Im Inneren der Bauverwaltung: Eigenlogik und Wirkmacht administrativer Praktiken bei Bauprojekten 9783839433331

How do our residential landscapes arise? This volume investigates the interplay of practices in urban development, polit

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Polecaj historie

Im Inneren der Bauverwaltung: Eigenlogik und Wirkmacht administrativer Praktiken bei Bauprojekten
 9783839433331

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Zusammenfassung
Danksagung
Einleitung
I. Konzeption der Studie
1.1 Forschungsziele und Forschungsfragen
1.1.1 Forschungsziele
1.1.2 Forschungsfragen
1.2 Forschungsdesign
1.2.1 Feldzugang und Fallauswahl
1.2.2 Erhebungsmethoden und Datenmaterial
1.2.3 Auswertung des Datenmaterials
1.3 Einsatz von Video in der empirischen Forschung
1.3.1 Methodische Implikationen
1.3.2 Videoeinsatz in der vorliegenden Arbeit
1.3.3 Fazit: Videoeinsatz zur Erfassung des Materiellen und Non-Verbalen
1.4 Fazit: Leitlinien und Methode der Studie
II. Gegenstand und Stand der Forschung
2.1 Forschungsgegenstand Gemeinde
2.1.1 Wissenschaftliche Arbeiten zur Erforschung der Gemeinden in der Schweiz
2.1.2 Variationen des Gemeindebegriffs
2.1.3 Wandel des Gemeindebegriffs in den Wissenschaften
2.1.4 Fazit: Erweiterung des Gemeindebegriffs
2.2 Städtebaulicher Diskurs in der Schweiz
2.2.1 Alpenmythos vs. Aggloschweiz
2.2.2 Städtebauliche Leitbilder der Schweiz I
2.2.3 Historischer Abriss des Urbanisierungsprozesses in der Schweiz
2.2.4 Städtebauliche Leitbilder der Schweiz II
2.2.5 Aktueller städtebaulicher Diskurs
2.2.6 Schweizer Gemeinde im städtebaulichen Diskurs
2.2.7 Fazit: Re-Positionierung der Gemeinde
2.3 Verwaltung – Von Max Weber zu New Public Management
2.3.1 Formale Organisationen und Bürokratien in den Klassikern und in der neueren Organisationstheorie
2.3.2 Explizite Beschäftigung der Organisationssoziologie mit Bürokratie und Verwaltung
2.3.3 Verwaltungen als Paradegegenstand der Verwaltungswissenschaften
2.3.4 Fazit: Erweiterung etablierter Forschungskonzepte
2.4 Fazit: Trans-sequentielle Analyse (TSA) als theoretischer Fokus
III. Drei Bauverwaltungen im Kontext
3.1 Visp
3.1.1 Planungskultur
3.1.2 Bauverwaltung
3.2 Wetzikon
3.2.1 Planungskultur
3.2.2 Bauverwaltung
3.3 St. Margrethen
3.3.1 Planungskultur
3.3.2 Bauverwaltung
3.4 Fazit: Kontext der drei Bauverwaltungen
IV. Annäherungen
4.1 Bauverwaltung: Wege und Bewegungen im Inneren
4.1.1 (Bau-)Ämter als steingewordene Herrschaft
4.1.2 Einschluss- und Ausschlussmechanismen von Bauämtern am Beispiel von (Amts-)Türen
4.1.3 Fazit: Strukturelle Ordnung von Bauämtern
4.2 Das Baubewilligungsverfahren als ordnendes Element
4.2.1 Annäherungen an das Baubewilligungsverfahren
4.2.2 Ablauf des Baubewilligungsverfahrens
4.2.3 Fazit: Alternative Betrachtungsweise der administrativen Prozesse
V. Case-Making
5.1 Die administrative Maschinerie wird angeworfen
5.1.1 Wie aus einem Bauprojekt ein administrativer Fall wird
5.1.2 Vorprüfungen und Pläne – Erste Verdichtung der Praxis des administrativen Case-Making
5.1.3 Fazit: Ereignis-Prozess-Relationen der Baueingabe
5.2 Die Sprechstunde: Eine Arbeitssession als Intermezzo der administrativen Praxis?
5.2.1 Sprechstunde I: Positionierung im Sitzungszimmer
5.2.2 Phänomen der Stellvertretung
5.2.3 Sprechstunde II: Tastbewegungen zwischen Hochbauleiter und Architektin
5.2.4 Fazit: Sprechstunde als Effekt und Zwischenspiel des Verfahrens
VI. Vorbereitung und Aufbewahrung
6.1 Das Bauprojekt im Büro der Bauverwalterin
6.1.1 Administrative Praktiken – Vom scheinbar endlosen Prüfen
6.1.2 Ordnung halten: Akten als administrative Informationssegmente und Aktenschränke als multiple Handlungsträger
6.2 Fazit: Prozessorientierte Arbeit am Bauprojekt
VII. Beurteilung
7.1 Stadtbildkommission: Externe Expertisen und Diskussionen am Objekt
7.1.1 Stadtbildkommission in Aktion
7.1.2 Diskussionen am Bauprojekt
7.2 Fazit: Öffnen eines Möglichkeitsraums
VIII. Entscheidung
8.1 Der Entscheid wird formuliert
8.1.1 Baukommission in Aktion
8.1.2 Fixierung des Bewilligungsentscheids
8.1.3 Baukommission und Stadtbildkommission im Vergleich
8.2 Fazit: Qualifizierung der fragmentierten Siedlungslandschaft
IX. Schlussbetrachtung
9.1 Beziehungsordnungen von administrativen Ereignissen und Prozessen
9.2 Geographie und Materialität von Ämtern und Arbeitsprozessen
9.3 Zeit als relevantes Medium administrativer Praxis
9.4 Transformationen des Bauprojektes im Modus der Kooperation
9.5 Fazit: 12 Thesen zur administrativen Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung auf die gebaute Umwelt
Referenzen
Literaturverzeichnis
Vignettenverzeichnis
Videostillverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis

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Michaela Schmidt Im Inneren der Bauverwaltung

Urban Studies

Michaela Schmidt (Dr. sc.), geb. 1983, ist seit 2010 Nachwuchswissenschaftlerin am ETH Wohnforum – ETH CASE der ETH Zürich, Departement Architektur. Die Architektursoziologin forscht an der Schnittstelle zwischen gebauter Umwelt und Gesellschaft.

Michaela Schmidt

Im Inneren der Bauverwaltung Eigenlogik und Wirkmacht administrativer Praktiken bei Bauprojekten

Publiziert mit Unterstützung des schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung im Rahmen des Pilotprojekts OAPEN-CH.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Simon Bussieweke, Gütersloh Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3333-7 PDF-ISBN 978-3-8394-3333-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 9 Zusammenfassung | 11 Danksagung | 13 Einleitung | 15 I. Konzeption der Studie | 25 1.1 Forschungsziele und Forschungsfragen | 25 1.1.1 Forschungsziele | 25 1.1.2 Forschungsfragen | 27 1.2 Forschungsdesign | 30 1.2.1 Feldzugang und Fallauswahl | 30 1.2.2 Erhebungsmethoden und Datenmaterial | 35 1.2.3 Auswertung des Datenmaterials | 40 1.3 Einsatz von Video in der empirischen Forschung | 42 1.3.1 Methodische Implikationen | 44 1.3.2 Videoeinsatz in der vorliegenden Arbeit | 49 1.3.3 Fazit: Videoeinsatz zur Erfassung des Materiellen und Non-Verbalen | 53 1.4 Fazit: Leitlinien und Methode der Studie | 55 Gegenstand und Stand der Forschung | 59 2.1 Forschungsgegenstand Gemeinde | 61 2.1.1 Wissenschaftliche Arbeiten zur Erforschung der Gemeinden in der Schweiz | 61 2.1.2 Variationen des Gemeindebegriffs | 64 2.1.3 Wandel des Gemeindebegriffs in den Wissenschaften | 74 2.1.4 Fazit: Erweiterung des Gemeindebegriffs | 76 2.2 Städtebaulicher Diskurs in der Schweiz | 78 2.2.1 Alpenmythos vs. Aggloschweiz | 79 2.2.2 Städtebauliche Leitbilder der Schweiz I | 81 2.2.3 Historischer Abriss des Urbanisierungsprozesses in der Schweiz | 84 2.2.4 Städtebauliche Leitbilder der Schweiz II | 86 2.2.5 Aktueller städtebaulicher Diskurs | 87

II.

2.2.6 Schweizer Gemeinde im städtebaulichen Diskurs | 90 2.2.7 Fazit: Re-Positionierung der Gemeinde | 93 2.3 Verwaltung – Von Max Weber zu New Public Management | 95 2.3.1 Formale Organisationen und Bürokratien in den Klassikern und in der neueren Organisationstheorie | 97 2.3.2 Explizite Beschäftigung der Organisationssoziologie mit Bürokratie und Verwaltung | 106 2.3.3 Verwaltungen als Paradegegenstand der Verwaltungswissenschaften | 111 2.3.4 Fazit: Erweiterung etablierter Forschungskonzepte | 115 2.4 Fazit: Trans-sequentielle Analyse (TSA) als theoretischer Fokus | 116 III. Drei Bauverwaltungen im Kontext | 121

3.1 Visp | 122 3.1.1 Planungskultur | 123 3.1.2 Bauverwaltung | 123 3.2 Wetzikon | 126 3.2.1 Planungskultur | 126 3.2.2 Bauverwaltung | 127 3.3 St. Margrethen | 129 3.3.1 Planungskultur | 129 3.3.2 Bauverwaltung | 130 3.4 Fazit: Kontext der drei Bauverwaltungen | 131 IV. Annäherungen | 135

4.1 Bauverwaltung: Wege und Bewegungen im Inneren | 137 4.1.1 (Bau-)Ämter als steingewordene Herrschaft | 138 4.1.2 Einschluss- und Ausschlussmechanismen von Bauämtern am Beispiel von (Amts-)Türen | 141 4.1.3 Fazit: Strukturelle Ordnung von Bauämtern | 152 4.2 Das Baubewilligungsverfahren als ordnendes Element | 155 4.2.1 Annäherungen an das Baubewilligungsverfahren | 158 4.2.2 Ablauf des Baubewilligungsverfahrens | 165 4.2.3 Fazit: Alternative Betrachtungsweise der administrativen Prozesse | 172

Case-Making | 175 5.1 Die administrative Maschinerie wird angeworfen | 177 5.1.1 Wie aus einem Bauprojekt ein administrativer Fall wird | 177 5.1.2 Vorprüfungen und Pläne – Erste Verdichtung der Praxis des administrativen Case-Making | 180 5.1.3 Fazit: Ereignis-Prozess-Relationen der Baueingabe | 190 5.2 Die Sprechstunde: Eine Arbeitssession als Intermezzo der administrativen Praxis? | 192 5.2.1 Sprechstunde I: Positionierung im Sitzungszimmer | 194 5.2.2 Phänomen der Stellvertretung | 198 5.2.3 Sprechstunde II: Tastbewegungen zwischen Hochbauleiter und Architektin | 199 5.2.4 Fazit: Sprechstunde als Effekt und Zwischenspiel des Verfahrens | 203 V.

VI. Vorbereitung und Aufbewahrung | 207 6.1 Das Bauprojekt im Büro der Bauverwalterin | 209 6.1.1 Administrative Praktiken – Vom scheinbar endlosen Prüfen | 210 6.1.2 Ordnung halten: Akten als administrative Informationssegmente und Aktenschränke als multiple Handlungsträger | 216 6.2 Fazit: Prozessorientierte Arbeit am Bauprojekt | 224 VII. Beurteilung | 227

7.1 Stadtbildkommission: Externe Expertisen und Diskussionen am Objekt | 230 7.1.1 Stadtbildkommission in Aktion | 230 7.1.2 Diskussionen am Bauprojekt | 236 7.2 Fazit: Öffnen eines Möglichkeitsraums | 251 VIII. Entscheidung | 255 8.1 Der Entscheid wird formuliert | 258 8.1.1 Baukommission in Aktion | 258 8.1.2 Fixierung des Bewilligungsentscheids | 263 8.1.3 Baukommission und Stadtbildkommission im Vergleich | 276 8.2 Fazit: Qualifizierung der fragmentierten Siedlungslandschaft | 278 IX. Schlussbetrachtung | 281

9.1 Beziehungsordnungen von administrativen Ereignissen und Prozessen | 283 9.2 Geographie und Materialität von Ämtern und Arbeitsprozessen | 289

9.3 Zeit als relevantes Medium administrativer Praxis | 298 9.4 Transformationen des Bauprojektes im Modus der Kooperation | 302 9.5 Fazit: 12 Thesen zur administrativen Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung auf die gebaute Umwelt | 312 Referenzen | 315

Literaturverzeichnis | 315 Vignettenverzeichnis | 333 Videostillverzeichnis | 334 Abbildungsverzeichnis | 335 Tabellenverzeichnis | 336

Vorwort

Die Architektur entwirft und plant Bauwerke nicht losgelöst von Recht, Politik und Staatlichkeit, sondern ist auf verschiedensten Ebenen durchgängig mit diesen konfrontiert. Planungsvorgaben, Standards, Vorschriften sind den Gebäuden eingeschrieben und verlangen nach gekonnten Übersetzungen in die jeweilige lokale Gemengelage. Es wäre also, dies ist Michaela Schmidts grundsätzliche Lehre, unzureichend, die architektonische Praxis auf einen unabhängigen kreativen und ökonomischen Prozess zu reduzieren. Vielmehr ist es ein Planen im Planen: eine Gleichzeitigkeit von Planungsschichten und -dimensionen, die die Architekten/ -innen sukzessive vermitteln und aufeinander zubewegen. Schmidts Ethnographie verkompliziert also die gängige, reduzierte Sicht auf die Architektur – und das ist gut so. Denn Architektur ist nicht nur eine gesellschaftliche Praxis, insofern der umbaute Raum stets Gesellschaft mit hervorbringt, Bedingungen und Gelegenheiten für Sozialitäten bereithält oder auch vorenthält. Architektur ist gesellschaftlich, weil politische, rechtliche, kulturelle Möglichkeiten und Restriktionen immer schon in den Planungsprozess eingewoben sind und werden. Dies erklärt die hohe Relevanz der vorliegenden Forschungsarbeit. Die Bauverwaltung mit ihren Verfahren ist keine lästige Formalität oder eine trockene Materie, weit ab vom spannenden Gestaltungsprozess, sondern andersherum: Sie ist eine beständige Herausforderung, die ihrerseits nach Kreativität und Know How verlangt. Schmidt hat sehr aufwendig, kenntnisreich und ihrerseits kreativ die Arbeit der Bauverwaltungen in verschiedenen Gemeinden untersucht. Sie hat verschiedene Fälle behandelt und entlang des praktischen Vorgehens nachvollzogen, wie sich das Verwalten in den Planungen einnistet und niederschlägt. Die Autorin nimmt dabei stets Arbeitssituationen zum Ausgangspunkt: nicht Selbstdarstellungen oder Geschichten. Heraus kommt eine komplexe Beschreibung der Ei-

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genlogik und Wirkmacht der amtlichen Tätigkeiten an ihrem Gegenstand: den Bauwerken. Aufwendig ist diese Art der Forschung, weil der Praxis vielfältigste Daten abgerungen werden: Feldnotizen, Zeichnungen, Tonaufnahmen, Videofilme, Dokumente, Pläne etc. Das untersuchte Feld ist – und das zeichnet die Praxis bereits aus – voll mit den verschiedensten Objektivierungen, Verdinglichungen, Veranschaulichungen. Diese schaffen und nutzen die Praktiker/-innen methodisch, um die sich stellenden praktischen Anforderungen klein zu arbeiten. Um diese Arbeit nicht als bloße Routine oder vom Ende her zu verflachen, hat sich Schmidt außerdem für eine Betonung der Zeitlichkeiten der Planungsprozesse entschieden. Sie will die Arbeit und die praktischen Relevanzen der Handgriffe und Objekteinsätze im jeweiligen Vollzug nachspüren. Die Bedeutungen zeigen sich in den Arbeitssituationen und in der Position der Arbeitssituationen im weiteren Arbeitsprozess. Diese trans-sequentielle Sicht, also die Vermittlung von Arbeitsepisoden und Arbeitsprozessen am Arbeitsgegenstand bzw. dem formativen Objekt der Arbeit, ist selbst höchst anspruchsvoll. Sie ist aber auch nötig, soll die Arbeit von Bauverwaltung und Architekten/-innen nicht auf bloße Darstellungskunst oder auf ein vorprogrammiertes Tun reduziert werden. So schafft es Schmidt nicht nur einen wichtigen Beitrag für die Praxis der Architektur zu leisten, sondern die Praxisforschung selbst um einen wichtigen Beitrag zu bereichern. Sie zeigt, wie etwas sukzessive entfaltet wird und dieses Etwas die an ihm Arbeitenden in den Bann zieht. Es ist der Arbeitsgegenstand, der mit fortschreitender Bestückung die noch möglichen Beiträge herausfordert und diszipliniert. Je weiter die Sache fortschreitet, umso geringer gestalten sich die Möglichkeiten, alles neu zu entwerfen. Der Planungsprozess schließt sich am Gegenstand. Diese Ethnographie ist damit Praxisforscher/-innen ebenso empfohlen, wie der Architektur- und Stadtforschung. Sie können lernen, wie sich Städte auch heute noch (um-)gestalten lassen, wie also der architektonische Prozess selbst politisch moderiert werden kann und wo eine Verwaltung und Steuerung ihren Gegenstand überformt. Diese zu kultivieren, ist in Zeiten städtischer Verdichtung, der Zersiedelung, der sozialen Desintegration und Gentrifizierung sowie der anstehenden Ökologisierung mehr denn je geboten. Prof. Thomas Scheffer – Frankfurt, der 22.08.2016

Zusammenfassung

Die Siedlungslandschaft der Schweiz präsentiert sich heutzutage als dicht beund zersiedelter polyzentrischer Raum, manifestiert durch die vielfältig durchflochtenen Agglomerationsräume des Mittelandes, des Tessins und des Wallis. Städtebauerinnen und Städtebauer sowie Planerinnen und Planer streben eine Re-Qualifizierung dieser fragmentierten Siedlungslandschaft an. Sie vernachlässigen aber eine wichtige Ebene im Diskurs und im Prozess des Städtebaus: die Gemeinde und mit ihr die Bauverwaltung. Die Wirkmacht der Gemeinde war bisher kaum Thema im städtebaulichen Diskurs, obwohl jedes Bauprojekt die administrative Maschinerie durchlaufen muss und die schweizer Gemeinde im europäischen Vergleich über eine ausgeprägte autonome Selbstverwaltung verfügt. Die vorliegende Studie füllt diese Forschungslücke und gibt erstmals tiefgründige Einblicke in die Arena der Bauverwaltung. Sie untersucht die zentrale und unangetastete Position der Gemeinde und die Eigenlogik der administrativen Praktiken in ihrer Wirkmacht auf Bauprojekte und in deren Summe auf die gebaute Umwelt. In den drei Gemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen, die gleichsam einen Querschnitt durch die deutschsprachige Schweiz liefern, wurden über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren die administrativen Prozesse beobachtet und zentrale Sitzungen mit der Videokamera aufgenommen. Durch den ethnographischen Zugang gelang es, anstelle einer Gemeindeforschung, die aufzeigt, was eine Gemeinde ist, zu verstehen, wie eine Gemeinde wirkt. Ermöglicht hat dieser Perspektivwechsel die trans-sequentielle Analyse, die ihrerseits die Fokussierung auf die administrative Praxis und das Objekt in Arbeit (Bauprojekt) in den Mittelpunkt stellt. Die Studie zeigt dreierlei Haupterkenntnisse: Erstens, in den Alltagsroutinen wird die Bauverwaltung als Prüfungsapparat zunächst reproduziert. Die administrative Qualifizierung des Bestandes setzt sich danach in der Qualifizierung der Fragmentierung und Zersiedelung der gebauten Umwelt fort, auch weil in den

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Entscheidungsprozessen häufig nicht die Siedlungslandschaft als Ganzes im Fokus steht, sondern deren vielfältige Teilstücke. Zweitens, der Bewilligungsprozess darf nicht als lineare Abfolge der gesetzlich vorgegebenen Meilensteine gelesen werden, sondern als fallspezifischer relationaler Prozess, in dem sich das Verhältnis der einzelnen Arbeitsepisoden und Prozesse jeweils neu konfiguriert. Drittens schafft die Bauverwaltung in der alltäglichen Praxis Möglichkeitsräume, um die geschlossenen Foren und routinierten Bewilligungsabläufe zu durchbrechen. Die Eigenlogik der administrativen Praxis dient in solchen Fällen der Justierung ihrer Wirkung, um die Qualifizierung der Siedlungslandschaft jenseits technischer Prüfungskriterien voranzutreiben. Will man die Fragmentierung der Siedlungslandschaft zukünftig besser kanalisieren, gilt es, die Gemeinde und mit ihr die Bauverwaltung im städtebaulichen Diskurs und Prozess zu re-positionieren. Dabei empfiehlt diese Studie eine Abkehr von der administrativen Logik der Regularien und eine Neufokussierung auf eine möglichst fallspezifische, relationale administrative Praxis, die auf gesetzlich legitimierten Möglichkeitsräumen basiert.

Danksagung

Ich danke meinen Referenten Dietmar Eberle und Thomas Scheffer für die Betreuung und Beurteilung der Arbeit sowie ihre wohlwollende Unterstützung. Ein besonderer Dank geht an meinen Mentor Ignaz Strebel, der mir das Feld der Videoforschung eröffnete, mir beständig mit Rat & Tat zur Seite stand und wann immer erforderlich für die nötige Motivation sorgte. Des Weiteren danke ich Lineo Devecchi und Matthias Loepfe für die fruchtbaren Diskussionen im Team, die kreativen Abende und die gemeinsamen Vorträge auf zahlreichen Konferenzen und Tagungen. Finanziell wurde die Studie zu einem bedeutenden Teil vom Nationalen Forschungsprogramm NFP 65 Neue urbane Qualitäten getragen sowie von der ETH Abschlussförderung. Am ETH Wohnforum, das mir stets eine gute Anlaufstation gewesen ist, möchte ich mich bei all meinen Kolleginnen und Kollegen für die inhaltliche, organisatorische und emotionale Unterstützung bedanken. Insbesondere bei Eveline Althaus, Peter Tränkle, Jan Silberberger, Anouk Welti und der Mittwochsdiskussionsrunde. Eine wichtige Quelle der Inspiration stellte der Arbeitskreis politische Ethnographie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt dar, der mich oftmals von der Ferne aus in meinem Schreiben inspirierte. Ein grosser Dank geht an die Mitarbeitenden der Bauverwaltungen in Wetzikon, St. Margrethen und Visp, die mich für mehrere Monate in ihrem Team aufnahmen und mir gestatteten, ihren Arbeitsalltag mit der Videokamera zu beforschen. Ohne sie wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Große Teile meiner Dissertation entstanden im Doktorandenarbeitsraum am ETH Hönggerberg in Zürich. In dieser Zeit durchlebte ich gemeinsam mit meinen Doktorandenkolleginnen und Kollegen etliche Höhen und Tiefen des Promotionsalltags. Ich danke Claudia Moll, Ying Zhou, Oliver Kribus und besonders Andrea Hagen für die gemeinsame Zeit. Weiterhin möchte ich mich bei Sebastian Panschar, Jan Holzhauer, Tino Schlinzig und Kathrin Panschar, Cathrin

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Bullinger, Nona Shgenti sowie bei allen anderen Weggefährtinnen und Gefährten bedanken, die mir eine Hilfe & Stütze in wissenschaftlichen oder alltagsweltlichen Belangen gewesen sind. Sie alle bereicherten die Zeit der Promotion. Ohne Alexander Führer wäre diese Arbeit nicht die, die sie heute ist. Er hat mich mit unglaublichen Elan und Eifer emotional unterstützt, umsorgt und niemals an dem Unterfangen meines Promotionsprojektes gezweifelt. Ich danke ihm für die herausfordernden letzten Jahre und freue mich auf die Abenteuer, die vor uns liegen. Nicht zu Letzt danke ich meinen Eltern & meiner Schwester sowie meiner Familie im Kleinen wie im Großen, die, seid ich denken kann, an mich glauben, meine Wege unterstützen und mich mit emotionaler Wärme umgeben.

Einleitung

Abb. 1: Stadtbildkommission, Sitzungstisch, eigenes Foto.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen im 21. Jahrhundert sind stark von Globalisierungsprozessen auf ökonomischer wie auch auf gesellschaftlicher Ebene geprägt, die sich durch steigende Komplexität, Mobilität und Arbeitsteilung der Gesellschaft äußern. In der Geographie kursieren Denkmodelle wie das der Glokalisierung, in denen sich globale Phänomene im Lokalen niederschlagen und die Bedeutung zwischen Globalem und Lokalem verhandelt werden (Robertson 1998). Vermehrt ist neben einer Fokussierung auf das Städtische eine zunehmende Wiederentdeckung des Lokalen, der Gemeinde als Lebensraum zu beobachten. Städtische und ländliche Lebensmodelle durchdringen sich beispielsweise in suburbanen und periurbanen Situationen. Die Analysen der Siedlungslandschaft der Schweiz verdeutlichen, dass die historischen Pole und Ord-

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nungskategorien von Stadt und Land oftmals nicht mehr greifen (Flückiger & Frey 2001, Eisinger 2003, Diener et al. 2005). Die gebaute Umwelt präsentiert sich vielmehr als dicht be- und zersiedelter polyzentrischer Raum; manifestiert durch vielfältig verflochtene Agglomerationsräume des Mittellandes, des Wallis und des Tessins sowie einer zunehmenden Verknappung des Bodens. Laut Bundesamt für Statistik (2014) wohnen aktuell 73 % der Bevölkerung in der Schweiz in diesen städtisch geprägten Gebieten. Volksinitiativen wie die 2012 verabschiedete Zweitwohnungsinitiative, die Revision des neuen Raumplanungsgesetzes oder das lancierte nationale Forschungsprogramm NFP 65 Neue urbane Qualität (2011-2014) haben das Ziel, dieser Siedlungsentwicklung entgegenzusteuern, sie einzudämmen oder zu kanalisieren, um, wie es in der Bundesvorlage zum Raumplanungsgesetz heisst: »Die Attraktivität der Schweiz als Wohn- und Arbeitsort zu gewährleisten.« Im städtebaulichen Diskurs standen bis zur Jahrtausendwende besonders Akteursgruppen aus Politik, Planung und Wirtschaft als entscheidende Einflussgrößen im Zentrum der Debatten (Eisinger 2003, Herzog et al. 2006). Doch jüngst rückt die Gemeinde (und mit ihr die Bauverwaltung) als aktive Siedlungsgestalterin in den Blick der Expertinnen und Experten1 auf dem Gebiet des Städtebaus (Oswald & Schüller 2003, Schmid 2006, Herzog et al. 2006, Lampugnani 2007). Da die Gemeinde im Zuge der helvetischen Eigenart der ausgeprägten Gemeindeautonomie erstens, über die Steuerhoheit verfügt, zweitens, mit der Bau- und Zonenordnung die bauliche Entwicklung des Territoriums steuert und drittens, an der Durchsetzung ihrer Partikularinteressen interessiert ist (Schmid 2012). Althergebrachte Gouvernance-Strukturen, Planungskulturen und administrative Praktiken werden im Zuge der Siedlungsentwicklung herausgefordert und führen zu: »Vollzugsprobleme(n) außerhalb jeglicher Routine« (Geser 2002:456). Nicht nur die Bedeutung der kommunalen Ebene – sei es auf Grund der ausgeprägten Gemeindeautonomie oder der großen Anzahl der Bevölkerung, die in Gemeinden lebt – auch der Druck und das Aufgabenspektrum, mit denen Gemeinden konfrontiert werden, wächst. Dies schlägt sich besonders im Alltag des Verwaltungsapparates nieder, der in immer schnellerer Folge neue Regeln, Weisungen und Richtlinien umzusetzen hat, sich den höheren Ansprüchen der Bürgerinnen und Bürger mit wachsendem Bildungs- und Wohlstandsniveau stellen muss und in diesem Zusammenhang bereits bei erstinstanzlichen Entscheidungen größere

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In der Dissertation berücksichtige ich den Leitfaden zur Geschlechtergerechten Sprache der Bundeskanzlei, welche ebenfalls von der ETH Zürich angeraten wird: www.equal.ethz.ch/rules.

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Sorgfalt und Transparenz walten lässt – dies, um formelle Beschwerden zu umgehen (ebd.). Zudem ist bei vielen Vollzugsaufgaben, wie sie dem Bau- und Planungswesen eigen sind, der Einbezug von wissenschaftlichem und technischem Expertenwissen nötig, der die Zusammenarbeit mit externen Akteurinnen und Akteuren erfordert. Der Soziologe Hans Geser weist dementsprechend auf den notwendigen Strategiewechsel von Gemeinden hin: »Ihre Chancen der Selbstbehauptung bemessen sich heute weniger an ihrem Vermögen sich rein defensiv gegen Interventionen überlokaler Akteure zur Wehr zu setzen, sondern immer mehr an ihrer Kapazität, sich offensiv […] zu behaupten.« (Geser 2002:433)

Neben der Forderung einiger Städtebauerinnen und Städtebauer, die aktive Rolle der Gemeinde resp. der Verwaltung und deren Einfluss auf die Siedlungsentwicklung zu thematisieren (Eisinger 2003, Diener et al. 2006, Schmid 2012), findet sich die Forderung, die Wirkmacht von Organisationen auf ihre (gebaute) Umwelt zu erforschen, ebenfalls in der theoretischen Diskussion der Organisationssoziologie (Allmendinger & Hinz 2002). Hier wird großer Forschungsbedarf gesehen. Denn bisher stand die umgekehrte Richtung des Einflusses der (gebauten) Umwelt auf Organisationen resp. Organisationseinheiten im Zentrum (organisations-)soziologischen Forschens (siehe oben, Kap. 2.2). Die vorliegende Dissertation wird jene Forschungslücken der Organisationssoziologie und des Städtebaus füllen, wenn ich erstens die administrativen Praktiken zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten untersuche und zweitens aufzeige, wie bzw. inwiefern Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert werden. Drittens wird analysiert, wie administrative Praktiken auf Bauprojekte und somit auf die gebaute Umwelt wirken. Wichtig dabei ist, dass nicht die Veränderungen eines Bauprojektes im Sinne einer Analyse der Vorher-Nachher-Situation, wie sie den Analysen der Disziplin der Architektur eigen ist, im Fokus steht, sondern die administrativen Praktiken und deren fortwährende Arbeit an Bauprojekten. Die Vielfalt der administrativen Praktiken interessiert in einer praxeologischen Perspektive, die die administrative Arbeit in situ und somit in the making untersucht, um die Wirkmacht und Eigenlogik der Bauverwaltung auf die gebaute Umwelt aufzuzeigen. Dieses Forschungsziel wird erreicht, indem ich mich dem vielfältig verflochtenen Netz administrativer Praktiken von Bauämtern zuwende und das Innere der bisher unerforschten Arena der administrativen Blackbox offenlege. Dabei interessiert ebenso das große Arsenal bestehend aus materieller Infrastruktur (Büromöbel und Büroartefakte) unterschiedlichster Territorien (Eingangsbe-

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reich, Gänge, Büros, Sitzungszimmer, Kaffeeraum etc.) wie der komplexe Apparat von Verfahrensweisen und Regeln, die die Durchführungen administrativer Praktiken rahmen und voraussetzen. Im Lichte dessen werden die administrativen Praktiken en détail entlang der einzelnen administrativen Fertigungsschritte zur Beförderung des Bauprojektes durch den administrativen Apparat erforscht. Am Ende wird geklärt sein, welche Wirkung die administrativen Praktiken im Modus ihrer Eigenlogik auf die gebaute Umwelt ausüben und ob im Zuge dessen eine Re-Positionierung der Gemeinde, im Sinne einer qualitativ hochstehenden Siedlungsentwicklung, angebracht ist. Dieserart leistet die Studie Grundlagenforschung auf mindestens zwei Gebieten: Erstens auf einer theoretischen und methodischen Ebene der Soziologie, da bestehende Konzepte und Methoden hinterfragt und erweitert werden, um den Untersuchungsgegenstand der Bauverwaltung angemessen zu untersuchen. Zweitens auf dem Gebiet des Städtebaus, da mit der Bauverwaltung eine bisher vernachlässigte aber gleichsam wesensimmanente Komponente im Bereich der Siedlungsentwicklung in ihrem administrativen Handeln und Wirken erforscht wird und deren Wirkmacht auf die gebaute Umwelt analysiert wird. Im ersten Kapitel wird die Konzeption der Studie erläutert. Zunächst erfolgt die Darlegung der Forschungsziele und das Explizieren der Fragestellungen der Dissertation (Kap. 1.1). Daran schließt sich die Erläuterung des Forschungsdesigns (Kap. 1.2) an. Unter dem Stichpunkt Feldzugang und Fallauswahl wird vor dem Hintergrund der spezifischen Anforderungen institutioneller Settings, die sich durch eine Logik der Regularien auszeichnen, der Zugang zum Feld und die systematische Auswahl der Fallstudien erläutert. Im Unterkapitel Erhebungsmethoden wird deutlich, dass die Ethnographie das geeignete Instrument zur Erreichung der Forschungsziele und somit zur Untersuchung der Praxis der Bauverwaltung ist. Sie ermöglicht den Forschungsgegenstand insbesondere aus zweierlei Gründen in seiner Tiefe zu untersuchen, da die ethnographische Forschungshaltung erstens, die Methoden konsequent am Untersuchungsgegenstand und im Speziellen an der Praxis der Akteurinnen und Akteure ausrichtet. Zweitens, nicht nur, wie es beispielsweise bei Interviews möglich ist, rückblickend eine Reflektion und Analyse der Arbeitsprozesse oder vorausschauend einen Plan der Arbeitsprozesse abzurufen, sondern die Praxis, die administrative Arbeit am Bauprojekt in the making zu beobachten. Die zentrale Methode ist deshalb die teilnehmende Beobachtung. Dabei konzentrierte ich mich insbesondere auf die Begleitung der Mitarbeitenden der Bauverwaltung in ihrem Arbeitsalltag, Ortsbegehungen und den Einbezug von Dokumenten (visuelle Werkzeuge, Notizen, Formulare etc.), die den Arbeitsalltag

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der Akteurinnen und Akteure mitbestimmen sowie ergänzende Interviews. Die Auswertung des Datenmaterials orientiert sich dezidiert an der Praxis der Akteurinnen und Akteure und wird hauptsächlich in Form von Vignetten als verdichtete Situationsbeschriebe verfügbar gemacht (Kap. 1.2). Eine Besonderheit liegt in der Verwendung der Videokamera, mit der ich zentrale Sitzungen der Bauverwaltung aufzeichnete. Dieser, im vorliegenden Forschungskontext bisher selten verwendeten Methode, wird deshalb ein eigenes Teilkapitel gewidmet, in dem der Einsatz, die Anwendung und der Nutzen diskutiert wird (Kap. 1.3). Das zweite Kapitel der Dissertation dient der Klärung des Forschungsgegenstands sowie des Stands der Forschung im Themenfeld der Gemeinde resp. der Verwaltung und macht gleichsam den Unterbau der Studie verfügbar (Kap. 2). Hier zeige ich die Relevanz der vorliegenden Forschungsarbeit sowie Forschungsdesiderate in Städtebau und Verwaltung auf. Zunächst gilt es, den Forschungsgegenstand der Gemeinde an sich zu klären, um im Speziellen die Bauverwaltung im Dickicht der Gemeindebegriffe zu verorten (Kap. 2.1). Diese ist als Teil der politischen Gemeinde im administrativen Gefüge als prüfende, ausführende, bewilligende und mitunter planende Akteurin für sämtliche städtebauliche Belange der (politischen) Gemeinde zuständig. Im Zuge dessen plädiere ich für ein ontologisches Verständnis, welches die Gemeinde als eine aktive Akteurin begreift, um jenseits des passiven Rollenverständnisses (Gemeinde als Verwaltungseinheit, Gemeinde als Laboratorium) mit einer relationalen prozessbasierten Perspektive die Eigenlogik der Bauverwaltungen und deren Wirkmacht auf die Bauprojekte sowie in ihrer Summe die gebaute Umwelt aufzuzeigen. Jene Wirkmacht auf die Siedlungsentwicklung thematisiere ich im darauffolgenden Unterkapitel: Der städtebauliche Diskurs in der Schweiz (Kap. 2.2). Die Übersicht des aktuellen städtebaulichen Diskurses, der zwischen einem verblassenden Alpenmythos und der sogenannten Aggloschweiz, einer stark zersiedelten Agglomerationslandschaft, changiert und Fragen der zukünftigen (qualitativen) Siedlungsentwicklung aufwirft, befördert die aktuellen Herausforderungen des Städtebaus in der Schweiz zu Tage. Im Lichte dessen rückt die Gemeinde und mit ihr die Bauverwaltung stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In Kapitel 2.3 mache ich den Forschungsstand zu institutionellen Settings verfügbar und spanne einen Bogen von den historischen Forschungsarbeiten Max Webers, über die französische Schule der Organisationssoziologie um Michael Crozier, bis hin zu den Ansätzen des New Public Managements. Zugleich wird der Gegenstand der (Bau-)Verwaltung im Dialog mit den Verwaltungswissenschaften schärfer gefasst. Am Ende steht die Feststellung, dass die etablierten For-

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schungskonzepte zur Erreichung der Forschungsziele der Dissertation erweitert werden müssen. Ich schließe meine Ausführungen des gesamten Kapitels mit einem Fazit, dass die Erweiterung der etablierten Konzepte aufnimmt und verdeutlicht, dass die Studie theoretisch im Umfeld der institutionellen Ethnographie verankert wird (Kap. 2.4). Im Zuge dessen werden mit der institutionellen Ethnographie die administrativen Arbeitsvollzüge und Fertigungsschritte an Bauprojekten in den Mittelpunkt gestellt. Durch den analytischen Fokus der Trans-Sequentialität (trans-sequentielle Analyse, TSA) von institutionellen Prozessen, sprich der Verschränkung von Prozess (Baubewilligungsverfahren) und Ereignis (Baueingabe, Sprechstunde, Sitzungen) bekomme ich das relationale Verhältnis von Ereignis und Prozess in den Griff (Scheffer 2010). Im Verlauf der Studie wird der trans-sequentielle Fokus der TSA unter Einbezug der materiellen Infrastruktur (Architektur, Büromobiliar und Büroartefakte) im Zusammenspiel mit den alltäglichen Handlungsvollzügen der Akteurinnen und Akteure in einer praxeologischen Orientierung erweitert. Kapitel 3 der Studie nimmt die drei Untersuchungsgemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen und deren Bauverwaltungen in den Blick. Das Kapitel fungiert als Bindeglied zwischen dem Forschungsstand (Kap. 1), dem theoretischen und methodologischen Hintergrund (Kap. 2) und dem empirischen Teil (Kap. 48). Nach der Einordnung der Fallstudien in die jeweilige Region und einer Übersicht zur sozio-ökonomischen Entwicklung, widme ich mich der Planungskultur der jeweiligen Gemeinden. Sodann verenge ich die Beschreibung auf die Bauverwaltung, deren organisatorischen Aufbau sowie die Architektur und strukturräumliche Gliederung. Spätestens an dieser Stelle verflüssigen sich Beschreibung und Analyse der Fallstudien. Das Kapitel liefert einen wichtigen Baustein zur nachfolgenden Analyse der Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praktiken auf die gebaute Umwelt, da es den ökonomischen, gesellschaftlichen und materiellen Kontext der drei untersuchten Bauverwaltungen verfügbar macht. In den Kapiteln 4-8 steht das empirische Datenmaterial im Zentrum der Arbeit. In fünf analytischen Schritten wird die vermeidliche administrative Blackbox Bauverwaltung geöffnet (Kap. 4-8). Unter dem Stichwort Annäherung nähere ich mich dem Untersuchungsgegenstand und gleichsam dem Inneren der Bauverwaltung an. Den Einstieg bildet die Reflektion über das architektonische Gehäuse, auch um den symbolischen Gehalt von Amtsgebäuden aufzuzeigen. Sodann folge ich in einer ersten Vignette einer bauwilligen Architektin auf dem

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Weg zur Bauabteilung. Dieserart schlage ich erstens, eine Brücke zu den Bauverwaltungen der Untersuchungsgemeinden (Kap. 3), zweitens, diskutiere ich Machtfragen, die sich beispielsweise an den verschiedenen (Amts-)Türen von Verwaltungsgebäuden konkretisieren und öffne drittens, in einem ersten Schritt die Blackbox der Bauverwaltung. Im zweiten Teil des Kapitels findet eine Vertiefung der Annäherung statt – dies im Sinne der viel zitierten Fragen des Ethnologen Clifford Geertz: »What the hell is going on here«2, die mich zum Baubewilligungsverfahren als ordnendes Element im administrativen Arbeitsfluss führte (Kap. 4.2). Hier findet eine Beschreibung dessen statt, was eine Bauverwaltung ausmacht. Dieser Schritt ist essentiell, um in den nachfolgenden Schritten deren Eigenlogik und Wirkmacht herauszuarbeiten, sprich, wie die Bauverwaltung wirkt, was sie produziert, was sie macht. Im Zuge dessen entwickle ich im Dialog mit der Zielsetzung der Arbeit (Offenlegung der Wirkmacht und Eigenlogik), den empirischen Daten und der Theorie fünf funktionelle Episoden des administrativen Fertigungsprozess: Eingaben/Anfragen, Arbeitssessionen, Prüfungen des Objekts, Vorformulierungen, Passagepunkte. Auf diese Weise wird eine alternative Betrachtungsweise jenseits der gesetzlichen Meilensteine gesetzt, ohne das komplexe Akteursnetz wie auch die unterschiedlichen Zeitlichkeiten zu determinieren. Diese analytische Setzung dient als wichtige Rahmung für die nachfolgenden Analysen, sodass auch die vielen Zwischentöne der administrativen Praxis herausgearbeitet werden können. Das darauffolgende fünfte Kapitel ist mit Case-Making überschrieben (Kap. 5). In diesem zweigeteilten Kapitel findet eine erste empirische Tiefenbohrung statt. Im Mittelpunkt steht das administrative Case-Making, sprich die Praxis der Bauverwaltung, Bauprojekte in administrative Fälle zu transformieren. Spätestens mit der Baueingabe findet ein Bauprojekt den Weg in die administrative Maschinerie, sodass ein neuer Fertigungsprozess angestoßen wird (Kap. 5.1). Bauprojekte werden von der (materiellen) Sprache der Architektur (von Plänen, Modellen) in die der Administration übersetzt (in administrative Informationssegmente). Die Vignette einer Baueingabe dient zur Analyse der empirischen Daten. Im Lichte dessen können gleich einem Brennglas die Methoden und Prozesse der Mitarbeitenden zur Beförderung von Bauprojekten in den administrativen Apparat herausgearbeitet werden. Im zweiten Teil des Kapitels nehme ich das Ereignis der Sprechstunde in den Blick, in dem Bauprojekte zwischen Bauverwaltung und Städtebau diskutiert

2

Clifford Geertz 1983: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a.M.

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werden (Kap. 5.2). Diese Arbeitssession muss als Verlängerung des administrativen Case-Makings gelesen werden. Fragen des Verhältnisses zwischen Ereignis und Prozess im Bezug auf das Endprodukt der Baubewilligung werden hier ebenso diskutiert, wie die Arbeitsvollzüge zwischen Bauverwaltung und Projektverfasserinnen und -verfassern, die sich als Tastbewegungen charakterisieren lassen. Das fünfte Kapitel verdeutlicht insgesamt erste wichtige Qualifizierungsschwellen des Bauprojekts im Zuge der (prüfenden) Praxis der Bauverwaltung. Die Büros der Bauverwaltung, insbesondere das der Bauverwalterin bzw. des Bauverwalters, nehmen eine wichtige räumliche wie arbeitspraktische Scharnierfunktion im Baubewilligungsprozess ein (Kap. 6). Im sechsten Kapitel fokussiere ich denn auch auf diese gleichsam verbindenden wie individualisierten und stillen Arbeitspraktiken des Ordnens, Prüfens und Verwaltens, die alle auf das entscheidende Ereignis der Baukommissionssitzung ausgerichtet sind. Im Zuge dessen werden die administrativen Informationssegmente eines Bauprojektes mit vergangenen Ereignissen verknüpft (wie Baueingabe, Sprechstunde) und im Bezug auf Zukünftiges (Baufreigabe) bearbeitet; dies im Wechselspiel mit der materiellen Infrastruktur. Die Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung als Prüfungsapparat tritt hier am stärksten zu Tage. In den letzten beiden empirischen Kapiteln beziehe ich die Daten aus den Videoaufnahmen der Stadtbildkommissionssitzungen und Sondersitzungen sowie die der Baukommissionssitzungen mit ein. In der empirisch fundierten Tiefenbohrung von Kapitel 7 stehen die Arbeitspraktiken der Stadtbildkommission im Zentrum. Der Fokus liegt auf den praktischen, symbolischen und materiellen Handlungsvollzügen, die nötig sind, um Bauprojekte durch die Arbeitssession der Kommission zu befördern. Im Vergleich zum achten und letzten empirischen Kapitel (Kap. 8) zeigt sich, dass in der Arbeitssession der Stadtbild- resp. Sondersitzung das administrative Korsett zuweilen abgestreift wird. In Kapitel 8 wird der maßgebliche Passagepunkt des Bewilligungsprozesses greifbar: Die Baukommissionssitzung und mit ihr die Festsetzung des Entscheids. Ist dieser Passagepunkt für die Projektverfassenden ein wichtiges Ereignis, so relativiert sich der ereignishafte Charakter im Zuge des Bewilligungsprozesses für die Mitarbeitenden der Bauverwaltung, denn vorausgegangene administrative Arbeitsprozesse nehmen ihm die Brisanz. Zugleich wird aber der Entscheid endgültig am Bauprojekt befestigt, sodass sich der administrative Fertigungsprozess im Falle der Baufreigabe dem Ende entgegen neigt. In diesem Kapitel treten die Wirkungen der administrativen Praxis auf die gebaute Umwelt nicht nur explizit, sondern auch symbolisch in der Praxis des Häkchensetzens zu Tage.

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Im Schlussteil der Studie reflektiere ich die analytischen Ausführungen und fasse die Ergebnisse zusammen (Kap. 9). Ich werde zunächst die Eigenlogik der Bauverwaltung und das relationale Verhältnis der einzelnen Arbeitsepisoden zum Bauprozess diskutieren und aufzeigen, dass mit der Untersuchung der administrativen Praktiken von Bauverwaltungen ein wichtiger Beitrag zur institutionellen Ethnographie und gleichsam zur trans-sequentiellen Analyse geleistet wurde (Kap. 9.1); auch weil diese explizit methodisch durch den Einsatz der Videokamera und die Analyse der materiellen Dimension (Architektur, Büromobiliar, Büroartefakten, Arbeitsmittel) erweitert wurde. Die Materialität wird im nachfolgenden Teilkapitel schärfer gefasst, indem die Geographie der Bauverwaltung sowie die Arbeitsprozesse in den jeweiligen Räumen in einer Zusammenschau offengelegt werden. Am Ende steht die Skizzierung der Wege eines Bauprojektes im Inneren der Blackbox Bauverwaltung (Kap. 9.2), sodass die (räumliche) Zirkulation eines Bauprojektes im Zuge eines Bewilligungsprozesses nachvollzogen werden kann. Die Zeit als relevantes Medium administrativer Praxis steht nachfolgend zur Diskussion, da sie als ein wichtiges Arbeitsinstrument der Bauverwaltung während der Analyse des empirischen Datenmaterials wiederholt zu Tage trat. Abermals zeigt sich hier deutlich die Eigenlogik der administrativen Praxis und die Auswirkungen, die diese Praxis auf die Bauprojekte hat (Kap. 9.4). Im Lichte dessen werden Bewilligungsprozesse aktiv verlangsamt oder beschleunigt, sodass das Bewilligungsverfahren (politisch) als weicher Standortfaktor der Gemeinde gesetzt wird. Die Kooperation der Bauverwaltung mit anderen Akteurinnen und Akteuren sowie die (materiellen) Übersetzungsleistungen eines Bauprojektes im Zuge des Bewilligungsprozesses, werden in Kapitel 9.4 in ihrer Materialität sowie ihren Wirkungen auf die Bauwilligen und die gebaute Umwelt zusammengefasst. Besonders zweierlei wird deutlich: Erstens, dass die Wahl der materiellen Übersetzungen in den Aushandlungen der Baubewilligung entscheidenden Einfluss auf den Entscheid haben. Zweitens, dass die administrativen Prozesse bereits im Vorfeld der Baueingabe wirken und Bauprojekte oftmals mit einer Praxis des Scaling Downs konfrontiert werden; dies um Bauprojekte aus Sicht der Bauwilligen einfacher durch den Bewilligungsprozess zu bekommen. Die Bauverwaltung allerdings weiß dieser Praxis entgegenzusteuern. Die Kooperation zwischen Bauverwaltung und externen Akteurinnen und Akteuren äußert sich im Lichte dessen oftmals als Tastbewegungen. Am Ende der Dissertation stehen zwölf Thesen (Kap. 9.5). Diese nehmen den Automatismus der Bauverwaltung auf, der sich dezidiert in der administrativen Praxis des Häkchensetzens in der Baukommissionssitzung äußert. Auf diese

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Weise fördert die Bauverwaltung in ihrer Praxis des Festsetzens des Bewilligungsentscheids nicht nur eine Qualifizierung des Bestandes, sondern sie qualifiziert gleichsam die Fragmentierung und Zersiedelung der Siedlungslandschaft. Die Thesen stellen die Destillate der Studie dar und geben zugleich Empfehlungen ab. Im Zuge dessen ist eine Re-Positionierung der Gemeinde angebracht, um die weitere Fragmentierung der gebauten Umwelt zu kanalisieren.

I. Konzeption der Studie

Videostill 1: Vorstellung des Forschungsvorhabens, Korpus 3, 00:06:34.

1.1 F ORSCHUNGSZIELE

UND

F ORSCHUNGSFRAGEN

1.1.1 Forschungsziele Das bisher wenig erforschte Gebiet der Bauverwaltungen legt einen explorativen, gleichsam qualitativen Zugang nahe. Der Fokus liegt auf einem Querschnitt und einer tiefgründigen Betrachtung der Arbeitspraktiken von Bauverwaltung, d.h. deren Methoden und Prozesse zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten. Diese interessieren in ihrer Breite, ihren Ausprägungsformen und ihrer situativen Anwendung. Ziel des explorativ angelegten Projektes ist es:

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1. die Wirkmacht und Eigenlogik administrativer Prozesse von Bauverwaltungen auf Bauprojekte zu erforschen. 2. im Zuge dessen die Gemeinde resp. Bauverwaltung, die im aktuellen städtebaulichen Diskurs als Anti-Urbanitäts-Molekül (Diener et al. 2, Kap. 2.2.4) verstanden wird, zu repositionieren. 3. den Zusammenhang und die Wechselwirkung zwischen Verwaltung und Städtebau im Spiegel der administrativen Praxis herauszuarbeiten. 4. die Gemeindeforschung hin zu einer Gemeindewirkungsforschung zu erweitern, um nicht nur aufzuzeigen, was eine Gemeinde/Verwaltung ist, sondern vor allem um zu zeigen, wie diese wirkt. 5. einen Beitrag zur Erweiterung der ethnographischen gleichsam praxeologischen Perspektive der trans-sequentiellen Analyse zu leisten. Diese wird einerseits thematisch um das Thema der Wirkmacht von administrativen Prozessen erweitert, anderseits methodisch durch den Einsatz der Videokamera bereichert. Es gilt, Grundlagen für das Verständnis der administrativen Praktiken und der Arbeit am Bauprojekt zu schaffen und damit einen originären Beitrag in der sozial- und kulturwissenschaftlichen (Architektur-)Forschung zu leisten – insbesondere, weil diese Studie erstmals Einblicke in den administrativen Apparat von schweizer Bauverwaltungen gibt und den Zusammenhang zwischen Verwaltung und Städtebau aufzeigt. Dieser wurde bisher selten thematisiert und jüngst aus Perspektive des Städtebaus eher kritisch betrachtet (Kap. 2.2), da die Gemeinde/Bauverwaltung tendentiell als störende Einflussgröße auf die Entwicklung der Siedlungslandschaft begriffen wird. Dieser Tatbestand wird vor dem Hintergrund, eine qualitativ hochstehende Siedlungsentwicklung vorantreiben zu wollen, untersucht und repositioniert. Zudem treibt die Arbeit nicht nur den theoretischen und wissenschaftlichen Diskurs auf dem Gebiet der Architekturforschung voran, sondern auch die praxeologische Forschungshaltung der trans-sequentiellen Analyse (TSA). Diese bietet sich als Bindeglied zwischen etablierten Konzepten aus Organisationssoziologie/Verwaltungswissenschaften und der ethnographischen Untersuchung politischer oder administrativer Prozesse an. Mit ihr lassen sich Arbeitspraktiken institutioneller Settings adäquat erforschen, sodass der Architekturforschung eine Perspektive offeriert wird, welche die komplexen Voraussetzungen der institutionellen Teilnahme sowie die praktische Arbeit und Orientierung der Teilnehmenden (am Bauprojekt) ernst nimmt. Die TSA wird im Zuge dessen um die Dimension der Wirkmacht administrativer Prozesse und die Stärkung der materiellen Einflussgrößen in Theorie und

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Praxis erweitert. Dieserart wird es möglich, sowohl die kollektive administrative Arbeit am Bauprojekt offenzulegen, als auch die vielfältigen Übersetzungsleistungen und Veränderungen, denen Bauprojekte im Zuge des Prozesses ausgesetzt sind. Dadurch leistet die Arbeit Grundlagenforschung und trägt zu einem tief greifenden Verständnis einer bisher wenig beachteten, aber wesensimmanenten Dimension im Bereich der Siedlungsentwicklung bei: der Bauverwaltung und deren administrativen Praktiken. Im komplexen Netzwerk der Siedlungsentwicklung (Politik, Planung, Wirtschaft und Gesellschaft) bedeutet dies einen erheblichen Zugewinn an Wissen um administrative Prozesse und den Zusammenhang zwischen Verwaltung und Städtebau. Dieses Wissen liefert Erklärungen für das derzeitige Siedlungsgefüge und die fortschreitende Zersiedelung der Landschaft. Zugleich wird durch die in der Dissertation vollzogene Re-Positionierung der Gemeinde/Bauverwaltung weniger als störende Dimension, denn als relevante und aktive Einflussgrösse, eine Grundlage für die Umsetzung qualitativ hochstehender Siedlungsentwicklung geschaffen. 1.1.2 Forschungsfragen Im Zentrum der Dissertation stehen fünf Hauptfragen, die sich in vielfältige Neben- und Teilfragen auffächern. In ihrem Kern unterstützen sie die Hauptfragen und bereiten im Zuge der Analyse von administrativen Arbeitsprozessen den Weg zur Theoretisierung der administrativen Praktiken. Die ersten drei Hauptfragen beziehen sich auf die inhaltliche Dimension des Untersuchungsthemas. Die vierte Frage zielt auf die theoretische Ebene ab und die fünfte Frage schließlich auf die Methoden zur Untersuchung von Bauverwaltungen und deren administrativer Prozesse. Nachfolgend werden die fünf Forschungsfragen mit ihren Unterfragen zur Erreichung der Forschungsziele (siehe oben) aufgelistet: 1. Welche Methoden und Prozesse brauchen Bauverwaltungen, um Bauprojekte zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen? • Wie befördern die Mitarbeitenden der Bauverwaltung Bauprojekte durch die administrative Maschinerie? • Welche sozio-materiellen Infrastrukturen sind für die Arbeitsprozesse von Nöten bzw. welche architektonischen und materiellen Infrastrukturen rahmen bzw. resultieren aus der administrativen Praxis? Was geschieht an den unterschiedlichen Orten der Bauverwaltung?

28 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG • • •

• •

Welche Rolle spielt das gesetzlich normierte Bewilligungsverfahren, dessen Normen und Regeln im administrativen Alltag? Welche Eigenlogik liegt den administrativen Praktiken zu Grunde? Wie wird der Arbeitsalltag konkret gestaltet? In welchem Verhältnis stehen einzelne Arbeitsepisoden (Sitzungen, Sprechstunden, Büroarbeit) und der Bewilligungs-/Fertigungsprozess? Wie wird ein Fertigungsprozess angestoßen resp. beendet? Wie wird an Vergangenes angeknüpft und auf Künftiges verwiesen? Welchen Beitrag leisten die einzelnen Arbeitssessionen zur Beförderung eines Bauprojektes? Wie gestaltet und vollzieht sich die praktische Kooperation innerhalb und außerhalb der Verwaltung (etwa zwischen Bauverwaltung, Bauherrinnen/Bauherrn und Architektinnen/Architekten)?

2. Wie bzw. inwiefern werden Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert? • Wie wird ein Projekt in das Bauamt eingespeist? In welchem Zustand befindet es sich? In welchem Zustand verlässt es die Verwaltung? • Welche Teile des Netzwerks werden aktiviert? • Was wird jeweils am Bauprojekt befestigt? • Wie werden Dokumente, Pläne und sonstige visuelle und administrative Werkzeuge gebraucht? • Was wird jeweils wie am Bauprojekt befestigt (Argumente, Konzepte)? • Was bedeutet das Durchlaufen der administrativen Prozesse für die Bauprojekte (Bedingungen/Konsequenzen)? 3. Wie wirken die administrativen Praktiken auf Bauprojekte resp. die gebaute Umwelt und ist im Zuge der identifizierten Wirkmacht eine Re-Positionierung der Gemeinde angebracht? • Welche Wirkmacht fällt der Gemeinde/Bauverwaltung zu? Welche wird ihr zugeschrieben? Wie äußert sich diese in der administrativen Praxis? Welche Auswirkung hat die Wirkmacht und mit ihr die administrative Praxis auf die Siedlungslandschaft? • Welches Rollenverständnis von Gemeinde resp. Bauverwaltung ist im derzeitigen städtebaulichen Diskurs verankert? Inwiefern wird die Gemeinde/Bauverwaltung im städtebaulichen Diskurs als aktive Einflussgröße wahrgenommen? Ist eine Re-Positionierung angebracht? • Inwiefern wird während der administrativen Arbeit auf den materiellen Kontext und die städtebauliche Situation Bezug genommen?

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Wie muss die Gemeinde/Bauverwaltung verstanden werden, um eine qualitativ hochstehende Siedlungsentwicklung zu befördern? Sollte sie im städtebaulichen Diskurs repositioniert werden (Aufgaben, Ziele, Handlungen)?

4. Greifen die Konzepte von Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie zu kurz, um die Wirkmacht und Eigenlogik der administrativen Praktiken auf Bauprojekte zu untersuchen? • Wie müssen die Konzepte von Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie erweitert werden, um die Eigenlogik und Wirkmacht von Bauverwaltung zu untersuchen? • Welche Implikationen ergeben sich für die etablierten Konzepte der Untersuchung von Bauverwaltungen durch den erweiternden Einbezug einer ethnographischen Perspektive? • Kann die ethnographische Perspektive der trans-sequentiellen Analyse (TSA) mit ihrem besonderen Fokus auf Ereignis-Prozess-Relationen als Bindeglied zwischen den etablierten Konzepten sowie als deren Erweiterung zur Untersuchung der Wirkmacht von administrativen Prozessen die theoretische Lücke schließen? • Welche Konsequenzen ergeben sich für die TSA aus deren Anwendung zur Untersuchung administrativer Prozesse von Bauverwaltungen? Inwiefern wird im Lichte der Stärkung der materiellen Dimension bei der ethnographischen Erforschung der Bauverwaltung das methodische Spektrum der TSA erweitert? 5. Welche methodischen Herangehensweisen sind vor dem Hintergrund der ethnographischen Perspektive der trans-sequentiellen Analyse (TSA) angebracht, um den Gegenstand der Bauverwaltung und deren Wirkmacht adäquat zu untersuchen? • Wie wird der Feldzugang zum institutionellen Setting der Bauverwaltung hergestellt? Welche Besonderheiten sind zu beachten (Kontaktpersonen, ethische Richtlinien)? • Wie lassen sich die administrativen Methoden und Prozesse sowie deren Eigenlogik und Wirkmacht auf Bauprojekte hinreichend beobachten und dokumentieren? Welche methodischen Werkzeuge sind zur ethnographischen Erforschung der administrativen Prozesse zu wählen? • Wie kann die Methode der teilnehmenden Beobachtung im Feld der Bauverwaltung gewinnbringend eingesetzt werden? Wie wird die eigene

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Rolle während der teilnehmenden Beobachtung in der Bauverwaltung definiert, gestaltet und reflektiert? Wie kann die Methode der Begleitung (shadowing) von Schlüsselpersonen (Hochbauleitern, Bauverwalterinnen und -verwaltern und Sachbearbeitenden) im Forschungsalltag umgesetzt werden? Wie kann der methodische Einsatz der Videokamera, um Schlüsselsitzungen der Bauverwaltung aufzunehmen, eingesetzt werden? Welchen Mehrwert bringt der Einsatz der Videokamera? Welche methodischen Implikationen beim Gebrauch der Videokamera im institutionellen Setting der Bauverwaltung sind zu beachten?

1.2 F ORSCHUNGSDESIGN Vor dem Hintergrund der ethnographischen Forschungsperspektive, die ein Bündel von Forschungsstrategien bereithält und unterschiedliche empirische Zugänge zur Erfassung der sozialen, kulturellen (und institutionellen) Wirklichkeit kennt (Krotz 2005), steht im folgenden Kapitel das Forschungsdesign im Zentrum. Das Kapitel gliedert sich wie folgt: Zunächst stehen der Feldzugang und die Fallauswahl im Fokus (Kap. 1.2.1). Im dritten Hauptkapitel der Studie (Kap. 3) liefert dann die detaillierte Beschreibung der drei Untersuchungsgemeinden und deren Bauverwaltungen eine wichtige Grundlage der empirischen Analyseleistungen. Doch zunächst komme ich im Anschluss der Offenlegung der Fallauswahl auf die Erhebungsmethoden und das gewonnene Datenmaterial (Kap. 1.2.2) sowie auf dessen Auswertung und Verdichtung in Form von Vignetten zu sprechen (Kap. 1.2.3). Daran schließt sich ein Methodenkapitel an, in dem ich den Einsatz der Videokamera aus meinem methodischen Spektrum heraus greife, um dieses – für die institutionelle Ethnographie relativ ungewöhnliche Vorgehen – intensiv zu diskutieren und in das Forschungsdesign meiner Arbeit einzuordnen (Kap. 1.3). 1.2.1 Feldzugang und Fallauswahl Die Zielgruppe der vorliegenden Untersuchung ist das Vollzugsorgan politischer Gemeinden genauer der spezifische Verwaltungsapparat von Bauverwaltungen (zum Forschungsgegenstand der Gemeinde siehe Kap. 2.1). Dies weil sich die zentrale Fragestellung der Arbeit mit den Methoden und Prozessen kommunaler Bauverwaltungen in der Schweiz beschäftigt, wobei ich auf die alltäglichen Arbeitsvollzüge ebenso wie auf herausragende Ereignisse abstelle, um in verdichteten Miniaturen/Vignetten und Videostills die aktive Rolle der Gemeindeverwal-

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tung aufzuzeigen. Dabei ermöglichte mir, in Anlehnung an die Workplace Studies (Luff et al. 2000), das Eintauchen in die Arbeitsprozesse der Bauverwaltungen und die vermeintliche Mitgliedschaft der teilnehmenden Beobachtungen, die Beschreibung der untersuchten Verwaltungsprozesse (siehe unten). Zu Beginn der Untersuchung stellte der Einstieg in das Feld der Bauverwaltungen insbesondere aus zwei Gründen eine Herausforderung dar. Erstens, weil bei Untersuchungen in Institutionen die Rolle der Forschenden und der Zugang zum Feld komplizierter ist, als zu einem vergleichsweise offenen Setting. Denn an der Regelung des Zuganges sind gewöhnlich verschiedene Ebenen beteiligt (Flick 2011:145): die Ebene derjenigen, die verantwortlich sind – im vorliegenden Fall der Gemeindepräsident bzw. der Gemeinderat und diejenigen, die befragt und beobachtet werden –, die Mitarbeitenden der Bauverwaltung. Als Forschende ist es entscheidend, die Rolle im Feld und die Einordnung in Verwaltungsroutinen mit den Praktikern auf allen Ebenen (hier mit den politisch verantwortlichen der Gemeinde und den Mitarbeitenden der Bauverwaltung) auszuhandeln und zu routinisieren (vgl. ebd.:146). 1 Der Sozialwissenschaftler Uwe Flick führt in diesem Zusammenhang aus:

1

Der Sozialwissenschaftler Stefan Wolff fasste die Probleme des Einstiegs in das Forschungsfeld von Institutionen folgendermaßen zusammen: »1. Forschung stellt eine Intervention in ein soziales System dar. 2. Forschung ist für das zu beforschende soziale System ein Störfaktor, auf den mit Abwehr reagiert wird. 3. Es existiert eine wechselseitige Intransparenz zwischen dem Forschungsprojekt und dem zu beforschenden sozialen System. 4. Der Austausch einer Fülle von Informationen beim Einstieg in das Untersuchungsfeld verringert nicht die Intransparenz, sondern führt zu erhöhter Komplexität im Verständigungsprozess und kann zu vermehrten führen. Auf beiden Seiten werden Mythen produziert, die durch vermehrten Informationsaustausch noch werden. 5. Statt wechselseitigem Verstehen zum Zeitpunkt des Einstiegs ist eine Verständigung als Prozess anzustreben. 6. Datenschutz ist notwendig, kann aber auch zu erhöhter Komplexität im Verständigungsprozess beitragen. 7. Das Feld entdeckt sich selbst beim Einstieg eines Forschungsprojektes in das Feld; z.B. werden die Grenzen eines sozialen Systems wahrgenommen. 8. Das Forschungsprojekt kann dem sozialen System nichts bieten. Es kann höchstens funktional sein. Forscher sollten sich hüten, Versprechungen über den Nutzen der Forschung für das soziale System zu machen.

32 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG »Das heißt, die Aushandlung des Zugangs zu Institutionen ist weniger ein Informationsproblem als die Herstellung einer Beziehung, in der so viel Vertrauen in die Person der Forscher und ihrer Anliegen entsteht, dass sich die Institution – trotz allem, was dagegen sprechen könnte – auf die Forschung einlässt.« (Ebd.:147)

Neben den spezifischen Anforderungen eines institutionellen Settings, welches sich durch eine Logik der Regularien auszeichnet und entsprechende Sensibilisierungen voraussetzt, war ich zu Beginn der ethnographischen Studie im eigenen europäischen und deutschsprachigen Kulturkreis weniger mit der Herausforderung der »Befremdung der eigenen Kultur« (Hirschauer & Aman 1997) konfrontiert, als das ich mir ein Grundverständnis der unterschiedlichen Dialekte des Schweizerdeutsch aneignen musste, um in der jeweiligen Forschungsregion zu bestehen.2 Eine Besonderheit der Herstellung des Feldzugangs liegt in der Tatsache begründet, dass dieser von einer interdisziplinären Doktorandengruppe vollzogen wurde; bestehend aus einem Politikwissenschaftler, einem Geograph und mir als Sozialwissenschaftlerin.3 Die zwei männlichen Kollegen, beides Schweizer, sind – im Gegensatz zu mir als Ausländerin – bestens mit den schweizerischen Gepflogenheit und vor allem der schweizer Mundart vertraut. Folglich brachte jeder und jede eine jeweils unterschiedliche Perspektive mit ein. Diese Konstellation war dem Feldzugang äußerst zuträglich: Einerseits ermöglichte sie eine unkompliziertere und entspanntere Kommunikation vor Ort, andererseits wurde vermeintlich Alltägliches hinterfragt und diskutiert – beides führte schlussendlich

9. Das soziale System hat keine wirklichen Gründe für eine Ablehnung« (zitiert nach Flick 2011:146). Bereits in einem älteren Artikel von 1983: »Der Einstieg in das Untersuchungsfeld als soziologischer Lernprozess,« ging Stefan Wolff gemeinsam mit dem Soziologen Thomas Laue den Herausforderungen des Einstiegs in die Feldforschung und damit der Herstellung des Feldzugangs in Verwaltungen nach. 2

In Visp: Walliser Dialekt, in St. Margrethen: St. Galler Dialekt und in Wetzikon: Zürcher Oberland Dialekt. Empfehlenswert zum Sprach- und Kulturverhältnis zu Deutschland und der Schweiz ist die Ausgabe der Publikationsreihe Tintenfass: »Wann tritt Europa der Schweiz bei?« Eine Sammlung an literarischen, polemischen und wissenschaftlichen Texten zum Verhältnis der beiden Länder.

3

Im Rahmen des Teilprojektes Urbane Brüche/Lokale Interventionen. Perspektiven einer suburbanen Planung des Nationalen Forschungsprogramms NFP 65 Neue Urbane Qualitäten entstanden drei disziplinäre Dissertationen (inklusive der vorliegenden), die im interdisziplinären Austausch Prozessfragen und Konstellationen im Städtebau aufdeckten (siehe auch Kap. 2.2).

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zu einer klareren Sichtweise auf das Feld und den jeweiligen Untersuchungsgegenstand. Im Zuge der systematischen Auswahl der Fallstudien (siehe Flick 2011:177f.) besuchten wir über einen Zeitraum von drei Monaten neun schweizer Gemeinden. Ausschlaggebend für die Fallauswahl waren sogenannte urbane Brüche, die sich wie folgt charakterisieren lassen: Urbane Brüche entstehen einerseits infolge großer Infrastrukturprojektee anderseits im Zuge von Industriebranchen, wobei beide eingespielte Planungsroutinen durchbrechen und nach neuen Strategien innerhalb der Gemeinden verlangen (zur Vertiefung siehe Van Wezemael et al. 2014). Vor dem Hintergrund dessen wurden vier urbane Brüche mit jeweils zwei Gemeinden ausgewählt: 1. 2. 3. 4.

Visp & Naters (Bruch: Lötschberg-Basis Tunnel) Uster & Wetzikon (Bruch: S-Bahn S5/15, Verdichtung der Fahrplantakte) Affoltern a. A. & Hedingen (Bruch: Üetliberg-Straßentunnel) Arbon, Rorschach & St. Margrethen (Bruch: Deindustrialisierung)

Abb. 2: Übersicht Fallgemeinden, Schlussbericht (Van Wezemael et al. 2014:30).

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Jene explorative Phase (Beer 2008) der Sondierung der Fallstudien führte meinerseits zur Auswahl von drei Untersuchungsgemeinden für die eigene Datenerhebung4: Visp, Wetzikon und St. Margrethen. Das Kriterium des urbanen Bruches und die geographische Lage waren ebenso bedeutende Aspekte zur Fallauswahl wie die sozioökonomischen Bedingungen und die Organisationsstrukturen der jeweiligen Gemeinden. Leitmotiv bei der Auswahl war es, möglichst Gemeinden auswählen, die einen Querschnitt durch die deutschsprachige Schweiz bieten. Einerseits um eine möglichst hohe Varianz der Planungskulturen und Handlungsvollzüge abzudecken, andererseits weil die gemeinsame Sprachregion eine gute Vergleichbarkeit erwarten ließ. Neben diesen inhaltlichen Kriterien, waren insbesondere zwei methodische Aspekte bedeutsam: Erstens, war die Bereitschaft der drei Gemeinden zur Durchführung ethnographischer Studien gegeben. Zweitens, erreichte ich mit der Auswahl von drei Gemeinden einen Sättigungsgrad des Sampels. Diese Beschränkung ermöglichte mir eine möglichst hohe Bearbeitungstiefe und gewährleistete zugleich eine angemessene ethnographische Forschung (Flick 2011).

4

Im interdisziplinären Zusammenspiel des NFP-Projektes wurden neun Gemeinden nach dem Prinzip der Chinese Boxes eingehend untersucht. Dies bedeutete, dass gemäß der methodischen Ausrichtung der beteiligten Disziplinen (Politikwissenschaften [Fokus: Politik] bearbeitet neun Gemeinden, Geographie [Fokus: Planung] fünf Gemeinden und Ethnographie [Fokus: Administration] drei Gemeinden) unterschiedliche Bearbeitungstiefen angestrebt wurden, die sich nach dem Prinzip der Chinese Boxes wechselseitig ergänzten. Statt mit einer linearen Perspektive operierten wir mit einer relationalen Betrachtungsweise der unterschiedlichen Perspektiven der disziplinären Zugänge zum Untersuchungsgegenstand (Van Wezemael et al. 2014).

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Tabelle 1: Übersicht Fallauswahl, eigene Darstellung.

ÜBERSICHT FALLAUSWAHL Lage

Bruch

sozioökonomische Bedingungen

Visp

Kanton Wallis, Westschweiz

Lötschberg-Basis Tunnel => Wachstumsdruck

Einfluss der Metropolregion Bern; Zentrum des Oberwallis; Phänomen der Berg-/ Talwanderung

Wetzikon

Kanton Zürich, Mittelland

S-Bahn S5/15, Verdichtung der Fahrplantakte => Wachstumsdruck

Einfluss der Metropolregion Zürich; Abgrenzung & Ausrichtung als Zentrum des Zürcher Oberlandes

St. Margrethen

Kanton St. Gallen, Ostschweiz

Deindustrialisierung => Schrumpfungsdruck

Randlage, Grenzregion im Dreiländereck CH, D, A

1.2.2 Erhebungsmethoden und Datenmaterial »In its most characteristic form […] the ethnographer participating, overtly or covertly, in people’s daily lives for an extended period of time, watching what happens, listening to what is said, asking questions – in fact, collecting whatever data are available to throw light on the issue that are the focus of the research.« (HAMMERSLEY & ATKINSON 1995:1)

Die Erhebungsmethoden und die Sammlung des Datenmaterials der Dissertation sind unter dem Fokus der generellen Strategie der Ethnographie entstanden. Denn die Blaupause der forschungsleitenden Annahme einer (institutionellen) Ethnographie, die »Praxis immer auch [als] Kontingenzraum (versteht), in der Körper, Materialien, Interessen, Ideen ihre soziale Wirksamkeit erst noch erlan-

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gen – oder eben nicht« (Scheffer 2010:141), erfordert eine Forschungshaltung, die die Methoden konsequent an der Praxis des zu beobachtenden Feldes ausrichtet. Zugleich wird deutlich, dass der Fokus nicht allein auf Texten oder Sprechakten liegt, sondern dass dem nichtlinguistischen Bereich des Sozialen, sprich der situativen Praxis, den zuweilen stummen und körperlichen Vollzügen, ebenso wie den gegenständlichen Artefakten, Dingen, Architekturen, d.h. der sozio-materiellen Infrastrukturen und Rahmungen deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als dies in Befragungsverfahren möglich wäre (vgl. Kap. 1.3). Letztere zielen auf eine Erschließung sozialer Phänomene durch innere Handlungsmotive der Beteiligten ab (vgl. Schmidt 2012:13f.). Tabelle 2: Erhebungsphasen der Feldforschung,5 eigene Darstellung. 2011 I

II

III

2012 IV

I

IV

III

2013 IV

I

II

III IV

Explorative Phase Visp Wetzikon St. Margrethen

Die zentrale Methode der vorliegenden Dissertation ist deshalb die der teilnehmenden Beobachtung (siehe Beer 2008), da sich mit ihr die alltägliche Praxis der Bauverwaltung in situ erfassen lässt – sie ermöglicht zugleich eine (qualitative) Erschließung eines Feldes, das bisher wenig untersucht wurde (siehe Kap. 1.3). Die Studie ist im Lichte dessen als ein exploratives Projekt zu charakterisieren, dessen Beitrag in der ethnographischen Erschließung des Feldes der Bauverwaltungen in der Schweiz liegt sowie Erkenntnisse zu deren Methoden und Prozessen der Bewilligungspraxis bereitstellt. Der teilnehmenden Beobachtung ging eine explorative Phase der Kontaktaufnahme und der Feldsondierung in neun schweizer Gemeinden voraus (siehe

5

Rauten zeigen die Zeitpunkte der Videodatenerhebung an, siehe genauer Kap. 2.4.

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oben, Tabelle 2). Während eines Zeitraum von zehneinhalb Monaten (Januar– November 2011) zu Beginn der Dissertation sondierte ich im interdisziplinären Team6 und allein die neun Fallgemeinden. Ich besuchte wiederholt die verschiedenen Gemeinden und führte leitfadengestützte Experteninterviews (Flick 2011) zum Ablauf des Baubewilligungsverfahrens mit den Hochbauleitern und Bauverwaltern durch sowie mit Architektinnen, Architekten und Raumplanern. Diese erste theoretische und analytische Aufarbeitung der Bewilligungsverfahren ermöglichte mir dreierlei: Erstens, erste vertiefende Einblicke in die Arbeitsweise der Gemeindeverwaltung. Zweitens, erlangte ich unabdingbares Wissen für die teilnehmende Beobachtung, da das Verfahren ein unerlässliches ist, welches jedes Bauprojekt vor der Realisierung durchlaufen muss. Drittens ermöglichte mir dieser Schritt die Reflexion und Modifikation meines Forschungsdesigns. Auch die ethnischen Vorkehrungen konnte ich in dieser Phase testen und verfeinern. Generell orientieren sie sich an den ethischen Forschungsrichtlinien der ETH Zürich.7 Die Anonymität der Teilnehmenden bleibt weitestgehend gewahrt. Gleichwohl bei den verwendeten Videostills auf eine Verfremdung der Gesichter verzichtet werden konnte (im Einvernehmen mit den Abgebildeten), wird von einer vollständigen Offenlegung der Identität abgesehen. Einzig die Berufsbezeichnung wird, soweit erforderlich oder aus den Daten ersichtlich, in der Analyse der Studie angegeben. Die Teilnehmenden erhielten im Zuge der Studie jeweils einen detaillierten Projektbeschrieb, in dem über die Teilnahme und die mögliche Verwendung des Datenmaterials sowie deren Archivierung nach Projektabschluss informiert wurde. Zudem wurde das Einverständnis zur Verwendung des gesammelten Datenmaterials und insbesondere der Audio- und Videoaufnahmen abgefragt (siehe Anhang). Die Teilnehmenden konnten für die jeweiligen Verwendungszwecke (Publikationen, Lehre, Vorträge, Konferenzen, Verwendung der Daten von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern) individuell ihr Einverständnis gewähren oder verweigern. Im Zuge der explorativen Phase wählte ich die drei Untersuchungsgemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen aus, die ich in einer detaillierten ethnographischen Untersuchung zu begleiten gedachte (zur Begründung der Fallauswahl siehe Kap. 1.2.1 zur Darstellung der Fälle siehe Kap. 3) In Visp im Ober-

6

Zu den Herausforderungen der interdisziplinären Projekt- und Teamarbeit siehe Keck 2008. Sie beleuchtet verschiedene Formen forschungspraktischer Partnerschaft und Gruppenarbeit.

7

Siehe das pdf-Dokument: »Richtlinien für Integrität in der Forschung und gute wissenschaftliche Praxis an der ETH Zürich« 201, online unter 1 https://www.share. ethz.ch/sites/rechtssammlung/default.aspx.

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wallis führte ich im Mai/Juni 2011 eine Pilotstudie durch, um mein methodisches Spektrum mit den praktischen Bedingungen und den Praktikerinnen und Praktikern vor Ort abzustimmen und zu testen. Hier fand eine erste tief greifende Erkundung der Arbeitswelt der Bauverwaltung und die Abstimmung der Methoden mit der Praxis statt. Ich entschied mich, unterschiedliche Akteure der Bauverwaltung (Hochbauleiter, sowie Bauverwalterinnen und Bauverwalter) in ihrem Arbeitsalltag zu begleiten. Dieses Vorhaben ermöglichte mir, im Sinne des »shadowings« (siehe Czarniawska 2007, Jiron 2011), deren Arbeitspraktiken in situ zu beobachten, Sinnstrukturen offenzulegen und die Komplexität der verbalen und non-verbalen Arbeitsvollzüge und Zusammenhänge zu begreifen (Luff et al. 2000). Ich beobachtete die tägliche Büroarbeit, nahm an zahlreichen Sitzungen (Baukommissionssitzungen, Sondersitzungen, Stadtbildkommissionssitzungen, Kadersitzungen, Briefings, interne Meetings und Konferenzen) teil, an Mittags- und Kaffeepausen oder begleitete die Akteure zu Außenterminen (Ortsbegehungen, Treffen bei Investoren, Einweihungen, Baukontrollen). Diesen zentralen Fokus bereicherte ich, immer wenn dies zusätzliche Erkenntnisse versprach, durch Interviews (mit professionellen Akteuren wie Architekten oder auch im Nachgang eines beobachtenden Arbeitsprozesses mit teilnehmenden Akteurinnen und Akteuren) und der Methode der Dokumentenanalyse. Auf der Blaupause der theoretischen Ausrichtung auf praktische Arbeitsvollzüge und institutionelle Prozesse (vgl. Kap. 4.2) erlaubte mir diese Vorgehensweise die Konzentration auf: a) den Gebrauch von Dokumenten, Plänen und sonstigen visuellen Werkzeugen, b) auf die praktischen Umstände der Kooperation (etwa zwischen Bauverwal-

tung, Bauherren und Architekten) und c) die Bewältigung des Arbeitsalltages, sprich die Lösung von Problemen (wie

Anpassung des Bauprojektes an die Auflagen der Baubewilligung) sowie auf das Verhältnis zwischen Ereignis (Sitzungen, Sprechstunden, Büroarbeit) und Prozess (Baubewilligungsverfahren). Zweieinhalb Jahre erforschte ich im Zuge der ethnographischen Forschung die Bauverwaltungen der drei Untersuchungsgemeinden (siehe Tabelle 2).8 Im Sinne des ethnographischen Diktums des Nachordnens der Methoden an die Praxis (Flick 2011:298), setzte ich in der Phase der Datenerhebung punktuell eine Videokamera ein (siehe ausführlich Kap. 1.3). Im Zuge dessen nahm ich wichtige

8

Während Wetzikon in Pendlerdistanz zu meiner Wohnung in Zürich lag, bezog ich in Visp und St. Margrethen jeweils vor Ort für die Dauer der Forschung eine Unterkunft.

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Ereignisse der Alltagspraxis von Bauverwaltungen auf: vornehmlich Sonderund Stadtbildkommissionssitzungen (hier finden Diskussion um die Bauprojekte statt) und Baukommissionssitzungen (hier werden Entscheidungen endgültig am Bauprojekt befestigt). Auf diese Weise entstanden neben den vorgefunden Dokumenten besonders zwei Datensorten: Prozessdaten (Feldnotizen) und Ereignisdaten (Videoaufnahmen, Feldnotizen). Generell ordnete ich die Sammlung der (ethnographischen) Daten der Fragestellung und den Gegebenheiten im Feld unter. Dies um einer zu starken Fragmentierung und Diversifizierung entgegen zu wirken (vgl. Amann & Hirschauer 1997). Zusammenfassend liegt der vorliegenden Arbeit ein vielfältiger Datenkorpus vor: • •

• •



9

zehn Prozessskizzen der interviewten Akteure (Hochbauleiter, Architektinnen und Architekten, Raumplaner) Dokumente aus dem Feld: Pläne, Regelwerke (SIA Normen, Baugesetze, Planungsverordnungen), Berichte, administrative Produkte und Korrespondenzen (Baubewilligungen, Hindernisbriefe, E-Mail-Korrespondenzen, Webseiten, Einladungen zu Sitzungen etc.), Fortbildungsunterlagen für/von Bauverwaltungsmitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Notizen und Arbeitshilfsmittel der Mitarbeitenden (wie Verlaufsschemata, Protokolle), statistische Daten (Anzahl der Baubewilligungen und Baueingaben) Dokumentation der drei Designstudios9 und der Ortsbegehung eines Bauamtes.10 Interviewprotokolle und Gedächtnisprotokolle von informellen und leitfadengestützten Experteninterviews (inklusive Angaben zur Dauer, Ort, dem Zustandekommen des Gespräches, Bemerkungen zum Gesprächsverlauf sowie zum informellen Austausch) Mitschriften von Baukommissionssitzungen, Sondersitzungen, Kadersitzungen, internen Sitzungen

Im Zuge des übergeordneten Forschungsprojekts führten wir drei Designstudios in den Untersuchungsgemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen sowie in deren Regionen durch. Diese Studios wurden im Zusammenspiel mit lokalen Akteuren (vorwiegend Politiker und Verwaltungsmitarbeiter) und eingeladenen Experten des Städtebaus durchgeführt, um ebenso theoretische Ausführungen zur Ontologie von Infrastrukturen aufzudecken wie unterschiedliche Perspektiven des Städtebaus sichtbar zu machen.

10 Zur Analyse der Verwaltungsbauten organisierte ich im Mai 2012 eine Begehung mit einer Expertin für Verwaltungsbauten, um eine Expertensicht auf die Gebäude zu erhalten und meine Erfahrungen mit einem architektur(theoretischen) Kontext anzureichern.

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Feldnotizen 11 der ethnographischen Forschung (aus den Phasen: Vorbereitung, explorative Phase, problemorientierte Phase, Datenbearbeitung, Auswertung, Feedbacks) in den drei Gemeinden. Drei Ebenen der Notizen: 12 − Logbuch der Untersuchung selbst (Vorgehensweise): Niederschrift der Eindrücke aus den Feldkontakten und Interviews; Reaktionen anderer auf die Untersuchung, eigene Reaktionen auf das Feld (Fremdheitserfahrungen), Vorgehensweise (welche Personen habe ich wann getroffen, welchen Arbeitssituationen beigewohnt); kondensierte Darstellungen in Stichworten, Sätzen, Zitaten, Gesprächen usw. − Logbuch zur Sammlung von Informationen (wie Inventarlisten, Arbeitsabläufe, Organisation, Routinen oder Besonderheiten) über den Untersuchungsgegenstand: Informationen in chronologischer Ordnung und nach Untersuchungsfällen geordnet − Logbuch für Schreibversuche aus dem Stehgreif: kleine Analysetexte, Ideen, Gliederungspunkte, Metaphern, theoretische und methodische Reflexionen13 etc. Fünf Videomitschnitte von Baukommissions-, Stadtbildkommissions- und Sondersitzungen sowie deren Transkription (siehe genauer Kap. 3.4)

1.2.3 Auswertung des Datenmaterials »As Garfinkel has taught us: It’s practice all the way down (Latour 2005:135).«

Die Auswertung des vielfältigen Datenmaterials orientiert sich an der analytischen Perspektive der trans-sequentiellen Analyse (TSA), welche Sequenz- und Prozessanalysen miteinander kombiniert (Scheffer 2008, Kap. 2.4). Taktgeber bei der Auswertung sind die Arbeitsprozesse und Methoden der Akteure der

11 Die systematische Anlegung der Feldnotizen entstand in Anlehnung an den Soziologen Bruno Latour. Er verdeutlicht, dass über alle Schritte des Forschens Buch geführt werden sollte. Denn im Forschungsprozess wird gleichsam »alles zu Daten: Angefangen beim ersten Telefonanruf bei einem möglichen Interviewpartner, dem ersten Termin mit dem Betreuer […], der ersten Liste der Frage eines Fragebogens […] (Latour 2005:232).« Er empfiehlt das Anlegen von unterschiedlichen Notiz-/Logbüchern. 12 Logbücher sind Notizbücher. Sie umfassen: Buch, Text, digitale Dateien, Filme oder Webseiten etc. 13 Latour schlägt das Anlegen eines vierten Logbuches zum Festhalten der Auswirkungen des schriftlichen Berichts resp. der Disseration auf die Akteure vor.

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Bauverwaltungen, sodass sich die Feldnotizen und Videomitschnitte als einzelne Arbeitsepisoden präsentieren, die sich entlang des Arbeitsbetriebes der Bauverwaltung ordnen lassen. Bei der Ordnung und Systematisierung der Feldnotizen stellt aber nicht der Arbeitsprozess an sich das entscheidende Kriterium dar, sondern die fortwährende Arbeit am Bauprojekt, die den Alltag der Praktikerinnen und Praktiker vor Ort mitbestimmt, aber nicht in Gänze determiniert. Vice versa werden organisatorisch festgelegte Ereignisse rhythmisch in den verwaltungspraktischen Alltag der Bauverwaltungen eingeschaltet. Bei der Auswertung und Kategorisierung der Daten orientierte ich mich auch im Sinne der Workplace Studies an den beobachteten Methoden und Prozessen des Untersuchungsfeldes (Garfinkel 1986).14 Daneben wird im institutionellen und städtebaulichen Kontext intensiv mit verschiedenen schriftlichen Dokumenten und visuellen Werkzeugen gearbeitet. Mittels der Dokumentenanalyse (und Videoanalyse siehe Kap. 1.3) erschloss ich das Material, welches nicht erst von einer Forscherin oder einem Forscher durch den Prozess der Datenerhebung gewonnen wird (Primär- und Sekundärdaten), sondern bereits vorhanden ist. Die Dokumente (Baubewilligungen, Arbeitsaufzeichnungen oder Notizen als Hilfsmittel der Mitarbeitenden, Homepage der Bauverwaltung, gesetzliche Bestimmungen, visuelle Werkzeuge…) dienen den Akteuren als Sachverhalte und Werkzeuge für Entscheidungsprozesse und stellen zugleich eine eigene Datenebene dar. Die Erforschung und Auswertung des methodischen Instrumentariums oder der (strukturellen) Probleme, mit denen sich die Akteure der Bauverwaltung und Projektverfasser im Rahmen des Umsetzungsprozesses auseinanderzusetzen haben, gehen im empirischen Analyseteil auf (Kap. 5-8). Jene systematische Auswertung mündete in einer dichten Beschreibung (Geertz 1983, Krootz 2005) der beobachteten Arbeitspraktiken und der Entwicklung von Vignetten. Dies sind kleine, konzentrierte und in sich abgeschlossene Beschreibungen einer Situation, die auf der Rekonstruktion der Feldnotizen basieren (siehe Söderström 2000). Die Vignetten sind dabei weder Transkriptionen etwa von Interviews noch bloße Illustrationen von Fakten. Sie müssen als tief greifende, verdichtete Zusammenfassung der Beobachtungen gelesen werden, deren Konstruktion als Teil des Forschungsprozesses auch die eigene Interpretation in the making widerspiegelt (Silberberger 2011). Ich nehme dabei auch die Überlegungen des Soziologen Stefan Hirschauer auf, der zur Methodologie ethnographischer Beschreibung folgendes anmerkt: »Im ethnographischen Schreiben wird etwas zur Sprache gebracht, das vorher nicht Sprache war.«

14 »In contrast to the abstract structures of normative organizational reasoning, these structures are real world structures.« (Crabtree 2001)

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(2001:430) Im Lichte dessen gebe ich den Anspruch der Objektivität zu Gunsten einer dichten Beschreibung und Interpretation der Arbeitsepisoden auf, die im Zuge der empirischen Tiefenbohrungen einen handhabbaren Szenenbeschrieb zur umfassenden Analyse der Bauverwaltungen darstellt und einen wesentlichen Schritt zur Theoretisierung administrativer Praxis beinhaltet. Die eigene Rolle und Position lege ich im Zuge der Vignetten offen, um die Transparenz der durchgeführten Ethnographie zu fördern. Anstelle eines fortwährenden Vergleichens zwischen den Gemeinden wird (auch im Sinne einer explorativen Studie) dieser immer dann vollzogen, wenn Unterschiede offenkundig wurden oder wenn Arbeitsvollzüge aus anderen Gemeinden miteinbezogen werden, um das Spektrum der Arbeitspraktiken aufzuzeigen. Die vielfältigen Dokumente und Materialien: Prozessskizzen der Akteure, Interviewprotokoll, Mitschriften oder Gedächtnisprotokolle rahmen und ergänzen die Analyse der Arbeitsprozesse durch Kontextualisierungen, Vervollständigung oder Illustrationen der gewonnen Erkenntnisse. Den Ausführungen entsprechend verfolge ich eine induktive Analysemethode und lerne bei der Auswertung der Daten von den Mitarbeitenden der Gemeindeadministration, um zu verstehen wie normative Regeln, Standards oder Pläne die administrative Arbeit beeinflussen und mitunter das Design von Gebäuden und die Siedlungslandschaft beeinflussen. In den beiden empirischen Hauptkapiteln Acht (Beurteilung: Stadtbildkommissionssitzung) und Neun (Entscheidung: Baukommissionssitzung) findet eine weitere Anreicherung der dichten Beschreibung statt. Hier kommt die zweite große Datensorte der Videodaten zum Tragen, die neben der textbasierten Datenebene, die der Visuellen, des Non-Verbalen zur Analyse der Arbeitspraktiken hinzufügt (vertiefend zur Methodologie und Analysepraxis siehe Kap. 1.3).

1.3 E INSATZ VON V IDEO IN DER EMPIRISCHEN

F ORSCHUNG »The use of video is becoming a widespread practice within the social sciences interested in real-time production of social life […].« (Mondada 2005:51)

Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit dem Einsatz von Video in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Dieser zweite, methodisch fundierte Teil ist im Vergleich zum verwendeten Videomaterial ausführlicher gehalten,

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einerseits weil das Medium im Feld der institutionellen Ethnographie bisher selten verwendet wurde, andererseits um aufzuzeigen, weshalb den Videodaten relativ wenig Platz in der vorliegenden Arbeit eingeräumt wurden. Deshalb werde ich zunächst eine kurze Literaturübersicht zum Thema geben, mich mit den methodischen Implikationen beschäftigen und sodann das eigene Vorgehen beleuchten und dabei auf die Chancen und Herausforderungen bei der Arbeit mit Video zu sprechen kommen. Der Einsatz von Video wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung zunehmend attraktiver. Einerseits auf Grund der technischen Entwicklungen der Videogeräte und des technischen Zubehörs, die einen unkomplizierten und kostengünstigen Einsatz im Feld ermöglichen. Andererseits bezüglich des seit Harold Garfinkel15 wachsenden Interesses der Sozialwissenschaften an den alltäglichen Lebenswelten und den selbstverständlich erscheinenden Handlungen und Interaktionen von Individuen. Vor dem Hintergrund dessen empfahl der Soziologe Harvey Sacks in den frühen 1960er Jahren den Einsatz von Aufnahmegeräten in der empirischen Forschung, um Alltagsaktivitäten zu dokumentieren. Wo Harvey Sacks noch mit Tonbandgeräten zur Audioaufnahme arbeitete, nutzten die Kulturanthropologie und die Ethnologie bereits seit längerem den Einsatz der Videokamera, wenn auch aus einem anderen Interesse heraus (vgl. Heath 1997) – es galt hier vielmehr, die im Verschwinden begriffenen kulturellen Praktiken indigener Völker auf Videoband festzuhalten.16 Ab den 1980er Jahren entstanden die ersten sozialwissenschaftlichen Analysen, die ausschließlich auf Videoaufzeichnungen basierten: Der Soziologe Charles Goodwin, der die Rolle des Blickes bei Konversationen untersuchte (1979, 2001) gehört zu diesen Pionieren, ebenso wie Christian Heath, welcher die Gespräche zwischen Arzt und Patient festhielt (1986). Besonders die Studien, welche im Umfeld der Workplace Studies entstanden, wählten den Einsatz von Video, um Arbeitspraktiken in situ

15 Harold Garfinkel gilt als Begründer der Ethnomethodologie. In diesem Forschungszweig werden, anstellte der Generierung abstrakter Theorien über soziale Wirklichkeit, vor allem Studien zu den alltagspraktischen Handlungen zur Herstellung von (sozialer) Wirklichkeit erstellt. 16 Der Ethnologe Franz Boas setzte erstmals 1930 eine Kamera im Rahmen seines Forschungsaufenthalts im Nordwesten der USA ein. Er dokumentierte das Leben der indigenen Bevölkerung und ließ v.a. zeremonielle Praktiken nachstellen, um diese – in Anbetracht der im Verschwinden begriffenen Kultur – für die Forschung und die Nachwelt zu fixieren (siehe zur Geschichte des ethnologischen Films und Filmens de Brigard 1975).

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festzuhalten. Sie erweiterten so die bisher auf Konversation fokussierten Videountersuchungen um die Erforschung des Zusammenspiels von Technik, Interaktion und Sozialem. Es entstanden Studien in Operationssälen, Flugsicherungszentralen oder in Kontrollzentren (zur Übersicht Engström & Middleton 1996 und Luff et al. 2000). Ende der 1990er Jahre wurden vermehrt Studien verfügbar, die sich mit dem Potential des Einsatzes von Video und dessen methodischen Implikationen auseinandersetzen. Federführend sind hier Hubert Knoblauch (2000, 2004) und Lorenza Mondada (2005, 2008), die systematische Untersuchungen des praktischen Einsatzes von Video in der empirischen Forschung liefern (ausführlicher siehe unten).17 Die Videokamera wird in dieser Zeit auch mobiler und folgt den Akteuren teilweise über weite Distanzen wie die Arbeit von Monika Büscher, welche Landschaftsarchitekten bei ihrer Arbeit begleitet (2005) 18 oder Ignaz Strebel, der eine videoethnographische Untersuchung der Arbeit von Hauswarten in der Schweiz realisierte (Strebel 2014). Eine konsequente Weiterführung des Einsatzes der Videokamera ist bei der Sozialwissenschaftlerin Bina E. Mohn zu beobachten, die die Videokamera als Werkzeug einer audiovisuellen Feldnotiz (camera stylo) versteht und der ethnographischen Blicksuche des beobachtbaren Geschehens dient (2007, 2008). Im Jahr 2010 erschien schließlich eine systematische Einführung zum Umgang mit Video in der sozialwissenschaftlichen Forschung, herausgegeben von den Videoforschern Christian Heath, Jon Hindermarsh und Paul Luff, »to support the analysis of everyday social activities (2012:3).« Deren Ziel ist es, den Einsatz der Videokamera für einen breiteren Teil der empirischen Forschung attraktiv zu machen. 1.3.1 Methodische Implikationen In den folgenden Ausführungen werde ich den Einsatz der Videokamera thematisieren, denn die Verwendung dieses Mediums setzt etliche methodische Entscheidungen wie die Wahl des Standorts oder die Reflexion des eigenen Tuns im Vorfeld voraus. Im Zuge dessen werde ich auch die Reichweite der methodischen Entscheidungen und deren Implikationen für die sozialwissenschaftliche

17 Siehe auch die Studie von Laurier, Strebel & Brown (2008), die die Arbeit eines Filmeditors untersuchen, um die sozialwissenschaftliche Video- und Filmanalyse weiter voranzubringen. 18 Jüngst erschien von Büscher; Urry & Witchger der Sammelband Mobile Methods (2011), der sich grundsätzlich mit mobilen Methoden ethnographischen Forschens auseinandersetzt. Zum Einsatz der Videokamera siehe besonders S. 119-138.

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Forschungsarbeit aufzeigen, um die Einordnung der erstellten Videoaufnahmen der vorliegenden Arbeit zu ermöglichen. In den letzten Jahren sind – wie oben skizziert – vermehrt methodologische Texte erschienen, welche Ratschläge zum Einsatz von Video in der empirischen Forschung geben (Büscher 2005, Heath et al. 2010). Doch bemängelt Hubert Knoblauch, einer der führenden Experten auf dem Feld der Videoforschung, nach wie vor den lückenhaften Forschungsstand zur methodischen Handhabung des Mediums (2004:124) und Lorenza Mondada die mangelnde Reflexion des Videoeinsatzes als eine soziale Praxis. Denn Mondada begreift das Medium Video nicht bloß als: »[…] a mere resource, for example in a methodological discussion, but treats video practices as a topic per se, within an analytic stance« (2005:51). Mohn greift diesen Faden auf, wenn sie die Videokamera als camera stylo und die Suchbewegungen der Kamera in situ als Teil des Forschungsprozesses begreift (Mohn 2008). Der sozialwissenschaftliche Einsatz der Videokamera in der empirischen Forschung changiert dann nicht mehr nur zwischen Dokumentarfilm und ethnographischem Film (de Brigard 1975) – ihm wird eine neue Qualität als Forschungsinstrument hinzugefügt.19 Nichtsdestotrotz sind die Videoaufnahmen unabhängig von der (angestrebten) Datensorte (auf die unten genauer eingegangen wird) zunächst als Zeugnisse der aufgenommenen Geschehnisse zu begreifen. Entscheidend an dieser Stelle ist, dass sie gleichzeitig an die Person hinter der Kamera erinnern: »[…] the image implicates the work of an »other« (Macbeth 1999:143). Nach Mondada muss die Kamera dementsprechend als ein Objekt gesehen werden, mit dem wir sehen und nicht bloß durch das wir sehen (Mondada 2005:51, vgl. auch Büscher 2005). Dies verweist auf das komplexe Feld der Selbstreflexion der methodischen Handhabung ebenso wie auf Fragen nach dem Verhältnis zwischen Aufgezeichnetem und Abgebildetem20 (siehe Knoblauch 2004): Daher muss ebenso danach gefragt werden, wie Videoaufnahmen produziert, als auch wie diese editiert werden und als was das produzierte Material letztendlich verstanden wird (als Film oder als reine Daten). Von zentraler Bedeutung ist also die Frage, um

19 »It furnishes what we see between-the-edits of documentary and ethnographic films, and is thus a constitutive feature of what we find across them.« (Macbeth 1999:136) 20 In der Kunstgeschichte war es René Magritte, der in seiner Malerei dem Verhältnis zwischen Objekt und Abbildung nachging wie in »Ce n’est pas une pipe«: Es ist die realistische Darstellung einer Pfeife, die jedoch, so sehr Magritte sich auch bemühen mag, niemals zum Objekt werden kann: Es ist die Abbildung einer Pfeife, nicht die Pfeife selbst.

