Informationsfreiheit als Grenze informationeller Selbstbestimmung: Verfassungsrechtliche Vorgaben der privatrechtlichen Informationsordnung [1 ed.] 9783428475070, 9783428075072

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Informationsfreiheit als Grenze informationeller Selbstbestimmung: Verfassungsrechtliche Vorgaben der privatrechtlichen Informationsordnung [1 ed.]
 9783428475070, 9783428075072

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MARGIT LANGER

Informationsfreiheit als Grenze informationeUer Selbstbestimmung

Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik Herausgegeben von Prof. Dr. Horst Ehmann und Prof. Dr. Rainer Pitschas

Band 2

Informationsfreiheit als Grenze informationeUer Selbstbestimmung Verfassungsrechtliche Vorgaben der privatrechtliehen Informationsordnung

Von

Margit Langer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Langer, Margit: Infonnationsfreiheit als Grenze infonnationeller Selbstbestimmung : verfassungsrechtliche Vorgaben der privatrechtliehen Infonnationsordnung I von Margit Langer. Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum Recht des Infonnationsverkehrs und der Infonnationstechnik ; Bd. 2) Zug!.: Trier, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07507-2 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Gennany ISSN 0940-1172 ISBN 3-428-07507-2

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1991/92 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Horst Ehmann für die Anregung zu dieser Arbeit, seinem Interesse und seiner aufmerksamen Betreuung durch fruchtbare Kritik und vielseitige Ratschläge während der Bearbeitungszeit. Herrn Prof. Dr. Gerhard Robbers danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Schließlich danke ich meinen Eltern, die mir während der gesamten Entstehungsphase der Arbeit starken Rückhalt gaben. Ihnen widme ich diese Schrift. Trier, im Februar 1992

Margit Langer

Inhaltsverzeichnis

I. Te i I Die grundgesetzliche und privatrechtliche Informationsordnung

15

/ .Abschnitt Einführung in das Problem

15

2. Abschnitt Wesen und Bedeutung der Information in der Gegenwart

16

A. Der Infollßationsbegriff .... ...... ... ...... ....... .... ................................. ............................. ............... I6 B. Die Bedeutung der InfoiTIIation in der Gegenwan ...................... .............................................. I8

3. Abschnitt Die Informationsordnung des Grundgesetzes

2I

A. Der Begriff der lnfollßationsordnung ... ......................... ........ ...... ......... .... ..... .. ... ... .. .... . ............ 2I B. Infollßation als grundgesetzliche Leitidee ............... ............. .................................................... 23 I.

In den Nollßcn des Grundrechtskataloges ................. .......................... ............ ................... 23 I. An. 5 I S. I GG ............................................................................................................ 23

2. An. 8 und 9 GG .. ...... ......... ...... .. ................................................ ............ ....................... 23 3. An. 5 III GG .................................... ............... .............................. ................................ 25 4. An. 3 III GG ................................................................................................................. 25

5. An. 4 I GG .................................................................................................................... 25 6. An.IOGG .................................................................................................................... 26 7. An. I2 und I4 GG ............................................................... ......................................... 26 8. An. 2 I GG als Auffanggrundrecht ................................................................................ 26 II.

In Nollßcn außerhalb des

Grundrcchl~katalogcs

........................................... ..................... 28

111. Cmersuchungsgegenstand und Gang der Untersuchung ..................................................... 29

Inhaltsverzeichnis

4. Abschnitt

Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

31

A. Die geschichtliche Entwicklung............................................................................................... 31 I.

Die Meinungsfreiheit im Altertum und im Mittelalter ...................................................... 31

11. Die Entwicklung vom Anbruch der Neuzeit bis zur französischen Revolution ................... 32

lll. Die Entwicklung in Deutschland- Von der Meinungs- zur Informationsfreiheit.. ............. 35 IV. Die internationale Anerkennung der Informationsfreiheit ................ ............ .. .. .. ..... ........... 38 B. Die ideengeschichtlichen Wurzeln der Meinungs- und Informationsfreiheit ............................. 40 I.

Die objektive Wurzel der Meinungsfreiheit....................................................................... 40

11. Die subjektive Wurzel der Meinungsfreiheit...................................................................... 42 111. Die geistesgeschichtlichen Wurzeln der Informationsfreiheit............................................. 43

IV. Gedankenfreiheit als übergeordnetes Schutzgut der Meinungs- und Informationsfreiheit... 44

5. Abschnin

Die privatrechtliche Informationsordnung

47

A. Informationsfreiheit als Grundprinzip der herkömmlichen Informationsordnung ...................... 47 I.

Informalionsansprüche ...................................................................................................... 49

II. lnformalionsbcschränkungen............................................................................................. 52 I. §§ 824, 826 BGB .......................................................................................................... 52 2. § 823 BGB i.V.m. strafrechtlichen Schutzgesetzen ........................................................ 52 3. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ............................................................................ 54 B. Von der Informationsfreiheit zum grundsätzlichen lnformationsverbot..................................... 59 I.

Das BDSG alter Fassung................................................................................................... 59

II. Das novellierte BDSG und das ..Recht auf Informationelle Selbstbestimmung"................. 60

Inhaltsverzeichnis

9

2. Teil Die Rechte der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit im Sinne von Art. S I S. I GG

66

6. Abschnitt

Grundrechtsverständnis und Grundrechtsinterpretation

66

A. Zur Auslegung der Grundrechte ............................................................................................... 66

B. Zur Theorie der Grundrechte.................................................................................................... 68 I.

Die liberale Grundrechtstheorie........... ... .. ........ ........ ... ........ .. ... .... .......... .. .. ..... ...... ............ 69

II. Die institutionelle Grundrechtstheorie ... .. ........... .. ... ..... .. ........................... .... ............. ....... 70 111. Die Wentheorie der Grundrechte....................................................................................... 70 IV. Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie ..... .. .... .......... ..................... .......... ......... 7I V. Die sozialstaatliche Grundrechtstheorie ............................................................................. 7I C. Zur Anwendung der Auslegungsmethoden und Grundrechtstheorien ........................................ 7I

7. Abschnitt Der Schutzbereich des Art. S I S. I GG im Hinblick auf die einzelnen Phasen der Datenverarbeitung

73

A. Der geschützte Personenkreis ... ... ... .... ... ....... ........... ............ ................ ............ .. .. .... ..... .. .... ...... 73 I.

Natürliche Personen .. ..... .. .. ... . .... ... ....... ........ ........ ... .. .. ... ...................... ...... .. ... ..... .. .. .. ....... 73

II. Juristische Personen des Privatrechts ................................................................................. 75 Ill. Anwendung auf Art. 5 I S. I GG ....................................................................................... 78 I. Reisneckerund Wohland............................................................................................... 78 2. Herrschende Meinung .. ... ..... ...... ... .. .. ... ....... .... .. ... ... .. .... ..................... .... .. .... ..... ............ 79 3. Stellungnahme .............................................................................................................. 79 B. Das grundsätzliche Verbot der Datenübermittlung als Eingriff in das Recht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 I S. I erster Halbsatz GG ........................................................................ 82 I.

Mcinungsbegriff................................................................................................................ 82 I. Personenbezogene Daten als Meinung?......................................................................... 82

a) Der Begriff der personenbezogenen Daten................................................................. 83 b) Der individualrechtliche Gehalt der Meinungsfreiheit................................................ 86 aa) Rothenbücher ........... .... ...... .. ... .......... .... .. ... ... ... .... ............ .............. ..... ... ....... ...... 87

Inhaltsverzeichnis

10

bb) Ridder ................................................................................................................. 87 cc) Leisner ................................................................................................................ 88 dd) Neuere Literatur und Rechtsprechung.................................................................. 88 ee) Stellungnahme.................................................................................................... 89 c) Tatsachenmitteilungen als Meinung im verfassungsrechtlichen Sinn? ........................ 96 aa) Enger Meinungsbegriff........................................................................................ 97 bb) Weiter Meinungsbegriff ...................................................................................... 98 cc) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts .................................................. 98 dd) Kritische Würdigung ........................................................................................... 99 II. Verarbeitungsformen Won. Schrift und Bild ..................................................................... 104

III. Datenerhebung als Recht der freien Meinungsäußerung? - Zugleich grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis des An. S I S.l erster zum zweiten Halbsalz GG ................ 106 IV. Sonderproblem: Datenbanken .......................................................................................... 110 I. Der Begriff der Datenbank ............................................................................................ IIO 2. Datenbanken in der Winschaft ...................................................................................... III a) Die Schufa ................................................................................................................ III b) Die Schimmelpfeng GmbH ....................................................................................... 112 3. Tätigkeit der Datenbanken als Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung? ....... 113 C. Grundsätzliches Verbot der Datenerhebung, -Speicherung, -veränderung und-nutzungals Beeinträchtigung der Informationsfreiheit im Sinne von An. S I S. I zweiter Halbsatz GG ...... 117 I.

Der individualrechtliche Gehalt der Informationsfreiheit ................................................... 117

II. Die einzelnen Phasen der Datenverarbeitung als ..sich unterrichten" ................................. 121 I. Datenerhebung .............................................................................................................. 121 2. Datenspeicherung.......................................................................................................... 123 3. Datenveränderung und -nutzung .................................................................................... I2S 111. ..Allgemein zugängliche Informationsquellen" als Zentralbegriff der Informationsfreiheit im verfassungsrechtlichen Sinn ......................................................................................... 127 I. Informationsquelle ........................................................................................................ 127 2. .,AIIgcmcinzugänglichkeit" ........................................................................................... 128 a) Erster Dcfmitionsversuch durch Ridder ..................................................................... 129 b) Venrctcr der älteren Literatur .................................................................................... 129 c) Gesetze als Maßstab zur Bestimmung der A1Igemeinzugänglichkcit.. ........................ l30 d) Qc[jnition des Bundesverfassungsgerichts und derneueren Literatur ......................... 130 e) Weitere Auslegung des Begriffs der Allgemeinzugänglichkeit................................... I3S () Kritische Würdigung- eigener Lösungsansatz .......................................................... 140

Inhaltsverzeiclmis

11

3. Teil Datenschutzgesetze als allgemeine Gesetze im Sinne von Art. S II GG Schranke der Meinungsäußerungs· und Informationsfreiheit?

8. Abschnitt ,,Allgemeine Gesetze" als Grenze der Meinungs· und Informationsfreiheit

149

149

A. Der Begriff der .,allgemeinen Gesetze" ..................................................................................... 149 I.

Die Lehren der Weimarer Zeit.. ......................................................................................... 150 I. Häntschel ...................................................................................................................... 150 2. Rotbenbücher ................................................................................................................ 151 3. Anschütz und Gebhard .................................................................................................. 152 4. Smend........................................................................................................................... 152

li. Die heutigen Lehrmeinungen ............................................................................................ 153 111. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Begriff der "allgemeinen Gesetze" ................................................................................................ 154 IV. Datenschutzgesetze als "allgemeine Gesetze" .................................................................... 161 B. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Einschränkung der ..allgemeinen Gesetze" ............. 163 I.

Inhalt und richterliche Nachprüfbarkeil des Verhältnismäßigkeitsprinzips ......................... 163

II. Überprüfung der Datenschutzgesetze am Maßstab der Verhältnismäßigkeit... .................... l67 I. Geeignetheit .................................................................................................................. l67 2. Erforderlichkeil ............................................................................................................. 169 3. Proportionalität ............................................................................................................. 172 a) Feststellung der widerstreitenden Interessen .............................................................. 176 b) Bewertung und Gewichtung der Interessen ................................................................ 176 aa) Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Rechte aus Art. 5 I S. I GG ........... 176 bb) Das •.Recht auf informationeHe Selbstbestimmung" ............................................ 177 c) Abwägung der widerstreitenden lnteressen ................................................................ l93

9. Abschnitt Zusammenfassung: Informationsfreiheit als grundgesetzliches Leitprinzip für die gesetzliche Ausgestaltung der privatrechtliehen Informationsordnung

205

LitcraturverLeiclmis ........................................................................................................................ 208

Abkürzungsverzeichnis a.F. AcP AlP

Anm. AöR AuR BAG BB BDSG BetrVG BGB BGH BGHSt BGHZ BVcrfG BVerfGE CR ders. DÖV DuD DVBI GG GoltdA GRlJR Hrsg. JA JöR JR JuS JZ n.F.

NJW RDV RGBI Rn. StGB UFITA VVDStRL

alter Fassung Archiv für civilistische Praxis Archiv für Presserecht Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeit und Recht Bundesarbeitsgericht Betriebsberater Bundesdatenschutzgesetz Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Computer und Recht derselbe Die Öffentliche Verwaltung Datenschutz und Datensicherung Deutsches Verwaltungsblatt Grundgesetz Goltdammers Archiv für Strafrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Herausgeber Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwan Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristenzeitung neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Recht der Datenverarbeitung Reichsgesetzblatt Randnummer Strafgesetzbuch Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer

Abkürzungsverzeichnis WRV ZPO

ZStW

Weimarer Reichsverfassung Zivilprozeßordnung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtwissenschaft

13

1. Teil

Die grundgesetzliche und privatrechtliche Informationsordnung 1. Abschnitt

Einführung in das Problem In der Volkszählungsentscheidungt aus dem Jahre 1983 hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff des "Rechts auf informationeHe Selbstbestimmung" als die Befugnis, selbst über die Preisgabe und Verwendung personenbezogener Daten zu bestimmen, aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet2 und die Grenzen dieses Rechts aufgezeigt. In der Datenschutzdiskussion wird diese Befugnis seither als Argumentationsgrundlage für einen weitergehenden Datenschutz verwendet. Der Gesetzgeber ist diesen Forderungen nunmehr mit der BDSG-Novelle in vorsichtiger Weise entgegengekommen. Das novellierte BDSG weitet im Vergleich zum BDSG alter Fassung das grundsätzliche Verbot der Datenverarbeitung für den privaten Bereich über die Datenspeicherung, -Übermittlung und -veränderung auf die Nutzung von Daten aus.3 Damit hat sich der Gesetzgeber einen weiteren Schritt von der herkömmlichen privaten Informationsordnung entfernt, wonach jedermann Informationen über andere erheben, sammeln, weitergeben oder vernichten kann, soweit er dadurch nicht in geschützte Geheimnisbereiche (wie das Briefgeheimnis) eindringt oder sonstige absolute Rechte (wie die Ehre oder das Allgemeine Persönlichkeitsrecht) eines anderen verletzt. Da ein Mehr an Selbstbestimmung über Informationen gleichzeitig immer eine Beschränkung des Schutzes der Informationsinteressen anderer bedeutet, stellt sich für den Juristen die Frage, ob der datenverarbeitende Bürger durch das nunmehr im novellierten BDSG noch ausgedehnte Informationsverbot mit Ausnahmevorbehalt in seinen Rechten verletzt wird. Bisher wurden die Auseinandersetzungen über datenschutzrechtliche Fragen im Bereich des Privaten und im Verhältnis Staat/Bürger überwiegend unter negativen Vor1 2 l

Vgl. BVerjGE 65, 1 ff. Siehe BVerjGE 65, 1 (Leitsatz). Vgl. § 4 I BDSG.

1. Teil: Die Informationsordnung

16

zeichen geführt. Im Vordergrund stand die Frage, wie die Ausforschung einer irgendwie gearteten Privatsphäre durch andere Private oder durch den Staat verhindert werden kann. Mit der vorliegenden Arbeit sollen nun einmal die Informationsinteressen des einzelnen näher beleuchtet und den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen entgegengehalten werden, die infolge des "Pathos" vom "Recht auf informationeile Selbstbestimmung" oft überbewertet werden. Die nachfolgende Untersuchung stellt den Versuch dar, ein argumentatives Gleichgewicht in dem vom Gesetzgeber stets vorzunehmenden Abwägungsprozeß zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteressen zu schaffen. 2. Abschnitt

Wesen und Bedeutung der Information in der Gegenwart

A. Der Informationsbegriff

Das Verb "informieren" und das Substantiv "Information" sind im deutschen Sprachgebrauch schon seit dem 15. und 16 Jahrhundert bekannt.4 Die Begriffe wurden aus den lateinischen Wörtern "informare" und "informatio" entlehnt. Informieren heißt wie "informare" in seiner übertragenen Bedeutung "durch Unterweisung bilden, befähigen, unterrichten".s Information bedeutet dementsprechend Nachricht, Auskunft, Belehrung.6 Im 17. und 18. Jahrhundert nannte man bezeichnenderweise den Haus- und Hoflehrer "Informator".7 Schon der etymologische Ursprung des Wortes "Information" zeigt damit ein wichtiges Charakteristikum von Informationen auf. Die Information ruft typischerweise beim Empfänger eine geistige Wirkung hervor. Windsheimer8 bezeichnet die Information daher auch als ein komplexes Geschehen, in dessen Verlauf objektive Erscheinungen als geistige Wirkungen in den Bereich des subjektiven Geistes projiziert werden. Das Wort Information umfaßt letztlich drei Aspekte: den Vorgang des Informierens, wobei zwischen den beiden Vorgängen des "sich informieren" und ,jemanden informieren" zu unterscheiden ist, das Objekt der

4

Vgl. Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, S. 739; Mackensen, Ursprung der Wöner, S. 190.

5

So Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch. S. 739.

Vgl. Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, S. 739. Vgl. Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, S. 739. 1 So Windsheimer, Die Information als Interpretationsgrundlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des An. 5 I GG, S. 18. 6 7

2. Abschnitt: Wesen und Bedeutung der lnfonnation

17

Wahrnehmung (Erscheinung) und dessen Reflex im Subjektiven, den Begriff, die Vorstellung, das Bild, das dem menschlichen Bewußtsein vermittelt wird.9 Der Gesichtspunkt des Hervorrufens geistiger Wirkungen beim Informationsempfänger findet sich auch in anderen Definitionsversuchen des Informationsbegriffs. SteinbuchlO umschreibt Informationen als den Stoff, aus dem Entscheidungen gemacht werden. Haefner betont ebenfalls den pragmatischen Charakter der Information, wenn er schreibtll: ..Infonnation karm als eine Nachricht definien werden, die für den Empfänger eine Bedeutung hat; durch ihre Aufnahme wird der Empfänger in aller Regel veränden."

