In Liebe verbunden: Zweierbeziehungen und Elternschaft in populären Ratgebern von den 1950ern bis heute [1. Aufl.] 9783839423196

Trotz der Pluralisierung von Lebensformen gehören eine dauerhafte Liebe und die gemeinsame Elternschaft weiterhin zu den

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In Liebe verbunden: Zweierbeziehungen und Elternschaft in populären Ratgebern von den 1950ern bis heute [1. Aufl.]
 9783839423196

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
I. EINLEITUNG
In Liebe verbunden Paar- und Elter(n)-Kind-Liebe in der soziologischen Diskussion
Ratgeber erforschen .Eine Wissenssoziologische Diskursanalyse von Ehe- Beziehungs- und Erziehungsratgeber
II. LIEBE IN ZWEIERBEZIEHUNGE
Zwischen Konkurrenz und Synthese . Christliche und romantische Deutungsmuster in Eheratgeber der 1950er Jahr
Bedrohung oder Fundament der Ehe
Gleichberechtigung im politisch-rechtlichen Diskur und in Eheratgebern der 1950er Jahr
Geschlecht und Zweierbeziehung - ein untrennbares Paar Konstruktion von Geschlecht und Zweierbeziehung in aktuellen Ehe- und Beziehungsratgeber
Auf der Suche nach Mr. und Ms. Right . Liebessemantiken der Paarbildung im Wande
Spiritualisierung der Paarsexualität? Eine diskursanalytische Betrachtung von aktuellen Sexualitätsratgeber
Neuro-Romantik? Die symbolische Integration von Liebe und Hirnforschung
III. LIEBE IN ELTER(N)-KIND-BEZIEHUNGEN
(Ehe-)Frau  Mutter? Weiblichkeitskonstruktionen in Ehe- und Beziehungsratgeber
Der gute Vater . Konstruktionen von Vaterschaft und Liebe in Erziehungsratgebern für Väter
Das idealisierte Kind . Elter(n)-Kind-Beziehungen in populären Erziehungsratgeber
»Ich bete dafür, dass die Ratschläge in diesem Buch Ihnen helfen…
Geschlecht, Familie und Erziehung im Evangelikalismu
IV. ZUSAMMENFASSENDER VERGLEICH
Liebe und Elternschaft auf Dauer? Zusammenfassende Auswertung der Ratgeberanalysen und weiterführende Forschungsfrage
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der AutorInnen

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Sylka Scholz, Karl Lenz, Sabine Dreßler (Hg.) In Liebe verbunden

Kulturen der Gesellschaft | Band 9

Sylka Scholz, Karl Lenz, Sabine Dressler (Hg.)

In Liebe verbunden Zweierbeziehungen und Elternschaft in populären Ratgebern von den 1950ern bis heute

Gefördert mit den Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des SFB 804 der Technischen Universität Dresden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Sabine Dreßler, Karl Lenz, Sophie Maria Ruby, Sylka Scholz, David Stiller, Katharina Tampe Satz: Sophie Maria Ruby Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2319-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7

I. E INLEITUNG In Liebe verbunden. Paar- und Elter(n)-Kind-Liebe in der soziologischen Diskussion

Karl Lenz, Sabine Dreßler und Sylka Scholz | 11 Ratgeber erforschen. Eine Wissenssoziologische Diskursanalyse von Ehe-, Beziehungs- und Erziehungsratgebern

Sylka Scholz und Karl Lenz | 49

II. LIEBE IN ZWEIERBEZIEHUNGEN Zwischen Konkurrenz und Synthese. Christliche und romantische Deutungsmuster in Eheratgebern der 1950er Jahre

Sarah Eckardt | 79 Bedrohung oder Fundament der Ehe? Gleichberechtigung im politisch-rechtlichen Diskurs und in Eheratgebern der 1950er Jahre

Sabine Dreßler | 99 Geschlecht und Zweierbeziehung − ein untrennbares Paar? Konstruktion von Geschlecht und Zweierbeziehung in aktuellen Ehe- und Beziehungsratgebern

Denise Pohl | 127 Auf der Suche nach Mr. und Ms. Right. Liebessemantiken der Paarbildung im Wandel

Romy-Laura Reiners | 147

Spiritualisierung der Paarsexualität?! Eine diskursanalytische Betrachtung von aktuellen Sexualitätsratgebern

Sabrina Gottwald | 169 Neuro-Romantik? Die symbolische Integration von Liebe und Hirnforschung

Carola Klinkert | 191

III. LIEBE IN E LTER(N)-KIND-BEZIEHUNGEN (Ehe-)Frau  Mutter?! Weiblichkeitskonstruktionen in Ehe- und Beziehungsratgebern

Franziska Pestel | 217 Der gute Vater. Konstruktionen von Vaterschaft und Liebe in Erziehungsratgebern für Väter

Franziska Höher und Sabine Mallschützke | 235 Das idealisierte Kind. Elter(n)-Kind-Beziehungen in populären Erziehungsratgebern

Karl Lenz und Sylka Scholz | 257 »Ich bete dafür, dass die Ratschläge in diesem Buch Ihnen helfen…« Geschlecht, Familie und Erziehung im Evangelikalismus

Sophie Maria Ruby und Katharina Tampe | 275

IV. ZUSAMMENFASSENDER V ERGLEICH Liebe und Elternschaft auf Dauer? Zusammenfassende Auswertung der Ratgeberanalysen und weiterführende Forschungsfragen

Sylka Scholz | 299 Literaturverzeichnis | 341 Verzeichnis der AutorInnen | 373

Vorwort

Die hier vorgelegte Untersuchung von populären Ratgebern entstand im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 804 »Transzendenz und Gemeinsinn« an der Technischen Universität Dresden. In unserem Teilprojekt, das in diesem interdisziplinären Forschungsverbund angesiedelt ist, befassen wir uns mit dem Wandel der privaten Lebensformen von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart in einer ost-westdeutschen Vergleichsperspektive. Während dieser Wandel auf der sozialen Ebene bereits gut erforscht ist, sind Studien in der Paar- und Familienforschung, die sich der kulturellen Dimension zuwenden, bisher rar. Angesichts einer zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung privater Lebensformen, die mit einer gewissen Ratlosigkeit, zumindest aber mit einem wachsenden Orientierungsbedarf einhergehen, gehen wir der Frage nach, auf welche kulturellen Vorgaben Paare und Eltern zurückgreifen können, um ihr Leben, ihre Liebe und ihre Beziehung zu den Kindern zu gestalten. Ratgeber, so die zentrale Annahme der vorliegenden Studie, eröffnen einen solchen Zugang. Sie bieten einen Stoff im Sinne eines »gelebten Konjunktivs« (Heimerdinger), aus dem der Leser und die Leserin sich eigensinnig bedienen können. Was genau dieser Ratgeberstoff seiner Leserschaft an diskursiven Deutungsangeboten bezüglich Liebe, Sexualität, Lebensformen und Geschlechterkonstruktionen anbietet und wie die Autoren und Autorinnen ihre Leitideen legitimieren, ist der Stoff dieser Studie. Die ersten zwanzig Ratgeberanalysen entstanden in einem von Sylka Scholz durchgeführten einjährigen Forschungsseminar »Familienleitbilder in Ehe- und Erziehungsratgebern von den 1950ern bis heute« an der TU Dresden. Wir bedanken uns zunächst bei den im Forschungsprojekt beteiligten Studentinnen für ihre engagierte Forschungsarbeit und das Einverständnis, die Ergebnisse der Ratgeberanalysen weiter nutzen zu können. Dies sind namentlich Stefanie Bewilogua, Monique Bachmann, Sandra Flierl, Marie Hammermüller, Madline Kockrow, Sarah Lenk, Sandra Lohr, Helena Krawtschuk, Elisa Hidasi, Helén Hinstorff, Nadine Naser und Julia Wustmann. Weitere Teilnehmerinnen haben aus dem

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Forschungsseminar heraus eine anschließende Fragestellung entwickelt und in ihren Projekt- und Diplomarbeiten ausgewählte Ratgeber des Samples untersucht. Diese Forschungsarbeiten wurden für die vorliegende Publikation bearbeitet. Wir bedanken uns bei den Autorinnen, die die Mühen nicht gescheut haben, aus ihren Forschungsarbeiten einen wissenschaftlichen Artikel zu entwickeln. Unser Dank richtet sich auch an die studentischen Mitarbeiter/innen Carola Klinkert, Franziska Pestel, Sophie Ruby, Katharina Tampe, David Stiller und Sarah Eckardt als wissenschaftliche ›Hilfskraft‹, die wesentlich an der Forschung beteiligt waren. Der SFB 804 hat die Drucklegung dieses Buches mit einem großzügigen Druckzuschuss ermöglicht, wir danken stellvertretend dem Sprecher Prof. Dr. Hans Vorländer. Nicht zuletzt gilt unser Dank Sophie Ruby, die die Erstellung des Manuskriptes sorgfältig übernommen hat. Als in der Geschlechterforschung engagierte Forschende ist uns die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache selbstverständlich. Die Form der Umsetzung haben wir den Autorinnen überlassen. Sylka Scholz, Karl Lenz und Sabine Dreßler im März 2013

I. Einleitung

In Liebe verbunden Paar- und Elter(n)-Kind-Liebe in der soziologischen Diskussion K ARL L ENZ , S ABINE D RESSLER UND S YLKA S CHOLZ »Wir fühlen nur, dass uns etwas fehlt zu unserem Seelenfrieden und unserem Glücklichsein. Also suchen wir kurzerhand Abhilfe, indem wir uns nach Vervollkommnung und Ergänzung im Außen umsehen. Mehr oder minder offenkundig suchen wir nach der besseren Hälfte, der großen Liebe, nach dem einen Menschen, der uns bestimmt ist. Wann immer wir mit anfänglichem Überschwang eine Beziehung eingehen, sehnen wir uns nach Vervollkommnung und Einssein.« (Zurhorst 2004: 44)

Liebe ist der ͎Stoff͍, aus dem Träume und Sehnsüchte gemacht werden; ein Thema, das bereits unendliche Male besungen, beschrieben sowie auf Bühnen und Leinwänden dargestellt wurde. Alles, was zu sagen ist, wurde bereits in einer unbestimmten Anzahl von Wiederholungen gesagt. Aber dennoch reißt der unendliche Strom von Medienerzeugnissen zur Liebe nicht ab. Liebe ist ein uraltes Thema, das sich immer wieder neu stellt und fortlaufend Interesse weckt, möglicherweise weil die Träume und Sehnsüchte, die damit in Verbindung stehen, nicht zu stillen sind. Das »Glücklichsein«, das – wie das vorgestellte Zitat uns lehrt – damit verbunden ist oder sein soll, scheint kein Kinderspiel zu sein, sondern eher eine Sisyphos-Aufgabe. Wenn ein Thema in der Öffentlichkeit fortlaufend so präsent ist, was können Wissenschaftler/innen aus einzelnen Disziplinen dazu noch beitragen? Sind So-

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ziolog/innen – um diese Einzeldisziplin aufzugreifen, die uns drei Herausgeber/ innen eint – nicht gezwungen, das Thema den Traumfabriken der Filmindustrie, den geschickten Marktstrategien der Kulturindustrie oder der weiterhin grenzenlosen Fantasie der Literat/innen zu überlassen? Wir setzen dem ein klares Nein entgegen. Gerade die unendliche Flut von Erzeugnissen liefert der Forschung eine reichhaltige Materialbasis, mit der die soziale Bedeutung von Liebe rekonstruiert werden kann. Dieses Material können und wollen wir in diesem Buch nicht ausschöpfen, sondern die hier zusammengeführten empirischen Analysen werden sich auf Ratgeber, genauer auf Ehe- und Beziehungsratgeber sowie Erziehungsratgeber, beschränken. In unserem ersten Teil der Einleitung geht es um eine thematische Einbettung der nachfolgenden Einzelbeiträge. Im ersten Kapitel werden verschiedene Thematisierungswege der Liebe dargestellt, die von in groben Konturen nachgezeichneten geistesgeschichtlichen Traditionen bis zum engeren Feld der Soziologie der Liebe reichen. In diesem Zusammenhang wird auch die fortlaufende Debatte aufgegriffen, ob Liebe ein universales oder ein kulturgebundenes Phänomen ist. Im Zentrum der wissenschaftlichen wie auch der öffentlichen Aufmerksamkeit steht die romantische Liebessemantik, die im zweiten Kapitel inhaltlich bestimmt und deren Ausbreitung kurz beschrieben wird. Dabei werden wir mit dem Christentum und der griechischen Antike auch Kontinuitätslinien aufzeigen, die diese Liebessemantik trotz ihrer kulturellen Eigenständigkeit besitzt. Das wurde bisher vielfach vernachlässigt. Drittens wird die aktuelle Debatte zur Transformation der romantischen Liebe nachgezeichnet. Abschließend weisen wir noch darauf hin, dass die Soziologie der Liebe ganz überwiegend auf die Paarliebe fokussiert ist: Andere Formen der Liebe, sogar die Liebe in der Generationenbeziehung, werden nicht zum Forschungsgegenstand erhoben. Es ist unter anderem ein Anliegen dieses Bandes, hier das soziologische Blickfeld zu erweitern.

1. T HEMATISIERUNGSWEGE

DER

L IEBE

1.1 Liebe in der abendländischen Geistesgeschichte Die abendländische Geistesgeschichte ist überreich an Reflexionen über die Liebe. Noch älter als die christliche Tradition sind die frühen Dokumente aus der griechischen Philosophie. Wohl am bekanntesten ist das »Symposion« (auch als »Gastmahl« oder »Trinkgelage« bekannt) aus der mittleren Schaffensperiode von Platon (427-347 v. Chr.) (vgl. Horn 2011). Gegenstand ist ein Trinkgelage,

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das zu Ehren eines Dichters tatsächlich stattgefunden hat und bei dem sechs Reden über den »eros« gehalten wurden, um sein Wesen zu ergründen und seine Wirkungen aufzuzeigen. Einer der Redner war der Komödiendichter Aristophanes, der den weit über diesen Text hinaus bekannten Mythos vom Kugelmenschen erzählte. Kurz gefasst versteht er die Liebe als Sehnsucht nach der verlorenen Einheit. Einst, so der Erzähler, hatten die Menschen eine Kugelgestalt mit vier Armen und Beinen. Da sie den Göttern gefährlich wurden, schnitt Zeus sie auseinander. So entstanden Männer und Frauen und jede/r von ihnen sucht nunmehr seine beziehungsweise ihre andere Hälfte. Aristophanes’ Erzählung kann zugleich gelesen werden als Entstehungsmythos der Zweigeschlechtlichkeit. In der antiken Gesellschaft Griechenlands war diese allerdings noch nicht – in Anlehnung an Judith Butler (1991) formuliert – in eine hegemoniale ›heterosexuelle Matrix‹ eingebettet. Aristophanes erwähnt nicht nur die (Wieder-)Begegnung von Frau und Mann, sondern auch das Zusammentreffen von Mann und Mann; im ersten Falle führe diese zur Zeugung und im zweiten »sollten sie wenigstens Befriedigung in ihrem Zusammensein finden« (Platon 2004: 45). Eingewoben ist dieser Erzählung zugleich das Versprechen, dass die beiden Hälften, wenn sie sich gefunden haben, auf Dauer zusammenbleiben; sind die Menschen als getrennte Hälften doch bestrebt, »aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen« (ebd.: 45). Ein weiterer Redner dieser Tafelrunde war Sokrates, der selbst eingestand, von Liebessachen nichts zu verstehen; er berichtete darüber, was die weise Priesterin Diotima ihm über die Liebe lehrte. Das ist das einzige Mal, dass Platon in seinen Dialogen eine Frau zur zentralen Figur erhoben hat (vgl. Ebbersmeyer 2009). Anders als bei Aristophanes ist nach Diotima Liebe nicht die Suche nach Einheit. Diotima rückt in der Rede von Sokrates auch zurecht, dass »eros« nicht das Schöne und auch nicht »das Geliebte, sondern das Liebende« sei (Platon 2004: 69). Liebe wird in der Unterrichtung als das Begehren nach dem Schönen und Guten gefasst, wobei dieses nicht nur auf Paarbeziehungen beschränkt sei, sondern sich über alle Lebensbereiche erstrecke. Die Liebe sei darauf ausgerichtet, das Schöne und Gute nicht nur zu haben, sondern es auf Dauer besitzen zu wollen. Die Ursache dieses Verlangens speist sich nach Diotima aus dem Streben des Menschen nach Unsterblichkeit. Die Suche nach dem Schönen und Guten sei unauflösbar verkoppelt mit dem Wunsch, sich selbst durch Erzeugung ein Weiterleben zu sichern. Die Liebe in dieser Darstellung gewinnt damit eine Qualität, die über die Existenz des Einzelnen hinausgeht, oder anders formuliert: Liebe wird transzendental aufgefasst (vgl. auch Kötter 1999). Um dies am Text zu verdeutlichen, sei hier ein kurzer Auszug aus dem von Sokrates berichteten Zwiegespräch zwischen ihm und Diotima zitiert:

14 ȹ|ȹ K ARL L ENZ , S ABINE DRESSLER UND S YLKA S CHOLZ »Denn Eros ist nicht, wie du glaubst, Sokrates, die Liebe zum Schönen. Aber was dann? Der Liebesdrang ist er vielmehr zum Zeugen und Hervorbringen im Schönen. So mag es sein, sagte ich. Ja gewiss, versetzte sie. Und warum zum Zeugen? Weil die Zeugung das Ewige und Unsterbliche ist für ein sterbliches Wesen, soweit das überhaupt sein kann. Der Drang zur Unsterblichkeit ist aber notwendig mit dem zum Guten verbunden, wenn wirklich, wie wir ja feststellen, das Streben des Eros dahin geht, das Gute auf immer zu eigen zu haben. Notwendig folgt hieraus, dass Eros auch nach Unsterblichkeit strebt.« (Platon 2004: 71)

Nicht nur über die Generativität, also die gemeinsame Zeugung eigener Kinder, kann diese Überschreitung nach der Lehre von Diotima erreicht werden, sondern durch alle Erzeugnisse, die Nachruhm sichern können. Enthüllt wird im Weiteren eine Stufenleiter der Liebe, die auch im biografischen Lernprozess vollzogen werde: Sie führt von schönen Menschen über schöne Sitten und Handlungsweisen sowie schöne Kenntnisse schließlich zur Kenntnis des Schönen selbst. Hier liegt auch der Kern dessen, was in der Nachfolge des griechischen Philosophen erst in der Renaissance als ›platonische Liebe‹ bezeichnet wurde; allerdings mit der Verengung, dass damit nur noch die höheren Stufen des Liebesstrebens in den Blick genommen werden, während in der Liebestheorie Diotimas in Platons Werk immer auch das Begehren nach »schönen Leibern« (ebd.: 79) eingeschlossen ist, wie in einer Nebenhandlung in dem Text über Sokrates selbst enthüllt wird. Neben Platon haben auch weitere griechische Philosophen das Thema Liebe aufgegriffen (vgl. auch Strobach 2008). Stellvertretend für die Vielzahl von Beiträgen seien an dieser Stelle nur noch die Ausführungen von Aristoteles (384322 v. Chr.) in seiner Nikomachischen Ethik genannt. Aristoteles’ Begriff ist nicht »eros«, sondern »philia«. Sichtbar wird damit, dass die griechische Antike für Liebe unterschiedliche Begriffe kannte; neben diesen beiden lassen sich weitere finden wie »hedone«, »agape« (vgl. Strobach 2008). »Philia« ist für Aristoteles eine moralische Kategorie, die gemeinschaftstiftend wird. Darunter werden »alle Formen persönlich erfahrbarer und […] positiv konnotierter Sozialität« (Corcilius 2011: 224) verstanden. Schon dieser kurze Einstieg macht deutlich, dass in den philosophischen Reflexionen über Liebe Paare zwar einen prominenten Platz einnehmen, aber das, was unter Liebe verstanden wird, dennoch weit darüber hinaus reicht. Weder bei Platon noch bei Aristoteles ist Liebe auf diese Form persönlicher Beziehung beschränkt. Noch ausgeprägter zeigt sich dies im christlichen Diskurs über Liebe, als dessen frühe Dokumente das aus dem Alten Testament stammende Hohelied Sa-

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lomons1 und das 13. Kapitel des ersten Korintherbriefes von Paulus2 zu nennen sind. In der christlichen Tradition geht es weder um »philia« noch »eros«, sondern im Zentrum steht vielmehr der in der griechischen Antike eher randständige Begriff der »agape« oder – in lateinischer Übersetzung – »caritas«. Unter »agape« oder »caritas« wurde eine reine und vor allem begierdefreie Liebe gefasst, die auf Gott ausgerichtet ist. »Der einzelne sollte sich im Sinne des christlichen Liebesgebots dem ›Nächsten‹ in Liebe zuwenden, nicht um dessen Person selbst willen, sondern weil er die Schöpfung Gottes repräsentierte und damit Anteil an dessen grundlegendem Liebesakt hatte.« (Oschema 2008: 263) Bei der Frage nach der Natur der Liebe geht es um deren Reinheit und die Möglichkeit, Gott angemessen zu leben. Für Augustinus, dem wohl bekanntesten und einflussreichsten christlichen Denker der Spätantike, war jegliche Liebe göttlich inspiriert. Jeder Bezug auf irdische Güter entwertete die Liebe; gut sei eine Liebe nur, wenn sie an Gott orientiert sei. »Denn es liebt Dich zu wenig, wer neben ihr ein anderes liebt, das er nicht Deinetwegen liebt. O Liebe, die Du immer brennst und nie erlischst, o Liebe, mein Gott entzünde mich! Enthaltsamkeit verlangt: gib, was du verlangst, dann verlange, was du willst.« (Augustinus 1955: 498) In der Spätantike hat sich, stark von Augustinus vorangetrieben, eine »Verfemung der Lust« (Le Goff 1995) durchgesetzt. Das ›Fleisch‹ galt als ›Urgrund der Sünde‹; in diesem Denken konnte die Ehe nur als Notlösung akzeptiert werden, als das geringere Übel. Da die Ehe mit der sinnlichen Begierde in Verbindung stand, war sie immer mit der Sünde verknüpft (vgl. Sot 1995; ausführlicher Brown 1991, orig. 1988). Der breite Strang der Thematisierung der Liebe von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit kann hier nicht nachgezeichnet werden. Im Mittelalter hat der christliche Liebesdiskurs eine kulturelle Hegemonie gewonnen. Hervorgehoben werden sollen an dieser Stelle nur die Mystikerinnen wie Hildegard von Bingen oder Mechthild von Magdeburg, die eine persönliche Verbundenheit mit Gott betont haben und für die eine sinnliche und gefühlsbetonte Liebe ein bestimmendes Leitmotiv darstellte (vgl. Weiß 2004). Trotz dieser Hegemonie lassen sich auch andere Ausdrucksformen von Liebe finden. Vom ausgehenden 12.

1

Hier die Anfangszeilen: »Er küsste mich mit dem Kuss seines Mundes; denn deine

2

Auch hier sei der Anfang zitiert: »Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete,

Liebe ist lieblicher als Wein« (zit. nach Schölders 1996: 17). und hätte der Liebe nicht, so werde ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnisse und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts« (zit. nach ebd.: 38).

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Jahrhundert stammt das Traktat »De amore« des Kaplans Andreas Capellanus, in dem die aus freien Stücken gewährte Liebe über die eheliche Pflicht gestellt wird. Verfasst wurde diese Schrift am Hofe der Marie de Champagne, die zugleich eine wichtige Förderin der höfischen Minnedichtung war, welche sich von Frankreich aus in die Nachbarländer verbreitete. Die höfische Dichtung stellte ein epochales Novum (vgl. Oschema 2008) dar, da sie über die Volkssprachen auf ein weltliches Publikum ausgerichtet war und die außereheliche Liebe zum Gegenstand der Lyrik und Epik machte (vgl. Bumke 1986; Solé 1995; LiebertzGrün 1977). Nur kurz angemerkt werden soll, dass es verbreitet war, Liebe stellvertretend für Sexualität (vgl. auch Flandrin 1986) zu verwenden. So hat zum Beispiel Peter Dinzelbacher (1989) ausführlich gezeigt, dass »amor« in den Texten des Frühmittelalters nicht mit Liebe in unserem heutigen Verständnis zu übersetzen sei, sondern schlichtweg sexuelles Verlangen meint. 1.2 Liebe – ein universales oder kulturgebundenes Phänomen? Angesichts dieses scheinbar unabreißbaren Stroms an Liebesreflexionen scheint es nahe zu liegen, davon auszugehen, dass es zwar unterschiedliche Thematisierungen gibt, diese aber über die Zeit hinaus wiederkehren. Die Liebe als universales Muster zu betrachten, ist in der amerikanischen Personal-RelationshipForschung vorherrschend. So schreiben Arthur Aron, Helen E. Fisher und Greg Strong (2006) in ihrem Überblicksartikel im »Cambridge Handbook of Personal Relationships«, herausgegeben von Anita Vangelisti und Daniel Perlman: »Romantic love appears to be a nearly universal phenomenon, appearing in every culture for which data are available [...] and in every historical era.« (Aron/ Fisher/Strong 2006: 595) Und die stark durch die Evolutionsbiologie beeinflusste Autor/innengruppe fährt unmittelbar fort: »Analogs to romantic love are found in a wide variety of higher animal species, and love may well have played a central role in shaping human evolution.« (Ebd.) Diese Position liegt auch den vor allem aus der Sozialpsychologie stammenden Versuchen zugrunde, Liebe empirisch zu erfassen. Stark verbreitet ist die von Zick Rubin (1970) stammende Unterscheidung zwischen »loving« (lieben) und »liking« (mögen). Für seine Liebesskala hat Rubin aus einem Itempool durch Faktorenanalysen 13 Items gewonnen, die drei Komponenten umschreiben: (1) das Bedürfnis nach der geliebten Person, (2) die Fürsorge für die andere Person und (3) die Ausschließlichkeit und völlige Inanspruchnahme. Neuere Liebesskalen machen verstärkt den Versuch, der Formenvielfalt von Liebe gerecht zu werden. Clyde und Susan Hendrick (1986; 2003) haben für ihre Skalenkonstruktion die von dem kanadischen Soziologen John A. Lee (1973) stam-

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mende Studie »Colours of Love« aufgegriffen. Lee sammelte mehr als 4000 schriftliche Äußerungen über Liebe, von Platon bis Freud, und versuchte analog zu den Grundfarben die Grundthemen der Liebe zu identifizieren. In seiner Analyse kommt er zu drei Primärfarben der Liebe: »eros« als romantische Sinneslust, »ludus« als spielerische Liebesvariante ohne Besitzanspruch sowie »storge« als kameradschaftliche Liebe. Darüber hinaus unterscheidet Lee weitere Sekundärstile, ursprünglich sechs, von denen in der Skalenkonstruktion nur drei (»mania«, »pragma« und »agape«) aufgenommen wurden.3 Von einem Nebeneinander unterschiedlicher Formen geht auch die »Triangular Theory of Love« von Robert J. Sternberg (1987) aus. Nach Sternberg umfasst Liebe drei Komponenten: Intimität, Verpflichtungȹ/ȹEntscheidung und Leidenschaft. Als Intimität werden jene Gefühle innerhalb einer Beziehung bezeichnet, die Nähe und Verbundenheit fördern. Mit Verpflichtungȹ/ȹEntscheidung wird die Festlegung umschrieben, diese Liebe aufrechtzuerhalten, und mit Leidenschaft das intensive Begehren nach Verbundenheit. Diese drei Komponenten können, so Sternberg, unterschiedlich miteinander verknüpft sein. Von einem bloßen ›Mögen‹ spricht er, wenn nur die Komponente der Intimität im Vordergrund steht und von ›Verliebtheit‹, wenn es nur um Leidenschaft geht. Eine ›romantische Liebe‹ ist dann gegeben, wenn Intimität und Leidenschaft stark ausgeprägt sind, und eine ›partnerschaftliche Liebe‹, wenn dies für die Komponenten Intimität und Verpflichtungȹ/ȹȱ Entscheidung zutrifft. Die Form, in der alle drei Komponenten gleichermaßen vorhanden sind, wird von Sternberg als ›erfüllte Liebe‹ bezeichnet. Diese Universalitätsthese hat auch in die Soziologie Eingang gefunden. Stellvertretend sei an dieser Stelle nur das Werk »Warum wir lieben?« von Günter Dux (1994) angeführt. In seiner von der philosophischen Anthropologie inspirierten Analyse bettet Dux die Antwort auf seine Frage im Titel in eine gattungsgeschichtliche Rekonstruktion des Geschlechterverhältnisses ein. Liebe wird von Dux als das Verlangen des Subjekts aufgefasst, »das eigene Leben in der Bindung an den anderen in dessen Körperzone zu führen« (Dux 1994: 40). Für Dux ist Sozialität des Menschen ohne Liebe nicht vorstellbar. Ontogenetisch wird die Liebe in der Mutter-Kind-Dyade erworben und in der Adoleszenz mit Sexualität verbunden. Durch die Liebe gewinnt »jeder durch den anderen in seiner Individualität seine Anbindung an die Welt« und erfährt über den anderen, »dass sein Dasein bedeutungsvoll ist« (ebd.: 264). Deutlich stärker vertreten als die Universalitätsthese ist in der Soziologie und auch in den Geschichts- und Literaturwissenschaften allerdings die Auffassung,

3

Eine deutschsprachige Adaption dieser Skalen haben Hans Werner Bierhoff und Renate Klein (1991) erstellt.

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dass Liebe ein kulturgebundenes Phänomen ist (vgl. Plamper 2013). Nachdrücklich wird diese These von Niklas Luhmann in seinem Werk »Liebe als Passion« vertreten, das in der Erstauflage 1982 erschienen ist (vgl. Werber 2012). Das Werk ist eingebettet in seine umfangreichen Studien zur Gesellschaftsstruktur und Semantik. Unter Semantik wird der in einer Gesellschaft verfügbare Sinnvorrat verstanden (vgl. Luhmann 1980). Luhmann geht von der Prämisse aus, dass es im Übergang von einer stratifikatorischen zu einer funktionalen Systemdifferenzierung mit der Autonomisierung der Funktionssysteme zu einem tiefgreifenden Wandel der bestimmenden Semantik in diesen Funktionssystemen gekommen ist. In seiner historisch-theoretischen Studie, die sich von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis in die Gegenwart erstreckt, wird schwergewichtig der Übergang der Liebessemantik von der »amour passion«, die Luhmann in Frankreich lokalisiert, zur romantischen Liebe beschrieben. Aus dieser Perspektive lassen sich vor allem zwei Kritikpunkte an der Universalitätsthese identifizieren. Erstens wird in den Arbeiten, die diese These vertreten, der historische Kontext der jeweiligen Aussage zu Liebe vernachlässigt; lediglich interessiert, was diese Aussagen dem heutigen Leser beziehungsweise der Leserin sagen. Exemplarisch kann dies an der bereits erwähnten Studie von Lee »Colours of Love« (1973) gezeigt werden. Lee wollte lediglich eine umfangreiche Sammlung bekannter beziehungsweise besonders prägnanter Äußerungen zu Liebe über einen langgestreckten Zeitraum zusammenstellen. Er war aber weder an den Autor/innen noch am historischen Kontext dieser Äußerungen interessiert. Die Folge dieser Grundhaltung ist es, dass keine Rekonstruktion der Sinngehalte von Liebe im Entstehungszusammenhang des Dokumentes möglich ist, sondern lediglich zum Vorschein kommt, wie aus der heutigen Sicht diese Aussagen interpretierbar sind. Auch werden – und das ist der zweite Kritikpunkt – in der Universalitätsthese zu Liebe die Diskurs- und Praxisebene völlig miteinander vermengt. Mit der Diskursebene werden die in einer Gesellschaft in einer bestimmten historischen Epoche vorhandenen und dominanten kollektiven Vorstellungen von Liebe umschrieben; mit der Praxisebene wird dagegen ein Bezug zum Liebeserleben und Liebeshandeln der konkreten Paare hergestellt. Sicherlich ist davon auszugehen, dass Diskurs- und Praxisebene nicht völlig unabhängig voneinander sind. Über die Liebespraxis der Paare können Änderungen der kulturell verfügbaren Liebesideale bewirkt beziehungsweise angestoßen werden. Umgekehrt stellen die im gesellschaftlichen Wissensvorrat verfügbaren Liebesideale ein umfangreiches Repertoire an Handlungs- und Gefühlsmustern für die Paare bereit, die dazu anleiten, die ›richtigen‹ Erwartungen an die Liebe zu stellen, die ›wahre‹ Liebe zu erkennen, zum Ausdruck zu bringen und zu erleben. Aber dennoch ist die Liebe

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zwischen zwei Personen nicht einfach nur eine Umsetzung dessen, was die Kultur ihnen als Liebe vorgibt. Trotz dieser Wechselseitigkeit ist in der Analyse immer von einer Diskrepanz zwischen den kulturell vorgegebenen Liebesvorstellungen und der Lebenspraxis der Paare auszugehen (vgl. auch Burkart 1997). Diese Diskrepanz macht es für die Analyse unerlässlich, beide Ebenen auseinanderzuhalten, wobei es im nächsten Schritt durchaus möglich ist, das komplexe Zusammenspiel von Diskurs und Praxis näher zu bestimmen (vgl. Lenz 2009). 1.3 Liebe als Gegenstand der Soziologie Für die Soziologie stellt das Thema der Liebe wie überhaupt das der Emotionen kein Neuland dar, das erst mit den bereits genannten Arbeiten von Niklas Luhmann und Günter Dux betreten worden wäre. Wie Jürgen Gerhards (1988) und auch Helena Flam (2002) ausführlich beschrieben haben, ist das Thema der Emotionen schon bei den Klassikern der Soziologie präsent. Enger gefasst auf die Liebe sind hier vor allem Max Weber und Georg Simmel zu nennen. Weber (1986) greift das Thema der Liebe in seiner Religionssoziologie auf. Wie die religiöse Sphäre stehe auch die Liebe in einem Spannungsverhältnis zu den rationalen Sphären des Marktes, der Wirtschaft und der Wissenschaft. Mehr noch: Liebe ist für Weber eine Konkurrentin für die Religion; sie kann das sein, da sie auf die Befriedigung ähnlicher Sinnbedürfnisse ausgerichtet ist. Ungleich stärker hat sich Georg Simmel mit Emotionen befasst (als Überblick vgl. Nedelmann 1983). Für Simmel (1923) steht außer Frage, dass ein Zusammenhalt durch Nutzenorientierung und Zwang allein nicht hergestellt und aufrechterhalten werden kann, sondern einer Abstützung durch Emotionen bedarf. Emotionen sind für ihn ein zentraler Forschungsgegenstand der Soziologie, wenn sie unter der Perspektive der Wechselwirkung zwischen Individuen analysiert werden. Der Zusammenhang von Wechselwirkung und Emotion ist dabei ein zweifacher: Emotionen können Wechselwirkungen verursachen, sie können aber auch durch Wechselwirkungsprozesse verursacht sein. Beide Analyserichtungen sind für Simmels Beschäftigung mit Emotionen tragend, indem er danach fragt, wie Individuen durch Emotionen in bestimmte Wechselwirkungen miteinander treten, und herausarbeitet, welche sozialen Konstellationen konstitutiv für das Auftreten einer bestimmten Emotion sind. Simmel ergänzt diese Analyserichtungen, indem er sich zudem für die Funktionen bestehender Formen der Wechselwirkung interessiert (vgl. Nedelmann 1983; 1988). Deutlich wird damit, dass es Simmel nicht ausreicht, Gefühle als innere Vorgänge der Subjekte aufzufassen; mit Nachdruck weist er darauf hin, dass Gefühle unmittelbar mit Interaktionen verbunden sind. Dabei lassen sich nach Simmel ›positive‹ und ›negative‹

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Gefühle unterscheiden: Gefühle, die zum Fortbestand der bestehenden Bindungen beitragen und diese fördern (zum Beispiel Liebe und Treue), sowie Gefühle, die durch ihr Vorhandensein destabilisierend und zerstörend wirken (zum Beispiel Neid und Eifersucht). In einem erst posthum als Fragment veröffentlichten Artikel hat sich Simmel (1923) ausführlich mit der Liebe befasst. Seine Betrachtung der Liebe verknüpft Simmel mit einer Analyse der modernen Gesellschaft (vgl. Oakes 1989) und gibt damit ein Thema vor, das in der gegenwärtigen Soziologie in breitem Umfang aufgegriffen wird. Die moderne Gesellschaft zeichnet sich, so Simmel, durch eine fortschreitende Differenzierung und Individualisierung aus, die zu einer Bedeutungssteigerung persönlicher Beziehungen führt. Dieser starke Individualisierungsschub finde auch Niederschlag in einer neuen Form der Liebe, die in modernen Gesellschaften dominant werde. Die primäre Ausrichtung an der Individualität des Anderen bildet für Simmel das Kernstück der romantischen Liebe. Er illustriert dies an der Gegenüberstellung zweier Liebespaare aus dem Werk Goethes: Gretchen und Faust haben keine Vorstellung von der Einzigartigkeit des Anderen; sie »lieben« – wie er es ausdrückt – »an dem Individuellsten des anderen vorbei« (Simmel 1923: 77). Diesem Paar stellt Simmel Eduard und Ottilie aus den »Wahlverwandtschaften« gegenüber. Bei ihnen wird alles Gattungsmäßige ausgeschaltet und ihre »Leidenschaft [ist] ganz und gar durch das Faktum der Individualität bestimmt« (ebd.: 78). Eduard und Ottilie sind Prototypen einer romantischen – oder wie es Simmel selbst nennt – »absolute[n] Liebe« (ebd.). Diese Vorarbeiten der Klassikergeneration wurden in der Soziologie lange Zeit nicht fortgeführt, Emotionen wurden als Gegenstand der Soziologie stark vernachlässigt. Die Norm der affektiven Neutralität, die in öffentlichen Lebensbereichen dominant ist, war Grundlage der soziologischen Analyse und das auch dann, wenn private Lebensbereiche den Gegenstand bildeten. Günter Burkart hat noch Ende der 1990er Jahre festgestellt, dass »die Liebe in der Familienforschung« ein »blinder Fleck« (Burkart 1998: 27) ist. Erst die beiden von ihm mit Kornelia Hahn (1998; 2000) herausgegebenen Bände haben Liebe in diesem Forschungskontext ausführlich zum Gegenstand gemacht. Ein starker Rückenwind geht hierfür von der seit den 1980er Jahren zunächst vor allem in den USA etablierten »Soziologie der Emotionen« als eigenständiges Forschungsgebiet aus (als Überblick vgl. Gerhards 1988; Flam 2002). Nicht nur hat die These der Kulturgebundenheit der Liebe in der Soziologie einen zentralen Platz inne, die neueren soziologischen Arbeiten brechen an einer weiteren Stelle mit dem jahrhundertelangen Nachdenken über Liebe in den abendländischen Geisteswissenschaften. Im Fachdiskurs steht nicht die Frage

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nach dem Wesen der Liebe – als ein ontologischer Bestimmungsversuch von Liebe – im Vordergrund.4 Statt eine Antwort auf die Frage zu geben, was Liebe ist, versteht sich die Soziologie als eine Beobachtungswissenschaft, die den Liebesdiskurs beziehungsweise die Liebespraxis selbst zum Gegenstand der Beobachtung macht. Statt sich in die unendliche Kette der Bestimmungsversuche von Liebe einzureihen, wird nach den dominanten Mustern in diesen Bestimmungen gesucht, die in einer Gesellschaft einer bestimmten historischen Epoche existieren. Ebenso wenig geht es der Soziologie darum, den Paaren Wege aufzuzeigen, wie sie ihre Liebe ›richtig‹ oder ›besser‹ gestalten können – das ist das Terrain der umfangreichen Ratgeberliteratur und psychologischen Beratungsangebote. Stattdessen ist die soziologische Fragestellung darauf ausgerichtet, aufzuzeigen, wie Liebe im Paarkontext gelebt und zum Ausdruck gebracht wird. Sowohl auf der Diskurs- als auch auf der Praxisebene stellen die vorhandenen Konstruktionen das Ausgangsmaterial dar und die soziologische Analyse zielt auf Konstruktionen zweiter Ordnung hin (vgl. auch Knoblauch 2008). Wie schon in der Kritik der Universalitätsthese angedeutet, lassen sich bei der soziologischen Analyse von Liebe – wie überhaupt in der Soziologie der Emotionen – zwei Hauptarbeitsfelder unterscheiden: Liebe als soziale Praxis und Liebe als Diskurs. Beide Felder sind in den Forschungsaktivitäten der Soziologie unterschiedlich präsent; ein deutlicher Schwerpunkt liegt auf dem zweiten Arbeitsfeld. Es gibt in der Soziologie aber durchaus Studien, die sich mit Liebe als soziale Praxis befassen. Zu nennen ist etwa die von Nathalie Iványi und Jo Reichertz (2002), die sich mit medialen Liebesinszenierungen in TV-Beziehungsshows, vor allem in der Sendung »Traumhochzeit«, befasst haben. Eva Illouz’ Studie »Der Konsum der Romantik« (2003) hat aufzeigt, wie die spätkapitalistische Warenökonomie in die Praktiken romantischer Liebe eingeflossen ist. Auch die Arbeiten aus der Rational-Choice-Perspektive sind hier anzusiedeln (vgl. Hill/Kopp 2008; Haubl 2005). Deutlich dominieren in der Soziologie wie auch in den Geschichts- und Literaturwissenschaften Studien, die sich mit der Diskursebene der Liebe befassen (vgl. Burkart 1998). Im deutschsprachigen Raum wurden Studien zu Liebe als Kulturmuster nachhaltig geprägt und angeregt durch das bereits erwähnte Werk

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Mit der Einschränkung auf ›neuere soziologische Arbeiten‹ soll deutlich gemacht werden, dass die Abkehr von der Wesenssuche der Liebe erst jüngeren Datums ist. Erst mit der kulturellen beziehungsweise kommunikativen Wende in der Soziologie ist die konstruktivistische Perspektive auf Liebe dominant geworden. Als Beispiel für die älteren Traditionslinien der Soziologie können die Arbeiten von Walter Siebel (1984a, b) gelten.

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»Liebe als Passion« von Niklas Luhmann. Der hohe Nachhall dieses Werkes ist nicht auf das Fach beschränkt, sondern hat auch die Literaturwissenschaften stark erfasst (z.B. Greis 1991; Saße 1996; Reinhardt-Becker 2005; Willms 2009). Für Luhmann ist die Liebe ein »symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium« (Luhmann 1982: 21). Damit macht Luhmann deutlich, dass in soziologischer Perspektive Liebe nicht als emotionaler Zustand eines psychischen Systems verstanden werden soll, sondern als ein Kulturmuster, »nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird« (ebd.: 23). Jede Selbstbeobachtung oder Selbstwahrnehmung psychischer Systeme ist für Luhmann an diese kulturellen Vorgaben gebunden. Im Zuge der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft komme es zu einer Steigerung von unpersönlichen Beziehungen und zugleich aber auch zum Bedarf nach höchstpersönlicher Kommunikation. Nach Luhmann wird ein »Systemtyp geschaffen für Intimbeziehungen, in dem es nicht erlaubt ist, Persönliches der Kommunikation zu entziehen« (ebd.: 15). Mit der Liebe ist ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium gegeben, »dem die spezifische Aufgabe zugewiesen wird, kommunikative Behandlung von Individualität zu ermöglichen, zu pflegen und zu fördern« (ebd.).

2. R OMANTISCHE L IEBE

ALS MODERNES K ULTURMUSTER UND IHRE SEMANTISCHEN T RADITIONEN

Dass das Aufkommen der romantischen Liebe einen tiefgreifenden Einschnitt in die kulturellen Vorgaben zur Liebe darstellt, darüber herrscht weitgehend Einigkeit (als Übersicht vgl. Burkart 1998; Hahn 2008; Lenz 2005). Aus einer längerfristigen Perspektive wurde dadurch die Liebeskodierung der höfischen Gesellschaft abgelöst, in der die Galanterie – wie sie Edmond Rostand in seinem 1887 verfassten Versdrama Cyrano de Bergerac sehr anschaulich beschrieben hat – ein bestimmendes Element war. Nach und nach etablierte sich im 18. Jahrhundert die romantische Liebe als dominanter kultureller Code für die Genese und den Bestand von Zweierbeziehungen. In diesem Kapitel werden zunächst zentrale Bestimmungsmerkmale der romantischen Liebe als Kulturmuster nachgezeichnet. Anschließend soll einer in der soziologischen Rezeption verbreiteten Tendenz entgegengewirkt werden, die Einmaligkeit der romantischen Liebe überzubetonen und ihre vielfältigen Kontinuitätslinien zu vernachlässigen. So beschränkt sich Luhmann – wenn man seine knappen Betrachtungen über die Gegenwart außer Acht lässt – auf eine kurze

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zeitliche Phase des Wandels der Liebessemantik von der »amour passion« zur romantischen Liebe. Dass die romantische Liebe in vielfältigen semantischen Bezügen zur christlichen Liebe und darüber hinaus auch zum Liebesverständnis der griechischen Philosophie steht, findet keine Beachtung. Auch wenn es an dieser Stelle nicht möglich ist, die semantischen Traditionen detailliert zu beschreiben, sollen diese Kontinuitätslinien dennoch thematisiert werden. 2.1 Romantische Liebe als Kulturmuster Die romantische Liebe hat eine erste Gestalt in den populären Briefromanen von Samuel Richardson (1689-1761) gefunden (vgl. Watts 1974). Seinen vollsten Ausdruck fand dieser neue Liebescode gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der deutschen Romantik (vgl. Kluckhohn 1966). Diese ist mit Namen wie Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Friedrich von Schleiermacher, Novalis, Karoline von Günderode, Friedrich Hölderlin, Achim von Arnim, Bettina und Clemens Brentano verbunden, um nur einige zu nennen (vgl. als Überblick Kremer 2003; Safranski 2009; Tripold 2012). In ihren literarischen und auch theoretischen Arbeiten entwarfen diese Autoren und Autorinnen ein neues Ideal der Liebe, das bis in die Gegenwart fortwirkt. Zugleich haben sie auch den Versuch unternommen, dieses neue Ideal zu leben. Es ist weithin üblich, die Romantik als Epoche der Empfindsamkeit zu bezeichnen, die sich abgrenzt vom rationalen Weltbild der Aufklärung. Aufgegriffen wird das Diktum von Johann Gottfried Herder, dass es nicht möglich sei, die Vernunft von der Empfindung zu trennen. Der abstrakten Vernunft werden das schöpferische Leben und die Hinwendung zum eigenen Ich entgegengesetzt; kritisiert wird das Starre, Unechte und Unkonventionelle. Einer rastlosen Betriebsamkeit wird ein Loblied auf den Müßiggang entgegengestellt. Entschieden wenden sich die Romantiker/innen gegen den Fortschrittsglauben der Aufklärung, stattdessen wird die Hinwendung zur Natur und zum Einfachen ebenso verklärt wie die Vergangenheit, zum Beispiel die Antike. Was unter einem romantischen Liebescode verstanden wird, lässt sich nur schwer bestimmen, da dieser in den Texten keineswegs in einheitlicher Form vorkommt. Auch wenn in der Romantik das Verständnis von Liebe ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten aufweist, kann nicht geleugnet werden, dass immer auch Unterschiede zwischen den Autor/innen und selbst zwischen einzelnen Werken ein und desselben Autors oder derselben Autorin vorhanden sind. Noch vielfältiger wird das Liebesverständnis, wenn in die Textbasis nicht nur ein engumschriebener Literatenkreis einbezogen wird, sondern auch eine weite Schar von Interpret/innen, die dessen Ideen aufgegriffen, verbreitet und popularisiert

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haben, etwa durch das Verfassen von Eheratgebern. Um angesichts dieser Vielzahl möglicher Bezugstexte überhaupt zu Aussagen über Bestimmungsmerkmale der romantischen Liebe kommen zu können, ist die Bildung eines Idealtypus unerlässlich. Nach Max Weber werden Idealtypen durch »einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandener Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde gewonnen« (Weber 1973: 191). In dieser ›begrifflichen Reinheit‹ sind solche Gedankengebilde in den jeweiligen Bezugstexten nicht vorhanden; der Anspruch ist lediglich, dass mit dem Idealtypus die vorhandenen Grundideen in aller Klarheit zum Ausdruck gebracht werden. Hier lassen sich vor allem Unterschiede zu literaturwissenschaftlichen Arbeiten erkennen, die nicht primär an der Formulierung eines Idealtypus interessiert sind, sondern die Positionierung des Werkes eines Autors beziehungsweise einer Autorin rekonstruieren. Bei der nachfolgenden Bestimmung der zentralen Merkmale der romantischen Liebe wird Bezug genommen auf den oben genannten Literatenkreis aus der deutschen (Früh-)Romantik. Stellvertretend und zugleich paradigmatisch sei Friedrich Schlegels zur Erscheinungszeit skandalumwitterter Roman »Lucinde« (1985, orig. 1799) genannt (vgl. Lenz 2005; 2009). (1) Wie Simmel (1923) und im Anschluss auch Luhmann (1982) mit Nachdruck hervorgehoben haben, ist das Kernstück der romantischen Liebessemantik die vollkommene Ausrichtung auf die Individualität des Anderen. Die grenzenlos gesteigerte Individualität der einander Liebenden steht im Zentrum; dadurch gewinnen beide füreinander eine unbedingte Höchstrelevanz. Weder das »Gattungsmäßige[.]« (Simmel 1923: 78), das bloße Begehren des anderen Geschlechts, noch einzelne Qualitäten einer Person, die diese mehr oder minder mit allen anderen teilt, können diese Bindung begründen, sondern einzig und allein die Einmaligkeit der Person als Ganzes. In den Worten von Simmel ist die Leidenschaft »ganz und gar durch das Faktum der Individualität bestimmt« (ebd.). Durch die Verbindung zweier einzigartiger Individuen wird auch die Beziehung einmalig. Die Liebenden werden so füreinander zum Zentralerlebnis ihres Lebens, von dem aus dieses erst wesentlich Sinn und Relevanz gewinnt. (2) Angesichts dieser absoluten Wertschätzung der Individualität verheißt die romantische Liebe dem Individuum die einmalige Chance, in seiner Einzigartigkeit anerkannt und bestätigt zu werden. Durch diese in Aussicht gestellte Chance bindet die romantische Liebe in einem hohen Maße die Glückserwartungen der Individuen: Liebe wird zu der wichtigsten Angelegenheit im Leben. Im Verhältnis zu ihr verblasst alles andere, lässt es klein und nichtig erscheinen

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(vgl. Tyrell 1987; Dux 1994). Die romantische Liebe nimmt die Person total in Anspruch, was zugleich eine Entwertung aller Umweltbezüge bedingt. (3) In der romantischen Liebessemantik wird ein hoher Wert auf die emotionale Aufrichtigkeit gelegt. Alle Taktiken in der Anbahnung und in der Erhaltung einer Liebesbeziehung gelten als verwerflich. Zur Aufrichtigkeit gehört die feste Überzeugung der Dauerhaftigkeit von Liebe. Für die durch romantische Liebe Verbundenen ist die Treue selbstverständlich und Eifersucht überflüssig. Diese Liebe ist kein Strohfeuer, das nur am Anfang einer Zweierbeziehung lichterhell lodert und dann bald erlischt. Als wahre Liebe ist sie in ihrem Anspruch von sich aus naturgemäß und, ohne dass es Stabilisatoren braucht, zeitlich unbegrenzt. (4) Durch die romantische Liebe wird eine Einheit von sexueller Leidenschaft und affektiver Zuneigung oder – wie es Paul Kluckhohn formuliert – »von körperlichem und sinnlichem Liebeserleben« (Kluckhohn 1966: 607) hergestellt. Die Liebe bietet die Basis für ein leidenschaftliches sexuelles Erleben und ist zugleich auch ihr überzeugendster Ausdruck. (5) Die neue Liebessemantik umfasst das Postulat der Einheit von Liebe und Ehe. Liebe und Ehe sind nicht länger getrennte und unvereinbare Erfahrungsbereiche. Liebe wird zur einzig legitimen Begründung einer Ehe und es wird gefordert, dass sie auch in der Ehe ihren Fortbestand hat. Mit diesem neuen Postulat ist eine vehemente Kritik an den Durchschnittsehen verbunden, die dieser Forderung nicht genügen. (6) Zudem wird die Elternschaft integriert. Über die Elternschaft erfährt die auf Liebe gegründete und durch sie getragene Ehe ihre letzte Vollendung. Durch das Kind wird die Beziehung auf die höchste erreichbare Stufe gestellt, »hat das Heiligtum der Ehe«, so Julius in einem Brief an Lucinde, »mir das Bürgerrecht im Stande der Natur gegeben« (Schlegel 1985: 83). Kontrovers diskutiert wird das mit der romantischen Liebessemantik verbundene Frauenbild. In einigen Bestimmungsversuchen wird davon ausgegangen, dass die romantische Liebe mit der Polarisierung der Geschlechtscharaktere verknüpft ist, wie diese von Karin Hausen (1976) beschrieben wurde (vgl. etwa Weigel 1983). Die Gegenposition geht davon aus, dass in der Romantik ein stark an Gleichheitsprinzipien orientiertes Bild der Geschlechter vertreten wurde, wie etwa Birgit Rehme-Iffert (2001) für Friedrich Schlegel aufzeigt. Argumentiert wird, dass die Frau nicht mehr nur verehrt und idealisiert wurde, sondern ihre Gefühle nun als ebenso wichtig galten wie die des liebenden Mannes. In der Romanliteratur des 18. Jahrhunderts wurde die Frau als autonomes Gefühlssubjekt entworfen, das das Recht auf ein ›Nein‹ in Liebesangelegenheiten hat (vgl. Tyrell 1987).

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Seit dem 19. Jahrhundert hat die romantische Liebe einen – wie es Hartmann Tyrell formuliert – »ungeheuren Kulturerfolg« (Tyrell 1987: 591) zu verzeichnen. Bei dem Versuch, diesen nachzuzeichnen, ist es unerlässlich, romantische Liebe als literarische Idee, die hier als Idealtypus rekonstruiert wurde, strikt von ihrer Umsetzung in Leitvorstellungen und normativen Vorgaben für Zweierbeziehungen, also in Beziehungsnormen, zu unterscheiden. Diese Umsetzung des literarischen Programms auf die Ebene von Beziehungsnormen in beziehungsrelevante Orientierungsvorgaben für Paare erfolgte sukzessive in fortschreitenden Realisierungsstufen, wie die Eheratgeber des 19. und 20. Jahrhunderts zeigen. Der große Kulturerfolg der romantischen Liebe war nur in einer ›entschärften‹ Fassung möglich, die erst Schritt für Schritt wieder erweitert werden konnte. Das literarische Ideal trifft keine Vorsorge für den Beziehungsalltag und nimmt in seiner Maßlosigkeit wenig Rücksicht auf praktische, existenzsichernde Notwendigkeiten des Lebens. Die Beziehungsnormen haben aber immer sozialstrukturelle Gegebenheiten und korrespondierende Kulturmuster zur Voraussetzung, die für die literarische Idealkonzeption lange Zeit nur im Ansatz existierten und sich erst allmählich und für verschiedene Gesellschaftsklassen und soziale Milieus zu unterschiedliche Zeiten ausbreiteten. Einen ersten Niederschlag fand das romantische Beziehungsideal in der Norm der Liebesheirat. Während im literarischen Entwurf der Romantik Liebe und Ehe gleichgesetzt wurden und die Dauer der Ehe nur durch die Dauer der Liebe begründbar war, beinhaltete die Liebe auf der normativen Ebene eine zeitliche ›Zähmung‹ der Leidenschaft auf die Werbephase. Auch wurde – zumindest für die Frauen – die erste Liebe zu der wahren geadelt. Die Romantik kennt diese Gleichsetzung nicht, im Gegenteil: Für sie ist die wahre Liebe für beide Geschlechter an Beziehungserfahrungen gebunden. Die literarische Idee der Androgynie fand lange Zeit keinen Eingang in die Beziehungsnormen; sie wurde bis weit in das 20. Jahrhundert hinein von der Konzeption der polaren Geschlechtscharaktere überlagert. Gerade diese Geschlechtsspezifik, die in ihrer Ausbreitung dominant wurde, war der zentrale Ansatzpunkt für feministische Kritik, in der die romantische Liebe als bloße Ideologie bezeichnet wird, durch die die realen Machtdifferenzen in Paarbeziehungen zuungunsten der Frauen verdeckt werden (vgl. Bauer/Hämmerle/Hauch 2009). Im Bürgertum des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts wurde einerseits die Liebe als Eheschließungsmotiv betont und verklärt, aber andererseits zugleich vor einer stürmischen, leidenschaftlichen und blinden Liebe gewarnt. Das Bürgertum verließ sich bei der Eheschließung nicht auf den Zufall der Gefühle, sondern favorisierte auf der Ebene der Beziehungsnomen eine ›vernünftige Liebe‹, welche die Gefühle betont, aber zumindest auch offen bleibt für ein genaues

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Abwägen der materiellen Vor- und Nachteile einer Verbindung (Sieder 1995; Lenz 2003). Ausschlaggebend war weiterhin, dass der Werber in den Augen der Eltern als ›gute Partie‹ für die Tochter betrachtet werden konnte. Dafür wurden im Vorfeld genaueste Erkundigungen vorgenommen, vor allem über die soziale Stellung sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Werbenden. Da Frauen aus diesem Sozialmilieu nicht durch Berufsarbeit zum Lebensunterhalt beitragen konnten, musste sichergestellt werden, dass die ökonomische Basis des Mannes für eine Ehe ausreichend war. Damit die literarische Idee stärker in die Beziehungsnormen einfließen konnte, war ein Wandel der sozialstrukturellen Rahmenbedingungen für die Paarbildung erforderlich: Je unwichtiger der Besitz für eine Ehe ist, sei es als Erwerbsquelle oder Mitgift, je stärker der Lebensunterhalt aus unselbstständiger Arbeit bestritten wird und je mehr sich die Berufswelt – zumindest als Alternative – auch für die Frauen öffnet, desto mehr Raum kann den Gefühlen der Beteiligten zugestanden werden. Dies alles waren Bedingungen, die sich im Zuge der Industrialisierung für die entstehende Arbeiterklasse realisierten. Jedoch haben ihre schlechte wirtschaftliche Lage und auch konträre Kulturmuster einer Übernahme des kulturellen Ideals der Liebesheirat im 19. und frühen 20. Jahrhundert noch entgegengewirkt (vgl. Sieder 1995). Es waren in erster Linie die gutsituierten Mittelschichten ohne vererbbaren Besitz, die die Norm der Liebesheirat zur Grundlage ihrer Partnerwahl gemacht haben. Die Geschlechtsspezifik und die Beschränkung der legitimen Beziehungserfahrungen, insbesondere für Frauen, setzten sich auf der Ebene der Beziehungsnormen noch deutlich länger fort. 2.2 Die christliche Traditionslinie der romantischen Liebessemantik Die herausragende Relevanz der romantischen Liebe hat in der soziologischen Debatte dazu geführt, dass die Kontinuitätslinien dieser Semantik weitgehend außer Acht gelassen wurden. So wird die romantische Liebe losgelöst von der christlichen Religion betrachtet: Entsprechend der Säkularisierungsthese wird unterstellt, dass mit dem Übergang zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft Religion ihre übergreifende Bedeutung als ordnungsstrukturierende Kraft und symbolische Sinnwelt verloren hat. Unberücksichtigt bleiben aber auch Verbindungslinien durch die Übernahme einzelner christlich-religiöser Sinneinheiten. Nur wenige Soziolog/innen haben dieser Vernachlässigung entgegengearbeitet. Zu ihnen gehört Georg Simmel, der in seinen »Fragmenten der Liebe« (1923) Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen allgemeiner Menschenliebe, erotischer Liebe und christlicher Liebe aufgezeigt hat. Auch Günter Burkart

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(1998) hat in seinem Entwurf einer »Soziologie der Liebe« auf die vielfältigen kulturellen Vorstellungen von Liebe, auch auf die dem Christentum entlehnten, die im Ideal der romantischen Liebe zusammengeführt werden, zumindest hingewiesen. Aber auch diese beiden Soziologen beschäftigen sich nicht genauer mit den Verknüpfungen von Romantik und Christentum. Mit Rekurs auf Studien aus anderen Disziplinen sollen diese Wurzeln im Folgenden für die soziologische Debatte aufgeschlossen werden. Die Romantik, so Rüdiger Safranski, hat eine »untergründige Beziehung zur Religion« (Safranski 2009: 13). Sie ist eine Suchbewegung, die der Säkularisierung etwas entgegensetzen wollte, und eine »Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln« (ebd.). In Auseinandersetzung mit der Religionskritik der Aufklärung, insbesondere mit Kants Dekonstruktion und moralischen Reduktion der Religion (vgl. ebd.; Timm 1978), war es ein zentrales Anliegen von Friedrich Schlegel, Novalis und Friedrich von Schleiermacher, die christliche Religion zu transformieren und wieder an die gesellschaftlichen Diskurse anzuschließen. Ausgehend von der hohen Bedeutung von Individualität sollte eine subjektive, innerliche Religiosität konstituiert werden, die nicht mehr an kirchliche Strukturen gebunden ist und insofern einen anti-institutionellen, offenen und undogmatischen Charakter hat. Damit ordnet sich die romantische Bewegung in den Säkularisierungsprozess im Sinne einer »Entkirchlichung« (Pickel 2011: 193) ein, jedoch ist dieser nicht mit einer gänzlichen Abkehr von der Religion verbunden. »Der ohnehin nur allmählich und ungleichmäßige Verfall älterer Religionsformen« war – wie Oliver König im Anschluss an Charles Taylors umfangreichen Alternativentwurf zum konventionellen Säkularisierungsparadigma (2012, orig. 2007) hervorhebt – »entgegen linearen Säkularisierungstheorien, zunächst von intensiver und gerade auch öffentlich virulenter Mobilisierung begleitet« (Koenig 2011: 661). In der romantischen Neuerfindung von Religion spielten zwei Aspekte eine zentrale Rolle: die Kunst und die Liebe. In den Debatten des Athenäum-Kreises konkurrierten Kunst und Religion darum, das ›Absolute‹ zugänglich zu machen und die verlorene Einheit von Ich und Universum wieder herzustellen.5 Friedrich Schlegel argumentierte, dass die christliche Religion veraltet sei, die Kunst hingegen berufen, den religiösen Kern zu bewahren. Ziel sei die »Entfaltung schöpferischer Freiheit im Menschen bis hin zur Selbstvergottung« (Safranski 2009: 135). Der Mensch schaffe aus sich selbst heraus und werde zu einer Mittlerfigur, die Kunst sei berufen, die Religion zu retten, »weil die Religion in ihrem Kern nichts anderes ist als – Kunst« (ebd.). In Schlegels Entwurf einer Universalpoe-

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Ausführlicher zum Verhältnis von Religion und Kunst vgl. Krech (2011).

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sie, die er unter anderem in dem Roman »Lucinde« entfaltete, wurde die erotische Liebe aufgewertet zu einem Medium, in dem sich Mann und Frau als sinnliche und geistige Einheit erleben. Die erotische Liebe wurde zur »Quelle der Religion« (ebd.: 136) und zur »ästhetischen Repräsentation des Absoluten« (Hartlieb 2006: 259). Die Liebe wurde als verbindendes Prinzip zwischen Individuum und Gemeinschaft aufgewertet und mit Rekurs auf die Bibel, insbesondere die Geschichte von Adam und Eva, legitimiert (vgl. Nowak 1986). »Die Liebesthematik als sozialisierendes und menschheitskonstituierendes Urdatum« (ebd.: 184) findet sich bei allen Frühromantikern (vgl. auch Hinderer 1997). Die Neuformulierung des Christentums als eine »Religion der Liebe« (Hartlieb 2006: 130) knüpft an die zentrale Bedeutung der Liebe im Christentum an. Im Rahmen der christlichen Selbst- und Weltdeutung ist »›Liebe‹ ein Grundwort« und die Liebessemantik das Reservoir, »aus dem die christlichen Reflexionen und Lebensführungspraktiken gespeist wurden« (Tanner 2005: 16; vgl. auch Betz et al. 2002; Buchberger/Kasper 2000). Im Alten Testament ist die Liebe Gottes zu den Menschen zentral, sie wird mit dem Gebot zum Gehorsam gegenüber Gott verbunden. Dabei handelt es sich zugleich um eine wechselseitige Liebe zwischen Gott und dem Volk Israel. Die Nächstenliebe als »Spitzengebot der Ethik« (Buchberger/Kasper 2000: 911) konzentriert sich zunächst auf die Mitglieder des auserwählten Gottesvolkes. In den neutestamentlichen Schriften wird mit Bezug auf Jesus die Liebe aufgewertet und das sogenannte Doppelgebot der Liebe formuliert: Christlicher Glaube ist Liebe zu Gott und Liebe zu den Mitmenschen. »Agape« – verstanden als »Barmherzigkeit, Mitgefühl, Gnade, Nächstenliebe« (Betz et al. 2002: 336) – gilt als Grundhaltung christlich Gläubiger. Die Nächstenliebe wird auf alle Menschen ausgeweitet, äußerste Konsequenz ist die Feindesliebe. Zur Stärkung der Intensität des Gemeindelebens wird die Bruderliebe aufgewertet. Im Rahmen der Evangelien wird die Bedeutung der Liebe unterschiedlich nuanciert. So dient etwa in den johanneischen Schriften der Liebesbegriff zur zentralen Auslegung des Gottesverständnisses (vgl. Tanner 2005: 17): »Gott ist Liebe (agape); und wer in Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.« (1. Joh. 4,16) Festzuhalten ist, dass das Christentum eine »vielgestaltige Liebessemantik« (Tanner 2005: 16) entwickelt hat; es ist die hohe Bewertung der Liebe für den Zugang zur Religion, an die die Romantik anknüpft. Das Neue in den frühromantischen Schriften ist die Verschiebung von der allgemeinen Nächstenliebe auf die (hetero-)sexuelle Liebe, die mit einer »erotisch-religiösen Ekstase« (Hartlieb 2006: 152) verknüpft wird und mit einer Aufwertung der Individualität der geliebten Person einhergeht. Im Zentrum der romantischen ›Religion der

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Liebe‹ steht die Liebesehe: »In der Liebesvereinigung verschmelzen Mann und Frau zu einer Einheit, die Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft verbindet, kurz: die Welt und Ich in der Anschauung des Universums zusammenhält« (ebd.: 130). Diese Aufwertung der sexuell-erotischen Liebe steht – wie bereits erwähnt – nun im radikalen Kontrast zur negativen Bewertung der menschlichen Sexualität im Christentum (vgl. u.a. Gruber 1993; Holzem 2008; T. Kaufmann 2008). Asketische und monastische Lebensformen wurden bis zur Reformation grundsätzlich höher bewertet, sie galten als zwischen ›Himmel und Erde‹ vermittelnd. Ehe, Familie und Verwandtschaft wurden gerade nicht als primärer sozialer Bezugsraum tridentinischer Religiosität angesehen. Zwar wurde die Ehe toleriert, um die Regeneration der menschlichen Gattung zu sichern, doch wurde die gelebte Keuschheit außerhalb und innerhalb der Ehe höher bewertet. Erst mit der Reformation erlangten Ehe und Familie einen zentralen gesellschaftlichen Stellenwert; die Familie wurde nun zum »Ort der Frömmigkeit und religiösen Erziehung« (Holzem 2008: 143). Martin Luther sah die Ehe und die sexuelle Lust als ein Geschenk Gottes, setzte sie gegen die asketische Vergeistigung des Christentums und erhob die Ehe »zum eigentlich christlichen Beruf und Stand« (Luther zit. in Holzem 2008: 244; vgl. auch T. Kaufmann 2008). Der Katholizismus wiederum reagierte auf den durch die Reformation ausgelösten Wandel der privaten Lebensformen mit dem Konzil von Trient (1545-1563), in welchem die Ehe als Sakrament offiziell anerkannt und damit erheblich aufgewertet wurde. Im romantischen Konzept der Liebe wird die sexuell-erotische Liebe hochgeschätzt und mit geistigen Dimensionen der Liebe verknüpft, die im 18. Jahrhundert in der Epoche der Empfindsamkeit dominierten (vgl. dazu Greis 1991; Saße 1996). Für die Frühromantiker/innen ist die Erfahrung von Liebe der Zugang zum Religiösen. Dabei handelt es sich um einen weiten Begriff von Religion, der auch mit Transzendenz übersetzt werden kann (vgl. dazu Dreischer et al. 2013). Bedeutsam sind der Bezug zu einer außeralltäglichen Wirklichkeit und die Konstitution eines Sinnüberschusses, der zur Bewältigung der neu entstandenen Kontingenzprobleme genutzt werden kann, auf die bisher die Religion eine Antwort geliefert hat. In der Rezeption tritt die romantische Liebe jedoch an die Stelle der christlichen Religion, wie dies prononciert in der Rede von der Liebe als »säkulare oder Quasi-Religion[.]« (Trepp 2000: 55) zum Ausdruck kommt. Bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts – und nicht wie in Ulrich Becks (1990) These erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – habe, so die Historikerin Ann-Charlott Trepp – das Konzept der Geschlechterliebe die Gottesliebe abgelöst. Statt von einer Ablösung der Religion durch die romantische Liebe auszugehen, lässt sich mit Bezug auf religionssoziologische Konzepte aber auch von einer Transformation der Religion und des Religiösen sprechen. Denn in der

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frühromantischen Religion der Liebe lassen sich bereits eine Reihe von Merkmalen einer modernen Religiosität finden, wie sie Thomas Luckmann (1991) unter dem Stichwort der ›Privatisierung der Religion‹ beschreibt, jedoch zeitlich deutlich später verortet. Sie ist bestimmt von einer Loslösung von institutioneller Religiosität und einer Ausrichtung auf die privaten Lebensformen. Die Transzendenz wird in die Immanenz der Lebenswelt verlegt, in die Innerweltlichkeit, und sie richtet sich auf das eigene Selbst, dass zum Gott erhoben wird, während Gott entpersonalisiert wird. Das Göttliche wird zu einer »Erfahrung des Unendlichen im Endlichen« (Tholen 2011: 14); die Liebesreligion der Romantiker ist demnach eine »Transzendenz in der Immanenz« (ebd.). Die Romantik schafft eine symbolische Sinnwelt, die ein neues Deutungs- und Sinnangebot konstituiert, welches in Konkurrenz zur Sinnwelt des Christentums tritt, auch wenn sie auf bestimmte Elemente zurückgreift. Es gibt jedoch auch Tendenzen, die in den Folgejahren wieder eine stärkere Rückbindung der romantischen Ideen an das Christentum bewirkt haben. Zu nennen sind hier vor allem die Ausführungen Schleiermachers, der zu einem der einflussreichsten protestantischen Denker des 19. Jahrhunderts avancierte (vgl. Weinrich 2011). Während für Schlegel die Kunst die christliche Religion ablöste und eine transzendente, religiöse Erfahrung konstituierte, bemühte sich Schleiermacher um eine Neubegründung der christlichen Religion über die Liebe. Religion ist für ihn »Sinn und Geschmack für das Unendliche« (Schleiermacher 1980: 212, orig. 1799). In seinen »Reden über die Religion. An die Gebildeten unter ihren Verächtern«, die ebenso wie der Roman »Lucinde« im Jahr 1799 publiziert wurden und als »überaus wirkungsmächtiges Gründungsdokument einer neuen, einer romantischen Frömmigkeit [fungierten]« (Safranski 2009: 149), entwarf Friedrich von Schleiermacher die Geburtsstunde der Religion als eine »Liebesszene« (Hartlieb 2006: 247). Die Beschreibung der Entstehung von Religion erfolgt in der »erotischen Metaphorik der heterosexuellen Liebesvereinigung« (ebd.: 260): »Flüchtig ist er und durchsichtig wie der erste Duft womit der Thau die erwachten Blumen anhaucht, schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuss, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung: ja nicht wie dies, sondern er ist alles dies selbst.« (Schleiermacher 1980: 212) »Ich bin in diesem Augenblick ihre Seele, denn ich fühle all ihre Kräfte und ihr unendliches Leben, wie mein eigenes, sie ist im Augenblicke mein Leib, denn ich durchdringe ihre Muskeln und ihre Glieder wie meine eigenen, und ihre innersten Nerven bewegen sich nach meinem Sinn und meiner Ahndung wie die meinigen.« (Ebd.)

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Schleiermacher hat – wie Hartlieb (2006) ausführt – die Liebesvorstellung der Frühromantik mit der christlichen Religion und der sich konstituierenden bürgerlichen Geschlechterordnung verbunden. Zentrale Referenztexte sind »Die Weihnachtsfeier« (Schleiermacher 1989, orig. 1806) und die beiden »Ehepredigten« (Schleiermacher 1843a;b, orig. 1818), welche im Bürgertum stark rezipiert wurden. In seinem christlichen Eheverständnis werden Motive der romantischen Zeit, vor allem »die religiös-erotische Erlösungskraft des Weiblichen, die Liebe als absolute Verschmelzung« (Hartlieb 2006: 220), mit Motiven der bürgerlichen Weltgestaltung wie »die Ehe als gemeinsame funktional geteilte Tätigkeit in der Welt, die bürgerliche Geschlechterordnung als komplementäre Egalität« (ebd.), verbunden. Im Gegensatz zum Ideal der Geschlechterparität in den frühromantischen Schriften stellt Schleiermacher nun die gesellschaftlich-rechtliche Vorordnung des Mannes als »göttliche Ordnung der Liebe dar; in der die scheinbar äußerliche Ungleichheit durch die Dialektik der Komplementarität in eine innere Gleichheit aufgelöst wird« (ebd.). Die romantische Liebeskonzeption wird in seine Theorie der Ehe integriert, damit wird jedoch ihre kirchliche und gesellschaftlich subversive Potenz domestiziert, für diese »Zähmung« (ebd.: 153) bildet das zeitgenössische Konzept der Geschlechtscharaktere den Angelpunkt. Zu diesem Zeitpunkt war die Geschlechterdifferenz als »eine Leitdifferenz in den Diskursgefügen der Moderne« (Hinderer 1997: 13) bereits ratifiziert und fest installiert. 2.3 Romantische Liebessemantik und die griechische Antike Ausdrücklich hat Klaus Tanner darauf hingewiesen, dass man die Geschichte verzeichnet, wenn man versucht, »die Liebessemantik ausschließlich christlich zu vereinnahmen« (Tanner 2005: 19). Damit würde man außer Acht lassen, dass zentrale Elemente des Liebesverständnisses der griechischen Philosophie wie die Unterscheidung von »eros«, »agape« und »philia« in die christliche Liebessemantik eingegangen sind. Diese Amalgamierung wurde dadurch erleichtert, da die platonische Eros-Philosophie »das Element des Ergriffenseins und de[n] Zusammenhang von Wahrheitserkenntnis und Sphäre des Göttlichen« aufwies und die aristotelische Philosophie »die gemeinschaftsaufbauende Funktion der philia als ›gegenseitiges Wohlwollen‹« (ebd.) umfasste.6 Aber nicht nur vermittelt über das Christentum, sondern auch eigenständig haben die griechische Antike und ihr Liebesverständnis auf die Romantik einen

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Ausführlich zum Vergleich zwischen griechischem und christlichem Liebesverständnis vgl. Nygren 1954.

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starken Einfluss ausgeübt. Die griechische Antike stand in der Romantik hoch im Kurs, wie Friedrich Hölderlins Briefroman »Hyperion oder der Eremit in Griechenland« (orig. 1797–1799) exemplarisch zeigt. Platon und insbesondere das »Symposion« haben starke Spuren in diesem Werk hinterlassen, dessen Handlung während der Kämpfe um die Befreiung Griechenlands von der osmanischen Herrschaft im späten 18. Jahrhundert spielt (vgl. Lenkauf 2009). An mehreren Stellen lassen sich Bezüge auf den Kugelmythos aus der AristophanesRede finden. Besonders angetan hat Hölderlin die Figur der Diotima und ihre Liebeslehre. Neben Gedichten, die er ihr widmete, hat er in diesem Roman der Geliebten des Titelhelden ihren Namen gegeben. Sie ist die Verkörperung vollendeter Schönheit, auch sie liebt Hyperion, ermutigt ihn aber, seiner Lebensaufgabe zu folgen (vgl. Gaier 1991). Ein weiterer Beleg für die starke Hinwendung zur griechischen Antike ist die Übersetzung des Gesamtwerks von Platon, die Friedrich Schlegel angeregt und angekündigt hat, die aber dann, wenn auch letztlich unvollständig, von Friedrich von Schleiermacher realisiert wurde. Dieses Vorhaben, aber auch eine Fülle weiterer Texte und Hinweise zeigen, dass diese beiden wichtigen Vertreter der Romantik sich sehr eingehend und intensiv mit Platon und seiner Liebeskonzeption befasst haben (vgl. Lenkauf 2009). Platon habe, wie Stefan Matuschek (2002) für Schlegel im Anschluss an andere Vertreter der Romantik betont, ganz wesentlich zu einer Klärung ihres Selbstverständnisses beigetragen. Matuschek weist auch darauf hin, dass für die gesamte Platon-Renaissance im späten 18. Jahrhundert eine besondere Vorliebe für das »Symposion« kennzeichnend ist. Es galt in dieser Zeit als das »poetistische Werk Platons« (ebd.: 85). Schlegels aus dem Jahr 1795 stammender Aufsatz »Über die Diotima« bringt diese Hochschätzung zum Ausdruck; den Dialog zwischen Diotima und Sokrates bezeichnete er darin als »eins der trefflichsten Überbleibsel des Altertums« (Schlegel 1979: 71). Auch hat ihm dieser Dialog als Vorlage für sein »Gespräch über die Poesie« gedient, das in zwei Fassungen publiziert wurde. Überhaupt ist Schlegels früher Aufsatz von besonderem Interesse, da darin ein modernes Frauenbild entworfen wird. Schlegel, so Birgit Rehme-Iffert, fordert das »Recht einer befreiten Sinnlichkeit« und setzt sich für die »Wertschätzung der intellektuellen Fähigkeiten der Frauen« (Rehme-Iffert 2001: 112) ein. Er stellt hierzu »das Ideal der ›vollständigen Weiblichkeit‹ vor, das die Frau als ein ganzheitliches Wesen begreift, das in seiner Eigenständigkeit ernstgenommen werden soll und die Möglichkeit hat, alle ihre Facetten frei zu entfalten« (ebd.). Nimmt man stellvertretend für die griechische Antike nur auf den Symposion-Dialog Bezug, dann kann zunächst festgestellt werden, dass sich die Romantik im Streit der Positionen nicht auf die Seite eines Vortragenden geschlagen

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hat. Vielmehr wird deutlich, dass in einer vielfachen Weise Anleihen aus der platonischen Liebeskonzeption in die romantische Liebessemantik eingegangen sind. In einer unvermeidlichen Vereinfachung lassen sich diese auf drei zentrale Motivkomplexe fokussieren: (1) Fest eingeschrieben ist der romantischen Liebe das Streben nach einer Einheit, wie sie in der Aristophanes-Rede vorgetragen wurde. Dass sich ›Zwei‹ und genau diese Zwei finden, ist kein Zufall: Sie gehören – wie die beiden getrennten Hälften – schicksalsmäßig zusammen, weil nur sie in ihrer besonderen Individualität eine Einheit bilden und füreinander eine unersetzbare Höchstrelevanz besitzen. (2) Aus der Diotima-Lehre wird das Streben nach Schönheit und dem Guten übernommen. Dieses gewinnt Gestalt in der anfänglich maßlosen Idealisierung der geliebten Person, in der durchaus auch Aspekte der Verherrlichung der begehrten Frau aus der höfischen Liebe fortleben. (3) Aus dieser Lehre wird auch die Koppelung des Strebens nach Einheit mit dem Wunsch nach Unsterblichkeit aufgegriffen. Die romantische Liebe ist nicht nur ein probates Mittel, Einsamkeit zu überwinden, sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen oder die Generationenabfolge sicherzustellen. Obwohl sie am Individuellen ansetzt und dieses voraussetzt, überschreitet sie es mit ihrem Anspruch der ewigen Liebe, der auch unter den Bedingungen fortschreitender Instabilität von Paarbeziehungen anhält, und gewinnt eine überindividuelle Qualität, die die alltägliche Wirklichkeit transzendiert. Hierin zeigt sich – wie bereits oben angesprochen – eine Strukturanalogie von Liebe und Religion: Wie die Religion so bewältigt auch die Liebe Kontingenzen, indem sie Unbestimmtes in Bestimmtes überführt. Sie schafft eine Aura der Unhinterfragbarkeit und unbedingten Geltung. Trotz dieser Bezugnahmen auf die griechische Tradition und der Verwendung von einzelnen Motivkomplexen wäre es aber verfehlt, in der romantischen Liebe lediglich eine Fortschreibung dieser Tradition zu sehen. Wie schon im Verhältnis zum christlichen Liebesdiskurs deutlich wurde, zeigen spätere Liebessemantiken vielfach zwar Verweise auf frühere und verwenden diese in neuer Gestalt. Dennoch bilden sie in ihrer Gesamtheit eine eigenständige Codierung von Liebe. Ebenso wie es verkürzt ist, aufgrund der Bezüge und der Motivübernahme nur das Gemeinsame zu sehen, ist es auch eine Verengung, Liebessemantiken aus diesen Zusammenhängen herauszulösen und sie ohne diese Verbindungslinien beschreiben und bestimmen zu wollen, wie es in der Soziologie gängig ist.

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3. E NDE DER ROMANTISCHEN L IEBE ? D ER W ANDEL DER L IEBESSEMANTIK Während die Kontinuitätslinien der romantischen Liebe in der Soziologie bislang weitgehend eine Leerstelle sind, ist die Frage nach der Transformation der romantischen Liebessemantik das Topthema in den aktuellen soziologischen Beiträgen zur Liebe. Gefragt wird, ob die romantische Liebe auch in der Gegenwartsgesellschaft noch Bestand hat. Dieses Thema hat bereits Niklas Luhmann am Ende seiner Studie »Liebe als Passion« aufgeworfen und festgestellt, »dass der semantische Gehalt von ›romantischȹ/ȹRomantik‹ unter der Hand längst ausgetauscht worden ist« (Luhmann 1982: 201): Sexualität als symbiotischer Mechanismus für Intimbeziehungen sei zur »Sache selbst« (ebd.) geworden. Die Suche nach der Liebe diene in erster Linie der Validierung der Selbstdarstellung. Kurz gefasst lautet seine Diagnose: »Skepsis gegenüber Hochstimmungen jeder Art verbindet sich mit anspruchsvollen, hochindividualisierten Erwartungshaltungen« (ebd.: 197). Schwer sei es, die gegenwärtige Liebessemantik in die Gestalt einer neuen Leitformel zu bringen. Luhmann vermutet sie in der Problemorientierung, die auf ein Programm gegenseitigen Verstehens ausgerichtet ist. »Die Problemorientierung mag [...] den Vorteil haben, dass sie es den Liebenden aufgibt, am Umgang mit dem Problem, sich ihre Liebe zu zeigen – quälend, aussichtslos und trotzdem liebend.« (Ebd.: 213) Sie ermögliche es, die Unmöglichkeit des Verstehens und damit der Liebe in diese selbst wieder zu integrieren. Auch wenn die These vom Niedergang der romantischen Liebe umstritten ist, gibt es in der aktuellen Diskussion einen breiten Konsens darüber, dass die romantische Liebessemantik gegenwärtig einem tiefgreifenden Transformationsprozess unterworfen ist. Die vorhandenen Positionen in dieser Debatte sollen im Folgenden nachgezeichnet werden. Schwierig dabei ist, dass der als Kontrastfolie für den Wandlungsprozess verwendete Begriff der romantischen Liebe nicht einheitlich ist und darüber hinaus häufig auch nicht hinlänglich geklärt wird. Verbreitet wird auf unterschiedliche Realisierungsstufen der romantischen Liebe zurückgegriffen und nicht auf das literarische Ideal. Mitunter werden nur einzelne Facetten der Semantik herausgestellt. Dennoch lassen sich grundsätzlich vier verschiedene Positionen voneinander unterscheiden: (1) Ablösung der romantischen Liebe durch eine neue Liebessemantik; (2) Konkurrenz von Liebes- beziehungsweise Beziehungssemantiken; (3) Bedeutungssteigerung der romantischen Liebe; (4) Verschiebungen innerhalb der romantischen Liebessemantik.

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3.1 Ablösung der romantischen Liebe durch eine neue Liebessemantik Neben Luhmann wird diese These auch von dem britischen Soziologen Anthony Giddens in seinem Buch »Wandel der Intimität« vertreten. Giddens konstatiert eine gegenwärtig »tiefgreifende Neustrukturierung der Intimität« (Giddens 1993: 10), als deren Motor er den Feminismus und das Coming-out Homosexueller sieht. Diesen für ihn radikalen Transformationsprozess intimer Beziehungen beschreibt er anhand dreier Konzepte: Neben der reinen Beziehung (»pure relationship«) und modulierbaren Sexualität (»plastic sexuality«) formuliert Giddens eine neue Liebessemantik, die er als »confluent love« bezeichnet, in der deutschen Übersetzung aber als »partnerschaftliche Liebe« übersetzt wurde. Diese neue Liebessemantik baut auf das Modell der reinen Beziehung auf, eine Begriffswahl, die verdeutlichen soll, dass die Beziehung nur »um ihrer selbst willen« (ebd.: 69), also ›rein‹ von Zwängen existiert. Sie setzt zwei autonome, gleichberechtigte Personen, egal welchen Geschlechts, voraus. Diese sind sich ihrer Bedürfnisse und Erwartungen bewusst und teilen sich gegenseitig mit. Das beinhaltet auch eine schonungslose kommunikative Öffnung gegenüber demȹ/ȹȱ der Anderen, um Authentizität und Vertrauen herzustellen. Ins Zentrum der Beziehung rücken sexuelle Erfülltheit beider und die eigene Selbstverwirklichung. Damit wird der Fokus von der anderen Person auf sich selbst gerückt und gleichzeitig derȹ/ȹdie Andere in seiner Individualität respektiert. Die reine Beziehung beansprucht also eine hohe Reflexivität: Eigene Wünsche müssen bewusst gemacht und verbalisiert werden, ihre Umsetzung unterliegt Aushandlungsprozessen, der persönliche Nutzen der Beziehung wird einer permanenten Prüfung unterzogen. Ist dieser für denȹ/ȹdie Einzelne/n nicht mehr gegeben, so ist man berechtigt, die Beziehung aufzulösen. Insofern ist partnerschaftliche Liebe aktiv und kontingent und nicht mehr auf ein romantisches »für immer« beziehungsweise »de[n] oder die einzige« (ebd.: 73) ausgerichtet. Auch verlangt sie nur Exklusivität, wenn beide diese für wünschenswert halten. Sexualität wird modulierbar; befreit von den Zwängen der Reproduktion lässt sie sich verschieden ausleben und integriert damit auch die Möglichkeit mehrerer Sexualpartner sowie Homosexualität. So erweist sich die romantische Liebe als Wegbereiter der partnerschaftlichen Liebe, sie wird jedoch »nun selbst durch genau jene Entwicklungen unterlaufen, die sie selbst in Gang gebracht hat« (ebd.: 69). Giddens’ These vom Wandel der Intimität, die nun von der partnerschaftlichen Liebe als neue Semantik getragen wird, fand in der deutschen Soziologie eine breite Rezeption. Weniger Aufmerksamkeit im deutschen Sprachraum bekam dagegen die bereits 1987 von Francesca M. Cancian verfasste interviewba-

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sierte Studie »Love in America«, die auch zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine neue Liebessemantik entstanden sei. Cancian akzentuiert darin noch mehr als Giddens die zunehmende Auflösung der Geschlechterrollen und verwendet entsprechend den Begriff »androgynous love« (Cancian 1987: 30). Die Entwicklung von einer feminisierten zu einer weitgehend androgynen Liebe habe zu einer geschlechtlichen Angleichung geführt. Liebe werde nun nicht mehr wie noch in der romantischen Semantik der weiblichen Sphäre und Selbstverwirklichung der männlichen zugeordnet, sondern »more androgynous images of love [...] combine love and self-development, and give both partners responsibility for the relationship« (ebd.: 11). 3.2 Konkurrenz von Liebes- undȹ/ȹoder Beziehungssemantiken Auch Robert N. Bellah et al. beschreiben bereits 1985 für die USA einen Wandel intimer Beziehungen und sprechen dabei vom Aufkommen einer therapeutischen Liebe (»therapeutic love«), die sich in den »Aufstieg therapeutischen Denkens zu einem bestimmenden Deutungsmuster für den einzelnen und die Gesellschaft« (Bellah et al. 1987: 143) einpasst. Diese Liebessemantik meint im Kern die intime gegenseitige Therapeutisierung zum persönlichen Nutzen. Damit wird wie bei Giddens’ partnerschaftlicher Liebe ein hoher Bedarf an offener Kommunikation zum Ziel der individuellen Selbstverwirklichung beider Partner in egalitären Beziehungsarrangements herausgestellt. Anders als Cancian und Giddens deuten Bellah et al. diese Entwicklung kritisch, weil die Orientierung am Eigeninteresse keinen Zusammenhalt in Paarbeziehungen bewirken könne. Sie kontrastieren die therapeutische Liebe nicht mit einem romantischen, sondern mit einem »weniger auf Gefühle als auf Entscheidungen und Handlungen« (ebd.: 126) gestützten »ethischen Liebesbegriff« (ebd.: 131), der christlich gebunden ist und einen Paarzusammenhalt zu stiften vermag. So stellen sie bei ihren Interviewpartner/innen ein Hin- und Hergerissensein und damit ein konfligierendes Nebeneinander zweier Liebessemantiken fest. Die an der Studie von Bellah et al. beteiligte Soziologin Ann Swidler verdeutlicht 2001 in ihrem Buch »Talk of Love« anhand eigener Untersuchungen, dass mehrere miteinander inkompatible Liebesvorstellungen zum Repertoire kollektiven kulturellen Wissens gehören, aus dem die Akteur/innen nach für sie passenden ›Versatzstücken‹ suchen, einige davon sich aneignen, als Reserve halten oder distanziert betrachten. Abhängig sei ihre Wahl von der kulturellen Rahmung der Situation. Swidler unterscheidet zwischen romantischer Liebe als »›mystic‹ view of love« (Swidler 2001: 117) und ›realer‹ Liebe als »antimystic view of love« (ebd.: 114). Letztere zeichne sich durch Überzeugungen aus, die

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den Alltagserfahrungen ihrer Interviewten näher kommen: Liebe wachse langsam, sei ambivalent und konfus; es gebe keine einzig wahre Liebe; Ehe solle nicht auf irrationalen Gefühlen gebaut, sondern praktikabel sein; Liebe sei kein ewiges Glück, sondern harte Arbeit, verbunden mit Kompromissen. Im alltäglichen Management der Beziehung würden die Interviewten eher auf die hier passendere ›reale‹ Liebe zurückgreifen, während sie der romantischen Liebe eher distanziert gegenüberstünden. Komme es jedoch zu existenziellen Beziehungsfragen, die nach einer Entscheidung, sich zu trennen oder verbindlich zusammen zu sein, verlangen, so würden der kulturelle Rahmen gewechselt und die romantische Liebe aktualisiert. Gerade die Ehe, die eine Alles-oder-nichts-Entscheidung abverlange, weil sie auf Dauer und Monogamie gebaut sei, reproduziere den Mythos der romantischen Liebe. Andrea Leupold (1983) stellt romantische Liebe und Partnerschaft als konträre Prinzipien gegenüber, die die Paarkommunikation unterschiedlich strukturieren: Während Partnerschaft die Beziehung regle, sei es die romantische Liebe, die diese erst bilde. Im Unterschied zu den bisherigen Positionen konstruiert Leupold jedoch kein konkurrierendes Nebeneinander zweier Liebessemantiken, sondern beschreibt Partnerschaft als eine Beziehungssemantik, die sich aus systemtheoretischer Sicht nicht in das Kommunikationsmedium Liebe integrieren lasse und umgekehrt. Während Liebe die Intimbeziehung als eigenständiges System gerade dadurch legitimiere, dass sie keine Bezüge zu anderen Systemen herstellt und so die Umwelt ausschließt, sei Partnerschaft eine »Semantik, die den Anschluss an die Gesellschaft wiederherstellen will, die Mitglieder von Ehe und Familie gewissermaßen in die Gesellschaft zurückholen will« (Leupold 1983: 322f.). So relativiere etwa Partnerschaft den Exklusivitätsanspruch der Paarbeziehung, indem sie den außerehelichen Kontakt zu anderen Bezugspartnern normativ integriere. Auch werde die innereheliche Kommunikation unter Verwendung »systemexterne[r] Analogien aus Wirtschaft und Politik« (ebd.: 320) strukturiert: Leistungen für denȹ/ȹdie Andere/n seien nicht mehr bedingungslos, sondern würden ausgehandelt und von »gleichwertigen Gegenleistungen abhängig« (ebd.) gemacht. Ähnlich argumentiert Cornelia Koppetsch (1998), indem sie der Liebe und der Partnerschaft gegensätzliche Austauschprinzipien zuordnet: Liebe sei dem »Prinzip eines Gabentauschs, eines Austauschs von Geschenken« (ebd.: 114) verpflichtet, Partnerschaft hingegen der »unmittelbaren Reziprozität und de[m] Primat individueller Interessen« (ebd.: 113). Gerechtigkeit, Reziprozität, individuelle Gewinnmaximierung, Autonomie und Aushandlung, an denen sich Partnerschaft ausrichte, seien politischen, rechtlichen und auch ökonomischen Wertprinzipien entlehnt, die mit Liebe als unvereinbar gelten.

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Indem Partnerschaft die Intimbeziehung zur Umwelt hin öffnet, kann sie diese als eigenständiges System nicht stabilisieren, so die Argumentation von Leupold und Koppetsch. Deswegen sei sie für die romantische Liebe als Kommunikationsmedium kein Ersatz, sondern trete lediglich in Interrelation zu ihr, indem sie den Alltag der Beziehung regelt, ohne diese selbst zu legitimieren. Partnerschaft erscheint aus dieser Perspektive zwar als Element der Beziehung, nicht aber der Liebe. Diese Kontrastierung – wenn auch anders intendiert – läuft Gefahr, ein ebenso unversöhnliches Spannungsverhältnis zwischen Liebe und der in die Partnerschaft integrierten Gerechtigkeit fortzuschreiben. Auf dieses Spannungsverhältnis bauen sowohl konservative Rhetoriken, die »Gerechtigkeit als eine Bedrohung für die Liebe« (Kleingeld/Anderson 2008: 288) begreifen, als auch feministische Sichtweisen, die wiederum »Liebe als Bedrohung für Gerechtigkeit« (ebd.: 291) erachten. Während Erstere mit dem Einbruch »unpersönlicher Gerechtigkeitsansprüche« (ebd.) in Ehe und Familie von deren Verfall ausgehen, kritisieren Letztere Liebe als ideologische Stütze für männliche Hegemonie (vgl. auch Bethmann 2010). Und auch solche Ansätze, die sowohl Liebe als auch Gerechtigkeit zu zentralen, jedoch miteinander konfligierenden Orientierungen in Ehe und Familie erheben (vgl. etwa Honneth 2000), bleiben dieser Spannungskonstruktion verhaftet. Fragen ließe sich aber, ob Gerechtigkeit nicht auch als zentrale Komponente von Liebe verstehbar ist, insofern, dass das Paar dem Gerechtigkeitsprinzip nachkommen will, nicht obwohl, sondern gerade weil es liebt. Denn Gerechtigkeit kann nicht nur individualistisch als persönlicher Anspruch zum eigenen Wohl ausgelegt werden, sondern beinhaltet auch eine »uneigennützige Förderung des Wohls der geliebten Person« (Kleingeld/Anderson 2008: 303; vgl. auch Gerhard 2010). Gerechtigkeit – obwohl ein Umweltbezug – ließe sich aus dieser Perspektive als das Intimsystem stabilisierend deuten, weil sie nicht als Element eines an sich systemfremden Codes mit Liebe konkurriert, sondern in dieses Kommunikationsmedium selbst aufgenommen und so vom System angeeignet wird. Im Weiteren soll die Position einer literaturwissenschaftlichen Arbeit mit betrachtet werden, die in ihrer Argumentation auf diese soziologische Diskussion rekurriert: Elke Reinhardt-Becker beschreibt den Dominanzverlust der romantischen Liebe wieder als Nebeneinander verschiedener Liebessemantiken. In ihrer noch wenig beachteten, 2005 publizierten Dissertation »Seelenbund oder Partnerschaft?« zeigt sie zugleich auf, dass dieser Dominanzverlust nicht erst in der Gegenwart einsetze, sondern bereits in die 1920er Jahre zurückreiche. In dieser Epoche sei die sachliche Liebe entstanden, wie Reinhard-Becker die neue Leitvorstellung nennt. Sachliche Liebe erweise sich als »ein Gegenmodell, das eine wirkliche Alternative zum romantischen Liebeskonzept darstellt« (Reinhardt-

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Becker 2005: 35). Im Zeitalter der Vermassung sei Liebe nicht mehr auf die Bestätigung der eigenen Individualität, sondern auf das primär körperliche Wohlergehen des »Massenmenschen« (ebd.: 206) ausgerichtet. Diese Sichtweise unterscheidet Reinhardt-Becker von den bisher vorgestellten Positionen, die in der Steigerung von Individualität einen gegenwärtigen Trend erkennen. Liebe werde zur Nebensache, die weder Anspruch auf Exklusivität noch Ewigkeit erhebt. Ökonomisches und vernünftiges Denken würden zu ihrer Voraussetzung, die richtige Partnerwahl gerate in ein rationales Kosten-Nutzen-Kalkül. Im Zentrum der sachlichen Liebe stehe die Neue Frau als »Kollegin, Kameradin, Genossin und Konkurrentin« (ebd.: 222) des Mannes. Es erfolge nicht nur eine wirtschaftliche und soziale Angleichung der Geschlechter, sondern ebenso eine körperliche, die unter anderem ihren androgynen Ausdruck in der Mode finde. Reinhardt-Becker fasst Romantik und Neue Sachlichkeit dabei nicht nur kontrastiv zueinander, sondern verbindet sie als eine »aufeinander aufbauende und zunehmende Emanzipationsentwicklung« (Binczek 2006: 4), wobei die sachliche Liebe in der Literatur zum »Oberflächendiskurs« eines weiterhin bestehenden »romantischen Tiefendiskurses« (Reinhardt-Becker 2005: 280) werde: Während die romantische Liebe Ideal und Sehnsucht bleibe, erscheine »Sachlichkeitȹ/ȹPartnerschaft [als] ein an der Beziehungsrealität erprobtes Wirklichkeitsmodell« (ebd.: 318). Wie an diesem Zitat sichtbar wird, nimmt Reinhardt-Becker unter der Hand eine Gleichsetzung von sachlicher und partnerschaftlicher Liebe vor und bei Letzterer auch direkt Bezug auf Leupold (1983). Allerdings wird dabei nicht beachtet, dass Leupolds Konzept der Partnerschaft mit ihrem nicht übereinstimmt. Entgegen der Beschreibung der sachlichen Liebe zielt die Partnerschaft in der gängigen Fassung auf das normative Prinzip der Egalität der Beziehungspersonen ab. Eine Dominanz des Nutzen-Kalküls in Verbindung mit dem Vorrang des eigenen Wohlbefindens anstelle eines wechselseitigen Ausgerichtet-Seins an der Individualität – um nur diese zentrale Dimension der sachlichen Liebe zu nennen – soll mit dem Konzept der Partnerschaft nicht zum Ausdruck gebracht werden. Zudem integriert Reinhardt-Becker den von Leupold herausgestellten Partnerschaftscode wieder in eine Liebessemantik, obwohl Leupold diesen gerade als mit Liebe semantisch unvereinbar beschreibt, wie oben ausgeführt wurde. 3.3 Bedeutungssteigerung der romantischen Liebe Auch der Soziologe Ulrich Beck geht in seinem Aufsatz »Die irdische Religion der Liebe« von einem Wandel der Liebessemantik aus, interpretiert ihn aber als Bedeutungssteigerung der romantischen Liebe. Diese sei unmittelbare Folge ei-

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nes neuen Individualisierungsschubes und somit in größere gesellschaftliche Transformationsprozesse eingebettet. Mit der Freisetzung der Individuen aus traditionellen Zwängen und der ›Entzauberung‹ der Welt werde die Liebe zur »paßgerechten Gegenideologie der Individualisierung« (Beck 1990: 239). Beck postuliert die Bedeutungssteigerung der romantischen Liebe, ohne jedoch auf die konkreten Inhalte der vorhandenen Liebessemantik einzugehen. Dafür verweist er auf die bestehenden Parallelen zwischen Liebe und Religion: Beide öffnen »die Normalität auf einen anderen Zustand hin« (ebd.: 231). Als »Monopol auf erlebbare Sozietät« (ebd.: 135) soll die Liebe jene Sinnstiftung leisten, zu der die Religion für viele nicht mehr in der Lage ist: Liebe gewinnt bei Beck im Relevanzsystem der Individuen eine Bedeutung, die bislang nur die Religion für sich in Anspruch nehmen konnte. Wie bereits weiter oben erwähnt, gilt sie als eine Semantik, die die christliche Religion ablöst. Diese These legitimiert Beck unter der Hand, indem er wiederum eine religiöse Semantik verwendet: Die romantische Liebe sei ein »quasireligiöse[r], nachreligiöse[r] Liebeserlösungsglaube« (ebd.: 230), ein »Götterbad der Erfahrung« (ebd.: 235) oder ein »Diesseitskleinparadies von Partnerschaft« (ebd.: 227). Gut zwanzig Jahre nach dem ersten Erscheinen von Becks Aufsatz ist in den akademischen und öffentlichen Diskursen die Rede von einer ›Wiederkehr der Religion‹. Die bei Beck zum Vorschein kommende und lange Zeit in der Soziologie gängige Säkularisierungsthese wird inzwischen kritisch hinterfragt (vgl. Taylor 2012; König 2011). 3.4 Verschiebungen innerhalb der romantischen Liebessemantik Eine vierte Position wendet sich sowohl gegen die These der Bedeutungssteigerung von romantischer Liebe wie auch gegen die Thesen ihres Niedergangs durch Ersetzung mit einer neuen Semantik oder Konkurrenz nebeneinander existierender Semantiken. Stattdessen wird die Verschiebung zentraler Elemente innerhalb der romantischen Liebe betont. Eingeführt wurde diese Sichtweise durch einen der Verfasser dieser Einleitung, Karl Lenz (1998): Um den gegenwärtigen Transformationsprozess zu verstehen, sei es unerlässlich, die Unterscheidung zwischen dem literarischen Ideal der romantischen Liebe und seiner Popularisierung in Form von Beziehungsnormen zu berücksichtigen. Gezeigt wird, dass das literarische Ideal nur partiell und in abgeschwächter Form Eingang in die normativen Orientierungsvorgaben für Paare gefunden hat und findet. Die Liebesvorstellungen der Gegenwart sind, so die These (vgl. Lenz 1998), das Resultat zweier widersprüchlicher Tendenzen: Im Sinne einer weiter fortgeschrittenen Realisierung sind sie dem Diskursideal der romantischen Liebe einerseits deutlich nä-

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her gerückt, andererseits haben sie sich von diesem auch entfernt. Die Liebessemantik der Gegenwart zeichne sich also sowohl durch Tendenzen der romantischen Steigerung als auch des Verlustes romantischer Sinngehalte aus. Als Tendenz der romantischen Steigerung wird die Aufwertung der Individualität aufgefasst. Erst mit dem weitgehenden Verschwinden der Geschlechtsspezifik, aber auch durch die Dominanz des Selbstverwirklichungsmotivs und die Aufwertung der Kommunikation in Zweierbeziehungen komme diese zentrale Idee der romantischen Liebe in den literarischen Beschreibungen auch in den Beziehungsnormen voll zur Geltung. Zudem habe erst die Liberalisierung von Sexualität dazu beigetragen, dass die romantische Idee des Eins-Seins von seelischer und sinnlicher Liebe konsequent in die Beziehungsnormen eingegangen ist. Als weitere Tendenz der Steigerung wird die Freistellung der Liebe vom ›Zwang‹ zur Ehe genannt. Daneben gibt es nach Lenz aber auch Tendenzen des Verlusts romantischer Sinngehalte. So sei die eingebaute Spannung zwischen der Höchstbewertung von Individualität und dem Versprechen auf Dauerhaftigkeit in aller Deutlichkeit aufgebrochen: Der hohe Individualitätsanspruch könne nur eingelöst werden, wenn die Liebe das einzige Fundament einer Zweierbeziehung sei. Wenn sie aber schwinde, werde die versprochene Ewigkeit notgedrungen zu einem leeren Versprechen. Zudem seien einige im literarischen Diskurs vorhandene Elemente inzwischen weggebrochen. Das gelte für die enge Koppelung von Liebe und Elternschaft wie für die starke Abwertung der Umwelt des Paares: Liebe sei möglich mit und ohne Kinderwunsch. Kinder würden zu einer möglichen Option in der individuellen Lebensplanung, die auf der Grundlage des eigenen Selbstverwirklichungsstrebens entworfen und fortgeschrieben werde. Während Lenz zufolge im literarischen Ideal der Romantik Liebe auf Zweisamkeit pur angelegt war und die Außenwelt nur in ihrem Störungspotenzial thematisiert wurde, stören wichtige Bezugspersonen jenseits der Zweierbeziehung das gegenwärtige Liebesglück nicht. Dieser Gesamtüberblick soziologischer Positionen zeigt Konvergenzen in den Beschreibungen der Wandlungstendenzen: So werden häufig die Zunahme von Individualitäts- und Autonomieansprüchen, das Verschwinden beziehungswiese der Abbau der Geschlechterspezifik und die Steigerung des Kommunikationsbedarfs betont. Unterschiede liegen vor allem in den Deutungen dieser Veränderungen. An dieser Stelle soll keine Bewertung der einzelnen Positionen in der laufenden Debatte zum Transformationsprozess der romantischen Liebessemantik vorgenommen werden. Dies wird zurückgestellt, um den nachfolgenden Analysen von Ehe- und Beziehungsratgebern in diesem Band Raum zu geben, sich aus unterschiedlichen Perspektiven auf dieses Thema zu entfalten.

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4. E LTER ( N )-K IND -L IEBE

ALS D ESIDERAT DER SOZIOLOGISCHEN D EBATTE

Wie einleitend gezeigt wurde, ist der breite Strom an Reflexionen über die Liebe in der abendländischen Geistesgeschichte keineswegs auf die Paarliebe beschränkt, Gottes- oder Nächstenliebe nehmen ebenfalls einen sehr breiten Raum ein. Anders dagegen in der Soziologie: Hier ist die Ausrichtung auf Paarbeziehungen dominant. Dies gilt für beide Forschungsschwerpunkte, für Liebe als Diskurs ebenso wie für Liebe als soziale Praxis. Besonders überraschend ist, dass auch Liebe in der Elter(n)-Kind-Beziehung7 für das Fach kein relevantes Thema darstellt. Wie gezeigt ist die Elternschaft ein Element der romantischen Liebessemantik, das gemeinsame Kind wird als »Liebespfand« (Schlegel) aufgefasst. Aber diese kulturelle Vorgabe der Liebe richtet sich an das Paar. Auch außerhalb der Soziologie scheinen die semantischen Inhalte einer auf die Elter(n)Kind-Beziehung oder überhaupt auf Generationenbeziehungen bezogenen Liebe kein Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses zu sein. Durch die Kopplung der Elternschaft an die Ehe (Partnerschaft) fällt Letztere mit Familie zusammen. Hartmann Tyrell und Alois Herlth sprechen von einer »bürgerliche[n] Einheitssemantik« (Tyrell/Herlth 1994: 6). Mit ihr ist gleichzeitig Familie biparental konzipiert: »[Z]u einer ganzen Familie gehört nicht mehr, aber auch nicht weniger als Vater, Mutter und Kind« (ebd.: 7). Diese auch in der Familiensoziologie lang verbreitete Vorstellung manifestiert sich in dem Begriff der Kernfamilie, der eine »irreduzible Letzteinheit« (ebd.: 5) suggeriert, die keine weitere Ausdifferenzierung des Verwandtschaftssystems mehr ermöglicht. Im Zuge erhöhter Scheidungsraten und einer Zunahme von unehelicher Elternschaft, Ein-Elter- und Patchwork-Familien ist in der Familienforschung mittlerweile diese Sichtweise auf Familie durch die These von der Pluralisierung familialer Lebensformen ersetzt worden (vgl. Peuckert 2008); zugleich wurde der zugrunde liegende Familienbegriff massiv kritisiert (vgl. Lenz 2013a). Aus systemtheoretischer Perspektive hat sich Klaus Gilgenmann (1994) explizit der Differenz der Codierung von romantischer Liebe und Liebe zum Kind gewidmet. Seiner – für unseren Forschungskontext durchaus anschlussfähigen – These nach hat sich der bürgerliche Liebescode, der Ehe und Familie miteinander vereinte, in zwei Semantiken entlang zweier verschiedener Funktionssysteme

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Unsere Sprache kennt nur die Pluralform ›Eltern‹ ohne einen dazugehörigen Singular. Eine über den bürgerlichen Familienbegriff transportierte Vorstellung der Eltern als Einheit von zwei Personen scheint zu dieser Verengung geführt beziehungsweise diese begünstigt zu haben (vgl. auch Lenz/Scholz i.d.B.).

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ausdifferenziert: Der Paarbeziehung als Intimsystem steht die Elter(n)-KindBeziehung als Bestandteil des Bildungssystems gegenüber. Liebe wird dabei auch als für die pädagogische Kommunikation funktional gefasst: Sie ermöglicht es den Eltern, Verantwortung für ihr Kind zu übernehmen, und entlastet sie gleichzeitig von der »Verantwortung für die Folgen ihrer pädagogisch intendierten Handlungen« (Gilgenmann 1994: 68). Gilgenmann zufolge ist Liebe im Kontext von Erziehung anders codiert als im Kontext einer Paarbeziehung: Obwohl beide Semantiken die adressierte Person als einzigartig fassen und somit in ihrer Individualität bestätigen, ist Elter(n)-Kind-Liebe asymmetrisch als Liebe zum Kind normiert: »Das Primat der Erziehung verhindert die volle Reziprozität des Liebens.« (Ebd.: 69) Die Liebe zum Kind gilt zudem als natürlich und verweist auf eine zeitliche Kontinuität, während die Paarliebe auf den »Zufall der Begegnung« (ebd.: 71) baut und so zeitlich kontingent ist. Oder mit den Worten Yvonne Schützes: »Im Gegensatz zur Partnerschaft [...] ist Elternschaft – auch bei Nicht-Gefallen – unauflöslich.« (Schütze 1994: 91) Angesichts der Einrichtung von Babyklappen oder der Möglichkeit, sein Kind zur Adoption freizugeben, muss diese These allerdings relativiert werden: Auch wenn entsprechend der gesellschaftlichen Erwartungen die biologische Elternschaft häufig zur Übernahme einer sozialen Elternschaft führt, kann diese auch verweigert und so die Elter(n)Kind-Beziehung aufgelöst werden (vgl. auch Lenz 2013b). Indem Gilgenmann ausschließlich von der Elter(n)-Kind-Liebe spricht, fasst er diese geschlechtsneutral und blendet damit die weibliche Konnotation der Liebe zum Kind samt ihrer normativen Implikationen für die Frau bis in die Gegenwart hinein aus. Genau diese Vergeschlechtlichung der Liebe zum Kind arbeiten die französische Philosophin Elisabeth Badinter (1991) und die deutsche Soziologin Yvonne Schütze (1986; 1992; 1996) mit je unterschiedlichem Datenmaterial heraus. Es ist ihr Verdienst, Mutterliebe als historisches Konstrukt des 18. Jahrhunderts aufzudecken, das naturalisiert wurde. Dabei geht Badinter von der Erfindung eines Gefühls aus, während für Schütze nicht die Empfindung selbst Konstruktionsgegenstand ist, sondern deren Etablierung als »kulturelles Deutungsmuster, das erstmals die biologisch vorgegebene Beziehung zwischen Mutter und Kind im Sinne eines allgemeinen verbindlichen normativen Verhaltensmusters interpretiert« (Schütze 1992: 39). Mit der Aufspaltung beruflicher und familialer Lebenssphären und auf Basis aufklärerischer Geschlechterpolarisierung sei die Liebe zum Kind in den ärztlichen und pädagogischen Ratgebern des ausgehenden 18. Jahrhunderts zur weiblichen Wesenseigenschaft erhoben und daraus natürliche Fürsorge-Kompetenzen abgeleitet worden, die die Mutter zur Betreuung und Pflege des Kindes verpflichten. Diese diskursive Normierung einer sozialen Praxis für Mütter impliziert somit auch ein ›angemessenes‹ Ge-

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fühlsmanagement. Demgegenüber sei dem Vater die ›natürliche‹ Fähigkeit einer emotionalen Bindung an das Kind abgesprochen worden, was ihn an den Rand der Familie gedrängt habe. In ihrer Studie »Die romantische Idee des Kindes und der Kindheit« (1996) zeigt die Erziehungswissenschaftlerin Maike Sophia Baader die semantischen Bezüge des Deutungsmusters Mutterliebe zur romantischen Kindesverehrung auf: Mit der Idealisierung des Kindes ging – so ihre Grundthese – eine Idealisierung der Mutter einher. Befreit von der Erbsünde durch Rousseau konnte das Kind zur personifizierten Unschuld und die Kindheit zum »verlorene[n] Paradies« (Baader 1996: 107) verklärt werden, das es zurückzugewinnen galt. Ähnlich wie die Frau so wurde auch das Kind – »noch unberührt von den Verwicklungen dieser Welt« (ebd.: 7) – als einheitlich und ganzheitlich gedacht. »Beide, Kinder wie Frauen, werden von den Deformationen der Moderne freigesprochen« (ebd.), ihre Existenzweisen einer zerrissenen bürgerlichen Gesellschaft entgegengesetzt. Im Konzept der Kindheit wie der Mutterliebe spiegelt sich die Sehnsucht nach einer »unverfälschte[n] Natur« (ebd.: 27). Baader zeigt auf, wie sowohl in Goethes »Werther« (1997, orig. 1774) als auch in Schlegels »Lucinde« (1985, orig. 1799), Novalis’ »Heinrich von Ofterdingen« (2007, orig. 1802) und Schleiermachers »Weihnachtsfeier« (1989, orig. 1806) eine »Wesensähnlichkeit zwischen Mutter und Kind und eine besondere Beziehung zwischen beiden« (Baader 1996: 157) konstruiert wird, welche nicht nur die Zuständigkeit der Mutter für das Kind begründet, sondern darüber hinausgeht. Auch Fröbel, der Baader zufolge als Übersetzer der romantischen Idee des Kindes in pädagogische Handlungsanweisungen gedacht werden kann, postuliere eine Ähnlichkeit zwischen kindlicher und weiblicher Psyche, aus der er die arbeitsteilige Verantwortung von Frauen für Kinder ableitet. Vor dem Hintergrund der romantischen Idee, das Kind zum Maßstab einer besseren Menschheit zu erklären, sei die Infantilisierung der Frau, aus der die emotionale Nähe zum Kind gefolgert wird, auch als ihre Idealisierung zu verstehen. Diese werde streckenweise durch eine christlich-religiöse Überhöhung der Mutter-Kind-Beziehung noch gesteigert. So verkünden Schleiermacher und Fröbel: »Jede Mutter ist eine Maria.« (Schleiermacher und Fröbel, zit. in Baader 260). Gleichzeitig werde die Frau in ihrer Mutterrolle beschränkt und gerate unter Druck, diese in ihrer normativen Aufladung zu erfüllen. Das Konzept der Mutterliebe fand weniger in der Familien- als in der Geschlechtersoziologie, zumeist unhinterfragt Eingang. In der geschichtswissenschaftlichen Rezeption Elisabeth Badinters wurden jedoch auch kritische Stimmen zu ihrer These einer Gefühlskonstruktion laut. So sprach kurz nach Veröffentlichung ihres Werkes der englische Sozialhistoriker Stephen Wilson (1984)

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von einem Mythos der erfundenen Mutterliebe (orig. im Titel: »The Myth of Motherhood a Myth«) und verteidigte diese als anthropologische Konstante, ohne jedoch darlegen zu können, warum die Liebe zum Kind vorrangig eine mütterliche sei. Claudia Opitz gibt zu bedenken, dass sich aus den historischen Quellen weniger »neue Gefühlsqualitäten« als »neue Redeweisen über Gefühle« schlussfolgern lassen, weswegen die Geschichte der Mutterliebe, lediglich als »Geschichte normativer Konstrukte« (Opitz 2002: 164) geschrieben werden kann, die nicht erst im 18. Jahrhundert beginnt, sondern bis in die »antiken Medizin- und Hygiene-Schriften« (ebd.: 157) zurückreicht. Die aktuellere deutsche geschlechtersoziologische Diskussion um Mutterschaft greift eher auf das noch wenig präzisierte Konzept des deutschen MutterMythos zurück, wie es die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken (2007) einführte. Als dessen zentrales, sich von anderen europäischen Ländern unterscheidendes Element ist die Vorstellung von Mutterschaft als »Vollzeitaufgabe« (Correll 2010: 153) beziehungsweise die »volle 24-Stunden-Mutterschaft« (Vinken 2007: 69; vgl. auch Thiessen/Villa 2008, 2009). Der bereits bis in die Renaissance zurück- und in die Gegenwart hineinreichende Mutter-Mythos unterstellt, »dass der Körper der Mutter immer verfügbar ist und dass es letztlich von ihr abhängt, ob die Individuation des Kindes gelingt« (Herwartz-Emden, zit. in Correll 2010: 71). Mutterliebe lässt in dieser Debatte als eine Facette des Mutter-Mythos interpretieren. Mit dieser deutungsmächtigen Konzeption von der ›deutschen Mutter‹ gerieten erwerbstätige junge Mütter beziehungsweise Mütter, die ihr Kind zeitweilig fremdbetreuen ließen, in der BRD noch bis in die 1990er Jahre hinein unter starken Rechtfertigungsdruck, um nicht als ›Rabenmütter‹ zu gelten (vgl. u.a. Rinken 2010; Correll 2010). Entsprechend wandelt Lena Correll den Mythos der deutschen Mutter in einen »westdeutschen Muttermythos« (Correll 2010: 68). Ob und wie stark dieser auch in der DDR wirksam war, lässt sich aufgrund mangelnder Erforschungen darüber nicht zureichend beantworten. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen der Geschlechterverhältnisse in beiden deutschen Staaten (vgl. Scholz 2012) legen jedoch die Vermutung nahe, dass er bereits sehr frühzeitig in der DDR eine grundlegende Transformation erfahren hat. Die relativ feste kulturelle Verankerung der Mutter innerhalb der Familie findet seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert kein entsprechendes Pendant für den Vater. Mit Durchsetzung des Deutungsmusters Mutterliebe ist eher von einer Marginalisierung des Vaters auszugehen, die in den 1960er Jahren mit dem Vorwurf einer »vaterlose[n] Gesellschaft« (Mitscherlich 1963) ihren diskursiven Höhepunkt erreicht hat. Dass die mit der ›Entdeckung des Kindes‹ einhergehende Sentimentalisierung der Familie den Vater anfangs mit einbezog, darauf ha-

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ben Schütze (1988) wie auch die Historikerin Nina Verheyen (2011) verwiesen. In Anlehnung an die französische Mentalitätshistorikerin Yvonne Knibiehler, die auf einer umfassenden Quellenbasis eine »Geschichte der Väter« (1996) nachgezeichnet hat, geht Claudia Opitz sogar soweit, »auch die ›Vaterliebe‹ in gewisser Weise als eine Erfindung der Aufklärung« (Opitz 2002: 63) zu betrachten. Diese sei ebenso wie die Mutterliebe als emotionale Haltung gegenüber dem Kind als »›natürlich‹ und unerlässlich« (ebd.: 156) konstruiert worden. Demgegenüber sieht Verheyen (2011) gerade in der ausbleibenden Naturalisierung von Vaterliebe einen Grund, warum sich diese um 1900 nicht mehr durchsetzen konnte. Seit den 1980er Jahren hat sich eine weit über die Sozialwissenschaften hinausreichende Debatte um die sogenannten ›neuen Väter‹ entwickelt, an der sich ein »gesteigertes Interesse von Männern an den emotionalen Erfahrungen eines Lebens mit Kindern« (Stein-Hilbers 1991: 198) verdeutlicht. Mit der veränderten gesellschaftlichen Stellung von Kindern als emotionale Ressource wird die Randstellung des Vaters in der Familie als Benachteiligung gegenüber der Mutter erfahren (vgl. Matzner 1998). Gleichzeitig verlangt die gesteigerte Berufstätigkeit von Müttern ein stärkeres väterliches Engagement. Der Diskurs um neue Väter kann als Suchprozess nach alternativen Deutungen von Vaterschaft und Väterlichkeit verstanden werden. Ein Konzept der Vaterliebe, das als möglicher Gegenentwurf zur Mutterliebe Männlichkeit und väterliche Fürsorge miteinander verbindet, wird hierin trotz zunehmender Emotionalisierung der Vater-Kind-Beziehung jedoch nicht erkennbar. Allerdings taucht der Begriff in der neueren Väterliteratur wiederholt auf (z.B. bei Rathgeb 2007, Rai 2008), mit dem durch Kinder vermittelte Glückserfahrungen transparent gemacht werden sollen. Mit dem Diskurs um neue Väter lässt sich auch eine Perspektivverschiebung in Psychologie und Pädagogik von der Mutter-Kind-Dyade auf die Umwelt des Kindes beobachten, durch welche der Vater als wichtige Bezugsperson in die frühkindliche Sozialisation eingebunden wird (vgl. exemplarisch Fthenakis 1985a; b). Mit dieser zumindest diskursiven Entbindung der Frau von der Alleinverantwortung gegenüber dem Kind wagte Yvonne Schütze in den 1990ern die Prognose eines möglichen »Ende[s]« (Schütze 1996: 118) der Mutterliebe als normatives Muster: »Neben die Mutter-Kind-Beziehung tritt gleichberechtigt die Vater-Kind-Beziehung.« (Schütze 1994: 96) Auch Elisabeth Badinter sah in den gesellschaftlichen Entwicklungen eine »väterliche Liebe« (Badinter 1991: 297) im Entstehen, die der Mutterliebe gleicht. Beide argumentieren in aktuellen Texten skeptischer: Auch wenn Schütze (2010) nunmehr von Leitbildern und nicht von Mutter- oder Vaterliebe spricht, sieht sie als ein gemeinsames Element der gegenwärtig verschiedenen Mutterbilder die ungebrochene Hauptverantwortlichkeit der Mutter für die Betreuung und Pflege der Kinder. Badinter stellt in ih-

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rem Buch »Der Konflikt« (2010) fest, dass in der Allianz von Ökologie, Verhaltenswissenschaft und neuem ›essentialistischen‹ Feminismus der Stilldiskurs gestärkt und der Mutterinstinkt als Argumentation gegen die Berufstätigkeit der Mutter wieder in Mode gebracht wurde. Die ›natürliche‹ Mutterliebe scheint demnach, trotz der gegenwärtig zu beobachtenden Emotionalisierung von Vaterschaft nach wie vor wirkmächtig und mündet nicht in eine gleich verteilte Verantwortlichkeit der Eltern für das Kind. Es ist zu vermuten, dass »Fürsorge(arbeit) [erst] zum Bestandteil von Männlichkeit(en)« werden muss, damit »der Familienbereich dauerhaft und in größerem Maße als bisher zum gleichrangigen oder zentralen Lebensbereich von Männern werden« (Scholz 2012: 124) kann. Und darüber hinaus: Erst wenn emotionale Zuneigung und Zärtlichkeit in das Konzept von Männlichkeit(en) integriert wird, kann sich Vaterliebe als kulturelles Deutungsmuster durchsetzen.

