Rhetorik der Stadt: Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum 9783839437704

Rhetoric cannot be thought of without the city. The city, a site of condensed exchange - not only of goods and services,

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Rhetorik der Stadt: Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum
 9783839437704

Table of contents :
Inhalt
I. Einleitung
1. Rhetorische Dimensionen der Orientierung im urbanen Raum
2. Über die Gegenstände der Arbeit
3. Ziele der Arbeit
4. Forschungsstand: Designrhetorik
5. Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum
II. Methoden der Rhetorik und Rhetorik als Methode
1. Einführung in das Kapitel
2. Zwei Arten der Rhetorik
3. Grundbegriffe
4. Rhetorik als Methode
III. Zum Verhältnis von Stadt und Rhetorik
1. Einleitende Bemerkungen zur Designrhetorik der Stadt
2. Die Stadt als Raum der Rhetorik
3. Labyrinth und Collage – Bewegen und Verweilen
IV. Wege aus dem Labyrinth – Kevin Lynchs ‚The Image of the City‘| 11
1. Einführung in das Kapitel
2. The Image of the City
3. City Form
V. Place-Making – Die Stadt als rhetorischer Raum
1. Einführung in das Kapitel
2. place/space und Collage
3. Rhetorik des place
4. Können places gestaltet werden?
5. Anmerkung zu einer rhetorischen techne des place-makings
VI. Rhetorik des Zeigens – rhetorische Dimensionen urbaner B eschilderungen
1. Einführung in das Kapitel
2. Rhetorik des Zeigens
3. Wirkziele und Strategien des Zeigens
4. Zusammenfassung
VII. Schlussbetrachtung
1. Einige zentrale Aspekte der Arbeit
2. Schlusswort
VIII. Literatur
IX. Abbildungen
Danksagung

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Pierre Smolarski Rhetorik der Stadt

Urban Studies

Pierre Smolarski (Dr. phil.), geb. 1984, lehrt Rhetorik und Schreiben am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld und ist künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule der Künste in Bern. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören neben der klassischen und visuellen Rhetorik die philosophische Ästhetik, Urbane Kultur, Game Design und Kommunikationsguerilla. Bei transcript erschienen: »Adbusting« (2016, hg. zus. mit Andreas Beaugrand).

Pierre Smolarski

Rhetorik der Stadt Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum

Diese Veröffentlichung ist an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen vom Autor als Dissertation zum Erwerb der Grades Dr. phil. eingereicht worden. Die Verteidigung fand am 21.03.2016 statt. Die Gutachter waren Prof. Dr. Jens Martin Gurr und Prof. Dr. Arne Scheuermann.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Pierre Smolarski, Bern 2015 Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3770-0 PDF-ISBN 978-3-8394-3770-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt I.

1. 2. 3. 4. 5.

Einleitung | 7 Rhetorische Dimensionen der Orientierung im urbanen Raum | 7 Über die Gegenstände der Arbeit | 8 Ziele der Arbeit | 20 Forschungsstand: Designrhetorik | 24 Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum | 39

II.

Methoden der Rhetorik und Rhetorik als Methode | 43

1. 2. 3. 4.

Einführung in das Kapitel | 43 Zwei Arten der Rhetorik | 44 Grundbegriffe | 51 Rhetorik als Methode | 93

III.

Zum Verhältnis von Stadt und Rhetorik | 97

1. 2. 3.

Einleitende Bemerkungen zur Designrhetorik der Stadt | 97 Die Stadt als Raum der Rhetorik | 99 Labyrinth und Collage – Bewegen und Verweilen | 110

IV.

Wege aus dem Labyrinth – Kevin Lynchs ‚The Image of the City‘ | 119

1. 2. 3.

Einführung in das Kapitel | 119 The Image of the City | 119 City Form | 133

V.

Place-Making – Die Stadt als rhetorischer Raum | 143

1. 2. 3. 4. 5.

Einführung in das Kapitel | 143 place/space und Collage | 145 Rhetorik des place | 151 Können places gestaltet werden? | 155 Anmerkung zu einer rhetorischen techne des place-makings | 162

VI.

Rhetorik des Zeigens – rhetorische Dimensionen urbaner B eschilderungen | 179

1. 2. 3. 4.

Einführung in das Kapitel | 179 Rhetorik des Zeigens | 181 Wirkziele und Strategien des Zeigens | 208 Zusammenfassung | 286

VII. Schlussbetrachtung | 289

1. 2.

Einige zentrale Aspekte der Arbeit | 289 Schlusswort | 294

VIII. Literatur | 295 IX.

Abbildungen | 309 Danksagung | 313

I. Einleitung

1. R HETORISCHE D IMENSIONEN DER O RIENTIERUNG IM URBANEN R AUM Die vorliegende Arbeit Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum ist ein Teil der Dissertationsschrift Rhetorik des Designs – rhetorische Dimensionen der Orientierung im urbanen Raum, die im Herbst 2015 an der Universität Duisburg-Essen eingereicht wurde und nun in zwei Bänden erscheint: dem vorliegenden Band in der Reihe Urban Studies und dem Band Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation in der Reihe Design. Beide Bände sind eng aufeinander bezogen und in vielerlei Hinsicht komplementär zueinander. Dennoch erscheinen sie nicht zusammen, sondern nach den Hauptuntersuchungsgegenständen und -bereichen getrennt. Sind beide Bände auch mit dem Anspruch verfasst, interdisziplinäre Forschung zu betreiben und durch eine philosophisch-begriffliche wie auch anschaulich-exemplarische Grundlagenarbeit Anschlussmöglichkeiten an diverse Disziplinen und Forschungsfragen zu bieten (etwa Bildrhetorik und Rhetorik des Visuellen, Phänomenologie, Kommunikationswissenschaft, Bildwissenschaft und philosophische Ästhetik), so richten sie sich doch an unterschiedliche Publika und erscheinen deshalb getrennt voneinander. Richtet sich der vorliegende Band eher an Urbanitätsforschende und phänomenologische Bildtheoretiker, so zielt der andere Band vornehmlich auf ein Publikum aus dem engeren Bereich der Designtheorie und theorieaffinen Designpraxis. Beiden Bänden ist letztlich gemeinsam, dass sie die Rhetorik als Designtheorie entwerfen, was zunächst eine rhetoriktheoretische Auseinandersetzung um Fragen des Visuellen notwendig macht, da diese Fragen bislang allenfalls am Rande des rhetorischen Theoriegebäudes beleuchtet wurden und nun in das Zentrum desselben gerückt werden. Auf der anderen Seite gilt es den oft beklagten Mangel an einer konsistenten Designtheorie beheben zu helfen und als eine solche die in der Arbeit entwickelte Designrhetorik zur Diskussion zu stellen. Die nachfolgende Einleitung und das Methodenkapitel haben beide Bände gemeinsam, denn beide basieren auf dem

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gleichen Rhetorikverständnis und beiden Bänden ist gemeinsam, dass sie Ziele, Methoden und Gegenstände einer potentiellen Designrhetorik zu umreißen suchen.

2. Ü BER

DIE

G EGENSTÄNDE

DER

ARBEIT

2.1 Sinn und Spur – Orientierung als rhetorischer Begriff Um die Gegenstände und die Fragerichtung der Arbeit zu klären, gilt es, den Begriff der Orientierung von einer rhetorischen Warte aus in den Blick zu nehmen. Orientierung, das sei hier vorweggesagt, ist weder in klassischen noch in modernen Rhetoriktheorien ein terminus technicus. Beide Bände verstehen sich daher gleichermaßen und in diesem Punkt auch zueinander komplementär als einen Beitrag, der versucht, den Begriff der Orientierung in eine rhetorische Theorie der visuellen Kommunikation erstmals einzuführen. Diese Einführung folgt der These, dass Orientierung zu geben, sich mit Orientierungen Anderer subversiv oder affirmativ auseinanderzusetzen, Einfluss auf Orientierungen Anderer zu nehmen und selbige womöglich zu ändern, wesentliche Grundfunktionen rhetorischer Prozesse sind. Bevor die Untersuchungsgegenstände, an denen diese These erprobt werden soll, eingeführt werden können, gilt es hier zunächst die Frage nach dem Verhältnis von Orientierung und Rhetorik allgemein zu stellen. Vorausgreifend kann aber bereits gesagt werden: Der urbane Raum ist der Ort, an dem diese Frage nach der rhetorischen Dimension von Orientierung gestellt werden soll, denn gerade hier kann als unbestritten gelten, dass Fragen der Orientierung eine zentrale Rolle spielen und dass die (rhetorischen) Mittel zur Einflussnahme auf Orientierungen Produkte wirkungsintentionalen Gestaltens sind. Es gilt hier zu zeigen, dass Fragen der Orientierung eine wichtige Funktion innerhalb der Rhetorik einnehmen, so dass schließlich von Orientierung als einem Begriff mit essentiell rhetorischer Dimension gesprochen werden kann. Wenn dies gezeigt ist, wird klar, warum die Einflussnahme auf Orientierungen Anderer im Stadtraum auch eine rhetorische Aufgabe ist. Fangen wir damit an, uns über unseren Sprachgebrauch klarzuwerden. Wie selbstverständlich gebrauchen wir in Bezug auf Reden bereits ein Vokabular, das die enge Verwandtschaft zu Themen der Orientierung offenbart. So sprechen wir davon, dass ein Redner einen Punkt verfolgt, uns in eine Richtung führt, wir seinen Äußerungen nicht folgen können oder wollen, wir den Gang seiner Argumentation nachvollziehen können, er uns durch unwegsames Terrain führt, wir oder er den Faden verloren haben, wir nicht wissen, worauf oder wohin er hinaus will, wir seine Rede besser verstehen, weil wir wissen, woher (aus welcher theoretischen Richtung) er kommt, er uns seinen Standpunkt deutlich macht, seine Beispiele irreführend sind, er

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sich in seiner Argumentation verrannt hat, uvm. Diese und viele weitere Formulierungen deuten bereits an, worauf es hier ankommt: Fragen der Orientierung sind eng verwoben mit Fragen der Rhetorik. Werner Stegmaier bringt diesen Aspekt in seiner Philosophie der Orientierung treffend mit dem Wort ‚Sinn‘ auf den Punkt. Dazu führt er diesen zunächst etymologisch ein: „‚Sinnen‘ hieß ahd. außer ‚gehen‘ und ‚reisen‘ auch ‚streben‘ und ‚begehren‘, ‚sinnen auf etwas‘. Mit ihm hängt ‚senden‘, ‚auf eine Reise schicken‘, zusammen; ein ‚Gesinde‘ war zunächst eine Reisebegleitung oder Gefolgschaft. Dieses ‚senden‘ floss wiederum mit einer anderen germ. Wurzel ‚sent‘ zusammen, die ebenfalls ‚eine Richtung nehmen‘, ‚eine Fährte suchen‘ bedeutete.“1

In der Etymologie von ‚Sinn‘ wird deutlich, dass die Funktion des ‚Sinns‘ gerade darin besteht, dem Denken, Fühlen und Handeln eine Richtung zu geben. Wenn wir davon reden, dass ‚etwas in diesem oder jenem Sinn‘ gesagt sei, meint das, dass dieses Sagen eben ‚in diese oder jene Richtung‘ weist. ‚Sinn‘ firmiert so deutlich als die gesuchte Scharnierstelle von Rhetorik und Orientierung. In deutlicher Übereinstimmung mit dem in Kapitel II einzuführenden Situationsbegriff und den diesen bestimmenden Selektionsmustern schreibt Stegmaier: „Die Orientierung beginnt nicht mit Zielen, die man erreichen möchte, sondern mit dem Sichten der Situation auf erfolgsversprechende Handlungsmöglichkeiten hin, die dann auch Ziele ‚ins Auge fassen‘ lassen. Erfolgsversprechende Handlungsmöglichkeiten müssen ‚sich‘ in der Orientierung erst ‚finden‘, man muss sie ‚herausfinden‘ unter den unbegrenzt vielen Möglichkeiten, die jede Situation bietet. Sie finden sich durch die Limitation, die Einschränkung der Aufmerksamkeit beim Sichten der Situation auf das, was von Belang ist.“2

Von hier aus kommt er schließlich zum Punkt: „Was für die Orientierung in einer Situation von Belang ist, ist der Anfang von ‚Sinn‘: Sinn ist für die Orientierung das, womit sie ‚etwas anfangen kann‘.“3 Das, womit der nach Orientierung Suchende etwas anfangen kann, der Sinn also, ist aber auch das entscheidende Kriterium der Rede. Es gilt, mit Verweis auf die Kategorie des aptum und den Begriff der Identifikation (vgl. Kap. 2), stets dem Publikum das zu liefern, womit dieses auch ‚etwas anfangen‘ und wonach es ‚sich ausrichten‘ kann. Die Kunst der Persuasion beruht schließlich darauf, dem Publikum Identifikationsangebote machen zu können, die nichts anderes sind als – auf Perspektivwechsel beruhende – Sinnangebote. Fehlt es,

1

Stegmaier, Werner: Philosophie der Orientierung. Berlin 2008. S. 181.

2

Ebd.

3

Ebd.

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in der Rede wie im Stadtraum, an mehr oder weniger deutlich erkennbaren Sinnangeboten, so ist die Orientierungsleistung des Einzelnen gefragt, die darin besteht, ‚Sinn im Unsinn‘4 zu konstruieren und somit handlungsfähig zu bleiben. Ein rhetor, der in dieser Weise das Orientierungsvermögen seines Publikums strapaziert, wird allerdings gefahrlaufen, dass die Sinnkonstruktionen des Publikums nicht den intendierten Sinnangeboten des rhetors entsprechen und jenes zwar versteht, nicht aber so, wie dieser verstanden werden wollte. Damit ist trivialer Weise klar, dass es in den rhetorischen Bemühungen eines rhetors vor allem auch darum zu gehen hat, das Publikum an die Stellen zu führen, die im Redeinteresse als tragend empfunden werden. Rhetorik ist – vor diesem Hintergrund – also vor allem eine Führungskunst mithilfe von Sinnangeboten durch potentiell unsinniges (also nicht richtungsweisendes oder in widersprüchliche Richtungen weisendes) Terrain. Die dafür genutzten rhetorischen Mittel sind so mannigfaltig, dass sie hier nicht vollständig aufgezählt werden können; im Grunde stehen alle rhetorischen Mittel letztlich im Dienst der Generierung von Sinnangeboten: Sie reichen von Fragen der dispositio (Aufbau und Gliederung, kontrastierende Gegenüberstellung, etc.), über Fragen des Beispielgebrauchs (Exemplifikation des Allgemeinen im Besonderen, Induktionsverfahren, etc.), über Fragen der narratio (Rückblenden, Vorwegnahmen, Perspektivierung der Erzählung, etc.) bis hin zu Fragen der elocutio (Figuren in Erkenntnisfunktion, Figuren in stilistischer Funktion, Figuren in argumentativer Funktion, etc.).5 Nach dem Gesagten ist deutlich, dass es rhetorische Theorien durchaus zentral mit Fragen der Orientierung zu tun haben. Bleibt die Frage offen, ob auch Fragen der Orientierung es in vergleichbarer Vehemenz mit Fragen der Rhetorik zu tun haben. Um in diese Richtung zu argumentieren, wird es aufschlussreich sein, sich mit dem paradox anmutenden Begriff der Spur auseinanderzusetzen. Der Begriff der Spur eignet sich deshalb für unsere Auseinandersetzung, da dieser zum einen als Begriff zum festen Repertoire zur Beschreibung von Orientierungsprozessen gehört und zum anderen sich an diesem Begriff exemplarisch das Verhältnis von Orientierung zur Rhetorik problematisieren lässt. Letzteres funktioniert für unsere Zwecke deshalb so gut, weil der Spurbegriff eine paradox anmutende Struktur aufweist. Sybille Krämer formuliert zehn Eigenschaften, die das Phänomen ‚Spur‘ bestimmen sollen: Spuren zeugen von Abwesenheit, dienen der Orientierung, verweisen auf Materialität, sind Störungen, sind unmotiviert, sind beobachter- und handlungsabhängig, sind gebunden an Interpretationen und münden in Narrationen, weisen einen Zeitenbruch auf, sind

4

Wenn ‚Sinn‘ das ist, ‚womit man etwas anfangen‘ kann, dann ist ‚Unsinn‘ das, ‚womit man nichts anfangen‘ kann. Unsinn ist in dieser Weise zunächst einmal das Noch-nicht-Sinnhafte.

5

Vgl. Smolarski, Pierre: Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation. Bielefeld 2017. Kapitel IV.

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eindimensional und unumkehrbar und zudem passiv.6 Wichtig für unseren Zusammenhang ist freilich zuerst einmal die Orientierungsleistung: „Spurenlesen wird notwendig unter Bedingungen von Ungewissheit, Unsicherheit und vielleicht auch Angst, dort also, wo eine Situation entstanden ist, in der wir uns nicht (mehr) auskennen.“7 Damit spricht Krämer den Härtefall an, wo aus einem „Problemdruck“8 heraus aktiv nach Spuren Ausschau gehalten wird. Die Orientierungsleistung von Spuren aber kommt nicht erst im Härtefall zum Tragen, vielmehr ist Orientierungslosigkeit als ein Zustand zu verstehen, in dem keine als hilfreich und handlungsleitend empfundenen Spuren zur Verfügung zu stehen scheinen. Um diesen Grundbegriff der Orientierung rhetorisch verstehen zu können, muss es möglich sein, Spuren als intentionales Mittel der Beeinflussung von Handlungsspielräumen anderer einzusetzen. Krämer deutet eine solche Möglichkeit zumindest von Seiten des Publikums auch an: „Spurenleser haben Interessen und sie verfolgen Zwecke. Die Aufmerksamkeit, die beim Lesen der zunächst immer unmerklichen Spuren erforderlich ist, ist daher eine ‚gerichtete Aufmerksamkeit‘.“9 Ein interessenloses Publikum ließe sich im rhetorischen Prozess auch von nichts überzeugen. Für einen rhetor steht in der Vorbereitung seiner rhetorischen Bemühungen eben aufgrund der ‚gerichteten Aufmerksamkeit‘ des Publikums auch die Frage nach den Interessen, Wünschen und Vorstellungen des Publikums an zentraler Stelle. Dennoch gilt nach Krämer, dass Spuren sich durch Unmotiviertheit auszeichnen, was die Verbindungsmöglichkeit zur Rhetorik abreißen ließe: „Spuren werden nicht gemacht, sondern unabsichtlich hinterlassen. […] Wo etwas als Spur bewusst gelegt und inszeniert wird, da handelt es sich gerade nicht mehr um eine Spur. […] Im Unterschied zum Zeichen, das wir erzeugen, ist das Bedeuten der Spur bar jeder Intention seitens desjenigen, der sie verursacht.“10 Wenn das richtig sein sollte, dann könnte man wohl meinen, es wäre wohl eine gute Strategie für einen Einbrecher, möglichst alle seine vermeintlichen Spuren absichtsvoll zu hinterlassen. Denn wenn sie absichtsvoll hinterlassen wurden, sind sie keine Spuren mehr und können dann ja auch dem Spurenleser nicht weiterhelfen. Wenn der Einbrecher dann aufgrund seiner hinterlassenen Indizien dennoch gefasst wird und diese nach Krämer nicht mehr Spuren genannt werden können, dann widerspricht dies offensichtlich der gängigen Verwendung des Begriffs ‚Spur‘. Dass das widersinnig ist, ist klar und wird auch deutlich, wenn man Krämer weiterliest. Allerdings ist es für 6

Vgl. Krämer, Sybille: Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle? Eine Bestandsaufnahme. In: Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik. Hrsg. von Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube. Frankfurt am Main 2007. S. 11-33. Hier: S. 14-18.

7

Ebd. S. 15.

8

Ebd.

9

Ebd.

10 Ebd. S. 16.

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unseren Übertragungsversuch, der die Rhetorik in der Orientierung sucht, aufschlussreich. Hinter dieser Vorstellung steht deutlich die Vorstellung, wonach die Spur in peircescher Terminologie ein indexikalisches Zeichen, im Gegensatz zum ikonisch oder symbolischen Zeichen, ist.11 Diesen Zusammenhang betont Krämer auch, wenn sie schreibt: „Der Zusammenhang zwischen der Urheberschaft und Spur ist nach Art einer Ursache-Wirkungs-Relation zu denken; er beruht weder auf Ähnlichkeit (wie im Abbild) noch auf Konventionalität (wie im Symbol).“12 Werden Spuren – und damit Orientierungsabläufe – in dieser Weise als Elemente einer indexikalischen Zeichenklasse bestimmt, so wird es tatsächlich schwer, dahinter rhetorische Prozesse zu sehen, denn eine Rhetorik ausschließlich indexikalischer Zeichen ist wohl kaum vorstellbar. Aber sind Spuren denn indexikalische Zeichen? Auch für diese Frage hilft Krämer weiter, die vollkommen zutreffend schreibt: „Etwas ist nicht Spur, sondern wird als Spur gelesen. Es ist der Kontext gerichteter Interessen und selektiver Wahrnehmung, welcher aus ‚bloßen‘ Dingen Spuren macht. […] Spur ist nur das, was als Spur betrachtet und verfolgt wird.“13 Das ‚Spursein‘ liegt demnach ausschließlich in der Betrachtungsweise des Rezipienten, der diese als Spur anerkennt und ihr folgt oder eben nicht. Das aber heißt nichts anderes, als dass etwas als indexikalisches Zeichen interpretiert wird, was ebenso als ikonisches oder symbolisches Zeichen interpretierbar wäre und umgekehrt, dass auch ein intendiertes symbolisches oder ikonisches Zeichen sich als indexikalisches Zeichen lesen, verstehen und befolgen lässt. 11 Vgl. Peirce, Charles S.: Principles of Philosophy. In: Collected Papers of Charles Sanders Peirce. Hrsg. von Charles Hartshorne und Paul Weiss. Bd. 1. Cambridge 1974. 12 Krämer 2007. S. 15f. 13 Krämer 2007. S. 16f. Krämer sieht wohl selbst den Widerspruch dieser Zuspitzung der Rezipientenperspektive und der damit einhergehenden Interpretationsbedürftigkeit des Phänomens ‚Spur‘ mit der weiter oben eingeführten Unmotiviertheit als Bestimmungsmerkmal und schreibt: „Der Unmotiviertheit der Spurbildung entspricht jedenfalls die Motiviertheit seitens der Spurenleser. Die Unaufmerksamkeit desjenigen, der die Spuren hinterlässt, und die Aufmerksamkeit des Spurenlesers, der die Spuren auffindet und identifiziert, sind Vorder- und Rückseite der Spur“ (ebd. S. 17). Allerdings vermag diese Anmerkung wenig zu überzeugen, denn ob Spuren absichtsvoll oder unbeabsichtigt hinterlassen wurden, kann – im Falle einer perfekten Täuschung – für den Spurenleser keinen Unterschied machen. Dieser identifiziert die Gegebenheiten als Spur auf der Grundlage seiner Kenntnisse, seiner Interessen und seiner Ziele. Anders sieht es womöglich aus, wenn der Spurenleser entdeckt (oder weiß), dass die Gegebenheiten absichtsvoll arrangiert worden sind. Sie dann dennoch als Spur zu lesen, bleibt zwar möglich, ist aber dann stets gebunden an ein bewusstes Anerkennen der Motiviertheit der Spuren und ebenso an ein Anerkennen der angenommenen Motive des Spurenlegers. Dann aber befindet sich der Spurenleser bereits eingebunden in einen rhetorischen Prozess, der im Kern stets um das Erkennen und Anerkennen angenommener Motive eines orators kreist.

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Spuren sind also nicht indexikalische Zeichen, sondern werden als indexikalische Zeichen verstanden. Ein Beispiel mag das deutlich machen: Nehmen wir an, dass zu einem Event Fußabdrücke mit weißer Farbe auf den Boden gemalt wurden, um dem Besucher die Richtung zum Event zu weisen. Es ist offensichtlich, dass diese gemalten Abdrücke dazu intendiert sind, vom Betrachter als Spuren gelesen zu werden. Betrachtet man ausschließlich die gemalten Abdrücke und fragt nach ihrer Indexikalität, so wird man finden, dass diese Zeichen allenfalls die einstige Anwesenheit eines Malers oder einer Malerin mit einem Eimer weißer Farbe verraten. Würde der Rezipient bei dieser Interpretation stehen bleiben, so wäre die Bemühung rhetorisch misslungen, da der Rezipient ganz offensichtlich aus der Feststellung ‚Hier war jemand mit weißer Farbe‘ nicht zu dem Schluss gelangen kann ‚Hier geht es zum Event‘ (die Fußabdrücke könnten zeitlich auch in der entgegengesetzten Richtung angebracht worden sein). Erfolgreich war die Kommunikation dann, wenn der Rezipient diese Zeichen als Spuren und zwar als ‚Fußabdrücke hin zum Event‘ versteht. In dieser Funktion könnten die Fußabdrücke natürlich auch durch andere konventionelle Zeichen zur Richtungsangabe ersetzt werden (Pfeile, Linien, etc.), aber der rhetorische Vorteil des Fußabdrucks als Motiv ist es, dass mit diesem eben mehr ausgesagt wird, als mit bloßen Pfeilen oder Linien. Zum einen kann der Weg bis zum Event nicht mehr weit sein, es sollte fußläufig erreichbar sein, zum anderen sind Fußabdrücke aber auch selbst zu Symbolen des Spurenlesens geworden und erleichtern somit eine Interpretation als Spur. Auch wenn die Annahme Krämers, dass es sich bei Spuren stets um unmotivierte und nicht intentionale Zeichen handelt, zurückgewiesen werden kann, bleibt aber doch ein – deutlich schwächeres – Problem zurück: Spurenlegen wird schwer, wenn ‚Spursein‘ erst ein Ergebnis des interessengeleiteten Spurenlesens ist. Aber eben, weil das Spurenlesen interessengeleitet ist, kann eine möglichst genaue Kenntnis der Interessenlage des Publikums auch zu erfolgsversprechenden Spurenlegmanövern führen. Die literarische Figur des Fantomas kann hier als Prototyp des erfolgreichen Spurenlegers verstanden werden. Eben aufgrund seiner genauen Kenntnis der polizeilichen Abläufe und aufgrund seiner genauen Kenntnis seiner Gegenspieler schafft es Fantomas, immer wieder, ‚falsche Spuren‘ zu legen und damit ‚richtige Spuren‘ unkenntlich zu machen. In seiner Grundanlage ist das oben formulierte Problem der Möglichkeit des Spurenlegens aber vor allem ein paradigmatisches Problem der Rhetorik. Auch für den rhetor stellt sich immer wieder die Frage, wie ein ‚Verstehen-Lassen‘ möglich ist, wenn doch ‚verstehen‘ sich bei Rezipienten auf der Grundlage von deren Interessen, Vorurteilen, Wertvorstellungen, etc. generieren lässt. Spuren, Spurenlegen und Spuren erkennen verweisen in diesem Sinne stets auf ein zugrundeliegendes rhetorisches Grundproblem. Die Lösungen, die die rhetorische Theorie für das ‚Verstehen-Lassen‘ bereithält, stehen damit in einem – strukturell – engen Zusammenhang zu den Lösungen, die der Designer finden muss, um Zeichen so zu inszenieren, dass sie als

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Spuren interpretiert werden können und damit handlungsleitenden Einfluss auf Menschen in Orientierungsfragen zugesprochen bekommen. Ist die Frage nach den Mitteln und Möglichkeiten der Lenkung der Ausrichtung der Orientierung anderer gestellt, so ist damit eine Frage der Designrhetorik formuliert. Fantomas durchläuft in diesem Sinne, wenn er sich anschickt, falsche Spuren zu legen, alle relevanten Fragestellung der rhetorischen Theorie: Mit welcher Interessenlage habe ich es wahrscheinlich in der Tatortsituation zu tun, wer ist mein Zielpublikum, worauf achten meine Gegenspieler (intellectio), wo finde ich die Ziele, auf die meine gelegten Spuren weisen sollen (inventio), welche Mittel stehen mir zur Verfügung und wie werden diese wahrscheinlich interpretiert, wie schaffe ich es im Sinne einer dissimulatio artis, die falschen Spuren als unbeabsichtigt erscheinen zu lassen (elocutio), wie drapiere ich die falschen Spuren im Raum (dispositio)? Wenn es aber möglich ist, von einem rhetorischen Standpunkt aus die Frage nach dem erfolgreichen Legen falscher und irreführender Spuren zum Zwecke der Desorientierung zu stellen, so ist offensichtlich, dass es auch möglich sein muss, die Frage nach dem erfolgreichen Legen zielführender Spuren zum Zwecke der Orientierung zu stellen. Fragen der Orientierung in der Großstadt sind demnach – zumindest auch – Fragen der Rhetorik an den Designer und einige Impulse sind wohl auch umgekehrt zu erwarten, wenn nämlich Fragen der Orientierung in der Großstadt verstanden werden als Fragen des Designers an die Rhetorik. In dieser Weise ist die komplementäre Anlage der Arbeiten als ein Beitrag zu einer Rhetorik der Orientierung zu verstehen, die versucht, eine rhetoriktheoretische Systematik zu entwickeln, um Designprodukte in ihrer Orientierungsfunktion analysieren zu können. Es geht folglich um strategische, visuelle Kommunikation in urbanen Kontexten, die in sichtbaren, gestalteten Zeichenkomplexen zum Ausdruck kommt, welche dem Rezipienten persuasive Identifikationsangebote machen und auf diese Weise Einfluss auf dessen Orientierung nehmen. In diesem Zusammenhang wird über die Richtung dieser Einflussnahme (Affirmation und Subversion) ebenso zu reden sein wie über den Akt des Zeigens und die Indienstnahme rhetorischer Mittel vor allem im Sinne von Funktionalität und Neutralität. Bevor das Verhältnis dieser Begriffe besprochen werden kann, soll zuvor der Gegenstandsbereich umrissen werden, der in beiden Bänden durchweg mit dem Begriff ‚Design‘ bezeichnet wird. Dabei wird insbesondere auf den Status der hier verwendeten Beispiele näher einzugehen sein. 2.2 Orientierungsdesign Der Begriff Design ist, wie in nahezu allen Einführungen zu lesen ist, weder ein Begriff zur Kennzeichnung eines fest umrissen Gegenstandsbereiches noch einer klaren

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Methode. Die Autoren des Wörterbuch Design, Michael Erlhoff und Tim Marshall, schreiben zum Stichwort Design ganz offen: „Auf die Gefahr hin, die Leserinnen und Leser zu enttäuschen, müssen wir doch sehr offen eingestehen: Ausgerechnet für die zentrale Kategorie dieses Wörterbuchs gibt es keine allgemein gültige Definition – eben für Design. Schon über den Anfang von Design existiert ebenso heftiger Streit wie darüber, was denn Design sei und was es nicht sei.“14

Wie Arne Scheuermann in diesem Sinne weiter betont, kann von auch einer „methodisch gesicherten Wissenschaft mit dem Namen Designtheorie […] bis heute eigentlich noch nicht gesprochen werden.“15 Vor diesem Hintergrund soll hier nicht der Versuch gemacht werden, den Begriff Design zu definieren – im strengen Sinne einer Substitutionsregel –, sondern lediglich die Verwendung des Begriffes in der Arbeit legitimiert werden. Mit dem Begriff Design werden gleichermaßen die gestalterischen Prozesse wie die gestalteten Produkte bezeichnet, was Scheuermann als eine kulturelle Praxis versteht, an der „zugleich die Gesellschaft und einzelne Akteure wie Objekte und Pragmatiken beteiligt sind: Gestalter, Rezipienten und gestaltete Objekte sind genauso wie der Prozess des Gestaltens selbst Teil von ‚Design‘.“16 Eine rhetorische Theorie des Designs kann demnach wenigstens zwei Gegenstandsbereiche in den Blick nehmen: Den Prozess der Gestaltung, der dann als rhetorischer Prozess verstanden wird und der dann, etwa in Form der rhetorischen Produktionstheorie, versuchsweise erklärt werden kann;17 und das Produkt der Gestaltung, welches durch eine designrhetorische Theorie auf sein persuasives oder zur Identifikation einladendes Potential hin analysiert werden kann. Beide Aspekte werden in einer rhetorischen Theorie schließlich aufeinander bezogen, insofern sich aus der Analyse mögliche Strategien und Heuristiken entwickeln lassen, die dem strategischen Prozess wieder zugeführt werden können. Obgleich allerdings beide Richtungen, Prozess- wie Produktrhetorik, eng aufeinander bezogen sind und insbesondere letztere ihren rhetorischen Wert eben nicht nur darin hat, ein Interpretationsinstrument zu liefern, sondern auch Strategien der Praxis oder für die Praxis zu entwickeln, lassen sich rhetorisch inspirierte Theorien dennoch – mehr oder weniger klar – einer der beiden Richtungen zuordnen. Der Unterschied besteht – stark vereinfacht – beispielsweise darin, ob eine Theorie den Designprozess untersucht und diesen an Beispielen der jeweiligen Teilprozesse bespricht, auf die unterschiedlichen stakeholder eingeht, prozessuale Kommunikationsprobleme in den Blick nimmt oder etwa den mannigfachen Wechsel der 14 Erlhoff, Michael; Marshall, Tim: Wörterbuch Design. Begriffliche Perspektiven auf Design. Basel 2008. S. 87. 15 Scheuermann, Arne: Zur Theorie des Filmemachens. München 2009. S. 13. 16 Ebd. S. 17. 17 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel III und IV.

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orator-Instanzen in arbeitsteiligen Prozessen thematisiert und so schließlich auf Produkte und Teilergebnisse zu sprechen kommt, oder ob eine Theorie das Produkt in seiner Beziehung zum Rezipienten und umgekehrt in den Mittelpunkt stellt, Wirkungen thematisiert und von da aus die potentiellen Rückschlüsse zu einem rhetor zulässt. Der Band Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation thematisiert zwar ausführlich den Designprozess als rhetorischen Prozess, nicht zuletzt um daraus auch Instrumente der Analyse zu gewinnen, fokussiert aber, wie auch der vorliegende Band, vor allem auf den Bereich der Produkte, der visuellen Zeichenkomplexe, die dem Betrachter sichtbar und bisweilen orientierend zur Verfügung stehen. Die Produkte, von denen hier zu sprechen sein wird, werden in der Arbeit – wenn sie nicht genauer bezeichnet werden – als Designprodukte angesprochen. Folgt man den Unterscheidungen der diversen Designdisziplinen, so handelt es sich bei diesen Produkten um eine höchst heterogene Zusammenstellung: Darunter finden sich Produkte vor allem aus den Designbereichen urban design, urban planning, Signaletik, Informationsdesign, Kommunikations- und Werbedesign. Dazu kommen Produkte, die üblicherweise gar nicht als Designprodukte bezeichnet werden wie Graffiti, Street-Art und Elemente sogenannter Kommunikationsguerilla.18 Diese Produkte werden weder durch einen bestimmten Urheberkreis geeint noch durch ein einheitliches Ausdrucksrepertoire. Was diese unterschiedlichen Produkte allerdings gemeinsam haben, ist, dass sie sichtbare Kommunikationselemente sind, die in der vorliegenden Arbeit bezüglich ihres persuasiven Potentials in Orientierungszusammenhängen untersucht werden; sie sind zugleich Elemente, die sowohl im urbanen Raum fixiert sind als auch den sie umgebenden urbanen Raum thematisieren, verändern, erklären, durch diesen führen, etc. Gegenstand der Untersuchung sind also vor allem visuelle Elemente in erkennbarer Orientierungsfunktion, die sich im urbanen Raum fixiert finden und für diesen Zweck – wenigstens mutmaßlich – auch so gestaltet wurden, wie sie gestaltet wurden; und genau aufgrund dieser ‚wirkungsintentionalen Gestaltetheit‘ werden sie auch allesamt als Designprodukte bezeichnet. Die über 250 Abbildungen, die die Grundlage der Untersuchung beider Bände bilden und in diesen besprochen werden, zeigen vornehmlich Produkte in diesem Sinne. Zum Status dieser Abbildungen sind noch zwei Aspekte zu betonen: Zum einen die epistemische Rolle der konkreten Designprodukte in und für diese Arbeit und zum anderen die Auswahl der gezeigten Produkte. Zur epistemischen Funktion der Abbildungen: Die beiden Bände bilden einen theoretischen Fundierungsversuch, der aus rhetorischer Perspektive Designprodukte (und Prozesse) in den Blick nimmt. Als eine Theorie gilt für diese Arbeiten, was wohl für alle Theorien gilt: Sie sind Werkzeuge, um Ähnlichkeiten da sehen zu lassen, wo diese bislang nicht oder nicht in einem bestimmten Sinne gesehen wurden und ebenso 18 Auf Graffiti, Street-Art und Kommunikationsguerilla wird an anderer Stelle ausführlich eingegangen. Vgl. Smolarski 2017.

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um Unterschiede da zu betonen, wo auch diese bislang keine oder nicht hinreichende Aufmerksamkeit erregten. In klassischen Begriffen ausgedrückt sind Theorien Werkzeuge des Witzes und des Scharfsinns. Als ein Werkzeug ist damit eine Theorie weder wahr noch falsch, sondern allenfalls zu unterschiedlichen Zwecken in unterschiedlichen Graden nützlich. Ein wesentliches Mittel, um die Nützlichkeit einer entwickelten Theorie zu zeigen, ist es, ihre Anwendbarkeit exemplarisch vorzuzeigen. Das exemplum dient in diesen Zusammenhängen also stets zwei Funktionen: Zum einen soll das exemplum helfen, komplizierte theoretische Sachverhalte sichtbar vor Augen zu stellen (evidentia) und damit die Verständlichkeit zu erhöhen, zum anderen wird das exemplum hierbei aber auch zum ersten, vorgeführten Anwendungsfall, der, wenn das exemplum überzeugend gewählt ist, zumindest zu garantieren vermag, dass das theoretische Unterscheidungswissen nicht in Spitzfindigkeiten und leeren Mengen mündet. Auf diese Weise ist ein wesentlicher Schritt getan, um die Nützlichkeit des theoretisch entwickelten Analyseinstruments glaubwürdig behaupten zu können – auch wenn diese Behauptung sich erst im daran anschließenden offenen Diskurs durchsetzen können muss. In eben dieser Weise sind die Abbildungen und Beispiele in beiden Arbeiten zu verstehen. Zur Auswahl: Die Mehrzahl der Bilder ist vom Autor im Rahmen seiner dreijährigen Recherche selbst aufgenommen worden und zeigt weniger die auf dem Gebiet dessen, was man als Orientierungsdesign bezeichnen könnte, gestalterisch herausragenden Produkte als vielmehr bewusst das, was sich so oder ähnlich wohl in vielen Städten finden ließe. Es geht im Folgenden nicht oder wenigstens nicht primär um das, was gestalterisch möglich ist, sondern eher um das, was gestalterisch alltäglich zu sein scheint. Die in den Arbeiten gezeigten Produkte sind ebenso wie die Städte, in denen sie installiert sind, mehr oder weniger austauschbar und dienen ausschließlich der Illustration und der exemplarischen Anwendung des zu entwickelnden Anaylseinstrumentariums. Die Auswahl konzentriert sich auf die Abbildungen, die der zu illustrierenden Idee prototypisch vorstehen könnten und an denen sich demnach besonders gut zeigen lässt, was zu zeigen beabsichtigt ist. Da die meisten Abbildungen an lediglich einer konkreten Stelle im Text diesen Zweck erfüllen müssen, wurde bei der Gestaltung der Arbeiten von einem Abbildungsanhang Abstand genommen und im Sinne der Leserfreundlichkeit werden die Abbildungen dort präsentiert, wo sie gebraucht werden.19

19 Zwei Anmerkungen zur Schreibweise: Alle fremdsprachlichen Ausdrücke (wie etwa ethos, inventio oder place-making) werden, insofern sie nicht in den deutschen Wortschatz eingegangen sind (wie etwa Graffiti oder Imagekampagne) klein geschrieben. Auch die im Verlauf der Arbeit häufig vorkommende Formulieren ‚etwas als etwas‘ wird klein geschrieben.

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2.3 Orientierung: Subversion, Affirmation, Neutralität und Zeigen Wenden wir uns noch einmal dem Begriff der Orientierung zu. Wenn im Weiteren die rhetorischen Dimensionen von Designprodukten, die eine wirkungsintentionale Orientierungsfunktion erfüllen oder erfüllen sollen, herausgestellt werden und hierzu eine Systematik einer rhetorischen Analyse entwickelt, vorgestellt und an Beispielen erprobt werden soll, dann gilt es, wichtige Begriffe aus diesem Zusammenhang und deren Verbindung vorweg kurz einzuführen. Von Orientierung wird im Weiteren vor allem in Bezug auf Aspekte gesprochen, die in folgenden fünf Begriffen kulminieren: place-making, Zeigen, Subversion, Affirmation und Neutralität. Diese auf den ersten Blick womöglich heterogene Zusammenstellung von Begriffen gilt es hier zunächst zu rechtfertigen. Für diese Rechtfertigung ist folgende Grundidee tragend: Orientierung im urbanen Raum meint neben der Fähigkeit, aufgrund von Hinweisen das Labyrinth der Stadt sicher und zielführend durchqueren zu können, eben auch die Fähigkeit, sich aufgrund einer ‚Lektüre der Umgebung‘ sicher zu ‚verorten‘. Eng mit der Frage nach der Orientierung hängen demnach die Fragen nach dem Wohin (im urbanen Labyrinth) und gleichermaßen Fragen nach dem Worin zusammen. Insbesondere die Fragen nach dem Worin sind Fragen, die sich auf das Erkennen dessen beziehen, was unter anderem in der phänomenologisch ausgerichteten Stadtforschung als genius loci bezeichnet und was – unter einem gestalterischen Blickwinkel – mit dem Begriff place-making ausgedrückt wird. Vereinfacht gesagt geht es bei Fragen des place-makings um Strategien und Heuristiken, Orte so zu gestalten, dass diese für ein Zielpublikum mit einem handlungsweisenden Charakter verbunden werden und so Orientierung ermöglichen. Ist also nach der rhetorischen Dimension von Orientierungsdesign im urbanen Raum gefragt, so müssen eben auch die Möglichkeiten diskutiert werden, durch Raumgestaltung orientierend zu wirken. Durch die erfolgende Auseinandersetzung mit dem Konzept des place-makings wird in dieser Weise insbesondere dem urbanen Raum und seinen Orten Rechnung getragen. Mit dem Begriff des Zeigens ist ein Akt benannt, der in Orientierungszusammenhängen als basal gelten kann: sei es die Richtung, die einem gezeigt wird oder die Bedeutung eines Ortes, das angemessene Verhalten oder ein Punkt auf einer Karte als mein Standort, mein Reiseziel, Attraktion, usw. Der Akt des Zeigens ist dabei vielschichtig, und von einer rhetorischen Analyse des Zeigens kann erwartet werden, dass sie dieser Vielschichtigkeit Rechnung trägt und deutlich herausstellt, auf welchen Ebenen der Zeigeakt operiert, welche rhetorischen Mittel zur Verfügung stehen, aber auch, wie und warum Zeigeakte scheitern können. Dass Zeigen ein basales Thema des Designs ist, braucht an dieser Stelle nicht eigens thematisiert zu werden; Zeigeakte sind nicht nur die Basis von Leit- und Orientierungssystemen in weiten Teilen des Informationsdesigns und Kommunikationsdesigns: Zeigen ist darüber hinaus

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eine Grundhandlung, von der letztlich auch jede rhetorische Bildtheorie ihren Ausgang nehmen muss. Die tragenden Begriffe des Bandes Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation betonen zwei wesentliche Verhaltensweisen, die insbesondere bei der Orientierung an Anderen und deren Hinweisen tragend sind. Vereinfachend kann gesagt werden, dass Orientierungsdesign in der Regel auf ein affirmatives Verhalten setzt und von diesem überzeugen muss, sei es qua Autorität oder durch die Betonung besonderer Einsichtigkeit (ethos), sei es durch einen emotiven Appell (pathos) oder durch Angabe sachlicher Gründe (logos). Subversive Momente hingegen stellen eine Herausforderung für Orientierungsprozesse dar, da sie beispielsweise gängige Muster und gewohnte Abläufe stören und pervertieren. Insofern es dabei aber selbst wieder um Überzeugungsprozesse geht, wird bei der Gestaltung auch von subversiven und vermeintlich subversiven Designprodukten (Graffiti, Street-Art, Kommunikationsguerilla) wiederum auf affirmative Momente gesetzt werden müssen. Gleichzeitig können auf Affirmation zielende Gestaltungen von subversiven oder vermeintlich subversiven Elementen profitieren, da diese leichter die Aufmerksamkeit erregen. Über Subversion lässt sich demnach nur im Kontext der Affirmation und über Affirmation nur im Zusammenhang mit Subversion sprechen, beide Momente sind aber gleichermaßen tragend in Fragen der Orientierung. Zum Begriff der Neutralität gilt es eines vorweg zu sagen: Neutralität wird als Wirkungsfunktion verstanden, was insbesondere heißt, dass es nichts geben muss, was – in welchem Sinne auch immer – wirklich neutral ist, es reicht, dass etwas neutral wirkt. Die grundlegende Verbindung zwischen Orientierung und Neutralität wird – vereinfachend – darin deutlich, dass Designprodukte, die in ihrer Funktion als Wegweiser, Orientierungshilfen, Regulatoren oder schlichtweg Informationsmaterial verstanden werden und allein aufgrund der ihnen unterstellten Funktionalität wahrgenommen und benutzt werden, häufig als neutral empfunden werden. Umgekehrt gilt aber auch: Für die Gestaltung beispielsweise von Abfahrtsplänen von Zügen, kartographischen Informationen oder Wegweisern kann es eine die Funktionalität unterstützende Strategie darstellen, Neutralität als intendierte Wirkung zu inszenieren. Der Begriff der Neutralität bezeichnet freilich nicht die einzige Wirkungsfunktion der Designprodukte, die im Weiteren diskutiert werden soll, bedarf aber dennoch einer gewissen Sonderstellung: Zum einen, da eine Rhetorik der Neutralität ein Oxymoron zu sein scheint. Immerhin scheint Neutralität sowohl der Agonalität der Rhetorik zuwiderzulaufen als auch der notwendigen Parteilichkeit rhetorischer Bemühungen. Dass es sich hierbei nur um einen scheinbaren Widerspruch handelt, wird deutlich, wenn man Neutralität genauer untersucht. Dann – und damit kommen wir zum zweiten Punkt, der eine Sonderstellung nötig macht – zeigt sich der Facettenreichtum auf Neutralität setzenden Designs. Allem anderen voran hängt Neutralität in Orientierungszusammenhängen eng mit diversen Formen von Funktionalität der Gestaltung

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zusammen. Als intendierte Wirkungsfunktion ist Neutralität – insbesondere im Informationsdesign – ein wirkmächtiges Instrument, um logos-Aspekte der rhetorischen Wirkung von Design mit spezifischen ethos- und pathos-Dimensionen zu verbinden.

3. Z IELE

DER

ARBEIT

In Anlage und Argumentation versucht die Arbeit verschiedene Ziele zu erreichen, bestimmte Thesen zu vertreten und Beiträge zu Theoriediskussionen in bestimmen Bereichen zu leisten. Diese Ziele, Thesen und Beitragsbereiche sollen hier schlagwortartig genannt sein, wobei der Reihenfolge dabei keine wertende Gewichtung entspricht. Die Ziele dieser Arbeiten sind nach den Theoriefeldern geordnet, in denen sie sich verorten lassen. In diesem Sinne wird klar, dass die Arbeit einen Beitrag vor allem zur Rhetoriktheorie leisten soll, darüber hinaus aber auch zur Bild-, Designund Stadttheorie. 3.1 Rhetoriktheorie I: Visuelle Rhetorik Ziel beider Bände ist es, einen Beitrag zur visuellen Rhetorik zu liefern. Die Rhetorik als Methode ist, wenngleich stets auch visuelle Elemente thematisiert wurden, vor allem eine Theorie der Rede und des Textes. Das begriffliche Repertoire der klassischen und auch der modernen Rhetoriken entfaltet seine Wirkung und sein Beschreibungspotential unbestritten da, wo es darum geht, durch den strategischen Einsatz von Sprache, Einfluss auf Denk- und Handlungsweisen oder Einstellungen Anderer zu nehmen. Der Versuch einer visuellen Rhetorik liegt generell darin, dieses Beschreibungspotential auf persuasive Prozesse allgemein auszudehnen, und damit eben insbesondere auch auf den Bereich visueller Kommunikation. Der Grundgedanke der Arbeit ist es, dass, wenn eine Methode wie die Rhetorik, die nicht primär für visuelle Phänomene konzipiert wurde, auf einen Gegenstandsbereich wie Design übertragen wird, weder die Methode noch der Gegenstand bleiben kann, was er war. Das heißt: Wer lediglich die bestehenden Rederhetoriken auf Visuelles überträgt, läuft Gefahr, zum einen ein womöglich genuin visuell-rhetorisches Vermögen zu übersehen und zum anderen das Visuelle zu versprachlichen. Rhetoriktheorien dieser Art leisten in meinen Augen kaum einen Beitrag zur visuellen Rhetorik, da sie sich nicht genügend auf die Gegenstände einlassen. Auf der anderen Seite müssen auch die Gegenstände sich unter einem veränderten methodischen Zugriff ändern, oder genauer: die Wahrnehmung und Einschätzung bestimmter Potentiale muss sich ändern oder zumindest potentiell ändern lassen können. Eine rhetorische Theorie, deren Einschätzung der Potentiale ihrer visuellen Untersuchungsgegenstände sich nicht durch den methodischen Zugriff ändert oder ändern können lässt, läuft Gefahr, die

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Stärken der eigenen Methode nicht ausgeschöpft zu haben und leistet daher kaum einen Beitrag zur visuellen Rhetorik. Das mit der Arbeit verbundene Ziel ist es, beiden Gefahren zu widerstehen und damit tatsächlich einen Beitrag zur visuellen Rhetorik leisten zu können. Dass dieser Beitrag nicht mehr sein kann als ein Vorschlag zur Systematisierung, der exemplarisch vorgeführt wird, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, ist sicherlich klar. Ein Beitrag zur visuellen Rhetorik, wie er hier verstanden werden soll, besteht darin, ein begriffliches Unterscheidungswissen zu entwickeln und zu erproben, das den Anspruch hat, bestimmte Facetten vorrangig visueller Persuasion oder Identifikation aufzeigen zu können. 3.2 Rhetoriktheorie II: Rhetorik der Orientierung Im Laufe beider Bände werden Aspekte der rhetorischen Dimensionen entwickelt, die mit den Begriffen Orientierung, place-making, Zeigen, Subversion, Affirmation und Neutralität verbunden sind. Keiner dieser Begriffe hat bislang einen nennenswerten Stellenwert im rhetorischen Theoriegebäude. Ein Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, dass diese Begriffe und die damit verbundenen Aspekte und Bereiche des öffentlichen Lebens durchaus mehr Beachtung verdienen könnten. En passant versucht die Arbeit einen Beitrag zu leisten, eine mögliche Rhetorik der Orientierung zu entwickeln, die insbesondere im urbanen Raum eng verbunden ist mit den oben genannten Begriffen. Besonders place-making, Subversion, Affirmation und Zeigen sind Aspekte einer rhetorischen Theorie, die sich immer auch als eine Handlungs- und Sozialtheorie versteht und der Begriff der Neutralität kann in einer rhetorischen Theorie, zu der er nur scheinbar quer steht, als Beitrag verstanden werden, Rhetorik als eine kulturkritische Theorie zu betreiben. In einer weiter gefassten These, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit übersteigt, kann gesagt werden, dass Orientierung zu einem Grundkonzept der Rhetorik gehört und dass gleichermaßen Rhetorik ein Kernaspekt alltäglicher Orientierungsprozesse darstellt. Auch wenn diese These nicht in der Form Thema der Arbeiten ist, so verweisen selbige doch in genau diese Richtung. 3.3 Rhetoriktheorie III: New Rhetoric – Kenneth Burke Das beiden Bänden zugrundeliegende Rhetorikverständnis, in welches ausführlich im jeweiligen Kapitel II eingeführt wird, unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten vom klassischen Rhetorikmodell oder den rhetorischen Modellen, wie sie etwa derzeit in Tübingen, beispielsweise durch Joachim Knape, vertreten werden. Die Unterschiede resultieren aus einer starken Anknüpfung an einen Rhetoriktheoretiker des 20. Jahrhunderts, der im deutschsprachigen Raum kaum rezipiert wird, des-

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sen zentrale Werke nicht ins Deutsche übersetzt sind und dessen Theorieentwurf hierzulande auch nirgends an zentraler Stelle angewendet wird: Kenneth Burke.20 Dabei entwirft Burke einen Zugang zu Fragen der Rhetorik, der durch die zentralen Begriffe Motiv, Situation und symbolische Handlung gekennzeichnet ist und das Streben nach Identifikation zur rhetorischen Grundbedingung erhebt, der es erlaubt die rhetorische Theorie als Handlungs- und Sozialtheorie zu verstehen – und das in einem weitaus größerem Rahmen als es die klassischen Modelle tun. Es sei in diesem Zusammenhang hier lediglich angemerkt, dass Theoretiker wie Erving Goffman21 oder auch Herbert Blumer22 sich von den Theorien Burkes und dessen Konzept des Dramatismus stark haben beeinflussen lassen. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere das Methodenkapitel auch als eine Einführung in die rhetorische Theorie Burkes zu verstehen und kann damit vielleicht einen Beitrag leisten, dem Werk dieses Rhetorikers auch im deutschsprachigen Raum zu mehr Bekanntheit zu verhelfen. 3.4 Designtheorie: Designrhetorik Thema und Kern vor allem des Bandes Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation ist die Entwicklung einer rhetorischen Theorie des Designs. Dass diese im Rahmen dieser Arbeit nicht als allgemeine Theorie entwickelt werden kann, sondern die nötige Tiefe nur erreicht, wenn sie sich auf einen bestimmten Bereich beschränkt, ist klar. Dieser Bereich ist vor allem durch die Frage nach den rhetorischen Potentialen von Orientierungsdesign und der Eingrenzung auf im urbanen Raum fixierte Elemente bestimmt. Innerhalb dieses Bereichs aber wird der Anspruch erhoben, einen umfassenden und konsistenten Vorschlag zur Systematisierung rhetorischer Wirkungsdimensionen und Strategien zu Erreichung derselben machen zu können. Die Arbeit problematisiert in diesem Zusammenhang zunächst vor allem die Frage nach der Analogie von Designprozessen und rhetorischen Prozessen und versucht – vorerst auf Prozessebene – zentrale Kategorien einer möglichen Designrhetorik vorzustellen. Sie kann dabei an eine Reihe rhetorisch inspirierter Theorien des Designs und natürlich an klassische rhetorische Modelle anknüpfen, modifiziert diese zum Teil oder entwirft eigene Kategorien als Übertragungsleistung aus anderen Wissenschaftsdisziplinen wie etwa Philosophie, Literaturwissenschaft, Linguistik, Semiotik oder Psychologie. Der weitere Fortgang der Arbeit baut auf diesen Kategorien auf und versucht, für bestimmte Teilbereiche gezielt die Frage nach den 20 Ich möchte an dieser Stelle Temilo van Zantwijk dafür danken, dass er mich mit den Schriften Burkes konfrontierte. 21 Vgl. Goffman, Erving: Wir spielen alle Theater. Selbstdarstellung im Alltag. München 2013. 22 Vgl. Blumer, Herbert: Symbolischer Interaktionismus. Aufsätze zu einer Wissenschaft der Interpretation. Berlin 2013.

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strategischen Potentialen zu stellen, die in bestimmten Produkten umgesetzt sind oder zumindest umgesetzt zu sein scheinen. Es gilt mit eben dieser Arbeit, einen Beitrag zu leisten, den Spalt zu überbrücken zwischen Praxishandbüchern und Ratgebern, die an Beispielen Strategien aufführen, ohne sie theoretisch zu fundieren, und Designtheorien, die allein auf der Ebene von Strukturanalysen operieren, ohne Strategiebereiche möglichen gestalterischen Handelns aufzuzeigen. Um zu helfen, diesen Spalt zu überbrücken, bedient sich die vorliegende Arbeit der Rhetorik als Methode und genau hierin ist dem Anspruch nach der Beitrag zur Designtheorie zu sehen: Es geht um die Entwicklung eines tragfähigen Analyseinstruments, das die Praxis und Fragen der Werkgenese dennoch im Blick behält und dessen Analyseergebnisse dieser Praxis wieder zugeführt werden. Eng mit dem eben erläuterten Ziel verbunden ist die Hoffnung, mit dieser Arbeit auch einen Beitrag für die Designpraxis leisten zu können. 3.5 Bildtheorie: Zeigen als rhetorischer Grundbegriff der Bildtheorie In der vorliegenden Arbeit ausführlich einzuführende Begriff des Zeigens wird als basaler rhetorischer Akt visueller Kommunikation herausgestellt. Es geht dabei klarerweise nicht um eine lose an die Sprechakttheorie anknüpfende Theorie des Bildaktes, wie sie etwa Horst Bredekamp entwirft.23 Nicht das Bild ist ein Handelnder, sondern der rhetor, der ein Bild zu kommunikativen Zwecken gebraucht, um damit etwas zu zeigen, was nichts anderes heißt, als etwas als etwas bestimmtes sehen zu lassen. Eben wie auch in der Sprechakttheorie nicht etwa davon ausgegangen wird, dass die Sprache selbst handeln könne, sondern dass durch das Sprechen Handlungen von intentionalen Wesen (etwa Menschen) vollzogen werden, so ist auch der Akt des Zeigens als eine, mithin strategische, Handlung von Menschen zu verstehen.24 Der im Laufe dieser Arbeit zu entfaltende Begriff des Zeigens und seine rhetoriktheoretische Fundierung kann einen Beitrag leisten für eine rhetorische Bildtheorie, die Phänomene visueller Kommunikation auch im Kontext beispielsweise von Malerei, Fotografie, Grafik, aber auch Performance untersucht. 3.6 Stadttheorie: Stadtrhetorik Zuletzt sei noch genannt, dass vor allem der vorliegende Band neben den Hauptbereichen Rhetorik und Design ebenso im Bereich der urban studies anzusiedeln ist. Es wird versucht, einen Beitrag zu leisten zu einer möglichen rhetorischen Untersuchung

23 Vgl. Bredekamp, Horst: Theorie des Bildakts. Frankfurt am Main 2010. 24 Vgl. Sprechakttheorie: Austin, John L.: Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart 1972.; Searle, John R.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt am Main 1983.

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der Stadt. Im Bereich des place-makings, was sicherlich als ein Kern einer potentiellen Stadtrhetorik anzusehen wäre, liefert die vorliegende Arbeit eine Grundlage, den designrhetorischen Einfluss vor allem von Beschilderungen, Leitsystemen, aber auch Graffiti und Street-Art auszuloten und zu systematisieren. Es werden Kategorien entwickelt und für die weitere Diskussion vorgeschlagen, die Strategien des place-makings nach rhetorischen Gesichtspunkten aufzubereiten. Freilich müsste für eine rhetorische Theorie des place-makings auch Architektur und urban planning stärker berücksichtigt werden und zudem ließe sich eine solche rhetorische Theorie auch nur als Handlungs- und Sozialtheorie vorstellen, die die Praktiken der Akteure im Raum ebenso als Größen des place-makings in den Blick nimmt. Wenn auch die Arbeiten diesen Bereich nicht ausschöpfen können, so liefern sie doch auch zu dem letztgenannten Punkt durch die Untersuchung subversiver und affirmativer Prozesse einen Beitrag.

4. F ORSCHUNGSSTAND : D ESIGNRHETORIK Historisch gesehen gilt, wie Gesche Joost in ihrem Überblicksartikel zum Design im Historischen Wörterbuch der Rhetorik betont, dass „die Wiederbelebung der rhetorischen Tradition im 20. Jh. in der New Rhetoric wie auch in der Allgemeinen Rhetorik als Grundlage der heutigen rhetorischen Designtheorie“25 angesehen werden kann. Genauer müsste gesagt werden, dass es sich hierbei freilich nicht um eine, sondern um verschiedene Wiederbelebungen handelt. Unter den vielen Versuchen, rhetorische Theorien zur – im weiten Sinne – kulturwissenschaftlichen Analyse von Artefakten und deren Herstellung (wieder) fruchtbar zu machen, seien hier nur drei erwähnt, denen eines im Kern gemeinsam ist: Die Überwindung der Vorstellung, wonach „Rhetorik nicht mehr ist als eine Stillehre oder eine Anleitung zur Vorbereitung oder Analyse von Reden. In Folge der New Rhetoric wird Rhetorik wieder in einem umfassenden Sinne verstanden, es werden die Grundlagen geschaffen, die Disziplin mit dem Diskurs anderer Wissenschaften wie Philosophie, Literaturwissenschaft und empirischer Sozialforschung zu verbinden und das Fach von der Fixierung auf die Antike zu befreien.“26

Zum einen wäre in diesem Zusammenhang auf die Nouvelle Rhetorique zu verweisen, die – vor allem verbunden mit den Namen Caim Perelman und Lucie Olbrechts25 Joost, Gesche: Design. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 216-228. Hier: Sp. 218. 26 Kramer, Olaf: New Rhetoric. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003. Sp. 259-288. Hier: Sp. 283.

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Tyteca – den Anschluss an die rhetorischen Theorien im Zusammenhang mit Fragen der Argumentation sucht und in deren Folge auch Argumentationstheorien wie etwa die von Stephen Toulmin anzusiedeln wären und deren Grundidee, rhetorische Figuren in ihrer argumentativen Funktion zu begreifen unter anderem von Jeanne Fahnestock aufgegriffen wurde.27 Zum anderen die anglo-amerikanische Rhetorikforschung, die unter den Begriffen New Rhetoric und New Criticism zusammengefasst wird, worunter sich durchaus verschiedene Formen der Wiederbelebung der antiken Rhetorik finden: Zu nennen wären in diesem Zusammenhang vor allem die sprachphilosophische und bedeutungstheoretische Arbeit von Ivor A. Richards und Charles K. Odgen, die mit The Meaning of Meaning oder The Philosophy of Rhetoric rhetorische Theorien aus der Verkürzung auf Stilfragen lösen und Fragen der Semantik in den Mittelpunkt stellen.28 Zu nennen wäre hier neben den Ansätzen der Allgemeinen Semantik und Richard M. Weavers29 vor allem die Forschungsarbeit Kenneth Burkes, der in zahlreichen Publikationen versucht, eine Methode rhetorischer Literaturkritik zu entwickeln, die es erlauben soll, auf der Ebene von Leitmotiven letztlich nicht nur Romane, sondern auch die Philosophiegeschichte und Aspekte des Religiösen zu verstehen.30 Eine zentrale Idee Burkes ist, dass die Struktur des Dramas sich auch auf alltägliche, soziale Situationsbeschreibungen gewinnbringend übertragen lässt und dass durch diese dramatistische Sichtweise letztlich auch Literatur zu einem „Equipment for Living“31 wird. Es sind insbesondere die Theorien Burkes, an die im Rahmen der vorliegenden Arbeit angeschlossen wird und die hierfür auch noch detailliert entwickelt werden.32 Schließlich sei auch die Allgemeine Rhetorik erwähnt, die in Tübingen institutionalisiert vor allem mit den Namen Walter Jens, Gerd Ue-

27 Vgl. Perelman, Caim; Olbrechts-Tyteca, Lucie: The New Rhetoric. A Treatise on Argumentation. Notre Dame 1969.; Toulmin, Stephen E.: The Uses of Arguments. Cambridge 2003.; Fahnestock, Jeanne: Rhetorical Figures in Science. Oxford 1999. 28 Vgl. Richards, Ivor A; Odgen, Charles K.: The Meaning of Meaning. A Study of the Influence of Language upon Thought and of the Science of Symbolism. New York 1962.; Richards, Ivor A.: The Philosophy of Rhetoric. Oxford 1965. 29 Zu den Ansätzen der Allgemeinen Semantik und Weavers siehe: Holocher, Hermann: Anfänge der New Rhetoric. Tübingen 1996. 30 Um nur einige zu nennen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit von zentraler Bedeutung sein werden: Burke, Kenneth: A Rhetoric of Motives. Berkeley 1969.; Burke, Kenneth: A Grammar of Motives. Berkeley 1969.; Burke, Kenneth: Language as Symbolic Action. Essays on Life, Literature and Method. Berkeley 1966.; Burke, Kenneth: Permanence and Change. An Anatomy of Purpose. Berkeley 1954. 31 Vgl. Burke, Kenneth: Literature as Equipment for Living. In: Ders.: The Philosophy of Literary Form. Berkeley 1973. 293-304. 32 Vgl. Kapitel II.

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ding und Joachim Knape verbunden ist. Dieser sogenannten Tübinger Schule entstammt auch das umfassende, von Ueding herausgegebene Werk Historisches Wörterbuch der Rhetorik, das auch für die vorliegende Arbeit ein zentrales Arbeitsmittel darstellt. Knape formuliert den Wissenschaftsanspruch der Allgemeinen Rhetorik wie folgt: „Die Rhetorik ist keine Naturwissenschaft, die sich mit Gesetzmäßigkeiten der materiellen Beschaffenheit unserer Welt befasst. Sie ist eine Verhaltens- oder Handlungswissenschaft, genauer: eine mit einzelmenschlicher Kommunikation befasste Handlungswissenschaft.“33 Wie sich schon durch diesen Kurzabriss der verschiedenen Wiederbelebungen der Rhetorik im 20. Jahrhundert andeutet, zeichnet sich kein eindeutiges Bild der Rhetorik ab und es müsste demnach im Grunde konsequent entweder von den Rhetoriken gesprochen werden oder klar die Position benannt werden, auf die im Einzelnen rekurriert werden soll. Dieser Pluralität der Rhetoriken korrespondiert notwendiger Weise eine Pluralität von rhetorischen Konzeptionen möglicher Designrhetoriken. Mehr noch: Selbst die Frage nach der Möglichkeit einer Designrhetorik wird immer wieder unterschiedlich beantwortet. Wenn Arne Scheuermann programmatisch festhält, dass die Beziehung zwischen Rhetorik und Design im Grunde klar sei, so weiß er selbst, dass die Uneinheitlichkeit dieser Beziehungssetzungen nicht zuletzt aus der wechselvollen Geschichte der Rhetorik, ihrem Verfall und ihrer Wiederbelebungen resultiert. Er schreibt mehr im Stile eines Programms als im Sinne einer Feststellung des Status quo: „Design ist per se rhetorisch verfasst, Kunstwerke der rhetorischen Epoche lassen sich im Gegenzug als Design beschreiben und die klassische Rhetorik lässt sich außerordentlich fruchtbar als frühe Designwissenschaft lesen und anwenden.“34 Einige der wichtigsten Ansätze zu einer rhetorischen Theorie des Designs sollen nachfolgend überblicksartig vorgestellt werden, wobei auch für diese Theoriebildung festzuhalten ist, dass eine umfassende rhetorische Theorie des Designs bislang nicht existiert und sich auch nicht aus der bloßen Summe der verschiedenen Ansätze ergibt. Festzuhalten ist auch, dass bei rhetorischen Theorien des Designs grosso modo drei Designbereiche prominent sind: Produktdesign, Kommunikationsdesign (und hier insbesondere: Werbedesign) und Film.35 Einen guten Überblick hierüber, wie auch zu verschiedenen Ansätzen einer möglichen Designrhetorik, bietet der Sammelband Design als Rhetorik, der von Arne Scheuermann und Gesche 33 Knape, Joachim: Allgemeine Rhetorik. Stuttgart 2000. S. 9. 34 Scheuermann, Arne: Wie beeinflusst die Rhetorik das Design und wie hat das Design die Rhetorik beeinflusst? In: Positionen zur Designwissenschaft. Hrsg. von Felicidad RomeroTejedor und Wolfgang Jonas. Kassel 2010. S. 190-192. Hier: S. 190. 35 In Bezug zur Filmrhetorik seien hier nur einige in jüngerer Vergangenheit dazu erschienene Texte genannt: Blakesley, David: The Terministic Screen. Rhetorical Perspectives on Film. Carbondale 2003. Joost, Gesche: Bild-Sprache. Die audio-visuelle Rhetorik des Films. Bielefeld 2008.Scheuermann, Arne: Zur Theorie des Filmemachens. München 2009.

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Joost 2008 herausgegeben wurde.36 Dieser stellt nicht nur eine wesentliche Grundlage des hier knapp zu umreißenden Forschungsstandes dar, sondern dient auch der vorliegenden Arbeit als Referenzgrundlage. Zwei der frühesten Ansätze im 20. Jahrhundert sind eng verbunden mit der hfg Ulm: Zum einen die visuell/verbale Rhetorik Gui Bonsiepes, der unter einem stark semiotischen Einfluss anfängt, eine Liste rhetorischer Figuren aus dem Kanon antiker Rhetoriken in den Bereich des Visuell-Verbalen zu übertragen.37 Ausgehend von Quintilians Unterscheidung von Gedanken- und Wortfiguren, die er semiotisch als syntaktische und semantische Figuren zu fassen versucht und in direkter Anknüpfung an die als klassisch geltenden fünf Produktionsstadien des rhetorischen Prozesses, konzentriert sich Bonsiepe auf das Stadium der elocutio. Für dieses allerdings scheint er sich nicht als Produktionsstadium zu interessieren, sondern als Einladung zur Analyse von Werbebotschaften. Der Katalog rhetorischer Figuren, den Bonsiepe entwickelt, ist als Analysewerkzeug für visuell-verbale Werbebotschaften zu verstehen. Durch die Konzentration auf rhetorische Figuren bleibt Bonsiepe allerdings auf Fragen des ornatus fixiert und entwickelt weder eine Prozessanalogie von Design und Rhetorik noch eine rhetorisch fundierte Theorie, die auch Fragen der intellectio, inventio oder dispositio thematisieren würde. Im Sinne einer Figurenrhetorik aber folgen Bonsiepe auch weiterführende Ansätze, wie etwa die von Sharon Helmer Poggenpohl, Charles Kostelnick, Hanno Ehses oder Christian Doelker.38 Zum anderen ist auch die Theorie der Produktsprache, wie sie der Alumnus der hfg Ulm Klaus Krippendorff entwickelt, als eine rhetorisch inspirierte Theorie des Designs zu verstehen.39 Krippendorff geht es vor allem darum, durch die Gestaltung dem Rezipienten einen Umgang mit dem Designinterface zu ermöglichen, der vom 36 Scheuermann, Arne; Joost, Gesche: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. In der dort angelegten kommentierten Bibliografie sind zudem auch Titel aufgeführt, auf die im Weiteren nicht eigens eingegangen wird. 37 Bonsiepe, Gui: Visuell-verbale Rhetorik. In: Ders.: Interface. Design neu begreifen. Mannheim 1996. S. 85-103. 38 Vgl. Poggenpohl , Sharon Helmer: Visual Rhetoric. An Introduction. In: Visible Language. 32,3/1998. S. 197-199. Kostelnick, Charles: Rhetorisches Gestalten. Zwischen Strategien wählen, sich dem Publikum anzupassen. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. S. 89-100. Ehses, Hanno: Rhetorik im Kommunikationsdesign. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Gesche Joost und Arne Scheuermann. Basel 2008. S. 107122. Doelker, Christian: Figuren der visuellen Rhetorik in werblichen Gesamttexten. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 71-112. 39 Vgl. Krippendorff, Klaus: The Semantic Turn. A New Foundation for Design. Boca Raton 2006.

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Stadium des Erkundens über das Erkennen schließlich zu einem vertrauten Umgang führt. Gestaltung, die diesen Weg fördert und hilfreich unterstützt, ist für Krippendorff dann auch „human centered design“40. Ein zentraler Aspekt hierfür ist die neben dem Einsatz rhetorischer Figuren in spezifischen Erkenntnisfunktionen auch die Kenntnis und der bewusste Einsatz von Affordanzen. Da auf diesen Aspekt im Band Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation detailliert eingegangen wird, soll hier lediglich eine summarische Darstellung genügen.41 James J. Gibson führt den Begriff der Affordanz im Zuge seiner Wahrnehmungstheorie ein und versteht darunter die Möglichkeit, an einem gegebenen Objekt unmittelbar dessen Handhabbarkeiten zu erkennen; sei es die ‚Drückbarkeit‘ eines Knopfes, die ‚Schließbarkeit‘ einer Tür oder ‚Werfbarkeit‘ eines Steins.42 Affordanzen sind im Grunde spezifisch visuelle rhetorische Figuren, die, in ihrer Erkenntnisfunktion vergleichbar mit Metaphern oder Analogien, als Erkenntnisinstrument eingesetzt werden können. Als solche spielen Affordanzen nicht nur in der Theorie der Produktsprache bei Krippendorff eine zentrale Rolle, sondern auch in nachfolgenden Designtheorien wie beispielsweise der Donald Normans, der Affordanzen weiter ausdifferenziert und ihnen ‚signifier‘ zur Seite stellt. Zur Erklärung schriebt er dazu: „Affordances determine what actions are possible. Signifiers communicate where the action should take place. We need both.“43 In seiner Replik auf einen Kommentar Krippendorffs zum Ansatz Richard Buchanans betont dieser, der einen explizit rhetorischen Ansatz zur Designtheorie vertritt, dass im Kontrast zu der grammatischen Designtheorie, wie sie seiner Meinung nach auch durch Krippendorff vertreten wird, es dem rhetorischen Ansatz um „eine neue Methode der Designforschung [, die den] Designschaffenden als einflussreichen Agenten des Wandels in unserer Welt“44 geht. Das Prinzip dieses Wandels meint Buchanan „in dem häufig falsch verwendeten Wort ‚Überzeugung‘ gefunden“45 zu haben. Er schreibt hierzu, dass er versucht habe, dieses Wort „von seinem degradierten Gebrauch in Marketing und Werbung, wo es oft die trickreiche Manipulation eines passiven Publikums bezeichnet, zu dem ursprünglichen Konzept von Invention und Disposition zurückzuführen.“46 Über die Theorie Krippendorffs schreibt er, diese sei ‚grammatisch‘ zu nennen, „da sie Sprache, Semantik, Elemente, Syntax und so 40 Vgl. Ebd. 41 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel IV. 42 Vgl. Gibson, James J.: The Ecological Approach to Visual Perception. New York 1986. 43 Vgl. Norman, Donald A.: The Design of Everyday Things. New York 2013. S. 14. 44 Buchanan, Richard: Buchanans Antwort auf Klaus Krippendorffs Kommentar. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Gesche Joost und Arne Scheuermann. Basel 2008. S. 77-79. Hier: S. 77. 45 Ebd. 46 Ebd. S. 77f.

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weiter betont“47; sie sei zwar „ebenfalls an Design als Kommunikation interessiert, doch sie [fokussiere] auf die Kommunikation selbst, auf das, was durch Produkte kommuniziert wird, und nicht auf die Prozesse der Invention und Disposition, die in deren Entstehung involviert sind.“48 In dieser Kritik zeigt sich bereits eine zentrale Unterscheidung, die zu treffen ist, wenn über Designrhetorik gesprochen wird: Zum einen kann eine rhetorische Theorie des Designs als Analyseinstrument von Designprodukten entwickelt werden, die in der Lage sein muss, Persuasions- und Identifikationsprozesse des Publikums mit und durch diese Produkte zu erklären. Zum anderen kann eine rhetorische Theorie als Produktionstheorie verstanden werden, die dem Designer vor allem Heuristiken und Topiken an die Hand gibt, die intendierten Bezüge von Produkt und Publikum erfolgreich zu gestalten. Auch wenn Produkt- und Prozessrhetorik in letzter Konsequenz stets zusammenkommen sollten und die eine auch wesentliche Beiträge zur anderen stiften können muss, so handelt es sich doch zunächst um unterschiedliche Foki. Buchanans eigener Ansatz, wie er ihn in seinem Aufsatz Declaration by Design entfaltet, setzt zunächst da an, Designprozesse als Argumentationsprozesse und Designprodukte als Argumente zu beschreiben.49 Zentral für sein Anliegen ist die Einführung der von ihm als Designargument bezeichneten Verschmelzung von Formgebung und Technologie. Solange, wie Buchanan betont, Design als losgelöst von Technologie und als ein dieser nachträglich Hinzukommendes verstanden wird, kann Design als nicht mehr aufgefasst werden als eine „zwar ästhetisch gesehen interessante, aber nebensächliche Kunstform, die sich leicht zu einem Marketingwerkzeug der Konsumkultur degradieren ließe.“50 Analog zur Degradierung der Rhetorik auf eine bloße Stilkunst, wenn von den rhetorisch verhandelten Inhalten abgesehen wird, muss für Buchanan auch der technologische Aspekt der Designprodukte als Gegenstand des Designs selbst betrachtet werden; und das heißt für ihn insbesondere als Gegenstand der Designargumentation. Zur Einführung dessen, was Buchanan als Designargument bezeichnet, bedient er sich der klassischrhetorischen Überzeugungsmittel ethos, pathos und logos und setzt die Argumentation durch Designprodukte mit diesen in Verbindung. Das technologische Argument ist als Teil der rhetorischen logos-Argumentation, die als solche immer auch anders ausfallen kann, eben nicht eine „vorgefertigte Botschaft“, die durch Design lediglich zu dekodieren und passiv zu übermitteln ist; es gilt für Buchanan: Die Lösungen der Technologen „sind immer Vorschläge, die jederzeit geändert oder anderen Ideen gegenübergestellt werden können. In diesem Sinne ist die Technologie Teil einer weiter 47 Ebd. S. 78. 48 Ebd. 49 Buchanan, Richard: Declaration by Design. Rhetorik, Argument und Darstellung in der Designpraxis. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Gesche Joost und Arne Scheuermann. Basel 2008. S. 49-73. 50 Ebd. S. 53.

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gefassten Designpraxis, einer Kunst des Denkens und Kommunizierens, die in anderen Menschen die verschiedensten Ansichten über das alltägliche Leben von Individuen und Gruppen evozieren kann.“51 Dieser Ansatz Buchanans spielt auch eine Rolle, wenn es darum geht, die Funktionalität einer Gestaltung als deren logos-Dimension in den Blick zu nehmen.52 Aus dem oben schon mit Bonsiepe erwähnten semiotischen Einschlag bei der Frage nach den rhetorischen Dimensionen des Designs ergibt sich ein eigener Theoriestrang, dessen Hauptgegenstände das Werbeplakat und die Werbeanzeige für Konsumgüter und ebenso auch das politische Wahlplakat darstellen. Dass es sich bei diesen Gegenständen um rhetorisch verfasste Bemühungen handelt, die darauf zielen, Einstellungen, Gefühle oder Handlungen der jeweiligen Zielgruppen zu beeinflussen, kann, so unterschiedlich auch die Auseinandersetzungen sein mögen, als der gemeinsame, unbestrittene Nenner nicht nur der theoretischen Modelle, sondern auch der Praxislehrbücher und Ratgeber gelten. Der Vielzahl der hierzu in diesem Sinne verfassten Bücher kann die nachfolgende Besprechung freilich nicht gerecht werden. Selbige dient folglich nicht der Vollständigkeit, sondern versucht lediglich, eine kleine Auswahl von Stationen dezidierter und expliziter rhetorischer Theoriebildung zu berücksichtigen. An dieser Stelle sei zuerst auf die Arbeit Roland Barthes verwiesen, der in Rhetorik des Bildes von 1964 eine Werbeanzeige des Unternehmens für Pasta ‚Panzani‘ analysiert und hierin exemplarisch drei Botschaften herausstellt.53 Was Barthes ‚Botschaften‘ nennt, sind im Grunde nicht einzelne Aussagen, sondern Aussageebenen, es sind strukturelle Ebenen, auf denen eine Vielzahl konkreter Botschaften angesiedelt sein können. Die Strukturanalyse Barthes‘, das gilt es hier zunächst festzuhalten, stellt freilich weder eine Rhetorik des Bildes noch eine Rhetorik der Werbeanzeige in einem umfassenderen Sinne dar. Vielmehr bleibt Barthes auf der basalen Ebene des Verhältnisses von sprachlichen und bildlichen Codes und nimmt weder im Sinne einer Prozessrhetorik Fragen der inventio oder dispositio in den Blick noch versucht er aus seiner Unterscheidung der Botschaftsebenen zu einer theoretisch fundierten Strategieanalyse zu kommen, die den Einzelfall (die Panzani-Werbung) überstiege. Gerade letzteres lässt sich aber auf der Basis von Barthes‘ Unterscheidungen realisieren.54 Einem etwas anders gelagerten, obgleich ebenso semiotisch inspirierten Zugang zum gleichen Gegenstandsbereich, der Analyse von Werbeanzeigen, wendet sich

51 Ebd. 52 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel VII. 53 Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes. In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Frankfurt am Main 1990. S. 28-46. 54 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel V.

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Umberto Eco zu.55 Eco untersucht die Register und Ebenen der Reklamecodes vor allem im Bereich des Visuellen und unterscheidet hierbei eine ikonische von einer ikonographischen und einer tropologischen Ebene. Insbesondere mit letzterer knüpft Eco explizit an eine rhetorische Tradition an und verweist in seiner knappen Besprechung auf Bonsiepes Figurenkatalog. Damit schließt sich Eco, wie er auch explizit betont, nicht dem Ansatz Perelmans an, der Tropen und Figuren vor allem in ihrer argumentativen Funktion und nicht bloß in ihrer ornatus-Funktion untersucht. Er schreibt: „Perelman trennt in seinem Traktat die Tropen nicht von den Argumenten, weil er sie ausschließlich als Instrumente der Beweisführung (mit rein persuasiven Zwecken) versteht. Uns erscheint es dagegen angebracht, sie, wie es die klassischen Rhetoriker taten, zu unterscheiden, eben wegen der ästhetischen Funktion, die die Tropen bekleiden wollen.“56

Genau diese ästhetische Funktion ist es laut Eco, die den rhetorischen und letztlich auch persuasiven Gehalt eines (Reklame-)Bildes ausmacht. Er hält fest: „Der ästhetische Wert des rhetorischen Bildes macht die Mitteilung persuasiv, wenn auch nur dadurch, dass er sie erinnerbar macht.“57 Eben hierin weiß sich Eco auch in Übereinstimmung mit der Auffassung klassischer Autoren, wie etwa Quintilian, der die Bedeutung rhetorischer Figuren insbesondere darin zum Ausdruck bringt, dass er die Abwechslung lobt, die durch diese erreicht wird.58 Und unter anderem, weil die Abwechslung erfreut (variatio delectat) und damit einen positiven emotionalen Wert erhält, kann sie auch besser memoriert werden. Als Klassiker im Bereich der Werbekommunikation kann die rhetorisch inspirierte Arbeit Werner Kroeber-Riels gelten. In Werbung – Steuerung des Konsumentenverhaltens legt Kroeber-Riel zusammen mit Gundolf Meyer-Hentschel 1982 den Versuch einer systematischen und wissenschaftlichen Analyse von Werbewirkungen vor.59 Die Unterscheidung in Aktivierungstechniken, emotionale Techniken und informative Techniken der Konsumentensteuerung nimmt – wenigstens implizit – die klassisch-rhetorische Unterscheidung der Überzeugungsmittel nach pathos, ethos

55 Vgl. Eco: Einige Proben: Die Reklame-Botschaft. In: Ders.: Einführung in die Semiotik. München 2002. S. 267-292. 56 Ebd. S. 270. 57 Ebd. 58 Vgl. Quint. Inst. Orat. IX,1,11. 59 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Meyer-Hentschel, Gundolf: Werbung – Steuerung des Konsumentenverhaltens. Würzburg 1982.

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und logos auf.60 Während die Arbeit der Autoren sich hier in erster Linie auf Anzeigenwerbung bezieht und dabei vor allem die sprachlichen Botschaften analysiert, wendet sich Kroeber-Riel in dem später erschienenen Buch Bildkommunikation dem strategischen Einsatz von Bildern zu Werbezwecken zu.61 Bereits durch die Wahl des Begriffs ‚imagery‘ versucht Kroeber-Riel die Wirksamkeit von Bildern als eigenes Untersuchungsfeld herauszustellen, denn er versteht unter imagery „die Entstehung, Verarbeitung, Speicherung und Verhaltenswirkung innerer Bilder“62 und konstatiert diesbezüglich: „Diese Vorgänge finden in einem eigenständigen Gedächtnissystem statt.“63 Zuletzt sei noch ein jüngerer Beitrag zur Werberhetorik genannt, den Isabelle Lehn mit ihrer Dissertation am Seminar für Allgemeine Rhetorik in Tübingen 2011 vorlegte.64 Lehn unternimmt in Rhetorik der Werbung den Versuch, die wesentlichen Konzepte der klassischen Rhetorik auf den Bereich der Printwerbung zu übertragen. Indem sie gleichermaßen die Konzepte des rhetorischen Prozesses der Werkgenese wie auch die der Werkanalyse übernimmt, scheint Lehn beiden Richtungen Rechnung tragen zu wollen. An der Arbeit Lehns aber ist deutlich ein Risiko zu erkennen, dem wohl alle theoretischen Fundierungsversuche des Designs unterliegen: Sie bedient sich des Begriffsapparates der klassischen Rhetorik und ordnet den vorrangig für die Rede entwickelten Konzepten diejenigen Bereiche des Werbedesigns zu, die darin aufzugehen scheinen, lässt aber andere Bereiche, die eine Veränderung des rhetorischen Gerüstes nötig machen würden, schlichtweg unangetastet. Für die gewaltigen Dimensionen, über die Lehn spricht, – allein zum ethos ließe sich eine eigene Arbeit schreiben – fallen ihre Diskussionen einfach zu kurz aus und werden nicht oder kaum von Beispielen getragen. Auf zwei Fragerichtungen, die für die Designrhetorik von Interesse sind und viele der bisher vorgestellten Beiträge auch flankieren, soll hier abschließend noch kurz verwiesen werden: Zum einen auf die vor allem bildwissenschaftlich fundierten Fragen nach einer Rhetorik des Bildes und zum anderen auf die Versuche, den Designprozess mit rhetorischen Konzepten zu systematisieren. 60 Die Autoren verstehen unter den emotionalen Techniken vor allem Techniken im Bereich des sozialen Kontakts und sozialer Akzeptanz. Es geht dabei häufig um das Werben mit Testimonials und Stereotypen und damit um deren Status und Prestige. Damit rückt die Kategorie der emotionalen Techniken bei den Autoren in die Nähe des ethos. (vgl. ebd. S. 99ff.) 61 Vgl. Kroeber-Riel, Werner: Bildkommunikation – Imagerystrategien für die Werbung. München 1993. 62 Ebd. S. 25. 63 Ebd. 64 Vgl. Lehn, Isabelle: Rhetorik der Werbung. Grundzüge einer rhetorischen Werbetheorie. Konstanz 2011.

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Die Fragen nach der rhetorischen Verfasstheit von Bildern, ihrem Einsatz in rhetorischen Prozessen und der daraus resultierenden Möglichkeit einer Bildrhetorik werden sehr unterschiedlich diskutiert und beantwortet. Einen guten Überblick über die Diversität dieser Diskussionen vermittelt der Sammelband Bildrhetorik, der von Knape 2007 herausgegeben wurde. Knapes eigene Position zu diesem Thema fasst er in „15 bildtheoretischen Kernpunkten“65 zusammen, die den Gegenstandsbereich einer rhetorisch interessierten Bildtheorie gegen andere Fragerichtungen abgrenzen sollen. Kurz zusammengefasst geht es Knape zwar ausdrücklich um Bilder als „ein kommunikatives Faktum“66, aber zugleich explizit nicht um den Gebrauch von Bildern, nicht um Farbenfragen oder andere Fragen der Gestaltung, nicht um Fragen des Zeichenvorrats visueller Ausdrücke, nicht um Formen der Abstraktion, nicht um Fragen des Erlernens des Umgangs mit Bildzeichen, nicht um die Produktion derselben, nicht um eine Theorie des Sehens, nicht um eine Methodologie der Bildinterpretation und schließlich auch nicht um Fragen der Ähnlichkeitsbeziehungen der visuellen Zeichen zum Dargestellten.67 Übrigzubleiben scheint hier wohl lediglich das, was Knapes Rhetorikverständnis zufolge den rhetorischen Fall kennzeichnen soll: „In den Vorgängen der Bildproduktion und der Bildinteraktion ist rhetorisches Handeln nur dann vonnöten, wenn Widerstände irgendwelcher Art zu überwinden sind. Im anderen Fall wäre rhetorischer Aufwand überflüssig. Eine bildrhetorische Analyse hätte unter dieser Voraussetzung auch zu untersuchen, auf welche Widerstände welche bildkommunikativen Mittel (im Sinne von Strategien der Widerstandsbearbeitung und der Minimierung von Verstehenskontingenz) justiert sind.“68

Knapes Widerstandsparadigma wird im Laufe der Arbeit noch ausführlich besprochen werden. Hier bleibt zunächst die Frage offen, auf welcher Grundlage Knape zu einer solchen Analyse kommen will, da er zuvor noch die Ebene der Bildinterpretation ebenso ausschloss wie den Bildgebrauch oder die kommunikativen Mittel (wozu durchaus auch Farbgebungen gehören können). Einen interessanten Ansatz zu einer Bildrhetorik, der auch im Laufe dieser Arbeit eine Rolle spielen wird, hat Lambert Wiesing im selben Band vorgelegt.69 Wiesings Ansatz geht von dem Faktum aus, dass jedes Bild, indem es etwas zeigt, immer auch

65 Knape, Joachim: Bildrhetorik. Einführung in die Beiträge des Bandes. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Ders. Baden-Baden 2007. S. 9-34. Hier: S. 11. 66 Ebd. S. 12. 67 Vgl. Ebd. S. 12-14. 68 Ebd. S. 16. 69 Vgl. Wiesing, Lambert: Zur Rhetorik des Bildes. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 37-48.

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zeigen muss, wie es dieses etwas zeigt. Jedes Bild, das ein Was der Darstellung beinhaltet, muss folglich auch ein Wie der Darstellung zur Anschauung bringen. Genau dieser Übergang von einem konkreten Was zu einem eher generellen Wie, zu dem, was Wiesing eine bildliche Sichtweise nennt, beschreibt für ihn die genuin bildlichrhetorische Dimension, die, obgleich es eine analoge Struktur in der Sprache gibt, sich doch nicht in einer bloßen Sprachanalogie auflösen lässt. In einem Kernsatz zusammengefasst schreibt Wiesing: „Wer mit einem Bild eine menschliche Sichtweise auf die Welt zeigen will, verlangt vom Betrachter immer den nicht legitimen Sprung vom Konkreten ins Allgemeine, von der Art zur Weise – und das geht nur rhetorisch.“70 Wiesing betont im gleichen Aufsatz auch eine für die Frage nach der Möglichkeit einer Bildrhetorik wichtige Unterscheidung. Dass Bilder nämlich in einem rhetorischen Zusammenhang wichtige Mittel darstellen können, kann als unbestritten gelten: Das ‚Blitzerfoto‘ ist in diesem Sinne ein Beweismittel, das Bild einer leicht bekleideten Frau in sexualisierter Pose vielleicht ein Werbeargument oder zumindest ein ‚Eyecatcher‘ und das Schockfoto ein Mittel zur Affekterregung. „So verbreitet die rhetorische Funktionalisierung des Bildes in der modernen Medienwelt auch ist, betrifft sie doch kein spezifisch bildliches Phänomen – und zwar aus einem einfachen Grund: Letztlich wirken in dieser Art der Verwendung nicht die Eigenschaften des Bildes, sondern die Eigenschaften der im Bild gezeigten Sache. Das Bild fungiert als ein leicht verfügbarer Ersatz für schwer verfügbare Ansichten und Einblicke. Das Bild ist in dieser Art der rhetorischen Begleitung ein bloßer Stellvertreter für die echte Ansicht, denn die Ansicht des realen Sachverhaltes könnte das Gleiche bewirken.“71

Wiesing leugnet durchaus nicht, dass die rhetorische Verwendung von Bildern (etwa zur Affektlenkung) große Möglichkeiten für den rhetorischen Erfolg einer Bemühung ausmachen kann, ihm geht es aber eher um die Frage nach einer Bildrhetorik, die spezifisch bildliche Phänomene in den Blick nimmt. Es ist zwar fraglich, ob es tatsächlich keinen Unterschied macht, ob das Abbild einer Sache oder die Sache selbst gezeigt wird (das Bild eines Terroranschlags mag uns entsetzen, aber ein realer Terroranschlag wird wohl noch andere Wirkungen hervorrufen), die Grundidee Wiesings aber lässt sich ausbauen zu einer gezielt einsetzbaren bildrhetorischen Strategie, eine Form bildrhetorischer Induktion.72 Eine zentrale Frage der diversen Ansätze zur Bildrhetorik ist stets die Frage nach der Möglichkeit visueller Argumentation. Aufgrund der Vielzahl der Autoren und der Nuancen ihrer Auseinandersetzung, seien hier nur einige Autoren genannt, die die Möglichkeit visueller Argumentation thematisieren. In diesem Sinne seien etwa 70 Ebd. S. 43. 71 Ebd. S. 37f. 72 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel V.

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folgende Arbeiten genannt: Martin Scholz Dissertation Technologische Bilder. Aspekte visueller Argumentation, Bernd Weidenmanns Wissenserwerb mit Bildern. Instruktionale Bilder in Printmedien, Film/Video und Computerprogrammen, oder Andreas Schelskes, der in Visuell kommunikatives Handeln mittels Bildern die Möglichkeit visueller Argumentation zurückweist, indem er auf die fehlende propositionale Struktur verweist.73 Eine zentrale Motivation für die Auseinandersetzung mit Fragen der visuellen Argumentation liegt vor allem darin, dass mit der Frage nach der Möglichkeit visueller Argumentation auch Fragen nach dem Einsatz visueller Mittel zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn oder deren wissenschaftlicher Kommunikation verbunden sind wobei unter Argumentation nahezu durchweg eine begründende, rationale Form der Überzeugung verstanden wird. So spitzen Klaus Sachs-Hombach und Maic Masuch ihren Aufsatz Können Bilder uns überzeugen? auf die Frage nach der Möglichkeit visueller Argumentation zu.74 In ihrer Diskussion der argumentativen Möglichkeiten von Bildern kommen die Autoren dann zum Schluss, „dass sich Bilder im Sinne von visuellen Argumenten zum einen zur Veranschaulichung von Begründungszusammenhängen eignen. Diese Funktion findet bereits seit langem in wissenschaftlichen Visualisierungen neben der eigentlichen visuellen Exploration statt. Sie leisten in dieser Funktion einen rhetorischen Beitrag, indem sie die Plausibilität der Begründungszusammenhänge steigern helfen. Bilder können zum anderen als visuelle Argumente auch einen eigenständigen Beitrag zur Begründung liefern, wenn sie komplexe Sachverhalte derart in schematischer Weise darstellen, dass sachliche Zusammenhänge, die in sprachlicher Form nur mittelbar nachvollziehbar sind, anschaulich und damit intuitiv einsehbar werden. Allerdings bedürfen visuelle Argumente hierbei zumeist eines klar bestimmten, in der Regel sprachlich vorgegebenen Kontextes.“75

Ebenso die Möglichkeit visueller Argumentation bejahend, wenngleich aus anderen Gründen, argumentiert auch J. Anthony Blair in The Rhetoric of Visual Arguments.76

73 Vgl. Scholz, Martin: Technologische Bilder. Aspekte visueller Argumentation. Weimar 2000. Weidenmann, Bernd: Wissenserwerb mit Bildern. Instruktionale Bilder in Printmedien, Film/Video und Computerprogrammen. Schelske, Andreas: Visuell kommunikatives Handeln mittels Bildern. In: Bildhandeln. Interdisziplinäre Forschungen zur Pragmatik bildhafter Darstellungsformen. Hrsg. von Klaus Sachs-Hombach. Magdeburg 2001. S. 149-158. 74 Vgl. Sachs-Hombach, Klaus; Masuch, Maic: Können Bilder uns überzeugen? In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 49-70. 75 Ebd. S. 67. 76 Vgl. Blair, Anthony J.: The Rhetoric of Visual Arguments. In: Defining Visual Rhetorics. Hrsg. von Charles A. Hill und Marguerite Helmers. Mahwah 2009. S. 41-61.

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Blair setzt sich in diesem Aufsatz vor allem mit den beiden Standardargumenten auseinander, die gegen die Möglichkeit visueller Argumentation ins Feld geführt werden: „There are two central reasons offered against the very possibility of arguments being visual. One is that the visual is inescapably ambiguous or vague. The other is related to the fact that arguments must have propositional content, and the apparent fact that visual communications do not.“77 Vereinfachend zusammengefasst zeigt er, dass Vagheit kein spezifisch bildliches Problem darstellt, sondern durchaus auch in sprachlichen argumentativen Zusammenhängen eine Rolle spielen kann. Das zweite Gegenargument betreffend, zeigt Blair, dass es zum einen durchaus Beispiele visuell ausgedrückter Präpositionen gibt und zum anderen, dass die fehlende propositionale Struktur, also das Fehlen von Wahrheitswerten, nicht schon eine Absage an eine argumentative Verwendung sein muss. Zu letzterem Punkt schreibt er: „A second reply to the ‚no-propositions‘ objection is to point out that arguments are used for primary purposes other than to cause belief change. We also use arguments with the intention of changing the attitudes, or the intentions, or the behavior of our audience. The structure of the arguing process is the same. The arguer appeals to attitude-, intention- or behavior-commitments of the audience, and tries to show that they commit the audience to the new attitude, intention, or behavior at issue. But attitudes, intentions and conduct do not have truth value.“78

Es ist leicht zu ersehen, dass die Bilder, die Sachs-Hombach/Masuch vor Augen gestanden haben müssen, sich deutlich von den Bildern unterscheiden, an die Blair zu denken scheint. Nichtsdestotrotz bieten beide Ansätze Möglichkeiten, über die argumentative Funktion visueller Gestaltung und deren Grenzen auch im Rahmen einer expliziten Designrhetorik nachzudenken. Abschließend sei noch auf einen wesentlichen Aspekt vieler Designrhetoriken hingewiesen, der zugleich zu den Stärken eines rhetorischen Zugangs überhaupt gehört: Ein rhetorischer Zugang erlaubt es, nicht nur ein fundiertes Analysewerkzeug zu entwickeln, um Interventionen und Bemühungen des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes in seinen Wirkungsdimensionen zu erfassen, sondern versteht sich eben auch als ein produktionstheoretischer Zugang. Der Begriff der Wirkungsintention, wie ihn Arne Scheuermann beispielsweise entfaltet, fasst diese beiden Richtungen von Produktion und Rezeption in einem Konzept zusammen.79 Scheuermann schreibt zu diesem Begriff: „Der Begriff der ‚Wirkungsintention‘ ist prekär. Die Konzepte ‚Intention‘ und ‚Wirkung‘ stehen ästhetikgeschichtlich betrachtet für zwei unterschiedliche Bereiche: ‚Wirkung‘ verweist 77 Ebd. S. 46. 78 Ebd. S.48. 79 Vgl. Scheuermann 2009.

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auf die Rezeptionsperspektive der Wirkungsästhetiken von der Poetik Aristoteles‘ bis zu Wolfgang Isers Rezeptionsästhetik der 1970er Jahre. ‚Intention‘ hingegen steht für die Bedeutungsintention, die dem autonomen Subjekt in der Genieästhetik um 1800 zugeschrieben wird und danach heftig umstritten ist. Ihre Verbindung zum Begriff ‚Wirkungsintention‘ allerdings meint etwas Drittes, das außerhalb beider Diskurse steht: Die Wirkungsintention ist dem rhetor und der Rhetorik vorbehalten.“80

Da auf dieses Konzept noch detailliert einzugehen sein wird, soll die Einführung hier kurzgehalten werden. Festzuhalten bleibt aber, dass das Konzept der Wirkungsintention der rhetor-Funktion zuzuschlagen ist, der in Form einer produktiven Annahme und aufgrund seiner Erfahrung und etwaiger rhetorischer Heuristiken versucht, sein potentielles Zielpublikum so einzuschätzen, dass es ihm möglich wird, die rezeptionsästhetische Wirkung mit seinen produktionsästhetischen Intentionen in Relation zu setzen und es andersherum auch dem Publikum aufgrund analoger Annahmen möglich ist, vom Produkt ausgehend angemessene Rückschlüsse zur rhetor-Instanz ziehen zu können.81 Dieses Prinzip ist freilich nicht spezifisch für eine etwaige Designrhetorik, sondern stellt ein gutes kategoriales Werkzeug zum Verständnis letztlich aller rhetorischen Prozesse dar. Es gilt also, nicht nur, aber insbesondere im Bereich der Designrhetorik, zwischen Prozess- und Produktrhetorik zu unterscheiden. Systematisierungen dieser Art finden sich im Bereich des Designs, wenngleich zumeist ohne expliziten Rhetorikbezug, in den diversen Handbüchern zur Gestaltungspraxis.82 Rhetorisch fundierte Auseinandersetzungen mit den Gestaltungsprozessen finden sich beispielsweise im Rückgriff auf die Kunsttheorie der Renaissance und frühen Neuzeit (und das vor allem auf Leon Battista Alberti), wie sie etwa Ulrich Heinen oder Nadja J. Koch entwickeln.83 Hier soll allerdings zunächst unter den vie-

80 Ebd. S. 25. 81 Vgl. Ebd. S. 26. 82 Arbeiten in dieser Richtung, die im Laufe dieser Arbeit eine Rolle spielen werden, sind etwa: Berger, Craig M.: Wayfinding. Designing and Implementing Graphic Navigational Systems. Mies 2009.; Mollerup, Per: Wayshowing>Wayfinding. Basic and Interactive. Amsterdam 2013.; Gibson, David: The Wayfinding Handbook. Information Design for Public Places. New York 2009. 83 Vgl. Koch, Nadja J.: Die Werkstatt des Humanisten. Zur produktionstheoretischen Betrachtung der Künste in Antike und früher Neuzeit. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 161-179. Heinen, Ulrich: Zur bildrhetorischen Wirkungsästhetik im Barock. Ein Systematisierungsversuch nach neurobiologischen Modellen. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 113-158. Heinen, Ulrich:

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len Systematisierungen der Prozesse lediglich eine kurz eingeführt werden, die insbesondere im Rahmen der Untersuchung des Bandes Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation besonders interessant ist: der Ansatz von David S. Kaufer und Brian S. Butler.84 Kaufer und Butler legten 1996 mit Rhetoric and the Arts of Design einen in mehrfacher Hinsicht interessanten Zugang zur Prozessfrage vor. Ausgangspunkt ihrer Überlegung ist die Strukturverwandtschaft der Ausgangsprobleme, vor denen sowohl der Designer als auch der rhetor stehen, und es geht ihnen in der Folge darum, die Problemanalogie aufzuzeigen. Die im Text nicht weiter hinterfragte Grundannahme, dass ein Zugang zur Rhetorik wie zum Design über die dort verhandelten Probleme gewährleistet werden kann und dass letztlich beide Disziplinen es mit strategischem Problemlösen zu tun haben, wird auch in der vorliegenden Arbeit geteilt. Claudia Mareis, die den problemfokussierten Ansatz in ihrem Einführungsbuch Theorien des Designs neben anderen Ansätzen diskutiert, hält dazu fest: „Der gemeinsame Nenner zahlreicher professioneller Aufgabenstellungen in den Feldern Design, Architektur, Stadtplanung, Ingenieurwesen, Informatik sowie in der KI-Forschung wurde in der Lösung komplexer Probleme gesehen. Begriffe wie problem solving, decision making oder plan making, die für militärische, unternehmerische oder städtische Planungsprozesse zu der Zeit relevant waren, wurden auch in der Designmethodologie zu Schlüsselworten.“85

Ein prominenter problembasierter Ansatz, der durchaus einige Verwandtschaft mit dem von Kaufer/Butler hat, ist der des deutschen Planungstheoretikers Horst W.J. Rittel, der wie auch schon Bonsiepe und Krippendorff, eng mit der hfg Ulm in Zusammenhang steht. Für Rittel – und gleichermaßen für Kaufer/Butler – ist Gestaltung „planerische Handlung“86 und ihr Hauptbetätigungsfeld ist gekennzeichnet durch das, was Rittel als „bösartige Probleme“87 (wicked problems) bezeichnet. Mit der Struktur dieser Probleme, wie sie nicht nur Rittel, sondern auch Kaufer/Butler entwickeln, habe ich mich bereits an anderer Stelle ausführlich befasst.88 Im Grunde kann Bildrhetorik der frühen Neuzeit – Gestaltungstheorie der Antike. Paradigmen zur Vermittlung von Theorie und Praxis im Design. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. S. 143-189. 84 Vgl. Kaufer, Davis S.; Butler, Brian S.: Rhetoric and the Arts of Design. Mahwah 1996. 85 Mareis, Claudia: Theorien des Designs. Zur Einführung. Hamburg 2014. S. 175f. 86 Rittel, Horst W.J.: The Reasoning of Designers. Arbeitspapier zum International Congress on Planning and Design Theory in Boston 1987. Schriftenreihe des Instituts für Grundlagen der Planung. Stuttgart 1988. S. 1-9. Hier: S. 1. 87 Vgl. Rittel, Horst W.J.; Webber, Melvin M.: Dilemmas in a General Theory of Planning, in: Policy Sciences. Amsterdam 4/1973. S. 155-169. 88 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel III.