Alle diese Begriffsumschreibungen schließen die Feststellung ein, daß der Mensch durch Informationen in seinem Handeln beeinflußt wird. Zur Illustration versetze man sich in die Lage eines Wanderers, der in unbekanntem Gelände an eine Weggabel kommt und nicht weiß, welchen der weiterführenden Wege er gehen soll. Ohne Information, wohin die Wege führen, geht er möglicherweise den falschen Weg und hat hierdurch Nachteile.l2 Zwischen Informationen und menschlichem Handeln besteht aber nicht nur in dem Sinne eine Abhängigkeit, daß sinnvolle Handlungen Informationen voraussetzen. Information und Handlung stehen vielmehr - wie Egloffl3 klar herausgearbeitet hat - in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Die menschliche Handlung produziert Informationen und setzt sie gleichzeitig voraus.l4 Egloff beschreibt Information daher auch als ..die von Menschen in eine Fonn gebrachte allgemeine Natur der Wirklichkeit. die die menschliche Praxis leitet und die Bestimmungen der abgebildeten Gegenstände realisien.... Durch lnfonnationen eignen sich die Menschen die Welt geistig an, um sie sich auch real anzueignen."IS

Damit sich nicht jedes Individuum erneut in direkter Auseinandersetzung mit der Umwelt die Wirklichkeit geistig aneignen muß, hat im Laufe der Geschichte ein Prozeß der Verallgemeinerung von Informationen eingesetzt.16 Der Mensch hat die Informationen aus ihrem jeweiligen Handlungskontext herausgelöst und verselbständigt, indem er sie mittels Sprache, Schrift und Bild übertragbar ge9 In diesem Sirme Windsheimer, Die lnfonnation als Interpretationsgrundlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des An. 5 I GG, S. 17. Windsheimer unterscheidet jedoch nicht zwischen •.sich informieren" und ,jemanden infonnieren". 1o So Sreinbuch, GRUR 1987,579 (581).

13

Siehe Haefner, DerGroße Bruder. 1980, S. 15. Beispiel nach Sreinbuch. RDV 1988, 1 (2). Vgl. Egloff, DVR 1978, 115 (116 f0.

14

So Egloff, DVR 1978, 115 (119).

11

12

1s Siehe Egloff, DVR 1978, 115 (116). 16

Vgl. Egloff, DVR 1978, 115 (117).

2 Longer

I. Teil: Die lnfonnationsordnung

18

macht hat.t7 Mit dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik haben sich die Fonnen der Infonnationsübertragung gewandelt. Während früher Infonnationen durch Zeichen, Bilder und von Mund zu Mund, später- insbesondere seit Entwicklung der Buchdrukkerkunst - durch schriftliche Aufzeichnungen ausgetauscht wurden, werden Infonnationen heutzutage mittels hochmoderner Datenübennittlungstechnikts transportiert und verbreitet. Diese Verselbständigung stellt eine weitere wesentliche Eigenschaft von Infonnationen dar. Der Mathematiker und Begründer der modernen Infonnationstheorie Norbert Wiener faßt dieses Charakteristikum der lnfonnation in seine Definition, wenn ert9 feststellt: "lnfonnation is infonnation, not matter or energy. No materialism which does not admit this can survive at the presem day."20

Infonnation ist also weder Materie noch Energie, sondern eine dritte Größe, die sich im Vergleich zu den beiden anderen Grundgrößen durch ihren immateriellen Charakter auszeichnet.21 Infonnationen können mitgeteilt und abgerufen werden, ohne daß es sichtbar wird und ohne daß sie selbst verringert werden. Die Verfügung über sie ist praktisch unbegrenzt.22

B. Die Bedeutung der Information in der Gegenwart

Schon die Bezeichnung der Information als dritte Grundgröße neben der Materie und der Energie weist auf die enonne Bedeutung von Infonnationen in heutiger Zeit hin. Infonnationen nehmen heute einen unvergleichlich höheren Stellenwert als jemals in der Vergangenheit ein.n Das gilt sowohl für den rein privaten Bereich des einzelnen als auch für sein Verhalten in den Bereichen des öffentlichen Lebens.24 Während die Menschen früher überwiegend aus dem eigenen Erfahrungswissen heraus ihre Entscheidungen treffen konnten, sind sie

11

Vgl. Egloff, DVR 1978, 115 (118) ..

Man denke nur an die Datenübenragungstechniken über Satellit und Glasfasern, die von elektronischen Vennittlungssystemen verwaltet werden und ein vollkommenes Verbundsystem unter den Computern ennöglichen. Nicht zu vergessen sind aber auch der Rundfunk und das Fernsehen. 19 Abgedruckt bei Sieber, NJW 1989, 2569 (2573). II

20 Zu deutsch etwa: "lnfonnation ist In{onnation, nicht Materie und nicht Energie. Irgendein Materialismus, der dies nicht zuläßt, ist heutzutage indiskutabel." Übersetzung nach Steinbuch, GRUR 1987,579 (581). 21 Vgl. Sieber, NJW 1989,2569 (2577).

23

So Krause, DVR 1980, 229. Vgl. Geiger, Die Grundrechte der Infonnationsfreiheit, S. 119.

24

Vgl. Geiger, Die Grundrechte der Infonnationsfreiheit, S. 119; Sieber, NJW 1989, 2265 ff.

22

2. Abschnitt: Wesen und Bedeutung der Information

19

heute in zunelunendem Maße auf immmer mehr und auch speziellere Informationen im Ralunen ihres Entscheidungsprozesses angewiesen. Schon die nahezu unübersehbare Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland anerkannten Berufe stellt den jungen Menschen heute bei der Berufswahl vor eine schwierige Entscheidung. Außerdem genügt es in unserer hoclunodemen und schnellebigen Zeit nicht mehr, daß der Berufsanfänger seine Wahl allein aufgrund seiner Interessen und Neigungen trifft, er muß vielmehr auch die Zukunftsperspektiven des angestrebten Berufes in seine Überlegungen mit einbeziehen. Demgegenüber wurde den jungen Menschen vor noch nicht einmal hundert Jahren die Entscheidung beim Einstieg ins Berufsleben abgenommen- man ergriff den Beruf des Vaters und Großvaters. Auch bei anderen rein privaten Entscheidungen des täglichen Lebens benötigt der Mensch immer mehr Informationen zur Orientierungs- und Entscheidungshilfe. Um nur ein paar Stichworte zu nennen: Welches Produkt der zahlreichen in- und ausländischen Waren entspricht meinen Bedürfnissen? Wie fmanziere ich am günstigsten meinen Hausbau? Wie lege ich mein Geld am gewinnbringendsten an? Diese Fragen sind angesichts der angestiegenen Entscheidungsalternativen, die sich dem einzelnen im Gegensatz zu früher bieten, nicht mehr allein aus dem eigenen Erfahrungsbereich heraus zu entscheiden, sondern bedürfen umfassender vorheriger Informationen. Nicht weniger stark ist die Abhängigkeit von Informationen im ökonomischen Bereich. Aufgrund der weltweiten Verflechtung der Wirtschaft - insbesondere auch des weltweiten Kampfes um Marktanteile - muß sich der Untemeluner immer wieder fragen, ob seine Entscheidung marktgerecht, richtig, nötig, zweckmäßig und vorteilhaft ist. Nicht selten bedient er sich dabei gesellschaftsund wissenschaftlicher Untersuchungen und Methoden, insbesondere dann, wenn es um Kundenverhalten und Marktentwicklung geht. Man muß sogar sagen, daß im Bereich der Industrie, obgleich sie materielle Güter herstellt, der Anteil an immateriellen Tätigkeiten immer weiter zunimmt. Forschung, Entwicklung, Planung und Organisation sind alles Aufgabenbereiche, in denen der Rohstoff und das Endprodukt ausschließlich Informationen sind.2S

2S Nicht olule Grund erscheinen immer mehr Bücher und Fachzeitschriften, die sich mit dem Prozeß der Informations- und Entscheidungsfindung des · Unternehmers beschäftigen. Vgl. die zahlreichen Neuerscheinungen im Sommer 1990, von denen im folgenden nur einige genannt werden: Müller-Böling!Rumme, Informations- und Kommunikationstecluliken für Führungskräfte; Schneider, Kulturbewußtes Informationsmanagement; Rosenkranz, Unternehmensplanung - Grundzüge der Modell- und computergestützten Planung.

20

I. Teil: Die Infonnationsordnung

Außerdem leben wir in einer Demokratie. Das heißt, daß jeder Bürger sich nicht nur um seine privaten Dinge kümmern muß, sondern sich für alle öffentlichen Angelegenheiten, für die er im Ergebnis mitverantwortlich ist, interessieren sollte. Um in diesen Angelegenheiten Stellung beziehen zu können, benötigt der Bürger Informationen. Ohne sie kann er weder beurteilen, wie die deutsche Einheit am besten zu finanzieren ist, noch sich über die schon länger diskutierte Frage des Einsatzes alternativer Energietechniken ein Urteil bilden. Nur der informierte Bürger ist in der pluralistischen Demokratie ein mündiger Bürger. Die hier kurz angerissenen Beispiele für die wachsende Bedeutung der Information auf dem ökonomischen und politischen Sektor zeigen ein weiteres Phänomen unseres Informationsbedürfnisses auf. Die Verwissenschaftlichung von Wirtschaft und Politik entwertet zunehmend unser Erfahrungswissen. Synthetische Fachinformation wird immer wichtiger, um in politischen Auseinandersetzungen wie im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf bestehen und eigene Interessen durchsetzen zu können.26 Das gesteigerte Informationsbedürfnis des einzelnen und der Gesellschaft insgesamt läßt sich nicht zuletzt mit statistischen Daten belegen. So stellt nach einer Schätzung der EG-Kommission aus dem Jahre 1987 die Informationsverarbeitung im weitesten Sinne heute zwei Drittel der Bruttoinlandsproduktion in Europa dar.27 Über 90 % der neu geschaffenen Arbeitsplätze betreffen den Informations- und Dienstleistungssektor.28 Außerdem wird die Speicherkapazität von Informationen ständig weiterentwickelt und verbessert. Die derzeit zu einem Stückpreis von 40 DM gehandelten 1-Megabitchips erfassen auf einer Fläche von weniger als 100 Quadratmillimetern Daten, die dem Text von 65 Schreibmaschinenseilen entsprechen und auf die in Zeiteinheiten von milliardstel Sekunden zugegriffen werden kann.29 Das immens gestiegene Informationsbedürfnis spiegelt sich darüberhinaus in den zahlreich gegründeten Auskunfteien und privaten Warndateien wider.3°. Am bekanntesten ist wohl die Schufa, deren Auskunftsystem es unter anderem ermöglicht, daß heute von den Kreditinstituten innerhalb von 15 - 20 Minuten nach Vorlage des Personalausweises sogenannte Konsumentenkredite vergeben werden können.3I Die bei der Schufa geVgl. auch Roßnagel u. a.• Digitalisierung der Grundrechte. S. 47 und 69. Vgl. Sieber, NJW 1989, 2569. :za Vgl. Sieber, NJW 1989.2569. 29 Vgl. Sieber, NJW 1989,2269 (2270). 30 Vgl. hierzu näherunten Abschnitt 7 3 B III. Jl Vgl. Ehmann, AcP 188 (1988), 231 (359). 26

21

3. Abschnitt: Die Infonnationsordnung des Grundgesetzes

21

speicherten Informationen ersparen den Kreditinstituten umständliche, langwierige und teure Nachforschungen vor jeder Kreditgewährung. Die moderne Informationstechnik steht also für :leiterspamis und eine umfassendere Information. Dabei mag es dahingestellt bleiben, ob das gestiegene Informationsbedürfnis die moderne Technik oder aber die moderne Technik das größere Informationsbedürfnis hervorgebracht hat. Unumstößlich ist jedenfalls die Tatsache, daß sich die moderne Gesellschaft durch eine größere Nachfrage nach Informationen und eine Vervielfachung der Informationsdichte auszeichnet.32 Erfahrungswissen verliert an Bedeutung, die Verwissenschaftlichung der "Erfahrung" ergreift zunehmend größere Lebensbereiche.33

3. Abschnitt

Die Informationsordnung des Grundgesetzes

A. Der BegritT der Informationsordnung Mit der soeben dargestellten wachsenden Bedeutung der Information in allen Lebensbereichen, die mit dem Schlagwort ,,Informationsgesellschaft"34 oder vorsichtiger - als "informatisierte Industriegesellschaft"3S gekennzeichnet wird, rückt für den Juristen die Frage nach der "richtigen" Informationsordnung immer mehr in den Mittelpunkt.36 Dabei wird der Begriff der Informationsordnung in der rechtswissenschaftliehen Diskussion noch selten verwendet.J7 In erster Linie benutzen ihn Wissenschaftler, die eine weitgehende rechtliche Reglementierung des Informationsverkehrs fordem.38 Informationsordnung ist aber nicht gleichbedeutend mit Reglementierung des lnformationsverkehrs.39 Der Begriff 32 So auch Geiger, Die Grundrechte der lnfonnationsfreiheit, S. 119 ff; Zöllner, Informalionsordnung und Recht, S. 13 f. n Vgl. hierzu Roßnagel u. a., Digitalisierung der Grundrectue, S. 47 ff. 34 So Ader, Der lnfonnationsschock; Sonntag, Die Zukunft der Infonnationsgesellschafi; Kiefer, Auf dem Weg zur Infonnationsgesellschaft; Roßnagel u.a., Digitalisierung der Grundrechte, Vorwon. 35 So Sieber, NJW 1989,2265 ff. 36 An der Universität Bayreulh wurde jüngst ein ,,Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Infonnationsrccht" eingerichtet Vgl. hierzu den Beitrag der Anuittsvorlesung. Sieber, NJW 1989, 2569 ff. 37 So Zöllner, Infonnationsordnung und Recht, S. 7. 3& Vgl. Bult, Die Grundprobleme des lnfonnationsrechts; Sieber, NJW 1989, 2569 ff der von Informationsrecht spricht; SteinmüUer, Informationsrecht und Infonnationspolitik, S. I ff und 280 ff; dcrs., Computernetze und Informationsrecht, in: DVR 1979,213 ff; Fiedler, DuD 1981 , 10. 39 So zu Recht Zöllner, Informationsordnung und Recht, S. 8.

22

I. Teil: Die Informationsordnung

der Informationsordnung umfaßt vielmehr die grundlegenden Regelungsideen, die für den Informationsverkehr maßgeblich sind.40 Es ist also der Oberbegriff für denkbare Infonnationsmodelle, vergleichbar mit dem Begriff der Wirtschaftsordnung.4t Ähnlich wie im Rahmen der Wirtschaftsordnung zwischen den beiden extremen Formen der freien Marktwirtschaft und der strengen Planwirtschaft unterschieden wird, sind auch für den Informationsverkehr zwei gegensätzliche Konzepte denkbar: Einerseits die vollkommene Freiheit des Informationsverkehrs und andererseits deren totale Reglementierung. Bei der Suche nach den grundlegenden Regelungsideen der Informationsordnung ist der Jurist auf das Grundgesetz "als einer rechtlichen Grundordnung des Staates, das auch den Grundriß einer Werteordnung enthält"42 verwiesen. Auch wenn Datenschutzgesetze einen neuartigen Sachverhalt, nämlich den Umgang mit Informationen unter Einsatz neuester Technik regeln, so sind diese informationsrechtlichen Nonnen nicht in dem Sinne neuartig, daß sie in unabhängigem Nebeneinander oder gar in direktem Gegensatz zu den übrigen rechtlichen Normierungen stehen können.43 Die bestehenden grundlegenden Regelungen menschlichen Verhaltens müssen vielmehr im Hinblick auf den neuartigen Sachverhalt ergänzt und konkretisiert werden. Ausgangspunkt und Richtschnur für die Ausgestaltung datenschutzrechtlicher Nonnierungen müssen die schon in der Rechtsordnung bestehenden Wertprinzipien sein, die sich auf den Umgang mit Informationen beziehen. Wo aber sind die Grundgesetzbestimmungen, die allgemeine Rechtsgrundsätze enthalten, an denen sich die datenschutzrechtlichen Nonnen messen lassen müssen?

40 41

•2 43

In diesem Sinne Zöllner, Informationsordnung und Recht. S. 8. Vgl. Zöllner, Informationsordnung und Recht, S. 8. Vgl. Karpen, JuS 1987,593. So Egloff, DVR 1978, 115 (116).

3. Abschnitt: Die Infonnationsordnung des Grundgesetzes

23

B. Information als grundgesetzliche Leitidee

I. In den Normen des Grundrechtskataloges

1. Art. 5 I S. 1 GG

Im Zusammenhang mit dem Begriff der Information denkt man innerhalb des Grundrechtskataloges zunächst an die drei Sätze des Art. 5 I GG, die lauten: ,Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu velbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehinden zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Ftlm werden gewährleistet. Eine Zensur fmdet nicht statt."

Aufgrund des Wortlauts des Art. 5 I GG ist der Staat gegenüber seinen Bürgern verpflichtet, ihnen die Freiheit zu gewährleisten, "Meinungen" und "Berichte" nach außen abgeben zu dürfen und zwar unabhängig davon, ob sie in Wort, Schrift, Bild oder durch die Presse, den Rundfunk oder den Film vermittelt werden. Diesem "freien Geben"44 setzt das Grundgesetz mit der Formulierung im zweiten Halbsatz des Art. 5 I S. 1 GG "sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten" das Recht des Informationsempfangs, in der Terminologie Windsheimers45 - "das Recht des freien Nehmens" - gegenüber.46 An dieser Stelle kann noch dahingestellt bleiben, wie die Wendung "sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten" zu verstehen ist. Allein aufgrunddes Wortlauts von Art. 5 I GG steht fest, daß jedennann das Recht zusteht, sich über Meinungen und Berichte, die allgemein zugänglich abgegeben werden - was immer dies auch heißen mag -ungehindert unterrichten kann. 2. Art. 8 und 9 GG Eng verbunden mit den Rechten des Art. 5 I GG sind die in Art. 8 und 9 GG verankerten Rechte der Versammlungs- und Vereinsfreiheit. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit umfaßt das Recht, Versammlungen zu veranstalten und 44 Windsheimer, Die Infonnation als Interpretationsgrundlage filr die subjektiven Offentliehen Rechte des An. 5 I GG, S. 33.

4' Vgl. Windsheimer, Die Infonnation als Interpretationsgrundlage fllr die subjektiven Offentliehen Rechte des An. 5 I GG, S.33. 46 Das Grundgesetz unterscheidet also die Vorgänge des ,,sich infonnierens" und ,jemanden infonnicren··.