Ratgeber erforschen Eine Wissenssoziologische Diskursanalyse von Ehe-, Beziehungs- und Erziehungsratgebern S YLKA S CHOLZ UND K ARL L ENZ »Guter Rat kommt selten allein und er stimuliert die Nachfrage nach mehr.« (Eder 2010: 79)

Die Konstitution und der Wandel von Liebessemantiken sind bisher vorrangig anhand der Belletristik untersucht worden. Die vorliegenden Studien dazu stammen überwiegend aus den Literaturwissenschaften; vor allem die Arbeiten jüngeren Datums stehen in einer gewissen Nähe zur Soziologie, da in ihnen ein starker Bezug auf Niklas Luhmanns Systemtheorie vorhanden ist. Kulturelle Leitideen von Liebe in Zweierbeziehungen, aber auch in Elter(n)-Kind-Beziehungen lassen sich – dies ist die leitende These unserer Untersuchung – auch anhand populärer Ratgeber untersuchen. Dabei ist aber auch wichtig, die mit der jeweiligen Materialbasis verbundenen Unterschiede mit in den Blick zu nehmen. Ratgeber gibt es bereits seit Beginn des Buchdrucks; sie haben auch angesichts des Aufstiegs neuer Medien wie Rundfunk, Fernsehen und Internet ihre Rolle als ›stumme Lehrer‹, ›gute Freunde‹ et cetera nicht verloren.1 Im Gegenteil: »[I]n den letzten zwei bis drei Jahrzehnten [hat] die Nachfrage nach orientierender Beratung für alle Lebenslagen merklich zugenommen« (Sarasin et al. 2010: 22). Aufgrund ihres Erfolges werden Ratgeber auf dem Buchmarkt nicht mehr unter Sachbücher subsumiert, sondern seit 1996 als eigene Sparte erfasst. Mit einem Anteil von 16 bis 20 Prozent stehen sie unmittelbar hinter der erstplatzierten Belletristik (vgl. Heimerdinger 2008: 98). Ratgeber haben mittlerweile eigene Bestsellerlisten – auch dies ist ein Beleg für den Aufschwung des Gen-

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Zur Metaphorik von Ratgebern vgl. Messerli 2010.

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res. Insbesondere Ehe- und Beziehungsratgeber, aber auch Erziehungsratgeber formulieren diskursive Deutungsangebote für die ›ideale‹ Lebensform, angemessene Geschlechterrollen und vor allem die ›richtige‹ Vorstellung von Liebe und Erziehung. Sie sind Bestandteil des gesellschaftlichen Wissensvorrats und konstituieren im Sinne Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns ein ›JedermannsWissen‹ (s.u.) über die modernen Formen des privaten Lebens, einschließlich ihrer zugrunde liegenden Leitideen. Dennoch sind Ratgeber ein in der Forschung vernachlässigtes Untersuchungsmaterial, möglicherweise, so Stefanie Duttweiler (2007), schreckt gerade ihre Verortung im populären Wissen und ihre Distanz zur Hochkultur die Forschung davor ab, sich diesem Material zuzuwenden. Die in diesem Buch anhand von Teilstudien vorgestellte Untersuchung fokussiert in Deutschland von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart publizierte Ratgeber in einer Ost-West-Vergleichsperspektive. Die ausgewählten Ratgeber werden mithilfe einer Wissenssoziologischen Diskursanalyse bearbeitet, die ihre Wurzeln in der Diskurstheorie von Michel Foucault und der Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann hat. In methodischer Umsetzung schließt diese vor allem von Reiner Keller (2005; 2007a; 2008) entwickelte Spielart der Diskursforschung an die von Barney Glaser und Anselm L. Strauss (1998, orig. 1967) entwickelte Grounded Theory an. In dem folgenden Artikel erläutern wir in einem ersten Schritt die Spezifik des Untersuchungsmaterials. Der Aufstieg des Genres Ratgeber in modernen Gesellschaften wird kurz beschrieben und zentrale Charakteristika von Beziehungs- und Erziehungsratgebern werden herausgearbeitet. Zweitens werden die Prämissen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse dargestellt. In diesem Kontext wird das von Berger/ Luckmann formulierte Konzept der Legitimation eingeführt. Damit soll verdeutlicht werden, dass es in unserer Untersuchung nicht nur darum geht, die kulturellen Leitideen zur Gestaltung der Paar- und Elter(n)-Kind-Beziehungen zu rekonstruieren, sondern auch die von den Ratgeberautor/innen im- oder explizit verwendeten Legitimationsmuster. Anschließend und drittens beschreiben wir die Situierung und Rolle von Ratgebern in gesellschaftlichen Diskursen. Die Methode der Untersuchung wird im vierten Schritt dargelegt: Ausgehend von der Wissenssoziologischen Diskursanalyse als Forschungsperspektive und im Anschluss an die Prämissen der Grounded Theory wird eine Methodik der Ratgeberanalyse entwickelt, welche das Sampling einschließt. Vorgestellt werden das ausgewählte Analysematerial und die konkrete methodische Vorgehensweise. Davon ausgehend wird abschließend und fünftens ein Überblick über die Beiträge des Bandes gegeben.

R ATGEBER

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1. D IE O RIENTIERUNGSLOSIGKEIT IN DER M ODERNE UND DER AUFSTIEG DES G ENRES R ATGEBER Die Geschichte der Textsorte Ratgeber beginnt bereits in der Frühen Neuzeit: »als Dialog, Lehrgespräch oder Katechese, als Brief, Exemplum und Unglücksgeschichte, als enzyklopädisch angelegte Fachprosa etc.« (Messerli 2010: 30). Sie ist eng verknüpft mit der Erfindung des Buchdrucks, welcher die identische Reproduktion eines Textes ermöglichte. Ratgeberliteratur war bereits früh in der Geschichte des gedruckten Buches eine wichtige Sparte. Gehörten zunächst Kochbücher zu den ersten Ratgebern – 1485 erschien in Nürnberg »Die Küchermeistery« (ebd.: 33) –, so zählten rasch auch Fürstenspiegel und Hausväterliteratur dazu. Während sich die Fürstenspiegel noch an ein exklusives Publikum richteten, zeigt bereits die Hausväterliteratur die Hinwendung der Ratgeber an ein zunehmend größeres Auditorium an, das freilich die Fähigkeit zum Lesen ausgebildet haben musste (vgl. Höffer-Mehlmer 2003). Mit dieser Entwicklung waren »neue Lehr- und Lernprozesse« (Messerli 2010: 32) verbunden: Das persönliche Gespräch, die unmittelbare Interaktion, wurde durch eine mittelbare ersetzt, die personale wurde durch eine mediale Beziehung erneuert. Um die kommunikativen Leistungen und das Potenzial von Büchern deutlich zu machen, griffen die Autor/innen auf Metaphern und Vergleiche zurück. Das Buch galt als ›Mensch‹, ›Lehrer‹ oder ›Freund‹, es ›spricht‹ oder ›lehrt‹ (vgl. ebd.). Die Funktionsweise des neuen Mediums und seine Möglichkeiten wurden demnach mit Rekurs auf »traditionelle Bilder und Aktivitäten einer oralen Kommunikation [erläutert]« (ebd.: 38). Auf diese Weise wurde zugleich ein ›Gespräch‹ simuliert, der Verlust der direkten Interaktion sollte durch eine »inszenierte Mündlichkeit« (ebd.: 39) kompensiert werden. Zugleich kommt der schriftlichen Kommunikation auch ein Entlastungscharakter zu: Gerade bei heiklen Themen muss sich der/die Ratsuchende keiner peinlichen Situation aussetzen. So betonen die Autor/innen auch, dass es »weit angenehmer und bequemer [ist,] einen Ratgeber zu haben, der zuverlässig und verschwiegen jedem, der Rat bei ihm sucht, diesen Rat jederzeit willig und ohne Ansehen der Person gibt« (von Franken 1894 zit. nach ebd.: 41). Der seit der Frühen Neuzeit allmählich steigende Bedarf an individueller Beratung hängt grundlegend mit der gesellschaftlichen Modernisierung und Individualisierung zusammen. So unterschiedlich soziologische Konzeptionalisierungen von modernen Gesellschaften auch sein mögen, Konsens besteht über die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene gesellschaftliche Teilbereiche wie Wirtschaft, Politik, Militär, Wissenschaft oder Kunst. Demnach wurden die Individuen aus den bisherigen Sozialzusammenhängen wie Stand, Religion,

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Region und Verwandtschaft herausgelöst und mussten sich auf eine neue Weise in die Gesellschaft integrieren. »Die Dynamik der Individualisierung, die Vervielfältigung von Beobachterperspektiven, die Delegitimierung von Letztbegründungen und die Vermehrung des Wissens evozieren Verunsicherungen, die auf Seiten der Individuen als Ratlosigkeit durchschlagen.« (Duttweiler 2007: 46) Stefanie Duttweiler nennt deshalb die »Ratlosigkeit der Moderne« (ebd.) als ein zentrales Merkmal dieser Gesellschaftsform. Die Herauslösung der Individuen aus bisherigen Gewissheiten verlief jedoch sozial unterschiedlich und keineswegs linear. So gliedert etwa Peter Wagner (1995) die Entwicklung der Moderne in drei Phasen, um genauer zu erfassen, welche sozialen Gruppen historisch in das Projekt der Moderne ein- beziehungsweise ausgeschlossen wurden. Dieses Projekt beinhaltet die Idee der Autonomie und Freiheit für alle Individuen. In der ersten Entwicklungsphase, welche er als »restriktiv liberale Moderne« (Wagner 1995: 41) bezeichnet, umfasst es jedoch nur die bürgerlichen Schichten, insbesondere die männlichen bürgerlichen Eliten. Wagner zufolge entstanden neue (männliche) Subjektkonzepte, welche auf Autonomie und individuelle Leistung gründen. Dass es sich bei der Vorstellung von einem autonomen bürgerlichen Subjekt freilich um eine Ideologie handelt, haben nicht nur die Untersuchungen von Foucault (1982; 1994b) gezeigt. Eine zweite Phase, die »organisierte Moderne« (Wagner 1995: 112), verstanden als Industriegesellschaft, National- und Wohlfahrtsstaat, entfaltete sich ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und erlebte ihren Höhepunkt nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre. Wagner unterscheidet eine kapitalistische und eine sozialistische Variante der organisierten Moderne. Trotz unterschiedlicher politischer Organisationsformen fand in dieser Phase übergreifend eine »Schließung der Moderne« statt, denn die Autonomie und die individuelle Freiheit wurden im »Namen des Kollektives« (ebd.: 113) beschränkt. Es entstanden kollektive Arrangements, die die Unsicherheit reduzierten: ökonomisch in Westdeutschland in Form von Monopolbildungen und in Ostdeutschland als Kombinatsgründungen, politisch im Westen durch eine repräsentative Demokratie und im Osten den demokratischen Zentralismus, sozial in Ost und West durch wohlfahrtsstaatliche Absicherungssysteme. Diese Institutionen und die damit verbundenen gesellschaftlichen Arrangements gerieten ab den 1970er Jahren allmählich in eine Krise, die zu einem Umbau der Gesellschaft führte. Die derzeitige gesellschaftliche Entwicklung ist für Wagner von einer Pluralisierung der Praktiken und einer Wiederkehr der Ambivalenz gekennzeichnet, die nun alle sozialen Gruppen erfasst. Aus seiner Perspektive zeichnet sich die Gegenwartsgesellschaft durch starke Parallelen mit der ersten Phase der Moderne aus, etwa hinsichtlich des Anspruches auf Freiheit und Autonomie sowie in Bezug auf die

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Rolle des Staates und die Funktion der Wirtschaft. Dies ist auch der Grund, warum er sie als »erweitert liberale Moderne« (ebd.: 185) bezeichnet. Das Projekt der Moderne – Autonomie und Freiheit – wird nun für alle Individuen zum biographischen Lebensprojekt, wenn auch die sozialen Chancen der Umsetzung immer noch sehr unterschiedlich verteilt sind. Diese Kurzbeschreibung der Entwicklung moderner Gesellschaften lässt darauf schließen, dass sich auch der Bedarf an Beratung im Verlauf der Zeit immer mehr erhöhte, gleichwohl er in den krisenhaften Zeiten der Umbrüche höher war und ist als etwa in den stabileren Phasen der organisierten Moderne, die jedoch durch die beiden Weltkriege ganz andere Herausforderungen an die Individuen stellte. Mit der erneuten Öffnung der Moderne hat die Nachfrage nach orientierender Beratung für alle Lebenslagen merklich zugenommen. »Beratung scheint das Schicksal einer Gesellschaft zu sein, die ihre Normen verflüssigt hat« (Sarasin et al. 2010: 22). An dieser Stelle kann es nicht darum gehen, eine Entwicklungsgeschichte von Ratgebern nachzuvollziehen. Dies ist auch gar nicht möglich, denn die Geschichte von zum Beispiel Erziehungsratgebern ist bis heute nur in Ansätzen aufgearbeitet (vgl. Schmid 2010). Als zentrale Referenzliteratur gilt die Studie von Markus Höffer-Mehlmer (2003; auch 2007a), der eine erste Rekonstruktion der Entwicklung des Genres von der Hausväterliteratur bis zur Gegenwart vorlegte. Neben der aktuellen Studie von Michaela Schmid über die Theorie-PraxisProblematik in Erziehungsratgebern von den 1940er bis 2000er Jahren gibt es einige kleine Einzelstudien, die in Sammelbänden veröffentlicht wurden (Brockhaus 2007; Gebhardt 2007; Lüders 1994). Miriam Gebhardt (2009) untersuchte die Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert anhand von Elterntagebüchern und bezog in diese Analyse auch Erziehungsratgeber mit ein. Die Forschungslage zu Eheratgebern sieht noch dürftiger aus. Regine Mahlmann (1991; 2003) untersuchte einen breiten Korpus an Eheratgebern unter der Fragestellung der Psychologisierung des Diskurses über die Ehe. Aktuell sind einige Studien über die Entwicklung von Sexualitätsratgebern erschienen (Bänziger et al. 2010; Osswald-Rinner 2011), die teilweise eine Überschneidung zu Eheratgebern aufweisen, da Sexualität bis in die 1970er Jahre vorrangig in der ehelichen Lebensform verortet wurde. Bedeutsam ist, dass sich sowohl Eheratgeber als auch Erziehungsratgeber als eigenständige und differenzierte Medien im Zuge der Aufklärung ab dem 18. Jahrhundert herausbildeten. Unter Erziehungsratgebern werden Sachbücher verstanden, »in denen Fragen der Kindererziehung und -pflege behandelt werden. Sie sind direkt an Eltern beziehungsweise Mütter oder Väter gerichtet und ihr erklärter Zweck besteht in der Beratung bei der Pflege und Erziehung von Kindern

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und Heranwachsenden.« (Höffer-Mehlmer 2007a: 669) In freier Anlehnung lassen sich unter Eheratgebern Sachbücher verstehen, die sich um Fragen der Paarbildung, der Heirat und des Alltags in einer Ehe drehen; sie setzen sich mit Problemen und Krisen in Zweierbeziehungen auseinander und bieten Lösungen an. Sie richten sich an Paare oder Einzelpersonen, die eine Ehe aufbauen möchten. Mit der Pluralisierung der Lebensformen ab den 1970er Jahren findet eine sukzessive Umbenennung des Genres in Beziehungsratgeber statt, nur noch wenige der aktuellen Ratgeber tragen die Ehe im Titel, gleichwohl verschwindet sie nicht gänzlich. Im Folgenden werden mit Rekurs auf die vorliegenden Untersuchungen die Charakteristika von Ratgebern genauer bestimmt. Dabei fokussieren wir auf Ratgeber in Buchform, nur sie sind Gegenstand der Untersuchung. Sie sind eine spezifische Form der »Aufbereitung von Wissensbeständen in pragmatischer Absicht, das heißt es geht ihnen nicht (wie der Wissenschaft) um Wahrheit oder Neuheit des Wissens, sondern um seine zweckmäßige Anwendung« – sie sind »Anleitung zur Praxis« (Helmstetter 2010: 58). Ratgeber sind generell auf Breitenwirksamkeit angelegt und definieren zeittypische Normalitätsentwürfe und Verhaltensstandards. Sie zeigen nicht die Wirklichkeit, sie haben eine »Verweisfunktion« (Mahlmann 2003: 31): Sie ›verweisen‹ auf kulturhistorische Gegebenheiten, Zusammenhänge und normative Vorstellungen. Sie sind in pädagogischer Absicht geschrieben und legitimieren sich durch das Expertenwissen des Autors oder der Autorin, das sich wiederum aus unterschiedlichen Quellen speisen kann. Für die Erziehungsratgeber konstatieren Schmid (2010) und Höffer-Mehlmer (2003), dass die jeweiligen Autor/innen eine »Ratgeber-eigene Theorie« (Höffer-Mehlmer 2003: 282; Schmid 2010: 30) konstruieren, welche als eine »Mischung von Alltagstheorien (persönliche Erfahrungen und Erkenntnisse), Wissenschaftswissen (in popularisierter Verkürzung und Auswahl) und Berufswissen« (ebd.) zusammengesetzt ist. Die Analyse der Ehe- und Beziehungsratgeber zeigt – dieses Ergebnis sei an dieser Stelle vorweggenommen –, dass auch in diesem Genre ›Eigentheorien‹ entwickelt werden. Bestsellerautor/innen greifen in ihren Büchern immer wieder auf ihre ›Theorien‹ zurück und modifizieren sie nur geringfügig. Trotz der »Ratgeber-eigene[n] Theorie« sind sie keine bloßen privaten Erfindungen der Verfasser/innen, sondern mit den öffentlichen Diskursen rückgekoppelt (s.u.). Ratgebern liegt immer eine Problemdefinition zugrunde und zugleich bietet jede/r Autor/in für die von ihm/ihr diagnostizierten Probleme auch Lösungen an. Diese Charakteristik von Problemdiagnose und Lösungsvorschlägen begründet die Nachfrage nach Ratgebern in einer pluralen Gesellschaft, in der sich traditionelle Gewissheiten auflösen. Das Zusammenspiel

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von Problemkonstruktion und Lösungsangeboten ist für unsere Untersuchung leitend und bestimmt die Methode. Nicht erst in der Gegenwart ist bei den in einem bestimmten Zeitraum publizierten Ratgebern von einer Bandbreite unterschiedlicher Positionen auszugehen. Weder die Ratgeber der 1950er Jahre noch die aktuellen Ratgeber stimmen darin überein, wie Ehen oder Beziehungen ›richtig‹ zu führen und Kinder ›richtig‹ zu erziehen sind. Unterschiedliche Konzepte stehen miteinander in Konkurrenz, dennoch ist es möglich, zu bestimmen, was dominierende Positionen sind. Bei einem Vergleich über einen längeren Zeitraum hinweg kann nicht von unilinearen Entwicklungslinien ausgegangen werden, deren Fortkommen eher unwahrscheinlich sind. Wie etwa Yvonne Schütze (1986) in ihrer Analyse über Mutterliebe als normatives Muster anhand von Ratgebern aufgezeigt hat, lassen sich keine kontinuierlichen Verläufe finden, sondern eher paradigmatische Sprünge. Dies schließt nicht aus, dass gängige Argumentationsmuster aus den Ratgebern verschwinden und neue Muster auftauchen. Ratgeber sind in gesellschaftliche Diskurse eingebunden, nehmen deren Positionen auf, tragen aber genauso dazu bei, neue Ansichten über Ehe, Beziehung und Erziehung zu etablieren.

2. D AS F ORSCHUNGSPROGRAMM DER W ISSENSSOZIOLOGISCHEN D ISKURSANALYSE Als methodologischen Rahmen greifen wir bei den Ratgeberanalysen auf die Wissenssoziologische Diskursanalyse (WDA) zurück, die von Reiner Keller (2008) entwickelt wurde. Keller greift die von Michel Foucault stammenden Begriffe des Diskurses und der Diskursanalyse auf. In Foucaults 1966 erschienenem Werk über die »Ordnung der Dinge« und vor allem in der drei Jahre später publizierten »Archäologie des Wissens« avanciert der Diskurs zum Schlüsselbegriff (vgl. Parr 2009). Als eine besondere Schwierigkeit erweist sich, dass Foucault den Diskursbegriff weder im Lauf der Jahre noch in den einzelnen Werken einheitlich verwendet hat. Während »discours« im Französischen die Bedeutung von »Rede« besitzt, kommt im Deutschen erschwerend dazu, dass der Begriff stark durch seine Verwendung in der Sozialphilosophie von Jürgen Habermas (1981) besetzt ist, der darunter den rationalen Austausch von Argumenten versteht. Ohne die Begriffsvielfalt nachzuzeichnen, kann – mit Matthias Frank gesprochen – Diskurs bei Foucault verstanden werden als »jedes in der Geschichte hervortretende Aussagesystem [...], das die Menge der von ihm beherrschten Aussagen durch endlich viele Regeln zusammenhält und vor der Auflösung in ein anderes Aussagesystem schützt« (Frank 1984: 216). Diskurse sind, wie es

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Reiner Keller formuliert, »institutionalisierte Sprechweisen, die historisch aus einer Vielzahl symbolischer Interaktionen und kommunikativer Handlungen als emergenter Äußerungszusammenhang hervorgehen« (Keller 2013a: 71). Diskurse lassen sich allerdings nicht auf Sprache und Sprechen reduzieren; sie sind nicht die bloße Abbildung einer vorgegebenen Realität. Vielmehr handelt es sich um Verfahren der Wissensproduktion, das »diejenigen Gegenstände, von denen sie handelt, zugleich selbst systematisch hervorbringt« (Parr 2009: 234). Foucault (1988, orig. 1969) unterscheidet vier Grundmomente von Diskursen: neben (1) der Formation der Gegenstände (2) die Formation der Äußerungsmodalitäten, worunter die Fragen nach der Subjektposition, dem Verhältnis des Subjekts zu institutionellen Plätzen und Gegenständen gestellt werden, (3) die Formation der Begriffe, die auf die Organisation des Feldes der Aussagen abzielt (Formen der Abfolge beziehungsweise Koexistenz, Prozeduren der Interventionen), und (4) die Formation der Strategien, worunter die Themen und Theorien verstanden werden, die einen Diskurs betreffen. Die Basiseinheit von Diskursen bilden nach Foucault Aussagen. Jede Aussage hat Sinn, dieser ist aber nicht das Resultat subjektiver Sinnsetzung, sondern »der bloße Effekt ihres materiellen und diskursiven Umfeldes, das ihr Auftreten als Aussage überhaupt erst ermöglicht« (Kammler 2009: 57). Hingewiesen sei noch auf die Begriffe des historischen Apriori und des Archivs. Als historisches Apriori fasst Foucault in Abgrenzung zum Kant’schen formalen Apriori »die Gesamtheit der Regeln, die eine diskursive Praxis charakterisieren« (Foucault 1988: 185), zusammen und unter Archiv wird die Gesamtheit aller Diskurse verstanden. Weder das Archiv einer Gesellschaft noch das einer ganzen Epoche kann nach Foucault erschöpfend beschrieben werden. Die hohe Wertschätzung des Potenzials des Diskursbegriffs und der Diskursanalyse geht in der WDA einher mit einer Kritik am Foucault’schen Theorieprogramm. Zusammenfassend kritisiert Keller (2013a): (1) die konzeptionelle Vernachlässigung der Akteur/innen, (2) das Fehlen einer Theorie des menschlichen Zeichen- und Symbolgebrauchs sowie (3) die fehlende Methodologie und Methodenreflexion. Statt eine Reparaturarbeit am Theorieprogramm vorzunehmen, wird der Weg beschritten, Diskurs und Diskursanalyse in ein anderes Theorieprogramm zu integrieren. Besonders geeignet hierfür sind nach Keller (2013b) das interpretative Paradigma und vor allem die Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann. Kellers besonderes Anliegen ist eine Reformulierung der Diskursanalyse auf dieser Theoriegrundlage. Das Grundlagenwerk »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« mit dem Untertitel »Eine Theorie der Wissenssoziologie« von Berger/Luckmann ist im Original 1966 erschienen. Fest in der Tradition der Phänomenologischen

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Soziologie von Alfred Schütz stehend, dessen Schüler beide waren, verknüpfen sie sein Theorieprogramm mit der amerikanischen pragmatischen Soziologie, vor allem von George Herbert Mead, der Philosophischen Anthropologie und den klassischen Ansätzen von Max Weber und Emile Durkheim (vgl. Knoblauch 2005). In Absetzung zu der klassischen Wissenssoziologie von Max Scheler (1980) und Karl Mannheim (1970) geht es Berger/Luckmann nicht um »höhere Wissensformen«, sondern um das Alltagswissen, das, »was ›jedermann‹ in seinem alltäglichen, nicht- oder vortheoretischen Leben ›weiß‹« (Berger/Luckmann 2007: 16). Zum Ausgangspunkt nehmen die beiden Autoren die unauflösbare Koppelung von Wissen und Wirklichkeit. Wissen wird nicht der ›Wirklichkeit‹ als eigene Sphäre entgegengesetzt, sondern in dem gesellschaftlich entwickelten, vermittelten und bewahrten Wissen gerinnt, was für uns ›Wirklichkeit‹ ist. Zugleich wird der Herstellungscharakter von Wirklichkeit verdeutlicht. Auch wenn Wirklichkeit uns ständig als eine objektive Faktizität entgegentritt, ist sie dennoch eine von gesellschaftlichen Akteur/innen konstruierte, die in ihrem Fortbestand an wiederkehrende Bestätigung gebunden ist. Auf dieser Grundlage bestimmen Berger/Luckmann als Gegenstand ihrer »Wissenssoziologie« »die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (ebd.: 16). Diese grundlegende These, dass Wirklichkeit eine Konstruktion der Handelnden ist, hat auch dazu geführt, diesen Ansatz als Sozialkonstruktivismus zu bezeichnen, eine Klassifikation, der die Autoren selbst eher skeptisch gegenüberstehen. Sichtbar wird bei dieser Einordnung durchaus eine Differenz zum radikalen Konstruktivismus, da die Konstruktionen bei Berger/Luckmann nicht beliebig verlaufen. Diese ergeben sich durch die Möglichkeiten der Handelnden, die im Werk mit Bezug auf die Philosophische Anthropologie von Arnold Gehlen und Helmuth Plessner bestimmt werden. Als besondere Stärken dieser phänomenologisch orientierten Wissenssoziologie sieht Keller: (1) »die Betonung der Rolle gesellschaftlicher Akteure in den Machtspielen des Wissens, ohne dabei einem naiven Subjektivismus zu verfallen«, (2) die systematische Berücksichtigung der »Bewusstseinsleistungen im Konstitutionsprozess der Wirklichkeit [...], ohne den emergenten Charakter kollektiver Wissensordnungen zu ignorieren« und (3) die besondere Anschlussfähigkeit an »die interpretative Methodologie und den […] Methodenkanon der qualitativen Sozialforschung« (Keller 2008: 191). Für den Theorieentwurf von Berger/Luckmann stellt der Diskursbegriff eine wichtige Erweiterung dar, da sie – wie bereits erwähnt – eine Einschränkung der Analyse auf das Alltags- beziehungsweise ›Jedermanns-Wissen‹ vorgenommen haben. Damit geht einher, dass im Fokus ihrer Analyse nur subjektive Wissensbestände stehen; kollektive Wissensvorräte sind dagegen aus dem Blick geraten. Mit dem Einbau des Diskurs-

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begriffes wird es nach Keller möglich, diese Schwachstelle zu überwinden. Berger/Luckmann gehen trotz des Titels (»gesellschaftliche Konstruktion«) von einer interaktiven Konstruktion der Wirklichkeit aus, was schon durch das von ihnen mehrmals angeführte Fallbeispiel der Begegnung von Robinson Crusoe und Freitag auf der einsamen Insel (vgl. etwa 2007: 60) anschaulich gezeigt wird. Für Keller hingegen steht die »diskursive Konstruktion der Wirklichkeit« (Keller 2008: 190) im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Zusammenführung der Wissenssoziologie nach Berger/Luckmann mit der Foucault’schen Diskursanalyse bildet das Gerüst der WDA. Diese versteht sich »als Forschungsprogramm zur Analyse gesellschaftlicher Wissensverhältnisse und Wissenspolitiken. Sie nimmt Diskurse als strukturierte kommunikative Handlungen beziehungsweise Praktiken des Zeichen- und Symbolgebrauchs in den Blick, die in gesellschaftlich öffentlichen oder teilgesellschaftlichen Arenen stattfinden und an denen sowohl kollektive (organisatorische) als auch individuelle Akteure teilnehmen können.« (Keller 2013a: 90) Diskurse schaffen eine externe Realität. Ihren je spezifischen Wirklichkeitscharakter für uns gewinnt die Welt »durch die Aussagen, die Menschen – in Auseinandersetzung mit ihr – über sie treffen, wiederholen und auf Dauer stellen« (Keller 2008: 237). Keller betont, dass die Aussagensysteme nicht nur »die symbolischen Ordnungen und Bedeutungsstrukturen unserer Wirklichkeit (stiften), sondern sie haben auch reale Konsequenzen« (ebd.). Die diskursive Konstruktion der Wirklichkeit umfasst folgende Haupteffekte (vgl. ebd.): (1) Diskurse stellen die signifikatorischen Grundlagen zur Wahrnehmung und Deutung von Phänomenen bereit. Sie konstituieren »Deutungsangebote« (Schwab-Trapp 2006: 265), die zum Teil miteinander konkurrieren. Diese können als »Deutungsvorgaben« (ebd.) institutionalisiert und somit verbindlich gestellt werden. Um neue Deutungen zu etablieren, können diese mit bereits »etablierte[n] Deutungen« als »Transportmittel« (ebd.: 276) neuer Inhalte verknüpft werden. (2) Diskurse machen für Akteur/innen das Know-how verfügbar, wie hinsichtlich der jeweiligen Phänomenbereiche zu handeln ist. (3) In Form von Dispositiven und Praktiken erhalten Diskurse eine konkret-materielle Gestalt. Unter Dispositiv wird »das Gesamt der materiellen, handlungspraktischen, personellen, kognitiven und normativen Infrastruktur der Produktion eines Diskurses und der Umsetzung seiner angebotenen Problemlösungen in einem spezifischen Praxisfeld« (Keller 2008: 258) verstanden. Gesetze, Verhaltensanweisungen, Beratungsangebote werden darunter ebenso verstanden wie spezifische Objekte und Technologien. Mit Praktiken werden »typisierte Routinemodelle für Handlungsvollzüge« (ebd.: 255) bezeichnet, die von Akteur/ innen angeeignet und ausgeführt werden. (4) Diskurse umfassen schließlich immer auch Legitimationen, wodurch die Wissensinhalte mit einem Anspruch ob-

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jektiver Gültigkeit oder zumindest mit einem höheren Grad an Verbindlichkeit ausgestattet werden. Berger/Luckmann unterscheiden verschiedene Ebenen der Legitimation. Sie reichen vom »System sprachlicher Objektivationen menschlicher Erfahrungen« (Berger/Luckmann 2007: 100) über »theoretische Postulate in rudimentärer Form« (ebd.: 101), »explizite[n] Legitimationstheorien« (ebd.) bis hin zu »symbolischen Sinnwelten« (ebd.: 102). Als Stützkonstruktionen für Diskurse sind vor allem Letztgenannte relevant. Verstanden werden darunter »synoptische Traditionsgemeinschaften, die verschiedene Sinnprovinzen integrieren« und ihre Bezugsinhalte »als symbolische Totalität überhöhen« (ebd.). Mit ›symbolisch‹ ist ein Verweis auf andere Wirklichkeiten als die der Alltagserfahrung gemeint. Sie kommen − wie Berger/Luckmann in einer Fußnote betonen − dem nahe, was Durkheim unter »réligion« versteht (vgl. ebd.). Ohne an dieser Stelle in die Tiefe gehen zu können, kann gesagt werden, dass dem Subjekt in der WDA eine relevantere Stellung zugeschrieben wird als bei Foucault. Das Subjekt wird im Rahmen dieser Analyse in dreifacher Form thematisiert: (1) Sprechposition: Diskurse entstehen und bestehen fort, durch die Akteur/innen und ihre Sprechakte. Sie weisen Sprechpositionen auf, also Orte des legitimen Sprechens innerhalb von Diskursen. Mit Blick auf die Inhaber/innen von Sprechpositionen interessiert nicht das individuelle Subjekt, sondern der soziale Rollenträger. (2) Subjektangeboteȹ/ȹIdentitätsangebote: Die Diskurse nehmen inhaltlich Bezug auf Subjekte; sie weisen den Subjekten thematisch bestimmte Positionen zu und machen darüber hinaus für sie auch Identitätsangebote. (3) Soziale Akteur/innen: Hier handelt es sich um die Individuen und Kollektive, die Sprechpositionen einnehmen und diese in ihrer eigenwilligen Rolleninterpretation auch ausfüllen. Als Inhaber/innen von Sprechpositionen sind sie in eine Diskursgemeinschaft eingebunden, einem Netz von Akteur/innen mit unterschiedlichen Chancen auf Gehör.

3. V ERORTUNG VON R ATGEBERN

IN

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Die Ratgeber ermöglichen, so der Ausgangspunkt der Untersuchung, einen Zugang zum Diskurs über Paar- und Elter(n)-Kind-Beziehungen und machen ihn transparent. Diskurse lassen sich voneinander abgrenzen, wobei das Abgrenzungskriterium die zugrunde liegenden Formationsregeln sind. Dadurch ergeben sich diskursive Formationen. Auf einer ersten Unterscheidungsebene differenziert Keller (2008) diese in Spezialdiskurse und öffentliche Diskurse. Nimmt man diese Unterteilung, dann lassen sich Ratgeber als Bestandteil des öffentlichen Diskurses begreifen. Wie die Verknüpfung von Spezialdiskursen und öf-

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fentlichen Diskursen erfolgt, hat Jürgen Link (2006) mit seinem Konzept des Interdiskurses beschrieben, das wir als Erweiterung von Kellers Ansatz nutzen. Ein Interdiskurs leistet eine Vermittlung zwischen verschiedenen Spezialdiskursen; seine Funktion liegt in den »selektiv-symbolischen, exemplarisch-symbolischen, also immer ganz fragmentarischen und stark imaginären Brückenschlägen über Spezialgrenzen hinweg für die Subjekte« (Link 2006: 412). Auf diese Weise werden die in einer arbeitsteilig organisierten modernen Gesellschaft auseinanderdriftenden Spezialdiskurse reintegriert, denn der Interdiskurs verkoppelt mehrere Spezialdiskurse. Dabei geht es nicht nur um deren irgendwie zu leistende Zusammenführung, sondern zugleich um die Durchsetzung einer Sinn- und Wissensordnung, die wiederum bestimmte Deutungszuschreibungen in die Spezialdiskurse hineinprojiziert. Das Konzept des Interdiskurses gibt die Möglichkeit, analytisch zu erfassen, wie Spezialwissen kulturell amalgamiert und transformiert wird; dies lässt sich insbesondere an Ratgebern untersuchen, die keinem Spezialdiskurs zuzuordnen sind. Gerade diesen populären Dokumenten kommt aus unserer Sicht die zentrale Funktion zu, kulturelle Legitimationsmuster über Ehe, Familie, Elternschaft zu vermitteln. Die einzelnen Ratgeber konstituieren »Deutungsangebote« (Schwab-Trapp 2006: 265) im Hinblick auf das Stiftungsmotiv einer Paarbeziehung, die ›richtige‹ Form des Zusammenlebens, die Umgangsweisen von Männern und Frauen, die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, den Wunsch nach Kindern und so weiter. Diese Deutungsangebote rekurrieren wiederum auf kulturelle Legitimationsmuster, die sich in einem historischen Prozess herausgebildet und den Status einer relativen Autonomie erlangt haben können. Die einzelnen diskursiven Deutungsangebote rekonstruieren und bestätigen diese kulturellen Legitimationsmuster, können aber auch in Konkurrenz zu ihnen treten und somit einen (langfristigen) Prozess ihrer Transformation in Gang setzen. Wir benutzen an dieser Stelle den Begriff Deutungsangebot nach Schwapp-Trapp (ebd.), weil es sich zunächst um ein ›Angebot‹ für die Wahrnehmung und Deutung von Phänomenen handelt. Inwieweit Ratgeber auch durch Legitimationen institutionalisierte und damit verbindlich gestellte »Deutungsvorgaben« (ebd.) konstituieren können, ist eine empirisch offene Frage. Den Begriff Legitimationsmuster nutzen wir im Anschluss an die Theorie der Legitimierung von Wissen bei Berger/ Luckmann (2007). Empirisch verdichten sich die Legitimationen einzelner Gegenstände zu Mustern im Sinne von »grundlegende[n] bedeutungsgenerierende[n] Schemata«, »die durch Diskurse verbreitet werden und nahe legen, worin es sich bei dem Phänomen handelt« (Keller 2008: 241). Eine andere Möglichkeit, Ratgeber in Diskursen zu verorten, lautet, sie inhaltlich zu unterscheiden. Diskursive Formationen lassen sich nach Keller

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(2008) zusätzlich entlang der Gegenstandskonstitution differenzieren. Vor diesem Hintergrund können Ehe- und Beziehungsratgeber in einen »Liebesdiskurs« (Greis 1991: 14) und Erziehungsratgeber in einen »Erziehungsdiskurs« (Gebhardt 2009: 9) verortet werden. Wie im vorangegangenen Artikel (vgl. Lenz/ Dreßler/Scholz i.d..) beschrieben, konstituiert sich die romantische Liebe ausgehend von der literarischen Produktion im 18. Jahrhundert nicht nur als neue Liebessemantik, sondern erst ab diesem Zeitpunkt kann davon gesprochen werden, dass sich ein eigenständiger, nur auf Paarbeziehungen ausgerichteter öffentlicher Diskurs über Liebe formiert. Auch vorher wurde, wie gezeigt, bereits viel über Liebe gesprochen, aber diese Thematisierung war eingebettet in andere Kontexte. Jutta Greis (1991) und Günter Saße (1996) haben die Diskursproduktion anhand bürgerlicher Dramen untersucht und zeigen, wie sich die Phänomene Liebe und Liebesehe konstituieren. In Erweiterung von Foucaults Untersuchung moderner Sexualität (1982) versteht Greis den Liebesdiskurs als Voraussetzung für die Entstehung des Sexualitätsdispositivs und zeigt anhand der Dramen eindrucksvoll die Konkurrenz von Allianz- und Sexualitätsdispositiv auf. Beide Studien verweisen zudem auf die Probleme, die für die Kontinuität und Stabilität der Paarbeziehung entstehen, wenn diese auf einer fragilen Emotion gegründet wird. Von Interesse ist zudem die von Saße eingeführte Unterscheidung zwischen kritischer Literatur, auch als Höhenkammliteratur tituliert, welche die Entwicklung hin zur Liebesehe kritisch reflektiert, und den »Rührstücken« (Saße 1996: 63), die sie affirmieren und die Praxen der Eheschließung langfristig grundlegend verändert haben. Ehe- und Beziehungsratgeber können aus unserer Sicht als Dokumente des Liebesdiskurses verstanden werden. Man kann sie nicht als ›Rührstücke‹ bezeichnen, gleichwohl zielen sie wie diese auf ein breites Publikum. Zu fragen ist, inwieweit sie gesellschaftlich etablierte Legitimationsmuster nur affirmieren undȹ/ȹoder auch neue Deutungsangebote im Diskurs positionieren können. Den Begriff Liebesdiskurs verstehen wir als eine Konstruktion zweiter Ordnung (vgl. etwa Schütz 2010, orig. 1956), die von den Wissenschaftler/innen vorgenommen wird, um ihre Rekonstruktionen empirisch vorfindbarer Konstruktionen der sozialen Welt zu ordnen. Forschungsprojekte sind selbst Teil der Diskurse und unterliegen »ihrerseits sozialen Strukturierungsprozessen, d.h. spezifisch strukturierten Möglichkeiten und Zwängen der Aussageproduktion« (Keller 2007a: 61). Für unsere Studie erlaubt der Begriff Liebesdiskurs eine Pointierung: Statt recht unspezifisch von öffentlichen Diskursen über Zweierbeziehung beziehungsweise Ehe zu sprechen, fokussieren wir mit diesem Begriff das Anliegen der Untersuchung, die Bedeutung der Liebe für die Konstitution und Kontinuität der Paarbeziehung zu erforschen. Dies bedeutet keinesfalls, die Liebe be-

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reits als zentrales Bindemittel vorab zu bestimmen, Ratgeber können auch gegen die (romantische) Liebe zu Felde ziehen. Mit den Worten Elke ReinhardtBeckers ist der populärwissenschaftlichen Ratgeberliteratur »eine kritische Haltung gegenüber dem Phänomen der romantischen Liebe [inhärent]« (ReinhardtBecker 2001: 194), denn »tradierte literarische Vorbilder für den positiv bewältigten Alltag fehlen weitestgehend« (ebd.: 200). Vor diesem Hintergrund reflektieren Ratgeber die Kompatibilität der romantischen Liebe »mit dem realen Leben von Liebenden« (ebd.: 194). Überhaupt ist für die Diskursproduktion die Position von Ratgebern noch genauer zu bestimmen. Im Unterschied zu literarischen Werken sind Ehe- und Beziehungsratgeber immer schon bemüht, kulturelle Vorgaben mit den konkreten Erfordernissen der sozialen Praxis im Beziehungsalltag in Verbindung zu bringen. Die literarische Idee der romantischen Liebe kommt in den Ratgebern nicht in Reinform zum Ausdruck, sondern vielmehr in Beziehungsnormen. Von dieser kulturellen »Leitidee« (Rehberg 1994: 68)2 ausgehend werden beziehungsrelevante Orientierungsvorgaben für Paare formuliert, in denen die Vorstellungen des ›richtigen‹ Lebens mit den Anforderungen der Lebensbewältigung im Alltag der Paare in Einklang gebracht werden. Indem Ratgeber literarische Ideale in Form von Beziehungsnormen reformulieren, büßen diese ihr Utopie-Potenzial ein und gewinnen Alltagspraktikabilität in vorgegebenen Sozialwelten. Entsprechend der Entwicklung des Genres sind Erziehungsratgeber nicht in einem Diskurs über Liebe, sondern vielmehr in einem Diskurs über Erziehung verortet. Obwohl die moderne Elter(n)-Kind-Beziehung hochgradig emotional fundiert ist, erstreckt sich der auf das Paar bezogene Liebesdiskurs weder auf diese Form persönlicher Beziehungen noch gibt es einen eigenständigen Elter(n)-Kind-Liebesdiskurs. So sehr auch auf der Ebene sozialer Praxis Liebe zwischen Elter(n) und Kind(ern) vorausgesetzt und eingefordert wird, auf der Ebene des Diskurses ist diese Liebesform weder diskursbildend noch zentrales Thema. Dominant als kulturelle Vorgabe ist vielmehr der Erziehungsdiskurs, der sich in der Aufklärung konstituierte. Im Gefolge dieser Epoche setzte eine ver-

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Den Begriff der Leitidee übernehmen wir aus der Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen (Rehberg 1994; 2001), die sich auf die Prozesse der Institutionalisierung von Zweierbeziehungen übertragen lässt (vgl. dazu Lenz 2003b). Institutionen werden in diesem Konzept als symbolische Ordnung verstanden; über eine Leitidee erfolgt die symbolische Darstellung der jeweiligen Ordnungsprinzipien. »Jede Leitidee […] ist eine Synthese von Widersprüchlichen und verleugnet zugleich die Mehrzahl der in ihr spannungsreich verarbeiteten und der mit ihr konkurrierenden Sinnsetzungen und Ordnungsentwürfe.« (Rehberg 1994: 68).

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stärkte Beschäftigung mit Erziehung und Bildung ein, diese »führte erstmals zu einer Ratgeberliteratur, die in breite Schichten wirken sollte und nicht nur für einen kleinen Kreis von Bessergestellten abgefasst war« (Höffer-Mehlmer 2007a: 672). Die aufklärende Bildung von Eltern für eine bessere Kindererziehung sollte zu einer aufgeklärten Gesellschaft der Zukunft beitragen. Höffer-Mehlmer spricht von einem ersten Ratgeberboom, auch wenn dieser, an heutigen Verhältnissen gemessen, noch recht übersichtlich war. Unter dem Leitbegriff der »physischen Erziehung« (ebd.) propagierten viele Autor/innen Erziehungskonzepte, in denen die Pflege und Förderung der körperlichen, intellektuellen und sittlichen Entwicklung von Kindern als zusammengehörig betrachtet wurde. Der Erziehungsdiskurs hält seit der Aufklärung an, wobei sich im 19. Jahrhundert die enge Verbindung von medizinisch-pflegerischen und erzieherischen Fragen auflöste und eine Spezialisierung einsetzte. Diese korrespondierte mit der Herausbildung der Medizin beziehungsweise Kinderheilkunde auf der einen Seite und der Pädagogik auf der anderen Seite. Ratgeber behandeln nun in der Regel den einen oder den anderen Bereich (ebd.). Unser Anliegen ist jedoch nicht, den Wandel von Erziehungsleitbildern zu untersuchen; zu diesem Gegenstand liegt, wie beschrieben, eine Reihe von Untersuchungen vor. Vielmehr interessieren uns die kulturellen Leitideen der Elter(n)-Kind-Beziehung. Wie wird das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern in den Ratgebern konstruiert, welchen Idealvorstellungen folgt es und wie wird die Dauerhaftigkeit dieser Form privater Beziehungen gesichert? Aufgeworfen wird zudem die Frage, welche Relevanz der Liebe als kulturelle Vorgabe in Generationenbeziehungen zugeschreiben wird. Analytisch fokussieren wir auf Liebe als Thema im Erziehungsdiskurs und wenden uns damit – wie dargestellt (vgl. Lenz/ Dreßler/Scholz i.d.B.) – einem Desiderat in der soziologischen Forschung über Liebe zu.

4. F ORSCHUNGSFRAGEN , S AMPLE UND METHODISCHES V ORGEHEN Die diskursanalytische Forschungsperspektive ist noch keine konkrete Methode, in dieser Hinsicht erfolgte eine dem Untersuchungsgegenstand angemessene Übersetzung der Wissenssoziologischen Diskursanalyse. Keller (insb. 2007a) geht davon aus, dass prinzipiell alle Methoden der qualitativen Sozialforschung für eine Diskursanalyse genutzt werden können. Da qualitative Methoden sich jedoch meist auf die Rekonstruktion des subjektiven oder kollektiven Sinns richten, müssen sie für die Interessen der Diskursforschung adaptiert werden. Nicht

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der subjektive Sinn steht im Vordergrund, sondern die Texte als »materielle Manifestationen gesellschaftlicher Wissensordnungen« (ebd.: 74). Als solche werden sie rekonstruiert und »textübergreifende[.] Verweisungszusammenhänge in Gestalt von Regeln und Ressourcen« (ebd.) in den Blick genommen. Während Foucault (1994a, orig. 1970) einen hermeneutischen Zugang dezidiert ablehnt, argumentiert Keller, dass sich mit Dreyfus und Rabinow Foucaults Ansatz durchaus als »interpretative Analytik« (Keller 2007a: 72) verstehen lässt und aus seiner Sicht mit Rekurs auf die Methoden der qualitativen Sozialforschung präzisiert werden kann. Leitend für die methodische Umsetzung der WDA ist die Grounded Theory (als Überblick vgl. Strübing 2004). Das Verfahren der Grounded Theory wurde in den 1960er Jahren von Barney Glaser und Anselm L. Strauss entwickelt und in einigen von ihnen gemeinsam und später getrennt verfassten Arbeiten ausführlich beschrieben, da zwischen den beiden zuletzt ein heftiger Streit über das ›richtige Verfahren‹ entbrannt ist (vgl. u.a. Glaser/Strauss 1998; Strauss/Corbin 1996; Glaser 1992). Den theoretischen Hintergrund des Verfahrens bilden der amerikanische Pragmatismus und die Chicagoer Schule der Soziologie. Bei der Grounded Theory handelt es sich um ein Verfahren, das sich über den gesamten Forschungsprozess erstreckt, von der Formulierung der Forschungsfragen über die Datenerhebung und -auswertung bis hin zum Verfassen des Forschungsberichts. Das Grundanliegen ist eine enge Verschränkung zwischen empirischer Forschung und Theoriebildung. Weithin verbreitet ist, die Grounded Theory als Verfahren der induktiven Theoriebildung aufzufassen, was durch Glaser und Strauss auch stark gefördert wurde: Die Theorie könne der Empirie nicht vorausgehen, sondern es sei die Aufgabe der Forscher und Forscherinnen, diese durch eine intensive Analyse der Daten erst zu generieren. Das starke Insistieren auf Induktion ist verständlich als Opposition gegen die Dominanz der ›großen Theorien‹ und dem deduktiv-nomologischen Ansatz standardisierter Verfahren. Es wird aber den erkenntnistheoretischen Grundlagen und auch der praktizierten Forschungslogik nicht gerecht, die eine kontinuierliche Abfolge von induktiven und deduktiven Schritten umfasst (vgl. auch Kelle 2007). »Aus empirischen Phänomenen kann nur dann Theorie ›emergieren‹, ja diese natürlichen Phänomene können überhaupt erst zu ›Daten‹ werden, wenn man sie konzeptionell ›aufschließt‹, d.h. man sich ihnen mit bestimmten Fragen nähert und sie entsprechend aufbereitet.« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 192) Entwickelt wurde die Grounded Theory im Rahmen von Beobachtungsstudien. In der deutschen Rezeption kommt das Verfahren nach wie vor in erster Linie und vielfach in einer reduzierten Form für die Auswertung von Interviews zum Einsatz. Die Prozedur ist aber auch auf die Analyse von Ratgebern anwend-

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bar. Dies ist möglich, da die Grounded Theory sich nicht auf bestimmte Erhebungsformen beschränkt, sondern an methodologischen Grundprinzipien ausgerichtet ist, die Aglaja Przyborski und Monika Wohlrab-Sahr wie folgt kennzeichnen: (1) Datenerhebung und Auswertung erfolgen in einem ständigen Wechselprozess, die Auswahl der Untersuchungseinheiten ist »streng auf die Arbeit der Theoriegenerierung bezogen« (ebd.: 194). Die gewonnenen Konzepte bestimmen fortlaufend die weitere Auswahl, was dazu geführt hat, von einem Theoretical Sampling zu sprechen. (2) Die Analyse der Daten erfolgt durch Kodieren. Aus den ›Rohdaten‹ werden in einem mehrstufigen Prozess Konzepte und Kategorien gebildet. Kategorien sind »höherwertige, abstrakte Konzepte« (ebd.: 195) und bilden die Ecksteine der Theoriegenerierung. (3) Die Daten werden ständig mittels minimaler und/oder maximaler Fallkontrastierung miteinander verglichen. Der Vergleich dient dazu, die Konzepte und Kategorien zu präzisieren und zu elaborieren sowie Variationen in den gefundenen Mustern zu bestimmen. (4) Das Schreiben theoretischer Memos ist ein zentraler Schritt in der Grounded Theory; die Verschriftlichung der Ergebnisse beginnt sehr früh, bereits erste Ideen werden festgehalten, Memos begleiten und reflektieren den Forschungsprozess und dokumentieren die Theoriegenerierung. (5) Der Forschungsprozess ist nicht linear, die Arbeitsschritte beeinflussen sich wechselseitig, Datenerhebung, Kodierung und das Verfassen von Memos begleiten den gesamten Forschungsprozess. 4.1 Forschungsfragen Die in diesem Buch vorgestellte Untersuchung verortet sich an den Schnittstellen von Familien-, Geschlechter- und Mikrosoziologie. Während in der Familiensoziologie der Wandel der privaten Lebensformen zunächst in Westdeutschland und seit 1990 in Deutschland immer genauer und feiner untersucht wird (vgl. Hettlage/Lenz 2013), und zwar vorrangig mit quantitativem Instrumentarium (vgl. Brüderl/Castiglioni/Schumann 2011; Walper/Wendt 2010), stellt die kulturelle Fundierung dieses Wandels sowohl in West- als auch in Ostdeutschland weitgehend ein Forschungsdesiderat dar. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir mit einer qualitativen Methodik die kulturellen Leitideen privater Lebensformen von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart in einer ost-west-deutschen Vergleichsperspektive. Zentrales Anliegen ist, Erkenntnisse der Geschlechtersoziologie systematisch einzubeziehen und die Legitimationen auf ihre im- undȹ/ȹȱ oder expliziten Geschlechtercodierungen hin zu untersuchen. Mit der Analyse von kulturellen Leitideen und ihren Legitimationen rekurriert das Projekt auf die symbolische Dimension der Familienordnung, die eng mit der Geschlechter-

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ordnung verknüpft ist. Geschlechter- und Familiendiskurse sind wiederum eng mit Gesellschaftsdiskursen verbunden (vgl. Dölling 2009); so wird etwa über die ›Rolle der Frau‹, die ›Abwesenheit des Vaters‹ oder den ›Zerfall der Familie‹ die Zukunft der gesellschaftlichen Ordnung insgesamt verhandelt. Die zentrale Forschungsfrage der Untersuchung lautet: Wie können angesichts massiver Transformationsprozesse Paarbeziehungen und Familien auf Dauer gestellt werden? Ziel ist es, die kulturellen Legitimationsmuster für die Sicherung der Kontinuität in Zweier- und Elter(n)-Kind-Beziehungen anhand von Beziehungs- und Erziehungsratgebern zu analysieren. Während in der Familiensoziologie oftmals die Ursachen und Folgen der Scheidung oder Trennung von Paaren und Familien im Mittelpunkt stehen (vgl. Bodenmann 2009; Walper/ Krey 2009; Lenz 2013b), fragt diese Studie nach den Gründen für eine Kontinuitätssicherung privater Lebensformen. Dabei gehen wir nicht davon aus, dass die Rahmenbedingungen in den 1950er Jahren grundsätzlich günstiger waren und sich sukzessive verschlechtert haben. Im Zusammenspiel der beschriebenen Charakteristik von Ratgebern mit der Forschungsperspektive einer Wissenssoziologischen Diskursanalyse wurden folgende Leitfragen für die Ratgeberanalyse entwickelt: Abbildung 1: Leitfragen 1. Was wird als ͎Problem͍, ͎Krise͍ oder ͎Gefährdung͍ für den Bestand von Eheௗ/ௗPaarbeziehungen und Familie benannt und warum? 2. Welche ͎Lösungen͍ für das Ausgangsproblem werden formuliert? Wie soll die Kontinuität der Paar- sowie der Elter(n)-Kind-Beziehungen gesichert werden? 3. Welche Deutungsangebote werden hinsichtlich der idealen Lebensform formuliert und wie werden sie begründet? 4. Welche Deutungsangebote von Liebe werden entworfen und wie werden sie fundiert? 5. Welche Deutungsangebote bezüglich des Geschlechts (Stereotype, Bilder, Arrangements) werden artikuliert und wie werden sie begründet? 6. Auf welche Wissensbestände wird bei der Legitimierung zurückgegriffen? 7. Was im thematischen Feld wird nicht aufgegriffen (Leerstellen)?

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4.2 Das Sample3 Entsprechend der dargelegten Prämissen der Grounded Theory wurde das Datenmaterial im laufenden Forschungsprozess kreiert; wie beschrieben beeinflussen die Analyse des Datenmaterials und die Fallauswahl sich gegenseitig. Diese Festlegungsart der Untersuchungseinheiten wird als Theoretical Sampling bezeichnet (vgl. dazu auch Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010). Im Folgenden wird der Prozess der Konstruktion des Samples genauer beschrieben. Am Beginn stand die »Sondierung des Untersuchungsfeldes« (Keller 2007a: 82) mit dem Ziel, Informationen über das anvisierte Feld, den Untersuchungsgegenstand und den aktuellen Diskussionsstand zu gewinnen, damit der empirische Gegenstandsbereich präzisiert werden konnte. Um einen ersten Überblick über das diskursive Feld der Ratgeber zu erlangen, wurde zunächst die bereits vorgestellte Sekundärliteratur herangezogen. Als zentrale Referenzen für die Forschungsfrage erwiesen sich für die Ehe- und Beziehungsratgeber die Analyse von Mahlmann (1991; 2003) und für die Erziehungsratgeber die Untersuchungen von Höffer-Mehlmer (2003) sowie von Schmid (2010). Nach einer ersten Sichtung der Sekundärliteratur wurde über thematische Stichworte und deren Kombinationen in einschlägigen deutschen Buchkatalogen nach relevanten Ratgebern recherchiert: Für die Paarbeziehung waren dies ›Ratgeber‹, ›Liebe‹, ›Ehe‹, ›Partnerschaft‹ und für die Elter(n)-Kind-Beziehung lauteten die Stichworte ›Familie‹, ›Eltern‹, ›Kinder‹, ›Erziehung‹, ›Familienerziehung‹. Die Deutsche Nationalbibliothek mit Sitz in Leipzig und Frankfurt am Main sammelt und katalogisiert seit 1913 die deutschsprachige Literatur, sie vertritt den Anspruch einer zentralen Archivierung aller publizierten Medien und bietet die Möglichkeit einer Online-Recherche in den Beständen. Allerdings besteht erst seit 1969 die gesetzliche Verpflichtung zur Ablieferung von sogenannten Pflichtexemplaren aller publizierten Medien. So sind die Bestände in den 1950er Jahren lückenhaft, dies betrifft auch die Informationen zur Auflagenstärke. Aus diesem Grund wurde auch in anderen Katalogen und Archiven recherchiert. Zunächst sammelten wir alle Titel, die bei der systematischen Stichwortsuche gefunden wurden. Die Suche nach Literatur ab den 1970er Jahren stellte insofern eine besondere Herausforderung dar, da das Feld der Ratgeber sich seit diesem Jahrzehnt enorm ausdifferenziert hat, so dass es nun eine Vielzahl von Spezialratgebern gibt, die zur Klärung der Forschungsfrage nicht viel beitragen können (z.B. Reinlich-

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Dieser Abschnitt entstand unter Mitarbeit von Carola Klinkert, welche als studentische Mitarbeiterin das Sample zusammengestellt hat, des Weiteren war Franziska Pestel am Sampling beteiligt.

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keitserziehung für Kleinkinder, Scheidungs- und Familienrecht und so weiter). Dieser ›Ratgeberboom‹ stellte sich mit dem Siegeszug der Psychologie im öffentlichen Diskurs ein (vgl. Mahlmann 1991; 2003; Maasen et al. 2011). Außerdem weichen die Genregrenzen zwischen Ratgeber und populärwissenschaftlichem Sachbuch parallel zum Prozess der gesamtgesellschaftlichen Verwissenschaftlichung immer weiter auf. Die Klassifizierung als Ratgeber oder populäres Sachbuch war somit nicht immer trennscharf möglich (vgl. auch Höffer-Mehlmer 2003). Besonders für die 2000er Jahren zeigt sich, dass ein Theoretical Sampling als Recherchestrategie unabdingbar ist, um hegemoniale Diskurspositionen identifizieren zu können. Die Auflistung der gesamten thematisch passenden Literatur erwies sich als nicht zielführend und so musste das Sample primär auf Recherchen in anderen Medien beruhen. Dazu gehörte neben dem Besuch öffentlicher Bibliotheken und Büchereien auch die Sichtung von Presse und Internet. Schlagwortartig wurde auch hier nach Diskussionen zu ›Liebe‹, ›Partnerschaft‹ und ›Elternschaft‹ gesucht und die in diesem Zusammenhang erwähnten Publikationen in das Sample aufgenommen. Im Verlauf eines mehrstufigen Recherche- und Sortierungsprozesses formulierten wir folgende Aufnahme- und einige Ausschlusskriterien: Zentral für den Einschluss in das Sample war erstens die Abgrenzung zu Belletristik (rein fiktionale Inhalte) und zu Fachliteratur (spricht nur ein ausgewähltes Fachpublikum an; kleine Auflagen). Aufgenommen wurden Sachbücher, die sich selbst als ›Ratgeber‹ oder ›Berater‹ verstehen und zwischen den 1950er Jahren bis zur Gegenwart in Deutschland publiziert wurden. Integriert sind auch Werke, die erstmals vor dem entsprechenden Zeitraum erschienen, wenn sie ab den 1950er Jahren verstärkt rezipiert wurden. Das zweite ausschlaggebende Kriterium für die Aufnahme ins Sample war der Verkaufserfolg. Dieser lässt sich aus Auflagenhöhen und Bestsellerlisten rekonstruieren. Folgende Listen wurden dafür genutzt: der Buchreport für den SPIEGEL, das BÖRSENBLATT für den deutschen Buchhandel, Media Control für FOKUS sowie Bestsellerlisten des Online-Versands wie Amazon und Libri. Als problematisch gestaltete sich die Ausklammerung von Ratgebern aus vielen Listen. Zudem werden Verkaufszahlen von den Verlagen kaum publiziert (vgl. auch Heimerdinger 2008). Anhaltspunkte zu den Zahlen finden sich häufig auf den Homepages des/der Autor/in, sie sind jedoch mit Vorsicht zu behandeln, dienen sie doch der Eigenwerbung. Angesichts der Vielzahl an aufgefundenen Publikationen wurden einige Ausschlusskriterien formuliert: Benimm- und Anstandsliteratur; Ratgeber, die sich nur auf die Heiratsanbahnung und das Verlieben beziehen; Aufklärungsbücher und Ratgeber ausschließlich zu Fragen der Sexualität; Spezialratgeber (z.B. zu Fragen des Ehe- und Familien- beziehungsweise Scheidungsrechts, zu Familienpolitik oder

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spezialisierte Erziehungsratgeber für Hausaufgabenhilfe). Ausgeschlossen wurden zunächst auch erfolgreiche internationale Ratgeber, die in deutscher Sprache erschienen. Die zusammengestellten Titel wurden anschließend gesichtet und dabei der Datenkorpus bereinigt. Einige Bücher erwiesen sich nicht als zielführend für die Fragestellung und wurden aussortiert. Gerade bei Longsellern zeigte sich häufig das Phänomen einer Veröffentlichung unter verschiedenen Titeln; so musste auch in dieser Hinsicht der Datenkorpus präzisiert werden. Über den gesamten Untersuchungszeitraum wurden 916 Ratgeber bis zum Stichtag 01.12.2012 für Ost- und Westdeutschland erfasst, die den Auswahlkriterien entsprechen. Dieser umfangreiche Datenkorpus gibt einen ersten Überblick über die Verschiebungen von thematischen Schwerpunkten, die Adressierungen der Leser/innen und die Zusammensetzung der Autor/innenschaft. Aus diesem umfangreichen Sample wurden Best- und Longseller für die qualitative Analyse ausgewählt. In einem ersten Zugriff erfolgte im Rahmen eines einjährigen Forschungsprojektes in der universitären Lehre (Wintersemester 2010/11 und Sommersemester 2012) eine Auswahl von Ratgebern mittels einer maximalen Fallkontrastierung entlang der zeitlichen Achse: Kontrastiert wurden Beziehungs- und Erziehungsratgeber aus den 1950er Jahren mit solchen, die in den 2000er Jahren erschienen. 20 Ratgeber wurden so für diese erste Annäherung an das Material bestimmt, analysiert und verglichen. Aus den Ergebnissen ließen sich im Projekt weitere Fragestellungen generieren, etwa die nach der Gleichberechtigungsauffassung in Ratgebern der 1950er Jahre oder dem Wandel des Kindheitsbildes in aktuellen Erziehungsratgebern. Des Weiteren entstanden neun Diplomarbeiten mit je unterschiedlichen Schwerpunkten, deren zentrale Ergebnisse als Teilstudien in diesem Band vorgestellt werden. Spezifische Ausschlüsse aus dem Sample wurden im Forschungsprozess wieder revidiert: So zeigte sich, dass Sexualität in den Eheratgebern der 1950er Jahre eine entscheidende Rolle spielte, in der Gegenwart wird sie in den untersuchten Beziehungsratgebern hingegen nur randständig thematisiert. Stattdessen gibt es immer mehr Ratgeber, die sich ausschließlich diesem Gebiet widmen. So wurden für die vergleichende Analyse Sexualitätsratgeber aus den 2000er Jahren ins Sample einbezogen. Auch konnte auf internationale Ratgeber nicht dauerhaft verzichtet werden. Insgesamt erweiterte sich das Sample für die qualitative Analyse in einem gut zweijährigen Forschungsprozess sukzessive auf 51 Ratgeber, davon sind 29 dem Genre der Ehe- und Beziehungsratgeber zuzuordnen, 22 sind als Erziehungsratgeber zu klassifizieren (vgl. das Verzeichnis der Primärquellen).

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4.3 Das Auswertungsverfahren4 Ausgehend von den benannten Prämissen der Grounded Theory und mit Rekurs auf Kellers Vorschläge (2007a) sowie auf die genealogische Diskursanalyse von Jean Carabine (2001) wurde eine eigene Methodik entwickelt, die in allen Teilanalysen der Ratgeber Anwendung fand. Nach der oben beschriebenen mehrstufigen Auswahl der Ratgeber wurden in einem ersten Schritt folgende Informationen zum ausgewählten Buch erfasst: Publikationsgeschichte (Auflagenhöhe und -anzahl, gegebenenfalls Wechsel des Titels), Einordnung des Autors / der Autorin (Profession, konfessionelle Hintergründe, weitere Publikationen etc.) und, falls vorhanden, Rezensionen oder Verweise auf das Buch. Mittels einer sequenzanalytischen Untersuchung des Titels und des Vorwortes wurden, soweit dies möglich war,5 das zentrale Anliegen des Ratgebers, das adressierte Publikum und erste Aussagen zur Problemsicht und zu den angebotenen Lösungen erfasst. Diese Ergebnisse wurden in einem Abstract verdichtet. In einem zweiten Schritt wurde der gesamte Ratgeber mehrmals gelesen und zentrale Schlüsselstellen separiert. Ziel dieses Analyseschrittes war es, im Interpretationsprozess zentrale Themen, Objekte und Kategorien des Diskurses zu identifizieren (vgl. Carabine 2001). Leitend für die Auswahl der Schlüsselstellen waren die Forschungsfragen. Besonders prägnante Schlüsselstellen wurden einer Feinanalyse (vgl. Keller 2007a) unterzogen und kodiert; diese Kodierung musste an weiteren Schlüsselstellen präzisiert werden. ›Kodieren‹ stellt im Anschluss an die Grounded Theory eine analytische Vorgehensweise dar, »durch die die Daten aufgebrochen, konzeptionalisiert und auf neue Art zusammengesetzt werden. Es ist der zentrale Prozess, durch den aus den Daten Theorien entwickelt werden.« (Strauss/Corbin 1996: 39) Dieser ist mehrstufig. Die ›Rohdaten‹ müssen in »Konzepte« (ebd.: 43) überführt werden; dies meint die konzeptionelle Bezeichnung oder Etikettierung von Phänomen. Die Entwicklung vorläufiger Konzepte wird als »offenes Kodieren« (ebd.) bezeichnet. Um nahe an der Sprache der Ratgeber zu bleiben und über einen Fallvergleich die Spezifika von Ratgebern genauer zu bestimmen, haben wir uns entschieden, soweit als möglich, »In-vivo-

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Franziska Pestel entwickelte im Rahmen ihrer Diplomarbeit eine erste Fassung des Analysemodells, welches im weiteren Forschungsprozess um das Kodierparadigma erweitert wurde.

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Manche Ratgeber enthielten nur ein sehr kurzes Vorwort, andere Bücher umfassten unter dem Stichwort ›Vorwort‹ ein mehrseitiges Kapitel. In einigen Fällen gab es anstatt eines Vorwortes eine Einleitung, manche Bücher enthielten sich jedoch solcher Positionierungen, so dass der Untersuchungsschritt entfallen musste.

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Codes« (ebd.: 50) zu bilden, also aus dem Material heraus den Namen der Kategorie zu entwickeln. Aus Konzepten wurden im Fortgang der Untersuchung durch das »axiale Kodieren« »Kategorien« (ebd.: 75) entwickelt mit dem Ziel, durch den Einsatz eines Kodierparadigmas Verbindungen zwischen diesen Kategorien herzustellen. In der Grounded Theory ist das Kodierparadigma handlungstheoretisch-interaktionistisch ausgerichtet. Es umfasst die Dimensionen: Bedingungen, Kontext, Handlungs- und interaktionale Strategien sowie Konsequenzen (vgl. ebd.). Für unseren Forschungsgegenstand ist diese Aufgliederung nicht geeignet, deshalb wurde ein wissenssoziologisch-diskurstheoretisches Kodierparadigma entwickelt. Es umfasst mit Rekurs auf die Charakteristik von Ratgebern die Analysedimensionen Problemdiagose und Lösungen. Untersucht wurde, wie die Autor/ innen ihre Lösungsansätze begründen. Dabei greifen die Autor/innen durchaus auf etablierte kulturelle Legitimationsmuster zurück und halten sie im Diskurs virulent, es ist aber auch möglich, dass neue Deutungsangebote etabliert werden, die verschiedene Legitimationsmuster amalgamieren. Die Legitimationen wurden anschließend daraufhin genauer untersucht, auf welche Wissensbestände sie rekurrieren. In einem dritten Schritt wurde der Ratgeber in seine historischen Kontexte eingebettet und im Anschluss an Carabine auf diskursive Leerstellen hin untersucht: »what is not present or not spoken of that [one] might expect to be« (Carabine 2001: 285). Ein solcher Analyseschritt beruht auf einem breiten zeithistorischen Kontextwissen und setzt eine intensive Auseinandersetzung und Reflexion des Diskursgegenstandes voraus. Die Auslassungen können als Wertungen im Diskurs gedeutet werden. Das, worüber nicht gesprochen wird oder werden kann, gilt als illegitim und ist nicht Bestandteil der Normalität (vgl. ebd.). Mit Bezug auf Foucault (1994a) wurden unter Leerstellen aber nicht nur die äußeren Ausschließungssysteme erfasst, auf die Carabine sich konzentriert und die zur Tabuisierung und / oder Ausgrenzung von Gegenständen führen, sondern auch die inneren Ausschließungssysteme in den Blick genommen. Wie werden durch Kommentare, durch die Positionierung des/r Autors/in bestimmte Gegenstände und Personen marginalisiert oder delegitimiert? Die Leerstellen wurden in das Kodierparadigma integriert. Insgesamt umfasst das Kodierparadigma fünf Analysedimensionen, die in einem bestimmten Verweisungszusammenhang stehen: So beruht jeder Ratgeber auf einer Problemdiagnose und bietet Lösungen an. Der Autor oder die Autorin formuliert eigene diskursive Deutungsangebote zu Liebe, Geschlecht, Lebensform, die mit bekannten Legitimationsmustern korrespondieren, aber auch von ihnen abweichen können. Diese Legitimierungen werden erfasst und analysiert.

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Untersucht wurden die Wissensbezüge und die diskursiven Leerstellen, die auf allen drei Ebenen zu finden waren. Als vierter Schritt der jeweiligen Fallanalyse wurde der Ratgeber in Bezug auf unsere zentrale Forschungsfrage, was eine (eheliche) Paarbeziehung und / oder die Elter(n)-Kind-Beziehung auf Dauer stellt, zu einer Schlüsselkategorie verdichtet. Dieser Analyseschritt wird als »selektives Kodieren« (Strauss/Corbin 1996: 94) bezeichnet. Alle aufgefundenen Kern- und Subkategorien wurden graphisch erfasst. Abbildung 2: Kodierparadigma

Problemdiagnose

Diskursive Deutungsangebote • Lebensform (Ehe/Paarbeziehung und Elter(n)-Kind-Beziehung) • Liebe • Sexualität • Geschlecht

Wissensbezüge

Leerstellen

Lösungen

Legitimierungen Diskursives Feld der Beratung • Akteur/innen und Sprechpositionen • Diskursgemeinschaften, gegenseitigen Bezugnahmen und Verknüpfungen unter den Autor/innen

Der Vergleich der einzelnen Ratgeberanalysen ist kein gesonderter Analyseschritt, er erfolgt parallel zum Forschungsprozess. In der Regel wurde nach der ersten Analyse ein maximal kontrastierender Fall gewählt, um das Material in seiner Spannbreite zu erfassen. Während der Analyse des zweiten Falls wurden bereits Memos geschrieben und Hypothesen formuliert. Im Verlauf des Forschungsprozesses verdichtete sich der Fallvergleich zunehmend. In der vorliegenden Untersuchung erfolgten Fallvergleiche zum einen im Rahmen der hier vorgestellten Teilstudien. Zum anderen wurden alle Ratgeberanalysen in einem Gesamtvergleich erfasst und entlang der fünf Analysedimensionen ausgewertet. Der Prozess des selektiven Kodierens wiederholte sich demnach mehrfach: Zunächst anhand eines einzelnen Ratgebers, anschließend entlang spezifischer Fra-

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gestellungen in den Teilstudien und abschließend in einem Gesamtvergleich. Neben den fünf Analysekategorien wurde im Gesamtvergleich der Blick erneut auf die Akteur/innen des diskursiven Feldes gelenkt. Diese Angaben wurden, wie beschrieben, zu Beginn jeder Einzelfallanalyse in Abstracts festgehalten. Durch die Untersuchung der Wissensbestände zeigte sich, dass die Autor/innen oftmals auf andere Ratgeberautor/innen Bezug nehmen. Rekonstruieren ließen sich locker zusammenhängende, jedoch wenig institutionalisierte »Diskursgemeinschaften« (Schwab-Trapp 2006: 272). Herausgearbeitet wurden die gegenseitigen Bezugnahmen und Verknüpfungen unter den Autor/innen, somit ließen sich abschließend Aussagen über die Organisation dieses diskursiven Feldes der Beratung formulieren.

5. Ü BERBLICK ÜBER DIE B EITRÄGE Nach dieser in zwei Kapitel gefassten thematischen und methodischen Einleitung unserer Untersuchung widmet sich folgend der zweite Teil des Bandes anhand von Teilstudien der Liebe in Zweierbeziehungen und nimmt die in der thematischen Einleitung (vgl. Lenz/Dreßler/Scholz i.d.B.) formulierten Fragestellungen auf. Untersucht wird, welche Bedeutung romantische Liebe in den Ratgebern hat: Hat sie an Gültigkeit verloren oder gewonnen? Verändert sie sich im Untersuchungszeitraum? Konkurriert sie mit anderen Liebes- oder Beziehungssemantiken? Die sechs Teilstudien widmen sich mit je unterschiedlichen Fokussierungen den übergreifenden Fragen. Sarah Eckardt geht in ihrem Beitrag dem einleitend aufgeworfenen Zusammenhang von christlichen und romantischen Liebessemantiken genauer nach. Sie zeigt auf, dass es in den westdeutschen Ratgebern der Nachkriegszeit zu einem Erstarken religiöser Deutungsmuster von Liebe und Ehe kam. Liebe, Ehe, aber auch Sexualität wurden mit Rekurs auf die christliche Religion sakralisiert und damit auf Dauer gestellt. Sabine Dreßler untersucht, wie angesichts politischrechtlicher Aushandlungsprozesse zu Gleichberechtigung dieses Grundrecht in den Eheratgebern der 1950er Jahre thematisiert wird. In einem Ost-West-Vergleich zeigt sie verschiedene Diskurspositionen auf: Gleichberechtigung wird – dies hängt von der jeweiligen weltanschaulichen Positionierung der Autor/innen ab – sowohl als Bedrohung als auch als konstitutives Element einer stabilen Ehe beschrieben. Während in den 1950er Jahren die Themen Frauenemanzipation und Gleichberechtigung in der Ehe stark umstritten waren, hat sich in den 2000er Jahren in den gesellschaftlichen Diskursen die Norm der Partnerschaftlichkeit weitgehend durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund analysiert Denise Pohl, wel-

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che Bedeutung Geschlechterkonstruktionen in aktuellen Ratgebern haben. Sie differenziert ebenso unterschiedliche Diskurspositionen. Dabei ist bedeutsam, dass – trotz Partnerschaftlichkeitsnorm – die Anerkennung der polaren Geschlechterdifferenz, einschließlich einer daraus abgeleiteten Arbeitsteilung, in den meisten Ratgebern als Garant für den Bestand der Zweierbeziehung gilt. Romy-Laura Reiners beschäftigt sich in ihrer Teilstudie mit der Paarbildung. Sie untersucht die Liebessemantiken im Zeitvergleich und stellt dar, dass sachliche Kriterien als ausschlaggebend dargestellt werden, um eine Beziehung bereits durch die ›richtige Wahl‹ des Partners / der Partnerin auf Dauer zu stellen. So bestimmt die sachliche Liebessemantik dieses Segment des Liebesdiskurses, die romantische Liebe gibt ihm jedoch eine Tiefenstruktur. Die Verknüpfung von Liebe und Sexualität ist zentral für das romantische Liebeskonstrukt. Sabrina Gottwald untersucht anhand aktueller Sexualitätsratgeber, welche Leitideen diese formulieren. Sie stellt dar, dass spirituelle Wissensbezüge in den Sexualitätsdiskurs Einzug halten. Diese dienen einerseits dazu, Sexualität in einer festen Liebesbeziehung zu verorten, andererseits soll Sexualität aber auch den Zugang zur Spiritualität eröffnen, in einer Welt, in der religiöse Deutungsmuster scheinbar an Bedeutung verloren haben. Neu sind im Liebesdiskurs auch neurobiologische Wissensbezüge auf Liebe und Paarbeziehung. Carola Klinkert geht der Frage nach, ob sich mit dem Einzug der Neurobiologie in den Interdiskurs auch die Leitideen von Liebe wandeln, ob eine Art ›Neuro-Romantik‹ entsteht. Sie belegt, dass neurobiologische Deutungsangebote mittels einer spezifischen Metaphorik zwar eine neue Deutungshoheit im Liebesdiskurs für sich in Anspruch nehmen, jedoch nicht ohne Rekurs auf bisherige Legitimationsmuster, insbesondere psychologische und evolutionsbiologische, auskommen. Im dritten Teil dieses Bandes werden Teilstudien zu populären Erziehungsratgebern vorgestellt, mit denen die Elter(n)-Kind-Liebe in den Fokus der Soziologie gerückt werden soll. Untersucht wird, ob und wie auf normativer Ebene Elter(n)-Kind-Liebe bestimmt wird: Erscheint sie lediglich als Mutterliebe, konkurriert sie mit einem Konzept von Vaterliebe oder wird sie gar als geschlechtsneutrale Elternliebe gefasst? Welche Geschlechter- und Familienbilder werden mit den auffindbaren Konzeptionen transportiert? Die ersten beiden Artikel widmen sich der Konstruktion von Mutterschaft beziehungsweise Vaterschaft. Franzsika Pestel untersucht, inwieweit ›FrauSein‹, Weiblichkeit, Mutterschaft und ›Ehefrau-Sein‹ (immer noch) aneinander gekoppelt sind und welche Lebensentwürfe in den Ehe- und Beziehungsratgebern der 1950er Jahre im Vergleich zu den Gegenwartsratgebern der 2000er Jahre jeweils als ›normal‹ beziehungsweise hegemonial und welche als ›Abweichung‹ markiert werden. Trotz des Wandels der Lebensformen gilt in den unter-

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suchten Ratgebern bis heute die kinderlose Frau nicht als legitime weibliche Subjektposition, so das zentrale Ergebnis. Franziska Höher und Sabine Mallschützke wenden sich dem Wandel von Vaterschaft und der Vater-Kind-Beziehung zu. Angesichts einer boomenden Teilbranche untersuchen sie anhand ausgewählter, aktueller Väterratgeber Konstruktionen von Vaterschaft und vergleichen sie mit denen in den Väterratgebern aus den 1950er und 1960er Jahren. Leitend sind dabei die Fragen, was die jeweiligen Autoren unter einem ›guten‹ Vater verstehen und welche Bedeutung der Liebe im Vater-Kind-Verhältnis zukommt. Es zeigt sich, dass die Vater-Kind-Beziehung zwar in einem hohen Maße emotionalisiert wird, von Vaterliebe jedoch nicht die Rede ist. Eine bedingungslose Liebe wird hingegen dem Kind zugeschrieben; diesem Aspekt gehen Karl Lenz und Sylka Scholz genauer nach. Untersucht wird, wie die Stabilität der Elter(n)-Kind-Beziehung in Zeiten pluralisierter Lebensformen kulturell abgesichert wird. Es zeigt sich, dass die Kinderliebe, welche mit der Bindungstheorie begründet wird, die Elter(n)-Kind-Beziehung sichern kann. Mit Rückgriff auf romantische Kindheitsbilder lässt sich zudem eine Tendenz zur Idealisierung und Sakralisierung des Kindes aufzeigen, welche die Bindung zwischen Eltern und Kindern ebenso stabilisiert. Während im Mainstream des Erziehungsdiskurses religiöse Deutungsmuster zum Schutz der Elter(n)-Kind-Beziehung keine Bedeutung mehr haben, spielen sie in der evangelikalen Bewegung, die auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnt, eine zentrale Rolle. Diesem Teildiskurs gehen Sophie Maria Ruby und Katharina Tampe nach. Sie zeigen auf, wie als bereits veraltet geltende Leitideen einer patriarchal strukturierten Familie erneut in Geltung gesetzt werden. Beruhend auf der polaren Geschlechterdifferenz und einhergehend mit einer autoritären Erziehung werden diese Leitideen mit Rekurs auf die christliche Schöpferordnung legitimiert. Das Buch wird abgeschlossen mit einem Beitrag von Sylka Scholz, der zentrale Forschungsergebnisse der Teilstudien unter den entfalteten Leitfragen zusammenfassend resümiert. Scholz arbeitet die übergreifenden diskursiven Deutungsangebote, wie die Zweierbeziehung und die Elter(n)-Kind-Beziehung auf Dauer gestellt werden kann, heraus. Dargestellt werden die legitimierenden Wissensbezüge und ihr Wandel in der Zeit. Abschließend werden weiterführende Forschungsfragen formuliert.

II. Liebe in Zweierbeziehungen

Zwischen Konkurrenz und Synthese Christliche und romantische Deutungsmuster in Eheratgebern der 1950er Jahre S ARAH E CKARDT »Ich kann jetzt nicht mehr ohne Dich leben, […] ich kann nicht, Du bist so ganz mein all. Ist das Sünde? Daß ein Mensch meine Seele so einzig füllt?« (Karolin von Axen 1807, zitiert in Trepp 2000: 49)

Die Liebe zwischen zwei Menschen erscheint uns als ein höchst individuelles und persönliches Gefühl. Zu lieben und geliebt zu werden stellt die tiefste Sehnsucht des Menschen dar, die zugleich nicht gesteuert werden kann und oftmals unerfüllt bleibt. Es werden verschiedene Arten von Liebe unterschieden: Nächstenliebe, Gottesliebe, Elternliebe oder die Liebe in einer Beziehung. Dass die Art zu lieben dabei keine anthropologische Konstante ist, sondern von gesellschaftlichen Mustern geprägt wird, entzieht sich häufig der subjektiven Wahrnehmung. Christliche und romantische Deutungsmuster prägen bis heute unser Liebes- und Beziehungsverständnis. Doch durch welches Verhältnis zueinander zeichnen sie sich aus? Obenstehendes Zitat legt diesbezüglich die ambivalente Situation in der Romantik, aus der die romantische Liebe hervortritt, offen: Die irdische, menschliche Liebe gerät in Konkurrenz zur Gottesliebe. Sie ist eine »quasi-religiöse Sinnstiftung und ein Medium individueller Selbstfindung« (Trepp 2000: 24). Aber handelt es sich dabei wirklich um ein Konkurrenzverhältnis, das zur Ablösung der christlichen Religion durch die Liebe führt, wie einige Forscher und Forscherinnen konstatieren (vgl. Beck 1990; Trepp 2000)? Folgt man dieser Argumentationsstruktur, erscheint es nicht verwunderlich, dass die Religion und

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deren kulturelle Deutungsmuster bei der soziologischen Analyse von Zweierbeziehungen kaum Beachtung finden; der Fokus liegt auf dem romantischen Liebesideal als kulturelles Programm. Wenig Beachtung erhält zudem die Bedeutung der Religion bei der Ausgestaltung privater Lebensräume außerhalb der Kirche und christlicher Praktiken. Zwar gehen neuere Säkularisierungstheorien davon aus, dass die Religion keinesfalls ihre Bedeutung verloren hat, sondern nur in ihrer Form verändert ist und sich zunehmend von den institutionalisierten Formen des Glaubens löst (vgl. Luckmann 1991; 1996). Zumeist wird die umstrittene Säkularisierungsthese aber nicht hinterfragt, die von einem Bedeutungsverlust religiöser Wirklichkeits- und Sinndeutungen sowie der Loslösung verschiedener Lebensbereiche von einer dominanten »kirchlichen Einheitsstruktur« (Ruh 1982: 66) ausgeht. Daraus lässt sich ableiten, dass die soziologische Forschung zu persönlichen Beziehungen im Sinne Max Webers als ›religiös unmusikalisch‹ bezeichnet werden kann. Es scheint daher sinnvoll, nach dem Verhältnis von christlichen und romantischen Deutungsmustern für Ehen und Beziehungen zu fragen und genauer zu betrachten, ob es zu einem Verschwinden der christlichen Religion und einem Erstarken der romantischen Liebe kommt oder ob beide Deutungsmuster miteinander verschmelzen. Der vorliegende Artikel widmet sich diesem Verhältnis. Zur Beantwortung dieser Frage wurden drei Eheratgeber einer Wissenssoziologischen Diskursanalyse (vgl. Keller 2007a) unterzogen. Als Zeitraum der Analyse wurden die 1950er Jahre ausgewählt, denn obwohl diese Zeit eindeutig in die Moderne einzuordnen ist, lässt sich im Westdeutschland der Nachkriegszeit eine ›Rechristianisierung‹ beschreiben: Die Menschen schienen sich nach den Katastrophen und Wirren des Zweiten Weltkrieges, der auch ihr moralisches Wertesystem in Frage gestellt hat, wieder nach festen Werten und einer verlässlichen Ordnung zu sehnen. Die katholische und die evangelische Kirche boten ein fundiertes und etabliertes Werte- und Orientierungssystem an. Es kam in der Gesellschaft zu einer Besinnung auf christliche Werte, aber auch auf die Familie und Ehe als fester Hort der Sicherheit und Ordnung. Jedoch tauchte auch neues Ideen- und Gedankengut auf: Die Jugend, vom Volksmund als die ›Halbstarken‹ tituliert, orientierte sich stark an der amerikanischen Populärkultur in Form von Filmen, Hörspielen und Musik. In Auseinandersetzung mit dem Krieg konstituierte sich darüber hinaus eine Friedensbewegung. Zusammenfassend können die 1950er Jahre als Jahre zwischen Modernisierung und Restaurierung bezeichnet werden (vgl. Schildt/Sywottek 1993). Davon ausgehend ist es von besonderem

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soziologischem Interesse, wie sich das Verhältnis von christlichen und romantischen Deutungsmustern für die Ehe1 in den 1950er Jahren gestaltet hat. Die Bildung des Samples erfolgte nach Kriterien des Theoretical Samplings. Zentral war dabei nicht die Repräsentativität der Daten, sondern die Orientierung an theoriegeleiteten Kriterien. Im Mittelpunkt stand das Herausarbeiten von christlichen und romantischen Deutungs- und Legitimationsmustern, die in Ehen Kontinuität und Stabilität herstellen und diese legitimieren. Im Sinne der offenen Codierung2 wurden auch andere Legitimationsmuster herausgefiltert, wenn sie in den Ratgebern eine zentrale Stellung einnahmen. Im Fokus der Untersuchung standen zeitgenössische, deutschsprachige Eheratgeber der 1950er Jahre. Um dem Konzept der Erfassung von christlichen und romantischen Deutungsmustern gerecht zu werden, war es von großer Bedeutung, einen katholischen, einen evangelischen und einen weltlichen Ratgeber zu analysieren. Dadurch sollten alle relevanten Dimensionen der Fragestellung aufgedeckt werden. Weiterhin sollten Ratgeber mit großem Rezeptionserfolg ausgewählt werden, um verschiedene Dimensionen kultureller Deutungsmuster zu erfassen. Für die Zuordnung zu einer der drei Kategorien wurden die Autoren, ihre bisherigen (religiös ausgerichteten) Veröffentlichungen, der Verlag und der Inhalt des jeweiligen Vorwortes betrachtet. So kam es zu der Auswahl von drei Ratgebern aus dem umfangreichen Datenkorpus. Die Analyse begann mit dem katholischen Werk von Hans Wirtz »Vom Eros zur Ehe. Die naturgetreue Lebensgemeinschaft« und Theodor Bovets evangelisch geprägtem »Die Ehe: Das Geheimnis ist groß. Ein Handbuch für Eheleute und ihre Berater«. Obwohl Bovet Schweizer war, war sein Buch auch in Deutschland sehr beliebt und wurde darum in die Untersuchung einbezogen. Diese beiden Schriftsteller waren populäre Publizisten von Eheratgebern und veröffentlichten mehrere Eheratgeber, die über einen langen Zeitraum mit steigenden Auflagen herausgegeben wurden. Es gestaltete sich schwierig, einen weiteren Ratgeber zu entdecken, der einen ähnlichen Rezeptionserfolg hatte und nicht konfessionell gebunden war, was auf die enorme Bedeutung christlicher Wertevorstellungen dieser Zeit schließen lässt. Die Entscheidung fiel schließlich auf den Ratgeber von Alexander Barrantay »Lieben – aber wie? Das LiebesLehr- und Lesebuch für schwache Stunden«, das einen sehr hohen Rang auf der Bestsellerliste für die 1950er Jahre des SPIEGELS einnahm (vgl. http://www. spiegel.de/spiegel/print/d-45139777.html vom 20.09.2011). Dieses Buch stellte

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In diesem Artikel wird ausschließlich von Ehen gesprochen, da die 1950er Jahre auch als ›Golden age of marriage‹ bekannt sind und Ehen in diesem Zeitraum die einzige legitime, dauerhafte Form der Paarbeziehung darstellten.

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Zur methodischen Anlage der Untersuchung vgl. den Artikel von Scholz/Lenz i.d.B.

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zwar einen Bestseller dar, wurde aber nur kurze Zeit verlegt. Die beiden anderen Bücher können demgegenüber als Longseller gelten. Im folgenden Kapitel rücken die kulturellen Programme von Ehe in den Vordergrund. Die Autorin zeichnet den Ehediskurs, beginnend mit dem sich entwickelnden Eheverständnis ab dem frühen Mittelalter, nach. Es werden die katholischen, evangelischen und romantischen Positionen zu Ehe und Liebe erläutert. Abschließend reflektiert das Kapitel den Zusammenhang zwischen den christlichen und romantischen Deutungsmustern. Das dritte Kapitel beinhaltet die konkreten Analyseergebnisse. Der Fokus liegt dabei auf der Bedeutung christlicher und romantischer Deutungsmuster für die Ehe. Insgesamt steht die Frage im Vordergrund, durch welche Transzendenzbehauptungen und Legitimationsmuster Ehen in den 1950er Jahren unterlegt werden. Zum Schluss erfolgt im Fazit die Diskussion der Ergebnisse in Bezug auf die Forschungsfrage.

1. C HRISTLICHE UND ROMANTISCHE L EITBILDER VON E HE UND L IEBE – K ONKURRIERENDE L IEBESSEMANTIKEN ? Dieses Kapitel umfasst den theoretischen Rahmen der Arbeit. Im Mittelpunkt stehen die kulturellen Deutungsmuster für christliche und romantische Ehe- und Liebeskonzeptionen. Zuerst werden das katholische und das evangelische Eheverständnis in ihrer historischen Entwicklung betrachtet. Es folgt eine kurze Annäherung an das christliche Liebesverständnis in Relation zur Paarbeziehung. Die Entwicklung des christlichen Ehediskurses wird an dieser Stelle nur bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts verfolgt, denn diese Zeit markiert die Konstituierungsphase der christlichen Deutungsmuster, welche bis heute den Diskurs maßgeblich beeinflussen. Anschließend wird das romantische Liebes- und Eheverständnis vorgestellt. Das Verhältnis von christlichen und romantischen Deutungsmustern als Transzendenzbehauptungen und ihre Wirkung auf die Ehe bildet den Abschluss des Kapitels. 1.1 Christliche Deutungsmuster der Ehe und Liebe Die Kirche verfügt, allen Vorstellungen zum Trotz, nicht über eine einheitliche Einstellung zu Liebe und Ehe, welche sich an der Bibel orientiert. Es zeigt sich vielmehr, dass »Dekrete und Gesetze [der Kirche] wenig oder gar keine Beziehung zu den Glaubenssätzen, geschweige denn zur Heiligen Schrift« (Goody 1989: 97) haben. Betrachtet man die Einstellung, die die Kirche zur Ehe hat, stößt man auf ein äußerst differenziertes Bild, das einem starken Wandel unter-

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zogen ist. Die Diskurse müssen in ihren historischen Kontext eingebunden werden, da Macht, ökonomische Interessen, politische Überlegungen und Abgrenzungsverhalten gegenüber anderen Kulturen einen starken Einfluss auf die Entwicklung der dogmatischen Diskurse hatten. Die christliche Kirche entwickelte sich erst allmählich aus einer Sekte heraus zu einer großen Glaubensgemeinschaft. Die kirchlichen Machtbefugnisse erweiterten sich ständig. Im 16. Jahrhundert löste die Kirche nach einem langen Machtkampf die Verwandtschaft nahezu vollständig im Bereich der Eheangelegenheiten ab. Sie erlangte die Monopolstellung und die Jurisdiktion über das legitime Zusammenleben von Mann und Frau. Im Verlauf der Geschichte verlor die Kirche diese Macht wieder und wurde durch den Staat ersetzt. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihr Einfluss auf das kulturelle Leitbild Ehe völlig verschwindet. Nachstehend wird der christliche Ehediskurs, dessen Hauptthemen die Sexualität und Geschlechterverhältnisse sind, kurz nachgezeichnet. Das katholische Eheverständnis Wie bereits erwähnt, bietet die katholische Kirche kein einheitliches Bild über die Ehe, denn »die kirchenrechtliche Definition einer gültigen Ehe veränderte sich im Laufe der Zeit und erhielt erst im 12. Jahrhundert ihre endgültige Gestalt« (Goody 1989: 162). Bis die Kirche diese Ehevorstellung und ihre Monopolstellung bei der Ehestiftung gegen die Verwandtschaft durchsetzen konnte, verging ein großer Zeitraum. Die anfängliche Position der christlichen Kirche als Sekte beeinflusste ihre Einstellung zur Thematik Familie und Ehe nachhaltig: Sie hatte »nicht die Hinwendung, sondern eine Absage an die Familienbande zur Folge« (ebd.: 100). Es kam zu einer klaren Hierarchisierung, bei der die Ehe einem asketischen und zölibatären Leben unterlag und damit ging eine marginale Thematisierung der Ehe einher. Genauere Ausführungen existieren zur Bewertung der Sexualität, die nach Deutung der katholischen Kirche die Folge des Sündenfalls ist. Dabei haben die Lehre von Augustinus über die Paradiesehe und später die der Scholastik, vertreten durch Thomas von Aquin, einen starken Einfluss. Die ethische Wertung der Geschlechtslust ist grundlegend negativ. Es entsteht ein ausgiebiger Diskurs über Sexualität und den Grad ihrer negativen Wirkung. Einzig die Fortpflanzung wird als sündlos beziehungsweise von geringerer Sünde beurteilt. Die gelebte Keuschheit ist innerhalb und außerhalb der Ehe höher zu bewerten und erstrebenswert (vgl. Gruber 1993; Holzem 2008; Müller 1954). Auch die Geschlechterrollen werden durch kirchliche Ansichten geprägt. Der Mann gilt in der katholischen Anschauung »als absoluter Maßstab, als Verkörperung des Vollkommenen, als Repräsentant der idealen Norm« (Schnell 1998:

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171). Die Frau wird als ein dem Mann unterlegenes Objekt betrachtet, während der Mann als Subjekt den Idealzustand verkörpert. Ihm kommt die Aufgabe zu, die Frau zu erziehen und auf sie Rücksicht zu nehmen, denn er trägt für sie die Verantwortung. Die Hierarchie in der Ehe ist klar geregelt: Die patriarchalische Beziehung ist der Normalentwurf. Das Sakrament der Ehe bildet einen weiteren Bereich des katholischen Ehediskurses. Zuerst 1139 als Sakrament eingereiht, wurde die Ehe 1547 in dem Konzil von Trient – welches als Reaktion auf die Reformation gilt – offiziell als solches anerkannt. Das Sakrament ist ein von Jesus gestiftetes, sichtbares Zeichen oder eine symbolische Handlung, welche die Gegenwart Gottes verdeutlicht. Nicht die Trauung durch den Priester gilt als Sakrament, sondern die gemeinsam gelebte Ehe, in der sich das Paar das Sakrament gegenseitig spendet. Aufbauend auf dem Epheserbrief (5,25-32) symbolisiert die Ehe als eine Beziehung zwischen Mann und Frau das Verhältnis zwischen Christus und seiner Gemeinde beziehungsweise der Kirche. Durch die Einordnung der Ehe in eines der sieben katholischen Sakramente erfährt sie eine enorme Aufwertung. Zugleich wird die Ehe durch den engen Zusammenhang mit der Sexualität diffamiert. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die katholische Kirche einerseits weder das Ehepaar noch die Familie mit großer Wertschätzung bedachte, denn die Ehe war und ist dem Zölibat weit unterlegen. Dennoch mischte sie sich mehr und mehr in das Eheleben ein und begann die Beziehung der Ehepartner zu regeln. Sie etablierte einen einheitlichen Normaltypus der monogamen Ehe mit einer kirchlichen Eheschließung. Die katholische Kirche versuchte, das Ehepaar mehr und mehr von dem Familienverband zu emanzipieren. Die Ablösung von der Familie förderte die Freiheit der Individuen gegenüber ihren Familien (vgl. Goody 1989). Als positive Aspekte der Ehe gelten die Ehegüter nach Augustinus: die Nachkommenschaft, die Treue und die Heiligkeit des Sakraments (vgl. Pesch/Kaufmann/Mandel 1980). Das sexuelle Verhalten sowie die Zeugung von Nachkommen stellen wichtige und viel diskutierte Aspekte der Ehe dar. Damit kommt es zu einer »Verschiebung des Diskurses auf die sexualethische Ebene [mit] einer einseitigen Betonung der Ehe als Fortpflanzungs- und Geschlechtsgemeinschaft« (Gruber 1993: 81). Das evangelische Eheverständnis Luther reformierte nicht nur allgemeine Glaubens- und Lebensgrundsätze, sondern hatte auch einen sehr großen Einfluss auf die kirchliche Sicht über Ehe und Familie. Der Reformator kritisierte die Abwertung der Ehe, das Zölibat, Zölibatsverstöße, die vielen undurchsichtigen Heiratsregeln und den ökonomischen Vorteil, der durch Dispenszahlungen entstand. Ein besonderes Augenmerk legte

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er dabei auf die Aufwertung der Ehe, die »ein edler, großer, seliger Stand […] so er recht gehalten wird« (Luther 1519: 9) ist. Die »Mannes und Weibs Lieb ist oder sein soll die allergrößte und lauteste Lieb von allen Lieben« (ebd.: 5). Die Ehe ist von Gott selbst geschaffen und darum gut. Luther postuliert, »daß Gott die Ehe selbst eingesetzt, Mann und Weib zusammen gegeben, Kinderzeugen und -warten verordnet hat« (Luther 1522: 34). Der Auftrag »Wachset und mehret euch« aus der Schöpfungsgeschichte ist den Menschen von Gott eingepflanzt und somit auch Sexualität und Lust; »das bleibt und regiert in dir, und kannst ihm dich mitnichten nehmen, oder wirst gräuliche Sünd ohn Aufhören tun« (ebd.: 15). Hiermit spielt er auf die zahlreichen Zölibatsverstöße und die sexuelle Doppelmoral dieser Zeit an. Nur wenige Menschen sind nach Luther von Gott mit der Gnade der Keuschheit bedacht. Die anderen sollten jedoch ihre natürlichen Anlagen nicht verleugnen, sondern eine Ehe in Recht und Ordnung führen. Luther räumt zwar ein, dass die Lust seit dem Sündenfall verderbt sei, »aber Gott verschont [das Paar; d. V.] aus Gnade darum, dass der eheliche Orden sein Werk ist und behält auch mitten durch die Sünde hindurch all das Gute, das er darein gepflanzt und gesegnet hat« (ebd.: 44). Auch von Luther werden die wertvollen Güter der Ehe nach Augustinus betont: Treue und Nachkommenschaft. Die Elternschaft nimmt eine zentrale Stellung ein. In seinen Eheschriften bezieht er darüber hinaus zu den Themen der Ehescheidung und der Verteilung der Geschlechtsrollen Stellung. Die Scheidung muss grundlegend verboten sein, Annullierungen wird Vorschub geleistet. Die Möglichkeit der Scheidung wird jedoch unter bestimmten Voraussetzungen gewährt. Die Geschlechterverhältnisse sind klar geregelt: Der Mann ist das Oberhaupt der Familie. Luther betont hierbei nicht nur die Macht, sondern auch die Verantwortung des Hausherrn über seine Frau. Er dringt auf strikte Einhaltung der Geschlechterrollen in den verschiedenen Aufgabenbereichen und hält zur gegenseitigen Unterstützung an. Auch das Gebot der Treue gilt gleichermaßen für Mann und Frau (vgl. Schnell 1998: 263). Luther verweigert sich dagegen, die Ehe als Sakrament zu betrachten. Dieser Aspekt stellt neben der Abwertung des Zölibats den größten Kontrastpunkt zur Lehre der katholischen Kirche dar. Luther erkennt nur die zwei von Jesus explizit eingesetzten Sakramente der Taufe und des Abendmahls an. Die Ehe ist ein von Gott gewolltes weltliches Ding und muss damit standesamtlich geschlossen werden. Es folgt ein Traugottesdienst mit Traupredigt und Segnung des Paares. Insgesamt erfährt die Ehe durch die Reformationsbewegung eine starke Aufwertung. Schenk stellt dabei fest, dass die stärkere »Betonung der Eigenverantwortung des Paares für seine Beziehung, die zumindest theoretische Möglichkeit der Scheidung und schließlich eine gewisse Tendenz zur Gleichheit der

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Geschlechter« (Schenk 1988: 64) auf eine neue Entwicklung in der Romantik ab dem 18. Jahrhundert hindeuten. Das christliche Liebesverständnis Die Kirche legte großen Wert darauf, dass die Ehe nur durch den Konsens und die Zuneigung der Partner zueinander zu begründen sei. Sie versuchte sich auch im Bereich der Partnerwahl gegen die Autorität der Verwandtschaft durchzusetzen. Sicherlich ist hier mit Konsens eine gewisse affektive Zuneigung gemeint. Die Vorherrschaft der Familie über die Eheentscheidung blieb dennoch lange Zeit, trotz des Widerstands der Kirche, erhalten. Dem Ideal folgend sollte sich die Konsensehe durchsetzen. Ist nun mit affektiver Zuneigung auch Liebe gemeint? Im Folgenden sollen das breite christliche Liebesverständnis und dessen Folgen für die Betrachtung der Liebe zwischen Eheleuten dargestellt werden (vgl. Jeanrond 2010). Es lassen sich kaum Differenzen zwischen dem katholischen und evangelischen Liebesverständnis finden, deswegen werden sie hier zusammenfassend behandelt (vgl. Lenz/Dreßler/Scholz i.d.B.). In der christlichen Religion sind vor allem zwei Arten der Liebe zentral, die Gottes- und die Nächstenliebe, welche in der Bergpredigt zum höchsten Gebot Gottes erkoren werden. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass jede Liebe ihren Ursprung in Gott hat, dessen Liebe zu dem Menschen von Vergebung und Bedingungslosigkeit geprägt ist. Darauf aufbauend sind die Liebe zu Gott und den Mitmenschen unabdingbares Gebot für den christlichen Menschen. Die Nächstenliebe umfasst altruistische Aspekte, was bedeutet, dass es sich hier um eine selbstlose Liebe oder ein selbstloses Eintreten für andere beziehungsweise den ›Nächsten‹ handelt. Fremde, Arme oder Benachteiligte können durch dieses Gebot geschützt und gesellschaftlich versorgt, aber auch ausgeschlossen werden. Da die Nächstenliebe ein Gebot ist, ist sie nicht mit einer persönlichen und individuellen Emotion gleichzusetzten, vielmehr ist sie eine Verpflichtung gegenüber anderen Menschen und die Anerkennung ihrer Würde und ihres Wertes. Auch die Feindesliebe sei hier erwähnt, die darauf abzielt, Feindschaft, Vergeltung und Rache zu beseitigen, und für Versöhnung plädiert. Durch gelebte Feindesliebe und Vergebung kann eine Verhaltensänderung der ›sündigen‹ oder ›schlechten‹ Person herbeigeführt werden. Was haben diese Arten der Liebe jedoch mit der Ehe zu tun? Paulus schreibt im 1. Korintherbrief (7,12-16), dass die Liebe zwischen Mann und Frau als Sinnbild für die Liebe zwischen Jesus und der Kirche zu betrachten ist. In der katholischen Kirche begründet diese Bibelstelle die Einordnung der Ehe als Sakrament. Gemeint ist, dass die Liebe Gottes in der Ehe real erfahrbar wird, und zwar nicht allgemein als Nächstenliebe, sondern ganz konkret als Liebe für denȹ/ȹȱ

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die Ehepartner/in. Dies gilt es, in doppelter Hinsicht zu betrachten: Zum einen empfängt derȹ/ȹdie Partner/in so die direkte Gottesliebe. Zum anderen ist die Liebe zumȹ/ȹzur Partner/in und ein adäquates Verhalten ihmȹ/ȹihr gegenüber die Erfüllung der Gottesliebe. In der Ehe können die Gesetze der Gottes- und Nächstenliebe darum direkt umgesetzt werden. Auf äußerst individuelle Art wird somit die christliche Liebe in der Ehe erfahrbar. Die Ehe ist folglich ein Paradebeispiel für die christliche Liebe. Gottes Liebe wird direkt an denȹ/ȹdie Partner/in weitergegeben und die Ehe stellt einen außergewöhnlichen Raum dar, in dem diese auf solch intensive Weise möglich ist. Damit erfährt die Liebe in der Ehe eine Aufwertung, welche in der Romantik nochmals erheblich gesteigert wird. 1.2 Romantische Deutungsmuster von Ehe und Liebe Im christlichen Ehediskurs, ob katholisch oder evangelisch, werden Werte, Regeln, Normen und Traditionen festgeschrieben und etabliert, die das Zusammenleben des Ehepaares regeln und für Stabilität sorgen sollen. Dabei stellt die Religion neben Legitimationsmustern auch praktische Hinweise zum Führen einer Ehe bereit. Mit Beginn der Säkularisierung verliert die Kirche ab dem 18. Jahrhundert ihre Monopolstellung in vielen gesellschaftlichen Bereichen, unter anderem auch auf die Definitionsmacht von Ehen und das Verständnis von Liebe. 1798 wird zum ersten Mal im deutschen Gebiet die Zivilehe eingeführt und 1875 nach dem Kulturkampf im gesamten Deutschen Reich gesetzlich verankert. Neben diesen gesellschaftlichen Veränderungen beginnt Ende des 18. Jahrhunderts mit der Romantik eine neue kulturgeschichtliche Epoche. Diese Bewegung reagiert auf die gesellschaftlichen Umbrüche, die zur Jahrhundertwende besonders deutlich hervortreten. Der Mensch versteht sich nun nicht mehr als Einheit, er wird aus alten Sinnzusammenhängen gelöst und es breitet sich »das Gefühl von Fremdheit in der eigenen Welt und im eigenen Ich« (ReinhardtBecker 2005: 299) aus. Der Freisetzung des Individuums und dem Verlust einer einheitlichen Identität setzen die Romantiker die Liebe entgegen. Es entwickelt sich die Vorstellung der romantischen Liebe in einer Paarbeziehung, die das Individuum ›heilen‹ soll. Sie stellt ein Kontrastprogramm zu der aufklärerischen Vernunftehe dar, in der praktische Überlegungen überwiegen. Die Ehe als Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft entwickelt sich zu einer Gefühlsgemeinschaft. Im Folgenden sollen zentrale Merkmale des romantischen Liebesideals dargestellt werden. Aufgrund der gesellschaftlichen Umbrüche ist es nicht verwunderlich, dass dem gefährdeten und zersplitterten Individuum besondere Beachtung geschenkt wird. Durch die Liebe soll der Mensch sich wieder als Ganzheit erfahren. Er

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wird von seinemȹ/ȹseiner Partner/in in der Gesamtheit seiner individuellen Persönlichkeit wahrgenommen, geliebt, anerkannt und bestätigt. Die Betonung der Individualität setzt voraus, dass die Partnerwahl nicht durch rationale Überlegungen, sondern durch die Liebe zumȹ/ȹzur Partner/in und seinerȹ/ȹihrer individuellen Persönlichkeit begründet wird. Aufrichtige Liebe, Treue und das Postulat der Dauerhaftigkeit stellen wichtige Komponenten dar (vgl. Hahn 2008; Lenz 2009; Reinhardt-Becker 2005). Der Fokus des romantischen Liebesideals liegt folglich auf dem Paar und ihrer Beziehung zueinander. Umweltbezüge wie Familie, Regeln, Normen und die Gesellschaft werden entwertet, da von einer »Gefährdung der Persönlichkeit durch die Gesellschaft« (Reinhardt-Becker 2005: 63) ausgegangen wird. Das Paar besitzt absolute Priorität und ist von seiner Umgebung unabhängig. Dadurch werden die Intimität sowie die Abgrenzung der Öffentlichkeit und der Familie zur Beziehung zwischen zwei Personen betont (vgl. Hahn 2008; Lenz 2009). In der Romantik gewinnt die Sexualität für die Liebe einen gesteigerten Wert. Sie gehört zur Liebe und bedeutet körperliche Verschmelzung und »geistige Vereinigung« (Reinhardt- Becker 2005: 159). Die lang vorgehaltene Dualität von körperlicher und geistiger Liebe löst sich auf. Die Romantiker sehen in der Einheit von körperlicher und geistiger Liebe die erfüllte Sexualität beider Partner (vgl. Hahn 2008; Lenz 2009; Reinhardt-Becker 2005). Mit der Entwicklung einer neuen Liebesvorstellung geht auch eine Veränderung der Geschlechterrollen einher. Innerhalb der Romantik lässt sich allerdings kein einheitliches Geschlechterverständnis ausfindig machen. Es stehen sich zwei komplementäre Geschlechtervorstellungen gegenüber. Einerseits finden emanzipatorische Gedanken ihren Ausdruck, andererseits wird der Polarität der Geschlechtercharaktere Vorschub geleistet (vgl. Weigel 1996; Reinhardt-Becker 2005; Trepp 2000; Tholen 2011). Die romantische Liebe bedeutet das Postulat einer Einheit von Liebe, Ehe und Elternschaft. Die Liebe wird als einziger Legitimationsgrund für die Ehe anerkannt und muss auch in der Ehe fortbestehen. Andere Ehemotive wie ökonomische oder politische Interessen werden strikt abgelehnt. Liebt sich das Paar, so ist es nur folgerichtig, wenn es heiratet und dadurch seiner Liebe Ausdruck verleiht. Zusätzlich wird das gemeinsame Kind zum höchsten Glück, zur »letzten Vollendung« (Lenz 2009: 277) der Ehe stilisiert, womit auch die Elternschaft eine starke Aufwertung und Emotionalisierung erfährt. Das kulturelle Programm der romantischen Liebe entsteht innerhalb einer Literaturbewegung, entfaltet sich wirklichkeitswirksam und erlebt einen großen Kulturerfolg. Zunächst im Bürgertum verankert, breitet es sich immer mehr auf die gesamte Gesellschaft aus. Dieser Kulturerfolg ist auch von einer Welle der

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Kritik begleitet, die eine fehlende Stabilität der Liebesheirat und fehlende Handlungsanleitungen für den Ehealltag beanstandet. Lenz unterscheidet bei dem romantischen Liebesideal die literarische Diskursebene von der Umsetzung in reale Beziehungsnormen. Das Ideal kann sich nicht vollständig durchsetzten, sondern verwirklicht sich in fortschreitenden Realisierungsstufen, wodurch es zu einer Abschwächung des Ideals kommt (vgl. Lenz 2009: 280ff.). Der kulturelle Code der romantischen Liebe prägt das Verständnis der Liebe bis heute und gilt nach wie vor als prägnantes kulturelles Muster für die Konstitution von Beziehungen. Hinzu kommt eine Steigerung der Relevanz von Liebe als Sinn- und Deutungsmuster für das ›ganze Leben‹. Zusammenfassen lässt sich, dass innerhalb des romantischen Liebesideals Individualität, Intimität und Qualität der Ehe eine gesteigerte Bedeutung erhalten. Gleichzeitig kommt es zu einer weiteren Abwertung der Umweltbezüge. Zudem verändert sich das Geschlechterverhältnis: Innerhalb traditioneller Rollenzuschreibungen erhält die Frau das Recht und die Pflicht, ein gleichwertiges Individuum zu sein. Die Liebe wird zum zentralen Ehemotiv erhoben und dient als kulturelles Deutungsmuster für die Ehe. Ist dies jedoch gleichzusetzten mit dem Verlust der Monopolstellung der christlichen Religion und der Kirche auf die Ehe? Das wird im Folgenden zu untersuchen sein. 1.3 Aspekte der Religion im Konzept der romantischen Liebe Wie nachgezeichnet lassen sich einige Merkmale beziehungsweise Aspekte der romantischen Liebe auch im christlichen Eheleitbild ausfindig machen. Auch hier werden zunehmend die Umweltbezüge, im Sinne der Verwandtschaftssysteme, entmachtet und entwertet. Ehe und Elternschaft bleiben weiterhin aneinander gekoppelt. Liebe wird in zunehmendem Maß in die Ehe integriert, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass besonders Luther die Liebe zwischen Mann und Frau als höchste Liebe neben der Gottesliebe einordnet. Schenk betont, dass der Individualisierungsprozess nicht erst in der Romantik beginnt, sondern bereits mit der christlich motivierten Herauslösung des Paares aus der Familie (vgl. Schenk 1988: 46). Die Autorität der Verwandtschaft wird durch die Autorität der Kirche ersetzt. Ideologisch wird dies durch die Auffassung der Ehe als Sakrament untermauert. Mit der Aufwertung von Ehe und Familie im Laufe der Reformation »stellt die protestantische Eheauffassung einen weiteren Schritt in Richtung auf die Individualisierung der Ehe dar« (ebd.: 64). Dieser Prozess wird durch die Säkularisierung und die resultierende Vormachtstellung des Staates in Eheangelegenheiten noch unterstützt. Die Ehe wird nun zunehmend als Institution betrachtet, die als kleinste Zelle der Gesellschaft vom Staat geschützt werden

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muss. Es lässt sich konstatieren, dass die Ehe »vom Zuständigkeitsbereich der (Herkunfts-)Familie in den der Kirche und von dem der Kirche in den des Staates überwechselt. Jede dieser Etappen war von einem Individualisierungsschub begleitet, einem weiteren Zuwachs an Autonomie für das Paar.« (Ebd.: 148) Damit ist ein zentraler Aspekt des romantischen Liebesideals, die Individualisierung der Ehepartner, schon im christlichen Eheverständnis vorhanden. Diese Entwicklung setzt sich in der Romantik fort, wobei die Individualität enorm gesteigert und der große Wert eines ›Seelenpartners‹ betont wird. Die Romantiker entwickelten neben einer neuen, nochmal aufgewerteten Vorstellung von Liebe und Ehe auch ein besonderes Verständnis zur christlichen Religion, welches hier kurz umrissen werden soll. Denn obwohl Liebe als ein ›Allheilmittel‹ zur Überwindung von Unsicherheiten angesehen wurde, geschah dies nicht losgelöst von der Religion. Auch ersetzte die Liebe die Religion nicht, vielmehr kam es zu einer komplexen Verbindung. In der Romantik war das individuelle Erfahren von Religion bedeutsam. Diese besondere Vorstellung der christlichen Religion war mit der neuen Liebesvorstellung verknüpft, worüber die Liebe transzendiert wurde. Die Religion stellt damit eine Legitimationsressource und auch eine Ressource zur Transzendierung bereit. »Zum einen verweist die eheliche Liebe unter Christen auf die Liebe Christi. Die ›himmlische‹ Dimension der christlichen Ehe wird somit geradezu zur Realisierung der transzendenten göttlichen Liebe und die christliche Ehe zum Raum religiöser Transzendenz« (Hartlieb 2006: 229). Insbesondere in den Schriften von Friedrich von Schleiermacher zeigt sich die »Modernisierung der christlichen Eheauffassung […]. Sie versteht die Ehe nicht als vertragsrechtlich und definiert ihren Zweck weder als Mittel gegen Unkeuschheit noch als Instrument der menschlichen Fortpflanzung, sondern als sittliches Gut, das Frau und Mann in freier geistig-sinnlicher Liebe zu einer neuen Gesamtpersönlichkeit vereint, zu wachsender Ähnlichkeit mit Christus führt und damit zur Verbreitung der christlichen Besinnung beiträgt.« (Ebd.: 225)

Schleiermacher gelingt eine »Umformung des evangelischen Eheverständnisses, das die christlichen Kerngedanken der Einehe und der Unauflöslichkeit in einer christologischen Interpretation mit dem romantischen individuellen Liebesverständnis verknüpft« (ebd.: 230). Christliche Kerngedanken verflechten sich mit dem romantischen Ehe- und Liebesverständnis. Es lässt sich festhalten, dass im romantischen Liebesverständnis Aspekte des christlichen Eheverständnisses enthalten sind. Burkart betont, dass sich die romantische Liebe als eine Synthese aus den »Vorläufer[n] der romantischen Lie-

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be, im Sinne von idealer, ›reiner‹ Liebe« (Burkart 1998: 24) (platonische Liebe, christliche Mystik und höfische Liebe) und Elementen der Erotik, »ars erotica, Renaissance-Hedonismus und Galanterie« (ebd.), begreifen lässt. So wird das Verständnis von romantischer Liebe von einer Vielzahl kultureller Muster geprägt, die sich bis heute erhalten haben (vgl. auch Lenz/Dreßler/Scholz i.d.B.). Religiöse Aspekte in die Betrachtung von romantischer Liebe einzubeziehen und die Verschmelzung der kulturellen Muster zu analysieren, erscheint damit sinnvoll.