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sie aber – vereinfachend – auch in Anlehnung an Herbert Simons Diktum gesehen werden, wonach Design und dann auch das grundlegende Designproblem darin besteht, bestehende Situationen in bevorzugte zu verwandeln.89 Insofern dieser ‚Verwandlungsprozess‘ auf strategisch zu nutzenden Anerkennungsprozessen von Seiten eines Publikums beruht, impliziert die Verwandlung einer bestehenden in eine bevorzugte Situation bereits ein rhetorisches Kalkül. Kaufer/Butler veranschaulichen die Problemanalogie von Design- und Rhetorikprozessen in dieser Richtung, wobei sie – das sei hier vorerst nur angemerkt – die Analogisierung genau in einer umgekehrten Bezugnahme betreiben wie sie in der vorliegenden Arbeit betrieben werden soll: Kaufer/Butler wollen zeigen, dass das rhetorische Problem als Ausgangspunkt des rhetorischen Prozesses im Grunde analog zum Designproblem begriffen werden kann. Diese Bezugnahme erfolgt im Band Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation von der anderen Seite her, wobei die These vertreten wird, dass das Designproblem analog zum rhetorischen Problem zu verstehen ist, was heißt, dass die Probleme, vor denen ein Designer stehen kann, strukturell die gleichen sind wie die Probleme, vor denen ein rhetor steht. Es mag womöglich nicht sofort einleuchten, worin der Unterschied besteht, ob die Analogie nun von der Seite der Designtheorie(n) oder von Seite der Rhetorik(en) zu zeigen gesucht wird, aber es macht eben schon deshalb einen, weil, so vielstimmig rhetorische Theorien auch sein mögen, es in diesen ein, verglichen mit Designtheorien, festes Fundament, klare Terminologien und lang erprobte Konzepte gibt, an die fruchtbar angeschlossen werden kann. Im Sinne der Metapherntheorie Richards könnte man eben zwischen ‚tenor‘ und ‚vehicle‘ unterscheiden und sagen: Design als Rhetorik zu beschreiben, meint Rhetorik als ‚vehicle‘, als tragendes Konzept, als Grundterm, als Methode zu verstehen, um bestimmte Aspekte des Designs als ‚tenor‘, als getragener Gegenstand, zu beleuchten.90

5. R HETORIK DER S TADT – P RAKTIKEN DES Z EIGENS , O RIENTIERUNG UND P LACE -M AKING IM URBANEN R AUM Der Band Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum problematisiert das Verhältnis von Stadt und Rhetorik. Die tragende These dabei ist, dass die Stadt, als der Ort verdichteten Austausches nicht nur von Waren und Dienstleistungen, sondern vor allem auch von Meinungen, Ansichten und Weltauffassungen, kurz, als ein Ort der doxa, der prototypische Ort der Rhetorik ist. Rhetorik als techne ist, so die These, ohne die Stadt nicht zu denken. Zugleich aber ist die Stadt selbst nicht nur der Ort der Verdichtung divergierender 89 Vgl. Simon, Herbert A.: The Sciences of the Artificial. Cambridge 1996. S. 111. 90 Zur Metaphertheorie Richards vgl.: Richards 1965. S. 89-138.

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Meinungen, also ein Ort des agons, sondern selbst auch Gegenstand mannigfaltiger rhetorischer Bemühungen. Die Stadt ist nicht nur Szenerie rhetorischen Geschehens, nicht nur ein Raum der Rhetorik, sondern auch selbst ein rhetorischer Raum. Diese enge Verbindung von Stadt und Rhetorik macht es möglich, die Stadt rhetorisch beschreiben zu können. Bevor dies allerdings im Weiteren geschehen soll, ist es nötig, das für die weitere Arbeit tragende Verständnis von Rhetorik und dem Rhetorischen zu entwickeln und vorzustellen. Denn nicht nur, dass klarerweise die Ergebnisse einer solchen Untersuchung stark davon abhängen werden, welches Rhetorikverständnis der Arbeit zugrunde liegt, mehr noch, scheint der Begriff der Rhetorik und die mit ihr verbundenen Methoden keineswegs eindeutig. Das hier im ersten Kapitel entwickelte Rhetorikverständnis weicht, wie es sich bereits aus der Diskussion um den Forschungsstand zur Designrhetorik abzeichnete, in einigen wesentlichen Punkten von klassischen Rhetorikmodellen ab, nimmt Anregungen der New Rhetoric auf und entwickelt rhetorische Methoden auch und vor allem in Richtung einer visuellen, designbezogenen Rhetorik weiter. Der Rhetorikbegriff, der dieser Arbeit zugrunde liegt, besteht im Kern darin, rhetorische Bemühungen als Versuche zu verstehen, Einfluss auf Situationszuschreibungen zu nehmen. Eben weil nicht von der Rhetorik, sondern eher von den Rhetoriken gesprochen werden kann, ist es notwendig das eigene Rhetorikverständnis vorab klar darzulegen. Demnach handelt es sich bei Kapitel II in erster Linie um ein Methodenkapitel. Nach der methodischen Fundierung ergibt sich dann die Möglichkeit, im dritten Kapitel die Stadt als Raum der Rhetorik zu beleuchten. Hier wird die oben bereits genannte These erörtert, wonach die Rhetorik als techne ohne die Stadt als ihre Szenerie, Bühne, Forum, Agora nicht zu denken ist. Im Konzept der urbanitas erscheint diese Verbindung am deutlichsten, insofern es sich hierbei um eine rhetoriktheoretische Konzeption des Urbanen handelt, die eine so breite Palette der Ausbildung eines Redners umfasst (Schulung der Sitten, Verbesserung der Redeweise, Schlagfertigkeit, Treffsicherheit, Witz, uvm.), dass sie selbst den Schlüssel zur techne rhetorike bereitzustellen scheint. Die urbanitas wird im dritten Kapitel zum Bindeglied von Rhetoriktheorie und Stadt und als solche auch in den Bereich einer Designrhetorik übertragen. Dieses Kapitel ist zudem der Ort, an dem zwei grundlegende Metaphern der weiteren Auseinandersetzung mit der Stadt eingeführt werden, die beide den Fokus auf Orientierungsprozesse von unterschiedlicher Seite her beleuchten helfen sollen. Dies ist zum einen die durchaus übliche Metapher des Labyrinths, deren Bezug zu Fragen der Orientierung offensichtlich ist, und die die Stadttheorie wie auch die Stadtplanung stark beeinflusst. Zum anderen ist es die Metapher der Collage, die ebenfalls eine gewisse Tradition in der Beschreibung des Urbanen hat und gleichermaßen den Rezipienten vor Probleme der Orientierung, der Sinn- und Richtungssuche zu stellen vermag. Während die Labyrinthmetapher allerdings Fragen der Bewegung, des Hindurch-Kommens aufwirft, wird mit der Collage eine Metapher bezeichnet, die auf die Aspekte der Ruhe, des Sich-Einrichtens und Wohnens verweist. Die

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eine Metapher steht also Pate für Auseinandersetzung beispielsweise mit der Verkehrsführung und – wie zu zeigen sein wird – auch der Stadtplanung etwa im Sinne Kevin Lynchs. Die andere eröffnet die Auseinandersetzung mit Aspekten der Platzgestaltung, des genius loci, oder – wie es im Weiteren heißen wird – des place-makings. Diesen beiden Bereichen wenden sich die Kapitel IV und V zu. Das vierte Kapitel diskutiert die designrhetorische Interpretation des Klassikers der Stadtplanung The Image of the City von Kevin Lynch. Das fünfte Kapitel wird sich ausführlich mit phänomenologisch inspirierten Konzepten des place-makings auseinandersetzen und entwickelt eine Rhetorik des place-makings, die aufzeigt, dass die Stadt eben nicht nur der prototypische Raum der Rhetorik ist, sondern zugleich ein genuin rhetorischer Raum. Im letzten Kapitel werden die bisherigen Ergebnisse zusammengeführt und münden in die Diskussion der Zeigehandlung, die nicht nur tragend für Bereiche des Orientierungsdesigns, des way-findings und place-showings sind, sondern mit der der Anspruch erhoben wird, eine Grundlage auch jeder weiterführenden visuellen Rhetorik überhaupt zu legen. Zeigen wird als Handlung verstanden, die sich in rhetorische Teilakte zerlegen lässt, mit je eigenen Gelingensbedingungen, Fallstricken und persuasiven Strategien. Aufgrund der ausführlichen rhetorischen Analyse der Zeigehandlung und der darauf aufbauenden Besprechung konkreter Strategien des Zeigens anhand von Wegweisern, Hinweisen und Spuren im urbanen Raum, wird eine Rhetorik des Zeigens entwickelt, die dem Umstand Rechnung trägt, dass Bilder, Pfeile und Piktogramme nicht handeln und daher auch nicht zeigen können. Eine Rhetorik des Zeigens, so die These, ist in ihrer Basalität für jedwede visuelle Rhetorik vergleichbar mit einer Analyse des Sprechens fürs jede Verbalrhetorik.

II. Methoden der Rhetorik und Rhetorik als Methode

1. E INFÜHRUNG

IN DAS

K APITEL

In diesem Kapitel wird es darum gehen, sowohl die Methoden der Rhetorik einzuführen, welche im Weiteren zur Analyse genutzt werden sollen, als auch klar herauszustellen, was es überhaupt heißt, etwas rhetorisch zu analysieren, kurz, was es heißt, die Rhetorik als Methode zu nutzen. Hierfür wird es notwendig sein, das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Rhetorik einzuführen. Diese Einführung soll entlang der zentralen Begriffe und Schemata vorgenommen werden, die für eine rhetorische Analyse gebraucht werden. Zugleich soll dieses Kapitel damit die Aufgabe übernehmen, die Anschlüsse der hier entwickelten Designrhetorik an die Theoriegebäude sowohl der klassischen als auch der neuen Rhetorik aufzuzeigen. Um zu vermeiden, den Begriff der Rhetorik in einem nur rein assoziativen und bisweilen sogar phrasenhaften Verständnis auf Designprozesse und -produkte anzuwenden, gilt es, zentrale rhetorische Denkmuster herauszuarbeiten und schließlich an diesen eine Designrhetorik zu entwickeln. In dieser Weise soll gewährleistet sein, dass die hier entwickelte Designrhetorik in direktem Anschluss an die rhetorischen Theorien steht, was eben damit auch ermöglicht, die durch den expliziten Wechsel des Mediums – vom gesprochenen Wort zum gestalteten Produkt – bedingten Erweiterungen derselben als anschlussfähige Erweiterung der rhetorischen Theorie herauszustellen. Unter dieser Zielstellung sind grundsätzlich mindestens zwei Wege denkbar: Zum einen ließe sich im Rahmen einer theoriegeschichtlichen Erarbeitung der Anschlüsse an das Theoriegebäude der Rhetorik ein Weg skizzieren, der die rhetoriktheoretischen Erweiterungen dessen, was als zentrales Medium der Rhetorik angesehen wird, einholt. Zum anderen kann durch einen systematischen Zugang versucht werden, diejenigen rhetorischen Denkschemata aus der Theoriegeschichte herauszuarbeiten, die für eine Designrhetorik nutzbar gemacht werden können, ohne dabei die Theoriegenese en detail in den Blick zu nehmen. Die vorliegende Arbeit versteht sich in dieser Zweiteilung mehr dem zweiten Weg verpflichtet und wird nur dann theoriegeschichtliche

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Fragestellungen aufwerfen, wenn die Anschlussfähigkeit einzelner rhetoriktheoretischer Aspekte in Frage steht.

2. Z WEI ARTEN

DER

R HETORIK

Es kann in diesem Kurzabriss weder darum gehen, die Frage vollständig zu beantworten, was unter Rhetorik in historischer oder systematischer Sicht verstanden werden kann, noch darum, ein Rhetorikverständnis zu entwickeln, das den Anspruch erheben könnte, alle Facetten der Rhetorik gleichermaßen abdecken zu können. Ziel dieses Abschnittes ist es vielmehr, die Frage, was unter Rhetorik verstanden werden kann, selbst zu problematisieren und später anhand zentraler Begriffe auch für den Rahmen dieser Arbeit zu beantworten. Neben den vielen Facetten bereits seit der Antike bestehender pejorativer Verständnisse1 der Rhetorik, welche von einer Kunst, viel zu reden und wenig zu sagen,2 bis zu einer moralisch fragwürdigen Lehre im Dienste von Scheinwahrheiten3 reicht, lassen sich zwei (positiv besetzte) Grundtypen von Rhetorikverständnissen unterscheiden: Auf der einen Seite wird mit dem Begriff der Rhetorik vor allem der elocutionär-figurale Aspekt4 der Rede betont, auf der anderen Seite wird Rhetorik vor allem als inventive Technik der Persuasion bestimmt. Als elocutionäre-figurale Technik gehört die Rhetorik in den Bereich der sprachlichen eloquentia und bemisst sich vor allem nach ästhetischen Kategorien wie der

1

Nicht zuletzt die Debatten gegen Rhetorik werden ja bis in die Scholastik hinein stets innerhalb eines Denkgebäudes geführt, in welchem die Rhetorik als ars liberalis selbst eigentlich nicht in Frage gestellt wird.

2

Vgl. Novius (1.Jh.v.Chr.) „Age nunc, quando rhetoricasti satis, responde quod rogo.“ (Wenn du genug gefaselt hast, antworte endlich auf meine Frage.) zit. nach: Kalivoda, Gregor; Zinsmeier, Thomas: Rhetorik. A. Begriff und aktuelle Bedeutung der Rhetorik. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 7. Tübingen 2005. Sp. 1423-1429. Hier: Sp. 1425.

3

Vgl. Platon: Gorgias. In: Sämtliche Werke. Hrsg. von Walter F. Otto und Ernesto Grassi. Bd. 1. Hamburg 1957. S. 447-527.

4

Die Konzeption dessen, was innerhalb der Rhetorikgeschichte unter elocutio verstanden wurde, hat sich immer wieder gewandelt. Die hier im Weiteren vorzustellende, zu kritisierende und schließlich abzulehnende Vorstellung der elocutio beschränkt diese allein auf die Figurenlehre. Daher wird sie als elocutionär-figural bezeichnet. Es fehlen in der auf diesen Aspekt beschränkten Rhetorikauffassung nahezu alle Bezüge zum iudicium und aptum und damit die Voraussetzungen, um einen Beitrag im Dienste der Persuasion leisten zu können.

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DER

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ALS

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urbanitas, Fülle, Reichtum, ästhetischer Variation und Originalität. Rhetorik erscheint in dieser Hinsicht als eine ars bene dicendi, eine Kunst, gut und schön zu reden, und die rhetorischen Figuren werden als gelungene Abweichungen vom regulären Sprachgebrauch verstanden und als Abweichungen im Dienste einer varatio delectat stehend begrüßt. Roland Barthes umreißt den historischen Wechsel der Bedeutung der elocutio prägnant: „Die elocutio hat sich seit der Entstehung der Rhetorik stark gewandelt. In der Einteilung von Korax fehlt sie und tauchte erst auf, als Gorgias (aus der Poesie stammende) ästhetische Kriterien auf die Prosa anwenden wollte. Aristoteles behandelt sie weniger ausführlich als die übrige Rhetorik; sie entwickelt sich vor allem bei den Lateinern, erfährt ihre geistige Entfaltung bei Dionysius von Harlikarnaß und dem Anonymus des Peri Hypsous und vereinnahmt schließlich die gesamte Rhetorik, die ausschließlich mit den Figuren gleichgesetzt wird.“5

Die von Barthes angesprochene Gleichsetzung von Rhetorik und Figurenlehre stellt, wie Arne Scheuermann festhält, nur einen Aspekt der modernen Rhetorikforschung dar, die eben nicht dabei stehenblieb, Rhetorik und Figurenlehre gleichzusetzen: „Die Beschäftigung mit Rhetorik im 20. Jahrhundert hat oft zwei Schwerpunkte: Auf der einen Seite widmet man sich den rhetorischen Figuren und Topoi – also der Findungslehre elocutio und inventio –, auf der anderen Seite dem Aspekt der persuasio. […] Beide Schwerpunkte – Figurenlehre und persuasio – sind allerdings nur Teilaspekte der Rhetorik, […] die wiederum eigentlich nur aufeinander bezogen funktionieren.“6

5

Barthes, Roland: Die alte Rhetorik. In: Ders.: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt am Main 1988. S. 15-95. Hier: S. 86. Wie Joachim Knape in Anlehnung an Gerhard Streckenbach ausführt, ist der Weg, den Barthes zeichnet nicht ganz so eindeutig, wie dieser es erscheinen lässt. Denn dass nach Peri Hypsous (1. Jh.n.Chr.) schlichtweg die gesamte Rhetorik von der elocutio eingenommen würde, ist laut Knape rhetorikgeschichtlich eher falsch: „Bei ihnen [den jüngeren lateinischen Rhetoren] wird die Behandlung der elocutio umso spärlicher, je weiter man vom Altertum fortrückt: Sulpicius Victor (4 Jhd.) bringt nur 19 Zeilen De elocutione; Julius Severianus (5. Jhd.) lässt jede Stilistik bei Seite; C. Julius Victor hat 9 Seiten stilistische Vorschriften auf 115 der ganzen ‚ars rhetorica‘. Insgesamt begnügen sich die Autoren damit, termini technici in langen Reihen aufzustellen und zu definieren und durch einige Beispiele zu erläutern.“ (Knape, Joachim: Elocutio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 2. Tübingen 1994. Sp. 10221083. Hier: Sp. 1025f.) Siehe auch: Streckenbach, Gerhard: Stiltheorie und Rhetorik der Römer im Spiegel des humanistischen Schülergesprächs. Göttingen 1979. S. 88f.

6

Scheuermann, Arne: Zur Theorie des Filmemachens. München 2009. S. 18.

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Eine Verkürzung der Rhetorik auf figurale Aspekte birgt folglich Probleme. Denn wenn der Gebrauch bestimmter Sprach- oder Denkfiguren schon per se als rhetorisch angesehen wird und die Rhetorik als Theoriegebäude demnach nicht mehr umfasst als eine Sammlung solcher Figuren, so wird die eigentliche Leistung der klassischen Rhetorik bis zur Schwundstufe des Schönredens reduziert. Dies hier zu erwähnen, ist für die vorliegende Arbeit vor allem deshalb wichtig, um klar zu machen, warum Arbeiten zur Bildrhetorik, wie sie Christian Doelker7 oder Gui Bonsiepe8 geleistet haben, schlichtweg nicht ausreichen. Rhetorik mit Figurengebrauch gleichzusetzen, macht aus der Rhetorik eine l’art pour l’art, einen reinen Selbstzweck. Figuren werden aber erst dann bedeutsam, wenn geklärt werden kann, was diese bewirken können, worin sich ihre Wirkungen unterscheiden und wie diese Wirkungen zweckdienlich eingesetzt werden können. Der Fehler Bonsiepes und Doelkers – auf die später noch einzugehen sein wird – besteht nicht darin, die Figurenlehre in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung gestellt zu haben, sondern in der Abkopplung der Figurenlehre von Fragen der Angemessenheit und der rhetorischen Urteilskraft und folglich der Voraussetzungen persuasiver Aspekte. Figuren demgegenüber in ihrem Bezug zur Kategorie der Angemessenheit und der Wirkungsintention zu betrachten, setzt aber das Vorhandensein eines Zwecks der rhetorischen Bemühungen voraus, der nicht schon im bloßen Figurengebrauch liegen kann.9 Eine wesentliche historische Quelle dieser Verkürzung der Rhetorik ist der frühneuzeitliche, von Rudolph Agricola ausgehende und von Petrus Ramus fortgesetzte und nach letzterem benannte Ramismus. Auch wenn hier nicht der Ort für eine historische Analyse ist, sei dieser Bezug vor allem deshalb deutlich zu machen, weil er ein Verständnis der Ursachen der Rhetorikverkürzung eröffnen kann. Ramus ordnet das Trivium der artes liberalis neu und versucht „im Sinne frühneuzeitlicher Fächerdifferenzierung“10 dabei möglichst trennscharfe Grenzen zwischen Grammatik, Dialektik und Rhetorik je nach deren eigentlichen Spezifika zu ziehen. „Nach dieser Einteilung der Disziplinen fallen inventio und iudicium (dispositio) nunmehr in die Kompetenz der Dialektik, d.h. es existiert keine inventio rhetorica mehr, wodurch für die Rhetorik die elocutio, eingeschränkt auf die Lehre des ornatus, sowie Restbestände

7

Vgl. Doelker, Christian: Figuren der visuellen Rhetorik in werblichen Gesamttexten. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 71-112.

8

Vgl. Bonsiepe, Gui: Visuell-verbale Rhetorik. In: Ders.: Interface. Design neu begreifen. Mannheim 1996. S. 85-103.

9

Diese Verkürzung von Rhetorik hat auch Einzug in den Schulunterricht gefunden, wo im Deutschunterricht die Figuren eingeführt und behandelt werden, oftmals ohne einen Zusammenhang zu Fragen der Wirkungsintention herzustellen.

10 Knape, Joachim: Allgemeine Rhetorik. Stuttgart 2000. S. 245.

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DER

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ALS

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der pronuntiatio verbleiben.“11 Um es kurz zu machen: Dieser Wegfall wesentlicher Aspekte der Rhetorik führt insbesondere dazu, dass auch die Beschäftigung mit der 11 Hinz, Manfred: Ramismus. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 7. Tübingen 2005. Sp. 567-595. Sp. 567. Eine solche, ramistisch zu nennende, Verkürzung der Rhetorik begegnet uns auch in Bezug auf die Frage nach der Möglichkeit einer Designrhetorik. Exemplarisch sei hierzu auf den Text Rhetorik-Design-Macht von Heiner Mühlmann eingegangen. „Der Begriff ‚DesignRhetorik‘ ist so abstrus wie der Begriff ‚Koch-Rhetorik‘. Zugegeben: Köche wollen bewirken, dass ihre Speisen von den Gästen bevorzugt werden. Aber sind ihre ‚Canards à l’orange‘, ihre ‚Tournedos Rossini‘ und ihre ‚Choucroutes‘ deshalb rhetorisch?“ (Mühlmann, Heiner: Rhetorik – Design – Macht. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. S. 101-106. S. 101.) Mühlmanns implizite Antwort auf seine rhetorische Frage ist offenkundig: Nein. Und natürlich sind diese Gerichte nicht rhetorisch. Sie sind es ebenso wenig wie beispielsweise Julius Caesar oder Gregor Gysi rhetorisch sind. Das eine sind Speisen, das andere sind Personen des öffentlichen Lebens zu unterschiedlichen Zeiten. Wenn es aber darum geht, andere davon zu überzeugen, dass die Speise lecker ist, einem bestimmten gesellschaftlichen Stand entspricht oder sich etwa für einen bestimmten Personenkreis als Prestigeobjekt anbietet, oder wenn es darum geht, andere davon zu überzeugen, dass Caesar ein bedeutender Herrscher war und Gysi ein wichtiger Oppositioneller, dann wird der Raum der Rhetorik durchaus betreten. Also, wenn der Koch sich neben der Frage der korrekten Zubereitung einer Speise auch der Frage zuwendet, ob es wohl besser sei, das gekochte Ergebnis angemessen auf dem Teller zu drapieren oder schlichtweg mit einer Kelle draufzuschleudern, und ob wohl unterschiedliche Grade der Zustimmung des Publikums durch diese Alternativen erreicht werden können, dann macht der Koch sich de facto Gedanken zu Fragen rhetorischer Inszenierung. Zudem macht sich Mühlmann doch letztlich gerade durch die Nennung genau dieser Speisen eines performativen Widerspruchs schuldig. Er führt Speisen an, die wohl nicht wenigen Menschen hierzulande schon Schwierigkeiten bereiten würden, sie überhaupt korrekt auszusprechen und die wohl nur ein erlesener Kreis überhaupt kennt. Warum spricht er nicht vom Apfelstrudel, Nudeln mit Tomatensoße oder einer Bockwurst? Die Antwort ist klar: Mühlmann nutzt letztlich Speisen zu einem rhetorischen Zweck: der Inszenierung der eigenen urbanitas und damit einer ethos-Inszenierung. Somit liefert Mühlmann selbst ein schönes Beispiel einer Facette einer möglichen Koch- und Speiserhetorik. Zu einer solchen Analyse allerdings kann Mühlmann aufgrund seines Rhetorikverständnisses nicht gelangen. Dieses lässt sich wie folgt skizzieren: 1. Ist „die Fähigkeit, Präferenzverhalten zu bewirken, eine rhetorische Fähigkeit? Die Antwort lautet: Nein!“ (ebd.) Die Rhetorik hat es folglich für Mühlmann eben nicht mit Fragen der Persuasion zu tun. Woher allerdings dann die Erzeugung von Präferenzverhalten kommen kann, verrät Mühlmann in diesem Text nicht. Auch verrät Mühlmann nicht, was denn eigentlich dann die

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Aufgabe der Rhetorik sei, oder wozu man eine rhetorische Fähigkeit benötigen könnte. 2. „Rhetorik ist eine Diskurstechnik. Und im Unterschied zur Malerei, zu Architektur, Theater, Design und Musik ein Echtzeitmedium.“ (Ebd.) Nach Mühlmann arbeiten alle anderen Medien mit einer geteilten Zeitstruktur, die es ermöglicht, eine Planungsphase von einer Aufführungsphase zu unterscheiden. Lediglich die Rhetorik ziele darauf „näherungsweise eine Diskurskompetenz zu erzeugen“ (ebd). Die Überzeugung, dass rhetorische Kompetenzen auch bei Stehgreifreden und in der alltäglichen Kommunikation helfen, ist wohl unstrittig. Daraus aber zu folgern, dass es der Rhetorik (und eben nur dieser) stets darum ginge, die Stehgreifredekompetenz zu erhöhen, ist schlichtweg falsch. Gerade die rhetorischen Produktionsstadien zeigen deutlich, dass eine Planungsphase (intellectio, inventio, dispositio, elocutio und auch die memoria) von einer Aufführungsphase (actio/pronuntiatio) offensichtlich unterscheidbar ist. Demgegenüber können so simple Erfahrungen wie das Zeichnen im Aktsaal deutlich machen, dass die Malerei nicht immer über eine geteilte Zeitstruktur verfügt: der Lehrer kann dem Schüler sogar während der gesamten Arbeit über die Schulter schauen. 3. Für Mühlmann ist jede Rede von einer Architektur-Rhetorik, Musik-Rhetorik oder Design-Rhetorik irreführend. „Dabei reicht die Musik-Rhetorik [und gleichermaßen jede andere Form der Rhetorik] nur so weit, wie rhetorische Figuren Musik und Sprache gleichermaßen strukturieren.“ (Ebd.) Rhetorische Figuren sind für Mühlmann ausschließlich sprachliche Figuren. Nichtsprachliche Figuren sind nur dann rhetorische Figuren, wenn sie ein eindeutiges Pendant im Bereich der Sprache haben. Demnach ist das Verstummen eine rhetorische Figur der Musik, die Fuge aber nicht (vgl. ebd.). Bilder scheinen folgerichtig demnach überhaupt keine rhetorische Struktur zu haben. Lediglich das Kommunikationsdesign bildet da eine Ausnahme: „Der Vollständigkeit [sic!] halber muss erwähnt werden, dass es einige genau definierbare Bereiche gibt, in denen sich Bilder und Rhetorik miteinander vermischen. Im sogenannten Kommunikationsdesign beispielsweise gibt es rhetorische Figuren, die zu einem Teil aus einem kurzen Text, zum anderen Teil aus einem Bild bestehen. Beispiel: Das Bild eines Tigers mit dem Text ‚Pack den Tiger in den Tank‘. Der Tiger fungiert hier als Metapher für Benzin. Diese Bild-Textmetapher ist allerdings redundant.“ (ebd. S. 102.) Die Ausnahme des Kommunikationsdesigns, das deutet das wohl bewusst gewählte Beispiel bereits an, kommt einzig durch den Text zustande und wird durch das Bild lediglich redundant begleitet. In Mühlmanns gesamter Betonung der sprachlichen Figur, die nicht auf das Präferenzverhalten Einfluss zu nehmen vermag, lässt sich schon sehr deutlich ersehen, warum diese Position mit einigem Recht als ramistisch bezeichnet werden kann. Deutlicher wird das im Folgenden, wenn auch das Kriterium der Angemessenheit als Spezifikum der Rhetorik zurückgewiesen wird. 4. Schließlich führt Mühlmann den Begriff des rankings, der ranking-Erkennung, der ranking inference ein. Diese sind gleichbedeutend mit dem decorum (vgl. ebd. S. 103.) Seine These ist allerdings: „Mir ist ansonsten nur eine Eigenschaft bekannt, die man sowohl in

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Figurenlehre eine Verkürzung erfährt. Alle Fragen nach „der eigentlichen Bedeutung gehören für ihn [Ramus] in die Grammatik, alles andere zur rhetorischen Figurentheorie.“12 Hinter einer solchen Abspaltung semantischer Bezüge steht letztlich eine Trennung von Inhalt und Form, so als ob ein Gedanke unabhängig von seiner sprachlichen Form gefunden werden könnte und gegenüber einer Änderung der Form resistent bliebe. Schließlich stoßen alle Auffassungen der Rhetorik, die in ihr nicht mehr sehen, als ein eloquentes Spiel mit Worten in genau dasselbe Horn. Ein Verständnis aber, das Rhetorik auf bloße Schönrednerei verpflichtet und dem nicht ein epistemologisches Verständnis zugrunde gelegt ist, das besagt, dass eine Änderung der Form der Rhetorik als auch im Design antrifft. Es handelt sich um die ranking-Erkennung. Dabei ist ranking-Erkennung keineswegs eine spezifische rhetorische Eigenschaft.“ (Ebd. S. 102.) Der Einfachheit halber werde ich mich mit dieser These unter dem Begriff decorum bzw. aptum auseinandersetzen. Dies ist möglich, da Mühlmann selbst von der Gleichbedeutung dieser Konzepte spricht. Kurz: Mühlmann behauptet, dass Fragen der Angemessenheit kein Spezifikum der Rhetorik sind. Das heißt also, dass die Kategorie der Angemessenheit, von der Bernd Asmuth in seinem gleichnamigen Artikel sagt, es sei eine Art Superprinzip der Rhetorik (vgl. Asmuth, Bernhard: Angemessenheit. In: Historische Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 579-604. Sp. 579.), eben nur eine Eigenschaft ist, die man „in der Rhetorik […] antrifft“ (Mühlmann 2008. S. 102.). Sicher hat Mühlmann recht, wenn er mit dieser Aussage meinen sollte, dass Fragen der Angemessenheit nicht allein in der Rhetorik verhandelt werden. Letztlich kann jede kulturwissenschaftliche Arbeit immer auch als eine Arbeit zu Fragen der Angemessenheit in bestimmten Kulturen und zu bestimmten Zeiten verstanden werden und ebenso können beispielsweise literarische Werke auch die Grenzen gesellschaftlicher Akzeptanz vermessen oder sogar verschieben. Wenn es aber bei rhetorischen Bemühungen (wie sie in dieser Arbeit verstanden werden sollen) stets im Kern darum geht, einem Publikum Identifikationsmöglichkeiten anzubieten, die dazu führen können, selbiges von etwas zu überzeugen oder affektiv auf selbiges Einfluss zu nehmen, dann gehört letztlich jeder brauchbare Winkel der gesamten Kategorie der Angemessenheit zum notwendigen Repertoire des rhetorisch Handelnden. Die gesamte Lehre der Rhetorik erklärt das Identifikationsstreben und die Suche nach möglichen Identifikationsangeboten zum Kerngeschäft (Topik, Statuslehre, Affektenlehre, uvm.). Vor diesem Hintergrund könnte die Rhetorik durchaus als die Lehre verstanden werden, die zum Zwecke des praktischen (und effektiven) Einsatzes von Identifikationsangeboten die gesamte Kategorie der Angemessenheit zu ihrem Fundament erklärt. Würde Rhetorik so verstanden, wäre klar, dass (selbst wenn auch andere Wissenschaften und Lehren sich mit der Angemessenheit befassen) die Aussage Mühlmanns, wonach die Angemessenheit kein Spezifikum der Rhetorik sei, wenigstens irreführend, wenn nicht sogar falsch ist. 12 Knape 2000a. S. 253.

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stets auch Einfluss auf den Inhalt hat, wird für die vorliegende Arbeit abgelehnt. Daraus ergibt sich sogleich eine weitreichende These dieser Arbeit: Wenn die durchgehende Rhetorizität sowohl des Designprozesses als auch der Designprodukte herausgestellt werden kann, so wird klar, dass Design eben auch nicht als bloßes ‚Verhübschen‘, nicht pejorativ als bloß äußerliche Ästhetisierung von ansonsten funktional eindeutig bestimmten Produkten angesehen werden kann. Design als Rhetorik zu beschreiben, meint dann eben ganz zentral, das Verhältnis von Form und Funktion als sich wechselseitig bedingend herauszustellen.13 Die hier ausgeführten Kritikpunkte an einer rein elocutionär-figural verstandenen Rhetorik machen überdies deutlich, dass, wenn als einziges übergeordnetes Ziel rhetorischer Bemühungen die Schönheit der Rede angenommen wird, weite Teile dessen, was sich als rhetorische Praxis untersuchen ließe, schlichtweg nicht analysierbar wären. Wenn Kenneth Burke in einem gelungenen Beispiel sagt, dass Rhetorik bereits da anfange, wo ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat seine Rede vor einem Publikum von Farmern mit dem Satz eröffnet „I was a farm boy myself“14, so dient weder dieser Satz noch die kommende Rede der Beförderung der Zuschreibung des Attributes ‚schön‘, sondern letztendlich dem Wahlkampf und dem Ziel, Stimmen zu gewinnen. Wird Schönheit zum Kernbegriff der Rhetorik erklärt, so können, da eine rein elocutionär-figurale Rhetorik allein auf das Redeziel delectare fokussiert, allenfalls noch Elemente der Unterhaltungsbranche rhetorisch begriffen werden. Daher wird in der vorliegenden Arbeit das rein elocutionär-figurale Rhetorikverständnis abgelehnt und ein rhetorikgeschichtlich früheres präferiert: Das klassische griechisch-römische Verständnis der Rhetorik, wie es insbesondere durch Aristoteles und später durch Cicero und Quintilian vertreten wird. Dieses Verständnis der Rhetorik wird schließlich im Verlauf dieser Arbeit durch produktive Entwicklungen und Modifikationen im Zuge der New Rhetoric (vor allem durch Kenneth Burke) erweitert. Das gesamte weitere Kapitel ist der Entwicklung dieses Verständnisses der Rhetorik gewidmet, das bereits oben als ‚inventive Technik der Persuasion‘ dem rein elocutionären Verständnis entgegengesetzt wurde. Korax und Teisias, die angenommenen Begründer der Rhetorik, bestimmen die Rhetorik als die Erzeugerin und Schöpferin der Überredung15 und brachten damit den 13 Genau in diesem Sinne sei hier auf einige wesentliche Arbeiten verwiesen. Diese Arbeiten werden im Fortgang der nächsten Kapitel noch eingehender behandelt. Siehe dazu: Scheuermann 2009. S. 11-39. Und Buchanan, Richard: Declaration by Design. Rhetorik, Argument und Darstellung in der Designpraxis. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Gesche Joost und Arne Scheuermann. Basel 2008. S. 49-73. Siehe dazu auch: Smolarski 2017. Kapitel III. 14 Burke, Kenneth: A Rhetoric of Motives. Berkeley 1969. S. XIV. 15 Vgl. Robling, Franz-Hubert: Ars. In. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 1009-1030. Sp. 1011.

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bis heute zentralen Kernbegriff der Rhetorik in die Diskussion: der Begriff der Persuasion. Abseits der sophistischen Überschätzung der Wirkmacht der Rhetorik und der platonischen Überschätzung ihrer moralischen Verwerflichkeit, legt die aristotelische Bestimmung des Rhetorikbegriffes den Grundstein der hier verfolgten rhetorischen Theorie. Aristoteles bestimmt die Rhetorik wie folgt: „Es sei also die Rhetorik eine Fähigkeit, bei jeder Sache das möglicherweise Überzeugende zu betrachten.“16 In dieser Bestimmung sind drei wesentliche Merkmale der Rhetorik benannt, die es im Weiteren auszuführen gilt: 1) das Verhältnis von dynamis und techne und damit die Charakterisierung der Rhetorik als Fähigkeit und Kunst; 2) die Frage nach der Möglichkeit der Überzeugung und damit nach der Persuasion als Grundbegriff; und 3) die Frage nach dem Verhältnis von Betrachten, Erkennen und Finden im Ausdruck Theoria und damit einer Rhetorik als Findungskunst.

3. G RUNDBEGRIFFE 3.1 dynamis und techne – Rhetorik als Fähigkeit und Kunst Es kann mit Aristoteles und gegen Platon17 gezeigt werden, dass es durchaus möglich ist, die Rhetorik in den Stand einer techne zu erheben. Als solche muss Rhetorik eine lehr- und lernbare Kunst sein, die Einsichten in die Wirkweise gelungener kommunikativer Akte entwickelt, fixiert und tradiert. Diese Einsichten sind rhetorikgeschichtlich als Regeln, Gesetze oder Tugenden (virtutes) der Rhetorik formuliert. Wenn Aristoteles in seiner Bestimmung der Rhetorik von einer dynamis spricht, so betont er damit zweierlei: Zum einen fußt die Rhetorik bei Aristoteles auf einer Naturanlage, auf einer gegebenen Potenz, sich wirkmächtig kommunikativer Mittel zu bedienen. Zum anderen ist die Rhetorik eine Fähigkeit, die aufgrund der Erfahrung 16 Arist. Rhet. I.2, 1355 b26. 17 Platons Vorwurf gegen die Rhetorik äußert dieser in seinem Dialog ‚Gorgias‘ und macht selbige an dem Punkt fest, dass die sophistische Redekunst des Gorgias eine „Sache ohne Verstand“ (vgl. Robling 1992. Sp. 1012.) sei. Was dieser durch seine Reden bewirke, gehe mehr auf die Erfahrung zurück, die selbiger gewonnen hat, und sei nicht das Resultat begründender Überlegungen. Kurz: Der Rhetorik fehle das theoretische Fundament, sie könne daher keine Lehre im Sinne einer techne sein, da sie keine Einsicht von dem habe, was sie anwendet. Platons Vorwurf gegenüber der Rhetorik ist also der, dass die Rhetorik lediglich eine auf Talent und Naturanlage beruhende Fähigkeit ist, die weder lern- noch lehrbar ist, da diese die Gründe ihrer Wirksamkeit nicht durchschaue. Dieser Befund Platons hat nicht nur Folgen für die Rezeption der Rhetorik und ihr Verhältnis zu den Wissenschaften (allen voran der Philosophie), sondern kann bis heute für weite Teile dessen, was sich als Rhetoriktraining verkauft auch weiterhin geltend gemacht werden.

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im sozialen Umgang ausgebaut wird und im Sinne einer techne auch auf die systematisierten und generalisierten Erfahrungsstände anderer rhetoren zurückgreifen kann.18 Das griechische Wort ‚techne‘ kann mit Kunst, aber auch mit Technik oder Wissenschaft übersetzt werden. Die Rhetorik als Kunst zu verstehen, heißt vor allem, dass diese lehr- und lernbar ist, also Regeln und Sätze bereithält, die vermittelt und angewandt werden können. Als oberster Lehrsatz kann offensichtlich folgender gelten: Alle Bemühungen des orators sind Bemühungen, ein Publikum zu überzeugen. Andere Lehrsätze sind in den sogenannten Tugenden der Rhetorik (virtutes dicendi) enthalten: Klarheit und Deutlichkeit der Äußerung (pespecuitas), sprachliche Richtigkeit der Ausdrücke (latinitas), Angemessenheit (aptum) und Redeschmuck (ornatus). Knapp paraphrasiert heißt das: Eine Rede sollte demnach klar und deutlich formuliert und in korrektem Deutsch (oder einer anderen Sprache) vorgetragen sein. Dabei muss die Rede dem Gegenstand angemessen sein, darf also diesen nicht unangemessen verkürzen oder verzerren, und sollte überdies mit einem angemessenen Anteil an Redeschmuck geschrieben sein, so dass selbige nicht langweilig wird. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass diese Regeln sehr allgemein sind. Zum einen ist das so, weil es nach aristotelischem Verständnis keine Wissenschaft vom Einzelnen geben kann. Es gibt keine Wissenschaft, die die Frage behandelt, was in diesem oder jenem konkreten Kontext zu sagen oder zu schreiben ist. Rhetorische Regeln sind eben keine Kochrezepte. Mit einem man nehme dies und mische damit jenes ist man in Anbetracht der Situationsdiversität, in denen rhetorische Handlungen stattfinden, auch selten gut beraten. Aber mit den Regeln der Rhetorik, wie auch mit den Regeln der Gestaltung, ist es etwas verzwickter. Um diesen Punkt zu verdeutlichen, lohnt es sich, kurz zu vergegenwärtigen, was es heißen kann, dass etwas eine Regel ist. Zu diesem Zweck wird der Stellenwert rhetorischer Regeln gegen andere Regeltypen abgegrenzt. Die Regeln, die die Naturwissenschaft aufzustellen versucht, sind Naturgesetze. Auf der Grundlage dieser Gesetze lässt sich eine Sphäre von möglichen von einer

18 Christof Rapp macht in seinem Kommentar zur Rhetorik des Aristoteles darauf aufmerksam, dass, obgleich dieser in seiner Bestimmung des rhetorischen Feldes nicht den Begriff techne, sondern den Begriff der dynamis verwendet, dieser mit jenem jedoch in Einklang steht. „Die Bestimmung der Rhetorik als Fähigkeit steht nicht im Widerspruch zu ihrem in Kapitel I.1 hervorgehobenen Kunst-[techne]-Charakter. […] Wichtig ist nun, dass der Begriff der Fähigkeit im vorliegenden Zusammenhang keinesfalls benutzt wird, um den Rückfall in [einen] vormethodischen Bereich anzuzeigen, sondern dem […] skizzierten Begriff der methodisch angeleiteten Kompetenz entspricht.“ (Rapp, Christof: Kommentar zu Aristoteles Rhetorik. In: Aristoteles Werkausgabe Bd. 4 zweiter Halbband. Berlin 2002. S. 137)

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Sphäre von unmöglichen Ereignissen unterscheiden. Was den Naturgesetzen entspricht, ist theoretisch möglich, was ihnen widerspricht, ist hingegen unmöglich. Rhetorische Regeln können demnach nicht den Stellenwert von Naturgesetzen haben, denn undeutlich oder sprachlich inkorrekt zu sprechen, ist offensichtlich nicht nur möglich, sondern mitunter auch gängige Praxis. Moralische Regeln unterscheiden, vereinfachend gesagt, nach moralisch gut und moralisch schlecht, juristische Gesetze hingegen nach erlaubt und verboten. Zwar lassen beide Regeltypen, im Gegensatz zu Naturgesetzen, Ereignisse zu, die gegen die Regeln verstoßen, aber auch bei diesen versteht man nur ex negativo, was rhetorische Regeln sind, denn weder ist es unmoralisch noch juristisch verboten, rhetorische Regeln zu verletzen. Rhetorische Regeln unterscheiden nach rhetorisch gelungen und rhetorisch misslungen. An dieser Stelle nicht den durch rhetorische Regeln aufgemachten Raum als einen zu bestimmen, der nach persuasiv oder erfolgreich und nicht persuasiv oder erfolglos unterscheidet, ist dem Umstand geschuldet, dass aufgrund kontingenter Einflussfaktoren sich ein solches Regelsystem nicht tradieren ließe. Was heute in einem bestimmen Setting vor einem bestimmten Publikum von einem bestimmen orator zu einem bestimmten Thema auf eine bestimmte Art und Weise erfolgreich gesagt, gezeigt oder getan wurde, kann morgen schon weniger erfolgreich sein. Kunstgemäß im Sinne der Rhetorik ist eine Darbietung demnach schon dann, wenn sie nach den Regeln der Kunst erfolgreich sein könnte. Obgleich es dabei jedoch in den meisten Fällen angemessen ist, korrekt, klar und deutlich zu formulieren, lässt es die Rhetorik eben auch zu, die bewusste Missachtung dieser Regeln als rhetorisch gelungen gelten zu lassen.19 Der rhetorisch begründbare Regelbruch ist Teil des rhetorischen Regelsystems. Genau das grenzt rhetorische Regeln von den oben genannten am deutlichsten ab und schließlich zeigt sich auch genau hierin die starke Parallele rhetorischer Regeln zum Bereich der Gestaltung. Denn: Folgt man der Deviationstheorie rhetorischer Figuren, so sind alle Stilfiguren im Grunde nichts anderes als Verstöße 19 Ein Beispiel hierfür bei Quintilian. Dabei geht es um die Frage der richtigen und klaren Benennung und der eigentlichen Bedeutung von Wörtern: „In dieser Form des eigentlichen Ausdrucks nun, die für jedes Ding den eigentlichen Namen gebraucht, liegt kein Vorzug der Rede, dagegen ist das, was gegen sie verstößt, ein Fehler.“ (Quint. Inst. Orat. VIII 2, 3.) Der Gebrauch uneigentlicher Ausdrücke ist demnach ein Fehler. Allerdings kann eben dieser Fehler auch zur Figur werden: „Auch der übertragende Gebrauch (die Metapher), in dem ja wohl der wichtigste Schmuck der Rede besteht, macht Worte für Dinge passend, die es eigentlich nicht sind. Deshalb bezieht sich die eigentliche Bedeutung des Ausdrucks nicht auf die Benennung, sondern auf die Kraft zu kennzeichnen, und lässt sich nicht nach dem Klang, sondern nach dem Sinn abwägen.“ (ebd. VIII 2,6.) Ein Fehler kann demnach eine wirkungsvolle Figur sein, wenn sie angemessen (in diesem Falle als eine angemessene Übertragung des Sinns) erscheint.

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gegen die Tugenden der Rhetorik oder zumindest deutliche Abweichungen vom gewöhnlichen Sprachgebrauch.20 Und selbst wenn man ihr nicht folgt, sind es noch die meisten.21 Metaphern und Synekdochen sprechen uneigentlich aus, was doch eigentlich gesagt werden sollte, Ellipsen sind Verstöße gegen die Grammatik und Wiederholungen gegen den Stil. Und ist nicht jede gelungene Gestaltung auch eine Mischung aus breiter Regel- und Konventionsbefolgung bei gleichzeitiger gezielter und damit eben bewusster Regelverletzung? Wie an anderer Stelle bereits deutlich gemacht wurde, versuchen viele Werbeplakate letztlich genau auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erregen (attentum parare) und zu binden.22 Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Die rhetorisch gelungene Regelverletzung ist keine zufällige. Wer die Regeln nicht kennt, kann sie auch nicht bewusst verletzen und überlässt damit den möglichen rhetorischen Erfolg dem Zufall; genauer: Wer die Regeln nicht kennt, besitzt zwar möglichweise ein rhetorisch glückliches Talent, beherrscht aber nicht die rhetorische Kunst.23 Olympiodor, der Kommentator des platonischen Dialogs Gorgias, präzisierte die platonische Kritik an der Rhetorik, nach welcher diese eben keine techne sei, indem er selige als eine Methode bestimmt.24 Soll Rhetorik eine techne sein, so muss sie als Methode fungieren können, das heißt, es geht um „ein geregeltes, das Allgemeine eines Vorgangs erfassendes Verfahren.“25 In eben dieser Weise soll in der vorliegenden Arbeit von Rhetorik gesprochen werden. Die hier zu entwerfende Designrhetorik macht es sich zur Aufgabe, Regeln zu entwickeln, die in der Analyse eines gegebenen 20 Vgl. Knape, Joachim: Figurenlehre. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. Gerd Ueding. Bd. 3. Tübingen 1996. Sp. 289-342. 21 „Das Deviationsprinzip bleibt für Figuren grammatisch-semantischer oder pragmatischer Anomalie nach wie vor gültig. Hier sind zunächst die Barbarismen und Soloecismen zu nennen, also Oberflächenstrukturen, die vom grammatischen Orthosystem abweichen und, bewusst angewendet, Figuralstatus erhalten können. Sodann die Figuren semantischer Uneigentlichkeit (Tropen), voran die Metapher; sie erzeugen kotextuelle Kohärenzbrüche, indem sie von den semantischen Solidaritätsregeln einer Sprache abweichen. Schließlich sind noch die Figuren pragmatischer Uneigentlichkeit (z.B. indirekte Sprechakte wie die rhetorische Frage) zu nennen, die sich auf Abweichung von Kommunikationsregeln und Konversationsmaximen gründen.“ (Knape 1996. Sp. 296.) 22 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel III. 23 Übertragen auf den Gestaltungsbereich kann aufgrund dieser Unterscheidung deutlich gemacht werden, warum die Ausbildung von Gestaltern an Hochschulen meistenteils das Anfertigen einer Serie als Prüfungsleistung verlangt. Ein Einzelbild mag auch Produkt aus Talent und Zufall sein. Eine Serie, die zudem noch sprachlich begleitend in der Prüfung vorzustellen ist, gibt da bessere Möglichkeiten, die kunstgemäße Gestaltung zu beurteilen. 24 Robling 1992. Sp.1012. 25 Ebd.

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Designproduktes es erlauben, rhetorisch gelungene von rhetorisch misslungenen zu unterscheiden. Eine Designrhetorik ist in diesem Sinne eine techne, so dass es mit ihrer Hilfe möglich sein soll, Designprodukte und -prozesse rhetorisch zu beschreiben. Sie ist aber auch in dem Sinne eine techne, dass die zu entwickelnden Regeln es ermöglichen sollen, rhetorische Ansatzpunkte für die Praxis des Entwerfens und Gestaltens zu geben. Der Fokus dieser Arbeit liegt hierbei jedoch ganz klar auf der Entwicklung eines rhetorischen Analyseinstrumentes für Produkte des Designs. Hierfür nutzt die Designrhetorik sowohl klassisch-rhetorische Konzepte und Schemata als auch das Erfahrungswissen praktizierender Gestalter, das in Form von Gestaltungshandbüchern, Kreativitätstechniken und Look-Books mehr oder weniger systematisiert zugänglich ist, sowie die gezielte Betrachtung von Designprodukten unter rhetorischen Gesichtspunkten. Scheuermann betont in diesem Sinne, dass aus „der ‚Heskett’schen Sackgasse‘ des Alles-ist-Design […] der Weg zurück nur über die Praxis“26 führt. Er schreibt weiter: „Design ist ein Prozess, in dem sich Theorie und Methode materialisieren. Dabei geht die Praxis ihrer Theorie weder voraus noch folgt sie ihr nach.“27 Eben darum ist es für Scheuermann auch wichtig, die Designrhetorik aus der Praxis des Designs heraus zu entwickeln, denn „Designer lernen ihr Handwerk durch Anschauung und Nachahmung – genauso wie die rhetores seit der Antike das Halten ihrer Reden durch Anschauung und Selbsterfahrung lernen.“28 Insbesondere dient die Betrachtung von Designprodukten unter rhetorischem Blickwinkel vor allem zwei Zwecken: Zum einen sollen die theoretischen Überlegungen an den Gestaltungsprodukten erprobt, zum andern aber auch illustriert werden. Aus dieser Zweckbestimmung resultiert der Stellenwert der konkret zu besprechenden Gestaltungsprodukte innerhalb dieser Arbeit: sie dienen als Beispiele. 3.2 pithanon – Persuasion und Identifikation 3.2.1 Persuasion als Kernbegriff der klassischen Rhetorik Wenden wir uns nun dem zweiten wesentlichen Aspekt der aristotelischen Bestimmung der Rhetorik zu: dem möglicherweise Glaubenerweckenden. Augenfällig sind hierbei zwei Teilaspekte wichtig herauszustellen: Zum einen greift Aristoteles die schon zu seiner Zeit gängige Vorstellung auf, dass es die Rhetorik mit der peitho zu tun habe, also mit den Dingen, die in der Lage sind, glaubhaft zu sein bzw., die die Kraft haben, andere Dinge glaubhaft erscheinen zu lassen. Das Ziel der rhetorischen

26 Scheuermann 2009. S. 16. 27 Ebd. 28 Ebd. S. 9.

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Bemühung ist stets durch die Bemühung um ein Publikum bestimmt, das es von etwas zu überzeugen gilt.29 Daher greift Aristoteles in dieser Bestimmung mit dem Begriff pithanon etwas auf, was die römische Rhetorik und fortan die Rhetoriktheorie als Persuasion bezeichnet. Zum anderen aber wendet sich Aristoteles durch die Hinzufügung der Einschränkung auf das, was eben nur möglicherweise persuasiv ist, entschieden gegen sophistische Vorstellungen von der uneingeschränkten Macht der Seelenführung durch die Rhetorik. Da alles, was überzeugend ist, immer für jemanden in einer bestimmten Situation überzeugend ist, und nicht einfach durch sich selbst und unabhängig von einer richtenden Publikumsinstanz30, wird die überzeugende Wirkung auch von Publikum zu Publikum und von Situation zu Situation variieren können. Letztlich stellt die Rhetorik kein Herrschaftswissen in dem Sinne dar, dass der sich ihr bedienende rhetor eine wohl kalkulierte Wirkung auch stets genau zu erzielen vermag. Durch die Einschränkung auf das, was eben nur möglicherweise überzeugend ist, wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Reaktionen eines Publikums nicht bis ins Letzte kalkulierbar sind und immer einen gewissen Grad an Kontingenz aufweisen. Im Weiteren gilt es, den Begriff der Persuasion näher zu bestimmen, da dieser, als Kernbegriff der klassischen Rhetorik, auch im Verlauf dieser Arbeit eine zentrale Stellung einnehmen wird. Versucht man, das Verhältnis der klassischen Rhetorik zur Persuasion zu bestimmen, so stellt sich schnell eine eigenwillige Beobachtung ein. Auf der einen Seite ist dieser Begriff und das mit diesem Verbundene Persuasionskonzept ganz klar der Kernbegriff, um den sich alle rhetorisch-praktischen Bemühungen wie auch alle rhetorisch-theoretischen Erörterungen drehen. So steht das Überzeugen, beziehungsweise Überreden, bereits als fester Bestandteil hinter der Korax und Teisias zugeschriebenen Bestimmung der Rhetorik als der „Schöpferin oder Meisterin der Überzeugung“31. Der Auctor ad Herennium betont, dass die Rhetorik auf die Erlangung der Zustimmung der Zuhörer ziele,32 Cicero erklärt mit der Persuasion die Aufgabe des rhetors, „ganz aufs Überzeugen bedacht zu reden“33 und Quintilian greift in gleicher Weise auf den Begriff der Persuasion zurück, um das Ziel aller 29 Vgl. Arist. Rhet. 1358b. Dort heißt es: „Es basiert nämlich die Rede auf dreierlei: dem Redner, dem Gegenstand, über den er redet, sowie jemandem, zu dem er redet, und seine Absicht zielt auf diesen – ich meine den Zuhörer.“ 30 Tautologien sind unabhängig von einer richtenden Publikumsinstanz wahr und glaubhaft. Allerdings haben diese als Tautologien auch keinen informativen Wert, so dass selbige im persuasiven Prozess keine Rolle spielen. 31 Zit. nach: Knape, Joachim: Persuasion. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003. Sp. 874-907. Hier: Sp. 893. 32 Vgl. Auct. Ad Her. I,2,2. 33 Knape 2003. Sp. 893. Bei Cicero heißt es: “dicere ad persuadendum accommodate.” (Cic. De Or. I,138.)

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rhetorischen Bemühungen zu erfassen. Auch auf mythologischer Ebene wird Persuasion, wie Peter L. Oesterreich betont, mit der gezielten Verführung anderer sowohl im griechischen als auch im römischen Verständnis tradiert. So ist Peitho als die personifizierte Überzeugung eine ständige Begleiterin der Aphrodite und die römische Venus erhält den Beinamen Suada, der die erotisch-ästhetische Dimension der Rhetorik betont, womit auch die mythologische Deutung die rhetorische Persuasion als eine werbende und gewinnende Rede beschreibt.34 „Die Peitho verkörpert die Macht der erotischen Rede, die den Geliebten oder die Geliebte umwirbt und zu gewinnen vermag.“35 Obgleich das Thema Überzeugen/Überreden so zentral für die Rhetorik ist, findet sich doch keine genauere Bestimmung dessen, was unter Persuasion verstanden werden kann. Es scheint, als sei dieser Begriff und das mit ihm verbundene Konzept aus der Sicht der klassischen Rhetorik als hinreichend bekannt und keiner weiteren Erklärung bedürftig vorausgesetzt. Dies mag vielleicht auch wenig verwundern, wenn man bedenkt, dass die klassische Rhetorik es hauptsächlich mit der öffentlichen Rede zu tun hat. Die drei Redegattungen – juristische Rede, beratende Rede und Festrede – umschreiben stets Redesituationen, in denen die erzielte Wirkung beim Publikum sich aufgrund der face-to-face-Situation im Grunde direkt und unmittelbar zeigt. Ob ein Richter von einer Sache und ihrer Darlegungsart überzeugt wurde, zeigt sich sofort während oder direkt nach der Gerichtsverhandlung, indem dieser sich für oder gegen die vorgetragene Sache entscheidet. Ebenso verhält es sich mit Zustimmung und Beifall oder Ablehnung und Missmut im Fall der epideiktischen Redegattung. Im Bereich der deliberativen Rede, also der Redegattung, die sich mit dem Zu- oder Abraten befasst und sich damit im Allgemeinen auf die Zukunft richtet, ist der langfristige Erfolg der Rede jedoch nicht immer einsehbar. Insbesondere ist aus der Übereinstimmung der in der Rede vorgeschlagenen Handlungsweise mit der später tatsächlich erfolgten Handlung noch nicht der Rückschluss zulässig, dass die Rede letztlich der persuasive Anstoß zu einer solchen Handlung war. Allerdings scheint diese Problematik weniger im Interesse der klassischen Rhetoriktheorie zu liegen und wird daher nicht thematisiert. Den Begriff der Persuasion näher zu bestimmen, als dies innerhalb der klassischen Rhetorik der Fall ist, wurde erst eine Aufgabe der modernen Rhetoriktheorie, insbesondere der rhetorischen Theorien nach der ‚Wiederentdeckung der Rhetorik‘ im 20. Jahrhundert. Dies erklärt sich wenigstens zum Teil daher, dass spätestens im 20. Jahrhundert die Frage nach den Möglichkeiten massenmedial vermittelter, auf Persuasion zielender rhetorischer Bemühungen vehement wurde. Sei es im Bereich

34 Vgl. Oesterreich, Peter L.: Fundamentalrhetorik. Untersuchung zu Person und Rede in der Öffentlichkeit. Hamburg 1990. S. 47-51. 35 Ebd. S. 49.

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der Rhetorik der Tagespresse, des Hörfunks, des Fernsehens, des Internets oder anderer Formen von Multimedia. Grundsätzlich lassen sich in der modernen Auseinandersetzung um das Phänomen der Persuasion verschiedene Herangehensweisen und Auffassungen unterscheiden: Zum einen sind diese bedingt durch die Disziplinen und deren disziplinären Methoden, Terminologien und Blickweisen auf persuasive Prozesse. So spielt das Thema der Persuasion klarer Weise eine wichtige Rolle in den Bereichen der Sprachund Medienwirkungsforschung, der Kommunikationswissenschaft, der Psychologie und natürlich weiterhin auch in der weiter ausdifferenzierten Rhetorikforschung. Zum anderen werden auch innerhalb der modernen rhetorischen Theorien – auf die es hier vor allem ankommt – wenigstens zwei unterschiedliche Wege der Bestimmung des Persuasionsbegriffes unterscheidbar. Da es dieser Arbeit nicht darum geht, die Theorien der Persuasion vollständig und umfassend vorzustellen und zu besprechen, sondern allein darum, einen Grundbegriff der weiteren Arbeit einzuführen, und da diese Arbeit dezidiert rhetorischen Theorien verpflichtet ist, werden hier Erkenntnisse aus den oben genannten Bereichen nur dann Eingang in die Überlegungen finden, wenn selbige eine direkte Weiterentwicklung der hier zugrunde gelegten rhetorischen Theorie zu liefern versprechen. Daher konzentriert sich dieser Abschnitt auch auf die rhetorischen Auffassungen des Persuasionsbegriffs. In expliziter Anknüpfung an die klassische Rhetorik und verstanden als Weiterentwicklung des als klassisch geltenden Rhetorikverständnisses der griechisch-römischen Rhetorik, bemüht sich die sogenannte Tübinger Rhetorik um eine nähere Bestimmung des Persuasionsbegriffs. Zum Zweck der Explikation vor allem klassischrhetorischer Termini ist aus dieser Richtung auch das Großprojekt des Historischen Wörterbuchs der Rhetorik entstanden. Zum Begriff der Persuasion findet sich darin im Beitrag Joachim Knapes: „Mit Persuasion wird struktural der Wechsel von einem mentalen Zustand in einen anderen bezeichnet, der beim Menschen als erwünschte Reaktion auf kalkulierte, Widerstand umgehende oder überwindende rhetorische Handlung eintritt.“36 Das zentrale Motiv dieses Persuasionsbegriffs ruht auf dem im agonalen Zusammenhang des Überwindens oder strategischen Umgehens von Widerständen stehenden mentalen Wechsels der Einstellungen oder Überzeugungen, den Knape mit dem Begriff der „Wechselerzeugung“37 zu charakterisieren versucht. Demnach setzt Rhetorik dann ein, „wenn ein Vorsprecher sein Zertum, also eine Überzeugung irgendwelcher Art, willenskräftig im Ego autem dico zum Ausdruck bringt.“38 ‚Ego autem dico‘ bedeutet ‚ich aber sage‘ und verweist abermals auf den 36 Knape 2003. Sp. 874. 37 Knape, Joachim: Persuasion und Kommunikation. In: Rhetorische Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus. Hrsg. von Josef Kopperschmidt. München 2000. S. 171-181. Hier: S. 172. 38 Knape, Joachim: Was ist Rhetorik? Stuttgart 2012. S. 79.

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agon, den Wettstreit der Meinungen, in welchem nach diesem – durchaus klassischen – Verständnis Rhetorik angesiedelt ist. Vor diesem Hintergrund führt Knape weiter aus: „Aus seiner Perspektive [der des orators als Vorsprecher] bekommen die anderen Menschen dabei die Rolle von Nachsprechern zugewiesen. Rhetoriktheoretisch gesehen, ist eine solche asymmetrische kommunikative Lage konstitutiv. Ein kurzfristiges kommunikatives Ziel ist erreicht, wenn Konsens dergestalt eintritt, dass am Ende in der anstehenden Sache alle die Meinung des Orators übernommen haben.“39

Hierin zeigt sich deutlich die restriktive Auffassung von Rhetorik, für die es Knape folgend konstitutiv sei, dass eine herrschaftliche Asymmetrie zwischen orator und Publikum besteht, die letztlich jedoch beide verkürzt: Der orator als Vorsprecher wird zum bloßen Sprachwerkzeug in ausschließlicher output-Funktion, scheinbar ohne über ein Sinnesorgan zu verfügen, um Reaktionen – und durchaus auch Aktionen des Publikums – berücksichtigen zu können. Auf der anderen Seite wird die Publikumsinstanz auf eine bloße Empfängereinheit verkürzt, die nach Knape wohl nur binär zwischen Nachplappern oder Nicht-Nachplappern entscheiden könne. Die Situation, die einer solchen Auffassung offensichtlich Pate steht, kann nur eine sein, die höchst restriktiv organisiert ist und nur einen klar ausgewiesenen und wohlkalkulierenden Redner kennt: Die zugrundeliegende Situation kann man sich wohl als eine oratorfixierte parlamentarische Debatte oder – vielleicht eher noch, da deutlich asymmetrischer – als eine Volksrede oder Predigt vorstellen. Ohne Zweifel stellt die Volksrede eine genuin rhetorische Situation dar, doch mag es zweifelhaft sein, ob selbige zum konstitutiven Fall rhetorischer Bemühungen insgesamt erklärt werden kann und sollte. Insbesondere wenn es, wie in dieser Arbeit, um die rhetorische Dimension in Designprozessen und die ‚Rhetorik des Designproduktes‘ geht, erweist sich, wie noch zu zeigen sein wird, ein solches Rhetorikverständnis mit seiner Fixierung auf die scheinbare Autonomie des orators als zu eng. Die hier betonte Asymmetrie spielt in der Rhetorik durchaus eine wichtige Rolle, muss aber nicht als konstitutiv für den rhetorischen Fall gesehen werden, sondern eher als konstitutiv für ein bestimmtes rhetorisches Setting. Eben hierin zeigt sich schon, dass es eines rhetorisch bestimmten Situationsbegriffes bedarf, der im Laufe dieses Kapitels noch zu entwickeln ist. Aber zurück zum Begriff der Persuasion: „Langfristiges Ziel wäre die Verfestigung dieser Meinung als Einstellung bei den Kommunikationspartnern. Ziel der Rhetorik ist also immer die gesteuerte Adjustierung oder Assimilierung von Kommunikationspartnern, zunächst auf kognitiver Ebene, dann aber auch auf der

39 Ebd.

60 | R HETORIK DER STADT Ebene des Verhaltens. Wir nennen das rhetorische Handeln Persuasion, d.h. Lenkung des Denkens der anderen nach dem auf Veränderung gerichteten Metabolieprinzip (Standpunktwechsel in Hinsicht auf Meinung, Einstellung oder Verhalten).“40

Das Metabolieprinzip, das vorher bereits als Wechselerzeugung charakterisiert wurde, wird als Explikation dessen, was unter Persuasion verstanden werden kann, zum Kerngeschäft der Rhetorik. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum vom rhetorischen Fall laut Knape nur gesprochen werden kann, wenn tatsächlich Hindernisse auf Seiten des Rezipienten, seien es kommunikative, kognitive oder einstellungsbezogene, in der rhetorischen actio überwunden wurden. Denn von einem Wechsel kann nur gesprochen werden, wenn ein Zustand A (vor den rhetorischen Bemühungen des rhetors) sich von einem Zustand B (nach diesen Bemühungen) auch tatsächlich unterscheidet. Und da davon auszugehen ist, dass eine Publikumsinstanz solange an ihren für gewiss gehaltenen Überzeugungen festhalten wird, bis sich Konflikte oder Widersprüche ergeben, erscheinen eben diese Überzeugungen als zu überwindende Widerstände. Gleichzeitig – darauf wird gleich nochmal zurückzukommen sein – sind genau diese Ausgangsgewissheiten auch der rhetorische Grund, auf dem jedes persuasive Streben ruht. Zunächst bleibt aber festzuhalten, dass eine einseitige Überbetonung der Rolle des Widerstandes in eine paradoxe Lage führt: Denn in dem Fall, in welchem ein Redner wider Erwarten bei seinem Publikum nicht auf derartige Widerstände stößt und sprichwörtlich ‚offene Türen einrennt‘, wird demnach die Frage, ob es sich überhaupt noch um eine rhetorisch zu nennende Bemühung handelt, relevant. Schafft der Redner es nicht, einen Wechsel zumindest auf kognitiver Ebene herbeizuführen, gilt er dieser Theorie folgend als rhetorisch gescheitert – verbleibt allerdings mit seinen Bemühungen noch im Rahmen der Rhetorik. Schafft er es hingegen nicht, den Wechsel herbeizuführen, da ein solcher gar nicht notwendig ist, verlässt der Redner den Rahmen dessen, was Knape als rhetorisch versteht. Demnach scheitert ein solcher Redner auch nicht rhetorisch, genauer noch: das kommunikative Verhalten dieses Redners ließe sich – nimmt man die für die Rhetorik angegebene konstitutive Rolle der Überwindung von Widerständen zur Wechselerzeugung ernst – gar nicht mehr rhetorisch beschreiben. Das erscheint insbesondere vor dem Hintergrund verwunderlich, dass schon in der klassischen Rhetorik mit der Kategorie der doxa, also der anerkannten Meinungen, auf die der rhetor alle seine rhetorischen Bemühungen aufbaut, klar die Anknüpfung an bestehende Meinungen als Grundlage der Persuasion herausgestellt wird. Eine Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs wird möglich, wenn zwei Arten der Persuasion unterschieden werden: Auf der einen Seite zielt die rhetorische Bemühung auf einen Wechsel der Überzeugungen und Einstellungen der Publikumsinstanz (dies betont besonders Knape), auf der anderen Seite werden zu diesem Zweck Mittel benutzt, die insofern als persuasiv bezeichnet 40 Ebd.

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werden können, als sie gerade an den bestehenden Überzeugungen und Einstellungen anknüpfen können. Diese Unterscheidung beruht auf dem „merkwürdigen Widerspruch“41, den Umberto Eco als Charakteristikum der Rhetorik ausweist: „Einerseits neigt die Rhetorik dazu, die Aufmerksamkeit auf eine Rede zu fixieren, die auf ungewohnte (informative) Art von etwas überzeugen will, was der Zuhörer noch nicht wusste. Andererseits erreicht sie dies Ziel dadurch, dass sie von etwas ausgeht, was der Hörer schon weiß und will, und dass sie zu beweisen versucht, wie die Schlussfolgerung sich ganz natürlich daraus ableitet.“42

Rhetorik schwankt für Eco damit stets zwischen Redundanz und Information. Während der Begriff der Information Persuasion als Ziel bezeichnet, wird mit dem Begriff der Redundanz auf den Gebrauch persuasiver Mittel aufmerksam gemacht. Um den Begriff der Persuasion zu verstehen, reicht es demnach nicht, allein auf den Wechsel zu fokussieren, noch scheint es hinreichend, diesen zum konstitutiven Moment der Persuasion zu erklären. Ein solches Verständnis entspringt im Falle der Tübinger Rhetorik ganz klar der Zentrierung auf den orator (rhetor) als den „strategischen Kommunikator“43 und „archimedische[n] Punkt der Rhetoriktheorie“44, der als Ausgangs- und Endpunkt der rhetorischen Theorie firmiert. Obgleich auch Knape nicht leugnen kann, dass die orator-Instanz nicht per se ein individueller Mensch ist, der als Autor oder Urheber mit persönlichen Besitzrechten ausgestattet ist, sondern oftmals eine kollektive Größe (wie im Falle von Nachrichten- oder Werbeagenturen, Pressesprechern, etc.) darstellt, so räumt er doch der ersten Auffassung gegenüber der zweiten ein Primat ein: „Gegenüber der einzelmenschlichen orator-Perspektive hat aber jede Inblicknahme von institutionellen Kommunikatoren (Institutionen oder Gruppen, die gewissermaßen ‚mit einer Stimme‘ in Werbung, Public Relations etc.

41 Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik. München 2002. S. 184. 42 Ebd. 43 Knape 2012. S. 33. 44 Ebd. Ein archimedischer Punkt ist ein Punkt außerhalb eines Systems, von dem aus das System bewegt (etwa mit einem Hebel) werden kann. Folglich gilt: Dieser ‚Punkt‘ ist nur dann ein archimedischer, wenn er nicht in das System involviert ist. Nimmt man die Rede vom orator als dem archimedischen Punkt der Rhetoriktheorie ernst, so hieße das, dass der orator außerhalb der Rhetoriktheorie läge. Die Figur des orators könne dann selbst nicht Teil der Rhetorik sein, sondern diene als postulierter Punkt für den ‚rhetorischen Hebel‘ der Persuasion. Als solche hätte die orator-Instanz eine axiomatische Funktion, die sich nicht rhetorisch analysieren ließe. Es erscheint mir paradox wie es möglich sein soll, eine ganz klar orator-zentrierte Rhetoriktheorie vertreten zu wollen, wenn man zugleich den orator aus der Rhetoriktheorie katapultiert.

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sprechen) derivativen Status.“45 Mit dieser Position versucht Knape, dem in der modernen Medientheorie diagnostizierten techisch-strukturell bedingten Autorverlust46 zu begegnen, verkehrt aber dabei – zumindest im Sinne der vorliegenden Arbeit – die Gewichtungen kooperativer und kollektiver gegenüber individuellen orator-Instanzen. Im Bereich des Designs lässt sich mit einem orator-Begriff, wie ihn die Tübinger Rhetorik vertritt und auf diesen die gesamte rhetorische Theorie zentriert, nichts erklären. Wer ist orator in einer Werbekampagne eines Unternehmens? Zum einen ist die orator-Instanz gleich zweifach eine kollektive Größe: das Gestaltungsbüro sowie das Unternehmen sind im Allgemeinen keine individuellen oratoren. Zum anderen sind die rhetorischen Überzeugungsgrößen, die mit der orator-Instanz zusammenhängen, unterschiedlich verteilt: Das Gestaltungsbüro agiert als Urheber der Kampagne und benutzt rhetorische Kommunikationsstrategien, die schließlich einem Unternehmen als für diese Kampagne verantwortlich zugeschrieben werden, das ethos des Unternehmens beeinflussen und gleichzeitig vom ethos des Unternehmens in ihrer Wirkung beeinflusst werden. Strategischer Kommunikator und ethos-Instanz im kommunikativen Prozess fallen in diesem Bereich nicht in einer orator-Figur zusammen. In gleicher Weise müssten unter einer Zentrierung auf den orator, wie sie in der klassischen Rhetorik und deren Fortschreibung in der Tübinger Rhetorik geschieht, auch andere Bereiche des Designs rhetorisch weitenteils unanalysierbar bleiben. Man überlege, wer die individuelle orator-Figur bei Leitsystemen, im Corporate Design, in der Buchgestaltung oder irgendeinem anderen Designbereich (der immer Auftragsarbeit ist) sein soll? Ob einem so ubiquitären Phänomenbereich rhetorisch nur ein derivativer Status zugesprochen werden sollte, scheint vor diesem Hintergrund eher fraglich. Immerhin würde dies nichts anderes bedeuten, als den gesamten Bereich der Massenkommunikation als derivativen Bereich der Rhetorik zu bestimmen.47

45 Ebd. S. 35. 46 Vgl. Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Ders.: Das Rauschen der Sprache. Frankfurt am Main 2006. S.57-63. 47 Man bedenke, dass selbst im Falle einer öffentlichen Rede beispielsweise eines Politikers, dieser immer noch für eine Partei steht, seine Rede möglicherweise von einem Redenschreiber verfasst wurde und – im Falle der medialen Übertragung – diese Rede nur als Auszug, eingebettet in eine Nachrichtensendung und unter Kommentarfunktion eines Nachrichtensprechers (dessen Skript unter Umständen auch nicht von ihm selbst verfasst wurde) aufgeführt wird. Selbst in diesem massenkommunikativ paradigmatischen Fall erscheint eine Zentrierung auf den individuellen orator als unzulässige Verkürzung. Zudem tritt im Falle kollektiver Autorenschaft oftmals ein Phänomen auf, das eine Zuweisung klarer orator-Figuren zusätzlich verkompliziert. Beispielsweise im Bereich der Werbung ist das konkrete Werbeplakat, welches an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten

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3.2.2 Orator, rhetor, Rhetoriker Bevor wir uns einem zweiten Persuasionsverständis zuwenden, welches für die vorliegende Arbeit wichtige Anschlüsse bereithält, sollen die eben skizzierten Schwierigkeiten mit der Funktion und dem Begriff des orators, wie sie durch die Auseinandersetzung mit Knape deutlich wurden, zum Anlass für eine Unterscheidung genommen werden. Es gilt drei Funktionen zu unterscheiden: a) die rhetor-Funktion, b) die orator-Funktion und c) die Funktion des Rhetorikers. Diese Funktionen können, müssen aber nicht, in Personalunion vertreten sein und bezeichnen spezifische Aspekte des rhetorischen Prozesses. Nachfolgend seien diese Funktionen kurz umrissen: Der rhetor (als Einzelner oder auch als Gruppe) kann als Funktion wirkungsintentionalen, das heißt strategisch Wirkung kalkulierenden Gestaltens, bestimmt werden. Der rhetor nutzt auf der Basis seiner Identifikation des potentiellen Zielpublikums spezifische, als angemessen empfundene Überzeugungsmittel aus den Bereichen des ethos, pathos und logos, um eben diesem Zielpublikum ganz bestimmte Identifikationsangebote48 zu machen und auf diese Weise auf das Zielpublikum (potentiell) persuasiven Einfluss zu nehmen. Insofern das ethos ein Überzeugungsmittel darstellt, welches seine persuasive Kraft aus dem ‚Charakter des Redners‘ ableitet, ist der Redner (der orator) selbst ein Produkt des wirkungsintentional planenden rhetors. Der orator ist die Instanz, der vom Publikum ein ethos zugesprochen wird und deren ethos nicht Zeit ein mehr oder weniger genau bestimmtes Publikum ansprechen soll, bereits ein Produkt mehrschichtiger rhetorischer Prozesse. Innerhalb eines Gestaltungsbüros bedarf es überzeugender Argumente, um den Creative Director und andere Mitglieder der Produktion von Einzelresultaten zu überzeugen. Die orator-Figur ist durch die arbeitsteiligen Prozesse bereits mehrfach geteilt. Das Gestaltungsbüro wird schließlich die Auftraggeber zu überzeugen haben, dass das gelieferte Resultat auch deren Wünschen und Zielvorstellungen entspricht und die gewünschte Wirkung beim Endpublikum wenigstens potentiell auch entfalten kann. Die Publikumsinstanz (Auftraggeber) wird im weiteren Prozess als die Instanz erscheinen, für die die Kampagne Werbung machen soll und deren ethos ganz wesentlich sowohl den Erfolg der Kampagne mitbestimmen wird als auch durch die Kampagne selbst mitbestimmt und verändert werden kann (etwa bei Imagekampagnen). Demnach wird aus der Publikumsinstanz (Auftraggeber) im nächsten Schritt die orator-Instanz (werbendes Unternehmen). An diesem Beispiel wird eines deutlich: Wer Designprodukte rhetorisch zu analysieren gedenkt, und bei dieser Analyse den Anfang beim Produkt nimmt, der wird wohl eher nicht zu einer individualisierbaren orator-Figur gelangen. In vergleichbarer Weise – das sei hier nur erwähnt – führt auch Hermann Barth seine rhetorische Analyse des filmischen Diskurses. Barth unterscheidet hierbei mehrere Kommunikationsebenen, wobei jede mit unterschiedlichen oratoren und orator-Kollektiven arbeitet. Vgl. Hermann Barth: Psychagogische Strategien des filmischen Diskurses in G. W. Pabsts Kameradschaft. München 1990. 48 Zum Identifikationsbegriff siehe das folgende Unterkapitel.

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nur den persuasiven Prozess stützt, sondern zugleich auch durch diesen bekräftigt, geschwächt oder variiert werden kann. Der orator und dessen ethos können, wie im Falle einer Imagekampagne, zudem auch selbst Gegenstand der rhetorischen Bemühungen eines rhetors sein. Die Funktionen orator und rhetor befinden sich demnach an unterschiedlichen Stellen des rhetorischen Prozesses: Der rhetor verfügt als planende Instanz über Mittel und setzt diese nach ihren erfolgsversprechenden Wirkungen (mehr oder weniger) bewusst ein. Der orator hingegen findet sich innerhalb dieser Überlegungen des rhetors wahlweise auf der Seite der rhetorischen Mittel (etwa bei einer Charakterinszenierung zu bestimmten Zwecken) oder auf der Seite des Gegenstandes rhetorischer Bemühungen selbst. In beiden Fällen stellt der orator eine Produktgröße dar, die vom rhetor in spezifischer Weise (mit)erzeugt wird. RhetorFunktion und orator-Funktion können in Personalunion fallen, wenn der strategisch planende zugleich der dem Publikum präsentierte Redner ist. Selbst dann aber bleiben die Fragen der ethos-Inszenierung, die der rhetor in seinen Planungen berücksichtigen mag, Fragen der Kreation eines bestimmten ‚Bildes von sich selbst‘ und damit Fragen der Kreation eines orators. In arbeitsteiligen Prozessen ist anzunehmen, dass die Trennung der rhetor- und orator-Funktion sogar den rhetorischen Standardfall ausmacht. Mit dem Rhetoriker schließlich sei eine Funktion benannt, die im Nachgang den rhetorischen Prozess und dessen eingetretene oder zu erwartende Ergebnisse zu analysieren versucht. In seinen Versuchen, den Prozess und Ausgang rhetorischer Bemühungen zu begründen, greift der Rhetoriker nicht nur auf bestehende Systematiken zurück, sondern entwickelt diese auch weiter und stellt auf diese Weise seine Analysen der Rhetoriktheorie zur Verfügung. Gleichzeitig führt der Rhetoriker aber auch – im Idealfall – die Ergebnisse seiner Analysen der Praxis wieder zu, indem diese hieraus möglichen Schlüsse für zukünftige rhetorische Bemühungen entnehmen kann. Diese Funktion bezeichnet in ihrem Kern letztlich nichts anderes als die Instanz zu bezeichnen, die die Rhetorik als Erfahrungswissenschaft kennzeichnet. Will man die hier unterschiedenen drei Funktionen mit einem Stichwort umreißen, so kann man sagen, dass diese für die Aspekte der Planung (rhetor), Aufführung (orator) und Bewertung (Rhetoriker) rhetorischer Prozesse und Produkte stehen. 3.2.3 Identifikation als Kernbegriff der New Rhetoric Ein umfassenderes Verständnis von Rhetorik, das das, was Eco mit dem Verhältnis von Redundanz und Information bezeichnet, miteinbezieht, entwickelt die als ‚New Rhetoric‘ bezeichnete Rhetoriktradition, als deren Hauptvertreter Kenneth Burke gelten kann. Burkes komplexes Rhetorikverständnis wird im Weiteren anhand einiger Grundbegriffe eingeführt. Für den Zusammenhang dieses Unterkapitels ist der zentrale Begriff bei Burke der der Identifikation. „With this term as instrument, we seek to mark off the areas of rhetoric, by showing how a rhetorical motive is often present

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where it is not usually recognized, or thought to belong.”49 Burke führt den Begriff der Identifikation in A Rhetoric of Motives ein, da ihm der Begriff der Persuasion als Kernbegriff der klassischen Rhetorik wie folgt erscheint: „not an accurate fit, for describing the ways in which the members of a group promote social cohesion by acting rhetorically upon themselves and one another.“50 Wie Olaf Kramer feststellt und wie es sich in diesem Zitat bereits andeutet, etabliert Burke mit dem Konzept der Identifikation ein Verständnis von Rhetorik, das nicht – oder zumindest nicht primär – auf Agonalität beruht. Und sofern „Persuasion auf Identifikation beruht, ist von einer Angleichung der Handlungsmotive von Redner und Adressat auszugehen, nicht von einem agonalen Kampf um Positionen.“51 Letztlich beruht aber für Burke auch der Kampf um Positionen auf der Notwendigkeit der Identifikation des Redners mit seinem Publikum und auf einer Rede, die darauf abzielt, dass das Publikum sich mit dem Redner und seinen Vorstellungen identifizieren kann. Persuasion ist für Burke ohne Identifikation nicht denkbar. Mehr noch: Alle persuasiven Prozesse sind nach Burke Identifikationsprozesse, weshalb er den Kernbegriff der Rhetorik auch nicht länger in dem Begriff der Persuasion sieht, sondern in der Identifikation: „If I had to sum up in one word the difference between the ‘old’ rhetoric and a ‘new’ […], I would reduce it to this: The key term for the old rhetoric was ‘persuasion’ and its stress was upon deliberate design. The key term for the ‘new’ rhetoric would be ‘identification’.”52 Allerdings schränkt Burke in A Rhetoric of Motives ein, es gehe nicht um eine bloße Ersetzung des zenralen Konzeptes der Rhetorik: „Our treatment, in terms of identification, is decidedly not meant as a substitute for the sound traditional approach. Rather, as we try to show, it is but an accessory to the standard lore.“53 In dieser Weise wird auch in der vorliegenden Arbeit das Identifikationskonzept aufgenommen, nämlich als Komplement zum klassischen Persuasionsparadigma. Ist Persuasion gebunden an das kalkulierte Überwinden oder strategische Umgehen von Widerständen, so ist Identifikation als nichts anderes zu verstehen, als der Ermöglichungsgrund eines solchen Vorgehens. Soll eine Publikumsinstanz die Gewissheit eines Zertum A zugunsten der Gewissheit eines neuen Zertum B aufgeben, so reicht es nicht aus, Widerstände zu umgehen und Gewissheiten durch Zweifel zu zersetzen. Es muss, soll der Redner nicht den Kontakt zur Publikumsinstanz und damit auch die Einflussmöglichkeiten auf diese verlieren, stets zugleich auch festgehalten werden an

49 Burke 1969a. S. XIII. 50 Ebd. S. XIV. 51 Kramer, Olaf: Identifikation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 372-379. Sp. 372. 52 Burke, Kenneth: Rhetoric – Old and New. In: New Rhetorics. Hrsg. von Martin Steinmann. New York 1967. S. 59-76. Hier: S. 62. 53 Burke 1969a. S. XIV.

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bestimmten Gewissheiten, die die Transformation von Zertum A zu Zertum B ermöglichen. Mit einem Wort: Der Schlüssel der Persuasion liegt gerade in der Identifikation. „True, the rhetorician may have to change an audience’s opinion in one respect; but he succeeds only insofar as he yields to that audience’s opinions in other respects. Some of their opinions are needed to support the fulcrum by which he would move other opinions.“54 Dies besagt deutlich, dass der „Othello-Effekt“55, von dem Knape spricht, kein reiner Effekt strategischen Zweifelsähens ist, sondern durch all die sinisteren Absichten Jagos und seiner Rhetorik der Zersetzung scheinen die Prinzipien der Identifikation deutlich durch. Denn bei all den Zweifeln, die Jago in Othello zu sähen versteht, und die Stück um Stück näher zum tragischen Ende führen, bleibt die wichtigste Basis seiner rhetorischen Möglichkeiten stets die Basis der Identifikation, die durchgehend in der Aussage zum Ausdruck kommt: „Jago ist mein Freund.“56 Nur als solchem kommt Jago das ethos zur wirkungsvollen Beeinflussung zu. Der Othello-Effekt ist damit weniger ein Beispiel für die persuasive Kraft des Zweifels – nicht zuletzt, da bloßer Zweifel wenig persuasiv ist – als für die sinistere Kraft der Identifikation. Wie Kramer feststellt: „Selbst vor dem Hintergrund agonaler Auseinandersetzungen scheint [Burke] Persuasion auf die prinzipielle Möglichkeit zur Einigung angewiesen. Ohnehin ist der Adressat ständig auf der Suche nach Möglichkeiten zur Identifikation.“57 Burke „introduced the concept of identification […] in the company of two other terms that help to shape its meaning: consubstantiality and division.“58 Ein Verständnis dessen, was unter Identifikation verstanden werden soll, wird demnach ein Herausarbeiten des Bezugs des Identifikationskonzeptes zu den Begriffen Spaltung oder Trennung (division) und Konsubstantialität erfordern.

54 Ebd. S. 56. 55 Knape sprach in einem Vortrag auf der Tagung Kognition, Kooperation, Persuasion am 15.11.2014 in Tübingen bezüglich der rhetorisch-strategischen Rolle des Zweifels vom ‚Othello-Effekt‘. In der darauffolgenden Publikation, spricht er vom ‚Othello-Reaktiv‘. (vgl. Knape, Joachim: Das Othello-Reaktiv. Zur Funktion des Zweifels im rhetorischen Persuasionsprozess. In: Kognition, Kooperation, Persuasion. Überzeugungen in Gehirn und Gesellschaft. Hrsg. von Frank Duerr, Julia Bahnmüller und Florian Landkammer. Berlin 2015. S. 151-180.) 56 Unter der Vielzahl an Belegstellen, seien hier nur zwei genannt: „Und weil ich weiß, du bist mein Freund, und redlich, und wägst das Wort, eh du ihm Atem leihst.“ (Akt III,3) „O wackrer Jago, brav und treu, der du so edel fühlst des Freundes Schmach!“ (Akt V,1). 57 Kramer 2012. Sp. 374. 58 Jasinski, James: Sourcebook on Rhetoric. Key Concepts in Contemporary Rhetorical Studies. Thousand Oaks 2001. S. 305.

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Trennung (division) ist das Gegenkonzept zur Identifikation und als komplementäres Gegenstück zugleich der Ermöglichungsgrund der Suche nach Identifikation, die für Burke den Menschen charakterisiert. „Identification is affirmed with earnestness [as the first principle of rhetoric] precisely because there is division. Identification is compensatory to division. If men were not apart from one another, there would be no need for the rhetorician to proclaim their unity. If men were wholly and truly of one substance, absolute communication would be of man’s very essence.“59

So wie auch Aristoteles schon betont, dass Rhetorik nur dort zum Tragen kommt, wo Dinge oder Prozesse unterschiedlich beurteilt werden können und auch tatsächlich werden,60 so spielt sich auch für Burke jedes rhetorische Bemühen im Spannungsfeld von Trennung und Identifikation ab. Wird in einem gegebenen kommunikativen Setting eines der beiden als absolut angenommen, so fällt jede rhetorische Bemühung aus, denn weder kann ein auf Identifikation zielender Prozess wirksam greifen, wenn beide Seiten über keinerlei gemeinsame Basis verfügen, also die Trennung maximal ist, noch wird ein solcher Prozess überhaupt angesteuert, wenn man sich ohnehin einer Meinung wähnt. In dieser Weise fasst James Jasinski das Verhältnis von Identifikation und Trennung metaphorisch zusammen: „Identification, then, is the ‘flip side’ of division. The two are interconnected like day and night; each principle needs the other to exist.”61 In dieser Weise kann man sagen, dass Identifikation ein auf Trennung beruhender und diese in einer bestimmten kommunikativen Absicht wenigstens teilweise zu überwinden suchender Prozess ist. Wird ein solcher Prozess zum Kerngeschäft der Rhetorik erklärt, zeigt sich, dass, obgleich die Überwindung von Trennungen als eine Überwindung von Widerständen hier deutlich mitschwingt, diese doch nicht konstitutiv für den rhetorischen Prozess ist. Rhetorische Kommunikation wird durch eine auf Identifikation abzielende Kommunikation bestimmt, die letztlich auch Widerstände überwinden kann, nicht als eine Widerstände überwindende Kommunikation, in der bloß möglicherweise Identifikation eine Rolle spielt. Denn fest steht: „You persuade a man only insofar as you can talk his language by speech, gesture, tonality, order, image, attitude, idea, identifying your ways with his.“62 Burke sagt zum Verhältnis von Identifikation und Trennung: „In pure identification there would be no strife. Likewise, there would be no strife in absolute separateness, since opponents can join battle only through a mediatory ground that makes their 59 Burke 1969a. S. 22. 60 Vgl. Arist. Rhet. I,2. 1357a5. 61 Jasinski 2001. S. 305. 62 Burke 1969a. S. 55.

68 | R HETORIK DER STADT communication possible, thus providing the first condition necessary for their interchange of blows. But put identification and division ambiguously together, so that you cannot know for certain just where one ends and the other begins, and you have the characteristic invitation to rhetoric.“63

Obgleich, wie Kramer betont, der Begriff der Identifikation in der klassischen Rhetoriktheorie keine exponierte Stelle einnimmt und in der antiken Rhetorik keinen terminologischen Stellenwert erreicht hat, findet sich das Prinzip, das Burke mit Identifikation bezeichnet, durchgängig auch innerhalb der klassischen Theorie.64 So hat schon Aristoteles ein „weitreichendes Spektrum an Identifikationsmöglichkeiten vor Augen“65, wie etwa auf der ethos-Ebene: „Denn in Hinblick auf die Glaubwürdigkeit macht es viel aus […], dass der Redner in einer bestimmten Verfassung erscheine und dass die Zuhörer annehmen, er selbst sei in einer bestimmten Weise gegen sie disponiert, und schließlich, ob auch diese sich in einer bestimmten Disposition befinden.“66 In dieser Weise ist Identifikation auch die Antwort auf die Frage, worauf die Glaubwürdigkeit der Feststellung des Aristoteles beruht, dass es nicht schwer sei, die Athener vor den Athenern zu loben, wohl aber vor den Lakedaimoniern.67 Denn wie auch Cicero anführt: „Stets ist das ausschlaggebende Moment für die Sprache der Redner die Einsichtskraft ihrer Zuhörer gewesen. Jeder nämlich, der Beifall finden möchte, beobachtet die Wünsche seiner Zuhörer, und danach, nach ihrem Wink und Willen, richtet er sich in jeder Weise ein und passt sich an.“68 Diese von Cicero empfohlene Schmeichelei ist natürlich nicht identisch mit der Reichweite von Identifikation, allerdings beruht die Möglichkeit der Schmeichelei ganz klar auf Identifikation. „Persuasion by flattery is but a special case of persuasion in general. But flattery can safely serve as our paradigm if we systematically widen its meaning, to see behind it the conditions of identification or consubstantiality in general.“69 Zudem lässt sich unter dem Blickwinkel einer auf Identifikation beruhenden rhetorischen Theorie der gesamte Bereich der auf der endoxa gegründeten Topik einbeziehen. Denn „Identifikation entsteht zudem durch endoxa, denn was allen einleuchtet, wird auch überzeugende Argumente ermöglichen. Insofern beruhen endoxa auf dem identifikatorischen Potential geteilter Meinungen.“70 Auch wenn Cicero vor einer übermäßigen Identifikation mit diversen Publikumsinstanzen warnt, weil dem 63 Ebd. S. 25. 64 Vgl. Kramer 2012. Sp. 372. 65 Ebd. 66 Arist. Rhet. 1377b. 67 Vgl. Ebd. 1415b. 68 Cic. De Or. 8,24. 69 Burke 1969a. S. 55. 70 Kramer 2012. Sp. 372f.

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Redner auf diese Weise seine Identität verloren gehen könne,71 so steht dies nicht im Widerspruch zu Burke. Denn Cicero hat natürlich vollkommen recht, wenn er betont, dass sich ein Redner unglaubwürdig mache, wenn offensichtlich wird, dass dieser sich zur Erreichung seiner Ziele mit jedem Publikum identifizieren würde. Ein Verlust von Identität meint demnach nichts anderes als ein Einbüßen an Glaubwürdigkeit durch den Charakter des Redners, also seinem ethos. Der rhetorische Unterschied der zwischen der Tatsache, dass jeder Redner jeder Publikumsinstanz, die er von etwas zu überzeugen sucht, auch Identifikationsangebote machen muss, und dem potentiellen Fall eines Redners, bei dem dieses Identifikationsbestreben als Anbiederung aufgefasst wird, liegt jedoch nicht in der Bedeutung der Identifikation für den Persuasionsprozess, sondern in der rhetorischen Funktion der dissimulatio artis, also der Möglichkeit, Identifikationsangebote nicht als Anbiederung erscheinen zu lassen. „Eine erste rhetorische Theorie der Identifikation findet sich dann bei A. Müller, der argumentiert, dass ein Gespräch nur dann gelingt, wenn zwischen den Beteiligten ein ‚mächtiges Gemeinschaftliches‘ sei, und betont damit die Notwendigkeit der Identifikation innerhalb sozialer Gemeinschaften.“72 Die hier angeführten Verweise auf die Rhetorikgeschichte machen deutlich, dass Burkes Konzept einer New Rhetoric keineswegs im Widerspruch zu den klassischen Rhetoriktheorien steht, vielmehr lassen sich die wesentlichen Teile der klassischen Theorien, insbesondere jene, die sich mit den Überzeugungsmitteln befassen, problemlos in die New Rhetoric integrieren. 3.2.4 Identifikation und Konsubstantialität Um das Kapitel zur Einführung des Identifikationskonzeptes abzuschließen, soll zuletzt die Verbindung zu Burkes Begriff der Konsubstantialität herausgearbeitet werden. Auch wenn das Konzept der Konsubstantialität im Verlauf dieser Arbeit keine große Rolle spielen wird – und daher hier auch nur kurz Erwähnung findet – gehört das Erfassen dieses Konzeptes zu einem umfassenderen Verständnis von Burkes Identifikationsbegriff. Zudem wird durch den Bezug zur Konsubstantialität auch deutlich werden, wie universell – und damit auch weit über den Rahmen dessen, was klassisch als Gegenstandsbereich der Rhetorik verstanden wird – Burke das Konzept der Identifikation denkt. Es ist daher auch für diese Arbeit wichtig, das Thema der 71 Bei Cicero heißt es: „Wenn es überhaupt etwas Angemessenes gibt, dann ist es in Wirklichkeit nichts anderes als […] die Stimmigkeit des gesamten Lebens und dann auch aller einzelner Handlungen, die man aber nicht bewahren kann, wenn man die Natur anderer Menschen nachahmt und seine eigene aufgibt. Wie wir nämlich die Sprach sprechen müssen, die wir beherrschen, um nicht, wie gewisse Leute, die griechische Wendungen einstreuen, völlig zu Recht ausgelacht zu werden, so dürfen wir zwischen unseren Taten und unserem ganzen Leben keine Disharmonie aufkommen lassen“ (Cic. De Off. I,111.). 72 Kramer 2012. Sp. 373. Kramer verweist hier auf Adam Müllers Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland.

