Implizite Vorurteile: Wie unbewusster Rassismus unser Denken begleitet [1. Aufl.] 9783476057266, 9783476057273

Implizite Vorurteile sind ein sozialpsychologisches Konzept, welches impliziten, d. h. unbewussten Rassismus erklärt. Wa

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German Pages VIII, 195 [201] Year 2020

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Implizite Vorurteile: Wie unbewusster Rassismus unser Denken begleitet [1. Aufl.]
 9783476057266, 9783476057273

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-VIII
Einleitung (René Baston)....Pages 1-9
Anatomie des Vorurteils (René Baston)....Pages 11-53
Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung (René Baston)....Pages 54-86
Das Dunkle in der Black-Box (René Baston)....Pages 87-160
Fazit und Ausblick (René Baston)....Pages 161-178
Back Matter ....Pages 179-195

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René Baston

Implizite Vorurteile Wie unbewusster Rassismus unser Denken begleitet

Implizite Vorurteile

René Baston

Implizite Vorurteile Wie unbewusster Rassismus unser Denken begleitet

René Baston Düsseldorf, Deutschland Zgl. Dissertation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 2019. D61 Ausgezeichnet mit dem Drupa-Preis 2020.

ISBN 978-3-476-05726-6 ISBN 978-3-476-05727-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-476-05727-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. J.B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Danksagungen Diese Arbeit wäre nie entstanden, hätte es nicht diverse Unterstützer und Unterstützerinnen gegeben. Zunächst möchte ich meinem Doktorvater Prof. Gottfried Vosgerau sehr herzlich für die zahlreichen Unterstützungen danken, welche bis zu meinem Philosophie-Bachelorstudium zurückreichen. Diese Arbeit wäre inhaltich ohne seine Hilfe unmöglich gewesen. Außerdem möchte ich mich bei meinem Zweitprüfer Prof. Markus Schrenk bedanken, der mit seinen Kritiken diesen Text entschieden verbessert hat. Dank gilt auch Prof. Robert Rupert, der während meines kurzen Aufenthaltes in Colorado diverse Gedankenanstöße gegeben hat. Außerdem möchte ich mich insbesondere bei Anna Welpinghus und Christoph Michel bedanken; beide haben frühe Fassungen unterschiedlicher Kapitel korrekturgelesen. Weiterhin möchte ich mich bei meiner Frau, Margarita Kalmikova, für Ihre Hilfe bedanken. Desweiteren möchte ich mich bei meinem Bürokollegen und Freund, Nicolas Lindner, bedanken: Viele unserer Gespräche und Diskussionen haben den Promotionsprozess lebendig gehalten. Dank gilt außerdem meinen Eltern, Johannes und Maria Baston.

Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung .................................................................................................. 1

2

Anatomie des Vorurteils ........................................................................... 11 2.1

2.2

3

4

Das psychologische Konzept der Einstellung................................... 11 2.1.1

Komponenten ..................................................................... 12

2.1.2

Messung expliziter Einstellungen ........................................ 15

2.1.3

Relevanz für Verhalten ....................................................... 16

2.1.4

Fazit ................................................................................... 17

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils................................. 18 2.2.1

Klassischer Rassismus ........................................................ 19

2.2.2

Moderner Rassismus ........................................................... 30

2.2.3

Aversiver Rassismus ........................................................... 34

2.2.4

Fazit ................................................................................... 52

Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung..................... 54 3.1

Top-down und Bottom-up Erklärungen ........................................... 58

3.2

Reale Muster als Mittelweg ............................................................ 63 3.2.1

Dennetts Theorie des Intentional Stance .............................. 64

3.2.2

Kritik an Dennetts Theorie vom Intentional Stance .............. 71

3.2.3

Der Intentional Stance und das Interfacing-Problem ............ 75

3.2.4

Repräsentationen als mentale Zustände ............................... 81

3.2.5

Fazit ................................................................................... 84

Das Dunkle in der Black-Box ................................................................... 87 4.1

4.2

Eigenschaften impliziter Vorurteile ................................................. 88 4.1.1

Zur Bewusstheit .................................................................. 89

4.1.2

Kontrollierbarkeit ............................................................... 96

4.1.3

Eigenschafts-Cluster ........................................................... 99

4.1.4

Fazit ................................................................................. 100

Was sind implizite Vorurteile? ...................................................... 101

Inhaltsverzeichnis

5

4.2.1

Implizite Vorurteile als assoziative Zustände ..................... 101

4.2.2

Implizite Vorurteile als Propositionen ............................... 111

4.2.3

Implizite Vorurteile als Dispositionen ............................... 133

4.2.4

Fazit ................................................................................. 154

Fazit und Ausblick ................................................................................. 161

Literaturverzeichnis ...................................................................................... 179

1

Einleitung

Im Jahre 1919 kam es in der amerikanischen Stadt Omaha in Nebraska zu Ausschreitungen (Rucker & Upton, 2006, S. 487). Ein farbiger Mann mit dem Namen Willie Brown wurde von Agnes Loebeck der Vergewaltigung beschuldigt. Die Polizei verhaftete Brown und überstellte ihn einem Gericht. Ein aufgebrachter Mob von ungefähr 4000 weißen Personen versammelte sich vor eben jenem Gerichtsgebäude. Die Stimmung war äußerst aufgeheizt und die versammelte Menschenmenge schrie nach Vergeltung. Am frühen Abend plünderte die Gruppe Geschäfte in der Nähe des Gerichtsgebäudes und stahl viele Revolver und Schrotflinten. Die Meute verschaffte sich Zugang in das Gerichtsgebäude und die Polizei verlor vollständig die Kontrolle. Der damalige Bürgermeister Edward Smith trat der Menge entgegen und versuchte sie an ihrem Vorhaben zu hindern, woraufhin er durch eine Schlinge gewürgt wurde. Einigen Personen gelang es den Bürgermeister aus der Schlinge zu befreien, weshalb dieser überlebte und entkam. Willie Brown hingegen wurde an einem Galgen ermordet. Während er hing wurden hunderte Schüsse auf den Leichnam abgegeben. Der Leichnam wurde anschließend verbrannt. Dies ist nur eine der vielen Rassenausschreitungen des sogenannten ‚Red Summer of 1919‘ bei dem hunderte Menschen in den Vereinigten Staaten ums Leben kamen. Die Rassentrennung war zu dieser Zeit in den gesamten USA gesetzlich geregelt und rassistische Vorurteile waren allgegenwärtig. Durch die Bürgerrechtsbewegung veränderte sich über viele Jahrzehnte hinweg langsam das Bewusstsein für rassistische Diskriminierung. Soziologische Erhebungen zeigen, dass rassische Einstellungen von den 1970er Jahren bis 2008 in den USA weniger feindselig wurden (Bobo, Charles, Krysan, & Simmons, 2012). Bei einer repräsentativen Umfrage im Jahr 1972 gaben fast 40 Prozent der Befragten an, dass sie es für ein Recht der weißen Bevölkerung halten, Afro-Amerikaner aus weißen Wohngegenden fern zu halten. Dieses Recht, so die Befragten, steht den Weißen zu und AfroAmerikaner sollten dies akzeptieren. Im Jahr 2002 sahen dies noch knappe 10 Prozent so. 1990 gaben die Befragten zu 65% an, sie hätten Einwände, wenn ein Verwandter einen Afro-Amerikaner bzw. eine Afro-Amerikanerin heiraten würde. Im Jahr 2008 sank die Zahl der Befragten, die analog antworteten, auf ca. 25%. Diese beispielhaften Zahlen zeigen zweierlei: (1) Rassische Einstellungen verbesserten sich in den USA und (2) die rassischen Einstellungen bleiben zu einem nicht

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Baston, Implizite Vorurteile, https://doi.org/10.1007/978-3-476-05727-3_1

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Einleitung

zu unterschätzenden Teil offensiv rassistisch. 1 Es ist traurige Realität, dass im Jahre 2008 noch ungefähr ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung ein Problem mit der Vorstellung hat, dass eine Person aus der Familie eine Ehe mit einer farbigen Person eingeht. Im Jahr 2006 wird in einer kriminologischen Studie der polizeiliche Umgang mit dem Drogenhandel in Seattle analysiert (Beckett, Nyrop, & Pfingst, 2006). Innerhalb der Stadt gibt es ein florierendes Geschäft mit Amphetaminen, Ecstasy, Kokain und Crack. Sowohl Konsumenten als auch Verkäufer der drei erstgenannten Drogen sind in Seattle typischerweise weiße Amerikaner. Das Geschäft mit der Droge Crack wird hauptsächlich von Afro-Amerikanern gesteuert. Allerdings sind 64% aller Verhaftungen für Drogenlieferungen auf den Crackhandel begrenzt. Im Gegensatz zum Verkauf von Kokain wird Crack normalerweise häufig auf der Straße verkauft, aber auch der Zugriff auf Wohnhäuser wegen des Crack-Handels ist überdurchschnittlich. Statistisch lässt sich dies nicht einfach dadurch erklären, dass möglicherweise mehr Crack verkauft wird als von den anderen Rauschmitteln. Die Autoren der Studie ziehen den Schluss, dass die Polizei ganz besonders auf diejenigen Stadtteile fixiert ist, in denen überwiegend Afro-Amerikaner leben. Zusätzlich, so die Autoren, wird Afro-Amerikanern insgesamt mehr Aufmerksamkeit zuteil, wenn es um den ‚War on Drugs‘ geht. Dies geht sogar so weit, dass die Polizei davon ausgeht, dass es abgesehen vom Crackgeschäft kaum Drogengeschäfte in Seattle gebe. Schlussendlich geben die Autoren zu bedenken, dass eben jenes Vorgehen der Polizei einen „implicit racial bias“ (Beckett et al., 2006, S. 130) darstellt. Während der beschriebene Aufstand von 1919 einen klaren Fall von rassistisch motivierter Gewalt darstellt, wird hier eine ganz andere Erklärung herangezogen: impliziter Rassismus. Die rassischen Einstellungen in den USA haben sich in den letzten Jahrzehnten sukzessive verbessert, aber es hat sich eine andere Art von Rassismus entwickelt. Diese Art von Rassismus ist vom klassischen Rassismus zu unterscheiden. Jener war sehr explizit und wurde offensiv zur Schau gestellt. Durch sozialen Wandel in der Gesellschaft hat sich jedoch an den Bedingungen, unter denen Rassismus in Erscheinung tritt, etwas geändert. Das Konzept des impliziten Rassismus ist gebunden an das fundamentalere Konzept des impliziten Vorurteils. Bei sogenannten expliziten Vorurteilen kann vorausgesetzt werden, dass Personen selbst wissen, dass sie solche haben. Im Gegensatz dazu gelten implizite Vorurteile für die Personen, die implizite Vorurteile 1

Ich spreche von einer ‚rassischen‘ Einstellung, da es sich um eine Einstellung gegenüber einem sozial konstruierten Gruppenobjekt handelt, welches durch ‚Rassenmerkmale‘ bestimmt ist. Gleichzeitig möchte ich mit der Bezeichnung die Einstellungswertung als unbestimmt hervorheben, was beim Wort ‚rasstistische Einstellung‘ nicht möglich ist.

Einleitung

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haben, als nicht erkennbar. Nichtsdestotrotz können eben jene impliziten Vorurteile das Denken und Handeln derartig beeinflussen, dass Personen entgegen ihrer bewussten Intentionen diskriminierendes Verhalten zeigen. Der vorliegende Text hat das Ziel, das Konzept der impliziten Vorurteile philosophisch zu untersuchen. Das wesentliche Ziel besteht in der Bestimmung der Natur impliziter Vorurteile. Es gibt beispielsweise Autoren, die dafür argumentieren, dass implizite Vorurteile unbewusste Überzeugungen sind. Andere Autoren möchten unter impliziten Vorurteilen Assoziationen verstanden wissen. Die Argumente, die für solche Behauptungen angeführt werden, sollen genau analysiert und diskutiert werden. Am Ende der Arbeit wird ein eigenes Argument dafür dargestellt, implizite Vorurteile als Dispositionen zu betrachten. Um dies in einer angemessenen Art und Weise zu tun, sind diverse Vorarbeiten nötig. Im zweiten Kapitel werden Rassismustheorien der Sozialpsychologie betrachtet, welche den gesellschaftlichen Wandel rassistischer Gesinnungen in verschiedenen Theorien beschreiben. Der moderne Rassismus ist durch negative Affekte gegenüber Afro-Amerikanern gekennzeichnet. Dies alleine unterscheidet ihn noch nicht vom klassischen Rassismus (siehe 2.2.1), welcher zusätzlich eine bestimmte explizite rassistische Ideologie verlangt. Eben jene fehlt im modernen Rassismus (siehe 2.2.2): rassische Diskriminierung wird als falsch abgelehnt. Gleichzeitig wird jedoch nicht anerkannt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen tatsächlich diskriminiert werden. Die Sozialpsychologie hat diesem Wandel im Rassismus mit Theorien und Messinstrumenten Rechnung getragen. Die These der kriminologischen Studie, dass ganze Bevölkerungsgruppen durch impliziten Rassismus benachteiligt werden, verlangt jedoch nach noch weitergehenden Unterscheidungen. Implizit ist Rassismus nämlich dann, wenn es zu rassistischen Diskriminierungen kommt, während die Akteure dies nicht intendierten. Vielleicht wissen die Akteure nicht, dass sie rassistische Vorurteile gegenüber Afro-Amerikanern haben? Die Sozialpsychologie beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit dem sogenannten ‚aversivem Rassismus‘. Ein Schwerpunkt des zweiten Kapitels gilt eben jenem aversiven Rassismus (siehe 2.2.3). Dabei wird die Frage im Fokus stehen, unter welchen Bedingungen außenstehende Personen mehr über eine Person wissen können als die Person selbst. Dies ist insofern von Belang als dass die Sozialpsychologie für sich in Anspruch nimmt, diejenigen impliziten Vorurteile erkennen zu können, die dem Subjekt unbekannt sind. Dass dies möglich ist, wurde innerhalb der Philosophiegeschichte häufig in Frage gestellt. Aber auch grundsätzliche Bestimmungen des Phänomens des aversiven Rassismus sind ein wichtiger Bestandteil des zweiten Kapitels. Dies

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Einleitung

ist nötig, denn das Konzept der impliziten Einstellung bzw. des impliziten Vorurteils wird im Rahmen des aversiven Rassismus zum ersten Mal systematisch in einer Rassismustheorie verwendet. Wenn man von impliziten Einstellungen spricht, dann müssen natürlich auch verschiedene indirekte Messinstrumente der Sozialpsychologie vorgestellt werden (siehe 2.2.3.3). Das wohl bekannteste (aber wohl auch umstrittenste) Messinstrument ist der sogenannte Implicit Association Test, der eigens dafür entwickelt wurde implizite Einstellungen zu messen. Dabei ist es wesentlich, dass die Messung der impliziten Einstellungen gelingt, ohne dass die Probanden die Intention haben, ihre Vorurteile zu kommunizieren, und auch ohne dass vorausgesetzt wird, dass die Probanden von ihren impliziten Vorurteilen wissen. Was aber sind diese sogenannten impliziten Vorurteile? Um diese Frage zu beantworten soll im dritten Kapitel der ontologische Status mentaler Zustände in den Blick genommen werden. Wenn die Frage geklärt ist, in welchem Sinne mentale Zustände real sind, dann kann vor diesem Hintergrund die speziellere Frage beantwortet werden, was implizite Vorurteile sind. Das Verhalten von Menschen lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen erklären. Man kann beispielsweise ohne Bezug auf empirische Wissenschaften, wie der Sozialpsychologie, Verhalten durch das Zuschreiben von Überzeugungen und Wünschen erklären. Dementsprechend kann eine Person ein bestimmtes Verhalten p zeigen, da sie den Wunsch q hat, aber q nur durch p zu erlangen ist. Eine Erklärung eben jenes Verhaltens aus der Sozialpsychologie oder den Neurowissenschaften kann völlig anders aussehen. Diejenigen Mechanismen, die herangezogen werden, um Verhalten zu erklären, sind in den empirischen Wissenschaften normalerweise abweichend von denjenigen Mechanismen, die in der Alltagspsychologie eine Rolle spielen. Allerdings sind diese verschiedenen Arten von Erklärungen nicht ohne weiteres miteinander kompatibel. Ursächlich für ein bestimmtes Verhalten sind eben jene Faktoren, die kausal wirksam sind – diese sind nicht beliebig. Im dritten Kapitel werden zunächst Theorien vorgestellt, welche ein klassisches Verständnis von der Realität mentaler Zustände vertreten. Dabei wird der intentionale Realismus (siehe 3.1) exemplarisch vorgestellt, der behauptet, dass eben diejenigen mentalen Zustände, die im Alltag genutzt werden, um Verhalten zu erklären, auch real vorhanden sind. Demnach verursachen jene realen mentalen Zustände auch dasjenige Verhalten, welches erklärt werden soll. Hierbei steht die sogenannte Alltagspsychologie im Fokus. Vertreter des intentionalen Realismus, wie Fodor, verweisen typischerweise auf die Nützlichkeit und Effizienz der Alltagspsychologie, um sie dann als dasjenige auszuweisen, was die tatsächlichen

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Verhaltensursachen im Blick hat. Es wird sich allerdings zeigen, dass die Fähigkeiten der Alltagspsychologie von Vertretern des intentionalen Realismus überschätzt werden. Es ist daher naheliegend, den Fokus auf dasjenige zu legen, was bekanntermaßen tatsächlich maßgeblich für die Verhaltensverursachung ist, nämlich neuronale Prozesse. Das Gehirn ist der Dreh- und Angelpunkt für Verhalten. Wenn man allerdings diesen methodischen Schritt geht und von der neuronalen Basis ausgehend Verhalten erklären will, stellt sich die Frage, ob es mentale Zustände überhaupt gibt. Sind die Überzeugungen und Wünsche, mit denen erfolgreich Verhalten erklärt und prognostiziert wird, wirklich real? Was also, wenn es im Gehirn keine neuronalen Strukturen gibt, die mit eben diesen mentalen Zuständen identisch sind? Stellt sich nicht unter Umständen ein analoges Problem für die Sozialpsychologie? Auch hier wird häufig mit mentalen Zuständen gearbeitet, wie beispielsweise mit dem ‚expliziten Selbstwert‘. Möglicherweise gibt es auch in diesem Fall im Gehirn keine neuronale Struktur, die mit diesem mentalen Zustand identisch ist. Der Eliminativen Materialismus Churchlands besagt, dass es keine mentalen Zustände gibt (siehe 3.1). Diese Theorie wird kurz kritisch dargestellt. Anschließend wird dann eine Position entwickelt, die auf der Theorie des ‚Intentional Stance‘ von Daniel Dennett aufbaut (siehe 3.2). Diese Theorie erlaubt es, dass Erklärungen verschiedener Ebenen miteinander koexistieren können. Dafür ist es allerdings nötig, den ontologischen Zustand mentaler Zustände anders zu begreifen, als dies beim intentionalen Realismus oder im Eliminativen Materialismus geschieht. Mentale Zustände haben demnach den gleichen Realitätsstatus wie theoretische Begriffe in den Naturwissenschaften. Ein theoretischer Begriff, wie ‚Elektron‘, bezeichnet eine Entität mit bestimmten Eigenschaften, mit dessen Hilfe empirische Hypothesen aufgestellt und getestet werden. Das Konzept ‚Elektron‘ ist in dieser Hinsicht äußerst erfolgreich und eben jene Erfolgsgeschichte sorgt dafür, dass das Elektron als etwas Reales betrachtet wird. Mentale Zustände haben für Dennett den gleichen ontologischen Status. Es ist dadurch möglich, dass ein Verhalten auf zwei Weisen erklärt wird und beide Mechanismen koexistieren können. Diese Idee wirft Fragen auf, die im weiteren Verlauf des Kapitels diskutiert werden. Es wird sich im Zuge dessen zeigen, dass mentale Zustände theoretische Begriffe sind, die ihren Realitätsstatus auf dem gleichen Weg sichern, wie die theoretischen Begriffe in den Naturwissenschaften. Wesentlich sind dementsprechend erfolgreiche Verhaltensprognosen. Warum aber sollte man mentale Zustände annehmen, wenn doch die Neurowissenschaft gut begründet zeigt, dass die neuronalen Vorgänge die eigentlichen Ursachen von Verhalten sind? Dazu wird im dritten Kapitel

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Einleitung

zweierlei festgestellt: zunächst ist diese Art des Verständnisses eben jener klassischen Lesart von mentalen Zuständen geschuldet, die Dennett überwinden möchte. Zusätzlich zeigt sich, dass mentale Zustände multipel realisierbar sind. Das bedeutet, dass eine Überzeugung ganz unterschiedlich physikalisch realisiert sein kann, während jedoch die funktionale Rolle des mentalen Zustandes gleich bleibt. Um nun Verhalten zu erklären, ist es daher unumgänglich, dass mentale Zustände durch ihre Effekte charakterisiert werden. Wenn also beispielsweise der explizite Selbstwert einer Person gemessen wird, dann wird der Person ein bestimmter Selbstwert zugeschrieben. Was dabei genau zugeschrieben wird, ist ein mentaler Zustand, der sich durch bestimmte Dispositionen (das bedeutet, dass eine Person unter bestimmten Randbedingungen dazu neigt X zu tun) identifizieren lässt. Gäbe es dieses Identifikationsmerkmal nicht, dann könnte man ein neuronales Muster nie einem Effekt zuordnen. Die Tatsache, dass ein neuronales Korrelat eines mentalen Zustandes bei zwei Personen völlig unterschiedlich ist, ist daher nicht problematisch: unabhängig von der konkreten Realisierung wird ein mentaler Zustand und damit ein Bündel von Dispositionen zugeschrieben. Mentale Zustände sind daher für Verhaltenserklärungen unverzichtbar. Es wird außerdem herausgestellt, dass mentale Zustände als Dispositionen von Repräsentationen zu unterscheiden sind (siehe 3.2.4). Eine Repräsentation ist eine besondere Gattung von mentalen Zuständen, die einen bestimmten Gehalt haben. Im Gegensatz zu Dispositionen dienen Repräsentationen dazu Verhalten zu erklären. Es wird sich zeigen, dass verschiedene Verhaltensweisen nur dann sinnvoll erklärt werden können, wenn man annimmt, ein kognitives System würde etwas repräsentieren. Beispielsweise repräsentiert eine Ratte ihre Umgebung und unter dieser Annahme kann erklärt werden, wie die Ratte erfolgreich den Weg durch ein Labyrinth findet. Die Zuschreibung von Repräsentationen hat andere Rechtfertigungsbedingungen als die Zuschreibung von mentalen Zuständen. Letztere prognostizieren Verhalten durch eben dasjenige, worüber sie individuiert werden: ihre Effekte bzw. ihre Dispositionen. Repräsentationen werden dann gerechtfertigt zugeschrieben, wenn eine kognitive Kapazität erklärt wird. Im vierten Kapitel wird vor dem Hintergrund des dritten Kapitels die Frage diskutiert, was implizite Vorurteile sind. Dabei werden verschiedene aktuelle Positionen diskutiert. Gendler behauptet, dass es sich bei einem impliziten Vorurteil um einen mentalen Zustand handelt, den Gendler als „Alief“ bezeichnet (siehe 4.2.1.1). Dieser mentale Zustand ist analog zu einer Überzeugung (Belief) zu verstehen, hat jedoch andere Eigenschaften. Mandelbaum behauptet stattdessen, dass es sich bei impliziten Vorurteilen tatsächlich um unbewusste Überzeugungen handelt (siehe 4.2.2.1). Die Daten der Sozialpsychologie deuten darauf hin, so Mandelbaum, dass sich implizite Vorurteile eben wie Überzeugungen verhalten. Machery hingegen bestreitet insgesamt, dass es implizite oder explizite Vorurteile als

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mentale Zustände gibt. Er argumentiert stattdessen dafür, von rassistischen Persönlichkeiten zu sprechen (siehe 4.2.3.1). Die Vorurteilsforschung, so Machery, solle sich dementsprechend nicht mit mentalen Zuständen sondern mit Persönlichkeitsvariablen befassen, die ihrer Natur nach Dispositionen darstellen. All diese Ansätze werden vorgestellt und kritisch diskutiert. Im letzten Teil der Arbeit möchte ich einen alternativen Vorschlag geben, was implizite Vorurteile sind (siehe 4.2.3.3). Die Alternative besteht darin implizite Vorurteile als Dispositionen zu betrachten. Im Gegensatz zum Ansatz Macherys soll also der mentale Zustand als Disposition betrachtet werden, wohingegen Machery vorschlägt, Persönlichkeitsvariablen statt Vorurteile als Dispositionen zu betrachten. Die These, implizite Vorurteile seien Dispositionen, ist dadurch gerechtfertigt, dass eben jene vorher dargestellten Ansätze von Gendler, Mandelbaum und Machery nicht überzeugen können. Der mentale Zustand ‚implizites Vorurteil‘ ist dementsprechend als ein Dispositionsbündel zu betrachten. Die Dispositionen – also die Effekte und die dafür nötigen Randbedingungen – werden in empirischen Experimenten erforscht. Es handelt sich bei impliziten Vorurteilen allerdings nicht um Repräsentationen, denn für die Zuschreibung einer Repräsentation ist es erforderlich, dass das entsprechende Verhalten auch tatsächlich erklärt wird. Dies wird aktuell jedoch nicht geleistet. Das Verhalten wird bestenfalls prognostiziert, wofür mentale Zustände ohne repräsentationalen Gehalt ausreichend sind. Daher haben implizite Vorurteile keinen Gehalt und sind Dispositionen. Die Zuschreibung einer unbewussten Repräsentation, wie „FARBIGE MENSCHEN SIND SCHLECHT“, ist demnach nicht gerechtfertigt, wenn durch ein indirektes Messverfahren implizite Vorurteile erkannt wurden.

Anmerkungen zu eigenen Einschränkungen des Textes In diesem Text werden nur theoretische Fragen zum Thema ‚implicit bias‘ behandelt. Es existiert eine wachsende Zahl von ethischen und auch sozialphilosophischen Schriften zum Thema, die allesamt im Hauptteil des Textes nicht berücksichtigt werden. Beispielsweise ist die Frage, ob Personen für Verhalten verantwortlich sind, welches durch implizite Vorurteile verursacht worden ist, derzeit sehr umstritten. Die Brisanz der Frage wird deutlich, wenn man einen Aspekt der implicit biases hervorhebt, der besonders charakteristisch ist: Eine Person beurteilt die Bewerbung verschiedener Bewerber ungerecht. Die Person hat nicht die Intention einen der Bewerber zu benachteiligen, aber sie tut es und zwar aufgrund der Tatsache, dass

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Einleitung

sie starke implizite Vorurteile gegenüber einer bestimmten sozialen Gruppierung hat. Eine sozialphilosophische Frage betrifft die Erklärungsleistung impliziter Vorurteile bezogen auf soziologische Phänomene. Soziologisch lässt sich feststellen, dass verschiedene soziale Gruppierungen systematisch benachteiligt sind. Allerdings bleibt zunächst unklar, ob implizite Vorurteile für eine Erklärung der Benachteiligung angeführt werden können. Möglicherweise ist dies schlichtweg falsch und versperrt den Blick auf die eigentlichen Probleme, die struktureller Natur sein können. Letzteres wird ‚institutionalisierter Rassismus‘ genannt und bezieht sich darauf, dass es staatliche Institutionen und Strukturen in der Gesellschaft gibt, die sich derartig entwickelt haben, dass sie bestimmte Gruppierungen systematisch benachteiligen. Für diese Art der Benachteiligung ist es nicht notwendig, dass Personen implizite Vorurteile haben, sondern nur, dass sie die Aufgaben des entsprechenden Instituts erledigen, was dann zur Benachteiligung führt. Das Fazit des Textes enthält einen Ausblick, der weiterführende Gedanken zu diesen beiden angerissenen Themen beinhaltet. Weiterhin werden andere theoretische Aspekte innerhalb der Philosophie um implizite Biases ausgelassen, wie die epistemische Relevanz. In diesem Kontext wird beispielsweise die Frage diskutiert, wieviel Erkenntnisverlust durch implizite Vorurteile und Stereotypen bedingt ist (zum Beispiel, Gendler, 2011). Diese Frage erscheint mir insofern nicht relevant, als dass es eine geradezu unüberschaubare Zahl von Biases gibt, die nicht auf impliziten Einstellungen basieren. Unter all diesen systematischen kognitiven Fehlleistungen sind die Wirkungen impliziter Einstellungen vernachlässigbar. Eine weitere wichtige Einschränkung betrifft das hier primär diskutierte Objekt impliziter Vorurteile. Da es sich bei impliziten Vorurteilen um einen Teil der impliziten Einstellung handelt, der gegenüber verschiedenen sozialen Gruppierungen bestehen kann, ist es wichtig hervorzuheben, dass im vorliegenden Text rassistische Vorurteile im Fokus stehen. In der Sozialpsychologie sind Vorurteile gegenüber Rassen als negativ bestimmt. Das bedeutet, dass eine implizit rassistische Person beispielsweise farbige Menschen automatisch-affektiv negativ bewertet. Auf dieser Grundlage erklären sich verschiedene Arten diskriminierenden Verhaltens. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Vorurteilsforschung im Sexismus eben jene Einschränkung aufgegeben hat. Vorurteile gegenüber Frauen sind häufig affektiv-positiv und die Psychologie erklärt auf dieser Grundlage andere Arten von diskriminierendem Verhalten. Der sogenannte Wohlwollende-Sexismus (Benevolent sexism; Glick & Fiske, 2001) äußert sich derartig, dass Sexisten Frauen benachteiligen, um sie (angeblich) vor Dingen, wie Stress und Verantwor-

Einleitung

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tung, zu schützen. Da also beim Sexismus auch positive Affekte als Vorurteil auftreten, ist das Verständnis von Vorurteilen im Sexismus komplizierter als im Rassismus.

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Anatomie des Vorurteils

Um die Frage ‘Was sind implizite Vorurteile’ angemessen zu verstehen, ist es unumgänglich sich mit den entsprechenden psychologischen Grundlagen zu beschäftigen. Ohne eben jene Forschung gäbe es die Frage nicht und dementsprechend muss eine Antwort auf diese Frage auch in unmittelbarer Anlehnung an die entsprechenden empirischen Theorien gegeben werden. Implizite rassistische Vorurteile sind negative implizite Einstellungen gegenüber einer sozialen Gruppierung, die durch rassische Eigenschaften konstituiert ist. Das Konzept der Einstellung ist daher von besonders großer Bedeutung, wobei zunächst die expliziten Einstellungen betrachtet werden müssen. Ausgehend vom grundlegenden Verständnis davon, was eine explizite Einstellung ist, können psychologische Rassismustheorien betrachtet werden. Rassistische Vorurteile sind in der psychologischen Forschung eng an bestimmte Rassismustheorien geknüpft. Im vorliegenden Teil werden sowohl die theoretischen Konzepte als auch die Messverfahren der Rassismustheorien in den Blick genommen. Eine dieser Rassismustheorien, die Theorie des aversiven Rassismus, führt direkt zum zentralen Gegenstand der vorliegenden Arbeit: zu impliziten Vorurteilen. Wenn der Hintergrund zu impliziten Vorurteilen einmal dargestellt ist, werden verschiedene Messverfahren, wie der Implicit Association Test, und Beispiele für erfolgreiche Verhaltensprognosen auf der Grundlage dieser impliziten Vorurteile dargestellt. 2.1

Das psychologische Konzept der Einstellung

Alle Menschen mögen bestimmte Dinge während sie andere Dinge meiden. Eine Person mag Briefmarken, die nächste das Briefmarken-Sammeln und eine weitere die Demokratie. Die Gegenstände der Wertschätzung sind hier sehr unterschiedlich: konkrete Objekte, Handlungen und abstrakte Objekte. Die Liste von Gegenständen, die man wertschätzen kann, lässt sich nahezu endlos fortsetzen. Entscheidend für den vorliegenden Text ist die Tatsache, dass auch soziale Gruppen, wie Farbige, Asiaten oder Araber, Objekt einer Bewertung sein können. Unabhängig vom Objekt der Bewertung drängt sich der Gedanke auf, dass sich diese Wertungen auf das Denken und Verhalten von Personen auswirken. Es scheint auf den ersten Blick unsinnig zu sein, jemandem eine Vorliebe für Eis zu© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Baston, Implizite Vorurteile, https://doi.org/10.1007/978-3-476-05727-3_2

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Anatomie des Vorurteils

zuschreiben, wenn diese Person sich in Gegenwart von Eis immer ablehnend verhält. Typischerweise erwartet man von Personen dementsprechend konsistentes Verhalten (auch Sprachverhalten) mit den wertenden Einstellungen. Das Konzept der Einstellung ist eines der wichtigsten Konzepte der Sozialpsychologie (Haddock & Maio, 2015). In der Sozialpsychologie versteht man unter einer Einstellung die Gesamtbewertung eines Objekts aufgrund von kognitiven, affektiven und verhaltensbasierten Informationen. Da es sich um eine Bewertung handelt, kann man zwischen mindestens zwei Dimensionen unterscheiden: die Valenz und die Stärke. Die Valenz bezeichnet die Dimension der Wertung, die positiv („Ich mag Bücher“) oder negativ („Ich mag keine Bücher“) ausgerichtet sein kann. Die Stärke kann man vorläufig als die Intensität der Wertung betrachten. Beispielsweise könnte eine Person Bücher buchstäblich lieben während eine andere Person zwar generell Bücher als wichtiges Kulturgut wertschätzt, aber die Liebhaberei der Bücher als übertrieben betrachtet. In der Sozialpsychologie ist das Konzept des Vorurteils äußerst eng mit dem Konzept der Einstellung verbunden. Daher soll nun als Erstes ein kurzer Überblick über das Einstellungs-Konzept in der Sozialpsychologie folgen. Zunächst sollen die verschiedenen Typen von Informationen, nämlich kognitive, affektive und verhaltensbasierte Informationen, in den Blick genommen werden. Anschließend soll die Art und Weise betrachtet werden, wie in der Sozialpsychologie Einstellungen von Personen gemessen werden. Abschließend wird die Frage im Vordergrund stehen, inwieweit das Verhalten von Personen von ihren Einstellungen abhängt. 2.1.1

Komponenten

Typischerweise geht man in der Sozialpsychologie davon aus, dass eine Einstellung aus drei Arten von Informationen zusammengesetzt ist. Das Multikomponentenmodell (Zanna & Rempel, 1988) geht davon aus, dass dementsprechend drei Komponenten die Säulen aller Einstellungen sind: die affektive, kognitive und die verhaltensbasierte Komponente. Für ein bestimmtes Bewertungsobjekt kann eine Komponente besonders wichtig sein, während andere weniger ins Gewicht fallen. Ein Gebrauchsgegenstand, wie ein Computer, wird dementsprechend häufig stärker durch kognitive Informationen bewertet. Ein sehr abstrakter Gegenstand, wie die Demokratie, wird häufig affektiv bewertet. Eine Grundidee dieser Gliederung ist die, dass je nach Informationstyp der drei Komponenten die Einstellungen mehr oder weniger leicht verändert werden können (für einen Überblick Aronson, Akert, Sommers, & Wilson, 2016, S. 188–225; Haddock & Maio, 2015).

Das psychologische Konzept der Einstellung

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Die kognitive Komponente enthält faktische Informationen über einen Gegenstand, die irgendwie für die Bewertung relevant sind. Über einen Baum kann es die kognitive Information geben, dass Bäume groß sind, einen Lebensraum für viele Tiere darstellen und natürlich (keine Artefakte) sind. Wenn Personen kognitive Informationen über soziale Gruppen haben, spricht man normalerweise von Stereotypen. Dementsprechend könnte eine Person die Information haben, dass farbige Menschen groß und athletisch sind. Informationen dieser Art können wahr oder falsch sein. Die Informationen dieser Komponente sind deskriptiv, weshalb auch häufig angenommen wird, dass diese Quelle einer Bewertung relativ leicht verändert werden kann (dies ist je nach Objektklasse, auf die sich die Informationen beziehen, mehr oder weniger umstritten). Wenn konträre Informationen gewonnen und abgewogen werden, kann es bereits zu einer veränderten Bewertung eines Objektes kommen („Nein, dieser Computer besitzt nicht fünf sondern bloß zwei Rechenkerne“). Vorläufig kann man vereinfacht festhalten, dass diese Art von Information zum Beispiel durch visuelle Wahrnehmung oder Worte vermittelt wird. Die affektive Komponente enthält affektive Informationen, die zur Gesamtbewertung beitragen. Ein Objekt kann beim Betrachter positive oder negative Gefühle auslösen, die wiederum als Grundlage für eine Wertung genutzt werden können. Eine Person kann eine starke Abneigung gegenüber Spinnen haben, die rein affektiv begründet ist. Diese Einstellung basiert also nicht auf verschiedenen Fakten, sondern auf völlig subjektiven Affekten. In einer Studie (Redlawsk, 2002) zeigte sich beispielsweise, dass ein Drittel der Wähler zwar positive Affekte gegenüber einem Kandidaten hat, gleichzeitig jedoch quasi nichts über die Kandidaten und deren politische Ziele wissen. Letzteres ist Teil der kognitiven Komponente, welche hier offensichtlich nicht besonders große Relevanz hat. Im vorherigen Beispiel ging es um einzelne Personen, aber Einstellungen beziehen sich auch auf Gruppen. Wenn eine Person einen negativen Affekt gegenüber einer sozialen Gruppierung, wie Farbigen, hat, spricht man in der Psychologie in aller Regel von Vorurteilen2. Es ist bereits hier wichtig anzumerken, dass der Vorurteilsbegriff in der Psychologie teilweise stark vom Alltagsverständnis des Begriffs

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Wann die Psychologie negativ-affektive Einstellungen gegenüber sozialen Gruppierungen als Vorurteil bezeichnet, ist auch von pragmatischen und normativen Abwägungen bestimmt. Während negative Affekte gegenüber Rentnern als Vorurteile gelten, sind negative Affekte gegenüber Bankräubern von dem Konzept ausgenommen – auf Grundlage der bestehenden Definitionen ist dieses Vorgehen nicht unproblematisch (dazu Crandall, Ferguson, & Bahns, 2013).

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Anatomie des Vorurteils

abweicht. Bei ‚Vorurteil‘ handelt es sich also um einen Fachterminus, der hier seine erste vage Kontur erhält. Die Informationen der affektiven Komponente sind also nicht deskriptiver Natur. Hier deutet sich eine wichtige Unterscheidung der Komponenten an: affektive Informationen lassen sich schwieriger ändern als kognitive Informationen. Ein alltägliches Beispiel liefern emotional besetzte Themen, wie Politik oder Religion. Diskussionen über diese Themen führen nur sehr selten dazu, dass eine Person von ihrer Einstellung tatsächlich abweicht, und dies ist unabhängig von der Qualität der ausgetauschten Argumente. So behauptet das Modell der kognitiven Reaktionen (Greenwald, 1968) etwa, dass Argumente dann überzeugen, wenn sie zustimmende Gedanken hervorrufen. Argumente, die ablehnende Gedanken erzeugen, werden dagegen nicht akzeptiert. Die Einstellungsänderung hat demnach wenig mit der Qualität der Argumente zu tun, sondern damit, wie sie psychologisch wirken. Wenn die Informationen der affektiven Komponente nicht deskriptiv sind, woher stammen sie dann? Ursächlich für die Etablierung von affektiven Informationen ist eine schier unüberschaubare Anzahl von unterschiedlichen Einflüssen, wie die soziale Identität (Tajfel, 1974), der mere-expose effect (Moreland & Zajonc, 1982), die kognitive Dissonanz (Cooper, 2007), Erfahrungen während der Kindheit (Rudman, Phelan, & Heppen, 2007) oder das evaluative Konditionieren (Bouton, 2004). Auf einige wird in den nächsten Kapiteln noch detaillierter Eingegangen. Häufig sind hier nicht einfach rein deskriptive Daten die Grundlage für Bewertungen, sondern sozialpsychologische Mechanismen konstituieren die Valenz und Stärke der Einstellung. Bei der verhaltensbasierten Komponente wird das vergangene Verhalten gegenüber einem Objekt als Bewertungsinformation betrachtet. Hierbei spielt die selfperception theory (Bem, 1972) eine entscheidende Rolle. Diese Theorie besagt, dass das Wissen über unsere eigenen Vorlieben und Abneigungen essentiell auf Selbstbeobachtung statt auf Introspektion basiert. Dementsprechend weiß eine Person, dass sie ein Problem mit Tierversuchen hat, da sie entsprechendes Verhalten an sich selbst beobachtet hat: sie hat eine Petition gegen Tierversuche unterschrieben. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Verhalten aus einer speziellen sozialen Situation heraus entstanden ist. Folgt man der Theorie Bems, verändert wertendes Verhalten gegenüber einem Objekt die Einstellung dementsprechend. Vereinzelt wird die Verhaltenskomponente der Einstellung auch als dasjenige Verhalten betrachtet, welches aus den kognitiven und affektiven Informationen hervorgebracht wird. Das Verhalten also, welches aufgrund der Einstellungsmes-

Das psychologische Konzept der Einstellung

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sung prognostizierbar ist, ist hier zu verordnen. Bezogen auf Vorurteile und Stereotypen ist das dementsprechende Verhalten dann diskriminierendes Verhalten (zum Beispiel bei Baron & Byrne, 1996; Crider, 1993). 2.1.2

Messung expliziter Einstellungen

Bei der wissenschaftlichen Messung von Einstellungen wird einer Einstellung ein bestimmter Wert zugewiesen (Cooper, Blackman, & Keller, 2016). Diese Werte repräsentieren die Einstellung, die eine Person gegenüber einem Objekt hat. Inwiefern kann man aber davon sprechen, dass dieser numerische Wert wirklich die Einstellung einer komplexen Person repräsentiert? Die gemessene Einstellung beschränkt sich auf die wichtigsten Merkmale und ignoriert viele andere Eigenschaften, was bemängelt wurde. Gleiches gilt jedoch auch beim Vermessen eines physikalischen Gegenstandes, der ebenfalls äußerst komplex ist. Nichtsdestotrotz kann ein einzelner Wert, wie der Durchmesser, bestimmt werden. Ganz entscheidend für die Messung ist die daraus resultierende Vergleichbarkeit von Einstellungen. Erst durch die Zuweisung von Werten lässt sich die Stärke von Einstellungen verschiedener Personen miteinander vergleichen. Auf dieser Grundlage wiederum lässt sich wohlmöglich feststellen, dass eine besonders stark ausgeprägte Einstellung besondere Relevanz für das Verhalten oder Denken hat. Daher stellt sich die Frage, wie genau (explizite) Einstellungen gemessen werden. Dazu werden in der Regel Fragebögen verwendet. Eines der am häufigsten verwendeten Instrumente ist eine sogenannte Likert-Scale (1932). Ein Fragebogen, der auf der Likert-Scale basiert, beinhaltet verschiedene Aussagen, wobei die Probanden ihre Zustimmung auf einer 5-Punkte Skala zum Ausdruck bringen können. Eine Frauenquote kann für Berufsbilder nötig sein, um Benachteiligung zu beenden 1 Stimme vollkommen zu

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3 Unentschlossen

4

5 Stimme gar nicht zu

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2.1.3

Anatomie des Vorurteils

Relevanz für Verhalten

Es scheint offensichtlich zu sein, dass es einen Zusammenhang von Einstellungen und Verhalten gibt. Für einige Zeit ging die Psychologie auch wie selbstverständlich davon aus bis eine Studie (LaPiere, 1934) erste kritische Fragen aufwarf. In dieser Studie reiste LaPiere mit einem chinesischen Paar durch die USA. Trotz der damaligen Vorurteile, die es gegenüber Asiaten gab, wurden LaPiere mit seiner Begleitung nur ein einziges Mal abgewiesen. Dabei besuchten sie ungefähr 250 Restaurants, Hotels oder Campingplätze. Nach dieser Reise fragte LaPiere bei allen besuchten Lokalitäten schriftlich nach, ob diese theoretisch ein chinesisches Paar empfangen würden. Zu seinem Erstaunen lehnten die Eigentümer das hypothetische Paar als Gäste größtenteils ab (118 von 128 erhaltenen Antworten). Diese klassische Studie hat ganz ohne Zweifel diverse methodische Schwächen 3, die jedoch nicht über die Frage hinwegtäuschen können, wie es um das Verhältnis von Einstellungen und Verhalten tatsächlich bestellt ist. Etliche Jahre später sorgte eine Meta-Studie über die Prognosefähigkeiten von Einstellungen für Aufsehen. Wicker (1969) stellte in seiner Studie fest, dass es zu seiner Zeit nur einen sehr schwachen Zusammenhang von Verhalten und gemessenen Einstellungen gab. Die Auffassung nach der beispielsweise affektive Informationen sich unmittelbar in Verhalten überführen lassen, wurde von Wicker dementsprechend verworfen. Eine spätere Meta-Studie (Kraus, 1995) kam zu einem anderen Ergebnis: Kraus‘ Analyse beinhaltete 88 empirische Studien, die auf einen signifikanten und substanziellen Zusammenhang von Verhalten und Einstellungen hindeuten (durchschnittliche Effektgröße von r = .38). Diese verbesserten Ergebnisse führt Kraus insbesondere auf die neueren Studien zurück, welche in Punkto Messmethoden und Einstellungstheorien deutliche Fortschritte gemacht haben. Auf Grundlage der Datenanalyse stellt Kraus (1995) beispielsweise fest, dass Probanden mit Vorurteilen mehr als zweimal so wahrscheinlich als vorurteilsfreie Probanden diskriminierendes Verhalten zeigen (S. 69). Ganz offensichtlich handelt es sich hier um Verhaltensprognosen, die substantiell und von praktischer Relevanz sind. Die theory of reasoned action (TRA; Ajzen & Fishbein, 1977) ist eine der wichtigen theoretischen Weiterentwicklungen des Einstellungskonzepts. Hierbei handelt es sich um eine genauere Analyse der Bedingungen, unter denen Einstellungen

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Zum Beispiel wurde die Einstellung erst nach dem beobachteten Verhalten ermittelt, obwohl das Verhalten auch die Einstellung beeinflussen kann. Außerdem reiste das Paar nicht alleine, sondern mit einem Wissenschaftler, weshalb das Paar möglicherweise anders wahrgenommen worden ist.

Das psychologische Konzept der Einstellung

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verhaltensleitend werden. Dabei wurden insbesondere drei Faktoren hervorgehoben, welche die Prognosegenauigkeit signifikant erhöhen: die Verhalten-Einstellung-Korrespondenz, die Selbstbeobachtung und die Selbstwirksamkeit. Die Autoren erkannten die Wichtigkeit einer Korrespondenz von Einstellungsgegenstand und prognostiziertem Verhalten. Je stärker diese Korrespondenz ausfällt, desto besser werden die Verhaltensprognosen. Dieser Zusammenhang wird in einer klassischen Studie von Davidson und Jaccard (1979) verdeutlicht. In dieser Studie waren drei Gruppen von Frauen beteiligt. Die erste Gruppe gab ihre generelle Einstellung gegenüber der Schwangerschaftsverhütung an. Die zweite Gruppe gab ihre Einstellung gegenüber der Schwangerschaftsverhütung mittels der Pille an. Die dritte Gruppe gab ihre Einstellung gegenüber der Handlung an, die Pille selbst innerhalb der nächsten zwei Jahre zu nutzen. Nach zwei Jahren wurden alle Teilnehmerinnen danach gefragt, ob sie selbst die Pille zur Schwangerschaftsverhütung genutzt haben. Je stärker die Korrespondenz bzw. die Spezifizität von der gemessenen Einstellung zur konkreten Handlung war, desto verlässlicher waren die Verhaltensprognosen (für die dritte Gruppe r = .57). Ein weiterer wichtiger Faktor ist das sogenannte self-monitoring (Snyder, 1974). Damit bezeichnet man die Tendenz sich so zu verhalten, wie es Menschen von einem erwarten, deren Anerkennung man wertschätzt. Diese Selbstüberwachung kann als Persönlichkeitsvariable bei verschiedenen Menschen verschieden stark ausgeprägt sein. Je stärker die Selbstüberwachung desto kleiner wird tendenziell der Einfluss der Einstellung. Personen, denen die zu erwartenden Reaktionen der Mitmenschen weniger wichtig sind, handeln eher konform zu ihren persönlichen Einstellungen. Ein letzter Faktor, welcher später zur TRA hinzu kam, ist die self-efficacy (Selbstwirksamkeit), worunter man den Grad der Überzeugtheit einer Person versteht, dass sie in der Lage ist, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, um ein Ziel zu erreichen. Eine positive Einstellung zur Handlung „Ich beginne heute mit meiner Diät“ (Verhalten-Einstellung-Korrespondenz) und die positiven Erwartungen von Freunden (self-monitoring) sind nicht ausreichend, wenn es an der Überzeugung mangelt, dass man tatsächlich genügend Willensstärke besitzt, um die Diät erfolgreich durchzuführen. 2.1.4

Fazit

Unter einer Einstellung versteht man in der Psychologie die Gesamtbewertung eines Objekts. Die Einstellung hat drei Komponenten, die affektive, die kognitive

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Anatomie des Vorurteils

und die Verhaltenskomponente. Mittels Fragebögen werden häufig gesondert die affektive oder die kognitive Komponente gemessen. Vorurteile sind negative affektive Einstellungen gegenüber einer sozialen Gruppierung. Stereotypen sind gespeicherte Informationen über eine soziale Gruppierung und damit Teil der kognitiven Komponente der Einstellung. Durch Berücksichtigung verschiedener verhaltensrelevanter Variablen haben gemessene Einstellungen eine robuste Prognosefähigkeit bezüglich des Verhaltens von Probanden. 2.2

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

Was ein Vorurteil ist, wie es sich erkennen lässt und wie man es vermeiden kann, sind Fragen, denen sich die Philosophie schon lange gewidmet hat. Insbesondere in der Philosophie der Aufklärung nahm der Begriff „Vorurteil“ eine prominente Stellung ein (für einen historischen Überblick, siehe Dorschel, 2001). Sowohl Descartes, Locke, Leipniz, Holbach aber auch Kant sahen es als eines der wichtigsten Ziele ihrer Philosophie an, Vorurteile zu bekämpfen. Nach Kant ist das Selbstdenken wesentlich durch „… die Maxime der vorurteilfreien … Denkungsart“ (KdU, §40) bestimmt. Vorurteile dienen dem Aberglauben und dieser ist dasjenige, was die Aufklärung überwinden möchte. Gleichzeitig gab es kritische Gegenstimmen, wie die von Burke, der in Vorurteilen die Weisheit der Vorväter zu erkennen glaubte. Zumindest in Notfällen, so Burke, ist das Vorurteil unausweichlich. In der Philosophie gab es weder bei der Definition noch bei der Frage, ob Vorurteile Segen oder Fluch sind, einen Konsens. Die Philosophie legte den Fokus bei der Analyse des Vorurteils auf erkenntnistheoretische Aspekte. Dieser Fokus verschwindet in der Sozialpsychologie bei der Bestimmung des Vorurteils nahezu völlig. In der Sozialpsychologie hat die Vorurteilsforschung diverse Definitionen und Theorien hervorgebracht. Einige davon gelten als gut gesichert und sind allgemein akzeptiert. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, wird in der vorliegenden Arbeit der Fokus auf rassistische Vorurteile gelegt. Hier zeigt sich, dass rassistische Vorurteile und deren theoretische Bestimmung stark an psychologische Rassismustheorien geknüpft sind. Häufig wird umgangssprachlich ein sehr anspruchsvolles Verständnis von Rassismus vorausgesetzt. Beispielsweise sei dafür eine vollständige Rassentheorie notwendig, welche tatsächlich die wenigsten Menschen der Gegenwart vertreten. Rassist sei demnach nur derjenige, der ein entsprechendes rassentheoretisches Überzeugungssystem hat und seine Intentionen daraus ableitet. Ist also Rassismus ein Problem der Vergangenheit?

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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Der Rassismusbegriff der Psychologie ist stark an diskriminierendes Verhalten geknüpft, welches durch Vorurteile verursacht wird – dementsprechend sind in der Psychologie Wirkungen und nicht Intentionen für den Rassismusbegriff besonders wichtig. Die Psychologie und die Soziologie haben demnach häufig einen stärken Fokus auf Auswirkungen (impact) als auf Absichten (intention). Wenn eine Personengruppe aufgrund ihrer Hautfarbe systematisch benachteiligt wird, spricht man dementsprechend von Rassismus. Ist diese Benachteiligung wesentlich durch mentale Zustände verursacht, dann ist es primär ein Gegenstand der Psychologie. Ist die Benachteiligung gebunden an strukturelle Eigenschaften der Gesellschaft, dann handelt es sich eher um einen Untersuchungsgegenstand der Soziologie. Vorurteile sind je nach psychologischer Rassismustheorie anders strukturiert. Daher sollen im Folgenden die wichtigsten Rassismustheorien dargestellt werden: der klassische Rassismus (Old-Fashioned Racism), der moderne Rassismus (Modern Racism) und der aversive Rassismus (Aversive Racism). Letzteres führt zum eigentlichen Thema der Arbeit: zu impliziten Vorurteilen. Diese sind allerdings in Abgrenzung zu expliziten Vorurteilen bestimmt und erfordern besondere Messinstrumente, wie den Implicit Association Test (Greenwald, McGhee, & Schwartz, 1998). Die kurzen Zwischenfazits sollen den roten Faden der konzeptuellen Entwicklung von Vorurteilen im klassischen zum aversiven Rassismus hervorheben. 2.2.1

Klassischer Rassismus

Grundlegend für den Rassismus insgesamt ist der Rassenbegriff. Für Wade (2015) ist der Rassenbegriff unmittelbar an das Bedürfnis geknüpft, menschliche Diversität zu erklären. Dabei geht es nicht nur um die Diversität im äußerlichen Sinne, sondern auch um unterschiedliche Kulturen. Hartigan (2010) hingegen behauptet, der Begriff ‘Rasse’ entspreche dem Bedürfnis Menschen nach hierachischen Maßstäben zu kategorisieren, wobei es unter- und überlegende Gruppen gibt. Dieser Grundgedanke steht Wades Konzept jedoch nicht entgegen, sondern kann als Ergänzung betrachtet werden. Demnach können die Ursachen für diverse unter- und überlegene soziale und politische Positionen durch den Rassebegriff erklärt werden. Um einen realistischen Begriff von ‚Rasse‘ zu bekommen ist es wichtig sich vor Augen zu führen, dass sich im Laufe der Geschichte die konstituierenden Merkmale verändert haben. Wade (2015, S. 117) führt drei unterschiedliche Typen von rassischen Unterscheidungen ein. Die Naturalisierung von Unterschieden verortnet den Charakter von Menschen und die Ursachen für ihr Verhalten grundlegend in einem natürlichen Ursprung. Dieser kann im Klima, der Geographie, oder

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Anatomie des Vorurteils

den Sternen gefunden werden. Die Biologisierung bestimmt die menschliche Biologie als ursächlich für das menschliche Verhalten. Dabei steht die fixierte, intrinsische Natur des Menschen im Vordergrund, wobei häufig auch wissenschaftliche Theorien genutzt werden, um diese biologischen Merkmale zu beschreiben. Als neuere Entwicklung betrachtet Wade die Essentialisierung. Hier schreibt man den Mitgliedern einer Gruppierung einen Bestand von Eigenschaften zu, die alle Individuen dieser Gruppe teilen, wenn auch die Realisierung der Eigenschaften variabel ist. Dieser Essentialismus basiert nicht auf biologischen oder natürlichen Faktoren, sondern nutzt eine Art Grauzone, die zu einer ‚zweiten Natur‘ der Gruppe erklärt wird. Als Beispiel für eine solche Gruppe könnten beispielsweise ‚die Muslime‘ dienen. Aber auch soziale Gruppierungen, die typischerweise biologisch als Rasse bestimmt werden, können durch Essentialisierung erfasst werden (derartige Beispiele aus der Psychologie, bei denen Probanden Farbigen eine Essenz jenseits beliebiger Eigenschaften zuschreiben, finden sich bei Smith, 2012). Die Biologisierung der Rassen, die für klassischen Rassismus besondere Relevanz hat, kann auf volksbiologischer als auch auf naturwissenschaftlicher Ebene erfolgen. Ein Beispiel für die volksbiologische Betrachtung von Rassen findet sich bereits im 13. Jahrhundert, in dem häufig von ‚infiziertem Blut‘ und ‚unreinen Körpern‘ der Juden gesprochen wurde. Stereotypsiche Merkmale der Juden, wie zum Beispiel ihre Unerhrlichkeit, wurden als organisch, durch ihr Blut bedingt, betrachtet. Der Historiker Geulen (2014, S. 64–74) sieht in der Evolutionstheorie, die bei Lamarck beginnt, die wichtigste Grundlage für die naturwissenschaftliche Biologisierung der Rassen. Insbesondere Darwins Überlegungen zur Evolution des Menschen führten zu weitreichenden Veränderungen des Rassenbegriffs. Der Fortschritt in der Naturwissenschaft hat dazu geführt, dass der naturalisierende und biologische Rassismus äußerst unplausibel geworden ist. 4 Die unwissenschaftliche Volksbiologie wurde durch die empirische Biologie abgelöst. Den beliebigen Kategorien der Volksbiologie, wie der ‚Reinheit des Blutes‘, hat die empirische Wissenschaft die Theorie der DNA entgegengestellt. Das Human Genome Project, welches die Genetik der Menschen untersucht hat, stellte fest, dass die menschliche DNA von zwei beliebigen Personen zu 99,9% identisch ist. Häufig sind die genetischen Abweichungen von Menschen gleicher Rasse stärker als 4

Anzumerken ist noch, dass sich ein Rassismus, der auf Essentialisierung beruht, einer naturwissenschaftlichen Kritik entzieht. Gleichzeitig ergibt sich daraus aber auch direkt eine argumentativ besonders schwache Position. Allerdings ist dies den ‚Vertretern‘ solcher rassistischen Denkweisen häufig egal. Diese Art des Rassismus ist nämlich kein Ergebnis einer Theorie, sondern entspricht alltäglichen Denkmustern, welche die Psychologie derzeit detailliert erforscht (zum Beispiel, siehe Haslam & Whelan, 2008).

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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die Abweichung zwischen Menschen von angeblich verschiedenen Rassen. Die American Anthropological Association (AAA, 1998) hat aufgrund der Faktenlage (die hier nicht referiert werden kann) geschlussfolgert, dass ‚Rasse‘ eine soziale Fiktion darstellt, welche keine biologische Grundlage hat. Sie sprechen dem Begriff ‚Rasse‘ jede biologische oder anthropologische Relevanz ab, heben jedoch die Relevanz in der Psychologie (als Ursache von Diskriminierung) und der Soziologie (zum Beispiel bei der Untersuchung struktureller Benachteiligung) hervor. Auch die aktuelle Humangenetik steht dem Konzept ‚Rasse‘ sehr kritisch gegenüber (für einen kurzen Überblick, siehe Yudell, Roberts, DeSalle, & Tishkoff, 2016). Nichtsdestotrotz gibt es einige Stimmen, welche die Relevanz des Rassenkonzepts für die Humangenetik hervorheben. Zum Beispiel wird dafür plädiert, äußere Merkmale, wie die Hautfarbe, als Heuristik zu nutzen um Vererbungslinien zu erkennen. Für eine umfassende Kritik dieser Positionen kann hier aus Platzgründen nur auf Roberts‘ detaillierte Analyse (2012) verwiesen werden. 5 2.2.1.1

Vorurteile im klassischen Rassismus

Der klassische Rassismus, auch ‚Old-Fashioned Racism‘ genannt, wurde insbesondere durch Allport (1954) in ‚The Nature of Prejudice‘ untersucht. Mit dieser gründlichen Untersuchung setzte Allport nachhaltige Impulse für die psychologische Vorurteilsforschung. Die Wirkung des Buches ist innerhalb der Forschung kaum zu überschätzen und diverse weiterführende Forschungsprogramme sind von ihm inspiriert worden. Gleichzeitig hat die moderne Forschung neue Aspekte innerhalb der Vorurteilsforschung aufgeworfen, die Allport noch nicht absehen konnte (John F. Dovidio, Glick, & Rudman, 2005). Im Folgenden möchte ich zunächst die besonders einflussreiche Definition und weitere Charakteristiken dieses Vorurteilsbegriffs kritisch darstellen, was innerhalb der philosophischen Literatur bisher vernachlässigt wurde. Wichtige Neuerungen des Vorurteilskonzepts, die Allport einleitete, sind die Abkehr von der Pathologisierung von Vorurteilen und die Fokussierung auf Einstellungen, statt auf Persönlichkeitsmerkmale, die ebenfalls kurz skizziert werden sollen.

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Geulen (2014) macht zusätzlich darauf aufmerksam, dass Rassismus auch normativ ist. Mit der Eugenik entfaltete sich aus dem Rassenbegriff das wissenschaftliche Konzept der Rassenkontrolle, aber auch der Rassenerzeugung. Letzteres bewies seine beispiellos destruktive Kraft im politischen Programm des Nationalsozialismus. Diese normative Ebene, die der Rassenbegriff eröffnet, darf nicht vergessen werden, wenn davon gesprochen wird, dass die Analyse der menschlichen DNA dem Rassismus den Boden unter den Füßen weggezogen hat; dies ist nur bedingt richtig. Der Rassismus kann anerkennen, dass es derzeit keine biologische Grundlage für eine Rasse gibt, kann jedoch gleichzeitig die Rassenerzeugung anstreben.

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Anatomie des Vorurteils

Allports Analyse des Vorurteils beginnt mit einer Begriffsbestimmung, die sich dicht an der englischen Alltagssprache orientiert. Durch die Prüfung des Begriffs an verschiedenen Gedankenexperimenten nähert sich Allport den notwendigen Charakteristiken des Begriffs. So gelangt er zunächst zu zwei notwendigen, aber nicht hinreichenden Merkmalen: Feindseligkeit und kategorisches Werten. Letzteres paraphrasiert Allport damit, dass man Individuen nicht anhand ihrer individuellen Eigenschaften bewertet. Die endgültige Definition wird derart zugeschnitten, dass sie, im Sinne Allports, der Rassismusforschung dienen kann: “Ethnic prejudice is an antipathy based upon a faulty and inflexible generalization. It may be felt or expressed. It may be directed toward a group as a whole, or toward an individual because he is a member of that group“ (Allport, 1979, S. 9). Zunächst einige Erläuterungen zu dieser Definition, welche die Emotionen, die Inflexibilität und die Generalisierung betreffen. Die Antipathie kann verschiedene Facetten haben, auch wenn die Feindseligkeit dominierend ist. Generell möchte Allport darunter negative Emotionen verstanden wissen, wie Verachtung („scorn“), aber auch Furcht („fear“) und Abscheu/Ekel („aversion“). Diese Emotionen sind prinzipiell gegen eine soziale Gruppe gerichtet, was sich jedoch unmittelbar auf ein Individuum der Gruppe überträgt (Allport, 1979, S. 7). Bereits durch dieses Kriterium sind bestimmte Verdachtsfälle nicht als Vorurteil zu bezeichnen. Allports Beispiel bezieht sich auf einen Anthropologen, der bei einem Naturvolk lebt. Wenn die Kinder des Anthropologen ihren Vater besuchen, verbietet dieser es ihnen, mit den anderen Kindern zu spielen. Allport meint, wenn man dem Anthropologen Vorurteile vorwirft, tut man ihm unrecht. Dieser hat nämlich Kenntnis davon, dass diverse Kinder des Dorfes an Tuberkulose verstorben sind und er hält das gesundheitliche Risiko für seine Kinder zu groß. Der Anthropologe hat keine negativen Emotionen gegenüber dem Naturvolk, sondern rationale Gründe dafür, seine Kinder nicht mit den anderen Kindern spielen zu lassen (Allport, 1979, S. 4). Generalisierungen können, nach Allport, richtig oder falsch sein, wobei Vorurteile auf falschen Generalisierungen basieren. Richtig sind diejenigen Generalisierungen, die sich nach Fakten und statistischen Methoden richten. Zwar gibt es nirgendwo absolute Sicherheit, aber es gibt statistische Ergebnisse, die bestimmte Ereignisse mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eintreffen lassen. Allport gibt zu bedenken, dass Urteile gegenüber sozialen Gruppen oder gar Nationen nur sehr selten auf hohen Wahrscheinlichkeiten fußen. Als die amerikanischen Soldaten im 2. Weltkrieg negative Emotionen gegenüber den Deutschen hatten, waren diese, laut Allport, darin gerechtfertigt. Zwar gebe es einige Ausnahmen, nichtsdestotrotz sei beispielsweise der Großteil der Wehrmacht ein gefährlicher Aggressor gewesen. Es handelte sich also auch hierbei, laut Allport, nicht um Vorurteile.

