.2008 – IX ZB 212/07, ZIP 2008, 2276. BGH, Beschl. v. 31.7.2013 – IX ZA 37/12, ZVI 2013, 491. BGH, Beschl. v. 15.10.2009 – IX ZB 70/09, ZInsO 209, 2162. BGH, Beschl. v. 5.6.2008 – IX ZB 37/06, ZVI 2008, 395. BGH, Beschl. v. 12.6.2008 – IX ZB 205/07, ZVI 2008, 515. AG Regensburg, Beschl. v. 6.7.2004 – 2 IN 337/02, ZVI 2004, 423.

327

F. Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe

die zu § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO geltenden Grundsätze auch auf das eröffnete Verfahren anzuwenden sein. g) Abführungspflicht (§ 295 Abs. 2 InsO) 1346 Zur Abführungspflicht eines Selbstständigen wurde bereits zuvor wegen des Sachzusammenhangs ausgeführt; auf entsprechende Darlegungen wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (oKapitel D.V.2). 2. Restschuldbefreiungsphase (§§ 295 ff. InsO) a) Versagung gemäß § 296 InsO § 296 Abs. 1 InsO Verstoß gegen Obliegenheiten

1347

Das Insolvenzgericht versagt die Restschuldbefreiung auf Antrag eines Insolvenzgläubigers, wenn der Schuldner in dem Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist eine seiner Obliegenheiten verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt; dies gilt nicht, wenn den Schuldner kein Verschulden trifft. 2Der Antrag kann nur binnen eines Jahres nach dem Zeitpunkt gestellt werden, in dem die Obliegenheitsverletzung dem Gläubiger bekanntgeworden ist. 3Er ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 glaubhaft gemacht werden.

1348 Verstößt der Schuldner in der Wohlverhaltensphase gegen die in § 295 InsO aufgeführten Obliegenheiten, versagt das Insolvenzgericht auf Antrag eines Insolvenzgläubigers die Restschuldbefreiung (§ 296 InsO) mit der Folge, dass das Verfahren vorzeitig beendet ist (§ 299 InsO). 1349 Die Antragstellung kann nur binnen Jahresfrist ab Kenntnis des Versagungsgrundes erfolgen. Bei Selbstständigen kann oft erst am Ende der Wohlverhaltensphase sicher festgestellt werden, ob ein Obliegenheitsverstoß vorliegt. Deswegen müssen auch nach dieser Ansicht die Gläubiger regelmäßig berechtigt sein, den Versagungsantrag unabhängig von einer vorherigen Kenntnis von der Nichtabführung einzelner Beträge erst am Ende der Treuhandphase zu stellen, auch wenn die Zahlungsobliegenheit aus § 295 Abs. 2 InsO schon während der laufenden Treuhandphase besteht.886) Die Obliegenheitsverletzung muss der Schuldner zudem schuldhaft begangen haben. Die Verletzung muss darüber hinaus kausal für eine Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung sein. 1350 Der Gläubiger muss in seinem Antrag glaubhaft (§ 294 ZPO) machen: x

Die Obliegenheitsverletzung gemäß § 295 InsO,

x

die Kausalität der Obliegenheitsverletzung für die Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung,

x

den Zeitpunkt der Kenntniserlangung.

___________ 886) BGH, Beschl. v. 19.5.2011 – IX ZB 224/09, ZVI 2011, 305.

328

IV. Versagung der Restschuldbefreiung und die Konsequenzen der Versagung

Zu Glaubhaftmachung kann eine Bezugnahme auf einen Bericht des Treu- 1351 händers ausreichend sein.887) Der teilzeitbeschäftigte Schuldner muss sich grundsätzlich in gleicher Weise 1352 wie der erfolglos selbständig tätige und der erwerbslose Schuldner um eine angemessene Vollzeitbeschäftigung bemühen.888) Eine Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung ist nur dann anzunehmen, 1353 wenn „bei wirtschaftlicher Betrachtung eine konkret messbare Schlechterstellung der Gläubiger wahrscheinlich ist“.889) Im Fall des § 295 Abs. 2 InsO genügt der Gläubiger seiner Pflicht zur Glaub- 1354 haftmachung der Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger bereits dann, wenn er darlegt, dass der Schuldner an den Treuhänder nicht den Betrag abgeführt hat, den er bei Ausübung einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit hätte abführen müssen.890) Gibt das Insolvenzgericht dem Schuldner gemäß § 296 Abs. 2 Satz 1 InsO nur Gelegenheit, sich zum Versagungsantrag des Gläubigers zu äußern, handelt es sich bei der Stellungnahme des Schuldners nicht um eine Auskunft nach § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO.891) Eine Versagung der Restschuldbefreiung wegen nicht fristgerecht abgegebener eidesstattlicher Versicherung setzt voraus, dass der Schuldner zuvor eine Auskunft über die Erfüllung seiner Obliegenheiten gemäß § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO erteilt hat und der Schuldner vom Gericht aufgefordert wird, die Richtigkeit bestimmter Auskünfte an Eides statt zu versichern.892) Der BGH hält die Rolle des Treuhänders nicht für absolut neutral. Der 1355 Treuhänder darf die Insolvenzgläubiger von Umständen unterrichten, welche die Versagung der Restschuldbefreiung begründen können, auch wenn ihm diese Aufgabe nicht eigens übertragen worden ist.893) b) Versagung gemäß § 297 InsO Wird der Schuldner zwischen Schlusstermin und Aufhebung des Insolvenz- 1356 verfahrens oder zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist wegen einer Insolvenzstraftat rechtskräftig verurteilt, kann die Restschuldbefreiung auf Antrag eines Insolvenzgläubigers versagt werden.

___________ 887) 888) 889) 890) 891) 892) 893)

BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZB 183/07, ZVI 2009, 41. BGH, Beschl. v. 1.3.2018 – IX ZB 32/17, NZI 2018, 359. BGH, Beschl. v. 24.6.2010 – IX ZB 283/09, ZInsO 2010, 1456 m. w. N. BGH, Beschl. v. 4.2.2016 – IX ZB 13/15, NZI 2016, 269. BGH, Beschl. v. 4.2.2016 – IX ZB 13/15, NZI 2016, 269. BGH, Beschl. v. 4.2.2016 – IX ZB 13/15, NZI 2016, 269. BGH, Beschl. v. 1.7.2010 – IX ZB 84/09, ZVI 2010, 356.

329

F. Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe

1357 Der Antrag kann nur binnen Jahresfrist ab Bekanntwerden und unter Glaubhaftmachung der Voraussetzungen gestellt werden (§ 297 Abs. 2, 296 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO). 1358 In Verfahren mit Antragstellung bis zum 30.6.2014 sind die Tilgungsfristen des § 46 Abs. 1 BZRG maßgeblich (§ 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Wurde der Eröffnungsantrag ab dem 1.7.2014 gestellt, ist statt auf die Tilgungsfristen auf das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle (Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten) abzustellen. c) Versagung gemäß § 298 InsO 1359 § 298 InsO normiert die einzige Möglichkeit für eine Versagung der Restschuldbefreiung auf Antrag des Treuhänders. Wurde für den Verfahrensabschnitt des Restschuldbefreiungsverfahrens keine Verfahrenskostenstundung (§ 4a InsO) bewilligt, muss die Mindestvergütung für das vorangegangene Jahr der Tätigkeit des Treuhänders (nicht Kalenderjahr!) aus den an diesen abgeführten Beträgen gedeckt sein. Ist dies nicht der Fall, hat der Schuldner den fehlenden Betrag einzuzahlen. 1360 Leistet der Schuldner nicht, obwohl ihn der Treuhänder schriftlich zur Zahlung binnen einer Frist von mindestens zwei Wochen aufgefordert und ihn dabei auf die Möglichkeit der Versagung der Restschuldbefreiung hingewiesen hat, kann der Treuhänder einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung stellen. Vor der Entscheidung ist der Schuldner zu hören. Die Versagung unterbleibt, wenn der Schuldner binnen zwei Wochen nach Aufforderung durch das Gericht den fehlenden Betrag einzahlt oder ihm dieser entsprechend § 4a InsO gestundet wird. 3. Nachträglicher Widerruf der Erteilung der Restschuldbefreiung 1361 Das Insolvenzgericht kann auf Antrag eines Gläubiger innerhalb eines Jahres bzw. im Fall des § 303 Abs. 1 Nr. 3 InsO binnen sechs Monaten nach der Rechtskraft der Restschuldbefreiung die Erteilung widerrufen, wenn sich nach Erteilung der Restschuldbefreiung herausstellt, dass der Schuldner seine Obliegenheitspflichten während der Wohlverhaltensperiode vorsätzlich verletzt hat und hierdurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger erheblich beeinträchtigt wurde. Ein Antrag ist nur unter Glaubhaftmachung der Voraussetzungen zulässig. 1362 Nach dem Widerruf können alle Gläubiger ihre Forderungen wieder nachverfolgen.

330

V. Asymmetrische Verfahren

4. Schaubild Versagungsmöglichkeiten Der Übersichtlichkeit halber soll nachfolgendes Schaubild einen Überblick über 1363 die Versagungsmöglichkeiten geben: Eröffnung/ Beginn der Abtretungsfrist

Ablauf Abtretungsfrist

Schlusstermin Aufhebung

eröffnetes Verfahren

WVP-/RSB-Phase

i. d. R. 6 Jahre

§ 290 Abs. 1 InsO

§ 287b InsO

§ 297a i. V. m. § 290 Abs. 1 InsO

§§ 296, 295 Abs. 1 InsO §§ 296, 295 Abs. 2 InsO

§ 297 InsO

§ 298 InsO

Abb. 7: Versagungsmöglichkeiten

V. Asymmetrische Verfahren Der Regelablauf eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen natürlicher Per- 1364 sonen skizziert sich wie folgt: Nach Eröffnung des Verfahrens wird die insgesamt im Regelfall sechs Jahre dauernde Abtretungsfrist in zwei unterschiedlich lange dauernde Verfahrensabschnitte „geteilt“ – das Hauptverfahren (eröffnetes Verfahren) und das Restschuldbefreiungsverfahren (Restschuldbefreiungsphase/Wohlverhaltensphase). Die Dauer der einzelnen Abschnitte hängt jeweils davon ab, wie zügig eine Verwertung des pfändbaren Vermögens (der Insolvenzmasse, §§ 35, 36 InsO) und eine Klärung der Gläubigerforderung realisierbar sind. Sind diese beiden wesentlichen Punkte abgeschlossen, wird das Verfahren aufgehoben oder eingestellt; die Wohlverhaltensphase schließt sich nahtlos an. In manchen Verfahren ist insbesondere den sich bei der Vermögenswertung 1365 ergebenden Schwierigkeiten geschuldet, dass das Hauptverfahren (eröffnetes Insolvenzverfahren) zum Zeitpunkt des Ablaufes der sechs Jahre noch nicht 331