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Identifikation als Basis konsubstantieller Einheit zu beleuchten, damit klar wird, welche Aspekte des Burke’schen Begriffes in dieser Arbeit übernommen und welche beiseitegelassen werden können. Identifikation „ranges from the politician who, addressing an audience of farmers, says, ‚I was a farm boy myself,‘ through the mysteries of social status, to the mystic’s devout identification with the source of all being.“73 Während bisher der erste Aspekt einer Rhetorik der Identifikation betont und herausgearbeitet wurde, wenden wir uns nun dem zweiten und dritten Aspekt zu. Dabei wird der hier angedeutete zweite Aspekt als der Bezug rhetorischen Handelns zu Phänomenen geteilter Intentionalität herausgearbeitet. Der dritte Aspekt kann zum einen als eine Identifikation im Sinne des ersten Aspektes verstanden werden und meint dann die religiös motivierte Identifikation mit Abstrakta und höheren Entitäten. In diesem Sinne identifizieren sich Menschen mit ihren Gottheiten, aber auch anderen Ideen, wie Demokratie, Freiheit oder Individualität. Allerdings meint dieser Aspekt zum anderen auch eine auf Identifikation gegründete Einheit alles Seienden und stellt damit die metaphysische Komponente des Burke’schen Identifikationsbegriffes dar, die in dieser Arbeit nicht weiterverfolgt und daher hier nur in einer Fußnote besprochen wird.74 73 Burke 1969a. S. XIV. 74 Der oben angesprochene dritte Aspekt des Identifikationsbegriffes bei Burke verweist auf die Möglichkeit einer „mystic’s devout identification with the source of all being.“ (Ebd.) Um diesen eher kryptischen Teilsatz zu entschlüsseln, ist es notwendig zu fragen, was hier mit ‚source of all being‘ gemeint ist. Um es kurz zu machen: Die Antwort darauf ist Burkes Substanzbegriff. „There is a set of words comprising what we might call the Stance family, for they all derive from a concept of place, or placement.“ (Burke, Kenneth: A Grammar of Motives. Berkeley 1969. S. 21.) Burke wählt hier einen etymologischen Zugang, um – neben einer ganzen Reihe anderer Begriffe, die zur ‘Stance family’ gehören – den Begriff Substanz einzuführen. Substanz meint das, was einem Ding wesensmäßig zugrunde liegt, das was etwas „intrinsically is“ (Ebd.). Und auch wenn Substanz philosophiegeschichtlich – wie Burke betont: seit John Locke – viel an seiner Srahlkraft eingebüßt hat, „so that many thinkers today explicitly banish the term from their vocabularies“ (Ebd.), gilt doch: „But there is cause to believe that, in banishing the term, far from banishing its function one merely conceals them.“ (Ebd.) Der Glaube daran, das ‚Wesen‘ oder die ‚Natur‘ einer Sache erkennen oder erforschen zu können, ist – trotz starker philosophischer Skepsis (z.B. bei Kant) – ungebrochen. Die Suche nach der Substanz geht, wenn auch nicht unter diesem Namen, weiter. Für Burke aber ist dieser Begriff in sich paradox. Auf der einen Seit soll Substanz das bezeichnen, was eine Sache ‚wirklich ist‘, was eine Sache ‚ausmacht‘, das ‚substantielle‘ einer Sache. Das heißt etwas ‚tief in ihr Liegendes‘. Auf der anderen Seite betont die etymologische Struktur des Wortes: „substance is a scenic word. Literally, a person’s or a thing’s sub-stance would be something that stands beneath or supports the person or thing.“ (Ebd. S. 22.) Das aber bedeutet, dass die Substanz einer Sache eben nicht

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die Sache selbst ist, sondern vielmehr deren Ermöglichungsgrund – in dieser Weise ist eben für Spinoza auch Gott die eigentliche Substanz (vgl. Spinoza: Ethik). Burke beschreibt das Paradox der Substanz wie folgt: „the word ‚substance‘, used to designate what a thing is, derives from a word designating something that a thing is not. That is, though to designate something within the thing, intrinsic to it, the word etymologically refers to something outside the thing, extrinsic to it. Or otherwise put: the word in its etymological origins would refer to an attribute of the thing’s context, since that which supports or underlies a thing would be a part of the thing’s context. And a thing’s context, being outside or beyond the thing, would be something that the thing is not.“ (Ebd. S. 23) Dieses Paradox ist konstitutiv für die Rolle, die der Substanzbegriff (oder andere Begriffe mit gleicher Funktion) in der Kommunikation erfüllen, denn damit lässt sich beschreiben, was genau vor sich geht, wenn Dinge kontextuell definiert werden: „To tell what a thing is, you place it in terms of something else. This idea of locating, or placing, is implicit in our very word for definition itself: to define, determine a thing, is to mark its boundaries, hence to use terms that possess, implicitly at least, contextual reference. We here take the pun seriously because we believe it to reveal an inevitable paradox of definition, an antinomy that must endow the concept of substance with unresolvable ambiguity, and that will be discovered lurking beneath any vocabulary designed to treat of motivation by the deliberate outlawing of the word substance.“ (Ebd. S. 24.) Mit einem Verweis auf Spinoza schließt Burke, dass „all definition is ‚negation‘, which is another way of saying that, to define a thing in terms of its context, we must define it in terms of what it is not.“ (Ebd. S. 25.) Von hier aus können wir die Frage beantworten, was ‘the source of all being’ ist. „For the contextual approach to substance, by inducing men to postulate a ground or context in which everything that is, is placed, led thinkers ‚by dialectical necessity’ to affirm that the only ground of ‚Being‘ is ‚Not-Being‘ (for ‚Being‘ is so comprehensive a category that its dialectical opposite, ‚NotBeing‘, is the only term that would be left to designate its ground).“ (Ebd. S. 34.) Das Paradox der Substanz als ein Paradox kontextueller Definitionen führt hier schließlich zu einem Paradox des Grundes alles Seienden. Die negative Theologie führt diesen Gedanken konsequent weiter, wenn bestimmt wird, dass die göttliche Substanz – als Grund und Quelle alles Seienden – nur durch die Absenz aller Attribute ausgezeichnet werden kann. Man könnte fast sagen: Gott muss nicht Sein, damit wir Sein können. Um uns jetzt nicht auf diesen Wegen zu verlieren, die mit der vorliegenden Arbeit auch nichts mehr zu tun haben, gilt es noch kurz zu schließen, was das Paradox der Substanz mit dem Begriff der Identifikation zu tun hat. Wie wir gesehen haben, führt die Suche nach der Substanz zu dem Paradox kontextueller Definition. Diese aber ist nichts anderes als eine metaphorische Übertragung, also eine semantische Identifikation, in der eine Sache dadurch beschrieben wird, dass selbige mit einer Sache identifiziert wird, die sie nicht ist. Eine Identifikation mit der ‚source of all being‘ meint dann, sich mit etwas zu identifizieren, das man selbst nicht ist, und im Rahmen dieser Identifikation die vorgestellte ‚source of all being‘ im Zuge einer kontextuellen Definition zur eigenen Substanz zu erklären. Dieser Akt führt – das gilt

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Identifikation ist für Burke, eben weil sie die Grundlage der Persuasion ist, damit zugleich auch die Voraussetzung gemeinsamen Handelns, gemeinsamen Anerkennens sozialer Prozesse und sozial zugeschriebener und stark von Anerkennung abhängiger Statusformen.75 Das Konzept der Identifikation – und damit auch der Rhetorik in einer erweiterten Bedeutung – hat einen direkten Bezug zum Phänomen geteilter Intentionalität.76 Der zentrale Begriff bei Burke, um das Subjekt einer gemeinsamen Handlung zu kennzeichnen, ist dabei der Begriff der Konsubstantialität, die sich auf Identifikationsprozesse gründet: „A is not identical with his colleague B. But insofar as their

es zu betonen – nicht zu einer Konsubstantialität als einer angenommenen Wesensgleichheit mit der ‚source of all being‘. Diese ‚devout identification‘ meint die Anerkennung meines Ermöglichungsgrundes außerhalb von mir. Genau hierin wird auch ersichtlich, warum dieser Aspekt des Konzeptes in der vorliegenden Arbeit nicht weiterverfolgt wird. Denn dieser Anerkennungsprozess übersteigt den Rahmen dessen, was in der vorliegenden Arbeit als Rhetorik verstanden werden soll. Er fällt als individueller Akt aus dem Rahmen des hier vertretenen Rhetorikverständnisses, auch wenn er für Burke nicht aus dem Rahmen seines Identifikationsverständnisses fällt und da – wie Kramer betont – für Burke das Reich der Rhetorik erst Jenseits des Identifikationsstrebens endet (vgl. Kramer 2012. Sp. 375.), wird damit auch ersichtlich, dass der Begriff der Identifikation sehr viel weiter ist, als das, was in dieser Arbeit als Operationsfeld der Rhetorik angesehen wird. Rhetorisch interessant wird dieser individuelle Akt erst dann, wenn dieser als Basis eines kommunikativen auf Persuasion oder Identifikation zielenden Aktes in einen interpersonalen Raum tritt. Es ist wichtig herauszustellen, dass das Konzept der Identifikation also deutlich weiter ist, als das der Persuasion. Die Erweiterung des Persuasionsbegriffes ist allerdings auch notwendig, wenn es um eine Loslösung der Rhetorik aus der Enge einer oratorzentrierten Kalküllogik geht. Damit wird jedoch weder der Begriff Persuasion mit dem der Identifikation gleichgesetzt noch wird damit der Begriff der Persuasion überflüssig. In der Arbeit wird hauptsächlich nach Identifikationsangeboten des Designs gesucht werden, aber das schließt nicht aus (vielmehr ermöglicht dies sogar erst), dass mitunter auch ganz klar von Persuasion gesprochen werden kann und wird. 75 U.a. Wie wird jemand Präsident? Unter anderem durch die (kommunikative) Anerkennung des Status durch eine Gruppe, die sich in institutionalisierten, sichtbaren Symbolen evident manifestiert. Vgl. dazu auch Searle, John R.: Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur Ontologie sozialer Tatsachen. Frankfurt am Main 2011. 76 Zu Burkes Verständnis von geteilter Intentionalität vgl. Smolarski, Pierre: Rhetorische Zirkularität. Über „common ground“ und „shared intentionality“ bei Kenneth Burke und Michael Tomasello. In: Kognition, Kooperation, Persuasion. Überzeugungen in Gehirn und Gesellschaft. Hrsg. von Frank Duerr, Julia Bahnmüller und Florian Landkammer. Berlin 2015. S. 197-211.

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interests are joined, A is identified with B.“77 Die Aufgabe einer rhetorischen Intervention ist es, diese Form der Identifikation zwischen sich und seinem Publikum anzustoßen und herzustellen. „Or he may identify himself with B even when their interests are not joined, if he assumes that they are, or is persuaded to believe so.“78 Gelingt dieser Identifikationsprozess, so werden A und B konsubstantiell. „In being identified with B, A is ‘substantially one’ with a person other than himself. Yet at the same time he remains unique, an individual locus of motives. Thus he is both joined and separate, at once a distinct substance and consubstantial with another.“79 Auf diese Weise entsteht durch persuasive Prozesse, also durch Identifikation, eine konsubstantielle Einheit, ein Wir, von dem gesagt werden kann, dass es zum einen durch diese Identifikation „in terms of some principle they share in common“80 geeint ist und dabei zugleich seine Verschiedenheit bewahrt. Hieraus schließt Burke auf die Bedeutung einer Theorie der Konsubstantialität: „A doctrine of consubstantiality, either explicit or implicit, may be necessary to any way of life. For substance, in the old philosophies, was an act; and a way of life is an acting-together; and in acting together, men have common sensations, concepts, images, ideas, attitudes that make them consubstantial.“81 Das Subjekt geteilter Intentionalität ist für Burke die konsubstantielle Einheit, das konsubstantielle Wir, das sich auf der Grundlage von Identifikationsprozessen bildet bzw., das auf der Grundlage überzeugender Identifikation proklamiert werden kann. Da rhetorische Interventionen kein Herrschaftswerkzeug in dem Sinne darstellen, dem Identifikation und schließlich Persuasion notwendig folgen würden, muss auch die Herstellung der Konsubstantialität im Rahmen einer produktiven Unterstellung verbleiben und kann allenfalls proklamiert werden. Ob sich eine solche Einheit tatsächlich bildet, kann sich höchstens im persuasiven Prozess als wahrscheinlich herausstellen und ex post behauptet werden. Auch dann aber beschreibt dieses Wir jedoch keine totalisierende Einheit der beteiligten Subjekte. So wie in der Konsubstantiationslehre82 Brot und Wein tatsächlich Brot und Wein blei-

77 Burke 1969a. S. 20. 78 Ebd. 79 Ebd. S. 21. 80 Ebd. 81 Ebd. 82 Nur kurz zum geistesgeschichtlichen Hintergrund: Thomas von Aquin gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Transsubstantiationslehre, die auf dem vierten Laterankonzil 1215 als orthodox festeschrieben wurde. Thomas schreibt dazu: „Einige behaupten, dass nach der Wandlung die Substanz von Brot und Wein im Sakrament weiterlebe. – Aber diese Behauptung lässt sich nicht halten. [… Denn:] Was aber in ein anderes verwandelt wird, bleibt nach der Verwandlung nicht. So bleibt übrig, wenn die Wahrheit dieses Sakraments gewahrt bleiben soll, dass die Substanz des Brotes nach der Konsekration nicht

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ben und dennoch durch einen gemeinsamen Akt Leib und Blut Christi sind, so bleiben die einzelnen Subjekte ein individueller Hort von Motiven, die in einem Akt, in einer auf Identifikation gegründeten Handlung eine Einheit bilden. Rhetorisch gesehen hat die Konsubstantialität zwei wesentliche Verwendungen: Zum einen dient sie als proklamierte Konsubstantialität in Ausdrücken wie ‚Wir sind das Volk‘ oder dem SPD Werbespruch ‚Das Wir entscheidet‘ den Zwecken einer auf Persuasion zielenden Identifikation im oben beschriebenen Sinne. Zum anderen stellt sie – und als solche führt Burke den Begriff auch ein – die anthropologische Basis von Identifikation und Kommunikation überhaupt dar. Rhetorik „is rooted in an essential function of language itself, a function that is wholly realistic, and is continually born anew; the use of language as a symbolic means of inducing cooperation in beings that by nature respond to symbols.“83 Aus dieser Verwurzelung der Rhetorik im kooperativen Bestreben des Menschen84 ergeben sich für Burke zwei Kernaspekte der Rhetorik: Neben der Identifikation als Ziel (Konsubstantialität) und Mittel (Strategien der Identifikation), ist Rhetorik vor allem durch Adressiertheit gekennzeichnet.85 Und auch wenn, wie Kramer festhält, das Konzept der „Identifikation nur schwer empirisch abzubilden ist, hat das Konzept fortbestehen kann“ (Thomas Summa Theol. III, 75,2). Gegen diese Form, das Sakrament zu verstehen, wendet Martin Luther ein: „Weil nun aber nicht not ist, eine solch wesentliche Veränderung [Transsubstantiation], die durch göttliche Macht geschehen soll, zu setzen, ist es für ein Menschengedicht zu halten, denn es weder auf der Schrift noch auf einem einzigen vernünftigen Grunde fußet, wie wir werden sehen.“ (Luther 1948. S. 168.). Da es sich, laut Luther, bei der Transsubstantiationslehre eben nur um eine Meinung (opinio) und nicht um einen Glaubensartikel handele, kann diese durch die Konsubstantiationslehre ersetzt werden, die „viel glaublicher“ (ebd. S. 166.) sei und bei der man „weniger überflüssiger Wunderzeichen“ (ebd.) voraussetzen müsse. Nach Luther reicht man „auf dem Altar […] wahres Brot und wahren Wein und nicht allen die bloßen Akzidenzien.“ (ebd.) Übertragen auf Theorien geteilter Intentionalität knüpft Burke mit seinem Begriff der consubstantiality explizit an die Konsubstantiationslehre an. 83 Burke 1969a. S. 43. 84 Ebenso wie Identifikation und Trennung in einem produktiven Wechselspiel stehen, so auch die darauf aufbauenden sozialen Phänomene der Kooperation und der Ausbeutung. In diesem Sinne schreibt Burke: „When two men collaborate in an enterprise to which they contribute different kinds of services and from which they derive different amounts and kinds of profit, who is to say, once and for all, just where ‘cooperation’ ends and one partner’s ‘exploitation’ of the other begins? The wavering line between the two cannot be ‘scientifically’ identified; rival rhetoricians can draw it at different places, and their persuasiveness varies with the resources each has at his command.“ (Ebd. S. 25.) 85 „We have considered two main aspects of rhetoric: its use of identification and its nature as addressed.“ (ebd. S. 45.)

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einen hohen heuristischen Wert, weil es modellhaft erklären kann, weshalb Persuasion gelingt oder auch misslingt, und weshalb die aptum-Kategorie in der Systematik der Rhetorik eine zentrale Stellung einnimmt“86, weshalb in der vorliegenden Arbeit an dieses Konzept angeschlossen wird. 3.3 Theoria – Über Erkennen und Finden Wenden wir uns nun dem dritten Aspekt der aristotelischen Rhetorikbestimmung zu: der Rhetorik als Findungskunst. Wenn Aristoteles die Rhetorik bestimmt als die Kunst, in allem das möglicherweise Überzeugende zu sehen, so benutzt er mit dem Wort ‚theoresai‘ einen Ausdruck, der in drei Weisen gelesen werden kann. Zum einen bezeichnet theoria das Sehen von etwas, meint dabei zweitens das Erkennen dieses etwas als etwas und wird drittens hier in dem Sinne verwendet, dass dieses Erkennen von etwas als etwas in Form einer techne praktiziert zum methodisch angeleiteten Finden wird.87 In dieser Weise betont auch Christof Rapp, dass Aristoteles mit diesem Ausdruck an dieser Stelle ein Finden meint.88 Die Rhetorik ist demnach bestimmt als eine Findungskunst, also eine Sammlung angeleiteter und methodisch vermittelter inventiver Techniken und wir können die aristotelische Bestimmung unter Einbezug der vorangegangenen Überlegungen auch wie folgt wiedergeben: Die Rhetorik ist die regelgeleitete Kunst in allen Redegegenständen das mögliche Identifikationspotential zu finden. „Innerhalb des Systems der klassischen Rhetorik bestimmt sich die Erfindungskunst (inventio) als Kunst des bewusst methodischen Auffindens von topischen Gesichtspunkten für jeden beliebigen Redeanlass.“89 Die inventio als erste Phase des rhetorischen Produktionsprozesses gereicht im aristotelischen Verständnis zum Bestimmungsmerkmal der Rhetorik überhaupt. Damit wird jedoch keineswegs die Bedeutung der anderen Phasen herabgesenkt, denn auch wenn das möglicherweise Überzeugende gefunden wurde, ist der persuasive, also auf Identifikation zielende

86 Kramer 2012. Sp. 378. 87 Dass es sich hierbei um ein Finden handelt, wird auch deutlich an der Stelle, wenn Aristoteles die kunstgemäßen (artifiziellen) Überzeugungsmittel von den kunstfremden (inartifiziellen) Überzeugungsmittel unterscheidet. Während die letzteren nämlich bloß zu ‚gebrauchen‘ seien, müssten die ersteren durch die rhetorische Kunst (daher auch kunstgemäß) ‚gefunden‘ werden (Vgl. Arist. Rhet. 1356a1.). Rapp führt dazu weiter aus: „Im vorliegenden Zusammenhang ist das Auffinden gegenüber dem Gebrauch höher einzuschätzen, weil genau das erst gefunden oder beschafft werden muss, was schon vorliegt, wenn man sich nur noch Fragen des richtigen Gebrauchs stellt“ (Rapp 2002. S. 138.). 88 Vgl. Ebd. 89 Oesterreich, Peter L.: Philosophie der Rhetorik. Bamberg 2003. S. 39.

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Prozess, keineswegs abgeschlossen. Das Gefundene muss strategisch geordnet (dispositio), angemessen formuliert (elocutio), je nach Medium aufbereitet (memoria) und überzeugend präsentiert (actio/pronuntiatio) werden. Die inventio aber stellt als Beginn des rhetorischen Prozesses zugleich auch deren Ermöglichungsgrund dar und kann daher hier als vorrangig behandelt werden. Dahinter steht die – nicht nur von Aristoteles vertretene – Auffassung, dass das, was die Kraft hat, glaubenerweckend und überzeugend zu wirken, also die Kraft hat, Identifikationen der Publikumsinstanz mit der orator-Instanz und dem dargelegten Redegegenstand anzustoßen, nicht (immer) offensichtlich ist. Auch wenn in der alltäglichen Kommunikation eine methodische Findungskunst nicht notwendig zu sein scheint und auch im hier verhandelten Bereich des Designs eine solche techne in der gängigen Praxis scheinbar nicht vorausgesetzt werden kann (und das obwohl innerhalb beider Felder hinreichend oft rhetorisch gelungen argumentiert und überzeugt werden kann), so macht die Rhetorik dennoch den Aspekt stark, dass ein Finden des möglicherweise Überzeugenden notwendig ist, um schließlich auch überzeugen zu können. Dass dies im Alltag und – wie noch zu zeigen sein wird – auch im Designbereich oftmals ohne explizite Rhetorikkenntnisse gelingt, darf nicht als ein Zeichen verstanden werden, nach dem in diesen Bereichen auf inventive Techniken verzichtet werden könnte, sondern gerade vielmehr als ein Zeichen der Ubiquität der inventio. Eben diesen Aspekt betont Oesterreich mit dem Ausdruck des „fundamentalen Erfindenkönnens“90. Nach Oesterreich gehört das Finden- bzw. Erfindenkönnen wesentlich zur „Seinsart“91 des Menschen, dessen Seinkönnen als gesellschaftliches Selbst gerade darin besteht, „in seinem relativ-natürlichen persuasiven Können, durch werbende und überzeugende Rede die von ihm vertretene Welt-Sinn-Deutung öffentlich zu realisieren.“92 Die kunstrhetorische inventio beruht in der fundamentalrhetorischen Sicht Oesterreichs auf der „inartifiziellen Kompetenz existentiell-pragmatischer Sinnfindung in der lebensweltlichen Öffentlichkeit“93. Von einer ebenso fundamentalrhetorischen Perspektive aus betont auch Burke in seiner Erörterung der Reichweite des Rhetorischen die Alltäglichkeit und bisweilen sogar Banalität erfolgreicher rhetorischer Strategien: „And often we must think of rhetoric not in terms of some one particular address, but as a general body of identifications that owe their convincingness much more to trivial repetition and dull daily reinforcement than to exceptional rhetorical skill.“94 Wie bereits an anderer Stelle gezeigt wurde, bedient sich aber auch der Designer einer methodischen oder zumindest methodisierbaren Findungskunst.95 Und wenn in der 90 Vgl. Oesterreich 1990. S. 104-118. Vgl. auch Oesterreich 2003. S. 39-42. 91 Oesterreich 1990. S. 105. 92 Ebd. 93 Ebd. 94 Burke 1969a. S. 26. 95 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel II.

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Designtheorie oftmals nicht gesehen wird, dass diese Techniken ihren systematischen Ort in einer Rhetorik des Designs haben (oder zumindest haben könnten), so deutet dies nicht in Richtung einer vermeintlichen Abwesenheit rhetorischer Techniken, sondern vielmehr auf eine Lücke in der erst entstehenden Designtheorie. Da über dieses Thema bereits an anderer Stelle gesprochen wurde, soll die Diskussion hier zurückgestellt werden; es gilt, vorerst einzuführen, was innerhalb der klassischen Rhetorik in Bezug auf das methodische Finden hervorgebracht wurde und welche Rolle dies in der vorliegenden Arbeit spielt. Die klassische Rhetorik hat zum Zweck der Findung vor allem die Topik und die Statuslehre hervorgebracht. „Die status-Lehre methodisiert die Findung der für die jeweilige Redesituation entscheidenden Fragestellung und die Topik das Auffinden der sach- und personenbezogenen Argumentationsgesichtspunkte.“96 Die Statuslehre geht auf Hermagoras von Temnos zurück, der mit dieser Lehre das Ziel verfolgt, eine Methode bereitzustellen, die es erlaubt, im juristischen Kontext den genauen Streitfall näher zu bestimmen, und damit es eben auch erlaubt, gezielt nach Argumenten für die eigene Sache zu suchen. „Jede Hypothese, jeder Einzelfall, lehrte er, gründe sich auf sieben Peristasen oder Umstände: auf Personen, Handlungen, die Zeit, den Ort, das Motiv, die Art und Weise, die Hilfsmittel – quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando, wie ein berühmter Merkvers lautete.“97 Jede dieser Peristasen ermöglicht es, einen Zugang zu einem konkreten Fall zu finden und auf einen bestimmten Aspekt zu fokussieren, um auf diese Weise zum einen jeden Bereich in der nötigen Tiefe auf möglicherweise rhetorisch Nützliches zu untersuchen und zum anderen, beim Durchgang durch alle Peristasen, die nötige Breite oder Vollständigkeit der Suche zu gewährleisten. „Das System der Status diente als eine Art Schablone, die über den je gegebenen Stoff gelegt wurde und so das Problem hervortreten ließ, um das es in dem betreffenden Falle ging.“98 Speziell für die juristische Rede unterscheidet die Statuslehre des Hermagoras vier status: Der status coniecturalis fragt danach, ob eine Tat überhaupt begangen wurde. Ist diese Frage geklärt, so fragt der status definitivus, wie die Tat strafrechtlich definiert werden müsse. Ist auch dies geschehen, bleibt mit dem status qualitatis die Frage nach möglichen Strafmilderungen, nach Rechtfertigungen der Tat, etc. Schließlich kann mit dem letzten status (der translatio) nach der Rechtfertigung des Verfahrens gefragt werden. Diese Form der Statuslehre soll hier aufgrund ihrer rein juristischen Ausrichtung nicht weiter berücksichtigt werden. Die allgemeine Form der Fragetechnik, die oben erwähnt wurde, aber fand eine produktive Weiterentwicklung in Burkes Theorie des Pentads. Auch wenn die Sta-

96 Oesterreich 1990. S. 105. 97 Fuhrmann, Manfred: Die antike Rhetorik. Düsseldorf 2008. S. 99. 98 Ebd. S. 103.

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tuslehre in der modernen Rhetorik, wie Michael Hoppmann betont, eher marginalisiert wird und dieser nur wenig Aufmerksamkeit zukommt,99 so liefert Burke eine methodische Weiterentwicklung dieses Konzepts. Auch wenn dieser nicht explizit die antike Statuslehre zitiert, ist Burkes Konzept des Dramatismus und sein Pentad als dessen methodisches Kernstück einer vergleichbaren Idee verpflichtet: eine möglichst vollständige und universale Suchmethode menschlicher Motive zu entwickeln, so dass Handlungen verstehbar werden. Das Pentad umfasst dabei fünf zentrale und – für Burke – universale Kategorien zur vollständigen Beschreibung menschlicher Handlungen: act, scene, agent, agency, purpose. „In a roundabaout statement about motives, you must have some word that names the act (names what took place, n thought or deed), and another that names the scene (the background of the act, the situation in which it occurred); also, you must indicate what person or kind of person (agent) performed the act, what means or instruments he used (agency), and the purpose.“100

Jedoch wendet Hermann Holocher ein, dass Burkes Pentad ein explizites Mittel der Dialektik und eben nicht der rhetorischen inventio sei,101 und beruft sich dabei auf eine Reaktion Burkes auf die Rezeption des Pentads: „Irmscher macht aber einen Fehler, indem er das Pentad mit Aristoteles‘ Topik vergleicht. In der Rhetorik zum Beispiel sagt Aristoteles‘ Liste dem Schreiber, was er sagen soll, das Pentad aber sagt dem Schreiber tatsächlich, was er fragen soll […]. Meine Aufgabe war es nicht dem Schreiber dabei zu helfen zu entscheiden, was er vielleicht sagen soll, um einen Text zu produzieren. Es war [meine Aufgabe], dem Kritiker zu helfen, wahrzunehmen, was in einem Text vor sich geht, der bereits geschrieben ist. In dem einen Fall führt die Prozedur zu einem Text, im anderen beginnt sie mit einem Text.“102

Wie Holocher weiter ausführt, nimmt Burke hier allerdings eine widersprüchliche Haltung ein, insofern ‚zu einem Text führen‘ und ‚von einem Text ausgehen‘ in dessen dramatistischer Sichtweise gar keinen Unterscheid mache.103 Aber auch wenn 99

Vgl. Hoppmann, Michael: Statuslehre. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 8. Tübingen 2007. Sp. 1327-1358. Sp. 1353.

100 Burke 1969b. S. XV. Burkes Pentad in Frageform: „be it as it may, any complete statement about motives will offer some kind of answer to these five questions: What was done (act), when or where it was done (scene), who did it (agent), how he did it (agency), and why (purpose).” (ebd.) 101 Vgl. Holocher, Hermann: Anfänge der New Rhetoric. Tübingen 1996. S. 124. 102 Zit. nach Holocher 1996. S. 124. FN 58. 103 Vgl. ebd.

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Burke hier den Bezug zur Topik ablehnt, lässt sich mit dem Verweis auf die Statuslehre eben noch nicht die Verwendung des Pentads in der rhetorischen inventio ausschließen,104 insbesondere insofern die Statuslehre eben auch eine Methode gezielten Fragens ist. Es wird zu fragen sein, inwiefern eine vollständige dramatistische Analyse von Designprodukten möglich ist oder inwiefern diese besser innerhalb der Relationen zu analysieren sind, die Burke mit scene-act-ratio und agency-scene-ratio bezeichnet. Diese Relationen werden im kommenden Teilkapitel zum Ausgangspunkt genommen. Von größerer Bedeutung aber als die Statuslehre und Burkes Pentad ist sicherlich die Topik. Da ich mich an anderer Stelle dieses Themas detailliert angenommen habe, kann es im vorliegenden Kapitel kurzgehalten und vereinfacht dargestellt werden.105 Das griechische Wort ‚topos‘ „bezeichnet ursprünglich ganz konkret einen Ort, eine Stelle, einen Platz.“106 Als metaphorischer Ort dient dieser dem Redner zum einen zum Auffinden von Argumenten für einen konkreten Fall, zum anderen als Mnemotechnik für den Vortrag. Der topos ist für Cicero damit der sedes und domicilia der Argumente.107 Roland Barthes beschreibt die Topik als die Lehre der rhetorischen topoi in dreifacher Weise. Die Topik ist „1. eine Methode; 2. ein Raster von Leerformen; 3. ein Vorrat ausgefüllter Formen.“108 Diese dreifache Bestimmung macht bereits deutlich, was innerhalb der topos-Forschung durchweg beklagt wird, nämlich, dass der Begriff des topos in der klassischen Rhetorik unzureichend bestimmt wurde und dass in seiner theoriegeschichtlich späteren Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung immer weitere Teilbereiche unter diesen Begriff subsumiert wurden. Die Liste möglicher Synonyme ist dementsprechend lang und uneinheitlich. Bleiben wir aus den pragmatischen Gründen dieses Kapitels jedoch vorerst bei der Dreifachbestimmung Barthes‘, so ergibt sich folgendes Bild: Als Methode beschreibt Barthes die Topik als eine praktische Anleitung, „die uns in die Lage versetzt, zu jedem vor-

104 In einem kleinen Aufsatz von Burke zur dramatistischen Methode führt er selbst die Statuslehre als Schlusspunkt einer historischen Verweiskette an. Burke zeigt in diesem Aufsatz, wie das, was er mit dem Pentad als dramatistische Methode entwickelt, bereits theoriegeschichtlich vor ihm gedacht wurde. In dieser Weise verweist Burke hier auf Mead, Richards, Parsons, Hume, Aristoteles und eben auch auf die Statuslehre. Vgl. Burke, Kenneth: Dramatism. In: International Encyclopedia of the Social Sciences. Hrsg. von David L. Sills. 7/1968. S. 445-447. 105 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel III. 106 Ostheeren, Klaus: Topos. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 9. Tübingen 2009. Sp. 630-697. Hier: S. 631. 107 Vgl. ebd. S. 634. 108 Barthes, Roland: Die alte Rhetorik. In: Ders.: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt am Main 1988. S. 67.

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geschlagenen Gegenstand Konklusionen zu liefern, die aus wahrscheinlichen Gründen gewonnen werden.“109 Zu diesem Zweck bedient sich die Topik der anderen beiden Bereiche, die Barthes unterscheidet. Als eine Sammlung von Leerformen bietet die Topik ein Raster. „Dem Redner wird ein Gegenstand (quaestio) aufgegeben; um Argumente zu finden, lässt der Redner seinen Gegenstand über ein Raster von Leerformen ‚gleiten‘: aus dem Kontakt zwischen dem Gegenstand und jedem einzelnen Feld (jedem ‚Platz‘) des Rasters (der Topik) entspringt eine mögliche Idee, die Prämisse eines Enthymems.“110

Was Barthes hier beschreibt, ist – obgleich es sich um eine moderne Konzeption und nicht um eine Wiedergabe antiker Systematiken handelt – letztlich genau das, was oben unter dem Begriff der Statuslehre beschrieben wurde. Selbige stellt nach der Auffassung Barthes also einen nicht von der Topik zu trennenden Teil dar. Schließlich beschreibt Barthes die Topik als Speicher, als Vorrat angefüllter Formen und meint damit die Bedeutung von ‚Gemeinplatz‘, die in diesem Kontext fast treffender mit ‚Klischee‘ ausgedrückt ist. Beispielsweise den von Curtius aufgelisteten topos der affektierten Bescheidenheit, bei dem jeder Redner verkünden muss, dass er von seinem Gegenstand erdrückt werde, dass er ihm nicht gewachsen sei und dass diese Feststellung nichts mit Koketterie zu tun habe.111 Worum es in der Topik stets geht, ist das Finden möglicher Identifikationsangebote, die im rhetorischen Produktionsprozess dann schließlich auf ihre Tauglichkeit in der bevorstehenden Redesituation und auf ihre Angemessenheit gegenüber dem Redegegenstand und Redeziel hin überprüft werden müssen: Zur ars inveniendi (Kunst des Findens) muss sich immer auch die ars iudicandi (Kunst des kritischen Entscheidens) gesellen, um Mittel und Strategien der Identifikation finden und evaluieren zu können. In dieser Formulierung wird klar, dass Identifikation – wie oben beschrieben – nicht nur Ziel der Rhetorik ist, sondern zugleich ihr stärkstes Mittel. Daher kann man Jasinskis Bemerkung teilen, wenn er sagt: „Conceptualizing identification as a ‘means’ typically led scholars to look for strategies of identification.“112 Was die Topik liefern kann, ist eine Sammlung möglicher Strategien, in einem gegebenen kommunikativen Setting erfolgreich agieren zu können. Auf dieses Thema wird noch ausführlich zurückzukommen sein. Hier gilt es, festzuhalten, dass es das Ziel dieser Arbeit sein wird, nach den Möglichkeiten einer Topik des Designs zu

109 Ebd. S. 68. 110 Ebd. 111 Vgl. ebd. S. 69f. 112 Jasinski 2001. S. 306.

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fragen; das heißt zu fragen, inwieweit Strategien der Identifikation durch Formgebung und gezielten Bild- und Wortgebrauch auffindbar, benennbar und generalisierbar sind. 3.4 Die rhetorische Situation – Motivationaler Situationsbegriff Nachdem das dieser Arbeit zugrundeliegende Rhetorikverständnis durch eine Explikation der aristotelischen Bestimmung gegeben wurde, bleibt ein Begriff – genauer ein Begriffsbündel – einzuführen, das notwendig sein wird, wenn es darum gehen soll, rhetorische Dimensionen in Designprodukten, wayfinding-Systemen oder städtebaulichen und architektonischen place-making-Konzepten auszumachen. Eine Rhetorik des Designs setzt – wie noch zu zeigen sein wird –, wenn sie mehr sein will als eine bloße Übertragung sprachlicher Figuren und Tropen in die Bereiche des Visuellen und Materiellen, einen rhetorischen Begriff der Situation voraus. Der Begriff der Situation kann innerhalb der Rhetoriktheorie in zweifacher Weise verstanden werden: Als die rhetorische Situation beschreibt der in dieser Weise 1968 von Lloyd F. Bitzer eingeführte Begriff ein bestimmtes kommunikatives Setting, das rhetorische Bemühungen und Interventionen überhaupt erst möglich und bisweilen auch nötig macht. Mit dem Begriff der rhetorischen Situation ist nach Bitzer also die Bedingung der Möglichkeit von Rhetorik gemeint. Auf der anderen Seite kann der Situationsbegriff genau umgekehrt auch als das Resultat rhetorischer Prozesse gesehen werden. Dieser Aspekt wird im Weiteren anhand einer Kritik an Bitzers Modell der rhetorischen Situation entwickelt. Schließlich soll durch die Darstellung des zirkulären Wechselverhältnisses von Situation, Motiv und Handlung bei Burke versucht werden, eine rhetorische Bestimmung des Situationsbegriffes zu geben, die der Dynamik rhetorischer Prozesse gerecht wird, indem die Striktheit der Opposition von Situation als Bedingung rhetorischen Handelns und Situation als Ergebnis rhetorischen Handelns zugunsten eines inklusiven Modells aufgegeben wird. Bitzer führt den Begriff der rhetorischen Situation wie folgt ein: „Rhetorical situation may be defined as a complex of persons, events, objects, and relations presenting an actual or potential exigence that can be completely or partially removed if discourse, introduced into the situation, can so constrain human decision or action as to bring about the significant modification of the exigence.“113

Eine rhetorische Situation ist nach dieser Bestimmung also stets durch irgendein konkretes und mehr oder weniger dringliches Problem gekennzeichnet, das – wenigstens 113 Bitzer, Lloyd F.: The rhetorical situation. In: Contemporay Rhetorical Theory. Hrsg. von John Louis Lucaites, Celeste Michelle Condit und Sally Caudill. New York 1999. S. 217225. Hier: S. 220.

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potentiell – diskursiv gelöst oder geklärt werden kann. Rhetorische Situationen sind demnach Gegebenheiten, die nach rhetorischem Handeln als Problemlösehandeln verlangen, das selbst wiederum die vorgängige Situation zur Bedingung hat. Um rhetorisch problemlösend wirken zu können, bedarf es für Bitzer zweier weiterer Größen: Der Zuhörerschaft, die er sich in Folge dieser problemorientierten Bestimmung als „mediators of change“114 vorstellt, und situations- und publikumsspezifischer Bedingungen und Einschränkungen. „Für Bitzer ist eine rhetorische Situation durch ein dringliches Problem (exigence), eine von dem Problem betroffene Zuhörerschaft (audience) und spezifische Beschränkungen (constraints) wie geteilte Werte und Überzeugungen gekennzeichnet.“115 Durchaus mit einer gewissen Übereinstimmung mit Aristoteles, der die Rhetorik nur dort vonnöten sieht, wo Dinge und Ereignisse unterschiedlich bewertet werden können, bestimmt Bitzer: „An exigence which cannot be modified is not rhetorical; thus, whatever comes about of necessity and cannot be changed – death, winter, and some natural disasters, for instance – are exigencies to be sure, but they are nonrhetorical. An exigence is rhetorical when it is capable of positive modification and when positive modification requires discourse or can be assisted by discourse.“116

Hiergegen kann durchaus eingewendet werden, dass letztlich nicht klar ist, wo die Grenze zwischen dem Bereich des Rhetorischen und dem des Nichtrhetorischen zu ziehen ist – bedenkt man, dass auch unabhängig vom Diskurs eintretende Ereignisse wie Tod, Winter oder natürliche Katastrophen deswegen noch nicht aus dem Bereich der Rhetorik fallen müssen. Eingebettet beispielsweise ins christliche Denken und Reden ist der Tod auch eine Herausforderung, die positiv im Diskurs (Beichte, Predigt etc.) modifiziert werden kann. Auf der anderen Seite können selbst scheinbar leicht zu ändernde Ereignisse aus dem Bereich der Rhetorik herausfallen, wenn diese für ‚gottgegeben‘ oder ‚alternativlos‘ erklärt und verstanden werden. Festzuhalten bleibt aber, dass Bitzer mit dieser Bestimmung in Übereinstimmung mit allen bisher angeführten Rhetoriktheoretikern den Wechsel zum Kerngeschäft der Rhetorik macht, wobei dieser Wechsel die prinzipielle Wechselbarkeit voraussetzt. Vor dem Hintergrund der Betonung des Wechsels und der Lösung des Problems schränkt Bitzer das Publikum rhetorischen Handelns pragmatisch auf diejenigen ein, die die Ressourcen, die Macht oder anderweitig die Möglichkeiten dazu haben, eine rhetorisch 114 Ebd. S. 221. 115 Kramer, Olaf; Gottschling, Markus: Rhetorische Situation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 1126-1132. Hier: Sp. 1126. 116 Bitzer 1999. S. 221.

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vermittelte Problemlösung auch herbeizuführen oder wenigstens – in zweiter Reihe – direkten Einfluss auf Personen ausüben können, die diese Möglichkeiten haben. Das Publikum besteht folglich nur „of those persons who are capable of being influenced by discourse and of being mediators of change.“117 Jasinski fasst diese Auffassung des Publikums zusammen, wenn er sagt: „In short, a rhetorical audience is open to, and interested in, the discourse and possess the capacity to act as a mediator of change.“118 Durchweg zeigt sich hierin das restriktive Rhetorikverständnis Bitzers. Verkürzt dieser mit der Verengung auf konkrete dringende Problemlagen den Bereich der Rhetorik schon auf die Formen der Beratungsrede zu Lasten der ebenso klassischen Redeanlässe wie der epideiktischen oder gerichtlichen Rede, so stellt Bitzer mit dieser Beschreibung der Publikumskonditionen sich ein Publikum vor, das zwar sicherlich oftmals wünschenswert erscheint – offen für Ergebnisse, interessiert am Diskurs, bereit, seine Möglichkeiten zum Wechsel einzubringen –, aber sicherlich nicht der kommunikative Regelfall ist. Eben weil er das nicht ist, entwickelt die klassische Rhetorik bereits eine ausgefeilte dispositio-Lehre, die dem exordium (der Einleitung) etwa Elemente zur Steigerung des attentum parare und der captatio benevolentiae empfiehlt. Schließlich führt Bitzer spezifische Beschränkungen ein: „These circumstances can include history (e.g., past events, traditions); people; present events; recognized facts, values, and beliefs; discursive conventions, written documents (e.g., contracts, letters); authoritative documents (e.g., the Bible, the U.S. Constitution); physical location; and other important economic, social, and cultural factors.“119

Jasinski versteht Bitzers Ausführungen dieser Beschränkungen in der Weise, dass selbige „are, in effect, mini-exigences; they are secondary problems that an advocate must negotiate or deal with to resolve the dominant exigence.“120 Hier zeigt sich, was oben mit Knape als das Überwinden von Hindernissen beschrieben wurde. Wie aber auch schon in der Auseinandersetzung mit Knape gesagt wurde, ist nicht der Prozess der Überwindung das tragende Geschäft der Rhetorik, sondern der Prozess der Identifikation. Alle diese spezifischen Beschränkungen sind, wie auch Jasinski ausführt, eben nicht nur zu überwindende Beschränkungen, sondern auch „resources that the advocate tries to exploit.“121 Demnach ist das, was Bitzer mit ‚constraints‘ bezeichnet, nicht nur in dem Sinn einer Beschränkung eines zu überwindenden Hindernisses zu verstehen, sondern stellt zugleich jene Ansichten, Meinungen und topoi dar, die 117 Ebd. 118 Jasinski 2001. S. 515. 119 Ebd. 120 Ebd. S. 516. 121 Ebd.

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zu persuasiven Zwecken genutzt werden können, indem Identifikation sich eben auch nur in diesen ‚constraints‘ ereignen kann. Schaut man auf die Quellen Bitzers, so wird ersichtlich, in welch starkem Maße er seine Auffassung der rhetorischen Situation entlang der Auseinandersetzung mit dem Sozialwissenschaftler W.I. Thomas122 gewinnt. Thomas, der als Vater des methodischen Begriffs Situation gelten kann,123 bestimmte, dass „jede konkrete Tätigkeit […] die Lösung einer Situation“124 ist. Auf diese Weise wird Handeln als problemlösend und Situation als problemhaft beschrieben. Die Situation, in der sich jemand befindet, wird dabei „aufgefasst als Summe der Faktoren, welche die Verhaltensreaktion bedingen.“125 Situationen sind also – wie auch bei Bitzer – klarer Weise nicht nur die räumlich-materiellen Gegebenheiten, sondern die Situation schließt darüber hinaus auch ganz maßgeblich die sozialen Beziehungen mit ein. Im Gegensatz zu Bitzer sind Situationen aber deswegen nicht einfach die Bedingungen rhetorischen Handelns, sondern selbst eingebunden in rhetorische Prozesse. Auch wenn Thomas nicht explizit von der Rhetorik der Situation spricht, so lässt sich diese doch deutlich darin ablesen, dass Situationen für Thomas nicht einfach objektiv gegeben sind. Neben dem Begriff der Situation führt Thomas daher den Begriff der ‚Definition der Situation‘ ein. Das Verhältnis dieser beiden Begriffe charakterisiert Edmund H. Volkart wie folgt: „Der Begriff der Definition der Situation ist […] eine notwendige Ergänzung zum Begriff der Situation selbst. Im wirklichen Leben besteht niemals das eine ohne das andere, und so können sie auch nicht getrennt erörtert werden. Die Definition der Situation ist sogar das Bindeglied, durch welche Erfahrung und Anpassungsverhalten mit der Situation verknüpft werden.“126

Der Begriff Situation, der den handlungsleitenden Kontext bestimmt, bedarf des Begriffes der Definition der Situation, da Situationen erst handlungsleitend werden können, wenn diese als eine bestimmte Situation interpretiert worden sind. Dieser Interpretationsakt steckt hinter der Formulierung ‚Definition der Situation‘. Jedoch ist 122 Thomas ist vor allem bekannt für das nach ihm benannte Theorem, demnach gilt: „Wenn die Menschen Situationen als real definieren, so sind auch ihre Folgen real.“ (Thomas, William I.: Person und Sozialverhalten. Hrsg. von Edmund H. Volkart. Neuwied am Rhein 1965. S. 114.) 123 Vgl. Kramer/Gottschling 2012. Sp. 1130. 124 Zit. nach: Volkart, Edmund H.: Einführung. Soziales Verhalten und Definition der Situation. In: Thomas, William I.: Personen und Sozialverhalten. Hrsg. von Ders. Neuwied am Rhein 1965. S. 11-51. Hier: S. 19. 125 Thomas, William I.: The Relation of Research to the Social Process. In: Swann, W.F.G. u.a.: Essays on Research in the Social Sciences. Washington 1931. S. 189f. 126 Volkart 1965. S. 20.

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diese Definition nicht einfach eine individuelle Bestimmung, sondern – daher wird hier wohl auch von einer Definition gesprochen – abhängig vom sozialen Kontext, von der Interaktion mit anderen Menschen und – vor allem – mit der kulturprägenden Kraft von Institutionen und dem was Thomas als Primärgruppe oder „spezielle Situationsdefinierer“127 bezeichnet, und was Volkart wiedergibt als „Meinungsmacher“128. Wenn auf der einen Seite also gilt, was Thomas schreibt: „Jeder Anpassungsbemühung geht eine Entscheidung über das Handeln oder Nichthandeln, über einen gegebenen Maßstab voraus, und vor dieser Entscheidung liegt wiederum eine Definition der Situation, d.h. eine Interpretation oder ein Standpunkt und schließlich eine Richtlinie und ein Verhaltensmuster. Auf diese Weise werden rasche Urteile und Entschlüsse an jedem Punkt des täglichen Lebens zustande gebracht.“129

Auf der anderen Seite wird aber der Einfluss von Meinungsführern und Institutionen, aber auch die Abhängigkeit vom Sozialverhalten anderer, betont. So wird damit natürlich auch klar: Menschen können durch den Gebrauch bestimmter Mittel Einfluss auf die Definition der Situation ausüben und damit letztlich auch direkt Einfluss auf die Handlungsoptionen und Handlungspräferenzen anderer Menschen. Den Einsatz solcher Mittel können wir als Rhetorik beschreiben und die Mittel als rhetorische Mittel ausweisen, deren Ziel hauptsächlich darin bestehen wird, dem Publikum Identifikationsangebote zur Bedeutungskonstitution zu machen. Im Sinne Burkes kann dann gesagt werden: „Wherever there is persuasion, there is rhetoric. Wherever there is meaning, there is persuasion.“130 In dieser Weise charakterisiert auch Richard E. Vatz in der Nachfolge von Bitzer und mit der darin enthaltenen Kritik an Bitzers Vorstellung von der Objektivität der Situation: „No situation can have a nature independent of the perception of its interpreter or independent of the rhetoric with which he chooses to characterize it.“131 Problematisch an diesem Situationsmodell ist, wie es Kramer und Gottschling als einen wesentlichen Kritikpunkt an diesem Modell herausstellen, dass es, obgleich theoretisch grundlegend, doch nicht eindeutig definiert und damit empirisch nicht verwertbar ist.132 Zwar lassen sich die physischen Gegebenheiten einer Situation exakt beschreiben, doch ist damit wenig über die Situation ausgesagt, wie sie vom 127 Volkart 1965. S. 21. 128 Ebd. 129 Zit. nach ebd. S. 20. 130 Burke 1969a. S. 172. 131 Vatz, Richard E.: The Myth of the Rhetorical Situation. In: Contemporary Rhetorical Theory. Hrsg. von John Louis Lucaites, Celeste Michelle Condit und Sally Caudill. New York 1999. S. 226-231. Hier: S. 226. 132 Vgl. Kramer/Gottschling 2012. Sp. 1130.

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Einzelnen aufgrund bestimmter Einstellungen, Wahrnehmungsweisen und sozialer Zwänge wahrgenommen wird. Wie Kramer und Gottschling auch betonen, hat sich dieses Problems Hartmut Esser angenommen und versucht, ein Situationsmodell zu entwickeln, das eine empirische Verwertbarkeit ermöglichen soll. Es sei gleich vorweg gesagt, dass auch Essers Modell diesem Anspruch laut Kramer und Gottschling nicht gerecht wird. In seinem Eintrag zum Stichwort „Situationsdefinition und Wissensmuster im ‚Modell der soziologischen Erklärung‘“133 beschreibt Rainer Greshoff das Modell Essers als wissenssoziologisches Modell in drei Untersuchungsaspekten: Die „Logik der Situation“134 macht den bereits mit Thomas beschriebenen Aspekt deutlich, dass Situationen nicht einfach kausal auf die Akteure wirken. „Alles was geschieht, ist eine fortlaufende Strukturierung der Bedingungen für die ‚sinnhafte‘ Wahl eines bestimmten Handelns der jeweiligen Akteure“135, wobei die Wahl eines Handelns dahingehend verstanden werden kann, „dass soziale Situationen als strukturierte Umstände Akteure dazu bringen, in bestimmter Weise zu handeln.“136 Die „Logik der Selektion“137, der zweite Aspekt bei Greshoff, betrifft vor allem zweierlei: „Zum einen werden hier die coverten Selektionen erklärt, über die sich die einzelnen Akteure in der Situation orientieren, zum anderen deren overte, auf jeweilige Andere ausgerichtete Handlungen.“138 Es wird also unter dem Stichwort der Logik der Selektion erklärt, wie die Akteure Situationen definieren (framing), das heißt, welches Modell einer möglichen Situation sie bezüglich der gegebenen Lage auswählen. Schließlich werden aber auch die Selektionsprozesse in den Blick genommen, die das overte Handeln, also das, was auch für andere sichtbar ist, steuern. Es ist offensichtlich, dass ein Verständnis der Handlungen anderer stets von diesen overten Handlungen seinen Ausgang zu nehmen hat, und die dahinter liegenden coverten Selektionsmuster letztlich nur spekulativ erschlossen werden können.139 Für Esser gilt: Erst 133 Greshoff, Rainer: Situationsdefinition und Wissensmuster im ‚Modell der soziologischen Erklärung‘. In: Schützeichel, Rainer (Hrsg.): Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Konstanz 2007. S. 418-432. 134 Ebd. S. 425. 135 Esser, Hartmut: Soziologie. Spezielle Grundlagen. Bd. 1: Situationslogik und Handeln. Frankfurt am Main 1999. S. 31. 136 Greshoff 2007. S. 425. 137 Ebd. S. 426. 138 Ebd. 139 Dies ist letztlich auch der Grund, warum auch Essers Modell empirisch kaum verwertbar ist. Vgl. dazu die Bemerkung von Kramer und Gottschling: „Der Schlüssel zum Verständnis menschlichen Verhaltens in kommunikativ-sozialen Interaktionen liegt also im Erkennen der subjektiven Definition der Situationsbegebenheiten einzelner Interaktionspartner. Die Schwierigkeit diese empirisch zu erheben, kann jedoch auch Essers operationales Modell der Situationsanalyse nicht beseitigen, da nur die äußeren Bedingungen

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„wenn ein Akteur mittels einer [bestimmten] Vorstellung von einer Situation eine Situationsdefinition vornimmt, also die Situation entsprechend ‚rahmt‘, kann überhaupt von einem Wirken von Makro auf Mikro ausgegangen werden.“140 Dieses Wirken von einer sozialen Makrostruktur auf die Mikrostruktur konkreter Handlungen wird mit Burke als die scene-act-ratio beschreibbar. Schließlich beschreibt die Logik der Aggregation als dritter Aspekt die Wirkungen der Mikrostruktur zurück in die Makrostruktur. Das heißt, dass, weil das konkrete Handeln des Einzelnen im Moment seiner Umsetzung für andere Akteure erkennbar in die soziale Situation mit eingeht und diese verändern kann, Situationen immer auch durch Interaktion ausgehandelt werden und bislang gültige Strukturen der Situation in Frage gestellt werden können. In einer Rhetorik der Situation wird diese Rolle klassisch dem orator zugesprochen, der die Situationsbestimmungen durch seine rhetorischen Handlungen insofern verändern kann, als er es schafft, Einfluss auf die Selektionsmuster seines Publikums zu nehmen. Übertragen auf den Gegenstand der vorliegenden Arbeit zeichnet sich bereits an dieser Stelle ab, dass ein rhetorischer Situationsbegriff es erlauben wird, Designprodukte als rhetorische Mittel zu verstehen, die eingesetzt werden, um Einfluss auf die Definition der Situation zu nehmen. Insbesondere wird es durch einen solchen Begriff möglich, auch dort von der rhetorischen Dimension des Designs zu sprechen, wo scheinbar eine Form der rhetorischen Nullstufe vorzuliegen scheint: im Informationsdesign.141 Wegweiser und Leitsysteme etwa setzen, wie vor allem Kapitel VI zeigen wird, auf eine subtile Einflussnahme auf Situationsbestimmung letztlich auch aus dem Grund, um darüber Menschen und Verkehr lenken zu können. Sie zeigen dabei weit mehr als nur den Weg zu bestimmten Destinationen.

zweifelsfrei analytisch erschließbar sind, die inneren Bedingungen dagegen spekulativ aus dem Verhalten erschlossen werden müssen.“ (Kramer/Gottschling 2012. Sp. 1130f.) 140 Greshoff 2007. S. 425. 141 Dass es keine rhetorische Nullstufe im Design gibt und daher insbesondere auch von einer rhetorischen Nullstufe im Informationsdesign nicht gesprochen werden kann, ist bereits Gegenstand der Arbeit von Annina Schneller und Arne Scheuermann. Bei Schneller und Scheuermann heißt es diesbezüglich: „Der ‚Nullpunkt‘ kann nicht gestaltet werden, denn der Vorgang des ‚Gestaltens‘ bedeutet bereits eine Übersetzung, eine Intervention mit gestalterischen Mitteln.“ (Schneller, Annina; Scheuermann, Arne: Visuelle Rhetorik 2 – Regeln, Spielräume und rhetorischer Nullpunkt im Informationsdesign am Beispiel des öffentlichen Verkehrs. Bern: Y-Forschungsbericht Nr.5, 2012. S. 32.) Demnach gilt: „Neutralität ist ein Wirkziel und kein Wesensmerkmal von Informationsdesign, da es sich regelhaft beschreiben lässt. Dies bedeutet: Informationsdesign ist nicht neutral und sachlich, sondern wirkt aufgrund entsprechender Gestaltungsmerkmale so.“ (ebd. 31.) Zur Rhetorik der Neutralität, siehe: Vgl. Smolarski 2017. Kapitel VII.

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Um das nötige Vokabular zur Beschreibung von Situationen an der Hand zu haben und besonders, um den Hintergrund des hier vertretenen Situationsbegriffes klar herauszustellen, soll nun zuletzt auf die Bestimmung des Begriffes bei Burke eingegangen werden, die – bei aller Verschiedenheit – deutliche Parallelen zu dem zuletzt entwickelten Verständnis bei Thomas und Vatz hat. Im Unterschied zu Thomas trennt Burke nicht zwischen Situation und Definition der Situation – immerhin scheint es auch fraglich, ob es jenseits der Definition der Situation noch eine Situation gibt –, sondern verwendet den Begriff Situation im Zusammenhang mit den Begriffen Handlung, Motiv und Form. Da Burke nirgendwo eine geschlossene Theorie der Situation als solche entwirft, nicht zuletzt, weil ihm der Begriff des Motivs viel wichtiger ist, gilt es diese im Weiteren allererst zu entwickeln. Motive sind für Burke nicht isolierte Gründe in einem kriminalistischen Sinn, um Handlungen zu erklären, sondern allgemein linguistische Erklärungs- und Rechtfertigungsmuster, die Situationen so beschreiben, dass in ihnen erfolgte Handlungen verständlich werden. Der Begriff Motiv ist daher nur in seinem Verhältnis zu den Begriffen Situation und Handlung analysierbar und verweist zugleich stets auf eine spezifische symbolische Form des Ausdrucks eben jenes Motivs. So gehören die Begriffe Motiv, Situation, Handlung und symbolische Form für Burke untrennbar zusammen. In A Grammar of Motives schreibt Burke: „The stage-set contains the action ambiguously (as regards the norms of action) – and in the course of the play’s development this ambiguity is converted into a corresponding articulacy. The proportion would be: scene is to act as implicit is to explicit. One could not deduce the details of the action from the details of the setting, but one could deduce the quality of the action from the quality of the setting.“142

Obgleich sich demnach keine Handlung en detail aus der Situation ableiten und erklären lässt – Situationen determinieren nicht Handlungen –, in der diese enthalten ist – Burke spricht hier von „Containern and Things Contained“143 –, so lässt sich doch die Qualität einer Handlung aus der Qualität der Situation ableiten. Was aber genau ist die Qualität einer Handlung? Was ist die ihr korrespondierende Qualität einer Situation? Insofern, wie Burke schreibt, diese Qualitäten ‚the norms of action‘ betreffen, also den Rahmen abstecken, der durch die rhetorische Kategorie der Angemessenheit gekennzeichnet ist, ist die Qualität einer Handlung das ihr zugrundeliegende Motiv – sei es nun bewusst oder auch nicht bewusst. Die dieser Handlungsqualität korrespondierende Situationsqualität kann – da Burke sich dieses Korrespondenzverhältnis als Bijektion vorzustellen scheint – als Situationsmotiv beschrieben 142 Burke 1969b. S. 7. Hiermit ist die oben erwähnte scene-act-ratio charakterisiert. 143 Vgl. Burke 1969b. S. 3-20.

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werden. Dies ist letztlich der Grund, warum Burke von Motiven sagen kann, sie seien „shorthand terms for situations“144. Insbesondere besagt dieses Verhältnis von Situation über Motiv zu Handlung (und umgekehrt), dass Situationen bereits motivational angelegt sein müssen. Andernfalls hätten diese gar keine Qualität, die zur Ableitung irgendeiner Qualifizierung von Handlungen führen könnte. Situationen sind folglich, anders als schiere Begebenheiten, bereits mit handlungsqualifizierenden und damit handlungsleitenden Bedeutungsstrukturen versehen. Daher gehören Situationen auch zum ‚realm of action‘, wohingegen bloße Begebenheiten im ‚realm of sheer motion‘ verbleiben, wo sie zwar physisch beschreibbar sind, jedoch – oder besser: gerade weil sie – keinerlei bewertbare oder qualifizierbare Bedeutungsstrukturen bieten. Oder um es klar zu sagen: So wie ein ausgestreckter Zeigefinger nichts bedeutet, so wie auch ein singulär betrachtetes Wort nichts bedeutet,145 so bedeutet auch eine bloße Anordnung von Dingen in einem Raum an sich nichts. Ein gegebener Raum erlangt erst dadurch Bedeutung, dass wir ihn beispielsweise als einen Vortragsraum für eine Tagung erfassen; genauer: Wir erfassen die Szene, die Situation, in der wir uns befinden (und das meint mehr als nur den Raum), als eine Tagungssituation.146 Diese Situati-

144 Burke, Kenneth: Permanence and Change. An Anatomy of Purpose. Berkeley 1954. S. 29. An anderer Stelle setzt Burke Situation und Motiv sogar gleich: „‘Situation‘ ist nur ein anderer Ausdruck für ‚Motive‘.“ (Burke, Kenneth: Dichtung als symbolische Handlung. Eine Theorie der Literatur. Frankfurt am Main 1966. S. 25.) 145 Dies macht insbesondere das Kontexttheorem von I.A. Richards deutlich. Richards vertritt einen konsequenten Antiessentialismus, wonach es keine festen, richtigen Bedeutungen eines Wortes gibt noch eine richtige Verwendung derselben. Beides weist Richards als Aberglaube aus: „A chief cause of misunderstanding […] is the Proper Meaning Superstition. That is, the common belief […] that a word has a meaning of its own (ideally, only one). […] This superstition is a recognition of a certain kind of stability in the meaning of certain words. It is only a superstition when its forgets (as it commonly does) that the stability of the meaning of a word comes from the constancy of the contexts that give it its meaning. Stability in a word‘s meaning is not something to be assumed, but always something to be explained.“ (Richards, Ivor A.: The Philosophy of Rhetorics. New York 1936. S.11.) 146 Ein bemerkenswerter Versuch, die rhetorische Dimension von Räumen herauszustellen, ist mit Gregory Clarks Rhetorical Landscapes in America vorgelegt. Darin untersucht der Autor die Rolle, die bestimmte urbane und landschaftliche Räume bei der Konstruktion eines amerikanischen Wir-Gefühls spielen. Der hier vorgenommenen Unterscheidung von schieren Begebenheiten und motivationalen Situationen entspricht im Buch die zentrale Unterscheidung von land und landscape. „Landscape is not the same as land. Land is material, a particular object, while landscape is conceptual. When people act as tour-

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onsbeschreibung lässt bereits eine Reihe von möglichen Handlungen erwarten (jemand hält einen Vortrag, einige hören ihm zu, irgendjemand im Raum schreibt etwas auf, manche runzeln die Stirn etc.) und schließt andere als unangemessen aus. Der Einfluss eines Motivs auf die Handlungsoptionen bzw. die Situationsbenennung (was dasselbe ist) wird in einem etwas eleganteren Beispiel von Burke besonders deutlich: „The names we give to motives shape our relations with our fellows. Since they provide interpretations, they prepare us for some function and against others, for or against the person representing these functions. Moreover, they suggest how we shall be for or against. [For example:] Call a man a villain, and you have the choice of either attacking or cringing. Call him a mistaken and you invite yourself to attempt setting him right.“147

Die eben genannten Handlungen werden durch die Situationsbestimmung als angemessen qualifiziert erfahren und ergeben das Motiv, welches diese Handlungen erklärbar macht. Die Festlegung auf die Bestimmung der Begebenheit als Tagungssituation ist dabei nicht beliebig, sondern folgt einer gewissen Formensprache (Raumanordnung, Ankündigung, das Vorhandensein eines Pults, das Schweigen des Auditoriums,148 etc.), die zum Teil wieder auf Handlungen aufbaut, die durch eben dasselbe Motiv erklärbar werden. Um es kurz zu sagen: Situationen implizieren Handlungen und diese werden auf der Grundlage von Motiven verstehbar, welche selbst wieder Kurzbegriffe für Situationen darstellen. Wenn die Situationsbestimmung auch nicht beliebig ist, so ist sie allerdings auch nicht unverrückbar. Normabweichendes Verhalten, das mitunter als unangemessen empfunden wird – eben aufgrund differenter Situationsbestimmungen –, kann durchaus als angemessen betrachtet werden, wenn die Perspektive verschoben wird und ein abweichendes Motiv als Grundlage ausgemacht werden kann. Der kommunikative, mithin auf Identifikation gründende und damit möglicherweise persuasive Austausch dieser Motive ist schließlich Gegenstand jeder rhetorischen Intervention. Jemanden von etwas überzeugen zu wollen, meint hiernach, Situationen neu zu bestimmen und damit Handlungen und Handlungsbewertungen zu beeinflussen. Um diesen Punkt deutlicher zu machen, sei noch einmal betont, dass Situationen nicht – wie ists, they leave the land where they make their home to encounter landscapes. Land becomes landscape when assigned the role of symbol, and as symbol it functions rhetorically.“ (Clark, Gregory: Rhetorical Landscapes in America. Variations on a Theme from Kenneth Burke. Columbia 2004. S. 9.) 147 Blankenship, Jane; Murphy, Edward; Rosenwasser, Marie. Pivotal Terms in the Early Works of Kenneth Burke. In: Landmark Essays on Kenneth Burke. Hrsg. von Barry Brummett, 71-90. Davis 1993. S. 77 148 Schon die Bestimmung einer Menge von Individuen als Auditorium folgt der Situationsbestimmung als Vortragssituation.

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etwa bei Bitzer – vor einem motivationalen Zugriff quasi objektiv vorhanden sind, sondern durch diesen überhaupt erst als eine solche-und-solche Situation bestimmt werden. Die Entstehung von Situationen ist demnach keine Reaktion oder Antwort auf ein Motiv, sondern eine handlungsimplizierende Interpretation der Wirklichkeit durch ein Motiv, welches als – wie Burke es nennt – ‚terministic screen‘149 fungiert. Dieser terministic screen impliziert, insofern er eine Reflektion der Wirklichkeit darstellen soll, dabei stets eine Selektion der Wirklichkeit und ist damit letztlich zugleich eine Deflektion der Wirklichkeit. Oder um es in Bukes Worten zu sagen: „Any given terminology is a reflection of reality, by its very nature as a terminology it must be a selection of reality; and to this extend it must function also as a deflection of reality.“150 Es wird hier – mit dem Verweis auf Burke – eben auch deutlich, dass das, was wir oben mit Esser als die Logik der Selektion beschrieben haben, immer auch eine Logik der Deflektion ist, und damit schließlich die Ursache für Konflikt und Streit um Definitionshoheiten und deshalb auch die Einladung zur Rhetorik. Es gilt bezüglich des Verhältnisses von Motiv und Situation: „One tends to think of a duality here, to assume some kind of breach between a situation and a response. Yet the two are identical. When we wish to influence a man’s response, for instance, we emphasize factors which he had understressed or neglected, and minimize factors which he had laid great weight upon. This amounts to nothing other than an attempt to redefine the situation itself. In this respect our whole vocabulary of motivation is tautological.“151

Diese Bestimmung beschreitet tatsächlich einen anderen Weg als etwa den, der oben mit Verweis auf Bitzer skizziert worden ist. Für Bitzer gilt: „[R]hetorical discourse comes into existence as a response to a situation, in the same sense that an answer comes into existence in response to a question . […] A rhetorical situation must exist as a necessary condition of rhetorical discourse, just as a question must exist as necessary condition of an answer.“152 Burke hingegen macht ganz deutlich, dass die Auffassung, wonach Situationen Fragen sind, auf die später rhetorisch zu antworten wäre, als Bestimmung der rhetorischen Situation nicht hinreicht. Die durch persuasive Prozesse eingeleitete Perspektivverschiebung wird bei Burke charakterisiert als eben ein ‚attempt to redefine the situation itself‘. Diese Bemühungen, die Situation selbst neu zu bestimmen oder einfach anders zu definieren, bleibt freilich gebunden an den Begriff der Identifikation, insofern diese die Basis

149 Vgl. Burke, Kenneth: Language as Symbolic Action. Essays on Life, Literature and Method. Berkeley 1966. S. 44-62. 150 Ebd. S. 45. 151 Burke 1954. S. 220.; siehe dazu auch: Blankenship/Murphy/Rosenwasser 1993. S. 78. 152 Bitzer 1999. S. 220.

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der Persuasion ist, welche gebraucht wird, um Neubestimmungen auch wirksam werden zu lassen. Wie Kramer betont, „entwickelt [Burke] den Begriff [der Identifikation] vor dem Hintergrund psychologischer und anthropologischer Theorien, nach denen menschliches Denken, Empfinden und Handeln von Motivstrukturen gesteuert ist, und geht davon aus, dass Persuasion nur durch die Beeinflussung solcher Motivstrukturen gelingen kann.“153

Aufgrund des hier zu entwickelnden Zirkels, der Motive, Situationen, Handlungen und deren kommunizierbare Fassung innerhalb einer bestimmten Form zusammenhält, meint der ‚attempt to redefine the situation itself‘ nichts anderes als eben eine persuasive ‚Beeinflussung der Motivstrukturen‘. Auf eine Bedeutung dieser Charakterisierung für die weitere Arbeit sei hier kurz hingewiesen: Wird das persuasive Moment als ein ‚attempt to redefine the situation itself‘ bestimmt, so eröffnen sich hierdurch Möglichkeiten, auch Bilder, Piktogramme, Stadtpläne und diverse Designprodukte als persuasiv zu bezeichnen. Dann kann gefragt werden, inwiefern diese Artefakte eine Veränderung der Situation herbeiführen, inwiefern sie nur dann bedeutungsvoll werden, wenn die Situation als eine so-und-so bestimmte Situation verstanden wird, inwiefern eine Handlung anhand und durch diese Artefakte eine bestimmte Situation impliziert. Designprodukte können dann als Einladungen (der Affordanz-Charakter 154 von Design) betrachtet werden, eine bestimmte Handlung zu explizieren und damit eine Situation zu implizieren bzw. eine Situation zu implizieren, die eine bestimmte Form von Handlung verstehbar macht. Motive, die zu einer Neubestimmung von Situationen verhelfen, sind zugleich die Bezugsmodi in Akten geteilter Intentionalität, also in Akten, deren Ziel es ist – bei aller individuellen Differenz –, eine konsubstantielle Einheit zwischen Personen herzustellen, um ein bestimmtes Ziel gemeinsam zu erreichen. Motive sind schon deshalb als Modi des Bezugs auszuweisen, weil allein hierin bereits die Kriterien für eine gelungene oder misslungene, eine angemessene oder unangemessene Handlung geteilter Intentionalität angelegt sind. Diese Kriterien können weder aus der Konsubstantialität der beteiligten Subjekte noch aus dem Gehalt, also dem Bezugsgegenstand ihrer geteilten Intention gewonnen werden.155 Wir müssen versuchen, diesen 153 Kramer 2012. Sp. 372. 154 Zum Begriff der Affordanz siehe: Gibson, James J.: The Ecological Approach to Visual Perception. New York 1986.; Norman, Donald A.: The Design of Everyday Things. New York 2013.; Krippendorff, Klaus: Die semantische Wende. Eine neue Grundlage für Design. Basel 2013. Mehr dazu: vgl. Vgl. Smolarski 2017. Kapitel III. 155 Searle scheint da anderer Meinung zu sein. Er behauptet, der Gehalt einer Intention gebe zugleich ihre Erfolgsbedingungen an. In dem intentionalen Akt: ‚Ich liebe Sally‘ stellt ‚ich‘ das Subjekt der Intention, ‚liebe‘ den Bezugsmodus und ‚Sally‘ den Gehalt dar.

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Punkt genauer zu fassen, da sich hierin eben das Merkmal der für intentionale Akte charakteristischen Zirkularität zeigt: Wir haben gesehen, dass Motive (die Bezugsmodi intentionaler Akte) Handlungsräume in der Weise eröffnen, als dass Handlungen als Ausdruck eines Motivs erklärbar und verstehbar werden. Motive verdecken oder verschließen zugleich andere Handlungsoptionen, die unter demselben Motiv betrachtet als unangemessen oder schlichtweg als nicht verstehbar zu betrachten wären. Dieser motivationalen Qualifizierung von Handlungen entspricht eine Qualität der Situation, die damit selbst bereits motivational bestimmt wird. Die Begriffe Situation, Handlung und Motiv sind damit zirkulär verbunden und steuern die Wahrnehmung und Bewertung der anderen Komponenten. Im Falle geteilter Intentionalität werden die Subjekte der Handlung als konsubstantielle Einheit vorgestellt, die ihre Konsubstantialität auf persuasive Identifikationsprozesse gründen. Wenn ich also sage, dass die Kriterien zur Qualifikation einer Handlung aus den ihr zugrundeliegenden Motiven als deren Bezugsmodi resultieren und eben nicht aus der konsubstantiellen Einheit noch aus dem Gehalt des intentionalen Aktes, also der Situation, die es zu transformieren gilt, so stimmt das nur insoweit, als diese Begriffe unterschiedliche Perspektiven auf dasselbe Phänomen darstellen. Eben durch die Zirkularität der Motivstruktur – das, von dem Burke sagt: „In this respect our whole vocabulary of motivation is tautological.“156 – sind die einzelnen Einheiten ineinander transformierbar. Dieser Situationsbegriff erlaubt es, nach dem ‚attempt to redefine the situation itself‘ als einem genuin rhetorischen Moment zu fragen, und genau diese Frage wird im Mittelpunkt der Analyse stehen, wenn es um Produkte des Designs geht.

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Der Begriff Methode kann, wie Temilo van Zantwijk in seinem gleichnamigen Artikel im Historischen Wörterbuch der Rhetorik deutlich macht, in Bezug auf Rhetorik zweierlei bedeuten: Zum einen kann von den Methoden der Rhetorik gesprochen werden, wobei die „Methode ein bestimmter Aspekt der unterschiedlichen Konzeptionen der Redekunst [ist], nämlich der Teil der Kunst, der sich als planendes Handeln bestimmen lässt.“157 Methoden der Rhetorik sind dann kunstgerechte Techniken der Allerdings ist allein der Ausdruck ‚liebe‘ handlungsimplizierend und qualifizierend. Eine bestimmte Liste von Handlungen ist unter dem Motiv der Liebe angemessen, eine andere Liste von Handlungen ist unangemessen. Vgl. Searle, John R.: Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes. Frankfurt am Main 1987. S. 19ff. 156 Burke 1954. S. 220. 157 Zantwijk, Temilo van: Methode. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 687-700. Sp. 687.

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Persuasion bzw. Identifikation. Diese werden vom planenden orator bzw. Designer bewusst eingesetzt, um dem Publikum Identifikationsangebote zu machen. In dieser Hinsicht hat besonders die klassische Rhetorik ein breites Methodenwissen aufgebaut, an das in dieser Arbeit angeknüpft werden kann. Mit der Unterscheidung der Appellfunktionen bei Aristoteles in ethos, pathos und logos ist dabei die erste wesentliche Grobdifferenzierung dieser Techniken möglich. Die Dreiteilung der Überzeugungsmittel verortet diese innerhalb der rhetorischen Trias bestehend aus Redner, Rede und Publikum: „Die ersten nämlich liegen im Charakter des Redners [d.i. ethos], die zweiten darin, den Zuhörer in einen bestimmte Zustand zu versetzen [d.i. pathos], die dritten in dem Argument selbst, durch das Beweisen oder das scheinbare Beweisen [d.i. logos].“158 Wie van Zantwijk betont, finden sich in der klassischen Rhetorik, da diese noch keinen unabhängigen Methodenbegriff entwickelte, die Methoden der Rhetorik in allen fünf Bereichen der officium-Lehre, und zwar der inventio (der Findungskunst, wie sie oben bereits besprochen wurde), der dispositio (der Aufbaulehre zur kunstgerechten Ordnung des rhetorischen Produkts), der elocutio (der Formulierungslehre, die die Formung der Gedanken auf den größtmöglichen Nutzen im Sinne des Redeziels bestimmt), der memoria (der Einprägekunst, die immer auch eine Kunst der zweckmäßigen Mediennutzung ist) und der actio (der Präsentationskunst).159 Es ist hier nicht der Ort, um den Methodenreichtum der klassischen Rhetorik vollständig zu entfalten. Wichtig ist aber festzuhalten, dass diese Methoden der Rhetorik als Techniken der Identifikation verstanden werden und als solche den eigentlichen Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bilden. Eine Rhetorik des Designs muss es sich zur Aufgabe machen, diejenigen Techniken herauszuarbeiten, die dem Designer in der Produktion und Evaluation zur Verfügung stehen, um seine kommunikativen Ziele zu erreichen. Diese Techniken werden je nach Form des Designs zwar variieren, kommen aber darin zusammen, dass sie sich systematisieren und klassifizieren lassen und als solche dem gleichen Zweck auf unterschiedliche Weise dienen: Sie sind Mittel, die eingesetzt werden, um Einfluss auf Handlungsoptionen zu nehmen, indem sie Situationen neu bestimmen und diese Neubestimmung in einem rhetorischen, auf Persuasion zielenden Prozess kommunikativ vertreten. Damit sind sie allesamt Mittel der Identifikation durch Formgebung. Durch diese komprimierte Beschreibung des Forschungsvorhabens wird vor allem der zweite Aspekt des Methodenbegriffes deutlich betont. Neben dem Verständnis der Methode im Sinne der ‚Methoden der Rhetorik‘, gibt es auch das Verständnis der Rhetorik selbst als Methode. „Dabei geht es um methodische Orientierung durch Rhetorik in Kontexten, die nicht

158 Arist. Rhet. I 2, 1356 a 1-5. 159 Vgl. Zantwijk 2012a. Sp. 688.

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genuin rhetorisch sind, aber in Analogie zur artikulierten Rede methodisch durchdrungen werden.“160 Die hier angesprochene Analogie darf aber keineswegs insofern missverstanden werden, dass es darum ginge, die konkret für die Rede entwickelten Techniken der Rhetorik auf Designprodukte anzuwenden. Die Analogie besteht in den Zielen der Techniken, nicht in den Techniken selbst. Es ist dem Verständnis der rhetorischen Dimension von Designprodukten wenig gedient, wenn etwa ein für die Rede-Rhetorik wichtiges und produktives technisches Unterscheidungswissen, wie beispielsweise das der Funktion der Redeteile, blindlinks auf Designprodukte übertragen wird. Für die Rede-Rhetorik ist es sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass der Redner das exordium vor allem auch dazu nutzen sollte, die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen des Publikums zu gewinnen, und dass eine der Hauptaufgaben der narratio darin besteht, „erzählerisch die Ausgangsereignisse […] zu vergegenwärtigen, auf [die] sich die folgende, logisch-syllogistisch strukturierte, beweisende Argumentation bezieht.“161 Aber es ist in höchstem Maße unklar, was das exordium oder die narratio (geschweige denn die logisch-sylogistische Funktion der argumentatio) bei handlungsweisenden Leitsystemen sein soll oder in der architektonischen Umsetzung eines Platzes mit spezifischem Erlebnischarakter, in der Form eines zum Rasen einladenden Sportwagens, im Gebrauch einer Sachlichkeit, Nüchternheit und Autorität betonenden Typografie oder irgendeines anderen Designproduktes, das nicht primär durch den Gebrauch geordneter Rede zu überzeugen sucht. Für Theoretiker, deren Rhetorikverständnis entweder ausschließlich an der durchgängigen Möglichkeit der Anwendung klassischer Regeln und Methoden und dem Erkennen klassischer Figuren und Tropen hängt oder – was im Grunde dasselbe ist – die Rhetorik allein im verbalsprachlichen Bereich verorten, mag eine Rhetorik des Designs unmöglich sein. Sie wird höchstens dann möglich, wenn die sprachliche Verfasstheit auch der gestalteten Form, der Bilder oder des bebauten Raumes unterstellt wird, so dass diese sich wieder als ‚Texte‘ lesen lassen.162 Mit dem hier zugrunde gelegten Rhetorikverständnis, das auf der methodischen Initiierung von Prozessen der Identifikation beruht (und nicht auf der Möglichkeit, einen Katalog rhetorischer Sprachfiguren zu erkennen), erscheint es als möglich – und zwar unabhängig davon, ob Bilder, Formen oder Räume auch als Texte verstanden werden können. Sicher lässt sich keine der innerhalb der klassischen Rhetorik entwickelten Techniken apriori für die hier zu leistende Übertragungsarbeit ausschließen (bei Werbeplakaten kann auch die Funktionalisierung der Redeteile betrachtet werden), allerdings sollte eine Rhetorik des Designs sich nicht so ‚sklavisch‘ an die für die Rede160 Ebd. Sp. 687. 161 Knape, Joachim: Narratio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003. Sp. 98-106. Sp. 98. 162 Wie eingangs im vorliegenden Kapitel bereits deutlich wurde, wäre hier beispielsweise zu nennen: Mühlmann 2008.

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Rhetorik entwickelten Methoden binden, dass genuin designrhetorische Momente übersehen werden, und vor allem, dass die rhetorische Verfasstheit des Designs stets nur als defizitär gegenüber der Rede erscheint. In Anklang an Johann Gottlieb Baumgarten163 sollte vielmehr davon ausgegangen werden, dass auch primär nicht-sprachliche Produkte ihre eigene rhetorische Vollkommenheit haben, die es zu entfalten gilt. Es lässt sich eben deshalb auch keine der klassischen Methoden der Rhetorik apriori auf Designprodukte übertragen. Vielmehr kommt es darauf an zu ermitteln, 1. inwieweit eine Analogisierung nicht nur der rhetorischen Ziele (Persuasion und Identifikation), sondern auch der rhetorischen Mittel möglich und fruchtbar ist; 2. inwieweit das Methodenrepertoire, das die Designpraxis selbst (und im Allgemeinen ohne Kenntnis der Rhetorik) entwickelt, sich für eine rhetorische Analyse eignet; und damit 3. inwieweit auch das klassische Methodenpaket erweitert oder modifiziert werden muss. Dies führt schließlich 4. zu der Frage, inwieweit die auf dieser Grundlage entwickelte Designrhetorik sich sinnvoll nicht nur als Beschreibungsinstrument des Designs, sondern – im Sinne einer rhetorica utens – auch als Hilfsmittel der Kreation, Evaluation und Vermarktung entwickeln lässt, kurz: Was kann der Designer vom Rhetoriker lernen? In dieser Weise stellt auch van Zantwijk treffend fest, dass im Verständnis der Rhetorik als Methode „eine doppelte Perspektive leitend [ist], in der sich die Aufklärung der Rhetorik über ihre Grundlagen und die Voraussetzungen ihrer Traditionsbestände mit einer Erweiterung und methodologischen Anwendung von Rhetorik auf neue Gebiete verbindet.“164 Gerade der oben angesprochene Punkt 2 macht aber deutlich, dass es eben auch darauf ankommt, nicht nur eine bereits bestehende und durchaus auch erfolgreiche Praxis des Gestaltens gleichsam von außen zu rhetorisieren, sondern direkt an die Wissensbestände und Methoden der Gestaltung anzuknüpfen, das darin entfaltete Vokabular zu nutzen und so eine rhetorische Theorie des Designs zu entwerfen, die nicht vergisst, dass gerade die Rhetorik immer einer Theorie war, die aus der Praxis geboren wurde.

163 Die Ästhetik Baumgartens betont, dass auch die sinnliche Erkenntnis ihre eigene Vollkommenheit in der Hervorbringung klarer aber verworrener Ideen hat, die vom Blickwinkel der logischen Erkenntnis, die auf adäquate Ideen (oder zumindest klare und deutliche) zielt, innerhalb der rationalistischen Schule um Leibniz und Wolff stets als defizitär erschien. Vgl. dazu: Baumgarten, Alexander Gottlieb: Theoretische Ästhetik. Die grundlegenden Abschnitte aus der ‚Aesthetica‘ (1750/58). Hamburg 1983. 164 Zantwijk 2012a. Sp. 688.

III. Zum Verhältnis von Stadt und Rhetorik

1. E INLEITENDE B EMERKUNGEN ZUR D ESIGNRHETORIK DER S TADT Ist die Frage nach dem Verhältnis von Rhetorik und Stadt gestellt, so ergeben sich wenigstens drei verschiedene Antwortmöglichkeiten: Erstens kann die Frage in rhetorikgeschichtlicher Weise beantwortet werden. Demnach stellt die Stadt – wie noch zu zeigen sein wird – die conditio sine qua non der Rhetorik als techne dar. Die Stadt ist die prototypische Stätte, an der sowohl rhetorische Bemühungen als auch deren Theoretisierung stattfinden, sie ist der prototypische Auftrittsort der oratoren, der Ort des Publikums, der Interessengruppen, der Machthabenden und solcher, die gerne Macht hätten und sie ist vor allem der Ort der Meinungsdiversität zwischen diesen und vielen weiteren Gruppen. Die Stadt ist in dieser Weise der Raum der Rhetorik. Zweitens kann die Frage mit Fokus auf Meinungsdiversität bezüglich der Bestimmung ‚der Stadt‘ selbst beantwortet werden. Demnach stellt die Stadt den Gegenstand auf Persuasion zielender Zuschreibungspraktiken im theoretischen Diskurs dar. Soziologen, Philosophen, Architekten, Stadtplaner, Romanciers, Kulturwissenschaftler und viele mehr beteiligen sich mit spezifischen Positionen an diesem Diskurs und gebrauchen rhetorische Mittel (auf allen Ebenen: ethos, pathos, logos), um von ihrem Standpunkt und ihrem Blickwinkel auf die Stadt zu überzeugen. Die Stadt liefert wie viele andere Gegenstände auch also einen fruchtbaren Gegenstand für Jahrhunderte währende Debatten, die sich freilich rhetorisch untersuchen ließen. So spannend diese Fragerichtung auch ist, wird sie allerdings in der vorliegenden Arbeit nicht eigens thematisiert werden, da die Stadt als Gegenstand rhetorischer Bemühungen zwar in den Bereich der allgemeinen Rhetorik, nicht aber in den Bereich der Designrhetorik fällt. Designrhetorisch interessant werden die Zuschreibungspraktiken weniger durch ihren rhetorischen Prozess der Vermittlung, als durch ihr Resultat: Fast jede dieser Zuschreibungspraktiken bringt schließlich eine Metapher für die Stadt hervor oder arbeitet sich an einer Metapher ab, die durchaus einen erheblichen Einfluss auf designrhetorische Prozesse haben kann. So kann es einen designrhetorischen Unterschied machen, ob eine Stadt beispielsweise als Text, Haus, Lebewesen,

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Natur, Maschine, Theater, Gedächtnis oder etwa als Kunstwerk identifiziert wird.1 Dieser Aspekt verweist schon auf eine dritte Antwortmöglichkeit. Schließlich kann drittens nach der Rhetorik der Stadt gefragt werden. Demnach würde untersucht, inwieweit wirkungsintentionale Prozesse in der Weise Einfluss auf die urbanen Erscheinungsformen nehmen, dass damit eine (mehr oder weniger) gezielte Beeinflussung der Denk- und Handlungsmuster der Bewohner, Betrachter oder Benutzer vorgenommen werden kann. Die Stadt erscheint vor dem Hintergrund dieser Fragerichtung als rhetorischer Raum. Unter der Vielzahl der Zuschreibungen auf die Frage hin, was die Stadt sei, interessieren im Folgenden allein zwei Aspekte: Zum einen interessiert die Stadt als der Ort, an dem designrhetorische Interventionen stattfinden, präsentiert werden und ihr Publikum finden. Zum andern geht es darum, inwieweit die Stadt selbst (ihr ästhetisches Erscheinen, ihre kommunikative Form) Gegenstand designrhetorischer Überlegungen ist oder sein kann. Der zweite Aspekt stellt in gewisser Weise einen Teilaspekt des ersten dar, denn indem die urbane Form selbst Gegenstand rhetorischer Bemühungen wird, findet diese rhetorische Indienstnahme notwendiger Weise im urbanen Raum statt. Um die Unterscheidung dieser beiden Aspekte zu verdeutlichen, kann die Theatermetapher dienstbar gemacht werden: Die Stadt soll in diesem Kapitel als Bühne (agora, forum, setting) rhetorischer Bemühungen untersucht werden – die Stadt als Raum der Rhetorik – und schließlich in den beiden folgenden Kapiteln als Thema (Motiv, Gegenstand) designrhetorischer Bemühungen identifiziert werden – die Stadt als rhetorischer Raum. Gehört der erste Aspekt also in den Bereich einer ‚Grundlegung der Designrhetorik des Urbanen‘, so führt der zweite Aspekt bereist in einen Teil der konkreten Anwendungen ein. Dies gilt insbesondere für Kapitel V, wo mit dem Konzept des place-makings ein Begriff zu diskutieren sein wird, der mit einigem Recht als die Basis einer Designrhetorik der Stadt gelten kann. Exemplarisch können zwei urbane Erscheinungsformen auf ihre rhetorische Dimension hin befragt werden: Zum einen die Stadtstruktur, wie sie Kevin Lynch in The Image of the City2 untersucht, zum anderen die Prozesse des place-makings, also der wirkungsintendierten Kreation von Orten, die vermittels spezifischer Bedeutung Einfluss auf Denk- und Handlungsweisen der Bewohner, Benutzer und Betrachter nehmen sollen. Diese beiden prozessualen Erscheinungsformen sind im Sinne der hier zu entwerfenden rhetorischen Analyse als aufeinander bezogen zu denken. Lynchs Konzepte (imagabilty, structure, meaning) sind ebenso rhetorische Bausteine des place-makings wie umgekehrt das Ergebnis gelungener Inszenierung dieser Bausteine als ein Produkt erfolgreichen place-makings ausgewiesen werden kann (etwa 1

Vgl. Hnilica, Sonja: Metaphern für die Stadt. Zur Bedeutung von Denkmodellen in der Architekturtheorie. Bielefeld 2012.

2

Lynch, Kevin: The Image of the City. Cambridge 1960.

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bei Lynch die mental map). Insofern diese mentale Repräsentation des urbanen Umfeldes vor allem der Orientierung dienen soll und insofern eine Einflussnahme auf Orientierungsprozesse anderer stets eine Einflussnahme auf deren Handlungsräume und Handlungsentscheidungen impliziert, eröffnet sich von hier aus die Möglichkeit, nach einer designrhetorischen Bestimmung des Begriffs Orientierung zu fragen. Die Untersuchung dieser beiden urbanen Erscheinungsformen wird Gegenstand der kommenden Kapitel sein.

2. D IE S TADT

ALS

R AUM

DER

R HETORIK

Zum einführenden Zweck einer Anmerkung zur wechselseitigen Grundlegung von Rhetorik und Stadt soll hier der Blick vor allem auf die Anfänge, die griechische polis und antike Rhetorik, gerichtet werden. Auch wenn die Entwicklung der polis zur modernen Großstadt einen weiten Weg mit vielen Veränderungen – nicht zuletzt auch in der Kommunikationsstruktur und damit in der rhetorischen Verfasstheit – beschreibt, die im Rahmen dieser Arbeit nicht besprochen werden können, so bleibt – das steht als Hypothese hinter dieser Arbeit – die rhetorische Kommunikation durchweg ein bestimmendes Merkmal des urbanen Raums. Im Sinne dieser Hypothese – das sei hier nur angemerkt – scheinen dann auch Fragestellungen zu stehen, die den urbanen Raum eben nicht primär im bebauten, architektonischen Raum unserer Städte suchen, ja nicht einmal an einem bestimmten geographischen Ort, sondern in den kommunikativen Räumen des World Wide Web3, in den imaginären Räumen der Television, des Videogames oder der Literatur4. Die Stadt wird in solchen Analysen

3

Wie Markus Schroer betont, werden die Phänomenbereiche ‚Cyberspace‘ und ‚Stadt‘ häufig einander erklärend in Bezug gesetzt: „Eine der meistgebrauchten Metaphern für das Netz ist die Stadt-Metapher. Von der ‚Telepolis‘, der ‚Infocity‘, der ‚Virtual City‘, der ‚City of Bits‘ oder der ‚Cybercity‘ ist die Rede […]. Was zum Gebrauch der Stadtmetapher motiviert, ist, dass sich viele Strukturen, Funktionen und Tätigkeiten, die für das städtische Leben charakteristisch sind, im Netz zu wiederholen scheinen. Während man in den realen Städten aus Angst vor vagabundierenden gefährlichen Gruppen wie Obdachlosen, Armen und Drogenabhängigen den Rückzug in gut bewachte Gemeinschaftsreservate antritt, wird im Internet noch einmal die Idee der Stadt als Begegnungsraum zwischen Fremden wiederbelebt. Insofern scheinen die Stadt und das Urbane im Netz einen neuen Ort gefunden zu haben.“ (Schroer: Räume, Orte, Grenzen. S. 256f. vgl. auch: Mitchell: City of Bits. 1996, Rötzer: Telepolis. 1995, Maar/Rötzer: Virtual Cities 1997.)

4

Aus dem umfangreichen Bestand solcher Forschungsansätze sei hier nur ein aktuelles Beispiel herausgegriffen: So sucht Berit Michel beispielsweise die Komplexität der Großstadt (ein literarischer Topos etwa bei Alfred Döblin, James Joyce oder John Dos Passos) nicht

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häufig als Raum der Kommunion, der Vergemeinschaftung, verstanden, die sich mit den Mitteln der Kommunikation, mithin auf Persuasion oder Identifikation zielender Kommunikation, also Rhetorik, realisiert. Im Weiteren soll die Wechselwirkung von Stadt (polis) und Rhetorik erläutert werden. Von da aus wenden wir uns dann in diesem Unterkapitel dem rhetorischen Begriff der urbanitas zu und bestimmen diese als das rhetoriktheoretische Bindeglied zwischen Stadt und Rhetorik als techne. Beschlossen wird das Unterkapitel mit den Folgerungen für den weiteren Fortgang der Arbeit. 2.1 Über die wechselseitige Grundlegung von Rhetorik und Stadt In seiner Kommunikationstheorie urbaner Entwicklung stellt Richard Meier fest: „It is no overstatement to assert that the people in urban areas are preoccupied with communications.“5 Mehr als irgendwo sonst, ist der urbane Raum ein Raum der Kommunikation: sei es durch Werbung, Straßenbezeichnungen, U-Bahnnetzpläne, Leitsystemen, die verbale Kommunikation von Passanten, Verkäufern, Politikern und vielem mehr. Meier geht allerdings in seiner Bestimmung des urbanen Raums noch weiter. Kommunikation ist nicht nur ein omnipräsentes Phänomen in der Stadt, sondern für Meier geradezu ein Definiens der Stadtgenese selbst: „Cities were evolved primarily for the facilitation of human communication.“6 Mit gleichem Recht – und in unserem Kontext relevanter – ließe sich wohl auch die gespiegelte Relation aufstellen: Die Stadt machte eine Verbesserung der Kommunikation und insbesondere der persuasiven Rede notwendig. Die Rhetorik, zumindest die Rhetorik als techne, ist ein

in der Stadt selbst (z.B. an einem bestimmten geographischen Punkt; in New York), sondern in der Literatur, unter anderem bei Jonathan Safran Foer. Es geht nicht (und kann es auch nicht) um die Komplexität New Yorks, sondern um die Komplexität des New Yorks des Jonathan Safran Foer. Untersucht werden die kommunikativen Strategien, um die Komplexität der Stadt zu erzählen, bisweilen zu simulieren und den Leser in diese Komplexität der Stadtstruktur als Textstruktur zu involvieren. Die zugrundeliegende Hypothese ist es, dass die kommunikativen Strategien der Erzeugung und überzeugenden Präsentation von Komplexität Rückschlüsse auf die Komplexität der Stadt selbst zulässt. Kurz: Die untersuchte Stadt ist stets schon ein kommunikatives Faktum. Und insofern es um Überzeugungsstrategien geht, ist sie ebenso ein rhetorisches Faktum. Vgl. Michel, Berit: Urban Identity in a State of Flux: Strategies of Representing Simultaneity, Chaos, and Complexity in Extremely Loud & Incredibly Close. In: Cityscapes in the Americas and Beyond. Representations of Urban Complexity in Literature and Film. Hrsg. von Jens Martin Gurr und Wilfried Raussert. Trier 2011. S. 173-196. 5

Meier, Richard L.: A Communications Theory of Urban Growth. Cambridge 1962. S. 1.

6

Ebd. S. 13.

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Produkt der Stadt. Genau in diesem Sinne heißt es in David Flemings City of Rhetoric: „But if language needed the polis, the polis needed language as well.“7 Diese Wechselwirkung von Rhetorik und urbaner Gemeinschaft betont auch Carolyn Miller in ihrer Analyse griechischer Zivilisationsentstehungsmythen. In diesem Bezug heißt es bei ihr: „In explaining the genesis of the polis, the Greeks indicate – or betray – their various beliefs about the role of rhetoric in forming communities and the role of community in shaping rhetoric.“8 Miller führt hiernach den – als eine für die Verbindung von Redekunst und Stadt einschlägige Quelle – menschlichen Zivilisationsurprungsmythos bei Isokrates an: „We are in no respect superior to other living creatures, nay, we are inferior to many in swiftness and in strength and in other resources; but, because there has been implanted in us the power to persuade each other and to make clear to each other whatever we desire, not only have we escaped the life of wild beasts, but we have come together and founded cities and made laws and invented arts; and, generally speaking, there is no institution devised by man which the power of speech has not helped us to establish. For this it is which has laid down laws concerning things just and unjust, and things honourable and base; and if it were not for these ordinances we should not be able to live with one another.“9

Der klassische topos des von der Natur stiefmütterlich ausgestatteten Wesens, das es allein aufgrund seiner geistigen (kommunikativen) Fähigkeiten vermag, sich dennoch gegen die feindliche Natur durchzusetzen, stellt für Isokrates den Begründungszusammenhang dar um zu zeigen, dass der stärkende Zusammenschluss zur urbanen Gemeinschaft ohne Rhetorik nicht denkbar wäre. Um diese These weiter zu stützen, lohnt es, Meiers Konzept der Kommunikation und insbesondere seine – fast beiläufigen – ergänzenden Anmerkungen, näher in den Blick zu rücken. „If communication is to occur, a number of requirements must be met. There must be (1) a sender, (2) a message, (3) a channel, (4) a receiver, (5) attention on the part of the receiver, (6) a common language, (7) time for the process to take place, and (8) one or more purposes to be served.“10 Meier erläutert im Weiteren diese acht Parameter seines Kommunikationsmodells; dabei sind für unsere Belange vor allem seine Anmerkungen zum Empfänger (4) und zur Aufmerksamkeit (5) relevant. Zum Empfänger schreibt Meier: „In a city a sender can accumulate over time a public containing many simultaneous receivers. Thus a multiplier, or chain reaction, can 7

Fleming, David: City of Rhetoric. Revitalizing the Public Sphere in Metropolitan America. Albany 2009. S. 13.

8

Miller, Carolyn R.: The Polis as Rhetorical Community. In: Rhetorica. 11/1993. S. 211240. Hier: S.216.

9

Ebd.

10 Meier 1962. S. 8.

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result if this immediate public turns around and communicates to others.“11 Die Möglichkeit der ‚Kettenreaktion‘ im kommunikativen Prozess hängt eng mit der urbanen Verdichtung zusammen. Wie Nikolai Roskamm mit Bezug auf Emile Durkheim, der den Begriff der ‚Dichte‘ überhaupt erst in die Soziologie einführte,12 herausstellt, kann in der Dichte eben auch eine „zentrale Ursache gesellschaftlichen Fortschritts“13 gesehen werden. Diese Verdichtung lässt sich mit Roland Barthes als eine Komprimierung der ‚sozialen Wirklichkeit‘ beschreiben: „An einem ausgezeichneten Ort sammeln und verdichten sich sämtliche Werte der Zivilisation: die Spiritualität (mit den Kirchen), die Macht (mit den Büros), das Geld (mit den Banken), die Ware (mit den Kaufhäusern), die Sprache (mit den Cafés und Promenaden): Ins Zentrum gehen heißt die soziale ‚Wahrheit‘ treffen, heißt an der großartigen Fülle der ‚Realität‘ teilhaben.“14

Henri Lefebvre beschreit diese Verdichtung als Anhäufung: „Anhäufung von Projekten und Produkten in Lagern, Berge von Obst auf den Märkten, Menschenmassen, Leute, die sich auf die Füße treten, Zusammenballungen vielfältiger, nebeneinander, übereinanderliegender, zusammengetragener Objekte: das macht die Stadt aus.“15 Komprimierung und Anhäufung sind die Voraussetzungen für das, was Meier mit der Möglichkeit einer kommunikativ induzierten ‚Kettenreaktion‘ bezeichnet. Sie sind – insofern ein intendiertes Auslösen einer solchen Kettenreaktion ein häufiges Ziel rhetorischer Bemühungen ist – eben auch die Voraussetzungen einer Rhetorik der Massen (sei es in der politischen Propaganda, bei Demonstrationen oder durch Werbung). Zur Aufmerksamkeit schreibt Meier: „Attention involves the selection of stimuli. Everyone must learn to subordinate competing stimuli and concentrate upon those that are part of the message itself. One may think of attention as a proportion indicating the fraction of symbols actually comprehended from among

11 Ebd. S. 9. 12 Vgl. Roskamm, Nikolai: Dichte. Eine transdisziplinäre Dekonstruktion. Bielefeld 2011. S. 19. Wie Roskamm, der Konzeptionen von ‚Dichte‘ und ‚Verdichtung‘ im Spannungsfeld von Soziologie, Ideologie, Raum- und Stadtplanung untersucht, im weiteren Verlauf seiner Arbeit herausstellt, setzt Durkheim „nicht (wie in der zeitgenössischen Stadtsoziologie) ‚soziale Dichte‘ mit Kommunikationsdichte gleich, sondern erklärt die Zunahme der letzteren nur als eine Bedingung der ersteren“ (ebd. S. 26.). 13 Roskamm, Nikolai: Dichte. In: Lexikon der Raumphilosophie. Hrsg. von Stephan Günzel. Darmstadt 2012. S. 78-79. Hier: S. 79. 14 Barthes, Roland: Das Reich der Zeichen. Frankfurt am Main 1981. S. 47. 15 Lefebvre, Henri: Die Revolution der Städte. Frankfurt am Main 1990. S. 126.

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those presented. With ordinary alertness, and in situations involving some noise or similar distractions, the proportion received runs to 50-80 per cent.“16

Interessant ist, wie Meier in direktem Anschluss an diese Kurzbestimmung den ‚erfahrenen Sender‘ im urbanen Kommunikationsgefüge einführt: „The experienced sender knows this and will use a redundant language and even some repetition of key points in order to get his basic message across. He also recognizes that attention rises and falls with the degree of interest of the individual and that many of the rises are triggered by cues that are given to the significance and meaning of what will follow. Such cues may be pictures, music, gestures, headlines, etc. When attention falls to a low level the brain is no longer driven by the stimuli of the message, or for that matter any outside stimuli at all, but falls into a reverie of fantasy, spinning regurgitated impressions into some kind of continuity. A competitive situation, or even the portrayal of conflict, seems to raise attention to a peak.“17

Redundanz bestimmter Redeelemente, Wiederholungen wichtiger Aspekte, Interessens- und Aufmerksamkeitslenkung durch Bilder, Musik, Gestik und ähnliches, Inszenierung von Konflikten, das sind allesamt Umgangsweisen eines erfahrenen – und das heißt hier: rhetorisch gebildeten – Senders, eben eines rhetors. Wenn Meier in seiner Arbeit die Rolle der Kommunikation in der Stadtentwicklung thematisiert, dann kommt er nicht umhin, an vielen Stellen die Überlegenheit des erfahrenen Senders (rhetors) gegenüber dem unerfahrenen deutlich zu machen. In dieser Weise legt Meier (ohne es so zu benennen) eine Arbeit über die wechselseitige Entwicklung von Rhetorik und Stadt vor. Ein zentraler Baustein in der These Meiers lässt sich etwa so zusammenfassen: Auf die sehr allgemeine Frage, worin die Existenzbegründung der Großstadt läge, betont Meier die Rolle der Transaktionen.18„The central unit seems 16 Meier 1962. S. 9. 17 Ebd. 18 Die Fragen Meiers: „What justification is there for a metropolis to exist at all? Why doesn’t humanity distribute itself over the earth’s surface roughly in proportion to the concentration of natural resources which give it succor? Why should people congregate in a man-made desert and disperse to abodes on its fringes in daily cycles? What forces keep a metropolis from diffusing into the countryside where the population pressures are felt less severely?“ (Ebd. S. 20.) Transaktion von Werten, Wissen und Waren als Grundlage nicht nur der Entstehung von Städten, sondern auch der urbanen Entwicklung anzunehmen, kann als vergleichsweise unstrittig bezeichnet werden. Auch die Klassiker der Stadtforschung wie Lewis Mumford oder Leonardo Benevolo betonen diesen Zusammenhang. So schriebt Benevolo: „Die Stadt – umfassend ausgestattete Ansiedlung und mit Privilegien versehenes Machtzentrum – hat zwar ihre Wurzeln in den dörflichen Ansiedlungen, ist aber mehr als nur ein vergrößertes Dorf. Sie entsteht, wenn handwerkliche und andere Arbeiten nicht

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to be that of the transaction. […] A transaction always involves some communication of information and, indeed, before the argument is completed, it will be seen that the transfer of information provides one of the most convenient criteria for determining what is and is not a transaction.“19 Wenn Transaktionen (etwa bezüglich Waren, Wissen, Werten, oder ähnlichem) die Grundlage städtischen Zusammenlebens bilden und kommunikative Prozesse wiederum die Grundlage von Transaktionen darstellen, dann stellen diese Prozesse eben auch die Grundlage städtischen Zusammenlebens dar. Werden diese kommunikativen Prozesse schließlich (wie es sich bei Meier andeutet) als graduell unterscheidbar bezüglich ihres potentiellen Erfolges angesehen, so dass die Frage nach dem Grad der Partizipation und ebenso der Lenkung des städtischen Lebens gestellt werden kann, dann werden Grundbausteine der Rhetorik in Meiers Vorstellung der Stadtgenese implementiert; dann geht es um Fragen der Identifikation, der Angemessenheit, der strategischen Kommunikation und rhetorischen Kompetenz.

mehr von den Personen verrichtet werden, die auch den Boden bearbeiten, sondern von Personen, die von der Feldarbeit befreit sind und die durch den Überschuss der landwirtschaftlichen Produktion unterhalten werden. Auf dieser Weise bildete sich der Gegensatz zwischen zwei sozialen Gruppen heraus: der zwischen Herrschern und Beherrschten. Gleichzeitig aber konnte sich Handwerk und andere Gewerbe weiterentwickeln und durch fortschreitende Arbeitsteilung mehr und verbesserte Produkte und Dienstleistungen liefern, die wiederum der Landwirtschaft zugutekamen und erhebliche Ertragssteigerungen möglich machten. Die Gesellschaft wurde fähig, ihre Entwicklung im Voraus zu planen“ (Benevolo, Leonardo: Die Geschichte der Stadt. Frankfurt am Main 1983. S. 19.). Wie Benevolo im Hinblick auf die moderne Stadt und die Stadt seiner Zeit (1970er Jahre) feststellt, bleibt die Stadt durchweg – wenn auch in ganz unterschiedlicher Ausprägung – ein Machtzentrum, das einer herrschenden Schicht Privilegien zubilligt und die „Verfügungsgewalt über den Grundbesitz“ (ebd. S. 945.) stellt ein Machtinstrument dar von dem er sagt, dass bis heute noch keine Regierung sich in der Lage gesehen habe, „auch diese politische Instrument völlig zu verzichten“ (ebd.). In ähnliche Richtung und dabei mit deutlicherem Bezug auch auf die Ebene der kommunikativen Transaktionen schreibt Mumford zur Funktion des Städtischen: „dabei handelt es sich vornehmlich um Mischen, Beweglichmachen und Vergrößern. Aus allen diesen Funktionen und Vorgängen erwächst jedoch eine größere Fähigkeit zu Zusammenarbeit und eine Erweiterung des Bereiches, in dem man sich verständigt und gefühlsmäßig Gemeinschaft hält. Daraus wieder erwachsen neue Zielstellungen, die nichts mehr mit den ursprünglichen Notwendigkeiten zu tun haben, denen die Stadt ihr Dasein verdankt“ (Mumford, Lewis: Die Stadt. Geschichte und Ausblick. Köln 1963. S. 112.). 19 Meier 1962. S. 40.