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mit dem Sozialwissenschaftler Douglas Macbeth zu sprechen: »How our seeing and shooting might be organised?« (1999:148) Bereits der Umgang mit der Videokamera setzt verschiedene methodische Entscheidungen voraus,21 wobei sich generell zwei Standpunkte skizzieren lassen: Zum einen die maximale Reduzierung des Einflusses der Kamera auf ein Minimum, etwa durch den Einsatz einer fest installierten Videokamera, die die Abwesenheit des Filmenden erlaubt (beobachtende Perspektive) oder zum anderen der Einsatz einer mobilen Videokamera, die die Anwesenheit des Filmenden erfordert (partizipierende Perspektive).22 Mondada folgend wird Filmen deshalb als ein sozialer Prozess und eine soziale Praxis verstanden (siehe oben), denn der Filmende wird aktiv in die Geschehnisse mit einbezogen und beeinflusst die Situation durch seine Anwesenheit oder vermeintliche Abwesenheit, wobei er bestimmte Ereignisse stimuliert. 23 Dabei ist die Kamera eine Ressource für den Forschenden, gleichzeitig limitiert sie diesen, bedingt durch die technischen Gegebenheiten (maximale Aufnahmelänge, Ausschnitt des Geschehens, Perspektive, Qualität des Bildes…) und den Umstand des Kameraobjektivs, welchem die Fähigkeit des Blickens vergönnt ist: »Unable to glance, routinely they can only look, and sometimes stare.« (Macbeth 1999:152) Schlussendlich lässt sich feststellen, dass die unterschiedlichen Aufnahmepraktiken und Akteure, die zur Erzeugung von Videodaten führen, unterschiedlichen Datensorten produzieren. Diese können nach Akteuren und der Art und Weise, wie diese Daten zustande kommen, ob natürlich (Situation wurde möglichst wenig beeinflusst) oder konstruiert (Situation wurde eigens dafür geschaffen) zusammengestellt werden (nach Knoblauch 2004 und Kaczmarek 2008):24 1. Wissenschaftlich aufgezeichnete natürliche soziale Situationen 2. Wissenschaftlich aufgezeichnete experimentelle Situationen

21 Vgl. zum Einsatz der Videokamera in der sozialwissenschaftlichen Forschung besonders David MacDougall, der davon ausgeht, dass »jeder Kamerastil implizit eine Erkenntnistheorie enthält« (1984:77). 22 Eine weitere Möglichkeit des Einsatz der Kamera im Feld ergibt sich durch das Übergeben der Kamera an die Teilnehmer im Feld (siehe z.B. Laurier et al. 2008). 23 Zum Verhältnis zwischen Filmenden und Gefilmten siehe: Tuma, Schnettler & Knoblauch 2013.

24 Diese Liste ist sicherlich nicht abschließend, gibt aber einen ersten Eindruck über die Komplexität und Vielfalt der Datensorten. Siehe dazu abermals Knoblauch, der sich mit der methodologischen Dimension der Videodatenproduktion und -analyse beschäftigt, um das Desiderat der Videoanalyse zu füllen (Knoblauch 2004:127).

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3. Wissenschaftlich aufgezeichnete und professionell bearbeitete Situationen

(soziologischer, ethnographischer Film) 4. Interviews (Softwaretests, Feldinterviews) 5. Von Akteuren aufgezeichnete natürliche soziale Situationen (Überwachun-

gen, Selbstaufzeichnungen) 6. Von Akteuren aufgezeichnete gestellte Situationen (Videotagebuch) 7. Von Akteuren aufgezeichnete und bearbeitete Situationen (Hochzeitsvideos) 8. Von Akteuren aufgezeichnete und professionell bearbeitete Situationen

(Hochzeitsvideos, Dokumentationen, Selbstdarstellungen) Diese Liste ermöglicht einen Eindruck in die Komplexität und Fülle der Datensorten. Diese sind eng mit den ways of seeing, sprich den Annahmen im Umgang mit den Bildern und den Verfahren, mit welchen die Bilder gedeutet werden, verknüpft (Knoblauch 2004:126f). Zur Analyse der Videodaten können dementsprechend auch unterschiedliche Richtungen verfolgt werden: etwa die der standardisierten codierten Analyse, die der konversationsanalytisch orientierten oder der hermeneutisch geprägten Analysen sowie die von Mohn verfolgte Strategie der »Kunst des dichten Zeigens«25. Für meine Forschungsarbeit sind besonders die konversationsanalytisch oder hermeneutisch geprägte Analyse und die des dichten Zeigens interessant.26 Hubert Knoblauch (2004) subsumiert die beiden Erstgenannten unter der Videointeraktionsanalyse (VIA), die sich aus der Konversationsanalyse und den Workplace Studies entwickelt hat: Soziale Situationen werden in situ im Umgang mit Technologien resp. visuellem Material beobachtet, wobei eine Abschwächung der Sprachorientierung hin zur Fokussierung des Visuellen stattfindet. Lucy Suchman und Randy Tigg schreiben dazu: »Form this perspective, the organization of work is a complex, ongoing interaction of people with each other and within the technologies (material environment, Anm. d. Verf.) that are available to them.« (1991:65) Im Lichte dessen berücksichtigt die

25 Sie lehnt den Terminus des dichten Zeigens, an die dichte Beschreibung des Anthropologen Clifford Geertz (1987) an. 26 Die standardisierten codierten Analysen werden besonders von abbildungstheoretisch arbeitenden psychologischen Studien benutzt, indem Kategorien und Codes für menschliches Verhalten erstellt werden (vgl. Mittenecker 1987). Eine weitere Analysemethode entwickelte der Soziologe und Bildungsforscher Ralf Bohnsack. Zur Bildund Filminterpretation beispielsweise von Fernsehshows verwendet er die sogenannte dokumentarische Methode, um den Umgang mit visuellen Material in der qualitativen Forschung zu üben und die Daten zu analysieren (siehe Bohnsack 2011, siehe auch Kap. 4.2, Fußnote 159).

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Interpretation der Videodaten drei Leitmotive, die auf die ethnomethodologischen Forschungstätigkeiten Erving Goffmans zurückgehen: 1. Methodizität. Die Frage nach dem Wie anstelle des Was steht im Vorder-

grund: Wie werden Handlungsvollzüge vollzogen? 2. Ordnung. Handelnde produzieren eine Ordnung erst in ihren jeweiligen

Handlungen. 3. Reflexivität. Wie soll die jeweilige Handlung vom Gegenüber jeweils verstanden werden (Performanz)? Um aus der Fülle des Videomaterials geeignete Passagen herauszugreifen, ist es nach Knoblauch ebenfalls sinnvoll, sich an dem Relevanzkriterium Emanuel Schegloffs zu orientieren, d.h. das, was als Phänomen herausgestellt wird, muss für die Handelnden selbst relevant sein (Schegloff 1992). Oder dem entgegengesetzt sich auf diejenigen Aspekte konzentrieren, die in situ nicht in der direkten Aufmerksamkeit der Handelnden stehen, aber im Vollzug ihre Relevanz erhalten oder dadurch erlauben, Unterschiede herauszuschälen, die zu einer allmählichen Schließung der Deutung führen (Knoblauch 2004:136). Jene theoretischen Überlegungen werde ich bei der Analyse der Videodaten ebenso berücksichtigen, wie die Ausführungen Bina E. Mohns, die die Analyse ihres Materials aus der kontinuierlichen Arbeit am Material und dem Montieren einzelner Sequenzen zu einer dichten Beschreibung, einem dichten Zeigen entwickelt, etwa wenn sie eine Videomontage zum Thema Meldetaktik bei Schülern im Unterricht anfertigt und aufzeigt, wie Schüler die alltägliche Praxis des Meldens bewerkstelligen.27 Nicht zuletzt berücksichtige ich die Arbeiten von Lorenza Mondada, die Sitzungen von Agrarwissenschaftlern und Computerexperten filmte (2005), denn diese geben praktische Hinweise zum Einsatz der Videokamera bei Gruppendiskussionen, wie sie auch im Bauamt stattfinden.28

27 Sie bezieht sich hier auf den Philosophen Michel de Certeau, der in die Kunst des Handelns (1988) die alltäglichen Praktiken von Konsumenten untersucht und ihren taktischen Charakter herausarbeitet. In ihrer Videomontage erprobt sie diese theoretische Rahmung als mögliche Optik und lässt die eingesprochenen Kommentare mit den Bildern der sich meldenden Schüler in einen Dialog treten und kommt so zu einer Praxis des Dichten Zeigens (Mohn 2008). 28 Bei Luff et al. 2010 finden sich zudem unterschiedliche Beispiele zur Transkription und Analyse von Videodaten, die Hinweise zur analytischen Handhabung geben S. 61-85.

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1.3.2 Videoeinsatz in der vorliegenden Arbeit Nachfolgend beschreibe ich, im Zuge meiner Forschung im Feld der Bauverwaltung, den Einsatz und die Verwendung der Videokamera und gebe eine Übersicht über die gewonnenen Erkenntnisse. Der Einsatz der Videokamera in der qualitativen Sozialforschung verlangt nicht nur eine klare methodische Entscheidung, sondern sie setzt vor allem auch eine Kombination mit ethnographischen Verfahren voraus (siehe Knoblauch 2000, Mondada 2005, Heath et al. 2010). Denn ohne Kenntnis des Gegenstandes (hier das Feld der Bauverwaltung) ist es schwierig abzuschätzen, wann, wo und wie die Videokamera am Besten einzusetzen ist – auch das Vertrauen der Akteure zu dem Medium zu erlangen, benötigt Zeit. In meiner Forschungsarbeit war es eine große Herausforderung, die Videodaten zu erstellen, denn sowohl die Mitarbeitenden der Bauverwaltung, als auch die politischen Verantwortlichen waren dem Unterfangen – trotz vorausgegangener intensiver Feldforschungsaufenthalte in den drei Bauverwaltungen (Kap. 1.2) skeptisch gegenüber eingestellt. Ich lehnte mich methodisch an den Leitfaden von Heath et al. an, um den Einsatz der Videokamera bestmöglich vorzubereiten und durchzuführen. Dabei berücksichtigte ich folgende Fragen (nach Heath et al. 2010:50): •

• • • • •

Welche Dokumente, Werkzeuge und Technologien werden in der Bauverwaltung benutzt bzw. welche sind für die Arbeit unabdingbar oder vorausgesetzt?29 Werden spezifische Terminologien, Fachjargons, Codes verwendet? Mit welchen Aufgaben und Aktivitäten sind die Mitarbeiter der Bauverwaltung beschäftigt? Inwieweit existiert eine (formale) Arbeitsteilung im setting?30 Können routinierte Handlungsmuster identifiziert werden? Könnten unvorhergesehene Ereignisse während des Filmens auftreten?

Diese Leitfragen stehen besonders mit diesen beiden inhaltlichen Forschungsfragen der Dissertation in enger Verbindung (siehe Kap. 1.1.2):

29 »These not only inculde more formal organisational resources such as computer applications and records, paper forms, log books and the like, but also informal resources such as note books, post-it notes, whiteboards etc […].« (Heath et al. 2010:50) 30 »Who is responsible for what and are these organisationally prescribed roles or more informal roles.« (Ebd.)

50 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG 1. Welche Methoden und Prozesse brauchen Gemeindeverwaltungen, um städ-

tebauliche Projekte zu implementieren (sprich zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen)? 2. Wie werden bzw. werden existierende Verständnisse von urbaner Qualität innerhalb der administrativen Arbeit re-formuliert? Während der Phase der Datenerhebung ergänzten sich die methodischen und empirischen Fragen wechselseitig, denn die sechs Fragen zur Vorbereitung des Einsatzes der Videokamera leisten einen Beitrag zur übergeordneten Fragestellung der Arbeit. Sie trugen dazu bei, das Feld zu erschließen und eine Übersicht zu erlangen resp. eine Inventarisierung des Feldes der Bauverwaltung zu erstellen. Tabelle 3: Übersicht Videomaterial, eigene Darstellung. Std:Min:Sek

Videokamera

Korpus

Stadtbildkommission Wetzikon

03:35:05

1 (Stirnseite, tlw. mobil)

1

Baukommission Wetzikon

01:47:52

1 (zur Stirnseite)

2

Sondersitzung St. Margrethen

00:55:35

2 (beidseitig)

3

Baukommission St. Margrethen

00:55:32

2 (beidseitig)

4

Baukommission Visp

00:36:14

2 (beidseitig)

5

Meine Pilotstudie in der Bauverwaltung in Visp im Oberwallis im Mai 2011 bot einen ersten detaillierten Einblick in die Arbeit einer kommunalen Bauverwaltung. Sodass ich nach Abschluss der Herstellung des Feldzugangs im September 2011, der neben Visp zur Auswahl von zwei weiteren Fallgemeinden führte (Wetzikon, St. Margrethen, siehe ausführlich Kap. 3), die Entscheidung fällte, anstelle des Aufnehmens der alltäglichen Arbeitsprozesse über einen langen Zeitraum wie dies für Workplace Studies oftmals gängige Praxis ist (Heath & Luff 2000), einzelne Arbeitssessionen in Form von Baukommissions- und Stadtbildkommissionssitzungen aufzunehmen (siehe Kap. 7 und Kap. 8). Diese Ent-

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scheidung wurde im Einklang mit den Bauverwaltungen der Untersuchungsgemeinden getroffen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Untersuchungsgemeinden lehnten eine umfassenderen Einsatz der Videokamera ab, waren aber mit dem punktuellen Einsatz einverstanden. Ich bekam auf diese Weise erstmals die Chance, wichtige Entscheidungssitzungen der Bauverwaltungen in drei unterschiedlichen Regionen der Schweiz mit der Videokamera zu begleiten. Entstanden ist ein knapp achtstündiger Datenkorpus, der Einblicke in die Arbeit der Baukommissionssitzungen der drei Gemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen (siehe Kap. 8) und in die Stadtbildkommissions- bzw. Sondersitzungen der Gemeinden Wetzikon und St. Margrethen (siehe Kap. 7) gibt (Tabelle 3). Im Falle der Stadtbildkommissionssitzung in Wetzikon arbeitete ich mit einer Videokamera, die ich teilweise mobil nutzte, um den Akteuren durch den Raum zu folgen. In allen anderen Sitzungen der drei Gemeinden wurde die Videokamera an der Stirn resp. beidseitig des Tisches leicht erhöht aufgestellt. Dies, um die Gesten, Positionen und Blicke einzufangen, als auch eine Übersicht über das von den Teilnehmenden verwendete visuelle Material zu erhalten. Aus technischen Gründen war es mir nicht möglich, eine Kamera von oben anzubringen, um noch stärker auf die verwendeten Dokumente und Pläne zu fokussieren (vgl. dazu Mondada 2005). In Visp und St. Margrethen experimentierte ich zudem mit zwei Videokameras, die ich an beiden Seiten des Tisches aufstellte.31 Es entstand neben der gerade erwähnten Perspektive eine zusätzliche aus Sicht des Sitzungsleiters in St. Margrethen und in Visp eine, die mehr auf die Pläne und Dokumente fokussierte. Im Allgemeinen war es mein Ziel, bei allen Videoaufnahmen die Sitzungssituation so wenig wie möglich zu beeinflussen, um die alltägliche Sitzungspraxis der Akteure aufzunehmen. Mit dem Videodatenkorpus, den ich auf diese Weise anlegte, schloss ich folglich die methodische Entscheidung einer beobachtenden Perspektive ein, weshalb die Datensorte als wissenschaftlich aufgezeichnete natürliche soziale Situation zu charakterisieren ist.32

31 Dementsprechend müssen die in Tabelle 3 aufgeführten Aufnahmezeiten bei der Verwendung von zwei Kameras jeweils verdoppelt werden. 32 Zum Begriff und Problematik natürliche Situation siehe: Tuma, Schnettler & Knoblauch 2013.

52 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG

Tabelle 4: Zeitpunkte der Sammlung der Videodaten, eigene Darstellung33. 2012

I

II

III

2013

IV

I

II

III

IV

Stadtbildkommission Wetzikon Baukommission Wetzikon Sondersitzung St. Margrethen Baukommission St. Margrethen Baukommission Visp Auf Grund der Herausforderung der Herstellung des Feldzuganges im Allgemeinen (Kap. 1.2.1) und der Skepsis der Akteure gegenüber dem Medium Video (in Visp wurde die Möglichkeit der Videoaufnahme seitens der Gemeinde über ein Jahr hinausgezögert – trotz des Einverständnisses zu Beginn der Datenerhebung) konnte ich die qualitative Datenerhebung nicht wie geplant im ersten Jahr der Dissertation durchführen und weitestgehend abschließen. Tabelle vier 34 ist zu entnehmen, dass erst ein Jahr nach Beginn der Dissertation (Januar 2011) im Januar 2012 eine erste Sitzung per Video aufgenommen werden konnte und dass die letzte Datenerhebung via Video im April 2013 in Visp stattfand. Auf Grund dessen rücken die Videodaten in meiner Dissertation aus dem Fokus und bilden im Zuge der teilnehmenden Beobachtung und der methodischen und theoretischen Perspektive der institutionellen Ethnographie (Kap 2.4) nunmehr einen Teil des empirischen Datenmaterials. Das Videomaterial steht nicht mehr, wie ursprünglich vorgesehen, im Zentrum der Analyse – es ordnet sich vielmehr als ein empirischer Baustein in die Analyse der teilnehmenden Beobachtung ein. 33 Tabelle 4 gibt die Zeitpunkte der Sammlung von Videodaten wieder. Es wurden fünf Sitzungen (vertikale Achse) im Lauf der Jahre 2012-2013 begleitet (horizontale Achse). Die Symbole zeigen die Monate an, in denen die Aufnahmen entstanden. 34 Siehe im Vergleich dazu Tabelle 2 Kap. 1.2.2 zur teilnehmenden Beobachtung in den Untersuchungsgemeinden.

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Dies um im Sinne der Korrektur der methodischen und theoretischen Ausrichtung der Dissertation, die die Methoden und Prozesse der Bauverwaltung resp. deren fortwährende Arbeit am Bauprojekt (um das Projekt durch die administrative Maschinerie zu schleusen (siehe Kap. 4-8)) herausarbeitet und vorantreibt. Um den erhobenen Videodaten vollumfänglich gerecht zu werden, bedarf es einer umfassenden Analyse, die an anderer Stelle fortgesetzt werden sollte. Für die vorliegende Arbeit ist dies nicht erforderlich.35 1.3.3 Fazit: Videoeinsatz zur Erfassung des Materiellen und Non-Verbalen Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Zuge des Einsatzes videoethnographischer Methoden Materialien und interaktive Aspekte des menschlichen Verhaltens in situ und im natürlichen raum-zeitlichen und soziokulturellen Umfeld beobachtet werden können (Knoblauch 2000). Gerade die Erfassung nichtsprachlicher Repräsentationen und Vorstellungen – ausgedrückt durch Gestik, Mimik und Blicke scheinen hier von besonderer Bedeutung. Gegenüber den Ansätzen der Psychologie wird non-verbales Verhalten dementsprechend nicht als ein isolierter Kommunikationskanal betrachtet, sondern als Teil, mehr noch als ein wesentlicher Bestandteil der Interaktion (ebd.). So können mit Hilfe videoethnographischer Methoden einerseits die Konstitutionsleistungen räumlicher, sozialer und kultureller Wirklichkeiten der handelnden Akteure in Aktion

35 Möglich wäre dies in Form eines an die Dissertation angeschlossenen Folgeprojekts, welches den Videodatenkorpus umfassend analysiert. Dies könnte ebenso einen Beitrag zur aktuellen Videoforschung leisten wie in der Lehre und Ausbildung von Raumplanern, Architekten oder Verwaltungsmitarbeitern eingesetzt werden, da das Videomaterial detaillierte Einblicke in die Sitzungspraxis und Entscheidungsfindung bietet. Mit dem Videomaterial ließe sich die, in meiner explorativ angelegten Dissertation angestoßene Analyse der Rolle des visuellen Materials (Pläne, Modelle, Renderings, Dokumente), des Wechsels zwischen den verschiedenen Maßstäben oder der erforderlichen Übersetzungsleistungen der jeweiligen Teilnehmer (siehe Kap. 7 und Kap. 8) in den Sitzungen in einer größeren Tiefenschärfe zeigen. Weiterhin könnte beispielsweise näher auf die Einnahme der Rollen von den jeweiligen Teilnehmern und Experten sowie deren Handlungen eingegangen werden, wenn um Themen gerungen wird. Im Gegensatz zur vorliegenden Dissertation, in der ich nicht per se auf die Sitzungspraxis an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Städtebau fokussiere, sondern auf das Bauprojekt in Arbeit, könnte eine detaillierte Analyse der Videodaten den oben genannten Beitrag leisten.

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nachvollzogen werden. Andererseits erfolgt eine Neubewertung der Rolle des Materiellen36 etwa in Form von Karten, Plänen und Modellen im Zusammenspiel mit den handelnden Akteuren. Gerade in Handlungszusammenhängen, in denen es um die Umsetzung komplexer Sachverhalte, wie etwa der Realisierung lokaler Architektur- und Infrastrukturprojekten geht resp. in den Diskussionsforen von Bauverwaltung und Städtebau oder in den Baukommissionssitzungen der Verwaltung spielt das Materielle eine wichtige Rolle. Hier knüpfe ich mit meiner Forschungsarbeit an, im Zuge dessen ich insbesondere in Anlehnung an Mondada (2005), Büscher (2006), Heath et al. (2010) und Mohn (2008) Videoaufzeichnungen von den Diskussionsforen und Kommissionssitzungen der Bauverwaltungen angelegt habe. Die massiven Verzögerungen des Einsatzes der Videokamera führten allerdings zu einer Korrektur der methodischen und theoretischen Ausrichtung von der Fokussierung auf die (videobasierten) Workplace Studies hin zur institutionellen Ethnographie, welche mit dem Rüstzeug der trans-sequentiellen Analyse die Fragestellung der Dissertation bestmöglich beantworten kann (siehe Kap. 1.1 und Kap. 2.4). Die Videodaten verwende ich auf Grund der oben skizzierten methodischen und praktischen Herausforderungen wohl dosiert. Sie stellen (trotz ihres zurückgenommen Einsatzes) eine Bereicherung und Datengrundlage dar, wenn die Methoden und Prozesse in den Arbeitssessionen der Stadtbildkommissions- und Baukommissionssitzung diskutiert werden. In diesen Foren spielt der Einsatz visueller Materialien eine entscheidenden Rolle. Auch deshalb lag das Hauptinteresse des Einsatzes der Videokamera nach der Feldsondierung auf der Aufnahme dieser Arbeitssessionen, denn mittels der Kamera lassen sich die non-verbalen Praktiken der Akteure in situ beobachten und festhalten (siehe oben). Dementsprechend bilden die Videodaten in den empirisch fundierten Kapiteln 7 (Beurteilung: Stadtbildkommissionssitzung) und 8 (Entscheidung: Baukommissionssitzung) die Grundlage der Analyse, denn der Einsatz der Videodaten ermöglicht hier die Untersuchung des Zusammenspiels von sprachlichen und vor allem visuellen bzw. materiellen Aspekten der Interaktion. In diesem Zusammenhang stelle ich beispielsweise die Frage, welchen Beitrag der Einsatz der visuellen Materialien (Pläne, Renderings, Visualisierungen, Modelle) zur Fertigung des Bauprojekts leistet und welche Arbeitspraktiken mit diesem Einsatz verbunden sind.

36 »Gestures and other forms of bodily conduct arise in interaction, people not infrequently use artefacts when talking to each other (Herv. d. Verf), and it is not unusual for aspects oft the physical environoment to become relvant within the course of social activity.« (Heath 1999:187)

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1.4 F AZIT : L EITLINIEN

UND

M ETHODE

DER

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S TUDIE

Das erste Kapitel hat die Konzeption der Studie aufgezeigt. Am Anfang stand die Darlegung des Forschungsziels, dass sich wie folgt zusammenfassend auf den Punkt bringen lässt: Ziel ist die Erforschung der Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung auf Bauprojekte. Erreicht wird das Ziel durch die Zuspitzung und Beantwortung der fünf Forschungsfragen: Drei inhaltliche Fragen 1. Welche Methoden und Prozesse brauchen Bauverwaltungen, um Bauprojekte

zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen? 2. Wie bzw. inwiefern werden Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit

formuliert resp. re-formuliert? 3. Wie wirken die administrativen Praktiken auf Bauprojekte resp. die gebaute

Umwelt und ist im Zuge der identifizierten Wirkmacht eine Re-Positionierung der Gemeinde angebracht? Eine theoretische Frage 4. Greifen die Konzepte von Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie zu kurz, um die Wirkmacht und Eigenlogik der administrativen Praktiken auf Bauprojekte zu untersuchen? Eine methodische Frage 5. Welche methodischen Herangehensweisen sind vor dem Hintergrund der

ethnographischen Perspektive der trans-sequentiellen Analyse angebracht, um den Gegenstand der Bauverwaltung und deren Wirkmacht adäquat zu untersuchen? Diese Fragen leiten durch die Studie. Sie werden fortlaufend in Erinnerung gerufen und in den einzelnen Kapiteln beantwortet bzw. wird aufgezeigt, welche weiteren Schritte für deren Beantwortung und das Erreichen des Forschungsziels nötig sind. Im Sinne des Forschungsdreiecks bestehend aus Theorie, Methode und Inhalt ergänzen sich die Fragen wechselseitig: Verändert sich beispielsweise die theoretische Fragestellung, so muss die methodische angepasst, werden und vice versa (vgl. Flick 2011).

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Im vorliegenden Kapitel wurde die methodische Frage und deren Teilfragen (Kap. 1.1.2) zu einem Großteil beantwortet.37 Denn der Feldzugang der Bauverwaltung als institutionelles Setting wurde ebenso geklärt wie die Fragen der teilnehmenden Beobachtung – hier insbesondere die Praxis des shadowings, der Begleitung von Schlüsselpersonen in der Bauverwaltung und der methodische Einsatz der Videokamera. Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Die Herstellung des Feldzugangs bedarf einer besonderen Sensibilität, weil nicht nur das Einverständnis der aktiv Beforschten, sondern auch das der Institution eingeholt werden muss. Hierbei ist es essentiell, beide Parteien von dem Forschungsvorhaben zu überzeugen und die ethischen Richtlinien zu klären. In der vorliegenden Studie gelang dies, einerseits durch die interdisziplinäre Herstellung des Feldzugangs, der detaillierten Informationspolitik und der Vorstellung des Forschungsprojektes bei den politischen Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinde sowie bei den Mitarbeitenden der Gemeindeverwaltung andererseits (Kap. 1.2.1, vgl. Videostill 1). Die Entscheidung zur Begleitung von Schlüsselpersonen stellte eine wesentliche Methode dar, um die alltägliche Praxis der Bauverwaltung zu untersuchen. Erstens, weil die administrativen Prozesse jeweils in situ beobachtet werden konnten. Auf diese Weise wurde nicht nur, wie es bei Interviews möglich ist, rückblickend eine Reflexion und Analyse der Arbeitsprozesse oder vorausschauend ein Plan der Arbeitsprozesse abgerufen, sondern ich beobachtete die Praxis, die administrative Arbeit am Bauprojekt in the making. Zweitens, ermöglichte mir das shadowing von Schlüsselpersonen, Kontakt zu weiteren externen Akteurinnen und Akteuren (z.B. Experten des Städtebaus) aufzunehmen, den Zugang zu schwer zugänglichen Orten (z.B. Büro des Gemeindepräsidenten) sowie zu Settings (z.B. Kadersitzungen) innerhalb und außerhalb der Bauverwaltung zu erhalten, sowie je nach Bedarf gekoppelte administrative Arbeitsprozesse anderer Verwaltungsmitarbeitender zu beobachten. Der methodische Einsatz der Videokamera zur Aufnahme ausgewählter Arbeitsepisoden brachte schließlich einen erheblichen Mehrwert zur Erfassung der materiellen Dimension und der non-verbalen Interaktion. Im Feld der Bauverwaltung ist diese Dokumentation äußerst wertvoll, da in den Gremien der Stadt-

37 Methodische Teilfragen: Wie wird der Feldzugang zum institutionellen Setting der Bauverwaltung hergestellt? Welche Besonderheiten sind zu beachten (Kontaktpersonen, ethische Richtlinien)? Wie lassen sich die administrativen Methoden und Prozesse sowie deren Eigenlogik und Wirkmacht auf Bauprojekte hinreichend beobachten und dokumentieren? Welche methodischen Werkzeuge sind zur ethnographischen Erforschung der administrativen Prozesse zu wählen?

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bildkommission resp. Sondersitzungen und den Baukommissionssitzungen der Einsatz visueller Werkzeuge (Pläne, Modelle, Renderings), administrativer Informationssegmente (Formulare, Textentwürfe) und deren non-verbaler Praktiken eine entscheidende Rolle spielt. Die Wahl der methodischen Herangehensweise trägt folglich zur adäquaten Beantwortung der inhaltlichen Fragen bei. Im Folgenden wende ich mich insbesondere den verbleibenden vier Forschungsfragen sowie deren Teilfragen zu und kläre den begrifflichen und theoretischen Rahmen zur Untersuchung der Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praxis auf Bauprojekte. Es gilt, den Begriff der Gemeinde zu erweitern, eine Re-Positionierung derselben vorzunehmen und etablierte Konzepte aus Verwaltungswissenschaft und Organisationssoziologie zu diskutieren und zu erweitern. Im Lichte dessen werde ich die ethnographische Perspektive der trans-sequentiellen Analyse (TSA) mit ihrem besonderen Fokus auf Ereignis-Prozess-Relationen einbringen (Scheffer 2011), um die Wirkmacht der administrativen Praxis zu untersuchen.

II. Gegenstand und Stand der Forschung

Abb. 3: Fragmentierte Siedlungslandschaft in Wetzikon, Foto Susanne Hofer, Schlussbericht (Van Wezemael et al. 2014:66).

Das zweite Hauptkapitel dient der Diskussion des Forschungsgegenstandes, des Stands der Forschung und der Verortung des Forschungsgegenstandes im städtebaulichen Diskurs sowie im Feld der (Organisations-)Soziologie und Verwaltungswissenschaften. Dies erfolgt stets auf der Blaupause der Zielsetzung der Arbeit: die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praktiken auf Bauprojekte resp. die gebaute Umwelt herauszuschälen (Kap. 1.1.1). Die im vorangegangen Kapitel aufgezeigten Forschungsfragen (Kap. 1.1.2) leiten die Auseinandersetzung und führen die unterschiedlichen Stränge (Forschungsgegenstand, Zielsetzung, Methode, Theorie) zunächst auf einer theoretischen Ebene zusammen. Es wird sich zeigen, dass die im vorausgegangen Kapitel aufgezeigte me-

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thodische Perspektive der Ethnographie (Kap. 1.2) in der Wahl des theoretischen Fokus der trans-sequentiellen Analyse (TSA, siehe unten) im Sinne des angestrebten Forschungsziels aufgeht. Zunächst wird der Begriff der Gemeinde, der die Verwaltung miteinschließt, aus den Perspektiven der Verwaltungswissenschaften, der Politikwissenschaft sowie der Soziologie analysiert und der Zusammenhang zur gebauten Umwelt aufgezeigt. Im Lichte dessen wird eine Neusetzung des Gemeindebegriffs vorgenommen, der sich auf einen aktiven Gemeindebegriff beruft und nicht nur die institutionelle Ebene der Verwaltung mit einschließt, sondern auch die gebaute Umwelt. Dies muss auch vor dem Hintergrund gelesen werden, dass sich die politische Gemeinde und deren Verwaltungsapparat über das jeweilige Territorium definiert. Dieser Zusammenhang ist bisher in der Literatur zum Forschungsgegenstand vernachlässigt worden. In zweiten Teil des Kapitels steht der städtebauliche Diskurs im Zentrum. Hier wird die Entwicklung der Siedlungslandschaft der Schweiz seit den 1920er Jahren verfügbar gemacht und mit ihr, die Bestrebungen der Raumplanung die Siedlungsentwicklung zu steuern. Sodann wird unter den Stichworten: Zersiedelung, Stadtbegriff und Qualität der aktuelle städtebauliche Diskurs beleuchtet. Im Zuge dessen zeigt sich, dass der Gemeinde bis zur Jahrtausendwende als Akteurin im komplizierten Netz der Siedlungsentwicklung wenig Beachtung geschenkt wurde, dieser Umstand wird eingehend diskutiert. Am Ende des Kapitels wird die Forschungsfrage aufgeworfen, ob eine Re-Positionierung der Gemeinde im städtebaulichen Diskurs nicht angebracht wäre (Forschungsfrage 3, Kap. 1.1). Die Studie wird diese Frage im Schlusskapitel (Kap. 9.5) abschließend diskutieren. Im dritten Teil des Kapitels wird die Perspektive auf die (Bau-)Verwaltung und deren Stand der Forschung in der Organisationssoziologie und den Verwaltungswissenschaften aufgezeigt. Es wird sich zeigen, dass seit den Klassikern der Organisationssoziologie, von Max Weber und Frederic Taylor, eine Vielzahl von Studien zu Organisationen und Verwaltungen entstanden sind, dass aber der Fokus weniger auf der Eigenlogik und Wirkmacht der Verwaltung lag, als auf einer exakten Beschreibung des Gegenstandes sowie des Einfluss der Umwelt auf Organisationen. Aus diesem Grunde plädiere ich im abschließenden Fazit für eine Erweiterung der etablierten Konzepte, um die Bauverwaltung als Untersuchungsgegenstand sowie die Eigenlogik und Wirkmacht administrativer Praktiken auf Bauprojekte/gebaute Umwelt zu untersuchen. Im Fazit des gesamten Kapitels expliziere ich diese Forderung und setze die trans-sequentielle Analyse (TSA) der institutionellen/politischen Ethnographie Thomas Scheffers (2010, 2013a, b) als theoretischen Fokus. Diese wird im Sinne

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einer praxeologischen Forschungshaltung in Auseinandersetzung mit der Empirie in den Kapiteln 4 bis 8 am empirischen Material angewandt, verdeutlicht, verglichen und gegebenenfalls erweitert. Am Ende des vorliegenden zweiten Hauptkapitels ist der Werkzeugkasten zur Analyse der empirischen Daten nahe zu komplett.

2.1 F ORSCHUNGSGEGENSTAND G EMEINDE Im vorliegenden Kapitel stelle ich den Untersuchungsgegenstand der Gemeinde ins Zentrum der Betrachtung. Dieses Vorgehen wird zweierlei Ansprüchen gerecht: Erstens, wird die tragende Rolle der Gemeinde aufgezeigt, die »in der Schweiz weithin als Kernzelle von Staat und Gesellschaft« (Steiner 1999:6) gilt und im Gegensatz zur Rolle, die der Gemeinde in vielen anderen Staaten Europas zugeschrieben wird, ein hohes Ansehen genießt. Zweitens, wird der Forschungsgegenstand der Gemeinde und mit ihr die kommunale (Bau-)Verwaltung in der wissenschaftlichen Literatur verortet und definiert. Der Begriff der Gemeinde scheint sich einer einheitlichen Konzeption zu entziehen und variiert je nach Erkenntnisinteresse und wissenschaftlicher Disziplin (vgl. Ladner 1991). Ich beziehe in diesem Kontext Stellung und expliziere den in der Arbeit verwendeten Gemeindebegriff resp. die Annahmen zum verwaltungsmäßigen Teilbereich (sprich Bauverwaltung) von Gemeinden.1 2.1.1 Wissenschaftliche Arbeiten zur Erforschung der Gemeinden in der Schweiz Die Gemeinde führt in der wissenschaftlichen Forschung und in der aktuellen städtebaulichen Diskussion – auch in der Schweiz, gleichwohl hier im weltweiten Vergleich etwa 40 % der Bevölkerung in Städten unter 5000 Einwohner leben (Bundesamt für Statistik 2013) – ein stiefmütterliches Dasein.2 Der Politikwissenschaftler Andreas Ladner weist auf die Diskrepanz zwischen der fehlenden Aufmerksamkeit der Wissenschaft und der großen Bedeutung der Gemeinde im Alltag und im politischen Leben der Schweiz hin (Ladner 1991:19). Während die Literatur zu städtischen Fragen im In- und Ausland einen großen Korpus

1 2

In Kapitel Vier finden sich die Beschreibungen der Fallstudien. Siehe die ausführlichen Ausführungen zur Gemeinde im städtebaulichen Diskurs in Kap. 2.2.6. Eine Besonderheit des schweizer System ist es auch, dass es keinen politischen Begriff für Stadt gibt. Alles ist im Gemeindebegriff zusammengefasst.

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hervorgebracht hat (siehe Kap. 2.2), ist die Literaturlage zum Forschungsgegenstand der Gemeinde vielmals veraltet, überschaubar und wird der tragenden Rolle der Gemeinde in der Schweiz nicht gerecht. Im Folgenden skizziere ich die wichtigsten Veröffentlichungen zur Gemeindeforschung in der Schweiz: Die Politikwissenschaftler Andreas Ladner (1991, 2005, 2008) und Jean Meylan et al. (1972, 1986, 1987), sowie der Organisationssoziologe Hans Geser (1985, 1987, 2002) haben die Forschung in den letzten Jahrzehnten entscheidend geprägt. Ihre Arbeiten bieten einen guten Überblick zur Literaturlage der Gemeinde quer durch die Disziplinen (z.B. Ladner 1991:19ff.) und liefern eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Gemeinde (Geser 2002, Ladner 1991). Zudem haben sie die Wichtigkeit der Erforschung der Gemeinden in der Schweiz hervorgehoben: »[die] Bedeutung lebensfähiger autonomer Gemeinden und die Gefährdungen, denen sie ausgesetzt sind, machen auch den kommunalen Bereich zu […] einem interessanten und erstrangigen Forschungsgegenstand« (Meylan et al. 1972:13).3

Im Zentrum stehen zumeist politik- und organisationssoziologische Fragen. Hier wird sich mit kommunalen Verwaltungsstrukturen und -reformen auseinander- gesetzt und versucht, mittels komparativ angelegter Studien ebenso die Besonderheiten des schweizerischen Systems der ausgeprägten Gemeindeautonomie aufzuzeigen wie nationale Unterschiede herauszuarbeiten, die sich vor allem zwischen den Sprachgrenzen zeigen. In diesen Forschungsarbeiten werden zu einem entscheidenden Teil die zyklisch stattfindenden standardisierten Befragungen der Gemeindeschreiber (1988, 1994, 1998, 2005, 2009) mittels der Themenfelder: politische Akteure, politische Systeme, Leistungsgrenzen und Gemeindereformen quantitativ ausgewertet. Politikwissenschaftler wie Michael Bützer (2005), Marc Bühlmann (2006) und Julien Fiechter (2010) greifen diesen Faden auf und setzen sich in ihren Arbeiten vertiefend mit Fragestellungen zur direkten Demokratie, der Legitimität der Gemeinden und der Umsetzung von Reformen auseinander. Sie bestätigen, dass die Unterschiede der lokalen Autonomie weniger in den Gemeindegrößen zu verorten sind, als vielmehr zwischen den Sprachgrenzen und deren Traditionen.

3

»Mit ihren über 3000 auf engem Raum koexistierenden, politisch selbstständig handlungsfähigen Gemeinden bietet die Schweiz ein weltweit vielleicht unübertroffenes, bisher aber völlig unausgeschöpftes Untersuchungsfeld für vergleichende Forschungen, deren Ergebnisse geeignet sein können, nicht nur auf die Eigenarten schweizerischer Gemeinden, sondern auch auf allgemeine Fragen der Kommunal-, Politik- und Verwaltungswissenschaften ein neues Licht zu werfen.« (Geser 1987:9)

G EGENSTAND UND S TAND DER F ORSCHUNG

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Fiechter verweist zudem auf den jeweiligen historischen Kontext und dessen starken Einfluss auf die direkte Demokratie in den Gemeinden, welcher jedoch keineswegs der Umsetzung von Reformen im Wege stünde. So empfiehlt er, »dass die grösstenteils aus dem 19. Jahrhundert stammenden demokratischen Strukturen der Gemeinden vermehrt den aktuellen Bedürfnissen angepasst [werden]« (Fiechter 2010:52). Diese Aussage verweist bereits auf ein Problem, das auch in der Praxis der Bauverwaltungen offenkundig und im empirischen Teil der vorliegenden Dissertation herausgearbeitet wird: der vermehrte Anpassungsdruck der Bauverwaltungen an die zunehmend komplexeren Vollzugsprozesse im Bereich Bau und Planung (siehe Kap. 5 und 6). Neuere Studien wie die von Daniel Baumgartner (2007) oder Joris van Wezemael (2010) beschäftigen sich mit dem Einfluss politischer Ideen auf kommunale Machtstrukturen am Beispiel der Reduktion von Bauzonenreserven oder mit dem Zusammenhang unterschiedlicher Governance-Settings, Planungsprozessen und Stadtentwicklung am Beispiel der Kleinstadt Effretikon. Es zeigt sich, dass für eine zielgerichtet Stadt- und Siedlungsentwicklung Prozesskompetenzen und das Generieren von Wissen über Prozessabläufe von entscheidender Bedeutung sind (Wezemael 2010). Der Politikwissenschaftler Lineo Devecci knüpft an die Prozessstudie Wezemaels an, wenn er in seiner Dissertation den Einfluss politischer Ideen auf die Stadt- und Planungsprozesse in zehn Gemeinden der Schweiz herausarbeitet und die politikwissenschaftliche Forschung um eine komparative Studie zur kommunalen Siedlungsentwicklung erweitert (Devecchi im Druck 2016). Ebenso der Geograph Matthias Loepfe, der sich eingehend mit Planungsprozessen in suburbanen schweizer Gemeinden beschäftigt und das komplexe Akteursnetz der Planungsprozesse auf kommunaler Ebene zu entwirren sucht (Loepfe 2014). Jene Ansätze der prozessorientierten Forschung werden im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit mitgedacht und weitergeführt, wenn auf die Implementierung der Bauprojekte in kommunalen Bauverwaltungen fokussiert wird (siehe Kap. 3). In diesem Zusammenhang ist auch die Studie Organisierte Armut der Soziologen Christoph Maeder und Eva Nadai (2004) zu erwähnen, die mittels wissenssoziologischer Methoden die Vergabepraxis der Sozialhilfe untersuchen und einen Vergleich zwischen städtischen und kommunalen Sozialämtern liefern. Im kommunalen Teil des Buches steht ein sehr spezifischer Teil einer schweizer Gemeinde im Zentrum: das politische Vollzugsorgan einer Gemeindeverwaltung und deren Arbeitsweise anstelle der Gemeinde als Ganzheit.4 Die vorliegende

4

Dementsprechend steht in dieser Studie nicht die Gemeinde im Vordergrund, sondern die organisatorische Abwicklung der Sozialhilfe in der föderalstrukturierten Schweiz

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Arbeit verfährt ähnlich und nimmt den spezifischen Verwaltungsapparat der Bauabteilung von Gemeinden genauer in den Blick (siehe Kap. 5). Daneben finden sich wenige sozialwissenschaftliche Arbeiten, die explizit die Gemeinden in der Schweiz zum Gegenstand ihrer Untersuchung machen. Zu nennen ist die Arbeit des Kulturgeographen Oskar Flück (2004), der sich im Rahmen seiner Dissertation um die Etablierung einer Gemeindegeographie als Teilgebiet der Geographie bemühte und die Solothurner Gemeinde Büren durch die Brille der verschiedenen geographischen Teilgebiete betrachtet. Er liefert eine Gemeindegeographie im Sinne einer klassischen Länderkunde, deren Ziel es ist, ein Dorfportrait der Gemeinde Büren in ihren (natur-)räumlichen, ökonomischen und kulturellen Facetten zu erstellen. Nicht zuletzt legte die Volkskundlerin Elisabeth Messener mit Schrans. Eine Gemeindestudie aus der Gegenwart (1969) eine ethnologische Langzeitstudie vor. Während einer dreijährigen teilnehmenden Beobachtung (1965-1967) integrierte sie sich jeweils für mehrere Monate im Jahr in die Gemeinde Schrans und zeigte mittels einer dichten Beschreibung das Leben in der Bündner Gemeinde unter den Stichwörtern Alpgenossen, Kirchengenossen, Jungen, Männer, Frauen und Kinder auf. Die Arbeit versucht, alle Teile der Gemeinde zu erfassen und ermöglicht – im Gegensatz zu Flücks Dorfportrait , einen detaillierten Einblick in das gesellschaftliche Gemeindeleben der Bündner. Die skizzierte Literaturlage zur Erforschung von Gemeinden in der Schweiz zeigt zweierlei, einerseits das Übergewicht an politikwissenschaftlicher Forschung gegenüber sozialwissenschaftlich ausgerichteten Studien, die sich mit (gesellschaftlichen) Mechanismen schweizerischer Gemeinden auseinandersetzen, andererseits die vielgestaltige Verwendung unterschiedlicher Gemeindebegriffe im Rahmen der Studien. Diese unterschiedlichen Gemeindebegriffe und deren Bedeutungen werden im Folgenden näher betrachtet. 2.1.2 Variationen des Gemeindebegriffs Die Differenzierung der Bestimmung des Gemeindebegriffs in eine staatsrechtlich-kommunalwissenschaftliche, eine politisch-wissenschaftliche und eine soziologische Definition lehne ich an den Vorschlag des Sozialwissenschaftlers Arno Klönne (1972) an. Dieser setzte sich kritisch mit dem Phänomen der (politischen) Gemeinde auseinander und verdeutlichte, »daß sie (die Begriffsbestim-

und die Unterschiede zwischen städtischer und ländlicher Vergabepraxis der Sozialhilfe.

G EGENSTAND UND S TAND DER F ORSCHUNG

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mungen) ein theoretisches Substrat der Realität früherer Epochen darstellen, das kaum geprüft auf heutige Verhältnisse übertragen wird« (Klönne 1972:255). Jene kritische Anmerkung Klönnes ist bei der folgenden Auseinandersetzung um den Gemeindebegriff stets mitgedacht, verweist sie doch auf den Umstand, dass eine zeitgenössische Gemeindeforschung einen Gemeindebegriff voraussetzt, der der gegenwärtigen Situation von Gemeinden gerecht wird. Staatsrechtlich-kommunalwissenschaftliche Definition Das Gemeindesystem in der Schweiz ist im internationalen Vergleich nicht nur extrem kleinteilig – gegenwärtig existieren 2408 Gemeinden, wobei das Spektrum von der Kleinstgemeinde Corippo (TI) mit ca. 20 Einwohnern bis hin zur Großstadt Zürich (370 000 Einwohner) reicht. Dabei beträgt die mittlere Wohnbevölkerung pro Gemeinde 2007 Einwohner (Bundesamt für Statistik 2013)5 – es verfügt, auf Grund der ausgeprägten föderalen Strukturen, auch über eine vergleichsweise große Autonomie. So ist bei den Rechtswissenschaftlern Ulrich Häfelin und Georg Müller zu lesen: »Gemeinden sind die vom öffentlichen Recht der Kantone eingesetzten öffentlichrechtlichen Körperschaften auf territorialer Grundlage, die zur Besorgung von lokalen öffentlichen Aufgaben mit weitgehender Autonomie ausgestattet sind.« (2002:284)

Jene Definition aus staatsrechtlicher Perspektive fasst die Gemeinde als öffentlich rechtlich anerkannte Körperschaft auf, die sich aus dem Verwaltungsrecht und der daraus resultierenden Verwaltungsstruktur ergibt (siehe Tabelle 5). Sie ist gesetzlich verankert und erhebt Anspruch auf Allgemeingültigkeit; zudem dient die Definition als Grundlage für Gemeindestatistiken in Form räumlicher und zeitlicher Analysen (siehe Bundesamt für Statistik). Dabei wird der Begriff der Gemeinde im heutigen Verständnis erstmals mit der Verfassung der Helvetischen Republik von 1798 erwähnt, um die äußerst vielfältig existierenden Organisationen des Gemeinwesens zu bündeln (Meylan et al. 1972:20ff.).6 Im Zuge dessen wurde die politische Gemeinde nach dem Einwohnerprinzip geschaffen, die die politischen Vorrechte der Bürger aufhob

5

Zum Vergleich: In Deutschland leben durchschnittlich ca. 6000 und in den Niederlan-

6

Für einen vertiefenden Einblick der historischen Entwicklung des Gemeindebegriffs

den ca. 30 000 Einwohner pro Gemeinde (Geser 2002). (in diesem Fall) am Beispiel der Gemeinde Altstätten siehe die Arbeit des Geographen Ernst Gächter (1968). Zur etymologischen Begriffsbestimmung siehe Flück 2004:6f.

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und die Gemeinde als Gemeinschaft der Einwohner festlegte. Die Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 stärkte das Prinzip der politischen Gemeinde und schaffte alle politischen Vorrechte auf Gemeindestufe zu Gunsten aller Schweizer ab (ebd.).7 Sie setzt sich aus der Gesamtheit aller auf einem Gemeindegebiet niedergelassenen natürlichen Personen zusammen, weshalb sie in einigen Kantonen auch als Einwohnergemeinde bezeichnet wird. Die politische Gemeinde ist heute die wichtigste Form und die einzige, die in allen Kantonen zu finden ist. Dementsprechend findet sich neben der Bezeichnung politische Gemeinde und Einwohnergemeinde auch die der allgemeinen Gemeinde. Im kommunalen Bereich besitzt diese Gemeinde vielfältige Zuständigkeiten wie die Finanz- und Steuerhoheit, eine eigene Organisation (Gemeindeverwaltung und -personal), das Fürsorgewesen, sowie die Ortspolizei und Ortsplanung (Meylan 1972:27). Die meisten Befugnisse und Aktivitäten werden der Gemeinde vom kantonalen Recht vorgegeben. Demzufolge handelt es sich um übertragene Aufgaben, welche durch Aufgaben des eigenen Wirkungskreises ergänzt werden (Fiechter 2008). So ist die Gemeinde kein reines Vollzugsorgan der übergeordneten Staatsebene – vor allem auch, weil wichtige politische Entscheide auf Gemeindeebene selbst getroffen werden, was ihre (lokalpolitische) Bedeutung – gerade im internationalen Vergleich – unterstreicht (Ladner 2008:2). Mit jenen Besonderheiten der politischen Gemeinde setzt sich die politikwissenschaftliche Forschung intensiv auseinander. Die Burgergemeinde indes (auch Bürger- oder Ortsgemeinde genannt) ist eine weitere Gemeindeform, die auf die alemannischen Sippengemeinschaften und mittelalterliche Wirtschaftsgemeinden zurückgeht (Gächter 1968). Bei Ernst Gächter ist zu lesen, dass sie vor der Französischen Revolution für das Wohl aller Bewohner des Gemeindebannes verantwortlich war. Im Zuge der stetigen Bevölkerungszunahme und der zeitweisen Übertragung des Fürsorgewesens wurden die Nutzungsberechtigungen des Grundbesitzes und der Fürsorglichkeit allerdings auf die Ortsbürger beschränkt (1968:25). Im 20. Jahrhundert ist ihre Bedeutung stark gesunken, weil entscheidende Funktionen wie die der Fürsorge auf die politische Gemeinde übertragen wurden (Geser 2002:423). 8 Einzelne Burgergemeinden verfügen noch heute über das Recht der Einbürgerungsentscheide – wichtiger aber ist der vielerorts beträchtliche Anteil an Grundbesitz, der die Burgergemeinde deshalb in boden- und planungspolitischen Belangen zu

7

Ausgenommen der Frauen, die erst 1971 das Wahlrecht und somit die gleichen Rechte wie die schweizer Männer erhielten.

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Einen guten Einblick in die Burgergemeinden gibt z.B.: Kurt Buchmann 1977.

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einem wichtigen und mächtigen Akteur beispielsweise im Oberwallis (siehe Kap. 3) avancieren lässt. Neben der politischen Gemeinde und der Burgergemeinde existieren noch heute etliche Spezialgemeinden, die jeweils für bestimmte Aufgaben zuständig sind. Zu den drei wichtigsten Typen gehören nach Meylan: 1. die Schulgemeinde (öffentliche Bildung) 2. Die Kirchengemeinde (Pflege des Kultus) 3. Die Armengemeinde (öffentliche Fürsorge). Diese und andere Spezialgemeinden sind vor allem in der Deutschschweiz zu finden, da sich dort traditioneller Weise eine pluralistische Gemeindeorganisation bewahrt hat (Meylan 1972:34). Politisch-wissenschaftliche Definition Die politisch-wissenschaftliche Definition folgt unter Bezugnahme auf den Rechtswissenschaftler Riccardo Jagmetti prinzipiell der staatsrechtlichkommunalwissenschaftlichen Definition: »Bei den Gemeinden handelt es sich um Körperschaften, die gebietsmässig umgrenzt, mit hoheitlicher Gewalt ausgestattet und als rechtlich verselbstständigte Verbände (mit Vermögensfähigkeit, eigenem Finanzhaushalt, eigenen Organen, mehr oder weniger weitreichender Organisationsgewalt) zu bezeichnen sind.«

9

(Ladner 2011 nach Jagmetti

1972:246ff.)

Die Differenz verdeutlicht Ladner, wenn er die politisch-wissenschaftliche von der staatsrechtlichen Definition abgrenzt. Während der staatsrechtliche Begriff über das Gemeindeverzeichnis bzw. über das Recht definiert wird, orientiert sich der politisch- wissenschaftliche Begriff: »[…] nicht am Bestehenden, sondern fragt, in welchem Rahmen die politischen Aufgaben (Entscheidung und Planung) der untersten Ebene der politischen Willensbildung am besten wahrgenommen werden können. Zu kleine, zu grosse oder ungünstig lokalisierte Gemeinden werden nicht einfach als gegeben hingenommen.« (Ladner 1991:8)

Der entscheidende Unterschied liegt folglich im Hinterfragen der politischen Gemeinde – auch in ihrer Existenzberechtigung. Dementsprechend ergibt sich

9

Jagmettis Ausgangsdefinition zu den Gemeinden ist weitaus umfangreicher. Er setzt sich dezidiert mit der Gemeinde als Körperschaft auseinander und zeigt deren Stellung im schweizerischen Recht auf. Ladner hat diese für den politikwissenschaftlichen Bereich in einer guten Form zusammengefasst, sodass jene Fassung hier wiedergeben wird. Ausführlich siehe Jagemetti 1972:246ff.

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die Gemeinde aus einer sinnvollen räumlichen und personellen Einheit der untersten Ebene der politischen Willensbildung (Klönne 1972:249, siehe Tabelle 5). Diese Forschung setzt sich deshalb intensiv mit Fragen der Autonomie und den optimalen Gemeindegrößen für eine gelungene direkte Demokratie auf kommunaler Ebene auseinander, wie auch die Zusammenfassung der Literaturlage zu den Gemeinden gezeigt hat (siehe oben). Die politikwissenschaftliche Forschung verfolgt intensiv das Werden und Vergehen politischer Gemeinden (Gebietsreformen) und analysiert ihre Handlungsspielräume auf vertikaler (Gemeinde, Kanton, Bund) wie auf horizontaler Ebene (innerhalb und zwischen Gemeinden). Folglich werden politische Funktionen und das politische System an sich hinterfragt. Im Falle der schweizer Gemeinden stehen derzeit Reformfragen im Bereich: Aufgabenteilung (mit Finanzausgleich), Interkommunale Zusammenarbeit, Gemeindefusionen und New Public Management (NPM) im Zentrum (Ladner 2008). Der letzter Punkt des NPM verweist auf die politisch-administrative Organisation der Gemeinden, die als wesentlicher Bestandteil die politische Gemeinde prägt. Dementsprechend wird die Gemeindeverwaltung als stabiler Kern der kommunalen Vollzugsorganisation angesehen, welcher bei der politikwissenschaftlichen Forschung stets mitgedacht, jedoch selten Gegenstand der Auseinandersetzung an sich ist. Es sei denn, um in zumeist quantitativen Studien den Einfluss des NPM auf den öffentlichen Verwaltungssektor zu beschreiben (Hablützel 1995) oder um aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung zu thematisieren (Derlien et al. 2011).10 Letztendlich orientiert sich der Gemeindebegriff der politisch-wissenschaftlichen Forschung stark an der Einteilung der staatsrechtlich-kommunalwissenschaftlichen Definition – wird allerdings in umfassenden Studien kritisch ausdifferenziert. Im Zentrum stehen die politikwirksamen Mechanismen einer Gemeinde, weniger das Bewusstsein und die Handlungen der Bürger, wie dies in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen von besonderer Relevanz ist. Ein wesentlicher Aspekt der Definition und des Verständnisses der politischen Gemeinde beinhaltet das Verhältnis zu Staat und Territorium (vgl. Werlen 1993)11. Die politische Gemeinde, die sich laut Definition »aus einer sinnvollen

10 Die verwaltungswissenschaftliche Forschung verbleibt deskriptiv, wenn sie die Unterschiede, Gemeinsamkeiten oder Überschneidungen im Aufgabenspektrum von Verwaltung und Politik aufzeigt. 11 Der Geograph Benno Werlen geht in seinen Ausführungen zu Staat und Territorium noch einen Schritt weiter. Er definiert den Staat als »institutionelle Organisation der politischen Machtausübung« und grenzt die Nation vom Staat ab, die »über das Terri-

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räumlichen und personellen Einheit der untersten Ebene der politischen Willensbildung« (siehe Tabelle 5) ergibt, definiert sich demzufolge in entscheidendem Maße über das Territorium. Dies ist für die vorliegende Arbeit gewichtig, denn die politische Gemeinde und mit ihr die Bauverwaltung verwaltet das jeweils ihrige Territorium und entwickelt dies weiter. Die Bauverwaltung entscheidet einzig über Bauprojekte im Rahmen ihres Territoriums, was vielfältige Konsequenzen für die Siedlungslandschaft und die Gesellschaft mit sich bringt. Dieser Umstand zielt auf die dritte Forschungsfrage ab, die sich mit der Wirkmacht der Bauverwaltungen auseinandersetzt und im Laufe der Auseinandersetzung mit der Gemeinde im städtebaulichen Diskurs (siehe Kap. 2.2.5 und 2.2.6, Schmid 2006) und der Diskussion der Verwaltung in Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie (Kap. 2.3) erste Antworten geben wird (Kap. 2.4). Zusammenfassend zeigen die bisherigen Ausführungen, dass die politischwissenschaftliche Forschung folgende Konzepte von Gemeinde zulässt (siehe Tabelle 5): • • • • •

Gemeinde als politische Einheit Gemeinde als organisatorische Einheit Gemeinde als Vollzugsorgan Gemeinde als autonomer Akteur Gemeinde als Instanz der Entscheidungsfindung

torium und die Bevölkerung definiert wird und nicht über die institutionalisierte Organisation« (Werlen 1993:53).

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Tabelle 5: Übersicht Begriffsbestimmung der Gemeinde, eigene Darstellung in Anlehnung an Klönne (1972) und Ladner (1991). Begriffsbestimmung der Gemeinde Staatsrechtlichkommunalwissenschaftliche Definition

Politischwissenschaftliche Definition

Soziologische

Gemeinde ergibt sich aus dem Verfassungsrecht und der Verwaltungsstruktur

Gemeinde ergibt sich aus einer sinnvollen räumlichen und personellen Einheit der untersten Ebene der politischen Willens-

Gemeinde ergibt sich aus dem Bewusstsein und den Handlungen der Bürger, was die genauen Grenzen im Raum definiert

Definition

bildung Anspruch auf Allgemeingültigkeit

Hinterfragen der Gemeinde

Hinterfragen der Gemeinde

• Politische Gemeinde • Burgergemeinde • Schulgemeinde • Kirchengemeinde • Armengemeinde • ...

• Gemeinde als politische Einheit • Gemeinde als organisatorische Einheit • Gemeinde als Vollzugsorgan • Gemeinde als autonomer Akteur • Gemeinde als Instanz der Entscheidungsfindung • •....

• Gemeinde als Raum • Gemeinde als Leute • Gemeinde als geteilte Institution und Werte • Gemeinde als Interaktion • Gemeinde als soziale Schichtung • Gemeinde als soziales System • ...

Besonders die beiden letzten Punkte Gemeinde als autonomer Akteur und Gemeinde als Instanz der Entscheidungsfindung verweisen auf eine gewandeltes Verständnis des Untersuchungsgegenstandes (siehe Devecci [im Erscheinen], Loepfe 2014, Wezemael 2010). Diese Verschiebung der Gemeinde von einem passiv gedachten Akteur (Gemeinde als Vollzugsorgan) zu einem aktiven wird noch Gegenstand der Auseinandersetzung sein (siehe unten). Zunächst diskutiere ich die soziologische Auffassung von Gemeinde, in der ebenfalls eine Verschiebung des Forschungsgegenstandes zu beobachten ist (siehe Schmid 2008, Diener

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et al. 2009). Diese Verschiebung werde ich in einem zweiten Schritt unter der Überschrift: Wandel des Gemeindebegriffs in den Wissenschaften genauer betrachten (Kap. 2.1.3). Soziologische Definition Ebenso wie die politisch-wissenschaftliche Definition, erhebt die soziologische Begriffsbestimmung keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit – im Gegenteil ist hier das Bewusstsein der Bevölkerung entscheidend für die Bestimmung der Gemeinde (siehe Tabelle 5). Der Soziologe René König liefert in seiner Studie Grundformen der Gesellschaft: Die Gemeinde eine bis heute anerkannte Definition: »Gemeinde ist zunächst eine globale Gesellschaft vom Typus einer lokalen Einheit, die eine bestimmte Mannigfaltigkeit von Funktionskreisen, sozialen Gruppen und anderen sozialen Erscheinungen in sich einbegreift, welche zahllose Formen sozialer Interaktion und gemeinsamer Bindung sowie Wertvorstellungen bedingt; außerdem hat sie neben zahlreichen Formen innerer Verbundenheit, die sich in den erwähnten Teilen abspielen mögen, selbstverständlich auch ihre sehr handgreifliche institutionell-organisatorische 12

Außenseite.« (1958:28)

Diese Definition zeigt Zweierlei, erstens verweist sie auf die institutionellorganisatorische Notwendigkeit von Gemeinden, zweitens auf deren Interaktionszusammenhang, welcher eine Reduktion der Gemeinde auf eine reine Verwaltungseinheit – wie es die staatsrechtlich-kommunalwissenschaftliche Definition zulässt – im soziologischen Verständnis ausschließt. In der vorliegende Arbeit werde ich jenen Zweiklang der institutionell-organisatorischen Notwendigkeit und – im spezifischen Feld der Bauverwaltungen ausgewählter Gemeinden, die Interaktionszusammenhänge bzw. deren Praxis aufzeigen. Der Soziologe Georg Hillery arbeitete, in einer viel zitierten Durchsicht von 94 soziologischen Definitionsversuchen zu Gemeinden, die enorme Vielfalt und Uneinigkeit des Gemeindebegriffs auf. Er destillierte im Zuge dessen drei Wesensmerkmale heraus, die sich in allen Begriffsbestimmungen finden lassen: lokale Einheit, soziale Interaktion und gemeinsame Bindung (Hillery 1950:117). Nicht Gesetze und politische Gegebenheiten entscheiden, Hillery folgend, über das, was eine Gemeinde ist, sondern das Zusammenspiel von Raum und Interaktion.13 Be-

12 Im Orginal kursiv. 13 Gleichwohl ist Vorsicht vor einer zu starken Raumzentriertheit, eines Determinismus geboten. Auch spielt der Raum bei gewissen Gemeindeformen, etwa bei der Religiösen, zum Teil keine (große) Rolle.

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reits an dieser Stelle wird die Schwierigkeit der Definition des Gemeindebegriffs, deren schwere Fassbarkeit auf sozialwissenschaftlicher Ebene deutlich – kennt doch die sozialwissenschaftliche Forschung entsprechend ihrer Entwicklung, sowie der Vielfältigkeit der sozialen und räumlichen Ausprägungen eine Vielzahl von Forschungsansätzen zur Gemeinde. In der nun folgenden Darstellung zeige ich die verschiedenen sozialwissenschaftlichen Forschungsstrategien auf und folge den Ausführungen Ladners, der sich in seiner Publikation: Politische Gemeinden, Kommunale Parteien und lokale Politik. Eine empirische Untersuchung in den Gemeinden der Schweiz intensiv mit dem soziologischen Gemeindebegriff auseinandersetzte (1991:12ff.). Gemeinde als Raum Rural community studies. Hier wird das Dorf als Handelszentrum gesehen, welches das gesellschaftliche und ökonomische Leben der Dorfbewohner und dessen Einzugsgebiet bestimmt. Die Raumbezogenheit und der Einfluss des Raumes auf die Normen, Werte und Interaktion stehen bei diesen Gemeindestudien im Vordergrund (Galpin 1915, Park 1952).14 Gemeinde als Leute Zensusstudien. Zensusdaten ermöglichen die genaue demographische Beschreibung der Gemeinden und weiterführende komparative Gemeindestudien. Ziel ist es weniger, die Gemeinden selbst zu charakterisieren, als die Erklärungskraft der einzelnen Variablen der Zensuserhebung herauszuarbeiten (Warren 1978). Die Gemeinden werden hier zum Forschungslaboratorium, in dem soziale Gesetzmäßigkeiten erforscht werden.15 Gemeinde als geteilte Institution und Werte Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen stehen die gemeinsamen Werte und kulturellen Codes einer Gemeinde. Soziologische Untersuchungen greifen auf die von der Anthropologie entwickelte Methode der teilnehmenden Beobachtung zurück, um Wertesysteme und Lebensmuster verschiedener Gemeinden zu beschreiben und zu vergleichen (Lynd und Lynd 1929, 1937; West 1945).

14 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den – im Zuge der Chicaoger Schule entwickelten – Forschungszweig der Humanökologie. 15 Gemeinde als Laboratorium bedeutet, dass in der Gemeinde Prozesse beobachtet werden können, die auf die gesamte Gesellschaft anzuwenden sind.

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Gemeinde als Interaktion Die Interaktion zwischen Menschen und ihr Verhalten untereinander steht im Vordergrund. Einerseits wird das Verhalten in einer Gemeinde und dessen Auswirkungen auf die wichtigsten Institutionen wie Familie oder Schule untersucht, andererseits, wie sich übergeordnete soziale Phänomene wie Konflikt, Wettkampf oder Trennung auf kommunaler Ebene verlaufen und auswirken (Warren 1978). Die Gemeinde wird hier ebenfalls als Forschungslaboratorium gebraucht. Gemeinde als soziale Schichtung Schichtungsforschung. Diese fragt nach der Existenz und Ausdifferenzierung von Schichtungssystemen (Warner und Lunt 1945, 1947; Mayntz 1958, Feber 1966) oder nach gesellschaftlichen Machtverteilungen in den Gemeinden (Community Power Structure-Analysen; Hunter 1953). Gemeinde als soziales System Hier findet eine Übertragung der Analyse sozialer Systeme auf kommunaler Ebene statt. Es wird nach den Beziehungen gegenseitiger Subsysteme der Gemeinde, sowie nach den Beziehungen mit übergemeindlichen Systemen gefragt (König 1958, Warren 1978). In diesem Bereich sind kaum Studien entstanden, was der Soziologe Hans-Jörg Siewert vor allem auf die Schwierigkeit der Operationalisierung für das soziale System Gemeinde zurückführt (Siewert 1975:77). Es zeigt sich, dass die soziologische Begriffsdefinition und Erforschung von Gemeinde weniger der staatsrechtlich-kommunalwissenschaftlichen Definition folgt als dem Bewusstsein und den Handlungen der Bürger, welche die Grenzen im Raum festlegen und Lokalitäten manifestieren. Der Begriff bezieht sich auch nicht per se auf die politische Gemeinde, gleichwohl deren Ausprägungen häufig als Ausgangspunkt bzw. Grundlage zu sozialwissenschaftlichen Forschungszwecken verwendet werden. Ebenso wie der politisch-wissenschaftliche ist der soziologische Gemeindebegriff keine feststehende Größe, sondern ist an die normativen Leitbilder der entsprechenden Disziplin gebunden und hinterfragt aus deren Warte die Gemeinde. Zugleich ist der soziologische Gemeindebegriff flexibler als der politisch-wissenschaftliche und lässt je nach Forschungsausrichtung ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten zu. Die Erforschung der Gemeinde profitiert vor diesem Hintergrund vor allem auch vom methodischen Reichtum der sozialwissenschaftlichen Forschung, die die vergleichsweise starren Forschungsansätze der staats- und politikwissenschaftlichen Disziplinen aufzubrechen vermag, wenn sie die Interaktionszusammenhänge einer Gemeinde betont.

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Gleichzeitig verdeutlichen die nun folgenden Ausführungen, dass für eine zeitgenössische Gemeindeforschung ein Gemeindeverständnis von Nöten ist, welches die normativen Leitbilder der politik- und sozialwissenschaftlichen Forschungstradition aufbricht. Denn die Erforschung der Gemeinde in der Schweiz verlangt ein ontologisches Verständnis, das die Gemeinde nicht länger als Forschungslaboratorium begreift, in dem sich allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten aufdecken lassen, sondern das die Gemeinde als Erkenntnisobjekt versteht, welches im Sinne einer Wirkungsforschung einen wichtigen Akteur für die Formung, Bildung und Organisation aktueller gesellschaftlicher Prozesse darstellt. 2.1.3 Wandel des Gemeindebegriffs in den Wissenschaften »[…] Gemeindestudien [galten] als besondere Methode der Gesellschaftsanalyse, die am überschaubaren Modell gesellschaftstheoretisch relevante Fragen (Schichtung/Machtstruktur) empirisch zu untersuchen erlaubte«, ist, bei den Soziologen Hartmut Häusserman und Walter Siebel zu lesen (1978:484). Gemeinden wurden, den Autoren folgend, einerseits als sozialer Tatbestand vergleichbar mit der Familie begriffen, deren sozialen Beziehungen und Prozesse wie die der Lebensstile und Identitäten erforscht wurden, andererseits als »verkleinertes Abbild der Gesamtgesellschaft Gegenstand sozialwissenschaftlicher Analysen« (ebd.). Sozialwissenschaftliche Gemeindestudien wie die Dorfstudie von René König (1966) oder die Wolfsburger Studie von Martin Schwonke und Ulfert Herlyn (1967) legten dementsprechend Analysen gesamtgesellschaftlicher Prozesse mittels einer Gemeinde vor. Die Soziologin Martina Löw verwirft unter Bezugnahme auf Adorno, der jenes Vorgehen bereits in den 1950er Jahren kritisierte, 16 die bisherigen Forschungsansätze der Gemeindestudien und postuliert eine relationale Perspektive zur Erforschung von Städten resp. Gemeinden (Löw 2008). Gemeinden können folglich weder »als autonome Insel am Fluss der gesellschaftlichen Entwicklung« (Lindner 1980:29) betrachtet werden, noch lediglich als »Arenen der Gesellschaftsentwicklung« (Löw 2008:49). In den Vordergrund rückt die Eigenlogik der Städte, sowie die relationale Anordnung von Menschen und Dingen, die eine Stadt bzw. Gemeinde als sozialen Raum konstituieren und mitunter von anderen unterscheidet. Es findet eine Verschiebung der soziologischen Gemeinde- bzw. Stadtforschung statt, welche die Konzeption der Gemeinde als Forschungslaboratorium verwirft (siehe oben) und an deren Stelle

16 Siehe dazu Martina Löw 2001: Gemeindestudien heute: Sozialforschung in Tradition der Chicagoer Schule? In: Zeitschrift für Qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung 1. S. 111-131.

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ein relationales Verständnis stellt, das die Eigenlogik der Städte bzw. Gemeinden aufdeckt.17 Ein Blick auf die aktuellen Tendenzen der eher politikwissenschaftlich ausgerichteten Forschung verweist mit den Prozessstudien von Devecchi (im Erscheinen), Loepfe (2014) und Wezemael (2010) ebenfalls auf eine Verschiebung der Forschungsperspektive. Im Fokus dieser Gemeindestudien steht nunmehr das Generieren von Prozesswissen und die Aufdeckung der vielfältigen Verflechtungen von Governancestrukturen, Planungsstrategien und Stadtentwicklung. Vor dem Hintergrund dessen ist die Gemeinde nicht mehr als Abbild für gesellschaftliche Entwicklungen auf übergeordneter Ebene angelegt oder als passives Vollzugsorgan, sondern als aktiver Akteur, welcher erheblichen Anteil an gesellschaftlichen Prozessen quer durch alle Ebenen besitzt. Die Gemeinde wird zu einer Instanz der Entscheidungsfindung. Jener notwendige Wandel des Gemeindeverständnisses werde ich im Forschungsbereich zur Stadt- und Siedlungsentwicklung in der Schweiz aufzeigen:18 Der städtebauliche Diskurs in der Schweiz orientierte sich – und tut dies noch immer an den internationalen Diskussionen, über die Zukunft der Stadt und stellt städtische Fragen ins Zentrum der Betrachtung. Gleichwohl eine Vielzahl der Bevölkerung in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern lebt und der Gemeinde auf Grund der ausgeprägten föderalen Strukturen, sowie des direktdemokratischen Systems eine besondere Rolle in der Gesellschaft zugedacht wird. So verfügt sie über Steuerhoheit, die Bau- und Zonenordnung und verfolgt jeweils Partikularinteressen (Schmid 2008).19 Jedoch rückt die Gemeinde spätestens mit Artikel 50 der neuesten Bundesverfassung (1999) in den Blick der städtebaulichen Diskussion. Erstmals erwähnt die Verfassung die Gemeinde, garantiert die Gemeindeautonomie und mahnt den Bund an, mögliche Auswirkungen seines Handelns auf die Gemeinden und Agglomerationen zu berücksichtigen. Dies legt eine Gemeindeverständnis nahe, in dem die Gemeinde nicht mehr nur als Ort verstanden wird, als Bühne auf der etwas passiert, sondern als aktive Größe, eine Entscheidungsinstanz, die die räumliche Entwicklung mitgestaltet. Zwei Positionen lassen sich dabei ausmachen, die an dieser Stelle verkürzt wiedergegeben werden (ausführlich siehe Kap. 2.2). Einerseits wird der Gemeinde

17 Dies geschieht unter Berücksichtigung der Debatten um den Raumbegriff in der Geographie (Spatial Turn), wo traditionelle deterministische Raumkonzeptionen zu Gunsten eines relationalen Raumbegriffs verworfen werden (siehe Massey 1993, Soja 1996). 18 Ausführlich siehe Kap. 2.2: Städtebaulicher Diskurs in der Schweiz. 19 Siehe Kap. 2.2.6: Die Gemeinde im städtebaulichen Diskurs der Schweiz.

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vorgeworfen, nur langsam auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren (Schedler et al. 2006) und eher ein Hindernis in der Entwicklung, Koordination und Umsetzung neuer städtebaulicher Strategien zu sein: »Das spezifische Urbanitätsmolekül – oder eher Antiurbanitätsmolekül – der Schweiz ist die Gemeinde« (Diener et al. 2006:145). Andererseits wird zunehmend deutlich, dass die Gemeinde durchaus Potential besitzt – und dieses auch nutzt, um eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung voranzutreiben und Antworten auf die rezenten Herausforderungen und Veränderungen zu geben (vgl. Koch & Schmid 1999). Folglich wird die Gemeinde zu einem aktiven Akteur, dessen Erforschung von Handlung und Praxis eine wichtige Bedeutung zukommt, um gesellschaftliche Entwicklungen zu begreifen und gegebenenfalls zu verändern. 2.1.4 Fazit: Erweiterung des Gemeindebegriffs Ziel der Arbeit ist es, die Eigenlogik der administrativen Praktiken sowie deren Wirkmacht auf die Bauprojekte resp. die gebaute Umwelt aufzuzeigen. So beschäftigt sich die dritte Forschungsfrage der Studie mit eben diesem Sachverhalt und fragt nach den Auswirkungen administrativen Handelns auf die gebaute Umwelt (Kap. 1.1.2). Die bisherigen Ausführungen zum Gemeindebegriff zeigen jedoch, dass bei allen Definitionen der Zusammenhang zur gebauten Umwelt fehlt. Die politische Gemeinde definiert sich zwar über das Territorium, die Gemeindeforschung interessiert sich aber nicht dafür, wie die Gemeinde auf das Territorium resp. die gebaute Umwelt wirkt. Hingegen schließt die sozialwissenschaftliche Definition René Königs zwar die institutionelle Notwendigkeit wie deren Interaktionszusammenhang mit ein, lässt aber die gebaute Umwelt außer Acht. Um dem Forschungsziel meiner Arbeit gerecht zu werden und aufzuzeigen, wie Bauprojekte in der alltäglichen administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert 20 werden und welche Auswirkungen das administrative Handeln letztendlich auf die gebaute Umwelt hat, ist eine Erweiterung des Gemeindebegriffs notwendig. Für dieses Vorhaben ist ein Gemeindeverständnis angebracht, welches sich im Sinne des skizzierten nötigen Wandels (siehe auch Kap. 2.1.3.) auf einen aktiven Gemeindebegriff beruft und diesen gleichsam erweitert. Die Studie schlägt deshalb einen aktive Gemeindebegriff vor, der die Gemeinde, und mit ihr die institutionelle Ebene der Bauverwaltung, als Instanz begreift, deren alltägliches Handeln direkt auf die gesellschaftliche und gebaute Umwelt Einfluss nimmt. Die (politische) Gemeinde, und mit ihr die Bauverwaltung, definieren sich dieser

20 Forschungsfrage 2 (Kap. 1.1.2).

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Art nicht nur territorial über einen bestimmten physisch geographischen Ausschnitt der Siedlungsfläche, sondern sie prägen diesen entscheidend mit. Sie machen gebaute Umwelt. Sei es als institutionelle Orte, an denen aktiv Entscheidungen getroffen werden, als Vollzugsorgan oder auch als beratendes Gremium von Bauwilligen oder politischen Akteurinnen und Akteuren. Gleichsam wird die Gemeinde als hybrides Konstrukt begriffen, das sich neben Gesellschaftlichem, Sozialem und den Handlungsvollzügen der Akteurinnen und Akteure auch über das Materielle definiert (Latour 2006). Das Materielle tritt nicht nur in Form der gebauten Umwelt zu Tage, sondern bezieht ebenso die materielle Infrastruktur der Bauverwaltung mit ein. Das bedeutet, dass deren Architektur, Büromöbel und Büroartefakte als aktiver Teil der Bauverwaltung gelesen werden müssen, die aus den Handlungen der Bauverwaltung resultieren, diese rahmen, unterstützen und entwickeln. Ein so verstandener Gemeindebegriff ermöglicht es mir, das alltägliche Handeln der Bauverwaltung als administrativer Teil der politischen Gemeinde zu untersuchen. Dies erstens, im Bezug auf Bauprojekte und zweitens, auf die gebaute Umwelt. Erst durch die Neusetzung des Gemeindebegriffes kann es gelingen, Antworten auf die Forschungsfragen und deren Unterfragen 21 zu geben (siehe Kap. 1.1.2). Es wird deutlich, dass die Studie keine Gemeindeforschung betreibt, um zu verstehen was Gemeinde ist, sondern wie Gemeinde wirkt. Die Gemeindeforschung verschiebt sich so hin zu einer Gemeindewirkungsforschung. Diese Verschiebung wird am Ende der Studie aufgenommen und abschließend diskutiert (siehe Kap. 9). Bereits an dieser Stelle zeigt sich, dass die Gemeinde resp. die Bauverwaltung im Sinne meiner dritten Forschungsfrage re-positioniert werden muss, um deren Rolle in Bezug auf die gebaute Umwelt zu begreifen. Inwiefern diese Vermutung zutrifft, werde ich im nachfolgenden Kapitel beantworten. Hier werde ich erstens die städtebauliche Entwicklung der Schweiz aufzeigen und diesen Kontext für die weitere Untersuchung verfügbar machen und zweitens Antworten auf die Frage nach dem derzeitigen Rollenverständnis und der Wahrnehmung der Gemeinde resp. der Bauverwaltung im städtebaulichen Diskurs geben.

21 Diese fragen z.B. nach der (sozio-)materiellen Infrastruktur, die die administrative Praxis rahmen bzw. aus ihr resultieren, um Bauprojekte zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen. Oder danach wie visuelle und administrative Werkzeuge gebraucht werden (Kap. 1.1.2).

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2.2 S TÄDTEBAULICHER D ISKURS

IN DER

S CHWEIZ

Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, im Allgemeinen den städtebaulichen Diskurs in der Schweiz darzustellen, um im Speziellen erstens das Verhältnis zwischen Gemeinde resp. Verwaltung und Städtebau in der Schweiz zu verstehen und zweitens die veränderte Wahrnehmung der Rolle der Gemeinde im Städtebau von einem passiv verstanden Akteur hin zu einem aktiven aufzuzeigen.22 Den Einstieg in das Kapitel bildet der Widerspruch zwischen Mythos des Alpenlandes und der von Zersiedelung und Agglomerationen geprägten städtebaulichen Realität des Landes, da jenes Paradox der Sehnsucht nach der »Schönschweiz« (Loderer 2008a) und die nüchterne städtebauliche Realität des (Mittel)Landes exemplarisch auf die Herausforderungen des Städtebaus in der Schweiz hinweisen. Davon ausgehend werden die städtebaulichen Leitbilder seit den 1930er Jahren ebenso beleuchtet wie die Entwicklung des Urbanisierungsprozesses in der Schweiz. Diese Darstellungen bereiten den Boden für die aktuellen Leitbilder und den derzeitigen städtebaulichen Diskurs in der Schweiz. Als einer der frühsten Köpfe im städtebauliche Diskurs ist hier Jean-Jacques Rousseau (1763) anzuführen, dessen Zustandsbeschreibungen der städtebaulichen Situation in der Schweiz später immer wieder als Bezugspunkte herangezogen werden. Sodann Armin Meili (1941, 1944), der Vater der schweizer Raumplanung und der Schriftsteller Max Frisch (1955) mit seiner Streitschrift Achtung: Die Schweiz oder der Architekturhistoriker André Corboz (1988, 2001) und die Stadtforscher Michael Bassand und Martin Schuler (1985, 1988), die sich mit der Metropolisierung der Schweiz und dem Verhältnis zwischen Stadt und Land auseinandersetzten. Zu Beginn der Jahrtausendwende ist es vor allem der Verein Metropole Schweiz (2001), der sich ebenso wie der Essayband von Franz Oswald und Nicola Schüller: Neue Urbanität – das Verschmelzen von Stadt und Landschaft (2003) oder das Pamphlet der Architektengruppe um Roger Diener: Die Schweiz. Ein städtebauliches Porträt (2006), für ein gewandeltes städtisches Verständnis der Schweiz stark machen. Das Team des Architekturtheoretikers Vittorio Magnago Lampugnani (2007) greift ebenso wie der streitbare Stadtwanderer Benedikt Loderer (2008) spezifische Themen wie Dichte und Zersiedelung auf. Das nationale Forschungsprogramm Neue Urbane Qualität NFP 6523 diente

22 Forschungsfrage 3: Welches Rollenverständnis von Gemeinde resp. Bauverwaltung ist im derzeitigen städtebaulichen Diskurs verankert und ist im Zuge dessen eine RePositionierung der Gemeinde angebracht? (Kap.1.1.2). 23 Mein Dissertationsprojekt selbst war Teil des Projekts Urbane Brüche/Lokale Interventionen – Perspektiven einer suburbanen Planung, das den vielfältigen Prozessme-

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zur Entwicklung von Konzepten und Strategien für eine qualitativ hochstehende Siedlungsentwicklung. Und nicht zuletzt prägt der Stadtsoziologe Christian Schmid (2005, 2012), der die Urbanisierungsprozesse in der Schweiz intensiv erforscht den städtebaulichen Diskurs maßgeblich mit. Er ist es auch, der insbesondere im letzten Unterkapitel zu Wort kommt, wenn es um die Einordnung der Gemeinde in den städtebaulichen Diskurs geht, da Schmid beispielsweise in seinem Artikel: Bilder zur Urbanisierung der Schweiz (2012) die besondere Rolle der Gemeinde im Urbanisierungsprozess aufzeigt. 2.2.1 Alpenmythos vs. Aggloschweiz Der städtebauliche Diskurs in der Schweiz ist ein ambivalenter. Er ist geprägt von Vorstellungen, Wünschen und Hoffnungen, die teilweise auf Bilder einer längst vergangenen Zeit rekurrieren. Es sind Bilder einer unberührten, naturnahen und sublimen Schweiz – einer Schweiz, die geprägt ist von Bergen, Flüssen und Tälern, angereichert mit historischen Städten und Siedlungen, die kunstvoll in der Landschaft in Szene gesetzt sind. Bilder, die den romantischen Gemälden des frühen 19. Jh. entspringen, in denen die grand tour en vogue gewesen ist und Dichter und Denker das Land bereisten.24 Ein Land der Postkartenidyllen, das genährt ist vom Alpenmythos, vom Ländlichen, vom Tourismus 25 und dessen Image der vollkommenen Naturschönheit. Jene romantische Vorstellung setzt sich bis in die Gegenwart fort:

chanismen zur Siedlungsentwicklung in den Bereichen Politik, Planung und Administration nachging (siehe Van Wezemael et al. 2014). 24 Die Liste der bildenden Künstler und deren Auseinandersetzung mit der schweizer Natur und Kultur ist lang: Sie reicht über die sentimentalen Gemälde eines Sigmund Freudenberger (1745-1801) über Alexandre Calame (1810-1864), Giovanni Segantini (1858-1899) und Ferdinard Hodler (1853-1918), der mit seinen Gemälden die Wahrnehmung der Schweiz v.a. im Ausland entscheidend prägte, bis hin zu Ernst Bieler (1863-1948), Edovard Valet (1879-1929) und Giovanni Giacometti (1868-1913). Daneben gab es zahlreiche Gelehrte und Schriftsteller, die mit ihren Texten das Bild einer idealisierten – von Einfachheit und Glückseligkeit gepriesenen Schweiz verfestigten: z.B. der Schweizer Conrad Gesner (1516-1565), später dann Albrecht von Hafer (1708-1777), Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), Victor Hugo (1712-1777) oder Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). 25 Siehe hierzu z.B. Leslie Stephens, der mit seinem Buch Playground Europe (1871) den Alpentourismus in den schweizer Bergen maßgeblich förderte.

80 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG »Wir, die wir zunehmend und grossmehrheitlich im halb ebenen, halb hügeligen Mittelland und nunmehr immer hauptsächlicher in Städten leben, sind so zu Bürgern des Alpenlandes schlechthin, zu Angehörigen eines spezifischen Alpenlandes geworden, ein friedliches, aber (noch) wehrhaftes Volk, ein freiheitsliebendes, geschützt von dem Alpenkreis, Wall dir von Gott!« (Bernhard 2011)

Gleichwohl ist die Schweiz schon längst im Zeitalter der Globalisierung angekommen und – mehr noch, in vielerlei Hinsicht ist sie eine der wichtigsten Schnittstellen derselben. 26 Heute prägen Städte und Agglomerationen die Schweiz mehr als je zuvor, sodass sich das Verhältnis zwischen Stadt und Land grundlegend gewandelt hat. Längst hat die Schweiz das genuin Ländliche abgestreift und sich zu einem großen urbanen Raum gewandelt – der wachsende Landschaftsverbrauch von ca. 1m2 pro Sekunde verdeutlicht dies ebenso wie die Agglomerationen der großen Metropolitanregionen Zürich, Basel und Genf (Da Cunah, Both 2004:21). Doch im Bewusstsein der Bevölkerung ist das Bild der sogenannten »Schönschweiz«, um ein Schlagwort des Stadtwanderers Loderer (2008b) zu bemühen, fest verankert. Es sind naturnahe Imaginationen, die langsam im Verschwinden begriffen sind, aber tief im schweizerischen Selbstverständnis verwurzelt sind – so tief, dass laut Loderer die Durchschnittsschweizer ihr Land durch »die Ferienbrille« betrachten und »im Alltag der Aggloschweiz leben« aber »nur die Schönschweiz für wirklich« halten (Loderer 2008a). Die vorangegangenen Ausführungen zeigen in einem ersten Ansatz die Ambivalenz und die Herausforderung, mit der sich der städtebauliche Diskurs in der Schweiz seit den Anfängen der Raumplanung in den 1930er Jahren auseinanderzusetzen hatte: Auf der einen Seite ist ein Festhalten an den Idealvorstellungen einer ländlichen, dezentralen Schweiz zu konstatieren, die geprägt ist von Kleinund Mittelstädten. Auf der anderen Seite steht der rasante, sozioökonomische Wandel des 20. Jahrhunderts, der die Urbanisierungsprozesse stark beschleunigt, dabei die Konzepte der Raumplanung weit hinter sich lässt und – dieselbe zum »Papiertiger« (ebd.:25) degradiert. Diese Ambivalenz gilt es, im Folgenden schärfer zu fassen.

26 Sitz vom Headquarter der internationalen Ökonomie (Nestle, Swatch, ABB, Novartis…), Finanzplatz Zürich und Genf, Sitz von internationalen Institutionen (UNO, WHO, WTO), vgl. Schär, Stahel, Züricher 2008 und Dümmler et al. 2004.

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Abb. 4: Entstehung von städtischen Regionen und Metropolitanräumen; räumliche Diversifizierung 2000 (Da Cuhna & Both 2004:91).

2.2.2 Städtebauliche Leitbilder der Schweiz I »Wo bleibt angesichts solcher Entwicklungen das Land der Bauern und schmucken Dörfer, das für das Selbstverständnis und die Fremdwahrnehmung der Schweiz eine so große Rolle spielt?« fragt der Städtebauer Angelus Eisinger (2004:11) mit den Worten des Schweizer Geographen Paul Messerli27 in seiner Publikation »Stadt-Land Schweiz«, in der er eine Bestandsaufnahme der städtebaulichen Entwicklung wagt und zugleich die Wirkungslosigkeit der bisherigen Planungen und Konzepte beklagt (ebd. 2004:14). In der Rückschau zeigen die Strömungen des Urbanisierungsprozesses in der Schweiz schon früh städtische Züge und machen deutlich, dass der ländlich ge27 Messerli denkt in seinem Aufsatz »Der als Mythos« über das Verhältnis zwischen Zentren und Peripherien und deren funktionales Gefüge in der Schweiz nach.

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prägte Charakter der Schweiz in den letzten 150 Jahren kaum der Realität entsprach (vgl. Schmid 2006). »Die Schweiz ist gewissermaßen eine einzige, große Stadt […],« schrieb bereits Rousseau (1763) und rückte somit das Städtische in den Blick, wobei er allerdings auf die harmonische Verbindung zwischen Stadt und Land hinwies.28 Zu Beginn der schweizerischen Raumplanung in den 1930er Jahren greift Armin Meili genau jenes Bild der Schweiz als idyllische Stadt wieder auf. Meili gilt als Pionier der schweizer Raumplanung und prägte das Konzept der »weit dezentralen Großstadt Schweiz« (Meili 1941:15). In diesem Leitbild verband er den Gedanken des Urbanen,29 des Städtischen mit den helvetischen Grundsätzen des föderalistischen Systems: Ihm schwebte eine moderne, wirtschaftlich und kulturell leistungsfähige Schweiz der Klein- und Mittelstädte in Kombination mit einer intakten landwirtschaftlichen Zone vor (Hildebrand 2006:82). Die Großstadt wie sie andere europäische Länder hervorbrachten, etwa London oder Paris, wurde vehement abgelehnt. So schrieb Meili: »Unser kleines Land verträgt keine großstädtischen Wasserköpfe« (1944:8) – auch weil im Sinne des föderalistischen Systems eine Konzentration auf eine einzige Region vermieden werden sollte. Entsprechend strebte die schweizerische Raumplanung eine Förderung der Klein- und Mittelstädte im Mittelland an (vgl. Schmid 2005).30 Das Diktum dieser Gleichheit im Raum wurde in den 1970er Jahren in der Phase der Institutionalisierung der Raumplanung verfestigt und in Gesetze gegossen: 1969 wurde ein Artikel zur Raumplanung in die eidgenössische Verfassung aufgenommen, wodurch der Bund die Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung in der Raumplanung erhielt, 1979 erfolgte das erste Bundesgesetz für Raumplanung. Einen Meilenstein markierte in diesem Prozess die Chefbeamtenkonferenz CK 1973, bei der die Eckpfeiler des Leitbilds zur Raumplanung entwickelt wurden:31 Mit den Grundsätzen der dezentralen Konzentration und der Gleichheit im Raum wurde dabei auf Meilis Konzeption zurückgegriffen – gleichwohl die bis dato getätigten raumplanerischen Maßnahmen in Verbindung

28 »Die Schweiz ist gewissermaßen eine einzige große Stadt, in dreizehn Quartiere aufgeteilt, von denen einige in Tälern, andere in hügeligem Gelände und wieder andere in den Bergen liegen […].« Rousseau 1763, zit.n. Corboz 2001:45. 29 Zum Urbanitätsbegriff siehe Thomas Wüst 2004: Urbanität. Ein Mythos und sein Potential. Wiesbaden. 30 Einen guten Überblick zum Umgang mit der Stadt in der schweizer Raumplanung bieten Koch & Schmid 1999.

31 Vgl. Schweizerische Vereinigung für Landesplanung (Hg.) 1999: Raumplanung in der Schweiz: Eine Kurzeinführung. Online unter www.vlp-aspan.ch/de/information/raum planung-der-schweiz.

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mit den sozioökonomischen Entwicklungen in eine andere Richtung drängten32 (siehe unten). Das beschlossene Leitbild sah insbesondere die Förderung der Berg- und Randgebiete vor, um den Abbau von regionalen Disparitäten zu fördern. Der Einfluss des von Walter Christaller entwickelten Systems der zentralen Orte33 ist hier deutlich zu spüren. Dieses schien für die schweizer Raumplanung bestens geeignet, denn vordergründig ließen sich auf der Blaupause des Systems die schweizer Besonderheiten des föderalistisch, dezentral geprägten Urbanitätsmodells und das damit einhergehende Diktum der Gleichheit im Raum realisieren.34 Bis in die 1990er Jahre blieb dieses urbane Leitbild der geordneten Dezentralisation unumstößlich und der städtebauliche Diskurs und das Leitbild zogen weitestgehend an einem Strang. Doch in der Rückschau zeigt sich, dass dieses skizzierte Leitbild zu lange die raumplanerischen Maßnahmen prägte, denn die sozioökonomischen Prozesse und die Vorstellungen über die städtebaulichen Entwicklungen drängten spätestens seit den 1980er Jahren in verschiedene Richtungen. Dies zeigte sich beispielsweise an der Losung der »Wiederentdeckung des Städtischen« (Lenger 2006), die Mitte der 1980er Jahre in weiten Teilen Europas aufkam, und zu einem veränderten Bild der bis dato in die Krise geratenen (Innen-)Städte führte, sodass die Stadt nicht mehr per se als Bedrohung wahrgenommen wurde, sondern als Lebensraum, in den es sich lohnte, zu investieren.35 Demzufolge stand das Verhältnis zwischen Stadt und Land zur Disposition und verlangte nach neuen städtebaulichen Maßnahmen (ebd.). So auch in der Schweiz, wo die alten Leitbilder (Gleichheit im Raum, geordnete Dezentralisation) zunehmend infrage gestellt wurden und ein Umdenken der bisherigen Konzepte des Städtebaus und

32 Siehe etwa das 1958 beschlossene und in der Folgezeit realisierte nationale Autobahnkonzept, das zu einem der Motoren der Urbanisierung avancierte. Die damit einhergehende flächendeckende Verkehrserschließung wirkte in der Rückschau in Bezug auf eine geordnete Dezentralisierung kontraproduktiv, denn gerade zwischen den Städten an den Straßen setzten rasch Verstädterungsprozesse ein wie etwa an der A1 zwischen Zürich und Basel (vgl. Studer 1985, Eisinger 2003:10).

33 Christaller, Walter 1933: Die zentralen Orte in Süddeutschland. Jena. 34 Christaller, Walter 1951: Die Parallelität der Systeme des Verkehrs und der zentralen Orte dargestellt am Beispiel der Schweiz. Verhandlungen des deutschen Geographentages. S. 159-163. 35 Die Entwicklung führt (im Groben) von der Stadt als Bedrohung, über die Stadt als Problemfeld (Stichwort die A-Stadt, vgl. z.B.: Frey 1996), hin zur lebenswerten, nachhaltigen Stadt. Zur Übersicht siehe: Lenger 2006 und Borgmann et al. 2006.

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der Rauplanung – auch angesichts der sich diversifizierenden Lebensentwürfe einsetzte (Koch & Schmid 1999; Schmid 2006). Im folgenden historisch geprägten Abschnitt zeige ich jene Entwicklung des zunehmenden Auseinanderklaffens zwischen städtebaulicher Realität, Planung und Diskurs in der Schweiz auf und diskutiere sodann das revidierte Leitbild Ende der 1990er Jahre. Die Beziehung der Bauverwaltung im städtebaulichen Diskurs nehme ich am Ende des vorliegenden Kapitels auf, denn sie dringt erst in den jüngsten Diskussionen ins Bewusstsein der Akteurinnen und Akteure des städtebaulichen Diskurses. 2.2.3 Historischer Abriss des Urbanisierungsprozesses in der Schweiz Nach wie vor fällt es schwer, sich vom traditionellen Stadtbegriff36 zu verabschieden, denn der Mythos des Alpenlandes und die damit einhergehende Annahme, die Großstadt sei etwas »Unschweizerisches« (Schmid 2006:187), ist tief im kollektiven Bewusstsein verankert (siehe oben). Die Phasen der Urbanisierung indes strafen diesen Mythos Lügen: Wie in anderen europäischen Ländern lassen sich im Sinne des Regulationsansatzes (Schmid 2006)37 klassische Phasen des Urbanisierungsprozesses aufzeigen. Wenn auch – im Hinblick auf die schweizerische Besonderheit der helvetischen Form der Gemeindeautonomie und der dezentralen Form der Industrialisierung, die auf dem Land begann – in einer spezifischen Ausprägung.38 In der nachfolgenden Darstellung des Urbanisierungsprozesses in der Schweiz beziehe ich mich auf die Autoren Martin Schuler (1999:44ff.), René Frey (2001:9f.) und Christian Schmid (2006:175ff.), die vergleichbare Stationen des Urbanisierungsprozesses aufzeigen. Wobei Schuler diesen Prozess anders als Frey und Schmid kleinteiliger untergliedert – im Wesentlichen aber den beiden anderen Autoren folgt. Demgemäß ist die erste Phase der Urbanisierung bis in

36 Nicht nur in der Schweiz, sondern im europäischen Raum schlechthin wird um die Konzepte der traditionellen europäischen Stadt gerungen. Siehe z.B. Oliver Frey 2011. 37 Im Rahmen des Regulationsansatzes analysierten erstmals Lipietz 1984, 1996, später Hitz, Schmid & Wolff 1999 die Urbanisierungsprozesse in der Schweiz. 38 Historisch betrachtet setzt der Prozess der Verstädterung, anders als in den europäischen Nachbarländern, sehr behutsam ein, dabei fehlt nach Schmid bis heute eine umfassende Darstellung und Analyse der Urbanisierung und ihrer Phänomene (2012:4). Ein allgemeiner Überblick findet sich z.B. in Andre Odermatt 2004; Michel Bassand 2005. Vertiefende Analysen finden sich bei Schmid, 1989, 2005 und 2012.