F. Erteilung der Restschuldbefreiung und Versagungsgründe

aufgehoben ist. Dies führt zu der Situation, dass die Abtretungsfrist von regulär sechs Jahren abgelaufen ist, ohne dass das Hauptverfahren beendet wurde und sich eine Wohlverhaltensphase angeschlossen hat. 1366 Der BGH hat für die bis zum 30.6.2014 beantragten Verfahren bestätigt, dass (spätestens) nach Ablauf der sechs Jahre über die Restschuldbefreiung zu entscheiden ist, auch wenn das Insolvenzverfahren sechs Jahre nach Eröffnung noch nicht abgeschlossen werden kann.894) Nach Erteilung der Restschuldbefreiung steht der nach Ablauf der Abtretungsfrist anfallende pfändbare Neuerwerb dem Schuldner zu.895) Wird die Restschuldbefreiung erteilt, hat der Treuhänder den eingezogenen Neuerwerb, der danach nicht in die Masse gefallen ist, an den Schuldner auszukehren. 1367 Für Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 wurden die vom BGH aufgestellten Grundsätze in § 300a InsO kodifiziert. Vermögen, das der Schuldner nach Ende der Abtretungsfrist erwirbt, gehört nicht mehr zur Insolvenzmasse (§ 300a Abs. 1 Satz 1 InsO). Bis zur rechtskräftigen Erteilung der Restschuldbefreiung hat der Verwalter den Neuerwerb, der dem Schuldner zusteht, treuhänderisch zu vereinnahmen und zu verwalten und ihn bei Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung dem Schuldner herauszugeben sowie über die Verwaltung des Neuerwerbs Rechnung zu legen (§ 300a Abs. 2 InsO). 1368 Interne und externe Rechnungslegung sind hierbei abzugrenzen. Nach Ablauf der (ggf. verkürzten) Abtretungsfrist ist der „Neuerwerb“ nicht Bestandteil der Insolvenzmasse und nach rechtskräftiger Erteilung an den Schuldner auszukehren. Dies gilt im Hauptverfahren unmittelbar gemäß § 300a Abs. 2 Satz 1 InsO, in dem Restschuldbefreiungsverfahren gem. § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO, der auf § 300a Abs. 2 Satz 1 InsO verweist. Die Verwaltung erfolgt insoweit als Treuhänder fremden Vermögens. Der Schuldner ist Adressat der externen Rechnungslegung. In Bezug auf das verwaltete Vermögen ergibt sich ein eigener Vergütungsanspruch gegen den Schuldner (§ 300a Abs. 3 InsO i. V. m. § 293 InsO i. V. m. § 14 InsVV).

___________ 894) BGH, Beschl. v. 3.12.2009 – IX ZB 247/08, ZVI 2010, 68. 895) BGH, Beschl. v. 3.12.2009 – IX ZB 247/08, ZVI 2010, 68.

332

G. Insolvenzplanverfahren I. Insolvenzplan als Sanierungsmöglichkeit Das Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO) bietet die Möglichkeit, das schuld- 1369 nerische Unternehmen bzw. den schuldnerischen Praxisbetrieb zu erhalten und zu sanieren. Der Insolvenzplan ist ein insolvenzrechtliches, strukturiertes Sanierungskonzept mit dem Ziel der Entschuldung durch einen privatautonomen Austauschprozess. Die Beteiligten können in einem Insolvenzplan die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung sowie die Verfahrensabwicklung und die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens abweichend vom Regelinsolvenzverfahren regeln (vgl. § 217 Satz 1 InsO). Ausgangslage für die Einleitung von Sanierungs- und Restrukturierungsmaß- 1370 nahmen ist stets eine positive Fortführungsprognose, die Ertragsfähigkeit sowie die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens. Praxistipp: Vorüberlegungen Insolvenzplanverfahren • Ist der Schuldner selbst zur Fortführung bereit (vgl. § 230 Abs. 1 Satz 1 InsO)? • Ist das Unternehmen/der Praxisbetrieb an sich ertragsfähig? • Ist das Unternehmen/der Praxisbetrieb konkurrenzfähig? • Gibt es andere Sanierungskonzepte, die im Einzelfall eine bessere Option sind (außergerichtliche Sanierung, außergerichtliche übertragende Sanierung, außergerichtliche Liquidierung etc.)?

Je früher die Krise erkannt und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet 1371 werden können, umso erfolgversprechender ist eine geplante Sanierung. Für den Schuldner bietet dies den Vorteil einer frühzeitigen Konsolidierung der Vermögensverhältnisse. Auch für Verbraucher ist in den Verfahren mit Antragstellung ab dem 1.7.2014 1372 die Möglichkeit der Durchführung eines Insolvenzplans eröffnet. Eine vorzeitige Erlangung der Restschuldbefreiung ist demnach – zusätzlich zu den normierten Verkürzungsmöglichkeiten unter den engen Voraussetzungen des § 300 InsO (oKapitel F.III.) – mittels eines Insolvenzplans realisierbar. Bei Freiberuflern ist bei fortgeschrittener Krise die Sanierung mittels eines 1373 Insolvenzplans oft die einzige Möglichkeit, den Praxisbetrieb aufrechtzuerhalten, da die Vermutung des Vermögensverfalles nur durch Vorlage eines Insolvenzplans, der eine realistische und greifbare Möglichkeit darstellt, die Verbindlichkeiten umfassend mit Erteilung der Restschuldbefreiung zu regeln, entkräftet werden kann; andernfalls ist der Zulassungswiderruf oftmals nur eine Frage

333

G. Insolvenzplanverfahren

der Zeit.896) Auch die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO entkräftet nicht das Vorliegen des Vermögensverfalls.897) 1374 Im Insolvenzplanverfahren können grundsätzlich alle rechtlich zulässigen Wege beschritten werden. Ein Insolvenzplan muss nicht zwingend auf die Fortführung eines Unternehmens ausgerichtet sein. Möglich sind auch eine Liquidierung eines Unternehmens, eine übertragende Sanierung oder Mischformen (Teil-Liquidierung/-Übertragung unter Fortführung im Übrigen). Ist der Schuldner nicht selbstständig tätig, kommt ohnehin nur eine geordnete Abwicklung der Altverbindlichkeiten in Frage, wobei der Vorteil des Schuldners darin besteht, frühzeitig einen Neustart zu erreichen; der Vorteil der Gläubiger liegt in einer besseren Befriedigungsaussicht (die Besserstellung der Gläubiger im Vergleich zum Regelverfahrensablauf ist Grundvoraussetzung eines Insolvenzplans). 1375 Der Insolvenzplan ist ein spezifisch insolvenzrechtliches Instrument, mit dem die Gläubigergesamtheit ihre Befriedigung aus dem Schuldnervermögen organisiert. Die Gläubigergemeinschaft hat nicht aus freiem Willen zusammengefunden; sie ist vielmehr eine durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zusammengefügte Schicksalsgemeinschaft. Der Wille einzelner Gläubiger kann durch Mehrheitsentscheidungen überwunden werden.898)Dies zeigt, dass der Insolvenzplan, auch wenn seine Annahme weitgehend auf der Willensübereinkunft der Beteiligten beruht, kein Vertrag im herkömmlichen Sinne ist. Dennoch ist für die Auslegung des Insolvenzplans, soweit nicht sein vollstreckbarer Teil betroffen ist, das individuelle Verständnis derjenigen maßgebend, die ihn beschlossen haben. Für die Auslegung des Planinhalts gelten deswegen §§ 133, 157 BGB.899) 1376 In der ersten Vorbereitungsphase der Ausarbeitung eines Sanierungskonzepts stellt sich stets die Frage, ob und in welcher Form dies nach außen hin kommuniziert wird. Im Wesentlichen stehen sich folgende beiden Optionen gegenüber: x

Möglichst geringe, defensive Außenkommunikation und Durchführung mit wenig bis keiner Vorankündigung, um keine zu lange Bedenken-Zeit zu forcieren.

x

Eine völlig offene und frühzeitige Information aller Beteiligten mit dem Ziel, ein Signal der absoluten Transparenz zu setzen.

___________ 896) 897) 898) 899)

334

Vgl. BGH, Beschl. v. 20.11.2006 – NotZ 26/06, NJW 2007, 1287. Exemplarisch: vgl. BFH, Beschl. v. 20.4.2010 – VII B 235/09, ZInsO 2010, 1138. BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346.

II. Voraussetzungen des Planverfahrens

Sicherlich ist die Wahl der richtigen Alternative stets anhand des Einzelfalls 1377 zu wählen. Erfahrungsgemäß ist jedoch eine frühzeitige und in Gänze offene Kommunikation das Mittel der Wahl, um ausreichend Zeit und Raum zu schaffen, mögliche Bedenken bereits im Vorfeld zur bzw. in der Planungs- und Ausarbeitungsphase der Planlösung auszuräumen. Regelmäßig werden Transparenz und rechtzeitige Information von allen Beteiligten positiv aufgenommen, sodass ein fruchtbarer Boden für eine Vertrauensbildung gelegt werden kann. Ein weiterer Vorteil der frühzeitigen und deutlichen Kommunikation ist die Unterbindung von Gerüchten, deren Ausräumung oftmals mehr Energie und Zeit bedarf als ein offensiver Umgang von Anfang an. II. Voraussetzungen des Planverfahrens 1. Schlechterstellungverbot Die Durchführung eines Insolvenzplanverfahren bedarf der Annahme dieser 1378 Planlösung durch die Gläubiger (vgl. § 244 InsO). Ist die Einleitung eines Insolvenzverfahrens unumgänglich, muss im Plan belastbar und transparent durch Gegenüberstellung der Alternativszenarien (Regelinsolvenzverfahren mit Liquidierung oder übertragender Sanierung) dargestellt werden, dass das Insolvenzplanverfahren für die Gläubiger die beste Befriedigungsoption ist. Jedenfalls dürfen die Gläubiger durch den Insolvenzplan nicht schlechter ge- 1379 stellt werden als in einem „regulären“ Insolvenzverfahren. Aus Gründen der Überzeugungskraft empfiehlt sich daher regelmäßig eine Besserstellung, die auch durch eine Drittmittelfinanzierung dargestellt werden kann. Dies ist bei nicht selbstständig Tätigen oftmals die einzige Möglichkeit, die Besserstellung der Gläubiger zu realisieren. Um die Befriedigungsszenarien gegenüberzustellen, beinhaltet jeder Insolvenzplan eine sog. „Vergleichsrechnung“, bei der die Befriedigungsaussichten des „regulären“ Insolvenzverfahrens und die des Planverfahrens gegenüber gestellt werden. Alternativ kann über den Zeitraum der Planerfüllungsphase mit variablen, von 1380 den erzielten Überschüssen abhängigen Quoten gearbeitet werden. Die Planerfüllung ist zu einem gewissen Teil ertragsabhängig (Ertragsplan), was naturgemäß gewisse Planungsunsicherheiten mit sich bringt. Denkbar ist ebenfalls eine Mischform beider Alternativen, wobei hinsichtlich 1381 der variablen Quoten eine Bestimmung mit Besserungsoption vorstellbar ist. 2. Planvorlagerecht Zur Vorlage eines Insolvenzplans sind der Insolvenzverwalter oder der Schuld- 1382 ner berechtigt (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO).