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2.2 Urbanitas als Bindeglied von Rhetoriktheorie und Stadt Miller, die zu zeigen versucht, wie hinter den Entwicklungen der antiken Rhetorik stets ein Konzept der urbanen Gemeinschaft stand, macht deutlich, dass dieses Konzept sich allerdings nur in der Form eines „hidden term“20 in den antiken Rhetoriktheorien findet. Sie beschreibt diesen Term weiter als „an unarticulated presupposition that was at once so fundamental that it did not seem to require explication and so troublesome that it became a primary point of contention.“21 Für Miller scheint es so zu sein, dass die antike Betonung der Agonalität des Rhetorischen eine Sicht auf die zugrundeliegenden Identifikationsprozesse in Form einer Kommunion, eines „common ground“22 verstellte. Zugleich scheint allerdings auch die urbane Bedingtheit des Rhetorischen eben aufgrund seiner Fundamentalität nicht explizit und eingehend problematisiert worden zu sein. In Bezug auf den ersten Punkt, konnte bereits in Kapitel II mit Burke gezeigt werden, in welchem Maße das Rhetorische im Wechselspiel von Identifikation (identification) und Trennung (division) generiert wird. Durchaus in diesem Sinne betont auch Hannah Arendt: „Das Faktum menschlicher Pluralität, die grundsätzliche Bedingung des Handelns wie des Sprechens, manifestiert sich auf zweierlei Art, als Gleichheit und als Verschiedenheit. Ohne Gleichartigkeit gäbe es keine Verständigung [… Ohne] Verschiedenheit, das absolute Unterschiedensein jeder Person von jeder anderen, die ist, war oder sein wird, bedürfte es weder der Sprache noch des Handelns.“23

In Bezug auf den zweiten Punkt nimmt Miller ihren Ausgangspunkt bei Isokrates und fragt, von dessen Zivilisationsmythos ausgehend, nach der Rolle des Urbanen und insbesondere der urbanen Gemeinschaft in den Rhetoriktheorien von Protagoras, Platon und Aristoteles. In diesem Teilkapitel soll ein alternativer Weg aufgezeigt werden, indem der Begriff der urbanitas (gr. asteiotes) als Bindeglied zwischen urbanem Raum beziehungsweise urbaner Gemeinschaft und Rhetoriktheorie deutlich gemacht werden soll. „Urbanität ist eine Form der Gesittung, die gar nicht natürlich sein oder werden kann, weil das Städtische und das Natürliche einander ausschließen. Natürlichkeit ist eine Unform der Gesittung; sie kann tölpelhaft, grob, gefühllos, geschmacklos sein. Aber die Stadt macht es schwerer einander unter Formlosigkeit zu ertragen.“24 Was 20 Miller 1993 S. 212. 21 Ebd. S. 212f. 22 Zum common ground siehe: Searle 1987, oder auch Tomasello 2009. 23 Arendt, Hannah: Vita Activa. Oder vom tätigen Leben. München 1996. S. 213. 24 Blumenberg, Hans: Urbanität. In: Ders.: Begriffe in Geschichten. Frankfurt am Main 1998. S. 215-218. Hier: S. 215.

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Hans Blumenberg in diesem Zitat zum Ausdruck bringt, gibt treffend die antike Vorstellung der urbanitas wider. Es zeigen sich in diesem Zitat die Spannungen, in denen das Konzept der urbanitas zu verorten ist. Urbanitas steht im Konflikt mit der ‚Natürlichkeit‘ des Redevermögens und gilt als Errungenschaft der politischen Erziehung und – durchaus auch in diesem Sinne – der Redekunst. Wie Franz Pröfener feststellt, wird der Begriff der urbanitas „zur Kennzeichnung eines persönlichen Verhaltens in der Bedeutung von ‚Sprachgewandtheit‘, ‚Bildung‘, ‚Witz‘, ‚Takt‘, ‚kulturelle Aufgeschlossenheit‘ und ‚Weltgewandtheit‘ verwandt.“25 Als Gegenkonzept zum Urbanen in der Rede gilt dann das ‚bäurische‘, ‚ländliche‘ und damit das natürliche Redevermögen, insofern es noch nicht im Sinne einer techne geschult ist. Urbanitas bezeichnet demnach eine besondere Form der Eloquenz, die durch ihren Bezug zum ‚Witz‘ – als eines geistigen Vermögens – und durch ihren Bezug zum ‚Takt‘ – als einer Form der Etikette und Gesittung – insbesondere für eine Form der Bildung, für ein Bildungsideal steht.26 Quintilian zitiert die Bestimmung der urbanitas bei Domitius Marsus, die deutlich macht, inwieweit mit der urbanitas eine gelungene Verquickung aller wesentlichen rhetorischen Kategorien verbunden ist: „Urbanitas ist die besondere (sprachliche) Leistung, die in einer kurzen sprachlichen Äußerung in gedrängter Form besteht und dazu geeignet ist, die Menschen zu erfreuen und in jede Gemütsbewegung zu versetzen, vor allem aber versteht, sich zu behaupten oder herauszufordern, wie es jeweils die Sache und Person verlangen.“27

Hierin werden Formqualitäten wie Kürze und Dichte ebenso angesprochen wie die Wirkungsqualitäten des delectare und die Wirkziele des pathos, aber auch dem aptum gegenüber wird Rechnung getragen, so dass die ‚urbanen Äußerungen‘ sich schließlich darauf verstehen, sich im persuasiven Prozess zu behaupten. Wie Quintilian fest-

25 Pröfener, Franz: Urbanität. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel. Bd. 11. Basel 2001. Sp. 351-354. Hier: Sp. 351. 26 Es ist wichtig festzuhalten, dass das Konzept der urbanitas im Sinne einer besonderen Kunstfertigkeit, Etikette und Gesinnung in seinem Bezug zur Stadt nicht ausschließlich deskriptiv zu verstehen ist, sondern vor allem auch präskriptiv. Auf der einen Seite wird immer wieder der Bezug stark gemacht, dass die Bedingungen städtischen Zusammenlebens zugleich die Bedingungen der urbanitas sind und diese somit aus dem gemeinschaftlichen Leben in der Stadt resultiere. Neben diesem (ideologisch fundierten) eher deskriptiven Zuschnitt stellt die urbanitas aber immer zugleich auch ein Ideal guten und sozialen (was auch immer das im Einzelnen heißen mag) Zusammenlebens im urbanen Raum dar und erfüllt damit eine präskriptive Funktion. 27 Quintilian 2011. VI,3,104.

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stellt: „Wenn man aus dieser Definition nur die Hervorhebung der Kürze herausnähme, so dürfte sie wohl sämtliche Vorzüge der Rede umfassen.“28 Dieser Bestimmung stellt Quintilian eine eigene entgegen und bestimmt die urbanitas in erster Linie nicht als eine Eigenschaft von einzelnen Aussagen, sondern eine Art „Färbung der ganzen Rede“29: „Denn – wenigstens meiner Meinung nach – handelt es sich da um Urbanitas, wo nichts Misstönendes, nichts Bäurisches, nichts Unordentliches, nichts Fremdklingendes sich im Sinn, in den Worten oder in der Aussprache oder Gebärde fassen lässt, so dass sie nicht so sehr in einzelnen Bemerkungen liegt als vielmehr in der ganzen Färbung der Rede, wie bei den Griechen ihr [attikismos], der den Geschmack auf der Zunge hinterlässt, der nur Athen eigen ist.“30

Die Bestimmung Quintilians zeigt ex negativo, was als ‚urban‘ in der Rhetorik zu verstehen ist: Urbanität ist das Gegenkonzept zu jeder Form naturwüchsiger Redeweise. Sie ist damit gleichsam der Inbegriff der rhetorischen Kunst. Während ein natürliches Redevermögen jedem grundsätzlich gegeben ist, verlangt die urbanitas eine umfassende Ausbildung, eine Schulung der Sitten ebenso wie eine Verbesserung der Redeweise, der rhetorischen Schlagfertigkeit und Treffsicherheit gegenüber dem Publikum. Die urbanitas ist in dieser Weise synonym zur techne rhetorike zu verstehen. Eben aufgrund dieser Gleichbedeutung erklärt sich auch Millers Feststellung, dass die antike Rhetorik diesen Bezug nicht eingehend thematisierte. Angefangen mit den Sophisten, die die Redekunst mit der politischen Kunst – im Wortsinne – und damit der Kunst der Vergemeinschaftung in eins setzten, lässt sich die Bedeutung des Konzeptes ‚urbanitas‘ bis in unsere heutige Zeit weiterverfolgen.31 28 Ebd. 29 Ebd. VI,3,110. 30 Ebd. VI,3,107. 31 Es ist hier nicht der Ort, um eine umfassende historische Analyse zu entwerfen. Es sei daher hier lediglich auf ein paar Eckpfeiler verwiesen, die Pröfener in seinem umfassenden Artikel herausstellt: „Der lateinische Terminus wird in der christlichen Spätantike pejorativ verwendet. Bei Augustinus steht ‚urbanitas‘ für ein weltlichen Dingen zugeneigtes, ungebührliches Verhalten und eine übermäßig elegante, mitunter scherzhaft-ironische, rhetorisch aufgeputzte Rede“ (Pröfener 2001. Sp.351). Selbst in dieser Negativdarstellung der urbanitas blieben die Grundbestimmungsmomente erhalten. Auch für Augustinus bezeichnet die urbanitas eine besondere Form der Redekunst, die allerdings weniger als ‚Kunst‘ erscheint, denn ‚gekünstelt‘. In England bezeichnet der Gentleman das Ideal des Bürgertums, „der sich nicht zuletzt durch ‚urbanity‘ auszeichnet.“ (ebd. Sp.352). In Deutschland (Mitte des 18 Jh.) findet ‚Urbanität‘ Einzug in den Sprachschatz: „Es bezeichnet den gesitteten und bildungsgesättigten Konversationsstil ebenso wie umsichtiges Verhalten“ (ebd.). Für Friedrich Schlegel ist Urbanität „der Witz der harmonischen Universalität“ (zit. nach:

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2.3 Urbanitas und Designrhetorik Wie wir gesehen haben, ist die Rhetorik als techne eng verbunden mit der urbanen Vergemeinschaftung, dem Erzeugen und rhetorischen Nutzen eines gemeinsamen ebd.). Hegel begreift die Urbanität als „‚persönliche vollkommene Freiheit‘ der Meinungsäußerung in Unterredungen“ (ebd.). Für Theodor W. Adorno hat Urbanität „in der Sprache ihren geometrischen Ort“ (ebd. Sp. 351). „Ein Meilenstein in der Begriffsentwicklung von Urbanität ist H.-P. Bahrdts Untersuchung ‚Die moderne Großstadt‘ von 1961, die unter dem Einfluss der philosophischen Anthropologie H. Plessners das Ziel einer ‚Urbanisierung‘ der modernen ‚gegliederten und aufgelockerten Stadt‘ formuliert. Urbanität sei Kommunikation ermöglichende öffentliche Form oder aber ‚resignierende Humanität‘, die ‚die Individualität des anderen auch dann respektiert, wenn keine Hoffnung besteht, sie zu verstehen‘“ (ebd. Sp. 352). Heute findet sich das Adjektiv ‚urban‘ ebenso in der Jugend- und Modesprache zur Kennzeichnung von ‚modern‘, ‚aufgeschlossen‘, ‚jugendlich‘, ‚individuell‘, ‚künstlerisch‘. Der Yuppie bezeichnet den ‚young urban professional‘, wobei ‚urban‘ nicht hinreichend mit ‚städtisch‘ (im Sinne: aus einer Stadt stammend) übersetzt wäre. Vielmehr muss auch in dieser Bezeichnung eine Bedeutungspalette angenommen werden, die ihre Ursprünge in der antiken urbanitas hat. Weiterführend sei noch erwähnt, dass zum Aspekt der mit dem Begriff des Urbanen verbundenen Individualisierung Peter Dirksmeier schreibt: „Urbaniten sehen ihre Identität unentwegt mit der Alterität der anderen, fremden Urbaniten konfrontiert. Diese fortwährende Provokation des Ich verlangt nach einer Beantwortung, die sich als subjektiv bewusste Individualisierung realisiert“ (Dirksmeier, Peter: Urbanität als Habitus. Zur Sozialgeographie städtischen Lebens auf dem Land. Bielefeld 2009. S. 43.). Dirksmeier bettet die Diskussion über das Verhältnis von Individualisierung und Urbanität in einen größeren theoretischen Zusammenhang ein. Für ihn ist die Individualisierung, neben der Fremdheit, auf die sie reagiert, ein konstituierendes Element des Urbanen. „Das hinter [der] Unterscheidung von Identität/Alterität stehende Konzept von Individualisierung ist das zweite definierende Merkmal von Urbanität“ (ebd. S. 58.). Beide Konzepte (Fremdheit und Individualisierung) spannen für Dirksmeier schließlich das dritte Definiens von Urbanität auf, wonach die Stadt der „Rahmen des Auch-anders-sein-Könnens [ist], d.h. der Möglichkeitsraum für potentiell realisierbare Zufälle“ (ebd. S. 43.). Wie Dirksmeier mit Verweis auf Michael Makropoulos schreibt, ist die Kontingenz im Raum des Urbanen keine reine Unterbestimmtheit, sondern jener „Bereich begrenzter, also signifikanter Unterbestimmtheit, in dem sich das Auch-anders-sein-Können als wirkliche Alternative manifestiert und so allererst einen Handlungsraum eröffnet“ (ebd. S. 71.). Mit dieser Bestimmung implementiert Dirksmeier letztlich – wenngleich auch nur implizit – rhetorische Dimensionen des Aushandelns von Alternativen und der Identifikation mit Aspekten des ehedem Fremden zur Generierung von Identität in das, was für ihn die „definitorischen Pfeiler der Urbanität bildet“ (ebd. S. 70.).

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Hintergrundes (common ground) und mit der Koordination des Spannungsgefüges von Meinungspluralität und Gemeininteresse. Diese Verwobenheit findet schließlich ihren Ausdruck im Konzept der urbanitas. Daraus ergeben sich für die Themenstellung der vorliegenden Arbeit folgende aufeinander aufbauende Schlussfolgerungen: a) die Stadt/der urbane Raum ist der prototypische Raum der Rhetorik, daher ist b) der urbane Raum auch der Raum, in dem sich die Prozesse der Genese eines gemeinsamen Hintergrundes und damit möglicher Identifikationsangebote am facettenreichsten untersuchen lassen. Insofern der urbane Raum der Raum größtmöglicher Pluralität der Identifikationsangebote (gegenüber dem Publikum) ist, ist er damit zugleich der Raum größtmöglicher Agonalität (gegenüber der Konkurrenz). Eben diese Agonalität findet ihren Ausdruck allerdings nicht nur in Form sprachlicher rhetorischer Bemühungen, sondern ebenso in Form unterschiedlicher rhetorischer Indienstnahmen gestalteter Produkte.32 Daher ist c) der urbane Raum der Raum, in welchem die Diversität und Pluralität der Designrhetorik deutlich zutage tritt. Der urbane Raum ist nicht nur der Raum des Forums der politischen Rede, des Gerichtsgebäudes der juristischen Rede und des Festsaals der feierlichen Rede, sondern eben auch der Schauplatz mannigfaltiger designrhetorischer Bemühungen. Eine designrhetorische Betrachtung der Stadt unter dem Vorzeichen der urbanitas trägt in gewisser Weise einen doppelten Charakter in sich. Die Betonung der urbanitas als Bindeglied zwischen urbaner Gesellschaft und Rhetoriktheorie macht deutlich, dass die Rhetorik als techne ohne die Stadt als ihrem Raum sich ebensowenig denken lässt wie die Stadt als Gemeinschaftsprojekt ohne koordinierende und identifizierende rhetorische Bemühungen. Damit wird die Stadt allerdings vorerst allein als setting, als Bühne des rhetorischen Geschehens ausgewiesen, einem Geschehen, das zwar der Bühne bedarf, aber freilich nicht mit der Bühne identisch ist oder in ihr aufgeht. Das Konzept der urbanitas betont demnach noch nicht die rhetorische Verfasstheit des urbanen Raums und stellt daher noch keine Theorie einer umfassenderen Rhetorik der Stadt dar. Um zu einer solchen zu gelangen, oder um wenigstens die Ansätze einer möglichen Rhetorik der Stadt aufzeigen zu können, bedarf es mehr. Die Stadt – als emergentes Produkt mannigfaltiger urbaner Elemente – muss hierfür in einem doppelten Sinne in Erscheinung treten: Sie muss die Bühne liefern, in der rhetorische Bemühungen sich überhaupt erst entfalten können und zudem – zumindest in Einzelelementen – als Mittel rhetorischer Handlungen in Erscheinung treten. Die Stadt ist eben nicht nur scene sondern auch agency rhetorischer Bemühungen. Insofern letzteres zu zeigen und zu entfalten Aufgabe einer Designrhetorik ist, stellt die Designrhetorik die Grundlage einer möglichen (umfassenderen) Rhetorik der 32 Um Missverständnissen vorzubeugen: Designrhetorik und klassische (verbalsprachliche) Rhetorik stehen zueinander nicht in einem Ausschließungsverhältnis. Weder ist Design stets frei von sprachlichen Elementen noch beinhaltet das Methoden- und Mittelrepertoire der klassischen Rhetorik allein sprachliche Mittel.

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Stadt dar. Das Anliegen der folgenden Untersuchungen wird es sein, urbane Elemente als Mittel (agency) rhetorischer Bemühungen herauszustellen, zu analysieren und auf der Grundlage dieser Analyse, wirkungsintentionale Strategien herauszuarbeiten. Diese Strategien werden – wie in der Einleitung bereits deutlich wurde – vor allem auf Fragen der Orientierung bezogen sein. Zur Annäherung an diese Fragen können zwei Metaphern fruchtbar gemacht werden, die Orientierungsprobleme als Probleme der Verortung (Collage) oder Probleme des Richtungsverlustes (Labyrinth) beschreiben. Diese Metaphern gilt es zunächst zu beschreiben.

3. L ABYRINTH UND C OLLAGE – B EWEGEN

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V ERWEILEN

Was ist mit diesen Metaphern gemeint? Wofür stehen sie? Welchen Aspekt der Stadt betonen sie? In dieser Arbeit soll von der Stadt lediglich unter einem Gesichtspunkt gesprochen werden, nämlich allein im Zusammenhang mit Fragen der Orientierung. Labyrinth und Collage sollen als Metaphern verstanden werden, die beide auf Aspekte der Orientierung verweisen und dabei zwei wesentlich verschiedene Blickwinkel einnehmen. Die Herausforderung eines Labyrinths liegt allein in der Bewegung. Ein Labyrinth, durch das ich mich nicht zu bewegen beabsichtige, ist – wenigstens für mich – kein Labyrinth. Ich kann mich in selbigem niederlassen, einrichten, wohnen, leben und eben deshalb niemals das Labyrinthhafte wahrnehmen. Erst in der Bewegung manifestiert sich das Labyrinth als Herausforderung der Orientierung. Die Metapher des Labyrinths fragt nach dem Wo lang, nicht nach dem Wo und Was. Der durchschrittene Raum hat kein eigenes Recht, keine eigene Bedeutung jenseits der Frage nach Richtungsindikatoren, nach Möglichkeiten des Verlassens, nicht des Verweilens. Eben deshalb gilt: Niemand wohnt in einem Labyrinth; auch nicht der Minotaurus. Bleiben wir bei diesem Beispiel: Der Minotaurus wohnt an einem Ort, den er – solange er ihn nicht verlassen will – nicht als Labyrinth wahrnimmt. Theseus hingegen betritt das Labyrinth als Labyrinth. Er wird ausgestattet mit dem Ariadnefaden, eben weil er es durchqueren will und weil er es auch wieder verlassen will. An keiner Stelle lädt ihn das Labyrinth zum Verweilen ein, da es kein Ort der Ruhe ist, in dem man also auch nicht wohnen kann. In dem Moment wo sich beide begegnen, verlässt Theseus das Labyrinth und betritt die Wohnstätte des Minotaurus. In dem Moment wo der Minotaurus eventuell zu fliehen gedenkt, verlässt er seine Wohnstätte und betritt das Labyrinth – um es wieder zu verlassen. Ein Labyrinth kann demnach auf zwei Weisen verlassen werden: Wir können ein Labyrinth verlassen, indem wir es durchqueren und uns dann außerhalb des Labyrinths befinden, es also verlassen haben. Das setzt allerdings voraus, dass es ein Jenseits des Labyrinths gibt, dass wir jemals außerhalb des Labyrinths sein können. Wir können uns aber auch im

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Labyrinth niederlassen, einrichten, leben und wohnen. Dann haben wir das Labyrinth auch verlassen, es existiert für uns nicht mehr. Die Möglichkeit dieser zweiten Strategie ist eine direkte Folge der Feststellung, dass das Labyrinth sich allein durch den Willen zur Bewegung, zum Verlassen manifestiert. Man kann sich in einem Labyrinth eben nur verlaufen, wenn man überhaupt gedenkt zu laufen. Das müssen wir etwas genauer fassen, da nicht jede Form des Laufens in einem Labyrinth möglich ist. Bedenkt man, dass es nicht möglich ist, sich in einem Labyrinth zu verlaufen, oder überhaupt in einem Labyrinth zu sein, solange man beispielsweise flaniert, dann wird klar, dass die Metapher des Labyrinths die Vorstellung einer zielgerichteten Bewegungsart impliziert. Der Flaneur kann sich nicht verlaufen. Stellt er an irgendeiner Stelle plötzlich fest, dass er nicht mehr weiß, wo er sich befindet und wohin er sich zu wenden hat, stellt er also plötzlich seine Orientierungslosigkeit fest, so hört er auf Flaneur zu sein. Um zu beschreiben, was im Weiteren unter Collage zu verstehen ist, stünden eine Vielzahl von Bezügen zu verwandten Konzepten zur Verfügung. Zu nennen wären neben dem offensichtlichen Bezug zu Merz (Kurt Schwitters) und Dada: Ernst Bloch (Fragment und Montage), Gilles Deleuze und Manuel DeLanda (Assemblage), Claude Lévi-Strauss und Jacques Derrida (Bricolage).33 Was diesen Konzeptionen 33 Als Grundlage dieser Anmerkung zum komplexen Montage-Begriff Ernst Blochs dient Achim Kesslers Auseinandersetzung mit Blochs Ästhetik (vgl. Kessler, Achim: Ernst Blochs Ästhetik. Fragment, Montage, Metapher. Würzburg 2006.). Der Untertitel der Arbeit Kesslers verrät bereits einiges über die Art seiner Auseinandersetzung und der Bezüge, die er bei Blochs Montage-Verständnis herausstellen wird. Kurz paraphrasiert: Ausgangspunkt der Überlegung ist die Fragmentarität des Weltbezugs. Demnach handelt es sich bei dem, was wir Realität nennen, um eine „montagehaft strukturierte Realität, die sich aus disparaten, ‚ungleichzeitigen‘ ‚Realfragmenten‘ zusammensetzt“ (ebd. S. 83). Blochs Beschäftigung mit der Montage steht vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit Georg Lukacs in der sogenannten Realismusdebatte. Bloch kann, mit einem solchen Realitätsverständnis, freilich leicht begründen, warum die Montage und die Collage als künstlerische Ausdrucksmittel durchaus angemessene Realitätsdarstellungen liefern können. Eben weil die Sinnbezüge fragmentarisch sind und Heterogenität, Ungleichzeitigkeit und Unterbrechungen die Gegebenheitsweise der Realität bestimmen, kann eine Darstellungsweise, die eben mit Mitteln der Zusammenfügung von Heterogenem, der Inszenierung von Ungleichzeitigem oder der Unterbrechung arbeitet, auch das abbilden, was wir als Realität erfahren. Mit dem Begriff der Metapher im Untertitel verweist Kessler bereits auf Blochs weiterreichendes Interesse an der Montage. Diese soll für Bloch eben nicht ‚nur‘ ein künstlerisches Verfahren sein, sondern zudem für eine „philosophisch-ontologische Beschreibung der Welt“ (ebd. S. 82) nutzbar gemacht werden können und schließlich auch als Erkenntnismittel dienen. Dabei liefert die Metapher (als Figur in Erkenntnisfunktion) das grundlegende Muster zur Bestimmung der Erkenntnisfunktion der Montage. Kessler

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schreibt dazu – die Frage, was Grundlage wovon sei wendend: „Einerseits findet die fragmentierte, montagehaft strukturierte Realität in der Metapher das erforderliche Erkenntnisinstrument, das die simultane ‚Zusammenschau‘ ihrer disparaten Teile ermöglicht. Auf der anderen Seite ist die simultane Auffassung disparater Fragmente und des sie überwölbenden ‚Mehr‘ ihrerseits ein performatives, montagehaftes Verfahren, dem die Metapher ihre erkenntnistheoretisch bedeutsame Fähigkeit zu ‚Paradoxie‘ und Widerspruch‘ verdankt. In diesem Sinne ist die Montage das grundlegende Strukturprinzip der Metapher“ (ebd. S. 92). Folgt man diesem Gedanken bei Kessler, wonach die Metapher die Grundlage der Montage sei und umgekehrt, dann gilt: Metapher und Montage verweisen auf den gleichen Gegenstandsbereich. Man kann sagen: die Montage stellt eher die ontologische Seite und die Metapher die, dieser ontologischen Seite adäquate, erkenntnistheoretische Seite des Weltbezugs dar. Damit ist eben auch gesagt, dass die Möglichkeit, sinnhafte Ordnungen zu ‚erkennen‘, im Grunde ein Resultat eines kreativen, metaphorischen Aktes ist, in dem das ‚Mehr‘, das tertium comparationis, das einen sinnhaften Weltbezug ermöglicht, überhaupt erst geschaffen wird. In eben dieser Beschreibung besteht auch die Analogie zum Collage-Begriff der vorliegenden Arbeit. Deleuze/Guattari: Der Begriff Assemblage wird als philosophisches Konzept häufig mit den Theorien von Gilles Deleuze und Félix Guattari in Verbindung gebracht. Diese, so schreibt etwa Manuel DeLanda, entwickelten eine Theorie der Assemblage; DeLanda räumt jedoch erklärend sogleich ein: „It may be objected, however, that the relatively few pages dedicated to assemblage theory in the work of Deleuze [and Guattari] hardly amount to a fully-fledged theory. And this is, in fact, correct.“ (DeLanda, Manuel: A New Philosophy of Society. Assemblage Theory and Social Complexity. New York 2006. S. 3.). Wie John Phillips zeigt, ist der Begriff der Assemblage jedoch kein Begriff im Werk von Deleuze/Guattari, sondern ein Erzeugnis der englischen Übersetzung des Wortes ‚agencement‘ (vgl. Phillips, John: Agencement/Assemblage. In: Theory. Culture & Society. 23.23/2006. S. 108-109.) Als deutsche Übersetzung findet sich neben ‚Gefüge‘ auch ‚Rhizom‘, was auch im Englischen mitunter zu finden ist. Diese Anmerkung erscheint notwendig, wenn im Weiteren – weil der Begriff sich durchgesetzt zu haben scheint – dennoch von einer Theorie der Assemblage gesprochen wird. Es wird auch nicht der – wohl noch bekanntere – Term ‚Rhizom‘ verwendet, da im französischen Original beide Begriffe vorkommen (rhizome und agancement). DeLanda knüpft an die Theorie der Assemblage bei Deleuze/Guattari an und entwirft auf ihr aufbauend eine „neo-assemblage theory“ (DeLanda 2006. S. 4.), um die es hier kurz gehen soll. DeLanda entwickelt mit dem Konzept der Assemblage eine ontologische Sozialtheorie, die sich vor allem gegen zweierlei richtet: gegen ‚organische Totalitäten‘ und gegen den Essentialismus. Bezogen auf ersteres schreibt DeLanda: „Today, the main theoretical alternative to organic totalities is what the philosopher Gilles Deleuze calls assemblages, wholes characterized by relations of exteriority. These relations imply, first of all,

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that a component part of an assemblage may be detached from it and plugged into a different assemblage in which its interactions are different. In other words, the exteriority of relations implies a certain autonomy for the terms they relate […]. Relations of exteriority also imply that the properties of the component parts can never explain the relations which constitute a whole“ (ebd. S. 10f.).Worau es DeLanda anzukommen scheint, ist, dass die emergente Funktion von Assemblagen vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Eigenschaften des Ganzen nicht durch die Eigenschaften seiner Teile erklärt werden, sondern durch deren Möglichkeiten oder Fähigkeiten (capacities). Diese capacities hängen zwar mit den Eigenschaften zusammen, ergeben sich allerdings erst durch die Interaktion mit und in Relation zu anderen Entitäten. Hierin liegt letztlich auch begründet, warum DeLanda meint, sich mit dem Konzept der Assemblage gegen essentialistische Theorien wenden zu können. Er schreibt dazu, unter Betonung des durch Assemblagen geschaffenen Möglichkeitsraumes, der für eine Gesellschaftstheorie notwendig ist: „The notion of the structure of space of possibilities is crucial in assemblage theory given that, unlike properties, the capacities of an assemblage are not given, that is, they are merely possible when not exercised. But the set of possible capacities of an assemblage is not amorphous, however openended it may be, since different assemblages exhibit different set of capacities.“ (ebd. S. 29.) Es ist hier nicht der Ort, um auf die Implikationen dieser Theorie en detail einzugehen, wie etwa darauf, dass innerhalb einer Assemblage-Theorie des Sozialen die Identität einer Person, die ja auch nur ein Teil in einer Assemblage ausmacht, nicht mehr ohne weiteres als gegeben angenommen werden kann und somit selbst erklärungsbedürftig wird. Wichtig sei vielleicht noch folgender Verweis: Für DeLanda sind Städte auch Assemblagen, also Netzwerke von Personen, Organisationen, Infrastruktur, Architektur, Schildern, Wegweisern und anderen Designartefakten (vgl. ebd. S. 94ff.). Auf einer kleineren Ebene (aber auch auf der Ebene der Stadt als Ganzem) kann mit DeLanda auch bezogen auf einen Platz (man denke etwa an den Marktplatz) oder einem Straßenzug oder ähnlichem von einer Assemblage gesprochen werden. Der ‚space of possiblities‘, der an einem solchen Platz möglich wird und die ‚capacities‘, die sich dort situativ realisieren, machen dann das aus, was im Fortgang der vorliegenden Arbeit als ‚genius loci‘ oder ‚sense of the place‘ bezeichnet und was in Prozessen des place-makings gestaltet wird. Die Verbindung für den in der vorliegenden Arbeit vertretenen Begriff von Collage und DeLandas Begriff der Assemblage liegt vor allem darin, dass beide einen essentialistischen Zugang zurückweisen sollen und damit weniger auf Eigenschaften von Dingen fokussieren, sondern vor allem auf Potentialitäten und Zuschreibungen von Seiten der Akteure. Derrida verwendet den Begriff der ‚Bricolage‘, der in der deutschen Ausgabe mit ‚Bastelei‘ übersetzt wurde, in seiner Auseinandersetzung mit Claude Lévi-Strauss (vgl. Derrida, Jacques: Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen. In: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main 1972. S. 422-442.). Er schreibt dort: „Der Bastler, sagt Lévi-Strauss, ist derjenige, der ‚mit dem, was ihm zur Hand ist‘ werkelt. Diese Werkzeuge findet er in seiner Umgebung vor und kann sich ihrer

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im Kern gemeinsam ist, ist, dass sie die Komplexität – nicht nur, aber vor allem auch – der urbanen Umwelt als ein Problem der konfusen Simultanität von heterogenen Eindrücken präsentieren. Die Collage, als Sammelbegriff dieser Konzeptionen verstanden, stellt den Betrachter demnach vor Orientierungsprobleme, die im Kern darin bestehen, eine sinnhafte Ordnung aus den simultan präsentierten Versatzstücken zu generieren. Die Stadt als Collage zu beschreiben, soll den Fokus auf Fragen der Verortung lenken, auf Fragen der Sinnzuschreibung und damit der Situationserfassung, kurz: auf Fragen des Worin. Das gilt es hier kurz zu erklären. Viktor Zmegac fasst das Wechselverhältnis von Montage und Collage als literarische Grundbegriffe vor allem dadurch, dass er unter der Collage den Extremfall der Montage versteht, in welcher ausschließlich entlehnte, aus verschiedenen Quellen stammende Fragmente arrangiert werden.34 Die daraus resultierende Sinnheterogenität, die immer auch ein Orientierungsproblem als ein Problem der Ordnung impliziert, kann demonstrativ (offen, irritierend, schockierend) oder integrierend (verdeckt, dissimuliert) ausfallen. Eckhard Lobsien beschreibt gerade die demonstrative sogleich bedienen, sie sind schon da, wenn sie auch nicht speziell für das Vorhaben entworfen wurden, für das sie jetzt verwendet werden und für das man sie behutsam zuzurichten versucht; man zögert nicht, sie, wenn nötig, auszuwechseln oder mehrere gleichzeitig auszuprobieren, auch wenn ihr Ursprung oder ihre Form einander fremd sind“ (ebd. S. 431.). Bastelei ist also der – mehr oder weniger zielgerichtete – Umgang mit nicht eigenen (fremden) und mitunter zweckentfremdeten (sachfremden) Werkzeugen. In genau dieser Funktion sieht Derrida darin „eine Kritik der Sprache“ (ebd.) und – mehr noch – ist die „Bastelei die kritische Sprache, insbesondere die der literarischen Kritik, selbst“ (ebd.). Die von Lévi-Strauss angenommene ‚Gegenfigur‘ zum Bastler ist der Ingenieur, der, eben weil er nicht basteln soll, für Derrida eine „theologische Vorstellung“ (ebd.) ist, die „das Ganze des Diskurses ‚aus einem Stück‘“ (ebd.) erzeugt und demnach „Schöpfer des Wortes, das Wort selbst“ (ebd.) wäre. Damit sagt Derrida insbesondere, dass im Bereich der Sprache (darum geht es ihm in diesem Text) der Mensch stets ein Bastler sei, der Instrumente, die er nicht allesamt erzeugte, deren Geschichte er nicht beherrscht oder auch nur stets hinreichend kennt und die zueinander in – geahnten und ungeahnten – Widersprüchen stehen können, verwendet, um seine Zwecke zu erreichen. Die von Derrida nicht gezogene, obgleich offensichtliche, Verbindung zur Rhetorik ist vor alle die, dass der Bastler letztlich ein rhetor ist und sein Werk (die Rede etwa) stets nicht mehr sein kann als eine – mehr oder weniger gelungene – Bastelei (in einem nicht pejorativen Sinne). Im Grunde geht es bei der Bricolage damit auch um die Fragen, die mit der Sinnheterogenität dessen zusammenhängen, was dem Bastler ‚zur Hand ist‘ und womit allein er seine Ziele dennoch zu erreichen versuchen muss. Eben hierin liegt auch die Parallele zum Collage-Begriff der vorliegenden Arbeit. 34 Vgl. Zmegac, Viktor: Montage/Collage. In. Moderne Literatur in Grundbegriffen. Hrsg. von Ders. und Dieter Borchmeyer. Frankfurt am Main 1987. S. 259-264. Hier: 259.

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Form der Sinnagglomeration (wie er sie anhand James Joyce Ulysses untersucht) als eine „Ästhetik des Strudelns“35. Er schreibt – mit explizitem Stadtbezug: Die Ästhetik des Strudelns hat „ihr Paradigma an der Großstadt, jener nicht integrierbaren, jedes individuelle Wahrnehmungsbewusstsein überfordernden Agglomeration von Details, ineinander verknäulten Kontiguitätsfolgen und unberechenbaren, sich ereignishaft einstellenden Similaritätsrelationen. Sie wird erfahren als ständige Verdrängung des jeweils Gegebenen durch das Nachfolgende, als fortlaufende Streichung von Geltungsansprüchen und Relevanzabstufungen.“36

Aus narratologischer Perspektive verweist auch Jens Martin Gurr in seinem Aufsatz The Representation of Urban Complexity and the Problem of Simultaneity37 auf den Zusammenhang von urbaner Komplexität und der Präsentation und Repäsentation von Simultanität. Mit Verweis auf Lynchs einführende Beobachtung38 urbaner Simultanität und der damit verbundenen Herausforderung für den Stadtbesucher und – bewohner, kommt Gurr zu dem Schluss, dass Simultanität und die damit verbundenen Herausforderungen eine Kernkomponente der urbanen Komplexität darstellt: „In his discussion, Lynch highlights both the role of complexity as a key characteristic of urban environments and the role of simultanity as a key component of this complexity.“39 Wenig später beschreibt Gurr das Verhältnis von Komplexität und Simultanität aus narratologischer Sicht treffend: „On the one hand, the representation of co-existing impressions is arguably the crux of any attempt to narrate urban complexity, for simultaneity, the notion of innumerable things – momentous or trivial – happening at the same time, is surely a central characteristic of urban complexity.“40 Gurr entwickelt von hier aus eine Typologie literarischer Strategien zur Repräsentation urbaner Komplexität, die allesamt auf je eine bestimmte Umgangsform mit Simultanität zurückzuführen sind: Simultanität kann synekdochisch repräsentiert werden

35 Lobsien, Eckhard: Großstadterfahrung und die Ästhetik des Strudelns. In: Die Großstadt als Text. Hrsg. von Manfred Smuda. München 1992. S. 183-198. 36 Ebd. S. 185. 37 Vgl. Gurr, Jens Martin: The Representation of Urban Complexity and the Problem of Simultaneity. A sketchy Inventory of Strategies In: Cityscapes in the Americas and Beyond. Representations and Urban Complexity in Literature and Film. Hrsg. von Ders. und Wilfried Raussert. Trier 2011. S. 11-38. 38 Lnych schreibt: „At every instant, there is more than the eye can see, more than the ear can hear, a setting or a view waiting to be explored. Nothing is experienced by itself, but always in relation to its surroundings“ (Lynch 1960. S. 1.). 39 Gurr 2011. S. 11. 40 Ebd. S. 12.

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(„narrating one strand of action and suggesting that there would have been innumerable others that would also deserve to be told“41); Simultanität und Komplexität kann deklariert werden („state that something is complex without ‚showing‘ or performing complexity“42); Simultanität kann narrativ vorgeführt werden, so dass der Leser sich selbst mit Orientierungsproblemen konfrontiert sieht. Mit Verweis auf Bloch schreibt Gurr: „Thus, the chaotic simultaneity and the overwhelming complexity of the urban experience, rather than being glossed over, are flaunted in modernist montage, while the frequently jarring juxtaposition of discontinuous material, which does not allow for an unbroken narrative flow, draws attention both to the selective nature of the episodes recounted and to the convention of sequentializing enforced by the genre of print narrative.“43

Schließlich kann Simultanität nicht nur erzählerisch vorgeführt, sondern auch materiell realisiert werden. In diesem letzten Sinn würde beispielsweise in die Gestaltung eines Buches (Layout, Typografie, Durchsichtigkeit von Seiten, etc.) eingegriffen.44 Diese Strategien dienen, wie gesagt, der Präsentation und Repräsentation von urbaner Komplexität. Das Ergebnis eines solchen Repräsentationsversuches (insbesondere als Ergebnis der letzten beiden Strategien) kann im Sinne dieser Arbeit als Collage bezeichnet werden. Die Herausforderung der Collage für den Rezipienten besteht im Erzeugen eines Sinnzusammenhangs von nicht schon sinnhaft Verbundenem in der Betrachtung. Die Leitfrage lautet eher ‚Wo bin ich?‘ oder ‚Was umgibt mich?‘, kurz: Worin, nicht aber Wohin (was die Leitfrage der Labyrinthmetapher ist). Da, wo der Mensch verweilt, wo er wohnt, da richtet er sich in der Collage ein, sucht seinen Platz mit Sinn zu füllen, richtet seine Welt nach diesem Sinn aus, gestaltet einen Sinnzusammenhang durch Modifikation der Collage, durch das montieren von Fragmenten, die für ihn Bedeutung haben. In dieser Weise ist Tim Cresswells Kapitel Creating place in a mobile world45 zu verstehen. In diesem Kapitel zitiert Cresswell die Arbeit der kanadischen Geographin Geraldine Pratt, die von einer Migrantin (namens Mhay) berichtet: „I bought a picture with a frame and put it on the wall. Prior to this, all four walls were bare. […] So I arranged the room, put furniture and TV [the way I wanted them]. I would leave the door open so that they [my employers] could see what’s in my room, that it’s not dull anymore.“46 Cresswell betont in diesem Beispiel die Rolle des Wohnens, des Verweilens und die Idee des ‚Zu Hauses‘, er meint: 41 Ebd. S. 18. 42 Ebd. S. 19. 43 Ebd. S. 24. 44 Vgl. Ebd. S. 25-29. 45 Cresswell, Tim: place. A short introduction. Oxford 2004. S. 82ff. 46 Zit nach: Ebd. S. 83.

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„Mhay, the Filipina domestic worker, in contrast [to someone who has a secure claim to home], has a rather fragile claim to home as a domestic worker admitted into Canada a special visa. Mhay lives a paradoxical existence of mobility and confinement with only the barest control over her own space – the little things that make space into place, such as poster on a wall, get heightened significance.“47

Da, wo der Mensch an einen Platz kommt, den andere gestaltet haben und an dem er verweilen möchte (oder gezwungen ist zu verweilen), da sieht er sich einem bestimmten Orientierungsproblem ausgesetzt: Dem orientierenden, nach Sinn ausrichtenden Umgang mit der Collage. Oder in den Worten Christian Norberg-Schulz‘: „Um sich einen existentiellen Halt verschaffen zu können, muss der Mensch fähig sein, sich zu orientieren: Er muss wissen, wo er sich befindet. Er muss sich aber auch mit seiner Umgebung identifizieren, das heißt, er muss wissen, wie ein bestimmter Platz beschaffen ist.“48 Wer die Stadt als Labyrinth beschreibt, beschreibt sie nie als Ort des Wohnens, sondern stets als Ort der Bewegung, des Verkehrs, des Flusses. Wer seine Orientierung im Labyrinth verliert, weiß nicht mehr wohin. Wer seine Orientierung in der Collage verliert, weiß nicht mehr was ihn umgibt, was es mit ihm zu tun hat, worin – oder, was dasselbe ist: in was – er sich befindet. Dabei kann er durchaus noch wissen, wie er diesen ‚Unort‘ verlassen kann, wo lang er sich wenden muss, wenn er raus will. Als Anmerkung sei Folgendes zu verstehen: Wer eine Stadt nur und ausschließlich als Labyrinth versteht und anhand dieser Metapher und im bewältigenden Umgang mit dieser Metapher eine Stadt zu entwerfen sucht, also eine Stadt, in der Menschen das Labyrinth gut meistern können, wird letzten Endes eine Stadt entworfen haben, deren größter Vorzug darin besteht, dass man sie schnell und sicher verlassen kann. Eine Stadt nur vom Verkehr und der zielgerichteten Bewegung aus zu denken – ohne zugleich Ziele zu kreieren –, heißt, eine Stadt zu kreieren, in der man nicht wohnen kann, heißt, den Menschen auf Bewegung – zulasten des Verweilens – zu reduzieren. Rhetorisch macht diese Unterscheidung einen wesentlichen Unterschied: Denn mit dem Verweilen sind eine Vielzahl anderer Handlungen verbunden als mit dem Sich-Bewegen. Demnach werden sich die Strategien des persuasiven oder identifizierenden Einflusses auf diese Handlungsräume auch stark unterscheiden. Bewegung (Wohin) und Verweilen (Worin) kommen allerdings auch an vielen Stellen zusammen: Vor allem Lynchs Begriff der landmark bezeichnet einen Ort, der einen Charakter hat, erkannt und wiedererkannt werden kann und der dann eben auch als Richtungsindikator in Bewegungsabläufen eine Rolle spielt. Im Weiteren werden beide 47 Ebd. 48 Norberg-Schulz, Christian: Genius Loci. Landschaft, Lebensraum, Baukunst. Stuttgart 1982. S. 19.

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Bereiche rhetorisch beleuchtet: Die Stadt als Labyrinth und die Lösung der Orientierungsprobleme in selbiger werden anhand eines rhetorischen Verständnisses Lynchs besprochen. Der Stadt als Collage soll versucht werden, durch eine rhetorische Analyse sogenannter place-making-Prozesse Rechnung zu tragen. Durch diese beiden Versuche soll angezeigt werden, was unter der ‚Stadt als rhetorischem Raum‘ zu verstehen ist. Die weiteren Kapitel dieser Arbeit untersuchen dann schließlich ausgewählte Designbereiche, die sowohl auf der oben entwickelten Vorstellung der ‚Stadt als Raum der Rhetorik‘ beruhen und gleichermaßen exemplarische Bereiche des place-makings und damit der ‚Stadt als rhetorischem Raum‘ vorführen.

IV. Wege aus dem Labyrinth – Kevin Lynchs ‚The Image of the City‘

1. E INFÜHRUNG

IN DAS

K APITEL

„Finding your way has never been more important. Getting to places on time, with minimum stress, is more valuable than ever. Easy accessibility to services whether on foot, by public transit or by automobile is not just a matter of courtesy or common sense. It is an economic necessity.“1 Wie Wayne Hunt in Designing and Planning Environmental Graphics betont, stellt die Fähigkeit, schnell und sicher seinen Weg durch das vermeintliche Labyrinth der Stadt zu finden, eine ökonomische Notwendigkeit dar. Jede Designbemühung, die dieses schnelle und sichere Sich-Bewegen in der Stadt erleichtert oder bisweilen überhaupt erst ermöglicht, steht damit nicht zuletzt auch im Dienst dieser Ökonomie der Zeit. Hunt, der mit dem Ausdruck ‚economic necessity‘ eine Steigerung gegenüber ‚courtesy‘ und ‚common sense‘ meint, ist überdies jedoch auch zu entgegnen, dass nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten eine schnelle und sichere Gestaltung der Bewegungsabläufe notwendig ist, sondern auch in Bezug auf Phänomene wie Wohlbefinden, Sicherheit und Vertrautheit, die wiederum psychologische Kennzeichen erfolgreicher Orientierung sind. Urban Design hat demnach in Bezug auf die Stadt als Labyrinth die Aufgabe, die Stadt in ihrem Labyrinth-Sein zu verstehen und dem sich durch dieses Bewegenden Ariadnefäden an die Hand zu geben. Was das heißt, soll im Weiteren anhand der Arbeit Kevin Lynchs besprochen werden.

2. T HE I MAGE

OF THE

C ITY

Lynchs grundlegendes Werk The Image of the City erschien 1960 und ist das Resultat einer fünfjährigen Studie, die sich mit der Frage beschäftigt, wie Menschen ihre urbane Umgebung wahrnehmen, wie sie selbige memorieren und schließlich, wie sie 1

Hunt, Wayne: Designing and Planning Environmental Graphics. New York 1992. S. 152.

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sich in ihrer Vorstellung der Stadt und mithilfe dieser Vorstellung orientieren. In Interviews bat Lynch Einwohner dreier amerikanischer Großstädte (Boston, New Jersey City, Los Angeles), skizzenartige Karten bestimmter Areale der Stadt aus dem Kopf zu zeichnen. Der Maßstab reicht dabei von einzelnen Punkten bis hin zu ganzen Regionen. Schließlich bildete Lynch aus den vielen Einzelkarten in einer Art Schnittverfahren mehrere ‚master maps‘, die diejenigen Elemente des Stadtbildes deutlich hervortreten lassen, die für die Einwohner von Bedeutung zu sein schienen. Diese Grundelemente stellten Lynchs zentrale Kategorien zum Aufbau des Stadtbildes dar. In dieser Weise interpretiert Lynch die gezeichneten Kartenskizzen nicht bloß als Zeichnungen, sondern in erster Linie als Repräsentationen der kognitiven Karten der beteiligten Einwohner, womit er deutlich an das Konzept der mentalen/kognitiven Karte der Psychologen Edward C. Tolman2 und Warner Brown3 anknüpft. Diese Psychologen hatten herausgefunden, dass Menschen (und Ratten) in einem Labyrinth nach mehrmaligem Durchlaufen anfangen, Abkürzungen zu suchen. Es war also nicht nur so, dass das mehrmalige Durchlaufen desselben Labyrinths zu immer besseren Erfolgsquoten auf dem gleichen Weg führte, dass also ein Einprägen des zielführenden Weges immer besser gelang, sondern mehr noch, dass nach einer Weile die Versuchsobjekte versuchten, noch kürzere und ebenso zielführende Wege zu finden. Das verlängerte zwar für eine gewisse Zeitspanne wieder die benötigte Zeit, um durch das Labyrinth zu kommen, führte aber schließlich zu besseren Ergebnissen. Die Fähigkeit, Wege abzukürzen setzt allerdings – nach Tolman – das Vorhandensein einer kartographischen Vorstellung voraus, einer kognitiven Karte, denn diese Fähigkeit kann nicht allein aus der Memorierung nachfolgender Stimuli abgeleitet werden. Insofern Lynch mit den untersuchten Kartenskizzen und mit den daraus generierten ‚master maps‘ direkt an das Konzept der kognitiven Karte anschließt4, knüpft er implizit ebenso an die Grundmetapher des Labyrinths an. Brown – auf den auch Lynch verweist – drückt die Labyrinthmetapher in diesem Kontext treffend wie folgt aus: Der Mensch in unbekannten städtischen Situationen „is constantly confronted with problems of ‚finding his way around‘ which are in all essentials like maze problems.“5 Für Lynch besteht das Orientierungsproblem in Großstädten in erster Linie in einem Fehlen klarer und distinkter, wiedererkennbarer und daher gut memorierba-

2

Vgl. Tolman, Edward C.: Cognitive Maps in Rats and Men. In: The Psychological Review, 55.4/1948. S. 189-208.

3

Vgl. Brown, Warner: Spatial Integrations in a Human Maze. In: University of California Publications in Psychology. 5/1932. S. 123-134.

4

Dass Lynch daran direkt anschließt, macht unter anderem die Arbeit von Jörg Seifert deutlich. Vgl. Seifert, Jörg: Stadtbild, Wahrnehmung, Design. Lynch revisited. Basel 2011. S. 137-160.

5

Brown 1932. S. 129. Siehe auch: Seifert 2011. S. 141.

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rer Orientierungselemente. Lynch prägt hierfür ein Wort: imageability. Darunter versteht er: „that quality in a physical object which gives it a higher probability of evoking a strong image in any given observer.“6 The Image of the City ist ein Werk, das seinen Fokus auf die gestalterischen Möglichkeiten der Erzeugung eines starken ‚images’, legt, wobei die Bedeutung des Begriffs image bei Lynch alterniert: Image bezeichnet zu allererst die kognitive Karte, anhand derer sich der Mensch durch die urbane Landschaft bewegt, es bezeichnet aber auch die Vorstellung, die ein Betrachter sich von seiner Umgebung macht und schließlich auch den bildlichen Eindruck, der erkenn- und erinnerbar ist.7 So sehr diese Bereiche auch zusammengehören, sollen sie in dieser Arbeit aber vorerst getrennt behandelt werden: Die kognitive Karte zur Koordination von zielgerichteten Bewegungsabläufen (das eigentliche Kernthema bei Lynch) beruht auf der metaphorischen Bestimmung der Stadt als Labyrinth. Hingegen spielen die Bereiche, die bei Lynch nur nachrangig Erwähnung finden, die Identifikation mit dem Stadtraum und der sich in diesem orientierenden und sinnstiftenden Handhabung desselben im Sinne der Kreation einer Vorstellung des genius loci in den Bereich der Collagenmetapher. Lynch nimmt zwar in seiner Bestimmung der urbanen Bedingungen des Orientierungsproblems seinen Anfang in diesem – letzteren – Bereich, wendet sich dann aber vor allem den Fragen der zielgerichteten Bewegung zu. Er beschreibt die urbanen Bedingungen direkt zu Anfang des Buches wie folgt: „At every instant, there is more than the eye can see, more than the ear can hear, a setting or a view waiting to be explored. Nothing is experienced by itself, but always in relation to its surroundings.“8 In dieser Weise beschreibt er die Komplexität der Stadt als eine ästhetische Überforderung des Betrachters, die als eine solche ihren klassischen Boden eigentlich in der Kunst und Ästhetik hat. Immanuel Kants ästhetische Idee steht dieser Vorstellung Pate: „Unter einer ästhetischen Idee aber verstehe ich diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlasst, ohne dass ihr doch irgendein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff, adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann. – Man sieht leicht, dass sie das Gegenstück (Pendant) von einer Vernunftidee sei, welche umgekehrt ein Begriff ist, dem keine Anschauung (Vorstellung der Einbildungskraft) adäquat sein kann.“9

Eben weil sich die ästhetische Erscheinung der Stadt nicht vollständig erfassen lässt, bleibt dem Betrachter nur die Möglichkeit der Fragmentierung, des selektiven Blicks 6

Lynch 1960. S. 9.

7

Zum Bildbegriff bei Lynch, siehe auch: Seifert 2011; Wagner, Kirsten: Die visuelle Ordnung der Stadt. Das Bild der Stadt bei Kevin Lynch. In: Historisches Forum. 8/2006. S. 101-121.

8

Lynch 1960. S. 1.

9

Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Hamburg 2001. § 49.

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lediglich auf bestimmte Facetten seiner Umgebung. „Most often, our perception of the city is not sustained, but rather partial, fragmentary, mixed with other concerns.“10 Von diesen ästhetisch-atmosphärischen Einstiegsbemerkungen kommt Lynch dann schnell zum Gegenstand seiner Arbeit. Er verlässt das Feld der Collage und betritt den Raum des Labyrinths, denn in Bezug auf zielgerichtete Bewegungsabläufe folgt für Lynch aus der Feststellung der ästhetischen Reizüberflutung des Stadtbewohners und dessen fragmentierender Reaktion darauf, dass unserem ‚Image‘ der Stadt keine anschließbare Idee der Vorstellungskraft entspricht: „There is no final result, only a continuous succession of phases.“11 Von hier aus ist es klar, dass die Stadt uns vehement vor Orientierungsprobleme stellt, insofern Orientierung sich gerade dadurch auszeichnet, inmitten dieses Raumes prinzipiell unabschließbarer Vorstellungen dennoch eine Vorstellung zu kreieren, die es uns erlaubt – wenigstens partiell –, zu einem Abschluss zu kommen. Es geht Lynch um die Möglichkeit der Kreation einer kognitiven Karte, einer Art mentalen, graphischen Schnappschusses urbaner Strukturen. „Thus, on the other hand, our city-image might be incorrect in detail, but has to be simplified, graspable and endingly. Or to put it more generally: Orientation has the function to create certain scopes of action under uncertain conditions.“12 Lynch fragt: Was sind die Kategorien, die es uns, in diesem Sinn, erlauben, uns zu orientieren? Für Lynch sind diese Kategorien die Elemente aus denen unser Stadtbild (mental map) besteht: paths, edges, districts, nodes13 und landmarks. Insofern, nach Lynch, unsere mentale Repräsentation des urbanen Raums sich aus diesen Strukturelementen zusammensetzt, nennt Lynch selbige in euklidischer Manier einfach: „The elements of the city-image“14. Im Weiteren geht es darum, diese Elemente in ihrer rhetorischen Bedeutung zu diskutieren. Dafür wird vor allem an die im zweiten Kapitel entfaltete Theorie Burkes angeknüpft werden. Die fünf Elemente des Stadtbildes lassen sich zu diesem Zweck in drei Gruppen teilen: punktuelle Elemente (nodes und landmarks), lineare Elemente

10 Lynch 1960. S. 2. 11 Ebd. 12 Smolarski, Pierre: Urban Motives - Rhetorical Approaches to Spatial Orientation, Burke on Lynchs ‘The Image of the City’. In: KB-Journal 10.1/2014. 13 Da die Übersetzung von ‚node‘ in der deutschen Ausgabe von Lynchs Arbeit mit ‚Brennpunkt‘ aufgrund seiner Assoziationen im Deutschen (Krisenregion, sozialer Brennpunkt, etc.) als nicht passend gewählt erscheint, wird im Fortgang der vorliegenden Arbeit auf eine Übersetzung des Wortes verzichtet. Die Begriffe ‚path‘, ‚edge‘, ‚landmark‘ und ‚district‘ hingegen werden mitunter auch als ‚Weg‘, Grenze‘, ‚Merkzeichen‘ und ‚Bereich‘ wiedergegeben. Im Regelfall wurde jedoch darauf geachtet, im Falle einer deutschen Wiedergabe, die englischen Begriffe als Referenz in Klammern mitanzugeben. 14 Lynch 1960. S. 46.

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(paths und edges) und schließlich ein Flächenelement (district). Ziel einer rhetorischen Untersuchung ist es, diese Elemente in erster Linie nicht als Kennzeichen bestimmter urbaner Formen zu verstehen, sondern vor allem als handlungsleitende Motive, die erst als solche eine Relation zu manifesten urbanen Formen eingehen. 2.1 Lineare Elemente „For the most people interviewed, paths were the predominant city elements“.15 Lynch charakterisiert Wege als kontinuierliche und durch Identität gekennzeichnete Vektoren durch den urbanen Raum. Demnach sind ‚Wege‘ nichts anderes als – um einen Ausdruck Burkes zu gebrauchen – „shorthand terms“16 für Situationen, die Lynch durch in ihnen stattfindende Bewegungsabläufe mit „directional quality“17 beschreibt. Der zentrale Punkt, um den es hier geht, ist – bedenkt man den Motiv-Zirkel Burkes – nicht so sehr, dass das urbane Element ‚Weg‘ mit einer bestimmten Situation assoziert werden kann, sondern dass diese beiden Bereiche korrelieren, identisch sind. Wenn eine Situation (in diesem Fall: das Stattfinden eines Bewegungsablaufes mit Richtungsqualität) als ‚einem Weg folgen‘ identifiziert wird und wenn überdies die manifeste urbane Form, auf der eine solche Situation spielt als ein ‚Weg‘ identifiziert wird – und damit als ein Element des Stadtbildes –, so ist das dasselbe, als wenn die Situation als ein ‚Stattfinden eines Bewegungsablaufes mit Richtungsqualität‘ beschrieben wird. Oder vereinfacht: Wer ‚Weg‘ sagt, impliziert eine Situation, in der ein Bewegungsablauf mit Richtungsqualität stattfindet. Wer nach einem passenden Ausdruck für eine solche Situation sucht, sagt: ‚Ich bin auf dem Weg‘. Und wer die manifeste urbane Form zu beschreiben gedenkt, die als Bühne einer solchen Situation dient, der wird diese treffend als ‚Weg‘ identifizieren. Oder, um es anders auszudrücken: Es scheint evident zu sein, dass ein bestimmter Weg (als manifeste urbane Form) nicht bereits auch ein Weg-Motiv impliziert. Diese Form (der konkrete Weg) könnte ebenso beispielsweise als Grenze erfahren und gehandhabt werden – und damit ein Grenz-Motiv zum Ausdruck bringen. Zugespitzt: Es existieren keine ‚Wege‘ in der urbanen Landschaft bevor sie nicht als Wege bezeichnet, identifiziert und gehandhabt werden. So wie jeder Fußweg oft von Fußgängern als Weg identifiziert wird und derselbe Fußweg von Autofahrern als Grenze zu identifizieren ist, kann gesagt werden: Der Fußweg ‚an sich‘ ist weder ein Weg noch eine Grenze. Betrachten wir das Beispiel eines Flussufers: Ein Flussufer ist für Lynch ein typisches Beispiel einer Grenze (edge). Diese bestimmt Lynch in erster Linie ex negativo als diejenigen linearen Elemente des Stadtbildes, die keine Wege sind. Was nichts anderes

15 Ebd. S. 49. 16 Burke 1954. S. 29. 17 Lynch 1960. S. 54.

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heißt als: „[They] are not used or considered as paths by the observer.“18 Das heißt aber, übertragen auf die ‘Definiton der Situation’, nichts anderes als: „While paths are coordinate axis’ in the city-image, edges are lateral references. Their imageability is increased if they are entirely visible and uninterrupted. Thus, as lateral references it seems that edges do not invite people to act upon them. But edges can involve motives too. Because edges enclose, divide areas and limit accessibility, different motives can occur to handle an edge-situation.“19

Bezogen auf die oben erwähnte Flussuferpromenade wird diese durch ein ‚EntlangGehen‘ einfach als Weg identifiziert und impliziert so eine Weg-Situation, ohne dass sich der Gehende einer potentiellen Grenz-Situation bewusst sein muss. Eine Stadtmauer – ebenfalls ein für Lynch typisches Beispiel einer urbanen Grenze – könnte ebenso als Weg identifiziert werden. Parcourläufer haben diese Form der Interpretation sogar zu einer Art urbanem Sport erhoben. Sie identifizieren Mauern und Grenzen eben nicht als Grenzen, sondern als potentielle Wege. Genauer: Sie identifizieren Grenzen – die sie im Gegensatz zum Am-Ufer-entlang-Gehenden in jedem Moment immer noch als Grenze wahrnehmen, die nicht zuletzt dadurch eine Grenze ist, dass sie die meisten Stadtbewohner eben nicht ohne Weiteres übersteigen können – als Wege. Neben dem ‚entlang-Motiv‘ eines Promenadenläufers und dem ‚überwindenMotiv‘ eines Parcourläufers, besteht das Hauptmerkmal im Umgang mit Grenzen im Sinne Lynchs in einem ‚Trennungsmotiv‘. Grenzen, wie beispielsweise Flüsse, Autobahnen oder Zugstrecken, schneiden die Stadt oftmals in Stücke; sie trennen Teile, die mit einem bestimmten Charakter verbunden werden, von Teilen, die mit dem entgegengesetzten Charakter verbunden werden. Die A40 beispielsweise, die von Ost nach West quer durch Essen verläuft, trennt in dieser Weise einen ärmeren Norden von einem wohlhabenderen Süden. Diese Autobahn als ‚Ruhrschnellweg‘ zu bezeichnen, betont ein Weg-Motiv. Dieselbe Autobahn hingegen – wie ich es in Essen bereits gehört habe – als ‚Assiäquator‘ zu bezeichnen, drückt deutlich ein Grenzmotiv aus. Wenn wir konkrete, lineare, manifeste urbane Formen nicht bereits in erster Linie als ‚Wege‘ oder ‚Grenzen‘ verstehen, sondern vorerst lediglich als unterschiedlich starke Indikatoren, die helfen, ein Weg-Motiv oder ein Grenz-Motiv zu erzeugen, dann wird in dieser Weise die Beziehung zwischen urbaner Struktur und (sozialer, handlungsleitender) Bedeutung betont. In dieser Betonung ist es – unter Benutzung des Motiv-Zirkels – möglich, Fragen der Inszenierung handlungsleitender Bedeutung deutlicher Rechnung zu tragen, als dies Lynch tut. Nehmen wir zur Veranschaulichung folgendes Beispiel: Ich fahre gern mit dem Fahrrad durch die Stadt in der ich 18 Ebd. S. 41. 19 Smolarski 2014c.

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lebe und arbeite. Als Radfahrer kenne ich, durch viel Erfahrung, den kürzesten Weg zwischen meinem Wohnort und meiner Arbeitsstätte. Den kürzesten Weg zu kennen, meint hier, dass ich eine Fähigkeit trainiert habe, eine direkte Linie zwischen beiden Orten als Weg zu identifizieren (bisweilen auch gegen die geltende Straßenverkehrsordnung). Wenn ich einem Freund, der mit seinem Auto eine kurze Verbindung zwischen den gleichen beiden Orten sucht, den Weg weisen soll, so wird meine trainierte Fähigkeit (trained ability) oftmals als eine „trained incapacity“20 erscheinen, eine Unfähigkeit, urbane Gegebenheiten neu zu interpretieren. Da gibt es Einbahnstraßen, die mit dem Auto unpassierbar sind, ebenso Fußwege, die mit Fahrrad unproblematisch sind, verkehrsberuhigte Bereiche, aber auch Parkplatzprobleme, die sich mit dem Auto in anderer Weise als mit dem Fahrrad stellen, und vieles mehr. Kurz: Die gleiche Linie, die meinen täglichen Weg mit dem Rad leitet, noch immer als Weg zu identifizieren macht deutlich, inwiefern meine Orientierung, eben jene ‚trained ability‘, sich als Blindheit erweist. Ich muss mich neu orientieren. Und wenn, wie Robert Wess sagt, „Orientation is trained incapacity [and] re-orientation is perspective by incongruity“21, dann muss ich meine Perspektive wechseln, um die Situation selbst neu zu definieren – „to redefine the situation itself.“22 Wege (paths) sind dann nicht länger Wege, manche sind Grenzen (edges), andere werden an bestimmten Stellen zu nodes. Merkzeichen (landmarks) sind nicht länger Merkzeichen, Grenzen nicht länger Grenzen, manche sind Wege (wie etwa die lokale Stadtautobahn). Auch wenn dieses Beispiel stark vereinfachend ist, so macht es doch einen Aspekt sehr deutlich, der bei Lynch eben nicht stark genug herausgestellt wird. Eben die Fragen der Rhetorik nach den handlungsleitenden Motiven, die durch die Gestaltung und Anlage des Stadtraums selbst evoziert werden können. 2.2 Die punktuellen Elemente Für Lynch gibt es zwei Klassen von punktuellen Elementen im Stadtbild: nodes und landmarks. Während Merkzeichen (landmarks) Referenzpunkte sind, die der Betrachter nicht betreten kann, bzw. die sich als Merkzeichen nicht durch ihre Betretbarkeit23 auszeichnen, und deren Funktion im Orientierungsprozess mehr oder weniger passiv bleibt, sind nodes betretbare Punkte einer bestimmten Aktivität. Lynch 20 Vgl. dazu: Burke 1954. S. 7-9. 21 Wess, Robert: Kenneth Burke. Rhetoric, Subjectivity, Postmodernism. Cambridge 1996. S. 69. 22 Burke 1954. S. 220. 23 Ein Leuchtturm ist zwar durchaus ein betretbares Gebäude, in seiner Orientierungsfunktion als Merkzeichen spielt diese Betretbarkeit keine Rolle. Ein Leuchturm könnte als Merkzeichen ebensowenig betretbar sein wie ein markanter Felsen am Flussufer und doch nichts von seiner Funktion einbüßen.

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beschreibt nodes auf zweierlei Weise: „Nodes are points, the strategic spots in a city into which an observer can enter, and which are the intensive foci to and from which he is traveling. They may be primarily junctions, places of a break in transportation, a crossing or convergence of paths, moments of shift from one structure to another.“24 Nodes, wie etwa Hauptkreuzungen, sind demnach Punkte der Entscheidung. Ihre ‚imageability‘ und ebenso ihre Wiedererkennbarkeit korrespondiert mit ihrem Aufforderungscharakter, sich in einer spezifischen Weise zu entscheiden und zu handeln. Diese Aufforderung – die Auffordung der Kreuzung, entweder die Richtung zu wechseln oder der Richtung zu folgen – ist das Kriterium, welches aus einer Kreuzung einen node macht. Wenn wir täglich auf unseren Routen durch die Stadt mehrere Kreuzungen – im wahrsten Sinne des Wortes – ‚überfahren‘, so interpretieren wir diese im Allgemeinen nicht als Aufforderung, uns zu entscheiden und entsprechend zu handeln; die meisten von diesen sind für das Erreichen unserer Ziele so unwichtig, dass wir uns oftmals nicht einmal erinnern, sie überhaupt überfahren zu haben. Wie der Designer Markus Hanzer sagt: „We like to remain true to a path once we have chosen it until we stumble across new possibilities. We don’t examine every available symbol to make a decision; we just look for indications that seem to confirm the path already taken instead. Our view is selective.“25 Lynchs beeindruckende These ist, dass der einzige Unterschied zwischen einer Kreuzung, an deren Überfahren wir uns nicht einmal erinnern können, und einem node darin besteht, dass letzterer ein Punkt im Stadtraum ist, an dem wir eine Entscheidung zu treffen haben – folgen oder abbiegen. Dabei stellt Lynch die These auf, dass für den Autofahrer ein Abbiegen nur dann in Frage kommt, wenn er dadurch meint, sein Ziel schneller oder besser erreichen zu können. Das aber heißt nichts anderes, als dass ein – in Bezug auf das schnellere oder bessere Erreichen des Ziels – sinnvolles Abbiegen sich ausschließlich an Kreuzungen vollzieht, die als nodes erfasst werden. Vereinfacht und zugespitzt: Selbst wenn das schnellere Erreichen des Ziels möglich wäre, indem man in eine Nebenstraße einbiegt, orientieren sich Menschen vorrangig an Hauptstraßen und Hauptkreuzungen. Wenn Menschen in dieser Weiser verfahren, so übertragen sie einen urbanen Formindikator (Hauptkreuzung versus Nebenstraßenabzweig), der in vielen Fällen wohl tatsächlich ein beschleunigtes Vorankommen ermöglicht, auf eine neue Situation (ein neues Reiseziel), bei dem es womöglich nicht der beste Weg ist, an der Hauptkreuzung abzubiegen. Obgleich also die Hauptkreuzung – von der Warte eines dritten Beobachters in Vogelperspektive aus – demnach kein node sein sollte, wird diese dennoch vom Reisenden als node identifiziert. Für Lynch zeigt sich in diesen Fällen deutlich, dass die Differenz von 24 Lynch 1960. S. 41. 25 Hanzer, Markus: Identität als Orientierungsmaßstab. In: Orientation and Identity. Portraits of International Way Finding Systems. Hrsg. von Erwin K. Bauer und Dieter Mayer. Wien 2009. S. 21–24. Hier: S. 24.

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Kreuzung und node in erster Linie nicht eine Sache planmäßigen Handelns ist, sondern eine Angelegenheit, die durch die architektonische und städtebauliche Form (wenigstens mit-) bestimmt ist. Oder, um es anders zu sagen: Die Form gibt dem Interpreten die Schlüssel, um eine Situation als eine node-Situation zu bestimmen; und wenn diese Bestimmung in dieser Weise erfolgt, kann gesagt werden, dass die Form zu einem angemessenen Handeln einlädt, wobei durch die Form selbst die Kriterien der Angemessenheit mitbestimmt werden. „However, if symbols persuade us to change directions we tend to rebuild our thoughts to make wrong paths, detours and zigzag courses look like straight lines. So the world of symbols doesn’t only help make decisions, it also changes, often subconsciously, our motives, intentions and goals.“26 Kurz: die urbane Form lädt uns ein, ein node-Motiv zu kreieren und diesem zu folgen. Die zweite Beschreibung für nodes, die Lynch gibt, ist folgende: „the nodes may be simply concentrations, which gain their importance from being the condensation of some use or physical character, as a street-corner hangout or an enclosed square. Some of these concentration nodes are the focus and epitome of a district, over which their influence radiates and of which they stand as a symbol. They may be called cores.“27

Cores sind nicht primär Punkte der Entscheidung, sie sind bemerkenswerte punktuelle Elemente des Stadtbildes, deren Charakter (genauer: deren zugeschriebener Charakter) unsere Sicht auf ganze Bereiche (districts) der Stadt verändert. Aufgrund ihres starken Bezugs zum Flächenelement des Stadtbildes (districts), werden die Konzentrationspunkte im nächsten Unterkapitel besprochen. „Landmarks are another type of point-reference, but in this case [in contrast to nodes] the observer does not enter within them, they are external. They are usually a rather simply defined physical object: buildings, sign, store, or mountain. Their use involves the singling out of one element from a host of possibilities.“28 Eben weil Merkzeichen (landmarks) nicht betreten werden können (oder sich zumindest als Merkzeichen nicht durch ihre Betretbarkeit auszeichnen), dienen sie in erster Linie als Radialmarken für Radialachsen, die von einem bestimmten Punkt aus den Stadtraum zu gliedern helfen. „[They] symbolize a constant direction“29 und sollten deshalb auch über große Distanzen hinweg sichtbar und als singuläre Objekte identifizierbar sein. Lynch bemerkt, dass insbesondere solche Reisenden, die mit der Stadt nicht oder wenig vertraut sind, sich hauptsächlich dieser ‚groben‘ Orientierungshilfen

26 Ebd. 27 Lynch 1960. S. 41. 28 Ebd. S. 48. 29 Ebd.

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bedienen. Hingegen benutzen vertrautere Reisende tendenziell eher subtilere Merkzeichen: „Other landmarks are primarily local, being visible only in restricted localities an from certain approaches. These are the innumerable signs, store fronts, trees, doorknobs, and other urban detail, which fill in the image of most observers. They are frequently used clues of identity and even of structure, and seem to be increasingly relied upon as a journey becomes more and more familiar.“30

Allerdings gibt es eine wesentliche Gemeinsamkeit in der Benutzung ‚grober‘ oder ‚subtiler‘ Merkzeichen: „Since the use of landmarks involves the singling out of one element from a host of possibilities, the key physical characteristic of this class is singularity, some aspect that is unique or memorable in the context. Landmarks become more easily identifiable, more likely to be chosen as significant, if they have a clear form; if they contrast with their background.“31

Es gibt demnach, wie Klaus Sachs-Hombach und Jörg Schirra mit Verweis auf die Gestalttheorie anmerken, eine Figur-Grund-Differenzierung, die der Reisende kreieren muss.32 Insofern die Unterscheidung der Frage, was ist Figur (was ist gemeint?) und was ist Kontext (als was ist es gemeint?) die Basis jeder semantischen Identifikation darstellt, wird diese Unterscheidung eben auch die Grundlage, auf der der Reisende in Bezug auf Merkzeichen zu handeln in der Lage ist. Der Prozess des „singling out“33 ist einmal mehr ein Prozess, der der Einladung spezifischer urbaner Formen folgt, die allerdings nicht nur durch die architektonische oder städtebauliche Form gegeben werden, sondern eben auch und in besonderem Maße durch Beschilderung, Leitsysteme und Orientierungsmittel wie Karten und Wegbeschreibungen. 2.3 Das Flächenelement Die Flächenelemente, die der Reisende nutzt, um eine mental map der Stadt zu entwerfen, sind Bereiche (districts). „Districts are relatively large city areas which the observer can mentally go inside of, and which have some common character.“34 Als 30 Ebd. 31 Ebd. S. 78. 32 Vgl. Schirra, Jörg R.J. und Sachs-Hombach, Klaus: Bild und Wort. Ein Vergleich aus bildwissenschaftlicher Sicht. In: Essener Linguistische Skripte – elektronisch. 1/2006. S. 5172. 33 Lynch 1960. S. 78. 34 Ebd. S. 66.

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ein Element des Stadtbildes bei Lynch und also als ein Element der kognitiven Karte sind Bereiche lediglich ein mentales Konzept, in welchem man sich eben auch nur mental hineinbewegen kann. Allerdings wird dieses mentale Konzept zu einer physischen Instanz in dem Moment, wo auf der Grundlage von spezifischen Indikatoren eine konkrete urbane Form als ein bestimmter Bereich identifiziert wird. In dieser Weise lässt sich von Bereichen als ‚Containern‘ reden, denen ein spezifischer Charakter attributiert wird und der verschiedene ‚Gegenstände‘ enthalten kann: Einzeldinge, Konzepte, Erfahrungen, Orte und Begebenheiten. Damit gibt jeder Bereich Anlass zu einem unterschiedlichen Erwartungsrahmen über die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt. Auf der Grundlage der Differenzen dieser Erwartungsrahmen erhält ein Bereich seinen spezifischen Charakter; und dieser Charakter, im Umkehrschluss, beeinflusst den emotionalen Zugang ebenso wie das Verhalten in bestimmten Bereichen. In dieser Weise resultiert ein Großteil dessen, was mit Aussagen wie ‚Ich bin in London-Soho‘, ‚Ich bin in Berlin-Kreuzberg‘ oder ‚Ich bin in New York-Brooklyn‘ neben der bloßen geographischen Verortung noch verbunden wird, direkt aus dieser ‚container-things contained‘-Relation. Um diesen Punkt deutlicher zu machen, können wir auf das Kapitel in Burkes Grammar of Motives verweisen, das sich mit „container and things contained“35 befasst. Burke unterscheidet – wie wir bereits in Kapitel II gesehen haben – zwischen Szene (scene) und Handlung (act) und zeigt die bedeutsame Verbindung dieser beiden Bereiche in der „scene-act-ratio“36, der zufolge das Verhältnis von scene zu act dem Verhältnis von implizit zu explizit entspricht und sich die Qualität einer Handlung (motive) aus der Qualität der Situation erschließen lässt. In genereller Ansicht steht diese Auffassung hinter der gesamten Analyse der Arbeit Lynchs, die bisher vorgenommen wurde. Denn die Diskussion der linearen und punktuellen Elemente des Stadtbildes als rhetorische Motive beruht auf der hier zum Ausdruck kommenden implizit-explizitStruktur der Relation von Szene und Handlung sowie von Situation und Motiv. Bedenkt man zudem noch die wichtige Einschränkung, die Burke an diesem implizitexplizit-Verhältnis vornimmt, wonach „[o]ne could not deduce the details of the action from the details of the setting, but one could deduce the quality of the action from the quality of the setting“37, so wird klar, dass die Elemente bei Lynch eben Szenerien in genau diesem Sinne sind: „they contain ambiguously a quality of appropriate action.“38 Das bedeutet, dass die Szenerie aus ambigen Formschlüsseln besteht, auf deren Grundlage die rhetorische Kategorie des aptum gebildet wird, die letztlich zum einzigen Messinstrument wird, um die Qualität einer Handlung zu beurteilen. Von hier aus ergeben sich in Bezug auf die rhetorische Dimension von Bereichen 35 Burke 1969b. S. 3-20. 36 Ebd. S. 7. 37 Ebd. 38 Smolarski 2014c.

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einige spezifische Fragen: Worin besteht die spezifische Qualität eines bestimmten Bereichs? Das heißt, worin besteht der spezifische Charakter eines Bereich-Containers, auf dessen Grundlage handlungsleitende Motive generiert werden, und woher kommt dieser Charakter? Mit dieser Frage weisen wir bereits weit über das hinaus, was Lynch in seiner Arbeit diskutiert, denn hier geht es um die Frage der Bedeutung des bebauten und erlebten Raumes. Als Quellen möglicher Charakterzuschreibungen dient letztlich alles Mögliche: Prosa, Poesie, bildende Kunst, persönliche Erfahrungen, politische Entscheidungen, Architekturcodes, Mythen, Klatsch und Tratsch, gezielte Kampagnen des Stadtmarketings und vieles mehr. Eines unter unzähligen Beispielen für Charakterzuschreibungen und Transformationen der Bedeutung von Bereichen sei hier angeführt. Als die Physiker Niels Bohr und Werner Heisenberg das Schloss Kronberg in Dänemark besichtigen, meint Bohr zu Heisenberg: „Isn’t it strange how this castle changes as soon as one imagines that Hamlet lived here? As scientists we believe that a castle consists only of stone, and admire the way the architect put them together. The stones, the green roof with its patina, the wood carvings in the church, constitute the whole castle. None of this should be changed by the fact that Hamlet lived here, and yet it is changed completely. Suddenly the walls and the ramparts speak a quite different language. The courtyard becomes an entire world, a dark corner reminds us of the darkness in the human soul, we hear Hamlet’s ‚To be or not to be.’ Yet all we really know about Hamlet is that his name appears in a thirteenth-century chronicle. No one can prove that he really lived, let alone that he lived here. But everyone knows the questions Shakespeare had him ask, the human depth he was made to reveal, and so he, had to found a place on earth, here in Kronberg. And once we know that, Kronberg becomes quite a different castle for us.“39

Der Charakter eines bestimmten Raumes entsteht aus der ständigen Wechselwirkung der oben genannten und vieler anderer Faktoren, ist daher nie konstant und – zumindest im Detail – kaum intersubjektiv gültig. Auch wenn die obigen Fragen – in ihrer allgemeinen Form – in dieser Arbeit freilich keine umfassende Antwort finden werden, werden wir uns diesen unter dem Aspekt des place-makings später wieder explizit zuwenden. Hier soll es – in Bezug auf Lynch – allein um einen Aspekt der Fragen der Bedeutungsgenerierung gehen, nämlich in Bezug auf die oben erwähnten Konzentrationspunkte (cores): Was heißt es zu sagen, dass Konzentrationspunkte die Charakterzuschreibungen ganzer Bereiche beeinflussen? Konzentrationspunkte, wie wir gesehen haben, sind Punkte thematischer Konzentration. Als solche sind sie bedeutungsvolle (also in bestimmter Bedeutung identifizierte) architektonische Formen, die eine gewisse Verwandtschaft zu Merkzeichen

39 Zit nach: Tuan, Yi-Fu: Space and place. The Perspective of Experience. Minneapolis 2011. S. 4.

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(landmarks) haben. Während aber Merkzeichen einzigartige, auf große Distanz sichtbare Objekte sind, sind Konzentrationspunkte „the focus and epitome of a district, over which their influence radiates and of which they stand as a symbol.“40 Man kann also sagen, von der Vielzahl an in einem Bereich (als Container) enthaltenen Objekten und Elementen sind Konzentrationspunkte die prototypischen Elemente des jeweiligen Bereichs. Das Verhältnis von Bereich (district) zu Konzentrationspunkt (core) ist entsprechend vergleichbar mit dem Verhältnis von Kategorie und prototypischem Beispiel dieser Kategorie. Das bedeutet, folgt man der Prototypentheorie Eleanor Roschs, dass Konzentrationspunkte nicht nur Elemente eines Bereiches sind, sondern deren „best example“.41 Die Prototypentheorie – um das kurz zu erklären – geht davon aus, dass, wenn jemand nach einem Beispiel zu einer bestimmten Kategorie fragt, die Auswahlwahrscheinlichkeit für die jeweiligen Elemente der Kategorie nicht gleichverteilt sind. Fragt jemand nach einem Beispiel für die Kategorie ‚Vogel‘, so sind Antworten wie ‚Spatz‘, oder ‚Taube‘ in unserem Kulturkreis wahrscheinlicher als die Antworten ‚Pinguin‘ oder ‚Strauß‘. Obgleich alle diese Tierarten zu hundert Prozent Vögel sind, gelten ‚Spatz‘ und ‚Taube‘ als ‚mehr vogelartig‘ verglichen mit ‚Pinguin‘ oder ‚Strauß‘. Mehr noch: die Prototypentheorie betont, dass die Frage, ob ein neues Element X unter die Kategorie K gezählt wird, ganz wesentlich von der Ähnlichkeit abhängt, die X mit den prototypischen Beispielen von K hat. Ein unbekannter Vogel wird demnach eher als Vogel erkannt, wenn er dem ‚Spatz‘ ähnelt, als wenn er dem ‚Pinguin‘ ähnelt. Wie Rosch und später George Lakoff betonen, sind Prototypen diejenigen Elemente einer Kategorie, die leicht zu memorieren und leicht als ein Element dieser Kategorie zu identifizieren sind. Mehr noch: Prototypen strukturieren die gesamte Kategorie; sie beeinflussen die Produktion neuer Beispiele, generieren eine Asymmetrie in der Bewertung42 von Ähnlichkeit und ebenso eine Asymmetrie in Bezug auf Fragen der Generalisierung43 und folgen den Effekten der Familienähnlichkeit.44 40 Lynch 1960. S. 41. 41 Vgl. Rosch 1978. 42 „Less representative examples are often considered to be more similar to more representative examples than the converse. Not surprisingly, Americans consider the United States to be a highly representative example of a country. […] Subjects considered Mexico to be more similar to the United States than the United States is to Mexico“ (Lakoff 1987. S. 41.). 43 „New Information about a representative category member is more likely to be generalized to nonrepresentative members than the revers“ (Lakoff 1987. S. 42.). 44 „Characterizing ‚family resemblances‘ as perceived similarities between representative and nonrepresentative members of a category, Rosch showed that there was a correlation between family resemblance and numerical ratings of best examples derived from the above experiments“ (Lakoff 1987. S. 42.).

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Die Prototypentheorie betont letztlich die erkenntnistheoretische Bedeutung von Standardbeispielen. Das Standardbeispiel (gr. paradeigma) wird zum Prototypen der gesamten Kategorie und steuert damit weite Teile des Verständnisses dieser Kategorie. Demnach stellt ein Paradigmenwechsel in erster Linie auch einen Wechsel der Standardbeispiele (also der Prototypen) dar, so dass durch diesen Wechsel letztlich die Auffassung und das Verständnis der Kategorie transformiert werden.45 Beispiele (lat. exempla) exemplifizieren46 im Sinne Goodmans die Vorstellungen, die mit einer Kategorie verbunden sind und verbunden werden sollen. In dieser Weise exemplifizieren die Konzentrationspunkte die zugeschriebenen Eigenschaften eines Bereiches, da diese Konzentrationspunkte die exemplifizierten Eigenschaften ‚haben‘ und ‚auf diese Bezug nehmen‘. ‚Haben‘ und ‚Bezugnahme‘ sind die Voraussetzungen – im Sinne Goodmans – für eine Exemplifikation. Die hier erwähnte ‚Bezugnahme‘ erfolgt freilich nicht autonom von den Gegenständen. Gegenstände nehmen nicht selbständig auf etwas Bezug, sondern werden – aktiv, handelnd – in Bezug gesetzt. Damit ist die Bezugnahme ein wesentlicher Baustein der Rhetorik, denn es ist nach dem Gesagten offensichtlich, dass Charakterzuschreibungen, die aus der Bezugnahme resultieren, wenn auch nicht vollständig steuerbar, so doch in weiten Teilen beeinflussbar sind. Kurz: Um die Charakterzuschreibungen bezüglich eines bestimmten Bereichs zu beeinflussen, ergibt sich als wesentliche rhetorische Strategie die Kreation eines Konzentrationspunktes, an dem die gewünschten Charakterzuschreibungen erfolgen, und der dann als – wie Lynch sagt – Symbol des Bereiches überzeugend deklariert wird. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein bedeutungsverändernder Angriff auf die Wahrzeichen eines Bereiches (oder einer ganzen Stadt) eben immer auch ein Angriff auf die Wirkung dieses Bereiches darstellt.47 Als klares (literarisches) Beispiel für einen solchen Prozess kann die Schilderung des Marktplatzes und seiner Transformation in Schillers Wilhelm Tell gelten: Als der Reichsvogt beschließt, die Treue und Untertänigkeit der Bewohner von Altdorf zu prüfen, stellt dieser auf dem zentralen Platz eine mit einem Hut bekrönte Stange auf. „Dem Hut soll gleiche Ehre 45 Burke macht dies durch den Begriff der repräsentativen, bzw. informativen Anekdote deutlich. Er schreibt hierzu: „The informative anecdote, we could say, contains in nuce the terminological structure that is evolved in conformity with it. Such a terminology is a ‘conclusion’ that follows from the selection of a given anecdote. Thus the anecdote is in a sense a summation, containing implicitly what the system that is developed from it contains explicitly. Once we have set seriously to work developing a systematic terminology out of our anecdote, another kind of summation looms up. We might call it the ‘paradigm’ or ‘prototype’“ (Burke 1969b. S. 60f.) 46 Zum Begriff der Exemplifikation: vgl. Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt am Main 1995. 47 Ohne hier auf dieses stark politisierte Thema näher eingehen zu wollen, denke man etwa an die Anschläge auf das World-Trade-Center am 9.11.2001.

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wie ihm [dem Vogt] selbst geschehen. Man soll ihn mit gebognem Knie und mit entblößtem Haupt verehren“48. Die handlungsleitende Dimension der Veränderung des gesamten Platzes (von einem Platz des Handels und des Austausches zu einem Platz der Demut und Demütigung) ist in dieser Anweisung mehr als deutlich und Tell bringt die Pflicht zu gehorchen, entgegen dem Unbehagen der Bewohner, wie folgt auf den Punkt: „Die einz’ge Tat ist jetzt Geduld und Schweigen.“49 Das hier entfaltete Verständnis des Verhältnisses von Konzentrationspunkt (core) und Bereich (district) bei Lynch zeigt deutlich, dass Lynch mit diesem Verhältnis die Metapher des Labyrinths – wie sie oben eingeführt wurde – bereits verlassen hat. Die Charakterzuschreibungen gegenüber Konzentrationspunkten und Bereichen fallen weniger in den Bereich der Orientierung der Bewegungsabläufe durch das Labyrinth, sondern mehr in den Bereich der Orientierung in Sinnagglomerationen und damit in den Bereich, der im Fortgang der Arbeit mit der Metapher der Collage untersucht werden soll. Die Charakterzuschreibungen, die anhand von cores auf districts übertragen werden, sind eben ein wesentlicher Baustein des place-makings.

3. C ITY F ORM An dem Verhältnis von Konzentrationspunkt und Bereich wird beispielhaft klar, dass die Unterscheidung der Metaphern Labyrinth und Collage keineswegs als eine disjunkte Unterscheidung verstanden werden kann, die Lynchs Auffassung des Orientierungsproblems klar von der Auffassung des Orientierungsproblems in place-making-Prozessen trennt. Vielmehr zeigt sich an Lynchs Arbeit eben auch, dass dieser – wenngleich die Labyrinthmetapher für ihn als tragend angenommen werden kann – durchaus gesehen hat, wie wichtig für Orientierungsprozesse auch der sich-orientierende Umgang mit Sinnagglomerationen ist. ‚Imageability‘, was für Lynch gleichbedeutend ist mit ‚legibility‘50, verweist auf ein gelungenes Zusammenspiel der für Lynch drei wesentlichen Komponenten eines Stadtbildes: Identität, Struktur und eben auch Bedeutung.

48 Schiller, Friedrich: Wilhelm Tell. Stuttgart 2000. 1.3. V. 396-398. 49 Ebd. V. 420. 50 Vgl. dazu: Seifert 2011. Dort heißt es: „Dagegen wird der hohe Wert, den Lynch den physischen Gestaltqualitäten der Stadt, ihrer Erfassung und Untersuchung beimaß, bereits auf der begrifflichen Ebene anhand des Neologismus der imageability deutlich, den er zur Charakterisierung, Unterscheidung und Bewertung stadträumlicher Strukturen einführte. In ‚The Image of the City‘ findet dieser Neologismus weitgehend synonyme Verwendung mit dem Begriff der legibility – der Ablesbarkeit distinkter Formen innerhalb räumlicher Arrangements“ (ebd. S. 34.).

134 | R HETORIK DER STADT „A workable image requires first the identification of an object, which implies its distinction from other things, its recognition as a separable entity. This is called identity, not in the sense of equality with something else, but with the meaning of individuality or oneness. Second, the image must include the spatial or pattern relation of the object to the observer and to other objects. Finally, this object must have some meaning for the observer, whether practical or emotional. Meaning is also a relation, but quite a different one from spatial or pattern relation.“51

Obgleich sich Lynch also durchaus darüber im Klaren ist, dass Orientierungsprozesse sich nicht unabhängig von Bedeutungsfragen verstehen lassen, muss dennoch festgehalten werden, dass er in The Image of the City den Fokus seiner Arbeit eben nicht auf die Fragen der Bedeutungsgenerierung und Bedeutungsübertragung legt, sondern deutlich von den Konzepten Struktur und Identität her denkt. Besonders deutlich wird dies in seinem rationalistisch anmutenden Kapitel The City Form, das im Weitern kurz zu besprechen ist. René Descartes schildert in der Einleitung seines Diskurses über die Methode das erkenntnistheoretische Problem, zu klaren und deutlichen Vorstellungen über die Wirklichkeit zu kommen metaphorisch anhand einer Beschreibung der Gestalt einer Stadt. Diese Herangehensweise weist in gewissen Punkten eine frappierende Ähnlichkeit zu Lynchs Betonung der imageability auf, die selbiger – von Seiten der Gestaltung her – vor allem als ein Problem des Erzeugens distinkter – also klarer und deutlicher – Vorstellungen versteht. Descartes schreibt: „So kann man beobachten, dass Bauten, die ein Architekt allein unternommen und ausgeführt hat, für gewöhnlich schöner und harmonischer sind als solche, die mehrere versucht haben umzuarbeiten, indem sie alte, zu anderen Zwecken gebaute Mauern benutzten. Ebenso sind jene alten Städte, die – anfänglich nur Burgflecken – erst im Laufe der Zeit zu Großstädten geworden sind, verglichen mit jenen regelmäßigen Plätzen, die ein Ingenieur nach freiem Entwurf auf einer Ebene absteckt, für gewöhnlich ganz unproportioniert; zwar findet man oft ihre Häuser – betrachtet man jedes für sich – ebenso kunstvoll oder gar kunstvoller als in anderen Städten, - wenn man jedoch sieht, wie sie nebeneinanderstehen, hier ein großes, dort ein kleines, und wie sie die Straßen krumm und uneben machen, so muss man sagen, dass sie eher der Zufall so verteilt hat und nicht die Absicht vernünftiger Menschen.“52

Beide, Descartes und Lynch, beklagen – aus unterschiedlichen Gründen – das Fehlen klarer und deutlicher Vorstellungen über die Struktur des Stadtraums. Auch wenn

51 Lynch 1960. S. 8. 52 Descartes, René: Von der Methode. Hamburg 1960. S. 9f.

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Lynch dieses Fehlen im Grunde nicht auf das Fehlen eines einheitsstiftenden Architekten oder Stadtplaners als Demiurgen zurückführt, mag das folgende Zitat dennoch die starke Parallele zu Descartes deutlich machen: „Most objects which we are accustomed to call beautiful, such as a painting or a tree, are singlepurpose things, in which, through long development or the impress of one will, there is an intimate, visible linkage from fine detail to total structure. A city is a multi-purpose, shifting organization, a tent for many functions, raised by many hands and with relative speed. Complete specialization, final meshing, is improbable and undesirable. The form must be somewhat noncommittal, plastic to the purposes and perceptions of its citizens.“53

Der ungarisch-schweizerische Architekturtheoretiker Ákos Moravánszky bemerkt in diesem Sinne: „Für Lynch ist das Ziel die geordnete Stadt, die – vergleichbar mit dem Ideal des ‚sinnvollen Ortes‘ von Norberg-Schulz – eine klare Orientierung durch eindeutige Grenzen (wo das Stadtgebiet endet oder bricht), durch Knotenpunkte, Denkmäler und Bezirke ermöglicht. Dieser well-formed place bedeutet ein positives Verhältnis zwischen kognitiver Struktur des Bewohners und der ‚bewohnten‘ Umgebung, was das Erkennen, die Erinnerung, die Navigation in der Stadt ermöglicht.“54

Bemerkenswert an diesem Zitat ist auch, dass Moravánszky Lynch in die Nähe phänomenologischer Arbeiten – wie die Christian Norberg-Schulz’ – rückt. Dies sollte aber nicht über die essentiellen Unterschiede (die im nächsten Kapitel klarer werden sollten) in den Arbeiten Lynchs verglichen mit phänomenologischen Herangehensweisen hinwegtäuschen. Im Sinne dieser ‚well-formed city‘ arbeitet Lynch zehn Kategorien für die gestalterische Umsetzung aus, wobei bezeichnend ist, dass die Anlage dieser Kategorien deutlich die Fragen der Bedeutungsgenerierung (die zehnte Kategorie) aus den Wahrnehmungsqualitäten ausklammert. Oder anders: Lynch stellt neun von zehn Kategorien als reine Qualitäten der Wahrnehmung dar, ohne zu fragen, ob diese Qualitäten nicht selbst das Ergebnis von Zuschreibungspraktiken sein könnten und ob diese Zuschreibungspraktiken sich nicht (rhetorisch) in irgendeiner Weise beeinflussen ließen. Wie sich in dieser abschließenden Betrachtung Lynchs zeigen wird, versteht Lynch den urbanen Raum – durch die Betonung von Identität und Struktur – in erster Linie als einen physischen Raum, der lediglich im Nachgang auch Bedeutungsdimensionen umfasst. Diese Sichtweise verstellt jedoch weitenteils den Blick auf die Möglichkeiten, Einfluss auf die Generierung eines Stadtbildes zu nehmen, denn wenn der urbane Raum in erster Linie ein physischer Raum ist und die 53 Lynch 1960. S. 91. 54 Zit nach: Seifert 2011. S. 166.

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Gestaltungsmöglichkeiten desselben daher auch vorrangig durch Manipulationen der sichtbaren Wahrnehmungsqualitäten bestimmt und begrenzt sind, dann bleiben die – im wesentlichen rhetorischen – Dimensionen etwa durch Stadtmarketing, place-making oder Benennung zu großen Teilen unterbelichtet. Es war daher ein Anliegen der bis hierher erfolgten Auseinandersetzung mit Lynch, den Blick auf die durch seine Analyse verdeckten rhetorischen Dimensionen der Identifikation auch und besonders im vermeintlich rein physisch bestimmten Stadtbild ein Stück weit frei zu machen. Denn wenn Lynch schreibt, „[a]bove all, if the environment is visibly organized and sharply identified, then the citizen can inform it with his own meanings and connections. Then it will become a true place.“55, so spricht er zwar den wesentlichen Punkt der Rhetorik an (die Einladung des Publikums zur Identifikation), bindet diesen aber an ein letztlich obskures Diktum der Distinktheit. Dabei ist die klare (oder weniger klare) Grenzziehung zwischen einzelnen urbanen Phänomenen doch eben bereits Teil dessen, was Lynch mit ‚inform it with his own meaning and connections‘ bezeichnet und geht diesem nicht autonom voran. Dies meint nichts anderes, als die obigen Wenn-Dann-Formulierung umgedreht zu verstehen – also nicht: wenn die Umgebung scharfe, visuell wahrnehmbare Grenzziehungen aufweist, dann kann der Bewohner diese mit seinen Bedeutungen füllen und sich daher mit ihr identifizieren –, sondern eher die notwendige und die hinreichende Bedingung vertauschend: Wenn der Bewohner sich mit seiner Umgebung identifizieren kann und diese mit Bedeutung gefüllt hat, so wird er (fast) automatisch anfangen, seine sichtbare Umgebung mit (mehr oder weniger) scharfen Grenzen auszustatten. Dies bedeutet nun keineswegs eine vollkommene Autonomie im bedeutungsgenierenden Umgang mit den manifesten urbanen Formen, sondern lediglich, dass die visuell wahrnehmbaren Grenzen im urbanen Raum, vor diesem Hintergrund, eben nicht schon Garanten rhetorisch erfolgreicher Identifikationsprozesse sind, sondern vorerst allenfalls das Ergebnis eines rhetorischen Beeinflussungswillens auf Seiten des Planungskomitees. Dass aber Grenzen nicht als Grenzen wahrgenommen und selbst wenn sie als solche wahrgenommen werden, nicht als solche gehandhabt werden müssen, zeigte bereits die obige Auseinandersetzung mit Grenzen (edges) als Elementen des Stadtbildes. Die zehn Merkmale eines well-formed place sind für Lynch: Einmaligkeit, Klarheit der Form, Kontinuität, Dominanz, Klarheit der Verbindungsglieder, Richtungsdifferenzierung, Umfang des Sichtbereiches, Bewegungsbewusstsein, zeitliche Reihenfolge sowie Namen und Bedeutung. Diese gilt es im Weiteren kurz zu besprechen und ihre mögliche rhetorische Bedeutung herauszustellen. Weil eine Stadt (für Lynch) aus der Bewegung heraus empfunden wird („a city is sensed in motion“56), was bereits mit den obigen Erläuterungen zur Labyrinthmetapher betont wurde, spie-

55 Lynch 1960. S. 92. 56 Ebd. S. 107.

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len diese Merkmale in Fragen ihres Bezuges zur rhetorischen Dimension in Orientierungsprozessen auch vor allem im Hinblick auf die Stadt als Labyrinth eine Rolle. Es geht dabei stets um die Frage: Welche Merkmale sollte die Gestaltung urbaner Elemente aufweisen, damit sich der Reisende schnell ein ihn sicher leitendes image der Stadt machen kann? Auch wenn diese Frage in dieser Form noch keine Frage der Rhetorik (wohl aber des Designs) ist, so wird daraus doch schnell auch eine rhetorisch bedeutsame Frage, wenn die Merkmale zur Generierung leitender images der Stadt dazu eingesetzt werden, bestimmte images zu evozieren und anderen vorzuziehen. Denn dann werden dem Reisenden in der Wahl seiner Routen und Orientierungsmuster Präferenzen gegenüber anderen Alternativen nahegelegt (und was rhetorisch nicht selten ist: oftmals, ohne die Alternativen überhaupt zu benennen). Rhetorisch bedeutsam sind diese Merkmale aber auch in der Hinsicht, die bereits oben in der Auseinandersetzung mit den Elementen des Stadtbildes tragend war, nämlich, dass diese Merkmale nicht einfach bloß Produkte gestalterischen Eingreifens in den Stadtraum darstellen, sondern stets Merkmale sind, die als solche erkannt und anerkannt werden müssen. Sie bedürfen der rhetorischen Inszenierung und sind nicht als bloß Gegebenes vorauszusetzen. Daher wird die Frage auch sein: Inwieweit und durch welche Mittel lassen sich diese Merkmale rhetorisch so inszenieren, dass der Reisende sie – wenigstens potentiell – erkennt und anerkennt? Dabei entspricht die Unterscheidung von erkennen und anerkennen der in Kapitel II vorgenommenen Unterscheidung von semantischer und pragmatischer Identifikation. Dass diese Merkmale bereits eingebunden sind in einen rhetorisch verstanden Prozess der Orientierung durch das Labyrinth der Stadt wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass Lynch die zehn Merkmale eines well-formed-place bereits als eine Antwort auf folgende Frage versteht: Durch welche Mittel lassen sich die Ausrichtungen und Orientierungen der Bewegungsabläufe innerhalb einer Stadt regulieren? Damit werden die Merkmale des well-formed-place zu rhetorischen Mitteln der Stadtgestaltung vergleichbar rhetorischer Figuren in Erkenntnisfunktion.57 Zudem sind sie, so wie sie von Lynch konzipiert sind, Figuren im Dienste der rhetorischen Tugenden claritas und perspicuitas. 3.1 Einmaligkeit Die Funktion der Singularität wurde bereits in Bezug auf Merkzeichen (landmarks) herausgestellt und von diesen scheint Lynch auch auszugehen, wenn er die Einmaligkeit als „figure-background clarity“58 beschreibt, als den ein Ding als Einzelding besonders herausstellenden Kontrast zu seiner Umgebung. Diese Einmaligkeit lässt sich dann durch verschiedene Mittel erreichen: 57 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel IV. 58 Lynch 1960. S. 105.