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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Gleichzeitig gesteht Allport, dass es viele Fälle gibt, die man als Grenzfälle betrachten könnte. Ein ehemaliger Strafgefangener könnte nach dieser Rechnung möglicherweise bei jeder Bewerbung um einen Arbeitsplatz abgelehnt werden. Schließlich werden viele ehemalige Strafgefangene irgendwann wieder straffällig. Dennoch werden viele Individuen auf diese Art und Weise völlig zu Unrecht vorverurteilt (Allport, 1979, S. 8). Die Inflexibilität von Vorurteilen ist ein weiteres Charakteristikum, welches Allport wie folgt verstanden haben möche: „Prejudgments become prejudices only if they are not reversible when exposed to new knowledge“ (Allport, 1979, S. 9). Menschen, die Vorurteile gegen eine soziale Gruppe hegen, lassen sich nicht durch Gegenargumente vom Gegenteil überzeugen. Stattdessen wird permanent nach Gegenargumenten gesucht, die – auch wenn sie minderwertig sind – als überzeugend betrachtet werden. Das ursprüngliche Vorurteil kann auch derart abgeändert werden, dass die Negativität gegenüber der sozialen Gruppe bestehen bleibt, doch das Gegenargument nun nicht mehr den Kern der Sache trifft. Wie Lewin (1964) darstellte, sollten alle Teile einer psychologischen Definition auch psychologischer Natur sein. Diesem Prinzip wird Allports Definition nicht gerecht, denn sein Kriterium der Rationalität basiert auf Erkenntnissen anderer Wissenschaften. So ließe sich nur dann ein Urteil darüber fällen, ob eine Generalisierung über eine soziale Gruppe (statistisch) gerechtfertigt ist, wenn darüber verlässliche Daten vorliegen und diese auch adäquat ausgewertet worden sind. Dies scheint jedoch eher die Aufgabe eines Soziologen zu sein. Damit rinnt Allport der Vorurteilsbegriff durch die Finger. Ein Großteil aller psychologischen Daten zu Vorurteilen müssten neu ausgewertet werden bzw. wäre nicht brauchbar. Zusätzlich wirft dieses Kriterium eine weitere Schwierigkeit auf. Angenommen, es lässt sich statistisch zeigen, dass eine bestimmte soziale Gruppe auffallend häufig schlecht bei Intelligenztests abschneidet. Die daraus zu generierende Generalisierung wirft Fragen auf. Sind Individuen der Gruppe ‚dumm‘ oder ist es nicht vielleicht ein Missstand in der sozialen Struktur, der diese Gruppe systematisch benachteiligt, was zu den schlechten Tests führt? Was ist also die richtige Generalisierung, die dem Vorurteilsverdacht entgeht? Wenn die Statistik alleine genügt, wäre scheinbar der Stereotyp ‚Personen der Gruppe X sind dumm‘ kein Teil eines Vorurteil. Es bleibt außerdem unklar, was genau Allport unter einer falschen Generalisierung versteht. Handelt es sich um eine falsche Konkulsion (bezogen auf den Wahrheits-

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Anatomie des Vorurteils

wert) oder möglicherweise um nicht gerechtfertigte Induktionsschritte, wie bei einer viel zu kleinen Stichprobe. Letzteres könnte trotz fehlender Rechtfertigung wahr sein. Darüber hinaus ist das Verhältnis von Emotionen zu den diskutierten Urteilen („judgments“) unklar. Die Definition legt nahe, dass es sich bei Vorurteilen um eine negative Emotion gegenüber einer sozialen Gruppierung handelt, welche zu Unrecht entstanden ist. Gleichzeitig wird jedoch analysiert, wann ein Urteil gerechtfertigt ist und wann nicht. Eine Emotion ist jedoch nicht notwendigerweise mit einem Urteil identisch (kognitivistische Emotionstheorien nehmen diese Identität an, zum Beispiel Nussbaum, 2004). Möchte Allport sagen, dass Emotionen durch (gerechtfertigte oder ungerechtfertigte) Urteile erzeugt werden? Dieses Verhältnis soll nun detaillierter betrachtet werden, um dem Vorurteilsbegriff schärfere Konturen zu geben. Nach Allport besteht ein Vorurteil aus zwei Komponenten: „There must be an attitude of favor or disfavor; and it must be related to an overgeneralized (and therefore erroneous) belief“ (Allport, 1979, S. 13). 6 Ein Vorurteil besteht also aus einer Einstellung (affektive Komponente) und aus (mindestens) einer Überzeugung (kognitive Komponente), die damit in einem generalisierenden Zusammenhang steht: „I can’t abide Negroes. Negroes are smelly. I wouldn’t live in an apartment house with Jews. There are a few exceptions, but in general all Jews are pretty much alike. I don’t want Japanese-Americans in my town. Japanese-Americans are sly and tricky.” (S. 13)

Die erste Zeile repräsentiert jeweils den Gehalt der Einstellung (“attitude”) und die darauf folgende den Gehalt einer dazugehörigen Überzeugung (“belief”). Bezogen auf Allports vorgeschlagener Definition hätte man zunächst erwartet, dass ein stärkerer Bezug zu Emotionen hergestellt wird, was jedoch nur im ersten Beispiel („can’t abide“) der Fall ist. Die beiden anderen Beispiele geben nur darüber Auskunft, was jemand nicht will. Man könnte von negativen Präferenzen sprechen, was jedoch nicht unmittelbar einen Bezug zu Emotionen darstellt. Diese Präferenzen haben gemein, dass sie alle einen Ich-Bezug haben, der die Subjektivität der Präferenz hervorhebt. Dementsprechend lassen sich die Einstellungen als 6

Das Verständnis der Einstellung als einer Gesamtbewertung, die aus drei Komponenten besteht, wurde erst 1988 entwickelt.

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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Wünsche statt als Überzeugungen betrachten, die nichts über die Welt aussagen. Im Gegensatz dazu haben die dargestellten Überzeugungen Propositionen, welche etwas über die Welt behaupten. Allport ist davon überzeugt, dass die Einstellung eines Vorurteils nur dann bestehen kann, wenn sie vom Subjekt rationalisiert wird. Diese Rationalisierung geschieht durch die entsprechenden Überzeugungen. Wenn Allport die Inflexibilität von Vorurteilen stark macht, dann meint er damit auch eine bestimmte Resistenz gegenüber Gegenargumenten, die sich auf die Überzeugungen beziehen müssen: Nur dort, wo auch Wahrheitswerte eine Rolle spielen, spielt auch das Argument eine Rolle. Wenn also beispielsweise die Überzeugung „Japanese-Americans are sly and tricky“ mit einer Statistik widerlegt werden würde, würde eine andere Überzeugung generiert werden, die von der Statistik nicht mehr erfasst werden kann, welche aber nach wie vor die negative Einstellung rechtfertigt: „Thus the belief system has a way of slithering around to justify the more permanent attitude“ (Allport, 1979, S. 14). Daher ist sich Allport sicher, dass sich Vorurteile kaum mit Argumenten begegnen lassen - der emotionale Kern des Vorurteils lässt sich nicht durch Argumente verändern. 7 Die Inflexibilität ist demnach so zu verstehen, dass sich durch Gegenargumente nicht der Gehalt der Einstellung ändert, sondern die rationalisierenden Überzeugungen. Das „belief system“, welches die Einstellung rechtfertigen soll, kann verschieden detailliert strukturiert sind. Hier können beispielsweise biologisierende Rassenvorstellungen oder Verschwörungstheorien genutzt werden. Allports Beispiele werfen jedoch Schwierigkeiten auf. Zunächst ist die Funktion der Überzeugungen in Bezug auf die zu rationalisierende Einstellung durch die Beispiele unklar. In der Vorurteilsdefinition hieß es: „Ethnic prejudice is an antipathy based upon a faulty and inflexible generalization” (Allport, 1979, S. 9). In dieser Definition liest es sich so, als seien die falschen Generalisierungen die Basis für die negative emotionale Einstellung. In den gerade dargestellten Passagen scheint es gerade andersherum: die Einstellung sorgt dafür, dass falsche Generalisierungen gemacht werden, um die Einstellung zu stützen. Was ist also ursächlich? Beide Lesarten lassen sich vereinen, wenn man davon ausgeht, dass die emotionale Einstellung durch falsche Generalisierungen erzeugt wurde, die anschließend selbst falsche Generalisierungen erzeugt, um die Einstellung zu rationalisieren.

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Die Beziehung von Einstellungen zu Überzeugungen, welche für Allport wesentlich für das Vorurteil ist, stellt eine Besonderheit seiner Konzeption dar. Viele spätere und auch moderne Varianten der Vorurteilsdefinitionen versuchen die beiden Komponenten voneinander abzuspalten.

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Anatomie des Vorurteils

Was bedeutet dies für Allports Beispiele? Was das Vourteil und seine beiden Bestandteile betrifft, kann die Proposition „I can’t abide Negros“ nicht die falsche Generalisierung darstellen, die eine Präferenz erzeugt. Es muss sich dabei also selbst um die subjektive Präferenz handeln. Die Generalisierung muss also bei der Überzeugung zu finden sein, welche die Präferenz rationalisieren soll. Wie lässt sich dann aber der Wahrheitswert der entsprechenden Generalisierung „Negros are smelly“ ermitteln? Unangenehme Gerüche sind nicht etwas, was objektiv bestritten werden kann. Es ist immer möglich, dass eine Person die Empfindung hat, ein Gegenstand rieche unangenehm. Daran ändert auch eine detaillierte und objektive Analyse der Geruchsstoffe nichts. Es zeigt sich hier erneut die Schwierigkeit, der falschen Generalisierung, welche Allport für das Vorurteil fordert. Der Gehalt mancher Generalisierungen kann nur schwer auf Falschheit geprüft werden, wodurch sich viele neue Fälle ergeben, in denen unklar bleiben muss, ob etwas ein Vorurteil ist oder nicht. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob eine negative affektive Einstellung nicht auch mit subtilen theoretischen Argumenten gestützt werden kann, welche keine empirischen Behauptungen machen und sich daher nicht durch Fakten entkräften lassen. Der Rassismus des Ku-Klux-Klans rechtfertigt sich nicht durch empirische oder statistisch widerlegbare Überzeugungen, sondern auf religiösen und mythischen Gründen. Allports Vorurteilskonzept hat Schwierigkeiten damit, diese Generalisierungen klar als Teil eines Vorurteils zu erfassen. 2.2.1.2

Allport zur Normalität der Vorurteile

Neben der grundlegenden Definition des Begriffs ‚Vorurteil‘ und der Diskussion vieler angrenzender Probleme und Themen ist wohl eine der wichtigsten Erneuerungen von Allports der Konzeption darin zu sehen, dass das Vorurteil als Teil normaler menschlicher Kognition betrachtet wird. Klassischerweise wurde dies bestritten, wie beispielsweise in Adornos einflussreicher Studie The Authoritarian Personality (1950). 8 Allport verweist auf zwei völlig gewöhnliche Prozesse in der sozialen Kognition, welche zu Vorurteilen führen können: Kategorisierungen und die Genese der Feindseligkeit. Diese beiden Prozesse führen also zu den beiden notwendigen Merkmalen, der falschen Generalisierung und der Feindseligkeit, die für das Vorurteil besonders charakteristisch sind.

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Häufig wird angenommen, dass Adornos Theorie, die auf der Psychoanalyse basiert, Vorurteile pathologisiert. Diese Lesart wird möglicherweise Adorno nicht gerecht. Diejenigen Mechanismen, welche für die Persönlichkeitsstruktur verantwortlich sind, sind zwar vordergründig pathologisch, andererseits sind diese Arten von Pathologien innerhalb der Psychoanalyse völlig normal. Dementsprechend ist es fraglich ob im Rahmen der Psychoanalyse Vorurteile als Ausdruck einer Pathologie verstanden werden. Um diese Frage zu klären wäre eine detaillierte Analyse des Krankheitsbegriffs in der Psychoanalyse nötig.

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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Zentral für Vorurteile ist das Denken in Kategorien, zu denen auch alle sozial konstituierten Rassen gehören. Die Kategorien, welche automatisch erzeugt werden, dienen der alltäglichen Orientierung. Zwar gibt es natürlich ständig neue Eindrücke, diese werden jedoch stets unter den Vorzeichen der bestehenden Kategorien verstanden. Ein einzelner Eindruck wird also klassifiziert und entsprechend der Klasse behandelt. Unsere kognitiven Kapazitäten sind begrenzt, weshalb nicht alle Einzeleindrücke bewertet, sondern anhand weniger Eindrücke ganze Kategorien zu Rate gezogen werden. Die Genese der Feindseligkeit gegenüber fremden sozialen Gruppen versucht Allport ebenfalls aus grundlegenden psychologischen Mechanismen zu erklären. Allport erklärt, dass Menschen sich mit bestimmten Gruppen von Menschen identifizieren und im Zuge dessen ihre Werte, Normen und Präferenzen adaptieren (siehe dazu die Theorie der sozialen Identität von Tajfel (1974)). Es etabliert sich durch die Identifikation, sowie die geteilten und wertgeschätzten Dinge das, was Allport die In-Group bezeichnet. Alle Personen, die nicht in diese Gruppe fallen, zählen zur Out-Group. Durch die Präferenzen für die Eigenschaften der In-Group ergibt sich ein Segregationsprozess. Zwar könnte jeder Mensch theoretisch sehr viele unterschiedliche Menschen kennen- und schätzen lernen, doch dies kostet jedes Mal kognitive Ressourcen. Es ist deutlich einfacher, sich mit denjenigen zu umgeben, welche die gleichen Werte teilen. Die durch die Segregation entstehende soziale Distanz sorgt für eine besonders oberflächliche Kategorisierung. Verhaltensauffälligkeiten von Mitgliedern der Out-Group werden häufig durch den Rückgriff auf stereotypische Eigenschaften der ganzen Out-Group erklärt. Diese Simplifizierung von Verhaltenserklärung liefert die Grundstruktur für die Genese von Feindseligkeiten. Kommt nun die Wahrnehmung hinzu, dass eine Out-Group die eigenen Werte (oder andere liebgewonnene Dinge, welche sich die In-Group teilt) in Frage stellt, kann es schnell zu einer Entwicklung von Antipathie kommen. 2.2.1.3

Messung der Vorurteile

Die Messung expliziter Vorurteile geschieht in aller Regel mit Hilfe eines Fragebogens. Allport schlägt für die Messung einen Ausschnitt der F-Scale vor, welche wesentlich von Adorno (1950) entwickelt wurde. Hierbei haben die Probanden die Möglichkeit ihre Zustimmung durch eine 6-Punkte-Skala (von -3 bis +3) zu artikulieren: 1. Negroes have their rights, but it is best to keep them in their own districts and schools and to prevent too much contact with whites. 2. It would be a mistake ever to have Negroes for foremen and leaders over whites.

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Anatomie des Vorurteils

3. Negro musicians may sometimes be as good as white musicians, but it is a mistake to have mixed Negro-white bands. 4. Manual labor and unskilled jobs seem to fit the Negro mentality and ability better than more skilled or responsible work. 5. The people who raise all the talk about putting Negroes on the same level as whites are mostly radical agitators trying to stir up conflict. 6. Most Negros would become overbearing and disagreeable if not kept in their place (Allport, 1979, S. 80)

Spätestens jetzt, wenn es darum geht, wie genau explizite Vorurteile gemessen werden können, wird die Definition von dem, was ein Vorurteil überhaupt ist, essentiell. Allport gibt zu Beginn in The Nature of Prejudice zwei Defintionen an: „Ethic prejudice is an antipathy based upon a faulty and inflexible generalization” (Allport, 1979, S. 9). „We have said that an adequate definition of prejudice contains two essential ingredients. There must be an attitude of favor or disfavor; and it must be related to an overgeneralized (and therefore erroneous) belief” (Allport, 1979, S. 13). Wenn man Allports Definitionen zugrunde legt, kommt die Frage auf, welche Dimension des Vorurteils gemessen werden soll – die Antipathie oder die falschen Verallgemeinerungen? Die bisherigen Ausführungen legen nahe, dass fehlerhafte Verallgemeinerungen für den negativen Affekt gegenüber einer sozialen Gruppierung verantwortlich sind. Dieser negative Affekt erzeugt selbst wiederum weitere Überzeugungen (Verallgemeinerungen), die den Affekt post-hoc rechtfertigen. Typischerweise wird angenommen, dass das Vorurteil dem negativen Affekt entspricht. Innerhalb der Konzeption Allports ist dies nicht eindeutig festzustellen. Der vorgeschlagene Fragebogen scheint jedenfalls eher Überzeugungen zu messen. Wenn man die emotionale Komponente von Einstellungen als Vorurteile bezeichnet, dann scheint es sehr plausibel auch diese Komponente direkt zu messen. Dafür steht beispielsweise das „Feeling Thermomenter“ (FT) zur Verfügung, welches die Gefühle von Personen gegenüber Objekten bestimmen und vergleichbar machen soll. Dabei werden Probanden dazu aufgefordert ihre Gefühle gegenüber einem Objekt auf einer Skala von 0 (sehr kalt) bis 100 (sehr warm) anzugeben (Bagner & Eyberg, 2012; Esses, Haddock, & Zanna, 1993).

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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Die angestrebte Messung der Vorurteile im klassischen Rassismus mittels eines Fragebogens setzt voraus, dass (1) die Probanden über ihre eigenen Vorurteile Bescheid wissen. Zusätzlich setzt sie voraus, dass (2) die Probanden bereit sind ihre Vorurteile klar zu artikulieren. Die Komplexität der Vorurteilsdefintion Allports macht auch bei der Vorurteilsmessung Probleme. So unterschied Allport „prejudgments“ von „prejudices“ anhand der Frage, ob eine Person bereit ist, ihre Einstellung an widersprechende Informationen anzupassen. Diese Faktenresistenz bzw. diese Inflexibitlität der Vorurteile kann weder durch die F-Scale noch durch das FT erfasst werden. Es könnte sich also bei allen gemessenen Daten um bloße „prejudgments“ handeln. Um dies auszuschließen wären weitere Tests nach der Messung erforderlich, die sicherstellen, dass Probanden trotz guter Gegenargumente bei ihren Vorurteilen bleiben. 2.2.1.4

Zwischenfazit

Allports Vorurteilstheorie hat eine gravierende definitorische sowie technische Schwierigkeiten. Die Defnintion leidet besonders an der Anforderung, dass eine negative affekte Einstellung mit einer übergeneralisierten und daher falschen Überzeugung verbunden sein muss. Dadurch ergeben sich schwierige epistemische Fragen nach dem Wahrheitsgehalt verschiedener Überzeugungen, denn nur wenn die verbundene Überzeugung falsch ist, kann man von einem Vorurteil sprechen. Würden sich Psychologen nach Allports Vorurteilsbestimmung richten, könnten sie häufig nicht wissen, ob sie es mit Vorurteilen zu tun haben. Technische Schwierigkeiten zeigen sich beim Messen von Vorurteilen. Hier wird die Vorurteilsdefinition zum Fallstrick, denn es ist nicht klar, ob bei der Vorurteilsmessung die affektive Einstellung oder die falsche Überzeugung gemessen werden soll. Außerdem ist unklar, welche Komponente des Vorurteils welchen Verhaltenseffekt erzeugt. Eine besondere Leistung der Vorurteilsdefinition ist es, dass das Vorurteil als normaler Teil der Kognition verstanden wird. Außerdem betrachtet Allport das Vorurteil nicht als Chraktereigenschaft, wie Adorno (1950), sondern als mentalen Zustand. Ebenfalls sehr einflussreich war die Bestimmung der Inflexibilität der Vorurteile: ein negativer Affekt lässt sich nicht einfach durch Argumente verändern.

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2.2.2

Anatomie des Vorurteils

Moderner Rassismus

Der moderne Rassismus (McConahay, Hardee, & Batts, 1981, 1986) ist vom klassischen Rassismus zu unterscheiden. Es handelt sich hierbei um eine andere psychologische Rassismustheorie, welche auch ein anderes Verständis von Vorurteilen beinhaltet. Die grundlegende Idee des modernen Rassismus besteht darin, dass sich die gesellschaftlichen Bedingungen für Rassismus verändert haben. Zwar bestehen nach wie vor Vorurteile, d.h. negative Affekte gegenüber rassisch bestimmten sozialen Gruppierungen, aber die entsprechenden Überzeugungen haben sich verändert. In den 1920 Jahren waren in den USA Vorurteile von Weißen gegenüber Afro-Amerikanern üblich und es wurde noch die Rassentrennung gefordert. Solche Überzeugungen, dass beispielsweise keine Schwarzen mit Weißen zusammen arbeiten sollten, gehören zur Ideologie des Old-Fashioned Racism. Inzwischen ist es jedoch Common-Sense, dass solche Überzeugungen unmoralisch und verfassungswidrig sind. Dementsprechend haben sich die Überzeugungen der Akteure geändert während die negativ-affektive Einstellung noch vorhanden ist. 2.2.2.1

Vorurteile im Modernen Rassismus

Der moderne Rassismus ist insbesondere durch eine Ambivalenz gekennzeichnet, die darin besteht, dass man einerseits Gleichheit und Gerechtigkeit befürwortet, gleichzeitig aber auch eine Antipathie gegenüber Rassen hat. Um in der modernen Gesellschaft rassistisch zu handeln und zu reden bedarf es anderer Wege als früher. Das bedeutet, dass sich die Ideologie des Modern Racism vom Old-Fashioned Racism unterscheidet, wenn auch der affektive Kern bei beiden psychologischen Theorien identisch ist. Die „ideology of modern racism“ (McConahay et al., 1986, S. 93) besteht aus einem Konglomerat der folgenden Annahmen: (1) Diskriminierung ist ein Phänomen der Vergangenheit und alle sozialen Gruppen haben die gleichen Möglichkeiten um sich selbst zu verwirklichen. (2) Farbige versuchen viel zu schnell und aggressiv sich in Gebiete zu drängen, auf denen sie nicht erwünscht sind. (3) Die Strategien, welche Farbige dabei nutzen, sind unfair. (4) Daher sind viele der Erfolge, welche Antidiskriminierungsmaßnahmen gezeigt haben, genauso ungerechtfertigt, wie die Aufmerksamkeit, welche den Farbigen zuteil wird. Rassismus gilt Vertretern dieser Ideologie als moralisch verwerflich, aber die Überzeugungen (2)-(4) entsprächen den Tatsachen und seien daher nicht rassistisch. Für den modernen Rassisten ist nur das Denken rassistisch, welches der Biologisierung von Rassen entspricht, also typischerweise der klassische Rassismus.

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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Zwei wichtige Hintergrundannahmen bei dem modernen Rassismus sind, dass (1) die Personen durchaus wissen, dass sie negative Gefühle gegenüber bestimmten Rassen hegen, und (2) dass sich die Artikulationsbedingungen geändert haben. Hierbei spielt das Überzeugungssystem eine entscheidende Rolle. Urteile, die für den klassischen Rassismus charakteristisch sind, werden als rassistisch und moralisch verwerflich betrachtet. Wie sich gleich zeigen wird, stellt das entsprechende Messinstrument ambivalente Fragen, welches den Probanden Affekte artikulieren lässt, ohne dass die Probanden denken, sie würden etwas Rassistisches preisgeben. 2.2.2.2

Messung der Vorurteile

Bei der Messung von Vorurteilen entsteht, laut der Theorie des modernen Rassismus, ein ganz wesentliches Problem: aufgrund sozialer Normen stellen Personen nur ungerne ihre Vorurteile zur Schau und geben daher bei Fragebögen die Unwahrheit an, um nicht soziale Akzeptanz einzubüßen; normalerweise möchte niemand als Rassist dastehen. Die Entwickler der Modern Racism Scale (MRS; McConahay et al., 1986) gehen jedoch davon aus, dass Überzeugungen wesentlich von Affekten geleitet werden. Sie wenden daher einen Trick an, um die Einstellungen von Personen zu messen. Es werden zweideutige Fragen gestellt, die sowohl mit rassistischem als auch mit nicht-rassistischem Hintergrund beantwortet werden können. Die Probanden müssen lediglich ihre Zustimmung zu Sätzen anhand einer Skala zum Ausdruck bringen. Beispielsweise könnte gefragt werden, ob die positive Diskriminierung, also Einstellungsquoten, unter Umständen für Personengruppe X gerechtfertigt sein kann. Diese Frage lässt sich einerseits negativ beantworten, wenn man sehr hohen Wert auf Eigenverantwortung und Leistung legt: nur der Beste sollte eine Stelle erhalten. Andererseits kann man die Frage auch rassistisch (oder sexistisch) beantworten („Leute aus Gruppe X sind schlecht, daher möchte ich generell nicht, dass sie bevorzugt werden“). Da der Proband seine Antwort sich selbst und anderen gegenüber nicht-rassistisch rechtfertigen kann, ist er geneigt, seinen Affekten nachzugeben und diese durch seine Antwort zu artikulieren. Es stellt sich hier allerdings ein ganz ähnliches Problem wie bei Allport. Dieser schlug die Nutzung eines Ausschnitts der F-Scale Adornos vor, um Affekte zu messen. Diese maß aber nur die Zustimmung oder Ablehnung zu bestimmten Sätzen, was am besten als das Messen von Überzeugungen bezeichnet werden kann. Bei der MRS verhält es sich ganz ähnlich. Was genau misst die MRS? Viele Psychologen sind der Auffassung, dass mittels der Items (die einzelnen Fragen) des Fragebogens Vorurteile und damit die affektive Komponente einer Einstellung gegenüber einer sozialen Gruppierung gemessen wird. Abad-Merino und seine Kollegen (Abad-Merino, Newheiser, Dovidio, Tabernero, & González, 2013)

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Anatomie des Vorurteils

merken in einer Studie an, dass die MRS entwickelt wurde um negative Affekte gegenüber Afro-Amerikanern zu messen. Olson und Fazio (2008) resümieren, dass üblicherweise angenommen wird, die MRS würde Vorurteile und damit eben die entsprechenden Affekte messen. Im Gegensatz dazu stellen die Autoren des ‚Handbook of Multicultural Measures‘ (Gamst, Liang, & Der-Karabetian, 2011) fest, dass die MRS lediglich die kognitiven Komponenten der rassischen Einstellung misst – damit würde die MRS keine expliziten Vorurteile messen. Auch die Entwickler der Modern Racism Scale (McConahay et al., 1986, S. 92) sind der Auffassung, dass nur kognitive Komponenten der rassistischen Einstellung gemessen werden. Misst die MRS also die kognitive oder affektive Komponente einer Einstellung? Ich schlage die folgende Lösung vor. Was vordergründig gemessen wird und welche Schlüsse daraus gezogen werden, sind zwei verschiedene Sachverhalte. Der Implicit Association Test (IAT; Greenwald et al., 2002), welcher in der Psychologie häufig eingesetzt wird um implizite Vorurteile zu messen, misst beispielsweise Reaktionszeiten. Aufgrund verzögerter Reaktionszeiten werden jedoch Rückschlüsse auf mentale Zustände der Probanden gezogen. Dementsprechend werden implizite Einstellungen durch Reaktionszeiten, die vom IAT gemessen werden, operationalisiert. Das theoretische Konstrukt ‚Implizite Einstellung‘ wird dadurch messbar gemacht. Ein ähnliches Verhältnis liegt bei der MRS vor, wobei hier natürlich Sprache und nicht Reaktionszeiten das entscheidende Medium ist. Der Streit darum, was die MRS misst, lässt sich mit dem bisher gesagten auflösen. Zunächst ist es offensichtlich, dass de facto Überzeugungen gemessen werden. Diese Überzeugungen dienen jedoch der Operationalisierung der affektiven Einstellungskomponente. Wenn in der Psychologie mittels der Überzeugungen die dahinterliegenden Affekte gemessen werden, ist die Annahme im Hintergrund, dass die Überzeugungen Expressionen der Affekte sind. Die Autoren der MRS äußern sich dementsprechend: „… the items in the Modern Racism Scale permit the expression of negative affect because giving the prejudiced response in each instance can be explained by racially neutral ideology or nonprejudiced race-relevant attributions“ (S. 100, meine Hervorhebung). Die Probanden sollen ihre negativen Affekte über die vorgegebenen Sätze expressiv artikulieren. Dadurch wird die Operationalisierung erklärt, die genau dann stattfindet, wenn man mittels der Messung von Überzeugungen auf Affekte schließt. Im Unterschied zur F-Scale, bei denen die Probanden wissen, dass rassistische Vorurteile gemessen werden, soll bei der MRS den Probanden eben dies unklar sein. Man spricht von ‚face-validity‘, wenn den Probanden aufgrund der Items klar ist, was genau gemessen werden soll. Eben jene face-validity fehlt der MRS. Und in der Tat: werden rassistische Vorurteile mittels der F-Scale gemessen, gibt es

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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abhängig von der Hautfarbe des Experimentleiters starke Abweichungen bei den gemessenen Einstellungen. Wenn der Psychologe, der die Probanden anleitet, schwarz ist, werden signifikant weniger Vorurteile bei der F-Scale gemessen als wenn der Psychologe weiße Hautfarbe hat (McConahay et al., 1981). Dies gilt jedoch nicht bei der MRS – die Hautfarbe des Psychologen führt hier nicht zu systematischen Abweichungen der Messergebnisse. Die Autoren der Studie erklären dies dadurch, dass die MRS ambivalente Fragen stellt, wobei die Antworten sowohl mit rassistischen sowie nicht-rassistischen Überzeugungen gerechtfertigt werden können. Gerade weil die Fragen ambivalent sind, stellt sich die Frage, ob die MRS konstruktvalide ist, d.h. ob die MRS wirklich das misst, was sie messen soll. Diese Frage wurde systematisch von Sniderman und Tetlock (1986) gestellt. Wie bereits dargestellt, soll die MRS rassistische Vorurteile messen und vergleichbar machen. Aber was spricht dafür, dass die MRS dies wirklich kann? Laut McConahay (1986) spricht zunächst dafür, dass es moderate, aber keine starken Korrelationen mit der F-Scale und dem Feeling-Thermometer gibt. Wären die Korrelationen stark, müsste man die MRS als ein redundantes Messinstrument betrachten. Die Tatsache, dass moderate Korrelationen bestehen, sprechen nach McConahay dafür, dass ähnliche Aspekte der Einstellung gemessen werden. Als wichtigste Indizien sieht McConahay jedoch Studien wie die folgende an (siehe 4. Experiment, in 1986): Probanden sollten Bewerbungen auf einen Arbeitsplatz nach Eignung bewerten. Je höher die Probanden bei der MRS abschnitten, desto stärker lehnten sie schwächere Bewerber – und zwar abhängig von der Hautfarbe – ab. Diese Studie zeigt, dass die gemessene affektive Komponente dazu führt, dass Personen einer sozialen Gruppierung aufgrund ihrer Hautfarbe systematisch benachteiligt werden. Damit kann McConahay auch auf den Einwand (Sniderman & Tetlock, 1986) antworten, die MRS würde bloß konservative Werte messen und diese als rassistisch betiteln: systematisch Personen aufgrund ihrer Hautfarbe zu benachteiligen ist nicht konservativ, sondern rassistisch. 2.2.2.3

Zwischenfazit

Eine wichtige Neuerung bei der Vorurteilsdefinition ist darin zu sehen, dass die epistemische Dimension des Vorurteilsbegriffs fallen gelassen wird. Allports Verschränkung von negativer affektiver Einstellung mit einer falschen Überzeugung ist nicht länger Teil der Vorurteilsdefinition. Stattdessen ist der Fokus im modernen Rassismus ganz klar auf der affektiven Komponente der Einstellung. Zwar

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Anatomie des Vorurteils

gibt es beim modernen Rassimus die Annahme einer bestimmten Hintergrundideologie, die stellt allerdings keinen definitorischen Teil des Vorurteils dar, sondern finden sich in der technischen Umsetzung der Vorurteilsmessung wieder. Eine technische Stärke der Theorie des modernen Rassismus liegt in der MRS. Die Vorurteilstheorie des modernen Rassismus trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Artikulationsbedingungen von Vorurteilen im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert haben. Probanden haben intentional weniger Vorurteile bei Vorurteilsmessungen preisgegeben, um keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Die MRS kann diesen Effekt umgehen, indem sie mit zweideutigen Items im Fragebogen, Vorurteile misst. Die Hintergrundideologie, welche die Theorie des modernen Rassismus voraussetzt, kam bei der Entwicklung der Items zum tragen. Als ein technisches Problem kann die Diskussion um die Konstruktvalidität der MRS betrachtet werden. Die Frage, ob die MRS auch wirklich Vorurteile misst, ist eine Frage, die in ganz ähnlicher Weise in späteren Rassismustheorien eine große Rolle spielt. 2.2.3

Aversiver Rassismus

Während der moderne Rassismus sich auf Personen mit konservativen Werten konzentriert, nimmt der aversive Rassismus (J. F. Dovidio & Gaertner, 2004) die nicht-konservative Bevölkerung in den Blick. Folgt man der Theorie des Aversiven Rassismus, gibt es viele progressiv eingestellte Personen, welche egalitäre Prinzipien unterstützen und davon überzeugt sind, sie hätten keine Vorurteile gegenüber Rassen. Gleichzeitig haben diese Personen jedoch unbewusste negative Gefühle und Überzeugungen gegenüber diesen sozialen Gruppen. 2.2.3.1

Vorurteile im aversiven Rassismus

Wie beim modernen Rassismus gibt es eine ambivalente Haltung gegenüber Rassen, die jedoch noch subtilere Formen annimmt. Dies stellt bereits die beiden wichtigsten Unterschiede zum modernen Rassismus dar: der aversive Rassismus (1) trifft insbesondere auf progressive Personen zu und (2) die dafür verantwortlichen Gefühle und Überzeugungen sind für diese Personen nicht bewusst zugänglich. Menschen, die dem Profil des aversiven Rassismus entsprechen, bevorzugen den Kontakt und die Kooperation mit Personen, die sie zu ihrer Rasse zählen. Der Grund dafür liegt, so die Theorie, in unbewussten negativen Gefühlen und unbewussten Überzeugungen gegenüber anderer Rassen. Gleichzeitig bejahen die aver-

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siven Rassisten auch Werte, wie Gleichheit und Gerechtigkeit, welche diesen Gefühlen diametral gegenüber stehen. Typisch für aversiven Rassismus ist die Ablehnung klassischer, aber auch moderner Formen des Rassismus. Entgegen der guten Absichten, welche aversive Rassisten haben, führen die unbewussten mentalen Zustände jedoch dazu, dass eine Interaktion mit Individuen aus diesen Gruppen gemieden wird. Lässt sich solch eine Interaktion nicht vermeiden, empfinden aversive Rassisten Stress und Unwohlsein und versuchen daher tendenziell die Interaktion schnell zu beenden. Ein Teil dieses empfundenen Stresses ist der Tatsache geschuldet, dass aversive Rassisten, gerade weil sie fair und nicht vorurteilsbelastet urteilen und handeln wollen, besonders viel Acht auf sich selbst geben. Es ist also eben diese zusätzliche Selbstbeobachtung, welche einen Teil des Unwohlseins verursacht. Dieses Unwohlsein manifestiert sich in subtilem, nicht-intendiertem und meist rationalisierbarem Verhalten, welches Minderheiten benachteiligt. Die Randbedingungen dafür, wann die negativen Gefühle sich die Bahn brechen, sind ähnlich zu den Kriterien, die bereits beim modernen Rassismus besprochen wurden: das diskriminierende Verhalten muss eine gewisse Ambivalenz beinhalten, so dass das Verhalten auch ohne diskriminierende Gründe gerechtfertigt sein kann. Die Untersuchung des aversiven Rassismus begann mit einem überraschenden Ergebnis einer Studie (Gaertner, 1973). Dabei handelte es sich um ein Feldexperiment zu kooperativen Verhalten von konservativen und progressiven Personen. Diese erhielten zuhause einen Anruf von einer Person, deren Zuordnung als Weißer oder Farbiger durch einen Dialekt identifizierbar war. Als die Person am Telefon um Hilfe bat, zeigte sich, dass die konservativen Probanden signifikant weniger hilfsbereit waren, wenn es sich um eine farbige Person handelte, wie es der moderne Rassismus prognostizieren würde (dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Vorurteile dieser Personen nicht mit der MRS gemessen wurden). Die progressiven Personen zeigten zwar insgesamt mehr Hilfsbereitschaft bei einer farbigen Person, jedoch zeigte sich auch ein überraschendes Muster: ganze 19% der progressiven Probanden brachen das Gespräch mit dem Farbigen ab. Bei einem nicht-farbigen Anrufer beendeten nur 3% der progressiven Probanden vorzeitig das Gespräch. Die Studie zeigt demnach, dass sowohl progressive als auch konservative Probanden diskriminierendes Verhalten gegenüber Farbigen zeigen. Die Ausübung der Diskriminierung ist jedoch unterschiedlich ausgefallen. Die Theorie des aversiven Rassismus erklärt das Verhalten der progressiven Probanden damit, dass die Verweigerung der Hilfe klar gegen soziale Normen verstößt, wobei das plötzliche Beenden des Telefonats die klare Verweigerung scheinbar unnötig macht. Außerdem

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konnte der Anrufer nicht mit Sicherheit sagen, ob die Gesprächsbeendigung intendiert war oder ob es sich um einen technischen Defekt handelte. Die positive Fremdwahrnehmung könnte also bestehen bleiben. In einem weiteren klassischen Experiment (J. F. Dovidio & Gaertner, 2000) zeigte sich bei eben jenen progressiven Personen, dass sie farbige Bewerber mit nicht klarer Qualifizierung signifikant stärker ablehnten als weiße Bewerber mit gleich unklarer Qualifikation. 9 Als ursächlich für diese und ähnliche Verhaltensmuster werden in der Theorie des aversiven Rassismus ‚unconscious feelings‘ postuliert. Dementsprechend stellt sich die Frage, was genau unter ‚unconscious feelings‘ zu verstehen ist. Auch wenn die Theorie des aversiven Rassismus innerhalb der Philosophie diskutiert wird, blieb eine Betrachtung dieses Begriffs innerhalb der Theorie bisher aus. Typischerweise unterscheidet man in der Philosophie Gefühle von Emotionen. Gefühle bezeichnen eher physiologische Zustände: eine verstopfte Nase fühlt sich irgendwie an, ein erhöhter Herzschlag, aber auch das eigene Körpergewicht fühlt sich beim Sitzen oder Gehen irgendwie an. Emotionen sind komplexer als Gefühle. Stolz ist beispielsweise eine Emotion, welche sich auf ein Objekt bezieht: man kann stolz darauf sein, dass man etwas erreicht hat. D.h. für Stolz ist auch eine Repräsentation eines externen Objekts notwendig. Gleiches gilt für Scham (für etwas) oder Zorn (auf etwas). Zu den Emotionen werden häufig auch Stimmungen gezählt, welche kein intentionales Objekt haben, wie Melanchonie. Da von ‚feelings’ und nicht von ‚emotions‘ die Rede ist, soll angenommen werden, dass dementsprechend unbewusste Gefühle gemeint sind. Ist es aber möglich unbewusste Gefühle zu haben? Sprachlich betrachtet ist es eine unverzichtbare semantische Eigenschaft von Gefühlen, dass sie einen Erlebnisgehalt haben (bewusster phänomenaler Gehalt). Dies wird schnell deutlich, wenn man einen Gefühlssatz mit „und S fühlt nichts“ ergänzt: „Ich habe Schmerzen am Bein und ich fühle nichts“ oder „Ein Gefühl von Wärme überkam ihn und er fühlte nichts“. Das Ergebnis ist absurd und wird nur durch poetische Interpretationen verständlich. Auf diese Ebene des Verständnisses

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Davidio und Gaertner (2004) führen in ihrer Überblicksstudie verschiedene Forschungsergebnisse an, um die Theorie des aversiven Rassismus zu plausibilisieren. Dabei wird überraschend häufig ein Merkmal nicht beachtet, welches den aversiven Rassismus vom modernen unterscheidet: Die politische Gesinnung der Probanden wird in vielen der angeführten Studien nicht thematisiert. Dadurch werden teilweise Studienergebnisse vom modernen mit dem aversiven Rassismus vermischt.

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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haben es aber die Autoren der Theorie des aversiven Rassismus sicherlich nicht abgesehen. Der Stimulus, der ein Gefühl auslöst, kann allerdings unbewusst sein. Eine Person kann eine Aversion gegenüber einer bestimmten sozialen Gruppierung haben, wenn ein negatives Gefühl auftritt, da sie mit Individuen der Gruppierung in Kontakt tritt. Dieser kausale Zusammenhang von Stimulus-Objekt zum negativen Gefühl ist der Person jedoch nicht bewusst. Das negative Gefühl wird stets anderen Umständen, wie der aktuellen sozialen Situation oder dem Wetter, zugeschrieben. Die Art und Weise, wie über die ‚unconscious feelings‘ geschrieben wird, macht diese Interpretation jedoch für den aversiven Rassismus nur beschränkt tauglich, denn dann hätte die Person Bewusstsein vom Inhalt des Gefühls. Ein vorläufig gangbarer Weg scheint der folgende zu sein: Kognitive Ressourcen sind begrenzt, daher kann nur ein Bruchteil von den Einflüssen, die uns permanent umgeben, bewusst erfasst werden. Eben dies wird als Aufmerksamkeit bezeichnet: aus der Fülle von Informationen einige wenige fokussieren. Aus diesem Grund haben wir ständig ‚Gefühle‘, denen wir uns nicht okkurent bewusst sind. Beispielsweise haben Menschen, die durch die Stadt laufen, permanent das ‚Gefühl‘ ihrer Hose an den Beinen. Primär handelt es sich dabei um physiologische Informationen, die für die Kognition ständig eine Relevanz haben. Dafür spricht sowohl die Alltagserfahrung als auch die empirische Wissenschaft. Würden sich die Informationen zur Hose am Bein plötzlich verändern, zum Beispiel wenn die Hose rutscht, würde die Aufmerksamkeit automatisch auf diese Änderung gelenkt werden. Diverse physiologische Veränderungen laufen ständig im Körper ab und können durch eine entsprechend gerichtete Aufmerksamkeit auch in das Bewusstsein treten und dann kann man klar von einem Gefühl sprechen. Psychologische Studien zeigen, dass mit erhöhter Außentemperatur eine erhöhte Aggressionsbereitschaft einhergeht (Anderson, 2001). Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass alle Personen, deren Aggressionsbereitschaft gestiegen ist, ständig ihre Aufmerksamkeit auf die Wärme richten. Diese wird in der Regel unbewusst als Information aufgenommen und verarbeitet – mit der entsprechenden Aufmerksamkeit kann diese Wärme jedoch auch gefühlt werden. Inwieweit diese Interpretation für implizite Einstellungen genutzt werden kann, wird später in größerem Detail betrachtet (siehe 4.1.1). Vorläufig sollen die unbewussten Gefühle derartig verstanden werden.

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Anatomie des Vorurteils

Im Laufe der Entwicklung der Theorie des aversiven Rassismus wurden die unbewussten Gefühle identifiziert mit dem Konzept impliziter Vorurteile. Letzteres soll nun stärker in den Blick rücken. Für implizite Vorurtiele im aversiven Rassismus ist es allerdings charakteristisch, dass sie unbewusst sind (oder zumindest sein können). Um diesem Aspekt gerecht zu werden, wird im Folgenden die Introspektion und das Selbstwissen thematisiert. 2.2.3.2

Introspektion und Selbstwissen

Die wichtigste Neuerung der Rassismustheorie des aversiven Rassismus ist die Idee, dass unbewusste mentale Zustände das Verhalten und Urteilen beeinflussen. Die Theorie geht dementsprechend von Personen aus, die über ihre eigene rassistische Einstellung nichts wissen, während dieses Wissen von anderen, zum Beispiel Psychologen, erlangt werden kann. Gerade dies ist scheinbar kennzeichnend für den aversiven Rassismus: bei expliziten Einstellungsmessungen sind keine Vorurteile erkennbar, aber bei indirekten Messungen impliziter Einstellungen zeigen sich gleichzeitig implizite Vorurteile. Dieser Vorstoß ist alles andere als selbstverständlich und bedarf einer genaueren Analyse. Bevor also der mentale Zustand ‚implizite Einstellung‘ näher betrachtet wird, soll zunächst die mögliche epistemische Asymmetrie von der ersten zur dritten Person betrachtet werden. Dazu soll im Folgenden zunächst kurz die Rolle der Introspektion in der empirischen Psychologie historisch betrachtet werden. Anschließend soll es um philosophische Unterscheidungen bezüglich des Selbstwissens gehen, die auf der Introspektion aufbauen. Das Ziel dieses Kapitels ist es also genauer herauszustellen, inwiefern die 1. Personen-Perspektive mit ihren Erkenntnisansprüchen gegenüber sich selbst epistemisch schlechter gestellt sein kann als die Erkenntnisansprüche der Perspektive einer außenstehenden Person (3. Person). 2.2.3.2.1 Die Introspektion in der Psychologie Die Psychologie war zu Beginn der Wissenschaften, wie auch die Physik, eine Teildisziplin der Philosophie. Das bedeutet, dass Philosophen in der gesamten Philosophiegeschichte über die menschliche Psyche philosophiert und spekuliert haben. Typischerweise spielte in dieser Zeit die Introspektion als Werkzeug entsprechender Überlegungen eine prominente Rolle. Wissenschafts-historisch wird der Beginn der Psychologie als empirische Wissenschaft häufig auf das Jahr 1879 datiert, in dem das erste psychologische Universitätsinstitut gegründet wurde (Scheerer, 1989). Psychologen, wie Wundt, unternahmen Ende des 19. Jahrhunderts quantitative Untersuchungen, die auf introspektiven Informationen beruhten (Schwitzgebel, 2016). Dabei standen Fragen, wie ‚wie stark muss ein Stimulus von einem anderen

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abweichen, damit er als von anderer Qualität erkannt wird?‘ im Vordergrund. Wundt stellte in seinen Untersuchungen schnell fest, dass die Qualität der mitgeteilten introspektiven Daten der Probanden stark unterschiedlich war. Er ging schlussendlich davon aus, dass Probanden erst viele Trainingsdurchläufe benötigen, um ein angemessenes Niveau der introspektiven Beobachtung zu erreichen. Je feiner und genauer die gewünschten Unterscheidungen der Psychologen wurden, desto problematischer wurde die Verlässlichkeit der Introspektion. Die Aufmerksamkeit stellte sich als eine der wichtigsten Variablen für die Verlässlichkeit der Introspektion heraus, wobei gleichzeitig die Gefahr diskutiert wurde, dass eben jene Aufmerksamkeit auf etwas die Daten der Introspektion ‚verfälschen‘ könnte. Anfang des 20. Jahrhunderts hat der Behaviorismus die Methode der Introspektion scharf kritisiert. Der Behaviorismus betrachtet das beobachtbare Verhalten als die einzig legitime Quelle psychologischer Erkenntnis. Das Ziel der Psychologie sei es, so Watson (1913), die Kontrolle und Vorhersage von Verhalten zu erreichen, statt bewusste mentale Zustände zu erklären. Dadurch sollte die Psychologie eine wirkliche empirische Wissenschaft werden, denn Erkenntnisansprüche, die sich auf Introspektion beriefen, wurden von Watson als nicht falsifizierbar und damit als unwissenschaftlich betrachtet. Dies führte soweit, dass Watson als Behaviorist mentale Zustände und Prozesse vollständig aus der Psychologie streichen wollte. Als ein weiterer wichtiger Einschnitt kann eine Studie von Nisbett und Wilson (1977) gelten. Die Autoren zogen ein kritisches Fazit aus den Ergebnissen verschiedenster psychologischer Studien und sprachen sich gegen die bisherige Praxis aus, Probanden direkt nach Denkprozessen zu befragen. Laut den Autoren wurden die introspektiven Angaben von Probanden häufig von Psychologen genutzt, um beispielsweise Denkprozesse zu charakterisieren, die zu einem Handeln oder Urteilen führten. Nisbett und Wilson behaupteten hingegen, dass es keinen introspektiven Zugriff auf mentale Prozesse gibt. Die Autoren vertreten die These, dass nur das Ergebnis dieser Prozesse in das Bewusstsein tritt, nicht der Denkprozess selbst. Dieses Urteil trifft nach Meinung der Autoren auf alle mentalen Prozesse zu. Die Schrift hat nicht nur epistemische Relevanz (bezüglich des Selbstwissens), sondern wird auch von Psychologen, welche implizite Gesinnungen erforschen, als wichtiger theoretischer Beitrag zur Trendwende im Bereich der psychologischen Messungen genannt (zum Beispiel in Greenwald et al., 2002). Eine der angeführten Studien soll die These der Autoren (Nisbett & Wilson, 1977) verdeutlichen. Unter dem Bystander-Effekt (Darley & Latané, 1968) versteht man die abnehmende Hilfsbereitschaft von Menschen in Abhängigkeit von anderen wahrgenommenen potentiellen Helfern (die genaueren Randbedingungen für das

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Phänomen sind hier nicht relevant). Dieser Effekt ließ sich zwar empirisch belegen, doch die entsprechenden Probanden des Experiments bezweifelten allesamt, dass die Anwesenheit anderer Personen irgendeinen Einfluss auf ihr Verhalten gehabt hätte. Diese und viele weitere empirische Indizien werden aufgeführt, um zu zeigen, dass Menschen häufig nicht bemerken, wie Denkprozesse von bestimmten Stimuli beeinflusst werden. Oftmals ist eine Angabe relevanter Stimuli also nicht möglich, manchmal können die Wirkungen von Stimuli nicht erkannt werden und bisweilen wird nicht bemerkt, dass überhaupt ein kognitiver Vorgang stattgefunden hat. Nisbett und Wilson (1977) resümieren, dass es keinen introspektiven Zugang zu kognitiven Prozessen gibt. Wie lässt es sich aber erklären, dass es Menschen dennoch manchmal gelingt, ihre kognitiven Prozesse korrekt anzugeben? Angenommen eine Person wird auf der Straße von einer anderen Person geschlagen. Würde man die verletzte Person um eine Beurteilung der aggressiven Person fragen, wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach ein negatives Urteil aussprechen. Auf die Frage, wie sie zu diesem Urteil gelangt sei, würde die Person antworten, dass der grundlose Schlag dafür verantwortlich ist. Nach Nisbett und Wilson (1977) handelt es sich dabei um die Nutzung eines alltäglichen Reiz/ReaktionsSchemas. Zunächst müssen die Stimuli (der Faustschlag) wahrgenommen werden. Anschließend muss ein Ereignis (die negative Bewertung) als Reaktion bemerkt werden. Schlussendlich werden kausale Verbindungen angenommen, die als relevant erscheinen, um die Reaktionen auf bestimmte Stimuli zurückzuführen. Es wird also nicht introspektiv auf einen mentalen Vorgang zugegriffen, sondern eine Alltagstheorie der Psychologie herangezogen, welche die Reaktionen erklären soll. Dafür spricht auch die Tatsache, dass eine außenstehende Person die negative Bewertung der aggressiven Person auf die gleiche Art und Weise beschrieben hätte: beide Personen rufen die gleichen Erklärungsschemata auf. Die Autoren (Nisbett & Wilson, 1977) fassen zusammen: "When subjects were asked about their cognitive processes, therefore, they did something that may have felt like introspection but which in fact may have been only a simple judgement of the extent to which input was a representative or plausible cause of output" (S. 249). Nichtsdestotrotz basieren die bereits kurz vorgestellten Messinstrumente des klassischen und modernen Rassismus auf der Introspektion. Bei solchen Messverfahren wird vorausgesetzt, dass Personen sich ihrer eigenen mentalen Zustände bewusst sind und diese adäquat kommunizieren. Der Fragebogen als Messinstrument ist für die Erklärung und Vorhersage von Urteils- und Verhaltenstendenzen für die Sozialpsychologie ein wichtiges und erfolgreiches Instrument. Die vorgestellten Studienergebnisse von Nisbett und Wilson stellen nicht in Frage, dass Personen

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auf den Inhalt mentaler Zustände zugreifen können, sondern bezweifeln, dass kognitive Prozesse introspektiv erfasst werden können. 2.2.3.2.2 Zum privilegierten Zugang der ersten Person Das Wissen, welches ein Subjekt von sich selbst hat, wird als Selbstwissen bezeichnet. Typischerweise wird dieser Begriff in einem weiten Sinne verstanden. Das Wissen um das eigene Geburtsdatum fällt auch in diesen weiten Sinn von Selbstwissen. Ich möchte den Begriff hier enger verstanden wissen, nämlich bezogen auf das Wissen um seine eigenen mentalen Zustände. Es ist also Selbstwissen, wenn eine Person weiß, dass sie die aktuelle Temperatur als kalt oder warm empfindet. Ob es sich bei Selbstwissen um eine eigene Form von Wissen mit einem privilegierten Zugang handelt, ist umstritten. In der Philosophiegeschichte ist diese Auffassung häufig vertreten worden, wobei sich die Gründe für diese Behauptung wie folgt kategorisieren lassen (Newen & Vosgerau, 2005): • • • • •

Transparenz: Ein Subjekt kennt alle seine mentalen Zustände (omniscience) Unfehlbarkeit: Ein Subjekt, welches eine Sinneserfahrung macht, wie beispielsweise Schmerzen haben, kann sich nicht darin irren, diesen phänomenalen Zustand zu erleben Unbezweifelbarkeit: Ein Subjekt kann selbst nicht gerechtfertigterweise Selbstwissen in Frage stellen. Nichtkorrigierbarkeit: Kein Außenstehender kann ein Subjekt bezüglich ihrer mentalen Zustände gerechtfertigt korrigieren. Exklusivität: Der Zugang über die Introspektion zu den eigenen mentalen Zuständen ist exklusiv.

Die Transparenz ist wahrscheinlich eines der am meisten kritisierten Annahmen für einen privilegierten Zugang. Mit Freuds ‚Entdeckung des Unbewussten‘ entsteht eine unüberschaubare Zahl psychologischer Theorien, die alle davon ausgehen, dass es zumindest gewisse mentale Zustände gibt, die Subjekten selbst entgehen (Beckermann, 2008, S. 9). Als Beispiel soll hier das subliminale Priming dienen. Hier wird einem Probanden unterhalb der Bewusstseinsschwelle ein kurzer Stimulus (zum Beispiel ein Bild) präsentiert, der messbar einen Verhaltensaspekt der Person verändert. Es ist plausibel anzunehmen, dass ein mentaler Zustand, nämlich der Sinneseindruck und seine Wirkungen, für die Verhaltensänderung verantwortlich sind. Hier wäre die Transparenz dementsprechend verletzt. Das Kriterium der Unfehlbarkeit ist für phänomenalen Gehalt nur schwer zu kritisieren, ist dann jedoch auch sehr beschränkt, was den Umfang der Erkenntnis angeht. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: eine Person sitzt mit verbundenen

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Augen auf einem Stuhl während der Person glaubhaft erklärt wird, gleich würde sie mit einem glühenden Eisen berührt. In Wahrheit wird der Person jedoch gefrorenes Wasser auf den Arm gedrückt. Die Person erlebt phänomenal eine Verbrennung am Arm. Was die Person erlebt ist zwar unfehlbar, aber dennoch falsch, was die Kategorisierung angeht. Zusätzlich kann das eben dargestellte Priming-Beispiel als Grenzfall betrachtet werden: die Person macht eine Sinneserfahrung, irrt darüber jedoch, weil sie nämlich denkt, sie hätte keine derartige Sinneserfahrung gemacht. Die Exklusivität wurde insbesondere von Ryle (1949) kritisiert. Ausgehend von der Frage, worauf genau eigentlich mentale Begriffe referieren, um ihre Bedeutung zu erlangen, kam Ryle zu dem Schluss, dass Begriffe nur auf Verhaltensdispositionen beruhen. 10 Die Überzeugung zu haben, dass das Eis auf dem See dünn ist, bedeutet also, dass sich eine Person entsprechend gegenüber der Eisfläche verhält. Ryle bestritt einen exklusiven Zugriff auf mentale Zustände durch die Introspektion und nahm stattdessen an, dass wir vieles über uns selbst durch unser Verhalten erfahren. Empirisch wurde diese Theorie von Bem (1972) untermauert, der zeigen konnte, dass das vergangene positive oder negative Verhalten gegenüber Objekten unsere Wertungen dementsprechend beeinflusst. Hier entpuppt sich also ein vermeintlicher introspektiver Zugriff auf die Bewertung als ein Zugriff auf vergangenes Verhalten; ein Zugriff, den auch andere Personen haben können. Nisbett und Wilson (1977) stellten die These auf, dass Personen keinen exklusiven Zugang zu ihren eigenen mentalen Prozessen haben. Der exklusive Zugang wurde also von verschiedenen Seiten kritisiert, wobei niemand so radikal vorging wie Ryle, der wohl über das Ziel hinausgeschossen ist: ein perfekter Schauspieler verspürt sicherlich keinen Zahnschmerz, wenn er diese Rolle spielt. Zumindest das Phänomenale scheint also eine gewisse Exklusivität beanspruchen zu können. Das Kriterium der Nichtkorrigierbarkeit ist für den vorliegenden Text wohl das wichtigste. Insbesondere der aversive Rassismus stellt dies radikal in Frage. Eine Person, die glaubhaft versichert, sie hätte keinerlei Vorurteile, kann auf Grundlage dieser Theorie eines besseren belehrt werden. Wann kann das Fremdwissen das Selbstwissen aufwiegen? Solche Wissensansprüche von außenstehenden Personen gegenüber einer anderen Person sind im Alltag nicht ungewöhnlich. Wenn jemand den ernsthaften Wunsch äußert, das Rauchen aufzugeben, aber bei jeder Gelegenheit an einer Zigarette 10

Dispositionale Eigenschaften sind durch beobachtbares Verhalten und Randbedingungen gekennzeichnet, welche das beobachtbare Verhalten bedingen. Salz hat beispielsweise die dispositionale Eigenschaft der Wasserlöslichkeit: wenn man Salz in Wasser gibt (Randbedingung), dann löst es sich auf (Verhalten).

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zieht, kann es passieren, dass dieser Wunsch von Außenstehenden in Frage gestellt wird. Wenn jemand behauptet, er sei der Überzeugung, dass er alles Erdenkliche für die Rechte der Tiere tut, aber jeden Tag Unmengen an Fleisch konsumiert, dann ist seine Behauptung für Außenstehende nicht sehr glaubhaft. Inwiefern sind diese Kritiken aber gerechtfertigt? Ryle (1949) hat bereits darauf hingewiesen, dass ein Psychotherapeut in seiner Arbeit ständig gegen das Kriterium der Nichtkorrigierbarkeit handelt. Normalerweise haben Menschen mit psychischen Problemen selbst irgendeine Erklärung für ihren Zustand. Häufig deckt sich diese Erklärung nicht mit der Erklärung eines geschulten Therapeuten, aber gerade dies ist ja einer der Gründe dafür, weshalb Psychotherapeuten aufgesucht werden. Die gesamte empirische Psychologie ist in sehr großen Teilen eine Abweichung von der sogenannten Alltagspsychologie. Letztere basiert auf Erklärungsmustern für Verhalten, die kulturell tradiert sind und die jeder Mensch nutzt, um seine Mitmenschen einschätzen zu können (eine ausführliche Darstellung der Alltagspsychologie folgt im nächsten Kapitel, siehe 3.1). Für die empirische Psychologie sind hingegen die empirischen Methoden grundlegend, die auch für Wissenschaften wie die Chemie oder die Physik gelten. Mit experimentellen Versuchsanordnungen werden psychologische Mechanismen erkannt, die der Alltagspsychologie entgehen können. Es wurden bereits verschiedene Mechanismen angerissen, die als Beispiel in Frage kommen, wie der Bystander-Effekt. Personen mögen auf Grundlage der Alltagspsychologie bestreiten, dass verschiedene situative Umstände für ihr Verhalten verantwortlich sind, aber die empirischen Daten sprechen eine andere Sprache und zeigen einen klaren Zusammenhang. Analog könnte man mit der Alltagsphysik bestreiten, dass die Erde eine Kugel sein kann, denn alles, was auf dem Kopf steht, fällt auch herunter. Die Physik hat jedoch als empirische Wissenschaft ein anderes und besseres Verständnis von der Gravitation erworben. Für phänomenale Zustände kann man das Fazit ziehen, dass der subjektive Zugriff klar privilegiert ist. Zwar gibt es mögliche Grenzfälle, diese sind jedoch Ausnahmen von der Regel. Bei der Diskussion der Nichtkorrigierbarkeit zeigte sich, dass es zu einer Verlagerung der epistemischen Asymmetrie kommen kann, wenn es um nicht-phänomenale Zustände geht. Diese Wissensansprüche von außen müssen allerdings besser gesichert sein als der Selbstwissensanspruch des Subjekts. Empirische Methoden, die mit experimentellen Anordnungen und quantitativen Methoden objektiv Mechanismen erkennen, sind privilegierter. Das bedeutet allerdings, dass der Selbstwissensanspruch eines Subjekts zunächst einmal prima facie gerechtfertigt ist. Nur wenn besser gerechtfertigte Gründe gegen die Behauptung des Subjekts sprechen, kann das Subjekt gerechtfertigt korrigiert werden.

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2.2.3.3

Anatomie des Vorurteils

Messung der impliziten Vorurteile

Die Autoren der Theorie des aversiven Rassismus machten negative ‚unbewusste Gefühle‘ für das beobachtbare ambivalente Verhalten progressiver Personen gegenüber bestimmter Rassen verantwortlich. Wie bereits dargestellt handelt es sich bei diesem Begriff um eine scheinbar absurde Konstellation, die jedoch mit einigen Anpassungen verständlich wird. Die Theorie des aversiven Rassismus, welche in den siebziger Jahren entstand, hat sich im Laufe der Jahre verändert und sich neuere Entwicklungen der Psychologie zu Nutze gemacht. Die ‚unconscious feelings‘ im aversiven Rassismus wurden mit den sogenannten impliziten Vorurteilen identifiziert. Diese können losgelöst von der expliziten Einstellung eine andere Valenz und Stärke haben. Dementsprechend gibt es nicht bloß diejenigen Einstellungen, welche Personen prinzipiell mittels eines Fragebogens artikulieren können, sondern auch Einstellungen die womöglich den Personen selbst nicht bewusst sind: implizite Einstellungen (eine detaillierte Diskussion von Merkmalen, wie bewusst oder unbewusst, ist in Kapitel 4 zu finden). Im Zusammenhang mit der Theorie des aversiven Rassismus zeigen sich zwei grundsätzliche Probleme der direkten Messung von Einstellungen, beispielsweise mittels eines Fragebogens: die Aufrichtigkeit und das Selbstwissen. Die Theorie des modernen Rassismus ging bereits davon aus, dass Personen je nach sozialem Kontext mehr oder weniger dazu bereit sind Vorurteile zu artikulieren. Jones und Sigall (1971) schlossen in einer klassischen Studie Probanden an angebliche Lügendetektoren an während explizite Einstellungen gegenüber bestimmten Personen gemessen wurden. Die Versuchsanordnung führte dazu, dass die Personen signifikant häufiger Vorurteile artikulierten als die Gruppe von Personen, die nicht an den Detektor angeschlossen wurde. Dies lässt sich als ein Indiz dafür werten, dass die Personen sich durchaus ihrer negativen Affekte bewusst sind, wie es der klassische und der moderne Rassismus postulieren: Wenn es keinen Sinn hat, weniger Vorurteile mitzuteilen als wirklich vorhanden sind, werden mehr zugegeben. Je nach Messgegenstand ist es also fraglich, ob Probanden mit ihren Angaben ehrlich sind. Das Selbstwissen und die Rolle der Transparenz wurden bereits diskutiert: es ist dementsprechend fraglich, ob eine Person weiß, welche mentalen Zustände sie besitzt. Zusätzlich kommt bei direkten Messungen erschwerend hinzu, dass die Psychologie womöglich mentale Zustände misst, für welche es in der Normalsprache keine adäquaten Begriffe gibt. Die Probanden müssten dann nicht-begriffliche Inhalte (zum Beispiel einen vagen Affekt) zu begrifflichen Kategorien eines Fragebogens zuordnen, was zusätzlichen Interpretationsspielraum für die Probanden lässt. Ist eine verspürte Abneigung stark oder mittel?