335

G. Insolvenzplanverfahren

1383 Der Insolvenzverwalter kann einen Insolvenzplan eigeninitiativ erarbeiten und diesen zur Abstimmung vorlegen. Auch möglich ist die Ausarbeitung eines Insolvenzplans im Auftrag der Gläubigerversammlung (vgl. § 157 Satz 2 InsO). 3. Zeitpunkt der Planvorlage 1384 Ein Insolvenzplan kann ab Eröffnung bis zum Schlusstermin vorgelegt werden (§ 218 Abs. 1 Satz 3 InsO). 1385 Optional kann der Schuldner bereits vor Einreichung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Plan ausarbeiten und diesen mit seinem Insolvenzeröffnungsantrag verbinden (vgl. § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO). Einen solchen vor Insolvenzantragstellung ausgearbeiteten Insolvenzplan nennt man „Prepackaged Plan“. 1386 Einen solchen Insolvenzplan wird der Schuldner regelmäßig nicht alleine ausarbeiten können und wollen, sodass er auf die Unterstützung durch einen Sanierungsberater angewiesen sein wird. Ein Sanierungsberater erhält sein Honorar in diesem Fall meist nach Eintritt der Krise. Es besteht demnach hohes Anfechtungspotential und die Gefahr, dass der Sanierungsberater die erhaltenen Zahlungen nach Eröffnung zur Masse erstatten muss (§ 143 InsO). Um dieses Anfechtungspotential möglichst gering zu halten, müssen konkrete Sanierungsbemühungen oder ein Sanierungskonzept nachgewiesen werden, damit Honorarzahlungen nicht gemäß § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sind.900) Liegt ein nachvollziehbares Sanierungskonzept vor, ist die Zahlung kongruent und von Bargeschäftsausnahme gedeckt, wenn der Austausch von Leistung (Sanierungsberatung) und Gegenleistung (Zahlung) binnen 30 Tagen erfolgt.901) Die Anfechtbarkeit der gezahlten Honorare hat der Insolvenzverwalter nach Eröffnung zu prüfen.

___________ 900) BGH, Beschl. v. 10.1.2013 – IX ZR 13/12, ZIP 2013, 174; BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235. 901) BGH, Beschl. v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232.

336

II. Voraussetzungen des Planverfahrens

4. Ablauf eines Insolvenzplanverfahrens a) Überblick Ablauf Die nachfolgende Darstellung gibt einen Überblick über das Insolvenzplan- 1387 verfahren: Vorlage des Plans durch Schuldner/Insolvenzverwalter (§ 218 InsO)

Vorprüfung des Plans durch das Gericht, Stellungnahme und Niederlegung (§§ 231 ff. InsO)

Erörterungs- und Abstimmungstermin (nicht vor dem Prüfungstermin, Verbindung aber möglich) (§§ 235, 236 InsO)

Gerichtliches Bestätigungsverfahren (§§ 248 ff. InsO)

Planüberwachung und Aufhebung des Verfahrens (§§ 254 ff. InsO)

Abb. 8: Ablauf eines Insolvenzplanverfahrens

b) Die Besonderheiten des Verfahrensablaufs Nach Vorlage des Insolvenzplans durch den Schuldner oder Insolvenzverwalter 1388 nimmt das Insolvenzgericht eine Vorprüfung vor (§ 231 InsO). Die Prüfung umfasst die Einhaltung der formalen Vorschriften und die inhalt- 1389 liche Ausgestaltung. Ein Schuldnerinsolvenzplan kann von Amts wegen zurückgewiesen werden, wenn nach Auffassung des Gerichts keine Erfolgsaussichten auf Annahme durch die Gläubiger oder Bestätigung durch das Gericht bestehen. Auch wenn nach der Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die in dem Insolvenzplan gemachten Zusagen offensichtlich nicht erfüllt werden können (z. B. wegen fehlenden Realitätsbezugs des Zahlenwerks), kann eine Zurückweisung erfolgen.902) Ein wesentlicher Verfahrensverstoß liegt vor, wenn es sich um einen Mangel 1390 handelt, der Einfluss auf die Annahme des Insolvenzplans gehabt haben kann. ___________ 902) BGH, Beschl. v. 6.4.2006 – IX ZB 289/04, openJur 2011, 11100.

337

G. Insolvenzplanverfahren

Es muss nicht feststehen, sondern lediglich ernsthaft in Betracht kommen, dass der Mangel tatsächlich Einfluss auf die Annahme des Plans hatte.903) Ein Insolvenzplan kann dem Insolvenzverwalter nicht die Befugnis verleihen, nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans und Verfahrensaufhebung eine Insolvenzanfechtungsklage zu erheben.904) Ein Insolvenzplan kann nicht vorsehen, dass ein anwaltlicher Treuhänder nach Verfahrensaufhebung eine Masseforderung zum Zwecke einer Nachtragsverteilung zugunsten der Gläubigergesamtheit einzieht.905) Planklauseln, die die nach Aufhebung des Verfahrens wieder auflebende Verfügungsbefugnis des Schuldners einschränken können, sind unwirksam.906) Nachtragsverteilung ist möglich, wenn der Schuldner im gestaltenden Teil eine entsprechende Abtretungserklärung abgibt.907) Der darstellende Teil des Insolvenzplans leidet an einem erheblichen Mangel, wenn die Vergleichsrechnung mit mehreren Fehlern behaftet ist, die für die Gläubigerbefriedigung von Bedeutung sind.908) Ein Insolvenzplan entbehrt möglicherweise der erforderlichen Klarheit und Widerspruchsfreiheit, wenn zwar eine feste Insolvenzquote bestimmt wird, ihre Fälligkeit aber von aufschiebenden Bedingungen abhängt, die tatsächlich nicht eintreten können und die gebotene Vollstreckungsfähigkeit in Frage stellen.909) 1391 Wird der Plan im Rahmen der Vorprüfung nicht zurückgewiesen, leitet das Gericht ihn dem Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, dem Betriebsrat und dem Sprecherausschuss der leitenden Angestellten zur Stellungnahme weiter (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Einen vom Insolvenzverwalter vorgelegten Planerhält zudem der Schuldner (§ 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO), einen vom Schuldner erstellten Insolvenzplan der Insolvenzverwalter (§ 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO) zur Stellungnahme vorgelegt. 1392 Der Insolvenzplan ist mit seinen Anlagen und den eingegangenen Stellungnahmen in der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen (§ 234 InsO). 1393 Sodann bestimmt das Insolvenzgericht einen Termin, in dem der Insolvenzplan und das Stimmrecht der Gläubiger erörtert werden und anschließend über den Insolvenzplan abgestimmt wird (Erörterungs- und Abstimmungstermin, § 235 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Termin soll nicht später als einen Monat nach Vorlage des Insolvenzplans stattfinden und ist öffentlich bekannt zu machen (§ 235 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO). Sofern der Umfang des Verfahrens dies gebietet, kann das Insolvenzgericht beide Termine trennen (vgl. § 241 InsO). ___________ 903) 904) 905) 906) 907) 908) 909)

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BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141.

II. Voraussetzungen des Planverfahrens

Im Abstimmungstermin nehmen nur uneingeschränkte festgestellte Forde- 1394 rungen an der Abstimmung teil. Die Gläubiger sind in bestimmte Gruppen einzuteilen. Jede Gruppe stimmt gesondert über den Plan ab, wobei jedem Gläubiger eine Stimme zusteht, unabhängig davon, wie viele Forderungen er angemeldet hat oder wie hoch diese sind. Voraussetzung für die Planannahme ist die Zustimmung aller Gruppen. Er- 1395 teilt eine einzelne Gruppe keine Zustimmung, kann deren Zustimmung nach § 245 InsO ersetzt werden (Obstruktionsverbot). Werden die Angehörigen der Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt als im „regulären“ Insolvenzverfahren, an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt, der auf der Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll, und hat die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt, kann so die Obstruktion dieser Gläubiger gegen eine mehrheitlich als sinnvoll angesehene wirtschaftliche Insolvenzplanlösung verhindert werden. Nach Terminierung sind alle Insolvenzgläubiger, die eine Forderung angemel- 1396 det haben, die absonderungsberechtigten Gläubiger, der Schuldner, der Betriebsrat und der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten zu laden (§ 235 Abs. 3 InsO). Mit der Ladung ist ein Abdruck des Insolvenzplans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts zu übersenden (§ 235 Abs. 3 InsO). Das Insolvenzgericht kann den Verwalter gemäß § 8 Abs. 3 InsO mit der Vornahme der Zustellungen beauftragen. Erfolgt die Planannahme, wird der Insolvenzplan durch Beschluss des Gerichts 1397 bestätigt (§ 252 Abs. 1 Satz 1 InsO). Anschließend wird den Insolvenzgläubigern, die Forderungen angemeldet haben, und den absonderungsberechtigten Gläubigern unter Hinweis auf die Bestätigung der Insolvenzplan oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts übersandt (§ 252 Abs. 2 InsO). Diese Zusammenfassung wird regelmäßig vom Planersteller vorbereitet und bietet sich insbesondere in umfangreichen Plänen an. Nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 253 InsO) wird die Bestätigung des Insol- 1398 venzplans rechtskräftig und das Gericht beschließt die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 Abs. 1 InsO), sobald der Insolvenzverwalter die unstreitigen Masseverbindlichkeiten berichtigt und für die streitigen Sicherheit geleistet hat (§ 258 Abs. 2 InsO). In der ganz überwiegenden Zahl der Insolvenzplanverfahren sind im Plan 1399 Regelungen zur Planüberwachung getroffen. Die Insolvenzplanüberwachungsphase, die insbesondere bei Ertragsplänen durchschnittlich 1 – 5 Jahre beträgt und bei Investorenplänen (Einmalzahlung) wesentlich kürzer sein kann, beginnt mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 260 InsO). Die Aufhebung geht zudem einher mit der Beendigung des eröffneten Verfahrens und des Amtes des Insolvenzverwalters mit Ausnahme der Aufgabe der Überwachung der Planerfüllung durch den (nunmehr vormaligen) Insolvenzverwalter (§ 261 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Planüberwacher hat jährlich über den jeweiligen 339

G. Insolvenzplanverfahren

Stand und die weiteren Aussichten der Erfüllung des Insolvenzplans zu berichten (§ 261 Abs. 2 Satz 1 InsO). 5. Inhalt des Insolvenzplans a) Vorbemerkung 1400 In der Praxis trifft man zum Thema „Insolvenzplan“ oftmals noch auf Vorbehalte und eine gewisse Scheu, was nicht zuletzt der Vorstellung einer zeitintensiven und umfangreichen Ausarbeitung geschuldet ist. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Vermögensverhältnisse insbesondere im Bereich der natürlichen Personen nicht so verzweigt und unüberschaubar sind, als dass eine Planerstellung mit überdurchschnittlich hoher Intensität verbunden wäre. Das Ergebnis, welches im Sinne von Gläubigern (bessere Quote) und vom Schuldner (Erhalt des Unternehmens/Praxisbetriebs und früherer Neustart) erzielt werden kann, plädiert deutlich für eine Planlösung, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Dieses Werk kann ob der Gesamtintention nur einen Überblick über das Insolvenzplanverfahren verschaffen; i. Ü. sei (insbesondere wegen Spezialfragen) auf die umfangreiche, spezifische Fachliteratur verwiesen. b) Gliederungsstruktur 1401 Nachfolgend soll ein Leitfaden für die wesentlichen, zum Teil zwingenden Planinhalte beschrieben werden. Die Besonderheiten eines Insolvenzplanverfahrens, die Intention des Insolvenzplans, eine einzelfallbezogene Lösung zu finden, sowie die Intention des vorliegenden Werkes gebieten es, dass mehr als ein Grundverständnis nicht geschaffen werden kann. 1402 Ein Insolvenzplan ist ein strukturiertes Sanierungskonzept, welches im Wesentlichen die nachfolgenden Inhalte abbilden sollte, wobei sich je nach Einzelfall, Kanzlei- oder Gerichtsvorgaben geringfügige Abweichungen im Aufbau ergeben können: Praxistipp: Aufbauvorschlag Insolvenzplan A. ALLGEMEINES I.