138 | R HETORIK DER STADT „sharpness of boundary (as an abrupt cessation of city development); closure (as an enclosed square); contrast od surface, form, intensity, complexity, size, use, spatial location (as a single tower, a rich decoration, a glaring sign). […] These are the qualities that identify an element, make it remarkable, noticeable, vivid, recognizable.“ 59

Lynch benennt in diesem Zitat selbst mögliche Mittel zur Generierung erkennbarer Singularität. Insofern Singularität auf der Möglichkeit zur Figur-Grund-Differenzierung beruht, sind die Mittel zur Erzeugung erkennbarer Singularität allesamt Mittel zur Schärfung bestimmter Kontraste; seien es Kontraste der Oberfläche, Materialien oder Form oder eben Kontraste in der Verwendungsweise und Nutzung der Gebäude oder ihrer räumlichen Anordnung. 3.2 Klarheit und Einfachheit der Form Hierunter versteht Lynch die Klarheit und Einfachheit in einem „geometraical sense“60 als „limitation of parts (als the clarity of a grid system, a rectangle, a dome).“61 Diese relativ einfachen geometrischen Formen sind leichter memorierbar und können daher die imageability erhöhen. Der Reisende, der sich ein Bild der Stadt macht, wird – wie Lynch betont – auch häufig versuchen, komplexere geometrische Formen auf einfachere zu reduzieren. Von der Klarheit der Form kann aber auch dann gesprochen werden, wenn die Muster nicht bloß einfachen geometrischen Grundformen entsprechen, sondern beispielsweise schematisierten Naturformen. Bezirke etwa, die baum- oder vogelartig aufgebaut sind, erhöhen ebenso die Möglichkeit, sich von diesen ein klares und einprägsames Image zu machen. Ein Beispiel: Brasilia sieht aus der Luft aus wie ein Flugzeug, Jena-Zwätzen sieht aus wie ein Adler (interessant ist daran auch, dass es ein Adler sein soll und nicht einfach irgendein Vogel). Man kann in solchen Bezirken/Städten dann eben auch in einem ‚Flügel‘, im ‚Rumpf‘ oder im ‚Kopf‘ wohnen, beziehungsweise sich befinden. Zugleich wird – gerade bei Brasilia – der Fortschrittsglaube in der urbanen Form manifest. Auch wenn diese Formen nur aus der Vogelperspektive sichtbar werden und nicht direkt von der Bodenperspektive, so sind sie durch Karten, Fotos, Erzählungen und vieles mehr doch oftmals hinlänglich bekannt und können zu Orientierungszwecken brauchbare Informationen liefern.

59 Ebd. 60 Ebd. 61 Ebd.

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3.3 Kontinuität Kontinuität wird für den Reisenden dann sicht- und erkennbar, wenn Kanten- oder Oberflächenlinien als durchlaufend empfunden werden, wenn sich quasi eine gedachte Linie einem Band vergleichbar durch das urbane Geflecht zu ziehen scheint. Damit wird Kontinuität zum Ariadnefaden im Labyrinth und erleichtert als solcher die Wahrnehmung einer ‚komplexen Realität‘62 und verleiht einer ‚vielschichtigen Erscheinung eine einzige Identität‘63. Kontinuität ist in dieser Weise das Grundmerkmal eines Weges, der auch als ein einziger, durchgehender Weg empfunden wird. 3.4 Dominanz Dieses Merkmal bezeichnet die „dominance of one part over others by means of size, intensity, or interest, resulting in the reading of the whole as a principle feature with an associated cluster“.64 Hierdurch ergibt sich für den Reisenden abermals die Möglichkeit zur Komplexitätsreduktion, insofern allein der als dominant wahrgenommene Teil memoriert werden muss und dessen Nebenteile als vom Hauptteil ableitbar verstanden werden. Dominanz ist damit ein Mittel zur unterschiedlichen Gewichtung des Raumes, bei dem es – anders als beim Merkmal der Einmaligkeit – weniger darum geht, ein Einzelobjekt aus einer Menge von Objekten herauszuheben, als darum, eine Menge von Objekten von einem Einzelobjekt her verstehen zu lassen. Während die Relation bei der Generierung singulär wirkender Objekte zwischen dem Einzelobjekt und den umstehenden anderen Objekten die Negation ist (der Turm ist hoch und die umstehenden Objekte sind nicht hoch), ist die Relation bei der Generierung dominanter Objekte eher bestimmt durch die wahrgenommene Intensität der Formeigenschaften, die sich in gewissem Maße ‚von der Mitte her mitteilt‘65. 3.5 Klarheit der Verbindungsglieder Zur Verbesserung des Nachvollzuges – und darum geht es schließlich bei der Schaffung eines möglichst klaren images – ist es bedeutsam, die entscheidenden Umbruchstellen auch als solche deutlich zu machen. Thematische Wechsel sind in der Rede ebenso anzuzeigen, wie die „joints and seams“66 (beispielsweise wichtige Straßenkreuzungen) im Stadtraum. Anders aber als in der Rede, in der die Verbindungsglieder zwar deutlich gemacht und der Themenwechsel angezeigt werden sollte, aber die 62 Vgl. Ebd. S. 106. 63 Vgl. Ebd. 64 Ebd. 65 Vgl. Ebd. 66 Ebd.

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Verbindungsstellen zumeist nicht die Punkte erhöhter Aufmerksamkeit sein müssen, sind die Verbindungsglieder im urbanen Verkehr letztlich die Punkte der Entscheidung. Hier entscheidet sich, ob der bisherige Weg zielführend war, ob Etappenziele erreicht sind, und hier wird entschieden, welcher Weg nun weiter eingeschlagen wird. Suchte man hierfür eine Parallele in der Rederhetorik, so böte es sich an, Verbindungsglieder als Zwischenkonklusionen zu verstehen. Es sind dies die entscheidenden Punkte in einer Argumentationskette, anhand derer die gesamte Argumentation verstanden und nachgezeichnet werden könnte. Werden die urbanen Verbindungsglieder in dieser – freilich nur metaphorischen – Weise als Zwischenkonklusionen verstanden, so erhellt sich, warum Lynch die Klarheit der Darstellung dieser Verbindungsglieder zu den wesentlichen Mitteln der Generierung eines klaren Stadtbildes zählt. 3.6 Richtungsdifferenzierung „Observers seem to endow a path with a sense of pointing or irreversible direction, and to identify a street with the destination toward which it goes.“67 Wege, die eine Richtungsdifferenzierung aufweisen, sind dann solche, bei denen der erlebte Reiseweg in die eine Richtung unterschieden vom erlebten Reiseweg in die andere Richtung wahrgenommen wird. Auf diese Weise ist es möglich, schon während man einem Weg folgt, seine Richtigkeit zu prüfen. Die Mittel zur Steigerung einer Richtungsdifferenzierung sind nach Lynch vor allem Asymmetrien: Steigungen, die ein ‚Bergauf‘ von einem ‚Bergab‘ unterscheiden; Kurven, die ein ‚Linksherum‘ von einem ‚Rechtsherum‘ unterscheiden; oder auch Asymmetrien in der rechten und linken Straßenfront, die beispielsweise ein ‚Rechts-vom-Park‘ von einem ‚Links-vom-Park‘ unterscheiden. In diesen beispielhaften Ausdrücken wird deutlich, dass eine hohe Richtungsdifferenz den Reiseweg auch leichter kommunizierbar macht. Eine Straße mit deutlicher Richtungsdifferenzierung kann eben auch deutlicher beschrieben werden, wenn man beispielsweise nach dem Weg gefragt wird. 3.7 Umfang des Sichtbereichs Was Lynch mit dieser Eigenschaft benennt, sind letztlich Gestaltungsmerkmale, die das Erfassen eines weiträumigen und in sich verwobenen Ganzen erleichtern sollen.68 Dieses Erfassen eines Ganzen meint allerdings zuerst, aus einer Mannigfaltigkeit verschiedener Stimuli überhaupt so etwas wie ein Ganzes zu konstruieren, also aufgrund

67 Ebd. S. 96f. 68 Vgl. Ebd. S. 106.

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von übergreifenden Gestaltungsmerkmalen divergente Raumelemente zusammenzufassen und so die Vorstellung vom Raum zu festigen. Zu diesen Gestaltungselementen zählt Lynch unter anderem: „transparencies (as with glass or buildings on stilts); overlaps (as when structures appear behind others); vistas and panoramas which increase the depth of vision (as on axial streets, broad open spaces, high views); articulating elements (foci, measuring rods, penetrating objects) which visually explain a space; concavity (as of a background hill or curving street) which exposes farther objects to view; clues which speak of an element otherwise invisible (as the sight of activity which is characteristic of a region to come, or the use of characteristic detail to hint at the proximity of another element).“69

3.8 Bewegungsbewusstsein Mit Bewegungsbewusstsein meint Lynch eine Gestaltung von Elementen, die eine tatsächliche oder mögliche Bewegung fühlbar machen.70 In dieser Weise werden Steigungen oder Kurven für das Einprägen des Stadtbildes bedeutsam, weil diese es erlauben, ein bestimmtes Gefühl der Bewegung zu memorieren. Insofern innerhalb dieses Bewegungsbewusstseins auch Informationen vermittelt werden, die Rückschlüsse auf Richtungen und Richtungsänderungen zulassen, spielt dieses Gestaltungsmerkmal mit dem Merkmal der Richtungsdifferenzierung zusammen. „These qualities reinforce and develop what an observer can do interpret direction and distance, and to sense form in motion itself.“71 3.9 Zeitliche Reihenfolge Da Lynch, wie bereits erwähnt, die Stadt vor allem als Ort der Bewegung sieht, stehen für ihn die sichtbaren Elemente der Stadt auch in einer zeitlich linearen Reihenfolge. Die einfachste Form der zeitlichen Reihenfolge wäre schon durch das gegeben, was Lynch als die einfachste Ordnungsstruktur beschreibt: „simple item-by-item linkages, where one element is simply knitted to the two elements before and behind it.“72 Der Gedanke der Sukzession führt Lynch in einer knappen Anmerkung weiter zu komplexeren Abfolgen, deren Pendant er in der Komposition von Tönen in der Musik sieht. Was an einer solchen musikalisch-kompositorisch gedachten Weiterführung der Bewegungsabläufe im Sinne der Rhetorik reizvoll wäre – was Lynch allerdings nicht ausführt und was auch hier nicht erbracht werden kann –, ist die Möglichkeit 69 Ebd. S. 106f. 70 Vgl. Ebd. S. 107. 71 Ebd. 72 Ebd.

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der Übertragung musikalischer Figuren auf die Gestaltung von Straßenzügen. Durch diese Mittel ließe sich der Stadtraum zusätzlich an bestimmen Punkten verdichten, an anderen beruhigen und so zusätzlich dramatisieren. 3.10 Namen und Bedeutung Als letzte Eigenschaft verweist Lynch auf die Möglichkeit, durch verbale Mittel wie der Benennung von Orten die Vorstellung vom Stadtraum zu steuern. Obgleich – wie Lynch bemerkt – Namen wichtig zur Identitätskonzentration73 sind und damit einen deutlichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Stadt haben können, gehört dieser Aspekt nicht in den Bereich, der Lynch in seinem Buch primär interessiert: „Meanings and associations, whether social, historical, functional, economic, or individual, constitute an entire realm lying beyond the physical qualities we deal with here.“74 Daher fällt seine Auseinandersetzung mit diesen und weiteren Aspekten auch nur sehr kurz aus. Da diese Aspekte aber für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung sind, soll darauf im folgenden Kapitel zum Thema place-making eingegangen werden.

73 Vgl. Ebd. S. 108. Lynch spricht dort von „crystallizing identity“. 74 Ebd.

V. Place-Making – Die Stadt als rhetorischer Raum

1. E INFÜHRUNG

IN DAS

K APITEL

Mit der Metapher des Labyrinths haben wir die Stadt vor allem als einen Ort der Bewegung charakterisiert, die uns mit der Frage ‚Wohin‘ vor Orientierungsprobleme stellt. In diesem Unterkapitel soll mit der Metapher der Collage eine zweite Dimension urbaner Orientierungsprobleme rhetorisch beleuchtet werden, die eher um die Frage des ‚Worin‘ kreisen. Die Stadt ist unter dieser Fragestellung eben nicht nur ein Ort der Bewegung, sondern auch ein Ort des Bleibens, Verharrens, des Wohnens und sich Verortens. Zu diesem Zweck sollen zwei Bedeutungen des ‚Sich-Verortens‘ unterschieden werden: Wer sich, etwa bei der Benutzung einer Karte, orientieren will, muss sich hierzu auf dieser verorten können. Das heißt, er muss seine räumlich-geographische Lage in der Karte anzeigen können, um von hier aus seine Orientierung im Raum vornehmen zu können. Um diese räumliche-geographische Lagebestimmung vornehmen zu können, spielen sichtbare Zeichen eine entscheidende Rolle, denn die Verortung auf der Karte kann nur erfolgen, wenn Zeichen der direkt sichtbaren urbanen Umgebung mit Zeichen der Karte identifiziert werden und somit Standortbestimmung und Ausrichtung erfolgen kann. Die Erfolgskriterien ebenso wie die konkrete Vorgehensweise einer solchen Zuordnung von direkt sichtbaren Objekten zu Zeichen auf der Karte hängen in erster Linie von der Qualität der Karte ab. Die urbanen Bedingungen sind eben nur dann relevant, wenn sie auch auf der Karte repräsentiert werden und sie sind nur in der Weise relevant, in der sie zur Standortbestimmung infolge der Repräsentationsweise auf der Karte dienen; kurz: Die Bedeutung der urbanen Umgebung wird vor allem funktional bestimmt (die urbane Umgebung hat die Funktion, sichtbar und auffallend zu sein) und in dieser Funktion wird sie durch die Darstellungsweise der Karte bestimmt (funktional ist nur, was auch auf der Karte verzeichnet ist). Neben der räumlich-geographischen Lagebestimmung erfolgt Verortung aber auch in der Lebenspraxis, die in Form einer Aneignungspraxis den bebauten Raum mit Bedeutungen füllt und damit schließlich auch beherrschbar macht. Diesen Aspekt

144 | R HETORIK DER STADT

der Verortung hebt vor allem die phänomenologische Humangeographie in ihrer Unterscheidung von place und space hervor, die es im Weiteren nachzuzeichnen gilt. Tim Cresswell betont in seiner Auseinandersetzung mit dem Grundlagentext Space and place Yi-Fu Tuans den philosophischen Hintergrund dieses Zweiges der Humangeographie wie folgt: „The ideas that became most central to the humanistic endeavour were phenomenology and existentialism. These philosophies, put very simply, insisted that people had the burden of making their own meaning in the world through their own actions.“1 Vor dem Hintergrund einer durch den Menschen in seinem täglichen Vollzug zu generierenden Bedeutungszuschreibung wird Verortung in dem Maße gewährleistet, wie es den handelnden, urteilenden und fühlenden Menschen möglich ist, tatsächlich Orte (places) zu kreieren. „Its message [Tuans ‚Space and place‘] is, for the most part, a positive one which asks us as geographers to be more aware of the ways in which we inhabit and experience the world – to increase, as Tuan puts it in the final line of the book, our ‘burden of awareness’. Central to this awareness is the concept of place. The humanistic conception of place describes a way of relating to the world.“2

Die lebensweltliche Funktion von places als Bindeglied zwischen dem Subjekt und seiner Umwelt wird im Sinne dieser humangeographischen Forschungsrichtung mit einem Terminus Martin Heideggers treffend als eine Form des In-der-Welt-Seins bestimmt. Ohne an dieser Stelle in das komplexe Werk Heideggers eintauchen zu wollen, sei hier lediglich angemerkt, dass Heideggers In-der-Welt-Sein ein Ausdruck für die Verschmelzung von ‚Dasein‘ und ‚Welt‘ bedeutet. „Denn das Da [von Dasein] verbindet einerseits eine räumliche Situierung des Daseins in der Welt, das Heidegger zugleich als existenziale Bestimmung, als In-der-Welt-sein versteht, und andererseits die Faktizität des Daseins in seiner Existenz, hinter die nicht mehr zurückgegangen werden kann. Durch die Vermischung einer räumlichen und einer systematischen Bestimmung können beide Momente als wechselseitige Interpretationen verstanden werden.“3

Für Heidegger folgt aus seiner Analyse des Daseins als ein In-der-Welt-sein: „Die Welt ist nicht das Andere des Subjekts als Objekt, sondern Welt gehört konstitutiv mit zum Da-sein des Daseins.“4 In den Worten Heideggers: „Die Klärung des In-der1

Cresswell, Tim: Space and place (1977). Yi-Fu Tuan. In: Key Texts in Human Geography. Hrsg. von Phil Hubbard, Rob Kitchin und Gill Valentine. London 2008. S. 53-59. Hier: S. 54.

2

Ebd.

3

Jahraus, Oliver: Martin Heidegger. Eine Einführung. Stuttgart 2004. S. 109f.

4

Ebd. S. 120.

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ALS RHETORISCHER

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Welt-seins zeigte, dass nicht zunächst ‚ist‘ und auch nie gegeben ist ein bloßes Subjekt ohne Welt.“5 Der Kerngedanke des place-making-Konzeptes nimmt in diesem Verständnis letztlich seinen Ausgangspunkt. Wenn es kein Subjekt ohne Welt gibt und damit die Welt bereits zum existentiellen Grund des Subjektes gehört, zugleich aber die Welt sich dem Subjekt nur durch dessen handelnden, urteilenden und fühlenden Umgang mit dieser in einer bestimmten Weise zeigt, dann wird die Frage relevant: Wie erfahren Menschen ihre Umwelt und wie lässt sich durch Gestaltung der Umwelt diese Erfahrung beeinflussen? Genau diese Frage ist letztlich die Frage der Designrhetorik. In diesem Unterkapitel soll diese Frage gestellt und – wenigstens bezogen auf Theorien des place-makings auch – beantwortet werden. Zu diesem Zweck soll erstens der Begriff place spezifiziert und auf die Orientierungsmetapher Collage bezogen werden, zweitens soll die rhetorische Dimension des Konzeptes place offengelegt werden. Dabei wird sich zeigen, dass place nicht nur akzidentiell rhetorisch ist oder lediglich rhetorisch genutzt werden kann, sondern dass das Konzept place aufgrund seiner Verwandtschaft mit dem Konzept der motivationalen Situation ein essentiell rhetorisches Konzept ist. Ist dies gezeigt, so kann der Designfrage nachgegangen werden, ob es möglich ist, places zu gestalten. Aufgrund der rhetorischen Verfasstheit des Konzeptes, die zuvor gezeigt werden wird, wird diese Frage gleichbedeutend mit der Frage sein: Gibt es eine rhetorische techne des placemakings? Von hier aus können dann abschließend verschiedene Strategien des placemakings besprochen werden, wobei diese Designstrategien dabei stets zugleich als rhetorische Strategien zu verstehen sein werden.

2.

PLACE / SPACE UND

C OLLAGE

Was genau unter place zu verstehen ist, lässt sich kaum in Form einer Definition (als Substitutionsregel) angeben. Insbesondere kann eine solche Definition nicht angegeben werden, wenn damit das Konzept place autorenübergreifend bestimmt werden soll. Dafür sind die einzelnen Ansätze letztlich zu heterogen. Der gemeinsame Nenner vieler – vor allem der phänomenologischen – Ansätze scheint ansatzweise mit der groben Bestimmung gefunden, dass space den euklidischen, geometrischen, abstrakten Raum bezeichnet, der sich vermessen lässt und indem eine Verortung durch Angabe von Koordinaten vorgenommen werden kann. Hingegen ist place ein Ort innerhalb dieses Raums, der für seine Bewohner, Besucher oder Betrachter eine Bedeutung und einen Wert hat. Diese Werthaftigkeit ist die Grundlage für eine Identifikation mit dem Ort und die konkreten Bedeutungszuschreibungen sind die Grundlage zur Bestimmung von potentiellen Handlungsspielräumen. Place ist damit geleb-

5

Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen 1963. §25. S. 116.

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ter Raum und eine Verortung im place findet nicht durch eine Zuweisung von Koordinaten in Form einer Standortbestimmung statt, sondern durch den handelnden, urteilenden und fühlenden Umgang mit dem Ort, der als angemessen und unangemessen empfunden werden kann. Zum Verhältnis von space und place schreibt Tuan: „Place is security, space is freedom: we are attached to the one and long for the other.“6 Die beiden Konzepte (place und space) sind für Tuan voneinander nicht unabhängig, sondern – wie das Zitat impliziert – letztlich im Subjekt (seinem Handeln, Urteilen und Fühlen) miteinander wechselseitig verbunden. Tuan schreibt später: „What begins as undifferentiated space becomes place as we get to know it better and endow it with value. Architects talk about the spatial qualities of place; they can equally well speak of the locational (place) qualities of space. The ideas ‘space’ and ‘place’ require each other for definition. From the security and stability of place we are aware of the openness, freedom, and threat of space, and vice versa. Furthermore, if we think of space as that which allows movement, then place is pause; each pause in movement makes it possible for location to be transformed into place.“7

Es ist aus dem Gesagten sofort ersichtlich, dass keine urbane Gegebenheit einfach space oder place ist, sondern dass beide Konzepte Zuschreibungsmodi bezeichnen: space und place werden gemacht, es gibt sie (in einem ontologischen Sinne) nicht als solche. Aus space wird place durch die Zuschreibung von Bedeutung, also letztlich durch eine semantische Identifikation (vergleichbar der semantischen Identifikation der rhetorischen Figuren in Erkenntnisfunktion). Das heißt aber auch: eine konkrete Zuschreibung, die aus einer räumlichen Gegebenheit einen place kreiert, erzeugt diesen – zumindest vorerst – lediglich für ein bestimmtes Subjekt in einer bestimmen zeitlich fixierten Situation. Place kann im Laufe der Zeit auch schnell wieder zu space werden und muss nicht intersubjektiv geteilt werden. Tuans Beschreibung von space und place illustriert das passend: Er beschreibt space als die Bedingung von Bewegung und place als die Stelle, an der die Bewegung kurz zur Ruhe kommt. Der schweifende Blick über eine Landschaft von einer erhöhten Position aus ist ein Blick über die undifferenzierten Weiten des space, der an den Stellen places hervortreten lässt (oder zumindest lassen kann), an denen er für eine Weile haften bleibt: dann wird da eine Bergspitze, die eine gute Aussicht verspricht, ein dunkler Schatten, der bedrohlich wirkt oder eine Hütte, die Schutz verspricht, wahrgenommen. In dieser Weise gilt für Tuan: „[P]lace is whatever stable object catches our attention. As we look at a panoramic scene our eyes pause at points of interest. Each pause is time

6

Tuan 2011. S. 3.

7

Ebd. S. 6.

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enough to create an image of place that looms large momentarily in our view.“8 Dabei vollzieht sich die Generierung von places für Tuan zwar nicht notwendig an gleicher Stelle für beliebige Personen zu beliebigen Zeiten, die Generierung erfolgt in der konkreten Art und Weise also nicht mit Notwendigkeit, wohl aber ist die Frage, ob überhaupt places wahrgenommen werden für Tuan eine notwendige Folge der Sinnverwiesenheit des Menschen. In diesem Sinn ist zu verstehen, wenn Tuan sagt: „It is not possible to look at a scene in general; our eyes keep searching for points of rest.“9 Diesen Aspekt verdeutlicht Cresswell in seiner Auseinandersetzung mit der These David Harveys, die besagt, dass place ein soziales Konstrukt sei. Harvey schreibt: „Place, in whatever guise, is like space and time, a social construct. This is the baseline proposition from which I start. The only interesting question that can then be asked is: by what social process(es) is place constructed?“10 Cresswell stimmt Harvey zwar zu, dass place ein soziales Konstrukt ist und dass es freilich eine interessante Aufgabe ist, die sozialen Prozesse zu analysieren, die zur Erzeugung bestimmter places führen, bestreitet aber, dass dies die einzige interessante Frage sei. Die Konstruktion von places als ein soziales Konstrukt zu verstehen, sagt eben zu wenig über diese Konstruktionsleistung aus und kann – mehr oder minder – als trivial gelten. „All kinds of things are socially constructed – ideas about space and time, particle physics, brain surgery, toothpaste, nuclear bombs, television and fashion are all, with different degrees of obviousness, constructed within particular societies with particular, usually hierarchical, social relations.“11 Im Unterschied zu Zahnpasta oder Atombombe ist die soziale Konstruktion von places aber – wie Cresswell betont – nicht einfach nur ein Ergebnis sozialer Prozesse, sondern eine notwendige soziale 8

Ebd. S. 161. Im Sinne Tuans lässt sich auch Stegmaiers Auseinandersetzung mit der „Orientierung als Halt“ (vgl. Stegmaier 2008. S. 226-268.) lesen, insbesondere dort, wo er über die „Attraktivität der Anhaltspunkte“ (ebd. S. 241-244.) zu sprechen kommt. Dort schreibt er: „Die Aufmerksamkeit ‚bleibt hängen‘ bei dem, was sie angezogen hat, sie hält inne beim Abtasten der Situation, hält sich für gewisse Zeit mit ihm auf und kehrt, wenn die Faszination anhält, wieder dorthin zurück. In diesem Hängen-Bleiben, Sich-Aufhalten und Zurückkehren, der Kontraktion auf die Attraktion hin, stellt sich heraus, was für die Orientierung in der jeweiligen Situation von Belang ist. Lat. ‚relevare‘, von dem ‚relevant‘, ‚bedeutsam‘, ‚von Belang‘ abgeleitet ist, ist im Frz. Zu ‚se relever‘, ‚sich erheben‘, geworden und bedeutet dort nicht nur ‚sich von einem Leiden‘, sondern auch schlicht ‚sich vom Bett oder vom Boden erheben‘, und vom letzteren hat sich dann das plastische ‚Relief‘ abgeleitet: ergeben sich Anhaltspunkte von Belang, geben sie der Situation Relief, machen sie plastisch, schaffen Übersicht durch Hervorhebungen. Attraktive Anhaltspunkte konzentrieren die Aufmerksamkeit, richten sie so aus, dass von ihnen Sinn ausgeht.“ (Ebd. S. 242.)

9

Tuan 2011. S. 161.

10 Zit. Nach: Cresswell 2004. S. 29. 11 Ebd. S. 32.

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Konstruktion: Die Konstruktion von places ist also nicht nur notwendig sozial, sondern auch sozial notwendig. „It is a construction of humanity but a necessary one – one human life is impossible to conceive of without. In other words there was no ‘place’ before there was humanity but once we came into existence then place did too. […] place is a kind of ‘necessary social construction’ – something we have to construct in order to be human. This is not to say that we have to construct the Lower East Side, Kosovo or the Millennium Dome in all their particularity but that in their absence place would still exist – just different ones.“12

Die Konstruktion von places – ganz gleich welcher konkreten Art – ist für den Menschen deshalb konstitutiv, weil dieser letztlich nur in einer Umwelt leben kann, der er auf die eine oder andere Weise Bedeutung verleiht. Diese Sinnverwiesenheit des Menschen leitet hin zu einem starken Begriff des Wohnens, der oben in der Unterscheidung der Metaphern Labyrinth und Collage bereits angedeutet wurde. Es verwundert daher nicht, wenn die phänomenologische Humangeographie beim Wohnen und dem Konzept des Heims, der Heimat und des Zuhauses immer wieder ihren prototypischen Ausgangspunkt findet. In dieser Weise schreibt auch der norwegische, phänomenologisch argumentierende Architekturtheoretiker Christian NorbergSchulz: „‘Existentieller Halt‘ und ‚Wohnen‘ [bei Heidegger] sind Synonyme, und ‚Wohnen‘ in einem existentiellen Sinn ist der Zweck von Architektur. Der Mensch wohnt, wenn er seine Umgebung als sinnvoll erlebt. Wohnen bedeutet deshalb mehr als ‚Unterkunft‘. Es bedeutet, dass die Räume, in denen sich das Leben ereignet, Plätze, Orte im eigentlichen Sinn des Wortes sind. Ein Ort ist ein Raum mit einem bestimmten, eigenen Charakter.“13

Schematisch zeichnet sich also eine deutliche Differenz der Konzepte space und place ab, die letztlich Pole in einer Art Kontinuum der Bedeutung bilden. Auf der einen Seite steht mit dem Konzept des space eine Art ‚leerer‘ Raum, der entweder keine bemerkenswerten Charaktereigenschaften aufweist oder zumindest keine solchen zugesprochen bekommt oder aber in seiner Bedeutungsvielfalt sehr eingeschränkt ist. So bedeutet eine Autobahn oftmals nicht mehr als die Möglichkeit der schnellen Fortbewegung und erschöpft sich in dieser – recht einfachen – handlungsleitenden Bedeutungszuschreibung. Auf der anderen Seite steht das Konzept des place, der als eine Art ‚gefüllter‘, aber geordneter Raum erfahren wird. In diesem überlagern sich mannigfaltige Bedeutungsebenen, die den Rahmen akzeptabler 12 Ebd. S. 33. 13 Norberg-Schulz, Christian: Genius Loci. Landschaft, Lebensraum, Baukunst. Stuttgart 1982. S. 5.

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Handlungsmöglichkeiten abstecken und Erwartungsrahmen generieren (welche Formen von Ereignissen werden an diesem Ort auftreten, wer darf hier was auf welche Weise tun? etc.). Ermöglicht space, wie Tuan betont, die Bewegung im Raum und ist somit gebunden an eine erfolgreiche Orientierungsleistung im Sinne einer Orientierung im Labyrinth, so ist place der Ermöglichungsgrund des Verweilens und Wohnens und ist an eine erfolgreiche Orientierungsleistung in der Collage gebunden. Die Collage wird im Sinne dieser Arbeit also zwischen den Polen von space und place angesiedelt und stellt eine Art Proto-place dar: Zwar ist die Collage ‚gefüllter‘ Raum, allerdings noch nicht hinreichend geordnet. Es erfolgen in der Betrachtung der Collage stets miteinander in Konflikt stehende Sinnzuweisungen, so dass der collagenhafte Raum als widersprüchlich und heterogen empfunden wird. Colin Rowe und Fred Koetter beschreiben die Collage durchaus in diesem Sinne in Collage City als einen Ausdruck für das „Problem zusammengesetzter Präsenz“.14 Die Collage ist gekennzeichnet durch „[u]nvereinbare Gegenstände, die durch verschiedene Mittel zusammengehalten werden“15, die sich damit „auf das Jonglieren mit Normen und Erinnerungen“16 stützt und „sogar eine Welt der Veränderung, der Bewegung, des Handelns und der Geschichte mit Brennstoff versehen könnte.“17 Weder space noch place stellen uns vor derartige Orientierungsprobleme, vor die uns die Collage stellt, die erst zum place geordnet werden muss. Spürbar wird dieses Stadium der Raumwahrnehmung für den Einzelnen in den Momenten, wenn er einen Raum betritt, dem er zwar handlungsleitende Bedeutungsstrukturen zuspricht, diese aber miteinander in Konflikt stehen, wenn in einem Raum also nicht klar ist, welche Handlungen erwartbar sind und womöglich auch erwartet werden, wohl aber ein gewisser Handlungsdruck empfunden wird. Places sind hochgradig normative Räume, in denen wir uns allerdings hinreichend oft – da sie bereits als ganz bestimmte places

14 Rowe, Colin; Koetter, Fred: Collage City. Basel 2009. S. 202. 15 Ebd. S. 206. 16 Ebd. S. 210. 17 Ebd. S. 217. In der Konzeption der Metapher Collage steht die hier erfolgte und weiter erfolgende Auseinandersetzung in einigen wesentlichen Übereinstimmungen zum Collagenverständnis der Autoren Rowe und Koetter. Allerdings verfolgen die Autoren eine andere Stoßrichtung als die in dieser Arbeit vorgenommene. Rowe und Koetter geht es um die Möglichkeit einer utopischen Architektur und eines utopischen Städtebaus. Diese Utopie wollen sie durch die Möglichkeit der Collage befeuern, ingeniös das Unvereinbare zusammenzubringen, Ähnlichkeiten zu generieren und damit Spannungen zu erzeugen, die immer wieder zur produktiven Auseinandersetzung einladen. Dabei – und in diesem Punkt stimmt ihr Collagenverständnis mit dem hier vertretenen wieder überein – lassen sich die Spannungen der Collage in toto gar nicht auflösen, sondern es können lediglich vorübergehende, partielle Lösungen und Verständnisse erzielt werden.

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identifiziert worden sind – nicht in große Schwierigkeiten versetzt sehen, den Normen gerecht zu werden. Die Collage hingegen stellt einen Ort dar, der ebenso normativ erscheint, dessen Normen aber erst zueinander in einen sinnvollen Bezug gesetzt werden müssen. Der Prototyp eines solchen collagenhaften Ortes ist damit ein Ort, der von anderen bereits als spezifischer place (also mit spezifischen Normen) identifiziert worden ist, und von dem wir wissen, dass er als ein place wahrgenommen wird, ohne dass wir bereits eine klare Vorstellung davon haben, wie genau dieser Ort auf der Bedeutungsebene strukturiert wurde; entweder, weil wir den Ort nicht kennen beziehungsweise als etwas uns Vertrautes erkennen oder weil wir die Anderen nicht kennen und ihre Zuweisungsstrategien uns nicht vertraut sind. Gilt für die phänomenologisch und existenzialistisch inspirierte Humangeographie das Zuhause als Prototyp eines place, so kann für die Collage das Zuhause des Anderen als Prototyp angenommen werden. Wir wissen zwar um die Normativität des Ortes, können aber dennoch nicht ohne Weiteres die geltenden Normen erkennen und befolgen. Die Leistung, die gefordert ist, um einen angemessenen Handlungs- und Erwartungsrahmen bezogen auf den konkreten Ort zu entwickeln, kann als Orientierungsleistung bezeichnet werden. Diese Orientierungsleistung ist allerdings nicht nur an die Möglichkeit des Erkennens semantischer Identifikationen gebunden, sondern, da es nicht reicht, den Ort bloß als einen bestimmten Ort zu erkennen, ebenso an pragmatische Identifikation mit dem Ort, das heißt dem Anerkennen der Normativität des Raumes. Solange die semantische Identifikation allein stattfindet, wird zwar das, was NorbergSchulz den ‚Charakter‘ des Ortes nennt (den genius loci) erkannt, und damit der Ort als place verstanden, ohne eine pragmatische Identifikation (die durchaus auch in Form einer bewussten Absetzung von den Normen des Ortes auftreten kann) bleibt diese Identifikation aber ohne Handlungsbezug, womit im Zweifel den Normen des Ortes gerade nicht Genüge getan wird. Insofern die Collage als Proto-place verstanden wird, betont die Metapher der Collage den Prozesscharakter des place-Konzeptes. „In general places are never complete, finished or bounded but always becoming – in process.“18 Place – in der Terminologie Tuans, Cresswells und anderen – bezeichnet daher stets eine Doppelstruktur: Zum einen ist place ein konkreter Ort, der eben deshalb ein place ist, weil er in einem bestimmten Moment von bestimmten Akteuren aufgrund bestimmter Zuschreibungen als ein bestimmter place erfahren und gehandhabt wird. Vom Blickwinkel dieser situativ eingebundenen Akteure aus betrachtet, erscheint ein Ort als place nicht als durchgehend prozesshaft. Vom Blickwinkel eines Beobachters zweiter Ordnung allerdings, der die Akteure des place beobachtet, zeigen sich die Zuschreibungen als fließend, nicht fixiert und wandelbar. Place in diesem Sinne ist stets offen

18 Cresswell 2004. S. 37.

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für Neuinterpretationen und Neunutzungen. Place erscheint dann als wieder ‚verflüssigt‘, wieder in den Status einer Collage versetzt, die – in einem gewissen Rahmen – offen ist für Neuinterpretationen. „Place provides a template for practice – an unstable stage for performance. Thinking of place as performed and practiced can help us think of place in radically open and non-essentialized ways where place is constantly struggled over and reimagined in practical ways. Place is the raw material for the creative production of identity rather that an a priori label of identity. Place provides the conditions of possibility for creative social practice. Place in this sense becomes an event rather than a secure ontological thing rooted in notions of the authentic. Place as an event is marked by openness and change rather than bounded-ness and permanence.“19

Was Cresswell hier als ‚raw material‘ bezeichnet, entspricht dem hier vertretenen place-Verständnis als Collage. Dabei kann allerdings eine Kreation von places situativ nicht stehenbleiben. Denn würde über den event-Charakter des place und seine Funktion als ‚raw material‘ nicht situativ hinausgegangen werden und – sei es auch nur für einen Moment – nicht eine feste, bindende und ebenso verbindliche Charakterzuschreibung erfolgen, bliebe der Mensch an konkreten Orten letztlich orientierungslos. In diesem Sinne ist auch die folgende Aussage Tuans zu verstehen: „Place is an organized world of meaning. It is essentially a static concept. If we see the world as process, constantly changing, we should not be able to develop any sense of place.“20

3. R HETORIK DES

PLACE

In den vorigen Abschnitten ist die handlungsleitende Funktion der Kreation von places bereits mehrfach angesprochen worden. Diese gilt es nun noch einmal systematisch zusammenzufassen und auf das im zweiten Kapitel entwickelte Konzept der rhetorischen Situation zu übertragen. Der bereits eingeführte motivationale Situationsbegriff machte deutlich, dass Motiv, Situationsbestimmung und Handlungen beziehungsweise Handlungsoptionen miteinander in einer engen, zirkulären Verschränkung stehen, die ihren greifbaren Ausdruck in einer bestimmten Kommunikationsform findet. Situationen wurden dabei als Szenen bestimmt, die mögliche Handlungen bereits nahelegen, so dass im Sinne Burkes gesagt werden konnte:

19 Ebd. S. 39. 20 Tuan 2011. S. 179.

152 | R HETORIK DER STADT „The stage-set contains the action ambiguously (as regards the norms of action) – and in the course of the play’s development this ambiguity is converted into a corresponding articulacy. The proportion would be: scene is to act as implicit is to explicit. One could not deduce the details of the action from the details of the setting, but one could deduce the quality of the action from the quality of the setting.“21

Die hier von Burke angesprochene Qualität der Szene, des stage-sets, von der die Qualität einer Handlung abgeleitet werden kann, bezeichnet das, was Burke Motiv nennt. Oder anders: Situationen, die als bestimmte Situationen identifiziert worden sind, legen einen Rahmen für erwartbare und angemessene Handlungen fest, die als Motive menschliches Handeln (mit)bestimmen. Aufgrund der Zirkularität dieser Motivstruktur lässt sich dieser Prozess aber auch umkehren. Beobachtete Handlungen, die als Handlungen einer bestimmten Qualität identifiziert worden sind, erzeugen zugleich eine Vorstellung der Situation, in der diese Handlungen als angemessen und erwartbar gelten könnten, sie erzeugen damit eine Vorstellung der Qualität einer Situation. Orientierung am Handeln anderer – das über eine bloße Imitation hinausgeht – erfolgt letztlich genau in dieser Weise. In dieser Weise schreibt Stegmaier, dass „Nachahmung […] der Versuch der Wiederholung eines erfolgreich scheinenden Verhaltens anderer unter eigenen Bedingungen“22 ist. Um allerdings im Stande zu sein, das Verhalten anderer auf eigene Bedingungen hin zur bewussten Wiederholung zu bringen, muss dieses bereits im situativen Rahmen seiner ursprünglichen Bedingungen hin wahrgenommen worden sein und diese ursprünglichen situativen Bedingungen müssen als verschieden von den ‚eigenen‘ situativen Bedingungen erkannt worden sein. Insofern kann gesagt werden, dass, da „alles, was nachgeahmt wird, in (mehr oder weniger) veränderten Situationen nachgeahmt wird, […] jede Nachahmung schon eine Anpassung“23 ist. Erfolgt die Nachahmung des Verhaltens anderer unbewusst, so wird – in Umkehrung zum bewussten Nachahmen – erst durch die nachgeahmte Verhaltensweise der situative Rahmen erschlossen oder auch generiert. „In manchen Fällen kann man nur nachahmen, was man verstanden hat, in manchen versteht man etwas oder jemand eben dadurch, dass man es oder ihn nachahmt, etwa eine Geste oder einen Gesichtsausdruck oder eine Körperhaltung oder eine Technik.“24

21 Burke 1969b. S. 7. 22 Stegmaier, Werner: Philosophie der Orientierung. Berlin 2008. S. 393. 23 Ebd. S. 396. 24 Ebd. S. 394.

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In ihrem Aufsatz Unframing Models of Public Distribution der mit From Rhetorical Situation to Rhetorical Ecologies25 untertitelt ist, schreibt Jenny Edbauer bezüglich des Verhältnisses von rhetorischer Situation und place: „By definition, then, situs implies a bordered, fixed space-location. Consequently, the concept of ‚rhetorical situation‘ is apprpriately named insofar as the models of rhetorical situation describes the sense of rhetorical action as ‚located‘ around the exigence that generates a response. We thus find a connection between certain models of rhetorical situation and a sense of place.“26

Damit betont Edbauer, dass Situation bereits ein Begriff ist, der eine gewisse Verortung voraussetzt. Auf der anderen Seite betonen die place-Konzepte – vor allem Tuans und Cresswells –, dass place ein szenischer Begriff ist. Die bei Burke zur Klärung des motivationalen Situationsbegriffs in Anschlag gebrachte scene-act-ratio, findet mit gleichem Recht auch in Bezug auf die Frage nach der handlungsleitenden und handlungsregulierenden Funktion von place seine Anwendung. Um dies zu zeigen, sei mit Cresswells Konzept des Anachorismus angeführt, in welchem Maße places nicht nur Handlungen regulieren, sondern damit ebenso Zugänge zum place legitimieren oder eben auch zum Ausschluss von Personen oder Personengruppen, Dingen oder Handlungsweisen führen: „The creation of place by necessity involves the definition of what lies outside. To put it another way the ‘outside’ plays a crucial role in the definition of the ‘inside’.“27 Weil places als Container fungieren, die durch einen bestimmten Charakter ausgezeichnet sind und die Einfluss auf den Akzeptanzrahmen von Handlungen gemessen am Zuschreibungscharakter haben, ist die Kreation eines place immer auch die Kreation eines ‚Außerhalb‘. Dieses Außerhalb des place bezeichnet Cresswell als „out-of-place“28 (im Gegensatz zum „in-place“): „When something or someone has been judged to be ‚out-of-place‘ they have committed a transgression. Transgression simply means ‘crossing a line’. […] The line that is crossed id often a geographical line and a socio-cultural one. It may or may not be the case that the transgression was intended by the perpetrator. What matters is that the action is seen as transgression by someone who is disturbed by it.“29 25 Edbauer, Jenny: Unframing Models of Public Distribution. Form Rhetorical Situation to Rhetorical Ecologies. In: Rhetoric Society Quarterly. 35.4/2005. 26 Ebd. S. 9. 27 Cresswell 2004. S. 102. 28 Ebd. S. 103. Siehe auch: Cresswell, Tim: In Place/Out of Place. Geography, Ideology and Transgression. Minneapolis 1996. 29 Cresswell 2004. S. 103.

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Handlungsweisen, die in dieser Weise als Grenzüberschreitungen identifiziert und als solche geahndet werden, führen schließlich zum Ausschluss aus dem place. Dinge, die ‚out-of-place‘ sind, gelten dann als Verschmutzung oder Dreck, Personen, die ‚out-of-place‘ sind, gelten als Randalierer, Unruhestifter und werden in diesem Sinne selbst als ‚Verschmutzung‘ wahrgenommen und ausgeschlossen. Dabei gilt, was Mary Douglas über Verschmutzung sagt: „Shoes are not dirty in themselves, but it is dirty to place them on the dining table; food is not dirty in itself, but it is dirty to leave cooking utensils in the bedroom, or food bespattered on clothing, similarly, bathroom equipment in the drawing room; clothes lying on chairs.“30 Demnach impliziert die Feststellung, dass etwas schmutzig ist, bereits eine Situation, einen szenischen Kontext, der eine solche Zuschreibung zulässt. Im Falle der Verschmutzung eines places durch Objekte, Personen oder Handlungsweisen, kann eine solche Verschmutzung nur dann sinnvoll zugeschrieben werden, wenn bereits eine Situation erkannt und anerkannt ist, die eine solche Zuschreibung zulässt. Diese Situation ist durch die Charakterzuschreibung eines place gegeben. In diesem Sinne schlussfolgert auch Cresswell: „The stronger the spatial classification – the greater the desire to expel and exclude – the easier it is to upset those who invest in an existing order. The construction of place, in other words, forms the basis for the possibility of transgression“31. In Analogie zum Begriff Anachronismus, der Dinge, Personen oder Handlungen in falschem Zeitbezug bezeichnet, gebraucht Cresswell für diese Fälle von ‚out-ofplace‘ den Neologismus Anachorismus „for things in the wrong place“32. Beispiele für solche Anachorismen sind letztlich alle subversiven Interventionen im bebauten Raum, die freilich nur solange subversiv sind, wie sie dem genius loci widersprechen, wie beispielsweise Graffiti oder Street-Art, bestimmte Happenings, ziviler Ungehorsam oder aber auch für viele urbane places Personengruppen wie Bettler, Obdachlose oder Punks.33 Es kann bereits eine Transgression darstellen, wenn man einen ostdeutschen Haushalt betritt, ohne die Schuhe vor der Tür auszuziehen. Diese Handlungsweise wird dann schnell als Zeichen dafür gesehen, dass man entweder ein Handwerker oder Vertreter sei oder aus ‚dem Westen‘ komme oder aber bewusst unfreundlich oder aggressiv agiere. Wenn man dann eindeutig weder Handwerker noch Vertreter ist und die Herkunft nicht bekannt ist – oder man selbige nicht nachgesehen bekommt –, kann das schnell zu Ausschlussverhalten von Seiten der Hausbesitzer führen. Dieses Ausschlussverhalten – das sich beispielsweise in einer gereizten Stimmung oder einem missmutigen Blick äußern kann – wird verständlich, wenn man die situativen Bestimmungen in Betracht zieht – was hier nichts anderes heißt, als den genius loci 30 Zit. Nach: Ebd. S. 103. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Über subversive rhetorische Interventionen im urbanen Raum wird in Kapitel IV noch näher zu sprechen sein.

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zu erkennen und anzuerkennen. Dieser Fall mag eine Petitesse sein, beinhaltet aber bereits die Struktur, die auch anderen Ausschlusshandlungen zugrunde liegt. In gleicher Weise argumentiert Cresswell für die Spannweite von place-making-Versuchen, die vom Dekorieren des Eigenheims bis zur politischen Dimension der Kreation von Plätzen, Stadtteilen, Städten oder gar Nationen reicht: „Most people are familiar with the attempt to make somewhere feel like home. Even if there are many instances where they do not succeed, the attempt is important. The creation of ‘nice places to live’ is one of the central ways in which places are produced. But take this activity beyond the seemingly innocent practices of decorating walls and arranging furniture and it soon becomes a political issue.“34

Aus dem Gesagten wird ersichtlich, dass die Zuschreibung eines Charakters eines Ortes gleichbedeutend ist mit der Kreation einer Szenerie, die Handlungsweisen zu qualifizieren und damit auch zu bewerten erlaubt. Eine solche Szenerie ist allerdings nichts anderes als eine Situation in dem bereits eingeführten Sinne. Die Erzeugung eines spezifischen place ist letztlich die Erzeugung einer spezifischen Situation. Das heißt aber wiederum, dass place ein ebenso rhetorischer Begriff ist wie dies bereits für den Situationsbegriff gezeigt werden konnte. Denn im Anschluss an Burke stellt eine rhetorische Intervention im Grunde immer ein „attempt to redefine the situation itself“35 dar und natürlich ist jeder Versuch, eine Situation zu definieren, beziehungsweise neu oder anders zu definieren, nichts anderes als eine rhetorische Intervention. Wenn es also nachfolgend um die Frage geht, ob places gestaltet werden können – also um eine Frage des Designs –, dann ist diese Frage gleichbedeutend mit der Frage, ob es eine rhetorische techne des place-makings gibt und damit eine Frage der Designrhetorik.

4. K ÖNNEN PLACES

GESTALTET WERDEN ?

Wir haben oben bereits angedeutet, dass der genius loci, also der Zuschreibungscharakter eines places, nicht zwingend intersubjektive Gültigkeit beanspruchen kann. Was für den einen ein Ort der Besinnung und der Ruhe ist – und damit bestimmte Handlungen als angemessen erscheinen lässt und andere als unangemessen –, kann für einen anderen ein Ort der Unterdrückung und Bevormundung sein – was andere Handlungsspielräume eröffnet. Das Nebeneinander von unterschiedlichen Charakterzuschreibungen lässt, wie das Nacheinander verschiedener Zuschreibungen, das Konzept des places – im Extremfall – scheinbar in individuelle und bisweilen sogar 34 Ebd. S. 93. 35 Burke 1954. S. 220.

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idiosynkratische Verortungspraktiken zerfallen, die, wenn sie auch nicht beliebig zu sein scheinen, doch kaum als steuer- oder gestaltbar erscheinen. Die Frage ist also, ob places überhaupt gestaltet werden können. In seiner Analyse des prototypischen Falls eines places – dem Heim und Zuhause – scheint Tuan auch genau deshalb die Gestaltbarkeit eines places zu bezweifeln: „There are as many intimate places as there are occasions when human beings truly connect. What are such places like? They are elusive and personal. They may be etched in the deep recesses of memory and yield intense satisfaction with each recall, but they are not recorded like snapshots in the family album, nor perceived as general symbols like fireplace, chair, bed, and living room that invite intricate explication. One can no more deliberately design such places than one can plan, with any guarantee of success, the occasions of genuine human exchange.“36

Damit trifft Tuan durchaus einen wesentlichen Punkt in der Betrachtung jedweder rhetorischen Aktion, denn der springende Punkt in seiner Äußerung liegt gerade darin, dass er nirgendwo ‚any guarantee of success‘ sieht. Dies betrifft – wie im zweiten Kapitel deutlich wurde – in der Tat alle rhetorischen Bemühungen, die eben nicht ‚notwendig‘ überzeugend sind, sondern bloß ‚möglicherweise‘ überzeugend. Aristoteles setzt sich mit der Bestimmung der Rhetorik als der Kunst, in allem das möglicherweise Überzeugende zu finden, eben genau in diesem entscheidenden Punkt von vielen sophistischen Rhetoriktheorien ab, die die Möglichkeit des situativen Scheiterns, das eben deswegen noch nicht unrhetorisch oder rhetorisch misslungen sein muss, gerade nicht in Betracht ziehen. Wäre die Rhetorik eine Psychagogie, eine Kunst der Seelenführung, so kann diese als gescheitert betrachtet werden, wenn sie situativ nicht in der Lage ist, auch tatsächlich alle Seelen zu führen. Solange Tuans Zweifel an der Gestaltbarkeit von places also nur daran hängt, dass er nirgends eine Erfolgsgarantie verbürgt sieht, solange bezweifelt er damit lediglich die Möglichkeit von place-Determiniertheit und totaler Kontrolle über Zuschreibungspraktiken. Insofern diese Möglichkeit aber weder von rhetorischer noch von designerischer Seite beansprucht wird oder werden kann, betrifft dieser Zweifel tatsächlich noch nicht die Frage der Gestaltbarkeit von places – und deshalb auch noch nicht die Frage nach einer Rhetorik des place-makings. Was Tuans Bedenken allerdings durchaus treffend zum Ausdruck bringen, ist die durchaus bedeutende Frage nach den Grenzen der Gestaltbarkeit, die letztlich genau an der Linie liegt, die er mit ‚guarantee of success‘ bezeichnet. Gestaltung wie Rhetorik vollzieht sich in dem Raum, der zwischen den

36 Tuan 2011. S. 141.

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Linien einer garantierten Einflusslosigkeit und der Linie eines garantierten Erfolgs liegt.37 Die Absage einer Erfolgsgarantie ist demnach noch keine Absage an die Möglichkeit der Gestaltung. Tuan geht aber weiter und sagt bezüglich der Neubepflanzung einer Campuswiese: „Trees are planted on campus to give it more shade and to make it look greener, more pleasant. They are part of a deliberate design to create place. Having only a few leaves, the trees do not yet make much of an aesthetic impact. Already, however, they can provide a stage for warm human encounters; each sapling is a potential place for intimacy, but its use cannot be predicted since this depends on chance and on the play of imagination.“38

Der Zweifel an der Gestaltbarkeit von places orientiert sich hier an drei Aspekten: an der Unmöglichkeit der Vorhersagbarkeit der Wirkung, an der Gebundenheit des möglichen Erfolgs einer Gestaltung an den Zufall und an der Abhängigkeit des Erfolges von der Vorstellungskraft des Publikums. Dass diese drei Aspekte weder die Frage der Gestaltbarkeit noch die Frage einer möglichen rhetorischen Bemühung definitiv verneinen, kann kurz an drei Erwägungen aus dem Bereich der Rhetoriktheorie deutlich gemacht werden. Aber auch wenn diese Bedenken ausgeräumt werden können, bleibt es wichtig hervorzuheben, dass Tuan hiermit wichtige Grenzpunkte der Gestaltbarkeit von places aufzeigt. 4.1 Unmöglichkeit der Vorhersagbarkeit der Wirkung Wäre es möglich, die Wirkung von Gestaltung (oder anderen rhetorischen Bemühungen) vorherzusagen, so wäre es damit auch möglich, Erfolgsgarantien oder aber Garantien des Misserfolgs bezüglich einer gestalterischen Bemühung zu geben. Die Reaktionen eines Publikums bleiben aber, wenigstens im Detail, letztlich kontingent. Auch wenn sich aber der konkrete Gebrauch beziehungsweise die konkrete Wirkung eines gestalteten Produktes nicht für jeden möglichen Nutzer vorhersagen lässt, so besteht die Kunst im Sinne einer techne der Gestaltung ja gerade darin, Möglichkeitsräume und Wahrscheinlichkeiten (allerdings nicht in einem mathematischen Sinne) 37 Entgegen Knape und anderen finden rhetorische Bemühungen allerdings auch da statt, wo sie – wäre es möglich die Ereignisse von außen zu betrachten – jenseits dieser Grenzen liegen mögen, aber vom rhetor nicht als jenseits dieser Grenzen liegend empfunden werden. Rhetorische Bemühungen treten auch da zutage, wo rhetoren glauben, sie hätten einen möglichen (nicht aber notwendigen) Einfluss. Ob sie diesen auch tatsächlich haben, ist für ihren tatsächlichen Erfolg zwar bedeutend, für die rhetorische Betrachtung ihrer Bemühungen (und ebenso für das Verständnis ihrer Handlungen) aber zweitrangig. 38 Ebd. S. 141f.

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angeben zu können, dass ein Produkt vorzugsweise in einer bestimmten Weise genutzt wird. Die Idee eines human centered design, wie es etwa Klaus Krippendorff entwickelt, ist es, benutzerfreundliches Design zu generieren, wobei die Benutzerfreundlichkeit gerade darin besteht, dass der Benutzer die Handlungsmöglichkeiten versteht, erkennt und anerkennt, um auf diese Weise – wie Krippendorff es ausdrückt – im Umgang mit den Interfaces vom Erkennen über das Erkunden letztlich zum Vertrauen zu gelangen.39 Eine ‚Fehlbenutzung‘ oder gar eine Benutzung gegen den intendierten Handlungsraum ist damit freilich nicht ausgeschlossen, sondern überhaupt der Ermöglichungsgrund, persuasiv wirken zu können. Der Benutzer muss sich – anhand seiner Vorstellungen, Vorurteile, Werturteile und ähnlichem – mit dem Produkt und dessen möglichen Handlungsraum identifizieren können. Diese pragmatische Identifikation, die letztlich die Grundlage der Persuasion ist, kann aber nur erfolgen, wenn der Benutzer die ihm gebotenen Möglichkeiten auch auf sich und seine Lebenswelt überträgt. Freilich wird ein Produkt umso erfolgreicher sein, je mehr es dem Benutzer in Bezug auf diese Übertragungsleistung entgegen kommt und ihm Identifikationsmöglichkeiten offeriert. Letztlich muss die tatsächliche ‚Aneignung‘ aber durch den Benutzer selbst erfolgen. In diesem Punkt unterscheidet sich Gestaltung auch keineswegs von anderen rhetorischen Bemühungen, deren Erfolg oder Misserfolg auch nicht allein darin besteht, ob das Publikum die Intention des rhetors versteht, sondern ob es sich mit dieser identifiziert – auch wenn diese Identifikation im Einzelfall heißen kann, von bestimmten Aspekten der tatsächlichen oder unterstellten Rhetorintention bewusst oder unbewusst abzuweichen. 4.2 Die Zufälligkeit des Erfolgs Die rhetorische Antwort auf die Frage, inwieweit der Zufall ein Hindernis für rhetorische Bemühung ist, ist mit dem Begriff des kairos gegeben. „Kairos lässt sich definieren als der richtige oder günstige Zeitpunkt, etwas zu tun, oder auch als das richtige Maß. Oft trifft beides zusammen.“40 Es ist zwar für die klassische Rhetorik die Vorstellung tragend, dass der kairos erkannt werden kann und dann auch genutzt werden sollte, so dass auch im Umgang mit dem – letztlich zufällig erscheinenden – günstigen Gelegenheiten noch ein gewisses Maß an Kontrolle zu bestehen scheint, allerdings übersteigt die Möglichkeit, diese Gelegenheiten selbst herbeizuführen ebenso wie die Gewissheit in die Erkenn- und Nutzbarkeit des kairos oftmals das rhetorisch Machbare. In Bezug auf gestaltete Produkte, die – im Gegensatz zur vorgetragenen Rede – es dem Designer nicht oder zumindest kaum erlauben, situativ den 39 Siehe dazu Kapitel II. Siehe auch: Krippendorff 2013. 40 Kinneavy, James L.; Eskin, Catherinie R.: Kairos. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding, übers. von Lisa Gondos. Bd. 4. Tübingen 1998. Sp. 836-844. Hier: Sp. 837.

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kairos der Präsentation und Nutzung der Produkte zu erkennen und zu nutzen, entzieht sich der kairos noch deutlicher der Kontrolle des Designers. Hierin trifft Tuan also durchaus einen schwerwiegenden Punkt: Place-Making ist deswegen zwar noch nicht zufällig, wohl aber von zufälligen, kaum kalkulierbaren situativen Rezeptionsbedingungen beeinflusst, was letztlich ein wesentlicher Grund für die Unmöglichkeit der genauen Prognose des Erfolgs darstellt. Place-making-Versuche können am nicht erkannten kairos scheitern. Die Möglichkeit, am nicht erkannten kairos zu scheitern, bedeutet aber noch nicht, die Unmöglichkeit, place-making rhetorisch besser oder schlechter zu betreiben. Vielmehr bedeutet es aber die Möglichkeit, place-makingProzesse zu torpedieren, indem Gruppen, die situativ näher am Rezipienten stehen – und mitunter selbst zur Zielgruppe gehören – den kairos womöglich besser erkennen und nutzen können. Das Kreisen um die vielfältigen Möglichkeiten des Erkennens und Verkennens des kairos durch ganz unterschiedliche Interessengruppen ermöglicht letztlich, den place-making-Prozess auch in seinem agonalen Charakter zu erfassen. So kann beispielsweise ein Verkennen des kairos von Planerseite zur Errichtung eines identitätsstiftenden Bauwerks führen, das durch eine erfolgreiche Nutzung des kairos auf Seiten einer anderen Interessengruppe zum Symbol für oder gegen bestimmte Interessen gemacht wird: damit bleibt das Bauwerk freilich – unter verändertem Vorzeichen – identitätsstiftend, ändert aber seinen Einfluss auf den genius loci.41 Dies zeigt deutlich, dass place-making ein Prozess ist, der ganz wesentlich auf der Möglichkeit der Identifikation durch das Publikum beruht, das schließlich erst mit seiner Anerkennung den Erfolg eines solchen Prozesses bestimmt.

41 In dieser Weise könnten auch die occupy-Proteste (2011) verstanden werden. Die von der Adbuster Media Foundation initiierte Bewegung Occupy Wall Street besetzt (schon dem Namen nach) mit der Wall Street ein Symbol des Finanzkapitalismus und gibt damit dem Protest bereits eine Richtung. Im Zuge der Besetzung des Zuccotti-Parks in New York wurde dieser symbolisch (durchaus im Sinne dieser Richtungsgebung) für die Zeit der Proteste (inoffiziell) umbenannt in Liberty Plaza Park, was auch der frühere Name des Parks war. Die Blockupy Frankfurt-Proteste (2015) nahmen (um nur ein Beispiel zu geben) die Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Anlass und Ort ihrer Demonstrationen gegen kapitalistische Ausbeutung, falsche Finanzpolitik und eine verheerende ‚Rettung‘ Griechenlands im Zuge der sog. Euro-Krise. Sie machten die EZB für diese Wirtschaftspolitik mitverantwortlich und wählten daher das Ereignis der Eröffnung des Neubaus, um auf diese Problematiken aufmerksam zu machen. Blockupy Frankfurt hat in diesem Sinne nicht nur einen Ort besetzt, sondern vor allem ein Ereignis, so dass über die ‚Eröffnung des Neubaus der EZB‘ medial nicht ohne ein Eingehen auf die Proteste berichtet werden konnte.

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4.3 Abhängigkeit von der Vorstellungkraft des Publikums Genaugenommen bezeichnet dieser Einwand Tuans keine Absage an die Möglichkeit des place-makings, sondern gerade umgekehrt ist die Abhängigkeit des Erfolgs von der Vorstellungskraft des Publikums gerade der Ermöglichungsgrund eines rhetorischen place-making-Prozesses. Es bezeichnet ja gerade die Aufgabe des rhetors, die Vorstellungskraft des Publikums möglichst genau zu studieren, denn diese wird letztlich die Möglichkeiten bestimmen, welche Identifikationsangebote auch als Identifikationsangebote wahrgenommen werden. Anhand der Einwände Tuans konnten die Grenzen der Gestaltungsfreiheit deutlich gemacht werden. Innerhalb dieser Grenzen lassen sich places tatsächlich auch gestalten. Da das Konzept place, wie im vorigen Abschnitt gezeigt werden konnte, aber untrennbar in rhetorische Prozesse eingebunden ist, ist die Feststellung der Möglichkeit der Gestaltung von places zugleich auch die Feststellung der Möglichkeit einer rhetorischen techne des place-makings. Diese techne ist, wie der Abschnitt zur Metapher der Collage impliziert, letztlich eine techne, den Collagencharakter, der sich durch radikale Offenheit auszeichnet, situativ zu mehr oder weniger festen Entitäten zu formen, die dem Betrachter und Benutzer als places erscheinen und sich diesem durch ihren Charakter (der nichtsdestotrotz eine Zuschreibung ist) ‚offenbaren‘. Der Charakter eines Ortes ist in diesem Sinne für Norberg-Schulz auch die „die grundlegende Seinsweise […], in der die Welt ‚gegeben‘ ist.“42 Die ‚grundlegende Seinsweise‘ und das ‚Haben‘ von Charakter sowie das ‚Gegebensein‘ der Welt, meint stets den Bezug zum Subjekt mit. Alles dies ist stets nur für ein Subjekt gegeben und gehabt. Charakter ist die grundlegende Seinsweise von Orten deshalb, weil ‚Ort‘ (im 42 Norberg-Schulz 1982. S.14. Es ist wichtig anzumerken, dass Norberg-Schulz in einem wesentlichen Punkt von der hier vertretenen Theorie des place-makings abweicht. Für ihn ist der genius loci, der Geist des Ortes, der Ortscharakter in einer gewissen Weise vor dem Designversuch vorhanden, diesen gestalterisch zum Ausdruck zu bringen. Gute Architektur ist dann eben Architektur, die dem genius loci gerecht wird: „Seit alters wurde der genius loci, der ‚Geist, der an einem Ort herrscht‘, als die konkrete Realität angesehen, der der Mensch in seinem täglichen Leben gegenübersteht und mit der er zu Rande kommen muss. Architektur bedeutet also Visualisierung des genius loci, und Aufgabe des Architekten ist es, sinnvolle Orte zu schaffen, durch die er den Menschen zum Wohnen verhelfen kann“ (ebd. S. 5). In der vorliegenden Arbeit wird hingegen davon ausgegangen, dass jedwede Form des genius loci nicht ‚im‘ gegebenen Ort ruht, sondern durch Zuschreibungspraktiken diesem Ort zu- oder abgesprochen wird. Demnach würde ein ‚dem genius loci gerecht werden‘ nichts anders heißen, als den Zuschreibungen der Bewohner des Ortes gerecht zu werden. Auch wenn Norberg-Schulz diese Sichtweise womöglich nicht bestreiten würde, scheinen mir viele seiner Äußerungen doch diesbezüglich wenigstens verwirrend.

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Gegensatz zu ‚Raum‘) sowieso kein Sein unabhängig vom Publikum hat. Jeder Ort, der ist, ist durch sein Publikum; und durch dieses ist der Ort als Charakter. Die rhetorische techne des place-makings ist demnach eine techne der Charakterinszenierung. Als solche kennt die klassische Rhetorik die Kategorie des ethos, die allerdings hier nicht gemeint ist.43 Gemeint ist eine techne der Situationskreation im und auch durch den bebauten urbanen Raum mit gestalterischen Mitteln. Es geht also um die Fragen der zur Identifikation einladenden, gestalterischen Möglichkeiten der Bestimmung und Neubestimmung von motivationalen Situationen. Durchaus in diesem Sinne formuliert der Architekturtheoretiker Amos Rapoport in seinem Buch The Meaning of the Built Environment: „The problem is always one of congruence between the individual’s idiosyncratic definition of the situation and those definitions that society [or a designer] provides – and that are encoded in the cues of the various places and settings within which action is always situated.“44 Und eben diese gestalteten Situationsbestimmungen bleiben letztlich – wie das Konzept des places als Prozess ebenso betont – flexibel, so dass es stets „some ability to redefine the situation“45 gibt, „and the situation itself always presents some choice, but an appropriate setting restricts the range of choices.“46 Vollkommen treffend benennt Rapoport dann auch die bedeutende Rolle, die Situationsbestimmung durch place-making (was er allerdings nicht so nennt) einnimmt: „The conclusion of the argument about indirect effects is that in many cases the environment acts on behavior by providing cues whereby people judge or interpret the social context or situation and act accordingly. In other words, it is the social situation that influences people’s behavior, but it is the physical environment that provides the cues.“47

Oder anders: „The significant point for the purpose of this argument is that the role of built environment in limiting responses has been most important in the definition 43 Zwar wäre es sicherlich möglich, place-making unter das ethos zu subsumieren – dann wäre die überzeugende Inszenierung des Charakters des places ausschlaggebend für die Glaubwürdigkeit und Akzeptabilität seines handlungsregulativen Einflusses –, allerdings würde diese Zuordnung – so treffend sie auch sein mag – die Auseinandersetzung nur erschweren und zusätzliche Probleme der Personifikation des places – was im Konzept des genius loci durchaus angelegt ist – auf den Plan rufen. Daher wird place-making hier über das – wenigstens in dieser Beziehung unproblematischere – Konzept der motivationalen Situation zu erklären versucht. 44 Rapoport, Amos: The Meaning of the Built Environment. A Nonverbal Communication Approach. Tucson 1990. S. 62. 45 Ebd. 46 Ebd. 47 Ebd. S. 57.

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of the situation and thus in helping people to behave appropriately.“48 In dieser Weise verstanden, erscheint place-making als der Prozess, durch gestalterische Mittel Situationen zu kreieren, die vom Betrachter erkannt und anerkannt werden können, so dass sich deren möglicher Handlungsraum auf einen (mehr oder weniger genau bestimmten) intendierten Handlungsraum verengt. Aufgrund dieser Verengung wird die Komplexität durch die Simultanität verschiedener Handlungsoptionen reduziert und die Orientierung in der Collage erleichtert. Diese Orientierung ist dann (wenigstens zum Teil) gesteuert und das Ergebnis eines strategiegeleiteten, rhetorischen Prozesses.

5. ANMERKUNG ZU EINER DES PLACE - MAKINGS

RHETORISCHEN TECHNE

Wie wir gesehen haben, ist place ein ausgesprochen rhetorisches Konzept, so dass die These der Gestaltbarkeit solcher places die Möglichkeit einer rhetorischen techne des place-makings impliziert. Als eine rhetorische Kunst wird es Gegenstand dieser techne des place-makings sein, Strategien wirkungsintentionalen Gestaltens bereitzuhalten, die an den Grundkategorien der Rhetorik (vor allem Angemessenheit und Identifikation) ausgerichtet sind und dazu führen sollen, Orte so zu gestalten, dass selbige im Hinblick auf intendierte Charakterzuschreibungen ‚möglicherweise überzeugend‘49 sind. Prinzipiell wäre eine Sammlung intendierter Wirkziele vorstellbar: Räume können dann so gestaltet werden, dass sie beispielsweise offen, heimelig, vertraut, historisch, natürlich, kulturell bedeutsam, mahnend, gedenkend, abschreckend, ordnend, leitend, kontrollierend, überwachend, etc. wirken. Hinter jeder dieser Charakterzuschreibungen verbergen sich ganz bestimmte Handlungsspielräume, so dass eine erfolgte Zuschreibung einer dieser Charaktereigenschaften tatsächlich Einfluss auf die Handlungsmöglichkeiten des Zuschreibenden haben kann.50 Je nach Art der intendierten Gebäudenutzung, wird einem bestimmten Spektrum an Charakterzuschreibungen der Vorzug zu gewähren sein. So wird es für die Nutzung eines Parkhauses wohl besser sein, eher als ordnend, leitend, kontrollierend und überwachend empfunden zu werden und damit Sicherheit (für Auto und Person) auszustrahlen, als es im Sinne der Nutzung eines historischen Altstadtmarktplatzes ist, dessen gestalterische 48 Ebd. S. 65. 49 Das persuasive Vermögen einer rhetorischen Bemühung ist nie notwendig und daher stets ‚bloß‘ möglicherweise. Dies wurde bereits deutlich in der Auseinandersetzung mit der aristotelischen Bestimmung der Rhetorik. Vgl. Kapitel II. 50 Damit können diese Wirkziele auch im Sinne Burkes als Motive bezeichnet werden, die eingebunden sind in den Motiv-Zirkel, der im zweiten Kapitel eingeführt wurde.

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Inszenierung wohl eher an Wirkzielen wie Heimeligkeit, Vertrautheit und natürlich historischer Bedeutsamkeit orientiert sein wird. Wenn Parkhausbetreiber eine gute und möglichst gleichverteilte Nutzung der angebotenen Parkfläche wünschen, werden sie zudem daran interessiert sein, dass die Charakterzuschreibungen die Sicherheit versprechen nicht allzu sehr zwischen den jeweiligen Standorten im Parkhaus variieren, dass also der Parkplatz in der Mitte des Gebäudes als genauso sicher wahrgenommen wird, wie der Platz an den Ausgängen. Solche Wirkziele können, wie Jack L. Nasar in The Evaluative Image of the City deutlich macht, in ihrer Verbindung zu unterschiedlichen Raumempfindungen führen. Nasar nennt in dieser Weise exemplarisch fünf Wirkzielkategorien: Natürlichkeit, Gepflegtheit, Offenheit, historische Bedeutsamkeit und Ordnung. Diese fünf Wirkziele stellen für Nasar, der die theoretische Lücke zur Rolle der Bedeutung für die Kreation eines Image of the City in der Arbeit Lynchs mit dem Begriff der likability zu schließen versucht, „likeable features“51 dar. „The liked areas tend to have these attributes and the disliked areas tend to have their opposites – obtrusive; humanmade uses; dilapidation; restriction; a lack of any historical significance; and disorder.“52 Unter likability versteht Nasar allerdings nicht bloß eine nicht näher bestimmbare Form des Zuspruchs oder der Abneigung gegenüber bestimmten Orten, sondern setzt diese Kategorie gleich mit den konnotativen Bedeutungen (also den Charakterzuschreibungen) von Orten: „When you make inferences – such as guessing the likely quality of goods or the friendliness of the merchants in a commercial strip – or evaluative judgments – such as how much you like the appearance of the area – you experience connotative meanings, or what I refer to as likability.“53 Durch die enge Verknüpfung von dem, was Nasar konnotative Bedeutung nennt, und dem, was er als likability bezeichnet, wird durch das folgende Zitat deutlich, dass die ‚likable features‘ in direktem Bezug zum place-making stehen: „Where people have the capacity to act, connotative meanings [=likable features] affect their behavior, influencing decisions about whether to go somewhere and how to get there.“54 Es muss allerdings klar gesagt werden, dass diese fünf Wirkzielkategorien freilich nur einen geringen Teil möglicher Wirkziele des place-makings abdecken – und überdies einen 51 Nasar, Jack L.: The Evaluative Image of the City. Thousand Oaks 1998. S. 62. Nasar beschreibt die Lücke bei Lynch treffend: „Although Lynch (1960) recognized the importance of meaning and evaluation, his research emphasizes identity and structure. He felt that people have more consistent perceptions of identity and structure than of meaning. […] Confronted with possible measurement problems and individual differences, he judged meaning as impractical to study and concentrated on form – identity and structure – separate from meaning.“ (ebd. S. 9.) 52 Ebd. S. 62. 53 Ebd. S. 7. 54 Ebd.

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Teil, der mutmaßlich selbst für eine bestimmte, hegemoniale Auffassung von Stadt und place steht.55 Dies wird besonders deutlich, wenn Nasar – auf der Grundlage seiner empirischen Studie in zwei nordamerikanischen Kleinstädten – diese Wirkziele nutzt, um ‚guidelines‘ für Raumwahrnehmungen vorzustellen. Zur Einführung dieser ‚guidelines‘ schreibt Nasar: „These guidelines set performance criteria that the designer should satisfy. The way in which designers satisfy the guidelines can vary.“56 Nachfolgend sind die Wirkzielbündel zur Erreichung einer bestimmten Raumwahrnehmung im Sinne Nasars aufgelistet:57 Pleasant – Natural element – Moderate complexity – High coherence, legibility, and compatibility of parts – Panoramas and defined open space – Easy maintenance Exciting – High levels of movement and activity – Built elements to dominate – High complexity – Low coherence and compatibility, bright colors, and high contrast between elements Relaxing – Familiar and historical – Natural elements to dominate – High coherence – Built elements, where they occur, to look Fitting or compatible with one another and nature

55 Es wäre die Aufgabe einer ideologiekritischen Analyse, diese Auffassung, wonach Natürlichkeit, Gepflegtheit, Offenheit, historische Bedeutsamkeit und Ordnung Wirkzielkategorien urbaner Raumgestaltung seien, kritisch zu hinterfragen. Es müsste in diesem Zusammenhang vor allem auch gefragt werden, was eigentlich unter diesen Kategorien zu verstehen ist. Für wen ist was historisch bedeutsam und welche ‚Historie‘ wird berücksichtigt? Wann ist was für wen ‚gepflegt‘ oder ‚offen‘? Wer oder was muss ausgeschlossen werden, damit eine Raumgestaltung als ‚offen‘ gelten kann und für wen? Was heißt ‚Natürlichkeit‘ und was wäre nicht ‚natürlich‘? Antworten auf diese und viele weitere Fragen wären von einer ideologiekritischen Betrachtung zu erwarten. 56 Ebd. S. 131. 57 Vgl. Ebd. S. 131f.

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High-status – Ornamentation – Large open space – Well-kept and organized natural elements – Large, free-standing Tudor and Colonial-style buildings Diese Auflistung von Wirkzielen zum Erreichen bestimmter Charakterzuschreibungen ist freilich eingebunden in eine Vielzahl historischer und sozialer Prozesse und drückt daher nicht eine Art anthropologischer Konstante aus – oder feste, überzeitliche Designregeln –, sondern, wie fast alle rhetorische Regeln, einen bestimmten kulturgeschichtlich und sozial verorteten status quo. Es wäre die Aufgabe einer eigenen Arbeit zur Rhetorik des place-makings, diese und weitere intendierte Raumwahrnehmungen anhand bestimmter Cluster von Wirkzielen zu entwickeln, an Beispielen zu illustrieren und darüber hinaus die hierdurch entstehende Strategiesammlung nicht nur am Produkt (place) nachzuweisen, sondern eben auch als tragende Ideen des Designprozesses (making) herauszustellen. Für den Zweck dieser Arbeit – die in erster Linie dem Aufzeigen der Möglichkeit einer Designrhetorik dient – soll es aber reichen, Zugänge zu Strategien des place-makings aufzuzeigen und Beispiele dieser Zugänge aus der Forschungs- und Ratgeberliteratur anzuführen. Es werden diesbezüglich im Weiteren drei Arbeiten kurz besprochen, die sehr unterschiedlich an den place-making-Prozess herantreten: Tuan vertritt darunter eine Richtungen, die eher allgemein an place-making-Prozesse herangeht, deren Zugang sich aber – implizit – in allen place-making-Strategien wiederfinden lässt. Karen Tills Arbeit ist hingegen eine Detailanalyse einer amerikanischen Ortschaft, die vor allem unter dem Aspekt der Erfindung (inventio), Ordnung (dispositio) und Präsentation (elocutio) von Tradition und Geschichtlichkeit betrachtet wird. Christian Mikundas Arbeit schließlich ist zwar keine wissenschaftliche Arbeit zum Thema place, aber ein bekannter Ratgeber (und damit bisweilen ‚praxisnäher‘), der sich mit den Fragen der Gestaltbarkeit von spannungsreichen Verkaufsorten befasst. 5.1 Tuan – Erzeugen von Sichtbarkeit Für Tuan stehen letztlich alle Strategien des place-makings in der Funktion, Sichtbarkeit zu erzeugen. In dem Kapitel Visibility: The Creation of place58 betont Tuan, dass places – die er, wie wir gesehen haben, als ‚pause in eye-movement‘ versteht – sichtbar (oder allgemeiner: wahrnehmbar) sein müssen, um überhaupt als places verstanden werden zu können. Diese Auffassung ist dann nicht trivial, wenn genauer verstanden wird, was Tuan unter Sichtbarkeit versteht. Manifestationen physischer

58 Tuan 2011. S. 161-178.

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Objektkonstellationen im Raum sind freilich sichtbar. Um allerdings als places wahrgenommen zu werden, darf ihre Sichtbarkeit keine bloß prinzipielle sein, sondern muss – im Sinne Tuans – eine tatsächlich praktizierte sein. Dazu gehören vor allem zwei Aspekte: Zum einen werden Räume eher und schneller als places wahrgenommen, wenn selbige in ihrer Präsenz auffallend sind und daher Aufmerksamkeit auf sich ziehen; was für Gestalter heißen kann, ihre Designentwürfe in den Dienst des attentum parare zu stellen. Zweitens – und im Sinne des place-makings bedeutsamer – ist es notwendig, dass die – vorläufig etwas sperrig bezeichnete – ‚praktizierte Sichtbarkeit im Umgang mit dem Raum‘ durch seine Benutzer diesen Raum als etwas Bestimmtes identifiziert. Der Vorgang dieser ‚praktizierten Sichtbarkeit im Umgang mit dem Raum‘ kann mit Lambert Wiesing kurz als ‚Zeigen‘ verstanden werden.59 Räume werden demnach zu places, wenn sie zum Zeigen von etwas verwendet werden. Da auf Wiesings Theorie des Zeigens noch zurückzukommen sein wird und diese später in eine Rhetorik des Zeigens transformiert werden soll, soll hier nur ein kurzer Abriss genügen, um den entscheidenden Punkt bei Tuan verdeutlichen zu können.60 Zeigen ist im Sinne Wiesings eine Handlung und places sind – als nicht lebende Gegenstände – nicht zu Handlungen fähig. Daher gilt für Wiesing: Nicht Objekte, Schilder, Räume oder Bilder zeigen etwas, sondern sie können allenfalls zum Zeigen von etwas benutzt werden. Was mit ihnen gezeigt werden kann, hängt nicht nur vom Objekt ab, sondern vor allem vom zeigenden Individuum. Dieser Zeigeakt ist zugleich ein bedeutungskonstituierender Akt, so dass klar ist: Wenn Räume genutzt werden, um etwas zu zeigen, so wird diesen Räumen damit eine Bedeutung verliehen, die insofern von anderen erkannt und anerkannt werden kann, als der Zeigeakt persuasiv wirkt. Zeigen ist dabei für Wiesing – und darauf kommt es hier an – das „Sehen-Lassen von etwas Intendiertem.“61 Daher kann gesagt werden: „Showing is a form of let-seeing (Sehen-lassen) of something as something, it is an act of semantic identification and the interpretative acts done with semantic identification are the invitation to the core of a rhetoric of showing – and, of course, the core of any attempt for place-making.“62 Ein solches Verständins scheint hinter Tuans Begriff der Sichtbarkeit zu stehen: Sichtbarkeit (in ihrer letztlich auch rhetorisch bedeutsamen Form) ist keine bloße Gegebenheit, sondern ist ein Produkt menschlichen Handelns im Umgang mit Objekten und Räumen. In seinem Aufsatz Language and the Making of Place: A Narrative-Descriptive Approach betont Tuan in diesem Sinne insbesondere

59 Vgl. Wiesing 2013. 60 Zur Rhetorik des Zeigens siehe Kapitel VI. Siehe auch: Smolarski 2014a. 61 Wieising 2013. S. 21. 62 Smolarski 2014a.

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die Rolle der Sprache zur Generierung von places und zeichnet diesbezüglich mehrere Strategien des place-makings aus.63 Zur Funktion der Sprache im place-makingProzess schreibt er: „Moreover, words alone, used in an appropriate situation, can have the power to render objects, formerly invisible because unattended, visible, and impart of them a certain character: thus a mere rise on a flat surface becomes something far more – a place that promises to open up to other places – when it is named ‘Mount Prospect’.“64

In dieser bedeutungsgenerierenden Funktion, in welcher Sprache benutzt wird um Räume zum Zeigen von etwas zu benutzen, verweist Tuan unter anderem auf die Rolle von Mythen, Literatur und Liedgut. In seiner kleinsten Form aber besitzt diese Kraft „[to] direct attention, organize insignificant entities into significant composite wholes, and in so doing, make things formerly overlooked – and hence invisible and non-existent – visible and real“65 schon der alltägliche Vorgang der Benennung von etwas als etwas. „To call a feature in the landscape a ‘mount’ is already to impart to it a certain character, but to call it ‘Mount Misery’ is to significantly enhance its distinctiveness, making it stand out from other rises less imaginatively called.“66 Insbesondere werden Benennungen rhetorisch bedeutsam, wenn diese nicht bloß im Alltäglichen sich vollziehen, sondern eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Tuan hat hier nicht in erster Linie den Designer im Blick, sondern den Wissenschaftler, wobei sich allerdings seine Betrachtungen zum Verlauf wissenschaftlicher Benennungen ebenso auf den Bereich des Designs übertragen lassen. In Space and Place führt Tuan folgendes Beispiel an: „The source of the Mississippi River, for example, is not eye-catching; it is a small body of water like thousands of lakes and springs in the same region. Only scientists, after detailed measurements, can tell which pool is the source. Once a particular body of water was marked as the Mississippi’s source and the area around it designated a park, it became a place which people would want to visit to have their pictures taken. Scientists thus appear to have a certain power: they can create a place by pointing their official fingers at one body of water rather than another.“67

63 Vgl. Tuan: Language and the Making of place: A Narrative-Descriptive Approach. 64 Tuan, Yi-Fu: Language and the Making of place: A Narrative-Descriptive Approach. In: Annals of the Association of American Geographers. 81.4/1991. S. 984-969. Hier: S. 684. 65 Ebd. S. 685. 66 Ebd. S. 688. 67 Tuan 2011. S. 162.

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Hierin wird unter anderem auch deutlich, wie auch das ethos des Benennenden (seine Reputation als Wissenschaftler) und das logos seiner Erläuterung zur Benennung Einfluss auf die mögliche Akzeptanz dieser semantischen Identifikation haben kann. Es ist allerdings einzuwenden, dass diese ‚certain power‘ nicht nur Wissenschaftlern zukommt, sondern jedem, dessen ethos- und logos-Argumentation es zulässt, dass eine breitere Öffentlichkeit seine Benennung akzeptiert. Entscheidend ist die Glaubwürdigkeit der Zuordnung, die vor allem an der Glaubwürdigkeit des Zuordnenden hängt, so dass die Richtigkeit der Zuordnung ebenfalls glaubwürdig erscheint. Ob diese tatsächlich auf der Basis von wissenschaftlichen Messungen erfolgte, ist vom Standpunkt der Rhetorik aus zweitrangig. In gleicher Weise ist auch folgendes Zitat Tuans in Bezug auf das Thema der vorliegenden Arbeit nicht allein auf den Wissenschaftler/Geographen beschränkt: „Geographers are able to create place by their eloquence.“68 5.2 Till – Erfindung von Tradition Karen Till untersucht in ihrer Arbeit Neotraditional towns and urban villages: the cultural production of a geography of otherness die Erfindung von Tradition und Geschichte am Beispiel der kalifornischen Kleinstadt Rancho Santa Margarita. Obgleich die Stadt erst im Jahr 2000 gegründet wurde, versprach die Rancho Santa Margarita Company „[to] keep alive the [frontier] traditions of the past. And to carry out the visions of our people today.“69 Für Till sind vor allem zwei Aspekte bedeutsam: Zum einen geht es um die Frage, wie Geschichte und Tradition für diesen Ort erfunden werden und wie sich diese Erfindungen kommunizieren lassen – was damit letztlich eine Frage der rhetorischen Inszenierung von Geschichtlichkeit, die einen wesentlichen Aspekt des place-makings ausmacht, ist. Zum anderen geht es um die intendierten Wirkungen dieses place-making-Prozesses, den Till mit der ‚production of otherness‘ umschreibt. Erfundene Traditionen sind, wie Eric Hobsbawm, dessen Arbeit Till ihrer Untersuchung zugrundelegt, in The Invention of Tradition schreibt: „a set of practices, normally governed by overtly or tacitly accepted rules and of a ritual or symbolic nature, which seek to inculcate certain values and norms of behaviour by repetition, which automatically implies continuity with the past.“70 Dabei wird im Falle von erfundenen Traditionen, die ‚continuity with the past‘ durch rhetorische Mittel konstruiert, 68 Tuan 1991. S. 693. 69 Zit. Nach: Till, Karen: Neotraditional towns and urban villages: the cultural production of a geography of 'otherness'. In: Environment and Planning. D: Society and Space 11.6/1993. S. 709-732. Hier: S. 713. 70 Hobsbawm, Eric: Introduction. Inventing Traditions. In: The Invention of Tradition. Hrsg. von Ders. und Terence Ranger. Cambridge 1983. S. 1-14. Hier: S. 1.

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um auf diese Weise ein System von Werten, Normen und möglichen Verhaltensweisen und bisweilen auch Institutionen und Herrschaftsansprüche zu legitimieren. In dieser Weise unterscheidet Hobsbawm drei – in der Praxis eng miteinander verwobene – funktional unterschiedene Arten von erfundener Tradition: „a) those establishing or symbolizing social cohesion or the membership of groups, real or artificial communities, b) those establishing or legitimizing institutions, status or relations of authority, and c) those whose main purpose was socialization, the inculcation of beliefs, value systems and conventions of behaviour.“71

Rancho Santa Margarita bedient, wie Till zeigt, alle drei Arten von Funktionen. Um dies zu erreichen, inszeniert die Rancho Santa Margarita Company (RSMC) vermeintliche Traditionen auf allen kommunikativen Ebenen: Architektonisch ist die Stadt im Stil des kalifornisch-spanischen Kolonialstils erbaut. Die RSMC schreibt dazu „The architecture […] goes back to this early tradition. And beyond, when 18th century Spanish missionaries built California’s first churches, missions, and monasteries.“72 Um das historische Setting weiter zu stützen, werden Designdetails dieser Architektur zudem durch die traditionelle Landnutzung begründet, wie beispielsweise hier: „When settlers first opened up the West, the land dictated a whole new kind of architecture. One that brought breathtaking views of its canyons, its plains and its coastal mountains into the daily lives of the people. So their houses were built with porches. And their porches became their living rooms. The place to rest and relax, to take it all in.“73

Als Grundfigur der erfundenen Tradition in Rancho Santa Margarita dient letztlich vor allem die historisch anmutende Figur Richard O’Neill, anhand derer der Gründungsmythos sowie die Geschichte der Stadt vom ausgehenden 19ten Jahrhundert an erzählt wird. Er und seine Nachkommen hätten die Gegend um Rancho Santa Margarita aufgebaut, verteidigt und erfolgreich gemacht. Wie Till bemerkt, rechtfertige sich mit dieser Gründungsfigur auch der Anspruch der RSMC, denn: „Today, Richard Jerome O’Neill, is the Chairman of the Santa Margarita Company, and Anthony Moiso, the great grandson of Richard O’Neill, is the Chief Executive Officer and President of the Santa Margarita Company. According to promotional materials, the family heirs

71 Ebd. S. 9. 72 Zit. nach: Till 1993. S. 715. 73 Zit. nach: Ebd. S. 716.

170 | R HETORIK DER STADT have followed the ideals of the family patriarch Richard O’Neill, a tradition passed down through four generations.“74

In einer historisierenden Zeitung wird die Figur des Richard O’Neill den Bewohnern und Interessierten nähergebracht: „The textured and tan pages of theses newsletters, which are printed with brown ink and Western-style fonts, state that the family history begins in 1882 when the family patriarch Richard O’Neill, saw the ranch, tamed the wild lands, and made them productive.“75 Mit diesen und weiteren Inszenierungsbemühungen (u.a. historisierten Karten) versucht die RSMC, ein Image einer traditionellen Kleinstadt aufzubauen. „The selective use of popularized myths and ambiguous symbols is by no means unique to Rancho Santa Margarita. Design guidelines for neotraditional towns also connote a sense of temporal continuity and authenticity through familiar, yet vague, historical visual references and family stories. […] Although neotraditional town planners claim their designs stem from actual turn-of-the-century American towns from specific regions […], their plans reflect a profound lack of historical specificity. Rather, neotraditionalists create idealized images which harken back to an ambiguous past based on the taste of particular regional markets.“76

Um zu verstehen, was das genau bedeutet und welche Motive hinter einer solchen erfundenen Tradition stehen, wendet sich Till der ‚production of otherness‘ zu. Verständlich werden diese Inszenierungen für Till vor dem Hintergrund, dass sich Rancho Santa Margarita als ein ‚Gegenort‘ zu den Vorstädten von Los Angeles versteht. Rancho Santa Margarita wendet sich direkt an eine weiße Mittel- und Oberschicht, die dem Wirrwarr der Vorstädte entkommen will und einen Platz sucht, der eine „traditional community“77 zu sein verspricht. Wir sehen hieran, wie das oben besprochenen Konzept Cresswells des ‚in-place‘ und ‚out-of-place‘ auch in diesem place-making-Prozess tragend ist. Ausgeschlossen sollen Personen und Personengruppen werden, die nicht in den idealisierten Lebensentwurf der angesprochenen weißen Mittel- und Oberschicht passen: „Consumers are asked to identify with the past and present patriarchs of the great ranch, and with their European ideals of community. Their heroic tales and the cultural symbols associated with them (such as the cowboy) are so strongly associated with other myths as ‚Westward

74 Ebd. S. 715. 75 Ebd. S. 713. 76 Ebd. S. 718f. 77 Ebd. S. 717.

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expansion‘ and the ‚American dream‘ that there is little room left for stories from the perspectives of other individuals, including those of women, children, and/or gays from various cultural, ethnic, and socioeconomic backgrounds.“78

In dieser Weise ist für Till implizit in der neotraditionalistischen Anlage der Stadt eine „geography of ‘otherness’”79, die sich in einer mehrschichtigen Abgrenzung vom Anderen ausdrückt: sei es ethnisch, soziokulturell, ökonomisch oder religiös. Als urbane Manifestation dieser Andersheit gilt dabei die Stadt Los Angeles und ihre Vororte. „The historic small-town identity that planners would like to foster, however, makes sense only in relation to the place memory of Los Angeles. The success of the former – the small-twon identity – depends upon the experience of the latter – present-day suburbs and cities.“80 Wenn Los Angeles als gefährlich, schlecht, verwirrend, korrupt oder schmutzig identifiziert wird, so bietet sich Rancho Santa Margarita als dessen Gegenteil an und identifiziert damit – im Sinne Hobsbawms – soziale Probleme in Los Angeles. Die Möglichkeit der Konzeption eines Gegenortes, der sich bewusst der obigen Attribute als Abgrenzung zu eigen macht und diese auch überzeugend zu inszenieren vermag, macht bestimmte soziale Probleme in Los Angeles deutlich. „The ‚American dream‘ is represented as no longer available in Los Angeles, but is present in the future of Orange County.“81 Das Beispiel Rancho Santa Margarita zeigt deutlich, was Tuan bezogen auf die Geschichtlichkeit einer Stadt festhält: “A City does not become historic merely because it has occupied the same site for a long time. Past events make no impact on the present unless they are memorialized in history books, monuments, pageants, and solemn and jovial festivities that are recognized to be part of an ongoing tradition.”82 Dabei kann, wie wir mit Till und Hobsbawm gesehen haben, diese Geschichtlichkeit und traditionelle Verbundenheit eben auch ein Erzeugnis rhetorischer inventio sein. Es gilt allerdings zu betonen – und das macht Tuans Bemerkung deutlich –, dass ganz gleich, ob die identitätsstiftenden und places kreierenden Traditionen ‚real‘ oder ‚erfunden‘ sind, sie in beiden Fällen – um wirksam werden zu können – einer Form rhetorischer Inszenierung bedürfen.

78 Ebd. S. 717f. 79 Ebd. S. 720. 80 Ebd. S. 722. 81 Ebd. S. 724. 82 Tuan 2011. S. 174.

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5.3 Mikunda – Dramatisierung von places Christian Mikunda schreibt mit Der verbotene Ort – Oder die inszenierte Verführung kein wissenschaftliches Werk, das sich speziell den Strategien des place-makings zuwenden würde. Die Arbeit Mikundas kann eher als Ratgeberliteratur betrachtet werden, die in dem für diese Literaturgattung typischen saloppen Ton und mittels der Kreation anglistischer Neologismen versucht, sich selbst zu vermarkten. Um eine metasprachliche Aufarbeitung, die vom Thema des Buches – Marketingstrategien zur Erzeugung spannender Orte – abheben würde, bemüht sich der Autor kaum. Da sich hierin aber die im Themenfeld der Designrhetorik typische Spannweite der Literatur zu zeigen scheint, soll dieses Buch dennoch hier kurz Erwähnung finden, zumal sich darin einige Strategien finden, die kurz vorzustellen lohnenswert scheint. Mikunda entwickelt eine Vielzahl von Strategien, die die ‚Verführung durch den Ort‘ ermöglichen sollen. Seine Methode nennt er – mit deutlichen Anklängen an die Rhetorik – „strategische Dramaturgie“83. Dabei beruhe die strategische Dramaturgie auf Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und solle dazu beitragen, Erlebnisse zu optimieren.84 Die für Mikunda grundlegenden theoretischen Größen lassen dabei deutlich erkennen, dass dieser die Erlebnisstrategien vom Medium des Films und des Kinos her denkt. Sein wohl wichtigster ‚Theoriebaustein‘ ist dann auch das „Brain Script“85, welches für die „Drehbücher im Kopf“86 steht: „Drehbücher im Kopf, Brain Scripts, sind dafür verantwortlich, dass man bei einer Geschichte versteht, was eigentlich gespielt wird. Es sind erlernte Handlungsmuster, die von Signalen aufgerufen werden und aus beziehungslos nebeneinander stehenden Informationen in unserem Kopf eine sinnvolle Handlung zusammenkonstruieren.“87 Mit Burke könnten wir sagen, dass diese Brain Scripts also die Funktion von Motiven und Motivzuschreibungen übernehmen.88 Ziel der von ihm angegebenen Strategien ist es, auf der Grundlage dieser Brain Scripts durch räumliche Inszenierungen dramaturgische Effekte 83 Mikunda, Christian: Der verbotene Ort oder die inszenierte Verführung. Unwiderstehliches Marketing durch strategische Dramaturgie. München 2013. S. 16. 84 Ebd. 85 Ebd. S. 17. 86 Ebd. 87 Ebd. S. 18. 88 Mikunda bringt ein Beispiel, das zeigt, dass die sogenannten Brain Scripts als Motive verstanden werden können: „Da bläst ein Windstoß einem etwas ründlich aussehenden Mann um die Fünfzig den Hut vom Kopf. Aus purer Bosheit überfährt ein junger Rocker im Cabrio das geliebte Stück und walzt es platt. Noch ahnt man nicht, worum es geht. Es ist nun etwas später, und der hilflose kleine Mann mit dem Hut sitzt am Steuer seiner Straßenbahn, als er plötzlich hellauf zu lachen beginnt. Das Cabrio des Widersachers parkt tatsächlich rechtswidrig auf den Schienen. Während man den Slogan des Werbespots liest, hört man

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beim Besucher eines Ortes auszulösen. Da diese Effekte für Mikunda vor allem mit einem starken Erlebnisgefühl einhergehen, entstammen seine Beispiele vor allem erlebnisorientierten Räumen: Vergnügungsparks, Hotels in Las Vegas, ShoppingMalls oder Museen. Im Anschluss an diese knappen Vorbemerkungen sei hier eine kleine Auswahl wesentlicher dramaturgischer Strategien zur Erlebnissteigerung angeführt. 5.3.1 Der verbotene Ort Das Prinzip des verbotenen Ortes ist recht einfach und dient vor allem dem Aufbau von Spannung und Erwartungshaltungen. Dabei wird durch eine stark regulative Raumgestaltung ein Ort geschaffen, der sich in mehrere Teilorte mit steigender Exklusivität und erschwerten Zugangsbedingungen ausdifferenziert. Auf diese Weise entstehen places, die immer weniger Personen oder Personengruppen bis ins ‚Allerheiligste‘ vorlassen und auf diese Weise mit der place-Differenzierung eine soziale Differenzierung in Form einer zunehmenden Ausgrenzung praktizieren. Mikunda überträgt diese Rauminszenierung aus dem Bereich des sakralen in den Bereich der Public Relations und schlussfolgert, dass diese „Aufwertung des Kunden und das Gefühl der Spannung […] dafür verantwortlich [sind], dass sich der verbotene Ort als exklusives Werkzeug der Public Relations eignet.“89 So kann der offensichtliche Ausschluss bestimmter Personenkreise bei den nicht ausgeschlossenen – die in diesem Fall die Hauptzielgruppe der Inszenierung darstellen mögen – zu einer empfundenen Wertsteigerung führen, kurz: ihnen schmeicheln. Und im Sinne Burkes gilt: „Persuasion by flattery is but a special case of persuasion in general. But […] if we systematically widen its meaning, [we] see behind it the conditions of identification“90. Diese Form der Identifikation mit dem Publikum bleibt allerdings, wie Mikunda betont, dem Diktum der Angemessenheit verbunden: „Wie immer beim Einsatz dramaturgischer Mittel muss bedacht werden, ob diese Maßnahme zur Corporate Identity des Unternehmens passt. Wenn dieses in der Öffentlichkeit betont offen und kommunikativ auftritt, mag der verbotene Ort eher kontraproduktiv sein.“91

das Krachen des Aufpralls: ‚Make Way for the Tram!‘ […] ‚Rache ist süß‘, darum geht es also, das ist das Brain Script, mit dem wir die Geschichte verstehen. Einem vorerst Hilflosen wird eine Ungerechtigkeit zugefügt, er erhält die Gelegenheit zur Rache und genießt sie auch.“ (ebd.) Das Motiv ‚Rache ist süß‘ impliziert die Handlungsfolge ‚Widerfahrnis einer Ungerechtigkeit‘, ‚Rache‘ und schließlich ‚Freude‘. 89 Ebd. S. 101. 90 Burke 1969a. S. 55. 91 Mikunda 2013. S. 101.

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5.3.2 Placement Die Strategie des ‚Placement‘ bezeichnet das Wechselverhältnis von Inhalt und Verpackung – wenn wir so wollen, von ‚Container‘ und ‚things contained‘. Die Idee dahinter ist: „Unscheinbares Image wird durch Verpackung in veredeltes Image umgewandelt.“92 In dieser Weise funktionieren Reliquienschreine, die optisch unscheinbare Dinge (Splitter, Knochen, etc.) durch aufwendige, reich verzierte Gehäuse aus wertvollen Materialien nicht nur verpacken, sondern beherbergen. Das Gehäuse wird mit der Reliquie zur Einheit – was notwendig ist, damit die spirituelle Bedeutung mit der sichtbaren Veredelung korrespondieren kann. Selbst im Falle beispielsweise der heiligen Fides von Conques, die als in einer Ästhetik des Hässlichen stehend interpretiert werden kann, zeigt sich deutlich der Inszenierungswille.93 Mikunda geht von dieser historisch-sakralen Inszenierung aus und überträgt sie als ein Inszenierungsprinzip auf moderne – zuweilen durchaus mit dem Sakralen spielende – Inszenierungen. So schreibt er: „Heute feiert das sakrale placement eine Renaissance. Wer im Kölner Dom ein Foto von einem tabernakelartigen Glasschrein macht und dann nach London fliegt und dort zufällig bei Louis Vuitton in der New Bond Street eine frei stehende Glasvitrine mit drei Taschen knipst, muss erkennen, dass er praktisch dieselbe Art von Inszenierung fotografiert hat.“94 92 Ebd. S. 105. 93 Das Hässliche erlangt in der Inszenierung des Heiligen und Göttlichen eine besondere Bedeutung, da es sich nach den Theorien Pseudo-Dionysius Areopagitas besonders dazu eigne, auf das Göttliche zu verweisen, ohne mit diesem in Verwechslung zu geraten (und damit zum Götzendienst zu verführen). Ein Beispiel: Die heilige Fides in Conques ist eine Darstellung der Heiligkeit selbst, ist aber auch Darstellung irdischer Historie, ist Herrscherfigur im Jenseits wie im Diesseits. In dieser Doppelstellung entfaltet sie ihre ungemeine Anziehungskraft, aus dieser speist sich ihre Macht. Sie ist, drückt man es mit Pseudo-Dionysius aus, hässlich, ungestalt und unziemend zugleich aber auch schön, passend, ja in letzter Instanz sogar heilig. Bemerkenswert ist, wie Pseudo-Dionysius die Abfolge der Erfahrung mit dem Hässlichen schildert. Diese fasst Paul Michel so zusammen, dass es zuerst „die Ungestalt des Symbols [ist], die ihm Anstoß, Ärgernis, scandalum ist. Diese schockierende Niedrigkeit des Symbols löst dann eine gewisse Ratlosigkeit, Verwirrung, Unrast aus und damit eine forschende Suche nach der verborgenen offenbarten Wahrheit, und diese mündet schließlich in den Aufstieg.“ (Michel, Paul: Formosa deformitas. Bewältigungsformen des Häßlichen in mittelalterlicher Literatur. Bonn 1976. S. 127f.) Nur durch die Verhüllung in sinnlich-wahrnehmbare Bilder und Gestalten ist Gott für den Menschen erkennbar, der Mensch aber darf als eifriger „Beschauer der heiligen Figuren [...] nicht bei den Bildern verweilen, als ob diese der Wahrheit schon genügten“ (Pseudo-Dyonisius: Über die himmlische Hierarchie. Hrsg. und übers. von Günther Heil. Stuttgart 1986. II, 5.) 94 Mikunda 2013. S. 107.