2. D IE S AKRALISIERUNG VON E HE , L IEBE UND S EXUALITÄT IN DEN 1950 ER J AHREN Liebe und Ehe sind in den drei untersuchten Eheratgebern der 1950er Jahre sehr eng aneinander gebunden. Die Liebe gilt als einzig legitime Begründung der Ehe und die ›wahre‹ Liebe kann nur in der Ehe ausgelebt werden. Diese Kopplung entspricht durchaus dem romantischen Liebesideal, welches vor allem in der Spätromantik Liebe und Ehe miteinander verknüpft. Die Norm der Liebesheirat wird in den Ratgebern nicht hinterfragt, andere Heiratsgründe werden nicht aufgeführt und bilden eine Leerstelle, genauso wie alternative Beziehungsformen. (Mehrere) Kinder gehören selbstverständlich mit zur Ehe. Diese wird einheitlich als einzige soziale Form der Paarbeziehung eingeführt. Untersucht wird im Folgenden, wie die Ehe in den Ratgebern kulturell legitimiert wird. In dem evangelischen Ratgeber von Theodor Bovet lässt sich eine interessante Beobachtung machen: Ehe, Liebe und sogar die Ehepartner selbst werden auf verschiedenen Ebenen sakralisiert und damit transzendiert. Dies erfolgt mit Rekurs auf den christlichen Glauben. Bovet hofiert stark mit der Position der katholischen Kirche, welche die Ehe als Sakrament einordnet, betont jedoch, dass eine Einordnung aufgrund der evangelischen Konfession nicht möglich ist. Stattdessen nutzt er den Begriff des Gleichnisses (vgl. Bovet 1954: 162ff). Die Ehe und die eheliche Liebe werden als Gleichnis betrachtet. Zum einen bilden sie das Gleichnis für die göttliche Liebe zu den Menschen: Die Ehepartner sollen einander so lieben, wie sie von Gott geliebt werden, denn die eheliche Liebe ist »das einzig angemessene Gleichnis […], um Gottes Liebe zum Menschen und Gottes Bund mit seinem Volk auszudrücken« (ebd. 25). Zum anderen ist die eheliche Liebe ein Gleichnis für Tod, Auferstehung und das ewige Leben: Die Ehepartner sollen in der Ehe ein Leib werden, was bedeutet, dass sie eine »totale Lebensgemeinschaft« (ebd.: 164) bilden. Aus dem ›Du‹ und ›Ich‹ entsteht ein ›Wir‹. Bovet zeigt auf, dass dieser Prozess sehr schmerzlich sein kann, denn das ›Ich‹

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muss sterben (vgl. ebd.: 133f). Neben diesen beiden verwendeten Gleichnissen wird die christliche Religion in weitere Dimensionen eingebunden. Gott gilt als Dritter im Bund der Ehe und nur durch seine ›Gnade‹ kann sie glücklich und gut werden. Dadurch wird ein wesentlicher Teil der ehelichen Stabilität unverfügbar gestellt, zwar ist es auch wichtig, dass die Ehegatten einen liebevollen Umgang miteinander pflegen, ohne Gottes Gnade kann die Ehe jedoch nicht gelingen. Insgesamt stellt die Ehe einen Weg zu Gott dar; die ›Ehe als Weg zu Gott‹ kann als Schlüsselkategorie des Ratgebers identifiziert werden, mit deren Hilfe die Ehe auf Dauer gestellt wird. Die Ehegatten erweisen sich gegenseitig einen priesterlichen Dienst, indem sie einander führen und formen, so reifen sie in und durch die Ehe im Sinne Gottes zu einem guten Menschen. Es wird deutlich, dass Ehe und Liebe in diesem Ratgeber auf vielfältige, verwobene und diffizile Weise mit dem christlichen Glauben legitimiert sind. Ehe, Liebe und die Liebenden selbst werden auf diese Weise sakralisiert, transzendiert und damit unverfügbar gestellt und ›erhöht‹. Auch in dem Eheratgeber von Hans Wirtz lässt sich eine Sakralisierung der Ehe feststellen. Wirtz greift dabei auf die traditionell-katholische Deutung der Ehe als Sakrament zurück. Durch diese Einordnung erhält sie eine ›höhere Idee‹ und in Gott ein festes Fundament. So erhebt sie sich in die »heilige Atmosphäre des Sakramentes […,] jene ewige Sphäre des Göttlichen, wo alles Vergängliche nur noch ein Gleichnis ist; und von woher alle innere Verpflichtung, alle Selbstüberwindung und jedes Opfer seinen tiefsten Sinn und seine letzte Begründung erhält« (Wirtz 1949: 80). Diese Sichtweise beinhaltet dabei drei Aspekte: »Die Ehe [wird] symbolisch gleichgesetzt [mit] dem mystischen Liebesgeschehen zwischen Christus und der Seele« (ebd.: 37), sie ist »Dienst für Gott« (ebd.: 80) und »Gott wird gleichsam als der Dritte in den Bund der Ehe aufgenommen« (ebd.: 81). In erster Linie bedeutet der Sakramentsgedanke, dass die Ehe zwischen Mann und Frau ein Symbol für die Liebe Jesu zu den Menschen ist. Opfern sich die beiden Ehepartner füreinander in der Ehe, also ertragen denȹ/ȹdie Andere/n und helfen ihmȹ/ȹihr über seineȹ/ȹihre schlechten Eigenschaften hinweg, leben sie täglich eine lebendige Art des Gottesdienstes, die Ehepartner stiften sich täglich das Sakrament und vergegenwärtigen sich so die Existenz Gottes. Damit wird die Ehe »Mittel und Werkzeug […] im Ringen des Menschen um seine letzte Zweckerfüllung und seine endgültige Vollendung im unendlichen Glück der Verherrlichung in Gott« (ebd.: 81). Durch den gelebten Gottesdienst der Ehe können beide Ehepartner sogar »heilig werden« (ebd.: 81). Der Sinn und Zweck der Ehe reicht über den der Lebensgestaltung und Fortpflanzung hinaus, vielmehr besteht er in der Vervollkommnung der Ehepartner durch die Ehe. Durch die Gnade Gottes und durch seine Anwesenheit als Dritter im Ehebund

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kann die Ehe gelingen und vollkommen werden, selbst widrigste Schwierigkeiten können die Ehepartner durch Gottes Gnade meistern. Trotz der sehr starken Sakralisierung und Erhöhung der Ehe betont Wirtz die natürliche Menschlichkeit der Ehe, was bedeutet, dass auch eine christliche Ehe leidenschaftlich sein kann und dass auch hier ganz ›natürlich‹ Streit und Probleme vorhanden sind, »aber ihre Unbeständigkeit, Wankelmütigkeit und Unzulänglichkeit wird gnadenhaft ergänzt, überbrückt, erlöst durch das stellvertretende Opfer Christi« (ebd.: 80). So werden die Ehe, aber auch die Ehepartner transzendiert. Die Ehe ordnet sich in eine höhere Welt ein und erhält Sinn und Kraft, denn »erst im Glauben an Gott, in der Hoffnung auf ihn und im Gehorsam gegen ihn wird die Ehe – die ideale, vollkommene Ehe – möglich« (ebd.: 80). Wirtz geht davon aus, dass eine ›gute‹ Ehe nur durch Gottes Gnade, die Befolgung seiner Gebote und das gute menschliche Handeln gelingen kann, was sich in der mit der Analyse gebildeten Schlüsselkategorie ›Die natürliche Ehe als Gnade und Aufgabe‹ verdeutlicht. In den beiden vorgestellten Ratgebern werden Sakralisierung (vgl. Lenz/ Dreßler/Scholz i.d.B.) und Transzendierung der Ehe (und Liebe) durch die christliche Religion in ihrer Prägnanz besonders deutlich. Im Zentrum der Ratgeber stehen das Ziel und die Aufforderung, die Ehe so zu gestalten, dass sich die Ehepartner gegenseitig helfen und gemeinsam den Weg zu Gott, der eigenen Vervollkommnung und damit des ewigen Lebens gehen. Solch eine Ehe, in der beide Partner zu Gott streben und einander unterstützen, erhält Stabilität und wird vollkommen, gut und glücklich. Der Rekurs auf christliche Deutungsmuster sticht prägnant hervor, wenn die Autoren Ehe als ›Weg zu Gott‹ oder als ›lebendiger Gottesdienst‹ bezeichnen. Welche Deutungsmuster von Ehe und Liebe treten nun in dem weltlich ausgerichteten Ratgeber von Alexander Barrantay hervor? Bei Barrantay kommt es nicht zu einer Sakralisierung der Ehe, nichtsdestotrotz lässt sich eine Sakralisierung der Liebe und der Sexualität beobachten. Die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern und die leidenschaftliche Liebe werden mit Rekurs auf Natur, die ›Götter‹ und einen ›Schöpfergott‹ unverfügbar gestellt. »Die Anziehungskraft auf das andere Geschlecht ist das schönste Geschenk der Natur« (Barrantay 1957: 5) und wenn der Gott Eros den »Liebesblitz« (ebd.: 19) oder seinen »Pfeil« (ebd.: 46) auswirft, »beugt sich [der Mensch; d.V.] demütig und dankbar der lebenspendenden Macht, jener alles durchdringenden Urkraft« (ebd.: 46). Damit wird die Liebe verstärkt und aus der alltäglichen Lebenswelt herausgehoben. Auch die Lust, die beide Partner in der Ehe erleben, ist eine »göttliche[.] Lust« (ebd.: 42). In dem Vereinigungserleben transzendieren die Ehepartner, sind füreinander Götter und werden von einem Gott zu ihm »emporgehoben« (ebd.: 45). Der »Fiebersturm und [der] Orkan von Lust und Leidenschaft« (ebd.:

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41) steht für alle Paare im Mittelpunkt. Obwohl sich in dem Ratgeber kein eindeutiger Rekurs auf eine bestimmte Religion finden lässt, werden dennoch religiöse Legitimationsmuster und Semantiken herangezogen, um die Liebe und das sexuelle Erleben zu transzendieren. Natürlich ist die Frage berechtigt, ob diese Semantiken nicht sinnentleert als bloße Versatzstücke ihre Anwendung finden. Betrachtet man den Zweck und die Passagen, in denen es zu der Verwendung religiöser Semantiken kommt, wird deutlich, dass die beschriebenen Situationen auf diese Weise eine übersinnliche, überirdische und mystische Perspektive erhalten und damit über das Verfügbare hinausreichen. Liebe ist nach dieser Blickweise etwas Unbeherrschbares, Magisches, Unverfügbares und Geheimnisvolles. Gelingen kann diese Transzendierung scheinbar nur mit Rekurs auf religiöse Versatzstücke. Und diese dienen, ähnlich wie die Natur, als letzte Begründung, gegen die kein Argument mehr vorgebracht werden kann. So wird beispielsweise durch eine ausführliche Anekdote herausgearbeitet, dass die Liebe das Einzige ist, was im Leben zählt und auch von Gott als solches anerkannt wird (vgl. ebd.: 67f.). Bedeutsam ist, dass es zu einem scheinbar wahllosen Rekurs auf unterschiedliche Religionen kommt. Im Zentrum steht darum nicht die Religion oder die religiös geführte Ehe, sondern die Erhöhung der Liebe durch religiöse Bezüge. Nicht nur Barrantay betont die Bedeutung von Sexualität in der Ehe: Obwohl die 1950er Jahre oft als prüde eingestuft werden, hat die Sexualität zwischen den Eheleuten einen zentralen Platz in allen analysierten Eheratgebern. Die Autoren versuchen, die Dualität zwischen seelischer und körperlicher Liebe abzubauen und ein ganzheitliches Liebesverständnis zu entwickeln. Darum ist die erfüllte Sexualität ein elementarer Bestandteil der Liebe und Ehe. Da sich die Liebe aus seelisch-geistigen und körperlichen Aspekten zusammensetzt und eine Einheit bildet, erscheint es nur konsequent, wenn der Sexualität auch eine erhebliche Aufmerksamkeit zuteilwird. In diesem Zusammenhang sind die Ehe- und Liebesratgeber von Theodoor Hendrik van de Velde zu erwähnen, die in den 1920er Jahren einen neuen Diskurs um eheliche Sexualität auslösten (vgl. van de Velde 1927; Helmstetter 2010). Van de Velde, ein niederländischer Gynäkologe, veröffentlichte Bücher, in denen er die eheliche Sexualität sehr ausführlich und detailreich beschrieb. Sein Anliegen bestand in einer Verbesserung des ehelichen Liebeslebens und der Ehe, der Integration von Erotik in die Ehe und damit der Entwicklung eines ganzheitlichen Liebesverständnisses, welches die erfüllte körperliche Liebe in die eheliche Liebe eingliedert. Damit wird Sexualität eng an Liebe und Ehe gekoppelt, was dem romantischen Liebesideal entspricht.

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Alle Ratgeber rekurrieren direkt oder indirekt durch ihre Argumentationsstruktur auf van de Velde. Obwohl dessen Ratgeber von der katholischen Kirche verboten wurden, bezieht sich auch Wirtz positiv auf sie. Er wertet die erfüllte eheliche Sexualität auf, solange sie ›natürlich‹ gestaltet ist. Bewusst stellt er sich damit gegen die Meinung einiger Theologen dieser Zeit. Auch Bovet beschreibt die Sexualität ausdrücklich positiv. Die Sünde wird durch die harte Arbeit des Mannes für das Brot der Familie sowie die Schwangerschaft und das Gebären der Kinder durch die Frau kompensiert und ist darum ausgeglichen. In beiden Ratgebern wird die Sexualität gleichsam an die christliche Religion gekoppelt. So betont Wirtz vor allem die ›heilige‹ Aufgabe der Eheleute, sich fortzupflanzen. Die ›Geschlechtsgemeinschaft‹ soll gottgewollt und natürlich gestaltet werden: »Darum sind Eros und Sexus in der Ehe – wesentlich« (Wirtz 1949: 181). Dazu gehört jedoch auch eine ›natürliche‹ Gestaltung des Sexuellen, künstliche Verhütungsmethoden stören die Natürlichkeit und müssen daher unterbleiben. Es zeigt sich, dass auch die Sexualität transzendiert wird, indem sie über sich hinaus weist, auf Gott, das Kind und die Gesellschaft (vgl. ebd.: 203). Sie erhält damit einen höheren Sinn. Auch Bovet fordert auf: »Haben wir einmal lustvolle Ehen!« (Bovet 1954: 145) Es werden zwei Gebote aufgeführt, die Gott an die Menschen, genauer, an das Ehepaar stellt: Ein-Leib-Werden und Fortpflanzung durch Lust. Die beiden Gebote werden nicht hierarchisch geordnet, sondern die körperliche Vereinigung »trägt ihren Sinn in sich selbst« (ebd.: 62). Liebe und Geschlechtlichkeit werden entsprechend des romantischen Liebesideals eng aneinander geknüpft. Eheliche, vollkommene Geschlechtlichkeit bewirkt, dass »das Ich im Innersten aufgerissen und geöffnet [wird] für das Du, dann fließen wirklich zwei Leben ineinander, und es werden beide ein Leib« (ebd.: 43). Folglich ist die Geschlechtlichkeit der »höchste Trieb des Menschen, nämlich der einzige, der über das Ich hinausweist zum Partner und zum Kind« (ebd.: 72). Es wird deutlich, dass Sexualität auch in diesem Ratgeber transzendiert wird. Die beiderseitig lustvoll erlebte Sexualität ist wichtig und hilft bei der Erfüllung der göttlichen Aufgaben. Während die vor- und außereheliche Sexualität in den christlichen Ratgebern tabuisiert oder gar nicht erst erwähnt wird, bezieht sie Barrantay ein. In »Lieben – aber wie?« häufen sich Andeutungen, die besonders dem Mann voreheliche sexuelle Erfahrungen einräumen. Barrantay geht auch davon aus, dass viele Frauen nicht mehr völlig unerfahren in die Ehe gehen. Aber auch bei diesem Autor stellt das Vereinigungserlebnis, wie bereits dargestellt, eine transzendente Erfahrung dar, die über Mann und Frau hinausweist, die Welt erfahrbar macht und einen Bezug zum Göttlichen herstellt (vgl. Barrantay 1957: 46).

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Insgesamt lässt sich die Beobachtung festhalten, dass Liebe, Ehe, Sexualität und teilweise sogar die Ehepartner in den analysierten Eheratgebern der 1950er Jahre durch einen religiösen – mehr oder minder starken – Bezug transzendiert werden. Bei den christlichen Ratgebern ist dadurch die Ehe zu einem sehr hohen Teil unverfügbar gestellt und stabilisiert, da sie sich überwiegend durch Gottes Gnade erhält. In dem weltlichen Ratgeber geht es vor allem um die Erhöhung der leidenschaftlichen Liebe und Sexualität, welche die Ehe wiederum festigt.

3. F AZIT Eheratgeber sind Bestandteile des Ehediskurses. Sie besitzen einen »engen Bezug zur Wirklichkeit« (Heimerdinger 2008: 99) und sind »Ausdruck jeweils aktueller kultureller Bedürfnislagen« (ebd.: 107). Damit greifen sie relevante gesellschaftliche Themen auf und bieten Handlungs- und Orientierungsmuster. Die Ratgeber legen Wert darauf, Idealbilder, Normen, Werte und Wissen zu vermitteln. Mit der vorliegenden Ratgeberanalyse wurden der Ehediskurs mitsamt seiner kulturellen Deutungsmuster, welche die Leitbilder von Ehe und Liebe prägen, herausgearbeitet und Transzendenzbehauptungen aufgezeigt. Zentrale Forschungsergebnisse werden an dieser Stelle in Bezug auf die eingangs gestellte Forschungsfrage zusammengefasst. Das Familienleitbild geht in allen Ratgebern von der klassischen Kernfamilie aus, bestehend aus Mann, Frau und ihren Kindern. Die Ehe als unauflösbare Institution stellt eine nicht hinterfragte Norm dar, auf der sich die Forderung nach Stabilität und Kontinuität gründet. Liebe ist das einzige Gründungsmotiv für die Ehe. Die Liebeskonstruktionen unterscheiden sich in den Ratgebern jedoch grundlegend. Die Ratgeber von Bovet und Wirtz umschreiben ein Liebesbild, in dem das anfängliche, leidenschaftliche Verliebtsein nur von kurzer Dauer ist. Eine Empfindung, über die der Mensch keine Bestimmungsmacht hat. Dieses anfängliche Liebesgefühl allein ist außer Stande, Kontinuität und Stabilität zu sichern. Es bedarf einer anderen Art der Liebe, die aktiv gestaltet wird und eine bestimmte Verhaltensform in der Ehe vorschreibt. Wirtz bezeichnet sie beispielsweise als ›harte, christliche Liebe‹. Entgegen dem romantischen Liebesideal stützt sich diese Liebeskonzeption auf den Willen, die Ehe aufrechtzuerhalten. Es geht darum, die »äußeren Bedingungen zu erfüllen« (Bovet 1954: 135), damit Liebe überhaupt gedeihen kann. Der Trennung von leidenschaftlicher und ehelicher Liebe steht das Liebesverständnis in dem Ratgeber von Barrantay gegenüber. Er kritisiert offen diese Einstellung und betont die Prägnanz der immer-

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währenden Leidenschaft in der Ehe. Die anfängliche Leidenschaft soll in die Ehe überführt werden. Bleibt sie erhalten, wird die Ehe dauerhaft glücklich. In allen drei Ratgebern bekommt die Sexualität einen erstaunlich hohen Stellenwert. Die Ehe- und Liebesratgeber von Theodoor Hendrik van de Velde stellen dabei ein diskursives Ereignis dar. Die lustvolle Sexualität wird nicht nur ausführlich und in möglichst vielen Einzelheiten und Facetten beschrieben, sondern darüber hinaus auch noch transzendiert. Durch eine erfüllte Sexualität können sich die Partner ›wirklich‹ vereinigen, sich zu einem möglichen Kind hin öffnen und damit Gottes Willen erfüllen. Die Fortpflanzung ist jedoch nicht der oberste Zweck der Vereinigung, denn eine beidseitig erfüllte Sexualität sichert den Bestand und die Qualität der Ehe. Sie ist ein elementarer Bestandteil von Liebe und Ehe. Während die vor- und außereheliche Sexualität in den christlichen Ratgebern tabuisiert oder gar nicht erst erwähnt wird, bezieht sie Barrantay mit ein. Insgesamt versuchen die Autoren die Dualität zwischen seelischer und körperlicher Liebe abzubauen und ein ganzheitliches Liebesverständnis zu entwickeln. Auch die Betonung der individuellen Persönlichkeit der Partner stellt neben der Aufwertung von Sexualität eine Parallele zur romantischen Liebe dar. Umweltbezüge wie Herkunftsfamilie, Geld oder Gesellschaft werden entwertet: Das Paar wirkt zwar auf die Gesellschaft, eine entgegengerichtete Beeinflussung wird jedoch kaum beachtet. Weiterhin herrscht in den analysierten Ratgebern das romantische Postulat der Einheit von Liebe, Ehe, Elternschaft und Sexualität. Die (christliche) Religion hält in den hier vorgestellten Ratgebern Legitimationsmuster für Ehe und Liebe bereit. Die Ehe ist als göttliche Ordnung zu begreifen, an die sich der Mensch unbedingt zu halten hat. Auch die Liebe wird durch den Gottesbezug unverfügbar gestellt. Wichtiger für die Erhaltung der Beziehung als das konkrete Verhalten der Partner sind die unauflösliche, göttliche Institution und die göttliche Liebe. Damit rückt die Gewährleistung der Kontinuität fast vollständig aus dem Bereich der Verfügbarkeit und Bestimmung. Die Dauerhaftigkeit der Ehe wird in den christlichen Eheratgebern durch Krisen und Probleme hindurch von Gott getragen. Barrantay betont demgegenüber die Rolle der göttlichen, leidenschaftlichen Liebe. Es kommt durchgängig in allen Ratgebern zu einer umfassenden Transzendierung vieler ehelicher Bereich. Die Partner/innen, der Körper, die Sexualität und die Ehe insgesamt werden durch den Gottesbezug sakralisiert und transzendiert. Wie lässt sich nun abschließend das Verhältnis von christlichen und romantischen Deutungsmustern in den 1950er Jahren beschreiben? Aus der Argumentation geht hervor, dass sich die Deutungsmuster nicht in einem Konkurrenzverhältnis befinden, sondern eine Synthese bilden. Die Analyse der Eheratgeber

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zeigt deutlich die Verflechtung christlicher und romantischer Deutungsmuster, auch wenn sich das Verhältnis dabei nicht genau bestimmen lässt, da es sich hier nur um eine analytische Trennung handelt. Selbst in dem weltlichen Ratgeber von Barrantay werden religiöse Bezüge als Ressource zur Transzendierung und Legitimierung von Liebe genutzt. Darüber hinaus wird in den christlich geprägten Ratgebern die Ehe sakralisiert. Es folgt die unbedingte Forderung, religionssoziologische Perspektiven in soziologische Untersuchungen persönlicher Beziehungen einzubeziehen. Die Ergebnisse erscheinen für die 1950er Jahre durchaus plausibel, da es sich um eine Zeit der ›Rechristianisierung‹ handelt. Es entsteht die Frage, welche Rolle Religion im aktuellen Ehediskurs einnimmt. Kommt es tatsächlich zu einer Schrumpfung religiöser Deutungsmuster? Oder haben die (christliche) Religion und die einhergehende Sakralisierung und Transzendierung bis heute eine Bedeutung?

Bedrohung oder Fundament der Ehe? Gleichberechtigung im politisch-rechtlichen Diskurs und in Eheratgebern der 1950er Jahre S ABINE D RESSLER »Männer und Frauen sind gleichberechtigt.« Art. 3, Abs. 2 Grundgesetz der BRD von 1949 »Mann und Frau sind gleichberechtigt.« Art. 7 der Verfassung der DDR von 1949

Gleichberechtigung von Frau und Mann – dieses Grundrecht schrieben 1949 beide deutschen Staaten in ihre Verfassungen. Um eine entsprechende gesetzliche Umsetzung gemäß der sich neu formierenden Gesellschaftssysteme zu finden, musste Gleichberechtigung politisch ausgehandelt werden. Vor allem das Eheund Familienrecht verlangte eine Überarbeitung. Mit dem Recht ging der Anspruch einher, die jeweilige Familien- und Geschlechterordnung als kollektiv verbindlich zu institutionalisieren und insofern auf öffentliche Diskurse und Alltagspraxis einzuwirken. Dieser Anspruch wurde in der DDR gesteigert, in der dem Recht offiziell nicht nur eine regulierende, sondern auch eine erziehende Funktion zukam. Eheratgeber sind Teil des öffentlichen Diskurses zu Zweierbeziehungen; sie definieren Normalitätsentwürfe und Verhaltensstandards für die Subjekte in einer Ehe. Angesichts der juristischen Implementierung von Gleichberechtigung in den 1950er Jahren ist zu vermuten, dass auch sie in dieser Zeit Gleichberechtigung thematisieren und dabei Fragmente des politisch-rechtlichen Diskurses aufgreifen und transformieren. Dabei kann die These aufgestellt werden, dass in der DDR dieser Spezialdiskurs in seiner erzieherischen Ausrichtung stärker auf die Ratgeber einwirkte. Eheratgeber sind zudem darauf konzentriert, Probleme

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zu diagnostizieren, die den Zusammenhalt der Ehe gefährden könnten, und alltagspraktische Lösungen dafür anzubieten. So stellt sich die Frage, ob in ihnen Gleichberechtigung als Bedrohung einer stabilen Ehe problematisiert wird oder ob sie als ihr konstitutives Element gilt. Wie wird Gleichberechtigung dabei definiert? Wie werden die einzelnen Positionierungen begründet? Und wird dabei auf die politischen Debatten und gesetzlichen Neubestimmungen zu Gleichberechtigung Bezug genommen? Diesen Fragen wird in einem ost-westdeutschen Vergleich nachgegangen. Dafür bedarf es der Kenntnis des politisch-rechtlichen Gleichberechtigungsdiskurses in BRD und DDR. Dieser war Gegenstand einer diskursanalytischen Untersuchung im Rahmen des an den SFB 804 gegliederten Teilprojekts »Transzendenz und Gemeinsinn in privaten Lebensformen«. Datenbasis bildeten hier Gesetzestexte, parlamentarische Debatten und politische Stellungnahmen. Für deren Auswertung wurde die eingangs vorgestellte diskursanalytische Methode (vgl. Scholz/Lenz i.d.B.) auf Rechtsdokumente übertragen. Die Ergebnisse werden verdichtet im ersten Kapitel vorgestellt. Darauf folgt die Analyse des Gleichberechtigungsdiskurses in acht Eheratgebern, die in hohen und zumeist mehreren Auflagen gedruckt wurden, demnach Leitvorstellungen einer ›guten‹ Ehe in diesem Genre für die 1950er Jahre und darüber hinaus entscheidend mitprägten. Die Auswertung basierte auf derselben diskursanalytischen Methode, wobei der Fokus auf den Schlüsselstellen zu Gleichberechtigung lag, die hermeneutisch interpretiert wurden. Die einzelnen Diskurspositionen in den Ratgebern bilden den Inhalt des zweiten Kapitels. In ihnen zeigen sich unterschiedliche Konstruktionen von Geschlecht, Liebe, Ehegemeinschaft und Gesellschaft, die in ihrer jeweiligen Verknüpfung ein Spannungsverhältnis zwischen Gleichberechtigung und Ehe erzeugen oder sprengen.1

1. D ER POLITISCH - RECHTLICHE G LEICHBERECHTIGUNGSDISKURS

IN

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UND

DDR

Um den Gleichberechtigungsdiskurs der politischen Elite rekonstruieren zu können, wurde ein Sample erstellt, das auf diskursive Ereignisse (vgl. S. Jäger 2004) fokussiert ist. Zentrale Gesetzesentwürfe und -erlasse im Familienrecht sowie die politischen Debatten darum stellen solche herausragenden Ereignisse dar. Sie beeinflussen die Richtung und Qualität des Gleichberechtigungsdiskurses grund-

1

Ich danke an dieser Stelle herzlich Sophie Ruby für ihre kompetente Unterstützung und kreative Mitarbeit an der Analyse.

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legend. Für die BRD wurden somit das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts 1957 (GleichberG) sowie die darauf bezogenen Bundestagsdebatten (BT) und Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) analysiert. Für die DDR gerieten das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau 1950 (MKSchG), der erste Entwurf eines Familiengesetzbuchs 1954 (Entwurf FGB) und die Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung 1955 (EheVO) in den Blickpunkt. Das MKSchG war eines der wenigen, die über die Volkskammer (VK)2 verabschiedet wurden; entsprechend bilden die Volkskammerreden zu diesem Gesetz ein Diskursfragment des Samples. Die meisten DDR-Gesetze traten als Erlasse oder Anordnungen anderer staatlicher Organe in Kraft (vgl. Göbel 1989). Deswegen waren politische Aushandlungen, die den Gesetzgebungsprozess entscheidend prägten, zumeist intern. Dokumente, die nicht an den öffentlichen Diskurs angebunden wurden, besitzen keine kulturelle Wirkmächtigkeit. Somit musste für die Analyse des politisch-rechtlichen Gleichberechtigungsdiskurses in der DDR auch auf nachträglich veröffentlichte Stellungnahmen oder Kommentare zum Gesetz zurückgegriffen werden, die zentral platziert waren beziehungsweise deren AutorInnen eine machtvolle Sprechposition einnahmen. Da dem Recht in der DDR keine Kontrollfunktion der Politik zugesprochen wurde, sondern umgekehrt das Recht politisches Gestaltmittel der SED war (vgl. hierzu auch Heuer 1995), entfallen auch die Gesetzgebung korrigierende Rechtsdokumente. Die für diesen Aufsatz verwendeten Primärquellen sind in der Bibliografie aufgeführt. Der Gleichberechtigungsdiskurs verlief in beiden deutschen Staaten grundlegend anders. Angesichts der unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Ausrichtung und konkurrierenden Bezogenheit aufeinander ist das kaum überraschend. Bereits der Aufnahmeprozess des Gleichberechtigungsartikels in die jeweiligen Verfassungen markiert die unterschiedlichen Wege. In der DDR fand die verfassungsrechtliche Garantie von Gleichberechtigung als lang bestehende Forderung der sozialistischen Arbeiterbewegung schnell Zustimmung. Sie hebelte alle dem Grundsatz der Gleichberechtigung entgegenstehenden gesetzlichen Bestimmungen mit sofortiger Wirkung aus (vgl. Amos 2006). Demgegenüber musste in der BRD das Grundrecht auf Gleichberechtigung hart erkämpft werden und war vor allem der Juristin Elisabeth Selbert (SPD) zu verdanken (vgl. etwa Pisal 2008; Pittius/Scholz 2013): Nachdem die Ausschüsse des Parlamentarischen Rates die Formulierung »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« abgelehnt hatten, mo-

2

Genauer wurde das MKSchG noch von der aus dem Zweiten Deutschen Volksrat gebildeten Provisorischen Volkskammer (Prov. VK) verabschiedet. Die erste Volkskammerwahl erfolgte erst am 15. Oktober 1950.

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bilisierte Selbert die Öffentlichkeit, sodass »waschkörbeweise« (Pisal 2008: 135) Protestschreiben in Bonn eingingen. Erst durch diesen Druck konnte der Gleichberechtigungsartikel in dritter Lesung im Grundgesetz festgeschrieben werden. Dafür musste eine Frist zum 31. März 1953 ausgehandelt werden, bis zu der das diesem Artikel entgegenstehende Recht angepasst werden sollte. Der gesetzliche Anpassungsprozess an den Gleichberechtigungsartikel führt die unterschiedlichen Wege in BRD und DDR fort: Zögerlich und erst durch Initiativ-Antrag der SPD befasste sich die Adenauer-Regierung mit dem an sie gerichteten Verfassungsauftrag. Der damalige Justizminister Thomas Dehler (FDP) beauftragte die Kölner Oberlandesgerichtsrätin Maria Hagemeyer, einen Entwurf zur notwendigen Gesetzesanpassung anzufertigen. Resultat war 1951 eine Denkschrift, in der vorgeschlagen wurde, die Entscheidungsmacht des Mannes in Ehe und Familie, wie sie noch im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgeschrieben war,3 durch gemeinsame Entscheidungsbefugnis der Ehepartner abzubauen. Außerdem wurde darin eine gesetzliche Verpflichtung der Ehefrau auf den Haushalt abgelehnt. Berufsausübung galt hier noch als persönliche Angelegenheit – auch der Frau (vgl. hierzu auch Vaupel 1999). Dehler bat sowohl die Frauenorganisationen als auch die beiden christlichen Kirchen, zu dieser Denkschrift Stellung zu nehmen. Während die Frauenorganisationen allgemeine Zustimmung äußerten (vgl. Ruhl 1992; Vaupel 1999), reagierte die katholische Kirchenführung ablehnend auf die Grundhaltung der Denkschrift als »allzu individualistische Sozialauffassung, die dem Wesen der Ehe und Familie als Sozialgemeinschaft nicht gerecht wird«, wie etwa Kardinal Frings 1952 in einem Schreiben an Dehler formuliert (abgedruckt in Müller-List 1996: 178ff.). Frings argumentiert darin weiter, dass Art. 6, Abs. 2 des Grundgesetzes den Staat verpflichte, diese sozial ausgerichtete Ehegemeinschaft zu schützen und ihn damit in der Auslegung des Gleichberechtigungsartikels beschränke. Bereits mit dieser Stellungnahme wird ein Spannungsverhältnis zwischen Gleichberechtigung als Individualrecht und Ehe als durch dieses Recht gefährdete Gemeinschaft aufgebaut, welches den Gesetzgebungsprozess durchweg bestimmen wird. Die evangelische Kirche akzeptierte die gemeinsame Entscheidungsbefugnis von Mann und Frau bei Eheangelegenheiten, nicht aber bei strittigen Fragen zur Kindererziehung. Hier sollte der Mann weiterhin die Entscheidungen treffen (vgl. hierzu Ruhl 1992; Vaupel 1999).

3

»Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung.« (§1354 (1) BGB 1900); »Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor.« (§1634 (2) BGB 1900)

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Die katholische Kirche rang fortwährend um Einflussnahme auf den weiteren Gesetzgebungsprozess (vgl. auch Rölli-Alkemper 2000). Ihre Bemühungen fruchteten insofern, als der erste Regierungsentwurf zum Gleichberechtigungsgesetz entgegen den Vorschlägen der Hagemeyer-Denkschrift dem Mann in Ehe und Familie ein Letztentscheidungsrecht einräumte und die Erwerbstätigkeit der Frau durch ihre Verpflichtung in Ehe und Familie einschränkte (vgl. §§ 1354, 1356, 1628 Entwurf GleichberG I 1952). Die Analyseergebnisse der darauffolgenden Bundestagsdebatten zeigen, dass die eheliche und familiale Verpflichtung der Frau kaum Diskussionsstoff bot. Bereits die erste parlamentarische Debatte zum Gesetzesentwurf 1952 verengte den Diskurs um die Berufstätigkeit der Frau hin zur Hausfrauenehe als einzig tragbares Modell. Darüber bestand – mit Ausnahme der KPD – fraktionsübergreifend Konsens, gerade auch, um sich von der Frauenpolitik in der DDR abzugrenzen. Die Hausfrauenrolle sollte aufgewertet, nicht jedoch zur Disposition gestellt werden. Dabei stützten sich die RednerInnen auf den »biologischen Unterschied« zwischen den Geschlechtern, der eine »Gleichmacherei« verbiete (etwa Meyer-Laule, SPD, in BT 1952: 11059). Die Debatten entzündeten sich stattdessen am Letztentscheidungsrecht des Ehemanns und Vaters. Auch wenn sich feststellen lässt, dass die Mitglieder der Regierungsparteien hier mehrheitlich dieses Recht verteidigten, während die SPD durchweg eine Vormachtstellung des Mannes ablehnte, lässt sich die unterschiedliche Positionierung zu den umstrittenen Paragraphen weder über die Parteien noch das Geschlecht oder die Konfession der Abgeordneten eindeutig bestimmen. Weil sich die Argumentationen der Befürworter und Gegner des Letztentscheidungsrechts über den gesamten Gesetzgebungsprozess hinweg bis 1957 kaum änderten, möchte ich sie hier gebündelt vorstellen, mit Fokus auf die darin vermittelte Spannung zwischen Gleichberechtigung und Ehegemeinschaft. Die Argumentationen für oder gegen eine Streichung des Letztentscheids fußten auf der gemeinsam geteilten Vorstellung von Ehe und Familie als »letzte menschliche Gemeinschaft« (Dehler, FDP, in BT 1954: 484) in einer »Welt der Sachlichkeit, der Rationalisierung, der Spezialisierung und eines immer brutaler werdenden ›Daseinskampfes‹« (Meyer-Laule, SPD, in BT 1952: 11060). Fraktionsübergreifend knüpften die RednerInnen an einen sich im 19. Jahrhundert herausgebildeten, vom Bürgertum getragenen kulturpessimistischen Diskurs an (vgl. dazu Gertenbach et al. 2010). In diesem konzipierte sich Gemeinschaft als natürlich gewachsen, emotional gebunden und sinnstiftend, und zwar angesichts gemeinsam geteilter Entfremdungserfahrungen einer zunehmend industrialisierten und urbanisierten Gesellschaft; Gemeinschaft wurde als durch diese Entwicklung gefährdet und schützenswert wahrgenommen, Familie zum Prototyp

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der Gemeinschaft erklärt und der Gesellschaft gegenübergestellt (vgl. v.a. Tönnies 1919). Entsprechend sprachen nicht nur die katholischen Abgeordneten dem verfassungsrechtlich garantierten Schutz von Ehe und Familie höchste Priorität zu: Es bestand Konsens darüber, dass Ehe und Familie nicht nur durch den Staat, sondern auch vor staatlichen Eingriffen und damit auch vor einer Verrechtlichung geschützt werden sollten. Diese Konstruktion einer unantastbaren Ehegemeinschaft wurde jedoch verschieden weitergeführt: Die SPD fasste die Ehe als Privatraum, dessen Ausgestaltung Angelegenheit des Paares war. Demgegenüber stellte die Mehrheit der CDUȹ/ȹCSU die Eheordnung als von Gott geschaffen über das Recht. Es galt, die Ehe, in welcher der Mann das »Haupt der Familie« sei, als natürliche, weil göttliche »Wesensgemeinschaft« (H. Weber, CDU, in BT 1952: 11072), vor einer »Änderung durch Staatsgesetze oder durch das Gutdünken der einzelnen« (K. Weber, CDU, in BT 1954: 480) zu schützen. Um sich nicht selbst dem Vorwurf individualrechtlicher Argumentation auszusetzen, reinterpretierten die Abgeordneten der CDUȹ/ȹCSU ab der 15. Bundestagssitzung 1954 das Letztentscheidungsrecht als »Entscheidungspflicht« beziehungsweise »Entscheidungsverantwortung« (etwa H. Weber, CDU, in BT 1954: 514) des Mannes gegenüber seiner Familie. Demgegenüber wurde Gleichberechtigung von der Opposition vorrangig verfassungsrechtlich sowie mit Verweis auf die »heutige Wirklichkeit« (MeyerLaule, SPD, in BT 1952: 11060) und die sich darin geänderte soziale Stellung der Frau nach dem Zweiten Weltkrieg verteidigt. Aber gerade diese soziale Wirklichkeit der Nachkriegsgesellschaft, die sich durch hohe Müttererwerbstätigkeit, uneheliche Geburten und Ehescheidungen auszeichnete (vgl. etwa Niehuss 1998), erschien vor allem der CDUȹ/ȹCSU als Marker einer »Krise des Abendlandes« (Rehling, CDU, in BT 1952: 11059), die mit der Wiederherstellung einer christlichen Familienordnung überwunden werden sollte. So vermochten es die Gegner eines Letztentscheidungsrechts nicht, die Lesart von Gleichberechtigung als potenziell ehegefährdend zu durchbrechen. In der diskursiven Konstruktion des Spannungsverhältnisses zwischen Gleichberechtigung als Individualrecht und Ehe als schützenswerte Gemeinschaft lässt sich ein Grund sehen, warum die Implementierung des Gleichberechtigungsartikels in das Familienrecht der BRD so zäh verlief. Erst 1957, gegen Ende der zweiten Legislaturperiode, und damit weit über die vom Grundgesetz festgelegte Frist hinaus konnte das Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet werden. Während das Entscheidungsvorrecht des Ehemannes darin gestrichen wurde, beinhaltete es weiterhin die Verpflichtung der Ehefrau auf den Haushalt und den Letztentscheid des Vaters gegenüber der Mutter (vgl. §§1356, 1628 GleichberG 1957). Letzterer wurde mit einem Urteil des Bundesverfassungsge-

B EDROHUNG

ODER

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richts am 29. Juli 1959 für »verfassungswidrig« (BVerfG 1959: 89) erklärt und zu Fall gebracht. Vom Leitbild der Hausfrauenehe begann sich die Bundesregierung erst mit der Eherechtsreform 1976 zu lösen. Während der Gleichberechtigungsdiskurs der politischen Elite in der BRD auf Ehe und Familie konzentriert war, die gesellschaftliche Stellung der Frau jedoch kaum tangierte, wurde in der DDR, anknüpfend an die Traditionen der sozialistischen Arbeiterbewegung, die Eingliederung der Frau in den Produktionsprozess fokussiert. Gerade in den ersten Jahren waren die politischen Bemühungen um Gleichberechtigung stark auf die Berufstätigkeit der Frau ausgerichtet (vgl. auch Dölling 1993). Die Erarbeitung eines neuen Familienrechts lehnten politische Führung und Sowjetische Kontrollkommission vorerst ab. Stattdessen wurde 1950 das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau verabschiedet, welches lediglich Richtlinien für eine zukünftige Neuregelung des Familienrechts vorgab und ansonsten auf die Etablierung eines neuen Leitbilds der Frau als werktätige Mutter konzentriert war (vgl. Schneider 2004). So formulierte das Gesetz vor allem staatliche Maßnahmen, die es der Frau ermöglichen sollten, die ihr zugedachte Doppelrolle als Mutter und Erwerbstätige zu erfüllen (etwa finanzielle Unterstützung, staatliche Betreuungseinrichtungen, Arbeitsschutz- und Bildungsmaßnahmen). Das Leitbild der werktätigen Mutter wurde nicht von einer unantastbaren Familienordnung abgeleitet, sondern von der neuen Gesellschaftsordnung. Bereits die Präambel, aber auch die Volkskammerreden zum MKSchG führten dabei das »Wohl des ganzen Volkes« (Präambel MKSchG 1950; Maisel, FDGBȹ/ȹFDJ u.a., vor Prov. VK 1950: 538) als übergreifenden Werthorizont ein: Es beinhaltete im Kern die Ziele einer Aufbaugesellschaft: Frieden und Wohlstand für alle! Um sich von einer noch unzulänglichen Gegenwart zu befreien und diese Zukunft zu erreichen, bedurfte es – so etwa vom damaligen Ministerpräsidenten Otto Grotewohl vor der Provisorischen Volkskammer ausgeführt – sowohl einer Geburten- als auch einer Produktionssteigerung. Das Leitbild der werktätigen Mutter war genau auf diese bevölkerungs- und wirtschaftspolitischen Interessen ausgerichtet. Diese wurden als mit den persönlichen Interessen der Frau übereinstimmend konzipiert: In ihrer gesellschaftlichen Bedeutung als Arbeitskraft konnte die Frau gleichzeitig ihre »Jahrzehnte […] alte Forderung« (Grotewohl, SED, vor Prov. VK 1950: 530) nach Gleichberechtigung einlösen; als Gebärende war sie nicht nur »Lebensträger des Volkes« (ebd.: 525), sondern erfuhr auch »volles Glück« (Baumann, SED, vor Prov. VK 1950: 536). Gleichberechtigung wurde demnach nicht wie in den parlamentarischen Debatten der BRD in ein Spannungsverhältnis zu Ehe und Familie, sondern in ein harmonisches Verhältnis zu volkswirtschaftlichen Interessen des Staates gesetzt.

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Auf der zweiten Parteikonferenz der SED 1952 proklamierte Walter Ulbricht den Aufbau des Sozialismus. Damit verbunden rückte »die Schaffung eines sozialistischen Rechts« (Ulbricht, zit. in Fischer-Langosch 2007: 66) in den politischen Vordergrund. Das Ministerium für Justiz bildete daraufhin eine Kommission zur Ausarbeitung eines neuen Familienrechts, mit dem man sich von einer gemeinsamen deutschen Rechtstradition verabschieden wollte. Anders als beim Leitbild der werktätigen Mutter, das sich problemlos in die sozialistische Weltanschauung (vgl. Schmidt-Lux 2008) einpasste, musste die Vorstellung einer weiterhin ehebasierten Familie erst anschlussfähig gemacht werden, denn sowohl in der marxistischen Theorie als auch im sowjetischen Familienrecht finden sich hierzu unterschiedliche Diskurspositionen (vgl. auch Schneider 2004). Mit dem 1954 publizierten Entwurf eines Familiengesetzbuches wurde das Konzept der sozialistischen Ehe und Familie erstmalig vorgestellt. Mit diesem distanzierte sich die DDR offiziell von der bürgerlichen Vorstellung einer Familie als vor staatlichen Eingriffen zu schützender Rückzugsort und brach die polare Konstruktion von Gemeinschaft und Gesellschaft auf. Ehe und Familie wurden zum Grundpfeiler der sozialistischen Gesellschaft erklärt. Sie sollten nicht vor einer Verrechtlichung geschützt werden, sondern das Recht galt als ihr politisches Gestaltmittel mit Erziehungsfunktion. Das verdeutlicht allein schon der Aufsatztitel »Das Familienrecht als Faktor der Erziehung zur Demokratie« von Hans Nathan (1954). Der Entwurf verpflichtete die Familie als Erziehungsinstitution dem Staat, bestimmte inhaltlich die »Erziehung der Kinder im Geiste der Demokratie, des Sozialismus, des Patriotismus und der Völkerfreundschaft« und forderte eine Zusammenarbeit der Eltern mit »Schule und Jugendorganisationen« (§§ 1 und 4 Entwurf FGB 1954). Mit der stärkeren Anbindung der Ehe an die Gesellschaft und der erzieherischen und gestalterischen Neubestimmung des Rechts ließ sich ein Spannungsverhältnis zwischen Gleichberechtigung und Ehegemeinschaft nicht denken. Im Gegenteil wurde Gleichberechtigung zur Grundlage der Liebesehe erklärt (vgl. § 2 Entwurf FGB 1954) und zum »Postulat der sozialistischen Ehemoral« (Nathan 1954: 573) erhoben. Die gleichberechtigte Liebesehe galt als sozialistische Errungenschaft: Sie stand für die Überwindung »unsittliche[r] Geldheiraten« (ebd.: 572) und damit der Klassengesellschaft. Gleichberechtigung wurde demnach – anders als in der BRD – gemeinschaftsstiftendes statt -zerstörendes Potenzial zugeschrieben, und zwar in zweierlei Hinsicht: Vordergründig auf die Berufsarbeit der Frau bezogen, befreit sie einerseits die Ehe von ökonomischen Zwängen und ebnet so den Weg für eine Liebesgemeinschaft. Gleichzeitig wird sie zur gesellschaftlichen Verpflichtung am ›Wohl des Volkes‹ und ist somit auf die sozialistische Gemeinschaft ausgerichtet.

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Nach den Volkskammerwahlen 1954 verschwand der Entwurf eines neuen Familiengesetzbuches wieder aus der Öffentlichkeit. Lediglich die Bestimmungen über Eheschließung und -auflösung traten 1955 als Verordnung in Kraft (vgl. EheVO 1955). Es bedurfte weiterer zehn Jahre bis das Familiengesetzbuch der DDR 1965 verabschiedet wurde.

2. D IE (D E -)K ONSTRUKTION DER S PANNUNG ZWISCHEN G LEICHBERECHTIGUNG UND E HEGEMEINSCHAFT IN DEN R ATGEBERN Vor diesem politisch-rechtlichen Hintergrund interessiert nun, ob und wie Gleichberechtigung in Eheratgebern der 1950er Jahre thematisiert wird und inwiefern dabei ein Rückgriff auf Gesetze und politische Debatten beziehungsweise Stellungnahmen erfolgt. Um ein möglichst breites Spektrum in diesem Genre zu erfassen, wurden für die BRD Ratgeber gewählt, die einen konfessionellen und nicht-konfessionellen Hintergrund haben und von Autoren oder Autorinnen mit unterschiedlicher Profession zu Beginn beziehungsweise gegen Ende der 1950er Jahre verfasst wurden. Zu ihnen zählt für die BRD »Lieben − aber wie? Das Liebes- Lehr- und Lesebuch für schwache Stunden« (1957) des Schriftstellers Alexander Barrantay. Des Weiteren wurde das von dem Astrologen Carl Heinrich Huter in spiritualistisch-essayistischer Manier geschriebene Buch »Wie Ehen glücklich werden« (1953) in das Sample mit aufgenommen, ebenso »Die gute Ehe. Ein Ratgeber für Mann und Frau« (1959), welches in drei Teilen von je drei AutorInnen mit unterschiedlicher Profession geschrieben wurde: der Psychologin Gertrud Oheim, dem Arzt Guido Möring und dem Juristen Theo Zimmermann. Mit dem Ratgeber »Ehekompaß für alle Tage« (1958) von Elisabeth Muhl-Schwarzenberg wurde ein Buch mit explizit katholischer Ausrichtung gewählt. Schließlich zählt zum westdeutschen Sample noch »Die Krise der Ehe und ihre Überwindung« (1953), verfasst von Walther von Hollander, einem bereits seit den 1930er Jahren publizierenden Philosophen und Eheberater. In den 1950er Jahren der DDR strukturierte sich die Verlagslandschaft neu. Ratgeber zur Ehe gab es nur vereinzelt, weswegen für das Sample auf die 1961 erstmals erschienene, hoch platzierte »Kleine Enzyklopädie – Die Frau« zurückgegriffen wurde. Diese ist das Werk eines 83-köpfigen AutorInnen-, GutachterInnen- und BeraterInnenteams und thematisiert die Frau nicht nur in Ehe und Familie, sondern informiert darüber hinaus auch »über ihre biologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation« (ebd.: III). Zur Kontrastierung wurde

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»Das neue Ehebuch« (1957) des Sozialhygienikers Rudolf Neubert und »Du und ich« (1957) von dem Ärzteehepaar Gerhard und Danuta Weber gewählt. Als erstes Ergebnis kann festgehalten werden, dass in allen analysierten Ratgebern Gleichberechtigung thematisiert wird, um mit ihr ein Gelingen oder Misslingen der Ehe zu kennzeichnen. Dabei lassen sich verschiedene Diskurspositionen herausfiltern, die teilweise stark abweichend vom Recht formuliert sind und hier nun vorgestellt werden. 2.1 Diskurspositionen in den Eheratgebern der BRD Ungeachtet der regen parlamentarischen Debatten um das Gleichberechtigungsgesetz dominiert in den für die BRD untersuchten Ratgebern die Auffassung, dass das patriarchale Geschlechterverhältnis für eine stabile Ehe elementar sei. Damit wird Gleichberechtigung per se als die Ehe gefährdend wahrgenommen. Dass diese Positionierung im Diskurs nicht unangetastet ist, zeigen zwei Gegenpositionen: Während Oheim und Zimmerman in »Die gute Ehe« (1959) Gleichberechtigung in Ambivalenz zwischen Parität und geschlechtsspezifischer Verantwortungshoheit in die Ehe einführen, erhebt einzig von Hollander (1953) Gleichberechtigung zum konstitutiven Bestandteil der Ehe. Gleichberechtigung gefährdet die Ehe Für die Legitimierung dieser dominierenden Diskursposition nutzen die AutorInnen unterschiedliche Argumentationsstrategien: Alexander Barrantay macht in seinem Ratgeber »Lieben, aber wie?« (1957) das Glück der Ehe von einer Liebe abhängig, die eine gegenseitige Anerkennung von Mann und Frau als Geschlechtswesen verlangt. Geschlechtlichkeit könne aber nur durch ein HerrscherBeherrschte-Verhältnis hergestellt werden: »Die Frau wird nur den Herrn als Mann anerkennen, den Mann, der sie beherrscht. Nur dieser kann ihr genügen, ihr tiefe Befriedigung und Zufriedenheit geben.« (Barrantay 1957: 96) Und umgekehrt: »Wenn [die Frau] mit [dem Mann] um die Wette arbeitet, schwimmt, fliegt oder ihn gar im Jiu-Jitsu besiegt, wird er ihr nicht mehr seinen Platz in der Straßenbahn überlassen oder ihr die Türe öffnen« (ebd.: 71f.), das heißt, die Anerkennung als Frau und damit als das schwächere Geschlecht verwehren. Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau bedeutet für Barrantay damit vor allem der Verlust, sich in seiner Geschlechtlichkeit über denȹ/ȹdie Andere/n zu vergewissern. In Folge würde die Liebe »rettungslos verrohen« (ebd.: 73). Auch in dem Buch »Wie Ehen glücklich werden« von Carl Heinrich Huter ist die Ehe auf eine durch die »Polarität der Geschlechter« (Huter 1953: 118) hierarchisch strukturierte Liebe gebaut. Die Missachtung der »Spielregeln der Liebe« führe zur

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»seelische[n] Verkrampfung bei den Frauen« und »innere[n] Unzufriedenheit, aber auch [...] Depression vieler Männer« (ebd.: 119). Barrantay wie Huter problematisieren die Gleichberechtigung im Sinne gleicher Rechte und Pflichten als »zu weit getrieben« (Barrantay 1957: 71) oder »eines der schwierigsten Probleme im Leben der Geschlechter« (Huter 1953: 16), ohne eine eigene, positiv konnotierte Auslegung von Gleichberechtigung vorzulegen. So bleibt sie ausschließlich Negativfolie für eine patriarchal konzipierte eheliche Geschlechterbeziehung. Demgegenüber deutet die katholische Eheberaterin Muhl-Schwarzenberg das patriarchale Geschlechterverhältnis als gleichwertige Andersartigkeit vor Gott um und grenzt diese als »sinnvolle Gleichberechtigung« von der »offiziellen«, gesetzlich festgeschriebenen ab, welche zu »Gleichmacherei« (Muhl-Schwarzenberg 1958: 52) führe. Muhl-Schwarzenberg setzt Mann und Frau komplementär zueinander. Ihre Vervollkommnung »ist die tiefste und letzte Aufgabe der Ehe« (ebd.: 48). »Wie schön hat es Gott eingerichtet, daß Mann und Frau sich ergänzen können, daß erst beide zusammen der ganze Mensch sind.« (Ebd.: 53) Daraus leitet sie eine geschlechtsspezifische Aufgabenteilung ab: Der Mann ist Ernährer und Führer der Ehe, die Frau ist – gemäß der biblischen Weisung – Gefährtin des Mannes, vor allem, indem sie ihn im Beruf »bejaht«, »versteht«, »anerkennt«, »sein Versagen mit[trägt]« und es vermag, ihm »ein gemütliches Heim zu schaffen« (ebd.: 62). Zudem führt sie den Haushalt und betreut die Kinder. Das in diese Rollenverteilung eingeschriebene Machtverhältnis versucht die Autorin aufzulösen, indem sie die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Mann und Frau als gleichwertig vor Gott betrachtet. Diese zunächst paradox erscheinende Argumentation wird gestützt mit einer Organismus-Metapher, in der der Mann das Haupt und die Frau das Herz der Ehe ist: »Aber bei aller gegenseitigen Hochachtung gilt, daß der Mann das Haupt der Familie ist. Warum soll ihm die Frau diesen Rang streitig machen? Sie ist das Herz. Was ist in einem Organismus notwendiger, Haupt oder Herz? Ich glaube, es ist müßig, darüber zu diskutieren. Beide haben ihre unersetzliche Rolle und schlimm wäre es um unsern Organismus bestellt, wenn das Herz eines Tages beschlösse, Haupt sein zu wollen.« (Ebd.: 52)

Ein Herz kann kein Haupt sein und es kann auch keine zwei Häupter geben, sonst würde der Organismus sterben. Im übertragenen Sinne heißt das, dass gleiche Rechte und Pflichten oder gar die Führung der Familie durch die Frau die Ehe zerstören würden. Und dennoch erscheinen Mann und Frau als gleichwertig, weil ein Herz für den Organismus nicht weniger wichtig ist als ein Haupt.

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Die Beschreibung der Ehe als Organismus hat eine starke Legitimationskraft für ihre bürgerlich-patriarchale Struktur. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Herz-Haupt-Metapher auch in den parlamentarischen Debatten um das Gleichberechtigungsgesetz von der CDUȹ/ȹCSU bemüht wurde und in katholischen Kreisen bis heute Verwendung findet. Während die Haupt-Metapher schnell als Bibelzitat nachgewiesen werden kann (Epheserbrief 5), ist zu vermuten, dass die Herz-Metapher keinen biblischen Ursprung hat (vgl. Rölli-Alkemper 2000). Sie taucht jedoch in der Ehe-Enzyklika »Casti connubii« von Papst Pius XI. (1930) auf und lässt sich als bürgerlich-romantische Überschreibung der Leib-Metapher für die Frau verstehen, mit der eine Bedeutungsverschiebung einhergeht: Im Epheserbrief hatte noch der Mann sein Weib zu lieben und das Weib seinen Mann zu fürchten, in der Enzyklika wird die Liebe zum Merkmal der Frau. »Denn wenn der Mann das Haupt ist, dann ist die Frau das Herz, und wie er das Vorrecht der Leitung, so kann und soll sie den Vorrang der Liebe als ihr Eigen- und Sonderrecht in Anspruch nehmen.« (Ebd.) Alle RatgeberautorInnen, die einer gleichberechtigten Ehe explizit ablehnend gegenüberstehen, sind gleichzeitig versucht, die Herrschaft des Mannes über die Frau in der Ehe und zum Teil auch darüber hinaus zu veredeln und damit zu stabilisieren. Dies geschieht zum einen dadurch, dass dem Mann angeraten wird, sich höflich, ritterlich und taktvoll gegenüber seiner Frau zu verhalten, was ihm Anerkennung in seinem Status als Herrschender verschafft. Zum Zweiten werden Herrschaftsansprüche der Frau in das patriarchale Geschlechterverhältnis reintegriert, indem ihr die Rolle einer ›stillen Herrscherin‹ zugesprochen wird. Besonders eindrücklich beschreibt Alexander Barrantay diese Logik der Herrschaftsveredelung: »Der wahre Herr dient gern; der Dienst an der Schönheit, der Zartheit, an dem Liebreitz und der Anmut adelt ihn. An wen aber wird er seine edle Botmäßigkeit verschwenden, wenn ihm zukünftig nur noch Mannweiber, Blaustrümpfe und Frauenrechtlerinnen begegnen? Nein, möge das weibliche Geschlecht das schwache bleiben! Nur so kann es seine stille Herrschaft über die Starken bewahren, nur so die schönsten Tugenden des Mannes herausfordern.« (Ebd.: 73)

Frauenrechtlerinnen gewinnen bei Barrantay nicht an Einfluss und Macht, sondern verlieren an Weiblichkeit und damit auch der Möglichkeit ›im Stillen zu herrschen‹: Sie sind »Mannweiber«. Der Mann kann sich zwar nicht mehr als Herrschender an einer Frau adeln, die ihre Rolle als das »schwache« Geschlecht verweigert, sein Herrschaftsstatus bleibt jedoch unangefochten.

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Ähnlich argumentiert der Arzt Guido Möring in dem Buch »Die gute Ehe« (1959), wenn er die Ausweitung der Kompetenzen und Arbeiten des Mannes im Betreuungs-, Pflege- und Haushaltsbereich fordert, um der Frau notfalls helfend zur Seite stehen zu können: »Durch eine solche Erweiterung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten büßt der Mann nichts von der Würde des Familienoberhauptes ein. Die ritterliche Verbeugung, die er auf diese Weise vor der Gleichberechtigung machen kann, wird ihn in den Augen der Frau nur liebenswerter erscheinen lassen.« (Ebd.: 390)

Die Erweiterung der Männerrolle auf traditionell weiblich konnotierte Aufgabenbereiche soll gerade nicht als Annäherung an die Gleichberechtigung (miss-) verstanden werden, vielmehr als ritterliche Verbeugung in diese Richtung und damit Höflichkeit, die den Status des Mannes als »Familienoberhaupt« nicht gefährdet, sondern gegebenenfalls sogar stabilisiert, denn nun kann er auf die Zuneigung und Anerkennung seiner Frau bauen. Das hier bemühte männliche Ritterlichkeitsideal, das auf der Regel basiert ist, die Schwachen zu verteidigen, lässt sich mit Eva Illouz (2011) als eine romantische Verklärung und damit Stütze des patriarchalen Geschlechterverhältnisses verstehen: Der männliche Machtanspruch und die Unterordnung der Frau verwandeln sich in ›liebenswerte‹ Eigenschaften. Solche Argumentationen scheinen den Zeitgeist der 1950er Jahre zu treffen, denn noch 1959 kann man im »Wörterbuch der Politik: Ehe und Familie« unter dem Stichwort »Gleichberechtigung« die Bedenken darüber lesen, »dass die Frau, was Höflichkeit und Ritterlichkeit des Mannes betrifft, manchen Schutz weniger als bisher finden wird« (Dorneich 1959: 738). In der hier skizzierten Diskursposition – Gleichberechtigung gefährdet die Ehe – finden das Gleichberechtigungsgesetz und die politischen Debatten dazu kaum Widerhall oder werden im Sinne einer Verrechtlichung und damit Gefährdung der Ehe sogar abgelehnt. Ehe als eine auf Liebe beziehungsweise auf die göttliche Ordnung gebaute Gemeinschaft wird der Gesellschaft, die dem Prinzip des Rechts verpflichtet ist, gegenübergestellt, das Spannungsverhältnis zwischen Gleichberechtigung und Ehegemeinschaft somit fortgeschrieben. Dennoch können sich die AutorInnen einer Stellungnahme zu Gleichberechtigung nicht mehr entziehen.

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Ambivalenz zwischen Parität und ›natürlicher‹ Verantwortungshoheit in der Ehe Der von drei AutorInnen mit unterschiedlichen Professionen verfasste Ratgeber »Die gute Ehe« verortet sich bereits in der Einleitung in das »Zeitalter der Gleichberechtigung« (Oheim et al. 1959: 195). Die Psychologin Gertrud Oheim führt im zweiten Kapitel des Buches die »Gefährten-Ehe« als zeitgemäße Eheform ein, welche die als überkommen bewertete »Patriarchen-Ehe« ablöse und nun »im Aufkommen sei« (ebd.: 34). Anders als bei Muhl-Schwarzenberg wird der Gefährten-Begriff auf den ersten Blick paritätisch gefasst. Gefährten-Ehe meint »gleicher Lebensraum für Mann und Frau, gleiche Rechte und gleiche Pflichten, Parität und vertrauensvolle Kameradschaft in allen Ehe und Familie angehenden Dingen. Diese Kameradschaft wird sogar auf die Kinder ausgedehnt« (ebd.: 34). Zu Anfang besteht also der Eindruck eines Ratgebers, der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe forciert. Das Buch zerfällt jedoch in verschiedene Diskurspositionen: Wie bereits dargestellt, bezieht der Arzt Guido Möring in seinem darin verfassten Teil eine die Vorherrschaft des Mannes erhaltende Diskursposition. Aber auch bei Oheim und dem Juristen Theo Zimmermann lässt sich eine äußerst ambivalente Haltung festmachen, die den eingangs formulierten Anspruch einer Gefährten-Ehe stark relativiert. So empfiehlt Oheim einerseits vor allem der jungen kinderlosen Ehefrau eine Berufstätigkeit und spricht dabei das Problem der »Doppelarbeit« (ebd.: 214) in Haushalt und Beruf an. Sie setzt die »Neigungen und Gaben der Partner« als Kriterium einer »vernünftigen« (ebd.: 190) Aufgabenverteilung in der Ehe und orientiert sich so am Individuum, welches das Geschlecht als Kriterium verdrängt und eine persönliche Gestaltungsfreiheit des Paares anvisiert. Nachfolgend heißt es jedoch: »Sicher, es gibt auch heute noch Gebiete, die mehr der Frau liegen. Die Sorge für Sauberkeit und Ordnung im gesamten Haushalt zum Beispiel, für die harmonische Atmosphäre im Hauswesen, die Pflege und Betreuung der Kinder bleibt in der Hauptsache ihr Aufgabenbereich, vor allem dann, wenn sie nicht berufstätig ist. Aber auch hier ist der früher eisern durchgeführte Grundsatz, daß alles das nur Sache der Frau sei und der Mann auf diesem Gebiet kaum etwas oder nichts zu suchen habe, durch den Zwang der Verhältnisse und die veränderte Einstellung zu diesen Fragen weitgehend durchlöchert worden.« (Ebd.)

Hier wird das Geschlecht wieder zentral gesetzt und verweist die Frau zurück auf ihre traditionellen Aufgabengebiete mit dem Unterschied, dass durch veränderte gesellschaftliche Verhältnisse und Einstellungen ein kategorischer Ausschluss des Mannes aus »diesem Gebiet« nun nicht mehr denkbar ist. Damit

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kann aber der Anspruch nach gleichem Lebensraum sowie gleichen Rechten und Pflichten für Mann und Frau, wie sie Oheim für die Gefährten-Ehe formuliert hat, nicht gehalten werden. Zudem bekommt der zuerst paritätisch gefasste Gefährten-Begriff beim weiteren Lesen seine weibliche Konnotation zurück, denn der Autorin nach sind »Einfühlung und Anpassung« (ebd.: 159) die größere Aufgabe der Frau: Sie zeigt »Interesse und Anteilnahme für die Arbeit des Mannes«, passt sich »an alle Erfordernisse seines Berufs« verständnisvoll an und strebt danach, »sich ein wenig einzudenken und einzuarbeiten in das, was seine Lebensarbeit ausmacht« (ebd.: 163f.). Die eigene Erwerbsarbeit wird zur Gefahr, ihre »Aufgabe als Ehegefährtin des Mannes zu bewältigen« (ebd.: 214). Ähnliches verlangt Oheim vom Mann nicht, selbst wenn die Frau berufstätig ist. Sein Entgegenkommen besteht darin, im Haushalt mitzuhelfen, »wenn Not am Mann ist« (ebd.: 191). So überrascht es nicht, dass die Autorin den Begriff der Gefährten-Ehe nicht weiter verwendet und folgend in Anlehnung an den Titel von der »guten« Ehe schreibt, ein Konzept, das zwar die bürgerlich-traditionelle Aufgabenteilung in der Ehe aufweicht, jedoch durch ihre Rückkopplung an das Geschlecht letztlich sichert. Auch Zimmermann knüpft an dieses Konzept an, allein schon, weil er eine positive Haltung zum Gleichberechtigungsgesetz, das die Ehefrau zur Haushaltsführung verpflichtet, einnimmt. Während der Jurist den Gesetzgebungsprozess in komödiantischer Überzeichnung nacherzählt und sich so von diesem distanziert, findet er für das Gesetz selbst lobende Worte: Es sei »für die deutsche Familie von grundlegender Bedeutung« und habe die »Bevormundung der Frau«, welche »heute nicht mehr angebracht« sei, »beseitigt« (ebd.: 396). Unter der Überschrift »Der eigene Haushalt« schreibt er: »Nach dem inzwischen vom Gleichberechtigungsgesetz gestrichenen § 1354 BGB stand dem Mann die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu. Er bestimmte also auch bei Meinungsverschiedenheiten in der Haushaltsführung – eine offenbar überholte gesetzliche Regelung, wenn man bedenkt, daß doch der Haushalt den ureigenen Bereich der Frau bildet. Daran läßt auch der § 1356 II BGB in seiner neuen Fassung keinen Zweifel: ›Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung.‹« (Ebd.: 411)

Zimmermann koppelt den gestrichenen Letztentscheid des Ehemannes an die Haushaltsführungspflicht der Ehefrau, um dieser einen Wert der Autonomie zu geben. Obwohl diese Gesetzesstreichung im Bundestag ausgiebig diskutiert wurde, beschränkt Zimmermann seine Erörterungen hierzu auf den Haushalt als »ureigenen Bereich der Frau«; welche emanzipatorischen Auswirkungen die Dele-

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gitimation des ehemännlichen Entscheidungsrechts in weiteren Lebensbereichen haben kann, bleibt ausgeblendet. Damit erscheint der Haushalt als zentraler, wenn nicht gar einziger Bereich der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung für die Frau. Dieser Eindruck verschärft sich, wenn Zimmermann an anderer Stelle die Berufstätigkeit der Frau »gegen den Willen des Mannes« als »Eheverfehlung« (ebd.: 413) interpretiert, die juristische Konsequenzen, etwa bei einer Scheidung haben kann. Damit gibt er der Bevormundung der Frau, deren Beseitigung er zuvor als zentrale Errungenschaft des Gesetzgebers gewürdigt hat, wieder eine rechtliche Legitimationsbasis. Die ambivalente Haltung von Oheim und Zimmermann zu Gleichberechtigung und Ehe lässt sich wie folgt zusammenfassen: Zum einen betrachten beide Gleichberechtigung in der Ehe als zeitgemäß. Das Recht wird dabei nicht negativ als staatlicher Eingriff in die Ehegemeinschaft begriffen, sondern gilt als deren wichtige Rahmung, insofern es »gesetzliche Garantien« zum Schutze »persönlicher Gestaltungsfreiheit« (ebd.: 394) einer Ehe bereithält. Obwohl Oheim Parität und Zimmermann die Beseitigung einer Bevormundung der Frau als wesentliche Merkmale der ehelichen Gleichberechtigung betrachten, nehmen sie diese in der konkreten Ausformulierung eines gelingenden Ehealltags beziehungsweise in der Interpretation des für die Ehe so wichtigen gesetzlichen Rahmens wieder zurück. Es entsteht der Eindruck, dass Gleichberechtigung mit einer ›guten‹ Ehe nur vereinbar ist, wenn sie nicht im Sinne gleicher Rechte und Pflichten ausgelegt wird, sondern einen Entscheidungs- und Verantwortungsüberschuss von Mann oder Frau in den jeweilig ihnen traditionell zugewiesenen ›natürlichen‹ Aufgabenbereichen erhält. Gleichberechtigung ist konstitutiver Bestandteil der Partnerehe Der Philosoph und Schriftsteller Walther von Hollander ist in diesem Sample der einzige westdeutsche Ratgeberautor, der Gleichberechtigung als »völlige Gleichstellung der Frau mit dem Mann« (von Hollander: 1953: 146) auslegt und befürwortet. Die Auffassung, Gleichberechtigung, die die biologische Verschiedenheit der Geschlechter nicht berücksichtigt, führe zu ›Gleichmacherei‹, hält von Hollander für eine Scheinargumentation zur Sicherung männlicher Privilegien. Von Hollander fokussiert »gleiche Rechte auf den Beruf und auf ein unabhängiges Leben« (ebd.: 121) und setzt ins Zentrum seiner Ausführungen ›die neue Frau‹, die diese Rechte realisiert: Berufstätig, selbstbewusst und selbstbestimmt hat sie »eigene Wünsche, eigene Vorstellungen vom Leben« (ebd.: 268). Mit diesem Grundverständnis von Gleichberechtigung entfaltet der Autor eine

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andere, partnerschaftliche Liebes- und Ehesemantik (vgl. hierzu Lenz/Dreßler/ Scholz i.d.B.) als etwa Barrantay, Huter oder Muhl-Schwarzenberg: »Sie [die Ehe, d.A.] ist [...] nicht ideal im romantischen Sinn der völligen Verschmelzung, eines vollkommenen Einsseins. […] Ich glaube, es liegt nicht im Sinne der lebendigen Persönlichkeit, sich mit einer anderen Persönlichkeit zu verschmelzen. Jeder soll für sich ein Mensch sein und bleiben. Dann gibt es das immer anregende Hin und Her zwischen zwei Menschen, jenen Magnetismus, der so unbeschreibbar ist wie lebenskräftig, jenen Austausch der Kräfte, jene Zweisamkeit, die doch nicht die notwendige und lebendige Einsamkeit aufhebt.« (Ebd.: 266)

Mann und Frau sind in dieser Lesart keine polar zueinander gesetzten Geschlechtswesen, die nach Ergänzung, Vervollkommnung oder Verschmelzung streben; »Magnetismus« wird nicht durch das gegenseitige Anzeigen von Geschlechtlichkeit hergestellt, sondern dadurch, dass sich zwei Menschen als eigenständige Persönlichkeiten gegenübertreten. Weiter haben das Eindringen der Frau in die Lebenssphären des Mannes und damit die wirtschaftliche und soziale Angleichung der Geschlechter nicht eine Verrohung der Liebe oder unglückliche Ehen zur Folge, sondern sind Voraussetzung für ein »gleichgewichtiges und harmonisches Zusammenleben der Geschlechter« (ebd.: 144). Zum einen führe »die größere materielle Freiheit durch den Beruf der Frauen […] zu einer größeren inneren Freiheit […], zu der Möglichkeit, die Schwierigkeiten, die jede Ehe mit sich bringt, freiwillig und nicht gezwungen auf sich zu nehmen« (ebd.: 127). »Der Mißbrauch der Ehe als Versorgungsinstitut« werde überwunden; eine Partnerehe sei erst dann möglich, wenn das Paar keine Rechte aufeinander habe, »außer dem Recht, einander gut zu sein und gut zu tun« (ebd.: 154). Zum anderen bedürften die Frauen Gleichberechtigung, »wenn sie brauchbare, ordentliche Partner ihrer Männer werden wollen« (ebd.: 154). Gleichberechtigung im Sinne eines Autonomiegewinns der Frau wird an dieser Stelle nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel ausgelegt, um für den Mann ›brauchbar‹ zu sein. Der Mann bleibt somit auch bei von Hollander in einigen Textpassagen Orientierungspunkt für die Frau. Inwiefern die notwendige Unabhängigkeit von Mann und Frau für eine ›Partnerehe‹ aufrechterhalten werden kann, wenn gemeinsame Kinder zu betreuen und versorgen sind, bleibt zudem weitgehend offen. Zwar hält es der Autor für nützlich, »wenn alle jungen Männer lernten, einen Haushalt zu führen, kleine Kinder zu betreuen und so weiter« (ebd.: 65), letztlich gehen seine Empfehlungen für die Mütter jedoch in Richtung eines Drei-Phasen-Modells der Erwerbstätigkeit, wie es von den Soziologinnen Alva Myrdal und Viola Klein (1960) entwickelt wurde. Nicht überraschend für die frühe BRD bildet die Mög-

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lichkeit einer öffentlichen Kinderbetreuung keine Option. Festzuhalten bleibt, dass von Hollander mit seinen Ausführungen Gleichberechtigung nicht nur in die Ehe integriert, sondern zur Voraussetzung der ›Partnerehe‹ macht. Ähnlich wie Oheim und Zimmermann setzt von Hollander das Recht nicht gegen die Ehegemeinschaft, sondern sieht in ihm die Funktion, »ein Gerüst [zu] errichten, in das sich jeder nach seiner Kraft, seinem Können, seinem Geschmack seine Ehewohnung einbaut« (ebd.: 149). Gleichberechtigung soll dabei gesetzlich eindeutig festgelegt werden. Entsprechend kritisch und ausgiebig kommentiert der Autor die rechtspolitischen Debatten um das Gleichberechtigungsgesetz, welche von einer »kleinen Majorität« bestimmt werden, die »eine völlige ›Gleichbehandlung‹ von Mann und Frau ab[lehnt]« (ebd.: 147). Dennoch hält er es 1953 noch für realistisch, dass die Regierung im Fortgang der parlamentarischen Auseinandersetzungen die ›Partnerehe‹ als gesetzliches Leitbild erheben wird und fordert sie dazu auf. Wie oben beschrieben, erfüllte das letztlich 1957 verabschiedete Gleichberechtigungsgesetz diese Hoffnung nicht. 2.2 Eine Diskursposition, verschiedene Interpretationen in den Eheratgebern der DDR In keinem der für die DDR untersuchten Eheratgeber findet sich die Auffassung, Gleichberechtigung könne die Ehe gefährden. Im Gegenteil gehört sie fraglos zum Fundament einer ›guten‹, sozialistischen Ehe. Diese gemeinsam geteilte Diskursposition erhält jedoch unterschiedliche Ausdeutungen, die teilweise stark von einer sozialistischen Weltanschauung abweichen und sich mit westdeutschen Deutungsangeboten überschneiden. So kann auch für die DDR nicht von einem einheitlichen Gleichberechtigungsdiskurs gesprochen werden. Gleichberechtigung ist konstitutiver Bestandteil der sozialistischen Ehe In der erstmals 1961 unter Herausgeberschaft von Irene Uhlmann erschienenen Enzyklopädie »Die Frau« liest man im Kapitel »Ehe und Familie in der sozialistischen Gesellschaftsordnung«: »In der sozialistischen Gesellschaft sind Ehe und Familie befreit von der Vorherrschaft ökonomischer Prinzipien. Die Ehe hat aufgehört, ein Geschäft zu sein. Im Vordergrund stehen die persönlichen Beziehungen der Familienmitglieder. Mann und Frau treten sich als gleichberechtigte Partner gegenüber. Liebe und Achtung bilden die sittlichen Grundlagen der sozialistischen Ehe. Damit sind die Voraussetzungen dafür gegeben, daß die Ehe

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ihren eigentlichen Sinn erfüllen kann, eine wirkliche Liebes- und Lebensgemeinschaft zu sein.« (Uhlmann 1961: 62)

Die Befreiung der Ehe von ökonomischen Prinzipien, die Kopplung gleichberechtigter Partnerschaft zwischen Mann und Frau an die Liebesehe und die Betonung persönlicher Beziehungen sind Merkmale, wie sie Walther von Hollander für sein Konzept der ›Partnerehe‹ beschreibt. Auch bei Uhlmann ist die Ehefrau berufstätig und somit »gleichberechtigte, selbständige, wirtschaftlich unabhängige Partnerin des Mannes« (ebd.: 70). Der entscheidende Unterschied, der die sozialistische Ehe von der oben beschriebenen Partnerehe trennt, ist ihre stärkere Anbindung an die Gesellschaft, mit der eine wechselseitige Abhängigkeit besteht: Nicht nur weil die Frau nun erwerbstätig ist, sondern auch und vor allem weil der Sozialismus den Kapitalismus überwunden und damit Privateigentum abgeschafft hat, sodass Erb- und Besitzrechte in einer Ehe hinfällig werden, ist die Ehe kein ›Geschäft‹ mehr, sondern ›wirkliche Liebes- und Lebensgemeinschaft‹. Wiederum zielt die Gleichberechtigung, welche im Kern die Berufstätigkeit der Frau meint, nicht nur wie bei von Hollander auf eine größere Autonomie innerhalb der Ehe ab, sondern dient dem »Aufbau des Sozialismus« (ebd.: 70). So wird an entscheidender Stelle der damalige Generalsekretär des Zentralkomitees der SED Walter Ulbricht aus seiner Rede zum Siebenjahresplan von 1959 zitiert: »Wie die Durchführung der beiden ersten Fünfjahrpläne gezeigt hat, verfügen gerade die Frauen über ausgezeichnete Fähigkeiten, die sie zu großen Leistungen zum Nutzen unseres Volkes befähigen. Beweisen wir durch die vollständige Gleichstellung der Frau mit dem Mann und die Schaffung aller Möglichkeiten für die Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Talente, daß der Sozialismus das größte Glück für die Frau ist.« (Zitiert ebd.: 594)

Die »vollständige Gleichstellung der Frau« wird mit dem Interesse an einer Steigerung der Arbeitsproduktivität »zum Nutzen unseres Volkes« verknüpft. Dafür schafft der Staat Gesetze, stellt materielle Mittel und öffentliche Einrichtungen bereit, um die Frau von Hausarbeit und Kinderbetreuung zu entlasten. Diese Maßnahmen vergrößern nicht die Optionen für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung, sondern verlangen die Bereitschaft der Frauen, »alle tatsächlich bestehenden Möglichkeiten zu nutzen und ihre ganze Kraft einzusetzen«, um die volkswirtschaftlichen »Ziele des Siebenjahrplans« (ebd.: 583) zu erreichen. Dazu gehört auch die mehrfache Mutterschaft zur »Erhöhung der Geburtenzahlen«, denn als »Trägerinnen des Lebens« sind die Frauen »biologisch dazu berufen, nicht nur den Bestand, sondern das Aufblühen der Nation zu sichern« (ebd.:

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594). Die Gleichberechtigung der Frau – als »grundsätzlich volle Handlungsfreiheit« (ebd.: 589) beschrieben – verengt sich so auf einen Lebensentwurf: berufstätig und Mutter zu sein. Inhaltlich wird Ehe stärker an die Gesellschaft gekoppelt, insofern sie als Familie den Auftrag erhält, »die Kinder zu gesunden, gemeinschaftsfähigen, fortschrittlichen Menschen, zu künftigen Gestaltern der Gesellschaft zu erziehen« (ebd.: 62) und zwar in Zusammenarbeit mit staatlichen Einrichtungen und Organisationen. Damit wird die bürgerliche polare Konzeption von Gemeinschaft und Gesellschaft aufgebrochen. Ehe und Familie werden zwar nicht in der Gesellschaft aufgelöst, sondern weiterhin als die für Paare bestimmende Lebensform empfohlen, sie gelten jedoch nicht mehr als anheimelnder Rückzugsort vor einer menschlich entfremdeten Gesellschaft, auf den der Staat keinen Zugriff hat, sondern im Gegenteil ist ihr Gelingen als Liebes- und Lebensgemeinschaft erst mit der Anbindung an die sozialistische Gesellschaft möglich: »Wahre eheliche Liebe ist [...] nicht zu trennen vom gesellschaftlichen Inhalt der Ehe.« (Ebd.: 62) Anders als im romantischen Liebescode (vgl. Lenz 2005) wird die Ehe also nicht in Abgrenzung zu Umwelt und Gesellschaft, sondern gerade erst durch Integration in diese, zur Liebesgemeinschaft. Ehepartner und Familienmitglieder werden so in gesellschaftliche Verantwortung gestellt: »Das Verhalten des einzelnen zur Ehe und zur Familie ist nicht nur seine persönliche Angelegenheit; jeder ist zugleich ein Glied der größeren Gemeinschaft, der Gesellschaft und des Staates, auf die sich sein Handeln auswirkt.« (Uhlmann 1961: 62) Die Nähe zu dem eingangs beschriebenen rechtspolitischen Diskurs in der DDR ist augenscheinlich, nicht nur, weil sich die Argumentation mit Inhalten politischer Reden – etwa zum MKSchG (vgl. Grotewohl, SED, Prov. VK 1950) oder zum Siebenjahresplan (vgl. Ulbricht 1959) – weitgehend deckt. Auch werden die der Führungselite angehörigen Redner wörtlich zitiert, ebenso wie die Gesetze selbst, um die eigenen Ausdeutungen als offiziell abgesichert und damit ›richtig‹ zu markieren. Neben wissenschaftlichem Sozialismus und marxistischer Ethik galt demnach auch das sozialistische Recht als Wissensressource zur Legitimierung der eigenen Positionierung, was die Möglichkeit einer kritischen Distanz zum Recht ausschließt. Die vielen Gesetzesvergleiche zwischen DDR und BRD, früher und heute, dem BGB und dem sozialistischen Recht, bei denen die Gleichberechtigung ein zentrales Kriterium darstellt, dienen zudem der Beweisführung eines hier entscheidenden Vorsprungs der DDR: Dargelegt wird, dass nur im Sozialismus die Frau gleichberechtigt sein kann. Die zahlreich abgebildeten wissenschaftlichen Zeichnungen, Tabellen und Statistiken und die Beteiligung eines mehrköpfen Teams aus AutorInnen, GutachterInnen und BeraterInnen an der Publikation verstärken den Eindruck, dass mit dieser Enzyklopädie

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eine ›offizielle‹ Sichtweise auf die Rolle der Frau in Ehe, Familie und Gesellschaft etabliert werden sollte. Das Buch erfuhr bis 1987 vierzehn aktualisierte Auflagen. Die Verknüpfung der gleichberechtigten sozialistischen Ehe mit abweichenden Wissensbezügen Dass dieser ›offiziell abgesicherten‹ Deutung von Ehe und Familie in Uhlmann ein politischer Ausdeutungsprozess voranging, um die Ehe an die sozialistische Weltanschauung anschlussfähig zu machen, darauf wurde bereits im ersten Kapitel verwiesen. Die Spielräume des anfangs noch mehrdeutig geführten Ehediskurses zeigen sich auch in den beiden DDR-Ratgebern der 1950er Jahre. So hält sich der Sozialhygieniker Rudolf Neubert in seinem Buch »Die neue Ehe« an Vokabular und Maxime einer sozialistischen Weltanschauung, diese werden aber mit anderen Wissensbeständen als denen des Marxismus-Leninismus verknüpft: Auch für Neubert ist die neue Ehe die »sozialistische Ehe« (Neubert 1957: 31), die sich durch Liebe, Gleichberechtigung und die Erziehung »gemeinschaftsfähiger Kinder« (ebd. 280) auszeichnet. Die Ehe als »gesellschaftliche Erscheinung« (ebd. 20) erläutert der Autor jedoch nicht anhand der Theorien von Friedrich Engels oder August Bebel, sondern überraschend an einem seitenlangen Zitat aus dem Werk »Soziologie der Sexualität« (1956) des Soziologen Helmut Schelsky. Dieser war für die westdeutsche Familienpolitik eine entscheidende wissenschaftliche Referenz. Dem Zitat Schelskys nach wird Ehe nicht in erster Linie durch den »Geschlechtstrieb« gebildet und strukturiert, sondern ist eine »vorwiegend ökonomische Gemeinschaft, [...] deren Dauer und Verpflichtungen durch Religion, Sitte und Gesetz sozial geregelt und anerkannt sind« (Schelsky, zitiert in Neubert 1957: 23). Diese soziologische Definition, die den ökonomischen Charakter der Ehe zentral setzt, weicht ab von der in Uhlmann postulierten Befreiung der sozialistischen Ehe »von der Vorherrschaft ökonomischer Prinzipien« (s.o.). Sie erschwert eine Herleitung der Liebesehe aus den neuen sozialistischen Produktionsverhältnissen. Für Neubert ergibt sich die Liebe als »neuer Inhalt der Ehe« (ebd. 280) nicht aus der Überwindung des Kapitalismus und damit der Allianz-Ehe. Stattdessen argumentiert er anthropologisch: Liebe ist ein »Grundbedürfnis der Menschen. Für uns Menschen, die wir von Anfang an her Gesellschaftswesen sind (Zoon politikon), ist der Mensch, der andere Mensch eines der dringendsten Lebensbedürfnisse.« (Ebd.) Neubert hält an der romantischen Idee der »Verschmelzung« (ebd.) fest und betont das »Wir« im Sinne eines gemeinsamen Glücklichseins als »Ziel der Liebeskunst« (ebd.: 281). Die Idee von der eigenständigen Persönlichkeit zweier Menschen, die sich in einer Ehe partnerschaftlich gegenüberstehen, wird zurückgedrängt zugunsten

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einer Typisierung von Mann und Frau als »polarverschieden[e]« (ebd.: 281) Geschlechtswesen, die nach Vereinigung streben. Gleichberechtigung ist bei Neubert verschieden konnotiert. Zum einen beseitigt sie als »rechtliche Gleichstellung« die »Ausbeutung der Frauen durch die Männer«, ohne sie dabei einander »biologisch und gesellschaftlich gleich« (ebd.: 142) zu machen; dazu zählen auch staatliche Maßnahmen, welche die »biologische Ungleichheit von Mann und Frau« (ebd.: 228) ausgleichen sollen, etwa die Entlastung der Frau in ihrer Doppelrolle als Mutter und Berufstätige. Zweitens meint Gleichberechtigung im Ehealltag die Herstellung eines harmonischen Gleichgewichts zwischen Mann und Frau. Gleichgewicht soll explizit nicht als Gleichverteilung von Arbeit oder gleichgroßer Verzicht für denȹ/ȹdie Andere/n verstanden werden, sondern »daß jeder stets rückhaltlos das bietet, was er zu geben imstande ist, mag es viel oder fast nichts sein« (ebd.: 233). Neubert verdeutlicht diese Lesart an folgendem geschlechtlich konnotierten Beispiel: »Ein gefeierter Schauspieler und eine bescheidene Frau, die in der Öffentlichkeit überhaupt keine Rolle spielen will, dafür aber all ihre Kräfte, ihre Phantasie, ihre Erfindungsgabe darauf verwendet, dem in der Öffentlichkeit stehenden Mann eine Insel des Ausruhens zu gestalten, leben miteinander […] Sie könnte auch allerlei aus sich machen, aber sie verzichtet darauf. Sie weiß, daß nur auf diese Art und Weise, die sie mit ihrem berühmten Mann abgesprochen und erprobt hat, mitten im Trubel des großstädtischen Theaterlebens für beide das Glück möglich ist.« (Ebd.: 234)

Interessant an diesem Beispiel ist, dass der einseitige Verzicht der Frau für den Mann als harmonisches Gleichgewicht zwischen beiden und damit als gleichberechtigt gewertet wird. Denn bei genauerer Betrachtung ist das Gleichgewicht nur auf eine Person, nämlich den Mann bezogen: Die Frau schafft ihm eine »Insel des Ausruhens« als Ausgleich zu seinem stressigen Beruf. Dieses Beispiel, das Neubert in seinen Ausführungen zum »Glück in der Ehe« (ebd.: 233) zentral setzt, skizziert ein bürgerliches Milieu mit traditionaler Aufgabenverteilung der Geschlechter, wie es in den Ratgebern der BRD dominant ist. Aber selbst in Beispielen, wo beide Ehepartner berufstätig sind, wird Gleichgewicht nicht zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen den beruflichen Interessen des Mannes hergestellt: »Der Techniker und der Chemiker, die von Jugend an eine heimliche Neigung zur Musik oder bildenden Kunst haben, ihre Neigungen aber nicht zum Beruf gemacht haben oder machen konnten, wählten nicht selten eine Malerin oder Musikerin zur Lebensgefährtin.« (Ebd.: 236) Neuberts Verständnis von Gleichberechtigung als harmonisches Gleichgewicht erfährt so streckenweise patriarchale Ausdeutungen. Die sozialistische Lesart von Gleichberechtigung als

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Eingliederung der Frau in den Produktionsprozess ist bei Neubert weniger zentral: Zwar erscheint ihm die weibliche Erwerbstätigkeit notwendig, jedoch erfährt sie keine sozialistische Aufwertung und ist auch nicht an den ›Aufbau des Sozialismus‹ gekoppelt. Schließlich betont auch Neubert über einen Gesetzesvergleich mit der BRD die gesellschaftliche Bedeutung von Ehe und Familie im Sozialismus, jedoch »als dialektische[n] Pol zur kollektiven Arbeit, zur kollektiven Leitung des Gemeinwesens« (ebd.: 279). »Sie wird Pflegestätte der Geselligkeit im kleinen Kreis. In einer Zeit, da im öffentlichen Leben die Anonymität herrscht, werden die Familien die Stätten menschlicher Wärme und Vertrautheit.« (Ebd.: 30) Anders als Uhlmann knüpft der Autor demnach wieder an die bürgerliche Konzeption der Familie in ihrer Gegenüberstellung der Gesellschaft. Entsprechend vorsichtig äußert er sich zur staatlichen Kinderbetreuung: »Ungeachtet der künftigen Entwicklung, die vermutlich dahin führen wird, dass Säuglinge und Kleinkinder in der Familie aufwachsen […], müssen zunächst einmal zur Entlastung der Frauen mehr Kindergärten und Kinderhorte eingerichtet werden.« (Ebd.: 228) Diese Formulierung wird Neubert 1962 in ein direktes Plädoyer dafür wandeln, »dass sich Frauen nach der Geburt eines Kindes etwa drei Jahre lang nur der Erziehung widmen sollten« (Neubert zitiert in Rinken 2010: 82). Damit bildet er eine Ausnahme im »weitgehend einheitlichen pädagogischen Diskurs der DDR«, der die öffentliche Kinderbetreuung als »förderlich für das Kindeswohl und die Prägung der sozialistischen Persönlichkeit ansah« (Rinken 2010: 82). Sein Vorschlag wurde in einem von der SED beauftragten Gegenartikel als »spießbürgerlich« (Kolmer/Schmidt, zit. in Rinken 2010: 82) verworfen, taucht jedoch 1967 in seinem vom volkseigenen Verlag Volk und Wissen herausgegebenen Werk »Das Kleinkind« wieder auf, hier allerdings beschränkt sich die vollzeitlich mütterliche Fürsorge auf das erste Lebensjahr des Kindes. Mit Neubert, der auch zum BeraterInnenstab der Enzyklopädie »Die Frau« gehörte, lässt sich zeigen, dass es in der DDR möglich war, eine von der offiziellen Position abweichende Haltung zentral zu positionieren. Gleichberechtigung als kollektives Gefühl Anders als Neubert setzen Weber und Weber in ihrem 1957 zum ersten Mal veröffentlichten Ratgeber »Du und ich« wieder die Berufsarbeit der Frau ins Zentrum ihrer Betrachtungen zu Gleichberechtigung. Sie ermöglicht der Frau gesellschaftliche Anerkennung und Selbstachtung. Sie gibt ihr »das Gefühl der Zufriedenheit, etwas Nützliches zu leisten, sich zu entwickeln und dem Mann aufgrund eigener Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten nicht nur mit Tat, sondern mit gutem Rat zur Seite stehen zu können« (Weber/Weber 1957: 25f.). Sie bewahrt

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ihre »Selbständigkeit« (ebd.: 26). Deswegen geben der Autor und die Autorin der Frau den Rat, »einen Beruf zu erlernen und ihn möglichst auch auszuüben, wenn sie verheiratet ist und Kinder hat« (ebd.: 26). Da jede Frau ihr Glück nicht nur aus dem Beruf, sondern auch der Mutterschaft ziehe, sei der Staat gefordert, der Frau dieses doppelte Glück zu ermöglichen, vor allem durch Bereitstellung ausreichender Kinderbetreuungsplätze. Abweichend von Uhlmann werden Mutterschaft und Beruf hier ausschließlich als Bedürfnisse der Frau beschrieben und nicht in einen größeren gesellschaftlichen Kontext gestellt. Weder die Steigerung der Arbeitsproduktivität noch die der Geburtenzahlen für den ›Aufbau des Sozialismus‹ finden sich als Argumente. Die Betonung von Autonomie und Persönlichkeitsentwicklung der Frau durch Berufsarbeit zeigen eine Nähe zum Konzept der ›neuen Frau‹, wie Walther von Hollander es für die partnerschaftliche Ehe verwendet. Anders als bei von Hollander mündet die weibliche Erwerbstätigkeit jedoch nicht in ein Drei-Phasen-Modell, sondern wird durch staatliche Kinderbetreuung mit Mutterschaft von Beginn an vereinbar. In »Du und ich« ist die Ehe, die an keiner Stelle als sozialistisch definiert wird, befreit von gesellschaftlichen Aufgaben. Das Recht spielt entsprechend keine Rolle; es reicht ein knapper Verweis auf seine Funktion als gesetzlicher Rahmengeber für die Ehe. Dass das Verhältnis zwischen Ehe und Gleichberechtigung zur sozialistischen Gesellschaft unterbelichtet bleibt, ist sicher auch der Ausrichtung des Ratgebers geschuldet, der in erster Linie medizinisches Wissen über Körper, Schwangerschaft und Geburt vermittelt. Nur an einer Stelle – im Schlusswort – wird erläutert, wie sich die Gesellschaft auf die Ehe auswirken kann, obwohl Letztere nicht von »verstandesmäßiger Überlegung« (ebd.: 187), sondern von ›Empfindungen und Gefühlen‹ geleitet ist: »Doch entstehen diese nicht von ungefähr, ohne Zusammenhang mit unseren Anschauungen, mit unserer Lebensweise. Wenn auch die einzelnen Schicksale verschieden sind, leben wir – alle zusammen – doch unter bestimmten, gleichartigen Bedingungen. Wir sind Kinder unserer geschichtlichen Epoche, haben als Bürger unseres Landes gleiche Interessen und Ziele, haben eine bestimmte Lebensform. Das wirkt sich auch auf unsere moralischen und sittlichen Anschauungen aus, das beeinflußt schließlich auch unsere Gefühle. Unsere Auffassungen über das Zusammenleben der menschlichen Gesellschaft übertragen wir auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Erkennen wir beide als gleichberechtigte Mitglieder unserer Gemeinschaft an, sehen wir in dem schaffenden Menschen den Träger des gesellschaftlichen Fortschritts, so wird sich diese Erkenntnis auch im privaten Leben auswirken.« (Ebd.)

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Wenn es also zur Lebensweise in einer Gesellschaft gehört, dass Mann und Frau berufstätig sind, so werden beide als »Träger des gesellschaftlichen Fortschritts« und damit »gleichberechtigte Gesellschaftsmitglieder« anerkannt und empfunden. Diese Empfindung überträgt sich auf die Ehe. Hier wird zunächst die Polarisierung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft fortgeschrieben: Die Ehegemeinschaft als emotional bestimmter Ort steht der vernunftgeleiteten Außenwelt gegenüber. Jedoch ist die Ehe nicht vor gesellschaftlichen Einflüssen zu schützen, sondern wird von diesen mitbestimmt. Gleichberechtigung in seiner Bedeutung als Recht zählt zu dieser Außenwelt. Sie muss erst gesellschaftlich gelebt und so in ein Gefühl transformiert werden, um auch für die Ehe wirksam zu sein.

3. R ESÜMEE Es hat sich gezeigt, dass alle Ratgeber des Samples Gleichberechtigung thematisieren und mit Ehe in Bezug setzen. Dabei lassen sich verschiedene Diskurspositionen erkennen. In den meisten BRD-Ratgebern wird Gleichberechtigung als die Ehe gefährdend wahrgenommen und somit ein Spannungsverhältnis zwischen Gleichberechtigung und Ehe konstruiert. Zu dessen Begründung wird auf unterschiedliche Legitimationsressourcen zurückgegriffen. Muhl-Schwarzenberg stellt – ähnlich, wie im Bundestag diskutiert – die Ehegemeinschaft mit der göttlichen Ordnung unverfügbar, der eine rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau widerspreche. Barrantay und Huter argumentieren – anders als im Bundestag – vor allem mit der Liebe als Fundament der Ehe: Weil sich Liebe nur in einer hierarchischen Geschlechterbeziehung entfalte, führe Gleichberechtigung zu ihrer Verrohung und damit Zerstörung der Ehe. Demgegenüber sprengt von Hollander mit seinem Konzept der Partnerehe dieses Spannungsverhältnis und greift dabei ebenso auf die Liebe zurück, jedoch in einer anderen Lesart: Nicht das gegenseitige Anzeigen von Geschlechtlichkeit in einer Herrscher-BeherrschtenBeziehung, sondern das Erkennen desȹ/ȹder Anderen in seiner eigenständigen Persönlichkeit verursache Liebe und Magnetismus. Weil Gleichberechtigung diese Eigenständigkeit auch für die Frau ermögliche, sei sie für die Liebe und damit auch für die Ehe konstitutiv. An Huter und Barrantay versus von Hollander zeigt sich, dass die Integration von Gleichberechtigung in die Ehe auch davon abhängt, wie Liebe mit Geschlecht verknüpft wird. Oheim und Zimmermann rekurrieren weniger auf die Liebe, jedoch auch auf eine ›natürliche‹ Zweigeschlechtlichkeit, die der Ausdeutung von Gleichberechtigung Grenzen setzt. Anfangs paritätisch gefasst, wird sie in letzter Konsequenz als Verantwortungs-

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hoheit des Mannes oder der Frau in den jeweilig ihnen traditionell zugewiesenen Aufgabenbereichen ausgelegt. In den Ratgebern der DDR findet sich nur eine Diskursposition: Gleichberechtigung ist Voraussetzung der Ehe. Diese Position wird jedoch unterschiedlich ausgelegt. Uhlmann bindet das Modell der Partnerehe stärker an die Gesellschaft. Hier fungiert der Sozialismus als zentrale Legitimationsressource. Erst dieser ermögliche Gleichberechtigung und mit ihr die Liebesehe. Diese sei wiederum dem ›Aufbau des Sozialismus‹ rückverpflichtet: zum einen, indem sie als Familie einen gesellschaftlichen Erziehungsauftrag erhält, der eine enge Zusammenarbeit mit dem Staat verlangt, zum anderen, weil Gleichberechtigung auf einen weiblichen Lebensentwurf ausgerichtet ist, der sich mit volkswirtschaftlichen Interessen deckt − den der berufstätigen Mutter. Mit dieser Deutung ist nicht nur die Gegenüberstellung von Gleichberechtigung und Ehe, sondern auch die bürgerliche Konzeption von Ehe- und Familiengemeinschaft als Rückzugsraum vor einer entfremdeten Gesellschaft aufgebrochen. Die Argumentation enthält viele Homologien mit dem politisch-rechtlichen Gleichberechtigungsdiskurs in der DDR. Nicht zuletzt mit Rückgriff auf das sozialistische Recht ist Uhlmann versucht, ihre Lesart als offizielle Sichtweise zu etablieren. Neubert verwendet jedoch andere Wissensbezüge zur Legitimierung der sozialistischen Ehe, indem er sich etwa auf den westdeutschen Soziologen Helmut Schelsky oder auf anthropologische Argumentationen stützt und partiell an einen bürgerlichen Deutungshorizont anknüpft. Entsprechend abweichend sind seine Ausdeutungen: Liebe ist ihm keine sozialistische Errungenschaft, sondern menschliches Grundbedürfnis. Die gesellschaftliche Bedeutung der Ehe sieht er gerade in ihrer Rückzugsfunktion aus dem ›öffentlichen, anonymen Leben‹. Er vertritt eine zukünftige Kleinkindbetreuung durch die Mutter in der Familie; Gleichberechtigung in der Ehe meint bei ihm vor allem ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mann und Frau, während die Berufsarbeit der Frau keine sozialistische Aufwertung erfährt. Dagegen setzen Weber und Weber in ihren Erörterungen zur gleichberechtigten Ehe die Berufsarbeit der Frau wieder zentral, stellen sie aber nur insofern in einen Gesellschaftsbezug, dass weibliche Erwerbstätigkeit erst als kollektive Lebensweise und Gefühl verfestigt werden muss, damit Gleichberechtigung auch in der Ehe wirksam werden kann. Diese Ausführungen verdeutlichen, dass sich der Gleichberechtigungsdiskurs in den Eheratgebern der DDR in Überschneidung mit westdeutschen Deutungsangeboten weitaus heterogener gestaltete, als gemeinhin vermutet. Für die diskursive (De-)Konstruktion des Spannungsverhältnisses zwischen Gleichberechtigung und Ehe in den Ratgebern der BRD finden sich kaum positive Bezugnahmen auf das Gleichberechtigungsgesetz beziehungsweise die politi-

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schen Debatten darum. Sowohl von Hollander als auch Muhl-Schwarzenberg grenzen sich davon ab, wobei Ersterer die Debatten als nicht weitgehend genug und Letztere die gesetzlich festgelegte Gleichberechtigung als für die christliche Ehe nicht sinnvoll einschätzt. Bei Barrantay und Huter finden sich gar keine Bezüge auf Gesetze oder Debatten. Einzig der Jurist Theo Zimmermann äußert sich vorwiegend positiv zum Gleichberechtigungsgesetz, das er jedoch – wie gezeigt – an entscheidenden Stellen entsprechend seiner eigenen Auffassung von Gleichberechtigung umdeutet. Vom Gesetzgebungsprozess distanziert er sich. In den Positionen von Muhl-Schwarzenberg, Barrantay und Huter wird die Irrelevanz des Rechts an sich für eine auf Liebe oder die göttliche Ordnung gebaute Ehe deutlich, während von Hollander, aber auch Oheim und Zimmermann das Eherecht als Rahmengeber für eine persönliche Ausgestaltung der Ehe anerkennen. In Uhlmann wird Recht zum politischen Gestaltmittel und gesellschaftlichen Erziehungsinstrument und legitimiert so auch den staatlichen Eingriff in die Ehe. Zudem fungiert das Recht als Wissensressource, um die eigene Lesart von Ehe und Gleichberechtigung als ›richtig‹ zu markieren. Verfassungsrechtliche und gesetzliche Bestimmungen zu Gleichberechtigung werden darüber hinaus dafür verwendet, einen emanzipativen Vorsprung gegenüber der BRD nachzuweisen. Damit erhält das Familienrecht nicht nur eine normative, sondern auch symbolische Funktion. Dass diese für die DDR-Ratgeber nicht zu pauschalisieren ist, zeigen die Positionierungen von Neubert, der abweichend argumentiert, aber auch von Weber und Weber, in deren Ausführungen das Recht kaum eine Rolle spielt. Mit diesen Ergebnissen wird die von der Gesetzgebung beanspruchte normative Wirkung einer rechtlich institutionalisierten Ehe- und Familienordnung relativiert, und zwar sowohl für die BRD als auch für die DDR. Gesetze und politische Stellungnahmen werden nicht nur zitiert, sondern auch ignoriert, umgedeutet oder kritisiert. Auch lässt sich aus argumentativen Homologien einer (De-) Konstruktion des Spannungsverhältnisses zwischen Gleichberechtigung und Ehe in den politischen Debatten und Ratgebern häufig keine Kausalität oder Fließrichtung zwischen den Diskursen folgern. Wenn Muhl-Schwarzenberg und CDU-Abgeordnete des Bundestages die patriarchale Ehe als göttliche Wesensgemeinschaft darstellen oder Uhlmann wie auch RednerInnen vor der Volkskammer der DDR die Überwindung des Kapitalismus einer gleichberechtigten Liebesehe voraussetzen, kann eher der Bezug auf einen gemeinsamen – etwa christlichen oder sozialistischen – Wissens- und Wertehorizont vermutet werden. Mit diesem können jedoch noch keine Aussagen über eine diskursive Verflechtung politischer Debatten mit Ratgebern getroffen werden. Die Erkenntnisse deuten an, dass der Prozess, wie und unter welchen Bedingungen politisch-

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rechtliche Spezialdiskurse in medialen Diskursen und damit auch in die Ratgeber eingehen und letztlich von diesen wiederum beeinflusst werden, vielschichtig und komplex ist.

Geschlecht und Zweierbeziehung − ein untrennbares Paar? Konstruktion von Geschlecht und Zweierbeziehung in aktuellen Ehe- und Beziehungsratgebern D ENISE P OHL »Jeder Mensch sendet bewusste und unbewusste Signale, die ihn für einen potenziellen Partner attraktiv machen. Dabei handelt es sich um kodierte Botschaften, die ausgestrahlt und zurückgesandt werden und dem anderen sagen, wie nützlich er für unsere Zwecke sein könnte. Ein Mann hält eine Frau biologisch betrachtet für attraktiv, wenn sie Eigenschaften zeigt, die es ihm ermöglichen, seine Gene erfolgreich an die nächste Generation weiterzugeben. Für eine Frau ist ein Mann anziehend, der Nahrung und Sicherheit bieten kann, wenn sie Kinder bekommt und aufzieht. Das erklärt, warum sich Frauen von älteren Männern angezogen fühlen.« (Pease/Pease 2009: 230)

Die Frau als gesunde, hübsche Mutter, der Mann als Ernährer der Familie – diese Sequenz aus dem Ratgeber »Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen. Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Beziehungen« zeichnet eine traditionelle Aufteilung der Lebensbereiche zwischen den Geschlechtern nach. Eine solche polare Ausgestaltung der ›menschlichen Natur‹ kommt einer Restauration trennscharfer, polar angelegter Geschlechterbilder gleich. Diese Dichotomie von männlicher und weiblicher Zuständigkeit etablier-

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te sich im Zuge der Industrialisierung mit der Ablösung vom Lebensmodell des ›ganzen Hauses‹ und institutionalisierte sich im 18. Jahrhundert. Kennzeichnend für die bürgerliche Kleinfamilie war die Trennung von Produktion und Reproduktion (vgl. Lenz/Adler 2010). Durch die Kopplung der weiblichen Zuständigkeit an Haushalt und Kindererziehung sowie der männlichen an die finanzielle Absicherung der Familie ging eine Polarisierung der Geschlechter einher, welche sich vor allem in den 1950er Jahren verfestigte, bevor sie mit der StudentInnenbewegung und der Emanzipation der Frau verwischt wurde. Die Lebensform der heterosexuellen Paarbeziehung legitimierte sich durch die scheinbar natürliche Interdependenz von Mann und Frau. Aktuelle Studien zeigen, dass diese Leitbilder an Gültigkeit verloren haben und Ideale von Individualisierung und Gleichberechtigung deren Platz einnehmen, auch wenn die soziale Praxis diesen häufig widerspricht (vgl. ebd.). Wie reagieren Ratgeber auf diese gesellschaftliche Konstellation? Welche Probleme diagnostizieren sie für die Paarbeziehung und welche Lösungen bieten sie an? Im Fokus steht die diskursanalytische Betrachtung von Beziehungsratgebern des 21. Jahrhunderts. Die Analyse populärer Ratgeberliteratur der gegenwärtigen Dekade eröffnet den reflektierten Zugang zu aktuellen, kulturellen Legitimationsdiskursen, welche Männern und Frauen Verhaltensstandards und Normalität vorgeben. Von besonderem Interesse ist dabei, wie Zweigeschlechtlichkeit und Zweierbeziehung konstruiert werden und welche Relationen zwischen diesen beiden Kategorien hergestellt werden.

1. G ESCHLECHT UND Z WEIERBEZIEHUNG – I NTERDEPENDENZ ZWEIER SOZIALER K ONSTRUKTIONEN 1.1 Geschlecht – eine gesellschaftliche Kategorie Peter L. Berger und Thomas Luckmann zeigen in ihrem Werk »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (2007, orig. 1966), dass alles, was der Mensch als ›wirklich‹ empfindet und begreift, nur durch die Handelnden selbst entsteht und somit eine Konstruktion derselbigen ist. Die Typisierung ›Mann‹ oder ›Frau‹ und die Zugehörigkeit zu ausschließlich einer der beiden Kategorien sind somit sozial konstruiert und Teil des gesellschaftlichen Wissensbestandes. Sie gehören zum ›Jedermanns-Wissen‹ und sind damit hochgradig komplexitätsreduzierend (vgl. ebd.). Sie dienen der Bewältigung des Alltags, der Verortung seiner selbst in der Welt und der Bestätigung der Teilhabe. Diese sozialkons-

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truktivistischen Grundannahmen (vgl. Knoblauch 2005) fundieren das Verständnis des vorliegenden Artikels. Es gehört »heutzutage zum soziologischen Commonsense, anzunehmen, die Geschlechterdifferenz sei sozial konstruiert« (Hirschauer 1994: 668). Die Konstruktionsthese fasst Geschlecht als nicht biologisch determiniert. Ein Argument dafür liefern die wissenschaftlichen Disziplinen der Biologie und Medizin selbst, wobei zu bedenken ist, dass beide als die Lehre von der Natur (des Menschen) gelten und dass das in diesen Disziplinen generierte Wissen in der Gesellschaft als wahr gilt. Sie sind somit gegenüber anderen, wie beispielsweise der Theologie, in ihrem Wahrheitsanspruch hegemonial gestellt. Jedoch sind auch diese Disziplinen samt ihrem Wissen nur vom Menschen selbst konstruiert! Sowohl in der medizinischen wie auch in der biologischen Wissenschaft gibt es keine eindeutigen Indikatoren, welche die trennscharfe Unterscheidung von Mann und Frau erklären, geschweige denn belegen könnten (vgl. HagemannWhite 1984; Voß 2011). Anhand der Chromosomen oder Keimdrüsenausbildung lassen sich mehr als zwei unterschiedliche Variationen von Geschlecht ableiten. Auch der Hormonhaushalt kann kein als naturhaft angenommenes Indiz für eine eindeutige, unveränderbare Geschlechtszuordnung sein, da Hormone längst als Spielball modernen, gesellschaftlichen Einflusses identifiziert worden sind. Auch das morphologische Geschlecht als weitere Möglichkeit, Geschlechterzugehörigkeit biologisch zu bestimmen, stimmt nicht immer mit dem Chromosomengeschlecht überein. Es wird hierbei nach Unterschieden im inneren und äußeren Körperbau sowie nach geschlechtstypischen Körpereigenschaften geschaut. Die Geschlechterklassifizierung anhand der Morphologie ist das prominente Verfahren im gelebten Alltag der AkteurInnen und die Basis für das stereotype ›Jedermanns-Wissen‹ unseres Kulturkreises: Demnach sind Männer das starke und Frauen das schwache Geschlecht. Dieses Bild basiert auf der scheinbar naturhaften Tatsache, dass Männer größer sind und mehr Muskulatur haben. Die Allgemeingültigkeit dieser Definition schlägt sich in zahlreichen daran anschließenden, natürlich scheinenden Folgen nieder. Die Stereotypisierungen, wie die körperliche Unterlegenheit und Hilflosigkeit der Frau im Gegensatz zum Mann als ›Retter in der Not‹, werden in gesellschaftlichen Institutionen fortgeschrieben und damit reproduziert. Als Beispiel sei an dieser Stelle auf die Norm der Partnerwahl verwiesen, wobei der Mann größer oder beide PartnerInnen zumindest gleichgroß sein sollte(n). Tatsächlich sind die Werte, die ein ›natürliches‹ Gefälle von Körperkraft und -größe zwischen den Geschlechtern zu belegen glauben, nur Durchschnittswerte ohne jegliche Abstufung (vgl. Tyrell 1986). Auch aktuellere Schriften stützen eine solche Argumentation, denn nach wie vor werden »die gesellschaftlich erwarteten zwei Geschlechter auch in biologisch-

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medizinischen Geschlechtertheorien als different vorausgesetzt« (Voß 2011: 122) und dadurch wird übersehen, dass Geschlecht nicht so trennscharf ist, wie zum Teil in der Theorie behauptet. Bei der Beschreibung körperlicher Merkmale wird beispielsweise selten nach dem Ursprung, sondern meist nur nach dem Status quo gefragt, dem dann eine biologische Ursache unterstellt wird. »Ungleichbehandlung – wie sie sich etwa in einer unterschiedlichen Ernährung und in einem unterschiedlichen Training der Muskulatur darstellt – und ihre Auswirkungen auf physische und physiologische Merkmale« (ebd.: 127) werden oft nicht berücksichtigt. »Es zeigt sich für die ›Biologie des Geschlechts des Menschen‹ klar und deutlich, dass Deutungen in Richtung vieler Geschlechter nicht nur ebenso berechtigt sind, vorkamen und vorkommen, wie solche in Richtung zweier Geschlechter, sondern dass sie aktuell überzeugendere Theorien für menschliche Geschlechtlichkeit liefern.« (Ebd.: 165) Die These, Geschlecht als soziale Konstruktion zu verstehen, baut auf Harold Garfinkels Agnes-Studie (1984) auf. Geschlecht wird darin als zentrales und ausschließliches Unterscheidungsmerkmal betrachtet, welches permanent interaktiv hergestellt wird. Dieser fortlaufende Prozess wird faktisch während jeder menschlichen Aktivität vollzogen. Die unterschiedlichen Genitalien konstituieren dabei nicht die Differenz, sondern erst deren (von Menschen gemachte) Bedeutung (vgl. Gildemeister 2004). Ein solches Verständnis von Geschlecht macht dessen soziale Dimension erkennbar. Es ist Teil der Kontroverse über die Rolle des Körpers: Ist der Körper Basis oder Effekt der Geschlechterkonstruktion? Stefan Hirschauer (1989) argumentiert aus einer wissenssoziologischen Perspektive, welche dem Biologismus das Fundament entzieht. »Da ›ist‹ irgendein vorsozialer Körper, aber sobald wir ihn musternd erblicken oder gar anfangen zu beschreiben, was wir in ihm sehen, hat er aufgehört ein unkonstruierter, natürlicher Körper zu sein.« (Hirschauer 1989: 112) Der Mensch schafft sich damit ein komplexitätsreduzierendes Werkzeug, mit welchem er seine eigene Population sortieren kann.1 Hirschauer spricht von der »Sozialität des Körpers« (Hirschauer 1994: 674). Die ›erfolgreich sozialisierten‹ Gesellschaftsmitglieder haben ihre soziale (Geschlechter-)Position inklusive der Repräsentationsmechanismen inkorporiert, sich die Verhaltenscodes eingeprägt (vgl. Berger/Luckmann 2007). Die Bedeutung der exemplarischen Zeichenkette ›Penis‹ geht weit über die Zuordnung zum männlichen Geschlecht hinaus. Anhand der sozialen Bedeutungszuschreibung des Penis als ›Genital‹, als (entscheidendes) ›Körpermerkmal‹ wird zum Zeitpunkt der Geburt die Kategorisierung als ›männlich‹ bezie-

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Zu klären, wieso gerade dieses als Unterscheidungsmerkmal dienlich scheint, liegt leider nicht im Ermessen dieses Beitrags.

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hungsweise ›nicht männlich‹ vorgenommen. Um jedoch im Alltag zu agieren, braucht es mehr. Wäre man allein auf der Welt, hätte man kein Geschlecht. Geschlechtszugehörigkeit herzustellen, ist, wie bereits erwähnt, interaktiver Natur. Ein Pionier auf dem Gebiet der Interaktionsrituale ist Erving Goffman. Sein Interesse galt der Erforschung, »wie in ursprünglichen Kommunikationssituationen eine sinnhaft interpretierbare Ordnung entsteht und sich erhält«, dabei durchforstet er die »Selbstverständlichkeiten der Alltagswelt auf ihre Organisationsprinzipien hin« (Hettlage 2003: 189). Anhand des ›Hofierens‹, der ›Höflichkeit‹ und ›Wertschätzung‹ rekonstruiert Goffman den allgegenwärtig stattfindenden Genderismus, welcher die gesellschaftliche Interaktionsnorm inkludiert, Frauen Anerkennung zu zollen (vgl. Goffman 2001). Die detaillierte Betrachtung der kognitiven Strukturen sozial geteilten Wissens über die Merkmale von Mann und Frau zeigt, dass das normative Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit in unserem Kulturkreis polar präsentiert ist. Mit dem Zeitpunkt der Geburt wird die Menschheit der westlich orientierten Gesellschaft in ›rosa und hellblaue Armbänder‹ selektiert. Auch wenn das Band nur temporär vorhanden ist, verliert es ein Leben lang nie seine Bedeutung. An die zwei (und nur zwei) Zugehörigkeitsmöglichkeiten sind Wissensbestände gekoppelt – etwa Konnotationen von Rosa und Blau –, welche in Form von Stereotypen polar strukturiert sind. Diese helfen bei der interaktiven Herstellung von Geschlecht. Der Konstruktion nach ist die ›typische Frau‹ gutmütiger und gefühlvoller als der ›typische Mann‹, welcher wiederum kompetenter, unabhängiger und intelligenter ist als die ›typische Frau‹ (vgl. Eckes 2002). Eine solche polare Verortung der zwei Geschlechter geht Hand in Hand mit der Institutionalisierung des Eheleitbildes der 1950er Jahre. Untersuchungen zu Geschlechterstereotypen (vgl. ebd.) zeigen, dass die starke Polarität aktuell abnimmt und sich eine mehrdimensionale Kategorisierung herausbildet beziehungsweise herausgebildet hat. »Mixed Gender Stereotypes« (ebd.: 105) fassen die Vielschichtigkeit innerhalb der beiden Globalstereotypen von ›weiblich‹ und ›männlich‹. Eine Vielzahl von Substereotypen verwischen die Trennschärfe, können sie jedoch nicht auflösen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Subjekte weder biologisch noch gesellschaftlich gänzlich determiniert werden. Jedoch sind die biologischen Gegebenheiten immer der gesellschaftlichen Deutbarkeit unterworfen und das Subjekt ist zu keinem Zeitpunkt vorsozial. Das soll heißen, die gesellschaftliche Wirklichkeit ist lediglich eine ›Natur‹ beziehungsweise ›Realität‹ zweiter Ordnung − ohne dass der Mensch Zugang zur ersten Ordnung hat. Die zugestandene Individualität, die Option des Widerwillens gegen gesellschaftliche, familiale Verhaltensmuster, ist somit auch Gegenstand des gesellschaftlichen Wissensbestan-

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des, also sozial bestimmt. Die AkteurInnen sind also nur in der Hinsicht ›undeterminiert‹, indem sie wählen können, auf welches Wissen sie rekurrieren, welche Stereotypen sie anwenden, welchen Erwartungen sie entsprechen et cetera. Sie bleiben jedoch immer gesellschaftlich geformt in dem, was sie wissen. Die Kategorien ›Frau‹ und ›Mann‹ werden als soziale, sich ausschließende Gebilde verstanden. »Keines dieser Gebilde darf als Produkt der biologischen Verfassung des Menschen aufgefasst werden − die, wie gesagt, dem produktiven Tun des Menschen lediglich die äußeren Grenzen setzt.« (Berger/Luckmann 2007: 54) 1.2 Die soziale Konstruktion von Ehe Die Institutionen Ehe, Familie und Zweierbeziehung sind zentrale Strukturelemente der Gesellschaft, denn das Leben einer modernen Gesellschaft ist um das verheiratete, sich fortpflanzende Paar herum organisiert − der private Haushalt bildet die Grundeinheit gesellschaftlicher Integration (vgl. Goffman 2001). Die sozialialkonstruktivistische Idee der (heterosexuellen) Ehe als »nomisches Instrument« (Berger/Kellner 1965: 220) fasst die Zweierbeziehung als gesellschaftsintegrierendes Moment. Durch ein solches Arrangement wird Anomie vorgebeugt und ein Zusammenleben ermöglicht. Die Paarbeziehung ist der Raum, in dem voneinander abweichende Wirklichkeitskonstruktionen vereint und damit Wirklichkeitsentwürfe reduziert werden können: Ehewirklichkeit entsteht aus zwei Wirklichkeitsentwürfen, dem der Ehefrau und dem des Ehemannes, die nun vereint werden (vgl. Lenz 2009). Kulturell konstruierte »Schwellen-Wendepunkte« (ebd.: 80) wie die Aufnahme sexueller Interaktion, das Gründen eines Hausstandes oder die Familiengründung sind gesellschaftliche Institutionalisierungen, um eine gemeinsame Wirklichkeit zu generieren und zu festigen. Damit wird den Individuen Handlungssicherheit gegeben (vgl. ebd.). Studien, wie beispielsweise Jean-Claude Kaufmanns »Schmutzige Wäsche« (2005), zeigen, dass die Wendepunkte nicht nur der Beziehungswirklichkeit Bestand geben, sondern auch tradierten Geschlechterbildern. Beide Konstrukte scheinen sich also nicht nur zu bedingen, sondern sogar wechselseitig zu verstärken. Die gesellschaftliche Relevanz der Zweigeschlechtlichkeit und der heterosexuellen Paarbildungsnorm liegt in der Notwendigkeit der Komplexitätsreduktion: Die Paarbildung ergibt sich aus der Dichotomie der Geschlechter, welche eine ›natürliche‹ Interdependenz zur Folge hat. Gleichzeitig ist die Zweierbeziehung das »dominante[.] soziale[.] Setting, in dem unmittelbar erfahrbar wird, dass Männer und Frauen ›anders‹ sind« (Lenz 2001: 191). Heterosexuelle Paarbildung kann als Koalition verstanden werden, deren ›natürliche‹ Interdependenz

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sich daraus ergibt, dass jeder Mensch − will er den in seiner Geschlechtsklasse als angemessen geltenden Verhaltensmustern entsprechen − essentiell unvollständig ist (vgl. Kaufmann 2005). Jean-Claude Kaufmann untersucht anhand des Umgangs mit schmutziger Wäsche, wie Individuen durch ihre Partnerschaft gegen ihren Willlen in geschlechterdifferente Arbeitsteilung übergehen. Grundlage seiner Analyse ist die Befragung von 20 Paaren beziehungsweise Haushalten über zwei Jahre hinweg. In der Idee der Gleichberechtigung, im Speziellen der Gleichstellung von Frau und Mann, erkennt der französische Soziologe den Schlüsselindikator einer Demokratie. Das in Europa vorherrschende Ideal, dass beide PartnerInnen berufstätig sind und sich den Haushalt teilen, erachtet er als machtvolle Idee, aber eben nur als Idee. Die Grenzen der Gleichberechtigung liegen seiner Analyse nach vor allem in der Familiengründung beziehungsweise der Mutterschaft. »Schmutzige Wäsche« verdeutlicht, wie überzeugt die Paare von ihrer eigenen Gleichberechtigung sind und wie ungleichberechtigt doch ihr Beziehungsalltag ist. Kaufmann beschreibt, wie auch schon andere Studien (etwa Hochschild 1990), dass Frauen insgesamt mehr Zeit mit Hausarbeit verbringen als ihr männlicher Partner, unabhängig davon, ob sie berufstätig sind oder nicht. Dabei gibt es scheinbar weibliche Aufgabenbereiche wie Waschen, Bügeln, Nähen und das Reinigen der Sanitäranlagen. Lediglich in die Bereiche des Einkaufens, Spülens und Kochens sind die Männer heutzutage vorgedrungen. Diese Schilderung der Haushaltstätigkeiten von Mann und Frau zeigt beispielhaft die Verstärkung der Geschlechterdifferenzen durch das Bilden einer Paarbeziehung. Zu ihrem Beginn ist laut Kaufmanns Ergebnissen noch jeder für seine Wäsche selbst verantwortlich, das heißt die Idee der Geschlechtergleichheit ist − zumindest ansatzweise − Teil des gelebten Paaralltags. Deutlich wird jedoch, dass die Idee der Gleichberechtigung für die Annäherung der Geschlechter zeitgleich dienlich wie hinderlich ist: Auf der einen Seite ist das Konstrukt der weiblichen Zuständigkeit für den Haushalt zu tradiert und routinisiert, um es in einigen, wenigen Generationen zu überwinden, was heißen soll, dass die Idee der Gleichheit Zeit braucht. Auf der anderen Seite führt das bewusste Reflektieren über das Ideal im Zusammenhang mit der Praxis zum vermehrten Zündstoff für die Beziehung. Beide fühlen sich schuldig, weil sie dem Ideal nicht entsprechen − der Körper scheint nach den Familienleitbildern des 19. Jahrhunderts zu funktionieren, während der Kopf diese Handlungsweisen an den Normen des 21. Jahrhunders misst. Zuständigkeiten und Beziehungsideale müssen vom Paar neu ausgehandelt werden. Diese zunehmenden Aushandlungsprozesse produzieren Lösungen, welche die Ungleichheit jedoch nicht etwa reduzieren, sondern reproduzieren (vgl. Lenz 2001).