Verfahrensdaten und Schuldnerdaten

II. Auftrag zur Planerstellung III. Gegenstand und Ziele des Insolvenzplans B. DARSTELLENDER TEIL (§§ 219, 220 InsO) I.

Entwicklung und wirtschaftliche Lage des Schuldners

1) Zum Schuldner selbst (persönliche Verhältnisse) 2) Wirtschaftliche Entwicklung

340

II. Voraussetzungen des Planverfahrens 3) Vermögensübersicht a) Aktiva b) Passiva II. Krisen- und Ursachenanalyse III. bisherige Sanierungsbemühungen IV. Sanierungskonzept, Zielsetzung und Zukunftsprognose V. Berechnung der Gläubigerbefriedigung 1) Befriedigungsquote im Regelinsolvenzverfahren (ohne Insolvenzplan) 2) Insolvenzdividende im Planverfahren und Gruppenbildung 3) Gegenüberstellung Befriedigungsquote im Regelinsolvenzverfahren (ohne Insolvenzplan) und Insolvenzdividende im Planverfahren C. GESTALTENDER TEIL (§§ 219, 221 InsO) I.

Änderung der Rechtsstellung der Beteiligten und Planregelungen für die einzelnen Gläubigergruppen

II. Wirksamwerden des Planes III. Planüberwachung IV. Anträge zum Abstimmungstermin D. Plananlagen gemäß § 229 InsO I.

Vermögensübersicht

II. Plan-Liquiditätsrechnung III. Gläubigerverzeichnis nach Gruppen

Das „Herzstück“ eines Insolvenzplans bilden der darstellende Teil und der ge- 1403 staltende Teil. Diese sind als gesetzlich zwingender Inhalt vorgeschrieben (§ 219 Satz 1 InsO). Darstellender Teil (§ 220 InsO) § 220 InsO

1404

(1) Im darstellenden Teil des Insolvenzplanes wird beschrieben, welche Maßnahmen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen worden sind oder noch getroffen werden sollen, um die Grundlagen für die geplante Gestaltung der Rechte der Beteiligten zu schaffen. (2) Der darstellende Teil soll alle sonstigen Angaben und die Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind.

Mit dem Ziel, für die abstimmenden Gläubiger eine belastbare Entscheidungs- 1405 grundlage zu schaffen, sollte der Insolvenzplan im darstellenden Teil unter

341

G. Insolvenzplanverfahren

bestmögliche Transparenz die Ausgangssituation, die Krisenanalyse und die (bereits gescheiterten) bisherigen Sanierungsmaßnahmen enthalten. 1406 Anhand der Gegenüberstellung der Gläubigerbefriedigungsaussichten mit und ohne Insolvenzplan wissen die Abstimmenden um ihre alternativen Befriedigungsaussichten. Nur, wenn sie ihre Befriedigung ohne den Insolvenzplan einschätzen können, besteht eine Entscheidungsgrundlage. Zudem können ablehnende Gläubiger oder Gläubigergruppen nur dann überstimmt werden, wenn nachweisbar ist, dass sie durch den Insolvenzplan nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Insolvenzplan stünden (§§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO). Ein Insolvenzplan ist ein Sanierungskonzept des Planvorlegers, von dem er die Abstimmenden überzeugen muss. Je transparenter und belastbarer die Angaben und die Gegenüberstellung sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Planannahme. 1407 Die Gruppenbildung erfolgt bereits im darstellenden Teil. Hier werden die einzelnen Gläubigergruppen beschrieben und die Bildung und Zuordnung begründet. Soweit fakultativer Spielraum besteht, sind bei der Gruppenbildung Antizipation und taktisches Gespür gefragt. Ziel des Planvorlegers ist, die Gläubigergruppen so zu bilden, dass voraussichtlich die Mehrheit der gebildeten Gruppen dem Insolvenzplan zustimmen wird. 1408 Im Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen sind gemäß § 222 InsO folgende Gruppen zu bilden: x

Absonderungsberechtigte, wenn durch den Plan in deren Rechte eingegriffen wird (§ 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO);

x

nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Nr. 2 InsO);

x

nachrangige Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht nach § 225 InsO als erlassen gelten sollen (§ 222 Abs. 1 Nr. 3 InsO).

1409 Weitere Gruppen können gebildet werden, wenn in ihnen Gläubiger mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst werden und die Abgrenzung „sachgerecht“ ist. Die Abgrenzungskriterien sind im Insolvenzplan zwingend darzulegen (§ 222 Abs. 2 InsO). 1410 In die Rechte der Absonderungsberechtigten kann durch den Plan eingriffen werden (§ 223 InsO). Die Forderungen der Absonderungsberechtigten beinhalten meist einen dinglich gesicherten und einen ungesicherten Teil. Hier ist das sog. „Mischgruppenverbot“ zu beachten: Die Bildung einer Gruppe, die Gläubiger mit werthaltigen und nicht werthaltigen Absonderungsrechten enthält, ist unzulässig.910) In Höhe des Ausfallbetrags nach Abgeltung der Sicherungsrechte gehört der Gläubiger nicht in die Gruppe der Absonderungsberechtigten, sondern in eine der Gruppen der ungesicherten Insolvenzgläubiger. Um das Stimmrecht und die Gruppenzuteilung möglichst frühzeitig im Inte___________ 910) Siehe hierzu BGH, Urt. v. 7.7.2005 – IX ZB 226/04, ZIP 2005, 1648.

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II. Voraussetzungen des Planverfahrens

resse aller bestimmen zu können, empfiehlt sich, den Wert der Sicherheit und den Ausfallbetrag frühzeitig mit den betroffenen Gläubigern abzustimmen. Der Übersichtlichkeit halber empfiehlt sich bei mehreren Sicherungsrechten 1411 oder einer Vielzahl von Absonderungsberechtigten die Anlage eines Sicherheitenspiegels mit dem Ziel der soliden Gruppenbildung und Quotenberechnung: Absonderungsberechtigter

Art des Sicherungsrechts

enge/weite Zweckerklärung

Wert der Sicherheit

Ausfall- Bemerkung prognose

Soweit Aussonderungsrechte bestehen, ist zu beachten, dass durch den Insol- 1412 venzplan nicht in diese eingriffen werden kann (§ 223 InsO). Die Aussonderungsrechte sind daher rechtzeitig im Vorfeld zu klären. Gestaltender Teil (§ 221 InsO) § 221 Gestaltender Teil

1413

Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans wird festgelegt, wie die Rechtsstellung der Beteiligten durch den Plan geändert werden soll. Der Insolvenzverwalter kann durch den Plan bevollmächtigt werden, die zur Umsetzung notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen.

Im gestaltenden Teil wird für jede einzelne Gläubigergruppe festgelegt, in wel- 1414 cher Art, in welcher Zeit und in welchem Umfang eine Befriedigung dieser Gläubiger erfolgen und inwieweit durch den Insolvenzplan in die Rechte der Gläubiger eingegriffen werden soll. Hinsichtlich des nicht befriedigten Teils der Forderungen wird regelmäßig ein Verzicht vereinbart. Ist dieser Verzicht im Insolvenzplan nicht ausdrücklich geregelt und auch keine anderweitige Regelung getroffen, wird der Schuldner nach Erfüllung des Insolvenzplans kraft Gesetzes von seinen restlichen Schulden befreit (§ 227 Abs. 1 InsO). Plananlagen (§ 229 InsO) Handelt es sich um einen Ertragsplan, sind dem Plan zwingend folgende An- 1415 lagen beizufügen: x

Vermögensübersicht

Dem Ertragsplan ist eine Vermögensübersicht beizufügen, in der die Vermö- 1416 gensgegenstände und die Verbindlichkeiten mit ihren Werten aufgeführt werden (§ 229 InsO). x

Finanzplan

Beizufügen ist zudem ein Finanzplan (Liquiditätsplan), in welchem die Ein- 1417 nahmen und Ausgaben des Unternehmens über die Planlaufzeit aufgelistet werden (§ 229 InsO). x

Ergebnisplan

343

G. Insolvenzplanverfahren

1418 Zudem ist dem Sanierungsplan ein Ergebnisplan (Gewinn- und Verlustrechnung) für den Zeitraum der Planlaufzeit beizufügen. x

Fortführungserklärung

1419 Ist der Schuldner eine natürliche Person, so hat er zu erklären, dass er auf der Grundlage des Insolvenzplans zur Fortführung des Unternehmens bereit ist (§ 230 InsO). 1420 Darüber hinaus ist je nach Planregelung empfehlenswert, ggf. notwendige Stellungnahmen zum Insolvenzplan einzuholen. 1421 Praxisbewährt ist ebenfalls, eine Stimmliste (§ 239 InsO) vorzubereiten – bestenfalls nach Gruppen geordnet – und diese dem Gericht zur Verfügung zu stellen. In dieser Stimmliste können die Gläubiger nach den gebildeten Gruppen bereits geordnet werden. Sofern Gläubiger zwar bereit wären, dem Insolvenzplan zuzustimmen, jedoch aus Zeit- oder Kostengründen eine persönliche oder vertretene Teilnahme am Termin nicht gewährleisten können, kann die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht angezeigt sein, die im Vorfeld bei den Gläubigern einzuholen ist. 1422 Auch die gemäß § 252 Abs. 2 InsO ggf. beizufügende Zusammenfassung ist dem Plan beizufügen, da dies den Verfahrensablauf weiter beschleunigen kann. III. Vergütungsrelevante Auswirkungen 1423 Im Insolvenzplanverfahren ist zwecks genauer Bestimmung der Plandividende von Bedeutung, die Vergütung des Insolvenzverwalters zu beziffern. 1424 Vereinbarungen über die Vergütung des Insolvenzverwalters können nicht Inhalt eines Insolvenzplans sein.911) Die Bestätigung eines Insolvenzplans kann nicht von der Bedingung abhängig gemacht werden, dass das Insolvenzgericht die Vergütung des Insolvenzverwalters vor der Bestätigung des Insolvenzplans festsetzt.912) Vergütungsregelung im Insolvenzplan gehört nicht zu den Gegenständen, die nach den gesetzlichen Bestimmungen Inhalt eines Insolvenzplans sein können.913) Weder § 217 InsO noch andere Vorschriften über den Insolvenzplan eröffnen diese Möglichkeit. Es fehlt an einer gesetzlichen Grundlage für eine Vergütungsregelung im Insolvenzplan.914) Die gesetzlichen Vorschriften über die Vergütung des Insolvenzverwalters sind planfest.915) Dem steht schon entgegen, dass es sich dabei um Masseverbindlichkeiten handelt und die Ansprüche der Massegläubiger einer Regelung durch einen Insolvenzplan nicht zugänglich sind. Deshalb ist der Insolvenzverwalter kein Beteiligter ___________ 911) 912) 913) 914) 915)

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BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482.