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Wie Mikunda betont, funktioniert die Übertragung der ‚Werthaftigkeit‘ allerdings nicht nur in der Richtung vom Container zum Inhalt, sondern auch umgekehrt von ausgezeichneten Einzelstücken, die eine Atmosphäre im Raum zu erzeugen vermögen. „Das ist das Prinzip des heiligen Schreins. Die ausgestellten ‚heiligen‘ Objekte machen aus der Hülle, dem Raum, etwas ganz Besonderes. Wer [beispielsweise] im violett leuchtenden Hard Rock Hotel in Las Vegas eine Runde dreht, kommt in diesem durchgestylten Boutiquehotel nicht nur an einem riesigen Kronleuchter aus Saxophonen vorbei, sondern auch an Vitrinen, in denen ein Glitzeranzug von Prince und ein Outfit von Britney Spears hängen.“95

Und weil dieses Hotel auch sonst reichlich mit ‚Reliquien‘ der Musikszene dekoriert ist, wundert es Mikunda nicht, „dass praktisch alle Musikgruppen, die in Las Vegas gastieren, in diesem Hotel ihre Zelte aufschlagen – einem geheiligten Ort ihrer Zunft.“96 Was Mikunda hier behauptet, ist schließlich, dass Handlungsspielräume von nach Las Vegas reisenden Musikgruppen durch die bekannte Atmosphäre des Hotels beeinflusst werden. In vergleichbarer Weise können wohl auch Denkmäler, repräsentative Statuen und Erinnerungsmonumente einen Raum dominieren und somit Charakterzuschreibungen befördern, die auf Handlungsspielräume Einfluss nehmen. 5.3.3 Alles an seinem Platz Es ist bereits deutlich gemacht worden, dass places handlungsregulierend wirken können, nicht zuletzt deshalb, weil sie Erwartungsrahmen abstecken. Genau das ist die Aussage hinter Mikundas Strategie des ‚Alles an seinem Platz‘. „Orte werden von uns oft gemeinsam mit bestimmten Funktionen wahrgenommen. Im Mittelalter war eine bestimmte Straße die Straße der Färber und eine andere die Straße der Metzger. Hier hatte man dieses zu tun und zu erwarten und dort jenes. Etwas tun oder erwarten heißt, Brain Scripts einsetzen [das ist: die Zuschreibung eines bestimmten Motivs], und die mittelalterliche Straße ist nichts anderes als der Distrikt einer kognitiven Landkarte.“97

Die funktionale Differenzierung von Orten führt demnach zu einer Vorstellung einer Ordnung der Stadt. Orte erhalten unter anderem durch die mit ihnen verbundenen

95 Ebd. S. 107f. 96 Ebd. S. 108. 97 Ebd. S. 128.

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Funktionen „den Charakter des Wohlgeordneten“98 und fungieren in dieser Weise als „stabilisierendes Gerüst“99 unserer Stadtvorstellung. Große Kaufhäuser und Shopping-Malls machen sich diese Form der Kundenführung zunutze, indem sie funktionale Aspekte dort platzieren, wo der Kunde sie erwartet und demnach – ohne Frustration – leicht finden kann: „In einem modernen, großstädtischen Kaufhaus, wo erwarten sie die Parfüm- und Kosmetikabteilung? Richtig, im Erdgeschoss. In Paris […], in New York […], in Zürich, in London, überall in der Welt finden sich die luxuriösen Kojen und Theken der Luxushersteller nebeneinander, in einem zentralen Saal im Parterre.“100 Insofern in dieser Weise eine gängige und funktionale Ordnungsstrategie gegeben ist, kann es im Sinne einer Dramaturgie des places allerdings durchaus sinnvoll sein, von dieser routinierten Anordnung bewusst abzuweichen, wobei das nur dann rhetorisch wirksam sein kann, wenn entweder die Devianz auch als Devianz erkannt wird und die Abweichung somit zur rhetorischen Figur im Sinne des ornatus wird oder wenn die Abweichung als ein Mittel in erkenntnisleitender (oder wahrnehmungssteuernder) Funktion verstanden werden kann. So kann es – bis zu einem gewissen Grad der Angemessenheit – durchaus ein rhetorisch wirkungsvoller Effekt sein, die Erwartungshaltungen des Publikums gerade nicht oder nicht vollständig zu bedienen und damit einen gewissen Grad an Unordnung zuzulassen oder gar ‚Chaos‘ als gewollte Andersordnung (eine ordo artificialis) bewusst zu inszenieren. 5.3.4 Thematisierung Wird place-making auf die Spitze getrieben, so werden nicht bloß Orte entworfen, die sich – mehr oder weniger – in die alltäglichen place-Routinen der Stadtbenutzer integrieren lassen, sondern regelrechte – und im Sinne der Rhetorik auch regelgerechte – Gegenwelten des Alltags. „Der Unterschied zu allen anderen dramaturgischen Kunstgriffen besteht darin, dass in diesem Fall die Inszenierung nicht die ‚theatralische Bühnenshow‘ ist und es die normale Welt drum herum auch noch gibt, sondern die Show wird zu unserer Welt, in der wir, zumindest für eine begrenzte Zeit, zu Hause sind.“101 In dieser Weise gestalten Themenparks, Themenrestaurants oder Themenhotels eine – oftmals an gängigen Klischees und damit einfachen Identifikationsangeboten orientierte – Lebenswelt, deren rhetorischer Erfolg vor allem davon abhängt, ob es gelingt, den Besucher dieser alltagsentrückten Lebenswelt in diese eintauchen zu lassen. Wie Mikunda schreibt: „Durch thematisch gestaltete ‚Welten‘ lässt man sich in fremde Situationen gänzlich hineinversetzen, versinkt in ihnen.“102 98

Ebd. S. 129.

99

Ebd.

100 Ebd. S. 130. 101 Ebd. S. 140. 102 Ebd. S. 139.

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Dabei greift die Themen-Strategie dann, „wenn man allmählich die Inszenierung als eigene Umwelt akzeptiert. Dazu muss das Thema bis ins Letzte konsequent durchgeführt werden.“103 Insofern diese Strategie letztlich die Grundstrategie jedes Spiels darstellt, dessen rhetorischer Erfolg eben davon abhängt, inwiefern es gelingt, dass die Spieler die Spielwelt als ihre Umwelt akzeptieren und das Spiel entsprechend ernst nehmen, handelt es sich bei der Themen-Strategie letztlich um eine Virtualisierungsstrategie. Wie unter anderem Björn Blankenheim bezogen auf Fragen der Bedeutung des Visuellen für überzeugendes Spieldesign betont, sind die Grenzen dieser Virtualisierungsstrategie letztlich nicht durch eine immer besser gelingende Immersion der Bildwelt gegeben, sondern eher durch eine überzeugende Hintergrundstory, also durch eine überzeugende narratio vorgezeichnet.104 Insofern gilt Mikundas Gestaltungshinweis, man solle das Thema bis ins Letzte konsequent durchführen, weniger dem Anhäufen von immer mehr Gestaltungsdetails, sondern vor allem der Entwicklung einer konsequenten Narration. Gerade Pen-and-Paper-Rollenspiele105 zeigen, dass die Fähigkeit zur „Einfühlung in die Spielwelt“106 und zur Anerkennung der „Spielwelt als Sinnwelt“107 zwar durch eine gute visuelle oder akustische Gestaltung erleichtert oder erschwert werden kann, aber letztlich sich erst durch die narratio vollzieht.

103 Ebd. S. 140. 104 Vgl. Blankenheim, Björn: Visuelle und virtuelle Modelle. Zum Problem rhetorischer Begrifflichkeiten im Game Design. In: Designrhetorik – Sprache für die Form. 4/2014. Auf: designrhetorik.de. 105 Dabei handelt es sich beispielsweise um Adventure-Rollenspiele, die nicht an einem Computer oder Spielbrett gespielt werden, sondern in einer kleinen Gruppe von Menschen, deren Spiel sich allein durch ihr Reden konstituiert. Jeder Spieler spielt in dieser Weise einen Charakter und wird von einem Spielleiter durch eine Fantasiewelt geführt, in der er sich bewegen und bewähren kann, die allein durch die Erzählung des Spielleiters und der Spieler ihre konkrete Gestalt annimmt. Es wäre durchaus rhetorisch interessant zu untersuchen, dass es für derlei Spiele lediglich zwei Grundregeln gibt. Zum einen gilt ‚Was der Spielleiter sagt ist gesetzt‘ (Wenn dieser sagt ‚Da steht ein Baum‘, dann steht da ein Baum.) Dem Spielleiter obliegt die Aufgabe, die Welt in ihrem So-sein zu konstituieren und deren soziale wie auch physische Kontinuität zu garantieren, so dass Orientierung in dieser Welt möglich wird. Zum anderen gilt ‚Gesagt ist Getan‘. Das Aussprechen einer Handlung am Spieltisch (‚Ich fälle den Baum‘) zählt als eine Ausführung der Handlung im Spiel (‚Mein Charakter versucht den Baum zu fällen‘). 106 Smolarski 2014b. 107 Ebd.

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Wir haben das Verhältnis von Rhetorik und Stadt auf zwei Ebenen untersucht: Zum einen auf der Ebene, die mit der ‚Stadt als Raum der Rhetorik‘ umschrieben wurde und vor allem auf die Wechselwirkung von urbaner Gemeinschaft und Rhetorik als techne abhob; zum anderen auf der Ebene, die mit ‚Stadt als rhetorischer Raum‘ umschrieben wurde und versuchte, die Gestalt der Stadt selbst als rhetorisch wirksam zu beschreiben. Zu diesem Zweck wurde – eingeschränkt auf Fragen der Orientierung – durch die Unterscheidung zweier Leitmetaphern (Labyrinth und Collage) auf zwei unterschiedliche Formen von Orientierungsproblemen eingegangen. Die Orientierungsprobleme, die sich in der ‚Stadt als Labyrinth‘ ergeben, sind vor allem solche, die versuchen, eine Antwort auf die Frage ‚Wohin?‘ zu geben, während die Orientierungsprobleme, die sich in der ‚Stadt als Collage‘ ergeben, sich vor allem auf die Frage nach dem ‚Worin?‘ konzentrieren. In beiden Fällen spielen rhetorische Prozesse eine fundamentale Rolle, wie in der rhetorischen Analyse von Lynchs The Image of the City und in der rhetorischen Analyse von place-making-Prozessen gezeigt werden konnte. Insofern beide Aspekte zentrale Aufgabenfelder des Designs beschreiben, gehören diese Analysen eben auch in den Bereich der Designrhetorik.108

108 Zur Designrhetorik siehe auch: Smolarski 2017.

VI. Rhetorik des Zeigens – rhetorische Dimensionen urbaner Beschilderungen

1.

E INFÜHRUNG

IN DAS

K APITEL

Im vorliegenden Kapitel soll es um die rhetorische Dimension in der Gestaltung, Wahrnehmung und Handhabung von urbanen Beschilderungen (urban signage) und speziell von Leit- und Orientierungssystemen gehen. Hierbei gilt allgemein, was Arne Scheuermann und Annina Schneller ebenso für ihre Untersuchung der rhetorischen Dimension des Informationsdesigns des öffentlichen Verkehrs feststellen: „Die Rhetorik der visuellen Kommunikation ist jeweils unterschiedlich schnell zu erkennen. Dass beispielsweise Werbung auf Wirkung zielt, Aufmerksamkeit und Emotionen beim Publikum wecken will und hierfür ‚alle Register zieht‘, leuchtet rasch ein.“1 Es lässt sich als Eingangshypothese formulieren, dass die rhetorische Verfasstheit im Bereich des Informationsdesigns, sei es nun für den öffentlichen Verkehr oder in Bezug auf Leit- und Orientierungssysteme, im Sinne Scheuermanns und Schnellers, wohl eher erst auf den ‚zweiten Blick‘ erkannt wird und in der Regel subtiler angelegt ist, als etwa die Rhetorik der Werbung. Die zentrale Frage wird daher im Weiteren sein: Auf welchen rhetorisch bedeutsamen Grundlagen beruht die Orientierung anhand von Zeichen, die zum Zeigen eines Weges, eines Ziels, eines Standortes oder etwa einer Richtung genutzt werden. Zu diesem Zweck ist es notwendig, sich zuvor über den Begriff des Zeigens zu vergewissern. Insofern die Rede vom Zeigen einen basalen Baustein jeder Auseinandersetzung mit visuellen Phänomenen wie Bildern, Piktogrammen, Pfeilen, etc. darstellt, berührt die folgende Reflexion des Begriffes ‚Zeigen‘ Felder der Bild- und Kunstwissenschaft. Es ist aber zu betonen, dass hier keine explizite Bildphilosophie vorgestellt oder entwickelt werden soll, sondern es allein auf die rhetorischen Implikationen des Zeigens ankommt. Es wird in diesem Sinne versucht, eine Rhetorik des Zeigens zu entwickeln, die sich trotz der Nähe zu 1

Schneller, Annina; Scheuermann, Arne: Visuelle Rhetorik 2 – Regeln, Spielräume und rhetorischer Nullpunkt im Informationsdesign am Beispiel des öffentlichen Verkehrs. Bern: Y-Forschungsbericht Nr.5, 2012. S. 9.

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Grundfragen der Bildwissenschaft explizit nicht als bildwissenschaftlich versteht und daher bestimmte bild- und kunstwissenschaftliche Exkurse zum Problem des Zeigens bewusst ausspart. Die zu entwickelnde Rhetorik des Zeigens fußt auf dem einfachen Gedanken, dass ‚etwas zu zeigen‘ eine Handlung ist und insofern weder Bilder noch Piktogramme, Pfeile oder Finger selbstständig handeln können, impliziert die Rede vom Zeigen, dass hier ‚jemand‘ etwas benutzt, um ‚anderen‘ etwas in einer bestimmten Weise zu zeigen. In dieser Grundbestimmung kann insbesondere an Lambert Wiesing angeschlossen werden, dessen Theorie des Zeigens im Folgenden eingeführt und auf ihre rhetorische Bedeutsamkeit hin befragt werden soll. Es wird sich im Laufe dieser Untersuchung herausstellen, dass in dem einfach anmutenden Akt des Zeigens wenigstens vier Zeigeebenen unterschieden werden können: 1) das Vorzeigen des Zeigemediums als Zeigemedium, 2) das Zeigen der Blickrichtung als Exemplifikation dieser Richtung, 3) das Zeigen eines Etwas als referentiell intendiert, 4) das Zeigen eines Etwas als etwas (soziale Intention), oder besser: Zeigen als semantische Identifikation Diese vier Ebenen zu unterscheiden, ist für die vorliegende Arbeit wichtig, da auf jeder dieser Ebenen rhetorische Herausforderung der Gestaltung von Zeigemedien zu bewältigen sind. Im Anschluss an die Rhetorik des Zeigens sollen im zweiten Teil des Kapitels weiterführende Frage- und Problemstellungen bezüglich der Gestaltung von urbanen Beschilderungen2 wie Bauschildern, touristischen Identifikationstafeln und insbesondere Leit- und Orientierungssystemen besprochen und deren rhetorische Dimensionen ausgelotet werden. Diese Überlegungen ergeben schließlich, zusammengenommen mit den aufgezeigten rhetorischen Herausforderungen in der Gestaltung von Zeigemedien, eine knappe Sammlung rhetorischer Strategien der Wegführung, Identifizierung und Orientierung, die sich freilich nicht als vollständig versteht, sondern allein der Anschauung dienen soll.

2

Unter urbanen Beschilderungen werden im Weiteren temporär fest im urbanen Raum installierte Schilder, Tafeln, Gebäudeverhängungen oder Plakate mit deutlichem Raumbezug verstanden. Es geht im Weiteren also nicht um die vielleicht mitunter rhetorisch bedeutsameren Weg- und Orientierungsführungen im urbanen Raum, die vermittels mobiler Broschüren, Apps, Reiseführern oder ähnlichem geleistet werden, aber zugleich eben auch nicht nur um ‚urban signage‘ im Sinne der Signaletik.

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2. R HETORIK DES Z EIGENS 2.1 Zeigen als Handlung „Zeigen ist eine Handlung.“3 Dies ist die Grundannahme von der aus Wiesing in Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens – und im Weiteren auch dieses Kapitel – ausgeht, um zum Thema zu kommen: Sein Buch, „ist ein Versuch, explizit die Praxis des Zeigens zu beschreiben, durch die Menschen andere Menschen im wörtlichen Sinne des Wortes etwas sehen lassen – und zwar besonders dann, wenn sie hierzu Bilder als regelrechte Instrumente verwenden.“4 Auch wenn es im Weiteren nicht explizit um Bilder gehen wird, ist an dieser einführenden Bemerkung einiges bedeutsam, was im Weiteren herausgehoben werden soll. Erstens beschreibt Wiesing das Zeigen als ein ‚Sehen-Lassen von Etwas‘. Dieses Sehen-Lassen von Etwas ist zweitens eingebunden in einen kommunikativen Prozess zwischen Menschen und dieser Prozess bedient sich drittens bestimmter Instrumente auf eine ‚regelgerechte‘ Art und Weise. Es gibt, das deutet sich schon an, also so etwas wie eine techne des Zeigens. Diesen Weg gilt es im Weiteren herauszuarbeiten. Wiesing bemerkt treffend, dass die Grundannahme, wonach das Zeigen von Etwas eine Handlung sei, auf der einen Seite weitgehend Konsens zu sein scheint und auf der anderen Seite aber sowohl in unserem täglichen Sprachgebrauch als auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit bestimmten Zeigemedien (wie Bildern, Pfeilen oder Piktogrammen) immer wieder vernachlässigt wird. Er schreibt dazu, dass dieselben Forschungen, die betonen, dass Zeigen eine Handlung sei, „allzu oft diese einfache Tatsache, dass es stets Menschen sind, die etwas zeigen, nicht […] beachten – und zwar ganz besonders dann, wenn es um die Beschreibung des bildlichen Zeigens geht.“5 Exemplarisch sei an dieser Stelle auf den Aufsatz Bildpräsenz. Zum deiktischen Wesen des Sichtbaren von Günter Figal verwiesen, der an entscheidender Stelle wie folgt argumentiert: „Versteht man unter ‚Zeigen‘ eine Handlung, so kann die Rede vom Zeigecharakter der Bilder nur eine übertragene sein; dann ver-

3

Wiesing 2013. S. 7. Es wäre die Aufgabe einer explizit handlungstheoretischen oder philosophiegeschichtlichen Arbeit, die Hypothese, nach der das Zeigen eine Handlung ist, theoriegeschichtlich einzubetten und zu diskutieren. In der vorliegenden Arbeit dient diese Hypothese als gesetzter Ausgangspunkt der Untersuchung. Es wird demnach nur kurz und in die Untersuchung einleitend diese Hypothese problematisiert, nicht aber grundsätzlich in Frage gestellt.

4

Ebd.

5

Ebd.

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stünde man die Bilder anthropomorph – als täten sie etwas, wozu nur Personen imstande sind.“6 Hierin decken sich die Ansichten bezüglich des Handlungscharakters des Zeigens. Auch Wiesing nennt eine Bildwissenschaft, die vom ‚Tun der Bilder‘7 spricht eine Bildmythologie.8 Allerdings schreibt Figal weiter: „Aber das Zeigen ist nicht notwendigerweise ein Tun im Sinne des Hindeutens auf etwas. Es gibt auch das Vorzeigen, und bei diesem bewegt man sich nicht unbedingt; wer etwas emporhält und von sich weghält, um es sehen zu lassen, hält sich still.“9 Durch die kategorial fehlerhafte Gleichsetzung von Handlung und Bewegung kommt Figal zu dem Punkt, dass Bilder wohl doch, im Sinne eines Vorzeigens, selbst in der Lage seien, etwas zu zeigen. Der entscheidende Punkt für eine Handlung ist allerdings klarerweise nicht die Frage, ob oder in welchem Ausmaß man sich bewegt, sondern die Frage der Intentionalität. Interessant ist, dass, während Figal in diesem Satz auf die relative Unbewegtheit des Zeigenden hindeutet, er im Nebensatz die viel entscheidendere Frage nach der Intentionalität klammheimlich in seine Bestimmung hineinholt: eben der Nebensatz ‚um es sehen zu lassen‘ betont mit dem ‚um‘ eine Absicht. Wenn unbelebten Objekten nicht eine irgendwie geartete Absicht unterstellt werden soll, so kann Figals Begriff des Zeigens als Vorzeigen eigentlich nur synonym mit dem Begriff des Sichtbarseins verstanden werden. Er sagt demnach nicht mehr, als dass Bilder sichtbar sind.10 Damit ist ein Grundproblem angesprochen, vor dem auch – wie sich

6

Figal, Günter: Bildpräsenz. Zum deiktischen Wesen des Sichtbaren. In: Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren. Hrsg. von Ders., Sebastian Egenhofer und Christian Spies. München 2010. S. 55-72. Hier: S. 57.

7

In diesem Sinne spricht beispielsweise Gottfried Boehm vom „Zeigen, welches das eigentliche Tun der Bilder definiert“ (Boehm, Gottfried: Das Zeigen der Bilder. In: Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren. Hrsg. von Ders., Sebastian Egenhofer und Christian Spies. München 2010. S. 19-53. Hier: S. 48.).

8

Vgl. Wiesing 2013. S. 78-105.

9

Figal 2010. S. 57.

10 Auch Wiesing kommentiert diese Stelle bei Figal und kommt, wenn auch über ganz andere Wege, zu einem ähnlichen Ergebnis. Wiesing betont dabei, dass auch das Vorzeigen, entgegen Figal, eindeutig eine Handlung sei: „Das Emporhalten von etwas und Konfrontieren mit etwas ist zwar kein Hinweisen auf etwas, aber es ist deshalb nichtsdestotrotz eine Handlung, und zwar so eindeutig, wie etwas nur eine Handlung sein kann. Wer etwas emporhält oder von sich weghält, vollzieht eine Handlung mit allen Konsequenzen. Der Akt des bloßen Vorzeigens kann sogar – wie zum Beispiel im Fall des Exhibitionismus oder der Peepshow – eine Handlung sein, welche moralisch bewertet und strafrechtlich verfolgt wird. Wenn die Praxis des Zeigens wirklich keine Handlung wäre, hätte man die kurios absurde Situation, dass das Strafgesetzbuch einen physikalischen Vorgang unter Strafe stellen würde.“ (Wiesing 2013. S. 83f.)

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zeigen wird – Wiesings Theorie des Zeigens bisweilen steht: Es besteht in den Theorien des Zeigens, die den Gedanken, dass Zeigen eine Handlung ist, ernst nehmen, stets die Gefahr, dass Zeigen implizit zum Synonym von Sichtbarsein wird. Zeigen als eine Handlung zu verstehen, heißt, Bildern, Piktogrammen, Pfeilen und Fingern und natürlich auch Leit- und Orientierungssystemen die Fähigkeit abzusprechen, selbstständig jemandem etwas zeigen zu können. Gleichzeitig sind diese Medien – wie sich auch im alltäglichen Sprachgebrauch andeutet – geradezu protypische Zeigemedien. Es handelt sich bei diesen – um einen Ausdruck Heideggers (vor allem seiner Kürze wegen) zu verwenden – um ‚Zeigzeug‘11 und als ein solches sind sie eben Instrumente, die verwendet werden, um etwas zu zeigen. Es mag paradox klingen, aber genau in der konsequenten Betonung des instrumentellen Charakters dieses Zeigzeugs liegt die Möglichkeit begründet, die rhetorischen Dimensionen dieser Verwendung auszuloten. Eine Rhetorik des Zeigens ist nur möglich, wenn Zeigen als ein intentionaler Akt verstanden wird, der darin besteht, andere etwas in einer bestimmten Weise sehen zu lassen. In dieser Richtung bestimmt auch Wiesing den Akt des Zeigens: „Zeigen ist das Sehen-Lassen von etwas Intendiertem.“12 Aus einer solchen Bestimmung folgt sogleich, wie Hilge Landweer betont, dass jeder Zeige-Akt einen Adressaten hat; „man kann sich nicht selbst etwas zeigen. Wenn man etwas sucht und nicht findet, kommt es vor, dass es einem gezeigt wird. Man kann zwar etwas suchen, ohne dass jemand anderer anwesend ist, aber zum Zeigen gehören immer mindestens zwei: Ein Zeigender und jemand, dem es gezeigt wird.“13 Auf diese und weitere Folgen der Bestimmung des Zeigens als Handlung ist im Weiteren unter rhetorischen Gesichtspunkten einzugehen. 2.2 Das Pentad des Zeigens Wenn Zeigen als eine Handlung verstanden wird, dann stellen sich laut Wiesing vier Fragen, die beantwortet werden müssen: 1. Wer zeigt etwas? 2. Womit zeigt jemand? 3. Wem wird etwas gezeigt? 4. Was wird gezeigt?14 Es gilt also zu fragen, wer zeigt wem was womit? Stellte Wiesing zudem noch die für eine Rhetorik des Zeigens notwenige fünfte Frage, nämlich die nach der Absicht des Zeigens, so ergäbe sich sofort eine deutliche Parallele zu Burkes Pentad.15 Dieses führt Burke ein, um zu zeigen, welche Elemente in einer Rhetorik zu berücksichtigen sind, die vom Begriff des Motivs aus versucht, Handlungen in ihrer rhetorischen Dimension zu beleuchten. 11 Siehe dazu: Heidegger 1963. §17. 12 Wiesing 2013. S. 21. 13 Landweer, Hilge: Zeigen, Sich-zeigen und Sehen-lassen. In: Politik des Zeigens. Hrsg. von Karen van den Berg und Hans Ulrich Gumbrecht. München 2010. S. 29-58. Hier: S. 31. 14 Vgl. Wiesing 2013. S. 41. 15 Vgl. Kapitel II.

184 | R HETORIK DER STADT „In a roundabaout statement about motives, you must have some word that names the act (names what took place, in thought or deed), and another that names the scene (the background of the act, the situation in which it occurred); also, you must indicate what person or kind of person (agent) performed the act, what means or instruments he used (agency), and the purpose.“16

Wiesings Frage nach dem ‚Wer zeigt etwas‘ ist hiernach die Frage nach dem ‚agent‘ bei Burke. In gleicher Weise lassen sich auch die anderen Fragen Wiesings mit Burkes Pentad zur Deckung bringen: die ‚agency‘ des bildlichen Zeigens ist die Frage nach dem ‚Womit‘; der ‚act‘ besteht beim Zeigen eben im Sehen-Lassen von etwas Intendiertem; die ‚scene‘ umfasst schließlich die situative Bedingtheit des Zeigeaktes und damit auch den Rezipienten, dem stets in und aus einer bestimmten situativen Verortung heraus etwas gezeigt wird. Die Frage, die Wiesing nicht stellt, die zu stellen jedoch für eine Rhetorik des Zeigens unabdingbar ist, ist schließlich die Frage nach dem ‚purpose‘. Wenn Zeigen eine Handlung ist, jemanden etwas Intendiertes sehen zu lassen, dann wird diese Handlung sinnvoller Weise nur dann stattfinden, wenn mit dieser Handlung bestimmte Absichten, die über das ‚bloße‘ Sehen-Lassen hinausgehen, verbunden sind. Nachfolgend ist auf dieses Pentad des Zeigens einzugehen, da von einer solchen Auseinandersetzung gehofft werden kann, den Zeigeakt als rhetorischen Akt näher in den Blick zu bekommen. Es ist daher das Ziel der nachfolgenden Erörterungen, anhand der Einzelaspekte des Pentads im Sinne einer Handlungsanalyse, Grundkonzepte und -aspekte des Zeigens zu diskutieren und diese zugleich an die bereits entwickelte rhetorische Theorie zu knüpfen. Damit dient die folgende Auseinandersetzung vor allem der Einführung zentraler Begriffe und Konzepte. Eine Anwendung dieser Konzepte erfolgt im späteren Teil dieses Kapitels. 2.2.1 Agent – Wer zeigt? Wiesing stellt zwar die Frage ‚Wer zeigt etwas, wenn ein Bild etwas zeigt?‘ und führt auch richtigerweise aus, dass diese Frage nicht einfach dahingehend beantwortet werden kann, dass dieses ‚Wer‘ stets der Bildproduzent sei, allerdings unterlässt er es, sich dieser Frage genauer zuzuwenden und eine positive Antwort zu geben.17 Diese Zuwendung erfolgt in diesem Abschnitt unter einem rhetorischen Blickwinkel, dem es vor allem darum geht, das Zeigen als eine rhetorische Tätigkeit herauszustellen. Die Frage nach dem ‚Wer‘ des Zeigens, also nach dem Handelnden, ist hiernach die Frage nach dem orator. Damit stellen sich bei dieser Frage im Grunde vergleichbare Probleme wie bei der trivial anmutenden Frage nach dem ‚Wer‘ des Redens. Die orator-Instanz ist, wie bereits in Einleitung und Kapitel II deutlich gemacht wurde, 16 Burke 1969b. S. XV. 17 Vgl. Wiesing 2013. S. 42-46.

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das Ergebnis mehrerer, sich überlagernder Zuschreibungspraktiken von Seiten des Publikums. Dies gilt im Falle von Orientierungs- und Leitsystemen umso mehr, als es sich bei dieser Form rhetorischer Bemühung um eine „sermo absenti ad absentem“18 handelt – vergleichbar anderer Formen wie dem Werbeplakat. Das heißt, dass der orator nicht leiblich präsent ist und sich daher an ein Publikum wenden muss, das weder den orator direkt wahrnimmt noch von diesem wahrgenommen wird. Die Zuschreibung bestimmter Charaktereigenschaften der orator-Instanz, die notwendig ist, damit dieser ein ethos zugesprochen werden kann, vollzieht sich hier also in Form produktiver Unterstellungen – und zwar graduell deutlicher als in einer Rede mit präsentem Redner. Aufgrund der Wahrnehmungs- und Interpretationsgewohnheiten des Publikums, werden der orator-Instanz für den rhetorischen Prozess wichtige Eigenschaften zugeschrieben, also jene Eigenschaften, die Aristoteles mit Einsicht, Wohlwollen und Tugendhaftigkeit umschreibt.19 Die Glaubwürdigkeit der rhetorischen Bemühungen hängt maßgeblich von diesen Zuschreibungen ab, die von Seiten des strategisch planenden rhetors nur insoweit gesteuert werden können, wie es diesem gelingt, die Zuschreibungspraktiken des Zielpublikums gezielt zu bedienen, kurz: in dem Maße, wie es ihm gelingt, dem Publikum diesbezüglich Identifikationsangebote zu machen. Es ist davon auszugehen, dass es in vielen Situationen einen erheblichen Unterschied macht, ob beispielsweise eine Wegbeschreibung von jemandem gegeben wird, von dem wir glauben, er sei verlässlich, kenne sich in der Gegend gut aus und verfolge keine eigenen, unserer Frage nach dem Weg zuwiderlaufenden Interessen, oder ob wir dem orator das Gegenteil unterstellen. Gestalterische Elemente, die aufgrund gängiger Zuschreibungspraktiken Sachlichkeit, Neutralität und Sachkompetenz konnotieren, werden sicherlich einen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit der dargebotenen Informationen und damit auf den Erfolg der Weglenkung haben. Auf der anderen Seite können aber auch Eigenschaften wie Natürlichkeit und eine Spur „kommerzielle Unschuld“20 für den Erfolg dienlich sein. Der Designer Per Mollerup führt dazu als Beispiel nicht offizielle Wegweiser an, die beispielsweise von lokalen Bauern am Straßenrand aufgestellt werden, um zur Verkaufsstelle ihrer Ernte zu führen. Dazu sagt er: „Unofficial, do-it-yourself signs are normally the symptoms of 18 Spang, Kurt: Grundlagen der Literatur- und Werberhetorik. Kassel 1987. S. 41. Spang gebraucht den Begriff der ‚sermo absenti ad absentum‘ zwar nicht in explizitem Bezug zu Orientierungs- und Leitsystemen, allerdings ist es naheliegend auch diese als eine ‚Rede Abwesender zu Abwesenden‘ zu beschreiben. Abwesend ist, wie Spang mit diesem Begriff andeutet, dabei das Publikum in der Phase der Produktion und abwesend ist schließlich dann auch der Redner in der Phase der Rezeption. 19 Vgl. Arist. Rhet. 1378a5. 20 Per Mollerup spricht von der „commercial innocence“ in Bezug auf handgeschriebene und improvisierte Wegweiser. Vgl. Mollerup, Per: Wayshowing>Wayfinding. Basic and Interactive. Amsterdam 2013. S. 14.

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unsuccessful planning. Sometimes, however, amateur signs are more credible than professional signs. This is the case when farmers advertise eggs and produce by the roadside. Drivers read helpless graphics as evidence of good-natured innocence.“21 Eben weil Mollerup zugleich betont, dass „signs – as a rule – are signs of authority“22, haben nicht offizielle Zeichen und Wegweiser eben eine besondere Bedeutung: „These unofficial signs are made by citizens who think for one reason or another that official signs fail to meet their needs. Unofficial signs are the visual voice of the people, a graphic vox populi.“23 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der rhetorische Akt des Zeigens stets Hinweise für das Publikum beinhalten wird, die eine Zuschreibung von Charaktereigenschaften und damit der ‚Kreation eines orators‘ in der Weise zuträglich sind als sie den persuasiven Erfolg des Zeigeaktes begünstigen. Dies heißt insbesondere, dass eine rhetorische Analyse von Zeigzeug stets auch Strategien der ethos-Inszenierung ins Auge fassen muss und umgekehrt, dass die Gestaltung von Zeigzeug umso zielführender sein wird, je angemessener diese ethos-Inszenierung erfolgt und je deutlicher sie auch vom Publikum wahrgenommen und interpretiert werden kann. Eine Rhetorik des Zeigens befasst sich – insbesondere wenn es um Leit und Orientierungssysteme geht – demnach unter anderem mit Fragen der Inszenierung von Seriosität, Neutralität, Objektivität sowie Expertise und Vertrauenswürdigkeit. 2.2.2 Scene – Situation des Rezipienten „Weil das Zeigen von etwas eine Handlung ist und weil ferner deshalb Dinge, die sichtbar sind, nicht allein deshalb, weil sie sichtbar sind, auch schon etwas zeigen, kann derjenige, dem etwas mit einem Bild oder sonst einem Zeigzeug gezeigt wird, nicht jemand sein, der nur durch bloßes Hinsehen und einfaches Betrachten sieht, was auf dem Bild sichtbar ist. Im Gegenteil: Wer ein Bild um seiner Sichtbarkeit willen betrachtet, verwendet das Bild nicht als ein Mittel, mit dem jemand ihm etwas zeigen möchte. Ein Bild [oder ein anderes Zeigzeug] zeigt nur demjenigen etwas, der die von jemand anderem intendierte Verwendung des Bildes zum Zeigen versteht und nachvollzieht.“24

Und genau an diesen, so könnte man Wiesings Gedanken weiterführen, wendet sich der rhetor – oder allgemeiner: der Zeigende – mittels eines spezifischen Einsatzes des Zeigzeugs, wobei es zur Aufgabe des Zeigenden gehört, die Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit seines Zeigeaktes – wenigstens versuchsweise – sicherzustellen. Im Falle der Gestaltung von Medien des Zeigens bedeutet das, dass das Publikum als ein 21 Ebd. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Wiesing 2013. S. 48.

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Zielpublikum in den Blick genommen werden muss und versucht werden muss, diesem Schlüssel zur Dekodierung der Zeigeintention und damit zur intendierten Verwendung des Zeigzeugs an die Hand zu geben. So wie die orator-Instanz das Ergebnis konkreter – und oftmals rhetorisch gelenkter – Zuschreibungspraktiken ist, so ist eben auch das Publikum als Zielpublikum im gestalterischen Prozess lediglich simulierbar. Wie bereits an anderer Stelle deutlich ausgearbeitet wurde, können Gestalter hierbei auf Erfahrungswissen sowie Topiken zurückgreifen, die auf dem vereinfachenden Prinzip beruhen, wonach ähnliche Situationszuschreibungen des Publikums ähnliche Akzeptanz- und Interpretationsrahmen erzeugen, die auf ähnliche Handlungen ähnliche Reaktionen erwarten lassen.25 Das ‚Wem des Zeigens‘ wird daher angemessen in szenischen Begriffen ausgedrückt, die die situative Verortung dessen beschreiben, dem etwas gezeigt werden soll. Im Falle von Orientierungs- und Leitsystemen ist es naheliegend zu sagen, dass der ‚Bezeigte‘26 jemand ist, der den Weg zu seinem Ziel nicht kennt oder nicht mehr findet und sich in dieser Orientierungsfrage suchend an ein Zeigemedium wendet. So sehr dies auch in verschiedenen Facetten eine wichtige Ausgangssituation für das Publikum eines Orientierungssystems ist, so stellt es doch nicht die einzige mögliche Situation dar. Vielmehr wird herauszustellen sein, dass auch andere Motive einen erheblichen Einfluss auf die Möglichkeiten, jemanden etwas Bestimmtes sehen zu lassen haben. Mitunter reicht es nicht aus, bloß die Wege zu bestehenden Zielen zu weisen, sondern es geht nicht selten auch darum, etwas überhaupt erst als mögliches Ziel zu zeigen. Das Publikum eines Orientierungs- und Leitsystems ist – wie noch zu zeigen sein wird – eben nicht immer derjenige, der sich in seiner Wegsuche verloren glaubt, sondern bisweilen auch derjenige, der bei seiner Zielsuche unterstützt werden soll. Wenn die rhetorische Bemühung im Allgemeinen und insbesondere beim Zeigen darin besteht, auf die bestehende Situationsbestimmung des Publikums in der Weise Einfluss zu nehmen, dass dieses sich neu – und in intendierter Weise – verortet, so muss eine Rhetorik des Zeigens in ihrer Analyse stets die unterstellten Ausgangssituationen – und damit das Zielpublikum – in den Blick nehmen.27 2.2.3 Act – Zeigen als Sehen-Lassen von etwas als etwas Wenden wir uns nun dem eigentlichen Akt des Zeigens zu. In der Untersuchung Wiesings finden sich gerade hierzu wichtige Gedanken, die deutlich machen, dass der Akt des Zeigens vielschichtig ist. Nachfolgend sollen vier Stufen des Zeigens unterschieden werden, die, so die These, in jedem Zeigeakt in der einen oder anderen 25 Vgl. Smolarski 2017. 26 Wie Wiesing mit Verweis auf Alfred K. Tremls deutlich macht, gibt es keinen passenden Begriff für denjenigen, dem etwas gezeigt wird. Vgl. Wiesing 2013. S. 47f. 27 Zum Situationsbegriff und dem „attempt to redefine the situation itself“ (Burke 1954. S. 220.), von dem hier die Rede ist, siehe Kapitel II.

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Weise zum Tragen kommen und die – darauf kommt es an – an bestimmte Gelingensbedingungen geknüpft sind. Wiesing führt anhand seiner Auseinandersetzung mit dem Zeigen mittels des Fingers drei dieser vier Stufen des Zeigeaktes aus. Seine Position lässt sich wie folgt referieren: Erstens muss, soll mit dem Finger etwas gezeigt werden, der Finger selbst – im Sinne des Vorzeigens oder der Konfrontation – gezeigt werden. Die Aufmerksamkeit des Publikums muss also zuerst auf das Medium des Zeigens gelenkt werden. Dann kann, zweitens, mittels des Fingers die Blickrichtung angezeigt werden, auf die sich die Aufmerksamkeit des Publikums nun ausrichten soll, damit drittens schließlich das gezeigt werden kann, was mit dem Zeigeakt intendiert ist.28 Hieraus ergeben sich also folgende Stufen des Zeigens: 1) Das Zeigen des Zeigzeugs als Zeigzeug, 2) das Zeigen der Blickrichtung als Exemplifikation und 3) das Zeigen des intendierten Etwas. Hierbei ist bereits an dieser Stelle anzumerken, dass Wiesing, der, wie schon gesagt, den Aspekt der Zeigeabsicht in weiten Teilen unterschlägt, beim Zeigen des intendierten Objektes stehen bleibt. Es wird sich aber im Weiteren herausstellen, dass es einer vierten Stufe bedarf, um das Zeigen als rhetorische Handlung deutlich zu machen. Denn es ist – das sei an dieser Stelle vorerst nur angemerkt – keineswegs so, dass wir im Regelfall auf Objekte als solche zeigen, sondern wir zeigen – das betont letztlich auch die Unterscheidung von referentieller und sozialer Intention29 – vermittels des Objektes auf situationsbestimmende Sachverhalte. Um es einfacher zu sagen: Wir zeigen nicht auf Autos (Objekte), sondern auf ‚Mitfahrmöglichkeiten‘, ‚Gefahrenquellen‘, ‚Luxussymbole‘ etc. Das heißt aber nichts anderes, als dass, wenn wir auf etwas zeigen, wir nicht bloß dieses etwas jemanden sehen lassen wollen, sondern es immer auch als etwas sehen lassen wollen. Dieser vierte Schritt wird, da er zugleich die Absicht des Zeigeaktes enthält, im nächsten Abschnitt ausführlich besprochen. Hier wenden wir uns zunächst den ersten drei Stufen des Zeigeaktes zu. 2.2.3.1 Das Zeigen des Zeigzeugs als Zeigzeug Da das Zeigen eine instrumentelle Handlung ist, müssen die Werkzeuge des Zeigens notwendig demjenigen, dem etwas gezeigt werden soll, zur Anschauung gebracht werden. Der einfache Fall, bei welchem mit einem ausgestreckten Finger auf etwas gezeigt wird, ist bereits auf der basalen Ebene, die uns hier zuerst interessieren wird, an wenigstens drei Bedingungen geknüpft. Erstens muss die Aufmerksamkeit des 28 Vgl. Wiesing 2013. S. 109-140. 29 Diese Unterscheidung stammt von Michael Tomasello und hat eine enge Verbindung zur Unterscheidung von direkter und indirekter Referenz der Zeigehandlung, die Sotaro Kita vorgenommen hat. Zu dieser Unterscheidung siehe auch: Kita, Sotaro: Pointing: A Foundational Building Block of Human Communication. In: Pointing. Where Language, Culture and Cognition meet. Hrsg. von Ders. New Jersey 2003. S. 1-8; Tomasello, Michael: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Frankfurt am Main 2008.

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Publikums des Zeigeaktes zuerst auf das Zeigzeug hin gerichtet werden. Zweitens muss das Zeigzeug – in diesem Fall der ausgestreckte Finger – auch als Zeigzeug, also als Instrument in einer Zeigehandlung erkannt und anerkannt werden. Drittens, muss sich die Aufmerksamkeit des Publikums wieder vom Zeigzeug lösen, so dass gesehen werden kann, was intendiert gesehen werden lassen soll. So trivial dieser Vorgang auch anmutet, ist ein Bewusstsein dieser Abläufe doch nicht unerheblich für die Gestaltung angemessener Mittel des Zeigens. Eine der rhetorischen Herausforderungen für die Gestaltung solcher Mittel liegt gerade in einem Extremalproblem30 begründet: Auf der einen Seite sollten die Mittel des Zeigens selbst größtmögliche Aufmerksamkeit erregen, so dass diese nicht übersehen werden können. Zum anderen müssen sich dieselben Mittel durch etwas auszeichnen, was man als ‚Transparenz‘ bezeichnen könnte, also durch die Möglichkeit, – metaphorisch gesprochen – durch sie hindurch das zu sehen zu bekommen, was gezeigt werden soll. Mollerup bennent diese Problemstellung, indem er bezüglich der Größe von Beschilderungen (Vergleichbares gilt auch für die Farbigkeit, Format und Anordnung) zwei einander kontrastierende Faktoren anführt. Demnach gilt für Beschilderungen zum einen: „First, they should announce their own presence. They must have target value. Second, they should be easily readable. Sign size should give room for sufficiently large and readable content.“31 Auf der anderen Seite gilt aber auch: „Nevertheless, too large size will damage environmental aesthetics and they will have an undesirable cost effect.“32 Das, was hier als Extremalproblem bezeichnet wurde, ist demnach eine Frage des aptums, dem sich nur in Bezug zur situativen Nutzung Rechnung tragen lässt. Plakativ formuliert: Beschilderungen, die in Größe, Format und Farbigkeit auf Autobahnen, also in Labyrinth-Situationen, angemessen sind, würden in Altstadt-Situationen mehr ‚ästhetischen Schaden‘ (im Sinne eines widersprüchlichen place-makings) verursachen als sie zur Orientierung beitragen könnten. Der Designer Massimo Vignelli erhebt durchaus in diesem Sinne die Frage des aptums zum Grundprinzip seines Kanons: „Nach Angemessenheit zu fragen, hilft uns bei der Wahl der richtigen Medien, der richtigen Materialien, der richtigen Größenverhältnisse, des richtigen Ausdrucks, der richtigen Farbe und Textur.“33

30 Ein Extremalproblem ist ein mathematisches Problem, bei dem – vereinfachend – wenigstens zwei Werte maximal sein sollten zur Optimierung des Gesamtergebnisses, wobei die Steigerung des einen Wertes eine Minderung des anderen nach sich zieht. Der Begriff wird in diesem Sinne hier als Metapher gebraucht. Siehe zur Übertragung des Extremalproblems auf Orientierungs- und Leitsysteme auch: Smolarski 2014a. 31 Mollerup 2013. S. 127. 32 Ebd. 33 Vignelli 2012. S. 16.

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Abbildung 1 und 2

Das, was hier als Extremalproblem benannt wurde, heißt also zunächst nichts anderes, als dass Zeigzeug maximale Aufmerksamkeit zugleich auf sich ziehen und von sich weg weisen können muss. Eng mit dieser gestalterischen Herausforderung ist eine zweite verbunden, nämlich die, Zeigzeug so zu gestalten, dass es in der mutmaßlichen situativen Verortung des Zielpublikums auch von diesem leicht als Zeigzeug erkannt werden kann. Wie wichtig dabei gerade die situative Verortung ist, kann an einem einfachen Beispiel deutlich gemacht werden: Wer beispielsweise Gast oder Redner auf einer Tagung und dann auf der Suche nach dem Tagungsraum ist, der wird, wenn er sich an montierten Zeichen orientieren will, eher Ausschau nach tendenziell unprofessionell gestalteten, lediglich temporär angebrachten Zetteln halten, als nach direkten Hinweisen im Leitsystem. In diesem Sinne kann die Umsetzung in diesem Beispiel auch als vollkommen angemessen bewertet werden (Abbildung 1). Der situative Erwartungsrahmen ist letztlich die entscheidende Größe. Dies zeigt sich auch in einem anderen Beispiel: Mollerup macht in seiner Auseinandersetzung mit den gestalterischen Anforderungen an Leitsystemen unter anderem auf die Darbietungssituation aufmerksam. Er beschreibt diese bezüglich der hier gezeigten Abbildung (Abbildung 2) in treffender Kürze wie folgt: „More people may want to know the way to Stephansdom […] in Vienna than to the nearest fast food restaurant. Sign sizes sometimes create absurd hierarchies.“34 Nehmen wir an, die Beschriftung wäre

34 Mollerup 2013. S. 127.

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umgekehrt und die Litfaßsäule würde in großen Lettern auf den Stephansdom aufmerksam machen, während das verglichen damit kleine Schild des Wegweisers in gelben Buchstaben auf braunem Grund auf McDonalds verweisen würde. Es steht zu befürchten, dass dies deutlich größere Verwirrung auslösen würde, als die gegebene Darstellung, denn wer auf der Suche nach den lokalen Sehenswürdigkeiten ist, der erwartet Informationen wohl eher auf vergleichsweise kleinen Wegweisern als auf großen Plakatwänden und Litfaßsäulen. Insofern ist die ‚absurde Hierarchie‘ von der Mollerup hier spricht, eher auf seine ästhetische Betrachtungsweise der Situation zurückzuführen, die einen anderen Erwartungsrahmen erzeugen mag als die Situation des wegsuchenden Touristen. Da das, was ein Zeigzeug ist, also was zum Zeigen benutzt werden kann, Resultat von Konventionen, gezielten Verabredungen und Gewöhnung ist, kann prinzipiell alles zum Zeigen verwendet werden. Erfolgreich lässt sich dabei jedoch nur das verwenden, was auch als Zeigzeug erkannt werden kann und de facto auch erkannt wird. Für den Gestalter stellt sich schon hier allerdings eine noch etwas anders gelagerte Herausforderung. Wie im Abschnitt zum ‚agent‘ bereits deutlich wurde, reicht es nicht aus, bloß den Weg zu weisen. Es muss stets dabei auch auf den Weisenden als orator-Instanz verwiesen werden, dem ein für den Erfolg der Zeigehandlung angemessenes ethos zugesprochen werden kann. (Dem Thema ethos werden wir uns im Laufe dieses Kapitels noch ausführlicher zuwenden.) Auf ganz basaler Ebene aber heißt das: Es reicht nicht aus, dass ein Zeigzeug als Zeigzeug erkannt worden ist, es muss auch vom Zielpublikum als solches anerkannt werden. Es reicht eben nicht, dass ich erkenne, dass da jemand etwas zeigen will, sondern ich muss erkennen, dass er mir etwas zeigen will. So geht in einem gewissen Sinne die Anerkennung eines Zeigzeugs als Zeigzeug mit der Annahme einher, dass man selbst zum Zielpublikum gehört und sich ‚angesprochen‘ fühlt. Ein Beispiel vermag das zu illustrieren: Hier werden in einem Seitengang der Universität Bielefeld dreimal Pfeile zum Zeigen einer Richtung verwendet (Abbildung 3). Der Notausgang ist ein standardisiertes Zeichen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass im Grunde jeder Besucher der Universität sich in einer bestimmten Situation, beispielsweise im Brandfall, auch als potentielles Zielpublikum versteht. Ähnlich verhält es sich mit dem Pfeil, der die Richtung zur ambulanten Versorgung anzeigt. Der dritte Pfeil (genauer: das Pfeilpaar) aber ist nicht einmal ohne Weiteres als Pfeil zu erkennen. Es erinnert in der Form vage an die Abspieltaste eines Rekorders. Wer nicht bereits weiß, dass dies durchaus ein Instrument ist, das hier zum Zeigen einer Richtung benutzt wird und dass dieses vom Campusradio (in dessen Richtung es zeigt) dort angebracht wurde und tatsächlich an einen Rekorder erinnern soll, der wird sich durch diese Installation

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Abbildung 3

schlichtweg nicht angesprochen fühlen und sie im Zweifel auch gar nicht als Instrument des Zeigens registrieren.35 Nützlich scheint diese Installation demnach nur für denjenigen zu sein, der über das Campusradio, sein Logo und die Bedeutung dieser Pfeile bereits Bescheid weiß (auch wenn anzunehmen ist, dass er diesen Richtungshinweis dann gar nicht mehr benötigen wird). Ein anders Beispiel aus demselben Gebäude sei hier noch kurz angefügt (Abbildung 4): Hier ist zwar recht offensichtlich, dass der blaue Pfeil zum Zeigen einer Richtung benutzt wird, es ist aber eher rätselhaft, was sich dort befinden soll und wer zur potentiellen Zielgruppe dieses Zeigeaktes gehört. Das oben beschriebene Extremalproblem, bei dem es darum geht, zugleich hohe Aufmerksamkeit zu erregen und dabei doch ‚transparent‘ zu scheinen, ist für den Gestalter etwa auch dann von Bedeutung, wenn es darum geht, ein Leitsystem für eine Organisation oder Firma zu entwerfen, das zugleich deren corporate identity auszudrücken vermag und sich von anderen sichtbar abhebt und doch schnell erfassbar und unkompliziert für den Benutzer sein soll. Leit- und Orientierungssysteme sollen – wie nahezu alle urbanen Beschilderungen – zwar die Aufmerksamkeit des Publikums erregen, aber dabei doch nicht vom urbanen Geschehen ablenken oder –

35 Zudem kann ein Erkennen der Symbolik (bei diesem Zeichen handelt es sich um ein bildliches Zitat einer Rekorderabspieltaste) gerade zu einem Verkennen der Zeigefunktion führen.

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Abbildung 4

im schlimmsten Falle – als ‚penetrant‘ oder ‚aufdringlich‘ empfunden werden. Von diesem Ausgangsproblem jedes Leit- und Orientierungssystems ausgehend unterscheidet David Gibson in The Wayfinding Handbook im Rahmen von „Branding and Placemaking“36 zwei mögliche Ausgangslagen des Designers: „In some cases an existing brand strategy or identity must be applied to a new sign program. The client provides guidelines for using an existing logo, verbiage, fonts, colors, symbols, and any other proprietary or ‘signature’ brand elements, and the designer must determine when and where it is appropriate to apply these to signage and make recommendations for adjustments or substitutions. […] In other cases the designer creates a new brand identity in tandem with a new wayfinding program. This clean-slate situation is optimal because it ensures that all branding elements will coordinate with the signage and allows the designer to create a more holistic brand experience. [..] In either case the designer should think of the merger of wayfinding and branding as environmental placemaking.“37

Das Extremalproblem ergibt sich demnach aus dem Versuch, eine größtmögliche Kohärenz des Systems zu erzeugen und damit ein gelungenes branding des Ortes vornehmen zu können und dabei allerdings nicht die Funktionalität des wayfinding-Systems als Orientierungshilfe zu vernachlässigen. Es deutet sich bereits an dieser Stelle

36 Vgl. Gibson, David: The Wayfinding Handbook. Princeton 2009. S. 68-73. 37 Gibson, D. 2009. S. 69f.

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an, dass, schon auf der Stufe des ‚Zeigens des Zeigzeugs als Zeigzeug‘, der Funktionsbegriff im Falle von Orientierungssystemen nicht schlichtweg mit deren Leitfunktion durch die ‚Stadt als Labyrinth‘ gleichgesetzt werden kann, sondern ebenso Aspekte einer Orientierung durch die ‚Stadt als Collage‘ berücksichtigen muss, indem der Zusammenhang von Orientierungssystem und place-making in Anschlag gebracht wird. 2.2.3.2 Das Zeigen der Blickrichtung als Exemplifikation Der ausgestreckte Zeigefinger, der als das archetypische Zeigeinstrument des Menschen38 angesehen werden kann und in dieser Weise viele Aspekte des Zeigens auch mit anderen Zeigeinstrumenten teilt, zeigt nicht das Objekt, auf das er verweist. Wenn jemand mit seinem Finger auf ein Auto zeigt, so zeigt der Finger nicht das Auto, sondern die Blickrichtung, welche der Betrachter einschlagen muss, um das Auto sehen zu können. Der Zeigefinger zeigt demnach die Blickrichtung. Genauer: Der Zeigefinger wird von einer Person benutzt, um anderen die Blickrichtung zu zeigen, in der das Objekt liegt, das der Zeigende den anderen sehen lassen möchte. Um dies zu erreichen, muss nicht nur der Zeigefinger zuvor als Zeigzeug identifiziert worden sein, sondern in einem zweiten Schritt muss dem Publikum klar werden, dass dieses Instrument zum Zeigen einer Blickrichtung benutzt wird und nicht nur im Sinne eines Präsentierens oder Konfrontierens, um den Finger selbst sehen zu lassen.39 Hiermit ist bereits eine Herausforderung bezeichnet, die beim Einsatz neuer, dem Publikum unvertrauter, Zeigeinstrumente zu bedenken ist, denn was hier für den Zeigefinger gilt, gilt gleichermaßen für alle Instrumente, die auf eine Richtung Bezug nehmen sollen, die sie selbst haben. Und genau in dieser Formulierung wird deutlich, dass das Zeigen der Blickrichtung mittels des Zeigefingers sich im Sinne Nelson Goodmans als Exemplifikation kennzeichnen lässt. Goodman führt den Begriff der Exemplifikation in Sprachen der Kunst ein, um zu erklären, was es heißt, dass ein Objekt genutzt wird, um symbolisch auf etwas Bezug zu nehmen. Etwas zu exemplifizieren heißt demnach im Kern, auf etwas Bezug zu nehmen. Allerdings nicht auf Beliebiges: „Nehmen wir die Kollektion kleiner Stoffmuster eines Schneiders. Diese funktionieren als Proben, als Symbole, die bestimmte Eigenschaften exemplifizieren. Aber ein Stoffmuster exemplifiziert nicht alle seine Eigenschaften; es ist eine Probe der Farbe, der Webart, der Textur und des Musters, aber nicht der Größe, der Form, des absoluten Gewichts oder des Wertes. Es 38 Zu diesem Punkt siehe u.a.: Tomasello 2009. 39 Der Akt des Zeigens zerfällt in der Literatur oftmals in zwei Modi. Unterschieden wird das Zeigen als ein ‚Vorzeigen‘, ‚Präsentieren‘ oder ‚Konfrontieren‘ von dem Zeigen als ‚Verweisen‘, ‚Hindeuten‘, ‚Hinweisen‘. Siehe dazu unter anderem: Wiesing 2010 und Wiesing 2013. Figal 2010. Landweer 2010.

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exemplifiziert nicht einmal alle die Eigenschaften – etwa die, an einem Dienstag fertiggestellt worden zu sein –, die es mit dem gegebenen Ballen oder der Bahn des Materials teilt. Exemplifikation ist Besitz plus Bezugnahme. Zu haben, ohne zu symbolisieren, heißt bloß zu besitzen; zu symbolisieren, ohne zu haben, heißt dagegen, auf irgendeine andere Weise als durch Exemplifikation Bezug zu nehmen. Das Stoffmuster exemplifiziert nur die Eigenschaften, die es hat und auf die es zugleich Bezug nimmt.“40

Einschränkend muss freilich festgehalten werden, dass nicht das Stoffmuster selbst in der Lage ist, auf etwas Bezug zu nehmen, sondern dazu benutzt wird, um auf etwas Bezug zu nehmen. Wie Wiesing, der auf die Exemplifikation der Blickrichtung durch den Gebrauch des Fingers zum Zeigen verweist, richtig festhält, kann man beim Finger in Zeigefunktion von einer Probe sprechen, denn: „Jeder Gegenstand, der zum Zeigen verwendet wird, ist eine Probe dessen, was er zeigt.“41 Das heißt, der Finger in Zeigefunktion wird als ‚Probe‘ der Blickrichtung einem anderen präsentiert. In diesem Sinne sind insbesondere richtungsweisende grafische Elemente (wenn sie in Zeigefunktion stehen) stets Exemplifikationen dieser Richtung und müssen, um erfolgreich sein zu können, auch als solche erkannt und anerkannt werden. Das heißt, es muss erkannt werden, dass ein bestimmtes Element eine Richtung hat und dass dieses Element auch – etwa aufgrund gängiger Konventionen – dazu verwendet wird, um auf diese Richtung zu verweisen. Beides ist nicht trivial und bedenkt man, dass richtungsweisende grafische Elemente (allem voran Pfeile und pfeilartige Gebilde) essentielle Mittel jedes Leit- und Orientierungssystems sind, so wird klar, dass beide Aspekte notwendige Bedingungen für den Erfolg eines solchen Systems sein werden. Da im Grunde alles, was als gerichtet wahrgenommen werden kann, auch benutzt werden kann, um eine Richtung zu zeigen, kann beispielsweise bei Wegweisern mitunter auch auf Pfeile verzichtet werden. Denn auch das Schild als solches hat durch seine Anbringung eine Ausrichtung, die zum Zeigen verwendet werden kann und auch häufig wird (vgl. Abbildung 5). Dieser Umstand muss auch dann mitbedacht Abbildung 5 und 6

40 Goodman 1995. S. 59f. 41 Wiesing 2013. S. 123.

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werden, wenn eine Anzeige der Richtung durch Pfeile erfolgen soll, sonst kann es zu widersprüchlichen Richtungsindikationen kommen. In der nebenstehenden Abbildung etwa (Abbildung 6) könnte die widersprüchliche Richtungsindikation so verstanden werden, als ob das Schild die Blickrichtung der Bielefelder Sparrenburg in der linken Richtung zeige und der Pfeil diese Annahme durch einen Verweis nach rechts korrigiere. Von einem vorbeifahrenden Radfahrer oder unaufmerksamen Fußgänger mag diese Korrektur aber leicht übersehen werden. 2.2.3.3 Das Zeigen von Etwas (referentielle Intention) Zeigen ist, wie wir mit Wiesing bereits sagten, das Sehen-Lassen von etwas Intendiertem. Nach Wiesing zeigen wir auf Objekte, um diese jemanden sehen zu lassen. So einfach dieser Sachverhalt sich auch anhört, so verschleiert diese Aussage doch einen wesentlichen Aspekt des Zeigens, der notwendig ist, um überhaupt von einer Rhetorik des Zeigens reden zu können. Das Zeigen auf Objekte spielt zwar eine bedeutende Rolle für den Zeigeakt, begnügt sich allerdings nicht damit, diese Objekte bloß sehen zu lassen. Wie Tomasello betont, stellt das menschliche Zeigen einen vollständigen Kommunikationsakt dar, der vollzogen wird, um die Aufmerksamkeit eines anderen auf etwas Bestimmtes zu lenken, weil – und das ist entscheidend – dieser daraufhin in einer bestimmten Weise handeln, fühlen oder urteilen soll.42 Ein Zeigeakt besteht damit immer sowohl aus einem referentiellen Bestandteil, dem Zeigen von etwas, und einem sozialen Bestandteil, dem ‚um-zu‘ des Zeigens. Tomasello spricht von der referentiellen und der sozialen Intention.43 Versucht man ausschließlich über die referentielle Intention des Zeigeaktes zu sprechen, wird sehr schnell deutlich werden, dass sich über diese im Grunde gar nichts sagen lässt, ohne die soziale Intention miteinzubeziehen. Dies mag auf den ersten Blick verwundern: In der alltäglichen Sprechweise über das Zeigen wird der referentielle Aspekt als ein Zeigen von Objekten stets betont. Wir sagen Sätze wie: ‚Er zeigte mir gestern seine Wohnung.‘ ‚Sie zeigte dem Barkeeper ihr leeres Glas.‘ ‚Sie zeigte ihm gegenüber auf die Toilettentür, vor der er stand.‘ Alle diese Sätze betonen die referentielle Intention, so dass der Eindruck entstehen mag, es ginge bei diesen Zeigeakten darum, den anderen die bezeichneten Objekte sehen zu lassen. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass diese Sätze, so verstanden, unvollständig sind. Es fehlt letztlich jeder Bezug auf den Grund des Zeigens und damit auch jeder Bezug zu den Kriterien, um einschätzen zu können, ob der Zeigeakt erfolgreich war. Vollständig wäre die Aussage ‚Sie zeigte dem Barkeeper ihr leeres 42 Vgl. Tomasello 2009. S. 73f. 43 Vgl. Ebd. S. 74ff. Dort schreibt Tomasello, dass jede Geste (insbesondere jede Zeigegeste) in Begriffen der referentiellen Intention (die Aufmerksamkeit auf etwas richtend) und der sozialen Intention (der Grund für dieses Richten der Aufmerksamkeit) kommentiert werden kann.

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Glas‘ erst, wenn es beispielsweise hieße: ‚Sie zeigte dem Barkeeper ihr leeres Glas, damit dieser sieht, dass sie nichts mehr zu trinken hat und ihr nachschenkt.‘ Die referentielle Intention bezieht sich hierbei zwar auf das ‚leere Glas‘ aber die Frau begnügt sich nicht damit, den Barkeeper das ‚leere Glas‘ sehen zu lassen. Gezeigt werden soll eher die Leere des Glases als das Glas, das leer ist. Diese Informationen sind für den Barkeeper allerdings leicht aus der Situation heraus zu erschließen, so dass dieser den Zeigeakt leicht verstehen und entsprechend handeln wird. Bliebe man bei der referentiellen Intention allerdings stehen, so würde letztlich sogar der Handlungscharakter des Zeigens stark beschnitten werden. Denn es erscheint widersinnig anzunehmen, dass das Zeigen von etwas zwar eine Handlung sei, diese aber auf nichts weiter ziele, als den Wunsch, einen anderen dieses Etwas sehen zu lassen. Tomasello unterscheidet – in augenfälliger Übereinstimmung mit den Wirkzielen der klassischen Rhetorik – drei Grundmotive des Zeigens; vereinfachend: Zeigen zur Aufforderung, etwas zu tun oder zu unterlassen oder in einer bestimmten Weise zu tun; Zeigen zur Information eines Anderen über einen Sachverhalt, der von diesem in einer bestimmten Situation als relevant verstanden werden kann; Zeigen zum Teilen zum Zwecke vor allem der Beziehungsbildung.44 Eben diese Grundmotive – Tomasello spricht von einer Grammatik45 – können zum Ausgangspunkt genommen werden, um den Handlungscharakter des Zeigeaktes zu differenzieren. Wir werden uns daher später dieser Unterscheidung wieder zuwenden. Hier gilt es erstmal festzuhalten: Die alltagssprachliche Verkürzung des Zeigeaktes auf ein Zeigen von Objekten, als ein Sehen-Lassen dieser Objekte, ist insbesondere auch für die Gestaltung von Zeigzeug relevant. Denn es entsteht der Eindruck, als wäre der Zeigeakt in erster Linie ein Akt der bloßen Denotation, der als solcher noch nicht rhetorisch sei und der erst – gleichsam im Nachhinein – durch einen zweiten Akt der Konnotation möglicherweise ‚rhetorisiert‘ werde.46 Dem entgegen wird in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass referentielle und soziale Intention sich nicht voneinander trennen 44 Vgl. dazu: Tomasello 2009. S. 260-338. In der klassischen Rhetorik heißen die Grundwirkziele: movere, docere und delectare. Grundsätzlich kann gesagt werden: movere enthält letztlich stets auffordernde Aspekte, docere dient vor allem der Information und delectare lässt sich recht gut im Sinne des Teilens bei Tomasello verstehen, von dem er sagt: „Wir haben die Vermutung angestellt, dass ein derartiges Teilen mit anderen dazu dient, den gemeinsamen Hintergrund mit anderen auszuweiten – wie andere in der Gruppe zu sein und möglichst von ihnen gemocht zu werden sowie in der Lage zu sein, mit ihnen inniger zu kommunizieren“ (Ebd. S. 301.). Eine ausführlichere Erörterung zu diesem Punkt findet im Verlauf dieses Kapitels noch statt. 45 Vgl. Ebd. S. 260-263. 46 Hierin zeigt sich eine gewisse Analogie zum sprachlichen Bereich, die bereits durch die an anderer Stelle geübte ‚Kritik der Metapher vom sprachlichen Gewand‘ deutlich herausgestellt wurde. Vgl. Smolarski 2017.

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lassen und erst im Zusammenspiel dieser beiden Bereiche sich der Zweck eine Zeigehandlung offenbart. Zeigen ist, wie im Weiteren deutlich werden wird, nicht bloß das Sehen-Lassen von etwas (etwa einem Objekt als einer bestimmten Referenz der Zeigehandlung), sondern das Sehen-Lassen von etwas als etwas. 2.2.4 Purpose – Das Zeigen von etwas als etwas Das ‚Zeigen um‘ ist ein Zeigen von etwas als etwas. Es ist das Sehen-Lassen von etwas als etwas. Wir zeigen, um jemanden etwas als etwas Bestimmtes sehen zu lassen. Das meint letztlich nichts anderes als den Versuch einer persuasiven Motivkreation im Rezipienten. Dieser soll sich in einer bestimmten Art und Weise in Bezug auf das Gezeigte verhalten. Dazu muss das Gezeigte als etwas gesehen lassen werden, das die gewünschte Verhaltensweise nahelegt. Ein einfaches Beispiel Tomasellos soll diesen Aspekt illustrieren: „Nehmen wir an, Sie und ich seien auf dem Weg zur Bibliothek, und aus heiterem Himmel zeige ich in die Richtung einiger Fahrräder, die an der Mauer der Bibliothek lehnen. Ihre Reaktion wird sehr wahrscheinlich ‚Häh?‘ sein, weil sie keine Ahnung davon haben, auf welchen Aspekt der Situation ich hinweise oder warum ich das tue, da das Zeigen an sich nichts bedeutet.“47

Bis hierher können wir sagen, dass zwar der Finger (oder womit auch immer hier gezeigt wurde) als Zeigzeug erkannt wurde und auch die Exemplifikation der Richtung richtig gedeutet wurde, aber der Grund der Zeigehandlung noch nicht erschlossen wurde. Dies liegt übrigens nicht daran, dass – wie Tomasello meint – ein bestimmter Aspekt der Situation nicht erkannt wurde, sondern, dass die Situationsbestimmung des ‚Bezeigten‘ noch gar keine ist, in der eine solche Zeigehandlung sinnvoll eingeordnet werden könnte. Schauen wir das Beispiel weiter an: „Aber wenn Sie sich einige Tage zuvor auf besonders üble Weise von Ihrem Freund getrennt haben, und wir beide wissen, dass der andere das weiß, und eines der Fahrräder ihm gehört, wovon wir ebenfalls wissen, dass der andere das weiß, dann könnte genau dieselbe Zeigegeste in genau derselben Situation etwas sehr Komplexes bedeuten wie zum Beispiel ‚Ihr Exfreund ist schon in der Bibliothek (wir sollten sie deshalb vielleicht meiden).“48

Zuerst ist hierbei anzumerken, dass es sich freilich nicht mehr um ‚genau dieselbe Situation‘ handelt, vielmehr ist diese insbesondere in der Weise verschieden von der obigen, als es in dieser Situation Sinn ergibt, ‚aus heiterem Himmel‘ in die Richtung der Fahrräder zu zeigen; genauer: Das Zeigen in Richtung der Fahrräder geschieht in 47 Ebd. S. 13f. 48 Tomasello 2009. S. 14.

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der neuen Situation keineswegs ‚aus heiterem Himmel‘ und beide Personen wissen, dass es einen Grund für den Zeigeakt gibt.49 Darüber hinaus wird an diesem Beispiel allerdings deutlich, dass Person A zwar in Richtung der Fahrräder zeigt und eben auch, um diese sehen zu lassen, allerdings eben nicht ‚aus heiterem Himmel‘, sondern um eines dieser Räder als etwas Bestimmtes sehen zu lassen. Das Fahrrad des Exfreundes wird als ‚Gefahrenindiz‘, als ‚Zeichen einer möglicherweise herannahenden Konfrontation‘ oder als ‚Empfehlung, die Bibliothek zu meiden‘ gezeigt. Das Zeigen auf das Fahrrad, die referentielle Intention, hat also selbst wieder nur einen instrumentellen Charakter innerhalb der Zeigehandlung, der sich in seiner Instrumentalität nicht vom instrumentellen Charakter des Zeigzeugs unterscheidet, das zum Zeigen der Richtung verwendet wird. Genauer ließe sich sogar sagen, dass der Finger als Instrument gebraucht wurde, um in Richtung der Fahrräder zu zeigen und das ein bestimmtes Rad gebraucht wurde, um die ‚Empfehlung, die Bibliothek zu meiden‘ zu zeigen, evident zu machen. Der Zeigeakt als vollständiger Kommunikationsakt wird aber erst dann verstanden, wenn der gesamte kognitive Weg vom Sehen des Fingers bis zum Verstehen der Empfehlung, die Bibliothek zu meiden, in den Blick genommen wird. Dieser Akt ist vollzogen, wenn er vom Rezipienten (dem Bezeigten) erkannt wurde. Der Akt war erfolgreich, wenn der Rezipient diesen nicht nur erkannt hat, sondern auch anerkennt. Das heißt aber nichts anderes, als dass der Zeigeakt persuasiv sein muss. Wenden wir uns noch einmal dem Beispiel Tomasellos zu. Dort heißt es weiter: „Wenn andererseits eines der Fahrräder dasjenige ist, von dem wir beide wissen, dass der andere weiß, dass es Ihnen vor kurzem gestohlen wurde, dann wird genau dieselbe Zeigegeste etwas völlig anderes bedeuten. Oder vielleicht haben wir uns gefragt, ob die Bibliothek zu dieser späten Stunde noch geöffnet ist, und ich weise auf die vielen Fahrräder draußen hin als Zeichen dafür, dass sie geöffnet ist.“50

Wie hieran deutlich wird, ergibt die bloße Angabe der referentiellen Intention, das ‚Worauf des Zeigens‘, noch keinerlei Anhaltpunkt für die soziale Intention, das ‚Wozu des Zeigens‘. Es wäre allerdings ein Irrtum anzunehmen, man müsse zuerst wissen, worauf gezeigt wurde, um daraus zu erschließen, wozu gezeigt wurde. Denn an den eben genannten Beispielen wird ja deutlich, dass auf sehr unterschiedliches 49 Der Grund, warum Tomasello hier von derselben Situation reden kann und in der vorliegenden Arbeit dies nicht geschieht, liegt vor allem darin begründet, dass Tomasello über keinen explizit ausgearbeiteten Situationsbegriff verfügt. ‚Situation‘ meint an dieser Stelle bei Tomasello nicht mehr als die bestimmte Anordnung physischer Objekte im Sichtfeld der beteiligten Personen. Ein solcher Situationsbegriff ist für die vorliegende Arbeit allerdings bereits zurückgewiesen. Vgl. Kapitel II. 50 Tomasello 2009. S. 14.

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gezeigt wird: mal auf ein konkretes Fahrrad als ‚Empfehlung, die Bibliothek zu meiden‘, mal auf ein konkretes Fahrrad als ‚die Möglichkeit, es sich zurückzuholen‘, mal auf die Vielzahl der Fahrräder als ‚Evidenz dafür, dass die Bibliothek noch offen hat‘. Es handelt sich also eher um ein zirkuläres Verstehen51, bei dem die referentielle Intention nur erschlossen werden kann auf der Grundlage einer angenommenen sozialen Intention und in der die Annahme einer bestimmten sozialen Intention davon abhängt, welche referentielle Intention angenommen wurde. Wichtig ist, nach diesen Erläuterungen festzuhalten, dass das Zeigen in der vorliegenden Arbeit in der Struktur ‚Zeigen ist das Sehen-Lassen von etwas als etwas‘ verstanden wird, womit Zeigen eine semantische Identifikation darstellt, die, soll sie erfolgreich sein, an bestimmte Persuasionsbedingungen geknüpft ist und verschiedene Strategien nutzen kann. Auf diese Strategien wird im letzten Teil dieses Kapitels eingegangen. 2.2.5 Agency – Zum Umgang mit den Mitteln des Zeigens Wenden wir uns nun dem fünften Aspekt des Pentads des Zeigens zu: der Frage nach der agency, den Mitteln des Zeigens. Da prinzipiell alles Mögliche zum Zeigen von etwas verwendet werden kann (etwa Bilder, Piktogramme, einzelne Gegenstände, Pfeile, Finger, Stöcke, in manchen Kulturen auch die Lippen oder das Kinn, etc.), soll hier lediglich eine Unterscheidung vorgenommen werden, die zwei Arten des Zeigens ausweist: Das Vorzeigen oder die Konfrontation und das Hinweisen oder das Hinzeigen. Diese Unterscheidung folgt aus der Überlegung, dass es prinzipiell zwei Möglichkeiten gibt, die Aufmerksamkeit eines anderen auf etwas zu lenken: Zum einen kann die Sache selbst in den Blick des Anderen gestellt und ihm auf diese Weise vor Augen geführt werden. Die Sache wird diesem dann vorgezeigt, beziehungsweise er wird mit der Sache konfrontiert. Zum anderen kann man versuchen, den Blick des Anderen auf die Sache zu lenken, man kann auf die Sache hinweisen. Wiesing bringt es noch simpler auf den Punkt: „Beim Fall der Konfrontation bewegt der Zeigende das, was gezeigt werden soll, in den Blick desjenigen, dem etwas gezeigt werden soll; beim Fall des Hinweisens – man könnte auch von Hinzeigen sprechen – lenkt der Zeigende den Blick desjenigen, dem etwas gezeigt werden soll, auf das Gezeigte.“52 Es ist hierbei natürlich zu beachten, dass auch dann vom Vorzeigen gesprochen werden kann, wenn ein Bild oder Objekt nicht direkt im Sinne einer Konfrontation einem Betrachter in das Blickfeld gehalten wird, sondern eher allgemein, wenn Bilder oder Objekte genutzt werden, um anhand dieser etwas sehen zu lassen. Das Vorzeigen ist – und das betont auch Wiesing – damit auch die Voraussetzung

51 Zur Zirkularität bei Tomasello siehe: Smolarski 2015a. 52 Wiesing 2013. S. 23.

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zum Hinzeigen, denn auch wenn eine Richtung durch den Gebrauch beispielsweise eines Fingers exemplifiziert werden soll, muss zuvor dieser Finger präsentiert werden. Da das Hinzeigen bereits oben mit besonderer Betonung der Exemplifikation einer Richtung beschrieben wurde, soll es hier vor allem um die Mittel des Vorzeigens gehen. Diesbezüglich entwickelt Figal eine interessante Position, in der er versucht, einen spezifischen Umgang mit den Mitteln des Vorzeigens als Kriterium rhetorischer Bilder zu verstehen. Um diese Position einzuführen, ist nochmals anzumerken, dass bereits oben kritisch auf Figals Position bezüglich des Zeigens der Bilder hingewiesen wurde. Figal geht – entgegen der Auffassung der vorliegenden Arbeit – davon aus, dass das Vorzeigen der Bilder keine Handlung sei und daher von den Bildern selbst ausgehen könne. Wenn im Weiteren also Figal zitiert wird, so ist stets mitzudenken, dass freilich auch das Vorzeigen eine Handlung ist, und daher eines Handelnden bedarf. Dies bedenkend, zeigen Bilder nach Figal etwas vor, indem sie ein Schema präsentieren: „Solche Bilder bilden nicht ab, indem sie etwas nachmachen und in ein Bild verwandeln, sondern sie stellen jeweils ein identifizierbares Schema vor.“53 Als Schema bezeichnet Figal „platonisch gesprochen, nicht das eidos oder die Idee einer Sache, sondern allein deren identische Wahrnehmbarkeit, ihre wahrnehmbare Identität.“54 Es soll damit also nicht die „mit dem faktisch Vorliegenden identische Gestalt gemeint sein, die erfasst, einfach zur Kenntnis genommen und behalten werden kann.“55 Denn diese Gestalt sei noch kein Wissen davon, was das Identische und klar Identifizierbare ist. Diese eher kryptische Bestimmung des Begriffes kann am ehesten dahingehend verstanden werden, dass ein Schema bereits eine semantische Identifikation darstellt, die also nicht in irgendeiner Weise ‚bloß‘ abbildet, sondern zugleich das Abgebildete als etwas interpretiert und diese Interpretation dann als eine charakteristische Identifikation behandelt. In dieser Weise schlussfolgert Figal richtig: „Dabei ist das Zeigen niemals neutral oder indifferent – als ob in ihm etwas schlicht und ohne Alternativen gegeben wäre. Jedes Gezeigte ist in bestimmter Hinsicht präsent; seine Präsenz ist mehr oder weniger stark daran gebunden, wie es gezeigt wird.“56 Und eben weil dies so ist, ergibt sich für Figal auch die Möglichkeit einer Rhetorik des Bildes. „Durch Größe, Format und Bildaufbau, durch die Farbe und durch die Verteilung von Hell und Dunkel ist festgelegt, wie das Gezeigte präsent sein soll. Weil diese Festlegung möglich ist, kann es auch so etwas wie eine ‚Rhetorik des Bildes‘ geben.“57 Hiermit berühren wir bereits die Frage nach möglichen rhetorischen Strategien des Zeigens von etwas als etwas, um die es im 53 Figal 2010. S. 59. 54 Ebd. S. 58. 55 Ebd. 56 Ebd. S. 62. 57 Ebd.

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nächsten Unterkapitel gehen soll. Was an dieser Stelle zuerst interessieren soll, ist die Frage nach den Mitteln des Vorzeigens und dem Umgang mit diesen. Figal entwickelt hierbei eine eindeutige Position: Bilder sind für ihn rhetorisch, wenn sie es schaffen, dass der Betrachter sich bei der Betrachtung des Bildes allein auf das dargestellte Schema konzentriert und nicht zugleich auch das Wie des Vorzeigens, eben die Mittel des Vorzeigens, beachtet und als solche erkennt. „Zur ‚rhetorischen‘ Wirkung von Bildern gehört, dass der Betrachter die Weise des Vorzeigens nicht ohne Weiteres durchschaut und stattdessen auf das Schema konzentriert bleibt. Das Bild erfüllt seinen Sinn umso mehr, je entschiedener das der Fall ist.“58 Die Rhetorik des Vorzeigens ist demnach gekennzeichnet durch ein Verbergen der rhetorischen Kunst, also ein Verbergen sowohl der Zweckgebundenheit als mitunter auch der Persuasionsabsicht. Dieses Verbergen der Kunst kennt die klassische Rhetorik unter dem Stichwort einer dissimulatio artis. Laut Dietmar Till stellt dieses Prinzip eine wirkungsästhetisch begründete anthropologische Universalie menschlicher Kommunikation dar. „Ein Hörer, der merkt, dass er durch Einsatz rhetorischer Mittel überredet wird, baut psychische Widerstände auf, die vom Redner kaum mehr überwunden werden können.“59 Auf dieser Grundlage meint auch Figal die dissimulatio artis stelle

58 Ebd. 59 Till, Dietmar: Verbergen der Kunst. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 9. Tübingen 2009. Sp. 1034-1041. Hier: Sp. 1034. Hierzu gilt es, Folgendes anzumerken: Lehrsituationen sind freilich bezüglich der Offenlegung der rhetorischen Mittel anders gelagert. Hier, wo sich Produktions- und Analysedimensionen verbinden sollen, werden die Techniken der rhetorischen Kunst eben auch offenzulegen sein, damit diese verstanden und gelernt werden können. Wenn also beispielsweise über die rhetorischen Möglichkeiten eines persuasiven Beispielgebrauchs gesprochen wird, dann gehört es eben auch dazu, die Bedingungen des Einsatzes von Beispielen, die verschiedenen Arten von Beispielen und dergleichen offen zu diskutieren. Hierzu gehören beispielsweise auch Fragen der dispositio, wie, ob es in einer bestimmten rhetorischen Situation zielführender sei, erst das Beispiel zu geben und dann von da aus den Gedanken in Form einer Induktion zu entwickeln, oder umgekehrt, erst den Gedanken vorzutragen und dann mit einem Beispiel zu einer gut memorierbaren Pointe zu führen. Allerdings wird auch in einer solchen Lehrsituation zwar offen über den Gegenstand der Lehre gesprochen, aber eben nicht zwingend über die rhetorischen Mittel der diese Situation tragenden Didaktik. Der von Till angesprochene Widerstand gegen die merkliche Überredung rührt – und das ist wichtig festzuhalten – nicht daher, dass das Publikum die Überzeugungsabsicht erkannt hat. Die dissimulatio artis bezieht sich eben nicht auf die rhetorische Absicht, sondern auf die rhetorischen Mittel. Auch in der Lehrsituation ist dem Schüler klar, dass er belehrt (docere) werden soll; so wie es dem Teilnehmer einer Predigt oder einer Volksrede klar ist, dass der Redner ihn von etwas zu überzeugen sucht. Gleiches gilt auch für die rhetorischen

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eine Grundlage einer Rhetorik des Vorzeigens dar. Die Zeigemöglichkeiten rhetorischer Bilder „kann man wie den rhetorischen Charakter einer Rede nur benennen und beschreiben, wenn man sich von ihnen nicht ‚mitnehmen‘, überzeugen und überwältigen lassen will.“60 Was Figal hier richtigerweise betont, ist die für das analytische Erfassen des rhetorischen Charakters der eingesetzten Mittel (also deren rhetorischer Funktionsweise) notwendige Distanz, die umso notweniger zu sein scheint, je mehr die Mittel dazu eingesetzt werden sollen, in einem pathetischen Sinne ‚mitzunehmen‘ und zu ‚überwältigen‘.61 Auch wenn in Bezug auf Orientierungs- und Leitsysteme vielleicht weniger vom ‚Überwältigt-Werden‘ gesprochen werden kann, so zielen doch auch diese Systeme, nicht zuletzt mit ihren bildlichen Darstellungen, die im Sinne des Vorzeigens gebraucht werden, auf eine Überzeugung des Publikums ab. Wie Mollerup diesbezüglich festhält: „It has sometimes been suggested that the difference between commercial and non-commercial signs is that commercial signs persuade while nonZiele des Bewegens (movere) und Erfreuens (delectare). Problematisch wird die Überzeugungsarbeit für den Redner nur dann, und nur dann bauen sich auch Widerstände auf, wenn das Publikum die gewählte Strategie als eben das (eine gewählte Strategie) zu durchschauen anfängt, wenn also die gewählten Mittel der Überzeugung als solche offensichtlich werden. Die Aussage Tills ist demnach nur unter der Betonung der Wortgruppe ‚durch den Einsatz rhetorischer Mittel‘ zu verstehen. Es gilt demnach, dass das ‚Verbergen der Kunst‘ im Sinne eines Verbergens der Mittel von einem Verbergen der Absicht zu unterscheiden ist. Während ersteres der dissimulatio artis und damit einem Grundprinzip der Rhetorik entspricht, stellt letzteres die (rhetorische) Bemühung als eine Bemühung um ‚Neutralität‘ heraus. Auf diese Unterscheidung wurde bereits an anderer Stelle ausführlich eingegangen. Vgl. Smolarski 2017. 60 Figal 2010. S. 65. Wie Wiebke-Marie Stock in ihrem Aufsatz zur ikonischen Differenz bei Figal und Böhme ausführt, ist der Begriff der Rhetorik bei Figal allerdings deutlich negativ besetzt. „Der Begriff der Rhetorik ist für Figal durchweg negativ besetzt; ‚rhetorische Wirkung‘ bedeutet, dass der Betrachter etwas nicht ‚durchschaut‘, dass er überwältigt, verführt und hinters Licht geführt [wird]. Ein positives Rhetorikverständnis im Sinne einer Überzeugungs- und Wirkungskraft fehlt hingegen.“ (Stock 2011. S. 113.) 61 In Bezug auf pathetische Gegenstände ist über diese notwenige Distanz etwa im Zuge der Theorien des Erhabenen gesprochen worden. So betont beispielweise Schiller: Da, „wo wir uns wirklich in Gefahr befinden, wo wir selbst der Gegenstand einer feindseligen Naturmacht sind, da ist es um die ästhetische Beurteilung geschehen. So erhaben ein Meersturm, vom Ufer aus betrachtet, sein mag, so wenig mögen die, welche sich auf dem Schiff befinden, das von demselben zertrümmert wird, aufgelegt sein, dieses ästhetische Urteil darüber zu fällen“ (Schiller, Friedrich: Vom Erhabenen. In: Friedrich Schiller. Sämtliche Werke. Bd. V. Erzählungen. Theoretische Schriften. Hrsg. von Wolfgang Riedel. München 2004. S. 489-512. Hier: S. 496.).

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commercial signs inform. That is a truth within limitations. All commercial signs inform and many non-commercial signs include elements of persuasion.“62 Insbesondere aber wird in der Betrachtung von Leit- und Orientierungssystemen deutlich – das zeigte sich schon oben in der Betrachtung des Zeigens als ein Zeigen des Zeigzeugs und den damit einhergehenden Extremalproblemen –, dass diese besonders erfolgreich sind, wenn der Betrachter nicht auf die Mittel des Vorzeigens aufmerksam wird, sondern auf der Ebene dessen seine Aufmerksamkeit fokussiert, was Figal mit Schema bezeichnet. Oder um es kurz zu sagen: Ganz im Sinne der dissimulatio artis zielen Orientierungs- und Leitsysteme darauf ab, im Gebrauch ihrer Mittel stets ‚natürlich‘ oder in einem gewissen Sinne ‚alternativlos‘ zu wirken, worin zu einem wesentlichen Teil auch ihre Angemessenheit zum Ausdruck kommt.63 In gewisser Weise kann also in Bezug auf den Umgang mit den Mitteln des Vorzeigens im Sinne einer dissimulatio artis bereits von einer Strategie des Zeigens gesprochen werden. Insofern diese aber zugleich eine Grundlage der rhetorischen Wirksamkeit des Vorzeigeaktes darstellt, sollte diesbezüglich eher von einer Superstrategie gesprochen werden; sie steht ‚über‘ – oder besser: ‚hinter‘ – möglichen gezielten strategischen Erwägungen und hilft, deren Grenzen und Reichweite abzustecken. Schauen wir uns vor dem Kontext des Gesagten folgendes Beispiel an: Seit 1984 werden auf den Seitenstreifen der Autobahnen braun-weiße Schilder angebracht, die auf touristische Ziele in der Umgebung der Autobahn und – in der Regel – in einem städtischen Kontext aufmerksam machen sollen. Diese Schilder heißen ‚touristische Hinweisschilder‘ oder auch ‚touristische Unterrichtungstafeln‘. Bereits in der Bezeichnung der Schilder klingt die Verwendungsweise und Funktion deutlich an: Als Hinweisschilder sollen sie auf touristische Ziele hinweisen, allerdings weniger in der Weise des Hinzeigens als in der Weise des Vorzeigens, wobei das Ziel dieses Zeigeaktes darin besteht, auf die Städte und Kommunen der Umgebung aufmerksam zu machen und die Lust zum Besuch zu wecken. Als Unterrichtungstafeln stehen diese Schilder im Dienst der Information und Belehrung, also des rhetorischen Zieles docere. „Das ist Heimatkunde im Vorüberfahren“64, sagt Thomas Hessling vom Automobilclub ADAC, der sich – laut SPIEGEL-Online –„selbst als Erfinder dieser Unterrichtungstafeln […] hierzulande bezeichnet.“65 62 Mollerup 2013. S. 87. 63 Damit berührt die Rhetorik des Vorzeigens in ihren Grundbedingungen das Problemfeld einer Rhetorik der Neutralität. Allerdings ist dazu anzumerken, dass die dissimulatio artis zwar ein Verbergen der rhetorischen Mittel meint, aber nicht zwingend – im Sinne einer Rhetorik der Neutralität – dabei zugleich auch die rhetorische Wirkungsabsicht verbergen muss. Zur Rhetorik der Neutralität siehe: Smolarski 2017. 64 Zit. nach: Pander, Jürgen: Schilder an der Autobahn: Info braun-weiß. In: Spiegel-Online vom 11.08.2006. (Stand: 22.02.2015). 65 Ebd.

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Im Gegensatz zu den mitunter aufwändig gestalteten und eben nicht uniformen Begrüßungstafeln am Ortseingang (vgl. Abbildung 7), erscheinen die touristischen Unterrichtungstafeln eher sachlich und betont zurückhaltend, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass diese einer wesentlich engeren Normierung unterliegen als jene. Ihr vereinheitlichtes Erscheinungsbild – braun-weißes Schild von zwei mal drei Metern mit Abbildungen im Piktogrammstil und ortsidentifizierendem Textteil – und ihr häufiges Auftreten auf längeren Autobahnfahrten66, machen diese Tafeln zu wohlbekannten und daher leicht zu erkennenden Wegzeichen. Eben genau deshalb kann aber auch von einer dissimulatio artis in Bezug auf die Gestaltung dieser Tafeln gesprochen werden, denn obgleich diese durchaus nach rhetorischen Gesichtspunkten gestaltet sind und Mittel gebrauchen, um gezielt einen ganz bestimmten Eindruck des beworbenen Reiseziels zu vermitteln, scheint die Rhetorizität dieser Mittel dem auf der Autobahn Vorüberfahrenden nicht offensichtlich. Schauen wir uns beispielsweise das 2014 aufgestellte Schild der Stadt ‚Weil der Stadt‘ im Böblinger Landkreis an (Abbildung 8). Das Schild besteht aus drei Elementen: Abbildung 7 und 8

a) Die Textinformation Die Schriftzüge ‚Keplerstadt‘ und ‚Weil der Stadt‘, die ohne jede Interpunktion, Kopula oder anderer Verbalformen auf der Tafel angebracht sind, sagen die Identität dieser ‚beiden Städte‘ aus: ‚Weil der Stadt‘ ist die ‚Keplerstadt‘.

66 „Durften die Schilder bis dahin [bis 2003] nur auf Sehenswürdigkeiten in ‚unmittelbarer Nähe der Autobahn‘ hinweisen und musste ein Mindestabstand von Schild zu Schild von 20 Kilometern eingehalten werden, sind nach der Novellierung die Schilder alle zehn Kilometer erlaubt und der Hinweis muss sich nur noch auf Ziele ‚in der Nähe der Autobahn‘ beziehen.“ (Ebd.)

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b) Die Darstellung Keplers Abbildung 9, 10 und 11

Zur Stützung dieser Aussage findet sich im Vordergrund eine piktogrammhafte Abbildung Johannes Keplers, der über die ikonografischen Mittel Zirkel und Himmelsglobus (und Papier) als mathematisch-astronomischer Gelehrter ausgewiesen wird. Dass es sich dabei um klassische Ikonografie handelt, wird ersichtlich, wenn man Vergleichsdarstellungen betrachtet: Ohne diesen Weg hier näher verfolgen zu wollen, seien aus der großen Menge an möglichen Referenzbildern exemplarisch auf die Darstellung eines Astronomen in dem Rudolf Asper (16. Jh.) zugeschriebenen Bild (um 1580; Abbildung 9) oder dem gut hundert Jahre späteren vermutlich niederländischen Bild (Abbildung 10) verwiesen, in denen sich offensichtlich derselben ikonografischen Mittel bedient wird. In Bezug auf die sprachliche Botschaft ‚Keplerstadt‘ wird mit eben dieser Darstellung der Dargestellte als der bekannte Johannes Kepler identifiziert. Die Darstellung Keplers dient in dieser Weise zu allererst der Visualisierung und natürlich dem attentum parare. Hierzu gesellt sich eine zweite Funktion: Denn es wurde nicht bloß eine – unter vielen möglichen – Darstellung Keplers gewählt, sondern ein Piktoramm des Monuments Keplers, welches sich in Weil der Stadt auf dem zentralen Platz befindet (Abbildung 11). So dient die Darstellung Keplers zum einen der Visualisierung Keplers, zugleich dient diese aber auch als Evidenz der behaupteten Identität von ‚Keplerstadt‘ und ‚Weil der Stadt‘, denn sie wird gebraucht, um auf das Monument in der Stadt hinzuzeigen, indem es dieses vorzeigt. Es zeigt sich hieran, was Mollerup von Piktogrammen generell behauptet: „To the degree that a pictogram fails to meet one of the two conditions of motivation and convention, the other condition becomes more important. If a pictogram reader cannot see what a

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pictogram depicts, it is good to remember what it means. If the pictogram reader cannot remember having seen the pictogram before, it is good to see and understand what it depicts and thereby understand what it means.“67

Die touristische Unterrichtungstafel der Stadt ‚Weil der Stadt‘ erscheint in dieser Hinsicht sowohl motiviert, denn dem Betrachter wird das vor Augen gestellt, was auch beschrieben wird, als auch konventionell, denn die Darstellungsweise solcher Tafeln ist weithin bekannt. c) Die Szenerie Abbildung 12 und 13

Neben dem Kepler-Monument werden im Hintergrund noch zwei weitere touristische Attraktionen beworben. Die Silhouette des Storchenturms (Abbildung 12) und der katholischen Kirche St. Peter und Paul (Abbildung 13) bilden den szenischen Hintergrund. Die Darstellung Keplers, die in der oben aufgeführten Weise die Rolle des tragenden Arguments erfüllt, soll durch diese Szenerie ein Setting zur Seite gestellt bekommen, das die Altstadtmotive, die mit Handlungen wie ‚bummeln‘, ‚entspannen‘, ‚flanieren‘ einhergehen, betont und zugleich – das aber eher subtil – leichte Naturelemente68 mit hineinbringt, die zusammen mit den anderen Elementen die Stadt als ‚grüne, gediegene Altstadt mit Weltbedeutung‘ auszeichnen sollen. Durch die Hervorhebung der drei Bezugspunkte, die auf dem Bild in eine räumliche Nähe und einer damit einhergehenden Bedeutungsnähe gestellt werden, werden Orte im Stadtraum bezeichnet, die – mit Lynch gesprochen – als ‚cores‘ dem Stadtraum einen bestimmten Charakter verleihen sollen und damit nicht zuletzt auch dem place-making dienen.69 Zugleich wird die Darstellung benutzt, um die im rhetorischen Prozess 67 Mollerup. S. 106. 68 Man beachte die Rundungen neben dem Turm, die für stilisierte Baumkronen stehen. 69 Vgl. zu diesem Punkt Kapitel V.

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der Gestaltung selektierten Wegmarken vorzuzeigen, die vom Betrachter später im Stadtraum identifiziert werden und so seiner Orientierung dienen können (vgl. Abbildung 14). Abbildung 14

3. W IRKZIELE

UND

S TRATEGIEN DES Z EIGENS

3.1 Vorbemerkungen Wenden wir uns nun den Strategien des Zeigens zu. Dabei soll ausgehend von Tomasellos Analyse der Zeigeziele und einer Anbindung dieser Ziele an die klassische Rhetorik eine Strategiesammlung erarbeitet werden, in der die strategische Umsetzung dieser Ziele ersichtlich wird. Dass eine solche Strategiesammlung nicht auf Vollständigkeit angelegt sein kann, ist sicher keiner weiteren Erklärung bedürftig. Die Strategiesammlung selbst soll anhand der Wirkungsfunktionen der Elemente der Leit- und Orientierungssysteme kategorisiert werden. Dabei stützt sich diese Einordnung auf die Untersuchungen zum wayfinding wie sie vor allem von David Gibson (The Wayfinding Handbook) und in weitgehender Übereinstimmung von Per Mollerup (Wayshowing>Wayfinding) aber auch - wenigstens implizit – von Craig M. Berger (Wayfinding) vorgenommen wird.70 Diesen Autoren folgend können vier Kategorien unterschieden werden, die nachfolgend auf ihre rhetorisch-strategischen Momente hin zu untersuchen sind: Identifikation, Direktion, Deskription und Regulation. Demnach werden wayfinding-Zeichen eingesetzt, um Orte vorzeigend zu

70 Vgl. Gibson, D. 2009.; Mollerup 2013.; Berger, Craig M.: Wayfinding. Designing and Implementing Graphic Navigational Systems. Mies 2009.

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identifizieren, auf Richtungen hinzeigend zu verweisen, Wege narrativ zu beschreiben und um letztlich auf die Benutzer regulierend Einfluss zu nehmen. Identifikation, Direktion, Deskription und Regulation stellen demnach Ziele rhetorischer Interventionen dar, bei denen dem Gestalter eine Vielzahl von möglichen Strategien zur Verfügung steht, um diese zu erreichen. Die rhetorischen Wirkziele des Zeigens – quasi als klassische Großkategorien –, die hier dahinter stehen, beschreibt Tomasello als: Auffordern, Informieren und Teilen. Diesen wenden wir uns zuerst zu. 3.2 Wirkziele des Zeigens Tomasello beginnt seine Auseinandersetzung mit den Wirkzielen des Zeigens als einem Akt kooperativer Kommunikation indem er sagt: „Unser allgemeiner Ansatz besteht […] darin, uns auf drei Hauptmotive menschlicher kooperativer Kommunikation zu konzentrieren: Auffordern, Informieren und Teilen. Die Grundidee ist, dass der Kommunikationszweck bestimmt, welche Art und wieviel Information ‚im‘ Kommunikationssignal enthalten sein muss, und daher auch ganz allgemein, welche Art grammatikalischer Strukturierung nötig ist.“71

Demnach gilt zum einen, dass die Wirkziele der Zeigekommunikation bereits eine Grundlage zur Entscheidung über die Art der Informationsgestaltung und -strukturierung liefern. In dieser Weise übernehmen die Wirkziele eine Funktion im Designprozess, der analog zu den Vertretbarkeitsgraden der klassischen Rhetorik gesehen werden kann.72 Zum anderen gilt aber auch, dass die Art der Informationsgestaltung und -strukturierung, die dem Publikum präsent ist, den Erwartungsrahmen für bestimmte Wirkziele absteckt, so dass beispielsweise Aufforderungen auch leicht als Aufforderungen erkannt werden können. Die Formen der grammatikalischen Struktur, in der sich die Wirkziele unterscheiden, denkt sich Tomasello dabei als Komplexitätsgrade. Um diese einzuführen, sei hier ein längerer Abschnitt dazu zitiert: „Da Aufforderungen typischerweise nur Sie und mich im Hier und Jetzt sowie Handlungen betreffen, die Sie meinem Willen zufolge vollziehen sollen, erfordern Kombinationen natürlicher Gesten und/oder sprachlicher Konventionen keine wirklich syntaktische Markierung, sondern nur eine Art von ‚einfacher Syntax‘ in Form einer Grammatik des Aufforderns (obwohl wir mit den modernen Sprachen auch recht komplexe Aufforderungen formulieren können.)

71 Tomasello 2099 S. 261. 72 Die Übertragung der Vertretbarkeitsgrade auf designrhetorische Überlegungen ist bereits an anderer Stelle geschehen, so dass hier lediglich darauf verwiesen sein soll. Vgl. Smolarski 2017.