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Indirekte Messungen wollen solche Probleme umgehen. Weder auf die Bereitschaft eines Subjekts seine mentalen Zustände mitzuteilen, noch auf das Selbstwissen des Subjekts soll es ankommen, wenn implizite Einstellungen gemessen werden. Wie aber können diese impliziten Einstellungen und damit die impliziten Vorurteile gemessen werden? Im Folgenden sollen kurz drei der populärsten Messmethoden für diesen Zweck vorgestellt werden: Das Evaluative Priming Measure (EPM; Fazio, Jackson, Dunton, & Williams, 1995), der Implicit Association Test (IAT; Greenwald et al., 1998) und die Affective Misattribution Procedure (AMP; B. K. Payne, Cheng, Govorun, & Stewart, 2005). Es ist unklar, ob alle Messverfahren tatsächlich die gleichen kognitiven Strukturen messen (Fazio & Olson, 2003; Nosek, Greenwald, & Banaji, 2007). Dementsprechend ist nicht klar, ob beispielsweise das diskriminierende Verhalten, welches mittels des Evaluative Priming erfolgreich prognostiziert werden konnte, auch mit dem Affective Misattribution Procedure prognostiziert werden könnte. Es ist durchaus denkbar, dass alle Messmethoden verschiedene kognitive Strukturen erfassen, die auf ihre ganz eigene Art und Weise unterschiedlich das Verhalten und Urteilen von Personen beeinflussen. Von dieser Komplikation muss vorerst abgesehen werden. 2.2.3.3.1 Evaluative Priming Measure Unter Priming versteht man die gezielte Darbietung eines Stimulus, welcher kognitive Prozesse in Gang setzt, die wiederum bestimmte Reaktionen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher machen. Die Darbietungsdauer kann so gering sein, dass das Subjekt den Reiz nicht bewusst wahrnimmt (subliminales Priming), aber auch so lange, bis der Prime vollständig erkannt wird. Wenn eine Person beispielsweise bestimmen soll, ob eine Zeichenfolge ein Wort ist oder nicht, kann die Person zunächst mit einem Wort, zum Beispiel „Baum“ geprimed werden. Da der Prime ein Wort war, geht man davon aus, dass die Reaktionszeit bei der Bestimmung des nächsten Stimulus geringer ist, wenn es sich erneut um ein Wort handelt. Handelt es sich jedoch nicht um ein Wort, sondern um eine pure Zeichenfolge, wird die Reaktionszeit größer. Das Evaluative Priming Measure (EPM; Fazio et al., 1995) macht sich diesen Effekt bei der Messung rassischer Einstellungen zunutze. Personen werden beispielsweise mit Bildern von Gesichtern schwarzer Personen ‚geprimed‘. Die Erwartung besteht darin, dass wenn die entsprechende soziale Gruppierung beim Probanden negativ konnotiert ist, der Proband den folgenden negativen Stimulus schneller als

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solchen erkennt. Dieses Verfahren wird dann mit den Bildern von Gesichtern weißer Personen wiederholt. Durch systematische Nutzung dieses Effekts mit verschiedenen Bildern und Wörtern werden die Reaktionszeiten der Probanden operationalisiert, um implizite Einstellungen gegenüber Rassen zu bestimmen. 2.2.3.3.2 Implicit Association Test Kein indirektes Messverfahren hat so viel Aufmerksamkeit von Experten und der Öffentlichkeit bekommen, wie der IAT (Greenwald et al., 1998). Die Popularität basiert nicht nur darauf, dass der IAT auch von zuhause aus am Computer durchgeführt werden kann (implicit.havard.edu), sondern auf seinen vielseitigen Einsatzmöglichkeiten. So lassen sich beispielsweise mit dem IAT nicht bloß implizite Vorurteile, sondern auch beispielsweise implizite Stereotypen oder der implizite Selbstwert (Greenwald et al., 2002) messen. Auch Studien zur Entmenschlichung können mit dem IAT durchgeführt werden. So wurde beispielsweise untersucht (Goff, Eberhardt, Williams, & Jackson, 2008) in welcher Stärke Probanden bestimmte Arten von Tieren mit sozialen Gruppierungen assoziieren und welche Prognosemöglichkeiten für das Urteilen daraus erwachsen.

Abbildung 1: Screenshot eines IAT-Durchlaufs (Quelle: https://implicit.harvard.edu/implicit/Study, 14.03.2017). Der Proband hat die Aufgabe das Gesicht zur richtigen Seite zu ordnen. In diesem Beispiel müsste der Proband das Bild nach links sortieren.

Ein Proband, dessen relative implizite Einstellung von Blumen zu Insekten gemessen wird, muss am Computer Bilder oder Begriffe, die in der Mitte des Bildschirms

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erscheinen, so schnell wie möglich nach links oder rechts ordnen. 11 Auf der linken Seite befinden sich die Begriffe „BLUMEN oder GUT“ auf der rechten Seite „INSEKTEN oder SCHLECHT“. Wenn auf dem Bildschirm das Wort „LECKER“ erscheint, sollte es auf die linke Seite sortiert werden, denn „LECKER“ ist ein Begriff, der Semantisch mit „GUT“ konnotiert ist. Sowohl die Kategorien als auch deren Wertungen wechseln dabei die Seiten. Es kann also sein, dass der Seite „BLUMEN oder SCHLECHT“ das Wort „VERDERBEN“ zugeordnet werden muss. Der IAT macht sich die Tatsache zu Nutze, dass Begriffe oder Bilder mehr oder weniger schnell mit anderen Begriffen assoziiert werden. Typischerweise assoziieren Personen Bilder von Blumen mit angenehmen Worten. Eine Handfeuerwaffe wird im Gegensatz dazu eher mit negativen Dingen, wie Gewalt, assoziiert. Dementsprechend wird erwartet, dass es keine starke Assoziation von „BLUMEN“ zu „VERDERBEN“ gibt, weshalb die Zuordnung relativ lange dauern sollte. Im Ergebnis zeigt der (klassische) IAT eine relative Präferenz für eine der Kategorien an, wobei die Stärken variieren können. 2.2.3.3.3 Affective Misattribution Procedure Die Affective Misattribution Procedure (AMP; B. K. Payne et al., 2005) funktioniert anders, da hier nicht Reaktionszeiten gemessen werden. Wie beim EPM basiert die AMP auf Priming-Effekten. Einem Probanden wird beispielsweise das Gesicht einer farbigen Person am Computer gezeigt, so dass der Proband das Gesicht klar und deutlich erkennen kann. Anschließend verschwindet das Gesicht auf dem Monitor und ein chinesischer Buchstabe erscheint (der AMP wird auch manchmal der Chinese-Letter-Task genannt). Der Proband wird nun dazu aufgefordert die ästhetische Qualität des Buchstabens anzugeben. Diese Prozedur wird mit verschiedenen Bildern und verschiedenen Buchstaben durchlaufen. Der AMP basiert auf der Annahme, dass die dargestellten Bilder positive oder negative Affekte erzeugen. Wenn nun der Buchstabe auf dem Bildschirm erscheint, wird die entsprechende affektive Erregtheit auf den Buchstaben fehlattributiert, d.h. es wird fälschlicherweise angenommen, die ästhetischen Qualitäten des Buchstabens wären für den Affekt ursächlich. Dieser Mechanismus ist dann für eine signifikante ‚Verfälschung‘ der ästhetischen Beurteilung verantwortlich, die dann wiederum systematisch genutzt wird, um implizite Einstellungen zu bestimmen.

11

Der klassiche IAT misst immer nur relative Präferenzen. Im Beispiel wird demnach die relative Präferenz zwischen Blumen und Insekten gemessen. Würde man statt Insekten die Kategorie Katzen wählen, könnte es sein, dass die Blumen relativ zu Katzen negativ bewertet werden.

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2.2.3.4

Anatomie des Vorurteils

Relevanz für Verhalten

Genau wie explizite Einstellungen sind auch implizite Einstellungen ursächlich für bestimmtes Verhalten, wie verschiedene Meta-Studien (Greenwald, Banaji, & Nosek, 2015; Greenwald, Poehlman, Uhlmann, & Banaji, 2009; Oswald, Mitchell, Blanton, Jaccard, & Tetlock, 2015) zeigen. Generell sind die Fähigkeiten zur Verhaltensprognose für implizite Einstellungen schwächer als für explizite Einstellungen. Die Meta-Studie von Oswald (et al., 2015) zeigt schwächere Prognosefähigkeiten als eine frühere Meta-Studie (Greenwald et al., 2009). Es ist allerdings wichtig klarzustellen, was genau Oswalds Meta-Studie in den Blick nimmt, nämlich das Messverfahren IAT. Das bedeutet keineswegs, dass Oswald in Frage stellt, dass es implizite Einstellungen gibt. Auch stellt er nicht in Frage, dass sie messbar sind oder ob durch indirekte Messungen Verhalten prognostiziert werden kann. Das EMP und die AMP (Cameron, Brown-Iannuzzi, & Payne, 2012; K. Payne & Lundberg, 2014) haben sich in Meta-Studien als robuster erwiesen. In der Philosophie hat insbesondere Machery (2017) darauf hingewiesen, dass es in der Philosophie oft zur Annahme kommt, dass eine Person mit impliziten Vorurteilen auch diskriminierendes Verhalten zeigt. Dies ist in dieser Form allerdings nicht richtig, was auch aus den genannten Meta-Studien folgt, die allesamt schwache bis (bestenfalls) mittlere Effekte nachweisen können. Dennoch gilt, dass eine Gruppe mit impliziten Vorurteilen in Relation zur Kontrollgruppe (eine Gruppe ohne Vorurteile) signifikant häufiger diskriminierendes Verhalten zeigt. Damit ist es mathematisch sehr unwahrscheinlich, dass es sich bei der Verhaltensabweichung zur Kontrollgruppe um einen Zufall handelt. Die ermittelten Effektstärken der Metastudien zeigen allerdings, dass viele Individuen kein diskriminierendes Verhalten zeigen, obwohl sie implizite Vorurteile haben. Dies ist der Grund dafür, dass die errechneten Effekte in Meta-Studien nur schwach bis mittel sind. Dies hat zu einem großen Anteil damit zu tun, dass implizite Vorurteile durch die Existenz anderer mentaler Zustände in ihren Effekten reguliert werden (M. Brownstein, Madva, & Gawronski, 2018). Ein Beispiel soll dies mit expliziten Einstellungen verdeutlichen: eine Person kann eine affektive positive Einstellung gegenüber Fleisch haben und trotzdem Vegetarier sein. Das bedeutet, dass eine positive Einstellung gegenüber etwas noch nicht notwendigerweise etwas über zu erwartendes Verhalten aussagt. Auf die regulierende Funktion anderer mentaler Zustände wird später noch detaillierter eingegangen (siehe 4.1.2 und 4.2.3.2). In Meta-Studien werden häufig nur zwei Variablen und deren Korrelation betrachtet, zum Beispiel implizite Vorurteile und diskriminierendes Verhalten. Würde man darauf bestehen, dass nur diejenigen Studien berücksichtigt werden, bei denen beispielsweise die Probanden auch einen hohen Selbstwert hatten, dann wäre der Umfang von

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nutzbaren Studien für die Meta-Studie zu gering. Das bedeutet, dass bei MetaStudien häufig einflussreiche Variablen ausgeklammert werden. Dies gilt beispielsweise für die Meta-Studie von Oswald (et al., 2015), die nur implizite Vorurteile und den prognostischen Erfolg der jeweiligen Studie berücksichtigt. Tendenziell richten sich die Verhaltensvorhersagen auf Basis einer Messung impliziter Vorurteile auf Verhalten, welches generell schwer zu kontrollieren ist (Fazio & Olson, 2003). Dazu zählen insbesondere die non-verbale Kommunikation, also die Körpersprache. Eine negative implizite Einstellung gegenüber Farbigen wurde dementsprechend mit weniger positiven sozialen Interaktionen in Verbindung gebracht (McConnell & Leibold, 2001), zum Beispiel lächelten Probanden bei Interaktionen mit Farbigen weniger. Amodio und Devine (2006) konnten abhängig von Messungen impliziter Einstellungen bestimmen, wie weit sich Probanden von Farbigen entfernt hinsetzen, also soziale Distanz wahren. Solche Fälle, in denen es um schwer zu kontrollierendes Verhalten geht, können auf den ersten Blick harmlos erscheinen, sich aber bei genauerem Hinsehen als äußerst problematisch erweisen. In einem sozialpsychologischen Experiment (Word, Zanna, & Cooper, 1974) zeigte sich, dass die negativen Erwartungen des Personalchefs gegenüber Farbigen bei Bewerbungsgesprächen dazu beitrugen, eine ‚self-fullfilling prophecy‘ in Gang zu setzen: Die Probanden verhielten sich tendenziell so, wie es der Gesprächspartner durch seine non-verbale Kommunikation herausforderte. Diese signalisierte nicht nur ein Gefühl des Unwohlseins, sondern auch ein besonderes Desinteresse am Kandidaten. Dadurch wurde wiederum der Bewerber in seinem Verhalten und Urteilen negativ beeinflusst, was der Gesprächsführer dann zum Anlass nahm, den Bewerber als unqualifiziert zu betrachten. Für die Befürworter des IAT (M. R. Banaji, Nosek, & Greenwald, 2004) handelt es sich hierbei um einen Fall von Beeinflussung des non-verbalen Verhaltens durch die implizite Einstellung mit diskriminierenden Konsequenzen. Schwer zu kontrollieren ist nicht nur die non-verbale Kommunikation, sondern auch all jenes Verhalten, welches in Situationen geschieht, in denen nicht viel Zeit zum Nachdenken bleibt. Hier gibt es freilich Überschneidungen zur non-verbalen Kommunikation. Sicherlich hat man bei der Wahl eines Sitzplatzes nicht viel Zeit zu überlegen, welchen Eindruck es wohl macht, wenn man diesen oder jenen Sitzplatz wählt. Nichtsdestotrotz gibt es Fälle jenseits der Kommunikation, welche nach schnellen Entscheidungen verlangen. So konnte unter Laborbedingungen gezeigt werden, dass Polizisten, die wenig Zeit für ihre Entscheidung haben, schneller bereit sind eine farbige Person als bewaffnet zu identifizieren als eine weiße Person (Correll, Park, Judd, & Wittenbrink, 2002). Dieser Effekt, den man als „Shooter-Bias“ bezeichnet, ist durch eine Meta-Studie (Mekawi & Bresin, 2015)

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bestätigt und weiter untersucht worden. Er stellt einen Effekt jenes mentalen Zustandes dar, welcher vom IAT erfasst wird. Dieser Bias stellt eine mögliche Erklärung von häufiger tödlicher Polizeigewalt gegenüber Afro-Amerikanern dar. Das Spektrum möglicher Verhaltensprognosen ist jedoch nicht die Körpersprache und auf Verhalten unter immensen Zeitdruck beschränkt. Rooth (2010) konnte beispielsweise zeigen, dass implizite Vorurteile gegenüber Arabern dazu führten, dass die Bewerbungen von Schweden – unabhängig von expliziten Einstellungen – bei gleichen Qualifikationen systematisch bevorzugt wurden. In einer medizinischen Studie (Green et al., 2007) konnte gezeigt werden, dass Ärzte abhängig von ihren impliziten Vorurteilen Farbigen andere Behandlungsmethoden bei Herzproblemen empfehlen (unabhängig von der expliziten Einstellung). 2.2.3.5

Dual-Process/Dual-System Modelle

Spätestens mit der Annahme von zwei verschiedenen Einstellungsarten, nämlich expliziten und impliziten, stellt sich die Frage nach der übergeordneten kognitiven Struktur. Diese Frage kann ganz generell gestellt werden, wenn die Architektur der menschlichen Kognition in den Fokus genommen wird oder sie kann bereichsspezifisch gestellt werden, wenn man beispielsweise nur die soziale Kognition betrachtet. Für beide Untersuchungsgegenstände kommen Dual-System/Dual-Process Modelle in Betracht. Die Grundidee dieser Konzepte soll hier kurz erläutert werden. Häufig werden die Begriffe ‚Dual-System Modell‘ und ‚Dual-Process Modell‘ synonym verwendet. Ich möchte jedoch die Unterscheidung von Gawronski und Bodenhausen (2014, S. 199) aufgreifen: Dual-Process Modelle gehen davon aus, dass es zwei unterschiedliche Typen kognitiver Prozesse gibt. Das Associative–Propositional Evaluation Model (APE; Gawronski & Bodenhausen, 2014) ist beispielsweise ein bereichspezifisches Dual-Process Modell. Das Modell basiert auf der Annahme, dass Bewertungen auf propositionaler (‚X ist schlecht‘) oder assoziativer Basis (aktiviertes ‚X‘ subaktiviert ‚schlecht‘) geschehen. Implizite Einstellungen sind hier als Teil der assoziativen Verarbeitung konzipiert, während die expliziten Einstellungen propositional verarbeitet werden. Dual-System Modelle, wie beispielsweise das Modell von Strack und Deutsch (2004), gehen einen Schritt weiter, indem sie zusätzlich einen Eigenschaftscluster annehmen, welcher mit verschiedenen Systemen einhergeht (Evans, 2008). Das erste System, typischerweise ‚System-1‘, hat Eigenschaften wie unbewusst, unkontrolliert, effizient, automatisch, unintentional, schnell und arbeitet parallel. Ein Prozess dieses Systems hat diese Eigenschaften, und wenn der Prozess auch nur eine dieser Eigenschaften aufweist, ist die Annahme der anderen Eigenschaften

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ebenfalls gerechtfertigt. Das System-1 wird zusätzlich meist als ein evolutionär altes kognitives System verstanden, welches Menschen sich auch mit anderen Lebensformen teilen. Implizite Einstellungen sind in Dual-System Modellen im System-1 angesiedelt. Das System-2 hat hingegen oft Eigenschaften wie bewusst, kontrolliert, ineffizient, intentional, langsam und ist seriell in der Verarbeitung (siehe 4.1.3). Die expliziten Einstellungen sind dementsprechend Teil des System2. 2.2.3.6

Zwischenfazit

Der Weg von der klassichen Vorurteilstheorie hin zu sogenannten impliziten Vorurteilen war lang. Die historische Genese zeigt das Abwägen von Vor- und Nachteilen verschiedener Vorurteilsdefinitionen sowie technischer Überlegungungen. Wie schon in der Theorie des modernen Rassismus versteht man unter impliziten Vorurteilen einen affektiven Teil einer Einstellung, nur ist diese Einstellung implizit. Die wohl bekannteste Definition von impliziten Einstellungen stammt von Greenwald und Banaji (1995). Demnach seien implizite Einstellungen ‘‘[…] introspectively unidentified (or inaccurately identified) traces of past experience that mediate favorable or unfavorable feeling, thought, or action toward social objects’’ (S. 8). Typischerweise werden nur negative implizite Einstellungen als implizites Vorurteile bezeichnet. Mögliche Rationalitätskriterien oder epistemische Fragen klammert diese Definition aus. Auch wird keine Bindung zu anderen kognitiven Zuständen, zum Beispiel impliziten Stereotypen, vorausgesetzt. Weiterhin lässt die Definition offen inwiefern Subjekte ein Bewusstsein von impliziten Vorurteilen haben können. Nach der Definition ist es möglich, dass Subjekte zwar einen negativen Affekt wahrnehmen, aber ihn falsch klassifizieren. Technisch lässt sich festhalten, dass die richtungsweisende Neuerung der MRS bei indirekten Messverfahren weiter gedacht wurde. Nicht nur sollen indirekte Messverfahren sicherstellen, dass sich Probanden bei Messungen nicht verstellen, sie sollen zusätzlich auch dann implizite Vorurteile messen, wenn sie vom Probanden introspektiv nicht erkannt worden sind. Problematisch beim Konzept impliziter Vorurteile ist, ähnlich wie bei der MRS, dass unklar bleibt, was genau gemessen wird. Werden wirklich Vorurteile gemessen (dies wurde in Frage gestellt von Arkes & Tetlock, 2004) und wenn ja, was sind diese Vorurteile genau?

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2.2.4

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Fazit

Man unterscheidet in der Sozialpsychologie zwischen impliziten und expliziten Einstellungen. Explizite Einstellungen werden direkt gemessen, zum Beispiel mit Fragebögen, und haben gute prognostische Fähigkeiten. Solch eine direkte Messung setzt voraus, dass (1) der Proband selbst weiß, dass er die Einstellung hat und dass (2) er sie artikuliert. Implizite Einstellungen werden mit indirekten Messverfahren bestimmt, wozu beispielsweise der IAT, das EPM und die AMP, zählen. Sie sollen möglich sein, auch wenn der Proband selbst nichts von seiner impliziten Einstellung weiß oder wenn er sie nicht artikulieren möchte. Auch auf der Grundlage von Messungen implizier Einstellungen sind Verhaltensprognosen möglich. Auf der Basis impliziter und expliziter Einstellungen existieren Dual-System oder Dual-Process Modelle, welche genauer bestimmen, wie diese Einstellungen miteinander in Verbindung stehen. Rassistische Vorurteile und Stereotype können sowohl implizit als auch explizit Vorliegen. Vorurteile sind negative affektive Einstellungen gegenüber einer sozialen Gruppierung. Stereotypen sind gespeicherte Informationen über eine soziale Gruppierung und damit Teil der kognitiven Komponente der Einstellung. Je nach psychologischer Rassismustheorie, sei es der klassische, der moderne oder der aversive Rassismus, ist das Verständnis von Vorurteilen unterschiedlich. Wenn eine Person, je nach psychologischer Rassismustheorie, ein rassistisches Vorurteil hat, dann ergeben sich unterschiedliche Verhaltensprognosen. Der klassische Rassismus, nach Allport, basiert auf einem bewussten negativen Affekt gegenüber einer Rasse. Diese ist durch eine falsche Generalisierung entstanden und generiert selbst weitere falsche Generalisierungen, welche den negativen Affekt vor Kritik abschirmen. Entgegen vorheriger Vorurteilskonzepte sind für Allport nicht Persönlichkeitsmerkmale im Fokus, sondern Einstellungen. Zusätzlich hebt Allport hervor, dass Vorurteile nicht pathologisch sind, sondern einen Teil der normalen Kognition ausmachen. Um Vorurteile im klassischen Rassismus zu messen wird vorausgesetzt, dass (1) Probanden über ihre Vorurteile Bescheid wissen und (2) diese auch mitteilen. Der Moderne Rassismus fußt ebenfalls auf bewussten negativen Affekten gegenüber einer sozialen Gruppierung. Dieser Affekt muss allerdings weder auf falschen Generalisierungen aufbauen, noch muss er per Definition durch falsche Generalisierungen geschützt werden. Anders als im klassischen Rassismus spielen beim Modernen Rassismus soziale Normen eine wichtige Rolle. Die rassistischen Überzeugungen, die von klassischen Rassisten vertreten werden, werden von modernen Rassisten nicht unterstützt. Aufgrund sozialer Normen, die der Egalitarismus verlangt, sind die Artikulationsbedingungen von Vorurteilen von modernen Rassisten

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anders. Der moderne Rassismus unterscheidet sich wesentlich im Überzeugungssystem, welches konservative Werte enthält. Um Vorurteile im modernen Rassismus zu messen wird vorausgesetzt, dass (1) Probanden über ihre Vorurteile Bescheid wissen, (2) aber nicht, dass sie diese auch mitteilen möchten. Der aversive Rassismus geht davon aus, dass Personen eine positive explizite Einstellung gegenüber einer sozialen Gruppierung besitzen, aber gleichzeitig eine negative implizite Einstellung gegenüber derselben Gruppierung. Ein aversiver Rassist ist im Gegensatz zum modernen Rassist nicht konservativ, sondern progressiv in seinen Wertevorstellungen. Dementsprechend sind auch hier soziale Normen von besonderer Relevanz. Auch in dieser Konzeption spielen epistemische Kategorien, wie richtige oder falsche Generalisierungen, keine Rolle. Um implizite Vorurteile im aversiven Rassismus zu messen wird weder vorausgesetzt, dass (1) Probanden über ihre Vorurteile Bescheid wissen, noch (2) dass sie diese mitteilen möchten. 12 Sowohl bei impliziten als auch bei expliziten Einstellungen handelt es sich um mentale Zustände. Was genau sind aber mentale Zustände und welche Rolle spielen sie? Diese allgemeinen Fragen sind grundlegend, wenn man sich der spezielleren Frage widmen möchte, was implizite Vorurteile sind. Im nächsten Kapitel werden mentale Zustände und ihre Funktion in der Verhaltenserklärung bzw. Verhaltensprognose untersucht. Dadurch werden mentale Zustände verschiedener Ebenen der Verhaltenserklärung, wie der Alltagspsychologie und der empirischen Psychologie, ontologisch beurteilt. Es wird sich zeigen, dass die verschiedenen Ebenen der Verhaltensbeschreibung miteinander koexistieren können, wenn der ontologische Zustand entsprechend bestimmt worden ist. Nachdem der ontologische Zustand mentaler Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung geklärt sind, wird dann im vierten Kapitel die speziellere Frage im Fokus stehen, was implizite Vorurteile sind.

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Es ist unwahrscheinlich, dass eine Person, die explizite Vorurteile hat, keine impliziten besitzt. Prinzipiell bzw. definitorisch steht dem nichts im Wege. Rassismustheorien können sich allerdings gegenseitig auschließen: wer beispielsweise aversiver Rassist ist, kann kein Rassist im klassischen Sinne sein.

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

Es scheint auf den ersten Blick kein Zweifel zu bestehen, dass Menschen sowohl mentale als auch nicht-mentale Zustände haben. Zu den letzteren gehören beispielsweise Zustände wie ein gebrochenes Bein oder ein bestimmter Hormonspiegel, sowie die Körpertemperatur. Anatomische und biologische Merkmale zählen nicht zum Bereich des Mentalen. Ebenso kann man leicht Beispiele für Zustände finden, deren mentaler bzw. geistiger Charakter vermeintlich feststeht. Dazu gehören das Hungergefühl, sowie Wünsche, Hoffnungen und Überzeugungen. Mentale Zustände lassen sich in zwei Klassen aufteilen: Empfindungen und intentionale Zustände. Zu den Empfindungen gehören Farb-, Geruchs- und Geschmackseindrücke, sowie Schmerzen oder das Hungergefühl. Charakteristisch für Empfindungen ist, dass sie einen phänomenalen Gehalt haben. Damit ist gemeint, dass es sich auf eine bestimmte Weise anfühlt, eine Empfindung zu haben. Zu den intentionalen Zuständen gehören Überzeugungen, Wünsche oder Hoffnungen. Diese haben einen (semantischen) Gehalt, der auf andere Gegenstände gerichtet ist. Die Überzeugung „Paris ist schön“ ist demnach intentional, denn sie bezieht sich auf den Gegenstand Paris. Intentionalität ist eng an semantischen Inhalt angelehnt, denn eben dieser semantische Inhalt wird häufig als dasjenige betrachtet, was den Bezug zu äußeren Gegenständen ermöglicht. Intentionalität setzt repräsentationalen Gehalt des mentalen Zustandes voraus, denn dasjenige, worauf sich etwas bezieht ist natürlich nicht als der real existierende Gegenstand im Kopf des Denkenden. Der Gehalt re-präsentiert den intendierten Gegenstand. Implizite Einstellungen – und daher implizite Vorurteile – sind mentale Zustände. Die Frage, was implizite Vorurteile sind, kann dementsprechend nur als ein Spezialfall der Frage beantwortet werden, was mentale Zustände sind. Erst wenn geklärt ist, was mentale Zustände als Gattungsbegriff sind, kann die speziellere Frage der Artzugehörigkeit impliziter Vorurteile beantwortet werden. Erst dann kann man sich speziellere Fragen im Detail stellen, ob beispielsweise implizite Vorurteile einen Gehalt haben bzw. ob sie etwas repräsentieren. Im Folgenden wird die ontologische Frage, was mentale Zustände sind, derart untersucht, dass ihre Anwendungsfälle in den Fokus rücken: Mentale Zustände spielen immer dann eine Rolle, wenn Verhalten von Menschen (oder Organismen all-

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Baston, Implizite Vorurteile, https://doi.org/10.1007/978-3-476-05727-3_3

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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gemein) prognostiziert oder erklärt wird. Zentral für diese Diskussion soll das Interfacing-Problem sein, welches im Folgenden eingeführt und detailliert diskutiert wird. Die Beschreibung eines Phänomens kann je nach Blickwinkel ganz unterschiedlich ausfallen. Der Prager-Fenstersturz von 1618 könnte von einem Physiker und einem Historiker anders beschrieben werden. Der Physiker wirft den Blick auf die Gravitationsgesetze und auf die damaligen Stadthalter, die als Objekte mit einer bestimmten Kraft aus dem Fenster gestoßen worden sind. Da die Körper mit einer bestimmten Kraft gestoßen worden sind, sollte die Fallbahn in Abhängigkeit der Masse der Körper bestimmbar sein. Der Historiker hingegen hat einen völlig anderen Fokus, was die Beschreibung des Fenstersturzes angeht. Für ihn ist klar, dass es sich dabei um ein historisch folgenschweres Ereignis handelt, welches als Auslöser des Dreißigjährigen Krieges betrachtet wird. Beide Beschreibungen sind zweifelsohne richtig und können ohne Probleme nebeneinander koexistieren. Die Tatsache, dass das Ereignis einerseits physikalisch und andererseits historisch betrachtet wird, rückt ein und dasselbe Ereignis lediglich in ein anderes Licht. Phänomene in der Welt lassen sich auch unterschiedlich erklären. Für eine zerbrochene Fensterscheibe kommt als Erklärung ein aufprallender Stein in Betracht. Diese Art der Erklärung bezeichnet man als horizontal, denn es geht um individuelle Ereignisse und Gegenstände zu einer bestimmten Zeit. Die Tatsache, dass der Stein das Fenster traf und die Annahme, dass Glas die Disposition hat zerbrechlich zu sein, erklären die zerbrochene Fensterscheibe. Möchte man jedoch genau wissen, warum die Scheibe brach, also warum diese Verallgemeinerungen den Vorfall erklären, muss die Ebene der horizontalen Erklärungen verlassen werden. Um solche Warum-Fragen zu beantworten bedient man sich vertikaler Erklärungen. Abhängig von der Warum-Frage können verschiedene Ebenen vertikaler Erklärungen herangezogen werden. Die Physik kann mit kausalen Gesetzmäßigkeiten das zerbrochene Fenster erklären. Die generelle Brüchigkeit von Glas lässt sich chemisch und auf physikalischer Mikro-Ebene erklären. Das individuelle Ereignis wird also unter gesetzesmäßige Zusammenhänge subsummiert und dadurch erklärt. Dabei nimmt man typischerweise an, dass die vertikalen Erklärungen wiederum durch die darunterliegende Erklärungsebene verständlich werden (beispielsweise können manche Phänomene der Makro-Physik durch die Mikro-Physik erklärt werden). Das impliziert, dass gleichzeitig verschiedene Ebenen der Erklärung eines Phänomens richtig sein können. Lediglich die Ebene der Abstraktion verschiebt sich im

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

Beispiel. Der Physiker wird dementsprechend nicht davon sprechen, dass die Erklärung auf der Mikro-Ebene falsch ist. Es handelt sich dabei nur um eine Erklärung, die noch weiter in die Natur der Sache eindringt. Die Erklärungen können nicht nur koexistieren, sie ergänzen sich. Die Makro-Ebene der Erklärung profitiert davon, dass es sogar auf der Mirko-Ebene eine Erklärung gibt, welche mit der Makro-Ebene im Einklang steht. Jede der Erklärungen betrachtet das gleiche Ereignis in verschiedenen Abstraktionsgraden. Das Verhalten von Menschen lässt sich ebenfalls auf verschiedene Arten erklären. Angenommen, man möchte erklären, weshalb der kleine Timmy damit begonnen hat zu Rauchen. Die erste Erklärung wäre die, dass Timmy den Wunsch hat, Dinge zu tun, die ihm Freude bereiten, und dass er die Überzeugung hat, dass Rauchen Freude bereitet. Eine andere Erklärung betrachtet Timmys Peer-Group, d.h. die Gruppe, an der sich Timmy orientiert, und stellt fest, dass diese Gruppierung offensiv das Rauchen einfordert. Da Timmy ein Teil dieser Gruppe sein möchte, adaptiert er die entsprechende Verhaltensweise der Peer-Group und auf kurz oder lang auch deren positive Einstellung zum Rauchen. Eine andere Erklärung zieht die Wirkungen der Werbung mit in Betracht: Timmy hat ständig auf Werbeplakaten fröhliche, attraktive und abenteuerlustige Menschen gesehen, die rauchen. Die Neuronen in Timmys Gehirn für das Konzept ‚Rauchen‘ haben daher ständig gemeinsam mit den Neuronen für erstrebenswerte Eigenschaften gefeuert. Nach dem Prinzip ‚What fires together, wires together‘ kam es auf neuronaler Ebene zu einer synaptischen Übertragung erstrebenswerter Eigenschaften auf das Rauchen, was Timmys Verhaltenstendenz bezüglich des Rauchens entscheidend beeinflusst. Die erste Erklärung ist eine Erklärung auf sogenannter alltagspsychologischer Ebene (wahlweise auch folk-psychology oder common-sense psychology). Als Alltagspsychologie bezeichnet man typischerweise die Art von Psychologie, welche alle Menschen nutzen, um das Verhalten von Menschen zu erklären oder zu prognostizieren. Die zweite Erklärung ist eine Skizze einer möglichen sozialpsychologischen Erklärung, angelehnt an die Theorie des überlegten Handelns (Ajzen & Fishbein, 1977) und der Theorie der sozialen Identität (Tajfel, 1974). Es handelt sich hierbei um empirische Theorien, d.h. die Theorien wurden experimentell geprüft und können auch falsifiziert werden. Empirische Theorien der Sozialpsychologie basieren auf quantitativen Methoden und Experimenten. Die dritte Erklärung ist ebenfalls empirischer Natur, ist aber ausgehend von der Erklärungsebene Teil der Neurowissenschaften. Bei diesem Beispiel stand die Hebbsche Lernregel (1949), ein neurologischer Mechanismus, im Fokus. Im Gegensatz zur Beschreibung des Fenstersturzes und zur Erklärung des zerbrochenen Glases können diese Erklärungen nicht problemlos miteinander koexistieren. Warum hat Timmy wirklich angefangen zu rauchen? Die erste Variante der

Psychologische Bestimmungen des Vorurteils

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Erklärung sagt, dass seine Wünsche und Überzeugungen ursächlich für sein Rauchverhalten sind. Im Geist des Akteurs befanden sich demnach intentionale Zustände mit einem bestimmten semantischen Gehalt, welche das Verhalten verursachten. Die Theorie des überlegten Handelns nimmt für sich jedoch in Anspruch, dass andere mentale Zustände für Timmys Verhalten ursächlich sind. Die soziale Identität und damit verbundene sozialpsychologische Prozesse wurden herangezogen, um Timmys Verhalten zu erklären. Das bedeutet, dass die zweite Erklärung andere Ursachen als die erste Erklärung annimmt und ihr daher widerspricht. Die dritte Erklärung ist weit radikaler und stellt gänzlich in Frage, dass überhaupt mentale Zustände für Timmys Verhalten eine Rolle spielen. Nach der dritten Erklärung sind lediglich neuronale Muster in Verbindung mit neuropsychologischen Mechanismen ursächlich für Timmys Verhalten. Gleichzeitig sind alle Erklärungen scheinbar gute Erklärungen. Die Alltagspsychologie ist diejenige Art der Psychologie, die uns tagtäglich sicher durch die soziale Welt navigiert. Sie ist häufig erfolgreich, wenn Verhalten prognostiziert oder erklärt werden soll. Die empirische Psychologie ist durch die empirischen Methoden gerechtfertigt, die auch in der Physik genutzt werden. Durch experimentelle Anordnungen werden sorgfältig einzelne Wirkmechanismen isoliert und untersucht. Dementsprechend scheint eine Erklärung aus der empirischen Psychologie eine gute Erklärung zu sein. Wenn man aber davon ausgeht, dass das Verhalten eines Organismus im Prinzip durch das gelenkt wird, was im Gehirn passiert, dann scheint die neurologische Erklärung möglicherweise am attraktivsten. Auch die Neuropsychologie arbeitet empirisch, benötigt aber häufig keinen Rekurs auf mentale Zustände, wie die Alltagspsychologie oder die Sozialpsychologie. Wenn diese beiden Aspekte gleichzeitig in den Blick genommen werden, dann nimmt man auch das sogenannte Interfacing-Problem (Bermudez, 2006) in den Blick. Dieses besteht eben darin, dass es unterschiedliche Erklärungen gibt, die zwar alle gerechtfertigt sind, aber nicht ohne weiteres koexistieren können. Was sind die eigentlichen Ursachen für Timmys Verhalten bzw. welche Erklärung ist richtig und welche falsch? Gibt es eine wahre Erklärung? Ist die Alltagspsychologie über- oder unterlegen, wenn sie mit der empirischen Psychologie oder den Neurowissenschaften verglichen wird? Muss man die Alltagspsychologie vielleicht ähnlich wie eine Fabel betrachten, während die Neurowissenschaft den eigentlichen Kern der Sache in den Blick nimmt? In welchem Verhältnis stehen die drei Arten von Verhaltenserklärungen zueinander? In diesem Kapitel soll das Interfacing-Problem diskutiert werden. Es ist das Ziel, verständlich zu machen, wie die verschiedenen Arten von Erklärungen gerechtfer-

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

tigt miteinander koexistieren können. Dafür ist allerdings ein bestimmtes Verständnis vom ontologischen Status mentaler Zustände nötig, was im Folgenden entwickelt werden soll. Dazu werde ich zunächst zwei Varianten der Verhaltenserklärung kurz kritisch betrachten, nämlich die Top-down Variante, für die Fodors intentionalen Realismus stellvertretend dargestellt wird, und die Bottom-up Variante, welche anhand von Curchlands Eliminativen Materialismus illustriert wird. 3.1

Top-down- und Bottom-up-Erklärungen

Die Alltagspsychologie gilt typischerweise als die höchste Ebene der Verhaltenserklärung, da sie einen hohen Abstraktionsgrad hat und auf einer Rationalitätsannahme basiert. Im Folgenden soll der intentionale Realismus Fodors (1989) kurz kritisiert werden. Dieser behauptet, dass die Alltagspsychologie eine wahre Theorie darstellt, welche die realen mentalen Zustände und Verhaltensursachen nutzt, um Verhalten zu erklären. Diese Behauptung geht einher mit einem Absolutheitsanspruch bezüglich der Verhaltensursachen: wenn angenommen wird, dass die Alltagspsychologie eine wahre Theorie ist, dann muss eine abweichende Erklärung der Neurowissenschaften oder der empirschen Psychologie falsch sein. Der hohe Abstraktionsgrad der Alltagspsychologie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie auf hoher Ebene Verhalten erklärt und die niedrigeren Ebenen, wie die empirische Psychologie und die Neurowissenschaft können anschließend erläutern, weshalb diese Erklärungen richtig sind bzw. welche Mechanismen auf einer tieferen Ebene liegen. Zusätzlich ist es typisch für die Alltagspsychologie anzunehmen, dass Personen rational sind. Dies ist wichtig für diese Art der Verhaltenserklärung, denn aus verschiedenen Überzeugungen und Wünschen folgt nur dann ein bestimmtes Verhalten, wenn sich der Träger dieser mentalen Zustände auch rational verhält. Als intentionaler Realist geht Fodor davon aus, dass intentionale Zustände, wie Überzeugungen, real sind. Diese Realität der Überzeugungen zeigt sich darin, dass sie kausal wirksam sind, d.h. sie sind beispielsweise Ursachen von Handlungen. Den weiteren Wissenschaften bleibt die Analyse eben jener Ursachen und der Mechanismen, welche die Überzeugungen zu Handlungen überführen. Nach Fodor (1989) handelt es sich bei der Alltagspsychologie um eine wahre Theorie, denn (1) sie funktioniert sehr gut, (2) sie ist tief in unserem Denken verankert, und (3) wir haben keine Alternative zu ihrer Nutzung. Fodor behauptet, dass die Alltagspsychologie erstaunlich gut funktioniere (1). Ständig nutzen Menschen die Alltagspsychologie und können sich damit sicher

Top-down- und Bottom-up-Erklärungen

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durch die soziale Welt navigieren. Die Behauptung, dass die common-sense psychology häufig erfolgreich genutzt wird und zwar in allen erdenklichen Lebenslagen ist zweifelsohne richtig. Aber diese common-sense psychology muss nicht notwendigerweise auch die belief/desire psychology sein, die Fodor vorschwebt. Unter commonsense psychology kann man auch einfach die Fähigkeiten der sozialen Interaktion subsummieren, die Menschen tagtäglich benutzen (social skills). Damit ist noch nichts über die angewandten Methoden gesagt. Die Methode könnte ein Framework beinhalten, wie das belief-desire Framework. Dieses kommt mit verschiedenen intentionalen Zuständen und mit einer Rationalitätsannahme, die den semantischen und logischen Zusammenhang zwischen den Zuständen erklären kann. Dieses Framework wiederum kann auf verschiedene Arten genutzt werden. Die belief-desire psychology kann beispielsweise genutzt werden, um das Verhalten von Mitmenschen vorherzusagen. Sie kann aber auch genutzt werden, um eigenes Verhalten nachträglich zu verstehen, wenn Personen Verhalten posthoc damit erklären. Dementsprechend sollte man zwischen verschiedenen Aspekten unterscheiden (Bermudez, 2006): (a) Alltagspsychologie, die tatsächlich genutzt wird (social skills), (b) ein belief-desire Framework und (c) eine spezifische Anwendungen von (b). Fodor hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass die angewandte common-sense psychologie ständig zum Erfolg führt. Für sein Argument ist es allerdings nötig zu zeigen, dass die genutzten psychologischen Mechanismen auf einer belief-desire psychologie fußen, was jedoch nicht geschieht, sondern einfach vorausgesetzt wird. Wie tief die Alltagspsychologie im Denken verankert ist (2) wird durch einen Rekurs auf (1) gerechtfertigt. Daneben führt Fodor den Theorie-Charakter der Alltagspsychologie an, der allerdings nicht für die Wahrheit der Theorie spricht. Die Tatsache, dass etwas eine Theorie ist, ist die Möglichkeitsbedingung dafür, dass sie wahr sein könnte. Dies macht die Alltagspsychologie keineswegs wahrscheinlicher wahr. Fodor versucht außerdem die Alternativlosigkeit (3) der Alltagspsychologie dadurch zu rechtfertigen, dass er behauptet, dass die Verben der Alltagssprache bereits ein Teil der Alltagspsychologie seien. Zu behaupten, dass quasi die gesamte Alltagssprache bereits Alltagspsychologie darstellt, ist unbegründet. Es mangelt hier an einer genaueren Differenzierung zwischen der Alltagspsychologie und der Alltagssprache. Ja, die Sprache hat Worte, wie „äußern“, „urteilen“ oder „gehen“, aber diese sind offensichtlich nicht Teil einer wie auch immer gearteten Psychologie. Es gestaltet sich eher so, dass die Alltagspsychologie nur ein äußerst kleiner Teil der Alltagssprache ist. Die Alltagspsychologie bezieht aus der Alltagssprache Begriffe, wie Überzeugung, Wunsch und Ursache, und bringt sie in

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

einen systematischen Zusammenhang, um Verhalten zu prognostizieren oder zu erklären. Das zu erklärende Verhalten wird ebenfalls mit Begriffen der Alltagssprache gefasst, aber der psychologisierende Zusammenhang ergibt sich erst aus einer ganz bestimmten Anwendung der Alltagssprache – aus einer alltagspsychologischen Anwendung. Dementsprechend kann auch die empirische Psychologie Begriffe aus dem Alltag verwenden, wenn sie die nötige Klarheit mit sich bringen, um beispielsweise einen bestimmten Verhaltenstyp zu beschreiben. Damit bewegt sich die empirische Psychologie nicht notwendigerweise auf der Ebene der Alltagspsychologie, sondern bedient sich auch nicht-technischer Begriffe, indem sie die Alltagssprache verwendet. Wenn die Alltagspsychologie wahr wäre, wie Fodor behauptet, dann sind die intentionalen Zustände, welche Verhalten verursachen auch real. Für die Realisierung dieser Zustände bedarf es (a) eine interne Repräsentation (eine repräsentationale Proposition), welche (b) eine bestimmte kausale bzw. funktionale Rolle einnimmt. Daraus folgt, dass andere Erklärungen, welche zur Verhaltenserklärung andere mentale Zustände oder andere Ursachen annehmen, falsch sein müssen: Wenn ein Psychologe für das gleiche Verhalten andere mentale Zustände, beispielweise den expliziten Selbstwert, anführt, dann führt er einen anderen mentalen Zustand mit anderen Effekten an. 13 Dennett kritisiert an Fodors intentionalen Realismus, dass es unklar sei, wann ein Subjekt einen intentionalen Zustand hat. Man kann zum Beispiel sagen, dass ein Schachcomputer die Überzeugung besäße, er müsse die Dame früh in das Spiel bringen. Gleichzeitig wissen wir, dass es keine interne propositionale Repräsentation mit diesem Gehalt im Schachcomputer gibt. Fodor erwidert darauf, dass man nur sogenannte ‚core cases‘ betrachten müsse. Das bedeutet, nur die eigentlich wichtigen Fälle müssen von Fodors intentionalen Realismus erklärt werden können. Wie diese zu unterscheiden sind von nicht wichtigen Fällen ist allerdings nicht ganz klar. Fodor selbst legt nahe, dass nur für bewusste intentionale Zustände auch eine dementsprechende Repräsentation vorliegen muss. Damit schrumpft die Anzahl der Fälle, in denen wir ein belief-desire Framework nutzen drastisch zusammen. Wie häufig kommt es tatsächlich vor, dass wir mittels eines belief-desire Frameworks bewusst das Verhalten von Personen prognostizieren? Zusätzlich problematisch ist, dass nur Subjekte bei sich selbst erkennen können, ob ein intentionaler Zustand vorliegt oder nicht. Selbst in diesen Fällen sind die introspektiven Möglichkeiten begrenzt, denn übernimmt der bewusste mentale 13

Es geht hier nicht um die Bestimmung neuronaler Ursachen, sondern um die Annahmen darüber, welche Art von mentalem Zustand als Ursache für Verhalten angenommen wird (unabhängig von dessen Realisierung).

Top-down- und Bottom-up-Erklärungen

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Zustand wirklich die kognitiv-funktionale Rolle (b), die Fodor für intentionale Zustände voraussetzt? Daten der empirischen Psychologie legen nahe, dass wir uns häufig darüber täuschen, welche Rolle unsere Überzegungen oder Bewertungen in unserem Verhalten spielen (Cooper, 2007; Nisbett & Wilson, 1977; Wilson, 2004). Das bedeutet, dass der introspektive Zugang zu den Effekten mentaler Zustände gering ist, wodurch Fodor das Konzept der propositionalen Einstellung durch die Finger rinnt: nur ich weiß, ob ich einen intentionalen Zustand habe und gleichzeitig kann ich nicht viel über dessen funktionale Rolle sagen, obwohl letzteres essentiell ist, für die Realisierung eines intentionalen Zustandes. Wenn die Alltagspsychologie eine wahre Theorie ist, dann besteht die Aufgabe der empirischen Psychologie darin, die Blinden-Flecken aufzuhellen über welche die Alltagspsychologie nichts zu sagen hat. Außerdem kann die empirische Psychologie systematische Abweichungen von Prognosen der Alltagspsychologie erklären. Den Neurowissenschaften kommt die Rolle zu, das reale neuronale Korrelat von intentionalen Zuständen zu entdecken. Beide Rollenbeschreibungen der eigenständigen Disziplinen der Psychologie und der Neurowissenschaften sind unplausibel. Vielleicht ist es sinnvoller, erst zu prüfen, was neuronal realisiert ist, anstatt im Vorhinein hypothetisch die realen Ursachen von Verhalten durch Theorien zu bestimmen? Churchlands Eliminativer Materialismus (EM) bestreitet, dass mentale Zustände überhaupt eine ursächliche Rolle bei der korrekten Verhaltenserklärung einnehmen. Churchland bestreitet generell die Existenz mentaler Zustände und möchte Erklärungen auf der neuronalen Ebene forcieren. Es handelt sich hierbei um eine Bottom-up Variante der Verhaltenserklärung, denn die neuronale Ebene diejenige Ebene, die vollständig auf Entitäten, wie mentale Zustände, verzichtet. Wie auch beim intentionalen Realismus gilt auch hier, dass alternative Erklärungen nicht koexistieren können. Der eliminative Materialismus bezweifelt, dass es eine (Token oder Typ) 14 Identität von neuronalen Zuständen zu mentalen Zuständen gibt. Die Entwicklungen der Neurowissenschaften machen es, so Churchland, immer unwahrscheinlicher,

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Ein Typ bezeichnet die übergeordnete Gattung und ein Token ist ein einzelnes Vorkommnis dieser Gattung. Der Buchstabe „A“ kann als Typ betrachtet werden. Einzelne Vorkommnisse dieses Buchstabens in verschiedenen Größen und Schriftarten sind Tokens des Buchstabens. Analog ist eine Überzeugung ein bestimmter Typ von mentalen Zuständen. Die Überzeugung einer Person, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, ist ein Token.

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

dass mentale Zustände neuronal realisiert sind. Laut dem EM wird es zu einer Eliminierung intentionaler Zustände kommen, denn es wird sich zeigen, dass die Entität ‚Überzeugung‘ im gleichen Sinne nicht existiert, wie Hexen oder Gespenster. Stattdessen werden neuropsychologische Mechanismen das Verhalten erklären. Wenn demnach die Frage im Fokus steht, was Verhalten verursacht, dann müssen es neuronale Prozesse sein. Verhaltenserklärungen, welche auf diese neuronalen Ursachen Bezug nehmen, widersprechen insofern allen anderen Erklärungen, die mentale Zustände annehmen. Churchlands Theorie nimmt sich sehr viel vor, liefert aber dafür nur wenig Argumente. Beispielsweise wird behauptet, dass die Alltagspsychologie im Gegensatz zur Physik keinerlei Fortschritt gemacht hätte. Es handle sich bei der Alltagspsychologie um eine hoffnungslos veraltete Theorie über menschliches Verhalten von der keinerlei Weiterentwicklung zu erwarten sei. In diesem Sinne hält es Churchland für wahrscheinlich, dass sie wie Aberglaube gegen wissenschaftliche Theorien ausgetauscht werden wird. Allerdings richten sich Churchlands Argumente nicht nur gegen die Alltagspsychologie, sondern auch gegen die empirische Psychologie. Verschiedene Theorien der empirischen Psychologie nutzen ebenfalls intentionale und propositionale Zustände, wie Überzeugungen, so zum Beispiel das APE-Modell (Gawronski & Bodenhausen, 2014). Es gibt also laut der empirischen Psychologie nicht nur mentale Zustände, sondern auch propositionale bzw. intentionale mentale Zustände. Churchlands Kritikpunkte gegen die Annahme intentionaler Zustände, wie mangelnder Fortschritt, kann er allerdings nicht erfolgreich gegen die empirische Psychologie richten, weshalb seine radikale Ablehnung intentionaler Zustände unbegründet ist. Was Churchland jedoch zeigt ist, dass die Annahme, alle alltagspsychologischen mentalen Zustände seien neuronal realisiert, ebenfalls nicht haltbar ist. Nach den sehr knappen Darstellungen dieser beiden Varianten der Verhaltenserklärung (für einen detailierten Überblick, siehe Beckermann, 2008), möchte ich einen Mittelweg vorschlagen. Dennetts Theorie des Intentional Stance kann als eine vermittelnde Variante der beiden Extreme vorgestellt werden. Um behaupten zu können, dass die verschiedenen Arten von Erklärungen miteinander koexistieren können, muss der ontologische Status mentaler Zustände anders bestimmt werden. Der intentionale Realismus behauptet, dass ein intentionaler mentaler Zustand als Ursache von Verhalten real ist. Der eliminative Materialismus hingegeben behauptet, dass eben jene Ursachen nicht existieren und verwirft dementsprechend das Konzept mentaler Zustände. Mit der Theorie vom Intentional Stance verlagert Dennett die Realität mentaler Zustände auf diejenigen Verhaltensmuster,

Reale Muster als Mittelweg

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die durch mentale Zustände prognostiziert werden können. Erst dadurch wird es möglich, dass die verschiedenen Erklärungsebenen miteinander bestehen können. 3.2

Reale Muster als Mittelweg

Nach Fodor sind die intentionalen Zustände der Alltagspsychologie real und verursachen Verhalten. Würde man, so Fodor, nur genügend über Neurologie wissen, würde man eben jene neuronalen Korrelate zu intentionalen Zuständen, wie Überzeugungen, finden. Eben jenen Realitätsstatus zweifelte Churchland ganz entschieden an: es ließe sich bereits aus der aktuellen neurowissenschaftlichen Forschung ein klarer Trend ablesen, welcher die Entdeckung dieser neuronalen Korrelate sehr unwahrscheinlich macht. Das Reale an mentalen Zuständen ist immer dasjenige, was sich de facto im Kopf befindet. Dementsprechend, so Churchland, bleibt für mentale Zustände, wie Überzeugungen, kein Platz. Sowohl Fodors Argumente als auch die Argumente Churchlands sind nicht überzeugend. Zwar sind alltagspsychologische Erklärungen häufig nützlich und erfolgreich, aber dies alleine zeigt noch nicht, dass es sich um reale Zustände handelt. Gerade die empirische Psychologie lässt viele alltagspsychologische Erklärungen unplausibel erscheinen. Churchlands Argumente laufen darauf hinaus, dass es um neuronale Korrelate von diversen mentalen Zuständen nicht gut bestellt ist. Die empirische Psychologie wird von seinen Argumenten aber nicht tangieren. Dennoch scheint nach der Beschäftigung mit Churchland die Frage im Raum zu stehen, was eigentlich genau die sogenannten mentalen Zustände für eine Funktion haben. Wenn sie mit neuronalen Zuständen identisch sind und eben jene neuronalen Zustände Verhalten verursachen, warum sollte man dann noch von mentalen Zuständen sprechen? Die gesuchte Position müsste den Wissensstand der Neurowissenschaft und der empirischen Psychologie ernst nehmen und gleichzeitig behaupten, dass die Alltagspsychologie nicht rein illusorisch ist. Sie müsste zeigen, dass die neurologische Ebene der Verhaltenserklärungen nicht diejenige ist, auf welche alle anderen Erklärungsebenen reduziert werden können, so dass die Neurologie die einzige sinnvolle Verhaltenserklärung liefert. Wenn dies so wäre, wären Theorien der empirischen Psychologie sowie der Alltagspsychologie einfach falsch. Eine Position, die den gesuchten Mittelweg einschlägt, ist in Dennetts Theorie zum ‚Intentional Stance‘ (Dennett, 1971, 1989a, 1991) zu finden. Am Ende dieses Unterkapitels

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

soll demnach eine Betrachtung zum ontologischen Status mentaler Zustände gewonnen werden, die es ermöglicht, dass die Erklärungen verschiedener Ebenen miteinander koexistieren können. 3.2.1

Dennetts Theorie des Intentional Stance

Zunächst soll ein knapper Überblick von Dennetts grundlegender Idee vermittelt werden. Anschließend werden verschiedene Teilaspekte von Dennetts Theorie detaillierter erläutert, auch um verschiedenen möglichen Kritiken zu entgegnen. Nach Dennett (Dennett, 1971, 1991) lässt sich das Verhalten eines Systems mit drei unterschiedlichen Perspektiven erklären und voraussagen: •





Die physikalische Einstellung (physical stance) betrachtet ein System als bestehend aus physikalischen Komponenten. Diese interagieren miteinander aufgrund verschiedener Naturgesetze, die prinzipiell physikalischer Natur sind. Das Verhalten eines kognitiven Systems ist dementsprechend abhängig von eintreffenden Informationen und den entsprechenden physikalischen Mechanismen. Die funktionale Einstellung (design stance) nimmt für das Verständnis des kognitiven Systems Funktionen in den Blick. Eine Funktion weist einem Wert, hier einem Input, einen anderen Wert, dem Output, zu. Dies ist jedoch nicht ausreichend um diejenige Art von Funktion zu bestimmen, um die es bei der funktionalen Einstellung geht. Wie nämlich das System auf einen bestimmten Input reagiert, ist abhängig vom aktuellen Zustand des Systems. Die intentionale Einstellung (intentional stance) betrachtet ein kognitives System als ein System mit intentionalen Zuständen. Dazu zählen Überzeugungen und Wünsche. Zusätzlich wird bei der intentionalen Einstellung angenommen, dass das System sich rational verhält. Das bedeutet, dass unter der Berücksichtigung von den angenommenen Überzeugungen und Wünschen dasjenige Verhalten folgt, welches rational bzw. optimal ist.

Die physikalische Einstellung ist an Naturgesetzen und physikalischen Entitäten interessiert. Von dieser Einstellung ausgehend ist es prinzipiell möglich das Verhalten jedes beliebigen Systems vorherzusagen, so Dennett. Diese Einstellung wird von uns sehr häufig genutzt. Wir wissen beispielsweise, dass eine Glühbirne nicht mehr leuchten wird, wenn wir sie auf den Boden werfen. Dies hat mit einem fundamentalen Verständnis von Elektrizität zu tun. Weiterhin nutzen natürlich

Reale Muster als Mittelweg

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Physiker oder Chemiker bei Experimenten die physikalische Einstellung, um Phänomene zu prognostizieren. Das Verhalten eines Schachcomputers könnte mittels der physikalischen Einstellung vollständig prognostiziert werden. Prinzipiell wäre dies möglich, hätte man alle Daten über Ströme und elektronische Bauteile. Allerdings ist schnell klar, dass diese Art der Verhaltensprognose äußerst ineffizient und praktisch unmöglich ist. Gleiches gilt für die Funktionsweise von Datei-Ordnern im Betriebssystem Windows. Prinzipiell ließe sich durch eine physikalische Analyse das ‚Verhalten‘ der Datei-Ordner von Windows bestimmen. Allerdings ist dies praktisch ausgeschlossen, da die Komplexität der physikalischen Details astronomische Ausmaße hat. Die funktionale Einstellung um Verhalten zu prognostizieren lässt sich an einem Getränke-Automaten verdeutlichen (siehe Abbildung 2). Funktionale Beschreibungen basieren auf Inputs, Outputs und Zuständen. Als mögliche Inputs kommen bei einem Getränke-Automaten Münzen in Betracht, als Output das gewünschte Getränk oder Wechselgeld. Entscheidend für die funktionale Beschreibung ist nun, dass der Automat abhängig vom aktuellen Zustand anders auf Inputs reagiert. Angenommen eine Falsche Cola kostet einen Euro und jemand wirf ein 50 Cent Stück in den Münzschlitz: intern springt der Automat von A in den Zustand B. Wenn im Zustand B ein weiteres 50 Cent Stück eingeworfen wird, gibt es einen Cola-Flaschen-Output und einen Rücksprung in den alten Zustand A. Wird im Zustand B ein 1-Euro Stück eingeworfen, gibt es den Output einer Cola-Flasche und 50 Cent Wechselgeld, gefolgt vom Rücksprung in den anfänglichen Zustand A. Auf diese Art und Weise lässt sich eine sogenannte Maschinentafel erstellen – diese spezifiziert genau, wie der Automat bei bestimmten Inputs reagiert, wenn er in bestimmten Zuständen ist.

Abbildung 2: Maschinentafel eines Getränkeautomats (nach Beckermann, 2008, S. 144)

Von besonderem Interesse ist nun, dass solche funktionalen Eigenschaften von unterschiedlichen Cola-Automaten realisiert werden können. Angenommen, man

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

würde eine vollständige Maschinentafel für einen Getränkeautomaten aufstellen und eine Getränkeautomaten-Firma nutzt eben diese Maschinentafel um Getränkeautomaten zu konstruieren. Hier ist es sehr wahrscheinlich, dass unterschiedlich physikalisch gebaute Automaten alle die gleichen Funktionen realisieren. Die Funktionen, die durch die Tafeln bestimmt werden, sind dementsprechend unterschiedlich (multipel) realisierbar – physikalisch völlig unterschiedliche Dinge, können funktional betrachtet identisch sein. Dementsprechend kann das Verhalten eines funktional beschriebenen Systems erfolgreich prognostiziert werden, auch wenn nichts über die physikalische Realisierung bekannt ist. Wenn man etwas über die Funktion des Softwareobjekts Datei-Ordner unter dem Betriebssystem Windows wissen möchte, dann macht es wenig Sinn sich mit der physikalischen Beschreibung aufzuhalten. Windows kann auf unterschiedlichsten Computersystemen betrieben werden. Für das Element ‚Datei-Ordner‘ ist es jedoch uninteressant, ob Windows auf einem Desktop-PC oder auf einem Notebook betrieben wird. Physikalisch ist der Unterschied beachtlich – funktional ist der Unterschied nicht vorhanden. Die intentionale Einstellung unterscheidet sich, laut Dennett, grundsätzlich von der funktionalen. Wenn man das Verhalten eines Systems voraussagen möchte, wird angenommen, dass das System optimal ausgestattet ist und fehlerfrei arbeitet. Von dieser Grundlage ausgehend wird angenommen, dass das System die rationalste Entscheidung trifft (Dennett, 1971, S. 89). Konkret sieht eine Verhaltensvorhersage dann wie folgt aus: “What is the most rational thing for the computer to do, given goals x,y,z, …, constraints a,b,c, ..., and information (including misinformation, if any) about the present state of affairs p,q,r …?” (Dennett, 1971, S. 90). Da die zur Verfügung stehenden Informationen und Ziele nach rationalen Maßstäben genutzt werden, kann auch von Überzeugungen und Wünschen gesprochen werden, so Dennett. Schließlich werden die Informationen nicht einfach gespeichert, sondern aktiv für die Entscheidungsfindung nach rationalen Maßstäben genutzt. Nach dieser Erklärung kann man also über einen Schachcomputer urteilen, dass er glaubt, er müsse die Dame früh in das Spiel bringen. In diesem Fall wird dem Schachcomputer also eine Überzeugung zugeschrieben und so lassen sich Züge des Schachcomputers abschätzen. Diese Einstellung kann man einnehmen, ohne etwas über die physikalische oder funktionale Beschaffenheit eines Schachcomputers zu wissen. Das Verhalten eines Systems zu prognostizieren indem man Überzeugungen zuschreibt, wirft verschiedene Fragen auf. Zunächst einmal die Frage, welche Systeme denn nun tatsächlich Überzeugungen haben und welche nicht? Dennett dazu:

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„all there is to being a true believer is being a system whose behavior is reliably predictable via the intentional strategy, and hence all there is to really and truly believing that p (for any proposition p) is being an intentional system for which p occurs as a belief in the best (most predictive) interpretation“ (Dennett, 1989c, S. 29). Über die Frage, ob ein System Überzeugungen hat oder nicht gibt es nichts zu sagen, als dass dies ausschließlich vom Verhalten des Systems abhängt. Entgegen Fodors Auffassung, ist eine Überzeugung nicht nur dann tatsächlich vorhanden, wenn es ein neuronales Korrelat gibt, welches Verhalten verursacht. Real sind Überzeugungen dann, wenn die Überzeugungszuschreibung für die Vorhersage von Verhalten erfolgreich war. Wenn dies der Fall ist, hat man es auch mit einem System zu tun, welches ein intentionales System darstellt (Dennett, 1971). Nun lässt sich natürlich das Verhalten aller Gegenstände intentional vorhersagen: ein Tisch hat den Wunsch nicht umzufallen und hat die Überzeugung, dass man nur umfallen kann, wenn man sich bewegt; daher bewegt sich der Tisch nicht. Folgt daraus also, dass der Tisch ein intentionales System mit Überzeugungen und Wünschen ist? Dennett hat darauf zwei Antworten, die seinen Ansatz weiter erläutern: (1) die intentionale Einstellungen liefert in diesem Fall keinen Vorteil bei der Prognose; (2) durch die sinnvolle Nutzung der intentionalen Einstellung werden Muster erkannt, die ohne die intentionale Einstellung nicht erkannt werden könnten. Die intentionale Einstellung sollte nur dann eingenommen werden, wenn das Verhalten des Systems derartig komplex ist, dass man es mit der physikalischen oder funktionalen Einstellung nicht mehr prognostizieren kann. Einem Tisch einen intentionalen Zustand zuzuschreiben würde wohl keinen Vorteil bringen – die physikalische Beschreibung ist ausreichend um zu prognostizieren, dass der Tisch sich nicht bewegen wird. Die intentionale Einstellung ist eben auch daher so erfolgreich, da durch sie Muster in Erscheinung treten, die ohne diese Einstellung unsichtbar wären. Um diesen Punkt zu erläutern spricht Dennett (1989c) von hypothetischen Marsianern, die mittels der physikalischen Einstellung Verhalten von Personen prognostizieren können. Jede Fingerbewegung der Menschen kann von den Marsianern prognostiziert werden. Dementsprechend können sie das Verhalten einer Person, die vor einem Computer sitzt, vorhersagen. Dennoch entgeht den Marsianern etwas, nämlich die Handlung der Person, die gerade Aktien kauft. Eine Handlung kann durch unterschiedliche Verhaltensweisen ausgeführt werden. Um eine Handlung als solche zu erkennen bedarf es der intentionalen Einstellung, so Dennett.