IV. Schlussrechnungslegung

des Insolvenzplanverfahrens.916) Gerade im Hinblick auf seine Aufgaben im Insolvenzplanverfahren müssen deshalb vom Insolvenzverwalter bis zur endgültigen Entscheidung über die Annahme und Bestätigung des Insolvenzplans und damit bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens alle auch nur möglichen Gefährdungen der Unabhängigkeit ferngehalten werden.917) § 64 InsO weist die Festsetzungskompetenz dem Insolvenzgericht wegen der damit verbundenen Kontroll- und Schutzfunktion zu. Die Festsetzungsbefugnis des Insolvenzgerichts schützt die Interessen der Beteiligten vor einer überhöhten Vergütung und die Interessen des Insolvenzverwalters vor einer zu niedrigen Vergütung.918) Eine Bindung des Insolvenzgerichts an die Höhe der festzusetzenden Vergütung entleert § 64 InsO seiner wesentlichen Aufgabe, nämlich der Kontroll- und Schutzfunktion hinsichtlich der Vergütung des Insolvenzverwalters.919) Soweit die Durchführung des Insolvenzplans davon abhängt, dass die noch festzusetzende Vergütung des Insolvenzverwalters einen bestimmten Betrag nicht übersteigt, steht es ihm frei, gegenüber allen am Insolvenzplan Beteiligten eine Erklärung i. S. d. § 230 Abs. 3 InsO abzugeben, wonach er sich verpflichtet, keine einen bestimmten Betrag übersteigende Vergütung zu beantragen.920) Eine solche einseitige Erklärung des Insolvenzverwalters berührt weder seine Unabhängigkeit noch die Festsetzungsbefugnis des Insolvenzgerichts.921) Sie bindet den Insolvenzverwalter, nicht aber das Insolvenzgericht.922) Arbeitet der Insolvenzverwalter einen Insolvenzplan aus, ist dies gemäß § 3 1425 Abs. 1 lit. e) InsVV ein Zuschlagsgrund zur Regelvergütung. Die Spanne des Zuschlags reicht von 10 % bis hin zum dreistelligen Erhöhungsprozentsatz. Eine Begründung des Zuschlags ist einzelfallbezogen zu formulieren, wobei auf den Umfang des Insolvenzplans und die Anzahl der Beteiligten (z. B. Gläubigergruppen) als wichtige Kriterien zu achten ist. Für die Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans erhält der Verwalter 1426 eine besondere Vergütung unter Berücksichtigung des Umfangs der Tätigkeit nach billigem Ermessen (§ 6 Abs. 2 InsVV). Eine Festsetzung dieser Vergütung erfolgt erst nach Abschluss der Planüberwachung. Im Plan sind diese Kosten möglichst genau zu prognostizieren. IV. Schlussrechnungslegung Im Insolvenzplanverfahren gibt es im Unterschied zum regulären Ablauf eines 1427 Insolvenzverfahrens keinen Schlusstermin, in dem die Schlussrechnung des ___________ 916) 917) 918) 919) 920) 921) 922)

BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. BGH, Beschl. v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482.

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G. Insolvenzplanverfahren

Insolvenzverwalters erörtert wird. Die Pflicht zur Schlussrechnungslegung ist sehr umstritten und folgt in der Praxis einer unterschiedlichen Handhabung. Es ist daher zu empfehlen, diese Frage mit dem zuständigen Gericht zu klären. Nach der hier vertretenen Auffassung können zwar die Gläubiger auf eine Rechnungslegung verzichten (§ 66 InsO); diese Vereinbarung entbindet aber nicht vom Rechenschaftsbericht gegenüber dem Insolvenzgericht i. R. d. Aufsichtsführung (§ 58 InsO). V. Besonderheiten 1. Anfechtungsansprüche im Insolvenzplanverfahren 1428 Bereits seit längerer Zeit, im Zuge der angedachten Reform des Anfechtungsrechts wird die Frage diskutiert, ob Anfechtungsansprüche plandispositiv sind. In der Praxis ist diese Diskussion verbunden mit konkreten Fragestellungen, insbesondere, ob der Insolvenzverwalter auf die Ermittlung von Anfechtungsansprüchen generell oder wenigstens auf deren Geltendmachung (teilweise?) verzichten darf und ob eine solche Regelung als Inhalt eines Insolvenzplans formuliert werden kann. 1429 Abzulehnen ist eine Dispositionsfreiheit dahingehend, dass auf die Ermittlung von Anfechtungsansprüchen generell verzichtet werden kann. Auch dürfte die Gläubigerautonomie nicht so weit reichen, dass die Gläubigerversammlung dem Insolvenzverwalter insoweit Weisungen erteilen kann. Den Insolvenzverwalter trifft die Pflicht zur umfassenden Ermittlung von Anfechtungsansprüchen. 1430 Auch ist ein Ermessensspielraum bei der Frage der Durchsetzung hinsichtlich werthaltiger Ansprüche nicht anzunehmen, es sei denn, die Vollstreckbarkeit ist ungewiss. 1431 Dispositionsfreiheit im Rahmen einer Planlösung dürfte jedoch insoweit bestehen, als die Maßstäbe zur Realisierung sich an denen zu Regelverfahren geltenden Grundsätzen der Geltendmachung anlehnen. Insbesondere ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise gefordert: Ein bloßer Verzicht auf die Realisierung von Anfechtungsansprüchen ist, ohne dass eine adäquate Gegenleistung in die Masse fließt, problematisch. Leistet der Anfechtungsgegner indes einen, dem Maßstab der wirtschaftlichen Durchsetzbarkeit entsprechenden Beitrag zu Masse (auch als Abschlag oder Sanierungsbeitrag), wird Insolvenzzweckwidrigkeit nicht anzunehmen sein. Zu fordern ist die unbedingte Aufnahme der Anfechtungsrechte in den darstellenden und gestaltenden Teil des Plans als Abbildung der in Betracht kommenden Ansprüche dem Grund und der Höhe nach sowie Angaben zum ungefähren Erlös und den Anspruchsund Durchsetzungsrisiken. Den Gläubigern muss auf der Basis der Ausführungen im Insolvenzplan durch Schaffung einer umfassenden Informationsgrundlage eine Willensbildung ermöglicht werden. In Anbetracht der tatbestandlichen Regelungsinhalte dürfte eine Disposition über Anfechtungsansprü-

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V. Besonderheiten

che aus dem Bereich der Deckungsanfechtung eher denkbar sein als eine solche aus den Bereichen der § 133 Abs. 1 InsO bzw. § 134 InsO. Soweit Anfechtungsansprüche bereits prozessbefangen sind, kann ein Anfech- 1432 tungsprozesses durch Insolvenzverwalter nur fortgesetzt werden, wenn dies im gestaltenden Teil des Plans so vorgesehen ist und der Prozess bei Verfahrensaufhebung bereits rechtshängig ist (der Begriff „anhängig“ i. S. v. § 259 Abs. 3 InsO sei als rechtshängig zu verstehen, so der BGH).923) Die Befugnis kann auf bestimmte Anfechtungsklagen begrenzt werden.924) Ein Insolvenzplan kann dem Insolvenzverwalter nicht die Befugnis verleihen, nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans und Verfahrensaufhebung eine Insolvenzanfechtungsklage zu erheben.925) Mit einer diskutierten Entscheidung926) hat der BGH festgestellt, dass ein durch 1433 den (ehemaligen) Insolvenzverwalter fortgeführter Anfechtungsprozess eine Unterbrechung erfahre, wenn nach der Aufhebung des ersten (durch einen Insolvenzplan beendeten) Insolvenzverfahren ein zweites Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wird. Die Aufnahme des Rechtsstreites habe der Insolvenzverwalter des zweiten Insolvenzverfahrens („Insolvenzverwalter-Neu“) zu erklären. Zudem bestünde Massezugehörigkeit des Anfechtungsanspruchs im zweiten, nicht im ersten Insolvenzverfahren („Insolvenzverfahren-Neu“). § 259 Abs. 3 InsO „bricht sich“ demnach an einer neuen Verfahrenseröffnung.927) 2. Deliktsforderungen im Insolvenzplan Auch von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen aus unerlaub- 1434 ter Handlung (vgl. § 302 InsO) werden grundsätzlich von den Wirkungen des Insolvenzplans erfasst (Erlass der restlichen Verbindlichkeiten, § 227 Abs. 1 InsO) Der Umgang mit solchen Forderungen im Insolvenzplanverfahren ist nicht 1435 einfach und fordert das taktische Vorgehen des Planerstellers nicht selten heraus. Grundsätzlich ist es möglich, eine Gruppe zu bilden, die alleine die Gläubiger der gemäß § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderungen umfasst. Es besteht jedoch die Gefahr, dass einzelne Gläubiger einen Antrag auf Minderheitenschutz stellen (§ 251 Abs. 1 InsO). Die Begründetheit eines solchen Antrags ist glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO). Glaubhaft gemacht werden muss insbesondere, dass die privilegierte Forderung nach erteilter Restschuldbefreiung eine höhere Befriedigung erfahren würde als dies im Insolvenzplan vorgesehen ist. Dies ist ausgeschlossen, wenn mit einem dau___________ 923) 924) 925) 926) 927)

BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, ZInsO 2013, 998. BGH, Beschl. v. 7.3.2013 – IX ZR 222/12, ZIP 2013, 738. BGH, Beschl. v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. BGH, Beschl. v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11, ZIP 2014, 330. BGH, Beschl. v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11, ZIP 2014, 330.