210 | R HETORIK DER STADT Wenn wir jedoch Äußerungen hervorbringen, die andere über für sie hilfreiche Dinge informieren sollen, sind häufig Ereignisse und Beteiligte involviert, die weder räumlich noch zeitlich gegenwärtig sind. Dadurch wir ein funktionaler Druck erzeugt, solche Dinge zu tun, wie die Rolle der Teilnehmer und der Sprechaktfunktionen durch eine ‚ernstzunehmende Syntax‘ in Form einer Grammatik des Informierens zu kennzeichnen. Wenn wir schließlich im Modus der Narration mit anderen eine komplexe Abfolge von Ereignissen mit mehreren Beteiligten, die in verschiedenen Ereignissen verschiedene Rollen spielen, teilen wollen, brauchen wir sogar noch komplexere syntaktische Mittel, um die Ereignisse aufeinander zu beziehen und die Beteiligten über diese Ereignisse hinweg zu verfolgen. Das führt zur Konventionalisierung einer ‚extravaganten Syntax‘ in Form einer Grammatik des Teilens und der Erzählung.“73

Die Komplexitätssteigerung ist demnach eine direkte Folge der Notwendigkeit zur Kompensation fehlender Kontextinformationen. Im Falle des Aufforderns im hic et nunc vermag schon eine einfache Zeigegeste ihren Zweck zu erfüllen, während im komplexen Fall der Narration von Zusammenhängen, die letztlich nicht primär dazu dienen, den Hörer über für diesen konkret relevante Sachverhalte aufzuklären oder auf konkret Relevantes hinzuweisen, bedarf es einer komplexeren Syntax, die es unter anderem erlaubt, Zeitebenen, soziale Rollen und Raumbestimmungen klar zu unterscheiden. In allen diesen Fällen aber ist die Grundlage ein gemeinsamer Hintergrund, der es erlaubt, Kontextinformationen abzukürzen und damit kooperative Kommunikation zu erleichtern und zu beschleunigen. Nun stellen auffordernde, informierende und (mit)teilende Kommunikationsakte freilich nicht nur Aspekte der Zeigekommunikation dar, sondern sie können überhaupt – und als solche versteht sie auch Tomasello – als Grundmotive jedes kommunikativen Verhaltens bestimmt werden. Worauf es Tomasello – unter anderem – ankommt, ist, dass diese Motive auch schon beim Zeigen zum Tragen kommen und damit der Zeigeakt bereits ein vollständiger Kommunikationsakt sein kann. Wenn diese Grundmotive die Hauptmotive jedes Kommunikationsaktes sein sollen, dann ist es naheliegend zu vermuten, dass auch die klassische Rhetorik dazu Begriffe und Konzepte entwickelt haben sollte (auch wenn diese sicherlich weniger auf Zeigeakte rekurrieren, sondern eher auf die Verbalsprache fokussieren.) Den Grammatiken des Aufforderns, Informierens und Teilens entspricht – wie kurz zu zeigen sein wird – in dieser Weise die klassisch-rhetorische Unterscheidung der Appellfunktionen: movere (bewegen), docere (belehren), delectare (erfreuen). Wenn nachfolgend die Parallelisierung dieser Konzepte erfolgen soll, geht es dabei nicht darum, diese gleichzusetzen. Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, Begriffe, die sich als nützlich zur Beschreibung des Designprozesses und der Designprodukte erweisen können, in ein Schema zu pressen, das der klassischen Rhetorik entnommen ist. Daher erfolgt im Weiteren auch explizit keine Gleichsetzung, sondern eine Analogisierung. 73 Ebd.

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3.2.1 Zeigemotiv: Auffordern Auffordernde Kommunikationsakte dienen dazu, handlungsregulierenden Einfluss auf andere auszuüben. Sie sind Imperative, die sich direkt an einen Adressaten wenden und diesen zu den Handlungen bewegen sollen, zu denen er aufgefordert wird. ‚Reich mir die Butter!‘, ‚Schließ das Fenster!‘, ‘Komm her!‘ sind Beispiele solcher Aufforderungen mit augenfällig einfacher Syntax aus dem Bereich der sprachlichen Kommunikation. Im Bereich des Zeigens mit vorrangig visuellen Mitteln wird der auffordernde Charakter schon auf einer sehr allgemeinen Ebene deutlich. Wie Wiesing betont, stellt der Satz ‚Dieses Bild zeigt den Eifelturm‘, der bezüglich einer Postkarte aus Paris geäußert wird, nur scheinbar eine deskriptive Aussage dar: „Obwohl der Satz ‚Das Bild zeigt den Eifelturm‘ grammatisch betrachtet wie ein deskriptiver Satz aussieht, handelt es sich um einen präskriptiven Satz, der eine Aufforderung oder Vorschrift formuliert. Man hat es mit einer grammatischen Illusion zu tun: Der Satz täuscht durch seine grammatische Konstruktion etwas vor, was gar nicht mit ihm behauptet werden soll. […] Mit dem Satz ‚Das Bild zeigt den Eifelturm‘ wird – entgegen dem Anschein – nicht behauptet, dass das Zeigen des Eifelturms eine Eigenschaft dieses Bilds ist, sondern er ist so zu verstehen, dass das Bild etwas zeigen kann, wenn man es entsprechend gebraucht – und das bedeutet vor allem: Das Zeigen eines Bildes ist keine sichtbare oder gar messbare Eigenschaft eines Bildes, sondern eine Disposition, welche in der Aussage ‚Das Bild zeigt den Eifelturm‘ allerdings wie eine Eigenschaft behauptet wird.“74

Auf dieser allgemeinen Ebene, behauptet Wiesing, sei jede Aussage über das, was ein Bild zeige, letztlich eine Aussage über eine Verwendungsweise des Bildes zum Zeigen der behaupteten Sache. Durch Konventionalisierung – und die Postkarte ist als touristische Postkarte einer lokalen Attraktion stark konventionalisiert – wird es überflüssig, diese präskriptiven Sätze zu äußern, die Umgangsformen mit visuellen Zeichen dieser Art wirken dann gleichsam als präskriptive Regeln des Sehen-Lassens. Insofern kann gesagt werden: Jedes visuelle Zeichen, das eingebunden ist in konventionalisierte Gebrauchs- und Verstehenspraktiken ist damit zugleich eingebunden in auffordernde Zuschreibungspraktiken. Für unsere Unterscheidung sind allerdings die visuellen Zeichen von größerer Bedeutung, bei denen nicht nur die Zuschreibungspraktiken, die das Verstehen ermöglichen sollen, präskriptiv sind, sondern bei denen andere zum Vollzug oder zum Unterlassen bestimmter Handlungen direkt aufgefordert werden. In Bezug auf diese kann gesagt werden: Das Kommunikationsmotiv der Aufforderung steht in Analogie zum rhetorischen Appell, der das Publikum in Bewegung versetzen soll, kurz: dem movere. Die klassische Rhetorik erklärt laut Lausberg die Wirkungsfunktion des mo-

74 Wiesing 2013. S. S109f.

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vere als eine momentane, zumeist von starken Emotionen (pathos) getragene Einflussnahme auf das Publikum, das dieses zur Parteinahme für die Partei des Redners bewegen soll.75 Es geht also darum, das Publikum zu bewegen und das auf zwei Ebenen: Zum einen soll es im Sinne des pathos affektiv bewegt werden, was besonders gut funktioniert, wenn der Redner den Eindruck macht, selbst affiziert zu sein. Zum anderen soll dem Publikum aber auch ein Ventil dieser Affizierung gegeben werden, so dass es in diesem Sinne auch zu konkreten Handlungen bewegt werden soll. Anders als die Wirkziele delectare und docere ist das movere deutlicher auf konkrete Handlungen gerichtet, zu denen das Publikum bewegt – und in diesem Sinne auch aufgefordert – werden soll. Wie Georg Wöhrle in seinem Artikel zum movere festhält, besteht die Notwendigkeit dieser Wirkungsfunktion gerade darin, dass es nicht reicht, dass „die Richter (die Hörer) einen parteilichen Standpunkt für den besseren halten; die Affekte bewirken jedoch, dass sie das auch wollen.“76 Es mag ungewöhnlich anmuten, wenn hier Aufforderungsmotive in Analogie zum rhetorischen movere gebracht werden und diese Analogie auf den Bereich des Informationsdesigns übertragen werden soll; denn gerade das Informationsdesign gilt – wenigstens dem Namen nach – als vergleichsweise pathos-frei. Wie wir aber in der späteren Besprechung der Strategien des Zeigens und dabei vor allem der Strategien der Regulation und Aufforderung sehen werden, können durchaus pathos-Elemente im Informationsdesign ausgemacht werden.77 Es wird sich aber auch dabei zeigen, dass insbesondere Aufforderungen nicht losgelöst von der Kategorie des ethos untersucht werden können. Die hier in Anschlag gebrachte Analogie von rhetorischem movere und dem Zeigemotiv des Aufforderns verliert aber nicht dadurch ihre Berechtigung, dass es sich eben nicht um eine vermeintliche Identität handelt, sondern bleibt berechtigt als ein Vergleich, der vor allem darauf abzielt, der Rolle des pathos in der Gestaltung urbaner Beschilderungen und insbesondere im Informationsdesign mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. 3.2.2 Zeigemotiv: Informieren78 Nach Tomasello stellt das Motiv des Informierens die zweite Gruppe von Zeigemotiven dar. Dabei schließt „die Handlung des Informierens […] typischerweise weitere Ereignisse und Teilnehmer ein als nur die eigene und die angesprochene Person im 75 Vgl. Lausberg 2008. §257,3. 76 Wöhrle, Georg: Movere. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 5. Tübingen 2001. Sp. 1498-1501. Hier: Sp. 1499. 77 Hierzu wird auch der Forschungsbericht von Annina Schneller und Arne Scheuermann mit herangezogen. Vgl. Schneller/Scheuermann 2012. 78 Es ist wichtig darauf zu verweisen, dass das Zeigemotiv des Informierens nicht das einzige Motiv des sogenannten Informationsdesigns ist. Informationsdesign umfasst ebenso die Motive des Aufforderns und Teilens.

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Hier und Jetzt. Schließlich handelt es sich um Dinge, über die der Empfänger gegenwärtig nichts weiß.“79 Zeigehandlungen werden demnach nicht nur vollzogen, um andere aufzufordern, sondern auch, um andere über Ereignisse, Personen oder Sachverhalte zu informieren. „Wenn ich Sie informiere, biete ich Ihnen eigentlich Hilfe an, da ich Sie typischerweise über Dinge informiere, von denen ich vor dem Hintergrund meines Wissens über Ihre Ziele und Interessen glaube, dass Sie (und nicht ich) sie hilfreich oder interessant finden (auch wenn ich auf einer höheren, individuellen Ebene andere eigennützige Motive dafür habe).“80

Wie Tomasello hier deutlich macht, beruht die Möglichkeit des Informierens folglich auf der Identifikation des rhetors mit dem Publikum, denn nur dann kann dieser mutmaßen, welche Information für das Publikum in einer bestimmten Situation relevant, hilfreich oder interessant sein könnte. Diese Identifikation wird umso bedeutsamer, wenn es sich, wie im Falle des Informationsdesigns, um eine sermo absenti ad absentem handelt und das Publikum an der Relevanz der Information überhaupt erst erkennt, dass es das tatsächliche Zielpublikum ist. Zudem wird in diesem Zitat deutlich, worin der wesentliche Unterschied zwischen Informieren und Auffordern besteht: Eine Aufforderung kann zwar durchaus auch ‚informativ‘ sein und enthält auf jeden Fall bestimmte Informationen, erfolgt aber aus anderen Motiven heraus als das Informieren. Kurz: Beim Auffordern geht es, wie oben beschrieben, um eine Handlungsanleitung; hingegen geht es beim Informieren um ein Helfen durch Aufmerksamkeitslenkung. In den Worten Tomasellos: „Wenn wir eine bekannte Formel von Searle ins Soziale übertragen, können wir sagen, dass Aufforderungen eine Du-zu-mir-Ausrichtung haben, da ich von Ihnen will, dass Sie meinem Wunsch entsprechen, während informative Handlungen eine Ich-zu-Dir-Ausrichtung haben, da ich Ihren Wünschen und Interessen [oftmals ungefragt] entsprechen will.“81

Affektrhetorisch betrachtet handelt es sich bei diesem Zeigemotiv um ein Analogon des Redeziels docere, das in der relativ „emotionsfreie[n] Darlegung des Sachverhaltes“82 begründet liegt. Docere meint nach Lausberg den „intellektuellen Weg der persuasio“83, der, eben weil er nicht auf die Erregung der Affekte setzt, stets der Gefahr des taedium (Langeweile) ausgesetzt ist. Um dieser Gefahr zu begegnen, gilt es daher 79 Tomasello 2009. S. 288. 80 Ebd. S. 97. 81 Ebd. 82 Whörle, Georg: Docere. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 2. Tübingen 1994. Sp. 894-896. Hier: Sp. 894. 83 Lausberg 2008. §257,1.

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als ratsam, die rhetorischen Tugenden hier besonders zu beachten: Die rhetorische Intervention sollte demnach nicht nur durch Glaubwürdigkeit der Information sowie der Informationsquelle getragen werden, sondern sich zudem durch Kürze, Klarheit und vor allem Relevanz auszeichnen. Es ergibt sich hieraus folglich ein Extremalproblem aus Präzision und Prägnanz.84 Die gegebene Information muss präzise genug sein, damit sie auch einen klaren Informationsgehalt hat, mit dem das Publikum auch etwas anfangen kann. Zugleich muss die Information prägnant formuliert sein, so dass in einem möglichen Maximum an Kürze die Relevanz der Information für das situativ verortete Publikum sich andeutungsweise erschließen lässt. Je nach situativem Sachverhalt kann es strategisch wirkungsvoller sein, mal eher die Präzision bei der Informationsvermittlung zu betonen und in einem anderem Zusammenhang eher auf Prägnanz zu setzen: Abfahrtspläne der Bahn, die über die Zeiten, Gleise und Zugaufteilung ankommender und abfahrender Züge informieren sollen, gelten als angemessen, wenn sie präzise sind; hingegen arbeiten Informationstafeln an Sehenswürdigkeiten auch sehr wirkungsvoll mit den Mitteln der prägnanten (häufig bildlichen) Darstellung. Der Unterschied wird leicht deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass auf einem beschränkten Platz Informationen gegeben werden müssen, die sehr unterschiedlicher Art sein können: Auf die Frage ‚Auf welchem Gleis fährt der Zug nach Erfurt?‘ lässt sich knapp und präzise antworten ‚Auf Gleis 3.‘ Auf die Frage ‚Welche sozial-historische Rolle spielte und spielt dieser Platz?‘ lässt sich aufgrund der Platzbeschränkungen mitunter nicht hinreichend im Sinne der Präzision antworten, so dass es fast unumgänglich scheint, wenigstens einige Teile der Information prägnant, etwa durch Andeutungen (beispielsweise ‚Straße des 17. Juni‘), semantisch offenere, bildliche Elemente oder Metaphern (etwa ‚Wiege der Revolution‘) auszudrücken. Wie Tomasello betont, stellen sich durch die gegenüber dem Zeigemotiv des Aufforderns veränderte Komplexität drei neue kommunikative Herausforderungen, die die Grammatik des Informierens bestimmen: Identifizieren, Strukturieren, Ausdrücken.85 Über das Identifizieren schreibt Tomasello:

84 Umgangssprachlich werden die Begriffe prägnant und präzise oft synonym verwendet, bezeichnen allerdings in der vorliegenden Arbeit entgegengesetzte modi der Informationsdarbietung. Präzision setzt vor allem auf Genauigkeit und Klarheit und führt – mit den Begriffen der rationalistischen Schule um Leibniz, Wolf und Baumgarten gesprochen – zu klaren und deutlichen Vorstellungen. Hingegen bezeichnet die Prägnanz eine Form konzentrierter Fülle, so dass Ausdrucksformen gefunden werden, die in der Einheit eine kaum beschreibbare Mannigfaltigkeit ausdrücken oder andeuten können. Prägnanz ist in dieser Weise auch der Terminus, den Baumgarten zur Beschreibung des Ästhetischen nutzt. 85 Vgl. Tomasello 2009. S. 288-294.

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„Jenseits von Aufforderungen muss der Kommunizierende über Mittel verfügen, auf abwesende oder unbekannte Gegenstände und Ereignisse Bezug zu nehmen, ja sogar mehrere Einheiten als einen einzelnen funktional kohärenten Konstituenten verwenden, zugleich aber den Referenzakt für den Empfänger im gemeinsamen Hintergrund verankern.“86

Im Zeigeakt, der hier vor allem im Vorzeigen besteht, müssen demnach identifizierende Elemente gebraucht werden, die es erlauben, etwas als etwas Bestimmtes sehen zu lassen. Die Identifizierung dient dabei also nicht bloß einer vermeintlich neutralen Bezugnahme, sondern jede Referenz mit den Mitteln der Identifizierung – seien es nun Piktogramme, Bilder oder Worte – muss zugleich das, was sie Sehen-Lassen soll, als etwas erscheinen lassen, womit sich, wie wir oben bereits ausgeführt haben, eine rhetorische Dimension des Zeigens eröffnet. Zum Strukturieren schreibt Tomasello, dass dieses gebraucht wird, „um klarzustellen, wer was wem gegenüber getan hat.“87 Die Grammatik des Informierens muss demnach über Mittel verfügen, das Pentad der gegebenen Information zu kennzeichnen, die freilich, je nach Art und Situation der rhetorischen Bemühung, stark variieren können. Tomasellos These ist es, dass es zum Zweck der Information Anderer, auch im Bereich des gestischen – und, wie sich ergänzen ließe, auch des bildlichen – Zeigens eine Möglichkeit geben muss, die Fragen des Pentads zu beantworten. Das heißt, wenn mit den Mitteln des Zeigens jemand über einen Sachverhalt oder Ereignis informiert werden soll, so muss diese Information, soweit es nicht aus dem direkten situativen Kontext der Zeigehandlung erschlossen werden kann, Antworten auf die Fragen parat halten: Wer hat was mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck vor welchem Hintergrund getan? Im Allgemeinen wird es aber eine Gestaltungsaufgabe sein, die gegebenen Informationen zu strukturieren, die sich gleichwohl auf Sprache und bildliche Verweise stützt. ‚Ausdrücken‘ meint bei Tomasello schließlich, die Möglichkeit, den Akt des Informierens als solchen kenntlich zu machen und somit auf der Ausdrucksebene von Aufforderungsakten oder Akten des Teilens zu unterscheiden. Dies ist umso dringender geboten, wenn man bedenkt, dass viele Sprechakte nicht immer eindeutig zuzuordnen sind. ‚Es ist kalt hier drin‘, kann als Aufforderung verstanden werden, die dazu führen soll, dass das Fenster geschlossen wird; es kann aber auch als bloßer Akt des Informierens verstanden werden, der dazu dient, eine in einer bestimmten Situation für den Adressaten relevante Information zu geben, um diesem zu helfen, beispielsweise das Verhalten des Sprechers zu verstehen; schließlich kann es ein Akt des Teilens sein, der das Ziel einer Gemeinschaftsbildung durch das Erweitern des gemeinsamen Hintergrundes verfolgt. Im gegebenen Beispiel lässt sich allerdings auch bei fehlendem Indikator durch einfaches Nachfragen eine mögliche Konfusion 86 Ebd. S. 289. 87 Ebd. S. 291.

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beheben. Im Falle eines gestalteten Produktes, das nicht die Möglichkeit hat, auf Nachfragen zu reagieren und sich zu erklären, braucht es aber bestimmter Gestaltungsmittel, um Informationsakte als solche kenntlich zu machen. Dabei können die Mittel recht einfache sein: Eine Fußnote in einem Text verrät, dass es hier weiterführende Informationen gibt, die allerdings nicht zwingend für das Verständnis des Textes gelesen werden müssen; findet sich in einem Kochbuch eine abgesetzte und womöglich farblich unterlegte Spalte mit dem Titel ‚Tipp‘, so handelt es sich um zusätzliche Informationen, die als helfend verstanden werden sollen, der Speise mehr Würze zu geben oder sie zu variieren, die allerdings nicht notwendig sind, um das Gelingen der Speisezubereitung zu gewährleisten; oder man denke an Straßenschilder zu Straßennamen, die auf bekannte Persönlichkeiten verweisen, und zur Erklärung darunter die Lebensdaten, Profession und den Grund der Bekanntheit dieser Persönlichkeit angeben (Abbildung 15). In gleicher Weise wie im Kochbuch fungieren Infokästen auch in Handbüchern, wie etwa hier im Handbuch Grafik und Gestaltung88, wo in einem solchen Kasten (mehr oder weniger) hilfreiche Zusatzinformationen zur Farbwirkung gegeben werden (Abbildung 16). Solche Zusatzinformationen sind zwar letztlich – auf einer höheren Ebene der Motivation – Werbemaßnahmen, die im Dienste der Aufwertung und des place-makings stehen, erfüllen aber diese Funktion, indem sie als hilfreiche Zusatzinformation für Touristen erkennbar sind. Sie erscheinen quasi als Fußnote zum Straßenschild. Ein anderes Beispiel wären ‚sprechende Signaturen‘89 auf touristischen Stadtkarten oder Orientierungsplänen. Wenn etwa hier für die Parcours d’Europe in Straßburg (Abbildung 17) skizzierte Schrägbilder der Gebäude, die an einer bestimmten Stelle der Route zu sehen sein Abbildung 15 und 16

88 Vgl. Wäger, Markus: Grafik und Gestaltung. Das umfassende Handbuch. Bonn 2012. 89 Darunter sind „Grundriss-, Aufriss,- oder Schrägbilder von Objekten in schematischer bis individueller Darstellung [zu verstehen]. Man findet sie z.B. für Industriestandorte, Lagerstätten und Sehenswürdigkeiten (Wirtschaftskarten, Freizeitkarten)“ (Hake, Günter; Grünreich, Dietmar; Meng, Liqiu: Kartographie. Visualisierung raum-zeitlicher Information. Berlin 2002. S. 123.)

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werden, bereits sichtbar vor Augen gestellt werden, so werden damit zugleich potentiell hilfreiche Zusatzinformationen gegeben: Die Schrägbilder heben die Gebäude als ‚Stationen der Route‘ aus dem urbanen Kontext, was nicht zuletzt eine bessere Memorierbarkeit und womöglich auch ein schnelleres Erkennen des Gebäudes vor Ort ermöglicht. Unter dem Motiv des Informierens bekommt das Vorzeigen von etwas als etwas hierbei den Charakter eines Hinweises. Dieses informativ-belehrende Hinweisen auf etwas steht in einem engen Verhältnis zum Redeziel docere, muss allerdings – wie sich noch zeigen wird – keineswegs stets als eine emotionsfreie Darlegung verstanden werden, sondern kann sich durchaus auch sanfter Affekte bedienen; eben solcher, die die Gesamtstimmung tragen und befördern. 3.2.3 Zeigemotiv: Teilen „Das Motiv des Teilens ist […] eng mit dem Informieren verwandt. Es betrifft die elementare menschliche Motivation, einfach Informationen – und, was am wichtigsten ist, Einstellungen zu diesen Informationen – mit anderen zu teilen.“90 Tomasello, dem es im Kern um die Frage geht, wie geteilte Intentionalität möglich ist, und der diese Frage durch das Konzept des ‚gemeinsamen Hintergrundes‘ zu beantworten gedenkt, führt das Motiv des Teilens ein, weil dieses – mehr als auffordern und informieren – zur Erweiterung des gemeinsamen Hintergrundes der beteiligten Kommunikateure führt. „Beispielsweise ist es an einem schönen Tag ganz üblich, zu Ihren Kollegen im Büro zu sagen ‚Was für ein schöner Tag heute!‘ Dieses Verhalten ist nicht von einem imperativen oder informativen Motiv abgeleitet, bei dem es um Hilfe geht, sondern von einem rein sozialen. Diese Art von Kommunikationsakt besteht einfach im Teilen von Einstellungen und Gefühlen, so dass unser gemeinsamer Hintergrund erweitert wird.“91

Auch wenn es in der vorliegenden Arbeit nicht um die direkte face-to-face-Kommunikation geht und somit von einer Erweiterung des gemeinsamen Hintergrundes auf beiden Seiten der Kommunikation (Empfänger und Sender) nicht gesprochen werden kann, spielt dieses Motiv dennoch eine besondere Rolle auch im Bereich des Informationsdesigns. Analog zum Redeziel delectare, dem es darum geht „die Sympathie des ‚Publikums für den Redner und für den Redegegenstand zu gewinnen“92 und das

90 Ebd. S. 301. 91 Ebd. S. 98. 92 Wöhrle, Georg: Delectare. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 2. Tübingen 1994. Sp. 521-523. Hier: Sp. 521.

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Abbildung 17

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auf Wohlwollen, Freundlichkeit, Geneigtheit und Gelassenheit zielt, zielen auch bestimmte Aspekte des Informationsdesigns auf die Möglichkeit, neben der Information eine bestimmte Einstellung zu dieser Information mitzuliefern und so die Rezeption der Information in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Insbesondere an den Stellen, wo Informationsdesign den Bereich des place-makings berührt, ist es nicht hinreichend, die ‚bloße‘ Information zu liefern, sondern es bedarf zugleich einer ‚sanften Affektierung‘ des Publikums, das diesen Informationen gegenüber wohlwollend, freundlich, geneigt oder gelassen entgegentreten soll. Es geht also – und das betont auch Tomasello – um narrative Momente, die Einstellungen zu Sachverhalten überzeugend transportieren sollen. Vereinfachend kann gesagt werden: Jeder Akt des Teilens enthält notwendig den Akt des Informierens, bleibt aber nicht bei diesem stehen, sondern dient letztlich der Erzeugung oder Erweiterung eines gemeinsamen Hintergrundes; kurz: einer Art Wir-Gefühl. Es wird im Weiteren deutlich werden, dass es durchaus Strategien des Informationsdesigns gibt, die in dieser Richtung unterstützend wirken können und sollen. 3.3 Strategien des Zeigens Nachdem die Zeigemotive des Aufforderns, Informierens und Teilens als analog zu den rhetorischen Wirkzielen movere, docere und delectare herausgestellt wurden, gilt es nun, auf Strategien des Zeigens einzugehen. Folgt man der Unterscheidung der Zeichenfunktionen bei Mollerup oder auch bei Gibson, so lassen sich vier Arten von Strategien unterscheiden: Strategien der Identifizierung, Strategien der Direktion, narrative Strategien der Deskription und schließlich Strategien der Regulation.93 Diese Unterscheidung orientiert sich an den unterschiedlichen Funktionstypen der Elemente eines Orientierungs- und Leitsystems, beziehungsweise urbaner signageSysteme, die zusammengenommen eine Orientierung im urbanen Raum ermöglichen sollen. Demnach erscheint es notwendig, sich 1) seines eigenen Standortes zu vergewissern; und das nicht nur im Sinne einer räumlichen Lage des eigenen Standpunktes in Bezug zu anderen Punkten (als Antwort auf die Frage ‚Wo?‘), sondern auch in Bezug auf die Identifizierbarkeit des Ortes, an dem man sich befindet (als Antwort auf die Frage ‚Worin?‘).94 Zu diesem Zweck werden bestimmte Strategien der Identifizierung, Kategorisierung und Benennung genutzt. 2) Es ist wichtig, Mittel strategisch einzusetzen, um Menschen auf der Suche nach Zielorten und vor allem den Wegen zu selbigen zu unterstützen. Es bedarf gewisser Strategien der Direktion als

93 Vgl. Mollerup 2013. S.87. Siehe auch: Gibson, D. 2009. S. 47. 94 Zur Unterscheidung der Fragen nach dem Wo und Wohin als Ausdruck der Metapher des Labyrinths und der Frage des Worin als Ausdruck der Metapher der Collage siehe: Kapitel III.

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verschiedene Arten des glaubwürdigen und vertrauenswürdigen Zeigens der Richtung. (Über diesen Aspekt ist bereits ausführlich innerhalb der Rhetorik des Zeigens gesprochen worden.) 3) Es werden über narrative Mittel Möglichkeiten entwickelt, die sowohl Wege als auch potentielle Ziele bewusst machen sollen und die zugleich durch die gezielte Vermittlung von Informationen einen Beitrag zum Stadtmarketing und place-making darstellen können. Hierbei geht es um die oben benannten narrativen Strategien der Deskription. Obgleich alle diese Funktionsweisen einen – mal klaren, mal eher subtilen – Bezug zur Handlungsregulierung seiner Benutzer haben, lassen sich davon noch 4) diejenigen Elemente unterscheiden, die direkt und offensichtlich der Regulation dienen und etwa durch Verbote, Warnhinweise oder auch Gebote Einfluss auf den Raum von Handlungsoptionen nehmen. Richtigerweise kann und sollte hier noch 5) ergänzt werden, dass natürlich auch Orientierungsmittel wie vor allem Karten und Lagepläne bedeutsam sind. Da diese allerdings bereits Gegenstand einer anderen Arbeit waren, sei hier lediglich darauf verwiesen.95 Von den genannten vier Funktionstypen ist über die rhetorischen Bedingungen und Möglichkeiten der Dirketion bereits gesprochen worden, so dass nun folgend die übrigen drei besprochen und auf ihre strategischen Aspekte hin befragt werden sollen. Es geht im Weiteren also um die Strategien der Identifizierung, die Strategien der Deskription und die Strategien der Regulation. 3.3.1 Strategien der Identifizierung Mollerup leitet seine Skizze der Identifizierungsfunktion urbaner signage-Systeme wie folgt ein: „Identification means establishing identity.“96 Es geht bei der Identifizierung folglich um die Generierung einer Identität als eines spezifischen Charakters oder der Unterstützung einer solchen schon bestehenden Identität. Insofern wird augenscheinlich, dass Strategien der Identifizierung in einem engen Bezug zu placemaking-Prozessen stehen, deren Hauptaufgabe ebenfalls in der Schaffung eines genius loci liegt. Grundsätzlich aber lassen sich zwei Arten der Identifizierung – wie oben bereits angedeutet – unterscheiden: Zum einen dient die Identifizierung der Schaffung einer spezifischen Identität, die Handlungsoptionen offeriert. Als solche Funktion dient die Identifizierung der Antwort auf die Frage des Worin. Es ist entscheidend für den nach Orientierung in der ‚Stadt als Collage‘ Suchenden, die Charakteristiken des Ortes zu erfassen, in dem er sich vorfindet, nicht zuletzt, um seinen eigenen angemessenen Handlungsspielraum und Erwartungshorizont einschätzen zu können. Zum anderen dient die Identifizierung – mit zum Teil deutlich anders gelagerten Strategien – der Generierung einer kognitiven Karte seiner Umgebung, die es ihm ermöglicht, seinen Standort mit anderen Punkten in Bezug zu bringen. In dieser Funktion ist die Identifizierung entscheidend in Bezug auf die Frage nach dem Wo 95 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel VII. 96 Mollerup 2013. S. 90.

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und dient der Orientierung in der ‚Stadt als Labyrinth‘97. Der Unterschied zwischen beiden Funktionsarten wird auch auf der Ebene der Wirkziele sichtbar: Während mit der Identifizierung im Sinne einer Lokalisierung vor allem das Zeigemotiv des Informierens bedient wird, dessen Wirkung im Bereich der Belehrung oder Unterrichtung (docere) des Publikums angesiedelt werden kann, dient die Identifizierung im Sinne einer Identitätserzeugung nicht vorrangig informativen Zwecken. Durch den starken Bezug zu geteilten Einstellungen gegenüber bestimmten Plätzen und Bereichen im urbanen Raum, dient diese Funktionsart der Identifizierung auch dem Zeigemotiv des Teilens. Dass beide Bereiche auch eng miteinander verwoben sein können, macht folgendes Zitat Gibsons deutlich: „While identification signs clearly mark transitions from one type of space to another, their purpose is not purely functional. Styled appropriately, they also express a place’s personality, character, and even its historic context. These signs can communicate a place’s identity explicitly by presenting an actual logo or more generally by evoking an image.“98

Für den weiteren Fortgang dieses Kapitels gilt es allerdings, eine Einschränkung zu machen: Da die Identifizierung als Lokalisierung in den Bereich einer rhetorischen Untersuchung von Karten fällt, soll hier vor allem auf die Identifizierung als Identitätsgenerierung eingegangen werden. Strategien der Identifizierung, die der Generierung einer Identität eines Ortes dienen, sind letztlich Strategien, die auf unterschiedliche Art eine Situationsbenennung vornehmen. Wenn also nach möglichen Strategien der Identifizierung gefragt ist, gilt es demnach, Arten der Situationsbenennung in den Blick zu nehmen. Als solche sollen hier drei Arten unterschieden werden99: a) die explizite, sprachliche Benennung, b) die bildlich-vorzeigende Identifizierung und c) die typografische-vorzeigende Identifizierung. 3.3.1.1 Die sprachliche Benennung Das Prinzip der sprachlichen Benennung ist recht einfach. Es wird ein Gegenstand, eine Begebenheit oder ein Ort durch einen sprachlichen Ausdruck als ein bestimmter Gegenstand identifiziert. Die sprachliche Benennung ist hiernach eine Form der Etikettierung, die zumeist – wie alle rhetorischen Bemühungen, die sich nicht durch 97 Vgl. dazu Kapitel III. 98 Gibson, D. 2009. S. 48. 99 Dies geschieht freilich mit dem Wissen sowohl um die Nichtvollständigkeit der Unterteilung, als auch darum, dass es sich nicht um eine disjunkte Unterscheidung handelt. Es ist vielmehr anzunehmen, dass es in der Praxis stets zu einer Mischung dieser – und anderer – Strategien kommt.

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Devianz auszeichnen – nicht weiter auffällt und keine große Aufmerksamkeit erregt. Nichtsdestotrotz sind diese Etiketten wichtige Bausteine für das Publikum, um sich im Raum zu orientieren und eigene Handlungsmöglichkeiten auszuloten und gezielt zu verfolgen. Dabei ergibt sich innerhalb der funktionalen Grenzen eines Identifizierungszeichens für die Gestaltung ein Spielraum angemessener Abweichungen, die auf einer Konnotationsebene nicht nur helfen, den bezeichneten Gegenstand als dieses oder jenes zu erkennen, sondern zugleich bestimmte identitätsstiftende Assoziationen wecken können. Ein simples Beispiel mag dies illustrieren: Es ist in bestimmten Situationen eine wichtige Angelegenheit, eine Toilette (der Raum) als solche erkennen zu können, was insbesondere dadurch erschwert wird, dass die Toilette selbst (das Objekt) für den Suchenden im Allgemeinen nicht sichtbar ist. Der Weg dahin ist gesäumt von hochgradig standardisierten Zeichen, die eben diesen Weg koordinieren sollen. Angekommen an der Tür, findet man, beispielsweise in Restaurants, nicht selten verschiedene Türen als Optionen vor. Davon sind manche nur für das Personal betretbar, eine andere ist nur für das andere Geschlecht betretbar und wieder andere sind abgeschlossene Türen zu Lagerräumen. Ein einfaches Wort (oder auch bildliches Zeichen) ermöglicht eine schnelle Identifizierung. Betrachten wir dabei die Variationsbreite möglicher Begriffe, so zeigt sich Folgendes: men/women, Herren/Damen, Gentlemen/Ladies, guys/girls, Männer/Frauen, Señor/Señora. Funktional leisten diese Begriffe allesamt das gleiche: eine Identifizierung durch sprachliche Benennung. Auf einer Konnotationsebene aber können sie zu Details der Identitätsgenerierung eines bestimmten Ortes werden. In dieser Weise stehen beispielsweise Señor/Señora für die ‚Mexikalität‘ des mexikanischen Restaurants, men/women für die Internationalität des Flughafens, Herren/Damen für eine ‚gut-bürgerliche‘ Gaststätte und guys/girls für die ‚jugendliche Frische‘ des Szeneclubs (Abbildung 18 und Abbildung 18 und 19

19). Ein besonders interessanter Fall ist an den Toiletten des Bielefelder AJZ (Alternatives Jugendzentrum) zu sehen (Abbildung 20 und 21.). Diese Türen unterstützen das ‚linke‘ ethos des Jugendzentrums, das sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass jedwede Form sexueller Diskriminierung erhöhte Aufmerksamkeit erfährt. So werden das Herrenklo nicht bloß mit ‚männer*‘ und das Frauenklo nicht bloß mit

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‚frauen*‘ ausgezeichnet, sondern beide ebenso mit ‚trans*‘ (für Transsexuelle) und ‚inter*‘ (für Intersexuelle).100 Es wird also an dem Ort (der Toilette), an dem sexuelle Differenzierung notwendig erscheint, in einem auffallend erhöhtem Maße differenziert und damit klar das Bewusstsein über notwendige sexuelle Differenzierung auf der einen Seite und gleichzeitig abgelehnter sexueller Diskriminierung auf der anderen Seite kommuniziert. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, wie durch die sprachliche Benennung die Identitätsgenerierung des gesamten Clubs unterstützt wird, für den diese Benennung Teil einer ethos-Strategie ist. Abbildung 20 und 21

Schauen wir uns ein anderes Beispiel sprachlicher Identifizierung an: Die Seattle Public Library installierte folgende Identifizierung in ihrem Lesesaal (Abbildung 22). Der Begriff ‚living room‘ konnotiert dabei das Wohnzimmer als einen Ort des 100 Zu diesen Benennungen ließe sich noch mehr sagen, was den Rahmen hier deutlich sprengen würde. Es sei daher lediglich folgendes angemerkt: Das ‚Frauenklo‘ ist gleichermaßen die Toilette für ‚trans*‘ und ‚inter*‘, was nur konsequent ist, will man eine binäre Geschlechtszuweisung, die häufig als eine Quelle möglicher Diskriminierung gesehen wird, effektiv unterwandern. Auf der anderen Seite werden aber auch ‚lesben*‘ benannt. Wobei sich nicht nur die Frage stellt, warum ‚schwule*‘ auf dem ‚Herrenklo‘ nicht benannt werden, sondern auch, warum Homosexuelle überhaupt benannt werden. Denn dass ‚lesben*‘ Frauen sind, steht außer Frage.

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Wohlfühlens, des Privaten und Eigenen. Obgleich dieser Ort ganz offensichtlich kein Wohnzimmer ist, können mit dieser Benennung handlungsregulierende Motive assoziiert werden, die bestimmte Aspekte des Wohnzimmers betonen: Das Wohnzimmer ist nicht nur ein Ort der Zurückgezogenheit, der Sicherheit und des Wohlfühlens, sondern auch ein Ort des familiären Zusammenkommens und der Gemeinschaft unter Gleichen, er ist überdies aber auch ein Ort, dessen Lebensqualitäten vom Engagement seiner Besitzer abhängen und der somit die Eigenverantwortung zum Erhalt dieser Qualitäten betont. Die sprachliche Identifizierung eines öffentlichen Ortes als ‚living room‘ allein mag zwar noch nicht hinreichend sein, um diese Motive auch überzeugend zu kommunizieren, stellt aber nichtsdestotrotz einen wichtigen Baustein in dieser Richtung dar. Die Angemessenheit dieser Identifizierung liegt letztlich freilich im gelungenen Zusammenspiel dieser Intervention mit anderen Codes begründet, die architektonischer, raumgestalterischer und natürlich sozialer Natur sind. Abbildung 22

Ein drittes Beispiel: Sprachliche Identifizierungen benennen – wie wir gesehen haben – die Orte an denen wir uns befinden und vermögen, durch diese Benennung Einfluss auf die Identitätsgenerierung dieser Orte zu nehmen. Im urbanen Raum werden, oftmals eher unbemerkt, derlei Benennungen im wörtlichen Sinne an jeder Straßenecke vorgenommen. Straßennamen benennen den aktuell sichtbaren Straßenzug. Auch diese Benennungen können den Charakter eines Bezirks mitbestimmen. Während Straßennamen wie ‚Bielefelder Straße‘ in Halle (Westfalen) oder ‚Bahnhofsstraße‘ weniger der Identitätsgenerierung dienen, sondern eher richtungsweisende Funktion haben101, können Straßennamen ein Instrument sein, um einen bestimmten Charakter 101 An diesem Bezug ist interessant, dass die Bezeichnung ‚Straße‘ im Gegensatz etwa zu ‚Gasse‘ historisch betrachtet bereits, wie Peter Glasner betont, einen zielgerichteten Charakter aufweist. In seiner Untersuchung zur mittelalterlichen Straßennamensentwicklung der Stadt Köln schreibt Glasner dazu: „Sämtliche auf dem Mercator-Plan eingetragenen

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eines places zu betonen: Sei es den Altstadtcharakter, der mit lokal-historischen Bezeichnungen einhergeht oder religiöse Wurzeln betont, oder typische Benennungsmuster für Neubaugebiete, die diese Gebiete zu einer Einheit zusammenfassen.102 Für Peter Glasner, der über die historischen Straßenbenennungsmuster des mittelalterlichen Kölns arbeitet, gründet die Stadtsemiotik der Straßennamen auf der These, „Wahrnehmung als zeitspezifischen Mentalitätstopos rekonstruieren zu können.“103 Es geht darum, dass, wie Walter Benjamin schreibt, sich „[i]nnerhalb großer geschichtlicher Zeiträume […] mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung [verändert].“104 Glasner betont – ein Gedanke, der in dieser Arbeit ebenso tragend ist, wenngleich er hier nicht historisch ausgearbeitet werden kann –, dass „auch das Sehen eine Geschichte hat.“105 Glasner entwirft hierzu eine „Grammatik des Sehens“106, die die Grundworte (‚Straße‘, ‚Gasse‘, ‚Weg‘, ‚Markt‘ und ‚Platz‘) der Benennung untersucht. Hierzu schreibt er: Verkehrsverbindungen, die Köln mit anderen Städten und Orten verbinden, werden dort auch als ‚Straßen‘ bezeichnet. […] Rechnet man diesem Befund hinzu, dass die meisten auf Tore zulaufenden und dann stadtauswärts führenden Verkehrsverbindungen ‚-straiß‘ heißen […], so wird deutlich, dass sich ‚Straßen‘ durch einen weiträumigen, zielgerichteten Charakter ausgezeichnet haben“ (Glasner, Peter: Die Lesbarkeit der Stadt. Kulturgeschichte der mittelalterlichen Straßennamen Kölns. Köln 2002. S.389.). 102 Bei den Neubaugebieten denke man beispielsweise an typische Benennungsmuster wie: Benennung nach Baumarten (‚Pappelweg‘,‘Eichenweg‘,‘Birkenweg‘), im Norden Deutschlands zuweilen nach Fischarten oder friesischen Inseln, Benennung nach Blumenarten, etc. Es handelt sich im Allgemeinen um politisch und historisch unbelastete Benennungen, die zuweilen einen losen Lokalbezug aufweisen. In vergleichbarer Weise ist auch die Straßenbenennung ringsum den Campus der Universität Bielefeld zu bewerten. Begriffe wie ‚Definition‘, ‚Heuristik‘ oder ‚Erfahrung‘ stehen in einem engen Bezug zu universitärer Bildung und werden hier als Straßenkennzeichnungen verwendet. Im Gegensatz zu einem ‚Pappelweg‘ allerdings, hat der Begriff ‚Definition‘ keine Tradition als Straßenkennzeichnung. Es ist unzweifelhaft, dass mit diesen Straßenbezeichnungen, der Campuscharakter angesprochen werden soll. Es ist allerdings auch kaum zu bezweifeln, dass eine derart plakative und offensichtlich als ‚gewollt‘ erscheinende Bemühung schnell lächerlich wirken kann. Als ein weiteres Beispiel könnte auch das Zetrum Paul Klee in Bern dienen: In der Umgebung dieses Museums sind einige Straßen nach Werken Paul Klees benannt, was nicht zuletzt dazu beiträgt, das Museum nicht als isoliertes Gebäude, sondern als Zentrum eines ganzen ‚Klee-Stadtteils‘ zu betrachten. 103 Ebd. S. 15. 104 Zit. nach: Ebd. 105 Ebd. 106 Ebd. S. 386-393.

226 | R HETORIK DER STADT Es „haften gerade den Grundworten bis zum heutigen Tag bestimmte Aspekte und Dimensionen der Raumvorstellung an. Der Beweis ist leicht zu erbringen: Jeder Passant der Kölner Innenstadt wird staunen, wenn er zum ersten Mal die Ulrichgasse als eine vierspurige Hauptverkehrsader realisiert. Mit anderen Worten: Den ausgewählten Grundworten sind ursprünglich Informationen über relative Größenverhältnisse inhärent.“107

In dieser Weise kann eine Benennung auch auf der Grundwortebene für das Publikum zum Anlass werden, über derlei architektonische Widersprüche (wie bei der Ulrichgasse in Köln) nachzudenken, wobei deren Auflösung sich nur durch eine historische Betrachtung ergeben wird, die zugleich die historische Dimension des Straßenzugs ins Bewusstsein rückt. 3.3.1.2 Die bildlich-vorzeigende Identifizierung Neben der sprachlichen Benennung dient vor allem die bildlich-vorzeigende Identifizierung der Identitätsgenerierung durch urbane Beschilderung. Piktogramme, Bilder, aber auch Objekte, werden als bildliche Zeichen108 verwendet, um etwas (den präsenten Ort) als etwas Bestimmtes sehen zu lassen. Sie interpretieren den Ort und

107 Ebd. S. 387. Er betont im Weiteren die konnotative Rolle dieser Grundworthierarchie: „Dass dieser basalen Hierarchie konnotativ nicht nur unterschiedliche Raumgrößen entsprechen, muss nur in Erinnerung gerufen werden. Denn gerade im Zusammenhang mit dem vorangestellten Bestimmungswort ordnet das Sprachempfinden unbeirrbar politische, militärische oder künstlerische Größen analog dimensionierten Grundwortkategorien zu. Schwer denkbar sind dementsprechend *Kaisergäßchen, *Fischplatz oder gar *Butterallee“ (Ebd.). 108 Der Begriff ‚bildliches Zeichen‘ steht für eine Verwendungsweise von Objekten. Damit ist der Begriff nicht deckungsgleich mit dem Begriff ‚Bild‘. Zwar werden Bilder in der Regel als bildliche Zeichen verwendet, eben genau dann, wenn sie benutzt werden, um etwas sehen zu lassen, allerdings ließen sich Objekte der Objektklasse ‚Bild‘ auch anders verwenden. Wenn beispielsweise ein schweres, gerahmtes Bild bei einem Umzug genutzt wird, um die Tür aufzuhalten, so dass diese nicht immer wieder neu geöffnet werden muss, so wird das Bild nicht als bildliches Zeichen, also um dessen Sichtbarkeit willen, benutzt, sondern als schwerer Gegenstand. Gleichzeitig kann auf der anderen Seite auch jeder sichtbare Gegenstand als bildliches Zeichen genutzt werden, ohne deshalb ein Bild sein zu müssen. Wenn beispielsweise ein handelsüblicher Tisch in einem Philosophieseminar als Beispiel herhalten muss, um auf sichtbare Erscheinungsformen von Tischen aufmerksam zu machen, so wird der Tisch, der kein Bild ist, als bildliches Zeichen verwendet. Vgl. zu diesem Punkt: Wiesing, Lambert: Wenn Bilder Zeichen sind: das Bildobjekt als Signifikant. In: Ders.: Artifizielle Präsenz. Frankfurt am Main 2005. S. 3780.

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weisen ihm damit einen Charakter zu, der, zumindest insofern diese Zuweisung rhetorisch wirkungsvoll und überzeugend ist, handlungsleitende Funktion haben kann. Schauen wir uns das an einigen Beispielen an: Mollerup erwähnt das Beispiel des Restaurants L’Escargot am Centre Pompidou in Paris (Abbildung 23). Dieses trägt über der Eingangstür als Erkennungszeichen und zur Visualisierung des Namens eine große, goldene Weinbergschnecke. Dass dieses Ladenschild nicht nur einen Werbezweck erfüllen soll, sondern freilich auch dem place-making und der Orientierung dienen kann, beschreibt Mollerup treffend: „The identification sign in front of the Restaurant […] also does a lot more than denoting the linguistic message. The elaborate façade in the old style connotes traditional French cooking, tables laid with heavy white tablecloths, waiters with long white aprons, wooden panels, large mirrors, and so on. This is not a place for backpackers.“109

Abbildung 23

Wie wir bereits in Kapitel V gesehen haben, erzeugt place-making gleichsam zwangsläufig einen Zustand, der im Sinne Cresswells als ‚potentielle Transgression‘ bezeichnet werden kann und der die Bereiche ‚in-place‘ und ‚out-of-place‘ voneinander trennt.110 Die goldene Schnecke steht (im kulturell geteilten Kontext einer bestimmten Zeit), wie Mollerup betont, gleichermaßen einladend gegenüber dem ‚gehobenen‘ Publikum der ‚feineren‘ Gesellschaft, wie ausladend gegenüber beispielsweise Backpackern und Wanderern. In eine gleiche strategische Richtung, wenn auch mit inhaltlichen Verschiebungen, gehen auch diese Interventionen (Abbildung 24 und 25). Bei allen diesen Bemühungen werden visuelle rhetorische Figuren genutzt, um Identifizierungen vorzunehmen und es werden potentielle Interessentenkreise bereits in Bezug auf Zielgruppen mehr oder weniger vorstrukturiert. Das vom Publikum

109 Mollerup 2013. S. 90. 110 Vgl. Cresswell 2004.; Cresswell 1996.

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zu erwartende Programm wird dabei pars pro toto präsentiert und durch eine Amplifikation in ihrer Aufmerksamkeitslenkung unterstützt.111 Abbildung 24, 25 und 26

Im National Maritime Museum in Greenwich greift die Gestaltung des Leitsystems das Thema ‚Schifffahrt‘ in ihrer Formensprache auf (Abbildung 26). Durch eine Formgebung der Beschilderungen, die das Motiv des Segels zitiert, unterstreicht das Leitsystem auf thematisch angemessene Weise die inhaltliche Dimension des Schifffahrtsmuseums und bedient auf diese Weise subtil Momente des docere. Einen rhetorisch interessanten Fall der Identifizierung durch bildlich-vorzeigende Mittel stellen allerdings auch Bemühungen dar, den Charakter eines Ortes nicht bloß zu unterstützen und bildlich darzustellen, sondern von bestimmten Charakterzuschreibungen bisweilen sogar abzulenken. In dieser Weise soll hier beispielsweise 111 Allein über diesen Punkt der Außenwerbung ließen sich Bezüge zur Strukturierung der Wahrnehmung von Stadt deutlich machen. Leitend wäre in einer solchen Auseinandersetzung der Gedanke, dass rhetorische Figuren hier nicht nur für die individuelle Werbung genutzt werden, sondern überdies auch die Wahrnehmung der Passanten etwa bezüglich bestimmter Bereichsidentitäten steuern. Die Einkaufsstraße, der Marktplatz oder auch die Passage ließen sich dann möglicherweise auch anhand einer Häufung bestimmter rhetorischer Figuren in der Außenwerbung von Geschäften unterscheiden.

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die Gestaltung des Leitsystems im Children’s Hospital of Boston gesehen werden. Um die Fahrstuhlkorridore zu unterscheiden, wurde eine Symbolisierung und Benennung gewählt, die ihrer Unterscheidungsfunktion gerecht wird, ohne allerdings illustrativ die vorgefundenen Begebenheiten zu verdoppeln (Abbildung 27 und 28). Der Designer Christopher Dina schreibt über diese Symbolwahl: „Functional and appealing to adults, the symbols are an immense delight to children as well.“112 Das Designbüro Two Twelve Associates, das dieses Projekt realisierte, zielte offenbar auf eine adressatenangemessene Lösung, die sowohl die funktionalen Ansprüche der Eltern und des Personals berücksichtigt als auch das rhetorische Motiv des delectare bei den Abbildung 27 und 28

Kindern forciert. Die relativ wenig aussagekräftigen Fahrstuhlhallen in einem Krankenhaus für Kinder, das als Krankenhaus für seine Besucher stets ein Ort angespannter und bisweilen angsterfüllter Gemütszustände ist, werden hier genutzt, um über bildlich-vorzeigende Mittel eine entgegenlaufende, positive Emotionalisierung zu bewirken. In diesem Sinne schreiben die Produzenten über ihre Gestaltungsentscheidungen: „In creating environmental graphics for this popular children's hospital, we set out to maximize serenity, while leveraging a universal language. So we chose symbols: delightful and comprehensible for children, the color blind, and non-English speakers alike. All wayfinding graphics create overall cheer, all the way down to the donor signage which was designed as colorful Petri dishes sized according to the gift.“113

Ein weiteres Beispiel soll – mit gewissen Parallelen in der Wirkungsintentionalität zu dem vorhergegangenen Beispiel – vorführen, dass bildlich-vorzeigende Mittel in Leitsystemen auch genutzt werden können, um einen Erlebnischarakter an einem Ort 112 Christopher, Dina: Childrens Hospital Boston. Auf: http://www.christopherdina.com. 113 Two-Twelve: Childrens Hospital Boston. Auf: http://www.twotwelve.com.

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nicht nur zu benennen, sondern überhaupt erst zu erzeugen und damit eben auch Einfluss auf die Identität des Ortes nehmen zu können. Der Eureka Carpark in Melbourne liefert mit seinem Leitsystem ein gutes Beispiel hierfür (Abbildung 29-32). Die Schriftzüge ‚UP‘, ‚DOWN‘, ‚IN‘ oder ‚OUT‘ sind so über Wand und Boden, ebenso über Rohre und Vorsprünge hinweg angebracht, dass von einem bestimmten Punkt im Raum aus sich die monochromen Farbfragmente zu einem deutlich lesbaren Wort fügen. Diese Beschriftungen, die hier offensichtlich als bildliche Zeichen fungieren, erzeugen die Möglichkeit zum Spiel mit der Perspektive, sie vermögen zu überraschen und stellen damit einen Erlebniswert in einem Parkhaus dar, das als Parkhaus eher als erlebnisarm aufgefasst werden kann. Mollerup schreibt in diesem Sinne treffend über dieses Leitsystem: „There are also wayshowing commissions where creating an identity and a memorable experience wildly overshadows the naked wayshowing problem. […] Emery Studio’s wayshowing system for Eureka Parking, the car park under Melbourne’s tallest building fits [this] description. It is as much about experience and identity as it is about wayshowing. Nobody leaves the space without remembering that they were there.“114

Wenn bildliche Zeichen zu festen Symbolen werden, dann können diese auch leicht zur Identifizierung genutzt werden. Ein urbanes Beispiel, das eher aus dem Bereich der Street-Art stammt, ist die ‚Warhol-Banane‘, die der sogenannte ‚Bananensprayer‘ Thomas Baumgärtel an Orte anbringt, die seinem Dafürhalten nach ‚Orte der Kunst‘ (zumeist: Galerien, Museen, Ateliers) sind (Abbildung 33). In der Abbildung sieht man dieses Bananen-stencil am Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Die Identifizierung eines Ortes als einen ‚Ort der Kunst‘ kann hierbei allerdings nur für Eingeweihte funktionieren, die die symbolische Bedeutung der Bananenabbildung kennen und wie sich in der Abbildung zeigt, ist die Identifizierung durch das Bananen-stencil in einem gewissen Sinne redundant. Die Redundanz zeigt sich in der einfachen Überlegung, dass das Museum Kunstpalast als einen Ort der Kunst zu identifizieren bereits durch die Beschilderung und Benennung als ‚Kunstpalast‘ erfolgt ist. Der informative Wert dieser Intervention kann vor diesem Hintergrund allenfalls in dem Umstand

114 Mollerup 2013. S. 200.

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Abbildung 29-33

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gesehen werden, dass auch ein Street-Artist (wie Baumgärtel) diesen Ort als einen Ort der Kunst anerkennt, so dass das Bananen-stencil das Museum nicht bloß als einen ‚Ort der Kunst‘ identifiziert, sondern genauer als einen ‚Ort‘, den der StreetArtist als einen Ort der Kunst anerkennt. Steht also das Zeichen ‚Museum Kunstpalast‘ eher für eine staatliche Anerkennung als Ort der Kunst, so symbolisiert das Bananen-stencil direkt darunter auch eine Anerkennung von Seiten eines Street-ArtAktivisten. Daher kann an diesem Beispiel deutlich werden, dass selbst wenn die Identifizierung von etwas als etwas durch eine Intervention redundant ist, die Information gerade im unterschiedlichen ethos des orators gegeben sein kann. Identifizierungsprozesse sind eben nicht schon mit dem Erkennen der Identifizierung abgeschlossen, sondern bedürfen zudem auch der Anerkennung und diese ist maßgeblich vom ethos der orator-Instanz abhängig. 3.3.1.3 Die typografisch-vorzeigende Identifizierung Schließlich kann noch ein drittes, strategisch eingesetztes Mittel der Identifizierung ausgemacht werden: die typografisch-vorzeigende Identifizierung.115 Typografie kann in diesem Sinne genutzt werden, um Assoziationen und Bedeutungen zu verstärken. Es handelt sich dabei auch um einen vorzeigenden Akt, in dem, vermittels der kulturell und sozial geprägten Bedeutung (Konnotation) des Schriftbildes, etwas (der präsente Ort) im Lichte von etwas (der konnotativen Bedeutung) gesehen lassen wird. Wie Scheuermann in seinem Artikel zum Schriftbild im Historischen Wörterbuch der Rhetorik betont, kann das „Schriftbild als Realisation eines Textes – und damit: eines gegebenen Inhalts – […] zu diesem in einem rhetorischen Verhältnis stehen. Hierzu ist es wichtig, die Wirkung verschiedener Schriftparameter im Schriftbild als vom Inhalt unabhängige rhetorische Qualitäten zu begreifen, die den Inhalt verstärken, stützen, konnotieren oder sabotieren können. Der kulturell konnotierte und damit auch empirisch verifizierbare Charakter einer Schrift spielt hierbei eine Rolle. Folglich lassen sich einzelne gestalterische Parameter der Detailtypographie einzelner Buchstaben (wie z.B. Versalhöhe, Betonung der Serifen, Strichkontrast) bis hin zu jenen der

115 Das Themengebiet der Typografie gehört sicherlich zu den Kerngebieten des Informationsdesigns. Die Literatur zu diesem Gebiet ist entsprechend umfangreich und vielseitig. Es stellt also stets ein gewisses Risiko dar, ein solch breites und tief detailliertes Gebiet in einem stark beschränkten Umfang – wie er in dieser Arbeit gegeben ist – zu beschreiben. Ich bitte daher um Nachsicht und verweise darauf, dass es im vorliegenden Abschnitt allein um die Möglichkeiten der Identifizierung eines Ortes, eines Gegenstandes oder einer Situation geht, die durch typografische Mittel unterstützt wird.

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Makrotypographie (wie z.B. die Erhabenheit des symmetrischen Mittelsatzes) als wirkungsintentional einsetzbare Mittel verstehen.“116

In welcher Weise und bis zu welchem Detailierungsgrad eine wirkungsintentionale Einsetzbarkeit typografischer Mittel tatsächlich reicht, hängt in erster Linie vom Zielpublikum und dessen Kenntnissen, Interessen und Vorlieben ab, wobei die Voraussetzung der Entfaltung typografischer Wirkung ist, dass der typografisch gestaltete Text überhaupt beachtet wird. Es gilt in diesem Zusammenhang, was Erik Spiekermann spitz formuliert: „Wenn er meint, dass es ihn betrifft, liest der Mensch alles.“117 Auf einer allgemeinen Ebene, die nichtsdestotrotz freilich kulturell und sozial bestimmt ist, könnten konkrete Wirkungspotentiale im Sinne Gibsons etwa so umrissen werden: „Bembo seems traditional; Meta appears crisp and modern; Ziggurat is playful“118 (vgl. Abbildung 34). Obgleich derlei Wirkungsfunktionen eher im Sinne von Andeutungen und Atmosphären zu verstehen sind als etwa im Sinne mehr oder weniger fest verankerter Kalküle, ist dennoch davon auszugehen, dass durch die typografische Umsetzung ein nicht unerheblicher Einfluss auf die Rezeptionsweise von Inhalten genommen werden kann. Das Publikum kann bisweilen schon an der Abbildung 34

116 Scheuermann: Schriftbild. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 1193-1207. Hier: 1193f. 117 Zit. nach: Kupferschmid, Indra: Wo bin ich? In: Schrift und Identität. 2013. S. 22-24. Hier: S. 22. 118 Gibson, D. 2009. S. 77.

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Schriftart entscheiden, ob die ihm gebotenen Inhalte ihn überhaupt betreffen und in welcher Weise; sei es etwa autoritär, verspielt, normativ oder empfehlend. Und wie Scheuermann im Hinblick auf die Verwendung von Schrift im öffentlichen Raum anmerkt, „kann neben das Kriterium der Lesbarkeit jenes der bewusst eingesetzten Besonderheit des Schriftbildes treten. In diesem […] Fall – dem Werben um Aufmerksamkeit – kann eine ungewöhnliche, als veraltet geltende, im Lesefluss überraschende, illustrative Schrift usw. den Blick in besonderem Maße auf den in ihr realisierten Inhalt lenken.“119 Das Werben um Aufmerksamkeit bei gleichzeitiger Funktionalität verdankt sich letztlich einem gelungenen und ausgewogenen Verhältnis von Identität im Sinne der Wiedererkennbarkeit, die der Orientierung dient, und Diversität im Sinne von Abwechslung, für die gilt: variatio delectat. Für Vignelli stellt die Frage nach diesem Verhältnis eine der Grundfragen im Grafikdesign dar. Er schreibt dazu: „Entwickelt man eine Corporate Identity, ist Diversität gefragt, um Gleichförmigkeit zu vermeiden und die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Zu viel Diversität jedoch führt zu Fragmentierung – eine weit verbreitete Krankheit von schlecht gestaltetem Kommunikationsdesign. Zu viel Identität hingegen führt zu visuellen Redundanzen und mangelnder Einprägsamkeit.“120

Mit anderen Worten: Als rhetorische Fehler bezüglich der Angemessenheit dieser beiden Aspekte drohen auf der einen Seite die Langeweile (taedium) und auf der anderen die Überforderung des Publikums durch unverständliche Fragmentierung und übertriebene Besonderung (obscuritas). Beide interdependente Aspekte minimal zu halten, stellt ein weiteres Extremalproblem der Gestaltung dar, zu dessen gelungener Lösung es einer ausgeprägten designrhetorischen Urteilskraft (iudicium) bedarf. Dass der Einsatz der Schrift im öffentlichen Raum auch eng mit Fragen der Orientierung zusammenhängt, macht unter anderem der Essay Indra Kupferschmids deutlich, der in dem Band Schrift und Identität, dessen Titel für das vorliegende Kapitel sprechend ist, erschien. Darin schreibt sie polemisierend: „Nichts gegen optimierte Lesbarkeit, aber die Gleichschaltung durch ‚Frutigerisierung‘ von Flughäfen und öffentlichen Verkehrssystemen in aller Welt beschert uns Verlust. Woran soll ich erkennen, wo ich bin?“121 Auch wenn es freilich noch eine Vielzahl anderer (und 119 Scheuermann 2012b. Sp. 1194f. Dieses Werben um Aufmerksamkeit (attentum parrare) stellt in Bezug auf Leitsysteme, wie bereits im Abschnitt Das Zeigen des Zeigzeugs als Zeigzeug betont wurde, eine Herausforderung dar, die sich als Extremalproblem aus maximaler Aufmerksamkeitslenkung hin zum Zeigzeug und gleichzeitig maximaler Lenkung weg von diesem zum Gezeigten darstellen lässt. 120 Vignelli 2012. S. 104. 121 Kupferschmid 2013. S. 22. Auch wenn Kupferschmids Nutzung des NS-Begriffs ‚Gleichschaltung‘ in diesem Zusammenhang als doch zumindest fragwürdig gelten kann und

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auch bedeutenderer) Möglichkeiten gibt, herauszufinden, an welchem Ort auf der Welt man sich befindet als nur über die verwendete Typografie des Flughafens, stellt die Autorin damit eine nicht unwesentliche Frage. Sie betont in ihrem Essay, dass der „Einsatz von Schrift zur Identitätsbildung und Wiedererkennung“122 eine Sache sei und die „Schriftwahl aus praktischen Funktionsgründen“123 eine andere und dass beide Aspekte sich häufig genug im Konflikt zueinander befänden, was dazu führe, „dass überall die gleiche Handvoll Schriften verwendet wird.“124 Daraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass die Homogenisierung der Schriftarten auf Flughäfen nicht mehr zu einer Identitätsbildung und Wiederkennung führe. Typografisch gesehen verweist die Schrift an einem Flughafen demnach nicht lediglich auf den Ort, an dem der Flughafen steht, sondern eben auf die Internationalität, für die Flughäfen stehen, was freilich ebenso einen typografischen Beitrag zur Identitätsgenerierung darstellt. Abbildung 35 und 36

Abseits vom Flughafen und öffentlichem Verkehr kann die Schriftwahl aber auch in anderen Zusammenhängen zur Identitätsgenerierung gestalterisch bedeutsam werden. Beispielsweise bei diesem recht formal anmutenden Hinweis auf die städtische Kindertageseinrichtung (Abbildung 35). Hier bricht der Hinweis ‚für Kinder‘ durch wohl eher jargonhaft als ‚Gleichmacherei‘ oder pejorativ als ‚Vereinheitlichung‘ zu verstehen ist, so benennt Kupferschmid – und allein darauf kommt es hier an – beispielhaft einen Zusammenhang von Typografie und Ortsidentifizierung. 122 Ebd. S. 24. 123 Ebd. 124 Ebd.

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die Ausrichtung der Buchstaben aus dem formalen Muster und vermag innerhalb des in seiner Gestaltung als womöglich als relativ streng empfundenen Schildes so etwas wie ‚kindliche Unordnung‘‚ ‚Freizügigkeit‘ oder ‚kindliche Kreativität‘ zu konnotieren. Berger erwähnt in seinem Buch Wayfinding auch ein weiteres Beispiel in diese Richtung (Abbildung 36): Der Wegweiser der Desert Passage des Aladdin-Hotels in Las Vegas weist nicht nur durch die Richtung bestimmter Destinationen. Wie viele Wegweiser kann auch dieser als ein Zeichen zur Identifizierung genutzt werden, der etwa typografisch bereits einen Beitrag leistet, die intendierten Charakterzuschreibungen und den genius loci des Hotels (seine inszenierte ‚arabische Märchenhaftigkeit‘) überzeugend zu kommunizieren. Ein anderes Beispiel findet sich in der Do-it-yourself-Ästhetik (unter anderem auch professionellen) Designs. Annina Schneller, die sich in ihrem Aufsatz Die Rhetorik des Selbstgemachten im Grafikdesign mit den strategischen Einsatzmöglichkeiten der Ambiguität des Selbstgemachten befasst, beschreibt diese wie folgt: „In der Rhetorik des Selbstgemachten tritt eine Ambivalenz des ‚Handwerklichen‘ zutage: Einerseits wird ‚Handwerk‘ zur Beschreibung von Laienaktivitäten wie des Heimwerkens verwendet, andererseits aber gerade auch, um eine Arbeit von der Amateurhaftigkeit abzuheben und ihr einen Status von besonderer Elaboriertheit und Professionalität zu verleihen, oft verbunden mit einer hohen Qualitätseinschätzung. […] Gemeinsam ist dem Handwerk und der Laienarbeit als Selbstgemachtem ihr Kontrastieren mit der industriellen Massenproduktion.“125

In diesem Kontext zitiert Schneller den Designer Matteo Bologna, der in einer recht ausführlichen Erklärung beschreibt, in welchem Kontext er eine typografische Identifizierung durch die Imitation einer Do-it-yourself-Ästhetik verwendet und damit – ganz im Sinne der dissimulatio artis – Aspekte wie Natürlichkeit und Tradition konnotiert: „Wenn ich Designs für Restaurants gestalte, imitiere ich bewusst den Stil von Speisekarten italienischer Trattorias, obschon sie die am wenigsten elaborierte Kommunikationsform sind, die ich kenne. […Sie sehen aus wie] die fünfzigste Kopie einer Kopie. Um diesen Look für ein modernes und gut organisiertes Restaurant in New York City umzusetzen, musste ich eine Schrift entwickeln, die leicht aufzudatieren ist und die doch die Do-it-yourself-Mentalität dieser Familientrattorias beibehielt. Das Problem der digitalen Schriften ist es, dass bei der Wiederholdung gleicher Buchstaben die Einmaligkeit der Handschrift verloren geht. Dieses Problem umging ich, indem ich für jeden Buchstaben drei Versionen kreierte. Dank Open Font125 Schneller, Annina: Die Rhetorik des Selbstgemachten im Grafikdesign. In: Seriell – Individuell. Handwerkliches im Design. Hrsg. von Gerda Breuer und Christopher Oestereich. Weimar 2014. S. 193-207. Hier: S. 193.

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Technologie gelang es mir, dass der Text natürlich aussah und die Speisekarte den Anschein machte, als wäre sie von Leuten gestaltet worden, die offensichtlich nicht über ein DesignPortfolio verfügen.“126

3.3.2 Strategien der Deskription Die meisten Strategien der Deskription stehen in einer engen Verwandtschaft zu den oben beschriebenen Strategien der Identifizierung. Waren die Strategien der Identifizierung bis zu einem gewissen Grad Strategien der Situationsbenennung, so rückt mit den eher narrativ angelegten Strategien der Deskription die explizite und mehr oder weniger ausführlich entfaltete Situationsbeschreibung in den Mittelpunkt. In dieser Weise schreibt auch Mollerup: „Descriptive signs explain something about the situation at their location.“127 Eben aufgrund ihrer Funktion zur Generierung einer Vorstellung der Situation beizutragen, stehen diese Strategien (wie auch schon jene der Identifizierung) in einem engen Bezug zu Fragen des place-makings, was nicht verwundern kann, bedenkt man die Rolle, die urbane Zeichen zur Orientierung nicht nur im Labyrinth der Stadt spielen, sondern mehr noch in der Stadt als Collage. Daher meint auch Mollerup treffend: „Strictly speaking, many descriptive signs don’t deal with wayshowing as such. They deal with placeshowing.“128 Wie Kapitel V bereits zeigte, verweisen sowohl ‚wayshowing‘ als auch ‚placeshowing‘ auf wichtige Fragen der Orientierung, die – so scheint es auch Mollerup zu verstehen – mit der Unterscheidung der Orientierung im Labyrinth und der Orientierung in der Collage korrelieren. Sucht man nun nach konkreten Strategien der Deskription im Bereich der Leitund Orientierungssysteme, so scheint das Ergebnis ernüchternd. Nicht einmal bei Mollerup, der diese Zeichenfunktion explizit einführt, findet sich eine Strategie oder auch nur ein Beispiel, das seiner Vorstellung von ‚placeshowing‘ entsprechen würde. Stattdessen geht Mollerup im Weiteren allein auf die Möglichkeiten der Distanzanzeige ein, also jene Zeichen, die einem Reisenden sagen, wie weit oder wie lang der Weg zu bestimmten Zielen noch ist; ein Punkt auf den wir zurückkommen werden. Es gilt daher, hier abermals den Versuch zu unternehmen, aus den rhetorischen Theorien Konzepte zu gewinnen, die in diesem Kontext fruchtbar gemacht werden können. In diesem Zusammenhang wird im Weiteren vor allem an das Konzept der ekphrasis/descriptio anzuknüpfen sein, welches sowohl auf sprachliche als auch auf bildliche Strategien hin zugespitzt werden soll. Unter der Vielzahl möglicher Strategien, Orte und Wege zu beschreiben und durch die Beschreibung etwas dem Publikum überzeugend vor Augen zu stellen, kann hier allerdings nur ein kleiner Aus-

126 Zit. nach: Ebd. S. 196f. 127 Mollerup 2013. S. 94. 128 Ebd.

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schnitt besprochen werden, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sich die Zeichenträger jener strategischen Interventionen im urbanen Raum selbst befinden.129 In dieser Hinsicht interessieren uns vor allem touristische Beschreibungstafeln, die einen ‚sense of the place‘ überzeugend zu vermitteln suchen, und Bauschilder, die eben auch dazu genutzt werden, bildlich einen Ort vorzustellen und für diesen zu werben, der (noch) nicht gegeben ist. Dieser Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Narration von Orten folgt eine knappe Beschäftigung mit der Beschreibung von Wegen, in welchem Rahmen dann auch auf die oben im Zusammenhang mit Mollerup erwähnten Distanzanzeigen einzugehen sein wird. 3.3.2.1 Ekphrasis/Descriptio Die klassische Rhetorik kennt Beschreibungen unter dem Begriff ekphrasis/descriptio vor allem als Teil der narratio, die dazu dienen, etwas Abwesendes auf eine Art und Weise zu präsentieren, um einen „bildlichen Eindruck beim Zuhörer beziehungsweise Leser hervorzurufen.“130 Wie Susanne Hauser betont, ist damit als ein wichtiges Merkmal die Anschaulichkeit benannt, die die Kraft haben muss, etwas Abwesendes scheinbar sichtbar vor Augen zu stellen.131 Es geht in der rhetorischen Beschreibungskunst also um die Möglichkeit, eine Präsenzerfahrung bezüglich eines Nichtpräsenten zu generieren. Beschrieben werden in diesem Sinne nicht nur Bilder im Sinne einer Bild- und Kunstbeschreibung, sondern vor allem Situationen, die dem Publikum sichtbar vor Augen zu führen für die spätere argumentatio tragend sein kann. Dem Publikum muss durch eine gelungene Beschreibung der Situation die Möglichkeit gegeben werden, sich in die nicht selbst erlebte und aktuell auch nicht präsente Situation einzufühlen, sich in bestimmte Handlungscharaktere hineinzuversetzen und in dieser Weise auch die Entscheidungen, Handlungen oder Denkweisen bestimmter Charaktere nachvollziehen zu können. Im Sinne Burkes kann man sagen, die Beschreibung dient vor allem dem wirkungsintentionalen Entfalten der Szenerie, die insofern strategisch genannt werden kann, als sie es vermag, durch bewusste Selektion und Lenkung der Erzählung bestimmte Interpretationen und Verstehensweisen von Handlungen und Akteuren zu fokussieren. Durch ihre Bestimmung als mit 129 Beschreibungsstrategien auf Zeichenträgern, die nicht im urbanen Raum selbst montiert sind, stellen freilich eine wesentlich größere Gruppe. Diese finden Anwendung auf Homepages zum Stadtmarketing oder Tourismus, aber auch in Onlineforen, auf Flyern, Faltblättern, in Broschüren und Reiseführern und ebenso in Romanen, Erzählungen oder Blogs, die Stadtgeschichten und ‚urban legends‘ mitteilen sowie darüber hinaus auf unzähligen anderen Wegen. 130 Halsall, Albert W.: Beschreibung. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding, übers. von Lisa Gondos. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 1495-1510. Hier: 1495. 131 Vgl. Hauser, Susanne: Architekturbeschreibung. In: Die Medien der Architektur. Hrsg. von Wolfgang Sonne. München 2011. S. 245-253. Hier: S. 246.

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Anschaulichkeit arbeitende Präsenzverfahren bezüglich des Nichtpräsenten, stehen Beschreibungen in einem engen Verhältnis zum Bild, das sich für Wiesing gerade durch seine „artifizielle Präsenz“132 auszeichnet. Es geht eben darum, den Hörer/Leser zum Zuschauer zu machen.133 In dieser Bestimmung und insbesondere in Bezug auf Texte wie sie hier im weiteren besprochen werden sollen, die nicht in einer öffentlichen Rede vorgetragen werden, wo über Gestik, Mimik, Tonalität und andere Mittel die Präsenzerfahrung verstärkt werden kann, sondern die fix im urbanen Raum verankert sind, stellt sich durchaus die Frage, was mit Anschaulichkeit gemeint sein kann. Denn Anschaulichkeit, wie Hauser zurecht betont, kann mehreren Konzepten folgen und lässt sich daher auf unterschiedliche Weise realisieren: „Erwartungen, die sich an Beschreibungen richten, sind keine überhistorischen Selbstverständlichkeiten, ebenso wenig wie die Zwecke, denen die Ekphraseis dienen. Die Art und Weise, in denen ein aus Sprache errichteter Bau gezeigt wird, ist das Ergebnis von je zeitgenössischen, also wandelbaren Regeln des Erzeugens von Beschreibungen, Bildern oder Modellen. Sie stehen in einem Kontext, in dem sowohl das Wissen als auch die Formen, in denen dieses Wissen kommuniziert wird, produziert werden und hängen von dem ab, was als wahrnehmbar und der Aufmerksamkeit für Wert erachtete wird.“134

Aus diesen Zeit-, Kultur- und Kontextabhängigkeiten des Blicks und ebenso aufgrund stark differenzierter Verwendungszusammenhänge von Beschreibungen kann das, was für ein konkretes Publikum in einem konkreten Kontext anschaulich wirkt, sehr stark variieren. In ihrem Bezug zur Architekturbeschreibungen bringt Hauser diesen Punkt explizit zur Sprache: „Wenn beispielsweise der Eindruck entsteht, dass die Beschreibung von Grundriss, Aufriss, Angaben zu Form und Anzahl der Fenster, generell Informationen zur Gesamtdisposition und zum Verhältnis der Teile eines Bauwerks zum Ganzen der Anschaulichkeit seiner Beschreibung aushelfen, dann wird eine spezielle Konstruktion der Rede und eine besondere Art der Anschaulichkeit verlangt: Es geht dann um die Orientierung im dreidimensional verstandenen Raum nach den Mustern seiner seit Erfindung der Zentralperspektive konventionellen zeichnerischen Auskünfte gefordert. Doch diese Konstruktion der Imagination von Gebäuden und Räumen in sie beschreibenden Texten ist nur eine mögliche Form unter anderen, nicht die einzige, auch nicht die einzige angemessene Art, in der Beschreibungen sich ihren Gegenständen nähern und Bauten wie Räume entwerfen – sie muss auch nicht die einzige Art sein, in der Beschreibungen rezipiert und in Gebrauch genommen werden.“135 132 Vgl. Wiesing 2005b. 133 Vgl. Hauser 2011. S. 246. 134 Ebd. S. 246f. 135 Ebd. S. 247.

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Die Anschaulichkeit einer Beschreibung, die je nach Verwendungskontext und Publikum auf sehr unterschiedlichen Wegen erreicht werden kann, bleibt, das deutete sich in diesem Zitat an, dennoch an die Angemessenheit gebunden. Nicht in Bezug auf jeden Gegenstand und nicht vor jeder Art von Publikum ist es für einen orator möglich, beispielsweise mithilfe einer lebhaften Sprache, Ereignisse und Situationen anschaulich darzustellen. Es ist – wie bei jeder rhetorischen Bemühung – auch hier das ethos des orators zu bedenken. Solche und andere Abhängigkeiten machen deutlich, dass es nicht nur eine strategische Form der Erzeugung von Anschaulichkeit geben kann, sondern dass die Formenpalette weit variiert: Dies ist wichtig zu betonen, da Anschaulichkeit als Wirkziel demnach nicht einfach auf das Mittel der lebendigen, aktiven, mitreißenden und bisweilen pathetischen Redeweise zurückgeführt werden kann, sondern auch mit anderen Mittel realisiert werden kann: etwa logosbetonende Sachlichkeit (wie etwa durch einen Bauplan, eine sachliche Architekturbeschreibung, etc.) oder ethos-bedingter Zurückhaltung (etwa bei Beschreibungen historischer Abläufe). 3.3.2.2 Sprachliche Strategien der Ekphrasis In seinem Artikel zur rhetorischen Funktion von Beschreibungen hält Albert W. Halsall fest: „Eine Beschreibung ist eine kunstvolle sprachliche Darstellung äußerlich sichtbarer Elemente eines Gesamtbildes (Mensch, Gegenstand, Ort, Szene, usw.) durch Porträtieren erkennbarer Züge, vollständiges Aufzählen aller Details oder pointiertes Herausstellen wesentlicher Merkmale.“136 Hierin finden sich bereits drei Strategien der ekphrasis angesprochen, die es im Weiteren exemplarisch zu entfalten gilt. Die Möglichkeiten, etwas Nichtpräsentes dem Publikum anschaulich vor Augen zu stellen, können a) durch eine Porträtierung des leicht Erkennbaren realisiert werden, b) durch eine Verdichtung auf das, was als wesentlich erscheinen soll oder aber auch c) durch eine Anhäufung von Details. Diese Strategieausauswahl soll nun an Beispielen urbaner Beschilderungen vorgeführt werden. Dabei wird sich zeigen, dass diese Strategien unterschiedliche Funktionen in der Erzeugung von Präsenz spielen und daher häufig erst im Zusammenspiel ihre Wirkung entfalten können. Nichtsdestotrotz handelt es sich um unterschiedliche und unterscheidbare Herangehensweisen, die daher auch gesondert entwickelt werden können. a) Porträt des leicht Erkennbaren Wie wir oben angeführt haben, stellt die Abwesenheit des zu Beschreibenden eine Bedingung der ekphrasis dar, die als Verfahren der Präsenzerzeugung herausgestellt wurde. Es mag vor diesem Hintergrund widersprüchlich anmuten, wenn eine Strategie zur Erzeugung von Präsenz gerade darin liegen soll, das für das Publikum in einer

136 Halsall 1992. Sp. 1495.

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bestimmten Situation leicht Erkennbare zu porträtieren. Ist nicht das leicht Erkennbare stets auch das Präsente und damit das keiner Beschreibung Bedürfende? Eine Antwort auf diese Frage muss differenziert ausfallen: Denn zum einen ist das, was als leicht erkennbar verstanden wird eben gerade das, was keiner Beschreibung bedarf, sondern als präsent erlebt wird. Das bereits Evidente bedarf in diesem Sinne keiner weiteren Evidenzmechanismen. Zum anderen aber wird durch die Beschreibung dessen, was als leicht erkennbar verstanden wird, ein Identifikationsangebot an die Lesenden beispielsweise der Gebäudetafel gemacht, so dass diese den Bezug zwischen Gebäude und weiterführender Information herstellen können. Eine Beschreibung, und sei sie noch so knapp, des leicht Erkennbaren stellt damit eine Grundvoraussetzung gelungener Beschreibung überhaupt dar. Es verhält sich mit diesem Punkt also so, wie es sich mit den rhetorischen Gelingensbedingungen überhaupt verhält: Eine Überzeugung Anderer ist nur möglich, wenn angeknüpft werden kann an das, was das Publikum bereits glaubt, meint oder für wert hält und in dieser Weise schätzt. Eine, wie auch immer geartete, Porträtierung des leicht Erkennbaren stellt in dieser Weise also eine Basisstrategie des rhetorischen Prozesses dar; sie ermöglicht das erleichterte Verstehen und den Nachvollzug aller weiteren rhetorischen Bemühungen und kann folglich als ein Identifikationsangebot gesehen werden, das die Basis für persuasive Prozesse bildet. Der Umfang und Detailierungsgrad dieser notwendigen Identifikationsangebote wird freilich stark variieren. So ist anzunehmen, dass im Falle unserer Untersuchungsgegenstände, also wenn es sich um Medien der Beschreibung von Orten handelt, die am Ort selbst fest installiert sind (etwa Informationstafeln an öffentlichen Plätzen), der Evidenzaufwand deutlich geringer ausfallen wird, als vergleichsweise bei Beschreibungen, die über eine zeitliche und räumliche Distanz geliefert werden. Gleichsam auf der untersten Stufe der Beschreibung des leicht Erkennbaren stehen Mittel, die eng mit der Identifizierung von Einzelelementen zusammenhängen. So werden etwa (Abbildung 37 und 38) durch den ersten Satz dieser Gebäudetafel letztlich genau die Elemente beschrieben, die an diesem Gebäude ohnehin leicht zu erkennen sind137: Es handelt sich eben offensichtlich um ein Fachwerkhaus mit Steinsockel. Die Beschreibung ist, zumindest als Beschreibung, also als Präsentationsverfahren des Nichtpräsenten, redundant und überflüssig. Als einleitende Einstimmung im Sinne einer Vorbereitung auf die folgenden Informationen (docilem parare) erfüllt die knappe Beschreibung des leicht Erkennbaren aber durchaus eine rhetorisch relevante Funktion.

137 Dort steht: „Fachwerkhaus der Weserrenaissance mit Steinsockel“.

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Abbildung 37 und 38

In vergleichbarer Funktion steht auch die Beschreibung des Wilhelm-Marx-Hauses in Düsseldorf durch das städtische Orientierungssystem (Abbildung 39-41).138 Die Beschreibung der Uhr als ‚weithin sichtbar‘ und die Lokalisierung derselben ‚auf der Höhe der 9. Etage‘, oder auch die Beschreibung des Turms als ‚massiv‘ und mit ‚Blendbögen‘ ausgestattet, geben dem Leser keine Informationen, die dieser nicht schon durch die bloße Betrachtung des Objektes selbst erhalten würde. Dennoch ist eine Beschreibung auch dieser Elemente wichtig, ganz im Sinne der narratio, die die argumentatio bereits vorbereitet, um sowohl weiterführende Beschreibungen vorzubereiten (wie etwa den Hinweis auf den versteckten Löschwasserbehälter hinter den Blendbögen) als auch, um die Bedeutung des Bauwerks zu unterstreichen und dem Leser Begriffe an die Hand zu geben (wie ‚Blendbogen‘), die eine kunsthistorisch korrekte Bezeichnung ermöglichen und damit den Leser in gewisser Weise schulen (docere). Das als ‚erstes deutsches Hochhaus‘ benannte Gebäude, dem der Charakter eines ‚Blickfangs‘ zugesprochen wird, bedarf, gleichsam zur Begründung dieser Zuschreibungen, einer leicht erkennbaren – und insofern evidenten – Herausstellung der Elemente, die eine solche Zuschreibung stützen können und die Ausdrücke ‚massiv‘ und ‚weithin sichtbar‘ wirken in eben dieser Weise bestärkend.

138 Dort steht: „Der sechsgeschossige Hauptkörper wird von einem massiven Turm überragt, der in einem Kranz von Blendbögen endet. […] An der Nordseite des Turms wurde in Höhe der 9. Etage eine weithin sichtbare Uhr angebracht.“

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Abbildung 39-41

b) Verdichtung aufs Wesentliche Wie wir durch die rhetorische Bestimmung des Zeigens gesehen haben, ist das, was sicht- oder allgemeiner wahrnehmbar ist, noch nicht allein aufgrund seiner Wahrnehmbarkeit auch das, was gezeigt wird. Zeigen ist stets eine Handlung, die aus dem weiten Pool des Wahrnehmbaren die Aufmerksamkeit auf das fokussieren soll, was über seine bloße Wahrnehmbarkeit hinaus als wesentlich herausgestellt werden soll. Jedes Zeigen komprimiert damit das Feld möglicher Bedeutsamkeit auf den Bereich des Gemeinten. Verdichtungen auf das Wesentliche sind daher stets rhetorische Akte der Aufmerksamkeitslenkung, die das, was als wesentlich gelten soll überhaupt erst hervorbringen. Als eine Strategie der ekphrasis, die sich dadurch auszeichnet, dass sie dem Nichtpräsenten Präsenz verleihen soll, zielt die Verdichtung auf das Wesentliche nicht nur darauf, das, was als wesentlich gelten soll, hervorzubringen, sondern auch dessen Wahrnehmbarkeit im Sinne eines bildlichen Vor-Augen-Stellens zu erzeugen. Schauen wir uns unter diesem Gesichtspunkt folgendes Beispiel an, das hier stellvertretend für eine ganze Gattung an Unterrichtungs- und Gedenktafeln im urbanen Raum stehen kann (Abbildung 42): Am Nebengebäude der Düsseldorfer Kunstakademie, in welchem heute unter anderem die Studienanfänger ihre Arbeitsplätze haben, findet sich eine Tafel mit folgendem Inhalt: „In diesem Haus befand sich ab 1933 eine Dienststelle der SS (Schutzstaffel). Hier wurden Gegner des Nationalsozialismus in den Folterkellern auf das grausamste misshandelt und anschließend in Konzentrationslager verschleppt.“ Mit nur zwei Sätzen, von denen der erste allein

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dazu dient, den Bezug des weiteren Inhalts der Tafel mit dem Gebäude herzustellen und dem damit eine exordiale Funktion zukommt, wird ein bildlicher Eindruck der Grausamkeit erzielt, bei der jede detailliertere Beschreibung schnell als rhetorisch unangemessen gelten könnte. ‚Folterkeller‘, ‚Konzentrationslager‘, ‚das grausamste‘, ‚misshandelt‘ und ‚verschleppt‘ umreißen ein Feld menschenverachtender Zerstörungswut, die Bilder von großer Wucht erzeugen. Unterstützt wird dieser Eindruck dabei auch von der Schriftgestaltung: Der in Majuskelschrift gesetzte Text verlangsamt zum einen die Lesegeschwindigkeit (verglichen mit Texten in Minuskeln), wodurch die Aufmerksamkeit für jedes geschriebene Wort erhöht wird, und vermittelt zum anderen einen autoritären Eindruck, der für Gedenktafeln nicht untypisch ist. Diese Tafel schafft es für den Augenblick der Lektüre, der nichtpräsenten Vergangenheit eine fast schon unheimliche Präsenz zu geben, sie vermag Betroffenheit auszulösen oder auch Gefühle der Schuld aber auch Ohnmacht zu erzeugen. Zugleich, und darin zeigt sich die Strategie der Verdichtung auf das Wesentliche, wird damit nicht etwa die vielschichtige Geschichte dieses Gebäudes im Laufe der Zeit dargestellt, sondern ein einziges historisches Ereignis als die Essenz der Historie herausgestellt. Neben der sichtbaren aktuellen Verwendung steht kontrastierend die Verwendung des Gebäudes in der NS-Zeit. Eine umfassendere Tafel, die auch andere Ereignisse und Verwendungskontexte anführen und damit eher eine Anhäufung von Details vornehmen würde, könnte ihre Wirkung als Unterrichtungs-, Gedenk- und Mahntafel nicht ebenso erfüllen. Es ist das Ergebnis der Verdichtung, dass es möglich ist, in einem Satz (dem zweiten Satz auf der Tafel) eine manifeste Wirkung zu erzielen. Abbildung 42

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Es scheint sofort einleuchtend, dass Verdichtungen auf das Wesentliche notwendige Strategien von Gedenk-, Mahn- und Erinnerungstafeln verschiedener Art sind. Allerdings findet die strategische Konzentration auf das, was als wesentlich gelten soll – was stets ein auch ein politischer Akt ist und als solcher aktuellen Wertvorstellungen und Ideologien unterliegt –, auch auf Zeichenträgern im touristischen Zusammenhang statt. Dazu ein Beispiel (Abbildung 43 und 44): Abbildung 43 und 44

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Der Name der Stadt Jena ist eng verknüpft mit den Namen bedeutender deutscher Denker und Dichter, wobei – um nur einige zu nennen – neben Goethe, vor allem Schiller, Schlegel, Fichte, Schelling oder Hegel hervorzuheben wären. Der Geist der Frühromantik, des deutschen Idealismus und der Klassik ist durch diese Namen eng mit Weimar-Jena verbunden. Der enge Bezug der beiden Städte und die – keineswegs einheitliche – Geisteshaltung jener Zeit ist auch Gegenstand des zwölf Jahre arbeitenden Sonderforschungsbereichs ‚Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800.‘ gewesen, auf dessen Initiative am Jenaer Marktplatz ein digitales Spruchband installiert wurde, das als ‚Gedankenumlauf‘ Textteile aus dem Briefverkehr Goethes präsentiert. Abermals wird hier die nichtpräsente Historie der Stadt, auf dem zentralen Platz der Stadt, verdichtend präsentiert. Als Teil eines place-making-Konzeptes, das Jena als ‚Klassikerstadt‘ inszeniert, wird der Platz mit Textfragmenten aufgeladen, deren konkreter Inhalt weniger im Vordergrund zu stehen scheint als dessen berühmter Urheber. Die intendierte Wahrnehmung der Stadt Jena wird durch diesen Gedankenumlauf, der auch metaphorisch für das ‚freie Wort‘ und den ‚offenen Austausch‘ in der Gelehrtenstadt um 1800 steht, auf ein historisches Moment verdichtet, dessen ‚Geist‘ in Form des Schriftbandes in der heutigen Stadt präsentiert werden soll. Der konkrete Anbringungsort des Spruchbandes und seine Anbringungshöhe, die eben genau auf Höhe des Logos des Optikers liegt, mag hierbei allerdings kontraproduktiv sein, da, für den nichtsahnenden Betrachter, dieses schnell als Reklameband des Optikers missverstanden werden könnte. Nichtsdestotrotz erfüllt diese Inszenierung die Funktion des Stadtmarketings allein schon deshalb, da für die Städte Weimar und Jena eine Inszenierung dieser Art schon erwartet werden kann: Beide Städte statten ihren urbanen Raum reichhaltig mit Verweisen auf die Geistesgrößen des späten 18. Jahrhunderts (allen voran Goethe und Schiller) aus: sei es durch Statuen, Büsten oder der Omnipräsenz von bildlichen Zeichen (z.B. das Ginkoblatt in Weimar) und Hinweistafeln oder auch durch Schriftzüge, Straßenbenennungen oder vieles mehr. Die Omnipräsenz gerade Goethes in Weimar und Jena findet ihren sichtbaren Ausdruck nicht nur in den allerorts angebrachten Tafeln, die besagen, dass hier Goethe lebte, wirkte, sich dann und dann eingefunden habe, etc, sondern wird auch vom touristischen Weimar Shop spöttisch und selbstironisch aufgenommen, indem dort Emailleschilder zur Gebäudeidentifizierung der folgenden Art gekauft werden können (Abbildung 45): ‚Hier war Goethe nie.‘ c) Anhäufung von Details Mit der strategischen Anhäufung von Details wenden wir uns einer Strategie zu, deren vorrangiges Anwendungsgebiet in textlichen Passagen liegt, die tendenziell länger sind und so überhaupt den Platz bieten, Details anzuhäufen. Es ist aufgrund dieser einfachen Einschränkung, warum die Anhäufung von Details eher in Romanpassagen, aber auch in der Reiseliteratur und vergleichbar langen Texten zu finden ist, als

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Abbildung 45

etwa auf Schildern und Wegweisern im urbanen Raum. Nichtsdestotrotz lassen sich aus der Untersuchung dieser Strategie Elemente hervorheben, die – wenngleich in deutlich abgeschwächter Form – auch auf Beschilderungen im urbanen Raum eine strategische Rolle spielen können. Es ist daher in gebotener Kürze zuvor darauf einzugehen, worin der strategische Kern der Anhäufung von Details liegt, um von hier aus die Übertragung auf das deutlich restriktivere Medium der Hinweis- und Unterrichtungstafeln gewährleisten zu können. Zuerst ist folgendes festzuhalten: Die Anhäufung von Details steht der Verdichtung auf das Wesentliche in einem gewissen Sinne strategisch entgegen. Während die Verdichtung auf eine Konzentration und Fokussierung der Aufmerksamkeit zielt und dadurch auch offen als bewusste Lenkung erscheint, kaschiert die strategische Anhäufung ihre Lenkungsfunktion oftmals durch die Präsentation eines scheinbar geweiteten Blicks auf das Beschriebene. Die Anhäufung von Details wird damit – in der Literatur ebenso wie in den bildenden Künsten und augenfällig in der Fotografie – nicht selten zu einem Stilmittel des Realismus.139 Realismus ist, wie Erhard Reckwitz in seiner Auseinandersetzung mit Roland Barthes‘ Begriff des Realismus-Effekts betont, eben „nicht ‚naturwüchsig‘, sondern ein mit künstlerischen [und das heißt hier eben auch: rhetorischen] Mitteln erzielter Effekt.“140 Reckwitz folgend, habe Barthes den Realismus-Effekt in semiotischer Hinsicht wie folgt bestimmt: „Durch den Verweis auf kontingente Wirklichkeitsdetails im Roman etwa wird eine

139 Zum Realismus unter anderem auch als rhetorisches Wirkziel schreibt Fabian Lampart: „Zum dritten ist Realismus ein poetologisch-ästhetischer Begriff. Die Figur der Mimesis als grundlegende Struktur der Wirklichkeitsgestaltung spielt in diesem Zusammenhang sowohl in normativer als auch in deskriptiver Hinsicht eine Rolle.“ (Lampart, Fabian: Realismus. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 7. Tübingen 2005. Sp. 621-640. Hier: Sp. 621.) 140 Reckwitz, Erhard: Realismus-Effekt. In: Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie. Hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart 2013. S. 640-641. Hier: S. 640.

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direkte Verbindung zwischen dem Signifikanten, also dem aufgerufenen Realitätsdetail, und der Wirklichkeit als generellem Referenzgegenstand etabliert, und zwar unter Umgehung des Signifikats, d.h. der Aussage über die Welt, welche etwa der Roman durch den Plot zu vermitteln sucht.“141 Auch wenn diese Auseinandersetzung sich an literarischen Ausdrucksmöglichkeiten des Romans orientiert, so bleiben doch wesentliche Punkte – wenngleich mitunter in deutlich abgeschwächter Form – für die vorgelegte Untersuchung relevant. Insbesondere ist hier zu nennen, dass „aufgrund der Fülle der Wirklichkeitsverweise [die Plots] als ‚realistisch‘ wahrgenommen werden.“142 Durch eine Detailanhäufung wird demnach der Eindruck bestärkt, es handele sich bei der Darstellung um eine umfassende und damit (scheinbar) nicht gelenkte Wiedergabe des Tatsächlichen. Der hohe Detailierungsgrad bestimmter Beschreibungen kann in dieser Weise die Authentizität des Beschriebenen erhöhen, da solche Beschreibungen es vermögen, eine Atmosphäre zu erzeugen, die authentisch wiederzugeben insbesondere jenen Autoren zugesprochen wird, die die beschriebene Situation tatsächlich erlebten. Aufgrund dieses Bezugs von Detailierungsgrad und Authentizität beziehungsweise Zeugenschaft spielt die geschickte Anhäufung bestimmter Details eine wesentliche Rolle für die Glaubwürdigkeit beispielsweise jugendlicher Lügengeschichten gegenüber ihren Eltern oder auch als Glaubwürdigkeitsindiz innerhalb polizeilicher Vernehmungsstrategien. In der Reiseliteratur, deren zentrale Aufgabe vor allem darin ausgemacht werden kann, einem Publikum die Fremde zu zeigen, das heißt, als in unterschiedlichen Graden befremdend sehen zu lassen, spielt diese Strategie eine zentrale Bedeutung. Claudius Sittig bringt das grundlegende Problem der Reiseliteratur und das daraus erwachsende Authentizitätsproblem wie folgt auf den Punkt: „Während ihre Werthorizonte im Normalfall als weitgehend kongruent angenommen bzw. durch den Text versichert werden, hat der Gereiste bzw. Erzähler dem Leser die Erfahrung der Fremde voraus. Es gehört darum zu den grundlegenden Aufgaben der Texte, diesen fremden Erfahrungsraum mit dem des heimischen Lesers und dessen Vorannahmen über die Fremde zu vermitteln, indem die mitgeteilten Beobachtungen in vertrauten Begriffen formuliert und durch verschiedene Strategien anschaulich und glaubhaft gemacht werden. Gleichzeitig muss – in einem gegenläufigen Prozess – das Fremde und Unbekannte als authentisch vorgestellt werden und seine Distanz zur heimatlichen Realität markiert werden. Der notorische Vorwurf der Lügenhaftigkeit, der die Reiseliteratur seit ihren Anfängen begleitet, indiziert die grundlegende Geltung dieser doppelten Aufgabe und die Schwierigkeit der geforderten Lösung.“143

141 Ebd. 142 Ebd. S. 641. 143 Sittig, Claudius: Reiseliteratur. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 7. Tübingen 2005. Sp. 1144-1156. Hier: Sp. 1144f.