I. Teil: Die Infonnationsordnung

24

an solchen teilzunelunen.47 Versanunlungen sind nach herrschender Meinung Zusammenkünfte einer Mehrzahl von Menschen zu dem Zwecke, gemeinsam private und öffentliche Angelegenheiten zu erörtern, geistig aufeinander einzuwirken oder ihre Meinung zwecks Einwirkung auf Dritte, insbesondere die Öffentlichkeit kundzutun.48 Art. 9 GG verbürgt für alle Deutschen das Recht, sich in Vereinigungen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusarnrnenzuschließen.49 Die Versammlungs- und Vereinsfreiheit dokumentieren, daß der Mensch nicht nur als isoliertes Individuum betrachtet werden darf, sondern daß ihm auch die Möglichkeit kollektiven Handeins eingeräumt werden muß. Versammlungen werden daher auch als ,,Zusanunenkünfte mehrerer Menschen zum Zwecke gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung"so, "als Grundrecht, durch das der einzelne geistige Gemeinschaft ausdrückt und erfährt"S 1, bezeichnet. Die Vereinsfreiheit wird "als Ausdruck der Freiheitlichkeit des Gemeinwesens und menschlicher Assoziation" begriffen.s2 Der eigentliche Sinn der Vereins- und insbesondere der Versammlungsfreiheit besteht letztlich darin, daß die an den Zusanunenkünften teilnelunenden Personen die Möglichkeit haben, sich durch eigene Beiträge an den stattfmdenden Erörterungen zu beteiligen, also ihre Meinung zu äußern. Andererseits nelunen viele aber auch an einer Versammlung teil oder schließen sich einer Vereinigung an, um sich selbst zu informieren. Die Versanunlung und der Verein lassen sich in ihrer Funktion als Zusammensein zum interpersonalen Meinungs- und Informationsaustausch beschreiben. Hier wird die enge Beziehung zu den Rechten aus Art. 5 I S. 1 GG sichtbar. Man spricht sogar von den Freiheiten der Art. 8 und 9 GG als den kollektiven Erscheinungsformen der Meinungsfreiheit.S3 Insoweit erscheinen die Versammlungs- und Vereinsfreiheit als ErgänzungS4 und konsequente Fortführungss des Art. 5 I S. I GG. So ist es nicht verwunderlich, daß Art. 5, 8 und 9

Vgl. Seiferr!HlJmig, Grundgese!Z, Art. 8 Rn. I. Siehe Seifert!HlJmig, Grundgese!Z, Art. 8 Rn. 3. 49 Vgl. von Münch, Grundgese!Z, Art. 9 Rn. 9. so So BVerjGE 69, 315 (343). SI So Kwepfer, Handbuch des Staatsrech!S VI, § 143 Rn. I. 47 4'

sz Vgl. Merten, Handbuch des StaaiSrechlS VI,§ 144 Rn. 4. SJ So MaiUIZ-Zippelius, DeuiSches StaaiSrechl, S. 197. S4 Vgl. von Münch, Grundgesetz, Art. 8 Rn. I. ss So Reisnec/cer, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der aUgemeinen

Gese!Ze im Sinne des Art. 5 II GG, S. 103.

3. Abschnitt: Die Infonnationsordnung des Grundgesetzes

2S

GG allgemein56 unter dem Oberbegriff ,,Kommunikationsrechte" zusammengefaßt werden. 3.Art.5IIIGG Eine wichtige Rolle mißt das Grundgesetz der Infonnation auch im Bereich der Wissenschaft bei. Art. 5 III GG gewährt jedem in der Wissenschaft Tätigen das Recht zur Abwehr staatlicher Einwirkungen auf den Prozeß der Gewinnung und Vennittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. 4. Art. 3IIIGG Auf den ersten Blick fernliegend für die Bedeutung der Infonnation im Rahmen des Grundrechtskataloges scheint das in Art. 3 m GG festgeschriebene Differenzierungsverbot zu sein. Dieses Differenzierungsverbot stellt eine Konkretisierung des in Art. 3 I GG enthaltenen allgemeinen Gleichheitssatzes dar; insoweit besagt Art. 3 III GG nichts Besonderes. Darüberhinaus schützt Art. 3 III GG aber ausdrücklich das Recht, seine weltanschauliche.57, religiöse und politische Meinung ohne Benachteiligung oder Bevorzugung äußern zu können. Auch wenn Art. 3 III GG dieses Recht nicht ausdrücklich verbürgt, so ergibt sich diese Schutzrichtung des Grundrechts aus seinem Inhalt. Denn nur wenn Überzeugungen geäußert und damit für die Umwelt erkennbar werden, können sie Benachteiligung oder Bevorzugung auslösen.ss Art. 3 III GG enthält also eine besondere Verbürgung des in Art. 5 I S. 1 1. HS GG verankerten Rechts der Meinungsäußerungsfreiheit, lediglich beschränkt auf die Gebiete der Religion, Weltanschauung und Politik.

5. Art. 4 IGG Mit Art. 3 III GG und dem darin zum Ausdruck kommenden Verbot, jemanden wegen seiner religiösen und weltanschaulichen Ansichten zu bevorzugen beziehungsweise zu benachteiligen, ist der informationeHe Bezug der Bekennt56

Rn. I.

Vgl. Handbuch des Staatsrechts VI, Inhaltsverzeichnis unter V; von Mflnch, Grundgesetz, Art. 8

l 7 Nach herrschender Meinung ~faßt der Begriff ..Glaube" religiöse und nichtreligionsoricnticne. nämlich weltanschauliche Uberzeugungen. Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig!Herzog, Art. 3 111 Rn. 95. ss Vgl. von Münch, Grundgesetz, Art 3 Rn. 95 m.w.N.; Dürig, in: Maunz/Dürig!Herzog Art. 3 Rn. 96.

26

1. Teil: Die Infonnalionsordnung

nisfreiheit des Art. 4 I GG hergestellt.59 Die Bekenntnisfreiheit des Art. 4 I GG gibt dem einzelnen das Recht, aussprechen zu dürfen, ob und was er glaubt.60

6. Art.10GG Ebenso ist bei Art. 10 GG der Informationsbezug nicht zu leugnen. Zwar regelt dieses Grundrecht nicht direkt den Zugang beziehungsweise Nichtzugang zu Informationen und deren Verarbeitung, jedoch garantiert Art. 10 GG deren elementarste Voraussetzung, indem Eingriffe verboten werden, von denen eine indirekte Beeinträchtigung privater Kommunikation zu erwarten ist.6t Hinter dem Verbot des Abhörens von Telefongesprächen steht nicht zuletzt die Befürchtung,daß eine Überwachung dazu führt, daß dieses notwendige Kommunikationsmittel nicht mehr verwendet wird.62 7. Art. 12 und 14 GG Auch die in den Art. 12 und 14 GG garantierte Berufs- und Eigentumsfreiheit enthalten für den Staat Richtlinien für die Regelog des Informationsverkehrs. Zu denken ist nur an die Unternehmerische Tätigkeit im Ralunen der Informationsverarbeitung, wie bei Auskunfteien und Detekteien, aber auch an Normierungen, die die Benutzung von Computern weitgehend einschränken.63 8. Art. 2 I GG als Auffanggrundrecht Schließlich ist bei der Frage, ob das Verhalten des Staates in bezugauf die Information des Individuums innerhalb des Grundrechtskataloges verbindlich normiert ist, auf das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 I GG einzugehen. Art. 2 I GG bringt die in der Menschenwürde enthaltene Komponente der freien Entfaltung des Menschen zum Ausdruck, wozu insbesondere auch die freie Entfaltung der im Menschen angelegten Fähigkeiten und Kräfte zählen.64 Der Mensch 59 Für das angestrebte Ziel der vorliegenden Arbeit ist das sehr problematische Verflältnis von An. 3 III GG und An. 4 GG nicht von Bedeutung. Vgl. hierzu Diirig, in: Maunz/Diirig/Henog An. 4 Rn. 97 ff. 60 Vgl. von Münch, Grundgesetz, An. 4 Rn. 33; Maunz-Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 189.

•• So Egloff, DVR 1978, 115 (126). 62 So Egloff, DVR 1978, 115 (127). 63 . Vgl. Breitfeld, Berufsfreiheit und Eigentumsschutz als Schranke des Rechts auf infonnationelle Selbstbestimmung, §§ 1 und 2. "' Siehe Schramm, Staatsrecht Bd. 2, S. 96.

3. Abschnitt: Die Informationsordnung des Grundgesetzes

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kann riechen, sehen, hören, schmecken und sich mittels der Sprache anderen mitteilen.6 s Er ist also bereits aufgrund seiner naturgegebenen Fähigkeiten in der Lage, Informationen aufzunehmen und weiterzugeben. Das elementare Bedürfnis, den eigenen Lebensraum zu erkunden und sich über seine Mitmenschen zu informieren, ist folglich von Art. 2 I GG geschützt.66 Bei der Anwendung von Art. 2 I GG muß jedoch dessen lückenschließende Auffangfunktion67 berücksichtigt werden. Da es den Grundgesetzgebern als ein unmögliches Unterfangen erschien, sämtliche Formen menschlicher Freiheit in einem Grundrechtskatalog vollständig und abschließend aufzuzählen, fixierten sie die wichtigsten Freiheitsrechte, die in der Vergangenheit am stärksten bedroht wurden, ausdrücklich im Grundrechtskatalog, um die besondere Schutzbedürftigkeit dieser Rechte zu betonen. In ihrem Bestreben, die menschliche Freiheit in vollem Umfang zu schützen, stellten sie in Art. 2 I GG die allgemeine Handlungsfreiheit als umfassenden Ausdruck der persönlichen Freiheitssphäre an die Spitze des Grundrechtskataloges.68 Durch diese Konzeption gibt es letztlich keine Freiheitssphäre mehr, die nicht in den Schutzbereich eines Grundrechts, sei es eines Spezialfreiheitsrechts oder dem allgemeinen Auffangrecht Art. 2 I GG unterfällt.69 Deshalb wird Art. 2 I GG auch als das Hauptfreiheitsrecht70, Hauptgrundrecht71, Muttergrundrecht12 oder als das allgemeinste und oberste Freiheitsrecht73 charakterisiert. Die einzelnen Freiheitsrechte sind somit lediglich Konkretisierungen und Ausprägungen der in Art. 2 I GG verankerten allgemeinen Handlungsfreiheit. Art. 2 I GG steht demzufolge im Verhältnis der Subsidiarität zu den anderen Grund-

65 So schon Brossene, Der Wen der Waluheit im Schatten des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, S. 24 ff. 66 Nach der weiten Auslegung des An. 2 I GG durch das Bundesverfassungsgericht erfa8t dieses Grundrecht schlechthinjedes menschliche Verflalten. Vgl. BVerjGE 6, 32 (36). 67 So Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 285. 68 Vgl. Seiferr/Hömig, Grundgesetz, An. 2 Rn. 2. 69 Schmin Glaeser, Handbuch des Staatsrechts VI, § 129 Rn. 18 weist darauf hin, daß Eingriffe in Rechtspositionen eines Grundrechtsträgers mittelbar immer auch die Handlungsfreiheit beeinträchtigen. 1o So Seifert/Hömig, Grundgesetz, An. 2 Rn. 2. 71 Vgl. Dürig, AOR 79 (1953/54), S. 57 (60). n So BGH in: DVBl 53, 471 (472); HQIIIQII/I, Grundgesetz, An. 2 Anm. A 3 a; Schramm, Staatsrecht Bd. 2, S. 98; PodJech, Alternativ-Kommentar, An. 2 Rn. 6. 73 So Dürig. JR 1952, 260.

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1. Teil: Die lnfonnationsordnung

rechten und kommt nur zum Zuge, wenn keines der speziellen Einzelgrundrechte anwendbar ist.74 Gerade die Weite und Offenheit des Grundrechtstatbestandes von Art. 2 I GG birgt für den Interpreten, aber auch für das Grundrecht selbst erhebliche Gefahren. Da jedes menschliche Verhalten unter Art. 2 I GG subsumierbar ist- auch der Mörder macht von seiner allgemeinen Handlungsfreiheit Gebrauch - wird Art. 2 I GG entwertet. Zöllner beschreibt die häufige Anwendung dieses Grundrechts sarkastisch als "einen die Substanz verschleißenden Vielgebrauch"7S.

/1. In Normen außerhalb des Grundrechtskataloges

Auch außerhalb des Grundrechtskataloges fmden sich im Grundgesetz Normen, die sich auf die Information, die Unterrichtung des Individuums beziehen. Gemäß Art. 42 I GG muß der Bundestag öffentlich verhandeln, sofern die Öffentlichkeit nicht mit Zweidrittelmehrheit ausgeschlossen wird. Art. 44 I GG bestimmt, daß ein Untersuchungsausschuß des Bundestages in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Art. 52 III S. 3 GG normiert schließlich die Öffentlichkeit der Bundesratsverhandlungen. Öffentlichkeit im Sinne dieser Normen bedeutet, daß jedermann freien Zutritt zu den Sitzungen hat.76 Durch diese Raumöffentlichkeit der Sitzungen erhält der Bürger die Möglichkeit, sich über die Tätigkeit staatlicher Organe zu unterrichten. Immer wieder wird betont77, daß die Öffentlichkeit der Bundestagssitzungen - insbesondere deren Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen - eine wertvolle Ergänzung des demokratischen Prinzips darstellt, weil dadurch eine gewisse Publizität der Parlamentsarbeit bewirkt und auf diese Weise einerseits eine gewisse Kontrolle seitens des Volkes, andererseits aber auch die Anteilnahme der Bevölkerung an der Parlamentstätigkeit sichergestellt wird. Das Grundgesetz verpflichtet jedoch nicht nur den Staat dazu, Informationen über sich selbst preiszugeben. Mit Art. 21 I S. 3 GG wird auch den Parteien, die 74 Dies ist ständige Rechtsprechung. Vgl. BVerjGE 6, 32 (37); 9, 63 (73); 10, 55 (58); II, 234 (239); 12,341 (347); 21,227 (234); 23,50 (55 f.); 30,336 (351); 67, 157 (171). " Siehe Zöllner, lnfonnationsordnung und Recht, S. 21.

" Vgl. Versteyl, in: von MUnch. Grundgesetz, An. 42 Rn. 8; Maunz. in: Maunz!Dürig!Herzog, An. 42 Rn. 3; Vemeyl, in: von MUnch, Grundgesetz, Art. 44 Rn. 16; Maunz, in: Maunz!Dürig!Herzog, An. 44 Rn. 46; Hendrichs, in: von MUnch, Grundgesetz, An. 52 Rn. 8; Maunz, in: Maunz/Dürig!Herzog, An. 52 Rn. 25. n Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, An. 42 Rn. I; Versteyl, in: von Münch, Grundgesetz, An. 42 Rn. 7.

3. Abschnitt: Die Infonnationsordnung des Grundgesetzes

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eine vermittelnde Stellung zwischen Staat und Gesellschaft einnehmen78, ein gewisses Maß an Publizität abverlangt. Nach dieser Vorschrift müssen die Parteien über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft ablegen. Öffentlich Rechenschaft geben bedeutet, daß die Parteien unbestimmt vielen und unbestimmt welchen Personen in die Herkunft ihrer Mittel Einsicht gewähren müssen.79 Die Rechnungslegungspflicht besteht also nicht gegenüber dem Staat, sondern gegenüber den Bürgern. Es zeigt sich, daß das Grundgesetz in verschiedenen Bestimmungen innerhalb und außerhalb des Grundrechtskataloges das Verhalten des Staates in Bezug auf die Information des Bürgers normiert. Es besteht Medienfreiheit, der einzelne kann seine Meinung äußern und sich aus allgemein zugänglichen Quellen unterrichten. Der Kontakt des einzelnen zu seinen Mitmenschen wird darüberhinaus durch die Versammlungs- und Vereinsfreiheit garantiert. Der Bürger kann sich ferner über die staatliche Tätigkeit informieren. Information als Ausdruck zwischenmenschlicher Kontakte steht damit im Mittelpunkt des Grundgesetzesso, obgleich der Begriff im Grundgesetz an keiner Stelle Erwähnung fmdet.

l/1. Untersuchungsgegenstand und Gang der Untersuchung In der vorliegenden Arbeit soll nun die Frage untersucht werden, ob die oben angesprochenen Grundrechtsnonnen Leitideen für die Ausgestaltung des Datenschutzes zwischen Privatpersonenst enthalten. Die dargestellten Nonnen außerhalb des Grundrechtskataloges scheiden unter diesem Blickwinkel aus. Sie beschäftigen sich lediglich mit dem Umgang von Informationen im Verhältnis des Staates zum Bürger, nicht aber um den hier interessierenden Informationsverkehr im Privatrechtsverhältnis. Damit wird der Blick auf die Grundrechte gelenkt. Statuieren sie für den Gesetzgeber, der gemäß Art. 1 lli GG an die Grundrechte gebunden ist, Richtlinien für die Ausgestaltung der privatrechtliehen Infonnationsordnung? Siehe von Münch, Grundgesetz, An. 21 Rn. 21. Vgl. vonMünch, Grundgesetz, An. 21 Rn. 57. so Demgegenüber knüpft das BGB mit seiner Unterteilung in Rechtsgeschäfte, Geschäftsfilhrung ohne Auftrag, ungerechtfenigte Bereicherung und Deliktsrecht an die von Puchta entwickelte Begriffspyramide an, an deren Spitze der Handlungsbegriff steht. Vgl. Puchta, Vorlesungen über das heutige römische Recht, 2. Band, 6. Buch. 81 Untersuchungsgegenstand dieser Albeit ist nur die Ausgestaltung der privatrechtliehen lnformationsordnung, denn nur der Private - nicht der Staat selbst - kann sich gegenüber der Legislative auf Grundrechte berufen. 78

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1. Teil: Die lnfonnationsordnung

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Die wenigen Autorens2, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben, verweisen auf Art. 2 I und 5 I GG, ohne jedoch den konkreten Anwendungsbereich dieser Grundrechtsbestimmungen im Rahmen der Datenschutzgesetzgebung im einzelnen genau zu untersuchen. Diese Lücke soll mit der vorliegenden Arbeit geschlossen werden. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Kapitel steht dabei die Auslegung des Art. 5 I S. 1 GG, der die Rechte der Meinungs- und Infonnationsfreiheit verbürgt. Mit diesem Problemkreis beschäftigt sich ausschließlich der zweite Teil dieser Arbeit. Zuvor soll jedoch im nächsten Kapitel der Historie und den ideengeschichtlichen Wurzeln des Art. 5 I S. 1 GG nachgegangeri werden. Möglicherweise läßt sich aus der Betrachtung der Geschichte und der ideengeschichtlichen Wurzeln des Art. 5 I S. 1 GG Wesentliches in bezug auf den heutigen Inhalt dieser Grundrechtsbestinunung ennitteln. Denn jedes Grundrecht hat als Abwehrrecht seine ,historischen Wurzeln in einem vorausgegangenen Mangel an Freiheit, gegen den es sich wendet. Wenn es gelingt, dieses Freiheitsstreben klar zu erfassen, steht zugleich der ursprüngliche Sinn des Art. 5 I S. 1 GG fest. Natürlich darf der Grundrechtsinterpret nicht beim ursprünglichen Sinn des Grundrechts stehen bleiben, sondern er muß dessen Weiterentwicklung, angepaßt an die gegenwärtigen Lebensverhältnisse, verfolgen. Ist dem Grundrechtsinterpreten doch zunächst einmal bewußt, welches philosophischpolitische Staats- und Menschenbild mit einer Grundrechtsbestimmung verwirklicht werden sollte, so ist er der Zielrichtung des Rechts einen wesentlichen Schritt näher gekommen. 83 Nur unter Berücksichtigung der Zielrichtung des Grundrechts lassen sich gegenwärtige Konflikte sinngemäß - und nicht nur buchstabengetreu, aber unter Umständen sinnwidrig -entscheiden. 84 Dem geschichtlichen Abriß der in Art. 5 I S. 1 GG verankerten Rechte der Meinungs- und lnfonnationsfreiheit, folgt in einer Gegenüberstellung die Entwicklung des privatrechtliehen Informationsverkehrs. Abschließend werden im dritten Teil der Arbeit die vom Gesetzgeber im Rahmen des Abwägungsprozesses beim Erlaß von· datenschutzrechtlichen Normen zu berücksichtigenden Infonnations- und Geheimhaltungsinteressen diskutiert und gewichtet.

s2 So Ehmann AcP 188 (1988), 230 (237); Zöllner, Daten- und Infonnationsschutz, S. 19; ausführlicher Brosserte, Der Wen der Waluheit im Schatten des Rechts auf infonnationeUe Selbstbestimmung, S. 184 ff; Kloepfer, Datenschutz als Grundrecht, S. 12 f. 13 Stein behauptet sogar. daß die teleologische Auslegung keine selbstandige Interpretationsmethode sei. Die Zielrichtung einer Nonn lasse sich nur aus ihrem Wortlaut, der geschichtlichen En!wicklung und dem systematischen Zusammenhang enniueln. Vgl. Stein, Staatsrecht,

S. 25 .

u So Stein, Staatsrecht, S. 21.