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G. Insolvenzplanverfahren

erhaft unpfändbaren Einkommen des Schuldners zu rechnen ist (Achtung, es gilt die privilegierte Pfändungsgrenze des § 850f Abs. 2 ZPO!). 1436 Einem solchen Minderheitenschutzantrag kann präventiv begegnet werden, indem den Gläubigern dieser Gruppe in der Planregelung das Angebot einer höheren Zahlung unterbreitet wird (z. B. der Differenzbetrag im Korridor zwischen den Grenzen des § 850c ZPO und des § 850f Abs. 2 ZPO). Möglich ist auch, einen sog. „Mecker-Topf“ zu bilden. Gemäß § 251 Abs. 3 InsO ist der Minderheitenschutzantrag abzuweisen, wenn Mittel für den Fall bereitgestellt werden, dass ein Beteiligter eine Schlechterstellung nachweist. Ob der Beteiligte einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält, ist außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären. 3. Vergessene Gläubiger 1437 „Der Insolvenzplan darf keine Präklusionsregeln vorsehen, durch welche die Insolvenzgläubiger, die sich am Insolvenzverfahren nicht beteiligt haben, mit ihren Forderungen in Höhe der vorgesehenen Quote ausgeschlossen sind.928) 1438 Gemäß §§ 254, 254b InsO treten die Wirkungen des rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans für und gegen alle Beteiligten ein. Sie gelten somit auch für nicht anmeldende Gläubiger. Auch der „vergessene“ Gläubiger kann nach der Planbestätigung die Planquote gegenüber dem Schuldner geltend machen. Dem Insolvenzplan kommt insoweit keine Ausschlusswirkung zu.929) 1439 Nach § 259b InsO gilt jedoch eine besondere Verjährungsfrist von einem Jahr für alle Forderungen der Insolvenzgläubiger, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden sind. Fristbeginn ist die Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses (§§ 259b Abs. 2 InsO). Für die Praxis empfiehlt sich, vorsichtshalber bis zum Fristablauf entsprechende Rückstellungen zu bilden, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es solche vergessenen Gläubiger geben könnte. Ausschlussklauseln, die solche Gläubiger von der Teilhabe an den Plandividenden ausschließen, sind unwirksam. 4. Besteuerung des Sanierungsgewinns 1440 Die Frage nach der Besteuerung eines Sanierungsgewinns in der Planpraxis bereitete lange Zeit Schwierigkeiten. 1441 Nach dem Wegfall des § 3 Nr. 66 EStG zum 1.1.1998 war die Besteuerung von Sanierungsgewinnen grundsätzlich möglich. ___________ 928) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346; BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 6 AZR 559/14, ZIP 2014, 1988. 929) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346; BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 6 AZR 559/14, ZIP 2014, 1988; offen gelassen BAG, Urt. v. 12.9.2013 – 6 AZR 907/11, ZIP 2013, 2268.

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V. Besonderheiten

Sanierungsgewinn definiert sich als die Erhöhung des Betriebsvermögens, die 1442 dadurch entsteht, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden. Voraussetzung ist eine unternehmensbezogene Sanierung, keine unternehmerbezogene Sanierung.930) Bedeutung hat die Besteuerung des Sanierungsgewinns in den Verfahren aktuell 1443 oder vormals Selbstständiger mit Verbindlichkeiten auch aus dem Bereich der selbstständigen Tätigkeit. Für ausnahmslos abhängig beschäftigte Schuldner hat eine Entschuldung insoweit keine steuerlichen Auswirkungen. Ist die Ausgangslage, dass Sanierungsgewinne grundsätzlich zu versteuern sind, 1444 konnten hierdurch evtl. Planlösungen gänzlich ausgeschlossen oder konterkariert werden. Das BMF hat mit Schreiben vom 27.3.2003 (dem sog. Sanierungserlass) einen 1445 dreistufigen Lösungsweg für die Behandlung eines Sanierungsgewinns im Sanierungsprozess aufgezeigt: In einem ersten Schritt eine abweichende Steuerfestsetzung (§ 163 AO), d. h. eine unmittelbare Verrechnung negativer Einkünfte und Verlustabzüge mit dem Sanierungsgewinn, wobei Verlustabzugsbeschränkungen unbeachtlich sind. In einem zweiten Schritt wird die auf den verbleibenden Sanierungsgewinn entfallende Einkommensteuer bis zur vorrangigen Verrechnung eines Verlustrücktrags (§ 10d EStG) aus dem Folgejahr mit dem noch verbliebenen Sanierungsgewinn gestundet (§ 222 AO). Ein letzter Schritt ist der Erlass (§ 227 AO) der auf den verbleibenden Sanierungsgewinn endgültig entfallenden Einkommensteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen. Das BMF-Schreiben ist in seiner Reichweite und Bedeutung höchst umstritten; insbesondere wird kritisiert, dass dem Schreiben keine Ersatzgesetzgebungsfunktion zukommen könne (anstelle von § 3 Nr. 66 EStG a. F.). Es blieb offen, ob die möglichen Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung 1446 im Schreiben des BMF vom 27.3.2003 gemessen an der Intention des Gesetzgebers zu weit reichen. Bei einem Einzelunternehmer kann die Prüfung der Sanierungsbedürftigkeit nicht auf die Wirtschaftslage des Unternehmens beschränkt werden. Die private Leistungsfähigkeit des Unternehmers einschließlich seines Privatvermögens ist zu beleuchten, da eine Krise im privaten Bereich eine Unternehmenskrise verstärken kann. Der Einzelunternehmer muss vorhandenes Privatvermögen zur Lösung der Unternehmenskrise einsetzen.931) Ohne auf die nahezu possenhafte Entwicklung der letzten Jahre einzugehen, sei 1447 an der Stelle nur das aktuelle – und erleichternde – Ergebnis (in Bezug auf die Einkommensteuer) dargestellt. Nachdem der Große Senat des BFH932) festgestellt hatte, dass der sog. Sanie- 1448 rungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoße, ___________ 930) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140 – 8/03, BStBl I 2003, 240. 931) BFH v. 12.12.2013 – X R 39/10, ZIP 2014, 638. 932) BFH, Beschl. v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BFHE 255, 482 = BStBl II 2017, 393.

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G. Insolvenzplanverfahren

unternahm das BMF mehrfach Versuche,933) Vertrauensschutzregelung qua Verwaltungsanweisung zu etablieren, welche allesamt vom BFH als unrechtmäßig im vorbeschriebenen Sinne abgeurteilt wurden.934) Gesetzgeberischer Handlungsbedarf war (allerspätestens jetzt) gegeben. 1449 Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.6.2017935) wurde in Art. 2 u. a. § 3a EStG Sanierungserträge etabliert, der im Ergebnis die gesetzlich verankerte Möglichkeit einräumt, Sanierungsgewinne steuerfrei zu stellen. In Art. 6 stand das Inkrafttreten aber insoweit unter dem Vorbehalt der Beschlussfassung durch die Europäische Kommission, dass die Regelungen der Art. 2, 3 Nr. 1 – 4 und des Art. 4 Nr. 1 – 3a entweder keine staatliche Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV oder mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen darstellen. Der Tag des Beschlusses der Europäischen Kommission sowie der Tat des Inkrafttretens werden vom Bundesministerium der Finanzen gesondert im Bundesgesetzblatt bekanntgemacht. Ein solcher Beschluss wurde nie gefasst. Die Zeit aber drängte. Entsprechend wurde mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften angeregt, diesen Passus zu streichen, um Art. 2 unmittelbar in Kraft setzen zu können. Die Vorschrift des § 3a EStG (und weitere) ist nach Verabschiedung des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften936) in Kraft getreten und auf Sanierungsfälle anwendbar. das Ziel, Sanierungsgewinne steuerfrei zu stellen, ist mithin erreicht.

___________ 933) BMF-Schreiben v. 27.4.2017, BStBl I 2017, 741; BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 6 – S-2140/13/10003 v. 29.3.2018, BStBl I 2018, 588. 934) BFH, Urt. v. 23.8.2017 – I R 52/14, BFHE 259, 20 ff. = BStBl II 2018, 232 ff. = ZIP 2017, 2158 ff. = NZI 2017, 936 ff. mit Anm. Schmittmann = NJW-Spezial 2017, 759 = StuB 2017, 834 mit Anm. jh = ZInsO 2017, 2993 ff., dazu = EWiR 2017, 761 f. (Anzinger) (veröffentlicht am 25.10.2017; Verfassungsbeschwerde eingelegt: BVerfG – 2 BvR 2637/17; BFH, Beschl. v. 16.4.2018 – X B 13/18, ZIP 2018, 1360 f. = NZI 2018, 570 ff. mit Anm. Schmittmann = ZInsO 2018, 1479 f. = StuB 2018, 482 [Ls.] mit Anm. jh; BFH, Beschl. v. 8.5.2018 – VIII B 124/17, ZInsO 2018, 1511 ff. = StuB 2018, 645 f. mit Anm. jh [Ls.]. 935) BGBl I 2017, 2074 ff. – „Lizenzschranke“. 936) Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 27.6.2017 (BGBl I, 2074) i. V. m. Gesetz v. 11.12.2018 (BGBl I, 2338) mit Wirkung v. 5.7.2017.

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H. Eigenverwaltung I. Vorbemerkung Zu den Besonderheiten, die im Verfahren der (vorläufigen) Eigenverwaltung zu 1450 beachten sind, wurde an den jeweils maßgeblichen Stellen bereits ausgeführt. Dennoch sei an der Stelle nochmals ein Überblick über das Eigenverwaltungsverfahren gegeben, der die abweichende Abwicklung in Gänze beschreibt. Auch dieses Kapitel stellt in Anbetracht der Intention des Werkes nur einen Überblick dar. Auf die einschlägige Fachliteratur zum Thema sei zur Vertiefung der Materie verwiesen. II. Ablauf des Eigenverwaltungsverfahrens Der Antrag des Insolvenzschuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens 1451 kann verbunden werden mit dem Antrag, das Verfahren unter Eigenverwaltung durchzuführen (§§ 270 ff. InsO). Seit Inkrafttreten des ESUG937) zum 1.3.2012 besteht die Möglichkeit, bereits im Eröffnungsverfahren ein vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren zu durchlaufen. Liegen die Voraussetzung zur Eröffnung des Verfahrens und der Eigenverwal- 1452 tung vor, kann der Schuldner auch nach Insolvenzeröffnung unter Aufsicht eines Sachwalters (§§ 270, 274 f. InsO) weiterhin über die Gegenstände der Insolvenzmasse verfügen. Die Eigenverwaltung bedarf auch im eröffneten Verfahren einer ausdrücklichen gerichtlichen Anordnung. Der Beschluss über die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung im Antragsverfahren ist für den Zeitraum nach Eröffnung nicht maßgeblich und entfaltet keine Wirkungen. Die Verfahrensabschnitte sind gesondert voneinander zu betrachten. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Eigenverwaltung müssen auch für 1453 das eröffnete Verfahren gegeben sein. Eine Eigenverwaltung wird dann angeordnet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles nicht zu erwarten ist, dass die Anordnung zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubigerschaft führen wird. Der Aufsicht führende Sachwalter prüft die wirtschaftliche Lage des Schuld- 1454 ners und überwacht die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung. Der Schuldner darf den notwendigen Mindestselbstbehalt für sich und seine unterhaltsberechtigen Personen der Masse entnehmen (§§ 278, 100 InsO). Stellt der Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung 1455 der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubigerschaft führen wird, hat er dies unverzüglich dem Insolvenzgericht und den Gläubigern anzuzeigen ___________ 937) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 7.12.2011 m. W. z. 1.3.2012, BGBl I, 2582.