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Auf der einen Seite muss der Berichtende also das Fremde durch Strategien der Identifikation bis zu einem gewissen Grad als ‚anheimelnd‘ darstellen und somit eine vom Publikum gefühlte Distanz zu deren eigenen Wertvorstellungen verringern, auf der anderen Seite soll aber das Fremde durchaus noch als ‚fremd‘ wahrgenommen werden. Das Authentizitätsproblem der Reiseliteratur entspringt daher oftmals einem Balanceakt zwischen bewusst eingesetzten Strategien der Identifikation und ebenso bewusst eingesetzten, Dissonanz erzeugenden Benennungen und Beschreibungen. Die Anhäufung von Details, die die Zeugenschaft bestärken können, vermag es, diesen Balanceakt weniger als strategischen Lenkungsakt erscheinen zu lassen und somit im obigen Sinne die Glaubwürdigkeit der Darstellung zu erhöhen. In Bezug auf die Akkumulation historischer Ereignisse, die aufgrund der zeitlichen Distanz zum orator eine authentische Zeugenschaft des orators unmöglich machen, spielt die Anhäufung von Details aber dennoch eine wichtige Rolle in Bezug auf das ethos des orators, das sich laut Aristoteles eben nicht nur durch Wohlwollen und Tugend, sondern vor allem auch durch Einsicht, Kompetenz, Sachverstand und -kenntnis auszeichnen muss.144 Die umfassende Detaillierung einer Beschreibung der Historie vermag dann zwar nicht die direkte Zeugenschaft zu verbürgen, wohl aber die umfassende Quellenkenntnis des orators zu betonen und damit ebenso die Glaubwürdigkeit der Beschreibung zu erhöhen. Die nicht präsente, da zeitlich vergangene, Historie wird (unter anderem) durch eine Anhäufung von Details, die als Fakten wahrgenommen werden, zu einer umfassend recherchierten, authentischen und sachbezogenen Präsentation von beispielsweise der Genese eines Gedankens, der tabellarischen Listung eines Tathergangs, der Entwicklung einer Institution oder etwa der Metamorphosen eines Gebäudes in seiner wechselvollen Geschichte. In der Übertragung auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand zielt die Anhäufung von Details nach dem Gesagten folglich – neben dem Zeigemotiv der bloßen Information – darauf, die Glaubwürdigkeit der Information wahlweise durch eine plastische Darbietung, die auf einen Realismus-Effekt setzt, und/oder durch eine Inszenierung des ethos des Redners in Bezug auf dessen direkte Zeugenschaft oder zumindest dessen umfassende Quellenkenntnis zu erhöhen. Es handelt sich bei diesen Details nicht selten um ein gruppenspezifisches Insiderwissen oder um Anekdoten, die durch die Präsentation das ethos der orator-Instanz zu stärken vermögen. Wie bei allen Beschreibungsstrategien soll auch durch die Anhäufung von Details das zeitlich, räumlich oder sozio-kulturell Ferne dem Publikum nahe gebracht werden. In Bezug auf lokal fixierte Zeichenträger, die einem bestimmten Ort eine spezifische Bedeutung geben sollen, bieten sich für diese Strategie vor allem thematische Beschilderungen an, da hier gezielt Details aus einem festen Themenkreis ausgewählt werden können. Ein treffendes Beispiel hierfür ist etwa die Themenroute Deutsche

144 Vgl. Arist. Rhet. 1378a5.

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Fußballroute NRW: In 15 Städten mit national oder international bedeutsamen Fußballvereinen quer durch Nordrhein-Westfalen von Aachen bis Bielefeld sind an je elf Standorten in jeder Stadt Schilder angebracht, die die Bedeutung des jeweiligen Ortes für den lokalen Verein hervorheben sollen – was freilich nichts anderes bedeutet, als den nicht präsenten ‚Fußballcharakter‘ eines Orts zu präsentieren und an diesem somit – im Sinne des place-makings – einen solchen Charakter erscheinen zu lassen. Betrachtet man die auf diesen Schildern präsentierten Texte, so wird schnell deutlich, dass die rhetor-Instanz sich ganz im Sinne einer Anhäufung von Details um einen authentisch-wirkenden Stil bemüht und wo nicht sogar direkte Zeugenschaft, so doch zumindest umfassende Quellenkenntnis betont. Schauen wir uns dazu ein paar Exemplare an (Abbildung 46-48): Was den hier ausgewählten Stationen gemeinsam ist, ist, dass diese – im Gegensatz etwa zur Beschilderung des Fußballstadions – keinen expliziten und deutlich erkennbaren Bezug zum lokalen Fußballverein haben: die Seidenstickerhalle ist ein Mehrzweckgebäude für diverse Festakte und auch weder das Theater noch der Bahnhof sind dezidierte Fußballstationen. Während der erste Textabschnitt der Schilder folglich einen direkten Bezug zum Ort aufbaut – sei es die Hundertjahrfeier des Vereins in der Seidenstickerhalle, die Bedeutung der Sonderzüge zu Auswärtsspielen des Vereins am Bahnhof oder die Vereinsgründung an dem Ort, wo heute das Theater am Markt zu finden ist –, wird im übrigen Text versucht, eine Atmosphäre zu verdichten, die durch eine Anhäufung von Details, Hintergrundwissen und Anekdoten diesen Ortsbezug zu unterstützen vermag. Abbildung 46

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Abbildung 47 und 48

In vergleichbarer Weise findet die Anhäufung von Details auch beim sogenannten Lutterpfad in Bielefeld Anwendung (Abbildung 49-52). Die Lutter ist ein Bachlauf, der im 15. Jahrhundert nach Bielefeld umgeleitet wurde und dort die Stadt, deren Mühlen und Bleichen mit Wasser versorgte. Heute ist von der Lutter im Großen und Ganzen nichts mehr zu sehen, da dieser Bach im 19. und frühen 20. Jahrhundert innerhalb des Stadtgebietes aufgrund seines hohen Verunreinigungsgrades und dem damit einhergehenden Gestank vollständig verrohrt wurde. Bielefeld, so kann man aus touristischer Perspektive sagen, hat seither keinen innerstädtischen Flusslauf mehr, der der Stadt in dieser Hinsicht einen gewissen Charme verleihen könnte. Dies mag ein Grund für die Initiative des seit 2001 bestehenden Vereins Pro Lutter e.V. gewesen sein, die Lutter zumindest partiell wieder freizulegen. Eine partielle Freilegung auf Höhe eines innerstädtischen Gymnasiums wurde 2004 realisiert (Abbildung 53). Innerhalb dieser Initiative ist auch die Beschilderung des Lutterpfades entstanden. Ebenso wie schon bei der Fußballroute zeigt sich beim Lutterpfad, dass die Beschilderungen in erster Linie Zeigemedien sind; ihre vorrangige Aufgabe ist es, das Nichtpräsente (lokalhistorische Bedeutung bestimmter Orte für den Fußball bzw. die verrohrte, unterirdisch fließende Lutter) durch bestimmte Präsentationsstrategien erfahrbar zu machen. Besonders deutlich wird dies, wenn die Schilder sich an Orten

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Abbildung 49-52

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Abbildung 53 und 54

befinden, die keinen evidenten Flussbezug haben (Abbildung 54): An diesem Aufstellungsort ist überhaupt kein Wasserlauf zu sehen, so dass der Bezug zur Lutter, die womöglich als ‚hier entlang unterirdisch verlaufend‘ angenommen werden darf, allein über die Beschilderung gewährleistet ist. Der Themenpfad erläutert in acht Etappen die Geschichte der Lutter in ihrem Bezug zu Bielefeld. Vor allem macht der Pfad von Anfang an deutlich, dass die Lutter aufgrund ihrer Fassung in Rohrleitungen heute nicht mehr zu sehen ist und dass „Ästhetik und Stadtökologie […] heute die Triebfedern für die Bestrebungen [sind], die Lutter wieder frei zu legen“145 (vgl. Abbildung 50). Hierin äußert sich zugleich die rhetorische Zielstellung, die mit der Aufstellung der Schilder zum Themenpfad verbunden ist: mit dieser Intervention will man einen Beitrag leisten, für die geplante Fortsetzung der Hebung der Lutter zu werben, indem diese den Bachlauf bereits zeigend im Stadtraum verortet. Anders aber als bei der Werbung für Bauvorhaben durch stark bebilderte Bauschilder, wird das Persuasionsziel in den Hintergrund gerückt und vor allem die Motive des Informierens (über die Historie) und Teilens (der in den Schildern spürbaren Begeisterung für den lokalen Bach) betont. Zu diesem Zweck wird die Geschichte der Lutter, die schließlich zu ihrer Verrohrung führte, in Einzeletappen und unter thematischen Überschriften erzählt. Die Details, die hier angehäuft werden, sind vor allem historische Daten, die allerdings nicht gelistet dargeboten, sondern in einem fortlaufenden, beschreibenden Text präsentiert werden, der sowohl zu einem Verständnis der Überlegungen beitragen soll, die zur Verrohrung führten, als auch dazu, das Interesse an der Hebung des Baches zu wecken. Die strategische Überlegung dahinter kann wie folgt beschrieben werden: Wenn durch eine detaillierte Beschreibung des historisch bedingten status quo die Glaubwürdigkeit des orators vor allem in Bezug auf dessen Sachkenntnis gestärkt ist, so vermag der Zeigegestus der Beschilderung, die auf einen abwesenden Bachlauf verweist, womöglich das Interesse an einer Hebung der Lutter befeuern. Insbesondere die freigelegte Lutter (vgl. Abbildung 51) durch die in einem – relativ kleinen – Teilbereich bereits erfolgte Hebung, vermag hier durch Evidenz persuasiv zu wirken. 145 Vgl. Abbildung 50.

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3.3.2.3 Bildliche Strategien der ekphrasis/descripitio (am Beispiel von Bauschildern) Wenden wir uns zum Schluss vorrangig bildlichen Strategien der Deskription zu. Auch wenn bildliche Zeichen in der vorangegangenen Auseinandersetzung mit den beschreibenden Strategien keine exponierte Stellung einnahmen, so kann doch auch über Bildteile auf urbanen Beschilderungen funktional das erfüllt werden, was Beschreibungen leisten können. Aufgrund ihrer besonderen Auffälligkeit in diesem Funktionszusammenhang und ihrer starken Präsenz im Stadtraum sollen nachfolgend einige wesentlich erscheinende Aspekte bildlicher Strategien der Deskription anhand von Bauschildern entwickelt werden. Bauschilder sind Tafeln, die an Baustellen aufgestellt werden und dort vor allem visuell auf den geplanten Bau hinweisen sollen. Nach den Bauordnungen der Länder ist für genehmigungspflichtige Bauvorhaben ein Bauschild anzubringen mit der Bezeichnung des Bauvorhabens und den Namen und Anschriften des Bauherren, des Entwurfsverfassers, des verantwortlichen Bauleiters und der Bauunternehmer.146 Diese Aufstellungspflicht und die dazu gehörenden inhaltlichen und gestalterischen Beschränkungen lässt eine weiterführende Verwendung des Bauschildes zu, wie beispielsweise als Träger bildlicher Repräsentationen zu werbenden Zwecken. Im Weiteren sollen diese weiterführenden Verwendungen im Fokus stehen. Bauschilder sind gleichermaßen bei größeren privaten Neubauten im städtischen Raum zu finden wie auch bei Sanierungen und Restaurierungen, bei archäologischen Ausgrabungen oder auch bei kommunalen Bauprojekten. Was alle diese Formen gemeinsam haben und was sie für die vorliegende Untersuchung interessant macht, ist, dass auf diesen Schildern oft etwas gezeigt wird, was nicht oder wenigstens noch nicht im urbanen Raum zu sehen ist. Sie präsentieren demnach etwas, das noch nicht präsent ist. Mehr noch als bei Identifizierungstafeln und Orientierungs- und Leitsystemen, nutzen Bauschilder dabei vor allem bildliche Zeichen. Zudem stehen sie rhetorisch gesehen in deutlicher Parallele zu Werbeplakaten, indem ihr Zweck offensichtlich nicht nur in der Information über den Bau und Bauprozess besteht, sondern darüber hinaus auch im Werben für den Bau, den Bauherren oder Architekten (insbesondere bei privaten Neubauten wie Büros oder Mietwohnungen) oder im Werben um Akzeptanz des Bauprozesses, der mitunter mit Beeinträchtigungen für die Stadtbewohner einhergehen kann (insbesondere bei Restaurierungen oder öffentlichen 146 Vgl. beispielsweise die Bauordnung des Landes NRW §14. Abs. 3. Dort heißt es: „Bei der Ausführung genehmigungsbedürftiger Bauvorhaben nach § 63 Abs. 1 und solchen nach § 67 hat die Bauherrin oder der Bauherr an der Baustelle ein Schild, das die Bezeichnung des Bauvorhabens und die Namen und Anschriften der Entwurfsverfasserin oder des Entwurfsverfassers, der Unternehmerin oder des Unternehmers für den Rohbau und der Bauleiterin oder des Bauleiters enthalten muss, dauerhaft und von der öffentlichen Verkehrsfläche aus sichtbar anzubringen.“

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Bauprozessen), womit Bauschilder in einem engen Bezug zur epideiktischen Rede stehen. Obgleich die bildlichen Darstellungen auf Bauschildern auf den ersten Blick womöglich kein breites Spektrum differenzierender Darstellungen aufweisen mögen, können doch einige Unterschiede in der Betrachtung herausgestellt werden. Im Folgenden sollen in diesem Sinne strategische topoi ausgemacht werden, also Aspekte, die spezifische bildliche Argumente offerieren, die bei Bauschildern die Werbefunktion unterstützen sollen. Als ein solcher topos kann etwa a) die Betonung einer bestimmten Funktionalität oder ökonomischen, kulturellen oder sozialen Notwendigkeit gelten, aber auch die topoi b) des gezielten Verweises auf Traditionen, c) der Inszenierung einer breiten Partizipation, d) der Bezüge zu Natur und Ruhe, e) einer Atmosphäre, die als modern und geschäftig (im Sinne von business) gilt oder f) der topos, der lokale Eingebundenheit und gute Anpassung an das Bestehende betont. Diese topoi bedürfen sicherlich keiner ausführlichen Erklärung, so dass es im Weiteren vor allem darum geht, nach wenigen Sätzen zur möglichen Wirkungsintention anhand von Beispielen eine Bandbreite von Bauschildern vorzustellen, wobei sich zeigen wird, dass viele Beispiele mehrere topoi bedienen. a) Funktionalität Im Bildteil wird ein Funktionszusammenhang illustriert, der auch ohne weitere Erklärung für den Betrachter einen Wert darstellt. Die Funktion muss demnach evident aus dem Situationszusammenhang als wünschenswert erscheinen. Abbildung 55

Die Städte Kehl in Deutschland und Straßburg in Frankreich liegen nur knapp acht Kilometer auseinander. Unter anderem aufgrund der Mietsituation in Straßburg, sind es nicht wenige, die in Straßburg arbeiten, aber in Kehl wohnen und zwischen den

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Städten pendeln. Der hier (Abbildung 55) beworbene Ausbau einer Straßenbahnverbindung zwischen den Städten drückt demnach eine Funktionalität aus, die dem einheimischen Betrachter sicherlich sofort einleuchtet. b) Tradition Insbesondere bei Restaurierungen ist die Betonung einer bestimmten Tradition oder bedeutsamen Historie ein gängiger topos. Auch wenn diese vor allem textlich herausgestellt wird, scheint es bedeutsam, den Erhalt wesentlicher Elemente auch bildlich zu illustrieren. Anders als bei Neubauten, müssen Restaurierungen in der Regel nicht für den Bau werben, sondern für den Bauprozess, so dass der topos ‚Tradition‘ in diesen Fällen nicht selten wahlweise entweder den Bau so sehr in den Mittelpunkt stellt, dass der Prozess in den Hintergrund rückt, oder den Prozess textlich ausführlich durch die traditionelle und kulturelle Bedeutung rechtfertigt. Diese Gerüstverkleidung (Abbildung 56) zeigt das durch sie verdeckte südliche Querhaus des Straßburger Münsters. Es wird also durch das Bildobjekt der Wandverhängung etwas sehen gelassen, was aufgrund des Bildträgers (die Verhängung selbst) nicht gesehen werden kann. Wie bei Restaurierungen üblich, verdeckt die Verhängung damit den Bauprozess und zeigt den Bau, der als kulturelles Erbe als ein Wert an sich angenommen wird. Abbildung 56 und 57

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In ähnlicher Weise funktioniert auch die Verhängung des Hauses ‚Zur Sonne‘ in Jena (Abbildung 57). Im Unterschied zur Verhängung des Straßburger Münsters aber bedient sich der Projektverantwortliche (die Wohnungsgenossenschaft Carl Zeiss) hier zusätzlich eines zweiten topos: der Partizipation. Sie integrieren in die zu restaurierende Fassade Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters und sozialer Stellung: selbst der Sprayer (Abbildung 58), der gemeinhin wohl eher als ‚Schmierfink‘ bekannt ist, beteiligt sich an der Verschönerung des Gebäudes. Die Restaurierung der Fassade wird hier, ganz im Sinne einer Genossenschaft, als Gemeinschaftsprojekt beworben. Abbildung 58

c) Partizipation Teilhabe und breite gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten stellen einen Wert sowohl für den Bau als auch für den Bauprozess dar. Aufgabe der bildlichen Zeichen kann es sein, diese Partizipation vor Augen zu stellen. Die Park- und Spiellandschaft, die hier im Bielefelder Stadtteil Sennestadt entstehen soll, ist eine Erweiterung der bestehenden Skateranlage (Abbildung 59). Steht diese durch die Graffiti sichtbar für ein bestimmtes Klientel junger Akteure, so wird die neue Parklandschaft visuell über die Teilhabe auch von älteren Menschen beworben (Abbildung 60). Der ältere Mann, der mit Stock an der Boule-Bahn sitzt, stellt zwar eine Minderheit der abgebildeten Personengruppen dar, die vorrangig jung sind

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(und auch weiterhin skaten, obgleich die Halfpipe nicht mit abgebildet ist), steht aber in dieser Funktion für die mögliche und erwünschte Teilhabe älterer Menschen an der neuen Parklandschaft. Damit stellen ältere Menschen zwar offensichtlich nicht die eigentliche Zielgruppe dar (ein Skatepark wird wohl auch eher mit Jugendlichkeit assoziiert), sind aber visuell auch nicht außen vor. Tatsächlich partizipierend hätte man den älteren Mann aber auch darstellen können, wenn er nicht bloß dem Jungen beim Boule-Spiel zusehen würde. Abbildung 59-61

Der Ausbau am Museum Unter Linden in Colmar wird zusätzlich zur verdeckenden und zugleich zeigenden Wandverhängung, wie sie bereits oben am Straßburger Münster erläutert wurde, mit einer partizipativen Strategie beworben. Die hier (Abbildung 61) in mehreren Einzelbildern, die am Zaun um das Museum aufgehängt wurden, zu sehenden Einzel- oder Gruppenportraits, zeigen Menschen, die weniger

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am Bau partizipieren (das sollten bei einem Museum ohnehin alle Bevölkerungsschichten), sondern direkt am Bauprozess. Einzelne Männer, einzelne Frauen oder kleinere Gruppen stehen mit einem Bauhelm bewehrt direkt an der Baustelle und zeigen durch ihre Präsenz ihre Zustimmung zum Bauprozess. Diese Personen, die mit stolzen Gesten ihre sichtbare Unterstützung des Bauprozesses ausdrücken, stehen dabei für regionale und überregionale Firmen und Banken, die als Sponsoren den Bauprozess auch finanziell befördern. Indem man den Sponsoren auf diese Weise ein Gesicht verleiht und anstatt der Firmennamen die Personen in den Mittelpunkt rückt, wählt man eine partizipative Identifikationsstrategie, die auch die Bewohner und Besucher Colmars überzeugen soll, als Person dem Bauprozess wohlwollend gegenüber zu stehen. d) Natur/Ruhe Im urbanen Raum, der oft mit hohem Verkehrsaufkommen und betonierten Flächen assoziiert wird, stellen Naturmotive und Ruhe Qualitäten dar, die als Werbeargumente dienen können. Abbildung 62

In Greenwich Village gibt die Sichtblockade (Abbildung 62) – Sichtblockaden werden häufig zu dem eben benannten Zweck benutzt werden – die Sicht durch ihr Bildobjekt auf das frei, was dahinter noch gar nicht zu sehen ist. Der Bauprozess wird verdeckt und der zukünftige Bau zur Straßenseite hin beworben. Dabei steht mit diesen Motiven allerdings weniger der geplante Wohnungsbau im Mittelpunkt, sondern durch die Naturmotive vor allem Elemente, die weniger mit prosperierender Urbanität assoziiert werden: Eine Frau betrachtet mit ihrer kleinen Tochter die Ente im See, die nur eine Handlänge entfernt scheint; eine junge Radfahrerin überquert eine alt

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anmutende, einfache Holzbrücke, die am rechten Ende vom Schilf zunehmend verdeckt wird; während im linken Bildhintergrund noch Architektur zu sehen ist, öffnet sich im rechten Bildhintergrund (und damit in Fahrtrichtung der jungen Frau) eine Naturlandschaft mit blauem Horizont und grünen Wiesen. Hier wird ein Idyll präsentiert und das mitten in der ‚Millennium City‘. Ein etwas anders gelagertes Beispiel ist der Neubau eines Einkaufszentrums in Mulhouse (Abbildung 63). Das Bild wird von Fußgängern dominiert, die mit Einkaufstaschen von ihrem erfolgreichen Shoppingerlebnis zurückkehren. Interessant ist hierbei, dass der Autoverkehr und das Autoaufkommen, das an diesem innerstädtischen Parkplatz eigentlich recht einprägsam ist (vgl. Abbildung 64), nahezu vollkommen ausgespart wird. Lediglich zwei Autos finden sich auf dem Bild und auch diese sind durch die Dominanz der Passanten eher unscheinbar. Dagegen wirkt selbst der öffentliche Verkehr durch die Straßenbahn, die von rechts in den Bildraum fährt, gewichtiger. Das Bild betont damit, trotz des geschäftigen Treibens in einer Einkaufspassage, eher Momente der Ruhe, die durch die Baumreihe und den Kanal auf der linken Bildseite noch unterstützt werden. Abbildung 63 und 64

e) Modern Business Insbesondere bei der Bewerbung von Bürobauten steht ein modernes und geschäftiges Image im Vordergrund. Was dabei als modern und geschäftig verstanden werden kann, erschließt sich über bestimmte, historisch variable, kulturelle Codes. Eine bestimmte Zusammenstellung dieser Codes ist hier (Abbildung 65) an einem Neubau eines Bürogebäudes in Mulhouse zu sehen. Das Bürogebäude wird (Abbildung 66) in einem Abendlicht präsentiert, so dass die Neonröhren und die neonfarbene Linienmusterung des Gebäudes seine ‚elektrisch‘ anmutende Fassade ideal präsentieren können. Davor sitzt ein Mann aufrecht in Geschäftskleidung mit einem Mobiltelefon auf einer Bank in der lauen Abendstunde mit überkreuzten Beinen und strahlt so eine Art ‚geschäftiger Entspanntheit‘ aus, während das Gebäude hinter ihm den gesamten Platz zu illuminieren scheint. In die Werbeträger für den Bau integriert, findet sich auch die Werbung für eine Versicherungsagentur, die in dieses Gebäude im Winter 2014/2015 eingezogen ist (Abbildung 67). Das moderne Geschäftsleben

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wird hier deutlich als Netzwerk beschrieben, wo in einer Avatarästhetik sozialer Netzwerke besonderer Wert auf ‚nachbarschaftliche Nähe‘ gelegt wird. In dieser Abbildung 66 (links) Abbildung 65 und 67 (rechts)

Werbetafel verbindet sich das Anliegen einer Versicherungsagentur, auf sich als Versicherungsagentur aufmerksam zu machen, indem dort von beraten (Ils vous conseillent), schützen (Ils vous protegent), zuhören (Ils vous ecoutent) und absichern (Ils vous assurent) die Rede ist, mit dem Anliegen eines Sponsors, die zu vermietenden Büroflächen zu bewerben. Die Rede von Nachbarn (voisins) meint ein Vertrauensverhältnis, das auch für das Business-Netzwerk von Bedeutung ist und das dennoch nicht so eng sein soll, dass man anstelle der Avatare eine eher individualisierende Ästhetik, die beispielsweise reale Menschen zeigen würde, gewählt hätte. Ungezwungene aber freundliche, nahe aber nicht zu nahe soziale Netzwerke gehören ebenso zum modern business wie technische Aktualität und einer damit verbundenen Geschwindigkeit, die nicht selten mit Lichtspuren, die für Datenströme stehen mögen, dargestellt wird (vgl. Abbildung 68). Hier ein Referenzbeispiel aus dem Bereich der Werbung, wo die Geschwindigkeit der Datenübertragung durch eine Lichtspur in der Unternehmensfarbe der Telekom symbolisiert wird (vgl. Abbildung 69).147 147 Die Darstellung von Geschwindigkeit mittels Lichtspuren wird in der Produktwerbung nicht selten angewendet, wobei diese Verbindung bereits durch sogenannte Lichtgraffiti (light writing) und ihre Referenz etwa zum Superheldencomic etabliert zu sein scheint.

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Abbildung 68 und 69

f) Lokaler Bezug Neubauten ohne lokalen Bezug können schnell unter dem Verdacht stehen, einen Bezirk visuell zu dominieren. Es kann daher eine Strategie sein, den lokalen Bezug visuell deutlich herauszustellen und somit einer etwaigen Furcht vor der Dominanz des Neubaus entgegenzuwirken. In der Gemeinde Buhl, die zur Stadt Guebwiller im Elsass gehört, wird mit diesem Bauschild (Abbildung 70) auf den hier entstehenden Kindergarten aufmerksam gemacht. Und demgemäß wird das Bild benutzt, um die zukünftige Verwendung sehen zu lassen, womit der topos der Funktionalität betont wird. In diesem Sinne werden die guten Parkmöglichkeiten betont, und damit die Sicht auf das Gebäude nicht gestört wird und dennoch zugleich die zukünftige Begrünung gesehen werden lassen kann, wird der abgebildete Baum transparent gehalten (vgl. Abbildung 71). Darüber hinaus lässt sich an diesem Beispiel aber sehr gut zeigen, was hier unter dem topos der lokalen Anbindung zu verstehen ist: Der Kindergarten wird in seinem lokalen Bezug dargestellt. Zum einen ist, wie ein Vergleichsbild zeigen kann (vgl. Abbildung 72), der Straßenzug deutlich zu erkennen. Selbst den relativ schlechten Zustand des Fußweges, der abrupt in schlechter Asphaltierung mündet, kann man deutlich sehen und das, obgleich an der gleichen Stelle, mit dem – wohlgemerkt nur halben – Herausschneiden des Strommastens durchaus visuell eingegriffen wurde. Während dies wohl eher Kleinigkeiten sind, die dem eiligen Betrachter schnell entgehen können, sind im Bildhintergrund die evidenten Bezugspunkte zur lokalen Lage gegeben. Neben dem Blick auf einen Hügel der Vogesen, wird die Kulisse dominiert von der oben aufragenden Kirche Saint-Jean-Baptiste. Das Gebäude fügt sich in die lokale Kulisse, ohne diese zu dominieren; es wird als zum Ort passend und genau dort gut funktionierend vorgestellt.

Zum Verhältnis von Lichtgraffiti, Symbolisierung von Geschwindigkeit und Superheldencomic siehe: Smolarski, Pierre: Persuasive Strategien des Lichtgraffiti. In: Artefakt – Blog für Kunst und Kritik. 2010. Auf: artefakt-sz.net.

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Abbildung 70-72

3.3.2.4 Einige Anmerkungen zu deskriptiven Funktion von Entfernungsangaben Das Kapitel zur Funktion deskriptiver Zeichen begann mit einem Verweis auf Mollerup, der darunter vor allem Zeichen versteht, die genau genommen weniger dem ‚wayshowing‘ als dem ‚placeshowing‘ dienen. Dieser Gedanke war bisher tragend gewesen und wurde in spezifischen Strategien genauer untersucht. Mollerups eigenes Beispiel diesbezüglich scheint jedoch etwas quer zu dem hier leitenden Gedanken (und damit letztlich seiner eigenen Auffassung) zu liegen: Er beschreibt in

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seinem kurzem Kapitel zur deskriptiven Funktion verschiedene Arten, die Entfernung zu einem Zielort anzugeben, also beispielsweise durch einen Wegweiser die Entfernung zu einer Sehenswürdigkeit in Metern oder in Minuten zu beziffern. Seine diesbezügliche Regel lautet: „No information is bad, distance given in metres is better, and information given in minutes on a static sign is probably still better. The best solution is a dynamic sign showing estimated time at the moment a traveller passes the sign.“148 Für die vorliegende Arbeit gilt es aber, zuerst einmal zu fragen, inwieweit es sich hierbei überhaupt um eine Form des ‚placeshowing‘ und überdies um ein rhetorisches Problem handelt. Es scheint naheliegend, in der bloßen Angabe einer Entfernung, ganz gleich ob in Metern oder Minuten, keinen rhetorischen Akt zu sehen. Von einem rhetorischen Akt könnte überhaupt nur dann gesprochen werden, wenn die Verwendung der einen oder der anderen Angabe einen Unterschied machen würde. Wenn also der gezielte Einsatz einer dieser Optionen dazu genutzt werden könnte, den Rezipienten unterschiedlich darauf reagieren zu lassen, indem direkt Einfluss auf dessen Handlungsoptionen genommen wird. Eines steht jedenfalls fest: Wenn es sich hierbei um ein rhetorisches Mittel handelt und mit der Bevorzugung einer dieser Optionen gegenüber einer anderen zugleich der Kommunikation einer unterschiedlichen Handlungsoption der Vorrang gegeben wird, dann kann die Regel Mollerups allenfalls nur noch als Faustregel gelten. Denn dann ist die Frage des Gestalters, ob die Angabe besser in Metern oder Minuten erfolgen sollte, nur im Hinblick auf das aptum des jeweiligen situativen Kontextes zu beantworten. Zunächst sei die Frage gestellt: Können unterschiedliche Distanzangaben die Handlungsoptionen eines Rezipienten beeinflussen? Um diese Frage zu beantworten, gilt es, folgende Überlegung ernst zu nehmen: Insofern, wie in Kapitel II ausführlich erörtert wurde, die wahrgenommenen Handlungsoptionen sich in direkter Abhängigkeit zu der rhetorischen Situation befinden und insofern diese situative Gebundenheit nicht zuletzt über die gemeinschaftlich geteilten Grundannahmen über die Verfasstheit der Situation eingelöst wird, gilt: Eine Veränderung der Grundannahmen hat wenigstens die Potenz, Handlungsoptionen zu beeinflussen. Während die eigenen Handlungsdispositionen noch variabel zu sein scheinen, stützen sich selbige auf als relativ fest angenommene Grundannahmen (Plausibilitäten), die es vermögen, in der Kontingenz wenigstens eine relative Sicherheit zu geben und somit gezielte Handlungen zu ermöglichen.149 Ausgehend von der Formel, dass die Geschwindigkeit der Quotient aus der Länge einer Strecke und der benötigten Zeit zur Bewältigung dieser Strecke ist, wird klar, dass die Angaben in Metern oder Minuten direkt Aussagen über das jeweils andere implizieren und dieses als feste Grundannahme fixieren. Es kann eben nur dann eine Strecke sinnvoll in Minuten angegeben werden, wenn der Benutzer eine klare Vorstellung über eine fixierte Geschwindigkeit hat. Zugleich ist die 148 Mollerup 2013. S. 94. 149 Siehe zur Rolle von Plausibilitäten in der Orientierung: Smolarski 2017. Kapitel V.

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Angabe in Längenmaßen vor allem in Kontexten sinnvoll, die sich durch variable Geschwindigkeiten auszeichnen, so dass feste Zeitangaben kaum einen Informationswert hätten. Eine Angabe von Entfernungen in Zeiteinheiten ist demnach auf Autobahnen, wo Durchschnittsgeschwindigkeiten stark variieren können, nutzlos. Im Falle urbaner Beschilderungen, etwa auf Wegweisern, finden sich beide Varianten in der Anwendung (vgl. Abbildung 73 und 74). Beide Angaben erfüllen auch durchaus Abbildung 73 und 74

ihren Zweck und sind, für denjenigen, der etwa nachrechnen möchte, auch ineinander überführbar. Nachrechnen, das ist hier wichtig festzuhalten, benötigt allerdings Zeit und kostet – wenn auch geringe – Mühen, so dass die Ineinanderüberführbarkeit nicht unmittelbar einsichtig ist. Die feste Grundannahme hinter beiden ist die durchschnittliche Gehzeit eines Fußgängers von etwa 4 km/h. Von hier aus können wir die Frage nach einer etwaigen rhetorischen Dimension der Distanzangaben in Bezug auf urbane Beschilderungen neu stellen: Können wir uns vorstellen, dass es einen Unterschied macht, in der Frage etwa, ob bei einem touristischen Bummel durch die Altstadt ein bestimmtes Reiseziel noch angesteuert wird, bevor man die Heimreise antritt, ob dieses Reiseziel 900 m, 0,9 km oder ca. 15 min entfernt ist? Mathematisch macht es definitiv keinen Unterschied, aber das heißt nicht, dass es auch rhetorisch keinen machen muss. Eine definitive Antwort auf diese Frage kann allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht erbracht werden und wäre die Aufgabe einer empirisch angelegten Forschung. Die Aufgabe im Kontext dieser Arbeit besteht vor allem darin, die Frage im Sinne der Rhetorik überhaupt zu formulieren. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass Längenmaße, die etwa auf Autobahnen sinnvoll sind, für fußläufige Strecken für den Benutzer deutlich schlechter einzuschätzen sind – was eben auch der Gedanke hinter Mollerups Faustregel ist.150 Eine Angabe in Zeiteinheiten hingegen gibt dem Reisen-

150 Ein zweiter, sicherlich nicht unwesentlicher Gedanke, der hinter der Faustregel Mollerups zu stehen scheint, wird sicherlich der sein, dass Zeitangaben für die Benutzer

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den – wenigstens scheinbar – Planungssicherheit. Bei einer Wanderung beispielsweise durch die Karpaten in Rumänien, wo – insbesondere aufgrund der Höhenunterschiede – eine Angabe in Längenmaßen kaum Informationswert hätte und daher alle Angaben in Zeiteinheiten erfolgen, stellt sich diese Planungssicherheit allerdings erst ein, wenn nach einigen Etappen die tatsächlich benötigte Zeit mit der angegebenen Zeit gegengerechnet wird: Dann empfiehlt sich für manche Wanderer die Faustregel, dass die tatsächlich benötigte Zeit eher dem Anderthalbfachen der angegebenen Zeit entspricht. Gerade in diesem Kontext macht es offensichtlich einen wesentlichen Unterschied: Denn die Frage, ob eine bestimmte Etappe noch bei Tageslicht zu bewältigen ist, ist eine durchaus handlungsregulierende und mitunter lebenswichtige Frage. Auch wenn im urbanen Kontext die Frage nach der Distanzangabe wohl eher nicht lebensentscheidend ist, gilt dennoch für beide: Die Angabe von Entfernungen muss auch gestalterisch so umgesetzt sein, dass der Benutzer diese für eine verlässliche Information hält. Lässt sich auch nach einigen Etappen nicht einmal eine Faustregel ableiten, die die tatsächlich benötigte Zeit abzuschätzen hilft, so verfehlt die Angabe ihren informativen Zweck. Wirkt die Angabe hingegen aufgrund ihrer Gestaltung nicht verlässlich, etwa, weil der orator-Instanz nicht ausreichend Einsicht oder Wohlwollen unterstellt wird, so kann es sein, dass der Angabe bereits von vornherein der Informationswert abgesprochen wird. Um dem und auch der Vermutung einer generellen etwaigen Beeinflussungsintention entgegenzuwirken, können bestimmte Redundanzen sich als gestalterisch sinnvoll erweisen. Beispiele hierfür wäre etwa die Angabe von Distanzen in Längen- und Zeitmaß, wie hier in Heidelberg (Victoria, Australien) (Abbildung 75) oder die – letztlich redundante – Visualisierung der Distanz wie hier im österreichischen Bregenz (Abbildung 76). Dieser Visualisierung von Distanz, das sei hier nur angemerkt, liegt letztlich eine Verräumlichung der Zeit zugrunde. Für George Lakoff und Mark Johnson stellt die Verräumlichung von in den meisten Kontexten von größerer Bedeutung sind als Längenangaben. Eindrucksvoll wird das ersichtlich, wenn Kinder bei längeren Autobahnfahrten sich mehr dafür zu interessieren scheinen, ‚wann‘ man denn ankomme, als für die Frage, ‚wie viele Kilometer‘ es denn noch seien. Selbst die Frage, wie weit es noch sei, ist in diesen Kontexten und vielen anderen wohl eher temporär zu verstehen. Gerade die mittlerweile übliche Verwendung von Navigationssystemen bei Autofahrten nimmt dem Fahrer die Rechenleistung ab, Längendistanzen in Zeitdistanzen zu übersetzen und sicherlich nicht wenige Autofahrer – das muss hier eine Hypothese bleiben – nutzen ihr Navigationsgerät vor allem auch deshalb, weil dieses nicht nur die Route, sondern auch die Ankunftszeit angibt. Die Angabe von Entfernungen in Längenmaßen, insbesondere wenn es sich um relativ große Zahlen handelt, spielt wohl eher eine Rolle in der späteren Berichterstattung über beispielsweise einen Roadtrip, wenn es darum geht die besondere Leistung dieses Trips herauszustellen – was im Übrigen abermals eine rhetorische Funktion von Distanzangaben darstellt.

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Zeit eine der „primären Metaphern“151 dar, die wir nutzen, um eine begriffliche Verarbeitung von Zeitstrukturen und Zeitabläufen vorzubereiten, die für das „menschliche Dasein ebenso wichtig wie ungreifbar“152 sind. Abbildung 75 und 76

Wenigstens auf einen Fall soll hier noch kurz eingegangen werden, der rhetorisch gerade im Sinne eines ‚placeshowings‘ und offensichtlich weniger in einer tatsächlichen Gebrauchsfunktion von Bedeutung ist. Die Angabe auf diesem Wegweiser (Abbildung 77) in der Innenstadt von Colmar (Frankreich) adressiert die Fußgänger und Spaziergänger der Colmarer Altstadt. Die Angabe der Entfernung von Colmar beispielsweise zu Washington mit 8302 km liegt offensichtlich jenseits jeder direkt in-

151 Vgl. Lakoff, George; Johnson, Mark: Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and Its Challenge to Western Thought. New York 1999. S. 50ff. 152 Zantwijk, Temilo van: Zeit. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 1508-1522. Hier: Sp. 1508.

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tendierten Handlungsregulierung. Eine solche Angabe kann, aufgrund der Größendimension, nicht einmal eine bildliche Vorstellung des tatsächlichen Maßes der Strecke Colmar-Washington vermitteln. Diese Installation dient daher offensichtlich allein dem Zweck, die Stadt Colmar in ihrer Bedeutung mit anderen bedeutenden Städten Abbildung 77

zu verbinden (was durch die dahinter angebrachten Fahnen als Zeichen der Internationalität verstärkt wird) und ist damit eine Strategie des place-makings. Bei derartigen Zeichen wird der Code einer Distanzangabe, die stets eine Erreichbarkeit impliziert, genutzt, um etwas zu konnotieren, was sich in den Worten Mollerups am besten so wiedergeben lässt: „They tie ‚here‘ and ‚there‘ together.“153 Aus diesem Motiv des Zusammenbindens von hier und dort lässt sich vielleicht auch dieser Wegweiser nach Liverpool verstehen, der in London in einem Fußgängerbereich aufgestellt ist (Abbildung 78). Während in dem obigen Beispiel aus Colmar das Motiv sich in etwa so umreißen lässt, dass auf assoziativer Ebene eine herausgehobene Bedeutung der Stadt im Zentrum (Colmar) durch ihren Bezug zu anderen offensichtlich bedeutenden Städten betont werden soll, lässt sich das Motiv hinter der Richtungs- und Entfernungsangabe in dem Londoner Beispiel nicht in dieser Weise fassen. Zum einen – das sei hier nur angemerkt – ist die herausragende Bedeutung Londons unzweifelhaft, so 153 Mollerup 2013. S. 92.

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dass ein Verweis wie in dem Colmarer Beispiel auf die bedeutendsten Städte der Welt wohl eher unnötig erscheint. Zum anderen aber wird hier offensichtlich ein Bezug zu nur einer Stadt hergestellt, so dass sich für den Touristen, der unbedarft an dieses Schild gelangt, die Frage nach einer etwaigen historisch bedingten Relation stellt: Es liegt nahe zu vermuten, dass dieser Wegweiser an dieser Stelle aus historischen Gründen den Weg nach Liverpool weist. Was beide Beispiele eint, ist, dass hier wie da Distanzangaben nicht aus praktischen Gründen direkter Nutzbarkeit dieser Angaben erfolgen, sondern beides Mittel des place-makings sind; mal über eine vage Anbindung einer Stadt an die Metropolen der Welt, mal über eine vage Andeutung einer Geschichte. Abbildung 78

3.3.3 Strategien der Regulation und Aufforderung Wenden wir uns zum Abschluss der Strategien der Regulation und Aufforderung als einem dritten Zeigemotiv zu. Wie bereits oben in der Auseinandersetzung mit den Zeigemotiven deutlich wurde, handelt es sich bei der regulativen Zeichenklasse, wie beispielsweise Verbots-, expliziten Hinweis- und Warnschildern, um eine Gruppe von Zeichen, deren handlungsregulierender Charakter offensichtlich ist und auch offensichtlich sein muss, damit diese ihre Funktion erfüllen können. Worum es im Weiteren gehen wird, ist zuerst einmal auszuloten, inwieweit und durch welche gestalterischen Mittel die oben bereits angedeutete pathos-Funktion dieser Zeichen realisiert wird. Generell ist bei dieser Zeichenklasse die appellative Wirkungsintention sicherlich unbestreitbar, so dass hier vor allem die Frage diskutiert werden muss, inwieweit diese Appellfunktion durch pathos, ethos oder logos realisiert wird und natürlich die Frage, welchen Grenzen der Angemessenheit sie in diesen Funktionen je nach situativem Kontext ausgesetzt sind.

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3.3.3.1 Pathos-Appell Diesbezüglich hat das Forschungsprojekt Visuelle Rhetorik 2 unter der Leitung von Scheuermann, das 2010/11 an der HKB Bern durchgeführt wurde, bereits einige Grenzen pathos-geladener Inszenierungen auf Schildern des öffentlichen Verkehrs ausgelotet.154 In ihrer Forschung nehmen die Autoren den Warnhinweis ‚Sicherheitslinie‘ der SBB (Abbildung 79) als Grundlage und inszenieren das Thema in verschiedenen Varianten unterschiedlicher pathos-Stärke neu. Das Original verweist auf die Abbildung 79

Sicherheitslinie, die bei einfahrenden und durchfahrenden Zügen nicht zu überschreiten ist. Dieses Schild fordert dazu auf, die Sicherheitslinie und den zwischen dieser Linie und der Bahnsteigkante markierten roten Bereich nicht zu betreten. Diese Aufforderung wird ex negativo realisiert, indem nicht etwa der Übertritt dargestellt und sanktioniert wird, sondern indem eine Situation (einfahrender Zug und wartender Reisender) präsentiert wird, die ‚Vorbildcharakter‘ haben soll. Damit wird explizit nicht die potentielle Lebensgefahr gezeigt, sondern die eher positiv besetzte Befolgung einer Regel, die dieser Gefahr begegnet. Auf diese Weise umgeht es die eher auf Sachlichkeit setzende Gestaltung der SBB, ein Thema (möglicher Tod auf dem Gleis), das zu einer pathos-geladenen Inszenierung einlädt, eben auch pathos-geladen zu inszenieren. Genau hier setzen die gestalterischen Experimente an und drehen die Darstellungsweise. In den drei Variationen des Themas wird anstelle der Befolgung der Regel zur Einhaltung des Sicherheitsabstandes auf unterschiedliche Weise die Nichtbefolgung und ihre katastrophalen Folgen in den Mittelpunkt gerückt (vgl. Abbildung 80-82). In zwei der Varianten wird eine stilisierte Person auf dem Gleisbett gezeigt; das eine Mal lediglich auf dem Schild, das andere Mal direkt auf dem realen

154 Vgl. Schneller/Scheuermann 2012.

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Gleisbett, so dass die Umrisslinie der Person Assoziationen zu einer Tatortumrisslinie zu wecken vermag. In einer anderen Variation des Hinweisschildes wird der Zug als „Train to Hell“155 und „Horrorzug“156 inszeniert, der mit diabolisch anmutenden Gesichtszügen gerade ein Piktogrammmännchen in Stücke reißt. Insbesondere bei dieser letzten Variante, die bewusst das pathos-Element übersteigert, zeigt sich an den ‚Expertenreaktionen der SBB‘, dass hier das Zuviel an pathos die Grenzen der Abbildung 80-81

Angemessenheit sprengt. So heißt es beispielsweise: „Dieser Monsterzug – wie im Horrorfilm. Das ist übertrieben, der Zug ist ja nicht wirklich böse.“157 Oder auch: „Das ist abstoßend.“158 Diese gestalterischen Experimente machen zwei Dinge deutlich: Zum einen gibt es offensichtlich ein Zuviel an pathos, wobei die Grenzen der Angemessenheit sich nicht zuletzt auch nach dem ethos der Institution richten, die hier als orator auftritt. Der Warnhinweis der SBB wird damit wahrscheinlich sachlicher gehalten sein als ein Warnhinweis etwa bei giftigen Chemikalien (Abbildung 83), wo der Totenkopf bereits ein standardisiertes Zeichen ist, oder auf Zigarettenpackungen mit abschreckenden Bildern (Abbildung 84).159 Zum anderen wird aber auch

155 Ebd. S. 79. 156 Ebd. 157 Ebd. S. 78. 158 Ebd. 159 Hier gilt es eine Anmerkung zu machen: Es ist freilich nicht das ethos des Tabakkonzerns, das hier eine solche Abbildung zulässt, denn diese Abbildungen sind – gegen das Inte-

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Abbildung 82

deutlich, dass diese gestalterischen Experimente, die bewusst pathos-Elemente übersteigern, nicht unbedingt allein daran scheitern, dass sie den Richtlinien und dem Image der SBB nicht entsprechen. Sie scheitern vor allem daran, dass sie durch die Überbetonung des Warncharakters den Hinweischarakter des Originalschildes missachten: Das Originalschild macht zwar nicht direkt auf die potentiellen Gefahren aufmerksam, verweist aber explizit auf die Sicherheitslinie. Dieser Verweis auf die Linie fehlt in den Variationen entweder vollständig oder erscheint durch die Gestaltung

resse der Tabakkonzerne – aufgrund staatlicher Verordnung aufgebracht. Diese Abbildungen hängen daher weniger am Konzern-ethos als an einem angenommenen Staatsethos.

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Abbildung 83-84

marginalisiert, da diese eben eher die Folgen der Nichtbeachtung der Regel inszeniert als die Sicherheitslinie, die als Richtlinie zur Beachtung der Regel fungiert. Eben in dieser Weise monieren auch einige aus der Expertengruppe, die generell in der Bewertung der Ergebnisse dieser bewusst provozieren wollenden Gestaltungsversuchsreihe zu sehr unterschiedlichen Urteilen kommt: „Dass man einen Sicherheitsabstand braucht, sieht man hier nicht, ich begreife die Message nicht. Gefahr wird aber deutlich durch das Rote.“160 Diese Bewertung leuchtet auch tatsächlich ein, wenn man sich die Situation, in der dieses Schild seine Wirkung entfalten soll vor Augen führt. Das Bahnunternehmen und ebenso der Reisende sind daran interessiert, die Bahn als Transportmittel zu benutzen. Die potentiellen Gefahren etwa durch durchfahrende Schnellzüge sollen durch die Installation einer Sicherheitslinie und den Verweis darauf vermieden, nicht aber soll die Benutzung der Bahn generell als gefährlich markiert werden. Die Aufgabe des Schildes ist demnach vor allem seine Hinweisfunktion und deutlich weniger seine Warnfunktion. Es ist wichtiger für das Bahnunternehmen und ebenso für den Reisenden, auf Handlungsoptionen zu verweisen bzw. verwiesen zu werden, um einer potentiellen Gefahr zu begegnen, als vor dieser abzuschrecken. Es handelt sich also weniger um ein Handlungsverbot, das sich deutlich eher mit stärkeren pathos-Elementen realisieren ließe, als um ein Handlungsgebot, das Vorschriften zum korrekten Umgang machen soll. Als Handlungsgebot ist es demnach schlichtweg nicht ausreichend, nur auf die Gefahren aufmerksam zu machen, sondern es muss gesehen lassen werden, dass und in welcher Weise dieses Gebot erfüllt wird und werden muss. Von hier aus können in Bezug auf pathos-Appelle zumindest zwei Gruppen von Aufforderungsschildern unterschieden werden: Zum einen Handlungsgebote, die vor allem auf die Darstellung der korrekten Handlung in ihrem situativen Kontext angewiesen zu sein scheinen und zum anderen generelle Handlungsverbote, die unter anderem mit pathos-Mitteln die Folgen einer Zuwiderhandlung sehen lassen können. Diese Unterscheidung ist natürlich nicht trennscharf, denn genau genommen sind Verbot und Gebot zwei Seiten derselben Medaille. Insbesondere für die Fälle, 160 Ebd. S. 75.

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wo die ‚korrekte Handlungsweise‘ als allgemein bekannt, keiner weiteren Erwähnung bedürftig oder als ‚bei Nichtbefolgung nicht lebensgefährlich‘ eingestuft wird, kann auch der Hinweis auf die korrekte Handlung im Sinne eines Gebots der Darstellung der Folgen im Sinne eines Verbots weichen. Dies ist beispielsweise der Fall bei dem Verbot des Fahrens ohne gültige Fahrkarte (Abbildung 85) im Gegensatz zum Gebot des Kaufens einer gültigen Fahrkarte (Abbildung 86). Interessanterweise gilt dies natürlich auch für die Sicherheitslinie am Bahnsteig, die mittlerweile an allen Bahnsteigen – nicht nur beim Zug, sondern auch bei Straßenbahn, S- und U-Bahn – gegenwärtig ist. Das regelkonforme Verhalten an Bahnsteigen im Umgang mit der Sicherheitslinie kann demnach als allgemein bekannt vorausgesetzt werden und so findet sich an Bahnhöfen der Deutschen Bahn auch tatsächlich eine, verglichen mit der SBB-Version, pathos-geladenere Variante, die deutlich in die Richtung der Gestaltungsexperimente geht – wenngleich wesentlich schwächer und unter Betonung der Linie (Abbildung 87). Hierbei signalisiert nämlich die rote Farbe eine Gefahr, die nicht nur vom Zug ausgeht, sondern auch schon von der Bahnsteigkante. Die visuelle Abbildung 85-87

Explikation dieser Gefahr (und damit der Botschaft des Warnschildes) findet sich auch ausgedrückt auf folgendem Sicherheitsplakat des DB (Abbildung 88). Auf diesem Plakat, wo auch das Warnschild wiederholt abgebildet ist, wird die nahende Gefahr in dem Moment festgehalten, in dem sie als nahezu unausweichlich erscheint und sich doch die Hoffnung auf einen anderen Ausgang (durch ein Eingreifen des jungen Mannes) manifestiert. Damit folgt dieses Plakat letztlich einer dramaturgischen pathos-Strategie – der Inszenierung des retardierenden Moments. Der hier gemachte Unterschied von Gebot und Verbot wird im Vergleich der Schilder der DB

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und SBB anschaulich deutlich: Während im Falle der SBB jemand auf das Schild weisen könnte mit dem Satz, ‚Das ist geboten!‘, könnte man auf das Schild der DB verweisen und sagen, ‚Das ist verboten!‘. Für beide Gruppen gilt aber gleichermaßen, dass die Gestaltung ein ethos bedienen muss, das Rückschlüsse auf eine Autorität zulässt, so dass Handlungsgebote und -verbote überhaupt durchgesetzt werden können. Diesem Aspekt werden wir uns im Abschnitt zum ethos genauer zuwenden. Hier gilt es zunächst, weitere pathos-geladene Aufforderungszeichen im urbanen Raum ausfindig zu machen, an denen sich zeigen lässt, dass und wie hier der emotionale und bewegende Charakter rhetorisch eingesetzt wird. Es liegt dabei nahe, diese Beispiele eher im Bereich der Handlungsverbote als im Bereich der Handlungsgebote zu suchen, wobei – wie bereits gesagt – zu bedenken ist, dass das eine das andere oft impliziert. Abbildung 88

Ein recht einfaches Beispiel ist hier an der Einfahrt zu einem Jenaer Parkhaus (Abbildung 89) zu sehen: Gezeigt – also sehen gelassen – wird ein Piktogrammmännchen, das sich im Sturz befindet, weil es, so legt der Pfeil unterhalb der Schranke nahe, von der Schranke getroffen wird. Obgleich kausale Zusammenhänge vorzuzeigen stets eine Herausforderung für bildliche Darstellungen ist und deren Grenzen ohne einen Rückgriff auf konventionalisierte Zeichen schnell überschreitet, wird der

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Zusammenhang in dieser Darstellung klar. Gezeigt wird das negative (und schmerzhafte) Resultat einer daher untersagten Handhabung der Schranke. Es wird allerdings nicht gezeigt, auf welche gebotene Weise das Hindernis der Schranke überwunden werden könnte (im Regelfall, soll die Schranke nicht unterquert werden, sondern links oder rechts umgangen). Der ‚Redegegenstand‘ dieser Darstellung ist allein die an die Schmerzempfindung appellierende Hervorhebung der Schranke als Gefahrenquelle. Abbildung 89 und 90

Ein gänzlich anders gelagertes Beispiel pathos-besetzter Inszenierung im urbanen Raum ist die Bewehrung von Zäunen und Grundstücksgrenzen mit Stacheldraht oder anderen vergleichbaren Materialien, wie hier in London (Abbildung 90). Diese als pathos-besetzt zu bezeichnen mag auf den ersten Blick seltsam anmuten, denn immerhin ist der durch sie verursachte reale Schmerz kein Ergebnis einer gelungenen pathos-Inszenierung, sondern eines misslungenen Griffs in einen durch Formgebung so konstruierten Gegenstand, dass ein Fehlgriff schmerzhaft ist. Führt man sich aber folgende Überlegung vor Augen, so wird schnell klar, dass es sich um eine pathosInszenierung handelt: Insofern der Stacheldraht seine Wirkung nur dann in vollem Umfang erfüllt, wenn dieser bereits vom Versuch, ihn zu bewältigen abschreckt, also gar nicht erst als haptischer Gegenstand erfahren wird und somit auch keinen realen Schmerz auslöst, insofern wird er allein seiner sichtbaren Qualitäten wegen gebraucht. Etwas, das allein seiner sichtbaren Qualitäten wegen gebraucht wird, ist aber, mit Wiesing gesprochen, ein bildliches Zeichen.161 Der rhetorisch wirksame Stacheldraht ist demnach einer, der als bildliches Zeichen seine Wirkung entfaltet und diese Wirkung lässt sich ohne weiteres als abschreckend beschreiben und das Hervorrufen einer Abschreckungswirkung durch den Gebrauch visueller Mittel, die Schmerz konnotieren, ist ein wesentlicher Wirkungsaspekt des pathos. Hierin ließe sich – wenngleich in deutlich abgeschwächter Form – die pathos-Wirkung des Stacheldrahts durchaus mit der pathos-Wirkung vergleichen, die durch das Zeigen der Folterinstrumente beim Delinquenten erzielt werden soll. Im dargestellten Fall findet 161 Vgl. Wiesing 2005. S. 55f.

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sich neben dem eher versteckten handelsüblichen Stacheldraht auffällig auch noch eine ‚verspieltere‘ Version der Bewehrung. Hier wird, ohne dem pathos-Aspekt Abbruch zu tun, die Inszenierung eines schmerzhaften und abschreckenden bildlichen Zeichens sogar noch dadurch gesteigert, dass dieses in seiner floralen Anmutung widersprüchlich schön und dadurch womöglich auch ästhetisch reizend und anziehend erscheint. Das hiermit angezeigte Handlungsverbot bleibt dabei allerdings eindeutig. Ein anderes, basales Gestaltungsmittel des pathos ist die Farbe. Auch wenn farbliche Codes kulturellen, sozialen und damit historisch bedingten Einflüssen unterliegen, scheint ihr emotionaler Appellcharakter doch unzweifelhaft, wobei die appellative Stärke dabei je nach Farbton, Intensität und Kontrast variieren kann. Dieser emotionale Aspekt der Farbgestaltung spielt auch für das Design von Aufforderungszeichen und Zeichen der Regulation eine immense Rolle. Ein Beispiel das Mollerup anführt, mag dies illustrieren: „It is a general assumption that a black figure on a yellow background provides the highest possible target value. It is easiest to spot. That is the reason why rescue material, civil work machinery, and warning signs often use these colours. However, there are situations where we refrain from this aggressive colour combination for practical and aesthetical reasons. Yellow and black together tend to create an atmosphere that easily is understood as ‘danger’. Few airports want this. Passengers are already sufficiently motivated to look for the signs. It is generally wise to reserve yellow and black for situations where they are really needed.“162

Auffallend bei der Analyse Mollerups ist, dass dieser gleich mehreren Aspekten der Farbgestaltung in seiner Beschreibung Rechnung trägt: a) Der Kontrast als Bedingung guter Lesbarkeit stellt in dieser Hinsicht eine der technischen Voraussetzungen dar; b) hieraus resultiert die geläufige Verwendung des Schwarz-Gelb-Kontrastes auf Warnhinweisen; c) die Wirkungsdimension dieses Kontrastes kann, nicht zuletzt aufgrund seiner häufigen Verwendung in Gefahrenkontexten, als ‚warnend‘ und ‚auf Gefahr hinweisend‘ verstanden werden; d) aus dieser Feststellung ergeben sich unmittelbar Grenzen des angemessenen Einsatzes dieses Kontrastes, so dass Flughäfen – laut Mollerup – auf eine solche Farbgebung für ihre Leitsysteme weitgehend verzichten sollten, nicht zuletzt, um auch die Bedeutungszuschreibung als ‚warnend‘ nicht durch übermäßigen Gebrauch zu verwässern. Beispiele für die hier beschrie-

162 Mollerup 2013. S. 124.

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bene Konnotationsebene von Gefahr durch den beschriebenen Schwarz-Gelb-Kontrast163 finden sich reichlich: Hier etwa wird die Aufmerksamkeit des U-Bahn Benutzers in London durch diesen Kontrast und der Anbringung an der Tür bereits auf die tatsächlich sehr schnell schließenden Türen und die damit einhergehende Gefahr gelenkt (Abbildung 91). Auffallend bei diesem Beispiel ist, dass die pathos-Wirkung vorrangig über den Farbkontrast hergestellt wird und eine Visualisierung durch das Abbildung 91

Piktogramm erfährt, allerdings durch den Textteil nicht wieder aufgegriffen wird. Vielmehr appelliert dieser tatsächlich eher auf einer verwirrenden und womöglich unangemessenen logos-Ebene: Als Grund für die Warnung wird nicht die tatsächliche Gefahr angegeben, sondern eine mögliche Verzögerung des Bahnverkehrs durch Gegenstände – dieser Ausdruck steht schon in einem unangemessenen Widerspruch zum tatsächlich dargestellten Menschen – im Türbereich. Auch wenn die Spannungen zwischen der sprachlichen Aussage auf der einen Seite und der Farbkodierung in Kombination mit der Piktogrammdarstellung auf der anderen Seite in ihrer Gesamtwirkung eher zynisch erscheinen, und damit womöglich auf einer Konnotationsebene 163 Das Thema Emotionalität der Farbgestaltung könnte, auch im Rahmen einer Untersuchung, die sich nur mit Aufforderungszeichen befassen würde, schnell den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es geht in der vorliegenden Untersuchung allein darum, Aspekte von pathos-Strategien aufzuzeigen.

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als rhetorisch unangemessen bewertet werden können, erfüllt der Warnhinweis als solcher womöglich dennoch seine Funktion. Ein anderes, in dieser Hinsicht eher unproblematisches Beispiel, kann mit den standardisierten Gefahrenkennzeichnungen gegeben werden (Abbildung 92). Auffallend ist bei diesen Warnzeichen, die durch die DIN 4844-2 geregelt werden, dass die Kodierung neben der Farbe auch die Form bestimmt. Demnach sind Dreiecksformen auf Schildern konventionelle Zeichen für Gefahr. Abbildung 92

Ein letztes Beispiel mag verdeutlichen, wie eine irreführende emotionale Aufladung zu einem rhetorisch misslungenen Design von Warn- und Hinweiszeichen führen kann. In diesem Sinne hat das Design der Beschilderung des Happy Trails in Dallas es sogar zu einer gewissen Bekanntheit geschafft (Abbildung 93). Diese Zeichen sollen auf potentiell ernsthafte Gefahrenquellen aufmerksam machen. Die gewählte Formensprache scheint aber genau dieser Ernsthaftigkeit konträr entgegengesetzt. Durch die Smiley-Ästhetik werden Motive wir Freude, Lust und Unbekümmertheit zum Ausdruck gebracht und durch eine sanfte pathos-Inszenierung an eine positive Stimmung appelliert. Das Ergebnis dieser widersprüchlichen Installation, lässt sich in den Worten Jeff Joiners und Michael Gibsons wie folgt wiedergeben: „[I]n the instance of the Smiley-based Happy Trails signs, the […] traditional message of ‚follow these rules or you may be injured‘ seems to have been replaced by ‚there’s nothing to worry about, so smile and have fun.‘“164 Von hier aus ergibt sich für die Autoren in ihrer Schlussfolgerung folgende Frage:

164 Joiner, Jeff; Gibson, Michael: The Semiotics of a Smile. Signs of Failure on Multi-Use Trails in Dallas, Texan. In: Signs and Symbols for Workplace and Public Use. Hrsg. von Annie W.Y. Ng und Alan H.S. Chan. New York 2013. S. 25-41. Hier: S. 25.

280 | R HETORIK DER STADT „In the case of the Happy Trails campaign, it seems that the failure can be traced back to the original goal of ‚positive reinforcement‘, but positive reinforcement cannot work unless the audience knows and understands what it is that is being reinforced. Considering that the original reason for this system of signs was to address a seeming lack of knowledge of proper trail behavior that resulted in a death, are Dallas trail users, a year after the signs were installed, more aware of the inherent dangers? Or are they just happy to be on the trails?“165

Abbildung 93

3.3.3.2 Ethos-Appell Ethos-Strategien sind in einem gewissen Sinne basal für jedwede Aufforderungsgeste. Sie sind quasi Hauptstrategien von Aufforderungszeichen und das aus zwei recht einfachen Gründen: 1) Ohne autoritäres ethos kommen die anderen Strategien nicht aus. Jede Aufforderungs- und explizite Regulierungsgeste bedarf einer orator-Instanz, die qua Autorität zu einer Aufforderung legitimiert scheint. Diese Autorität kann dabei durch unterschiedliche Größen des ethos bestimmt sein, wie etwa einer Legitimation durch eine zugeschriebene besondere Einsicht, Sachverstand oder Kenntnis, einer Legitimation durch Herrschaft und Macht oder beispielsweise einer 165 Ebd. S. 39.

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Legitimation als moralische oder wohlwollende Instanz. Ganz gleich auf welche Weise die Autorität zustande kommt, ohne eine dieser Formen lässt sich eine Aufforderung als Aufforderung nicht durchsetzen, sondern allenfalls als Bitte oder Gegenstand argumentativer Bemühungen. 2) Aufforderungen können auch ohne explizite Äußerung von Drohungen, Sanktionen, emotionalen Appellen oder dem Vorzeigen von negativen Konsequenzen (pathos) und ebenso ohne Angabe verständlicher und nachvollziehbarer Gründe (logos) in vielen Fällen autoritär durchgesetzt werden, wobei diese Durchsetzungsfähigkeit abhängig bleibt von der Anerkennung der orator-Instanz als Autorität. Die Drohung bleibt in diesen Fällen allerdings implizit und oftmals eher vage vorhanden. Gleiches gilt für die Annahme verständlicher und sachbezogener Gründe. Diese werden bei autoritärem, aber wohlwollendem ethos oftmals eher unterstellt als tatsächlich nachvollzogen. Eben weil die ethos-Inszenierung in dieser Weise basal für Aufforderungs- und Regulierungszeichen ist, finden sich in diesem Bereich auch sehr leicht eine Vielzahl von Beispielen, die kaum einen erkennbaren logos- oder pathos-Aspekt aufweisen und dennoch als Aufforderung nicht nur verstanden, sondern wohl in der Regel auch befolgt werden. Eine wesentliche Frage jeder rhetorischen Untersuchung von Aufforderungen ist nach dem Gesagten stets: Woher bezieht die orator-Instanz die nötige Autorität, um überhaupt eine Aufforderung überzeugend vorbringen zu können und auf welche Weise wird diese Autorität überzeugend hergestellt?166 Schauen wir uns 166 Es ist von Seiten der Rhetorikforschung mit großer Übereinstimmung festgehalten worden, dass da, wo Herrschaftsstrukturen und Machtverhältnisse in der Weise vorherrschen, dass eine Forderung mit Zwang durchgesetzt werden kann, es keiner Rhetorik bedürfe. Dieser Ansicht folgt auch die vorliegende Arbeit. Allerdings mit einer Einschränkung: Sicherlich bedarf es keiner ausgeklügelten rhetorischen Strategien, wenn eine Forderung aufgrund von Zwang oder Gewalt durchgesetzt werden kann, solange der Zwang oder die Gewalt als solche erkannt und anerkannt wird. Die rhetorischen Strategien kommen allerdings da ins Spiel, wo es darum geht, diesen Erkennungs- und Anerkennungsprozess überzeugend zu gestalten. Ist eine Person eingeschüchtert, mag diese sich kaum noch der an sie gestellten Forderungen erwehren und sie muss nicht bzw. kann nicht überzeugt werden. Ob aber ein Einschüchterungsversuch gelingt oder ob er misslingt und man sich lächerlich macht, ist eine Frage überzeugender Inszenierung und damit durchaus eine Frage der Rhetorik. Dieser Aspekt ist, wenigstens im Ansatz, schon im Konzept der Selbstaffizierung des Redners enthalten und dort auch als Gegenstand und Mittel der Rhetorik innerhalb der Rhetorikforschung anerkannt. Das lässt sich an einem Beispiel gut illustrieren: Ein Redner, der sein Publikum in Rage und Wut versetzen will, wird dies umso leichter schaffen, je mehr er selbst in Rage und Wut gerät und von dieser Selbstaffizierung auch überzeugen kann. Das heißt aber nichts anderes, als dass wir es mit einem Redner zu tun haben, der von der Bühne oder Kanzel aus in tobende Wut gerät und dem in dieser Position und bei diesem Gemütszustand ohnehin nicht mehr zu widersprechen

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hierzu einige Beispiele an: Eine Aufforderung dieser Art (Abbildung 94) ist aus vielen Museen hinreichend bekannt. Es wird dem Besucher untersagt, die Ausstellungsgegenstände zu berühren. Die Autorität, die eine solche Regulation durchzusetzen im Abbildung 94

Stande ist, ist vor allem durch die Institution des Museums, durch das uniformierte Wachpersonal, durch allgemein bekannte und eben auch anerkannte Verhaltensregeln und damit auch durch die Selbstkontrolle der Besucher untereinander gegeben. Es bedarf hierbei keiner Angabe nachvollziehbarer Gründe (diese kann sich der Besucher selbst denken), noch einem expliziten Vorzeigen möglicher Sanktionen, was in diesem Falle auch schnell die Grenzen der Lächerlichkeit überschreiten würde. In gleicher Weise funktioniert offensichtlich auch eine große Anzahl regulativer Zeichen im urbanen Raum, wie Zeichen zur Straßenverkehrsregulation, Zeichen zur Regulation von Besucherströmen oder etwa Zeichen zur Regulation von Sicherheitsund Diskretionsabständen. Auch die oben angesprochene Sicherheitslinie am Bahnsteig kann nur dadurch rhetorisch wirksam werden, weil sie entweder als sinnvoll anerkannt wird (logos) oder eben weil sie durch eine Autorität, die freilich auch als Autorität anerkannt sein muss, an Überzeugungskraft gewinnt. Wer schon einmal nachts auf einer leeren Straße, nach kurzer Vergewisserung, dass auch wirklich niemand da ist, eine rote Ampel überfahren hat, obwohl er das tagsüber auch bei wenig Verkehr nie machen würde, für den ist offensichtlich, dass für ihn die Sinnhaftigkeit wäre, wenn man vermeiden will, dass sich der Zorn auf einen selbst entlädt. Wenn es dieser Redner dann auch noch geschafft hat, große Teile seines Publikums zur gleichen Gemütsbewegung zu veranlassen, dann entsteht ein so großer Zwang, selbst für den Abweichler, dass dieser, will er nicht riskieren, Opfer des aufgebrachten Mobs zu werden, kaum andere Handlungsoptionen hat, als den Forderungen dieser Gruppe nachzukommen. Was hier eindeutig Gegenstand gelungener Agitationsrhetorik ist, ist eben zugleich ein Beispiel dafür, dass das Vorhandensein von Zwang nicht schon per se rhetorische Inszenierungen ausschließt. Eben aus diesem Grund ist die im Text formulierte Frage nach den Erkennungszeichen und Anerkennungsgründen von Autorität eine so wesentliche Frage einer rhetorischen Auseinandersetzung.

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(logos) der Regelbefolgung in diesem situativen Kontext nicht einsichtig ist und aufgrund fehlender autoritärer Durchsetzung der Regelbefolgung (keine Selbstkontrolle durch eine Gruppe, keine Kontrolle durch Verkehrsbeamte und die Annahme keiner Kontrolle durch Kameras), setzt er diese performativ außer Kraft. Ein interessanter Fall, der sich sichtlich um eine Inszenierung eines autoritären ethos bemüht, ist dieses Verbotsschild aus Bern (Abbildung 95). Hier wird auf dem Verbotsschild eine komplette Verlautbarung angebracht, die sich ihrer Autorität gleich auf vielerlei Weise versichert: So werden die amtlichen Autoren benannt, man stützt sich auf Rechtsordnungen und verweist auch direkt auf diese, die Sprache ist als eine Art Amtsdeutsch erkennbar und Redundanzen wie der Fettdruck des Wortes ‚Bewilligt‘, was durch das Aufstellen des Schildes ohnehin klar sein sollte, verstärken den Eindruck eines anerkannten Verbots. Interessanterweise, wenngleich vielleicht aufgrund dieser Überinszenierung wenig verwunderlich, konnte bei aller Autorität das simple Bekleben dieses Schildes nicht verhindert werden. Abbildung 95 und 96

Auch ohne explizite Hinweise gelten im öffentlichen Raum bestimmte Regeln, deren Einhaltung durch Autoritäten gesichert werden soll. Eine dieser Regeln ist das generelle Verbot von Graffiti, das lediglich für bestimmte, gekennzeichnete oder offiziell freigegebene Flächen außer Kraft gesetzt wird. Diesen Umstand macht sich der englische Street-Art-Künstler Banksy in diesem Beispiel zunutze (Abbildung 96). Durch sein Schablonengraffiti imitiert er die Freigabe einer Wand und erklärt diese damit zu einer ‚Graffiti Area‘. Damit macht er parasitären Gebrauch vom ethos der autoritären orator-Instanz. Banksy als Banksy wäre gar nicht befugt, eine Wand zu einer legalen Sprayerwand zu erklären. Dieser Eingriff ist genau dann rhetorisch gelungen, wenn der Betrachter – und vor allem andere Sprayer – die Imitation nicht als solche erkennen und demnach nicht Banksy in orator-Funktion verstehen, sondern tatsächlich die National Highway Agency für die orator-Instanz halten würden. Dann könn-

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ten diese Sprayer mit ruhigem Gewissen die Wand bemalen und wenn sogar das lokale Ordnungsamt auf diese Imitation hereinfiele, dann wäre wirklich ein rhetorischer Coup gelungen.167 3.3.3.3 Logos-Appell Wenden wir uns abschließend dem logos-Appell von Aufforderungs- und Regulationszeichen zu. Dieser findet unter anderem bei manchen Gebots- oder Verbotsschildern Anwendung. Durch die Angabe von Gründen soll das Gebot oder Verbot auch und insbesondere da unterstrichen werden, wo beispielsweise eine Zuwiderhandlung aufgrund fehlender Kontrollmöglichkeiten wahrscheinlicher zu sein scheint. Es ist allerdings zu vermuten, dass diese Strategie vergleichsweise selten zum Einsatz kommt, da sie an eine deutlich höhere Verweil- und Rezeptionsdauer gebunden ist. Die Grundstruktur lässt sich allerdings an zwei Beispielen gut illustrieren: Bei diesem Hinweisschild in Bielefelder Parks und Wanderwegen rund um das Stadtgebiet (Abbildung 97) wird die verbotene Situation und daneben die gebotene Situation illustrativ dargestellt. ‚Miteinander geht mehr!‘, ist dabei die Sentenz, von der die oratorInstanz (die Stadt Bielefeld) überzeugen möchte. Auch wenn fraglich ist, ob dieses Abbildung 97

167 Siehe dazu: Banksy 2006. S. 60. Dort gibt Banksy einen Mailauszug wieder, der diese Richtung zu bestätigen scheint. Dort heißt es: „I was one of the writers that fell your ‚legal‘ graffiti site thingy-ma-bob on marylebone street next to edgeware rd. […] i was there with gasp zeal and haze when we pieced it. You know we got nicked for it at the end of the day when we had finished by an undercover fed, but he led us go because before we had started we asked at the fed station across the road if it really was legal and they said it was cool. anyway it was all good at the end and we got sime nice pieces in a fuckin bait plot“ (ebd.). Da diese Geschichte hier nicht überprüft werden konnte und Banksy qua Künstler sich vor allem auch durch seine (Selbst-)Inszenierungen auszeichnet, kann selbige hier nicht mehr als eine Anekdote sein.

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Schild tatsächlich einen Einfluss auf das Fahrverhalten von jungen Radfahrern hat, ist die strategische Überlegung dahinter doch offensichtlich. Die verbotene Situation ist eine, in der offensichtlich beide Akteure in angespannter, aggressiver und gereizter Stimmung sind. Hingegen verspricht die gebotene Situation ein entspanntes und daher auch potentiell entspannendes Miteinander. Bedenkt man, dass insbesondere auf den Wanderwegen häufig die Situation eintritt, dass außer dem Fußgänger und dem Radfahrer niemand in Sichtweite ist, so wird klar, dass, wenn die Regel bloß an eine Autoritätsstruktur gebunden und nicht auch unabhängig von einer Autorität als verständlich und wünschenswert anerkannt wäre, sie in solchen Situationen schnell außer Kraft gesetzt werden könnte. Über die Frage, ob diese Form der Umsetzung tatsächlich überzeugend ist, ließe sich sicherlich streiten, aber dass eine zusätzliche logos-Strategie (zur sowieso schon vorhandenen ethos-Strategie) hier angemessen ist, scheint offensichtlich. Ähnlich gelagert ist folgendes Beispiel eines Hinweisschildes, das am Teich im Bielefelder Bürgerpark steht (Abbildung 98). Hierbei interessiert uns nur das untere Schild. Dort wird durch eine Illustration unter der Überschrift ‚Bitte nicht füttern‘ das Füttern der Enten im Teich untersagt. Unterhalb der Illustration finden sich für Abbildung 98

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dieses Verbot auch einleuchtende Gründe. Demnach führe eine Fütterung zur Behinderung der natürlichen und artgemäßen Nahrungsaufnahme, verunreinige die Gewässer und begünstige die Verbreitung von Krankheiten und Ratten. Um die Notwendigkeit dieser zusätzlichen logos-Strategie vor Augen zu führen, stelle man sich folgende Situation vor: Ein Vater spaziert mit seinem Kind durch den Park und kommt an den Teich, wo das Kind die Enten erblickt und diesen fasziniert zuschaut. Der Vater hat zufällig ein Brötchen dabei und will seinem Kind eine Freude machen und diesem das Füttern der Enten ermöglichen. Der Park ist voll und andere Spaziergänger beobachten die Szene mit dem freudigen Kind und dem sich kümmernden Vater. Wie wahrscheinlich ist es wohl, dass Passanten ihrer Kontrollfunktion nachkommen und den Vater auf das Verbot aufmerksam machen? Das Füttern von Enten im Park gilt, trotz Verbots, allenfalls als Kavaliersdelikt und wenn Kinder dabei sind, wird es sicherlich häufig als legitim eingestuft. Erst eine Aufklärung darüber, welche durchaus negativen Konsequenzen eine solche Handlung für das Leben der Enten haben kann, vermag hier einen Beitrag zur Einhaltung des Verbots zu leisten. Nicht zuletzt dadurch, dass die Lektüre dieses Schildes auch dem Passanten gute Gründe an die Hand gibt, die es selbigem ermöglichen können, dem Vater in unserem Beispiel nicht bloß mit erhobenem Zeigefinger zu begegnen und auf diese Weise möglicherweise es dem Passanten erleichtern, seiner Kontrollfunktion nachzukommen.168

4. Z USAMMENFASSUNG Es scheint unzweifelhaft, dass die Möglichkeit mit visuellen Mitteln (Bildern, Objekten, etc.) etwas zeigen zu können, einen zentralen Aspekt jeder visuellen Rhetorik ausmacht (oder zumindest ausmachen sollte). Anzunehmen, man könne etwa eine Bildrhetorik entwickeln, ohne auf das Zeigen als rhetorisch fundiertem Akt einzugehen, erscheint genauso abwegig, wie es der Versuch der Entwicklung einer Rederhetorik wäre, die vom Reden selbst absähe. Soll aber das Zeigen in dieser Weise in den Blick genommen und rhetorisch fundiert werden, so kann nicht vom ‚Zeigen der Bilder‘ ausgegangen werden, so, als ob diese selbst etwas zeigen könnten. Vielmehr muss es der Ausgangspunkt der Überlegungen sein, dass das Zeigen von etwas als Handlung zu verstehen ist, innerhalb derer von visuellen Mitteln ein instrumenteller Gebrauch gemacht wird. Das Ziel des vorliegenden Kapitels war es schließlich, die Zeigehandlung als rhetorischen Akt herauszustellen und dabei genauer zu verdeutlichen, was es heißen kann, überzeugende Zeigehandlungen als gelungene Folge rhetorischer Teilakte zu bestimmen. Wenn Zeigen eine Handlung ist, so lässt sich nach fünf rhetorisch wesentlichen Elementen fragen. Wer zeigt (die Frage nach dem orator)? Was wird gezeigt (eine Frage nach dem Zeigeakt als solchem)? Wem wird etwas 168 Zur Kontrollfunktion des Anderen siehe: Smolarski 2017.

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aus welcher Situation heraus gezeigt (die Frage nach dem situativ verorteten Publikum)? Mit welchen Mittel wird gezeigt (eine Frage nicht nur nach den Zeigemedien, sondern auch der Strategien)? In welcher Absicht wird gezeigt (die Frage nach dem Redegegenstand)? Dieses Pentad des Zeigens macht unter anderem die wesentliche Unterscheidung von Sichtbar-Sein und Zeigen deutlich. Nicht alles, was sichtbar ist, wird auch gezeigt und ebenso ist nicht alles, was sinnvoll gezeigt werden kann als solches bereits sichtbar. Wenn jemand bei einem Gebrauchtwagenhändler ein Auto kaufen will und dieser jenem ein in die Tage gekommenes Modell zeigt, so sind der Rost und die Beulen sichtbar; gezeigt wird beides aber womöglich nicht. Und wenn auf einem Warnhinweis ein Zug sichtbar dargestellt ist, so wird nicht etwa der Zug als Zug gezeigt, sondern als potentielle Gefahrenquelle. Das vorliegende Kapitel nahm die Unterscheidung von Sichtbar-Sein und Zeigen zum Ausgangspunkt, um die Teilakte des Zeigens herauszustellen und den durch sie konstituierten, rhetorisch fundierten Zeigeakt zu bestimmen: Zeigen ist demnach das Sehen-Lassen von etwas als etwas. Das heißt: Wer ein Zeigeinstrument nutzt, um jemandem in einer bestimmten Absicht etwas zu zeigen, der will diesen etwas (beispielsweise ein Auto) als etwas (etwa als Gefahrenquelle, als Statusobjekt, als Mitfahrgelegenheit, etc.) sehen-lassen. Erfolgreich wird diese semantische Identifikation nur dann sein, wenn der Zeigeakt überzeugend war. Die semantischen Identifikationen des Zeigeaktes (eben das ‚etwas als etwas‘) können auf der Grundlage geteilter Überzeugungen, anerkannter Meinungen, unterstelltem Wohlwollen und vielem mehr was die klassische Rhetorik als Überzeugungsmittel kennt, Angebote zur pragmatischen Identifikation des Publikums mit dem orator sein. Diese Identifikationsangebote machen schließlich das persuasive Moment des Zeigeaktes aus und bestimmen damit auch dessen Erfolgsbedingungen. Die hier entwickelte Rhetorik des Zeigens wurde schließlich nicht nur in Bezug auf die jeweiligen Teilakte, sondern vor allem mit Fokus auf die rhetorischen Strategien des Zeigens auf den Bereich der Gestaltung von Orientierungs- und Leitsystemen übertragen. Es ging in diesem Kapitel um ‚wayfinding‘ und ‚placeshowing‘ als wesentliche Bausteine der Orientierung im urbanen Raum. Zu diesem Zweck wurden im zweiten Teil des Kapitels wesentliche Wirkziele und Strategien des Zeigens herausgearbeitet. Der hier vorgenommenen Untersuchung folgend zielen Zeigeakte darauf, ein Publikum über Sachverhalte zu informieren und insofern zu belehren (docere), Einstellungen zu bestimmten Sachverhalten zu teilen und auf diese Weise den geteilten, gemeinsamen Hintergrund zu erweitern und das Publikum womöglich – im weitesten Sinne – zu unterhalten (delectare) und im Sinne von Aufforderungen, regulierenden Einfluss auf Handlungen zu nehmen und ein Publikum zu bestimmten Handlungen zu bewegen oder von anderen abzuhalten (movere). Im Sinne dieser Wirkzielen können Zeigende, die sich der Mittel des ‚wayfindings‘ und ‚placeshowings‘ bedienen, auf eine Vielzahl von Strategien zurückgreifen, wobei die hier er-

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läuterten Strategien einen repräsentativen Ausschnitt darstellen: Es stehen dem Zeigenden in dieser Weise Strategien der Identifizierung ebenso zur Verfügung wie Strategien der Deskription, Strategien der Direktion und Strategien der Regulation.

VII. Schlussbetrachtung

Die nachfolgende Zusammenfassung fokussiert auf die systematischen Aspekte der hier entworfenen designrhetorischen Theorie des place-makings. Es geht darum, wesentliche Begriffe und kategoriale Unterscheidungen zusammenzuführen und abschließend in Form eines knappen Resümees zu präsentieren. Da diese Arbeit nicht von einer zentralen These oder Fragenstellung getragen war, sondern eher den Versuch einer Systematisierung eines Forschungsfeldes unternahm, kann die sich aus dieser Zusammenfassung ergebende Konklusion auch nicht im Sinne einer Antwort auf eine Frage oder Bekräftigung einer These ausfallen, sondern allenfalls in einem Aufzeigen möglicher Konsequenzen der vorgeschlagenen Systematisierung.

1.

E INIGE

ZENTRALE

ASPEKTE

DER

ARBEIT

Ausgangspunkt der folgenden Zusammenfassung sei das hier gezeigte Schaubild (Abbildung 99). Mit diesem Schaubild soll versucht werden, das Feld der Designrhetorik zu schematisieren. Im oberen Bereich wird das Verhältnis der Größen Gestaltungsartefakt, Zielpublikum und orator aufgezeigt, welche zusammengenommen das eigentliche Produkt des Designprozesses ausmachen. Es sei schon hier angemerkt, was im Weiteren näher auszuführen ist, dass die Instanzen orator und Zielpublikum keine unabhängigen Variablen darstellen, sondern zur Produktebene gehören. Der untere Bereich umfasst die Ebene einer Prozessrhetorik in welcher die Beziehungen zwischen dem eben benannten Produkt, dem rhetor (Designer) und den stakeholdern (z.B. Auftraggebern) abgebildet wird. Wie jedes Schaubild reduziert auch dieses die tatsächliche Komplexität der Bezüge der einzelnen designrhetorischen Größen zueinander und dient hier lediglich der Visualisierung zentraler Unterscheidungen. In diesem Sinne wird durch das Schaubild die in Kapitel II vorgenommene Unterscheidung von rhetor und orator deutlich sichtbar. Während der rhetor als die wirkungsintentional planende Instanz im rhetorischen Prozess angesiedelt ist, fungiert die orator-

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Instanz als ein wirkungsintentionales Mittel auf der Produktseite. Der rhetor inszeniert eine orator-Instanz, deren ethos Mittel zur Identifikation bereithält. Der orator ist demnach eine Größe, die als ein Produkt der wirkungsintentionalen, das heißt auf Abbildung 99

einer Identifikation mit dem potentiellen Zielpublikum beruhenden Gestaltung zu verstehen ist. Diese bietet dem Zielpublikum die durch den orator zum Ausdruck kommende ethos-Dimension als zusätzliches Überzeugungsmittel, die mit den logosDimensionen des Artefaktes und den pathos-Dimensionen von Seiten des Publikums in Einklang stehen müssen. Daher bilden orator und Artefakt auch eine gestalterische Einheit, die das Publikum interpretieren und verstehen können muss und die auf dieses wirkt. Die zentralen Begriffe der vorliegenden Arbeit, um diesen Aspekt des Rhetorischen zu fassen, waren ‚Identifikation‘ und ‚Situation‘, die ausführlich in Kapitel II eingeführt wurden. Dabei ist Identifikation von Seiten des Publikums im Sinne Kenneth Burkes als ein Streben zu verstehen, nach Anschlussmöglichkeiten und Perspektivübernahmen zu suchen, um auf diese Weise das herzustellen, was Burke als eine konsubstantielle Einheit bezeichnet und was – vereinfachend – als Erkennen und Anerkennen von Motiven beschrieben werden kann.1 Diese konsubstantielle Einheit kann von einer rhetor-Instanz gezielt angeboten werden, indem diese, sich mit dem

1

Vgl. Kapitel I.

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Publikum identifizierend und dessen potentielle Perspektive auf einen bestimmten rhetorischen Gegenstand antizipierend, selbigem Identifikationsangebote auf den Ebenen des ethos, pathos und logos macht. Insofern die Prozesse des Erkennens und Anerkennens aber jeweils nur aus einer bestimmten Situation heraus vollzogen werden können und die situative Verortung des Publikums dessen Möglichkeit und Bereitschaft zu diesen Prozessen bestimmen, hängt der Erfolg dieser Identifikationen und damit auch aller persuasiven Prozesse vor allem vom Situationsverständnis des Publikums ab. Je nachdem in welcher Situation sich das Publikum begriffen glaubt, werden Erkenntnisspielräume, Einschätzungen und auch Beurteilungen stark variieren. Der rhetorische Erfolgt hängt in dieser Weise eben von dem ab, Einfluss auf das zu nehmen, was William I. Thomas als die „Definition der Situation“2 bezeichnet. Das rhetorische Bemühen eines rhetors kann auf dieser Grundlage auch im Sinne Burkes treffend als ein „attempt to redefine the situation itself“3 verstanden werden, denn wenn es dem rhetor gelingt, die Situationsbestimmungen eines Publikums neu auszurichten, so gewinnt dieser damit direkten Einfluss auf die Bewertungsmaßstäbe des Publikums, auf dessen Spielräume des potentiellen Erkennens und Anerkennens rhetorischer Bemühungen. Genau hier kann eine Analogisierung von Designprozess und rhetorischem Prozess ansetzen, die die Produktionsbereiche intellectio, inventio, dispositio und elocutio umfasst. Da diese Analogisierung bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde und nicht eigens Thema des vorliegenden Buches war, soll dieser Aspekt hier lediglich umrissen werden.4 Es geht bei dieser Prozessanalogie von Design und Rhetorik vor allem um die Frage, welche Mittel dem rhetor zur Verfügung stehen, sich mit seinem Zielpublikum zu identifizieren und damit um Heuristiken der Situationsbestimmung. Als solche stehen in jeder Produktionsphase dem rhetor verschiedene Methoden zur Verfügung: In der Phase der Problematisierung (intellectio) können die Genera der Vertretbarkeit hilfreiche Werkzeuge sein, in der Phase der Ideenfindung (inventio) stehen topische Kreativitätstechniken zur Verfügung, in der Phase der Anordnung (dispositio) können Ordnungsschemata wie die der ordo naturalis oder der ordo artificialis berücksichtigt werden, und in der Phase der Formfindung (elocutio) bieten sich Figuren, Affekttechniken und Affordanzen als Instrumente wirkungsintentionalen Gestaltens an. Die systematische Leistung der Prozessanalogie besteht neben der erwähnten Analogisierung der Prozesse vor allem in zwei Aspekten: Zum einen wird in diesem Rahmen ein Ansatz zu einer rhetorischen Theorie der Kreativität zu entfalten sein, der das Verhältnis der im Gestaltungsumfeld oft jargonhaft benutzten Begriffe ‚neu‘ oder ‚innovativ‘ und ‚angemessen‘ problematisiert. Zu diesem Zweck muss nicht nur an die Forschungsliteratur angeknüpft werden, sondern auch explizit 2

Vgl. Thomas 1965.

3

Burke 1954. S. 220.

4

Vgl. Smolarski 2017.

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an die Ratgeberliteratur, die in der Praxis sicherlich häufiger als erstere genutzt wird. Zum anderen sind die Figuren und ihr Einsatz in rhetorischen Funktionen so zu systematisieren, dass der häufigen Reduktion rhetorischer Bemühung auf Fragen des bloßen Schmucks entgegengewirkt wird. Neben der ornatus-Funktion erfüllen Figuren eben auch stilistische, argumentative oder Erkenntnisfunktionen. Insbesondere mit den letzten drei Funktionen erfüllen rhetorische Figuren in der Regel auch nicht mehr das Devianzkriterium, welches häufig als Kennzeichen rhetorischer Figuren dient.5 Kapitel III führte in den urbanen Raum als dem Ort der dieser Arbeit zugrundegelegten Untersuchungsgegenstände ein. Die Relation der Stadt zur Rhetorik als techne wurde dabei wie folgt unterschieden: Zum einen erscheint die Stadt als der prototypische Raum rhetorischer Bemühungen. Vom Redner auf dem Forum bis zur Werbeanzeige in der U-Bahn ist die Stadt als ein Ort enormer Dichte von konkurrierenden Meinungen prädestiniert für die Herausbildung einer techne rhetorike. Zum anderen gilt aber auch – und das ist in Bezug auf die rhetorische Theorie des Designs bedeutender –, dass die Stadt selbst ein rhetorischer Raum ist. Wie die Kapitel IV und V deutlich machten erschafft die urbane Gestaltung von der Stadtplanung bis zum Graffito Orte mit einem spezifischen Charakter, mit spezifischen Bedeutungsassoziationen und den damit in Wechselwirkung stehenden wahrnehmbaren Handlungsspielräumen der Stadtbewohner und -besucher. Der zentrale Begriff dieser Kapitel, der direkt den Faden des im Methodenkapitel entworfenen Situationsbegriffs wiederaufnahm, war der Begriff des place und das darauf aufbauende Konzept des place-makings. Eine Bestimmung des Begriffs place, die die Untersuchung in weiten Teilen getragen hat, gibt Yi-Fu Tuan: „What begins as undifferentiated space becomes place as we get to know it better and endow it with value. Architects talk about the spatial qualities of place; they can equally well speak of the locational (place) qualities of space. The ideas ‘space’ and ‘place’ require each other for definition. From the security and stability of place we are aware of the openness, freedom, and threat of space, and vice versa. Furthermore, if we think of space as that which allows movement, then place is pause; each pause in movement makes it possible for location to be transformed into place.“6

Wenn places, wie Tuan schreibt, durch die Möglichkeit des Verweilens, des Ruhens und womöglich auch der Störung entstehen, bestehen oder auch transformiert werden können, dann beschreibt er damit bereits Facetten des wirkungsintentionalen, auf

5

Vgl. Kapitel II.

6

Tuan 2011. S. 6.

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Kommunikation angelegten Gestaltens von places, welches als place-making bezeichnet werden kann. Im Kern bezeichnet place nichts anderes als eine Übersetzung des Situationsbegriffes in den urbanen, bebauten und von diversen Akteuren gestalteten Raum. Die Möglichkeiten, sich innerhalb dieses Raums erfolgreich zu orientieren, sind, ebenso wie die Möglichkeiten, Einfluss auf die Orientierung anderer zu nehmen, gebunden an die prägenden Definitionen der Situation und der rhetorische Erfolg dieser Einflussnahme ist gebunden an die Möglichkeiten, die Situation überzeugend neu zu definieren. Place-making ist in genau diesem Sinne ein genuin rhetorisches Problem. Und insofern Orientierungsprozesse im urbanen Raum maßgeblich davon bestimmt werden, in welcher Weise places wahrgenommen, verstanden und als situationsimplizierend handelnd bewältigt werden, insofern bestimmen auch Orientierungsprozesse eine, sie tragende, rhetorische Dimension. Von hier aus fokussierte Kapitel V vor allem auf Strategien des place-makings, die von rhetoren genutzt werden können, um Einfluss auf die Definition der Situation zu nehmen. Die ausführliche Einführung einer Rhetorik des Zeigens stellte den Zeigeakt als genuin rhetorischen Akt heraus, der in allen seinen Teilakten spezifischen rhetorischen Gelingensbedingungen unterworfen ist. Eine Analyse des Zeigens, die den Gedanken ernst nimmt, dass Zeigen eine Handlung ist und als solche weder von Bildern noch von Piktogrammen, Pfeilen oder Fingern ausgeführt werden kann, betont zwangsläufig den instrumentellen Gebrauch dieser Medien des Zeigens. Nicht dadurch, dass dem Bild etwa bestimmte Kräfte und Vermögen zugesprochen werden, die allein intentionalen Wesen zukommen, sondern eben gerade dadurch, dass deren instrumenteller Gebrauch herausgehoben ist, eröffnet sich allererst die Möglichkeit einer Rhetorik des Zeigens und mithin einer Bildrhetorik oder Rhetorik des Visuellen überhaupt. So wie wir beim wirkungsintentionalen Sprechen in Form etwa einer politischen Rede einen instrumentellen Gebrauch von der Sprache machen und sie zu unserem Medium des Sprechens wird, so können Medien des Zeigens erst zu solchen werden, wenn wir eben einen solchen Gebrauch von ihnen machen. Wird Zeigen als eine Handlung verstanden, dann kann durchaus im Sinne des Pentads Burkes gefragt werden: Wer zeigt wem was in welcher Absicht mit welchen Mitteln? Diese fünfteilige Frage stand im Mittelpunkt der entwickelten Rhetorik des Zeigens, von ihr aus wurden nicht nur die rhetorishen Gelingensbedingungen und Fallstricke des persuasiven Zeigens besprochen, sondern auch konkrete Strategien analysiert und an Beispielen aus dem Bereich des place-showings und wayfindings besprochen. Hierdurch schloss Kapitel VI direkt an die Diskussionen um eine Rhetorik des place-makings an.

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2. S CHLUSSWORT Es gehört zu den rhetorischen Aufgaben der peroratio, dem Schlussteil der Rede, nicht nur die wesentlichen Punkte der argumentatio zusammenzufassen (was bereits geschah), sondern auch, die „pathetische Erregung bzw. Steuerung der Affekte […] des Publikums unter demonstrativer Authentizität der Emotionen des Redners“7 zu leisten. Für das Schlusswort einer wissenschaftlichen Arbeit, die als solche gemeinhin als jenseits von pathetischer Erregung und rednerischer Emotionalität gesehen wird, heißt das, am Ende die wissenschaftlichen Tugenden, der um Korrektheit und Angemessenheit bemühten Einschränkungen, der in Hauptsätzen geäußerten Thesen durch Einschübe, Nebensätze, Parathesen, Klammern und zurückrudernden Fußnoten, beiseite zu lassen und den Mut zum Dreiwortsatz aufzubringen, dessen Überzeugungskraft nicht mehr begründet und dessen Wahrheit nicht weiter eingeschränkt wird im hoffnungsvollen Sich-Verlassen darauf, dass alles hierfür Nötige bereits in vielen Seiten gesagt und wohlwollend aufgenommen wurde. Von diesem Geist getragen fällt das Schlusswort dann auch, wie es die klassische Rhetorik empfiehlt, kurz aus: Die Stadt ist rhetorisch beschreibbar. Sie ist nicht nur ein Raum der Rhetorik, sondern überdies ein genuin rhetorischer Raum. Place-Making und place-showing sind die basalen designrhetorischen Handlungen, die das erzeugen, was wir ‚Stadtraum‘ nennen.

7

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IX. Abbildungen

Alle vom Autor selbst produzierten Bilder sind mit ‚PS‘, dem Aufnahmeort und Aufnahmedatum gekennzeichnet. Für alle Abbildung aus Internetquellen gilt, wenn nicht anders angegeben: Stand: 19.09.2015. Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8:

Abbildung 9:

Abbildung 10:

Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13:

PS. Bielefeld, 17.03.2015. Mollerup 2013. S. 127. Abb. 173. PS. Bielefeld, 14.03.2015. PS. Bielefeld, 17.03.2015. Mollerup 2013. S. 114. Abb. 152. PS. Bielefeld, 08.03.2015. http://de.academic.ru/pictures/dewiki/82/Roding_tafel.JPG http://www.weil-der-stadt.de/ceasy/modules/core/ resources/main.php5?id=1965&predefinedImageSize= Content&withMagnifier=1 Bildnis eines Mannes mit Uhr und Armillarshäre / Bildnis des Johann Conrad Ulmer? Rudolf Asper zugeschrieben. Um 1580. Öl auf Leinwand, 91,5x79cm. Köln, Wallraf-Richartz-Museum. Inventarnr. WRM 0686. Als Dauerleigabe im Kölner Stadtmuseum. Quelle: http://www.bildindex.de/dokumente/ html/obj20820831#|home Astronom mit Globus. Niederlande? 1601/1700. Tafelbild. Köln, Wallfraf-Richartz-Museum, Inventarnr. 2220. Quelle: http://www.bildindex.de/dokumente/ html/obj20820831#|home https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3c/ Keplerdenkmal_Weil_der_Stadt.jpg https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cf/ Storchenturm_und_Stadtmauer.JPG http://www.stuttgart-tourist.de/img/e/m/s/f/l/f/x/c/ katholische-stadtkirche-stpeter-und-paul-in-weil-der-stadt.jpg

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Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27:

Abbildung 28:

Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43: Abbildung 44: Abbildung 45: Abbildung 46: Abbildung 47:

Google Maps. PS, Bern, 06.05.2015. Wäger 2012. S. 207. PS, Straßburg (Frankreich), 19.06.2015. PS, Bielefeld, 24.03.2015. PS, Bielefeld, 24.03.2015. PS, Bielefeld, 13.03.2015. PS, Bielefeld, 13.03.2015. Berger 2009. S. 70. Abb. 1. Mollerup 2013. S. 90. Abb. 91. PS, Bielefeld, 08.03.2015. PS, Halle (Westfalen), 08.03.2015. Berger 2009. S. 112. Abb. 12 und Abb.13. http://static1.1.sqspcdn.com/static/ p/1787182/17425367/1360178501537/chb_signs_11_ih_glr_web site.jpg?token=9jGMw5vW32Z4u4FLEaDFNpSU9y0%3D https://segd.org/sites/default/files/styles/galleryformatter_slide/ public/24-Children's%20hospital%20Boston_835_0.jpg? itok=QbB7FtA3 http://www.ridelust.com/wp-content/uploads/ 3d_parking_garage_2.png http://thesuiteworld.com/wp-content/uploads/2011/06/ Eureka_Tower_Carpark_TheSuiteWorld.png https://melbourneurbanist.files.wordpress.com/2010/03/ eureka-parking-sign2.jpg http://thesuiteworld.com/wp-content/uploads/2011/06/ Eureka-Tower-Carpark_parking_garage_thesuiteworld.png PS. Düsseldorf, 28.03.2015. Gibson, D. 2009. S. 77. PS. Düsseldorf, 27.03.2015. Berger 2009. S. 24. Abb. 16. PS. Bielefeld, 23.03.2015. PS. Bielefeld, 23.03.2015. PS, Düsseldorf, 28.03.2015. PS, Düsseldorf, 28.03.2015. PS, Düsseldorf, 28.03.2015. PS, Düsseldorf, 28.03.2015. PS. Jena, 29.12.2014. PS. Jena, 29.12.2014. http://static.panoramio.com/photos/large/21764425.jpg PS. Bielefeld, 31.03.2015. PS. Bielefeld, 23.09.2015.

A BBILDUNGEN | 311

Abbildung 48: Abbildung 49: Abbildung 50: Abbildung 51: Abbildung 52: Abbildung 53: Abbildung 54: Abbildung 55: Abbildung 56: Abbildung 57: Abbildung 58: Abbildung 59: Abbildung 60: Abbildung 61: Abbildung 62: Abbildung 63: Abbildung 64: Abbildung 65: Abbildung 66: Abbildung 67: Abbildung 68: Abbildung 69: Abbildung 70: Abbildung 71: Abbildung 72: Abbildung 73: Abbildung 74: Abbildung 75: Abbildung 76: Abbildung 77: Abbildung 78: Abbildung 79: Abbildung 80: Abbildung 81: Abbildung 82: Abbildung 83:

Abbildung 84:

PS. Bielefeld, 23.09.2015. PS. Bielefeld, 23.03.2015. PS. Bielefeld, 23.03.2015. PS. Bielefeld, 23.03.2015. PS. Bielefeld, 23.03.2015. PS. Bielefeld, 23.03.2015. PS. Bielefeld, 23.03.2015. PS. Straßburg (Frankreich), 17.08.2014. PS. Straßburg (Frankreich), 15.08.2014. PS. Jena, 20.06.2009. PS. Jena, 20.06.2009. PS. Bielefeld, 12.10.2014. PS. Bielefeld, 12.10.2014. PS. Colmar (Frankreich), 14.08.2014. PS. London, 03.04.2014. PS. Mulhouse (Frankreich), 11.08.2014. PS. Mulhouse (Frankreich), 11.08.2014. PS. Mulhouse (Frankreich), 11.08.2014. PS. Mulhouse (Frankreich), 11.08.2014. PS. Mulhouse (Frankreich), 11.08.2014. PS. Bern, 10.06.2015. http://www.mobilegeeks.de/wp-content/uploads/2013/05/ telekom-drossel.jpg PS. Guebwiller (Frankreich), 13.08.2014. PS. Guebwiller (Frankreich), 13.08.2014. PS. Guebwiller (Frankreich), 13.08.2014. PS. Bielefeld, 08.03.2015. http://www.berlin.de/projektzukunft/uploads/tx_news/ BVHWiesbaden4-11_072.jpg https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/736x/79/42/8e/ 79428e54513877fab397746eb26bcf01.jpg PS. Bregenz (Österreich), 03.04.2015. PS. Colmar (Frankreich), 14.08.2014. PS. London, 04.04.2014. Scheuermann/Schneller 2012. S. 48. Abb. 28. Scheuermann/Schneller 2012. S. 50. Abb. 30. Scheuermann/Schneller 2012. S. 80. Abb. 38. Scheuermann/Schneller 2012. S. 84. Abb. 39. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/ed/ D-W003_Warnung_vor_giftigen_Stoffen_ty.svg/ 512px-D-W003_Warnung_vor_giftigen_Stoffen_ty.svg.png PS. Schweiz, 20.04.2015.

312 | R HETORIK DER STADT

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http://img.welt.de/img/wirtschaft/crop134641189/ 5316933997-ci3x2l-w900/Schwarzfahren.jpg PS. Bielefeld, 28.09.2015. PS. Bielefeld, 23.09.2015. PS. Düsseldorf, 27.09.2015. PS. Jena, 12.04.2015. PS. London, 04.04.2014. PS. London, 04.04.2014. http://i.ebayimg.com/images/i/190927662490-0-1/s-l1000.jpg http://www.dallasnews.com/incoming/20120607-happy trailssigns-1-.jpg.ece/BINARY/original/ HappyTrailsSigns+%281%29.jpg PS. London, 05.04.2014. PS. Bern, 09.04.2015. Banksy 2006. S. 58. PS. Bielefeld, 08.03.2015. PS. Bielefeld, 23.03.2015. PS, 26.08.2016.

Danksagung

Ich möchte mich herzlich bei allen bedanken, die am Vorankommen dieser Arbeit Anteil genommen haben und mich mit meinen Projekten unterstützten. Zuerst seien hier meine Gutachter Jens-Martin Gurr und Arne Scheuermann genannt, die durch ihre Anregungen, Kritiken und Kommentare diese Arbeit mit mir auf den Weg gebracht haben. Ohne den Einfluss Temilo van Zantwijks aber wäre ich wohl nie zur Rhetorik gekommen; für seine freundschaftliche Richtungsweisung bin ich ihm ebenso dankbar wie Sabine Rose-van Zantwijk, die überdies alle meine Texte stets mit Wohlwollen las und mich mit kritischen Fragen nicht schonte. Ihr ist insbesondere auch für das Lektorat der gesamten Arbeit zu danken. Andreas Beaugrand und Irene Müller danke ich dafür, dass sie es mir ermöglicht haben, für drei Monate in die Schweiz zu gehen und dort meine Arbeit voranzutreiben. Insa Schülting danke ich dafür, dass sie mit mir nächtelang saß, um die Arbeit zu setzen und Bilder zu formatieren. Ich danke dem Verlag Transcript für die Aufnahme des Buches in ihr Programm. Schließlich gilt mein Dank auch meinen Brüdern René, André und Marc sowie meiner Mutter Romana, die mir – je auf ihre Weise – stets zur Seite standen.

Design Friedrich von Borries, Gesche Joost, Jesko Fezer (Hg.) Die Politik der Maker Über neue Möglichkeiten der Designproduktion Juli 2019, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2859-3

Andrea Rostásy, Tobias Sievers Handbuch Mediatektur Medien, Raum und Interaktion als Einheit gestalten. Methoden und Instrumente Februar 2017, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2517-2

Judith Dörrenbächer, Kerstin Plüm (Hg.) Beseelte Dinge Design aus Perspektive des Animismus September 2016, 168 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3558-4

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Design Claudia Banz (Hg.) Social Design Gestalten für die Transformation der Gesellschaft August 2016, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3068-8

Thomas H. Schmitz, Roger Häußling, Claudia Mareis, Hannah Groninger (Hg.) Manifestationen im Entwurf Design – Architektur – Ingenieurwesen Mai 2016, 388 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3160-9

Julia-Constance Dissel (Hg.) Design & Philosophie Schnittstellen und Wahlverwandtschaften Februar 2016, 162 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3325-2

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