4. Abschnitt: Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

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4. Abschnitt

Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

A. Die geschichtliche Entwicklung

I. Die Meinungsfreiheit im Altertum und im Mittelalter

Im Altertum kannte man eine verfassungsmäßige Verbürgung der freien Meinungsäußerung nicht. Trotzdem sind die Staaten des Altertums nicht willkürlich mit der Freiheit des einzelnen, seine Meinung kundzutun, umgegangen. ·Im Gegenteil, das Recht auf freie Meinungsäußerung war im Altertum weitgehend anerkannt. Als Beleg mag hier der Gruß der Athener "Ti neoteron" -was gibt es Neueres, erwähnt sein. Dieses Grußwort steht für den damals weitgehend unangefochtenen freien Austausch von Informationen im Stadtstaat Athen. Allerdings konnte nicht straflos durch Wort, Schrift und sonstige Darstellung gegen die Staatsreligion gefrevelt werden. Delikte gegen die Religion, die auch durch Meinungsäußerungen begangen werden konnten, unterlagen der Gerichtsbarkeit der Regierenden. Sie wurden mit Hinrichtung des Frevlers und Verbrennung seiner Schriften geahndet. Eine Kontrolle oder Lenkung des freien Geisteslebens war den alten Griechen- mit Ausnahme der Religion- insgesamt aber fremd.ss

Ebenso wie das antike Griechenland kannte auch das römische Recht weder allgemeine Grund- und Menschenrechte noch ·subjektiv öffentliche Rechte des einzelnen. Nichtsdestoweniger stand das republikanische und teilweise auch noch das kaiserliche Rom dem freien Austausch von Gedanken und Tatsachen, ausgehend von der römischen Überzeugung, daß dem Staatsinteresse am besten durch selbstverantwortliches Handeln des einzelnen gedient sei, tolerant gegenüber.S6 Auch die Germanen akzeptierten weitgehend das Recht zur freien Meinungsäußerung, wenigstens für den "vollwertigen Volksgenossen".S7 Alle freien und wehrhaften Männer hatten das Recht und die Pflicht, am sogenannten as Vgl. Reisnecker. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der aUgemeinen Gesetze im Sinne des An. 511 GG. S. 18. · 16 Vgl. Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der aUgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 18. &7 Vgl. Hellwig, An. 118 WRV, in: Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, S. 1.

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1. Teil: Die Infonnationsordnung

"Thing" teilzunehmen. "Thing" war die Bezeichnung für die gennanische Volksversammlung, die im wesentlichen politische Funktionen wahrnahm, sowie der Rechtsfindung und Rechtsprechung diente. Die von den Fürsten zur Beschlußfassung gestellten Anträge konnten die Mitglieder des Thing ablehnen oder annehmen. Im mittelalterlichen Territorialstaat war der einzelne dann der geistigen Bevonnundung und der Kontrolle seiner Meinungsäußerung durch die beiden Obrigkeiten Staat und Kirche ausgesetzt. Die Kirche galt im Mittelalter als die Herrin über die Wahrheit, und das nicht nur in religiösen Fragen. Gegen Ketzer wurde mit schärfsten Strafen vorgegangen. Auf Häresie stand in der Regel die Todesstrafe durch Verbrennung. Die gleiche Strafe sah der Sachsenspiegel für Ketzer vor.S8 Die Meinungsdiktatur der Kirche währte lange über das Mittelalter hinaus. Noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts konnte die Kirche einen Giordano Bruno verbrennens9 und einen Galileo Galilei zum Widerruf zwingen90.

II. Die Entwicklung vom Anbruch der Neuzeit bis zur französischen Revolution

Mit Erfindung des Buchdrucks um 1450 durch Johannes Gutenberg verschärfte sich der Kampf zwischen den Obrigkeiten Kirche und Staat und den Verbreitem9t neuen Gedankengutes. Das Aufkommen des Buchdruckes gab dem einzelnen die Möglichkeit seine politischen, weltanschaulichen und religiösen Überzeugungen leichter als bisher einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Damit büßte die geistliche und weltliche Obrigkeit das Bildungsprivin Der Sachsenspiegel war das bedeutenste Rechtsbuch des Mittelalters und galt von 1220 bis 1235. Bt Den durch Italien, Frankreich, England und Deutschland umhergetriebenen Dominikaner schickte das Richterkollegium der Inquisition nach 7-jähriger Gefangenschaft schließlich am 17.2.1600 auf den Scheiterhaufen. 90 Galilei, der wegen Ungehorsam und Ketzerei angeklagt war, schwor am 22.6.1633 in Rom vor dem Inquisitionsgericht seinem Bekenntnis zum heliozentrischen Weltsystem des Kopemikus ab. Bis zu seinem Tod im Jahre 1642 blieb Galilei Gefangener der Inquisition. tl Zu denken ist hier nur an die 1509 erschienene Flugschrift des Erasmus von Rotterdam mit dem Titel ..laus stulitiae". in der er die Mißstände innerhalb der Kirche scharf kritisierte; ferner an die Streitschriften Manin Luthers (1483- 1546), darunter seine 95 Thesen, die ebenfalls als Flugschriften weite Verbreitung fanden; an Nikolaus Kopemikus (1473 - 1543), der in seinem Buch •.De revolutionibus orbium coelestium" 1543 bewußt machte, daß die Sonne im Mittelpunkt der Welt steht, um die Planeten kreisen; ferner an Giordano Bruno (1548- 1600), der die Lehre vom heliozentrischen Sonnensystem des Kopemikus durch das pantheistische System vom unendlichen Universum ohne Mittelpunkt crweitene.

4. Abschnitt: Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

33

leg ein, das ihr bislang vorbehalten war. Hatte sich die Kirche bisher mit der nachträglichen Verfolgung von ketzerischen Schriften begnügt, so führte sie nunmehr ein für die Meinungsfreiheit verhängnisvolles Mittel ein, die Zensur.92 Mit Einführung der Zensur wurde den Menschen erstmals die Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung ins Bewußtsein gehoben93. In England, wo besonders strenge Zensurbestimmungen herrschten, fand sich schließlich in John Milton (1608 - 1674) ein Verfechter der freien Meinungsäußerung. In seiner Streitschrift " Areopagitica, a speech for the liberty of unlicensed printing to the Parliament of England" 164494 wandte sich Milton an das Parlament und die Öffentlichkeit und forderte, .,die Freiheit zu wissen, zu sprechen, und vor allen Freiheiten die, frei meinem Gewissen gemäß zu uneiten".95

Trotz der klaren Forderung Miltons war es aber noch ein weiter Weg bis zur positivrechtlichen Anerkennung der Meinungs- und Pressefreiheit%. Weder die "Petition of Rights" im Jahre 162797 noch die "Habeas Corpus Akte"98 aus dem Jahre 1679 verbürgten ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Erst in der "Bill of Rights", 1689, war das Recht auf freie Meinungsäußerung in Art. 9, wenn auch nur andeutungsweise - nämlich bezüglich der Redefreiheit im Parlament erwähnt.99 Erst mehr als hundert Jahre nach Miltons "Areopagitica" wurden die Presseund Meinungsfreiheit erstmals, nämlich "auf dem neuen Kontinent", als subjek92 Vgl. Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 21. 91 So Rothenbücher, in: VVDStRL 4 (1928), 6 (14). 94 Siehe Areopagitica, in: John Mitton und der Ursprung des neuzeitlichen Liberalismus, herausgegeben von E. W. Tielsch, S. 79 ff. 95 Siehe, Mi/ton. Areopagitica, in: John Mitton und der Ursprung des neuzeitlichen Liberalismus. s. 118. 96 Mi/ton hatte seine Forderung vornehmlich im Hinblick auf die Presse formulien. Vgl. Mi/ton, Areopagitica, in: John Mitton und der Ursprung des neuzeitlichen Liberalismus, herausgegeben von E. W. Tielsch. Heute wird Mi/ton daher auch als der Vater der Pressefreiheit bezeichnet. So Rothenbücher. VVDStRL 4 (1928), 6 (14). 97 Vgl. Petition of Rights, abgedruckt in: Die Verfassungen Europas, herausgegeben von P. C. Mayer-Tasch. S. 232 ff. •s Vgl. Habea~ Corpus Akte, abgedruckt in: Die Verfa~sungen Europas, herausgegeben von P. C. Mayer-Tasch, S. 236 ff. 99 An. 9 lautete: ,. .daß die Freiheit der Rede sowie der Inhalt von Debatten oder Verhandlungen im Parlament an keinen anderen Gerichtshof oder One außerhalb des Parlaments unter Anklage oder in Frage gestellt werden sollte." Siehe, Die Verfassungen Europas, herausgegeben von P. C. MayerTasch. S. 240. Dahinter steht die damals in England aufkeimende Vorstellung, daß in der politischen Auseinandersetzung die Opposition eine legale und sogar nützliche Erscheinung sein könnte. Vgl. dazu Scheuner. in: VVDStRL 22 (1965), I (4 f.).

3 Langer·

I. Teil: Die Infonnationsordnung

34

tive Rechte verfassungsrechtlich verankert. Die am 12. Juni 1776 proklamierte ,.Bill of Rights" des Staates Virginia schützte in Art. 12 die Pressefreiheit mit folgenden eindringlichen Worten: "That the frccdom of the press is one of the greatest bulwarks of liberty and can never be restrained but by despotic government".100

Die Verfassungen der anderen nordamerikanischen Staaten enthielten ähnliche Formulierungen. So etwa bekennt sich Pensylvanien in seiner unmittelbar auf die "Bill of Rights" folgenden Verfassung vom 28. September 1776 in eindeutiger Form zur Meinungsäußerungsfreiheit, wenn es heißt, "that the people have a right to freedom of speech and of writing and publishing their sentiments" . 101

Die Unionsverfassung von 1787 enthielt selbst keine Grundrechtserklärungen. Erst 1791 wurden dieser Verfassung in zehn Zusatzartikeln, den sogenannten amendments, Grundrechte hinzugefügt. Für das Recht der Meinungsfreiheit war im ersten Zusatzartikel bestimmt: ..Congrcss shall make no Iaw ... abriding the freedom of speeeh and of the press" .1 02

Die in Amerika zur Rechtswirklichkeit gewordenen Ideen blieben nicht ohne Einfluß auf den europäischen Kontinent. So verabschiedete die französische Nationalversammlung am 26. August 1789 die "Declaration des Droits de J'homme et du citoyen". In Art. 11 heißt es: "La libre communication des pensees et des opinions est un des droits !es plus precieux de l'homme; tout citoyen peut donc parler, ecrire, imprimer librement, sauf a n!pondre de l"abus de ceue libcrte dans les cas detennines par Ia loi."103

Mit der Formulierung "la libre communication des pensees et des opinions" wurde dem einzelnen erstmalig in der Geschichte ein umfassendes Kommunikationsrecht verliehen, das sowohl die Freiheit der Meinungsäußerung als auch diejenige des Meinungsempfangs garantierte.

Vgl. Wohland, Infonnationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 40. Vgl. Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 II GG, S. 25. 102 Vgl. Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeine Gesetze im Siru1c des Art. 5 II GG, S. 25. 103 Vgl. Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der all!!emcinen ~ Gesetze im SiMc des Art. 5 II GG, S. 26 f. 1oo 101

4. Abschnitt: Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

35

lll. Die Entwicklung in DeutschlandVon der Meinungs- zur Informationsfreiheit In Deutschland war das Echo auf die Forderungen nach Freiheitsrechten, insbesondere auch auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich zmiickhaltend. Die politischen Forderungen des Bürgertums waren damals primär auf die Verwirklichung eines gesamtdeutschen Staates gerichtet. Trotz des bekannten Ausspruchs Friedrich des Großen, "daß Gazetten, wenn sie interessant sein sollen, nicht genieret dürfen" wurde die Zensur in Preußen streng gehandhabt. Zwar war konstruktive Kritik des einzelnen an Mißständen erlaubt, aber nur gegenüber den zuständigen amtlichen Stellen. 104 Offenbar sollte Unruhe im Volk vermieden werden, obgleich sich weite Kreise der BevölkerunglOS überhaupt nicht für politische Fragen interessierten.106 Aufgrund des

weitgehenden politischen Desinteresses wurden die Beschränkungen der Meinungsfreiheit von der Bevölkerung nicht als besonders drückend empfunden. Ganz anders verhielten sich hingegen die großen deutschen Dichter und Denker. Sie protestierten mit ihren Werken schon lange gegen die Willkür der absoluten Herrscher. Lessings "Emilia Galotti" (1772) und Schillers "Kabale und Liebe" (1784) sind nur Beispiele für das Aufbegehren gegen den Absolutismus. Noch vor Beginn der französischen Revolution hatte Schiller in der Gestalt des Marquis Posa im "Don Carlos" (1782 - 1787) einen Verfechter von Ideenfreiheit und Freiheit des Volkes vor dem Absolutismus geschaffen, dessen Forderungen in dem Ausspruch gipfelten: ..Sir, geben Sie Gedankenfreiheit!"

Gedankenfreiheit, das war es, was auch Fichte in seiner Schrift "Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europas, die sie bisher unterdrückten"I07 verlangte. Erst in der Revolution von 1848 versuchte Deutschland, das in Hinblick auf andere Länder Versäumte an Menschenrechten nachzuholen und die schon lange währenden Ideen der großen deutschen Denker Wirklichkeit werden zu lassen. In der Paulskirchenverfassung von 1849 wurde eine vorbildliche Katalogisierung der liberalen Freiheitsrechte ausgearbeitet. In § 143 wurde zum ersten Mal in der deutschen Geschichte das Grundrecht der Meinungsfreiheit konstituiert: 10.: Siehe § 156 Allgemeines Preußisches Landrecht von 1794, Zweiter Teil, zwanzigster Titel. 1os Mit Ausnahme des Bürgertums, die einen deutschen Nationalstaat anstrebten. 106 Reisnecker, Da~ Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 29. 107 Fichte, Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten, in: Klassiker der Politik Bd. 7, herausgegeben von B. Willms.

I. Teil: Die Informationsordnung

36

..Jeder Deutsche hat das Recht, durch Won, Schrift, Druck oder bildliehe Darstellung seine Meinung zu äußern. Die Pressefreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Zensur, Konzessionen. Sicherheitsbestellungen, Staatsau !lagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden."l08

Diese Verfassung von 1849 blieb als Ganzes nur Entwurf und erlangte nie Rechtsverbindlichkeit Der Grundrechtskatalog, der vorweg in Kraft gesetzt worden war, wurde formell durch den Bundesbeschluß vom 23. August 1851 wieder aufgehoben.t09 Dennoch erwies sich die Postulierung der Grundrechte in der Paulskirchenverfassung nicht als bedeutungslos. Noch fünfzig Jahre später machte sich ihr Einfluß in der Weimarer Reichsverfassung bemerkbar. Die in Art. 118 WR V garantierte Meinungs- und Pressefreiheit, erinnert in einigen Formulierungen an die der Paulskirchenverfassung, wenn es heißttto: ,.Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern."

~einung

Wie sich zeigen sollte, war diese verfassungsrechtliche Absicherung der Kommunikation nicht ausreichend.llt Schon kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 31. Januar 1933 erging aufgrundvon Art. 48 li WRV am 28. Februar 1933 die längst vorbereitete .,Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat''112. Durch diese angeblich zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte bestimmte Verordnung wurde die Reichsverfassung zwar nicht formell aufgehoben, wohl aber materiell nicht mehr angewendet.tl3 Aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933114 verboten die Nationalsozialisten schließlich das absichtliche Abhören ausländischer Rundfunksender. Durch Wiedereinführung der Zensur, durch Errichtung des Reichsministeriums für Aufklärung und Propaganda beherrschte die nationalsozialistische Regierung die öffentliche Meinung vollständig.us Zahlreiche neue Straftatbestände, wie etwa §§ 1 und 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 1934 .,gegen heimtückische 1os

abgedruckt bei: von Münch. Grundgesetz, An. 5 vor Rn. I.