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H. Eigenverwaltung

(Anzeigepflicht). Die Pflichten des Sachwalters im eröffneten Verfahren sind identisch mit denen des vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren (§ 275 InsO). 1456 Unter Eigenverwaltung ist der Schuldner selbst verpflichtet, das Verzeichnis der Massegegenstände, das Gläubigerverzeichnis und die Vermögensübersicht gemäß §§ 151 – 153 InsO zu erstellen, im Berichtstermin einen Bericht zu erstatten, Rechnung zu legen und die Insolvenzmasse einschließlich des Absonderungsguts zu verwerten sowie anschließend die Erlöse unter den Gläubiger zu verteilen. 1457 Dem Sachwalter ist die Tabellenführung übertragen (§ 270 Abs. 3 InsO). III. Beendigung der Eigenverwaltung 1458 Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens beendet auch die Eigenverwaltung. 1459 Auf Antrag des Schuldners, der Gläubigerversammlung, eines absonderungsberechtigten Gläubigers oder eines Insolvenzgläubigers wird die Anordnung über die Eigenverwaltung vorzeitig aufgehoben, auf Antrag der beiden Letztgenannten jedoch nur, wenn diese zusätzlich glaubhaft machen, dass die Beibehaltung der Eigenverwaltung zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubigergesamtheit führen würde (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

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I. Nachhaftung bei Stundung der Verfahrenskosten Wurde dem Schuldner Verfahrenskostenstundung bewilligt (§ 4a InsO) endet 1460 der Wirkungskreis der Stundung nach Erteilung der Restschuldbefreiung und der Aufhebung des Verfahrens. Sind zu diesem Zeitpunkt die Verfahrenskosten nicht aus dem bis dahin ein- 1461 genommenen Vermögen gedeckt, sind die noch zur Zahlung ausstehenden Beträge fällig und grundsätzlich mit einer Einmalzahlung auszugleichen. Ist der Schuldner nach Erteilung der Restschuldbefreiung nicht in der Lage, den gestundeten Betrag aus seinem Einkommen und seinem Vermögen zu zahlen, so kann das Gericht die Stundung verlängern und die zu zahlenden Monatsraten festsetzen (§ 4b Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Monatsraten werden in Anlehnung an die Regelungen der Prozesskostenhilfe (PKH) bestimmt (§ 4b Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. §§ 115, 120 ZPO). Maximal dürfen 48 Monatsraten festgesetzt werden (§ 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Die Nachhaftungsphase beträgt daher für den nicht leistungsfähigen Schuldner nach Erteilung der Restschuldbefreiung noch maximal weitere vier Jahre. Während dieses Zeitraums muss der Schuldner dem Gericht unaufgefordert Änderungen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse mitteilen.938) Bei wesentlichen Änderungen kann das Gericht im Rahmen des ihm zustehenden pflichtgemäßen Ermessens die zu zahlenden Raten anpassen (Orientierung an § 120 ZPO).

___________ 938) BGH, Beschl. v. 5.11.2009 – IX ZB 91/09, ZInsO 2009, 2405.

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J. Tod des Insolvenzschuldners I. Vorbemerkungen Wird das Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer natürlichen Person be- 1462 antragt, hat der nach Antragstellung eintretende Tod des Schuldners je nach Verfahrensabschnitt unterschiedliche Auswirkungen auf den weiteren Verfahrensverlauf. II. Tod des Schuldners im Eröffnungsverfahren Verstirbt der Schuldner nach dem Eingang des Antrags auf Eröffnung des 1463 Insolvenzverfahrens, wird das Verfahren als Nachlassinsolvenzverfahren fortgesetzt.939) Das Nachlassinsolvenzverfahren ist eine besondere Art des Insolvenzverfah- 1464 rens und geregelt in §§ 315 ff. InsO. Durch die Einleitung eines Nachlassinsolvenzverfahrens können die Erben eine Haftungsbeschränkung nur auf den Nachlass als Sondervermögensmasse erreichen (§§ 1975, 1990 BGB). Das Nachlassinsolvenzverfahren verfolgt in gewissen Bereichen besondere, vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Regeln. III. Tod des Schuldners im eröffneten Verfahren Beim Tod des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Verfahrens, wird es 1465 automatisch in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet.940) Soweit die Insolvenzmasse gemäß §§ 35, 36 InsO unter Einbeziehung der zu- 1466 gunsten des Schuldners zu beachtenden Pfändungsschutzvorschriften definiert wurde, besteht nach dem Tod des Schuldners hierfür kein Raum mehr. Die Insolvenzmasse kann sich infolge des Wegfalls des „Pfändungsschutzes“ in entsprechendem Umfang vergrößern. Bei Stundungsverfahren ist zu beachten, dass die Wirkungen der Stundung 1467 mit Überleitung in das Nachlassinsolvenzverfahren entfallen. Der Insolvenzverwalter ist daher gehalten, umgehend die Frage der Deckung der Verfahrenskosten zur prüfen, da andernfalls eine Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 207 InsO) erfolgen muss. IV. Tod des Schuldners in der Restschuldbefreiungsphase Beim Tod des Schuldners in der Wohlverhaltensperiode können die Erben die 1468 höchstpersönlichen Obliegenheiten des Schuldners (§ 295 InsO) nicht erfüllen. Die Laufzeit der Abtretungsfrist ist mit dem Tod beendet. Damit endet auch ___________ 939) BGH, Beschl. v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513 BGH, Beschl. v. 21.2.2008 – IX ZB 62/05, ZIP 2008, 798. 940) BGH, Beschl. v. 21.2.2008 – IX ZB 62/05, ZIP 2008, 798.

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J. Tod des Insolvenzschuldners

das Amt des Treuhänders (nach § 292 InsO). Das Verfahren ist entsprechend § 299 InsO vorzeitig zu beenden (deklaratorischer Beschluss).941) 1469 Das bis dahin vereinnahmte pfändbare Einkommen ist an die Gläubiger auszukehren. V. Tod des Schuldners nach Ablauf der Abtretungsfrist und vor Erteilung der Restschuldbefreiung 1470 Die Frage, welche Auswirkungen der Tod des Schuldners nach Ablauf der Abtretungsfrist aber vor Erteilung der Restschuldbefreiung auf das Verfahren hat, ist umstritten.942) 1471 Das AG Duisburg erteilt beim Tod des Schuldners nach Ablauf der Wohlverhaltensphase die Restschuldbefreiung mit der Maßgabe, dass diese den Erben hinsichtlich der nicht erfüllten, z. Zt. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründeten Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüber seinen Insolvenzgläubigern i. S. d. § 38 InsO erteilt wird.943) Zur Begründung wird angeführt, dass der Anspruch auf Restschuldbefreiung in diesem Verfahrensstadium, anders als während der laufenden Wohlverhaltensphase, nicht mehr an den Schuldner höchstpersönlich gebunden sei, und daher im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) auf die Erben übergehen könne. Der Schuldner habe bis zu diesem Zeitpunkt keinen Versagungsgrund gesetzt und damit alles seinerseits Erforderliche getan habe, um die Restschuldbefreiung zu erlangen. 1472 Völlig konträr hierzu steht das AG Leipzig mit seiner Auffassung, dass unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Schuldners von der Höchstpersönlichkeit und damit der Unvererblichkeit des Anspruchs auf Erteilung der Restschuldbefreiung auszugehen sei.944) 1473 Obergerichtliche Entscheidungen zur Problematik liegen bislang, soweit ersichtlich, nicht vor. Die wohl h. M. in der Literatur vertritt mit dem Argument, dass es angesichts der Höchstpersönlichkeit keine nur natürlichen Personen zugedachte Restschuldbefreiung für den Nachlass geben könne, die Auffassung, dass von der Unvererblichkeit auszugehen sei.945)

___________ 941) BGH, Beschl. v. 17.3.2005 – IX ZB 214/04, NZI 2005, 399; siehe hierzu auch AG Bielefeld, Beschl. v. 9.5.2005 – 43 IK 556/03, ZVI 2005, 505, das für die Versagung der Restschuldbefreiung plädiert. 942) Siehe zum Streitstand ausführlich Büttner, ZInsO 2013, 588 m. w. N. 943) AG Duisburg, Beschl. v. 25.5.2009 – 62 IK 59/00), ZInsO 2009, 2325. 944) AG Leipzig, Beschl. v. 11.1.2013 – 402 IK 204/06, ZInsO 2013, 615, Weiterführung von AG Bielefeld, Beschl. v. 9.5.2005 – 43 IK 556/03, ZVI 2005, 505. 945) Siehe zum Streitstand ausführlich Büttner, ZInsO 2013, 588 m. w. N.

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Stichwortverzeichnis Ablauf – des Insolvenzverfahrens 139 ff. Absonderungsberechtigter 55 ff. – Ausfallbetrag 608 ff. Absonderungsrecht 529 ff. Anfechtung 910 ff. – inkongruente Deckungsanfechtung 932 ff. – kongruente Deckungsanfechtung 923 ff. – Systematik 917 ff. – unentgeltliche Leistung 945 ff. – Verbraucherinsolvenz 910 ff. – vorsätzliche Benachteiligung 939 ff. Anfechtungsansprüche – Insolvenzplan 1428 ff. Anmeldung – Insolvenzforderung siehe Forderungsanmeldung Antrag – Eröffnung siehe Insolvenzantrag – Gläubiger siehe Fremdantrag – Stundung Verfahrenskosten siehe Verfahrenskostenstundung – Antrag Antragshäufung 199 ff. Arbeitseinkommen siehe Einkünfte – laufende Arbeitslosengeld siehe Einkünfte – laufende Arbeitsverhältnisse – Entgeltansprüche 1138 ff. – eröffnetes Verfahren 1131 ff. – Eröffnungsverfahren 310 ff. – Insolvenzgeld 310 ff. – Kündigung im eröffneten Verfahren 1131 ff. – Kündigung im Eröffnungsverfahren 335 ff. – Masseverbindlichkeiten 1138 ff.

Asset Deal 690 ff. Asymmetrische Verfahren 1364 ff. Aufhebung des Verfahrens – nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans 1228 ff. – nach/ohne Schlussverteilung 1214 ff. Auskunftspflicht 241 ff., 1291 ff., 1341 ff. Aussonderung – Ersatzaussonderung 565 – vorläufiger Insolvenzverwalter 553 Aussonderungsberechtigter 60 ff. Aussonderungsrecht 529 ff. – einzelne Rechte 535 ff. Austauschpfändung 759 Auto siehe Kraftfahrzeug

Bankguthaben 861 ff. Bankverträge 1128 ff. Bausparguthaben 774 ff. Bericht – eröffnetes Verfahren 1086 ff. Berichtstermin 1082 ff. Betriebsübergang 698 ff., 1142 ff. Bewertung – Fortführungswerte 367 ff. – Grundlagen 357 ff. – Liquidationswerte 364 ff. Buchhalterische Pflichten 1144 ff. Dauerschuldverhältnisse siehe Vertragsverhältnisse Debitoren siehe Forderung aus Lieferung und Leistung Deckungsanfechtung – inkongruente siehe Anfechtung – inkongruente Deckungsanfechtung – kongruente siehe Anfechtung – kongruente Deckungsanfechtung

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Stichwortverzeichnis

Deliktsforderungen 1307 ff. – Insolvenzplan 1434 ff. Dienstbarkeit – beschränkt persönliche 546

Eigenantrag 151 ff. Eigentumsvorbehalt – einfacher 539 ff. – eröffnetes Verfahren 1101 ff. – erweiterter 583 ff. – verlängerter 578 ff. Eigenverwaltung 1450 ff. – Ablauf 1451 ff. – Beendigung 1458 ff. – vorläufige 370 ff. – vorläufige, Schutzschirmverfahren 382 ff. Eingangsentscheidung 159 f. Einkommen siehe Einkünfte – laufende – Abtretung 1257 ff. – Beamtenbezüge 1254 ff. – Freiberufler 823 ff., 1257 ff., 1346 ff. – Selbstständiger 823 ff., 1346 ff. – Wohlverhaltensperiode 1257 ff. Einkünfte – laufende 823 ff. Einstellung des Verfahrens – mangels Masse 1216 ff. – mit Zustimmung der Gläubiger 1235 ff. – nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit 1221 ff. – wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes 1231 ff. Einzelermächtigung 265 Erbbaurecht 544 Erbschaft 901 ff., 1287 ff. – Ausschlagung 903 Eröffnungsantrag siehe Insolvenzantrag Eröffnungsbeschluss 400 Eröffnungsgrund 187 ff.