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Anhand der Analyse von Beziehungsratgebern soll nun analysiert werden, inwieweit die untersuchten Ratgeber einen Zusammenhang von Geschlecht und Paarbeziehung herstellen und inwieweit sie im Rahmen der Paarkonstruktion tradierte Geschlechterbilder und Arbeitsteilungen reproduzieren.

2. E RGEBNISSE DER DISKURSANALYTISCHEN U NTERSUCHUNG – EINE R EKONSTRUKTION GESELLSCHAFTLICHER N ORMALITÄTSENTWÜRFE Mithilfe des Theoretical Samplings nach Strauss und Glaser (1998, orig. 1967; Flick 2010) wurden vier Beziehungsratgeber aus dem bereits vorsortierten Datenkorpus (vgl. Scholz/Lenz i.d.B.) selektiert. Entscheidend für die Auswahl war, dass der Erscheinungszeitpunkt im 21. Jahrhundert liegt – somit Teil der heutigen Wirklichkeitskonstruktion ist – und dass es sich um Beziehungsratgeber handelt, welche die Paar-, nicht etwa die Elter(n)-Kind-Beziehung, fokussieren. Ausgewählt wurde »Simplify your Love. Gemeinsam einfacher und glücklicher leben« von Marion und Werner Tiki Küstenmacher aus dem Jahr 2009. Dieser Ratgeber erzählt eine Geschichte von einem Mann und einer Frau auf zwei einsamen Inseln, welche sich durch das ›Dickicht‹ der Beziehungsprobleme hin zum »Königsschloss« durchschlagen (Küstenmacher/Küstenmacher 2009: 19). Mithilfe märchenhafter Metaphorisierung wird hier eine ganze Bandbreite von Beziehungsfacetten besprochen, begonnen bei der Partnersuche. Die AutorInnen selbst nennen ihr Buch »Reiseführer durch das Land der Liebe« (ebd.: 8). Ein zweites Diskursfragment ist »Wie Männer und Frauen die Liebe erleben«2 von Michael Mary (2006). Dieser Beziehungsratgeber folgt einer klaren, problemorientierten »story line«. Begonnen bei der Darlegung der Probleme und Disharmonie erfolgt eine dafür ursächliche Erklärung der Verschiedenheit von Mann und Frau. Mary arbeitet sehr aufklärend und fast sachbuchartig. Seine Erläuterungen zielen darauf ab, sich selbst besser kennenzulernen. »Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen. Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Beziehungen« von Allan und Barbara Pease (2009) ist der dritte ausgewählte Ratgeber. Die AutorInnen bezeichnen ihr

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Im Sample des Forschungsprojektes ist dieser Ratgeber geführt als: Mary, Michael (2000): Schluß mit dem Beziehungskampf. Diese Ausgabe ist eine Auflage des bereits 1996 erschienenen Bestsellers. Beide sind jedoch nicht mehr im Handel erhältlich, man bekommt stattdessen den oben angeführten, welcher eine leicht veränderte Neuauflage des Verkaufsschlagers ist.

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Buch als »Landkarte« durch das »entstandene Beziehungslabyrinth« (Pease/Pease 2008: 19). Es baut von vornherein auf der Geschlechterthematik auf, welche sich, zum Teil ironisch überspitzt, als roter Faden durch das ganze Buch zieht. Zur Kontrastierung der auf heterosexuelle Zweierbeziehungen ausgerichteten Ratgeber wurde ein Beziehungsratgeber für homosexuelle Paare herangezogen. Die Auswahl wurde dadurch erleichtert, dass das Angebot insgesamt wesentlich geringer ist als das für verschiedengeschlechtliche Paare. Der abschließend analysierte Ratgeber »Gemeinsam zweisam: Der Beziehungsratgeber für Schwule« stammt aus der Feder von Carsten Heider (2003). Er erzählt eine Geschichte von zwei Männern, die sich ineinander verlieben. Anhand der romanhaften Abstraktion Shakespeares »Romeo & Julia« werden Wende- und Problempunkte einer Partnerschaft skizziert und Lösungsvorschläge beziehungsweise Ratschläge zur Vermeidung möglicher Krisen gegeben. 2.1 Polare Geschlechterkonstruktionen als Bestandsgarant für Zweierbeziehungen Für den von Allan und Barbara Pease verfassten Ratgeber wurde bei der Analyse die Kernaussage ›dem evolutionären Erbe folgen‹ extrahiert. Für Pease/Pease ist die Geschlechtszugehörigkeit das tragende Moment im ganzen Buch. Sie sehen das Problem fragiler Paarbeziehungen in dem Nichtwissen um die Verschiedenheit der Geschlechter begründet. Die natürliche, körperliche und geistige Verschiedenheit von Mann und Frau führe zu Missverständnissen, Streit und Frustration. Das Wissen und die Akzeptanz der Differenzen bringe hingegen Bestand und Harmonie in die Beziehung. »Um beim anderen Geschlecht Erfolg zu haben, muss man zwei Sprachen beherrschen − ›Männersprache‹ und ›Frauensprache‹.« (Pease/Pease 2008: 23f.) Das nach Pease/Pease evolutionär herausgebildete Geschlechterideal von Mann und Frau soll befolgt und akzeptiert werden. Dabei rekonstruieren die AutorInnen ein Bild der tradierten, dichotomen Zweigeschlechtlichkeit. Die emanzipierte Gesellschaft bringe zwar Freiheit, aber auch Orientierungslosigkeit und gefährde damit den Bestand der Ehe. »Seither waren Beziehungen und Familien einer enormen Belastung ausgesetzt. Die Frauen waren zornig; die Männer waren gelähmt und verwirrt. Ihre Rolle war bislang immer klar definiert gewesen: Der Mann war der Herr im Hause. Er war der Haupternährer seiner Familie, sein Wort war Gesetz, und die Bereiche, in denen er die Entscheidungen traf, waren fest umrissen. Er war der Beschützer und Versorger. Seine Frau war Mutter, Haus-

136 ȹ|ȹ D ENISE P OHL hälterin, Privatsekretärin und Betreuerin. Er kannte seine Verantwortlichkeiten und seine Ehefrau die ihren. Das Leben war einfach.« (Ebd.: 17)

In der Vergangenheit habe sich die Gesellschaft mit dichotomen Geschlechterrollen beziehungsweise der geschlechtlichen Arbeitsteilung ein Hilfsmittel geschaffen, welches dem ›evolutionären Erbe‹ gerecht werde. Meinungsverschiedenheiten seien durch Differenzierung und unterschiedliche Verhaltenserwartungen von vornherein ausgeschlossen gewesen. Die Emanzipation, die Freiheit der modernen Frau, habe diese Muster aufgebrochen. Nach Meinung der AutorInnen ist die Abwesenheit einer eindeutigen Rollenverteilung Schuld an ›zornigen Frauen‹ und ›verwirrten Männern‹. Die Tendenz zu einer Wiederbelebung klassischer Geschlechterbilder ist klar erkennbar. Werner Tiki und Marion Küstenmacher beschreiben die zwei Geschlechter ebenfalls als gegensätzlich und sich ergänzend. Als Leitthema ihres Ratgebers konnte ›Liebe ist…Instinkt & Einzigartigkeit & Hingabe‹ herausgearbeitet werden. Für die AutorInnen bestehen zwei gegensätzlich angelegte, sich ergänzende Geschlechtertypen. Die natürliche Anziehung aufgrund der Interdependenz von Mann und Frau wird jedoch von der Unersetzlichkeit der einzelnen Person übertroffen. Für Küstenmacher/Küstenmacher sind Frau und Mann also mehr als nur Beute und Jäger. Die Liebe steht über den Gegensätzen. Trotzdem kommt es auch hier zu einer Wiederbelebung der traditionellen Zuständigkeitsbereiche von Mann und Frau, wenn auch die Wertigkeit der weiblichen Aufgaben angehoben wird, die nun gleichgestellt sind mit denen des Mannes. Harmonie und glückliche, reife Liebe könne dann empfunden werden, wenn man nicht mehr gegen das ›eigentliche‹ Sein anzukämpfen versucht. Wie bei Allan und Barbara Pease geht es darum, Differenz zu ertragen und zu akzeptieren. Mehr noch versuchen die AutorInnen, den Nutzen von Synergien aus der interdependenten Polarität sichtbar zu machen. »Die Brücke zwischen den Türmen: Die Hochzeit der Gegensätze3 Mit Ihrer Forschungsreise vom Turm bis zum Schloss haben Sie eine ganz besondere Fähigkeit bewiesen: Sie können Gegensätze gelassener ertragen. Der ›Krieg der Geschlechter‹ ist nach dem Finsterwald für Sie vorbei.« (Küstenmacher/Küstenmacher 2009: 327)

Küstenmacher/Küstenmacher konstruieren die Ehe als das Ziel einer Paarbeziehung und verschränken Dauerhaftigkeit der Beziehung in einem Atemzug mit ›Heirat‹ der Gegensätze. Die Polarität der Geschlechter mache das Bedürfnis und

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Hierbei handelt es sich um eine Teilüberschrift des Buches.

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den Sinn der Paarbildung aus, da die Individuen dadurch vollständiger würden. Geschlecht werde gleichzeitig innerhalb der Paarbeziehung produziert, da erst durch die omnipräsente Anwesenheit des anderen Geschlechts die differenzierte Arbeitsteilung eintrete. Stereotype würden zur Realität, da sich beide nun auf ihr Fachgebiet4 spezialisieren können oder müssen. Im Singlehaushalt sei eine derartige Teilung nicht möglich. Das Alleinleben an sich sei wiederum entgegen der menschlichen Natur und der gottgegebenen Existenz. Bei Pease/Pease und auch bei Küstenmacher/Küstenmacher gestaltet sich die Zweigeschlechtlichkeit als starke Polarisierung von Mann und Frau, welche eine Paarbeziehung fundamental organisiert. Bei beiden AutorInnenpaaren kann von einer Reproduktion polarer Geschlechterbilder gesprochen werden. Beide Ehepaare geben Rat, um den Partner beziehungsweise die Partnerin besser verstehen zu können und das eigene Geschlecht auszufüllen. Wie schon in der wissenschaftlichen Literatur erkannt, geht es dabei um die (Re-)Institutionalisierung zum Teil verloren gegangener Ordnungs- und Orientierungsapperate in Form von gegensätzlichen, sich ergänzenden Geschlechterstereotypisierungen. 2.2 Überwindung stereotyper Dichotomisierung Das dritte Analysedokument, Michael Marys »Wie Männer und Frauen die Liebe erleben«, erkennt die Quelle der Disharmonie in der Verschiedenheit von Mann und Frau. Basierend auf stereotypen Geschlechterbildern konstruiert Mary Mann und Frau als verschieden und gegensätzlich. »Im Begehren der Frau nach Nähe, fühlt sich der Mann gefangen wie die Fliege im Netz der Spinne. Er muss aufpassen, sonst wird er ›ausgesaugt‹ oder ›verschluckt‹. Sein Bemühen, Distanz zu halten, entpuppt sich als Selbstschutz, sich als Versuch, seine emotionale Unabhängigkeit zu bewahren, die er zu verlieren fürchtet.« (Mary 2006: 13)

Mary empfielt zwar, diese Gegensätzlichkeit zu erkennen und zu verstehen, jedoch nicht, sie zu akzeptieren und schon gar nicht, die sich daraus ergebende Interdependenz zu nutzen. Für diesen Autor gilt es, die Verschiedenheit zu überwinden und selbst als Indivuduum vollständig zu werden. Die Koabhängigkeit von einem anderen sei Gift für die Zweierbeziehung. Mary versucht, die Polarität der Zweigeschlechtlichkeit zu überwinden, um so erst wirkliche Anziehung zu ermöglichen.

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Frau: Familienfürsorge, Haushalt etc.; Mann: Familienernährer, Schutz der Familie (vgl. ebd.).

138 ȹ|ȹ D ENISE P OHL »Jede Spezialisierung bedeutet Hinwendung zu einem Bereich, aber auch Abwendung von anderen Bereichen. Als Konsequenz der Rollenteilung wurden Mann und Frau einseitig − sie entwickelten nur einen Teil ihrer Fähigkeiten, nämlich jenen, den sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben brauchten. Der Preis der Spezialisierung, ihr Nachteil, war Verdrängung, war Aufspaltung bestimmter Kräfte und Eigenschaften in weibliche und männliche Qualitäten und damit verbunden ein Verzicht. Der Mann wurde bis zu einem gewissen Grad vom Erleben seiner Gefühle, vom Erleben und Beherrschen seiner Innenwelt getrennt. Die Frau wurde bis zu einem gewissen Grad vom Erleben ihrer Unabhängigkeit abgeschnitten, vom Erleben und Beherrschen der Außenwelt.« (Ebd.: 20)

»Wie Männer und Frauen die Liebe erleben« hat zwar auch die Dichotomie von Mann und Frau als Ausgangspunkt, versucht jedoch, diese Konstruktion zu überwinden, indem das Individuum der »Spur der Lust« folgt, sprich Vollständigkeit nicht durch den Partner beziehungsweise die Partnerin, sondern durch Selbstfindung erreicht (ebd.: 87). Wo bei Pease/Pease und Küstenmacher/Küstenmacher die Interdependenz zwischen Mann und Frau als natürliches Bindemittel konstruiert und damit tradierte Geschlechterbilder im Kontext der Paarbeziehung rekonstruiert werden, wird bei Mary vor einer Koexistenz aufgrund männlicher und weiblicher Spezialisierung im Beziehungsalltag gewarnt. Denn beide wären so von den Qualitäten desௗ/ௗder Anderen, die man selbst für die jeweilige Spezialisierung aufgegeben habe, abhängig. In dieser Konstellation würde es keiner der beiden wagen, die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu rücken; aus Angst, denȹ/ȹdie Andere/n zu verlieren, von dem erȹ/ȹsie abhängig ist. Interdependenz scheint nach Marys Lesart weniger ein Schritt ins Miteinander als vielmehr ein Schritt voneinader weg. 2.3 Konstruktion homosexueller Zweierbeziehung Anhand dieser drei Diskursfragmente wurde erkennbar, dass der Beziehungsdiskurs und der Geschlechterdiskurs unlösbar miteinander verschlungen sind. Es ist aktuell jedoch keine klare Tendenz abzulesen, ob gelebte Geschlechterdifferenz oder Geschlechtergleichheit nun als beziehungsförderlich oder -hinderlich bewertet werden. Der Diskurs ist mehrdimensional und in der Reproduktion tradierter Geschlechterbilder oder der Konstruktion eines Geschlechtergleichgewichts nicht eindeutig. Es bestätigt sich hingegen bereits die theoretisch herausgearbeitete Verknotung von Zweigeschlechtlichkeit und deren polare Gestaltung in heterosexuellen Paarbeziehungen. Die verschiedenen Ausformungen des Diskurses geben ein Exempel von der in den Ratgebern viel zitierten Orientierungs-

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losigkeit der Beziehungspersonen, was die gute Konjunktur des Marktes von Beziehungsratgebern erklärt. Mit der Analyse von Heiders Beziehungsratgeber für schwule Paare soll untersucht werden, wie sich Zweierbeziehung ohne das Moment der Verschiedengeschlechtlichkeit konstruiert. Überraschenderweise bedient sich auch dieser Ratgeber besonders oberflächlicher Geschlechterstereotype: »Männer denken ständig nur an Sex. Es ist egal, ob dafür ein Objekt der Begierde in Sicht ist oder nicht. Selbst beim Anblick eines übergewichtigen, ungepflegten Handwerkers Ende 50 fragen wir uns, wie er wohl mit 20 ausgesehen hat und was für geilen Sex − einen kleinen Zeitsprung vorausgesetzt − wir damals womöglich mit ihm gehabt hätten. Man kann uns waschen, uns ein frisch gebügeltes Hemd anziehen und uns zur Universität schicken. Aber letzten Endes bleiben wir in sexueller Hinsicht doch immer Neandertaler.« (Heider 2003: 30)

Im Vergleich zu den drei im Vorfeld analysierten Ratgebern verhält sich dieser ambivalent. Zentral ist für Heider die Betonung der männlichen Natur, er zeichnet ein stereotypes Männerideal als Gegensatz zur Frau. Ganz klar betont er, dass er einen Ratgeber für Schwule schreibt, für – überspitzt formuliert – »echte« (ebd.: 43) Männer, nicht etwa für homosexuelle Liebe allgemein. Er reproduziert also bewusst ein traditionell ausgeformtes Männerbild, wie man es auch bei Pease/Pease und zum Teil auch bei Küstenmacher/Küstenmacher finden kann. Jedoch dient diese Konstruktion nicht dem Schaffen ›natürlicher und evolutionär herausgebildeter‹ Interdependenzen als Garant von Dauerhaftigkeit einer Paarbeziehung. Denn das Existenzielle für eine (männliche) Zweierbeziehung ist für Heider das Prinzip der Abgrenzung, vergleichbar mit der individuellen Vollständigkeit bei Mary. Jeder »Gatte« (ebd.: 48) soll für sich allein bestehen können und in keinster Weise vom anderen abhängig sein. Heider betont die Unabhängigkeit der Gatten als Garant für die Paarbeziehung. Festzuhalten ist, dass auch eine homosexuelle Beziehung sich über das gesellschaftliche Wissen der Zweigeschlechtlichkeit definiert. Polar entworfene Geschlechtertypen werden auch im »setting« der schwulen Zweierbeziehung erlebbar, da man(n) sich eben auf das Männliche besinnen soll. Heider konnte somit nicht die Verbindung der polar angelegten Zweigeschlechtlichkeit und der Paarbeziehung lösen, wobei jedoch die Polarität der Geschlechter hier nicht der Konstruktion von scheinbar natürlicher Interdependenz der Gatten und somit der Legitimation und Manifestation der Beziehungsinstitution dient. Sie wird lediglich zur Abgrenzung und zum Emporheben des männlichen Geschlechts eingesetzt. Des Weiteren wurde die ›natürliche Anziehungs-

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kraft‹ beider Geschlechter (so beispielsweise bei Mary) allein durch die Tatsache der Homosexualität in Frage gestellt. 2.4 Paarkonstruktionen zwischen Tradition und Liberalisierung »Liebe befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, den wir nur schwer nachvollziehen können. Liebten wir früher den Partner, mit dem wir zusammenlebten, so wollen wir heute mit dem Partner zusammenleben, den wir lieben. Partnerschaft hat einen neuen Sinn bekommen: Wir brauchen den anderen nicht mehr, um zu überleben. Wir brauchen ihn, um zu lieben.« (Mary 1992: 7)

Ende des 20. Jahrhunderts durchläuft die Zweierbeziehung einen Wandel. Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr ihre Mitglieder. Liebe ist anspruchsvoller geworden. Das Ideal wird nicht mehr von greifbaren Faktoren wie Geld, Status, Geschlechtszugehörigkeit oder Reinheit bestimmt. Man liebt der Liebe wegen. Im Zuge dessen verlieren zunehmend auch die polar angelegten Geschlechterbilder an Legitimation. Die Paarbeziehung ist seither ein, wie Kaufmann versinnbildlicht, »weißes Blatt« (J.-C. Kaufmann 2008: 49). Das führt zu Orientierungslosigkeit und Unsicherheit und gefährdet somit die Handlungsfähigkeit der AkteurInnen. Markiert beziehungsweise illustriert wird diese Umbruchsituation von der gestiegenen Fragilität und Diskontinuität von Paarbeziehungen. Die analysierten Diskursfragmente bieten zwei Lösungsstränge für die Gestaltung des Orientierungsvakuums an. Zum einen findet sich die Konstruktion beziehungsweise Rekonstruktion neuer alter Geschlechterbilder. Bei Pease/Pease und auch bei Küstenmacher/Küstenmacher kristallisieren sich starke Rückgriffe auf das tradierte Funktionsmodell5 der 1950er Jahre heraus. So vereinigen sich bei Pease/Pease die gesunde, paarungswillige Frau, die es zu beschützen gilt, und der erfolgreiche, starke, dominierende Mann (vgl. Pease/Pease 2008: 225f.). Unterschwellig wird auch die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau traditionell gestaltet. Im »Königsschloss«6 bei Küstenmacher/Küstenmacher nimmt die geschlechtliche Arbeitsteilung eine zentrale Rolle ein. Inhaltlich verändert sich dabei gegenüber der bekannten Trennung von Produktion und Reproduktion recht wenig, vielmehr werden die Frau und der Mann dazu angehalten, ihre »gemeinsamen Felder« (Küstenmacher/Küstenmacher 2009: 160) nach bestem

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Ein Begriff von Kaufmann, worunter die funktionale Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern gefasst wird (vgl. Kaufmann 2008).

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Das »Königsschloss« ist in diesem Ratgeber eine Metapher für eine reife, glückliche Paarbeziehung. Es ist als Ziel des Ratgebers angelegt.

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Ermessen zu ›beackern‹. Diese Felder der ›wechselseitigen Ernährung‹ (vgl. ebd.) sind lediglich die Synergie der traditionellen Teilung von Produktion und Reproduktion. Ist für Küstenmacher/Küstenmacher zwar allein die Liebe von allumfassender Bedeutung für den Bestand und die Gestaltung der Paarbeziehung, ist doch der Keim aller Anziehungskraft die Gegensätzlichkeit des »Frauen-« und des »Männerpols« (ebd.: 329). Stereotyp rekurrieren die AutorInnen beim ›Pol‹ des weiblichen Geschlechts auf traditionelle Spezialisierungen wie Hausarbeit, Kindererziehung und Netzwerkbildung. Der ›Gegenpol‹ der Männer ist regiert von Unabhängigkeit, Erwerbsarbeit und Dominanz. Es ist festzuhalten, dass die tradierten Geschlechterbilder nicht so zentral und konstant sind wie im Ratgeber von Pease/Pease und doch ist die Rekonstruktion alter Geschlechterbilder im neuen Gewand nicht von der Hand zu weisen. Der Rekurs der beiden Ratgeber auf das Funktionsmodell beschränkt sich jedoch allein auf den Beziehungsalltag. Die Stellung der Frau in der Gesellschaft im Kontext von Erwerbsarbeit, Freiheit und juristischer Unabhängigkeit (vom Mannȹ/ȹVater) wird nicht angetastet. Die Emanzipation der Frau wird nur im »setting« der Zweierbeziehung verwischt und mit neuen alten Konstrukten gefüllt. Ein alternativer Lösungsstrang ist die individuelle Vollständigkeit, so zu finden bei Mary und auch bei Heider. Mary interpretiert traditionelle Geschlechterbilder im Sinne einer Spezialisierung zweier Menschengruppen. Männer und Frauen seien somit unvollständig − eine künstliche Verknappung der individuellen Vollkommenheit basierend auf der Zweigeschlechtlichkeit. Die gegensätzliche, sich ergänzende Männer- und Frauenkonstruktion will Mary als Ursprung allen Übels entlarven − als Sand im Beziehungsgetriebe. Interdependenz schaffe Abhängigkeit, nicht Liebe und Zufriedenheit. Mary versucht somit, einen scheinbar unendlichen Teufelskreis der Geschlechter im Beziehungsdiskurs aufzulösen. Denn wenn die Gatten nicht versuchen würden, die eigene (geschlechtsspezifische) Unvollständigkeit durch den Partner beziehungsweise die Partnerin zu kompensieren, würden keine Erwartungen gestellt und enttäuscht sowie keine Geschlechterstereotype reproduziert. Das Thomas-Theorem7 ist bei Mary im

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Das Thomas-Theorem basiert auf der Annahme von W.I. Thomas »If men define situations as real, they are real in their consequences.« (Zitiert im Lexikon zur Soziologie, 2007: 666) Es steht für das Phänomen der selbsterfüllenden Realität(-serwartung). Indem die AkteurInnen stereotype Vorstellungen über Mann und Frau für ›wahr‹, ›naturgegeben‹ halten, motiviert dieses Wissen zur Handlung, welches diese Erwartungen wiederum vergegenständlicht und real werden lässt.

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»setting« der Paarbeziehung aufgebrochen. Ein Beispiel für die zu überwindende weibliche Spezialsierung: »Die Spur der Lust, die Spur unterdrückter Impulse führt die Frau in die Unabhängigkeit. Obwohl sie zunächst glaubt, der Mann wäre ihre Lust, ER wäre ihr Ziel, stellt sie fest, dass es ihr in Wirklichkeit nicht um ihn geht, sondern um das, was sie durch ihn erreichen will: Verbindung, Geborgenheit, Sicherheit, Liebe, Identität [...].« (Mary 2006: 87)

Der Bestand der Paarbeziehung ist also erst durch das Aufbrechen polarisierter Geschlechterbilder möglich, so Mary. Erst dann werde der Enttäuschung, dem Streit und der Trennung vorgebeugt. Wenn auch nicht ausgehend von der Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner, findet sich auch bei Heider das zentrale Moment der Selbstfindung, jedoch weniger im Licht der Vollständigkeit, als viel mehr mit der Nuance der Abgrenzung. Das Individuum soll auch als Gatte Individuum bleiben und nicht zum Wir verschmelzen. Der Fokus auf eine solch beizubehaltende Unabhängigkeit erinnert an die Warnung Marys vor dem Aufgehen der PartnerInnen in Koexistenz – das Gift für die Beziehung. Individualität bei Heider meint Unabhängigkeit und setzt somit ein gehobenes Maß an innerlicher Vollständigkeit voraus. Dabei ist jedoch anzumerken, dass Heider ganz klar nur von Beziehungen zwischen Männern spricht, welche dem männlichen Stereotyp folgen und somit Unabhängigkeit von Beginn an integrieren. 2.5 Verschleierung und Aufklärung − die Bedeutung zweier Vermittlungsebenen Die vier Diskursfragmente haben gemeinsam, dass sie auf gesellschaftlich geteilten Geschlechterstereotypen aufbauen. Ganz gleich, ob Mary zu deren Überwindung aufruft, setzt er voraus, dass sich die LeserInnen darin wiederfinden. Denn jede/r kennt mindestens eine Person, auf die ein verwendetes Stereotyp passt. Diese Wiedererkennung verifiziert die Gültigkeit des Stereotyps und reaktiviert dessen Wirkung. Die Paarbeziehung wird dadurch zum Raum, in dem Geschlechterstereotype erlebbar werden. Zusätzlich wird die Geschlechterpolarität zum Teil dadurch konstruiert, dass sie als Fundament der Zweierbeziehung präsentiert wird. Die AutorInnen legitimieren ihre Ansätze mit der ›natürlichen‹ Anziehung von Mann und Frau. Sie identifizieren die polaren Geschlechter als hinreichenden und notwendigen Faktor für das dem Menschen eingepflanzte Bedürfnis nach einer Beziehung zu zweit. Überraschend greift auch Heider auf diese Begründung mittels Argumenten der evolutionären Arterhaltung und Freuds

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Trieblehre zurück, um (homo-)sexuelle Anziehung zwischen zwei Menschen zu erklären. Der männliche Sexualtrieb fungiert hier als ›natürliches‹ Bedürfnis nach Vereinigung und Fortflanzung, wobei für Heider die Kopplung des Triebes an die Arterhaltung und damit an die Verschiedengeschlechtlichkeit in der modernen Gesellschaft aufgekündigt wurde. Die AutorInnen bedienen sich der Mittel der Aufklärung und der Verschleierung, um ihre zum Teil traditionellen Sichtweisen in moderne Ideale einzupassen. Das Moment der Aufklärung findet sich bei allen vier Ratgebern – sei es die Aufklärung über das Funktionieren einer Paarbeziehung (vgl. Küstenmacher/ Küstenmacher 2009), über die evolutionäre Grundlage der Unterschiedlichkeit von Mann und Frau (vgl. Pease/Pease 2008), über den Teufelskreis der Unabhängigkeit und Koexistenz zweier PartnerInnen (vgl. Mary 2006) oder über die (scheinbaren) Besonderheiten männlicher Paarbeziehungen (vgl. Heider 2003). Der Wissensgesellschaft wird Nahrung angeboten sich fortzubilden, scheinbar neues Wissen aufzusaugen und sich damit von der Masse abzuheben. Es wird dem Bedürfnis entsprochen, durch Wissen Orientierung zu finden. Um nicht zu trivial zu wirken, findet man bei den AutorInnen zum Teil einen starken, wenn auch oberflächlich bleibenden Rekurs auf wissenschaftliche Quellen. Ob Anleihen aus der Psychoanalyse oder Evolutionstheorie, die exemplarische Einbringung erzeugt den Eindruck, über ExpertInnenwissen zu verfügen. Die ›Selbstplausibilisierung‹ des nur oberflächlich dargelegten Wissenschaftswissens begründet die Argumentationslinie der AutorInnen. Je größer die Distanz der Argumentationslinie des Diskursfragments vom Ideal der Gleichheit, desto stärker und aufwendiger werden wissenschaftliche Legitimationsmuster herangezogen und verschleiernde Elemente eingesetzt. Ein Beispiel ist die Gegenüberstellung polarer Geschlechterbilder bei Pease/Pease, welche mit psychiatrischen Studien unterlegt werden. Marys Theorie der inneren Vollständigkeit hingegen legt an keiner Stelle wissenschaftliche Bezüge offen, obwohl sie inhaltlich vorhanden sind! Entgegen der Alltags- und Wirklichkeitsnähe, welche bei allen durch den Einsatz von Erfahrungsberichten geschaffen wird, finden sich bei Pease/Pease, Küstenmacher/Küstenmacher und Heider Tendenzen der Verschleierung. Pease/ Pease bedienen sich dabei dem Mittel der Ironie, Küstenmacher/Küstenmacher dem des Märchens und Heider dem der Tragödie. Zudem findet man bei allen das Mittel des Humors. Mithilfe dieser rhetorischen Strategien werden stereotype Geschlechterbilder und traditionelle (geschlechtliche) Arbeitsteilung in ein neues Gewandt gehüllt und als neue Idee verkauft. Die Geschlechterpolarität, die sich dahinter verbirgt, wird somit nicht reflektiert, sondern als Gegebenheit angenommen und reproduziert. Die zum Teil plakative Proklamation des Ideals

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und die verschleierte Befürwortung des Funktionsmodells der 1950er Jahre lässt die Macht dieser Idee erahnen. Eine objektive Bewertung oder gar Befürwortung der geschlechtlichen Arbeitsteilung ist im Geschlechter- und Beziehungsdiskurs der heutigen Gesellschaft nicht mehr legitim (vgl. Kaufmann 2005). Das Erbe der Emanzipation zu verkennen, ist keine Option. Trotzdem scheint die Gesellschaft an einem Punkt angelangt, wo all die erkämpfte Freiheit Ratlosigkeit und Instabilität hinterlässt. Das Beratungsbedürfnis der PartnerInnen kann als Zeichen der Orientierungslosigkeit der Individuen erkannt werden. Denn sowohl die Zweierbeziehung als auch die Geschlechtszugehörigkeit sind für die AkteurInnen hochgradig identitätsstiftend und maßgeblich für die Orientierung und damit für die Reduktion von Komplexität und die Handlungsfähigkeit.

3. S CHLUSSFOLGERUNG – W ECHSELSEITIGE K ONSTRUKTIONEN VON G ESCHLECHT UND Z WEIERBEZIEHUNG IN B EZIEHUNGSRATGEBERN »Anziehung ist Grundprinzip unserer gesamten Welt. Wahrscheinlich gab es am Urbeginn des Universums nichts anderes als nur diese eine Kraft – und eine unvorstellbare Menge Energie. Die Anziehungskraft, die unsere Seele regiert, nennen wir Liebe. [...] Quer durch alle Nationen und bei beiden Geschlechtern stand überall eine Wunsch-Eigenschaft auf Platz eins: gegenseitige Anziehung und Liebe.« (Küstenmacher/Küstenmacher 2009: 64)

Liebe und Paarbeziehung als Grundbedürfnis der Menschheit – Das Geschlecht als Ursache der gegenseitigen Anziehung?! Es konnte gezeigt werden, dass ›Geschlecht‹ und ›Zweierbeziehung‹ Gegenstände des Jedermanns-Wissen und damit der Jedermanns-Wirklichkeit sind. Es sind Konstrukte, deren Präsenz sich kein Akteur und keine Akteurin dieser Gesellschaft entziehen kann. Mithilfe diskursanalytischer Betrachtungen verschiedener Beziehungsratgeber als Zeitzeugen des 21. Jahrhunderts wurde versucht, den Beziehungs- und Geschlechtsdiskurs zu rekonstruieren. Ziel war es aufzuzeigen, wie die ›Wahrheit‹ von ›polar angelegter Zweigeschlechtlichkeit‹ und ›Zweierbeziehung‹ produziert wird. Die Existenz solcher Diskursfragmente, die aus einem Pool an Beziehungsratgebern geschöpft wurden, markieren einen Bedarf an Beratung im Bereich der Paarbeziehung. Der Beziehungsdiskurs produziert Orientierungsangebote, Zweierbeziehung herzustellen und auf Dauer anzulegen. Der gesteigerte Bedarf ist auf den Wegfall allgemeingültiger Regulierungs- und Orientierungsnormen zurückzuführen, welche vermeintlich in den 1950er Jahren noch unhinterfragt befolgt wurden. Untrennbar mit dem Legitimitätsverlust der Ehe als einzige anerkannte

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EIN UNTRENNBARES

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Lebensform und der bürgerlich-traditionellen Organistion des Paar- und Familienlebens ist die Emanzipation der Frau verbunden. In der Ratgeberliteratur ist der Geschlechterdiskurs in der Dimension der Zweierbeziehung deutlich hervorgetreten. Insgesamt ist die Tendenz der Restauration tradierter Geschlechterbilder, flankiert von Nivellierungs- und Pluralisierungstendenzen, als Antwort auf die freiheitliche Orientierungslosigkeit zu beobachten. Die Rekonstruktion polarer Geschlechterbilder dient den Beziehungsratgebern als Werkzeug, Paarbeziehung zu konstruieren. Die Polarität wird als ›natürlicher‹ Sinn und Effekt des Zusammenlebens produziert. Die Reproduktion dieser beiden sozialen Konstrukte wird zum Teil über Rekurs auf eine selbstplausibilisierende Evolutionsgeschichte untermauert. Alternativ findet sich ein Aufbrechen polarer Geschlechterbilder mittels individueller Selbstvervollkommnung als Ausweg aus der Orientierungslosigkeit der modernen Gesellschaft. Da bei der Analyse nur vier Beziehungsratgeber untersucht werden konnten, handelt es sich bei dem vorliegenden Beitrag um einen ›Tropfen‹ aus dem undendlichen »Fluss von Wissen […] durch die Zeit« (M. Jäger 2004: 132). Dieser ›Tropfen‹ veranschaulichte die untrennbare Verbindung des Geschlechterdiskurses mit dem der Paarbeziehung. Die Paarbeziehung als Aufmacher der analysierten Diskursfragmente wurde über die zum Teil stark polarisierte Zweigeschlechtlichkeit konstruiert. Die Natürlichkeit der Anziehung zweier Menschen unterschiedlichen Geschlechts wird als die Essenz jeder (Liebes-)Beziehung verhandelt. Auch die Analyse des Ratgebers für schwule Paare kann diese Gleichung nicht falsifizieren, da auch Heider das Beziehungsbedürfnis auf den männlichen Fortpflanzungsinstinkt zurückführt, welcher auf die Ebene der sexuellen Vereinigung abstrahiert wird. Das Leben als Paar wird in den Ratgebern als Nahraum präsentiert, in dem Geschlechterdifferenz erfahrbar wird. Durch stereotyp erwartete und motivierte Handlungen werden die polarisierten Unterschiede zwischen den sozialen Kategorien Mann und Frau zur erlebbaren Realität und damit die Zweigeschlechtlichkeit inklusive der Geschlechterdifferenz (scheinbar) verifiziert. Denn man sieht immer nur, was man auch sehen will beziehungsweise zu sehen erwartet. Somit werden gerade über den Ratgeberdiskurs dichotome Geschlechterbilder permanent rekonstruiert. Auch wenn Mary versucht ist, die Geschlechterstereotype zu überwinden, rekurriert er doch ebenso auf diese Geschlechterdifferenz als Quell von Beziehungsproblemen.

Auf der Suche nach Mr. und Ms. Right Liebessemantiken der Paarbildung im Wandel R OMY -L AURA R EINERS »Machen Sie sich klar: Sie suchen den passenden Deckel für Ihren Topf – nicht irgendeinen! Wenn Sie einen Menschen treffen, der Ihren Erwartungen nicht entspricht, glauben Sie nicht, dass sich das mit der Zeit schon gibt. Das wird es nicht!« (Deißler 2010: 103)

Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrags ist die Prämisse, dass dauerhafte Zweierbeziehungen als soziale Systeme und Beziehungsanfänge als soziale Prozesse maßgeblich von Liebessemantiken geprägt sind, die normierend und interpretativ die Wirklichkeit von Intimbeziehungen bestimmen.1 Ausgehend von einem Transformationsprozess, welcher sich neben der romantischen Codierung der Liebe an einem Partnerschaftsideal orientiert (vgl. Lenz/Dreßler/Scholz i.d.ȱ B.), soll insbesondere das Verhältnis der romantischen Liebe und der sachlichen Liebe, wie sie Elke Reinhardt-Becker (2005) beschreibt, untersucht werden. Die Analyse der kulturellen Fundierung der Paarbildung, deren zentrale Ergebnisse im vorliegenden Beitrag vorgestellt werden, erfolgte anhand von Deutungsangeboten, die in populären Ratgebern der 1950er Jahre sowie der 2000er Jahre zur

1

Als Semantik wird nach Luhmann ein »höherstufig generalisierte[r], relativ situationsunabhängig verfügbare[r] Sinn« (Luhmann 1980: 19) verstanden, der das, was an Denken, Erleben und Handeln des Individuums möglich ist, begrenzt (vgl. ebd.: 35). Die Semantik wirkt demnach ebenso wie der Diskurs in Form von Sprache bewusstseinskonstituierend und handlungsanleitend (vgl. Reinhardt-Becker 2005).

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Partnerwahl2 bereitgestellt werden. In der Annahme, dass sich die Liebessemantiken in den Handlungsanweisungen führender Ratgeber zu dem Thema widerspiegeln und Aussagen über die Art der ͎richtigen͍ Wahl zulassen, lauten die Forschungsfragen: An welchen Stellen und in welcher Weise strukturieren die romantische undȹ/ȹoder die sachliche Liebe den Diskurs der Paarbildung? Welche Verschiebung kann hinsichtlich der Liebessemantik in Bezug auf die Paarbildung in den letzten 60 Jahren beobachtet werden?

1. L IEBESSEMANTIKEN 1.1 Romantisches Liebesideal In der Soziologie gehört es zum Wissensbestand, dass Fühlen und Handeln in Intimbeziehungen dem Einfluss von kulturellen Imperativen wie Normen, Sprache, Stereotypen, Metaphern und Symbolen unterworfen sind. Gefühle »liegen damit an der Schwelle, wo das Nicht-Kulturelle in der Kultur verschlüsselt ist, wo Körper, Kognition und Kultur verschmelzen« (Illouz 2003: 3). Die soziologische Forschung spricht in diesem Zusammenhang vor allem von dem romantischen Liebesideal, das als Reaktion auf die Umstellung von stratifikatorischer auf funktionale Differenzierung der Gesellschaft und die damit einhergehende Zunahme der Individualisierung personaler Systeme (vgl. Leupold 1983) aufkam. Gefühle und emotionales Erleben beziehen sich in der romantischen Vorstellung auf die Liebe »als innerer Zustand der machtvollen Zugeneigtheit«, welcher »nur vom Liebenden selbst wahrgenommen werden kann« (Reichertz 2002: 32). Als »Bindungsmotiv eines speziellen Typus persönlicher Beziehungen« (Lenz 2003: 259) bezieht sich die romantische Liebe hauptsächlich auf das »subjektiv und emotional tief erlebte Hingezogensein zu dem, sowie die Wertschätzung für das Individuum« (Herma 2009: 25). Liebe kann nach Karl Lenz (2009) aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Zum einen als soziale Praxis und zum anderen als kulturelles Programm, wobei letzteres Liebe als ein diskursives Phänomen begreift, während erstere die geleistete Emotions- und Ausdrucksarbeit der Beziehungspersonen in Augenschein nimmt. Für die vorliegende Arbeit ist demnach das kulturelle Programm von maßgeblichem Interesse, was dazu führt, dass die Aspekte der sozialen Praxis der Liebe ausgeklammert bleiben.

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Der Begriff Partnerwahl wird als empirischer Begriff aus dem Material herangezogen und steht in keiner Konkurrenz zu dem wissenschaftlichen Begriff der Paarbildung.

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Das kulturelle Programm der romantischen Liebe geht auf die Liebessemantik in den literarischen Werken der Romantik Ende des 18. Jahrhunderts zurück. Im Wesentlichen kann dieser Liebescode durch sieben zentrale Aspekte charakterisiert werden. Das Ideal der romantischen Liebe ist zunächst durch »die Einheit von sexueller Leidenschaft und affektiver Zuneigung« (Lenz 2009: 276) geprägt. Der im 18. Jahrhundert noch geltende Gegensatz zwischen reiner Triebbefriedigung und affektiver Zuneigung wird dadurch aufgehoben. Das zweite Charakteristikum ist »das Postulat der Einheit von Liebe und Ehe« (ebd.: 277). Durch die Forderung der Liebesheirat – im Gegensatz zu der damals noch vorherrschenden Vernunftehe – hat sich der romantische Liebescode seinen Siegeszug in der abendländischen Geschichte gesichert. Neben der Einheit von Liebe, Sexualität und Ehe wird auch die »Elternschaft« (ebd.) in das kulturelle Programm integriert. Aus diesen Aspekten ergibt sich auch, dass die Liebe als zeitlich unbegrenzt gedacht wird. Die »Dauerhaftigkeit der Liebe und Treue« (ebd.) bilden somit ein wichtiges Charakteristikum für das romantische Liebesideal. Ein weiteres Kennzeichen, das mit der Dauerhaftigkeit korreliert, ist die von Niklas Luhmann (1982) beschriebene »grenzenlos steigerbare[.] Individualität« (zitiert in Lenz 2009: 278) der Liebenden. Die Einzigartigkeit und Unersetzbarkeit der sich Liebenden wird zum zentralen Lebensereignis und jede Frage nach einem ›Warum liebst du mich?‹ beinhaltet einen kategorischen Fehler, da die gegenseitige Liebe weder erklärt noch gerechtfertigt werden kann, sondern selber die Grundlage für die Existenz der Liebenden formt (vgl. Oakes 1989). Diese Wertschätzung der Individualität sowie die totale Inanspruchnahme der geliebten Person ziehen eine Entwertung der Umweltbezüge (vgl. Lenz 2009) nach sich. Das Verlangen nach Anerkennung und Bestätigung der eigenen Person durch denȹ/ȹdie Geliebte/n steigert die Glückserwartung der Individuen und erhebt die Liebe zum Mittelpunkt des Lebens (vgl. ebd.). Ein letztes Charakteristikum, das Lenz nennt, ist das »androgyne[.] Idealbild« (ebd.: 279), womit das Aufbrechen eines hierarchischen Geschlechterbildes gemeint ist. 1.2 Sachliches Liebesideal In den 1920er Jahren zeichnet sich die Tendenz ab, dass Ehen auch interaktionell und nicht mehr nur durch ›ökologische‹ Randbedingungen (Armut, Arbeitslosigkeit) scheitern können. Diese neue Ungesichertheit intimer und ehelicher Beziehungen (vgl. Leupold 1983) sowie die Reaktion auf Vermassung und Rationalisierung in der Industriegesellschaft führen der Literaturwissenschaftlerin Elke Reinhardt-Becker (2005) nach zu einer Modifikation in der Semantik der Liebe. Dem romantischen Liebesideal tritt nun das Modell des sachlichen Liebesideals

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gegenüber, welches auf die Literatur der Neuen Sachlichkeit des 20. Jahrhunderts zurückgeht und einen radikalen Gegenentwurf zum kulturellen Programm der romantischen Liebe bietet. Die Neue Sachlichkeit stellt die Semantik für ein alternatives System der Intimbeziehung bereit, das als ›Partnerschaft‹ Einzug in den semantischen Apparat der Gesellschaft hält und »in seiner Funktion, seiner Codierung und Programmierung [...] von allem bisher gekannten abweicht« (Reinhardt-Becker 2005: 39). Liebe ist in diesem Code »nichtverstehende Einsamkeit« (ebd.: 236), was konkret die fortwährende seelische Fremdheit der Liebenden bedeutet. Nach Reinhardt-Becker erfüllt sich im Gegensatz dazu die romantische Liebe im gegenseitigen, wenngleich sprachlosen Verstehen. Ein weiterer Unterschied ist das Merkmal der Körperlichkeit. Während das romantische Liebesideal die geistige Ähnlichkeit und die Individualität der Partner/innen sowie die Vereinigung der Liebenden auf körperlicher Ebene betont, stellt das sachliche Liebesideal die Ähnlichkeit und Annäherung der Körper in sexueller Hinsicht in den Mittelpunkt (vgl. ebd.). Die Aufwertung der Äußerlichkeit geht mit einer Herabsetzung der Innerlichkeit und Entindividualisierung der Liebespartner/innen einher (vgl. ebd.). Auch die Bildung wird nach Reinhardt-Becker als Aspekt der Persönlichkeit entwertet. Bücher dürfen zwar rezipiert werden, müssen aber von realen, sachlichen Problemen handeln. Seelischer Schmerz, wie er in der Literatur der Romantiker vorkommt, wird als Luxusproblem geahndet und als ›unrechtmäßig‹ herabgesetzt – »wer gesund ist und keinen Hunger hat, der hat einfach kein Recht, unglücklich zu sein« (Keun 1931 zitiert in ebd.: 244). Auch das Gebot der Treue wandelt sich im Code der sachlichen Liebe zu einer Nichtexklusivität. Während sich bei der romantischen Liebe die Frage nach Treue erübrigt, da ihr genuines Ziel die Konstruktion von Individualität ist und nur die exklusive Liebe die stabile Konstruktion von Ich-Identität garantiert (vgl. ebd.), weiß die sachliche Liebe um die Kontingenz der Paarbildung (vgl. Binczek 2006). Das Programm der sachlichen Liebe nahm sich der Doppelmoral der bürgerlichen Ehe im 19. Jahrhundert an, welche die Untreue der Ehemänner unterschwellig legitimierte, während die Untreue der Frauen sanktioniert wurde. Um dieser Doppelmoral zu begegnen, wird es beiden Ehepartnern zugestanden, die Treue zu brechen, solange sie sich ohne Lügen und mit Respekt begegnen (vgl. Reinhardt-Becker 2005). Die Nichtexklusivität steht auch eng mit dem Aspekt der Kameradschaft in Verbindung. Die kameradschaftliche Beziehung erhebt nicht den Anspruch auf die volle Persönlichkeit desȹ/ȹder Anderen, sondern wird nur zur Unterstützung in Teilbereichen des Lebens gepflegt. Hier deutet sich auch ein spezifisches Ge-

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schlechterbild an, denn Kameraden und Kameradinnen kennen keine Hierarchie und begegnen sich auf Augenhöhe. »Kategorien der Polarität, fundamentaler Differenz und der Spannung« (Leupold 1983: 314) entfallen weitgehend. Ziel der Ehe als Kameradschaftsbeziehung ist es, Glück zu spenden und sich gegenseitig beizustehen. Die Liebe ist in diesem Sinne nebensächlich und alltäglich und erfährt keine herausragende Stellung im sachlichen Liebeskonzept. So ordnet sich die Liebe in die Reihe anderer sozialer Beziehungen und existenzieller Bedürfnisse wie Essen und Schlafen ein (vgl. Reinhardt-Becker 2005). In Einklang dazu fordert die sachliche Liebe ebenso wenig Ewigkeit wie Exklusivität. Da das Ziel der sachlichen Liebe die Herstellung von Wohlbefinden ist, droht dem Individuum im Fall einer Trennung weder der Verlust der Ich-Identität, wie es in der romantischen Liebe der Fall wäre, noch der Verlust der Lebensgrundlage. Hier erfährt die serielle Monogamie oder Polygamie durch die Ersetzbarkeit und Austauschbarkeit der Partner ihre Legitimation (vgl. ebd.).

2. L EITSEMANTIKEN DER P AARBILDUNG – E RGEBNISSE DER R ATGEBERANALYSEN Die Auswahl der konkret analysierten Ratgeber erfolgte durch systematische Recherche. Die erste Sichtung des Materials folgte für die zeitgenössischen Ratgeber den aktuellen Bestsellerlisten. Für die Ratgeber aus den 1950er Jahren wurde der Datenkorpus des Teilprojekts »Transzendenz und Gemeinsinn privater Lebensformen« im Sonderforschungsbereich 804 durchgesehen. Die darauffolgende Bildung des Samples orientierte sich an dem Konzept des Theoretical Samplings, welches im Rahmen der Grounded Theory die Untersuchungseinheiten danach auswählt, ob sie geeignet sind, das Wissen über den Untersuchungsgegenstand hinsichtlich bedeutender Merkmale zu erweitern. Das Vorgehen ist demnach konsekutiv und kumulativ. Ziel des Theoretical Samplings ist nicht wie beim probalistischen Sampling das repräsentative Erfassen aller möglichen Abweichungen, sondern ein tieferes Verständnis der analysierten Fälle zu erhalten sowie die Entwicklung eines analytischen Rahmens und Konzepts für die Forschung zu ermöglichen (vgl. Kelle/Kluge 2010). Aus dieser Herangehensweise ergibt sich für die Arbeit folgendes Sample. Für die 1950er Jahre wurde der Ratgeber »Die Partnerwahl« von Dr. Hugo Dahn (1955) und das Kapitel »Die Wahl des Partners« in dem Longseller »Die gute Ehe« von Dr. Gertrud Oheim, Dr. Guido Möring und Theo Zimmermann (1959) untersucht. Für die 2000er Jahre wurde das Buch »Wann kommt denn endlich der blöde Prinz auf seinem dämlichen Gaul!« von Oliver Stöwing (2009) sowie

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»So verlieben Sie sich richtig. Wie man seinen Traumpartner sucht und findet« von Nina Deißler (2010) analysiert. Die Ratgeber wurden methodisch auf Grundlage der Wissenssoziologischen Diskursanalyse untersucht (vgl. Scholz/ Lenzȹi.d.B.). 2.1 Gertrud Oheim: Die »Wahl des Partners« in »Die gute Ehe« (1959) In dem enzyklopädisch gestalteten Ratgeber »Die gute Ehe. Ein Ratgeber für Mann und Frau« von Dr. Gertrud Oheim, Dr. Guido Möring und Theo Zimmermann aus dem Jahr 1959 wurde das Kapitel die »Wahl des Partners« und der erste Teil des darauffolgenden Kapitels »Von der Verlobung zur Hochzeit« zur Analyse betrachtet. Beide Kapitel sind in dem von Oheim verfassten ersten Teil des Buches integriert.3 In einem ebenso von Oheim verfassten Vorwort wird das Anliegen des Buches beschrieben. Aufgabe soll laut Oheim nicht die Verhinderung der Höhen und Tiefen in der Ehe sein, auch soll kein ›alleinseligmachendes Rezept‹ gegeben, sondern Wegweiser aufgezeigt werden. Die Ehe wird an dieser Stelle mit der klassischen Metapher der Seereise umschrieben, in welcher die Aspekte des Abenteuers, der Stürme und der nie zu unterschätzenden ruhigen See zum Ausdruck kommen. Bezogen auf eine folgende Ehe sollte sich nach Oheim die Paarbildung allgemein an der Vorbeugung von Schwierigkeiten und einem ›gangbaren Weg zur guten Ehe‹ orientieren. Der Aufbau des Ratgebers zeigt bereits an, dass eine ›gute Ehe‹ mit der ›Wahl des Partners‹ beginnt, die Partnerwahl in diesem Sinne also schon Teil der guten Ehe ist. Als ein zentrales Problem sieht Oheim den Idealismus, worunter für sie jede Art von Irrealismus, differente sozioökonomische Faktoren und unzureichende Beurteilungsgrundlagen fallen. Dementsprechend ist ihr Lösungsansatz die Anerkennung potenzieller Probleme, die auf die zuvor genannten Faktoren zutreffen. Reflexion über die Beziehung und den Partner zur Vermeidung von Konflikten ist laut Oheim unablässig. Eine zentrale Stelle für das Leitbild der Paarbildung findet sich in dem Unterkapitel »Auf der Suche nach einem Partner«: »Sich kennenlernen aber, das heißt erkennen können, ob man mit diesem oder jenem Menschen gemeinsam ein ganzes Leben ertragen könnte, ist bedeutend schwerer. [...] Was

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Weil für diese Analyse nur der erste Teil des Ratgebers analysiert wurde, wird die Quelle im Folgenden als Oheim 1959 zitiert und nicht wie in anderen Artikeln des Buches als Oheim/Möring/Zimmermann 1959.

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man tun kann, ist, sich gegenseitig vor einer endgültigen Bindung – hier liegt auch, wie noch ausgeführt wird, der Sinn der Verlobungszeit (vgl. Seite 89) – ernsthaft durch die graue Alltagsbrille zu betrachten und nicht nur durch die rosarote Brille der Verliebtheit. Dabei wird Vieles und Entscheidendes vom Wesen des Partners in Erscheinung treten und die Wahl, die man treffen will, bestätigen oder ablehnen.« (Oheim 1959: 49)

Zunächst wird hier das Kennenlernen mit der Fähigkeit zur Erkenntnis gleichgesetzt. Das Kennenlernen ist eine »durch geistige Verarbeitung von Eindrücken und Erfahrungen gewonnene Einsicht« (Duden online, Stichwort Erkenntnis). Bei Oheim ist die Einsicht konkret darauf bezogen, ob man mit diesem einen Menschen sein ganzes Leben verbringen könnte. Als praktischer Rat folgt, sich vor einer endgültigen Bindung »ernsthaft durch die graue Alltagsbrille zu betrachten und nicht nur durch die rosarote Brille der Verliebtheit« (Oheim 1959: 49). Die rosarote Brille steht metaphorisch für die geschönte Wahrnehmung desȹ/ȹder Partner/in, die das potenziell Hässliche und Schlechte überfärbt. Die Farbe rosarot ist als Gemisch aus rot, der Farbe der Liebe und Leidenschaft, und weiß, der Farbe der Reinheit, eine besonders zarte und sanfte Farbe. Kaufmann (2006) beschreibt den Farbton rosarot in Anlehnung an ›rosig‹ als optimistisch, erfreulich und positiv sowie, bezogen auf die ›rosarote Brille‹, auch als unrealistisch und verklärend. Als Gegenstück zu der verklärenden ›rosaroten Brille‹ führt Oheim ›die graue Alltagsbrille‹ ein, welche metaphorisch für den realistischen und ungetrübten Blick auf denȹ/ȹdie Partner/in steht. ›Die graue Alltagsbrille‹ steht in enger Verbindung zu dem Akt der Erkenntnis, da durch sie »Vieles und Entscheidendes vom Wesen des Partners in Erscheinung treten« (Oheim 1959: 49) wird. Auf diese Weise wird ›die graue Alltagsbrille‹ zum Mittel der Vernunft und kann als Gegenpol zu der ›rosaroten Brille‹ angesehen werden, welche dem Gefühl zuzuordnen ist. Auf diese Weise entsteht eine Dichotomie der Paarbildung, die sich aus den beiden Sphären Gefühl und Vernunft speist. Die durch Vernunft ermittelte Erkenntnis baut hier auf dem Gefühl auf, welches den ersten Impuls zur Wahl setzt, woraufhin die Prüfung durch den Verstand, die ›Wahl, die man treffen will, bestätigt oder ablehnt‹. Insofern findet eine Verflechtung des romantischen und des sachlichen Liebesideals statt, da neben der ›rosaroten Brille‹ der Verliebtheit, welche an dieser Stelle als absichtslos gedeutet wird, die Paarbildung einer Versachlichung unterliegt. Die ›graue Alltagsbrille‹ soll die Paarbildung aus ihrer mystischen Verklärung herausheben und der Erkenntnis über das Wesen desȹ/ȹder Partner/in unterwerfen. Der Akt der Erkenntnis ist dabei darauf ausgerichtet zu prognostizieren, ob man diesen einen Menschen ein Leben lang er-

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tragen kann. Scholz (2013) spricht in diesem Zusammenhang von einem ZweiPhasen-Modell der Liebe, wobei die erste Phase durch ›romantische‹ Verliebtheit gekennzeichnet ist, und die zweite Phase der Bestandsphase einer Zweierbeziehung zugeordnet werden kann und sich durch ›wahre‹, ›reife‹ und ›wirkliche‹ Liebe auszeichnet. Was sich in der Schlüsselstelle zudem bereits andeutet, ist, dass »die richtige und realistische Partnerwahl [...] ausschlaggebend für die Stabilität der Ehe« (ebd.: 10) ist. Dass der Partnerwahl ein außerordentlich großer Stellenwert beigemessen wird, zeigt sich insbesondere auch an folgender Stelle im Kapitel »Sinn der Verlobung«: »Es sind ja viel öfters als große Probleme Bagatellen oder Lächerlichkeiten, die eine Ehe zerbrechen oder die Liebe erkalten lassen. Aus diesem Grunde soll auch hier noch einmal auf die Wichtigkeit der Partnerwahl [...] hingewiesen werden. Sind dabei bewusst oder unbewußt Fehler gemacht worden, so ist während der Verlobungszeit immer noch Gelegenheit, sie zu korrigieren. Denn die Auflösung einer Verlobung aus einem triftigen Grund ist schon lange nicht mehr ein gefürchteter Affront, wie es früher der Fall war, und auch absolut nichts Beschämendes oder Ehrenrühriges, sondern ein Akt der Vernunft, durch den Schlimmeres, nämlich eine schlechte oder gar zum Scheitern verurteilte Ehe, verhütet wird.« (Oheim 1959: 91)

›Die Wichtigkeit der Partnerwahl‹ für eine dauerhafte und stabile Ehe wird hier noch einmal explizit betont. Eine Korrektur der Partnerwahl ist dementsprechend ein ›Akt der Vernunft‹, dem keine öffentliche Brüskierung oder Beschämung mehr anhaftet. Demȹ/ȹder Leser/in soll mit diesen Worten das Gefühl genommen werden, etwas Unkonventionelles zu tun. Interessant ist, dass Oheim auf diese Weise soziale Faktoren einer Verlobungsauflösung anspricht, nicht aber persönliche Probleme, wie zum Beispiel widersprüchliche Gefühle und Gedanken, innere Zerrissenheit oder ähnliches, die in so einer Situation potenziell auftauchen könnten. Insofern ist hier erstens eine hochgradige Versachlichung zu vermerken und zweitens, dass persönliches Befinden und Gefühle sowohl an dieser Stelle als auch generell keinerlei oder kaum Beachtung finden. Bedeutsam ist in dieser Hinsicht vor allem, dass, bezogen auf das Leitbild der Paarbildung im vorliegenden Ratgeber, ein Verlust des romantischen Sinngehalts konstatiert werden kann. Dieser Verlust zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die Absichtslosigkeit der Liebe diskreditiert und eine Mythisierung der Paarbildung abgelehnt wird (vgl. Reinhardt-Becker 2005). Das Ideal der Paarbildung ist in dem vorliegenden Ratgeber im Gegensatz zur romantischen Liebe ein ›Akt der Vernunft‹.

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2.2 Hugo Dahn: »Die Partnerwahl« (1955) Der Ratgeber »Die Partnerwahl« von Dr. Hugo Dahn ist in der Reihe »Geschlechtsleben und Gesellschaft. Beiträge zur Sexualpädagogik« erschienen, welche von Dr. phil. Hans Giese herausgegeben wurde. Aus dem Vor- sowie Schlusswort kann derȹ/ȹdie Leser/in schließen, dass das Anliegen des Heftes kein »allgemeingültiges Rezept« (Dahn 1955: 67) zur Partnerwahl darstellen soll, sondern vielmehr darauf abzielt, die wichtigen Fragen anzusprechen, die vor einer endgültigen Wahl bedacht werden sollten, wenn »der Instinkt allein nicht auszureichen scheint« (ebd.). So soll der Ratgeber als Anregung zum Durchdenken verstanden werden, nicht aber als leitende Instanz. Im Vorwort betont Dahn außerdem, dass die Ausführungen sich an ›reifere‹ Menschen richten. Dadurch kann eine Zielgruppe abgegrenzt werden, die nicht, wie oft üblich, durch den sozioökonomischen Status bestimmt wird, sondern sich allein auf die Eigenschaft der menschlichen Reife gründet. Für den reifen Menschen sieht Dahn einen Gewinn seiner Lektüre, wohingegen der unreife Mensch Gefahr laufe, durch die Lektüre desillusioniert zu werden. Im darauffolgenden Satz des Heftes folgt der Anspruch, pädagogischen Zwecken gerecht zu werden, was den Schluss zulässt, dass es sich außerdem an Menschen richtet, die sich von Berufs wegen oder privat mit Erziehung und Bildung auseinandersetzen. In diesem Sinne liest sich das Heft nicht wie die anderen Ratgeber, welche konkrete Hinweise zur Partnersuche sowie Anhaltspunkte zur Partnerwahl bereitstellen. Stattdessen wirft Dahn einen distanzierten Blick auf das Paarbildungsverhalten und versucht, dieses fast wissenschaftlich zu erklären; jedoch mit dem Anliegen, demȹ/ȹder Leser/in so viel Wissen zu vermitteln, dass erȹ/ȹsie in der Lage ist, »eigene Fehlentscheidungen und Fehlurteile« (ebd.) zu vermeiden. Entsprechend des essayistischen Stils gibt der Ratgeber weder Tipps für Orte der Begegnung noch Ratschläge für das erste undȹ/ȹoder folgende Treffen respektive allgemeine Handlungsanweisungen für die erfolgreiche Anbahnung einer Zweierbeziehung. Vielmehr offenbart das Inhaltsverzeichnis neben den bereits erwähnten Schwerpunkten Themen wie »Das unbewußte Leitbild (Imago)«, »Die individuelle Ergänzung« oder »Die Rolle der menschlichen Liebe«. Die sich durch den ganzen Ratgeber ziehende Geschlechterdichotomie wird bereits in dem Inhaltsverzeichnis durch die Kapitel »Der junge Mann«, »Entwicklungswege der Frau« und »Die spätere Entwicklung des Mannes« ersichtlich. Allein die Kapitel »Der Einfluß der Herkunft« und »Der Unterschied der Rasse« lassen vermuten, dass auf konkrete Schwierigkeiten bei spezifischen Paarkonstellationen hingewiesen wird. Auch lassen sich nur fragmentierte Problemdiagnosen bei Dahn feststellen, die sich auf differente sozioökonomische Faktoren, sexuelle

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und charakterliche Probleme sowie unzureichende Beurteilungsgrundlagen beziehen. Als Lösung bleibt dem Autor zufolge somit einzig und allein die vertiefte Selbstreflexion und Introspektion. Insgesamt kann konstatiert werden, dass Dahn weniger Liebe und Paarbildung als Geschlechterpolaritäten in seinem Ratgeber beschreibt. So schreibt er gleich zu Beginn des Kapitels »Die Leiteigenschaften«: »Die Motive, die zur Annäherung der Partner führen, sind von Seiten des Mannes und der Frau oft nicht die gleichen. Die Frau geht fast durchweg von dem Gedanken einer möglichen Heirat aus. […] Auf Seiten der Männer ist in jungen Jahren die Zahl derer im Übergewicht, die bei der Frau primär nur ein Abenteuer, bestenfalls eine intime Freundschaft, suchen.« (Ebd.: 6f.)

Gleich zu Anfang wird Geschlecht polarisiert konstruiert, indem davon ausgegangen wird, dass die Motive der Paarbildung vom Geschlecht abhängen und different sind. Für die Männer steht Erotik im Vordergrund der Annäherung, für Frauen der Wunsch nach einer verbindlichen Zweierbeziehung (zu jener Zeit die selbstverständliche Heirat). »Auch die Beweggründe, Vorstellungen und Wünsche, mit denen man in die Ehe eintritt, sind bei Mann und Frau nicht von einheitlicher Färbung. Das weibliche Geschlecht sehnt sich nach Geborgenheit in einem eigenen Heim und bei einem Manne, der eine andauernde, tiefe seelische Beziehung verspricht. […] Besonders in jüngeren Jahren steht für ihn der Gedanke an Liebe und Erotik im Vordergrund, wobei er die Absicht hat, die begehrenswerteste und liebenswerteste Frau, die ihm erreichbar ist, fürs Leben zu gewinnen und mit ihr auch eine geistige Freundschaft einzugehen.« (Ebd.: 7)

Dahn expliziert weiter, dass auch im zweiten Schritt, nach der ersten Annäherung, die Motive der Geschlechter unterschiedlich sind. Während die Frau nach »Geborgenheit« und einem häuslichem Leben mit Kindern strebt, erwünscht sich der Mann vorerst »Liebe und Erotik«. Die hier konstruierten Geschlechtsspezifika der Frau können nach Hausen (1976) als Bestimmung der Frau für das Innere, für Nähe und häusliches Leben interpretiert werden. In dem Wunsch der Frau nach einer ›tiefen seelischen Beziehung‹ zu ihrem Mann, ist die romantische Liebe mit ihrem Ideal der geistigen Ähnlichkeit kodiert. Auch der Wunsch des Mannes nach geistiger Freundschaft spiegelt Liebe als gemeinsames geistiges Erleben (vgl. Reinhardt-Becker 2005), wie es im kulturellen Programm der romantischen Liebe vorkommt, wider. Bemerkenswert ist zudem der Wunsch des Mannes nach der ›liebenswertesten Frau‹, was der Liebenswürdigkeit als Tugend

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der Frau, wie sie Hausen (1976) herausgearbeitet hat, entspricht. »Untrennbar mit der Ernährerrolle ist die Frage nach der sozialen Stellung des Mannes verbunden. Nur selten heiratet eine Frau in ein tieferes soziales Milieu, [...]. Ein angemessener beruflicher Hintergrund ist ebenfalls eine stillschweigende Voraussetzung.« (Dahn 1955: 7f.) Hier gesellen sich soziale Faktoren dazu, die an anderer Stelle aufgrund ihres sozioökonomischen und gewissermaßen formellen Aspekts als ›harte Faktoren‹ bezeichnet werden. Die Paarbildung wird hier an soziale Voraussetzungen gebunden und somit als interessengeleitet beschrieben. 2.3 Oliver Stöwing: »Wann kommt denn endlich der blöde Prinz auf seinem dämlichen Gaul!« (2009) Der Ratgeber »Wann kommt denn endlich der blöde Prinz auf seinem dämlichen Gaul!« von Oliver Stöwing ist 2009 in deutscher Erstausgabe erschienen und das Debüt des Autors. Die Schreibweise des Ratgebers lässt eindeutig weibliche Singles als Zielgruppe erkennen. Anliegen ist es, Singlefrauen bei ihrer Suche nach einem Mann zu unterstützen. Der Autor versteht sich als Coach, der Frauen hilft, »ihre inneren Ressourcen zu aktivieren […] und die Mechanismen der Dating-Welt zu erkennen, zu knacken und zu verinnerlichen, um dann mit dem Auserwählten glücklich zu werden« (Klappentext). Stöwing will zum einen die Leserin zu einer generellen Erschließung der eigenen Lebensvorstellung hinführen. Zum anderen soll aufbauend auf dieser Erschließung die Leserin – die alleinstehende Frau – auf konkrete Gelegenheiten vorbereitet werden, in denen sich Chancen zur Beziehungsanbahnung bieten. Themenschwerpunkt des Ratgebers ist die Partnerwahl auf Basis von Selbstoptimierung, die mittels der Methoden des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) entwickelt werden kann. Das zentrale Problem der Partnerwahl sieht Stöwing in einer Imbalance, die sich aus Über-Anspruch und Inkongruenz von Verhalten und Empfinden ergibt. Sein Lösungsansatz kann als reflektierte und verfeinerte Selbstkonzeption zusammengefasst werden, die sich aus den Bausteinen Authentizität, Selbstoptimierung und Introspektion zusammensetzt. Die Leitbilder der Paarbildung können als Kern der Analyse betrachtet werden, da hier manifest wird, nach welchen Grundideen die Paarbildung legitimiert und auf welche Liebessemantiken rekurriert wird. Beginnen wir mit dem Titel des Ratgebers: »Wann kommt denn endlich der blöde Prinz auf seinem dämlichen Gaul!« Die Ironie dieses Titels ist nicht zu übersehen und zieht wahrscheinlich marketingwirksam viele Frauen an, die ihrem Leid der Partnersuche mit Humor begegnen wollen. Der Titel offenbart aber noch etwas ganz anderes. Hier wird die Metapher des Prinzen auf seinem Pferd

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gewählt, eine Figur, die in vielen abendländischen Märchen gebraucht wird. Der Prinz ist in diesen Geschichten meist der galante Retter mit edlem Charakter, der einem Ritterlichkeitsideal folgt, das die Schwachen couragiert und loyal verteidigt (vgl. Illouz 2011). Allerdings kann die Lesart, dass die Frau auf ihren Retter und Erlöser wartet – wie es meist in den Märchen der Fall ist (z.B. Schneewittchen, Aschenputtel etc.) – nicht bestätigt werden, da in dem Kontext des restlichen Buches ein wesentlich differenzierteres Geschlechterbild entworfen wird. Herauszustreichen ist an dieser Stelle die romantische Implikation, die durch diese kulturell verbreitete Prinzen-Pferd-Metapher entworfen wird. Sie impliziert, dass das Wesentliche das Finden des Partners ist. Denn erinnern wir uns recht, enden alle Märchen mit dem Zusammenfinden der Akteur/innen, woraufhin der berühmte Satz »und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage« folgt und damit die Geschichte beendet. Den Rezipient/innen bleibt verschwiegen, wie die Akteur/innen es schafften, glücklich bis an ihr Lebensende zu bleiben. Hier schimmert die Idealisierung des Liebesobjekts durch, die damit einhergeht, dass nur das Finden der oder des Richtigen von Bedeutung ist, denn das ewige Lieben gilt zumindest im romantischen Liebesideal als gegeben. Dieser doch recht strikte Aspekt der romantischen Liebe wird durch die Legitimierung der seriellen Monogamie in der Spätmoderne aufgebrochen und gewissermaßen entromantisiert. Dennoch ist ein Zurückgreifen auf dieses Ideal nicht zurückzuweisen – sei es auch nur, um Aufmerksamkeit zu generieren. An anderer Stelle schreibt Stöwing: »Eine Verbindung haben, ein schnelles Gefühl der Vertrautheit, auf einer Wellenlänge schwimmen, das Gefühl, ohne viele Worte verstanden zu werden und dass die Worte auch so aufgefasst werden, wie sie gemeint waren, kurz, Ähnlichkeit zu empfinden – worauf basiert das? Ganz entscheidend dafür ist die Harmonie zwischen Ihnen und Ihrem DatingPartner. Harmonie bedeutet, in dem gleichen Schritttempo durch die Verabredung zu gehen. Harmonie ist nichts, was vom Himmel fällt. Sie können Sie bewusst kreieren – wenn Sie sie kreieren wollen. Harmonie entsteht durch die Angleichung zweier Menschen aneinander.« (Stöwing 2009: 172)

»Eine Verbindung haben«, wie Stöwing es an dieser Stelle nennt, kann als geistige Ähnlichkeit gedeutet werden, welche im romantischen Liebesideal als Voraussetzung der Liebe gilt und auch bei Stöwing im weiteren Kontext so verwendet wird. Inwiefern jedoch die geistige Ähnlichkeit tatsächlich eine Herstellungsleistung ist, bleibt offen. Zu fragen wäre hier, ob eine Angleichung nicht zumindest einen gewissen Grad an Ähnlichkeit voraussetzt, denn zwei völlig verschiedene Menschen haben selten genug Anknüpfungspunkte, um daraus ein

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Gefühl der Vertrautheit schaffen zu können. Diese Diskrepanz könnte sich aus dem Unterschied zwischen Diskurs und Beziehungsnorm ergeben. Die geistige Ähnlichkeit ist auf der Diskursebene ein Ideal der romantischen Liebe, bedarf aber im Beziehungsalltag (oder in der Beziehungsanbahnung) der Kommunikation oder auch Herstellung durch die sozialen Akteur/innen, welche im Sinne Max Webers (1964) sozial handeln, also ihr Verhalten aufeinander beziehen. Diese Aspekte des romantischen Liebesideals vermengen sich mit Aspekten, die dem sachlichen Liebesideal zuzuordnen sind. So schreibt Stöwing in der Einleitung, in welcher er eine Freundin zitiert: »Und wenn er dann kommt, mein Traumprinz, auf seinem dämlichen Gaul, dann kann er sich erst mal auf was gefasst machen, mich so lange warten zu lassen. Mir Einzelzimmerzuschläge, grässliche Singlepartys und die höchste Steuerklasse zuzumuten. Er ist definitiv sehr spät dran, der Gute! Ich hasse ihn schon jetzt dafür, und ich kenne ihn noch nicht einmal.« (Stöwing 2009: 11)

Dem zukünftigen Partner werden in der Hitze der Verzweiflung eine Reihe unerwünschter Fakten des Singlelebens aufgezählt, die zumindest zu zwei Dritteln auf der ökonomischen Ebene angesiedelt sind, weil ›Einzelzimmerzuschläge‹ und ›die höchste Steuerklasse‹ sich dezidiert auf monetäre Nachteile des Singlelebens beziehen. Anstatt zum Beispiel von fehlender emotionaler Intimität oder dem schlichten Wunsch nach Liebe zu sprechen, werden diese mutmaßlichen Nachteile des Singlelebens erwähnt. Auf diese Weise wird die Beziehung und mit ihr die Liebe als Teil des Alltäglichen gerahmt. Die Partnerschaft wird als etwas betrachtet, dass das Leben erleichtern, in diesem Sinne ergänzen und zum Amüsement (keine grässlichen Singlepartys mehr) beitragen soll. Die Programmierung folgt hier einem Wunsch nach Gewinn an Lebensqualität, was dem sachlichen Liebesideal zugeordnet werden kann. Ein anderer Aspekt des sachlichen Ideals kommt an folgender Stelle zum Ausdruck: »Zeigen Sie sich von Statussymbolen unbeeindruckt, glaubt er, in Ihnen eine Partnerin zu finden, mit der man durch dick und dünn gehen kann. Eine Partnerin, die zu ihm hält, auch wenn die Zeiten einmal härter werden sollten.« (Ebd.: 190) Sieht man davon ab, dass es etwas seltsam anmutet, dass der Autor seiner Leserin rät (seiner Meinung nach raten muss), sich von Statussymbolen unbeeindruckt zu zeigen, und ignoriert man die Implikation, dass Frauen von Statussymbolen beeindruckbar sind, sehen wir hier das Ideal der Frau als Kameradin aufblitzen. Eine Kameradschaft kann als zwischenmenschliche Beziehung definiert werden, die auf Solidarität beruht. Die Redewendung »durch dick und dünn gehen« verweist auf eine Beziehung, die in allen Lebenslagen uneingeschränkt bestehen bleibt. Die Partner-

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schaft als Kameradschaftsbeziehung ist ein weiterer Aspekt des sachlichen Liebescodes. Somit wirken sowohl Codierungen des romantischen als auch des sachlichen Liebesideals in die Leitsemantiken des Autors hinein. 2.4 Nina Deißler: »So verlieben Sie sich richtig« (2010) Der Ratgeber »So verlieben Sie sich richtig. Wie man seinen Traumpartner sucht und findet« von Nina Deißler ist 2010 im Humboldt-Verlag in zweiter Auflage erschienen und hält sich Anfang 2012 in den Top Ten der Ratgeberliste für die Kategorie »Partnersuche und Partnerwahl«. Neben diesem Titel gehören zwei weitere Ratgeber von Nina Deißler zu »Partnersuche und Partnerwahl« zu den zehn meistverkauften der Liste. Der hier analysierte Ratgeber richtet sich an beide Geschlechter und spricht Menschen auf der Suche nach einer Partnerschaft an. Anliegen ist es, »schnell verständliche und dennoch fundierte Informationen zu allen wichtigen Aspekten« (Deißler 2010: 8) des Partnerwunsches und seiner Erfüllung zu geben. Das Augenmerk liegt dabei auf den Übungen, die »Klarheit und Hilfe« (ebd.: 9) bieten sollen. Die erste Hälfte des Buches konzentriert sich thematisch auf das Selbst des Lesers beziehungsweise der Leserin und behandelt die Themen Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Das Thema der Selbsterkenntnis (qua Introspektion) ist für die Autorin zentral, da diese als Basis für eine erfolgreiche Partnersuche angesehen wird. Diese Perspektive wird auch in dem Blog der Autorin in der Kategorie »Über mich und das hier« sehr deutlich: »Viele Menschen sind auf der Suche nach ihrem Traumpartner. Ich helfe Menschen dabei, selbst ein Traumpartner zu sein und sich auch als solchen zu empfinden.« (http://kontaktvoll.word press.com/eine-seite/ vom 11.3.2013) Hier offenbart sich auch der Aspekt der Selbstregulierung, wie er bei Oliver Stöwing auftaucht. Die zweite Hälfte des Buches gibt konkrete Tipps, an welchen Orten man nach einem Partner oder einer Partnerin suchen kann. Hier taucht auch ein spezielles Unterkapitel zu Online-Dating auf, das unter anderem handfeste Ratschläge zu der Gestaltung des Profils liefert. Das letzte Kapitel behandelt Themen, die sich mit den ersten Verabredungen beschäftigen. Ziel des Ratgebers, welcher laut Autorin als »Trainingsprogramm« verstanden werden soll, ist es, »einen Partner zu finden – nicht nur zu suchen« (Deißler 2010: 9). An dieser Stelle kommt der Aspekt des positiven Denkens zum Vorschein, welcher immanenter Bestandteil spätmoderner Ratgeber jedweder Couleur zu sein scheint. Grundproblem ist bei Deißler das Individuum selbst, das an Negativismus und Entfremdung von sich selbst leidet. Ihr zentraler Lösungsan-

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satz ist dementsprechend positives Denken, welches Hand in Hand mit Introspektion, Selbstoptimierung und Prüfung desௗPartnersȹ/ȹder Partnerin gehen soll. Deißler schreibt in ihrer Einleitung: »Heutzutage gibt es in unserer Gesellschaft für zwei Menschen eigentlich nur noch einen Grund für eine Partnerschaft oder eine Ehe und das ›Zusammenbleiben‹: die Liebe. […] Doch ›die große Liebe‹ und eine dadurch entstehende Partnerschaft fürs Leben war bis in die Generation der Nachkriegsgeborenen eher eine Seltenheit. […] Gefühle und das Streben nach Selbstverwirklichung – auch in der Partnerschaft – traten in den Vordergrund. […] So werden im Laufe der Zeit Partnerschaftsformen und die dazugehörigen Partner ausprobiert. Und doch scheinen fast alle Menschen davon auszugehen, dass man ›Eine/n für immer und ewig‹ finden müsse.« (Ebd.: 12ff.)

Zunächst wird an dieser Stelle deutlich, dass die Liebe als Leitidee für die Gründung einer Partnerschaft angenommen wird. Als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium taucht die Liebe sowohl im romantischen als auch im sachlichen Liebesideal auf (vgl. Reinhardt-Becker 2005), sodass bis dahin beide Deutungen offen stehen. »Die große Liebe« ist im darauf Folgenden eine Wortwahl, die sich am romantischen Liebescode orientiert. Von der Idee her kann »die große Liebe« als eine auf Exklusivität respektive Monogamie programmierte Liebe gefasst werden. Verfestigt wird diese Deutung durch eine »Partnerschaft fürs Leben«. Der Hinweis auf »Selbstverwirklichung« ist ebenfalls ein Indiz für den romantischen Liebescode, welchem die Funktion der Konstruktion von Individualität (vgl. ebd.) zugeschrieben wird. Der Ausspruch »eine/n für immer und ewig« integriert zusätzlich die Programmierung ›Ewigkeit‹, sodass die Lesart des romantischen Liebesideals als bestätigt gelten kann. Was jedoch nicht ausgeschlossen werden darf, ist der Zusatz der Autorin, dass »im Laufe der Zeit Partnerschaftsformen und die dazugehörigen Partner ausprobiert« werden. An dieser Stelle zeichnet sich durch die Legitimation der seriellen Monogamie zum einen ein Verlust des romantischen Sinngehalts ab, da der Dauerhaftigkeitsanspruch wegfällt, zum anderen bleibt durch den Verweis, dass es »eine/n für immer und ewig« gibt, das diskursive Ideal erhalten. Auch der bereits genannte Aspekt der Selbstverwirklichung ist für die Leitidee der Paarbildung zentral, weshalb eine andere Stelle dazu näher betrachtet werden soll: »Der ›richtige‹ Partner an Ihrer Seite kann Sie durch seine Liebe und sein Vertrauen und das Zulassen Ihrer Liebe und Ihres Selbst zu ungeahnten Höhen führen und zu Leistungen motivieren, die Sie vorher nicht für möglich gehalten hätten.« (Deißler 2010: 63)

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Was sich hier offenbart, ist ein spezifisches Verständnis von Selbstverwirklichung – auch wenn diese so nicht benannt wird –, das denȹ/ȹdie Partner/in als Bedingung dafür begreift. Dieses Verständnis trifft auf eine Haltung, die einer intersubjektiven Theorie des Selbst, wie sie der Symbolische Interaktionismus hervorgebracht hat, entspricht. George Herbert Mead (1969) führt in seinem Hauptwerk »Geist, Identität und Gesellschaft« aus, dass ein Individuum nur ein Bewusstsein über sich selbst, eine Selbstbeziehung sowie die Kontrolle des eigenen Verhaltens herstellen kann, insoweit es fähig ist, sich ›mit den Augen der anderen‹ zu sehen. Das hier vorgetragene Verständnis von Selbstverwirklichung trifft damit auf das Element der »grenzenlos steigerbaren Individualität« (Luhmann 1982, zitiert in Lenz 2009: 278), worunter die Idee der Einmaligkeit der Liebesbeziehung durch die »Verbindung zweier einzigartiger Individuen« (ebd.) verstanden wird. Erst durch die Liebe finden die Individuen zu sich selbst und können ihr Selbst vollständig entfalten. Mit Günter Burkart gesprochen kann das Zitat von Deißler mit folgendem Element des romantischen Liebesideals in Zusammenhang gebracht werden: »Liebe entsteht und wächst, wenn zwei (moderne) Individuen einander sich in ihrer Einzigartigkeit gegenseitig bestärken, indem der jeweils andere zu einem wichtigen Bestandteil der individuellen Weltsicht des einen wird.« (Burkart 1997: 42) An dieser Stelle wird auch eine Steigerung der romantischen Liebessemantik durch einen »Bedeutungsaufschwung der Individualität«, wie Lenz (1998: 83) es beschreibt, sichtbar. Neben der romantischen Liebe finden sich in dem Ratgeber noch andere Leitideen der Paarbildung. So schreibt Deißler an einer Stelle: »Werden Sie sich lediglich klar darüber, welche Bedürfnisse ein anderer Mensch haben kann – und welche Sie bereit und in der Lage sind zu erfüllen. Glückliche und befriedigende Beziehungen ergeben sich nur, wenn beide Partner willens und fähig sind, Bedürfnisse des anderen zu erfüllen.« (Deißler 2010: 62) »Machen Sie sich klar: Sie suchen den passenden Deckel für Ihren Topf – nicht irgendeinen! Wenn Sie einen Menschen treffen, der Ihren Erwartungen nicht entspricht, glauben Sie nicht, dass sich das mit der Zeit schon gibt. Das wird es nicht!« (Ebd.: 103)

Die beiden Zitate wurden hintereinander gestellt, weil sie beide mit der Phrase ›sich klar werdenȹ/ȹmachen‹ beginnen. Die Imperative der Aussagen verstärken diese noch. ›Sich über etwas klar werden‹ oder ›sich etwas klar machen‹ beinhaltet einen kognitiven Akt, der in einer Erkenntnis – im Sinne von ›sich über etwas bewusst werden‹ – mündet. Insofern kann von einem Prozess der Abwägung gesprochen werden, und zwar insoweit, dass die Individuen verantwortungsbe-

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wusst in Hinblick auf ihr eigenes Leben handeln sollen. Das heißt, ihnen wird angeraten, ihre Handlungen auf Basis des zu erwarteten Ergebnisses und dessen Folgen zu beurteilen und danach auszurichten. Deißler plädiert hier für wohlüberlegtes Handeln, dessen Motive aufgrund der situationsspezifischen Bedingungen intersubjektiv nachvollziehbar sind. Wesentlich ist, dass das Resultat der Handlung im Vordergrund der Überlegungen steht. Dadurch kann an dieser Stelle eine Versachlichung der Paarbildung – im Sinne des vernünftigen Überprüfens (vgl. Reinhardt-Becker 2005) – herausgelesen werden, die mit dem sachlichen Liebesideal konform geht. Das vernünftige Überprüfen wird im letzten Absatz des Ratgebers »[…] den Partner auf seine Eignung […] prüfen« (Deißler 2010: 166) explizit, in welchem insgesamt elf – teilweise sehr komplexe – Fragen von der Autorin gestellt werden, die allesamt mit ›Ja‹ beantwortet werden sollen, damit die Paarbildung als ›richtig‹ (vgl. Titel: »So verlieben Sie sich richtig«) gekennzeichnet werden kann. Die Liebe ist also nicht absichtslos, sondern interessengeleitet und die Wahl des Partners im oben gemeinten Sinn versachlicht, indem sie einem Kalkül der richtigen Antworten unterworfen wird. Besonders der Begriff »Eignung« unterstreicht diese Lesart auf exemplarische Weise. Eignung meint eine Tauglichkeit oder Brauchbarkeit für einen bestimmten Zweck. Die romantische Liebe erhebt den Anspruch, »keinerlei zweckrationale Ziele zu verfolgen. Romantische Liebe soll ihre Qualität aus ›sich selbst heraus‹ erweisen, und es stellt einen Allgemeinplatz dar, dass Liebe nicht ›erklärt‹ oder ›rational erfasst‹ werden könne« (Herma 2009: 27). Entgegen dieser Definition räumt Deißler dem Gefühl einen zweiten Platz ein und gibt demȹ/ȹder Leser/in den Tipp, denȹ/ȹdie potenzielle/n Partner/in noch einmal sorgfältig zu überprüfen. Dieses Konzept der Paarbildung entspricht stark dem sachlichen Liebesideal. Bemerkenswert ist zudem die Verfügbarstellung der Liebe an dieser Stelle. Ein anderes Element der kulturellen Programmierung von Liebe kommt an folgender Stelle zum Vorschein: »Es lohnt sich zunächst einmal anzuschauen, welche Art Partnerschaft Sie (bisher) suchten und welchen Mustern Sie dabei folgten, um einen Partner zu finden, der wirklich zu Ihnen passt und Ihnen nicht »mehr Leid als Freud« beschert.« (Deißler 2010: 31) Von Prägnanz ist hier der Ausspruch »mehr Leid als Freud«. Der dahinter stehende Wunsch ist, dass ein/e Partner/in möglichst viel Freude und möglichst wenig Leid bescheren sollte, wobei Freude als Vorteil und Leid als Nachteil interpretiert werden kann. Dieser utilitaristisch inspirierte Gedanke folgt einer Kalkulation des größten Nutzens im Sinne des Hedonistischen Kalküls. Das Hedonistische Kalkül folgt dem Prinzip der Vermeidung von Schmerz und der Steigerung von Glück als Entscheidungsgrundlage und ist das Grundprinzip des Utilitarismus, welcher auf Jeremy Ben-

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tham (1843) und John Stuart Mill (2006, orig. 1861) zurückgeht. Der Ausspruch ›mehr Leid als Freud‹ kann folglich auf die Herstellung von Wohlbefinden als Funktion einer Zweierbeziehung bezogen werden. Insofern finden sich an dieser Stelle ein weiterer Aspekt des sachlichen Liebesideals sowie ein Hinweis auf die Versachlichung der Paarbildung auf psychologischer Ebene. Sowohl das Konzept des Verantwortungsbewusstseins als auch das Konzept des Hedonistischen Kalküls basieren auf der Idee, die Konsequenzen der Handlung als Maßstab für die Entscheidung heranzuziehen. In diesem Sinne basiert an den besprochenen Stellen die Wahl des Partners oder der Partnerin auf einer vernünftigen Nutzenabwägung beziehungsweise Nutzenmaximierung, wobei Nutzen hier im Sinne des klassischen Utilitarismus als Glück, Wohlbefinden, Freude angesehen wird. Es bestätigt sich hier die interessengeleitete Liebe als Voraussetzung der Zweierbeziehung sowie die Versachlichung der Paarbildung. Die Handlungen der Akteur/innen sollen laut Deißler das Ergebnis einer Wahlentscheidung sein und widersprechen somit der Mythisierung der Paarbildung und der Absichtslosigkeit oder auch Unverfügbarstellung der Liebe, wie sie im romantischen Ideal codiert ist. Da jedoch ebenfalls Exklusivität respektive Monogamie sowie die Konstruktion von Individualität als Ideale herausgearbeitet wurden, kann insgesamt von einer sachlich-romantischen Semantik der Paarbildung gesprochen werden.

3. R ESÜMEE Der vorliegende Beitrag hat sich dem Versuch gewidmet herauszuarbeiten, an welchen Stellen und in welcher Weise die romantische undȹ/ȹoder die sachliche Liebe den Diskurs der Paarbildung strukturieren, sowie zu benennen, welche Verschiebung hinsichtlich der Liebessemantik in Bezug auf die Paarbildung in den letzten 60 Jahren anhand des empirischen Materials beobachtet werden kann. Während die ›richtige‹ Partnerwahl in den Ratgebern der 1950er Jahre größtenteils an harten Faktoren wie dem soziökonomischen Status ausgerichtet ist, spielen in den aktuellen Ratgebern weiche Faktoren wie Individualität und Selbstverwirklichung eine größere Rolle. Insgesamt rücken die persönlichen Qualitäten des Gegenübers und die Herstellung von Wohlbefinden in den aktuellen Ratgebern verstärkt in den Vordergrund. Insofern die persönlichen Qualitäten in den Fokus genommen werden, ist eine Steigerung des romantischen Liebesideals als handlungssteuerndes Konzept zu konstatieren. Andererseits verweist die Herstellung von Wohlbefinden als Funktion der Beziehung auf eine sachliche Codierung. Des Weiteren zeigt sich, insbesondere bei Deißler, eine

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Versachlichung der Paarbildung, indem die persönlichen Qualitäten so explizit in den Blick genommen werden, dass darauf aufbauend eine Entscheidung für das dauerhafte Beziehungsglück vollzogen werden soll. Bei Deißler ist die Fähigkeit, potenzielle Probleme aufgrund charakterlicher Eigenschaften vorauszusehen, entscheidend für den Aufbau einer Beziehung. Im Gegensatz dazu offenbart sich im postulierten Ideal der geistigen Ähnlichkeit (vgl. Stöwing 2009) als auch dem der Exklusivität und Konstruktion von Individualität (vgl. Deißler 2010) ein direkter Bezug zur romantischen Liebe in den aktuellen Ratgebern. Daneben finden sich, insbesondere in Bezug auf die Lebenspraxis, viele Referenzen auf das sachliche Liebesideal. Bei Stöwing ist vor allem das Ideal der partnerschaftlichen Beziehung dominant; bei Deißler vornehmlich die Versachlichung der Paarbildung. Hieraus kann geschlussfolgert werden, dass die spätmodernen Muster der Paarbildung nicht weniger sachlich sind, dass jedoch Sachlichkeit und Gefühl in einer anderen Wechselbeziehung zueinander stehen. Während Sachlichkeit in den aktuellen Ratgebern auf psychologischer Ebene stattfindet, strukturiert die romantische Liebe den Tiefendiskurs. Die spätmodernen Ratgeber setzen ein hochreflexives Bewusstsein voraus, das den persönlichen Nutzen anhand von Introspektion und Selbstregulierung maximieren soll. Der Clou daran ist, dass dieser Nutzen nicht ökonomischen Werten folgt, sondern an dem emotionalen Erleben in einer Zweierbeziehung beziehungsweise der Befriedigung psychologischer Bedürfnisse ausgerichtet ist. Wichtig ist hier, dass sich die Akteur/innen erst nachdem sie reflexiv ihre Präferenzen fundiert haben, an einer Interaktion beteiligen sollen. So fordern die spätmodernen Ratgeber von ihren Lesern/innen, noch bevor diese sich auf Partnersuche begeben, Introspektion, Selbstoptimierung und bei Deißler in Bezug auf Onlinedating auch ›Selbstetikettierung‹, weiterhin die Fähigkeit, artikulieren zu können, welche Merkmale derȹ/ȹdie potenzielle Partner/in aufweisen soll. Reflexives Räsonnement wird so zu einer wichtigen Voraussetzung der ›richtigen‹ Partnerwahl. Diese Methoden zur Partnerwahl spiegeln einen hochgradig bewussten Prozess der Reflexion wider, welcher helfen soll, Präferenzen zu bestimmen und die Partnerwahl daran auszurichten. Dabei geht es darum, frühzeitig künftige Entwicklungen zu erkennen und richtig einzuschätzen, um dieȹ/ȹden Partner/in zu wählen, dieȹ/ȹder mutmaßlich dauerhaft das höchste Maß an Glück zu spenden vermag. Insofern kann konstatiert werden, dass in den aktuellen Ratgebern Codes des romantischen Liebesideals mit solchen des sachlichen Liebesideals amalgamiert werden. Bedeutsam ist, dass Sachlichkeit in den aktuellen Ratgebern auf psychologischer Ebene stattfindet, während die romantische Liebe den Tiefendiskurs strukturiert und oftmals ironisch gebrochen in Erscheinung tritt. Im Gegensatz

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dazu werden in den Ratgebern der 1950er Jahre die Handlungsanweisungen zur Partnerwahl anhand harter (sozioökonomischer) Faktoren relativ pragmatisch abgehandelt. Insgesamt kann konstatiert werden, dass sich in den Ratgebern der 1950er Jahre eine weniger starke Referenz auf das romantische Liebesideal abzeichnet als in den aktuellen Ratgebern. Insbesondere die Wünsche und Phantasien in Hinblick auf eine Zweierbeziehung sind in den aktuellen Ratgebern stark von der romantischen Liebe geprägt und haben somit eine deutliche Steigerung erfahren. Allerdings zeugen die darin verhandelten Skripte und Methoden zur Partnerwahl von versachlichten Modellen der Selbstregulierung, einhergehend mit einem größeren Autonomieanspruch der Subjekte. Diese Beobachtung bestätigt, dass die sachliche Liebe die romantische Liebe nicht ablöst, sondern »Oberflächendiskurs« eines weiterhin bestehenden »romantischen Tiefendiskurses« (Reinhardt-Becker 2005: 280) ist, welcher »ein an der Beziehungsrealität erprobtes Wirklichkeitsmodell« darstellt (ebd.: 318). Diese Beobachtung lässt den Schluss zu, dass Abschwächungen und Relativierungen der romantischen Liebe als Anpassung in eine vorgegebene Lebenspraxis zum festen Programm der Liebesratgeber gehören. Eine Abkehr vom romantischen Liebesideal in der Spätmoderne macht sich in den Ratgebern insbesondere durch eine explizite Aufwertung der Umweltbezüge bemerkbar, welche zur Voraussetzung des dauerhaften Liebesglücks werden. Die Erwartung, dass die Zweierbeziehung alle psychophysischen Bedürfnisse zu gewährleisten vermag – wie es im Konzept des romantischen Liebesideals angelegt ist –, wird in den spätmodernen Ratgebern hochgradig problematisiert. Das Bedürfnis nach Anerkennung und Bestätigung der eigenen Person soll nicht nur durch dieȹ/ȹden Geliebte/n befriedigt werden, sondern sich aus verschiedenen Quellen speisen. Die Liebe wird auf diese Weise ein Bereich neben anderen und umfasst nicht das ganze Leben oder die Gänze der Person. Dieser Aspekt wird in der Forderung nach Autonomie verdeutlicht. Damit einhergehend werden ein Wertvorrang individueller Interessen und damit verbundene Steigerungserwartungen in eine offene Zukunft ersichtlich. Selbstverwirklichung ist in den Fokus gerückt und alle Ratgeber verlangen als Problemlösung ein mehr oder minder hohes Maß an Introspektion, wobei auch hier eine eklatante Steigerung in der Spätmoderne zu konstatieren ist. In den spätmodernen Ratgebern wird darüber hinaus die Fähigkeit erwartet, die eigenen Werte, Ideale und Vorstellungen angemessen zu artikulieren. Dieȹ/ȹȱ der Ratsuchende wird angeleitet, aus sich selbst herauszutreten und die eigenen Wünsche von der zukünftigen Beziehung objektiv zu beschreiben. Die Ratgeber sollen dabei als Werkzeuge fungieren, um einen Zugang zu sich selbst zu finden. Wie schon Eva Illouz (2003) illustriert, muss das spätmoderne Individuum sich

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intensiv mit sich selbst beschäftigen, die Wahrnehmung des eigenen Selbst schärfen und das Ideal des eigenen und des anderen Selbst bewusst benennen können, »um eine andere Person zu treffen« (ebd.: 119). Die Voraussetzung der Liebe folgt somit einem intellektualisierten Akt der Reflexion, der darauf ausgerichtet ist, künftige Entwicklungen in einer Kausalkette vorauszusehen und denȹ/ȹdie Partner/in zu wählen, dieȹ/ȹder das höchste Maß an Glück – ausgerichtet an einem utilitaristischen und hedonistischen Modell psychischen Wohlbefindens – zu versprechen vermag. Hedonistisches Kalkül wird in den vorliegenden Ratgebern der Spätmoderne zur Leitidee, um romantisches Leid zu vermeiden. Der sachliche Bezug in den aktuellen Ratgebern ist also nicht wie in den 1950ern auf der Ebene von sozialen Abwägungen zu finden, sondern auf psychologischer Ebene, und deutet auf eine zunehmende Individualisierung und Reflexivierung der Paarbildung hin.

Spiritualisierung der Paarsexualität?! Eine diskursanalytische Betrachtung von aktuellen Sexualitätsratgebern S ABRINA G OTTWALD »Die innere, als Glauben bezeichnete Kraft gibt vielen Beziehungen eine Grundlage, um Stürmen standzuhalten – egal, ob man diese Wertvorstellungen als spirituell oder religiös bezeichnet. Es ist eine Kraft, die Glück und Frieden schenkt und Ihrer Liebe eine zusätzliche Dimension verleiht. Dies trifft auf jede spirituelle Verbindung zu, ganz gleich, um welche Religion es sich handelt oder an welche Gottheit Sie glauben. Die mit dem Partner geteilte Spiritualität stärkt die Beziehung von innen heraus.« (Paget 2005: 84)

Liebe und Religion sind historisch eng miteinander verknüpft (vgl. Lenz/Dreßler/Scholz und Eckardt i.d.B.). Lange Zeit hatte die Kirche in Deutschland das Monopol der Eheschließung inne, welches sie erst mit der Trennung von Kirche und Staat verlor. Heute sind mehr als die Hälfte der Deutschen nicht mehr als Mitglieder einer Kirche gemeldet (vgl. Statistisches Bundesamt 2011). Noch in den 1950er Jahren war die christliche Religion − in Westdeutschland − wichtige Legitimationsressource für monogame heterosexuelle Zweierbeziehungen. Auch wenn heute noch die kirchliche Trauung verbreitet ist, hat die christliche Religion doch an Legitimationskraft verloren. Die Ratgeberautorin Lou Paget geht in dem obigen Zitat, welches aus dem Bestseller »Die perfekte Leidenschaft« von 2005 stammt, davon aus, dass sich in

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uns allen eine religiöse Ausrichtung erhalten hat, welche nicht auf den einen, christlichen Gott gerichtet sein muss, sondern sich auch in einer ›diffusen‹ Gläubigkeit ausdrücken kann. Auf das Paar bezogen soll der Glauben dazu beitragen, eine Beziehung zu festigen und zu vertiefen, und zwar unabhängig seiner Ausgerichtetheit: Für Lou Paget steht das Christentum auf derselben Stufe wie Okkultismus. Eine solche Herangehensweise ist zunächst für den Ansatz ihres Buches sinnvoll, wird doch ein breites Publikum angesprochen. Im weiteren Verlauf ihres Ratgebers geht Paget konkret auf sexuelle Praktiken in Zweierbeziehungen ein. Vermutlich weil das Christentum keine Wissensressource für die Optimierung partnerschaftlicher Sexualität darstellt, bedient sich Paget in diesem Bereich des Tantras (vgl. Paget 2005). Tantra kann pointiert als ›Yoga beim Geschlechtsverkehr‹ erklärt werden und integriert auch die Meditation. Entlehnt sind die tantrischen Sexualpraktiken dem Hinduismus und dem Buddhismus, welche beide die Form des ›meditativen Liebens‹ (vgl. Christinger/Schröter 2012) kennen. In der folgenden Analyse wird der Frage nachgegangen, ob der Rekurs auf spirituelles Wissen typisch für aktuelle Sexualitätsratgeber ist. Findet derzeit eine Spiritualisierung der Paarsexualität in den Ratgebern statt und dient diese wiederum der Aufwertung von Sexualität innerhalb monogamer Zweierbeziehungen? Zur Klärung dieser Fragen, fasse ich zunächst die menschliche Sexualität als soziale Konstruktion, beschreibe (Lust-)Körperkonzepte und stelle Michel Foucaults diskurstheoretische Perspektive auf Sexualität vor. Nachfolgend wird ein kurzer Überblick über die New-Age-Bewegung gegeben und geklärt, was unter Spiritualität verstanden werden soll. Nach diesen theoretischen Vorbetrachtungen widmet sich der dritte Abschnitt der Analyse von vier Sexualratgebern. Dabei werden zuerst der Datenkorpus und dessen Auswahl vorgestellt, um danach in die vergleichende Analyse der Ratgeber einzutauchen. Den Abschluss des Artikels bildet ein Fazit zu den Ergebnissen mit Blick auf die Spiritualisierungstendenzen.

1. W AS IST S EXUALITÄT ? – D IE KONSTRUKTIVISTISCHE B ETRACHTUNG EINER GANZ › NATÜRLICHEN ‹ S ACHE Auf die Frage, was Sexualität ist, wird vielfach die Antwort gegeben, dass sie ein natürlicher Akt sei, welcher der Arterhaltung diene. Den Verweis auf die Fortpflanzungsfunktion kann man jedoch in der heutigen Zeit, in der es eine Reihe verschiedener Empfängnisverhütungsmittel gibt, nicht mehr allein gelten lassen. Somit muss die menschliche Sexualität mehr sein als Fortpflanzung. Im

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Folgenden werde ich annehmen, dass die menschliche Sexualität ein gesellschaftliches Konstrukt ist. Ausgehend von den Grundprämissen des Sozialkonstruktivismus nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann wird zunächst auf die Körperkonstruktionen und anschließend auf den Konstruktionscharakter der Sexualität eingegangen. 1.1 Die Konstruktion von Körpern Der Mensch ist von Natur aus ein Kulturwesen, welches sich seine ›Umwelt‹, in der es (über-)leben kann, schaffen muss (vgl. Gehlen 1986; Berger/Luckmann 2007, orig. 1966). Er wird in die bereits konstruierte Wirklichkeit der Alltagswelt hineingeboren. Diese Wirklichkeit erfährt jedes Kind intersubjektiv als Wirklichkeit par excellence. Der menschliche Körper ist Teil der konstruierten Wirklichkeit. Auch der Geschlechtskörper ist ein gesellschaftliches Produkt. Simone de Beauvoir (2009, orig. 1951) ging davon aus, dass Männer und Frauen erst durch die Gesellschaft zu solchen werden. Ab den 1970er Jahren wurde in der Frauenforschung begrifflich zwischen ›sex‹, dem biologischen Geschlecht, und ›gender‹, dem gesellschaftlich konstruierten Geschlecht, unterschieden (vgl. Gildemeister/Hericks 2012). Judith Butler (1991), welche dem radikalen Konstruktivismus zugeordnet werden kann, geht noch einen Schritt weiter. Für sie gibt es nur ein Geschlecht, das gesellschaftlich konstruierte. An die Kopplung von Körperkonzepten und Geschlecht knüpft auch Michael Meuser (2007) an: Unsere heutigen Vorstellungen über Körper sind geprägt von den Körperdiskursen des Bürgertums im 19. Jahrhundert; Frauen wurden mit Natur gleichgesetzt, Männer hingegen mit Geist: Somit ist die Frau ein Körper und der Mann hat einen Körper; die Frau muss sich ihrem Körper unterwerfen und der Mann unterwirft sich seinen Körper, er nutzt ihn als Werkzeug (vgl. ebd.). Diese Vorstellung zeigt sich auch in der Konstruktion der Sexualkörper: Während die Frau als Gattungswesen konzipiert war, deren Körper der Fortpflanzung dienen musste, erschien der Mann als selbstbestimmtes Zeugungssubjekt (vgl. Bauer 2003). Die Naturnähe der Frau wurde jedoch nicht als das ›Normale‹ aufgefasst, sondern als das ›Andere‹ im Vergleich zum Mann, woraus eine weibliche Sonderanthropologie entstehen konnte. Die Frau als Objekt wurde Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung (vgl. ebd.; Meuser 2007). Durch den Feminismus wurden diese Körperkonzepte aufgeweicht und es findet bei beiden Geschlechtern eine Vermischung dieser statt (vgl. Meuser 2007). Ähnlich verhielt es sich mit den Lustkörpern. Mit der Konzeption der Frau als Gattungswesen, dessen Sexualität auf Fortpflanzung gerichtet war, wurde davon ausgegangen, dass Frauen kein Lustempfinden haben und sich ihr Wunsch

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nach Geschlechtsverkehr nur aus dem Wunsch nach einem Kind ableitet (vgl. Bauer 2003). Aus diesem Zusammenhang ergab sich die Überzeugung, dass Frauen vermeintlich keinen Lustkörper haben, da sie ja Lustobjekte sind: Frauen können nicht begehren, sondern nur begehrt werden. Der denkende Mann hingegen habe einen Lustkörper, mit dem es ihm möglich sei zu begehren und dieses Begehren zum Ausdruck zu bringen. Die Nachwirkung dieser Konstruktion der Frau als Lustobjekt zeigt sich darin, dass sich Frauen auch heute noch verführerisch kleiden sollen (vgl. Bauer 2003). Erst in den 1960er Jahren sprachen William H. Masters und Virginia Johnson Frauen über eine höhere orgastische Potenz einen Lustkörper zu (vgl. Osswald-Rinner 2011). Während in den Kinsey-Reporten die amerikanische Mittelschicht Auskunft über ihre gelebte Sexualität gab, gingen Masters und Johnson einen Schritt weiter: Sie befragten nicht nur, sondern beobachteten. Aus diesen Labordaten leiteten sie Erregungskurven ab. Eine ihrer Entdeckungen war, dass Männer während eines Geschlechtsaktes nur einen Orgasmus haben könnten, Frauen hingegen hätten die Fähigkeit zu multiplen Orgasmen. Außerdem benötigten Männer nach der Ejakulation eine gewisse Ruhephase, bevor sie wieder bereit für den Geschlechtsverkehr seien, anders bei Frauen, welche quasi immer Sex haben könnten. Aus dieser Konstruktion des weiblichen Lustkörpers ergibt sich ein permanenter Lustzwang (vgl. Bauer 2003): Aus der körperlichen Ausstattung, nahezu immer zum Geschlechtsverkehr bereit zu sein, und der Möglichkeit multipler Orgasmen wird abgeleitet, dass Frauen auch permanent Lust auf Sex haben. Galten Frauen erst als frigide werden sie nun zu Nymphomaninnen, die durchweg sexuell orientiert sind. Insgesamt gleichen sich die männlichen und weiblichen Lustkörperkonzepte zunehmend an. 1.2 Die Konstruktion von Sexualität »Der Mensch ist von Natur gesellschaftlich und seine Sexualität ist es auch.« (Sigusch 2011: 43) Nicht nur der Lustkörper, auch Sexualität selbst lässt sich als Konstrukt fassen. Es wird davon ausgegangen, dass die »sexuellen Triebe des Menschen [...] zwar mit denen der übrigen höheren Säugetiere vergleichbar« (Berger/Luckmann 2007: 52) sind und es somit einen biologischen Kern gibt, welcher der Fortpflanzung dient (vgl. Stein-Hilbers/Soine/Wrede 2000). Von der Natur ist jedoch nicht festgelegt worden, auf wen sich unser sexuelles Interesse bezieht und in welcher Art und Weise wir dieses ausleben. In diesem Sinne verfügt die menschliche Sexualität über eine hohe Anpassungsfähigkeit. Anders als bei vielen Tieren ist sie nicht an Jahreszeiten gebunden. Der Sexualtrieb ist zudem flexibel in der Wahl des Sexualobjektes sowie flexibel in der Art und Wei-

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se, wie er befriedigt werden kann. Jede Gesellschaft reguliert jedoch die Sexualität ihrer Mitglieder und lenkt sie mittels Normen und Werte in ihre zweckdienlichen Bahnen. Die ›Spielregeln‹ sind in jeder Gesellschaft andere, weshalb Sexualität als kulturelles Produkt gelten kann (vgl. ebd.). Erzeugt wird diese Ordnung diskursiv; über Sprache werden Körpererfahrungen intersubjektiv nachvollziehbar, aber Sprache beschränkt und normt auch die Sexualität: Was ist sagbar und was ist unsagbar (vgl. ebd.)? Diese Normierungen werden über die Kategorie Geschlecht gefiltert, weswegen der zugewiesene Geschlechtskörper eine so große Bedeutung hat (ebd.). Die bisherigen Ausführungen zu Sexualität lassen sich verdichtet mit der soziologischen Definition von Rüdiger Lautmann formulieren: »Sexualität ist eine kommunikative Beziehung, bei der Akteure Gefühle erleben, die eine genitale Lust zum Zentrum haben, ohne sich darauf zu beschränken. Für das sexuelle Erleben ist ein Orgasmus weder notwendig noch hinreichende Bedingung, und extragenital festgemachte Emotionen gehören dazu.« (Lautmann 2002: 24f.)

Dieser Definition schließt sich die vorliegende Arbeit an. Wichtig sind in dieser Definition die Verbindung von Sexualität und Sprache beziehungsweise nonverbaler Kommunikation, der Begriff der Lust und dass der Orgasmus keine zwingende Notwendigkeit darstellt. Dies ermöglicht es bei der Analyse, auch Techniken, welche nicht zum Orgasmus führen, als Sexualität zu fassen. 1.3 Der Diskurs über Sexualität nach Michel Foucault Michel Foucault betrachtet in seinem dreibändigen Werk »Sexualität und Wahrheit« die menschliche Sexualität nicht im Hinblick darauf, was getan werden darf und was nicht, sondern was gesagt wird und was nicht. In Abgrenzung zur Repressionshypothese, die von einer wachsenden Unterdrückung von Sexualität in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ausgeht, beginnt für Foucault (1982, orig. 1977) der Diskurs über Sexualität mit dieser Unterdrückung. Zuvor sei die Sexualität kaum ein Thema gewesen, ab dem 18. Jahrhundert gerate sie jedoch in den Blick der Öffentlichkeit: Überall dort, wo es Streitigkeiten über das Erbrecht geben könne, müsse Sexualität nun kontrolliert werden. Die Industrialisierung benötige zudem vor allem viele gesunde Arbeitskräfte und sei somit an der Fortpflanzung der Bürger interessiert. Sexualität zu anderen Zwecken als der Fortpflanzung gelte als verschwendete (Arbeits-)Kraft. Einen weiteren Grund für die Entstehung des Sexualdiskurses sah Foucault in der Sexualmoral des viktorianischen Bürgertums. Ihm gehe es darum, nur in den eigenen Kreisen

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zu verkehren, um gesunde und ›kluge‹ Nachkommen zu zeugen, bei denen die Erblinie klar nachzuvollziehen sei. Zudem gelte nur eine begrenzte und damit ›energieschonende‹ sexuelle Aktivität als gesundheitlich angemessen. Kontrollinstanz dieser strengen Sexualmoral wurde die Institution Kirche, sie fügte dem Diskurs noch das Ideal der Josephsehe hinzu, von dem nur zum Zweck der Zeugung abgewichen werden durfte (vgl. auch Sigusch 2011). Die Kirche bediente sich zweier wichtiger Instrumente im Sexualdiskurs: zum einen der Predigt, in der die geltenden Normen und Werte auch an die einfache Bevölkerung vermittelt wurden, und zum anderen der Beichte. Die Beichte ist für Foucault das entscheidende Kontrollinstrument, da mit ihr überprüft werden könne, ob sich die Gemeinde an die Sexualmoral hält (vgl. Foucault 1982). Nun, da der Diskurs über Sexualität eröffnet worden war, gab es laut Foucault ein vermehrtes Sprechen über Sexualität. Foucault beschreibt dies anhand der Beichte, die ihm zufolge zunächst nur die Taten desȹ/ȹder Beichtenden beinhaltete, in der nach einiger Zeit jedoch auch kaum kontrollierbare unsittliche Gedanken oder Onanie im Schlaf thematisiert wurden. Somit sei Sex nach und nach allgegenwärtig geworden, auch dort, wo das Thema strikt verboten war, denn es wurde laut Foucault immer mitgedacht. Beispielhaft dafür sei die Regel, dass Kinder und Jugendliche mit den Händen auf der Bettdecke schlafen sollten, um Masturbation zu verhindern, ohne dass mit ihnen darüber geredet werden durfte. Neben der Kirche befasste sich auch die Politik mit der Sexualität ihrer Bürger/innen. Die Geburtenrate wurde dokumentiert und alles, was für die Bevölkerungsregulierung von Interesse sein könnte, wie etwa der Eintritt der Geschlechtsreife. Foucault zeichnet nach, wie auf die Geburtenentwicklung eingewirkt wurde, zum Beispiel mit gezielten Steuermaßnahmen. Ein anderer wichtiger Träger des Sexualdiskurses ist für Foucault die Justiz. Diese beanspruchte zunächst die Deutungsmacht darüber, was normale und damit erlaubte Sexualität ist und was als verboten eingestuft werden muss. Mit dem Aufkommen der Psychiatrie verlor Foucault zufolge die Strafjustiz jedoch ihre Deutungsmacht: Von nun an wurde jede/r, dieȹ/ȹder von der geltenden Sexualmoral abwich, nicht kriminalisiert, sondern als krank definiert mit dem Ziel der Heilung. Mit der Partizipation weiterer wissenschaftlicher Disziplinen an den Diskurs sei es zu einer regelrechten »Explosion verschiedener Diskursivitäten« (Bauer 2003: 29) gekommen. Foucaults These, dass Sexualität nicht nur unterdrückt, sondern damit auch allgegenwärtig wurde, zumindest auf sprachlicher sowie gedanklicher Ebene, ist plausibel. Im Diskurs kann man diese Entwicklung bis heute beobachten. Aus der historischen Perspektive Foucaults wird ersichtlich, dass Sexualität mal mehr

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und mal weniger Gegenstand von Reglementierungen war. Das menschliche Sexualleben wurde jedoch immer in irgendeiner Weise reguliert, es änderten sich lediglich die Art der Regulierung und die Instanzen, die diese durchsetzten (vgl. Foucault 1982).

2. S PIRITUALITÄT

UND

N EW AGE

Das Anliegen der vorliegenden Forschungsarbeit ist es, festzustellen beziehungsweise zu widerlegen, ob Paarsexualität in aktuellen Ratgebern spiritualisiert wird. Dazu muss geklärt werden, was sich hinter dem Begriff der Spiritualität verbirgt. Hubert Knoblauch (2009) beschreibt den Terminus mit Rückgriff auf Christoph Bochinger als eine religiöse Haltung, welche sich auf innere Erfahrungen beruft und im Gegensatz zur dogmatischen Religionsausübung steht. Aus dieser Definition leitet Knoblauch Merkmale der Spiritualisierung ab. »Dazu gehört der tendenziell antiinstitutionelle (antikirchliche) Charakter sowohl der christlichen wie auch der esoterischen Bewegungen, ihre Art des Anti-Dogmatismus, die Ganzheitlichkeit, die Popularisierung und der entschiedene Subjektivismus, der sich durch eine ausgeprägte Erfahrungsbetontheit auszeichnet.« (Knoblauch 2009: 124)

Zentral für die Verbreitung von Spiritualität ist ›New Age‹; dabei handelt es sich um eine Art religiöse Bewegung, welche jedoch keine einheitliche Religion als Grundlage hat, sondern sich aus verschiedenen religiösen, spirituellen und okkulten Strömungen zusammensetzt (vgl. Knoblauch 1989). Der Begriff ›New Age‹ stammt dabei aus der Astrologie und bezieht sich auf das beginnende Wassermann-Zeitalter (vgl. Knoblauch 1999). Jedoch beschränkt sich die New-AgeBewegung nicht auf die Astrologie, sondern jede/r kann individuell aus verschiedenen Strömungen wählen, was dem eigenen ›Typ‹ entspricht. Insgesamt zeichnet sich das New Age durch einen hohen Grad an Individualismus aus, dieser wiederum hat eine hohe Fluktuation der Bewegung zur Folge (vgl. Knoblauch 1989). Außerdem ist das »Motiv der ›Ganzheitlichkeit‹ von Geist, Körper und Seele« (ebd.: 507) ein verbindendes Element. In diesem Zusammenhang wird vielfach auf die (Wieder-)Herstellung des inneren Gleichgewichtes verwiesen, der Schlüssel hierzu liege in der Selbstheilung (vgl. auch Eitler 2011). Die Elemente spiritueller Strömungen sind seit den 1970er Jahren partiell latent in die Gesellschaft gedrungen und werden kaum noch als solche wahrgenommen. Viele Menschen gehen wie selbstverständlich zu einem/einer Heilpraktiker/in oder zur Entspannung zum Yoga, beides Phänomene, die über die New-Age-Bewe-

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gung in die Gesellschaft transportiert wurden. Im Sinne des New Age werde ich Spiritualität ebenso weit fassen wie beschrieben und die Analyse an den wenigen verbindenden Merkmalen ausrichten.

3. D IE ANALYSE

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S EXUALITÄTSRATGEBER

3.1 Vorstellung des Samples Das spezielle Anliegen von Sexualitätsratgebern ist die Vermittlung von Techniken, Praktiken und Normen mit dem Ziel, das Sexualleben der Leser/innenschaft zu optimieren. Aufklärungsbücher, welche sich lediglich auf die Vermittlung biologischen Wissens spezialisieren, werden nicht als Sexualitätsratgeber betrachtet und sind somit auch nicht Teil der Analyse. Ratgeber, die in das Sample aufgenommen wurden, ließen nach Möglichkeit schon im Titel, spätestens aber mit Blick in den Klappentext oder das Inhaltsverzeichnis erkennen, dass es sich um einen Sexualitätsratgeber handelt. Das Wort Sex musste dabei jedoch nicht ausdrücklich im Titel vorkommen (vgl. auch Osswald-Rinner 2011). Das Sample wurde mit der Methode des Theoretical Sampling ausgewählt. Dafür habe ich mir einen Überblick beim Onlineversandhändler amazon.de verschafft. Dieser bietet eigene Bestsellerlisten für jedes Genre an. Diesen Listen liegen die eigenen Verkaufszahlen zugrunde. Zusätzlich kann man einsehen, wie viele Ratgeber in den jeweiligen Kategorien verfügbar sind. So gibt es insgesamt 4.316 Sex-Ratgeber, davon thematisieren 583 konkret Kamasutra und Tantra, 226 fallen auf Sadomasochismus und Fetischismus, Ratgeber speziell für Frauen gibt es lediglich 165, hingegen für Männer 1.345.1 Aus diesen Zahlen lässt sich die Vermutung ableiten, dass Männer einen größeren Bedarf an Sex-Ratgebern haben, der eventuell daraus entsteht, dass Männer gemäß der nach wie vor geltenden kulturellen Zuschreibung den sexuell aktiven Part übernehmen. Außerdem ist anhand der Auflistung klar erkennbar, dass spirituelle Sex-Ratgeber hoch im Kurs stehen. Bei der Zusammenstellung des Datenkorpus wurde darauf geachtet, jeweils einen Ratgeber zu wählen, der sich an Frauen beziehungsweise an Männer richtet, und zwar in einer eindeutig heterosexuellen Ausrichtung. Zudem sollten zwei Ratgeber für heterosexuelle Paare das Sample ergänzen. Außerdem wurde ausdrücklich nicht im Bereich Kamasutra und Tantra nach Ratgebern gesucht. Diese Kriterien schränkten die Auswahl weiter ein. Von den übrig gebliebenen Ratgebern wurden das Erscheinungsjahr und die Anzahl der Neuauflagen

1

Die Zahlen entsprechen dem Stand vom 28. Februar 2013.

