Im Beruf Leben finden: Allgemeine Bildung in der Berufsbildung - didaktische Leitlinien für einen integrativen Bildungsbegriff im Berufsschulreligionsunterricht 9783737001076, 9783847101079, 9783847001072

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Im Beruf Leben finden: Allgemeine Bildung in der Berufsbildung - didaktische Leitlinien für einen integrativen Bildungsbegriff im Berufsschulreligionsunterricht
 9783737001076, 9783847101079, 9783847001072

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Arbeiten zur Religionspädagogik

Band 55

Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Gottfried Adam, Prof. Dr. Dr. h.c. Rainer Lachmann und Prof. Dr. Martin Rothgangel

Andreas Obermann

Im Beruf Leben finden Allgemeine Bildung in der Berufsbildung – didaktische Leitlinien für einen integrativen Bildungsbegriff im Berufsschulreligionsunterricht

Mit zahlreichen Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0107-9 ISBN 978-3-8470-0107-2 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Bonner Evangelischen Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik (www.bibor.uni-bonn.de). Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Ó Andreas Obermann Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I Teil: Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten – gesellschaftlich-wirtschaftliche und historisch-pädagogische Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Von der Berufung zum Job – der existentielle Zusammenhang von Beruf und Lebensbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Persönlichkeit und Beruf – von der Antike bis heute . . . . . 1.2 Der Wandel der beruflichen Sozialisation in der Gegenwart . 1.3 Die Situation Jugendlicher auf dem Weg ins Berufsleben . . . 1.4 Beruf, Berufung und das Religiöse – erste Annäherungen . . 2 Die Ausdifferenzierung des (beruflichen) Bildungsverständnisses – eine Skizze der Grundlegung der Berufspädagogik . . . . . . . . 2.1 Der Neuhumanismus (Wilhelm von Humboldt) . . . . . . . 2.1.1 Die pädagogische Position des Neuhumanismus . . . . 2.1.2 Humboldts Bildungsorganisation . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Die Unterscheidung von allgemeiner und spezieller Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Humboldt heute – ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Reformpädagogik am Beispiel der Arbeitspädagogik (Georg Kerschensteiner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die anthropologischen Grundlagen der Pädagogik Kerschensteiners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der bildungstheoretische Ansatz Kerschensteiners . . . 2.2.3 Das Bildungsideal Kerschensteiners: Menschenbildung durch Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Kerschensteiner heute – ein Ausblick . . . . . . . . . . 2.3 Die Integration von Allgemeinbildung und Berufsbildung als Pädagogik nach ’68 (Herwig Blankertz) . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Grundsätze der Pädagogik von Blankertz . . . . . . . .

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Inhalt

2.3.1.1 Mündigkeit als Grundprinzip der Pädagogik . 2.3.1.2 Utilitarismus als kritischer Gradmesser der Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Integration von Allgemeinbildung und Berufsbildung: Arbeitslehre und Kollegschule . . . . 2.3.2.1 Die Arbeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2 Die Kollegschule . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Blankertz heute – ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . 2.4 Humboldt – Kerschensteiner – Blankertz: Historische Fährten für ein modernes Bildungsverständnis . . . . . . . 3 Berufspädagogische Konzepte im Zeitalter der Globalisierung – Allgemeinbildung zwischen Menschenbildung und Ökonomie . 3.1 Der berufspädagogische Ansatz von Andreas Schelten . . . 3.2 Der berufspädagogische Ansatz von Rolf Arnold / Philipp Gonon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Bildungsstandards, Kompetenzen und DQR (EQR) – eine Skizze zur bildungstheoretischen Entwicklung der Allgemeinpädagogik (und Berufspädagogik) . . . . . . . .

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Abbildungen (Teil I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II Teil: ›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik – ein thematischer Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Vom unwürdigen Übel zum Luxusgut – eine Paraphrase des soziologischen Wandels des Berufsbildes von der Antike bis zur Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Arbeit in der paganen Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Arbeit in der biblischen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Arbeit in schöpfungstheologischer Sicht . . . . . . . . . 4.2.2 Theologische Ethik und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Anfänge von Arbeit und Beruf – eine Skizze . . . . . . . 4.3.1 Steinzeitliche Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Zünfte und Gilden des Mittelalters . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Das Berufsverständnis bei Martin Luther . . . . . . . . 4.3.4 Der Beruf zwischen Agrargesellschaft und Industrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Vom Beruf zur »Ich-AG« . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