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Ersatzaussonderung 567 ff. Erwerbsobliegenheit 1281 ff., 1281 ff.

Fahrzeug siehe Kraftfahrzeug Finanzanlagen 774 ff. Forderung aus Lieferung und Leistung 738 ff. Forderungsanmeldung 1047 ff. – nachträgliche 1065 ff. Forderungsprüfung 1186 ff. Fortführung 294 ff. – eröffnetes Verfahren 612 ff., 672 ff. – Eröffnungsverfahren 294 ff. – Eröffnungsverfahren, Maßnahmen im Verwalterbüro 308 ff. Fortführungswerte 367 ff. Freiberufler 17 ff., 129 f. – Zulassungswiderruf 14 ff. Freigabe – einer selbstständigen Tätigkeit 613 ff., 640 ff. – einzelner Gegenstände 502 ff. – Grundstück 551 ff. – modifizierte/erkaufte 790 ff., 710 ff. – Sondermasse 623 ff. Fremdantrag 178 ff.

Genossenschaftsanteil 809 ff. Gerichtskosten 955 ff. Gewerbeuntersagung 10 ff. Gläubigerausschuss 98 ff. – Vergütung 1008 ff. – vorläufiger 98 ff. Gläubigerversammlung 1082 ff. Gläubigerverzeichnis 431 ff. Grundbesitz siehe Grundstück Grunddienstbarkeit 545 Grundpfandrechte 556 ff. Grundschuld siehe Immobiliarsicherheiten

Stichwortverzeichnis

Grundsicherung siehe Einkünfte – laufende Grundstück 711 ff. – Freigabe 532 ff. Grundstücksgleiche Rechte 711 ff. Gutachten – des Gutachters/Sachverständigen 342 ff. Gutachter siehe Sachverständiger

Hypothek siehe Immobiliarsicherheiten

Immaterieller Vermögenswert siehe Vermögenswert – immateriell Immobiliarsicherheiten 556 ff. Immobilie siehe Grundstück Insolvenzanfechtung siehe Anfechtung Insolvenzantrag 148 ff. – Sperrfrist 1337 ff. Insolvenzeröffnung 398 ff. – Eröffnungsentscheidung 398 ff. – Wirkungen 411 ff. Insolvenzeröffnungsverfahren 148 ff. Insolvenzfähigkeit 42 ff. Insolvenzforderung 1047 ff. Insolvenzgeld 310 ff. – Anspruchsübergang 327 ff. – Antrag 321 ff. – Höhe 319 ff. – Vorfinanzierung 327 ff. – Zahlung 324 ff. – Zeitraum 310 ff. Insolvenzgericht 93 ff. Insolvenzgläubiger 46 ff. Insolvenzmasse – Freigabe 502 ff. – Umfang 488 ff. – Verwaltung 500 ff. – Verwertung 446 ff., 500 ff. Insolvenzplan 1369 ff. – Ablauf 1387 ff. – Anfechtungsansprüche 1428 ff.

– Besserstellung 1378 ff. – Besteuerung des Sanierungsgewinns 1440 ff. – Deliktsforderungen 1434 ff. – Inhalt 1400 ff. – Planvorlagerecht 1382 ff. – vergessene Gläubiger 1437 ff. – Vergütung 1423 ff. – Voraussetzungen 1378 ff. Insolvenzschuldner 41 ff. – Konsequenzen Eigenverwaltung 395 ff. – Konsequenzen Eröffnungsverfahren und Sicherungsmaßnahmen 287 ff. – Konsequenzen Insolvenzeröffnung 459 ff. Insolvenzstraftaten 1332 ff. Insolvenztabelle 1047 ff. – nachträgliche Änderungen 1067 ff. – Prüfungsergebnisse 1067 ff., 1186 ff. Insolvenzverfahren – eröffnetes 398 ff. – eröffnetes, Ablauf 403 ff. Insolvenzverwalter 80 ff. – Aufgaben 411 ff. – schwacher vorläufiger 279 ff. – starker vorläufiger 278 f. – Vergütung 982 ff., 1246 ff. – vorläufiger 77 ff. – vorläufiger, Aufgaben 277 ff. – vorläufiger, Maßnahmen im Verwalterbüro 308 – vorläufiger, Vergütung 292 ff., 967 ff. – vorläufiger, Verwertung 281 ff.

Kasse 744 ff. Kollision – Sicherungsrechte 597 ff. Kraftfahrzeug 747 ff. – Leasing 750 – Sicherungsübereignung 751

359

Stichwortverzeichnis

– Steuer 762 ff. – Unpfändbarkeit 752 ff.

Lebensversicherung 780 ff. Liquidation 612 ff., 702 ff. Liquidationswerte 364 ff. Massearmut 1034 ff. Masseunzulänglichkeit 1039 ff. Masseverbindlichkeiten – sonstige 1011 ff. Masseverzeichnis 415 ff. Mietforderungen 799 ff. Mietkaution 548, 803 ff. Motivationsrabatt 1272

Nachmeldung siehe Forderungsanmeldung – nachträgliche Nachprüfungstermin 1065 ff. Nachranggläubiger 52 ff. Nachrangige Forderungen 1073 ff. Nachtragsverteilung 1206 ff., 1240 ff. Naturalobligationen 49, 1298 ff. Natürliche Person 119 ff. Nießbrauch 543

Obliegenheiten 1277 ff. Pfandrechte 565 ff. Pfändungsschutzkonto 861 ff. P-Konto siehe Pfändungsschutzkonto Pkw siehe Kraftfahrzeug Postsperre 260 Prüfungstermin 1055 ff. – Prüfungsergebnisse 1067 ff. Quotenberechnung 1096 ff. Rechnungslegung siehe Schlussrechnungslegung Rentenleistungen siehe Einkünfte – laufende

360

Restschuldbefreiung – Antrag 158 f. – Antragsrücknahme 234 ff. – asymmetrische Verfahren 1364 ff. – ausgenommene Forderungen 1307 ff. – Erteilung 1298 ff. – Treuhänder 89 ff. – Verkürzung 1310 ff. – Versagung 1324 ff. – Versagungsgründe Hauptverfahren 1324 ff. – Versagungsgründe Wohlverhaltensperiode 1347 ff. – Voraussetzungen 220 ff. – Wirkungen 1300 ff. Restschuldbefreiungsphase 1248 ff. Rückschlagsperre 1163 ff.

Sachanlagen – bewegliche 722 ff. Sachverständiger 70 ff. – Aufgaben 235 ff. – Bestellung 235 ff. – Maßnahmen im Verwalterbüro 249 f. – Vergütung 244 ff., 963 ff. Sachwalter 110 ff. – Aufgaben 390 ff. – Vergütung 397 ff., 997 ff. – vorläufiger 110 ff., 370 ff. – vorläufiger, Aufgaben 390 ff. – vorläufiger, Vergütung 397 ff., 941 ff. Sanierung – übertragende 690 ff. Sanierungsgewinn – Besteuerung des Sanierungsgewinns 1440 ff. Schlussbericht – Aufbauvorschlag 1205 f. Schlussrechnungslegung 1168 ff. – eröffnetes Verfahren 1168 ff.

Stichwortverzeichnis

– Eröffnungsverfahren 1174 ff. – Insolvenzplan 1427 f. – Wohlverhaltensperiode 1275 ff. Schlusstermin 1239 Schlussverteilung 1240 ff. Schlussverzeichnis 1186 ff., 1240 ff. Schuldenbereinigungsverfahren – außergerichtlich 163 ff. – gerichtlich 175 ff. Schuldnerberater 115 ff. Schuldnerberatungsstelle 115 ff. Schutzschirmverfahren 382 ff. Selbstständiger 127 ff. – ehemals 124 ff. Sicherungsabtretung 570 ff. Sicherungsmaßnahmen – vorläufige 250 ff. Sicherungsrecht – Kollision 597 ff. Sicherungsrechte 569 ff. – Abgeltung 1179 f. Sicherungsübereignung 581 ff. Sparbuch siehe Finanzanlagen Steuerliche Pflichten 1144 ff. Steuern – Erstattungsansprüche 764 ff. Stundungsantrag siehe Verfahrenskostenstundung – Antrag

Teilungsmasse 494 Tod des Schuldners – asymmetrische Verfahren 1470 ff. – eröffnetes Verfahren 1465 ff. – Eröffnungsverfahren 1463 ff. – Wohlverhaltensperiode 1468 ff. Treuhänder – Aufgaben 1254 ff. – Restschuldbefreiungsverfahren 89 ff. – Vergütung 991 ff., 1276 ff.

Umsatzsteuer 525 ff., 728 ff., 741 f. – Absonderungsgut 1023 ff. – Verwertung von Absonderungsgut 596 f.

Verbraucher 121 ff. Verfahrensabschluss 1212 ff. – Maßnahmen im Verwalterbüro 1175 ff. Verfahrensart – richtige 131 ff. Verfahrenskosten 951 ff. Verfahrenskostenstundung – Antrag 160 ff. – Folgen 217 ff. – Nachhaftung 1460 ff. – Voraussetzungen 207 ff. Vermächtnis 1287 ff. Vermieterinsolvenz 1124 ff. Vermögensübersicht 439 ff. Vermögenswert – Freigabe 509 ff. – immateriell 710 ff. – pfändbarer 509 ff. Vermögenswirksame Leistungen 793 ff. Verteilung – Nachtragsverteilung 1206 ff. Verteilungsreihenfolge 1243 ff. Vertragsverhältnisse 1090 ff. – Geschäftsbesorgungsverträge 991 ff. – Mietverhältnis, gewerblich 1110 ff. – Mietverhältnis, privat 1117 ff. – Wahlrecht 1092 ff. Verwertung – Grundsätze 705 ff. Verwertungsverbot 242 ff. Vollstreckungsverbot 1156 ff. – für Massegläubiger 1162 ff. Vorausabtretung 478 ff., 664 ff., 1303 ff. Vormerkung 1098 ff.

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Stichwortverzeichnis

Vorsatzanfechtung siehe Anfechtung – vorsätzliche Benachteiligung

Wohlverhaltensperiode 1248 ff. – Ausschüttung 1267 ff. – Überwachungsauftrag 1273 ff. Wohlverhaltensphase siehe Wohlverhaltensperiode

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Zahlungsunfähigkeit 189 ff. – drohende 196 ff. Zielsetzung – Regelinsolvenz natürlicher Personen 4 ff. – Verbraucherinsolvenz 39 ff. Zwangsvollstreckungsverbot siehe Vollstreckungsverbot Zweitinsolvenzverfahren 665 ff.