Vgl. von Münch, Staatsrecht I, Rn. 165, Krafcryk, Ausländische Rundfunksendungen als allgemein zugängliche Quellen im Sirme des An. 5 II GG, S. 12 Fn. 38. 110 abgedruckt bei: von Munch, Grundgesetz, An. 5 vor Rn. I. 109

111 Noch im Jahre 1930 vertrat Hellwig die Auffassung, daß das Recht der freien Meinungsäußerung in absehbarer Zeit weder nach der einen noch der anderen Richtung eingeschränkt werde: So Hellwig, An. 118, in: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, S. 2. 112 Vgl. RGB/1933 Teil I, S. 83.

Vgl. von Munch, Grundbegriffe des Staatsrecht, Rn. 165; Hesselberger, Das Grundgesetz, S. 56. Vgl. RGB/1933 Teil I. S. 141. 115 Vgl. die Ausführungen Windsheimers zu dem Themenkreis gezielte Information als Propaganda. Windsheimer, Die Information als Interpretationsgrudlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des An. 5 I GG, S. 18 ff. 11 3 11 4

4. Abschnitt: Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

37

Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniform" 116, wurden geschaffen, die durch ihre dehnbaren Formulierungen jede freie Meinungsäußerung unmöglich machten.tt7 Noch während des zweiten Weltkrieges, der die Welt lehrte, wie aussichtslos jeder Widerstand gegen eine Diktatur ist, wenn diese die öffentliche Meinungsbildung beherrscht, trat die Bedeutung der Meinungsfreiheit verstärkt in das Bewußtsein der Menschen. Der amerikanische Präsident Roosevelt verkündete daher in einer Botschaft an den Kongreß am 6.Januar 1941 die Grundsätze einer künftigen, auf die Freiheit des Menschen gegründeten Welt. Als erstes der vier entscheidenden Freiheitsrechte nannte Roosevelt die Meinungsfreiheit. Es folgten die Freiheit religiöser Betätigung, die Freiheit von Not und schließlich die Freiheit von Furcht.tts Nach dem Krieg begann in Deutschland der Aufbau einer neuen staatlichen Ordnung zuerst auf Länderebene. Als Reaktion auf die Meinungsdiktatur der Nationalsozialisten, die sich in erster Linie auf die Beherrschung von Rundfunk, Film und Presse stützte, enthielten alle Grundrechtskataloge der Länderverfassungen die Garantie der Meinungsfreiheit. Mehr noch- allen diesen Verfassungen liegt erkennbar die Intention zugrunde, der Meinungsfreiheit eine neue Bedeutung zu geben. Diese neue Haltung kommt darin zum Ausdruck, daß in die meisten Länderverfassungentt9 das bisher in Deutschland120 nicht ausdrücklich verbürgte Recht auf freien Informationsempfang - wenn auch mit unterschiedlich weitgehenden Formulierungen - aufgenommen wurde. Die erste deutsche Verfassung, die die Informationsfreiheit ausdrücklich erwähnte, war die Verfassung des ehemaligen Landes Württemberg-Baden. Art. ll dieser Verfassung lautete: 116 Vgl. RGBI 1934 Teil I, S. 1269. So lautet§ 2 I des Gesetzes: "Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP. über ihre Anordmmgen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht. die geeignet sind, das Yenrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben, wird mit Gefängnis bestraft.". 117 So Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 36. 11 s Vgl. Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 38; Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 45. 119 Vgl. An. I I der Verfassung des ehemaligen Landes Wüntemberg-Baden vom 23.11 .1946: An. 112 der Bayerischen Verfassung vom 2.12.1946; An. 13 der Hessischen Verfassung vom 1.12.1946; An. 10 der Verfassung von Rheinland-Pfalzvom 18.5.1947; An. 15 V der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21.10.1947; An. 8 II der Verfassung von Berlin vom 1.9.1950. 12o Vgl. im Gegensatz hierzu die französische Verfassung, die in An. 11 bereits seit 1789 den :vtcinungsempfang gewährleistete. Siehe S. 23.

I. Teil: Die Infonnationsordnung

38

,.Jcdennann hat das Recht, innerhalb der Schranken des fiir alle geltenden Gesetzes seine Mcinung ... frci zu äußern, solange er die durch die Verfassung gewährte Freiheit nicht durch Mißbrauch dieses Rechts bedroht oder verletzt. Jedennano hat das Recht. sich über die Meinungen anderer frei zu unterrichten. Die Kenntnisnahme von Mitteilungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, darfnicht verwehrt werden."121

Art. 112 II der Bayerischen Verfassung erklärte dagegen nur eine Beschränkung des Rundfunkempfangs sowie des Bezugs von Druckerzeugnissen für unzulässig. In Ein allgemeines, das heißt nicht auf besondere Informationsmittel beschränktes, Informationsrecht garantierte demgegenüber die Hessische Verfassung in Art. 13, wenn es dort heißt: ,.Jedennann hat das Recht, sich auf allen Gebieten des Wissens und der Erfahrung sowie über die Meinung anderer durch den Bezug von Druckerzeugnissen, das Abhören von Rundfunksendem oder in sonstiger Weise frei zu unterrichten."123

Auch die Entwürfe des Grundgesetzes (Art. 7 I HChE 124 , Art.6 in der Fassung der 3. Lesung des Hauptausschussesi2S) enthielten von Anfang an neben dem Recht der freien Meinungsäußerung eine Verbürgung, die Beschränkungen des Rundfunkempfangs und des Bezugs von Druckerzeugnissen für unzulässig erklärte. Auf den parlamentarischen Werdegang des Art. 5 I S. 1 GG wird noch an anderer Stelle näher einzugehen sein. Hier genügt es zu erkennen, daß das Recht auf freie Information aufgrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in die Länderverfassungen und schließlich in das Grundgesetz mit der Formulierung "sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen unterrichten·· zu könnent26 Eingang gefunden hat.

IV. Die internationale Anerkennung der Informationsfreiheit

Parallel mit der Anerkennung des Rechts auf freie Information in Deutschland verläuft die internationale Anerkennung dieses Rechts. Bereits 1946 betonte die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Bedeutung der Informationsfreiheit als Menschenrecht und verabschiedete dazu die Resolution vom 14.12.1946, in der es heißt:

121

Abgedruckt bei.: Wohland, Infonnationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. S. 63.

122

Vgl. Woh/and, lnfonnationsfrciheit und politische Filmkontrolle, S. 63.

m Siehe Wohland,lnfonnationsfreihcit und politische Filmkontrolle, S. 63. 125

Siehe JöR n. F. (1951 ), S. 79. Vgl. JöR n. F. (1951 ), S. 88.

!16

Siehe Art. 51 S. I, 2. HS GG.

12•

4. Abschnitt: Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

39

..Freedom of Information is a fundamental human right and is the touchstone of all the freedoms which the United Nations is conseerated. Freedom of Information implies the right to gather, transmit and publish news anywhere and everywhere without fetters."12?

Die Informationsfreiheit wird hier in einem umfassenden Sinn verstanden, die sogar die Äußerungsfreiheit mit einschließt, jedoch die Freiheit des Meinungsempfangs an erster Stelle erwähnt.'28 Mit dieser allumfassenden Formulierung wollten die Vertreter der Vereinten Nationen offensichtlich den gesamten Kommunikationsprozeß schützen. Die hervorragende Bedeutung, die dem Recht auf freie Information insbesondere in der Nachkriegszeit beigemessen wurde, zeigt sich auch an der allein zu diesem Zweck nach Genf einberufenen Staatenkonferenz, die vom 23.3.1948 bis zum 21.4.1948 tagte.129 Im Rahmen der internationalen Anerkennung der Informationsfreiheit sind ferner die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 zu nennen. Auch wenn diese Erklärung keine innerstaatliche Geltung besitzt 130, ist das in Art. 19 dieser Erklärung garantierte Recht auf freien Austausch von Informationen für den Umfang und die Reichweite der Informationsfreiheit aufschlußreich. Dort heißt es: .Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht um faßt die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten." 131

Hier wird deutlich, daß Informationsfreiheit sowohl die passive als auch aktive Informationsbeschaffung meint. In die gleiche Richtung gehen Art. 19 des Internationalen Paktes vom 19. Dezember 1966132 und Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte vom 4.11.1950133.

Abgedruckt bei: Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 45. Darauf weist zu Recht Wohlarui, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 45 hin. 129 Zum Ablauf und Diskussionsgegenstand dieser Staatenkonferenz über Informationsfreiheit eingehend Wohlarui, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle. S. 46 ff. 13o Dies ist absolut herrschende Meinung, Vgl. hierzu Dürig in: Maunz!Dürig!Henog, An. I II Rn. 127

121

56.

m Abgedruckt bei: Krafczyk, Ausländische Rundfunksendungen als allgemein zugängliche Quellen im Sinne des An. 5 I GO, S. 5. 132 Absatz 2 lautet: ..Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen, Informationen und Gedankengut jeder An in Won, Schrift oder Druck durch Kunstwerlee oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben." Abgedruckt bei: Krafczyk, Ausländische Rundfunksendugen als allgemein zugängliche Quellen im Sinne des An. 5 I GO, S. 5. 133 "Jeder hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein... " Siehe, Die Verfassungen Europas, herausgegeben von P. C. Mayer-Tasch, Anhang.

I. Teil: Die Infonnationsordnung

40

B. Die ideengeschichtlichen Wurzeln der Meinungs- und Informationsfreiheit

I. Die objektive Wurzel der Meinungsfreiheit

Die Geschichte zeigt, daß es mehrerer Jahrhunderte bis zur verfassungsrechtlichen Anerkennung der Meinungs- und Informationsfreiheit bedurfte. Dabei entwickelten sich die beiden Rechte nicht parallel und stetig. Obgleich der Mensch vom Kommunikationsablauf her gesehen zunächst Informationen benötigt, um sich eine Meinung bilden zu können, die er dann auch äußern kann, ist das Recht der Meinungsfreiheit das entwicklungsgeschichtlich ältere Recht. Im Kampf um das Recht, seine Meinung frei äußern zu können, war es aber keineswegs so, daß am Anfang der Entwicklung tiberall und zu allen Zeiten das Recht auf Meinungsfreiheit mißachtet wurde und es sich dann mit fortschreitender Kultur immer mehr durchsetzte. 134 Wie oben dargestellt, ließen vor allem die alten Griechen, Römer und Germanen in verhältnismäßig weitgehender Weise das Recht der freien Meinungsäußerung gelten,m während sich bis in die jüngste Vergangenheit auch rückläufige Tendenzen zeigen. Der geschichtliche Abriß beweist, daß das Recht der freien Meinungsäußerung letztlich das Produkt eines jahrhundertelangen Kampfes zwischen den beiden Obrigkeiten Kirche und Staat einerseits und den nach geistiger Freiheit strebenden Menschen andererseits ist.IJ6 Kirche und Staat suchten die einmal erreichte staatliche und geistigweltanschauliche Ordnung sowie die anerkannten Dogmen vor fortschrittlichen und ftir die überkommene Welt- und Gesellschaftsordnung gefährlichen Ideen zu schützen.m Dabei stieß die Obrigkeit immer wieder auf den Widerstand der Verfechter neuen Gedankenguts, insbesondere auf naturwissenschaftlichem Gebiet. Gerade am Forschungsdrang eines Giordano Bruno oder eines Galileo Galilei zeigt sich das faustische Wesen des Menschen, nie bei dem bereits Erreichten, den bisher gewonnenen Erkenntnissen zu verharren, sondern stets von neuem das gerade Anerkannte auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen.m Für So Hellwig, An. 118 in: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, S. I. Siehe Abschnitt4 AI. 136 So Häntschel. Handbuch des deutschen Staatsrechts, S. 6510 f. 137 Ygl. Krafczyk, Ausländische Rundfunksendungen als allgemein zugängliche Quellen im SiMe des Art. 5 I GG, S. 8; Reisnecker. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im SiMe des An. 5 II GG, S. 15; Wohland. Infonnationsfrciheil und politische Filmkontrolle. S. 35. 138 So Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 14. 134

135

4. Abschnitt: Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

41

den Menschen und seinem nie befriedigten Drang nach Erkenntnis der Wahrheit, des absolut Gültigen war und ist das Recht auf freie Meinungsäußerung daher unerläßlich.l39 Erst in der Diskussion, im Kampf der Meinungen werden neue Einsichten und ein wirklicher Fortschritt in der Erkenntnis gewonnen. 140 In den in Rede und Gegenrede sich gegenübergestellten Meinungen treten Gegensätze und Gemeinsamkeiten hervor und ermöglichenso-im Idealfall- einen vermittelnden Gedanken, mit dem sich das Individuum der Wahrheit annähert.' 4' Die Suche nach der Wahrheit ist also einl42 Grund dafür, daß sich der Mensch anderen mitteilt, das, was er erlebt und denkt, gegenüber anderen äußert.' 43 Die Meinungsfreiheit dient damit dem geistigen Fortschritt auf allen Wissensgebieten. 144 Sogar die irrige Meinung ist Wegbereiterin auf der Suche nach der Wahrheit, dem absolut Gültigen. Auf diesen Gesichtspunkt hat Nicolai Hartmann hingewiesen. Er meint: "Da sich der Imum im Fonschreiten nicht halten kann, sondern hinfäUig wird. forden er den Gegenschlag heraus; und dieser mag nun auch so irrig sein, wie er will - in der Regel wird er in das emgegengesctz!C Extrem fallen -, er ist nichtsdestoweniger schon die Korrektur des ersten lmums und dadurch über ihn hinaus. Dem zwei!Cn Imum ergeht es wie dem ersten. Und das reißt nicht ab, bis sich das Irrige ausgleicht und ein im Wechsel der Imümer selbst erarbeiteter schlich!Cr Wahrheitskem sich herausstellt:•I45

Die Freiheit der Meinungsäußerung wird daher nicht um des einzelnen Willen, sondern um etwas Objektivem, der Wahrheit willen, als Prinzip für den Aufbau der Gesellschaft gefordert.l46

139 So schon Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 9. 140 Vgl. Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 9; Der Gedanke, daß Erlcennmisfonschritt nur im dialektischen Prozeß der freien Diskussion erreicht wird und daß das Ziel der Diskussionsfreiheit die Ermittlung der Wahrheit oder zumindest eine Annäherung an diese ist, arbeitete lohn Stuart Mill (1806- 1873) in seiner 1859 erstmals veröffentlichten Schrift "Über die Freiheit" klar heraus; Vgl. Mi/1, Über die Freiheit, S. 24 ff. 1• 1

Vgl. Mi/1, Über die Freiheit, S. 30 f.

So Hensel, AöR 52 (1927), 97 (99); Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 9 ff; Schmid, Freiheit der Meinungsäußenmg und strafrechtlicher Ehrenschutz, S. 4. 14 3 Vgl. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 174. 142

144 Vgl. Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 9.

145 Siehe Nicolai Harrmann, Das Problem des geistigen Seins, S. 394. Kar! Popper bau!C diese Erkennmis in ..Logik der Forschung" (1935) zu einer als kritischen Realismus bezeichneten allgemeinen Methodenlehre aus. Der kritische Realismus erhebt den Deduktivismus zur Methode, wonach allgemeine Sätze nicht bestätigt, sondern nur widerlegt werden können. Vgl. Kar! Popper, Logik der Forschung, S. 7 ff. 14 6

Vgl. Rothenhücher, VVDStRL 4 (1928), 6 {II).

42

I. Teil: Die Infonnationsordnung

II. Die subjektive Wurzel der Meinungsfreiheit

Mit dem Aufkeimen der Lehre des Naturrechts1 47 , nach der dem Menschen bestimmte angeborene und unveräußerliche Rechte zustehen, wurde das Recht der Meinungsfreiheit auch von dieser Idee her begründet. Danach gehört das Recht eines jeden Menschen, frei seine Meinung und Gefühle äußern zu dürfen, zu den in seiner Natur begründeten und von jeder staatlichen Zulassung unabhängigen Rechten.l 48 Meinungsfreiheit wird nach dieser Betrachtungsweise ·wie auch in der Botschaft des amerikanischen Präsidenten Roosevelt an den Kongreß angeklungenl 49 - als ein dem Menschen als Menschen zustehendes Recht und nicht in erster Linie im Interesse des objektiven Wertes Wahrheit gefordert. Das Recht der freien Meinungsäußerung wird vielmehr als Ausdruck der subjektiven und individuellen Persönlichkeit des Menschen begriffen.J50 Erst volle geistige Freiheit verhilft zur Persönlichkeit, schafft den einzelnen in seiner besonderen Eigenart, in seinem einmaligen Eigensein.t5t Naturgegeben muß daher jedem Menschen, der etwas zu sagen hat und etwas sagen will, auch das Recht der Meinungsfreiheit zustehen. Gerade und frei soll sich der Mensch zu dem bekennen dürfen, was er innerlich hochhält - ohne Nachteile für Leben, Freiheit und Fortkommen fürchten zu müssen.t52 Mit der Meinungsfreiheit soll schließlich verhinde.rt werden, daß der Mensch "geistig verkümmert".I53 Denn wie der Philosoph John Stuart Milllapidar feststellt, ist der Verstand dem Menschen gegeben, damit er ihn benutzt. 154 Doch erst in der Auseinandersetzung mit seinen Mitmenschen vollzieht sich die geistige Entwicklung des Menschen.I55 147 Der Gedanke, daß dem Menschen in seiner Natur begrundete Rechte zustehen, brachte zum cr.;tcn Mal lohn Locke (1632 - 1704) in seiner 1690 vertlffenllichten Schrift .Zwei Abhandlungen über die Regierung" zum Ausdruck. Vgl. lohn Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung. Zuvor hatte aber auch schon Mi/ton in seiner ..Areopagitica" mit dem hypothetischen Konstrukt des Natur..:ustandes gearbeitet. Siehe Milton, Areopagitiea, in: John Milton und der Ursprung des neuzeitlichen Liberalismus, herausgegeben von E. W: Tielsch. t•• Vgl. Rothenbücher, VVDStRL 4 (1928), 6 (II f.). t49 Siehe Abschnitt 4 A 111. tlo Vgl. Rothenb~cher, VVDStRL 4 (1928), 6 (12) spricht von einem ,,Recht aufLebcnsbetätigung, im besonderen auf Außerung der Persönlichkeit", und wenig später von dem ,,Recht des Menschen auf Äußerung seiner geistigen Persönlichkeit". Heute bezeichnet man diesen ideengeschichtlichen .Ursprung der Meinungsäußerungsfreiheit auch als die subjektive Wurzel. So Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG,S.I2 . tst Siehe Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 12. 1s2 Siehe Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 174.

tsl So Reisnecker, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des An. 5 II GG, S. 13. ts4 Vgl. Mi//, Über die Freiheit, S. 28. tss So Coing, Grundzüge der Rcchtsphilosophie, S. 174.