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die 1930er Jahre stark dezentral ausgeprägt. Sie ist gekennzeichnet vom Anwachsen der Städte: Zunächst innerhalb der mittelalterlichen Stadtstrukturen und später – auf Grund des Aufkommens von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor und der weiteren Zunahme von Industriearbeitsplätzen – entstehen auch außerhalb der Stadtmauern, um die historischen Städte herum zusammenhängende Siedlungsgebiete. Schuler charakterisiert jenes weitere Anwachsen unmittelbar außerhalb der Stadtmauern als Agglomerierung (1999). Die folgende Phase der Nachkriegszeit ist vor dem Hintergrund des anhaltenden wirtschaftlichen Wachstums von einer ersten Welle der Suburbanisierung geprägt. In den 1960er Jahren, als die meisten Städte ihre maximale Bevölkerung erreichten, der Wohlstand weiter stieg und eine zunehmende Nachfrage nach Einfamilienhäusern zu verzeichnen war, setzte ein umfassender Suburbanisierungsprozess ein. Dieser wird oftmals mit den Schlagwörtern der Peri-/Desurbanisierung beschrieben (Schuler 1999, Frey 2001), da er weit über die Dimensionen der bisherigen Suburbanisierungsmuster hinausgeht: Es werden Gebiete erschlossen, die weit jenseits des suburbanen Gürtels liegen, sodass die besiedelten Gebiete, die Agglomerationen, immer weiter in die Landschaft hineinreichen.39 Dies führt bereits im Laufe der 1970er Jahre zum Entstehen neuer urbaner Landschaften und zur grundlegenden Veränderung des dezentralen Siedlungsmusters (Schmid 2006). Die bisher letzte Phase der Metropolisierung setzt Mitte der 1980er Jahre ein und hält bis heute an. Damit einher geht eine Überlagerung des Peri-/Desurbanisierungsprozesses, eine Revitalisierung der Städte und insbesondere eine zunehmende Vernetzung auf ökonomischer und gesellschaftlicher Ebene: wie die wachsende Verflechtung der globalen Ökonomie und deren Herausbildung von Knotenpunkten im transnationalen Städtenetz (Sassen 1991) oder die Zunahme der Pendlerströme zwischen Regionalzentren, Kernstädten und Agglomerationen. Metroplitanräume entstehen. Im Zuge der Phase der Metropolisierung zeigt Schmid für die Schweiz insbesondere drei Tendenzen auf (2012:146): 1. Bevölkerungswachstum an den Rändern der großen Ballungsräume 2. Revitalisierung der Innenstädte 3. Streuung der Zentralität

39 Viele Bewohnerinnen und Bewohner wenden sich von der Stadt ab und suchen außerhalb der Städte in den noch ländlich geprägt Umlandregionen ihr Glück. Im Rahmen der Revitalisierung der Städte kehrt sich dieser Trend zum Teil wieder um (siehe Fußnote 70, Kap. 2.2).

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Infolgedessen sind vernetzte, polyzentrische urbane Regionen nicht nur im Umfeld der metropolitanen Zentren, sondern auch im Bereich der Klein- und Mittelstädte entstanden. So ist im Manifest des Vereins Metropole Schweiz zu lesen: »Fast alle Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz pflegen heute ein städtisches Leben. Egal, ob sie im Stadtzentrum, in der Agglomeration, in einer Ferienlandschaft wie St. Moritz oder im sogenannten Grünen wohnen.« (2001) 2.2.4 Städtebauliche Leitbilder der Schweiz II Der historische Abriss zeigt, dass das bisherige Leitbild, das letztendlich 1979 im ersten schweizerischen Raumplanungsgesetz verankert wurde, nicht die geplanten Effekte einer dezentralen Konzentration auslöste, sondern im Zuge der flächendeckenden Bereitstellung von Infrastruktur und Förderung der Rand- und Berggebiete, die zunehmende Verstädterung der Schweiz eher förderte als verhinderte (Eisinger 2003:11). Dementsprechend wurden in Fachkreisen zunehmend Stimmen laut, die ein neues Bewusstsein für die städtebauliche Situation in der Schweiz forderten, um angemessen auf die neue Situation zur reagieren. Hier stach besonders die aktive Öffentlichkeitsarbeit des Vereins Metropole Schweiz heraus, der 1994 die Parole: »die Schweiz ist städtisch geworden« lancierte und deutlich machte, dass die bis dato gültige Raumordnungspolitik an die aktuellen städtebaulichen Herausforderungen angepasst werden müssten (Verein Metropole Schweiz 2001). Das andauernde, ungebremste Wachstum der Agglomerations- und Metropolitanräume stützten jene These und machten den dringenden Handlungsbedarf von Politik und Planung einmal mehr deutlich. Mitte der 1990er Jahre rang sich die Politik zu einem revidierten Leitbild der Raumordnungspolitik durch. Die neuen Grundzüge der Raumordnung enthält der bundesrätliche Bericht von 1996, in dem sich die offizielle Raumordnungspolitik an der Vorstellung der Schweiz als Stadt orientiert. Der vier Jahre später folgende Artikel 50 der neuen Bundesverfassung und der 2001 herausgegebene Agglomerationsbericht führen jene Vorstellung der Schweiz als Stadt aus und tragen der veränderten städtebaulichen Situation und erstmals der prägenden Kraft der schnell wachsenden Agglomerationsräume Rechnung. In der neuen Ausrichtung des Leitbildes stehen nicht mehr die alten Grundsätze der dezentralen Konzentration und die Förderung der Berg- und Randgebiete im Vordergrund, sondern die funktionale Einheit von Städten und deren Umfeld sowie deren Herausforderungen und Schwierigkeiten (Eisinger 2003:12). Die Ziele des neuen Leitbildes lauten wie folgt (ARE 2001:5):

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a) Die Förderung eines vernetztes Städtesystem Schweiz b) Entlastung der Agglomerationen c) Vermeidung des Zusammenwachsens der großen Siedlungsräume.

Vor dem Hintergrund dessen werden Stadt und Land nicht mehr per se als Gegensätze gedacht, die scharf voneinander zu trennen sind, sondern als ein neuartiges funktionales Gebilde (Flückiger, Frey 2001). Das besondere Augenmerk liegt auf den Agglomerationen und deren Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Stadt und Land. Jene neuen Grundsätze etablieren sich in den planerischen Analysen und Empfehlungen aber nur langsam (Hildebrand 2006:75). Generell wird die neue politische Ausrichtung im städtebaulichen Diskurs kontrovers diskutiert, denn das neue Leitbild wird, so die Meinung einiger Städtebauer, der aktuellen städtebaulichen Situation der Schweiz und den veränderten sozioökonomischen Bedingungen einer globalisierten Welt nicht gerecht (Corboz 2001, Eisinger 2003, Oswald & Schüller 2003, Diener et al. 2005). Die Städtebauer und Architekturtheoretiker kritisieren erstens, dass die Entwürfe des neuen Leitbildes nicht mehr als ein aktualisiertes Abbild der früheren Konzeptionen einer dezentralen Schweiz seien, sprich einer weit dezentralen Großstadt entsprächen, wie sie Meili konzipierte. Statt die Schweiz als eine einzige große Stadt zu begreifen, müsste sich eine neue Ausrichtung zweitens von der Planbarkeit und Starrheit urbaner Gebilde verabschieden und die Urbanisierungsprozesse als ungerichtet und polymorph begreifen, statt deren Zentralität zu betonen (ebd.). Danach steht das Leitbild bereits zehn Jahre nach seiner Etablierung wieder zur Disposition. Und der städtebauliche Diskurs scheint die aktuellen und offiziellen Grundsätze weit hinter sich gelassen zu haben, um ein neues städtebauliches Selbstbewusstsein zu etablieren, dass sich von den föderalistischen Grundsätzen der Gleichheit des Raumes, die im bisherigen Leitbild noch immer latent mitschwingen, zu verabschieden. 2.2.5 Aktueller städtebaulicher Diskurs Wie das vorausgegangene Kapitel zeigte, gehen der städtebauliche Diskurs und das derzeitige Leitbild nicht Hand in Hand. Um einen Einblick in den aktuellen städtebaulichen Diskurs zu erhalten, wird dieser mittels der Schwerpunkte: Zersiedelung, Stadtbegriff und Qualität exemplarisch aufgezeigt. Grundlage hierfür ist eine systematische Durchsicht der aktuellen Veröffentlichung zum städtebaulichen Diskurs in der Schweiz (Corboz 2001; Eisinger 2003; Oswald & Schüller 2003; Diener et al. 2005; Kübler 2006; Lampugnani, Keller, Buser 2007; Jaeger 2008; Loderer 2008a, b; Schmid 2005, 2012, Fingerhuth 2012, Wezemael 2014). Dazu werden etablierte Texte wie der von Walter Siebel Ist Urbanität eine Uto-

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pie (1999) oder Thomas Sieverts Zwischenstadt. Zwischen Ort und Welt Raum und Zeit Stadt und Land (2001) hinzugezogen. Zersiedelung Im Zuge der Zersiedlung ist im wissenschaftlichen Kontext auch von Zwischenstädten oder hybriden Landschaften die Rede, welche ebenso auf die veränderten räumlichen Gegebenheiten, als auch auf deren soziokulturellen Wandel Rückschlüsse zulassen (Sieverts 1999). Der Prozess der Zersiedelung bringt einen hohen Landschaftsverbrauch mit sich, wobei der Stadt- bzw. Siedlungskörper zerfällt, sich auflöst, sich über die Ebene streut und kaum noch als Einheit begriffen werden kann. Um das Bild des Urbanisten Walter Siebel zu bemühen: »Man benötigt eine Art Tunnelblick um sie (die Stadt, Anm. d. Verf.) im Siedlungsbrei […] noch zu entdecken« (Siebel 1999:177). Und Loderer schreibt: »Die Akademie kann über Zersiedlung diskutieren, diese beenden kann sie nicht« (2008a:25). Eisinger fasst es so: »In der statistischen Kategorie »Agglomeration«, in der in der Zwischenzeit 70 Prozent der Bevölkerung leben, manifestiert sich die parallele Aufhebung von Stadt- und (Um-)Land in einem diffusen Aggregatzustand. Damit ist eingetreten, wogegen doch eigentlich die Raumpolitik und die Planungsmodelle angetreten waren.« (2003:14) Die 2012 verabschiedete Zweitwohnungsinitiative, sowie die jüngste Gesetzesinitiative zur Revision des Raumplanungsgesetz (2012) greift den aktuellen Problemkreis der Zersiedelung und des Landschaftsverbrauchs auf, um, wie es in der Bundesvorlage sinngemäß heißt: »die Attraktivität der Schweiz als Wohnund Arbeitsort zu gewährleisten (2013:8).« Stadtbegriff In der Publikation Ein Städtebauliches Porträt der Schweiz (Diener et al. 2006) fordern die Autoren die Anerkennung der städtebaulichen Realität eines großen, städtischen Ganzen. Und damit einhergehend: Die Verabschiedung von einem traditionellen Stadtbegriff, bei dem die Stadt als objekthafte, abgrenzbare Einheit aufgefasst wird, in der sich das urbane, städtische Leben abspielt. In ihren Ausführungen heißt es: »Es macht keinen Sinn mehr, Stadt und Land oder Agglomerationen und ländliche Gebiete voneinander zu unterscheiden: Die gesamte Schweiz ist urbanisiert […].« (193: ebd.) Dennoch würden in der Schweiz Siedlung, Landschaft und Infrastruktur nur zaghaft als Gesamtes behandelt und weiter entwickelt, heißt es im Abschlussbericht des Nationalen Forschungsprogramms NFP 54: Nachhaltige Siedlungsentwicklung (Jaeger 2008). Im Zuge dessen steht die Anerkennung der großen Agglomerationsräumen als lebenswerte Orte, sowie als zusammenhängende politische Räume bis heute aus. Dies mag

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einerseits an der polyzentrisch städtebaulich wenig fassbaren Struktur liegen, andererseits an den verkrusteten politischen Strukturen des stark ausgebildeten föderalistischen Systems, das sich an die althergebrachten Gemeindegrenzen klammert. In den Agglomerationen führt dies zu einem Demokratiedefizit (Kübler 2006:281),40 was die Suche nach angemessenen städtebaulichen Lösungen sichtlich erschwert. Qualität Innerhalb des städtebaulichen Diskurses der Schweiz schwingt immer auch die Frage nach (urbaner) Qualität mit, die vor dem Hintergrund der Urbanisierungsprozesse aus den Fugen geraten scheint. Städtebauliche Qualität wird aus Sicht der Städtebauerinnen und Städtebauer beispielsweise mit der Leitkategorie der Dichte erreicht. Denn »die räumliche Nähe erleichtert alle Funktionen der Stadt, vom Wohnen zum Arbeiten über die Freizeit, und minimiert dabei den Verkehr. Dadurch fördert sie gerade jene Mischung von Attraktivität, die Urbanität ebenso attraktiv wie inspirierend macht.« (Lampugnani 2007:15) Und Thomas Keller weist darauf hin, dass sich (urbane) Qualität am besten durch den Einzeleingriff im Mikrobereich unter Einbezug der Nutzer beeinflussen lassen könne und sich entsprechend nur schwer in Planungsprogrammen umsetzen ließe (2007:45). Das Nationale Forschungsprogramm NFP 65 Neue urbane Qualität klinkt sich mit dem Ziel der Entwicklung neuer urbaner Leitlinien in den Diskurs mit ein. Wobei das Teilprojekt: Urbane Brüche/Lokale Interventionen. Perspektiven einer suburbanen Planung den bisher skizzierten Qualitätsdiskussionen eine weitere Ebene hinzufügt, die der prozessualen Perspektive. Diese schließt die Qualitätsauffassungen der visuell-ästhetischen (Ebene der Architektur), die die Qualität über die physisch-materielle Ebene zu erreichen sucht und der nutzerorientierten Ebene (Geographie), die bei der Erreichung einer qualitativ hochstehenden Siedlungsentwicklung auf den Nutzer abstellt, mit ein. Die prozessuale Perspektive des sogenannten »place makings« (Carmona et al. 2003) begreift Städtebau nicht in Bezug auf ein finales Endprodukt, sondern als Prozess, in dessen relationalem Verständnis Siedlungslandschaft und etwaige Qualitäten situativ hervorgebracht, verhandelt, realisiert oder verworfen werden (vgl. auch Loepfe 2014). In meiner Dissertation folge ich jener prozessualen gleichsam relationalen Konzeption von Qualität, die unterschiedliche Diskursebenen 41 und Perspektiven (Politik, Verwaltung, Wirtschaft,

40 Denn die räumliche, funktionale Entwicklung stimmt nur bedingt mit den politischen Grenzen überein (Kübler 2006: 266). 41 Carl Fingerhuth merkt beispielsweise 2012 an: »Damit die Balance zwischen Rationalem und Spirituellem, zwischen Veränderung und Kontinuität und zwischen Individu-

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Kultur, Soziales) sowie damit verbundene Maßstabsebenen (lokal, regional, kantonal) und Qualitätskriterien (wie Dichte, Durchmischung, Zugänglichkeit, Besonnung oder Ausdruck) mit einbezieht und in ihrem situativen Zusammenhang versteht – dieserart schälen sich Hinweise, Handlungsoptionen und Strategien für eine qualitativ hochstehende Siedlungsentwicklung heraus. 2.2.6 Schweizer Gemeinde im städtebaulichen Diskurs Nachdem in den vorangegangen Kapiteln die historischen und aktuellen Vorstellungen, Ausrichtungen und Leitbilder des städtebaulichen Diskurses in der Schweiz Gegenstand der Ausführungen waren, wird an dieser Stelle auf die schweizer Gemeinde innerhalb des Diskurses eingegangen. Dies hat zweierlei Gründe: Erstens wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Gemeinde in jüngster Zeit zunehmend zum zentralen Kritikpunkt innerhalb des städtebaulichen Diskurses avanciert und als Hemmschuh für urbane Qualität gilt (vgl. Diener 2006). Jene Kritik gilt es zu präzisieren, wobei bisher in der Forschungsliteratur umfassende empirische Daten fehlen, die sich dezidiert mit der Rolle der Gemeinde im Städtebau auseinandersetzen (vgl. Schmid 2012). Die vorliegende Arbeit wird hier einen Beitrag leisten, indem sie insbesondere die Arbeit der schweizer Bauverwaltung genauer in den Blick nimmt und deren Methoden und Prozesse offenlegt, um Bauprojekte zu implementieren (Kap. 1.1.2, Forschungsfrage 1). Entsprechend werde ich im vorliegenden Unterkapitel zweitens dem Untersuchungsgegenstand der Gemeinde – spezifischer den Bauverwaltungen schweizerischer Gemeinden – eine wichtige Facette hinzufügen und diese im städtebaulichen Diskurs verorten. Diese Einordnung wird die Kritik an der Gemeinde systematisch aufzeigen und auch bei der späteren Analyse der Praxis der Bauverwaltung einen wichtigen Beitrag leisten. Im städtebaulichen Diskurs der Schweiz spielte die Gemeinde bis zur Jahrtausendwende 2000 eine untergeordnete Rolle – gleichwohl sie im europäischen Vergleich über eine ausgeprägte autonome Selbstverwaltung verfügt (Rühli 2012:18, Kap. 2.1), wurde ihre Rolle im Rahmen der städtebaulichen Entwicklung selten hinterfragt (Schmid 2006:192).42 Dieses Paradox der zentralen und

ellem und Kollektivem gelingt, ist ein öffentlicher Diskurs über die Gestalt der Stadt unerlässlich.« Er verweist dabei auch auf die Ebene der identitätsstiftenden Wirkung der Stadt resp. Gemeinde. 42 Zur Geschichte, Abgrenzung und Definition der schweizer Gemeinde siehe Kap. 1.2 sowie Diener et al. 2006, Bd. 2.

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unangetasteten Position der schweizer Gemeinde im Zuge des ausgeprägten Gemeindeföderalismus einerseits, und des Ausblendens ihrer Wirkmacht im Rahmen des Urbanisierungsprozesses in der Schweiz andererseits wird zunehmend genauer geprüft. Jüngst entzündet sich an der ausgeprägten helvetischen Form der schweizer Gemeindeautonomie und deren Einfluss auf die Siedlungslandschaft ein städtebaulicher Diskurs um die Gemeinde: Hervorzuheben sind hier der Städtebauer Angelus Eisinger (2003), der Politikwissenschaftler Daniel Kübler (2006), der Architekt Jacques Herzog (2006) und insbesondere der Stadtforscher Christian Schmid (2006, 2012), die sich kritisch mit der Rolle der Gemeinde auseinandersetzten. Die Durchsicht der Literatur zur Gemeinde und zu deren Rolle innerhalb der städtebaulichen Realität sowie innerhalb des städtebaulichen Diskurses hat gezeigt, dass diese bis zu Jacques Herzog und Christian Schmid nie ernsthaft hinterfragt und thematisiert wurden. Standardwerke zur Raumplanung wie das von Martin Lendi und Hans Elsasser (1985) oder das von Kurt Gilgen (1999) weisen auf die Aufgaben hin, die der Gemeinde innerhalb des föderalistischen Systems im Bereich des Städtebaus der Schweiz zufallen wie die Erteilung der Baubewilligungen. Der Einfluss der Gemeinde selbst wird aber nicht als sehr groß eingeschätzt. So heißt es bei Gilgen: »Wesentliche Akteure im Raum sind Private: Grundeigentümer, Bauherrschaften, Investoren usw.« (1999:487) Die Gemeinden werden demzufolge vielmehr als indirekte Akteure wahrgenommen, denen gebunden an Gesetze und Normen eine untergeordnete Rolle bzw. eine überwachende Funktion bei der Gestaltung ihrer Umwelt zukommen (ebd.). Erst im Zuge der massiven Verstädterung und des ungebremsten Wachstums der Agglomerationen geraten die Gemeinden und deren enge territoriale Grenzen (über die sich die Gemeinden definieren) stärker in den Blick, auch weil eine zunehmende Verschiebung zwischen politischem und funktionalem Raum stattfindet (Kübler 2006). Dementsprechend forderte unlängst der Politikwissenschaftler Kübler ein Überdenken der Gemeindeautonomie, um im Bereich der Agglomerationen den politischen und funktionalräumlichen Bedingungen gerecht zu werden (ebd.). Jüngst bringt also die Auseinandersetzung mit dem Siedlungsphänomen der Agglomeration und die Problematik der Zersiedelung die Gemeinden stärker in das Bewusstsein der Städtebauerinnen und Städtebauer. Die 2003 von Angelus Eisinger und Michael Schneider herausgegebene Veröffentlichung: Stadtland Schweiz ist eine der ersten, die sich explizit zur Gemeinde äußert. Im Rahmen des Diskurses hält sich Eisinger selbst noch zurück, brachte aber mit dem Hinweis auf den schweizer Föderalismus und dessen weitestgehend unveränderten

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politischen Grenzen seit Gründung des Bundesstaates das Auseinanderklaffen des politischen und baulichen, verkehrstechnischen und funktionalen Raumaufbaus des Stadtlandes Schweiz in die Diskussion ein (2003:16). Die Gemeinde wird hier indirekt aufgegriffen, wenn Eisinger nach der Balance zwischen territorialer Integrität der Schweiz und der Erhaltung zukunftsfähiger Lebens- und Wirtschaftsräume fragt (ebd.:17). Expliziter wird Eisingers Publikation im Rahmen des Kapitels: Diskurs über die räumlich-funktionale Gestalt und die politisch-strukturelle Ausgestaltung des Stadtlandes Schweiz: Der Diskussionsteilnehmer Franz Marty bemängelt hier, dass die unteren Ebenen (Kantone und Gemeinden) zu wenig in die Verantwortung der Siedlungsentwicklung mit einbezogen werden, da insgesamt zu stark top down administriert werde (ebd.:72). Für den Diskutanten Renzo Fagetti hingegen sind es vor allem die Gemeinden, die sich als Stolpersteine präsentieren: »Für uns als Betroffene respektive Entwickler von neuen Perspektiven im städtebaulichen Kontext waren es vielmehr die lokalen Bauverordnungen, die Probleme verursachten, indem die übergeordneten Gesetze, die wir bis anhin als »dünn und flexibel« einstuften, eingeengt wurden […]. Mit der damaligen Bauvorsteherin führte ich jeden Tag Gespräche.« (Ebd.)

Der Architekt Jacques Herzog bringt die Kritik an den schweizer Gemeinden im Rahmen des städtebaulichen Portraits der Schweiz auf den Punkt: »(Das) Antiurbanitätsmolekül – der Schweiz ist die Gemeinde. Ihre Autonomie ist das Schicksal des Landes.« (2006:145) Schmid führt diese Aussage im Gegensatz zu Herzog aus. Er tut dies zum Einen innerhalb der gleichen Publikation, wenn er festhält, dass der Gemeindeföderalismus niemals in Frage gestellt wurde und die Gemeinden trotz großer Größenunterschiede gleich behandelt, berücksichtigt und gefördert würden. Weiterhin heißt es: »Unter diesem Aspekt erscheint jede städtische Konzentration grundsätzlich als Bedrohung, die unmittelbar das gesamtschweizerische Bündnissystem gefährden könnte. Damit erklärt sich auch zu einem grossen Teil die latent bis offen antiurbane Haltung, die fast allen Konzeptionen zum Ausdruck kommt.« (2006:192)

Zum Anderen führt Schmid die wichtige Rolle der Gemeinde im Urbanisierungsprozess im Rahmen seines Beitrags der Publikation: On Common Ground – Auf Gemeindegebiet weiter aus (2012:143ff.). Hier verdeutlicht er die zentrale Stellung der Gemeinde im Rahmen der baulichen Entwicklung der Schweiz, da sie

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1. Mit der Bau- und Zonenordnung die bauliche Entwicklung kontrolliert 2. Über die Steuerhoheit verfügt 3. Partikularinteressen verfolgt

Schmid präzisiert dies folgendermaßen: »[Die Gemeinde versucht,] möglichst viele Bereiche des modernen Lebens auf ihrem Territorium zu versammeln: ein Zentrum, Wohnzonen für die Bevölkerung, Einfamilienhäuser für gute Steuerzahler, auch Industrie und Gewerbezonen, Wald und Wiesen und möglichst auch noch einen Autobahnanschluss. Andererseits gibt es Dinge, die man nicht so gerne hat, die emissionsreich sind, die schiebt man am liebsten an die Grenzen.« (Ebd.:144)

Die Gemeinden in der Schweiz haben dementsprechend (im Sinne des ausgeprägten föderalistischen Systems) starken Einfluss auf die Entwicklung des Raumes. Sie sind nach Aussagen Herzogs und Schmids keineswegs indirekte Akteure, sondern treten als aktive Gestalter auf. Ihr Einfluss ist maßgebend, da sie als zentrale Einheit zur Steuerung der Entwicklung des Territoriums fungieren, mit der Bau- und Zonenordnung die bauliche Entwicklung steuern und an der Durchsetzung ihrer Partikularinteressen festhalten (ebd.). Schmid bringt auf den Punkt, was im städtebaulichen Diskurs selbst – abgesehen von den Äußerungen Jacques Herzogs – bisher sehr zurückhaltend eingebracht und in den Veröffentlichungen zum Thema Städtebau nur vereinzelt einen wichtigen Platz eingeräumt wurde: Die zentrale Rolle der Gemeinde im Feld des Städtebaus. 2.2.7 Fazit: Re-Positionierung der Gemeinde Der Einblick in den städtebaulichen Diskurs in der Schweiz hat Verschiedenes gelehrt: Er hat gezeigt, dass die Realität und die Vorstellungen zum Thema Städtebau oftmals unterschiedliche Wege gehen, wenn angestrebte Leitbilder wie das der dezentralen Konzentration nicht die erhoffte Wirkung des Abbaus regionalräumlicher Disparitäten hervorbringen und somit zu einer einheitlichen Entwicklung des Raumes führen, sondern eine konträre Wirkung von zunehmender Siedlungskonzentration und Verstädterung ganzer Landstriche wie im schweizer Mittelland bewirken. In dessen Folgen driften die offiziellen Leitbilder und der vor allem in Fachkreisen geführte städtebauliche Diskurs zunehmend auseinander: Auf der einen Seite ist ein Festhalten an den Vorstellungen eines einheitlichen, dichten und kompakten Stadtkörpers zu konstatieren, die zwar um die Herausbildung von Agglomerationen wissen, diese aber an den Maßstäben der alther-

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gebrachten europäischen Stadt messen. Auf der anderen Seite ist ein Bewusstsein für die diffuse städtische Landschaft entstanden, dass die Ungerichtetheit der Urbanisierungsprozesse anerkennt und statt der Zentralität urbaner Strukturen deren Polymorphität als Ausgangspunkt nimmt. Dazwischen rücken verstärkt neue Akteurinnen und Akteure ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Städtebauerinnen und Städtebauer: Das Spektrum der maßgeblichen Akteurinnen und Akteure zur Produktion der schweizer Siedlungslandschaft wie Grundeigentümer, Bauherrschaften oder Investoren wird um die der Gemeinden erweitert. Jene verlieren zunehmend ihre passive und untergeordnete Rolle als indirekte Akteure und rücken als aktive Siedlungsgestalter in den Blick des städtebaulichen Diskurses. Ihnen wird im Zuge dessen eine aktive Rolle zugeschrieben. Dies bestätigt die Absicht des vorausgegangenen Kapitels (Kap. 2.1) der Neusetzung des Gemeindebegriffs und die damit einhergehende Vermutung, dass die Gemeinde im städtebaulichen Diskurs eine Re-Positionierung bedarf. So wird der Gemeinde resp. der Bauverwaltung in der städtebaulichen Debatte jüngst eine Wirkung und Einflussnahme auf die gebaute Umwelt zugesprochen. Diese äußert sich vor allem in einer verhindernden und hemmenden Haltung, sodass die Gemeinde aus Sicht der Städtebauerinnen und Städtebauer eine qualitative Siedlungsentwicklung verhindert. Inwiefern die Gemeinde tatsächlich als Antiurbanitätsmolekül zu begreifen ist, muss bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen bleiben. Denn bisher fehlen Studien zum Einfluss und der Wirkung von Gemeinden und deren administrativen Hebel der Bauverwaltung. Ich werde diesen Faden des skizzierten Zusammenhangs zwischen Gemeinde resp. Verwaltung und Städtebau aufnehmen, ausführen und insbesondere Einblicke in die Praxis der Bauverwaltungen geben (Kap. 4-8) und im Sinne der Zielsetzung der Studie, die Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung aufzeigen (Kap. 1.1). Denn in dieser – bisher unerforschten – Arena tritt das Handlungsspektrum der Gemeinden als Siedlungsgestalter aktiv zu Tage. Dementsprechend wird die Arbeit einen wichtigen Beitrag leisten und die Gemeinde als aktiven Akteur im schweizer Städtebau schärfer fassen, sowie deren Wirkmacht einordnen und eine Re-Positionierung derselben vornehmen. Um diesem Vorhaben gerecht zu werden, stellt sich die Frage, ob die Konzepte von Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie geeignet sind, um die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praktiken auf Bauprojekte angemessen zu untersuchen (Forschungsfrage 4, Kap. 1.1.2). Im kommenden Kapitel werde ich diese Frage unter dem Titel Verwaltungen Von Max Weber zu New Public Management beantworten.

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2.3 V ERWALTUNG – V ON M AX W EBER ZU N EW P UBLIC M ANAGEMENT Die Organisationswissenschaften (organizational sciences) haben im Laufe ihrer Geschichte einen großen Literaturkorpus hervorgebracht, was sich nicht zuletzt an der Vielzahl der erschienenen Übersichtswerke ablesen lässt (allein in den letzten Jahren: Ortmann et al. 1997, Allmendinger & Hinz 2000, Handel 2003, Preisendörfer 2005, Kieser & Ebers 2006, Bonazzi 2008, Pohlmann & Markova 20119. Im vorliegenden Kapitel werde ich unter Berücksichtigung der Klassiker der Organisations- und Bürokratietheorien von Frederic Taylor (1911)43, Max Weber (1922)44, über Chester Barnard (1938, 1948)45 und Talcott Parsons (1928, 1956)46 einen Brückenschlag vom Weber’schen Idealtypus47 eines Bürokratiemodells hin zur Entwicklung der Ansätze des New Public Management (NPM) wagen. Dies geschieht im Hinblick auf die vorliegende Arbeit aus zweierlei Gründen: Erstens wird der historische Kontext, in dem Untersuchungen von Verwaltungen respektive von Organisationen ihren Anfang nahmen, fruchtbar gemacht, zugleich verweist diese Übersicht auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen als auch auf die veränderte Wahrnehmung (und Praxis) von Organisationen in der Wissenschaft. Zweitens steht die vierte Forschungsfrage im Zentrum diesen Kapitels.48 Im Zuge der Beantwortung dieser Frage wird deutlich werden, dass die Perspektiven der Orga-

43 Taylor, Frederic W. 1911: The Principles of Scientific Management. New York. 44 Weber, Max 1922: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Tübingen. 45 Barnard, Chester 1938: The function of the executive Cambridge. Cambridge und Barnard, Chester 1948: Organization and Management. Cambridge. 46 Parson, Talcott 1928: Capitalism in Recent German Literature: Sombart and Weber (I). In: The Journal of Political Economy 36 (6). S. 641-661. Und Parson, Talcott 1956: Suggestions for a Sociological Approach to the Theory of Organizations. In: Administrative Science Quarterly. 47 Idealtypen sind nach Weber keine Beschreibung der Realität, sondern sie dienen dazu »die Eigenart von Kulturerscheinungen scharf zu Bewusstsein zu bringen« (Weber 1982:202). Es gilt sodann, die Idealtypen mit der Realität zu vergleichen, zu messen und jenen Abstand zwischen Ideal und Realität zu bestimmen. Zur Vertiefung siehe Bonazzi 2008:18ff. oder Kieser & Ebers 2006:71. 48 Greifen die Konzepte von Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie zu kurz, um die Wirkmacht und Eigenlogik der administrativen Praxis auf Bauprojekte zu untersuchen? Und wie müssten die etablierten Konzepte erweitert werden, um diese Phänomene zu untersuchen?

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nisationstheorien und der Verwaltungswissenschaften, die sich explizit dem Untersuchungsgegenstand Verwaltung widmen, nicht ausreichen, um dem vorliegenden Forschungsvorhaben der Untersuchung der Praxis der Bauverwaltungen gerecht zu werden. Die Perspektive stellt zwar auf den Gegenstand der Verwaltung ab, vernachlässigt aber die Praxis der Akteurinnen und Akteure, deren Einbettung resp. Rückkopplung mit einer materiellen Infrastruktur (Architektur, Büromaterial und Büroartefakte) sowie die situative Arbeit am Objekt (hier: das Bauprojekt in Arbeit). Deshalb werde ich im nachfolgenden Kapitel die Perspektive der organizational studies um die in den 1960er Jahren aufkommende Unterströmung der Workplace Studies (Kap. 4.2) und insbesondere die der institutionellen Ethnographie bereichern (Kap. 2.4). »Am Anfang jedes geschichtlichen Abrisses der Organisationssoziologie steht in der Regel das Bürokratiemodell von Max Weber«, heißt es beispielsweise bei dem Organisationssoziologen Peter Preisendörfer (2005:97). So auch hier – gleichzeitig verweise ich mit der im Folgenden skizzierten chronologischen Abfolge von Theorien auf ein komplexes Referenzsystem wissenschaftlicher Reflexion. Im Zuge dessen greift die Vorstellung einer vermeidlichen Einfachheit der Abfolge von Wissensbeständen zu kurz, denn »jede Theorie lässt sich nur im Rekurs auf vorangegangene Wissensbestände vollständig verstehen« (Bonazzi 2008:12). Aus diesem weitläufigen wissenschaftstheoretischen Diskurs 49 zieht der Soziologe Guiseppe Bonazzi für die Beschäftigung mit Organisationen drei Schlussfolgerungen (ebd.: 14): 1. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand (der Organisation)

muss eine historische Dimension haben, die den Umgang mit dem Gegenstand in der Wissenschaft beleuchtet. 2. Wissenschaftliche Probleme (oder nach Thomas Kuhn: Rätsel) spielen eine beschränkte Zeit eine Rolle und werden nach einer gewissen Zeit wieder fallen gelassen.50

49 Vgl. dazu bspw. Bruno Latours und Steve Woolgars Studie Laboratory life: the social construction of scientific facts 1979, in der sie die Arbeitsweisen von Wissenschaftlern in einem naturwissenschaftlichen Labor aufzeigen und die Produktion von Wissen herausarbeiten. 50 John Zieman oder Thomas Kuhn weisen in diesem Zusammenhang auf wissenschaftliche Inhalte oder Schwerpunkte der Forschung hin, die sich in wenigen Jahrzehnten sehr schnell ändern oder bis zur Unkenntlichkeit verändern können (Bonazzi 2008:13).

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3. Das spezialisierte Wissen im Feld der Organisationstheorie wird im zeitli-

chen Verlauf immer feiner und führt letztendlich zur Erosion des Forschungsgegenstandes, da das Wissen über Organisationen zunehmend zu einem Wissen über die begrifflichen Instrumentarien zur Erfassung des Gegenstandes wird. Die Workplace Studies, die Ethnomethodologie oder auch Ansätze der politischen und institutionellen Ethnographie steuern dieser unter Punkt drei genannten Entwicklung, in dem die Ausfeilung des theoretischen und begrifflichen Instrumentariums zunehmend im Vordergrund steht, entgegen. Sie verabschieden sich von einem eher deskriptiven, idealtypischen Ansatz, wie er den Organisationstheorien eigen ist und wenden sich der Erfassung der alltäglichen Praxis von Arbeit in institutionellen Organisationen zu – wie dies beispielsweise der Ethnograph Richard Harper vollzog. Er folgte den Informationsflüssen innerhalb des internationalen Währungsfonds in Washington (IMF) und arbeitete im Lichte dessen die alltägliche institutionelle Arbeitspraxis der Akteurinnen und Akteure heraus (Harper 1998). Ich werde im Laufe meiner Ausführungen auf diese Ansätze zurückkommen, da sie als hilfreiche Hinweise zur Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand Bauverwaltung angesehen werden (siehe Kap. 2.4, Kap. 5-8). Es drängt sich bereits an dieser Stelle die Vermutung auf, dass die Konzepte der Verwaltungswissenschaften und der Organisationssoziologie erweitert werden müssen, um die Wirkmacht und Eigenlogik der Bauverwaltung zu untersuchen. Ob dem so ist, werde ich nachfolgend beantworten. Zunächst gebe ich Einblicke in die Klassiker der Organisationssoziologie, um darüber hinaus auch die neueren Ansätze und deren Umgang mit dem Forschungsgegenstand Organisation resp. Verwaltung zu besprechen. 2.3.1 Formale Organisationen und Bürokratien in den Klassikern und in der neueren Organisationstheorie Am Anfang der wissenschaftlichen Untersuchungen von Organisationen steht nunmehr das Bürokratiemodell Max Webers, der die theoretische Basis zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Organisationen und expliziter mit Bürokratien51 lieferte. Dabei hat Weber Zeit seines Lebens keine eigenständige Publikation zum Thema Bürokratie bzw. Organisation herausgebracht, vielmehr finden

51 Etymologische Annäherungen zum Begriff Bürokratie finden sich z.B. bei Derlien et al. 2011:16f. oder bei Abels 2001:186f.

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sich jene Abhandlungen verstreut in Webers Werken,52 in denen er sich mit den damaligen gesellschaftlichen und ökonomischen Zuständen und Entwicklungen auseinander setzte: Etwa in dem 1919 gehaltenen Vortrag: Politik und Beruf oder in seiner allgegenwärtigen und viel zitierten Herrschaftstypologie: Wirtschaft und Gesellschaft (1922), in der er die Überlegenheit der bürokratischen Organisation im Gegensatz zu anderen bis dato praktizierten Formen von feudalen, ehren-, nebenamtlichen oder kollegialen Verwaltungen hervorhob: »Der entscheidende Grund für das Vordringen der bürokratischen Organisation war von jeher ihre rein technische Überlegenheit über jede andere Form […]. Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachliche und persönliche Kosten sind bei streng bürokratischer, speziell: monokratischer Verwaltung durch geschulte Einzelbeamten gegenüber allen kollegialen oder ehren- und nebenamtlichen Formen auf das Optimum gesteigert.« (Weber 1922:660f.)

Diese Auffassung von Bürokratie geht eng mit dem Ideal eines von Rationalität geprägten modernen Staatsapparates einher, der sich von der Willkür feudaler Systeme befreit und sich im Zuge dessen dem Diktum der Effizienz und Sachlichkeit verschreibt. Jene Kriterien sind Kennzeichen des modernen Kapitalismus, dessen Herrschaftsform sich Ende des 19. Jahrhunderts durchzusetzen beginnt und dem die rationale Organisierbarkeit immanent ist (Allmendinger & Hinz 2002:11). Rationalität und Versachlichung erwiesen sich dabei nicht nur als richtungsweisende Leitbilder der sich konstituierenden europäischen Nationalstaaten, sondern auch für die allerorts neu entstehenden Industriebetriebe Ende des 19. Jahrhunderts. Diese nahmen bei der Organisation ihrer Verwaltungen oftmals die öffentliche Verwaltung als Vorbild zur Strukturierung der eigenen Verwaltung (Kieser 2006:63). Zugleich revolutionierte Frederick W. Taylor mit seiner 1911 erschienen Studie: The Principles of Scientific Management Arbeitsprozesse in (Industrie-) Betrieben mit dem maßgeblichen Ziel der Produktionssteigerung. Ebenso wie Webers Idealtypus der Bürokratie setzt Taylor auf die Prinzipien von Rationalität und Sachlichkeit, wobei in einem Unternehmen nicht mehr die Persönlichkeit des Einzelnen im Vordergrund steht, sondern das System einer Organisation. Dementsprechend empfahl Taylor: Arbeitsteilungen zwischen Hand- und Kopf-

52 Mit der 1956 von Johannes Winkelmann herausgegebenen Textsammlung: Staatssoziologie lag erstmals eine umfassende Zusammenschau des Schaffens Webers zum Thema Bürokratie vor.

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arbeit, standardisierte Arbeitsabläufe, Leistungskurven, festgelegte Arbeitspensen und Akkordlöhne (Abels 2001:174). Wo Weber den Ausgangspunkt zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Organisationen und Bürokratien markierte, begann mit Taylor die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Managementlehre (Scientific Management), denn er stellte nicht wie bisher nur Regeln zur Umsetzung von Zielen, sondern er zeigte vor allem Methoden zur Erreichung dieser Ziele auf (Kieser 2006:93). Taylors Ansätze entfalteten trotz aller Kritik besonders in den westlichen Industrienationen eine große Reichweite – zwei seien hier exemplarisch und schlagwortartig angeführt: 53 die Entfremdung der Arbeit (sozialkritische Perspektive) 54und das Betreiben einer Scheinwissenschaft (wissenschaftliche Perspektive)55. Seine Theorie bot eine Lösung in Zeiten des zunehmenden technischen Fortschritts (wie der Entwicklung neuer Maschinen oder der Automatisierung von Arbeit) an, die den Graben zwischen menschlicher und maschineller Arbeitsleistung zu überbrücken wusste. Jene punktuellen Untersuchungen Taylors zur Standardisierung und Optimierung von Arbeitsabläufen werden später in den Workplace Studies mit einem kritischen Blick wieder aufgenommen, präzisiert und weitergeführt – wobei diese weniger die Effizienzsteigerung thematisieren, als die Verbindung zwischen Mensch und Technik am Arbeitsplatz (Luff et al. 2000). Die beiden vorangegangenen Forschungslinien, die Webers und dessen Entwicklung eines Idealtypus der Bürokratie und Taylors Konzept der Rationalisierung von Arbeitsprozessen, flossen Ende des 20. Jahrhunderts in die Entwicklung des Konzeptes des New Public Managements (NPM) zur Reformierung der Verwaltungen ein (siehe unten). Dazwischen folgte eine intensive, kritische Auseinandersetzung und Differenzierung mit dem Gegenstand von Organisationen, Bürokratie und Verwaltung, die ich im Folgenden verkürzt wiedergebe, zugleich aber wichtige Entwicklungsschritte der Organisationssoziologie für die vorliegende Arbeit fruchtbar mache.

53 Zur Vertiefung siehe Handel, Michael J. 2003: The Sociology of Organizations. Classic, Contemporary, and Critical Readings. Thousand Oaks. 54 Siehe bspw. Braverman, Harry 1974: Labor and Monopoly Capital: The Degradation of Work in the Twentieth Century. New York. 55 Siehe bspw. Merkle, Judith A. 1980: Management and Ideology: The Legacy of the International Scientific Management Movement. Berkeley.

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Mitte des 20. Jahrhunderts gab Chester Barnard, der Zeit seines Lebens lediglich zwei Veröffentlichungen herausbrachte,56 den Organisationswissenschaften ebenso neue Impulse wie der Soziologe Talcott Parsons. Barnard, der als Manager in den USA für verschiedenste Organisationen arbeitete, erweiterte die Perspektive auf Organisationen um den handlungstheoretischen Aspekt. Er charakterisierte Organisationen wie folgt: »system of consciously coordinated activities or forces of two or more persons« (1938:73). Demnach konstituieren sich Organisationen vielmehr aus Handlungen denn aus Menschen, Maschinen, Räumen usw. – diese werden samt und sonders der Umwelt von Organisationen zugerechnet (Kieser 2006:171). Zweifellos beeinflusst die Umwelt Organisationen in starkem Maße, die Zeit überdauernde Konstante sind aber nach Barnard (1938) die Handlungen. Es sind demnach koordinierte Handlungen verschiedener Teilnehmer, die das Wesen einer Organisation bestimmen. Der Handlungstheoretiker James Coleman präzisiert diese Definition, indem er Organisationen als Kooperative Akteure beschreibt, die sich durch kollektive Handlungsfähigkeit individueller Akteure auszeichnet (Schimank 2002:32f.). In Auseinandersetzung mit dem begrifflichen Werkzeug etwa des Verständnisses von Handlungen in Organisationen kommt es zu dem von Guiseppe Bonazzi skizzierten Problem des Erodierens des eigentlichen Forschungsgegenstandes (siehe oben), da eine Verschiebung weg vom Untersuchungsgegenstand hin zur Ausfeilung und Schärfung des begrifflichen Instrumentariums geschieht und sich die Forschung beispielsweise in handlungstheoretischen Abhandlungen verliert und weiter entwickelt. 57 Gleichzeitig prägen Handlungstheorie und im Speziellen die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie die Organisationsforschung entscheidend. So fokussierten sich etwa Herbert A. Simon und James G. March seit den 1940er Jahren auf Untersuchungen zu Entscheidungsverhalten in Organisationen58 und bereiten mit ihren Untersuchungen zahlreichen Studien zur Erforschung von Entscheidungsprozessen in Organisationen den Weg. 59 Die neuere Systemtheorie wird mit Luhmann darauf zurückkommen,

56 Siehe Fußnote 45, S. 95. 57 Siehe bspw. Coleman, James 1991: Grundlagen der Sozialtheorie. Handlungen und Handlungssystems. Bd. 1. München. 58 Ziel ihres rationalistisch geprägten Ansatzes war es u.a., Konzepte zu entwickeln, die individuelle Entscheidungen in Verwaltungsorganisationen entpersonalisieren und diese in automatisierte Computerprogramme zu überführen (siehe Simon, 1945; March und Simon 1958). 59 Zur Übersicht siehe: McGrew, Anthony G. & Wilson, Michael J. (Hg.) 1982: Decision Making: Approaches and Analysis: A reader. Manchester./Roth, Byron M. &

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wenn diese Organisationen resp. Verwaltungen maßgeblich durch das Phänomen der Entscheidung definiert. Als Mittler zwischen den Klassikern der Soziologie und den neueren Autoren angesiedelt, ist der amerikanische Soziologe Talcott Parsons derjenige, der der Soziologie und insbesondere den Organisationstheorien Anfang der 1960er Jahre neue Impulse gegeben hat. In Auseinandersetzung mit den Klassikern beschäftigte ihn, im Allgemeinen und im Besonderen, die Frage nach der Möglichkeit einer sozialen Ordnung von Gesellschaft. Vor dem Hintergrund dessen begreift er Organisationen als soziale Systeme, deren Struktur es ebenso zu ergründen gilt, wie die Funktion der Organisationen und deren Funktion für die Gesellschaft (Abels 2006: 178). Dabei stehen in Anlehnung an Max Weber auch bei ihm Sachlichkeit und Effizienz in Zentrum moderner Bürokratien. Jedoch erweitert Parsons jene Perspektive in zweierlei Hinsichten: Erstens um die von Barnard bereits eingeführte handlungstheoretische Komponente, wenn Parsons beispielsweise verdeutlicht, dass Entscheidungen – im Sinne des von Bürokratien zur Verfügung gestellten Handlungsmodus – allein auf Grund ihrer sachlichen Notwendigkeit getroffen werden (Rosa et al. 2007:166). Zweitens um die systemtheoretische Komponente, indem er Organisationen als ein Subsystem60 der Gesellschaft charakterisiert. So definiert Parsons Organisationen wie folgt: »A formal organization […] is a mechanism by which goals somehow important to the society, or to various subsystems of it, are implemented and to some degree defined (1965:63). Das bürokratische Subsystem verwirklicht also Ziele im Interesse der Gesellschaft, ohne jedoch mit anderen Werten und Interessen der Organisation selbst in Konflikt zu geraten. Der Parsons nahestehende Soziologe Shmuel N. Eisenstadt schreibt dazu: »It is our basic hypothesis that bureaucratic

Mullen, John D. 1990: Decision Making: Its Logic and Practice. Maryland./Weick, Karl E. 1995: Sensemaking in Organizations. Thousand Oaks./Shapira, Zur 1997: Organizational decision making. Cambridge./Wilz, Sylvia M. 2010: Entscheidungsprozesse in Organisationen. Eine Einführung. Wiesbaden. 60 1951 veröffentlichte Parsons das einflussreiche Werk The Social System. Hier findet eine detaillierte Analyse des sozialen Systems statt. Für die Analyse entwickelt er das bekannte AGIL-Schema, welches ihm zur Ableitung der verschiedene Subsysteme der Gesellschaft dient. Jene Subsysteme erfüllen jeweils bestimmte Funktionen für die Gesellschaft. Zur Vertiefung siehe beispielsweise Dahrendorf, Ralf 1997: Struktur und Funktion. Talcott Parson und die Entwicklung der soziologischen Theorie. In: Friedrichs, Jürgen oder Mayer, Karl U. & Schluchter, Wolfgang: Soziologische Theorien und Empirie. Opladen. S. 51-79.

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organizations develop in connection with differentiation in the social system and the problems it creates (1958:110). Er liefert hier – vor dem Hintergrund der Differenzierung des sozialen Systems und den Problemen, die im Kielwasser dieser Ausdifferenzierung auftauchen – eine Erklärung für die Entstehung von Organisationen. Niklas Luhmann greift den Faden der Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Subsysteme auf und schafft die systemtheoretische Fundierung von Organisationen. Er wendet sich explizit von Webers Rationalitätsdiktum ab und charakterisiert Organisationen resp. Verwaltungen als Entscheidungssysteme, die als autopoetische Systeme zu begreifen sind. Dies bedeutet, dass Organisationen aus Entscheidungen oder aus Kommunikation von Entscheidungen bestehen, die sich selbst in Entscheidungen produzieren bzw. reproduzieren (Luhmann 2000).61 Neben der Systemtheorie Luhmanns bietet der Neo-Institutionalismus (DiMaggio & Powell 1983, 1991; Zucker 1988; Scott & Meyer 1994) eine Alternative zur Interpretation von Organisationen als rationale und formale Systeme eines »old institutionalism« (Czarniawska-Joerges 2006:376) an. Diese Alternative haben die Soziologen John Meyer und Brian Rowan mit ihrem vielfach beachteten Aufsatz Formal Structure as Myth and Ceremony (1977) eröffnet und zugleich ein neues organisationsoziologisches Denkmuster angestoßen. Die Autoren überwinden hier den Graben zwischen der technischen Fassade und der Realität von Organisationen, indem sie aufzeigen, dass die formalen Strukturen als symbolischer Ausdruck von Rationalität und Legitimation der Organisationen in Erscheinung treten (Czarniawska-Joerges 2006:376). Organisationen können dementsprechend als Institutionen beschrieben werden, die sich auf dauerhaft anerkannte, gesellschaftliche Regeln beziehen, denen die Kriterien Rationalität und Legitimität zu eigen sind (Pohlmann & Markova 2011). Die formalen Strukturen sind folglich davon abhängig, was gesellschaftlich als effektiv, effizient und rational gilt. Organisationen sind demnach Produkte der jeweiligen kulturellen Vorstellungen, Normen, Ideen usw. Sie sind das Ergebnis institutioneller Erwartungsstrukturen und dienen zugleich der Verfestigung kultureller Muster (ebd.:57).62 Der Neo-Institutionalismus ist für das Forschungsvorhaben dieser Arbeit von besonderer Bedeutung, da dieser weder die Effizienz noch die Funktionalität von Strukturen oder die strategische Adaption als entscheidende Kriterien zur Gestaltung von Organisationen bestimmt, »sondern eben die Tatsache ›wie man etwas

61 Siehe auch Ortmann, Günther und Martens, Will 2006: Organisationen in Luhmanns Systemtheorie. In: Kieser und Ebers. S. 427-461. 62 Siehe auch Zucker 1988.

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macht‹« (Allmendinger & Hinz 2003:17). Jenes Denkmuster wird die Arbeit mit den Workplace Studies und der institutionellen Ethnographie methodisch aufgreifen und dabei der alltäglichen Praxis der Bauverwaltung folgen (siehe Kap. 2.4 und Kap. 4-8). Zwischenfazit I Wie die vorausgegangenen Ausführungen gezeigt haben, liefert Webers Idealtypus bürokratischer Organisationen den Organisationstheorien einen Fixpunkt zur Definition und Re-Definition von Organisationen: Von Coleman, der ein handlungstheoretisches Erklärungsmodell entwickelt, dass Organisationen als ein Zusammenspiel von (kooperativen) Akteuren begreift, deren Handlungszusammenhänge es zu analysiert gilt, über Luhmann und dessen Abkehr vom Rationalitätsdiktum Webers, sowie der Fokussierung auf Entscheidungen, hin zu den Ansätzen des Neo-Institutionalismus und dessen radikale Erweiterung des Weber’schen Rationalitätsmodells (siehe Tabelle 6). Tabelle 6: Drei organisationssoziologische Ansätze im Vergleich, eigene Darstellung in Anlehnung an Pohlman & Markova 2011:46). Theorie rationaler Wahl, Handlungstheorie (Coleman)

Systemtheorie (Luhmann)

NeoInstitutionalismus (Meyer, Rowan, Zucker)

Umgang mit Webers Rationalitätsannahmen

Zuschnitt auf das Abkehr vom RatioKonzept rationaler nalitätskonzept Wahl

Bezug auf das was als rational und legitim erscheint

Verständnis von Organisationen

Kooperative Akteure als Handlungssysteme

Formal rational ausweisendes Handlungssystem, das auf institutionellen Regeln basiert und/oder diese verkörpert

Entscheidungssystem, das sich selbst in Entscheidungen (re)produziert

Dabei entfernt sich in der historischen Rückschau die theoretische Perspektive von formalen Organisationen – die, wie sie Weber begriffen hat, ausschließlich in Form der bürokratischen Herrschaft existieren können, hin zur Entwicklung weiterer idealtypischer Organisationsformen, die an die jeweiligen Umwelten angepasst

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sind (Mayntz 1968). Gleichzeitig löst (v.a. im anglophonen Sprachraum) die Kontingenztheorie, 63 im Zuge der britischen Aston-Studien (1961-1970), 64 den Forschungsgegenstand Organisation resp. Verwaltung von gesellschaftlichen Entwicklung und führt eine positivistisch geprägt Forschungsperspektive ein. In der neueren Organisationsforschung (Neo-Institutionalismus) wird dieser Dualismus von Organisation und Gesellschaft zu Gunsten einer gesamtheitlichen Betrachtung wieder verworfen.65 Jedoch weisen Jutta Allmendinger und Thomas Hinz in ihrer Übersicht zur aktuellen Entwicklung der Organisationssoziologie darauf hin, dass »[…] fast ausschliesslich thematisiert [wird], wie Organisationen und Organisationseinheiten von ihrer Umwelt geprägt werden. Die umgekehrte Richtung, der Einfluss von Organisationen auf ihre Umwelt, wird selten untersucht. Hier besteht großer Forschungsbedarf«. (2002:18)

Jene allgemeine Forderung nach der Thematisierung des Einflusses der Organisationen auf ihre Umwelt weist Parallelen zur Forderung einiger schweizer Städtebauer auf, die eine stärkere Berücksichtigung der Gemeinde(-verwaltung) im Rahmen des Städtebaus fordern, da diese maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Siedlungslandschaft der Schweiz haben (siehe Kap. 2.2). Ich werde mit meiner Dissertation genau jene Forschungslücke (des Einflusses der Organisationen auf ihre Umwelt) ausfüllen, wenn ich die Methoden und Prozesse der Bauverwaltungen zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten aufzeige und deren Wirkung auf die Siedlungsentwicklung der Schweiz diskutiere (Forschungsfragen 1-3, Kap. 1.1.2). Es zeigt sich auch, dass in der Organisationssoziologie zunehmend ein Bewusstsein für die Erforschung der Wirkmacht institutioneller Settings66 auf ihre

63 Jene Forschungsrichtung der Organisationssoziologie wird in Deutschland seit den 1970er Jahren unter der Bezeichnung »situativer Ansatz« (Staehle 1973) betrieben. Überblick bei Kieser 2006. 64 Zur Vertiefung siehe: Pugh, Derek 1981: The Aston Program Perspective. In: Van De Ven, Andrew H. & Joyce, William F (Hg.): Perspectives on Organization Design and Behavior. New York. 65 Siehe z.B. Ortmann et al. (Hg.) 2000: Theorien der Organisation. Die Rückkehr der Gesellschaft. 2. durchgesehene Auflage. Wiesbaden. Oder Drepper, Thomas 2003: Organisationen der Gesellschaft. Gesellschaft und Organisation in der Systemtheorie Niklas Luhmanns. Wiesbaden. 66 In der Soziologie besteht ein Unterschied zwischen Institution und Organisation. Wird Institution synonym für Organisation verwendet, ist häufig ein empirischer/feldbezo-

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Umwelt entsteht, dass aber adäquate Konzepte zu deren Untersuchungen bisher fehlen. Bevor ich meine Ausführungen auf die Frage nach geeigneten Konzepten zur Erforschung meines Untersuchungsgegenstandes weiter zuspitze (Forschungsfrage 4, Kap. 1.1.2), wird in einem kurzen Exkurs der Umweltbegriff in der Soziologie geklärt. Im Lichte dessen wird aufgezeigt, inwieweit dieser die gebaute Umwelt mit einschließt. Diese Klärung ist essentiell, zielt die Studie doch auf die Wirkmacht von Bauverwaltung (als Organisation) auf die gebaute Umwelt ab. Umweltbegriff in der Soziologie Im Allgemeinen wird die Umwelt in der Soziologie »als das gesamte soziale Umfeld eines Individuums oder einer Gruppe begriffen«. Im Speziellen wird die Soziologie allerdings genauer, wobei der Umweltbegriff je nach theoretischer Ausrichtung unterschiedlich definiert wird. In ihren Ausführungen zum Stand der Organisationssoziologie erläutern Allmendinger und Hinz den Begriff der Umwelt nicht genauer, verwenden ihn aber wiederholt zur Klärung des Forschungsbereichs der Organisationssoziologie (Allmendinger & Hinz 2002). Sie nutzen ihn grundsätzlich im Sinne der Systemtheorie als Dualismus: Organisation einerseits und Umwelt andererseits, wobei die Umwelt all das bezeichnet, was außerhalb der Organisation liegt. Neben der systemtheoretischen Auffassung ist die Phänomenologische von Alfred Schütz eine der Populärsten. Die Umwelt wird hier in Abgrenzung zur Mitwelt verstanden, als die »vom Individuum unmittelbar erfahrene nähere Umgebung« (Hillmann 1994:888). Im Sinne einer soziologischen Handlungstheorie ist Umwelt bzw. die »›Umwelt‹ des Handelns […] nicht rohe, sondern vom Menschen bearbeitete Natur […] und die von Menschen geschaffene Kulturgegenstände – von Verkehrszeichen bis zu Büchern« (Meulemann 2001:34). Bei allen drei Definitionen, der systemtheoretischen, der phänomenologischen und insbesondere der handlungstheoretischen wird deutlich, dass der Umweltbegriff sich (auch) aus soziologischer Sicht nicht auf das soziale Umfeld beschränken lässt bzw., dass das Soziale um materielle Aspekte erweitert werden kann (vgl. in Erweiterung dazu Latour 1995). Ein so verstandener Umweltbegriff bezieht die materielle ebenso wie die gebaute Umwelt mit ein. Die vorliegende Arbeit wird dementsprechend einen erweiterten Umweltbegriff nutzen, wenn sie im Sinne der Aussagen von Allmendinger und Hinz, die Auswirkung der Bauverwaltung (Organisation) auf die städtebauliche Umwelt untersucht. Die Frage nach der Wirkmacht der Gemeinde

gener Verwendungszusammenhang präsent. Dieser lehnt sich an das Vokabular des Feldes an. Die vorliegende Studie verfährt so.

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resp. der Bauverwaltung stellt sich im Sinne meiner dritten Hauptfrage einmal mehr (Kap. 1.1.2). Es bleibt zu klären, wie diese Wirkmacht und die administrativen Prozesse adäquat untersucht werden können und wie der Untersuchungsgegenstand der (Bau-)Verwaltung charakterisiert werden kann, um deren Wirkmacht und Eigenlogik zu untersuchen. 2.3.2 Explizite Beschäftigung der Organisationssoziologie mit Bürokratie und Verwaltung Die bisher skizzierten Entwicklungen verdeutlichen das enorme Spektrum der Organisationssoziologie, die sich seit Weber zunehmend ausdifferenziert und einen großen theoretischen Korpus in der Vergangenheit hervorgebracht hat. Im Folgenden werden jene Studien der Organisationssoziologie herausgefiltert, die sich explizit und im Speziellen mit dem Gegenstand von Bürokratie und Verwaltung beschäftigen, um diese auf die Tauglichkeit für die Untersuchung der Praxis der kommunalen Bauverwaltung (in der Schweiz) zu prüfen. Ich folge dabei (nach umfassender Literaturrecherche) dem Organisationssoziologen Guiseppe Bonazzi, der in seinem Übersichtswerk: Geschichte des Organisatorischen Denkens (2008) die Entwicklung der Bürokratieforschung nach Weber aufzeigt und eine sehr gute Übersicht über die Beschäftigung mit Bürokratien und Verwaltung in der Organisationssoziologie bereitstellt. Seine Übersicht reichere ich zuweilen mit Informationen zu den Autoren an, die in der von Bonazzi vorgeschlagenen Übersicht zu kurz kommen. Bonazzi greift folgende Autoren heraus, die sich direkt mit der bürokratischen Frage auseinandergesetzt haben (2008:176ff.): die Soziologen Robert Merton und Alvin Gouldner, Philip Selznick, Michel Crozier, Peter Drucker und Henry Mintzberg. Merton, Gouldner und Crozier führt er als Beispiele für eine kritische Auseinandersetzung mit öffentlichen und privaten Bürokratien einerseits in den USA der 1940er-1960er Jahre (Merton, Gouldner) und anderseits in Frankreich ab den 1960er Jahren (Crozier) an. Selznick, Drucker und Mintzberg konzentrieren sich in ihren Arbeiten vielmehr auf private Verwaltungen und Management, weshalb ich sie gegenwärtig nicht besprechen werde, da sie für meine Fragestellung (Kap. 1.1) nicht von Belang sind. Die US-amerikanischen Soziologen Merton und Gouldner wählen einen funktionalistischen Zugang, um die Ambivalenz zwischen Bürokratietheorie, ausgedrückt durch intendiertes, rationales Verhalten, sowie die unerwarteten Folgen (Dysfunktionen), die dieses intendierte Handeln mit sich bringt, zu untersuchen. Merton verbleibt bei seiner Forschung auf theoretischer Ebene und versucht mittels einer Binnenananlyse von bürokratischen Organisationen die Diskrepanz zwischen rationaler, bürokratischer Struktur und deren Dysfunktionen in

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der Praxis zu analysieren. Er hebt sich ebenso wie Gouldner explizit von einer positivistischen Denkweise, wie sie den Studien der Aston-Gruppe eigen ist ab, da er die Dynamik der sozialen Prozesse von Organisationen hervorhebt und aufzeigt, dass sich trotz (oder gerade wegen) sorgfältiger rationaler Konzeption eines bürokratischen Systems unerwartete Dynamiken entwickeln können (ebd.). Der Soziologe Gouldner fügt seinen Überlegungen im Gegensatz zu Merton eigenes empirisches Forschungsmaterial hinzu – gleichwohl er zur Erforschung formaler Organisationen die Beziehung zwischen Arbeitern und Führungskräften in einem Bergwerk und einer Gipsfabrik untersucht, bezieht er sich auf Weber (anstelle von Taylor), um sich an Webers Theorie abzuarbeiten.67 Er kommt zu dem Schluss, dass Webers universalistisches Theoriekonzept nicht in der Lage sei, alle komplexen Phänomene der Bürokratie zu erfassen und löst Webers Modell in ein Nebeneinander von zwei Organisationskonzepten auf: In das rationale Modell, in dem Organisationen unter dem Diktum von Rationalität und Effizienz stehen, sowie in das natürliche Modell, das weniger formale Strukturen zur Erreichung größtmöglicher Effizienz und Rationalität anstrebt, sondern sich mittels Interaktion und Spontanität möglichst gut an die zu überlebende Umwelt anpasst (ebd.: 203). Bei dieser Auseinandersetzung mit Weber vernachlässigt Gouldner jedoch den historischen Kontext, in dem Webers Analysen entstanden – indes Weber seinerseits den historischen und kulturellen Kontext seiner Untersuchungen betonte (Derlien et al. 2011)68. Ein Umstand, dem der Soziologe Michel Crozier in seiner Forschung (ebenso wie später der Neo-Institutionalismus) Beachtung schenkte und die ahistorische Orientierung der Organisationssoziologie verwarf. Im Folgenden wird Crozier eingehender vorgestellt, denn die französische Soziologie der öffentlichen Verwaltung ist für die Arbeit von besonderem Interesse. Zeigt sie doch einen Weg aus den bisher in der bürokratischen Frage eingeschlagenen Forschungsrichtungen auf: Sie verabschiedet sich von kontingenztheoretischen Studien zu Verwaltungen und deren auf statischen Konzepten beruhenden Konzeptionen ebenso wie von den funktionalistisch geprägten Studien, denen es vielmehr um die Auseinandersetzung mit dem Weber’schen Gedankengut geht, als um empirische Studien der aktuellen Verwaltungssituationen. Im Zuge dessen legen die französischen Organisationssoziologen um Michel Crozier ihre Studien nicht losgelöst von Gesellschaft, Raum und Zeit an. Sie kamen damit bereits der in den 1990er Jahren formulierten Forderung des Organisati-

67 Nicht die empirische Forschungsrealität, sondern der Bezug zu einer Theorie, mit dem die Forschungsrealität untersucht wird, ist für Gouldner das entscheidende Kriterium für die Bewertung eines Forschungsbeitrags (Bonazzi 2008:190). 68 Zu den Vorwürfen siehe Derlien et al. S. 25ff.

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onswissenschaftlers Robert Chia nahe, der, nach einer in weiten Teilen positivistisch geprägten Organisationsforschung seit den 1960er Jahren (insbesondere in der angelsächsischen Forschung), 69 eine Re-Definition der Organisationsforschung anstrebt (Chia 1997). In einer nach Chia re-definierten Organisationsforschung werden statistische und dualistisch geprägte Konzepte zu Gunsten relationaler Betrachtungsweisen, in denen der Flexibilität und Fluidität des Forschungsgegenstandes Rechnung getragen wird, aufgegeben. Jene veränderte Perspektive tritt erstmals in Crozier Publikation: Le phenomene bureaucratique70 von 1963 zu Tage, die hier mittels fünf zentraler Thesen vorgestellt wird. Ich beziehe mich hier abermals (siehe oben) auf Bonazzi (2008: 220ff.): 1. Explizite Untersuchung von Verwaltungen als Bürokratie. Crozier erforscht

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zwei staatliche Bürokratien Frankreichs und sammelt empirisches Material. In der Folge dehnt die Schule um Crozier die Forschung auf das gesamte politisch-administrative System Frankreichs aus. Einbettung der Forschung in den nationalen Kontext. Crozier verdeutlicht, dass der historisch-kulturelle Kontext bei der Erforschung von Verwaltungen mitgedacht werden müsse, um diesen hinlänglich analysieren zu können. In Anbetracht dessen lassen sich die gewonnen Ergebnisse nur bis zu einem gewissen Grad verallgemeinern. Verwerfen des idealtypischen Bürokratiekonzepts. Bürokratie wird hier in seiner abwertenden Bedeutung aus der Alltagssprache als ineffizient, langsam, träge und verkomplizierend begriffen. Eine so verstandene Bürokratie kann ihre eigenen Fehler nicht selbst korrigieren. Crozier definiert dieses Bürokratiekonzept als relativ stabilen Teufelskreis, der für das Gleichgewicht und somit für das Funktionieren bürokratischer Systeme sorgt. Macht als Kontrolle von Zonen der Ungewissheit. Die Unvorhersehbarkeiten eines bürokratischen Systems bedeuten nach Crozier Freiheit und somit auch eine Möglichkeit von Macht. Die französischen Soziologen stellen im Zuge dessen die These auf, dass je strikter die bürokratische Maschinerie sei, desto stärker weiche das menschliche Handeln von den vorherbestimmten Mustern ab und schaffe sich seine Nischen der Freiheit und Macht. Strategische Analyse bürokratischer Verhaltensweisen. Crozier lotet hier die Spielräume aus, die die strikten unpersönlichen Regeln, stabilen Hierarchien

69 Chandler 1962, Lawrence & Lorsch 1967/79, Pugh 1981, die Übersichtswerke von Scott 1987 oder auch Donaldson 1996. 70 Englische Fassung: Michel Crozier 1964: The Bureaucratic Phenomenon. Chicago.

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und Routinen staatlicher Verwaltungen eröffnen und verwehren. Er verabschiedet sich von Taylors Ansatz, in welchem nur Verhaltensweisen analysiert werden, welche den rationalen Regeln des Systems entsprechen und geht über Human-Relations-Ansätze hinaus, die sich ausschließlich auf psychologische Perspektiven beschränken. Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit wählt Crozier einen interessanten Fokus, da er den Gegenstand der Verwaltung aufs Genaueste seziert: Er verankert ihn im kulturellen Kontext des entsprechenden Landes, bezieht eine klare Position zum Bürokratiebegriff, wählt eine empirische Herangehensweise und er analysiert insbesondere die alltäglichen Strategien und sozialen Beziehungen der Akteure innerhalb der formalen Regeln der Organisationen. Dies kommt dem Vorgehen meiner Dissertation nahe, in der ich ebenso wie Crozier, die (Bau)Verwaltungen im nationalen und überdies im lokalen Kontext verankere (siehe Kap. 2.2, Kap. 3 und Kap. 4-8), im Rahmen der intensiven Feldforschung dreier Gemeindeverwaltungen in der Schweiz, umfangreiches empirisches Datenmaterial sammelte und einen besonderen Fokus auf die Praxis der Bauverwaltung legte (Kap. 1.1). Gleichzeitig gehe ich empirisch und theoretisch über Croziers Ansatz hinaus, wenn ich angelehnt an die Workplace Studies im Rahmen der Feldforschung intensiven Gebrauch vom Medium Video mache, anstelle mich auf halbstandardisierte Interviews zu beschränken, oder wenn ich theoretisch dem NeoInstitutionalismus nahe stehe und im Speziellen neuere Ansätze der Ethnographie verwende, die weniger den einzelnen Akteur in Beziehung zu einer (in sich geschlossenen) Organisation setzt, sondern die Organisation resp. die Verwaltung als »one kind of actant in action nets« (Czarniawska-Joerges 2000:377) betrachtet, deren vielfältigen Verflechtungen es zu verstehen und offenzulegen gilt, um Antworten auf die Hauptforschungsfragen: 1. Welche Methoden und Prozesse brauchen Bauverwaltungen, um Bauprojekte zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen? 2. Wie bzw. inwiefern werden Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert? 3. Welches Rollenverständnis von Gemeinde/Bauverwaltung ist im derzeitigen städtebaulichen Diskurs verankert und ist im Zuge dessen eine Re-Positionierung der Gemeinde angebracht? (siehe Kap. 1.1) zu geben. Insofern werde ich im weiteren Verlauf auch die relative Ohnmacht des unter Punkt drei gesetzten neueren Bürokratiemodells Croziers revidieren. Im Zuge dessen wiesen bereits Croziers Schüler Francois Dupuy und Jean-Claude Thoenig in ihrer Arbeit Sociologie de l’administration francaise (1983) darauf hin, dass im Rahmen der Untersuchung von Verwaltung dringend:

110 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG »zwischen der Rigidität formaler bürokratischer Strukturen, die den Gesamtrahmen bilden, und der Flexibilität der administrativen Praxis zu unterscheiden (ist), die nach subtilen, netzartigen in diesen Rahmen eingewobenen Regeln der Aushandlung funktionieren« (nach Bonazzi 2008:235).

Ich werde darauf zurückkommen, wenn ich die Forschungsperspektive im Sinne der vierten Forschungsfrage (Kap. 1.1.2)71 um die Ansätze der institutionellen Ethnographie erweitere und die Perspektive der Akteur-Netzwerk-Theorie mit einbeziehe. Zwischenfazit II Die vorausgegangene Abhandlung des Forschungsgegenstands der Organisation resp. der Verwaltung im Rahmen der Organisationssoziologie diente dazu, die Anfänge der Erforschung von Organisationen aufzuzeigen und die theoretischen Annahmen zu beleuchten sowie die Frage nach geeigneten Konzepten zur Durchführung des Forschungsvorhabens einzuengen. Dies geschah einerseits, um den wissenschaftlichen Umgang mit dem Gegenstand der Organisation in einer historischen Dimension zu hinterfragen und deren Entwicklung aufzuzeigen, andererseits, um einen kritischen Dialog mit dem Dissertationsvorhaben und den Ansätzen der Organisationssoziologie zu führen. Es hat sich gezeigt, dass in der Organisationssoziologie der Schwerpunkt der Theoriebildung vielmehr mittels deduktiver Forschungsansätze erfolgt als mit dem Fokus auf induktive Herangehensweisen, wie sie besonders von den Soziologen Harold Garfinkel72, dem Begründer der Ethnomethodologie, oder von Lucy Suchman73 mit ihren situativen 74 Forschungsansätzen in den 1960er Jahren eingeführt wurden. Gleichzeitig schlagen die Studien um Michel Crozier und die theoretischen Ansätze des Neo-Institutionalismus eine Brücke zum Forschungsvorhaben meiner Dissertation.

71 Wie müssen die etablierten Konzepte erweitert werden, um die Wirkmacht und Eigenlogik der Bauverwaltung zu untersuchen? 72 Garfinkel, Harold 1986: Ethnomethodological Studies of Work. London. 73 Suchman, Lucy 1987: Plans and situated actions. The problem of human-machine communication. Cambridge. 74 Nicht zu verwechseln mit dem situativen Ansatz der Kontingenztheorie, wo Situation als Kontext, als Eigenschaft der Organisation und ihrer Umwelt begriffen wird (siehe Kieser 2006) und nicht als eine Handlung in situ erforscht wird (siehe Suchman 1987).

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Bevor ich jene Brücke aufzeige und mich vor dem Hintergrund der Empirie den Forschungsansätzen der institutionellen Ethnographie oder der AkteurNetzwerktheorie zuwende, die ich nach Abwägung der bisherigen Ausführungen als angemessene Erweiterung der etablierten Konzepte betrachte, werde ich nachfolgend Einblicke in die Verwaltungswissenschaften geben. Diese widmen sich explizit der Erforschung von Verwaltungen. Die Einblicke in die Verwaltungswissenschaften werden aber weniger einen theoretischen Mehrwert mit sich bringen als vielmehr eine scharfe Beschreibung des Gegenstandes. Diese Beschreibung liefert das Kontextwissen dazu, was eine Bauverwaltung ist, sodass ich davon ausgehend davon aufzeigen kann, wie eine Bauverwaltung wirkt. Dies unterstützt meine Zielsetzung, die Gemeindeforschung hin zu einer Gemeindewirkungsforschung zu erneuern. 2.3.3 Verwaltungen als Paradegegenstand der Verwaltungswissenschaften Noch Ende der 1960er Jahre beklagte Niklas Luhmann das Fehlen von verwaltungswissenschaftlicher Literatur im deutschsprachigem Raum und den Zwang, auf US-amerikanische Forschung ausweichen zu müssen, um einen Eindruck vom Stand der Forschung zu bekommen, gleichwohl auch dort eine systematische Theorie der Verwaltung fehlte (Luhmann 1966). Weiterhin führte er ein Juristenmonopol in diesem Forschungsbereich an, das den Gegenstand einzig aus der rechtswissenschaftlichen Perspektive betrachtete (ebd.). Rund 50 Jahre später haben sich diese von Luhmann angeführten Kritikpunkte, kaum verschoben, wie das schweizer Kolloquium: Verwaltung im 21. Jahrhundert. Herausforderungen, Probleme, Lösungswege aufzeigte (Schweizer et al. 2003).75 Noch immer wird die starke Dominanz der rechtswissenschaftlichen Forschung und das Vernachlässigen der sozialwissenschaftlichen Forschung im Bereich der Verwaltung bemängelt. Dies mag auch am postulierten Erkenntnisinteresse der Verwaltungswissenschaften liegen, das sich nach dem jüngst erschienen Übersichtswerk des Verwaltungswissenschaftlers Thorsten Franz wie folgt zusammenfassen lässt (Franz 2012: 122f):

75 In der Schweiz gibt es keinen verwaltungswissenschaftlichen Lehrstuhl, Studiengang etc. Die Verwaltungswissenschaften gehen hier in der Politik- und Rechtswissenschaft, sowie in Ökonomie und Management auf. Die schweizerische Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften SGVW versucht, den Verwaltungswissenschaften in der Schweiz eine Plattform zu geben.

112 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG 1. deskriptiv: Exakte Beschreibung der Verwaltung (Aufbau, Arbeits- und

Funktionsweise, Bedingungen des Verwaltungshandelns, Ursache-WirkungsBeziehungen, Systematisierung). 2. analytisch/explanativ: Bewertung der Verwaltung auf ihre Zweckmäßigkeit, Analyse von Erforderlichkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit, Erklärung von Zusammenhängen inklusive Theoriebildung (explanativ). 3. präskriptiv: Entwicklung einer Theorie bzw. Lehre der guten Verwaltung. Die Verwaltungswissenschaften verfolgen also ein eher praktisches Erkenntnisinteresse, das vor allem präskriptiv gewonnen wird und sich mit formalen Aspekten beschäftigt. Ergo interessieren sich die Verwaltungswissenschaften weniger für die alltägliche Praxis und deren situative Ereignisse. Im Gegensatz zu den Sozialwissenschaften, die sich weniger mit den Sollstrukturen offizieller Regeln als mit den davon oftmals abweichenden tatsächlichen sozialen Vorgängen befassen (Mayntz 1978:2f.), wie dies etwa die Workplace Studies aufzeigen oder die institutionelle Ethnographie, wenn sie die alltägliche Praxis in einer Ausländerbehörde untersucht (Scheffer 1997). Auf diesen Umstand wies bereits Herbert Simon in Administrative Behavior hin, wenn er das Erkenntnisinteresse der Organisations- resp. der Verwaltungswissenschaften im Allgemeinen beschreibt: »[…] determining of what is to be done rather to the actual doing« (Simon 1945:1). Ein Ansatz, der in der vorliegenden Arbeit weiter gedacht wird. Was die Verwaltungswissenschaften aber für die vorliegende Dissertation liefern können, ist die exakte Beschreibung formaler Aspekte von Verwaltungen, deren Aufgaben, Normen und Regeln. Formale Aspekte von Verwaltung Die öffentliche Verwaltung hat sich als Organisationsform im 19. Jahrhundert als Antwort auf die absolutistische Willkürherrschaft herausgebildet (Kieser 2002). Dementsprechend bedeutet Verwalten in einem demokratischen Rechtsstaat »die Umsetzung politischer Ziele nach Massgabe der Gesetze und in den Schranken der richterlichen Kontrolle« (Mastronardi 2003:370). Um jene Aufgaben zu erfüllen, ist die Verwaltung in ihrem Handeln sehr stark regelgebunden und folgt dem Diktum der Rationalität und Effizienz (Kieser 2006). Dies dient nicht zuletzt der Rechtssicherheit, der Rechtsgleichheit, sowie der Freiheit der Bürger vor dem Staat (Nagel 2001). Max Weber hatte im Zuge des Aufkommens des neuen Typus der Verwaltung eine umfassende Beschreibung eines idealtypischen Bürokratiemodells geliefert, die noch heute starken Einfluss auf die Struktur von Verwaltungen ausübt. Dieses rationale Bürokratiemodell ist im Wesentlichen durch folgende Punkte gekennzeichnet (nach Weber 1922: 650ff.):

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Amtshierarchie. Sie wird durch ein klar geordnetes System von Über- und Unterordnung mit entsprechender Weisungsbefugnis gewährleistet. Prinzip der Schriftlichkeit. Die moderne Amtsführung beruht auf Schriftstücken (Akten), welche interne und externe Nachvollziehbarkeit und Kontrolle ermöglichen, sowie der Trennung von Büro und Privathaushalt. Fachschulung des Personals. Das Personal wird ausgebildet und ernannt anstelle von Wahl, Vererbung oder Kauf von Ämtern. Regelgebundenheit der Amtsführung. Entscheidungs- und Arbeitsprozesse folgen mehr oder minder festen und abstrakten Regeln.

Neuere Tendenzen Die beschriebenen Strukturmerkmale, besonders jene der Hierarchie und Regelgebundenheit, können heute nicht mehr überall beobachtet werden, denn die Fraktionierungstendenzen der Gesellschaft führen zu einer immer stärkeren Spezialisierung und Erweiterung des Aufgabenspektrums der Verwaltungseinheiten (Kaiser-Probst 2008:101). 76 Die Verwaltung kann nicht mehr nur als reines Vollzugsorgan gesetzlicher Regelungen begriffen werden, als das sie sich noch unter dem Weber’schen Rationalitätsdiktum darstellte und sich Legitimation verschaffte, sondern ist vielmehr als staatlich organisierter Prozess zur gesellschaftlichen Problemlösung zu verstehen (Mastronardi 2003:374). Dabei findet eine Verschiebung der Legitimierung statt, die sich nicht mehr nur auf bürokratische Behörden, sondern auch auf die Zustimmung verschiedener Akteure bzw. Kunden beruft (Kaiser-Probst 2008:102). Die Verwaltung gewinnt auf diese Weise an Eigenständigkeit und verwirft zunehmend hierarchische Strukturprinzipien. In Folge dessen zeigt der Rechtswissenschaftler Philippe Mastronardi in seinem Aufsatz zur Verwaltung im 21. Jahrhundert weitere Entwicklungstendenzen auf (Mastronardi 2003:371ff.): Er konstatiert einen zunehmenden Zwang an Koordination und Kooperation, ein wachsendes Interesse an der Partnerschaft mit Privaten, die Bildung von Netzwerken, einen Informationsvorsprung, die Entwicklung hin zu einer lernenden Organisation und eine wachsende Ökonomisierung der Verwaltung. Jene Ökonomisierungstendenzen der Verwaltung sind auf das Engste mit der Finanzkrise in den 1990er Jahren und der Durchführung umfassender Verwaltungsreformen unter dem Label New Public Management (NPM) verknüpft.

76 Peter Knoepfle warnt im Zuge der partikulären Sichtweise vor einem PolicyEgoismus, da nicht mehr das Ganze im Blick behalten wird, sondern nur der Aufgabenbereich, der aktuell ist oder in den eigenen Zuständigkeitsbereich fällt (Knoepfle 2003).

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Die Grundidee des NPM ist die Anwendung von Managementkonzepten der Privatwirtschaft in der öffentlichen Verwaltung,77 um deren Effizienz und Effektivität unter der Warte von »der Verwaltung als Behörde zum Dienstleistungsunternehmen« zu steigern (Hunzinger 1999). Dabei werden die Leistungen der Verwaltungen in einem globalisierten Wettbewerb zu einem wichtigen Standortfaktor (ebd.:32). Die praktische Umsetzung eines Baugesuches, deren Dauer von der Einreichung des Entscheides bis zur Bewilligung reicht, ist folglich für Investoren von zunehmender Bedeutung (ebd.; vgl. Kap. 4-9). Ebenso wird der Faktor Zeit zur Ware. Die Stilisierung der Zeit zu einer knappen und wertvollen Ressource im Zuge der Effizienz (des NPM) sowie der generellen Beschleunigung und Veränderung der Zeitstruktur in der Moderne (Rosa 2005) führen bei der Verwaltung zu einer doppelten Neuprägung des Zeitrhythmus: Erstens durch die Kurzfristigkeit des politischen Zeithorizonts, zweitens durch die Fraktionierung der Zeit der Bürger (für jedes Thema gelten andere Fristen) (Mastronardi 2003:379, Kap. 9). »Der Umsetzungsprozess ist dabei nicht linear und nicht einseitig von oben nach unten gerichtet, sondern iterativ und kreisförmig an die politischen und gesetzgeberischen Entscheide rückgekoppelt.« (Ebd.:370) Die Verwaltung ist vor allem im Zuge dieser Entwicklungen von einem reinen Steuerobjekt zu einem aktiven politischen und gesellschaftlichen Akteur avanciert, wobei sich die Grenzen zwischen Verwaltung und Politik besonders auf Bundesebene zunehmend verwischen (Franz 2011:155f.). Jene Verschiebung des Einflussbereiches lässt sich auch auf der Ebene der kommunalen Bauverwaltungen in der Schweiz aufzeigen (Kap. 4-9). Seit den 1970er Jahren ist eine Tendenz von der sich noch immer formierenden Dienstleistungsverwaltung hin zur planenden Verwaltung festzustellen, die für sich die Steuerung sozialer und ökonomischer Prozesse und Strukturen in Anspruch nimmt (Derlien et al. 2011:24).78 Jene Gleichzeitigkeit von Prozessen verweist bereits auf die derzeit zirkulierenden, sehr heterogenen Verwaltungskonzepte. Die deutsche Bauzeitschrift definiert beispielsweise die Bauaufgabe von Verwaltungsgebäuden als Herausforderung, aus »verstaubten Verwaltungs-

77 Vgl. Kap. 2.3.1 zu den Konzepten Webers und Taylors. 78 Im Groben lässt sich die Verwaltungsentwicklung wie folgt skizzieren: Von der Ho-

heits- und Ordnungsverwaltung des 19. Jahrhunderts über die Dienstleistungsverwaltung hin zur planenden Verwaltung (seit 1970er). Wobei dies keine Abfolge der Verwaltungs(re-)formen beschreibt, sondern vielmehr als eine Tendenz, als ein Nebeneinander verschiedener Verwaltungsformen verstanden werden muss (siehe Derlien et al. 2011).

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gebäuden zeitgemäße Dienstleistungszentren« zu formen (DBZ:2010). So orientiert sich beispielsweise die Bauverwaltung des Fallbeispiels Visp in ihrer Zielsetzung ebenso klar am Dienstleistungsgedanken »raschmögliche, korrekte Durchlaufzeiten der Baugesuche« und kundenfreundliche Abwicklung der Prozesse, wie neuerdings an den Maßgaben einer planenden Verwaltung (bindende Vorgaben zur Stadtentwicklung Visp) (siehe Kap. 4 und 9). Ebenso lassen sich rückwärtsgewandte Tendenzen erkennen, wie die des Wiener Stadtbauamtes, das von einer aktiv planenden Institution zunehmend zu einer passiv beratenden Instanz geworden ist (Bernard & Feller 1998:25). Dennoch, der Einfluss der Verwaltung auf die Stadtentwicklung ist in jedem Fall immanent, denn: »Nach wie vor macht Amt, Stadt, wenn auch mit anderen Zielsetzungen, Methoden und Schwerpunkten.« (Ebd.:28) 2.3.4 Fazit: Erweiterung etablierter Forschungskonzepte Der Forschungsgegenstand wurde in diesem Unterkapitel auf die verwaltungswissenschaftlichen Spezifika zugespitzt. Dieser wurde in seiner formalen Vielfalt charakterisiert und in seinem Aufgabenspektrum beleuchtet. Bemerkenswert ist dabei die in jüngster Zeit stattfindende zunehmende Neu-Definition der Verwaltungsaufgaben: »vom Regelvollzug zur Problemlösung« (Franz 2011). Die Verwaltung entwickelt sich von einem überwachenden, prüfenden und bewilligenden eher passiven Akteur hin zu einem aktiven, dessen Handeln und Entscheiden verstärkt über die reine Vollzugsverwaltung hinausgeht und die Steuerung und Lösung gesellschaftlicher Probleme im Blick hat (Derlien et al. 2011). Jene Entwicklung stellt sämtliche Akteurinnen und Akteure, die Verwaltung selbst als auch die Bürgerinnen und Bürger und jene, die beruflich mit der Verwaltung interagieren, vor neue Herausforderungen. Dies bestätigt die in Forschungsfrage drei aufgeworfene Frage nach der Re-Positionierung der Gemeinde (siehe Kap. 1.1.2) nicht nur im städtebaulichen Diskurs, wie im vorherigen Kapitel aufgezeigt (Kap. 2.2), sondern auch im Feld der Organisationssoziologie und Verwaltungswissenschaften. Das vorliegende Kapitel hat jene Re-Positionierung der Gemeinde resp. Verwaltung für die Studie fruchtbar gemacht und darüber hinaus aufgezeigt, dass der Wirkung von Organisationen und Verwaltungen auf die Umwelt bisher wenig Beachtung geschenkt wurde. Die Frage der Wirkmacht ist Resultat und Voraussetzung für eine Re-Positionierung des Untersuchungsgegenstandes zugleich. Im Zuge der Analyse wird die Wirkmacht der Bauverwaltung auf der Blaupause der Untersuchung der administrativen Praktiken (Forschungsfrage 1, Kap.1.1.2) in den Kapiteln 4-8 analysiert. Um die Analyse der administrativen Praktiken

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durchzuführen, gilt es zunächst, Antworten auf die vierte Forschungsfrage, die nach den Konzepten zu deren Durchführung fragt, geben. Die vierte Forschungsfrage kann an dieser Stelle grundsätzlich beantwortet werden: Die Konzepte von Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie müssen erweitert werden, um die Wirkmacht und Eigenlogik administrativer Praktiken auf Bauprojekte zu untersuchen. Wie diese erweitert werden könnten, (Forschungsfrage 4, Teilfragen Kap. 1.1.2) ist im Verlauf der Ausführung immer wieder angedeutet worden: Durch den Einbezug und die Erweiterung der Konzepte durch eine ethnographische Perspektive. Die von dem Soziologen Thomas Scheffer etablierte und voran getriebene Forschungsrichtung der politischen bzw. institutionellen Ethnographie und mit ihr das Instrumentarium der trans-sequentiellen Analyse (TSA) bietet eine angemessene Lösung. Im Folgenden werde ich klären, inwieweit die ethnographische Perspektive der TSA mit ihrem besonderem Fokus auf Ereignis-ProzessRelationen als Bindeglied zwischen den etablierten Konzepten und deren Erweiterung auf die Untersuchung der Wirkmacht von administrativen Prozessen, die theoretische Lücke schließen kann. Zudem wird zu klären sein, welche Konsequenzen sich für die TSA aus deren Anwendung auf administrative Prozesse ergeben und inwiefern das methodische Spektrum der TSA erweitert wird (Forschungsfrage 4, Kap. 1.1.2).

2.4 F AZIT : T RANS - SEQUENTIELLE ANALYSE (TSA) ALS THEORETISCHER F OKUS Im abschließenden Fazit greife ich die Überlegungen aus den vorausgegangenen Ausführungen zum Forschungsgegenstand der Gemeinde resp. der Bauverwaltung (Kap. 2.1-2.4) sowie das erklärte Forschungsziel, die Eigenlogik und Wirkmacht administrativer Praktiken auf Bauprojekte und nachgeordnet auf die gebaute Umwelt zu erfassen, auf (Kap. 1) und überführe diese Ausführungen zusammenfassend auf den theoretischen Fokus der Studie. Infolgedessen werden erste Antworten auf die Teilfragen der vierten Forschungsfrage gegeben: »Kann die ethnographische Perspektive der trans-sequentiellen Analyse mit ihrem besonderen Fokus auf Ereignis-Prozess-Relationen als Bindeglied zwischen den etablierten Konzepten und deren Erweiterung auf die Untersuchung der Wirkmacht von administrativen Prozessen die theoretische Lücke schließen?« (Kap. 1.1.2) In den obigen Ausführungen wurde deutlich, dass nicht nur der Begriff der Gemeinde und darin eingeschlossen, derjenige der Bauverwaltung einer Neusetzung bedarf (Kap. 2.1.4), sondern auch, dass die Konzepte der Organisationsso-

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ziologie theoretisch und methodisch erweitert werden müssen, damit der Untersuchungsgegenstand (die Bauverwaltung und deren administrative Praktiken) angemessen analysiert werden kann.79 Zweierlei wird kritisiert: Erstens, greifen die etablierten Forschungsansätze zu kurz, um die administrative Praxis in situ zu erfassen. Zweitens, steht nicht die institutionelle/administrative Praxis und das zu bearbeitende Objekt/die Umwelt, in diesem Fall das Bauprojekt/gebaute Umwelt, im Mittelpunkt, sondern oftmals die Beschreibung der Institution (Tschannen et al. 2009), die Symbolik der Institution (Herzfeld 1992) oder der Einfluss der Umwelt80 auf die Institution (Allmendinger & Hinz 2002). Deshalb werde ich die etablierten Konzepte, die sich mit dem Gegenstand der Organisation/Verwaltung beschäftigen, durch die trans-sequentielle Analyse (TSA) des Soziologen Thomas Scheffer erweitern. Die TSA stellt im Gegensatz zu den etablierten Forschungsansätzen »[…] die dringliche und fortwährende Arbeit« institutioneller Settings »[…] entlang ihrer Mittel, Methode und Werke« in den Mittelpunkt der Untersuchung (Scheffer 2013b:92). Genau jenen Fokus lege ich zur Analyse der administrativen Praxis an, wenn ich, im Sinne der Forschungsziele der Studie, die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praxis auf Bauprojekte und die gebaute Umwelt erforsche und analysiere. Die administrativen Prozesse werden auf diese Weise, in Rückgriff auf den methodischen Zugang einer praxeologischen gleichsam ethnographischen Perspektive, in the making untersucht (vgl. Kap. 1.2). Dieser Zugang verträgt sich gut mit dem der TSA. Denn die TSA: »[…] bedarf der ethnographischen »grand tour« (Spradley 1980), will sie die Frage nach dem Zusammenhang von Aktivitäten […] zum empirischen Gegenstand erheben […]. Die TSA beantwortet die Frage nach dem praktischen Zusammenhang auf der Grundlage der erhobenen Episoden, Operationen und formativen Objekte jeweils ›bis auf weiteres‹. […] Erst die formativen Objekte dokumentieren den weiteren Zusammenhang […] einer Praxis.« (Scheffer 2013a:98-99)

Die TSA erfasst dieserart, mittels ethnographischer Methoden, die fortwährende Arbeit am Objekt (Bauprojekt) durch die erhobenen Episoden (Baueingabe, Sprechstunde, Sitzungen), Operationen (Prüfen, Beurteilen, Entscheiden) und

79 Zugleich gilt es, die im Fazit zu den Ausführungen des städtebaulichen Diskurse ins Kap. 2.2.7 angestellte Vermutung der Re-Positionierung der Gemeinde (in eben diesem Diskursfeld) zu untermauern oder am Ende zu verwerfen (siehe Kap. 9.5 und Forschungsfrage 3, Kap. 1.1.2). 80 Zum Umweltbegriff siehe Kap. 2.3.2.

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formativen Objekte (Bauprojekte) jeweils in situ und von da aus weiter. Wie sich zeigen wird, legte ich jenen Maßstab der TSA zur Erfassung der fortwährenden Arbeit der Bauverwaltung (u.a. im Zuge des shadowings [Begleitung von Schlüsselpersonen, Kap. 1.2.2]) am Bauprojekt an. Die erhobenen Arbeitssessionen (Episoden, vgl. Kap. 4.2) werden dabei entlang administrativer Fertigungsprozesse von Bauprojekten untersucht, sodass jeweils die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Prozesse herausgearbeitet werden können. Auf Grund dessen ist die TSA in der Lage, die theoretische Lücke zwischen den etablierten Konzepten der Organisationssoziologie (sowie der Verwaltungswissenschaften) und dem Forschungsvorhaben der Studie, der Konzentration auf die administrativen Praktiken und deren Eigenlogik und Wirkung auf Bauprojekte/die gebaute Umwelt, zu schließen. Stellen die etablierten Konzepte vor allem eine scharfe Beschreibung des Gegenstandes oder Analysen der Wirkmacht der Umwelt auf die Organisation bereit, so ermöglicht die TSA ihrerseits die Fokussierung auf die administrative Praxis und das Objekt in Arbeit. Somit wird die Herausarbeitung der Eigenlogik und Wirkmacht der Praktiken auf Bauprojekte und nachgeordnet auf die gebaute Umwelt ermöglicht. Die Gemeindeforschung verschiebt sich so zu einer Gemeindewirkungsforschung. Statt einer umfassenden theoretischen Erklärung dessen, was den Zugang der TSA und deren theoretisches Konzept ausmacht, erfolgt die weiterführende Theoriearbeit im Sinne eines praxistheoretischen Verständnisses in den empirischen Kapiteln der Studie (vgl. Schmidt, Robert 2012:15, Kap. 4-8). Am Untersuchungsgegenstand selbst wird die theoretische Verfasstheit der TSA geprüft, aufgezeigt und allenfalls erweitert. Zum Verständnis erfolgen an dieser Stelle dreierlei Hinweise: Erstens, die TSA ist eine relativ junge Strömung sozialwissenschaftlicher Forschung (vgl. Scheffer 2001, 2010, 2013a, 2013b). Theoretisch speist sie sich unter anderem aus den Arbeiten der Ethnographin Dorothy Smith (1985) und deren Konzept der ruling relations 81 sowie der ethnomethodologischen Forschungshaltung, wie sie Harold Garfinkel (1986) etablierte oder der Soziologe Stephan Wolff in seiner Studie zur Produktion von Fürsorglichkeit (1981) verfolgte. Sie verbindet die ethnomethodologische Konversationsanalyse (CA) sowie insbesondere die Situationsanalysen Erwin Goffmans (Goffman 1974), die

81 »The concept of ruling relations directs attention to the distinctive trans local forms of social organization and social relations mediated by texts of all kinds […] that have emerged and become dominant in the last two hundred years. They are objectified forms of consciousness and organization, constituted externally to particular people and places, creating and relying on textually bases realities (Smith 2005:227).«

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Diskursanalyse (DA) und eine ethnographische Forschungsperspektive, um im Verhältnis zwischen Ereignis (Zug um Zug) und Prozess (Schritt für Schritt) das Objekt in Arbeit und die Handlungsvollzüge der Akteurinnen und Akteure entlang des Fertigungsprozesses zu analysieren (Scheffer 2010, 2013a,b). Zweitens, führt die TSA also Sequenzanalyse (Zug um Zug) und Prozessanalyse (Schritt für Schritt) zusammen, um den Zusammenhang zwischen Ereignis und Prozess in seiner relationalen Verfasstheit in den Blick zu nehmen. Scheffer plädiert dementsprechend für eine Kombination von Zeitlichkeiten, ohne tradierte Zeitkonstruktionen zu bedienen, sondern Ereignisse und Prozesse aus der Beziehung zueinander zu begreifen und entsprechend eine Kombination von Prozess- und Sequenzanalyse zu betreiben (Scheffer 2010, Kap. 4.2). Folglich variieren die Relationen von Ereignis und Prozess jeweils in situ, da sie sich erst in der jeweiligen Situation bzw. aus ihr heraus im Rückblick auf Vorheriges und im Vorgriff auf Zukünftiges konfigurieren. Für den Baubewilligungsprozess ist dies entscheidend (Kap. 4.2 ff.). Drittens, ist das formative Objekt als wesentlicher Bezugspunkt der TSA auf einer theoretischen Ebene gekennzeichnet durch: a) Formbarkeit, b) Notwendigkeit der Formbarkeit, c) formierende Wirkung (Scheffer 2013a:88). Dieserart lässt das formative Objekt, nach Scheffer, mindestens fünf Betrachtungsweisen zu (ebd.: 93-94): 1. formatives Objekt als »Partizipant« einer sozialen Situation (in Anlehnung 2. 3. 4. 5.

an Hirschauer 2004),82 formatives Objekt als Werk einer Fabrikation (Anlehnung an Knorr 1986),83 formatives Objekt als Grenzobjekt (Anlehnung an Star & Griesemer 1989),84 formatives Objekt als Integrationsmittel oder soziales Band (Anlehnung an Durkheim)85 und formatives Objekt als Währung (Anlehnung an Smith 1985).86

82 Objekt eröffnet eigene Möglichkeiten der (sozialen) Interaktion. In diesem Sinne nötigt das Objekt Handgriffe ab, legt fest, speichert, aktualisiert oder schließt ein und aus (Scheffer 2013a:93). 83 Das Objekt wird entlang seiner Zwischenstände und den mobilisierten Materialien analysiert. Es ist je nach Stand mehr oder weniger geschlossen (ebd.). 84 Objekt liefert einen normativen wie praktischen Fokus für alle Beteiligten und wird zugleich zur kollektiven Angelegenheit. Denn die Beteiligten wenden sich dem Objekt aus unterschiedlichen Perspektiven zu (Scheffer 2013a:94). 85 Die gestiftet Sozialität steht im Vordergrund, andere Identität werden zu Gunsten der Gestifteten zurückgedrängt (ebd.).