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betrachtet sowie Klappentext, Inhaltsangabe und Vorwort studiert. Aufgrund der genannten Kriterien fiel die Wahl auf folgende vier Ratgeber: »Sex für Könner. Die Kunst, Frauen um den Verstand zu bringen« von Anne West (2009a) richtet sich ausschließlich an heterosexuelle Männer. Nina George, die sich hinter dem Pseudonym Anne West verbirgt, veröffentlichte diesen im März 2009. Das Anliegen dieses Ratgebers ist es, Männern zu erklären, was Frauen wollen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Unterschied zwischen den Geschlechtern. Während der Autorin zufolge Männer einfach nur Sex wollen, müssen Frauen erst dazu verführt werden, mit diesem Mann Sex haben zu wollen. Somit kann der Ratgeber als eine Anleitung zur Verführung gelesen werden, denn nur über diesen Umweg sei guter Sex möglich (vgl. West 2009a). Zur Kontrastierung wurde ein zweiter Ratgeber der Autorin ausgewählt mit dem Titel »Absolut Sex. Wie Sie jeden Mann um den Verstand bringen«. Diesen hat West im November 2009 veröffentlicht und damit ein Pendant für die ›Damenwelt‹ geschaffen. Jedoch wird Frauen hier nicht ›beigebracht‹, wie sie einen Mann verführen können, sondern wie sie ihre eigene Sinnlichkeit entdecken. Frauen sollen sich vorrangig erst einmal mit sich beschäftigen und erst dann mit einem Mann (vgl. West 2009b). Der dritte Ratgeber des Samples richtet sich an Paare beziehungsweise an Personen, die eine Lebenspartnerschaft anstreben: »Die perfekte Leidenschaft. 365 Tipps und Techniken, die sie und ihn verrückt machen«, geschrieben 2005 von der bereits eingangs zitierten Lou Paget. Das Buch ist so gegliedert, dass es für jeden Tag des Jahres einen Ratschlag bietet. Diese Ratschläge sollen helfen, die Leidenschaft in einer Beziehung von Anfang an aufrechtzuerhalten oder wiederzubeleben, wenn diese bereits eingeschlafen ist. Leidenschaftlicher Sex wird jedoch nicht als spontaner Akt gesehen, sondern als etwas, an dem man arbeiten kann und das planbar ist. Herausgestellt wird hier die Harmonie der Beziehung, nur dann sei leidenschaftlicher Sex möglich (vgl. ebd.). Der letzte Sexualratgeber des Samples stammt aus der Feder von Doris Christinger und Peter A. Schröter und trägt den Titel: »Vom Nehmen und Genommen werden. Für eine neue Beziehungserotik«. Christinger und Schröter, die beruflich wie privat ein Paar sind, sehen tantrischen Sex als die Lösung an, um lebenslang mit einerȹ/ȹeinem Partner/in ein erfülltes Sexualleben zu haben. Die Lesenden werden zwar aufgefordert, so oft wie möglich miteinander geschlechtlich zu verkehren, aber die körperliche Liebe wird instrumentalisiert und in den Dienst der Spiritualität gestellt. Sex als ›Gottesdienst‹ ermögliche tiefe spirituelle Erfahrungen, wenn er zwischen zwei Menschen, die in Liebe verbunden sind, stattfindet (vgl. Christinger/Schröter 2012).

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Anne West und Lou Paget zählen derzeit zu den beliebtesten Autor/innen von Sexualratgebern. Die beiden Ratgeber von Anne West sind noch relativ neu, stehen jedoch bereits seit ihrem Erscheinen weit oben in den Bestsellerlisten. Sie ermöglichen es zu analysieren, inwieweit die Autorin hinsichtlich der Sexualität zwischen den Geschlechtern unterscheidet und wie sie diese Differenzen legitimiert. Einen Ratgeber für Paare mit ähnlichem Erfolg kann West jedoch nicht vorweisen. Auch Lou Paget hat neben dem hier ausgewählten Ratgeber zwei weitere geschrieben, die lediglich an Männer oder Frauen adressiert sind. Diese sind vor rund zehn Jahren erschienen, noch immer in den Bestsellerlisten und somit Longseller. Der letztlich analysierte Ratgeber »Die perfekte Leidenschaft« setzt sich aus den ›Highlights‹ dieser früheren Werke zusammen und ist für die Analyse besser geeignet, da er sich an Paare richtet und dennoch einen guten Vergleich zu West ermöglicht. Der Ratgeber von Christinger/Schröter ist ein tantrischer Ratgeber, wird jedoch bei amazon.de unter Sexualitätsratgeber für Paare aufgeführt. Im Hardcover ist er bereits 2010 erschienen und im Jahr 2012 folgte die Taschenbuchausgabe, die in der Bestsellerliste von amazon.de ebenfalls einen den vorderen Plätzen einnimmt. Der Titel verrät nichts über seine tantrische Ausrichtung; im Untertitel steht: »Für eine neue Beziehungserotik«. Insofern dürften sich viele Paare von dem Buch angesprochen fühlen, unabhängig davon, ob sie eine spirituelle Affinität besitzen. 3.2 Von Unwissenheit, Geschlechterunterschieden und anderen Problemen In allen vier Ratgebern ließ sich jeweils ein ›Hauptproblem‹ finden, welches den Grundtenor des jeweiligen Buches bildete. Meist konnte man dieses schon anhand des Vorwortes identifizieren. So auch bei dem Ratgeber von Anne West »Sex für Könner. Die Kunst, Frauen um den Verstand zu bringen«. Sie führt an, dass Männer und Frauen in sexuellen Dingen höchst unterschiedlich seien. Diese Unterschiede, würden sie nicht erkannt, führten zu Konflikten in der Beziehung. Der Geschlechterunterschied an sich sei jedoch kein Problem, da er sich als für die sexuelle Anziehung notwendig erweise (vgl. West 2009a). Somit sei die Angleichung von Geschlechterdifferenzen keine Lösung. Ein wirkliches Problem ergebe sich allein aus dem Nicht-Wissen um die Unterschiede. So wüssten Männer einfach nicht, was Frauen wollen, weil diese nicht offen darüber reden würden. Genau diese Wissenslücke soll der Ratgeber schließen. West geht von einem sehr stereotypen Männer- und Frauenbild aus. Laut West wollen Männer eine Frau nur irgendwie ›rumkriegen‹ und mit ihr schnell ins Bett. Frauen dagegen

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würden verführt und begehrt werden wollen, bevor sie sich auf einen Mann einlassen (vgl. ebd.). Vermutet man nun aber, dass der Ratgeber »Absolut Sex. Wie Sie jeden Mann um den Verstand bringen« das gleiche Hauptproblem herausarbeitet, wird man überrascht. West benennt zwar auch das Schweigen der Frauen über ihre eigenen Bedürfnisse als ein Problem, da Männer dadurch nicht wissen würden, was Frauen wollen, jedoch geht sie hier noch einen Schritt weiter (vgl. West 2009b): Frauen wissen laut West selbst nicht so genau, was sie wollen. Da sexuelle Moralvorstellungen für Frauen immer noch strenger seien als für Männer, hätten Frauen nie ihren eigenen Körper durch Masturbation erforscht und somit ihre eigenen Bedürfnisse kennengelernt. Die zentrale Problemdefinition dieses Ratgebers ist somit die Unwissenheit der Frauen über ihren eigenen Körper sowie die durch Scham erzeugte Scheu, eigene sexuelle Wünsche mitzuteilen. Sexuelle Missverständnisse zwischen Männern und Frauen resultieren laut West aus diesem Problem (vgl. ebd.). Lou Paget (2005) benennt ein ganz anderes Hauptproblem: die fehlende Leidenschaft. Ihre These lautet, dass sexuelle Leidenschaft im Laufe einer Beziehung abnimmt. Mit zunehmender Beziehungsdauer schlichen sich Langeweile und Berechenbarkeit ein. Zudem ersticke der gemeinsame Alltag (mit Kindern) das Feuer der Leidenschaft. Sex mit der Beziehungsperson sei ein Privileg, das man bereits erworben habe und welches nun selbstverständlich geworden sei. Somit werde auf ein intensives Vorspiel oder auf die diesem vorangestellte Verführung verzichtet sowie auf alle Praktiken, die anfänglich der Beziehungsperson zuliebe erfolgten. Durch immer gleiche routinierte Abläufe beim Sex sterbe die Leidenschaft füreinander. Ähnlich sehen es auch Christinger und Schröter (2012). Der Ratgeber »Vom Nehmen und Genommenwerden. Für eine neue Beziehungserotik« enthält zwei Problemdiagnosen, welche fast gleichrangig sind. Zum einen vertreten sie die Ansicht, dass beim Sex das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet wird, das wiederum die Sexualhormone hemmt, wodurch man mit zunehmender Beziehungsdauer zwar eine immer tiefere Bindung füreinander empfindet, jedoch weniger Interesse an leidenschaftlichen Sex hat. Mittels tantrischem Sex sollen die Hormone ausgetrickst und die Beziehung wieder mit neuer Leidenschaft belebt werden. Das zweite wesentliche Problem sehen sie in der Verwischung der polaren Geschlechterrollen. Emanzipierte Paare, welche die Unterschiede der Geschlechter nicht anerkennen würden, zerstörten das Begehren in ihrer Beziehung. Erst wenn wieder Männer die ›Nehmenden‹ seien und Frauen diejenigen, die ›genommen werden‹, könne leidenschaftlicher Sex wieder gelebt werden. Es wird unterstellt, dass Frauen und Männer durch gesellschaftlich-emanzipato-

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rische Anforderungen den Zugang zu ihrer eigenen Weiblichkeit oder Männlichkeit verloren haben. So könne es sein, dass Frauen in sexueller Hinsicht fordernd seien, wo eigentlich Hingabe von ihnen verlangt werde. Bei Männern sei es genau umgekehrt. Daraus ergebe sich wiederum ein gestörter Energiefluss. Normalerweise gebe der Mann beim Geschlechtsverkehr Energie über den Penis ab und nehme Energie mit dem Herzen auf, während die Frau Energie mit dem Herzen abgebe und mit dem Genital aufnehme. Der Fluss der Energie könne nur über die Anerkennung der polaren Geschlechterrollen wieder hergestellt werden. 3.3 Die Lösung aller (sexuellen) Probleme! Zu den genannten Problemen, welche die Ratgeber ausfindig gemacht haben, bieten diese verschiedene Lösungen an. Das Verständnis zwischen Männern und Frauen soll nach West (2009a) schon verbessert werden, wenn Männer ihren Ratschlägen folgen, welche die Sichtweisen der Frauen widerspiegeln. Der konkrete Lösungsvorschlag besteht bei ihr in der Aufforderung an die Männer, sich wieder wie ›echte Kavaliere‹ zu benehmen. Casanova wird von ihr wiederkehrend als Musterbeispiel angeführt. Männer sollen West zufolge eine Frau, egal ob eine unbekannte oder die eigene, immer wieder verführen und erst dann mit ihr schlafen, wenn sie wirklich bereit dazu ist und sich nach Sex mit diesem Mann sehnt. Zuerst müsse ein Mann also Zugang zum Herzen der Frau finden und ihre Phantasie immer wieder anregen, ohne die erstbeste Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr zu nutzen. Diese sehr aufwendige Strategie ziele auf die Bändigung des männlichen Sexualtriebes ab. Nun könnte man sich jedoch fragen, warum ein Mann diesen Aufwand betreiben sollte, wenn er eine Frau auch leichter zu sexuellen Handlungen animieren könnte? Die Begründung wird darin gegeben, dass Männer ›guten Sex‹ haben möchten und nicht einfach nur Sex. Dieser entstehe jedoch erst im Laufe einer Beziehung mit zunehmender Vertrautheit. Erst nach einer gewissen Zeit seien beide Sexualpartner/innen aufeinander eingestimmt und Frauen zudem sexuell freizügiger, je besser sie den Mann kennen und ihn auch mögen. Somit sei eine liebevolle Beziehung der Garant für befriedigenden Geschlechtsverkehr und aus diesem Grund für Männer erstrebenswert. Was bietet West (2009b) nun den Frauen als Lösung an, um ihren Sex zu verbessern? Zum einen rät sie Frauen, sich selbst zu erforschen. Frauen sollen ihre Genitalien betrachten und anfassen, vor allem aber herausfinden, wie und wo sie angefasst werden wollen. Kennen Frauen ihren Körper, dann gelte es, dieses Wissen an ihren Sexualpartner weiterzugeben, damit dieser genau auf die Bedürfnisse der Frau eingehen könne. Außerdem geht West davon aus, dass Or-

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gasmusprobleme vieler Frauen nicht nur durch die Unkenntnis über die eigene Anatomie, sondern zusätzlich durch die fehlende Vertrautheit zum Sexualpartner hervorgerufen werden würden. Der sexuelle Königsweg führe, bei den Frauen ebenso wie bei den Männern, über eine feste Zweierbeziehung. Frauen profitieren laut West in zweifacher Hinsicht von einer liebevollen Beziehung: Zum einen wisse der Mann irgendwann, was die Frau sexuell wünscht, und könne gezielt bestimmte Techniken einsetzen und zum anderen fühle sich eine Frau sicherer, wenn sie den Mann gut kennt, mit dem sie geschlechtlich verkehrt. Dadurch gelinge es dem Gehirn viel leichter, abzuschalten und die Kontrolle, im Augenblick des Orgasmus, abzugeben. Ein solcher Kontrollverlust in Gegenwart eines Fremden sei jedoch gleichzusetzten mit Selbstmord, da er eine zu große Gefahr darstelle: Laut West könne der fremde Mann eine solche Situation, in der die Frau völlig wehrlos ist, ebenso dazu nutzen diese zu erwürgen oder Ähnliches (vgl. ebd.). Auch bei Paget (2005) kann eine befriedigende Sexualität nur in eine Beziehung eingebettet sein, denn auch bei ihr spielt das Vertrauen zwischen den Sexualpartner/innen eine immens wichtige Rolle. Da aber gerade langjährige Beziehungen zu fehlender Leidenschaft führen würden, müsse dieser Widerspruch aufgehoben werden. Paget verweist, ähnlich wie West, darauf, dass es nicht genüge, einfach nur die richtigen Techniken zu beherrschen und beim Anderen anzuwenden. Vielmehr müsse es auch einen gewissen Vorlauf geben, um eine erotische Spannung zu erzeugen. Neben dem Körper müsse auch der Geist verführt werden, eine solche Verführung wird bei Paget als genauso umfangreich beschrieben wie bei West. Der komplette gemeinsame Alltag wird zum ›Vorspiel‹ erklärt; beide Beziehungspersonen müssen permanent ihr Verhalten gegenüber demȹ/ȹder Anderen überprüfen und dafür sorgen, dass stets eine harmonische Stimmung zwischen ihnen herrscht. Männer sollen wieder etwas galanter zu ihren Frauen sein und ihnen ehrliche Aufmerksamkeit und Interesse schenken. Frauen hingegen sollen aufhören, sich wie ›Furien‹ zu benehmen, da es »ihm die Lust raubt« (Paget 2005: 192). Paget sieht Sex selbst jedoch als ein verbindendes Element in einer Zweierbeziehung an. In diesem Sinne schlägt sie vor, dem Sex auch eine Sonderstellung zuzuweisen und genügend Zeit dafür einzuplanen, denn auch dadurch könne die Leidenschaft aufrechterhalten werden. Regelmäßiger Sex stärke die Beziehung und sei in den Alltag einzuplanen. Auch könne die Leidenschaft geschürt werden, indem man etwas Unerwartetes tue (vgl. ebd.). Für Christinger und Schröter liegt die Lösung zu einem besseren Sexualleben in der Anerkennung der Geschlechterunterschiede und im ›Austricksen‹ der Hormone durch tantrischen Sex. Zur Anerkennung der Geschlechterunterschiede sei es notwendig, dass beide Beziehungspersonen den Zugang zu ihrer »phalli-

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schen« beziehungsweise »vulvischen Kraft« (Christinger/Schröter, 2012: 20) wiedererlangen. Habe man diesen Schritt erfolgreich gemeistert, dann sei es nur noch ein kleiner Schritt, um die Einheit von Sexualität und Spiritualität zu erkennen und auch den Zugang dazu wiederzuentdecken. Die konkrete Praxis des Liebens als eine Art Gottesdienst ermögliche es, den Orgasmus wieder als spirituelle Erfahrung zu fassen. In der Ekstase trete man in Verbindung mit dem Göttlichen oder dem Universum und könne sich sogar eine Wunscherfüllung erbitten, wenn man diesem seine sexuelle Energie schenkt. Wie lösen Christinger/Schröter nun aber ihr Problem mit den Hormonen? Ganz einfach: Sie raten dazu, auch ohne Lust und Begehren Sex zu haben, wenn möglich, täglich. Denn tantrischer Sex stärke die Beziehung und führe zur spirituellen Erleuchtung. Beim »stillen Lieben« (ebd.: 184) sei es auch Männern möglich, ohne Lust Sex zu haben. Bei dieser Technik dringe der Mann mit seinem nicht erigierten Penis in die Frau ein, danach müssten beide nur still ineinander liegen bleiben. Leidenschaftlicher Sex könne zusätzlich ausgelebt werden, wenn beide Lust auf Sex haben. Dieser komme zustande durch die Anerkennung der Polarität (vgl. ebd.). 3.4 Sex = Liebe ?! Ein Anliegen meiner Analyse war, Ratgeber, die sich an Einzelpersonen richten, mit denen zu vergleichen, die Paare als Zielgruppe benennen. Bei den beiden Ratgebern von Anne West hatte ich vermutet, dass sich die Tipps auf Sex beschränken würden und auch Singles, die sich sexuell ausleben wollen, Ratschläge erhielten. Dies erwies sich als Trugschluss. Von der sexuellen Befreiung Ende der 1960er Jahre ist nicht mehr viel zu spüren. Eine Gemeinsamkeit der vier Ratgeber ist, dass alle Liebe oder mindestens Verliebtheit als Voraussetzung für ›guten Sex‹ proklamieren. Die Autor/innen finden zwar verschiedene Begründungen für Sex in einer festen Partnerschaft und gegen One-Night-Stands, sie vertreten allerdings alle die Norm, dass Geschlechtsverkehr nur innerhalb einer Beziehung legitim ist. Da einstige Legitimationen, wie etwa die Fortpflanzung, nicht mehr anwendbar sind und nun der Spaß beziehungsweise insgesamt die positiven Gefühle beim Geschlechtsverkehr im Vordergrund stehen, werden diesbezüglich Begründungen gegeben. In Wests »Sex für Könner« geht es um die Disziplinierung des männlichen ›Sexualtriebes‹, dieser soll auf eine Partnerin gerichtet werden und nicht jede Nacht auf eine andere. Während ›das erste Mal‹ mit einer neuen Frau nie das volle Potenzial der beiden Partner/innen erlange, weil die Frau sich zieren würde, werde mit der Zeit und mit zunehmendem Vertrauen auch die Bandbreite der möglichen Spielarten immer größer. Somit könne der Mann nur gewinnen, wenn

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er all seine (sexuelle) Energie auf eine Frau richtet (vgl. West 2009a). Worin besteht nun der Vorteil von sexueller Treue für die Frau? Anne West (2005b) liefert hier eine etwas andere Begründung. Zum einen gesteht sie Frauen durchaus auch mal einen One-Night-Stand zu, anders als bei den Männern, aber verweist ebenfalls auf den Zusammenhang von qualitativ gesteigertem Sex und zunehmender Vertrautheit. In »Absolut Sex« ist tendenziell ein Befreiungsdiskurs der weiblichen Sexualität auszumachen. So werden Frauen zur Selbsterforschung und -befriedigung angehalten, damit diese selbst Herrin über ihre Sexualität werden. Das Ziel bei den Anleitungen für die Frauen ist es, dass diese, so oft sie möchten, zum Orgasmus kommen können. Da die meisten Frauen bei der Selbstbefriedigung so gut wie jedes Mal den Höhepunkt erreichen würden, werde der Partner als Störfaktor betrachtet. Dass Gehirn erlaube sich nicht, in Gegenwart eines potenziell gefährlichen anderen Menschen die Kontrolle zu verlieren. Folglich falle es Frauen umso schwerer, einen Orgasmus zu bekommen, je weniger sie den Mann kennen. Der Ausweg aus dieser Misere: kontinuierlich Sex mit dem gleichen Partner zu haben. Natürlich solle man diesen lieben sowie voll und ganz vertrauen. Die sexuelle Befreiung der Frau bedeutet in diesem Sinne, dass sie zwar mit jedem Sex haben darf, aber es sei zu ihrem Besten, es nicht zu tun. Der Preis dafür sei nichts weniger als ihre höchste Lust. Somit bleibe sie freiwillig treu, um auch ja sexuelle Befriedigung zu erleben. Bei dem Ratgeber »Die perfekte Leidenschaft« kommt deutlich heraus, dass dieser sich an Paare richtet oder Personen, die eines werden wollen. Lou Paget (2005) diskutiert erst gar nicht die Vor- und Nachteile von Sex in- und außerhalb einer Beziehung. Für sie ist es nahezu selbstverständlich, dass, wer Sex hat, sich auch liebt und in einer Paarbeziehung lebt. Sex sieht sie in diesem Zusammenhang nicht nur als ein körperliches Vergnügen, sondern auch als ein emotional verbindendes Element in einer Beziehung. Insgesamt geht es ihr in dem Ratgeber um die Wechselwirkungen zwischen dem gesamten Verhalten in einer Beziehung und dem Sex, den ein Paar hat. Da der Ratgeber sich aber ausschließlich an sich liebende Paare richtet, fällt es schwer, ihre Einstellung zu Sex außerhalb einer Beziehung einzuordnen. Paget empfiehlt Paaren, die sich noch im Kennenlernen befinden, den Sex noch etwas hinauszuzögern, bis man sich wirklich sicher ist. Der Aufschub würde nur zu noch leidenschaftlicherem Sex führen, als wenn man die erste Gelegenheit ergreife. Aus solchen Aussagen, die die Autorin mitunter trifft, kann abgeleitet werden, dass idealerweise Sex und Liebe Hand in Hand gehen. Eine wirkliche Begründung liefert sie dafür nicht. Es spielt zwar auch hier Vertrauen eine Rolle und die daraus entstehende Möglichkeit, sich völlig fallen zu lassen, dennoch wird unterstellt, dass eine dauerhafte Partnerschaft sowieso das Ziel der meisten Menschen ist. Das Bedürfnis, mit einem Menschen

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sein Leben zu teilen, wird als eine Art Grundbedürfnis gefasst. Und daraus ergeben sich dann in jedem Fall sexuelle Treue und der Wunsch, nur mit einer ›besonderen‹ Person Sex haben zu wollen. Dass Liebe auch in Christingers und Schröters Ratgeber »Vom Nehmen und Genommenwerden« eine zentrale Rolle spielt, wird schon mit einem Blick ins Inhaltsverzeichnis erkennbar. Statt von Sex, spricht das Autor/innenpaar oft von ›sich lieben‹. Sex ist ›Liebe machen‹. Zudem richtet sich der Ratgeber ebenfalls vordergründig an Paare und setzt Liebe voraus. Sex ohne Liebe wird im Ratgeber direkt erwähnt. Er sei möglich, hemme jedoch das spirituelle Wachstum einer Person (vgl. Christinger/Schröter 2012). Wölle man also spirituelle Erleuchtung, Selbstheilung und so weiter erleben, so könne man das nicht einfach durch Sex erreichen, sondern nur durch Sex mit einer geliebten Person. Außerdem sehen auch Christinger und Schröter den Wunsch nach einer Partnerschaft als ein ›Urbedürfnis‹ an. Somit würden sich Menschen immer wünschen, dass sie Sex und Liebe miteinander verbinden können. 3.5 Spiritualisierung der Paarsexualität?! Kommen wir nun zum Kern der Analyse. Wie sieht es mit der Spiritualisierung von Paarsexualität aus? Soviel vorweg: Alle Ratgeber enthalten Verweise auf Spiritualität, jedoch auf unterschiedliche Weisen. Beginnen wir wieder bei den Ratgebern von Anne West. In »Sex für Könner« sind Verweise auf verschiedene spirituelle Richtungen vorhanden: auf Tantra, Yoga, Taoismus et cetera. Über diese wird eine bestimmte Körperregion als erogene Zone definiert und mit Rückgriff auf die Biologie untermauert. An anderen Stellen verweist West zwar auf eine spirituelle Richtung, zieht die Aussage jedoch durch Ironie oder einen abfälligen Satz darüber ins Lächerliche: »Waschen, bürsten und zärtlich ziepen, durchwühlen, dran ziehen, sie zu Zöpfen flechten, nass machen und über Ihren Körper schleudern lassen […] mögen mindestens zwanzig Prozent der Frauen besonders gern. Und Astrologen wollen sogar eine Vorliebe für diese erogene Zone bei Schützedamen und Widderfrauen ausgemacht haben. Nun ja, wofür die Populärastrologie nicht alles herhalten muss, so füllt man Sonntagsblätter.« (West 2009a: 151)

In diesem Zitat geht West zum einen auf die Astrologie ein und rät auch Männern, sich den Haaren der Geliebten zu widmen, weil Frauen dies mögen, andererseits stempelt sie gleichzeitig die Horoskope als unwissenschaftlichen Unsinn ab. Eine solche recht widersprüchliche Herangehensweise findet sich bei »Abso-

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lut Sex« nicht. Hier werden im weitesten Sinn spirituelle Richtungen genannt, erklärt und, wenn möglich, mit biologischen Gegebenheiten begründet. Jedoch enthält sich die Autorin bei diesem Ratgeber für Frauen jeder Ironie oder anderer Abwertungen. Ich nehme an, dass sie von einer größeren weiblichen Empfänglichkeit für Spiritualität ausgeht. Somit ließe sich vermuten, dass die Männer ͎sanft‹ an spirituelle Praktiken herangeführt werden sollen, indem manche einfach nur als lächerlich dargestellt und andere mit vernünftigen, wissenschaftlichen Begründungen untermauert werden; Frauen müssen scheinbar nicht mehr von spirituellen Praktiken überzeugt werden. Insgesamt gehen die beiden Ratgeber nur an wenigen Stellen auf spirituelles Lieben ein. Trotz dass sie nur ein Randthema ist, wird Spiritualität in beiden Ratgebern immer wieder thematisiert. Somit liegt die Vermutung nahe, dass es eine Art Zwang gibt, Spiritualität mit einzubeziehen, und zwar aufgrund einer großen Konkurrenz auf dem Buchmarkt allein durch tantrische Ratgeber. Während in »Sex für Könner« die Sexualität selbst leicht spirituell eingefärbt wird, geht »Absolut Sex« noch einen anderen Weg. Zusätzlich zu der spirituellen Komponente, die Sex erhält, wird der weibliche Körper als ein spirituelles Mysterium dargestellt und damit auch die weibliche Sexualität mystisch verklärt. »Je nach Kulturbereich hat die Vulva eine Mystifizierung erfahren, mal wurde sie dem Mond, mal der Erde, dann dem Wasser zugeordnet. Ihrem im Yin-Palast (der Vagina) gebildeten Saft, poetisch Mondentau oder Mondblumengewässer genannt, sagten die einen (etwa die Lehren des chinesischen Tao und des indischen Tantra) eine magische Wirkung nach – ihre Heilkraft biete quasi Unsterblichkeit, und jedem Mann sei nur wohl geraten, regelmäßig davon zu trinken: Cunnilingus als perfektes Anti-Aging-Mittel.« (West 2009b: 21)

Solche Sequenzen sollen scheinbar die Frau in ihrem Selbstbewusstsein sowie in ihrem Frausein bestärken. Frauen werden angehalten, sich liebevoll mit den Mysterien ihres Körpers und ihrer Sexualität auseinanderzusetzen und diese beiden Dinge schon fast als etwas Heiliges und Anbetungswürdiges zu betrachten. Dies entspricht wieder ganz dem Befreiungsdiskurs der Frau, den West in ihrem Ratgeber wiederbelebt. Ähnliche Tendenzen sind aus Ratgebern Ende der 1960er und der 1970er Jahre bekannt. An anderer Stelle wird die Vulva sogar als das »wahre Göttliche« (ebd.: 17) bezeichnet. Lou Paget benennt schon im Vorwort und in den einleitenden Worten zu den einzelnen Teilen, dass sie auch die spirituelle Seite des Sexes betrachten möchte. Diese zeigt sich bei ihr in verschiedener Form: Zum einen dadurch, dass sie

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ebenfalls Anleitungen zu tantrischen Techniken gibt, zum anderen, indem sie auf die Beziehungsebene eingeht: »Die innere, als Glauben bezeichnete Kraft gibt vielen Beziehungen eine Grundlage, um Stürmen standzuhalten – egal, ob man diese Wertvorstellungen als spirituell oder religiös bezeichnet. Es ist eine Kraft, die Glück und Frieden schenkt und Ihrer Liebe eine zusätzliche Dimension verleiht. Dies trifft auf jede spirituelle Verbindung zu, ganz gleich, um welche Religion es sich handelt oder an welche Gottheit Sie glauben. Die mit dem Partner geteilte Spiritualität stärkt die Beziehung von innen heraus.« (Paget 2005: 84)

Wie man an dem Zitat erkennen kann, trennt Paget nicht zwischen Religion und Spiritualität. Die Wirkung auf das Paar ist die Gleiche. Einzig und allein ist es wichtig, dass der Glauben geteilt wird. Sex kann bei Paget ebenfalls eine spirituelle Dimension enthalten, dies setzt jedoch wiederum voraus, dass sich das Paar liebt und vertraut. Erst mit zunehmender Beziehungsdauer werde der Sex spiritueller, er stifte somit Sinn in der Beziehung zueinander und lasse die Beziehungspersonen enger zusammenwachsen. Spiritualität wird als eine Art Hilfskonstrukt betrachtet, um Nähe und Intimität zu vertiefen (vgl. ebd.). Bei dem vierten Ratgeber handelt es sich schließlich um einen tantrischen Ratgeber, welcher die Sexualität grundlegend in ein Verhältnis zur Spiritualität setzt. So wird jede sexuelle Begegnung auch als eine spirituelle Begegnung aufgefasst und der Orgasmus als eine spirituelle Erfahrung verstanden. Man kann nicht davon sprechen, dass die Paarsexualität spiritualisiert wird, sondern eher die Spiritualität sexualisiert. Denn es geht nicht in erster Linie um sexuelles Vergnügen, sondern darum, wie Sex eingesetzt werden kann, um eine spirituelle Erleuchtung zu erlangen. Sexualität erscheint lediglich als ein Mittel, um die Suche nach Erleuchtung abzukürzen und diesen Weg gemeinsam zu gehen. Sex diene dazu, Zugang zu seinem spirituellen Potenzial zu erhalten sowie zur Selbstheilung und um Nähe und Intimität herzustellen. Am Ende des Ratgebers wird Sexualität vollends instrumentalisiert. Denn die während des spirituellen Liebens erzeugte Energie könne dem Universum überantwortet werden, um sich eigene Wünsche zu erfüllen oder aber Wünsche für andere auszusenden (vgl. Christinger/Schröter 2012). Tantrischer Sex verbessere nicht nur die eigene Sexualität und Partnerschaft, sondern könne auch die Welt verbessern. Sex wird jedoch nur als eine Abkürzung betrachtet, denn auch einzelne Personen könnten den Weg des Tantra gehen. Sie könnten Erleuchtung erlangen, allerdings sei das schwieriger, da ihnen die liebende Unterstützung fehle und erst durch eine/n Liebespartner/in alte Verletzungen, welche die individuelle Weiterentwicklung hemmen, zutage gefördert werden würden. Sex ist bei Doris Christinger und Peter A.

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Schröter nur legitim, wenn er zwischen zwei sich liebenden Menschen praktiziert wird und die gemeinsame spirituelle Erfahrung wie auch der Energiefluss im Vordergrund stehen, nicht nur die Orgasmen (vgl. ebd.). Findet heute also eine Spiritualisierung der Paarsexualität statt? Die Antwort ist ein klares ›Jein‹. Wie ich hoffentlich deutlich gemacht habe, beinhalten alle vier Ratgeber spirituelle Bezüge, insbesondere zum Tantra. So erwähnen alle die tantrische Yab-Yum-Position, welche eine zentrale Rolle im tantrischen Lieben spielt. Diese wird in den Ratgebern von West und Paget nur bruchstückhaft beschrieben und eher als eine intimitätsstiftende Position gesehen, bei der Energie zwischen den beiden Körpern fließt. »Wie die Götter. Die buddhistische Götterpaar-Vereinigung Yab-Yum: Er sitzt aufrecht, Knie leicht angezogen, Beine leicht gespreizt. Sie sitzen auf ihm, Ihre Fußknöchel hinter seinem Po verhakt. Sie legen beide eine Hand auf die Herzgegend des anderen. Manche neigen dabei ihre Stirn aneinander oder sehen sich in die Augen und atmen synchron. Eine sehr liebevolle Stellung.« (West 2009b: 286)

Während hier der Aspekt der Liebe zentral ist, wird die Yab-Yum-Stellung bei Christinger und Schröter spiritueller betrachtet. »Lieben in der klassischen Meditations- und Liebesstellung, dem Yab-Yum (tibetisch für Vaterȹ/ȹMutter), ist für uns der Kern des spirituellen Liebens. Es ist eine eigenständige Praxisform, die eine Fülle an Energie entstehen lässt. Lieben in der Yab-Yum-Position vereinigt alle Schlüssel und Übungen dieses Buches, bei denen es um Energieaufladung und -lenkung, einen gemeinsamen Rhythmus, den Atem des Lebens, Präsenz und Achtsamkeit, das Zulassen von wahrer Intimität und Stille geht. In der Yab-Yum-Praxis wechseln erotische, spielerische Elemente mit Entspannung ab, beides fördert die Erfahrung der spirituellen Ekstase.« (Christinger/Schröter 2012: 264)

Hier steht neben der Intimität noch die »spirituelle Ekstase« im Vordergrund. Auch gibt es für Christinger/Schröter mehr bei dieser Stellung zu beachten, als West und Paget es darstellen. So muss der Atem gesteuert werden, damit die Energie ungehindert fließen kann, eine bestimmte Schaukelbewegung ausgeführt und meditative Achtsamkeit geübt werden. Nur wenn man alles beachte, dann könne diese Position für eine gemeinsame tiefe spirituelle Erfahrung sorgen (vgl. ebd.).2

2

Dies ist auch die Stellung, welche ein Paar einnehmen soll, wenn es einen Wunsch aussenden will.

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Die spirituellen Dimensionen bleiben bei West und Paget eher oberflächlich. Spiritualität wird in die Sexualität und die Paarbeziehung eingeflochten, um Sinn zu stiften. Noch in den 1950er Jahren wurde der Sinn von Sexualität in die Zeugung von Nachwuchs gelegt, welcher in einer stabilen Beziehung, der Ehe, aufgezogen werden sollte. Ehen wurden zudem von der Kirche gestützt, die aus der Verbindung zweier Menschen ein Sakrament machte. Auch weltlichere Zwänge, wie die Bildung einer Wirtschaftsgemeinschaft verfestigten Zweierbeziehungen sowie eine Reihe anderer Faktoren. Diese sinnstiftenden Elemente fehlen heute in vielen Beziehungen. So verdienen Männer und Frauen genug, um alleine ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und Kinder kommen nicht mehr zwingend im Lebensentwurf vor. Daraus entsteht ein erhöhter Orientierungsbedarf in Beziehungen und bezüglich der Sexualität. Letztere ist heute nicht mehr mit der Fortpflanzung verknüpft. Als neues Sinnangebot dienen gemeinsame spirituelle Werte. Auch Christinger und Schröter verfolgen meiner Meinung nach dieses Ziel, indem sie erklären, dass durch das spirituelle Lieben in einer Partnerschaft die Welt verändert werden kann. Somit geht es bei der Spiritualisierung der Sexualität nicht, wie von mir ursprünglich angenommen, um eine Aufwertung der Paarsexualität, sondern um eine Legitimierung und Sinngebung dieser und der Paarbeziehung allgemein. Dennoch versuchen alle Ratgeber, Beziehungen und deren Sexualität auch über tradierte Vorstellungen Rückhalt zu verschaffen. Aus diesem Grund erfolgt der Rückgriff auf tradierte Rollenbilder. Spirituelle Komponenten in Ratgeber aufzunehmen, scheint generell ein Trend zu sein. Wahrscheinlich soll auch der Verlust der Religionszugehörigkeit und deren sinnstiftende Funktion ausgeglichen werden. Dennoch kann von einer umfassenden Spiritualisierung kaum die Rede sein, da gerade in den ersten drei Ratgebern auch andere sinnstiftende Elemente für Beziehungen und die gemeinsame Sexualität benannt werden. Die sexuelle Befriedigung wird als wichtig erachtet, um entspannt und ausgeglichen zu sein. Sie stiftet Nähe zur anderen Beziehungsperson; Paarbeziehungen geben generell Möglichkeiten, Rückhalt zu spenden; auch Kinder geben einer Beziehung weiterhin Sinn sowie gemeinsame Projekte und vieles mehr. West und Paget führen viele sinnstiftende und beziehungsstabilisierende Momente an, aus diesen kann sich dann das jeweilige Paar diejenigen heraussuchen, die zu seinem Lebensstil passen, Spiritualität ist lediglich eines davon.

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4. R ESÜMEE Die vorhandenen Spiritualisierungstendenzen entsprechen den Merkmalen des New Age (vgl. Knoblauch 2009; Eitler 2011). Sie vermischen verschiedene religiöse Richtungen mit mystischen Elementen. Man kann nicht klar sagen, welche Richtung genau eingeschlagen wird. Außerdem stützen sich alle Autor/innen auf das Prinzip der Ganzheitlichkeit. Sie schließen damit an eine verbreitete Wahrnehmung an, dass sich viele Individuen von den unterschiedlichen Anforderungen in Berufs- und Privatleben zerrissen fühlen. Des Weiteren interessieren im Beruf immer weniger die privaten Belange der Arbeitnehmer/innen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass diese sich immer mehr nur in verschiedenen Rollen erleben und immer weniger als ›ganze‹ Person. Aus diesem Grund soll in der Partnerschaft wenigstens der ganze Mensch als Individuum im Mittelpunkt stehen und eine Verbindung von Physis und Psyche hergestellt werden. Die spirituellen Elemente unterstreichen nur die Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Ratgeber argumentieren dahingehend, diesen Sinn nicht bei immer neuen Partner/innen zu suchen, sondern in einer festen Zweierbeziehung. Somit kann Spiritualität als Beziehungsstabilisator gesehen werden. Sexualität wird in den Ratgebern instrumentalisiert, um Beziehungen aufrechtzuerhalten. Von einer befreiten Sexualität, wie sie in den 1960er Jahren im Zuge der sexuellen ›Revolution‹ erträumt wurde (vgl. Bauer 2003), kann nicht die Rede sein. Sie unterliegt weiterhin den Zwängen der Gesellschaft, nur dass diese sich gewandelt haben. Der legitime Ort für Sexualität bleibt die monogame, heterosexuelle Zweierbeziehung. Lediglich die als legitim anerkannten Praktiken haben sich erweitert (vgl. auch Sigusch 2000). Was Foucaults (1982) Thesen betrifft, so kann man sagen, dass immer mehr über Sexualität geredet und geschrieben wird, sie ist allgegenwärtig. Dennoch hat sich eine Veränderung vollzogen in der Art und Weise, wie über Sexualität geredet wird. Die Inhalte der analysierten Ratgeber legen nahe, dass viele Menschen weniger über Sex wissen, als man nach den Befreiungsdiskursen annehmen dürfte, da die grundlegenden Ausführungen darüber sehr umfassend sind. Tabuisiert wird in den aktuellen Ratgebern jedoch, dass Paare ihre gemeinsame Sexualität einvernehmlich einstellen und dennoch auf allen anderen Ebenen eine Zweierbeziehung führen. So wird im Sexualitätsdiskurs auf verschiedene Arten der Anspruch aufgestellt, in jedem Alter und zu jeder Zeit in der Beziehung ›Sex zu haben‹, sexuell aktiv zu sein. Denn nur dann handele es sich um ein echtes Liebespaar (vgl. Christinger/Schröter 2012). Dieser Anspruch setzt Paare jeden Alters mutmaßlich unter Druck, ihr Sexleben immer neu und anders zu gestalten, damit es nicht einschläft, ohne auf die individuellen Bedürfnisse zu achten. Diesen Zusammen-

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hang zwischen dem Sexualitätsdiskurs und seinen Auswirkungen auf das reale Sexualleben zu untersuchen, wäre mit Sicherheit eine spannende Studie. Unlust, ohne den Wunsch, diese zu beseitigen, scheint ein absolutes Tabu in unserer Zeit. Deshalb empfehlen Christinger und Schröter, das »stille Lieben« (ebd.: 184) immer zu praktizieren, unabhängig von der Lust auf Sex.

Neuro-Romantik? Die symbolische Integration von Liebe und Hirnforschung C AROLA K LINKERT »Im ersten Moment hört es sich vielleicht merkwürdig an, womöglich sogar abwegig, scheint es doch kaum zwei Welten zu geben, die unterschiedlicher sein könnten, die Welt der Liebe, der Leidenschaft, und die Welt der Wissenschaft, der Vernunft. Das A und 0 der Wissenschaft ist das Experiment, das Messen. Und ist die Liebe nicht unmessbar, gar unermesslich?« (Kast 2006: 13)

Die Neurowissenschaften sind omnipräsent. Bereits Anfang der 1990er Jahre wurde von der amerikanischen Regierung die »Decade of the Brain« (Fedrowitz 1994: 425) ausgerufen, auch in Deutschland startete im April 2000 die »Dekade des menschlichen Gehirns« (Ammer 2012: 11). Seit dieser Zeit kann auch für den öffentlichen Diskurs ein ›Neuro-Boom‹ konstatiert werden. Neben philosophischen Fragen der menschlichen Willensfreiheit, der Subjektivität oder der Religiosität werden zunehmend alle Fragen des menschlichen Zusammenlebens – von Aggressivität und Gewalt bis hin zu Empathie und Sexualität – unter neurowissenschaftlichem Vorzeichen neu verhandelt. Kaum ein populärwissenschaftlicher Artikel verzichtet heute auf die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung bei der Verhandlung sozialer Verhältnisse. Auch bei Themen wie Liebe und Ge-

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schlecht zeigt sich die Tendenz einer Verwissenschaftlichung am steten Anwachsen des populärwissenschaftlichen Medienangebots.1 Doch was bedeutet das Erstarken derartiger Erklärungsmodelle in der öffentlichen Verhandlung von Liebe und Geschlecht? Welche Vorstellung von Liebe liegt dem zugrunde? Was macht den Reiz dieser Erklärungsansätze in der Öffentlichkeit aus? Diesen Fragen soll aus einer kritischen, soziologisch-diskursanalytischen Perspektive nachgegangen werden. Untersuchungsgegenstand sind populärwissenschaftliche Printmedien, die als zeitgenössische Form der Ratgebung einer Wissens- beziehungsweise Wissenschaftsgesellschaft aufgefasst werden können. Der Fokus liegt also auf den Wissensgrundlagen einer aktuellen Liebessemantik, im Folgenden sind dies vor allem biologisch-psychologische Erklärungsmuster. Im Hinblick auf den Erfolg neurowissenschaftlicher Theorien lohnt sich außerdem der Blick auf die Medialität und Symbolizität populärwissenschaftlicher Kommunikation über die Liebe. Zunächst erfolgt eine Sondierung des populärwissenschaftlichen Diskursfeldes zur Liebe und zur Hirnforschung. Nach einigen methodischen Bemerkungen wird die Metaphernanalyse als ergänzendes Instrument der Diskursanalyse vorgestellt, denn der ›Neuro-Hype‹ in den Massenmedien beruht nicht zuletzt auf seinem spezifischen Sprachgebrauch. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt im dritten Teil, abschließend wird ein kritisches Fazit gezogen.

1. L IEBE , G EHIRN

UND

M EDIEN

1.1 Wissenschaft, Medien und Gesellschaft Gemäß dem Luhmann’schen Diktum: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien« (Luhmann 2009: 9), kann auch das Wissenschaftssystem nicht abseits der Medien, in denen es zirkuliert, gedacht werden. Eingebettet in einen gesamtgesellschaftlichen Prozess der Ausdifferenzierung und Spezialisierung wird auch das Wissenschaftssystem immer komplexer und bedarf daher moderner Kommunikationsmedien, sowohl zum internen Austausch als auch in Beziehung zu angrenzenden Systemen. Systemtheoretisch gesprochen ist die Wissenschaft demnach ein soziales Subsystem, das sich funktional ausdifferenziert und nach dem

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Spiegel Wissen existiert seit 2009, Zeit Wissen seit 2004 oder Geo Wissen seit 1999. Mit Gehirn & Geist hat sich seit 2002 auch eine Zeitschrift etabliert, die sich speziell mit der Kommunikation neurowissenschaftlicher Forschung beschäftigt.

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binären kommunikativen Code ›wahrȹ/ȹfalsch‹ funktioniert. Es existiert eine systemspezifische Semantik, die sich entsprechend der Gesellschaftsstruktur entwickelt. Ein Grundproblem besteht dabei in der Kommunikation der Systeme angesichts ihrer sich zunehmend ausdifferenzierenden Eigenlogiken. Da es durch ständig anwachsendes Spezialwissen keinen zentralen Ort der Wissensverwaltung mehr geben kann, organisiert sich die Forschungslandschaft im Stile eines Netzwerkes selber. Das Wissenschaftssystem formiert sich nach eigener Logik, zum Beispiel durch die Regeln der Reputation, und ist damit zwar autonom, allerdings strukturell an andere soziale Systeme gekoppelt. An dieser Stelle ergibt sich eine doppelte Kommunikationsproblematik: Einerseits wird die Wissenschaft intern immer differenzierter, was sich in der Disziplinenbildung mit immer neuen Fachsprachen zeigt, sodass auch für die Kommunikation innerhalb des Wissenschaftssystems Übersetzungsleistungen über die Fachgrenzen hinweg notwendig werden. Andererseits müssen wissenschaftliche Ergebnisse auch nach außen kommuniziert werden, denn die konkreten Forschungstätigkeiten sind in die Gesamtgesellschaft eingebettet, also beispielsweise abhängig von Forschungsgeldern und wissenschaftspolitischen Regelungen. Gleichzeitig bildet wissenschaftliches Wissen die Grundlage kollektiver Wissensvorräte. Somit herrscht ein ständiger Austauschprozess zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, der mit einer Medialisierung der Wissenschaft einhergeht (vgl. Franzen/ Rödder/Weingart 2012). Ging die frühe Wissenschaftsforschung dabei noch von einem einseitigen Prozess der Wissensvermittlung zwischen Expert_innen und unwissendem Publikum aus, beachten aktuellere wissensschaftssoziologische Ansätze die Wechselwirkung dieser beiden Parteien. So ist die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht nur einseitig als Popularisierung wissenschaftlichen Wissens zu verstehen, sondern auch die Rückwirkung derartiger Kommunikation auf das Wissensschaftssystem selber – interessant sind dabei die epistemologischen Effekte, die eine Orientierung an journalistischen und ökonomischen Kalkülen in der Wissenschaft hat (ebd.; vgl. auch Janich 2009). Abgesehen von den etablierten system- und feldtheoretischen Ansätzen der Wissenschaftssoziologie bietet es sich an dieser Stelle an, auf diskursanalytische Ansätze zurückzugreifen. Während die Forschungen im Anschluss an Foucault sich vor allem mit epistemologischen Fragen beschäftigen (vgl. Verdicchio 2012) und meist auf wissenschaftliche Fachdiskurse beschränkt bleiben, geraten mit dem Begriff des Interdiskurses nach Jürgen Link (2006) die Querverbindungen mit dem öffentlichen Diskurs in den Blick. Auch die zunehmende Institutionalisierung der Populärwissenschaften – von der Professionalisierung des Wissenschaftsjournalismus über PR-Abteilungen in Universitäten bis hin zum stetig

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wachsenden Angebot an populärwissenschaftlichen Medienformaten – spricht für einen Diskursbereich, der sich zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Massenmedien etabliert hat. Nach Link funktionieren Interdiskurse vor allem auf symbolischer Ebene durch ihre »selektiv-symbolischen, exemplarisch-symbolischen, also immer ganz fragmentarischen und stark imaginären Brückenschläge[.] über Spezialgrenzen hinweg für die Subjekte« (Link 2006: 412). Sie sind zu verstehen als »interferierende, koppelnde, integrierende Quer-Beziehungen zwischen mehreren Spezialdiskursen« (Link/Link-Heer 1990: 92), die mit zunehmender Subjektivierung des Wissens auf die Ebene des Elementardiskurses einwirken, der sogenannte ›anthropologische Konstanten‹ wie Liebe und Sterben auf symbolische Art und Weise thematisiert. Die Populärwissenschaften sind ein Paradebeispiel für eine »gegenläufige, entdifferenzierende, partiell reintegrierende Tendenz der Wissensproduktion« (Link 2006: 411), die das komplexe wissenschaftliche Spezialwissen auch für Laien zugänglich macht. Allerdings passiert das nicht in einer einfachen ›Übersetzung‹ des Wissens in alltagssprachliches Vokabular, sondern es entstehen neue, interdiskursive Wissenskonfigurationen, die nur Fragmente wissenschaftlichen Wissens aufgreifen und symbolisch vermitteln. Neben allgemeinen Argumentations- und Narrationsschemata sind Kollektivsymbole wesentliche Voraussetzungen für derlei kulturelle Synthesen. Damit ist eine Art Gesamtbestand kulturell etablierter Analogien, Symbol- und Verweissysteme gemeint, auf dessen Basis neues, interdiskursives Wissen entsteht. Der Rückgriff auf die Interdiskurstheorie erlaubt es also einerseits, den Gegenstand der Untersuchung begrifflich und theoretisch zu präzisieren und sensibilisiert gleichzeitig für die sprachlichen und symbolischen Eigenarten des Diskurses. Untersucht man die populärwissenschaftliche Kommunikation in ihrer Reziprozität, so lassen sich auf dieser Ebene interessante Wechselwirkungen feststellen, wie zu zeigen sein wird. Die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens an die Öffentlichkeit geht notwendigerweise mit Komplexitätsreduktion einher und steht vor der Schwierigkeit, an alltagsweltliche Wissensbestände anknüpfen zu müssen. Sigrid Schmitz und Christian Schmieder (2006) tragen typische Merkmale populärwissenschaftlicher Kommunikation zusammen. Ihre Plausibilität ergibt sich nicht allein aus wissenschaftlichen Prinzipien, sondern basiert auf Vereinfachungen, Übertrei-

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bungen und systematischer Dekontextualisierung von Studienergebnissen.2 Damit wird suggeriert, dass sich Auffälligkeiten in Experimenten 1:1 von der künstlichen Laborsituation auf die Realität übertragen lassen, was nicht möglich ist und von Forscher_innen sicher auch nicht intendiert ist. Weiterhin nutzen Wissenschaftsjournalist_innen und andere Mediator_innen häufig eine sehr deterministische Sprache, in der sich eindeutige Kausalzusammenhänge formulieren lassen, während in der Wissenschaft probabilistisch formuliert wird. Gerade mit Rückgriff auf die Biowissenschaften kommt es häufig zu naturalistischen Fehlschlüssen, wenn scheinbar ›natürliche‹ Eigenschaften zur Begründung einer sozial-moralischen Ordnung herangezogen werden; diese Tendenz ist besonders in der populär-neurobiologischen Debatte zu Geschlecht beobachtbar. Wie kann nun eine soziologische Perspektive auf dieses Diskursfeld aussehen? 1.2 Neurowissenschaften und Soziologie Die breite Öffentlichkeit wurde Anfang der 2000er Jahre Zeuge des ›NeuroBooms‹, als die Debatte um die menschliche Willensfreiheit in den Feuilletons großer deutscher Zeitungen ausgetragenen wurde. Ein zentrales Diskursfragment bildet dabei ein »Manifest« elf führender Neurowissenschaftler zur Hirnforschung im 21. Jahrhundert, das 2004 in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift GEHIRN & GEIST erschien und in denen Aussagen zur Reichweite neurowissenschaftlicher Theorien und Ansätze der zukünftigen Forschung sehr optimistisch formuliert werden. Auch wenn die Bezeichnung Neurowissenschaft oder Hirnforschung eine einheitliche Forschungsausrichtung vermuten lässt, was durch das Verfassen eines gemeinsamen Manifests noch öffentlichkeitswirksam betont wird, ist die Realität der Wissenschaften des Gehirns weitaus komplexer und subsummiert diverse fachliche Disziplinen der Biologie, Medizin und Psychologie. Das Methodenarsenal wächst mit den technischen Möglichkeiten, die öffentlichkeitswirksamen bildgebenden Verfahren sind nur ein kleiner Ausschnitt des experimentellen Methodenspektrums. Daran knüpft sich eine große Schwierigkeit: Der Experimentalcharakter der Neurowissenschaften führt zur prinzipiell endlosen Erzeugung neuer Wissensbestände. Da ein einheitlicher theoretischer Rahmen zur Integration dieser Wissensbestände fehlt und es keine gemeinsame

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Ein besonders eklatantes Beispiel ist das Ehepaar Pease, das in seinem Sachbuch »Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken« auf Basis von Hirnforschungsstudien argumentieren, in denen Millionen Menschen in den Scanner geschoben wurden. Tatsächlich liegt die Fallzahl der zugrundeliegenden Studien aber meist im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich (vgl. Voß 2011).

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Semantik und Begrifflichkeit gibt, treten zunehmend Kommunikationsschwierigkeiten auf, sowohl wissenschaftsintern als auch zwischen Expert_innen und Öffentlichkeit (vgl. Vogd 2010). Die fruchtlose öffentliche Debatte um die menschliche Willensfreiheit ist Zeugnis einer interdisziplinären Wissenschaft, »die längst ihr neues Babylon produziert hat« (ebd.: 243). Was also fehlt, um babylonischen Zuständen im Feld der Wissenschaft und bei der Kommunikation nach außen vorzubeugen, ist »eine entsprechende theoretische Figur, um die Disziplin als Ganzes zu integrieren« (ebd.: 159). Sabine Maasen (2006) analysierte diese Debatte aus einer wissenssoziologisch-diskursanalytischen Perspektive und kommt zu dem Schluss, es handele sich um eine medial inszenierte Scheindebatte, die hauptsächlich von Expert_innen geführt wird. Es ginge dabei weniger um wissenschaftstheoretische, als wissenschaftspolitische Intentionen. Die Massenmedien böten eine Plattform für Aufmerksamkeit bezüglich der Forschungsaktivitäten, was nicht zuletzt die Finanzierung von Projekten begünstigt. Wie alle gesellschaftlichen Subsysteme ist auch die Wissenschaft an die kapitalistisch-neoliberale Ökonomie gekoppelt. Eine kritische Diskursanalyse, welche die Besonderheiten und Rahmenbedingungen dieser »öffentliche[n] Debatte ohne Öffentlichkeit« (ebd.: 292) berücksichtigt, könne daher zu dem Schluss kommen, dass es »weniger die Hirnforschung [ist], die die Gesellschaft nach ihrem Bilde formt – vielmehr ist die Hirnforschung die Wissenschaft dieser (neoliberalen, neosozialen) Gesellschaft, die zunehmend auf die Selbststeuerungskompetenz ihrer Mitglieder setzt« (ebd.: 299) und das aktuelle Menschenbild in diesem Sinne prägt. Auffällig ist, dass sich die Sozial- und Kulturwissenschaften derzeit kaum oder gar nicht beteiligten, auch in den Jahren danach erfolgt eine soziologische Auseinandersetzung mit der Debatte eher fachintern als öffentlich. Einen umfassenderen Ansatz legte Werner Vogd (2010) mit »Gehirn und Gesellschaft« vor. Wie oben schon erwähnt, stehen die Wissenschaften im Zuge ihrer Spezialisierung und Ausdifferenzierung vor dem Problem der theoretischen Integration einzelner Forschungsergebnisse. Diese erfolgt nicht mehr durch große epistemische Konfigurationen, sondern durch Supplemente, »die entweder derartige Bezüge simulieren oder eine metatheoretische Integration anbieten« (ebd.: 268f.). Als Beispiele dieser synthetisierenden, metatheoretischen Narrative führt er die Evolutionstheorie, die Psychoanalyse und die Systemtheorie an. In ihrer populärwissenschaftlichen Trivialisierungsform »geben [sie] der unübersichtlichen Hirnforschung eine Erzählstruktur« (ebd.: 272), mit der sich soziale Phänomene scheinbar ›erklären‹ lassen. Sie dienen also der Unsicherheitsabsorption, indem sie komplexe Wissensbestände ordnen und so vor allem auf der Ebene der öffentlichen Kommunikation in den Medien das Verständnis und die

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Kommunikation darüber erleichtern. Im Evolutionsparadigma werden soziale Muster durch ihre Funktionalität in der Jäger- und Sammlergemeinschaft begründet und ohne Beachtung der veränderten Rahmenbedingungen auf die Gegenwart übertragen. Das Bestehende hat also einen Sinn, weil es besteht. »Für die populärneurowissenschaftlichen Diskurse liegt die Attraktivität dieses Schemas in der speziellen Reduktionsleistung der evolutionären Selbstplausibilisierung.« (Ebd.: 272) Die Psychoanalyse eignet sich zur Integration, da sie einen Bezug zwischen unbewussten Mechanismen und dem manifesten Verhalten und Fühlen herstellt. Zudem bereichert sie das Vokabular um die Metapher des Verborgenen, die auch der Hirnforschung eine geheimnisvolle Aura verleiht. Auch systemtheoretische und kybernetische Prinzipien spiegeln sich im populären Neuroreduktionismus wider: Das Gehirn wird als abgeschlossenes, eigenlogisch operierender Apparat verstanden, der sich von seiner Umwelt abgrenzt und selektiv auf Anreize reagiert (vgl. Janich 2009). Im populärwissenschaftlichen Interdiskurs erfolgt die Wissensintegration nicht durch ein einheitliches Paradigma, sondern im Sinne einer »symbolischen Integration von Hirnwissen« (ebd.: 235). Unter Formen symbolischer Präsentation versteht Vogd sämtliche Arten bildhafter Darstellung, zum Beispiel in Metaphern, Bildern und Diagrammen. Diese stilistischen und visuellen Komponenten entwickeln eine Eigendynamik, in der immer wieder an bekannte Modelle angeknüpft wird und sich diese symbolischen Formen gegenseitig stützten. Vogd formuliert in Anschluss an Michael Hagner (2006) die These, das Gehirn selbst – ein historisch sehr wandelbarer Begriff, der immer Ausdruck des gegenwärtigen Welt- und Menschenbildes ist – werde zur Einheit stiftenden Metapher, ein »letzter Stützpunkt der abendländischen Metaphysik« (Vogd 2010: 161), um Auskunft über uns selbst zu geben. 1.3 Liebe und Geschlecht in populärwissenschaftlichen Medien Aus einer soziologischen Perspektive interessieren vor allem die kulturellen und interaktiv-kommunikativen Aspekte der Liebe. Sie ist in dieser Hinsicht weniger ein individuelles Gefühl als eine soziale Rahmung für die Gestaltung intimer Beziehungen. Damit ist eine Fülle von Denkmustern, Interaktionsregeln und Beziehungsnormen verbunden, sodass man von Liebe als einem symbolischen Bedeutungskomplex sprechen kann, der sich historisch wandelt und aus zeitgenössischen, kulturell variablen Wissensbeständen speist. Liebe wird hier also – ebenso wie Geschlecht – als ein diskursives Phänomen und als symbolische Wissenskategorie verstanden. Ziel dieser wissenssoziologischen Diskursanalyse ist die

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Rekonstruktion der Legitimationsmuster einer Liebessemantik unter den Bedingungen einer funktional ausdifferenzierten (Wissenschafts-)Gesellschaft. Der jeweils zeitgenössische Liebesdiskurs ist in kollektive Wissensbestände und gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse eingebettet. Erst seit dem 19. Jahrhundert wird Liebe systematisch als anthropologische Kategorie verstanden und von der Deutungsmacht der Theologie gelöst. Die christliche Liebessemantik (vgl. Eckardt i.d.B.) verlor im Zuge gesamtgesellschaftlicher Säkularisierungsprozesse ihren umfassenden Geltungsanspruch und die institutionalisierten Wissenschaften wurden immer stärker Grundlage gesellschaftlicher Wissensbestände – so auch des Liebesbegriffs. Dessen Fokus verschiebt sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Psychoanalyse zunehmend in Richtung Sexualität. Spätestens mit dem ›Psycho-Boom‹ der 1970er Jahre (vgl. Mahlmann 1991) hat sich die Psychologie als feste Deutungsinstanz des modernen Liebeskonzepts durchgesetzt. Auch die Ratgeberanalysen im SFB 804 zeigen eine deutliche Verschiebung der ›Liebes-Expertise‹. Waren in den 1950er Jahren Theologie und Medizin noch dominante Ratgebungsinstanzen, so sind es nun vor allem Therapeut_innen und Psycholog_innen. Diese Deutungshoheit in Liebesfragen wird im populärwissenschaftlichen Interdiskurs nun durch die Neurowissenschaften herausgefordert, indem Liebe als neurochemisches Verhältnis oder evolutionäre Strategie beschrieben wird und Ratschläge von Paartherapeut_innen teilweise regelrecht diskreditiert werden: »Die Entdeckungen aus den Liebeslabors, ich habe es selbst erfahren, können Ihr Beziehungsleben verändern. Die Lehren, die sich aus ihnen ziehen lassen, beruhen nicht einfach auf der Meinung irgendeines Therapeuten. Man hat sie anhand von zahlreichen Versuchen oder mit Hilfe von systematischen Beobachtungen aufgespürt.« (Kast 2006: 22)

Sehr auffällig sind diese Biologisierungstendenzen in der populärwissenschaftlichen Verhandlung des Geschlechts, in der neurowissenschaftliche Thesen zur Untermauerung einer dichotomen Geschlechterordnung genutzt werden. Auf Basis der feministischen Wissenschaftskritik wurden vor allem die biologischen Naturwissenschaften in Hinblick auf ihren Beitrag zu Reproduktion einer dichotomen Geschlechterordnung hinterfragt. Anne Fausto-Sterling (2002) weist dabei auf die besondere Rolle von Dichotomien in der Kultur hin, nach denen die Frau mit Natur, Gefühl und Irrationalität, der Mann mit Kultur, Vernunft und dem Prinzip der Rationalität assoziiert wird und mit denen eine Abwertung und Sonderstellung des Weiblichen einhergeht. Diese Denkmuster wirken sich auch auf die Wissenschaften aus (vgl. Maurer 2002). Mit der quasi-natürlichen Grundkategorie Geschlecht wird die Zweigeschlechtlichkeit bereits jeder Studie

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als unabhängige Variable vorausgesetzt und damit reproduziert, indem statistisch signifikante Unterschiede zwischen Mann und Frau herausgearbeitet werden. Die Neurowissenschaften werden Instrumente eines ›Neurosexismus‹ (vgl. Fine 2010) beziehungsweise systematischer »Geschlechterdifferenzforschung« (Schmitz 2006: 224). Der Schluss liegt nahe, dass solche Implikationen auch den Liebesbegriff beeinflussen.

2. D ER POPULÄRWISSENSCHAFTLICHE I NTERDISKURS ZUR L IEBE 2.1 Methodologische Vorbemerkung: Diskursforschung und Metaphernanalyse Die vorliegende Arbeit versucht, ein aktuelles Konzept von Liebe im populärwissenschaftlichen Interdiskurs der Jahre 2000-2010 zu rekonstruieren und den Einfluss der neurowissenschaftlichen Forschung darauf zu bestimmen. Dabei wurden das ratgeberähnliche und sehr erfolgreiche Sachbuch3 »Die Liebe und wie sich Leidenschaft erklärt« des Wissenschaftsjournalisten Bas Kast (2006) und zwei thematisch auf Liebe fokussierte Sammelbände der Zeitschriften GEHIRN & GEIST (2009) und PSYCHOLOGIE HEUTE (2006) analysiert. Letztere bieten den Vorteil, dass sich nicht nur ein einzelner Autor oder eine Autorin äußert, sondern verschiedene Personen, teilweise auch mit wissenschaftlichem Hintergrund, zu Wort kommen. Gemäß den Prinzipien der Grounded Theory wurden die Kategorien anhand des Materials entwickelt. Nach der offenen Kodierung ergaben sich dabei vier Aspekte eines Liebesbegriffs, die für die untersuchten Argumentationen leitend waren: 1.) Liebe und Gefühle, 2.) die soziale Beziehungsform der Liebe, 3.) die Rolle der Sexualität in der Liebe und 4.) die Geschlechterdimension der Liebe. Diese Gliederung erfüllt vor allem heuristische Zwecke, um das Material zu strukturieren, ist aber empirisch fundiert. Um die Dimension einer symbolischen Integration von Hirnwissen im Liebesdiskurs deutlicher zu fassen, wurde die Methode der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (vgl. Keller 2008 und Scholz/Lenz i.d.B.) angewandt und die Kategorie ›Wissensbestände und Wissenschaftsleitbild‹ erfuhr besondere Aufmerksamkeit.

3

Beste Platzierung in den Spiegel-Bestsellerlisten: Rang 5 am 27.9.2004 (Hardcover/ Sachbuch Bestseller) und Rang 22 am 17.3.2006 (Taschenbuch/Sachbuch Bestseller); Verweildauer in den Top 50: 8 Wochen als Hardcover und 26 Wochen als Taschenbuch.

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Zudem wurde Kellers Untersuchungsansatz mit dem Begriff des Interdiskurses präzisiert und um die Methode der Metaphernanalyse erweitert.

Liebe, Gefühle, Emotionen

Beziehungsleben

Kulturelle Leitvorstellung(en) der Liebe

Sexualität und Intimität

Geschlecht

Metaphorische Konzepte

Wissensbestände und Wissenschaftsleitbild

Abbildung 3: Kodierparadigma

Leerstellen

Wie erwähnt, zeichnet sich der Interdiskurs vor allem durch die Mechanismen der symbolischen Integration und Koppelung von Wissensbeständen aus. Eine Auffälligkeit populärwissenschaftlicher Texte ist der hohe Anteil an Metaphern zur Beschreibung komplexer wissenschaftlicher Studien. Begreift man Metaphern dabei jedoch nur als rhetorisches Schmuckwerk, unterschätzt man deren wirklichkeitskonstruierende Funktion in Diskursen. Abseits der philosophischen Tradition der Metaphernanalyse, die schon mit Aristoteles – dem »Archepoet der Metapherntheorie« (Fischer 2005: 11) – beginnt, setzen sozialwissenschaftliche Ansätze, auch die hier angewandte Methode von Jan Kruse, Kay Biesel und Christian Schmieder (2011), vor allem bei der kognitiven Linguistik von George Lakoff und Marc Johnson (2008) an. Die beiden Sprachwissenschaftler revolutionierten die Linguistik 1980 mit ihrem wegweisenden Standardwerk »Metaphors we live by« (dt. 1998, »Leben in Metaphern«), indem sie die alltagssprachliche Bedeutung der Metapher hervorhoben und die grundlegend metaphorische Struktur der Sprache betonten. In metaphorischen Konzepten, also der Verdichtung verschiedener metaphorischer Redewendungen mit einer gemeinsamen kognitiven Tiefenstruktur, vermischen sich kollektive Sinn- und Deutungsmuster mit individuellem Denken und Handeln (vgl. Schmitt 2004). Wird ein Gegenstand oder Phänomen im Lichte eines anderen betrachtet, werden subtile Bedeutungen mittransportiert, die dann auch Einfluss auf das Verständnis neuer Sach-

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verhalte haben. Wird die Ehe also als eine Seereise vorgestellt, werden beispielsweise Assoziationen zu Sturm, Schiffbruch und Abenteuer wachgerufen, die dann für Probleme in der Partnerschaft sensibilisieren, beziehungsweise diese erst hervorrufen. Wenn bildspendender und bildempfangender Bereich derart zusammenspielen, spricht man auch von der Interaktionstheorie der Metapher, die heutzutage als allgemeine Forschungsgrundlage gilt (vgl. Fischer 2005). Während Lakoff/Johnson auf der Suche nach kognitiven Universalien waren, wird hier im Anschluss an Rudolf Schmitts kritische Auseinandersetzung davon ausgegangen, dass verschiedene Sprachgemeinschaften und Kulturen mit je variablen und historisch wandelbaren Metaphernvorräten existieren (vgl. Schmitt 2004). Welchen Nutzen hat nun die Metaphernforschung für die Diskursanalyse, vor allem für die Erforschung von populärwissenschaftlichen Sachbüchern? Sprache lebt von Metaphern – besonders in der modernen ›Wissensgesellschaft‹ sind Menschen einer ständigen, zunehmend auch rein bildlich vermittelten, Informationsflut ausgesetzt. Fragmente komplexen wissenschaftlichen Wissens fließen so in den Alltagsgebrauch ein und werden erst durch die Verwendung von Metaphern verständlich. Auch die scheinbar rationale naturwissenschaftliche Fachsprache ist voll von Modellen und Metaphern, wie es sich am Beispiel der Metaphern des Gehirns in der Wissenschaftsgeschichte zeigen lässt. Durch die übertragende, verbindende Funktion der Metaphern werden gleichzeitig gesellschaftliche Sinn- und Deutungsmuster subtil transportiert, die auf der sprachlichen Oberfläche des Textes gar nicht sichtbar wären. »Metaphern vernetzen Diskurse« (Kruse/Biesel/Schmieder 2011: 75), indem ein Element des Diskurses sprachlich durch Elemente anderer Diskurse dargestellt wird; damit werden sie auch zu einem wichtigen Bestandteil der allgemeinen Diskursforschung (vgl. Keller 2007a). Ein weiterer Vorteil des metaphernanalytischen Ansatzes ist, dass seine Grundprämisse, alle Sprache sei grundlegend metaphorisch strukturiert, die Forscher_innen auch für deren eigenen Sprachgebrauch sensibilisiert und so zu mehr Selbstreflexion anregt. Zuletzt helfen Metaphern durch ihre einseitige Betonung von bestimmten Eigenschaften eines Gegenstands neben den Relevanzen einer Diskursgemeinschaft auch ›Verdunklungseffekte‹ (vgl. Kruse/Biesel/Schmieder 2011) und damit Leerstellen im Diskurs ausfindig zu machen. Bevor die gefundenen metaphorischen Konzepte zu Liebe und Gehirn dargestellt werden, wird die im Material vorherrschende Liebeskonzeption skizziert.

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2.2 Der Liebesbegriff in den populärwissenschaftlichen Medien Gemäß dem Kodierparadigma ließen sich vier Dimensionen der Liebe definieren, entlang derer die Ergebnisse der Diskursanalyse dargestellt werden, bevor zuletzt auf Leerstellen und unhinterfragte Selbstverständlichkeiten im Untersuchungsmaterial eingegangen wird. a) Dimension Liebe, Gefühle und Emotionen: Die Liebe hat in den drei Analyseeinheiten einen unterschiedlichen Bedeutungshorizont. Während sie in PSYCHOLOGIE HEUTE als ein allgemein menschliches Bestreben im Sinne einer Sehnsucht nach Einheit und Transzendenz beschrieben wird, bleibt sie in GEHIRNȹ&ȹGEIST sehr unterbestimmt und wird bei Kast ausdrücklich biologisch fundiert. Kast betont die zwei Seiten der Liebe, sie ist biologisch und psychologisch funktional ausgerichtet, während in GEHIRNȹ&ȹGEIST nur biologische Beschreibungen, keine Erklärungen erfolgen. In allen Fällen entsteht ein Widerspruch zwischen der geheimnisvollen Welt der Liebe als einem menschlichen Grundprinzip und der rationalen Welt der Wissenschaft, die diese Geheimnisse nie vollständig ergründen kann. Wie es auch schon im Eingangszitat zum Ausdruck kommt, ist das Prinzip der Wissenschaft das Messen und modellhafte Denken, damit wird auch die Liebe in Modellen dargestellt. In allen Texten findet sich ein mehr oder weniger differenziertes Phasenmodell der Liebe: Auf die anfängliche Zeit der leidenschaftlichen Verliebtheit, oft eng verknüpft mit einer lebendigen Sexualität und Leidenschaft, folgt die Phase der dauerhaften, kontinuierlichen Liebe, die sich vor allem durch Intimität und Bindung auszeichnet. Beide Phasen sind konstitutiv für die Liebesbeziehung und enden nicht nach einer gewissen Zeit. Vielmehr dominiert die emotionsbesetzte Leidenschaft den Beginn einer Beziehung, lässt im Verlauf nach und muss immer wieder neu belebt werden, wenn die Liebe Bestand haben soll. Der Schlüssel für den Übergang von einer Phase in die nächste liegt im neurochemischen Botenstoff Oxytocin, der während intimer Kontakte ausgeschüttet wird und die Bindung verstärkt. »Das Neuropeptid [Oxytocin, d.A.] fungiert als Vermittler: Es verbindet Sozialkontakte mit einem ›guten Gefühl‹. Das Gehirn schüttet dann genau die Botenstoffe aus, die ein Verhalten lohnens- und wiederholenswert machen. ›Ohne Oxytocin könnten soziale Spezies nicht überleben‹ […]. Da bildet der Mensch keine Ausnahme, wie eine Fülle jüngster Studien belegt. ›Oxytocin ist der Kitt unseres Lebens‹.« (GEHIRN & GEIST 2009: 58)

Damit ist ein trivialisiertes neurowissenschaftliches Konzept einer ›Neurochemie der Liebe‹ benannt, das ein Leitmotiv der modernen biologischen Theorien zur

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Liebe ist. GEHIRN & GEIST und Kast stimmen darin überein, dass die neurobiologische Beschäftigung mit der Liebe beim hormonellen Gleichgewicht und den neuronalen Korrelaten von messbaren affektiven Zuständen – wie der ›akuten‹ Verliebtheit oder den Veränderungen während und nach sexuellen Kontakten – ansetzt. Die verborgenen Prozesse im Körper und vor allem im Kopf der Betroffenen stehen im Zentrum, die Wissenschaft mit ihren bildgebenden Verfahren macht diese Prozesse sichtbar. Kast überstrapaziert diese Tendenz, indem er die physiologischen Abläufe als »unsichtbare Feinde« (Kast 2006: 17) bezeichnet, die man bekämpfen müsse. Unkontrollierbare Zustände der Verliebtheit werden klar von der ›eigentlichen‹ Liebe abgegrenzt und gleichzeitig abgewertet, zum Beispiel indem sie mit Rausch- oder Krankheitszuständen parallelisiert werden. Die Gefühle von Bindung und Vertrauen während einer dauerhaften Beziehung stehen im Fokus von PSYCHOLOGIE HEUTE, schließlich geht es zu großen Teilen um therapeutische Interventionen, die auf der verbalisierbaren Ebene des Denkens und Verhaltens ansetzen. Damit werden auch wissenschaftliche Zuständigkeiten im Diskurs geregelt. b) Die Dimension Beziehungsleben umfasst Aussagen zur Gestaltung einer Liebesbeziehung in der Alltagspraxis und untersteht damit vornehmlich psychologischer Expertise. Dabei zeigt sich eine Spannung zwischen subjektiven und gemeinsamen Paarbedürfnissen, womit implizit das Verschmelzungsideal des romantischen Liebeskonzepts hinterfragt wird. »Am stärksten sind natürlich die Abhängigkeitsgefühle bei jenen Menschen, die eine dauerhafte Verschmelzung in der Partnerschaft anstreben. Sie wollen eine Symbiose, in der sie ihre Eigenständigkeit in der Partnerschaft nicht entfalten müssen. Sie geben die eigene Identität in der Beziehung auf. Eine vorübergehende Verschmelzung ist sehr schön, sie gehört zur Liebe. […] Und doch muss dann jeder wieder sein eigenes Leben führen. Denn die Liebe bedarf auch des Abstands und der Eigenständigkeit beider Partner. So sagt auch Khalil Gibran, man solle sich lieben und doch nicht zu sehr beieinander sein, und er schließt seine Gedanken mit den Worten: ›Denn die Säulen des Tempels stehen einzeln.‹« (PSYCHOLOGIE HEUTE 2006: 81)

Einerseits wird gefordert, dass das Paar eine gemeinsame Identität, ein ›WirGefühl‹ entwickeln soll, andererseits dürfen die Ansprüche und Bedürfnisse des Einzelnen nicht vernachlässigt werden. Die Ähnlichkeit der Beziehungspartner_innen ist daher eine günstigere Voraussetzung für langfristige Beziehungen. Die gelebte Liebe ist nicht nur in dieser Hinsicht mit permanenter Arbeit an der Beziehung und am Selbst verbunden, eine offene, partnerschaftliche Kommunikation bereitet die Grundlage dafür. Die Beziehungsqualität, die sich abseits

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ökonomischer Abhängigkeiten vor allem durch die affektive Zuneigung und die subjektive Zufriedenheit beider Partner_innen definiert, wird der entscheidende Faktor für die Kontinuität der Zweierbeziehung. Nachdem in diesem Liebesmodell die Rolle des oder der Einzelnen anstelle der Paarverschmelzung betont wird, werden die ›Beiträge‹ zum Beziehungsglück vor allem ökonomisch im Sinne einer Kosten-Nutzten-Kalkulation der ›Beziehungsarbeit‹ beschrieben. »Glückliche Paare zeichnen sich dadurch aus, dass sie über ein hohes Beziehungskapital verfügen. Diesen erfreulichen Kontostand verdanken sie nicht etwa einem Wunder, sondern täglicher Aufmerksamkeit. Auch das Plus auf der Gefühlsbank ergibt sich nicht von selbst. Man muss etwas einzahlen. Gerade darin liegt die gute Nachricht. Denn es heißt: Jeder von uns kann sein Gefühlskonto aufstocken. Glückliche Paare zahlen ständig auf ihr Beziehungskonto ein, und zwar mehr, als sie abheben. So bilden sie rechtzeitig Rücklagen für stürmische Zeiten. Wenn es dann mal zum Streit kommt, können sie auf sicheres Gefühlsguthaben zurückgreifen.ͨ (Kast 2006: 176)

c) Dimension Sexualität und Intimität: Die Rolle der Sexualität unterscheidet sich stark im analysierten Material. Während sie in GEHIRN & GEIST das dominante Thema ist, über das die Liebe erschlossen wird, räumt Kast ihr den geringsten Raum ein. Gemeinsam ist den Autor_innen, dass sie Sexualität und Intimität unterscheiden, obwohl beide Aspekte miteinander verwoben sind, denn ohne Sexualität stellt sich auch keine Intimität her. »Während der ersten Wochen, im Rausch der Verliebtheit, können wir kaum die Finger voneinander lassen, doch schon bald erfährt die Lust einen Dämpfer. Die Aufregung legt sich. Die Verliebtheit verfliegt, der Alltag kehrt ein. Auch glückliche Paare gewöhnen sich aneinander. Auch sie verbringen bekanntlich nicht den ganzen Tag im Bett. Trotzdem tut das ihrem gemeinsamen Glück nicht den geringsten Abbruch. Weniger Sex heißt nicht automatisch, dass auch die Liebe nachlässt. [...] Wie wir gesehen haben, lässt bei manchen Partnern das gemeinsame Glück mit den Jahren des Zusammenseins nicht nach, sondern umgekehrt, es wächst. Das Vertrauen zwischen ihnen wächst. Ist man sich gegenseitig vertraut, mag zwar der Nervenkitzel im Bett etwas kleiner ausfallen. Dennoch genießen viele Paare nicht nur ihre Beziehung als solche, sondern auch ihren Sex jetzt mehr denn je zuvor, gerade auf Grund der gewachsenen Intimität.« (Kast 2006: 128)

Sex ist viel enger definiert, stärker an das Individuum mit seinen Trieben oder Bedürfnissen gekoppelt und kann durchaus auch außerhalb der Beziehung stattfinden, während Intimität mit Vertrauen, Bindung und einer dauerhaften Paarbeziehung einhergeht. Hier spiegelt sich also wieder die Unterscheidung zwischen

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Leidenschaft und Liebe sowie die Unterscheidung zwischen individuellen und gemeinsamen Bedürfnissen wider. Die Sexualität untersteht vor allem dem evolutionspsychologischen Deutungsmonopol und ist somit auch stark auf die Fortpflanzungsfunktion hin definiert. Die Weitergabe der Gene wird als Grundmovens der Liebestätigkeiten überhaupt beschrieben: »Denn rein biologisch gesehen besteht die Funktion der Liebe darin, zwei Menschen für den Nachwuchs zusammenzubringen. Sie dient als Beziehungskitt.« (Kast 2006: 16) Dieses Bestreben ist genetisch bedingt und in die Gehirne der Menschen ›eingebrannt‹. Es steuert unbewusst Handlungen und eröffnet ein Feld der nonverbalen, körperlichen Kommunikation: »Hinter jedem Kuss verbergen sich Prozesse von ungeahnter Komplexität. Durch sie tauschen unsere Gehirne geheime Botschaften aus.« (GEHIRNȹ&ȹGEIST 2009: 62) Während die Sexualität durch die Hirnforschung sehr genau beschrieben wird – auch hier ist die Oxytocin-Hypothese prominent vertreten –, ist der Liebesbegriff in diesem Kontext sinnentleert: »Liebe geht durch den Magen, der Orgasmus durch den Kopf.« (GEHIRNȹ&ȹGEIST 2009: 51) d) Dimension Geschlecht: Auf der Sexualitätsdimension, vor allem in Verbindung mit neurowissenschaftlichen Thesen, zeigt sich eine dichotome Geschlechterordnung, die alle Analyseeinheiten durchzieht und an keiner Stelle hinterfragt oder explizit begründet wird, besonders stark. »Viele Frauen verfügen über ein besseres Einfühlungsvermögen als Männer. […] Die Gehirne von Frauen sind von Natur aus auf Empathie gepolt. Mit ihren ›E-Hirnen‹ (E für Einfühlungsvermögen) können sie die Regungen ihrer Mitmenschen schneller erkennen als Männer, die die Welt mit ihren ›S-Hirnen‹ (S für Systematik) eher systematischtechnisch zu erfassen versuchen. Auch die Paarforscher sind in ihren Versuchen immer wieder auf folgendes Gesetz gestoßen: Die Frau ist das ›Barometer‹ der Beziehung. An ihr lässt sich ablesen, wie es um die Partnerschaft steht.« (Kast 2006: 125)

Bei Kast wird das System der Zweigeschlechtlichkeit in das umfassende Konzept der Evolution eingebunden und vor allem phylogenetisch in Hinblick auf die sexuelle Reproduktion der Gattung legitimiert. Die Liebe steht im Dienste von Mechanismen der sexuellen Auslese, ist deshalb streng heteronormativ kodiert und basiert auf der Polarität der Geschlechter. Es wird ausdrücklich zwischen weiblicher und männlicher Sexualität unterschieden, wobei das männliche Modell zur Norm deklariert wird, das weibliche Pendant gemäß Simone de Beauvoirs Thesen (2009, orig. 1951) zum anderen Geschlecht als mysteriös, kom-

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plex und abweichend beschrieben wird.4 Während das Männerleitbild sehr körper- und sexualitätsbetont ist, sind Frauen zwar sehr von biologischen Faktoren beeinflusst, allerdings streben sie mit Sexualität nur die Intensivierung der emotionalen Bindung an. »Bei Frauen hingegen steht Sexualität nach dieser Sicht der Dinge vor allem im Dienste der Bindung. Und da gilt es am Anfang, wenn die Bindung noch unsicher ist, viel Lust zu investieren. Später indes, wenn die Frau den Partner fest an der Leine weiß, tun es ein paar gelegentliche energiesparende Kuscheleinheiten.« (PSYCHOLOGIE HEUTE 2006: 31)

In PSYCHOLOGIE HEUTE wird das Ausmaß der Geschlechterdichotomie bereits reduziert; die Liebe ist als transzendentes, menschliches Prinzip geschlechtslos konzipiert. Für die Ebene der Sexualität und im Beziehungsleben ist die Differenz zwischen männlich und weiblich aber weiterhin dominant. e) Leerstellen: Liebe und Liebesbeziehungen jenseits des Modells einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit sucht man innerhalb dieses populärwissenschaftlichen Diskurses vergeblich. Eine differenzierte Betrachtung der Dimension Geschlecht kann also als Leerstelle bezeichnet werden. Die Dyade ist weiterhin die normale soziale Form der Liebe. Kinder und deren Einfluss auf das Paarleben und die Liebesbeziehung werden nur am Rande erwähnt und sind nicht Bestandteil des Liebeskonzepts. Beziehungsformen jenseits der monogamen Zweierbeziehung werden zwar thematisiert, aber nicht mit Liebe assoziiert. Vielmehr stellen Beziehungen zu Personen außerhalb der festen Liebesbeziehung eine Bedrohung für die etablierte Intimität dar und werden als ›Seitensprünge‹ oder Formen sexueller Untreue behandelt. Sie resultieren aus einem Ungleichgewicht zwischen vornehmlich sexuell definierten individuellen und gemeinsamen Bedürfnissen. Verschiedene Partner_innen sind zwar durch die moderne Beziehungsnorm der seriellen Monogamie legitimiert, alternative Beziehungskonstellationen aber, wie beispielsweise offenen Beziehungen, werden entweder gar nicht thematisiert oder es wird nicht von Liebe gesprochen. Zusammenfassend ergeben sich folgende materialübergreifende Kategorien, die sich wechselseitig stützen und das Liebeskonzept im untersuchten Segment des populärwissenschaftlichen Interdiskurses skizzieren:

4

Interessanterweise lässt sich diese androzentristische Tendenz auch bei der Beschreibung von Homosexualität feststellen, weil in diesem Zusammenhang in Gehirn & Geist vornehmlich die männliche Ausprägung besprochen wird.

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Abbildung 4: Materialübergreifende Kategorien des Liebeskonzepts Zweiphasiges Liebesmodell zwischen Verliebtheit und Liebe

Neurochemie der Liebe

Gefühle zwischen Funktion und Gefährdung Spannung zwischen subjektiver Identität und Paaridentität

Liebe als menschliches Grundprinzip Dichotome Geschlechterordnung

Spannungsverhältnis zwischen Sexualität und Intimität

Geschlechtsspezifische Sexualität

Leerstellen: Differenzierte Ansichten zur Dimension Geschlecht jenseits des Modells der natürlichen Zweigeschlechtlichkeit; alternative Beziehungskonstellationen als die der Dyade; Generationaler Aspekt: Liebesbeziehungen und Kinder

2.3 Wissensgrundlagen und Wissenschaftsleitbild Das Untersuchungsmaterial wurde so ausgewählt, dass sich sowohl die traditionell für Liebesbeziehungen ausgewiesenen psychologisch-therapeutischen Wissensbestände als auch die aktuell populären bio- und neurowissenschaftlichen Ansätze widerspiegeln. Im untersuchten Segment des populärwissenschaftlichen Interdiskurses zeichnet sich die Dominanz eines empirisch-nomothetischen Wissenschaftsideals und die Marginalisierung idiographischer Ansätze ab. Es wird nach allgemeinen, universalen Gesetzmäßigkeiten der Liebe im Stile der Physik oder Mathematik gesucht. Auch die Psychologie wird vor allem als statistischexperimentelle Wissenschaft rezipiert. Bei der Ergründung der mysteriösen Liebe geht es vor allem Kast um die Formulierung von eindeutigen »Gesetze[n] der Leidenschaft« (Kast 2006: 18), ›Verführungs- und Liebesformeln‹ (vgl. ebd.) oder »Glücksfaktor[en]« (ebd.: 21) der Paarbeziehung, wobei klare wissenschaftliche Zuständigkeiten formuliert werden: »Während Psychologen erforschen, wie sich frisch Verliebte von langjährigen Ehepaaren unterscheiden, verfolgen Biologen die Verwandlungen, die sich in unserem Kopf abspielen, wenn die Leidenschaft in Liebe übergeht.« (ebd.: 89) Dieses Wissenschaftsbild lässt auch Rückschlüsse auf das Menschenbild zu. Durch den starken Rekurs auf die Biologie werden evolutionäre Prinzipien, genetische Disposition und neurologische Mechanismen zu markanten Determi-

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nanten menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns – also auch des Liebens. Vor allem die ausgeprägte Geschlechterdichotomie ist Zeichen einer Renaturalisierung und simplen Modellierung der Liebe, in der die Komplexität realer Liebesbeziehungen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Die Theorie einer Neurochemie der Liebe wird in allen drei Untersuchungseinheiten vertreten, auch wenn in PSYCHOLOGIE HEUTE die Umwelteinflüsse auf die Liebesbeziehung stärker betont werden. Durch das Fehlen historisch-verstehender Perspektiven bleibt der Funktionalismus ungebrochen und Liebe scheint sich zwischen zwei programmierten Automaten abzuspielen, was die Metaphorik des Gehirns als Maschine oder Computer noch stützt. Irrationale, abweichende Gefühlszustände wie die rauschhafte Verliebtheit oder etwa Eifersucht werden entweder mithilfe psychiatrischen Wissens pathologisiert oder aber als temporäre Phänomene in ein Phasenmodell der Liebe reintegriert. Derartige Gefühle werden als potenzielle Bedrohung des klaren Denkens und Handelns aufgefasst, vor allem, weil sie sich im Unbewussten, im Verborgenen abspielen. Der Wissenschaft im hier verstandenen Sinne kommt also die Funktion der Aufdeckung dieser Zusammenhänge zu und daran knüpft sich die Hoffnung auf kognitive Kontrolle. Im populärwissenschaftlichen Interdiskurs besteht definitionsgemäß das Problem der theoretischen und symbolischen Integration von Wissensbeständen und Deutungsmustern für die Subjekte. Abstrakte Befunde der Neurowissenschaften müssen mit verbreiteten Wissensbeständen verknüpft werden. Im Zuge einer ›Psychologisierung des Alltagsbewusstseins‹ (vgl. Mahlmann 1991) seit den 1970er Jahren ist das Wissen über die Liebe vor allem durch psychologische und therapeutische Diskurse und deren Idiosynkrasien in Form von Ratgebern gekennzeichnet. So fügt sich das Moment der Emotionskontrolle durch die wissenschaftliche Erforschung unbewusster Zusammenhänge gut in das pragmatische partnerschaftliche Liebesideal, das von einer Liebesbeziehung auf Basis von Beziehungsarbeit ausgeht (vgl. Lenz/Dreßler/Scholz i.d.B.). Mit Foucaults Konzept der Diskurse als Macht-Wissen-Konfigurationen kann man diesen Prozess der Internalisierung diskursiven Wissens durch die Subjekte mit der »Mikro-Macht über den Körper« (Foucault 1982: 173, orig. 1977) beschreiben. Die Erweiterung des populärwissenschaftlichen Liebeskonzepts um neuronale und hormonelle Faktoren ermöglicht den deutenden Zugriff auf die Gefühls- und Emotionsgrundlage der Individuen und der Zweierbeziehung. Die Radikalisierung der Geschlechterdichotomie ist im Material das vielleicht eindrucksvollste Zeugnis dieser Tendenz. Vogds These von der theoretischen und symbolischen Integrationsbedürftigkeit der expandierenden aber partikularen Ergebnisse der Hirnforschung in Hinblick auf Liebe lässt sich auch empirisch stützen. Die Evolutionstheorie ist solch

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eine zentrale metatheoretische Integrationsfigur. Die Gattungsgeschichte des Menschen zeichnet sich durch den Kampf ums Überleben und die genetische Reproduktion aus. Dieses Prinzip der sexuellen Auslese ist in das menschliche Gehirn eingeschrieben, die Liebe ist ein Belohnungsmechanismus, der zur Fortpflanzung motiviert. Somit sind biologische, psychologische, endokrinologische und hirnphysiologische Wissensbestände zusammengeführt und stützen sich gegenseitig. Durch ihre Plausibilität legitimiert sich die Evolutionstheorie auch im Alltagsdenken, weil theoretisch alle Phänomene der Liebe in dieses Schema integriert werden können. »Was aber haben diese archaischen Gesetze überhaupt noch mit unseren Gefühlen zu tun? Auch wenn sich die Zeiten geändert haben […], so könnten wir dennoch die Emotionen unserer Vorfahren geerbt haben. Der Homo sapiens von heute hat nämlich immer noch die Gene und damit zum Teil auch die Gefühle von gestern. Dafür spricht auch, dass die Hirnbereiche, die unsere Gefühle maßgeblich hervorbringen, zu den entwicklungsgeschichtlich älteren Hirnteilen gehören.ͨ (Kast 2006: 106f.)

Vogds zweiter Vorschlag für eine derartige Figur ist die Psychoanalyse, allerdings finden sich deren Grundgedanken im Material in modifizierter Form. Der Gedanke der unbewussten Triebdynamik wird beispielsweise übersetzt in die Sprache der populärwissenschaftlichen Hirnforschung, wonach biologische Mechanismen im Verborgenen wirken. Der Leitgedanke der frühkindlichen Prägung besteht in Form der Bindungstheorie in Anlehnung an Bowlby weiter, die als metatheoretische Integrationsfigur par excellence bezeichnet werden kann. Die primäre Bindung zwischen Mutter und Kind prägt demnach das Bindungs- und Nähebedürfnis und damit auch den Liebesstil der Erwachsenen. Das Neurohormon Oxytocin ist das biologische Korrelat dieses tiefenpsychologischen Mechanismus und somit Grundlage für die Neurochemie der Liebe und hirnphysiologische Lokalisationsgedanken. Gleichzeitig zeichnet sich das Sprechen über das Oxytocin und über neurochemische Prozesse insgesamt durch eine sehr metaphorische Sprache aus, wenn etwa »Dopaminwellen ausgelöst« (GEHIRNȹ&ȹȱ GEIST 2009: 52), ein »bunter Cocktail aus Neurotransmittern gemixt« (ebd.: 54) wird oder »Hormone ausgeschüttet« (ebd.: 46) werden. Zuletzt soll nun geklärt werden, wie Metaphern zu einer symbolischen Integration von Hirnwissen im Liebesdiskurs beitragen.

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2.4 Metaphorische Konzepte zu Liebe und Hirnforschung Indem Gefühle als Flüssigkeiten metatphorisiert werden, sind sie substanzialisiert5. Damit sind sie auf sprachlicher Ebene dem neurowissenschaftlichen Zugang verfügbar, denn auch der hirnphysiologische Apparat wird mit dieser Metaphorik umschrieben. Demnach ist das Gehirn ein Behältnis oder Container, in dem die Hormone und Neurotransmitter in einem bestimmten Verhältnis gemischt werden. Kast spricht beispielsweise von »Hirnwäsche« (Kast 2006: 92), dass »das Gehirn Oxytocin in den Kreislauf [schüttet]« (ebd.: 95) oder dass »Gehirne von Dopamin […] überflutet« werden (ebd.: 99). Dabei bleiben die Beschreibungen nicht auf physiologische Aspekte beschränkt, auch die Liebe wird als wasserförmiger Gegenstand ihrer interaktiven Eigenart entrissen und den experimentellen Wissenschaften zugänglich gemacht. Hier zeigt sich die komplexitätsreduzierende Tendenz des populärwissenschaftlichen Interdiskurses, gleichzeitig ermöglicht die Metapher eine Verknüpfung mit anderen metaphorischen Konzepten, wie mit der Metapher der Ehe oder Beziehung als Seereise, wobei Liebe als ein unergründlicher Ozean oder ein anderes Gewässer erscheint, auf dem die ›Beziehungsschiffe‹ treiben und von der ›Besatzung‹ gesteuert werden müssen. Auch im Alltag sind Metaphern wie ›der Hafen der Ehe‹, jemandem im Streit ›den Wind aus den Segeln nehmen‹ (ebd.: 136) oder ›in der Ehe Schiffbruch erleiden‹ (ebd.: 20) bekannt. Hier können Metaphern der Beziehungsarbeit und -pflege anknüpfen, denn ein Schiff ist auf ständige Wartungsarbeiten angewiesen, wofür vor allem psychologische und paartherapeutische Diskurse zuständig sind. Ein weiterer Komplex sind die Metaphern des Gehirns, zu denen es bereits einige Studien gibt. Auch hier gibt es Beispiele für die komplexitätsreduzierende Funktion der Analogienbildung. So treten neben der Behältnis- oder Containermetapher (vgl. Goschler 2008) vor allem Bilder des Gehirns als Automat, Maschine oder Computer auf.6 Dabei ist auffällig, dass das Gehirn meist eigenstän-

5

Andere Substantialisierungen der Liebe sind beispielsweise das Sprachbild des zerbrechlichen Gegenstandes (›Beziehungen gehen zu Bruch‹), des Hauses (›sich eine gemeinsame Zukunft aufbauen‹) oder des lebenden Organismus (›die Liebe wächst und gedeiht‹).

6

Beispiele aus Kast 2006: ›einen Schalter im Kopf umlegen‹ (16), Gefühle als »Negativdetektor im Kopf« (148), »Alarmanlage im Kopf« (103), »ein Teil des Mandelkerns knipst beim Anblick des Geliebten sein neuronales Licht aus« (12), »die Gehirne von Frauen sind von Natur aus auf Empathie gepolt« (125), »an der Östrogen-Schraube [drehen]« (63), »Medikamente[.], die das Serotonin im Kopf ankurbeln« (90).

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dig zu operieren scheint. Durch die vielen Personifikationen entsteht der Eindruck, das Gehirn wäre ein vom Menschen losgelöster Akteur. Besonders auffällig ist dies bei der Beschreibung geschlechtsspezifischer Unterschiede, die sich in unterschiedlich programmierten Gehirnen manifestieren. Das Individuum erscheint als Spielball zwischen den autarken Instanzen Gehirn, Gen und Umwelteinfluss. Das Bild des Computers ist offen für Kontrolle, Manipulation und Beherrschbarkeit. Das Gehirn ist schon zu allen Zeiten Projektionsfläche für verschiedenste Welt- und Menschenbilder gewesen, wie ein Blick auf die Geschichte der Hirnforschung und ihrer Metaphern beweist (vgl. Hagner 1999; 2000). Metaphorisch sind die Neurowissenschaften im untersuchten Diskursfeld also mit der Vorstellung der Kontrollierbarkeit verknüpft. Indem Gefühle als neuronale Programme konzipiert werden, gliedern sie sich und letztendlich auch die Liebe in dieses Bild ein. Das Gehirn wird zugespitzt formuliert selbst zur Metapher einer kognitiven Kompensation unbewusster und unkontrollierbarer emotionaler Zustände. Ein letzter Punkt ist die Tendenz der Dichotomisierung im populärwissenschaftlichen Interdiskurs. Auf der inhaltlichen Ebene werden oft Differenzierungen zwischen zwei verschiedenen Polen vorgenommen, die dann teilweise miteinander verknüpft werden und dadurch ihren semantischen Radius vergrößern. Viele konkrete Beispiele finden sich bei Kast, hier sei lediglich zusammenfassend auf die subtile Polarisierung der Geschlechtscharaktere hingewiesen. Dass Mann und Frau als konträr aufgefasst werden, dafür muss keine Metaphernanalyse durchgeführt werden. Interessant ist aber, wie eine biologische Metaphorik dazu beiträgt, diese an sich leeren Kategorien mit Bedeutung zu füllen. Durch den Rückgriff auf die Evolutionstheorie wird der Dualismus zwischen Menschen und Tieren, zwischen Kultur und Wissenschaft und Natur aktiviert. Die Geschlechterforschung hat herausgearbeitet, dass Frauen dabei immer der Natur, dem Mystischen, dem Animalischem zugeordnet wurden, Männlichkeit hingegen mit Geist, Kultur und Fortschritt assoziiert wurde (vgl. Fausto-Sterling 2002: 44). Diese Dichotomie wird vor allem bei Kast aktualisiert, indem er die Geschlechter im Prozess der Partnerwahl mit bestimmten Wahrnehmungskanälen verbindet. »Das Gesicht und der Geruch nehmen in unserer Suche nach der passenden Hälfte eine herausragende Rolle ein. Männer stehen auf nichts so sehr wie auf das Aussehen von Frauen. [...] Fragt man Frauen, so sagen sie, dass es für sie bei der Wahl eines Mannes kaum ein wichtigeres Kriterium gibt als den Duft seines Körpers.« (Kast 2006: 75)

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Der Beginn einer Beziehung wird geleitet vom östrogenbestimmten Aussehen der Frau, auf das die visuellen Männer reagieren; Männlichkeit äußert sich vor allem im testosteronbestimmten Körpergeruch, die Pheromone sind vor allem dem weiblichen Geruchssinn zugänglich. Diese Fähigkeit wird als typisch weiblich herausgearbeitet und mystifiziert, da die Wissenschaft diesen Mechanismus noch nicht erklären kann. Die Wissenschaft ist im Verlauf des Buches immer wieder mit einer optischen Metaphorik verknüpft worden. Zum Beispiel nehmen Forscher_innen ihren Gegenstand unter die Lupe, beleuchten Sachverhalte oder tappen im Dunkeln. Fügt man diese Einzelbetrachtungen zu einem Gesamtbild zusammen, dann repräsentiert der männlich assoziierte Sehsinn also wissenschaftliche Erkenntnis und aktive forschende Tätigkeit, während Frauen mit der olfaktorischen, naturgebundenen und mystischen Ebene des passiven Untersuchungsobjektes eben dieser Wissenschaft verbunden werden. Metaphorisch werden alte Geschlechterdualismen aktualisiert und Wertungen transportiert, ohne dass dies explizit so gemeint oder benannt sein muss. Metaphorische Konzepte müssen nicht über den gesamten Text miteinander kompatibel sein, häufiger schließen sie sich sogar gegenseitig aus. Über diese inkongruenten Metaphern wird zudem auch eine Ambivalenz ausgedrückt, die selbst konstitutiver Bestandteil des metaphorisierten Gegenstands ist. Zum Beispiel schwankt das Liebeskonzept auf der Ebene der inhaltlichen Codierung zwischen Fragilität und Stabilität, was auch in den widersprüchlichen Konzepten von Beziehungen als Haus (= Statik) und als Reise (= Dynamik) deutlich wird. Indem einzelne Phänomene sprachlich und bildlich miteinander in Beziehung gesetzt werden, vernetzten sich auch die daran beteiligten Diskurse, wie am Beispiel der Wissenschaften deutlich wurde. Die neurowissenschaftliche Perspektive im populärwissenschaftlichen Interdiskurs funktioniert vor allem durch eine metaphorische und symbolische Integration der zugrundeliegenden Wissensbestände und ist deswegen prädestiniert für einen metaphernanalytischen Zugang.

3. R ESÜMEE Besonders die letzten Ausführungen sollten zeigen, wie sich das Wissen über Liebe mit neurowissenschaftlichen Diskursen vor allem auf symbolischer Ebene koppelt. Dabei wird versucht, partikulare Wissensbestände in populärwissenschaftlichen Ansätzen zu einer theoretischen Einheit zu reintegrieren und in alltagsweltliche Wissensbestände für die Subjekte einzubetten. Dem pathologisierten Kontrollverlust der ›blinden Liebe‹ wird durch Gesetze, Formeln und Funktionalisierungen begegnet und dem therapeutischen Zugriff eröffnet. Die

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Leistung der symbolischen Integrationsmechanismen, hier anhand der Metaphorik der Texte aufgezeigt, ist dabei, dass Unverfügbares durch Analogiebildung, Personifikationen und Substanzialisierungen greifbar und damit auch mit anderen bestehenden Deutungsmustern und Diskursen verknüpft wird. Das Hirnwissen allein kommt allerdings nur auf der Ebene der Sexualität und der Verliebtheit zum Einsatz, nicht auf der Ebene der ›eigentlichen‹ Liebe in Zweierbeziehungen. Damit sind neurowissenschaftliche Ansätze stets auf die theoretische und symbolische Integration in bestehende Konzepte angewiesen – wie am Beispiel der Bindungs- und der Evolutionstheorie gezeigt wurde. Es lässt sich festhalten, dass kein grundlegender Neuentwurf gegenüber traditionellen Liebeskonzepten erfolgt und dass Liebe auch in diesem speziellen Diskursfeld nicht eindeutig definiert wird. Motive der romantischen und der partnerschaftlichen Liebessemantik werden nebeneinander gestellt und verknüpft beziehungsweise als inhärente Ambivalenz der Liebe selbst konzipiert – wie die übergreifende Kategorie der Differenz zwischen individuellen und Paarbedürfnissen zeigt. Die neurowissenschaftlichen Argumente stärken die Vorstellung zweier geschlossener Individuen, die sich in affektiv aufgeladenen Momenten, wie während der Sexualität oder in der Phase der leidenschaftlichen Verliebtheit, am nahsten kommen. Von romantischen Verschmelzungsfantasien wird Abstand genommen. Zur Klärung der Frage nach den Grundlagen dauerhafter Liebesbeziehungen kann die Hirnforschung nichts beitragen, weil ihr ein messbares Konstrukt dafür fehlt und es wird dafür auf die Wissensbestände der Psychologie zurückgegriffen. Damit wird das zweiphasige Liebesmodell nochmals verschärft, indem biologische und psychologische Kompetenzen einzelnen Aspekten der Liebe zugewiesen werden. Diese Trennung ist verknüpft mit einer Marginalisierung geistesund sozialwissenschaftlicher Wissensbestände. In diesem Verschweigen werden Machtprozesse sichtbar, wie sie immer mit diskursiven Prozessen einhergehen. Wird der populärwissenschaftliche Interdiskurs zunehmend von der Norm eines empirischen (Natur-)Wissenschaftsideals bestimmt, hat das auch Einfluss auf die Akzeptanz bestimmter Wissensbestände. Der Entzug der öffentlichen Aufmerksamkeit kann sich beispielsweise auch auf die Forschungsförderungsstruktur auswirken. Außerdem besteht die Gefahr eines einseitigen Welt- und Menschenbilds, das die grundlegende Historizität und kulturelle Konstruiertheit des Wissens auf der Suche nach anthropologischen Universalien aus dem Blick verliert. Besonders am Geschlechtermodell zeigen sich die Machteffekte des Diskurses: Der Rückgriff auf Hirnwissen geht mit der Dichotomisierung von Geschlecht und einer deutlich heteronormativen Tendenz einher. Dass sich die traditionsreiche Verknüpfung von geschlechtsspezifisch restaurativen Tendenzen mit naturwissenschaftlichen Argumentations- und Legitimationsmustern nun unter neu-

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rowissenschaftlichem Vorzeichen fortschreibt, sollte Anlass zu soziologischer Aufklärung und Intervention auch im öffentlichen Diskurs geben. Dasselbe gilt auch für das verbreitete Liebesmodell. Werden Liebe und Sexualität aus der ›heterosexuellen Zwangsmatrix‹ gelöst und von ihrer Fortpflanzungsfunktion entbunden, entsteht Raum für unterschiedlichere Liebesformen als die der monogamen, heteronormativen Zweierbeziehung. Es sei ein optimistischer Ausblick gewagt. Im untersuchten Mediensegment zeichnet sich vor allem gegen Ende des untersuchten Zeitraums ein wachsendes Interesse an soziologischen und philosophischen Theorien zu Liebe und Geschlecht ab. Die hohen Verkaufszahlen derartiger Sachbücher (z.B. Richard David Precht, Eva Illouz) sind Indiz dafür, dass sich geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen in Zukunft stärker im öffentlichen Diskurs niederschlagen und den Blick für die Variabilität und Wandelbarkeit dessen öffnen, was wir als Liebe – und weiterführend auch für das, was wir als Normalität und Naturgegebenheit – auffassen. Denn nur weil einige Thesen plausibel und intuitiv einleuchtend klingen, heißt das nicht, dass sie einen objektiveren Wahrheitsanspruch haben.

III. Liebe in Elter(n)-Kind-Beziehungen

(Ehe-)Frau  Mutter?! Weiblichkeitskonstruktionen in Ehe- und Beziehungsratgebern F RANZISKA P ESTEL »Der Mann und Vater steht außerhalb der Familie. Seine Aufmerksamkeit ist nach außen – auf seinen Beruf hin – gerichtet. Die Frau und Mutter bildet mit den Kindern zusammen gewissermaßen eine eigene Gruppe.« (Jellouschek 2008a: 72)

Seit Mitte der 1970er Jahre wird in der Soziologie ein tiefgreifender familialer Wandel diagnostiziert, der einerseits demographische Auswirkungen zeigt und sich andererseits in einer veränderten Einstellung zu Familie und Ehe messen lässt. Das Leitbild der modernen bürgerlichen Kleinfamilie sowie die Institution Ehe an sich haben an normativer Bedeutung verloren, gleichzeitig gewinnen moderne, alternative Lebensformen an Attraktivität. Damit einhergehend erfolgt nicht nur ein Wandel der familiären Strukturen, sondern auch der praktizierten Geschlechterarrangements innerhalb von Beziehungen. Der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und damit der Verortung der Frau in den familiären Binnenraum weicht eine zumindest in der Tendenz zunehmende Egalisierung der Aufgabenverteilung zwischen Frau und Mann. An die soziologisch bisher kaum beachtete Datenquelle der Ehe- und Beziehungsratgeber wird in diesem Beitrag die Frage herangetragen, inwieweit ›FrauSein‹ beziehungsweise Weiblichkeit, Mutterschaft und ›Ehefrau-Sein‹ (immer noch) miteinander verbunden sind und welche Lebensentwürfe in den Ratgebern der 1950er Jahre im Vergleich zu denen der 2000er Jahre jeweils als ›normal‹ beziehungsweise dominant und welche als ›Abweichung‹ markiert werden. So formuliert etwa der Familiensoziologe Günter Burkart, dass sich mittlerweile eine ›Kultur der Kinderlosigkeit‹ (vgl. Burkart 2007) etabliert hat. Es wird sich

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zeigen, inwieweit die Annahme eines sich historisch vollzogenen familialen Wandels hin zu einer Pluralisierung von Lebensformen und der von Burkart vermuteten Etablierung einer ›Kultur der Kinderlosigkeit‹ in den Ehe- und Beziehungsratgebern der unterschiedlichen Epochen bestätigt werden kann oder nicht. Analysiert wurden zwei westdeutsche Eheratgeber der 1950er Jahre und zwei deutschsprachige Ehe- und Beziehungsratgeber der 2000er Jahre. Nach einer sozio-historischen Einordnung der beiden untersuchten Zeiträume, mit der Frage, inwieweit sich möglicherweise der Stellenwert von Ehe und Familie verschoben hat, folgt im zweiten Teil die gegenüberstellende Präsentation der Analyseergebnisse.

1. E HE , F AMILIE

UND

M UTTERSCHAFT

IM

W ANDEL

1.1 Die Frau in Ehe, Familie und Beruf in den 1950er Jahren Deutschland war nach 1945 durch die Folgen des Zweiten Weltkrieges geprägt. 1948 begann – mit der Währungsreform in den westdeutschen Besatzungszonen – ein wirtschaftlicher Aufschwung, der in den 1950er Jahren zu einer neuartigen Konsumgesellschaft führte. Mit der anhaltenden Prosperität sank zudem die Arbeitslosigkeit auf nahezu vier Prozent, so dass seit Anfang des Jahres 1955 von einer Vollbeschäftigung gesprochen werden konnte (vgl. Schwarz 1981). Darüber hinaus wurden die sozialen Sicherungssysteme ausgebaut und es kam zu Arbeitszeitverkürzungen und Reallohnsteigerungen, was zur Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Einkommensbezieher führte. Ein dezidierter Blick auf die Berufstätigkeit zeigt, dass Mitte der 1950er Jahre rund vier Fünftel der 15- bis 24-Jährigen berufstätig waren (vgl. Schildt 1993). Auch junge Frauen wurden verstärkt beruflich ausgebildet; »während 1951 auf einen weiblichen Lehrling […] drei männliche kamen, war das Verhältnis 1958 eins zu zwei« (ebd.: 336). Frauen absolvierten zunächst eine Berufsausbildung und traten in den Erwerbsprozess ein, mit der Heirat oder spätestens mit der Geburt des ersten Kindes gaben sie ihre Berufstätigkeit jedoch auf und nahmen sie zu einem großen Teil auch nicht wieder auf (vgl. Niehuss 2001). Die gestiegene Eingliederung in den Erwerbsprozess ging demnach nicht mit einer Umwertung der weiblichen Verantwortlichkeit für Familie, Haushalt und Kinder einher. »Obwohl gerade die Erwerbstätigkeit der Frau […] qualitativ eine völlig neue gesellschaftliche Dimension erreichte, blieb doch in den 50er Jahren die Rolle der Frau der traditionellen Auffassung von Hausfrauentätigkeit und

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Mütterlichkeit verhaftet […], die 50er Jahre brachten die Restauration der traditionellen Kernfamilie.« (Niehuss 1998: 334) Laut dem am 23. Mai 1949 ratifizierten Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG), insbesondere durch Art.6 Abs.1 GG1, stehen Ehe und Familie »unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung«. Die auf der Ehe beruhende Familie galt als ›Keimzelle‹ der Gesellschaft und wurde speziell gefördert, beispielsweise durch das am 20. Oktober 1953 neu eingerichtete Familienministerium. Der erste Bundesminister für Familienfragen, Franz-Josef Wuermeling, der bis 1962 im Amt blieb, hatte die Stärkung der Familie und insbesondere die Stärkung des Kinderwunsches vor Augen (vgl. Ruhl 1994). Um dieses Ziel zu erreichen, wurden in den 1950er Jahren eine Vielzahl familienpolitischer Maßnahmen beschlossen, zum Beispiel ein Familienlastenausgleich, die Förderung des familiären Wohnungseigentums, steuerliche Kinderfreibeträge, Kindergeld, Mutterschutz sowie weitere Anreize im Renten- und Gesundheitssystem. Sie standen vor dem Hintergrund der rechtlichen Verpflichtung zur Förderung der Familie immer unter der Maßgabe, dass »die Gestaltung der privaten Lebensführung […] den Menschen zwar weitgehend freigestellt [ist], doch familienpolitisch unterstützt werden nur die Institutionen Ehe und Familie« (Peuckert 2008: 13). Die Normalfamilie stellt als gelebte Form der Leitidee von der modernen bürgerlichen Kleinfamilie den dominierenden ›Familientyp‹ Mitte der 1950er Jahre dar. Die Leitidee beinhaltet die heterosexuelle, lebenslange, monogame und eheliche Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, die mit ihren leiblichen Kindern gemeinsam in einem Haushalt leben, welcher durch geschlechtsspezifische Arbeits- und Aufgabenteilung gekennzeichnet ist (vgl. ebd.). Mit Lena Correll (2010) kann von einer einzigen identitären Subjektposition der Frau als Ehefrau und Mutter gesprochen werden. Franz-Josef Wuermeling schreibt der Mutter eine zentrale Rolle zu und stellt fest: »Für Mutterwirken gibt es nun einmal keinen vollwertigen Ersatz« (zitiert in ebd.: 113). Weiterhin heißt es, die Müttererwerbstätigkeit »zerstöre den Lebenskreis der Familie, gefährde die Stabilität einer Ehe und schränkt die Kinderzahl ein« (ebd.). Diese Meinung vertrat der Bundesminister für Familienfragen scheinbar nicht allein, denn laut einer 1958 in Westdeutschland durchgeführten, repräsentativen Umfrage des Allensbacher Instituts befürworteten knapp 55 Prozent der befragten Männer und 61 Prozent der Frauen die Einführung eines Gesetzes, das die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter 10 Jahren verbieten sollte (vgl. Peuckert 2008).

1

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: www.dejure.org/gesetze/GG/ 6.html, vom 15.11.2012.