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

Insofern bestimmt Dennett Systeme, deren Verhalten Muster zeigt, die nur durch die intentionale Einstellung erkannt werden können, als intentionale Systeme. Jenen kann man zu Recht Überzeugungen und Wünsche zuschreiben, um erfolgreich Verhalten zu prognostizieren. In diesen Fällen sind die zugeschriebenen Überzeugungen und Wünsche real. Bevor auf die Muster näher eingegangen wird, soll eine scheinbar widersprechende Intuition in diesem Zusammenhang erläutert werden. Es scheint doch introspektiv so zu sein, dass wir Überzeugungen und Wünsche haben. Wenn mir eine Person Überzeugungen zuschreibt, die ich introspektiv nicht vorfinden kann, sie aber mein Verhalten (zufälligerweise) richtig prognostiziert, kommt es dann nicht zu einem Gegenbeispiel, welches Dennetts Theorie widerlegt? Dem ist nicht so, denn nach Dennetts Theorie prognostizieren und erklären wir unser eigenes Verhalten ebenfalls mit der intentionalen Einstellung (Dennett, 1989b). Unser eigenes kognitives System ist derartig komplex, dass wir uns selbst nur auf diese Art und Weise verstehen können. Wir erzählen in diesem Rahmen eine Geschichte über uns und kreieren damit das, was wir als unser Selbst bezeichnen (Dennett, 1992). Dadurch wird die selbst zugeschriebene Überzeugung nicht realer als die Überzeugung, die von einem Fremden zugeschrieben wird. Es gibt also keinen privilegierten Zugang der ersten Person zu ihren Überzeugungen. Die Frage, ob mir jemand die Überzeugung zuschreibt, die ich mir gerade selbst zuschreibe, kann man stellen – sie ist jedoch im Rahmen der Philosophie Dennetts eine völlig andere. Es ist hier nämlich möglich, dass je nach Betrachter eine Person unterschiedliche Überzeugungen hat und alle zunächst einmal gleich real sind. Ob Überzeugungen da sind oder nicht, hat nichts mit dem zu tun, was im Kopf vor sich geht. Die Realität der Überzeugungen hängt mit der Realität der Muster zusammen, die durch die intentionale Einstellung erfolgreich beschrieben werden und dadurch erscheinen. Eben jene Muster und deren Realitätsstatus von intentionalen Zuständen werden von Dennett (1991) in seinem Aufsatz Real Patterns weiter bestimmt. Dennett stellt sich hier die Frage, was ein Muster objektiv macht. Dazu nutzt er Punktemuster, die einige grafische Quadrate nebeneinander darstellen. Alle Quadrate sind schwarz oder weiß, wobei alle etwas Rauschen beinhalten, d.h. alle Quadrate enthalten einige Punkte, die unerwartet sind. Um ein objektives Kriterium für ein Muster zu bestimmen, bedient sich Dennett der Informationstheorie: Wenn man mit der Angabe einer Regel zur Erzeugung der Punktemuster effizient das zu erzeugende Bild codieren kann, dann ist in der angegebenen Regel das reale Muster erkannt. Effizienter ist eine Codierung dann, wenn die Codierung mit weniger Angaben das gleiche Bild erzeugen kann als eine andere Codierung. Ineffizient wäre die Angabe jedes einzelnen Punktes, auch wenn das Ergebnis identisch wäre.

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Dennett geht also davon aus, dass durch die intentionale Einstellung eine Art Regel für eine Codierung für zukünftiges Verhalten gegeben wird. Wenn diese Regel zur Erzeugung verlässlicher Prognosen effizient genutzt wird, hat man es mit einem objektiv vorhandenen (Verhaltens-)Muster zu tun. Das Muster zeigt sich eben in der verwendeten Regel. Dieses Muster ist es, welches den Marsianern entginge, wenn sie das menschliche Verhalten mit der physikalischen Einstellung prognostizieren würden. Sie würden dabei eine Codierung verwenden, die jede einzelne Bewegung bestimmt. Dies wäre analog zum obigen Beispiel die Bestimmung jedes einzelnen Punktes. Im Gegensatz dazu liefert eine effizientere Regel ein Muster, welches ohne die Regel unbemerkt bleibt (Regel: ‚zeichne weiße und schwarze Quadrate‘ gegen die Angabe: ‚setze folgende Punkte als schwarz und folgende als weiß: …‘). Für intentionale Realisten, wie Fodor, sind Überzeugungen nur dann real, wenn sie real vorliegen. Dennett hingegen wendet ein, dass etwas, was wie ein Balkendiagramm aussieht, nicht notwendigerweise auch von einer Balkendiagramm-Regel erzeugt sein muss. Angenommen man blickt auf einen Monitor, der gerade ein Balkendiagramm zeichnet. Vielleicht ist das ‚scheinbare‘ Balkendiagramm durch verschiedene Prozesse erzeugt worden, die im Endeffekt diesen visuellen Eindruck liefern, auch wenn es keine klare Balkendiagramm-Regel gab. Nichtsdestotrotz, so Dennett, ist es rational eine Balkendiagramm-Regel anzunehmen: Diese Regel ist effizient in ihrer Codierung, denn ohne, dass wir wissen, welche Prozesse tatsächlich am Werk sind, bestimmt die Regel recht zuverlässig die nächsten zu erwartenden visuellen Eindrücke. Das Muster wird durch die erfolgreich angewandte Regel als objektiv vorhanden erkannt. Das reale Verhaltensmuster der Handlung, welches sonst unerkannt bliebe, kommt durch den Einsatz von Überzeugungen und Wünschen zum Vorschein. Die intentionalen Zustände sind hier die genutzte ‚Regel‘ – was können wir über die Realität dieser ‚Regel‘ festhalten? Es könnte den Anschein erwecken, dass Dennett an Churchlands Position eigentlich nichts zu kritisieren hat. Auch Churchland könnte sich vielleicht damit abfinden, dass die Alltagspsychologie aus instrumentalistischer Sicht unverzichtbar ist. Was viel wichtiger ist, ist der Umstand, dass sich an Churchlands These, dass die Alltagspsychologie einfach falsch ist, nichts ändert. Auch Dennett ist äußerst skeptisch, was die neuronale Realisierung von intentionalen Zuständen angeht. Dementsprechend würde gelten, dass die fortschreitende Neurowissenschaft die Alltagspsychologie eliminieren wird. Um zu verstehen, weshalb Dennett dies anders sieht, ist es wichtig erneut den Realitätsstatus von intentionalen Zuständen in den Blick zu bekommen.

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Dennett sagt von sich selbst, er sei an Labels, wie Realist oder Instrumentalist nicht interessiert (Dennett, 1991) und überlässt den Lesern die Kategorisierung. Nichtsdestotrotz liefert Dennett verschiedene Hinweise, die ein klareres Bild auf die Realität intentionaler Zustände ermöglichen. Er stellt beispielsweise die Frage nach dem Realitätsstatus vom Massenmittelpunkt (centers of gravity) eines Körpers. Dabei handelt es sich um einen Begriff aus der Physik, mit dem die Berechnung der Bewegungen eines Körpers drastisch vereinfacht wird. Es ist ein theoretischer Begriff, ähnlich wie beim Begriff des Elektrons. Das bedeutet, dass die Begriffe auf etwas referieren, was sich empirisch nicht erschöpfend zeigen kann. Man kann zwar aus theoretischen Begriffen, wie dem Begriff ‚Kraft‘, verschiedene empirische Hypothesen ableiten, aber der Begriff selbst lässt sich nicht vollständig in Erfahrungssätze überführen. Ob das Elektron selbst so existiert, wie es der Physik vorschwebt, ist unklar. Nichtsdestotrotz lassen sich mit der Annahme seiner Existenz und seinen Eigenschaften verschiedenste empirische Hypothesen generieren, die dann empirisch erfolgreich verifiziert werden (Schurz, 2013). Aber, so könnte man fragen, sind Elektronen wirklich real? Der Realitätsstatus, den Dennett intentionalen Zuständen zuschreibt, ist analog zu verstehen: es handelt sich um theoretische Begriffe in bewährten empirischen Theorien. Eine detaillierte wissenschaftstheoretische Analyse Dennetts Realitätskonzeption blieb bisher aus. Allerdings hat Schurz (2009) in der Realismusdebatte der Wissenschaftstheorie einen schwachen Realismus vorgeschlagen, der auf dem Strukturrealismus aufbaut. Ich denke, dass dieser Ansatz genutzt werden kann, um Dennetts Verständnis vom Realitätsstatus mentaler Zustände zu verdeutlichen. Der Strukturrealismus besagt, dass bewährte empirische Theorien nicht im strengen Sinne wahr sind, aber ihr Erfolg kein Zufall ist. Wir können nie wissen, ob eine empirische Theorie wahr ist, denn wir wissen nicht, wie genau die Realität um uns herum im Detail strukturiert ist. Was wir aber an Gegenständen vorfinden ist insofern real, als dass hier reale Strukturen mit Strukturen auf der wahrnehmbaren Makro-Ebene korrespondieren. Churchlands Phlogiston-Beispiel greift Schurz auf, um zu zeigen, dass erfolgreiche empirische Theorien immer auch auf etwas Wahres der Strukturen referiert haben. Die Phlogistonstheorie der Verbrennung war durchaus erfolgreich. Für diesen Erfolg ist die Idee verantwortlich, dass Phlogiston bei der Verbrennung entweicht. Diese Entweichung korrespondiert (und referiert indirekt) auf die Abgabe von Elektronen der modernen Verbrennungstheorie. Das bedeutet, dass die Erfolge der alten Theorie dadurch zu erklären sind, dass indirekt auf etwas referiert wurde, was in der tatsächlichen Struktur der Welt vorhanden ist. Dies gilt, nach Schurz, für jede erfolgreiche deskriptive Theorie. Dementsprechend muss es auch

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für die Alltagspsychologie gelten. Wenn sie erfolgreich ist, dann referiert sie indirekt auf irgendwelche realen Strukturen, die von späteren Theorien möglicherweise feinmaschiger beschrieben werden. Es gibt aber an jeder erfolgreichen Theorie etwas, was nicht eliminiert werden kann. Das ist dasjenige, worauf immer indirekt referiert wurde und was für den bisherigen Erfolg der Theorie verantwortlich ist. In diesem Sinne kann eine Überzeugung schwach real sein. Vor diesem Hintergrund soll abschließend Dennett noch einmal selbst zu Wort kommen: „… while belief is a perfectly objective phenomenon (that apparently makes me a realist), it can be discerned only from the point of view of one who adopts a certain predictive strategy, and its existence can be confirmed only by an assessment of the success of that strategy (that apparently makes me an interpretationist)” (Dennett, 1989c, S. 15). 3.2.2

Kritik an Dennetts Theorie vom Intentional Stance

Dennetts Theorie zur intentionalen Einstellung ist für viele Philosophen sehr kontraintuitiv. Die Idee, dass ein Schachcomputer im gleichen Sinne Überzeugungen hat, wie ein Mensch sorgt bei vielen Kritikern für Kopfschütteln. Im Folgenden sollen die häufigsten Kritiken betrachtet werden, die gegen Dennetts Theorie aufgeführt werden. Eine Kritik ist in der angeblichen Intrinsität von Überzeugungen zu finden (Rey, 1994). Intrinsisch ist eine Eigenschaft dann, wenn sie unabhängig vom Beobachter vorhanden ist. Der Kausalitätstheorie David Humes wurde ebenfalls ein Mangel an Intrinistät attestiert (Hüttemann, 2013). Hume sagt, dass Ursache-Wirkungszusammenhänge grundsätzlich nicht durch die Erfahrung erkannt werden können. Was man erfahren kann, sind Korrelationen bzw. Regularitäten in der Welt, die aber selbst keinen naturgesetzmäßigen kausalen Zusammenhang zeigen. Daher sagt Hume, dass Kausalitäten einfach nur häufig beobachtete Regularitäten der Welt sind. Dementsprechend aber, so die Kritiker, ist nur dann ein Stein die Ursache für ein zerbrochenes Fenster, wenn dieser Vorgang bereits mehrfach beobachtet wurde. Andernfalls könnte es kein kausales Verhältnis geben. Diese Konsequenz halten Kritiker von Hume für unakzeptabel: Ursache-Wirkungszusammenhänge seien intrinsisch und gelten dementsprechend unabhängig von Beobachtern, die über Regularitäten informiert sind. Rey (1994) nimmt dementsprechend an, dass jemand auch eine Überzeugung hat unabhängig davon, ob sie ihm jemand zuschreibt. Sehr ähnlich kritisiert Webb (1994) an Dennetts Theorie eine mögliche Unbestimmtheit bezüglich intentionaler

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Zustände. Nur dann, wenn die Umgebung und mein Verhalten genügend Indizien geben, kann ich p glauben oder nicht. Was hier allerdings übersehen wird, ist, dass diese Kritik einfach ein anderes Verständnis von Überzeugungen voraussetzt. Eine Kritik im eigentlichen Sinne ergibt sich dadurch nur sehr beschränkt. Nach Dennett gibt es Überzeugungen nur relativ zu Betrachtern, wobei sich auch jeder Mensch selbst betrachtet. Es liegen ständig Verhaltensmuster vor, die durch die intentionale Einstellung erfolgreich prognostiziert und erkannt werden können. Ohne die erfolgreiche Anwendung bleibt jedoch der schwache Realitätsstatus des konkreten intentionalen Zustandes aus. Gäbe es einen allwissenden göttlichen Beobachter, gäbe es auch jederzeit unabhängig von menschlichen Betrachtungen objektive intentionale Zustände; dieser Beobachter ist allerdings nicht Teil der Theorie Dennetts. Eine weitere wichtige Kritik richtet sich gegen die intentionale Einstellung als eigene Einstellungsart. Was unterscheidet die intentionale Einstellung eigentlich von der funktionalen? Wäre es nicht auch möglich Überzeugungen und Wünsche als funktionale Zustände zu beschreiben, die eben bestimmte kausale Verhältnisse untereinander haben? Funktionalisten in der Körper-Geist Debatte bejahen dies vehement. Damit würde die intentionale Einstellung streng genommen verschwinden. Was Dennett versucht dagegen einzuwenden ist sein Rationalitätsprinzip und erneut die Handlungsmuster, die nur bei der intentionalen Einstellung erkannt werden. Rationalität ist ein facettenreicher Begriff. Rational kann es sein, den eigenen Nutzen zu maximieren oder aber es kann rational sein, sozial-ethisch korrekt zu handeln. Was auf Grundlage des einen Rationalitätsbegriffs als rational erscheint, kann auf Grundlage eines anderen Rationalitätsbegriffs wieder irrational sein (für einen Überblick, siehe S. Hahn, 2013). Dementsprechend kritisiert Stich (1981) an Dennetts intentionaler Einstellung die unklare Rationalitätsthese. Rationalität verlangt nämlich, um bestimmt werden zu können, nach einem Ideal; was vom Ideal abweicht, ist irrational. Stich verweist darauf, dass Dennett auf ein starkes oder schwaches Rationalitätsideal festgelegt ist. Nach dem starken Rationalitätsideal haben Akteure demnach ein völlig deduktiv geschlossenes System von Überzeugungen. Dies ist aber von Beginn an unplausibel und man weiß nicht, wie weit man hier Einschränkungen machen darf, bevor man in die funktionale Einstellung abrutscht. Anderseits kann Dennett auch dem schwachen Rationalitätsideal folgen, so dass alles, was im Sinne der Evolution optimal ist als rational gilt. Auch diese Variante ist unbefriedigend, denn sie ist, so Stich, tautologisch: was ist, ist evolutionär betrachtet ‚rational‘. Auch das Erzeugen von falschen Überzeugungen kann evolutionär betrachtet rational sein. Dennett hat auf dieses Problem keine klare Antwort, verweist aber darauf, dass seiner Auffassung nach erst noch gezeigt

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werden müsse, dass es evolutionär sinnvoll sein kann, systematisch falsche Überzeugungen zu generieren (Dennett, 1989b). Dennetts Verteidigung der Rationalitätsthese fällt insgesamt schwach aus. In Making Sense of Ourselves (Dennett, 1989b) gibt Dennett ein erläuterndes Beispiel aus dem Alltag. Dennett verabredet sich um 12 Uhr mit einem Freund zum Tennisspielen und verabredet sich ebenfalls um 12 Uhr mit jemandem zum Mittagessen. Als er auf diese verfehlte Terminplanung hingewiesen wird, sagt Dennett, er hätte wohl einen der Termine vergessen. Nach Dennett wird dieser Satz jedoch nicht auf Grundlage einer Introspektion, sondern auf einem Prinzip gegründet: das Prinzip der Rationalität. Es kann prinzipiell nicht sein, dass beide Wünsche (den Wunsch, beide Termine zur gleichen Zeit wahrzunehmen) koexistent als wahr betrachtet wurden. Stattdessen wird ohne darüber nachzudenken eine post-hoc Erklärung herangezogen, welche die Rationalität wiederherstellt. Auch diese beispielhafte Erläuterung hat einen gravierenden Mangel, der dann offenbar wird, wenn man versucht, zwischen einer Generalisierung und einer Rationalisierung zu unterscheiden. Diesen Kritikpunkt möchte ich hier anführen, da ich ihn in kritischen Auseinandersetzungen mit Dennett nicht auffinden konnte. Handelt es sich also tatsächlich um Rationalitätsannahmen, die genutzt werden, oder um eine schlichte Generalisierung? Generalisierungen sind Verallgemeinerungen aus bestehenden Erfahrungen oder Wissen. Angenommen, eine Person tritt mit ihrem Fuß gegen den Kühlschrank, aber der erwartete Schall ertönt nicht vom Kühlschrank, sondern von der Decke. Unter dieser Bedingung kann man erwarten, dass die Person – ausgehend von der physikalischen Einstellung – nach einer alternativen Erklärung suchen wird. Irgendwelche Hilfshypothesen aus der Physik und Alltagsphysik werden herangezogen, um verständlich zu machen, was geschehen ist. Dies alles geschieht analog zu Dennetts Beispiel aus dem Alltag, aber ohne eine Rationalitätsannahme. Dennett bleibt also einer Rechtfertigung dafür schuldig anzunehmen, dass es sich um Rationalisierungen und nicht um schlichte Generalisierungen handelt. Auch sein Beispiel kann seinen Punkt weder veranschaulichen noch stützen. 15 15

Wenn man sich vor Augen führt, welche Fähigkeiten künstlich neuronale Netze entwickeln können, so stellt sich auch die Frage, ob solche Netze nicht auch alltagspsychologische Erklärungen abgeben könnten. Eine prinzipielle Hürde, die nicht genommen werden kann, ist schwer zu erkennen. Könnte aber ein Netz diese Fähigkeit erwerben, wäre die Rationalitätsannahme für die intentionale Einstellung nicht mehr plausibel. Der Output künstlich-neuronaler Netze ist wohl eher eine Generalisierung vom erlernten Input als das Resultat einer erlernten Rationalitätsannahme.

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Auch Dennetts Verweis auf die einzigartigen Verhaltensmuster, nämlich die Handlungen, kann einen separaten Status der intentionalen gegenüber der funktionalen Einstellung nicht retten. Ein Gegenbeispiel von mir soll die Plausibilität von Dennetts Argument in Frage stellen: Angenommen, die Marsianer könnten mit der physikalischen Einstellung die Partikelbewegungen von Wasser prognostizieren. Sowohl das Wasser des Regens, als auch das Wasser in den Weltmeeren kann in seinem Verhalten bestimmt werden. Was den Marsianern aber entgeht sind die Wellen. Wellen sind äußerst variable Muster, die nur dann erkannt werden können, wenn man die wellige Einstellung (wave stance) einnimmt. Offensichtlich ist dieses Ergebnis äußerst unplausibel. Für nahezu jeden Begriff der Alltagssprache ließe sich mit dem gleichen Argument eine neue Einstellung (stance) postulieren. Die Schwäche von Dennetts Argument scheint mit einer ambivalenten Nutzung der Alltagssprache zu tun zu haben. Die Muster von etwas, was einem alltagssprachlichen Begriff entspricht, sind typischerweise sehr unbestimmt. Erst wenn man die Begriffe der Alltagssprache verstanden hat, versteht man auch, was es bedeutet Aktien zu kaufen. Gleiches gilt für den Begriff der Welle, denn erst wenn ich den Begriff verstanden habe, kann ich Wellen tatsächlich in ihren verschiedenen Formen erkennen. Aufgrund der beiden hervorgehobenen Mängel, nämlich die Ununterscheidbarkeit von einer Generalisierung zur Rationalisierung und die mangelnde Einzigartigkeit von Handlungsmustern, möchte ich die intentionale Einstellung als eine besondere Variante der funktionalen Einstellung betrachten. Demnach sind Überzeugungen und Wünsche funktionale Zustände und haben – wie alle anderen funktionalen Zustände – bestimmte Eigenheiten, was ihre kausale Rolle angeht. Ein ganz anderes Problem betrifft die Verursachung von Verhalten. Dennett spricht von der (schwachen) Realität intentionaler Zustände bei erfolgreicher Anwendung. Hier gilt explizit, dass auch verschiedene intentionale Zustände gleich gut ein Verhalten prognostizieren könnten. Dann, so Dennett, ist dieser Tatsache nichts weiter hinzuzufügen als anzumerken, dass Überzeugungen relativ zur erfolgreichen Verhaltensprognose existieren. Wenn der Realitätsstatus von theoretischen Begriffen in deskriptiven Theorien vom Erfolg der Theorie abhängig gemacht wird, ist dieses Ergebnis nicht verwunderlich. Aber, so Bermudez (2006), Verursachung ist doch wohl etwas, was unabhängig vom Beobachter stattfindet. Dementsprechend kann es nicht sein, dass eine betrachterabhängige Entität etwas betrachterunabhängig verursacht. Ich denke, dieser Kritik kann entgegnet werden, wenn die verschiedenen möglichen Kausalitätskonzeptionen (Hüttemann, 2013) in Betracht gezogen werden.

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Der Interventionismus von Woodward (2003) kann die Kritik an Dennetts Theorie entschärfen (Eronen, 2017). Ursachen sind nach Woodward diejenigen Entitäten, die Effekte haben, und kausale Zusammenhänge sind dann vorhanden, wenn Ursachen potentiell ausgenutzt werden können, um Phänomene zu kontrollieren. Eine notwendige und hinreichende Bedingung, damit X Ursache von Y ist, ist, dass die Wahrscheinlichkeit von Y abhängig von der Intervention von X ist, wenn alle anderen Variablen bzw. alle anderen Umstände gleich bleiben. Die Intervention wird von Woodward (2003) weiter mit verschiedenen Kriterien bestimmt. Diese sind dicht an die naturwissenschaftliche Praxis geknüpft und erweisen sich als nützlich für die Biologie, Physik oder Psychologie. Das Konzept kann kausale Zusammenhänge gut von anderen Zusammenhängen, wie der Korrelation, unterscheiden. Worüber das Konzept Stillschweigen bewahrt, ist der ontologische Status der Kausalität insgesamt (Hüttemann, 2013). Das Schweigen darüber lässt sich jedoch auch als Statement lesen: über kausale Zusammenhänge lässt sich nicht mehr sagen, als dass man jene Zusammenhänge funktional/methodologisch beschreiben und bestimmen kann. Da man durch die intentionale Einstellung und die dazugehörigen intentionalen Zustände Verhalten manipulieren kann, kann Woodwards Ursachen-Begriff eingeführt werden. Wenn beispielsweise Person A in die Küche geht, um sich einen Kaffee zu holen und Person B sagt, es gäbe überhaupt keinen Kaffee mehr in der Küche, dann wird durch diese neu erzeugte Überzeugung bei A das Verhalten von A wahrscheinlich geändert. Es findet dementsprechend eine Intervention statt. Vorläufig soll dadurch der Wunde Punkt in Dennetts Theorie abgedeckt sein. 16 3.2.3

Der Intentional Stance und das Interfacing-Problem

Kann Dennetts Theorie genutzt werden, um das Interfacing-Problem zufriedenstellend zu lösen? Im Folgenden möchte ich eine Interpretation Dennetts Theorie vorschlagen, welche das Interfacing-Problem löst. Dabei werde ich die empirische Psychologie auch in den Rahmen von Dennetts Theorie eingliedern, was bisher nicht zufriedenstellend getan worden ist.

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Auf eine Kritik von Ramsey (2007) wird später eingegangen (siehe 4.2.2.3). Ramsey stellt in Frage, dass mentale Zustände für die Prognose von Verhalten nötig sind. Dieser Standpunkt wird aufgegriffen und abgeschwächt: um Verhalten zu prognostizieren ist die Zuschreibung von Repräsentationen nicht nötig. Die Zuschreibung mentaler Zustände ohne repräsentationalen Gehalt kann nötig sein.

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Die empirische Psychologie basiert zu einem nicht unerheblichen Teil auf funktionalen Beschreibungen. Zwar werden hier keine Maschinentafeln aufgestellt, aber die Beschreibungsebene ist identisch. Der explizite Selbstwert kann als ein Konzept der Sozialpsychologie verstanden werden, welches den Output eines Systems abhängig vom Input und dem aktuellen Zustand bestimmt. Zunächst wird durch eine Messung (beispielsweise mit der Rosenberg Self-Esteem Scale; Rosenberg, 1965) festgestellt, in welchem Zustand sich das System aktuell befindet. Der Einfachheit halber soll hier angenommen werden, dass der Selbstwert hoch (Zustand A) oder niedrig (Zustand B) sein kann. Als Input (I) kann die Information darüber dienen, dass eine Aufgabe erfolgreich von der Person gelöst worden ist. Abhängig vom Selbstwert sind die Reaktionen darauf unterschiedlich. Charakteristisch für Personen mit hohem Selbstwert ist das Hervorheben der eigenen Fähigkeiten bei einem Erfolg (Rhodewalt, Morf, Hazlett, & Fairfield, 1991). Dieses Verhalten lässt sich als ein bestimmter Output (Oy) bei eben jenem hohen Selbstwert (Zustand A) und dem entsprechenden Input verstehen.

Abbildung 3: Je nach Selbstwert-Zustand des System reagiert es auf den gleichen Input unterschiedlich. Bei einem hohen Selbstwert werden die eigenen Fähigkeiten hervorgehoben (Oy), wenn es zu einem Erfolg kommt.

Die funktionale Bestimmung ist insofern für die Psychologie von besonderem Interesse, als dass häufig die Koexistenz verschiedener Zustände zu einem bestimmten Verhalten führt. Diese Verknüpfung ist eine Stärke der funktionalen Bestimmung mentaler Zustände. Der explizite Selbstwert kann mit einem Fragebogen bestimmt werden bzw. es wird bestimmt in welchem Zustand sich das System aktuell befindet. Gleiches gilt für den impliziten Selbstwert, der mit dem Impliziten Assoziations-Test (Greenwald & Farnham, 2000) gemessen werden kann. Die Koexistenz von einem hohen expliziten Selbstwert und einem niedrigen impliziten Selbstwert wird von Jordan (et al., 2003) als Selbstzweifel bezeichnet. Dieser Selbstzweifel hat spezielle Konsequenzen, nämlich ‚defensives Verhalten‘: der Selbstwert wird beispielsweise durch diskriminierendes Verhalten geschützt,

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wenn der explizite Selbstwert bedroht wird (Jordan, Spencer, & Zanna, 2005). Unter experimentellen Bedingungen kann der explizite Selbstwert gezielt mit fingierten niedrigen Ergebnissen eines IQ-Tests tangiert werden. Durch das Abwerten anderer, wird der Selbstwert des frustrierten Probanden wieder stabilisiert. Das bedeutet also, dass das Verhalten (der spezifische Output) abhängig ist von der Situation (Input), die den Selbstwert bedroht, und der Existenz zweier verschiedener (mentaler) Zustände. Etwas völlig normales in der Sozialpsychologie, was sich in der funktionalen Beschreibung problemlos abbilden lässt. 17

Abbildung 4: A = niedriger expliziter Selbstwert, B = hoher expliziter Selbstwert, C = E = hoher impliziter Selbstwert, D = F = niedriger impliziter Selbstwert; I = Input bzw. Situation; Oa – Od = Output bzw. Verhalten. In welchem Zustand sich das System befindet, kann durch Messungen des impliziten und expliziten Selbstwerts festgestellt werden. Abhängig vom Systemzustand reagiert das System auf denselben Input (Schlechtes Ergebnis beim IQ-Test & Person, die bewertet werden soll) mit unterschiedlichen Verhaltensweisen. Entsprechend der Studie ist das diskriminierende Verhalten des Experiments der Output Od (B-F bzw. hoher expliziter Selbstwert mit niedrigem impliziten Selbstwert). Das System springt dementsprechend nach der Diskriminierung in den Zustand ‚hoher Selbstwert‘ zurück, da durch die Diskriminierung der Selbstwert wiederhergestellt wird. Von hier aus kann wieder auf unterschiedlichen Input reagiert werden.

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Genau genommen befindet sich ein System immer nur in einem Zustand. Daher, so könnte man meinen, sei eine Koexistenz von Zuständen nicht im Funktionalismus abbildbar. Dem ist allerdings nicht so, denn ein mentaler Zustand ist im Funktionalismus immer durch sein Verhältnis zu anderen mentalen Zuständen bestimmt (Holismus des Funktionalismus). Das bedeutet, dass ein Zustand bestimmt ist durch seine vorherigen und folgenden Zustände. Zustand F in Abbildung 4 drückt daher genau das aus, was ausgedrückt werden soll.

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Über die Realität dieser psychologischen Zustände lässt sich sagen, dass dieser laut Dennett, an die Prognosefähigkeit geknüpft ist. In der Psychologie spricht man von der ‚predictive validity‘, wenn ein psychologisches Konzept, wie explizite Einstellungen, erfolgreich Verhalten prognostizieren kann. Diese Art der Validität gilt für explizite (Ajzen & Fishbein, 1977; Fishbein & Ajzen, 2015) als auch für implizite Einstellungen (Greenwald et al., 2009). Diese mentalen Zustände sind dementsprechend real. Die Art des Realitätsstatus wurde mit Rückgriff auf den Strukturrealismus aus der Wissenschaftstheorie (Schurz, 2009) verständlich gemacht. Aus dem Gesagten folgt, dass mentale Zustände in der Psychologie generell nicht gemessen, sondern zugeschrieben werden. In der Physik gibt es einfache Eigenschaften, wie Festigkeit, Gewicht oder Länge, die bei einer Sache direkt gemessen werden können. In der Psychologie wird durch Fragebögen oder indirekten Messverfahren, wie den IAT, Verhalten quantifiziert bzw. operationalisiert. Verzögerungen bei Reaktionszeiten können genutzt werden, um mentale Zustände zuzuschreiben, wenn Verhalten auf dieser Grundlage erfolgreich prognostiziert werden kann. Die Alltagspsychologie wurde als besondere Ausformung der funktionalen Einstellung betrachtet. Dies ist ohne Probleme möglich, wenn auf der Grundlage erfolgreich Verhalten prognostiziert werden kann. So ist es denkbar, dass das Verhalten einer Person sowohl auf Grundlage der Psychologie als auch auf Grundlage der Alltagspsychologie prognostiziert wird. Die Realität eines Zustandes der Alltagspsychologie verblasst nicht dadurch, dass die empirische Psychologie das Verhalten mit anderen Mitteln prognostiziert hat. Aufbauend auf den bisher diskutierten Kritiken an der Alltagspsychologie ist allerdings zu erwarten, dass die empirische Psychologie oftmals bessere Verhaltensprognosen abgibt. Das vorgestellte interventionistische Verständnis von Kausalität stellt einen Weg dar, die kausale Wirkung dieser mentalen Zustände zu erfassen. Der Großteil der Neurowissenschaften ist in Dennetts Konzeption auf der Ebene der physikalischen Einstellung zu finden. Wie lässt sich mit dem aktuellen Verständnis der Kritik Churchlands entgehen, dass die eigentlichen Mechanismen auf der neurologischen Ebene zu finden sind, weshalb möglicherwiese die mentalen Zustände der Psychologie und Alltagspsychologie einfach falsch sind? Kim (2007) spricht in diesem Zusammenhang vom Problem der ausgeschlossenen Ursache: wenn die physikalische Welt kausal geschlossen ist, ist impliziert, dass jedes Ereignis in der Welt auch physikalisch verursacht ist. Dementsprechend wäre die Behauptung, dass mentale Zustände ursächlich für Verhalten sind, überflüssig.

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Angenommen ein mentaler Zustand m1 superveniert über den physikalischen Zustand p1. Das bedeutet, dass eine Änderung von m1 notwendigerweise auch mit einer Änderung von p1 einhergeht, wobei eine Veränderung von p1 keine Änderung von m1 impliziert. Wenn später auf p1 der physikalische Zustand p2 folgt, ein äußerliches Verhalten, dann reicht die Existenz von p1 um als Ursache für p2 zu gelten. Wenn nun aber angenommen wird, dass der mentale Zustand m1 auch ursächlich für p2 ist, dann kommt es zur Überdetermination. Diese Überdetermination ist problematisch, denn sie impliziert, dass die Neurowissenschaften hinreichend sind, um p2 zu erklären. Der zusätzliche Verweis auf m1 erscheint überflüssig (Vosgerau & Soom, 2017). Um dieses Problem aufzulösen, ohne in den eliminativen Materialismus abzurutschen, möchte ich die Argumentation von Vosgerau und Soom (2017) aufgreifen. Mentale Zustände sind demnach Gruppierungen von Eigenschaften, die sich prinzipiell nicht auf eine gemeinsame physikalische Kategorie zurückführen lassen. Die grundlegende Idee folgt Fodors (1974) Argument für die nicht-reduktive Existenz der Einzelwissenschaften. Häufig haben Phänomene zwar etwas gemeinsam, aber diese Gemeinsamkeit ist nicht physikalisch bestimmbar. Das Konzept ‚Währung‘ in der Volkswirtschaftslehre kann auf verschiedenste Arten physikalisch realisiert sein und hat dementsprechend physikalisch nichts Wesentliches gemeinsam, was die Währung physikalisch reduzierbar machen könnte. Jeder mentale Zustand ist eine komplexe Eigenschaft und multipel realisierbar. Das bedeutet, dass ein mentaler Zustand bei unterschiedlichen Menschen anders realisiert sein kann. Personen mit drastischen anatomisch-neuronalen Abweichungen können Überzeugungen haben, wie ‚Paris ist die Hauptstadt von Frankreich‘ (Feuillet, Dufour, & Pelletier, 2007). Zwei Personen haben die gleiche Überzeugung, auch wenn sie völlig anders neuronal realisiert ist. Es spricht einiges dafür, dass die Amygdala einen essentiellen Anteil an der Realisierung impliziter Vorurteile hat (Amodio, 2014; Amodio & Lieberman, 2009). Implizite Vorurteile als mentale Zustände sind allerdings multipel realisierbar, d.h. jeder Proband kann ein anderes neuronales Aktivitätsmuster für den gleichen mentalen Zustand haben. Eine Studie (Phelps, Cannistraci, & Cunningham, 2003) zeigt, dass eine Person mit beidseitig beschädigter Amygdala bei einer IAT Messung implizite Vorurteile zeigte. Für eine Theorie, welche die multiple Realisierung mentaler Zustände ernst nimmt, ist dieser Befund unproblematisch. Der mentale Zustand kann der Gleiche sein auch wenn die Realisierung sich von Fall zu Fall neuronal unterscheidet. Aber wie kann man überhaupt mentale Zustände identifizieren, wenn das neuronale Korrelat unterschiedlich sein kann?

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

Typ-Identitätstheorien (Place, 1956; Smart, 1959) behaupten, dass jedem Typen mentaler Zustände genau ein Typ eines neuronalen Musters entspricht. Das impliziert, dass alle nicht-menschlichen Lebewesen mit anderen Hirnstrukturen nicht diejenigen mentalen Zustände haben können, die Menschen haben. Allerdings haben die Typen-Identitätstheorien das Problem der multiplen Realisierbarkeit von mentalen Zuständen: Verschiedene psychologische Eigenschaften können unterschiedlich neurologisch realisiert sein (Aizawa & Gillett, 2009). Dementsprechend gibt es empirisch gestützten Zweifel daran, dass sich die These der TypenIdentität bewahrheitet. Das Identitätsverhältnis von psychologischen zu physikalischen bzw. neurologischen Zuständen wird hier daher als Token-Identitätsverhältnis (D. Davidson, 1995) verstanden. Bei der Token-Identität wird angenommen, dass jeder einzelne mentale Zustand (m1-mn) vom Typ X durch individuelle physikalische Zustände (p1-pn) realisiert ist. Dabei wird vorausgesetzt, dass die physikalischen Zustände alle zu unterschiedlich sind, um aus ihnen einen Typen zu generieren. Wenn also jedes Vorkommnis eines mentalen Zustandes des Typs X durch ein individuelles neurologisches Muster realisiert ist, welche nichts gemeinsam haben müssen, wie kann dann ein mentaler Zustand als Typ-X-Zustand (zum Beispiel als Überzeugung, Wunsch oder implizites Vorurteil) identifiziert werden? Die mentalen Zustände selbst sind nicht durch ihre neuronalen Muster identifizierbar als ein bestimmter mentaler Zustand. Stattdessen werden mentale Zustände durch ihre Effekte individuiert, die gleichzeitig durch erfolgreiche Prognosen ihren (schwachen) Realitätsstatus sichern. Der explizite Selbstwert hat dementsprechend bestimmte Prognosefähigkeiten. Die Zuschreibung des mentalen Zustandes ‚expliziter Selbstwert‘ ist aufgrund von Messungen gerechtfertigt, wenn für das Konzept bzw. das Messinstrument ‚predictive validity‘ vorhanden ist – was der Fall ist (zum Beispiel Schimmack & Diener, 2003). Zwar kann der mentale Zustand ‚expliziter Selbstwert‘ von Proband zu Proband unterschiedlich realisiert sein, aber der mentale Zustand selbst ist durch seine Effekte individuiert. Ausgehend von den bisherigen Beispielen, die sich auf die Selbstwert-Konzepte beriefen (siehe Abbildung 3 und Abbildung 4) ergibt sich ein Dispositionsbündel von Effekten, wenn ein System einen (positiven oder negativen) Selbstwert hat. Zwei mögliche Inputs (I1 und I2) können – je nach Systemzustand bzw. je nach Systemzuständen – verschiedene Outputs generieren (Oy, Ox, Oa – Od). Durch experimentelle Anordnungen können abhängig vom Systemzustand für verschiedene Inputs verschiedene Outputs prognostiziert werden. Wenn demnach bei einer Person der explizite oder implizite Selbstwert gemessen worden ist, wurde das System als System mit einem bestimmten Zustand identifiziert. Dieser Zustand ist

Reale Muster als Mittelweg

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dann über das Dispositions-Bündel des Zustandes individuiert, bestehend aus Inputs und Outputs, welches durch die empirischen Methoden der Psychologie erzeugt wurde. Dadurch kann ein plausibles physikalistisches Weltbild mit mentalen Zuständen koexistieren, ohne dass die Annahme mentaler Zustände überflüssig wird. Würde man auf die Annahme mentaler Zustände verzichten, gäbe es nichts gemeinsames unter den neuronalen Eigenschaften der Probanden und kein neuronaler Zustand wäre als ein bestimmter mentaler Zustand identifizierbar. Durch die funktionale Einstellung (design stance) werden jedoch gemeinsame Muster durch die erfolgreiche Verhaltensprognose sichtbar, die in der physikalischen Einstellung (physical stance) unsichtbar wären. 3.2.4

Repräsentationen als mentale Zustände

Mit mentalen Zuständen kann man Verhalten prognostizieren. Lässt sich dadurch auch automatisch Verhalten erklären? Nach dem deduktiv-nomologischen Modell (Hempel & Oppenheim, 1948) ist dies der Fall. Wenn man ein Phänomen mit einer Gesetzmäßigkeit prognostizieren kann, dann kann man auch das auftretende Phänomen durch eben jene Gesetzmäßigkeiten erklären. Mit Hilfe der Gravitationsgesetze lässt sich nicht nur prognostizieren, wie sich eine Rakete beim Start verhält, sondern man kann mittels der gleichen Gesetzmäßigkeiten auch Flugbahnen von Kometen erklären. Cummins (1985) hingegen behauptet, dass Erklärungen in der Psychologie einem anderen Muster folgen. Er unterscheidet daher zunächst das Erkennen eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs (causal-laws) von der Erklärung, warum dieser Zusammenhang besteht. Das letztere ist dasjenige, was für die Psychologie die eigentliche Erklärungsleistung erbringt. Das unterscheidet die Psychologie von einem Großteil der Physik. Letztere möchte nämlich häufig eben jene Übergänge eines Systems von Zustand A nach Zustand B erklären. Dafür werden, so Cummins, ‚transition laws‘ benötigt, welche dem Hempel-Oppenheimer Schema genügen. Diese Gesetzeszusammenhänge nehmen in der Psychologie eine wichtige Rolle ein, aber die moderne Psychologie geht über diese Art von Erkenntnisanspruch hinaus. Dasjenige, was über diesen Erkenntnisanspruch hinausgeht, bezeichnet Cummins als analytische Erklärung bzw. als funktionale Analyse. Jene Analyse ist nicht in das Schema von Hempel und Oppenheimer (DN-Schema) zu integrieren, weshalb

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

es sich um eine andere Art von Erklärung handelt. Ein DN-Schema zur Erklärung eines kognitiven Vermögens müsste wie folgt aussehen: Anything having components C1 ... Cn organized in manner O [C1 ... Cn, O] has property P S has [C1 .. Cn, O] S has property P (Cummins, 1985, S. 16)

Die erste Gesetzmäßigkeit ist ein Instanziierungsgesetz (instantiation law), welches beschreibt, wie genau eine Eigenschaft instantiiert werden kann. Dabei stehen die konstituierenden Komponenten und ihr Zusammenhang im Vordergrund. Die zweite Gesetzmäßigkeit ist ein Kompositionsgesetz (composition law), welches bei einem tatsächlichen System die einzelnen Komponenten und ihre Zusammenhänge beschreibt. Wenn ein System de facto so aufgebaut ist, dass es laut eines Instanziierungsgesetzes eine Eigenschaft realisiert, dann realisiert das System eben jene Eigenschaft. Die Realisierung der entsprechenden Eigenschaft ist keine Verursachung. Es gibt in den aufgeführten Gesetzmäßigkeiten keine Ursache-Wirkungszusammenhänge. Es wäre ein Kategorienfehler zu behaupten, dass ein System, welches (ii) entspricht, eine Eigenschaft verursacht. Die Komposition ist mit der Eigenschaft identisch, sie verursacht sie nicht. Genauso wenig verursacht die mittlere kinetische Energie von Teilchen Temperatur, sondern die Temperatur ist mit eben jener physikalischen Struktur identisch. Nachdem also in der Psychologie ein Mechanismus (transition-law) erkannt worden ist, stellt sich die Frage, warum es genau von einer Ursache zur Wirkung kommt. Um das zu erklären müssen Kapazitäten analysiert werden. Diese Analyse ist funktional, d.h. es wird auf einer abstrakten Ebene ermittelt, wie ein bestimmter Input bearbeitet wird, um den entsprechenden Output zu generieren. Eine erfolgreiche Analyse liefert eine möglichst vollständige funktionale Beschreibung einer Kapazität, wie zum Beispiel der Wahrnehmung oder der Bewertungen. Es ist davon auszugehen, dass eine Kapazität aus verschiedenen verarbeitenden Komponenten besteht, welche Informationen unter bestimmten Bedingungen miteinander austauschen. Das Bestreben zu bestimmen, wie es von einem bestimmten Input zu einem Output kommt, ist durch die kognitive Wende in der Psychologie entstanden. Dabei handelt es sich um eine Abgrenzung vom Programm des Behaviorismus. Die folgenden beiden theoretischen Annahmen sind für den Behaviorismus besonders wichtig: Erstens ist das Lernen das Ergebnis von Konditionierung. Zweitens

Reale Muster als Mittelweg

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basiert die Konditionierung auf Assoziationen und (positiver oder negativer) Verstärkung der Assoziationen. In diesem Sinne kann eine Ratte erlernen einen Knopf zu drücken, wenn sie nach jedem Knopfdruck eine Belohnung bekommt. Dadurch wird das Verhalten (Knopf drücken) mit der Belohnung mittels positiver Verstärkung assoziiert. Durch den gleichen Mechanismen versuchte Tolman (1948) zu erforschen, wie Ratten einen Weg zum Futter durch ein Labyrinth erlernen. Durch verschiedene Versuchsanordnungen stellte Tolman fest, dass Ratten mehr als Reiz-Reaktions-Mechanismen zur Verfügung haben mussten. Das Navigieren der Ratten durch das Labyrinth ließ sich mit den Annahmen des Behaviorismus nicht mehr sinnvoll erklären. Tolman postulierte daraufhin, dass die Ratten eine "cognitive map" ihrer Umgebung besitzen. Sie repräsentieren die Struktur des Labyrinths und finden sich dadurch in ihm zurecht (Bermudez, 2006). Erst unter der Annahme, die Ratten hätten eine mentale Repräsentation der Umgebung, konnte erklärt werden, wie die Ratten ihren Weg zum Ziel gefunden haben – die Fähigkeit bzw. das Vermögen zur Orientierung wurde erklärt. Der Behaviorismus konnte also komplexe Verhaltensphänomene nicht adäquat erklären ohne auf mentales Vokabular zurückzugreifen. Die Psychologie nach der kognitiven Wende geht also dementsprechend über den Behaviorismus hinaus. Es gibt zwei Arten von mentalen Zuständen: diejenigen, welche Verhalten nur prognostizierbar machen, und diejenigen, welche Verhalten durch Repräsentationen erklären. Die Ersten sind die mentalen Zustände, die als Dispositionsbündel unter einer funktionalen Betrachtungsweise bestimmt worden sind. Es gibt dementsprechend mentale Zustände, die nichts weiter als Dispositionen darstellen. Sie dienen der Verhaltensprognose. Diese genügen dem, was Cummins als ‚transitionlaw‘ bezeichnet hat: sie können erklären, ähnlich wie in der Physik, wie ein System vom Zustand A nach B wechselt. Ist ein gesetztesmäßiger Zusammenhang von Zustand A nach B bekannt, kann auf eben jenen verwiesen werden, um einen Zustandswechsel zu erklären. Diese Art von Erklärung ist charakteristisch für Naturwissenschaften, wie der Physik. Es gibt jedoch in der Psychologie häufig diejenigen mentalen Zustände, die mehr sind als bloße Dispositionen. Was sie unterscheidet ist ihr repräsentationaler Gehalt. Diese Art von mentalen Zuständen wird dann relevant, wenn eine funktionale Analyse eines kognitiven Vermögens stattfindet. Dies ist in der Psychologie nötig, um zu erklären, warum es von einem Zustand A zu einem Zustand B kommt. Nachdem ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang (transition-law) innerhalb der Psychologie erkannt worden ist, stellt sich gleich die Anschlussfrage, warum es dazu kommt. Mit der funktionalen Analyse einer Kapazität können also Dispositionen

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

in der Psychologie erklärt werden (Cummins, 1985, S. 22). Diese Art von Erklärung möchte ich, bezogen auf die Psychologie, als Verhaltenserklärung verstanden wissen. 18 Mentale Zustände, die keine Repräsentationen darstellen, lassen sich vollständig anhand einer Maschinentafel (siehe Abbildung 2) beschreiben. Der mentale Zustand erschöpft sich vollständig in seiner kausalen Rolle innerhalb des Systems. Demgegenüber haben Repräsentationen einen Gehalt, der über die Möglichkeiten einer Maschinentafel hinausgeht. Um zu erklären, wie eine Ratte den Weg aus einem Laboryinth findet, ist es nötig ihr eine repräsentationale Struktur zuzuschreiben. Es handelt sich dabei um mehr als um einen funktionalen Zustand. Letztere kommen innerhalb einer Maschinentafel ohne einen Gehalt aus, denn sie erschöpfen sich auf die funktionale Rolle, welche abhängig ist von vorherigen und Folgezuständen. 19 Repräsentationen haben dementsprechend andere Zuschreibungsbedingungen als Dispositionen. Ein wesentlicher Unterschied ist darin zu finden, dass Repräsentationen nur für Erklärungen eine Rolle spielen, während Dispositionen der Verhaltensprognose dienen. Unterschiede bei den Zuschreibungsbedingungen werden zu gegebener Zeit thematisiert. 3.2.5

Fazit

Grundlegend für das Interfacing-Problem ist die Tatsache, dass verschiedene Verhaltenserklärungen nicht miteinander koexistieren können. Der intentionale Realismus nimmt an, dass die alltagspsychologischen intentionalen Zustände, die genutzt werden, auch die tatsächlichen Ursachen für Verhalten sind. Wenn dies wahr ist, dann kann eine solche Erklärung nicht ohne weiteres mit einer Erklärung aus der empirischen Psychologie koexistieren. Letztere nimmt nämlich typischerweise andere mentale Zustände an, um Verhalten zu erklären. Auch hier lässt sich sagen, dass die Realität der mentalen Zustände der Garant dafür ist, dass das Verhalten auch adäquat erklärt wird. Die Annahme dieser realen Ursachen ist dann allerdings unvereinbar mit der Erklärung des intentionalen Realismus. Wenn die realen Ursachen für die Erklärung die eigentliche Rolle spielen, dann scheint den Neurowissenschaften eine ganz besondere Rolle zuzukommen. Dasjenige Verhalten, 18 19

Cummins stellt fest, dass solche Erklärungen auch in der Physik vorkommen. Als Beispiel führt er die Atomtheorie an, die genutzt wird, um verschiedene Dispositionen zu erklären. Es ließe sich dafür argumentieren, dass alles Geistige seiner Natur nach funktional beschreibbar ist. Dementsprechend müssten auch Repräsentationen prinzipiell in eine Maschinentafel überführt werden können. Allerdings, so Ramsey (2007), würde dadurch die Erklärung der kognitiven Kapazität ebenfalls verschwinden (siehe 4.2.3.3).

Reale Muster als Mittelweg

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welches erklärt werden soll, ist verursacht durch neuronale Prozesse. Insofern lässt sich generell die Frage stellen, ob der Rekurs auf mentale Zustände zielführend ist. Der ontologische Status mentaler Zustände wurde von Dennett analog zu theoretischen Begriffen in den empirischen Wissenschaften bestimmt. Theoretische Begriffe, wie das Elektron, haben aufgrund ihrer Erfolgsgeschichte einen bestimmten Realitätsstatus. Die Realitätsannahme für theoretische Begriffe ist gekoppelt an die erfolgreiche Nutzung jener Begriffe. Mittels der Annahme von Elektronen konnten erfolgreich unzählige Phänomene prognostiziert und in Experimenten verifiziert werden. Die Tatsache, dass ein Konzept derartig nützlich ist, spricht dafür, dass mittels des theoretischen Begriffs etwas in den realen Strukturen der Welt (indirekt) referenziert wird, was den Erfolg möglich macht. Dabei ist es dann nicht wichtig, ob das Elektron exakt das ist, was derzeitig über das Elektron gedacht wird. Mentale Zustände der Alltagspsychologie, wie Überzeugungen und Wünsche, oder mentale Zustände der empirischen Psychologie, wie der explizite Selbstwert, sind theoretische Begriffe. Mit Hilfe dieser theoretischen Begriffe werden reale Muster in der Welt prognostiziert. Gelingt dies zufriedenstellend, dann erwerben sich die theoretischen Begriffe dadurch einen bestimmten Realitätsgrad. Die Realität eines mentalen Zustandes ist dementsprechend nicht an eine bestimmte Realisierung neuronaler Art geknüpft. Da der ontologische Status mentaler Zustände derartig geändert wurde, können nun verschiedene Erklärungen mit verschiedenen mentalen Zuständen miteinander koexistieren: Es ist möglich, dass mittels Überzeugungen und Wünschen reale Muster beschrieben werden und gleichzeitig mit dem expliziten Selbstwert ebenfalls reale Muster beschrieben werden. Die realen Muster mentaler Zustände können genutzt werden, um zu erklären, weshalb die Annahme mentaler Zustände unverzichtbar ist, auch wenn alle mentalen Zustände neuronal realisiert sind. Jedes Vorkommnis (Token) eines mentale Zustands einer Art (Typ; zum Beispiel die Art ‚Überzeugung‘) ist durch ein individuelles neuronales Muster (Token) realisiert und diese neuronalen Muster haben keine Gemeinsamkeiten, welche eine Art (Typ) erkennen ließen. Ein mentaler Zustand ist identifizierbar durch ein Dispositionsbündel, welches aus der empirischen Forschung erkannt wurde. Bestimmte mentale Zustände, wie beispielsweise implizite Vorurteile, haben bestimmte dispositionale Eigenschaften: unter Bedingung X können verschiedene Verhaltensweisen O1, …, On erwartet werden. Um zu erkennen, in welchem Zustand sich ein System aktuell befindet, können direkte oder indirekte Messverfahren genutzt werden. Ein direktes Messverfahren

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Mentale Zustände und ihre Rolle in der Verhaltenserklärung

kann beispielsweise die Information liefern, dass sich ein System im Zustand ‚hoher expliziter Selbstwert‘ befindet. Dieser Zustand ist – unabhängig von der konkreten neuronalen Realisierung – identisch mit einem bestimmten Dispositionsbündel. Eine Repräsentation unterscheidet sich von einem mentalen Zustand ohne repräsentationalem Gehalt. Eine Repräsentation dient der Verhaltenserklärung, während mentale Zustände ohne Gehalt der Verhaltensprognose dienen. Letztere lassen sich vollständig durch eine Maschinentafel beschreiben. Der Gehalt einer Repräsentation spielt bei der Verhaltenserklärung allerdings eine entscheidende Rolle. Wird der Gehalt nicht als Repräsentation von etwas gedacht, verschwindet die Verhaltenserklärung. In diesem Kapitel wurde das Verhältnis von Alltagspsychologie, empirischer Psychologie und der Neurowissenschaft diskutiert. Dabei wurde ein Verständnis vom ontologischen Status mentaler Zustände entwickelt, welches für das folgende Kapitel wichtig sein wird. Im vierten Kapitel wird der konkreten Frage nachgegangen, was implizite Vorurteile sind. Es wird sich dabei zeigen, dass implizite Vorurteile keinen repräsentationalen Gehalt haben und daher auch keine Repräsentationen sind. Stattdessen handelt es sich bei impliziten Vorurteilen um Dispositionen. Die Grundlagen für dieses Verständnis impliziter Vorurteile wurden hier gelegt. Im Folgenden wird sich zeigen, dass diejenigen Argumente, die behaupten, implizite Vorurteile seien Überzeugungen oder Assoziationen, nicht überzeugen können. Daran anschließend wird auf Grundlage dieses dritten Kapitels behauptet, dass implizite Vorurteile nur als Dispositionsbündel verstanden werden können.

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Das Dunkle in der Black-Box

Man spricht dann von einer Black-Box, wenn man hervorheben möchte, dass die genauen Mechanismen eines Systems unbekannt sind. Zwar reagiert es auf einen Input mit einem entsprechenden Output, wie es aber intern genau dazu kommt, ist unklar. Im Gegensatz dazu ist bei einer White-Box klar, wie ein System von einem Input zu einem Output gelangt. Beispielsweise wenn ein System nach einem bestimmten Plan konstruiert wurde. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Frage, was genau implizite Vorurteile sind. Im vorigen Kapitel wurde der grundsätzliche ontologische Status mentaler Zustände, wie sie in der Alltagspsychologie oder der empirischen Psychologie vorkommen, analysiert. Zustände der empirischen Psychologie sind, wie Dennett sie bestimmt, funktionale Zustände. Die Realität der Zustände ist geknüpft an ihre erfolgreichen Prognosefähigkeiten statt an einem Typen-identischen neuronalen Korrelat. Implizite Vorurteile sind so verstanden eine Blackbox, wobei mögliche Inputs verschiedene Outputs generieren. Diese Input-Output Zusammenhänge, welche die Psychologie für mentale Zustände bestimmt, wurden Dispositionsbündel genannt. Sie bestimmen Typen von mentalen Zuständen. Was genau kann man aber über die Struktur impliziter Vorurteile sagen? Handelt es sich um Propositionen oder um Assoziationen? Wenn es sich um Propositionen handelt, dann könnten Personen Überzeugungen, wie „FARBIGE PERSONEN SIND SCHLECHT“, haben, ohne davon zu wissen. Falls es sich um Assoziationen handeln würde, wäre dies nicht der Fall. Hier gäbe es keinen repräsentationalen Gehalt, der einen solchen Schluss zuließe. Aber sind es überhaupt mentale Zustände und falls ja, repräsentieren sie etwas bzw. haben sie einen Gehalt? Vor diesem Hintergrund sollen im vorliegenden Kapitel verschiedene Konzeptionen bezüglich der konkreten Struktur impliziter Vorurteile in den Blick genommen werden. Zunächst sollen einige derjenigen Merkmale besprochen werden, die für die Diskussion um implizite Vorurteile besondere Relevanz haben, nämlich die Eigenschaften bewusst/unbewusst, kontrollierbar/unkontrollierbar und mögliche Eigenschaften-Cluster. Anschließend sollen assoziative Theorien zu impliziten Vorurteilen betrachtet werden. Dabei wird sowohl das Alief-Konzept analysiert als auch allgemeinere psychologische Theorien zu Assoziationen diskutiert. Als nächstes werden die Überzeugungs-Ansätze betrachtet, die behaupten, dass implizite Vorurteile Überzeugungen sind. Im letzten Schritt soll eine dispositionale Bestimmung von impliziten Vorurteilen betrachtet werden. Ausgehend von Kritiken der © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Baston, Implizite Vorurteile, https://doi.org/10.1007/978-3-476-05727-3_4

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Das Dunkle in der Black-Box

vorgestellten Varianten werde ich – durch Rückgriffe auf das vorherige Kapitel – ein eigenes (dispositionales) Konzept impliziter Vorurteile vorstellen. 4.1

Eigenschaften impliziter Vorurteile

Als (rassische) implizite Vorurteile bezeichnet man den negativen affektiven Teil einer impliziten Einstellung, wenn sie gegen eine soziale Gruppierung gerichtet ist, die rassisch, zum Beispiel durch äußere Merkmale, bestimmt wird. Was genau aber ist so implizit an dieser Art von Vorurteil? Die berühmte Definition impliziter Einstellungen von Greenwald und Banaji (1995) setzt bereits in der Definition die Eigenschaft ‚unbewusst‘ voraus. Demnach sind implizite Einstellungen ‘‘[…] introspectively unidentified (or inaccurately identified) traces of past experience that mediate favorable or unfavorable feeling, thought, or action toward social objects’’ (S. 8). Diese Definition erklärt den starken Fokus der Psychologie und Philosophie auf die Eigenschaft der Unbewusstheit bei impliziten mentalen Zuständen. Was aber, wenn mehr und mehr Daten dieser Definition widersprechen? Es liegt in der Natur der Sache, dass Definitionen weder wahr noch falsch sein können. Nichtsdestotrotz kann eine Definition nützlich oder unpraktisch sein. Eine technische Definition dient in den Wissenschaften dazu einen Untersuchungsgegenstand zu bestimmen und einzugrenzen. Würde man trotz widersprechender Daten an einer Definition festhalten, kann der Untersuchungsgegenstand einfach verschwinden oder zu klein werden. Daher soll im vorliegenden Text eine andere Definition bezüglich ‚implizit‘ gewählt werden, die der sozialpsychologischen Praxis näher kommt: implizit sind eben jene mentalen Zustände, die durch Messungen indirekter Verfahren zugeschrieben werden (A. Moors, Spruyt, & De Houwer, 2010). Nun stellt sich die Anschlussfrage, ob und was eben jene mentalen Zustände jenseits der Messmethode gemeinsam haben. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Charakteristiken diskutiert, von denen ich hier die wichtigsten kritisch besprechen will: Bewusstheit, Kontrollierbarkeit und ein möglicher Eigenschafts-Cluster. Ich möchte damit zeigen, dass innerhalb der Philosophie aktuell zu nachsichtig mit den Kriterien umgegangen wird, welche das Objekt der impliziten Sozialpsychologie vom Objekt der nicht-impliziten Sozialpsychologie unterscheiden.

Eigenschaften impliziter Vorurteile

4.1.1

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Zur Bewusstheit

Um eine Antwort auf die Frage zu finden, ob implizite Vorurteile bewusst oder unbewusst sind20, müssen zunächst einige Unterscheidungen getroffen werden. Die Eigenschaft ‚bewusst‘ kann sich auf verschiedene Facetten des mentalen Zustandes beziehen. Man kann sich darüber bewusst sein, woher ein mentaler Zustand kommt, d.h. welche Ereignisse zur Konstitution des mentalen Zustandes geführt haben (source awareness). Man kann sich auch darüber bewusst sein, welchen Gehalt ein mentaler Zustand hat (content awareness). Da es sich bei impliziten Vorurteilen um eine negative affektive Komponente der Einstellung handelt, wäre eben der negative Affekt mit seiner Stärke dasjenige, worüber man sich bewusst sein müsste. Zusätzlich kann man sich darüber bewusst sein, wie ein mentaler Zustand die Kognition beeinflusst (impact awareness). Hieraus sieht man bereits, dass die Frage, ob implizite Vorurteile bewusst sind, zu ungeau gestellt ist. Die Frage muss sich auf die einzelnen Aspekte möglicher Bewusstheit beziehen. Sind sich Personen darüber bewusst, woher implizite Einstellungen kommen? Das sogenannte evaluative Konditionieren ist eines der wichtigsten Verfahren um implizite Einstellungen zu erzeugen. Dazu wird einem Probanden mehrfach ein unkonditionierter Stimulus (CS) gezeigt, zum Beispiel das Bild eines Fabelwesens, wobei unmittelbar danach ein unkonditionierter Stimulus (US) gezeigt wird. Der US hat eine positive oder negative Konnotation, wie ‚Feuer‘ die negative Konnotation ‚Gefahr‘ besitzt. Bei einer wiederholten Präsentation solch einer StimuliFolge erhält der CS selbst die wertende Konnotation der gezeigten US. Diese erzeugte positive oder negative implizite Einstellung kann nach der evaluativen Konditionierung mittels einer IAT Messung nachgewiesen werden (M. A. Olson & Fazio, 2001). Entscheidend ist, dass die Probanden im Experiment (M. A. Olson & Fazio, 2001) in aller Regel nicht bemerken, woher diese Wertung stammt. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass die erfolgreiche evaluative Konditionierung auch Auswirkungen auf die entsprechende explizite Einstellung hat. Wird also eine neue implizite Einstellung gegenüber einem neuen Gegenstand künstlich erzeugt, wird auch die explizite Einstellung gegenüber diesem Gegenstand beeinflusst bzw. erzeugt.