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Jene theoretischen Annahmen verweisen jeweils auf die praktische Stellung des Objektes in einem (Interaktions-)Zusammenhang und somit auf ein komplexes Netzwerk von Akteurinnen und Akteuren. Das formative Objekt der Bauverwaltung ist das Bauprojekt, welches in den empirisch fundierten Kapiteln 4-8 im Zusammenspiel mit der administrativen Praxis Zug um Zug (Sequenz)87 und Schritt für Schritt im Baubewilligungsprozess untersucht wird und jeweils unterschiedliche Zugriffe resp. Betrachtungsweisen einschließt. Die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Prozesse auf Bauprojekte/gebaute Umwelt werden im Lichte dessen herausgearbeitet. Welche Konsequenzen sich für die TSA aus deren Anwendung zur Untersuchung administrativer Prozesse von Bauverwaltungen ergeben oder inwiefern das methodische und theoretische Spektrum der TSA (etwa durch den Einbezug der materiellen Infrastruktur, die in die Handlungsvollzüge eingelassen sind (Latour 2006)) erweitert wird (Forschungsfrage 4, Teilfrage Kap. 1.1.2), wird spätestens mit dem Schlusskapitel der vorliegenden Studie geklärt sein. Es folgt ein Wechsel von der theoretisch fundierten Ebene hin zur Empirie. Dieser Wechsel wird über die Charakterisierung der Fallgemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen und deren Bauverwaltungen vollzogen. Das kommende Kapitel 3 muss deshalb, wie zu zeigen sein wird, als Brückenschlag zwischen Theorie und Empirie gelesen werden, da es den Kontext der Bauverwaltungen zur Verfügung stellt und mit der Beschreibung des sozio-ökonomischen Kontexts der Gemeinden und der architektur- und strukturräumlichen Beschreibung der Bauverwaltungen in die Empirie einführt.

86 Objekt bezieht abwesende Distanzen mit ein und realisiert insofern Werte (ruling relations, Smith 1986) (Scheffer 2013a:94). 87 Die Sequenzen werden in der vorliegenden Arbeit jeweils in Form von Vignetten verfügbar gemacht (siehe Kap. 1.2.3).

III. Drei Bauverwaltungen im Kontext

Abb. 5: Rathaus Visp, eigenes Foto.

In den vorausgegangenen beiden Hauptkapiteln »Konzeption der Studie« (Kap. 1) und »Forschungsgegenstand und Forschungsstand« (Kap. 2) wurden die Zielsetzung der Arbeit und die Forschungsfragen aufgeworfen, sowie erste Antworten auf diese gegeben. Der methodische Zugang und der theoretische Rahmen wurde geklärt. Es hat sich gezeigt, dass die etablierten Konzepte aus Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie erweitert werden müssen, um die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praxis zu untersuchen (Kap. 2.4). Im Zuge dessen ist es notwendig, den lokalen und gleichsam kulturellen Kontext der Bauverwaltungen verfügbar zu machen. Denn um herauszufinden, inwiefern die Bauverwaltung während ihrer (alltäglichen) Arbeit auf den städtebaulichen Kontext Bezug nimmt oder inwiefern sie als aktive Einflussgröße im städtebaulichen Dis-

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kurs wahrgenommen wird (siehe Teilfragen, 3. Hauptfrage Kap. 1.1), ist es unumgänglich, den lokalen Kontext und die jeweilige Planungskultur offenzulegen (siehe Crozier 1964, Kap. 2.3.2). Deshalb werde ich zunächst eine Verortung der drei Untersuchungsgemeinden in der Region vornehmen und eine Übersicht über die sozioökonomischen Bedingungen geben. Im Anschluss erfolgt eine Skizzierung der Planungskultur, um schließlich die jeweilige Bauverwaltung in ihrem organisatorischen Aufbau und ihrer architektonischen und strukturräumlichen Beschreibung zu erfassen; dies, weil ich im Sinne der Teilfrage: »Welche sozio-/materiellen Infrastrukturen sind für die administrativen Arbeitsprozesse von Nöten bzw. welche architektonischen und materiellen Infrastrukturen rahmen bzw. resultieren aus der administrative Praxis?«, (1. Hauptfrage, Kap. 1.1.) die materielle Dimension der Bauverwaltung im konkreten Fall aufzeigen werde. Das vorliegende Kapitel dient auch als Zuspitzung der Forschungsfragen und als Brückenschlag von der theoretischen Reflektion hin zum empirischen Datenmaterial. Spätestens an dieser Stelle vermischen sich Beschreibung und Analyse, denn schon mit der Verschriftlichung von Beobachtetem, das in die Beschreibung der Fallstudien miteinfließt, beginnt im Zuge der künstlichen Dokumentation die Auswertung (Hirschauer 2001, Bohnsack et al. 2003). Es folgt die Charakterisierung der Fallstudien Visp, Wetzikon und St. Margrethen.1

3.1 V ISP 2 Visp positioniert sich, trotz seiner geringen Größe (EW.: 7191, Bundesamt für Statistik (BFS)), als regionales Zentrum des deutschsprachigen Oberwallis. Dies darf auch vor dem Hintergrund der Visper Geschichte mit einer langen Tradition an Zuwanderung vor allem aus Italien und der massiven Entleerung der Bergregionen gelesen werden. Zweierlei Faktoren sind für diese Entwicklung maßgebend: Erstens ist in Visp der Chemiekonzern Lonza ansässig. Dieser ist der größte Arbeitgeber der Region und prägt die Gemeinde stark. Das Industrieareal der

1

Die Fallstudien wurden, wie im Kapitel zum Forschungsdesign erläutert, im Zuge des NFP 65 Projektes gewählt (Kap. 1.2). Ich werde im Gegensatz zur Zielsetzung des übergeordneten Projektes nicht die städtebaulichen Strategien der Untersuchungsgemeinden erörtern (vgl. dazu Wezemael et al. 2014), sondern die Eigenlogik und Wirkmacht administrativer Praktiken auf Bauprojekte aufzeigen.

2

Die Skizzierung der sozioökonomischen Bedingungen und die Charakterisierung der Planungskultur sind dem gemeinsamen Schlussbericht 2014 (Wezemael et al. 2014) entlehnt.

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Lonza erstreckt sich nördlich der Bahngleise und nimmt einen großen Teil der Siedlungsfläche zwischen den Gleisen und der Rhone ein. Südlich der Gleise befindet sich der alte Siedlungskern der Stadt. Der Vollknotenentscheid der schweizer Bundesbahn SBB lässt die Bundeshauptstadt Bern in Pendlerdistanz rücken. Dieser Entscheid ist der zweite entscheidende Impuls, der in Visp nicht nur zu einem Siedlungswachstum im Einzugsbereich des Bahnhofgebiets führte, sondern auch zur Stärkung des Visper Selbstbewusstseins und der Förderung des urban geprägten sogenannten Visper Geists. 3.1.1 Planungskultur Das Bahnhofsgebiet Visps wurde innerhalb weniger Jahre unter Berücksichtigung der zentralen Qualitätskriterien: Dichte, Nutzungsdurchmischung und öffentlicher Raum von einem Gebiet mit Hinterhofcharakter zu einem urban geprägten Areal umstrukturiert. Diese Entwicklung wurde nicht über Masterpläne gesteuert, vielmehr basiert sie auf: • •



Erstens, dem bereits vorhandenen urbanen Selbstverständnis der Visper Bevölkerung, den sogenannten Visper Geist umzusetzen. Zweitens, einer effizienten Kompetenzverteilung in Fragen des Städtebaus (Absenz städtebaulichen Wissens innerhalb der Verwaltung, jedoch Vertrauen zu externem Architekt) sowie Drittens, einem aktiven Rollenverständnis der Gemeinde (Lobbying, Investition ins Bahnhofsgebäude).

Der Gemeinderat und die Verwaltung nehmen, seit der Entwicklung des Bahnhofs, verstärkt eine aktive Rolle wahr – indem sie einerseits in das Bahnhofsgebäude investierten und Lobbyarbeit betrieben, andererseits im Nachgang des realisierten Bahnhofsareals einen Masterplan und ein Leitbild zur Abstimmung brachten. Die Vision eines urbanen Hotspots konnte sich (ohne Masterplan) über die sequentielle Entwicklung der Gebiete rund um den Bahnhof ausdifferenzieren und ist seit der Verwirklichung des Bahnhofsgebiets und der angrenzenden Quartiere klar ausgeprägt. 3.1.2 Bauverwaltung Organisation Die Bauverwaltung in Visp setzt sich in ihrem Kern aus drei Mitarbeitenden zusammen: dem Hochbauleiter, welcher zugleich für Planungsbelange verantwort-

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lich ist. Einer stellvertretenden Abteilungsleiterin und Bauverwalterin, die eine Ausbildung als Architektin mitbringt und einer Bausekretärin. Im Schnitt behandelte die Bauverwaltung im Jahr 2012 167 ordentliche Baugesuche (siehe Kap. 4.2). Die politische Verantwortung für diese Verwaltung tragen drei Gemeinderäte (Vorsteher Bau, Verkehrs- und Raumplanung; Vorsteher Hochbau, Sport, Regiebetriebe und der Vorsteher Tiefbau und Umwelt), deren lokale Governance3 als liberal/passiv einzuordnen ist. Architektur und strukturräumliche Gliederung Die Bauämter in schweizer Gemeinden und Städten sind in der Regel im Rathaus untergebracht.4 Sie gehören zu den repräsentativsten und einflussreichsten Ämtern einer Stadt oder Gemeinde, denn im Zusammenspiel mit privaten Akteuren setzen sie Maßstäbe für die baukünstlerische Qualität (vgl. Bamert 1992).5 Im Zuge dessen unterliegt den öffentlichen Körperschaften die administrative Aufsicht, Begutachtung und Entscheidungsgewalt jeglicher Bautätigkeit. Entsprechend wichtig ist die Verortung des Bauamts in der Stadt bzw. innerhalb des Rat- bzw. Gemeindehauses. Es sollte in jedem Fall einfach zu finden sein. Im Gegensatz zum städtischen Kontext, in dem die Bauämter eher in historischen Gebäuden untergebracht sind, sind sie im ländlichen Kontext vorwiegend in Neubauten der Nachkriegszeit einquartiert. Dies trifft auch für die Bauämter der drei Untersuchungsgemeinden zu. Die Skizzen und Beschreibungen der drei Bauämter bedienen sich dem deskriptiven architektonischen Vokabular und entspringen den Feldnotizen sowie den wiederholten Aufenthalten und Begehungen in den Bauämtern. Die neutral gehaltenen Beschreibungen der Bauämter sind wichtig, weil sie eine Grundlage und ein Grundverständnis für die Prozesse, die in und um die Bauämter ablaufen, bereitstellen. Als Teil der soziomateriellen Handlungsträgerschaft haben sie einen nicht zu unterschätzenden Anteil an den ablaufenden und zu analysierenden Prozessen und Ereignissen, die im analytischen Teil der Arbeit eingehend

3

Als lokale Governance ist der routinehafte Modus der politischen Zusammenarbeit zwischen allen wichtigen Akteurinnen und Akteuren eines Politikfeldes einer Gemeinde zu verstehen (siehe genauer Devecchi im Erscheinen).

4

In größeren Städten verfügt das Bauamt über eigene Gebäude. Das Bauamt in Basel befindet sich beispielsweise in zwei repräsentativen historischen Gebäudekomplexen am Münsterplatz.

5

Eine historische Perspektive zur Bedeutung und Entwicklung der Bauämter in der Schweiz eröffnet die Publikation von Scheidegger, Fritz 1990: Aus der Geschichte der Bautechnik. Bd. 1: Grundlagen. Basel, siehe besonders S. 11-37.

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diskutiert werden (siehe Kap. 4-8). Als Beobachterin lassen sich die architektonischen und strukturräumlichen Verhältnisse wie folgt beschreiben6: Abb. 6: Bauamt Visp, eigene Darstellung.

In Visp ist das Bauamt im ersten Stock des 1948 im klassizistischen Stil errichteten Rathauses untergebracht. Das zweistöckige Rathaus ist im althergebrachten Zweibundgrundriss errichtet, in dem ein Innenflur beiderseitig Zellenbüros erschließt (vgl. Osterlag & Krüger-Heyden 1974). Über eine innen liegende Treppe an der Schmalseite des Gebäudes ist das Bauamt im ersten Stock zu erreichen. Es verfügt über alle Zellenbüros des Stockwerks, die zur Schauseite des Rathauses gelegen sind. Auf der anderen Seite des Flurs befindet sich das Finanzamt. Von dem dunklen Flur gehen die drei Büros des Leiters für Bau und Planung, das Büro der Stellvertreterin, sowie das der Bausekretärin und des Brunnenmeisters ab. Die Räume der Mitarbeitenden sind durch interne Zwischentüren miteinander verbunden, wobei das kleine Gemeinschaftsbüro von Brunnenmeister und Bausekretärin einen Empfangstresen beherbergt und das der Stellvertreterin den zentralen Kopierer sowie einen großen Aktenschrank mit den Baugesuchen (Kap. 5.5). Zwei weitere Räume: Ein kleines Archiv und ein Besprechungsraum vervollständigen die Bauabteilung im ersten Stock. Im Erdgeschoss befindet sich der repräsentative Ratssaal. Hier finden die Baukommissions-, Sondersitzungen und wichtige Besprechungen beispielsweise mit Investoren oder Architekten statt. Der Kaffeeraum, der als einer der wenigen von allen Abteilungen zugleich genutzt wird, befindet sich aus Platzgründen im Keller.

6

Für die Architektur und strukturräumliche Gliederung Wetzikons/St. Margrethen siehe Kap 3.2 und Kap. 3.3.

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3.2 W ETZIKON 7 Wetzikon liegt im Zürcher Oberland und wird gemäß BFS als Zentrum der Agglomeration Wetzikon-Pfäffikon Zürich definiert. Die Gemeinde ist ein Kleinzentrum und nimmt sich selbst als Zentrum des Zürcher Oberlandes wahr (EW: 22 669, BFS), auch um sich von der Metropole Zürich abzugrenzen. Zugleich ist die Nähe zur Kernstadt der Metropolitanregion Zürich ein wichtiger Faktor. In den letzten Jahrzehnten wuchs Wetzikon auf Grund des anhaltenden Wachstumsdruckes des Agglomerationsraumes stark, sodass die ehemals fünf historischen Dorfkerne miteinander verschmolzen. Dabei wurden die bestehenden Grünräume zwischen diesen Kernen aufgefüllt. Eine künftige Anbindung an die Zürcher Oberlandautobahn wird momentan politisch diskutiert. Das Resultat wäre zusätzlicher Druck auf die wenigen noch bestehenden Bauzonen. Die wichtigsten Bauprojekte der letzten Jahre beinhalten erstens die Überbauung des Quartiers Widum, dem ein langer politischer Prozess hinsichtlich Quartierplanung voranging. Zweitens wurden rund um den Bahnhof einige Areale dicht überbaut. Die Punktbauten aus der Gründerzeit an der Bahnhofstraße, die zum zweiten wichtigen Kern in Oberwetzikon führt, wurden in den letzten Jahren durch moderne Zeilenbauten ergänzt. Drittens stehen wichtige Projekte auf ehemaligen Industriearealen in der Nähe des Seeufers (Pfäffikersee) sowie eine Akzentuierung des Kerns Oberwetzikon an. 3.2.1 Planungskultur Die Erschließung mit der S-Bahn Zürich sowie die sukzessive dichter werdenden Fahrplantakte (im Zuge des Bruchs, siehe oben) führen zu einem zunehmenden Entwicklungsdruck. Um diesem planerisch gerecht zu werden, stellte die Gemeinde 2006 zusätzlich einen Stadtplaner ein, der direkt dem Departement Präsidiales untersteht und für strategische Fragen rund um Ortsentwicklung und Planung zuständig ist. Zentrales Qualitätskriterium ist die Identität: Sie ist für Wetzikon eine konfliktreiches Problem (siehe dazu Devecchi im Erscheinen)8.

7

Die Skizzierung der sozioökonomischen Bedingungen und die Charakterisierung der Planungskultur sind dem gemeinsamen Schlussbericht 2014 (Wezemael et al. 2014) entlehnt.

8

Devecchi (im Erscheinen): »Entwicklungsideen im Spannungsfeld zwischen Stadt und Dorf: Politische Agendaziele in Schweizer Umlandgemeinden«, in: Warnke, Ingo H. und Busse, Beatrix (Hg.): Diskursmuster – Discourse Patterns. Oldenburg: Akademie Verlag.

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Die folgende Aussage des Entwicklungsleitbildes: »Wetzikon, wo die Qualität nach oben zeigt – Dorfquartiere neben Stadtteilen« verdeutlicht den widersprüchlichen Umgang damit. Auch deshalb prallen in Entscheidungsprozessen unterschiedliche Positionen aufeinander. Teile der Gemeindeverwaltung prägen das Bild eines urbanen zukünftigen Bewohners, der sich in einem dichten Stadtgebilde mit hohem Grad an Öffentlichkeit bewegt. Ziel ist es, für Pendlerinnen und Pendler optimale Wohnsituationen nahe dem öffentlichen Verkehrsanschluss zu gewährleisten. Im Gegensatz dazu beschreiben Investoren den ›Wetziker und die Wetzikerin‹ häufig als bürgerlich-ländliche Zielgruppe. Die Vorstellung der öffentlichen Hand kann sich nur durchsetzen, wo die Gemeinde über Hebel verfügt, wie z.B. Landbesitz. Dies führt räumlich-morphologisch zu einem Flickenteppich, der sich durch ein Nebeneinander von heterogenen Formen wie von kleinräumigen Einfamilienhaus-Quartieren, Doppelreihen-Einfamilienhäusern und urbaneren Formen (wie zurückgesetzte Zeilenbauten) sowie Räumen mit unterschiedlichem Grad von Privatheit/Öffentlichkeit ausdrückt. Deshalb entstehen auch hier systematisch fragmentarische Inselräume, einfach auf einer anderen, tieferen Maßstabsebene als in St. Margrethen (siehe unten). 3.2.2 Bauverwaltung Organisation Die Bauverwaltung in Wetzikon ist im Vergleich zu Visp und St. Margrethen die größte. Insgesamt arbeiten hier 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wobei der Stadtplaner, da er der Abteilung Präsidiales zugeordnet ist, auf einer anderen Etage (Stock drei, Abb. 8) tätig ist. Das Ressort Bau splittet sich in Hoch- und Tiefbau auf. Ein übergeordneter Abteilungsleiter hat die Aufsicht über die komplette Bauabteilung. Ihm ist eine Sekretärin zugeordnet. Gegenwärtig besteht die Abteilung Hochbau aus einem Hochbauleiter, zwei Sachbearbeitern (Baukontrolle und Baupolizei), sowie einer Bausekretärin. Nochmals vier Beschäftigte stellt die Abteilung Tiefbau. Im Jahr 2012 behandelte die Abteilung Hochbau 215 ordentliche Baugesuche. Die politische Verantwortung tragen drei Gemeinderäte (Vorsteher Ressort Hochbau, Vorsteher Ressort Tiefbau, Vorsteher Ressort Planung und Sport) und der Gemeindepräsident (insbesondere als Vorgesetzter des Stadtplaners). Sie verfolgen eine interventionistische GovernanceStrategie (siehe Devecchi im Erscheinen).

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Abb. 7: Bauamt Wetzikon, eigene Darstellung. ARCHITEKTUR UND STRUKTURRÄUMLICHE GLIEDERUNG9

Der aus dem Jahre 1982 stammende funktionalistische Neubau des Stadthauses in Wetzikon ist als Zweibundgrundriss in Form eines einfachen Rechtecks errichtet worden. Es ist der größte Bau der untersuchten Gemeinden und verfügt über vier Vollgeschosse und ein zurückgesetztes Attikageschoss. Das Bauamt im vierten Stock ist über die zentrale innen liegende Treppe oder per Lift zu erreichen. Ein zweites, verborgenes Treppenhaus an der Schmalseite des Hauses ermöglicht ebenso wie in St. Margrethen den unbemerkten Zugang der Mitarbeitenden zu den einzelnen Abteilungen. Die Abteilung Bau verfügt über das gesamte Stockwerk. Dabei ist die Bauabteilung durch eine Tür vom Treppenhaus abgetrennt, die von Klienten nur zu bestimmten Zeiten passiert werden kann (Kap. 4.1). Zu Beginn des Flurs liegt rechter Hand das Büro der Kartographin, daneben die Büros des Hochbauleiters und eines Sachbearbeiters. In diesem befindet sich auch der obligatorische Aktenschrank für die Baugesuche. Ein weiteres kleines Sacharbeiterbüro schließt an das Gemeinschaftsbüro des Hochbauleiters an, wobei die Arbeitsräume durch interne Zwischentüren miteinander verbunden sind. Das Büro der Tiefbauabteilung vervollständigt die Büros auf dieser Gangseite. Auf dem Flur der Bauabteilung ist ein zentraler Kopierer aufgestellt. Auf der linken Seite befindet sich das Sekretariat, ausgestattet mit einem Schalterfenster für die Klienten und einem kleinen abgetrennten Raum, der verschiedentlich genutzt werden kann. Unter anderem zur Einsicht der Baugesuche, die in der jeweiligen Baukommissionssitzung behandelt werden (Kap. 8). An das Sekretariat schließt sich das Büro des Chefs der Bauabteilung an, das über eine interne Verbindungstür zum Sekretariat verfügt. Neben dem Chefbüro liegt das Besprechungs- und Sitzungszimmer. Am Ende des Ganges führt eine Tür zum internen Treppenhaus, worüber alle anderen Abteilungen der Verwaltung sowie der Kaffeeraum in einem alten Nebengebäude zu erreichen sind. Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich der repräsentative Parlaments- und Sitzungssaal. 9

Siehe Kap. 3.1.2 zum Zustandekommen der Beschreibungen.

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3.3 S T . M ARGRETHEN 10 Gemäß Gemeindetypologie des BFS ist St. Margrethen eine suburbane Gemeinde und wird als eine Arbeitsplatzgemeinde nicht-metropolitaner Regionen klassifiziert (EW.: 5 667, BFS). Sie befindet sich direkt an der österreichischen Grenze unweit des Bodensees und Deutschlands. Die Gemeinde ist an den internationalen Wirtschaftsraum Bodensee (IWB) angeschlossen. St. Margrethen ist historisch geprägt durch die Holzverarbeitungsindustrie, die noch immer einen wichtigen Arbeitgeber darstellt, jedoch in den 1970er Jahren zu großen Teilen eingestellt wurde. Das Verschwinden der Holzindustrie hat (räumlich) eine große Industriebrache hinterlassen (vgl. Loepfe & Van Wezemael 2014). Die Gemeinde steht heute vor großen Herausforderungen. Ein hoher Anteil an Einwohnern mit tiefem sozio-ökonomischen Status, ein tiefes Steuersubstrat, eine schlechte Bausubstanz und – in Verbindung mit dem nahen Grenzübergang nach Österreich – Verkehrsprobleme (Schwerverkehr etc.), die vor allem auch das Dorfzentrum belasten. Zudem bekam der zentrale alte Dorfkern durch die Errichtung eines peripheren Einkaufszentrums in den 1970er Jahren (Rheinpark) Konkurrenz. In den letzten Jahren haben sich die Aktivitäten hinsichtlich Raumentwicklung in der Gemeinde intensiviert, nicht zuletzt durch die Versuche, die genannte Industriebrache umzustrukturieren. 3.3.1 Planungskultur Das heute schon weit ausgereifte Projekt Europuls auf der Industriebrache des Holzverarbeitungsbetriebs und seiner Vorläufer hat die politischen Behörden und die Gemeindeadministration aufgefordert, raumplanerisch und städtebaulich aktiv zu werden. Während gleichzeitig die Planungsgrundlagen erneuert (Richtund Nutzungsplanung) sowie Maßnahmen zur Aufwertung des alten Ortszentrums getroffen (z.B. Gestaltung der Bahnhofstraße, Verkehrsberuhigung) wurden, engagierte sich die Gemeinde bei der Entwicklung der Industriebrache zusammen mit kantonalen Behörden und dem Grundeigentümer für die Entwicklung der Industriebrache. Im Entwicklungsprozess zirkulieren vier Qualitätskriterien: Dichte, Nutzungsdurchmischung, Schaffung von Zentralität und Stärkung von öffentlichen Räumen. Welche Identität der neue Ort haben soll, ist in Planerkreisen und bei den Gemeindeverantwortlichen unumstritten urban. Die Iden-

10 Die Skizzierung der sozioökonomischen Bedingungen und die Charakterisierung der Planungskultur sind dem gemeinsamen Schlussbericht 2014 (Wezemael et al.. 2014) entlehnt.

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titätsvorstellung steht aber potentiell im Konflikt mit den dörflich geprägten Strukturen im alten Ortszentrum auf der anderen Seite der Gleise, sodass die Instabilität und Ungewissheit um die Identität von St. Margrethen implizit in den Planungs- und Bauprozessen mitschwingt, aber nicht explizit von den Akteuren angegangen wird. Es gibt auch keine Foren, in denen dieser Konflikt mit der Bevölkerung explizit debattiert wird. Auf der einen Seite der Bahngleise entsteht eine städtische Großform auf abgegrenztem Raum, was die Entwicklungen auf der anderen Seite entlastet und bewusste und gezielte, ortssensitive Aufwertungen der alten Dorfstruktur erlaubt. Die Folge in physisch-morphologischer Hinsicht ist das Generieren von urbanen Inselräumen (siehe im Vergleich die Fragmentierung in Wetzikon, Kap. 3.2). 3.3.2 Bauverwaltung Organisation Die Bauverwaltung in St. Margrethen ist mit drei Mitarbeitern die kleinste. Sie besteht aus dem Hochbauleiter, einem Bausekretär und einem Sachbearbeiter. Im Jahr 2012 hat die Gemeindeverwaltung 248 ordentliche Baugesuche behandelt. Die politische Verantwortung für die Bauverwaltung trägt der Gemeindepräsident, der sich stark in die Bau- und Planungsbelange einbringt, sowie zwei Gemeinderäte, die für das Bauressort abgestellt werden. Generell ist das politische Agieren und die lokale Governancestruktur der Gemeinde als interventionistisch einzuordnen (siehe Devecchi im Erscheinen). Abb. 8: Bauamt St. Margrethen, eigene Darstellung. ARCHITEKTUR UND STRUKTURRÄUMLICHE GLIEDERUNG11

11 Siehe Kap. 3.1.2 Abschnitt: »Bauverwaltung: Architektur und strukturräumliche Gliederung« zum Zustandekommen der Beschreibungen.

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Die Bauverwaltung in St. Margrethen ist ebenfalls in einem Neubau, allerdings aus dem Jahr 1959 untergebracht, der im Gegensatz zu Visp nicht auf die Vergangenheit rekurriert, sondern sich an den Maßstäben neuer Verwaltungsbauten orientiert (siehe Kap. 4.1). Das Gebäude ist in einer Variation des Zweibundgrundrisses errichtet, in dem sich die Büros um einen zentralen Kern in Form eines vierkantigen Atriums gruppieren, was die Zusammenfassung von Zellenbüros ermöglicht. Die Bauverwaltung ist über das innen liegende Treppenhaus im Kern des Gebäudes zu erreichen. Für die Mitarbeiter der Verwaltung steht im rückwärtigen Teil des Gebäudes ein zweites, deutlich kleineres, internes Treppenhaus zur Verfügung (Kap. 4.1). Im obersten Stock des Gebäudes erstreckt sich die Bauverwaltung über die gesamte vordere Front der Etage. Auf dem Gang befindet sich ein gemeinschaftlicher Kopierer, sowie eine Anschlagtafel mit den aktuellen Baugesuchen. Rechterseits des Gangs befindet sich das große zentrale Eckzimmer des Hochbauleiters, daneben das des Sachbearbeiters, sodann ein Sprechzimmer mit Tresen und Aktenschrank für die Baugesuche. Im Eckzimmer linkerseits ist die Bauverwalterin untergebracht. Interne Zwischentüren ermöglichen den unbemerkten Zugang zu den einzelnen Büros. Ein Stockwerk weiter unten befindet sich der große Besprechungsraum resp. Sitzungssaal der Gemeinde, in welchem die Baukommissionssitzungen und sonstige repräsentative Besprechungen stattfinden.

3.4 F AZIT : K ONTEXT

DER DREI

B AUVERWALTUNGEN

Die vorliegenden Ausführungen haben den sozioökonomischen Kontext der Untersuchungsgemeinden Wetzikon, Visp und St. Margrethen resp. deren Bauverwaltungen verfügbar gemacht. Es zeigt sich, dass alle drei vor spezifischen Herausforderungen stehen. Visp und Wetzikon stehen, infolge großer Verkehrsinfrastrukturprojekte und dem damit einhergehenden Wachstumsdruck, vor der Aufgabe, die städtebauliche Entwicklung in gewünschte Bahnen zu lenken. St. Margrethen hingegen kämpft auf Grund des Niedergangs der verarbeitenden Industrie mit Schrumpfungsdruck. Die Planungskulturen der drei Gemeinden reagieren jeweils auf diese Entwicklungen. Allen drei ist gemeinsam, dass die politische Gemeinde, und mit ihr die Verwaltung, eine zunehmend aktive Rolle in der Siedlungsentwicklung einnimmt, um auf die jeweiligen Herausforderungen nicht nur zu reagieren, sondern diese vorausschauend zu managen (zur Vertiefung siehe Loepfe 2014, Devecchi im Erscheinen). Es deutet sich spätestens im Zuge dieser Praxis an, dass die politische Gemeinde eine wichtige Größe im Akteursnetz der Siedlungsentwicklung darstellt (siehe auch Kap. 2.1).

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Im Sinne der Zielsetzung der Dissertation, die Eigenlogik und Wirkmacht administrativer Praktiken auf Bauprojekte zu erforschen, werde ich in den kommenden Kapiteln (Kap. 5-8) aufzeigen, inwiefern die administrativen Praktiken der Bauverwaltung (als Teil der politischen Gemeinde) auf Bauprojekte resp. das Siedlungsgefüge wirkt. An dieser Stelle sei nochmals verdeutlicht, dass nicht die Veränderungen einzelner Bauprojekte im Zuge einer städtebaulichen Analyse, wie es der Disziplin der Architektur eigen ist, vorgenommen wird, sondern, im Lichte der explorativ angelegten Studie, die Wirkmacht administrativer Praktiken in situ verhandelt wird (siehe zur Zielsetzung der Studie Kap. 1.1). Dazu verengte die Studie im vorliegenden Kapitel in einem ersten konkreten Schritt den Blick auf die Bauverwaltungen der drei Untersuchungsgemeinden, sodass ich im Zuge dessen die Frage nach den sozio-materiellen Infrastrukturen, die für den Baubewilligungsprozess nötig sind, in einem ersten Schritt beantworten konnte (Forschungsfrage 1, Teilfrage Kap. 1.1.2). Dies muss auch vor dem Hintergrund der in Kapitel 2.1 (Forschungsgegenstand Gemeinde) aufgestellten Definition von Gemeinde gelesen werden, welche die Gemeinde resp. Bauverwaltung u.a. als hybrides Konstrukt begreift, dass sich neben Gesellschaftlichem, Sozialem und den Handlungsvollzügen der Akteurinnen und Akteure über das Materielle definiert. Im Zuge dessen konfigurieren sich die administrativen Praktiken und der Bewilligungsprozess aus der materiellen Infrastruktur (Architektur, Büromöbel und Büroartefakte). Es zeichnet sich ab, dass die Perspektive der TSA im Sinne der Wissensforscher um Latour oder Callon, um die Dimension der materiellen Infrastruktur (Architektur, Büromobiliar, Büroartefakte) erweitert wird (Forschungsfrage 4, Teilfrage). Die TSA fokussierte bisher nämlich vielmehr auf die komplexen Handlungsvollzüge am Objekt und dessen vielfältige Erscheinungsformen als auf die materielle Infrastruktur (Scheffer 2013 a,b).12 Die administrative Praxis wird aber durch diese Infrastruktur gerahmt, ermächtigt und ermöglicht – zugleich konfiguriert sich die Infrastruktur aus eben diesen Handlungen. Deshalb hat das Kapitel, neben dem sozioökonomischen Kontext, mit der Architektur und strukturräumlichen sowie organisatorischen Gliederung, die materielle Infrastruktur in einem ersten Teil verfügbar gemacht. Es zeigt sich, dass die Bauverwaltungen jeweils zentral im Rathaus (Visp), Stadthaus (Wetzikon) oder Gemeindehaus (St. Margrethen) untergebracht sind. In den Abteilungen der Bauverwaltungen sind jeweils die Büros der Mitarbeitenden in Zellenstrukturen angeordnet und durch interne Zwischentüren mitein-

12 »Welche Konsequenzen ergeben sich für die TSA aus deren Anwendung zur Untersuchung administrativer Prozesse von Bauverwaltungen?« (Kap. 1.1.2)

D REI B AUVERWALTUNGEN IM K ONTEXT

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ander verbunden. Die Sitzungssäle, in denen die Stadtbildkommissionssitzungen oder die Baukommissionssitzungen stattfinden, liegen außerhalb der Bauabteilungen an leicht zugänglichen und zentralen Orten. Die Anzahl des Personals ist jeweils überschaubar und besteht zusammenfassend aus einem Hochbauleiter, einer Bauverwalterin, einem -verwalter, einer Bausekretärin und etwaig Sachbearbeitenden. In Wetzikon kommt ein Stadtplaner hinzu, der allerdings der Abteilung Präsidiales zugeordnet ist sowie ein übergeordneter Abteilungsleiter. Im Folgenden wird die Studie zunehmend auf die ethnographische Analyse und das empirische Datenmaterial aus der Feldforschung zugespitzt. Die Brücke zwischen Theorie und Empirie ist nunmehr geschlagen. Der Rahmen wurde verfügbar gemacht und erste Antworten auf theoretische und inhaltliche Fragen gefunden (Kap. 2). Die Methode wurde bereits im ersten Kapitel der Studie geklärt (Kap. 1). Im nächsten Kapitel folgt unter der Überschrift Annäherungen die Hinführung zum Baubewilligungsprozess. Das Kapitel wird an die oben erstellten Ausführungen zu den Bauämtern anschließen und den symbolischen Gehalt der Ämter reflektieren und analysieren. Sodann werden die inhaltlichen Fragstellungen, die erstens, nach den Methoden und Prozessen die Bauverwaltungen brauchen, um Bauprojekte zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen (Forschungsfrage 1) fragt und zweitens, wie bzw. inwiefern Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert werden, zugespitzt. Dabei werden die administrativen Praktiken am Bauprojekt unter Einbezug der TSA diskutiert und deren Eigenlogik und Wirkmacht verhandelt. Theoretisch werden insbesondere Fragen nach der theoretischen und methodischen Erweiterung der TSA diskutiert.

IV. Annäherungen

Abb. 9: Skizze eines Raumplaners: Prozess und Elemente des Baubewilligungsverfahrens.

Empirische Tiefenbohrungen Ich werde im Folgenden in fünf empirisch fundierten Tiefenbohrungen die Blackbox (siehe Kap. 4.2) der administrativen Maschinerie öffnen. Im Zentrum steht dabei die fortwährende Arbeit der Mitarbeitenden der Bauverwaltung an den Bauprojekten, die nach Verlassen der Administration im besten Fall die Baufreigabe und somit Baureife erlangen. Meine praxeologische, gleichsam ethnographische Fokussierung der TSA (Kap. 2.1) auf die Bauprojekte in Arbeit fügt den Forschungsperspektiven der Rechts-, Verwaltungs- und Politikwissenschaften eine Dimension abseits der text- und theoriebasierten Auslegung vorherrschender Rechtspraxis oder politischer Handlungsstrategien der für die Ver-

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waltung politisch verantwortlichen Akteurinnen und Akteure (Devecchi im Erscheinen) hinzu: die alltägliche Praxis von Bauverwaltungen. Die praktische Arbeit der Mitarbeitenden am Bauprojekt steht im Zentrum. Wie befördern die Mitarbeitenden der Bauverwaltung ein Bauprojekt durch die administrative Maschinerie? Welche sozio-materielle Infrastruktur ist dafür von Nöten (siehe Forschungsfrage 1, Kap. 1.1.2 und Kap. 3.4)? Was bedeutet das Durchlaufen der administrativen Prozesse für die Bauprojekte (Bedingungen/Konsequenzen, siehe Forschungsfrage 2, Kap. 1.1.2)? Wie wirken die administrativen Praktiken (siehe Forschungsfrage 3, Kap. 1.1.2)? Mit Hilfe verdichteter situativer Beschreibungen der Arbeitspraktiken (Vignetten), gewonnen aus den Feldnotizen und den Videoaufnahmen aus den drei Untersuchungsgemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen (Kap. 1.2.3), werde ich die Methoden und Prozesse der Bauverwaltung zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung analysieren. Ich fokussiere dabei weniger auf die Beschreibung der administrativen Praktiken als auf deren Eigenlogik und Wirkmacht. Dabei zeige ich im Sinne meiner zweiten Fragestellung (Kap. 1.1.2) ebenfalls auf, wie und inwiefern Bauprojekte im Zuge des administrativen Prozedere formuliert resp. re-formuliert werden. Den Einstieg bilden die architektonische Gestalt und deren symbolischer Gehalt (Kap. 4.1). Im Lichte dessen zeige ich in einer ersten Vignette den Weg einer Bauwilligen (Besucherin) ins Innere eines Bauamtes auf, um die Geographie von Bauämtern in den Blick zu nehmen. Die im vorausgegangenen Kapitel 3 aufgeworfene Geographie der Bauämter wird nunmehr in der situativen Praxis analysiert. Hierbei konkretisieren sich im Durchschreiten Machtbeziehungen, greifen Mechanismen des Einschlusses, des Ausschlusses und der Partizipation. Spätestens an dieser Stelle nimmt die administrative Arbeit am Bauprojekt ihren Lauf und stößt mit der Baueingabe (Kap. 5.1) einen neuen Fertigungsprozess an. Bevor ich dann den Bauprojekten in situ und en détail durch den Fertigungsprozess folge, wende ich mich im zweiten Teil des Kapitels, das den Titel Annäherungen trägt, dem normativen Schrittmacher des Bewilligungsverfahrens zu. Im Zuge dessen erfolgt die analytische Setzung fünf funktioneller Arbeitsepisoden, mit deren Hilfe eine alternative Betrachtungsweise für die nachfolgende Analyse eingeführt wird (Kap. 4.2). Sodann wird ein Bogen von der Baueingabe (Kap. 5.1) über die Arbeitsepisode der Sprechstunde (Kap. 5.2), die gemeinsam als Case-Making zusammengefasst werden, hin zu den Büros der Bauverwaltung gespannt (Kap. 6, Vorbereitung und Aufbewahrung), wo administrative Praktiken des Ordnens und Verwaltens offenkundig und die Bauprojekte auf den obligatorischen Passagepunkt des Be-

A NNÄHERUNGEN

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willigungsentscheids vorbereitet werden. Die beiden letzten empirischen Tiefenbohrungen sind erstens mit Beurteilung überschrieben, hier wird im Modus der Sonder- und Stadtbildkommissionssitzungen aktiv am Objekt diskutiert (Kap. 7) und zweitens mit Entscheidung. Hier werden die Baukommissionssitzungen als wichtige Nadelöhre (Kap. 5.7) analysiert. Entscheidungen werden in dieser Arbeitssession endgültig am Bauprojekt befestigt und das Bauprojekt erlangt, wenn möglich, die Baufreigabe. Wie in den vorausgegangenen Kapiteln bereits aufgeworfen (Kap. 2.1.4 und Kap. 3.4), spielt die materielle Infrastruktur in Form von Architektur, Büromobiliar (wie Aktenschränke oder Sitzungstisch) und Büroartefakten (wie Baugesuchsmappe oder visuelle Werkzeuge) im Fertigungsprozess eine wichtige Rolle. Sie rahmen und bedingen die Handlungen sogleich und stellen deshalb einen entscheidenden Teil meiner analytischen Diskussionen dar und erweitern gleichsam die Perspektive der TSA. Mit diesen Kernkapiteln der Studie liefere ich detaillierte Einblicke in den Arbeitsalltag von Bauverwaltungen und mache die fortwährende Arbeit am Bauprojekt verfügbar. Transformationen von Bauprojekten werden im Zuge dessen ebenso offenkundig wie die Arbeit, die von Nöten ist, um Bauprojekte durch den administrativen Apparat zu schleusen. Im Schlusskapitel fasse ich die Analyseleistungen und Resultate, die Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung zusammen.

4.1 B AUVERWALTUNG : W EGE IM I NNEREN

UND

B EWEGUNGEN

Mit dem vorliegenden Kapitel tauche ich in einem ersten Annäherungsschritt an die Praxis der Bauverwaltung in deren architektonisches Gehäuse ein. Ich frage also nicht nur, welche soziomaterielle Infrastruktur von Nöten ist, sondern wie diese situativ gebraucht wird und sich jeweils konfiguriert. Hierbei ist von Belang, dass administrative Vorgänge in der Regel in speziellen Gebäuden wie den in Kapitel drei beschriebenen Amtshäusern stattfinden: In (historischen) Rathäusern oder (modernen) Verwaltungsbauten. Diese Gebäude wurden bzw. werden nach bestimmten Regeln und Normen geplant und realisiert. Zugleich administrieren Verwaltungen zum Teil in zweckentfremdeten alten Gebäuden, die den heutigen Anforderungen verwaltungspraktischen Handelns nicht mehr gerecht werden, was bei Bauwilligen und Außenstehenden zuweilen zu Befremden führt. Dennoch spiegeln Ämter ungeachtet, oder vielmehr auf Grund, ihrer architektonischen Hülle den jeweiligen politischen Zeitgeist wider, repräsentieren die Gemeinde bzw. die

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Stadt und den Staat und reflektieren die administrative und gleichsam politische Praxis.1 Im Lichte meiner Fragestellungen gilt es also, die Frage zu klären, welche architektonischen und materiellen Infrastrukturen die administrativen Praktiken rahmen, zugleich aus ihnen resultieren und situativ genutzt werden. Dementsprechend spannen die folgenden Ausführungen einen Bogen von dem symbolischen Gehalt von Verwaltungsgebäuden und analytischen Schlussfolgerungen bürokratischer Herrschaftsräume im Allgemeinen über die Bewegungen und Wege von externen und internen Akteurinnen und Akteuren im Inneren der Gebäude. Am Beispiel der (Amts-)Türen zeige ich exemplarisch die Bewegungen einer externen Akteurin auf – an diesen materiellen Konzentrationspunkten konkretisieren sich Machtfragen und materialisiert sich die Kluft zwischen Etablierten (Mitarbeitende der Bauverwaltung) und Abhängigen (Projektverfasserinnen und -verfasser). Es bleibt die Frage zu klären, wie die Bauverwaltung in diesem aufgezeigten Zusammenhang wirkt, und ob die aufgeworfene Linearität der Machtverhältnisse der Praxis standhält. Bemerkenswert ist, dass Bauprojekte im Zuge des administrativen Fertigungsprozesses die für die Bauwilligen undurchdringlichen Schranken und Barrieren der bürokratischen Macht (Kap. 2.3.2) hinter sich lassen werden und, hier greife ich vor, Wege zurücklegen, die für die Außenwelt unzugänglich sind oder im Verborgenen bleiben (Kap. 9.2, Abb. 34). Dementsprechend werden die Orte, Szenerien, Objekte und Arsenale der administrativen Praxis der Bauverwaltung in diesem Kapitel zum Vorschein gebracht und für die weiteren empirischen Analysen verfügbar gemacht. 4.1.1 (Bau-)Ämter als steingewordene Herrschaft »Ämter sind steingewordene Herrschaft«, schreibt der Soziologe Rainer Paris (2001:715). Er verweist mit diesem Kommentar auf Max Weber, der den Zusammenhang zwischen Herrschaft und Verwaltung so beschreibt: »Jede Herrschaft äußert sich und funktioniert als Verwaltung. Jede Verwaltung bedarf irgendwie der Herrschaft, denn immer müssen zu ihrer Führung irgendwelche Befehlsgewalten in irgend jemandes Hand gelegt sein (Weber 1972:545).« Im Gegensatz zu den absolutistischen Herrschern der vergangenen Epochen oder den absolutistischen Regimen der Gegenwart inszeniert sich die rationale demokratische Herrschaft mit dem Nimbus der Nüchternheit. Dies im Sinne der (direkt) demokratischen Grundwerte, dem Prinzip der Volkssouveränität und der Gleich-

1

Zur Vertiefung siehe: Markus, Thomas A. 1993: Buildings & Power. Freedom and Control in the Origin of Modern Building Types. London/New York.

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heit der Bürger, sowie unter Berufung auf die Grundsätze des Verwaltungshandelns einer solchen Gesellschaft (siehe Kap. 2.3). Die rationale Herrschaft drückt sich weniger durch Pomp und Prunk, denn durch Sachlichkeit, Verfahrenstreue und Funktionalität aus (Paris 2001:715). Dementsprechend kehrt das architektonische Programm von Verwaltungsbauten spätestens seit den 1960er Jahren dem der repräsentativen Ratshäuser der Zeit zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert den Rücken (Bäte 1967). Denn sowohl die Spaltung zwischen Herrschenden und Beherrschten, als auch die extremen Hierarchieunterschiede zwischen einer kleinen bürokratischen Führungsschicht und einer Vielzahl untergeordneter Beamter galt es zu überwinden (Fritz 1982:57).2 Im Zuge der Einweihung eines neuen Rat- und Verwaltungshauses in Korbach (Deutschland) Mitte der 1970er Jahre eröffnete der damalige Ministerpräsident das Rathaus mit folgenden Worten: »Verwaltungen der heutigen Zeit sind keine Einrichtungen mehr, die der Obrigkeit dienen, Verwaltungen und Rathäuser sind Einrichtungen, die für eine Dienstleistungsverwaltung geschaffen – die Anliegen des Bürgers schneller, offener und zügiger erledigen sollen. Hier gibt es kein geschlossenes Rathaus, sondern dieses Haus ist das Haus der Bürger […].« (Ostertag & Heyden 1974: II)

Dem folgend wird von den Verwaltungsbauten erwartet, dass sie die aufkommenden demokratischen Grundsätze von Bürgernähe und Transparenz auch in ihrer Außendarstellung zeigen. Diese geforderte Bauaufgabe, die die Bauexperten Roland Ostertag und Karsten Krüger-Heyden in den 1970er Jahren wiederholt formulierten und in ihrem Aufsatz: Bauten für die öffentliche Verwaltung (1974) diskutierten, hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Auf der einen Seite wird versucht, den Altbestand von (verstaubten) Verwaltungsgebäuden in zeitgemäße Dienstleistungszentren zu überführen (Laubert 2010:54), auf der anderen Seite Neubauten in dem Gewand eines offenen Amtes zu inszenieren – jenseits einer anonymen Behörde, sondern als Ort mit Identität. Dies beispielsweise

2

Hans-Joachim Fritz zeigt in seiner Studie das Verhältnis zwischen Räumen der Büroarbeit und den Menschen, die in ihnen arbeiten, auf. Neben der Beschäftigung mit den räumlich-sozialen Verflechtungen der Büroarbeit, legt er die Entwicklung der Büroarbeit und deren räumliche Verfasstheit offen. In der historischen Rückschau wird deutlich, dass das Verwaltungshandeln zunächst in den eigenen vier Wänden der Beamten stattfand. Später dann in eigens eingerichteten Amtstuben und neu errichteten Kanzleien bis hin zu den Büros der Nachkriegszeit (siehe Fritz 1982).

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unter Berufung auf die Konzepte der Bürolandschaft und deren Neuinterpretation durch die Umsetzung sogenannter »Emotional Offices«, sprich der Schaffung eines ganzheitlichen Arbeits- und Lebensumfeldes (Pietzcker 2010:22). Jene Entwicklung hat in ihrer Konsequenz eine Raumkrise des Büros zur Folge. Der Kulturkritiker Christoph Bartmann bekräftigt dies: »Der einst klar definierte Büroraum löst sich zusehends in »Bürowelten«, Bürosituationen und schliesslich digitale Office-Landschaften auf. Als räumlich eingrenzbare Sphäre scheint das Büro zu entschwinden.« (2012:270)4 Unweigerlich führt der Spagat zwischen zeitgenössischem Dienstleistungsbetrieb und bürgerschaftlicher Behörde zu Spannungen in der räumlichen Realisierung, unabhängig von Neubauten oder Behörden im Altbestand. Denn neben der Bewältigung der vielfältigen Vereinbarungen der unterschiedlichen Ansprüche (das Rathaus als zeitgemäßes Verwaltungsgebäude, Stadtkrone, Mittelpunkt, Zweckbau und repräsentatives Bauwerk, Bäte 1967) und der Bürgerorientierung5 eines Amtshauses, erfordern Dienstleistungen, die mit sensiblen Informationen arbeiten, wie die Einzelfallberatung in Sozialämtern Arbeit hinter verschlossenen Türen; auch im Interesse des Klienten. So erschweren sachliche Zwänge der administrativen Arbeit gleichermaßen die architektonische Umsetzung wie der Umstand, dass die Mehrzahl der Dienstleistungen einer Behörde in der Regel keine repräsentativen Handlungen per se sind, sondern schlichter Kundendienst. Zu diesem Sachverhalt führten die Bauexperten Osterlag und Krüger-Heyden weiterhin aus, dass jene alltäglichen administrativen Handlungen gegenüber denen der repräsentativen Aufgaben einer bürgerschaftlichen Demokratie überwögen. Dies führte dementsprechend zu einem Flächenverhältnis von 2 % mit Ratssaal und Sitzungssaal zu 98 % wie Büros oder Gänge (Osterlag Krüger-Heyden 1974:III). 6 Sie forderten deshalb, Fragen der Repräsentanz hinten anzustellen

3

Das Quickborner Team, gegründet von den Gebrüdern Eberhard und Wolfgang Schnelle, Experten für die Planung von administrativen Arbeitsräumen und deren Ausstattung, entwickelte in den 1960er Jahren das Konzept der Bürolandschaft: Die Realisierung offener, atmosphärisch dichter Arbeitsräume zur Förderung einer kreativeren Arbeitsatmosphäre und gruppendynamischer Prozesse.

4

Zur Vertiefung siehe auch Gottschalk, Ottmar et al. 1994.

5

»Wo die bürokratische Macht undurchdringliche Schranken und Barrieren errichtet und sich als Ungewissheitszone abzuschirmen sucht, fordern Bürger- und Klientenorientierung ein Absenken der Schwelle, also Zugang und Durchlässigkeit.« (Paris 2001:716)

6

Ein prägnante Übersicht zur baulichen Entstehung und Entwicklung des Rathauses findet sich bei Ulrich Bäte (Bäte 1967:VIff.).

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und sich auf den Bedarf, die Nutzerwünsche und die Tätigkeiten zu konzentrieren (ebd.). Am Neubau des 1994 entstandenen Verwaltungsgebäude Brickermatte, Kanton Uri, zeigen sich exemplarisch die Herausforderungen, mit denen Architekten bei der Lösung dieser Bauaufgabe konfrontiert sind: Realisiert wurde ein einfacher, schlichter und schnörkelloser Bau, der durch den Einsatz von Sichtbeton, Metall und einer durchgängigen dunklen Glassfassade eine transparente und bürgerfreundliche Verwaltung repräsentieren will – in seinem Inneren aber eine, für Verwaltungen typisch, nüchterne Atmosphäre produziert (Architektur und Wettbewerb 1998:50). In vielen Gemeinden wird eine sehr pragmatische Raumordnung aufgesetzt, mit deren Anordnung zugleich ein spezielles Ordnungs- und Arbeitsprinzip festgeschrieben wird. Die strukturräumliche Beschreibung meiner drei Fallgemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen (siehe Kap. 3) lässt ein ebensolches architektonisches Programm und eine pragmatische Raumanordnung sowie darin verankerte gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen vermuten. Nachfolgend verlasse ich die theoretische Ebenen, die den symbolischen Gehalt der Verwaltungsgebäude verfügbar gemacht hat und wende mich der Praxis der Akteure zu. 4.1.2 Einschluss- und Ausschlussmechanismen von Bauämtern am Beispiel von (Amts-)Türen Den obigen Ausführungen folgend, schlagen sich die (funktionalistischen) Merkmale der Bürokratie in charakteristischen Raumgefügen nieder (resp. werden inszeniert). Zugleich passen sich Mitarbeitende wie Klientinnen und Klienten jeweils in diese Gefüge ein, die allen zugleich oftmals als unabänderliche Voraussetzungen und Sachbedingungen des Alltags widerfahren (Paris 2001:717). Einige wesentliche Merkmale der räumlichen Verfasstheit der Bauämter werden im Zuge der Architektur und strukturräumlichen Beschreibung der Fallstudien Visp, Wetzikon und St. Margrethen beschrieben (Kap. 3). Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen der gesellschaftlich verankerten Herrschaftsstrukturen drängt sich das Thema der Einschluss- und Ausschlussmechanismen von (Bau-)Verwaltungen auf. Denn ein administrativer Prozess kann nur angestoßen werden, wenn es ein Objekt gibt, an dem sich die Mitarbeitenden der Bauverwaltung abarbeiten können. Ich frage also: »Wie gelangt ein Bauprojekt in die administrative Maschinerie?« »Wie gestaltet sich der Gang einer/eines Außenstehenden zum Bauamt, sei es von Architektinnen und Architekten, Bauherren oder sonstigen professionellen Akteurinnen und Akteuren, die zur Beförderung eines Projekts von Nöten sind?« Am Beispiel der Amtstüren gehe ich dem nach, denn die Tür als »Verschluss des Schlupflochs«, bildet so der Kulturwissenschaftler Gert Selle, »alltagspraktisches Verhalten ab

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und dient als Anlaß der Symbolisierung (1993).« Und Georg Simmel verwies in seinem 1909 erschienen Aufsatz Brücke und Tür auf die öffnenden und trennenden Funktionen einer Tür: »Dadurch, daß die Tür gleichsam ein Gelenk zwischen dem Raum des Menschen und alles, was außerhalb dessen ist, setzt, hebt sie die Trennung zwischen dem Innen und Außen auf. Gerade weil sie auch geöffnet werden kann, gibt ihre Geschlossenheit das Gefühl eines stärkeren Abgeschlossenseins gegen alles Jenseits dieses Raumes […].« (Simmel (1909) 1957:4)

Unter Bezugnahme einer Vignette, zusammengestellt aus den Daten der Feldforschung (zur Definition siehe Kap. 1.2.3), werden zunächst die Amtstüren7 aus der Warte einer Architektin auf dem Weg zur Bauabteilung untersucht. Dies um einerseits die Machtbeziehung herauszuarbeiten und die Durchlässigkeit eines Bauamts andererseits. Im Anschluss wird ein Perspektivenwechsel vorgenommen, der die Türen und Gänge aus dem Inneren der Bauverwaltung heraus in den Blick nimmt und die gesteigerte Linearität der Türen, die für externe Akteure zu gelten scheint, verwirft. Zutritt erlaubt?! Der Gang externer Akteure zum Bauamt Die folgende Vignette folgt einer Architektin8, die sich erstmals auf den Weg in das Bauamt von Visp 9 macht, um eine Baueingabe vorab zu besprechen (zur Vertiefung siehe Kap. 5.2). Sie tut dies persönlich, um sich einen Eindruck von diesem Bauamt zu verschaffen.

7

Der Historiker Benoît Majerus nimmt eine Differenzierung der Objekte vor, wenn er deren Biografien analysiert. Er spricht von objet pensé, objet agis und objet aggissant um die Materialitäten und Sozialitäten von Sachverhalten aus historischer Perspektive in den Griff zu bekommen (vgl. Majerus 2011). Diese Studie und der Workshop »Material Culture in Closed Spaces« 2012 in Luxemburg dienten als Inspiration für die Auseinandersetzungen mit den Türen von Bauämtern.

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Die Architektin steht stellvertretend für alle externen Expertinnen und Experten oder Bauherrinnen und Bauherrn, die (regelmäßig) mit solchen Ämtern verkehren. Auch wenn der Gang durch häufige Wiederholung zu Gewohnheit wird, durchbricht er jedoch selten die hierarchischen Strukturen (siehe unten).

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Die Vignette nimmt das Rathaus der Gemeinde Visp als Grundlage der dichten Beschreibung. Ähnliches ließe sich auch für die beiden anderen Untersuchungsgemeinden aufzeigen, sodass Visp hier als erzählerische Blaupause fungiert, die die beiden anderen Gemeinden mit einschließt.

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Die Architektin besucht erstmals das Amt in Visp. Sie ist sich bewusst, dass es ratsam ist, beim ersten Besuch eines Bauamtes »mit einem alten Hasen hin [zu]gehen. Er zeigt dir den Weg, du lernst das Gebäude kennen, auch wie die Diskussionen funktionieren. Eben Social Learning […] (Interviewaussage einer Architektin).« Sie betritt das Amt als Revier eines Experten jedoch allein, auch weil der Besuch von Bauämtern für sie per se nichts Ungewöhnliches ist: Bis die Architektin zur Abteilung Bau der Gemeinde im ersten Stock des Rathauses gelangt, um das Bauprojekt zu besprechen, bekommen sie es mit unterschiedlichsten Türen zu tun: Sie erklimmt zunächst die steinernen Stufen auf der Vorderseite des Rathauses. Beim Annähern an die Tür, schwingt diese automatisch nach Innen auf und heißt die Eintretende willkommen (Abb. 10). Nachdem sie ein paar weitere Stufen im Windfang des Gebäudes erklommen hat, trifft sie auf eine weitere Tür. Diese schwingt nicht – wie sie es nach der ersten vielleicht erwartet hätte – von selber auf: Die Architektin muss ihr einen kräftigen Stoß geben, damit sie nach Innen aufschwingt und sie durch die Tür hindurch schlüpfen kann, bevor sie wieder zurückschwingt (Abb. 11). Suchend steht die Architektin in einem langen Gang. Beim Blick den Gang entlang fällt ihr auf, dass alle Türen links und rechts geschlossen sind. Sie geht nochmals durch die Schwingtür zurück in den Windfang und prüft auf der zentralen Hinweistafel den Weg zur Bauabteilung. Dann passiert die Architektin erneut die Schwingtür, wendet sich nach links und erklimmt einige Stufen, bis sie im ersten Stock des Gebäudes angelangt ist. Hier befindet sich die Abteilung Bau der Gemeinde Visp. Ein schneller Blick zeigt, dass auch hier alle Türen geschlossen sind. Mehr noch, beim Nähertreten sieht die Architektin, dass den Türen die altvertrauten Schlüssellöcher entfernt wurden und durch Messingblättchen ersetzt sind (Abb. 13). Diese Türen lassen sich von Unbefugten nicht öffnen. Ein spezieller Chip ist nötig, um durch diese Türen hindurch zu gehen. An der zweiten verschlossenen Tür bemerkt sie einen Zettel, auf dem die möglichen Sprechzeiten notiert sind. Ein Wartelämpchen und eine Klingel rechts neben dieser Tür leitet sie dazu an, zu klingeln – wenn das Wartelämpchen auf grün schaltet. Dann wird sie für ein paar Minuten in das Empfangsbüro hineingelassen, wo ein Tresen den Raum von den übrigen Bürotätigkeiten des Sachbearbeiters und der Sekretärin abtrennt. Stehend wird sie ihr An10 liegen vortragen (Vignette 1 Bauwillige kommt zum Bauamt).

10 In Kap. 5.3 knüpfe ich mit der Analyse der Praxis der Baueingabe an die Szene der Verschaffung des Zuganges an.

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Abb. 10: Rathaustür Visp, eigenes Foto.

Abb. 11: Schwingtür im Windfang Visp, eigenes Foto.

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Abb. 12: Bürotür Visp, eigenes Foto.

Die Tür als Verschluss eines Gebäudes, deren rein funktionaler Zweck es ist, in Räume hinein oder hinaus zu gelangen, stellt sich bei näherer Betrachtung als Kristallisationsmoment von Machtbeziehungen heraus. Denn die Tür verfügt über eine einflussreiche Handlungsträgerschaft (agency), die sich im Umgang mit den unterschiedlichen Akteuren und der alltäglichen Praxis offenbart (Latour 1996). Die erste Tür, die sich beim Nähertreten automatisch öffnet, heißt die Architektin K. so wie jeden willkommen, der von draußen kommt. Hier findet gleichsam eine Delegation an ein nicht-menschliches Wesen statt – an die automatische Tür, welche die Funktion eines Portiers übernimmt, um die Eintretende hineinzulassen (Latour 1996:67). Es ist nicht nötig, diese Tür zu berühren. Sie setzt sich in Bewegung, sobald sich ihr jemand nähert (so auch in Wetzikon und St. Margrethen). Die Tür vermittelt den Eindruck von Öffentlichkeit und Zugänglichkeit: Weder stellt sie eine Barriere da, die es gilt zu überwinden, noch macht es einen Unterschied, wer durch diese Tür tritt (Insider/Outsider). Auch lässt sich keine Aussage darüber fällen, ob sich im Inneren des Gebäudes unterschiedliche Akteursgruppen befinden – auch weil diese Tür keine unterschiedlichen Handlungen von verschiedenen Akteuren verlangt. Jede/Jeder (soweit sie/er physisch dazu in der Lage ist) kann diese Tür benutzen, indem er sie, ohne die Tür zu berühren, durchschreitet. Dies ist für die Eingangstüren von Rats- und

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Verwaltungshäusern Europas charakteristisch.11 Zu den gängigen Öffnungszeiten können diese (Schiebe-, Schwing-)Türen von jedem ungehindert durchschritten werden. Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Tür: auch diese ist für alle passierbar. Jedoch erfordert diese Tür bereits körperlichen Einsatz, um einzutreten, da sie sich nur durch ein kräftiges Drücken gegen einen der beiden Türflügel in Bewegung setzt. Anschließend ist Schnelligkeit gefragt, um durch diese Tür hindurchzutreten, bevor sie sich wieder schließt. Die dritte Tür, die stellvertretend für alle weiteren Bürotüren im Gebäude steht, ist grundsätzlich verschlossen. Hier wird die Trennung und die Klassifizierung verschiedener Akteursgruppen sinnfällig: Es gibt Außenstehende, die (zunächst) keinen Zutritt zu den Räumen hinter den Türen haben und Eingeweihte, die hinter diesen Türen einer verborgenen Tätigkeit nachgehen12 (Kap. 6). Als Außenstehende ist es nur zu bestimmten Zeiten bzw. auf Nachfrage oder Aufforderung möglich (Sprechzeiten, Wartelämpchen), diese Tür zu passieren. Meist gibt es in den Bauabteilungen von allen Türen nur eine, die für Besucher vorgesehen ist, die anderen sind den jeweiligen Mitarbeitenden vorbehalten und dürfen nur von diesen durchschritten werden. Zum Teil lassen sich diese Türen nur mit einem Schlüssel (in

11 Generell werden die Unterschiede zu den Ländern des Südens (spätestens) am Beispiel der Zugänglichkeiten von Ämtern deutlich, denn weder sind in diesen Ländern die Spielregeln der Zugänglichkeit für alle ersichtlich noch finden alle administrativen Vorgänge in dafür vorgesehenen Gebäuden und Räumen statt etc. Siehe zur Vertiefung beispielsweise: Gupta, Akhil 2012: Red tape: Bureaucracy, structural Violence, and Poverty in India, Durham. Oder Banning, Jan 2009: Bureaucratics. Er nähert sich den Bürokratien dieser Welt fotografisch und fördert Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Tage. 12 Der Soziologe Erwin Goffman griff erstmals in seiner viel zitierten Publikation: The Presentation of Self in Everyday Life auf die Theatermetapher von Vorder- und Hinterbühne zur Beschreibung ortsspezifischen Verhaltens zurück. Die Vorderbühne ist öffentlich zugänglich. Hier wird normiertes Verhalten geboten. Die Hinterbühne ist ein Ort des Ausschlusses, zu dem nur wenige Zutritt haben. Etwaige Masken und Rollen können fallen gelassen werden. Goffman verdeutlich die Theatermetapher am Beispiel eines Hotelbetriebs und der Kellner, die zwischen Vorderbühne (Speisesaal) und Hinterbühne (Küche) pendeln und jeweils unterschiedlich agieren ([1959] 2008:107ff.). Hier wird die Vorder- und Hinterbühne im Zuge der administrativen Praxis der Beförderung eines Bauprojektes und den unterschiedlichen Zugänglichkeiten der verschiedenen internen und externen Akteurinnen und Akteuren deutlich (siehe unten).

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Visp mit Hilfe eines Chips) öffnen, was die Grenzziehung – nicht nur symbolisch, sondern auch materiell unterstreicht.13 Abb. 13: Weg einer Bauwilligen und deren Bauprojekt zur Bauabteilung Visp.

Der Grad des Ausschluss nimmt für diejenigen, die von außen kommen von Tür zu Tür exponentiell zu. Je weiter von außen Kommende in das Gebäude hineingehen, desto größer werden die materiellen Barrieren, desto schwieriger gestaltet sich der Zugang. Der ausschließende Charakter eines Bauamtes materialisiert sich – auch bei erfahrenen Experten, die das Territorium eines Bauamtes wiederholt betreten. Zugleich vermag eine gewisse Routine von erfahrenen und etablierten (externen) Akteurinnen und Akteuren der Ungewissheitszone ihre Brisanz zu nehmen (vgl. Giddens 1994). Denn die zunehmende Routine im Umgang mit den Wegen, Zugänglichkeiten und Räumen schafft Vertrautheit, sodass externe Akteure scheinbar in das Interne transformiert werden, wiewohl ihnen der Zutritt zu den internen Arbeitszonen der Mitarbeitenden in der Regel verwehrt bleibt. Indes trägt die alltägliche Praxis der Bauverwaltung zugleich die Ambivalenz von staatlicher Disziplinierung sowie (wohlwollender) Unterstützung einerseits und Abhängigkeit von privaten Investitionen anderseits in sich – denn insbesondere bei Großprojekten sind die Gemeinden auf das Wohlwollen der Investoren angewiesen (siehe Kap. 3.3). Für eingeladene Experten, die zur Beurteilung eines Sachverhaltens hinzugezogen werden (Kap. 7) oder umworbene Klienten wird die Amtsautorität verschleiert und die Hinterbühnen der Ämter werden einen Spalt geöffnet. Wie in St. Margrethen, wo aus Sicht der politischen Gemein-

13 Siehe auch die strukturräumliche Beschreibung von Wetzikon wo eine weitere Tür, den Weg zur Bauabteilung nur zu bestimmten Zeiten freigibt; entweder zur Sprechstunde oder zu einem vereinbarten Termin.

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de und deren interventionistischer Governancestrategie (Devecchi im Erscheinen) die Realisierung des Großprojektes Europuls entscheidend für die positive Entwicklung der Gemeinde ist. Auf Grund dessen werden den Gesuchstellern bestmöglich Bedingungen geschaffen, um das Großprojekt zu verwirklichen. Hier werden die Barrieren der Zugänglichkeit aufgeweicht: Treffen außerhalb der herkömmlichen Öffnungszeiten sind nicht unüblich. Auch wird das Projektverfasserteam direkt im Büro des Gemeindepräsidenten empfangen anstelle am öffentlichem Schalter (siehe Kap. 5).14 Dennoch greifen die Ausschlussmechanismen des Bauamtes, trotz aller Erfahrenheit, Vertrautheit oder investorischem Kalkül: Es vollzieht sich mit dem Passieren der Türen, ähnlich wie dies die Soziologen Christoph Maeder und Eva Nadai (2009) für die Bittsteller auf Sozialämtern beschrieben haben, eine symbolische Zurichtung der Gesuchsteller und deren Transformation zu Klienten. Die Klienten eines Bauamtes, die Projektverfasser, werden zu Bittstellern gleichwohl sie nicht in Not sind, benötigen sie das Wohlwollen der Obrigkeit, hier: in Form einer Erlaubnis zum Bauen. Die administrative Praxis beider Amtstypen (Sozial- und Bauamt) unterscheidet sich zwar grundsätzlich, denn steht bei dem einen die Sicherstellung der Grundversorgung und die Unterstützung von Klienten im Vordergrund (der kooperative Akteur sprich der Bittsteller ist schwach), so ist es bei dem anderen die Sicherstellung von Siedlungsqualität (der kooperative Akteur, sprich der Gesuchsteller ist eher stark). Gleichwohl offenbart sich am Beispiel des interaktiven Zusammenspiels zwischen (externen) Akteurinnen und Akteuren und den verschiedenen Typen von Türen auf den ersten Blick ein Machtverlust auf der einen Seite: Eintretende werden mit dem Durchschreiten der Türen zunehmend zu Bittstellern. Auf der anderen Seite kommt es zum Machtgewinn: die Eingeweihten, in Form von Mitarbeitern des Bauamtes, werden zu Entscheidungsträgern. Im performativen Akt des Durchschreitens der Räumlichkeiten, der damit verbundenen materiellen Infrastruktur (Architektur, Mobiliar, Büroartefakte) sowie der Interaktion der Akteure vollzieht sich die symbolische Zurichtung von Bauwilligen zu Bittstellerinnen/Bittstellern auf der einen und die Transformation der Bauamtsmitarbeitenden zu Entscheidungsträgern auf der anderen Seite. Dieser Modus wird in der Praxis der Baueingabe zuweilen unterstrichen (vgl. Kap. 5.1). Nichtsdestotrotz greift diese Feststellung zu kurz, denn das Verhältnis und die Machtverteilung ist komplexer als die scheinbar aufgeworfene Linearität und

14 »Ebenso wie die Amtsautorität immer auch eine dinglich-materielle Seite, einen Repräsentationsaspekt hat, werden für wichtige und umworbene Klienten eher angenehme Wartegelegenheiten geschaffen […] Dort hat man Termine und wird empfangen.« (Paris 1998:721)

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Bedarf der Ausdifferenzierung. Im Zuge des Durchschreitens werden die Besucherinnen und Besucher zwar zunehmend zu Bittstellerinnen und Bittstellern, da vor allem die Geschlossenheit des Bauamtes, wie es am Beispiel der Türen aufgezeigt wurde und die symbolische Zurichtung zunimmt. Doch wird dieser Modus im alltäglichen Prozedere gebrochen. Etwa wenn, wie oben beschrieben, Großinvestoren Bauprojekte verwirklichen wollen und die Gemeinde an den Bauprojekten interessiert ist oder auch wenn verschlossene Türen bei Sprechstunden (Kap. 5.2) oder für Experten (Kap. 8) geöffnet werden. Dieser Befund gibt Hinweise auf zwei Forschungsfragen der Arbeit, die erstens nach den Methoden und Prozessen von Bauverwaltungen und zweitens nach deren Wirkmacht fragen (Kap. 1.1.2). Es deutet sich an, dass die materielle Infrastruktur eines Bauamtes aktiv als Werkzeug benutzt wird, um Bauprojekte im Sinne der Gemeinde durch den Bewilligungsprozess zu schleusen (Kap. 9.2). Je nach Bauwilligen werden Bedingungen hergestellt, die die Umsetzung des Bauprojektes mehr oder weniger aktiv forcieren und unterstützen. Wege und Bewegungen im Inneren In diesem Abschnitt nehme ich einen Perspektivwechsel von den externen Akteursgruppen, hin zu den internen Akteurinnen und Akteuren und den Bewegungen eines Bauprojektes in den Räumen eines Bauamts vor. Neben den bisher beschriebenen offiziellen Zugängen, vorgesehen für die Klienten, verfügen die Ämter oftmals über interne Treppenhäuser und Türen, die sich zum Teil der Kenntnis der externen15 Akteure entziehen. Beim Vergegenwärtigen der strukturräumlichen Beschreibung der Bauämter (Kap. 4) fallen die internen Verbindungstüren auf, die die nebeneinander angeordneten Zellenbüros miteinander verbinden. Auf diese Weise bilden die einzelnen Büros eines Bauamtes eine Gruppe. Charakterisiert durch das gemeinsame Befördern eines Bauprojekts kann diese mittels der Verbindungstüren gemeinschaftlich arbeiten und intern kommunizieren, obwohl die Mitarbeitenden jeweils in eigenen Räumen arbeiten. Denn diese Türen jenseits der Gänge ermöglichen einen Austausch im Verborgenen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und den übrigen Abteilungen eines Amtes. Wo in Visp und St. Margrethen die Struktur der Verbindungstüren greift, erfährt das Prinzip der Hinterbühne (Goffman 2008) in Wetzikon durch das Verfügen über einen eigenen abgeschlossenen Gebäudetrakt seine Steigerung, da die

15 Die Bezeichnung externe Akteure setzte ich kursiv, da, wie die vorausgegangenen Ausführungen deutlich gemacht haben, externe Akteure zuweilen in Interne mit eingeschränkten Zutrittsbefugnissen verwandelt werden, aber mit einem relativen Machtgewinn ausgestattet werden.

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gesamte Abteilung nur zu limitierten Öffnungszeiten (die im Gegensatz zu den allgemeinen Öffnungszeiten des Rathauses stark gekürzt sind) zu erreichen ist. Für Externe ist die Zugänglichkeit klar limitiert, die Arbeitsräume der Bauabteilung sind – bis auf das Sitzungs- und Sprechzimmer, als Vorderbühne eines Bauamtes – tabu, während die Mitarbeitenden und insbesondere das zu implementierende Bauprojekt in den Räumen und Fluren der Bauabteilung im Arbeitsvollzug zwischen den Büros der Bausekretärin, der Sachbearbeiter, dem Leiter und den verschiedenen Sitzungsräumen pendelt – zudem verlässt es für externe Expertisen die Räumlichkeiten regelmäßig (siehe ausführlich Kap. 5-7). Im Zuge dessen stellen die internen Flure und Treppenhäuser eine zusätzliche Barriere für die Außenwelt als auch einen Ort der Geheimnisse16 dar, zugleich garantieren die machtvollen Schranken die Sicherstellung des reibungslosen Ablaufs von alltäglichen Arbeitsvollzügen. Verwaiste Amtsflure, öffentlich zugängliche wie interne, gelten aus der Perspektive eines reibungslosen Organisationsablaufs als Idealzustand, denn ein leerer Flur zeigt an, dass sich alle an ihren vorgesehenen Plätzen befinden und arbeiten oder niemand den Betrieb stört (Paris 2001:717). Im Januar 2012 hielt ich an einem Dienstagmorgen in der Bauverwaltung in Wetzikon folgende Beobachtung in meinen Feldnotizbuch fest: An einem Dienstagmorgen in der Abteilung Bau in Wetzikon füllt das allgemeine Rascheln von Papieren, Formularen und Plänen die Räume. Alle sind an ihren Plätzen. Niemand hält sich auf dem Flur auf. Das Auffalten von Plänen und die Überprüfung von Formularen durch den Hochbauleiter wird unterbrochen vom Klingeln eines Telefons und den Gesprächsfetzen desgleichen. Dazu gesellt sich das Tippen auf der Tastatur im rhythmischen Wechsel mit dem Scharren, Klicken und Schieben der Maus. Mechanische Dauergeräusche des Druckers und Kopierers auf dem Gang, Schritte im Nebenraum, das Aufziehen von Schubladen und Rollen mit dem Drehstuhl, dann und wann ein Aufseufzen eines Mitarbeiters. (aus den Feldnotizen)17

16 Zum Thema der Intrigen, Korruption und Geheimniskrämerei siehe aus wissenschaftlicher Sicht beispielsweise Brünner, Christian 1981: Korruption und Kontrolle. Studien zu Politik und Verwaltung. Bd.1 Wien; Maravić, Patrik von Verwaltungsmodernisierung und dezentraler Korruption: Lernen aus unbeabsichtigten Konsequenzen. Bern; Utz, Richard 1997: Soziologie der Intrige. Der geheime Streit der Triade. Berlin. 17 Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieb der Autor Konrad Ernst die evozierte Arbeitsatmosphäre in bürokratischen Räumen so: »In der Kanzellei, welch eine tiefe fast athemlose Stille! Das Knistern von hundert feinen Federspitzen und das unheimliche

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In diesen Notizen lassen sich für die vorliegenden inhaltlichen Fragestellungen18 von Belang, Überwachungs- und Kontrollmechanismen in den leeren Amtsfluren herausschälen. Die leeren Gänge müssen zunächst als Produkt des Arbeitsprozesses gelesen werden, denn die Arbeitsabläufe und mit ihnen die administrative Arbeit mit Formularen, sonstigen Schriftstücken und Plänen sind in der Regel an Schreib- und Sitzungstische und die entsprechenden Räumlichkeiten gebunden. Der Flur ist – vorausgesetzt, der administrative Apparat funktioniert leer. Zugleich symbolisiert er die soziale Kontrolle, denn in den leeren Fluren ist die Wirkung der Überwachung permanent, auch wenn ihre Durchführung von sporadischer Natur ist (Foucault 1977:258). In der obigen Beobachtung kommen also die panoptischen Prinzipien der Überwachung durch die Obrigkeit (in abgeschwächter Form) zum Vorschein. So ist die Obrigkeit (der Bauvorsteher und die politischen Vertreter) an einem reibungslosen Ablauf, der sich in der Regel dadurch beobachten lässt, dass alle an ihren Plätzen sind und arbeiten, interessiert. Auf diese Weise kann die oberste Maxime einer »raschmöglichen, korrekte Durchlaufzeiten der Baugesuche« (Bau & Planung Gemeinde Visp 2010) von Bauverwaltungen, die sich nicht zuletzt als Dienstleistungsanbieter verstehen, gewährleistet werden. Die geschäftige Stille und disziplinarische Ordnung finden in der strukturräumlichen Ordnung der Bauämter und deren Vorder-, Hinter-, und Zwischenbühnen ihren Widerhall. Klar vorgegebene Wege und Zugänge erleichtern den Klientinnen und Klienten die Orientierung und beschränken zugleich die Kontakte im Amt auf das sachlich und dienstlich Gebotene. Die Zusammenarbeit zwischen externen und internen Akteursgruppen wird garantiert, ohne das tägliche administrative Prozedere durch unübersichtlichen Kundenkontakt und deren permanentes Eindringen in die Arbeitsräume der Mitarbeitenden zum Stillstand zu bringen. Die Zugänglichkeiten der externen Akteure machen in der Regel vor

Rauschen des Papiers, wenn ein Blatt umgeschlagen oder ein Bogen neu gefaltet wurde […] (1858:13).« Gleichwohl wir diese evozierte Stille und damit einhergehende tradierte Arbeitskonzepte überwunden zu haben glauben (vgl. auch Schmidt, Robert 2012), präsentiert sich die Arbeitsatmosphäre in den Verwaltungen noch immer als eine, die an althergebrachte Arbeitsmodelle erinnert (siehe auch Benjamin 1993). Zugleich entsteht die phänomenale Atmosphäre von Verwaltungen und ihren Arbeitsräumen (für Besucher und Mitarbeitende) jeweils in situ und wird materiell, zeitlich und organisatorisch strukturiert. Diese Ausführungen zielen auf eine Atmosphärediskussion von Gebäuden ab und sollten an anderer Stelle weiter gedacht werden. 18 In Kürze: Methoden und Prozesse der Bauverwaltung am Bauprojekt und Wirkmacht (im Detail siehe Kap. 1.1.2).

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den Hinterbühnen der Bauämtern halt, sodass ihnen bzw. der Öffentlichkeit der Großteil der Orte (und Foren) der Bewilligungsprozesse verwehrt bleiben. Die Bewegungen der Mitarbeitenden und insbesondere die des eingegebenen Bauprojektes sind für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen. Die in Grafik 14 (S. 155) angedeuteten Bewegungen und Wege eines Bauprojektes (grüne Linie) und einer Klientin (rote Linie) enden derzeit im Büro der Bauverwalterin. Sie sind bis zu diesem Zeitpunkt deckungsgleich. Am Ende der Analyse der Arbeitsprozesse werde ich eine Kartographie der Bauprojekte und als Vergleichsgröße, die der Klientinnen und Klienten liefern, sodass ich die Zirkulation des Bauprojektes und die Stätten der Qualifizierungsarbeit offenlege. 4.1.3 Fazit: Strukturelle Ordnung von Bauämtern Was passiert nun im Inneren der Verwaltung? In den Büros der Mitarbeitenden und den Sitzungsräumen der administrativen Maschinerie, deren Zugänglichkeit für Außenstehende stark limitiert ist? In der klassischen Literatur finden sich einige berühmte Beispiele, die sich mit diesen Hinterbühnen der bürokratischen Macht auseinandersetzen und die Spekulationen und Vorbehalte schreibend zu Papier bringen, wie Herman Melville mit Bartleby der Schreiber (1856), der sich gegen die stark reglementierten Abläufe eines großen Rechtsanwaltbüros auflehnt, oder Honoré Balzac (1854), der den französischen Verwaltungsapparat als schwerfällig, selbsterhaltend und unübersichtlich kritisiert und schließlich Franz Kafka, der in seinem Roman Das Schloss (1926) die Unmöglichkeiten der räumlich, strukturellen oder rationellen Erschließung eines bürokratischen Systems thematisiert. Das vorliegende Kapitel Bauverwaltungen: Wege und Bewegungen im Inneren griff jene fiktive Unmöglichkeit auf. Es setzte sich mit der strukturräumlichen Ordnung der Verwaltungsgebäude und im Speziellen der Bauverwaltungen in den Untersuchungsgemeinden auseinander. Die Amtsgebäude als Verkörperung der demokratischen Herrschaftsräume, die sich dem Leitmotiv des offenen, bürgernahen Amtes verschrieben haben, produzieren trotz aller Bemühungen Vorderbühnen (Treppen, Türen, Schalter, Sprechzimmer und Sitzungsraum), die externen Akteuren zugänglich sind und Hinterbühnen (ein Großteil der Büros, interne Treppenhäuser, Verbindungstüren und Sitzungszimmer), die den Mitarbeitenden vorbehalten sind. Dies zeigte sich in der Begleitung der Architektin auf dem Weg ins Bauamt. Diese strukturräumliche Ordnung, die sich in den klassischen Grundrissen der Zellenbüros, Flure, Gänge und (internen) Treppenhäuser ausdrückt, verweist auf das arbeitspraktische Ordnungsprinzip des administrativen Betriebs. Die administrative Praxis der Bauverwaltungen in schweizer Gemeinden finden also nicht in Großraum-

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oder Gruppenbüros statt – auch finden sich keine Bürolandschaften, sondern separierte Einzelbüros (wie es in der strukturräumlichen Beschreibung der Bauverwaltung zum Ausdruck kommt, Kap. 3). Teilweise werden diese zu Kombibüros zusammengeführt, in denen mehrere Personen arbeiten wie etwa das Sekretariatsbüro und das Büro des Hochbauleiters in Wetzikon oder das Sachbearbeiterbüro in Visp. Dies ist aber eher den knappen räumlichen Verhältnissen, als der rationalen Organisation des Prozesses geschuldet.19 Jene Arbeit in Zellenbüros lässt auf viererlei Punkte schließen: 1. sequentielle Zergliederung des Arbeitsprozesses 2. klare Regelung der Zuständigkeiten 3. das schon von Max Weber als für das Verwaltungshandeln typisch angese-

hene Primat der Schriftlichkeit (Kap. 2.3)20 und 4. räumliche Manifestation hierarchischer Kontrollmechanismen (vgl. auch Paris 1998). Die Zuständigkeiten der Mitarbeitenden, sowie deren Arbeitsmittel 21 sind, so zeigt es sich in der Praxis, zumeist klar geregelt und finden in der räumlichen Separierung der Zellenbüros22 und denen der Sitzungs- und Besprechungsräume, ihre Entsprechung.

19 Siehe beispielsweise das oben erwähnte kantonale Verwaltungsgebäude Brickermatte, Kanton Uri (Kap. 5.2.1), das knapp zehn Jahre nach Bezug bereits an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen ist. Der stetig wachsende Flächenbedarf ist besonders auf die Zunahme der Bürokratisierungsprozesse sämtlicher Lebensbereiche zurückzuführen und stellt die Verwaltungen räumlich wie konzeptionell vor große Herausforderungen (vgl. Kap. 2.1 und 2.2.3). 20 Dieses Primat gilt auch im digitalen Zeitalter. Im Verlauf der Studie werde ich diesen Tatbestand aufzeigen. Siehe dazu vor allem Kap. 6. 21 Eine detaillierte Beschreibung der spezifischen und kollektiven Arbeitsmittel und Handlungsarsenale der Mitarbeitenden findet jeweils in den nachfolgenden Kapiteln statt, in denen näher auf die Orte und Foren der Bauverwaltung eingegangen wird (Kap. 5ff.). So viel sei vorweg genommen: In den einschlägigen Fachpublikationen werden die Arbeitsmittel für die Verwaltungen festgelegt und Vorschläge zu deren räumlichen Anordnungen eingebracht (siehe z.B. Nagel und Linke 1969, Gottschalk 1994 oder Neufert 2005). 22 Wo die Zellenbüros eher trennend wirken, ist der Kaffeeraum ein verbindender Ort. Dieser Raum wird zudem nicht nur von einer Abteilung genutzt, sondern von all denen, die in dem jeweiligen Gebäude oder auf dem Stockwerk arbeiten. Er dient als

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Dabei zeigte sich, dass die räumliche Manifestation der hierarchischen Kontrollmechanismen als Top Down-Prinzip zu verstehen ist, weil bereits der räumliche Ausschluss und die Zuordnung der Tätigkeiten bzw. Zuständigkeiten ein flaches Arbeitsprinzip verunmöglicht. Nichtsdestotrotz ermöglichen interne Treppenhäuser und Zugänge innerhalb und außerhalb der Büros das Arbeiten der Bauverwaltung als Gruppe, deren Ziel es ist, Bauprojekte zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen. Mehr noch die Mitarbeitenden des Bauamtes werden zu Entscheidungsträgern, die als Eingeweihte und vom demokratischen System Legitimierte über die Gesuche der Bauwilligen entscheiden. Die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller werden ihrerseits mit dem Überschreiten der Schwelle und dem Passieren der Türen des Amtsgebäudes zu Bittstellenden, denn mit diesen Bewegungen vollzieht sich eine symbolische Zurichtung der Eintretenden. Diese wird durch Redundanz zum Teil abgeschwächt oder auch durch die ökonomische Stellung der Gesuchstellenden und der Wichtigkeit des Bauprojektes für die Gemeinde (siehe dazu Kap. 5.2). In der Praxis wird der Kundenkontakt auf das sachlich und dienstlich Gebotene zugeschnitten, sodass die Zusammenarbeit zwischen externen Akteursgruppen und den Mitarbeitern der Bauverwaltung garantiert wird, ohne dass das alltägliche administrative Prozedere durch unübersichtlichen und permanenten Kundenkontakt gestört wird. Daraus resultiert eine Kluft zwischen Bauwilligen und Etablierten, die sich in den unterschiedlichen Bewegungen und Wegen im Inneren der Bauverwaltung ausdrückt. Das Bauprojekt zirkuliert auf den Hinterbühnen der administrativen Herrschaft (-sräume), während sich die Bauwilligen in der Regel auf den Vorderbühnen zu behaupten haben. In diesem Kapitel habe ich die Orte und Foren zum Vorschein gebracht, die die Bauverwaltung zur Projektimplementierung gebrauchen. Es stellen sich folgende weiterführende Fragen (Kap. 1.1.2): Was geschieht an diesen unterschiedlichen Orten? Welche Methoden gebrauchen die Mitarbeitenden an den verschiedenen Orten und Foren, um das Bauprojekt zu befördern? Wie verändert sich das Bauprojekt durch die Beförderung bzw. was ist die Wirkmacht der Methoden? Um diese Fragen zu beantworten, gilt es, zunächst in einem zweiten Schritt der Annäherung den normativen Unterbau des Bewilligungsverfahrens auf der Blaupause der TSA zu analysieren. Deren Resultate werden im Zuge dessen für die weiteren empirischen Analyseschritte und das Erreichen der Forschungsziele handhabbar gemacht.

Rückzugsort vom Organisationsstress und ist zugleich ein informeller Kommunikationskanal. Die Soziologen Eike Emrich und Jens Flatau sind dem Kaffeetrinken als soziale Praxis in Organisationen nachgegangen (2004).

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Abb. 14: Übersicht Wege von Bauwilligen und deren Bauprojekte in Visp, St. Margrethen und Wetzikon, eigene Darstellung.

4.2 D AS B AUBEWILLIGUNGSVERFAHREN ALS ORDNENDES E LEMENT »[…] following the career of information (and its various modalities) through an organisation. This generates the basic materials for the ethnography, an overview of the organisational processes and a basis for the determination of key sub-processes.« (HARPER 1998:68)

Unter dieser selbst gewählten Maxime folgte der Soziologe Richard H.R. Harper den Informationsflüssen in Institutionen und Organisationen wie Krankenhäusern, in einer Flugsicherungszentrale oder den Informationskarrieren im interna-

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tionalen Währungsfonds (International Monetary Fonds, IMF) der Vereinten Nationen (Harper 1998). Das Verfolgen der Informationsflüsse führte ihn jeweils zu einem tief greifenden Verständnis der jeweiligen Institution und diente besonders in einer frühen Phase der Feldforschung als Kompass in einem für den Forscher bis dahin unbekannten Gebiet: »I had a vague idea of what went on, but that was largely superficial. To map out the organisation of the work, I trace through the career of the information that seemed to be central to their activities […].« (Harper 1998:70f.) In Analogie zur Vorgehensweise Harpers konzentrierte ich mich zu Beginn der Feldforschung meines Promotionsprojektes auf das Nachspüren des Informationsflusses in Bauverwaltungen. Denn die erste Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit befasst sich mit den Methoden und Prozessen, die Bauverwaltungen brauchen, um Bauprojekte durch den administrativen Apparat zu schleusen (siehe Kap. 1.1). Im Lichte dessen folgte ich den Bauprojekten durch die administrative Maschinerie, um die Methoden und Prozesse, sprich die Arbeit der Bauverwaltung am Objekt herauszuschälen 23 – und die beiden weiteren inhaltlichen Forschungsfragen, um mit ihnen die Teilfragen zu beantworten.24 Dabei finden die administrativen Handlungsvollzüge zumeist unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, sodass bisher wenig über die Fertigungs- und Beurteilungsschritte eines Bauprojekts von der Baueingabe bis zu dessen Entscheid bekannt ist (zur Herstellung des Feldzugangs siehe Kap 1.2.1). Vor diesem Hintergrund interviewte ich in einer frühen Phase der Studie Hochbauleiter, Bauverwalterinnen und -verwalter und Bausekretärinnen und -sekretäre, die für den internen Informationsablauf zuständig sind sowie Architekten und Raumplaner, die als Experten für die Bauverwaltungen tätig sind oder Investoren und Bauwillige im bürokratischen Prozedere vertreten. Das Lesen der verfügbaren

23 Dieses Vorgehen entspricht der methodischen Schrittfolge der TSA: Ausgangspunkt ist auch hier der Arbeitsalltag. Sodann erfolgt eine Fokussierung auf einzelne Arbeitsepisoden, die aus dem Strom des Arbeitsalltags heraustreten, da sie an Vorheriges anknüpfen und auf Zukünftiges verweisen. Die Verkettung der Arbeitsepisoden wird unter Konzentration auf das Objekt in Arbeit verfolgt, um schlussendlich die Verwertung und Rezeption der Objekte und den weiteren systemischen Zusammenhang aufzuzeigen (Scheffer 2013 b:104). 24 Forschungsfrage 2: Wie bzw. inwiefern werden Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert? Forschungsfrage 3: Welches Rollenverständnis von Gemeinden resp. Bauverwaltung ist im derzeitigen städtebaulichen Diskurs verankert und wie wirken die administrativen Praktiken in situ? Ist im Zuge dessen eine Re-Positionierung der Gemeinde angebracht? (Kap. 1.1.2).

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Fachliteratur zum Themenkreis der Implementation von Bauprojekten in Form von Merkblättern der Verwaltungen, Normen, Richtlinien und Gesetzestexten sowie rechtswissenschaftlichen Abhandlungen vervollständigten diese ersten Suchbewegungen. Jenes Nachspüren führte mich immer wieder zum Baubewilligungsverfahren. Als ordnendes Element hat es entscheidenden Einfluss auf den Lauf eines Bauprojektes durch die Bauverwaltung, da das Verfahren Arbeitsabläufe strukturiert und die Methoden und Prozesse, die Bauverwaltungen brauchen, um Bauprojekte zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen, maßgeblich mitbestimmt. Ein wichtiger Schritt zur Öffnung der administrativen Blackbox besteht auf Grund dessen in der Auseinandersetzung mit dem Baubewilligungsverfahren: So ist das Verfahren in vielfältiger Hinsicht von besonderer Bedeutung, denn es ist zu allererst ein Unerlässliches, welches jedes Bauprojekt vor seiner Realisierung durchlaufen muss25 (siehe unten). Die Auseinandersetzung mit dem Verfahrensprozedere ermöglicht einen vertiefenden Einblick in die Arbeitsweise einer Gemeindeverwaltung und ist zugleich unabdingbares Wissen für das Prozessverständnis (und die Feldforschung) in Bauverwaltungen, gleichsam leistet deren Analyse einen theoretischen Beitrag zur TSA (Kap. 2.4 und Forschungsfrage 4). Das Baubewilligungsverfahren und mit ihm der Lauf von Bauprojekten durch den Bauverwaltungsapparat dient als roter Faden des empirischen Teils. Dementsprechend ist es ebenso Schrittmacher der administrativen Maschinerie, die jedes Bauprojekt von der Sonnenstore, über einen Hausanbau, dem Neubau von Einfamilienhäusern (EFH) oder Mehrfamilienhäusern (MFH), der Errichtung eines Industriegebäudes bis hin zu großmaßstäblichen Arealüberbauungen passiert – wie des empirischen Teils, der sich im Inneren der Bauverwaltung umschaut. Diesen Weg werde ich in der vorliegenden Arbeit ebenso oft verlassen, wie er leitend ist (vgl. Latour 1998, 2005).

25 Das Bauwesen kennt spätestens seit der Renaissance spezielle Regelungen zur Errichtung von Bauten. Im Stadtsatzungsbuch St. Gallen heißt es beispielsweise: »Es soll niemand in noch auf, dahinter noch davor, nicht bauen, kleins noch gross, ohne eines Rats Gunst, Wissen und Wollen.« (1673:607, Übers. d. Verf.) Bis ins 20. Jahrhundert oblag es den jeweiligen Städten, Ordnung in das Bauwesen zu bringen. Mit dem 1979 erlassenen RPG wurde die Bewilligungspflicht in allen Kantonen der Schweiz festgeschrieben. Seither dürfen »Bauten und Anlagen […] nur mit behördlicher Bewilligung errichtet werden« (Art. 22) (zitiert nach Schürmann 1984:64).

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Abb. 15: Skizze eines Hochbauleiters zum Bewilligungsverfahren.

4.2.1 Annäherungen an das Baubewilligungsverfahren Den Einstieg in den Baubewilligungsprozess bilden die Skizzen professioneller Akteurinnen und Akteure aus Verwaltung, Raumplanung und Architektur; erhoben in einer frühen Phase der Empirie. Während leitfragengestützter Experteninterviews (Kap. 3.2) fertigten die Interviewpartnerinnen und -partner Skizzen des Baubewilligungsprozesses an, auf die sie im Gespräch Bezug nahmen und in ihren Ausführungen reflektierten. Im Folgenden werden exemplarisch drei Skizzen, die eines Hochbauleiters (Abb. 15), eines Raumplaners (Abb. 16) und einer Architektin (Abb. 17) in die Diskussion um das Baubewilligungsverfahren miteinbezogen. Dies dient Zweierlei: Einerseits wird das Bewilligungsverfahren im Dialog mit rechtswissenschaftlichen Ansätzen einer kritischen Betrachtung unterzogen, andererseits werden die Leserinnen und Leser an die ethnographischen Befunde aus den Forschungsaufenthalten herangeführt. Diese Skizze eines Hochbauleiters (siehe Abb. 15) gibt den Ablauf eines Baubewilligungsverfahrens wieder und verweist zugleich auf die Komplexität des Prozesses. Schon bei einer ersten Betrachtung, die weniger auf die inhaltliche Komponente als vielmehr auf die Form der Darstellung (Formalstruktur) ab-

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zielt,26 entsteht der Eindruck großer Dynamik und Bewegung. Unterschiedlichste Linien, Strecken und Pfeile prägen die Zeichnung und verweisen auf die zeitliche Komponente des Themas. Das Verfahren ist nicht als einfacher linearer Prozess dargestellt, denn die vorgenommene Unterteilung der Skizze in vier überund nebeneinander gelagerte Felder – jeweils in sich mit Pfeilen, Kästchen und fortlaufenden Linien ausgefüllt wird durch weitere Pfeile miteinander in Beziehung gesetzt – Gleichzeitigkeiten, Vor- und Rückgriffe werden angedeutet. Die Art der Darstellung gibt eine zeitliche Verschachtelung und Dynamik des Prozesses wieder. Eine über den vier Feldern gezeichnete Strecke am oberen Blattrand relativiert diese Dynamik und begrenzt den Prozess durch einen Anfangsund Endpunkt. Die Skizze gliedert das Verfahren (Prozess) mittels der genannten Stilmittel in Segmente und Ereignisse, die sich an verschiedenen Punkten rückkoppeln, auflösen oder verstärken. Diese Ereignis-Prozess-Relationen prägen die Arbeitsweise der Bauverwaltung maßgeblich und werden im Kommenden und in den kommenden Kapiteln unter Bezugnahme auf die trans-sequentielle Analyse (TSA, Kap. 2.4, Kap. 9.2, Scheffer 2013) einer detaillierten Analyse unterzogen.

26 Der interpretative Zugang zur Skizze des Hochbauleiters (und aller Weiteren) lehnt sich an den Kunsthistoriker Erwin Panofsky an, der in Studies in Iconology ein Dreiphasenmodell zur Interpretation von Kunstwerken von der Form (vorinkonographische Beschreibung) über die sekundäre und konventionelle Bedeutung (ikonologische Analyse) hin zum symbolischen Wert, resp. des Kunstwerks als Zeitdokument (ikonolgische Interpretation) entwickelte (siehe Panofsky, Erwin 1962). Der Soziologe Ralf Bohnsack hat die kunstgeschichtlichen Bildzugänge in Auseinandersetzung mit Erwin Panofsky und Max Imdahl, sowie mit den Soziologen Michel Foucault und Pierre Bourdieu für die sozialwissenschaftliche Forschung fruchtbar gemacht (vgl. Bohnsack, Ralf 2011).

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Abb. 16: Skizze eines Raumplaners zum Bewilligungsverfahren.