4. Abschnitt: Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

43

Coing bezeichnet den Geist daher auch als die edelste Gabe des Menschen.IS6 Eigene Gedanken haben, diese anderen mitteilen, seine Mitmenschen dadurch ihrerseits zum Nachdenken zu animieren, ist das Bedürfnis eines jeden Menschen. Denn der Mensch ist ein geselliges Wesen; er ist dazu bestimmt, mit anderen zu leben.157

1/1. Die geistesgeschichtlichen Wurzein der Informationsfreiheit

Die positivrechtliche Gewährleistung der Informationserhebung hat auf nationaler und internationaler Ebene erst nach dem zweiten Weltkrieg eingesetztiSS Dieses im Grundgesetz in Art. 5 I S. 1 2. HS GG mit der Formulierung "sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen unterrichten" zu können garantierte Recht, hat sich, im Gegensatz zu den übrigen Grund- und Menschenrechten, nicht über lange - wie das Recht der freien Meinungsäußerung gar über Jahrhunderte hinweg- entwickelt. Eine ideengeschichtliche Auseinandersetzung mit dem heute im staatsrechtlichen Sprachgebrauch als Informationsfreiheit bezeichneten Recht hat infolgedessen gar nicht stattgefunden. Daß das Recht, sich zu unterrichten, vor dem zweiten Weltkrieg keine positivrechtliche Verbürgung gefunden hat, !59 bedeutet nun nicht, daß dieses Recht zuvor für den Menschen bedeutungslos war. Im Gegenteil, das Recht, sich über Geschehnisse und Meinungen zu unterrichten, war immer das Bestreben des Menschen. Wie anders denn als Ausdruck der menschlichen Wissensbegierde sollte man den Gruß der alten Griechen160 deuten? Seit altersher waren die Menschen bemüht, miteinander in Kontakt zu treten, ihre Meinungen und Erfahrungen auszutauschen und einander mitzuteilen. Doch erst aufgrund der nationalsozialistischen Informationsbeschränkungen erkannte man, daß die Kommunikation in allen ihren Bestandteilen gegen staatliche Eingriffe nicht mehr allein durch das Recht der freien Meinungsäußerung zu schützen war, sondern daß zusätzlich die Möglich1s6 So Coing. Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 175. 1s1 So Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 174; Vgl. auch Heget, Rechtsphilosophie, §§ 331, 71. Nicolai Hartmann, Das Problem des geistigen Seins, S. 140, meint in diesem Zusam-

menhang: "Das Bewußtsein trennt die Menschen, der Geist verbindet sie.". 1ss Vgl. Abschnitt4 A 111 und IV. 1s9 Eine herausragende Ausnahmestellung nimmt hier die französische Rechtsordnung ein. Bereits in der Bürger- und Menschenrechtserklärung aus dem Jahre 1789 wurde mit Art. II ein umfassendes Kommunikationsrecht garantiert, das sowohl die Freiheit der Meinungsäußerung als auch die des Meinungsempfangs sicherte. Vgl. hienu Abschnitt 4 A II. 160 "Ti neoteron" bedeutet was gibt es Neueres. Vgl. Abschnitt 4 AI.

44

I. Teil: Die Informationsordnung

keit freier Infonnationserhebung in den Schutzbereich aufgenommen werden mußte. Das Recht, sich frei zu unterrichten, ist also die Reaktion auf den Totalitarismus unserer Zeit, genauso wie das Recht der freien Meinungsäußerung die Antwort auf die verschiedenen Fonnen der Meinungsdiktatur des ausgehenden Mittelalters und des Absolutismus bildet. Die Entwicklung der Rechte der freien Meinungsäußerung und des Sich-infonnierens ging damit nicht willkürlich von einem Bestandteil des Kommunikationsprozesses aus, sondern war immer Ausdruck eines Mangels an Freiheit.

IV. Gedankenfreiheit als übergeordnetes Schutzgut der Meinungs- und Informationsfreiheit Scheinen die ideengeschichtlichen Wuneln der Meinungsfreiheit auf den ersten Blick auch keine gemeinsamen Berührungspunkte zu haben, so stellt sich doch die Frage, ob Wahrheitssuche und Persönlichkeitsentfaltung nicht einem übergeordneten Rechtsgut entspringen, dessen Schutz durch die ausdrückliche Verbürgung der Infonnationsfreiheit vervollkommnet wurde. Die ersten Hinweise auf ein derartiges übergeordnetes Rechtsgut finden sich schon früh in den verschiedenen Rechtskreisen. Die Franzosen umschrieben es in ihrer Bürger- und Menschenrechtserklärung von 1789 als "Ia libre communication des pensees et des opinions", in England war es Milton, der forderte "die Freiheit zu wissen, zu sprechen, und vor allen Freiheiten die, frei meinem Gewissen gemäß zu urteilen. "161 Schließlich verlieh Schiller, durch den Ausspruch des Marquis Posa ,,Sir, geben Sie Gedankenfreiheit!" der erstrebten Freiheit direkt Ausdruck. Wir verdanken also dem menschlichen Streben nach Gedanken-, Geistes- und Denkfreiheit die Entstehung des Rechts der freien Meinungsäußerung.162 Damit drängt sich aber zugleich die Frage auf, warum die mit dem Recht auf Meinungsfreiheit letztendlich erstrebte Gedankenfreiheit, für die der 16 1 Vgl. lohn Mi/ton, Areopagitica, in: John Milton und der Ursprung des neuzeitlichen Liberalismus, S. II8. 162 Leider ist dieser Aspekt in der neueren Literatur in den Hintergrund getreten. Leibholz!Rinck.!Hesselberger, Grundgesetz, Art. 5 GG, Rn. I - 70 enthält keinen Hinweis auf die Geistesfreiheit. Schwer erkennbar ist der Bezug des Art. 5 I S. I GG zu diesem Schutzgut dagegen bei: Maunz-Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. I87, der Abschnitt, in dem er Art. 5 GG neben Art. 4 GG behandelt wird mit ..Die geistige Freiheit" überschrieben; von Münch, Grundbegriffe des Staatsrechts I, Rn. 333; Stein, Staatsrecht, S. 99; Rona, Nachrichtensperre und Recht auf Information, verwendet den Begriff "Willensbildungsfreiheit", meint damit aber nichts anderes als Geistes- bzw. Gedankenfreiheit. Die Vertreter der älteren Literatur haben demgegenüber klar herausgearbeitet, daß das Recht der freien Meinungsäußerung Ausfluß der Gedankenfreiheit ist. Vgl. Ridder, Nipperdey Grundrechte, 243 ff; Rothenbücher, VVDStRL 4 (1928), 6 (I2); Häntschel, Handbuch des deut~chen Staatsrecht~. S. 65I (652); Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. I74 f.

4. Abschnitt: Der lange Kampf um die Meinungs- und Informationsfreiheit

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Mensch jahrhundertelang kämpfte, in den historischen Grundrechtskatalogen nicht ausdrücklich normiert wurde. Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich aus den Vorstellungen, der Aufklärung und des Naturrechts, die den Menschen beherrschten, als das Recht der freien Meinungsäußerung erstmals verfassungsrechtlich gewährleistet wurde. Den Ideen der Aufklärung und des Naturrechts war es fremd, dem Menschen eine Freiheit zu verbürgen, in der er geboren wird und die er auch nicht verliert, wenn er "äußerlich in Fesseln" ist.J63 Man ging davon aus, daß die sich "hinter der Stirn" des Menschen vollziehende Bildung von Meinungen und Einstellungen staatlichen Eingriffen gegenüber unzugänglich sei. Die geistige Freiheit wird nach diesem Verständnis rechtlich erst faßbar, wenn der Mensch geistige Wirkungen von außen aufnimmt und nach außen abgibt.164 Da es demzufolge keine unmittelbaren Eingriffe in die Geistes- und Denkfreiheit des Menschen geben kann, erschienen verfassungsrechtliche Garantien nur dort sinnvoll, wo es galt, mittelbare Beeinträchtigungen abzuwehren.1 65 Die Gedankenfreiheit als die "Freiheit, laut zu denken"166 fand demgemäß in der Meinungsäußerungsfreiheit ihre soziale, äußere Verwirklichung.167 Das Recht der freien Meinungsäußerung dient also letztlich dazu, alle mittelbaren Einwirkungen auf die innere Geistesfreiheit abzuwehren. Diese Beziehung von forum intemum und forum extemum beschreibt Ridder168 als ein Bild von mehreren verfassungsmäßig verbürgten Freiheitsrechten, die sich in konzentrischen Kreisen um die als Mittelpunkt zu denkende subjektive Geistes- und Denkfreiheit legen. Heute wird das Recht der Meinungsäußerungsfreiheit durch das mittlerweile national und international anerkannte Recht, sich zu unterrichten, ergänzt. Denn zum einen ist der Mensch auf der Suche nach der Wahrheit auf Informationen angewiesen, zum anderen ist eine freie und sachlich fundierte 163 Schiller: .. Der Mensch ist frei und wär er in Ketten geboren." Dagegen Hegel, Rechtsphilosophie, § 48. 164 So Windsheimer. Die Information als Interpretationsgrundlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des An. 5 I GG, S. 65 mit dem Hinweis, daß schon Carl Schmitr diejenigen Normen als die .. FrciheiL~rechte des einzelnen in Verbindung mit anderen einzelnen" genannt hat. 165 Vgl. Ridder. Nippcrdey Grundrechte, 243 (245 ff). 166 Vgl. Ridder, Nipperdcy Grundrechte, 243 (245 f). 167 Coing, Grundzüge der Rcchtsphilo.sophie; S. 175, beschreibt diesen Vorgang wie folgt: ..Auch das geistige Leben kann sich nicht ohne Außerung entwik.k.eln. Die Gedanken sind frei, das ist richtig; aber der Geist bedarf der Kommunikation, um sich zu entfalten und diese wiederum der vermittelnden Äußerung. Ohne sie gibt es kein geistiges Leben." 168 Vgl. Ridder, Nipperdey Grundrechte, 243 (246 und 248); Er unterscheidet die Rechte auf körperliche Unversehnheit, Leben, Gesundheit und körperliche Bewegungsfreiheit als erste Gruppe von Grundrechten des Individuums, "die seine materieUen und winschaftlichen Daseinsrequisiten, z. B. das Privateigentum, schützen" von einer dritten Gruppe von Grundrechten, die sich dadurch auszeichnen, daß ..sie tatbestandsmäßig von vomeherein eine besondere Beziehung zwischen mindestens zwei Individuen" voraussetzen.

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I. Teil: Die Infonnationsordnung

Meinungsäußerung ohne Zugang zu sachdienlichen Informationen nicht denkbar. Das entwicklungsgeschichtlich jüngere Recht der Informationsfreiheit fügt sich auf diese Weise als weiterer konzentrischer Kreis im Sinne Ridders in den Schutzmantel der allgemeinen Gedankenfreiheit ein.i69 Ebenso wie die Bekenntnisfreiheit das Recht des Menschen umfaßt, sein religiöses und weltanschauliches Innenleben in die Umwelt hineinzutragen oder auch vor ihr zu verbergen, lassen sich das Recht der freien Meinungsäußerung und das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, aus der Freiheit des Denkens erklären.• 7o Die Meinungs- und Informationsfreiheit verkörpern letztendlich die Befugnis, das innere "Denken" und "Meinen" nach außen wirken zu lassen und Wirkungen von außen aufzunehmen.m Kantl12 hat diesen Vorgang als ,,Sich im Denken orientieren" beschrieben und sagt dazu: "Der Freiheit zu denken ist erstlieh der bürgerliche Zwang entgegengesetzt. Zwar sagt man: die Freiheit zu sprechen, oder zu schreiben, könne uns zwar durch obere Gewalt, aber die Freiheit zu denken durch sie gar nicht genommen werden. Allein, wie viel und mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit anderen, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mitteilen, dächten! Also kann man wohl sagen, daß diejenige äußere Gewalt, welche die Freiheit, seine Gedanken öffentlich mitzuteilen, den Menschen entreißt. ihnen auch die Freiheit zu denken nehme."l73

Freies Denken ist also nichts anderes als ,,kommunizierendes Denken", es ist das Denken, das sich im Geben und Nehmen von Informationen manifestiert.I74 Niemals in der Geschichte der Menschen wurde- wie der historische Abriß vor Augen geführt hat - der Austausch von Informationen im Privatbereich staatlicherseits angetastet. Die Bevormundung des Bürgers durch den Staat bezog sich immer auf den religiösen, weltanschaulichen und politischen Bereich. 169 Die Erkennblis, daß das Recht der Infonnationsfreiheit ebenso wie das Recht der freien Meinungsäußerung Ausfluß der inneren Denk- und Geistesfreiheit ist, ist noch wenig verbreitet So aber Wohland, Infonnationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S.35, der die Infonnationsfreiheit als Teil der Meinungsäußerungsfreiheit begreift; ebenso Lerche, in: Leltikon des Staatsrechts, Stichwort Infonnationsfrcihcit, S.l314; wie auch Windsheimer, Die Infonnation als Interpretationsgrundlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des Art. 5 I GG, S. 64 ff. 110 So Windsheimer, Die Infonnation als Interpretationsgrundlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des Art. 5 I GG, S. 68 ff. 111 Vgl. Windsheimer, Die Infonnation als Interpretationsgrundlage fürdie subjektiven öffentlichen Rechte des Art. 5 I GG, S. 66. m Vgl. Kant. Sich im Denken orientieren in: Immanuel Kant, Werke in Zehn Bänden. Bd. 5 Schriften zur Metaphysik und Logik, S. 267 ff. 173 Siehe Kanr, Sich im Denken orientieren, in: Immanuel Kant, Werke in Zehn Bänden, her· ausgegeben von W. Weischedel, Bd. 5, Schriften zur Metaphysik und Logik, S. 280. " 4 So Windsheimer, Die lnfonnation als Interpretationsgrundlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des Art. 5 I GG, S. 66.

5. Abschnitt: Die privatrechtliche Infonnationsordnung

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Wie verhält sich der Staat heute bei der gesetzlichen Ausgestaltung der privatrechtlichen Informationsordnung? Und welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Rechte der Meinungs- und Informationsfreiheit? Die letztgenannte Überlegung ist dabei gar nicht so abwegig, denn - wie gesehen - wurde das Recht der freien Meinungsäußerung durch die Jahrhunderte nicht nur durch religiöse und weltanschauliche Strömungen beeinflußt, sondern immer auch von "der neuen Technik". Warum sollten die lang erkämpften Rechte der Meinungsund Informationsfreiheit im Interesse der Gedankenfreiheit nicht umgekehrt für den Umgang mit der heutigen neuen Technik - der Computer - fruchtbar gemacht werden können? Denn letztlich sind die Computer im Zeitalter der Informationsgesellschaft das Produkt der Wissensbegierde des Menschen und seines stetigen Drangs nach neueren, tieferen Erkenntnissen. In seinem wesenhaft bedingten Streben bedient sich der Mensch in der immer komplizierter werdenden Welt lediglich modernerer, besserer und wirksamerer Mittel als er dazu in der Vergangenheit in der Lage war. An dem die Meinungs- und Informationsfreiheit beherrschenden Schutzgut der Gedankenfreiheit, verstanden als Oberbegriff für Denk-, Entschluß- und Urteilsfreiheit1 75 ändert dies nichts. Eine Überlegung, die der Leser bei dem folgenden Kapitel nicht aus dem Sinn verlieren sollte. 5. Abschnitt

Die privatrechtliche Informationsordnung

A. Informationsfreiheit als Grundprinzip der herkömmlichen Informationsordnung Vor der Industrialisierung lebten in Deutschland wenige Menschen auf großem Raum in engen und festen Verbänden zusammen. Die dörfliche Gemeinschaft und die Großfamilie bestimmten das Bild der Agrargesellschaft. Doch man lebte nicht nur auf engstem Wohnraum zusammen, sondern arbeitete auch dort gemeinsam. Wohnung und Arbeitsplatz bildeten in der agrarisch strukturierten Gesellschaft eine untrennbare Einheit.l76 Diese vorindustrielle Lebensform prägte auch den Informationsfluß der Menschen untereinander. Die beengten Wohnverhältnisse und die Verbindung von Wohn- und Arbeitswelt So Ridder, Nipperdey Grundrechte, S. 245. Als Folge hiervon zählte man nicht nur die engeren und weiteren Familienmitglieder zum Familienverband, sondern auch die GescUen, Mägde und Knechte, die bei ihrem ,,Arbeitgeber' und deren Familien lebten. 11s

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I. Teil: Die Infonnationsordnung

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ließen wenig Raum für eine Privatsphäre. Im Gegenteil, Familien- und Berufsleben waren weitgehend transparent, so daß man zwangsläufig vieles über den anderen wußte. Das Wissen über andere blieb jedoch regelmäßig auf den engen Raum der Dorfgemeinschaft begrenzt. Mangels Mobilität der Menschen und einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl. innerhalb der Gruppe wurden - negativ behaftetem- Informationen nur selten in die Welt außerhalb der Dorfgemeinschaft getragen. Innerhalb des Familien- und Dorfverbandes bestimmten die Regeln der Sitte, der Moral und des Taktes, was der einzelne "ausplaudern" durfte. Man kann diesen Mechanismus nicht besser als mit einem Zitat von Josef Kohlert7s beschreiben, der meinte: "Wer indiskret ist, verletzt die guten Sitten des Lebens und die gute Sitte wird ihn richten." Die vorindustrielle Informationsordnung war also vom Prinzip der Informationsfreiheit, wonach jeder über den anderen Informationen erheben, sammeln und weitergeben durfte, ausgegangen. Die erforderlichen Informations- und Geheimhaltungsinteressen waren dabei den Regeln der Moral und des Taktes anheimgestellt. Soziales Fehlverhalten wurde folglich nicht mit Hilfe von Rechtsnormen, sondern nach außerrechtlichen Grundsätzen direkt durch die Gesellschaft selbst sanktionien. An dem uralten Prinzip, den Austausch von Informationen nicht durch Gesetzesvorschriften zu reglementieren, sondern weitgehend der Moral- und Sittenordnung zu überlassen, haben Gesetzgebung und Rechtsprechung jahrzehntelangt79 festgehalten. Bis zum Erlaß des BDSG alter Fassung im Jahre 1978 verzichtete der Gesetzgeber darauf, den privatrechtliehen Informationsverkehr in einer einheitlichen Gesetzessammlung zu normieren. Das bedeutet jedoch nicht, daß das vorindustrielle Prinzip der Informationsfreiheit unumschränkt galt. Der Gesetzgeber hat vielmehr Informationsansprüche entwickelt, die das Informationsinteresse des Informationssuchenden schützen und lnformationsverbote, die dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen dienen. Damit war das Informationswesen vor lokrafttreten der Datenschutzgesetze dreigeteilt: in die beiden extremen Pole Informationsanspruch und Informationsverbot und einem dazwischenliegenden Freiraum.