20

Während in der philosophischen Literatur hauptsächlich von ‘conscious’ und ‘unconscious’ in Bezug auf implizite Einstellungen gesprochen wird, trifft man in der Sozialpsychologie häufig die Unterscheidung von ‚aware‘ und ‚unaware‘ (Bekanntheit, Gewahrsein) an.

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Das Dunkle in der Black-Box

Es ist allerdings nicht überraschend, dass Probanden kein Bewusstsein davon haben, wo implizite Einstellungen her kommen. Tatsächlich ist es nämlich so, dass es sich bei expliziten Einstellungen in aller Regel genauso verhält. Das Phänomen der kognitiven Dissonanz hat beispielsweise erheblichen Einfluss auf unsere expliziten Einstellungen und zwar ohne dass wir es bemerken (Cooper, 2007). Ähnliches gilt für Bems (1972) Theorie der Selbstbeobachtung oder für die Theorie der Sozialen Identität (Tajfel, 1974). In der Regel finden wir unsere expliziten Einstellungen vor und kreieren nachträglich sinnvolle Erzählungen darüber, woher diese stammen (Nisbett & Wilson, 1977). Verwundern würde das Gegenteil, denn dann wüssten wir folglich alle über die Ursachen unserer impliziten Einstellungen bestens Bescheid. Damit wäre auch keine psychologische Forschung nach den Ursachen impliziter Einstellungen nötig. De facto gibt es allerdings lebhafte Debatten darüber, welche Einflüsse genau für implizite Einstellungen verantwortlich sind (zum Beispiel, ob die Sozialisierung über lange Zeiträume hinweg oder kurzfristige Einflüsse maßgeblich sind). Sind sich Personen über den Inhalt impliziter Einstellungen bewusst? Bereits in einer klassischen Studie (Greenwald et al., 1998) zeigte sich, dass die Korrelationen von impliziten zu expliziten Einstellungen auch vom Einstellungsobjekt abhängen. Je mehr soziale Relevanz eine Einstellung hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass es zu Abweichungen zwischen Messergebnissen von expliziten und impliziten Einstellungen kommt. Die Korrelationen von expliziten zu impliziten Einstellungsmessungen waren zu Blumen und Insekten deutlich stärker ausgeprägt als bei rassischen Einstellungen. Eine mögliche Erklärung für diese Abweichung ist die, dass soziale Erwünschtheit oder eigene Werte und Ziele die Antworten auf dem Fragebogen zusätzlich beeinflussen. Füllt ein Proband einen Fragebogen bezüglich seiner rassischen Einstellung aus, werden also verschiedene Faktoren miteinbezogen, die das Ergebnis mitbestimmen. Diese Einflüsse fallen bei indirekten Messverfahren, wie dem IAT, weg. Diese Erklärung erscheint mir aufgrund der folgenden Daten sehr plausibel. Dunton und Fazio (1997) konnten in einem Experiment zeigen, dass die Korrelation zwischen expliziten und impliziten Einstellungen stark ausgeprägt ist, wenn die Probanden keine Motivation verspüren, ihre Vorurteile zu kontrollieren. Dazu wurde die Motivation to Control Prejudiced Reaction Scale (MCPR; Dunton & Fazio, 1997) entwickelt. Dabei handelt es sich um einen Fragebogen, der die Stärke der Motivation von Probanden bestimmen soll ihre Vorurteile zu kontrollieren. Die Tatsache, dass nur bei denjenigen, die dementsprechend motiviert sind,

Eigenschaften impliziter Vorurteile

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eine schwache oder keine Korrelation der Einstellungen zu finden ist, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Abweichungen von der impliziten zur expliziten Einstellung intentional erzeugt werden. Als ein weiteres Indiz dafür gilt die Studie von Nier (2005). In dieser Studie wurden die expliziten als auch die impliziten Einstellungen gegenüber Afro-Amerikanern gemessen. Dabei wurde einer Gruppe allerdings der Glaube vermittelt, dass sie an einen Lügendetektor angeschlossen sind. Dadurch sollten die Personen die Überzeugung bekommen, es sei zwecklos sich zu verstellen. Wie erwartet wurde dadurch eine starke Korrelation (r = .51) zwischen den expliziten und impliziten Einstellungsmessungen erzielt. Diese Studie ist ein weiteres starkes Indiz dafür, dass Probanden durchaus wissen, welchen Inhalt ihre impliziten Einstellungen haben. Hier ist es die soziale Motivation, welche schwache Korrelationen der Einstellungsmessungen (in Abwesenheit eines Lügendetektors) erklärt. Wenn es tatsächlich so ist, dass bei Fragebögen Motivationen, Überzeugungen und Werte das Ergebnis beeinflussen, dann sollte der Faktor Zeit eine wichtige Rolle spielen. Je weniger Zeit da ist, desto stärker sollten auch die affektiven Reaktionen artikuliert werden. Zumindest dann, wenn die Einflüsse der anderen mentalen Zustände als ineffizient betrachtet werden. Das bedeutet, dass es eben ein bestimmtes Maß an Anstrengung erfordert, eine Antwort zu generieren, die den persönlichen Werten entspricht (zumindest dann, wenn man andere implizite Einstellungen hat). Genau dies zeigte eine Studie (Ranganath, Smith, & Nosek, 2008), bei der die explizite Einstellung von Probanden unter Zeitdruck gemessen worden ist. Dabei zeigte sich, dass die Korrelation von impliziten zu expliziten Einstellungen stark war. Eine weitere Studie zeigte (Jordan, Whitfield, & Zeigler-Hill, 2007), dass die Korrelationen stärker ausfallen, wenn die Probanden sich auf ihr Bauchgefühl verlassen, wenn explizite Einstellungen gemessen werden. Das bedeutet, wenn man sich von seinen Intuitionen leiten lässt, fällt die Korrelation von impliziten zu expliziten Einstellungen deutlich stärker aus. Dies weist erneut in die Richtung von Inhaltsbewusstsein der impliziten Einstellung als ‚Bauchgefühl‘. Als letztes Indiz für Inhaltsbewusstsein soll die Studie von Hahn (et al., 2014) angeführt werden. In dieser Studie wurden Probanden zunächst darüber informiert, was der IAT misst. Anschließend sollten die Probanden vorhersagen, welches Messergebnis der IAT haben wird. Den meisten Probanden gelang es dabei, ihre eigenen Messergebnisse gut vorherzusagen. Innerhalb der Studie wurde si-

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Das Dunkle in der Black-Box

chergestellt, dass Probanden sich nicht bloß an einem hypothetischen Einstellungsquerschnitt der Bevölkerung orientieren. Das Ergebnis der Studie wäre unmöglich, wenn Probanden nicht eine Art von Inhaltsbewusstsein hätten. Die Datenlage spricht klar dafür, dass Probanden typischerweise ein Bewusstsein vom Inhalt impliziter Vorurteile haben (für mehr Indizien dafür, siehe Gawronski, Hofmann, & Wilbur, 2006; Gawronski, LeBel, & Peters, 2007). Dieser Bewusstseinsinhalt wird wahrscheinlich von Personen unterschiedlich interpretiert bzw. klassifiziert. Insofern ist es fraglich Probanden zu unterstellen, sie würden absichtlich versuchen die Psychologen zu täuschen, wenn sie ihre expliziten Einstellungen angeben. Eine negative Intuition entspricht wahrscheinlich häufig tatsächlich nicht dem, was Probanden als ihre Bewertung von etwas betrachten. Aber haben wirklich alle Menschen ein Bewusstsein vom Inhalt ihrer impliziten Einstellungen? Die Studie von Hahn (2014) zeigte, dass einige Probanden ihre Messergebnisse erfolgreich prognostizieren konnten, andere aber nicht. Kann es sein, dass manche Probanden einen Zugang zum Inhalt impliziter Vorurteile haben und andere nicht? Krickel (2018) schlägt vor, dass diejenigen Personen, welche kein Inhaltsbewusstsein von impliziten Vorurteilen haben, diesen Inhalt verdrängen. Diese Verdrängung dient dazu, das Selbstbild zu schützen und damit den Selbstwert zu stabilisieren. Dadurch kann erklärt werden, weshalb es zu stärkeren Korrelationen bei unproblematischen Einstellungsmessungen (zum Beispiel Insekten und Blumen) kommt. Eine negative Einstellung gegenüber Insekten tangiert nicht das eigene Selbstbild – dementsprechend wird die implizite Einstellung gegen Insekten auch nicht verdrängt. Grundsätzlich wissen Außenstehende natürlich nie mit Sicherheit, was einem Subjekt tatsächlich bewusst oder unbewusst ist. Dementsprechend kann man nur auf fehlende Korrelationen zwischen den Einstellungsmessungen verweisen. Hier lassen sich allerdings durch verschiedene Rahmenbedingungen, wie beispielsweise einem Lügendetektor (Nier, 2005), die Korrelationen drastisch stärken. Dem Einfluss dieser Rahmenbedingungen kann Krickels Ansatz nicht ausreichend Rechnung tragen. Weshalb sollte der Verdrängungsmechanismus verschwinden, wenn ein Lügendetektor in der Nähe ist oder man sich einfach auf sein Bauchgefühl bei der Messung expliziter Messungen verlässt (Jordan et al., 2007; Ranganath et al., 2008)? Die Tatsache, dass es eben jenes Bauchgefühl gibt, welches zur starken Korrelation führt, zeigt doch, dass keine Verdrängung stattfindet.

Eigenschaften impliziter Vorurteile

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Auch bei erhöhtem Zeitdruck während der Messung expliziter Einstellungen lässt sich die Korrelation stärken (Ranganath et al., 2008). Unter der Annahme der Verdrängung würde dies nur dann Sinn machen, wenn die Verdrängung langsam (slow 21) arbeiten würde. Das bedeutet, die Verdrängung würde quasi eine gewisse Zeit benötigen im Gegensatz zu schnellen Prozessen (fast). Dies ist zunächst einmal unplausibel, denn die Verdrängungskonzeption Krickels setzt darauf, dass die Verdrängung durch Habitualisierung automatisiert wird. Von habitualisierten Verhaltensmustern erwartet man aber normalerweise, dass sie schnell und nicht langsam arbeiten. Zumindest müsste eine zusätzliche Erklärung dafür angeführt werden, weshalb die Verdrängung Zeit benötigt. Dementsprechend scheint Verdrängung als Begriff für das fehlende Inhaltsbewusstsein zu stark zu sein; fehlende Aufmerksamkeit trägt den Daten eher Rechnung. Die Tatsache, dass scheinbar nicht alle Probanden Zugriff auf den Inhalt ihrer impliziten Einstellungen haben, ist nur dann wirklich erstaunlich, wenn man die Kapazität der Introspektion als besonderes Modul versteht, welches den ‚inneren Sinn‘ nach mentalen Zuständen absucht. Stattdessen schlägt Schwitzgebel (2012) vor, die Introspektion als ein Sammelsurium verschiedenster kognitiver Strategien zu verstehen. 22 In einem sehr ähnlichen Sinne macht Berger (2018) einen Unterschied zum unmittelbaren Bewusstsein und zum mittelbaren Bewusstsein. Ein unmittelbares Bewusstsein liegt dann vor, wenn man ohne nachzudenken den Inhalt des mentalen Zustandes erfasst. Hierfür sind also keine Schlussfolgerungen nötig. Bergers Kriterium ist phänomenologisch zu verstehen: es kommt darauf an, wie es das Subjekt erlebt. Bei impliziten Einstellungen, so Berger, ist es eben so, dass das Subjekt Schlüsse über sich selbst ziehen muss, um den Zugriff zu erhalten. Es handelt sich beim Inhaltsbewusstsein impliziter Einstellungen um mittelbares Bewusstsein.

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22

Die Unterscheidung der Eigenschaften ‚slow‘ zu ‚fast‘ ist auf typische Eigenschaften der Dual-System Modelle zurückzuführen. Das System-2, welches demnach bewusste und intentionale Denkprozesse enthält, wird normalerweise als langsam, also slow, betrachtet. Demgegenüber arbeitet System-1 automatisch und daher schnell. Man kann bestreiten, dass es sich dann überhaupt um Introspektion handelt: Wenn ein mentaler Zustand nur durch weitere Daten erschlossen werden kann, dann handelt es sich nicht um Introspektion in einem interessanten Sinne. Demgegenüber ist der phänomenale Gehalt einer Wahrnehmung oder der Geschmack eines Kaffees unmittelbar introspektiv erfahrbar (Carruthers, 2010). Für den weiteren Verlauf des Textes würde diese Unterscheidung allerdings keine Relevanz haben.

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Dementsprechend kann ich meinen eigenen mentalen Zustand der ‚Nervösität‘ beispielsweise dadurch erkennen, dass ich mir vorstelle, wie ich aus der DrittenPerson-Perspektive aussehe: mit dem rechten Bein auf und ab wippend und Fingernägel kauend (mittelbares Bewusstsein). Ähnlich verhält es sich, so behaupte ich, mit impliziten Einstellungen. Personen nutzen unterschiedliche Strategien, um Zugriff auf ihre mentalen Zustände zu bekommen, wenn sie dazu genügend motiviert sind. Ich kann mich beispielsweise daran erinnern, wie ich mich gefühlt habe, als ich das letzte Mal einer Person der Gruppe X begegnet bin. Ich kann mir vorstellen, wie ich einer Person der Gruppe X die Hand schüttele – wie fühlt sich diese Vorstellung an? Diese Idee kann durch Krickels (2018) Konzept ergänzt werden: es ist selbstwertschützend wenn man sich nicht bewusst macht (im diesem Sinne ‚verdrängt‘), dass man negative Affekte gegenüber einer sozialen Gruppe hat. Man schließt also nicht einfach von seinem bisherigen Verhalten auf seine mentalen Zustände, sondern auch innere Eindrücke können mit in die kognitiven Strategien einbezogen werden. Man kann sich (Ereignisse vorstellen 23 oder) sich an Ereignisse erinnern und darauf achten, welche Affekte dadurch erzeugt werden. Insofern ist die Introspektion auf phänomenalen Gehalt in diesem Ansatz enthalten. Ein Problem, welches die Artikulation des introspektiv erworbenen Inhalts betrifft, ergibt sich durch den nicht konzeptuellen Bewusstseinsgehalt. Zwar kann man feststellen, dass etwas eher positiv als negativ konnotiert ist, aber schon bei der Bestimmung der jeweiligen Grade können Schwierigkeiten auftreten. Wenn ich einen negativen automatischen Affekt verspüre, wenn ich mich daran erinnere, wie es sich anfühlte, als ich an einer Gruppe von Personen mit dem Merkmal X vorbei lief, dann ist keineswegs klar, ob diese Abneigung mittel oder stark ist. Aber eben dies ist für die Prognose meiner eigenen Messergebnisse des IAT nötig. Insofern erklären sich durch diese notwendige Interpretation der Probanden auch einige der Abweichungen, die Hahn (2014) in seiner Studie feststellen konnte. Ob man sich darüber bewusst ist, dass man eine implizite Einstellung mit dem jeweiligen Inhalt hat, ist analog zum Gefühl von einer Hose an den Beinen: Prinzipiell ist das Gefühl für die Introspektion zugänglich, aber nur wenn eine entsprechende Motivation vorhanden ist, wird die Aufmerksamkeit darauf gerichtet. 23

Es scheint naheliegend zu sein anzunehmen, dass das Imaginieren von etwas andere Affekte auslösen kann als die tatsächliche Situation. Man müsste bereits Erfahrungen mit dem imaginierten Objekt gemacht haben, um einen verlässlicheren Eindruck zu bekommen. Grundsätzlich scheint die Gefahr groß zu sein, dass es zu einer Auto-Manipulation kommt: man könnte sich beispielsweise eine freundliche Person vorstellen, um einen bestimmten Affekt zu erzeugen, ohne sich darüber klar zu sein, dass es eben die Freundlichkeit ist, die den Affekt erzeugt und nicht die Gruppenzugehörigkeit der Person.

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Durch Reflexion, welche verschiedene Strategien nutzt, kann man sich analog dazu Zugriff auf den Inhalt seiner impliziten Einstellungen verschaffen. In genau diesem Sinne möchte ich auch die ‚unconscious feelings‘ aus der Theorie des aversiven Rassismus verstanden wissen (siehe Kapitel 2.2.3). Sind sich Personen darüber bewusst, wie implizite Einstellungen wirken? Gerade bei der sogenannten ‚impact awareness‘ (Effekt-Bewusstsein) ist es entscheidend, dass man den Begriff zunächst klarer erfasst. Typischerweise wird in der philosophischen Literatur (zum Beispiel Saul, 2013) unter Effekt-Bewusstsein die Idee verstanden, dass man sich darüber bewusst ist, wie eine mentale Entität das Verhalten und das Denken beeinflusst. Ausgehend von dieser Definition wird Effekt-Bewusstsein allerdings unbrauchbar. Insbesondere Ende der 60er Jahre gab es eine breite Diskussion innerhalb der empirischen Sozialpsychologie darüber, wie genau Verhalten auf der Grundlage expliziter Einstellungen vorhergesagt werden kann. Wicker (1969) stellte in seiner Meta-Studie fest, dass die Verhaltensprognosen auf der Grundlage von Einstellungen unverlässlich seien. Im Zuge dieser Diskussion stellte sich heraus, dass verschiedenste Randbedingungen beachtet werden müssen. So wurde zum Beispiel festgestellt, dass eine Einstellung gegenüber einem Objekt weniger Verhaltensprognosen zulässt als eine Einstellung gegenüber einer konkreten objektbezogenen Handlung. Um also die Prognosefähigkeit von Einstellungsmessungen zu erhöhen, muss auch die Einstellung möglichst konkret gemessen werden (Ajzen & Fishbein, 1977). Dementsprechend hat eine abstrakte Einstellung gegenüber einem Objekt einen recht geringen Prognosewert. Wird aber die Einstellung gegenüber einer Handlung zu einem Objekt gemessen, erhöht sich bereits die Prognosefähigkeit. Zusätzlich zeigte sich, dass verschiedene weitere Faktoren essentiell sind, wenn Verhalten prognostiziert werden soll. Eine Person kann eine positive Einstellung gegenüber einem Steak haben, aber gleichzeitig Vegetarier sein und das Steak dementsprechend weder kaufen noch essen. Es müssen also weitere Faktoren, wie beispielsweise das self-monitoring, miteinbezogen werden, um Verhalten zu prognostizieren. Allerdings dauerte die Generierung dieser Erkenntnis bereits einige Jahre. Gäbe es bei expliziten Einstellungen Effekt-Bewusstsein im obigen Sinne, hätte diese psychologische Forschung wohl kaum Jahre gebraucht. Psychologen hätten ihr Wissen über Einstellungenseffekte einfach niederschreiben können. Stattdessen dauerte es eine lange Zeit bis die Psychologie ein besseres Verständnis von Einstellungen und den entsprechenden Effekten erworben hat. Dementsprechend

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muss der Begriff von Effekt-Bewusstsein anders verstanden werden, wenn er im Falle impliziter Einstellungen sinnvoll gebraucht werden soll. Eine sinnvollere Bestimmung kommt von Bargh (1994): Effekt-Bewusstsein ist immer dann vorhanden, wenn sich ein Subjekt darüber bewusst ist, dass etwas potentiell Einfluss auf das Denken oder das Verhalten hat. Mit dieser Definition lässt sich sinnvoll erklären, weshalb Subjekte ein Effekt-Bewusstsein ihrer expliziten Einstellungen haben. Zunächst ist ein Inhaltsbewusstsein von diesen Einstellungen vorhanden. Auf dieser Grundlage ist sich ein Subjekt darüber bewusst, dass eben jene Einstellung potentielle Auswirkungen hat. Dabei ist es wichtig zu unterstreichen, dass es sich dabei nicht um die objektiven Einflüsse der Einstellung handeln muss. Auf diese Weise ist es verständlich, dass Subjekte zu verschiedensten expliziten mentalen Zuständen ein Effekt-Bewusstsein haben. Wie bereits dargestellt, gibt es gute Gründe anzunehmen, dass der Inhalt impliziter Einstellungen den Subjekten bewusst ist. Mit dem schwächeren Effekt-Bewusstseinsbegriff von Bargh ist es durchaus möglich anzunehmen, dass Subjekte auch Effekt-Bewusstsein von ihren impliziten Vorurteilen haben können. Alles was dazu nötig ist, ist zunächst die Motivation die Aufmerksamkeit auf diesen mentalen Zustand zu richten. Anschließend bedarf es der Überzeugung, dass dieses Bauchgefühl potentielle Einflüsse im Denken oder beim Verhalten hat. Dass diese Schritte von allen Subjekten vollzogen werden ist selbstverständlich nicht notwendig. Allerdings ist es durchaus möglich. Voraussetzung scheint allerdings zu sein, dass Subjekte eine bestimmte Motivation besitzen. Es lässt sich festhalten, dass Personen kein Bewusstsein darüber haben, woher implizite oder explizite Einstellungen kommen. Inhaltsbewusstsein für explizite Einstellungen ist vorhanden, was sehr wahrscheinlich auch für implizite Einstellungen gilt. Letzteres verlangt allerdings nach einer Erklärung dafür, weshalb scheinbar nicht alle Subjekte dieses Inhaltsbewusstsein haben. Es wurde dafür argumentiert, dass Subjekte zur Erlangung des Inhaltsbewusstseins motiviert sein müssen. Für den schwächeren Begriff vom Bewusstsein darüber, wie ein mentaler Zustand sich auswirkt, gilt, dass diese Art von Bewusstsein bei expliziten Einstellungen vorhanden ist. Bei impliziten kann sie vorhanden sein, wenn ein Subjekt eine entsprechende Motivation und ein entsprechendes Selbstverständnis hat. 4.1.2

Kontrollierbarkeit

Möglicherweise sind implizite Einstellungen grundsätzlich unkontrollierbar im Gegensatz zu expliziten Einstellungen. In der Sozialpsychologie sind insbeson-

Eigenschaften impliziter Vorurteile

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dere zwei Definitionen für (direkte)24 Kontrolle relevant. Bargh (1994) identifiziert Kontrolle mit der Kapazität, einen kognitiven Prozess zu verändern oder zu stoppen. Mindestens, so Bargh, muss die Möglichkeit bestehen, das Ergebnis eines Prozesses zu überschreiben, wenn gewünscht. Moors und De Houwer (2006) bestimmen Kontrolle bestehend aus drei Komponten: “[…] (a) a goal pertaining to an act, (b) an effect (i.e., the state represented in the goal), and (c) the causal connection between the goal and the effect” (p. 306). Kontrolle ist also an ein Ziel gebunden, wie das Unterbrechen oder Stoppen eines Aktes. Entgegen gängiger Auffassungen (zum Beispiel, Levy, 2017) kann es direkte Kontrolle auch ohne Inhalts- und Effekt-Bewusstsein geben. Um das zu zeigen, möchte ich zunächst auf klassische (nicht-implizite) sozialpsychologische Mechanismen hinweisen. Menschen sind ständig durch verschiedenste Mechanismen beeinflusst, ohne dass sie darüber irgendeine Form von Bewusstsein haben. Der Bystander-Effekt (Fischer et al., 2011) beschreibt beispielsweise die abnehmende Hilfsbereitschaft einer Person in einer Notsituation bei Anwesenheit potentieller Helfer. 25 Dieser gut erforschte Effekt ist völlig unbewusst. Hat eine Person Kontrolle darüber, ob sie bei einer Notsituation hilft, wenn andere Personen anwesend sind? Ja, denn andernfalls gerät man in einen Direkte-Kontrolle-Skeptizismus, da ständig diverse psychologische Mechanismen unser Verhalten und Denken beeinflussen. Um diesem Problem auszuweichen muss demnach erklärt werden, wie man direkte Kontrolle haben kann, ohne dass Inhalts- und Effekt-Bewusstsein vorhanden sind. Die Erklärung, wie es möglich ist, direkte Kontrolle über etwas zu haben, wenn der Einfluss unbewusst ist, liegt erneut in der Motivation. Wenn eine Person grundsätzlich motiviert ist, anderen Personen in Not zu helfen, ändert sich auch ihr Verhalten in Notsituationen. Bei der Wahrnehmung der Situation und der anderen Helfer setzt bei der einen Person der Prozess B ein, weshalb sie nicht handelt. Bei einer anderen Person mit der gleichen Wahrnehmung setzt zwar auch B ein, aber ein weiterer Prozess C wird durch die Notsituation ebenfalls getriggert, der dann das Ergebnis von B überschreibt. Dieser Gedankengang lässt sich auch

24

25

Holryod (2012) unterscheidet zwischen direkter und indirekter Kontrolle. Direkte Kontrolle ist intentional bzw. zielgerichtet und ist unmittelbar gegeben. Demgegenüber hat man nur indirekte Kontrolle darüber Chinesisch zu lernen: auch wenn ich durch Erlernen jene Kontrolle erwerben kann, habe ich keine direkte Kontrolle darüber, denn ich kann nicht unmittelbar damit beginnen, chinesisch zu sprechen. Die Randbedingungen sind de facto deutlich komplexer, aber die Details des Mechanismus sind hier nicht relevant.

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bei impliziten Einstellungen mittels des MODE-Models (Motivation and Opportunity as DEterminants; Fazio, 1990) empirisch bestätigen. Laut dem MODE-Modell sind zwei Faktoren relevant, wenn es um die Frage geht, ob Verhalten durch automatische Prozesse bestimmt wird oder nicht: Motivation und Gelegenheit. Unter Gelegenheiten ist besonders die Zeit ein essentiell wichtiger Faktor. Damit die Reflexion über das, was getan werden soll, einsetzen kann, bedarf es der Ressource Zeit. Probanden, die unter Zeitdruck stehen, lassen sich stärker von ihren impliziten Einstellungen leiten. Zusätzlich fallen unter das Schlagwort ‚Gelegenheit‘ auch Ressourcen wie der Blutzuckergehalt, der wichtig für kontrollierte Aufmerksamkeit und für die Regulation von Emotionen ist (Gailliot & Baumeister, 2007). Beim Faktor Motivation können verschiedene Motivationen für verschiedene Kontexte relevant sein. Eine Dimension der Motivation wurde bereits erwähnt, nämlich die Motivation seine Vorurteile zu kontrollieren. Diese ist, wie zu erwarten, für den Kontext on impliziten Biases besonders interessant. Um diese Motivationsdimension zu messen, wurde die MCPR Scale (Dunton & Fazio, 1997) entwickelt. Solch eine Motivation führt – bei vorhandener Gelegenheit – dazu, dass bei bestimmten Situationen reflexive kognitive Prozesse in Gang gesetzt werden. Dadurch wird der Einfluss der impliziten Einstellung typischerweise drastisch gemindert. In einer Studie (Dunton & Fazio, 1997) wurde beispielsweise gezeigt, dass die indirekt gemessenen rassischen impliziten Einstellungen Auswirkungen auf das Urteilsvermögen von Probanden haben. Diese Auswirkungen werden jedoch abhängig von der Motivation, seine Vorurteile zu kontrollieren, geschwächt. Demnach wird die Prognosefähigkeit impliziter Einstellungen davon abhängen, ob ein Proband dazu motiviert ist, sich entgegen seiner impliziten Einstellungen zu verhalten. Das bedeutet, dass die Menge derjenigen Verhaltensweisen, die von Biases bestimmt sein können, variabel und nicht statisch ist. Es hängt von den Motivationen, Werten und Zielen einer Person ab, was intentional und bewusst verarbeitet wird und was nicht. Zwei Personen mit negativen impliziten Einstellungen können dementsprechend ganz unterschiedliche Verhaltensweisen zeigen: eine unmotivierte Person ist im Verhalten stark von Biases beeinflusst, während die andere kein diskriminierendes Verhalten zeigt. Insbesondere Dual-System Modelle, wie das von Strack und Deutsch (2004), haben ein statisches Verständnis davon, was automatisch und unbewusst verarbeitet wird. Hier gibt es quasi ein Reich des

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propositionalen, intentionalen und bewussten Denkens und eines, welches gegenteilige Eigenschaften aufweist. Selbst wenn es diese Grenzen geben sollte, müssen die Grenzen selbst unbedingt als variabel angesehen werden. Sehr wahrscheinlich gibt es Effekte impliziter Einstellungen, die auch trotz richtiger Motivation und Gelegenheit nicht in den Griff zu bekommen sind. Tatsache ist allerdings, dass die Menge von Verhaltensweisen, die durch Biases beeinflusst werden, deutlich verkleinert werden kann, wenn man die richtige Motivation aufbringt. Wenn nun behauptet wird, nur jene restlichen Effekte, die unkontrollierbar sind, seien implizite Biases, dann verwendet man den Begriff konträr zur Sozialpsychologie. Diese spricht nämlich in erster Linie dann von impliziten Biases, wenn indirekt gemessene Zustände, wie implizite Stereotype oder implizite Vorurteile, das Verhalten (entgegen der expliziten Zustände) beeinflussen. Eine Definition vom impliziten Bias, welche eine Kontrolle trotz Motivation und Gelegenheit ausschließt, ist demnach unangebracht. 4.1.3

Eigenschafts-Cluster

Wie bereits erwähnt (siehe Kapitel 2.2.3.5) nehmen Dual-System Modelle, wie beispielsweise das Modell von Strack und Deutsch (2004), einen Eigenschaftscluster an, welcher mit dem System-1 und dem System-2 einhergeht (Evans, 2008). System-1 ist demnach das automatische System mit Eigenschaften wie nicht-intentional, effizient, unbewusst und parallel verarbeitend. System-2 beinhaltet typischerweise die invertierten Eigenschaften. Implizit wären implizite Einstellungen daher, weil sie Teil des System-1 sind und dementsprechend am Eigenschafts-Cluster teilhaben. Implizite Biases könnten als Teil des System-1 betrachtet werden, um sie von anderen psychologischen Mechanismen zu unterscheiden. Außerdem wäre dann auch klar, was die einzelnen impliziten mentalen Zustände miteinander verbindet, wenn man von ihren Messverfahren absieht: die Automatizitätseigenschaften der Systeme. Diese Idee der Dual-System-Modelle wurde in der Sozialpsychologie in den letzten Jahren stark kritisiert (für einen Überblick, siehe Sherman, Gawronski, & Trope, 2014). Die Gründe sind sowohl empirischer als auch theoretischer Natur. Verheerend für die Dual-System Modelle ist die Tatsache, dass es de facto keinen Eigenschafts-Cluster gibt (Gawronski & Bodenhausen, 2014). Tatsächlich ist es so, dass die Eigenschaften der Automatiztität sehr fransig statt trennscharf sind. Ein Prozess hat typischerweise einige Eigenschaften des einen und Eigenschaften

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des anderen Systems. Ein bewusster Prozess kann assoziativ sein, wie zum Beispiel eine Erinnerung, die durch einen Stimulus ausgelöst wurde (nicht-intentional). Solch eine Erinnerung kann auch unerwünscht sein, aber gleichzeitig nicht zu kontrollieren: man strengt sich an und nutzt verschiedene Strategien, aber die Erinnerung erscheint wieder im Bewusstsein. Eine Assoziationskette kann aber auch intentional angestoßen werden, auch wenn dann möglicherweise ein bewusster Stopp des Prozesses nicht möglich ist. Jenseits solcher alltäglichen Beispiele zeigen auch psychologische Daten, dass kognitive Prozesse bestimmte Eigenschaften haben können oder eben nicht. Die Prüfung, ob ein Set von repräsentationalen Propositionen konsistent ist, kann beispielsweise sowohl bewusst als auch unbewusst, sowie intentional und nicht-intentional geschehen (siehe Tabelle auf Seite 193, Gawronski & Bodenhausen, 2014). Auch theoretische Argumente machen den Dual-System Modellen zu schaffen. So verlangt Samuels (2009) beispielsweise nach einer Erklärung dafür, weshalb es überhaupt zu einem Cluster kommen sollte. Warum, so die Frage, teilen sich Prozesse eines Systems bestimmte Eigenschaften? Die bisher vielversprechendste Erklärung kommt von Evans (2009), der vorschlägt, dass der Zugriff auf das Arbeitsgedächtnis den Eigenschaftscluster vom System-2 erklärt. Dementsprechend übertragen sich Eigenschaften des Arbeitsgedächtnisses auf die Arbeitsweise des kognitiven Prozesses. Das Arbeitsgedächtnis (working memory) stellt dabei einen Flaschenhals dar: die Ressourcen sind begrenzt und die Verarbeitung muss seriell geschehen. Allerdings lassen sich dadurch nur wenige Eigenschaften des System2 Clusters erklären. Selbst wenn diese zwei Eigenschaften geteilt werden, so gibt es wahrscheinlich noch viele andere Eigenschaften, die Prozesse teilen. Dennoch würde niemand behaupten, dass hier ein neues System erkannt wurde. Es ist nicht wirklich einzusehen, weshalb aufgrund weniger geteilter Eigenschaften ein ganzes kognitives System definiert wird. Nach dieser Logik gäbe es wohlmöglich viele verschiedene Systeme. Zusätzlich mangelt es an einer Erklärung dafür, weshalb es in einem System-1 geteilte Eigenschaften gibt. Der Erklärungsansatz Evans hat dazu nichts beizutragen. 4.1.4

Fazit

Ich habe gezeigt, dass es kein einzelnes Charakteristikum der impliziten Zustände gibt, welches klar bestimmt, was implizite Zustände von expliziten unterscheidet.

Was sind implizite Vorurteile?

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Weder die Dichotomie von bewusst zu unbewusst, noch die mangelnde Kontrollierbarkeit konnten als Merkmale überzeugen. Was bleibt also? 26 Implizite Zustände sind diejenigen Zustände, die auf Grundlage indirekter Messverfahren zugeschrieben werden. Darüber hinaus gilt, dass sie mindestens eine Eigenschaft der Automatizität erfüllen. Sowohl für das Inhaltsbewusstsein als auch die Kontrollierbarkeit gilt, dass in Abwesenheit einer entsprechenden Motivation beide Merkmale fehlen. Das bedeutet, dass es für das Subjekt Anstrengungen benötigt, um ein Inhaltsbewusstsein impliziter Einstellungen zu bekommen. Außerdem bedarf es Anstrengungen, um das Verhalten zu kontrollieren. Diese Bedingungen unterscheiden die impliziten Einstellungen von den expliziten, wenn auch nicht mit derjenigen Trennschärfe, die man sich wünschen würde. 4.2

Was sind implizite Vorurteile?

Nachdem die Überlegungen darüber abgeschlossen sind, was mentale Zustände sind und wofür sie genutzt werden, soll nun vor diesem Hintergrund die Frage betrachtet werden, was genau implizite Vorurteile sind. Dabei stehen insbesondere drei Vorschläge im Fokus: assoziative Konzepte, Überzeugungskonzepte und dispositionale Konzepte. Die prominenteste Vertreterin einer assoziativen Konzeption impliziter Vorurteile ist Gendler, deren Ansatz im Folgenden kritisch diskutiert wird. Mandelbaum ist für eine Theorie bekannt, dass implizite Vorurteile unbewusste Überzeugungen seien. Machery behauptet, dass die Unterscheidung von impliziten und expliziten Einstellungen nicht nützlich ist und möchte stattdessen von Persönlichkeitsmerkmalen sprechen, welche Dispositionen darstellen. Alle drei Ansätze werden als unbefriedigend herausgestellt. Anschließend möchte ich implizite Vorurteile als Dispositionen darstellen und gleichzeitig den Mangel der dispositionalen Analyse Macherys umgehen. 4.2.1

Implizite Vorurteile als assoziative Zustände

In diesem Abschnitt soll zunächst Gendlers (2008b, 2008a) Theorie darüber betrachtet werden, dass implizite Vorurteile sogenannte „Aliefs“ seien. Ich habe die wichtigsten Argumente und die zentralen Thesen herausgearbeitet und expliziert. Dadurch wird es möglich, bestehende Kritiken besser nachvollziehen zu können, 26

Die implizite Sozialpsychologie (siehe zum Beispiel, Gawronski & Payne, 2010) nutzt die drei diskutierten Merkmale häufig, um sich von der klassischen Sozialpsychologie abzugrenzen. Es ist fraglich, ob dies zufriedenstellend gelingen kann.

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denn die Kritiken beziehen sich jeweils auf eine der zentralen Thesen, die Gendler anführt. Anschließend wird auch eine Kritik thematisiert, welche alle assoziativen Theorien zu impliziten Vorurteilen betrifft und insofern nicht nur gegen Gendlers Alief-Konzept gerichtet ist. 4.2.1.1

Aliefs statt Beliefs

Gendler (2008b, 2008a) hat sich mit ihrem Konzept innerhalb der Diskussion mit den sogenannten „Aliefs“ hervorgetan. Brownstein (2015) behauptet, dass innerhalb der Debatte um die Natur impliziter Vorurteile Gendler eine Sui Generis Position einnimmt: demnach sind implizite Vorurteile eine eigene Art von mentalem Zustand. Jener mentale Zustand, der Alief, ist an das englische Wort „belief“ angelehnt. Im Gegensatz zum „belief“ ist ein „alief“ bestimmt als a-rational, assoziativ und automatisch. Dieses Konzept wird, so Gendler, immer dann benötigt, wenn die klassische Belief-Desire Psychologie an ihre Grenzen stößt. Implizite Vorurteile wurden dementsprechend von Gendler als Aliefs betrachtet. Das Konzept soll hier eingeführt und kritisch betrachtet werden. Gendlers Argument, welches die Annahme von Aliefs begründen soll, besteht im Wesentlichen aus diesen zwei Schritten: 1. 2.

Verhaltensweisen, die den Normen der Rationalität widersprechen, können nur dann vollständig erklärt werden, wenn der mentale Zustand ‚Alief‘ berücksichtigt wird (Vollständigkeit). Andere mentale Zustände, wie Überzeugungen, Wünsche oder Imaginationen, können den ‚Alief‘ nicht ersetzen (Unersetzlichkeit).

Zunächst einige Beispiele, die Gendlers Motivation für die Einführung von Aliefs darstellen: •

Eine Person überschreitet den Grand Canyon mittels einer Glasbrücke und zeigt dabei im äußeren Verhalten offensichtliche Unsicherheiten. Es scheint fast so als würde die Person die Sicherheit der Glasbrücke in Zweifel ziehen. Gleichzeitig überschreitet sie jedoch die Glasbrücke, was darauf schließen lässt, sie hätte die Überzeugung, die Brücke sei sicher (Gendler, 2008a).



Ein Frosch in einem Laborexperiment bekommt auf einem Computerdisplay einen schwarzen Punkt angezeigt, der über den Bildschirm huscht. Jedes Mal wenn dies geschieht versucht der Frosch den Punkt mit seiner Zunge einzufangen. Offenbar hält er den Punkt für ein Insekt, und auch, wenn diese Versuche ständig an der Erfahrung scheitern, bleibt der Frosch bei diesem Verhaltensmuster (Gendler, 2008b).

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Eine Person schaut im Fernsehen ein Fußballspiel und feuert lautstark ihre Mannschaft an. Würde man die Person darauf hinweisen, dass die Mannschaft sich durch ihr Gebrüll im Wohnzimmer nicht anders verhält, würde diese mit Sicherheit zustimmen. Ähnliches gilt für den Kinobesucher eines Horrorfilms, der vor lauter Angst beginnt zu schreien – glaubt diese Person etwa gleichzeitig, dass das, was im Film passiert, eine Bedrohung ist und gleichzeitig, dass es ja nur ein Film sei (Gendler, 2008b)?

Laut Gendler haben alle diese Fälle etwas gemein, was ohne die Einführung des Konzepts Alief unerkannt bleibt. Das Gemeinsame ist das ‚norm-discordant behavior‘, also das Abweichen von einer rationalen Norm. Die Person auf der Glasbrücke scheint widersprüchliche Überzeugungen zu haben, so Gendler. Gleiches gilt für den Fußball-Fan und den Kinobesucher. Der Frosch ist insofern abweichend von der rationalen Norm, als dass er seine Überzeugung ‚dort ist ein Insekt‘ nicht an die Erfahrung anpasst, welche der Überzeugung widerspricht. Gendler möchte nun sagen, dass die Person auf der Glasbrücke zwar glaubt, die Brücke sei sicher, aber alieft, die Brücke sei unsicher. Der Fußball-Fan glaubt, dass sein Verhalten für den Verlauf des Spiels unerheblich ist, aber alieft, dass sein Verhalten etwas bewirkt. Der Kinogänger glaubt, er sei völlig sicher vor dem Horror auf der Leinwand, alieft allerdings eine Gefahr. Um dies zu verstehen muss das Alief-Konzept nun genauer betrachtet werden. Unter einem Alief versteht Gendler eine habituierte oder angeborene Tendenz von Menschen oder Tieren bei einem bestimmten Stimulus auf bestimmte Weise zu reagieren. Wenn man einen Alief besitzt, hat man einen mentalen Zustand, der assoziativ, a-rational und automatisch arbeitet. Die Zustände sind assoziativ, was bedeutet, dass sie keine propositionale Struktur haben. Sie sind weder wahr noch falsch, noch sind sie derartig zusammengesetzt, dass es einen logisch-semantischen Zusammenhang gibt. Außerdem verändern und konstituieren sich Assoziationen, im Gegensatz zu Überzeugungen, ohne Gründe. Das Merkmal ‚a-rational‘ soll darauf hindeuten, dass keine Dichotomie von rational zu irrational gilt. Dies resultiert aus dem vorherigen Merkmal. Die Eigenschaft ‚automatisch‘ lehnt sich an diejenigen Merkmale an, die typischerweise bei Dual-System Modellen auf der Ebene System-1 zu finden sind. Typischerweise sind Aliefs auch affektiv und sorgen für eine bestimmte Verhaltensbereitschaft. Aliefs sind demnach also nicht Teil der kühlen Rationalität, wie es idealerweise Überzeugungen sein sollten. Zur Verhaltensbereitschaft zählt zum Beispiel das sogenannte ‚fight-or-flight response‘: demnach führt ein Stimulus,

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der Gefahr signalisiert, zu physiologischen Reaktionen, die den Körper optimal auf Verhaltensweisen, wie Kampf oder Flucht, vorbereiten (Cannon, 1963). Ein Alief hat drei Komponenten, nämlich eine repräsentative, eine affektive und eine Verhaltenskomponente. Die repräsentative Komponente stellt den Stimulus dar, welcher den existierenden Alief quasi aktiviert. Bei der Person auf der Glasbrücke könnte beispielsweise der visuelle Eindruck von Höhe diese Stelle einnehmen. Die affektive Komponente stellt eine affektive Reaktion dar. Der Eindruck von großer Höhe kann dementsprechend ein Gefühl von Angst auslösen. Die Verhaltenskomponente verweist auf die entsprechenden Verhaltensreaktionen, welche beispielsweise bei Angst entstehen. Ausgehend von den Komponenten zeigt sich, dass es eine sprachliche Abkürzung ist, etwas zu sagen, wie „Die Person alieft, dass die Bücke unsicher ist“. Die Beschreibung eines Aliefs ist stattdessen immer so zu verstehen: S alieft R, A, B. Gendler selbst bestimmt den Alief der Person auf der Brücke wie folgt: „high up above the ground right now, dangerous scary place to be, tremble“ (Gendler, 2008b, S. 559). Den Frosch im Labor beschreibt sie mit: “small round black object up ahead; appealing in a foody sort of way; move tongue in its direction” (Gendler, 2008b, S. 559). Gendler (2008b, S. 560–561) ist davon überzeugt, dass andere Konzepte, wie das Vorstellen, die Selbsttäuschung, falsche Überzeugungen oder Emotionen, prinzipiell genutzt werden können, um die Beispiele ebenfalls zu erklären. Gleichzeitig verweist sie allerdings darauf, dass das Alief-Konzept in solchen Fällen als Ergänzung genutzt werden kann und dass ohne diese Ergänzung häufig die Erklärung unvollständig oder sogar falsch ist. Wenn man beispielsweise das Konzept der Überzeugung für die Erklärung nutzen möchte, gerät man schnell in unsicheres Fahrwasser. Überzeugungen sind auf die Wahrheit ausgerichtet (truth-tracking) und daher sensibel gegenüber Gründen (reason-responsive). Gründe und Wahrnehmungsdaten sollten also die Überzeugung und das entsprechende Verhalten verändern. Für die vorgestellten Fälle gelte dies aber nicht. Wenn man also nicht auf das Alief-Konzept zurückgreift, verfehle man eben das Merkmal der Abweichung von der rationalen Norm. Ein aversiver Rassist ist nach Gendler demnach wie folgt bestimmt. Er ist von egalitären Werten überzeugt und dementsprechend davon, dass Menschen aller Hautfarben gleich berechtigt sind. Daher ist der aversive Rassist auch selbst davon überzeugt, dass er Personen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe benachteiligt. Jenseits dieser Überzeugungen hat der aversive Rassist aber noch implizite Vorurteile, welche in Gendlers Konzeption als Aliefs verstanden werden. Brownstein (2015) schlägt die folgende Alief-Charakterisierung vor: “Black man! Scary! Avoid!”.

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Dadurch soll erklärt werden, dass eine Person entgegen ihrer Überzeugungen handelt. Dieses Verhalten stellt eine Abweichung von der rationalen Norm dar, wie auch bei der Person auf der Glasbrücke, weshalb Gendler auch in diesem Fall das Alief Konzept für wichtig erachtet. Gendler äußert sich auch zum sogenannten Stereotype-Threat (Steele, 1997). Dieser besagt, dass Personen, die unter einen Stereotyp fallen, sich entsprechend dem Stereotypen verhalten, wenn sie in entsprechenden Situationen darauf hingewiesen werden. Eine Studie (Spencer, Steele, & Quinn, 1999) zeigt beispielsweise, dass Frauen dann schlechter bei einem Mathematik-Test abschneiden, wenn man sie vorher darauf aufmerksam macht, dass stereotypsicherweise Frauen schlechter in Mathematik sind. Eine andere Studie (Shih, Pittinsky, & Ambady, 1999) konnte das Ergebnis in Mathematik bei asiatischen Mathematik-Studentinnen verbessern, wenn sie daran erinnert wurden, dass sie zur sozialen Gruppe ‚Asiaten‘ gehören, die stereotypischerweise gut in Mathematik sind. Wurden sie aber daran erinnert, dass sie Frauen sind, verschlechterte sich das Ergebnis wieder. Was genau geschieht hier? Hat es mit den theoretischen Grundlagen der sozialen Identität (Tajfel, 1974) zu tun? Sind es physiologische Reaktionen (arousal), die je nach Narrativ der Probanden anders interpretiert werden (je nach Theorie der Emotionen müssen physiologische Erregtheitszustände erst klassifiziert werden, bevor sie als spezifische positive oder negative Emotion vom Subjekt erlebt werden können; siehe Schachter & Singer, 1962)? Sind es bloß physiologische Reaktionen, wie Stress, die das endokrine System verändern? Gendler (2011) dazu: jemand, der Opfer des Stereotypes-Threats ist, hat einen “[…] alief with the content ‘Female’ applies to me and ‘female’ is associated with poor math performance [R-Komponente]; (anxiously) better make sure that I’m doing these math problems correctly [A-Komponente]; double-check double-check double-check [BKomponente]” (S. 51). 4.2.1.2

Kritik an der Alief-Konzeption

Hubbs (2013) kritisiert am Alief Konzept, dass es keinerlei Erklärungsvorteil bringt. Dazu stellt er zunächst fest, dass sich das Alief-Konzept auf der Ebene der Alltagspsychologie befindet. Auf dieser Ebene kann das Konzept jedoch nichts leisten, was nicht ohnehin durch die Alltagspsychologie geleistet werden kann. Hubbs Kritik ist implizit bereits bei Churchland (1981) zu finden, wenn Churchland darauf verweist, dass die Alltagspsychologie auch Emotionen miteinbezieht. So gelten beispielsweise Sätze, wie ‚wer hofft, dass p, und entdeckt, dass p gilt, der ist erfreut über p‘ auch als Sätze der Alltagspsychologie. Im gleichen Sinne lassen sich, so Hubbs, alle Abweichungen von Belief-Desire Erklärungen durch

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weitere alltagspsychologische Zustände erklären. Der Rekurs auf Aliefs ist demnach ohne Vorteil. Hubbs Kritik greift zu kurz. Die empirische Psychologie zeigt, dass die Alltagspsychologie häufig an ihre Grenzen stößt, was Gendler richtig erkannt hat. Daten der empirischen Psychologie, der Neurologie und der Kognitionswissenschaften sind nur sehr umständlich in die starren Konzepte der Alltagspsychologie einzugliedern. Zur Unersetzlichkeit von Aliefs Currie und Ichino (2012) stellen in Frage, dass es sich bei Aliefs um einen mentalen Zustand handelt und kritisieren damit die These der Unersetzlichkeit. Die Kritik versteht das Alief-Konzept als eine Art Container-Konzept, welches Repräsentationen, affektive Reaktionen und Verhaltenstendenzen bzw. Verhaltensroutinen beinhaltet. All jene Komponenten sind von der Psychologie, den Neurowissenschaften und den Kognitionswissenschaften gut erforscht. Allerdings bezieht sich Gendler auf kaum eine dieser Disziplinen, wenn sie Aliefs charakterisiert. Es stellt sich dementsprechend die Frage, weshalb man überhaupt von Aliefs sprechen sollte, wenn man auf bereits gut erforschte Konzepte zurückgreifen kann. Die Tatsache, dass man diejenigen Elemente, welche Verhalten erklären, als einen neuen mentalen Zustand verkauft, macht eine Erklärung nicht besser. Currie und Ichino (2012) sind der Auffassung, dass Gendler prinzipiell eine wichtige Beobachtung auf den Punkt bringt: die Alltagspsychologie kommt häufig an ihre Grenzen. Allerdings sei der Schluss, den sie daraus zieht, fraglich. Sie kreiere im Prinzip einen neuen Zustand innerhalb der Ebene der Alltagspsychologie und packe in diesen – ohne empirische Details – mentale Zustände der Psychologie und Prozesse der Neurologie. Stattdessen, so die Autoren, wäre die Einsicht in die Beschränktheit der Alltagpsychologie der sinnvollere Schluss gewesen. Zur Unvollständigkeit aller Erklärungen irrationalen Verhaltens ohne Aliefs Currie und Ichino (2012) machen darauf aufmerksam, dass ein Belief-Desire Framework nicht alles zu erklären braucht. Mit diesem Argument soll Gendlers Unvollständigkeits-These kritisiert werden. Das Belief-Desire Framework soll Handlungen erklären und nicht physiologische Zustände. Wenn also eine Person mittels einer Glasbrücke den Grand Canyon überquert, dann ist es sinnvoll anzunehmen, dass die Person davon überzeugt ist, die Brücke sei sicher. Die Tatsache, dass die Person ‚weiche Knie‘ hat, muss nicht durch das Framework erklärt wer-

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den, denn dabei handelt es sich nicht um Handlungen. Wenn also bei der Handlungserklärung bereits alles geschehen ist, fehlt dementsprechend auch kein weiteres Element der Erklärung, wie es Gendler behauptet. Nach Currie und Ichino (2012) gibt es verschiedene Arten mentaler Zustände und nicht bloß diejenigen, welche in der Alltagspsychologie eine Rolle spielen. Verhalten lässt sich sehr häufig mit mentalen Zuständen erklären, aber es ist immer möglich die Ebene der Alltagspsychologie zu verlassen – eine Möglichkeit, die Gendler nicht ernsthaft diskutiert. Gendler würde wahrscheinlich darauf verweisen, dass durch solch eine Erklärung auch die Abweichung von der rationalen Norm verloren ginge (deshalb die Unvollständigkeits-These). In diesem Sinne würde ein wichtiger Aspekt von dem verloren gehen, was erklärt werden sollte. Muller und Bashour (2011) kritisieren Gendlers Fokus auf eben jene Normativität der Alltagspsychologie. Gendler fasst mit dem Alief-Konzept all diejenigen Fälle zusammen, die rationalen Normen widersprechen. Immer dann also, wenn eine Irrationalität auftritt, muss der Alief-Begriff, so Gendler, genutzt werden. Andernfalls ist die Erklärung entweder lückenhaft oder vielleicht sogar falsch. Tatsächlich streicht Gendler (2008b) heraus, dass Aliefs weder rational noch irrational sind. Wenn also Verhalten mit dem Belief-Desire Framework erklärt wird, dieses Verhalten aber irgendwie von der Norm abweicht, dann wird ein Alief attributiert. Dadurch kann das scheinbar irrationale Verhalten als nicht-irrational aus der Verhaltensbeschreibung ausgeklammert werden. Ein Alief ist keine propositionale Einstellung und kann insofern keiner anderen propositionalen Einstellung widersprechen. Was bleibt ist vollständig rationales Verhalten. Allerdings, so Muller und Bashour (2011), sollte man das Konzept der Überzeugung deskriptiv und nicht normativ betrachten. De facto gibt es gute Gründe anzunehmen, dass Überzeugungen sich häufig konträr zu Gründen verhalten. Viele Überzeugungen haben sich durch ursächliche Zusammenhänge entwickelt, zum Beispiel durch Habitualisierung (siehe beispielsweise Bem, 1972; Cooper, 2007). Die Anerkennung dieser Tatsache führt dazu, dass die Unterscheidung von Aliefs und Überzeugungen sehr fragil wird. Eine Konzeptualisierung der Alltagspsychologie als deskriptives Unterfangen würde das Alief Konzept bereits überflüssig machen, womit die Unvollständigkeitsthese nicht weiter haltbar wäre. Bestreitet man allerdings, dass Überzeugungen deskriptive Konzepte sind, begibt man sich in unsicheres Fahrwasser. Wenn beispielsweise eine Person von klein auf mit dem Glauben an Gott erzogen worden ist, kann es sein, dass theistische Überzeugungen trotz Ermangelung guter Gründe bestehen bleiben. Daher müsste Gendler dieser Person den Alief an Gott

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zuschreiben. Dies ist für Muller und Bashour (2011) sehr unplausibel, da die Person ganz klar die Überzeugung hat, dass ein Gott existiert: sie spricht und verhält sich so. Gendler könnte womöglich sagen, dass diese Überzeugung von einem Alief verursacht wird. Dann aber hätte das Überzeugungskonzept keine scharfen Kanten mehr, denn Gendlers starker Fokus auf die rationale Normativität des Überzeugungskonzepts wäre dadurch in Frage gestellt. Schließlich kann ein Alief keinen Grund für eine Überzeugung darstellen. Die Unvollständigkeitsthese steht also auf sehr wackligen Füßen. Zusätzlich gilt, dass Gendlers Alief-Konzept nur dann etwas erklären kann, wenn viele diskussionswürdige Fragen als beantwortet voraussetzt werden. Es wird beispielsweise vorausgesetzt, dass implizite Vorurteile wesentlich assoziativ sind. Dafür werden keine weiteren Argumente vorgebracht, sondern es wird behauptet, dass die Erklärungsleistungen des Konzepts diese Annahme rechtfertigen. Sowohl in der Philosophie als auch in der Psychologie ist diese Annahme allerdings umstritten (Mahzarin R. Banaji, 2001; Houwer, 2014). Auch die Trennung der Verhaltenskomponente und der Gefühlskomponente setzt etwas voraus, was unklar ist. In der Philosophie ist es umstritten, ob man das Verhalten bzw. die Physiologie tatsächlich von dem Gefühl unterscheiden kann. James ist dafür bekannt, behauptet zu haben, Gefühle seien identisch mit Verhaltensweisen und physiologischen Zuständen. Auch für diese Voraussetzungen liefert Gendler kein Argument. Insgesamt erscheint die Erklärungsleistung des Aliefs jenseits der gemachten Voraussetzungen fraglich. Die Erklärung des Stereotypes-Threats 27 (Steele, 1997) etwa, lautete: „ “[…] alief with the content ‘Female’ applies to me and ‘female’ is associated with poor math performance [R-Komponente]; (anxiously) better make sure that I’m doing these math problems correctly [A-Komponente]; double-check double-check double-check [B-Komponente]” (S. 51). Diese Erklärung erscheint als triviale Rekonstruktion des Geschehens. Weshalb ein ‘double-check‘ zu schlechteren Ergebnissen führt, ist alles andere als klar. Ausgehend von dieser Erklärung wären bessere statt schlechtere Leistungen genau so zu erklären. Mandelbaum (2013) widmet sich einem ganz anderen Problem des Alief-Konzepts. Er versucht zu zeigen, dass das Alief Konzept nur das leisten kann, was es leisten soll, wenn Aliefs propositional strukturiert sind. Wenn sie dies aber sind, dann ist der Alief kein sui generis Zustand, sondern ein Sammelsurium von bereits bestehenden mentalen Zuständen und damit überflüssig. Dementsprechend nimmt 27

Unter dem Stereotype-Threat versteht man die Tendenz von Personen sich derartig zu verhalten, wie es ihrem Stereotyp entspricht. Wenn stereotypischerweise Personen schlecht in Tests abschneiden und diese Personen kurz vor dem Test an diesen Stereotypen erinnert werden, dann schneiden die Personen tendentiell schlechter ab.

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Mandelbaum zunächst an, dass Aliefs eben nicht propositional strukturiert sind. Anschließend versucht er zu zeigen, dass dadurch viele der angeblichen Erklärungen Gendlers nicht funktionieren können. Dabei verweist er auf zwei Punkte: das Binding-Problem und die Sensibilität gegenüber Gründen. Der letzte Punkt wird im nächsten Unterkapitel detailliert besprochen, weshalb hier nur das BindingProblem vorgestellt werden soll. Studien zeigen, dass Menschen dazu neigen ‚magische‘ Eigenschaften an Gegenständen wahrzunehmen (Rozin, Markwith, & Ross, 1990; Rozin, Nemeroff, Wane, & Sherrod, 1989). Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Vor einem Probanden stehen zwei leere Wasserfalschen. In beide füllt er selbst Wasser ein und wird dann darum gebeten, auf eine der Falschen einen ‚Giftig‘-Aufkleber anzubringen. Wenn er nun aufgefordert wird sich ein Glas Wasser aus einer der beiden Flaschen einzuschütten, wird er sehr wahrscheinlich jene Flasche ohne Aufkleber wählen. Laut Gendler alieft die Person, dass eine der Falschen giftig ist und beschreibt den Alief wie folgt: “CYANIDE, DANGEROUS, AVOID’’ (Gendler, 2008a, S. 648). Mandelbaum (2013) macht hier zu Recht darauf aufmerksam, dass dieser Alief nicht erklären kann, wie das Prädikat ‚DANGEROUS‘ auf die richtige Flasche attributiert wird. Aber eben dies ist das Problem, welches es zu lösen gilt. Es genügt nicht zu erklären, dass insgesamt ein negativer Affekt getriggert wird, sondern es muss gezeigt werden wie genau jener Affekt zielsicher dem Objekt zugeordnet wird. Wie das Alief-Konzept dieses Problem lösen kann, ist unklar. Mandelbaum richtet diese Kritik zwar nur explizit gegen Gendlers Alief-Konzept, doch erweitert er seine Kritik gegen manche Anwendungen der Assoziationenstheorien insgesamt (Mandelbaum, 2017). Das Problem stellt sich für implizite Vorurteile ganz analog. Eine Assoziation ist die gesetzmäßige Folge von Gedankeninhalten. Bei der Assoziation unterscheidet man zwischen dem Prozess des Assoziierens und dem assoziativen Netz. Dieses Netz besteht aus Knoten (Nodes), die mit unterschiedlich starken Kanten miteinander verbunden sind. Die Knoten entsprechen typischerweise Labeln, die zu bestimmten Assoziationen führen. Das Label ‚AUTO‘ ist beispielsweise stark mit dem Label ‚REIFEN‘ verknüpft. Dementsprechend ist die Kante zwischen dem AUTO- Knoten und dem REIFEN- Knoten stark. Wird nun aufgrund einer Auto-Wahrnehmung die Node ‚AUTO‘ aktiviert, wird aufgrund der starken Verbindung auch der ‚REIFEN‘-Knoten subaktiviert.