Rechtswissenschaftlicher Forschungskontext Die Skizze des Hochbauleiters ist zugleich eine unter vielen die, die Hochbauleiter, Raumplaner und Architektinnen und Architekten der untersuchten Gemeinden während leitfadengestützter Experteninterviews zum Themenkreis des Baubewilligungsverfahrens anfertigten. Mit diesen Interviews rief ich nicht die Praxis der Akteure ab, sondern ich erhielt jeweils individuelle Analysen des Verfahrens (rückblickend) oder Pläne des Verfahrens (vorausblickend). Die Skizzen beziehen sich auf den gleichen Sachverhalt – zeigen das Verfahren aber jeweils aus der spezifischen Sichtweise der Interviewpartnerinnen und -partner in einer anderen Ausprägung und Betonung (Abb. 15, Abb. 16, Abb. 17). Diesen Befund löse ich am Ende des kommenden Unterkapitels auf (Kap. 4.2.2). Zunächst wird der rechtswissenschaftliche Forschungskontext des Baubewilligungsverfahrens verfügbar gemacht, denn die Rechtswissenschaft ist eine der wenigen Disziplinen, die sich auf Grund ihrer fachbedingten Affinität zu rechtlichen und verfahrenstechnischen Phänomenen der Gesellschaft mit dem Baubewilligungsverfahren auseinandergesetzt haben. In der Schweiz existieren nach dem Rechtswissenschaftler Mischa Berner »26 verschiedene Baugesetze und entsprechend viele verschiedene Verfahren, obgleich die Kantone sich bei ihrer Gesetzgebung an die Vorschriften des Bundes-

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rechts halten müssen« (2009:1). 27 Dementsprechend ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur ein umfassender Korpus zum Themenkreis der Baubewilligung vorhanden wie die Studien Mischa Berners (2009) und des Notars Andreas Baumann (2007) zur Baubewilligung und dem Baubewilligungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des luzernischen und des aargauischen Rechts; oder die Arbeit der Juristin Michèle Hubmann Trächsel (1995), die sich mit der Koordination des Baubewilligungsverfahrens im Kanton Zürich auseinandersetzt. Diese Studien liefern eine detaillierte juristische und gleichsam technische Beschreibung sowie eine Auseinandersetzung mit den Verfahrensschritten der Bauverwaltungen. Ziel ist, es eine sachgerechte Deutung und Auslegung des jeweiligen kantonalen Baurechts vorzulegen und im Zusammenspiel mit dem Verfahren und dessen gesetzlichen Bestimmungen eine Auslegeordnung zu liefern, die eine Übersicht über die vorherrschende Rechtspraxis in der Baugesetzgebung gibt. Hier werden sowohl die rechtlichen Bedingungen, Bestimmungen, und Instrumente (siehe Muggli)28 sowie die Koordinationsleistungen zwischen kantonalen und kommunalen Behörden ausgelotet. Jene Analyseleistungen finden an Gesetzestexten von Bund, Kanton und Gemeinde statt und beziehen mit der Methode der Kasuistik frühere Gerichtsurteile mit ein. Die Auseinandersetzung mit dem Bewilligungsverfahren und Baurecht findet auf einer theoretischen Ebene statt, denn die Rechtswissenschaft ist textbasiert und forscht nicht auf empirischer Ebene (vgl. Kodek et al. 2013). Die theoretischen Abhandlungen geben aber Hinweise auf das komplexe Prozedere in der alltäglichen Praxis von Bauverwaltungen, weil sie die Regeln, Normen und juristischen Finessen des Baubewilligungsverfahrens beschreiben (siehe unten) und demnach den formellen Teil der administrativen Maschinerie durchleuchten. Die ethnographische Perspektive der TSA richtet den Blick weniger auf die theoretischen Gegebenheiten und zeigt etwas anderes: die situative Bedingtheit des Prozedere, die alltägliche Praxis der Bauverwaltungen und deren Beitrag, den sie zur qualitativen Siedlungsentwicklung leisten können. Im Lichte dessen

27 »Die gesetzlichen Grundlagen erscheinen auf den ersten Blick zwar klar und eindeutig, doch stellen sich in der praktischen Anwendung immer wiederkehrende Probleme. Diese Probleme fußen namentlich auf der Tatsache, dass insbesondere das öffentliche Baurecht zahlreiche schnellebige Rechtsquellen sowohl eidgenössischer, kantonaler als auch kommunaler Grundlage aufweist. Sodann wird dem RPG […] angelastet, konzeptlos, zu detailreich und damit praktisch unvollziehbar zu sein.« (Berner 2009:1) 28 Der Rechtswissenschaftler Rudolph Muggli stellte im Rahmen des Teilprojektes eine Übersicht zu allen derzeitigen rechtlichen Instrumentarien und Instrumenten der Raumplanung dar (siehe Devecchi im Erscheinen).

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fokussiere ich auf die materiellen, situativen und lebensweltlichen Bezüge – das alltägliche Prozedere in schweizer Amtsstuben – die praktischen Übersetzungsleistungen und Fertigungsschritte eines Bauprojektes von der ersten Anfrage bis zum Entscheid. Der Kern dieser ethnographischen Untersuchung liegt in der Konzentration auf administrative Praktiken als einen Untersuchungsgegenstand, der nicht zu normieren ist. Statt idealtypischer Arbeitsprozesse analysiert die Studie die alltägliche Arbeit im Kontext. Nicht nur im kulturellen Kontext, sondern auch in ihrem strukturräumlichen Kontext, der Arbeits- und Raumorganisation. Auf diese Weise erweitere ich die Perspektive der TSA unter Berücksichtigung der materiellen Komponente (Kap. 2.4, Forschungsfrage 4, Teilfrage29). Das Bewilligungsverfahren als Matter of facts Die Skizzen des Hochbauleiters und Raumplaners (siehe unten und Abb. 15 und Abb. 16) stellen einen Kontrapunkt zu den bereinigten, linearen Prozessdarstellungen der Lehrbücher der Bauwirtschaft und Merkblättern der Bauverwaltung dar (vgl. z.B. Meyer-Meierling 2010:295). Zugleich wird das Verfahren und die Arbeit der Bauverwaltung zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Projekten in der alltäglichen Praxis der Bauverwaltung in der Außen- wie Innenwahrnehmung selten hinterfragt. Dem Verfahren resp. der Bauverwaltung wird, in der Praxis vielerorts eine geringe Bedeutung im Bauprozess zu gewiesen. Interviewaussagen wie die einer Architektin: »Wenn das Bauprojekt bei der Verwaltung angelangt, ist meine Arbeit eigentlich erledigt« oder die eines Bauverwalters: »Warum wollen Sie das wissen? Sie können das alles in den gesetzlichen Bestimmungen nachlesen,« unterstreichen dies.30 Die Einschätzungen über den Stellenwert des Verfahrens fallen von den untersuchten Akteurinnen und Akteuren insgesamt sehr unterschiedlich aus. Besonders für Expertinnen und Experten der Bauwirtschaft und des Städtebaus ist es eben »nur noch ein Routineschritt« (Aussage eines Architekten), der keine besonderen Auswirkungen mehr auf das Bauprojekt hat. Die Verfahrensskizze einer Architektin unterstreicht diese Aussage (Abb. 17). Sie gibt das Baubewilligungsverfahren als eine

29 Welche Konsequenzen ergeben sich für die TSA aus deren Anwendung zur Untersuchung administrativer Prozesse von Bauverwaltung (Kap. 1.1.2)? 30 Eine weitere Episode aus meiner Feldforschung verdeutlicht diesen Befund einmal mehr. Es folgt ein Auszug aus der negativen Rückmeldung eines Hochbauleiters zum Forschungsvorhaben in dessen Bauverwaltung: »[…] da es sich mehrheitlich um standardisierte Verfahren handelt [,ist] mit Bestimmtheit entsprechende Literatur verfügbar. Etliche Gemeinden (so auch unsere) haben auf Ihren Websites eigens diesbezügliche Leitfäden aufgeschaltet (Mail vom 08.09.2011).«

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klare Auflistung von aufeinander folgenden Verfahrensschritten (Anfrage, Prüfung, Auflage/Einsprache, Entscheid und Verfahrensdauer) wieder. Der Eindruck eines routinierten Verwaltungsakts entsteht (siehe unten). Diese Haltung schlägt sich auch im Leistungskatalog des schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) nieder. Lediglich 2,5 % der Grundleistungen von Architekten im Rahmen der gesamten Bauphase sind für das Baubewilligungsverfahren vorgesehen (SIA 102, 2003). Was für die Administration eine der Arbeitsgrundlagen ist, schrumpft aus Sicht der Bauwirtschaft auf ein Minimum. Inwiefern Nomenklatur und Praxis in der Realität zusammenfinden, wird noch zu klären sein. Denn für die, die an dem Verfahren intensiver partizipieren (vgl. im Gegensatz zu Abb. 17 die Skizzen des Hochbauleiters (Abb. 15) und Raumplaners (Abb. 16) ist das Verfahren ein »notwendiges Verfahren, welches auch vor Ungerechtigkeiten bewahrt« (Aussage eines Bauverwalters). Abb. 17: Skizze einer Architektin zum Baubewilligungsverfahren.

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Die unterschiedlichen Auffassungen und Hintergründe von Verwaltung auf der einen und von professionellen Akteuren (Architekten, Investoren) auf der anderen Seite werden an dieser Stelle bereits deutlich. Dementsprechend stellt die Zusammenarbeit beider Akteursgruppen im Baubewilligungsverfahren eine Herausforderung dar. Nicht selten führt diese zu Spannungen, die im gesamten Prozess und dessen unterschiedlichen Episoden wie Sprechstunden oder Stadtbildkommissionssitzungen immer wieder aufscheinen (siehe Kap. 5ff.) – gerade weil das Verfahren für alle Akteurinnen und Akteure eine notwendige Praxis ist, um Bauprojekte zur Baureife zu führen. Im Zuge dessen sind von den Akteursgruppen unterschiedliche Übersetzungsleistungen gefordert, die die Ideen, Vorstellungen und Modelle eines Bauprojektes in unterschiedliche Materialitäten (Pläne, Formulare, Modelle, Fachtermini) transformieren, um den reibungslosen (und erfolgreichen) Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten (Callon 1986, Kap. 9). Daneben zeigen die unterschiedlichen Skizzen der verschiedenen Akteure den Grad an Partizipation und das Eingebundensein am Verfahren auf. Während Hochbauleiter (Abb. 15) und Raumplaner (Abb. 16) in ihrem Alltag sehr nahe an der administrativen Praxis resp. stark in den Prozess involviert sind und deshalb eine komplexe Analyse bzw. einen komplexen Plan vom Verfahren liefern, gibt beispielsweise die Skizze einer Architektin (Abb. 17) ein weitaus weniger komplexes Bild des Verfahrens wieder. Dies weil erstens die Grundleistungen des Aufgabenspektrums eines Architekten dem Verfahren wenig Bedeutung zukommen lassen (2,5 %, SIA 102), zweitens die Städtebauerinnen und Städtebauer nicht am gesamten Bewilligungsprozess partizipieren und drittens ihnen wie den Gesuchstellern weite Teile des Bewilligungsprozesses vorenthalten sind. Aus dieser Warte muss der standardisierte Vorgang des Baubewilligungsverfahrens als Teil der administrativen Blackbox gelesen werden, dessen Zusammensetzung und Mechanismus es weder zu kennen noch en détail zu wissen braucht, denn die amtliche Maschinerie funktioniert »von selbst« (siehe Latour 1987) – solange sie nicht in Frage gestellt wird. Sie besteht dann aus scheinbar insignifikanten Praktiken, deren Zusammensetzung und Mechanismen nicht hinterfragt werden, da das administrative Prozedere allgemein anerkannt ist (matter of facts). Lediglich der Input, die Eingabe des Bauprojektes in den Bauverwaltungsapparat und der Output, der Bewilligungsentscheid, sind von Bedeutung. Denn so Bruno Latour: »When a machine runs efficiently, when a matter of fact is settled, one need focus only on its inputs and outputs and not on its internal complexity (1999:304).«

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4.2.2 Ablauf des Baubewilligungsverfahrens Mit dem folgenden Abschnitt bringe ich Klarheit in die standardisierten Abläufe der Blackbox eines Baubewilligungsverfahrens bzw. die der administrativen Maschinerie. Im Zuge dessen werden die rechtlichen Vorgaben und Pflichten der Bauverwaltungen mit den Erfahrungen aus der Feldforschung konfrontiert. Mit dem analytischen Werkzeug einer trans-sequentiellen Analyse (Kap. 2.4) werden fünf funktionelle Episoden identifiziert, die die administrativen Arbeitspraktiken prägen und konfigurieren. Auf Grund dessen schlage ich am Ende des Kapitels eine alternative Betrachtungsweise der institutionellen Arbeitsprozesse zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten vor. Diese gliedert den Fertigungsprozess des administrativen Betriebs von Bauverwaltungen in verschiedene funktionelle Episoden, entgegen der fixierten gleichsam linearen und idealtypischen Darstellung der Verfahrensschemata aus gesetzlichen Vorgaben (siehe unten). Dies gibt eine erste Antwort auf die Frage, inwieweit das gesetzlich normierte Bewilligungsverfahren im administrativen Alltag eine Rolle spielt und diesen gleichsam prägt. Sodass in einem weiteren analytischen Schritt aufzeigt werden wird, in welchem Verhältnis die einzelnen Arbeitsepisoden und der Bewilligungsprozess stehen (Forschungsfrage 1, Teilfragen, Kap. 1.1.2). In den nachfolgenden empirischen Kapiteln werden diese Episoden vertiefend diskutiert und analysiert, um aufzuzeigen, wie sich der Arbeitsalltag konkret gestaltet und die administrative Arbeit am Bauprojekt in situ vollzogen wird. Doch zunächst zum Baubewilligungsverfahren und dessen rechtlichen Grundlagen und Vorgaben. Verfahrensetappen aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht Laut RPG (Raumplanungsgesetz) des Bundes Art. 22 dürfen Bauten und Anlagen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet oder geändert werden. Was unter die bewilligungspflichtigen Objekte: Bauten und Anlagen fällt, ist im Gesetz nicht abschließend definiert – dies obliegt jeweils den Kantonen.31 In Art. 22 des RPG werden zudem der Umfang der Bewilligungspflicht als auch die Bewilli-

31 Als Beispiel sei ein Auszug aus dem BauG St. Gallens (sGS 731.1 – Gesetz über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht) wiedergegeben. Insbesondere sind etwa: »[…] Neu-, Um-, An-, Auf-, und Nebenbauten jeder Art […] c) provisorische Bauten […] e) Tank- und Siloanlagen f) Mauern und Einfriedungen von mehr als 1,2 Meter Höhe […] m) Aussenreklamen, o) Zweckänderungen, die Einwirkungen auf die Umgebung oder eine Vergrösserung des Benützerkreises zur Folge haben, […] (Art. 78)« bewilligungspflichtig.

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gungsvoraussetzungen von Bauvorhaben geregelt. Dabei hat das Baubewilligungsverfahren »den Zweck festzustellen, ob ein geplantes Bauvorhaben oder eine Nutzung mit den einschlägigen Vorschriften des öffentlichen Rechts übereinstimmt« (Baumann 2007:115). Prozessuale Regelungen und die wichtigsten Verfahrensschritte sind jeweils in den kantonalen Planungs- und Baugesetzen festgeschrieben. Mit der Baubewilligungspflicht ist der Gesuchsteller verpflichtet, das gesetzlich normierte Verfahren zu durchlaufen (Berner 2009:21). Die Verfahrensetappen bestehen aus (verwaltungs-)rechtlicher Sicht im Wesentlichen aus fünf Etappen (siehe z.B. Schürmann 1984): Abb. 18: Meilensteine des Baubewilligungsverfahrens, eigene Darstellung. Meilensteine des Baubewilligungsverfahrens Eingabe

Prüfung

Auflage

Einsprache

Entscheid

1. Eingabe. Das Baugesuch wird durch den Gesuchsteller bei der Baubewilligungsbehörde schriftlich eingereicht. Es beinhaltet: Formblätter der Verwaltung, Plansätze 1:100 (Pläne zu Situation, Grundriss, Fassaden und Schnitte), Umgebungspläne, Kanalisationspläne, Parkplatznachweise, Wärmeschutz.32 2. Prüfung. Das Baugesuch wird auf Vollständigkeit der Unterlagen geprüft und die Art des Verfahrens bestimmt.33 Bei fehlerhafter Einreichung verzögert sich der reguläre Verfahrensablauf. 3. Auflage und Bekanntmachung. Das Baugesuch wird 20 Tage in amtlichen Publikationsorganen der Gemeinden öffentlich aufgelegt und ausgesteckt. Die Bevölkerung erlangt auf diese Weise frühzeitig Kenntnis über das Bauprojekt und kann bei Bedarf Stellung nehmen. 4. Einsprache. Erfolgt im Rahmen der Auflagefrist keine Einsprache, befindet die Bewilligungsbehörde über das Baugesuch. Findet jedoch eine Einsprache

32 Zur Baueingabe und Baugesuch siehe Kap. 5.1 und Mayer-Meierling 2010:298. 33 Für Bauprojekte kommen i.d.R. zwei unterschiedliche Typen von Verfahren zum Tragen: a) ordentliches Verfahren und b) vereinfachtes Verfahren. Das vereinfachte Verfahren kommt bei untergeordneten Bauvorhaben und unwesentlichen Änderungen wie Pergola oder Dachfenster zur Anwendung (siehe Mayer-Meierling 2010:294). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das ordentliche Bauverfahren.

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statt, muss sich die Behörde mit dieser befassen. Die Einsprache kann ein Bauprojekt erheblich verzögern.34 5. Entscheid. Nach Ablauf der Einsprachefrist wird über das Baugesuch entschieden. Mit der Erteilung der Bewilligung sind in der Regel diverse Auflagen verknüpft. Von der Eingabe bis zum Entscheid vergehen im Idealfall zwei bis drei Monate. Abb. 19: Ablaufschema Baubewilligungsverfahren des Kantons Aargau Quelle: https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/bvu/bilder_2/bauen_3/ baubewilligungen/bewilligungsablauf/informationen_rund_ums_bauen/ ordentliches_Verfahren~1.pdf.

34 Eine gute Übersicht zum Einspracheverfahren und dessen Spielarten findet sich bei Berner (2009:118-140).

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Alternative Betrachtungsweise des Verfahrens und erste trans-sequentielle Analysen Der oben skizzierte Ablauf gibt die wichtigsten Etappen des Bewilligungsverfahrens, wie es in der rechtswissenschaftlichen Literatur und den Bau- und Planungsgesetzen der Kantone beschrieben ist, wieder. Von der Eingabe bis zum Entscheid wird eine schlüssige lineare Darstellung suggeriert, die auch in komplexeren Verfahrensdarstellungen beibehalten wird (siehe Abb. 19) 35 und den Arbeitsalltag der Bauverwaltung strukturiert. Hier kommt ein »vulgäres« Zeitverständnis36 von Ereignis und Prozess zum Tragen. Ersteres ist gekennzeichnet durch einen Punkt, eine Zusammenballung von überschaubarer und begrenzter Dauer (Scheffer 2008:373), sprich der Baueingabe, der Prüfung oder des Entscheids. Zweites ist durch eine zeitliche Dauer definiert, die durchaus verschiedene Zeitpunkte mit einschließt und an dessen Ende ein Endprodukt steht (ebd.), hier: das des Entscheids. Ereignis (Baueingabe, Prüfung, Einsprache, Entscheid) und Prozess (Bewilligungsverfahren) stehen sich als Gegensatzpaar gegenüber. Wie der Soziologe Thomas Scheffer im Rahmen seiner ethnographischen Untersuchung zum englischen Strafverfahren aufgezeigte,37 stoßen jene Umschreibungen von Ereignis und Prozess als isolierte Begriffsbestimmungen schnell an ihre Grenzen. Denn es ist unklar, was »Dauer und Strecke für sich genommen sein sollen (ebd.:373f.).« Wann beginnt ein Prozess resp. das Bewilligungsverfahren? Was begrenzt Ereignisse oder hält diese zusammen? Wer definiert ein Ereignis als Ereignis? Es braucht die Reibung von Ereignis und Prozess, um das jeweils Andere zu begreifen. Doch die bisherigen Definitionsleistungen zielen auf eine dichotome Betrachtungsweise von Ereignis und Prozess, die wenig Spielraum für Varianz lassen – jene Varianz lässt sich aber im Arbeitsalltag der Bauverwaltungen beobachten. Und hier greife ich vor: etwa wenn die Baukommissionssitzung auf

35 Ablaufschemata und Verfahrensdarstellungen existieren in der rechtswissenschaftlichen Literatur weitestgehend nicht. Dies betrifft auch detaillierte Abhandlungen wie die Dissertation von Mike Gesser (2001). Teilweise fertigen Bewilligungsbehörden Ablaufschemata an, die vermehrt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, auch weil sich die Verwaltung zunehmend als Dienstleister versteht (siehe Kap. 2.3). 36 Der Terminus der vulgären Zeit ist dem Philosoph Martin Heidegger entlehnt. Dieser setzte sich intensiv mit der Zeit auseinander und prägte den Begriff der vulgären Zeit in Abgrenzung zu einer »ursprünglichen« allumfassenden Zeitlichkeit (siehe Heidegger 1927, § 78-83). 37 Scheffer, Thomas 2010: Adversarial Case-Making. An Ethnography of the English Crown Court. Amsterdam.

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Grund der vorgelagerten Ereignisse zur reinen Makulatur verkommt (siehe Kap. 8), wenn die Tastbewegungen der Sprechstunde richtungsweisend für die nachfolgenden Episoden sind (siehe Kap. 5.2) oder wenn nicht die Baueingabe den Anfang des Implementationsprozesses markiert, sondern der Prozess über das Ereignis der Baueingabe hinausreicht (siehe Kap. 5.1). Die abgebildeten Skizzen des Hochbauleiters (Abb. 15) und des Raumplaners (Abb. 16) deuten jene Varianz ebenfalls an. Sie zeigen ein komplexes Verfahren, das durch Einschübe, Parallelitäten, Vielschichtigkeit, sowie Rück- und Vorsprünge oder Zusammenballungen geprägt ist. Auch das Ablaufschema des Kanton Aargaus (Abb. 19) oder die Skizze der Architektin (Abb. 17) bilden (trotz aller Linearität und Stringenz) parallele Prozesse innerhalb des Verfahrens ab wie die Koordination von Einsprachen oder Gutachten anderer Behörden und zeigen zugleich, dass ein vorgelagertes Ereignis im Vorfeld der Baueingabe relevant ist: die Beratung und Zusammenarbeit mit anderen Akteuren. Abb. 20: Varianten von Ereignis und Prozess (Scheffer 2007:178). Event/Process Relations Pure Event

Strong Eventfulness

Strong Interplay

Strong Processuality

Pure Process

Es entsteht die Vermutung, dass Ereignis und Prozess nicht als singuläre Konterparte zu begreifen sind, sondern dass sie vielmehr in einem Wechselverhältnis stehen. In der Praxis der Akteure äußert sich dies durch das (stete) miteinander in Beziehung setzen von Ereignis (z.B. Sprechstunde) und Prozess (z.B. Aktenführung) im Arbeitsalltag. Dabei sind Ereignis und Prozess (wie Thomas Scheffer dies aus seinen empirischen Daten zum englischen Strafverfahren entwickelt) in unterschiedlich starken Schattierungen miteinander verbunden; je nach Situation tritt das Ereignis zu Gunsten des Prozesses stärker in der Vorder- bzw. Hintergrund und umgekehrt (Scheffer 2008:379). Jene Befunde verlangen nach einer wohl durchdachten Justierung des Verständnisses von Ereignis und Prozess. Scheffer führt dazu aus: »Der jeweilige Begriff scheint immer schon einen Gegenbegriff mitzuführen: der Prozeß >überdauert< das Ereignis; der Punkt ist gegenüber dem Ereignis von vergleichsweise >geringer Dauer< (ebd.:374).« Folglich stehen Ereignis und Prozess in Relation zueinander – insofern, als dass bei einem Ereignis stets der Prozess als KoPräsenz mit schwingt und der Prozess durch Verkettung, Überlagerung oder auch vermeintliche Abwesenheit von Ereignissen geprägt ist. Im Lichte jener Ereignis-Prozess-Relationen, die, im Rahmen der von Scheffer gesetzten institu-

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tionellen Ethnographie, mit der praxeologischen Forschungsstrategie der transsequentiellen Analyse (TSA) erfasst werden (siehe Kap. 2.4), lässt sich eine alternative Betrachtungsweise des Baubewilligungsverfahrens und der Arbeitsprozesse in Bauverwaltungen aufzeigen. Diese alternative Betrachtungsweise berücksichtigt Zweierlei: Erstens ist sie als Ergebnis meiner empirischen Datenerhebung zu verstehen – sie kristallisierte sich aus den Befunden der empirischen Datenerhebungen heraus (die in den nachfolgenden Kapiteln eingehend diskutiert werden). Zweitens ist sie als ein wesentlicher Schritt zur Beantwortung meiner inhaltlichen Fragestellungen zu sehen, die den Arbeitspraktiken der Bauverwaltung nachspürt, um Bauprojekte durch den administrativen Apparat zu schleusen (Forschungsfrage 1), aufzuzeigen, welche Wirkmacht den Arbeitspraktiken zukommen (Forschungsfrage 3) und wie bzw. inwiefern Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert werden (vgl. Kap. 1.1). Während des Forschungsprozesses folgte ich den Methoden und Prozessen der Bauverwaltungen zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten in den Gemeinden Visp, Wetzikon und St. Margrethen. Im Zentrum standen, im Rahmen meiner Fragestellung, die Verfolgung von Informationen (Harper 1998; sprich von Bauprojekten), resp. die »dringliche und fortwährende Arbeit« (Scheffer 2013:92) der Bauverwaltung. Denn auf diese Weise gelang es mir, sowohl die Arbeitsprozesse der Bauverwaltungen und deren Arbeit an den Bauprojekten offenzulegen, als auch deren Veränderungen und Übersetzungen, denen Bauprojekte im Zuge des Prozesses ausgesetzt sind, aufzuzeigen. Die Forschungsaufenthalte zeigten deutlich, dass im Arbeitsalltag der Bauverwaltung das Bewilligungsverfahren stets mitschwingt. Es tritt jedoch nicht als linearer Strukturgeber auf, wie es die (verwaltungsrechtlichen) Ablaufschemata des Bewilligungsverfahrens vermitteln und ist auch nicht derart zu verstehen. Der Arbeitsalltag in Bauverwaltungen zerfällt, ähnlich wie dies Scheffer in einer weiteren praxeologischen Studie zum parlamentarischen Betrieb darstellte, 38 in Arbeitsepisoden. Diese sortieren sich entlang der linearen Zeitlichkeit des Arbeitsalltags der Bauverwaltungen und gliedern sich in, mitunter nur lose verknüpfte, Arbeitsepisoden. Diese können in unterschiedlichen Variationen aneinander gereiht werden; verbindendes Element dabei ist die Implementierung von Bauprojekten – genauer: die (kollektive) Arbeit am Bauprojekt. So lassen sich für den

38 Scheffer, Thomas 2013: Das Bohren eigener Bretter. Zur transsequentiellen Analyse des politischen Betriebs. S. 91-120. In: Jens Adam & Asta Vonderau (Hg.) Formationen des Politischen. Anthropologie politischer Felder. Bielefeld.

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administrativen Fertigungsprozess der Projektimplementierung folgende Arbeitsepisoden, die sowohl Situation als auch Praktiken beinhalten, aufzeigen (vgl. ebd.:96f.).39 Fünf funktionelle Episoden I. EINGABEN und ANFRAGEN (von Projektverfasserinnen und -verfassern40, Investoren an die Verwaltung). Anstoßen eines neuen Fertigungsprozesses. Ein Objekt wird in die administrative Maschinerie eingespeist. Zum Zeitpunkt der Anfragen kann sich das Bauprojekt in den unterschiedlichsten Stadien der Planung befinden. Bei Eingabe ist das Bauprojekt an die Rahmenbedingungen gebunden und die Planung weiter fortgeschritten. II. ARBEITSSESSIONEN (Sprechstunden, Ortstermine, Stadtbildkommissionen). Arbeiten am Bauprojekt und Vorbereitung des Projekts auf nachfolgende Sessionen. Die Rahmenbedingungen schwingen stets mit, sind aber noch flexibel. Dies ist der kreativste Arbeitsprozess. III. PRÜFUNGEN DES OBJEKTS (z.B. abgleichen, besprechen, einsprechen). a. Vor dem Passagepunkt. Hier wird das Objekt auf den Passagepunkt vorbereitet. b. Einsprachen. Die Öffentlichkeit tritt als externe Prüfungsinstanz auf. Ihr Veto ist rechtlich legitimiert, aber nicht bindend. Es muss von einer institutionellen Instanz geprüft werden. c. Während des Passagepunktes. Die Prüfungsinstanz ist sachlich und institutionell autorisiert und verbindlich. IV. VORFORMULIERUNGEN Die Entscheidung am Objekt wird vorformuliert, textlich fixiert und nimmt die Relevanz des Passagepunktes vorweg. Das Objekt ist zu diesem Zeitpunkt bereits stark fixiert. V. PASSAGEPUNKTE (z.B. Baukommissionssitzungen, Gemeinderatssitzungen). Nadelöhre, points of no return. (Kollektive) Beschlüsse oder Feststellungen werden am Gegenstand befestigt.

39 An dieser Stelle findet eine Synthese der Ergebnisse aus den Detailanalysen der nachfolgenden Kap. 5.2ff. und den bisherigen analytischen Ausführungen statt. In den kommenden Kapiteln werden die Detailanalysen die vorangestellte Synthese stützen und ausdifferenzieren. 40 Projekverfasserinnen und -verfasser schließen die Bauherrinnen und Bauherren mit ein (siehe Kap. 5.2).

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Jede dieser fünf Episoden nimmt eine bestimmte Funktion im Fertigungsprozess des administrativen Betriebes von Bauverwaltungen ein.41 Diese lassen sich bisher wie folgt definieren. Episoden: • • • • • •

sind funktionell dienen der Beförderung des Bauprojektes können Situationen oder Ereignisse beinhalten umfassen Arbeitspraktiken/Fertigungsschritte unterschiedlicher Reichweite umfassen unterschiedliche symbolische wie materielle Investitionen finden an unterschiedlichen Orten statt

Ziel eines jeden Fertigungsprozesses ist es, das Bauprojekt durch den administrativen Apparat zu befördern und somit zur Baureife zu führen. Folglich sind die Arbeitssituationen trans-sequentiell getaktet (Scheffer 2013:97), insofern sie Ereignis und Prozess zu einer Fertigung integrieren und die Arbeit am Objekt jeweils an Vorheriges anknüpft.42 Aus dieser Warte betrachtet kann das Bewilligungsverfahren weder als dogmatischer Strukturgeber des administrativen Betriebs noch als routinierter Verwaltungsakt verstanden werden. Das Verfahren ist gesetzliche Voraussetzung der Arbeit in Bauverwaltungen, determiniert diese aber nicht in Gänze. Vielmehr zerfällt der administrative Betrieb und mit ihm das Bewilligungsverfahren in verschiedene Arbeitsepisoden, deren kombinatorischer Charakter von Ereignis und Prozess das gesamte Netzwerk aus Akteuren und Materialitäten zur Implementation von Bauprojekten mobilisiert. 4.2.3 Fazit: Alternative Betrachtungsweise der administrativen Prozesse Mit der Ethnographie der Bauverwaltung füge ich dem gesetzlich vorstrukturierten Rahmen des Baubewilligungsverfahrens eine ethnographische Dimension hinzu, indem ich den Blick ebenso auf routinierte, wiederkehrende und zirkuläre wie situative oder ungewöhnliche Aspekte der Verwaltungsarbeit richte. Ich fokussiere dabei auf Arbeitsvollzüge und deren situative Herstellung von Ordnung und Struktur. Dabei befördere ich eine alternative Betrachtungsweise der admi-

41 Der Versuch, dies graphisch darzustellen, ist noch nicht befriedigend, wäre aber der Übersicht dienlich. 42 Die Aktenführung zeigt z.B. bisherige Arbeitsepisoden auf und verweist auf zukünftige Episoden.

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nistrativen Prozesse zu Tage, die sich an den Methoden und Prozessen der Akteure orientiert (vgl. Garfinkel 1986), um ein Bauprojekt zu bearbeiten. Nicht die gesetzlichen Meilensteine des Bewilligungsprozesses (siehe oben) stehen im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern im Sinne der Zielsetzung meiner Arbeit die Art und Weise, wie am Objekt gearbeitet wird. Durch die analytische Setzung der fünf funktionellen Episoden (Eingaben, Arbeitssessionen, Prüfungen, Vorformulierungen und Passagepunkte) ist es möglich, die administrative Blackbox der Bauverwaltung zu öffnen; ohne per se deren komplexes AkteurNetzwerk, ebenso wie die unterschiedlichen Zeitlichkeiten, im Vorfeld zu determinieren, indem die Orientierung an gesetzlichen Rahmenbedingungen als unumstößlicher Fahrplan angesehen wird (vgl. auch Suchman 1987). Wichtig ist auch, dass ich im Sinne der vorgefundenen Praxis nicht einem Bauprojekt durch die administrative Maschinerie folge, sondern auf die Praxis der Bauverwaltung fokussiere, die täglich mit einer Vielzahl von Bauprojekten zu tun hat. Im Fokus steht also nicht die Veränderungen eines Bauprojektes im Sinne einer Analyse der Vorher-Nachher-Situation, wie sie den Analysen der Disziplin der Architektur eigen ist, sondern das Augenmerk liegt auf der administrativen Praxis und deren fortwährender Arbeit am Bauprojekt. Deren Wirkmacht und Eigenlogik interessieren in einer praxeologischen Perspektive (vgl. Einleitung). Im Lichte der funktionellen Episoden ist es möglich, die vielen Zwischentöne der administrativen Maschine, die keineswegs mechanistisch funktioniert (DeLanda 2002), herauszuarbeiten. Die TSA eignet sich dementsprechend sehr gut, um die administrativen Prozesse zu untersuchen. So können Gleichzeitigkeiten, z.B. die synchrone Arbeit verschiedener Akteurinnen und Akteure an einem Bauprojekt oder die parallelen Prozesse innerhalb ein und desselben Forums ebenso sichtbar gemacht werden wie die differenzierte Auseinandersetzung mit den Nuancen des Prüfens einer Bauverwaltung (bestehend aus Vor-, Zwischen-, und Nachprüfungen, Kap. 6). Schlussendlich ermöglicht die alternative Betrachtungsweise das Aufzeigen der Flexibilität der administrativen Prozesse, denn erstens sind Start- und Endpunkt eines Fertigungsprozesses keineswegs immer klar ausgeprägt. Dies wird beispielsweise deutlich, wenn das Anwerfen der administrativen Maschinerie verschleiert wird und der Prozess das Ereignis überdauert (Kap. 5.1). Zweitens ist das Spektrum der möglichen Kombinationen einzelner Episoden eines Fertigungsprozesses zwischen Start- und Endpunkt, d.h. der Strecke, die bis zum Entscheid zurückgelegt wird, groß (vgl. abermals Suchman 1987). Die folgenden Kapitel greifen jene Flexibilität auf und beleuchten die unterschiedlichen Episoden, die nötig sind, um ein Bauprojekt zu befördern. Zugleich findet eine Erweiterung oder Ausdifferenzierung der TSA statt, da die materielle

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Infrastruktur, die Handelnde und Bauprojekt in Stellung bringt, sie befähigt und ermächtigt, als wesentliche Komponenten des Fertigungsprozesses analysiert wird, denn im Sinne der Wissensforscher, um Latour mobilisiert ein Arbeitsvollzug ein ganzes Netzwerk (Latour 2006). Die Leserinnen und Leser werden an unterschiedliche Schauplätze des Fertigungsprozesses geführt: zur Baueingabe (Kap. 5.1), zu den Arbeitssessionen der Sprechstunde (Kap. 5.2) und der Tagung der Stadtbildkommission (Kap. 7); ins Büro der Bauverwaltung (Kap. 6), wo auf bestimmte Praktiken des Prüfens und des Vorformulierens ebenso geschaut wird, wie auf das Ordnen von Dossiers und das Zusammenspiel unterschiedlicher Materialitäten. Am Ende steht der Passagepunkt der Baukommissionssitzung (Kap. 8). Die funktionelle Episode des Passagepunkts – soviel sei vorweg genommen – taucht zum Teil während des Bewilligungsprozesses an unterschiedlichen Stellen im Kleinen wiederholt auf, aber erst in der Baukommissionssitzung (resp. Gemeinderatssitzung) kann das Bauprojekt endgültig durch das Nadelöhr gelangen.

V. Case-Making

Abb. 21: Eingegangenes Baugesuchsformular, Ausschnitt, eigenes Foto.

In den vorausgegangenen beiden empirisch fundierten Kapiteln wurden zwei Leitkategorien der bürokratischen Praxis zur Implementation von Bauprojekten verfügbar gemacht. Es sind dies: die Zeit in Auseinandersetzung mit dem Bewilligungsverfahren und dem Wechselverhältnis von Ereignis und Prozess (Kap. 4.2) und der Raum unter besonderer Berücksichtigung der normativen Arbeitsökologien und Zugänglichkeiten von Bauämtern (Kap. 4.1). Beide Kategorien strukturieren auf vielfältige Art und Weise den Implementationsprozess von Bauprojekten. Erstgenannte unmittelbar in Bezug auf die Bewilligungspflicht, mit der der Gesetzgeber sicherstellt, dass zur Errichtung oder Änderung von

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Bauten und Anlagen ein rechtlich normiertes Verfahren zu durchlaufen ist. Auf Grund dessen akzeptieren alle Beteiligten (Verwaltungsmitarbeitende, Gesuchsteller oder externe Berater gleichermaßen), im Zuge der Einspeisung eines Bauprojektes in die administrative Maschinerie, eine neue bürokratische Zeitstruktur (vgl. Wolff 1981), die mit der chronologischen oder subjektiven (Problem-)Zeit etwa der Dringlichkeit der Bewilligung nicht mehr viel gemein hat. Jene amtlichen Zeitsysteme werden im Amtsalltag methodisch und strategisch genutzt, um das Intervall zwischen Eingabe/Anfrage und Entscheid zu gestalten – es gilt im Rahmen der zeitlichen Markierungen eines Bauamtes (siehe unten), dem alltäglichen Fertigungsprozess von Bauprojekten ebenso gerecht zu werden wie den die Routine durchbrechenden Spezialfällen (vgl. Kap. 9.3). Zudem sind die Topologie der bürokratischen Orte, deren räumliche Manifestation hierarchischer Kontrollmechanismen, sowie die (normative) Ökologie des Arbeitsplatzes ein wesentlicher Teil des Netzwerkes, um Bauprojekte zu befördern und zur Baureife zu führen. Unter Berücksichtigung der theoretischen Analyseleistungen aus den vorausgegangenen Kapiteln werde ich im Folgenden eine weitere empirische Tiefenbohrung vornehmen. Ich widme mich der Praxis des Case-Makings. Hierbei stehen vordergründig zwei der fünf identifizierten funktionellen Episoden (Eingabe/Anfrage, Arbeitssessionen, Prüfungen, Vorformulierungen, Passagepunkte) des Fertigungsprozesses eines Bauprojekts im Zentrum. In Kapitel 5.1 die Eingabe/Anfrage und in Kapitel 5.2 die Arbeitssession der Sprechstunde. Beide können, wie noch zu zeigen ist, als Case-Making zusammengefasst werden. Zunächst zur Episode der Eingabe: Mit der Einspeisung von Eingaben resp. Anfragen in die administrative Maschinerie wird diese gleichsam angeworfen und die Praxis des Prüfens eingeführt. Jenes Anwerfen werde ich reflektieren: Wie wird ein Projekt in das Bauamt eingespeist? In welchem Zustand befindet es sich? Welche Teile des Netzwerkes werden aktiviert? Wie gehen die Mitarbeitenden mit einer neuen Eingabe um? In welchem Verhältnis steht die Eingabe als Ereignis zum Prozess? (siehe Forschungsfragen 1 und 2, Kap. 1.1.2).

C ASE -M AKING

5.1 D IE

ADMINISTRATIVE WIRD ANGEWORFEN

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M ASCHINERIE

5.1.1 Wie aus einem Bauprojekt ein administrativer Fall wird In der folgenden Vignette (siehe Kap. 1.2.3), zusammengestellt aus mehreren Beobachtungsprotokollen, kommt eine Bauwillige während der Öffnungszeiten zum Schalter der Bauverwalterin in Visp1: Die Verwalterin sitzt an ihrem Schreibtisch, neben ihr sitze ich als aufmerksame Beobachterin und folge dem täglichen Amtsgeschäft. 2 Die Verwalterin schaut konzentriert auf den PC-Bildschirm, während sie eine Email an einen Gesuchsteller verfasst. Es klopft an der Tür.3 Die Bauverwalterin unterbricht ihre Tätigkeit, hebt den Kopf und ruft der Klopfenden ein lautes: »Herein« entgegen. Unterdessen erhebt sie sich, streicht ihre Hose glatt und geht for-

1

Die Vignette nimmt die Arbeitspraxis der Bauverwalterin der Gemeinde Visp als Grundlage der dichten Beschreibung. Ähnliches ließe sich auch für die beiden anderen Untersuchungsgemeinden aufzeigen, sodass Visp hier als erzählerische Blaupause fungiert, die die beiden anderen Gemeinden mit einschließt (zur Vertiefung siehe Kap. 1.2.3). In der Konstruktion der vorliegenden Vignette ließ ich mich vom Situationsbeschrieb Thomas Scheffers inspirieren, der den Gang eines Klienten auf eine Ausländerbehörde beschrieb (1997). Er nahm im Zuge dessen einen Perspektivwechsel des Klienten hin zur Verwaltungsmitarbeiterin im Büro vor. Gleiches geschieht auch hier, die Vignette steigt mit der Klientin ein und wechselt zum Verfügbarmachen der administrativen Praxis die Perspektive hin zur Bauverwalterin.

2

Dabei werde ich, seitens der Klienten, oftmals als weitere Amtsperson wahrgenommen oder beiderseits wahlweise als Praktikantin oder Störfaktor (»Ist das ihre neue Mitarbeiterin?« oder »Wollen Sie das wirklich alles begleiten?!«).

3

Aus der Perspektive einer Besucherin präsentiert sich die Situation wie folgt: Ein Stuhl steht auf dem langen Flur. Niemand sitzt dort. An der dritten Bürotür der Bauabteilung ist ein Hinweisschild mit den Öffnungszeiten der Bauabteilung angebracht. Das Wartelämpchen der Abteilung ist auf grün geschaltet. Die Wände sind schmucklos, einzig die publizierten Bauprojekte, auf eine Ständerwand gepinnt, weisen thematisch auf das Bauamt hin. Die Besucherin klopft an die Tür. Dann Stille – die Anklopfende wartet auf ein Zeichen von drinnen. »Es müsste Jemand da sein«, die Klientin wirft einen schnellen, kontrollierenden Blick auf das grüne Lämpchen.

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schen Schrittes durch die interne Verbindungstür in den benachbarten Empfangsraum.4 Die Verwalterin mustert die Eintretende: »Worum handelt es sich?« Die Klientin zieht ihre griffbereiten Formulare aus der Tasche und legt sie auf den Tresen. Darunter ist auch ein Situationsplan 1:100. Sie deutet auf ein Kreuz: »Hier möchten wir ein Gerätehaus errichten. Ist das gut so?« Die Bauverwalterin nickt und wirft einen prüfenden Blick auf die Pläne. Die Klientin steht ihr gegenüber und folgt den Blicken der Bauverwalterin. Während die Bauverwalterin auf die Pläne schaut und mit dem Finger an dem eingezeichneten Kreuz hängen bleibt, ermisst sie im Stillen den Fall bzw. die Frage: »Reicht das Kreuz auf dem Plan?« Solange sie die Pläne studiert, hängt die Antwort und somit die Situationsentwicklung in der Schwebe. Sie greift nach dem bereitliegenden Stift und deutet auf die Abstände des Kreuzes zu den Nachbargrundstücken: »Haben sie mit ihren Nachbarn gesprochen? Wie viel beträgt der Abstand hier?« Die Klientin beugt ihren Kopf über den Plan. Sie gibt Auskunft und sucht in ihren Unterlagen das Dokument zur nachbarschaftlichen Einverständniserklärung. Sie findet es und reicht es der Verwalterin. Diese wirft einen schnellen Blick auf das Dokument. Zur Erleichterung der Gesuchstellerin nimmt die Verwalterin die erbrachten Unterlagen entgegen (Vignette 2a, Bauverwalterin nimmt Bauprojekt entgegen).

4

Im Empfangsraum aus Sicht der Bauwilligen: Eine Schrittlänge hinter der offiziellen Tür teilt ein wuchtiger Tresen den »Empfangsraum« in zwei ungleiche Hälften. Der Eintretenden bleibt nur ein schmaler Aufenthaltsbereich zwischen Tür und Tresen. Eine schulterbreite Lücke zwischen Tresen und Wand hält einen Durchgang zum großzügigeren Arbeitsbereich für die Bürotätigkeiten des Sachbearbeiters und der Sekretärin bereit. Für einen Moment rücken die Arbeitsplatzsituation (und -vollzüge) des Sachbearbeiters und der Sekretärin in den Blick der Bauwilligen: die Wände vollgestellt mit Regalen; an den freien Stellen: ein Zonenplan und ein Kalender; zwei gegenüber gestellte Schreibtische übersät mit Akten, Formularen, Lineal, Locher und weiteren Büroutensilien; eine Ablage; in der Mitte jeweils ein Computer – die geöffnete Verbindungstür zum Büro der Verwalterin lässt Platz für Spekulationen über die übrigen Räumlichkeiten und Tätigkeiten des Bauamtes. Der Tresen ist breit genug, um Formulare abzulegen und A3-Pläne aufzufalten. Er ist leer, bis auf einen Stift am rechten Rand. Die Bauverwalterin positioniert sich hinter dem Tresen und verdeckt teilweise die, hinter ihr liegende, Szenerie (Vignette 2b, Im Empfangsraum aus Sicht einer Bauwilligen).

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Im Sinne der trans-sequentiellen Analyse, die aus dem Fluss des Arbeitsalltags einzelne Arbeitsepisoden herausgreift (Scheffer 2013), sticht das Moment der Eingabe resp. Anfrage aus dem strukturierten Alltag hervor. Das Ereignis unterbricht den Strom der Tätigkeiten und stößt einen neuen Fertigungsprozess an. Dies geschieht im Falle des direkten Kundenkontakts durch das Entgegennehmen der Pläne am Tresen. Die Klientin und die Bauverwalterin finden stehend an dem Tresen des Empfangsraumes zusammen. Es ist die Besucherin, die den Großteil der Zugangsarbeit zu leisten hat und sich im Sinne der vermeintlichen Kommstruktur des Bauamtes auf die Spielregeln des bürokratischen Apparates einlässt. Sie durchschreitet die bürokratischen Räume von der Eingangstür bis hin zum Empfangsraum und begibt sich auf fremdes Terrain, während die Bauverwalterin bereits im Inneren der Bauverwaltung und dessen Räumlichkeiten arbeitet (siehe Kap. 4.1.2). Von der Bauwilligen wird ebenso bürokratische Kompetenz (Gordon 1975) vorausgesetzt, wie das Einlassen auf die symbolische Zurichtung als Klientin (siehe Kap. 4.1.2), wobei sie gleichsam die organisatorische Schrittfolge der räumlichen und zeitlichen Umstände (Einfinden an einem bestimmten Ort, dem Tresen/Schalter des Bauamtes; in einem knappen vorgegebenen Zeitraum, den Öffnungszeiten) akzeptiert.5 Allerdings gilt die Kommstruktur, die für Ämter mit fürsorglichem Charakter weitaus ausgeprägter ist, für das Bauamt in einer abgeschwächten Form, auch weil die Möglichkeit der Eingabe ohne direkten Klientenkontakt besteht (Möglichkeiten der Anfrage: per Telefon oder Email; Eingabe per Post; siehe unten und Kap. 6). Im Gegensatz zum abschöpfenden Charakter der Fürsorglichkeit wird im Bauamt etwas hinzugefügt: ein Stück Siedlungslandschaft, wodurch zuweilen eine Verschiebung der Bedürftigkeit zwischen Klient und Amtsautorität zu beobachten ist (siehe unten, ausführlich Kap. 5.2, Kap. 7). Doch wie der Rechtswissenschaftler Michael Benjamin in seinem pointierten Beitrag zum deutschen Verwaltungsapparat schrieb: »Vor dem Schalter steht, wer etwas will, sich es aber nicht nehmen kann. Hinter dem Schalter sitzt, wer etwas herausgeben kann und es vielleicht auch tut.« (Benjamin 1993:17) Demgemäß ist die Klientin an den Tresen gekommen, um eine Baueingabe zu machen – die Verwalterin, um diese zu begutachten und (eventuell) entgegenzunehmen. Der Tresen markiert in dieser Episode das Territorium und bietet spezielle Handlungsweisen an: Als trennende Linie zeigt er den Handelnden ihre Positionen und Hierarchien auf. Der Klientin wird ein kleiner Bereich der admi-

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Der Soziologe Stephan Wolff spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an den Ethnomethodologen Harvey Sacks von einem Konvergenzproblem, dass es zu bewältigen gilt, da sowohl die Klientin, als auch die bürokratische Mitarbeiterin räumlich zusammen kommen und sich als eben diese identifizieren müssen (Wolff 1981:125).

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nistrativen Hinterbühne zugestanden, der weder Platz noch die Möglichkeit einer Sitzgelegenheit lässt (auch wäre ein Stuhl kontraproduktiv, da der Tresen zu hoch ist oder der Stuhl zu niedrig, um über denselben zu schauen) und somit eine kurze Verweildauer vorsieht. Dergestalt treffen beide stehend aufeinander; indes hat die Bauverwalterin das ganze Arsenal der bürokratischen Maschinerie im Rücken, die Klientin lediglich eine Tür, durch die sie entschlüpfen kann. Die Raumsouveränität liegt eindeutig auf Seiten der Verwalterin, die die Verwalterin als Verwalterin und kompetente Ansprechpartnerin ausweist und die Klientin als ebensolche. Der Tresen markiert gleichsam das Territorium wie die Episode als kurzweilige Annahme- resp. Auskunftstelle. Auf ihm wird nach Eröffnung der Situation durch die Verwalterin (»Worum handelt es sich?«), der Fall resp. das Bauprojekt ausgebreitet. Viele Klienten halten ihre Pläne bereit und breiten diese ungefragt auf dem Tisch aus: »Hier will Herr Z. eine Mauer errichten, ich möchte nicht, dass er das tut!« Das Ausbreiten des Bauprojektes findet also zunächst in Form von Plänen statt, nachgeordnet werden den Plänen Dokumente hinzugefügt. Das Bauprojekt gewinnt auf diese Weise eine greifbare, physische Materialität. Es existiert nicht nur im gesprochenem Wort: »Hier möchten wir ein Gerätehaus bauen.«, sondern als Kreuz auf einem Plan, das verbunden mit dem Zeigegestus eine Ortsherstellung vornimmt. 5.1.2 Vorprüfungen und Pläne – Erste Verdichtung der Praxis des administrativen Case-Making Bevor die Verwalterin weitere Fragen stellt, schaut sie prüfenden Blickes auf den Plan. Diese Prüfung stellt den Anfangspunkt einer langen Abfolge, bestehend aus administrativen Vor-, Zwischen-, Haupt- und Nachprüfungen im Fertigungsprozess, dar. In der Praxis des Prüfens kommt so Foucault, der »[…] Mechanismus, der eine bestimmte Form der Machtausübung mit einem bestimmten Typ der Wissensformierung kombiniert« (Michel Foucault 1977:241), zur Geltung. Genau jene Kombination aus Machtausübung und Wissensformierung kommt in der situativen Praxis der Verwalterin zum Zuge. Derweil sie den Plan studiert, greift sie auf ihre internen Wissensressourcen (Fallpool, rechtliche Bestimmung, Profession) zurück und nimmt – zunächst im Stillen – eine Prüfung des Projekts vor, dessen Ergebnis die Klientin zwar abschätzen, erhoffen und im weiterem Verlauf eventuell beeinflussen kann, für den Moment aber nicht greifbar ist. Die Verwalterin wägt verschiedene Punkte ab, die sich einzig als stille Praxis der schweifenden Blicke über die ausgebreiteten Unterlagen und das Deuten mit dem Zeigefinger und Innehalten über dem eingezeichneten Kreuz, äußern. Punkte, die die Bauverwalterin bedenkt sind:

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Projekttyp: Um welche Sorte von Bauprojekt handelt es sich? Projektstadium: In welchem Planungszustand befindet sich das Projekt? Ist die eingeschlagene Richtung im Hinblick auf eine Baugenehmigung erfolgreich? Entspricht sie den Vorstellungen der (politischen) Gemeinde? … Eingabereife: Genügen die Unterlagen bzw. die erbrachten Vorleistungen, um das Projekt einzugeben? Reicht das Kreuz auf dem Plan? Im Falle einer Beschwerde: Stößt der Einspruch auf offene Ohren resp. handelt es sich um eine baurechtliche Beschwerde?

Indem die Verwalterin prüfendenden Blickes über die Pläne schweift, bedenkt sie jene oben aufgeführten Punkte. Sie nimmt, um die Sprache der Medizin zu bemühen, eine erste Diagnose vor. Ähnlich wie dies die Ethnographin Annemarie Mol (2002) für die diagnostische Praxis von Ärzten aufzeigte,6 in denen die Krankheit im Handlungsvollzug zwischen Arzt und Patientin hervorgebracht wird, wird das Bauprojekt im Vollzug zu einem administrativen Fall. Sind indes für die Bestimmung einer Krankheit, neben den räumlichen und materiellen Instrumenten, Patient und Arzt von Nöten, um die Krankheit hervorzubringen, braucht es im Falle des Bauamtes vielmehr die Bauverwalterin und einen Plan anstelle der Gesuchstellerin (resp. der Patientin). Denn, in Analogie zur Krankheit, die in den Körper der Patientin eingeschrieben wird, ist das Bauprojekt gleichsam in die Pläne eingeschrieben,7 später dann in die Siedlungslandschaft. Im praktischen Handlungsvollzug zwischen Bauverwalterin und dem eingereichten/angefragten Bauprojekt, ausgedrückt durch die Pläne und vertreten durch die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller, wird das Bauprojekt im Zuge seiner Bestimmungsarbeit zu einem administrativen Fall. Diese Übersetzungsleistung aktiviert ein komplexes Netzwerk unterschiedlicher Akteure: Verwaltungsgebäude und die Räume der Bauabteilung8 (Bauverwalterin und Bauwillige finden am Tresen zusammen), Diskurspraktiken (»Reicht das Kreuz auf dem Plan?«), Papierarbeit (Einreichen der Bewilligungsunterlagen seitens der Bauwilligen und

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»Whatever the condition of her body before she entered the consulting room, in ethnographic terms Mrs. Tilstra did not have this disease before she visited a doctor. She didn’t enact it.« (Mol 2002:22)

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Die starke Bedeutung der Pläne bestätigt auch der Gesetzgeber, wenn im Bau- und Planungsrecht zu lesen ist: »Das Baugesuch hat alle, für die baurechtliche Beurteilung des Vorhabens erforderlichen Angaben zu enthalten; insbesondere sind Pläne beizulegen (Hervorh. d. Verf.).« (Schürmann 1984:68)

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Zum materiellen Apparat des Bauamtes siehe auch die strukturräumlichen Beschreibungen von Bauämtern Kap. 3 und Kap. 4.1.

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Überprüfen derselben von der Verwalterin; die Unterlagen werden in einem nachfolgenden Schritt erneut geprüft, siehe Kap. 6), rechtlich fixierte Baubewilligungsverfahren (nur auf Grund dessen kommen die beiden Akteurinnen zusammen, siehe Kap. 4.2), sowie neben den Plänen (Situationsplan 1:100) unzählige Instrumente, (wie Tresen, Aktenschrank, PC, Stifte usw.) – wo das Bauprojekt bis zu jenem diagnostischen Zusammentreffen eine Projektidee (wie ein weiteres Beispiel zur Errichtung eines Gewerbebaus jenseits der Gleise zeigt)9 oder auch eine weit fortgeschrittene Planung (siehe Eingabe eines Gerätehaus) gewesen ist, findet die aktive Übersetzung und (Über-)Eingabe in die administrative Maschinerie statt. Dieser Tatbestand wird im nachfolgenden Kapitel: Die Sprechstunde: Eine Arbeitssession als Intermezzo der administrativen Praxis? (Kap. 5.2) weiter ausdifferenziert. Das Einschreiben des Bauprojektes in Pläne schwächt ebenfalls den Charakter der oben beschriebenen Kommstruktur eines Bauamtes ab. Es ist per se nicht nötig, für die Eingabe persönlich auf dem Bauamt zu erscheinen. Der verwaiste Flur, die vereinzelten unbenutzten Wartestühle – auch zu den Öffnungszeiten des Bauamtes, verdeutlichen einen behördlichen Charakter jenseits einer publikumsintensiven Behörde. Es wird deutlich: hier wird etwas ver-/behandelt, bei dem die Anwesenheit der Bauwilligen auf den ersten Blick nicht erforderlich ist (zum Thema des ausschließenden Charakters des Bauamtes siehe Kap. 4.1). Das Bauprojekt kann auf Grund des Situationsplans und der beigeordneten Formulare für sich selbst sprechen, dies in beiderseitigem Einvernehmen zwischen Gesuchsteller und Behörde. So muss denn laut Gesetzgeber auch das Gesuch in dreifacher schriftlicher Ausführung bei der Gemeinde eingereicht oder abgegeben werden (§ 188 Abs. 1 PBG). Diese Möglichkeit verstärkt eine Verschiebung des Konvergenzproblems zwischen Bauwilligen und Behörde. Inwieweit dieser Sachverhalt den praktischen Vollzug des Verwaltungshandelns beeinflusst und die Verwaltung in ihrem zunehmend aktiven Rollenverständnis bestärkt, wird noch zu klären sein (siehe unten, siehe dazu auch Wolff 1981, Paris 1998, Kap. 2.3, Kap. 5.2, Kap. 7, Kap. 8).

9

Bei anderen Anliegen wie der Anfrage zur Gebäudehöhe des Gewerbebaus bittet die Bauverwalterin den Gesuchsteller, erneut wieder zu kommen, um das komplexer daherkommende Bauprojekt in einem Besprechungsraum in Ruhe zu erörtern. Wieder andere Klienten weist sie zurück: »Das Bauamt ist nicht der richtige Ort für ihre Beschwerde!« Oder »Ohne Änderung der Farbgestaltung wird das Gesuch nur schwer zu bewilligen sein, es gibt einen Ortsbildschutz.«

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Die Vorprüfung wird vervollständigt Das Prüfen der Pläne ist ein entscheidender Marker, um Gewissheit über ein Bauprojekt zu erlangen und kann als wichtigster Schritt zur Annäherung an ein ebensolches verstanden werden. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um den Prozess der Vorprüfung zu vollziehen, denn nicht alle Merkmale eines Bauprojektes, etwa die nachbarliche Zustimmungserklärung, drücken sich (explizit) in einem Plan aus. Infolgedessen sind mit den Plänen eine Reihe von Formularen verbunden, die die Informationslücken, welche die Pläne allein nicht zu schließen vermögen, ergänzen. Die Gesuchsformulare, ausgefüllt von Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern oder dessen legitimierten Vertreterinnen und Vertretern (Architektur- oder Planungsbüros, siehe Kap. 5.2.2), enthalten spezifische Koordinaten und Angaben zum Bauprojekt wie Umfang, Typ und Ort des Projekts sowie zum Gesuchsteller etc.10 Diese dienen der Verwalterin als eine wichtige

10 In Anlehnung an die gesetzlichen Bestimmungen der Gemeinde Wetzikon und nach Meyer-Meierling (2010:297ff.) sind dem Baugesuch fallweise und je nach Kanton folgende Unterlagen beizubringen: a) Kopie des Grundbuchplanes (Katasterplan), auf welcher die Stellung und die Abstände der projektierten Bauten und Anlagen zu den Grundstücksgrenzen sowie zu den benachbarten Bauten und Anlagen dargestellt und vermaßt sind, b) Grundrisse aller Geschosse sowie die baurechtlich wesentlichen Schnitte im Maßstab 1:100 mit auf die Meereshöhe bezogenen Höhenkoten, wobei eingetragen sein müssen: – die Mauern und Wände samt Öffnungen und Türen – die Art der Baukonstruktion – die Höhenverhältnisse, namentlich auch die Geschosshöhen – die Dachaufbauten und Dacheinschnitte – die Treppen- und Gangbreiten – die Boden- und Fensterflächen sowie die lichten Raumhöhen – die Nutzweise und die Zweckbestimmung der Räume – die Ausrüstung, wie Heiz- und Feuereinrichtungen, sanitäre Einrichtungen, Beförderungsanlagen, c) Fassadenzeichnungen im Maßstab 1:100 mit Angaben des gewachsenen und gestalteten Bodens, allfälliger Niveaulinien sowie der auf die Meereshöhe bezogenen Höhenkoten, d) Berechnung über die zulässige Ausnützung, bei größeren Bauvorhaben mit planlichem Nachweis, e) Kanalisationseingabe, f) Ausnutzung und Parkplatzberechnung, g) Pflichtschutzräume, h) Schallschutz, i) Nachbarliche Zustimmungserklärungen in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen, j) Wärmedämmung/Energiehaushalt, k) feuerpolizeiliche Vorschriften, l) Baugespann (im ordentlichen Verfahren sind darstellbare

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Informationsquelle, um die Charakterisierung und Kategorisierung anhand der vorgegebenen normativen Ordnung und Gesetzmäßigkeiten zu vollziehen. Im Falle des Kundenkontaktes ermittelt sie die für das Bauprojekt entscheidenden Angaben direkt: Im obigen Beispiel fragt sie die Gesuchstellerin nach dem Studieren der Pläne nach den Abständen des Gerätehauses und dem Einverständnis der Nachbarn. Das beigefügte Formular begünstigt dabei die Annahme des Baugesuchs. In ihrer dem Gespräch nachgelagerten Büroarbeit wird sie diese Auskünfte mittels der eingereichten Formulare verifizieren (siehe auch Kap. 6). Treten entscheidende (formelle) Mängel wie Unvollständigkeit der Unterlagen oder vorschriftswidrige Eingaben auf, informiert die Verwalterin die Gesuchsteller schriftlich und bittet diese, die entsprechenden Versäumnisse in einer festgelegten Frist beizubringen. Dieserart vervollständigt die Verwalterin eine erste Praxis des Prüfens, die auch eine diagnostische Bestimmungsarbeit mit sich bringt im Zuge derer eine Kategorisierung des Projekts vorgenommen wird: Aus rechtlicher Sicht ordnet sie es dem ordentlichem oder dem Anzeigeverfahren zu (siehe Kap. 4.2 Fußnote 166), aus verwaltungspraktischer Sicht schätzt sie zudem die Komplexität des Bauprojekts und das öffentliche sowie das politische Interesse an dem jeweiligen Projekt ab. Im Falle des Gerätehauses ist die Kategorisierung schnell vorgenommen: das Projekt ist trotz seiner unkomplizierten Bauaufgabe dem ordentlichen Verfahren zuzuordnen, gleichwohl die Bedeutung des Projekts (für die Öffentlichkeit) gering ist, besondere Fertigungsschritte in Form von Arbeitssessionen (Sprechstunde oder Stadtbildkommission) sind nicht notwendig. Diese von der Verwalterin vorgenommene Einschätzung spiegelt sich im Handlungsvollzug wieder: Die Bauverwalterin wirft einen prüfenden Blick auf die Pläne, stellt zwei ergänzende Fragen und nimmt das Bauprojekt an. Diese Handlungssequenz verweist auf den weiteren Bewilligungsprozess.11

Bauvorhaben, sprich Gebäude, wesentliche Terrainveränderungen, Mauern ab 1.50 m Höhe, vor der öffentlichen Bekanntmachung auszustecken. 11 Die Verwalterin wird nach dem Weggang der Klientin (zur Überraschung der Forscherin) das Kreuz aus dem Plan radieren, die Abstände messen und das Gerätehaus korrekt einzeichnen. Im Zuge der vorgenommen Kategorisierung des Projektes und dessen geringer Bedeutung (für die Öffentlichkeit), hält die Verwalterin es nicht für angebracht, das Projekt nochmals an die Gesuchstellerin zurückgehen zu lassen, zumal die Unterlagen ansonsten vollständig erbracht wurden und es sich bei der Gesuchstellerin um eine Laiin handelt, die es nicht gewohnt ist, Pläne zu zeichnen. All dies ist der Bauverwalterin bei ihrer, dem Gespräch nachgelagerten, verifizierenden Büro-

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Jene praktische Arbeit der Annahme und Vorprüfung rekurriert auf die Vergangenheit (die bisher unternommenen Schritte, die spezifischen Vorausarbeiten zur Eingabe sowie der bisherige symbolische und materielle Input) und antizipiert die Zukunft (Tragweite des Projekts, insbesondere dessen Bedeutung für die Öffentlichkeit) gleichermaßen, sodass die mentalen Rück- und Vorgriffe in situ über die praktische Situation hinaus weisen. Die Arbeitsepisode der Eingabe erwächst weder fixen, sondern bedingten Vergangenheiten oder Zukünften (vgl. Scheffer 2013:108); noch ist diese als singuläres Ereignis zu sehen. Vielmehr wird der Prozess der Implementierung in der diagnostischen Praxis des Einspeisens eines administrativen Falls vergegenwärtigt. Das Ereignis steht in enger Verbindung mit dem fortlaufenden Prozess, ohne dass dieser das Ereignis im Zuge seines prozesshaften Charakters verschwinden lässt. Im Gegenteil, die Episode der Baueingabe lässt sich mit Michel Callon als obligatorischer Passagepunkt (OPP, Callon 1986) begreifen, der für den weiteren Verlauf unumgänglich ist (siehe unten, Kap. 9). Schlangenprinzip und Ausnahmen Im vorherigen Abschnitt wurde deutlich, wie ein Bauprojekt im Zuge der diagnostischen Praxis in einen administrativen Fall übersetzt wurde. Dies durch die analytische Brille der TSA, im Lichte derer die Relationalität und Eigenlogik der Arbeitsepisode aufgezeigt werden konnte. Im Sinne der inhaltlichen Forschungsfragen, die nach den Methoden und Prozessen der Bauverwaltung und nach deren Wirkmacht fragt (Kap .1.1.2), ist aber noch nicht geklärt, wie die Bauverwaltung mit der Vielzahl von unterschiedlichen Baugesuchen und Anfragen, die täglich in einem Bauamt eingehen, umgeht und welche Rolle das gesetzlich normierte Bewilligungsverfahren spielt. Nachfolgend werden diese unter den Stichwörtern »Ausnahmen« und »Schlangenprinzip« erörtert. Eine dichte Beschreibung der Arbeitsepisode bildet den Ausgangspunkt. Die Episode fokussiert auf das Eintreffen von unterschiedlichen Baugesuchen bei der Bauverwalterin in Visp: Beim Durchsehen der vormittäglichen Post bemerkt die Bauverwalterin, dass die Firma Lonza ein Baugesuch zur Erweiterung ihrer Industrieanlage eingereicht hat. Sie stoppt das Durchsehen der Post und beginnt, sich umgehend um das Gesuch zu kümmern. Rasch legt sie eine Akte des Projekts an und leitet das Gesuch sodann an die kantonalen Behörden weiter. Sie tut dies in meiner Anwesenheit und im Bewusstsein, dass der herkömmliche Verfahrenstakt das Abwarten der

arbeit gegenwärtig, wenn sie sich der weiteren Bearbeitung des Gesuchs annimmt und das Baugesuch für den nächsten Schritt vorbereitet (siehe Kap. 6).

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Auflagefrist (20-30 Tage) vorsieht, bevor die Unterlagen an die Koordinationsbehörde weitergeleitet werden und das Projekt im Anschluss an die kantonale Einschätzung auf den Passagepunkt der Baukommissionssitzung vorbereitet wird (Vignette 3, Bauverwalterin zieht Bauprojekt vor).«12 Ausnahmen Die Bauverwalterin durchbricht mit dem Akt der stillen Deklaration eines Bauprojekts als Ausnahme das »normale« behördliche Zeitintervall (siehe unten). Das allgemein anerkannte Kriterium der methodischen Erledigung von Fertigungsschritten im rhythmisierten Zeitintervall und die Gewährleistung des Bewilligungsprozesses wird zur Lösung der raschen Sicherstellung der Baufreigabe verworfen. Die Behandlung solcher Vorkommnisse generiert wiederum gewisse Routinen, die mittels inoffizieller Krisenpläne gelöst werden. Diese dienen zur: • •





Identifizierung und Bestimmung der Krisensituation, sprich einer Ausnahme als ebensolche. Verfügbarmachung der Ausnahme13 als Handlungsoption, zugleich muss diese aber eine Ausnahme bleiben, weil sonst deren spezifischer Charakter verloren ginge. (Kurzfristige) Konzentration der Arbeit und von Ressourcen auf diesen Fall – ohne die Sicherstellung des Implementierungsprozesses und der Siedlungsqualität maßgeblich zu gefährden. Abschätzung des Störungspotentials von Bauwilligen und deren Baugesuchen, um etwaige Schäden abzuwenden.

Die Praxis der Ausnahme kommt der Studie Wolffs zur Produktion von Fürsorglichkeit nahe, in der deutlich wird, dass in Folge prekärer Lebenssituationen das

12 In einem weiteren Beispiel konnte ich beobachten, dass die Anfrage eines Gastronomen, der um die provisorische Errichtung eines großen Imbissstands ersuchte, um den Betrieb seines abgebrannten Restaurants bis zu dessen Wiederaufbau aufrecht zu erhalten, umgehend behandelt wurde. Diese Anfrage bedarf normalerweise eines ordentlichen Verfahrens. Die Anfrage wurde jedoch ohne das übliche Verfahrensprozedere in der nächstmöglichen Baukommissionssitzung behandelt und eine Erlaubnis erteilt. 13 Die Handlungsoption der Ausnahme ist nicht mit der Erteilung einer Ausnahmebewilligung zu verwechseln, die ausschließlich als Auslegeordnung von allgemeingehaltenen Bestimmungen in der Bewilligungspraxis ihre Anwendung findet (siehe dazu Berner 2009:54-63). Die Handlungsoption der Ausnahme ist hingegen als situative Praxis im alltäglichen administrativen Prozedere zu lesen.

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Vorziehen gewisser Fälle auch im Nachgang gesellschaftlich legitimiert werden kann (Wolff 1981). Hier knüpft die Praxis des Deklarierens eines Baugesuchs als Ausnahme an, in dessen Ablauf die offiziellen Zeitintervalle stark verkürzt werden können. Diese Ausnahme kann neben einer prekären Notlage eines Einzelnen (siehe Fußnote 187) auch politisch verordnet sein: »Baugesuche der Lonza werden grundsätzlich vorgezogen« oder »die Überbauung des Areals Europuls hat höchste Priorität«, hier geht es um die Sicherstellung gesellschaftsrelevanter Infrastrukturen (vgl. Kap. 3.3). Denn mit dem Drehen am Zeitrad der administrativen Maschinerie wird der Firma Lonza die Umsetzung ihres Bauvorhabens wesentlich erleichtert (Kap. 9.3). Aus behördlicher Sicht wird ein Anreiz geschaffen, der dazu beiträgt, die Firma Lonza als den größten Arbeitgeber vor Ort zu halten. Deshalb forciert die Behörde das Beschleunigen der administrativen Zeit, sodass mit der Prozessbeschleunigung ein Anreiz für den Betrieb geschaffen wird: Die Beschleunigung wird zum weichen Standortfaktor für den Betrieb. Ebenso wird bei dem Einräumen der Priorität eines Bauareals in St. Margrethen verfahren, was ebenfalls die ökonomische Lage der Region sicherstellen soll. Zugleich treten Machtkonstellationen zu Tage, die sich zu Gunsten der Investoren auswirken, insbesondere wenn diese ihren Einfluss als Druckmittel gebrauchen (siehe zur Zeit als Ressource von Macht: Schwartz 1975 und Kap. 7).14 Auch deshalb ist die Baubehörde dazu geneigt, die behördlichen Zeitstrukturen weitestgehend beizubehalten, sie dienen einerseits der Kontrolle der eigenen Arbeit und der Sicherstellung einer relativ großen Autonomie, anderseits der egalitären Behandlung der Klienten. Die Gestaltung des Intervalls zwischen Baueingabe und Entscheid folgt zwar administrativen Routinen, im praktischen Handlungsvollzug werden die Routinen und Vorstellungen über den korrekten Ablauf aber jeweils an die Situation angepasst.15 In der alltäglichen Praxis des Umgangs mit den Bauprojekten lässt sich – entgegen der Maxime der Gleichbehandlung –

14 Im Zuge dessen ließe sich beobachten, dass den Projektverfassenden hier bestmögliche Bedingungen geschaffen werden, um die Umsetzung des Großprojektes Europuls zu realisieren. Nicht die Bauwilligen sind es, die in diesem Fall einen großen Teil des Konvergenzproblems zu lösen haben, sondern die Bauverwaltung. Verallgemeinernd ließe sich deshalb festhalten, dass je höher der gesellschaftliche oder ökonomische Status eines Bauwilligen, desto geringer gestaltet sich die Mobilitätsbereitschaft hin zum Gesuchsteller (zur Vertiefung vgl. Kap. 5.2 und Kap. 9.3). 15 »People often have plans of action mapped out in their heads, but may need to change that plan depending on what is actually happening in a specific situation. They use their embodied skills or past experience to get them through the situation« (Mei 2011:17; vgl. auch Suchman 2007:72).

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beobachten, dass das Passieren des ersten administrativen Nadelöhrs, wie auch die nachfolgenden Wege der Bauprojekte in der behördlichen Maschinerie, nicht identisch ablaufen, denn jedes Projekt verfügt, jenseits der normativen Regelanwendungen über eine unverwechselbare Identität, eine Unwiederholbarkeit und folgt einer zeitlichen wie strukturell variierenden Handlungsstruktur. Mehr noch, im stark reglementierten Prozess taucht im Zuge der Baueingabe bisweilen die Handlungsoption der Ausnahme als methodisches Werkzeug der Bauverwaltung auf. Dabei äußert sich das rational-bürokratische Organisationsprinzip im Sinne Max Webers in einer offiziellen Neutralität (Weber 1922, siehe auch Kap. 2.3). Dieser Maxime folgend ist jeder Fall gleich bzw. gleich zu behandeln, ungeachtet seiner individuellen Fallgeschichte. Der Baueingabe wohnt in diesem Sinne auch ein demokratisches Moment inne – denn mit ihr lässt sich die letztendliche Baubewilligung begrifflich genauer als eine Verfügung beschreiben, die laut Verwaltungsrecht: »bezweckt eine bestimmte Tätigkeit oder ein bestimmtes Vorhaben in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Ordnung zu erlauben« (Tschannen et al. 2009:24). Der Bauwissenschaftler Paul Mayer-Meierling führt aus: »die Baueingabe ist eine wichtige Zäsur im Bauprozess, denn das Bewilligungsverfahren ist ein rechtlicher und qualitativer Filter bezüglich der Realisierung eines Projektes. Mit ihm wird das Projekt erstmals öffentlich.« (2010: 293) Die Baueingabe und mit ihm das Baubewilligungsverfahren greifen als Zäsur folglich als Regulationsinstrument (regulatives Moment) in die physische als auch materielle Umwelt ein und ordnen dabei Gesellschaftliches. So weist Mayer-Meierling neben den rechtlichen Verfügungen ebenso auf eine qualitative Komponente des qualitativen Filters hin, wie die Öffentlichkeit, der sich das Bauvorhaben spätestens zum Zeitpunkt der Baueingabe erstmals stellen muss. Im verwaltungspraktischen Handeln kommt es im Alltag zu einer Dialektik zwischen dem rationalen Prinzip der Neutralität, der Wahrung der rechtlichen Grundsätze und den korrespondierenden qualitativen Ansprüchen sowie der Individualität eines jeden einzelnen Falles.16 In der Episode der Baueingabe wird

16 Bereits in den 1980er Jahren haben ethnomethodologische Studien bürokratischen Handelns im sozialen Bereich jene Dialektik genauer analysiert, wie Stefan Wolffs Studie zur Produktion von Fürsorglichkeit (1981) oder Christa und Thomas Fengler (Fengler & Fengler 1980), die das alltagspraktische Handeln in Sozialpsychiatrien untersuchten. Diese Studien zeigen die Herausforderung im organisatorischen Arbeitsalltag zwischen Regelbefolgung und Regelanwendung, um Fürsorglichkeit (Wolff) oder Heilung (Fengler & Fengler) zu produzieren, auf.

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diese Herausforderung evident. Dabei spannt sie sich zwischen den beiden Polen der Schlange und der Ausnahme auf. Prinzip der Schlange Wie die obigen Ausführungen zeigten, vollzieht sich das administrative CaseMaking nicht ausschließlich auf der Blaupause des gesetzlich normierten Bewilligungsverfahrens, dessen Regeln und Normen eine Gleichbehandlung vorsehen. Hier tritt im Zuge der administrativen Praxis die Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung explizit zu Tage, wenn sie mit der Deklaration der Bauprojekte als Ausnahme die Zeit als methodisches Instrument an das Bauprojekt in Arbeit anlegt. Entgegen der Methode der Ausnahme ließ sich aber vielfach beobachten, dass Bauprojekte von der Bauverwalterin in der Reihenfolge ihres Eintreffens bearbeitet werden. Mit der Baueingabe übergeben die Gesuchsteller die Bauprojekte in die administrative Maschinerie und dieser Art wird von der Bauverwalterin eine Einordnung des Projekts in amtliche Zeitstrukturen vorgenommen. Das Projekt wird in den Rhythmus der linearen Abfolge der Arbeitszeit und der zeitlichen Markierungen des Bauamtes eingeordnet. Die zeitlichen Markierungen bestehen aus: den zweiwöchentlich stattfindenden Baukommissionssitzungen, den unregelmäßig abgehaltenen Sondersitzungen oder Stadtbildkommissionssitzungen, Verfahrens-, Einsprachefristen, Verfahrenskoordination, Arbeitszeitenregelungen, Überstunden, Urlauben, Kadersitzungen, wöchentliche Rapporte oder dem Prinzip der Aktenmäßigkeit. Im praktischen Arbeitsvollzug bedeutet das Eintreffen eines neuen Baugesuchs immer auch das Unterbrechen der Arbeit an einem gerade Vorliegenden. In der zweiten Vignette im obigen Beispiel wird die Verwalterin durch das Klingeln an der Tür in ihrer Arbeit am PC unterbrochen, sie erhebt sich und geht zum Tresen, um die Klientin zu empfangen. Im Falle der postalischen Zustellung unterbricht das Zustellen der Post den täglichen Strom der Handlungen weniger, da deren Öffnung von den Mitarbeitern viel mehr gesteuert werden kann (für das Jonglieren mit den Projekten in unterschiedlichen Verfahrensstadien siehe Kap. 6ff.). Die behördlichen Zeitintervalle und das Prinzip der Gleichbehandlung setzt voraus, dass alle Gesuche im Takt des Eingangs und des nachgeordneten Takts des administrativen Prozedere behandelt werden. Kein Projekt ist dem anderen vorzuziehen. Der praktische Vollzug der Schlange 17 ermöglicht der Bauverwalterin, einen geordneten

17 Der Soziologe Barry Schwartz lieferte in seiner Publikation Queuing and Waiting (1976) eine umfassende Analyse des Phänomens der (Warte-)Schlange. In der Folge entstanden einige sozialwissenschaftliche Studien, die sich dem Phänomen der

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Rhythmus der Fallarbeit zu bewahren. Dabei ist festzuhalten, dass das Prinzip der Schlange als praktische Methode der Gleichbehandlung aller Fälle die Organisation des Arbeitsalltags und dessen Kontrolle sowie das Einhalten der administrativen Zeit ermöglicht.18 In der alltäglichen Praxis bedeutet dies die Akzeptanz einer neuen Zeitstruktur aller Beteiligten, die mit der chronologischen Zeit oder der subjektiven Problemzeit nicht mehr viel gemein hat. In der Bauverwaltung greift der arbeitspraktische Vollzug der Schlange resp. der Warteliste in einer abstrakten Version. Es sind per se nicht die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller, die in langen Schlangen auf dem Gang des Bauamtes warten, sondern es findet eine physische und psychische Trennung statt: Die Baugesuche befinden sich in der Reihenfolge ihrer Eingabe in einer Warteschleife und werden zumeist in einem Aktenschrank der Bauverwalterin aufbewahrt (siehe Kap. 6). Die Gesuchsteller hingegen warten ortsunabhängig auf den Entscheid. Taktiken der direkten Manipulation und der Tricks (Paris 1998:720), mit denen der Gesuchsteller versuchen könnte, sich vorzudrängeln oder das eigene Anliegen zu beschleunigen, finden deshalb nicht im Medium der herkömmlichen Warteschlange statt. Es sind vielmehr die Mitarbeitenden der Bauverwaltung, die das rationale Prinzip der Schlange als arbeitspraktische Methode durchbrechen oder bewahren. In diesem Möglichkeitsraum wird das administrative Case-Making im Zuge der Diagnostik und/oder Deklaration als administrativer Fall oder darüber hinaus als Ausnahme vollzogen. 5.1.3 Fazit: Ereignis-Prozess-Relationen der Baueingabe In der ersten Analyse des Case-Makings nahm ich mich der Episode der Eingabe/Anfrage an. Hierbei lassen sich dreierlei theoriegenerierende Destillate herausstellen: Es zeigt sich, dass die Episode der Eingabe eng mit der Episode des Prüfens verknüpft ist – beide markieren wichtige Qualifizierungsschwellen im Fertigungsprozess, die das Bauprojekt für den nachfolgenden Schritt vorbereiten. Das Moment der Eingabe bringt immer auch die Praxis der (Vor-)Prüfung mit sich, dabei scheint es, als würde sich die Episode des Prüfens in den unterschiedlichen funktionellen Episoden des Fertigungsprozesses auflösen (Kap. 6ff.).

Schlange und des Wartens in Ämtern, Fahrstühlen oder Flughafenterminals (siehe z.B. Wolff 1981, Paris 1998, Hirschauer 1999 oder Potthast 2002) widmeten. 18 »Wer zuerst kommt mahlt zuerst – egal, ob auf irgendeiner wissenschaftlichen, professionellen, rechtlichen oder gesellschaftlichen »Meßlatte« Unterschiede zwischen den Schlangen-Mit-Gliedern konstruierbar wären. In der »Schlange« sind zunächst einmal alle gleich.« (Wolff 1981:155)

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Gleiches gilt für den Passagepunkt, der nicht erst mit dem Bewilligungsentscheid in der Baukommissions- resp. der Gemeinderatssitzung zu verorten ist, sondern auch für die Situation der Eingabe geltend gemacht werden muss. Denn im Zuge der Eingabe wird das Bauprojekt gleichsam in den Behördenapparat übersetzt und den administrativen Zeitmechanismen übergeben, die von nun an die Geschicke des Projekts mitbestimmen. Zudem wurden mit der diagnostischen Praxis der Bauverwalterin und dem damit einhergehenden Akt der Kategorisierung (Projekttyp, Verfahrensart) Feststellungen am Bauprojekt befestigt, welche für die weiteren Bearbeitungsschritte entscheidend sind (z.B. das Drehen am administrativen Zeitrad, Kap. 9.3). Das Moment der Eingabe ist dieserart eng verwoben mit der Episode des Prüfens und des Passagepunkts. Für die Gesuchstellenden ist die Bearbeitungszeit immer ein Zustand des Noch-Nicht, genauer ein Zustand des Noch-Nicht-Bauen-Könnens, sodass viele Gesuchstellende den Bewilligungsprozess als ein störendes Hindernis betrachten, zumal sie den Prozess im Zuge der Transformation von der eigenen Erlebnis- resp. Problemzeit in amtliche Zeitsysteme und die vermeintliche Uneinsehbarkeit der administrativen Prozesse – verstärkend wirkt sich auch die relative Verschlossenheit der Bauämter und deren Aufteilung in Vorder- und Hinterbühnen aus (Kap. 4.1) – kaum einschätzen können und die benötigte Bearbeitungszeit nur als ungefähren Richtwert aus den gesetzlichen Vorgaben ermessen können. Die administrative Praxis tritt hier als störende Wirkung für die Bauwilligen zu Tage. Doch um es mit Michel Callon zu sagen, entfallen auf Grund der vom Gesetzgeber auferlegten Bewilligungspflicht als obligatorischer Passagepunkt (OPP) die ersten drei Phasen der Übersetzung (Problematisierung, Interessment und Enrolement) und es greift sofort das Moment der Mobilisierung (Callon 1986, Kap. 2.4), welches (wie gezeigt) ein Set von Methoden beinhaltet, das von der Bauverwaltung angewandt wird, um sicherzustellen, dass alle beteiligten Akteure durch den Passagepunkt gelangen. In der vorliegenden Untersuchung stellt das Moment der Eingabe einen entscheidenden Passagepunkt dar, den das Bauprojekt durch die Mobilisierung eines komplexen Netzwerkes, bestehend beispielsweise aus dem oben beschriebenen Tresen, der Zugangsarbeit der bauwilligen Besucherin und der prüfenden und kategorisierenden Praxis der Bauverwalterin passiert. Zusammengenommen führen die Bewegungen zur Beförderung des Bauprojektes durch das administrative Nadelöhr. Mit der Episode der Eingabe wird ein neuer Fertigungsprozess angestoßen, wobei sich das Bauprojekt vor allem im Moment der Anfrage in den unterschiedlichsten Planungsstadien befinden kann und im Gegensatz dazu bei Eingabe die Planung weit fortgeschritten ist. Jene Unterschiede verschleiern den Mo-

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ment der Eingabe als Ereignis, da vielfach im Vorfeld der Kontakt mit dem Bauamt gesucht wird und sich der Übergang in die administrative Maschinerie mehr oder weniger schleichend und diffus vollzieht. Dennoch stellt der Moment der Baueingabe eine Besonderheit dar, den ich vor dem Hintergrund der ersten Verdichtung der administrativen Praxis mit dem Terminus des Case-Makings fasse, da dieser vor allem auf den prozesshaften Charakter verweist. So analysieren beispielsweise Thomas Scheffer das Adversarial Case Making (2010) oder Lucy Suchman die Aktenarbeit eines Anwaltsbüros (2000) als Case-Making. Im Lichte dessen bezeichnet Case-Making nicht nur einen Moment, sondern einen Prozess resp. Verfahren von der Eingabe bis zum Entscheid. Doch mit Annemarie Mol (siehe oben, Mol 2002) wird deutlich, dass es trotz des prozesshaften Charakters einen Moment gibt, indem das Bauprojekt erstmals zu einem administrativen Fall wird, in dem es benannt und kategorisiert wird. Daran richten sich die weiteren Bearbeitungsschritte aus. Die Praxis des Case-Makings endet nicht selten mit der oben beschriebenen Praxis der Eingabe/Anfrage. Dennoch lassen sich ebenso oft weitere Fertigungsschritte beobachten, um aus einem Bauprojekt einen administrativen Fall zu machen. Dies im Modus der Arbeitssession der Sprechstunde. Nachfolgend werde ich mich auf jenes Zwischenspiel der administrativen Praxis konzentrieren, um die Forschungsfragen nach dem Anstoßen eines neuen Bewilligungsprozesses und der Art und Weise wie ein Bauprojekt in das Bauamt eingespeist wird, welche Teile des komplexen sozio-materiellen Netzwerks aktiviert werden (Forschungsfragen 1 und 2, Teilfragen Kap. 1.1.2), zu beantworten.

5.2 D IE S PRECHSTUNDE : E INE ARBEITSSESSION ALS I NTERMEZZO DER ADMINISTRATIVEN P RAXIS ? Im vorliegenden Kapitel analysiere ich ein Intermezzo. Genauer eine weitere Arbeitssession, die die Bauverwaltung braucht, um städtebauliche Projekte zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen – die zugleich aber ein Instrument darstellt, welches nicht für jedes Projekt zum Zuge kommt und auch im alltagspraktischen Handeln der Bauverwaltung im Gegensatz zur Episode der Eingabe keine herausragende Rolle spielt. Diese Arbeitsepisode ist letztendlich als eine Verlängerung der zuvor analysierten Episode der Eingabe/Anfrage zu verstehen (Kap. 5.1), da im Forum der Sprechstunde weitere Qualifizierungsarbeiten geleistet werden, um das Bauprojekt in die administrative Maschinerie einzugeben. Das Case-Making wird vervollständigt. Das Bauprojekt wird zu einem administrativen Fall. Die Episode der Sprechstunde verdeutlicht, dass für manche Projek-

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te ein Mehraufwand an Übersetzungsarbeit in einen administrativen Fall notwendig ist. Im Lichte dessen verweise ich mit dem Begriff des Intermezzo, des Zwischenspiels, auf eine Episode, die durchaus Relevanz besitzt, aber nicht (wesens-)notwendig ist, denn ein Projekt kann auch ohne diesen Schritt eingegeben werden. Gleichwohl öffnet die Verwaltung einen Möglichkeitsraum, der der Fallherstellung dienlich ist und einen direkteren Kontakt zwischen Bauverwaltung und Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern bereitstellt. Im Folgenden dient die Vignette einer Sprechstunde, die aus Gründen der Lesbarkeit der analytischen Ausführungen in zwei Hälften unterteilt ist, als Grundlage der Analyse. Im ersten Teil stehen besonders die materiellen Inputs, Instrumente und Raumkonstellationen im Vordergrund, die im Kontrast zur funktionellen Episode der Baueingabe oder Anfrage am Schalter (Kap. 5.1) eine Veränderung der normativen Mikroökologie und Interaktion zwischen Bauverwaltung und Gesuchstellerinnen/Gesuchstellern zu deren Gunsten verdeutlichen. 19 Im zweiten Teil liegt das Hauptinteresse weniger in der Analyse der Handlungen in situ als in der Auseinandersetzung mit dem verdichteten Auszug eines Gesprächsinhaltes zwischen Hochbauleiter und Architektin. Dies um – in Rückgriff auf die zweite Forschungsfrage20 – Qualitätsdiskussionen, die in der Episode der Sprechstunde jenseits funktioneller Qualitätsmaßstäbe erstmals aufscheinen, nachzuspüren. Dieserart finden Tastbewegungen zwischen dem Hochbauleiter und der Architektin statt. Die Analysestränge beider Teile werde ich im Fazit zusammenführen. Sie können als aktive Qualifizierungsarbeit des Bauprojektes gelesen werden.

19 Vor dem Hintergrund meiner vierten Forschungsfrage nehme ich dieserart eine Erweiterung der TSA um die materielle Dimension vor (vgl. Kap. 1.1.2). 20 Wie bzw. inwiefern werden Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert? (Kap. 1.1.2).

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5.2.1 Sprechstunde I: Positionierung im Sitzungszimmer Abb. 22: Sprechstunde, Infografik 1 Kilo, Schlussbericht (Wezemael et al. 2014:81).

Mit der Vignette der Sprechstunde führe ich die Leserinnen und Leser von der Schaltersituation in das Sitzungszimmer eines Bauamts. Der Wechsel zwischen den zwei Foren erfolgt auf Grund der diagnostischen Praxis der Bauverwalterin, die für das einzugebende Bauprojekt eine höhere Komplexität und Tiefenerwartung feststellt. In dessen Folge ist das Forum des geöffneten Schalters nicht der passende Ort, um die komplexen Angelegenheiten des Bauprojekts in Kürze stehend zu diskutieren (vgl. Kap. 5.1). Die Verwalterin vereinbart auf Grund ihrer Feststellung einen Termin zwischen beiden Parteien, sodass sich nachfolgend der Leiter des Bauamts und die Architektin zu einem Gespräch im Sitzungszimmer der Verwaltung zusammenfinden (siehe unten). Der Hochbauleiter empfängt

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die Architektin im Türrahmen des Sitzungszimmers und bittet sie, Platz zu nehmen – er selbst hat seine Unterlagen bereits im Raum deponiert.21 Situationsbeschrieb In dem kleinen Sitzungszimmer 23.1 der Bauverwaltung in Wetzikon, das Sitzungen und Besprechungen vorbehalten ist, füllt ein großer Sitzungstisch den Raum. Dieser ermöglicht, großmaßstäbliche Pläne und Modelle auszubereiten und bietet zugleich einer Gruppe von bis zu zehn Personen adäquate Sitzgelegenheit. Die Wände sind schmucklos, bis auf einen Zonenplan an der einen und an der gegenüberliegenden Wand ein Infoplakat zum Baubewilligungsablauf. Der Hochbauleiter hat an der Stirnseite des Tisches vor seinen deponierten Unterlagen Platz genommen. Es sind dies sämtliche Unterlagen, die er bisher zum Bauprojekt erhalten hat, ebenso eigene Notizen, Stifte, Block und das Bau- und Planungsgesetz Bd. 2. Die Architektin sitzt zu seiner Rechten. Auch neben ihr liegen Notizen, ein Block, Stifte sowie ein Ordner mit Projektunterlagen (vorwiegend Visualisierungen); unter dem Tisch eine Schultertasche mit weiteren Materialien. Beide haben genügend Armfreiheit, um sich nicht zu berühren. Zwischen ihnen liegen Renderings und ein Situationsplan 1:100 (Vignette 4a, Sprechstunde zwischen Hochbauleiter und Architektin, Situationsbeschrieb).22 Raumpositionen zur Situationsdefinition Bereits die deskriptive Darstellung der Raumverhältnisse und die eingenommenen Sitzpositionen der Akteure verdeutlichen den Unterschied zur materiellen Infrastruktur (Schalterraum und gegenständliche Artefakte) und der damit einhergehenden agency (Handlungsträgerschaft) der zuvor analysierten Eingabe/Anfrage-Episode zu den Öffnungszeiten des Bauamtes. Dort nimmt der Tresen als deutliche Distanzmarkierung und Raumschranke eine klare Trennung zwischen Bauverwalterin und Gesuchstellerin, der lediglich ein kleiner Bereich der administrativen Hinterbühne zugestanden wird, vor (siehe Abb. 23). Den Tresen und die sich zu Gunsten der Bauverwalterin ergebende Raumsouveränität nutzt die Verwalterin als Arbeitsinstrument, welches einen kurzweiligen Kontakt zwischen beiden Parteien stimuliert. Die Einladung der Projektverfasserin zu

21 Ich selber wohne der Sitzung in einem diskreten Abstand bei, gleichwohl werde ich gelegentlich in das Gespräch involviert, was ich aber zu vermeiden versuche. 22 Die Infografik wird zu einem anderen Zeitpunkt im Sinne der empirischen Daten nachbearbeitet. Der Hochbauleiter wird vor Kopf platziert, die Architektin zur Rechten des Leiters mit genügend Abstand, sodass beide ausreichend Platz zum Agieren haben. Sie ist dem Schlussbericht entnommen (Wezemael et al. 2014:81).

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einem festen Termin und das Stattfinden der Sprechstunde im Sitzungsraum der Bauverwaltung durchbricht hingegen jene distanzierte normative Ordnung der Verhandlung am Schalter. Für die Klienten bedeutet dies eine Entlastung der räumlich manifestierten Machtverhältnisse, denn die Agency des Sitzungszimmers und dessen struktur-räumliche Ordnung mit dem großen Sitzungstisch und den egalitären Sitzgelegenheiten (gleiche Stühle, Varianz der Platzwahl) führen zu einer beinahe symmetrischen Verteilung der Zugänge23 – Machtgefälle zwischen den Personen sind auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Abb. 23: Raumpositionen zur Situationsdefinition, eigene Darstellung.

Am Schalter

Im Sitzungszimmer

Architektin

Hochbauleiter

23 Der Soziologe Robert Schmidt beschreibt die neutralen und egalitären Sitzgelegenheiten sowie die Farbgestaltung eines Softwarebüros in Anlehnung an Emile Durkheim 1998 (1912) als Totems (Artefakte als Klassifizierungselemente) der Rationalität und Funktionalität, deren Neutralität niemanden im Vorfeld tradierte Rechte zuschreibt (2012).

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Auch die Einladung in die Räumlichkeiten der Bauverwaltung zu einer intimeren Gesprächssituation auf der administrativen Hinterbühne verstärken diesen Effekt und mildern die symbolische Zurichtung eines Bauherren resp. Experten im Zuge des Durchschreitens des Bauamtes ab (siehe Kap. 4.1). Zudem fördert das Sitzen über Eck (Hochbauleiter an der Stirnseite des Tisches, im 90 GradWinkel dazu die Architektin) nach dem amerikanischen Sozialpsychologen Michael Argyle24 zugleich die Konversation – wobei die Stellung Seite-an-Seite als kooperativ angesehen wird im Unterschied zum direkten Gegenübersitzen, das eher Konkurrenzsituationen markiert (Argyle 1975:287, Kap. 7). Wichtig bei der Wahl der Sitzposition ist auch die Betrachtung der visuellen Werkzeuge (Pläne, Renderings), die durch die Nähe des Sitzens über Eck gegeben ist. Dementsprechend verweisen die Raumpositionen und deren Relationen einerseits auf den Gesprächscharakter (Seite-an-Seite hier: übers Eck = kooperativ), auf die symbolische Stellung der Teilnehmer und die Raumarbeit, die sie vollführen, um ihre Position einzunehmen bzw. aufrecht zu erhalten andererseits. In der vorliegenden Situation wird ersichtlich, dass nicht nur die Architektin aktiv Raumarbeit leistet. Auch der Hochbauleiter begibt sich aus seinem Büro in ein leeres Sitzungszimmer und verzichtet auf die allein schon strukturräumlichen Markierungen seines Arbeitsraums (siehe Kap. 4.1 und Kap. 5.1). Allerdings relativiert er durch die Platzmarkierung im Vorfeld der Sitzung die völlige Aufgabe territorialer Grenzziehung, indem er seine Unterlagen auf dem Tisch positioniert. Durch die vorgelagerte Platzmarkierung definiert er seine Rolle als bauamtlicher Vertreter der Obrigkeit und zeigt der hergebetenen Klientin ihre Grenzen auf. Er überblickt die Szenerie sowie den Ausgang und zieht qua Sitzposition die Aufmerksamkeit auf sich. Zugleich aber hat er in situ aktive Raumarbeit zu leisten, um ein angemessenes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz25 herzustellen bzw. aufrecht zu erhalten und ein Mindestmaß an Amtlichkeit zu bewahren. Es lässt sich festhalten, dass die Bauverwaltung mit der Terminvereinbarung, deren beiderseitige Wahrnehmung und intimere Treffen im Sitzungszimmer im konkreten Fall die Dialektik des Verhältnisses von demokratischer Obrigkeit und Bürger

24 Argyle gilt als einer der Pioniere in der Untersuchung non-verbalen Verhaltens und lieferte in seiner Publikation Bodily Communication (1975) eine umfassende Darstellung und Strukturierung der Sitzpositionen und des räumlichen Verhaltens als Ausdruck der non-verbalen Kommunikation im Allgemeinen. 25 Abermals sei in diesem Kontext auf Argyle verwiesen, der eine Übersicht über vier Zonen der Nähe (intim, persönlich, sozial-beratend und öffentlich) bietet (1975:282). Das obige Beratungsgespräch changiert demnach zwischen persönlich und sozialberatend.