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Yvonne Schütze (2010) spricht in ihrer Untersuchung zu Mutterbildern in Deutschland von einer immer wieder aufflammenden Kontroverse zum Thema mütterliche Erwerbstätigkeit seit spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts. Für die Bundesrepublik Deutschland konstatiert Schütze bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts eine Dominanz der Erziehungspflichten »Ordnung, Sauberkeit und Disziplin« und weiter, dass »weder die psychische Entwicklung des Kindes noch die bewussten oder unbewussten Empfindungen der Mutter […] im Zentrum der Aufmerksamkeit [stehen], sondern die Nichterwerbstätigkeit der Mütter« (Schütze 2010: 186). Die Ehefrau wird als ›Vollzeitmutter‹ und Hausfrau stilisiert und gleichzeitig die außerfamiliäre Kinderbetreuung abgewertet (vgl. Dies. 1986). Zahlreiche wissenschaftliche Studien aus dieser Zeit wollen einen Zusammenhang zwischen mütterlicher Erwerbstätigkeit und einer Schädigung des Kindes feststellen, demnach berufstätige Mütter ihrem Erziehungsauftrag nicht in vollem Umfang nachkommen würden (vgl. Dies. 2010). Darüber hinaus würde die Erwerbsarbeit das Wesen der Frauen beeinträchtigen und dazu führen, dass »Einbußen an der in ihnen angelegten Mütterlichkeit« (ebd.: 187) entstünden. Das traditionelle Alleinernährermodell mit seiner geschlechtsspezifischen Codierung, wie es auch in der Leitidee der modernen bürgerlichen Kleinfamilie verankert war, nimmt eine dominante Stellung ein. In diesem verdient hauptsächlich der Ehemann das Haushaltseinkommen, er ist Oberhaupt der Familie, zuständig für alle ›Außenaufgaben‹ und autoritäre Entscheidungsinstanz für alle familiären Fragen. Damit einher geht eine Polarisierung der Geschlechtercharaktere, der Mann wird als rational und aktiv gesehen, während der Frau mütterliche, aufopfernde, empfindsame und passive Eigenschaften zugeschrieben werden, was sie für die Versorgung das familiären Binnenraums als ›Vollzeitmutter‹ und Hausfrau qualifiziert. Auch das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 orientiert sich ganz an diesem bürgerlichen Rollenverständnis. »Demnach ist eine Ehefrau nur dann ›berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit das mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist‹« (§ 1356 I 2 BGB zitiert in Peuckert 2008: 29). Die familienpolitischen Maßnahmen und die damit einhergehende Proklamierung der Frau als Ehefrau und Mutter rentierten sich schließlich. »Tatsächlich erhöhte sich die Geburtenüberschussziffer zwischen 1953 und 1960 […]; 1958 [wünschten sich] fast doppelt so viele Bundesbürger und Bundesbürgerinnen eine Familie mit drei Kindern als noch 1950.« (Kuhnert 1985: 45) Nur rund acht Prozent der Ehen blieben 1954 kinderlos, wobei die Kinderlosigkeit in fast allen Fällen scheinbar ungewollt war, nur rund ein Prozent der Ehepaare gab an, keine Kinder zu wollen (vgl. Correll 2010). Gleichzeitig stiegen die Heiratsziffern, das Alter bei der Erstheirat sank und im ›golden age of marriage‹ (vgl. Peuckert 2008) betrug »die Wahrscheinlichkeit, überhaupt einmal zu heiraten,

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[…] zu Beginn der 1960er Jahre für die damals 18-jährigen Männer 96 Prozent und für die 16-jährigen Frauen 95 Prozent« (ebd.: 341). Die eben erwähnte Normalfamilie wurde somit im Laufe der 1950er Jahre zur dominanten Lebensform und damit einhergehend Eheschließung und Familiengründung eine ›Selbstverständlichkeit‹. Jeder und jede Einzelne, aber vor allem junge Frauen, waren nicht nur berechtigt, sondern – mit Verweis auf die ›natürliche‹ Veranlagung – auch verpflichtet, dies zu verwirklichen. Umfragen aus der Zeit ergaben, dass neun von zehn Männern und Frauen »die Institution Ehe grundsätzlich für notwendig« (Peuckert 2008: 20) hielten. Gleiche Zahlenwerte werden auch für die Elternschaft angegeben, »mit wenigen Ausnahmen wollten alle Jugendlichen einmal Kinder haben« (ebd.). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in der Bundesrepublik der 1950er Jahre die Leitidee der modernen Kleinfamilie, mit den aufgezeigten Merkmalen und ›Selbstverständlichkeiten‹, ihre Blütezeit erlebte. 1.2 Die Frau zwischen Erwerbsarbeit und Familie in den 2000er Jahren Legt man die Leitidee der modernen bürgerlichen Kleinfamilie, wie sie in den 1950er Jahren in der Form der Normalfamilie von der Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung gelebt wurde, als Maßstab an die Gegenwartsgesellschaft der 2000er Jahre an, so lässt sich ein tiefgreifender Wandel feststellen. Im Hinblick auf die zwei gewählten Untersuchungszeiträume werden im Folgenden die Pluralisierung und Differenzierung von Lebensformen in den 2000er Jahren skizziert und die Veränderung von Weiblichkeitsidealen thematisiert. Die in den 2000er Jahren geführte familienpolitische Debatte drehte sich um die Reformen einer ›nachhaltigen Familienpolitik‹. Dabei zeigen sich einerseits Tendenzen einer De-Familialisierung wie das in der Amtszeit von Ursula von der Leyen eingeführte Elterngeld in Form einer Lohnersatzleistung oder der Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur. Andererseits gibt es einen Trend in Richtung einer Re-Familialisierung, wie das weiterhin erhaltene Ehegattensplitting, die mangelnde Kinderbetreuung von unter Dreijährigen und die seit Mitte der 2000er Jahren geführte Diskussion um die Einführung eines Betreuungsgeldes (vgl. Rüling 2007). Während in den späten 1950er Jahren noch neun von zehn Befragten die Ehe für eine unverzichtbare Institution hielten, stimmen im Jahr 2007 nur rund 40 Prozent der 18- bis 30-Jährigen der Aussage zu, dass man heiraten sollte, wenn man als Paar auf Dauer zusammenlebt (vgl. Peuckert 2007). Wurde die Scheidung einer Ehe in den 1950er Jahren moralisch tendenziell abgelehnt, sehen im Jahr 2002 rund 75 Prozent der Deutschen in der Scheidung »die beste Lösung,

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wenn ein Paar seine Eheprobleme nicht mehr lösen kann« (ebd.: 38). Es kann also von einer Tendenz der Entstigmatisierung von Geschiedenen gesprochen werden. Anfang der 1960er Jahre wollten 97 Prozent der 16- bis 18-jährigen weiblichen Jugendlichen später einmal Kinder bekommen (vgl. ebd.). In einer Umfrage von 1954 lehnen 69 Prozent der Befragten die Ehe ohne Kinder entschieden ab (vgl. Correll 2010). Mit derzeit 1,7 Kindern pro Frau liegt die Zahl der gewünschten Kinder nicht nur unter dem europäischen Durchschnitt (vgl. ebd.), sondern ist im Vergleich zu den 1950er Jahren auch stark gesunken. Diese veränderten Einstellungen zu Ehe und Elternschaft korrespondieren mit einem ›demographischen Bruch‹, von dem seit 1965 gesprochen wird (vgl. Peuckert 2008). Die Zahl der Lebendgeborenen hat sich in der Bundesrepublik zwischen 1964, dem Jahr des Babybooms, und 1985 fast halbiert (vgl. ebd.). Im Jahr 2011 setzt sich der rückläufige Geburtentrend der letzten Jahrzehnte mit rund 660.000 Lebendgeborenen in ganz Deutschland fort (vgl. Statistisches Bundesamt 2012: Eheschließungen). Interessant ist dabei auch das gestiegene Alter der Mütter bei der Geburt ihres ersten Kindes. »Die Frauen der Jahrgänge 1942 bis 1946 bekamen ihr erstes Kind bereits mit durchschnittlich 23 Jahren, […] die 1962 bis 1976 geborenen Mütter bekamen ihr erstes Kind [dagegen] im Durchschnitt mit 26 Jahren.« (Pötzsch 2007: 30) Ebenfalls gesunken ist die Zahl der jährlichen Eheschließungen: In der Bundesrepublik sank sie zwischen 1962 und 1978 von rund 530.000 auf 328.000 (vgl. Peuckert 2008: 22). Aktuelle Befunde sprechen von rund 370.000 Eheschließungen für Gesamtdeutschland im Jahr 2011 (vgl. Statistisches Bundesamt). Außerdem heiraten nur noch etwa 60 Prozent der jüngeren Generation überhaupt einmal im Leben (vgl. Peuckert 2008). Des Weiteren ist das Alter bei der Erstheirat gestiegen, von durchschnittlich 23,7 Jahren für Frauen und 25,9 Jahren für Männer im Jahr 1960 auf 30,2 Jahre für Frauen und 33,1 Jahre für Männer im Jahr 2009 (vgl. Geißler 2006). Neben einer gesunkenen Heiratsneigung können Ehen aber auch als instabiler angesehen werden. Die Zahl der jährlichen Ehescheidungen ist in der Bundesrepublik zwischen 1960 und 2005 von rund 49.000 auf 174.000 gestiegen (vgl. ebd.). Für das Jahr 2011 wird für Gesamtdeutschland eine Zahl von rund 187.000 Ehescheidungen angegeben und prognostiziert, dass rund 40 Prozent aller Ehen heute mit einer Scheidung enden werden (vgl. ebd.). Alle diese Angaben sprechen für einen Strukturwandel von Ehe und Familie und gehen mit einem Bedeutungsverlust der Leitidee der modernen bürgerlichen Kleinfamilie beziehungsweise der gelebten ›Normalfamilie‹ einher. Gleichzeitig erfahren moderne, alternative Lebensformen eine gesteigerte Attraktivität. Die demographischen Wandlungsprozesse haben sich demnach in einer wachsenden Pluralisierung und Differenzierung der Lebensformen niedergeschlagen. Wichtig

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ist aber zu betonen, dass die eheliche Eltern-Kind-Gemeinschaft immer noch die am stärksten angestrebte und auch gelebte familiäre Lebensform darstellt. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass im Jahr 2006 in Deutschland 12,4 Millionen Familien lebten, verstanden als Eltern-Kind-Gemeinschaften.2 Ersichtlich wird, dass einerseits die feste Zweierbeziehung und das Leben als Paar weiterhin als erstrebenswerte Ziele gelten, jedoch die Institution der lebenslangen, monogamen Ehe zunehmend abgelehnt wird (vgl. ebd.). Eine deutliche Zunahme erfahren demnach vor allem nichteheliche Lebensformen, die sich mittlerweile in allen Bevölkerungsschichten und Altersklassen finden lassen und die ihren Charakter als ›Vorstufe der Ehe‹ teilweise verloren haben. Für das Jahr 2005 werden in Deutschland rund 1,8 Millionen Haushalte mit nichtehelichen Lebensgemeinschaften gezählt (vgl. ebd.). Auch die Geschlechterrollen haben einiges von ihrer Verbindlichkeit eingebüßt. Wurde in den 1950er Jahren die Berufstätigkeit einer verheirateten Frau als ›notwendiges Übel‹ und zeitlich begrenzter Zuverdienst gesehen, insgesamt in der westdeutschen Gesellschaft jedoch verpönt, waren 2004 »nur noch 40 Prozent der Erwachsenen im Westen und 17 Prozent der Erwachsenen im Osten der Ansicht, dass es für alle Beteiligten viel besser ist, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert« (Peuckert 2008: 28).3 Begründet werden kann dieser Wandel mit der zunehmenden Bildungs- und Erwerbsbeteiligung von Frauen und den veränderten individuellen Ansprüchen. »Im Jahr 2005 sind 32,5 Prozent der Mütter mit einem jüngsten Kind unter drei Jahren erwerbstätig« (Schütze 2010: 188), allerdings unterscheiden sich auch diese Zahlen in Ost- und Westdeutschland. Die Kontroverse um erwerbstätige Mütter wird gegenwärtig immer noch geführt, wenn auch mit einem verschobenem Fokus. Im Mittelpunkt stehen nunmehr Kinder unter sechs Jahren, deren Betreuung und frühzeitige kognitive Förderung. »Die theoretische Grundlage für die Einwände gegen Krippenbetreuung und damit indirekt gegen mütterliche Erwerbsarbeit, liefert die Bindungstheorie« (ebd.: 189). Yvonne Schütze kann in ihrer Studie »Mutterbilder in Deutschland« auch für das 21. Jahrhundert eine Reihe sich teilweise widersprechender Studienergebnisse aufzeigen, die den Zusammenhang von mütterlicher Erwerbstätigkeit und Qualität der Bindung zum Kind zum Untersuchungsgegenstand haben.

2

Hierbei spielt weder der eheliche Status der Eltern noch das Alter der Kinder eine Rolle (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2012).

3

Zu Unterschieden im Geschlechterverhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zur Problematik der Gleichberechtigung in ost- beziehungsweise westdeutschen Ratgebern siehe Dreßler in diesem Band.

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Ihren Höhepunkt findet die Diskussion in den Verlautbarungen von Bischof Walter Mixa, der beispielsweise »den Krippenausbau als ein Instrument bezeichnet, das die Frauen zu Gebärmaschinen degradiert« (ebd.: 191). Schütze resümiert, dass »sich unter dem Aspekt mütterlicher Erwerbstätigkeit gegenwärtig drei Mutterbilder ab[zeichnen]« (ebd.): Erstens das ›Bischof-Mixa-Bild‹, eine streng konservative Position mit Betonung der drei K’s – Kinder, Küche, Kirche – und der Vorstellung, »dass es letzten Endes die Mutter ist, die trotz neuer Väter und anderer Betreuungspersonen für Wohl und Wehe des Kindes verantwortlich ist« (ebd.: 192). Das zweite Leitbild nennt Schütze ›Supermutter‹, es »verbindet nicht nur eine beliebige Erwerbstätigkeit, sondern eine erfolgreiche Karriere mühelos mit einer ebenso erfolgreichen Mutterschaft« (ebd.). Dieses Leitbild dient jedoch nicht als Vorbild, sondern »eher zur Verunsicherung über die eigenen Fähigkeiten« (ebd.). Ohne das dritte Mutter-Leitbild durch eine Bezeichnung zu konkretisieren, beschreibt sie dieses als den »›Königsweg‹«, welcher durch Kompromisse gekennzeichnet ist, jedoch für eine Gruppe von Müttern »am ehesten der Realität« (ebd.) entspricht, denn gemäß dieses Leitbildes arbeiten Mütter nur halbtags. Die Frage, inwieweit auch die Institution Elternschaft normativ an Bedeutung verliert, lässt sich nur schwer beantworten. Neben der bereits erwähnten gesunkenen Gesamtanzahl an Lebendgeborenen ist zusätzlich die Geburtenziffer von durchschnittlich 1,36 Kindern pro Frau sehr gering (vgl. Correll 2010), wonach seit den 1970er Jahren vor allem Geburten höherer Ordnung entfallen. Tendenziell kann von einer Entkopplung von Ehe und Elternschaft gesprochen werden, auch wenn Re-Traditionalisierungsprozesse sowie Unterschiede in Westund Ostdeutschland berücksichtigt werden müssen (vgl. Fthenakis 2002). Auf der Ebene der familialen Lebensverhältnisse fallen mitunter biologische und soziale Elternschaft auseinander, so dass die Zahl der Alleinerziehenden, genauer gesagt der Ein-Elter-Familien, steigt und Stieffamilien beziehungsweise Fortsetzungs- oder Patchwork-Familien entstehen. Schließlich ist der Anteil von Paaren ohne Kinder tendenziell gestiegen. Karl Lenz und Marina Adler (2011) weisen für die westdeutsche Kohorte der 1959 bis 1963 geborenen Frauen einen Anteil von 19 Prozent aus, in der Kohorte der 40- bis 44-Jährigen wird bereits von 22,4 Prozent kinderloser Frauen gesprochen. Im Vergleich dazu liegt der Anteil der kinderlosen Frauen im Alter von 40 bis 44 Jahren in Ostdeutschland bei nur 10,7 Prozent. Es lassen sich leider hauptsächlich Daten zur Kinderlosigkeit von Frauen finden, was gleichzeitig dazu führt, dass Kinderlosigkeit überhaupt als weibliches ›Phänomen‹ oder gar ›Problem‹ diskutiert wird, obwohl die Zahl der kinderlosen Männer generell höher ist. Begründet wird die Erhöhung des Anteils zeitlebens kinderlos bleibender Personen unter anderem mit der Vereinbarkeits-

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problematik von Familie und Karriere, der Attraktivität nicht-kindzentrierter Lebensziele sowie dem Aufschub oder Zurückstellen von Fertilitätsentscheidungen bis über die biologische Grenze hinaus. Abschließend kann resümiert werden, dass man keineswegs von einem ›Niedergang‹ beziehungsweise ›Zerfall der Familie‹ sprechen kann, wie dies vor allem von Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1995) behauptet wird. Die Pluralisierung und Differenzierung der Lebensformen geht sicherlich mit dem Verlust des Bedeutungsmonopols der Normalfamilie einher, auch verliert die Institution Ehe ihren stark normierenden Charakter, sie wird unverbindlicher und es herrscht eine ganze Bandbreite an wählbaren Optionen. Die feste Zweierbeziehung hat allerdings ihre Stellung als ›die‹ erstrebenswerte Beziehungsform behalten. Zusätzlich gibt es alternative Möglichkeiten der Lebensgestaltung, die unterschiedlich stark ›gewählt‹ werden (vgl. Peuckert 2008). Außerdem kann nicht von einer generellen Abkehr von der Ehe gesprochen werden, geändert haben sich aber beispielsweise die Heiratsmotive: »Früher legitimierten Ehen Kinder, heute legitimieren Kinder Eheschließungen.« (Ebd.: 342) Abgeschwächt könnte man dies einen Bedeutungswandel nennen und eine Entwicklung hin zur Pluralisierung der Lebensformen sowie einen Bedeutungszuwachs alternativer Lebensformen diagnostizieren.

2. ANRUFUNGEN ZUR M UTTERSCHAFT – D IE E RGEBNISSE DER ANALYSE DER E HE - UND B EZIEHUNGSRATGEBER Dargestellt werden nun die zusammengefassten Ergebnisse der Eheratgeber aus den 1950er Jahren und der Ehe- und Beziehungsratgeber der 2000er Jahre. Diese wurden mit der in diesem Band dargestellten Wissenssoziologischen Diskursanalyse (vgl. Scholz/Lenz i.d.B.), wie sie maßgeblich von Reiner Keller (2007a; b) formuliert und durch Jean Carabine (2001) erweitert wurde, analysiert. Die Auswahl der Ratgeber erfolgte nach dem Prinzip des Theoretical Samplings und orientierte sich an den forschungsleitenden Fragen. Mit Reiner Keller wurde der Empfehlung nachgegangen, die Analyse mit einem »bedeutsam erscheinenden Dokument« (Keller 2007b: 18) zu beginnen. Der Eheratgeber von Carl Heinrich Huter »Wie Ehen glücklich werden« (1953) wurde aufgrund wiederholter Rezension in der Sekundärliteratur (vgl. Mahlmann 1991) als ›bedeutsam‹ eingestuft, auch wenn keine Verkaufs- oder Auflagenzahlen des Verlags mehr auffindbar waren. Der Autor Carl Heinrich Huter wurde 1898 in Detmold geboren, war verheiratet, arbeitete als freier Schriftsteller und Astrologe und verstarb 1974. Als Sohn des gleichnamigen berühmten Begründers der Psycho-Physio-

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gnomie verfasste er außerdem das Werk »Wie sind die Frauen?« (1953). Als zweiter zu analysierender Ratgeber für die 1950er Jahre wurde »Ehekompaß für alle Tage« (1958) gewählt, der von einer Frau, Elisabeth Muhl-Schwarzenberg, geschrieben wurde. Die Autorin arbeitete viele Jahre als Eheberaterin, nachdem sie eine Ausbildung an einer sozialen Frauenschule absolviert hatte. Neben zahlreichen Veröffentlichungen ihres mehrbändigen Hauptwerkes »Ehe Probleme« (1950) publizierte sie ebenfalls in diversen katholischen Frauenzeitschriften. Mit der Entscheidung für diese beiden Ratgeber wurde versucht, das Prinzip der maximalen Kontrastierung zu realisieren. Für die Auswahl eines Ratgebers aus den 2000er Jahren wurde ebenfalls nach einem ›bedeutsam erscheinenden Dokument‹ Ausschau gehalten. Dafür wurden Verkaufsranglisten führender Online-Buch-Versandhäuser herangezogen mit der Annahme, dass ein häufig verkaufter Ratgeber auch möglicherweise eine breite Öffentlichkeitswirkung hat und außerdem eine große Leserschaft erreicht. Der Ratgeber »Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe« (2008a) von Hans Jellouschek wurde gewählt, weil er sich im Bereich »Ratgeber Partnerschaftȹ&ȹBeziehung« im Online-Buch-Versandhaus amazon.de auf dem Verkaufsrangplatz eins befindet (Stand 2011), was mit dem großen Bekanntheitsgrad des Autors als »Deutschlands bekanntester Paartherapeut« (Nuber 2007: 45) begründet werden kann. Selbst in der bisher sehr begrenzt vorhandenen Sekundärliteratur, die sich mit dem Thema gegenwärtiger Ehe- und Beziehungsratgeber beschäftigt, wird sich auf Hans Jellouschek bezogen (vgl. Mahlmann 2003). Jellouschek, geboren 1939 und Vater von zwei Töchtern, studierte Philosophie und Theologie. Er ist Eheberater, Psycho- und Lehrtherapeut, arbeitet und lebt mit seiner dritten Ehefrau in der Nähe von Tübingen, von wo aus er zahlreiche Veröffentlichungen, wie etwa »Die Kunst als Paar zu leben« (2005), publiziert. Weiterhin nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung vorgehend wurde für die 2000er Jahre ein Beziehungsratgeber gewählt, der von einer Autorin und einem Autor verfasst wurde und insofern hinsichtlich des Merkmals Geschlecht heterogen ausfällt: Erika Frischler veröffentlichte zusammen mit ihrem Sohn Wolfgang Exel das Buch »Das Glück zu zweit ist erlernbar« (2000). Die Autorin, geboren 1926, war zweimal verheiratet und arbeitete bis zu ihrer Pensionierung als Journalistin. Wolfgang Exel, geboren 1949, ist praktizierender Arzt, Journalist und Autor vorrangig medizinisch und naturheilkundlich ausgerichteter Ratgeber.

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2.1 Berufung zur Mutterschaft in den Ratgebern der 1950er Jahre Die Analysen zentraler Schlüsselstellen der zwei für die 1950er Jahre exemplarisch untersuchten Eheratgeber »Wie Ehen glücklich werden« von Carl Heinrich Huter und »Ehekompaß für alle Tage« von Elisabeth Muhl-Schwarzenberg gegenüberstellend, lassen sich folgende Ergebnisse formulieren: In beiden Ratgebern wird die Ehe zwischen Mann und Frau als biographische Selbstverständlichkeit dargestellt, sie wird zwischen einem Mann und einer Frau für die Dauer ihres Lebens eingegangen. Muhl-Schwarzenberg spricht von einer Vervollkommnung zweier »ergänzungsbedürftiger Wesen« (Muhl-Schwarzenberg 1958: 20), die nur mithilfe einer von Gott geschlossenen Ehe möglich ist. Huter hebt hervor, dass »das Glück der Liebe erst dann in seiner ganzen Reife erreicht werden kann, wenn es in einer […] Ehe seine Erfüllung findet« (Huter 1953: 30). Gleichzeitig liege in der Entfernung von der Natur und ›wahren Kultur‹ die Begründung für die Krise der ›modernen Ehe‹. Vorehelicher Geschlechtsverkehr wird in beiden Ratgebern abgelehnt, die Ehe, genauer der ›eheliche Verkehr‹, dient vorrangig der ›Fortpflanzung‹, womit gleichzeitig die Kopplung von Ehe und Elternschaft hervorgehoben wird. Bei Muhl-Schwarzenberg heißt es: »Sinn der Ehe ist die Vervollkommnung der Ehegatten durch gegenseitige Liebe […]. Zweck oder besser gesagt – Frucht der Ehe – ist das Kind.« (Muhl-Schwarzenberg 1958: 11) Darüber hinaus betont Huter, dass der eheliche Geschlechtsverkehr, er spricht von »Gattenliebe«, dem »geheimnisvollen Gesetz der Arterhaltung« (Huter 1953: 7) dient, eine dem Menschen innewohnende Naturgesetzgebung. In beiden Ratgebern sind Kinder in der Ehe eine Selbstverständlichkeit. Damit im Einklang stehe der ›Wille des Schöpfergottes‹, er rufe die Ehepaare zur ›Vermehrung‹ auf, jede und jeder habe demnach die Aufgabe, Kinder zu bekommen, beziehungsweise werden diese von Gott geschenkt. Andererseits gilt: »Wo die Bereitschaft fehlt, alle Kinder, die Gott schenkt, anzunehmen, kommt keine gültige Ehe zustande.« (Muhl-Schwarzenberg 1958: 60) Auch bei Huter heißt es: »Das wahre Glück in der Ehe [wird] durch Kinder begründet« (Huter 1953: 59). Verhütung gilt als wider die Natur, Huter spricht sogar von »seelische[n] Krisen« (ebd.: 58), »Gefühlskälte«, »nervöse[n] Erscheinungen« und »Hysterie« (ebd.: 59), die durch eine künstliche Behinderung der Empfängnis entstehen, »weil ihr natürliches Verlangen nach Mutterschaft laufend zurück gedrängt wird« (ebd.: 58). Von beiden AutorInnen werden in sich widersprüchliche Anforderungen an die ›Rolle‹ der Ehefrau formuliert. So äußert Huter ganz klar, dass eine Ehe nur dann vollständig ist, wenn die Ehefrau den Erwartungen als Lebenskameradin, Geliebte und Mutter, verkörpert in einer

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Person, nachkommt. »In diesen drei Personen, Kameradin, Geliebte und Mutter, muß die Frau ihre Erfüllung zum Manne finden. Wenn sie in einer ihrer Aufgaben versagt, dann ist die Ehe unvollständig« (ebd.: 81). Die Gleichzeitigkeit von freundschaftlichen und nicht-freundschaftlichen, sexuellen und nicht-sexuellen, fürsorglichen und nicht-fürsorglichen sowie aktiven und passiven Attributen stellt hierbei die Widersprüchlichkeit dar. In beiden Eheratgebern der 1950er Jahre wird das männliche Alleinverdienermodell als dominantes Erwerbsmuster vorgestellt, für beide AutorInnen stellt die weibliche Berufstätigkeit ein ärgerliches Übel dar. Während Huter in der Berufstätigkeit einer verheirateten Frau wiederum die Ursache für seelische Krisen sieht, gesteht Muhl-Schwarzenberg immerhin ein, dass die Ehefrau noch so lange arbeiten sollte, bis alle Schulden abbezahlt sind und die Wohnung vollständig eingerichtet ist. Damit zeigen sich Tendenzen einer Zuverdienerehe. Huter unterstreicht: »Nur dort, wo die Frau ihrer natürlichen Anlage entsprechend keinen Beruf ausübt, sondern sich ganz ihren ehelichen und mütterlichen Pflichten widmen kann, wird sie auch ihrem eigentlichen Wesen nach zufrieden sein können.« (Ebd.: 16) Mit diesem geschlechtsspezifischen Erwerbsmodell geht eine Polarisierung der Geschlechter einher, die als ›naturbedingt‹ gedeutet wird. Männer werden als der aktive, kämpferische Part dargestellt, zuständig für die äußere Sphäre, Frauen hingegen sind passiv und empfindsam beschrieben, verantwortlich für das häusliche und private Leben. Die Vollzeitmutter und Hausfrau, die für die Erziehung der Kinder und die Versorgung des Haushaltes zuständig ist, wird in den untersuchten Eheratgebern der 1950er Jahre als hegemoniale weibliche Subjektposition hervorgehoben, die vermutlich von den jungen Frauen schon während einer frühen Sozialisationsphase internalisiert wird. Beide AutorInnen benutzen für die Begründung der als selbstverständlich dargestellten Mutterschaft vermeintlich natürliche Gesetzmäßigkeiten. Vor allem in dem Ratgeber »Wie Ehen glücklich werden« scheint eine Frau gar keine andere Wahl zu haben, als sich ihrer ›natürlichen Veranlagung‹ und ›mütterlichen Berufung‹ hinzugeben. Folgende Textstelle, die als eine zentrale Schlüsselstelle identifiziert wurde, zeigt dies beispielhaft auf: »Diese mütterliche Sehnsucht im jungen Mädchen, die sich mit den Jahren immer mehr verstärkt und deshalb zur Ehe, zur Familie, zum Wunsch nach Kindern führt, ist jedem natürlichen weiblichen Menschenkinde angeboren.« (Ebd.: 139) Aber auch bei Muhl-Schwarzenberg lassen sich ähnliche Textstellen auffinden: »Mütterliche Regungen sind der Frau ursprünglich, sie sind ihr angeboren.« (Muhl-Schwarzenberg 1958: 95). Muhl-Schwarzenberg unterscheidet zusätzlich, je nachdem, wie stark die Veranlagung ausgeprägt ist, zwischen einem ›echten mütterlichen‹ und einem

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»egozentrischen« (ebd.: 17) Frauen-Typ. Diese Unterscheidung der weiblichen Natur bei Muhl-Schwarzenberg kann mit der von Huter eingeführten »Eva- und Maria-Natur« (Huter 1953: 28) in einer Frau gleichgesetzt werden. Nach dieser bipolaren Gegenüberstellung gebe es jeweils einen ›positiven‹, ›guten‹, mütterlichen Teil und einen ›negativen‹, ›schlechten‹, egoistischen Teil. Huter betont, dass beide Teile in einer Frau vorkommen und nur die Mutter die ›negative‹ ›Eva-Natur‹ überwinden kann. Hingegen ordnet Muhl-Schwarzenberg die Unterscheidung verschiedenen Frauen-Typen zu, wobei der egoistische Frauen-Typ eindeutig als Abweichung hervorgehoben wird. Für den Fall, dass eine Frau keine eigenen Kinder gebären kann, sieht Huter die Adoption als geeignete Lösung an, so könne die betroffene Frau die ihr angeborene Mütterlichkeit auf ein Kind übertragen. Diese Argumentation widerspricht zwar einerseits dem Ideal der Normalfamilie, mit eigenen, leiblichen Kindern zusammenzuleben, andererseits wird dieser Widerspruch aber entschärft, indem die Adoption als ›Notlösung‹ präsentiert wird. Wichtig ist, dass eine Frau ihre »höhere mütterliche Berufung« (ebd.: 72) ausleben kann, nur dann kann sie auch ihrem ›eigentlichen Wesen nach zufrieden‹ sein. Lebensentwürfe ohne Kinder werden ausgeblendet. Muhl-Schwarzenberg charakterisiert die ›kinderlose‹ Ehe als trauriges Defizit und großen Kummer im Vergleich zur glücklichen, kinderreichen Ehe. Auch wenn Kinderlosigkeit als prinzipiell unfreiwillig und durch eine pathologische Störung verursacht gesehen wird, findet in diesem Eheratgeber eine solche Konstellation zumindest Erwähnung und wird nicht gänzlich verschwiegen. Eine Leerstelle im Ratgeber »Ehekompaß für alle Tage« bildet die gesamte Trennungs- und Scheidungsproblematik, die Ehe gilt als unauflöslich. Liebe zwischen den Ehepartnern spielt ebenfalls eine untergeordnete Rolle oder begrenzt sich auf das Akzeptieren des Anderen so, ›wie Gott ihn schuf‹. Für die Begründung einer Heirat wird Liebe nicht weiter betont. Im Eheratgeber von Huter bleibt hingegen das Thema der ehelichen Kommunikation ausgeklammert, somit bleibt unausgesprochen, wie die Ehefrau beispielsweise an Informationen kommt, um die an sie gestellten Anforderungen erfüllen zu können. 2.2 Gleichsetzung von Ehefrau und Mutter in den Ratgebern der 2000er Jahre Die Palette der Deutungsangebote in aktuellen Ehe- und Beziehungsratgebern hat sich, wie vermutet, als heterogener herausgestellt. Als wesentliche Gemeinsamkeit der beiden untersuchten Ratgeber »Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe« von Hans Jellouschek (2008a) und »Das Glück zu zweit ist er-

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lernbar. Die besten Wege zu einer erfüllten Partnerschaft« von Erika Frischler und Wolfgang Exel (2000) kann die dominante Stellung der ehelichen Gemeinschaft benannt werden, sie ist in den beiden Ratgebern der ›Regelfall‹ und die ›überwiegende Form‹ der Lebensgemeinschaft. Jellouschek plädiert für eine Heirat mit fortschreitender Dauer und Festigung einer Paarbeziehung; die Ehe wird von ihm als logische Schlussfolgerung einer ›typischen‹ Paarbiografie eingeführt. Auch Frischler und Exel sehen in der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft lediglich eine Vorstufe der Ehe. Scheint die Ehe für das kinderlose Paar – hier verstanden als eine Stufe in der Paarbiografie – noch eine wählbare Option, wird sie mit dem Vorhandensein von Kindern zur festen Voraussetzung. Beide Ratgeber betonen unterschiedlich stark eine Kopplung zwischen Ehe und Elternschaft, Einigkeit herrscht darin, dass Kinder in der Ehe selbstverständlich sind. Jellouschek spricht dezidiert von einer Gleichsetzung von ›Ehe und Mutterschaft‹, denn »Normalität [kommt] in ihr Leben […] durch die Heirat, durch die Geburt des Kindes« (Jellouschek 2008a: 91). Kinder »sollen in geordneten Verhältnissen aufwachsen« (Frischler/Exel 2000: 115) und die Ehe stellt den institutionellen Rahmen, in dem Verantwortung für den Partner und die Kinder übernommen werden, so Frischler und Exel weiter. Zusätzlich wird in beiden Ratgebern betont, dass die Liebe eine wichtige Grundlage sowie die einzige Garantie für eine dauerhafte und erfüllte Zweierbeziehung darstellt. Zudem müsse die Liebe von Verliebtheit und erotischer Leidenschaft unterschieden werden, da nur erstere eine auf Dauer ausgelegte Ordnung darstelle, im Gegensatz dazu erlösche die zerstörerische »erotischen Leidenschaft […] nach raschem Aufflackern schnell wieder« (Jellouschek 2008a: 21). Auch in den analysierten Ehe- und Beziehungsratgebern der 2000er Jahre wird das Modell des Alleinernährers und seiner Ehefrau, welche die ›Rolle‹ der Vollzeitmutter und Hausfrau einnimmt, vorgestellt. Besonders Jellouschek hebt die Frau als Ehefrau und Mutter hervor und markiert diese Verbindung als hegemoniale weibliche Subjektposition. »Der Mann und Vater steht außerhalb der Familie. Seine Aufmerksamkeit ist nach außen – auf seinen Beruf hin – gerichtet. Die Frau und Mutter bildet mit den Kindern zusammen gewissermaßen eine eigene Gruppe« (ebd.: 72). Dieses Zitat ist exemplarisch. In der sozialisatorischen Wirkung alter Rollenbilder und Kräfte, die einerseits durch die eigenen Eltern vorgelebt würden und andererseits seelisch, intrinsisch verankert seien, sieht Jellouschek die Ursache für eine traditionelle, geschlechtsspezifische Aufgabenteilung. Er erklärt: »Uralte Rollenbilder sind noch tief in unserer Seele verankert. So steuert […] das Bild des Jägers […][und das Bild der] Urahninnen in den Höhlen […] nach wie vor das Verhalten heutiger Männer, aber auch heutiger Frauen« (ebd.: 75). Vor allem durch die Geburt des ersten Kindes werde

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dieser Prozess verstärkt: »[S]obald aber Kinder kommen, beginnen sie, oft ohne es zu merken […], die Einstellungen und Verhaltensweisen der eigenen Eltern zu kopieren. Er wird zum ›Arbeitsmann‹ und ›Pascha‹ und sie wird zur ›Familienfrau‹ und ›Rundumversorgerin‹« (ebd.). Während Jellouschek das patriarchalische Paarmodell mit einhergehendem Verzicht der Ehefrau und Mutter auf ihre Berufstätigkeit als einzige Möglichkeit aufzeigt, stellen Frischler und Exel darüber hinaus ein Doppelverdiener- oder Zuverdienstmodell vor. Hierbei gehen die Ehefrauen ebenfalls einem Lohnarbeitsverhältnis nach und tragen so zum Haushaltseinkommen bei. Zusätzlich wird von Frischler und Exel der Begriff »Haushaltsberuf« (2000: 151) eingeführt, um die binnenfamiliäre Versorgung von Haushalt und Kindern, die von den Ehefrauen geleistet wird, auf die Stufe einer ›Berufstätigkeit‹ heben zu können. Die ›berufstätige‹ Mutter erscheint hier als hegemoniale weibliche Subjektposition. Demnach spielt die weibliche Berufstätigkeit in den untersuchten Ratgebern eine unterschiedliche Rolle. Mit dem Eingehen der Ehe und, damit verbunden, der Geburt des ersten Kindes verzichtet die Frau laut Jellouschek scheinbar selbstverständlich auf ihre Berufstätigkeit und widmet sich den Aufgaben im Haushalt und in der Kindererziehung. Dagegen wird im Ratgeber »Das Glück zu zweit ist erlernbar« die Leitidee der selbstständig ›Berufstätigen‹ aufgezeigt, die nicht von ihrem Ehemann versorgt werden muss, sondern von ihm in ihrer Berufstätigkeit unterstützt wird, auch indem er im Haushalt mithilft. Die damit verbundene Problematik einer weiblichen Doppelbelastung, durch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird in beiden Ratgebern ausgeklammert. Im Vergleich zu Frischler und Exel, bei denen es heißt: »das Leitbild der Frau [ist] die Berufstätige, die Selbstständige. Sie hat ihr Leben selbst im Griff« (Frischler/Exel 2000: 150), berichtet Jellouschek »der Mann geht ganz in seinem Beruf auf, die Frau ganz in der Kinderwelt« (Jellouschek 2008a: 95). Wie bereits angedeutet, wird in unterschiedlicher Ausführlichkeit von der Polarität zwischen Mann und Frau berichtet. Jellouschek geht dabei intensiv auf die Thematik der Kommunikation ein, aber auch auf die Unterschiede im Erleben von Sexualität. Insgesamt werden Mann und Frau geschlechtsspezifische Besonderheiten zugeschrieben, Frauen sind »›Familienfrauen‹« (ebd.: 93), empfindsame Gefühlswesen und »Beziehungsmenschen« (ebd.: 83), Männer gelten als »›Arbeitsmänner‹« (ebd.: 93), eher »sachlich orientiert« (ebd.: 83), rational und wettkampforientiert. Hingegen sprechen Frischler und Exel zwar ebenfalls von einer ›naturgegebenen Polarität‹, aus welcher der Mann als der Stärkere hervorgeht, dies wird allerdings nicht näher erläutert. Immer wieder tauchen bei ihnen unhinterfragte Begriffe wie der ›Urtrieb‹ im Mann oder der ›Geschlechtstrieb‹, der die eheliche Sexualität beeinflusst, auf.

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Die Thematik der Kinderlosigkeit wird von beiden aktuellen Ehe- und Beziehungsratgebern nur rudimentär angesprochen, Ehe und Elternschaft beziehungsweise Mutterschaft werden immer in einem Atemzug aufgeführt. Die AutorInnen Frischler und Exel benennen aber zumindest das kinderlose Paar als eine Möglichkeit der alternativen, modernen Lebensgestaltung, ohne jedoch auf deren Beziehungsalltag, Erwerbsmodell oder ähnliches einzugehen. Jellouschek erwähnt die Thematik der Kinderlosigkeit oder Lebensentwürfe ohne Kinder gar nicht, genauso wenig wie alternative, moderne Lebensformen. Eine Leerstelle in beiden Ehe- und Beziehungsratgebern stellt die Vereinbarkeitsproblematik in Beruf und Familie dar.

3. R ESÜMEE Von allen RatgeberautorInnen, deren Bücher hier untersucht wurden, wird die eheliche Gemeinschaft als Leitvorstellung präsentiert. In den beiden Ratgebern der 1950er Jahre gilt sie als eine biographische Selbstverständlichkeit, in den aktuellen Ratgebern ist die Ehe anfangs eine wählbare Option, die erst mit dem Vorhandensein von Kindern als der ›Regelfall‹ dargestellt wird und somit an Bedeutung gewinnt. Gleichzeitig werden nichteheliche Formen des Zusammenlebens als Vorstufe der Ehe herabgewürdigt. Die Ehe- und Beziehungsratgeber der 2000er Jahre gehen zudem auf die Trennungs- und Scheidungsthematik ein, wonach eine Ehe prinzipiell geschieden werden kann. Die Ehe verliert zwar ihren ›zwingend lebenslangen‹ Charakter, wodurch das Ziel, für die Dauer eines Lebens eine glückliche Zweierbeziehung zu führen, jedoch nicht weniger erstrebenswert dargestellt wird. Die Gleichsetzung von Ehe und Elternschaft wird von allen AutorInnen benannt, wenn auch in unterschiedlich starker Betonung. Huter und Muhl-Schwarzenberg verweisen auf ›natürliche Gesetzmäßigkeiten‹, um aufzuzeigen, dass der Frau mütterliche Regungen oder die Sehnsucht nach Mutterschaft bereits angeboren sind und sich dies schon im Puppenspiel der Mädchen widerspiegelt. Die jungen Frauen wüssten von ihrer ›höheren Berufung‹ und je nach Veranlagung, so erklärt Muhl-Schwarzenberg, ist das Verlangen nach Mutterschaft stärker oder schwächer ausgeprägt. Die aktuellen Ratgeber verzichten auf diese Naturalisierung des Kinderwunsches, bei Jellouschek werden jedoch intrinsische ›alte Rollenbilder‹ zur Begründung herangezogen. Im Ratgeber »Wie Partnerschaft gelingt« erfolgt mit der Betonung der Frau als Ehefrau und Mutter gleichzeitig die Darstellung einer geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung. So selbstverständlich, wie darin die Ehefrau ihre Berufs-

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tätigkeit aufgibt und Kinder bekommt, wird auch der Ehemann als Alleinernährer beschrieben. Mit Blick auf die eingangs gezeigte gesellschaftlich unerwünschte Mütter-Erwerbstätigkeit in den 1950er Jahren überrascht es nicht, dass die Ratgeber dieser Zeit das Modell des männlichen Alleinernährers, dessen Ehefrau sich um die Versorgung von Haushalt und Kindern kümmert, als das dominante Erwerbsmodell vorstellen. Interessant ist jedoch, dass auch Jellouschek dieses Modell favorisiert. Widerfahren den berufstätigen Ehefrauen bei Huter ›seelische Krisen‹, so handeln die nicht berufstätigen Ehefrauen bei Jellouschek gemäß alter Rollenbilder, sie geben spätestens mit der Geburt des ersten Kindes ihre Berufstätigkeit auf. Ein zeitlich begrenztes Zuverdienstmodell legitimiert die Berufstätigkeit der verheirateten Frau im Eheratgeber von MuhlSchwarzenberg; die Autorin argumentiert, dass die Ehefrau noch solange arbeiten soll, bis alle Schulden getilgt sind. Als ein erstrebenswertes Ideal wird die weibliche Berufstätigkeit schließlich lediglich bei Frischler und Exel präsentiert. Berufstätigkeit umfasst bei ihnen sowohl den ›Haushaltsberuf‹ als auch ein ›reguläres‹ Lohnarbeitsverhältnis. Diese Ergebnisse schließen an die Untersuchung von Yvonne Schütze (2010) an, in der herausgestellt wird, dass die Diskussion um die mütterliche Erwerbstätigkeit auch im 21. Jahrhundert, immer gespickt mit der Unterstellung, berufstätige Mütter würden nicht das Beste für ihr Kind wollen, nicht abebbt. In den untersuchten Eheratgebern der 1950er Jahre werden die widersprüchlichen Erwartungen an die verschiedenen ›Rollen‹ einer Ehefrau als Lebenskameradin, Geliebte und Mutter besonders stark verdeutlicht. Aber auch in dem 2008 veröffentlichten Ratgeber von Hans Jellouschek wird die Ehefrau, die für ihren Mann »ein Stück Mutter repräsentier[t]« (Jellouschek 2008a: 82), erwähnt. Einigkeit scheint über die untersuchten Zeiträume hinweg zu bestehen, dass ein Ehebruch oder, aktueller formuliert, ein Seitensprung nicht zwangsläufig zu einer Scheidung führen muss. Er wird in den beiden Ratgebern der 1950er Jahre meist als rein männliches Verhalten deklariert, welches die Ehefrauen nicht zu beunruhigen braucht und woran sie zudem eine Mitschuld tragen. Jellouschek benennt den Seitensprung als etwas Selbstverständliches und sieht wie ebenfalls Frischler und Exel in der Untreue eines Ehepartners einen Gewinn und die Chance für einen Neuanfang. Damit wird aber keineswegs entgegen einer monogamen Moralvorstellung argumentiert, der Seitensprung wird eindeutig als schwerwiegender Vertrauensbruch beschrieben, der niemals unbegründet ›passiert‹, aber tendenziell verzeihbar ist. Schließlich lassen sich für das Thema Kinderlosigkeit quer zur zeitlichen Einteilung der Ehe- und Beziehungsratgeber Gemeinsamkeiten finden. Sowohl Huter als auch Jellouschek blenden den möglichen Lebensentwurf eines kinder-

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losen Paares aus und beschränken sich in ihren Ausführungen beziehungsweise in den Darstellungen von Beispielpaaren auf die heterosexuelle Paarbeziehung mit leiblichen Kindern. Selbst im Fall von Unfruchtbarkeit kennt Huter eine Lösung, indem er zur Adoption eines Kindes rät. Muhl-Schwarzenberg wie auch Frischler und Exel erwähnen zumindest die Möglichkeit eines solchen Lebensentwurfs, im Ratgeber »Das Glück zu zweit ist erlernbar« erfolgt dies im Rahmen einer Aufzählung von verschiedenen ›modernen‹ Lebensformen, die insgesamt immer als Randerscheinungen gesehen werden. Unmissverständlich wird im Ratgeber »Ehekompaß für alle Tage« Kinderlosigkeit als Defizit und als belastender Kummer für das betroffene Ehepaar, vor allem für die betroffene Ehefrau dargestellt. Weiterhin setzt Muhl-Schwarzenberg die egozentrische Frau, deren Präferenz auf Schönheit und eigenem Wohlergehen liegt, als Negativfolie. Bezogen auf die eingangs formulierte Forschungsfrage kann somit festgestellt werden, dass in den untersuchten Ehe- und Beziehungsratgebern der 2000er verglichen mit denen der 1950er Jahre ein nur nuanciert verändertes Bild von ›Frau-Sein‹ beziehungsweise Weiblichkeit, Mutterschaft und ›Ehefrau-Sein‹ vermittelt wird. In unterschiedlicher Betonung werden in allen vier Ratgebern, wie gezeigt, Ehe und Elternschaft beziehungsweise Mutterschaft miteinander verkoppelt. In den Ratgebern der 1950er Jahre gilt dies als unhinterfragbar, sowohl die Heirat als auch die Geburt von Kindern innerhalb der Ehe sind als Selbstverständlichkeit dargelegt. Die aktuellen Ratgeber begründen diesen Verweisungszusammenhang zum Beispiel mit der sozialisatorischen Macht alter Rollenbilder und stellen die Ehe als überwiegende Form der Lebensgestaltung dar. Die Vollzeitmutter und Hausfrau wird zumindest in drei der vier untersuchten Ratgeber als alleinige, hegemoniale weibliche Subjektposition herausgestellt. Die Verortung der Frau im binnenfamiliären Bereich und mit ihr die Zuschreibung der Verantwortung für Kindererziehung und Versorgung des Haushaltes gehen mit einer naturalisierten Darstellung der Polarität der Geschlechter einher. Im Gegensatz zu dieser als ›normal‹ markierten weiblichen Subjektposition, wird die kinderlose Frau klar als ›Abweichung‹ gekennzeichnet. Der kinderlose Mann findet gar keine Erwähnung, er ist eine Leerstelle im Diskurs der Ehe- und Beziehungsratgeber. Der eingangs beschriebene tiefgreifende familiale Wandel und der Bedeutungszuwachs moderner, alternativer Lebensformen, der seit Mitte der 1950er Jahre für Deutschland diagnostiziert wird, spiegelt sich in den Konstruktionen der untersuchten Ehe- und Beziehungsratgeber nicht wider. Trotz eheähnlicher Gemeinschaft, kinderlosen Paaren, Ein-Elter-Familien, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen et cetera wird die Ehe weiterhin als die selbstverständliche und dominante Lebensform hervorgehoben.

Der gute Vater Konstruktionen von Vaterschaft und Liebe in Erziehungsratgebern für Väter F RANZISKA H ÖHER UND S ABINE M ALLSCHÜTZKE »Väter sind mit einer Raketenbasis zu vergleichen: Mit ihrer Hilfe kann ihr Kind sich schon früh immer wieder vom Boden losreißen. Mit Papa als sicherem Hafen kann man Purzelbäume in der Umlaufbahn schlagen.« (Ballnik 2010: 81)

Überall ist die Rede von den ͎neuen Vätern͍, die sich aktiv an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen und nicht mehr nur Spielgefährten sein wollen. Was früher undenkbar war, fordern heutige Väter zunehmend ein. War die Rolle des Vaters bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ausschließlich auf den außerhäuslichen Gelderwerb fixiert, so wurde sie im Zuge des Wandels der Frauen- und Mutterrolle mehr und mehr hinterfragt (vgl. Schneider 1989; Fthenakis 1985a). Heute stehen Männer vor der Herausforderung, die eigene Vaterrolle trotz struktureller Hindernisse durch den Arbeitsmarkt und die Kinderbetreuungssituation neu zu definieren (vgl. Baader 2006). Auch die Politik nimmt die neuen aktiven Väter zunehmend in den Blick und versucht mit der Einführung der Elternzeitregelung seit 2007, neue Anreize für eine aktive Vaterschaft zu schaffen. Ebenso ist die mediale Aufmerksamkeit rund um den neuen engagierten Vater in den letzten Jahren beständig gewachsen. So hat DIE ZEIT im September 2011 ein ZEIT MAGAZIN unter dem Titel »Endlich hab ich Zeit« ganz dem Vater gewidmet. Bereits ein Jahr vorher hat das Magazin GEO WISSEN ein Heft mit dem Titel »Väter – was sie so besonders macht« herausgebracht. Jüngst wurde im Magazin der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG das Buch »Darth Vader and Son« (vgl.

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Brown 2012) unter dem Titel »Wenn Darth Vader ein guter Vater gewesen wäre...« vorgestellt. Darin wird Darth Vader – im Gegensatz zum Original – als ›guter‹ Vater dargestellt, der sich um sein Kind kümmert und es erzieht. Die gesteigerte mediale Wahrnehmung des Vaters führt auch dazu, dass eine Vielzahl von Ratgebern für Väter veröffentlicht wird. Eingebettet in einen allgemeinen »›Boom‹ der Ratgeberliteratur« (Höffer-Mehlmer 2007b: 672) befassen diese sich mit den Problemen heutiger Väter, wie beispielsweise ihrer Rolle in der Schwangerschaft, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Schwierigkeiten der Vater-Kind-Beziehung. Doch wie wird ›gute‹ oder ›schlechte‹ Vaterschaft bestimmt und wie soll der Vater die Beziehung zum Kind gestalten, um ein guter Vater zu sein? Dieser Frage gingen wir in unseren Teilstudien nach, deren zentrale Ergebnisse Gegenstand des vorliegenden Artikels sind. Dabei wird auch die Bedeutung der Liebe im Vater-Kind-Verhältnis näher betrachtet. Die Liebe bildet seit Etablierung der Leitidee der bürgerlichen Familie im 19. Jahrhundert das Fundament der Familiengründung und innerfamilialer Beziehungen (vgl. Peuckert 2008), doch bezogen auf das Eltern-Kind-Verhältnis wurde sie nahezu ausschließlich mit der Liebe der Mutter zum Kind gleichgesetzt (vgl. Schütze 1996). In Anlehnung an das Konstrukt der Mutterliebe fehlt bisher das männliche Gegenstück: die Vaterliebe. Mit zunehmender Hinwendung des Vaters zu Familie und Kind liegt die Vermutung nahe, dass heute auch der Vaterliebe eine normative Funktion bei der Definition der Vaterrolle zukommt. Elisabeth Badinter stellt die Frage, ob »die väterliche Liebe gerade erst in die Geschichte der Gefühle eintritt« (Badinter 1991: 293). Sie konstatiert weiterhin, dass es »den Anschein [hat], als würde nach Jahrhunderten, in denen der Vater Autoritätsperson oder nicht vorhanden war, ein neuer Begriff entstehen – die ›Vaterliebe‹, die zum Verwechseln der Mutterliebe ähnelt« (ebd.: 295). Im Anschluss an diese Hypothese untersuchten wir anhand ausgewählter Väterratgeber, wie Vaterschaft darin dargestellt wird, inwieweit ein Konstrukt von Vaterliebe Eingang in die Ratgeber findet und wie es sich gegebenenfalls von der Mutterliebe unterscheidet. Die Analyse begann mit den frühen Väterratgebern, die in den 1950er und 1960er Jahren publiziert wurden. Diesen Vorläufern wurden ausgewählte Ratgeber aus den 2000er Jahren gegenübergestellt. Als theoretischer Hintergrund der empirischen Analyse wird in einem ersten Schritt kurz die familiale Liebessemantik beschrieben. Anschließend gehen wir auf den Wandel der Vaterschaft ein und geben einen Einblick in die aktuellen Debatten der Vaterforschung. In den nächsten Kapiteln folgen, nach einer kurzen Vorstellung des Mediums Väterratgeber, die Ergebnisse der Ratgeberanalysen.

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1. L IEBESSEMANTIK

IN DER BÜRGERLICHEN

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Liebe wird im Sinne Niklas Luhmanns nicht als ein Gefühl, sondern als Deutung einer Gefühlsregung, die sich der Mensch aufgrund seiner kulturellen Sozialisierung angeeignet hat, verstanden. Liebe ist für Luhmann ein Kommunikationscode, »nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikationen realisiert werden« (Luhmann 1982: 23). Liebe ist somit ein Verhaltensmodell, welches sich in Form von Sprache äußert und sich im Laufe des gesellschaftlichen Wandels stetig verändert. Luhmann konstatiert, dass sich im 18. Jahrhundert ein neues Liebesverständnis von »Liebe als Passion« etablierte, welches fortan die Liebessemantik in Ehe und Familie bestimmte und bis heute seine Wirkung entfaltet (vgl. Luhmann 2008). Aufgrund der Industrialisierung veränderte sich in jener Zeit das familiale Zusammenleben grundlegend. Es kam zu einer Trennung von Familie und Erwerbstätigkeit, womit die Deutung einer strikten Abgrenzung der inneren, privaten und emotionalen Welt zur harten äußeren, leistungsorientierten Welt einherging (vgl. Baader 1996). Die Privatisierung und Emotionalisierung der Familie wurde mithilfe einer Idealisierung der romantischen Liebe legitimiert. Fortan wurden Ehen und Familien durch dieses Ideal bestimmt und eine geschlechtsspezifische Aufgabenteilung etabliert (vgl. Peuckert 2008; Lenz 2009). Damit einher geht die Ausprägung einer spezifischen Gefühlskultur und eines emotional-intimen Interaktionsstils (vgl. Tyrell/Herlth 1994). Aus systemtheoretischer Perspektive ist dieser geprägt durch eine spezifische Liebessemantik, die Hartmann Tyrell und Alois Herlth als Einheitssemantik verstehen, in der »die Heterogenität von Liebesehe und Elternschaft zur ›Familie‹« (ebd.: 6) zusammengefügt wurde. Demnach erfolgte eine Verknüpfung der unterschiedlichen Semantiken der Liebesehe und der Elter(n)-Kind-Liebe in der Semantik der Familie. Zudem verweist die Familiensemantik auf einen normativen Einheitsgedanken der bürgerlichen Familie: »Die Familiensemantik versieht die Zusammengehörigkeit von Eltern und Kindern mit dem nachdrücklichen Sinn von ›Vollständigkeit‹: Zu einer ganzen Familie gehört nicht mehr, aber auch nicht weniger als Vater, Mutter und Kind.« (Ebd.) Aufgrund tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen im 20. Jahrhundert, etwa des Wandels der Erwerbstätigkeit sowie der Geschlechterverhältnisse, ist die Leitidee der bürgerlichen Familie als familialer Normaltypus gegenwärtig einem Prozess der Destabilisierung unterworfen. Das bürgerliche Familienmodell samt seiner geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung ist heute keine einheitliche Leitidee mehr und es existiert eine Vielfalt unterschiedlicher Familienfor-

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men1 (vgl. Peuckert 2008; Born/Krüger 2002). Nach wie vor bildet Liebe die Grundlage der Familie, aber sie wird im Vergleich zum Liebesverständnis der bürgerlichen Familie zunehmend unverbindlicher: »Aus Liebe folgt heute durchaus nicht mehr […] Heiratȹ/ȹEhe, aus Verheiratetsein nicht mehr selbstverständlich Zusammenwohnen […], aus Verheiratetsein aber auch nicht mehr notwendig ein Sexualprivileg oder der Wunsch nach Kindern. Liebe kommt gut ohne Ehe aus und Ehe auch ohne Kinder: überhaupt treten Ehe und Elternschaft deutlicher auseinander: die ›pure‹ Ehe (ohne Kinder) wird ebenso zur Option wie die ›pure‹ Mutterschaft ohne Ehemann« (Tyrell zitiert in Peuckert 2008: 30).

2. W ANDEL VON V ATERSCHAFT Der Vater als Forschungsgegenstand wurde erst in den 1970er Jahren in den USA entdeckt. Die entstandene, psychologisch orientierte Vaterforschung beschäftigte sich mit dem ›neuen Problem‹ des Vaters. Mit dem Wegbrechen des einheitlichen Vaterbildes als Familienernährer bestimmte neben Diskussionen über die ›vaterlose Gesellschaft‹ und die ›Vaterschaft als Krise‹ besonders die ›neue Väterlichkeit‹ den wissenschaftlichen Diskurs um den Vater. Allerdings wird bis heute das wissenschaftliche Feld hauptsächlich durch eine psychologische Vaterforschung bestimmt und es sind kaum soziologische Veröffentlichungen vorhanden (vgl. Matzner 2007). Das ist besonders verblüffend angesichts der kulturellen Dimension von Vaterschaft, denn Vaterschaft ist im Unterschied zu Mutterschaft, die als natürlich konstruiert ist, ausschließlich kulturell bestimmt (vgl. Matzner, 2004). Im Folgenden steht die Leitidee des neuen Vaters im Mittelpunkt und es werden die vielschichtigen Diskurse, welche diese kennzeichnen, dargestellt. Diese Leitidee des neuen Vaters subsumiert positive Zuschreibungen im Sinne von emotionaler Verfügbarkeit, Partnerschaftlichkeit und Aktivität des Vaters. Besonders die Psychologie erforscht Aspekte positiver Väterlichkeit, welche das neue Vaterbild mitbestimmen. Galt früher die Mutter als wichtigste und

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Um der Vielfalt heutiger familialer Lebensformen gerecht zu werden, wird die Familie im Sinne von Karl Lenz und Frank Nestmann als Generationen-Beziehung definiert: Es »kann von einer Familie immer erst gesprochen werden, wenn mindestens eine Eltern-Kind-Beziehung vorhanden ist.« (Lenz/Nestmann 2009: 16f). Folglich muss die soziale Position des Vaters oder der Mutter vorhanden sein, um von einer Familie sprechen zu können.

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einzige Bindungsperson für das Kind, wurde mit zunehmender Präsenz des Vaters seine Bedeutung für das Kind wissenschaftlich gestützt. Mit der Erweiterung der Bindungstheorie um die Beziehung des Vaters zum Kind (vgl. Schütze 1989) liegt das psychologische Forschungsinteresse heute primär auf der Erforschung der vaterspezifischen Bedeutung für die Entwicklung des Kindes und den triadischen oder multiplen Familienbeziehungen (vgl. Fthenakis 1985a). Für eine soziologische Vaterschaftsforschung ist es notwendig, Vaterschaft und Männlichkeit zu verbinden. Ausgehend von der Tatsache, dass Vaterschaft per se vergeschlechtlicht und demzufolge in den Konstruktionsprozess von Männlichkeit eingebettet ist, kommen übergreifende Erkenntnisse der soziologischen Männer- und Vaterforschung zum Tragen2 (vgl. Bereswill/Scheiwe/Wolde 2006). Vaterschaft bildet jedoch eine Art ›Sonderfall‹ von Männlichkeit, denn im Gegensatz zu Männlichkeit, die nach wie vor über Erwerbsarbeit konstruiert wird, befindet sich Vaterschaft heute im Spannungsfeld zwischen Erwerbstätigkeit und Familienarbeit (vgl. Scholz 2009). Folglich stehen die neuen aktiven Väter vor einem Vereinbarkeitsproblem beider Bereiche und es gibt zahlreiche Hinderungsgründe für eine neue aktive Vaterschaft, die im Folgenden aufgezeigt werden (vgl. Matzner 1998, Behnke/Döge 2005). Ein wichtiger Aspekt, der zunächst die Präsenz des Vaters in der Familie mitbestimmt, ist die zunehmende Bedeutung der Vater-Kind-Beziehung. Kinder haben in gegenwärtigen Familien einen enormen Stellenwert und bilden das Zentrum vieler Ehen; die Beziehung der Eltern zu den Kindern ist stark emotionalisiert (vgl. Matzner 1998; Matthias 2009). Die verstärkte Präsenz des Vaters in der Familie und »die zumindest ›gedankliche Emanzipation‹ der Männer, die das Zeigen expressiv-emotionaler Dimensionen wie ›Gefühlsoffenheit, Weichheit, Zärtlichkeit, Fürsorglichkeit, ja sogar Schwäche‹ erlaubt […], [ermöglichen, d.A.] es auch den Vätern, sich zunehmend intensiv den eigenen Kindern zu widmen« (Matzner 1998: 77). Hier zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen der Konstruktion von Männlichkeit und Vaterschaft, der bei näherer Betrachtung das zentrale Konfliktfeld heutiger Vaterschaft eröffnet und neben dem ›Auftauchen‹ auch für das ›Verschwinden‹ der heutigen Väter verantwortlich ist (vgl. Walter 2002). Die Studie von Cornelia Behnke und Michael Meuser (2013) zum Wandel von Vaterschaft analysiert den männlichen Umgang mit Gefühlen im Familienzusammenhang. Dafür wurden Paare in Form von Paarinterviews befragt, die

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Die soziologische Männerforschung schließt die soziologische Vaterforschung nahezu aus und umgekehrt, obwohl beide Forschungsgegenstände eng miteinander verbunden sind (vgl. Matzner 2007).

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vorab anhand von Milieuzugehörigkeit und Berufstätigkeit (Vollzeit, Teilzeit, Elternzeit) des Vaters ausgewählt wurden. Insgesamt konstatieren Behnke und Meuser, dass Vaterschaft durchweg positiv als Bereicherung, Freude und Sinngebung bewertet wird. Allerdings gälten Fürsorglichkeit und emotionale Wärme nach wie vor als weibliche Eigenschaften, die bei Männern Erklärungsbedarf hervorrufen würde. Die emotionale und fürsorgliche Vater-Kind-Beziehung stehe der männlichen Geschlechterkonstruktion teilweise entgegen und könne so die Umsetzung aktiver Vaterschaft behindern. So weist auch Sylka Scholz darauf hin, dass »Fürsorge(-arbeit) zum Bestandteil von Männlichkeit« (Scholz 2009: 15) werden muss, damit Männer sich dem Familienbereich mehr widmen als bisher. Immer noch wird Frauen und Müttern eine höhere, natürliche Kompetenz zur Mutterschaft zugeschrieben. Patrick Ehnis spricht in dieser Hinsicht von »hegemonialer Mütterlichkeit« (Ehnis 2008: 57). Er zeigt in einer Studie über die Arbeitsteilung von Eltern, »wie geschlechtsbezogene Praktiken und (Selbst-) Zuschreibungen die Präsenz von Müttern (statt von Vätern) nahe legen und zu einer ›selbstverständlichen Einwilligung‹ von Frauen und Männern in eine traditionelle Arbeitsteilung beitragen« (ebd.). Trotz der oben angesprochenen Hinderungsgründe gibt es eine zunehmende Anzahl von Vätern, die sich an dem Bild des neuen aktiven Vaters orientieren. Folglich stellt sich die Frage, ob sich aufgrund der zunehmenden Präsenz des Vaters in der Familie das Konstrukt eines guten Vaters und der Vaterliebe etabliert, der im Folgenden anhand der Ratgeber nachgegangen werden soll.

3. ANALYSE

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Erziehungsratgeber für Eltern gehören zu der Gruppe der Sachbücher, die im Unterschied zu Fachbüchern an ein breites Publikum gerichtet sind (vgl. HöfferMehlmer 2003). Der in ihnen vermittelte Rat orientiert sich an Normen, eigenen Erfahrungen und Überlieferungen (vgl. Höffer-Mehlmer 2007a). »Erziehungsratgeber zählen zum Typus direkter medialer Beratung« und »[d]ie sich in dieser Literatur zu Wort meldenden Ratgebenden [...] sind durchweg bestrebt, sich als Mentoren auszuweisen. Eigene Erziehungserfahrung als Vater oder Mutter ist das zentrale und durchgängige Qualifikationsmerkmal von Ratgeber-Autoren.« (Ebd.: 680) Hinzu kommt in den meisten Fällen die Profession als MedizinerIn, PädagogIn, PsychologIn und ähnliches (vgl. ebd.). Der in der Literatur vermittelte Rat ist durch eine geringe Verbindlichkeit gekennzeichnet. Erziehungsratgeber für Väter sind ein relativ neues soziales Phänomen. Mit dem allgemeinen Aufschwung der Ratgeberliteratur entstand in den 1970er Jah-

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ren ein eigener »Väter-Markt« (Cyprian 2007: 28). Mittlerweile erreichen Väterratgeber Auflagenhöhen von mehr als 60.000 verkauften Exemplaren (vgl. Walter 2002). Unter Väterratgebern werden im Folgenden Bücher verstanden, die Fragen und Themen der Kindererziehung und -pflege behandeln und sich ausdrücklich an Väter richten. Bei allen Ratgebern handelt es sich um sogenannte ›Reinformen‹, in denen der Adressat bereits im Titel bzw Untertitel benannt wird (vgl. Höffer-Mehlmer 2007a). 3.1 Väterratgeber in den 1950er und 1960er Jahren Zwar setzte der eigentliche Boom an Eltern-, vor allem der Väterliteratur erst in den 1990er Jahren ein, dennoch gab es, zumindest vereinzelt, schon Vorläufer der Väterratgeber in den 1950er und 1960er Jahren. Die Zusammenstellung des Samples erfolgte über Recherchen bei der Deutschen Nationalbibliothek, der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Online-Versandhäusern, wie beispielsweise Amazon und Thalia, und Online-Antiquariaten. Insgesamt konnten für den Zeitraum zwischen 1950 und 1969 sechs Väterratgeber ausfindig gemacht werden, von denen drei der Analyse unterzogen wurden. Die katholische Laienbewegung, zu der die Autoren der Ratgeberbroschüren »Ohne Vater geht es nicht« von Hansmartin Lochner und Robert Svoboda (1961) und »Gute Väter – frohe Kinder« von Karl Lukaschek (1961) zählen, sind eindrückliche Beispiele dafür, dass bereits in den 1960er Jahren mehr familiales Engagement von den Vätern gefordert wurde. In der Deutschen Demokratischen Republik entwickelte sich der Ruf nach einem Vater, der auch an der Erziehung der Kinder mitwirkt, vor allem im Kontext des sozialistischen Erziehungsprogramms. Stellvertretend dafür steht das Ratgeberheft »... Vater sein dagegen sehr« von Jochen Anders (1957). Karl Lukaschek: »Gute Väter – frohe Kinder« (BRD 1961) Die Broschüre »Gute Väter – frohe Kinder« von Karl Lukaschek ist 1961 als Beilage zu der Monatszeitschrift »Mann in der Zeit« im ORBIS Verlag Münster erschienen. Die Zeitschrift »ZWISCHEN DOM UND ZECHEN« lobte die 97 Seiten umfassende Schrift im Mai 1961 als »eine schöne Sammlung von Skizzen über die Vaterwelt« (van Rhaden 2008: 445). Das Heft setzt sich aus 24 unabhängigen Kapiteln zusammen, von denen die meisten kurze Geschichten über das Vatersein sind. In der überwiegenden Mehrzahl dieser Berichte wird der Vater als liebevoller, heldenhafter Mann vorgestellt. Im Zentrum der Analyse standen die Kapitel »Der Vater« (Lukaschek 1961: 11ff.), »Mit der Kamera an einem Män-

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ner-Säuglingspflegekurs« (ebd.: 32ff.), »Was eine gute Mutter zur Ehre des Vaters beitragen kann« (ebd.: 46), »Bedeutet die Gleichberechtigung der Frau eine Gefahr für die Autorität des Mannes?« (ebd.: 49f.), »Vater schaut wie groß ich bin« (ebd.: 60) und »Mut zum Frommsein« (ebd.: 76). In diesen Kapiteln wendet sich der Autor direkt an die Leser, indem er Kritikpunkte aktueller Vaterschaft sowie Anregungen und Verbesserungsvorschläge aufzeigt. »In Treue für seine Familie zu sorgen: […] Ein Vater erfüllt seine im Ehebündnis gelobte Pflicht, wenn er unablässig, wie auch die Lebensverhältnisse sich entwickeln, das leibliche und geistige Wohl der Familie als seine besondere und erste Aufgabe anerkennt.« (Ebd.: 11) Diese vor allem wirtschaftliche Versorgung der Familie ist gekennzeichnet durch die außerhäusliche Erwerbstätigkeit, die den Vater für den Großteil des Tages vom Familiengeschehen entkoppelt. Gerade darum müsse der Vater die wenige Zeit, die er im Familienkreis verbringt, nutzen, um »am Leben der Kinder tätigen Anteil« (ebd.: 13) zu nehmen. »Er muss mit ihnen basteln, […] ihnen helfen bei ihren Schul- und Berufsarbeiten« (ebd.). »Die Sonntage und den Urlaub sollten die Eltern mit ihren Kindern verbringen, solange diese noch klein sind […]. Der Vater muss auch für dem das Elternhaus entwachsene Kind noch der treusorgende Vater sein […] zu dem sie […] kommen können, wenn sie sich nicht mehr zurechtfinden.« (Ebd.) Da die Bindung des Kindes an die Mutter »von Natur aus eine selbstverständlichere, weil unmittelbarere« (ebd.: 46) als an den Vater sei, müsse der Erziehung der Kinder besondere Beachtung geschenkt werden. »Der Vater ist zur Erziehung der Kinder unbedingt erforderlich«, da er die »notwendige Ergänzung« (ebd.: 50) zur Mutter darstellt. »Sein Wort ist das ausschlaggebende. Wenn er etwas gesagt oder angeordnet hat, dann gilt’s. Der Vater muss immer groß gesehen und erlebt werden in der Familie.« (Ebd.) Diese väterliche Autorität werde mit der Erziehung der Kinder hergestellt: »Männer, die ihren Frauen die ganze Erziehungsfreude und Erziehungslast überlassen, sind Totengräber ihrer eigenen Autorität. […] Die Kinder sind von morgens früh bis abends spät immer um die Mutter herum. […] Von der einen Person bekommen sie in jeder Lebenslage alles: Ratschläge, Anordnungen, Bitten, Drohungen, Lob und Tadel. Aber auch die beste und weiseste Mutter kann nicht alles, weiß nicht alles und ordnet nicht alles richtig.« (Ebd.: 50)

Insbesondere die Erziehung hin zu Gott müsse der Vater übernehmen, der Vater sei »ein Priester seiner Familie« (ebd.: 76). Dieser Pflicht könne er sich nicht entziehen, dieses besondere Amt sei ihm von Gott aufgetragen worden und könne durch niemanden ersetzt werden. »Aber wohin zielt letztlich all diese Erzie-

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hung zum Vater hin? Sie ermöglicht besser als jede Predigt dem Kind den Zugang und die Liebe zum Vatergott« (ebd.: 46). In dieser Forderung scheint das eigentliche Anliegen der Broschüre zu liegen, sind doch hierin die Bemühungen des Autors um das Wiederbeleben der christlichen Traditionen nicht zu übersehen, welche »sogar in sogenannten gut katholischen Familien weitgehend vergessen wurden« (ebd.: 76). »Denn die Autorität der Eltern ist genau so gesichert, wie die Eltern es verstanden haben, dem Kind die Ehrfurcht und Liebe zum Vatergott einzupflanzen.« (Ebd.: 46) Lukaschek fordert mehr väterliches Engagement im Kreis der Familie. Das vom Ratgeber herausgearbeitete Vaterbild schließt jedoch pflegerische und Haushaltstätigkeiten ganz selbstverständlich aus. Der Vater soll über das Mitsingen und Mitspielen hinaus vor allem auf die »religiöse Vertiefung der Familie« (ebd.) konzentriert sein. Die Liebe zu Gott, so lautet die These, steht im Zentrum der väterlichen Bemühungen, nicht die Liebe der Kinder zu ihrem Vater oder die Liebe des Vaters zu seinen Kindern. Zwar kritisiert der Autor, dass »viele Kinder von seiten des Vaters an Zärtlichkeiten zu kurz kommen« (ebd.: 60), doch stellt er der »Mutterliebe« (ebd.: 50) keine Vaterliebe gegenüber. Es scheint unüblich gewesen zu sein, diese Vaterliebe zu thematisieren, dennoch schwingt sie implizit mit: »Denn ohne Liebe gerät nichts auf dieser Welt.« (Ebd.: 35) Hansmartin Lochner und Robert Svoboda: »Ohne Vater geht es nicht« (BRD 1961) Bereits der Titel der 15 Seiten umfassenden Broschüre »Ohne Vater geht es nicht« verdeutlicht die zwingende Beteiligung des Vaters am Familiengeschehen. Dieses Heft erhielten katholische Männer in den Bistümern Münster und Essen 1961 während der Fastenerziehungswoche (vgl. van Rhaden 2005). Es setzt sich aus mehreren Beiträgen zusammen, die jeweils von verschiedenen Autoren verfasst wurden. Ausgangspunkt des Heftes ist die Kritik der Verfasser an den bestehenden familialen Verhältnissen. Ihnen zufolge engagieren sich die Väter zu wenig in der Erziehung ihrer Kinder und verbringen neben der Berufsarbeit ihre Freizeit lieber außerhalb der Familie. »Fast den ganzen Tag ist der Vater seiner Familie entzogen. Darum soll er die wenigen Stunden des Feierabends, des Wochenends, des Urlaubs, im Kreise seiner Familie verbringen.« (Lochner/Svoboda 1961: 5) Mit dieser Aussage fordern die Autoren ein erweitertes väterliches Engagement innerhalb der Familie ein bei gleichzeitiger Akzeptanz der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit des Vaters. Das von den Autoren unterstellte Vaterbild wird im gesamten Ratgeber negativ, die Vater-Kind-Beziehung als kaum vorhanden dargestellt: »Der Vater ist nur noch ›Untermieter‹ in der Familie; frühmorgens geht er, spätabends kommt

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er – und dann ist er nervös und gereizt, müde und abgespannt und will seine Ruhe haben.« (Ebd.: 3) Damit einher gehe, dass die Erziehung der Kinder auf die Mütter abgeschoben werde. Gerade aber in der Erziehung sehen die Autoren die eigentliche Rolle des Vaters, denn diese könne die Mutter nicht ausreichend erfüllen. Versucht sie, »den Kindern ›männlich‹ gegenüberzutreten, unnachgiebig und rigoros zu sein […] geht den Kindern die nötige mütterliche Wärme verloren« (ebd.). Bleiben Mütter so, »wie sie ihrem fraulichen Wesen nach sind: gutmütig, weichherzig und nachgiebig, […] fehlt den Kindern die nötige feste Hand« (ebd.). Die seelische Vernachlässigung versuche der Vater durch materielle Verwöhnung auszugleichen: »Die Söhne und Töchter von heute wissen, daß die Väter ihnen alle Wünsche erfüllen, jedenfalls alle finanziellen. Nur die Zeit ihrer Väter, die dürfen sie nicht beanspruchen.« (Ebd.) Die gemeinsam verbrachte Zeit sei jedoch entscheidend für das Verhältnis der Kinder zu Gott: »[W]issen wir eigentlich, welch entscheidende Bedeutung das Erleben des eigenen Vaters für das Verhältnis unserer Kinder zu Gott hat? Wissen wir, dass viele Menschen zu Gott nur darum kein rechtes Verhältnis finden, weil sie in ihrer Kindheit kein Vatererlebnis gehabt haben?« (Ebd.: 7) Wenn Väter ihre Kinder weiterhin um der eigenen Ruhe willen abwimmelten, würden diese sich später auch von Gott abgewimmelt fühlen. Die Erziehung zur Liebe, vor allem zur Liebe Gottes sei die Aufgabe des Vaters: »Der Vater ist der Priester der Familie. Seine Aufgabe ist es, das Tischgebet zu sprechen, die Kinder zu segnen und als erster in die Geheimnisse des Glaubens einzuführen.« (Ebd.: 7) Das Autorenduo stellt eine Verbindung zwischen der Vater-Kind-Beziehung und der Liebe der Menschen zu Gott her. Da die Kinder durch die häufige Abwesenheit des Vaters nur selten ein positiv besetztes Vaterbild entwickelten, könnten sie auch keine tiefe Religiosität entfalten. Präziser definieren die Autoren diese Liebe nicht. Die Liebe des Vaters zu seinen Kindern schwingt allerdings latent unter der allumfassenden Forderung nach der Erziehungsaufgabe mit, denn nur wenn sie in »der Erziehung ebenso tüchtig […] werden wie in ihrer Berufsarbeit« (ebd.: 3), nur dann könnten ihre Kinder glücklich werden und »[n]ur dann wird es keine ›mißratenen‹ Söhne und Töchter mehr geben« (ebd.). Jochen Anders: »... Vater sein dagegen sehr« (DDR 1957) Die Broschüre »... Vater sein dagegen sehr« ist 1957 im Volkseigenen Verlag Volk und Wissen erschienen. Sie ist Bestandteil der seit 1955 herausgegebenen Schriftenreihe »Elternhaus und Schule«, in der »allgemeinpädagogische Themen, altersgruppenspezifische Fragen und Schulthemen erörtert« (Höffer-Mehlmer 2003: 221f.) werden. Das Heft umfasst 47 Seiten, die neben dem Text eine

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Fülle von Fotos aufweisen. Ausgangspunkt des Ratgebers ist das Interesse des Verfassers an der aktuellen Rolle des Vaters in der Familie und »bei der Erziehung seiner Kinder« (Anders 1957: 1), da sich »[a]m Wesen der Sache […] viel geändert« (ebd.) habe. Thematischer Schwerpunkt ist das Neue an der Vaterschaft. Der Vater beteiligt sich an der Erziehung seiner Kinder: »Was du auch tust, in welcher Weise du auch deiner Frau die übermäßigen Lasten abnimmst und hier praktische Gleichberechtigung übst, du bist im Recht, du vertrittst das Neue, Bessere! Sei stolz darauf!« (Ebd.: 4) In erster Linie ist der Vater Anders zufolge berufstätig, aber auch wenn ihm »wenig Möglichkeit [bleibt], mit [den Kindern] zusammenzukommen« (ebd.: 10), soll er »auch die kleinsten und primitivsten Spielchen mitmachen« (ebd.: 7). Das Kind »soll durch das Dabeisein des Vaters immer das Gefühl haben: Mir kann nichts passieren.« (Ebd.: 12) Der Vater soll seine Kinder achten und anerkennen, sie loben und ermutigen, er »darf [sie] nicht gängeln und bevormunden« (ebd.: 39). Das Kind braucht »so sehr Ordnung, Pflege und Liebe« (ebd.: 2). Für die Befriedigung dieser Bedürfnisse sei aber vor allem die Mutter zuständig, zumindest in den ersten Lebensmonaten des Kindes, denn in dieser Zeit »hat der Vater noch nicht allzu viel mit dem Kind zu schaffen« (ebd.). Sei der Vater in den ersten Lebensjahren vor allem Erzieher und Spielgefährte der Kinder, verändere sich die Vater-Kind-Beziehung ab dem elften Lebensjahr: »Viele Eltern stehen mit Kindern dieses Alters immer auf dem Kriegsfuß.« (Ebd.: 22) Geht der Vater auf die veränderten Bedürfnisse seiner Kinder ein, kann er diesen dem Autor nach ein Freund und Ratgeber sein. So nimmt der Vater für seine Kinder immer eine Sonderstellung ein: »Vater ist der Erwachsene überhaupt. Vater kann alles. […] Das bleibt natürlich nicht so. […] Aber er bleibt doch ›der Vater‹. Er wird immer ein wenig bewundert« (ebd.: 34). Während das kleine Kind seinen Vater »vergöttert« (ebd.), stelle der Vater auch für die größeren Kinder eine Besonderheit dar. In diesem Zusammenhang muss festgehalten werden, dass Anders die Liebe des Vaters zu seinen Kindern nicht thematisiert, außer wenn er feststellt, dass Kinder der elterlichen Liebe bedürfen. Vielmehr wird von einer nahezu bedingungslosen Liebe der Kinder gegenüber dem Vater ausgegangen. »Kinder sind meist nachsichtig mit ihrem Vater. Wenn er etwas tut, was sich nicht gehört, entschuldigen sie es oder tun so, als ob sie nichts gesehen hätten.« (Ebd.) Weiterhin sei es die väterliche »Pflicht, [die] Kinder aufs Leben vorzubereiten, so weit zu führen, daß sie allein den richtigen Weg gehen werden« (ebd.: 46). Der »richtige[.] Weg […] heißt: Sozialismus.« (Ebd.) Ziel des Sozialismus ist die Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens, denn nur der Sozialismus er-

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möglicht, so die Weltanschauung, die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, Wirtschaftskrisen, Armut, Arbeitslosigkeit und imperialistischer Kriegsdrohung (vgl. Caspar 2009). 3.2 Väterratgeber in den 2000er Jahren In Ergänzung zum Sampling des Gesamtprojektes wurde gezielt nach aktuellen Erziehungsratgebern für Väter recherchiert. Dazu wurde in einem ersten Schritt die Bestsellerliste für Väterratgeber auf amazon.de gesichtet, die 188 Ratgeber für Väter umfasste, was auf den beschriebenen Boom verweist.3 Für den weiteren Verlauf der Forschung mussten aus dem Datenkorpus relevante Schlüsseltexte festgelegt werden. Die Auswahl der zu analysierenden Ratgeber wurde im Sinne des Theoretical Samplings vorgenommen. Um den Teildiskurs der Vaterliebe und der Vater-Kind-Beziehung möglichst detailliert darzustellen, erfolgte die Auswahl nach dem Prinzip der minimalen Kontrastierung der Grounded Theory (vgl. Keller 2007a). Folglich wurden die Ratgeber in die Analyse aufgenommen, welche die höchsten Verkaufsränge bei amazon.de hatten und Vaterschaft mit Kindern ab ca. drei Jahren thematisieren. Die konkrete Analyse sollte mit einem »bedeutsam erscheinenden Dokument« (ebd.: 88) beginnen. Hierzu wurde der Ratgeber »Mann & Vater sein« von Jesper Juul (2011), der mit Abstand den meistverkauften Ratgeber darstellt, ausgewählt. Im Anschluss daran wurden die Ratgeber »Mit Lust und Liebe Vater sein« von Ansgar Röhrbein (2010) und »Das Papa-Handbuch für Kinder ab 3« von Peter Ballnik (2010) analysiert. Jesper Juul: »Mann & Vater sein« (2011) 2011 erschien der Ratgeber »Mann & Vater sein« von Jesper Juul im evangelischen Kreuz Verlag und eroberte schnell den ersten Verkaufsrang in der Rubrik ›Väterratgeber‹ auf amazon.de. Der Däne Jesper Juul ist in Deutschland ein sehr gefragter Erziehungsexperte, der eine Vielzahl von Erziehungsratgebern veröffentlicht hat, von denen ein Großteil Bestsellerstatus erreichte. Dem Titel entsprechend fokussiert der analysierte Ratgeber die Rolle des Vaters und des Mannes in Familie und Partnerschaft. In dem 22 Kapitel umfassenden Ratgeber stellt Juul Ursachen und Lösungsvorschläge für die Verunsiche-

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Die Bestseller der Erziehungsratgeber für Väter sind unter folgendem Pfad auf der Internetseite zu finden: Bestseller – Ratgeber – Eltern & Kind – Vaterschaft. URL: http://www.amazon.de/gp/bestsellers/books/189527/ vom 4.01.2012.

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rung heutiger Väter und Männer vor. Dabei betont er gesellschaftliche Transformationsprozesse und nimmt besonders den Wandel der Geschlechterverhältnisse in den Blick. Juul geht davon aus, dass in der Gesellschaft ›das Weibliche‹ höher bewertet wird als ›das Männliche‹. Er projiziert dieses wahrgenommene Missverhältnis auf den privaten Bereich und rahmt so die Verunsicherung heutiger Väter und Männer in einen Kampf der Geschlechter, wobei der Mann und Vater Juul zufolge sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft einem Machtverlust unterliegt. Die Lösung des Problems liege in der Stärkung der Macht des Mannes und Vaters in der Familie. Zunächst plädiert der Autor in dem Kapitel »Macht und Verantwortung« (Juul 2011: 35ff.) für eine hundertprozentige Verantwortungsübernahme beider Eltern für das Kind. Stellt der Vater eine intime Beziehung zum Kind her, so werde das Kind ihn als hundertprozentige Autorität wahrnehmen, was zugleich seine »Position als Mann« (ebd.: 45) und »als Vater« (ebd.: 51) in der Familie stärke. Somit könne der Mann und Vater über das Kind seine Macht gegenüber der Frau stärken. Indem auch der Vater »ein Radarsystem« (ebd.: 39) für die Belange des Kindes entwickeln könne, welches bisher ausschließlich Frauen zugänglich gewesen sei, werde die neue aktive Vaterrolle begründet. Entsprechend wird ein Bild der Vater-Kind-Beziehung aufgezeigt, welches neben einer wechselseitigen Beziehung zwischen Vater und Kind auch eine autoritäre Rolle des Vaters umfasst. »Vater sein bedeutet nicht nur eine Intimität zwischen dir und deinen Kindern zu erzeugen oder mit ihnen ab und zu etwas Zeit zu verbringen, es ist auch eine Frage der Führung.« (Ebd.: 33) Die wechselseitige Vater-Kind-Beziehung zeichne sich zum einen durch einen Dialog (vgl. ebd.: 60) und zum anderen durch ein »gegenseitiges Verständnis und einer unverwechselbaren Intimität« (ebd.: 46) zwischen Vater und Kind aus. Unter Zuhilfenahme der Bindungstheorie wird die Wichtigkeit der VaterKind-Beziehung hervorgehoben. Darüber hinaus könne der Vater durch den direkten Bezug zum Kind die für ihn neuen und unbekannten väterlichen Fähigkeiten entwickeln: »Die treibende Kraft in der Einübung der Vaterschaft sind die Kinder selbst. Ihre bedingungslose Liebe und ihr uneingeschränktes Vertrauen macht es den Vätern im direkten Zusammenspiel mit ihren Kindern möglich, väterliche Fähigkeiten zu entwickeln.« (Ebd.: 13) In diesem Zusammenhang taucht Liebe zum ersten Mal auf. Allerdings nicht explizit in Form von Vaterliebe, sondern in Form von Kinderliebe, was durch das folgende Zitat ergänzt werden kann: »Es hat schon durchaus etwas Erschreckendes, wenn du dich plötzlich der bedingungslosen Liebe eines Kindes gegenübersiehst, dich nun auf das Kind beziehen und dich ihm öffnen sollst« (ebd.: 10f.). Die Reaktion des Vaters auf die

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bedingungslose Kinderliebe wird mit der Begriffswahl ›erschreckend‹ und ͎plötzlich͍ zu einer Erfahrung, die scheinbar unerwartet vonstattengeht. Es kann die Ansicht Juuls herausgelesen werden, dass der Vater mit dieser Begegnung nicht umzugehen weiß und den Umgang mit dieser neuen Situation erst erlernen muss. Es scheint, dass dem Vater die Angst vor dieser neuen, unbekannten Aufgabe genommen werden soll, indem ihm die bedingungslose Liebe seines Kindes garantiert wird: Egal, was er tut und wie er sich gegenüber dem Kind verhält, er kann sich dessen unerschütterlicher Liebe immer sicher sein. Indem der Kinderliebe Bedingungslosigkeit zugewiesen wird, ist es irrelevant, ob die Liebe des Vaters bedingungslos, bedingt oder überhaupt vorhanden ist. Sie wird an dieser Stelle nicht erwähnt. Zwar spricht Juul an anderer Stelle von Vaterliebe, allerdings stelle das Fundament der Vater-Kind-Beziehung die bedingungslose Kinderliebe dar. Die einzige Liebesverpflichtung des Vaters bestehe darin, auf die bedingungslose Liebe zu reagieren. Im Gegensatz dazu wird der Mutterliebe durchaus Bedingungslosigkeit zugewiesen. Demzufolge kann der Unterschied zwischen Mutter- und Vaterliebe wie folgt umschrieben werden: Die Mutter macht etwas für das Kind, weil sie es liebt. Der Vater macht etwas für das Kind, weil das Kind ihn liebt. Darüber hinaus stellt die neue Leitidee der Vater-Kind-Beziehung an den Vater neue Anforderungen. Die Berücksichtigung des eigenen Selbst wird mehrfach in dem Ratgeber erwähnt. Zum einen wird vom Vater verlangt, die eigenen »Emotionen auszudrücken« (ebd.: 69). Hierunter fallen der Umgang mit positiven und negativen Emotionen und die Akzeptanz, dass »gemischte Gefühle« den Mann »nicht gleich zu einem schlechten Vater machen« (ebd.: 27), sondern dass der Umgang mit diesen Gefühlen ausschlaggebend für eine gelungene Vaterschaft sei. Innerhalb der Familie stelle besonders die Fähigkeit, mit Aggressionen umzugehen, einen wichtigen Aspekt männlicher Emotionalität dar. Unmittelbar mit der Emotionalität des Vaters sei seine Authentizität verbunden, die sich dadurch ausdrücke, dass »Gedanken, Gefühle und Werte […] in Übereinstimmung mit dir selbst stehen« (ebd.: 112). Insgesamt wird die neue Rolle des Vaters kontrastiv zur alten Leitidee des abwesenden Vaters konstruiert, indem der neue Vater als ein »besserer Vater […], als dein möglicherweise abwesender Vater es mal war« (ebd.: 17f.), beschrieben wird. Ansgar Röhrbein: »Mit Lust und Liebe Vater sein« (2010) Der Ratgeber »Mit Lust und Liebe Vater sein« von Ansgar Röhrbein erschien 2010 in der ersten Auflage im Carl Auer Verlag. Er umfasst 179 Seiten und ist in

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neun Oberkapitel unterschiedlicher Länge eingeteilt. Der Autor kommt aus der Systemischen Beratung, deren Grundlagen er in den Ratgeber einfließen lässt. In Anlehnung an den Titel des Buches – »Mit Lust und Liebe Vater sein. Gestalte die Rolle deines Lebens« – wird bereits im Vorwort das zentrale Anliegen des Buches vorgestellt: Die eigene Vaterschaft soll eigenaktiv gestaltet werden (vgl. Röhrbein 2010). Entsprechend werden im Ratgeber immer wieder Fragenkataloge aufgestellt, welche der Leser individuell beantworten kann. Hierbei geht es um die bisherige Ausgestaltung der Vaterrolle und um das Aufdecken von Problemen und Veränderungspotenzialen. Dabei nimmt sich der Ratgeberautor soweit zurück, dass der Leser anhand der Fragebögen selbst nach Antworten suchen kann, ohne sie vorgegeben zu bekommen. Um das Finden eigener Lösungen zu unterstützen, greift der Ratgeber auf zahlreiche Wissensbezüge zurück. Beispielsweise werden der Frage, wie man mit Kindern altersgerecht umgehen soll, die kindlichen Entwicklungsstufen gegenübergestellt, so dass der Vater eine Orientierungshilfe im Umgang mit Kindern erhält. Die Leitidee der Vater-Kind-Beziehung beginnt auch in diesem Ratgeber mit dem zentralen Moment der Verantwortungsübernahme des Vaters für das Kind: »Sagen und zeigen Sie Ihren Kindern, dass sie Ihnen wichtig sind und dass Sie sie lieb haben. Übernehmen Sie von Anfang an Verantwortung und beziehen Sie Position.« (Ebd.: 28f.) Bereits an anderer Stelle des Ratgebers wurde betont, dass »in jedem Fall [die] Väter wichtig und verantwortlich für [die] Kinder« (ebd.: 10) sind. Neben der Verantwortung des Vaters wird seine Liebe zum Kind angesprochen. Allerdings kann mit Blick auf andere Schlüsselstellen im Ratgeber konstatiert werden, dass nicht explizit von Vaterliebe, sondern von Elternliebe geschrieben wird. Die elterliche Liebe wird als »vorbehaltlos« (ebd.: 42) definiert und zeichnet sich dadurch aus, dass der Mensch »um seiner selbst willen« (ebd.: 39) geliebt, geachtet und akzeptiert wird und an ihn keine Bedingungen gestellt werden. Dieser Liebesbegriff bezieht sich dabei stark auf das pädagogische Liebesverständnis von Johann Friedrich Pestalozzi. Entsprechend diesem wird die elterliche Liebe nicht nur zur Grundlage des erzieherischen Handelns der Eltern, sondern auch der gesamten Elter(n)-Kind-Beziehung: »eine Liebe, die nicht auf Besitz und übermäßige Kontrolle aus ist, sondern der Eigenart des Kindes Entwicklungsraum lässt, ohne voreilig einzugreifen. Entwicklungsfördernde Aspekte [...] sind: emotionale Wärme, Anteilnahme, Zuwendung, Trost, Ermöglichung von Körperkontakt, Lächeln, freundliche Zuwendung und eine wohlwollende Atmosphäre.« (Ebd.: 33f.) Unter Bezugnahme auf die vorbehaltlose Liebe der Eltern wird eine Begründung angeboten, die es dem Kind ermöglicht, seine eigenen Entwicklungspotenziale ohne elterliche Vorgaben zu entfalten. Indem der Ratgeber von Elternliebe

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spricht, wird auch keine geschlechterspezifische Zuordnung von Mutter und Vater vorgenommen. Zwar werden beide Elternrollen als komplementär angesehen, allerdings wird dabei nicht die Geschlechterdifferenz, sondern die Individualität jedes Menschen fokussiert. Entsprechend zu diesem Verständnis der Elter(n)Kind-Beziehung beschreibt Röhrbein die Rolle des Vaters wie folgt: »Wir dürfen als Väter Wegbegleiter, Vorbild und Beziehungspartner für unser Kind sein nicht im Sinne einer gleichrangigen Partnerschaft, aber im Dialog gleichwertiger Interaktionspartner und einem respekt- und verantwortungsvollen Zugewandtsein als Erwachsener, in dem Interesse, Achtung und Fürsorge gleichermaßen zusammenfließen.« (Ebd.: 31)

Der Vater als »Wegbegleiter« kann in Ergänzung zu einer Metapher gelesen werden, die an anderer Stelle des Ratgebers zu finden ist. Kinder werden dort als »Gäste, die nach dem Weg fragen«, beschrieben, die »schneller weiterziehen« (ebd.: 29), als es den Erwachsenen lieb ist: Der Vater übernimmt auf dem Lebensweg des Kindes die Rolle des Wegweisers und -begleiters, der seine Kinder dennoch alleine gehen lässt und ihnen so die Möglichkeit gibt, die eigenen Potenziale zu entwickeln. Darüber hinaus verweisen die beiden Rollen des Vaters als »Vorbild« und »Beziehungspartner« auf eine wechselseitige Vater-Kind-Beziehung. Diese wird auch hier nicht als »gleichrangig« bezeichnet, sondern umfasst neben einer wechselseitigen Beziehung auch eine Führungsrolle des Vaters. Insgesamt wird auch in diesem Ratgeber das alte Männer- und Vaterbild hinterfragt. Und auch hier werden Kinder als »Eintrittskarte« gesehen, die Männern und Vätern »eine veränderte Grundhaltung [bietet, d.A.], die sich bewusst unterscheidet von alten, traditionellen Imperativen« (ebd.). Peter Ballnik: »Das Papa-Handbuch für Kinder ab 3« (2010) Der Ratgeber »Das Papa-Handbuch für Kinder ab 3« von Peter Ballnik wurde 2010 veröffentlicht und umfasst 160 Seiten. Auffällig ist die metaphernreiche Erzählweise des Autors. Seine beruflichen Erfahrungen prägen das Buch. Ballnik hat unter Zuhilfenahme seiner Kenntnisse in der Zusammenarbeit mit Vätern eine eigene Theorie der guten Vater-Kind-Beziehung aufgestellt. Diese besteht zum einen aus der »Vaterpyramide« (Ballnik 2010: 16) mit zwölf Eigenschaften guter Väter und zum anderen aus der »RASSEL«-Methode (ebd.: 17), welche die konkrete Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehung im Alltag fokussiert. Die Leitidee der Vater-Kind-Beziehung ist laut Ballnik zunächst durch Kommunikation zwischen Vater und Kind geprägt; sie bildet die zentrale Grundlage der Beziehung und wird mit einem »sprachlichen Band« (ebd.: 47) gleichgesetzt.

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Darüber hinaus zeichne sich die Beziehung durch gemeinsame Abenteuer, Spiele, Sport und Bewegung, »Entspannen und gemeinsam Ruhe finden« (ebd.: 131) sowie »Lernen und Schule« (ebd.: 139) aus. Als grundlegende Voraussetzung einer guten Vater-Kind-Beziehung wird die Entscheidung des Vaters für das Kind konstatiert. Diese Entscheidung markiere den Beginn der Beziehung zwischen beiden. Folglich komme sie ohne diese nicht zustande. Damit wird auf die kulturell-symbolische Ebene verwiesen als Fundament der Vater-Kind-Beziehung im Gegensatz zur natürlich konstruierten Mutter-Kind-Beziehung. Darüber hinaus sei die Entscheidung des Vaters abhängig von Alter und Entwicklung des Kindes. Da nach Ballnik die sprachlichen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes bereits einen gewissen Entwicklungsstand erreicht haben müssen, um die Aspekte der wie oben beschriebenen guten Vater-Kind-Beziehung zu erfüllen, beginne diese erst, wenn »das Kind anfängt zu sprechen und zu laufen« (ebd.: 9). Diese vermeintliche Tatsache impliziert eine eindeutig geschlechtsspezifische Erziehung und Zuständigkeit der Eltern, wie an den Erziehungsvorstellungen des Autors deutlich wird: »Väter erziehen anders als Mütter, und Töchter wollen anders erzogen werden als Söhne. Auch wenn es jeweils viele Gemeinsamkeiten gibt, wollen die feinen Unterschiede ebenfalls berücksichtigt werden.« (Ebd.: 23) Indem Ballnik bereits Töchtern einen anderen Erziehungsanspruch als Söhnen zuschreibt, wird eine natürliche Geschlechterdifferenz bestimmt. Entsprechend kann auch das beschriebene Vaterbild des Ratgebers als eine Differenzkonstruktion von Vater und Mutter beziehungsweise Mann und Frau gelesen werden: »Väter sind mit einer Raketenbasis zu vergleichen: Mit ihrer Hilfe kann ihr Kind sich schon früh immer wieder vom Boden losreißen. Mit Papa als sicherem Hafen kann man Purzelbäume in der Umlaufbahn schlagen.« (Ebd.: 81) Die Außenorientierung des Vaters kommt in dieser Schlüsselstelle stark zum Vorschein. Im Verständnis des Ratgebers sind Männer als Väter »nach außen orientiert« und zeigen dadurch den Kindern »den Weg in die Welt« (ebd.: 11), erziehen »aktiver, direkter und abenteuerlicher« (ebd.: 24) als die Partnerin und praktizieren »körperbetontes Spiel« (ebd.: 105). Dagegen wird die Mutter mit Eigenschaften wie »vorsichtig« (ebd.: 24) und einem »größeren Sicherheitsbedürfnis« (ebd.: 80) versehen. Elternschaft wird dementsprechend komplementär konstruiert. Ein weiterer wichtiger Aspekt der guten Vater-Kind-Beziehung wird anhand der Metapher des »Fahrstuhlprinzips« (ebd.: 65) beschrieben. Hierbei gilt die Beziehung grundsätzlich als gleichwertig und wechselseitig, so dass der Fahrstuhl im Erdgeschoss verharren kann. Wenn der Vater allerdings bemerkt »dass etwas aus dem Ruder zu laufen beginnt«, dann fährt er den »inneren Fahrstuhl«

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(ebd.) nach oben und wird zur Autoritätsperson. Weitere Aspekte der VaterKind-Beziehung sind: Gefühle, »Qualität« und »Regelmäßigkeit« (ebd.: 18f.). Auch die Liebe ist Teil dieser Beziehung. Allerdings ist in dem Ratgeber keine Rede von Vaterliebe, sondern auch von bedingungsloser Kinderliebe: »Die Liebe zu Ihnen als Vater gibt Ihrem Kind Lebenssinn. Machen Sie sich bewusst, dass dieser kleine Mensch Sie toll findet und Sie, zumindest anfangs, ohne irgendwelche Bedingungen liebt. Werden Sie diesem Vorschuss an Vertrauen und Liebe gerecht! Ihr Kind würde sehr darunter leiden, wenn seine Liebe für Sie ins Leere fallen und nicht erwidert werden würde.« (Ebd.: 14)

Hier zeigt sich eine Analogie zu dem Ratgeber von Jesper Juul. Die bedingungslose Kinderliebe wird als Erklärung herangezogen, warum der Vater eine gute Beziehung zum Kind herstellen soll. Mit dem Verweis auf das Leiden des Kindes appelliert Ballnik an den Vater, der bedingungslosen Liebe des Kindes gerecht zu werden und auf dessen Liebe zu reagieren. Auch an anderer Stelle wird das kindliche Bedürfnis nach väterlicher Liebe zum Aufruf an den Vater, seinem Kind »Zuneigung« und »Aufmerksamkeit« (ebd.: 18) zu widmen.

4. ABSCHLIESSENDER V ERGLEICH

UND

F AZIT

Galt der Vater bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ausschließlich als Ernährer der Familie, lassen sich bereits in den Ratgebern der 1950er und 1960er Jahre erste Vorläufer eines neuen Vaterbildes ausfindig machen. So fordern bereits die drei analysierten Ratgeber dieses Zeitraums ein gesteigertes väterliches Engagement, das über die finanzielle Versorgung der Familie hinausgeht. Da Vaterschaft von den Autoren nicht als etwas Natürliches aufgefasst wird, muss die Vater-Kind-Beziehung zunächst aufgebaut und dann erhalten werden; dafür muss sich der Vater verstärkt an der Erziehung der Kinder beteiligen beziehungsweise diese zum Teil übernehmen. Ein erstes Legitimationsmuster für dieses Engagement stellt die unersetzliche väterliche Ergänzung zur mütterlichen Erziehung der Kinder dar. So schreibt beispielsweise Karl Lukaschek: »Aber auch die beste und weiseste Mutter kann nicht alles, weiß nicht alles und ordnet nicht alles richtig.« (Lukaschek 1961: 50) Und Jochen Anders (1957) merkt an, dass Mütter häufig zu viel Angst um ihre Kinder haben und ihnen damit die nötige Sicherheit nehmen. Zusätzlich zu der Erziehungsaufgabe wird die väterliche Position als Spielgefährte und Kamerad für beziehungsförderlich erklärt. Während für Lochner/Svoboda (1961) die Vater-Kind-Beziehung kaum vorhanden ist, setzen die

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zwei weiteren Ratgeber diese mit Synonymen wie »kameradschaftliche Partnerschaft« (Lukaschek 1961: 13) und »väterlicher Freund und Ratgeber« (Anders 1957: 43) gleich. Im Gegensatz zu den Deutungsmustern der aktuellen Ratgeber wird die Beziehung zwischen Vater und Kind in den 1950ern nicht über den gemeinsamen Körperkontakt hergestellt. Zwar kritisiert Lukaschek, dass den Kindern von Seiten des Vaters zu wenig Herzlichkeit und Zärtlichkeit entgegengebracht wird, doch bietet er den Vätern keine Deutungen an, um diesen Missstand zu beheben. Svoboda/Lochner sowie Anders thematisieren den Körperkontakt erst gar nicht. Pflegerische Tätigkeiten, die diesen unterstützen würden, werden dem Aufgabenbereich der Mutter zugeschrieben und sind nicht in das Vaterbild integriert. Diese Geschlechterdivergenz wird von den Autoren als natürlich legitimiert und nicht hinterfragt. Einzig Jochen Anders stellt die Übernahme von »›Weiberarbeit‹« als Selbstverständlichkeit und sogar »gutes Recht als Vater« (Anders 1957: 4) dar, was im Zusammenhang mit der sozialistischen Ideologie der Gleichberechtigung zu verstehen ist. Allerdings verweist der Autor nur auf Tätigkeiten, wie beispielsweise Einkaufen, Haushaltsaufgaben oder eine Spazierfahrt mit dem Kinderwagen, für die »Pflege und Liebe« (ebd.: 2) des Kindes sei die Mutter zuständig. Ein weiteres Legitimationsmuster für eine gute Vater-Kind-Beziehung stellt für die in der BRD veröffentlichten Ratgeber die notwendige väterliche Erziehung der Kinder zur Gottesliebe dar. Ziel der katholischen Laienbewegung ist die Wiederbelebung der christlichen Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Familie wird neu bewertet als »Kirche im kleinen« (Rölli-Alkemper 2000: 78). »In der patriarchalischen Ordnung […] fiel dem Vater eine Schlüsselrolle« (ebd.: 80) als »eigentlicher Lehrer, Priester und Hirt der Familie […] kraft seiner Stellung als Haupt der Familie, als ›zweiter Christus‹« (Peter Schreiber zitiert ebd.) zu. Lochner und Svoboda zufolge muss der Vater die Kinder in die Geheimnisse des Glaubens einführen und sie zur Liebe zu Gott erziehen. Ohne eine gute Beziehung zum Vater, ohne ein positiv besetztes Vaterbild könne das Kind keine Beziehung zu Gott aufbauen. Die Schuld an der mangelnden Religiosität der Menschen wird dem Vater, der sich dieser Aufgabe nicht stellt, zugeschrieben. Der Ratgeber von Jochen Anders, der in der DDR erschienen ist, orientiert sich bei der Legitimierung einer guten Vater-Kind-Beziehung am sozialistischen Weltbild und dem Aufbau des sozialistischen Staates: Indem der Vater seine Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten erziehe, wirke er am sozialistischen Aufbauprojekt mit, wodurch er wiederum an Anerkennung gewinne. Die Autorität des Vaters wird von den Autoren der 1950er und 1960er Jahre als Leitbild konstruiert. Der Vater besitzt in allen drei Ratgebern Vorbildcharak-

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ter. Seine Autorität werde mit der Erziehung hergestellt, sei aber auch der Minderung ausgesetzt, beispielsweise wenn die Kinder den Vater oft in unwürdigen Situationen erlebten oder bei häufiger Abwesenheit des Vaters von der Familie, da die »väterliche Autorität im kindlichen Gemüt nicht verstanden« (Lukaschek 1961: 12) werden kann. Lochner und Svoboda weisen auf die Gefahr der »›mißratenen‹ Söhne und Töchter« (Lochner/Svoboda 1961: 3) hin, wenn die Väter gänzlich auf die Durchsetzung ihrer Autorität verzichten, weil ihnen die Erziehung ihrer Kinder zu kompliziert ist. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass keiner der drei analysierten Ratgeber der 1950er und 1960er Jahre auf die Vaterliebe verweist. Genauer formuliert wird die Liebe selbst kaum thematisiert. Karl Lukaschek benennt die »Mutterliebe« und die »große[.] Liebe [der Frau] zu ihrem Mann« (Lukaschek 1961: 50). Lochner und Svoboda schreiben an einer Stelle von der »Erziehung zur Liebe« (Lochner/Svoboda 1961: 2), an anderer Stelle vom »Geist gegenseitiger Liebe«, womit sie ausdrücken wollen, dass »insbesondere Vater und Mutter zusammenhalten« (ebd.: 5) sollen, und Anders (1957) bemerkt, dass das Kind liebebedürftig ist. Allen Textstellen ist gemein, dass die benannte Liebe nicht die Liebe des Vaters zu seinem Kind beinhaltet. Vielmehr wird dem Vater eine Sonderstellung in der Familie zugeschrieben: »Den Vater aber nehmen wir ganz in die Familie hinein, wie es ihm auch gebührt« (Lochner/Svoboda 1961: 5) oder »[s]ie muss mit dem Kinde oft und mit großer Liebe über den Vater sprechen« (Lukaschek 1961: 46) – diese Zitate belegen, dass vor allem der Vater von seinen Familienmitgliedern geliebt werden soll; das Kind vergöttere seinen Vater. Noch stärker wird, wohlgemerkt nur in den Ratgebern der BRD, die Liebe zum Vatergott bewertet. Der Vater soll seinen Kindern die Liebe zu Gott vermitteln. Vaterliebe im Sinne einer intimen, auf Emotionen begründeten Liebe des Vaters zum Kind hat keinen eigenständigen Wert. Eher wird von der erzieherischen Verantwortung des Vaters, das Kind zur Liebe Gottes zu führen, gesprochen. In den Ratgebern der 2000er Jahre wird eine deutlich stärkere Hinwendung des Vaters zur Familie und besonders zu seinen Kindern gefordert. Die neue Notwendigkeit des Vaters wird dabei von zwei zentralen Legitimationsmustern getragen: Zum einen wird der Vater, unter Rekurs auf die Bindungstheorie, in die Mutter-Kind-Beziehung ›hereingeholt‹. War bisher die körperliche Beziehung zwischen Mutter und Kind ausschlaggebend für die Herstellung einer guten, exklusiven Mutter-Kind-Beziehung, verlagert sich diese Begründung auf die kulturell-symbolische Ebene. Das körperliche Erfahren der Mutter in Form von Schwangerschaft, Geburt und Stillen wird nicht mehr als einzig belangreiches Moment für die Beziehungsherstellung angesehen. Indem Pflegetätigkeiten als dafür relevanter erachtet werden, kann eine aktive Rolle auch vom Vater prob-

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lemlos übernommen werden. Der fehlende körperliche Bezug des Vaters zum Kind wird durch seine bewusste Entscheidung und Verantwortungsübernahme für dieses ersetzt – das erwähnen alle Ratgeber. Ein weiteres Legitimationsmuster für die Notwendigkeit eines neuen aktiven Vaters stellt die Komplementarität von Mutter und Vater dar. Wie in den Ratgebern der 1950er und 1960er Jahre ergeben sich dadurch vater- und mutterspezifische Erziehungsrollen, deren Erfüllung gleichzeitig von den Autoren eingefordert wird. Ballnik stützt die Wichtigkeit des Vaters für das Kind mit der männlichen Außenorientierung, die ergänzend zur inneren Orientierung der Mutter gesetzt wird, eine Konstruktion, die stark an die Geschlechterpolarität nach Karin Hausen (1976) erinnert. Bei Juul und Röhrbein liegt die Komplementarität dagegen in den vorhandenen natürlichen beziehungsweise kulturgeschichtlich entwickelten Geschlechterunterschieden begründet, ohne diese näher auszuführen. Besonders der Ratgeber von Juul weist dabei eine starke Differenzkonstruktion von Mannȹ/ȹVater und Frauȹ/ȹMutter auf. Dieses Legitimationsmuster verweist auf zwei Leerstellen in den modernen Ratgebern: Alleinerziehende und gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden durch diese geschlechtsspezifische Komplementarität der Elternrollen ausgeklammert. Das Leitbild der Vater-Kind-Beziehung wird von allen analysierten aktuellen Ratgebern relativ einheitlich konstruiert. Es zeichnet sich durch die beiden Aspekte Wechselseitigkeit und Autorität aus. Im Vergleich zu den Ratgebern der 1950er und 1960er Jahre gewinnt die Wechselseitigkeit der Vater-Kind-Beziehung deutlich an Gewicht. Heute soll der Vater nur noch in Ausnahmesituationen eine autoritäre Rolle einnehmen, was die Autoren mit unterschiedlicher Stärke betonen: Juul fordert von dem Vater eine Führungsrolle, Röhrbein väterliche »Stärke« (Röhrbein 2010: 28) und Ballnik lässt den Vater aus der »Chefetage« agieren und den »inneren Fahrstuhl« (Ballnick 2010: 65) des Vaters nach oben fahren. Auffällig ist dabei, dass Autorität, zwar in abgeschwächter Form, aber nach wie vor als ein wichtiger Teil der väterlichen Rolle gilt und von allen analysierten Ratgebern erwähnt wird. Darüber hinaus zeichnet sich die Beziehung zwischen Vater und Kind durch neue Merkmale wie Sensibilität, Gefühle, »Zuneigung und Vertrauen« (Ballnik 2010: 18f.), »gegenseitiges Verständnis«, »unverwechselbare Intimität« (Juul 2011: 46) und Fürsorge aus. Im Vergleich zu den früheren Ratgebern ist die Darstellung der Vater-Kind-Beziehung viel stärker emotionalisiert, auch wenn kein Autor explizit von Vaterliebe spricht. Möglicherweise liegt ein Grund für diese Nichtnennung darin begründet, dass Emotionalität und Männlichkeit nach wie vor zu Spannungen führen, wie weiter oben die Studien von Behnke und Meuser (2013) sowie Scholz (2009) bereits aufzeigten.

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Insgesamt verweist keiner der analysierten Ratgeber ausdrücklich auf Vaterliebe. Dagegen werden andere, recht unterschiedliche Liebesideale thematisiert. Die beiden Ratgeber von Juul und Ballnik sprechen von bedingungsloser Kinderliebe und umgehen dadurch, Vaterliebe explizit zu benennen. Das Ideal der bedingungslosen Kinderliebe fungiert dabei als Garant für eine dauerhafte Beziehung zwischen Vater und Kind, auch nach einer möglichen Beendigung der elterlichen Paarbeziehung. Das Liebesideal taucht zudem als solches neu auf. War seit der Romantik nur die Mutter diejenige, die das Kind bedingungslos liebt (vgl. Badinter 1991), wird nun dem Kind bedingungslose Liebe zugeschrieben. Wie Lenz und Scholz in diesem Band anhand weiterer ausgewählter Ratgeber zeigen, lässt sich das neue Deutungsmuster auch in anderen Erziehungsratgebern, die sich nicht ausschließlich an Väter wenden, aufdecken. Darüber hinaus ist Juul der einzige Autor, der Mutterliebe namentlich benennt und ihr Bedingungslosigkeit zuweist. Er ist auch derjenige, der eine starke Differenzkonstruktion zwischen Mann und Frau aufrechterhält. Dagegen bezieht sich Röhrbein auf eine bedingungslose Elternliebe und trifft keine geschlechtsspezifische Unterscheidung zwischen Vater- und Mutterliebe. Daraus kann geschlossen werden, dass die Mutterliebe in diesem Ratgeber zu einem geschlechtsneutralen Liebesideal transformiert wurde. Auffällig ist, dass, obwohl zwei Autoren konfessionell gebunden sind (Juul evangelisch und Röhrbein katholisch), die religiöse Erziehung zur Liebe Gottes wie noch in den Ratgebern der 1950er und 1960er Jahre keine Rolle spielt, und somit der Vater nicht mehr als Vermittler der Gottesliebe auftritt. Zusammenfassend ist festzustellen: Alle analysierten Ratgeber tun sich sichtlich schwer, explizit von Vaterliebe zu sprechen. Im Vergleich der beiden Untersuchungszeiträume ist jedoch eine zunehmende Emotionalisierung der VaterKind-Beziehung zu erkennen, die sich möglicherweise weiter intensiviert. Folglich bleibt es abzuwarten, ob und wann das Deutungsmuster Vaterliebe, als solches benannt, in den Ratgebern auftauchen wird.

Das idealisierte Kind Elter(n)-Kind-Beziehungen in populären Erziehungsratgebern1 K ARL L ENZ UND S YLKA S CHOLZ »Manchmal gab es diesen Morgen, an denen Anna einer Fee gleich in den Tag hüpfte, versonnen vor sich hin spielte, sich ohne Proteste anzog und dann in ihr Leben hinausschwebte.« (Largo/Cernin 2011: 48)

Die 1950er Jahre gelten als das ›goldene Zeitalter‹ der Ehe und der Familie, denn das bürgerliche Familienmodell setzte sich erstmalig in seiner knapp zweihundertjährigen Geschichte als Leitidee in allen sozialen Milieus durch. Grundelemente dieses Modells bilden die klare Grenzziehung zur Außenwelt und die Festlegung der Gemeinschaft auf Vater, Mutter und (leibliche) Kinder als die ›eigentliche‹ Familie, die Trennung von Produktion und Reproduktion und die Verweisung dieser Lebensbereiche in die alleinige Zuständigkeit eines Geschlechts, die strukturelle Koppelung von Ehe und Familie sowie die starke Emotionalisierung der Elter(n)-Kind-Beziehung (vgl. Schwab 1975; Sieder 1985). Dieses ›goldene Zeitalter‹ von Ehe und Familie war in Westdeutschland – Ostdeutschland ging einen anderen Weg – mit einem Wiedererstarken religiöser Legitimationsmuster verbunden. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und den politischen, ökonomischen und sozialen Verwerfungen der Nachkriegs-

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Bei diesem Artikel handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Fassung eines Aufsatzes mit dem gleichnamigen Titel erschienen in: Vorländer, Hans (Hg.) (2013): Transzendenz und die Konstitution von Ordnung, Berlin/Boston: de Gruyter, S. 245264.

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zeit wurde die Familie wieder in eine christliche Schöpferordnung, sei sie protestantischer oder katholischer Provenienz, eingebunden. So heißt es in dem zeitgenössischen populären Eheratgeber »Die gute Ehe«: »Die Ehe ist weit mehr als die Erfüllung gegenseitiger Liebe dieser beiden Menschen. Sie ist ein Amt, das Gott den Menschen gegeben hat, das sie würdig verwalten sollen […]«. (Oheim/Möring/Zimmermann 1959: 106) Kinder gelten als »hohes Glück, Freude und Segen« (ebd.: 260) des Ehepaares. Die Elter(n)-KindBeziehung ist in den 1950er Jahren vor allem eine Mutter-Kind-Beziehung, die ihre besondere Gestalt und Stabilität durch die Mutterliebe gewinnt. Diese Mutterliebe gilt ähnlich wie die Ehe als eine Gabe Gottes, sie ist ein »Meisterwerk der Schöpfung« (Graupner 1955: 21) heißt es in dem Erziehungsratgeber »Das Elternbuch. Ein Schlüssel zur Kinderwelt«. Zugleich wird die Mutterliebe als ein Produkt der Natur aufgefasst, denn »schon vom Mutterleibe an« (ebd.: 105) sei das kleine Mädchen biologisch entsprechend ausgestattet, wenn man es »in Bubenhosen stecken würde, so bleibt es in seinem Verhalten doch ein Mädchen und wird lieber auf die Dauer seine kleinen Muttergefühle an seine Puppen verschwenden, als Indianer spielen« (ebd.). Diese Naturalisierung der Geschlechterrollen ist ein wiederkehrendes Element in den Ratgebern der 1950er Jahre (vgl. Scholz 2013). Die Mutter-Kind-Dyade wird darin als eine nicht weiter begründbare Gegebenheit und Selbstverständlichkeit konstruiert; sie ist damit – in unseren Worten – unverfügbar gestellt. Diese Unverfügbarkeitskonstruktion kann sich, wie diese Zitate verdeutlichen, auf die christliche Schöpfungsordnung ebenso stützen wie auf eine anthropologisch fundierte Naturkonzeption, die – wie von Thomas Laqueur (1992) und Claudia Honegger (1991) ausführlich beschrieben – im Zuge der Aufklärung und der anschließenden Verwissenschaftlichung entstand. Der ›christliche Schöpfergott‹ und ›die Natur‹, in aller Vielschichtigkeit der dahinter steckenden Konzepte (vgl. Pittius/Scholz 2013), sind in den 1950er Jahren die zentralen Legitimationsmuster, welche die Elter(n)Kind-Beziehung auf Dauer stellen. Doch bevor wir darstellen, wie die Elter(n)-Kind-Beziehung in ausgewählten aktuellen Bestsellern konstruiert wird, soll im ersten Schritt kurz skizziert werden, wie sich Familie und Erziehung in der Gegenwart verändert haben. Im Mittelpunkt des Beitrages stehen drei ausgewählte Ratgeber, die sich hinsichtlich des Zielpublikums deutlich unterscheiden (›normale‹ Kernfamilie, Trennungsfamilien, Väter). Analysiert wird, wie die Elter(n)-Kind-Beziehung aus Sicht der Eltern von den Autor/innen entworfen wird und wie sie aus Sicht der Kinder konstruiert wird. Abgeschlossen wird der Beitrag durch eine zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse, welche nach den Ursachen des aufgefundenen Wandels hin zu einer Idealisierung des Kindes fragt.

D AS IDEALISIERTE K IND ȹ|ȹ 259

1. D ER W ANDEL VON F AMILIE

UND

E RZIEHUNG

Seit den 1950er Jahren sind Familien in vielfältiger Hinsicht einem Wandel unterworfen. Die Familiengröße hat abgenommen. In den meisten Familien leben ein oder zwei Kinder. In Ostdeutschland wird die große Mehrzahl der Kinder nicht ehelich geboren. Immer häufiger kommt es vor – im Osten öfter als im Westen –, dass Kinder nicht von Geburt an bis zum Zeitpunkt ihres Erwachsenwerdens im Haushalt ihrer beiden leiblichen Eltern leben. Überwiegend wird dies durch die wachsende Instabilität von Paarbeziehungen hervorgerufen. Daraus resultiert eine Pluralisierung familialer Lebensformen. Neben ehelichen und nichtehelichen Familien existieren eine Reihe weiterer Familienformen: EinElter-Familien, deren Ausmaß aufgrund der Haushaltsfixierungen der Familienstatistik und Familienforschung bei weitem überschätzt wird; binukleare Familien, die in ihren Wohn- und Besuchsregelungen der Kinder im anderen Haushalt eine große Vielfalt aufweisen, eheliche und nichteheliche Stieffamilien sowie sogenannte Patchwork-Familien, bei denen ein Paar mit eigenen und fremden Kindern zusammenlebt (vgl. Peukert 2008). Der Pluralisierung familialer Lebensformen wird inzwischen in der Familienforschung auch durch eine Ausweitung des Familienbegriffs Rechnung getragen. An die Stelle eines auf Ehe, Haushalt und biologische Abstammung basierenden Familienbegriffs ist mittlerweile ein Grundverständnis von Familie getreten, das das Vorhandensein einer Generationendifferenz und die Übernahme von einer oder zwei Elter(n)rollen2 und von Kind(er)rollen als konstitutiv auffasst (vgl. Lenz/Adler 2011). Stark verändert hat sich der Umgang der Eltern mit ihren Kindern. An die Stelle der in den 1950er Jahren dominanten Erwachsenenzentrierung in den familialen Interaktionen ist eine Kindzentrierung getreten. Damit eng verknüpft ist ein Wandel der Erziehungsleitbilder: Die Selbstverwirklichung des Kindes hat Anpassung und Gehorsam als Erziehungsideale abgelöst (vgl. Reuband 1999). Parallel dazu hat sich auch das Erziehungsverhalten verändert; körperliche Strafen haben gegenüber kommunikativen Praktiken deutlich an Bedeutung verloren. Gleichsam gebündelt werden diese Befunde in der These des Übergangs vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt dargestellt, die in länderübergreifenden

2

Unsere Sprache kennt nur die Pluralform ›Eltern‹ ohne einen dazugehörigen Singular. Eine über den bürgerlichen Familienbegriff transportierte Vorstellung der Eltern als Einheit von zwei Personen scheint zu dieser Verengung geführt beziehungsweise diese begünstigt zu haben. Die ältere Sprache kannte noch die Singularform Elter. Der Wandel familialer Lebensformen macht es aber notwendig, die Singularform Elter in die Familienforschung wieder einzuführen (vgl. Clason 1989; Vaskovics 2009).

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Vergleichsstudien empirisch überprüft und differenziert wurden (vgl. du BoisReymond etȱ al. 1994). Beim Befehlshaushalt wird die Generationenbeziehung durch verbindlich vorgegebene Regeln geprägt, erwartet wird Unterordnung und Gehorsam, Verfehlungen werden mit Bestrafungen einschließlich physischer Gewalt geahndet und die Eltern sind Respektpersonen. Im Verhandlungshaushalt ist die Machtbalance inzwischen zugunsten der Kinder verschoben. Sichtbar wird eine starke Informalisierung im Miteinander der Generationen; die starren Hierarchien zwischen Jung und Alt sind abgebaut, Möglichkeiten für Aushandlungsprozesse werden geschaffen und die Umgangsformen sind entkrampft. Damit wird Raum für eine alltagspraktische Verselbstständigung des Kindes und eine zunehmende Entflechtung von Familienzeit und Eigenzeit des Kindes hergestellt. Aus den Eltern als Respektpersonen werden – im positiven Falle – Vertrauenspersonen (vgl. Ecarius 2007). Verschiebungen zugunsten der Kinder zeigen sich inzwischen auch im Recht. Das ›Kindeswohl‹ ist in der Rechtssetzung mittlerweile zu einer zentralen Begründungskategorie aufgestiegen (vgl. Stein-Hilbers 1994; Bauer/Wiezorek 2007) und tritt dabei durchaus in Konkurrenz zum Elternrecht. Das ›Wohl des Kindes‹ gilt als Richtschnur für Eingriffe in die elterliche Sorge und für Familiengerichtsentscheidungen. Ebenso für die Einführung des gemeinsamen Sorgerechts im Falle einer Scheidung war das Kindeswohl ausschlaggebend (vgl. Kaiser 2003), wodurch das Recht des Kindes auf Vater und Mutter gesichert werden sollte. Wie aber wird die Stabilität der Elter(n)-Kind-Beziehung in Zeiten pluralisierter Lebensformen kulturell abgesichert? Diese Frage stellt sich umso mehr, als dass die Familienordnung als Fundament der gesellschaftlichen Ordnung gilt, wie aktuelle Debatten um den ›Verfall der Familie‹ belegen. Während der Wandel der Familien seit der frühen Nachkriegszeit demografisch und auch sozialstrukturell ausführlich beschrieben ist (vgl. Huinink/Konietzka 2007), hat die kulturelle Fundierung der Lebensformen in der Familienforschung kaum Aufmerksamkeit erfahren. Dieser Aufsatz möchte dazu beitragen, dieses Forschungsdesiderat abzubauen. Welche Legitimationsmuster finden sich in den aktuellen Diskursen über die Familie? Bestehen die Legitimantionsmuster der 1950er Jahre trotz aller Wandlungstendenzen fort? Gibt es neue Unverfügbarkeitskonstruktionen? Diesen Fragen möchten wir anhand einer Analyse von populären Erziehungsratgebern nachgehen, die ab der Jahrtausendwende erschienen sind.