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Wenn also die Knoten ‚AFRO-AMERIKANER‘ stark mit dem Knoten ‚SCHLECHT‘ verbunden sind, dann führt die Aktivierung von ‚AFRO-AMERIKANER‘ zur Subaktivierung von ‚SCHLECHT‘. Was jedoch im Dunkeln bleibt ist die Frage, wie von hier aus nun die Eigenschaft ‚SCHELCHT‘ auf das Stimulus-Objekt attributiert wird. Um dies zu erklären muss man bereits über ein rein assoziatives Verständnis hinausgehen. Dementsprechend ist der Ansatz nicht in der Lage das zu erklären, was er erklären soll. Nämlich, weshalb gerade diese Person als negativ wahrgenommen wird und nicht beispielsweise das Wetter. Die Aktivierung eines negativen Affekts ist nicht ausreichend um dies zu erklären. Allerdings halte ich Mandelbaums (2013) These, dass nur mittels Propositionen eine Eigenschaft auf ein Objekt bezogen werden kann, für zu stark. Zum Beispiel kann auch ein Vorstellungsbild (bildliche Repräsentationen) eine Eigenschaft, wie eine Farbe, auf ein Objekt beziehen (Kosslyn & Pomerantz, 1977). Ein Vorstellungsbild ist keine Wahrnehmung und muss dementsprechend nicht weiter interpretiert werden, sondern liefern qua Existenz die Vorstellungsinformationen. Der Inhalt solche Vorstellungsbilder ist immer vorstrukturiert als Gegenstände mit Eigenschaften. Damit ist Mandelbaums starke These, dass implizite Vorurteile Propositionen sein müssen, bereits widerlegt. 4.2.1.3

Fazit

Gendlers Alief Konzept wird unter den richtigen Vorzeichen eingeführt, wird dann aber nicht sinnvoll ausbuchstabiert. Gegen die Unersetzlichkeit der Aliefs spricht zunächst, dass unklar ist, ob es sich bei Aliefs überhaupt um einen eigenen mentalen Zustand handelt. Es scheint eher so zu sein, dass ein Alief eine Art ContainerKonzept ist, welches andere Konzepte aus der Psychologie und Neurologie beinhaltet. Die Kritik ist treffend und demnach können Aliefs durch jene Zustände, die im Alief verortet werden, ersetzt werden. Zusätzlich gilt daher, dass Aliefs keine mentalen Zustände sind, weshalb sich mit deren Hilfe auch kein Verhalten prognostizieren lässt. Die Zuschreibung von Aliefs ist dementsprechend nicht gerechtfertigt (siehe 3.2.3). Die These, dass ein Verzicht auf Aliefs zu einer unvollständigen Erklärung führt, ist nur dann nachvollziehbar, wenn das Konzept der Überzeugung nicht deskriptiv, sondern normativ verstanden wird. Ich halte es allerdings für unplausibel, dass gute Verhaltenserklärungen rein normativ sein können. Erklärungen sollten sich auf die tatsächlichen Zusammenhänge beziehen und nicht auf imaginierte. Eine rein normative Verhaltensbeschreibung hat bestenfalls einen hermeneutischen Nutzen. Insbesondere wenn Fehlverhalten erklärt werden soll, zeigt sich, dass gute Theorien deskriptiv sind – in solchen Fällen wollen wir wissen, weshalb es zum Fehlverhalten kommt. Nur wenn die Theorie deskriptiv ist, kann auch mittels der

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erklärenden Theorie ein Weg vorgeschlagen werden, wie der Fehler vermieden bzw. behoben werden kann. Betrachtet man weniger den Alief als solchen, sondern nimmt in den Blick, wie die drei Komponenten innerhalb eines Aliefs etwas erklären sollen, bleiben erhebliche Schwierigkeiten. Die erbrachten Erklärungsleistungen, die erreicht werden können, sind fraglich. An manchen Stellen scheint es eher so zu sein, dass innerhalb des Aliefs-Containers vieles über die Komponenten unbegründet vorausgesetzt werden muss. Beispielsweise ein assoziatives Verständnis von impliziten Vorurteilen, oder aber eine Dichotomie von Affekten/Emotionen zu physiologischen Zuständen. Da die einzelnen Komponenten des Aliefs in Gendlers Beispielen nicht wirklich bestimmt sind, sondern mit Alltagssprache paraphrasiert werden, ist auch die Erklärungsleistung der einzelnen Komponenten schwach. Gendlers Beispiel, welches den sogenannten Stereotype-Threat erklären sollte, war äußerst unbefriedigend, denn damit ließe sich auch das gegenteilige Phänomen erklären. Betrachtet man die erste Komponente (Repräsentations-Komponente) der Aliefs, dann entsteht das gleiche Problem, welches gernell bei assoziativen Ansätzen von impliziten Vorurteilen entsteht. Grundsätzlich haben assoziative Konzepte das Problem zu erklären, wie ein wertendes Prädikat auf ein Objekt bezogen wird. Wenn ein Objekt-Stimulus eine Wertung assoziativ sub-aktiviert, dann stellt sich die Frage, wie genau die Wertung auf jenes Objekt bezogen wird. Um dies zu erklären, muss man bereits das assoziative Modell verlassen. Eben jenes Phänomen, die Wertung eines bestimmten Objekts, stellt allerdings den Kern impliziter Vorurteile dar und muss daher erklärt werden können. 4.2.2

Implizite Vorurteile als Propositionen

Nachdem assoziative Konzepte nicht überzeugen konnten, sollen nun diejenigen Ansätze betrachtet werden, die implizite Vorurteile als propositional strukturiert bestimmen. Hier soll in zwei Stufen verfahren werden: (1) zunächst soll die Theorie Mandelbaums analysiert werden, wonach implizite Vorurteile unbewusste Überzeugungen sind. Dazu werden die zentralen Thesen in Mandelbaums Argument von mir expliziert. Überzeugungen sind propositional strukturiert und haben zusätzlich eine bestimmte funktionale Rolle, welche eine Überzeugung von einem Wunsch unterscheidet. Es soll gezeigt werden, dass Mandelbaums Theorie gravierende Schwächen aufweist. Dafür wird auch ein eigenes Argument dargestellt, welches die Sensibilität gegenüber Gründen betrifft, die für Überzeugungszustände angenommen werden muss. Anschließend (2) soll der Frage nachgegangen

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werden, ob implizite Vorurteile zumindest propositionale Zustände sind, wenn auch keine Überzeugungen. Auch gegen diese Vorstellung werde ich eigenes Argument darstellen, welches in Frage stellt, dass implizite Einstellungen propositional strukturiert sind. 4.2.2.1

Implizite Vorurteile als unbewusste Überzeugungen

Nach Mandelbaums (2014) Structured Belief Hypothesis basieren implizite Biases auf unbewussten Überzeugungen. Da implizite Biases von impliziten Einstellungen verursacht sind, behauptet Mandelbaum dementsprechend, dass implizite Einstellungen unbewusste Überzeugungen sind. Überzeugungen behandelt Mandelbaum (2013, 2014), im Gegensatz zu Gendler, empirisch bzw. deskriptiv. So kann Mandelbaum beispielsweise sagen, dass auch Überzeugungen assoziiert werden können und auch selbst Assoziationen auslösen können. Zusätzlich sagt Mandelbaum, dass Überzeugungen nicht all diejenigen Charakteristiken erfüllen, die für die Philosophie häufig als essentiell gelten. Die Sensibilität gegenüber Gründen ist tatsächlich häufig weniger stark ausgeprägt, als sie beispielsweise bei Fodor (1989) gedacht wird. Dies gilt insbesondere für die unbewussten Überzeugungen bzw. für die impliziten Einstellungen. Diese reagieren zwar prinzipiell auf Gründe, aber der Umfang dieser Sensibilität ist eine empirische Frage. Dementsprechend gilt auch für die logisch-semantischen Zusammenhänge, dass sie nicht bedingungslos gelten. Es handelt sich streng genommen, so Mandelbaum, hier nicht um die Zusammenhänge der Prädikaten-Logik, sondern um die tatsächliche Logik der Gedanken („logic of thought“; Mandelbaum, 2014, S. 24). Nachdem der Überzeugungsbegriff etwas abgeschwächt worden ist, nimmt Mandelbaum (2014) zusätzlich verschiedene Überzeugungssysteme an. Diese können voneinander isoliert sein. Dies nutzt Mandelbaum um zu erklären, wie gleichzeitig eine positive und eine negative Überzeugung gegenüber einer sozialen Gruppierung bestehen können. Ein aversiver Rassist hat dementsprechend explizite und bewusste Überzeugungen, die dem Rassismus widersprechen. Gleichzeitig hat er in einem anderen Überzeugungssystem die unbewusste Überzeugung, dass Menschen mit bestimmten rassischen Merkmalen schlecht sind. Da dadurch der Überzeugungsbegriff weit entfernt ist von idealisierten Überzeugungsbegriffen, bietet Mandelbaum alternativ die Structured Thought Hypothesis an. Diese besteht darin, dass man dasjenige, wovon Mandelbaum spricht, einfach nicht „Überzeugung“ nennt, sondern „propositional strukturierter Gedanke“. Der

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Gedanke (Thought) ist hier zu verstehen als die implizite Einstellung. 28 Dadurch sollen diejenigen zufriedengestellt werden, für die Mandelbaums Überzeugungskonzept viel zu liberal ist, um noch als Überzeugung zu gelten. Bevor die Argumentationsstruktur Mandelbaums dargestellt wird, soll vorher zunächst sein verwendeter Überzeugungsbegriff betrachtet werden. Für das Überzeugungskonzept Mandelbaums gelten mindestens zwei Merkmale, die im Folgenden weiter dargestellt werden sollen: die Kompositionalität und die schwache Sensibilität gegenüber Gründen. Die Kompositionalität besagt, dass eine Überzeugung propositional strukturiert ist. Dazu zählen bei Mandelbaum auch Begriffe, wie „AFRICAN AMERICAN“ oder „BAD“. Die unbewusste Überzeugung eines aversiven Rassisten ist dementsprechend als „AFRICAN AMERICANS ARE BAD“ zu verstehen. Ein kognitives System, welches diesen Gehalt denken kann, hat dementsprechend auch die Begriffe „AFRICAN AMERICAN“ und „BAD“ (dazu in der Kritik im nächsten Unterkapitel mehr). Der resultierende semantische Gehalt einer Überzeugung ergibt sich aus den verwendeten Begriffen und der logischen Struktur der Proposition. Im Gegensatz zu Assoziationen ist dieser Gehalt semantisch bewertbar. Ein System, welches mit Überzeugungen arbeitet, verfügt über die Eigenschaften der Produktivität und der Systematizität. Unter Produktivität versteht man, dass ein System prinzipiell unendlich viele Überzeugungen generieren kann. Wenn ein System über den Begriff „ROT“ und den Begriff „AUTO“ verfügt, dann verfügt es auch über den zusammengesetzten Begriff „ROTES AUTO“. Die Systematizität beschreibt, dass ein System, wenn es Rba repräsentiert auch Rab repräsentieren kann. Da der semantische Gehalt das Resultat von Begriffen und logischer Struktur darstellt, ist die Systematizität durch die propositionale Struktur gegeben, die wiederum durch Kompositionalität ermöglicht wird. Die Sensibilität gegenüber Gründen impliziert nicht eine bewusste Reflexion. Überzeugungen sind typischerweise beeinflusst von Gründen, auch wenn dies völlig automatisch geschieht. Wenn ich beispielsweise über die Straße gehe und mir ein Auto entgegenkommt, dann erzeugt die Wahrnehmung unmittelbar die Überzeugung, dass sich ein Auto auf mich zubewegt. Die Sinneswahrnehmung liefert gute Gründe für die Konstitution solch einer Überzeugung.

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Das Label „Thought“ ist suboptimal, denn es handelt sich bei impliziten Vorurteilen um einen mentalen Zustand. Das Label „Thought“ legt nahe, dass diese tatsächlich gedacht werden müssen, was Mandelbaum aber nicht behaupten will.

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Die Sensibilität gegenüber Gründen gilt für Mandelbaum auch für die logisch-semantischen Zusammenhänge: „There’s a logic for how to transition from one structured belief state to another. A toy example: if one has the belief IF THERE IS SMOKE THERE IS FIRE and then comes to believe THERE IS SMOKE then, ceteris paribus, one will infer THERE IS FIRE. In other words, Structured Beliefs allow for the possibility that the causal roles of certain beliefs mirror the implicational structure of the contents of the beliefs” (Mandelbaum, 2014, S. 8). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Zusammenhänge nur der ‚Logik der Gedanken‘ folgen und nicht äquivalent zur Prädikaten-Logik sind. Nachdem das Überzeugungskonzept Mandelbaums betrachtet worden ist, stellt sich nun die Frage, weshalb gerade dieses Konzept die Struktur impliziter Einstellungen abbilden sollte. Mandelbaums Argument ist folgendermaßen aufgebaut: 1. 2. 3.

Mentale Zustände lassen sich nur durch unterschiedliche Modifikationsbedingungen identifizieren. Die Modifikationsbedingungen impliziter Einstellungen entsprechen nicht denen assoziativer Zustände. Die Modifikationsbedingungen impliziter Einstellungen entsprechen denen propositionaler Zustände (nämlich der Überzeugungen).

Mentale Zustände lassen sich nur durch unterschiedliche Modifikationsbedingungen identifizieren Nach welchen Kriterien soll man entscheiden, welcher mentale Zustand in einem System für etwas ursächlich ist? Verschiedene mentale Zustände lassen sich, so Mandelbaum, durch gleiche Prozeduren etablieren. Als Beispiel kann hier die klassische Konditionierung nach Pavlov (1927) dienen. Bei dieser Lernmethode soll ein neutraler Reiz, zum Beispiel das Läuten einer Glocke, zu einer erlernten Reaktion, zum Beispiel Speichelfluss oder Angstreaktionen, führen. Dazu wird ein Lebewesen mit einem neutralen Reiz (neutral stimulus; NS) konfrontiert, der eine Reaktion bewirken soll (conditioned stimulus; CS). Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Darbietung des CS gefolgt von einem sogenannten unkonditionierten („unbedingten“) Reiz (unconditioned stimulus; US). Ein unbedingter Reiz löst ohne vorangegangenes Lernen eine Reaktion aus. Dazu zählt beispielsweise etwas zu Essen, was zu einer unbedingten Reaktion (unconditioned response; UCR), nämlich Speichelfluss, führt. In der Lernphase wird der neutrale Reiz, also das Läuten einer Glocke (CS), ständig gefolgt von etwas zu Essen (US). Während der Lernphase sorgt die Glocke (NS) noch für keine bedingte Reaktion (CR). Ist die Lernphase abgeschlossen, setzt beim Läuten der Glocke auch erhöhter Speichelfluss ein.

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Typischerweise wird dieser Effekt mit assoziativen Theorien erklärt. Beim Ertönen der Glocke wird demnach nach der Lernphase das Essen assoziiert und dementsprechend setzt erhöhter Speichelfluss ein. Mandelbaum (2014) stellt allerdings fest, dass auch ein propositionales Lernen dieses Phänomen erklären kann. Statt zu behaupten, dass auf ‚GLOCKE‘ die Node ‚ESSEN‘ subaktiviert wird, hätte dann das kognitive System einfach den Zusammenhang verstanden. Dieser drückt sich dann wie folgt aus: ‚WENN DIE GLOCKE LÄUTET, DANN GIBT ES ETWAS ZU ESSEN‘. Auch diese Überzeugung erklärt das, was sie erklären soll. Daraus schließt Mandelbaum, dass die Konstitutionsbedingungen alleine nicht genügen, um einen mentalen Zustand in einem kognitiven System als solchen zu erkennen. Anders verhält es sich jedoch mit den Modifikationsbedingungen. Eine Verbindung, die durch klassische Konditionierung erlernt wurde, kann beispielsweise durch das Extinction-Verfahren wieder aufgehoben werden. Dabei wird häufig das Läuten der Glocke präsentiert, ohne dass das Essen folgt. Nach einigen Wiederholungen hat das System die Verbindung von Glocke und Essen verlernt. Das bedeutet, dass Assoziationen sich nach entsprechenden Mechanismen verändern. Anders verhält es sich jedoch beim Konzept der Überzeugung. Überzeugungen reagieren auf Gründe und nicht auf diejenigen Mechanismen, welche für Assoziationen wichtig sind. Wenn man beispielsweise die Überzeugung hat, dass X gilt, dann aber Daten anerkennt, die X widersprechen, dann sollte sich mindestens der Grad der Überzeugtheit gegenüber X verändern. Diese Sensibilität gegenüber Gründen findet man bei Assoziationen nicht. Daher hält es Mandelbaum für sinnvoll, aufgrund der Modifikationsbedingungen den mentalen Zustand im kognitiven System zu bestimmen. Die Modifikationsbedingungen impliziter Einstellungen entsprechen nicht denen assoziativer Zustände Mandelbaum (2014) führt eine Vielzahl von Studien über implizite Einstellungen an, welche sich nicht durch assoziative Theorien erklären lassen. Hier möchte ich mich auf die Darstellung einer Studie beschränken, nämlich dem (automatischen) ‚Balancing‘ impliziter Einstellungen (Gawronski, Walther, & Blank, 2005). Das ‚Balancing‘ ist ein interpersonaler Effekt für explizite Einstellungen, den Heider (1958) untersucht hat. Dabei werden drei Einstellungen betrachtet und auf ‚Konsistenz‘ geprüft: wenn man die Vorzeichen der Einstellungen gegenüber Objekten multipliziert und das Ergebnis negativ ist, dann hat man es mit einem unausgeglichenen Verhältnis zu tun, was dann durch Einstellungsmodifikation ausgeglichen wird. Wenn eine Person A eine positive Einstellung gegenüber B hat

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und A zusätzlich auch C mag (wobei C ein Objekt oder eine Person sein kann) während B eine negative Einstellung gegenüber C hat, dann ist das Verhältnis unausgeglichen (+, +, -). Um dieses unausgeglichene Verhältnis wieder zu korrigieren, stehen A zwei Strategien zur Verfügung: A kann C abschätzen (+, -, -) oder er kann B abschätzen (-, +, -). Heider hat dieses Phänomen untersucht und festgestellt, dass es einen Balancing-Mechanismus gibt, der zwar nicht die expliziten Einstellungen determiniert, aber zumindest in ihrer Stärke beeinflusst. Dieser Effekt zeigt sich jedoch auch bei impliziten Einstellungen (Gawronski et al., 2005). Wenn es demnach zwei negative Einstellungsverbindungen gibt (-, -, MISSING-LINK), dann sollte der Proband automatisch eine positive Einstellung entwickeln, um ein ausgeglichenes Verhältnis der Einstellungen zu generieren, was auch tatsächlich messbar ist (-, -, +). Um ein einfaches Beispiel für das Einstellungs-Balancing anzuführen: Thomas kann Bob nicht leiden und weiß, dass Bob ein Problem mit Sally hat. Obwohl Thomas Sally nicht kennt, genügt diese Information um eine positive implizite Einstellung gegenüber Kelly zu entwickeln. Wie aber, so Mandelbaum (2014), ist es auf der Grundlage eines assoziativen Modells möglich, aus zwei negativen Assoziationen eine positive herzuleiten? Das assoziative Modell kann nicht das erklären, was es erklären soll. Die Modifikationsbedingungen impliziter Einstellungen entsprechen denen propositionaler Zustände (nämlich der Überzeugungen) Demgegenüber lässt sich aus einem propositionalen Verständnis erklären, wie das Balancing realisiert werden kann. Ganz nach dem Motto ‚die Feinde meines Feindes sind meine Freunde‘ wird eine entsprechende unbewusste Überzeugung konstituiert. Mit bestimmten propositionalen Regeln und der Eigenschaft der Proposition, semantisch-logische Verbindungen zu nutzen, sind entsprechende Resultate erklärbar. Mandelbaum hält es für ausgemacht, dass dieses Erklärungsschema nötig ist und in diesem Sinne den assoziativen Erklärungen weit voraus ist. 4.2.2.2

Kritik an der Position, impliziter Vorurteile seien unbewusste Überzeugungen

Nachdem das Argument Mandelbaums dargestellt worden ist, sollen nun die Thesen geprüft werden. Dabei halte ich die zweite These für unproblematisch und fokussiere mich auf die erste und dritte. Zur These, Mentale Zustände lassen sich nur durch unterschiedliche Modifikationsbedingungen identifizieren Die These, nach der die Modifikationsbedingungen den mentalen Zustand identifizieren lassen (These-1) ist nicht frei von kritischen Einwänden. Beispielsweise

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scheint Mandelbaum davon auszugehen, dass explizite Einstellungen bewusste Überzeugungen sind. Dementsprechend müssten explizite Einstellungen ebenfalls sensibel auf Gründe reagieren. Gleichzeitig lassen sich Überzeugungen jedoch auch durch Habitualisierung verändern, was beispielsweise die Theorie der kognitiven Dissonanz (Cooper, 2007) oder die self-perception Theorie (Bem, 1972) empirisch nahelegen (dazu auch Muller & Bashour, 2011). Hier von Gründen zu sprechen verlangt nach viel Kreativität in der nachträglichen Konstruktion der Gründe. Auch ist aus der Literatur zur Einstellungsänderung bekannt, dass häufig nicht die Güte eines Arguments darüber entscheidet, ob sich eine explizite Einstellung ändert oder nicht. Stattdessen ist es häufig wichtiger ob ein Argument positive oder negative Gedanken beim Hörer auslöst (Modell der kognitiven Reaktionen; Greenwald, 1968). Werden negative Gedanken von einem Argument erzeugt, dann ist die Ablehnung tendenziell stark und es werden spontan Gegenargumente kreiert, um die explizite Einstellung zu schützen. Da es laut dieser Theorie eben nicht von der Güte der Gründe abhängt, ob sich eine Einstellung verändert, sondern ob die Gründe positive Gedanken erzeugen, zeigt, dass explizite Einstellungen sich womöglich auch ohne Gründe verändern. Auf dieser Grundlage könnte man dafür argumentieren, dass explizite Einstellungen keine Überzeugungen sind. Ein Schluss, der prinzipiell nicht sehr verwunderlich wäre, denn bei expliziten Einstellungen handelt es sich um ein Konzept aus der Sozialpsychologie. Es wäre eher verwunderlich, wenn der alltagspsychologische Begriff der ‚Überzeugung‘ sich eins zu eins darauf übertragen ließe. Ich halte Mandelbaums These bezüglich der Modifikationsbedingungen für gerechtfertigt. Zumindest liefern die Modifikationsbedingungen einen Teil einer Rechtfertigung, auch wenn diese nicht die Frage völlig entscheiden können. Zur These, die Modifikationsbedingungen impliziter Einstellungen entsprechen denen propositionaler Zustände Madva (2016) kritisiert Mandelbaums Ansatz, indem er versucht zu zeigen, dass implizite Einstellungen gegenüber der Syntax von gelieferten Informationen invariant sind. Ob Informationen wohlgeformt sind oder der richtigen Syntax widersprechen hat häufig keine Einflüsse darauf, wie die Informationen auf die implizite Einstellung wirken. Dies aber würde man von einer Überzeugung erwarten, so Madva. Stattdessen würden implizite Einstellungen sensibel auf raumzeitliche Zusammenhänge reagieren. Dass Stimuli zusammen auftreten ist dementsprechend von größerer Relevanz als die Struktur der Informationen. Dementsprechend hat die Verneinung einer Information (non-p) häufig die gleichen Auswirkungen auf

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implizite Einstellungen wie das Registrieren der Information (p) ohne Verneinung (Gawronski, Deutsch, Mbirkou, Seibt, & Strack, 2008). Leider ist die Datenlage bezüglich Madvas (2016) Argumentationsziel sehr dünn, was er auch selbst hervorhebt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Differenzierung von Einflüssen der Syntax nur schwer abzugrenzen ist gegenüber Einflüssen von Gründen, die aus Interpretationen gewonnen werden. Nach Madva dürfte der Inhalt einer Information nicht verändert werden, wenn sich nur die Syntax ändert, aber der Inhalt identisch bleibt. Andernfalls liegt eine nicht ausreichende Sensibilität gegenüber der Syntax vor. Es hat aber häufig für Informationen eine große Relevanz, ob ein Satz vor oder nach einem anderen Satz kommt. Man vergleiche die beiden Sätze und ihre Zusatzbedeutung, die sich aus der abweichenden Syntax ergibt: „Thomas war verärgert und Sally verließ Thomas“ (A & B) oder „Sally verließ Thomas und Thomas war verärgert“ (B & A). Folgt man der Logik sind beide Sätze semantisch identisch, lediglich die Syntax ist unterschiedlich. Offensichtlich macht das „und“ aber je nach Kontext semantisch einen Unterschied. Hier wird das „und“ als Ursache-Wirkungs-Zusammenhang gelesen (Gigerenzer, 2007). Wenn also durch das Erwähnen zweier Wörter „Wasser“ und „Gefahr“ für implizite Einstellungen die gleichen Konsequenzen erwachsen, wie aus dem Satz „Das Wasser ist gefährlich“, dann kann dies an automatischen Interpretationsmechanismen liegen. Dadurch lässt sich also nicht zeigen, dass implizite Einstellungen unsensibel gegenüber syntaktischen Merkmalen sind. Dementsprechend halte ich Madvas Argumentationsziel für nicht erreicht. Dennoch macht er erfolgreich darauf aufmerksam, dass häufig die raumzeitlichen Relationen von Stimuli mehr Einfluss auf implizite Einstellungen haben als Gründe oder syntaktische Merkmale der Informationen. Insbesondere Levy (2015) hat Mandelbaums Konzept unbewusster Überzeugungen impliziter Vorurteile kritisiert. Levy bezweifelt, dass die Daten der Sozialpsychologie ausreichen, um davon zu sprechen, dass implizite Einstellungen Überzeugungen sind. Es mangele an den charakteristischen Merkmalen von Überzeugungen. Wenn diese aber nicht vorlägen, bräuchte man auch nicht von Überzeugungen zu sprechen. Nichtsdestotrotz hält es Levy für ausgemacht, dass implizite Einstellungen propositional strukturiert sein müssen, denn andernfalls wäre es schwerlich zu begreifen, wie es zur semantisch-logischen Abhängigkeit von impliziten Einstellungen zu anderen Einstellungen kommen kann. Levy unterscheidet zwei Merkmale, die für den Überzeugungsbegriff notwendig seien: es gibt semantisch-logische Verknüpfungen (inferentially promiscuous)

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zwischen Einstellungen, und diese modifizieren und konstituieren sich in Abhängigkeit von Gründen (responsive to evidence). Nach gründlicher Sichtung der verschiedenen empirischen Indizien, welche Mandelbaum anführt, um zu zeigen, dass implizite Einstellungen unbewusste Überzeugungen sind, zieht Levy den Schluss, dass die Daten nicht das zeigen können, was Mandelbaum daraus folgert. Manche der Daten, die Mandelbaum anführt, stellen nicht sicher, dass das gemessene veränderte Verhalten und Denken nach einer Manipulation auch tatsächlich durch den modifizierten Inhalt einer impliziten Einstellung verursacht worden ist (Levy, 2015). Die Daten zur Konsistenzprüfung von der impliziten Einstellung zu anderen Propositionen legen zwar nahe, dass sich die Wertungen gegenüber einem Gegenstand verändern, wenn es zu einer Inkonsistenz kam, aber die von Mandelbaum aufgeführten Studien zeigen nicht, dass diese Verhaltensdaten auch wirklich etwas mit veränderten impliziten Einstellungen zu tun haben. Eine Studie (Gawronski & Strack, 2004), die sich explizit mit dieser Frage befasst, kommt bei genauerer Isolation möglicher alternativer Einflüsse zu gegenteiligen Schlüssen: Es gibt also keinen Mechanismus kognitiver Dissonanz für implizite Einstellungen. Die veränderten Wertungen sind nicht auf Änderung der impliziten Einstellung zurückzuführen, sondern auf andere interferierende Prozesse. Auch das oben angeführte ‚Balancing‘ impliziter Einstellungen stellt nicht zu Genüge sicher, dass die Effekte durch implizite Einstellungen bewirkt werden. Die Probanden im Experiment bekamen negative Informationen über eine Person A, was zu einer negativen Einstellung gegenüber A führte (-, MISSING, MISSING). Dann erfuhren die Probanden, dass A eine negative Einstellung gegenüber B hatte (-, -, MISSING). Anschließend wurden dann mittels des IAT die impliziten Einstellungen der Probanden gegenüber C gemessen. Hier zeigte sich eine positive implizite Einstellung gegenüber C. Diese kann aber durchaus das Ergebnis reflexiver Kognition sein. Es ist keineswegs ausgeschlossen das Prozesse, die gar nichts mit bisherigen impliziten Einstellungen zu tun haben, die neue positive implizite Einstellung erzeugt haben. Dies kann auf Grundlage der Daten der expliziten Einstellungen geschehen sein. Um sicherzustellen, dass implizite und nicht explizite Einstellungen für den Effekt verantwortlich sind, müssen die Einstellungen divergieren. Andernfalls ist es nicht einzusehen, welche Einstellung (die implizite oder die explizite) für welchen Effekt verantwortlich ist. Implizite Einstellungen verändern sich auch nicht derartig, wie man es von einer Überzeugung erwarten würde. In einer Studie (Han, Olson, & Fazio, 2006) haben Kinder Informationen über einen Pokemon-Charakter bekommen. Später haben sie per Videobotschaft konträre Informationen anderer Kinder zum Pokemon erhalten. Die Kinder erhielten die Information, dass die Videobotschaften falsche

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Informationen beinhalten. Trotz des Wissens, dass diese Video-Informationen falsch sind, veränderte sich die implizite Einstellung entsprechend der Videobotschaften. Von einer Überzeugung, welche sich nach Gründen richtet, würde man etwas anderes erwarten. Insofern scheint etwas mit der semantisch-logischen Verbindung zwischen den Informationen oder der Sensibilität gegenüber Gründen insgesamt nicht zu stimmen. Levy argumentiert dafür, dass es sich bei impliziten Einstellungen zwar um propositionale Zustände handelt, aber nicht um Überzeugungen. Die vorhandenen Daten, so Levy, ließen sich ohne die Annahme einer propositionalen Struktur nicht erklären. Dementsprechend spricht sich Levy für einen mentalen sui generis Zustand aus, der sich keineswegs mit mentalen Zuständen der Alltagspsychologie beschreiben lässt. Aber die Tatsache, dass Levy eine propositionale Struktur für notwendig hält, zeigt bereits, dass er sich auch gegen assoziative Ansätze, also auch gegen Aliefs, ausspricht. Levy liefert keine positive Charakterisierung des mentalen Zustandes, der impliziten Einstellungen entspricht, aber gibt ihm ein Label: patchy endorsement. Diese Art mentalen Zustandes befindet sich irgendwo zwischen propositional strukturierten mentalen Zuständen und Assoziationen. Levys kritische Analyse der Daten zeigt, dass die Bestimmung der funktionalen Rolle impliziter Einstellungen häufig sehr schwierig ist. Dementsprechend muss man bei der Auswahl der Daten, die bestimmte Effekte impliziter Einstellungen zeigen sollen, auch sehr sorgfältig mit möglichen Alternativerklärungen umgehen. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass Mandelbaum selbst zugegeben hat, dass die tatsächlichen Überzeugungen nicht den idealen Maßstäben der Philosophie genügen. Zusätzlich hat Mandelbaum auch unterschiedliche Überzeugungssysteme vorgeschlagen, deren Abhängigkeiten untereinander ebenfalls unklar sind. Aus diesen Gründen hat Mandelbaum selbst nahegelegt, nicht von Überzeugungen, sondern von strukturierten Gedanken zu sprechen. Insofern ist der Dissens zwischen Levy und Mandelbaum kleiner als man auf den ersten Blick vermuten könnte, denn Levy spricht sich ebenfalls für propositional strukturierte ‚Gedanken‘ aus. Was Levy allerdings weit von Mandelbaum entfernt, ist seine Interpretation der empirischen Daten. Womöglich spricht für Levy aufgrund seiner Datenanalyse gar nichts dafür, dass es sich bei impliziten Einstellungen um Überzeugungen handelt, während Mandelbaum dies genau anders herum sieht. In diesem Sinne handelt es sich um konträre Positionen. Mandelbaums Theorie hat jedoch einen blinden Fleck, der hier noch nicht besprochen wurde. Zwar wurde erwähnt, dass implizite Einstellungen möglicherweise nicht genügend Sensibilität gegenüber Gründen zeigen, aber dabei wurde stets vorausgesetzt, dass bereits klar ist, wann etwas als Grund für etwas taugt (das folgende Argument richtet sich demnach gegen These (3) von Mandelbaum). Dies

Was sind implizite Vorurteile?

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ist jedoch bei impliziten Einstellungen und deren Bedingungen für die Erzeugung und die Modifikation alles andere als offensichtlich (Baston, 2018). Mein Argument soll im Folgenden vorgestellt werden. Durch evaluatives Konditionieren können implizite Einstellungen unter Laborbedingungen erzeugt werden. Dazu wird ein neutraler Stimulus (CS), zum Beispiel ein Fabelwesen, mit einem wertenden Stimulus (unconditioned stimulus; US), zum Beispiel einer Waffe, wiederholt gezeigt. Der US kann natürlich wechseln, sollte aber stets die gleiche Valenz haben. Ein neutraler Stimulus (CS) wird also wiederholt gefolgt von einem wertenden Stimulus (US) dargeboten (M. A. Olson & Fazio, 2001). Nach dieser Lernphase hat der ursprünglich neutrale Stimulus selbst die Wertung des US angenommen. Das evaluative Konditionieren führt dazu, dass ein Stimulus selbst eine Wertung erhält. Diese erlernte automatische Wertung (implizite Einstellung) kann dann mittels eines indirekten Messverfahrens, wie dem IAT oder dem Evaluative Priming Measure, gemessen werden. Den Inhalt solch einer impliziten Einstellung stellt sich Mandelbaum beispielsweise als „BLACK MALES ARE DANGEROUS“ (Mandelbaum, 2014, S. 7) vor, wofür auch abkürzend der Begriff „dislike“ (S. 10) verwendet wird. Es ist wichtig sich vor Augen zu führen, dass das evaluative Konditionieren ein anderes Ziel hat als das klassische Konditionieren. Das klassische Konditionieren hat als Ziel der Lernphase einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang bzw. das Erlernen einer Korrelation: Wenn x auftritt, dann tritt y auf. Das evaluative Konditionieren hat hingegen das Ziel, dass x selbst bewertet wird. Dementsprechend ist das Ziel nicht, dass erlernt wird, dass auf x ein y folgt, sondern dass x selbst als gut oder schlecht bewertet wird. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb das sogenannte ExtinctionVerfahren nur für das klassische Konditionieren auftritt. Beim Extinction-Verfahren wird der erlernte Stimulus häufig gezeigt, aber der erwartete folgende Stimulus bleibt aus. Dadurch wird der korrelative (oder Ursache-Wirkungs) Zusammenhang von x zu y verlernt. Dieses Verfahren gelingt nicht bei evaluativ erlernten Einstellungen. Diese bleiben auch dann erhalten, wenn der Stimulus mehrfach ohne den negativen oder positiven Folgestimulus präsentiert wird. Dies ist verständlich, wenn man das evaluative Konditionieren als das Erlernen von Wertungen und nicht von WENN-DANN Zusammenhängen versteht. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass eine Lernphase sowohl evaluative als auch klassische Lernziele beinhaltet. Diese sind dennoch zu trennen (Hermans, Vansteenwegen, Crombez, Baeyens, & Eelen, 2002). Wird also ein Stimulus dargebo-

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ten, der neutral ist und anschließend ein Schmerzender, dann wird sowohl der korrelative Zusammenhang erlernt (WENN X, DANN Y) als auch der wertende (X IST SCHLECHT). Entscheidend ist, dass der korrelative Zusammenhang durch das Extinction-Verfahren aufgelöst werden kann, während der wertende Zusammenhang bleibt (gezeigt in der Studie von Kerkhof, Vansteenwegen, Baeyens, & Hermans, 2011). Das bedeutet, dass nach einigen Darbietungen von X ohne einem folgenden Y die Erwartung ‚WENN X, DANN Y‘ aufgehoben wird, während die Wertung ‚X IST SCHLECHT‘ weiterhin bleibt und mittels des IAT messbar ist. Wenn man annimmt, dass Mandelbaums Theorie richtig ist, dann konstituieren und modifizieren Gründe Überzeugungen. Was Mandelbaum jedoch nie klar macht, ist die Art und Weise der Rationalität, die im Hintergrund Gründe von Ursachen unterscheidet. Angenommen, eine Person bekommt bei dem Läuten einer Glocke einen leichten Stromschlag. Nach einigen Wiederholungen würde die Glocke selbst negativ bewertet werden bzw. es würde eine negative implizite Einstellung gegenüber der Glocke geben (Hermans et al., 2002). Nach Mandelbaums Konzeption ist es rational, nach der Lernphase die Proposition ‚WENN DIE GLOCKE ERTÖNT, DANN BEKOMME ICH EINEN STROMSCHLAG‘ zu haben, denn die Erfahrung lieferte für dieses Konditional die nötigen Daten. Diese Daten können dementsprechend als Gründe für die Erzeugung der Proposition dienen. Man kann diese Art der Schlussfolgerung als die Annahme eines hypothetischen Ursache-Wirkungszusammenhangs oder als Erkennen einer Korrelation deuten. Dies entspricht jedoch keiner evaluativen Lernphase, denn der Stimulus „GLOCKE“ ist nach wie vor neutral. Es wird kein wertendes Prädikat auf den Stimulus bezogen. Dies ist jedoch für das nötig, was Mandelbaum selbst als „dislike“ auf impliziter Ebene betrachtet. Was unklar bleibt, ist die Frage, weshalb es zu einer Wertung des Stimulus selbst kommen sollte. Welche Gründe sprechen dafür, dass die Proposition ‚GLOCKEN SIND SCHELCHT‘ erzeugt wird? Es ist ja offensichtlich, dass beim evaluativen Konditionieren (das sogenannte Fear-Conditioning ist eine Spezialform des evaluativen Konditionierens; dazu im nächsten Unterkapitel mehr) der neutrale Stimulus nicht die Ursache für den anderen Stimulus darstellt. Die rationalen Kriterien dafür, wann man aus Daten schließen kann, dass ein Objekt oder sogar ein Objekt-Typus schlecht ist, sind unklar. Diese Art der normativen Rationalität, die Gründe enthält, wann und warum etwas schlecht oder gut ist, ist eine andere als die deskriptive Rationalität, die Gründe dafür enthält, wie etwas ist. Deskriptive Rationalität kann der Frage nachgehen, wann es beispielsweise gerechtfertigt ist anzunehmen, dass auf X ein Y folgt. Wie genau diese beiden Arten von Rationalität

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– die deskriptive und die normative – miteinander im Zusammenhang, stehen ist unklar. 29 Ich behaupte, dass das evaluative Konditionieren keine Gründe für die Etablierung einer impliziten Einstellung liefert. Dementsprechend dürfte sich auch keine implizite Einstellung konstituieren, wenn Mandelbaums Theorie richtig wäre. Was erlernt werden müsste, wäre eine WENN-DANN Verbindung, die durch ein Extinction-Verfahren aufgehoben werden würde. Wie es durch Gründe zur Bewertung des Stimulus selbst kommt, ist unklar. Der Zusammenhang, der zur Konstituierung der impliziten Einstellung führt, scheint ein normaler Mechanismus, d.h. ein Ursache-Wirkungszusammenhang zu sein. Es sind nicht Gründe, sondern raumzeitliche Zusammenhänge von Stimuli, die nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten vom kognitiven System verarbeitet werden. Ähnliche Probleme ergeben sich beim sogenannten Counter-Conditioning, bei dem ein positiv oder negativ erlernter Stimulus wiederholt mit einem Stimulus anderer Valenz dargeboten wird. Einige Studien (zum Beispiel Kerkhof et al., 2011) zeigen, dass dabei die Stärke der impliziten Einstellung verändert werden kann (auch wenn die Dauerhaftigkeit dieser Veränderung fraglich ist). Möchte man im Rahmen der Theorie Mandelbaums das Counter-Conditioning erklären, gerät man in ganz ähnliche Probleme. Es ist nicht offensichtlich, was es eigentlich genau bedeutet, dass Daten einer Wertung widersprechen. Wenn auf die Glocke immer etwas Positives folgt, widerspricht dies der Wertung ‚GLOCKEN SIND SCHLECHT‘? Es ist ja offensichtlich, dass die Glocke nicht ursächlich für die folgenden positiven Stimuli ist. Es macht zwar Sinn die Proposition ‚WENN DIE GLOCKE ERTÖNT, DANN BEKOMME ICH EINEN STROMSCHLAG‘ aufzugeben, aber weshalb sollte etwas folgen, wie ‚GLOCKEN SIND WENIGER SCHLECHT‘ oder ‚GLOCKEN SIND GUT‘? Die Gründe dafür sind völlig unklar. Man könnte meinen, dass aufgrund des deskriptiven Verständnisses von Überzeugungen dies kein Problem darstelle. Schließlich könnte auf das WENN-DANN einfach eine wertende adaptive Bindung folgen, auch wenn es im streng rationalen Sinne nicht zulässig ist. Dann aber verlässt man den Rahmen von Mandelbaums Argument, welches ja eben darauf basiert, dass die Modifikationsbedingungen da29

Ist die Struktur der Proposition „GLOCKEN SIND SCHLECHT“ die richtige? Mandelbaums eigene Ausführungen legen diese Interpretation nahe. Es ist keine Interpretation zu erkennen, die einerseits ein eindeutig wertendes Prädikat auf ein Objekt bezieht und andererseits dem dargestellten Problem ausweichen kann.

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für entscheidend sind, welche mentalen Zustände wir annehmen können und welche nicht. Die Modifikationsbedingungen, die vorgeschlagen werden, sind für implizite Einstellungen eben Gründe, weil implizite Einstellungen Überzeugungen entsprechen sollen. Mandelbaum führt verschiedene empirische Daten auf und erklärt sie auf der Grundlage einer impliziten Rationalitätstheorie. Da diese jedoch nie explizit gemacht wird, weiß man nicht, ob es sich dabei nicht um bloße post-hoc Rationalisierungen der Daten handelt. Gerade der Begriff der Rationalität ist innerhalb der philosophischen Literatur äußerst facettenreich (für einen Überblick, siehe S. Hahn, 2013) und damit ohne vorhergehende Bestimmung vage. Je nach Rationalitätsannahme ist jedes Verhalten rational, wodurch Mandelbaum in Gefahr läuft overfitting (Pitt & Myung, 2002) zu betreiben: alle Daten passen zur Annahme und es können eigentlich keine klaren Prognosen aufgestellt werden. Dafür spricht beispielsweise die Art der Rationalität, die Mandelbaum anführt, um das Balancing impliziter Einstellungen zu erklären: der Feind meines Feindes ist mein Freund. Wenn dies bereits als rationaler Grund in Frage kommt, scheinen der Kreativität kaum Grenzen gesetzt zu sein. Natürlich ist die Annahme uneingeschränkter Rationalität viel zu stark und kein kognitives System wird diesen Ansprüchen genügen. Die Rationalität, die tatsächlich realisiert ist, kann umweltrelativ bzw. sozial adaptiert sein. Das Problem ist jedoch die Unbestimmtheit der Rationalität und nicht, ob ein System strengen rationalen Bedingungen genügt. Da die Rationalität unbestimmt ist, kann sie je nach Belieben genutzt werden, um damit die eigene Annahme zu stützen. 30 4.2.2.3

Kritik an der Position, implizite Vorurteile seien propositionale Repräsentationen

Die Auffassung, implizite Vorurteile seien Überzeugungen, ist kritisiert worden. Das bedeutet, dass zumindest die Rolle, welche eine mögliche Repräsentation einnimmt, nicht der Rolle einer Überzeugung entspricht. Es kann allerdings immernoch der Fall sein, dass es sich um eine propositionale Repräsentation handelt, die jedoch eine andere funktionale Rolle übernimmt, als dies eine Überzeugung tun würde. Im Folgenden möchte ich die Position kritisieren, dass implizite Vorurteile propositional strukturiert sind. 30

Jedes Verhalten kann als rational betrachtet werden. Dies ist immer abhängig von der eingenommenen Perspektive. Vorurteile gegenüber Minderheiten könnten beispielsweise in einem hedonistischen Sinne rational sein. Es kann dem eigenen Selbstwert dienen schlecht über andere zu denken. Außerdem führt das Diskriminieren von Minderheiten häufig zu Privilegien der Täter. So können Vorurteile nützlich in einem Zweck-Mittel Kalkül sein und damit praktischer Rationalität genügen.

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Innerhalb der Philosophie des Geistes gibt es Daten, an denen sich die philosophische Diskussion orientieren muss. Diejenigen Daten empirischer Forschung, die von philosophischen Theorien nicht umgangen werden können, werden häufig als Constraints bezeichnet. Eine philosophische Theorie, die zu Ergebnissen führt, die als empirisch unhaltbar gelten, ist eine schlechte Theorie. Eine philosophische Theorie kann beispielsweise annehmen, dass der Geist völlig unabhängig vom Körper ist. Dementsprechend sind keinerlei Veränderungen geistiger Fähigkeiten zu erwarten, wenn körperliche Eigenschaften verändert werden. Allerdings führen Hirnschäden zu Veränderungen geistiger Fähigkeiten. Wenn eine philosophische Theorie im Endeffekt verschiedenen empirischen Theorien und Daten im Ergebnis nicht widersprechen darf, spricht man von Top-down Constraints. Es gibt jedoch auch Bottom-up Constraints. Wenn man beispielsweise erklären möchte, wie ein kognitives System ein Problem bewältigt, dann muss berücksichtigt werden, welche Kapazitäten das System zur Verfügung hat. Andernfalls hat man eine Theorie darüber aufgestellt, wie das Problem generell gelöst werden kann, aber eben nicht darüber, wie ein bestimmtes System ein Problem löst. Eben jenes Problem stellt sich bei der Annahme, implizite Einstellungen seien propositional strukturiert. Mein Argument hat die folgende Struktur (Baston, 2018): 1. 2.

Wenn etwas implizite Einstellungen hat, dann hat es begriffliche Repräsentationen. (a) Verschiedene nicht-menschliche Lebensformen haben implizite Einstellungen, (b) aber keine begrifflichen Repräsentationen.

Wenn etwas implizite Einstellungen hat, dann hat es begriffliche Repräsentationen Mandelbaum (Mandelbaum, 2014, S. 2) sagt, dass implizite Biases das Resultat von impliziten Einstellungen sind. Implizite Einstellungen sind wiederum unbewusste Überzeugungen und damit propositional strukturiert. Eine propositionale Repräsentation, wie sie für Mandelbaum nötig ist, setzt allerdings begriffliche Repräsentationen voraus. Die propositionale Logik, die ohne ‚Begriffe‘ auskommt, ist nicht ausreichend um diejenigen Mechanismen zu erklären, die Mandelbaum erklären möchte – denn dazu muss die Prädikatenlogik angenommen werden (im Folgenden nach Cockshott, Mackenzie, & Michaelson, 2012, S. 47–55). Es gibt eine propositionale Logik, die scheinbar ohne ‚Begriffe‘ auskommt, nämlich die einfache Logik erster Ordnung. Entscheidend ist hier die Wahrheitsfunk-

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tionalität. Diese ist jedoch alleine nicht ausreichend, um das zu leisten, was Mandelbaum vorschwebt. Dafür muss eine Proposition aus Konstituenten und einer Struktur bestehen, welche eben die Proposition ausdrücken. Die Konstituenten der Propositionen sind die semantischen Werte der verwendeten Begriffe. Je nach Syntax kann sich der Wert einer Proposition verändern: „Marie mag Thomas“ oder „Thomas mag Marie“. Wenn dies nicht vorausgesetzt ist, ist nicht einzusehen, wie die Entität ‚Proposition‘ das leisten kann, was Mandelbaum verlangt: nämlich einen logisch-semantischen Zusammenhang über verschiedenen Propositionen hinweg zu erklären. Alleine für den Balancing-Mechanismus, den Mandelbaum bei impliziten Einstellungen erklären will, muss ein Zusammenhang von verschiedenen Prädikaten und Subjekten über mindestens zwei Einstellungen (Propositionen) möglich sein. Soll also auf der Grundlage zweier bestehender Propositionen und deren Konstituenten ein Schluss auf die neue Proposition möglich sein, dann muss man die prädikatenlogische Erweiterung annehmen. Damit ist Mandelbaum darauf verpflichtet mit Propositionen zu operieren, die begrifflich strukturiert sind. 31 Verschiedene nicht-menschliche Lebensformen haben implizite Einstellungen Wenn man die Evolutionstheorie ernst nimmt, ist die Annahme naheliegend, dass Menschen und andere Säugetiere auf manchen Gebieten gleiche kognitive Fähigkeiten haben. Sicherlich besitzen Menschen kognitive Fähigkeiten, die einmalig auf diesem Planeten sind, aber auch hier stellt sich die Frage, ob es sich dabei um qualitative Unterschiede handelt. Andernfalls wäre der Unterschied graduell, d.h. es gäbe Fähigkeiten, die eigentlich alle Säugetiere besitzen, die jedoch je nach Spezies anders ausgeprägt sind. Die klassischen Dual-System Modelle gingen davon aus, dass die kognitiven Fähigkeiten des System-1 sowohl Menschen als auch andere Säugetiere haben (Evans, 2008). Auch wenn Dual-System Modelle in der Psychologie inzwischen stark in die Kritik geraten sind (Sherman et al., 2014), sprechen viele psychologische Daten dafür, eine gewisse Kontinuität zwischen der menschlichen automatischen Kognition zu der automatischen Kognition anderer Säugetiere anzunehmen (Toates, 2006). Aus reiner Plausibilität macht die Hypothese Sinn, dass nahezu alle Lebensformen automatische Bewertungen vornehmen müssen, um zu überleben. Sicherlich gibt es Lebensformen, die nur scheinbar ihre Situation als gefährlich bewerten und sich entfernen. Eine einfache Lebensform, die im Wasser lebt, reagiert vielleicht auf 31

Es existieren metaphysische Gründe für die Annahme, dass Propositionen sich grundsätzlich aus Begriffen zusammensetzen, wodurch Probleme der Individuierung und Unterscheidung von Propositionen gelöst werden können (dazu Dänzer & Hoeltje, 2017).

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bio-chemischer Ebene auf einen höheren Säuregehalt im Wasser, indem es sich davon wegbewegt. Dies kann jedoch auch ohne jede Form von Bewertungen, sondern durch physiologische Strukturen realisiert werden (also quasi „fest-verdrahtet“). Viele Lebensformen erlernen jedoch im Laufe des Lebens verschiedene Gefahren. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass verschiedene Säugetiere automatische Bewertungen ausbilden bzw. implizite Einstellungen haben. Welche Daten sprechen dafür? Das evaluative Konditionieren wurde bereits vorgestellt. Dabei wird ein neutraler Stimulus häufig mit einem bereits bewerteten Stimulus präsentiert, wodurch der neutrale Stimulus einen Wert bekommt. Eine Definition lautet “When a neutral stimulus is paired with a stimulus that has strong affective properties, these properties often appear to be transferred to the neutral stimulus. This learning has been termed evaluative conditioning” (Mitchell, Anderson, & Lovibond, 2003). Die automatischen Einstellungen, die durch dieses Verfahren erzeugt wurden, können mit dem IAT gemessen werden. Offensichtlich gibt es bei Tierstudien das Problem, dass indirekte Messverfahren, wie der IAT, nicht angewandt werden können. Dafür müsste ein Tier sowohl den Versuchsaufbau als auch Wörter verstehen. Auch das evaluative Konditionieren ist nicht ohne weiteres möglich (was sieht ein Tier wirklich? Welche Stimuli empfindet es anschließend als schlecht oder gut?). Beim sogenannten fear-conditioning handelt es sich um eine Spezialform der evaluativen Konditionierung, die sowohl Menschen als auch Tiere durchlaufen können. Dabei wird zunächst ein neutraler Stimulus präsentiert, dem dann ein leichter Stromschlag folgt. Studien (Hermans et al., 2002; Olsson, Ebert, Banaji, & Phelps, 2005; Vansteenwegen, Francken, Vervliet, De Clercq, & Eelen, 2006) am Menschen zeigen, dass dadurch negative implizite Einstellungen gegenüber dem Stimulus erzeugt werden können, deren Stärke und Valenz mit indirekten Messverfahren ermittelt werden können. Das fear-conditioning erzeugt also im Menschen negative implizite Einstellungen. Auch wenn bei Tieren, die ein fear-conditioning ebenfalls durchlaufen können, keine indirekte Messverfahren angewandt werden können, zeigen sie dennoch eindeutig negative Präferenzen gegenüber dem Stimulus-Objekt, welches negativ bewertet wird. Delgado, Olsson, and Phelps (2006) heben weiter hervor, dass die neuronale Anatomie, die für das fear-conditioning verantwortlich ist, über verschiedene Spezies‘ hinweg gleich ist. Insbesondere der Amygdala, so die Autoren, kommt eine besonders wichtige Funktion beim Erlernen automatischer Bewertungen zu. Sie ziehen das folgende Fazit:

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Fear conditioning has been used as a model paradigm to investigate the neural circuitry of emotional learning across species. Animal models of fear conditioning have examined the neural pathways of fear acquisition and extinction from stimulus input to response output. These models have provided clear hypotheses for the investigation of the neural systems of fear learning and extinction in humans. Behavioral, neuropsychological and neuroimaging research in humans have confirmed and extended these animal models to social–cultural means of learning (e.g., language and observation) and cognitive strategies that can be used to regulate emotion (e.g., cognitive behavioral therapy). (p. 46)

Gerade die Amygdala gilt als essentielles neuronales Korrelat impliziter Vorurteile (Amodio & Lieberman, 2009; Lieberman, 2007). Es gab jüngst verschiedene Kritiken an der Vorstellung, dass die Amygdala das Korrelat impliziter Vorurteile sei. So wurde eingewendet, dass die Amygdala im Wesentlichen das Erregungspotenzial von Stimuli verarbeitet und keine Bewertungen von Stimuli vornimmt (Storbeck, Robinson, & McCourt, 2006). Sander, Grafman und Zalla (2003) hoben hervor, dass die Amygdala nur dann Bewertungen vornimmt, wenn der Stimulus für aktuelle Ziele Relevanz hat. Amodio (2014) hat daraufhin ein breiteres Verständnis der Funktionen der Amygdala entwickelt. Demnach erfüllt die Amygdala verschiedene Funktionen, was jedoch keineswegs der Annahme widerspricht, dass es sich bei der Amygdala um ein wesentliches neuronales Substrat impliziter Einstellungen (“major substrate of different forms of implicit prejudice” (Amodio, 2014, S. 673)) handelt. Es gibt also viele Ähnlichkeiten zwischen Menschen und anderen Säugetieren bezüglich der automatischen Bewertungen. Daher hat die vergleichende Psychologie durch Studien an Nagetieren Hypothesen über implizite Einstellungen beim Menschen aufgestellt (Gawronski & Cesario, 2013), die später in einer Meta-Studie bestätigt werden konnten (Gawronski, Hu, Rydell, Vervliet, & De Houwer, 2015). Durch all diese empirischen Indizien halte ich die Annahme, dass verschiedene Säugetiere implizite Einstellungen haben, für gerechtfertigt. Nun mag man zwar die These aufstellen, dass Tiere andere implizite Einstellungen haben als Menschen, aber auch diese These bedarf einer guten Begründung. Wenn die Daten derartig hohe Ähnlichkeiten aufweisen, ist es nicht gerechtfertigt einfach ein anderes theoretisches Konstrukt anzunehmen, nur weil es sich um eine andere Lebensform handelt. Die aktuelle Datenlage spricht nicht dafür, dass Mäuse andere implizite Einstellungen haben als Menschen. Es gibt Lebewesen, die implizite Einstellungen haben, aber keine begrifflichen Repräsentationen besitzen Entgegen der Behauptung Fodors (1989) halten Newen und Bartels (2007) den Besitz von Begriffen bzw. von begrifflichen Repräsentationen für kognitiv anspruchsvoll. Prinzipiell können Lebewesen über begriffliche Repräsentationen

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verfügen, auch wenn sie keine Sprache sprechen, also nicht-sprachlich sind. Newen und Bartels plädieren dafür begriffliche Repräsentationen nur dann einem kognitiven System zuzuschreiben, wenn es wirklich notwendig ist. Diese Notwendigkeit ist dann gegeben, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind: 1.

2.

3.

4.

Das System muss die gleiche Eigenschaft an verschiedenen Objekten identifizieren können. Die Eigenschaft „rot“ wird also nur dann begrifflich repräsentiert, wenn es dieselbe Eigenschaft an verschiedenen Objekten erkennen kann. Eine begriffliche Repräsentation ist flexibel auf verschiedene Objekte hinweg anwendbar. Das System muss eine Eigenschaft am Objekt von anderen Eigenschaften unterscheiden können. Wenn ein System nicht die Eigenschaft „rot“ von „blau“ oder „rund“ unterscheiden könnte, hätte es wohl kaum den Begriff „rot“ zur Verfügung. Das System muss den Typ der Eigenschaft verstehen. Andernfalls könnte man den Begriff von „rot“ haben ohne den Begriff der Farbe, was sehr unplausibel ist. Ein System, welches glaubt, dass ein Objekt rot und farblos ist, hat offensichtlich den Begriff „rot“ nicht wirklich. Um einen infiniten Regress zu vermeiden ist hier lediglich eine minimale Kenntnis der höheren Eigenschaften nötig, d.h. es genügt eine einzelne höherstufige Eigenschaft zur niedrigeren Eigenschaft zu erkennen. Das Systemverhalten muss derartig flexibel sein, dass das Systemverhalten relativ stimulus-unabhängig ist. Wenn auf einen Reiz immer dieselbe Verhaltensreaktion folgt, ist die Nutzung von Begriffen überflüssig. Ein Thermometer reagiert auf mehr Wärme mit einer entsprechenden Anzeige, aber besitzt dadurch nicht den Begriff „Wärme“.

Die Kriterien für den Besitz begrifflicher Repräsentationen sind zugegebenermaßen streng, aber wenn ein System diesen Anforderungen nicht genügt, hat es auch keine Repräsentation, die in einem relevanten Sinne begrifflich fungieren. Es gibt Tiere, die den Kriterien von Newen und Bartels genügen. Der Papagei Alex (Carey, 2007) kann als ein Beispiel dienen. Alex konnte verschiedenste Aufgaben lösen, die ohne die erfolgreiche Realisierung der Kriterien nicht zu erklären sind. Viele Lebewesen, die implizite Einstellungen haben (d.h., sie lernen beim fearconditioning), genügen diesen Kriterien nicht. Zwar sind nahezu alle Lebewesen dazu in der Lage, Dinge grundlegend zu unterscheiden, doch diese Unterscheidungen basieren typischerweise auf rein perzeptuellen Unterscheidungen. Dies führt dazu, dass Kriterium (3) besondere Schwierigkeiten bereitet. Für ein System, wel-

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ches mit Propositionen arbeitet, ist dieses Kriterium allerdings sehr wichtig. Andernfalls sind diverse Widersprüche im System möglich, wie „x ist farblos“ und „x ist rot“. Viele Tiere haben mit dem Kriterium allerdings Schwierigkeiten. Eine Möhre wird beispielsweise nach einer Lernphase als langer und dünner Gegenstand klassifiziert wird, weshalb auch ein Kugelschreiber oder ein Schraubenzieher unter die Kategorie fallen kann. Dies wäre ausgeschlossen, wenn der dazugehörige ‚höhere‘ Begriff, unter den die Möhre fällt, als solcher bekannt wäre. Durch experimentelles Training gelingt dies jedoch nur selten. Zum Beispiel wurde in einer Studie (D’Amato & Colombo, 1988) mit Affen (cebus monkeys, die evaluativ konditioniert werden können und somit auch implizite Einstellungen haben) der ursprüngliche Eindruck, dass Affen einen Personen-Begriff besitzen, durch Analyse der Studienergebnisse zerstreut, da auch tote Flamingos als Menschen identifiziert wurden. Eine sehr detaillierte Analyse solcher kognitiven Defizite, die insbesondere für Kriterium (3) relevant sind, findet sich bei Penn, Holyoak & Povilenni (2008). Warum aber, so könnte man fragen, sollte die Zuschreibung von begrifflichen Repräsentationen nur für Systeme gelten, die diesen strengen Anforderungen genügen? Repräsentationen sind mentale Zustände mit einem repräsentationalem Gehalt. Nach Ramsey (2007) stellen Repräsentationen eine ganz eigene Art von Erklärungskonzept dar und spielen in den Kognitionswissenschaften und der kognitiven Psychologie eine wichtige Rolle. Der Repräsentationsbegriff muss daher, so Ramsey, möglichst sparsam genutzt werden, denn andernfalls entfällt seine spezifische Erklärungskraft. Angenommen, eine Person würde behaupten, sie hätte eine repräsentationale Theorie darüber, wie Krankheiten entstehen. Bei der Prüfung dieser Theorie stellt sich jedoch heraus, dass Viren und Bakterien einfach nur als Repräsentationen bezeichnet werden. Offensichtlich wird dann der Repräsentationsbegriff falsch und inflationär genutzt. Warum könnte solch eine falsche Nutzung problematisch sein? Deshalb, weil dann alles, was etwas Anderes verursacht, auch eine Repräsentation wäre. In diesem Falle würde auch ein Thermometer eine interne Repräsentation nutzen, um die Temperatur anzuzeigen. Dasjenige, was ein kognitives System von einem nicht-kognitiven System unterscheiden würde, wäre nicht zu erkennen. Dadurch würde der Gegenstand der Kognitionswissenschaft selbst verloren gehen. Die Behauptung, dass ein System eine Repräsentation verarbeitet, um einen bestimmten Output zu erzeugen, wäre trivial. Das bedeutet, die Erklärungsleistung

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der Repräsentation würde ebenfalls verloren gehen. Aber nur deshalb ist der Repräsentationsbegriff überhaupt erst eingeführt worden: er sollte etwas ganz Bestimmtes erklären. Verhaltensweisen etwa, wie die Orientierungsfähigkeiten von Ratten, wie sie Tolman (1948) bei Experimenten festgestellt hat. Um eben jene Fähigkeiten zu erklären, musste Tolman über den Behaviorismus hinausgehen und eine spezifische Art von Repräsentation, die kognitive Karte, zuschreiben. Ist es tatsächlich nötig eine Überzeugung mit repräsentationalem Gehalt zuzuschreiben, um das Verhalten eines Schachcomputers zu prognostizieren? Ramsey (2007) ist der Auffassung, dass man auch ein System als derartig designt betrachten kann, dass die Dame früh bewegt wird. Diese Betrachtungsweise kommt völlig ohne mentale Zustände (also auch ohne Repräsentationen) aus, sondern schreibt dem System eine generelle funktionale Beschaffenheit zu. Im gleichen Sinne kann man sagen, dass ein Drehkreuz im U-Bahn-Tunnel derartig designt ist, dass es Fahrkarten prüft. Eine Verhaltensprognose ist dementsprechend auch möglich, ohne dass Repräsentationen beteiligt sind. In vielen Fällen ist die Zuschreibung von Überzeugungen und Wünschen für die Verhaltensprognose unnötig. Möchte man demnach die spezifische Erklärungskraft propositionaler Repräsentationen nicht verschwinden lassen, sollten diese nur dann zugeschrieben werden, wenn sie für eine Verhaltenserklärung notwendig sind. Um die Erklärungskraft des Konzepts der Repräsentation aufrecht zu erhalten ist es nötig, den Begriff der Repräsentation sehr streng zu verwenden. Nur dann, wenn die Zuschreibung notwendig ist, darf auch eine Repräsentation zugeschrieben werden. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus Ermangelung alternativer Möglichkeiten zur Erklärung, wie ein System eine kognitive Aufgabe löst. Kann demnach ein Schachcomputer die Überzeugung haben, er solle die Dame früh in das Spiel bringen? Die Zuschreibung der Überzeugung ist insofern nicht gerechtfertigt als dass der Schachcomputer eben keine Kapazität hat, die eine Verarbeitung propositionaler Repräsentationen nahelegt. Der Schachcomputer zeigt kein Verhalten, welches die Zuschreibung begrifflicher Repräsentationen oder propositionaler Repräsentationen rechtfertigen würde. Die Tatsache, dass man Verhalten erfolgreich prognostizieren kann, wenn Überzeugungen zugeschrieben werden, zeigt noch nicht, dass es sich um Repräsentationen handelt. Diejenigen Überzeugungen, welche beim Schachcomputer zur erfolgreichen Verhaltensprognose führen, sind in einer Maschinentafel (siehe zum Beispiel Abbildung 2) vollständig abbildbar. Dieser funktionale Zustand hat keinen bestimmten Gehalt und könnte beliebig bezeichnet werden – er würde ohne repräsentationalen Gehalt und mit anderem Label die gleiche Funktion erfüllen. Eine Überzeugung, die etwas

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repräsentiert, lässt sich nicht einfach in eine Maschinentafel eingliedern. Ihr semantischer Gehalt ist nämlich entscheidend für die spezifische Funktion der Repräsentation, nämlich die Verhaltenserklärung. 32 4.2.2.4

Fazit

Propositionale Theorien zu impliziten Vorurteilen können verschiedene empirische Phänomene deutlich besser erklären als assoziative Theorien. Die abstrakte Entität der Proposition hat Eigenschaften, welche für die Erklärung klare Vorteile mit sich bringt. Eine Proposition kann aufgrund der Struktur verständlich machen, wie eine Eigenschaft auf ein Objekt bezogen wird. Außerdem kann durch die Proposition klar gemacht werden, wie eine Proposition mit einer anderen im Zusammenhang steht bzw. weshalb eine Proposition eine andere beeinflusst (semantisch-logischer Zusammenhang). Mandelbaums Überzeugungskonzeption für implizite Vorurteile hat zwei Schwächen. Zunächst sind die Daten, auf die sich Mandelbaum bezieht, um für Überzeugungen zu argumentieren, nur teilweise aussagekräftig. Diejenigen Muster, die man von Überzeugungen erwarten würde, bleiben häufig aus. Allerdings erwähnt Mandelbaum, dass Überzeugungen in verschiedenen Überzeugungssystemen sein können, weshalb manche semantisch-logischen Zusammenhänge ausbleiben können. In einem Überzeugungssystem könnte daher die Proposition „WENN X, DANN Y“ vorhanden sein, während in einem anderen Überzeugungssystem X gilt. Da die Systeme voneinander getrennt sind, ist nicht zu erwarten, dass die Überzeugung Y generiert wird. Das zweite Problem ist allerdings nicht so leicht von der Hand zu weisen: Es mangelt an einer Rationalitätstheorie. Mandelbaum behauptet, implizite Überzeugungen würden durch Gründe konstituiert und geändert. Für typische experimentelle Anordnungen, wie dem evaluativen Konditionieren, bei dem implizite Einstellungen erzeugt werden, fehlen jedoch erkennbare Gründe. Es gibt keinen guten Grund anzunehmen, dass Glocken schlecht oder gefährlich sind, bloß weil man häufig Glocken gesehen hat bevor man einen leichten Stromschlag bekam – die Glocke ist offensichtlich nicht die Ursache für den Stromschlag.

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Man könnte sagen, dass eine Dennett-Überzeugung nur die funktionale Rolle im Blick hat. Solch eine Dennett-Überzeugung kann ein Schachcomputer haben. Eine Ramsey-Überzeugung trägt der Tatsache Rechnung, dass eine Überzeugung einen semantischen Gehalt hat, der sich nicht in eine Maschinentafel überführen lässt (ohne dass die Erklärungsfunktion verloren geht). Repräsentationen erschöpfen sich nicht in einer kausalen Rolle, die sich in einer Maschinentafel abbilden lässt. Dieses Verständnis von Überzeugung ist dasjenige, welches hier Relevanz hat.