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auf den ersten Blick auflöst, sodass der Hochbauleiter zwischen sich und der Gesuchstellerin eine fiktive Interessengemeinschaft (Wolff 1981:139) produziert. Auf diese Weise wird mit dem Zusammenkommen von Hochbauleiter und Architektin im Sitzungszimmer das Machtverhältnis und die Raumsouveränität zwischen beiden Akteuren verringert. Nicht zuletzt, weil die materielle Infrastruktur den Fluss der Tätigkeiten rahmt, unterstützt und den Handlungsverlauf mitprägt. Die Sprechstunde ist summa summarum als Instrument der Verwaltung zur Markierung der Episode als Arbeitssession zu verstehen, die den Charakter eines gemeinsamen Arbeits- resp. tiefgründigen Beratungskontakts forciert. 5.2.2 Phänomen der Stellvertretung Bevor der zweite Teil der Vignette verfügbar gemacht, in der eher auf eine thematische Betrachtungsweise abgestellt wird, gilt es, das bereits in den letzten beiden Kapiteln (Kap. 4.1 und Kap. 5.1) auftauchende Phänomen der Stellvertretung aufzugreifen, da in den Verhandlungen mit der Bauverwaltung oftmals nicht die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller selbst präsent sind, sondern Architektinnen und Architekten. Vertritt der Hochbauleiter bzw. die (Bau-)Verwaltung im Allgemeinen als ausführendes Organ von Gesetzen die politische Gemeinde, im Zuge dessen das Verwaltungshandeln eine demokratische Obrigkeit auf administrativer Ebene verkörpert und symbolisiert (ausführlich siehe Kap. 2.3 und 2.3.3), sind es auf der Ebene des Gesuchstellers oftmals Experten des Städtebaus. In den meisten Kantonen der Westschweiz (Freiburg, Genf, Neuenburg, Waadt) und des Tessins ist das Hinzuziehen einer Architektin, eines Architekten im Zuge des Baubewilligungsverfahrens Pflicht, hingegen finden sich in der Deutschschweiz und im Wallis keine gesetzlichen Regelungen zu diesem Sachverhalt (Gilgen 2005:487). Dennoch werden auch hier bei einem Großteil der Bauprojekte in der Phase der Bewilligung Architektinnen und Architekten für den Kontakt mit den Behörden eingesetzt. Und auch im Leistungsmodell LM 112 des SIA umfassen die Aufgaben der Architektinnen und Architekten das Erstellen des Baugesuchs und den Antrag an die Behörden. Allerdings finden Arbeitssessionen (wie Beratungsgespräche oder Stadtbildkommissionssitzungen) keine Erwähnung, lediglich das technische Anfertigen der Unterlagen zur Gesucheingabe. Die Vertretung des Bauherrn durch den Architekten bedient mindestens dreierlei Aspekte: Erstens wird unzureichende Fachkompetenz seitens der Gesuchsteller ausgeglichen, zweitens ist der Kontakt mit den Ämtern auch die logische Einbettung der Begleitung des Bauprozesses durch den Architekten von der Vorbereitungsphase, der Projektierungsphase über das Baubewilligungsver-

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fahren, bis hin zur Ausführung und der abschließenden Qualitätskontrolle (Meyer-Meierling 2010), drittens kann die Auslagerung des Kontakts mit den Ämtern als eine Geste der Macht begriffen werden. Denn wie der Psychologe Robert Levine in seinen Zeitstudien verdeutlicht, wird der Kontakt mit der Bürokratie gerade von einer wohlhabenden Gesellschaftsschicht an externe Dienstleister ausgelagert (1997).26 Die Vertretung der Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller durch Architektinnen und Architekten kommt auch der Bauverwaltung entgegen, die, auf Grund der Fachkompetenz, ein Mindestmaß an Vertrautheit mit den gesetzlichen Normen und Regeln der Baukunst erwarten kann.27 Vor dem Hintergrund dessen begegnet die Bauverwaltung während des Implementierungsprozesses neben der expliziten Einladung von Experten des Städtebaus in Fachgremien (siehe Kap. 5.6) in der alltäglichen Praxis oftmals Architekten, mit denen die Baugesuche anstelle des Gesuchstellers besprochen werden. 5.2.3 Sprechstunde II: Tastbewegungen zwischen Hochbauleiter und Architektin Der zweite Teil der Vignette gibt einen Einblick in die Gesprächsinhalte des Treffens zwischen dem Hochbauleiter und der Architektin, die den Bauherrn28 an der Sprechstunde vertritt. Die Aufführung der Sprechstunde ist dabei an die

26 Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die Ausführungen zur Kommstruktur der Bauämter (Kap. 4.1 und Kap. 5.1), die deutlich machen, dass mit der Zunahme des gesellschaftlichen Status eines Gesuchstellers die Mobilitätsbereitschaft hin zum Klienten sinkt. 27 Allerdings wird der Kontakt der Architekten mit den Ämtern in den Fach- und Lehrbüchern des Städtebaus selten ausführlich thematisiert (siehe bsp. Deplazes 2005, Neufert 2005, Menz 2009, Meyer-Meierling 2010), was sich auch in der Ausbildung an den Hochschulen widerspiegelt. Die studentischen Entwurfsprojekte sind zu einem Großteil hypothetisch und müssen keinerlei Gesetzesvorgaben einhalten. Die Zusammenarbeit wird erst nach der Ausbildung in der alltäglichen Berufspraxis geübt (siehe auch Kap. 4.1, Vignette). 28 Das Bauprojekt: Der Bauherr erwarb von der Gemeinde am Stadtrand ein Grundstück mit einem Bauernhof. Es ist eine sanfte Renovierung und Umwandlung des Bauernhofs in ein Mehrgenerationenhaus mit Kindergarten und Bioladen im Erdgeschoss geplant. Um den Hof herum sollen rechts vom Bauernhaus ein Veranstaltungspavillion, linkerseits ein Mehrfamilienhaus errichtet werden. Dies, um das Mehrgenerationenprojekt durch die Mieteinnahmen finanziell abzusichern.

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Körper und Artefakte der im Vorfeld dargestellten materiellen und symbolischen Ordnung des Sitzungszimmer 23.1 resp. des Verwaltungsgebäudes gebunden (siehe oben). Das Gespräch ist seit 30 Minuten im Gang. In dessen Verlauf stellt die Städtebauerin dem Amtsleiter Fragen zu den technischen Qualitätskriterien (Baulinien und Grenzabstände) sowie zur Zugänglichkeit zum Grundstück und der Parkierung. Sie deutet dabei regelmäßig auf die Pläne und Renderings, die sie mitgebracht hat und sucht den Blick des Hochbauleiters. Der Leiter ist ihr zugewandt, lehnt sich des Öfteren über den Tisch, um die Pläne und Visualisierungen zu begutachten und die Fragen der Architektin zu beantworten. Hochbauleiter und Architektin im Gespräch29 Die Architektin notiert sich etwas, schaut zum Leiter und fragt: »Wenn wir an dieser Stelle einen Fahrstuhl einbauen (zeigt auf den Visualisierungen die Stelle), dann müssten wir an dieser Stelle (zeigt auf die andere Stelle) dem Gebäude (Mehrfamilienhaus) ein wenig mehr Volumen geben, was sagen Sie? Nach unseren Informationen stimmt dies mit den gesetzlichen Vorgaben überein.« Der Hochbauleiter zieht die Renderings näher zu sich heran und studiert sie erneut: »Diese Visualisierungen geben hier wenig Auskunft – Es braucht dafür Detailpläne! Ich möchte betonen, im Bezug auf ihre Fragen, dass Gesetz und Praxis oftmals nicht so recht übereinstimmen […].« Er sucht den Blickkontakt mit der Architektin. Dann schlägt er im vorliegenden Bau- und Planungsgesetz nach und sagt: »Aus rechtlicher Sicht spricht wahrscheinlich nichts gegen dieses Vorhaben.« Er wirft erneut einen Blick auf die Pläne. Dann: »Sie greifen da massiv in die Ästhetik ein. Eben durch diese (zeigt auf das Rendering) Vor- und Rücksprünge, die da entstehen…generell die Wahl der Regelüberbauung ist hier schwierig!«30 Die Architektin murmelt etwas Unverständliches. Es entsteht eine lange Pause. Der Hochbauleiter räuspert sich: »Ich denke wir kommen an dieser Stelle nicht weiter. Ich möchte das Projekt gerne in die Stadtbildkommission bringen! […](Vignette 4b Sprechstunde Hochbauleiter und Architektin im Gespräch).31

29 Verdichteter Auszug aus den Feldnotizen. 30 Statt eines Gestaltungsplans greifen die Projektverfasser auf die Regelüberbauung zurück. Dies mit bewusstem Verzicht auf den Mehrgewinn an Qualität, den ein Gestaltungsplan bringen kann, aber mit der Absicht, das Bauprojekt in der Regelbauweise einfacher durch den Bewilligungsprozess zu bekommen. 31 Nach der Besprechung stehe ich mit dem Hochbauleiter auf dem Gang des Bauamtes. Der Leiter zieht ein Fazit des Gesprächs, das hier in Form eines Gedächtnisprotokolls wiedergeben wird:

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Tastbewegung zwischen Verwaltung und Städtebau In einer Sprechstunde zwischen Verwaltung und Städtebau werden unterschiedliche Tastbewegungen32 vollzogen. Im obigen Gespräch möchte die Architektin herausfinden, wie die Verwaltung gegenüber dem Projekt eingestellt ist und der Hochbauleiter seinerseits ist an dem Niveau des Projekts und dem Entwicklungsstand interessiert (siehe auch Fußnote 61). Dieserart findet zunächst ein verbaler Austausch an Informationen anstelle der konkreten Arbeit am Objekt statt (Architektin versichert sich der gesetzlichen Regelungen, Leiter bestätigt diese), die symbolischen Investitionen befördern die Gesprächspraxis. So tritt die Verwaltung (hier der Hochbauleiter) generell beratend auf, wenn Unklarheiten

»Das Projekt ist nicht so kompliziert. Die Schwierigkeit liegt darin, eine gewisse Qualität zu erreichen. Deshalb ist es immer schwierig mit den »Taschenrechnerarchitekten«, die sich zu stark auf das Bau- und Planungsrecht beziehen und nicht im Sinne des Projekts denken, sondern zu stark im Sinne des Gesetzes! Wichtig ist, das Eis zu brechen. Dies machen aber die Wenigsten. Nehmen wir einmal an, dass bei einem Bauprojekt die Dachfläche auf der zu bebauenden Parzelle auf 20m2 festgelegt wäre. Der Architekt möchte aber gerne 30m2, weil es dem Projekt offensichtlich eine bessere Qualität brächte. Er rekurriert gegen die herkömmliche 20m2-Bestimmung – und gewinnt, weil der Vorschlag gut begründet wurde und in diesem Fall vernünftig und sinnvoll erscheint. Das Problem von Seiten der Architekten bzw. Bauherren ist, dass sie sehr viel investieren, wenn sie rekurrieren würden: Vor allem Zeit und natürlich Geld. Doch das Rekurrieren ist teilweise wichtig, wenn du etwas verändern willst. Aber wer will schon gegen eine Behörde rekurrieren?! Dieses Projekt (jetzt: das in der Sprechstunde Besprochene) braucht eine bessere Qualität, um wirklich gut zu werden! Hier passt einfach Nichts richtig zusammen. Das Baurecht ist nicht schwarz und weiß. Es ist immer eine Auslegungssache. Deswegen haben wir auch die Sprechstunden, um beratend zur Seite zu stehen. Wie sich zeigt, ist das Schwierigste immer die Frage der Gestaltung. Deshalb wird das Projekt in die Stadtbildkommission kommen. Wissen Sie, die Gemeinde ist ja nicht diejenige, die projektiert, sondern der Architekt. Aber am Ende fällt es eben doch auf die Gemeinde zurück, obwohl sie lediglich diejenige ist, die beurteilt.« (Gedächtnisprotokoll Sprechstunde, Fazit des Hochbauleiters siehe im Vergleich Kap. 7) 32 Vgl. dazu Mol 2002, die das Zusammenbringen unterschiedlicher Bewegungen, um eine Krankheit hervorzubringen, aufzeigt. In Analogie dazu vollzieht die Verwaltung Tastbewegungen als eine Praxis, um Bauprojekte zu begleiten, beurteilen und bewilligen.

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bei der Auslegung der gesetzlichen Regelungen bestehen und schaltet das Instrument des Beratungsgesprächs vor die Eingabe des Projekts in den behördlichen Apparat, um zusätzliche Qualifizierungsarbeit zur Baueingabe zu leisten. Doch zeigt sich im vorliegenden Fall zweierlei: Erstens, dass die Übersetzungsarbeit und damit die Qualifizierungsarbeit zwischen beiden Akteuren nicht reibungslos verläuft, denn die mitgebrachten Visualisierungen der Architektin greifen nicht (»Es braucht dafür Detailpläne«). Sie zeigen zwar das zu besprechende Bauprojekt, doch weder der Maßstab, noch die Art der Darstellung sind in der Lage, die Fragen der Architektin zu veranschaulichen. Die Forscherin Albena Yaneva spricht in diesem Zusammenhang von »making arguments for the building« (2009:120) und konkretisiert, dass verschiedene visuelle Werkzeuge (Diagramme, Pläne, Skizzen, Collagen und Renderings) ein Gebäude je unterschiedlich zu fassen vermögen – in deren simultanen Verwendung Städtebauer ein Projekt entwickeln. Ähnliches gilt für die Sprechstunde: Hier steht die Architektin vor der Herausforderung, eine adäquate Repräsentation des Projekts zur Verfügung zu stellen, die eine gemeinsame Gesprächsbasis zwischen Verwaltung und Städtebau bereitstellt. In einer Sprechstunde finden auf diese Weise zweitens, neben den symbolischen Distinktionsbemühungen (Bourdieu 1992) auch Tastbewegungen zwischen materiellen (visuelle Repräsentationen) und normativen (gesetzliche Regelungen) Inputs eines Bauprojektes statt, die der Zurichtung des Bauprojekts zur Baufreigabe dienen. Der Spielraum und das Verhältnis werden vor dem Hintergrund der konkreten Baueingabe zwischen beiden (in einer ersten Bewegung) ausgelotet. Es gilt, die technischen und die qualitativen Maßstäbe eines Bauprojekts im Beisein des administrativen Blicks (siehe Kap. 5.1) zusammenzubringen, sodass nicht nur von einem Austausch von Informationen zu sprechen ist, sondern von der konkreten Arbeit am Objekt in Form des gemeinsamen Auslotens des Spielraums zwischen technischen und qualitativen Ansprüchen. Hier ist eine Verschiebung der Argumentationsstränge zu beobachten, nicht der Hochbauleiter ist es, der aus der Rückendeckung des Baugesetzes argumentiert, sondern die Architektin, die sich durch Einhalten der gesetzlichen Regeln eine Prozessbeschleunigung erhofft. Der Bauherr, vertreten durch die Architektin, verfolgte das Ziel, das Bauprojekt in der Regelüberbauung einfacher durch den Bewilligungsprozess zu bekommen (Vignette 4b). Auf diese Weise zielt er auf das Vermeiden von Qualitätsdiskussionen zu Gunsten einer beschleunigten Prozessabwicklung (»[…] was sagen Sie? Nach unseren Informationen stimmt dies mit den gesetzlichen Vorgaben überein«). Der Hochbauleiter jedoch gewinnt im Laufe des Gesprächs den Eindruck, dass sich die Projektverfasser zu stark am Gesetz orientieren und die Qualität vernachlässigen (Die Schwierigkeit liegt darin, eine gewisse Qualität zu

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erreichen […] Hier passt einfach Nichts richtig zusammen. Das Baurecht ist nicht schwarz und weiß […], Fußnote 206). Deshalb beendet er das Gespräch mit dem Ergebnis, das Projekt in das Gremium der Stadtbildkommission (Kap. 7) zu bringen, um eine Qualitätsdiskussion zu stimulieren. Denn im Gegensatz zur Sprechstunde als Ort für Face-to-Face-Abwägungen und Beratung ermöglicht die Arbeitssession der Stadtbildkommission aktive Qualifizierungsarbeit am Objekt, da hier weniger auf die gesetzlichen Normen, Richtlinien und Regeln zurückgegriffen wird, als vielmehr auf das Wissen, die Erfahrung und die Expertise der externen Experten, an denen sich die Projektverfasser messen müssen.33 Gleichsam werden in einer Sprechstunde Tendenzen zur weiteren Projektentwicklung ausgelotet, an dessen Ende der Hochbauleiter eine Empfehlung ausspricht. Dem Hochbauleiter ist deshalb im Zuge der Aufführung daran gelegen, eine gewisse Machtposition – daher die symbolischen Inputs (Ausbreiten der administrativen Artefakte, Sitzposition) - aufrecht zu erhalten, um seiner Empfehlung am Ende der Sprechstunde Gewicht zu verleihen.34 5.2.4 Fazit: Sprechstunde als Effekt und Zwischenspiel des Verfahrens Mit der in der Kapitelüberschrift gestellten Frage: »Die Sprechstunde: Eine Arbeitssession als Intermezzo der administrativen Praxis?« zielte ich zum Ersten auf die verlängerte Praxis des Case-Makings ab, die eingesetzt wird, um aus einem Bauprojekt einen administrativen Fall zu machen; zum Zweiten auf das Verhältnis zwischen dem Ereignis der Sprechstunde und dem Bewilligungsprozess. Dabei muss die Bedeutung des Ereignis der Sprechstunde jeweils im Bezug auf den gesamten Prozess beurteilt werden, weshalb die Episode der Sprechstunde als Effekt und Zwischenspiel des Verfahrens gedeutet werden kann, denn erst der Prozess lässt die Akteure ihre Verhandlungspositionen einnehmen (Scheffer 2008). Die Stellung der Episode im Prozess gibt darüber hinaus Hinweise auf deren Relevanz (siehe auch Kap. 5.1). Diese weist die Sprechstunde als relevant. aber nicht kontingent aus, denn die Sprechstunde wird nicht auf Grund normati-

33 Die Diskussionen können auch in normative Diskussionen gefangen sein – dort auf der Ebene der qualitativen Maßstäbe des Städtebaus (siehe Kap. 7). 34 Lässt eine Sprechstunde im Vorfeld Schwierigkeiten erwarten, sei es wegen eines komplizierten Sachverhaltes oder einer machtvollen Position des Gesuchstellers (wichtiger Investor, versierter Experte des Städtebaus…), lädt der Hochbauleiter seinerseits Experten (symbolischer Input) zur Unterstützung der eigenen resp. der Position der politischen Gemeinde hinzu, um der Stimme mehr Gewicht zu verleihen.

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ver Vorgaben aufgeführt, sondern weil sie den Akteurinnen und Akteuren im Rahmen des Prozesses zur Beförderung des Objektes notwendig erscheint. Sie wird unter Berücksichtigung der organisationsoffiziellen Zeitstrukturen (Baukommissionssitzungen, Arbeitszeitenregelungen, Überstunden, Urlaube, Kadersitzungen, wöchentliche Rapporte…) relativ spontan in die Arbeitswoche eingebettet. Zugleich ist sie weder für die Bauverwaltung noch für die Gesuchsteller bindend, sodass sie keinen obligatorischen Passagepunkt bezeichnet (OPP), der einen Prozess überhaupt erst anstößt (Baueingabe, Kap. 5.1), ihn beendet (Baukommissionssitzung, Kap. 8), eine entscheidende Wende gibt oder Themen Relevanz verleiht (Stadtbildkommission, Kap. 7). Dennoch eröffnet die Bauverwaltung einen Möglichkeitsraum der Qualifizierungsarbeiten am Bauprojekt und produziert gleichsam eine fiktive Interessengemeinschaft. Im Zuge dessen habe ich aufgezeigt, wie das Bauprojekt im erweiterten Modus der Sprechstunde zu einem administrativen Fall zusammengeführt wird: Der Hochbauleiter leistet in der Schale des Sitzungszimmers35 ein Mehr an Arbeit, um seinen Habitus, der an sein Habitat angepasst ist (vgl. Schmidt, R. 2012) – sprich die materielle Infrastruktur (Sitzungszimmer und materielle Artefakte), welche Voraussetzung und Resultat der Aufführung gleichermaßen ist - aufrecht zu erhalten. Nur so wird es ihm möglich, seiner Beraterrolle gerecht zu werden und/oder am Ende der Sitzung eine Empfehlung auszusprechen, der die Gesuchstellenden resp. die Architektin Folge leisten wird.36 Im Lichte dessen nutzt die Bauverwaltung das Instrument der Sprechstunde besonders aus dreierlei Gründen: •

Erstens, um eine Arbeitssession zu kreieren, die jenseits der Schaltersituation eine fiktive Interessensgemeinschaft mit dem Ziel der Erwirkung der Baufreigabe bildet.37

35 In Anlehnung an Honoré Balzac, der in seinem Roman Die Beamten von dem Büro als Schale der Beamten spricht, was ebenfalls daraufhin deutet, dass die Sozialfigur der Beamten resp. des Hochbauleiters eng an die materielle Infrastruktur gebunden ist (siehe auch Kap. 4.1). 36 Die Wirkung der Sitzposition und die Handlungsträgerschaft (agency) der materiellen Infrastruktur ist nicht zuletzt deshalb zu unterschätzen. Bereits Stephan Wolff sprach von der Sitzposition als praktische Gestaltung der Interaktion von Fürsorglichkeit (1981:137). 37 Viele politische Gemeinden ermuntern ihre Bauverwaltung zu einem raschen Durchlauf des Bewilligungsprozesses und zur Unterstützung der Gesuchsteller. Hier kommt das Dienstleistungsverständnis der Verwaltung zum Tragen (vgl. Kap. 2.1).

C ASE -M AKING

• •

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Zweitens, um die Interessen der (politischen) Gemeinde gegenüber den Gesuchstellenden näher zu bringen und im Zuge dessen drittens, eine Empfehlung auszusprechen bzw. zu intervenieren, wenn sich das Bauprojekt nicht im Sinne der Gemeinde entwickelt oder reif ist für die Baukommissionssitzung.

Im Zuge des Prozesses und der von der Bauverwaltung aufgeführten administrativen Praxis lässt sich deren Wirkmacht wie folgt beschreiben: Bauprojekte werden oftmals mit einer Praxis des »scaling down« (Yaneva 2009) konfrontiert, um möglichst reibungslos durch den Bewilligungsprozess geschleust zu werden. Das bedeutet, die ursprüngliche Projektidee wird mit dem Kalkül des möglichst raschen Erwirkens des Bewilligungsentscheids deutlich reduziert (siehe oben, Vignette 4b, Sprechstunde Hochbauleiter und Architektin im Gespräch). Es zeichnet sich jedoch regelmäßig ab, dass der Entscheid der Projektverfasser zur Regelüberbauung und die angestrebte Prozessbeschleunigung sich nicht so gestalten, wie die Verfasserinnen und Verfasser es sich gewünscht hätten. Denn die Bauverwaltung nutzt im Zuge des Prozesses den Faktor Zeit methodisch und strategisch, um dieser Wirkung entgegenzusteuern, sodass sie im Bedarfsfall ein Bauprojekt wiederholt in eine Sprechstunde als Ort für Face-toFace-Abwägungen und Beratung oder in die Stadtbildkommission zur Qualitätsdiskussion (Kap. 7) einlädt, bevor es schlussendlich in die Baukommissionssitzung gelangt (Kap. 8). Abermals taucht das Drehen am administrativen Rad der Zeit als systematische Praxis und Methode der Bauverwaltung auf (vgl. Kap. 5.1, wo im Zuge der Deklaration eines Baugesuchs als Ausnahme am administrativen Zeitrad gedreht wird, siehe auch Kap. 9.3). Zusammenfassend ist weiterhin festzuhalten, dass die Mikroanalyse der Sprechstunden zwei Deutungsnarrativen zusammenbrachte: die Analyse der materiellen und symbolischen Ordnung des Sitzungszimmers und die inhaltsbezogenen Diskurspraktiken der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (dies darf als Erweiterung der TSA gelesen werden, Kap. 9.2). Dabei führen die Bewegung der Raumabfolge von der Schaltersituation hin zum relativ neutralen Sitzungsraum und die resultierende Veränderung der normativen Mikroökologie zu einem Gespräch der Vertreterinnen und Vertreter von Architektur und Verwaltung auf Augenhöhe. Die materielle Dimension hat demzufolge eine wichtige Wirkung auf die administrative Praxis. Gleichzeitig wurde deutlich, dass für das kommunikative Verständnis der Akteure das Switchen zwischen verschiedenen Maßstäben bzw. das Variieren des Abstraktionsgrads und die Wahl der visuellen Werkzeuge für die Diskussionsgrundlage entscheidende Relevanz besitzt – ohne den Einsatz geeigneter visueller Werkzeuge sind die gemeinsamen Übersetzungsleis-

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tungen und letztendlich die Qualifizierungsarbeit am Bauprojekt zum Scheitern verurteilt (vertiefend siehe Kap. 7). In dem kommenden Kapitel sind eine weitere Zuspitzung der Forschungsfragen (Forschungsfragen 1-4, Kap. 1.1.2)38 und ergänzende Antworten zu erwarten. Ich überführe die Analyse in die Büros der Bauverwaltung, in denen als Kernzelle der administrativen Hinterbühne, Bauprojekte auf den Passagepunkt der Bewilligung vorbereitet werden und bis zum Verlassen der administrativen Maschinerie in Aktenschränken verwahrt werden. In diesem Zusammenhang wird die Rolle des Aktenschranks und mit ihm die Akte als physisch administrative Klammer von Baugesuchen thematisiert.

38 Wie wird an Vergangenes angeknüpft und an Zukünftiges erinnert? Was geschieht an den unterschiedlichen Orten der Bauverwaltung (Forschungsfrage 1, Teilfragen) Welche Teile des Netzwerkes werden aktiviert? Was wird jeweils am Bauprojekt befestigt? (Forschungsfrage 2, Teilfragen) Wie wirken die administrativen Praktiken? (Forschungsfrage 3, Teilfrage) Welche Konsequenzen ergeben sich für die TSA aus deren Anwendung zur Untersuchung administrativer Prozesse von Bauverwaltungen? (Forschungsfrage 4, Teilfrage), siehe Kap. 1.1.2.

VI. Vorbereitung und Aufbewahrung

Abb. 24: Büroarbeit am Baugesuch, eigenes Foto.

In diesem empirisch fundierten Kapitel stehen das Aufdecken der bürointernen, administrativen und quasi stillen Arbeitsvollzüge im Zusammenspiel mit der materiellen Hinterbühne des Bauamtes im Zentrum. Denn die Büros der Bauverwaltung, verbunden durch interne Zwischentüren, bilden den (verborgenen) Kern des administrativen Gehäuses (siehe Kap. 4.1) – dieses ist aus einer Außenperspektive wenig einsehbar.1 Hier werden administrative Tätigkei-

1

Siehe zur Thematik der Verzahnung von materieller Dingwelt und Arbeitspraxis auch den Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme (1998), der in seinem Aufsatz zum Büro als eigenständiger Kosmos die Schwierigkeit herausstellt, realistische Vorstellungen von der Arbeit in Büros zu bekommen, da im Zusammenspiel zwischen Büromöbeln,

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ten ausgeführt, die dem Blick der Öffentlichkeit verborgen und auch den »externen« Experten oftmals verschlossen bleiben – ihnen sind die Sitzungszimmer und repräsentativen (Rathaus-)Säle vorbehalten. Das Bauprojekt hingegen gelangt nach seiner Eingabe (Kap. 5.1) in diese intimen Bereiche der Bauverwaltung und aktiviert die sozio-materielle Infrastruktur, während es im Zuge seines Fertigungsprozesses auf der administrativen Hinterbühne zirkuliert (siehe Abb. 34, Kap. 9.2). Wie ich im vorausgegangenen Kapitel zeigte, verlässt es gelegentlich die administrative Kernzelle, um im Sitzungszimmer Face-to-Face zwischen Gesuchsteller resp. dessen Stellvertreterin/Stellvertreter und Hochbauleiter besprochen (Kap. 5.2); oder, in Vorgriff auf die kommenden Kapitel, in Stadtbildkommissions- und Sonderkommissionssitzungen im Sitzungssaal in der Zusammensetzung eines Expertengremiums diskutiert (Kap. 7) und schlussendlich im Sitzungszimmer der Baukommission (Kap. 8) verhandelt zu werden. Teilweise verlässt es gar die Räumlichkeiten der Verwaltung, um durch kantonale Bewilligungen ergänzt und in Ausnahmefällen in einer Ortsbegehung in situ an den physischen Ort rückgebunden zu werden; immer aber kehrt es im Zuge seiner Bestimmung als administrativer Fall (Kap. 5) in die Bauverwaltung zurück – zumal stets nur Teile einer Kopie nach Außen geschickt werden, während der Großteil in der Verwaltung verbleibt. Auf der Hinterbühne der Bauverwaltung wird es für die Arbeitssessionen und Passagepunkte vorbereitet, die unterschiedliche Arbeitspraktiken des Prüfens, Ordnens, Aufbewahrens oder Formulierens verlangen und im Vollzug zuweilen eigene Passagepunkte (siehe unten) darstellen. Bezeichnenderweise sind dies individualisierte, gleichsam stille Praktiken, die der Aufrechterhaltung und der Ordnung des Bewilligungsprozesses zuträglich sind. So werde ich im Hinblick auf die Fragestellung, die nach den Methoden und Prozessen der Bauverwaltung zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten und deren Umgang mit qualitativen Maßstäben fragt, jene stillen Arbeitspraktiken und die funktionelle Episode der (Zwischen-)Prüfungen ebenso thematisieren wie die materielle Infrastruktur etwa in Form des Aktenschranks. All dies ist als Teil der Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praktiken zu begreifen. Dabei frage ich auch, inwiefern sich die gleichsam aktiven Entitäten (Büromobiliar oder Büroartefakte) an den Arbeitspraktiken der Mitarbeitenden beteiligen, diese

Büroartefakten und dem gesamten Gehäuse des Büros vielfältige Bewegungen der Uneinsehbarkeit und Undurchsichtigkeit entstehen. Das Büro kann deshalb als Blackbox (Latour) oder mit Goffman als Hinterbühne gelesen werden (siehe auch Kap. 4.2 und Kap. 4.1).

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entwickeln oder deren Talente und Fähigkeiten unterstützen oder symbolische Bedeutung realisieren (siehe Schmidt, Robert 2012:133) und somit den Bewilligungsprozess mitgestalten (vgl. Kap. 4-8).

6.1 D AS B AUPROJEKT

IM

B ÜRO DER B AUVERWALTERIN

Die folgende Vignette (zur Methodik siehe Kap. 1.2.3) dient als Grundlage der Analyse des Kapitels. Sie beschreibt eine Arbeitssequenz der Bauverwalterin D. in ihrem Büro an einem Donnerstagnachmittag.2 Die Bauverwalterin sitzt über eine Akte (= Bauprojekt) gebeugt. Es ist still, bis auf das Rascheln von Papier im Nebenraum und das Surren des Computers im Standbybetrieb. Die Verbindungstüren sind geöffnet – leise Arbeitsgeräusche der anderen Mitarbeitenden sind zu hören. Die Verwalterin geht mit routinierten Bewegungen die einzelnen Blätter der Aktenmappe durch, bis sie auf den Plansatz und einen aufgeklebten gelben Zettel des Sachbearbeiters stößt. Sie liest den Hinweis aufmerksam: »Feuertreppe fehlt. Keine Fluchtmöglichkeiten über Außen, wenn’s brennt.«3 Sie entfernt den Zettel und fährt mit dem Finger über den Plan. Hält inne. Dann nickt sie. Sie erhebt sich, geht zum Aktenschrank an der hinter ihr liegenden Wand, sucht das vollständige Baudossier des Bauprojektes im Durchschieben der einzelnen Baugesuche aus der Hängeregistratur und platziert das orangefarbene Baudossier auf dem Tisch. Sie schlägt die dicke Dossiermappe auf. Darin befinden sich drei exakte Kopien des eingereichten Baugesuchs. Sie legt die drei Pläne der Kopien nebeneinander und gleicht diese unter Zuilfenahme ihres Zeigefingers und mit ihren zwischen den Plänen hin und her wandernden Blicken mit dem vom Sachbearbeiter erhaltenen Plan ab. Sie sind identisch. Nirgends ist eine Feuertreppe eingezeichnet. Sie wendet sich ihrem

2

Ich selbst sitze mit Block und Stift ausgestattet hinter der Bauverwalterin und wohne den Arbeitsprozessen in angemessenem Abstand bei. Mittlerweile bin ich als stille Beobachterin von den Verwaltungsmitarbeitenden akzeptiert. Gelegentlich werden erklärende Kommentare während des Arbeitsvollzugs in meine Richtung geäußert, die die eigenen Handlungsvollzüge kommentieren, erklären und zuweilen reflektieren. Die beschriebene Szene habe ich so oder in ähnlicher Weise in all meinen Untersuchungsgemeinden beobachtet, sodass der Ort des Geschehens übertragbar ist und sowohl in Visp, Wetzikon oder St. Margrethen stattfinden könnte.

3

Das Bauprojekt: Dreistöckiger Neubau einer Alterswohnsiedlung im Stadtzentrum.

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PC zu, um dem Gesuchsteller einen Hindernisbrief zu schreiben (Vignette 5, Bauverwalterin prüft Baugesuch).4 Abb. 25: Im Büro der Bauverwalterin, Infografik 1 Kilo, Schlussbericht (Wezemael et al. 2014).

6.1.1 Administrative Praktiken – Vom scheinbar endlosen Prüfen Welche Handlungsvollzüge vollführt die Bauverwalterin (und implizit der Sachbearbeiter) in der Arbeitssequenz am Bauprojekt, das gleichsam als formatives Objekt5 gelesen werden kann? Sie stößt bei der Durchsicht des Baugesuchs auf

4

Die Bauverwalterin geht diesen routinierten Tätigkeiten der Büroarbeit auch während der offiziellen Öffnungszeiten des Bauamtes nach, sodass sie hin und wieder in ihrer Arbeit durch Klienten unterbrochen wird (siehe dazu Kap. 5.1).

5

Formative Objekte sind keine »immutable mobiles« (Latour 1987:227), sondern sie erfahren in situ kleinere oder größere Veränderungen und strukturieren die jeweils gegenwärtige Bearbeitung (Scheffer 2013:100). Die Bauprojekte erfahren im Zuge der unterschiedlichen Arbeitssequenzen Veränderungen, allerdings ist dies kein individu-

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eine Notiz des Sachbearbeiters. Dieser überprüfte das Baugesuch und stellte einen Missstand fest: Das Fehlen einer Feuertreppe. Er leitete das Gesuch an die Bauverwalterin zurück, die die Akte durchblättert und den Hinweis des Sachbearbeiters findet, ihn ihrerseits überprüft, indem sie erstens den handschriftlichen Hinweis mit dem Plan vergleicht und zweitens das vorliegende Exemplar mit den weiteren Kopien abgleicht. Die Praxis des Prüfens scheint alle anderen Tätigkeiten zu dominieren, im Zuge dessen werden weitere Prüfungen an die Eingangsprüfung6 angeschlossen: die der Arbeitssequenz vorgelagerte Prüfung des Sachbearbeiters und die gegenwärtigen Prüfungen der Bauverwalterin.7 Es drängt sich der Eindruck einer fortwährenden Praxis des Prüfens auf, die sich nicht mit der Eingangs- und Ausgangsprüfung begnügt. Michel Foucault spricht im Zusammenhang der scheinbar endlos wiederkehrenden Inspektion und Prüfung von einem sich dauerhaft wiederholenden Machtritual, das der Disziplinierung (etwa in Schule, Spital oder Armee) dient und zur Ausbildung von »Prüfungsapparaten« führt (Foucault 1994:238ff.). Die Bauverwaltung ist als ein solcher Prüfungsapparat zu bezeichnen, der die Technik der überwachenden Hierarchie mit der normierenden Sanktion (ebd.:238) zum Wohle der Demokratie und der qualitativen Sicherstellung der Siedlungslandschaft verbindet (siehe auch Kap. 4.2, Kap. 2.3 und Kap. 9). Dies äußert sich ebenfalls in der bis dato beschriebenen soziomateriellen Infrastruktur der Bauämter, die einerseits die Arbeit der Mitarbeiter z.B. in Form der klassischen Zellenbüros strukturiert und

eller sondern ein kollektiver Prozess, gleichwohl die einzelnen Praktiken individuell und im Stillen vollzogen werden können. Dabei wird das Projekt implizit von der Bauverwaltung im Zuge des Bewilligungsprozesses verändert und auf Grund von Empfehlungen, Normen und Richtlinien, Prüfungsprozessen von den Gesuchstellern geändert (siehe Kap. 5.1-9). 6

In einer ersten Praxis des Prüfens findet eine diagnostische Kategorisierung und die Übersetzung von Bauprojekten in administrative Fälle statt. Dieses Phänomen erläuterte ich vor dem Hintergrund der Schaltersituation (siehe Kap. 5.1). Denkbar ist auch, dass jene Praxis unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, was immer dann geschieht, wenn das Bauprojekt ohne vorherigen Kontakt schriftlich beim Bauamt eingereicht wird – die Arbeitsvollzüge der Kategorisierung und Übersetzung sind äquivalent.

7

Hinzu kommen die externen Prüfungen der kantonalen Dienststellen (Umweltschutz, Zivilschutz, Denkmalpflege, Energie, Industrie, Handel und Verkehr etc.), die für die Überprüfung der jeweiligen Nachweise bei größeren Bauten zuständig sind. Deren Stellungnahme wird nach der öffentlichen Auflagefrist von den kommunalen Behörden eingeholt (zur Koordination der beiden Behörden siehe Hubmann Trächsel 1995).

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im Sinne eines prüfenden Machtapparates den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit des Kontaktes und der Beratung einräumt, gleichzeitig aber Distanz wahrt, um den verschiedenen Versionen des Prüfens gerecht zu werden (bisher Kap. 4.1-5.2). So ist die wiederkehrende individuelle Inspektion des Baugesuchs von unterschiedlichen Amtsautoritäten ein fester Bestandteil des Fertigungsprozesses.8 Der Sachverwalter, der im Ethos der Sachverständigkeit auf ein Bezugssystem der Welt der Sachen und nicht der Gefühle referiert, bezieht sich auf ein Referenzsystem der sachlichen Bewährung (Paris 1998:113ff.). Er überprüft das Baugesuch aus Sicht der abzuwendenden Katastrophe (Brand, Einsturz) und der Einhaltung der bautechnischen Mindestanforderungen und öffentlich-rechtlichen Vorschriften (z.B. Zonenkonformität, Grenzabstände, Geschosszahlen, Raumhöhe, Türbreite etc.). Weder die individuelle Planungsgeschichte noch das Befinden des Gesuchstellers oder die eigene subjektive Haltung sind relevant, sondern einzig die Sachlage, die mittels der Pläne und der abzugebenden Formulare (wie Brand- oder Zivilschutzraumformular) ermittelt wird. Hier vollzieht sich eine Ausübung funktionaler Autorität (Hartmann 1964), die nicht auf sozialem Prestige oder ökonomischem Kapital, sondern auf Sachverständigkeit oder Reputation9 beruht, im Lichte dessen die Prüfung des Baugesuchs vorgenommen wird.

8

Eine weitere Praxis des Prüfens kommt im Zuge des Einspracheverfahrens hinzu. Hier tritt die Öffentlichkeit als externe Prüfungsinstanz auf. Im Gegensatz zum Sachverwalter tritt sie als Anti-Experte auf, die für die Entsachlichung Experte ist (Paris 1998:120). Neben der Sache treten Diskurse über Leid (etwa Schattenwurf des zu erstellenden Gebäudes, der die Lebensqualität beeinträchtigt) und das Bezweifeln des Urteils der Sachverständigen (Nicht Erkennen des Problem des Schattenwurfs) hinzu. Ihr Veto ist rechtlich legitimiert, aber nicht bindend (siehe zur Rechtspraxis des Einspracheverfahrens Gessner 2001, Baumann 2007, Berner 2009). Die Bauverwaltung prüft die Einsprachen der Öffentlichkeit und weist diese in unbegründeten, rechtlich unhaltbaren Fällen zurück, eröffnet eine Einspracheverhandlung oder bittet den Gesuchsteller um Abänderung des Gesuchs bei begründeten Einsprachen – zum Teil führen jene Einsprachen auch zum Verwerfen des Projekts. Für die Gesuchsteller bedeutet jenes externe Veto immer eine (oftmals erhebliche) Verzögerung des Bewilligungsentscheids, weshalb die Gesuchsteller Konflikte möglichst vermeiden und sich aus Sicht der Gemeinde oftmals – im Verzicht auf einen qualitativen Mehrwehrt – zu stark an die gesetzlichen Vorgaben halten (siehe Kap. 5.2, S. 200, Fußnote 31 Kommentar des Hochbauleiters, Kap. 7 und Kap. 9).

9

Ein Beispiel zur Reputation: Im Zuge der Stadtbildkommissionssitzungen fungieren die eingeladenen Experten des Städtebaus als Sachverständige. Entscheidend ist hier,

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Es fällt auf, dass vom amtseigenen Sachbearbeiter im Sinne der an ihn heran getragenen Sache keine Prüfung von städtebaulichen Qualitätskriterien (wie Zentralität, Durchmischung, Diversität) stattfindet, einzig die technischen Qualitätskriterien (gesetzliche Normen und Sicherheit) sind von Belang. Das Bauprojekt wird in diesem Stadium des Fertigungsprozesses nicht auf Kriterien geprüft, die einen Beitrag zur Fortentwicklung einer qualitativ hochstehenden Siedlungslandschaft leisten können resp. die Einbettung des Bauprojektes in den bestehenden Siedlungskörper diskutiert, sondern die Prüfung wird durch die technische und gesetzliche Sachlichkeit determiniert. Sie zielt auf die Sicherstellung und die Gewährleistung gesetzlicher Mindestanforderungen und Baustandards ab. Dabei kann das technische Prüfen durchaus zur Änderung des Bauprojekts führen (siehe unten). Eine Qualifizierung der Siedlungslandschaft orientiert sich hingegen weniger an technischen Qualitätskriterien als vielmehr an projektorientierten Zielvorstellungen (vgl. auch Löpfe 2014). Eine Ausnahme im Rahmen der Praxis der technischen Prüfung bildet das Heranziehen externer Akteure, die mitunter zur Beurteilung und Prüfung von der Bauverwaltung außerhalb der Arbeitssessionen (Sprechstunde, Stadtbildkommission oder Sondersitzung) herangezogen werden und das Feld der technischen Prüfung verlassen. Dies ist vor allem im Umfeld von realisierten oder zu realisierenden Prestigeprojekten zu beobachten (vgl. Wezemael et al. 2014). Im praktischen Arbeitsvollzug verlässt die Bauverwalterin, ähnlich dem politisch motivierten Drehen am administrativen Rad der Zeit (siehe Kap. 5.1, Kap. 9.3), die routinierten Arbeitsvollzüge (Annahme des Bauprojektes, Kategorisierung, Prüfung des Sachverhalts, Publikation…) und organisationsoffiziellen Zeitstrukturen (siehe Kap. 5.2) und informiert bei Eingang eines Baugesuchs im Umfeld eines solchen Projekts den zuständigen Architekten als Sachverständigen per E-Mail oder Telefon, um dessen Einschätzung einzuholen. Diese Ausnahmepraxis verlässt das Feld der technischen Qualitätsprüfung und zielt auf eine Qualifizierung des Bauprojekts jenseits behördenverbindlicher Normen und Handlungsweisen ab, die ein Hinterfragen der Normen von administrativer Seite, sprich aus dem Inneren des administrativen Apparates heraus, bedeutet. Durch diese stille Prozessöffnung und das Einholen einer Expertenmeinung betreibt die Bauverwaltung aktive Siedlungspolitik, die den Blicken der Öffentlichkeit entzogen im Verborgenen auf der administrativen Hinterbühne stattfindet. Diese Art des Handlungsvollzugs verweist auf das kommende Kapitel, in dem die administrative Praxis des Prüfens und Beurteilens technischer, gesetzlicher Vorgaben zu

neben der Sachverständigkeit, ihre Reputation (ihr symbolisches Kapital), die ihnen das Auftreten als Experten in einem solchen Forum ermöglicht (siehe Kap. 7).

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Gunsten einer projektorientierten Diskurspraxis zur Qualifizierung der Siedlungslandschaft verschoben wird (siehe Kap. 7). Die Bauverwalterin verifiziert die Prüfung des Sachbearbeiters durch das Nachvollziehen des Sachverhalts und das Abgleichen mit den übrigen Plänen.10 Damit versichert sie sich vor der Benachrichtigung des Gesuchsteller des Urteils des Sachbearbeiters, um jegliche Fehlentscheidung auszuschließen. Das geplante Verfassen eines Hindernisbriefes an den Gesuchsteller, der zum Stillstand des Fertigungsprozesses in der administrativen Maschinerie führt – bis zum Nachreichen der überarbeiteten Pläne und der Abänderung des Bauprojekts liegt das Bauprojekt auf Eis – ist in diesem Fall die logische Fortsetzung des überprüfenden Arbeitsvollzugs mit positiven Ergebnis (Sie fährt mit den Finger über den Plan. Hält inne. Dann nickt sie […] und wendet sich dem PC zu […]). Auf diese Weise gewinnt die Situation am Bauprojekt als administrativer Fall (formatives Objekt) in der vorliegenden Arbeitssequenz mit der Identifizierung eines Mangels Prozesscharakter (Gerichtetheit). Der Prozess wird am situativ bearbeiteten Objekt zum Ereignis (Anhalten des Prozess auf Grund eines Mangels) (vgl. Scheffer 2013)11. Dennoch ist die Richtung des Prozesses insofern nicht linear und im Vorfeld absehbar, da die Fertigungsschritte am Objekt jeweils aus der Situation heraus entwickelt werden. Dabei veranlasst das Bauprojekt als gemeinsamer Bezugspunkt die Bauverwaltung, sich am Objekt abzuarbeiten. Dieserart kultivieren – wie auch der Soziologe Scheffer unter Bezug auf Foucault konstatiert – institutionelle Settings ein Prüfen, wobei die Teilnehmenden nicht für sich zweifeln, sondern sie prüfen für andere entlang von Prüfungserfordernissen und -pflichten gesetzliche Normen (Scheffer 2013:97). Folglich spannt sich im Zuge des Bewilligungsprozesses ein weites Feld aus Vor-, Zwischen- und Nachprüfungen auf. In diesem Prozess scheint das Büro der Bauverwalterin und im gewissen Sinne auch ihre Arbeitspraktiken als Relais der Informationsströme, die eingehen, koordiniert, verwaltet, gespeichert, oder ausgegeben (vgl. Böhme 1998:97)

10 Ein Bauprojekt wird in mindestens dreifacher Ausführung bei der Bauverwaltung eingereicht (§ 188 Abs. 1 PBG), damit die Behörde die Kopien entsprechend verteilen kann: Eine (falls erforderlich) zum Einholen der kantonalen Stellungnahme, eine zweite zum generellen Aufbewahren im Aktenschrank (siehe unten) und eine weitere, die im Amt zirkuliert. 11 Scheffer zeigte den prozessiven Charakter institutioneller Prozesse jüngst am Beispiel des parlamentarischen Betriebes auf, wo die unterschiedlichen Arbeitspraktiken am formativen Objekt (dem Verfassen eines Strategiepapieres) dem Prozess Richtung verleihen und in der situativen Praxis mehr oder weniger starke Ereignisse hervorbringen.

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und in die jeweiligen administrativen Kanäle distribuiert werden, zu fungieren. Das Bild eines Panoptikums drängt sich auf, einer kontrollierenden Totalen, in der die Verwalterin gleich eines Überwachungsraums einer totalitären Institution (Gefängnis, Psychiatrie) eine umfassende Übersicht über das Geschehen hat. Doch der Eindruck trügt, denn das Büro der Bauverwalterin ist zwar als Relais zu begreifen, doch kann weder die Verwalterin noch irgendjemand sonst im administrativen Fertigungsprozess qua sozialer und symbolischer Position, der räumlichen Verfasstheit (Kap. 3 und Kap. 4.1) oder vor dem Hintergrund des gesetzlich normierten Bewilligungsverfahrens (Kap. 4.2) eine umfassende Prozessübersicht erlangen. Vielmehr kann das jeweilige Büro und die damit verbundenen Arbeitspraktiken und Akteurinnen und Akteure aus einer analytischen und theoretisierenden Sicht einer Forscherin in Anlehnung an Latour als Oligoptiken12 beschrieben werden, als ein Beobachtungspunkt, von dem die Bewegungen der Entitäten, die die Subjekte und Objekte in Existenz halten und als Teil des Qualifizierungsprozesses Beiträge zur Beförderung des Bauprojekts durch die administrative Maschinerie leisten, nachverfolgt werden können (siehe Kap. 4.2). Der gelbe Zettel des Sachbearbeitenden ist als ebensolcher konkreter Beitrag zu lesen. Er gibt Hinweise auf Vorheriges und Kommendes. Die Bauverwalterin hat dieserart keine umfassende Prozessübersicht über den Fertigungsprozess – sie hat vielmehr eine gute Einsicht in ihre eigenen Arbeitsvollzüge und trägt etwa durch die oben beschriebenen Praktiken des Prüfens (Abgleichen der Pläne), des Informierens (Verfassen eines Hindernisbriefes) und des Ordnens (Organisation der Baugesuche im Aktenschrank, siehe unten) zur Beförderung des Bauprojektes durch die administrative Maschinerie bei. Mit Hilfe der materiellen Infrastruktur (z.B. Aktenschrank und Akten) ist sie es, die die Informationssegmente des administrativen Falls zusammenhält. Deshalb werde ich im Folgenden den Blick auf den Aktenschrank und die in ihm gelagerten Akten als materielle Träger richten, die im Zusammenspiel mit den Mitarbeitenden der Bauverwaltung (und andern externen Akteurinnen und Akteuren) Praktiken zur Beförderung des Bauprojekts durch die administrative Maschinerie bilden.

12 »Oligoptica are just those sites since they do exactly the opposite of panoptica: they see much too little to feed the megalomania of the inspector or the paranoia of the inspected, but what they see, they see it well.« […] (Latour 2005:181)

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6.1.2 Ordnung halten: Akten als administrative Informationssegmente und Aktenschränke als multiple Handlungsträger Die oben beschriebene Arbeitssequenz im Büro der Bauverwalterin D. offenbart nicht nur eine weitere Praxis des Prüfens, in ihr scheinen implizit weitere administrative Arbeitsvollzüge auf: die des Ordnens und Bewahrens. Expliziert werden diese im obigen Beschrieb durch die Praxis der Bauverwalterin mit dem »Durchschieben der einzelnen Baugesuche« in der Hängeregistratur. Denn das Durchschieben setzt die vorgelagerte Praxis des Ordnens voraus und beinhaltet die des Aufbewahrens. Im Folgenden werde ich jene Praktiken, die im Sinne der Fragestellung der Arbeit ebenfalls als Methoden und Prozesse der Bauverwaltung zur Bewilligung von Bauprojekten zu charakterisieren sind, aufzeigen. Dies im Zusammenspiel mit dem Aktenschrank, der als aktive Entität an den Arbeitsprozessen beteiligt ist13 und deshalb auch Aussagen über die Bauprojekte und deren Einordung in die Siedlungslandschaft ermöglicht. Diesen Ausführungen stelle ich ein Schlaglicht auf die Akte als Sammlung der administrativen Informationssegmente voran, die als lesbarer Textkörper (records) im Aktenschrank als raumgreifende Baudossiers (files) gefasst werden und als sichtbare Zeichen das Bauprojekt verkörpern. Die Akte als Sammlung der administrativen Informationssegmente eines Bauprojekts Im Bauamt der Bauverwalterin dient der Aktenschrank, genauer die Hängeregistratur, wie in vielen anderen Bauämtern, dem vorübergehenden Aufbewahren von Akten resp. Bauprojekten. In der eingangs vorangestellten Vignette hängt beispielsweise das eingegebene Baugesuch der Architektin (Kap. 5.1) oder das gerade behandelte Bauprojekt des Altersheims mit der fehlenden Fluchttreppe in einer Hängeregistratur eines Aktenschrankes (Abb. 26). Die Bauprojekte wurden von den Gesuchstellern zu den Öffnungszeiten des Bauamtes eingereicht (wie das der Bauwilligen in Kap. 5.1) oder per Post an das Bauamt gesandt. Die Ankunft/Annahme des schriftlichen und mit Plänen versehenen Bauprojekts bedeu-

13 In diesem Zusammenhang sei auf den Soziologen Robert Schmidt verwiesen, der in seiner Studie Die Verheißung eines sauberen Kragens. Zur materiellen und symbolischen Ordnung des Büros (2012) die materielle und symbolisch-kulturelle Rahmung des Büros einer Softwarefirma rekonstruiert, in dem die Programmierarbeit stattfindet. Er greift einzelne Objekte wie den Bürostuhl als aktive Entität heraus, um die Teilnehmerschaft an Arbeitspraktiken aufzuzeigen.

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tet nicht nur einen entscheidenden Passagepunkt, im Zuge dessen das Bauprojekt in einen administrativen Fall transformiert wird (Kap. 5.1), sondern auch eine Wandlung in gleichsam administrative Informationssegmente, die in einem Ak14 tendossier zusammengefasst ihr physisches Dasein im administrativen Apparat beginnen. Die Rechtswissenschaftlerin Cornelia Vismann bezeichnet Akten als »das Formenreservoir autoritativer und administrativer Handlungen, das sich 15 wiederum in Akten konkretisiert« (2001:9). Will heißen, eine Aktentechnik zieht jeweils eine besondere Form und bestimmte Instanzen der Bewilligungspraxis nach sich. Die Art der Bindung oder die geforderte Form der Verschriftlichung verweisen wiederum auf jene Ausübung der administrativen Handlungsvollzüge. Das Baudossier besteht aus einem gesetzlich vorgeschriebenen Konglomerat aus Plänen und Formularen (siehe Fußnote 185, Kap. 5.1), wobei die Formulare die Pläne unterstützen und ergänzen sollen, was auf den Plänen nicht 16 darstellbar ist (Schürmann 1987). Die Baudossiersmappe enthält alle relevanten Informationen zu einem Bauprojekt und speichert den Verlauf des Fertigungsprozesses, sodass sie entsprechend ihres dokumentarischen Charakters Hinweise auf bereits bewältigte Fertigungsschritte gibt und an Zukünftiges anknüpft: D. holt die Akte aus dem Schrank und überprüft mittels der Pläne im Vorfeld erarbeitete Fertigungsschritte (das Anfertigen des Konstruktionsplans eines Gesuchstellers oder das Einordnen der Akte in das administrative System, siehe unten). Sie gleicht diese mit dem in der Akte vermerkten Hinweis des Sachbearbeiters ab. Vor dem Hintergrund dessen vollzieht sie den nachfolgenden Schritt: das Anfertigen des Hindernisbriefes; auch dieser wird im Anschluss in die Akte eingeordnet. Im Zuge des Fertigungsprozesses, der eng mit dem Anlegen des Baudossiers verbunden ist, vollziehen sich Kaskaden von Kontrollen,

14 Ein Dossier bezeichnet laut Duden: Eine umfänglichere Akte, in der alle zu einer Sache, einem Vorgang gehörenden Schriftstücke gesammelt sind. In der Bauverwaltung sind dies nicht nur Schriftstücke, sondern auch verschiedene kleine Übersichts- oder Schnittpläne oder Notizen der Mitarbeitenden. 15 Zur Vertiefung der Rolle und Bedeutung der Akten im westlichen Kulturkreis sei das umfangreiche Werk Cornelia Vismanns (2001) empfohlen. Es bietet eine gute Übersicht von den aktenführenden Magistraten Roms über die Entwicklung des Stehordners bis hin zum Datenschutz moderner Informationsgesellschaften. 16 Christoph Bartmann liefert eine detaillierte Beschreibung einer Akte, die in modernen Büros als Ordner, die losen Blätter und sogleich formalisierten Blätter im Zuge der Einführung der DIN Norm in den 1920 Jahren, in Aktenordner sammelt und sortiert (2012:71ff). Die Bauverwaltungen verwenden anstelle von Ordnern Mappen, um die Plansätze beispielsweise nicht durch Lochung zu beschädigen.

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die im engen Zusammenhang mit dem Wechseln des Mediums stehen (von der handschriftlichen Notiz, über den Plan, zum Hindernisbrief), jeder Wechsel bedingt eine kontrollierende Handlung, die auf das Formenreservoir der Informationssegmente einer Akte zugrückgreift und sich sodann in ihr niederschlägt. Die Bauverwaltung kontrolliert jede Übersetzungsleistung akribisch, auch um im Sinne des rechtlich legitimierten Fertigungsprozess Fehler zu vermeiden und ihrer Reputation als Bewilligungsbehörde gerecht zu werden resp. diese zu wahren. Abb. 26: Die Bauverwalterin holt ein Baudossier aus der Hängeregistratur, eigenes Foto.

Trotz der allgegenwärtigen Präsenz des Computers, der in den untersuchten Gemeinden besonders in Form der Bearbeitungssoftware Baupro17 zur Erfassung und Verwaltung von Bauprojekten; zur Korrespondenz (E-Mail) und dem Erstellen von schriftlichen Dokumenten dient; ist das Anfertigen von materiellen Akten und Anlegen von Baudossiers nach wie vor ein unerlässlicher Schritt im 18 verwaltungspraktischen Handeln. Ich konnte beobachten, dass dies – im Zuge

17 In der deutschsprachigen Schweiz arbeiten 193 Gemeinden mit dieser Bearbeitungssoftware (Stand 2012). 18 Ähnliches stellt der Soziologe Robert Schmidt in seiner Studie des bereits erwähnten Software-Büros fest (siehe oben, Fußnote 226), das in einer traditionellen Büroform seiner Arbeit nachgeht und der »verheißungsvollen, futuristischen, flexiblen, ›non-

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der gesetzlichen Eingabevorschriften und Aufbewahrungspflichten – auf das Konglomerat von Formularen und Plänen, die sich im Laufe eines Fertigungsprozesses anhäufen, zurückgeht, die eine Zusammenfassung und Ordnung der Unterlagen erfordern. Insbesondere aber auf die vielfältig benötigten Pläne (Situations-, Grundriss-, Schnitt-, Zonen- und Übersichtspläne) und Visualisierungen, die einen physischen Umgang statt eines virtuellen (in Form von eingescannten Plänen) fördern. Das haptische Erfahren (Zeigen und Nachfahren mit dem Finger auf dem Plan oder das gemeinsame Betrachten der Pläne) ist im Zu19 ge des Bewilligungsprozesses essentiell (vgl. Kap. 4-8). Im Lichte dessen verkörpert die Akte erstens die Transformation des Bauprojektes in die Informationssegmente eines administrativen Falls, zweitens ist sie der Ordnung der administrativen Zeit dienlich (siehe unten), etwa in Form des Datumstempels auf dem Baugesuchsformular und stellt somit drittens einen administrativen Werkzeugkasten, bestehend aus Plänen und Formularen, dar. Nur in Kombination der unterschiedlichen materiellen Träger (Formulare, Pläne) der Infrastruktur (z.B. Aktenschrank) und der Akteure werden diese Informationssegmente (=Bauprojekt) lesbar. In einem letzten Schritt des vorliegenden Kapitels werde ich deshalb auf den Aktenschrank fokussieren, der zur Aufbewahrung der Baudossier als raumgreifende Konvoluten dient und sich aktiv an den Arbeitspraktiken der Akteure beteiligt. Der Aktenschrank als aktive Entität Auf Grund der bisherigen Ausführungen und den Erfahrungen aus der Feldforschung lässt sich festhalten, dass das Einhängen und Einordnen des Bauprojekts in die Hängeregistratur des Aktenschranks einen entscheidenden Moment im komplexen Verfahren des gesamten Bauprozesses markiert. Denn Projekte, die es bis in den Schrank schaffen, haben zuvor schon einen weiten Weg von der Idee über die Planung bis zur korrekten und vollständigen Eingabe zurückgelegt und befinden sich nun (auch physisch, materiell) im Inneren der Bauverwaltung, sodass sie zur Baufreigabe befördert werden können. Nach der ersten Prüfung der Unterlagen und der Bestimmung des administrativen Falls resp. der Art des Verfahrens wird den eingegebenen Bauprojekten ein Platz im Aktenschrank zu-

territorialen‹ Büroordnung, die die Ergonomie für das digitale Büro verkündet« (2012:145) dekonstruiert. 19 Vgl. dazu Söderström, Ola 1996. Paper Cities: Visual Thinking in Urban Planning. Cultural Geographies, 3(3), S. 249-281, der den Einsatz visueller Werkzeuge im vorgelagerten Planungsprozess diskutiert.

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gewiesen (Kap. 5.3). Dabei bildet der Schrank das Informationsreservoir, das die Bauverwaltung zur Bearbeitung des Falls benötigt. Wie gestaltet sich nun das Zusammenspiel zwischen Aktenschrank, Bauprojekt und Bauverwalterin? Und welche Hinweise bzw. Instruktionen gibt dieses zur qualitativen Entwicklung der Siedlungslandschaft? In den einschlägigen Fachpublikationen von Verwaltungsarchitektur und Büromöbelherstellern (Gottschalk 1994, Neufert 2005) werden die Arbeitsmittel der Behörden charakterisiert und Vorschläge zu deren räumlicher Anordnung gemacht.20 Dementsprechend wird der Aktenschrank nach einem Standardwerk der Bauentwurfslehre wie folgt erklärt: »Der Aktenschrank ist ein Büromöbel, welches für das Aufbewahren von Akten konstruiert wird und dem übersichtlichen Ordnen und Ablegen von Akten bei kurzen Laufwegen dient. Für Büro – und Verwaltungsgebäude werden verschiedene Typen angeboten, die sich v.a. an der Wirtschaftlichkeit orientieren. Wichtig ist die optimale Raumausnutzung eines Büros.« (Neufert 2005:238; Abb. 27)

20 In jüngster Zeit ist eine zunehmende Berücksichtigung ergonomischer Erkenntnisse zur Entwicklung und Empfehlung von Büroarbeitsmitteln zu beobachten. Ziel ist es, das Wohlbefinden und die Optimierung der Arbeitsleistungen und –prozesse zu steigern. Siehe dazu das 2002 erschienene Sonderheft: Ergonomie im Büro 56 der Zeitschrift für Arbeitswissenschaft.

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Abb. 27: Typologie von Registraturmöbeln (Neufert 2005:238).

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So weit die funktionale Erklärung des Büromöbels. Die Praxis zeigt, dass die Verwalterin, aufbauend auf der zur Verfügung gestellten Vorgabe des Aktenschranks, selbst festlegt, wie sie diesen gebraucht. Der Aktenschrank fungiert dabei nicht nur als Möbel oder Behältnis, um Bauprojekte, die vor einem wichtigen Schritt, nämlich dem der Realisierung, stehen, zu sammeln und aufzubewahren, er ist mehr als das – und selbst das Sammeln und Aufbewahren geschieht auf vielfältige Weise:21 Die Projekte im Schrank der Verwalterin werden zum Beispiel je nach Jahr in eine andersfarbige Mappe gehängt (im obigen Beispiel: eine orangefarbene Mappe), um auf einen Blick die Zeitlichkeit zu verdeutlichen. Nach einem Jahr werden alle abgewickelten Bauprojekte aus dem Schrank entfernt und der Schrank füllt sich wieder von Neuem. Dieses zyklische Entleeren und Füllen bringt es mit sich, dass die behandelten Bauprojekte innerhalb der Verwaltung nicht singulär stehen. Sie werden als Gruppe erinnert und bearbeitet – auch wenn jedes Projekt für sich steht. Allein die Tatsache des gemeinsamen Hängens im Schrank, des ständigen Aufziehens des Schrankes und des Herausnehmens eines Projektes lässt die Bauverwalterin an die jeweils anderen Projekte denken. Es findet eine vielfache Kontextualisierung, ein Inbeziehungsetzen, der Bauprojekte statt. Folgende Beziehungsordnungen werden dadurch festlegt: • • • •

Einbezug der städtebaulichen Situation Erinnern der zeitgleich laufenden Projekte Vergleich mit ähnlichen Fällen Überblick über den Projektverlauf

Es kann vorkommen, dass ein Projekt jahrelang in einem Aktenschrank hängt, da es noch immer nicht abgewickelt und realisiert ist. Andere hängen dort maximal ein Jahr und sind bis zur Entleerung des Schrankes vielleicht schon umgesetzt. Der Schrank ermöglicht es den Akteurinnen und Akteuren, respektive der Ge-

21 Der Aktenschrank entwickelte sich aus den Aktenschreinen der Renaissance, in denen die Blätter noch wie ein Schatz lose und in Unordnung herumlagen. Im Zeitalter des Barock entwickelt er sich zunehmend zu einem Ordnungsmöbel, das nicht mehr zur Wahrung von Geheimnissen benutzt wird, sondern vor allem der Ordnung dient und das Wiederauffinden von Akten erleichtern soll (Vismann 2001:174ff.). Dies gilt auch heute noch (siehe oben). Der Philosoph Gaston Bachelard führt aus: »Im Schrank lebt ein Ordnungszentrum, welches […] gegen eine grenzenlose Unordnung schützt.« (1960:109) Der Aktenschrank der Bauverwaltung lässt sich vor dem Hintergrund dessen als ein Mikroraum der Verwaltung charakterisieren.

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meindearbeiterin, die Projekte in einen Zusammenhang zu stellen und miteinander zu vergleichen. Dieses Inbeziehungsetzen ist kein vordergründiger funktionaler Zweck des Aktenschrankes. Er erschließt sich erst durch die Interaktion zwischen den verschiedenen Akteuren. Gleichzeitig verkörpert dieser Schrank auch einen Transitraum, denn die Bauprojekte – in Akten übersetzt und materialisiert – befinden sich in einer Warteschleife. Sie sind noch nicht zu Ende gedacht: Weder sind sie realisiert, noch haben sie ihre Bestimmung erreicht. Erst wenn sie den Schrank verlassen, werden sie realisiert oder verworfen. Der Aktenschrank strukturiert nicht nur die Handlungen der Akteure: Er weist darüber hinaus als eine wichtiges Etappenziel im Behördenvorgang und es konkretisieren sich Machtbeziehungen. Der Aktenschrank kann als physischer, gleichsam symbolischer Abdruck eines Nadelöhrs verstanden werden, welches alle Projekte, die umgesetzt werden wollen/sollen passieren müssen. Mit dem erfolgreichen Passieren des Schrankes sind komplexe Verfahren verbunden, bei denen der Aktenschrank eine wichtige Rolle spielt: Er ist Sammelbehältnis, Strukturgeber, Verteiler, Bewahrer und Transitraum zugleich. Welche Erkenntnisse lassen sich – im Bezug auf die Fragestellung der Arbeit – aus dieser detaillierten Beschreibung des Aktenschranks gewinnen? Der Aktenschrank erlaubt, Projekte auf eine bestimmte Art und Weise zu ordnen. Diese Ordnung ist eine Ordnung der administrativen Zeit, die eine Gleichbehandlung aller Projekte ermöglicht und dem Vergessen eines Projekts entgegenwirkt. Andere Ordnungsmöglichkeiten werden damit ausgeschlossen, zum Beispiel diejenige nach Qualitätsmaßstäben, Bauherrn, oder Foren, in denen die Projekte bearbeitet werden sowie nach den Orten der Realisierung. Der Aktenschrank ist ein singulärer Moment im Bewilligungsprozess, in dem alle laufenden Projekte zusammen sind und eine Übersicht über alle Bautätigkeiten in einer Stadt geboten wird. Es handelt sich hier aber nicht um eine Sicht auf die Qualifizierung des Bestandes der Gemeinde (Städtebau), sondern um die zeitliche Organisation einer Sammlung von individuellen Bauvorhaben, die vor allem der Organisation des Fertigungsprozesses dient. Im Gegensatz dazu sei am Ende das Beispiel eines individuellen Ordnungssystems eines Hochbauleiters angeführt, der sich in einer Ordnung versucht, die von der des Aktenschrankes abweicht. Der Hochbauleiter verlässt das Ordnungssystem des Aktenschrankes und strebt einerseits eine visuelle Auslegeordnung an und eine Kategorisierung der Bauprojekte nach deren Bedeutung für die Gemeinde und deren Dringlichkeit andererseits (Abb. 28). Hier findet eine Auswahl aller in einem Aktenschrank gesammelten Projekte statt, wobei die Bauprojekte als Ableger der Baudossiersmappe in Gestalt eines kleinen Aktendossiers in einer farbigen Sichtmappe auf einem großen Tisch

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aufgereiht werden.22 Auf diese Weise vernachlässigt er zwar einen Großteil der zu bewilligenden Bauprojekte, denen eine geringe Wirkmacht im städtebaulichen Gefüge zugeschrieben wird – er erhält aber eine Sicht auf die angestrebte Qualifizierung des Bestandes. Abb. 28: Ablagesystem eines Hochbauleiters, eigene Darstellung.

rot: hohe Priorität, sofort zu erledigen gelb: mittlere Priorität grün: niedrige Priorität, z.T. erledigte Projekte violett: Projekte in der Projektierung weiss: Projekte der Gemeinde/Notizen

6.2 F AZIT : P ROZESSORIENTIERTE ARBEIT AM B AUPROJEKT In diesem Kapitel habe ich die Bewegungen des Bauprojekts verfügbar gemacht, die unter Ausschluss der Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern oder anderweitiger professioneller Akteurinnen und Akteure (im Ggs. zum vorherigen Kap. 5.2 der Sprechstunde oder dem Kommenden Kap. 7 der Stadtbildkommission) auf den Hinterbühnen der Bauverwaltung stattfinden. Dabei zirkuliert das Baupro22 Jene Art der Auslegeordnung ist sehr platzintensiv und setzt eine große Freifläche in einem Büro voraus, über die in der Regel nur die Leiter verfügen (siehe Kap. 3, Kap. 4.1, Kap. 9.2).

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jekt, in Informationssegmente zerlegt, in einem Dossier zusammengefasst und in einem Aktenschrank gelagert sowie bei Bedarf aus jenem hervorgeholt, im administrativen Apparat. Die von der Bauverwaltung angewandten Methoden und Prozesse des Prüfens, Ordnens oder Aufbewahrens im Zusammenspiel mit der materiellen Infrastruktur sind gleichsam individuelle, stille Praktiken, die weitere kleine Schritte im Qualifizierungsprozess eines Bauprojekts markieren, wobei diese das Bewilligungsverfahren als einen gerichteten Prozess in Erscheinung treten lassen. Im Zuge dessen wird auf das alles entscheidende Ereignis des Entscheids hingearbeitet, sodass der Prozess dieserart stark in den Vordergrund tritt. Die Prüfung ist eine allgegenwärtige Praxis, die das Bauprojekt auf seine technischen Qualitätskriterien untersucht. Ein Re-formulieren des Projekts findet auf Grund des Kontrollierens der technischen Sachlage statt, was durchaus zu weitreichenden Veränderungen des Bauprojekts führen kann.23 Die Sachlage erfordert jedoch weder eine Kontrolle der qualitativen Einordnung der Einzelprojekte in den Stadtraum noch die Berücksichtigung weicher Qualitätskriterien (wie Zugänglichkeit, Brauchbarkeit, Aneignung oder Diversität; (Angéli et al. 2013)) für die Entwicklung der Siedlungslandschaft resp. der Siedlungskörpers insgesamt. Die prüfenden und kontrollierenden Handlungsvollzüge richten sich vielmehr nach der alltagspraktischen Vorstellung, »daß, wenn jeder nur in seinen Arbeitsbereich rational und verantwortlich handele, damit gleichzeitig auch schon das rationelle Funktionieren und die Beherrschbarkeit des Ganzen gesichert sei (Paris 1998:119).« Genau jene Annahme steht quer zu einer qualitativ hochstehenden Siedlungsentwicklung. Denn rationales Handeln der einzelnen Prüfungsinstanzen bewahrt zwar die demokratischen Grundrechte, handelt aber paradoxerweise häufig an einer Qualifizierung der Siedlungslandschaft jenseits der Zersiedelung vorbei. Doch die alltägliche Praxis der Bauverwaltung zeigt auch, dass der technische Pfad des Prüfens und Ordnens gelegentlich verlassen wird und dem Aktenschrank, der trotz seiner vielfältig aufgezeigten Möglichkeiten des Inbeziehungsetzen auf eine Ordnung der administrativen Zeit, dem Wiederauffinden und besonders der Gleichbehandlung aller Projekte abzielt, Alternativen geboten werden. Wenn der Hochbauleiter die Maxime der Gleichbehandlung verlässt und eine Auslegeordnung der angestrebten städtebaulichen Qualifizierung anlegt

23 Im Falle der fehlenden Fluchttreppe des Altersheims müssen die Balkone der Westseite des Gebäudes umorganisiert werden, um Platz für die Treppe zu schaffen. Dies hat massive Auswirkungen auf die Gestalt des Gebäudes, denn das ursprüngliche symmetrische Fassadenkonzept greift nicht mehr und muss entsprechend re-formuliert werden.

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oder die Bauverwalterin, die statt der technischen Prüfungen auf das Urteil eines städtebaulichen Experten zurückgreift. Auf diese Weise findet jeweils eine Öffnung des Prozesses statt, die die Bauverwaltung als aktiven Siedlungsgestalter auftreten lässt, da sie an die Bauprojekte im Zuge ihres Fertigungsprozesses anstelle der technischen und formalisierten Kriterien projektabhängige qualitative Maßstäbe des Prüfens hinzufügt. Die Eigenlogik der administrativen Praxis dient dieserart der Justierung der Wirkung. Diese Art der Prozessöffnung institutionalisiert die Bauverwaltung im Forum der Stadtbildkommission und der Sondersitzungen, in denen Bauprojekte an den Expertisen des Städtebaus gemessen werden. Hier soll auch der Praxis der »Taschenrechnerarchitekten« (Interviewaussage eines Hochbauleiters, siehe Gedächtnisprotokoll, Fußnote 206, Kap. 5.2), die sich zu stark auf das Bau- und Planungsrecht beziehen, entgegengewirkt werden. Im folgenden Kapitel stehen diese Arbeitssessionen als eine weitere empirische Tiefenbohrung im Zentrum der Betrachtung. Vor dem Hintergrund dessen werde ich folgende Fragen klären: Wie knüpft die Arbeitssession an Vorheriges an? Welchen Beitrag leisten diese Arbeitssessionen zur Beförderung des Projekts? Inwieweit unterscheiden sich jene Methoden von den bisherigen? Und was bedeutet dies für das Bauprojekt? (siehe Forschungsfragen 1-4, Kap. 1.1.2).

VII. Beurteilung

Videostill 2: Stadtbildkommission, Diskussionen am Bauprojekt, Korpus ,1 00:04:48.

Das vorliegende Kapitel ist in zweifacher Hinsicht eine empirisch fundierte Tiefenbohrung der besonderen Art. Denn einerseits erweitert es den Datenkorpus um Videoaufnahmen der beobachteten Situationen und es verlässt das enge Korsett des administratives Felds des Prüfens andererseits. So wurde in den bisherigen Kapiteln (Kap. 4.1-6) deutlich, dass das Bauprojekt mit der Übergabe in die bürokratische Maschinerie mit unterschiedlichen administrativen Praktiken des Prüfens, Ordnens und Aufbewahrens konfrontiert wird. Im Zuge der Baueingabe und der administrativen Praxis des Case-Makings wird das Bauprojekt in einen administrativen Fall übersetzt. Hier findet eine diagnostische Einordnung und Fallbestimmung statt, welche Hinweise auf den weiteren Prozessverlauf gibt: Ist das Bauprojekt dem ordentlichen Verfahren zu zu-

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ordnen? Welche weiteren Arbeitssessionen und -schritte sind für den Bewilligungsentscheid nötig? Die Baueingabe ist vor dem Hintergrund dessen als ein wichtiger Passagepunkt zu bezeichnen, den jedes Bauprojekt passieren muss, um zur Baureife zu gelangen. Zugleich akzeptieren alle beteiligten Akteure eine neue Zeitlichkeit, nämlich die der administrativen Zeit, die unabhängig von der jeweiligen Erlebniszeit der Akteure zu begreifen ist und fortan den Lauf des Bauprojektes durch die administrative Mühle bestimmt (Kap. 5.1). Es wurde ebenfalls deutlich, dass das Bauprojekt als administrativer Fall in Informationssegmente zerlegt wird und in Form von Akten in Baudossiermappen zusammengefasst zwischen den Büros der Bauverwaltung zirkuliert. Die Akten verkörpern die materielle Übersetzung des Bauprojektes in einen administrativen Fall und gleichsam einen fallspezifischen administrativen Werkzeugkasten bestehend aus Plänen und Formularen. In Kombination mit den unterschiedlichen materiellen Trägern (Pläne, Formulare, Normen, Gesetze) der Infrastruktur (Gebäude, Mobiliar) und den Akteuren werden diese Informationssegmente (Bauprojekt als administrativer Fall) lesbar (Kap. 6). Etwa bei den intimeren Treffen im Rahmen der Sprechstunde zwischen Hochbauleiter und Architekt, wo die Informationssegmente des Bauprojektes eine wichtige Grundlage darstellen, zugleich aber die Wahl der visuellen Werkzeuge (Maßstäblichkeit und Art der Pläne) in situ für die Diskussionsgrundlage entscheidende Relevanz besitzt (Kap. 5.2). Ging es bisher im Inneren des Bauverwaltungsapparates vor allem um die unterschiedlichen Formen des Prüfens technischer und gesetzlich verbindlicher Qualitätskriterien – jene Praktiken weisen die Bauverwaltungen als einen Prüfungsapparat aus – verlässt die Arbeitssession der Stadtbildkommission diesen engen Rahmen der technischen Prüfung und administrativen Kontrolle. Die normativen und technischen Rahmenbedingungen von Bauprojekten schwingen in der Arbeitssession der Stadtbildkommission (SBK) resp. der Sondersitzung mit, sind aber selten die ausschlaggebenden Faktoren für die Empfehlungen der Kommission und die Diskussionen am Bauprojekt. Es sei denn, es gilt, jene gesetzlichen Regelungen zu verwerfen oder zu erweitern. Die folgende Analyse fokussiert dementsprechend auf diesen Umschwung und diskutiert die praktischen, symbolischen und materiellen Investitionen und Handlungsvollzüge, um das Bauprojekt durch die SBK zu befördern. Ich werde die Eigenlogik und Wirkmacht dieser Arbeitssession aufzeigen, wenn der technischen Prüfung der Bauprojekte die Beurteilung qualitativer (urbaner) Qualitätskriterien durch den Einbezug städtebaulicher Experten hinzugefügt werden und der noch in der Sprechstunde angestrebte intime Rahmen eines Vier-AugenGesprächs zu Gunsten einer Prozessöffnung wieder gelöst wird. Dabei wird sich

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zeigen, dass in dieser Arbeitssession der Einsatz von visuellem Material (Pläne, Modelle, Visualisierungen) das Switchen zwischen verschiedenen Maßstabsebenen und die Variation des Abstraktionsgrades wichtiger denn je sind, um gemeinsame Diskussionen und Übersetzungsleistungen zu fördern. Im Zuge dessen wird auch geklärt, welche Funktion die SBK im Fertigungsprozess einnimmt. Denn ebenso wie die vorherigen Episoden Baueingabe, Sprechstunde oder die Arbeit im Büro ist die SBK trans-sequentiell getaktet, insofern Ereignisse und Prozess zu einer Fertigung integriert werden und die Arbeit am Bauprojekt jeweils an Vorheriges anknüpft und auf Künftiges verweist. Es stellen sich die Forschungsfragen, welchen Beitrag die Stadtbildkommission zur Beförderung des Bauprojektes leistet? Wie knüpft sie an Vergangenes an und verweist auf Zukünftiges? Wie ist der Stellenwert des Ereignisses im Bewilligungsprozess einzuordnen? Inwieweit unterscheidet sich die Arbeit der Stadtbildkommissionssitzung von den bisherigen Methoden der Bauverwaltung? Und was bedeutet die eventuelle Abweichung resp. Erweiterung der Methoden für das Bauprojekt? (Kap. 1.1.2) Datengrundlage Grundlage der folgenden Ausführungen sind meine Forschungsaufenthalte in den Untersuchungsgemeinden und die im Zuge dessen angefertigten Feldnotizen sowie die Videoaufnahmen der Stadtbildkommission in Wetzikon und die Aufnahme der Sondersitzung in St. Margrethen. Im Zentrum steht ein eintägiger Sitzungszyklus der Stadtbildkommissionssitzung in Wetzikon, in dessen Verlauf vier Bauprojekte verhandelt wurden und ein rund dreieinhalbstündiger Videodatenkorpus entstand. Auf Grund der in der Dissertation angestrebten Bearbeitungstiefe und der thematischen Ausrichtung (ausführlich siehe Kap. 1.3.2) beschränke ich mich bei der Auswahl des Datenmaterials auf einige zentrale Videostills, die der Analyse dienlich sind und einen sehr guten Einblick in die Arbeit der Stadtbildkommission (SBK) geben. Dementsprechend werden, der Struktur der SBK folgend, wichtige Situationen der Sitzung herausgegriffen: die Projektvorstellung, die interne Diskussion und das Feedback der Kommission an die Projektverfasserinnen und -verfasser.1 Zudem wird vor dem Hintergrund der Fragestellung der Dissertation, die auf die Methoden und Prozesse der Bauverwaltung und die Formulierung resp. Re-Formulierung qualitativer Kriterien abzielt, ein Ausnahmefall der Sondersitzung in St. Margrethen hinzugezogen, um die Fülle und das Spektrum der vorliegenden Arbeitssession zu verdeutlichen.

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Allgemeiner Ablauf der SBK: Briefing (ohne Projektverfasserteam) => Projektpräsentation und Beantwortung offener Fragen => Beratung (unter Ausschluss des Projektverfasserteams) => Feedback => Verabschiedung.

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Aufgaben der Stadtbildkommissionssitzung Bevor die Studie in die Analyse der Stadtbildkommission (SBK) einsteigt, gebe ich einen kurzen Überblick zu den Aufgaben und der Schaffung der Kommission im deutschsprachigen Raum. Diese Kontextinformationen sind für das Verständnis und die Einordnung der folgenden Ausführungen zentral. Die Kompetenzen der SBK im deutschsprachigen Raum variieren stark. Vorbild für viele SBK war die Schaffung der SBK in Salzburg, Österreich 1983. Diese agierte losgelöst von Politik und Verwaltung und setzte sich aus ortsunabhängigen Architektinnen und Architekten und Kunstkritikerinnen und Kritikern zusammen. Ihre Aufgabe bestand in der Beurteilung größerer Bauprojekte, die ihnen die Bauverwaltung zukommen ließ. Im Laufe der Zeit forcierte das Gremium eine Kultur der projektbasierten Planung. Mit Änderung der politischen Verhältnisse wurden ihre Aufgaben stark beschnitten (Snozzi & Fumagalli 1988). Ähnliches wiederfuhr der SBK in Basel. Diese hatte gegenüber den übrigen SBK in der Schweiz als unabhängiges Gremium (von Politik und Verwaltung) eine Sonderstellung und urteilte allein aus architektonischer Warte. Dabei beurteile sie auch unbedeutendere Bauten, da diese in der Summe das Stadtbild weit mehr prägten als einzelne Großprojekte, so die Einstellung der SBK (E.H. 1993). Mit der Änderung der politischen Verhältnisse 1993 wurde die Autonomie der Kommission stark beschnitten, sodass sie wie ein Großteil der SBK der Schweiz wie in Wetzikon institutionell an die Bauverwaltung angeschlossen ist.

7.1 S TADTBILDKOMMISSION : E XTERNE E XPERTISEN UND D ISKUSSIONEN AM O BJEKT 7.1.1 Stadtbildkommission in Aktion Die nachfolgende Sitzung der Stadtbildkommission fand an einem Dienstag im März 2012 statt. In deren Vorfeld bereitete der Hochbauleiter die Sitzung vor, stellte die Traktanden zusammen und lud die Fachexperten2 und Projektverfas-

2

Fachexperten = wahlweise Expertinnen und Experten aus den Bereichen Architektur, Landschaftsarchitektur, Denkmalpflege mit mehrjähriger Berufserfahrung und Referenzen im Umgang mit städtebaulichen Projekten sowie Erfahrung bezüglich selbstständiger Projektierung und Realisierung (siehe Reglement SBK Wetzikon 2012). Die aktuelle SBK setzt sich aus zwei Architekten und einem kantonalen Denkmalpfleger zusammen sowie den Verwaltungsmitarbeitenden (Hochbauleiter und Stadtplaner).

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ser3 schriftlich zur Sitzung ein. Auf der Traktandenliste stehen vier Bauprojekte, die bereits das Nadelöhr der Baueingabe passierten, in Sprechstunden besprochen und in den bürokratischen Apparat eingeordnet wurden (vgl. dazu Kap. 5.16). Neben dem Neubau eines Schulpavillions, eines Mehrfamilienhauses in der Kernzone und dem Umbau eines großen Einkaufszentrums steht auch der Umund Neubau des Bauprojekts der Architektin auf der Traktandenliste. Die Entscheidung der Bauverwaltung, die Bauprojekte in die Arbeitssession der Stadtbildkommission (SBK) einzubringen, erfolgte auf Grund der diagnostischen Praxis der Bauverwalterin (Kap. 5.1) und der prüfenden Arbeit in den Büros (Kap. 6) sowie auf Grund des Urteil des Hochbauleiters, der im Nachgang der Sprechstunden oftmals eine Qualitätsdebatte des Bauprojekts in einem Fachgremium anrät (Kap. 5.2).4 Gemeinsam mit den Fachexperten, dem Stadtplaner und dem Hochbauleiter befinde ich mich permanent im großen Sitzungssaal der Gemeinde, während die Projektverfasser nach einem kurzen internen Briefing5 in den Saal gerufen werden. Die Analyse steigt mit einem Videostill des Bauvorhabens, das bereits in der Arbeitsepisode der Sprechstunde besprochen wurde, ein.6

3

Projektverfasser = wahlweise eine Kombination aus Architekten, Hochbauzeichnern, Bauherrn resp. Investoren. Das Projektverfasserteam des Bauprojekts der Architektin K. besteht aus: Einem Architekten, einem Hochbauzeichner und einer Praktikantin.

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Das Bauvorhaben des Schulpavillions bildete eine Ausnahme. Die Projektverfasser waren nicht an einer Face-to-Face-Besprechung interessiert, sodass die Bauverwaltung nach der Baueingabe und dem vielfältigen administrativen Prüfungsprozedere das Bauvorhaben direkt auf die Traktandenliste der SBK setzte. Die Bauverwaltung und Projektverfasser treffen auf diese Weise erstmals im Forum der SBK aufeinander. Diese Situation wird von der Verwaltung auch im Sinne der Projektverfasser möglichst vermieden, da auf diese Weise die in der Sprechstunde vollzogenen Tastbewegungen ebenso fehlen wie eine gegenseitige Einschätzung des Bauprojekts resp. der Akteure. Im Zuge dessen könnte die Einbestellung in die SBK gegebenenfalls wegfallen.

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Das Briefing vollzieht sich zumeist sehr schnell. Der Hochbauleiter oder der Stadtplaner informieren die Fachexperten in Kürze über das zu besprechende Projekt (Nun folgt der Um-/Neubau des Bauernhauses der Architektin. Sie war bereits zwei Mal bei mir. Das Haus steht unter Denkmalschutz). Manchmal werden Hinweise auf die Konzepte und Vorstellungen der Gemeinde gegeben: »Der Bauherr möchte das Haus hier quer zur Straße stellen. Unser Konzept ist, an dieser Stelle die Kleinstruktur zu erhalten […].« (Aussage eines Stadtplaners)

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Zur Erinnerung: Um die Anonymität der Teilnehmenden zu wahren, wird auf eine namentliche Nennung der beteiligten Personen verzichtet (siehe Kap. 1.2.3).

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Situationsbeschrieb Videostill 3: Stadtbildkommission, Projektvorstellung, Korpus 1 (3), 00:01:29.

Schauplatz der Stadtbildkommission ist der große Sitzungssaal von Wetzikon (siehe Videostill 1 und Abb. 29). Im Zentrum steht ein großer Konferenztisch, um den sich die Teilnehmenden versammelt haben. Es sind dies: An der Stirnseite des Tisches der Hochbauleiter (er vertritt den Baukommissionspräsidenten). Zur Linken des Leiters sitzt der Stadtplaner, daneben das Projektverfasserteam7 bestehend aus Architekt, Hochbauzeichner und Praktikantin. Der Bauherr sitzt dem Hochbauleiter gegenüber. Er orientiert sich aber zum Architektenteam an seiner rechten Seite. Neben dem Bauherren sitzen linkerseits die externen Experten bestehend aus einem Architekten B., Denkmalpfleger und einem weiteren Architekten A. (gerade verdeckt).8 Vor den Teilnehmenden liegen verschiedene Materialien: Stifte,

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Zur Erinnerung: Im Zentrum der Sitzung wird das Bauprojekt stehen, welches bereits in der Sprechstunde besprochen wurde: Um- und Neubau eines denkmalgeschützten Bauernhofs vgl. auch Kap. 5.2.3. An der SBK besteht das Projektverfasser team aus: Einem Architekt, einem Hochbauzeichner und eine Praktikantin, die ebenfalls an der Ausarbeitung des Bauprojekt beteiligt sind (zur Methodik siehe Kap. 1.3.3.).

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Ich selbst habe mit meiner Videokamera gegenüber dem Hochbauleiter an einem anderen Tisch Platz genommen. Diese Position ermöglichte es mir, als stille Beobachterin an der Sitzung teilzunehmen und mit meiner teilweise mobil eingesetzten Videokamera eine möglichst natürliche Situation (siehe dazu Kap. 3.4) aufzunehmen. Zum

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Papier, Notizen zum Projekt, Ablaufpläne der Sitzung (mit Ausnahme der Projektverfassenden), Trinkbecher, Telefone. Zudem hat der Hochbauleiter einen dicken Baudossiersordner des Projektes und das Baureglement neben sich platziert. Neben den Projektverfassenden liegen Pläne und Visualisierungen, die während der Sitzung zum Einsatz kommen sollen. In der Tischmitte steht bereits ein kleines Schaumodell, das das Bauensemble verkörpert. Der Hochbauzeichner rollt einen Detailplan des Bauprojektes aus. Der neben ihm sitzende Architekt ist ihm dabei behilflich. Alle anderen Teilnehmenden schauen den Handlungsvollzügen sitzend, leicht über den Tisch gebeugt, zu (vgl. Videostill 1, 2) (Vignette 6a Stadtbildkommission, Situationsbeschrieb). Sitzungsökologie der Stadtbildkommissionssitzung Die Analyse der Sitzungsökologie der SBK fokussiert ebenso auf die Handlungsträgerschaft der materiellen Infrastruktur und das Zusammenspiel mit den Teilnehmenden als auch auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der vorausgegangenen Settings. Dieserart können Hinweise zur Aufführung der Sitzung herausgeschält werden (im Vgl. dazu siehe Kap. 5.2 und Kap. 8): Der Sitzungsort der SBK ist der Rats- bzw. Sitzungssaal, der mit seiner materiellen Infrastruktur eine starke repräsentative Bedeutung trägt. Diese setzt sich aus dem Zusammenwirken des großzügigen Raumvolumens, der Lage im Verwaltungsgebäude (im Erdgeschoss leicht zugänglich, siehe Kap. 3.2), der großen Fenster, hohen Decke, glatten Wände sowie der Möbel (großer Sitzungstisch, einheitliche Stühle), deren zentraler Platzierung im Raum und der symbolischen Aufladung des Settings durch die Akteure zusammen (siehe Kap. 4.2). Im Lichte dessen werden die Teilnehmer von der Bauverwaltung nicht auf die administrative Hinterbühne eingeladen, sondern auf die repräsentative Vorderbühne des Rats- bzw. Sitzungssaals der Gemeinde. In diesem Interieur haben sich die Akteurinnen und Akteure in der obigen Szene in Position gebracht. Als Sitzungsleiter hat der Hochbauleiter am Kopf des Tisches Platz genommen. Um ihn herum gruppieren sich rechter Hand die Fachexperten, linker Hand der Stadtplaner. Sie bilden eine relativ geschlossene Gruppe gegenüber dem Projektverfasserteam, das sich links vom Stadtplaner um den Tisch gesetzt hat, wobei sich der Bauherr an der gegenüberliegenden Stirnseite klar zum Architektenteam orientiert. Verstärkt wird die Bildung zweier Gruppen durch den vergrößerten Abstand zwischen Stadtplaner und Architekten (Videostill 3 und Abb. 29). Der große Sitjeweiligen Beginn eines neuen Traktandums habe ich mich und mein Forschungsprojekt in Kürze vorgestellt und die jeweiligen Projektverfasserteams um ihr schriftliches Einverständnis zur Videoaufnahme und der Datenverwendung gebeten.

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zungstisch fördert die Distanz zwischen den beiden Gruppen ebenfalls, ermöglicht zugleich aber intime Gespräche mit den Nachbarn (siehe Argyle 1975) und das Ausbreiten des visuellen Materials, das in Form von Modellen, Plänen und Visualisierungen Ansichten des Bauprojektes wiedergibt (siehe Kap. 7.1.1). Abb. 29: Sitzungsordnung im Sitzungssaal I, eigene Darstellung.

Hochbauleiter Stadtplaner Architekt (Projektverfassende) Hochbauzeichner (Projektverfassende) Praktikantin (Projektverfassende) Bauherr (Projektverfassende) Architekt A (Experte) Denkmalpfleger (Experte) Architekt B (Experte)

Im Sitzungssaal I Die Bildung zweier Gruppen im Forum der SBK unterscheidet sich zum VierAugen-Gespräch der Sprechstunde. In der Arbeitssession der Sprechstunde gibt es zwar ebenfalls zwei Gruppen resp. Parteien, doch bestehen sie nunmehr aus zwei Personen: Hochbauleiter und Architektin, die sich an einer Tischecke zusammengesetzt haben. Hier werden einerseits Tastbewegungen zwischen Verwaltung und Städtebau vollführt und andererseits eine zeitweilige fiktive Interessengemeinschaft zwischen beiden gebildet, hervorgerufen durch die vertrautere Gesprächssituation und die Praxis der Einzelberatung der Verwaltung, die dem Bauprojekt zur Bewilligung verhelfen soll (Kap. 5.2). Im Vergleich dazu gibt die Sitzungsökologie der SBK durch die frontale und abgrenzende Setzung Hinweise darauf, dass hier etwas verhandelt wird, bei dem zwei Parteien gegeneinander antreten resp. unterschiedliche Positionen vertreten. Brachte die Situation im Sitzungszimmer der Sprechstunde und deren strukturräumliche Ordnung (wie die egalitären Sitzgelegenheiten) eine Entlastung des asymmetrischen Verhältnisses

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zwischen Bauverwaltung und Projekteingeber mit sich (siehe Kap. 4.1-5.2), so wird auch im Forum der SBK eine Gesprächssituation auf Augenhöhe angestrebt. Doch ebenso wie im Modus der Sprechstunde, in welcher der Hochbauleiter vor dem Eintreffen der Klientin eine Platzwahl getroffen hat, nehmen auch die Fachexperten und Vertreter der Verwaltung eine vorgelagerte Platzmarkierung vor, die sie als Gruppe ausweist und deren Rolle als Mitglieder einer Beurteilungs- und Empfehlungskommission festigt: Sie sind es, die das Projekt der Hereinkommenden begutachten. Die jeweils Eintretenden müssen sich mit diesen positionellen (Sitzpositionen), materiellen (Sitzungsartefakte- und mobiliar) wie symbolischen (Bedeutung des Ortes und der bereits anwesenden Personen) Inputs arrangieren (vgl. dazu Kap. 5.2). Dabei muss die Sitzungsökologie stets als Zusammenspiel der materiellen Infrastruktur und der körperlichen Mobilisierung der Akteure gelesen werden, die jeweils in situ hervorgebracht wird. Die Handlungsträgerschaft (Agency) des Sitzungszimmers der SBK verbindet sich mit den Arbeitspraktiken der Akteurinnen und Akteure und gibt ihr Richtung und Form. So ist die praktische Performativität der Sitzungsordnung indes weniger in die Büroartefakte (Tisch, Stühle, Stifte, visuelle Werkzeuge) oder deren symbolische Aufladung eingeschrieben, als dass sie sich jeweils im Zuge der (körperlichen) Mobilisierung und praktischen Ausführung artikuliert (vgl. auch Schmidt, R. 2012). Erzeugte etwa das Treffen zwischen Hochbauleiter und der Architektin in einem Sitzungszimmer durch das Sitzen über Eck eine relativ vertraute Gesprächssituation, kommt es mit der Öffnung des Forums durch den erweiterten Teilnehmerkreis zu der oben beschriebenen Artikulation der Sitzungsökologie.9 Dabei unterscheidet sich die Sitzungsökologie der SBK maßgeblich von den bisherigen Arbeitssituationen der Baueingabe, der Sprechstunde oder der Arbeitssituation in den Büros. Für die SBK wird ein Forum eröffnet, das weitaus platzintensiver und partizipativer ist, als die Raumökologie eines kleinen Sitzungszimmers oder der Kundenkontakt am Tresen es je ermöglichen würden.

9

Zwei weitere Beispiele aus der teilnehmenden Beobachtung stärken diesen Punkt: Bei einer weiteren Projektbesprechung der SBK versuchen zwei eingeladene Projektverfasser im Rahmen der sozio-materiellen Infrastruktur eine Sitzordnung zu erzeugen, die ihrem Anliegen entspricht und die personelle Überzahl der SBK entschärft. Sie positionierten sich mittig der linken Tischflanke und hielten den Tisch vor sich frei bis auf ein einziges kleines Modell. Im Forum der Projektbesprechung einer Sondersitzung im großen Sitzungsraum von St. Margrethen positionierten sich die zwei eingeladenen Architekten und die Vertreter der Verwaltung gegenüber den zwei Gemeinderäten, um zwei Bauprojekte zu besprechen.

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7.1.2 Diskussionen am Bauprojekt Es folgt in Ergänzung zur vorausgegangenen Vignette (6a) eine weitere, die das Einbringen der visuellen Werkzeuge (Pläne, Modelle, Renderings) in der SBK verdeutlicht10: Drei mit Taschen und tragbaren Planrollen behangene Projektverfassende kommen in den Sitzungsraum der SBK; die Kommissionsmitglieder befinden sich bereits dort. Die Projektverfassenden schleppen drei große hölzerne Schachteln. Zwei der Architekten beginnen, an der rückliegenden Wand Pläne aufzuhängen (nicht im Videostill zu sehen), während der dritte eine hölzerne Schachtel nach der anderen öffnet und die zueinander passenden Modellteile herausholt. Unter den aufmerksamen Blicken der Kommissionsmitglieder baut er mit geübten Handgriffen das Modell zusammen. Er kommentiert seine Handlungen wie folgt: »Wir haben gerade einmal das ganze Zentrum dargestellt. Das ist ja nicht ganz unwesentlich bei der Sache.« Die Mitglieder der SBK haben sich von ihren Plätzen erhoben und schauen dem Aufbau des Modells zu (Videostill 3) (Vignette 6b, Stadtbildkommission, Einbringen von visuellen Werkzeugen).

10 Diese zu Anfang der SBK-Sitzung aufgeführte, zum Teil nonverbale Praxis konnte ich wiederholt beobachten und mit der Videokamera aufzeichnen. Wenn ich auf die Praxis der Akteure im Umgang mit dem Objekt abstelle, rekurriere ich mit der Auswahl der Videostills auf den Fokus Bettina Mohns. Sie konzentriert sich im Rahmen ihrer Kameraethnographie auf die Wie-Fragen der alltäglichen körperlichen Praktiken (vgl. Mohn 2008, zur Methodik der Studie vgl. Kap. 1.3).

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Videostill 4: Stadtbildkommission, Ausbreiten von Plänen, Korpus 1 (3), 00:01:29, Ausschnitt.

Videostill 5: Stadtbildkommission, Aufbau eines Modells, Korpus 1 (2), 00:03:59.