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2. L EGITIMATIONSMUSTER

IN

E RZIEHUNGSRATGEBERN

Im Rahmen unseres Teilprojekts wurde ein Korpus von knapp 250 Erziehungsratgebern von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart aus Ost- und Westdeutschland erfasst (vgl. Scholz/Lenz i.d.B.). Aus diesem Sample wurden mithilfe von Auflagenzahlen und verschiedenen Verkaufslisten Long- und Bestseller ausgewählt; der Publikumserfolg gilt als das entscheidende Auswahlkriterium. Aus der Fülle der vorliegenden Ratgeberanalysen sollen in diesem Beitrag vor allem drei aktuelle Ratgeber herausgegriffen werden, die für die Fragestellung jeweils spezifische Elter(n)-Kind-Konstellationen repräsentieren: (1) Der Ratgeber des Erziehungswissenschaftlers und Familienberaters Jan-Uwe Rogge »Der große Erziehungsberater« wendet sich vorrangig an die ›normale‹, vollständige Familie. Das Buch erscheint seit 2003 in fortlaufenden Auflagen. (2) Der Ratgeber des Schweizer Professors für Kinderheilkunde Remo H. Largo und der Journalistin Monika Czernin »Glückliche Scheidungskinder. Trennung und wie Kinder damit fertig werden« wendet sich an getrennt lebende Eltern und erscheint seit 2004. Largo ist vor allem durch seinen Longseller »Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren« bekannt, der seit 1993 immer wieder aufgelegt wird. (3) Neben dieser Pluralisierung der Ratgeber im Hinblick auf verschiedene Lebensformen ist eine weitere Differenzierung zu konstatieren: Seit den 2000er Jahren erscheinen vermehrt Ratgeber, die sich an den Vater wenden, man kann von einem regelrechten Boom sprechen. Ausgewählt wurde von dem etablierten dänischen Ratgeberautor Jesper Juul das aktuelle Buch »Mann & Vater sein«, es erscheint seit 2011. Diese Ratgeber wurden entsprechend der vorgestellten Methode wissenssoziologisch-diskursanalytisch untersucht (vgl. Scholz/ Lenz i.d.B.). Um ein zentrales Ergebnis gleich vorwegzunehmen, die aktuellen Ratgeber kommen ohne Rückgriffe auf die Religion als Stützkonstruktion aus. Nur noch als eine sinnentleerte Semantik tauchen religiös konnotierte Begriffe auf, wenn etwa Kinder als »Himmelsgeschenke« (Largo/Cernin 2011: 31) bezeichnet werden. Heißt dieser Verzicht auf religiöse Legitimationsmuster zugleich auch, dass Transzendenzkonstruktionen aus den Ratgebern verschwunden sind? Wir werden uns dieser Frage nähern, indem wir ausgehend von den Problemdefinitionen der Ratgeber die dargestellte Elter(n)-Kind Beziehung aus der Perspektive der Erwachsenen und anschließend aus der der Kinder rekonstruieren. Dabei gilt unsere Aufmerksamkeit vor allem den der Diskursoffenheit und vielfach konstatierten Kontingenz entzogenen Setzungen, also dem, was im Kontext der Ratgeber als nicht hinterfragbare Gewissheit und verbürgte Verbindlichkeit aufgefasst wird.

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2.1 Problemdefinitionen, Lösungsangebote und Wissensbasis der untersuchten Ratgeber Die aktuellen Erziehungsratgeber zeichnen sich durch eine hohe Pluralität aus; für die ›richtige‹ Erziehung wird von den Autor/innen eine große Spannweite von Vorschlägen offeriert. Diese Pluralität bezieht sich jedoch nur auf die Lösungsvorschläge, nicht aber auf die zugrundeliegende Problemanalyse. Hier konvergieren die Erziehungsratgeber überraschend stark: Weitgehend übereinstimmend konstatieren sie eine hohe Verunsicherung der Eltern. Dies trifft für die drei hier im Zentrum der Analyse stehenden Ratgeber zu und verbindet diese mit der Mehrzahl aktueller Ratgeber (vgl. auch Schmid 2010). Die hohe Verunsicherung der Eltern kann dabei erstens als ein Grundphänomen der Gegenwart aufgefasst werden, bedingt durch einen Verlust an Verbindlichkeit oderȹ/ȹund Anstieg der Anforderungen im Umgang mit Kindern. Es können zweitens auch besondere Herausforderungen sein, wie zum Beispiel die Trennung eines Paares oder eine Behinderung eines Kindes, wodurch die Verunsicherung erzeugt wird. Eine dritte Gruppe von Verunsicherungen erwächst aus dem Wandel der Geschlechterordnung und dem Brüchigwerden einer traditionellen Arbeitsteilung, bei der die Erziehung als primäre Zuständigkeit der Mutter aufgefasst wurde. Die drei Ratgeber sind jeweils exemplarisch für eine dieser drei Quellen von Verunsicherungen. In »Der große Erziehungsberater« führt Jan-Uwe Rogge die überwältigende Anzahl von Ratgebern als Beleg für die Verunsicherung der Eltern an: »Wer sich einmal den Berg an Ratgebern ansieht, die jedes Jahr erscheinen und die mit ihren Titeln den Vätern und Müttern alltägliches Glück und vollkommene Erziehung versprechen, der hat eine Ahnung davon, wie schwer man sich in der Erziehung tut.« (Rogge 2009: 9) Auch wenn äußere Zwänge nicht geleugnet werden, schaffen die Eltern diese Verunsicherung und die Erziehungsprobleme selbst durch das permanente Streben nach Perfektionismus. »Der Perfektionismus lässt die Illusion entstehen, jedes Erziehungsproblem sei sofort lösbar, wenn man nur genügend wisse. Die Eltern setzen sich selbst unter Erfolgszwang – und damit ihre Kinder. Jeder, jede und jedes haben reibungslos zu funktionieren.« (Ebd.: 233) Entgegen der gängigen Praxis und dem, was Ratgeber vermitteln – um sich davon abzusetzen, nennt der Autor sein Buch »Erziehungsberater« – plädiert Rogge für eine »Leichtigkeit in der Erziehung« und den »Mut zur Unvollkommenheit« (ebd.: 9). Für Remo H. Largo und Monika Czernin ergibt sich die Verunsicherung der Eltern aus der Trennungsanfälligkeit der Paarbeziehung. Überhaupt nicht thematisiert wird in diesem Ratgeber die Frage, ob man eine Trennung dem Kind

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überhaupt zumuten kann oder ob es nicht besser sei, trotz massiver Beziehungsprobleme in der Paarbeziehung ›wegen des Kindes (der Kinder)‹ zusammenzubleiben. Dass Paarbeziehungen zerbrechen (können), wird als ein unabwendbares Ereignis vorausgesetzt, mit dem auch die Autor/innen selbst bereits konfrontiert waren. Trotz dieser starken Normalisierung einer Trennung stellt sich für die Eltern dennoch die Frage, »wie Kinder damit fertig werden« – so der Untertitel des Buches. Mit ihrem Ratgeber wollen Largo und Czernin die betroffenen Eltern davon überzeugen, dass nicht nur eine Schadensbegrenzung möglich sei, sondern das Wohlergehen der Kinder durch eine Trennung überhaupt nicht beeinträchtigt werden müsse. Sie wollen »einen befreienden, gleichzeitig aber verantwortungsbewussten Weg beschreiben, wie mit den Auswirkungen von Trennung und Scheidung besser umgegangen werden kann« (Largo/Czernin 2011: 11). Wenn die Eltern sich bei und nach einer Trennung ›richtig‹ dem Kind gegenüber verhielten, dann stehe dem Glück der Kinder weiterhin nichts im Wege. Nicht die Lebensformen seien relevant für das Glück der Kinder, sondern ausschließlich die »Qualität« (ebd. 13) der Beziehung. Notwendig sei dafür, dass weiterhin die Grundbedürfnisse der Kinder erfüllt und sie vor negativen Gefühlen geschützt würden. Damit werden zwar hohe Anforderungen an sich trennende Eltern gestellt, zugleich aber werden sie von (drohenden) Schuldgefühlen entlastet, dass sie auf Kosten ihrer Kinder ihren eigenen Gefühlen und Wünschen folgen. Für Jesper Juul, dem aus Dänemark stammenden Bestsellerautor, ist es die Verunsicherung aufseiten der Väter, die sich anders als ihre eigenen Väter nicht mehr auf die bloße Ernährerrolle zurückziehen, sondern an der Erziehung ihres Kindes aktiv beteiligen wollen. Ihre große Verunsicherung ergebe sich dadurch, dass sie sich dabei nicht auf das Vorbild ihrer Väter stützen könnten, da diese an der »emotionalen Infrastruktur der Familie kaum beteiligt« (Juul 2011: 7) gewesen seien. Sie könnten die Erziehung ihres Kindes aber auch nicht von ihren Partnerinnen lernen, da Männer und Frauen »völlig verschieden sind: Männer und Frauen denken unterschiedlich, sprechen verschiedene Sprachen und haben unterschiedliche Werte« (ebd.: 16). Kinder bräuchten Väter und Mütter, die sich aufgrund ihrer Wesensunterschiede und daran geknüpften Fähigkeiten und Kompetenzen gegenseitig nicht ersetzen könnten. Gezeigt werden soll in diesem Ratgeber, wie Männer ohne väterliche Vorbilder und ohne dass sie Frauen »kopieren« (ebd.: 39), einen eigenen Part als Vater im Umgang mit ihren Kindern übernehmen können. Dieser Erziehungsratgeber entpuppt sich zugleich als Beziehungsratgeber, nicht nur wird von einer bipolaren Geschlechterordnung ausgegangen, stark akzentuiert wird auch die Konkurrenz zwischen den Geschlechtern. Die fortlaufenden Erziehungsfehler der Mütter werden kritisiert, die Män-

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ner als aktive Väter sind aufgefordert, permanente Dominanzversuche der Mütter in der Erziehung abzuwehren und ihre Position als Führungsperson in der Familie (wieder-)einzunehmen. Im Vergleich zu den Ratgebern der 1950er Jahre ist nicht die Problemorientierung das Neue, denn Erziehungsratgeber ›brauchen‹ immer problembewusste Eltern. Nur dann, wenn Ratgeber auf Probleme bezogen sind und diese möglichst weitgehend mit ›realen‹ Problemlagen korrespondieren, werden sie überhaupt gelesen. Ohne Probleme gibt es keinen Beratungsbedarf und auch keine Bereitschaft, einen Ratgeber zu kaufen und zu lesen. Was sich aber ereignet hat, ist eine Verschiebung der Problemlagen: In den Ratgebern der 1950er Jahre steht noch nicht die hohe Verunsicherung der Eltern im Vordergrund; stattdessen aber die Probleme in der Nachkriegszeit (Wohnungsnot, Sittenverfall etc.), wobei kaum eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erfolgt. Darüber hinaus erscheint eine Reihe von populären, nationalsozialistischen Ratgebern weiter, aus denen nur die stark ideologisierten Teile entfernt wurden. Alle Ratgeber setzen am den Müttern zugeschriebenem Unwissen bezüglich Säuglingspflege und Erziehung an und verstehen sich als Mütterschule (vgl. Höffer-Mehlmer 2007a; Gebhardt 2009). Gemeinsam ist den aktuellen Erziehungsratgebern auch, dass die praktischen Erfahrungen als primäres Referenzwissen fungieren. Überdeutlich wird dies im Ratgeber »Glückliche Scheidungskinder« von Remo H. Largo und Monika Czernin. Dass Czernin einen fachlichen Hintergrund hat, bleibt im Buch ausgeblendet; sie wird in der Einleitung als eine Betroffene eingeführt, die sich getrennt hat und nun in Sorge über die Auswirkungen auf ihre dreijährige Tochter ist. Largo ist emeritierter Professor für Kinderheilkunde und – wie das Autorenporträt in der Innenseite des Buches betont – »Autor zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten«. Er tritt als Experte auf, als »Entwicklungsspezialist und feinfühliger Kenner der Kinderseele« (Largo/Czernin 2011: 7). Obwohl dieser Ratgeber eine stark wissenschaftliche Ausrichtung hat und Largo sein Expertenwissen auf diesem Gebiet einbringen kann, reicht dieser Wissensbezug offensichtlich nicht aus: Schon in der Einleitung wird angesprochen, dass Largo ein praktisches Erfahrungswissen aus der eigenen Betroffenheit hat. Nicht nur sein wissenschaftliches Expertenwissen kommt zum Einsatz, sondern ebenfalls ausführlich seine eigenen Scheidungserfahrungen. Neben dieser groben zeitlichen Verortung erfahren wir an dieser Stelle auch gleich, dass er diese als Belastung erlebt hat: »›Es war alles andere als einfach‹, erzählte er. ›Meine Zeit als alleinstehender Vater hat meine Ansichten über Scheidungskinder ebenso geprägt wie die beruflichen Erfahrungen.‹« (Ebd.) Auch bei diesem Experten wird deutlich gemacht, dass er über den ›Gegenstand‹ nicht nur aus einer wissenschaftlich-theoretischen

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Perspektive spricht, sondern neben diesem Expertenwissen auch Erfahrungswissen mitbringt. Erziehungsratgeber kommen ohne Rekurs auf alltagspraktische Erfahrungen nicht aus. Dass die Verfasser/innen eine ausgewiesene wissenschaftliche Kompetenz mitbringen, ist verzichtbar; unverzichtbar hingegen ist eigene lebenspraktische Erfahrungsbasis (vgl. dazu auch Schmid 2010). Für die beiden anderen Ratgeber steht das Erfahrungswissen ganz deutlich im Vordergrund. In »Mann & Vater sein« wird neben den Erfahrungen aus der Beratungstätigkeit immer wieder auch Bezug auf die eigenen biografischen Erfahrungen in der Aneignung der aktiven Vaterrolle genommen. Abgeschlossen wird das Buch durch Erfahrungsberichte von 13 Vätern, die auf der Grundlage von Interviews zusammengestellt wurde. Nur sporadisch finden sich Verweise auf wissenschaftliches Wissen, vor allem auf die psychologisch fundierte Bindungstheorie (s.u.). Diese Hinweise dienen dazu, die Richtigkeit der Aussagen mit der Autorität der Wissenschaft zu stützen, wobei diese ohne explizite Bezüge und in einer stark popularisierten Form präsentiert werden. Hier nur ein Beispiel: »Die letzten zwanzig Jahre wissenschaftlicher Forschung in der Bindungstheorie haben klar gezeigt, dass ein Kind die Mutter dem Vater nicht vorzieht, wenn beide gleichermaßen zur Verfügung stehen: Es wird sich auf beide Elternteile beziehen« (Juul 2011: 36). Der Verfasser von »Der große Erziehungsberater«, Jan-Uwe Rogge, verzichtet zwar auf eigene biografische Erfahrungen. Auch ist das Buch deutlich stärker mit Verweisen – allerdings ohne genauere bibliografische Angaben – auf Befragungen, wissenschaftliche Studien, wissenschaftliche Publikationen und mit Namensnennungen von Wissenschaftler/innen angereichert und im Anhang findet sich eine Zusammenstellung weiterführender Literatur. Dennoch stehen die praktischen Erfahrungen im Vordergrund, die in Form einer Fülle von Fallbeispielen aus Rogges Beratungspraxis dargestellt werden – ganz überwiegend aus der Perspektive der Kinder. 2.2 Die Elter(n)-Kind-Beziehung aus der Sicht der Erwachsenen Dass die Erziehung weiterhin eine primäre Aufgabe der Mütter ist, wird in allen drei Ratgebern deutlich, zumindest an den präsentierten Fallbeispielen. Allerdings finden sich keine Formulierungen, dass ein Kind vor allem die Mutter ›brauche‹ oder nur eine Mutter diese Aufgabe erfüllen ›könne‹ beziehungsweise Garant für ein gutes Aufwachsen des Kindes sei. Der in den Fallbeispielen sichtbar werdende mütterliche Vorrang erweist sich als eine Wiedergabe der Zuständigkeitsregelungen in den heutigen Familien. Es fällt aber auf, dass diese Zuständigkeitsregelung keine normative Überhöhung mehr aufweist. Mit der weit

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in die Gegenwart reichenden Tradition, dass Erziehungsratgeber lange Zeit primär »Mütterratgeber« (Schmid 2010: 383) waren, wird gebrochen. Mehr noch, auch das in den Ratgebern der 1950er Jahre (und weit darüber hinaus) gängige Konstrukt der Mutterliebe als normatives Muster (vgl. Schütze 2010) ist verschwunden. An die Stelle der Mutterliebe ist bei dem Ratgeber »Mann & Vater sein« eine heftige Kritik am ›Mutterchauvinismus‹ getreten. »Was ich Mutterchauvinismus nenne, rührt aus der tiefen Überzeugung einer Frau, dass sie als Mutter immer weiß, was am besten für ihr Kind ist.« (Juul 2011: 7) Für Juul ist der Mutterchauvinismus »um keinen Deut besser […] als der männliche Chauvinismus«; er wird als »äußerst destruktiv eingestuft« (ebd.). Kritisiert wird der Mutterchauvinismus, da dieser einem eigenständigen Zugang des Vaters zum Kind im Wege steht. Dass Mütter für Kinder wichtiger seien als Väter, wird als »alter Mythos« (ebd.: 31) bezeichnet. Trotz der rigiden Geschlechterkonstruktion bei Juul wird die naturgegebene Nähe der Mutter zum Kind aufgelöst. Zwar habe die Mutter den »großen Vorteil«, ihr Kind »neun Monate in ihrem Körper zu beherbergen«, was sie mit einem »Radarsystem« (ebd.: 39) für die Belange des Kindes ausstatte. Um dies zu kompensieren, müsse der Vater darauf bestehen, schon möglichst früh Zeit alleine mit dem Kind zu verbringen: »zum Beispiel nach dem Motto: ›Pump and go!‹ Das heißt: Wenn dein Kind fünf oder sechs Monate alt ist, ermutige deine Frau, Muttermilch abzupumpen und dann mit ihren Freundinnen auszugehen […], während du mit dem Kind zu Hause bleibst.« (Ebd.: 39) Dieser Ratgeber möchte vor allem zeigen, dass Kinder für ihre Entwicklung einen Vater brauchen und die Väter durch die Erfahrung mit ihren Kindern gewinnen können. Ein solches Legitimationsmuster findet sich bezüglich der Mütter nicht, was auf den Legitimationsbedarf einer fürsorglichen Vater-Kind-Beziehung verweist. Juul geht in seinem Ratgeber implizit davon aus, dass es um die eigenen Kinder im Sinne einer biologischen Vater- oder Mutterschaft geht. Bei den »Glücklichen Scheidungskindern« von Remo H. Largo und Monika Czernin wird nicht nur das Konstrukt der natürlichen Mutterliebe verworfen, sondern auch der bei Juul fortgeschriebene Biologismus in der Familiendefinition. Für Largo und Czernin brauchen Kinder keine leiblichen Eltern, sondern lediglich Bezugspersonen, die ihr Wohlergehen dauerhaft sichern: »›Es tönt etwas hart für Eltern, wenn man es so direkt sagt, aber es ist wirklich so: Wenn die psychischen und körperlichen Bedürfnisse des Kindes ausreichend befriedigt werden und es die notwendige Zuneigung erhält, wird es selbst seine leiblichen Eltern nicht vermissen.‹« (Largo/Czernin 2011: 54) Sie argumentieren, dass viele Mütter unersetzbar sind für ihre Kinder, sie waren es aber nicht von vornherein, sondern sind es geworden. »Wenn aber ein Vater, eine Großmutter oder eine Adoptivmutter

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das Kind ebenso umfassend betreut, wird diese Person genauso unersetzlich wie eine ›echte‹ Mutter. Sie alle können Hauptbezugsperson werden.« (Ebd.) Überhaupt sei man Vater oder Mutter nicht von Natur aus, sondern nur dann, wenn eine lebendige Beziehung zum Kind hergestellt werde. Die Elter(n)-KindBeziehung sei nicht natürlich vorgegeben, sondern müsse erst durch die Aktivitäten der Erwachsenen hergestellt werden. Es gebe eine lebenslange Verantwortung der Eltern für ihre Kinder, sobald sie diese in die Welt gesetzt haben. Diese Verantwortung sei nicht aufkündbar. Die Sorge für die Kinder sei eine moralische Verpflichtung. Auffällig ist, dass der Ratgeber an keiner Stelle auf die rechtliche Satzung hinweist. Deutlich wird im Ratgeber darüber hinaus eine starke Kindzentrierung: Die Eltern haben sich an ihren Kindern auszurichten. Sie müssen ihre Befindlichkeiten nachordnen, sie müssen sich gegenüber dem Kind in ihrer Bedürftigkeit zurücknehmen. Nur so können sie für das Wohlergehen des Kindes sorgen. In diesem Ratgeber werden beide Eltern in die Pflicht genommen. Das Nichtvorhandensein eines Elter wird zudem nicht als Defizit aufgefasst. Stark betont wird vielmehr die reichhaltige Vielfalt möglicher Familienformen, die alle eine Grundlage für eine glückliche Kindheit bilden können. Nicht die Familienform wird als Garant für das Glück der Kinder aufgefasst, sondern ausschließlich die dauerhafte und verlässliche Verfügbarkeit der Bezugspersonen für Kinder. Deutlich wird aber auch, dass die Elter(n)-Kind-Beziehung aus der Perspektive der Erwachsenen als keine Selbstverständlichkeit beschrieben ist. Sie sei ausgesprochen fragil und könne nur entstehen und fortdauern, wenn ein Erwachsener, egal ob Mutter oder Vater, eine Beziehung zum Kind aufbaue, er oder sie im alltagspraktischen Lebenszusammenhang verfügbar sei. Bezugsperson eines Kindes sei man nicht, sondern man müsse diesen Status immer erst gewinnen und unter Beweis stellen. Rogge hat in seinem Ratgeber vor allem Normalfamilien als Mutter-VaterKind(er)-Gruppen im Blick. Wie auch in den anderen beiden Ratgebern wird die Frage, ob das Paar verheiratet ist oder nicht, als unwesentlich aufgefasst und auch nicht eigens thematisiert. Das Paar könne verheiratet sein, müsse es aber nicht; für die Qualität der Elter(n)-Kind-Beziehung sei der Ehestand nicht von Belang. Damit ist die in den 1950er Jahren selbstverständlich vorausgesetzte Normalität weggebrochen. Der »Erziehungsberater« richtet sich an Vater und Mutter. Deutlich wird, dass die Mutter darin nicht mehr auf Haushalt und Familie beschränkt, sondern auch berufstätig ist. Von den Vätern wird erwartet, dass sie sich an der Erziehung der Kinder beteiligen. Gleichwohl wird damit die primäre Zuständigkeit der Mütter nicht infrage gestellt; die Väter begleiten und unterstützen die Aktivitäten ihrer Partnerin. Rogge versteht dies vor allem als eine Beschreibung der in den Familien vorhandenen Erziehungszuständigkeiten. Da-

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mit verbunden ist keine normative Überhöhung dieser empirischen Faktizität in der Arbeitsteilung zwischen den beiden Partner/innen. Auch wenn dieser Ratgeber weder einen Mutterchauvinismus konstatiert noch die Eltern in das Konzept der verfügbaren Bezugspersonen überführt, wird dennoch deutlich, dass auf eine anthropologisch fundierte Zuständigkeitsregelung, wonach die Natur der Frau als Mutter diese besonders für Erziehungsaufgaben befähigt, nicht mehr zurückgegriffen wird. 2.3 Die Elter(n)-Kind-Beziehung aus der Sicht der Kinder Die Ratgeber entwerfen eine grundlegende Differenz zwischen der Paarliebe und der Liebe der Kinder zu ihren Eltern: »Es hat schon durchaus etwas erschreckendes, wenn du dich plötzlich der bedingungslosen Liebe eines Kindes gegenübersiehst«, schreibt Jesper Juul, »dich nun auf das Kind beziehen und dich ihm öffnen sollst, schließlich hattest du es bislang mit der Liebe einer Frau zu tun, einer Liebe, die immer mit Bedingungen einhergeht« (Juul 2011: 11). Das Kind liebt den Vater ohne Grund nur um seiner selbst willen, der Vater wiederum muss sich zu dieser Liebe verhalten und soll sich aufschließen, was ihm schwer fällt. Das Zitat belegt erneut die Unsicherheit des Vaters, begründet wird sie damit, dass der Mann bisher nur die (heterosexuelle) Paarliebe erfahren habe. Diese Liebe unterscheide sich gravierend von der Liebe eines Kindes, denn sie sei an Konzessionen geknüpft. Das heißt, Männer seien gegenüber Frauen in der Situation, etwas tunȹ/ȹleisten zu müssen, um Liebe zu bekommen. Während Juul die Liebe entlang des Geschlechterstatus und der Generationendifferenz unterscheidet, differenzieren die beiden anderen Ratgeber nur zwischen Eltern und Kindern. »Außerdem ist die Liebe des Kindes eine ganz andere als die der Erwachsenen« (Largo/Cernin 2011: 35) konstatieren Largo und Czernin. »Ein Kind liebt seine Eltern aus einer inneren Notwendigkeit heraus, weil es von ihnen psychisch und körperlich abhängig ist.« (Ebd.) Die Liebe des Kindes sei »bedingungslos« (ebd.) und damit unabhängig von der Qualität der elterlichen Betreuung. Kinder würden ihre Eltern nicht verlassen, auch wenn sie von ihnen sehr schlecht behandelt werden würden. Diese Konstruktion einer bedingungslosen kindlichen Liebe zu den Eltern findet sich auch in weiteren Ratgebern des Samples (vgl. Bewilogua 2012; Höher/Mallschützke i.d.B.). Aus der Abhängigkeit des Säuglings und Kleinkindes von der physischen und psychischen Versorgung resultiert jedoch nicht zwingend die (bedingungslose) Liebe eines Kindes – man kann deshalb von einem kulturellen Konstrukt sprechen, welches die Beziehung von Kindern zu ihren Eltern als starkes Gefühl, als eine emotionale Bindung entwirft. Diese Idee einer Kinderliebe findet sich in

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den Ratgebern der 1950er Jahre noch nicht. Die Angewiesenheit des Kindes auf die Pflege durch Erwachsene geht nicht mit der Vorstellung einher, dass das Kind seine Eltern liebt. Der hilflose Zustand des Säuglings setzt hingegen die »Liebe und zärtliche Zuneigung der Eltern« frei, so Gertrud Altmann-Gädke und Karl Hansen in »Säugling und Kleinkind« aus dem Jahr 1952. Diese Elternliebe gilt dem Kind sehr viel, es will sie keinesfalls »verscherzen« (Altmann-Gädke/ Hansen 1952: 40). »Die abweisende Miene, der Zorn und die Betrübnis der Eltern bedrücken das ungehorsame Kind. Ihr Tadel und ihre Strafe tun seinem Selbstgefühl weh. Das Verlangen nach Einklang mit den liebsten Menschen bewegt demnach dieses Alter zum Gehorsam.« (Ebd.) Die Elternliebe gilt in diesem Ratgeber als Grundlage für die Erziehung des Kindes. Diese Argumentationsfigur findet sich in ähnlicher Weise auch in dem in den 1970er Jahren publizierten Ratgeber »Mut zur Erziehung« von Christa Meves, der in Abgrenzung zur antiautoritären Erziehung im Zuge von Studentenrevolte und Kinderladenbewegung geschrieben wurde. Durch die elterliche Liebe entsteht bei den Kindern »die Fähigkeit zum Lieben« (Meves 1970: 63), die wiederum die Grundlage für die »Anpassung« (ebd.) des Kindes an seine Umwelt ist. Während in den untersuchten Ratgebern aus den 1950er Jahren das Erziehungsverhältnis als eine einseitige, hierarchische Relation konstruiert wurde, wonach Eltern ihre Kinder erziehen, gehen die aktuellen Ratgeber davon aus, dass Eltern und Kinder Partner sind, die voneinander lernen können. So konstatiert etwa Jan-Uwe Rogge: »Eltern sind nicht nur Lehrer, sie sind auch Schüler, und Kinder sind nicht nur Schüler, sie sind auch Lehrer.« (Rogge 2009: 40) Er argumentiert weiter, »Kinder ernst zu nehmen bedeutet auch, sie als Lehrer zu begreifen, von denen man viel erfahren kann: Mit Kindern zu leben, heißt nicht für sie zu leben, sondern gemeinsam mit ihnen zu lernen und zu leben« (ebd.: 9). Jesper Juul betont immer wieder, dass der Vater durch das Kind einen Zugang zu seinen Gefühlen gewinnen kann: »In nur einer Woche werden deine Kinder alle emotionalen Register ziehen und jedes Gefühl herausfordern, das du in deinem Körper trägst einschließlich der Emotionen, von deren Existenz du gar nichts geahnt hast.« (Ebd.: 40) Hinter dieser Zuschreibung von kindlichen Fähigkeiten steht eine veränderte Vorstellung vom Säugling und Kleinkind. So heißt es bei Gädke-Altmann und Hansen in den 1950er Jahren: »Je jünger ein Kind, desto mehr wird sein Verhalten durch stumpfe Gefühle und Triebe bestimmt und geleitet.« (AltmannGädtke/Hansen 1952: 37) Das Kind gleicht noch mehr einem »Tier« als einem Menschen, es ist »ein Boot ohne Steuer und Ruder in Wind und Wasserströmungen« (ebd.: 30). In den aktuellen Ratgebern wird hingehen von einem Säugling ausgegangen, der von Geburt an in der Lage ist, emotional zu reagieren, dessen

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individueller Eigensinn geschätzt wird und entfaltet werden soll. »Jedes Kind [ist] einmalig« heißt es programmatisch bei Largo und Czernin, entsprechend muss »jede Lebenssituation nur aus sich heraus beurteilt werden« und verallgemeinernde Ratschläge werden in allen aktuellen Ratgebern »möglichst« (Largo/ Czernin 2011: 14) vermieden. Dies steht in massivem Kontrast zu den in den 1950ern, teilweise bis in die 1980er Jahre formulierten festen Regeln bezüglich Ernährung (Stillzeiten), Schlafenszeiten und der Sauberkeitserziehung (vgl. dazu Gebhardt 2009; Schütze 1996). Kinder gelten nun als aktive Konstrukteure ihrer Welt, sie erwerben bereits früh eine »konstruktive Problemlösungskapazität« (Rogge 2009: 83) und sie sind »ständig bestrebt, gut für sich und ihr Anliegen zu sorgen« (ebd.: 368). Neben der Individualisierung des Kindes lässt sich eine Idealisierung feststellen. Kinder gelten den Erwachsenen aufgrund ihrer hohen Fantasiebegabung als überlegen, die Erwachsenen sollen sich in dieser Hinsicht an den Kindern orientieren. Aus diesen Potenzialen der Kinder, etwa ihrer »magisch-mythischen Konfliktlösungen« (ebd.: 324), begründet sich die Idee, dass die Kinder Lehrer der Eltern sein können, die auch mit einer Abschwächung der Generationenhierarchie einhergeht. Die beschriebenen Veränderungen in der Konstruktion von Kindheit stehen in Verbindung einer neuen Säuglings- und Kleinkindanthropologie, deren Aufstieg eng an Rezeption der Bindungstheorie gebunden ist. Die Bindungstheorie, auf die alle drei Ratgeber rekurrieren, ist eine psychoanalytisch fundierte Entwicklungstheorie, welche mit den Namen John Bowlby und Mary D.S. Ainsworth verbunden ist. Sie wurde in Deutschland in den 1970er Jahren mit 30jähriger ›Verspätung‹ populär und gilt heute als Common Sense in der Gesellschaft (vgl. Gebhardt 2009; Schütze 1996). Die Kernaussage lautet, dass eine Bindung auf der Grundlage angeborener Verhaltensweisen durch Kommunikation und Interaktion zwischen Kind und Eltern, meist der Mutter, weiterentwickelt wird. Die spätere Bindungsfähigkeit, also die Art und Weise wie Menschen ihre persönlichen Beziehungen wahrnehmen und gestalten, hängt somit entschieden von der Qualität der Eltern-Kind-Bindung ab. Mit dem, wie bereits geschrieben, oft nur fragmentarischen Rekurs auf die Bindungstheorie wird die Elter(n)-KindBeziehung aber auch erneut naturalisiert, gilt doch das Bindungsverhalten nach Bowlby als eine angeborene Bereitschaft des Säuglings. Die untersuchten Ratgeber ordnen sich mit ihrem durchgängigen Rekurs auf die Bindungstheorie in die gesellschaftliche Tendenz zur Psychologisierung der Wissensbestände ein (vgl. auch Schmid 2010; Maasen et al. 2011). Etwa zum gleichen Zeitpunkt als die Bindungstheorie populär wurde, setzte sich allmählich eine neue Säuglings- und Kleinkindanthropologie durch. Miriam Gebhardt spricht von einer »Anthropologie der Quantität« (Gebhardt 2009: 184),

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die ab den 1970er Jahren von einer »Anthropologie der Qualität« (ebd.) abgelöst wurde. Diese Anthropologie der Quantität war im Zuge der Aufklärung in Verbindung mit der naturwissenschaftlich-psychologischen Wissenskultur entstanden. Das Kind wurde beobachtet und vermessen, es entstanden klare Vorstellungen, in welchen Schritten sich ein Säugling zu entwickeln habe. Das kleine Kind wurde als willenloses und triebgesteuertes Wesen begriffen, welches diszipliniert, normiert und dessen Tendenzen zum kindlichen Tyrannen bekämpft werden mussten. Dies geschah durch die rigide Durchsetzung von Essens- und Schlafenszeiten und eine entsprechende Sauberkeitserziehung. Ab den 1970er Jahren wurde im Zuge des einsetzenden Individualisierungsschubes entdeckt, dass der Säugling nicht gefühllos und ›dumm‹ ist, sondern ihm von Geburt an soziale und kognitive Fähigkeiten zur Verfügung stehen, um den Austausch mit seiner Umwelt aktiv mitzugestalten. Damit war auch der Grundstein für die Idee einer kindlichen Liebesbedürftigkeit, aber auch Liebesfähigkeit gelegt.

3. Z USAMMENFASSUNG UND D ISKUSSION : R OMANTISCHES K INDHEITSBILD UND S AKRALISIERUNG DES K INDES ALS NEUE L EGITIMATIONSMUSTER Die drei Ratgeber lassen erhebliche Verschiebungen in den kulturellen Vorgaben für die Elter(n)-Kind-Beziehung erkennen. Das in anderen gesellschaftlichen Kontexten gern noch benutzte normative Muster der Mutterliebe (vgl. Vinken 2007; Correll 2010) ist in den untersuchten Büchern verschwunden. Dies gilt selbst für den Ratgeber (Juul), der von einer (vermeintlich) natürlich vorgegebenen Geschlechterpolarität ausgeht. Auch wenn die Ratgeber eine primäre Zuständigkeit der Mutter für das Kind fortschreiben, fehlt die normative Überhöhung der Mutter als der einzig wahre Garant für eine glückliche Kindheit. Vonseiten der Eltern gibt es für die Ratgeber, am deutlichsten bei Largo/Czernin ausgeprägt, keine Unverfügbarkeit der Elter(n)-Kind-Beziehung mehr. Es reicht nicht aus, Mutter beziehungsweise Vater durch Geburt oder Zeugung zu sein, notwendig ist es vielmehr, zur Bezugsperson des Kindes zu werden. Die Natürlichkeit der Elter(n)-Kind-Beziehung wird zunehmend nicht mehr vorausgesetzt. Deutlich gemacht wird eher, dass diese erst hergestellt werden muss; eine Aufgabe und Herausforderung, an der (inzwischen) nicht nur Väter scheitern können. Zur Konstante und zum aktiven Part dieser Beziehung wird das Kind erhoben, Kinder bringen in diese Beziehung eine tätige und zugleich bedingungslose Liebe ein. Der Vergleich mit den 1950er Jahren zeigt, dass es sich dabei um ein neues Legitimationsmuster der Elter(n)-Kind-Beziehung handelt, welches die

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Generationenbeziehung vonseiten der Kinder als unverfügbar konstruiert. Die Kinder bringen den Eltern eine ›absolute‹ Liebe entgegen, die wiederum deren Liebe und Fürsorge einfordert. Kinder lieben ihre Eltern, selbst dann, wenn sie schlecht behandelt werden. Diese bedingungslose und absolut gesetzte Liebe der Kinder nimmt zugleich die Eltern in die Pflicht, sich um ihre Kinder zu kümmern. Überhaupt wird deutlich, dass sich die Elter(n)-Kind-Beziehung stark zugunsten der Kinder verschoben hat; für die Ratgeber steht die besondere Individualität des Kindes im Zentrum, die zu fördern die moralisch fundierte Verpflichtung der Eltern ist. Diese drei Ratgeber stehen stellvertretend für einen Paradigmenwechsel, der sich ab den 1970er Jahren in diesem Genre vollzogen hat. Die Erziehungsratgeber der 1950er Jahre stehen noch in einer starken Kontinuität der Erziehungsratschläge aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nur so war es möglich, dass Johanna Haarers »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind« (Erstauflage 1934) auch nach dem Zweiten Weltkrieg nur unter Weglassung von »deutsche« im Titel und der nationalsozialistischen Bekenntnisse, inhaltlich aber unverändert weiter in immer neuen Auflagen erschienen ist (vgl. Benz 1991; Gebhardt 2009; Höffer-Mehlmer 2003). Nach dieser weit in die Nachkriegszeit geltenden Erziehungsdoktrin hatte die schnelle Eingewöhnung des Kindes in feste Zeit- und Raummuster, vehement betriebene Sauberkeitserziehung sowie die Eindämmung des kindlichen Eigenwillens im Zentrum des elterlichen Erziehungshandelns zu stehen. Am Anfang des Paradigmenwechsels stand das Aufkommen der antiautoritären Erziehung, in Deutschland insbesondere eingeleitet durch die breite Aufmerksamkeit, die das Buch »Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung« des Gründers von Summerhill Alexander S. Neill, erschienen 1965, gewonnen hat (vgl. Gebhardt 2009). Dieser ganz andere Erziehungsentwurf war zunächst hoch umstritten und provozierte heftige Gegenreaktion auch unter den Ratgeberautor/innen wie etwa das bereits zitierte Buch von Christa Meves (1970) belegt, das bereits im Titel programmatisch den »Mut zum Erziehen« einfordert. Nicht unwesentlich hat zur Verbreitung einer neuen Grundorientierung die 1966 erstmals erschienene Zeitschrift ELTERN beigetragen, die nach anfänglichen Widerstreit unterschiedlicher Positionen seit den 1970er Jahren eindeutig eine kindzentrierte Perspektive vertreten hat (vgl. Gebhardt 2009). Das Kernelement dieses Umbruchs ist die Wiederkehr des aus der Romantik stammenden Bildes des Kindes (vgl. Ewers 1989; Baader 1996). Die romantische Idee knüpft an die christliche Kindesverehrung an (Matthäus 18,2–5: »Wahrlich ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen«). Indem man die kindliche Unschuld betont, wird aber zudem die von Jean-Jacques Rousseau formulierte Freispre-

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chung des Kindes von der Erbsünde aus »Emile« (orig. 1762) rezipiert: »Alles ist gut, wenn es aus den Händen des Schöpfers hervorgeht, alles entartet unter den Händen des Menschen.« (Rousseau 1993: 12) Zugleich setzt sich die Romantik von der Aufklärung ab, in der das Kind als tabula rasa gesehen wurde, in die die Erwachsenen ihre Ideen einschreiben können und die Kindheit als bloße Übergangsphase zum eigentlichen Ziel des Erwachsenwerdens aufgefasst wurde. Für die Vertreter/innen der Romantik haben sich die Erwachsenen an den Kindern zu orientieren, da sie noch über alle Potenzialität verfügen. In »Lucinde« (1985, orig. 1799) porträtiert Friedrich Schlegel die zweijährige Wilhelmine, die sich den Erwachsenen überlegen fühlt. Beschrieben wird in diesem Roman die Rückkehr ins »goldene Zeitalter der kindlichen Menschheit« (zit. in Baader 1996: 134), das sich durch Unschuld auszeichnet. Das Kind wird in der Romantik als ein poetisches Wesen gesehen, das anders als die durch die Vernunft gebildeten Erwachsenen ein verzaubertes Verhältnis zur Welt hat. Das Kind besitze als natürliche Kompetenz, was den genialen Künstler auszeichne. »Ja, ein göttlich Wesen ist das Kind«, schreibt Friedrich Hölderlin in »Hyperion«, »solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist« (Hölderlin 1979: 15, orig. 1797). Die Idealisierung des Kindes in der Form, dass von der Göttlichkeit beziehungsweise Heiligkeit des Kindes die Rede ist, ist der wiederkehrende Topos der Literatur der Romantik. Die in den Textstellen sichtbar werdende Idealisierung des Kindes ist auch ein dominanter und beständig wiederkehrender Topos in den gegenwärtigen Erziehungsratgebern, die bereits ihre Vorläufer hat. Schon in der Reformpädagogik Anfang des 20. Jahrhunderts hatte diese Vorstellung vom Kind eine starke Konjunktur (vgl. Baader 2005). In der Folgezeit wurde sie aber durch eine naturwissenschaftlich-psychologische Sicht verdrängt, die das kleine Kind vor allem als willenloses und triebgesteuertes Wesen begriffen hat, welches diszipliniert, normiert und in die gesellschaftliche Ordnung eingepasst werden muss. Auch wenn es in den 1950er Jahren einige wenige Ratgeber – wie etwa das bereits zitierte Buch »Das Elternbuch« von Hans Graupner – gegeben hat, die Anleihen an dem romantischen Kindheitsbild genommen haben, ist dieses erst wieder in den letzten Jahrzehnten dominant geworden. Die starke Aufwertung des Kindes ist durchaus noch stimmig mit den zentralen Elementen des romantischen Kindheitsbildes. Neu aber ist, dass das Kind nicht nur als geliebtes Objekt, sondern auch und vorrangig als liebendes Subjekt dargestellt wird. Daraus erwächst ein moralischer Appell an die Eltern, die ihnen entgegengebrachte Liebe anzunehmen und sich um das von ihnen psychisch und physisch abhängige Kind zu kümmern. Und es ist zugleich das Versprechen auf eine erhöhte Lebensqualität, auf den Zugang zu den eigenen Gefühlen und dem

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Erlernen neuer Kompetenzen. Wenn die kleine Tochter an manchem Morgen »einer Fee gleich in den Tag hüpfte, versonnen vor sich hin spielte, sich ohne Proteste anzog und dann in ihr Leben hinausschwebte« (Largo/Czernin 2011: 48), wird auch das Leben der Erwachsenen verzaubert. Das liebende Kind ist eine neue Konstruktion, die auf dem romantischen Kindheitsmythos beruht; sie führt zu einer säkularisierten Idealisierung des Kindes. Diese Liebesfähigkeit wird, wie gezeigt, wissenschaftlich begründet, jedoch wird die Wissenschaft in der Art und Weise ihrer Darstellung, fragmentarisch und als unhintergehbare Wahrheit, dem Diskurs entzogen und somit unverfügbar gestellt. Weder Religion noch die Natur der Frau als Mutter bilden die zentralen Legitimationsmuster für die bereitwillige Übernahme der Sorgearbeit. Dennoch werden die Eltern aus ihrer Verantwortung für die Kinder nicht entlassen. Zwar gelten Trennungen als legitim, auch wenn sie nicht erwünscht sind, dennoch sind die Eltern, egal ob die biologischen oder die sozialen, ein Leben lang für ihre Kinder verantwortlich. An die Stelle dieser alten Stützkonstruktionen ist die aus der Romantik stammende und fortgeschriebene Idealisierung des Kindes getreten. Schon Ende des 19. Jahrhundert hat Emile Durkheim (1967, orig. 1906) darauf hingewiesen, dass in modernen Gesellschaften die Person zu einem heiligen Objekt wird. Die von uns analysierten Erziehungsratgeber lassen eine säkulare Sakralisierung des Kindes erkennen, die als Basis für die freiwillige Übernahme von Sorgearbeit für das als liebendes Subjekt beschriebene Kind fungiert. Für die Eltern erwachsen daraus hohe Anforderungen an ihr Erziehungshandeln. Sie können nicht mehr auf die Selbstgewissheit der autoritären Eltern zurückgreifen, die von sich aus definieren, was für ihr Kind richtig ist. Elternschaft hat ihre vorgegebene Natürlichkeit eingebüßt; sie wird zu einem sozialen Lernprogramm, Vater und Mutter müssen sich die angemessenen, immer veränderbaren Kompetenzen aneignen und sich als Bezugsperson des Kindes erst ›bewähren‹. Sie sind verpflichtet, das Wohlergehen ihres Kindes herzustellen. Dafür ist es notwendig, sensibel das Kind zu beobachten; genauso bedeutsam ist ein hohes Maß an Selbstreflexivität, um richtig handeln zu können. Die in den vorliegenden Ratgebern zum Ausdruck kommende hohe Verunsicherung resultiert aus dieser kulturellen Verschiebung, die das Kind als ›heiliges‹ Subjekt idealisiert.

»Ich bete dafür, dass die Ratschläge in diesem Buch Ihnen helfen…«1 Geschlecht, Familie und Erziehung im Evangelikalismus S OPHIE M ARIA R UBY UND K ATHARINA T AMPE »…Gott [hat] zwei Geschlechter und nicht nur eines geschaffen und sie so geplant […], dass sie genau zueinander passen. Keines ist dem anderen überlegen, aber jedes ist unwiderlegbar einzigartig.« (Dobson 2011: 388) »Eine Familie ist eine Gruppe von Personen, die durch Ehe, Geburt oder Adoption miteinander verbunden sind – nichts mehr und nichts anderes.« (Ebd.: 485)

Evangelikale, religiöse Rechte, charismatische Bewegung, christlicher Fundamentalismus, Pfingstbewegung – diese Begriffe werden in der aktuellen Diskussion vor allem mit dem US-amerikanischen Raum in Verbindung gebracht. Für den deutschen Raum wird derzeit diskutiert, ob Religion überhaupt noch eine Relevanz hat. So argumentiert Gert Pickel (2011), dass es aufgrund von Modernisierungsprozessen innerhalb der Gesellschaft einen Bedeutungsverlust traditioneller Familienformen und -werte gibt und die Lebensformen in Zweierbeziehungen und Familien immer pluraler werden. Es »erfolgt im Rahmen funktionaler Differenzierungsprozesse eine stärkere Entkopplung des Bereichs Familie und des Bereichs Religion« (Pickel 2011: 416f.). Dies steht damit im Zusam-

1

Zitat aus dem »Große[n] Familien- und Erziehungsratgeber« von James Dobson (2011: 7).

276 ȹ|ȹ SOPHIE M ARIA RUBY UND K ATHARINA T AMPE

menhang, dass die Gruppe der Religiösen zwar noch immer entsprechenden Normen und Werten folgt, diese Gruppe jedoch immer kleiner wird. Die Familie als Sozialisationsinstanz gilt für die Weitergabe religiöser Werte als zentral. Sie existiert jedoch immer seltener in ihrer traditionellen Form. Zwar ist ein Schrumpfen der Großkirchen in Deutschland zu konstatieren, die evangelikale Bewegung ist jedoch nicht ausschließlich in der Form der Mitgliedschaft in den evangelischen Landeskirchen von Relevanz. Es gibt darüber hinaus eine Zunahme außerkirchlicher evangelikaler Gemeinschaften, die zudem im Einzelnen ein Wachstum verzeichnen. Für den deutschsprachigen Raum gibt es zum Evangelikalismus noch recht wenig sozialwissenschaftliche Forschung, insbesondere für die aktuellen Entwicklungen. Erst langsam wächst in den letzten Jahren, insbesondere im journalistischen Bereich, die Aufmerksamkeit dafür, dass dieses Feld auch in Deutschland Relevanz hat. Auch hierzulande haben sich mittlerweile sogenannte ›Mega-Kirchen‹ gegründet und wie Claudia Keller (2010) in der ZEIT berichtete, war der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff zeitweilig in der Organisation ProChrist, einer evangelikalen Gruppe, Kuratoriumsmitglied. Immer wieder gibt es Diskussionen über Schulen, an denen Kreationismus gelehrt wird; aktuell berichtet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG über einen Fall in München (vgl. Baier 2012). Ein von ProChrist veranstalteter einwöchiger Massengottesdienst 2009 in Chemnitz lockte mehr als 52.000 Besucher_innen an. Bei Recherchen stößt man wiederkehrend auf die Zahl 1,3 Millionen, die es an evangelikalen Christen in Deutschland bereits geben soll.2 Wie viele Menschen in Deutschland genau zu dieser Bewegung zuzurechnen sind, kann nach derzeitigem Forschungsstand und auch aufgrund des geringen Grades formaler Organisation des Evangelikalismus nicht gesagt werden. Die Betrachtungen stimmen jedoch darin überein, dass es eine starke Wachstumstendenz gibt; Thomas Kern spricht von einer »Gemeindeneugründungswelle« (Kern 1998: 11) ab Ende der 1980er Jahre. Von höchster Relevanz für diese Bewegung ist die Mission. Auch wenn sich nur ein Teil der Bewegung als (partei-)politisch sieht und beispielsweise in der Partei Bibeltreuer Christen organisiert, ist ihr damit dennoch der Wille zur Beeinflussung der Gesellschaft als Ziel inhärent. Der Einfluss solcher Gruppen besitzt auch eine gesamtgesellschaftliche politische Relevanz und die Deutungsmuster des evangelikalen Diskurses wirken sich auf die Gestaltung privater Lebensformen dieser wachsenden Gemeinschaft aus.

2

So beispielhaft Friedhelm Jung als Vertreter aus der Bewegung auf der Webseite www.evangelikale-bewegung.de.

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Der aktuelle gesellschaftliche Diskurs über Ehe und Familie in Deutschland wird gegenwärtig als vornehmlich säkular beschrieben. Sylka Scholz (2013) hingegen zeigt, dass auch in aktuellen Bestsellerratgebern die religiöse Sinnwelt bedeutsam ist. Dies kann darauf verweisen, dass auch Argumentationen und Deutungsmuster von religiösen (möglicherweise auch fundamentalistischen) Randgruppen wider Erwarten an diesen Diskurs anschlussfähig sind. Im Hinblick auf Religionen und religiöse Bewegungen, zu denen der Evangelikalismus zählt, können Ratgeber als Teil der »sozialen Regulierung, die die Verbindung von Religion und Geschlechterverhältnis auf Dauer stellt« (Rosenstock/Wohlrab-Sahr 2000: 280) bezeichnet werden. Deswegen möchten wir uns die Deutungsmuster, Argumentationsweisen und Legitimierungen dieses spezifischen Feldes anschauen. Welche Geschlechterkonzeption(en) zeigen evangelikale Ratgeber? Welche Formen von Familie werden besprochen; wird eine bestimmte Form als Ideal gesetzt? Welche Erziehungsleitbilder scheinen in ihnen auf? Und – unter Rückgriff auf die Konzepte von Peter L. Berger und Thomas Luckmann (2007, orig. 1966) – welche symbolischen Sinnwelten werden dabei diskursiv konstruiert und auf welche Stützkonzeptionen wird in diesem Konstruktionsprozess zurückgegriffen?

1. W AS

HEISST › EVANGELIKAL ‹?

Mit dem Begriff ͎evangelikal‹ stehen unterschiedliche Strömungen in Zusammenhang – charismatische Bewegung, (Neu-)Pfingstlertum, baptistische, methodistische Gemeinden, Vineyard-Bewegung, Emmaus, Erweckungsbewegung, freie evangelische Gemeinden, Gemeindewachstumsbewegung, New Covenent Ministries International, Jesus Freaks und andere mehr. Diese können zwar in ihren jeweiligen Besonderheiten beschrieben werden, sind jedoch nicht klar voneinander zu trennen. Sie haben nicht nur viele Gemeinsamkeiten, sondern sind miteinander verwoben und verschränkt. Für Deutschland betont Kern (1998) beispielsweise eine Annäherung zwischen Charismatiker_innen und anderen Evangelikalen, die zuvor dem Charismatischen sehr skeptisch gegenüber eingestellt waren. Zudem sind die Grenzen bei Gemeinden und auch einzelnen Personen fließend. Damit verbunden sind Probleme bei Definitions- und Typisierungsversuchen. Gisa Bauer formuliert es für den innerlandeskirchlichen Evangelikalismus wie folgt: »Damit ist die Begriffsdefinition ›evangelikal‹ im Bereich des Vagen beziehungsweise der Gewichtungen angesiedelt – ein Indiz dafür, dass es sich hier eher um eine Mentalitätskonstellation, um eine Bewegung im wahrsten Sinne des Wortes als um eine bestimmte abgegrenzte Frömmigkeitsrichtung han-

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delt.« (Bauer 2012: 47). Nicht zuletzt auch aufgrund des derzeitig noch niedrigen Forschungsstandes zu Evangelikalismus in Deutschland möchten wir unsere Beschreibungen der Merkmale dieser Bewegung als eine Annäherung an das Feld verstanden wissen. Im Zentrum evangelikalen Glaubens stehen die persönliche Beziehung zu Jesus Christus und der vor allem sinnliche, geistliche Bezug zu Gott. Für die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Gläubigen ist die bewusste Hinwendung zu Jesus und Gott entscheidend, sie wird auch ›Wiedergeburt‹ oder Bekenntnistaufe genannt (vgl. ebd., zur Bekehrung vgl. insb. Kern 1998). Die Bibel wird als das Wort Gottes betrachtet, das von Menschen aufgeschrieben wurde, die dieses direkt von Gott ›empfangen‹ haben. Sie ist wortwörtlich zu interpretieren und in dieser Linie wird dem Darwinismus der Kreationismus gegenübergestellt. Das ahistorische Bibelverständnis beinhaltet auch, dass sie als Buch gesehen wird, in dem konkrete, von Gott so formulierte Handlungsanweisungen stehen, die früher, heute und morgen gültig sind und befolgt werden müssen. Skeptisch betrachtet wird in dieser Linie die akademische Theologie, vor allem entlang ihrer historisch-kritischen, ›bibelkritischen‹ Methode. Ihr gegenübergestellt wird das »sola scriptura«, wobei festzuhalten ist, dass innerhalb des Evangelikalismus kein einheitliches Schriftverständnis existiert. Entscheidender Aspekt des Evangelikalismus ist auch »die Kritik an der traditionellen und institutionellen evangelischen Kirche« (Bauer 2012: 82, vgl. auch Kern 1998). Typisch für den Evangelikalismus ist ein geringer Grad formaler Organisation, die Struktur kann eher als Netzwerk kleinerer Freikirchen, Gemeinden und Hauskreise beschrieben werden (vgl. Knoblauch 2009, Kern 1998), auch wenn es beispielsweise mit der Deutschen Evangelischen Allianz, dem Gnadauer Gemeinschaftsverband oder dem Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden größere, übergreifende Verbände gibt. Für die Struktur entscheidend ist die hohe Bedeutung massenmedialer Erzeugnisse (vgl. Kern 1998). Evangelikale Verlage, Fernseh- und Radiosender, Zeitungen und Zeitschriften, CD’s und DVD’s und so weiter und so fort. verbreiten Lobpreislieder, Berichte von Evangelisationen oder Rüstzeiten und statten die bekennenden Gläubigen mit der Bibel in ›individuellem‹ Design aus. Per YouTube-Stream können Gläubige jederzeit und von überall her auf Mitschnitte von Gottesdiensten zugreifen. Auch für die internationale Verflechtung ist diese »electronic church« (Begriff u.a. verwendet bei Knoblauch 2009: 89) hoch bedeutsam. Angesichts des scheinbar großen Anteils der US-amerikanischen Bewegung an diesem spezifischen Markt kann davon ausgegangen werden, dass ihr Einfluss international sehr stark ist und so auch deutsche Gemeinden, Hauskreise und Freikirchen bedeutsam vom Evangelikalismus

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der USA geprägt sind. Kern beschreibt darüber hinaus, dass Ende der 1980er Jahre »amerikanische Gruppierungen auf den deutschen Religionsmarkt [drangen]« (Kern 1998: 32) und zunehmend Gläubige in Deutschland US-amerikanische Wertvorstellungen und Verständnisse zu Politik übernehmen (vgl. ebd.). In den Gemeinden wird formal das Priestertum aller Gläubigen betont, was jedoch die Bildung hierarchischer Strukturen im gelebten Gemeindealltag nicht ausschließt. So gibt es auch hier mit höherer Autorität verknüpfte Positionen wie Missionar_innen, Pfarrer_innen, Prediger_innen, Gemeindeleitung, Diakon_innen, Älteste, Gebetsteams und Seelsorger_innen,3. »Auf Unterordnung und Gehorsam liegt Segen« (ebd.: 87). Kern beschreibt die Form Seelsorge als »wichtiges Kontroll- und Machtinstrument […], mit dem Pfarrer und Leiter einen starken Einfluss auf die alltägliche Lebensführung ihrer Gemeinde- beziehungsweise Gruppenmitglieder ausüben können« (ebd.: 78). Die Gläubigen finden sich nicht nur zum sonntäglichen Gottesdienst zusammen, sie verbringen nahezu ihre ganze Freizeit in der religiösen Gemeinschaft: in Hauskreistreffen, bei sogenannten ›bunten Abenden‹, Rüstzeiten, Lobpreiswochen, Jugendfreizeiten und Konferenzen. »Die enge Gemeinschaft ist ein wichtiger ›Durchlauferhitzer‹ für die evangelikal-charismatische Sozialisation, die gleichzeitig der Befriedigung psychischer und sozialer Bedürfnisse dient« (ebd.: 57). Einen hohen Stellenwert nimmt auf nationaler wie internationaler Ebene die Mission, die ›Evangelisation‹ ein. »Wenn möglich, soll ganz Deutschland im evangelikal-charismatischen Sinne christlich werden« (ebd.: 106), so formuliert Kern das Ziel insbesondere für die (Neo-)Pfingstbewegung. Die Gottesdienste zeichnen sich im deutlichen Unterschied beispielsweise zur Liturgie katholischer Messen durch einen geringen Formalisierungsgrad aus, im Mittelpunkt steht der ›Lobpreis‹ Gottes durch Gesang, Musik und Gebet. Bei diesem begeben sich die Anwesenden häufig in eine Art Meditation oder Trance, sie stehen und wiegen sich im Takt der Musik während sie ihre Hände mit geöffneten Handflächen gen Himmel strecken, Flaggen schwingen, auf die Knie fallen, tanzen oder sich auf den Boden legen. Teilweise beten die Gläubigen in Zungen und berichten von ›Bildern‹, das heißt von Eingebungen des Heiligen Geistes (vgl. insb. zur starken Erlebnisorientierung der charismatischen Bewegung ebd.: 107ff.). Auffallend in den Narrationen dieser Bewegung ist die Abgrenzung der eigenen Gemeinde von ›der Welt da draußen‹. Martin Greschat, Kirchenhistoriker, beschreibt dies so:

3

Auch wenn wir an dieser Stelle geschlechtergerechte Sprache verwenden, sind insbesondere Machtpositionen meist männlich besetzt.

280 ȹ|ȹ SOPHIE M ARIA RUBY UND K ATHARINA T AMPE »Man redet auch nicht nur über diese Demarkationslinie, man lebt mit ihr. Insofern ist die säkulare, die rationalistische, pluralistische und gottlose Welt stets präsent – möglicherweise als Versuchung, als Bedrohung, auch als Bestätigung – aber auf jeden Fall als das Andersartige und wesenhaft Verschiedene, gegenüber dem man sich selbst definieren muss. Die evangelikale Gemeinde und der einzelne evangelikale Christ können sich von dieser Realität nicht lösen, weil diese die dunkle Folie für das eigene Selbstbewusstsein liefert. Denn nur so macht die Aussage Sinn: Wir haben die Wahrheit – und nicht sie.« (Zitiert in Bauer 2012: 83)

Auch wenn der Evangelikalismus nicht per se und in Gänze als fundamentalistisch zu bezeichnen ist, liegt unter anderem in diesem Anspruch, allein die Wahrheit, den ›richtigen‹ Glauben zu vertreten, eine fundamentalistische Tendenz der Bewegung. In diesem Sinne sind auch »wörtliches Bibelverständnis, Elitedenken, Feindbilder, missionarischer Aktivismus, Patriarchismus, Abschottung gegen Außeneinflüsse […], geschlossenes Weltbild usw.« (Kern 1998: 179) zu bewerten. Wie stark diese fundamentalistischen Tendenzen sind, kann von Gemeinde zu Gemeinde, innerhalb einer Gemeinde oder auch bei jeder einzelnen Person sehr unterschiedlich sein.

2. E RGEBNISSE

DER

F ALLANALYSE

Aufgrund der Spezifika des Feldes Evangelikalismus in der deutschen Gesellschaft war es notwendig, einen anderen Weg als den im Projekt üblichen für die Ratgeberauswahl zu gehen. Im Rahmen von Gottesdiensten einer evangelikalen Gemeinde wurden Besucher_innen dazu befragt, welche Ehe- und Erziehungsratgeber sie empfehlen könnten. Die große Hilfsbereitschaft der Personen aus dem Feld ließ eine Liste von 39 Büchern rund um die Themen Ehe, Familie, Sexualität und Kennenlernen entstehen. Der Autor James Dobson wurde besonders empfohlen und als hoch relevant im Feld beschrieben. James Dobson wurde 1936 in Louisiana, USA geboren. Er wird als konservativer Evangelikaler und Teil der religiösen Rechten in den USA eingeschätzt. Er ist Vorsitzender der Organisation »Focus on the Family«, trägt siebzehn Ehrendoktoren religiöser Universitäten und wurde 2004 in der US-amerikanischen Presse als »now America’s most influential evangelical leader« (Crowley 2004) bezeichnet. Von ihm erschien »Der große Familien- und Erziehungsratgeber« 1997 das erste Mal auf Deutsch, weitere Auflagen folgten in den Jahren 2001 und 2011. Aufgrund dieser Bedeutsamkeit und seines breiten Themenspektrums wurde dieser Ratgeber für die Fallanalyse ausgewählt.

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Der 515 Seiten starke Ratgeber gliedert sich in ein kurzes Dankeskapitel, eine Einleitung, 25 Kapitel, die je sehr feingliedrig unterteilt sind, eine Bibliographie, ein Stichwortverzeichnis sowie ein Bibelstellenregister. Die auffällige Besonderheit dieses Ratgebers ist seine Struktur: Es werden 421 Fragen formuliert, denen jeweils eine Antwort des Autors folgt. Die Antworten stammen jeweils eindeutig vom Autor James Dobson, ungeklärt bleibt jedoch, wer die Fragen formuliert(e). Die Verengung der Antwortmöglichkeiten durch die Fragestellung sind teilweise so stark, dass der Eindruck entstehen kann, sie sollten lediglich als von außen herangetragene Frage erscheinen, seien aber womöglich vom Autor selbst verfasst mit der Funktion, eine Vorlage dafür zu liefern, was der Autor vermitteln möchte. Frage-Antwort-Zusammenhänge implizieren meist ein Ungleichgewicht des Wissens. Effekt dieser Strukturierung ist in diesem Sinn die Stärkung und permanente Aktualisierung des Expertenstatus des Autors, Leser_innen und fragestellenden Personen werden damit auch tendenziell in eine untergeordnete Position versetzt. Dies entspricht freilich dem Wesen von Ratgebern. In anderen Ratgebern ist diese Beziehung zwischen Autor_in und Leser_innenschaft jedoch sehr viel weniger vordergründig. Das Buch enthält eine einzige Abbildung, die Strafen im Kindesalter thematisiert. Die Zielgruppe des Ratgebers sind Eltern, die christlich sind oder werden wollen, sowie junge Erwachsene ohne Kinder. Geschlechts- und Schichtspezifika sind nicht vordergründig, implizit zeigt sich ein besonderer Bezug zur weißen Ober- und Mittelschicht, wobei wenig Rekurse zu ›typischen‹ Wissensbeständen des Bildungsbürgertums erfolgen. Der Autor James Dobson ist Psychologe, Familien- und Eheberater. Auf dieses Erfahrungswissen aus seiner Profession rekurriert der Autor immer wieder, ebenso auf solches aus seinem Privatleben, insbesondere bezieht er sich auf seine Ehefrau Shirley und ihr gemeinsames Familienleben mit den zwei Kindern. Dadurch, dass Dobson mit Fußnoten arbeitet, wird eine gewisse Wissenschaftlichkeit suggeriert, die jedoch bei näherer Betrachtung der Quellen, Zitationsweise und des fragmentarischen Charakters der Bezüge zumindest fraglich bleibt. Welche Wissensbezüge in dem Ratgeber als wesentliche Legitimationsressourcen fungieren, thematisieren wir in den folgenden Kapiteln näher. Als grundlegendes Problem sieht der Autor die Unsicherheit von Müttern (und Vätern) im Umgang mit ihren Kindern. Ursache dafür ist laut Dobson eine historisch neue Abwendung von der »jüdisch-christliche[n] Ethik« (Dobson 2011: 5) und der Verlust des Vertrauens in eine »gewisse[.] überlieferte[.] Weisheit« (ebd.: 4). Die »humanistische Sichtweise« werde nicht nur stärker, sondern auch »immer extremer und antichristlicher« (ebd.: 5) und auch von jenen Exper-

282 ȹ|ȹ SOPHIE M ARIA RUBY UND K ATHARINA T AMPE

ten – Psychologen, Ärzten, Pädagogen4 – vertreten, bei denen die verunsicherten Eltern Hilfe suchten. Deren Einstellungen bewertet der Autor als schädlich, er sieht jene »›Fachleute‹« (ebd.) deswegen in der Mitverantwortung für die laut Autor zunehmenden Probleme der Jugend. Demgegenüber formuliert der Autor seine »Philosophie« (ebd.: 6), die er auf zwei Säulen stellt: »Die Weisheit vergangener Generationen« und das »jüdisch-christliche Wertesystem« (ebd.). Die Bibel macht er zum »Fundament«, enthalte sie doch »zahlreiche Grundsätze für den Familienalltag[, die] vom Schöpfer selbst, dem Begründer der Institution Ehe und Elternschaft, eingegeben« (ebd.) wurden. Bereits in der Einleitung formuliert der Autor grundlegende Züge seiner Deutungsangebote zu Geschlecht, Familie und Erziehung und das Ziel, das er mit diesem Ratgeber verfolgt: »Der göttliche Plan für die Familie beginnt meiner Meinung nach mit der lebenslangen, verbindlichen Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, gekennzeichnet durch absolute Treue. Der Ehemann trachtet dann nach dem Wohl seiner Frau, sorgt für ihre Bedürfnisse und beschützt sie, wenn nötig bis zur Hingabe seines Lebens. Die Frau ehrt ihren Mann, gibt sich ihm hin und achtet seine Führungsrolle in der Familie. Wenn sie Kinder haben, erkennen sie den unschätzbaren Wert und die Würde dieser Kinder an – nicht aufgrund ihrer Leistungen, sondern aufgrund dessen, was sie als Gottes persönliche Geschöpfe sind. Schon im frühesten Alter lernen die Kinder, sich der Autorität ihrer Eltern unterzuordnen. Verhaltensgrenzen werden im Voraus festgelegt und dann mit angemessener Konsequenz durchgesetzt. Sie lernen Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung, geschlechtliche Reinheit, Rücksicht auf andere, die Ethik der Arbeit und die Grundlagen ihres Glaubens. Nie erleben sie Demütigung, Ablehnung, sexuelle Ausbeutung oder irgendeinen anderen Missbrauch. Stattdessen werden sie bedingungslos geliebt und ›in der Zucht und Ermahnung des Herrn‹ erzogen. […] Ich bete dafür, dass die Ratschläge in diesem Buch Ihnen helfen, ein herzliches und befriedigendes Familienleben und eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus aufzubauen.« (Ebd.: 6f.)

Wir werden nun zunächst auf die Geschlechterkonzeption des Ratgebers eingehen (2.1). Sie ist gleichsam eine ›querliegende Folie‹ für die Deutungsangebote zu Familienideal und davon abweichende Formen (2.2) und relevant für die Erziehungsleitbilder James Dobsons (2.3).

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Wir verzichten an dieser und ähnlichen Stellen auf geschlechtergerechte Sprache, da dies dem Material nicht entsprechen würde.

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2.1 Gottgegebene Zweigeschlechtlichkeit Geschlecht ist bei James Dobson ein in der Identität verortetes und für die ›gute‹ soziale Organisation hoch relevantes Merkmal mit genau zwei Ausprägungen: ›Mann‹ und ›Frau‹. Die Subjekte erscheinen dabei determiniert, sie erbringen keine Herstellungsleistung oder haben Gestaltungsspielräume bezüglich ihres Geschlechts. Männern und Frauen werden höchst verschiedene Grundbedürfnisse, Neigungen, Eigenschaften und Rollen zugeschrieben, ganz entsprechend dem Deutungsmuster der polaren Geschlechtscharaktere. Damit gehen bekanntermaßen kulturell unterschiedliche Wertungen der ›weiblichen‹ und der ›männlichen‹ Pole einher. Die Hierarchisierung der Geschlechter ist jedoch nicht nur impliziter Bestandteil der Geschlechterkonzeption dieses Ratgebers. Wie explizit beispielsweise die Unterordnung der (Ehe-)Frau als Ideal beschrieben wird, wurde bereits im einführenden Zitat aus der Einleitung des Ratgebers deutlich: »Die Frau ehrt ihren Mann, gibt sich ihm hin und achtet seine Führungsrolle in der Familie.« (Ebd.: 6) ›Frau‹ wird bei Dobson vorrangig als Abweichung, als ›das Andere‹ vom Mann dargestellt; dieser wird als das Normale, das Eigentliche, der Maßstab konzipiert. Nicht nur die Art und Weise der Darstellung von Geschlechterunterschieden, sondern auch Inhalte der Geschlechterkonzeption sind als androzentrisch zu beschreiben: »Es gibt Mädchen, die so zudringlich sind, dass sie die Jungen, hinter denen sie her sind, abschrecken. Das männliche Ich ist so angelegt, dass es sich nicht recht wohl fühlt, wenn es sich zurückziehen muss« (ebd.: 267) – deswegen sollten sich Mädchen in Zurückhaltung üben. Als »grundlegende Rolle der Frau« (ebd.: 354) wird beschrieben, ihren (Ehe-)Mann zu unterstützen und zu stärken, sie ist Vehikel zum Aufbau von Männlichkeit. »Das männliche Ego ist erstaunlich zerbrechlich« (ebd.: 355), deswegen »wollen [Männer] wissen, dass sie von ihrer Frau geachtet und verehrt werden« (ebd.: 354, Herv. i.O.). Die ideale Frau stellt ihren Mann vor ihren Kindern, vor Fremden und dem Mann selbst gegenüber ›noch besser‹ dar, als er ist. Damit stärkt sie nicht nur seine Autorität, sie macht ihn auch »zu einem besseren Mann« (ebd.: 355). James Dobson sagt über seine Ehefrau Shirley: »Sie machte mich zum König in meinen vier Wänden. […] Ich werde ihr dafür immer dankbar sein!« (Ebd.: 282) In Rückgriff auf eine Formulierung Bourdieus, der bei dieser an Virginia Woolf anschließt, erscheinen Frauen bei Dobson als die »schmeichelnden Spiegel[.]« (Bourdieu 1997: 203) des Mannes. Die zweigeschlechtliche Ordnung, die Polarität der Geschlechtscharaktere und Heterosexualität werden als von Gott ›so geplant‹ beschrieben. Die Geschlechterdifferenz bei heterosexuellen Paaren nennt der Autor »gesunde Spannung« (Dobson 2011: 387, Herv. d.A.): Mann und Frau bringen sich gegenseitig

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aus ihrer jeweiligen Extremposition wieder »ins rechte Maß« (ebd.). Das bedeutet auch: Davon ›abweichende‹ Verhältnisse, Konstellationen oder Personen – hierarchielose Geschlechterbeziehungen, gesellschaftliche Gleichstellung, Arbeitsteilung ohne entsprechende Geschlechterspezifizierung, andere Gender und Personen, die sich nicht ›ihrem Geschlecht entsprechend‹ verhalten, gleichgeschlechtliche Sexualität oder solche, bei der Geschlecht irrelevant ist – werden pathologisiert und widersprechen dem göttlichen Plan. Zwei Feindbilder sind im Ratgeber in Bezug auf Geschlecht besonders relevant: die »homosexuelle[.] Propaganda« (ebd.: 487) und »der feministische Kampf« (ebd.: 97). Dobson konzipiert eine Trennung zwischen einem ›guten (Equity-)Feminismus‹, der die Geschlechterdifferenz(ierung) nicht antastet und einem ›radikalen Feminismus‹, der Geschlecht als soziale Konstruktion begreift und patriarchale Geschlechterverhältnisse über das System Recht hinaus kritisiert und verändern will. Letzterer wird stark abgewertet: Er wird als »einfältig« (ebd.: 268) beschrieben, als »Kampf gegen einfache Tatsachen des Lebens« (ebd.: 97) und »irriger Glaube« (ebd.: 98). Damit wird er dem ›richtigen‹ Glauben entgegengesetzt konstruiert – eine Beschreibung wie sie im Evangelikalismus kaum härter ausfallen kann, ist doch der ›richtige‹ Glaube, der nur der eigenen Glaubensrichtung zugesprochen wird und fortwährendes Ziel der gläubigen Personen ist, Schlüsselkonzept in dieser Bewegung.5 Durch die konzeptionelle Zweiteilung in radikalen und differenzorientierten Feminismus kann der Autor das Feindbild Feminismus aufbauen und festigen. Er kann dabei gleichzeitig diese spezifische Modernekritik formulieren und dennoch die Diskursposition von weiblichen ›Feministinnen‹ in Fragen zu Geschlecht und Diskriminierung instrumentalisieren. Als Frauen haben sie für ihn eine besondere Sprechposition; als Expertinnenrekurs nutzt er sie als Legitimationsressource für sein Geschlechterkonzept.

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Feministinnen des nach Dobson ›schlechten Flügels‹ werden unter anderem wie folgt beschrieben: Sie unterdrücken Frauen, die sich für das Mutter-Sein und gegen Berufsarbeit entscheiden; sie bläuen Frauen Selbstsucht ein und zerstören damit Ehen; sie entrechten Männer und behandeln sie geringschätzig; ihr Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch führt zu einem Anstieg misshandelter, verlassener, verwahrloster und missbrauchter Kinder (weil »dadurch das Leben auf jeder Entwicklungsstufe abgewertet« [ebd.: 264] werde); sie gefährden das Kindeswohl insbesondere von Jungen durch ›widernatürliche Umerziehungsmethoden‹. Unter anderem bei letztem Punkt greift der Autor auf das Deutungsmuster der ›zu weit getriebenen Gleichberechtigung als Gleichmacherei‹ zurück.

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Geschlechterunterschiede zeichnet Dobson als schon immer existent und auch in Zukunft unumstößlich und unveränderbar. Gleichzeitig finden sich im Ratgeber ausschweifende Erklärungen für sie und ihren unveränderlichen Charakter. Dieses Paradox der ›Begründung des nicht Begründungsnotwendigen‹ kann mit theoretischem Rekurs auf Berger und Luckmann (2007) erklärt werden: Die symbolische Sinnwelt der Zweigeschlechtlichkeit (vgl. Pittius/Scholz 2013) wird durch konkurrierende Deutungsangebote wie beispielsweise feministische Diskurse und Modernisierungsaspekte in Frage gestellt, das heißt problematisiert. Der Autor sieht diese Entwicklung als negativ, Ziel ist die Re-Stabilisierung dieser symbolischen Sinnwelt. Um sie zu re-legitimieren, erneut als symbolische Sinnwelt zu konstruieren, greift der Autor auf Stützkonzeptionen zurück. Drei Legitimationsressourcen werden miteinander verknüpft, die sich gegenseitig stützen: Vordergründig Gott, Gottes Schöpfung, die Bibel, die christliche Religion, des Weiteren dasjenige, was der Autor als soziale Wirklichkeit definiert beziehungsweise konstruiert − letztgenannte Legitimationsressource nennen wir ›das Faktische‹ − zum dritten Biologie und Medizin. Es sticht hervor, dass die ratgebereigene Geschlechterkonzeption vordergründig mit der Geschlechterdifferenz selbst begründet wird, die der Autor als ›so existent‹ beschreibt. In einigen Passagen wird wiederum mittelbar auf Biologie und Medizin referiert, der Autor thematisiert neurologische und hormonelle Prozesse; besonders relevant fallen die Konzepte der »Vererbung, Physiologie und des angeborenen Temperaments« (Dobson 2011: 387) auf. Damit wird der Rekurs auf das Faktische zusätzlich mit dem Bezug auf Wissenschaft legitimiert. Die Konstruktion lautet: Gott als Schöpfer der Menschen hat sie als geschlechtliche Wesen geschaffen, er hat ihnen genetische Eigenschaften gegeben, diese bedingen wiederum geschlechtliche Unterschiede in den Dimensionen Körper, Verhalten und Seele. Die biologistische Fundierung der Legitimation seiner Geschlechterkonzeption wird erhöht und transzendiert, indem der Autor sie gleichsam in die christliche Religion verlängert. Zum anderen wird das Deutungsmuster des Biologismus als Legitimationsressource für die ratgebereigene Geschlechterkonzeption fruchtbar gemacht – ohne jedoch Gott, Bibel, Religion als Letztbegründung zu ›gefährden‹. Geschlecht wird damit nicht nur naturalisiert und ontologisiert. Hinzu kommt des Weiteren eine Sakralisierung der Geschlechterdifferenz: »Wir erkennen die Weisheit des Schöpfers daran, wie die Geschlechter hier in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen.« (Ebd.: 387) Tradierte Geschlechterbilder, traditionelle Arbeitsteilung und eine heteronormative und hierarchische Geschlechterordnung werden darüber einer Kritik entzogen, sie werden unverfügbar gestellt.

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Es zeigt sich folglich in diesem Ratgeber ein spezifischer Zusammenhang der Legitimationsressourcen ›das Faktische‹, Religion und Biologieȹ/ȹMedizin. Dies kann darauf hindeuten, dass der Ratgeber damit auch für nicht-evangelikale Leser_innen ansprechend sein kann.6 Als in weiteren Analysen zu prüfende These kann formuliert werden, dass über diese diskursive Verknüpfung der drei Legitimationsressourcen zwei Diskurse füreinander anschlussfähig werden: der evangelikale und der säkularere öffentliche Diskurs der Mehrheitsgesellschaft. Dies könnte insbesondere bei der Form der Mission soziologisch interessant sein. In diesem Zuge könnte auch geklärt werden, ob der Ratgeber schlicht als Übersetzung rezipiert wird, jedoch in der evangelikalen Enklave verbleibt oder ob hier ein Diskursfragment aus dem deutlich religiöser geprägten amerikanischen Diskurs für den stärker säkularen deutschen Diskurs anschlussfähig wird. Wir möchten einen weiteren interessanten Aspekt bezüglich der Anschlussfähigkeit dieser beiden Diskurse thematisieren. Julika Rosenstock und Monika Wohlrab-Sahr zeigen, dass religiöse Gruppen »im Verlauf der Religionsgeschichte […] immer wieder eine enge Verbindung zwischen Religion, sozialer Ordnung und Geschlechterordnung hergestellt [haben]« (2000: 279). Die damit verbundenen »kulturellen Regulierungen bedienen sich häufig einer zentralen Unterscheidung – Reinheit vs. Unreinheit –, die […] leitend wird für den engen Zusammenhang von Religion und Geschlechterverhältnis.« (Ebd.: 290) Im analysierten Ratgeber zeigt sich eine Überlagerung der Unterscheidung Reinheitȹ/ȹUnreinheit mit dem Rekurs auf ›das Faktische‹. Beim Thema voreheliche Sexualität zeigen sich zwei Erzählstränge. Im ›Gleichheitserzählstrang‹ wird explizit die Geschlechterdifferenz bezüglich moralischer, sittlicher Ansprüche an die Individuen abgelehnt: »Wenn die Bibel unsittliches Verhalten verbietet, macht sie keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern.« (Dobson 2011: 268) Als ›Differenzerzählstrang‹ kann bezeichnet werden, dass die Besonderheit der Handlungsrichtlinien für Frauen bei vorehelicher Sexualität aufrechterhalten wird. Sie wird jedoch, betrachtet man die Argumentationslogik, nicht vorrangig über Moral oder Tugend begründet – beispielsweise wäre auch der Rekurs auf die Kontrastierung Eva-Natur vs. Maria-Natur denkbar gewesen. Dobson rekurriert stattdessen auf als ›so existent‹ beschriebene Geschlechterunterschiede: Frauen »verlieren in der Regel mehr« (ebd.: 368) und sollten sich deswegen von vorehelicher Sexualität fernhalten. Die Konzeption bleibt folglich patriarchal, Frauen sollen sich nun jedoch ›freiwillig‹, aufgrund ihres eigenen Wesens beugen und ›ihrem Geschlecht entsprechend‹ handeln, nicht mehr aufgrund ge-

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In diesem Sinne kann auch gesehen werden, dass das Ratgebercover keine religiösen Symbole verwendet.

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schlechtsspezifischer Moralkodizes. In der Legitimierung zeigt sich jedoch eine Überlagerung mittels des Rekurses auf ›das Faktische‹. Auch diese kann im Sinne des Anschlusses zweier Diskurse betrachtet werden. Im Evangelikalismus ist, wie bereits eingangs erwähnt, Mission hoch relevant; diesem Ratgeber kann damit als Ziel zugeschrieben werden, die Deutungsangebote auch in Diskursen zu institutionalisieren, die durch andere Diskursregelungen gekennzeichnet sind, das heißt auch: in denen andere Dinge ›sagbar‹ sind und in denen andere Legitimationsressourcen ›funktionieren‹. Für Dobson wird so der Bezug auf Begründungen für Geschlechterdifferenzierung notwendig, die im ›Zieldiskurs‹ anerkannt sind – Religion ›reicht‹ als Legitimation nicht. Im Material wird, wie bereits erwähnt wurde, auch ein Erzählstrang zu Gleichheit, Gleichwertigkeit und Ablehnung von Hierarchie sichtbar – wenn auch bei weitem nicht als Hauptelement der Geschlechterkonstruktion –, bei dem die Bibel hervorstechender Bezug ist. Auch dieses Moment kann im Sinne der Anschlussfähigkeit der zwei Diskurse betrachtet werden. Auf der ›Vorderbühne‹ findet eine partielle Anpassung an den Diskurs der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland statt, in dem die Forderung nach einer klaren Hierarchie der Geschlechter kaum mehr legitim ist, zumindest nicht laut geäußert. Diese Modifikation auf einigen ›Brettern der Vorderbühne‹ erscheint als ein ›Zugeständnis‹, um die Geschlechterkonzeption – die sich insgesamt als stark patriarchal zeigt – anschlussfähig zu machen. Sie ist auch ›notwendig‹, sollen die symbolischen Sinnwelten Zweigeschlechtlichkeit und christliche Religion gestützt und re-legitimiert werden. Ob diese Thesen über die vorliegende Fallanalyse hinaus beizubehalten sind, muss weitere Forschung zeigen. Der Autor verweist darauf, es gebe noch weitaus mehr Unterschiede zwischen den Geschlechtern, als die von ihm angesprochenen: »Die Medizin steht noch ganz am Anfang der Erkundung all der weitverzweigten Unterschiede zwischen den Geschlechtern.« (Ebd.: 387) Es erfolgt zum einen eine Verfügbarstellung von Geschlecht beziehungsweise Geschlechterdifferenz: Unterschiede zwischen Mann und Frau werden als ›leicht ersichtlich‹ und beschreibbar dargestellt. Zum anderen zeigt sich jedoch parallel eine Unverfügbarstellung: das Geheimnis sei noch nicht vollständig gelüftet. Wie weit die Geschlechterunterschiede bei Dobson gehen, möchten wir anhand eines Zitats verdeutlichen: »Als Forscher Gymnasien und Universitäten besuchten, um die Verhaltensunterschiede zwischen den Geschlechtern zu untersuchen, beobachteten sie, dass männliche und weibliche Schüler und Studenten sogar ihre Bücher anders transportierten. Die jungen Männer trugen sie häufig an der Seite, unter dem Arm. Frauen und Mädchen dagegen hielten in der Regel ihre Bücher an die Brust, fast so wie sie ein Baby halten würden.« (Ebd.: 390f.)

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2.2 Die Kleinfamilie als »Gottes Gedanke« Die traditionelle Familie stellt für James Dobson als Grundeinheit der Gesellschaft das »Fundament« (ebd.: 370) dar. Die Voraussetzung dieser Institution liegt im Ideal der lebenslangen verbindlichen Ehe. Der Autor rekurriert darauf, dass die »Familie […] Gottes Gedanke« war und als diese noch immer »eine wunderbare Institution« (ebd.: 310) sei. Die beiden Phänomene Familie und Ehe werden demnach nicht separat, sondern einander bedingend verstanden. Die Mutter nimmt dabei für das Kind die höchste Relevanz ein. Ihren Aufgaben ist im Ratgeber ein eigenes Kapitel gewidmet. »Der bedeutendste Umweltfaktor im Leben des Kindes ist seine Mutter.« (Ebd.: 28) Mit dieser Zuweisung wird sogleich auf eine ›natürliche‹ Gegebenheit verwiesen. Mutter-Sein ist die höchste Berufung und so soll sie idealerweise auch diejenige sein, die für die Erziehung der Kinder zu Hause bleibt. Die erwerbstätige Mutter gefährde durch den entstehenden Stress ihre Ehe und Familie, weswegen sich der Autor für eine traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ausspricht. Wenn ökonomische Umstände es jedoch dringend erfordern, unterstützt der Autor eine Berufstätigkeit der Mutter und die damit einhergehende Fremdbetreuung der Kinder. Dabei betont er aber wiederum, dass keine Einrichtung oder andere Person so gut Sorge tragen könne, wie die Mutter selbst. Ambivalent setzt sich James Dobson mit der Berufstätigkeit der Väter auseinander. Für Väter sei die Tatsache, jahrelang vorrangig mit ihrer Berufstätigkeit beschäftigt gewesen zu sein ein schwerwiegendes Dilemma, da sie teilweise erst viele Jahre zu spät merken, dass sie es versäumt haben, eine Beziehung zu ihren Kindern aufzubauen. Der Ratgeber problematisiert damit das Arrangement des männlichen Alleinverdieners, gibt jedoch keine Vorschläge zur Lösung der beschriebenen Probleme. Dobson verbleibt hingegen bei dem Deutungsangebot, dass das Ideal für Ehe und Familie eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, bei der die Mutter zu Hause bleibt und der Vater Familienernährer ist, beinhaltet. Es entsteht der Eindruck, dass dieses Arrangement starr ist, schon immer so gegeben ist und nicht verändert werden kann. Eine besondere Bedeutung innerhalb der Familie schreibt der Ratgeber dem Vater zu. So ist dieser die Autoritätsperson der Familie und zuständig für die Lösung bestimmter Verhaltensprobleme. Gerade in Zeiten der problematischen Teenagerjahre seien Väter kompetenter im Umgang, denn: »Es liegt auf der Hand, dass die Körpergröße, die tiefere Stimme und das männliche Auftreten es ihm erleichtern, mit dem herausfordernden Verhalten der jüngeren Generation umzugehen.« (Ebd.: 279) Väter sind aber auch jeweils unterschiedlich prägend für Töchter und Söhne. Das Bild, das der Vater von seiner Tochter aufbaut, be-

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stimmt ihr Selbstbild: »Wenn er sie für schön und weiblich hält, sieht sie sich auch so. Aber wenn er sie als reizlos und uninteressant ablehnt, wird sie wahrscheinlich noch als Erwachsene Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl haben.« (Ebd.: 98) Der Verlauf der Vater-Tochter-Beziehung ist ausschlaggebend für das spätere Liebesbeziehungsverhalten der Tochter anderen Männern gegenüber. Der Vater fungiert als Analogie des späteren Ehemanns und so sei es für diesen entscheidend, sich besondere Mühe bei der Erziehung von Töchtern zu geben. Wie der Vater der Tochter gegenüber auftritt und wie diese seine Autorität wahrnimmt, entscheidet darüber, ob sie ihren zukünftigen Ehemann achtet oder nicht. Für eine ›harmonische‹ Ehe der Tochter empfiehlt der Autor die Verbindung von Liebe und Disziplin und die damit einhergehende Vermittlung von Stärke durch den Vater. Ähnliches gilt auch für die Vater-Sohn-Beziehung, in der der Vater als Mentor auftritt und »seine Liebe mit Disziplin […], mit donnernder, samtweicher Hand [verdient]« (ebd.: 280). Im Unterschied zur Vater-Tochter-Beziehung unterstreicht der Autor hierbei jedoch die besondere Bedeutung gemeinsamer Erlebnisse zwischen Vätern und Söhnen. Von der idealen Kleinfamilie gibt es allerdings defizitäre und problematische Abweichungen, von denen einige im Ratgeber ausführlich betrachtet werden. Hauptaugenmerk liegt dabei auf Ein-Elter-Familien, wobei insbesondere alleinerziehenden Müttern eine immense Herausforderung zugeschrieben wird. Dobson greift dabei auf die symbolische Sinnwelt der Zweigeschlechtlichkeit zurück und weist alleinerziehenden Frauen und Männern unterschiedliche Kompetenzen im Umgang mit Konflikten zu. Grundlage dieses Deutungsmusters sind für ihn beispielsweise oben genannte stereotype Männlichkeitscharakteristika. Die Herausforderungen, vor denen alleinerziehende Väter stehen, werden beispielhaft mit dem Kämmen der Haare der Tochter oder dem Gespräch über Menstruationsbelange beschrieben und rhetorisch gleichgesetzt mit denen alleinerziehender Mütter. Jedoch beschäftigt sich der Ratgeber viel ausführlicher mit alleinerziehenden Frauen und ihren Anforderungen. So wird diesen zum Beispiel dringend empfohlen, sich innerhalb der christlichen Gemeinde einen Vaterersatz zu suchen: »Alleinstehende Mütter brauchen die Hilfe junger Männer, die mit ihren vaterlosen Söhnen Fangen spielen und sie zu einem Fußballspiel begleiten. Sie brauchen Männer, die kleine Reparaturen am Auto und im Haus vornehmen.« (Ebd.: 238) Alleinerziehende werden als Menschen »mit besonderen Bedürfnissen« (ebd.) implizit defizitär beschrieben, mit Begründung des fehlenden Vaters jedoch explizit abgewertet. Der Ratgeber verweist auf dieses Phänomen nun als Folge der Modernisierung, der sich die Gesellschaft stellen muss. So sei die Aufgabe der Gläubigen nun, der Hilfebedürftigkeit dieser Familien bei ihren Erziehungsaufgaben entgegenzukommen, explizit zum Beispiel einen männlichen Va-

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terersatz zu bieten. Der Autor verweist dabei auf das Gebot Jesu, die Bedürftigen zu lieben und zu unterstützen. Als Lösung schlägt Dobson Alleinerziehenden vor, sich eine christliche Gemeinschaft, Kirche oder Gemeinde als geistliche Heimat und Unterstützungssystem zum Überleben zu suchen. Noch prekärer als die Ein-Elter-Familie sind für den Autor Patchworkfamilien, die seiner Ansicht nach fast immer problembehaftet sind. Diese ›pathologischen‹ Familienformen sind nach Dobson Teil der Auswirkungen der Modernisierung. Die traditionelle Familie wurde und wird durch den Erlass ›familienfeindlicher Gesetze‹, die ›Propaganda radikaler Feministinnen‹, Politiker, ›homosexueller Aktivisten‹ oder ›liberaler Journalisten‹ »bekämpft, geschädigt, geschwächt und unterminiert« (ebd.: 403). Intakte Ehen werden durch »Alkoholismus, Pornografie, Untreue und andere böse Einflüsse[.]« (ebd.) bedrängt, jedoch kann, dem Autor folgend, nicht von einem Zerfall der Familie gesprochen werden. Im Widerspruch dazu stehen der Verlust traditioneller Werte sowie »das Abweichen von den sittlichen Maßstäben der Bibel« (ebd.: 488), die die Ursachen für die sozialen Missstände der westlichen Welt darstelle und die letztlich auch den Zerfall von Familien herbeiführe. Ob die Familie nun zerfällt oder nicht, wird dabei nicht abschließend geklärt. Der Autor sieht in der »immer extremer und antichristlicher« (ebd.: 5) werdenden humanistischen Sichtweise eine Bedrohung für den sozialen Frieden, die gesellschaftliche Ordnung, für Familie, Ehe und Geschlechterordnung. Dem entgegenzuwirken, spricht er sich entschieden dafür aus, die über Jahrhunderte gültige traditionelle begrenzte Familiendefinition zu schützen und diese nicht den wandelbaren kulturellen Rahmenbedingungen anzupassen, da die Familie »nicht nur menschlichen Ursprungs« ist, sondern auch »Gottes herrliche Schöpfung« (ebd.: 485). Die symbolische Sinnwelt der christlichen Religion ist im Ratgeber die bedeutendste Legitimationsressource für die traditionelle Familienform. Spannend bleibt, ob neben der Zweigeschlechtlichkeit auch das ›Wohl der Gesellschaft‹ als Legitimationsressource fungieren kann, denn um das »Fundament, von dem die ganze Zivilisation getragen wird« (ebd.: 370), zu stützen, braucht es nach Dobson die gesündeste Familienform: »intakte Familien mit beiden Elternteilen«, weil nur diese »einen direkten Beitrag zu einer stabilen Gesellschaft leisten« (ebd.: 248). 2.3 Erziehen als die Vermittlung der zwei Seiten Gottes: Liebe und Gerechtigkeit Die Folgen der Modernisierung machen nach Ansicht des Autors auch vor dem Erziehungsverhalten heutiger Eltern nicht Halt. So weist Dobson in seinem Ratgeber auf zahlreiche Probleme hin, denen die ›gute konservative christliche Fa-

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milie‹ durch die ›gefährlichen Verlockungen der modernen Gegenkultur‹ ausgesetzt ist und bietet Lösungsansätze zur Rückbesinnung auf traditionelle Werte. Unsere Zivilisation habe dazu geführt, dass Familien zerfallen und familiäre Unterstützungssysteme verschwinden. Durch das Fehlen einer »Philosophie als Richtschnur für die Erziehung« (ebd.: 4) ist eine zunehmende Verunsicherung im Erziehungsverhalten vieler Eltern entstanden, in Folge derer sie sich Rat bei »›Fachleuten‹« (ebd.: 5) holen, deren Einfluss jedoch – so der Autor – Schuld an der Entstehung des Problems trägt, weil sie »die jüdisch-christliche Ethik und ihre zeitlose Weisheit außer Acht lassen« (ebd.). Folge sind steigende »Jugendkriminalität, Drogenmissbrauch, Alkoholismus, ungewollte Schwangerschaften, geistig-seelische Krankheiten und Selbstmord« (ebd.). Auf die Bibel rekurrierend argumentiert der Autor hingegen, dass Gottes Plan keine Selbstzweifel und Schuldgefühle der Eltern enthält, die Kindererziehung stattdessen ein »wunderbarer Segen Gottes«, »eine willkommene, freudige Erfahrung« (ebd.: 86) sei. Die humanistische Sichtweise führe nun aber zu einer gefährlichen Freizügigkeit, die auf Disziplin verzichte und nur eine schwache beziehungsweise keine Autorität zulasse, was wiederum Unsicherheit und Abhängigkeit auf Seiten der Kinder erzeugt. »Die Kinder von heute gehen […] durch das finstere Tal! Drogen, Sex, Alkohol und Rebellion und eine von der Norm abweichende Lebensweise sind allgegenwärtig.« (Ebd.: 87) Eltern streben nach Perfektion und Idealismus, schwanken in ihren Selbstzweifeln zwischen den Extremen Strenge und Freizügigkeit sowie Liebe und Autorität. James Dobson vermittelt den Eindruck, genau zu wissen, wie Eltern ihre Kinder ›richtig‹ erziehen, dafür scheint es den einen Weg zu geben, der stark normativ vermittelt wird. Die Überschrift »Erfolgreiche Kindererziehung in unserer Zeit« (ebd.: 83) zeigt dies exemplarisch. Ihr Bestandteil »in unserer Zeit« verweist gleichsam darauf, dass Dobson spezifische Erziehungsprobleme und -lösungen für die Moderne sieht. Wie bereits thematisiert, stellen für den Autor die Rückbesinnung auf das jüdisch-christliche Wertesystem, sowie die über »zweitausend Jahre[.]« (ebd.: 5) überlieferten Erfahrungen die Grundlage des Ratgebers dar; mit dieser Formulierung verweist der Autor in seiner Einleitung implizit darauf, dass er die Menschheit seit Geburt Jesu meint. Für Dobson ist das Elternsein ein großes Privileg mit der Möglichkeit zur religiösen Erziehung von Kindern und der Vermittlung, dass es »keine höhere Berufung« gibt, als »Gott mit ganzem Herzen zu ehren und ihrem Nächsten ein Leben lang zu dienen« (ebd.: 86). Die Hauptaufgabe christlicher Eltern besteht darin, Überzeugungen und gute Sitten weiterzugeben und innerhalb der Familie eine geistliche Grundlage zu schaffen. Dazu gehört, Glaubensgrundsätze selbst vorbildhaft jeden Tag zu leben und Kinder mit der frühzeitigen Unterweisung und dem Nahe-

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bringen von Jesus Christus die Tür zu geistlichen Einstellungen zu öffnen. Kindern klarzumachen, dass die Liebe zu Jesus im Leben die höchste Priorität hat, sei die wichtigste gottgegebene Aufgabe für Eltern. Grund dafür sei, dass Kindern später durch die Welt »ganz andere Botschaften übermittelt« würden, durch die sie, ohne gefestigte Grundlage in der Familie, »zur Hölle geführt« (ebd.: 193) würden. Die differenzierte Erziehung von Mädchen und Jungen wird im Ratgeberkapitel »Erfolgreiche Kindererziehung« explizit unter »Geschlechtliche Unterschiede« (ebd.: 97) thematisiert, worin Dobson eine kulturelle Zuweisung von Geschlecht abweist und betont, dass Erziehung keinen Einfluss auf die ›gottgegebene zweigeschlechtliche Ordnung‹ hat. Geschlechterneutrale Erziehung würde hingegen dem Wesen von Kindern widersprechen. Im weiteren Ratgeber erscheint die geschlechtsdifferenzierte Erziehung zumeist implizit. Zwar rekurriert er auf natürliche Bedingungen und gibt auch konkrete geschlechtsspezifische Handlungsanweisungen: »Das männliche Ich ist so angelegt, dass es sich nicht recht wohl fühlt, wenn es sich zurückziehen muss. Auch heute, wo die alten Einschränkungen und Tabus für Frauen weggefallen sind, glaube ich, dass Eltern ihren Töchtern immer noch eine gewisse Zurückhaltung, eine gewisse Selbstachtung bei Liebesbeziehungen beibringen sollten.« (Ebd.: 267)

Jedoch werden seine geschlechtsdifferenzierten Erziehungsansichten meist anhand vorgebrachter Beispiele verdeutlicht. In der Thematisierung der VaterSohn-Beziehung werden geschlechtsstereotype Hobbys reproduziert: »Manche Väter bauen oder reparieren Autos mit ihnen; manche setzen Modellflugzeuge zusammen oder tischlern gemeinsam. Mein Vater und ich gingen zusammen auf die Jagd und zum Angeln.« (Ebd.: 280) Selbst- und Fremdwahrnehmung von Mädchen und Jungen richten sich nach Dobson an stereotyp zugeordneten Aspekten wie Schönheit und Sport aus. Als Vertreter Gottes in den frühen Jahren der Kindheit ist es Aufgabe der Eltern, Kindern die zwei bedeutendsten Seiten von Gottes Wesen zu verdeutlichen: Liebe und Gerechtigkeit. Vermittelt werden sollen diese Wesenszüge durch die Liebe und die Autorität der Eltern, wobei auf ein ausgewogenes Verhältnis zu achten sei – das eine solle nicht ohne das andere sein. Die Autorität der Eltern wird als Entsprechung zur Gerechtigkeit Gottes konzipiert. Im Zusammenhang damit verweist Dobson auf die Bibel, worin eine Sakralisierung dieser Form von elterlicher Erziehung gesehen werden kann. Dobson leitet drei Hauptgrundsätze für Eltern ab: »1. Die Autorität der Eltern ist bestätigt; 2. Disziplin dient dem Wohl des Kindes; 3. Disziplin darf nicht hart sein und dem Gemüt des Kindes

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nicht schaden« (ebd.: 133) und verweist auf die sechs Grundzüge seiner auf der Bibel aufbauenden Erziehungstheorie. Dazu gehört die Festlegung von Erwartungen und Grenzen, um Kindern ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln, das Durchsetzen der eigenen Autorität gegenüber den Kindern sowie die Unterscheidung zwischen kindlicher Verantwortungslosigkeit, der mit Geduld begegnet werden kann und absichtlicher Herausforderung, auf die wohlverdiente Strafen, die sogar körperliche Züchtigung einbeziehen können, folgen sollten. Im vierten Punkt weist er darauf hin, dass das Kind nach einem Streit getröstet und geliebt und ihm die Strafe erklärt werden müsse. Danach sei es wichtig, mit dem Kind gemeinsam zu beten, um auch die Vergebung Gottes zu erfahren. Des Weiteren sollen unmögliche Anforderungen an die Kinder vermieden werden und Eltern sich stets von Liebe leiten lassen, so könnten auch unvermeidliche Fehler der Eltern entschuldigt werden, denn »eine Beziehung, die von echter Liebe und Zuneigung geprägt ist, ist wahrscheinlich gesund« (ebd.: 107). Die Leitidee der Liebe ist wesentlicher Bestandteil christlicher Erziehung und liegt vielen anderen Erziehungsmaßnahmen zugrunde. Wie bereits erwähnt, wird dabei stets darauf Wert gelegt, auf ein ausgewogenes Verhältnis beziehungsweise einen Mittelweg zwischen Liebe und einem anderen erzieherischen Grundprinzip, wie Autorität oder Disziplin, zu achten. Der Autor verweist auf Bibelstellen (vgl. ebd.: 133), bezieht sich auf das Konzept der christlichen Liebe (vgl. Lenz/Dreßler/Scholz i.d.B.) und argumentiert mit dem (angeblichen) Willen des Kindes, jedoch entsteht dabei die Vermutung, dass dieser lediglich als Legitimationen für kontroverse Erziehungsmethoden, wie die der physischen Bestrafung, herangezogen werden. »Man darf nicht vergessen, dass das Bedürfnis nach Disziplin und Leitung allgemein bei allen Kindern vorhanden ist […]. [N]ur durch liebevolle Leitung lassen Eltern ein Gefühl der Geborgenheit und des Selbstwertes beim Kind entstehen.« (Dobson 2011: 94) Der körperlichen Züchtigung als Maßnahme der Disziplinierung und Willensformung widmet der Ratgeber weitläufige Ausführungen und so taucht diese nicht nur als Erziehungsmaßnahme immer wieder auf, sondern wird auch in einem eigenen Kapitel besprochen. Die richtig angewandte körperliche Züchtigung sei eine angemessene Reaktion auf kindlichen Ungehorsam und darüber hinaus für ein Kind, das in einem liebevollen familiären Umfeld aufwächst, gewinnbringend, weil sie »im Einklang mit der Natur selbst« (ebd.: 138) stehe. Gelegentliches Strafen gehöre ebenso wie die Vermittlertätigkeit der Eltern und die Achtung der Kinder vor elterlicher Autorität zu den Grundpfeilern zur Schaffung eines »angemessene[n] System[s] der Gerechtigkeit« (ebd.: 235) und einem Gleichgewicht der Kräfte innerhalb der Familie. Achtung nimmt innerhalb des Ratgebers einen zentralen Stellenwert ein, sie ist »Abbild von Gottes Beziehung zum Menschen« (ebd.:

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117). Die Beziehung des Kindes zu den Eltern sei zum einen grundlegend für seine Einstellung jeder später folgenden Form von Autorität gegenüber. Außerdem sei es für Eltern von großer Bedeutung für die Weitergabe des eigenen Glaubens, sich der Achtung ihrer Kinder im frühen Kindesalter würdig zu erweisen, da nur so sicher gestellt werden kann, dass sie als Jugendliche die elterlichen Wertvorstellungen akzeptieren. Bei Missachtung der Eltern durch die eigenen Kinder bestünde die Gefahr, dass diese sich von den elterlichen Moralvorstellungen und Überzeugungen abwenden. Mit Rekurs auf die Bibel geht der Autor sogar einen Schritt weiter: Diese gebiete, dass Kinder ihre Eltern ohne Einschränkung achten sollten – gleichgültig, »ob sie dieser Achtung würdig sind« (ebd.: 329). Denkbar ist, dass Dobson für seine Lehre zu ›missionieren‹ versucht. Noch vor einigen Jahrzehnten wäre es für Eltern wohl kaum vorstellbar gewesen, gewaltvolle Erziehungsmaßnahmen rechtfertigen zu müssen. Die Diskurse um Erziehungsideale haben sich verändert, wobei die Idealisierung des Kindes und der Wandel von einer Elternzentrierung hin zu einer Kindzentrierung besonders hervorstechen (vgl. Lenz/Scholz i.d.B.). Auf der Ebene der Legitimierung erweckt es den Anschein, der Autor würde sich mit dem Bezug auf Liebe und den Willen des Kindes den aktuellen Erziehungsdiskursen der Mehrheitsgesellschaft annähern. Auf der Ebene der von ihm vorgeschlagenen Erziehungspraxis wird jedoch eindeutig an die ›Schwarze Pädagogik‹ (vgl. Rutschky 1977) angeschlossen und mit Körperstrafe und psychischer Demütigung etwas als legitimes Mittel proklamiert, was aktuell, wenn auch nicht auf der Handlungsebene, so doch zumindest »aus dem Debattenspektrum verschwunden ist« (Höffer-Mehlmer 2003: 243). Letztendlich stellt der Bezug auf die symbolische Sinnwelt der christlichen Religion die bestimmende Legitimierung der Erziehungsideale im Ratgeber dar, freilich immer in ihrer Form als Interpretationen des Autors, als spezifische Auslegung Dobsons. Die Sorge, Kinder könnten sich an anderen Werten als ihre Eltern orientieren oder sich vom Glauben abwenden, zieht sich durch die verschiedenen angebotenen Erziehungsleitbilder. »Keine oder schlechte Unterweisung […] kann die Tiefe der späteren Gotteshingabe des Kindes stark einschränken. Wenn Eltern ihren kleinen Kindern die Unterweisung vorenthalten und sie ›selbst entscheiden‹ lassen, dann ist praktisch sicher, dass sie eine negative ›Entscheidung‹ fällen« (Dobson 2011: 198).

Dadurch wird der Anschein geweckt, dass die religiösen Überzeugungen selbst immerzu aufrechterhalten werden müssen, was durch die rigorose Ablehnung

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humanistischer Ideale und die Angst um den schwindenden Einfluss traditioneller christlicher Ideale nur bestätigt wird.

3. R ESÜMEE Im »Große[n] Familien- und Erziehungsratgeber« von James Dobsen ist bei allen drei betrachteten Aspekten – Geschlechterkonzeption, Familienformen und Erziehungsleitbilder – die Modernekritik, eine Abgrenzung von der ›Gegenkultur‹ hoch relevant. Bei der Formulierung der ratgebereigenen Deutungsangebote stützen sich die symbolischen Sinnwelten Zweigeschlechtlichkeit und christliche Religion − wie sie der Autor konzipiert − gegenseitig. Der Autor legitimiert mit seiner Konstruktion der sozialen Wirklichkeit die eigene Geschlechterkonzeption, in der wiederum »die Weisheit des Schöpfers« (ebd.: 387) erkennbar werde. Gleichsam wird auch die Religion zur Stützkonzeption für die Zweigeschlechtlichkeit, denn diese sei so »von Gott […] geplant« (ebd.: 388). Eine Interpretation ist, dass der Autor Zweigeschlechtlichkeit und christliche Religion als symbolische Sinnwelten durch die Modernisierung und mit ihr verknüpfte ›Feindgruppen‹ in Frage gestellt sieht. Um sie als symbolische Sinnwelten zu erhalten, zu stützen und als nicht hinterfragbar aufzubauen, werden sie füreinander als Stützkonzeptionen herangezogen. Als eine These, die für weitere Diskursforschungen zu diesem Feld interessant sein kann, hat sich aus der Fallanalyse ergeben, dass der evangelikale Diskurs durch den spezifischen Rekurs auf Deutungsmuster und Legitimationsressourcen wie biologische Fundierung von Geschlecht oder Begründung von Erziehungsleitbildern mit ›Liebe‹ und dem ›Willen des Kindes‹ an derzeit hegemoniale und säkularere Diskurse anschlussfähig werden kann. Gott, Bibel, christliche Religion werden in diesem Diskursfragment jedoch nicht in ihrem Status als Letztbegründungen aufgegeben, sondern diskursiv als symbolische Sinnwelt (re-)konstruiert. Ob die hiesigen Deutungsangebote institutionalisiert, verstanden im Sinne von Michael Schwab-Trapp (2006), werden können – oder in welchen Diskursen sie institutionalisiert werden können – ist selbstredend abhängig von den dort geltenden Diskursregeln. Dazu gehört beispielsweise, ob die Konzepte ›Gott‹, ›Gottes Schöpfung‹ und ›Bibel‹ als starke Legitimationsressourcen ›funktionieren‹. Wird in den ›Zieldiskursen‹ ›das Faktische‹ in der Form, wie es von James Dobson konstruiert wird, anerkannt? Oder werden stattdessen konkurrierende Deutungsangebote formuliert und andere symbolische Sinnwelten konstruiert? Wie unterscheiden sich diesbezüglich verschiedene Diskurse? In diesem Sinne wäre es lohnend, Schnittpunkte der Diskursstränge zu betrachten und beispiels-

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weise zu untersuchen, wie in Parlamentsdebatten, der Tagespresse oder Gruppenzusammenhängen Deutungsangebote des Evangelikalismus aufgenommen werden und wie mit ihnen diskursiv umgegangen wird. Dies wäre zweifellos eine interessante Frage auch für eine genauere Einschätzung der gesellschaftspolitischen Relevanz der evangelikalen Bewegung in Deutschland.

IV. Zusammenfassender Vergleich

Liebe und Elternschaft auf Dauer? Zusammenfassende Auswertung der Ratgeberanalysen und weiterführende Forschungsfragen S YLKA S CHOLZ »Soll eine Liebe von Dauer sein, braucht sie auch die Ordnung. Sonst besteht die Gefahr, dass sie zerstörerisch wird oder jedenfalls nach raschem Aufflackern schnell erlischt.« (Jellouschek 2008a: 21) »Das Kind kann Liebe nicht in Frage stellen. Und die Liebe, so, wie es sie empfindet, ist zeitlich unbegrenzt. Wie soll es verstehen, dass sich die Eltern einmal sehr geliebt haben, jetzt aber nicht mehr? Die Eltern sagen, sie liebten das Kind, wieso lieben sie dann einander nicht mehr?« (Largo/Czernin 2011: 35)

Studien zum Wandel der privaten Lebensformen (vgl. etwa Burkart 2008; NaveHerz 2006; Peuckert 2008) zeigen, dass in den 1950er Jahren die infolge der Kriegssituation in Unordnung geratene Familienordnung in Ost- und Westdeutschland normativ wiederhergestellt wurde. Die 1950er Jahre gelten als das ›goldene Zeitalter der Eheschließung‹, gleichwohl konnten diesem Ideal viele Frauen nicht gerecht werden, da etliche Männer im Krieg gefallen waren und die demographische Situation durch ein massives Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern gekennzeichnet war, das pointiert als ›Frauenüberschuss‹ bezeichnet wird. Gerade vor dem Hintergrund dieser aus dem Gleichgewicht geratenen Geschlechterverhältnisse fungierte die Ehe als Ideal, welches Ordnung, Sicher-

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heit und Glück versprach. Die erneute Stabilisierung der Kernfamilie war jedoch nur von kurzer Dauer. Die in der Weimarer Republik einsetzenden kulturellen Wandlungstendenzen, die sich in Phänomenen wie der ›neuen Frau‹ und der Aufwertung der weiblichen Sexualität zeigten, setzten sich zaghaft bereits in den 1950er Jahren fort, ab Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre schlug sich diese Entwicklung zunehmend in sinkenden Verheiratungs- und steigenden Scheidungsquoten, rückläufigen Geburtenraten und einer Zunahme alternativer Lebensformen nieder. Die Gegenwartssituation ist gekennzeichnet durch eine Vielfalt von möglichen privaten Lebensformen, die im Lebensverlauf gewählt werden können und – oft abhängig vom Alter – wechseln (vgl. etwa Gildemeister/Robert 2008). Vor diesem Hintergrund kann erwartet werden, dass sich die diskursiven Deutungsangebote bezüglich der idealen Lebensform, der Vorstellungen von Liebe und Sexualität, der Ausgestaltung der Elter(n)-Kind-Beziehung und der Geschlechterkonstruktionen in den Ratgebern deutlich gewandelt haben. Im abschließenden Artikel werden die vielfältigen Ergebnisse der Teilanalysen, die in diesem Buch entfaltet wurden, unter der leitenden Fragestellung zusammengefasst: Welche diskursiven Deutungsangebote stellen die Ratgeber ihren Lesern und Leserinnen zur Verfügung, um ihre Zweierbeziehung und ihre Elternschaft auf Dauer zu stellen? Aufgezeigt wird, wie die Ratgeberautor/innen diese Deutungsangebote legitimieren. Methodisch handelt es sich im Rahmen unserer Wissenssoziologischen Diskursanalyse um den Abschluss des Fallvergleichs (vgl. Scholz/Lenz i.d.B.). Datengrundlage sind nicht nur die Teilanalysen in diesem Band, sondern alle Ratgeberanalysen, die im Projekt in den verschiedenen Arbeitskontexten durchgeführt wurden (vgl. Vorwort). Der Vergleich beruht auf einer maximalen Fallkontrastierung von mehr als 50 Ratgebern aus den 1950ern und den 2000ern. Herausgearbeitet werden im Prozess der selektiven Kodierung die zentralen Schlüsselkategorien, die folgend in einfache Anführungszeichen gesetzt werden.1 In einem ersten Schritt werden die diskursiven Deutungsangebote der Ehe- und Beziehungsratgeber dargestellt, die wir als Bestandteil des öffentlichen Liebesdiskurses verstehen. Die diskursiven Deutungsangebote der Erziehungsratgeber, die Ingredienzen des Erziehungsdiskurses sind, werden im zweiten Schritt zusammengefasst. Der vergleichende Durchgang zeigt gravierende Unterschiede zwischen der Formation des Liebesdiskurses und der des Erzie-

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Die offene und axiale Codierung des Datenmaterials hat Sarah Eckart im Rahmen ihrer Tätigkeit als ›wissenschaftliche Hilfskraft‹ im Projekt durchgeführt. Ich danke ihr für die gründliche und engagierte Forschungsarbeit. Dieser Artikel baut auf eine Analyse des Wandels der Liebessemantik auf (vgl. Scholz 2013).

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hungsdiskurses, sie werden in einem dritten Schritt genauer betrachtet. Analysiert werden zudem die Verschiebungen im Zeitverlauf bezüglich der Akteur/ innen und der Wissensbezüge. Auch eine breit angelegte Untersuchung wie diese lässt eine Reihe von Forschungsfragen offen, sie werden in einem abschließenden vierten Schritt dargestellt.