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Darüber hinaus wurde dafür argumentiert, dass propositionale Theorien impliziter Einstellungen zu anspruchsvoll sind. Um das leisten zu können, was durch die propositionale Theorie geleistet werden soll, muss man annehmen, dass die propositionalen Repräsentationen aus begrifflichen Repräsentationen konstituiert sind. Es gibt allerdings Lebewesen, welche implizite Einstellungen haben, auch wenn sie gleichzeitig keine begrifflichen Repräsentationen haben. Insofern erscheint die Voraussetzung, nämlich der Besitz derjenigen kognitiven Kapazitäten, die Propositionen repräsentieren können, als kognitiv zu anspruchsvoll. Hier ist es allerdings wichtig hervorzugeben, dass es nicht generell um ein wahrheitsfunktionales Vermögen geht, sondern um eine ganz bestimmte Art von repräsentationalen Propositionen, nämlich derjenigen, die aus Begriffen konstituiert wird. 33 4.2.3

Implizite Vorurteile als Dispositionen

Es wurden bisher assoziative und propositionale Ansätze für die Bestimmung der Natur impliziter Vorurteile kritisiert. Im Folgenden soll eine ganz andere Konzeption, nämlich eine dispositionale, betrachtet werden. Machery (2016) behauptet, dass die Unterscheidung von impliziten und expliziten Einstellungen auf einem Missverständnis beruhe. Was die Psychologie eigentlich tun sollte, ist es, die Präferenzen von Personen gegenüber Objekten als dispositionale Charaktereigenschaften zu verstehen, anstatt als mentale Zustände. Nachdem dieser Ansatz dargestellt worden ist, wird eine Kritik folgen. Bisher haben sich nicht viele Philosophen bzw. Philosophinnen mit Macherys Theorie auseinander gesetzt, weshalb die gesamte Kritik von mir stammt. Anschließend wird mein Argument dafür dargestellt, implizite Vorurteile als Dispositionen zu betrachten. Der vorgeschlagene Ansatz akzeptiert demnach implizite und explizite Einstellungen der Psychologie als mentale Zustände, bestimmt aber deren ontologischen Status als Dispositionen.

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Sind nicht bereits visuelle Wahrnehmungen ‚sachverhaltsartig‘ strukturiert, obwohl sie den Newen/Barteles-Bedingungen nicht genügen? Dies ist in vielerlei Hinsicht richtig, beispielsweise insofern, als dass in einer Wahrnehmung eine Eigenschaft auf einen Gegenstand bezogen wird. Dafür sind allerdings keine Propositionen nötig. Eine bildliche Repräsentation ist darauf angewiesen, dass der repräsentierte Gegenstand mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet ist. Ein Gegenstand kann für ein System grün sein, aber dafür braucht ein System nicht die begriffliche Repräsentation „grün“.

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4.2.3.1

Das Dunkle in der Black-Box

Implizite Vorurteile als Charaktereigenschaften

Machery (2016) ist der Auffassung, dass es sich bei psychologischen Einstellungen nicht um mentale Zustände, sondern um Dispositionen handelt. Diese Dispositionen sind analog zu Charaktereigenschaften (traits) einer Person zu verstehen. Sinngemäß lässt sich dazu auf Tugenden verweisen, wie Tapferkeit oder Mut. In einer sehr ähnlichen Art möchte Machery Einstellungen der Psychologie konzeptualisieren. Er grenzt sich damit zu Mandelbaum, Gendler sowie Levy ab. Nach Machery sind mentale Zustände dadurch gekennzeichnet, dass sie okkurent sein können. Darunter versteht Machery, dass mentale Zustände neuronal realisiert und de facto für etwas ursächlich sind. In dem Moment also, wenn ein Verhalten generiert wird und ein neuronales Muster aktiv beteiligt ist, welches als mentaler Zustand fungiert, ist jener Zustand okkurent. Die Charaktereigenschaften (traits) sind hingegen in diesem Sinne nicht neuronal realisiert. Die Feigheit ist stattdessen eine komplexe dispositionale Eigenschaft. Wenn eine Person feige (Disposition) ist und auf eine Gefahrensituation (Input) trifft, dann sind bestimmte mentale Zustände, wie große Furcht, und entsprechende Verhaltensweisen (Output) zu erwarten. In diesem Sinne sind für Machery implizite Einstellungen nicht neuronal realisiert wie mentale Zustände. Mentale Zustände sind token-identisch mit neuronalen Mustern, die Ursachen von Verhalten sein können, was nicht für Charaktereigenschaften gilt: A trait is a disposition to perceive, attend, cognize, and behave in a particular way in a range of social and non-social situations. [...] Importantly, traits are not mental states. […] traits do not occur, and thus do not enter in token causal relations, though they can occur in type causal relations. Because traits cannot be occurrent events, they are not identical to occurrent brain states. (Machery, 2016, pp. 111–112)

Machery schlägt vor, die psychologischen Einstellungen (attitudes) als eben jene Dispositionen, nämlich traits, zu betrachten. Eine Einstellung ist eine positive oder negative Haltung mit unterschiedlicher Stärke gegenüber einem Objekt. Eben jene Einstellung sei kein mentaler Zustand, sondern eine Charaktereigenschaft. Diese ist das Ergebnis mentaler Zustände, die je nach situativem Kontext ursächlich für Verhalten sein können, wie Assoziationen, Emotionen oder Überzeugungen. Diese sind neuronal realisiert und können ursächlich bei der Verhaltenserzeugung sein (im Gegensatz zu Charaktereigenschaften). Jede Einstellung hat daher eine psychologische Basis (psychological basis), die beliebig komplex sein kann und verschiedene mentale Zustände enthält. Während mentale Zustände als Ursachen für Verhalten fungieren können (tokencausal relation), können Macherys Charaktereigenschaften nur indirekt als Ursachen auftreten (type-causal relation). Leider greift Machery diesen Punkt im Text

Was sind implizite Vorurteile?

135

nicht weiter auf, weshalb es nicht klar ist, in welchem Sinne Charaktereigenschaften kausal sein können. Aus Macherys Text ergibt sich für mich die Interpretation, dass damit Aussagen wie die folgende gemeint sind: ‚Weil du ein Feigling bist, bist du weggrannt‘. Solch eine Verhaltensbeschreibung könnte kontrafaktisch verstanden werden: ‚Wenn du nicht so ein Feigling wärst, wärst du auch nicht weggrannt‘. Es ist eine Konsequenz aus Macherys Einstellungstheorie, dass eine psychologische Einstellung weder implizit noch explizit sein kann. Im gleichen Sinne gibt es auch nur die Charaktereigenschaft Feigheit und nicht zusätzlich eine explizite oder implizite Charaktereigenschaft der Feigheit. Was die Psychologie durch Fragebögen misst und als explizite Einstellung erfasst, sind, so Machery, nur Bekenntnisse einer Person über sich selbst. Diese Bekenntnisse können durch verschiedenste mentale Zustände erzeugt werden und es ist fraglich, dass es einen mentalen Zustand, wie die explizite Einstellung gibt, der immer für die Erzeugung des sprachlichen Bekenntnisses verantwortlich ist. Dementsprechend ist es auch unklar, ob eine Person tatsächlich dem Bekenntnis entspricht. Das Verhalten wird eben nicht durch diesen angeblichen mentalen Zustand erzeugt. Die psychologische Basis für die explizite Einstellung gegenüber etwas kann beliebig aussehen: aus bewussten oder unbewussten mentalen Zuständen sowie intentionalen oder nicht-intentionalen kognitiven Prozessen. Die sogenannten impliziten Einstellungen sind ebenfalls nicht vorhanden. Was der IAT, EMP oder der AMP misst, sind verschiedene Aspekte der psychologischen Basis für die Einstellung (trait bzw. Charaktereigenschaft). Der IAT miss dementsprechend beispielsweise Assoziationen zwischen Konzepten, während der EMP affektive Reaktionen, d.h. spontane Gefühle, misst. Keines der indirekten Messinstrumente misst allerdings die implizite Einstellung, sondern nur einzelne Aspekte der psychologischen Basis. Analog gibt es keine implizite und explizite Feigheit, sondern bloß die Feigheit. Die ‚explizite‘ Feigheit kann von der ‚impliziten‘ abweichen, wenn eine Person sagt, sie sei nicht feige. Wenn sie allerdings bei relativ ungefährlichen Situationen die Flucht ergreift, scheint es eine Abweichung zu geben. Diese ist jedoch dadurch zu erklären, dass die explizite Feigheit auf einer falschen Überzeugung basiert. Hier würde man, so Machery, nicht auf die Idee kommen tatsächlich implizite und explizite Charaktereigenschaften anzunehmen.

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Das Dunkle in der Black-Box

Abbildung 5: Die psychologische Basis besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher mentaler Zustände, die neuronal realisiert sind. Die rassistische Einstellung ist nicht mit einem oder mehreren Zuständen der psychologischen Basis identisch, sondern stellt ist als Charakterdisposition gegenüber einer sozialen Gruppierung (rassistischer Charakter) unbestimmt neuronal realisiert. Die indirekten Messverfahren messen verschiedene mentale Zustände der psychologischen Basis des rassistischen Charakters. Es gibt daher kein neuronales Korrelat zu psychologischen Einstellungen. Während mentale Zustände der psychologischen Basis tatsächlich Ursachen von Verhalten sein können, gibt es von der dispositionalen Präferenz zum Verhalten eine typen-kausale Verbindung (type-causal relation).

Auf dieser Grundlage behauptet Machery, es gäbe keinen aversiven Rassismus (implicit racism), sondern nur Rassimus als solchen. Rassismus ist für Machery gleichbedeutend mit einer negativen Einstellung gegenüber einer sozialen Gruppierung, wobei die Einstellung der Charaktereigenschaft ‚rassistisch‘ entspricht. Diese ist dann vorhanden, wenn eine Person sich dementsprechend verhält. Die psychologische Basis kann aussehen, wie auch immer sie will. Nach dieser Erläuterung von Machery Konzeption stellt sich die Frage, welche Argumente dafür angeführt werden, dass es eigentlich weder implizite noch explizite Einstellungen, sondern nur Charakter-Einstellungen gibt. Machery behauptet, dass verschiedene psychologische Daten am besten dadurch erklärt werden, dass man seiner Konzeption von Einstellungen als Dispositionen folgt. Ich möchte die Punkte im nächsten Unterkapitel detailliert vorstellen und direkt kritisch hinterfragen: 1. 2. 3. 4.

Geringe Korrelationen zwischen den indirekten Messinstrumenten Mögliche Manipulationen bei den Korrelationen von (1) Kontextuelle Einflüsse bei der Messung impliziter Einstellungen Die geringe Fähigkeit zur Verhaltensprognose der Messungen

Was sind implizite Vorurteile?

4.2.3.2

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Kritik an Macherys Ansatz

Zunächst Grundsätzliches: Es darf nicht vergessen werden, dass Einstellungen in der Psychologie eine Funktion erfüllen und nicht Selbstzweck sind. Die Sozialpsychologie nutzt den Einstellungsbegriff, um Verhalten zu erklären und zu prognostizieren (Cooper et al., 2016; Haddock & Maio, 2015). Die wesentliche Kritik an Macherys Konzept, die hier folgt, ergibt sich daraus, dass sein Einstellungsbegriff beides nicht leisten kann. Dasjenige, was Verhalten prognostiziert, messbar ist und sich als mentaler Zustand auf der psychologischen Basis befindet, ist für Machery nicht die Einstellung. Die Einstellung ist für ihn eine dispositionale Charaktereigenschaft, welche eigentlich keinerlei prognostische Fähigkeiten und keine Erklärungsleistung mit sich bringt. Die Schwächen der Konzeption Macherys zeigen sich bei den fehlenden Prognose- und Erklärungsleistungen bezüglich des Rassismus-Phänomens im Detail. Bevor die Schwächen des Konzepts dargestellt werden, sollen zunächst die vier Typen psychologischer Daten betrachtet werden, die angeblich durch Macherys Konzept besser erklärt werden. Zur Geringen Korrelationen zwischen den indirekten Messinstrumenten Die Korrelationen zwischen den verschiedenen indirekten Messverfahren sind gering (Nosek et al., 2007). Daher kann der IAT implizite Vorurteile messen, während das EMP eine neutrale Einstellung misst. Die Autoren der Studie (Nosek et al., 2007) weisen allerdings darauf hin, dass die Reliabilität (darunter versteht man diejenige Stäke der Korrelation von einer Messung bei Person S zu einer anderen Messung bei Person S, d.h. die Stabilität des gemessenen Wertes) indirekter Messungen relativ gering ist, was aus mathematischen Gründen keinen besonders großen Spielraum für große Korrelationen zwischen unterschiedlichen indirekten Messinstrumenten lässt. Es ist möglicherweise richtig, dass tatsächlich verschiedene mentale Konstrukte mit verschiedenen indirekten Messverfahren gemessen werden, die fälschlicherweise alle als eine implizite Einstellung betrachtet werden. Allerdings ist die Annahme verschiedener mentaler Zustände per se kein wirkliches Problem. Dadurch wird der Umgang mit den Daten komplizierter, aber es spricht nichts gegen die Annahme, dass die wirklichen Zusammenhänge kompliziert sind. Allerdings konnten noch keine Daten oder Gründe vorgebracht werden, die weite Teile der Forscher innerhalb der Sozialpsychologie davon überzeugen konnten (Nosek et al., 2007). Zur möglichen Manipulation bei den Korrelationen indirekter Messungen

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Das EMP korreliert mit dem IAT dann, wenn die Probanden die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der Primes richten. Wenn mittels des EPM implizite Vorurteile gegen Rassen gemessen werden sollen, korrelieren die Ergebnisse nur dann mit den IAT Ergebnissen, wenn die Probanden auch die Aufmerksamkeit auf rassische Eigenschaften gelenkt hatten (Michael A. Olson & Fazio, 2003). Haben sie stattdessen nach Merkmalen Ausschau gehalten, welche die Erinnerung an die einzelnen Gesichter erleichtern sollten, dann gab es keine Korrelation. Machery glaubt, dass diese Tatsache nicht erklärt werden kann, wenn Einstellungen als mentale Zustände betrachtet werden. Diese Daten sollen erneut durch die unterschiedlichen Entitäten der psychologischen Basis erklärt werden, wobei je nach anderer Aufmerksamkeit der Probanden andere Entitäten der (Charakter)Einstellung gemessen werden. Machery stellt fest, dass die klassische Sicht auf Einstellungen dieses Phänomen nicht vorhersagen (predict) kann. Dies ist allerdings nur teilweise richtig. In einer Studie (De Houwer, 2001) wurde aufgrund der Messergebnisse beim IAT die Hypothese aufgestellt, dass der IAT Wertungen von Kategorien und nicht Wertungen gegenüber einzelnen Individuen bzw. gegenüber einzelnen Stimuli misst. Diese Hypothese wurde später im Experiment von Olson und Fazio (2003) erfolgreich überprüft. Die Interpretation der Tatsache, dass es nur bei Aufmerksamkeit auf rassische Eigenschaften Korrelationen zwischen dem IAT und dem EPM gibt, wird eben dadurch erklärt. Das bedeutet, dass das Phänomen sowohl vorhergesagt worden ist, als auch, dass die Daten im Rahmen einer Theorie, die implizite Einstelungen als mentale Zustände betrachtet, interpretiert wurden. Zu Kontextuellen Einflüssen bei der Messung impliziter Einstellungen Die Messergebnisse indirekter Messungen sind verhältnismäßig stark kontextualisiert. Durch verschiedene experimentelle Anordnungen können Messergebnisse der Probanden beeinflusst werden. Das Bild einer farbigen Person in einem schlechten Stadtteil löst mehr negative Reaktionen aus als ein Bild mit dieser Person, die sich mit ihrer Familie im Park amüsiert (Wittenbrink, Judd, & Park, 2001). Machery führt zwei Vorteile seiner Theorie aus: (1) Da es sich bei impliziten Einstellungen, laut Machery, um „a new kind of mental state“ (S. 119) handelt, sei völlig unklar unter welchen Bedingungen der Zustand wie reagiere. Macherys Konzept biete demgegenüber den Vorteil, dass man einfach auf alltagspsychologische Zustände innerhalb der psychologischen Basis zurückgreifen und dadurch die Unterschiede erklären könne. (2) Außerdem sei es für Charakterdispositionen typisch, dass sie je nach Kontext anders ausfallen. Wenn man Einstellungen als mentale Zustände betrachte, wäre dies nicht der Fall. Zu 1: Da es sich um einen neuen Zustand handle, sei völlig unklar, welche Faktoren möglicherweise Einflüsse haben und welche nicht. Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass Psychologen keineswegs davon ausgehen, dass es sich bei

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impliziten Einstellungen um einen sui generis Zustand handelt. Dementsprechend meinen manche Autoren, dass implizite Einstellungen Assoziationen (Mahzarin R. Banaji, 2001) seien, andere hingegen behaupten, sie seien Überzeugungszustände (Houwer, 2014). Davon ausgehend lassen sich durchaus Hypothesen darüber aufstellen, welche Einflüsse Effekte verstärken oder verringern. Zusätzlich gilt, dass alle Ergebnisse, die Machery aufführt, ja von Psychologen generiert worden sind, welche die klassische Sicht auf Einstellungen teilen. Dennoch stellten sie beispielsweise die Hypothese auf, dass implizite Einstellungen, wenn sie im Dunklen gemessen werden, stärker ausfallen als bei Tageslicht (Schaller, Park, & Mueller, 2003). Dementsprechend hat Machery seine Behauptung durch die Aufzählung der Beispiele indirekt selbst in Frage gestellt. Zu 2: Machery geht davon aus, dass implizite Einstellungen keine mentalen Zustände sind, denn andernfalls wären die starken Kontextualisierungen nicht zu erklären. Gerade in der Sozialpsychologie geht man aber davon aus, dass mentale Zustände nicht alleine Verhalten bestimmen. Der soziale Kontext ist häufig viel einflussreicher als eine Einstellung oder als eine Überzeugung. Die Vorstellung, dass Verhalten ausschließlich durch mentale Zustände verursacht wird, wird daher auch als ‚fundamentaler Attributionsfehler‘ (Gilbert & Malone, 1995) bezeichnet. Zu den geringen Prognosefähigkeiten indirekter Messungen Laut verschiedener Meta-Studien sind die Prognosefähigkeiten der impliziten Einstellungen mittel (Greenwald et al., 2009) bis schwach (Oswald et al., 2015). Nach Machery ist dies nicht wirklich verständlich, wenn man davon ausgeht, dass implizite Einstellungen Verhalten verursachen. Seine Konzeption von Einstellungen erlaube es hingegen zu erklären, weshalb die Prognosefähigkeiten so gering sind: es handelt sich bei den angeblichen impliziten Einstellungen nur um einen Baustein der psychologischen Basis einer dispositionalen Einstellung. Machery macht einen Fehler, wenn er eine Kritik am Messinstrument IAT als Kritik am Konzept der impliziten Einstellungen versteht. Oswalds Meta-Studie stellt in erster Linie den IAT in Frage, nicht die impliziten Einstellungen und deren Nutzen für die Sozialpsychologie. Wenn ein Messinstrument nicht dazu in der Lage ist X zu messen, bedeutet das noch nicht, dass X nicht existiert. Andere Messverfahren, wie das EMP oder das AMP haben bei Meta-Studien (Cameron et al., 2012; K. Payne & Lundberg, 2014) etwas besser abgeschnitten. Allerdings sind die gemessenen Effekte bestenfalls mittel. Machery verkennt aufgrund der eher schwachen prognostischen Fähigkeiten impliziter Vorurteile die Relevanz dieser mentalen Zustände. Vom Alltagsverständnis ausgehend scheint es plausibel zu sein, dass eine Person, die einen Gegenstand nicht mag, sich auch gegenüber diesem Gegenstand entsprechend verhalten wird.

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Bleibt dies aus, könnte man in Frage stellen, ob das Messen der Präferenzen zielführend ist. Was dabei jedoch vergessen wird, ist, dass dadurch viel über menschliches Verhalten zu Tage tritt. Präferenzen haben de facto eben nicht einen so großen Einfluss auf unser Verhalten, wie wir häufig denken: eine explizite positivaffektive Einstellung gegenüber Fleisch, ist für einen Vegetarier kein verlässlicher Indikator für zukünftiges Verhalten. Dies ist eine wichtige und kontraintuitive Einsicht, die auf empirischen Daten basiert. Welche Faktoren überhaupt Relevanz haben, zum Beispiel unser Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, lässt sich empirisch prüfen, und auch in welchem Umfang dieser Einfluss wirkt. Wenn sich herausstellt, dass Vorurteile kaum Einfluss auf unser Verhalten haben, dann ist dies eine wichtige Einsicht, die keineswegs die Vorurteilsforschung in Misskredit bringt. Ganz im Gegenteil wäre es dann ein wichtiges Forschungsziel zu ermitteln, woher diskriminierendes Verhalten kommt. Machery stellt fest, dass seine Konzeption verschiedene Phänomene der Messeigenschaften impliziter Einstellungen verständlich macht. Dazu zählen kontextualisierte Messungen, Manipulationen von Messergebnissen sowie schwache Korrelationen zwischen Messergebnissen. Es bleibt zweifelhaft, dass Macherys Ansatz tatsächlich bessere Erklärungen liefert. Fest steht jedenfalls, dass Macherys Theorie entgegen seiner mehrfachen Behauptung keine erfolgreichen Prognosen (predict) aufstellt. Alle Daten waren bereits vorhanden, als Machery sein Konzept entworfen hat, weshalb sein Konzept post hoc die Daten erklärt, anstatt erfolgreich etwas prognostiziert zu haben. Nachdem die Argumente Macherys geprüft worden sind, soll nun seine Konzeption genauer betrachtet werden. Diese hat nämlich einen ganz erheblichen Nachteil, der bereits im ersten Abschnitt dieses Kapitels aufgeworfen worden ist: Einstellungen als Charakterdispositionen erklären und prognostizieren im Sinne der Psychologie äußerst wenig. Machery (2016) behauptet, dass es nur einen rassistischen Charakter gebe und daher die weiteren psychologischen Unterscheidungen fehlgeleitet seien. Damit trivialisiert Machery nicht nur die bisherige Rassismusforschung, sondern ignoriert auch deren Entstehungsgeschichte. Diese zeigt gute Gründe für weitere Ausdifferenzierungen des Phänomens Rassismus. Der klassische Rassismus ist unterscheidet sich vom Modernen Rassismus, welcher erneut klar zu unterscheiden ist vom aversiven Rassismus. Die Theorien sind unterschiedlich, da es (siehe Kapitel 2) auf der Grundlage der Theorie des aversiven Rassismus ganz andere Verhaltensprognosen gibt als auf der Grundlage des Modernen Rassismus. Die Entdeckung des aversiven Rassismus war ja gerade deshalb so überraschend, weil man von progressiven und egalitären Personen eben jene Verhaltensmuster nicht vermutet, die sich jedoch experimentell nachweisen lassen (es ist durchaus möglich, dass

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diese Muster im Alltag für Außenstehende unsichtbar sind). Das diskriminierende Verhalten dieser Personen ist häufig sehr subtil und kaum zu bemerken. In Macherys Konzept werden all diese Ausdifferenzierungen mit einem quasi alltagspsychologischen Verständnis von Rassismus in einen Topf geworfen. Die Sozialpsychologie stellt sich die Frage, was genau die Unterschiede beim Rassismus verschiedener Personengruppen ausmacht. Die psychologische Basis - um beim Vokabular Macherys zu bleiben - beider Arten von Rassismus ist dafür ursächlich. Die Sozialpsychologie versucht mit verschiedenen Theorien und experimentellen Anordnungen verschiedene Faktoren, die zum erwarteten Verhalten führen, zu isolieren und näher zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund sind Konzepte, wie implizite und explizite Vorurteile, wichtig. Es ist bekannt, dass diese Konzepte alleine schwächere prognostische Fähigkeiten haben als wenn man sie als koexistent mit anderen Zuständen annimmt. Aber dies ist nicht verwunderlich: auch wenn eine Person eine explizite positiv-affektive Einstellung gegenüber Fleisch hat, kann eine Motivation zum Vegetarismus dazu führen, so das Essen von Fleisch ausbleibt. Die Prognoseleistung kann allerdings Schritt für Schritt verbessert werden, wenn weitere relevante Faktoren, wie eben solch eine Motivation, berücksichtigt werden. Den Erklärungs- und Prognoseleistungen die in den letzten Jahrzehnten durch empirische Forschung der Einstellungen erbracht wurden, hat Machery nichts entgegenzusetzen als alltagspsychologische Konzepte, wie ‚rassistischer Charakter‘. Dabei bleibt unklar, wie auf dieser Grundlage überhaupt festzustellen ist, dass jemand einen rassistischen Charakter hat, wie er Machery als Einstellung vorschwebt. Dieser Charakter ist, laut Machery, nicht messbar, sondern nur Teile der psychologischen Basis: Macherys Ausführungen legen nahe, dass das direkte Messen von etwas in der Psychologie immer bloß einen Teil der Basis misst. Dann wäre auch nicht festzustellen, ob jemand eine Charaktereigenschaft hat, wie stark sie ausgeprägt ist und ob sie für ein bestimmtes Verhalten als ‚ursächlich‘ in Frage kommt. Machery kann also nicht klar machen, wie die angenommenen Charaktereigenschaften messbar sein sollten. Zwar kritisiert er die bestehende psychologische Messpraxis der Einstellungen, aber seine kritischen Argumente gegen diese sind genauso auf seine Theorie der dispositionalen Einstellungen übertragbar. Typischerweise werden Persönlichkeitsmerkmale mit Fragebögen, wie der FScale (Adorno et al., 1950) oder die Right-Wing Authoritarianism Scale (Altemeyer, 2004), gemessen. Die direkten Messerverfahren können offensichtlich nicht als Lösung des Problems dienen. Auch hier gilt, dass alle Antworten auf die einzelnen Items im Fragebogen nur unbedeutende Selbsteinschätzunge sein könnten.

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Ein möglicher Ausweg scheint das Betrachten von konkretem Verhalten zu sein. Das Verhalten von Probanden in bestimmten Situationen könnte dazu dienen, etwas über den Charakter zu erfahren. Allerdings gilt auch hier, dass Charaktereigenschaften komplexe dispositionale Eigenschaften sind und es gibt keinen guten Grund dafür, das Verhalten einer Situation als verlässlichen Indikator für einen Charaktereigenschaft zu betrachten. Schließlich ist das Messen von Einstellungen mittels eines Fragebogens auch eine Situation, die etwas über den Charakter aussagen könnte, aber wie soll man dies entscheiden? Die gleichen Einwäde, die Machery gegen die Einstellungsmessungen anführte, können hier greifen: vielleicht verhält sich der Proband im Experiment so, weil er sich rein zufällig besonders gut oder schlecht fühlt. Welche Verhaltensweisen zeigen also etwas von unserem Charakter? Unsere Wahrnehmung von Verhalten, welches für uns als Indiz für Persönlichkeitsmerkmale dient, ist wahrscheinlich stark verzerrt. Der Linguistic Intergroup Bias (Maass, Salvi, Arcuri, & Semin, 1989) kann hier als Beispiel dienen: wenn wir Verhalten sehen, dass dem Stereotypen der Akteure entspricht, dann neigen wir dazu Charaktereigenschaften zu sehen. Wenn das Verhalten vom Stereotyp abweicht, dann haben wir die Tendenz ein einzelnes Ereignis zu betrachten, welches nichts über den Charakter aussagt. De facto könnte allerdings jedes Verhalten ein Indiz sein, ungeachtet davon, welche Verhaltensindizien wir als besonders wichtig erachten. Es bleibt also rätzelhaft, wie Persönlichkeitsmerkmale gemessen werden können. Nur Teile der psychologische Basis haben dasjenige, was in der Psychologie ‚predictive validity‘ hat und etwas prognostizieren kann. Es ist auch nur diese Basis, welche bewusste Gedanken enthält. Durch Verwendung der Modern Racism Scale (MRS) kann unter Berücksichtigung anderer Faktoren bestimmt werden, dass Personen wahrscheinlich rassistische Verhaltensweisen zeigen. Die MRS misst aber erneut nur etwas aus der psychologischen Basis. Nun bestreitet Machery, dass es in dieser Basis irgendwo eine psychologische Einstellung gibt, aber gleichzeitig sagt er, dass verschiedene mentale Zustände gemessen werden können, die rassistisches Verhalten prognostizieren. Warum sind also jene Zustände, welche kausale Faktoren sind, nicht die Einstellungen, von denen die Psychologie spricht? Die Argumente, welche Machery für seine Theorie anführt, können auf diese Frage keine schlüssige Antwort geben. 34

34

Mit mentalen Zuständen, die mittels ihrer Dispositionen individuiert werden können, kann zumindest erklärt werden, wie ein System vom Zustand A nach B wechselt (auch wenn das Warum ungeklärt bleibt, weil dafür Repräsentationen nötig sind; siehe 3.3). Diese Erklärung

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Im Endeffekt erscheint Macherys Vorschlag, dass Vorurteile dispositionale Persönlichkeitsmerkmale sind, wie eine horizontale Beschreibung eines Phänomens. Analog kann man sagen, dass ein Gegenstand fragil (Disposition) sei, wenn er bei einem Steinwurf zerbricht. Die Psychologie ist jedoch an vertikalen Erklärungen interessiert: was genau macht den Gegenstand fragil? Was erklärt die unterschiedliche Wirkung eines Steines oder eines Wattebällchens auf den Gegenstand? Dieses Problem soll nun mit einem Beispiel verdeutlicht werden. Im nächsten Unterkapitel werde ich einen alternativen Entwurf vorstellen, der ebenfalls implizite Vorurteile dispositional versteht, aber mit dem folgenden Beispiel problemlos umgehen kann. In einer Studie von Rooth (2010) sollten Probanden Bewerbungen auf ein Stellenangebot bewerten. Die vorgelegten Bewerbungen stammten von schwedischen sowie arabisch-muslimischen Kandidaten. Bei gleich starken Bewerbungen von Muslimen und schwedischen Kandidaten zeigte sich, dass in Abhängigkeit von impliziten Vorurteilen gegenüber Muslimen, Muslime schlechter bewertet wurden. Dieser Effekt trat unabhängig von der expliziten Einstellung gegenüber Muslimen auf. Nach Macherys dispositionalem Verständnis von Rassismus bedeutet es rassist zu sein, wenn man einen rassistischen Charakter besitzt: Ein Subjekt S in einer Situation mit den Eigenschaften a1, …, an wird eine Person der sozialen Gruppierung X benachteiligen. Diese Interpretation kann durch Macherys eigene Beispiele gestützt werden, denn eine Charaktereigenschaft gegenüber ‚liberals‘ zu haben, bedeute „tob e disposed to interact with liberals in a way that reflects a positive evaluation and to have positive thoughts and emotions about them“ (Machery 2016, S. 112). Diese dispositionale Bestimmstung taugt allerdings nicht für eine Erklärung, weshalb die muslimischen Bewerber benachteiligt wurden. Das Experiment ist nicht dadurch erklärt, dass man die Probanden als rassistisch bezeichnet. Dies würde der typen-kausalen Erklärung entsprechen, so wie ‚Weil du ein Rassist bist, hast du muslimische Bewerber benachteiligt‘. Dies wäre aber nur eine Paraphrasierung von dem, was man beobachten konnte. Wenn man erklären will, wie es zur Diskriminierung kam, müssen die mentalen Zustände betrachtet werden, von denen

gelingt, denn mentale Zustände sind Token-Identisch mit neuronalen Mustern, welche tatsächlich ursächlich sind. In Macherys Konzept werden eben jene tatsächlichen Ursachen bagatellisiert.

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Machery explizit absehen will. Das bedeutet, die psychologische Basis, wie Machery sie nennt, muss analysiert werden. Die kontrafaktische Analyse der typen-kausalen Verbindung ist ebenfalls nicht zufriedenstellend. Diese müsste lauten: ‚Wärst du kein Rassist, hättest du die muslimischen Bewerber nicht benachteiligt‘. Allerdings ist diese kontrafaktische Behauptung falsch, wenn man Macherys Charaktermodell ernst nimmt. Die Charaktereigenschaft ‚Rassist‘ ist, was die psychologische Basis angeht, völlig unbestimmt, denn es handelt sich um eine komplexe Charkaterdisposition. Diese ist nicht mit Teilen der psychologischen Basis identisch. Es gab für das Verhalten allerdings einen kausal wirksamen mentalen Zustand. Angenommen, eine Person wäre kein Rassist, dann bedeutet das nicht, dass der entsprechende mentale Zustand auch verschwinden müsste. Daher könnte das Verhalten auch ohne die Charaktereigenschaft auftreten, weshalb die kontrafaktische Analyse fehlschlägt. Inwiefern die typen-kausale Verbindung von Charaktereigenschaft zu Verhalten etwas erklären kann, bleibt insofern unklar. 4.2.3.3

Weshalb implizite Vorurteile Dispositionen sind

Prinzipiell erscheint mir die Position, implizite Vorurteile seien Dispositionen, attraktiv. Damit nimmt man jedoch direkt eine ganz andere Position als Machery ein, denn er vertritt die Auffassung, dass es keine impliziten oder expliziten Vorurteile gibt, sondern nur den rassistischen Charakter. Diese Position wurde zur Genüge kritisiert. Was bleibt also, wenn man dafür argumentieren möchte, dass implizite Vorurteile Dispositionen sind? Das dritte Kapitel schloss damit, dass mentale Zustände der empirischen Psychologie als funktionale Zustände zu verstehen sind, die multipel realisiert werden können. Ihren Realitätsstatus beziehen sie maßgeblich aus ihren Prognosefähigkeiten. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass der Realitätsstatus von mentalen Zuständen nicht dazu führt, dass die Zustände auf neuronale Muster reduziert werden können. Damit ist auch eine Eliminierung im Sinne Churchlands ausgeschlossen. Dazu wurde eine Token-Identität zwischen physiologischen Eigenschaften und mentalen Eigenschaften behauptet. Dadurch kann ein bestimmter Typ mentaler Zustände, zum Beispiel implizite Vorurteile, nicht auf einen physiologischen Typ, wie neuronale Muster, reduziert werden. Die mentalen Zustände sind insofern unverzichtbar, als dass diese durch ein Dispositionsbündel (X-Inputzustände führen zu Y-Outputzuständen) die funktionale Rolle des Zustandes angeben. Dabei gilt, dass die funktionale Rolle von expliziten Einstellungen sich unter Berücksichtigung weiterer funktionaler Zustände ergibt,

Was sind implizite Vorurteile?

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wie implizite Einstellungen oder self-efficiancy. Durch dementsprechende Messungen wird der jeweilige aktuelle Zustand im System bestimmt. In bestimmten Situationen (Input) können dadurch bestimmte Prognosen (Output) gemacht werden. Die Prognosen betreffen nicht nur Verhalten sondern auch andere mentale Zustände, die erzeugt werden können (diese können mit direkten oder indirekten Messmethoden erkannt werden). Durch eben jene Relationen, welche durch die kausale Rolle realisiert sind, ist ein mentaler Zustand identifizierbar (für Details dieser Auffassung, siehe Kapitel 3.3). Hier soll erneut die Frage in den Fokus rücken, wann ein mentaler Zustand mehr ist als eine komplizierte Disposition. Es wird sich zeigen, dass die Sozialpsychologie bei impliziten Vorurteilen zu Recht von mentalen Zuständen spricht. Allerdings handelt es sich bei impliziten Vorurteilen nicht um Repräsentationen, weshalb sie sich nur zur Verhaltensprognose eignen. Eine wirkliche Erklärung des diskriminierenden Verhaltens bei impliziten Biases bleibt bisher aus (siehe Abbildung 6). Wann ist die Zuschreibung eines mentalen Zustandes gerechtfertigt, der repräsentationalen Gehalt hat? Kann man einer Person zuschreiben, sie hätte die unbewusste Repräsentation ‚FARBIGE MENSCHEN SIND SCHLECHT‘, wenn man ihr Verhalten prognostizieren kann? Mein Argument besteht aus diesen Thesen, für die im Folgenden argumentiert wird: 1. 2. 3. 4.

Mentale Zustände werden gerechtfertigt zugeschrieben, wenn auf dieser Grundlage Verhalten prognostiziert werden kann. Repräsentationen werden gerechtfertigt zugeschrieben, wenn sie zur Verhaltenserklärung notwendig sind. Die bisherigen Ansätze zur Bestimmung impliziter Vorurteile entsprechen (2) nicht. Implizite Vorurteile können nicht gerechtfertigt als Repräsentationen betrachtet werden.

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Abbildung 6: Mentale Zustände in der Psychologie sind zweierlei: Dispositionsbündel, um Verhalten zu prognostizieren (grau), oder Repräsentationen (R), um Verhalten zu erklären. Die (kognitive) Psychologie hat das Anliegen Verhalten zu erklären, wenn einmal ein Mechanismus gefunden worden ist, auf dessen Grundlage Verhalten prognostiziert werden kann. Es gibt allerdings Verhaltensphänomene, die nicht adäquat erklärt werden können. Dann ist der entsprechende mentale Zustand ein Dispositionsbündel, welches nichts repräsentiert. Dies gilt für implizite Vorurteile und andere mentale Zustände in der Psychologie.

Mentale Zustände werden gerechtfertigt zugeschrieben, wenn auf dieser Grundlage Verhalten prognostiziert werden kann Diese These wurde im dritten Kapitel detailliert erläutert. Um das Verhalten des Schachcomputers zu prognostizieren, kann man dem Computer die Überzeugung zuschreiben, er müsse die Dame früh in das Spiel holen. Aus dieser Zuschreibung eines mentalen Zustandes ergeben sich zu erwartende Verhaltensmuster. Nach Dennett ist diese Strategie sehr häufig erfolgreich, wobei der Erfolg auch die Rechtfertigung dieser Betrachtungsweise (laut Dennett, der intentional stance) liefert.

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Repräsentationen werden gerechtfertigt zugeschrieben, wenn sie zur Verhaltenserklärung notwendig sind In 4.2.2.3 wurde bereits dargestellt, dass der Begriff der Repräsentation nur dann einen Erklärungswert für die Kognitionswissenschaft und die kognitive Psychologie haben kann, wenn er für eine Verhaltenserklärung notwendig ist. Dementsprechend ist der Erklärungswert von verschiedenen Typen von Repräsentationen nur dann gegeben, wenn die Anwedungskriterien der Repräsentationen streng genug sind. Repräsentationen sind nur dann nützlich für Erklärungen, wenn nicht jedes physikalische System Repräsentationen besitzt und verarbeitet. Nur diejenigen Systeme, die selbstständig Probleme lösen, verarbeiten Repräsentationen – andernfalls ist nicht einzusehen, womit sich eine Wissenschaft, wie die Kognitionswissenschaft, eigentlich genau befasst. Wenn selbst das Weltmeer Repräsentationen verarbeitet, ist der Begriff ‚Repräsentation‘ für Erklärungen unbrauchbar geworden. Daher braucht man für verschiedene Repräsentationstypen unterschiedlich strenge Zuschreibungskriterien. Bisher blieb eine positive Charakterisierung der Zuschreibungsbedingungen für Repräsentationen allerdings aus. In 4.2.2.3 wurde nur gesagt, wann die Zuschreibungsbedingungen nicht erfüllt sind. Um das Argument zu vervollständigen, muss eine positive Charakterisierung der Zuschreibungsbedingungen folgen. Dafür sollen nun die beiden Arten von Repräsentationen dargestellt werden, die nach Ramsey existieren, nämlich IO-Repräsentationen und S-Repräsentationen. Diese beiden Typen sagen etwas über die Funktion der genutzten Repräsentationen aus. Die Repräsentationen, die dort drunter fallen, können ganz verschieden sein. Eine begriffliche oder bildliche Repräsentation kann als IO-Repräsentation fungieren. Allerdings gilt, dass für jeden Typ von Repräsentation, der genutzt wird, andere Zuschreibungsbedingungen gelten. Die Zuschreibungsbedingungen für begriffliche Repräsentationen sind beispielsweise nach Newen und Bartels (2007) sehr streng (siehe Unterkapitel 4.2.2.3). Andernfalls würde die spezifische Erklärungsleistung dieses Typs von Repräsentationen verloren gehen. Wenn die Verhaltensweisen nicht den Anforderungskriterien entsprechen, um diese spezifische Repräsentation zuzuschreiben, dann hat man es mit einer anderen Art von Repräsentation zu tun. IO-Repräsentation Es gibt kognitive Systeme, die in der Lage sind Multiplikationen durchzuführen, wie beispielsweise ein entsprechend programmierter Computer. Gleichzeitig kann ein Computer unmöglich mit Zahlen operieren, denn Zahlen sind abstrakte Entitäten. Diese Entitäten kommen nirgendwo in der Welt tatsächlich vor und können dementsprechend auch nicht physikalisch realisiert sein. Dies gilt daher auch für

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rechnende Menschen, wenn man annimmt, dass Menschen rein physikalisch realisiert sind. Auch hier müsste man annehmen, dass sie nicht mit Zahlen operieren können. Die Kognitionswissenschaft hat, so Ramsey (2007), nun das Ziel zu erläutern, wie eine bestimmte kognitive Kapazität funktioniert. Die MultiplikationsKapazität hat zwei Faktoren als Input und das Produkt als Output. Es gilt allerdings, dass der Input in einem physikalischen System nie tatsächlich eine abstrakte Entität sein kann, daher nie eine Zahl ist. Um zu erklären, wie ein physikalisches System von einem Input zu einem bestimmten Output kommt und damit eine Kapazität realisiert, bedarf es der Repräsentationen. Kapazitäten werden funktional analysiert, so Ramsey (2007), der sich dabei auch auf Cummins (1985) beruft. Das bloße Betrachten der Input-Output Relation ist, so Ramsey, nicht ausreichend um davon zu sprechen, dass Repräsentationen involviert sind. Verschiedenste Systeme reagieren auf einen Input mit einem Output, ohne dass Repräsentationen angenommen werden müssten. Es findet auch keine Erklärung der Multiplikation statt, wenn nur festgestellt wird, dass in einem System der Output dem Produkt der Inputs entspricht (das wäre eine dispositionale Betrachtung). Die Zuschreibungsbedingungen für eine Repräsentation wären also in diesem Fall zu schwach. Erst wenn eine Kapazität funktional analysiert wird, wird die Kapazität erklärt und erst dann werden Repräsentationen nötig. Die funktionale Analyse verlangt danach, dass die komplizierte Aufgabe, das Multiplizieren, in einfachere Aufgaben zergliedert wird. Eine Multiplikation kann beispielsweise als eine wiederholte Addition betrachtet werden. Um allerdings die Addition zu erklären, sind erneut Inputs und Outputs für die Addition nötig. Die Sub-Routinen, wie die Addition, die nötig sind, um eine Kapazität zu erklären, werden als reale Teile des Systems betrachtet. Diese Teile sind eben die tatsächliche Realisierung einer Kapazität. Um aber eben jene Teile als bestimmte SubRoutine zu betrachten ist es notwendig anzunehmen, dass Symbole verarbeitet werden und diese Symbole sind Repräsentationen von Zahlen. Wenn es nicht diese Symbolverarbeitung wäre, gäbe es keine Erklärung der Kapazität auf physikalischer Ebene. Man könnte die Sub-Routine nicht als eine Addition begreifen und daher auch nicht erklären, wie die Multiplikation durchgeführt wird. Es müssen also bestimmte Strukturen des Systems als interne Repräsentationen des Systems betrachtet werden, um die Kapazität zu erklären.

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Abbildung 7: grafische Darstellung einer funktionalen Analyse einer Disposition (mit beispielhafter Implementierungsebene)

Um zu verstehen, wie eine Sub-Routine ihre Aufgabe erledigt, ist es notwendig anzunehmen, dass sie mit Symbolen arbeitet, die für etwas stehen. Der Inhalt des Symbols ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Um zu erklären, wie ein System etwas tut, wie eine Addition oder das Bewerten von Schachzügen, muss der Input und Output der Routinen als Symbole betrachtet werden, die bestimmte Zahlen oder Schachspiel-Szenarien repräsentieren. Ramsey dazu: „What matters is that we have an explanatory strategy that breaks a complex task (in this case, multiplication) into smaller tasks (i.e., addition) whereby the smaller task, by their very nature, require their inputs and outputs to be respresentations” (Ramsey, 2007, S. 75). S-Repräsentationen Eine der einfachsten Arten von Repräsentationen ist ein Modell eines echten Gegenstandes. Ein Modellflugzeug kann ein echtes Flugzeug repräsentieren und zwar aufgrund eines Isomorphismus vom Modell zum Original. Hierbei handelt es sich natürlich nicht um eine Repräsentation für die Kognitionswissenschaft im relevanten Sinne. Dennoch spricht viel dafür, so Ramsey (2007), auch diejenigen Repräsentationen als solche auszuweisen, mit denen ein kognitives System bestimmte isomorphe Verhältnisse von Repräsentation zum Repräsentierten ausnutzt.

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Ramsey erläutert das Konzept der S-Repräsentationen mit einem Beispiel. In diesem Beispiel möchte Bob sich Klarheit über die Familienverhältnisse schaffen. Dazu zeichnet er für jede Person aus der Verwandtschaft Rechtecke und schreibt den entsprechenden Vornamen hinein. Anschließend verbindet er die Rechtecke je nach Verwandtschaftsgrad mit unterschiedlichen Linien: die Relation ‚verheiratet‘ bekommt eine Linie mit beidseitigen Pfeilen, Geschwister eine Linie ohne Pfeile und die Relation von Eltern-zu-Kind ist mit einer Linie mit nur einem Pfeil bestimmt. Nachdem Bob alle Verbindungen eingezeichnet hat, wird ihm klar, dass Laura seine Cousine ist. Dementsprechend wird ein Netz aus Elementen und deren Relationen von Bob genutzt um ein Problem zu lösen. Die Elemente und Relationen weisen eine Isomorphie zum Problemraum (problem-space) auf, der sich durch die Aufgabe stellt. Nun scheint es allerdings so zu sein, dass Bob dies nur gelingt, da er Namen benutzt und diese auch versteht. Dies kann man von vielen Lebewesen und auch Maschinen nicht voraussetzen. Ramsey ist allerdings der Auffassung, dass es keinen wirklichen Unterschied macht, ob Bob wirklich versteht, worauf die Namen referieren. Angenommen, man hätte ein analoges Netz in einem Computer, der bloß Symbole verarbeitet und der keinerlei Worte versteht. Unter dieser Annahme wäre es immer noch sinnvoll zu sagen, dass der Computer mittels einer S-Repräsentation die Aufgabe löst, so Ramsey. Philosophen, wie Stich (1985), würden hier einwenden, dass die reine Symbolverarbeitung scheinbar ausreichend ist, um zu erklären, was erklärt werden soll: was ein System tut, um die Aufgabe zu lösen, ist klar und kann mittels symbolischer Verarbeitung vollständig beschrieben werden. Daher aber, so Stich, ist es auch unnötig anzunehmen, es handle sich um eine Repräsentation. Die zu verarbeitenden Symbole haben keinen Inhalt, sondern entsprechen einer beliebigen Syntax, die eine Symbolverarbeitung möglich macht. Eine Repräsentation muss aber einen bestimmten Inhalt haben, sonst ist es eben keine Repräsentation. Die Frage aber, die durch diese Sicht ausgelassen wird, ist die, wie ein System es schafft auf dieser Grundlage ein Problem zu lösen. Die syntaktischen und physikalischen Operationen sind erfolgreich in der Problemlösung, weil sie ein Modell des Problemraums abbilden und dadurch den Problemraum repräsentieren. Es ist daher nicht relevant, dass es keinen Interpreten in einem Computer gibt, der die Bedeutung der verwendeten Symbole erfasst. Kognition besteht auch darin, dass

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im Gehirn Prozesse ablaufen, die etwas simulieren bzw. abbilden und dadurch Repräsentationen von etwas im Problemraum generieren. 35 Der Inhalt der Symbole (repräsentationaler Gehalt) ist wichtig, um zu erklären, wie das System ein Problem löst. Wenn die Symbole für nichts stehen, dann ist unklar, wie das System ein Problem löst. Nach Ramsey kann man erkennen, welches Problem gelöst wird, wenn die Umgebung betrachtet wird, in dem sich das System befindet. Anschließend kann spezifiziert werden, worauf sich die S-Repräsentation beziehen muss, um das Problem zu lösen. Ein schierer Isomorphismus von einer Repräsentation mit etwas in der Welt ist dementsprechend noch keine Repräsentation. Erst dann, wenn Aspekte der isomorphen Struktur im kognitiven System intern genutzt werden, um ein Problem zu lösen, wird eine interne isomorphe Struktur zur S-Repräsentation. Ein Schachcomputer hat demnach eine S-Repräsentation vom aktuellen Spiel. Dies wird erst dann erkennbar, wenn das Verhalten des Computers erfolgreich erklärt wird. Die Tatsache, dass ein Computer auf niedriger Beschreibungsebene nicht notwendigerweise einen Datentypen hat, der isomorph mit dem aktuellen Spielfeld ist, ist dabei irrelevant. Ramsey (2007, S. 89) sagt, dass auch die sogenannten Skripte, die auch in der Sozialpsychologie eine Rolle spielen (zum Beispiel bei Huesman, 1998), Teil der S-Repräsentationen sind. Skripte über Kontexte, wie beispielsweise ein Skript für einen Restaurant-Besuch, sind Datenstrukturen, die wichtige Aspekte des Handlungskontextes repräsentieren. Wenn ein solches Skript in einem System verarbeitet wird, dann kann das System Fragen zum Kontext beantworten. Es hat dann beispielsweise das Hintergrundwissen, dass in einem Restaurant Kellner bzw. Kellnerinnen angestellt sind. Das System ist erfolgreich, da es die isomorphen Daten nutzt, die intern vorliegen und relevante Aspekte der Welt repräsentieren (Skripte wären also eine Unterklasse der S-Repräsentationen). Die bisherigen Ansätze zur Bestimmung impliziter Vorurteile entsprechen (2) nicht Sowohl die assoziativen als auch die propositionalen Ansätze sind nicht gut gerechtfertigt.

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„ […] classical computational theories say that when the brain performs a given cognitive task, the brain itself constructs a model of the relevant domain, and consequently uses representations of aspects of that domain as elements of the model” (Ramsey, 2007, S. 86–87).

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Es zeigte sich in diesem Kapitel, dass die assoziativen Ansätze nicht geeignet sind, um dasjenige zu erhellen, was Psychologen unter dem Begriff ‚implizite Vorurteile‘ verstehen (siehe Kapitel 4.2.1.1, 4.2.2.1). Dabei wurde eine Vielzahl von Einwürfen und Kritiken dargestellt und diskutiert. Da dies bereits geschehen ist, sollen hier nur erneut die wichtigsten Punkte kurz erwähnt werden. Gendlers Alief-Konzeption konnte nicht überzeugen. Aliefs sind keine wirklichen mentalen Zustände, sondern bloß ein Container-Konzept, in dem Konzepte der empirischen Psychologie enthalten sind. Dementsprechend handelt es sich bei den sogenannten Aliefs um keinen mentalen Zustand. Außerdem ist der Fokus auf Normativität unnötig, wenn man Überzeugungszustände als deskriptive mentale Zustände betrachtet. Gendlers Alief Konzept kann nichts erklären, was nicht ohnehin schon durch deskriptive Theorien erklärt worden wäre. Zusätzlich stellte sich die Frage, wie ein assoziatives Verständnis von impliziten Einstellungen erklären kann, wie eine Wertung auf einen Gegenstand bezogen wird. Mandelbaums Überzeugungskonzeption litt an einer fehlenden Rationalitätstheorie und an einer zu anspruchsvollen Konzeption. Die fehlende Rationalitätstheorie führt dazu, dass grundlegende Eigenschaften impliziter Einstellungen und damit impliziter Vorurteile nicht erklärt werden können. Mandelbaums anspruchsvolle Konzeption setzt voraus, dass implizite Vorurteile propositional aus begrifflichen Repräsentationen zusammengesetzt sind. Dies ist unplausibel, da es eine Vielzahl empirischer Indizien dafür gibt, dass auch viele Tiere implizite Einstellungen haben. Gleichzeitig haben diese Tiere häufig keine begrifflichen Repräsentationen. Implizite Einstellungen sind demnach nicht propositional strukturiert. Da die vorgeschlagenen Konzepte allesamt nicht das erklären können, was sie erklären wollen, ist es auch nicht gerechtfertigt entsprechende Repräsentationen zuzuschreiben. Was dann bleibt sind implizite Vorurteile als mentaler Zustand, der als Dispositionsbündel charakterisiert ist. Das bedeutet, dass die Dispositionen, welche von der Psychologie erkannt wurden, noch nicht erklärt werden können. Mehr als Verhaltensprognosen sind dementsprechend nicht möglich. Implizite Vorurteile können nicht gerechtfertigt als Repräsentationen betrachtet werden Wenn durch ein indirektes Messverfahren implizite Vorurteile festgestellt worden sind, ist die Zuschreibung des entsprechenden mentalen Zustandes gerechtfertigt. Der Zustand ist bestimmt durch eben jene Dispositionen, die durch experimentelle Anordnungen erkannt worden sind.

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Auf dieser Grundlage ist es allerdings nicht gerechtfertigt zu behaupten, jemand würde den Gehalt ‚FARBIGE MENSCHEN SIND SCHLECHT‘ oder ‚FRAUEN SIND FÜR FÜHRUNGSPOSITIONEN NICHT GEEIGNET‘ repräsentieren. Das Zuschreiben von Repräsentationen ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Zuschreibung der Repräsentation zur Verhaltenserklärung notwendig ist. Dies ist hier allerdings nicht der Fall, da das Verhalten generell nicht zufriedenstellend erklärt werden kann. Daraus folgt allerdings nicht, dass implizite Vorurteile ontologisch diesem Dispositionsbündel in einem absoluten Sinne entsprechen würden. Wenn eine überzeugende theoretische Konzeption vorgeschlagen wird, welche die Verhaltensdaten repräsentational erklärt (d.h. es gäbe eine erfolgreiche funktionale Analyse der Fähigkeit/Kapazität von automatischen Bewertungen), dann wird man den repräsentationalen Gehalt und die Struktur der Repräsentation erkannt und damit zugleich gerechtfertigt zugeschrieben haben. 4.2.3.4

Fazit

In diesem Unterkapitel wurden dispositionale Ansätze zu impliziten Vorurteilen betrachtet. Charakteristisch für dispositionale Ansätze ist, dass es sich bei impliziten Vorurteilen nicht um mentale Zustände mit repräsentationalem Inhalt handelt. Das bedeutet, dass nach einem dispositionalen Ansatz eine Person, die laut dem IAT implizite Vorurteile hat, nichts Dementsprechendes repräsentiert. Ein aversiver Rassist repräsentiert demnach nicht unbewusst etwas, wie ‚FARBIGE MENSCHEN SIND SCHLECHT‘. Macherys Ansatz konnte aufgrund zweier gravierender Mängel nicht überzeugen: das vorgeschlagene Konzept genügt nicht den Anforderungen der Sozialpsychologie und die Argumente, die für das Konzept sprechen, sind nicht stark genug. Die Sozialpsychologie möchte mit Einstellungen Verhalten erklären und prognostizieren. Beides gelingt nicht, wenn man Macherys Konzept in Betracht zieht. Charakterdispositionen, wie Machery sie beschreibt, können weder Verhalten erklären noch prognostizieren. Außerdem ist unklar, ob man die Charakterdispositionen messen kann. Darüber hinaus waren die Argumente nicht überzeugend, welche für Macherys dispositionales Konzept sprechen. Die Konzeption konnte nicht eindeutig etwas besser erklären als die nicht-dispositionalen Ansätze. Anschließend wurde ein alternativer Ansatz vorgeschlagen, der implizite Vorurteile als Dispositionen versteht. Hier werden, im Gegensatz zum Vorschlag Macherys, eben diejenigen mentalen Zustände in den Blick genommen, die von der

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Sozialpsychologie gemessen werden. Es wurde dafür argumentiert, dass diese Zustände Dispositionsbündel darstellen, mit deren Hilfe Verhalten prognostiziert werden kann, wodurch die Zuschreibung dieser mentalen Zustände gerechtfertigt ist. Eine Verhaltenserklärung, welche repräsentationale Zustände erfordert, findet bisher nicht statt. Insofern sind implizite Vorurteile keine mentalen Zustände mit einem semantischen Gehalt, sondern Dispositionen. Warum es von einem bestimmten Input (Situation) zu einem Output (Verhalten) kommt, bleibt daher unklar. 4.2.4

Fazit

Im vorliegenden Kapitel wurden verschiedene Antworten der Philosophie auf die Frage ‚was sind implizite Vorurteile‘ diskutiert. Dabei wurden assoziative, propositionale und dispositionale Ansätze kritisch analysiert. Die assoziativen und die propositionalen Ansätze konnten nicht überzeugen. Der dispositionale Ansatz, der Einstellungen mit Charakterdispositionen identifiziert, war ebenfalls nicht überzeugend. In der Sozialpsychologie gibt es zwei Arten von mentalen Zuständen: Dispositionsbündel, die genutzt werden können, um Verhalten zu prognostizieren, und Repräsentationen, die der Verhaltenserklärung dienen. Da eine überzeugende Erklärung derjenigen Verhaltensweisen ausbleibt, die auf impliziten Einstellungen basieren, sind implizite Einstellungen als Dispositionen charakterisiert. Mentale Zustände, die neuronal unterschiedlich realisiert sind, sind durch ihre Dispositionen identifizierbar. Welche Dispositionen zu erwarten sind, ist abhängig davon, in welchem Zustand sich das System befindet, was durch eine Einstellungsmessung bestimmt werden kann. Der Implicit Association Test kann auf der Homepage der Harvard-Universität von jeder Person, die daran Interesse hat, durchlaufen werden. Dabei können Personen ihre impliziten Einstellungen gegenüber verschiedensten Objekten messen. Auf der Homepage gibt es eine Frequently Asked Questions Rubrik, in der folgender Eintrag zu finden ist: Bedeutet es, dass ich Vorurteile habe, wenn das Ergebnis im Rassen-IAT eine automatische Vorliebe für Weiße zeigt? Antwort: Das ist eine sehr wichtige Frage. Sozialpsychologen verwenden das Wort "voreingenommen", um Menschen zu beschreiben, die negative Einstellungen und diskriminierendes Verhalten gegenüber unterschiedlichsten Gruppen aufweisen. Viele Menschen, die eine automatische Bevorzugung von weißen Menschen zeigen, sind nicht voreingenommen im Sinne dieser Definition. […] („FAQs“, o. J.)

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Diese Antwort ist überraschend, denn ob jemand ein (implizites oder explizites) Vorurteil hat oder nicht, wird durch direkte oder indirekte Messverfahren bestimmt. Diese Feststellung ist zunächst unabhängig davon, ob es zu diskriminierenden Verhalten kommt, was durch andere mentale Zustände reguliert werden kann. Andererseits ist die Antwort weniger überraschend, wenn man sich vor Augen führt, dass in der Rubrik typische Fragen von Laien an Psychologen gerichtet werden. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff ‚Vorurteil‘ in der Frage alltagssprachlich zu verstehen. Dieser alltagssprachliche Begriff hat möglicherweise ein Äquivalent in der empirischen Psychologie oder eben nicht. In welchem Verhältnis stehen die Begriffe zueinander? Diese Frage ist erneut nur eine Variante des Interfacing-Problems, denn es wird gefragt, ob dem alltagspsychologischen Begriff des Vorurteils (mit seinen verhaltenserklärenden und prognostizierenden Merkmalen) etwas in der empirischen Psychologie entspricht. Um die Frage aus dem FAQ zu beantworten, müssen drei Schritte vollzogen werden: (1) man muss den Begriff ‚implizites Vorurteil‘ aus der psychologischen Theorie bestimmen und (2) der alltagssprachliche Begriff ‚Vorurteil‘ muss bestimmt werden, um dann zu klären (3), ob die Begriffe aus (1) und (2) eine hinreichende Äquivalenz aufweisen. Bei der Bestimmung eines alltagssprachlichen Begriffs 36 gibt es mindestens zwei erhebliche Probleme. Zunächst (1) haben viele Begriffe aus der Alltagssprache keine klaren semantischen Kanten. Der Inhalt von Begriffen der Alltagssprache ist immer etwas vage. Die Wahrscheinlichkeit, dass hundert deutsche Sprecher das Vorurteil gleich bestimmen würden, ist sehr gering. Eine zusätzliche Schwierigkeit (2) liegt in den verschiedenen Alltagssprachen: Im Gegensatz zum technischen Begriff ‚Vorurteil‘ in der empirischen Psychologie hat der alltagssprachliche Begriff in verschiedenen Sprachen andere Konnotationen. Im Englischen gibt es einen stärkeren Fokus auf Gefühle als im Deutschen. Innerhalb der sozialpsychologischen Debatte kam es genau zu eben jenen Schwierigkeiten, als sich Arkes und Tetlock (2004) an der Verwendung des Wortes ‚implicit prejudice‘ störten. Für die Autoren kann man nur dann von einem Vorurteil sprechen, wenn drei Kritieren zweifelsfrei vorliegen, nämlich "[...] antipathy, rigidity, and erroneous belief [...]"37 (S. 314). Demnach ist ein Vorurteil eine Über36 37

Ich gehe hier davon aus, dass der alltagssprachliche Begriff ‚Vorurteil‘ auch immer ein alltagspsychologischer Begriff ist. Diese alltagssprachliche Bestimmung stammt ursprünglich von Allport, der eben jenen Begriff nutzte, um dem psychologischen Vorurteilsbegriff die ersten Konturen zu geben (siehe 2.2.1).