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Ich fokussiere zunächst auf die unterschiedlichen Praktiken der beiden Projektverfasserteams (Vignette 6a, Videostill 4 und 6b, Videostill 5), um das Einbringen der visuellen Werkzeuge in die SBK zu reflektieren. Das Projektverfasserteam kommt wie oben beschrieben in den bereits belegten Sitzungsraum und muss sich nach dem Empfang durch den Sitzungsleiter an der Tür Sitzplätze suchen und aktive Raumarbeit leisten, um die jeweilige Position zu definieren (siehe im Vgl. Kap. 5.1 und 5.2). Sie tun dies, indem sie wie der Hochbauzeichner Pläne ausrollen (Vignette 6a) oder der Architekt im zweiten Beispiel ein Schaumodell zusammenbaut (Vignette 6b). Auf diese Weise ziehen sie die Blicke und die Aufmerksamkeit der übrigen Kommissionsmitglieder auf sich (sie schauen dem Treiben stehend zu oder beugen sich sitzend weit über den Tisch, um der Situation besser folgen zu können). Die Projektverfassenden bringen sich zugleich selbst in Relation zu ihrem visuellen Material in Position. Sie belegen die große freie Tischfläche resp. Wände (zwei Projektverfassende hängen Pläne an der Wand auf, Vignette 6b) mit ihrem Bauprojekt, sodass eine erste visuelle Vergegenwärtigung des Bauprojektes stattfindet. Im ersten Beispiel (Vignette 6a, Videostill 3) wird für einen Moment die volle Aufmerksamkeit aller Teilnehmenden auf die Handlungen der Ausbreitenden und den Plan gezogen, auch weil der Plan sehr groß ist und der neben ihm sitzende Projektverfasser beim Ausrollen behilflich ist. Erst dann wird mit der Besprechung begonnen bzw. fortgefahren. Im Falle des Aufbauens des Einlegemodells durch den Architekten ist das mitgebrachte Modell äußerst raumgreifend (Videostill 5). Der Aufbau des Modells wird regelrecht inszeniert.11 Der begleitende Kommentar »Wir haben gerade einmal das ganze Zentrum dargestellt. Das ist ja nicht ganz unwesentlich bei der Sache« des aufbauendenden Architekten unterstreicht den performativen Akt der Handlung und dessen Bedeutung. Hier ist nicht nur das Bauprojekt wiedergegeben, sondern ein Großteil der städtebaulichen Situation der Gemeinde. Das Bauprojekt wird auf diese Weise direkt im Kontext der städtebaulichen Situation verortet und zugleich dessen (vermeintliche) Relevanz für die Gemeinde aufgezeigt. Das mitgebrachte Modell des Bauprojektes in Vignette 6a (Videostill 4 und 5) hingegen zeigt (lediglich) das Ensemble des Bauprojektes, ohne auf die nähere Umgebung einzugehen, sodass diese der Imagination der Akteure überlassen bleibt – immer aber findet mit dem Aufstellen der Modelle, dem Ausbreiten und Aufhängen der Pläne eine Kompetenzsetzung statt, insofern es die Projektverfasser sind, die die visuellen Werkzeuge zur Diskussion am konkreten Bauprojekt zur Verfügung stellen. Dies kann

11 In den Augen einer Zuschauerin oder eines Zuschauers wirkt diese Praxis geradezu theatralisch.

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als Hinweis auf ihre Fachkompetenz und ihre Ambitionen begriffen werden, welcher Art sie gedenken, das Bauprojekt zu besprechen (siehe unten). Den Kommissionsmitgliedern erlaubt diese Setzung eine Einschätzung der Professionalität der Diskussionspartner und des zu besprechenden Bauprojektes, das für die Fachexperten bei der erstmaligen Projektbesprechung in der SBK bis dato einzig als schriftliches Traktandum auf der Liste existiert.12 Insofern muss das Ausbreiten der Pläne und Modelle sowohl als Beginn der Diskussionen um das Bauprojekt gelesen werden als auch als praktische Vergegenwärtigung visueller Übersetzungsleistungen, die das konkrete Projekt verkörpern und für die Diskussion einen gemeinsamen Bezugspunkt bieten. Für die Projektverfassenden wird das Bauprojekt dieserart ebenso konkret wie für die Kommissionsmitglieder13, weshalb es ab dem Zeitpunkt des Ausbreitens von allen Teilnehmenden in der Diskussion benutzt werden kann. Entscheidend dabei ist vor allem, dass diese visuellen Transformationen das Bauprojekt jeweils aus einer anderen Perspektive und in unterschiedlichen Maßstäben und Detailgraden fassen: Pläne zeigen einen jeweils spezifischen technischen Ausschnitt oder eine Übersicht, Renderings und Visualisierungen zeigen eine Fotomontage des künftigen Gebäudes oder Details der Fassadengestaltung und Modelle zeigen die Volumetrie des Bauprojekts. Ihnen allen liegen unterschiedliche Stärken und Schwächen zu Grunde, wobei ich zeigen werde, dass sie jeweils spezifische Argumente für ein Bauprojekt (vgl. Yaneva 2009, Kap. 5.4) bilden können. Im Sitzungsverlauf gilt es, das visuelle Material von den Kommissionsteilnehmern und Projektverfassern gekonnt zu benutzen, um Argumente oder Empfehlungen am Bauprojekt zu befestigen. Jene Praxis wird im Kommenden eingehender analysiert, denn die Arbeitsepisoden verdeutlichen, dass das Einbringen visueller Werkzeuge zur Konkretisierung des Bauprojekts zu Beginn einer SBKSitzung resp. Sondersitzung einen entscheidenden Moment markiert. Dieser Befund zielt auf die zweite Forschungsfrage ab14 und gibt insbesondere Antworten

12 Für die Fachexperten ist dies nicht immer einfach, da sie sich im Voraus, im Ggs. zu den Mitarbeitenden der Gemeindeverwaltung, keinen Überblick über das Projekt verschaffen können. Im Vorfeld abgehaltene Ortsbesichtigungen sind selten. Kommt ein Bauprojekt wiederholt in die SBK-Sitzung, erlaubt das mitgebrachte Modell bereits zu Beginn der Sitzung eine Einschätzung aller Kommissionsmitglieder bezüglich der vormals erbetenen Änderungen des Bauprojektes. 13 Wobei die administrativen Vertreter der politischen Gemeinde das Bauprojekt bereits aus den vorausgegangenen Arbeitssessionen kennen (siehe Kap. 5-6) 14 Wie bzw. inwiefern werden Bauprojekte im Zuge der administrativen Arbeit formuliert resp. re-formuliert (Kap. 1.1.2)?

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auf die Teilfrage nach dem Gebrauch von visuellen (sowie administrativen) Werkzeugen und klärt zum Teil die Frage nach der Kooperation zwischen Bauverwaltung, Projetverfassenden und Expertinnen und Experten (Forschungsfrage 1, Teilfrage siehe Kap. 1.1.2). Diskussionen am Objekt I: Technische Kriterien versus visionäre Konzepte Bei der Teilnahme an den Sitzungen der SBK resp. an Sondersitzungen ließ sich ein entscheidendes Moment beobachten, das aus dem laufenden Sitzungsgeschehen der Projektpräsentation heraustritt: Die Benutzung eines spezifischen visuellen Werkzeuges, welches als schlagendes Element für oder gegen das Bauprojekt ins Feld geführt wird. Diese Praxis gibt Antworten auf den zweiten Fragekomplex der Studie, die die Benutzung visueller und administrativer Werkzeuge thematisiert und somit Hinweise auf die Veränderungen und Übersetzungsleistungen des Bauprojektes in Arbeit gibt (Kap. 1.1.2). Die Benutzung eines Werkzeuges markiert oft eine entscheidende Wende für den Sitzungsverlauf und insbesondere das Bauprojekt. In Videostill 4 und Videostill 5 ist jeweils ein solcher Moment in zwei unterschiedlichen Sitzungen zu beobachten. Während im ersten Videostill ein Dokument im Fokus steht, handelt es sich im zweiten um ein kleines Schaumodell. Nachfolgend konzentriere ich mich auf diese Momente, auch um ausgehend von den Situationen des Umschwungs die Methoden und Prozesse der Teilnehmenden bei der Projektvorstellung aufzuzeigen und zu verdeutlichen, was jeweils am Bauprojekt befestigt wird resp. welche, vor allem materiellen Argumente, eingebracht werden. Dies führt auch zur Zuspitzung der Beantwortung der Forschungsfragen nach der Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltungen.15 Den Einstieg zur ethnographischen Analyse bildet eine Vignette zur Vorstellung des Bauprojektes durch die Projektverfassenden. Die Projektvorstellenden sind am Zug und erläutern ihr abgeändertes Bauprojekt. Der Hochbauzeichner sagt: »[…] dann (deutet auf den Detailplan) haben wir kein Problem mit den Grenzabständen.« Woraufhin der Hochbauleiter antwortet: »Baurechtlich gesehen ist es in Ordnung«. Pause. Es folgt eine kurzer Moment der Stille.

15 Teilfragen aus Forschungsfrage 1 und 2: Welche Eigenlogik liegt der Bauverwaltung bei der Begleitung, Beurteilung und Bewilligung zu Grunde? Welche Teile des Netzwerkes werden aktiviert? Was wird jeweils am Bauprojekt befestigt? Wie werden Dokumente, Pläne und sonstige visuelle Werkzeuge gebraucht? (siehe Kap. 1.1.2).

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Dann stellt der als Experte in die SBK eingeladene Architekt A. in schneller Folge Fragen: »Ist das die Rampe zur Tiefgarage (zeigt mit dem Finger auf den Plan)? Parallel zur Straße?! […] In welcher Projektphase befinden Sie sich?« Der Stadtplaner interveniert und lenkt durch das Hochhalten eines Dokuments und die explizite Zeigegeste die Aufmerksamkeit der Projektvorstellenden auf das Papier. Der Hochbauleiter blickt ebenfalls mit verschränkten Armen in Richtung des hochgehaltenen Dokuments des Stadtplaners. Dabei sucht der Stadtplaner die Blicke der Vorstellenden. Er fragt: »Die Lebensphilosophie, die Vision gibt`s die noch?« Sodann deutet er mit einer Hand auf die Pläne, während er fortfährt: »[…] das, was sie uns da jetzt zeigen ist eine völlige Auflösung der Struktur.« Die übrigen Fachexperten schauen ihrerseits gemeinsam in ein weiteres Dokument. Das Modell, die übrigen Pläne und die weiteren verstreuten Papiere auf dem Tisch rücken aus dem Fokus der Teilnehmenden (Vignette 7, Stadtbildkommission, Projektvorstellung). Videostill 6: Stadtbildkommission, Einbringen der Vision, Korpus 1 (3), 00:15:36.

In dem Moment der Intervention (Videostill 4) befestigt der Stadtplaner einen entscheidenden Sachverhalt am Bauprojekt und bringt mit Hilfe des Dokuments ein Argument, welches die Diskussion verändert: Er bringt die Vision ins Spiel (»Die Lebensphilosophie, die Vision gibt’s die noch?«). Derweil er argumentiert, hält er immer wieder das Dokument in die Höhe, blättert darin und verweist mit eindeutigen Zeigegesten darauf. Er möchte wissen, wo in dem Bauprojekt die im Ursprungskonzept enthaltenen Themen wie Quartiertreff, Kinderbetreuung, Gruppenraum – zusammenfassend: die Durchmischung – geblieben ist. An dieser Stelle erfolgt ein Bruch und ein Wechsel von der Besprechung rein technischer Qualitätskriterien hin zu qualitativen Kriterien. Denn das Projektverfasserteam verließ bis dahin nicht die technische Ebene der Präsentation und be-

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schränkte sich durch Einbezug des Modelles auf die Platzierung und Relation der Gebäude sowie auf die Beschreibung der Grenzabstände und Thematisierung der Parkierung mittels der Pläne und Visualisierungen. Der Stadtplaner unterbricht durch das Hochhalten des Ursprungskonzeptes die Projektpräsentation und zwingt die Vorstellenden, auf diese Intervention zu reagieren. Die Sitzungssituation, die bis dahin aus der Projektvorstellung und Fragen an den Hochbauleiter bezüglich normativer gesetzlicher Richtlinien bestand (Hochbauzeichner.: »dann haben wir kein Problem mit den Grenzabständen.« Hochbauleiter: »baurechtlich gesehen ist es in Ordnung.«) sowie gelegentlichen Zwischenfragen und Kommentaren (»Ist das die Rampe zur Tiefgarage? Parallel zur Straße?!« oder »In welcher Projektphase befinden Sie sich?«, Aussagen des Architekt A. von Seiten der Fachexperten, kippt. Mit der Praxis des Hochhaltens zieht der Stadtplaner die Aufmerksamkeit sowie die Blicke weg vom Tisch und lenkt diese in die Höhe. Somit wird die Fokussierung auf die übrigen Materialien unterbrochen. Dieser Handlungsvollzug findet ein Echo in den Bewegungen der Teilnehmenden, die ihre Position (Armstellung, Haltung, Blickrichtung) ändern, zuweilen aufstehen und sich dem Dokument zuwenden.16 Mit dem Einbringen des Dokuments treten zwei weitere Aspekte hervor: Erstens wird ein Argument gebracht, welches nicht mit dem vorliegenden Modell und den Plänen kompatibel ist (»Das was sie uns da (deutet auf die Pläne) jetzt zeigen ist eine völlige Auflösung der Struktur«, Aussage des Stadtplaners). Die Vision wird dementsprechend am Bauprojekt befestigt, ohne dass sie ihren Widerhall im Modell oder den Plänen und Visualisierungen findet. Diese werden als intendierte Argumente für das Bauprojekt nutzlos (vgl. Kap. 7.1.2), denn weder die bisherige Besprechung noch die nachfolgende Verteidigung durch die

16 Das Thema Bewegung taucht in den Videodaten immer wieder auf. So befinden sich beispielsweise bei größeren Projektpräsentationen die Pläne wie beim Um- und Neubau des Einkaufszentrums nicht auf dem Tisch, sondern hängen an der gegenüberliegenden Wand (vgl. Vignette 6b). Die Teilnehmenden der SBK sind bei jedem Wechsel zwischen den Medien gezwungen, ihre sitzende Position am Tisch (Modell) zur stehenden Position vor den Plänen zu wechseln. Die Sitzungsmobilität ist stark erhöht und kann mit der von Jurysessions verglichen werden (siehe Silberberger 2011). Aber auch die Diskussion eines architektonischen Problems am Modell oder detaillierte Erläuterungen auf einem Plan motivieren die Teilnenehmenden oftmals, in eine stehende Position zu wechseln und eine über den Objekten gebeugte Stellung einzunehmen. Eine genaue Analyse wird an anderer Stelle fortgesetzt werden. In dieser Arbeit (siehe unten).

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Projektverfasser17 können etwas an dem Argument ändern, dass sich die Vision nicht in den vorgelegten Materialien wiederfindet (siehe unten). Im Lichte dessen verändert sich der Charakter der visuellen Materialien, die nun nicht mehr als Argumente für das Bauprojekt in Erscheinung treten, sondern als dessen Gegenargumente. Zweitens rekurriert die Praxis des Einbringens des Dokuments aktiv auf Vorheriges, das weiter in der Vergangenheit zurückliegt als die aktuellen Handlungsvollzüge und nun in der aktuellen Debatte verankert wird. Deshalb ist das Argument des Stadtplaners nicht nur wegen der verbalen Argumentation so stark, sondern besonders weil er den Projektverfassern die verkörperte Vision, die sie selbst in der Vergangenheit entwickelten18, praktisch vor Augen führt (Hochhalten des Dokuments, Blättern im Dokument, Innehalten, erneutes Zeigen und Hochhalten). Die Projektverfassenden werden an diese Vision haptisch und verbal erinnert, während den Fachexperten eine neue Sichtweise auf das vorliegende Bauprojekt geboten wird, die nun neben eigenen qualitativen Maßstäben zusätzlich jene der Vision an das Projekt anlegen. Der relationale Charakter von Ereignis (Zug um Zug) und Prozess (Schritt für Schritt) verdichtet sich in diesem Handlungsvollzug.19 In Anbetracht dessen wird das Bauprojekt im Prozess verortet und rekurriert auf vergangene Ereignisse, die in der gegenwärtigen Situation wieder greifbar werden, sodass die Diskussion um das Bauprojekt in eine neue Richtung gelenkt wird.

17 Der Architekt versucht im Nachgang, die bisherigen Pläne und den Realisierungsvorschlag zu verteidigen: Erstens kommt er auf den Charakter der Pläne selbst zu sprechen, die heutzutage viel zu genau seien und das Gefühl erweckten, bei einer Projektvorstellung sei alles schon fertig. Zweitens führt er finanzielle Risiken ins Feld, die sie zu der aktuellen Darstellung veranlasst hätten. 18 Die Projektverfasser bekamen den Zuschlag zum Kauf des gemeindeeigenen Grundstückes auf Grund der eingereichten Vision im Konzeptpapier. Hier wurde bereits ein Vorprojekt vorgestellt. 19 Während des Feedbacks (interne Diskussion der Mitglieder der SBK) taucht dieser Moment nochmals stark auf, wenn der Hochbauleiter darauf hinweist, dass sie eigentlich schon einmal viel weiter gewesen sind (hier wieder: Drehen am administrativen Rad der Zeit, siehe unten). Aktiv werden unterschiedliche Zeitlichkeiten in situ verschränkt. Dieserart wird der vorgelagerte Prozess durch das Abrufen eines vergangenen Ereignisses gegenwärtig und relevant. Ebenso wird im gegenwärtigen Ereignis auf Zukünftiges abgestellt, wenn im folgenden Beispiel des Fließtextes eine Änderung des Baugesetzes angestrebt wird. Das erwartbare oder erhoffte Ereignis prägt den gegenwärtigen Entscheidungsprozess deshalb stark.

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Videostill 7: Sondersitzung, Einbringen eines Schaumodells, Korpus 3, 00:13:14.

Ähnliches ist in einer Sondersitzung20 in St. Margrethen zu beobachten21, auch hier bringt das Einbringen eines visuellen Werkzeuges eine entscheidende Wende. Doch im Gegensatz zum vorherigen Fall wurden bis dahin neben den technischen Details des Bauprojektes 22 (Einhaltung der Regelbauweise inklusive Grenzabstände, Parkplatzreglement etc.) besonders qualitative Kriterien hervorgehoben (Bewohnerschaft, Lebenskonzepte, Urban Gardening im Attikageschoss), die aber quer zu den aktuellen normativen Regelungen resp. der Gesetzeslage stehen. Mit dem geplanten Einbringen des Schaumodells Seitens der Bauverwaltung (Videostill 5) verändert sich die Diskussion. Bis dahin wurde das

20 Sondersitzung = im Modus der Baukommissionssitzung (siehe Kap. 7) wird in St. Margrethen gelegentlich eine Sondersitzung einberufen, um außergewöhnliche Bauprojekte und Fälle zu besprechen. Anwesend sind vor Kopf der Gemeindepräsident (zugleich Präsident der Baukommissionssitzung), linker Hand ein Gemeinderat, daneben eine Gemeinderätin (verdeckt); rechter Hand der Hochbauleiter, der Bausekretär und zwei Architekten als Projektverfasser (Videostill 7). 21 Situationsbeschrieb: Das Schaumodell steht relativ zentral auf verschiedenen Detailplänen in der Tischmitte. Der Bausekretär zeigt mit beiden Händen auf das Modell, während er spricht. Alle Anderen haben den Blick und ihre Körper zu ihm und zum Modell gewandt. Sie achten nicht weiter auf die vielen Materialien (verschiedenste Pläne, zwei Einlegemodell, Dokumente, einzelne Schriftstücke usw.), die verstreut auf dem Tisch liegen. 22 Das Bauprojekt: Erstellung eines vierstöckigen MFH plus Attika im Zentrum (W4Zone) von St. Margrethen. Besonderheit: das Attikageschoss weicht von der Regelbauweise ab.

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Problem von den Architekten und dem Gemeindepräsident zwar benannt (Attikageschoss weicht von der Regelbauweise ab) und praktisch durch das Aufzeigen der Volumetrie auf dem großen Einlegemodell verdeutlicht, doch erst die praktische Intervention des Bauverwalters befestigt das entscheidende Argument am Bauprojekt: Der Bauverwalter zeigt die Dachabschlüsse unter der aktuellen Gesetzeslage – und im Anschluss, durch den Wechsel des Dachaufbaus, die neue innovative Möglichkeit, die im Baureglement nicht vorgesehen ist – deren gesetzliche Legitimierung könnte die Dachabschlüsse in der Gemeinde aber revolutionieren. Dementsprechend strebt die Gemeinde statt der aufgezeigten »Krüppellösung« (Aussage Gemeindepräsident) eine dauerhafte Reglementsänderung an. Das Einbringen des kleinen Schaumodells unterstützt im erheblichen Maß die angestrebte Argumentation der Bauverwaltung, anstelle einer Sondergenehmigung eine Gesetzesänderung anzustreben und überzeugte letztendlich auch die Gemeinderäte.23 Trotz der Unterschiedlichkeit der beiden besprochenen Projekte und Interventionen der Akteure zeigen sich wesentliche Schnittmengen: In beiden stehen technische Kriterien quer zu qualitativen Maßstäben und visionären Konzepten. Das Auseinanderklaffen kommt im Handlungsvollzug der Akteure und der Benutzung der materiellen Infrastruktur zum Ausdruck. So zeigt sich mittels des hochgehaltenen Konzeptes des Stadtplaners (Videostill 4), dass die Vision in den bisherigen technischen Argumentationen und praktischen Ausführungen der vorliegenden Pläne und Visualisierungen keinen Widerklang findet. Die visuellen Materialien werden zum Gegenargument verkehrt. Das Einbringen des Schaumodells im zweiten Beispiel (Videostill 5) zeigt eine umgekehrte Situation: Hier wird ein weiteres Argument am Bauvorhaben befestigt, das die Argumentation der bisherigen Debatte (aktuelle normative Regelungen verhindern innovative Dachabschlüsse; Umsetzen der angestrebten Regelung befördert qualitative Kriterien) aufnimmt und verdichtet. Die Wahl und der Gebrauch der materiellen Infrastruktur (Sitzungsmobiliar, visuelle Werkzeuge) für die Beförderung des Bauprojekts durch die SBK- resp. Sondersitzung ist entscheidend. Die situative Praxis des Ausbreitens, Aufbauens oder Aufhängens von Plänen, Visualisierungen und Modellen zu Beginn der Sitzung macht einerseits die visuellen Werkzeuge für alle Akteursgruppen verfügbar und trägt andererseits wesentlich zur Beförderung qualitativer Debatten bei. Technische Argumentationen verschieben sich dieserart zu Gunsten einer quali-

23 Ein Gespräch nach der Sitzung mit den beiden Gemeinderäte bestärkten den beobachteten Befund abermals. Die anschauliche Praxis der Bauverwaltung trug wesentlich zur Entscheidung der Befürwortung der Reglementsänderung bei.

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tativen Argumentation. Es zeigt sich auch, dass im Sinne der TSA die Arbeit am Bauprojekt in der SBK nicht in erster Linie in der diskursiven Praxis der Textarbeit geleistet wird, sondern unter Einbezug und Benutzung eines vielschichtigen materiellen Werkzeugkastens. Im Sinne der 4. Forschungsfrage24 wird die materielle Dimension, die sich bisher eher auf den Einbezug von Papier und die Arbeit mit ebensolchem beschränkte, um die Medien der visuellen Werkzeuge und deren entscheidenden Einfluss auf die Beförderung des Bauprojektes erweitert (siehe Kap. 9). Abschließend stehen die Schließung der SBK-Sitzung und die Empfehlungen, die am Bauprojekt befestigt werden, im Zentrum des vorliegenden Kapitels. Diskussionen am Objekt II: Interne Debatten und Aussprechen von Empfehlungen In diesem Abschnitt werfe ich zum Ende hin ein Schlaglicht auf das Aussprechen der Empfehlung der SBK, welchem die internen Diskussionen der Kommissionsmitglieder vorausgehen. Diese Praxis wird abermals im Zusammenspiel mit den visuellen Werkzeugen analysiert, wobei ich erstens zusammenfassen werde, welche Methoden und Akteure nötig sind, um ein Bauprojekt durch die Arbeitssession zu schleusen. Zweitens, inwiefern ein Bauprojekt resp. qualitative Kriterien formuliert resp. re-formuliert werden (Forschungsfragen 1 und 2, Kap. 1.1.2). Videostill 8: Stadtbildkommission, interne Diskussion am Bauprojekt, Korpus 1 (3), 00:25:54.

24 Forschungsfrage 4, Teilfrage: Welche Konsequenzen ergeben sich für die TSA aus deren Anwendung zur Untersuchung administrativer Prozesse von Bauverwaltungen? (Kap. 1.1.2)

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Den Einstieg bildet eine Szene aus der internen Diskussion der SBK (Videostill 6): Die Projektvorstellenden haben den Raum verlassen. Zurückgeblieben sind sämtliche Pläne, Dokumente und das Modell. Die Materialien liegen verstreut in der Mitte des Tisches. Der Architekt B. (im Bildvordergrund) hat sich erhoben und benutzt einen Zollstock, um auf ein Detail des Planes zu deuten und sagt: »Das Haus kann nicht so quer stehen«. Die übrigen Fachexperten schauen ihm zu (verdeckt). Ebenso der Hochbauleiter, in dessen zusammengefalteten Händen ein Stift klemmt sowie der Stadtplaner, der ebenfalls der Handlung des Architekten folgt, dabei die Arme auf dem Tisch ablegt und das Dokument (Konzept) mit beiden Händen ein kleines Stück vom Tisch anhebt. Der Architekt B. klappt seinen Zollstock zusammen, lehnt sich zurück und beginnt aufzuzählen: »Einfach noch mal anfangen! Unter Einbezug folgender Punkte: Um den Hof herum bauen. Bei der Planung der Nutzungsverteilung des ganzen Grundstücks den Schutzstatus des Hauses berücksichtigen und diesen entsprechend der ursprünglichen Grundidee des sozialen Nutzungskonzeptes wieder stärken.« Der Hochbauleiter notiert dies. (Vignette 8a, Stadtbildkommission, interne Diskussion am Bauprojekt) In der beschriebenen Szene findet eine starke Orientierung der Kommissionsmitglieder zueinander statt. Sie rücken im Vergleich zur Ausgangssituation (siehe Videostill 3) für die gemeinsame Debatte näher zusammen. Dies vollzieht sich durch den stehenden, zur Gruppe hingewandten Architekten ebenso wie durch die Fokussierung Aller auf die Materialien, die sich in der vorderen Hälfte des Tisches kumulieren. Mit der Praxis des Zeigens auf den Plan mit Hilfe des Zollstocks, der zum Repertoire eines Architekten gehört,25 befestigt der Architekt sein Argument, nicht nur verbal: »Das Haus kann nicht so quer stehen«, sondern bindet es im Zuge der praktischen Aufführung seines Habitus an das Objekt (vgl. Schmidt, R. 2008). Dieser Zug dient ihm zur Stärkung der später ausgesprochenen Empfehlung an einem städtebaulichen Detail. Jener Hinweis wird mit dem Konzept verbunden, das der Stadtplaner noch immer in den Händen hält und es dieserart für sich reklamiert und vergegenwärtigt. Diese Praxis verkörpert ihrerseits die Argumente, die er bereits bei der Projektvorstellung einbrachte (Außerachtlassen der Vision). Der Wechsel zwischen den Maßstäben – auf der Mikroebene die Positionierung des Hauses auf dem Detailplan – auf der Makroebene der Vergleich mit der Vision des übergeordneten Konzeptpa-

25 Vgl. Spiro, Annette et al. 2013: Der Bauplan: Werkzeugkasten des Architekten. Zürich.

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piers, führten zur Bildung der Empfehlung, die sich bereits bei der Projektvorstellung anbahnte (Vignette 8a). Diese Herausbildung der Empfehlung vollzieht sich unter Einbezug sämtlicher Materialien, die sich auf dem Tisch befinden sowie im Zusammenspiel mit den jeweiligen Handlungsvollzügen der Teilnehmenden. Dabei konnten Praktiken des Switchens zwischen den Materialien, die Fokussierung auf Einzelne, die kombinatorische Betrachtung des Vergleichens oder Verwerfens beobachtet werden.26 Zuweilen fügen die Kommissionsmitglieder neue visuelle Argumente hinzu, etwa wenn der Architekt B. in einer anderen internen SBK-Diskussion eine Skizze anfertigt, um das Bauprojekt zu befördern und den Sachverhalt zu verdeutlichen.27 Im Zuge der internen Diskussion verändert sich der Charakter des visuellen Materials abermals, denn es bildet nun weniger Argumente für das Bauprojekt wie zu Beginn der jeweiligen Sitzung (siehe oben) als vielmehr ein Gegenargument zur Bildung einer Empfehlung. Diese Verschiebung in der internen Diskussion ist entscheidend. Im besten Fall fallen beide zusammen (Materialien bilden für das Bauprojekt und die Empfehlung gleichermaßen positive Argumente) – zumeist führen sie zu ReFormulierungsempfehlungen des Bauprojekts (siehe unten). Immer aber sind sie die wesentliche Grundlage zur Diskussion um das Bauprojekt: Sie sind dementsprechend Voraussetzung und Resultat zugleich. Im vorliegenden Fall (Vignette 7–8a) verfestigt sich die in der Projektpräsentation aufgezeigte Tendenz, dass die von den Projektverfassern eingebrachten Pläne und Modelle statt als Argumente für das Bauprojekt als Gegenargument benutzt werden. Im Lichte dessen bilden

26 Der Denkmalpfleger zeigt auf den Plan und weist auf die zu großen Grundrisse der Wohnung hin, die im Widerspruch mit einer sanften Renovation stehen; der Stadtplaner hält erneut das Dokument in die Höhe, woraufhin der Architekt A. angesichts des hochgehaltenen Dokuments mit einer bestimmenden Geste auf die Pläne und Visualisierungen zeigt und die Kompetenzen der Projektverfassenden bezweifelt. Abermals wird auf die Version abgestellt: Nochmals auf die Materialien geschaut. Sodann folgt ein Moment der Stille. Im Zuge der internen Diskussion sammelt der Hochbauleiter die Empfehlung. 27 Bei dem folgenden Szenenbeschrieb beziehe ich mich (wie oben angemerkt) auf eine andere Bauprojektbesprechung der SBK: Der Architekt B. hält die angefertigte Skizze zu den Kommissionsmitgliedern, während er erklärt: »[…] könnte theoretisch auch ein großes Dach über alles machen und so eine Verbindung über den gedeckten Pausenhof machen (zeigt auf die Skizze). Und auf einmal hätte das Haus auch noch einen Charakter und einen Ausdruck, weil es eine Idee dahinter hat – jetzt hat es keine Idee dahinter.« (Vignette 8b, Stadtbildkommission, Anfertigen einer Skizze)

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sie Argumente für die Empfehlung, die quer zum vorgestellten Bauprojekt steht. Die negative Beurteilung des Bauprojekts zielt auf eine Re-Formulierung des Projekts ab. Im nachfolgenden Feedbackgespräch28 steht daher die zentrale Empfehlung: »Zurück auf Platz Eins« (Vignette 8c) im Zentrum. Die mitgebrachten Visualisierungen und Pläne vermögen die Baueingabe ebenso wenig zu stützen wie die Konformität mit den rechtlichen Bestimmungen (»baurechtlich gesehen ist es in Ordnung«, Vignette 7). Das vorgelegte Bauprojekt (bestehend aus Modell, Plänen, Visualisierungen, Normen und Richtlinien, Baudossiersordner und der Vision) steht weder im Einklang mit den in der Vision angestrebten qualitativen Zielen von Durchmischung und Vielfalt, noch wird es den architektonischen Ansprüchen gerecht (innovative und dem Projekt angepasste Grundrisse und Gruppierung der Baukörper) oder referiert auf das regionale Entwicklungskonzept29 der Stadt. Die SBK gibt eine negative Empfehlung und möchte das Projekt erneut in der SBK einbringen.

28 Zur Praxis der Wahl des Feedbacksprechers und der Aussprechung des Feedbacks: Am Ende der internen Diskussion wählen die Kommissionsmitglieder jeweils einen Sprecher, der mit dem Feedback an die Projektverfassenden beginnt. In der SBK im März (vier Projekte) waren dies zweimal Architekt A., einmal Architekt B. und einmal der Stadtplaner. Im vorliegenden Bauprojekt der Architektin K. begann der Stadtplaner. Es folgt eine weitere Vignette zur SBK. In dieser wird eine Episode aus dem Feedbackgespräch wiedergegeben: Erneut hält der Stadtplaner das Konzept hoch: »Sie haben die Qualität ihres Projektes aus dem Fokus verloren […] Es ist da (zeigt aufs Konzept) wesentlich besser […] buchstabieren sie sich um den Hof herum […] nehmen sie den Fjordgedanken (siehe Fußnote 263) aus dem regionalen Entwicklungskonzept auf. In ihrem Konzept haben sie den schon drin […] Aber hier (zeigt auf das Modell) nicht.« Die Projektverfasser hören zu, der Bauherr versteht nicht, was die Empfehlung genau bedeutet. Architekt A. übernimmt die Erklärung der architektonischen Umsetzung und konkretisiert: »Sie müssen Leben auf dem Platz stattfinden lassen […] statt Standardgrundrissen des Hauses […] vielleicht eine große Küche im Erdgeschoss zur Öffnung des Hofes hin […].« Er zeigt dem Bauherrn und den Projektverfassern den Unterschied einer möglichen Anordnung der Baukörper im Modell, um die intendierte Qualität zu erreichen. Und empfiehlt: »Zurück auf Platz eins. Einfach nochmal anfangen.« Schließlich beendet der Hochbauleiter das Feedback: »Ich würde vorschlagen, sie kommen nochmals, wenn sie soweit sind.« (Vignette 8c, Stadtbildkommission Feedback) 29 Hier im speziellen auf die Empfehlungen für Bauprojekte an der Stadtgrenze (siehe Fjordkonzept Wetzikon).

250 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG

Bevor ich dieses Kapitel mit dem Fazit schließe, komme ich zusammenfassend auf die in Videostill 3, 5 und 7 gezeigten Szenen zurück. In der Zusammenschau geben sie einen guten Einblick in den Sitzungsverlauf um die Diskussion des Bauprojekts. In diesem übergeordneten Vergleich tritt die Arbeit am Objekt der einzelnen Teilnehmer und das Zusammenspiel mit den visuellen Materialien ebenso deutlich hervor wie in den vorangestellten Einzelanalysen. Die Zusammenschau expliziert darüber hinaus, welche Methoden verwendet werden, um am Objekt zu arbeiten resp. welche materiellen, symbolischen wie praktischen Investitionen betrieben werden, um das Bauprojekt durch die SBK zu befördern. Das konkrete Projekt wird dabei durch die Pläne, Modelle, Visualisierungen (und Baudossiersordner) verkörpert, im Zuge dessen die Architekten (Projektverfasser wie Fachexperten30) ihr Fachwissen durch die klare Fokussierung auf die visuellen Werkzeuge konsequent einbringen. Die Vision wird durch das Dokument verkörpert, das der Stadtplaner wiederholt ins Spiel bringt. Schließlich werden die Normen und gesetzlich verankerten Richtlinien durch das Baugesetz und den Baudossiersordner verkörpert. Der dicke Baudossiersordner und das Baureglement liegen neben dem eher passiven Hochbauleiter und verweisen als stumme Akteure auf die gesetzlichen Richtlinien und Normen. Im Lichte dessen zeigen die bisherigen Ausführungen, dass im Zusammenspiel aller Akteure zur Herausbildung einer Empfehlung die Frage des Maßstabes und die jeweilige Verständigung eine wichtige Rolle spielen. Gemeinsamer Bezugspunkt sind jeweils die Pläne und Modelle, sodass von allen Teilnehmenden die Kompetenz des Planlesens und abstrakten Denkens vorausgesetzt wird. Ohne ein Grundverständnis der visuellen Werkzeuge sind die Teilnehmer letztendlich von der Diskussion ausgeschlossen, da diese der Dreh- und Angelpunkt der SBK sind. Es zeigt sich ebenfalls, dass die Bauverwaltung mit der SBK ein Forum öffnet, welches es ermöglicht, das Bauprojekt jenseits des administrativen Praxis des Prüfens, Ordnens und Aufbewahrens zu behandeln. Die Normen und Richtlinien rücken im Gegensatz zur Episode der Baueingabe, der Arbeit im Büro oder auch der Sprechstunde in den Hintergrund. Dies kommt mit der eher passiven Haltung des Hochbauleiters ebenso zum Vorschein wie die aus dem Fokus genommen Normen und Richtlinien (Baugesetzbuch, Baudossiersordner) auf die in der SBK immer dann Bezug genommen wird, will man sicheres Terrain betre-

30 Der Bauherr resp. Investor zählt zum Team der Projektverfasser. Dieser wohnt der Sitzung überwiegend als stiller Teilnehmer bei, nur gelegentlich wird er mit einbezogen. Er muss sich i.d.R. mangels Fach- und Prozesskenntnis auf seinen Stellvertreter verlassen (vgl. dazu Kap. 5.4.2. Den Input, den er durch die Anwesenheit in der SBK leistet, ist vor allem ein symbolischer und ein Verweis auf finanzielle Investitionen.

B EURTEILUNG

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ten. So beginnt die Projektvorstellung häufig mit der Besprechung technischer Kriterien und verlässt im Verlauf dessen jene argumentativen Stränge zu Gunsten qualitativer Debatten (siehe oben). Diese können im Sinne des Beharrens auf städtebauliche Argumente ebenso normative Züge annehmen. Zuweilen lassen sich Parallelen zu den Jurierungsprozessen von Architekturwettbewerben erkennen, in denen sich die Produktion von Wissen und Kriterien im Zuge der Sitzung verändern, sodass der Ebene der Einschätzung und Beurteilung die des Designs hinzugefügt wird (vgl. Silberberger 2011 und Chupin 2011). Im Vergleich dazu werden in der SBK zwei Bewegungen vollzogen: Einerseits verschiebt sich im Zuge der Einschätzung und Beurteilung des Bauprojekts der Charakter des visuellen Materials, gleichsam findet eine neue Setzung des Materials statt. Andererseits werden neue visuelle Materialien in Form von Skizzen eingebracht, resp. anhand der vorliegenden Materialien wird eine ReFormulierung des Bauprojektes vorgenommen, die weit über die Anpassung technischer Details hinausgeht und somit aktiv in das Design eines Gebäudes eingreift. Im Hinblick auf die Fragestellung muss die SBK als Instrument der Bauverwaltung gelesen werden, das das Spektrum der bisherigen Methoden (Kap. 5-6) erweitert, um Bauprojekte durch den administrativen Apparat zu schleusen. Sie öffnet das administrative Korsett der Prüfung mit dem Ziel, das eingegebene Bauprojekt qualitativ zu entwickeln und gegebenenfalls zur ReFormulierung zu bewegen.

7.2 F AZIT : Ö FFNEN

EINES

M ÖGLICHKEITSRAUMS

Die Forschungsfragen nach der (sozio-)materiellen Infrastruktur (Architektur, Mobiliar, Artefakte), die die Arbeitsprozesse rahmen bzw. aus ihr resultieren und insbesondere wie die visuellen und administrativen Werkzeuge zur Beförderung des Bauprojektes gebraucht bzw. wie Bauprojekte formuliert bzw. re-formuliert werden (siehe Kap. 1.1.2) wurden in diesem Kapitel für die Arbeitssession der SBK beantwortet. Im Prozess des Baubewilligungsverfahrens ist das Bauprojekt bis zur Arbeitssession der SBK vor allem durch die Arbeitspraktiken des Prüfens, Ordnens und Aufbewahrens geprägt. Es wurde im Zuge des Case-Makings einer Projektkategorie zugeordnet und zuweilen in der Sprechstunde besprochen (Kap. 5). Es wurde auf gesetzliche Normen und Richtlinien von unterschiedlichsten Akteurinnen und Akteuren (Bauverwalterin, Sachbearbeiter, Hochbauleiter, kantonalen Dienststellen, Einsprechern) geprüft und zumeist in Aktenschränken jenseits qualitativer Ordnungsschemata aufbewahrt (Kap. 6). Die SBK ist ein weiteres

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wirksames Instrument, das es der Verwaltung erlaubt, einen Bauherrn zur ReFormulierung seines Projekts zu bewegen. Sie greift weniger auf die gesetzlichen Normen, Richtlinien und Regeln zurück als vielmehr auf das Wissen und die Expertise der externen Expertinnen und Experten, an denen sich die Projektverfassenden messen müssen. Einer Taktik der Prozessbeschleunigung durch die Regelbauweise (siehe im Vergleich die Ausführungen zur Sprechstunde, Kap. 5.2) kann dadurch entgegengewirkt werden. Besonders wenn die Projektverfassenden den architektonischen Anforderungen nicht gerecht werden und sie nicht in der Lage sind, die unterschiedlichen Ansprüche und Bedürfnisse der beteiligten resp. betroffenen Akteurinnen und Akteure in ihrem Projekt zu vereinen. Infolgedessen treten die administrativen Praktiken im Umgang mit dem Medium Zeit auch in dieser Arbeitssession deutlich hervor. Setzte die Bauverwaltung im Zuge der Deklaration eines Baugesuchs als Ausnahme aktiv den Hebel am Drehen am administrativen Rad der Zeit an, um eine Prozessbeschleunigung zu erwirken (siehe Kap. 5.1), nutzt sie den Faktor Zeit beispielsweise im Zuge der Sprechstunde als Prozessverlangsamung, indem sie ein Bauprojekt wiederholt in die Sprechstunde einbringt (siehe Kap. 5.2) oder in das Gremium der SBK verschiebt, um eine städtebauliche Qualitätsdiskussion anzustreben. Und auch hier ist es möglich, das ein Bauprojekt mehrere administrative Zeitschlaufen vollführt bevor ein Bewilligungsentscheid in der Baukommission gefällt wird. So erwirkt beim oben besprochenen Bauprojekt, das mit der Empfehlung »Zurück auf Platz eins« (siehe Vignette 8c, Stadtbildkommission Feedback) wieder in den Planungsprozess zurück katapultiert wird und der administrative Apparat für dieses Projekt solange still steht bis eine Re-Formulierung des Bauprojektes vorlegt wird (siehe Kap. 9.2).31 Deshalb kann die SBK – neben der Baueingabe – als ein zweiter obligatorischer Passagepunkt gelesen werden, in der ein kollektiver Beschluss in Form einer Empfehlung am Bauprojekt befestigt wird. Jedoch müssen nur bestimmte Bauprojekte diese Arbeitssession passieren, um eine Baubewilligung zu erlangen. Dieser Passagepunkt gilt für Bauprojekte, die in städtebaulich bedeutender/empfindlicher Lage, in einem Gestaltungsplanungsgebiet, im Rahmen einer Arealüberbauungen realisiert werden sowie Projekte, die ein hohes Investitionsvolumen (mehr als 20 Mio. CHF) und/oder größere Wohneinheiten (mehr als 30 Wohnungen) aufweisen oder Bauprojekte der öffentlichen Hand (siehe Reglement Stadtbildkommission Wetzikon). Zudem liegt es im Ermessen der Bauver-

31 Bei dem in Videostill 7 verhandelten Bauprojekt (Bau eines MFH in St. Margrethen) ließ sich eine weitere Zeitpraxis beobachten: Kollektiv wurden in der Sondersitzung Zeitstrategien zur Prozessbeschleunigung besprochen (siehe oben).

B EURTEILUNG

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waltung (siehe Kap. 5.2), Bauprojekte in die SBK als regulative Arbeitssession der Qualitätsbildung zu bringen. Im Lichte dessen öffnet die Bauverwaltung mit der SBK ein Gremium, welches fest im Bewilligungsprozess verankert ist. Sie verlässt hier das administrative Korsett des Prüfens und erweitert den Teilnehmerkreis, sodass sie unterschiedliche Sichtweisen und Wissensexpertisen zusammenbringen kann, um sich intensiv mit dem konkreten Bauprojekt auseinander zu setzen. Die Wirkung der administrativen Praktiken zielen hier auf einen Qualifizierung des Bestandes ab. Die Praktiken sind weniger prozess- als projektorientiert ausgerichtet (siehe Kap. 8.1.3). Auch deshalb gehört die SBK aus Sicht der Bauverwaltung zu den kreativsten Arbeitssessionen, eben weil die gesetzlichen Rahmenbedingungen, Regeln und Normen zwar mitschwingen, aber recht flexibel gehandhabt werden. Hier kann aktiv an der Qualität eines Bauprojekts gearbeitet werden. Verwaltung, Architektur, Investoren und zuweilen Politik sitzen an einem Tisch. Sie arbeiten resp. diskutieren am konkreten Projekt. Zugleich wird auf vergangene Ereignisse rekurriert und Zukünftiges antizipiert. Dies im Zusammenspiel mit Plänen, Modellen, Visualisierungen, Stories, Erfahrungen und Wissensexpertisen der unterschiedlichen Professionen. Dabei ist das Zusammenbringen der verschiedenen Sichtweisen eine große Herausforderung. Entscheidend bei dem Ringen um die Qualität des Bauprojekts ist in diesen Sitzungen auch deshalb das Switchen zwischen verschiedenen Maßstabsebenen und der Variation des Abstraktionsgrads (vgl. Yaneva 2009, Kap. 5.2.3), sowie Fragen des Verstehens und der Übersetzungen. Dabei ist sie insbesondere bei den Projektverfassenden nicht unumstritten, da sich die Diskussionen einerseits in normativen städtebaulichen Argumentationslinien verharren können, andererseits mitunter nicht klar ist, welche Zielsetzung die Bauverwaltung mit dieser Arbeitssession verfolgt. Die SBK ist als ein Möglichkeitsraum zu begreifen, den die Verwaltung öffnet, um Qualitätsdiskussionen auf einer breiteren Ebene anzuregen. Zugleich ist es ein Regulationsinstrument zur Qualitätskontrolle, welches Empfehlungen für den Bewilligungsentscheid ausspricht. Es folgt das letzte Kapitel des empirischen Teils der Arbeit, bevor im Schlusskapitel (Kap. 9) eine Synthese zu den Forschungsfragen geliefert wird, weiterführende Ergebnisse abstrahiert werden und ein Ausblick erfolgt. Doch zunächst fokussiere ich auf den wesentlichen Schritt der administrativen Maschinerie: auf die Praxis des Fällen des Entscheids in der Baukommissionssitzung resp. Gemeinderatssitzung. Mit dem erfolgreichen Passieren dieser Arbeitssession ver-

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lässt das Bauprojekt den administrativen Apparat, erhält die Baufreigabe und wandert zurück in die Hände der Bauwilligen resp. der Projektverfassenden. Insbesondere werden dabei diese (verbleibenden) Forschungsfragen geklärt: Wie wird ein Fertigungsprozess beendet? Welchen Beitrag leistet die Arbeitssession im Relation zum Fertigungsprozess? Wie wird an Vergangenes angeknüpft, wie auf Künftiges verwiesen? In welchem Zustand verlässt das Bauprojekt den Bewilligungsapparat?

VIII. Entscheidung

Videostill 9: Baukommission, Besprechung eines neuen Baugesuchs, Korpus 4, 01:05:18, verändert.

Unter dem Titel: Baukommission: Der Entscheid wird formuliert, nehme ich eine letzte empirisch fundierte Tiefenbohrung vor, bevor ich zum synthetisierenden und weiterhin abstrahierenden Schlusskapitel komme. Die Baukommissionssitzung ist für die Bauprojekte das entscheidende Nadelöhr, um eine Baufreigabe zu erlangen. Alle Gemeinden in der Schweiz kennen das Gremium der Baukommission. Hier wird der Entscheid unter Bezugnahme auf den bisherigen Prozess und die erwartbaren Konsequenzen für die Siedlungslandschaft der Gemeinde am Bauprojekt befestigt. Auf diesen (politischen) Entscheid fokussiere ich unter Bezugnahme der Videodaten von den Baukommissionssitzungen und

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schließe den analytischen Bogen, der sich zwischen der Baueingabe und dem Bewilligungsentscheid aufspannt. Das Bauprojekt hat seit dem Erstkontakt mit der Verwaltung einen weiten Weg zurückgelegt. Es ist an verschiedenen Orten innerhalb (und außerhalb) der Verwaltung, d.h. in den Büros der Mitarbeitenden, in Sitzungszimmern oder am Schalter auf Normen und gesetzliche Richtlinien geprüft und gleichsam mit der Baueingabe in administrative Informationssegmente übersetzt worden. Diese Transformation verändert das Wesen des Bauprojekts. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss es den Richtplänen und den Vorschriften der Bau- und Zonenordnung entsprechen. Eine Fülle beizubringender bürokratischer Dokumente und Formblätter soll das Einhalten gesetzlicher Bestimmungen nachweisen und fordert dieserart eine (materielle) Übersetzung des Bauprojekts von der Sprache der Architektur in die der Bürokratie. Die Bauverwaltung tritt deshalb über weite Strecken als administrativer Prüfungsapparat in Erscheinung, der im Wesentlichen der Prüfung technischer Kriterien und der Einhaltung der Regularien dient. Die Methoden und Prozesse der Verwaltungsmitarbeitenden verstetigen in ihrer alltäglichen Praxis des Abgleichens und Prüfens von internen (eigene Sachbearbeiter) und externen (kantonale Prüfungen) Stellungnahmen jenen Prüfungsapparat. Die Handlungsvollzüge des Ordnens oder Aufbewahrens der Bauprojekte tragen das Ihrige dazu bei (Kap. 6) und dienen zugleich der Ordnung und Organisation der administrativen Zeit. Diese unterscheidet sich von der Erlebniszeit der Projektverfasser, die mit der Übergabe des Bauprojektes an die Bauverwaltung, des administrativen CaseMakings, eine neue Zeitstruktur akzeptieren (Kap. 5). Das Bauprojekt erlebt im Zuge dessen zeitliche Rück- (Zurückhalten des Gesuchs, mehrmaliges Einbringen in Arbeitssessionen) oder auch Vorgriffe (Überspringen von Arbeitssessionen, zeitlicher Reglementarien und Prüfungsprozeduren) und wurde je nach methodischer Handhabe und diagnostischer Einordnung zu Beginn des Prozesses bewusst beschleunigt oder wiederholt in administrative Zeitschlaufen geschickt, die Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung kommen in diesen Praktiken zum Tragen (siehe Kap. 5-7). Im vorausgegangen Kapitel der Stadtbildkommission durchbrach die Bauverwaltung das enge administrative Prüfungskorsett, um das Bauprojekt jenseits technischer Kriterien zu Gunsten einer Qualitätsdiskussion auf dem Gebiet des Städtebaus voranzubringen (Kap. 7). Statt der Richtpläne oder der Bau- und Zonenordnung stehen hier die Weiterentwicklung der Siedlungslandschaft in einer projektfokussierten Perspektive im Vordergrund – das Bauprojekt wird in situ aus der städtebaulichen Situation heraus betrachtet. Zuweilen führt dies zur Än-

E NTSCHEIDUNG

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derung des Baureglements anstelle der Anpassung des Bauprojekts an das Reglement (siehe auch Kap. 9). Im vorliegenden Kapitel wird das relativ offene und partizipative Gremium der Stadtbildkommission (SBK) wieder geschlossen, um in einem intimen Kreis, bestehend aus Politik und Verwaltung, einen Bewilligungsentscheid zu formulieren. Die Expertisen der SBK fließen als (wichtige) Empfehlung ebenso in den Bewilligungsentscheid ein wie der bereits vom Hochbauleiter verfasste Entwurf der Bewilligung. Das Baubewilligungsverfahren ändert unter diesem Gesichtspunkt abermals seine trans-sequentielle Taktung, sodass der ereignishafte Charakter der Baukommission zu Gunsten des vorgelagerten Prozesses zurücktritt und sich das relationale Verhältnis von Ereignis und Prozess verschiebt. In diesem Kapitel werde ich auf jene Praxis der Baukommissionsmitglieder fokussieren und dabei auf die Arbeitsvollzüge aus den vorausgegangenen Arbeitssessionen der Verwaltungsmitarbeiter Bezug nehmen, die Voraussetzung für die Besprechung des Bauprojekts in der Baukommission sind. Inwieweit verändern sich die Methoden und Prozesse der Bauverwaltung gegenüber der Stadtbildkommission? Ein detaillierter Vergleich zum Ende des Kapitels wird hier Klarheit bringen. Nicht zuletzt bildet das reichhaltige Videomaterial zu den Baukommissionssitzungen abermals (siehe zum Vergleich Kap. 7) eine wesentliche Grundlage zur Analyse der Baukommission. Es erweitert die TSA und zielt auf die Beantwortung der Forschungsfragen ab, die die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Methoden und Prozesse in einer letzten empirischen Tiefenbohrung klärt.1 Datengrundlage Im Gegensatz zu den empirischen Analysekapiteln Kap. 5-6 in denen sich die Ausführungen auf die schriftbasierten Daten der teilnehmenden Beobachtung stützten (siehe zur Methodik 1.2), werden im vorliegenden wie schon im vorausgegangenen Kapitel der Stadtbildkommission (SBK, Kap. 7) Videodaten in die Analyse mit einbezogen. Denn ich erhielt die Erlaubnis, in den drei Untersuchungsgemeinden Wetzikon, Visp und St. Margrethen jeweils eine Baukommissionssitzung mit der Videokamera zu begleiten. Ich werde mich auch hier auf die Auswahl zentraler Videostills konzentrieren.2 Diese methodische Entscheidung

1

Zur Erinnerung an die Zielsetzung der Arbeit und die Forschungsfragen siehe Kap.

2

Zur methodischen Einordnung und den Umgang mit dem Videomaterial siehe aus-

1.1.2. führlich Kap. 1.3 und im Vergleich Kap. 7.

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rekurriert auf die Arbeiten der Videoethnographin Bina E. Mohn, sich auf zentrale, zuweilen auch zur Situation quer liegende Foci zu konzentrieren, um »komplexe Situationen selektiv handhabbar zu machen« (Mohn 2008:66). In diesem Sinne werden die Videostills Situationen der materiellen wie symbolischen Inputs am Bauprojekt herausstellen und charakteristische Handlungsvollzüge zur Beförderung des Bauprojektes offengelegt. Das Medium Papier stellt hier eine zentrale Größe dar. Zunächst liegt das Hauptaugenmerk auf der Analyse der (Baukommissionssitzung) BK-Sitzung in Visp, da diese als Konterpart zur Stadtbildkommissions- resp. Sondersitzung eindrücklich die spezifischen Methoden und Prozesse der Bauverwaltung und deren politische Akteurinnen und Akteuren vor Augen führt. Diese Sitzung dient als Einstieg in die Analyse und wird in einem zweiten Schritt mit Videodaten aus den Gemeinden in Wetzikon und St. Margrethen bereichert. Anstelle des klaren Fokus auf die Sitzungsnarration wie im vorherigen Kapitel folge ich in diesem Kapitel dem Bauprojekt zwar ebenfalls durch eine Sitzung, konzentriere mich aber auf zentrale Situationen, die mich von einem Analyseschritt zum nächsten leiten: von der Sitzungsökologie über den Fokus auf die Listen und deren stark routinierte Handlungsabläufe zur Relation vom Ereignis der BK in Bezug auf den zurückliegenden Prozess des Bewilligungsverfahrens zu den Verhandlungsstrategien bis hin zum Vergleich der BK und der SBK.

8.1 D ER E NTSCHEID

WIRD FORMULIERT

8.1.1 Baukommission in Aktion Als Einstieg dient eine BK-Sitzung in Visp an einem Dienstag im April 2013. Sie ist eine beliebige Sitzung, herausgegriffen aus dem Arbeitsalltag der Bauverwaltung, die, wie in vielen schweizer Gemeinden, in einem zweiwöchigem Sitzungsrhythmus stattfindet. Vertreter aus Politik und Verwaltung treffen sich, um die Bewilligungsentscheide für die eingereichten Bauprojekte zu formulieren resp. zu fällen. Dabei übernimmt die Bauverwaltung die Vorbereitung der Sitzung. Inhaltlich reichen die Projekte von der Sonnenstore über den Umbau einer Garage in ein EFH, der Errichtung von MFHs bis hin zum Anbau oder Neubau von Industrieanlagen. Gemeinsam mit den Mitgliedern der Baukommission treffe ich am Sitzungsort im Rathaus von Visp ein. Die Analyse steigt mit Videostill 10, das die Besprechung des dritten Bauprojektes in der Sitzung zeigt, ein.

E NTSCHEIDUNG

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Situationsbeschrieb Videostill 10: Baukommission, Abhaken einer Liste, Korpus 5, 00:01:58.

Im Zentrum des Sitzungssaals in Visp steht ein langer Konferenztisch, der den Raum fast vollständig ausfüllt. Linkerhand haben die politischen Vertreter der BK Platz genommen mit dem Präsidenten im Vordergrund, daneben der zuständige Gemeinderat des Bauressorts. Ihnen gegenüber sitzen die Mitarbeitenden der Bauverwaltung: an der rechten Tischkante der Hochbauleiter, neben ihm die Bauverwalterin und zu ihrer Linken die Bausekretärin.3 Alle, bis auf die Bauverwalterin4, haben ein Dokument vor sich liegen und einen Kugelschreiber in

3

Ich selbst befinde mich als stille Beobachterin im hinteren Teil des Raumes außer Sichtweite der Videokamera. Hier habe ich gemeinsam mit einem Forschungskollegen eine Videokamera aufgestellt. Im Videostill 10 ist eine zweite Kamera zu sehen, die das Sitzungsgeschehen von der gegenüberliegenden Seite aufnimmt. Für die vorliegende Analyse beschränke ich mich auf die Videostills der ersten Kamera, da mit dieser Perspektive ebenso die materielle Sitzungsökologie erfasst wird wie die Handlungsvollzüge der Teilnehmenden. Zu Beginn der Sitzung habe ich mein Forschungsanliegen vorgestellt und die Teilnehmenden um Einverständnis zur Verwendung des Materials gebeten. Von allen Anwesenden bekam ich eine positive Rückmeldung.

4

Die Bauverwalterin ist heute als stille Zuhörerin dabei, da sich sich im Mutterschutz befindet. Deshalb hat sie keinerlei Materialien wie sonst üblich mitgebracht und verhält sich im gesamten Sitzungsverlauf recht passiv.

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der Hand (beim Präsident verdeckt). Relativ zentral auf dem Tisch, zwischen der Bausekretärin und dem Hochbauleiter, ist ein aufgefalteter Zonenplan platziert. Der Leiter hat einen kleinen Stoß Baudossiers neben sich sowie einen gelben Ordner, der gesetzliche Regularien enthält, derweil die Bausekretärin halbkreisförmig Baudossiers um sich herum angeordnet hat. Der Kreis wird von einem karierten Notizblock geschlossen. Zwischen den politischen Vertretern liegt jeweils eine schwarze Schreibmappe und eine kleine rote Projektmappe; gefüllte und leere Wassergläser vervollständigen das Arrangement auf dem Tisch. Die Teilnehmenden schauen mit Kugelschreibern in der Hand auf das vor ihnen liegende Dokument, während die Bauverwalterin nach einem dünnen grünen Baudossiersmäppchen greift. (Vignette 9 Baukommission, Situationsbeschrieb) Sitzungsökologie der Baukommissionssitzung Abb. 30: Sitzungsordnung im Sitzungssaal II, eigene Darstellung.

Präsident der Baukommission* Hochbauleiter Bauverwalterin Bausekretärin Präsident der Baukommission, (Gemeinderat)*

Gemeinderat

* (bei mehr als zwei politischen Gemeindevertretenden)

Im Sitzungssaal II Die deskriptive Beschreibung des Settings der Baukommission (BK) überführe ich in die Analyse der Sitzungsökologie. Sie schließt an die Erörterungen der vorausgegangenen Settings der Bauverwaltung an und bildet gleichsam den Schlusspunkt der Diskussion der räumlichen Verfasstheit und materiellen Infrastruktur der unterschiedlichen Orte, um das Bauprojekt durch die administrative Maschinerie zu befördern: vom Schalter (Kap. 5.1), dem Sitzungszimmer (Kap. 5.2) über das Büro

E NTSCHEIDUNG

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(Kap. 6) bis hin zu den verschiedenen Sitzungssälen (Kap. 7 und Kap. 8), sodass ich im Schlusswort (Kap. 9) in einer analytischen Zusammenschau Abstraktionen von den Ergebnissen und weiter Aussagen zu deren räumlicher Konstitution im Zusammenspiel mit der Körperlichkeit und den Handlungsvollzügen der Akteure sowie der Rolle und Bedeutung des Verwaltungsgebäudes treffen werde. Zunächst liegt der Fokus auf der Sitzungsökologie der BK resp. auf deren sozio-materiellem Zusammenwirken (vgl. auch Schmidt, R. 2012). Der Ort, das Inventar sowie die Positionierung der Akteure geben Hinweise auf den Sitzungsablauf und den Charakter der Kommission. Wie schon im Gremium der SBK findet die Sitzung im repräsentativen Sitzungssaal der Gemeinde statt, dessen Repräsentanz sich aus materiellen und symbolischen Inputs sowie praktischen Handlungsvollzügen konfiguriert (siehe Kap. 7 und Kap. 9). Der Sitzungssaal ist dementsprechend an einem zentralen und gut zugänglichen Ort im Verwaltungsgebäude platziert, sodass er auch von weniger geübten Akteuren (siehe Kap. 4.1) gefunden werden kann und sich gleichsam von den übrigen Räumlichkeiten der Verwaltung in Größe, Form und Ausstattung deutlich abhebt (holzgetäfelte Wände, hohe Decken, große Fenster, bodenlange Vorhänge, moderne Sitzungstechnik, komfortable Stühle, Konferenztisch, Wappen der Gemeinde). Der Sitzungssaal ist einer, der ähnlich dem Sitzungszimmer nicht von bestimmten Mitarbeitern dauerhaft belegt (vgl. Kap. 5.2) und darüber hinaus nicht den Mitarbeitenden der Bauverwaltung vorbehalten ist, sondern besonders von der politischen Gemeinde (Kap. 2.1) für das Abhalten wichtiger Sitzungen (Kadersitzungen, Gemeinderatssitzungen, Stadtbildkommissionssitzungen) oder zu gelegentlichen Einzelgesprächen (z.B. zwischen Vertretern der Stadt und Investoren oder Vorstellung von (Forschungs-)Projekten genutzt wird. Dementsprechend werden die Teilnehmenden der BK auf die Vorderbühne der politischen Gemeinde eingeladen, was auf die Bedeutung der BK verweist.5 In der vorliegenden Situation haben sich die Vertreter der politischen Gemeinde und die der Verwaltung entsprechend ihrer Gruppenzugehörigkeit (Politik, Verwaltung) einander gegenüber in Stellung gebracht. Auf der linken Seite der Präsident und der Gemeinderat, auf der rechten der Hochbauleiter und seine

5

Eine Ausnahme bildet hier die Stadt Wetzikon, welche die Baukommission in einem größeren Sitzungsraum stattfinden lässt. Der im Vergleich sehr große Sitzungssaal steht für die BK-Sitzung nicht zur Verfügung. Aber auch hier werden die Kommissionsmitglieder auf die Vorderbühne der Bauverwaltung eingeladen, zwar nicht auf die der gesamten politischen Gemeinde, aber auf die der Bauverwaltung. Das Bauressort gehört zu den wichtigsten Abteilungen und verfügt über einen sehr hohen Stellenwert innerhalb der Gemeinde (Kap. 3.1).

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Mitarbeiterinnen, dazwischen ein großer Konferenztisch.6 Die Kommissionsmitglieder haben im Vorfeld der Sitzung keine Platzmarkierung, wie dies in der Sprechstunde oder der SBK der Fall wäre, vorgenommen, sodass jede Gruppe gleichermaßen aktive Raumarbeit leistet, um sich zu positionieren (Orientierung im Raum, Sondieren der Akteure, Platzsuche, Ablegen der Materialien, Setzen). Im Zuge dessen muss die frontale Formierung der Sitzposition erstens als eine Konkurrenzsituation gelesen werden, bei der sich zwei Parteien gegenübersitzen, die sich zugleich gut im Blick haben und die eigenen Kolleginnen oder Kollegen jeweils neben sich wissen (vgl. Argyle 1989), was zweitens zu einer symmetrischen Machtverteilung zwischen beiden führt. Dabei diskutieren hier nicht die Vertreter aus Politik/Verwaltung und Architektur am Objekt, sondern einzig Akteure aus Politik und Verwaltung, sodass sich die vormalige Einheit aus Politik und Verwaltung (die noch in der SBK bestand)7 aufspaltet und sich am zentralen Konferenztisch zu zwei Parteien formiert. Die Abwesenheit der Architektinnen und Architekten widerspiegelt sich auch in der Materialsituation auf dem Tisch. Statt der starken Präsenz der visuellen Werkzeuge (v.a. Modelle, Visualisierungen und Pläne) in der SBK oder zuweilen auch in der Sprechstunde befinden sich vor allem Dokumente und Baudossiersmäppchen auf dem Tisch. Eine Ausnahme bildet der Zonenplan, der aufgeklappt zwischen den Verwaltungsmitarbeitern liegt. Aber dieser visualisiert statt eines Bauprojektes das rechtliche Instrument der Bau- und Zonenordnung der Gemeinde (siehe unten). Daraus ist zu schließen, dass sich das Forum der BK deutlich auf die administrativen Informationssegmente eines Bauprojekts konzentriert und die Bauverwaltung das offenere, partizipativere Forum der SBK oder Sondersitzung gleichsam schließt, um einen Bewilligungsentscheid unter Ausschluss der Öffentlichkeit8 zu formulieren. Im Lichte dessen spielen das Zu-

6

Sobald die Vertreter der politischen Gemeinde aus mehr als zwei Personen bestehen, nimmt der Präsident der BK vor Kopf Platz und die Gemeinderäte sitzen auf der einen, die Verwaltungsmitarbeitenden auf der anderen Seite; so beobachtet in St. Margrethen und Wetzikon.

7

In der SBK bilden Verwaltung und Politik (und Fachexperten) in der Regel eine Gruppe gegenüber den vorstellenden Architekten. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Gelegentlich formieren sich Architekten und Verwaltung etwa in der Sondersitzung in St. Margrethen zu einer Gruppe, um ihre Ziele dem Gemeinderat zu präsentieren, sodass auch hier Politik und Verwaltung vor dem Hintergrund der Sitzungsökologie zwei konkurrierende Gruppierungen bilden (siehe Kap. 5.6).

8

Gleichwohl ist die Öffentlichkeit auch nur eine scheinbare, da in den meisten SBK die Sitzungen nur für einen eingeladenen Kreis geöffnet werden. Der ortsansässigen Be-

E NTSCHEIDUNG

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sammenwirken der administrativen Informationssegmente (Baudossiersmappe, Dokumente) und die Handlungsvollzüge der Akteure eine entscheidende Rolle. Auf jene Befunde stelle ich in dem nachfolgenden Unterkapitel ab. 8.1.2 Fixierung des Bewilligungsentscheids Im Folgenden werde ich aufzeigen, wie Bauprojekte in situ vergegenwärtigt, verhandelt und gleichsam der Entscheid am Bauprojekt in der BK befestigt wird. Im Zuge dessen konzentriere ich mich auf die Dokumente und administrativen Informationssegmente eines Bauprojektes im Zusammenspiel mit der materiellen Infrastruktur und den Handlungsvollzügen der Akteure. Dieser analytische Fokus verdichtete sich im Zuge der teilnehmenden Beobachtung und der vorausgegangen Analyseleistungen. Zunächst werde ich auf den strukturierenden Charakter des Papiers und die im Vorfeld erstellten Baubewilligungen zu sprechen kommen, die im Zusammenspiel mit der materiellen Infrastruktur einen Referenzrahmen für die routinisierten Handlungsvollzüge der Kommissionsmitglieder bilden. Bauprojekt in Arbeit I: Die administrativen Informationssegmente im Fokus Die Analyse der Sitzungsökologie der BK führt zur Annahme, dass die Art und Weise, wie Bauprojekte verhandelt werden, von denen in der SBK stark abweicht, denn nicht die Pläne, Modelle und Visualisierungen stehen im Zentrum (siehe Kap. 7), sondern das Medium Papier. Das Papier von dem hier die Rede ist, verkörpert einerseits Teile der administrativen Informationssegmente eines Bauprojektes (Formulare, Berechnungen, Erklärungen, Pläne, Listen, ausformulierte Bewilligungen; vgl. Kap. 6), die der BK gebündelt in den Baudossiermappen vorliegen und von der Verwaltung mit in die BK gebracht werden (siehe Videostill 10: die Bausekretärin ist von Baudossiermappen umgeben, Videostill 12: die Baudossiermappen liegen gestapelt rechts neben dem Bausekretär), die vorläufigen Baubewilligungen resp. das Vorprotokoll, welches den Kommissionsmitgliedern jeweils zur Verfügung steht andererseits. Im Laufe meiner Beobachtungen der Baukommissionssitzungen in den Untersuchungsgemeinden (vom Einbringen eines Bauprojekts bis zur Formulierung des Entscheids) habe ich unterschiedliche Praktiken der konkreten Arbeit am formativen Objekt (Bauprojekt) beobachtet. Es folgt eine Vignette in der zwei Praktiken in zwei unterschiedlichen BK- Sitzungen verfügbar gemacht werden:

völkerung bleibt das Gremium in der Regel verschlossen. Eine Ausnahme bildet bspw. die SBK der Gemeinde Uster.

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BK-Sitzung 1: Der Baukommissionspräsident liest einen neuen Punkt auf der Liste vor, während die Kommissionsmitgliederinnen und Mitglieder mit gezückten Kugelschreibern in der Hand auf die vor ihnen liegende Liste (Vorprotokoll) schauen und die Bausekretärin nach einer grünen Baudossiersmappe greift. Etwas später in der Sitzung beugen sich alle Teilnehmenden über das Vorprotokoll und haken einen Punkt auf dem Dokument ab (Videostill 10). BK-Sitzung 2:9 Ein Gemeinderat fährt mit einem Stift über den Absatz eines Dokuments und liest die entsprechende Textstelle laut vor (links im Bild, nur die Zeigegeste ist zu sehen). Die Gemeinderätin blättert unterdessen in der vorläufigen Bewilligung, indes der Bauverwalter die Textpassage durchstreicht. Der Hochbauleiter lässt den Blick über das Schriftstück streifen, notiert etwas und schlägt sodann die Seite um, ebenso der Präsident der BK (Videostill 11, Vignette 10, Baukommission, Textarbeit)Videostill 11: Baukommission, Textarbeit, Korpus 4, 01:40:17.

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Szenenbeschrieb: Vor Kopf sitzt der Baukommissionspräsident, zu seiner Linken zwei Gemeinderäte, zu seiner Rechten der Hochbauleiter, daneben der Bausekretär. Vor den Teilnehmenden liegen etliche Dokumente, vereinzelt ein kleiner Detailplan. Weit zuhinterst, am Rande des großen Konferenztisches ein Schaumodell der Gemeinde. Neben dem Bausekretär stapeln sich Akten, ein aufgeschlagenes Baureglement liegt daneben. Aus der vorausgegangenen Sondersitzung steht ein weiteres kleines Schaumodell hinter dem Aktenstapel.

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In der Arbeit der BK am konkreten Bauprojekt zeigen sich Redundanzen: Immer steht in situ die Arbeit am Papier in Zentrum – und vice versa am Bauprojekt. Es wird gelesen, vorgelesen, Notizen werden hinzugefügt, Passagen gestrichen oder abgehakt. Diese diskursiven Praktiken vollziehen sich im Kollektiv. In der Arbeitssession der BK wird deshalb gemeinsam am Text gelesen, vorgelesen, abgehakt oder revidiert und durch Hinzufügen oder Streichung modifiziert. Die gemeinsame diskursive Praxis der Textarbeit verweist auf die Legitimation und die Aussagekraft des Bewilligungsentscheids, denn im Kollektiv werden die Empfehlungen und Beschlüsse am Bauprojekt befestigt. Diese kollektive Einheit spiegelt sich auch im Bewilligungstext wider, der nicht in der ersten Person verfasst wird, sondern in einer kollektiven dritten.10 Die administrativen Informationssegmente werden sonach im Medium der Schrift verdichtet. Gelegentlich kommen während der Besprechung auch Pläne (Detail, Schnitt oder Schwarzpläne) zum Einsatz. Besonders, wenn es um eine Vergegenwärtigung der Lage des Bauprojektes im Stadtraum geht oder (nochmals) auf Details des Bauprojekts wie Fassade oder Parkplatzreglement abgestellt wird (siehe unten).11 Als entscheidende Diskussionsgrundlage dient jedoch das reduzierte Konglomerat der administrativen Informationssegmente, die solchermaßen eine selektive Sammlung der bisherigen Arbeitsschritte bereithalten (Baugesuchsunterlagen der Baueingabe; Stellungnahmen von kantonalen Dienststellen und internen Dossiers; etwaige Einsprachen; Expertisen der SBK oder Sondersitzung). Die visuellen Werkzeuge rücken als Argumente für ein Bauprojekt aus dem Fokus, auch weil nicht mehr das Vorstellen eines Bauprojektes und entsprechend die Argumentation für ein Bauprojekt im Vordergrund steht (Kap. 7), sondern im Sinne des administrativen Prüfungsapparats (Kap. 6) eine letztmalige kollektive Prüfung vor dem Hintergrund des Formulierens eines Entscheids. Am Ende der Sitzung steht ein kollektiver Entscheid, der als ein kompakter Text an die Projektverfassenden resp. den Bauherrn, die Bauherrin überstellt wird, sodass im Nachhinein die einzelnen Arbeitssituationen verschwimmen und sich in der Bewilligung auflösen, derweil sie zu einem Endprodukt verdichtet werden (vgl. Scheffer 2013). Dabei wird das formative Objekt in Arbeit, welches im Zuge des komplexen Fertigungsprozesses und

10 Diese Praxis ist auch im generellen v.a. brieflichen Schriftverkehr zwischen Bauämtern und den Projektverfassenden festzustellen. 11 Auszug eines Gespräch der BK in St. Margrethen. Der Hochbauleiter erklärt: »Also legen wir den Plan schnell auf den Tisch […]. Bei der Prüfung der Unterlagen haben wir festgestellt […], dass die Parkfläche so nicht stimmig ist (zeigt auf den Plan) […]. Die Projektverfasser haben die Parkfläche revidiert. […]. Sonst ist alles der Norm entsprechend […].« (Videosequenz, Korpus 5, 01:21:36ff.)

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alternierenden Medienwechseln zwischen Wort, Schrift und visuellen Werkzeugen in der BK zu einem Bewilligungsentscheid festgezurrt. 12 Zum administrativen Formenrepertoire gehören dementsprechend weniger visuelle, gestalterische und planerische Ausdrucksmittel als das Spektrum der schriftbasierten Normen, Regeln, Formulare und Entscheide. Deshalb bringen die Akteure weder mit den Plänen ein Bauprojekt ins Spiel, noch liegt der Fokus im Zuge der Verhandlungen auf dem Plan, sondern auf dem Papier in Form einer Liste/Vorprotokoll (Videostill 10) oder vorläufiger Baubewilligungen (Videostill 11). Diese strukturieren die Arbeit hier und jetzt und dienen darüber hinaus der Formulierung des Bewilligungsentscheids oder sind schon Ausformulierungen, die weit über das Schreiben ins Unreine bzw. einen ersten Entwurf hinaus gehen und im Kollektiv begutachtet werden. Jene strukturierende Kraft und die im Vorfeld der Sitzungen stattfindende Arbeit der Vorformulierung wird nachfolgend näher in den Blick genommen. Denn sie trägt wesentlich zum Charakter der BK bei, und gehört zu dem Methodenspektrum der Bauverwaltung, um das Bauprojekt durch die administrative Maschinerie zu befördern. Bauprojekt in Arbeit II: Vom Ordnungssystem einer Liste, Routinen und Vorformulierungen Das Videostill 10 zeigt nicht nur eine Szene aus der BK-Sitzung in Visp, sondern sie ist zugleich ein Screenshot des Videoschnittprogramms ›Final Cut Pro‹. Interessant ist die Leiste am unteren Rand, in der ich jeweils den Wechsel zur Besprechung eines neuen Bauprojektes eingetragen habe. Innerhalb von knapp 30 Minuten werden 39 Bauprojekte in der Sitzung besprochen.13 Im Vergleich zur eintägigen SBK-Sitzung in Wetzikon, in der fünf Bauprojekte diskutiert wurden, ist diese Zahl enorm (siehe Kap. 5.6). Diese straffe Agenda verlangt nach äußerster Disziplin und Routine, um allen Bauprojekten gerecht zu werden. Dies widerspiegelt

12 In Visp und St. Margrethen werden alle Beschlüsse nochmals in der Gemeinderatssitzung vorgelegt, der die Entscheidung letztendlich vorbehalten ist bzw. die ein Vetorecht der in der BK gefällten Entscheidung besitzt. In Wetzikon können Entscheide bis zu einem gewissen Investitionsvolumen in der jeweiligen Legislaturperiode ohne Rücksprache getroffen werden. Grundsätzlich ist die BK politisch, denn sie ist diejenige, die entscheidet. Im Gemeinderat werden diese Entscheide vielmehr abgenickt (siehe unten und Kap. 2.1). 13 Die Sitzung dauert ohne die Begrüßungs- und Abschiedszeremonie 36 Minuten. Neben der Besprechung der Bauprojekte wurden im Anschluss Planungsangelegenheiten der Gemeinde besprochen (wie Baulinien entlang der Kantonsstraße, Einsprachen gegen Quartierplanung).

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sich auch in der relativ klaren Strukturierung der Sitzungsökologie: Die Bausekretärin hat die Baudossiers griffbereit im Halbkreis um sich angeordnet, der Zonenplan liegt aufgefaltet auf dem Tisch, das Baureglement ist in Reichweite, das Vorprotokoll liegt vor den Teilnehmenden, die Stifte in den Händen sind gezückt (Vignette 9). Der Präsident beginnt (siehe Videostill 10, 12): »La Colina.« Bausekretärin schaut auf die Liste: »Das ist Fenster im Treppenhaus und Badezimmer auswechseln.« Die Bausekretärin greift nach der Baudossiersmappe. Die übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer schauen auf das Dokument. Präsident: »Gut. Das ist ja nichts Spezielles (hakt den Punkt ab). Keine Einsprachen, oder?« Sekretärin: »Nein«. Auch die übrigen Mitglieder setzen ein Häkchen hinter das Projekt. (Vignette 11, Baukommission, Bewilligungspraxis, Häkchensetzen)

Videostill 12: Baukommission, Bewilligungsakt, Korpus 5, 00:01:51.

In schneller Folge werden die Baugesuche nach dem immer gleichen Handlungsmuster der vorab konstituierten Ordnung besprochen: Projekte, die in den Gemeinderat gehen, laufende Gesuche, neue Gesuche, pendente Gesuche, baupolizeiliche Angelegenheiten.14 Diese Struktur ist eine Ordnung der administrativen Zeit, denn sie steht außerhalb der Erlebniszeit der Kommissionsmitglieder oder der Projektverfassenden (vgl. zur administrativen Zeit Kap. 5.1, Kap. 9). Auch der Zeitpunkt der Baueingabe, die ökonomische und symbolische Stellung der Projektverfassenden oder des Bauprojektes, sind nicht das entscheidende 14 Diese Auflistung der Bauprojekte erinnert an die fiktive Aufzählung Jorge Luis Borges’ zur Gruppierung der Tiere, dessen Aufzählung Michel Foucault in seiner Publikation Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaft als Ausgangspunkt zur Reflexion des abendländischen Wissens und Konstitution der Wissenssysteme voranstellt.

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Kriterium, vielmehr das Stadium des Projekts im Bewilligungsprozess ist ausschlaggebend. Es wird eine Ordnung nach der Lokalisation des jeweiligen Bauprojektes im Bewilligungsprozess vorgenommen und entsprechend diesen Befundes geordnet, sodass gleichsam eine selektive Liste der administrativen Ereignisse in Relation zum Bewilligungsprozess aufgesetzt wird. Zu Beginn werden Projekte besprochen, die den Bewilligungsprozess vollständig durchlaufen haben, sprich die verschiedenen Arbeitssessionen der Prüfung, der Einholung der Stellungnahmen, der eventuellen Besprechung in Sprechstunden oder SBK resp. Sondersitzung (vgl. Kap. 5.1-7). Sie sind bereit für den Entscheid. Sodann wird über neu eingegangene Bauprojekte informiert, um hiernach zu den laufenden Gesuchen zu kommen, bei denen z.B. Einspracheverhandlungen durchgeführt und kantonale Stellungnahmen abgewartet werden oder Gespräche zur Klärung technischer Details ausstehen. Von da aus werden Pendenzen besprochen, laufende Gesuche, die ruhen, bei denen seit Längerem gewartet wird und schlussendlich baupolizeiliche Angelegenheiten.15 Die Liste hält den Stand der jeweili-

15 Es folgt eine Vignette, die einen verdichteten inhaltlichen Auszug aus der BK-Sitzung wiedergibt, um einen Eindruck von dem Ablauf des Sitzungsprozedere und der Diskurspraxis zu bekommen. Ich werde an anderer Stelle auf die inhaltliche Komponente zurückkommen (siehe Kap. 8.1.2, Abschnitt: »Arbeit am Objekt III: Verhandlungsstrategien«). Präsident (P.): »Neues Gesuch: Erweiterung und Aufstockung einer bestehenden Garage. Was fehlt da alles?« Die Sekretärin liest die Formulare vor: »Nähebaurecht und Auszug aus dem Grundbuchamt, Pläne Brandschutz, Platznachweis, Platzkerrichtcontainer, Formular Wohn- und Baustatistik, Parkplatzberechnung, Bruttogeschossfläche, Energie, Erdbeben, Formular Überflutung.« Ohne große Diskussionen leitet P. zum nächsten Projekt über. […] P.: »Laufende Gesuche: Neubau Doppel EFH. Stellungnahme des Kantons abwarten. Weiter, nächstes Projekt.« […] P.: »Anfragen: Ausnahmebewilligung Visp West.« Der Hochbauleiter erklärt die Details: »Satteldach statt Flachdach, Bauzone W3, zwei nebeneinander liegende Wohnblöcke, auf die jeweils noch ein kleineres halbes Geschoss mit Satteldach gesetzt wird.« Es wird anhand von Plänen erklärt. Die Bauverwalterin (Ausbildung als Architektin) wird um ihre Meinung gebeten: »Noch zwei EFH auf einen Block.« Die Mitglieder der BK sind sich einig, dass sie dies nicht für gut befinden. Sie beschließen, die Stellungnahme eines Externen einzuholen. P. beschließt: »Das Raumplanungsbüro X soll sich das erst mal anschauen.«

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gen Projektbiographie eines Bauprojektes fest und verweist sogleich auf die bereits erfolgten Fertigungsschritte zur Beförderung des Bauprojektes und die noch ausstehenden Investitionen. Im Lichte dessen werden die Bauprojekte alle zwei Wochen im Rhythmus der BK-Sitzung einer neuen Ordnung unterzogen und in die Struktur der Liste eingeordnet. Diese Ordnung der Liste wird im Interaktionszusammenhang der Aufführung der Kommissionsmitglieder in situ lesbar, umgekehrt werden die Handlungsvollzüge erst unter Einbezug der Liste verständlich. Denn die Interaktionsordnung strebt nicht nach einer theoretischen Klarheit der Liste bzw. des Vorprotokolls, sondern befriedigt das pragmatische Interesse des Adressaten (Garfinkel 1967).16 So verlangt die verkürzte Besprechung der Bauprojekte und sogleich deren Empfehlung zur Bewilligung (»La Colina. Das ist Auswechseln der Fenster […]. Gut. Das ist ja nichts Spezielles. Keine Einsprachen […]« Vignette 11a) nach einem Verständnis der Interaktionsordnung in situ. Die Teilnehmenden, welche die Liste vor sich liegen haben, wissen, dass das zu besprechende Projekt für den Entscheid bereit ist. Das Einverständnis zur Bewilligung erfolgt nach dem Einwerfen weniger Eckdaten: Projektverfasser, Thema, Einfluss des Projekts, durch die non-verbale Praxis des gemeinschaftlichen Abhakens des Projektes. Das Videostill trägt hier zum Verständnis bei, da es die Praxis des gemeinsamen Abhakens verdeutlicht und vice versa den Akt der Bewilligung zeigt (Videostill 12). Der Bewilligungsentscheid kann folglich ohne einen expliziten Ausspruch des Präsidenten, etwa: »Das Bauprojekt wird so bewilligt«, gefällt werden (Vignette 11a, siehe zum Vgl. unten). Dem Vorprotokoll resp. der Liste kommt in diesem Handlungszusammenhang eine große Bedeutung zu, denn sie konstruiert und konstituiert die Routine und stabilisiert gleichsam den Handlungsablauf. Im Forschungsfeld zu Routinen wird zwischen dem ostensiven

[…] P.: »Pendente Baugesuche: Erneuerung und Renovation Dach und Fassade.« Die Sekretärin erklärt, dass die Einsprachefrist gerade abgewartet wird. P.: »OK. Weiter zum Nächsten.« […]. (Vignette 12, Baukommission, Gesprächsordnung) 16 Der Ethnomethodologe Harold Garfinkel zeigte in seiner Untersuchung: »Good« organizational reasons for »bad« clinic records. (1967), dass die Klinikakten eines Krankenhauses nicht aus sich selbst heraus verständlich sind, sondern erst in situ im Handlungszusammenhang (für Aussenstehende) verständlich werden. Sie wird aus der Logik der involvierten Akteure erstellt und dient nicht zur Offenlegung der Interaktionsordnung, sondern setzt ein Verständnis dieser Ordnung für eine konkrete Deutung voraus (Garfinkel 1967).

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Aspekt, d.h. der Routine zu Grunde liegenden Struktur17, und dem performativen Aspekt von Routinen, sprich der situativen Praxis der Durchführung, unterschieden (vgl. Feldmann & Pentland 2003). Das Vorprotokoll resp. die Liste verkörpert den ostensiven Aspekt, die praktische Aufführung den performativen Aspekt. Beide stehen im Wechselverhältnis zueinander und sorgen im vorliegenden Fall für das Abhandeln einer großen Zahl von Bauprojekten innerhalb kürzester Zeit. Noch genauer lassen sich die Listen von Baukommissionen wie die des Vorprotokolls in Visp mit dem Ethnologen Jack Goody (1977) als prospektive Liste18 charakterisieren, mit deren Hilfe Instruktionen für künftige Handlungen der Akteure gegeben werden. Dieserart wird die Liste im Vorfeld der BK erstellt, um erstens strukturelle Handlungsanweisungen für deren Durchführungen zu geben und zweitens die zu besprechenden Bauprojekte verfügbar zu machen. Darüber hinaus liegen den Kommissionsmitgliedern in vielen BK-Sitzungen bereits die vorläufigen Baubewilligungen vor (wie in den drei Untersuchungsgemeinden).19 Die Liste, das Vorprotokoll, die vorläufige Baubewilligung ändert so ihre Lesart: Sie ist nicht nur eine prospektive Liste, die konkrete Handlungsanweisung für das Ereignis der BK-Sitzung gibt, sie ist auch eine Kontextualisierung der bisher geleisteten Arbeit am Objekt und der noch zu leistenden Arbeit. Der trans-sequentielle Charakter der institutionellen Arbeitsprozesse (vgl. Scheffer 2013) und im Lichte dessen, die Methoden und Prozesse der Bauverwaltung zur Beförderung des Bauprojektes durch die administrative Maschinerie, treten hier deutlich zu Tage. Denn im Vorprotokoll resp. der vorläufigen Bewilligung werden die bisherigen Fertigungsschritte der funktionellen Episoden, der Baueingabe, Sprechstunden, SBK oder Sondersitzungen und deren materiellen wie

17 Ostensiver Aspekt beinhaltet: Struktur, Wissen, Regeln, „Idea“, standardisierte Prozesse oder abstrakte Handlungsmuster. 18 Jack Goody unterscheidet im Wesentlichen drei Arten von Listen: die lexikalische Liste, wie sie sich in Wörterbüchern oder Enzyklopädien finden lässt, die retrospektive Liste, eine rückblickende Aufzeichnung von Ereignissen, Situationen, Funktionen oder Personen, sowie die prospektive Liste, die als Plan bzw. als Führer für künftige Handlungen dient wie etwa Einkaufslisten (Goody 1977:347). Vgl. dazu auch Lorenza Mondada (2000), die in ihrer Arbeit die Reisepraxis der sogenannten Grande Toure junger Adliger im ausgehenden 19. Jahrhundert untersuchte. In Anlehnung an Jack Goody untersuchte sie prospektive Listen, die den Adligen als Leitfaden und fortlaufende Liste zugleich diente. 19 In Visp verkürzt als Liste (hier wird im Nachgang die Bewilligung ausformuliert), in den beiden anderen Gemeinden als ausformulierter Text (hier wird die Bewilligung im Vorfeld ausformuliert).

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symbolischen Inputs, Gesprächen, Anrufen, Notizen, Stellungnahmen, Empfehlungen, Expertisen, Beschwerden, Prüfungen, Ordnungsprozeduren, Bündelungen der Baudossiers (administrativen Informationssegmente) in einer reflexiven Praxis für die Sitzung aufbereitet. Die Praxis ist reflexiv, weil sie eine Einschätzung der bisherigen Arbeitsschritte sowie Ereignisse und Prozesse vornimmt und zugleich im Hinblick auf das kommende Ereignis der BK einen Textvorschlag resp. eine Liste erstellt, an der ein kollektiver Entscheid festgemacht wird. Dieserart relativiert die Praxis der Vorformulierung die Entscheidung am Objekt, denn sie wird nicht aus dem Blauen heraus von einzelnen Akteuren in der BK-Sitzung getroffen, sondern sie ist ein kollektiver Beschluss, der im Zuge der einzelnen Fertigungsschritte des Bewilligungsprozess im Vorfeld zu einer vorläufigen Bewilligung resp. einem Vorprotokoll von einer Mitarbeitenden der Bauverwaltung verdichtet wurde. In der BK wird der kollektive Beschluss letztendlich am Gegenstand befestigt – in Visp vollzieht sich das fast unmerklich im Durchexerzieren der Liste. In Wetzikon hingegen tritt der Entscheid und die Verhandlungsstrategien deutlicher zu Tage (siehe unten). Das Vorprotokoll in der BK ist dementsprechend nicht nur eine im Vorfeld erstellte instruktive Liste, welche die Kommissionsmitglieder durch die Sitzung führt, sondern sie dient ebenso als Arbeitsgrundlage und macht vergangene Ereignisse des Prozesses hier jetzt verfügbar. Hier spaltet sich die Praxis der Untersuchungsgemeinden in zwei Richtungen auf: Während das Vorprotokoll in Visp nicht als ausformulierte Bewilligung, sondern als Instruktion zum Ablauf der Sitzung dient, Information zum Stadium der einzelnen Bauprojekte und gleichsam Hinweise für die kommenden Schritte gibt, erstellen in Wetzikon und St. Margrethen die Hochbauleiter unter Rückgriff auf die vorausgegangenen Prozessschritte einen vorläufigen Bewilligungsentscheid, an dem sich die Kommissionsmitglieder abarbeiten. Welche inhaltlichen Konsequenzen dies mit sich bringt, wird nachfolgend diskutiert. Bauprojekt in Arbeit III: Verhandlungsstrategien zwischen Kontrolle und Qualität Kommen in einer BK sehr viele Projekte vor, was sich in vielen Sitzungen beobachten ließ, mutiert die BK zu einem Gremium des Abhakens einer Liste, wie das Beispiel in Visp zeigte. Dadurch wird der eigentliche Entscheid als Ereignis in der BK im Zuge des Prozesses zu einer Nebensächlichkeit, auch weil die Routine der prospektiven Liste (siehe oben) bis zum Ende der Sitzung durchgezogen wird, um allen Bauprojekten gerecht zu werden. Während des gesamten Bewilligungsprozesses von der Baueingabe bis zum Entscheid (siehe Kap. 4.2) wird das Bauprojekt wiederholt in die BK eingebracht und mittels der oben beschrieben

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Liste geordnet. Dementsprechend kommen die Bauprojekte nicht erst am Ende des Prozesses in die BK, wo der Entscheid formuliert wird, sondern im zeitlichen Rhythmus des administrativen Alltags werden alle Bauprojekte vom Moment des Erstkontaktes im zweiwöchentlichen Zyklus der BK-Sitzungen immer wieder in der Sitzung verhandelt. Dieserart findet eine fortlaufende Rückkopplung und Verschränkung von Ereignis und Prozess statt, sodass sich beide in der Arbeitssession der BK-Sitzung ineinander auflösen. Gleichsam überlagert der Prozesses der trans-sequentiellen Verschränkung von Ereignis und Prozess den obligatorischen Passagepunkt (Callon 1986), denn das Durchexerzieren der Liste verschleiert die Entscheidungsfindung. Der Entscheid erwächst auf diese Weise im zweiwöchentlichen Rhythmus der BK-Sitzung, sodass beim letztmaligen Auftauchen eines Bauprojektes in der BK nur die kleine Spur eines Entscheids im Zuge des schnellen kollektiven Abhakens sichtbar wird (Videostill 12). Die beobachteten Praktiken führen einerseits zu einer gewissen Transparenz der vorgelagerten Prozesse und Ereignisse, denn die Kommissionsmitglieder sind in regelmäßigen Abständen über den Werdegang der Bauprojekte durch die administrative Maschinerie informiert, zugleich wird die Arbeit der Administration stark von der Politik kontrolliert. Aber nicht nur die Arbeit der Administration wird kontrolliert, insbesondere auch das Bauprojekt an sich. Dementsprechend setzen BKs wie die in Visp auf Kontrolle und Entzerrung als wesentliche Verhandlungsstrategie der Bauprojekte. Qualitative Diskussionen am Objekt finden so kaum statt, denn das Interesse liegt auf der Vollständigkeit der Unterlagen, der Einhaltung der Normen, Regeln und Richtlinien sowie der Gewährleistung der Sicherheit. Technische gleichsam normative und formelle Qualitäten beherrschen im Duktus einer Logik der Regularien die BK-Sitzung. Qualitätsdiskussionen um Bauprojekte werden dieserart andernorts geführt (in SBK, Kap. 7; Sprechstunden, Kap. 5.2 oder (informelle) Praktiken der Büroarbeit, Kap. 6) und gelangen als Verweise resp. Kontextualisierungen in die BK-Sitzung, etwa wenn die BK beschließt, eine Stellungnahme eines Experten zu einem Bauvorhaben einzuholen, welches zwar den Normen entspricht, aber nicht den übergeordneten Qualitätsvorstellungen der Gemeinde, oder wenn auf die Expertisen aus der SBK verwiesen wird (siehe unten). Qualitätsdiskussionen werden auf diese Weise angerissen aber nicht zu Ende geführt.20 Das bedeutet, dass Fragen der Qua-

20 Ein Beispiel aus einer BK. Präsident: »Anfragen: Ausnahmebewilligung Visp West.« Der Hochbauleiter erklärt die Details: Satteldach statt Flachdach, Bauzone W3, zwei nebeneinander liegende Wohnblöcke, auf die jeweils noch ein kleineres halbes Geschoss mit Satteldach gesetzt wird. Es wird anhand von Plänen erklärt. Die Bauverwalterin (Ausbildung als Architektin) wird um ihre Meinung gebeten: »Noch zwei EFH auf einen

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lität zwar in unterschiedlichsten Zusammenhängen und auf verschiedenen Maßstabsebenen aufgegriffen, jedoch schnell wieder fallen gelassen werden – kommt es doch zu einer kurzweiligen Diskussion auf qualitativer Ebene, stehen oftmals Details des Bauprojektes wie die der Fassadengestaltung im Fokus.21 Die wesentlichen Verhandlungsstrategien, die im Zuge der Teilnahme an verschiedenen BK-Sitzung beobachtet werden konnten, lassen sich wie folgt zusammenfassen: • • • • •

Kontrolle des Bewilligungsprozesses Entzerrung des Entscheids Anreißen von Qualitätskriterien auf verschiedenen Maßstabsebenen Verfügbarmachen von Informationen Bewilligung als Politikum deklarieren

Die genauen Betrachtungen der beiden Letztgenannten stehen noch aus und werden nachfolgend analysiert. Das Verfügbarmachen von Informationen als eine Praxis zur Entscheidungsfindung umfasst je nach Strukturierung der BKSitzung unterschiedliche Dimensionen: In BK-Sitzungen, in denen sehr viele Projekte besprochen werden, vollzieht sich dies einerseits über die Liste/das Vorprotokoll, in der bisherige und ausstehende Arbeitsschritte verfügbar gemacht werden, andererseits über das Erfragen des Präsidenten oder Erklären der Projekte seitens der Bauverwaltung. 22 Das Verfügbarmachen ist dementspre-

Block…« Die Mitglieder der BK sind sich einig, dass sie dies nicht für gut befinden. Sie einigen sich, die Stellungnahme eines Externen einzuholen. P. beschließt: »Das Raumplanungsbüro X soll sich das erst mal anschauen (Auszug aus Vignette 12, S. 258).« 21 Ein Beispiel aus einer anderen BK: P.: »Ist es gut so?« Stadtplaner: »Wie ist es mit der Fassade? Denn die Fassade ist ein wichtiges Element im Stadtbild. Da vorne beim Juwelier sind die Sprossen einfach draufgeschraubt worden, das sieht gar nicht aus. Wir wollen eine hohe Qualität bewahren.« Gemeinderat: »Was heißt hohe Qualität? Das ist schwammig.« Hochbauleiter: »Ich denke, er (der Bauherr) hat die Sensibilität. Aber wir werden es aufnehmen, dass er soweit wie…« -notiert etwas- … »Gut….Ich werde die Ergänzung wegen der Fenster aufnehmen.« Das Projekt wird unter Hinzufügung der Auflage zu den Fenstern bewilligt. (Vignette 13, Baukommission, Anreißen von Qualitätsdiskussionen) 22 Präsident (P.): »Neues Gesuch: Erweiterung und Aufstockung einer bestehenden Garage. Was fehlt da alles?« Die Sekretärin liest die Formulare vor: »Nähebaurecht und Auszug aus dem Grundbuchamt, Pläne Brandschutz, Platznachweis, Platzkehrichtcontainer, Formular Wohn- und Baustatistik, Parkplatzberechnung, Bruttogeschoss-

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chend ein wesentlicher Schritt, um das Bauprojekt zu verhandeln und den Entscheid zu befestigen. In Sitzungen, in denen im Vorfeld eine Selektion vorgenommen wurde23 und eine ausformulierte Bewilligung vorliegt24 kann sich diese Praxis freier entfalten. Wie in Wetzikon, wo der Hochbauleiter im Zuge der diagnostischen Einordnung des Bauprojektes zu Beginn des Bewilligungsprozesses (Kap. 5.3) eine Auswahl der zu besprechenden Bauprojekte trifft.25 Der ausformulierte Bewilligungsvorschlag dient hier als Grundlage zur Fällung des Entscheids in situ. Im Gegensatz dazu sei auf die diskursive Praxis eines Abgeordnetenbüros eines parlamentarischen Betriebes zur Erstellung eines Positionspapiers verwiesen – die Praxis der Vorformulierung stellt dort auf das Schreiben ins Unreine ab, um den Dingen eine Richtung zu geben (Scheffer 2013). Im Modus des Qualifizierungsprozess wird im Zuge der Vorformulierung die Entscheidung am Objekt bereits vorweg genommen und textlich festgehalten, sodass das Objekt in Arbeit zum Zeitpunkt des eigentlichen Bewilligungsentscheids schon stark fixiert ist. Im Lichte dessen wird die Strategie des Verfügbarmachens von Information von der Bauverwaltung besonders aus zweierlei Gründen verfolgt, einerseits als diskursive Praxis des Hervorbringens und Vergegenwärtigens des bereits formulierten Bewilligungsentscheides (siehe Videostill 14: Der Hochbau-

fläche, Energie, Erdbeben, Formular Überflutung.« Ohne große Diskussionen leitet P. zum nächsten Projekt über […] (Auszug aus Vignette 12). 23 In Wetzikon weicht die Praxis der BK von der in Visp ab (St. Margrethen liegt zwischen beiden), auch hier strukturiert eine Liste den Sitzungsablauf und die Bauprojekte: (a) solche, die bereit sind für den Entscheid, b) solche, die schwierig sind und c) Anfragen. Doch die Ordnungskategorien bestehen lediglich aus drei Ebenen und auch die Quotienten: Zeit und Anzahl der Bauprojekte, die besprochen werden, unterscheiden sich von denen in Visp: In einer beobachteten BK in Wetzikon im März 2012 dauerte die Sitzung 1 Stunde und 47 Minuten, im Zuge derer zwölf Projekte besprochen wurden. Auf diese Weise bleibt mehr Platz, um einzelne Verhandlungsstrategien zu entfalten. 24 Der ausformulierte Entscheid mit allen Auflagen, die aus der Sicht des Hochbauleiters erfüllt oder bedacht werden, liegt im Vorfeld der Sitzung eine Woche lang in einem Nebenraum der Bauverwaltung aus, sodass die Kommissionsmitglieder Zeit haben, diesen einzusehen und sich vorzubereiten. 25 Anzeigeverfahren und sonstige untergeordnete Bewilligungen werden i.d.R. von der Bauverwaltung ohne Rücksprache mit der BK besprochen (siehe Geschäftsordnung Bau- und Quartierplankommission W. 2010). Es handelt sich dabei um Projekte mit einem geringen Investitionsvolumen und geringer städtebaulicher Bedeutung wie Sonnenstoren oder Gartenhäuser.