So wurde soziales Fehlverhalten direkt in der Gemeinschaft sanktionien. Vgl. Kohler, Recht an Briefen. Berlin 1893, S. 15, auch abgedruckt in: ArchBürgR, Bd. VII (1893 ), S. 94 ff. 179 Nämlich bis zum Inkrafnreten des ersten Bundesdatenschutzgesetzes am 01.01.1978. Dazu unten Abschniu 5 B I. 111

178

5. Abschnitt: Die privatrechtliche Informationsordnung

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I. Informationsansprüche Neben Publikationspflichten, die dafür sorgen, daß besonders öffentlichkeitswichtige Infonnationen publiziert werdeniso, gewährt das Zivilrecht dem Bürger eine Reihe von lnfonnationsansprüchen. Ein Schwerpunkt der gesetzlich fixierten Infonnationsansprüche liegt im SchuldrechtiBI. Dagegen sind Infonnationsansprüche im Sachenrecht ausgesprochen rar.J82 Ferner finden sich Informationsansprüche im Familien-183 und Erbrecht184, wobei die Ansprüche im Erbrecht auffallend zahlreich und weitgehend sind. Auch im Handels- und Gesellschaftsrechtiss, sowie in verschiedenen sonstigen zivilrechtliehen RegelungeniB6 bestehen Infonnationsansprüche. Innerhalb dieser zivilrechtliehen Infonnationsansprüche ist tenninologisch zwischen solchen zu differenzieren, die den lnformationspflichtigen auf Anfrage hin zur Auskunft verpflichten und solchen, die ihm eine Aufklärungspflicht ohne vorherige Aufforderung aufbürden. Als Beispiel sei auf § 666 BGB verwiesen, wonach der Beauftragte- über §§ 687 II, 681 BGB auch der Geschäftsführer ohne Auftrag - verpflichtet ist, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu gebenl87 , aufVerlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen. In den ersten

110 Pflicht der Kapitalgesellschaften zur Rechnungslegung gemäß §§ 264 ff HGB; die in das Handelsregistereintragungspflichtigen Tatsachen, z. 8. §§ 29, 31, 32, 106, 162 HGB, § 99 AktG, § 10 GmbHG. Ferner bedürfen dingliche Rechtsgeschäfte zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Grundbuch. Vgl. §§ 873, 925 BGB beim Grundstückserwerb, §§ 883, 885 BGB Erwerb der Vormerkung, § 873 i.V.m. §§ 1113- 1117 BGB; Bestellung einer Hypothek (über§ 1192 I BGB auch für die Grundschuld); Nicht zu vergessen ist auch die Eintragung aller selbständigen Handwerker aus dem Bezirk einer Handwerkskammer in die Handwerksrolle oder auch die Eintragung in das Vereinsregister als Voraussetzung für die Rechtsflihigkeit eines Vereins. 111 Vgl. §§ 510 I, 666,716,740 II, 799 II, 809,810 BGB. 112 Vgl. etwa§§ 1034, 1035, 1214 I BGB. 113 Siehe§§ 1361 IV, 1379 I, 1386 111, 1435 S.2, 1580, 1605, 1634 111, 1698, 1799 II, 1839, 1850, 1890. 1891 BGB. 114 §§ 1978 I, 2003 II, 2005 II, 2011 S. 2, 2012 I S. 2, 2027,2028 I, 2057, 2121, 2122, 2127, 2130 II, 2218, 2314, 2362 II BGB. 1ss Vgl. §§ 719, 740 II BGB; §§ 105 II, 118,340111 HGB; § 131 AktG, 51 aGmbHG etc. 186 Vgl. etwa §§ 97 I S. 2 UrhG, 24 VerlG, 146 PatentG, 34 VVG; ferner die im Arbeitsrecht bestehenden Auskunftsrechte des Betriebsrates gegenüber dem Arbeitgeber. Vgl. §§ 80 II, 89 II 2, 90, 92, 99 I, 102 I, 105, 106, II I. 115 VII Nr. 5, 116 VI Nr. 2 BetrVG; dazu Balthasar, Der allgemeine Informationsanspruch des Betriebsrats, S. 7 ff. 117 Nach der Literatur beinhaltet diese Pflicht die Mitteilung aller dem Auftraggeber unbekannten Informationen. die der Auftraggeber braucht, ..um seine im Zuge der Auftragserledigung sich ändernde Rechtsstellung beuneilen und Folgerungen daraus ziehen zu können." Siehe Seiler, in: Münchener-Kommentar. § 666 Rn. 1: vgl. Esser/Weyer, Schuldrecht, Band II, S. 281: " ... ständige Information zur Sicherung einer, den Interessen des Geschäftsherrn entsprechenden...Gesamtabwicklung".

4 Lanser

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I. Teil: Die Infonnationsordnung

beiden Alternativen erwähnt der Gesetzgeber nebeneinander Benachrichtigungspflichten mit beziehungsweise ohne Aufforderung.I88 Betrachtet man die verschiedenen gesetzlichen Infonnationsansprüche, so stellt man fest, daß die Ansprüche in der Mehrzahl die Besorgung fremder Geschäfte oder das Eindringen in fremde Bereiche betreffen. 189 Man denke nur an den hierfür als Musterregel190 anzusehenden § 666 BGB. Aber auch die Informationsansprüche des Familien- und Handelsrechtes beruhen häufig auf dem auftragsähnlichen Charakter der zugrundeliegenden Rechtsbeziehungen und lassen sich letztlich auf§ 666 BGB zurückführen.J91 Eine Voraussetzung von gesetzlichen Infonnationsansprüchen ist also immer eine "gesteigerte Pflichtigkeit"192 des Infonnationsverpflichteten gegenüber dem Berechtigten.193 lnsbesonderel94 die wenigen Informationsansprüche im Sachenrecht und im Vergleich dazu die zahlreichen und weitgehenden Infonnationsansprüche des Erbrechts weisen ein zweites wesentliches Merlemal der gesetzlichen Infonnationsansprüche auf. Informationsansprü~he hat der Gesetzgeber dem Bürger immer nur dann verliehen, wenn dieser ein Schützenswertes Informationsinteresse besitzt. Im Sachenrecht ist ein derartiges Informationsbedürfnis gegenüber Dritten angesichts der zahlreichen, in das Grundbuch einzutragenden Tatsachen gering. Informationen kann sich der Infonnationssuchende häufig schon durch Einblick in das Grundbuch verschaffen. Demgegenüber ist das Bedürfnis nach Auskunft von dritter Seite im Erbrecht besonders groß. Ursächlich hierfür ist neben dem lnfonnationsdefizit als Folge des Todes des Erblassers der erhöhte Infonnationsbedarf des Erben, der durch den Übergang aller Aktiva und Passiva t11 Im folgenden wird zwischen diesen beiden Fonnen der Infonnationsansprüche nicht unter· schieden. 119 So schon Ehmann, AcP 188 (1988), 230 254); Lii/a, JuS 1986, 2 (4); Baithasar, Der allgemeine Infonnationsansproch des Betriebsrats, S. I 3 ff. 190 So zu Recht Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (254) hin. Man bedenke nur, daß eine ganze Reihe von Vorschriften auf§ 666 BOB vetweisen. So § 27 111 BOB für den Vereinsvorstand, § 615 BOB für die entgeltliche Oeschäftsbesorgung, § 681 S. 2 BOB für den Geschäftsführer ohne Auftrag, § 687 II BOB für die angemaßte Eigengeschäftsfilhrung, § 713 BOB für den geschäftsführenden Gesellschafter und schließlich § 2218 BOB für den Testamernsvollstrecker. 191 Vgl. nur§§ 1435 S. 2, 1698, 1799 II, 1839 BOB für das Familienrecht; zum Beispiel §§ 86 II und 384 II 1. Halbsatz HOB für das Handelsrecht, deren Fonnulierung schon die enge Anlehnung an § 666 BOB zeigen. 192 So Balthasar, Der allgemeine Infonnationsansproch des Betriebsrats, S. 33. t93 Dieses Erfordernis wird in der Literatur unterschiedlich bezeichnet. Balthasar, Der allgemeine lnfonnationsansproch des Betriebsrats, S . 10 nennt es ,Jnfonnantenstellung"; Brosseae, Der Wen der Wahrheit im Schatten des Rechts auf infonnationelle Selbstbestimmung, S. 79 umschreibt es als ,,materiellrechtliche Sonderbeziehung". 194 Dieses zweite Merkmal zeichnet alle gesetzlichen Infonnationsansprüche aus. Es wird nur bei einem Vergleich der Infonnationsansprüche des Sachen- und Erbrechts besonders klar.

S. Abschnitt: Die privatrechtliche Informationsordnung

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des Erblassers entsteht.i9S Diesem starken Informationsbedarf hat der Gesetzgeber mit zahlreichen Informationsansprüchen Rechnung getragen. Die gesetzlichen Informationsansprüche sind also - wie schon ihre zahlenmäßige Verteilung unter Beweis stellt - immer auch Ausdruck eines berechtigten Informationsinteresses.196 Fragt man schließlich nach dem mit den Informationsansprüchen verfolgten Zweck, so besteht dieser in doppelter Hinsicht. Die Mehrzahl der Informationsansprüche dient der Sicherung anderer Rechte.1 97 So ist die Benachrichtigungspflicht des Beauftragten nach § 666 BGB nichts anderes als die Kehrseite des in § 665 BGB verankerten Weisungsrechts des Geschäftsherrn.t98 Die dem Weisungsrecht korrespondierende Benachrichtigungspflicht soll den Geschäftsherrn in die Lage versetzen, die zur ordnungsgemäßen Durchführung des Auftrags erforderlichen Weisungen zu geben und sich damit die aus der Durchführung des Auftrags ergebenden Rechte zu sichern.199 Darüberhinaus dienen Informationsansprüche aber auch der Vorbereitung eines Rechtsstreits. Denn nicht selten fehlt es dem Gläubiger an Informationen, um einen ihm zustehenden Anspruch nach Inhalt und Umfang genau zu bezeichnen und damit gerichtlich durchsetzen zu können. Wie soll der Kläger - um nur ein Beispiel zu nennen - einen bestimmten Klageantrag im Sinne von § 253 II Nr. 2 ZPO fassen, wenn er nicht weiß, welche Erbschaftsgegenstände existieren, deren Herausgabe er vom Ernschaftsbesitzer verlangen kann? Deshalb gibt § 2027 I BGB dem Erben einen Auskunftsanspruch. Es zeigt sich also, daß sich der Gesetzgeber bei der Anerkennung von gesetzlichen Informationsansprüchen zurückhaltend verhalten hat und nur in speziellen Vorschriften Inhalt und Umfang von Auskunftsansprüchen genau geregelt hat. Das deutsche Zivilrecht kennt daher keine allgemeine Pflicht des Informationsträgers, alle Umstände zu offenbaren, die für eine Entschließung des anderen so Lüke, JuS 1986, 2 (4). Folgerichtig wird das Informationsinteresse des Berechtigten als das zweite Charakteristikum der gesetzlichen Informationsansprüche angesehen. So Balrhasar, Der allgemeine Informationsanspruch des Betriebsrats, S. 10, Brosserte, Der Wen der Wahrheit im Schatten des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung, S. 79 ff Das Erfordernis des berechtigten InformationsilUresses soll auch bei Bestehen der Informantenstellung - die unbegrenzte und unbegründete Ausforschung des Informationspflichtigen verhindern. So zu Recht Balrhasar, Der allgemeine Informationsanspruch des Betriebsrats. S. 36. 1" Diese Informationsansprüche werden in der Literatur daher auch als unselbstllndige Informationsrechte bezeichnet So Balrhasar, Der allgemeine Auskunftsanspruch des Betriebsrats, s. 27. 191 Siehe MoL II, S. 537; Mugdan, Bd. 2, S. 946 I G 2299. 19S

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199 So Taupirz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgefordcnen Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 42 f.

4•

1. Teil: Die Infonnationsordnung

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Teils von Bedeutung sein können. Dahinter steht der gesetzgebensehe Gedanke, daß es dem Bürger zuzumuten ist, sich durch Rückfragen die für eine sachgerechte Entscheidung notwendigen Informationen zu verschaffen.

/1. Informationsbeschränkungen

I. §§ 824, 826 BGB

Neben Informationsrechten fmden sich im Zivilrecht aber auch Normen, die den Informationsaustausch sanktionieren. So ordnet § 826 BGB Schadensersatz bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung an. Gemäß § 824 BGB macht sich derjenige schadensersatzpflichtig, der wahrheitswidrig eine Tatsache behauptet und damit fahrlässig einen anderen in Erwerb oder Fortkommen beeinträchtigt beziehungsweise dessen Kredit gefährdet. 2. § 823 BGB i.V.m. strafrechtlichen Schutzgesetzen Außer diesen beiden Vorschriften zum Schutz vermögenswerter Interessen prägen insbesondere strafrechtliche Schutzgesetze, die über§ 823 II BGB zu zivilrechtlichen Schutztatbeständen erhoben werden, den zivilrechtliehen Informationsverkehr. Es bedarf eines kurzen Überblicks über Inhalt und Systematik der in Betracht kommenden strafrechtlichen Schutzgesetze2oo, um Einblick in die Grundideen der herkömmlichen privatrechtliehen Informationsordnung zu erhalten. Bestimmend für den privaten Informationsaustausch sind besonders die Beleidigungsdelikte,20I die letztendlich den Maßstab dafür setzen, was man über seinen Mitmenschen straflos sagen kann. In unserer Rechtsordnung hat sich nach langer Diskussion202 die Auffassung durchgesetzt, daß wahrheitsgemäße Indiskretionen aus dem Privatbereich grundsätzlich nicht ehrenrührig sind. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz formuliert § 192 StGB. Dort wird die Behauptung oder Verbreitung einer wahren Tatsache allein durch die Art ihrer

Dies sind die Vorschriften des 14. und 15. Absclmitts des Strafgesetzbuches, sowie§ 123 StGB. Vgl. §§ 185-200 StGB. 202 Hierzu Brossette, Der Wen der Wahrheit im Schatten des Rechts auf infonnationelle Selbstbestimmung, S. 45 ff. 200 2o1

S. Abschnitt: Die privatrechtliche Informationsordnung

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Kundgabe zum Straftatbestand erhoben.2o3 Ansonsten verpflichten die Vorsatzdelikte Beleidigung, üble Nachrede und Verlewndung über§ 823 II BGB jedoch nur zwn Schadenersatz, wenn mit der Äußerung keine berechtigten Interessen wahrgenommen wurden.204 Einen Großteil der strafrechtlichen Schutzgesetze, die über § 823 II BGB zu zivilrechtliehen Schutztatbeständen erhoben werden, fmden sich im 15. Abschnitt des Strafgesetzbuches (§§ 201 - 205 StGB)205 , indem die Delikte gegen den persönlichen Lebens- und Geheimnisbereich zusammengefaSt sind.206 Die Straftatbestände dieses Abschnitts versuchen den persönlichen Lebens- und Geheimnisbereich des einzelnen in zweifacher Weise zu verwirklichen. Einige Vorschriften stellen bereits das unbefugte Eindringen in den persönlichen Lebens- und Geheimnisbereich unter Strafe. Voraussetzung ist allerdings, daß das Eindringen in qualifizierter Form erfolgt oder daß bestimmte Schutzvorkehrungen getroffen wurden, die es zu überwinden gilt. Bei § 201 II StGB wird die Distanz mit Hilfe technischer Vorkehrungen überwunden, bei§ 202 StGB wird ein Verschluß erbrochen oder mit technischen Hilfsmitteln wngangen, und als weitere Schutzvorschrift ist hier§ 123 StGB zu nennen, der das unerwünschte Eindringen in die häusliche Gemeinschaft pönalisiert. Sind dem Täter Tatsachen aus dem persönlichen Lebens- und Geheimnisbereich bereits bekannt, bedarf es keines Eindringens mehr. Doch auch in diesen Fällen bestraft das Gesetz denjenigen, der seine Kenntnis unbefugt weitergibt oder widerrechtlich verwertet.2o1 Hier setzt strafwürdiges Handeln jedoch vor203 § 192 StGB erfaßt vor allem die VerOffentlichung wahrer Tatsachen in der Presse, insbesondere wenn es sich um Vorgänge aus der Intimsphäre handelt Vgl. die Nachweise der Rechtsprechung bei Dreher/Trßndle. Strafgesetzbuch, § 192 Rn. 4. 204 Vgl. § 193 StGB. 2DS Die folgenden Ausführungen gehen von der jetzt gültigen Fassung des Strafgesetzbuches aus. Die durch das EGStGB erfolgte Reform des strafrechtlichen Schutzes der Privatsphäre bleibt außer Betracht. Denn die durch das EGStGB eingefügten Vorschriften waren im Kern nicht neu. Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 StGB war bereits zuvor in den §§ 298, 353 d I StGB a. F. unter Strafe gestellt. Strafvorschriften über die Verietzung des Brief- und Berufsgeheimnisses waren von Anfang an im StGB enthalten (§§ 299, 300 StGB a. F.). Eine § 204 StGB - Verwertung fremder Geheimnisse - entsprechende Strafvorschrift kannte das StOB selbst noch nicht; Vorläufer fanden sich in zahlreichen Bestimmungen des Nebenstrafrechts. Siehe JiJhnke, in: Leipziger-Kommentar, vor § 201 Rn. 1. 206 Strafbestimmungen zum Schutz des persönlichen Geheimbereichs finden sich auch in anderen Gesetzen, auf die hier nur der Vollstllndigkeit wegen verwiesen werden soll. So wird die Verietzung der Verschwiegenheitspflichl des Vertrauensmannes der Schwelbehinderten in § 69 SchwBehG mit Strafe bedroht. Nach § 120 II BetrVG macht sich ein Mitglied des Betriebsrates strafbar, das ein "fremdes Geheimnis eines AJbeitnehmers, namentlich ein zu dessen persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis", unbefugt offenban. Die unbefugte Verbreitung von Abbildungen einer Person ist nach § 33 KunstUrhG strafbar. 2ll1 Vgl. §§ 203, 204 StGB.