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zeugung mit drei Eigenschaften: (1) die Überzeugung ist feindselig, (2) die Überzeugung ist stabil und (3) die Überzeugung ist fehlerhaft. Für Arkes und Tetlock waren die Kriterien bei impliziten Vorurteilen nicht vorhanden, weshalb sie in Frage stellten, ob es überhaupt so etwas wie implizite Vorurteile geben könne. Nach dieser Vorstellung gilt: Nur wenn in der empirischen Sozialpsychologie ein Begriff verwendet wird, der eben jenen Kriterien entspricht, kann die obige Frage aus dem FAQ positiv beantwortet werden. Durch Mandelbaums Theorie, nach der implizite Vorurteile unbewusste Überzeugungen sind, kann es prinzipiell einen äquivalenten Begriff in der Sozialpsychologie und der Alltagspsychologie geben. Wenn implizite Vorurteile unbewusste Überzeugungen sind und diese mittels indirekter Messverfahren bei Subjekten erkannt werden können, dann kann die Frage aus dem FAQ prinzipiell mit „ja“ beantwortet werden. Würde man Gendlers Theorie der Aliefs annehmen und den gleichen alltagssprachlichen Begriff voraussetzen, müsste die Frage mit „nein“ beantwortet werden. Dies ergibt sich zwingend daraus, dass nach Gendler Aliefs eben keine Überzeugungen sind. Dementsprechend könnte der alltagspsychologische Begriff nicht mit einem entsprechenden Alief hinreichend gleich sein. Der vorgeschlagene dispositionale Ansatz führt ebenfalls dazu, dass die Frage im FAQ, wenn man sie so versteht, wie dargestellt, verneint werden muss. Eine Überzeugung ist eine Proposition mit einem bestimmten repräsentationalen Gehalt, wie ‚FARBIGE MENSCHEN SIND SCHLECHT‘. Es wurde jedoch festgestellt, dass implizite Vorurteile der Sozialpsychologie keine repräsentationalen Zustände sind. Insofern kann es sich bei impliziten Vorurteilen nicht um alltagssprachliche Vorurteile handeln, wenn letztere als Überzeugungen mit einem Gehalt betrachtet werden. Natürlich ändert sich nichts an den tatsächlichen Effekten impliziter Vorurteile, ob man sie auf die eine oder die andere Art und Weise klassifiziert. Es ergeben sich allerdings semantische Implikationen, die dafür sorgen, dass man die Behauptung, Personen mit impliziten Vorurteilen hätten eine bestimmte unbewusste Überzeugung, klar verneinen kann. Wenn man implizite Vorurteile als einen mentalen Zustand betrachtet, der weder einer Überzeugung noch einer Assoziation entspricht, dann ergibt sich weiterhin, dass die Entstehungsbedingungen jener Vorurteile unklar sind. Wären es Überzeugungen, dann hätte man eine relativ klare Vorstellung davon, nach welchen Mechanismen sich implizite Vorurteile generieren. Überzeugungen entstehen dann, wenn es Gründe für das Für-Wahr-Halten von etwas gibt, was bereits eine wichtige Bestimmung darstellt. Ein Akteur wird dementsprechend als prinzipiell rational angenommen und seine impliziten Vorurteile sind begründet, wenn man seine Möglichkeiten und äußeren Einflüsse betrachtet. Hätte man es bei impliziten Vor-

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urteilen mit Assoziationen zu tun, dann wären ebenfalls die Mechanismen bekannt, nach denen sich implizite Vorurteile bilden. Der wohl wichtigste Mechanismus wäre das (evaluative) Konditionieren, was ganz ohne Gründe auskommt. Das dispositionale Modell lässt es generell offen, wie sich implizite Vorurteile bilden. Um dies in Erfahrung zu bringen, sind experimentelle Anordnungen nötig. Die Regeln, nach denen dies geschieht, sind so lange völlig unklar, bis Daten generiert wurden, die darüber Auskunft geben. Dies hat den Nachteil, dass man keine klaren Hypothesen bilden kann. Wenn man annimmt, dass implizite Vorurteile Überzeugungen sind, ergeben sich für verschiedene Fälle unterschiedliche Erwartungen. Andererseits gibt es Fälle, die äußerst unerwartete Ergebnisse generieren. Zum Beispiel stellt der implizite Selbstwert eine implizite Einstellung gegenüber dem eigenen Selbstkonzept dar. Im Experiment erzeugte Frustration kann dazu führen, dass Probanden mit geringem impliziten und hohem explziten Selbstwert diskriminierendes Verhalten zeigen, um ihren Selbstwert zu regulieren (Jordan et al., 2005). Dass implizite Einstellungen solch eine Rolle einnehmen, hätte man weder auf assoziativer noch propositionaler Basis erwartet. Schon die erste umfassende Theorie impliziter Einstellungen legte einen besonderen Fokus auf den impliziten Selbstwert und dessen Auswirkungen auf verschiedenste implizite Einstellungen (Greenwald et al., 2002). Durch diese funktionale Betrachtung, durch die Rolle impliziter Einstellungen und deren Zusammenhang mit dem impliziten Selbstwert, lassen sich prüfbare Hypothesen aufstellen. Dafür sind dementsprechend keine Voraussetzungen über die repräsentationale Struktur impliziter Einstellungen nötig. Die funktionale Rolle von Vorurteilen (als Disposition verstanden) kann somit Schritt für Schritt verstanden werden. Auf dieser Basis kann sich ein äußerst komplexes Netz mit verschiedensten Abhängigkeiten ergeben, welches die Rolle impliziter Vorurteile für die Psyche verständlich macht. Ganz ähnliches ergibt sich für die Änderungsbedingungen von impliziten Vorurteilen. Assoziative und propositionale Ansätze haben andere Hypothesen darüber, wie sich Vorurteile unter bestimmten Bedingungen verändern. Allerdings hätte wohl keines der Modelle vorhergesehen, dass implizite Vorurteile gegenüber einer Minderheit abnehmen, wenn Schüler über Monate hinweg Lieder von dieser Minderheit zu spielen lernen (Neto, Pinto, & Mullet, 2018). Wenn die funktionale Rolle und damit auch die Abhängigkeiten eines mentalen Zustandes zu anderen Zuständen erkannt wurden, können auch Effekte verständlich werden. Implizite Vorurteile bzw. implizite Einstellungen stehen im Zusammenhang mit dem Selbstwert und dem Selbstbild (Greenwald et al., 2002). Daher lässt sich der eben beschriebene Effekt auch in diesen Rahmen eingliedern: Das Selbstbild konstituiert

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sich wesentlich durch Dinge, die man wertschätzt. Wenn man eine Präferenz für etwas entwickelt, wird diese Sache in das Selbstbild integriert. Dadurch wird eine Sache, die wesentlich für eine Out-Group ist, in das eigene Selbstbild eingebunden, weshalb die Grenze von der In-Group zur Out-Group – abhängig vom Selbstbild und Selbstwert – fragil wird. Die impliziten Vorurteile gegenüber der OutGroup nehmen dementsprechend ab, denn diese ist nun näher am Selbstbild und damit relevant für den eigenen Selbstwert. Zusätzlich gilt, dass der Zusammenhang von mentalen Zuständen mit impliziten Vorurteilen als Dispositionen schwieriger zu fassen ist, als wenn implizite Vorurteile als Propositionen betrachtet werden. Der semantische Gehalt von Propositionen kann dazu dienen verständlich zu machen, wie genau ein mentaler Zustand in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem anderen mentalen Zustand steht. Ganz ähnlich verhält es sich bei Assoziationen, wobei hier die Zusammenhänge mittels assoziativen Verbindungen und Stärken beschrieben werden. Im dispositionalen Modell müssen die Zusammenhänge durch die funktionale Rolle des mentalen Zustandes bestimmt werden (siehe Abbildung 4). Wie der Zusammenhang de facto realisiert ist, bleibt allerdings ungewiss. Die funktionale Rolle impliziter Vorurteile erkennen ist möglicherweise für viele Betrachter nicht befriedigend. Man möchte mehr sagen als dass X aufgrund verscheidener Sachverhalte eine Person zu Y dispositioniert. Gleichzeitig scheint diese Option durch ein dispositionales Verständnis impliziter Vorurteile versperrt zu sein. Allerdings trügt dieser Schein, wie das folgende Beispiel zur Illustration von Heuristiken zeigt. Wie ist es möglich, dass es Hunden so häufig gelingt einen geworfenen Ball zu fangen? Um die Flugbahn eines Objekts zu berechnen sind diverse Informationen nötig. Zunächst ist die Flugbahn typischerweise durch eine Parabel beschreibbar, die sich aus dem Abwurfwinkel und der Wurfkraft bestimmen lässt. Zusätzlich ist der Luftwiderstandt zu beachten, wenn die Flugbahn berechnet wird. Man könnte diese Fähigkeit durch den Rekurs auf implizite Repräsentationen erklärt. Dann würde man davon ausgehen, dass bestimmte Regeln gewusst und geglaubt werden. In diesem Sinne ist es möglich die gesamte Alltagsphysik einer Person durch implizite Zustände, wie Überzeugungen, zu beschreiben – auch wenn die Person solche nie artikulieren könnte. Es wäre denkbar, dass in Bruchteilen von Sekunden das Gehirn komplexe Differentialgleichungen löst, um die Flugbahn eines Objekts zu berechnen. Demzufolge wird die erlernte implizite Theorie immer zur Flugbahnberechnung herangezogen. Die Überlegung, dass im Unterbewussten komplexe Berechnungen gemacht werden, lebt in erster Linie vom Erfolg der Physik. Die moderne Physik beschreibt

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Naturphänomene durch mathematische Methoden und ermöglicht verlässliche Prognosen. Es handelt dabei um eine quantitative Modellierung der betrachteten Natur. Sind es eben diese Modelle, die dem Gehirn eine Flugbahnberechnung ermöglichen? Viele Menschen, welche einen Ball fangen können, haben noch nie etwas von Differenzialgleichungen gehört. Auch vor dem Hintergrund, dass auch Hunde die Flugbahn eines geworfenen Stocks prognostizieren können, wirkt diese Erklärung unplausibel: Kennen Hunde die höhere Mathematik, aber können sie bloß nicht artikulieren? Die Erklärung einer impliziten komplexen Alltagsphysik ist zu anspruchsvoll um wirklich plausibel zu sein. Psychologische Untersuchungen haben ergeben, dass sowohl Hunde wie auch Baseballspieler eine simple Faustregel verwenden, um ein Objekt zu fangen: "Fix your gaze on the ball, start running, and adjust your running speed so that the image of the ball rises at a constant rate" (Gigerenzer, 2007, S. 11). Freilich kann der Auftrittspunkt des Flugobjektes nicht direkt bestimmt werden, sondern der Fänger wird durch Anwendung der Regel zu diesem hingeführt. Diese simple Heuristik (gaze heuristic) führt in vielen Fällen ohne besondere Rechenanstrengungen zum Erfolg. Ein weiterer Vorteil der Theorie ist, dass nicht die Grundlagen der höheren Mathematik im Unbewussten von Tieren und Menschen vorausgesetzt werden müssen, sondern dass nun bloß die heuristischen Regeln und deren Voraussetzungen beschrieben werden können. Die meisten kognitiven Aufgaben verlangen nach schnellen Lösungen. Solche Lösungswege treten dem Akteur in Form von Intuitionen oder Bauchgefühlen (gut feelings) ins Bewusstsein. Diese Intuitionen wiederum setzen sich, nach Gigerenzer, aus Faustregeln zusammen, welche evolutionär entwickelte Vermögen des Gehirns nutzen. Letztendlich ist dann die Umgebung, in der sich ein Akteur befindet, dafür entscheidend, ob eine Faustregel sich bewährt oder nicht. In diesem Sinne gliedert Gigerenzer die gaze heuristic auf: "(1) Fix your gaze on the ball, (2) start running, and (3) adjust your running speed so that the angle of gaze remains constant" (Gigerenzer, 2007, S. 11). Jeder dieser Blöcke macht sich ein evolutionär entwickeltes Vermögen zu Nutze. Um den Ball zu fixieren ist das Vermögen nötig, visuell Objekte verfolgen zu können. Das Rennen kann nur dann gelingen, wenn das Gleichgewicht im aufrechten Gang bei erhöhter Geschwindigkeit gehalten werden kann. Der letzte Block setzt sensible Balanciermechanismen vom Visuellen zum Motorischen voraus. Es handelt sich bei Heuristiken nicht um interne Repräsentationen. Wenn man das Verhalten eines Systems durch eine Heuristik erklärt, dann setzt man damit nicht voraus, dass ein System sukkzessive die angegebene Regel abarbeitet, geschweige denn, dass dieser Imperativ im System vorhanden sei. Das Gegenteil scheint der

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Fall zu sein: man beschreibt verschiedene Dispositionen 38, die funktional und systematisch ineinander greifen um eine bestimmte Aufgabe zu lösen. Die heuristische Erklärung, wie es Hunden gelingt einen geworfenen Ball zu fangen, ist überraschend und elegant. Man lernt dadurch etwas. Eine Erklärung dieser Art geht weit über eine dispositionale Erklärung, wie ‚X kann einen Ball fangen, weil X ein guter Ballfänger ist‘ hinaus. Eine heuristische Erklärung der funktionalen Rolle impliziter Einstellungen könnte analog entwickelt werden. Der Weg dafür ist durch ein dispositionales Verstädnis impliziter Einstellungen frei. Allerdings ist hier kritisch zu hinterfragen, wie genau Erklärungen, wie die gaze heuristc funktionieren. Man könnte beispielsweise die Frage diskutieren, ob diese Erklärungsart prinzipiell diejenige ist, die Craver (2009) mit mechanistischen Erklärungen bezeichnet. Diese Frage führt allerdings bereits in eine ganz andere Debatte.

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Selbst für die Kapazität der visuellen Fixierung sind Repräsentationen häufig nicht notwendig. Ein einfacher Sensor für eine bestimmte Farbe kann genügen, um physikalisch zu signalisieren, ob sich etwas mit einer bestimmten Farbe vor dem Sensor befindet oder nicht. Diese Eigenschaft eines Sensors kann in Komination mit weiteren Sensoren, Ingenieurswissen und beweglichen physikalischen Teilen dazu dienen, die Kapazität der visuellen Fixierung zu realisieren. Die Annahme von Repräsentationen wäre für das inflexible Verhalten des Geräts unnötig.

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Fazit und Ausblick

Die vorliegende Dissertation hat den Begriff der ‚impliziten Vorurteile‘ philosophisch untersucht. Dafür war die Theorie des aversiven Rassismus ein wichtiger Ausgangspunkt. Laut dieser Theorie haben sich die expliziten Einstellungen gegenüber Afro-Amerikanern in den letzten Jahrzehnten verbessert. Allerdings bestreitet die Theorie des aversiven Rassismus, dass dadurch auch diskriminierendes Verhalten verschwunden sei. Die Theorie behauptet stattdessen, dass der Rassismus sich verändert hat. Die von der Theorie beschrieben Personen sind progressiv eingestellt und vertreten egalitäre Werte. Die expliziten Einstellungen dieser Personen sind gegenüber Afro-Amerikanern positiv. Allerdings haben sie unbewusste negative Gefühle gegenüber Afro-Amerikanern, die sich unter bestimmten Bedingungen Bahn brechen. Was zunächst als unbewusstes Gefühl skizziert wurde, wurde später als implizite Einstellung bzw. implizites Vorurteil identifiziert. Diese impliziten Vorurteile werden typischerweise durch indirekte Messverfahren wie dem Implicit Association Test gemessen. Durch die Identifikation der unbewussten Gefühle mit impliziten Einstellungen konnte das Phänomen des ‚impliziten Rassismus‘, das bereits in der Einleitung angesprochen wurde, empirisch und systematisch untersucht werden. Es steht fest, dass implizite Vorurteile und implizite Stereotypen das Verhalten und das Denken beeinflussen: Explizite, sowie implizite Einstellungen tragen zur Verhaltensprognose durch die Sozialpsychologie bei. Allerdings dürfen diese Faktoren nicht isoliert betrachtet werden. Es entspricht zwar dem Alltagsverständnis von Psychologie, dass eine Präferenz gegenüber einer Sache auch das Verhalten gegenüber dieser Sache entscheidend beeinflusst, tatsächlich ist das Verhalten gegenüber einer Sache von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren abhängig. Jemand kann eine negative Präferenz gegenüber einer Person haben, sich dann aber positiv gegenüber dieser Person verhalten und zwar aus ganz anderen Ursachen oder Gründen. Wenn sich dementsprechend herausstellen sollte, dass Bewertungen im Gedächtnis (long-term memory) wenig zu tatsächlichem Verhalten beitragen, dann ist dies keine Bankrott-Erklärung der Vorurteilsforschung, sondern eine wichtige Einsicht darin, wie der Geist tatsächlich funktioniert. Was sind aber implizite Vorurteile ihrer Natur nach? Sind es mentale Zustände, sind es Repräsentationen oder vielleicht sogar Persönlichkeitsmerkmale (traits)?

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 R. Baston, Implizite Vorurteile, https://doi.org/10.1007/978-3-476-05727-3_5

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Fazit und Ausblick

Es wurde dafür argumentiert, mentale Zustände als theoretische Begriffe zu betrachten, deren Anwendung analog zu den Naturwissenschaften ist. In den Naturwissenschaften gibt es eine Vielzahl von Begriffen, die nicht auf empirische Daten reduziert werden können. Dazu zählt beispielsweise das Elektron. Es handelt sich dabei um eine postulierte theoretische Entität mit bestimmten Eigenschaften. Diese Eigenschaften können genutzt werden, um verschiedene empirische Hypothesen aufzustellen, die beispielsweise in Experimenten verifiziert werden können. Abhängig davon, wie gut bewährt solch ein theoretischer Begriff in den Naturwissenschaften ist, desto selbstverständlicher wird er. Das Elektron betrachten dementsprechend viele Menschen als etwas reales, auch wenn es nach einem klassischen Verständnis fraglich ist, ob objektiv betrachtet eine reale Entität mit genau jenen Eigenschaften existiert, die dem Elektron gleicht. In diesem Sinne können mentale Zustände aus der Alltagspsychologie als real betrachtet werden, wenn die Anwendung jener Psychologie erfolgreich ist. Wir gehen wie selbstverständlich mit Überzeugungen und Wünschen um und prognostizieren unser eigenes und fremdes Verhalten. Dabei wird die Realität eben jener zugeschriebenen mentalen Zustände von der erfolgreichen Anwendung abhängig gemacht. Prima facie gehen wir davon aus, dass die Überzeugungen, die wir uns selbst zuschreiben, reale Zustände sind. Gleiches gilt für die empirische Sozialpsychologie, die ebenfalls mentale Zustände, wie beispielsweise den expliziten Selbstwert, zuschreibt, um Verhaltensweisen zu prognostizieren. Die erfolgreiche Anwendung dieser theoretischen Begriffe ist auch hier der Garant für die angenommene Realität der Zustände. Der Strukturrealismus geht davon aus, dass wir die Dinge-an-sich, also die Welt von einem absoluten Standpunkt aus, nicht erkennen können. Nichtsdestotrotz können grundsätzliche Strukturen eben jener Realität erkannt werden. In diesem Sinne spiegelt ein Gegenstand der Makro-Physik, wie ein Tisch, die Mikro-Struktur der Welt adäquat wieder. Wie dargestellt, sind empirische Theorien daher erfolgreich, da sie etwas Reales der Strukturen (indirekt) adäquat beschreiben. Dies galt für die Phlogiston-Theorie, welche den Verbrennungsprozess durch das Entweichen von Phlogiston erklärte. Diese Theorie war zu seiner Zeit empirisch erfolgreich, auch wenn sie später durch eine Oxidationstheorie von Verbrennung abgelöst wurde. In jener Theorie wird Verbrennung dadurch bestimmt, dass ein Kohlenstoff-Atom vier Elektronen und zwei Sauerstoff-Atome abgibt, wodurch Kohlenstoffdioxid entsteht. Eben auf jene Abgabe der Atome ist strukturell indirekt durch die Abgabe des Phlogistons referiert worden. Da dies für mentale Zustände analog gilt, ist der Grad der Realität abhängig von den Prognosefähigkeiten der mentalen Zustände. Überzeugungen und Wünsche

Fazit und Ausblick

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nutzen wir häufig um eigenes oder fremdes Verhalten erfolgreich zu prognostizieren. Gleiches gilt für die mentalen Zustände die im Rahmen der empirischen Sozialpsychologie genutzt werden. In sorgfältigen Experimenten werden hier Effekte von mentalen Zuständen unter verschiedenen Randbedingungen untersucht. Ein mentaler Zustand ist seiner Natur nach wesentlich ein funktionaler Zustand. Mentale Zustände sind multipel realisierbar, weshalb prinzipiell verschiedene Lebensformen Überzeugungen haben können. Es ist dabei irrelevant, ob ein Gehirn anatomisch dem anderem entspricht. Auch hypothetische Außerirdische können Überzeugungen haben, selbst wenn ihr Nervensystem völlig anders strukturiert ist. Prinzipiell spricht daher auch nichts dagegen, dass Roboter oder Computer Überzeugungen realisieren können. Ob ein funktionaler Zustand realisiert wird, ist davon abhängig, welche funktionale Rolle er spielt: Ist ein System in einem bestimmten Zustand, dann sorgt ein bestimmter Input für einen bestimmten Output (Effekt). Entscheidend für die Individuierung von mentalen Zuständen sind eben jene Effekte, die notwendig sind, um Verhalten auf der Basis eines mentalen Zustandes zu prognostizieren. Ein mentaler Zustand lässt sich ausschließlich durch seine Effekte unter bestimmten Randbedingungen als solcher bestimmen. Dementsprechend ist ein mentaler Zustand ein Dispositionsbündel, welches einem kognitiven System zugeschrieben wird, um dessen Verhalten zu prognostizieren. In welchem Zustand sich ein System befindet, kann durch direkte oder indirekte Messverfahren bestimmt werden, wie sie beispielsweise in der Sozialpsychologie genutzt werden. Davon abhängig sind die Dispositionen des Systems zu bestimmen. Eine wirkliche Erklärung von Verhalten ist allerdings nicht zu erwarten, wenn Verhaltensmuster mit Dispositionen beschrieben werden. Tolman konnte durch rein behavioristische Mechanismen nicht erfolgreich erklären, wie es einer Ratte gelang, erfolgreich durch ein Labyrinth zu navigieren. Um dies zu bewerkstelligen schrieb Tolman der Ratte eine Repräsentation zu, nämlich eine kognitive Karte. Mittels dieser Repräsentation konnte erklärt werden, wie die Ratte den Weg durchs Labyrinth fand. Repräsentationen sind mentale Zustände, haben aber zusätzlich einen bestimmten Gehalt. Dieser Gehalt repräsentiert etwas für das kognitive System, wodurch komplexe Verhaltensmuster möglich werden. Bezogen auf implizite Vorurteile wurden verschiedene Konzeptionen in den Blick genommen, welche die entsprechenden Verhaltensdaten erklären können: Aliefs, Überzeugungen und Charaktereigenschaften.

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Fazit und Ausblick

Gendler (2008a, 2008b) argumentierte dafür, dass das Alief Konzept ein unverzichtbares Element einer Verhaltenserklärung ist, welche auch der Irrationalität (norm-discordant) des Verhaltens gerecht werden will. Die Argumente konnten allerdings nicht überzeugen. Da die Elemente, aus denen ein Alief zusammengesetzt ist, Elemente aus verschiedenen Wissenschaften, wie der Psychologie und der Kognitionswissenschaft, sind, kann ein Alief ersetzt werden (Currie & Ichino, 2012). Der einzige Vorteil, auf den Gendler verweisen kann, ist die Fähigkeit des Aliefs irrationales Verhalten insofern zu erklären, als dass das kognitive System weiterhin als grundsätzlich rational betrachtet werden kann. Eben jene normative Annahme wurde ebenfalls kritisiert (Muller & Bashour, 2011). Werden mentale Zustände, wie Überzeugungen, weniger normativ aufgeladen, verschwinden die Gründe dafür, Aliefs in Betracht zu ziehen. Zusätzlich problematisch ist die Frage, wie in einer solchen Konzeption negative Attribute auf den Gegenstand bezogen werden, der jene Attribute auslöst (Mandelbaum, 2013). Wenn also ein Stimulus in einer Person ‚GEFAHR‘ auslöst, ist nicht klar, wie die Person jenes Attribut auf den Stimulus bezieht. Dieses Problem gilt für assoziative Theorien von impliziten Vorurteilen insgesamt (Mandelbaum, 2017), daher auch für die Alief-Konzeption. Mandelbaum (2014) versuchte zu zeigen, dass implizite Vorurteile Überzeugungen seien. Dabei berief er sich im Wesentlichen auf die Modifikationsbedingungen impliziter Vorurteile. Da diese sich unter Bedingungen verändern, die keinen Assoziationen entspricht, argumentiert Mandelbaum dafür, dass eben jene Modifikationsbedingungen auf Überzeugungszustände hindeuten. Der letztere Punkt wurde von verschiedenen Seiten kritisiert (Levy, 2015; Madva, 2016). Während Levy dafür argumentierte, dass Mandelbaum die Sensibilität für Gründe bei impliziten Einstellungen überschätzt, sagt auch Levy, dass implizite Einstellungen eine propositionale Struktur haben. Letzteres wurde dadurch in Frage gestellt, dass verschiedene Säugetiere zwar implizite Einstellungen haben, allerdings nicht über die kognitiven Kapazitäten verfügen um propositionale Repräsentationen zu verarbeiten (Baston, 2018). Außerdem wurde ebenfalls die These kritisiert, dass implizite Einstellungen sensibel auf Gründe reagieren: es gibt keine klare Rationalitätstheorie, welche verständlich machen würde, welche Gründe zur Konstitution oder Änderung von impliziten Einstellungen bei Konditionierungsverfahren maßgeblich sind (Baston, 2018). Ein ganz anderer Ansatz kommt von Machery (2016) wenn er versucht zu zeigen, dass es weder implizite noch explizite Einstellungen als mentale Zustände gibt. Stattdessen schlägt Machery vor nur von Charaktereigenschaften zu sprechen. Insofern gibt es auch keinen klassichen, modernen oder aversiven Rassismus, sondern nur einen rassisitschen Charakter. Macherys Vorschlag führt dazu, dass das

Fazit und Ausblick

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eigentliche Ziel der Sozialpsychologie verloren geht: Verhalten erklären und prognostizieren. Prognostiziert wird in der Sozialpsychologie das Verhalten im Rekurs auf angenommene mentale Zustände. Dafür ist es wichtig zu bestimmen, in welchem Zustand sich das System befindet. Für das Konzept Macherys ist dies irrelevant, da die Charakterdisposition das Verhalten bestimmt, welches losgelöst von der psychologischen Basis ist. Gleiches gilt für Erklärungen, denn die Sozialpsychologie möchte wissen, welche Mechanismen Verhalten verursachen und wie groß der Einfluss verschiedener Faktoren ist. Beides wird in Macherys Konzept ausgeklammert, wenn er sich auf die Charakterdispositionen zurückzieht. Dabei werden die psychologischen Rassismustheorien und deren Entstehungsgeschichte fahrlässig ignoriert. Machery argumentiert im Prinzip dafür, die Vorurteilsforschung auf alltagspsychologische Konzepte, wie den rassistischen Charakter, zu reduzieren. Die vier Erklärungsvorteile, die Machery für seine Position anführt, sind weit weniger stark als er annimmt. Insbesondere wenn man bedenkt, welche drastischen Nachteile sein Ansatz für die Verhaltenserklärung auf sozialpsychologischer Grundlage insgesamt hat. Auf dieser Grundlage wurde dafür argumentiert, dass implizite Vorurteile mentale Zustände ohne Gehalt sind. Das bedeutet, dass sie keinen repräsentationalen Gehalt haben, wie beispielsweise eine Überzeugung. Implizite Vorurteile haben dementsprechend keinen propositionalen Gehalt, wie „AFRO-AMERIKANER SIND SCHLECHT“. Es handelt sich bei impliziten Vorurteilen um ein Dispositionsbündel, welches durch sorgfältig konstruierte Experimente Stück für Stück weiter bestimmt wird. Insbesondere die funktionale Rolle impliziter Vorurteile in Verbindung mit anderen mentalen Zuständen, wie den expliziten Einstellungen oder bestimmten Motivationen, sind für die Bestimmung der Effekte impliziter Vorurteile wichtig. Ob sich ein System in einem bestimmten funktionalen Zustand befindet kann durch indirekte Messverfahren, wie dem IAT festgestellt werden. Abhängig vom Messergebnis wird dem kognitiven System ein mentaler Zustand zugeschrieben, der sich durch ein Bündel verschiedener Dispositionen individuiert. Ausblick 1: Wie können implizite Vorurteile als Repräsentationen gedacht werden? Die These, dass implizite Vorurteile eben jene Dispositionsbündel sind, ist keineswegs endgültig. Nur so lange es keine überzeugende repräsentationale Struktur gibt, welche die Verhaltensdaten erklärt, ist die Behauptung gerechtfertigt, dass die Zuschreibung repräsentationalen Gehalts ungerechtfertigt ist. Dieses Ergebnis ist dann veraltet, wenn eine überzeugende repräsentationale Struktur vorgeschlagen wird. Das heißt also, dass das Urteil, implizite Vorurteile seien Dispositionen, kein absolutes ist. Dies folgt aus der Rechtfertigung für die Behauptung, implizite

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Vorurteile seien Dispositionen. Wenn eine überzeugende repräsentationale Struktur vorgeschlagen wird, dann sind implizite Vorurteile als Repräsentationen mit dem entsprechenden Gehalt erkannt worden. Diese Struktur muss einerseits die empirischen Daten erklären können und andererseits muss sie Bottom-up Constraints genügen. Es wäre eine äußerst interessante und überraschende Entdeckung, wenn eine Konzeption aus der Alltagspsychologie erfolgreich genutzt werden könnte, um die Daten aus der Sozialpsychologie zufriedenstellend zu erklären. Viel wahrscheinlicher ist es, dass eine Konzeption aus der Kognitionswissenschaft bzw. der kognitiven Psychologie dazu führen wird, dass der repräsentationale Gehalt impliziter Vorurteile sinnvoll bestimmt wird. In Kapitel 4.2.3.3 wurden Ramseys Betrachtungen zu den Typen von Repräsentationen dargestellt: IO-Repräsentationen und S-Repräsentationen. Vor diesem Hintergrund kann die Frage gestellt werden, wie eine mögliche Lösung bezüglich des Inhaltes impliziter Einstellungen aussehen könnte. Ein Ansatz, der in die richtige Richtung weist, kommt von Johnson (2019), die bei ihrem Vorschlag, wie implizite Biases zu verstehen sind, auf Überlegungen aus der Informatik setzt. Der k-Nearest-Neighbor-Algorithmus wird häufig in OCRs (Optical Character Recognition) genutzt, um zu bestimmen, welcher Buchstabe ein Zeichen darstellt. Dazu muss das System zunächst mit Buchstaben trainiert werden. Dabei werden verschiedene Varianten des gleichen Buchstabens eingegeben. Das System speichert bestimmte Informationen über das Zeichen, beispielsweise die Höhe und die Länge. Wenn die Trainingsphase abgeschlossen ist, kann man sich die gespeicherten Informationen auf einer zweidimensionalen ‚Feature-Space‘ vorstellen: die XAchse steht für die Länge und die Y-Achse für die Höhe der Zeichen. Entsprechend der Höhe und Länge der erlernten Zeichen sind die gespeicherten Zeichen im Feature-Space verortet (siehe Abbildung 8, links). Nach dem Training soll das Programm selbst ein neues Zeichen als Buchstaben erkennen („i“ oder „o“). Dazu wird das Programm erneut Höhe und Länge des Zeichens ermitteln und anschließend das neue Zeichen in den Feature-Space einsetzen. Die Variable ‚k‘ (daher der Name k-Nearest-Neighbor) ist nun für die Klassifikation entscheidend: die knächsten Nachbarn im Feature-Space, wobei k eine beliebige Anzahl repräsentiert, sind das Richtmaß für die Klassifizierung (siehe Abbildung 8, rechts). Hat das neue Zeichen drei Nachbarn von einem Typen und bloß zwei vom anderen Typen, dann wird das neue Zeichen entsprechend der drei nahen Nachbarn klassifiziert.

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Abbildung 8: Zweidimensionaler Feature-Space. Links:Feature-Space nach dem Training. Recht: Feature-Space wird genutzt um die nahegelegensten Nachbarn des neuen Zeichens zu bestimmen. Abhängig davon wird das neue Zeichen als ein „i“ oder als ein „o“ betrachtet. Im Beispiel wird das neue Zeichen als „o“ klassifziert, da es drei „o“s als nächste Nachbarn hat.

Johnson nutzt diesen Algorithmus, um zu erklären, weshalb alte Menschen durch Stereotype als unfähige Computernutzer betrachtet werden. Es handelt sich dabei um ein Beispiel der Altersdiskriminierung (ageism). Prinzipiell lässt sich das Konzept allerdings auf verschiedene Objekte und Attribute ausweiten. Medienwissenschaftliche Untersuchungen (zum Beispiel Entman & Rojecki, 2001) haben gezeigt, dass Afro-Amerikaner überdurchschnittlich häufig die Rolle des Kriminellen in Filmen spielen. Informationen dieser Art könnten analog im Feature-Space gespeichert werden. Mit dem skizzierten Ansatz lässt sich daher erklären, weshalb farbige Personen von Beobachtern mit dem Label ‚KRIMINELL‘ versehen werden. 39 Allerdings argumentiert Johnson dafür, dass daher keinerlei Repräsentationen verwendet werden. Sie verweist darauf, dass eine Person, die auf diese Art mit einem Attribut versehen wird, eben nicht mit einer Proposition, wie „S ist P“ vorverurteilt wird. Da diese Art des Urteils ausbleibt, behauptet Johnson, es wären keine Repräsentationen beteiligt. Diesem Schluss liegt ein sehr einfaches Verständnis von Repräsentationen zugrunde, nämlich ein alltagspsychologisches Verständnis, wie

39

Paraphrasieren lässt sich der Gehalt mit „X bewertet Y als kriminell“ oder „Y hat basierend auf den Daten d1 – dn eine höhere statistische Wahrscheinlichkeit kriminell zu sein“, wobei man solche Verbalisierungen nicht wortwörtlich nehmen sollte, denn es handelt sich um Simplifikationen. Kognitionswissenschaftlich betrachtet sind Informationen (bzw. ist Wissen) in den seltensten Fällen propositional gespeichert. Die Daten lassen sich aber in eine propositionale Form umwandeln. Es ist jedoch immer möglich, dass bei diesem Übertragungsprozess Aspekte der Repräsentation verloren gehen.

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es beispielsweise von Fodor in seiner ‚Language of Thought‘ vertreten wurde. Allerdings zeigt die moderne Kognitionswissenschaft, dass Repräsentationen keineswegs an Belief-Desire Frameworks und deren propositionale Struktur geknüpft sind. Johnsons Schluss ist daher in seiner jetzigen Form schlecht gerechtfertigt und daher nicht haltbar. Johnsons Hauptargument besteht darin zu zeigen, dass die Umsetzung des Algorithmus keinerlei propositionaler Repräsentationen bedarf. Dies ist sicherlich richtig, denn der Algorithmus kann mit einfachen Variablentypen und Prozeduren implementiert werden. Dies gilt jedoch auch für einen Roboter, der erfolgreich den Weg von A nach B findet. Der Ingenieur des Roboters behauptet dennoch, dass der Roboter den Raum derartig repräsentiert, dass die Türe links neben dem gerade erkannten Stuhl zu finden ist. Dies tut er zu Recht, denn der Roboter hat eine SRepräsentation der Umgebung. Die Tatsache, dass auf einer tieferen Ebene der Beschreibung keine einzelne Repräsentation vorliegt, die isomorph mit der Umgebung ist, ist dabei irrelevant. Genau genommen arbeitet jeder Computer nur mit sehr einfachen Variablentypen, die auch auf der niedrigsten Ebene der Software vorhanden sind (Assembler-Ebene). Ein Programm mit komplexen Datentypen wird mit einem Compiler auf einfachste Datentypen runtergebrochen. Die Berücksichtigung der Beschreibungsebene ist also essentiell. Ich denke, dass im gleichen Sinne der Ansatz Johnsons verstanden werden sollte: es handelt sich um eine S-Repräsentation. Das System repräsentiert eine Sache auf Grundlage des Feature-Spaces. Diese Repräsentation kann genutzt werden, um ein Attribut zuzuschreiben. Das Konzept ist freilich noch skizzenhaft und nicht in der Lage, die Daten der Sozialpsychologie adäquat zu beschreiben. Aber wenn es eine repräsentationale Struktur impliziter Vorurteile oder Stereotypen geben wird, dann wird sie wahrscheinlich derartig aussehen. Es wird sich um ein komplexes Gebilde aus den Kognitionswissenschaften handeln, das sehr wenig mit alltagspsychologischen Konzepten zu tun hat. Dabei braucht es nicht einen Datentyp, der äußerst komplex ist, sondern es kann sich um ein Sammelsurium verschiedener Datentypen handeln, die auf bestimmte Art bei Berechnungen aufeinander bezogen werden. Ob es sich bloß um einige Variablen handelt oder ob es ein Modell bzw. eine S-Repräsentation ist, ist von der Beschreibungsebene und den Rechtfertigungsbedingungen für die Nutzung der S-Repräsentation abhängig. Ausblick 2: Sind wir für implizite Vorurteile verantwortlich? Implizite Vorurteile oder Stereotypen sind ursächlich für dasjenige, was in der Philosophie und Psychologie als ‚implicit bias‘ bezeichnet wird. Es handelt sich also um Effekte von mentalen Zuständen, die das Denken und Handeln beeinflussen. Dabei ist es wichtig hervorzuheben, dass eben jene Einflussnahme unbemerkt

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bleibt. Dies kann dazu führen, dass ein Akteur die Intention hat, p zu tun, und auch davon überzeugt ist, p zu tun, aber eigentlich q tut. Beispielsweise könnte ein Akteur die Intention haben, einen Bewerber fair zu bewerten, wobei der Akteur den Bewerber aufgrund seiner sozialen Gruppierung benachteiligt (zum Beispiel Rooth, 2010). Wenn dies der Fall ist, dann stellt sich die Frage, ob Personen für diskriminierendes Verhalten verantwortlich gemacht werden können, falls dieses Verhalten durch implizite Vorurteile verursacht worden ist. Es gibt eine Vielzahl von verschieden Antworten auf diese Frage (für einen Überblick, siehe Michael Brownstein & Saul, 2016). Ein Weg die Verantwortlichkeit zu bestreiten, ist auf die mangelnde Kontrolle der Akteure hinzuweisen. Wenn ein Akteur sein Verhalten nicht kontrollieren konnte, ist er dementsprechend nicht verantwortlich. Kontrolle ist häufig verknüpft mit einem Bewusstsein von denjenigen mentalen Zuständen, die das Verhalten verursachen. Dementsprechend kann ein Akteur nicht verantwortlich dafür sein p zu tun, wenn p das Resultat von q ist, wobei die Existenz von q dem Akteur unbekannt war. Nach Levy (2017) fehlt immer dann Kontrolle, wenn der Einfluss der impliziten Einstellungen relevant ist und Inhaltsbewusstsein und Effektbewusstsein fehlt. Selbst wenn ein Subjekt ein Inhaltsbewusstsein von impliziten Einstellungen erworben hat, dann fehlt dem Subjekt das Effektbewusstsein. Allerdings sind wir nur dann in der Lage Einflüsse impliziter Einstellungen zu korrigieren, wenn wir auch um die Effekte impliziter Einstellungen wissen (Levy, 2017, S. 7). Diese Bestimmung von Kontrolle ist jedoch unbrauchbar. Die Sozialpsychologie hat eine schier unüberschaubare Anzahl von Mechanismen erforscht, die unser Verhalten beeinflussen. Viele dieser Mechanismen wurden zu einer Zeit erforscht als es noch keine implizite Sozialpsychologie gab. Würde man behaupten, dass Kontrolle Inhalts- oder Effektbewusstsein voraussetzt, würde keine Kontrolle mehr übrig bleiben. Der Bystander-Effekt (Levine & Crowther, 2008) senkt beispielsweise die Hilfsbereitschaft von Personen in Abhängigkeit davon, wie viele weitere potentielle Helfer anwesend sind. 40 Das bedeutet, dass es dazu kommen kann, dass eine Person einer anderen in Not nicht helfen wird, weil ein psychologischer Mechanismus auf sie einwirkt. Typischerweise sind sich die Probanden 40

Die genauen Randbedingungen des Bystander-Effekts sind hier nicht relevant. Hier können auch andere Mechanismen eingesetzt werden, die für moralische Urteile relevant sind und nicht Teil der impliziten Sozialpsychologie sind, wie zum Beispiel De-Individuation (Zimbardo, 1969) oder der Effekt der kognitiven Dissonanz in moralischen Kontexten (für Beispiele im Bereich der Tierethik, siehe Bastian, Loughnan, Haslam, & Radke, 2011; Loughnan, Haslam, & Bastian, 2010).

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nicht darüber bewusst, dass ein Mechanismus, wie der Bystander-Effekt, ihr Verhalten maßgeblich beeinflusst hat. Stattdessen kreieren Probanden eine für sie plausible Geschichte, welche ihr Verhalten nachträglich verständlich macht (Nisbett & Wilson, 1977). Wenn aber Personen in einer Notsituation bloß auf die geschädigte Person starren ohne Hilfe zu leisten, nimmt man normalerweise an, dass die Personen für ihr Fehlverhalten (ausbleibende Hilfe) verantwortlich sind. Ich denke, dies geschieht völlig zu Recht, denn Kontrolle setzt weder Inhaltsbewusstsein noch Effektbewusstsein voraus. Andernfalls wäre es unklar, weshalb Menschen überhaupt irgendwann einmal Kontrolle haben sollten, denn sie werden ständig von Mechanismen unbewusst beeinflusst. Nach Bargh (1994) ist die minimale Voraussetzung für Kontrolle, dass das Subjekt den Einfluss des mentalen Zustandes oder des Prozesses überschreiben (override) kann, wenn gewünscht. Dieses Verständnis von Kontrolle setzt kein Inhalts- oder Effektbewusstsein voraus. Wenn ein Subjekt eine bestimmte Motivation hat, kann das Subjekt Einflüsse überschreiben, weil es beispielsweise den Wunsch hat egalitär oder ethisch zu sein. 41 Die Effekte impliziter Einstellungen werden durch Faktoren, wie die Motivation seine Vorurteile zu kontrollieren, beeinflusst. Eben jene Beeinflussung beziehungsweise die Abhängigkeit eines mentalen Zustandes von anderen ist dafür ausschlaggebend, dass die prognostischen Fähigkeiten verschiedener Messinstrumente der Sozialpsychologie schwächer sind als es in populären Medien vermittelt wird. Die Tatsache, dass eine Person implizite Vorurteile gegenüber einer sozialen Gruppierung hat, macht es bestenfalls tendenziell wahrscheinlicher, dass sie unter bestimmten Umständen diskriminierendes Verhalten zeigt. Die Messung impliziter Einstellungen alleine ist jedoch noch nicht aussagekräftig für das Verhalten einer Einzelperson. Gleiches gilt allerdings auch für die Messung expliziter Einstellungen: eine starke positiv-affektive Einstellung gegenüber Fleisch bedeutet nicht, dass eine Person auch Fleisch essen wird. Unabhängig von der expliziten Einstellung kann eine Person bestimmte Werte und Überzeugungen haben, die den Fleischkonsum unterbinden. Insofern gilt generell, dass die Messung eines mentalen Zustandes alleine wenig über das Verhalten einer Einzelperson sagt. 42 Tatsächlich spricht vieles dafür, dass implizite Einstellungen zwar Verhalten beeinflussen, wann ist jedoch die entscheidende Frage. Dafür ausschlaggebend 41

42

Kontrolle ist immer modal zu verstehen. Die Tatsache, dass eine Person die Kontrolle über ihr Verhalten hat, bedeutet nicht, dass diese Kontrolle auch de facto zur Geltung kommt. Es gibt jedoch auch Fälle, bei denen relevante Aspekte der psychologischen Basis (Motivationen, Ziele, Überzeugungen, Werte, etc.) fehlen, was dann zu nicht vorhandener Kontrolle führt. Dieser Punkt wurde insbesondere im Draft ‚Understanding Implicit Bias: How the Critics Miss the Point‘ von Brownstein, Madva und Gawronski (eingereicht) hervorgehoben.

Fazit und Ausblick

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scheinen insbesondere zwei Faktoren zu sein, die sowohl äußere Umstände betreffen, als auch interne mentale Zustände. Genau dies behauptet das MODE-Model (für einen Überblick, siehe Fazio & Olson, 2014), welches versucht die Bedingungen zu erfassen, wann implizite Einstellungen messbare Einflüsse auf Verhalten haben. Das MODE-Model besagt, dass abhängig von Gelegenheit und Motivation automatische (automatic) oder reflexive kognitive (deliberative) Prozesse das Verhalten bestimmen. Ein essentieller Faktor für die Gelegenheit ist die Zeit, die eine Person zur Verfügung hat um eine Entscheidung zu treffen. Ist eine Person in einer Situation, in der sie wenig Zeit hat, dann wird das Verhalten maßgeblich durch die implizite Einstellung beeinflusst. Der sogenannte Shooter-Bias, der robuste Ergebnisse in einer Meta-Studie (Mekawi & Bresin, 2015) zeigt, basiert in Experimenten auf der geringen Reaktionszeit, welche die Probanden zur Verfügung haben, um eine Waffe von einem nicht gefährlichen Objekt zu unterscheiden. Davon losgelöst zeigen Studien jedoch auch, dass Alkoholeinfluss die Gelegenheit für kritische Reflexion des Verhaltens einschränkt. Wird demnach die Impulskontrolle durch Rauschmittel eingeschränkt, dann wird der Einfluss impliziter Einstellungen stärker. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Einflussnahme impliziter Einstellungen sind Motivationen. Eine Motivation, die für den vorliegenden Text besonders wichtig ist, ist die Motivation, seine Vorurteile zu kontrollieren (Motivation to Control Prejudiced Reactions; Dunton & Fazio, 1997). Motivationen werden mit Fragebögen direkt gemessen und geben Auskunft darüber, ob bestimmte Verhaltensweisen wahrscheinlicher sind als andere. Eine weitere Ausdifferenzierung der Motivation, sich vorurteilsfrei zu verhalten, stammt von Plant und Devine (1998). Hier gibt es zwei unterschiedliche Dimensionen von eben jener Motivation: eine interne und eine externe. Die interne Motivation besagt, dass eine Person egalitäre Werte internalisiert hat und aus sich selbst heraus jene Werte realisieren möchte (Internal (personal) Motivation to Respond Without Prejudice Scale; IMS). Die externe Motivation bezieht sich auf den Wunsch, soziale Spannungen durch bestimmte Verhaltensweisen auszulösen (External (normative) Motivation to Respond Without Prejudice Scale; EMS). Je nach Ausprägung der Motivationen und den situativen Bedingungen fällt der Einfluss impliziter Einstellungen anders aus. Auf dieser empirischen Grundlage lässt sich dafür argumentieren, dass Personen häufig Kontrolle über ihr Verhalten haben, auch wenn sie starke implizite Vorurteile besitzen. Eine Person, die stark motiviert ist, vorurteilsfrei zu sein, überschreibt die Einflüsse impliziter Einstellungen. Dies prognostiziert das MODEModell und kommt in verschiedenen Studien zu eben diesem Ergebnis (zum Bei-

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Fazit und Ausblick

spiel Fazio & Towles-Schwen, 1999). Das bedeutet nicht, dass alle Einflüsse impliziter Einstellungen kontrollierbar sind, sondern nur, dass die Menge von Verhaltensweisen, die durch implizite Einstellungen beeinflusst sind, variabel ist. Es ist nicht so, dass eine bestimmte Person in einer bestimmten Situation dazu determiniert ist diskriminierendes Verhalten zu zeigen. Ein Faktor, der die Menge von Verhaltensweisen bestimmt, die von einem Bias bestimmt werden, ist eben die Motivation sich vorurteilsfrei zu verhalten. Was ist aber, wenn jene Motivation fehlt? Wenn also ein Akteur nicht in der Lage ist, einen Einfluss zu überschreiben, weil er die entsprechende Motivation nicht besitzt? Es scheint so zu sein, dass Akteure nicht einfach jeden beliebigen mentalen Zustand in sich erzeugen können. Ob man von etwas überzeugt ist, ist beispielsweise etwas, was auch maßgeblich von externen Faktoren abhängt. Um die Überzeugung p in sich zu erzeugen, kann man bestimmte Indizien, die für die Wahrheit von p sprechen, suchen, die dann wiederum die Überzeugung konstituieren. Es kann aber immer sein, dass eine Überzeugung sich einfach nicht einstellt (zum Beispiel dann, wenn man keine überzeugenden Daten für etwas findet). 43 Ob man einen mentalen Zustand hat, kann dafür entscheidend sein, ob man Kontrolle hat oder nicht. Eine Person hat beispielsweise die Überzeugung p und sieht in ihrer Umgebung etwas, was auf non-p hindeutet. Aufgrund der Tatsache, dass die Person an p glaubt, setzt ein nicht-intentionaler und unbewusster Prozess der Konsistenzprüfung ein. Jene Konsistenzprüfung sorgt für einen negativen Affekt, den die Person verspürt und auflöst. Durch das Auflösen jenes Affekts kommt es zu nicht diskriminierendem Verhalten. Hätte die Person jedoch nicht die Überzeugung gehabt, dass p gilt, dann hätte sie diskriminierendes Verhalten gezeigt, da eben jene automatische Konsistenzprüfung ausgeblieben wäre. Kontrolle über Verhalten ist etwas, was vom konkreten psychologischen Profil einer Person abhängt. Verschiedene Personen kontrollieren Verhalten in unterschiedlichen Situationen abhängig von Motivationen, Überzeugungen und Werten. Es gibt Fälle in denen eine Person de facto ihr Verhalten nicht kontrollieren konnte, denn mit ihrem psychologischen Setting konnte es keinen Wunsch geben, sich auf eine bestimmte Art zu verhalten, was einen Bias überschrieben hätte.

43

Willkommen (2013) schlägt vor, zwischen mentalen Zuständen, die einen passiven Charakter haben, und mentalen Handlungen zu unterscheiden. Während eine Überzeugung sich nur indirekt beeinflussen lässt, können mentale Handlungen intentional vollzogen werden und sind daher vollständig in der Kontrolle des Akteurs. Zu mentalen Handlungen gehört beispielsweise das Akzeptieren. Ein Richter kann davon überzeugt sein, dass eine Person schuldig ist (zum Beispiel aufgrund von Vorurteilen) und gleichzeitig diese Überzeugung nicht akzeptieren und den Angeklagten freisprechen.

Fazit und Ausblick

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In der praktischen Philosophie unterscheidet man bei Verantwortungstheorien zwischen rückwärtsgewandter und vorwärtsgewandte Verantwortung (backwardlooking and forward-looking responsibility; Pereboom, 2015). Die rückwärtsgewandte Verantwortungstheorie (backward-looking responsibility) stellt die Frage, ob ein Akteur vor seiner Handlung bestimmten Kriterien genügt hat. Wie gerade dargestellt, kann es sein, dass ein Akteur beispielsweise zum Zeitpunkt t1 nicht den mentalen Zustand p hatte, was dazu führt, dass der Akteur nicht verantwortlich für sein Verhalten ist. Im Gegensatz dazu betrachten vorwärtsgewandte Verantwortungstheorien die soziale Funktion von Verantwortung und die damit in Verbindung stehenden Praktiken von Schuld- und Lobes-Zuschreibungen. Maßgeblich für die Verantwortungszuschreibung sind hier die zu erwartenden Konsequenzen. Wenn eine Person ihr Verhalten nicht kontrollieren konnte, weil sie beispielsweise nicht den mentalen Zustand p besitzt, dann kann in Betracht gezogen werden, die Person für ihr Verhalten zu beschuldigen, wenn dann eben jener Zustand p erzeugt wird. Es ist durchaus möglich, dass für die Erzeugung von p nur externe Faktoren, wie eben eine bestimmte soziale Interaktion, konstitutiv sein können. In solch einem Fall kann die Verantwortung zugeschreiben werden, um eben in Zukunft das Verhalten der Person zu verbessern (Pereboom, 2001). Vom Standpunkt der vorwärtsgewandten Verantwortung kann es demnach gerechtfertigt sein, einer Person die Verantwortung für Verhalten zuzuschreiben, gerade weil sie jenes Verhalten in der Vergangenheit nicht kontrollieren konnte. Für diesen Ansatz ist allerdings die Frage, ob die Praxis von Schuldzuweisung (blaming) in Bezug auf implizite Biases überhaupt Vorteile mit sich bringt, äußerst wichtig. Aktuell gibt es Studien die darauf hindeuten, dass Schuldzuweisungen dazu führen, dass Probanden die Motivation bekommen, ihr Verhalten in Zukunft besser zu kontrollieren (Parker, Monteith, Moss-Racusin, & Van Camp, 2018; Scaife, Stafford, Bunge, & Holroyd, 2016). Gleichzeitig zeigt eine Studie, dass Schuldzuweisungen auch zu sogenannten Backlash-Effekten (das bedeutet, dass der negative Effekt verstärkt wird) führen können (Plant & Devine, 2001). Die Daten sind dementsprechend nicht eindeutig. Ein Weg, Klarheit in diese Daten zu bringen, besteht darin, zu analysieren, was genau bei Schuldzuschreibungen geschieht. McKenna (2012) schlägt vor, dass es sich bei der Praxis von Verantwortungszuschreibung um eine besondere Form von Kommunikation handelt. Vereinfacht könnte man von einem Sprachspiel (Wittgenstein, 2003) mit eigenen Regeln sprechen. Vor dem philosophischen Hintergrund, dass Verantwortung seiner Natur nach eine Kommunikationsform ist, wird es verständlich, dass eben jene Kommunikation gelingen oder scheitern kann. Dies

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ist abhängig von der Art der Kommunikation der Gesprächspartner und den speziellen Regeln, die dort gelten. In diesem Kontext ist eine Schuldzuschreibung also nicht nur eine Form von Konditionierung, wie es Schlick (1972) behauptete, sondern Teil der Kommunikation. In diesem Sinne kann die Studie von Parker (et al., 2018) besser interpretiert werden. Hier halten es die Autoren für wichtig hervorzuheben, dass die Schuldzuweisung auf guten Gründen fußen muss, was für Konditionierungen grundsätzlich nicht der Fall ist. Eine Analyse der vorwärtsgerichteten Verantwortung bezogen auf implizite Biases blieb bisher aus. Mögliche Bausteine und Zusammenhänge für eine solche Analyse wurden vorgeschlagen. Ausblick 3: Welche Rolle spielen implizite Vorurteile für die Erklärung von sozialen Benachteiligung (‚Marko-Diskriminierung‘), mit der sich die Soziologie beschäftigt? Überblicksartikel zur Theorie des modernen Rassismus (McConahay et al., 1986) oder der Theorie des aversiven Rassismus (J. F. Dovidio & Gaertner, 2004) verweisen in den ersten Abschnitten auf soziale Ungleichheiten in den USA zwischen weißen und farbigen Bürgern. Beide Theorien wurden entwickelt, um zu erklären, wie es zu stabilen Ungerechtigkeiten zwischen den Bevölkerungsgruppen kommt, während die expliziten rassischen Einstellungen sich seit Jahrzehnten verbessern (Bobo et al., 2012). Beide Theorien verweisen auf soziologische Daten, wie beispielsweise auf Daten, die zeigen, dass farbige Bürger im Schnitt deutlich weniger vermögend sind als weiße (Vega, 2016). Die Theorie des aversiven Rassismus kann genutzt werden um zu erklären, wie dies möglich ist: während sich die expliziten Einstellungen verbessern, bleiben die impliziten Einstellungen negativ. Dementsprechend kann angeführt werden, dass aufgrund der impliziten Einstellungen farbige Personen bei Vorstellungsgesprächen systematisch benachteiligt sind (siehe zum Beispiel J. F. Dovidio & Gaertner, 2000). Ausgehend davon erscheint es mir sinnvoll zu behaupten, dass die Vorurteilsforschung in der Sozialpsychologie häufig (nicht immer) zwei Hintergrundziele verfolgt: 1. 2.

Soziale Ungerechtigkeit auf der Basis von Agenten und ihren mentalen Zuständen erklären Auf der Grundlage von (1) Strategien entwickeln, die zu einer Verbesserung der sozialen Lage führen

Fazit und Ausblick

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Es stellen sich daher auch zwei Fragen: a. b.

Kann man soziale Ungleichheit (Makro-Level) auf der Basis der mentalen Zustände von Akteuren (Micro-Level) erklären? Kann man erfolgreich die soziale Lage (Makro-Level) einer Minderheit verbessern, wenn man Vorurteile reduziert (Miko-Level)?

Im Hinblick auf (a) und (b) kann man mit Haslanger (2015) dafür argumentieren, dass die Vorurteilsforschung ideologisch ist, wenn sie (1) und (2) folgt. Die Ideologie, welche Haslanger in ihrer Schrift im Blick hat, ist der Psychologismus. Dieser sorgt für einen starken Fokus auf Akteure und ihre mentalen Zustände. Dieser Fokus impliziert, dass die Rolle sozialer und gesellschaftlicher Strukturen in den Hintergrund gerät. Derjenige Psychologismus, den Haslanger beschreibt, zeichnet sich durch die Verwendung der Standard-Narrative aus. Diese basieren auf Akteuren und ihren mentalen Zuständen. Um ein Phänomen zu erklären werden davon ausgehend Geschichten erzählt, die das Phänomen verständlich machen sollten. Ein Beispiel soll erläutern, wie die Standard-Narrative funktionieren: Farbige Frauen in Memphis sterben mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs als weiße Frauen (Hunt & Hurlbert, 2016). Gleichzeitig zeigen repräsentative Daten, dass sich die expliziten rassischen Einstellungen seit Jahrzehnten verbessern (Bobo et al., 2012). Um im Standard-Narrativ zu bleiben, müssen daher andere mentale Zustände für die Erklärung herhalten: Wenn Ärzte implizite Vorurteile haben, dann beeinflusst dies die empfohlene medizinische Behandlungen für farbige Patienten (Green et al., 2007)44. Daher kann das soziale Phänomen in Rückgriff auf mentale Zustände erklärt werden. In einer ähnlichen Art und Weise gehen Greenwald, Banaji und Nosek (2015) vor, wenn sie darauf aufmerksam machen, dass auch geringe Einflüsse für große soziale Effekte verantwortlich sein können. In diesem Text diskutieren die Autoren die schwache Effektstärke, die einer Meta-Studien ausgewiesen worden ist (Oswald et al., 2015). Sie verweisen darauf, dass die Ziele impliziter Vorurteile ständig den negativen Verhaltensweisen ausgeliefert sind, die durch implizite Vorurteile verursacht sind. Auf die Dauer benachteiligen kleinere negative Verhaltensabweichungen der Majorität gegenüber der Minorität die Chancen der Mino-

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Die Studie empfiehlt nicht, dass die Daten zur Mortalität bei Brustkrebs so interpretiert werden sollten – dies ist eine Interpretation der Ergebnisse, die die Standard-Narrative veranschaulichen soll.

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rität erheblich. Dies soll die soziale Schlechterstellung der Personen erklären. Implizite Biases (Mikro-Level) werden hier demnach für Probleme auf der MakroEbene als ursächlich angenommen. Haslanger hält diese Art der Erklärung bestenfalls für schwach und im schlimmsten Fall für schädlich. Schwach ist die Erklärung zumindest deshalb, weil sie von Korrelationen auf erklärende Ursache-Wirkungs-Verhältnisse schließt. Es mag zwar sein, dass viele weiße Personen negative implizite Vorurteile gegenüber Farbigen haben, aber ob dies tatsächlich ursächlich für die systematische Benachteiligung am Arbeitsmarkt verantwortlich ist, bleibt unklar. Um dies zu zeigen müssten tatsächlich konkrete Mechanismen aufgezeigt werden. Im schlimmsten Fall sind die Standard-Narrative ein Teil derjenigen Ideologie, welche die soziale Benachteiligung konserviert. Dies ist dann der Fall, wenn die tatsächlichen Mechanismen, die eben durch die Standard-Narrative ausgeblendet werden, nicht mehr im Fokus der Aufmerksamkeit sind. Die Bemühungen zur Verbesserung der sozialen Situation einer Gruppe können dann systematisch fehlgeleitet sein. Wenn es nicht implizite Vorurteile sind, die im Ergebnis zur Schlechterstellung einer sozialen Gruppierung führen, dann wird die Lage einer Gruppe nicht besser gestellt, wenn eben jene Vorurteile reduziert werden. Egal, wieviel Mühe auf eben diese Reduktion gelegt wird. Um das zu verdeutlichen, soll hier eine Erklärung folgen, die eben nicht auf dem Standard-Narrativ basiert. Erneut geht es also um die erhöhte Mortalität farbiger Frauen bei Brustkrebsbefunden. Eine alternative Erklärung nimmt die sozialen Strukturen in den Blick: “A much more logical explanation [than a genetic explanation] is that certain technological advances related to screening and treatment became available in the 1990s and that Black women, who are disproportionately poor and un- or underinsured, were less able to obtain access to these advances” (Hunt, Whitman, & Hurlbert, 2014, S. 122). Aufgrund dieser Bedingungen wird Brustkrebs bei farbigen Frauen im Schnitt später diagnostiziert, was dazu führt, dass Brustkrebs erst in einem späteren Stadium erkannt wird. Brustkrebs im späteren Stadium ist schwieriger zu behandeln, was dann die erhöhte Mortalität bzw. die soziale Ungleichheit erklärt. Wenn die letztere Erklärung vor der ersten bevorzugt wird, dann wird deutlich, dass Haslangers Kritik der Standard-Narrative eine implizite Kritik gegen die Hintergrundannehmen (1) und (2) der Vorurteilsforschung beinhaltet. Um (2) zu realisieren bedarf es der Bestimmung der richtigen Mechanismen. Andernfalls trägt man zum Erhalt der Strukturen bei, welche die Benachteiligung auf der MarkoEbene verursachen.

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Man kann die verfehlte Annahme der Vorurteilsforschung, die (1) annimmt, als Fehlschluss darstellen. Wenn indirekte Messverfahren diskriminierendes Verhalten prognostizieren können, dann lässt sich dieses Verhältnis logisch darstellen: „VORURTEILE  DISKRIMINIERUNG“. Dementsprechend wäre es ein logischer Fehler zu denken, dass die Diskriminierung verschwindet, wenn die Vorurteile verschwinden. Wenn das Antezedens falsch ist, kann das Konsequenz immer noch wahr sein. Insofern wäre der Fokus auf die Vorurteilsreduktion in (2) falsch. Dies kann mit dem Beispiel der Rassentrennung in den USA verdeutlicht werden. Die Rassentrennung war gesetzlich geregelt, d.h. dass Institutionen für die Durchsetzung verantwortlich waren. Wenn man rein hypothetisch annimmt, in der Zeit der Rassentrennung gäbe es plötzlich einen spontanen Wandel der Vorurteile, ist keineswegs klar, dass sich dadurch die soziale Situation der farbigen US Bürgerinnen und Bürger verbessert. Wenn sich an den Strukturen nichts ändert, die für die Benachteiligung maßgeblich verantwortlich sind, kann man auch nicht sinnvoll erwarten, dass sich an der sozialen Lage etwas ändert. Dementsprechend zeigt die Studie von Jackman und Crane (1986), dass wenig Vorurteile nicht bedeuten, dass Menschen auch damit einverstanden sind, dass die sozialen Strukturen verändert werden. Personen können auch ohne Vorurteile sehr konservativ sein und sich gegen die Aufhebung von Gesetzen aussprechen, die für soziale Benachteiligung verantwortlich sind. Allerdings ist auch Vorsicht geboten, um nicht einen ähnlichen Fehlschluss zu begehen. Es ist durchaus möglich, dass die Reduktion von Vorurteilen zu sozialem Wandel führen. Mit Hilfe des folgenden Konditionals kann dies veranschaulicht werden: „PROEZEDUR-X VORURTEIL-REDUKTION“. Es folgt keineswegs, dass ein Verfahren der Vorurteilsreduktion nur einen Effekt hat. Vorurteile sind bestimmt als eine negative-affektive Einstellung gegenüber einer sozialen Gruppierung. Die Prozedur X senkt eben jene Vorurteile, aber es steht nicht fest, dass dies die einzige Wirkung der Prozedur ist. Gerade weil Prozeduren der Vorurteilsreduktion in der Regel auf Interaktionen mit denjenigen Personen aufbauen, die vorverurteilt werden, sind die tatsächlichen Effekte der Prozedur vielfältig. Stereotypen und Vorurteile lassen sich leicht durch Informationen gezielt erzeugen. Die Änderungsbedingungen sind bei Vorurteilen komplexer. Hier reichen Informationen in der Regel nicht aus, sondern es werden soziale Interaktionen unter bestimmten Randbedingungen benötigt. Eine der Prozeduren, die vorgeschlagen wird, um Vorurteile zu reduzieren, ist die Kontakt-Hypothese. Sie sagt, dass der soziale Austausch zwischen Personengruppen dazu führt, dass die Personengruppen im Schnitt weniger Vorurteile haben. Es

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ist allerdings der Fall, dass der Kontakt mehr Effekte hat als eine Reduktion von Vorurteilen: Personen können mehr Empathie für die andere Gruppe aufbringen, das kooperative Verhalten der Gruppen wird gestärkt und die soziale Identität (die für diverse In-Group/Out-Group Effekte verantwortlich ist) wird geschwächt (Hodson, Hewstone, & Swart, 2013). Eben jene zusätzlichen Effekte können allerdings durchaus zur sozialen Besserstellung führen: die Perspektive der anderen einnehmen, bereit sein zu kooperieren und alte ‚Wir gegen Euch‘-Schemata in Frage zu stellen, kann zu strukturellen Änderungen beitragen. Einerseits ist es also ein Fehlschluss zu behaupten, dass die Reduktion von Vorurteilen auch zu einem sozialen Wandel führt. Andererseits ist es auch ein Fehlschluss zu denken, dass das Verfahren der Vorurteilsreduktion nicht mehr Effekte haben kann als die Verringerung der rassistischen Einstellung. Insofern muss man Haslangers (2015) Kritik mit Vorsicht ausbuchstabieren, wenn man die Kritik gegen die Vorurteilsforschung richten möchte. Nichtdestotrotz halte ich Haslangers Kritik bezüglich der Erklärungsleistung impliziter Vorurteile bezogen auf soziale Benachteiligung für gerechtfertigt. Die schiere Aufweisung einer Korrelation ist eine sehr schwache Erklärungsleistung und es besteht in der Tat die Gefahr, dass die tatsächlichen Ursachen sozialer Benachteiligung verdeckt werden. Die Art der sozialen Benachteiligung muss möglichst konkret gefasst werden, um eine Erklärung für eben jene Daten zu liefern.

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