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leiter liest aus dem erstellten Entscheid vor) und zweitens zur Verfügungstellung zusätzlicher Informationen, die nicht aus dem Entscheid hervorgehen und diesen gleichsam stärken.26 Hier findet erneut eine Kontextualisierung des Bauprojektes auf verschiedenen Ebenen statt: Es wird auf Vergangenes rekurriert (wie SBK, Planungsprozesse) und hier und jetzt im Hinblick auf den zu fällenden Entscheid und die erwartbaren Konsequenzen bearbeitet. Dies führt mich zu einer weiteren Verhandlungsstrategie: Der Deklaration eines Entscheides zum Politikum. Vignette: In der Baukommissionssitzung möchte einer der Gemeinderäte wissen, ob die Rodung eines Baugrundstücks bereits durchgeführt wurde und wie groß die gerodete Fläche sei, da er von verschiedenen Einwohnern darauf angesprochen wurde. Dies weiß niemand, da dem Forstamt die Aufgabe der Kontrolle zufällt. Der Gemeinderat drängt auf eine Vollzugsmeldung in der Bewilligung, weil die Sache ein Politikum sei. Der Hinweis auf Vollzugsmeldung wird in die Bewilligung mitaufgenommen, gleichwohl dies rechtlich nicht vorgegeben ist. (Vignette 14, Baukommission, Deklaration eines Entscheids zum Politikum) Die Praxis des Gemeinderates, der die politischen Dimension in die Diskussion um den Bewilligungsentscheid einbringt, wurde bis zu diesem Zeitpunkt nicht berücksichtigt. Dies weil das Anliegen weder gesetzlich verankert ist, noch im städtebaulichen Diskurs präsent ist. Deshalb wurde der Punkt nicht von der Bauverwaltung bedacht. Dieses Anliegen kann im Lichte dessen in die Bewilligung als eine Empfehlung mit aufgenommen werden, die zwar nicht rechtlich verbindlich ist, den Projektverfassenden aber anhält, den Punkt zu beachten. Dieserart diffundieren politische Ideen und Agendaziele in den Entscheid und werden an einzelnen Bauprojekten befestigt (z.B. Energiethemen, Leitbilder, Visionen). Das Bauprojekt tritt im Lichte der obigen Ausführungen klar als Medium des Textes in Erscheinung und hat als aktiver Handlungsträger maßgeblichen Anteil an den diskursiven Praktiken, die im Zuge der bereits vorliegenden Bewilligung der Diskussion Richtung und Ziel vorgibt. Der Hochbauleiter schreibt allfällige Änderungen direkt in die Bewilligung ein (Videostill 13) oder streicht Passagen aus (Videostill 11). Die individualisierten Einzelpraktiken in den Büros (Kap. 6)

26 Ein Beispiel: Der Hochbauleiter erläutert: »Das Projekt (Errichtung der Tribüne) ist von der SBK beurteilt worden, weil öffentlicher Bau. Erscheinung als solche gut. Schwierig: Umgebungsplanung […] was passiert da nachher alles im öffentlichem Raum?! Die Gesamtanlage hat immer noch gewisse Schwierigkeiten.« (00:03:56, Korpus 2)

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werden hier zu einem kollektiven Beschluss verdichtet und befestigt. Der Entscheid wird gefällt. Videostill 13: Baukommission, Änderungen in den Bewilligungsentscheid aufnehmen, Korpus 2, 00:09:40, Ausschnitt.

Videostill 14: Baukommission, Vorlesen aus einem Bewilligungsentscheid, Korpus 2, 00:00:18, Ausschnitt.

8.1.3 Baukommission und Stadtbildkommission im Vergleich Als einen letzten Schritt des Kapitels stelle ich in einem tabellarischen Vergleich die Arbeitssessionen der BK und der SBK gegenüber. Dies weil beide Kommissionen der Beförderung des Bauprojektes dienen, aber wie im Laufe der analytischen Ausführungen der letzten beiden Kapitel deutlich wurde, unterschiedliche Funktionen im Bewilligungsprozess wahrnehmen: Die Art und Weise, wie Bauprojekte in den verschiedenen Gremien verhandelt werden, weichen deutlich voneinander ab: Allein die Fokussierung auf die Sitzungsökologie und das Arsenal der materiellen Handlungsträgerschaft weisen auf die Differenzen in der Performance hin. Während in der SBK Zeigegesten, der Wechsel zwischen stehenden und sitzenden Positionen dominieren, die im Zusammenspiel mit den visuellen Werkzeugen (Plänen, Modellen, Visualisierungen) eine aktive Performance forcieren, sind die Handlungsvollzüge im Zuge des Fokus auf die administrativen Informationssegmente in der BK stark zurückgenommen. Hier dominieren diskursive Praktiken der Textarbeit. Die BK ist entsprechend ihrem Fokus auf die gesetzlichen Reglements und ihrem Anspruch des Formulierens eines Entscheids normgeleitet, sodass die Sitzung durch ver-

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kürzte Verhandlungsstrategien im Sinne der Logik der Regularien auf Quantität denn auf Qualität setzt. Es gilt, so viele Projekte wie möglich/erforderlich zugunsten einer Prozessbeschleunigung in der BK zu verhandeln. Folglich muss auch nicht lange verhandelt, gezeigt und gestanden werden oder Experten anwesend sein. Im Lichte dessen ist die Arbeitssession ein geschlossenes Forum, um in einem intimen Kreis aus Vertretern von Politik und Verwaltung unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen Entscheid zu fällen. Qualitätsdiskussionen können dieserart nicht von der BK erwartet werden, da sie im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Ereignis und Prozess bereits im Laufe des Prozesses geführt werden können, sollen und müssen. Tabelle 7: Stadtbildkommission und Baukommission im Vergleich, eigene Darstellung. Stadtbildkommission (SBK)

Baukommission (BK)

aktive Handlungen  zeigen, stehen

passive Handlungen  notieren, sitzen

Modelle, Visualisierungen, Pläne

Baudossier, Dokumente (Pläne), Listen27

Qualitative Kriterien  projektorien-

Technische Kriterien  reglements-

tiert

orientiert  prozessorientiert

Diskutieren  Expertisen

Prüfen  Entscheid

Qualitativ  innovative Ansätze

Quantitativ  Logik der Regularien

Sehr wenige Projekte

Viele Projekte

Offenes Forum

Geschlossenes Forum

27 Pläne visualisieren hier gesetzliche Normen und Regeln.

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Die BK ist die Arbeitssession, in der vorausgegangene Diskussionen, Prüfungen, Innovationen oder Anpassungen endgültig am Objekt befestigt werden. In dieser Episode ist die Prozessorientierung zentral. Hingegen öffnet die Bauverwaltung mit der Arbeitssession der SBK (Sondersitzung) einen Möglichkeitsraum, der in einer prozeduralen, projektorientierten Sicht die Arbeit am konkreten Projekt fördert. Dies bezieht auf diese Weise Fachexperten, Projektverfasser und gelegentlich Vertreter aus der Bevölkerung mit ein und stellt auf eine qualitative Siedlungsentwicklung ab. Innovationen und kreative Lösungen werden im Forum der SBK ermöglicht, sodass nicht zwingend das Bauprojekt an die Rahmenbedingungen angepasst werden muss, sondern mitunter die Rahmenbedingungen an das Bauprojekt. Nichtsdestotrotz ist die SBK nicht als Arbeitssession zu begreifen, in der qualitative Qualitätsdiskussionen per se stattfinden. Auch in dieser Arbeitssession können Qualitätsdiskussionen am Bauprojekt vorbei geführt werden und in normativen Diskussionslinien des Städtebaus verhaftet bleiben (vgl. Kap. 5.6). Dennoch ermöglicht das SBK als Arbeitsinstrument der Bauverwaltung eine Prozessöffnung.

8.2 F AZIT : Q UALIFIZIERUNG DER S IEDLUNGSLANDSCHAFT

FRAGMENTIERTEN

Trotz des einschneidenden Ereignisses der BK-Sitzung und dem Fällen resp. Formulieren28 des Entscheides, auf den die Projektverfasser seit der Eingabe des Projektes warten, relativiert sich der ereignishafte Charakter im Zuge seiner Durchführung. Für die Gesuchstellenden ist der Tag X der BK derjenige, auf den sie gewartet haben. Der Zeitraum dazwischen ist durch Ungewissheit, Warten, Ungeduld und zuweilen existentielle Ängsten geprägt, denn mit dem Bewilligungsentscheid steht und fällt das eigene Bauprojekt. Für die Bauverwaltung hingegen ist der Prozess vom Erstkontakt mit den Projektverfassenden bis zum Entscheid extrem relevant. Denn erst der dem Bewilligungsentscheid vorgelagerte Prozess befähigt die Akteure, eine Entscheidung zu fällen. Das Case-Making am Schalter und in der Sprechstunde (Kap. 5), die Fertigungsschritte am Bauprojekt in den Arbeitssessionen der Büros (Kap. 6), das Einholen der Stellungnahmen, die Verhandlung mit Fachexperten wie im Gremium der SBK (Kap. 7) oder die wiederholten Gespräche mit den Projekt-

28 Je nach Gemeinde fällt der Baukommission das Recht des Bewilligungsentscheides ohne erneute Vorlage im Gemeinderat zu (siehe oben, Fußnote 280).

E NTSCHEIDUNG

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verfassenden sowie die zahlreichen Praktiken des Prüfens bringen das Bauprojekt für den Entscheid in Stellung. Zugleich ist die BK das entscheidende Nadelöhr, an dem die Arbeiten und Beschlüsse letztendlich am Projekt befestigt werden. Gleichsam schwindet der ereignishafte Charakter im Zuge seiner Durchführung, denn die Bauprojekte werden im Lichte der Kontextualisierungen, Vorformulierungen und der Erstellung einer prospektiven Ordnung in schneller Folge abgehakt und verhandelt, sodass der Entscheid fast unmerklich am Projekt vollzogen wird. Oder dem vorformulierten Bewilligungsentscheid werden in einer diskursiven Praxis der kollektiven Textarbeit Aspekte hinzugefügt oder gestrichen. Dennoch, die erwartbaren Qualitätsdiskussionen werden bestenfalls angerissen, aber nicht zu Ende geführt, weil der Entscheid zum Beispiel durch Entzerren im Zuge der Konzentration auf die Kontrolle der Arbeitsprozesse und des Bauprojektes verschleiert wird. Fakt ist, dass im Zuge des vorgelagerten Prozesses und der erwartbaren Konsequenzen (Einsprache gegen den Bewilligungsentscheid) technische Kriterien im Vordergrund stehen. Eine qualitative Weiterentwicklung der Siedlungslandschaft kann dieserart nur in Arbeitssessionen stattfinden, die der BK vorgelagert sind und auf die sie sich im Anschluss beziehen kann. Die Sitzungsökologie und die materielle Infrastruktur spiegeln diese Befunde und haben zugleich Anteil an den Handlungsvollzügen, die die Kommissionsmitglieder befähigen, einen Entscheid zu fällen. Die BK übt mit dem Fällen des Entscheids eine politische Praxis aus, indem sie vor dem Hintergrund des Gesetzes und zum Wohle der Gemeinschaft ein Urteil fällt, das sich auf die Siedlungslandschaft der Gemeinde auswirkt. Diese Wirkmacht ist ein zentraler Punkt des Kapitels, sodass sich die Forschungsfrage nach der Wirkmacht der administrativen Praxis auf die Siedlungslandschaft beantworten lässt (Forschungsfrage 3, Teilfrage, Kap. 1.1.2). Im Modus der BK wird deutlich, dass die in der obigen Vignette (Vignette 11a Baukommission, Bewilligungspraxis) beschriebene Geste des Häkchensetzens in ihrer Symbolik die Zersiedelung der gebauten Umwelt nicht nur ausdrückt, sondern sich auch in dieser administrativen Praxis konfiguriert. Mit dem Setzen des Häkchens: • • •

wird der Blick auf die Parzelle verengt, vollzieht die Bauverwaltung eine Qualifizierung des Bestandes, wird die Praxis repetitiv gefestigt und und jeweils reproduziert.

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Die vorgelagerte Arbeit der administrativen Ordnung von Bauprojekten in Form einer prospektiven Liste resp. des Vorliegens eines vorläufigen Bewilligungsentscheids (Kap. 8.1.2) unterstützt die Praxis, denn hier stellt die Bauverwaltung die Bewilligungsreife29 und die Qualifizierungsstufe sicher. Die Konsequenzen, die in der Praxis des Häkchensetzens zum Ausdruck kommen, lassen sich wie folgt fassen: Durch die Verengung des Blickes auf die Parzelle schwimmt das Bauprojekt allein auf einer Scholle. Deshalb findet nicht nur eine Qualifizierung des Bestandes am einzelnen Bauprojekt statt, sondern auch eine Qualifizierung der Fragmentierung und Zersiedlung der gebauten Umwelt (in ihrer Gesamtheit). Förderlich wirken sich dabei die vielen parallelen Bewilligungsprozesse aus, mit denen die Bauverwaltung täglich zu jonglieren hat, da jeder Bewilligungsprozess (eines Bauprojektes) für sich betrachtet wird. Dabei verengt sich der Blick jeweils auf die Mikroebene, sprich das Bauprojekt – die höheren Ebenen (Areal, Gemeindegebiet, Region) werden, handelt es sich um die Bewilligung einzelner Bauprojekte, in der Regel ausgeblendet. Nicht zuletzt weist jeder Bewilligungsprozess eines Bauprojektes fallspezifische Ereignis-Prozess-Relationen auf, die sich jeweils in situ konfigurieren und nur bedingt steuern lassen (zur Vertiefung siehe Kap. 9.1 und Kap. 9.3). Für die Bauverwaltung besteht die tägliche Herausforderung in der fallspezifischen Organisation der parallelen und gleichsam zeitlich verschobenen Baubewilligungsprozesse und deren Durchführung. Die Administration wirkt ergo gerade im Bezug des Automatismus des (symbolischen Akts) des Häkchensetzens. In der Schlussbetrachtung wird dieser Befund abschließend aufgegriffen und RePositionierung der Gemeinde/Bauverwaltung im städtebaulichen Gefüge angeraten (Kap. 9.5). Am Ende verlässt das Bauprojekt, welches vor Monaten in den administrativen Apparat eingegeben und von der Sprache der Architektur in die der Administration übersetzt wurde, im Medium des schriftlichen Bewilligungsentscheides die Bauverwaltung. Das Bauprojekt kann im Falle eines positiven Entscheides in die Siedlungslandschaft übersetzt werden.

29 Das Bauprojekt erfüllt alle rechtlichen Vorgaben und die qualitativen Mindestanforderungen des Bauens.

IX. Schlussbetrachtung

Abb. 31: Bauprojekt allein auf einer Siedlungsscholle, Foto Susanne Hofer, Schlussbericht (Wezemael et al. 2014:67)

Die Ethnographie der Bauverwaltung bediente sich der trans-sequentiellen Analyse (TSA, Scheffer 2010), um die vermeintliche Blackbox der Bauverwaltung zu öffnen und die Eigenlogik und Wirkmacht der Bauverwaltung, deren Methoden und Prozesse, deren Medien und Materialität sowie die Gestaltungsmöglichkeiten auf Bauprojekte und somit auf die gebaute Umwelt herauszuarbeiten. Sie leistet einen empirischen und theoretischen Beitrag auf dem Feld der TSA, da sie den ethnographischen Untersuchungen von Gerichtsverfahren oder dem Parlamentsbetrieb die Analyse des Baubewilligungsverfahrens hinzufügt und diese gleichsam erweitert. In der vorliegenden Dissertation half mir dieser analytische Fokus, um das Bauprojekt in Arbeit in den Blick zu nehmen und davon ausge-

282 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG

hend (im Sinn meiner Fragestellungen, Kap. 1.1.2) die alltägliche Praxis der Bauverwaltung aufzudecken und gleichsam deren Ambitionen, das Bauprojekt zu formulieren resp. eventuell zu re-formulieren und somit die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Prozesse zu analysieren. Auf diese Weise entsteht eine alternative Betrachtungsweise der administrativen Prozesse, die es ermöglicht, das Festzurren des Bauprojektes zum Bewilligungsentscheid im Lichte der unterschiedlichen Zeitlichkeiten der Arbeitsprozesse und Stadien resp. Qualifizierungsstufen von Bauprojekten in den Griff zu bekommen. Die analytische Setzung fünf funktioneller Episoden (Eingaben/Anfragen, Arbeitssessionen, Prüfungen des Objektes, Vorformulierungen, Passagepunkte), gespeist aus den Befunden der Empirie, bezeichnet die Funktionen, die die beobachteten Arbeitssituationen auf dem Weg zum Formulieren des Entscheids als maßgeblichen Passagepunkt übernehmen und gleichsam die Festigkeit und Flexibilität, in denen sich das Bauprojekt in Arbeit präsentiert (Kap. 4.2.2). Doch die administrativen Praktiken können nicht als isolierte Situationen betrachtet werden. Ein vielfältiges Netzwerk, bestehend aus unterschiedlichen Teilnehmenden sprich Mitarbeitende der Bauverwaltung, Projektverfassende, Expertinnen und Experten gilt es ebenso im Blick zu haben wie deren symbolische Investitionen und Materialitäten. Jene rahmen, ermöglichen, unterstützen oder resultieren aus den administrativen Praktiken der Teilnehmenden. Die Verwaltung lässt sich deshalb folgendermaßen definieren: Verwaltung umfasst heuristisch die räumlich-materielle und symbolische Rahmung von Tätigkeiten, die (in dieser Rahmung) als Verwaltungstätigkeiten auf- und ausgeführt werden.1 Der Bauverwaltungsapparat ist im Lichte dessen auf weiten Strecken als Prüfungsapparat zu lesen. Diese Ausprägung wurde besonders in Kapitel 5.5 analysiert und reflektiert, sodass ich mich in der folgenden Schlussbetrachtung auf vier weitere Aspekte konzentriere, die einer Synthese und Reflexion bedürfen, um das Innere der Bauverwaltung bestmöglich zu öffnen und das Netzwerk der administrativen Praxis abschließend zusammenzufassen. Zunächst steht ein Überblick und gleichsam ein Fazit des administrativen Prozedere und der vielfältigen Beziehungsordnungen von administrativen Ereignissen und Prozessen, die sich je nach Stand des Verfahrens in einer anderen Ausprägung darbieten (Kap. 9.1), an. Im Zuge dessen werde ich die methodische und theoretische Frage der Studie abschließend diskutieren. Davon ausgehend widme ich mich sodann zwei wichtigen Größen, die Arbeitsmittel und Rahmung der Tätigkeiten zugleich darstellen: die Materialität

1

Vgl. dazu Schmidt, R. (2012), der auf ähnliche Weise das Büro definiert.

S CHLUSSBETRACHTUNG

| 283

und die Zeit von Arbeitsvollzügen und Prozessen. Der entscheidende Einfluss der materiellen Infrastruktur wurde bereits in den empirischen Kapiteln herausgearbeitet. Im Zuge dessen ist eine synthetisierende Darstellung nötig, sodass die Geographie der Bauverwaltung und mit ihr die Materialität von Arbeitsprozessen sowie die Laufwege eines Bauprojektes beschrieben und kartiert werden können (Kap. 9.2). Die Zeit als Ressource von Macht für die Bauverwaltung und Mittel, die Projektverfassenden zur Re-Formulierung ihres Bauprojektes zu bewegen, steht nachfolgend im Fokus (9.3). In einem weiteren Syntheseschritt stelle ich die Transformation des Bauprojektes im Modus der Kooperation der Teilnehmenden in den Mittelpunkt. Hier werden die vielfältigen medientechnischen materiellen Übersetzungen, die ein Bauprojekt im Zuge seines Fertigungsprozesses erfährt, greifbar – dies im Spiegel der Kooperation der unterschiedlichen Teilnehmenden (9.4). Die Studie wird sodann mit einem Fazit geschlossen, welches die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Prozesse abschließend in zwölf Thesen fasst und die Rolle der Gemeinde/(Bau-)Verwaltung im städtebaulichen Diskurs repositioniert. Denn solange die Bauverwaltung weiterhin als Prüfungsapparat eingesetzt und verstanden wird, verfestigt sich zweierlei: Erstens werden Bauvorhaben und Bauprojekte mit einer Praxis des scaling downs (Yaneva 2009, Kap. 5.4) konfrontiert, um möglichst reibungslos durch den Bewilligungsprozess zu laufen. Zweitens geht mit der prüfenden Qualifizierung des Bestandes durch die Bauverwaltung die Qualifizierung der Zersiedelung einher – gleichwohl ein Umdenken in Städtebau (Diener et al. 2012, NFP 65) und (prozessorientierte) Planung (Löpfe 2014, Wezemael et al. 2014) von den Expertinnen und Experten gewünscht ist.

9.1 B EZIEHUNGSORDNUNGEN VON ADMINISTRATIVEN E REIGNISSEN

UND

P ROZESSEN

Die theoretisch fundierte vierte Forschungsfrage der Studie ging der Frage nach, ob die Konzepte aus Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie zu kurz greifen, um die Wirkmacht und Eigenlogik der administrativen Praktiken auf Bauprojekte zu untersuchen (Kap. 1.1.2). Daran schlossen sich Fragen nach der Erweiterung der etablierten Konzepte an, um den Gegenstand zu untersuchen. Die Antwort lautet: Mit der TSA und ihrem besonderen Fokus von Ereignis- und Prozess-Relationen ist es möglich, die administrativen Prozesse der Bauverwaltungen und deren Eigenlogik und Wirkmacht zu untersuchen und die

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theoretische Lücke zwischen den etablierten Konzepten und dem Forschungsvorhaben der Studie zu schließen (zur Vertiefung siehe Kap. 2.3, Kap. 2.4). Inwieweit dies mit der methodischen Herangehensweise vereinbar ist, wird am Ende dieses Abschnittes geklärt. Zunächst werden die analytischen Befunde, die im Zusammenspiel mit der Anwendung der TSA zur Untersuchung der administrativen Praxis von Bauverwaltungen herausgearbeitet wurden, zusammenfassend dargestellt. Im Fokus stehen zunächst die Beziehungsordnungen von administrativen Ereignissen und Prozessen, die im Wechselspiel mit den beobachteten administrativen Praktiken aufgezeigt werden. Die Charakterisierung der praktischen Tätigkeiten und Zuständigkeiten der Mitarbeitenden im Bewilligungsprozess bilden den Einstieg: Die Bauverwalterin ist für die schriftliche Annahme der Baugesuche, deren formale Prüfung und Verwaltung zuständig (Kap. 5.1). Den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern obliegen die Prüfung und Kontrolle spezieller technischer Themen wie Brandschutz und Feuerpolizei oder Baukontrolle (Kap. 6) und dem Hochbauleiter schließlich die Koordination und Zusammenarbeit mit professionellen Akteurinnen und Akteuren (Architektinnen und Architekten, Investoren, Fachexpertinnen und -experten, politische Vertreterinnen und Vertreter), detaillierte Gespräche mit Projektverfassenden (Kap. 5.2) sowie die Vertretung der Bauprojekte an Kommissionssitzungen (Kap. 7 und Kap. 8). Die Bausekretärin bzw. Verwalterin unterstützt ihn bei diesen Tätigkeiten. Telefonate, E-Mails, Absprachen, Empfehlungen, Notizen, Treffen, Prüfungen, Kontrollen, Eingaben, Diskussionen, Begehungen zeigen sich im Lichte dessen als räumlich separierte Handlungen und lose Fäden, die einen gemeinsamen Nenner brauchen, um den administrativen Vorgängen ihre Legitimation zu geben und diese zugleich zu einer sinnstiftenden Einheit zusammenzuführen. Es ist dies das Bauprojekt in Arbeit und dessen Bewilligungsverfahren (Kap. 4.2), welche sowohl die verschiedenen Orte und Foren miteinander verbinden wie zum Beispiel die Tätigkeiten der Mitarbeitenden in ihren Zellenbüros (siehe Kap. 5.1ff.). Scheffer fasst es in einem Text zur parlamentarischen Arbeit so: »die Verkettung von Episoden über Situationen hinweg erfolgt am Objekt in der Fertigung. Es ist das formative Objekt [siehe Kap. 2.4], das sowohl sozial (geteilter Fokus), wie räumlich (über Büros hinweg), als auch zeitlich (über mehrere Monate) eine Verkettung der Episoden ermöglicht.« (2013b:109)

Situationen gewinnen deshalb am Bauprojekt als administrativem Fall, z.B. im Büro der Bauverwalterin, die ein Bauprojekt überprüft (etwa mit der Identifizie-

S CHLUSSBETRACHTUNG

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rung eines Mangels), Prozesscharakter (Gerichtetheit). Wiewohl der Prozess am situativ bearbeiteten Bauprojekt zum Ereignis wird (Anhalten des Prozesses auf Grund eines Mangels). Die Richtung des Bewilligungsprozess (etwa das Verharren in administrativen Zeitschlaufen, Stillstand Kap. 5.2 oder Ausformen der vorläufigen Bewilligung, Fortschritt Kap. 8) ist jedoch nicht im Vorfeld absehbar, da die Fertigungsschritte am Bauprojekt jeweils aus der Situation heraus betrieben werden. Im Sinne einer trans-sequentiellen Analyse stellte sich die Frage, wie die einzelnen Fertigungsschritte der skizzierten Tätigkeiten jeweils an Vorheriges bzw. Kommendes anknüpfen, um ein Bauprojekt zu begleiten, zu beurteilen und zu bewilligen (Forschungsfrage 1, Kap. 1.1.2) – gerade weil die Stätten des Inputs zu dessen Beförderung räumlich voneinander getrennt sind (vgl. 9.2). Fakt ist, dass jedes Bauprojekt durch die administrative Maschinerie muss Nadelöhre passiert zeitliche Rück- oder Vorgriffe (»Zurück auf Platz Eins« oder »Baugesuche der Lonza werden grundsätzlich vorgezogen«) erlebt und somit beschleunigt oder verlangsamt werden kann. Folglich ist das Verfahren maßgeblich von der Zeit geprägt. Sie kann als ordnende Komponente verstanden werden (vgl. Kap. 9.3). Zugleich besteht keine Zwangsläufigkeit der episodischen Abfolge im Alltag der Verwaltung, denn die Situationen treten im Verlauf eines Arbeitstags zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf (siehe Kap. 5-8). Dabei finden die Inputs, sprich die materiellen (Modell, Formular, Plan) wie symbolischen (Profession, Prestige, Macht) Investitionen, um das Bauprojekt zu befördern, an unterschiedlichen Orten (z.B.: Büro der Bauverwalterin, Sitzungszimmer) und Episoden (z.B.: Sprechstunde, Baukommissionssitzung) statt. Es ist gängige Praxis, dass einzelne Fertigungsschritte (Prüfung, Anfrage, Passagepunkt) gemeinsam in ein und derselben Episode auftauchen, was zu Gleichzeitigkeit von Arbeitsprozessen führt. Dies trifft beispielsweise für die Baukommissionssitzung zu, die zu allererst eine Nadelöhrsituation darstellt, in der kollektive Beschlüsse am Gegenstand befestigt werden. Zugleich werden auch Anfragen beantwortet oder Bauprojekte eingebracht, die weit von einer schlussendlichen Beurteilung entfernt sind (Kap. 8). Jene Gleichzeitigkeit von Arbeitsprozessen versucht, der Fülle von Bauprojekten gerecht zu werden, die zugleich in einer Bauverwaltung zirkulieren. Dies hat zur Folge, dass die Bauverwaltung täglich mit einer Vielzahl von Bauprojekten jongliert, die sich in den unterschiedlichsten Fertigungsstadien befinden und in den Foren gemeinsam auftreten können – gleichwohl die Objekte nach unterschiedlichen Anknüpfungspunkten verlangen (vgl. Kap. 7). Die Kategorisierung der Bauprojekte erfolgt im Zuge des Case-Makings durch das Inbeziehungsetzen, das von der Kontextualisierung der Art des Bau-

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projektes, dessen Komplexität bis hin zum öffentlichem Interesse reicht (Kap. 5). Jene administrative Praxis gibt Hinweise auf den kommenden Fertigungsprozess und verdeutlicht, dass Arbeitsepisoden weder fixen Vergangenheiten erwachsen sind, noch singuläre Ereignisse darstellen, sondern jeweils in situ eingeordnet werden, von dieser Praxis aus daher auf bedingte Ereignisse sowie auf Vergangenheiten rekurrieren. Was gestern relevant war (etwa eine politische Vorgabe), kann heute schon verworfen sein (etwa im Zuge eines Politikwechsels, einer Gesetzesänderung etc.). Das Ereignis muss deshalb jeweils im Zusammenhang mit dem Prozess beurteilt werden. So kann das Ereignis als Effekt oder Zwischenspiel auftauchen (Einberufen einer Sprechstunde, Kap. 5.2), das erst durch den Prozess relevant wird und den Hochbauleiter und die Architektin ihre Tastbewegungen vollziehen lässt. Diese Tastbewegungen können, gleichwohl die Sprechstunde relevant aber nicht wesensnotwendig ist, richtungsweisend für den nachfolgenden Prozess sein (Prozess wird in der SBK verlängert, Kap. 5.2 und Kap. 7). Ereignisse können im Zuge des Prozesses auch ihren ereignishaften Charakter verlieren. Etwa, wenn der Moment der Eingabe im Zuge der vielfältigen Kontaktaufnahme durch die Projektverfassenden oder Mitarbeitenden der Bauverwaltung verschleiert wird und das Ereignis über den Prozess hinausragt (Kap. 5.1). Oder wenn die Baukommissionssitzungen als eigentlicher Passagepunkt zur reinen Makulatur verkommen, weil die Ereignishaftigkeit der Situation zu Gunsten des vorgelagerten Prozesses zurücktritt. Die fortlaufende Rückkopplung und Verschränkung von Ereignis und Prozess überlagert den obligatorischen Passagepunkt, der zuweilen nur noch als kleine Spur in der Praxis des Abhakens einer selektiven und gleichsam prospektiven Liste der administrativen Zeit in Relation zum Bewilligungsprozess sichtbar ist (Kap. 8, Kap. 9.5). Schließlich lösen sich im Modus des gefällten Entscheides einzelne Arbeitssituationen auf, derweil sie zu einem Endprodukt verdichtet werden. Bereits zuvor ließen die Arbeit in den Büros den Bewilligungsprozess als einen gerichteten Prozess in Erscheinung treten. Im Zuge dessen wird auf das alles entscheidende Ereignis hingearbeitet. Dieserart verschieben sich Relationen, zeigen sich die Beziehungsordnungen von Ereignis und Prozess jeweils im Lichte der aktuellen Praxis in situ, der funktionellen Episoden resp. des Stands des Bauprojektes im Prozess. In der Praxis der Akteurinnen und Akteure äußert sich dies durch das stete miteinander Inbeziehungsetzen von Ereignis (z.B. Baueingabe) und Prozess (z.B. Büroarbeit). Die Arbeitssituationen der Bauverwaltung sind folglich trans-sequentiell getaktet, insofern sie Ereignis und Prozess jeweils hier und jetzt zu einer Fertigung integrieren und die Arbeit am Bauprojekt jeweils an Vorheriges anknüpft und auf Zukünftiges verweist.

S CHLUSSBETRACHTUNG

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Im Lichte dessen präsentiert sich der Bewilligungsprozess nicht als im Vorfeld determinierter, gerichteter Prozess, sondern als ein relationaler, der im Zuge seiner Durchführungen als vielfältiges Set an emergenten und gleichsam dauerhaften oder flüchtigen Beziehungsordnungen von Ereignis und Prozess in Erscheinung tritt. Erweiterung der trans-sequentiellen Analyse (TSA) Mit der Untersuchung der administrativen Praxis der Bauverwaltung wird der TSA eine neue Studie hinzugefügt.2 Im Zuge dessen wird die TSA konsequenterweise erweitert. Nicht nur inhaltlich durch das Einbringen eines neuen Themas, sondern auch theoretisch und methodisch (Forschungsfrage 4, Teilfrage Kap. 1.1.2). Methodisch greife ich, im Sinne der TSA und deren ethnographischer Perspektive, auf die praktische Orientierung der Mitarbeitenden der Bauverwaltungen im Prozedere der Bearbeitung von Bauprojekten ebenso zurück wie auf das Insiderwissen der Mitarbeitenden, das beide, die Mitarbeitenden und die Feldforscherin gleichermaßen, zu den verschiedenen Anschlussepisoden des komplexen Arbeitsprozesses führt (vgl. Scheffer 2013a:116). Zudem nutze ich im Zuge der trans-sequentiellen Analyse die verschiedenen Zwischenprodukte und Materialitäten des Bauprojektes, die im Laufe des Bewilligungsprozesses entstehen, um dessen sukzessive Bearbeitung nachzuvollziehen (Kap. 9.3). Auch bezog ich weitere Hinweise und diskursive Spuren, die den Mitarbeitenden wie der Forscherin die Rekonstruktion der Verwertung und Rezeptionen ermöglicht, mit ein (vgl. Scheffer 2013a:116). Um den Untersuchungsgegenstand (Bauverwaltung und deren administrative Praktiken) methodisch und theoretisch angemessen zu untersuchen, muss die TSA insbesondere auf methodischer Ebene dahingehend erweitert werden, dass die materielle Dimension stärker miteinbezogen und durch den Einsatz der Videokamera erfasst wird. Nicht nur das formative Objekt (Bauprojekt) und dessen Materialitäten sind von Interesse. Im Zuge des in Kapitel 2.1 neu gesetzten Gemeindebegriffes verstehe ich die Gemeinde auch als hybrides Konstrukt, das sich neben Gesellschaftlichem, Sozialem und den Handlungsvollzügen der Akteurinnen und Akteure auch über das Materielle definiert (Latour 2005). Dementsprechend beschränkt sich das Materielle nicht nur auf das Bauprojekt/die gebaute Umwelt, sondern bezieht ebenso die materielle Infrastruktur der Bauverwaltung

2

Im Rahmen der TSA sind bisher Studien von Asylanhörungen (Scheffer 2001), Untersuchungsausschüssen (Scheffer et al. 2008), Gerichtsverfahren (2010) oder von der Arbeit in Parlamenten (2012) entstanden; dazu eine unveröffentlichte Studie zur Sportethnographie von Matthias Michaeler (vgl. Scheffer 2013a:88).

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mit ein. Das bedeutet, deren Architektur, Büromöbel und Büroartefakte müssen als aktiver Teil der Bauverwaltung gelesen werden, die aus den Handlungen der Bauverwaltung resultieren, diese rahmen, unterstützen und entwickeln. Um die Wirkung und die Eigenlogik der administrativen Praxis zu verstehen, ist eine Untersuchung und Beschreibung der Materialitäten unumgänglich. Die TSA liefert mit dem Begriff der procedural infrastructure ein gute Grundlage. Thomas Scheffer entfaltet den Begriff anhand von Gerichtssälen, Akten und Stories, indem er beispielsweise die Positionen, Beziehungsordnungen und taktische Verwendung von Gerichtssälen diskutiert. Dabei können procedural infrastructures, d.h. verfahrensorientierte (materielle) Infrastrukturen als Ressourcen, Mittel, Apparaturen der Fallarbeit mobilisiert werden. Entscheidend dabei ist, dass aus praktischer Perspektive Arbeitsräume, Akten oder auch Stories als gegebene Komponenten erscheinen, denen jeweils multiple Zeiträume eigen sind (Scheffer 2010:186ff., zur Vertiefung siehe Kap. 9.2).3 Die materielle Dimension wurde in der vorliegenden Studie in Abstimmung mit der TSA und im Rückgriff auf die Wissensforscher um Latour (1996, 2005) oder Callon (1986) sowie unter Berücksichtigung der praxeologischen Studien von Robert Schmidt (2012) erforscht. Hier setzt die Studie an und denkt die TSA insofern weiter, als dass sie die Beziehungsordnung des Objektes in Arbeit und der materiellen Infrastruktur in allen funktionellen Episoden, die zur Fallherstellung dienen, diskutiert und kartiert. Denn die materiellen Infrastrukturen der einzelnen Arbeitsepisoden und deren fallspezifische Verwendung ist – nicht nur in Bauämtern – für die Handlungsvollzüge und vice versa für den Prozess entscheidend. Die Ausführungen zur Materialität der Bauämter und den administrativen Praktiken werden im kommenden Kapitel (Kap. 9.2) in einer synthetischen Zusammenschau diskutiert. Zum Abschluss steht die methodische Frage aus, inwieweit die TSA (im Lichte der Stärkung der materiellen Dimension) bei der ethnographischen Erforschung der Bauverwaltung methodisch erweitert wird (Forschungsfrage 4, Teilfrage und Frage 5). Im Sinne der von Thomas Scheffer vorgeschlagenen TSA und deren Zusammendenken von Ereignis-Prozess-Relationen erweitert die vorliegende Arbeit das methodische Spektrum, wenn sie vor allem mit zwei Datensorten arbeitet, die auf jene Ereignis-Prozess-Relationen abstellt. Erstens mit Feldnotizen aus der teilnehmenden Beobachtung, zweitens mit Videodaten der aufgenommen Kommissionssitzungen (vgl. Kap. 1.2). Die Feldnotizen zielen einerseits auf einzelne Ereignisse ab, auf den Prozess andererseits.

3

Scheffer schreibt: »In this way, they contribute to case-making and to ›doing procedure‹ (2010:189)«.

S CHLUSSBETRACHTUNG

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Die Videoaufnahmen zielen auf Ereignisse ab. Sie waren für das analytische Verständnis des Sitzungsprozedere äußert wertvoll, denn sie ermöglichen vor allem den Fokus auf die non-verbalen Interaktionen. So können mit Hilfe videoethnographischer Methoden einerseits die Konstitutionsleistungen räumlicher, sozialer und kultureller Wirklichkeiten der handelnden Akteurinnen und Akteure in Aktion nachvollzogen werden. Andererseits erfolgt eine Neubewertung der Rolle des Materiellen etwa in Form von Karten, Plänen und Modellen im Zusammenspiel mit den handelnden Akteurinnen und Akteuren. Gerade in Handlungszusammenhängen, in denen es um die Umsetzung komplexer Sachverhalte wie die Realisierung lokaler Architektur- und Infrastrukturprojekte geht, resp. wie in den Diskussionsforen von Bauverwaltung und Städtebau oder in den Baukommissionssitzungen der Verwaltung, spielt das Materielle (materielle Infrastruktur und Versionen des Bauprojektes) eine wichtige Rolle (Kap. 1.3, Kap. 9.4). Die Videoaufnahmen stellen eine gewinnbringende Erweiterung der TSA dar. Sie wurden in ihrem ereignishaften Charakter Zug um Zug analysiert (Kap. 7, Kap. 8) – dies aber im Sinne der trans-sequentiellen Analyse, die auf das relationale Verhältnis von Ereignis und Prozess abzielt, unter Rückgriff auf die Prozessdaten des Baubewilligungsprozesses. Dieserart gehen beide Datensorten eine Verbindung ein, indem sie am formativen Objekt (Bauprojekt) auf die jeweils andere verweisen.

9.2 G EOGRAPHIE UND M ATERIALITÄT UND ARBEITSPROZESSEN

VON

ÄMTERN

Die Geographie der Bauämter und die Materialität von Arbeitsprozessen, so zeigen es die Ergebnisse der Analysen der Architektur und strukturräumlichen Ausgestaltung der administrativen Gehäuse, verweisen auf spezielle Ordnungsund Arbeitsprinzipien, die sich wie folgt charakterisieren lassen: räumlich manifestierte hierarchische Kontrollmechanismen, klare Regelung der Zuständigkeit, sequentielle Zergliederung des Arbeitsprozesses und im Zuge dessen eine Affinität zur Schriftlichkeit (Kap. 4.1). Herausgearbeitet wurde dies durch die Konzentration auf die Praxis der Akteurinnen und Akteure, die als Mitarbeitende in den Bauverwaltungen arbeiten oder als Projektverfasserinnen und -verfasser oder Expertinnen und Experten des Städtebaus den Weg zu den Bauämtern finden. Im Folgenden werden diese Ergebnisse weiterhin abstrahiert und synthetisiert und ermöglichen gleichsam Aussagen über die Bauprojekte in Arbeit den Methoden

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und Prozessen der Bauverwaltung, um Bauprojekte durch den administrativen Apparat zu schleusen (Forschungsfrage 1, Kap. 1.1.2). Die in den empirischen Kapiteln (Kap. 5-8) erarbeiteten Raumpositionen der einzelnen Arbeitsprozesse zeigen die jeweilige räumliche Verfasstheit und Positionierung der Akteurinnen und Akteure, um das Bauprojekt durch die administrative Maschinerie zu befördern (Abb. 32, 33). Die nebenstehende Abfolge der Raumpositionen ist nicht als linearer Modus zu begreifen, den die Akteursgruppen oder das Bauprojekt von der Schaltersituation bis zum Sitzungszimmer II durchlaufen. Ich zeige vielmehr die möglichen Orte und deren materielle Infrastruktur, an denen das Bauprojekt jeweils für die Baufreigabe qualifiziert werden kann. In einer synthetischen Zusammenschau werde ich auf diese als Rahmung und Resultat der Arbeitsprozesse zugleich eingehen. Am Ende steht eine Kartographie der Bewegungen des Bauprojektes in der Geographie der Bauämter.

S CHLUSSBETRACHTUNG

Abb. 32: Raumpositionen im Vergleich I, eigene Darstellung.

Am Schalter

Architektin Bauverwalterin

Im Sitzungszimmer

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292 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG

Abb. 33: Raumpositionen im Vergleich II, eigene Darstellung.

Hochbauleiter Stadtplaner Architekt (Projektverfassende) Hochbauzeichner (Projektverfassende) Praktikantin (Projektverfassende) Bauherr (Projektverfassende) Architekt A (Experte) Denkmalpfleger (Experte) Architekt B (Experte)

Im Sitzungssaal I

Präsident der Baukommission* Hochbauleiter Bauverwalterin Bausekretärin Präsident der Baukommission, (Gemeinderat)* Gemeinderat * (bei mehr als zwei politischen Gemeindevertretenden) Im Sitzungssaal II

S CHLUSSBETRACHTUNG

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Arbeitsräume Das Büro der Verwalterin (etwa in Visp) fungiert oftmals als räumliches und arbeitspraktisches Relais. Hier befindet sich nicht nur die zentrale Ablage der Baugesuche, es ist oftmals auch das Vorzimmer des Hochbauleiters und an den Schalterraum angeschlossen oder beinhaltet diesen (vgl. Kap. 3 zur strukturräumlichen Beschreibung der Bauämter der Fallgemeinden, Abb. 32, 33). Daher stellt das Bauverwalter(innen)büro einen Multifunktionsort dar – ebenso wie das Büro des Leiters. Bloß verschieben sich hier die Funktionen, sodass interne Kontrollmechanismen und Hierarchieunterschiede des Amtes augenfällig werden. Das Büro der Verwalterin ist Arbeitsraum, Aufbewahrungsort und Vorzimmer zugleich. Die Bauverwalterin behält den Aktenschrank im Auge (Kap. 6). Sie registriert genauestens das Kommen und Gehen der anderen Mitarbeitenden, verteilt die administrativen Informationssegmente und empfängt die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller. Zugleich wird sie in ihrem eigenen Arbeitsprozess unterbrochen, wiewohl jene Unterbrechungen und Zentralität immer auch Austausch ermöglichen. Dabei steht die Bauverwalterin ihrerseits unter Beobachtung: Einerseits unter der Beobachtung derer, die reinkommen, andererseits und entscheidender unter der des Leiters. Dieser wählt oftmals den Weg über das Büro der Verwalterin in das eigene, sodass er die Verwalterin und die Amtsvorgänge im Durchschreiten im Blick hat. Der Psychologe Albert Mehrabian beschrieb in seiner Analyse Räume des Alltags treffend: »Das Büro des Direktors ist das am wenigsten zugängliche, es kann sein, daß man bis zu drei Türen, eine Empfangsdame und eine Sekretärin hinter sich bringen muß, bevor man zu seinem Insassen vorstossen kann (1987:124)«. Tatsächlich verfügen die Leiter der Bauabteilungen über die größten Büros, zumeist Eckbüros mit vielen Fenstern wie in Visp und St. Margrethen, die durch interne Verbindungstüren über die übrigen Büros erreichbar sind (vgl. Kap. 4). Diese repräsentativeren und vor allem ruhigeren Büros sind weniger leicht zugänglich als die Arbeitsplätze eines Sachbearbeiters oder einer Sekretärin. Sie symbolisieren keine einfachen Arbeitsräume, sondern vielmehr Rückzugsorte, Denkräume oder auch Besprechungszimmer, denn neben dem eigenen Schreibtisch findet sich zuweilen ein weiterer Tisch mit Stühlen, der zur Besprechung zumeist interner Sachverhalte dient wie im Büro des Hochbauleiters in St. Margrethen. Auch finden hier Tätigkeiten statt, die der Ruhe bedürfen, ohne der unfreiwilligen und unangemeldeten Unterbrechung durch Andere. Wie das Entwickeln einer neuen Auslegeordnung der Bauprojekte zur Qualifizierung der Siedlungslandschaft (Kap. 5.5.3). Während die räumliche Manifestation der hierarchischen Kontrollmechanismen als Top-Down-Prinzip zu

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verstehen ist,4 wirkt die Kontrolle am Beispiel des Büros der Bauverwalterin in beide Richtungen. Sie kontrolliert die Mitarbeitenden, die Zugang zu den Baugesuchen benötigen und wird gleichzeitig vom Leiter der Abteilung kontrolliert. Dementsprechend stellt sie ein ordnungs- und arbeitspraktisches Bindeglied in der räumlichen wie sozialen Hierarchiestufe dar (vgl. Kap. 6). Sie verfügt über eine gute Einsicht in einen Großteil der ablaufenden Arbeitsprozesse, zugleich fehlen ihr entscheidende Informationen aus komplexeren Arbeitsprozessen, die dem Leiter vorbehalten sind; explizit fachspezifische Gespräche mit Klientinnen und Klienten und professionellen Akteurinnen und Akteuren oder Ortsbegehungen. Diese finden zum Teil außerhalb der Abteilung statt oder in dafür vorgesehen Sitzungsräumen (siehe unten). Allein schon der räumliche Ausschluss verunmöglicht ein flaches Arbeits- und Organisationssystem. Letztendlich laufen die einzelnen Fäden der zergliederten Arbeitsphasen im Büro des Leiters zusammen. Er ist es, der die einzelnen Arbeitsprozesse durch Zuarbeiten von Sachbearbeiter, Sekretärin und Bauverwalterin in den Entscheidungsgremien zu einem Fall zusammenführen muss (siehe Kap. 8). Die pyramidenförmig organisierte Hierarchie eines Bauamtes findet in den Grundrissen sowie deren Rauminhalt und Gestaltung ihre Entsprechung, die beobachtete Praxis kann als Verweis auf die räumlichen und personellen Hierarchiestufen gelesen werden. Sie weist die größten und angenehmsten Räume dem Leiter zu, danach folgen die Räume der Sachbearbeiter und Bauverwalterinnen und Bauverwalter sowie die der Sekretäre und Sekretärinnen, die sich oftmals einen Ort mit anderen Mitarbeitenden teilen und weit unruhiger sind als Andere. Die Spezifika der Sitzungszimmer, des Sitzungssaals und auch des Schalters liegen in ihrer Zugänglichkeit für externe Akteure. Ihnen wird der Zugang zu diesen Räumlichkeiten der Bauverwaltung gewährt, die sich deshalb als Vorderbühne der Bauämter charakterisieren lassen (Kap. 4.1). Auf dem Weg dorthin verschieben sich mit dem Durchschreiten der Türen Machtkonstellationen, sodass im Zuge der symbolischen Zurichtung Projektverfasserinnen und -verfasser in Bittstellerinnen und Bittsteller verwandelt werden – gleichwohl sich ihr externer Status mit dem wiederholten Besuch abschwächt, da sie zunehmend mit der Geographie der Bauämter vertraut werden (Kap. 4.2.2). Mitarbeitende des Bauamtes werden im Zuge der situativen Praxis zu Entscheidungsträgern (ebd.). Dies, weil die Mitarbeitenden das Arsenal der bürokratischen Maschinerie im Rücken wissen, während sie ein Baugesuch annehmen oder im Sitzungszimmer ein Bauprojekt besprechen. Von den Projektverfasserinnen und v-erfassern hingegen wird ein Großteil der Zugangsarbeit verlangt, die sie leisten müssen, um ein Baugesuch einzureichen oder

4

Siehe zum Vergleich die pyramidenförmigen Organigramme der Ämter.

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zu besprechen. Gleichsam markieren die Mitarbeitenden der Bauverwaltung in den Sitzungszimmern und -Sälen durch die im Vorfeld erfolgte Platzwahl und Platzierung der Arbeitsmittel ihr Territorium (Abb. 32, 33). Durch diese territorialen Grenzziehungen, die im Falle des Schalters bereits durch die physische Trennung des Tresens hergestellt wird, unterstreichen sie ihre Rolle als Entscheidungsträger (Kap. 5). Unterstützt wird dies durch die symbolische Rahmung der Sitzungssäle, die mit dem Nimbus der bürokratischen Macht ausgestattet sind (hohe Decken und Fenster, großer Sitzungstisch, Wappen der Gemeinde etc.) und die Handlungen der Sitzungsaufführung rahmen, unterstützen und hervorbringen (Kap. 7-8). Die praktische Performativität der Sitzungsökologie ist dabei aber nicht in die Geographie der Bauämter, deren Räume oder materielle Infrastruktur eingeschrieben, vielmehr artikuliert sie sich im Zuge der situativen und praktischen Aufführung in jeder Arbeitsepisode neu. Materielle Infrastruktur Die materielle Infrastruktur (Büromobiliar und Büroartefakte) als Teil der Geographie der Bauämter ist für den Bewilligungsprozess ebenso entscheidend wie die rechtlichen Bestimmungen zum Bewilligungsverfahren (Kap. 4.2). Dies zeigt sich exemplarisch an der Baugesuchakte und dem Aktenschrank. Die materielle Infrastruktur (Büromöbel und Büroartefakte) beteiligt sich dementsprechend als aktive Entität an den Arbeitspraktiken der Mitarbeitenden und unterstützt deren Talente oder realisiert die symbolische Bedeutung. Etwa der Aktenschrank, der als Mikroraum der Bauverwaltung ein physischer und symbolischer Abdruck eines Passagepunkts ist: Anstoß eines neuen Fertigungsprozesses, das Baugesuch bekommt einen Platz im Aktenschrank zugewiesen; Entscheid/Bauabnahme: das Bauprojekt, sei es weil es realisiert oder verworfen wurde, verlässt den Schrank (Kap. 6.1.2). Die räumliche Trennung und zeitlichen Diskontinuitäten werden durch die schriftliche Fixierung der administrativen Praxis und deren Sachverhalte teilweise überbrückt. Die Baugesuchakte übernimmt die – auch explizit räumliche – Scharnierfunktion in einem Bauamt. Sie weist nicht nur eine andere Zeitdimension als etwa das Büro auf5, sie verkörpert das Bauprojekt (siehe unten) und ist eine wichtige Größe zum Zusammenhalt der trans-sequentiellen Prozesse: Sie ist

5

»[…] each with its duration and flexibility. Each corresponds to a unique time zone that shapes their emergence and disappearance (Scheffer 2010:187).« Das Büro resp. das Amtsgebäude rekurriert auf eine longue dureé, einer historisch gewachsenen Amtstradition (vgl. Kap. 4), wo hingegen die Baugesuchakte über Monate erstellt und angesammelt wurde. Die procedural infrastructures können insofern als multiple Zeiträume gelesen werden (Scheffer 2010).

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das Referenzobjekt, das Objekt in Arbeit, das es gilt, durch den Bewilligungsprozess zu schleusen. An ihr werden alle Tätigkeiten zu einem Endprodukt des Entscheides vereint. Die Akte ist für alle Mitarbeitenden Informationsquelle und Arbeitsgrundlage, sodass sie an einem zentralen Ort, zumeist im Büro der Bauverwalterin, in einem Aktenschrank gesammelt und verfügbar gemacht wird (siehe unten). An der Akte wird im Sinne der Trans-Sequentialität zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten alleine oder im Kollektiv gearbeitet (siehe Kap. 6). Es werden Notizen eingefügt, Teile entnommen, hinzugefügt, formuliert und re-formuliert oder wichtige Ereignisse vermerkt, sodass sie im Laufe der trans-sequentiellen Arbeitsprozesse stetig anwächst (Kap 5.1.3). Sie muss als administrativer Abdruck des Fertigungsprozesses eines Bauprojektes gelesen werden, der unter Einbezug der Wissensexpertisen der alltäglichen administrativen Praxis lesbar wird. Das Bauprojekt in Arbeit wird dieserart greifbar. Es zirkuliert in den strukturräumlichen Rahmenbedingungen der Geographie der Bauämter, dessen Bewegungen sich wie folgt kartieren lassen: Abb. 34: Wege von Bauwilligen und deren Bauprojekte im Inneren der Bauverwaltungen in Visp, St. Margrethen und Wetzikon, eigene Darstellung.

S CHLUSSBETRACHTUNG

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Es zeigt sich, dass die kartierten Bewegungen und Wege eines Bauprojektes6 (grüne Linie) und der Bauwilligen (rote Linie) nur bis zu einem gewissen Grad deckungsgleich sind. Die Bewegungen des Bauprojektes lösen sich von den Laufwegen der Projektverfasserinnen und -verfasser. Es zirkuliert im Rahmen des Fertigungsprozesses auf den Hinterbühnen der Amtsstuben und wird von den Mitarbeitenden der Bauverwaltung zu einem Bewilligungsentscheid verdichtet und gleichsam geformt. Die Konzentration der grünen Linie in einem bestimmten Raum verdeutlicht die Rolle des Aktenschrankes (im Büro der Bauverwalterin) und der darin enthaltenen Akte. Die Bauprojekte kommen immer wieder an diesen Punkt zurück. Die Kartographie des Bauprojektes zeigt so in Ansätzen, dass zu einem Akteur-Netzwerk nicht nur Materialitäten (Modelle, Pläne) sowie Akteurinnen und Akteure gehören7, sondern auch Bewegungen, die für den Fertigungsprozess zur Bearbeitung und Weiterbearbeitung, um das Bauprojekt durch den Bewilligungsprozess zu schleusen, nötigt sind. Die Kartographie des Bauprojektes zeigt auch den Aufwand und die Gestaltungsmöglichkeiten, um ein Bauprojekt jeweils zur Baufreigabe zu formieren. Die unterschiedlichen administrativen Räume (Abb. 32-34). Büros, Sitzungszimmer und Sitzungssäle und deren materiellen Infrastrukturen werden von den Mitarbeitenden der Bauverwaltung aktiv als Arbeitsinstrumente fallspezifisch eingesetzt. Sie führen zur Entlastung und Aufrechterhaltung von Machtpositionen und sind zugleich als strukturräumliche Markierungen der Arbeitsräume zu verstehen. Die Wahl des Arbeitsraums und mit ihr die Veränderung der normativen Mikroökologie zeigt jeweils einen Wechsel der Qualifizierungsschwelle eines Bauprojektes im Fertigungsprozess an. Denn die jeweilige Sitzungsökologie in den Büros, am Schalter und in den Sitzungsräumen unterscheiden sich sowohl in ihrem Gesprächscharakter, der Raumarbeit, welche von den Akteuren zu leisten ist, als auch von den symbolischen und materiellen Inputs, um das Bauprojekt zu befördern.

6

Die Kartographien zeigen jeweils beobachtete Bewegungen von Bauprojekten und Bauwilligen. Die oberen beiden zeigen jeweils die Bewegungen eines Bauprojektes, welches von einer Bauwilligen eingegeben wurde und das Bauamt jeweils erfolgreich wieder verlassen hat. Die untere zeigt ein Bauprojekt, das seit Monaten in der Bauverwaltung zirkuliert und im Zuge dessen in zahlreichen Sitzungen besprochen wurde. Es hat das Bauamt noch nicht verlassen.

7

Forschungsfrage 4, Teilfrage: Welche Teile des Netzwerkes werden aktiviert? (Kap. 1.1.2)

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9.3 Z EIT

ALS RELEVANTES M EDIUM ADMINISTRATIVER P RAXIS

Im Zuge der empirischen Analyse identifizierte ich die Zeit8 als relevantes Medium und Arbeitsmittel der administrativen Praxis. Im Folgenden werde ich in einer synthetischen Zusammenschau die Gestaltungsmöglichkeiten dieses Arbeitsmittels aufzeigen und somit ebenso Antworten auf meine erste Forschungsfrage geben, die nach den Methoden und Prozessen der Bauverwaltung zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten fragt, wie auf meine zweite Frage, die sich mit der Formulierung resp. Re-Formulierung von Bauprojekten im Zuge der administrativen Arbeit beschäftigt und auf die dritte Forschungsfrage, die auf die Wirkmacht der administrativen Praktiken auf Bauprojekte resp. die gebaute Umwelt abzielt (Kap. 1.1.2). Mit der Baueingabe wird das Bauprojekt in administrative Zeitstrukturen eingeordnet. Für die Projektverfasserinnen und -verfasser bedeutet dies die Akzeptanz einer neuen Zeitstruktur, die jenseits der chronologischen, subjektiven Erlebnisresp. Problemzeit liegt. Für sie ist die Bearbeitungszeit bis zum Fällen des Entscheides immer ein Zustand des Noch-Nicht, genauer ein Zustand des NochNicht-Bauen-Könnens (vgl. zur Relevanz des Ereignisses Kap. 9.1). Der Zeitraum ist durch Warten, Ungeduld, Unsicherheit, Ungewissheit und zuweilen existentielle Ängste geprägt, denn mit dem Bewilligungsentscheid steht und fällt das Bauvorhaben, die Investition, der aufgewendete und erwartbare ökonomische und symbolische Input/Output. Zeit tritt im Zuge dessen als eine Ressource von Macht zu Tage, denn mit der Akzeptanz der administrativen Zeitstruktur aller Beteiligten bekommt die Bauverwaltung ein machtvolles Instrument in die Hände gelegt. Deshalb birgt die Zeit für die Mitarbeitenden der Bauverwaltung ein vielfältiges Gestaltungsmedium der administrativen Praxis zur Begleitung, Beurteilung und Bewilligung von Bauprojekten. Die bürokratischen Zeitstrukturen präsentieren sich im Rhythmus der linearen Abfolge der Arbeitszeit und deren zeitlichen Markierungen. Sie beinhalten: Arbeitszeitenregelungen, Überstunden, Ferienzeiten, Öffnungszeiten, Verfahrensfristen, Verfahrenskoordination, wöchentliche Kadersitzungen und Rapporte, zweiwöchentlich stattfindende Baukommissionssitzungen, sporadische Sonder- und Stadtbildkommissionssitzungen, terminierte Sprechstunden, Ortsbegehungen etc. Die Ordnung der administrativen Zeit dient zunächst der Gleichbehandlung aller Fälle und dem Entgegenwirken des Vergessens von Bauprojekten – denn die Bauverwaltung hat täglich mit einer Vielzahl von Bauprojekten in

8

Zum verwendeten Zeitbegriff siehe Kap. 2.4

S CHLUSSBETRACHTUNG

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unterschiedlichen Verfahrensstadien zu tun. Diese müssen jeweils für sich zu einem Fertigungsprozess integriert werden. Im Lichte dessen werden im Schnitt 210 Bauprojekte pro Jahr in schweizer Gemeinden bewilligt.9 Die Zahl der Bauprojekte, mit denen eine Bauverwaltung jährlich jongliert, ist um ein Vielfaches höher (zum Vergleich: die Gemeinde Wetzikon erhielt allein bis Mitte Februar 2012 76 Baueingaben). Die Baugesuchakte wirkt unter der Maxime der egalitären Behandlung der Baugesuche unterstützend und dient gleichsam der Ordnung der administrativen Zeit, die sich im Aktenschrank versinnbildlicht (Kap. 6.1.3). Das im Zuge der Baueingabe und des Case-Makings eingeführte Prinzip der Schlange (Kap. 5.1.2) ist die herkömmliche Variante des Umgangs mit dem Medium Zeit und beschreibt den geordneten Rhythmus der administrativen Arbeit: Im Takt des Eingangs der Bauprojekte werden diese in die administrativen Zeitstrukturen eingeordnet und entsprechend des zeitlichen Turnus des Bauverwaltungsapparates bearbeitet. Die Bauverwaltung nutzt die Zeit methodisch und strategisch, um das Intervall zwischen dem Anstoß eines administrativen Prozesses bis zu dessen vorläufigem Ende, dem Fällen des Entscheids, zu gestalten. Ich konnte mindestens vier Strategien im Umgang mit dem Medium Zeit beobachten, die in der administrativen Praxis zum Ausdruck kommen und die Gestaltungsräume ausloten. In Abb. 35 werden diese Varianten dargestellt. Der Balken kennzeichnet jeweils einen administrativen Fertigungsprozess, dieser Prozess tritt aus der Rückschau als geordneter, gerichteter Prozess zu Tage (Kap. 9.1). Wie die Analysen zeigten, ist der Prozess jedoch durch zeitliche Rücksprünge, Vorsprünge, Schlaufen und Parallelitäten gekennzeichnet, dieses kommt in der dünnen verschlungenen Linie innerhalb des Balkens zum Ausdruck. Die Pfeile zeigen die jeweilige Praxis an. Die Praktiken lassen sich wie folgt beschreiben.

9

Ermittelter Durchschnittswert der Fallgemeinden.

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Abb. 35: Varianten der Zeit als Werkzeug administrativer Praxis, eigene Darstellung.

S CHLUSSBETRACHTUNG

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1. Schlange: Bauprojekte werden im alltäglichen Modus der administrativen

Projektarbeit bearbeitet (siehe oben). 2. Beschleunigung: Bauprojekte werden als Ausnahme deklariert. Auf diese

Weise werden offizielle Zeitintervalle verkürzt. Dies wird erstens mit der Sicherstellung gesellschaftsrelevanter Infrastruktur verbunden und dieserart zum Wohle der Gemeinschaft gesellschaftlich legitimiert. Diese Praxis wird als weicher Standortfaktor eingesetzt, bspw. in Visp, wo Bauprojekte des größten Arbeitgebers der Region grundsätzlich vorgezogen werden, oder in St. Margrethen, wo durch Angebote der Prozessbeschleunigung Anreize für ein Großprojekt gegeben werden (Kap. 5.3). Zweitens, zur Sicherstellung der Existenzgrundlage etwa im Falle einer Katastrophe (bspw. Abbrennen eines Restaurantbetriebes, wie in Wetzikon beobachtet Kap. 5.3). Drittens, wenn trotz der gesetzlich angeraten vollständigen Abgabe des Baugesuches bei Fehlen von Unterlagen der Bewilligungsprozess dennoch weiter läuft, gleichwohl die administrative Arbeit an dem entsprechenden Bauprojekt gestoppt werden müsste (Kap. 4.2). 3. Verlangsamung: Bauprojekte werden im Zuge des Bewilligungsprozesses von den Mitarbeitenden der Bauverwaltung verlangsamt. Verschiedene Praktiken ließen sich hier beobachten: Der Fertigungsprozess wird gestoppt, weil das Baugesuch bei Eingabe nicht vollständig eingereicht wurde (Kap. 4.1). Die Projektverfassenden sind auf das Wohlwollen der Bauverwaltung angewiesen. Das Bauprojekt wird wiederholt in die Arbeitssession der Sprechstunde, Stadtbildkommission oder Baukommission eingebracht (Kap. 5.2-8). Auf diese Weise wird das Bauprojekt in administrative Zeitschlaufen geschickt, die zu einer Dehnung des Prozesses führen. Der Bewilligungsentscheid wird so hinausgezögert. Die Taktik der Prozessverlangsamung wird häufig als Mittel zur Qualitätssicherung genutzt, die bestenfalls zur ReFormulierung des Bauprojekts durch die Projektverfasserinnen und -verfasser führt. 4. Aushandlung: Die Praxis der Aushandlung zielt auf die Besprechung der Zeitstrategien zur Beschleunigung oder Verlangsamung des Prozesses ab. So werden mit den Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern Vorgehensweisen durchgespielt, um das Bauprojekt möglichst reibungslos durch den Bewilligungsprozess zu befördern. Dies setzt eine umfassende Prozesskenntnis und dessen Zeitlichkeiten voraus. Zwei gegensätzliche Varianten sind hier zu beobachten: Erstens, Anraten der Eingabe des Projektes in der Regelbauweise, sodann mit nachträglichen Bewilligungen Bauänderungen eingeben. Zweitens, Anraten der Eingabe abseits der Regelbauweise (im Modus eines Gestaltungsplans, Arealüberbauung). Beides dient im Sinne der politischen

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Gemeinde der Sicherstellung einer hochstehenden Siedlungsqualität und/ oder gesellschaftsrelevanter Infrastruktur (Kap. 7). Gleichwohl mit der Praxis des Drehens am administrativen Rad der Zeit das gewünschte Ergebnis nicht unumstößlich ist (vgl. auch Suchman 1987), ist das methodische Drehen am administrativen Rad der Zeit eine Methode der Bauverwaltung, Bauherrinnen und Bauherrn zur Re-Formulierung ihres Projekts zu bewegen oder sie in ihrem Bauvorhaben bestmöglich zu unterstützen. Dies stellt neben der prüfenden Praxis (Kap. 5-8) eine wichtige Methode im Bewilligungsprozess dar.

9.4 T RANSFORMATIONEN DES B AUPROJEKTES IM M ODUS DER K OOPERATION Die Analyse des Fertigungsprozesses zur Beförderung des Bauprojektes hat gezeigt, dass das Bauprojekt im Zuge seiner Qualifizierung mehrmals das Medium wechselt, bevor es in der Baukommissionssitzung zu einem Bewilligungsentscheid festgezurrt wird (Kap. 4-8). Die materiellen Übersetzungsleistungen und die Anforderungen, die an die Mitarbeitenden der Bauverwaltung als auch an die Projektverfasserinnen und -verfasser oder die eingeladenen Expertinnen und Experten gestellt werden, stelle ich zusammenfassend dar. Dabei kläre ich den Modus der Kooperation der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure, sodass der letzte Teilbereich der ersten Forschungsfrage abgedeckt wird (Kap. 1.1.2). Die Kooperation der Bauverwaltung mit anderen Akteurinnen und Akteuren ist wesentlich durch das Bauprojekt in Arbeit und dessen vielfältige insbesondere materielle, Übersetzungen geprägt. Deshalb werde ich die (materiellen) Transformationen, die ein Bauprojekt im Zuge der Übersetzungen erfährt, im Modus der Kooperation diskutieren. Dies erfolgt im Sinne meiner zweiten Frageblocks, die sich für die Formulierung resp. Re-Formulierung von Bauprojekten während des Bewilligungsprozesses interessieren (Kap. 1.1.2). Es folgt eine Übersicht der zentralen materiellen Übersetzungen eines Bauprojektes. Vorab erinnere ich daran, dass die Studie das Bauprojekt im Zuge des administrativen Case-Makings (Kap. 5) als administrativen Fall verhandelt. Die Darstellung der materiellen Übersetzungsleistungen beziehen sich deshalb auf das Bauprojekt in Arbeit in der Bauverwaltung. Es ist jeweils eine Abbildung des Bauprojektes und dessen jeweilige mediale Gestalt zu sehen, daran schließen sich deren Erklärung und Hinweise auf die Praxis an. Am rechten Rand ist jeweils dargestellt, welcher Akteur die praktische Übersetzung vollzieht.

S CHLUSSBETRACHTUNG

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Abb. 36: Materielle Übersetzungen eines Bauprojektes während des Bewilligungsprozesses, eigene Darstellung. Akte: Arbeitsgrundlage der Bauverwaltung. Sammlung der administrativen Informationssegmente als lesbarer Textkörper (administrative Formulare angereichert insbesondere mit Situations- und Schnittplänen, files( zur Vertiefung siehe Fußnote 185 Kap. 5.1). Sie wird laufend erweitert und dient als Scharnier der administrativen Arbeitsprozesse. Sie wird als raumgreifende Baudossiersmappe (records) zusammengefasst. Im Zuge dessen werden alle Bauprojekte gleich, denn sie werden im Modus der administrativen Zeit geordnet und aufbewahrt. In den Sitzungen ist die Akte nur von der Verwaltung nutzbar.

ADMINISTRATION

Plan: Zeigt jeweils einen spezifischen technischen Ausschnitt oder eine Übersicht des Bauprojektes. Bei Präsentation liegt er im A0Format vor. Die Pläne werden eingerollt von den Projektverfassenden mitgebracht und sodann ausgerollt, ausgebreit und gegebenenfalls aufgehangen. Sie sind dann von allen Beteiligten in der Diskussion nutzbar.

ARCHITEKTUR

304 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG

Modell: Zeigt die Volumetrie der Baukörper, im Verbund oder singulär. Besteht aus Holz oder Pappe. Es wird von den Projektverfassenden in die Sitzungen mitgebracht und auf dem Sitzungstisch aufgebaut und platziert. Es ist dann von allen Beteiligten in der Diskussion nutzbar.

PLANUNG

Konzeptpapier: Verkörpert die Vision bzw. das Konzept des Bauprojektes. Meist mehrseitig und reich illustriert. Von der Gemeinde/Verwaltung/Planung erstellt oder von den Projektverfassenden. Als Ausdruck von der Bauverwaltung/Planung und/oder den Projektverfassenden in die Sitzung mit gebracht. Nur von Denjenigen nutzbar, die es im Vorfeld gelesen haben.

ARCHITEKTUR

Rendering/Visualisierung: Zeigt jeweils eine Fotomontage des zukünftigen Bauprojektes oder Details wie Fassadengestaltung. Die Visualisierungen werden eingerollt von den Projektverfassenden mitgebracht und sodann ausgerollt, ausgebreit und gegebenfalls aufgehangen. Sie sind dann von allen Beteiligten in der Diskussion nutzbar.

Welche Konsequenzen und Wirkungen haben diese materiellen Übersetzungen auf das Bauprojekt und wie werden diese praktisch verwendet? Dies ist vor dem Hintergrund der oben erinnerten Forschungsfragen Gegenstand der Betrachtung. Während des Bewilligungsprozesses finden vielfältige Übersetzungsleistungen statt, innerhalb dessen das Bauprojekt insbesondere in Form der dargestellten Materialitäten Eingang in die administrativen Arbeitsprozesse findet. Das Bau-

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projekt als: Akte 10 , als Plan, als Rendering/Visualisierung, Modell oder Konzeptpapier. Das Bauprojekt, das bis zur diagnostischen Kategorisierung der Bauverwalterin bei Eintreffen des Projektes nunmehr eine Projektidee (im Planungsstadium) gewesen ist (zur Vertiefung vgl. Loepfe 2014), wird im Zuge des CaseMakings in einen administrativen Fall und gleichsam in administrative Informationssegmente übersetzt (Kap. 5). Doch wie schon in den Kapiteln des CaseMakings angeschnitten, ist der Akt der Baueingabe als administratives Nadelöhr zu verstehen, das alle Bauprojekte überwinden müssen, wollen sie letztendlich in die gebaute Umwelt übersetzt werden. Allerdings wird das administrative CaseMaking oftmals verschleiert, dies weil das Case-Making mit seinen rechtlichen Instrumenten (Bau- und Zonenpläne, Baunormen und Richtlinien und Baugesuchformulare) die Projektverfassenden bereits im Vorfeld der eigentlichen Baueingabe erreichen. Im Zuge dessen wird der Kontakt sowohl von den Projektverfassenden als auch von den Mitarbeitenden der Bauverwaltung zum Teil frühzeitig gesucht, um etwaige Fragen und Schwierigkeiten abzuklären. Mit dem Vokabular der TSA lässt sich festhalten, dass sich der ereignishafte Charakter der Baueingabe im Zuge des Prozesses des Case-Makings deshalb abschwächt (Kap. 9.1). Wie die Studie zeigte, sind Bauprojekte insofern bereits im Vorfeld mit einer Praxis des scaling downs (Yaneva 2009) konfrontiert (Kap. 5.2), denn die normativen gesetzlichen Vorgaben führen zu Einschränkungen des Bauprojektes. Im kommenden Ausblick wird dieser Faden aufgenommen und weiterführend diskutiert (9.5). An dieser Stelle komme ich zurück zur Baueingabe, denn trotz der Beeinflussung der strukturellen Ordnungen im Vorfeld wird das Bauprojekt erst mit Eingabe endgültig von der Sprache des Städtebaus in die der Administration überführt:

10 Umfasst sämtliche administrativen Informationssegmente (Formulare, Regularien, Erklärungen, gesetzliche Normen etc.), zur Vertiefung siehe Kap. 5.1.

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Abb. 37: Bauprojekt in der Sprache der Architektur und der Administration, eigene Darstellung.

Bauprojekt in der Sprache der Architektur

Bauprojekt in der Sprache der Administration Dies bedeutet, dass nicht mehr Pläne und Renderings oder Modelle als wichtigste Arbeitsgrundlage für das Bauprojekt fungieren, sondern in erster Linie das Medium Papier in seinen vielfältigen administrativen Erscheinungen von Formularen bis hin zu Textbausteinen, aus denen ein Bewilligungsentscheid erwächst (Kap. 4.2 und Kap. 6). Diese erste entscheidende Übersetzungsleistung im Zuge der Baueingabe stellt eine wichtige Qualifizierungsschwelle auf dem Weg zur Bewilligung dar. Denn das Bauprojekt, das bisher auf dem Plan oder Modell seine Existenzberechtigung fand (in der Sprache der Architektur), muss sich nunmehr gegenüber den gesetzlichen Regularien behaupten (Sprache der Administration). Es gilt, insbesondere die technischen Mindestanforderungen und Standards der Baugesetze einzuhalten oder die weitergehenden Reglements, etwa die der Arealüberbauung zu kennen, um mögliche Abweichungen zu legitimieren. Im Zuge dessen greifen viele Bauherrinnen und Bauherren auf Stellvertreterinnen und Stellvertreter zurück, die den Bewilligungsprozess für sie übernehmen. So ist auf dem administrativen Feld der Bauverwaltung nicht nur bürokratische Kompetenz von Nöten, sondern insbesondere Fachkompetenz. Für die Mitarbei-

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tenden der Bauverwaltung ist diese Stellvertretung zumeist von Vorteil, da sie ein Mindestmaß an Vertrautheit mit den Regeln der Baukunst und deren gesetzlichen Verankerungen voraussetzen können (Kap. 5.1). Das Bauprojekt tritt als komplexes Gebilde in Erscheinung, das zwar den Bauherrinnen/Bauherren gehört, aber oftmals von den stellvertretenden Projektverfassenden (Architektin/Architekt, Hochbauzeichnerin/-zeichner, Planerin/Planer etc.) erarbeitet wird. Mit Übergabe des Bauprojektes in die administrative Maschinerie wird es der Eigenlogik der administrativen Praxis und deren Wirkung auf das Projekt überantwortet (Kap. 5, Kap. 9.3). Praxis und Wirkung Nachfolgend werden die wichtigsten administrativen Praktiken bei der Arbeit mit den oben skizzierten Materialitäten (Akte, Plan, Modell, Rendering, Konzeptpapier) im Modus der Kooperation zusammengefasst. Am Ende steht jeweils eine Zusammenfassung der Wirkungen dieser Praxis. Praxis In den Büros der Bauverwaltung herrscht die prüfende Arbeit mit dem Bauprojekt als Akte und im Zuge dessen die Arbeit mit den administrativen Informationssegmenten vor. Dies aus zweierlei Gründen: Erstens kontrolliert die Bauverwaltung jedwede Übersetzungsleistung akribisch. Sie gleicht die eingereichten Pläne, Formulare und Gutachten miteinander ab und prüft diese entlang der Prüfungserfordernisse, um etwaige Fehler in der Übersetzungskette aufzuspüren und ihnen entgegenzuwirken (etwa in Form eines Hindernisbriefes, Kap. 5.1). Dabei wird sie ihrer Reputation als Bewilligungsbehörde gerecht, denn sie prüft streng genommen nicht für sich, sondern für die Öffentlichkeit zur Wahrung der demokratischen Grundrechte und der Gewährleistung eines Mindeststandards im Städtebau. Die administrativen Informationssegmente stehen zweitens im Zuge der prüfenden Praxis im Fokus, um Bauprojekte auf den Bewilligungsentscheid vorzubereiten (Kap. 6). Der Einbezug von Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern findet an anderer Stelle statt. Auch weitere Experten werden vielmehr in den Arbeitssessionen der Sitzungen beigezogen. Bei der Büroarbeit genügt der administrative Blick, der im Handlungsvollzug des Prüfens, Ordnens oder Verwahrens eingesetzt wird und im Zuge dessen auch Gutachten der internen und externen (kantonalen) Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter miteinbezogen werden. Das Bauprojekt wird hier frei von persönlichen, symbolischen oder ökonomischen Inputs einzig auf Grund der technischen Sachlage (Einhalten der Baugesetze) beurteilt (zur Praxis der Ausnahme siehe Kap. 5.1.2). Dies kann mitunter

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zur Re-Formulierung des Bauprojektes führen, zum Beispiel, wenn die erforderlichen Fluchttreppen einer zu errichtenden Altersresidenz fehlen und auf Grund dessen die Fassade des Gebäudes vollkommen neu organisiert werden muss (siehe Kap. 6). Wirkung • Bauverwaltungsapparat wirkt und agiert als Prüfungsapparat • Gewährleistung eines Mindeststandards im Städtebau • Re-Formulierung des Bauprojektes, wenn das Bauprojekt nicht den technischen Mindestanforderungen entspricht Praxis In den Arbeitssessionen der Sprechstunde, der Stadtbildkommission oder Sonderkommission wird aktiv mit den visuellen Materialitäten argumentiert.



Je nach funktioneller Episode (Kap. 4.2) stehen unterschiedliche Materialitäten und Übersetzungsleistungen im Fokus. Besonders in den Arbeitssessionen der Sprechstunde und der Stadtbildkommission oder Sonderkommission wird aktiv mit den visuellen Materialitäten argumentiert. Hier gilt es, Argumente für ein Bauprojekt zu finden – »making arguments for the building« - und diese jeweils in Stellung zu bringen. Die visuelle Vergegenwärtigung läutet im Zuge dessen oftmals die Diskussionen um das Bauprojekt ein (Kap. 7). Die Wahl des Maßstabes und der Abstraktionsgrad sind entscheidend. Schlägt etwa die Übersetzungsarbeit fehl, weil für das Argument das falsche visuelle Werkzeug gewählt wurde, beispielsweise ein Rendering statt eines Detailplanes, kommt es zur erschwerten Kommunikation oder gar zum Abbruch der Qualifizierungsarbeit und somit zu einer Prozessverlängerung (Kap. 5.2). Zuweilen können sich die eigenen Argumente gegen das Bauprojekt richten, etwa wenn die Pläne nicht das angestrebte Konzept des Bauprojektes wiedergeben (Kap. 7). Im Lichte dessen zeigt sich, dass Argumente und Übersetzungsleistungen nicht nur im Modus der visuellen Werkzeuge (Pläne, Modelle, Renderings), wie sie den Architektinnen und Architekten eigen sind, am Bauprojekt befestigt werden können, sondern auch Visionen, Konzepte oder politische Sachargumente, die als Empfehlung in den Bewilligungsentscheid mit aufgenommen werden können (Kap. 8). Visuelle Argumente sind nichtsdestotrotz starke Argumente und werden, wie auch Teile der administrativen Informationssegmente im Zuge der Diskussionen, sowohl von den Vertreterinnen und Vertretern des Städtebaus als auch von der Administration verwendet und zuweilen (gegen die eigene Zunft) für das jeweilige

S CHLUSSBETRACHTUNG

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Anliegen instrumentalisiert. Etwa wenn eine Projektverfasserin auf der Erfüllung der gesetzlichen Einhaltung beharrt, um Qualitätsdebatten zu vermeiden, den Prozess zu beschleunigen, der Hochbauleiter aber mit den visuellen Werkzeugen gegen diese Regelung argumentiert, weil das Bauprojekt sich nicht in den Stadtraum fügt (Kap. 5.2). Hier ließen sich insbesondere in der Arbeitssession der Sprechstunde als Ort für Face-to-Face-Situationen Tastbewegungen zwischen Verwaltung und Städtebau beobachten, die der (Re-)Formulierung des zu bewilligenden Projektes dienen. Gleiches gilt für die Stadtbildkommission, in der Debatten zwischen Experten des Städtebaus und der Administration auf der einen Seite und des Projektverfasserteams auf der anderen Seite geführt werden (Kap. 5.2 und Kap. 7). Das Bauprojekt ist hier noch flexibel, seine Richtung nicht vorhersehbar. Die Teilnehmenden arbeiten am Bauprojekt, das für den Bewilligungsentscheid nach weiteren Ausformungen verlangt. Sie rekurrieren dabei auf vergangene Prozesse und Übersetzungsleistungen und zielen auf eine verdichtete, gleichsam generalisierende Transformation des Bewilligungsentscheid ab. Wirkung • Aufnehmen von Empfehlungen in den Bewilligungsentscheid jenseits technischer Kriterien bei erfolgreicher Übersetzungsarbeit (»making arguments for the building«) • Abbruch der kollektiven Qualifizierungsarbeit und Prozessverlängerung bei Fehlschlagen der Übersetzungsarbeit • Prozessbeschleunigung und Verlangsamung im Zuge der Instrumentalisierung, visuelle Argumente • Verdichtete, generalisierende Transformation in einen Bewilligungsentscheid im Zuge des Rekurrierens auf vergangene Prozesse und Übersetzungsleistungen Von administrativen Informationssegmenten zum Textdokument Das Ende der administrativen Übersetzungskette des Bauprojektes bildet der Bewilligungsentscheid. Zweierlei ist hierbei festzuhalten: 1. Bauprojekte in Arbeit werden während des Qualifizierungsprozesses wieder-

holt formuliert resp. re-formuliert und verlassen am Ende als Textkörper in Form des Entscheids die Bauverwaltung. 2. administrative Informationssegmente werden in ein Textdokument übersetzt, welches keinerlei visuelle Werkzeuge oder Spuren etwa in Form von Abbildungen enthält.

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Im Zuge der beobachteten materiellen Übersetzungsleistungen des Bauprojektes in Arbeit lassen sich die Modi der Kooperation und die Eigenlogik dieser administrativen Praxis wie folgt zusammenfassen: •







Bis zum Bewilligungsentscheid wurde im Laufe des Bewilligungsprozesses auf die vielfältigen (materiellen) Übersetzungsleistungen zurückgegriffen, sodass das Bauprojekt in unterschiedlichen Modi (Plan, Formular, Idee, Modell, Regelung usw.) in Erscheinung tritt. Dies erfordert von den Teilnehmenden sowohl die Kompetenz des Planlesens, die Auslegung von Regularien als auch abstraktes Denken. Die Kooperation und der Erfolg der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure liegt nicht zuletzt deshalb in der erfolgreichen Herstellung einer gemeinsamen Gesprächsbasis, um das jeweilige Bauprojekt durch den administrativen Apparat zu befördern. Die Bauverwaltung ist auf die Kooperation der Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller angewiesen, ohne die weder ein Re-Formulieren des Bauprojektes bewerkstelligt werden kann, noch aktive Beiträge zur Siedlungslandschaft getätigt werden können, denn es sind die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller, die Bauprojekte eingeben, nicht die Bauverwaltung.11 Die Bauverwaltung tritt auch deshalb vermehrt als Dienstleister auf, anstelle eines hoheitlichen und ordnenden Behördenapparates (vgl. Kap. 2.3). Auf diese Weise treffen im Bewilligungsprozess zwei Dienstleister in Form der Bauverwaltung und Architekturbüros als wichtigste Kooperationspartnerinnen und -partner aufeinander.

11 Es sei denn, die politische Gemeinde tritt als Bauherr auf.

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Videostill 15: Verdichtung des Bewilligungsentscheids, Korpus 4, 00:57:51, Ausschnitt.

Das Bauprojekt erfährt mit dem erfolgreichen Passieren des Passagepunkts (dem Fällen des Entscheids, Kap. 8) seine vorerst letzte Übersetzung im Lichte des administrativen Fertigungsprozesses: »Die Verfestigung zeigt sich dort, wo Elemente zu einer unauflösbaren, sich wechselseitig informierenden, selbsttragenden (interpendenten) Einheit zusammenwachsen (Scheffer 2012: 106)«. In der diskursiven Praxis der kollektiven Textarbeit innerhalb der Arbeitssessionen der Baukommissionssitzung findet die zitierte Verfestigung statt. Hier wird das Bauprojekt zu einem mehrseitigen, schriftlich fixierten Bewilligungsentscheid verdichtet (Videostill 15). Dergestalt verlässt es das Bauamt. Es verlässt es als singuläres Projekt, welches im nachfolgenden Prozess physisch in die Siedlungslandschaft übersetzt wird. Im abschließenden Fazit wird die Eigenlogik der administrativen Praxis und deren Wirkung auf die Siedlungslandschaft in 12 Thesen gefasst.

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9.5 F AZIT : 12 T HESEN ZUR ADMINISTRATIVEN E IGENLOGIK UND W IRKMACHT DER B AUVERWALTUNG AUF DIE GEBAUTE U MWELT Die Studie hat gezeigt, dass sie keine Gemeindeforschung betrieb, um zu verstehen, was eine Gemeinde/Verwaltung ist, sondern wie diese wirkt. Die Gemeindeforschung verschiebt sich so hin zu einer Gemeindewirkungsforschung. Ermöglicht hat dieser Perspektivwechsel die trans-sequentielle Analyse (TSA), die ihrerseits die Fokussierung auf die administrative Praxis und das Objekt in Arbeit (Bauprojekt) in den Mittelpunkt stellt. Somit wurde die Herausarbeitung der Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praktiken auf Bauprojekte und nachgeordnet auf die gebaute Umwelt ermöglicht (Abb. 31). Die Studie wird mit 12 Thesen geschlossen. Diese Thesen sind die destillierten Ergebnisse der Arbeit, die im Zuge der fünf Forschungsfragen herausgearbeitet worden sind (Kap. 1.1.2). Die Thesen beinhalten dreierlei: a) Sie zeigen die Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praxis auf Bauprojekte/die gebaute Umwelt auf. b) Sie geben Empfehlungen für den künftigen Umgang mit der Gemeinde/Bauverwaltung ab. c) Sie beziehen Stellung bezüglich der künftigen Rolle der Gemeinde im Akteur-Netzwerk der Siedlungsentwicklung. 1. Die Siedlungslandschaft und deren Produktion lässt sich nur verstehen und

in die gewünschten Bahnen lenken, wenn die Gemeinde/Bauverwaltung im städtebaulichen Diskurs re-positioniert wird. 2. Die Gemeinde wird im derzeitigen städtebaulichen Diskurs als »Antiurbanitätsmolekül« (Diener et al. 2012) und Hemmschuh urbaner Entwicklung begriffen. Dieses Rollenverständnis verkennt die Gemeinde/die Bauverwaltung in ihrem Potential und in ihrer Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praktiken auf die Bauprojekte sowie in ihrer Summe auf die gebaute Umwelt. 3. Es fehlte bisher das Verständnis und die Kenntnis über die administrativen Prozesse und Ereignisse sowie deren relationales Zusammenspiel. Dies zeigt der Schulterschluss, die Gemeinde aufgrund der ausgeprägten Gemeindeautonomie (Kontrolle der Bau- und Zonenordnung, Steuerhoheit, ausgeprägtes Partikularinteresse) als wichtige Größe (Schmid 2012) aber zugleich als hinderliche Ebene zu installieren (Diener et al. 2012). 4. Die Eigenlogik der administrativen Praxis als Prüfungsapparat wird in den Alltagsroutinen zunächst reproduziert. Im Zuge des prüfenden Charakters, beispielsweise in Form der Bewilligungspraxis (Häkchensetzen) verfestigt

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sich die Wirkmacht der Bauverwaltung, die die Qualifizierung des Bestandes und zugleich die Fragmentierung und Zersiedelung der Siedlungslandschaft zu Folge hat. 5. Es gilt, der Fülle von Bauprojekten und deren Qualifizierung gerecht zu werden. Auf diese Weise wird die Qualifizierung der Fragmentierung gefördert, da nicht die Qualifizierung der Siedlungslandschaft als Ganzes im Fokus steht sondern deren vielfältige Teilstücke. 6. Die Untersuchung der Eigenlogik und Wirkmacht der administrativen Praxis zeigte, dass die Bauverwaltung nicht ausschließlich regelgebunden administriert – wie vermutet. Die Realität verlangt eine ständige Neu-/Re-Definierung dessen, was als bewilligungswert erscheint. Die Bauverwaltung kommt deshalb immer wieder zu dem Punkt, an dem sie das gesetzliche Regelwerk verlässt (Bauprojekte als Ausnahme deklarieren) oder erweitert (Durchführung von Sprechstunden oder Stadtbildkommissionssitzungen). 7. Die Untersuchung der administrativen Prozesse lehrt, dass der Bewilligungsprozess nicht als lineare Abfolge der gesetzlich vorgegebenen Meilensteine gelesen werden darf, sondern als fallspezifischer Prozess, in dem sich je nach Bauprojekt das Verhältnis und die Bedeutung der einzelnen Arbeitsepisoden (Sitzungen, Baueingabe) und Prozesse jeweils neu konfiguriert. Der Alltag der Bauverwaltung ist deshalb durch die Relationalität von Ereignis und Prozess geprägt. 8. Die Bauverwaltung kontrolliert diesen Prozess bis zu einem gewissen Grad und versteht es, die Zeit, die in der Relationalität enthalten ist, als wichtiges Arbeitsmittel zur Prozessbeschleunigung und Prozessverlangsamung einzusetzen. 9. Die Bauverwaltung schafft in der alltäglichen Praxis Möglichkeitsräume, um die geschlossenen Foren (Baukommissionssitzung, Aktenschrank) und routinierten Bewilligungsabläufe zu durchbrechen. Die Eigenlogik der administrativen Praxis dient dieserart der Justierung der Wirkung. 10. Sie tut dies, indem sie den Modus der demokratischen Gleichbehandlung aller Bauprojekte durchbricht, wenn sie a) Das geschlossene Forum des Aktenschrankes (in dem die Ordnung der Bauprojekte nach der administrativen Zeit vorherrscht) verlässt und eine Ordnung der Qualifizierung der Siedlungslandschaft anlegt. Auf diese Weise wird zwar ein Großteil der zu bewilligenden Bauprojekte, denen eine geringe Wirkmacht im städtebaulichen Gefüge zugeschrieben wird, vernachlässigt, aber es entsteht eine Sicht auf die angestrebte Qualifizierung der Siedlungslandschaft als Ganzes.

314 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG b) Den Taschenrechnerarchitekten und der Praxis des scaling downs entge-

genwirkt, indem sie die (materiellen) Argumente der Projektverfassenden für das Bauprojekt gegen das Bauprojekt verwendet und die Verfassenden zum Umdenken zwingt. c) Das Arbeitsmittel der Zeit einsetzt und das Bauprojekt wiederholt in administrative Zeitschlaufen schickt und somit den Bewilligungsprozess verlangsamt oder d) das Bauprojekt als Ausnahme deklariert, um das Bauprojekt schneller durch den Bewilligungsprozess zu schleusen. 11. Die Mitarbeitenden der Bauverwaltung verfügen zunächst über die Definitionsmacht dessen, was aus städtebaulicher Sicht legitim und somit bewilligungswürdig ist und was nicht. In diesem Sinne ist die Bauverwaltung nicht als ein passiver Akteur zu verstehen, sondern als ein aktiver Teil des komplexen Netzwerkes zur Siedlungsgestaltung. 12. Will man den Prozess der Fragmentierung kanalisieren, so muss: a) die Gemeinde/die Bauverwaltung als aktive Ebene in der Siedlungsentwicklung positioniert werden; b) die administrative Praxis, in ihrer Relationalität von Ereignissen und Prozessen, jeweils in situ begriffen werden, um sich deren Flexibilität zu Nutze zu machen; c) die Bauverwaltung die administrativen Möglichkeitsräume in Gestalt der offenen Foren (Stadtbildkommission, Alternative Ordnungssysteme) oder in Form der Praxis der Ausnahme aktiv anwenden – zugleich müssen diese Möglichkeitsräume gesetzlich und gesellschaftlich legitimiert werden.

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V IGNETTENVERZEICHNIS Vignette 1: Vignette 2a: Vignette 2b: Vignette 3: Vignette 4a: Vignette 4b: Vignette 5: Vignette 6a: Vignette 6b: Vignette 7: Vignette 8a: Vignette 8b: Vignette 8c: Vignette 9:

Bauwillige kommt zum Bauamt, S. 142. Bauverwalterin nimmt Bauprojekt entgegen, S. 177. Im Empfangsraum aus Sicht einer Bauwilligen, S. 177. Bauverwalterin zieht Bauprojekt vor, S. 185. Sprechstunde zwischen Hochbauleiter und Architektin, Situationsbeschrieb, S. 195. Sprechstunde Hochbauleiter und Architektin im Gespräch, S. 200. Bauverwalterin prüft Baugesuch, S. 209. Stadtbildkommission, Situationsbeschrieb, S. 232. Stadtbildkommission, Einbringen von visuellen Werkzeugen, S. 236. Stadtbildkommission, Projektvorstellung, S. 240. Stadtbildkommission, interne Diskussion am Bauprojekt, S. 247. Stadtbildkommission, Anfertigen einer Skizze, S. 249. Stadtbildkommission Feedback, S. 249. Baukommission, Situationsbeschrieb, S. 259.

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Vignette 10: Vignette 11: Vignette 12: Vignette 13: Vignette 14:

Baukommission, Textarbeit, S. 264. Baukommission, Bewilligungspraxis, Häkchensetzen, S. 267. Baukommission, Gesprächsordnung, S. 268. Baukommission, Anreisen von Qualitätsdiskussionen, S. 273. Baukommission, Deklaration eines Entscheids zum Politikum, S. 275.

V IDEOSTILLVERZEICHNIS Videostill 1: Vorstellung des Forschungsvorhabens, Korpus 3, 00:06:34, S. 25. Videostill 2: Stadtbildkommission, Diskussionen am Bauprojekt, Korpus 1, 00:04:48, S. 227. Videostill 3: Stadtbildkommission, Projektvorstellung, Korpus 1 (3), 00:01:29, S. 232. Videostill 4: Stadtbildkommission, Ausbreiten von Plänen, Korpus 1 (3), 00:01:29, Ausschnitt, S. 237. Videostill 5: Stadtbildkommission, Aufbau eines Modells, Korpus 1 (2), 00:03:59, S. 237. Videostill 6: Stadtbildkommission, Einbringen der Vision, Korpus 1 (3), 00:15:36, S. 241. Videostill 7: Sondersitzung, Einbringen eines Schaumodells, Korpus 3, 00:13:14, S. 244. Videostill 8: Stadtbildkommission, interne Diskussion am Bauprojekt, Korpus 1 (3), 00:25:54, S. 246. Videostill 9: Baukommission, Besprechung eines neuen Baugesuchs, Korpus 4, 01:05:18, S. 255. Videostill 10: Baukommission, Abhaken einer Liste, Korpus 5, 00:01:58, S. 259. Videostill 11: Baukommission, Textarbeit, Korpus 4, 01:40:17, S. 264. Videostill 12: Baukommission, Bewilligungsakt, Korpus 5, 00:01:51, S. 267. Videostill 13: Baukommission, Änderungen in den Bewilligungsentscheid aufnehmen, Korpus 2, 00:09:40, Ausschnitt, S. 276. Videostill 14: Baukommission, Vorlesen aus einem Bewilligungsentscheid, Korpus 2, 00:00:18, Ausschnitt, S. 276. Videostill 15: Verdichtung des Bewilligungsentscheids, Korpus 4, 00:57:51, Ausschnitt, S. 311.

R EFERENZEN

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1: Stadtbildkommission, Sitzungstisch, eigenes Foto, S. 15. Abb. 2: Übersicht Fallgemeinden, Schlussbericht (Van Wezemael et al. 2014:30), S. 33. Abb. 3: Fragmentierte Siedlungslandschaft in Wetzikon, Foto Susanne Hofer, Schlussbericht (Van Wezemael et al. 2014: 66), S. 59. Abb. 4: Entstehung von städtischen Regionen und Metropolitanräumen; räumliche Diversifizierung 2000 (Da Cuhna & Both 2004:91), S. 81. Abb. 5: Rathaus Visp, eigenes Foto, S. 121. Abb. 6: Bauamt Visp, eigene Darstellung, S. 125. Abb. 7: Bauamt Wetzikon, eigene Darstellung, S. 128. Abb. 8: Bauamt St. Margrethen, eigene Darstellung, S. 130. Abb. 9: Skizze eines Raumplaners: Prozess und Elemente des Baubewilligungsverfahrens, S. 135. Abb. 10: Rathaustür Visp, eigenes Foto, S. 144. Abb. 11: Schwingtür im Windfang Visp, eigenes Foto, S. 144. Abb. 12: Bürotür Visp, eigenes Foto, S. 145. Abb. 13: Weg einer Bauwilligen und deren Bauprojekt zur Bauabteilung Visp, S. 147. Abb. 14: Übersicht Wege von Bauwilligen und deren Bauprojekte in Visp, St. Margrethen und Wetzikon, eigene Darstellung, S. 155. Abb. 15: Skizze eines Hochbauleiters zum Bewilligungsverfahren, S. 158. Abb. 16: Skizze eines Raumplaners zum Bewilligungsverfahren, S. 160. Abb. 17: Skizze einer Architektin zum Baubewilligungsverfahren, S. 163. Abb. 18: Meilensteine des Baubewilligungsverfahrens, eigene Darstellung, S. 166. Abb. 19: Ablaufschema Baubewilligungsverfahren des Kantons Aargau, Quelle: https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/bvu/bilder_2/bauen_3/baube willigungen/bewilligungsablauf/informationen_rund_ums_bauen/ ordentliches_Verfahren~1.pdf, S. 167. Abb. 20: Varianten von Ereignis und Prozess (Scheffer 2007:178), S. 169. Abb. 21: Eingegangenes Baugesuchsformular, Ausschnitt, eigenes Foto, S. 175. Abb. 22: Sprechstunde, Infografik 1 Kilo, Schlussbericht (Wezemael et al. 2014: 81), S. 194. Abb. 23: Raumpositionen zur Situationsdefinition, eigene Darstellung, S. 196. Abb. 24: Büroarbeit am Baugesuch, eigenes Foto, S. 207. Abb. 25: Im Büro der Bauverwalterin, Infografik 1 Kilo, Schlussbericht (Wezemael et al. 2014), S. 211.

336 | I M I NNEREN DER B AUVERWALTUNG

Abb. 26: Die Bauverwalterin holt ein Baudossier aus der Hängeregistratur, eigenes Foto, S. 218. Abb. 27: Typologie von Registraturmöbeln (Neufert 2005:238), S. 221. Abb. 28: Ablagesystem eines Hochbauleiters, eigene Darstellung, S. 224. Abb. 29: Sitzungsordnung im Sitzungssaal I, eigene Darstellung, S. 234. Abb. 30: Sitzungsordnung im Sitzungssaal II, eigene Darstellung, S. 260. Abb. 31: Bauprojekt allein auf einer Siedlungsscholle, Foto Susanne Hofer, Schlussbericht (Wezemael et al. 2014:67), S, 279. Abb. 32: Raumpositionen im Vergleich I, eigene Darstellung, S. 291. Abb. 33: Raumpositionen im Vergleich II, eigene Darstellung, S. 292. Abb. 34: Wege von Bauwilligen und deren Bauprojekte im Inneren der Bauverwaltungen in Visp, St. Margrethen und Wetzikon, eigene Darstellung, S. 296. Abb. 35: Varianten der Zeit als Werkzeug administrativer Praxis, eigene Darstellung, S. 300. Abb. 36: Materielle Übersetzungen eines Bauprojektes während des Bewilligungsprozesses, eigene Darstellung, S. 303. Abb. 37: Bauprojekt in der Sprache der Architektur und der Administration, eigene Darstellung, S. 306. Abb. 38: Doktorandenraum, Arbeitsplatz der Forscherin, eigenes Foto, S. 313.

T ABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5:

Übersicht Fallauswahl, eigene Darstellung, S. 35. Erhebungsphasen der Feldforschung, eigene Darstellung, S. 36. Übersicht Videomaterial, eigene Darstellung, S. 50. Zeitpunkte der Sammlung der Videodaten, eigene Darstellung, S. 52. Übersicht Begriffsbestimmung der Gemeinde, eigene Darstellung in Anlehnung an Klönne (1972) und Ladner (1991), S. 70. Tabelle 6: Drei organisationssoziologische Ansätze im Vergleich, eigene Darstellung in Anlehnung an Pohlman & Markova (2011:46), S. 103. Tabelle 7: Stadtbildkommission und Baukommission im Vergleich, eigene Darstellung, S. 277.

Urban Studies Amalia Barboza, Stefanie Eberding, Ulrich Pantle, Georg Winter (Hg.) Räume des Ankommens Topographische Perspektiven auf Migration und Flucht Oktober 2016, ca. 244 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3448-8

Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.) Die Welt reparieren Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis September 2016, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 19,99 €, ISBN 978-3-8376-3377-1

Ilse Helbrecht (Hg.) Gentrifizierung in Berlin Verdrängungsprozesse und Bleibestrategien September 2016, 328 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3646-8

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Urban Studies Andreas Thiesen Die transformative Stadt Reflexive Stadtentwicklung jenseits von Raum und Identität Mai 2016, 156 Seiten, kart., zahlr. Abb., 21,99 €, ISBN 978-3-8376-3474-7

Karsten Michael Drohsel Das Erbe des Flanierens Der Souveneur – ein handlungsbezogenes Konzept für urbane Erinnerungsdiskurse März 2016, 286 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3030-5

Lilo Schmitz (Hg.) Artivismus Kunst und Aktion im Alltag der Stadt 2015, 278 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3035-0

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