1. Teil: Die Informationsordnung

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aus, daß der Täter bestimmten im Gesetz abschließend aufgeführten Personengruppen angehört und in dieser Eigenschaft zum Geheimnisträger wurde. Es zeigt sich, daß das Strafgesetzbuch den persönlichen Geheimnisbereich nicht schlechthin schützt, sondern nur in den beiden Alternativen des strafbaren Eindringens in die mündliche und schriftliche Kommunikation und des Geheimnisverrats durch einen qualifiziert Schweigepflichtigen.208 Dabei ist auffallig, daß der Gesetzgeber den strafrechtlichen Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs stetig fortentwickelt und ausgebaut hat.209 Ganz entscheidenden Einfluß auf die gesetzgebensehe Tätigkeit nahm immer auch der rasche Fortschritt der Technik.21o Durch die Entwicklung immer perfekterer Geräte, die es erlauben, die Worte eines anderen heimlich auf Tonträger aufzunehmen oder dessen Gespräche abzuhören, war der Gesetzgeber gehalten, einen Straftatbestand zum Schutz der Vertraulichkeit des Wortes zu schaffen.2u Der Aufbau von Datenbanken und Datenverarbeitungssystemen hat es erforderlich gemacht, das Ausspähen von Daten in einer gesonderten Vorschrift (§ 202 a StGB) unter Strafe zu stellen. 3. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht Schließlich erfuhr das Geheimhaltungsinteresse des einzelnelil auf dem Gebiet des Zivilrechts durch die Rechtsfigur des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine entscheidende rechtliche Verstärkung.212 Nachdem der Gesetzgeber des Bürgerlichen Rechtes bewußt213 und auch das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung214 ein dahingehendes Recht abgelehnt hatten, führte die unseSo Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (13). Vgl. im einzelnen Jdhn/ce, in: Leipziger-Kommentar, § 201 Rn. I; § 202 Rn. I; § 202 a Rn. I; § 204 Rn. 1; Lenckner, in: Schönke-Schrtlder § §201 Rn. 1; § 202 Rn. 1; § 202 a Rn. I ff; § 203 Rn. I.2; § 204 Rn. I; Samson. in: Systematischer-Kommentar, vor§ 201 Rn. 2-5. 210 Vgl. Henlcel, Der. Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Vemandlungen des 42. Deutschen Jurislentages, Band II, D I27. m Vgl. Henlcel, Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Vemandlungen des 42. Deutschen Jurislentages, Band II, D 127. 212 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde vom BGH erstmals im Jahre 1954 in der Schachtbrief-Entscheidung anerkannt Vgl. BGHZ I3, 334 (338). Der Bundesdesfinanzhof und das Bundesarbeitsgericht sind dem BGH gefolgt Vgl. BFH in: NJW 1964, 744 und SAGE 2, 221 (224 f.); 4, 274 (278, 28I f.). Schließlich wurde die Konzeption des BGH vom BVertU gebilligt Vgl. BVertUE 30, I73 (194 ff); 34, 118 (135 f.); 34, 238 (246 f.); 34, 269; 44, 353 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde so zum feslen Bestandteil unserer Prlvatrechtsordnling. Vgl. Weitnauer, in: Handkommentar zum BUrgerlichen Gesetzbuch, Anhang zu§ 12 Rn. 4 a. 213 Vgl. die Nachweise bei Schwerdlner, in: MUnchener-Kommentar, § 12 Rn. 163 und bei Derleder, Allernativkommentar zum BUrgerlichen Gesetzbuch, § 823 I Rn. 55. 21• Vgl. RGZ 69, 401 (403); 79, 397 (398). 201

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5. Abschnitt: Die privatrechtliche Informationsordnung

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riöse Berichterstattungm der Skandalpresse nach dem zweiten Weltkrieg, also gerade in einer Zeit, in der das Persönlichkeitsbewußtsein der Gesellschaft aufgeund der leidvollen Erfahrungen im NS-Staat sensibilisiert war,216 die Unzulänglichkeiten des Straf- und - bis dahin vor allem über § 12 BGB217, § 826 BGß218 und§§ 22 ff. KUG gewährten deliktsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes vor Augen. In einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1954 erkannte schließlich der BGH - im Anschluß an namhafte Vertreter der Literatur219 unter Berufung auf das durch Art. 1 und 2 GG geschützte Recht auf Achtung der persönlichen Würde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit220 das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als "sonstiges Recht" im Sinne von § 823 I BGB an.z21 Obgleich das Allgemeine Persönlichkeitsrecht seither fester Bestandteil unserer Privatrechtserdung ist222, fanden weder die Rechtsprechung noch die Vertreter der Literatur eine Definition dieses Rechtes. Dies beweist, daß sich der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechtes abstrakt überhaupt nicht exakt abgrenzen läßt -eine Tatsache, die niemand treffender als Hubmann - einer der geistigen Väter des Persönlichkeitsrechtes-in folgende Worte gefaßt hat: ,,Fragen wir uns, was wir darunter verstehen, so meinen wir es zu wissen, jeder hat eine dunkle Vorstellung davon; versucht man diese Vorstellung zu analysieren, so zerrinnt sie wie Nebel vor den Augen...223

m Ehmann spricht zu Recht davon, daß die Presse ,,immer unverschämter in das Privatleben der Kaiserin von Persien. eines Herrenreiters, eines Kirchenrechtlers, einer Fernsehansagerin, von Filmschauspielern, Schriftstellern, Politikern, vereinzelt auch einer Dachdeckenachter mit ihrer Familie sowie von Individuen, die durch Scheußlichkeiten im Dritten Reich oder durch sonstige Abartigkeilen und Mordtaten ein allgemeines Interesse erregten", eindrang. Siehe Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (244) mit den enrsprechenden Fundstellen der angesprocbenen Rechrsßllle. 216 Hinzu kam, daß die Vervollkommnung der Nachrichtenmittel und anderer teChnischer Gerate Möglichkeiten des Einbruchs in den persönlichen Bereich des einzelnen geschaffen hatten, die fllr den Gesetzgeber des Bürgerlichen Rechtes nicht vorstellbar waren. Vgl. hierzu Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (244 f.); Mal/mann, Zielfunktionen des Datenschutzes, S. 22 f. 217 Vgl. OLG Nürnberg, Ufita 1930, 200. m Vgl. RGZ 115. 416 ffzu § 826 als Grundlage des Persönlichkeirsschutzes; ferner MQQS, Information und Geheimnis im Zivilrecht. S. 8 ff; Schwerdtner, in: Münchener-Kommentar, § 12 Rn. 163. 219 Im Schrifttum hatten sich filr die Anerlcennung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts folgende Autoren eingesetzt: Jhering, Jh.Jb. 23 (1885), 155 ff; von Gier/ce, Deutsches Privatrecht, Band I, 1895, S. 703 ff; Kohler, Archiv filr Bürgerliches Recht, Band VII (1893), S. 94 ff; Jh. Jb. 18, 129 ff; GoltdA 47 (1900), S. I ff, 98 ff; Hubmann, Das PersönlichkeitsrechL 220 Der BGH hatte zunächst eine unnlittelbare g1'111111Techtliche Gewährleistung des APR in Anspruch genommen. Vgi.BGHZ 13. 334 (338). Mittlerweile wird der in§ 823 I BOB garantierte Persönlichkeitsschutz als Institut des einfachen Rechrs aufgefaßt. Vgl. BVerjGE 34, 269 (281); BGHZ. in: JZ 1979, 102; Hubmann, Das Persönlichkeirsrecht. 2. Auflage, S. 85 ff. 221 Vgl. BGHZ 13, 334 (337 f.) . 222 So Weirnauer, in: Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Anhang zu§ 12 Rn. 4 a. 223 Siehe HubmaM, Das Persönlichkeitsrecht, I. Auflage, S. 3 f.

1. Teil: Die Informationsordnung

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Trotz der "generalklauselartigen Weite und Unbestimmtheit"224 des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes hat die Zivilrechtsprechung einen Weg gefunden, den Schutzbereich dieses Rechts zu konkretisieren. In BGHZ 24, 72 (80) heißt es dazu: "Bei den Konfliktmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, daß das Allgemeine Persönlichkeitsrecht eines jeden mit dem eines anderen gleichen Rang hat und die freie Entfaltung der Persönlichkeit gerade in dem Hinausstreben des einzelnen über sich selbst besteht, bedarf es im Streitfall einer Abgrenzung, für die das Prinzip der Giller-IUIII INeresseNibwi1gung maßgebend sein muß."22S

Die Zivilrechtsprechung bestimmt den Schutzbereich des Persönlichkeitsrechtes also durch eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles. Sinn der Abwägung ist es letztlich, die gegenläufigen Interessen zu einem praktikablen Ausgleich zu bringen. Der BGH hat also erkannt, daß das vom Tatbestand her "offene" Allgemeine Persönlichkeitsrecht durch das soziale Miteinander der Menschen notwendigerweise eingeschrlink.t werden muß. Ein tatbestandlieh onumgrenztes Recht freier Willensbetätigung in dem Sinne, daß eine Persönlichkeitsverletzung immer schon dann anzunehmen ist, wenn sich jemand nicht angemessen gewürdigt oder in seinem Vorhaben beeinträchtigt fühlt, erkennt der BGH folglich nicht an. Er führt mit dieser Auffassung letzten Endes einen Grundgedanken des Reichsgerichtes, den dieses in der Jute-Plüsch-Entscheidung226 aufgezeigt hat, fort. In dieser Entscheidung, in der das Reichsgericht das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb entwickelte, hat es zugleich festgestellt, daß die tatbestandlieh nicht eingrenzbare Willensbetätigung des einzelnen kein durch § 823 I BGB geschütztes Rechtsgut ist. Das subjektive Recht der freien Willensbetätigung werde - so das Reichsgericht227 - erst durch seine "gegenständliche Verkörperung" zum schützenswerten "sonstigen" Recht im Sinne von§ 823 I BGB. Gegenständliche Verkörperung bedeutet dabei nichts anderes, als daß der Wille eines Individuums, innerhalb eines bestimmten Bereiches nach seinem Belieben (§ 903 BGB) - also selbstbestimmt - zu entscheiden, in irgendeiner Weise für die Allgemeinheit erkennbar und von ihr akzeptiert wird.22.8 Gegenständliche Verkörperung ist demgemäß mit der rechtli-

224 Siehe BGHZ 24, 72 (78).

w Der BGH hatte auch schon in der Schachtbrief-Entscheidung die Güterahwägung als Abgren-

zungskriterium für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht genaruu. Vgl. BGHZ 13, 334 (338). 226 Vgl. RGZ 58, 24 ff. m Siehe RGZ 58, 24 (30). 221 Vgl. Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (251).

5. Abschnitt: Die privatrechtliche Infonnationsonlnung

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chen229 Anerkennung der auf einen bestimmten Bereich bezogenen freien Willensbetätigung des einzelnen gleichzusetzen.23o Bei der schützenswerten Privatsphäre, die das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützen soll, ist die Anerkennung in unserer Moral- und Sittenordnung verwurzelt231, die jedoch keine rechtliche Anerkennung genießt. Die rechtliche Anerkennung erfolgt erst durch die in jedem Einzelfall vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen. 232

Im Bestreben, die generalklauselartige Weite und Unbestimmtheit des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufzulösen, hat der BGH nach umfassender Güterund Interessenahwägung moralisches Feh/verhalten in folgenden Fällen zu rechtswidrigem Handeln erklärt:233 1. Verfälschungen des Persönlichkeitsbildes, die zwar nicht ehrenrührig sind, die die Persönlichkeit in der Öffentlichkeit jedoch als eine andere erscheinen lassen als sie ist234 , insbesondere auch durch in den Mund gelegte Äußerungen.23S 2. Eindringen in die Intim- oder Privatsphäre, auch durch wahrheitsgemäße Berichterstattung über private Angelegenheiten, für welche eine allgemeine Öffentlichkeit kein anerkennenswertes Informationsbedürfnis hat.236 3. Fahrlässige Ehrverletzungen, insbesondere mittels vorsätzlich handelnder Hilfspersonen der Presse.237 4. Technisches Festhalten persönlicher Äußerungen über das Recht am eigenen Bild hinaus23s mit der Möglichkeit von Verfalschungen, zumindest von Kontextänderungen. 229 Schon im gemeinen Recht wurde das subjektive Recht als rechtlich geschützte Willensmacht beziehungsweise als rechtlich geschütztes Interesse bezeichneL Vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 37, sowie Jhering, Geist des römischen Rechts, Band 111, § 60, 327 (339). 230 Vgl. Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (247 Fn. 105). 231 Vgl. Abschnitt 5 A. 232 Vgl. die Nachweise des Erfordernisses der gegensUindlichen Verlcörperung anband der Rechtsprechung des BGH bei Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (251 ff). 233 Fallgruppen nach Ehmann. AcP 188 (1988), 230 (247 f.). 234 So BGHZ 13,334 ff- Schachtbrief-. 23S So BGH, in: NJW 1965, 685 f- Soraya -. 236 Vgl. BGHZ, in: MDR 1965,371 ff-GremaGreen-; BGHZ24, 200 ff- Spätheimkehrer-. 237 Vgl. BGHZ 39, 124 ff- Fernsehansagerin- .

23& Vgl. BGHZ 27, 284 ff - Tonbandaufnahme I- ; BGHZ in: NJW 1982, 277 ff- Tonbandaufnahme 11-.

1. Teil: Die Informationsordnung

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5. Unbefugte kommerzielle Auswertung von Persönlichkeitswerten239, insbesondere in persönlichkeitsfremden oder gar entwürdigenden Zusammenhängen.240 Um einen möglichst effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, insbesondere im Vorfeld eines Eingriffs entsprechende Vorbeugungsmaßnahmen zu ermöglichen, hat der BGH bei schweren Persönlichkeitsverletzungen2AI sogar einen Schmerzensgeldanspruch zuerkannt und sich damit über den Wortlaut der §§ 253, 847 BGB hinweggesetzt. Eine derartige Ausweitung des bestehenden Sanktionskataloges wurde notwendig, weil die herkömmlichen zivilrechtliehen Sanktionen- Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche aus den§§ 823 I und 1004 I S. 2 BGB und gegenüber Tatsachenbehauptungen zusätzlich der Widerrufsanspruch nach § I 004 I S. I BGB - gerade in sensiblen· Persönlichkeitsbereichen wenig Schutz bieten. Typischerweise wird bei Eingriffen in den Persönlichkeitsbereich entweder gar kein Vermögensschaden verursacht. oder er ist schwer nachweisbar, so daß ein Schadenersatzanspruch gemäß § 823 I BGB regelmäßig nicht verwirklicht werden kann. Unterlassungsansprüche können bereits eingetretene Verletzungen nicht ungeschehen machen. Häufig fehlt es auch an der erforderlichen Wiederholungsgefahr. Erst durch die Zubilligung eines Schmerzensgeldanspruchs und damit eines Ausgleichs für immaterielle Schäden wird die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts so "verteuert", daß eine gewisse Abschreckungswirkung erzielt wird.242 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die herkömmliche privatrechtliche Informationsordnung auf dem unserem BGB zugrundeliegenden Prinzip der Eigenverantwortlichkeit, nach dem jeder Vertragspartner grundsätzlich selbst Hüter seiner eigenen Interessen ist, basiert.243 Niemand wird ohne triftigen Grund gezwungen, Auskünfte zu erteilen, die ihm Mühe machen oder die gar zu seinem Nachteil sind.244 Im Gegenteil, der Gesetzgeber überläßt es grundsätzlich dem Bürger selbst, welche Informationen er von sich aus Preis gibt oder welche Informationen er sich - etwa durch Rückfragen - über andere verschafft. So kommt es denn auch, daß die meisten Informationen nicht zur Erfüllung von Informationsansprüchen oder zur Vermeidung von Sanktionen, sondern freiwillig Vgl. BGHZ 20. 345 ff- Paul Dahlke-; BGHZ 30. 7 ff- Caterina Valente-. Vgl. BGHZ 26, 349 ff- Herrenreiter-; BGHZ 35, 363 ff- Ginseng-. 241 Grundlegend BGHZ 26, 349 - Herrenreiter- . 24.2 So Schlachrer, JA 1990, 33 . 243 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 481 ; von Tuhr, BOB AT 11/1, S. 607. 244 Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (254). 239

240

5. Abschnitt: Die privatrechtliche Informationsordnung

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und unentgeltlich auf der Grundlage der Informationsfreiheit allein in dem Bewußtsein, daß der Austausch von Informationen für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben notwendig ist, ausgetauscht werden.24~

B. Von der Informationsfreiheit zum grundsätzlichen Informationsverbot

I. Das BDSG alter Fassung

Im Jahre 1978 hat der Gesetzgeber mit Inkrafttreten des BDSG alter Fassung erstmals eine Gesetzessammlung geschaffen, deren Regelungsgegenstand unter anderem246 der Informationsaustausch zwischen den Bürgern bildete. Für den Bereich der dateimäßigen Datenspeicherung, -Übermittlung, -Veränderung und -löschung statuierte der Gesetzgeber in§ 3 BDSG alter Fassung ein grundsätzliches Verbot mit Ausnahmevorbehalt247. Danach waren die oben bezeichneten Informationshandlungen grundsätzlich verboten und nur noch ausnahmsweise erlaubt, wenn der Betroffene einwilligte oder ein Gesetz248 die Datenverarbeitung gestattete. Mit dem ersten Datenschutzgesetz erfuhr die privatrechtliche Informationsordnung also grundlegende Veränderungen. So wurde durch den Gesetzgeber der Informationsverkehr für den Bereich der dateimäßigen Datenverarbeitung nicht nur erstmals "verrechtlicht". Viel einschneidender war der mit § 3 BDSG alter Fassung eingeleitete Prinzipienwechsel in der Informationsordnung. Während nach herkömmlichem Recht jedermann die Freiheit zustand, Informationen zu erheben, zu speichern, auszuwerten, zu übermitteln und zu vernichten, solange er damit nicht in geschützte Geheirnnisbereiche einbrach oder absolute Rechte, insbesondere das Allgemeine Persönlichkeitsrecht anderer verletzte oder sonstwie in gegen die guten Sitten verstoßender Weise andere vorsätzlich schädigte, waren derartige Informationshandlungen unter den Geltungsvoraussetzungen des BDSG alter Fassung mit einem grundsätzlichen Informationsverbot belegt. Der Gesetzgeber beschnitt mit :~