1. D ISKURSIVE D EUTUNGSANGEBOTE IN E HE - UND B EZIEHUNGSRATGEBERN Das Thema der Stabilität einer Paarbeziehung ist nicht nur von außen an das Material herangetragen, sondern es entspricht der grundlegenden Problemorientierung der Ratgeber. Unterschiedlich sind – dies haben die Teilanalysen gezeigt – die Diagnosen, was den Bestand einer Paarbeziehung gefährden könnte. Das übergreifende Ziel der vielfältigen Lösungsansätze ist es, Kontinuität und Qualität der Zweierbeziehung sicherzustellen. Dazu werden zahlreiche praktische Ratschläge entfaltet. Von Interesse sind im Folgenden die in den Lösungsansätzen entfalteten diskursiven Deutungsangebote bezüglich der idealen Lebensform und der Konstruktionen von Liebe, Sexualität und Geschlecht. Herausgearbeitet werden die Bezüge zwischen den Kategorien und die Legitimationen, auf denen die Deutungsangebote beruhen. Dabei orientieren wir uns am Konzept der Legitimation von Peter L. Berger und Thomas Luckmann (2007, orig. 1966), das zentraler Bestandteil der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (vgl. Keller 2005) ist. Über Legitimationen werden Wissensinhalte mit dem Anspruch objektiver Gültigkeit versehen, zumindest werden sie mit einem höheren Grad an Verbindlichkeit ausgestattet und können somit Wissensordnungen wenigstens zeitweise auf Dauer stellen. Die zentralen Deutungsangebote, die ›Schlüsselkategorien‹, werden in Bezug zur soziologischen Debatte über Liebe gesetzt, die wir im Einleitungsbeitrag entfaltet haben (vgl. Lenz/Dreßler/Scholz i.d.B.): Welche Bedeutung hat die romantische Liebessemantik im Liebesdiskurs? Welche konkurrierenden Deutungsangebote werden in den Ratgebern entfaltet? 1.1 Lebensform: Die Liebesehe von der sozialen Norm zur besten Option In allen untersuchten Ratgebern gilt die Liebe als Voraussetzung für eine Paarbeziehung, diese wird grundsätzlich in Bezug zur Ehe gesetzt. Fortgeschrieben wird das in der Romantik entstandene Konstrukt der Liebesehe, ohne – dies ist ein Spezifikum der Ratgeber – explizit auf die Romantik zu rekurrieren. Dieses

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romantische Liebeskonstrukt, das historisch erstmals Liebe und Ehe miteinander verbindet, wird im Zeitverlauf der Untersuchung durch andere, sich verändernde Legitimationen gestützt und mithilfe dieser Stützkonstruktionen in Geltung gesetzt. Galt die Ehe in den 1950ern als ein soziales ›Muss‹, so argumentieren heutige Ratgeber, dass die Ehe unter den verschiedenen möglichen Beziehungsformen eine Paarbeziehung am besten auf Dauer stellt und deshalb gewählt werden sollte. Liebe und Ehe sind demnach im Konstrukt der ›Liebesehe‹ semantisch weiterhin eng miteinander verbunden. Diese Schlüsselkategorie hat im Material unterschiedliche Ausprägungen, die im Folgenden genauer entfaltet werden. In den 1950er Jahren ist die Ehe der einzige legitime Ort, an dem sich »wahre Liebe erfüllt« (Barrantay 1957: 37). Theodor Bovet setzt Liebe und Ehe in ein sich gegenseitig bedingendes Bezugssystem: »Heute beweisen einzelne Ehepaare, daß das vollkommene Liebesglück tatsächlich möglich ist, aber nur in der Ehe, und daß die Ehe tatsächlich lebendig sein kann, aber nur durch die Liebe, und wiederum wird man sich langsam bewußt, daß diese Verbindung von Liebe und Ehe nur möglich ist durch Gottes besondere Gnade durch den ausdrücklichen Segen, den er der Ehe verspricht.« (Bovet 1954: 159) Die Referenz auf Gott ist in den meisten westdeutschen Eheratgebern der 1950er Jahre bedeutsam, denn die Ehe gilt als eine sakrale Institution (vgl. auch Eckardt i.d.B.). Die Ehe, so heißt es auch in dem ab 1959 aufgelegten Bestseller »Die gute Ehe«, »ist weit mehr als die Erfüllung gegenseitiger Liebe dieser beiden Menschen. Sie ist ein Amt, das Gott den Menschen gegeben hat« (Oheim/Möring/Zimmermann 1959: 106). Die ›Ehe als sakrale Institution‹ ist die erste Ausprägung der ›Liebesehe‹ im Material, sie wird mit Rekurs auf die symbolische Sinnwelt der christlichen Religion legitimiert und erhält einen Sinn, der über sie hinausweist, sie transzendiert und auf diese Weise stabilisiert. Die christliche Religion hatte in den 1950er Jahren in der Gesellschaft wieder an Bedeutung gewonnen. Die Kirche galt nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus als integre moralische Institution und konnte ihren gesellschaftlichen Einfluss stärken, so dass die 1950er als Jahrzehnt der Re-Christianisierung betrachtet werden (vgl. Schildt/Sywottek 1993). Durch die Teilung Deutschlands wurde zudem in Westdeutschland das katholische Milieu gestärkt, der Anteil von Katholik/innen und Protestant/innen war nun ausgeglichen (vgl. Gabriel 1993). Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Dominanz religiös gebundener Ratgeberautor/innen. Die christliche Religion, sowohl in ihrer protestantischen als auch in ihrer katholischen Provenienz, fungierte als zentrale Legitimation einer auf (romantischer) Liebe beruhenden Ehe. Neben der monogamen, heterosexuellen, lebenslangen Ehe werden in den Eheratgebern der 1950er Jahre kaum alternative Beziehungsformen betrachtet, in

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denen sich Liebe entfalten könnte. Die durch die Kriegsfolgen in Unordnung geratenen Familienverhältnisse werden, wenn überhaupt, nur randständig und meist als negative Beispiele angeführt. Nur der bereits in den 1930ern publizierende Walther von Hollander verweist wohlwollend auf andere Beziehungsformen wie etwa nicht-eheliche Beziehungen verwitweter Frauen. Das Ziel bleibt auch für ihn die Ehe, allerdings in neuer Konzeption: »Was kommen wird, wird die Partnerehe sein, die Verbindung zwischen zwei Menschen, die verbunden, aber nicht wie die siamesischen Zwillinge aneinander gefesselt sein sollen, und von denen jeder sein eigenes Leben aufbauen und führen wird.« (von Hollander 1953: 270) Mit Elke Reinhardt-Becker (2005) kann der Philosoph, Lebens- und Eheberater von Hollander zu den Publizisten der Neuen Sachlichkeit gezählt werden, die eine neue Liebessemantik kreierten: die sachliche Liebe (vgl. Lenz/ Dreßler/Scholz und Reiners i.d.B.). Auch in der Nachkriegszeit vertritt er seine Ehephilosophie von der partnerschaftlichen und gleichberechtigten Ehe und erweitert damit den Diskurs um Ehe und Familie. Die ›Partnerehe‹ ist neben der ›Ehe als sakrale Institution‹ die zweite Ausprägung der ›Liebesehe‹ im Material. Das diskursive Deutungsangebot ›Partnerehe‹ dominiert in den ostdeutschen Ratgebern. Festzustellen ist, dass in der DDR keine neue Form der privaten Lebensführung entwickelt und die Ehe weiterhin als »legitime Stätte der Liebesbeziehungen« (Neubert 1957: 136) betrachtet wird. Eine dauerhafte Zweierbeziehung soll auf Liebe beruhen; Liebe und Zuneigung gelten als einzige Legitimationen der sozialistischen Ehe. Damit wird, so Barbara Hille, »die säkulare Tendenz zur Personalisierung, Emotionalisierung und Romantisierung ausschließlich für den Sozialismus reklamiert« (Hille 1985: 45). Die Ehe als konventionelle Beziehungsform wird aber mit einem neuen Inhalt versehen. In dem Bestseller »Das neue Ehebuch« des Arztes Rudolf Neubert wie auch in den anderen untersuchten Ratgebern wird das Ideal einer neuen, partnerschaftlichen Liebesehe im Sozialismus verbreitet. Dieses wird von der vermeintlich zusammenbrechenden bürgerlichen Ehe im Kapitalismus abgegrenzt, die auf ökonomischen Interessen und nicht auf Liebe beruht. Zentrale Merkmale der neuen Ehe sind die Gleichberechtigung, die Befreiung der Ehe aus ökonomischen Zwängen, die Gründung und Erhaltung der Ehe durch die Liebe sowie ihre Öffnung hin zur Gesellschaft durch die Gründung einer Familie. »Im Sozialismus ist die Ehe eine für das Leben geschlossene Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, die auf Gleichberechtigung und gegenseitiger Achtung und Liebe beruht und der gemeinsamen Entwicklung der Eheleute und der Erziehung der Kinder dient« (Uhlmann 1961: 58), heißt es in der »Kleine[n] Enzyklopädie. Die Frau«, die von einem vielköpfigen Autor/innen-Kollektiv geschrieben und von 1961 bis 1989 in insgesamt achtzehn Auflagen publiziert wurde. Legitimiert

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wird die partnerschaftliche Ehe mit Rekurs auf die sozialistische, als wissenschaftlich konzipierte Weltanschauung, welche die christliche Religion ablöst. Dies war, wie entsprechende Studien belegen (vgl. dazu Pollack 1994; SchmidtLux 2008), ein konfliktvoller Prozess. Im Laufe der 1950er Jahre wurde die Deutungsmacht der Kirche immer mehr beschränkt, die staatlichen Instanzen konnten ihre Sichtweise durchsetzen – oftmals, aber nicht nur, mittels Repressionen und Gewalteinsatz. Der Glaube an Wissenschaft und Fortschritt gewann im Laufe des Jahrzehnts die Oberhand (vgl. auch Wohlrab-Sahr/Karstein/SchmidtLux 2009). Die geschichtsphilosophische Weltanschauung kann man als eine symbolische Sinnwelt begreifen, mittels derer in der DDR die verschiedensten Sinnenklaven zu einem großen Ganzen integriert wurden. Der Ehe stellt sie einen über sie hinausweisenden, höheren Sinn für ihre Begründung und Stabilisierung zur Verfügung. Experimente mit alternativen Lebensformen, wie sie in der Sowjetunion der 1930er Jahre erprobt wurden (vgl. Schneider 2004: 31), spielen im Diskurs keine Rolle. Angesichts einer recht weit fortgeschrittenen Pluralisierung der Lebensformen ist nun bemerkenswert, dass in den Ratgebern aus den 2000er Jahren weiterhin die auf Liebe beruhende Ehe als Lebensform favorisiert wird. Hans Jellouschek, der bekannteste deutsche »Paartherapeut und Beziehungspapst« (Nuber 2007: 45), rät in seinen zahlreichen Ratgebern, die Beziehung klar zu definieren, um sie auf Dauer zu stellen, und deshalb die Ehe als Ritual zu schließen: »Ich bin dein Mann, du bist meine Frau. Wir sind ein Paar. Diese Definition verspricht Verbindlichkeit« (Jellouschek 2008b: 14). Auch Eva-Maria Zurhorst, Beziehungstherapeutin, plädiert in ihrem äußerst erfolgreichen Ratgeber »Liebe Dich selbst und es ist egal, wen du heiratest« aus dem Jahr 2004 für die Eheschließung: »Ich bekenne mich zu dieser so leidenschaftlichen Hommage an die gute alte Ehe« (Zurhorst 2004: 73). Die Eheschließung ist nun eine individuelle, aber angeratene Option geworden und die Ehe ist auch keine sakrale Institution mehr. Der Bedeutungsverlust der Religion in der Gesellschaft wird aber durchaus negativ thematisiert. Der Paartherapeut und promovierte Theologe Jellouschek konstatiert: »Früher war die eheliche Gemeinschaft durch Weltanschauung und Religion abgesichert. Die kirchliche Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe war zugleich eine gesellschaftliche und lange Zeit auch eine rechtlich verbindliche Norm« (Jellouscheck 2008a: 16f.), deshalb ist für ihn auch die Stabilität der Ehe gefährdet. Die Paare sollen heiraten wie seinerzeit in der Kirche. »In diesem Sinne finde ich es höchst angemessen, wenn Paare sich, wie es in den Hochzeitsritualen beider christlicher Kirchen vorgesehen ist, diese Verbindlichkeit zusagen: ›Bis der Tod uns scheidet.‹« (Ders. 2008b: 22) Das Zitat verweist auf die Notwendigkeit eines symbolischen Sinnüberschusses, der die Gegenwart des

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einzelnen Paares überschreitet oder – anders ausgedrückt – transzendiert, um die Beziehung auf Dauer zu stellen. Jellouschek rekurriert auf religiöse Legitimationsmuster, er plädiert nicht für die Rückkehr zu einer festen religiösen Ordnung, ist aber auf der Suche nach einem funktionalen Äquivalent. Im Kontrast zu den 1950er Jahren werden Trennungen nicht mehr tabuisiert, Scheidungen gelten als legitimer Ausweg aus unbefriedigenden Beziehungen. So formuliert etwa Arnold Retzer zum Abschluss seiner programmatischen Streitschrift »Lob der Vernunftehe« Regeln für das »vernünftig[e] Schluss machen« (Retzer 2009: 252). Gleichwohl ist es das Ziel der Ratgeberautor/innen, Trennungen durch Hinweise und Tipps zu vermeiden. Die romantisch fundierte ›Liebesehe‹ bleibt demnach auch das zentrale Deutungsangebot in den 2000er Jahren, eine Zweierbeziehung auf Dauer zu stellen. Sie wandelt sich jedoch von der ›Liebesehe als sozialem Muss‹ in den 1950er Jahren, in den Ausprägungen ›Ehe als sakrale Institution‹ und ›Partnerehe‹, hin zu einer ›Liebesehe als beste Option‹. Bewusst und reflexiv sollen sich Paare entschließen, ihrer Beziehung eine »Ordnung« (Jellouschek 2008a: 21) zu verleihen. Dies geschieht als eine »Hommage« (Zurhorst 2004: 73) an die Ehe, welche längst in den öffentlichen Diskursen ihre Monopolstellung eingebüßt hat (vgl. Lenz 2009). 1.2 Liebe: Vermeintliche Überwindung der romantischen Liebe im Entwicklungsprozess In dem folgenden Abschnitt wird nun die Konstruktionslogik von Liebe genauer betrachtet. Als erstes Resultat ist festzuhalten, dass übergreifend von den 1950ern bis zur Gegenwart Liebe als »Entwicklungsprozess« (Jellouschek 2008a: 18) entworfen wird. Diese Konstruktion beinhaltet ein spezifisches Deutungsangebot für die Leser/innen, mit den instabilen Gefühlen von Verliebtheit und Liebe in der Alltagspraxis umzugehen: Die Paarbeziehung werde in der Regel durch Verliebtheit konstituiert – in den Ratgebern oft als ›romantische Liebe‹ diskreditiert –, die ›wirkliche‹, ›wahre‹, ›reife‹ Liebe müsse sich aber erst im Verlauf der Beziehung herausbilden, nur sie könne Dauerhaftigkeit garantieren. So argumentiert Gertrud Oheim in »Die gute Ehe« in den 1950ern, dass der Partner oder die Partnerin unbedingt schon durch die »graue Alltagsbrille« gesucht werden muss und nicht durch die »rosarote Brille der Verliebtheit« (Oheim/Möring/Zimmermann 1959: 49), denn die richtige und realistische Partnerwahl sei ausschlaggebend für die Stabilität der Ehe. Auch Eva-Maria Zurhorst wendet sich vehement gegen den »romantischen Rausch« (Zurhorst 2004: 132): »Mit jeder romantischen Illusion, die Sie gehen lassen, kann echte Liebe

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kommen« (ebd.: 60). Konstruiert wird eine Art Phasen-Modell: Die Phase der »zwanghafte[n], an pathologische Zustände erinnernde[n], suchtähnliche[n] Besessenheit« bezeichnet Retzer als »kurzfristige Liebe«, die er von der »langfristige[n] Liebe« unterscheidet, sie besteht aus einer »gelassene[n] Bezogenheit aufeinander« (Retzer 2009: 51). Diese »gelassene Vernunftliebe« wird »der aufregenden und pathologieverdächtigen akuten Anfangsliebe« (ebd.) positiv gegenübergestellt. Die Autor/innen warnen vor einer überschießenden sexuellen Leidenschaft, die Stabilität nicht gewähren könne. Argumentiert wird des Weiteren gegen die »totale Verschmelzung« (Christinger/Schröter 2012: 36) des Paares. Die romantische Liebe wird mit einem Verzicht auf individuelle Entwicklung gleichgesetzt und mit einer Überforderung der Beziehungspersonen, da sie gemeinsam »Leidenschaft und Romantik, Sex und Freundschaft, familiärer Alltag und spiritueller Austausch« (ebd.: 34) erleben wollen. Vor diesem Hintergrund kann romantische Liebe »stets nur eine Leidensgeschichte« (ebd.: 36) sein. Aufgabe des (Ehe-)Paares sei es demnach, aus der instabilen Verliebtheit eine stabile Liebe zu entwickeln und diese lebendig zu halten. Genau dafür formulieren die Ratgeber zahlreiche Ratschläge, die zu einer »Kunst, eine Ehe zu führen« (Oheim/Möring/Zimmermann 1959: 197) oder zu zehn »Künsten«, »die Liebe auf Dauer lebendig zu halten« (Jellouschek 2008b: 11) verdichtet werden. Diese negative Bewertung der romantischen Verliebtheit ist durchaus ein historisches Erbe: Die populäre Wahrnehmung war im 19. Jahrhundert, so Peter Gay, »eine ziemlich vulgarisierte, blutleere, verwaschene, aber ungemein suggestive Vorstellung von romantischer Liebe voller unaussprechlicher Erlebnisse, Sehnsüchte und Erfüllungen« (Gay 1987: 63). In den 1920er und 30er Jahren wurde die romantische Liebe in den Diskursen der Neuen Sachlichkeit zur »Mondscheinliebe« (Reinhardt-Becker 2005: 205) und Negativfolie eines sachlichen Lebens. Gleichwohl nehmen die Autor/innen der untersuchten Ratgeber – das ist das zweite Ergebnis – nicht gänzlich Abschied von der romantischen Liebe, sondern nur von spezifischen, aus ihrer Sicht überzogenen Spielarten, denn viele Aspekte des romantischen Liebeskonzeptes, so wie wir es soziologisch rekonstruiert haben (vgl. Lenz/Dreßler/Scholz i.d.B.), werden auch von ihnen befürwortet. Der ›hintergründige Rekurs auf romantische Liebe‹ setzt zentrale Charakteristika des modernen Liebeskonstrukts in Geltung: Bis heute sind die Exklusivität der Beziehung, beruhend auf der Einmaligkeit der ausgewählten Beziehungsperson, die Dauerhaftigkeit der Beziehung und die Treue hoch bedeutsam. Des Weiteren sind die semantische Verbindung von Ehe und Liebe zu nennen, die freie Partnerwahl und die Verknüpfung von Sexualität und Liebe, die weiter unten genauer thematisiert wird. Die romantische Liebe ist also nicht vom

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Niedergang betroffen, wie Niklas Luhmann (1982: 197) dies postuliert, es bestätigt sich die Prognose von Karl Lenz, dass von »widersprüchlichen Tendenzen« (Lenz 2009: 293) auszugehen ist, von einer »Steigerung romantischer Sinngehalte als auch von Tendenzen des Verlustes dieser Sinngehalte« (ebd.). So gilt etwa das Ewigkeitspostulat immer weniger: Trennungen sind zwar auch in den 2000er Jahren nicht erwünscht, gehören aber mittlerweile zu den akzeptierten Risiken moderner Ehen. Auch die soziale Umwelt spielt eine wichtige Rolle, das Paar soll sich nicht mehr von der Außenwelt isolieren und auf seine Innenwelt fokussieren. Diese Tendenz zeigt sich bereits in den Ratgebern der 1950er Jahre, gewinnt aber im Zeitvergleich enorm an Bedeutung, gilt es doch, die eigene Individualität zu entfalten und dies nicht nur in der Paarbeziehung, sondern auch in der ›äußeren‹ Welt des Berufs, der Freundschaften und Freizeitinteressen. Die Vorstellung von Liebe ist, dies zeigen die verschiedenen Liebessemantiken, auf die wir in der Einleitung verwiesen haben, oftmals mit einer Überschreitung der individuellen Paarliebe verbunden. So ist die platonische Liebe auf das Gute und Schöne gerichtet und die Suche nach diesen Gütern ist mit dem Wunsch verkoppelt, sich selbst durch deren Erzeugung ein Weiterleben zu sichern. Liebe wird in der Antike transzendent aufgefasst. Das setzt sich, wenn auch mit anderen Begründungen im Konzept der romantischen Liebe fort: In Auseinandersetzung mit dem Christentum konzipieren insbesondere Friedrich Schlegel, Friedrich von Schleiermacher und Novalis eine anti-institutionelle Schwebereligion (vgl. Timm 1978), mittels derer sie die Liebe sakralisieren. Die die Liebenden erfüllende Göttlichkeit steht jedoch in einem konkreten Bezug zum »Hier und Jetzt« (Tholen 2011: 13). Da die romantische Liebessemantik mit einer Überschreitung der unmittelbaren Alltagswelt des Paares verbunden ist, bezeichnen wir ›Liebe als Transzendenzkonstruktion‹. Auch in den untersuchten Ratgebern – dies lässt sich als drittes Ergebnis festhalten – wird Liebe als eine Transzendenz konstruiert, jedoch wandeln sich im Zeitverlauf die Stützkonstruktionen. In den westdeutschen Ratgebern der 1950er Jahre wird die individuelle Paarliebe mit Bezug auf die christliche Religion überschritten (vgl. auch Eckardt i.d.B.). Theodor Bovet etwa konstatiert: »Alle wahre Liebe, im Ehestand und im Ledigenstand, ist Gottes Geschenk« (Bovet 1954: 80). Der Autor Carl Heinrich Huter, ein Autodidakt und Astrologe, eröffnet in seinem Ratgeber »Wie Ehen glücklich werden« eine Stufenfolge von göttlicher Liebe über die Gottes-, Mutter-, Kinder- und Gattenliebe. Die Liebe sei eine Gabe des christlichen Schöpfergottes, wird aber auch mit »verschiedene[n] strahlende[n] Kräfte[n]« (Huter 1953: 7) in Beziehung gesetzt, die »in einem ursächlichen Zusammenhang zu kosmischen Einflüssen, den Aspekten der Sterne, stehen« (ebd.: 135). Mittels einer Vermischung von christlicher Religion

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mit Kosmologie, Astrologie und Esoterik wird die Liebe, ähnlich wie dies bereits bei der Ehe gezeigt wurde, mit einem Sinnüberschuss ausgestattet. In den ostdeutschen Ratgebern wird hingegen weniger die Liebe als die Ehe transzendiert und dies, wie im vorherigen Abschnitt gezeigt, mit Rekurs auf die sozialistische Weltanschauung: Zwar ist die Liebe die einzige legitime Grundlage der sozialistischen Ehe, jedoch wird sie im Vergleich weniger thematisiert. Dies mag auch aus dem Stil der ostdeutschen Ratgeber resultieren, der als enzyklopädisch und wissenschaftlich zu charakterisieren ist, während die meisten westdeutschen Ratgeber stärker essayistisch formuliert sind (vgl. dazu den 3. Abschnitt). Auch in aktuellen Ratgebern wird ›Liebe als Transzendenz‹ konstruiert, wenn auch in unterschiedlich starkem Maß. Arnold Retzer konstatiert 2009 in seiner Streitschrift »Lob der Vernunftehe«: »Das Glück kommt unerwartet und ungeplant. Es bricht ein oder über den Glücklichen herein. Darin ist das Glück mit der Liebe beziehungsweise unseren Vorstellungen von ihr verwandt. Beide sind unserem Willen, unserem Wollen und unseren Wünschen entzogen. Sie können nicht erzeugt und nicht kalkuliert werden. Beide teilen das Dilemma, dass sie sich verflüchtigen, wenn man versucht, sie zu erzwingen oder auf Dauer zu stellen.« (Retzer 2009: 146)Die Liebe wird vom Autor als etwas beschrieben, auf das die Menschen nur bedingt Zugriff haben, sie ist eine Art Schicksal oder Zufall. Gleichzeitig ist es das Ziel des Ratgebers, die Liebe in einer monogamen Paarbeziehung auf Dauer zu stellen. Dafür werden eine Reihe von Tipps und Handlungsanweisungen formuliert. Diese Doppelbewegung ist konstitutiv für alle untersuchten Ehe- und Beziehungsberater. Liebe, so lässt sich formulieren, wird in einem Spannungsfeld zwischen Unverfügbarstellung und gleichzeitiger Verfügbarmachung durch alltagsrelevante und praktische Hinweise entworfen. Obwohl die Liebe durch eine Überschreitung charakterisiert ist, gewinnt ihr transzendenter Charakter zusätzliche Plausibilität durch Rekurs auf Legitimationen wie Schicksal und Zufall im Beispiel von Retzer oder durch religiöse oder spirituelle Bezugnahmen. Wie bereits thematisiert, sieht Hans Jellouschek in der abnehmenden Bedeutung der christlichen Religion eine Gefährdung für den Bestand der Liebe. Er konstatiert in diesem Kontext: »Aber die Sehnsucht nach Entgrenzung bleibt.« (Jellouschek 2008b: 172) Deshalb plädiert er dafür, die erotische Liebe als »Symbol und Vorerfahrung der göttlichen Vereinigung [zu begreifen], auf die hin unser Leben letztendlich angelegt ist« (Ders. 2008a: 157). Er empfiehlt den Paaren, sich eine »religiös-spirituelle Praxis [zu] suchen und miteinander [zu] üben« (Ders. 2008b: 170). Eine ähnliche Argumentation findet sich bei dem Autorenpaar Pease und Pease: »Einem Engagement in einer religiösen Gemeinschaft liegt oft schon ein Glaubenssystem zu Grunde. Wenn Sie nicht auf einen Glauben festgelegt sind, beschäftigen Sie sich mit Glaubensrichtungen,

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die zu Ihrer Lebensphilosophie passen, oder üben Sie sich in Meditation oder Yoga.« (Pease/Pease 2002: 351) Während dieser Aspekt in den genannten Büchern nur vorsichtig, meist am Schluss, thematisiert wird, steht er bei Eva-Maria Zurhorst im Mittelpunkt der Lösungsansätze. Der Gottesglaube sichert für sie die Dauerhaftigkeit der Liebe, aber Gott ist »nicht der Mann mit dem grauen Bart«, sondern »eher ein Bewusstseinskonzept« (Zurhorst 2004: 239), er gehört »keiner bestimmten Religion an«, man trifft ihn eher nicht in der Kirche, aber er ist eine Kraft, die »die Lösung für das gesamte Beziehungselend ist« (ebd.: 240). »Gott« ist für die Autorin »allumfassende Liebe. Sind wir mit Gott verbunden, sind wir Teil dieser umfassenden Liebe, Teil eines universellen Ganzen.« (Ebd.: 243) Ohne einen direkten Bezug zum New Age herzustellen, ist doch festzuhalten, dass die Autorin sich auf diese Semantik bezieht (vgl. Knoblauch 2009; Eitler 2010): ›Heilung‹ und ›Ganzheit‹ stellen zentrale Dimensionen in ihrem spirituellen Liebeskonzept dar. Wenn auch nicht in diesem Ausmaß, so zeigen sowohl die Analysen weiterer Ratgeber für Paare (vgl. Pohl i.d.B.), für die Partnersuche (vgl. Reiners i.d.B.) als auch für Sexualität (vgl. Gottwald i.d.B.), dass Rekurse auf Spiritualität ein durchgängiges Merkmal aktueller Ratgeber sind. Festhalten lässt sich an dieser Stelle: In allen Ratgebern wird ›Liebe als Entwicklungsprozess‹ entworfen und damit für die Alltagspraxen der Paare ein diskursives Deutungsangebot formuliert, mit abnehmenden Gefühlen der Verliebtheit umzugehen. Diese Verliebtheit wird als romantische Liebe diskreditiert, die es zu überwinden gilt, um eine dauerhafte und stabile Liebe zu erreichen. Gleichwohl zeigt sich aber, dass aus soziologischer Perspektive ein ›hintergründiger Rekurs auf romantische Liebe‹ stattfindet, der eine Reihe von Aspekten dieses modernen Liebeskonstrukts (Höchstrelevanz, Exklusivität, Dauerhaftigkeit) im Liebesdiskurs virulent hält. Zudem wird ›Liebe als Transzendenz‹ konstruiert. Plausibilisiert wird diese Überschreitung der individuellen Paarliebe mit Bezug auf christliche, weltanschauliche undȹ/ȹoder spirituelle Legitimationen. 1.3 Sexualität und Liebe: Von der Aufwertung zur Veralltäglichung Die Verknüpfung von Liebe und Sexualität gilt, wie wir in der Einleitung des Buches dargelegt haben, als das zentrale Charakteristikum der romantischen Liebe. Auch dieser Aspekt überdauert die Zeit: In allen Ratgebern gilt Sexualität als bedeutsame Dimension von Liebe und Ehe, jedoch wird sie besonders in den 1950er Jahren thematisiert und ist in dieser Dekade oft mit Fortpflanzung und Elternschaft verknüpft, aber auch in den 2000ern wird die Ehe im Sinne einer Familie fokussiert.

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In den 1950er Jahren lässt sich in allen untersuchten Ratgebern eine ›Aufwertung der Sexualität‹ feststellen. Dabei wird Sexualität in das Liebeskonzept integriert. Liebe wird als Dreieinigkeit von Körper, Seele und Geist konstruiert. Carl Heinrich Huter schreibt etwa: »Die Gattenliebe aber ist eine Mischung von körperlichen und seelischen Urtrieben und Kontakten und dient dem geheimnisvollen Gesetz der Arterhaltung.« (Huter 1953: 7) Auffällig ist für die Semantik der 1950er Jahre die starke Betonung des seelischen Aspekts, die aus der Rezeption der Psychoanalyse folgt. Noch einmal Huter: »Das Wunder der Liebe ist überhaupt nur aus dem Seelischen entsprungen, und die organischen glücklichen Zustände sind eine Folge davon.« (Ebd.: 83) Überraschend ist der hohe Stellenwert, den Sexualität in den damaligen Ratgebern hat: Die gemeinsam erlebte Lust steht im Zentrum sowohl der weltlichen als auch der konfessionellen Ratgeber. So gibt etwa der evangelische Theodor Bovet in »Die Ehe: Das Geheimnis ist groß« aus dem Jahr 1954 auf vielen Seiten praktische Tipps, wie der Mann seine Frau befriedigen kann. Wohl auch deshalb, so lässt sich vermuten, war dieser Ratgeber bis in die 1960er Jahre ein Bestseller. Der weiblichen Sexualität wird demnach ein eigener Stellenwert zugeschrieben, gleichwohl wird die Aktivität auf der Seite des Mannes gesehen. Nur in dieser Hinsicht, so der liberale Walther von Hollander, ist der Mann »in der Tat der Herr über das Schicksal der Ehe« (von Hollander 1953: 187). In diesem Zitat deuten sich polare und biologisch fundierte Geschlechterkonstruktionen an, auf die im nächsten Abschnitt genauer eingegangen wird. Obwohl Sexualität von beiden Beteiligten als lustvoll erfahren werden soll, ist sie in Ost und West mit der Fortpflanzung verknüpft. Vor diesem Hintergrund bestimmt etwa Rudolf Neubert zum neuen Inhalt einer sozialistischen Ehe: »a) die Liebe, die Begegnung zweier Menschen verschiedenen Geschlechts in körperlich-seelisch-geistiger Zuwendung, Vereinigung, Verschmelzung, Auseinandersetzung und gegenseitiger Steigerung, b) die Aufzucht und Erziehung gesunder, gemeinschaftsfähiger Kinder« (Neubert 1957: 280). Die ›Aufwertung der Sexualität‹ geht mit einer Koppelung von Sexualität, Liebe und Fortpflanzung einher, bedeutsam ist die Erfüllung weiblicher Lust. Die hohe Relevanz der Sexualität in den Ratgebern der 1950er Jahre lässt sich zum einen mit dem Aufklärungsbedarf der Leserschaft erklären, zum anderen kann man darin auch Anschlüsse an die psychologischen Debatten der 1920er und 1930er Jahren sehen, in denen die weibliche Sexualität enorm aufgewertet wurde und eine befriedigende Sexualität für beide Geschlechter zu einem Qualitätskriterium einer Ehe avancierte (vgl. Lenz 2009; Mahlmann 1991; 2003). In der Nachkriegsgesellschaft hatte der gemeinsam erlebte Koitus die Funktion, »die emotionale Genese und Stabilität der Wiederaufbaufamilie [zu] garantieren« (Eder 2010: 100). Die lange Zeit vorherrschende Vorstellung von der »bi-

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gotten christlichen Familien- und Sexualmoral« (ebd.: 94) in den 1950ern wurde durch die neuere Forschung revidiert (ebd.), unsere Ergebnisse reihen sich in diese Revision ein. In den 2000er Jahren werden Ehe und Sexualität entkoppelt, kein Beziehungsratgeber argumentiert mehr gegen vorehelichen Geschlechtsverkehr und Seitensprünge, beides zentrale Themen in den 1950er Jahren. Gleichwohl ist auch in den aktuellen Ratgebern sexuelle Treue erwünscht. Sexualität gilt weiterhin als wichtiger Bestandteil einer dauerhaften Paarbeziehung, aber ihr wird keine so zentrale Bedeutung mehr zugeschrieben. Arnold Retzer konstatiert kritisch: »Die Verhältnisse haben sich praktisch umgekehrt. Die Befreiung [der Sexualität] ist zur belastenden Pflicht geworden.« (Retzer 2009: 241) Demnach lautet die Lösung in den Beziehungsratgebern, einen maßvollen Umgang mit Sexualität zu finden, insofern kann man im Vergleich mit der ›Aufwertung der Sexualität‹ in den 1950er Jahren von einer ›Veralltäglichung von Sexualität‹ sprechen. Sexualität ist nicht mehr auf Fortpflanzung ausgerichtet, dennoch argumentieren die Ratgeberautor/innen, dass eine dauerhafte Paarbeziehung mit einem Kinderwunsch einhergeht: »Zwei Menschen raufen sich – am Anfang ihrer Beziehung – zu einer relativ stabilen Form gemeinsamen Lebens zusammen. Dann aber verspüren sie den Wunsch nach einem Kind«, so Hans Jellouschek (2008b: 150). Kinderlosigkeit gilt in den aktuellen Beziehungsratgebern nicht als eine legitime und glückliche Lebensform (vgl. Pestel i.d.B.). In Anbetracht, dass auch die Ehe zur Stabilitätssicherung empfohlen wird, ist festzustellen, dass die in der Romantik begründete Verbindung von Liebe, Ehe und Elternschaft bis heute fortgeschrieben wird. Im Zeitvergleich kommt es jedoch zu einer Abschwächung dieses Zusammenhangs. Während in einer Reihe der untersuchten aktuellen Beziehungsratgeber Sexualität nur eine untergeordnete Position einnimmt, lassen sich im Liebesdiskurs weitere Diskurspositionen differenzieren. Eva-Maria Zurhorst (2004) beschäftigt sich in ihrem bereits genannten Longseller sowie in dem gemeinsam mit ihrem Ehemann publizierten Buch »Beziehungsglück. Wie ›Liebe dich selbst‹ im Alltag funktioniert« von 2010 ausführlich mit einem Wandel der Sexualität. In beiden Büchern wird gegen den »alten Sex« (Zurhorst/Zurhorst 2010: 80) mit seiner Fixierung auf den Orgasmus ein »neuer Sex« (ebd.) gesetzt, der mehr den Prinzipien von Ganzheitlichkeit folgt und die Beziehung ›heilen‹ soll. Die von uns analysierten Sexualitätsratgeber (vgl. Gottwald i.d.B.) verknüpfen ganz ähnlich wie Zurhorst und Zurhorst Sexualität und Liebe. Sie verweisen möglicherweise auf eine neue Tendenz: Konstatiert Eder eine seit den 1960er Jahren zunehmende »Abspaltung« (Eder 2010: 116) der Sexualität von Liebe, so belegen unsere Ratgeberanalysen eine erneute Verknüpfung von Liebe und Sexualität. Sexuali-

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tät hat ihren legitimen Ort in einer auf Liebe beruhenden, dauerhaften, ehelichen oder eheähnlichen Paarbeziehung. Zudem wird Sexualität in unterschiedlich starkem Ausmaß – ähnlich wie die Liebe – spiritualisiert (vgl. Gottwald i.d.B.). In diesem Diskurssegment wird auch der weiblichen Sexualität eine zentrale Rolle zugewiesen und die sexuellen Befreiungsdiskurse aus den 1960er und 1970er Jahren in einer entpolitisierten Weise fortgeschrieben (ebd.). 1.4 Geschlecht und Liebe: Polarität, Gleichberechtigung und Partnerschaft als Grundlage der Zweierbeziehung Im Folgenden wird genauer auf die Relevanz von Geschlecht für die Konstruktion von Liebe eingegangen. Paarbeziehung, Ehe und Liebe gründen laut den Ratgeberautor/innen auf dem Fakt, dass Männer und Frauen fundamental verschieden sind. Die kulturell-symbolische Zweigeschlechtlichkeit ist folglich zugleich Grundlage und Legitimation für die Liebe. Während die ›Polarität der Geschlechter‹ in den Ratgebern der 1950er Jahre als eine unhintergehbare Tatsache gilt, ist der in den aktuellen Ratgebern stattfindende Rekurs auf die Polarität der Geschlechter reflexiv: Er erfolgt vor dem Hintergrund von Frauenbewegung und Frauenemanzipation. Wir sprechen deshalb von einer ›aufgeklärten Re-Polarisierung von Geschlecht‹. Die Geschlechterkonstruktionen in den Ratgebern stehen in engem Zusammenhang mit Fragen der Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit in der Zweierbeziehung, entsprechend stehen diese Dimensionen ebenso im Zentrum des nachstehenden Abschnitts. Ausgehend vom Stand der soziologischen Diskussion um Liebe, wie wir ihn in der Einleitung dargestellt haben, wird diskutiert, ob Partnerschaft im Material eine Gegensemantik zur Liebe darstellt oder ob sie Bestandteil der Liebessemantik ist. Zunächst werden die Geschlechterbilder und ihre Begründungsmuster genauer betrachtet. Der freie, katholisch orientierte Schriftsteller Hans Wirtz betont in dem bereits 1946 bis 1966 immer wieder aufgelegten Ratgeber »Vom Eros zur Ehe. Die naturgetreue Lebensgemeinschaft«: »Gelehrte Leute sagen: daß das Denken, Wollen und Fühlen von Mann und Weib sehr verschieden sei. Und daß darauf zum Teil das magische Geheimnis der Anziehungskraft der Geschlechter beruhe.« (Wirtz 1946: 57) »Der Mann soll Mann bleiben und die Frau Frau, aber sie sollen in aller Verschiedenheit eines werden«, heißt es im »Ehekompaß für alle Tage« der katholischen Eheberaterin Elisabeth Muhl-Schwarzenberg (1958: 12). Fünfzig Jahre später erleben diese Argumentationsmuster eine Renaissance. Eva-Maria Zurhorst schreibt: »Die Frau ist von Natur aus empfangend. Schon physisch ist sie dazu bestimmt, den Mann in sich aufzunehmen, sich für ihn zu öffnen. Der Schöpfung nach ist der Mann gebend. Er ist in der Lage, zu bewe-

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gen, zu beleben, zu befruchten.« (Zurhorst 2004: 175) Die Liebe wird aus der Anziehung der komplementären Geschlechter resultierend beschrieben. Folglich scheint es zwischen homosexuellen Paaren keine Liebe geben zu können und tatsächlich bildet die Liebe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern eine diskursive Leerstelle in den Ratgebern. Auch der untersuchte Ratgeber für gleichgeschlechtliche Paare »Gemeinsam zweisam: Der Beziehungsratgeber für Schwule« von Carsten Heider rekurriert auf polar entworfene Geschlechtertypen (vgl. Pohl i.d.B.). Der Ratgeber richtet sich an ›echte‹ Männer, im Mittelpunkt steht die Sexualität. Zwar beruhe auch die gleichgeschlechtliche Beziehung auf Liebe – Heider entwirft ebenso wie die anderen Ratgeber ein Entwicklungsmodell von Liebe – jedoch konstatiert er: »Schwule Männer gestalten ihre Beziehungen nach anderen Maßstäben als Heterosexuelle.« (Heider 2003: Einband) Der Grund ist die Gleichgeschlechtlichkeit und die beidseitige Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht. Aus ihr resultiert die starke Orientierung an Sexualität, hinter der die Bedeutung von Liebe zurücktritt. Nach Heiders Darstellung denken (schwule) Männer permanent an Sex: »Selbst beim Anblick eines übergewichtigen, ungepflegten Handwerkers Ende 50 fragen wir uns, wie er wohl mit 20 ausgesehen hat und was für geilen Sex – einen kleinen Zeitsprung vorausgesetzt – wir damals womöglich mit ihm gehabt hätten. Man kann uns waschen, uns ein frisch gebügeltes Hemd anziehen und uns zur Universität schicken. Aber letzten Endes bleiben wir in sexueller Hinsicht doch immer Neandertaler.« (Ebd.: 30) Diese Fokussierung von Sexualität korrespondiert mit der Tatsache, dass die meisten Ratgeber für gleichgeschlechtlich orientierte Menschen keine Beziehungs-, sondern Sexualitätsratgeber sind. Obwohl es durch die weibliche Kodierung der Liebe naheliegt, dass sich auf dem Ratgebermarkt ein Angebot an Beziehungsratgebern für lesbische Paare findet, haben unsere Recherchen ins Leere geführt. Die enge Verbindung von Liebe und Geschlechterkonstrukten geht wiederum auf die Romantik zurück. Die Diskursivierung der Liebe erfolgt in der Romantik auf Basis der bipolaren Geschlechterordnung, wie sie sich um 1800 formiert hat. In den romantischen Texten finden sich unterschiedlichste Geschlechterkonstruktionen, die miteinander konkurrieren. Diese Rivalität resultiert daraus, dass die Texte einerseits den Geschlechterdualismus rekonstruieren, andererseits jedoch die Überwindung der Geschlechterdifferenz durch die Liebe thematisiert wird. So wird durchaus auch eine mann-männliche erotische Anziehungskraft im Kontext von Liebe erörtert. Man kann also davon sprechen, dass Geschlecht und Liebe in den romantischen Texten kontingente Konstruktionen sind und gerade dies macht die ›Modernität‹ der Romantiker bis heute aus (vgl. Tholen 2011). Gerade die Möglichkeit einer gleichgeschlechtlichen Liebe wird

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in den aktuellen Bestsellern jedoch nicht fortgeschrieben; dem hegemonialen heterosexuellen Liebesdiskurs wird kein Diskurs entgegengesetzt. Geschlechterkonstruktionen werden in den Ratgebern nicht nur in Bezug auf Liebe und Sexualität virulent, sondern zugleich im Kontext von Emanzipation, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit verhandelt. Für die 1950er Jahre konnte aufgezeigt werden, dass die Geschlechterpolarität in den westdeutschen Ratgebern als Legitimation einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung fungierte (vgl. Dreßler i.d.B.). Der Mann ist das »Haupt der Gemeinschaft […] [und übernimmt] gewissermaßen die Aufgabe des Steuermannes im ehelichen Boot«, formuliert Theodor Bovet, »[n]eben dem ›Haupt‹ hat aber der eheliche Organismus auch ein ›Herz‹, und das ist die Frau« (Bovet 1954: 34). Der Mann sorgt für das finanzielle Auskommen, trifft die Entscheidungen, die Frau steht ihrem Mann zur Seite, führt den Haushalt und erzieht die Kinder; mit dieser Haltung geht eine Ablehnung der Gleichberechtigung einschließlich weiblicher Erwerbstätigkeit einher, weil sie die Ehe grundlegend gefährde. Ein kleiner Teil der Ratgeber zeichnet sich durch eine Ambivalenz zwischen Geschlechterparität und der Zuschreibung geschlechtsspezifischer Aufgaben aus, die Haltung gegenüber der weiblichen Erwerbstätigkeit ist dementsprechend ambivalent. Nur in dem Ratgeber von Walther von Hollander wird die Gleichberechtigung zur Grundlage seines Konzeptes der »Partnerehe« (von Hollander 1953: 270), in dem weibliche Erwerbstätigkeit erwünscht und anerkannt ist. Dieser Autor geht nicht von einer Polarität der Geschlechter aus, weil es »weder ›die‹ Männer noch ›die‹ Frauen gibt« (ebd.: 144), einzig im Bereich der Sexualität konstatiert er einen »gewissen Unterschied zwischen der erotischen Verhaltensweise von Mann und Frau« (ebd.: 225). Dieses Ideal der ›Partnerehe‹ korrespondiert stark mit dem der sozialistischen Ehe: »Mann und Frau treten sich als gleichberechtigte Partner gegenüber.« (Uhlmann 1961: 62) Die Frauenerwerbstätigkeit wird in den DDR-Ratgebern zur Norm erhoben, sie gilt als gesellschaftspolitisches Ziel und wird durch die sozialistische Weltanschauung legitimiert. Die Männer werden – ähnlich wie bei von Hollander (vgl. 1953: 65) – bezüglich der Hausarbeit und Erziehung angesprochen. Optimistisch formuliert etwa Rudolf Neubert: »Die Männer wenden sich mehr und mehr diesen interessanten Aufgaben zu. Beide Ehegatten wollen sie gemeinsam lösen.« (Neubert 1957: 27) Bemerkenswert ist, dass sich im Konzept der ›Partnerehe‹ in der sozialistischen Gesellschaft die biologische Polarität der Geschlechter durchaus mit dem Anspruch auf Gleichheit verbinden lässt und nicht zur Legitimation einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung dient. Die ›Partnerehe‹ integriert das Konzept der Partnerschaft. Der »Sinn der Ehe« (von Hollander 1953: 11) ist die »innige, kameradschaftliche, vertrauens-

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volle Partnerschaft der beiden Eheleute« (ebd.: 264); Gleichberechtigung gefährdet diese Partnerschaft nicht, sondern ist ihre Grundlage. Die innige Partnerschaft lässt sich als Bestandteil der Liebe verstehen, die als Grundlage der ›Partnerehe‹ gilt. Partnerschaft ist in dieser Lesart nicht, wie in der soziologischen Diskussion von Leupold (1983) und Koppetsch (1998) behauptet, eine konkurrierende Semantik, sondern Bestandteil der Liebessemantik. Wir sprechen deshalb von ›partnerschaftlicher Liebe‹ als diskursivem Deutungsangebot. In dem größten Teil der untersuchten gesamtdeutschen Ratgeber aus den 2000ern ist, wie bereits erwähnt, die Tendenz zu einer ›aufgeklärten Re-Polarisierung von Geschlecht‹ festzustellen. Es gibt nur wenige Ratgeber, die sich für eine Überwindung der freilich auch hier biologisch vorausgesetzten Geschlechterpolarität einsetzen, wie etwa »Wie Männer und Frauen die Liebe erleben« von Michael Mary (2006). Sein Argument zur Überwindung lautet jedoch nicht Gleichberechtigung, sondern Vervollständigung der eigenen Individualität (vgl. Pohl i.d.B.). Auch der Ratgeber für die Partnersuche von Oliver Stöwing (2009) »Wann kommt denn endlich der blöde Prinz auf seinem dämlichen Gaul!« distanziert sich von polaren Geschlechterkonstruktionen und rekurriert auf den ›neuen Mann‹ und die ›neue Frau‹. Die jedoch dominierende Tendenz zur RePolarisierung von Geschlecht setzt bereits in den Ratgebern aus den 1990er Jahren ein und ist als Reaktion auf die Frauenbewegung und Frauenemanzipation zu verstehen. Dafür stehen etwa Bücher wie »Mars, Venus, Partnerschaft« des amerikanischen Paartherapeuten John Gray, 1996 auf Deutsch publiziert. Evolutionsbiologisch begründet, wird eine grundlegend unterschiedliche kommunikative Fähigkeit zwischen den Geschlechtern postuliert: Männer und Frauen sprechen »eine andere Sprache« (Gray 1996: 173). Auch seien sie je unterschiedlich befähigt, Tätigkeiten im Haushalt zu übernehmen: »Frauen sind von der Natur für die Liebe bestimmt, sie sind die Gebenden, und diese Tendenz sollte nicht unterdrückt werden.« (Ebd.: 43) Diese Unterschiede müssen anerkannt werden, denn sonst sei die Paarbeziehung gefährdet. Zwar werden die Emanzipation und das Postulat der Gleichberechtigung in den Ratgebern der 2000er Jahre als Norm betrachtet, die es jedoch zu hinterfragen und zu verändern gelte. So wird von Autorinnen etwa die Forderung nach einer ›neuen‹ Emanzipation laut. In »Das Glück zu zweit ist erlernbar. Die besten Wege zu einer erfüllten Partnerschaft« von Erika Frischler und ihrem Sohn Wolfgang Exel soll sich die moderne Frau »ihrer Weiblichkeit und ihres naturgegebenen Wertes voll bewusst« (Frischler/Exel 2000: 155) sein und ihrem Wesen nicht entgegenhandeln. Darum sei der Lebensentwurf einer ausschließlichen Hausfrau genauso legitim wie der einer berufstätigen Frau. Von Eva-Maria Zurhorst wird eine ›neue‹ Gleichstellungsbewegung in Abgrenzung zur feministi-

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schen Emanzipation entworfen: »Für mich ist die Rückkehr zu unserem Urfrausein und Urmannsein das wirkliche Abenteuer, um das es in unserem Leben geht.« (Zurhorst 2004: 195) Frauen, so auch die männlichen Autoren, sollen gemäß ihres weiblichen Wesens handeln, sonst kommt es zur »Verarmung des Weiblichen in der Seele der Frau« (Gray 1996: 38), ein Argument, das sich bereits in den Ratgebern der 1950er Jahre findet. Doch die Autor/innen wollen nicht missverstanden werden, sie wollen »das Rad der Geschichte« (Retzer 2009: 82) nicht anhalten oder gar zurückdrehen, sie argumentieren gegen eine aus ihrer Sicht zu weit gehende Emanzipation, deshalb sprechen wir von einer ›aufgeklärten Re-Polarisierung‹. Sie geht in einer Reihe von Ratgebern, etwa »Simplify your Love. Gemeinsam einfacher und glücklicher leben« von Marion und Werner Tiki Küstenmacher aus dem Jahr 2009, mit Ironisierungen einher, welche den Eindruck der Reflexivität erzeugen, jedoch verdecken, dass unter der Hand traditionelle Geschlechterkonstrukte wieder in Geltung gesetzt werden (vgl. Pohl i.d.B.). Gemeinsam ist allen Ratgebern der 2000er Jahre, dass sie von einer partnerschaftlichen Ehe oder eheähnlichen Beziehung ausgehen. Das Wort ›Partnerschaft‹ wird im Gegensatz zu den 1950er Jahren in allen Ratgebern genutzt, oftmals steht es bereits im Titel, zum Beispiel bei Hans Jellouschek, der darin Partnerschaft mit Liebe verknüpft: »Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe«. Doch inwieweit steht Partnerschaft für eine gleichberechtigte und gerechte Beziehung? »Wir sind heutzutage überzeugt von der Gleichwertigkeit von Mann und Frau. Wir plädieren für ebenbürtige Beziehungen.« (Jellouschek 2008b: 110) Zentral ist, dass beiden Partnern formal dieselben Rechte und Pflichten zugesprochen werden. Jedoch sei es nicht sinnvoll, in einer Paarbeziehung auf vollständige Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zu setzen. Denn das »Diktat der Gleichheit«, so etwa Retzer (2009: 38), kann die Zweierbeziehung gefährden; »wenn die Liebe als stark empfunden wird, dann ist auch Ungleichheit in der Ehe kein großes Problem mehr« (ebd.: 43). Retzer argumentiert: »Liebe ist etwas anderes als Gerechtigkeit. In der Liebe geht es um Hingabe, in der Gerechtigkeit um Ausgleich. Allerdings Liebe ohne Gerechtigkeit wird Missbrauch oder Überforderung.« (Ebd.: 128) Gerechtigkeitsnormen geraten aus seiner Sicht in Konflikt zur Liebe, gleichwohl sei ein bestimmtes Maß an Fairness auch Grundlage der Liebe. Im Konstrukt der »Partnerliebe« (Jellouschek 2008a: 18) werden die Semantiken von Liebe und Partnerschaft vereint und Ansprüche auf Gleichberechtigung zugleich anerkannt wie abgeschwächt. Die ›Partnerliebe‹ kann als diskursives Deutungsangebot der aktuellen Ratgeber identifiziert werden. Im Vergleich zum Deutungsangebot der ›partnerschaftlichen Liebe‹ aus den 1950er Jahren ist sie weniger gleichstellungsorientiert. Die als konservativ geltenden 1950er Jahre haben also in einem

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Teilsegment progressivere Deutungsangebote zum Zusammenhang von Liebe, Geschlecht und Gleichberechtigung formuliert als die Mehrzahl der aktuellen Ratgeber.

2. D ISKURSIVE D EUTUNGSANGEBOTE DER E RZIEHUNGSRATGEBER Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern spielt in den Ehe- und Beziehungsratgebern eine erstaunlich geringe Rolle. Übergreifend lassen sich zwei konträre Argumentationsmuster differenzieren: Kinder können erstens ein Risiko und eine Belastung für die Zweierbeziehung darstellen, weil das Paar zu wenig Zeit für sich selbst hat. Das zweite und gegenteilige Argument lautet, dass Kinder eine stabilisierende Wirkung für das Paar haben. Insbesondere in den Ratgebern der 1950er Jahre erfüllt sich durch Kinder der Sinn und Zweck der Ehe, außerdem stellen sie eine gemeinsame, sinnstiftende Aufgabe der Beziehungspersonen dar, die wiederum Stabilität schafft. Teilweise wird diese Begründung auch in aktuellen Ratgebern aufgenommen. Wie die Rolle von Kindern auch bewertet wird, auffällig ist in den Ehe- und Beziehungsratgebern, dass das Alltagsleben mit Kindern und Probleme im Elter(n)-Kind-Verhältnis eine diskursive Leerstelle im Liebesdiskurs sind. Im Erziehungsdiskurs der Elternratgeber bilden sie hingegen zentrale Gegenstände. Im Vergleich zu den Ehe- und Beziehungsratgebern wird in den Erziehungsratgebern die Kontinuität der Elter(n)-Kind-Beziehung nicht problematisiert, außer im Trennungsfall. Statt um Stabilität geht es in diesem Ratgebergenre vorrangig um die Qualität der Elter(n)-Kind-Beziehung, insofern scheint die Beziehung an sich weniger prekär zu sein als die Zweierbeziehung. Vergleichend mit letzterer wird die Elter(n)-Kind-Beziehung entlang der Kategorien Lebensform, Liebe und Geschlechterkonstruktionen bezüglich der Frage untersucht, welche Deutungsangebote die Ratgeberautor/innen implizit formulieren, wie diese Beziehungsform auf Dauer zu stellen ist. Entsprechend des soziologischen Forschungsdesiderats zur Elter(n)-Kind-Liebe können die Ergebnisse kaum in Bezug zu anderen Untersuchungen gesetzt werden. So ist dieses Kapitel mehr eine Erkundung zu diskursiven Deutungsangeboten der Elter(n)-KindLiebe im Erziehungsdiskurs.

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2.1 Lebensform: Von der mutterzentrierten Kleinfamilie zu pluralen Familienformen In den 1950er Jahren ist, so heißt es in »Das Elternbuch. Ein Schlüssel zur Kinderwelt«, die Familie »die erste Schule des Kindes, die Mutter die erste Lehrerin, Vater und Geschwister ergänzen diese natürliche Entwicklungswelt« (Graupner 1955: 25). Die ehebasierte Kernfamilie gilt in Ost- und Westdeutschland als Selbstverständlichkeit, dieses Deutungsangebot korrespondiert mit dem der institutionalisierten Ehe als alleinige legitime Lebensform für Paare. Auch wenn in der DDR nichteheliche Kinder rechtlich gleichgestellt waren und alleinerziehende Mütter das volle Sorgerecht innehatten, werden in den Ratgebern alternative Lebensformen als problematisch bewertet, denn »Tatsache ist, daß ungeordnete Familienverhältnisse einen entscheidenden Einfluß haben auf die schlechte Entwicklung eines Jugendlichen«, formuliert das »Kleine[.] Elternbuch« (Deutsches Pädagogisches Zentralinstitut 1959: 15). Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland zeigen sich bezüglich der Ausgestaltung der Familienform: Im Westen gilt die männliche Versorgerehe als unhinterfragte Normalitätsfolie, im Osten hingegen die gleichberechtigte, partnerschaftliche Ehe, in der auch die Mutter einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Gleichwohl erfolgt auch in der DDR eine biologisch legitimierte Zuschreibung der vorrangigen Verantwortung für das Kind an die Mutter. So bietet etwa das staatlich ausgebaute Beratungs- und Unterstützungsnetzwerk nur »Mütterschulungskurse« (Uhlmann 1961: 126) an. Zugleich wird diese Ausrichtung auch kritisiert: »Dabei liegt – besonders beim ersten Kind, die Gefahr nahe, daß der Zusammenschluß von Mutter und Kleinkind zu eng wird, so daß sich der Vater ausgeschlossen fühlt. Dieser Gefahr ist am besten zu begegnen, wenn sich Vater und Mutter in die Pflege und Erziehung ihrer Kinder teilen« (ebd.: 69). Zumindest auf der normativen Ebene wird in den DDR-Ratgebern der Anspruch einer gleichberechtigten Arbeitsteilung formuliert. In den aktuellen Ratgebern wird von einer grundlegenden Pluralität von privaten Lebensformen ausgegangen. So konstatiert etwa Prof. Remo H. Largo in seinem Longseller »Babyjahre«, dass »die Lebensgemeinschaften, in denen Kinder aufwachsen, […] immer vielfältiger« werden, auch wenn Ehen die »häufigste Form [bleiben], in der Kinder aufwachsen« (Largo 2010: 35). Scheidungen gelten als ein verbreitetes Risiko; entsprechend gibt es Ratgeber, die sich an getrennte Paare wenden, wie das analysierte Buch »Glückliche Scheidungskinder. Trennung und wie Kinder damit fertig werden« (vgl. Lenz/Scholz i.d.B.). Doch trotz dieser Kenntnis über die Pluralisierung der familialen Lebensformen fungiert die vollständige Kernfamilie als Referenz für die Lösungsangebote. Insbe-

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sondere in den Fallbespielen ist sie die unreflektierte Normalitätsvorstellung. Anders als in den 1950er Jahren wird diese Familienform aber nicht mehr moralisch überhöht. Eine Ausnahme bildet »Der große Familien- und Erziehungsratgeber« von dem amerikanischen evangelikalen Führer James Dobson. Dieser Ratgeber setzt der Pluralität das diskursive Ideal der vollständigen, religiös gebundenen Familie entgegen (vgl. Ruby/Tampe i.d.B.). War der Bestand der Elter(n)-Kind-Beziehung in den 1950er Jahren durch die lebenslange Ehe gesichert, die, wie gezeigt wurde, in Westdeutschland zugleich eine sakrale Institution darstellte und in Ostdeutschland in das sozialistische Aufbauprogramm eingebunden war, so ist die Elter(n)-Kind-Beziehung in den 2000er Jahren gefährdeter, denn die Trennung des Elternpaares ist eine verbreitete soziale Praxis. Auch wenn sich ein Paar trennen sollte, was jedoch in den Ratgebern außer im Fall des Buches für Scheidungskinder nicht als Normalfall angenommen wird, endet die Sorge der Eltern für die Kinder nicht. Die gemeinsame Erziehungsverantwortung gilt in allen untersuchten Ratgebern als Ideal. Ob zusammen oder getrennt lebend, die Eltern sollen »ein Team« (Röhrbein 2010: 51) sein. Das ›Eltern-Team‹ ist das neue diskursive Deutungsangebot und tritt an die Stelle der für die Kinderbetreuung und -erziehung verantwortlichen Mutter; es stellt die Kontinuität der Elter(n)-Kind-Beziehung sicher, auch wenn sich das Paar trennt. 2.2 Liebe: Von der Mutter- und Elternliebe zur bindenden Kinderliebe Die Liebe fundiert nicht nur die Zweierbeziehung, sondern auch die Elter(n)Kind-Beziehung. Eine auf Liebe beruhende Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist in den 1950ern und in der Gegenwart das zentrale Kriterium für eine gelingende Erziehung der Kinder. Im Zeitvergleich lassen sich jedoch erhebliche Verschiebungen in der Konstruktionsweise von Liebe feststellen. Als zentral erweist sich, von welcher Seite aus die Liebe konstruiert wird: von der Seite der Eltern oder des Kindes. In den 1950er Jahren ist die Elternliebe vorrangig eine ›Mutterliebe‹, dies korrespondiert mit der der Mutter zugeschriebenen Verantwortung für das Kind. Dabei variiert die Mutterliebe in den westdeutschen Ratgebern zwischen einer emotional innigen Mutter-Kind-Bindung (vgl. dazu Badinter 1991), die naturalisiert und von Heinz Graupner zu einem »Meisterwerk der Schöpfung« (Graupner 1955: 21) aufgewertet wird, und einer stärker verpflichtenden Beziehung der Mutter zum Kind, etwa in »Säugling und Kleinkind« von Gertrud AltmannGädke und Karl Hansen aus dem Jahr 1952 (vgl. dazu Schütze 1986). Auch in

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den DDR-Ratgebern ist die Liebe der Eltern öfter eine »mütterliche Liebe« (Uhlmann 1961: 173). Gleichwohl ist im Vergleich zu den westdeutschen Ratgebern häufiger die Rede von einer »elterlichen Liebe« (ebd.: 62). Die elterliche Liebe ist in der DDR eingebunden in die Utopie einer glücklichen, sozialistischen Gesellschaft. Diese Utopie legitimiert die liebevolle Zuwendung zum Kind: »Das Bild des glücklichen, arbeitsfreudigen, sozialistischen Menschen von morgen vor uns zu sehen, hilft uns, unser Kind mit viel Geduld, Liebe und Verständnis zu erziehen.« (Gojan 1957: 2) Im Westen Deutschlands wird die mütterliche Liebe, in Korrespondenz zur Paarliebe, durch die göttliche Schöpferordnung gestützt. Aufgabe der Eltern ist es, den Kindern »den Zugang in den frommen Bereich freizumachen und sie hineinzugeleiten« (Altmann-Gädke/Hansen 1952: 52). In den wenigen Väterratgebern der 1950er und 1960er Jahre gilt es als Aufgabe des Vaters, den Kindern die Liebe zu Gott zu vermitteln, er ist »ein Priester seiner Familie« (Lukaschek 1961: 76; vgl. Höher/Mallschützke i.d.B.). Die Mutter- und Elternliebe wird in Ost- und Westdeutschland als eine gebende Liebe konstruiert, bei der Gegenseitigkeit im Unterschied zur Paarliebe keine Bedingung ist. Dies hängt auch mit einer damals etablierten, spezifischen Säuglingsanthropologie zusammen, die dem Baby einen emotional passiven Status zuschreibt (vgl. Lenz/Scholz i.d.B.). Das Kleinkind reagiert auf diese Liebe: »Besonders wesentlich ist für das Kind die gefühlsmäßige Geborgenheit und Sicherheit, die es besonders bei der Mutter findet; es beantwortet sie mit Zuneigung und Liebe.« (Uhlmann 1961: 226) Diese Liebe bedeutet dem Kind sehr viel, es will sie keinesfalls »verscherzen« (Altmann-Gädke/Hansen 1952: 40). Aus dieser Konstruktion folgt, dass Liebe als Erziehungsmittel eingesetzt wird. In den 2000er Jahren wird die Liebe zwischen Eltern und Kinder anders konstruiert: Im Kontext einer neuen Säuglingsanthropologie, die bereits dem Baby Emotionen zuschreibt, kann dieses schon kurz nach der Geburt seinen Eltern eine »bedingungslose[.] Liebe« (Juul 2011: 2011) entgegenbringen. Diese Liebe fungiert insbesondere für die ›neuen‹ Väter als eine Art Erweckungserlebnis; sie erlangen über die Liebe ihres Kindes Zugang zu ihren bisher im Verborgenen schlummernden Emotionen (vgl. Lenz/Scholz und Höher/Mallschützke i.d.B.). Bedeutsam ist nun, dass das Kind seine »Liebe nicht in Frage stellen [kann]. Und die Liebe, so, wie es sie empfindet, ist zeitlich unbegrenzt« (Largo/Czernin 2011: 35). Diese Konstruktion einer Kinderliebe nimmt nun die Eltern in die Pflicht, sich um ihre Kinder zu kümmern. »Werden Sie diesem Vorschuss an Vertrauen und Liebe gerecht!«, heißt es appellativ in »Das Papa-Handbuch« von Peter Ballnik (2010: 14). Egal, ob das ›Eltern-Team‹ getrennt ist oder zusammen lebt, durch die ›bedingungslose Kinderliebe‹ wird die Elter(n)-Kind-Beziehung in einer verpflichtenden Weise auf Dauer gestellt. Diese neue, aktive Liebe von-

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seiten des Kindes geht, wie wir gezeigt haben, mit einer Idealisierung und Sakralisierung des Kindes einher: »Kinder sind eine Offenbarung. […] und der Umgang mit Kindern öffnet nicht nur die Augen, sondern die Herzen.« (Juul 2011: 10) Transzendiert wird das Kind durch den Rückgriff auf das idealisierte romantische Kindheitsbild (vgl. Lenz/Scholz i.d.B.). Zwar gilt in den aktuellen Ratgebern die Liebe der Eltern zu den Kindern als »das Allerwichtigste, was wir unseren Kindern geben können« (Kast-Zahn 2008: 11), doch tritt sie in der Darstellung in den Hintergrund. Auch wird die bisher zentrale Mutterliebe insbesondere in den Väterratgebern hinterfragt. Argumentiert wird, dass auch ein Vater angemessen für sein Kind sorgen kann. Denn durch »bedingungslose Liebe und uneingeschränktes Vertrauen« des Kindes wird es dem Mann möglich, »väterliche Fähigkeiten zu entwickeln« (Juul 2011: 16). Erstaunlicherweise wird in den Ratgebern jedoch nicht explizit eine ›Vaterliebe‹ konstruiert, welche an die Seite der ›Mutterliebe‹ tritt oder mit ihr konkurriert (vgl. Höher/Mallschützke i.d.B.). Eine Erklärung dafür kann in dem noch immer bestehenden Spannungsverhältnis zwischen Männlichkeit und Emotionalität gesehen werden (vgl. dazu Scholz 2012). Eine andere mögliche Begründung liegt in der Verschiebung der Semantik. So ist festzustellen, dass der Begriff ›Liebe‹ in den aktuellen Ratgebern eher sparsam eingesetzt wird, während das Wort ›Bindung‹ eine enorme Karriere gemacht hat (vgl. auch Gebhardt 2009; Schmid 2010). Diese Verschiebung hängt mit dem Aufstieg der psychologisch fundierten Bindungstheorie zusammen (vgl. Lenz/Scholz i.d.B.). Mit deren Begründer John Bowlby wird auf ein »instinktive[s] Bindungsverhalten« (Largo 2010: 51) des Kindes verwiesen und damit die liebende Bindung der Kinder an ihre Eltern naturalisiert und stabilisiert. Die Bindungstheorie fundiert die Kinderliebe wissenschaftlich. Im Gegensatz zur Bindung der Kinder ist die »elterliche Bindung […] jedoch nicht immer so bedingungslos wie diejenige des Kindes« (ebd.: 53). Es sei eine zentrale Aufgabe der Eltern, die Bindung herzustellen. Jesper Juul argumentiert: »[D]afür musst du sehr viel Zeit mit ihm verbringen, mit ihm durch dick und dünn gehen: durch Konflikte, Schmerzen, Krankheiten, […] du musst bereit sein, dich mit Haut und Haar zu öffnen, mit Herz und Verstand dabei zu sein, um dem Kind das geben zu können, was es braucht.« (Juul 2011: 19) Qualitativ hochwertig miteinander verbrachte Zeit, gemeinsame Erfahrungen und die gegenseitige Zuwendung bestimmen die Qualität und Entstehung der Bindung, die dadurch für die Eltern verfügbar gestellt wird. Aus einer solchen, den Bedürfnissen des Kindes gerecht werdenden Bindung entstehe zwischen den Eltern und ihren Kinder eine qualitativ hochwerte »Beziehung« (Rogge 2009: 67): »Sichere Bindung erwächst aus einer qualitativ festen und verlässlichen Erziehungs-

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beziehung, ist keineswegs das Resultat einer bloß quantitativ-materiellen elterlichen Bemühung.« (Ebd.: 83) Die Elter(n)-Kind-Beziehung soll ebenso wie die Zweierbeziehung durch die Prinzipien »Partnerschaftlichkeit und Gleichwertigkeit« (ebd.: 322) gekennzeichnet sein, doch diese Norm lässt sich – ebenso wie in der Zweierbeziehung – »nicht in allen Situationen gleichermaßen leben« (ebd.). Zudem dürfe Partnerschaft nicht mit »Gleichmacherei« (ebd.) verwechselt werden, denn die Eltern befänden sich aufgrund des Erwachsenenstatus in einer verantwortungsvollen Situation. Auffällig ist aber insgesamt die starke Betonung einer an partnerschaftlichen Normen orientierten Elter(n)-Kind-Beziehung. Eltern und Kinder sind »Beziehungspartner« (Röhrbein 2010: 31), haben eine »Bindungsbeziehung« (Baisch/Neumann 2008: 46). Hinter dieser Bindungssemantik liegt auch eine Verschiebung der Erziehungsstile, weg von einer Eltern- und hin zu einer Kindzentriertheit (vgl. Lenz/Scholz i.d.B.). Bezüglich der Deutungsangebote für die Liebe lässt sich zusammenfassen: In den 1950er Jahren lieben die Eltern das zunächst als passiv gedachte Kind. Die ›Elternliebe‹ wurde vorrangig als eine ›Mutterliebe‹ diskursiviert, die naturalisiert und im Westen Deutschlands sakralisiert wurde. In der DDR stützte die sozialistische Weltanschauung die ›Mutter- und Elternliebe‹. In den 2000er Jahren gilt weiterhin die Liebe als Fundament der Elter(n)-Kind-Beziehung, aber sie wird anders konstruiert. Die Mutter- und Elternliebe tritt zurück zugunsten der Kinderliebe. Die Konstrukte ›bedingungslose Kinderliebe‹ und ›Bindung‹ lassen sich in dem neuen diskursiven Deutungsangebot ›bindende Kinderliebe‹ zusammenführen. Legitimiert wird es mit Rekurs auf die Psychologie, die eine gewisse Naturalisierung beinhaltet. Die Liebe selbst wird nicht mehr überhöht, hingegen kann man von einer ›Idealisierung und Sakralisierung des Kindes‹ sprechen. 2.3 Geschlecht und Erziehung: Arbeitsteilung der Eltern und geschlechtsspezifische Bedürfnisse der Kinder Wie die bisherige Untersuchung zeigt, haben die Deutungsangebote von Lebensform und Liebe ähnlich wie bei den Zweierbeziehungen auch bei den Elter(n)Kind-Beziehungen einen engen Bezug zu Geschlechterkonstruktionen. Diese werden im Folgenden systematisch herausgearbeitet, wiederum in getrennter Betrachtung von Eltern und Kindern. Die in den 1950er Jahren aufgefundene ›Polarisierung von Geschlecht‹ bezüglich der Zweierbeziehung zeigt sich auch in der Ausgestaltung der Elternrollen. Der Frau werden eine höhere Liebesfähigkeit und ›natürliche‹ Muttergefühle zugeschrieben. Folglich sei hauptsächlich sie für die seelische und körperliche Entwicklung des Kindes zuständig. Der Vater ergänze die Mutter-Kind-Dyade

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und damit »diese natürliche Entwicklungswelt« (Graupner 1955: 25). Obwohl die Frau in der DDR dem Mann gleichberechtigt gegenübersteht und von ihm eine Beteiligung an der Haus- und Familienarbeit gefordert wird, erhält auch er vor allem eine ›helfende Rolle‹: »Was kann der Vater tun? Er kann mehr mittelbar helfen, indem er seiner Frau Zeit und Ruhe verschafft, damit sie sich dem Kind ganz widmen kann.« (Anders 1957: 2) In den 2000er Jahren wandeln sich die »Mütterratgeber« (Schmid 2010: 383) zu Elternratgebern und das neue Genre der Väterratgeber entsteht. Ähnlich wie bei den Ehe- und Beziehungsratgebern ist das diskursive Feld durch unterschiedliche Positionen geprägt. Eine ›Entgeschlechtlichung der Elternrolle‹ nimmt, wie wir gezeigt haben (vgl. Lenz/Scholz i.d.B.), am konsequentesten Remo H. Largo vor: »Das Kind kann sich genauso stark an den Vater wie an die Mutter binden« (Largo 2010: 87). Der Autor geht sogar noch weiter und argumentiert: »Grundsätzlich bindet sich ein Kind an jeden Erwachsenen, wenn dieser die Bedingungen einer Bezugsperson erfüllt.« (Ebd.) Biologische und soziale Elternschaft wird im Konzept der Bezugsperson entkoppelt. Allerdings sprechen die Fallbeispiele auch bei Largo wieder eine andere Sprache: Weint das Kind, tröstet es die Mutter oder die Berufstätigkeit des Mannes wird betont, während die Mutter mit dem Kind zu Hause bleibt. Die Mutter ist weiterhin vorrangig zuständig für die Kinder, der Vater erscheint als bloße Ergänzung der Erziehung. »Sie [die Kinder] sehen im Vater einen wichtigen Partner, der mütterliche Erziehungseinflüsse ergänzen, begleiten und – wo erforderlich – auch kompensieren kann.« (Rogge 2009: 387) Insbesondere in einer Reihe von Väterratgebern findet sich die bereits bezüglich der Zweierbeziehung angesprochene ›aufgeklärte Re-Polarisierung von Geschlecht‹. Durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse sei nun klar, dass Väter einerseits genauso gut für kleine Kinder sorgen können wie Mütter, anderseits zeige sich: »Väter erziehen anders als Mütter, und Töchter wollen anders erzogen werden als Söhne. Auch wenn es jeweils viele Gemeinsamkeiten gibt, wollen die feinen Unterschiede ebenfalls berücksichtigt werden.« (Ballnik 2010: 23) Gerade die Betonung der feinen Unterschiede erlaubt es den ausschließlich männlichen Autoren der Väterratgeber, den Vätern eine Fürsorgekompetenz überhaupt zuzuschreiben und doch auf die Andersartigkeit von väterlichem Erziehungsverhalten zu bestehen. Bezüglich der Geschlechterkonstruktionen der Kinder wird in den westdeutschen Ratgebern der 1950er Jahre die naturalisierte Geschlechter-Polarität vorausgesetzt: »Schon vom Mutterleibe an sind diese Keimdrüsen da und prägen das Kind seelisch und körperlich.« (Graupner 1955: 105) Entsprechend ist das Spiel der Kinder geschlechtsspezifisch; das Mädchen gibt ihre »kleinen Muttergefühle an seine Puppen« weiter und der Bub spielt »Indianer« (ebd.). In den

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DDR-Ratgebern lässt sich keine Polarisierung der Geschlechtercharaktere von Kindern erkennen. Die Eltern werden beispielsweise aufgefordert, kleinere Hausarbeiten sowohl an Mädchen als auch an Jungen zu verteilen. Ebenfalls beim Spielverhalten würden sich Jungen und Mädchen kaum unterscheiden: »Mädchen basteln genauso gern wie die Jungen, und nicht nur mit Papier; auch an ein Rundfunkgerät trauen sie sich heran.« (Anders 1957: 24) In den 2000er Jahren fungiert die Anerkennung der Geschlechterpolarität als Voraussetzung für eine gelungene Erziehung und Entwicklung des Kindes. Sie ist vermeintlich ein Resultat neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und insofern eine ›aufgeklärte Re-Polarisierung‹: »Es käme heute auch niemand auf die Idee zu fordern, man solle Jungen und Mädchen geschlechtsneutral erziehen. Wir wissen, dass dies gar nicht funktionieren würde.« (Baisch/Neumann 2008: 77) Auch Remo H. Largo geht von »sehr deutliche[n] Geschlechtsunterschiede[n] im Spielverhalten von Kleinkindern« (Largo 2010: 353) aus. Bei Laborversuchen gab man den Kindern einen kleinen Kochherd: »Die Mädchen kochten auf dem Herd für ihre Püppchen Mahlzeiten, die Jungen versuchten den Herd auseinanderzunehmen.« (Ebd.: 282) Insbesondere in den Väterratgebern werden Korrespondenzen zwischen einer geschlechtsspezifischen Vater- und Mutterrolle und den verschiedenen Bedürfnissen und Erziehungserfordernissen von Mädchen und Jungen hergestellt. Wichtig ist es den Autoren aber, keine Wertung vorzunehmen: »Wer das Verhalten des Vaters zum Kind am Verhalten der Mutter misst, der begeht einen fundamentalen Fehler. Denn alle Untersuchungen haben gezeigt, dass Väter die Entwicklung ihrer Kinder gerade dadurch fördern, dass sie anders als die Mutter mit dem Kind umgehen. Nicht besser oder schlechter, nur anders.« (Baisch/Neumann 2008: 31) Ähnlich wie bei den Zweierbeziehungen stehen eine aufgeklärte Re-Polarisierung von Geschlecht und die Ansprüche an eine gleichberechtigte und partnerschaftlich geteilte Elternschaft in einem Spannungsverhältnis, das jedoch weniger explizit thematisiert wird als in den Beziehungsratgebern. Die Diskurspositionen variieren in dieser Hinsicht, die äußeren Pole lassen sich wie folgt beschreiben: Jesper Juul vertritt eine durchaus als antifeministisch zu bezeichnende Haltung, wenn er den Frauen einen »Mutterchauvinismus« (Juul 2011: 36) vorwirft und den Männern rät, sich autoritär gegenüber der Partnerin und Mutter durchzusetzen. Remo H. Largo (2010) oder Jan-Uwe Rogge (2009) sind Protagonisten einer partnerschaftlich geteilten Elternschaft, in den Fallbeispielen schreiben diese Autoren jedoch erneut den Müttern die Zuständigkeit für die Kinder zu. Im Zeitvergleich verliert die Mutter-Kind-Beziehung an Bedeutung, sie kann aber auch in den 2000er Jahren als stabiler angesehen werden als die Vater-

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Kind-Beziehung. Die Mutter-Kind-Beziehung ist jedoch nicht mehr eine durch die Natur fundierte und in Westdeutschland zugleich durch die Religion abgestützte Konstruktion, sie gerät vor allem als alltagspraktische Zuständigkeit von Frauen in den Blick, die nicht mehr überhöht wird. Vaterschaft im Sinne eines fürsorgenden und emotional beteiligten Vaters wird mit verschiedenen rhetorischen Strategien gegenwärtig erst etabliert, dabei spielen geschlechtliche Deutungsmuster eine zentrale Rolle: Weil Väter ›anders erziehen‹, sind sie für die Söhne und Töchter so wichtig. Das neue diskursive Deutungsangebot bezüglich der Elter(n)-Kind-Beziehung lässt sich als ›(geschlechtsspezifisch ausgerichtetes) Eltern-Team‹ zusammenfassen. Die Stabilität wird durch die ›bindende Kinderliebe‹ hergestellt, welche die Eltern in die Verantwortung nimmt, sich um das Wohl ihrer Kinder zu kümmern und sie entsprechend ihrer geschlechtlich verschiedenen Bedürfnisse zu versorgen und zu erziehen.

3. W ISSENSBEZÜGE UND S PRECHPOSITIONEN : V ERSCHIEBUNGEN IM DISKURSIVEN F ELD DER B ERATUNG Die verschiedenen Wissensbezüge sind hinsichtlich der Legitimierung der diskursiven Deutungsmuster vereinzelt bereits zur Sprache gekommen, sie werden im folgenden Kapitel systematisch betrachtet. Wir haben die Ehe- und Beziehungsratgeber als Dokumente eines Liebesdiskurses und die Erziehungsratgeber als Dokumente des Erziehungsdiskurses verortet und untersucht; sie lassen sich übergreifend auch als Dokumente eines diskursiven Feldes der Beratung (vgl. dazu Duttweiler 2007; Bänziger et al. 2010; Maasen et al. 2011) situieren. Ziel des folgenden Abschnittes ist es, die Regeln dieses Feldes genauer zu untersuchen; entsprechend werden beide Ratgebergenre nun gemeinsam betrachtet. Dabei richtet sich das Augenmerk neben den Wissensbezügen auch auf die Akteur/ innen im Feld: Auf welches Wissen rekurrieren sie? Wie wird Expertenschaft hergestellt und auf diese Weise eine Sprechposition im Diskurs eingenommen? Wandeln sich die Wissensbezüge im Zeitvergleich? Verändert sich die Konstellation der Akteur/innen? Die Gliederung dieses Abschnittes erfolgt entlang der Bedeutsamkeit der empirisch aufgefundenen Wissensbestände. Entsprechend wird als erstes das Erfahrungswissen dargestellt, gefolgt vom wissenschaftlichen Wissen, dem kulturell-künstlerischen Wissen und dem religiös-spirituellenȹ/ȹȱ weltanschaulichen Wissen. Wie in den vorherigen Abschnitten werden unsere Ergebnisse in Bezug zu anderen Studien gesetzt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet.

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3.1 Erfahrungswissen als zentrale Legitimationsressource Obwohl sich in den Ratgebern eine Vielzahl von Wissensarten differenzieren lassen, kommt dem ›persönlichen Erfahrungswissen‹ des Autors oder der Autorin eine besondere Rolle zu. Dieses Wissen speist sich aus privaten Erlebnissen und Berufserfahrungen, die in der Regel einen Bezug zur Beratung aufweisen, sei es als Arztȹ/ȹÄrztin, Eheberater/in, Pädagoge/in, Theologe/in oder Therapeut/ in. Das Erfahrungswissen fließt vorrangig und in großem Umfang in Form von Fallbeispielen in die Ratgeber ein. Sie dienen zunächst der Auflockerung des Textes und tragen zu einer besseren Verständlichkeit bei. Zentral ist aber, dass das Erfahrungswissen eine andere Legitimationsgrundlage hat als wissenschaftliches Wissen: Bezeugt wird die »Übertragbarkeit der Ratschläge auf konkrete Lebenswirklichkeiten« (Duttweiler 2006: 3197). Die Erfahrungen aus dem eigenen Leben oder aus dem Leben anderer bürgen für ein Wissen, welches sich bereits bewährt hat. Da die meisten Autor/innen im diskursiven Feld der Beratung tätig sind, können sie aus einem reichen Fundus von Erfahrungen schöpfen. Gleichwohl ist es für die Glaubwürdigkeit hoch bedeutsam, auch auf persönliche Erfahrungen in Zweierbeziehung, Ehe und Elternschaft zurückgreifen zu können. Das folgende Zitat des Psychiaters, Universitätsprofessors und Paartherapeuten Arnold Retzer fasst die verschiedenen Dimensionen ›persönlichen Erfahrungswissens‹ zusammen: »Wie komme ich dazu, über die Ehe und auf diese Weise darüber zu schreiben? Da ist zum einen meine Erfahrung als Ehemann. […] Dazu kommt die einzigartige Gelegenheit, die mir unzählige Paare geboten haben, mittelbar an ihren Erfahrungen teilzuhaben.« (Retzer 2009: 15f.) Im Zeitvergleich zwischen den 1950er und den 2000er Jahren ist eine ›Biographisierung desȹ/ȹder Autors/in‹ zu konstatieren. In den 1950ern finden sich meist nur einige dürftige Hinweise auf die Person des Autors oder der Autorin. Der Arzt und Theologe Heinz Graupner etwa erlaubt einen kurzen Blick in sein Privatleben, wenn er schreibt »Eine meiner Töchter, damals 5 Jahre alt [...]« (Graupner 1955: 72). Gleichwohl weist er sich über diese und andere Markierer als Vater zweier Töchter aus. Unsere Versuche, über die Angaben auf den Buchcovern und in den Büchern hinaus persönliche Informationen zu recherchieren, waren wenig erfolgreich. Dies gilt insbesondere für Autor/innen aus der DDR. Sie sind oftmals Teil eines »Autorenkollektiv[s]«, wie etwa in der Enzyklopädie »Die Frau« (Uhlmann 1961) oder in »Kleines Elternbuch«, das vom Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (1959) herausgegeben wurde. Im Vergleich zu den 1950ern stellen die aktuellen Autor/innen ihre biographischen Hintergründe oftmals ausführlich dar. So berichtet etwa Remo H. Largo in dem Ratgeber für Scheidungskinder recht umfassend über seine Erfahrungen als Trennungsvater

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(vgl. Lenz/Scholz i.d.B.). Einige Autor/innen bauen den Ratgeber sogar entlang ihrer biographischen Erfahrungen auf, wie etwa Eva-Maria Zurhorst, die von mehreren persönlichen Nahtod-Erfahrungen berichtet, die sie auf den ›richtigen‹ Weg in ihrer Beziehung und zu ihrem Gott geführt haben. Aus ihrer Erfahrung zieht die Autorin wiederum die Legitimation zur Ratgebung: »Ich weiß einfach, dass es geht. […] Ich weiß deshalb, dass es geht, weil ich heute noch mit meinem Mann verheiratet und von tiefsten Herzen dankbar bin.« (Zurhorst 2004: Vorwort) Charakteristisch für die 2000er Jahre ist auch, dass über die biographischen Verweise in den Ratgebern hinaus weitere Informationen vorrangig über Internetpräsentationen zugänglich sind. Die professionell gestalteten Auftritte im Netz dienen zugleich der Vermarktung eigener Produkte. Dies sind nicht nur weitere Bücher, sondern eine Reihe der Autor/innen bieten auch Beratungen, Therapien und Seminare an. Einige beschäftigen Mitarbeiter/innen, wie etwa John Gray, Hans Jellouschek, Jan-Uwe Rogge oder Jesper Juul, und agieren an verschiedenen, teilweise globalen Standorten. Sie gründen eigene Schulen und dazugehörige Ausbildungsgänge. Sie halten Vorträge und sind gern gesehene und gehörte Expert/innen in Talkshows und Radiosendungen, werden für Zeitungen und Wochenmagazine zu aktuellen Themen interviewt. Obwohl es sich bei den untersuchten Ratgebern zunächst einmal um eine »verschriftlichte Beratung« (Duttweiler 2007: 69) handelt, über die sie ihren Expertenstatus erlangen, lässt sich konstatieren, dass viele der Bestsellerautor/innen wichtige Sprechpositionen im öffentlichen Diskurs haben, wenn es um Liebe, Ehe, Familie und Erziehung geht. Diese Veränderung ist als ein Resultat der zunehmenden Medialisierung der Gesellschaft zu verstehen. 3.2 Fragmentierte Rekurse auf wissenschaftliches Wissen Neben dem Erfahrungswissen ist der Rekurs auf wissenschaftliches Wissen hoch bedeutsam zur Legitimierung sowohl der diskursiven Deutungsangebote als auch des Expertenstatus der Autor/innen. Typisch ist ein selektiver Bezug auf Wissen aus verschiedenen Fachdisziplinen. Es dominieren die Naturwissenschaften: Psychologie, Medizin, (Evolutions-)Biologie und neuerdings auch die Neurobiologie. Geisteswissenschaftliches Wissen, etwa aus der Theologie, Pädagogik und den Sozialwissenschaften, spielt eine untergeordnete Rolle. Als hegemoniale Wissensform in beiden Ratgebergattungen lässt sich die Psychologie bestimmen, bei der es sich um eine »rationale Methode handelt, die zur Selbsterkenntnis verpflichtet und zu diesem Zweck einen Prozess der Selbstprüfung vorschreibt« (Illouz 2009: 93). Damit bestätigt unsere Ratgeberanalyse zunächst einmal die

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von Regine Mahlmann (1991; 2003) herausgearbeitete Psychologisierung des Ehediskurses in modernen Gesellschaften. Eva Illouz (2009: 181) bezeichnet die »therapeutische Sprache« als zentral für das Sprechen und Schreiben über Liebes- und Familienbeziehungen. So ist auch in den Erziehungsratgebern eine Dominanz der psychologischen Wissensbestände zu konstatieren. Michaela Schmid spricht von einer »Psychologisierung der pädagogischen Disziplin« und der »Populärpädagogik« (Schmid 2010: 374), die sich in den Ratgebern niederschlägt. Die verschiedenen Denkschulen, psychologischen Gedankenläufe und Konzepte finden sich jedoch in den Ratgebern nur in »Spuren« (Mahlmann 2003: 152) und dies vor allem in Form von Leitbegriffen oder Autor/innen-Namen wieder. Typisch sind kurze Verweise, ohne dass die jeweiligen theoretischen Ansätze genauer ausgeführt werden. Es lässt sich eine Korrespondenz zwischen den zum jeweiligen Zeitpunkt in der Gesellschaft dominierenden und den in den Ratgebern auftauchenden psychologischen Konzepten feststellen (vgl. auch Mahlmann 2003; Schmid 2010, Gebhardt 2009). So wird etwa in den 1950er Jahren in beiden Genres auf psychoanalytisches Wissen referiert, in den Erziehungsratgebern zusätzlich auf Mensch-Tier-Vergleiche und die Lerntheorie. In den 2000ern bilden individualpsychologische Konzepte den Hintergrund der Argumentationen. In den Ehe- und Beziehungsratgebern wird auf unterschiedliche therapeutische Ansätze, etwa systemische Paartherapie, Transaktionsanalyse oder Neurolinguistisches Programmieren (NLP), verwiesen, in den Erziehungsratgebern ist die Bindungstheorie zentral. Die Referenz auf psychologisches Wissen nimmt im Zeitverlauf zu. Die »Therapeutisierung« (Maasen 2011: 7) der Gesellschaft schlägt sich auch insofern in den Ratgebern nieder, als dass nicht mehr wie in den 1950er Jahren der Weg in die »Eheberatung« (Oheim/Möring/ Zimmermann 1959: 54) empfohlen wird, sondern in eine Paartherapie. Bei Hans Jellouschek endet jedes seiner zehn Kapitel, die Kunst der dauerhaften Liebe zu erlernen, mit dem Hinweis, bei schwierigen Problemen »einen Therapeuten /ȹeine Therapeutin aufzusuchen« (Jellouscheck 2008b: 40). Das fragmentierte psychologische Wissen wird mit einer Reihe anderer Wissensformen in Verbindung gesetzt. Dies sind in den 1950er Jahren vor allem biologische und medizinische Wissensbestände, es finden sich aber auch juristische und soziologische Verweise. Der Umfang der Rekurse ist jedoch sehr unterschiedlich und hängt mit der Darstellungsweise im Ratgeber zusammen: Wir haben im Material drei Stile differenziert: einen ›enzyklopädischen Stil‹, einen ›essayistischen Stil‹ und eine gemischte Form als ›essayistisch-enzyklopädischen Stil‹. Enzyklopädische Ratgeber stellen neben psychologischem auch medizinisch-biologisches Wissen in breitem Ausmaß zur Verfügung. Sie sind systema-

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tisch geordnet. Exemplarisch zu nennen ist in dieser Hinsicht für Westdeutschland der Bestseller »Die gute Ehe« (Oheim/Möring/Zimmermann 1959) und für Ostdeutschland »Die kleine Enzyklopädie. Die Frau« (Uhlmann 1961). In essayistisch verfassten Ratgebern bleiben die Wissensbezüge deutlich fragmentierter, wie etwa in dem Buch »Wie Ehen glücklich werden« (Huter 1953) oder »Die Krise der Ehe und ihre Überwindung« (von Hollander 1953). Die meisten DDRRatgeber sind dem enzyklopädischen Stil zuzuordnen, dies korrespondiert mit der Dominanz des wissenschaftlichen Weltbildes in der DDR (vgl. Schmidt-Lux 2008). Mit Hilfe der Wissenschaft sollte es möglich sein, die Gesellschaft und das individuelle Verhalten neu zu gestalten: »Wir können unser Verhalten, wohl zum ersten Mal in der Geschichte, nach den Ergebnissen der Wissenschaft einrichten. Das fordert uns andererseits dazu auf, das für uns Menschen zuträgliche Verhalten […] in unserem Liebesleben, in der Gestaltung unserer Ehen, einschließlich der Aufzucht der Kinder, in feste Formen zu bringen.« (Neubert 1957: 268) Zusammenhängend mit der zunehmenden Therapeutisierung der Gesellschaft verändert sich im Zeitvergleich auch der Stil der Ratgeber: Rein enzyklopädische Ratgeber gibt es in den 2000er Jahren in beiden Gattungen nicht mehr. Bei den Ehe- und Beziehungsratgebern dominiert nun ein ›essayistisch-therapeutischer Stil‹, neu hinzugekommen ist ein ›essayistisch-spiritueller Stil‹. Auf spirituelle Wissensbestände wird weiter unten genauer eingegangen. Neu ist auch der Bezug auf neurobiologisches Wissen. Wie der Wissenstransfer zwischen den Spezialdiskursen und dem Interdiskurs genau funktioniert, hat Carola Klinkert (i.d.B.) anhand dieser neuen Wissensart aufgezeigt. Diese Teilstudie zeigt, dass neurobiologisches Wissen jedoch zur Klärung von Liebe – entgegen der postulierten Ansprüche – nichts beitragen kann. Nur durch die Verknüpfung mit psychologischen und evolutionsbiologischen Wissensbeständen, was über Metaphern geschieht, kann sich neurobiologisches Wissen gegenwärtig popularisieren. Der Stil der Erziehungsratgeber unterscheidet sich von dem der Ehe-und Beziehungsratgeber. Trotz der Psychologisierung hat sich hier kein essayistischtherapeutischer Stil konstituiert, auch spirituelle Rekurse finden sich nicht. Eine Reihe von Ratgebern vermittelt entwicklungspsychologisches, teilweise auch medizinisches Wissen entlang des Aufwachsens der Kinder. Zu nennen sind etwa die Ratgeber »Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren« (Largo 2010) oder »Das Papa-Handbuch. Alles was Sie wissen müssen über Schwangerschaft, Geburt und das erste Jahr zu dritt« (Richter/Schäfer 2011). Diese Ratgeber haben einen ›essayistisch-enzyklopädischen Stil‹, andere Erzie-

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hungsratgeber lassen sich einem ›essayistischen Stil‹ zuordnen, wie etwa »Mann und Vatersein« (Juul 2011). Für alle untersuchten Ratgeber gilt, dass sie unterschiedliche Wissensarten miteinander verknüpfen, um die eigenen Argumente zu legitimieren. »Signalwörter« (Duttweiler 2006: 3199) wie »wissenschaftliche Studie«, »Statistik« oder »Forschungsergebnisse« sollen die jeweiligen »Eigen-Theorien« (vgl. Scholz/Lenz i.d.B.) des Autors oder der Autorin beglaubigen, die sie aus ihrem Erfahrungswissen und wissenschaftlichem Wissen entwerfen. Obwohl in den Texten die Quellenverweise oftmals sehr dürftig ausfallen, ist im Zeitvergleich festzustellen, dass die Expertenschaft in den aktuellen Ratgebern durch Literaturverzeichnisse, teilweise durch Anmerkungsapparate und Register begründet wird. Auch ausgesprochen essayistische Ratgeber geben sich auf diese Weise einen ›wissenschaftlichen‹ Anstrich und entsprechen damit der zunehmenden Verwissenschaftlichung der Gesellschaft. Eine Analyse der Literaturverzeichnisse belegt, dass ein großer Teil der angegebenen Literatur von anderen Ratgeberautor/innen stammt. So legitimieren sich die Akteur/innen im diskursiven Feld gegenseitig. Man kann von einer »Diskursgemeinschaft« (Schwab-Trapp 2006: 272) sprechen, die wenig institutionalisiert und nur locker miteinander verknüpft ist. Vorsichtig lässt sich formulieren, dass über diese Zitierstrategien auch die Sprechposition dieser Diskursgemeinschaft im öffentlichen Diskurs gestärkt wird. 3.3 Kulturell-künstlerisches Wissen: Dichter, Schriftsteller und Philosophen als Liebesexperten Literatur, Philosophie sowie Volkswissen in Form von Mythen, Märchen, Volkerzählungen, Sprichwörtern und Liedtexten stellen Wissensbestände dar, die in den Ratgebern immer wieder eingestreut werden. Wir haben sie unter dem Begriff ›kulturell-künstlerisches Wissen‹ zusammengefasst. Stefanie Duttweiler hat in ihrer Untersuchung zu Glücksratgebern diese Wissensform als »Weisheitswissen« (Duttweiler 2006: 3197) benannt, sie reicht aus unserer Perspektive aber darüber hinaus, weil sie auch künstlerische Äußerungen umfasst. Der Rekurs der Autor/innen auf dieses Wissen kann wiederum in Fragmenten erfolgen, es kann aber auch den Ratgeber insgesamt strukturieren. So konstruiert etwa Carsten Heider (2003) seinen Ratgeber für schwule Männer entlang der ShakespeareTragödie »Romeo und Julia«, die Titelheldin wird in »Julian« transponiert. Küstenmacher und Küstenmacher entwickeln ihren Leitfaden »Simplify your Love« entlang eines erdachten Märchens. Das Paar muss nach der ersten Phase der Verliebtheit im »Liebeszelt« (Küstenmacher/Küstenmacher 2009: 65) den »Finster-

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wald« (ebd.: 219) überwinden, um im »Königsschloss« (ebd.: 311) häuslich und glücklich werden zu können. Bedeutsam ist, dass Dichter/innen, Schriftsteller/innen und Philosophen/innen in den Ratgebern eine Expertenschaft für Lebens-, insbesondere aber für Liebeserfahrungen zugeschrieben wird. Sie sind damit, ähnlich wie bei dem Erfahrungswissen, autorisiert, Gedanken zur Ausgestaltung persönlicher Beziehungen beizutragen. »Dichter sind helle Köpfe. Und man soll auf sie hören. Aber ihre Weisheit bedarf doch für den gewöhnlichen Hausgebrauch eines ›Körnlein Salzes‹. Das will sagen: man muß sie zu wägen wissen; und was sie auf der Leier lyrisch singen oder auf hellen Trompeten stürmisch schmettern, con sordino – mit Maß – ins Leben übersetzen!« (Wirtz 1946: 20). Diese Übersetzung leistet freilich der Autor oder die Autorin. Im Kontext dieses Rekurses auf ›kulturell-künstlerisches Wissen‹ fließen in fragmentierter Form die verschiedenen historisch gewachsenen Liebessemantiken in die Ratgeber ein, die wir in der Einleitung beschrieben haben. Küstenmacher und Küstenmacher etwa beziehen sich auf den Zusammenhang von »Eros, Amor und Agape« (Küstenmacher/Küstenmacher 2009: 3), verstanden als Instinkt (Eros), Einzigartigkeit (Amor), Hingabe und Nächstenliebe (Agape). Der Instinkt inkludiere die natürliche Anziehungskraft vom männlichen und weiblichen Geschlecht. Das Autorenpaar umschreibt mit Amor die Einzigartigkeit und die Unersetzbarkeit der Gatten füreinander. Die Krönung einer gereiften Liebe bilde dann die Hingabe und Nächstenliebe. Durch die eigene Erfüllung in der Liebe werde es möglich, selbst Liebe zu schenken, beispielsweise eine Familie zu gründen und zu versorgen. Platonische und christliche Liebessemantik werden in dieser Konstruktion von Liebe miteinander verknüpft. Rekurriert wird in den Ratgebern auch auf den platonischen Mythos vom Kugelmenschen, die Darstellungsweisen variieren jedoch wiederum erheblich. Arnold Retzer erzählt im Kapitel »Liebesgeschichten« (Retzer 2009: 21f.) den Mythos ausführlich mit Nennung seiner Herkunft. Der Ratgeber »Lob der Vernunftehe« zeichnet sich im Verhältnis zu anderen durch einen sehr breiten Fundus an ›kulturell-künstlerischem Wissen‹ aus, welches untermauert wird mit historischen und soziologischen Studien. Die meisten Ratgeber referieren jedoch auf den Kugelmenschen, ohne dass sein semantischer Ursprung benannt und manchmal ohne dass der Begriff verwendet wird. So heißt es bei Eva-Maria Zurhorst: »Mehr oder minder offenkundig suchen wir nach der besseren Hälfte, der großen Liebe, nach dem einen Menschen, der uns bestimmt ist. Wann immer wir mit anfänglichem Überschwang eine Beziehung eingehen, sehnen wir uns nach Vervollkommnung und Einssein.« (Zurhorst 2004: 44) Deutlich wird in diesem Zitat auch die Idee der Verschmelzung beider Liebender, die weniger von Platon

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stammt als eine Leitidee der platonischen Rezeption der Romantik ist. Bemerkenswert ist, dass die romantischen Autor/innen, welche unser modernes Liebesideal begründet haben, etwa Friedrich Schlegel, Dorothee Schlegel, Caroline Schlegel-Schelling, Novalis oder Clemens von Brentano, in den Ratgebern nicht referiert werden. Dies mag mit der Rezeption der Romantik im 19. Jahrhundert zusammenhängen, wie Peter Gay (1987) sie beschrieben hat. Romantische Liebe wurde demnach mit sexueller Leidenschaft gleichgesetzt, ein Topos, der, wie gezeigt wurde, bis in die aktuellen Ratgeber hinein nachgezeichnet werden kann. Auch in den Erziehungsratgebern wird auf kulturell-künstlerisches Wissen zur Legitimierung zurückgegriffen. So verwendet etwa Remo H. Largo – um abschließend nur ein Beispiel zu nennen – den afrikanischen Weisheitsspruch: »Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht« (Largo 2010: 20) als einen Leitspruch in seinem Bestseller. Er begründet, dass Erziehung maßvoll eingesetzt werden soll, denn »[d]ie Natur nimmt ihren Lauf« (ebd.: 19). Da sie nicht mit »perfekten Eltern […] rechnet, […] hat sie die Kinder mit einer gewissen Anpassungsfähigkeit und Krisenfestigkeit ausgestattet.« (Ebd.: 34) Allerdings erwartet die Natur von den Eltern, »dass sie sich für ihre Kinder die notwendige Zeit nehmen und von der Gemeinschaft, dass sie die Eltern soweit unterstützt, dass diese ausreichend für ihre Kinder sorgen können.« (Ebd.) Diese Sichtweise legitimiert der Autor mit einem weiteren afrikanischen Sprichwort: »Um ein Kind aufzuziehen, braucht man ein ganzes Dorf.« (Ebd.: 35) 3.4 Religiös-spirituelles und weltanschauliches Wissen: Schrumpfende Transzendenzen Eine wichtige Legitimationsressource bezüglich der diskursiven Deutungsmuster ist ›religiöses-spirituelles und weltanschauliches Wissen‹. Mit der einsetzenden Säkularisierung im Zuge der Aufklärung entstand auch eine Diskussion um konkurrierende Sichtweisen auf die Welt jenseits der Religion, die unter dem Begriff der Weltanschauung geführt wurde (vgl. Schmidt-Lux 2008). An diesen Begriff knüpfen wir an und verstehen den Marxismus-Leninismus in der DDR als eine »wissenschaftliche Weltanschauung« (ebd.: 110), die sich aus dem aufkommenden Szientismus des 19. Jahrhunderts entwickelte. Wie beschrieben rekurrieren die DDR-Ratgeber in den 1950er Jahren auf diese szientistisch begründete Weltanschauung, die von den staatlichen Institutionen gegen die christliche Weltsicht durchgesetzt wurde. In den westdeutschen Ratgebern werden Leitideen von Liebe, Ehe, Geschlechterrollen hingegen in hohem Maße mit Rekurs auf die Bibel, auf geistliche Persönlichkeiten undȹ/ȹoder konkretes theologisches Wissen legitimiert (vgl. Eckardt und Dreßler i.d.B.). Ähnlich wie bei den anderen Wissens-

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arten genügen zur Legitimierung bereits fragmentarische Verweise auf ›Gottes Gnade‹, auf das ›Ehesakrament‹ oder den ›christlichen Schöpfergott‹. Dieser Wissensrekurs korrespondiert mit einer Autoren/innenschaft, die sich in vielen Fällen klar dem evangelischen oder katholischen Glauben zuordnet und ihre Glaubensposition im Ratgeber auch offen vertritt. In den ostdeutschen Ratgebern ist der Bezug auf die wissenschaftliche Weltanschauung unterschiedlich ausgeprägt: Während in der Enzyklopädie »Die Frau« die sozialistische Utopie und ihre Grundlegung im Marxismusȹ/ȹLeninismus einen verhältnismäßig breiten Raum einnehmen, spielt dieser Aspekt in anderen Ratgebern eine geringere Rolle, finden sich sogar Wissensbezüge auf nicht-sozialistische Quellen (vgl. Dreßler i.d.B.). Die Autor/innen fühlen sich zwar grundsätzlich dem sozialistischen Aufbauprojekt verpflichtet, erlauben sich aber eigene Sichtweisen auf Ehe und Erziehung (ebd.). ›Spirituelles Wissen‹ spielt in den 1950er Jahren in den ostdeutschen Ratgebern keine, in den westdeutschen eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl lassen sich, wie gezeigt, Ratgeber finden, welche neben dem christlichen Gottesbezug auch auf andere Religionen wie die griechische Götterlehre sowie esoterische, astrologische und kosmologische Wissensbestände zurückgreifen. Diese Rekurse nehmen im Zeitvergleich deutlich zu; die meisten aktuellen Ehe- und Beziehungsratgeber rekurrieren in mehr oder weniger ausführlicher Weise auf spirituelles Wissen (vgl. Gottwald, Pohl und Reiners i.d.B.). Dabei handelt es sich im Kontrast zum ›christlich-religiösen Wissen‹, das durch die Theologie wissenschaftlich abgesichert und gestützt ist, um nicht-legitime Wissensarten (vgl. Knoblauch 2009). Sie sind offiziell nicht institutionalisiert und werden auch nicht an Schulen oder Universitäten gelehrt. Es gibt stattdessen eine Reihe von privaten Institutionen, eine breite Vortragstätigkeit und vielfältige Buchpublikationen. Das ›spirituelle Wissen‹ hat zugleich auch einen religiösen Aspekt, der sich aus der Abgrenzung von der christlichen Kirche speist, mit dem Anspruch, eine alternative Religion zu formulieren (ebd.). New Age, so haben wir argumentiert, fungiert als Sammelbecken dieser alternativen religiösen Bewegungen, in die verschiedenste spirituelle Wissensbezüge einfließen. Weil die spirituellen Wissensbezüge in den aktuellen Ratgebern so bedeutsam geworden sind, sprechen wir von einer ›Spiritualisierung des Liebes-diskurses‹. Diese Spiritualisierung tritt an die Seite der Psychologisierung, beide Wissensarten können sich gegenseitig stützen, denn spirituelles Wissen rekurriert in hohem Maße auf psychologisches Wissen und umgekehrt. Pascal Eitler verweist auf den »therapeutische[n] Charakter der Meditation« (Eitler 2010: 286), sie sei eine bedeutende Selbsttechnik mit dem Ziel der Selbstreinigung, Selbstheilung, Selbstkontrolle und Selbststeuerung. Auch Hubert Knoblauch beschreibt die

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verbreitete Psychologisierung der New-Age-Bewegung: Neben der Psychoanalyse spielt die Gestalttherapie eine Rolle, bedeutsam sind »Encountergruppen, Rebirthing« – alles »Formen eines erfahrungsnahen, quasi-mystischen Psychologismus« (Knoblauch 1989: 509). Auch wenn eine fortschreitende Säkularisierung unbestritten ist, die sich etwa in abnehmenden Mitgliedszahlen der Großkirchen zeigt, und es in Ostdeutschland nach der politischen Wende nicht zu einem Zulauf zu den Kirchen kam (vgl. Pickel 2011; Wohlrab-Sahr/Karstein/Schmidt-Lux 2009), ist der christliche monotheistische Gott doch nicht gänzlich aus den Ratgebern verschwunden. »Gott ist out« konstatiert das theologisch gebildete Autorenpaar Küstenmacher und Küstenmacher (2009: 321), um ihn im Kontext von Eros, Amor und Agape erneut zu inthronisieren. Wichtig ist, dass dabei der christliche Schöpfergott mit anderen religiösen Bezügen in Verbindung gesetzt wird. Bereits bei Jellouschek (2008a; b) haben wir eine Verbindung verschiedener Religionen in seiner Argumentationsstrategie aufgezeigt: Die Paare sollen sich eine eigene, ihnen angemessene spirituelle Praxis kreieren. Der von Thomas Luckmann (1991) in die soziologische Diskussion gebrachte Begriff der »Bricolage« von religiösem Wissen kann den religiösen Wandel umschreiben, den entsprechende Autor/innen implizit vollziehen. Dazu gehört auch, dass die eigene religiöse Position in den Ratgebern nicht mehr expliziert wird. Sie scheint in merkwürdigen Versatzstücken auf, wenn etwa der religionspädagogisch gebildete Jesper Juul zum »Thema ›Unüberbrückbare Unterschiede zwischen Mann und Frau‹« einen »Witz« (Juul 2011: 13) über Gott erzählt, der die Geschlechterpolarität auf humorvolle Art legitimiert und unverfügbar stellt, denn sie ist Gottes Wille. Die Darstellung als Witz ist eine typische religionspädagogische Strategie, religiöse Inhalte zu verbreiten, die zugleich die Geltung des religiösen Wissens erheblich einschränkt. Ungebrochen ist die Geltung des christlichen Schöpfergottes nur in dem untersuchten evangelikalen Ratgeber. Der Autor James Dobson legitimiert seine Position jedoch zusätzlich mit Rekurs auf biologisches und medizinisches Wissen, was auch in diesem Fall auf eine abnehmende Geltungskraft verweist (vgl. Ruby/Tampe i.d.B.). Ein genauer Blick auf die Biographien der Autor/innen zeigt, dass theologische oder religionspädagogische Ausbildungen immer noch gängig sind. Im Vergleich zu den 1950er Jahren stehen sie jedoch nicht mehr im Vordergrund der eignen Positionierung. In Anlehnung an Thomas Luckmann (2002) lässt sich die beschriebene Entwicklung als ein Schrumpfen von Transzendenzen beschreiben. Religiöse, aber auch weltanschauliche Weltbilder verlieren ihren monopolistischen Geltungsanspruch. Doch verlieren sie nicht gänzlich an Bedeutung, sondern es kommt zu einer Individualisierung und Pluralisierung von Weltsichten. Ein großer Teil der

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aktuellen Ehe- und Beziehungsratgeber kann durchaus als Segment eines »Markt[es] der Transzendenz« (ebd.: 148) angesehen werden. Dabei kann es sich sowohl um religiöse als auch um nicht-religiöseȹ/ȹsäkulare Transzendenzen handeln. Um diesen Aspekt theoretisch und empirisch zu erfassen, schlagen wir vor, einen Transzendenzbegriff zu konzeptionalisieren, der sich nicht auf Religion beschränkt (vgl. dazu Dreischer et al. 2013; Vorländer 2013). Gleichwohl sind historisch in unserem Kulturkreis Religion und Transzendenz auf das engste verknüpft, deshalb finden sich empirisch häufig Rekurse auf eine religiöse Semantik, ohne dass auf eine christliche Ordnung rekurriert wird. Dies lässt sich in unserem Material besonders an der Transzendierung des Kindes zeigen: Mit Bezug auf ein religiöses Vokabular wird das Kind ›sakralisiert‹. Für ein Konzept von Transzendenz jenseits der Religion sprechen auch die Ergebnisse bezüglich der DDR-Ratgeber. Transzendenzressource kann demnach nicht nur die religiöse Sinnwelt sein, sondern auch die symbolische Sinnwelt der sozialistischen Weltanschauung. Transzendenzbezüge sind neben der Institutionalisierung der Liebe in der Ehe mit Kindern und ihrer Verknüpfung mit der symbolischen Zweigeschlechtlichkeit eine wesentliche Ressource, um Dauerhaftigkeit und Stabilität in Paarbeziehungen und Elter(n)-Kind-Beziehungen zu sichern.

4. F AZIT

UND WEITERFÜHRENDE

F ORSCHUNGSFRAGEN

Die Analyse der Ratgeber zeigt, dass sich sowohl in den 1950ern als auch in den 2000er Jahren verschiedene diskursive Deutungsangebote differenzieren lassen bezüglich der Frage, wie die Stabilität der Paar- und der Elter(n)-Kind-Beziehung gesichert werden kann. Da es sich bei den analysierten Ratgebern um Bestseller handelt und die Autor/innen jeweils mit mehreren Werken präsent sind, sprechen wir von einer gleichrangigen Konkurrenz unterschiedlicher Diskurspositionen. Gleichwohl lassen sich Haupttendenzen aufzeigen, die daraus resultieren, dass verschiedene Akteur/innen ähnliche Positionen vertreten, die jedoch immer eine Variationsbreite aufzeigen. Bezüglich unserer Ausgangsfragen nach der Bedeutung von Liebe in den beiden Beziehungsformen (vgl. Scholz/Lenz i.d.B.) lässt sich folgendes Resümee ziehen. Die romantische Liebe gilt als Grundlage für eine dauerhafte Paarbeziehung, gleichwohl wird sie im Zeitverlauf um die partnerschaftliche Liebessemantik erweitert. Der »Oberflächendiskurs« (Reinhardt-Becker 2005: 234) der Ratgeber ist gegen die romantische Liebe gerichtet, denn dem literarischen Liebesdiskurs fehlt es an Vorbildern für eine positive Bewältigung des Alltags. Vor diesem Hintergrund reflektieren Ratgeber die Kompatibilität der romantischen

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Liebe mit dem realen Leben (vgl. auch Reinhardt-Becker 2004). Gezeigt wurde, dass ein auf sexuelle Leidenschaft verkürztes Verständnis von romantischer Liebe in den Ratgebern kursiert. Doch der »Tiefendiskurs« (Reinhardt-Becker 2005: 234) ist gleichwohl durch die romantische Liebe bestimmt: Auf der Grundlage ihrer Individualität erlangt die frei ausgewählte Beziehungsperson eine Höchstrelevanz im Leben desȹ/ȹder Anderen. Die Zweierbeziehung ist auf Dauer angelegt, sexuelle Treue ist erwünscht. Im Zeitverlauf gelten sexuelle Affären nicht mehr als Trennungsgrund, auch ist die Dauerhaftigkeit nicht mehr garantiert, doch die stabile Zweierbeziehung bleibt die Leitidee aller untersuchten Ehe-, Beziehungs- und Sexualitätsratgeber. Die Bedeutung der Individualität der Beziehungsperson nimmt im Zeitvergleich noch zu, die Entwicklung der Persönlichkeit soll im Rahmen der Eheȹ/ȹBeziehung erfolgen, dazu seien weitere soziale Beziehungen in der Umwelt notwendig. Galten geschlechtliche Ungleichheiten in einer Reihe von westdeutschen Ratgebern noch als legitim, ja wurden sie als notwendig angesehen, um die Stabilität der Beziehung zu garantieren, haben Gleichheits- und Gerechtigkeitsnormen im Zeitverlauf an Bedeutung gewonnen. Schlüsselkategorien wie ›Partnerehe‹, ›partnerschaftliche Liebe‹ und ›Partnerliebe‹ zeigen an, dass die partnerschaftliche Liebessemantik mit der romantischen Semantik verschmilzt. Sie bilden keine Gegenpole, gleichwohl stehen Liebe und Gerechtigkeit auch in den aktuellen Bestsellern in einem Spannungsverhältnis, welches jedoch mit dem Argument der Liebe abgeschwächt wird. Auch die Elter(n)-Kind-Beziehung ist auf Liebe begründet, jedoch spielt die Liebe in den Erziehungsratgebern nur eine untergeordnete Rolle. Die Stabilität der Elter(n)-Kind-Beziehung ist in den 1950er Jahren in Ost und West durch die Institution Ehe gesichert, die ›gebende Mutterliebe‹ fungiert als eine natürliche und unhinterfragbare Konstante, ergänzt durch die ›gebende Elternliebe‹. Zwar ist auch in den 2000er Jahren die Elter(n)-Kind-Beziehung auf Dauer angelegt, zielen die Ratgeber auf die Sicherung der Qualität dieser Beziehung, jedoch sind Trennungen üblicher geworden und alternative Familienformen verbreiteter. Deshalb ist das neue Deutungsangebot das ›Eltern-Team‹, das sich um das Kind kümmert. Hinter diesem Deutungsangebot steckt auch der Wandel von Vaterschaft, insbesondere in den Väterratgebern wird ein Anspruch auf gleichberechtigte und partnerschaftliche Elternschaft formuliert. Das schließt weiterhin polarisierte Geschlechterrollen nicht aus, diese werden in einer ›geschlechtsspezifischen Spezialisierung‹ der Elternrollen aufgefangen und legitimieren zudem den notwendigen Beitrag von Vätern zur Erziehung ihrer Söhne und Töchter. Eine ›aufgeklärte Re-Polarisierung von Geschlecht‹ ist auch in einer Reihe von Erziehungsratgebern zu konstatieren. Stabilisiert und auf Dauer gestellt wird die Elter(n)-Kind-Beziehung durch die aktive Liebe des Kindes, die mit Bezug auf die

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psychologische Bindungstheorie kreiert wird. Wir haben sie als ›bindende Kinderliebe‹ bezeichnet. Sie beruht auf einer zunehmenden Individualisierung des Kindes, die mit einer Idealisierung einhergeht, welche auf romantische Kindheitsbilder rekurriert. Abschließend wenden wir uns weiterführenden Forschungsfragen zu. Sie fokussieren die Rezeption der Ratgeber, die wiederum mit der Adressierung des Publikums zusammenhängt. Alle Bestseller richten sich grundsätzlich an die Allgemeinheit, das heißt, sie wenden sich nicht an ein spezifisches Publikum, sie sind für ›alle‹, die sich für ihren Inhalt interessieren, geschrieben. Dennoch nehmen die Ratgeberautor/innen spezifische Ein- und Ausschlüsse vor. Augenfällig und bereits mehrfach betont ist die Adressierung von heterosexuellen Paaren und Eltern. Obwohl in den 2000er Jahren gleichgeschlechtliche Zweierbeziehungen durchaus erwähnt werden, beziehen sich die diskursiven Deutungsangebote nicht auf diese Paarkonstellation. Indem Liebe als auf gegengeschlechtliche Anziehungskraft beruhend konzipiert wird, werden diese Paare aus dem Liebesdiskurs exkludiert. Noch stärker kann der Ausschluss gleichgeschlechtlicher Elternschaft aus dem Erziehungsdiskurs festgestellt werden, sie findet in der von den Autor/innen benannten Vielfalt an Vätern und Müttern keine Erwähnung. Die Ratgeber richten sich vorrangig an ein bürgerliches, wohl situiertes Publikum, ohne dass diese Adressierung expliziert wird. Sie zeigt sich in den Wissensbezügen, die an ein bildungsbürgerliches Wissen anschließen, und in den Fallbeispielen, die ebenso im gut positionierten bürgerlichen Milieu angesiedelt sind. Mehr noch als in den 1950er Jahren, in der die für den Großteil der Bevölkerung problematische materielle und finanzielle Situation durchaus Erwähnung findet, werden in den 2000er Jahren solcherart Konflikte nicht thematisiert. Weitverbreitete gesellschaftliche Phänomene wie Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme, Armut oder Gewalt in den privaten Beziehungen sind diskursive Leerstellen in den Ratgebern. Durch die Fokussierung eines bürgerlichen, mittelschichtigen Erfahrungshintergrundes können sich Individuen anderer sozialer Milieus ausgeschlossen oder nicht angesprochen fühlen, auf diese Bücher in Konfliktsituationen zurückzugreifen. Auch ist zu konstatieren, dass der Erfahrungsraum implizit westdeutsch ist, Erlebnisse von Paaren mit ostdeutschem biographischen Hintergrund finden keine Erwähnung. Ob sich eine ostdeutsche Leserschaft auf diese Weise marginalisiert oder aber selbstverständlich den angesprochenen bürgerlichen Mittelschichten zugehörig fühlt, ist eine offene Forschungsfrage. Sie stellt sich auch vor dem Hintergrund, dass die Geschlechterarrangements in den Paarbeziehungen über die Milieugrenzen hinweg bis in die Gegenwart hinein deutlich unterschieden sind von denen in Westdeutschland (vgl. Scholz 2012).

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Generell gilt, dass über die Rezeption von Ratgebern ausgesprochen wenig bekannt ist. In der wissenschaftlichen Debatte über Ratgeber lassen sich aktuell zwei konträre Positionen differenzieren. Forschende, die sich diesem Material aus einer an Foucault orientierten diskurs- und gouvernementalitätsanalytischen Perspektive zuwenden, vertreten die Auffassung, dass Ratgebern eine zentrale Bedeutung bei der Vermittlung moderner Subjektkonzepte zukommt. So formuliert Stefanie Duttweiler, dass die Analyse von Glücksratgebern »Aussagen über aktuelle Weisen der Selbstführung« (Duttweiler 2007: 31) erlaubt, Glücksratgeber seien »Gebrauchsliteratur zur privaten Selbstoptimierung« (ebd.: 32). Aus ihrer Sicht kann sie zeigen, wie durch Ratgeber »motivationale und emotionale Ressourcen konkret produziert, gefördert und gestaltet werden und wie Individualität ausgebaut und Identität entfaltet wird«, als deren »Fluchtpunkt das unternehmerische[.] Selbst [gilt]« (ebd.: 38). Duttweiler schließt theoretisch und empirisch an die aus einer ähnlichen theoretischen Perspektive durchgeführte Untersuchung von Ulrich Bröckling (2007) an, der sich Ratgebern für Manager zugewandt hat. Im Kontrast zu dieser starken Wirkungsthese von Ratgeberliteratur formuliert Timo Heimerdinger, dass Ratgeber ein »gelebte[r] Konjunktiv« (Heimerdinger 2008: 106) sind. Zwar sind die hohen Verkaufszahlen weitgehend erwiesen, doch lesen die Käufer/innen die Bücher oder werden sie »für das Regal bzw. den Couchtisch gekauft«, um »im Zweifelsfall ein Werk zur Hand zu haben, in dem schon das zu finden wäre, was gebraucht würde« (ebd.)? Ratgeber enthalten aus seiner Perspektive eine »lebensweltliche[.] Fiktionalität«, indem sie gerade auf das verweisen, »was fehlt« (ebd.). Angesichts der Ratlosigkeit der Moderne und der Suche nach Orientierung »korrespondieren [sie] mit gewünschten, erdachten und eben nicht gelebten Kulturmustern« (ebd.) – dies wären in unserem Falle stabile, glückliche Paar- und Elter(n)-Kind-Beziehungen. Würde man diesem Argument folgen, entspräche die konstatierte aufgeklärte Re-Polarisierung von Geschlecht den Wünschen der Paare, was den laut soziologischer Studien (etwa Koppetsch/Burkart 1999; Kaufmann 2005) verbreiteten Idealen von Gleichberechtigung und Partnerschaft in den bürgerlichen Mittelschichten widerspricht. In dieser Hinsicht stellt sich umso mehr die Frage nach der Rezeption. Die symbolische Aneignung des ›gelebten Konjunktivs‹ erfolgt immer in Abhängigkeit vom jeweiligen soziokulturellen Standort (vgl. Heimerdinger 2008). Auch Rudolf Helmstetter verweist darauf, dass die Rezeption – in diesem Fall von Sexualitätsratgebern – als »Erkundung von Selbst- und Glückstechniken zu lesen sind und ein sehr offenes ethopoetisches Potential bergen« (Helmstetter 2010: 82). Die »verschiedenen Rezeptionsphantasien und -programme der Auto-

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ren von Ratgebern«, so Alfred Messerli, »treffen immer auf ›eigensinnige Leser‹« (Messerli 2010: 43). Ausgehend von einer starken Akteursperspektive in der Wissenssoziologischen Diskursanalyse gilt es aus unserer Sicht in einem folgenden Schritt, die individuelle Aneignung von Ratgebern genauer in den Blick zu nehmen, um diese offenen Fragen zu klären. Dass mit einer solchen Erweiterung der Forschungsperspektive der WDA auch ein Beitrag zum bisher untertheoretisierten Verhältnis von Diskursen und Praktiken zu leisten wäre, macht eine solche Forschung umso reizvoller.

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V ERZEICHNIS

DER

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Verzeichnis der AutorInnen

Dreßler, Sabine, M.A., Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Familien- und Geschlechtersoziologie, Kultursoziologie, insbesondere ostdeutsche Alltagskultur; forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Teilprojekt O des SFB 804. Eckardt, Sarah, Diplom-Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Familien-, Religions- und Geschlechtersoziologie; arbeitet seit dem Abschluss des Studiums als Lehrkraft. Gottwald, Sabrina, Diplom-Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Geschlechterforschung, insbesondere die Gleichstellungsthematik von Frau und Mann, Soziologie der Liebe und Zweierbeziehungen, Sozialpolitik; arbeitet seit dem Abschluss des Studiums in einem Marktforschungsinstitut. Höher, Franziska, Diplom-Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Familienforschung, Geschlechterforschung und soziale Probleme; arbeitet seit dem Abschluss des Studiums in der Familienberatung. Klinkert, Carola, Diplom-Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Wissenssoziologie, Kultursoziologie, qualitative Sozialforschung; forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« in Dresden. Lenz, Karl, Prof. Dr.; Arbeitsschwerpunkte: Paarforschung, Geschlechterforschung, Familienforschung; ist Professor für Mikrosoziologie an der Technischen Universität Dresden und Leiter des Teilprojekts O am SFB 804. Mallschützke, Sabine, Diplom-Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Familiensoziologie und Geschlechterforschung; arbeitet seit dem Abschluss des Studiums als Referentin im Bundesfreiwilligendienst.

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Pestel, Franziska, Diplom-Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Frauen- und Geschlechterforschung, Gleichstellung von Frau und Mann in der Wissenschaft, Hochschulforschung und Karriereförderung; ist Leiterin der Koordinierungsstelle zur Förderung der Chancengleichheit an sächsischen Universitäten und Hochschulen. Pohl, Denise, Diplom-Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Geschlechterforschung, Gleichstellung von Frau und Mann; ist seit dem Abschluss des Studiums als Projektmanagerin tätig. Reiners, Romy-Laura, Diplom-Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Private Lebensformen, Geschlecht und soziale Probleme; arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft im Teilprojekt Z des SFB 804. Ruby, Sophie Maria, B.A., Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Frauen- und Geschlechterforschung, Diskursanalyse; schließt derzeit ihr Masterstudium der Soziologie ab, arbeitet als studentische Mitarbeiterin im Teilprojekt O des SFB 804 und ist feministisch aktiv. Scholz, Sylka, PD Dr., Soziologin und Kulturwissenschaftlerin; Arbeitsschwerpunkte: Geschlechter- und Männlichkeitsforschung, Familiensoziologie, Methoden der qualitativen Sozialforschung; forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Projektleiterin im Teilprojekt O des SFB 804 und lehrt am Institut für Soziologie der Technischen Universität Dresden. Tampe, Katharina, B.A., Soziologin; Arbeitsschwerpunkte: Geschlechterforschung und Familiensoziologie; schließt derzeit ihr Masterstudium der Soziologie ab und arbeitet als studentische Mitarbeiterin am Teilprojekt O des SFB 804.

Kulturen der Gesellschaft Jonas Grauel Gesundheit, Genuss und gutes Gewissen Über Lebensmittelkonsum und Alltagsmoral August 2013, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2452-6

Franz Höllinger, Thomas Tripold Ganzheitliches Leben Das holistische Milieu zwischen neuer Spiritualität und postmoderner Wellness-Kultur 2012, 302 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1895-2

Thomas Lenz Konsum und Modernisierung Die Debatte um das Warenhaus als Diskurs um die Moderne 2011, 224 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1382-7

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Kulturen der Gesellschaft Takemitsu Morikawa (Hg.) Die Welt der Liebe Liebessemantiken zwischen Globalität und Lokalität November 2013, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2052-8

Cornelia Schadler Vater, Mutter, Kind werden Eine posthumanistische Ethnographie der Schwangerschaft Februar 2013, 342 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2275-1

Thomas Tripold Die Kontinuität romantischer Ideen Zu den Überzeugungen gegenkultureller Bewegungen. Eine Ideengeschichte 2012, 362 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1996-6

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Kulturen der Gesellschaft Stefan Bauernschmidt Fahrzeuge auf Zelluloid Fernsehwerbung für Automobile in der Bundesrepublik des Wirtschaftswunders. Ein kultursoziologischer Versuch 2011, 270 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1706-1

Max Jakob Orlich Situationistische Internationale Eintritt, Austritt, Ausschluss. Zur Dialektik interpersoneller Beziehungen und Theorieproduktion einer ästhetisch-politischen Avantgarde (1957-1972) 2011, 630 Seiten, kart., 42,80 €, ISBN 978-3-8376-1748-1

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