5 Gesellschaftliche und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen als Herausforderung für die Berufsbildung heute . . . . . . . . . . . 5.1 Das gegenwärtige Verständnis von Arbeit und Berufsbildung – ein Werbebeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Tertiärisierung der Gesellschaft und ihre Folgen für die Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die demographische Entwicklung der BRD und die Folgen für die Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungen (Teil II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III Teil: Die Würde des Menschen als Kriterium von Bildung – ein biblisch-theologisches Intermezzo . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV Teil: Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis von Allgemeinbildung in der Berufsbildung . . 6 Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen – eine Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die institutionellen Rahmenbedingungen des BRU heute . . 6.1.1 Der BRU in der Vielfalt beruflicher Schulen . . . . . . . 6.1.2 Die rechtlichen Spielräume des BRU nach GG 7,3 . . . . 6.2 BRU und kirchlicher Anspruch: Was bedeutet Konfessionalität für den BRU heute? . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Die kirchlichen Grundsätze für den BRU – systematisch-theologische Überlegungen . . . . . . . . 6.2.2 Lebensbiographisch-existentielle Grundsätze für den BRU – hermeneutische Überlegungen . . . . . . . . . . 6.2.3 Religionsdidaktische Grundsätze für den BRU – berufspädagogische Überlegungen . . . . . . . . . . . . 6.3 Der BRU in der Aus- und Fortbildung – fachdidaktische Orientierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Das Wesen des BRU im Spannungsfeld von Theologie und Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Der BRU in der Lehrerausbildung – fachdidaktische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Das berufspädagogische Anforderungsprofil des 21. Jahrhunderts im Kontext gegenwärtiger bildungstheoretischer Diskussionen . . 7.1 Die Bildungspolitik im Zeichen der Tertiärisierung und nach PISA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Der Kompetenzbegriff und die berufliche Bildung . . . . . .

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Inhalt

7.2.1 Der Kompetenzbegriff und seine Relevanz für die Berufspädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Die Bedeutung des nicht-domänenspezifischen Kompetenzverständnisses der Berufspädagogik für die berufsorientierte Religionspädagogik . . . . . . . . . . 7.2.2.1 Das Kompetenzverständnis in gegenwärtigen Lehrplänen – Beispiele . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2.2 Kompetenzformulierungen für den BRU im Spiegel von Lehrplänen – eine Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Der Beruf als Domäne des berufsorientierten Religionsunterrichts – Überlegungen zum kategorialen und materialen Berufsbezug des BRU . . . . . . . . . . 7.3 Die Verortung von Religion in der europäischen Bildungspolitik und ihre Folgen für eine berufsorientierte Religionspädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Teil: Den berufsorientierten Religionsunterricht erneut bedenken – didaktische Perspektiven für einen zukunftsfähigen Berufsschulreligionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Die Persönlichkeit fördern und achten – Würde als Leitbegriff einer integrativen Didaktik des evangelischen Berufsschulreligionsunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Die Subjektorientierung des berufsorientierten Religionsunterrichts in Geschichte und Gegenwart . . . . . . 8.2 Berufsorientierter Religionsunterricht als Schule der Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Lebens- und Orientierungshilfen durch den Religionsunterricht als konstitutiver Bestandteil beruflicher Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Was den BRU zum Religionsunterricht macht – religionspädagogische Neubestimmungen . . . . . . . . . . . . . 9.1 Jugendliche und ihre religiösen Lebenswelten – eine Skizze . 9.2 Der BRU und seine implizite Religiosität – einige religionssoziologische und didaktische Überlegungen zur Frage der Religiosität des BRU . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Die Kommunikation neutestamentlicher Religiosität in nichtreligiöser Sprache – ein Ansatzpunkt für den BRU

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Inhalt

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9.2.2 Eine kategorial-phänomenologische Religiosität und der BRU – zur Plausibilität nichtreligiöser Rede von Religion im Religionsunterricht heute . . . . . . . . . . 9.2.3 Eine kategorial-phänomenologische Religiosität und der BRU – biblisch-theologische Impulse . . . . . . . . 9.3 Berufsqualifikationen vertiefen und fürs Leben qualifizieren – Konkretionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Religion als konstitutive Größe einer integrativen Berufspädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Der berufsspezifische Beitrag des BRU zur beruflichen Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Der kategorial-phänomenologische Beitrag des BRU zur beruflichen Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . 10 Der BRU zwischen beruflicher Handlungsfähigkeit und existentieller Lebensorientierung – Ausblicke . . . . . . . . . . . . 10.1 Das kreative Potential des (evangelischen) Religionsunterrichts für eine integrative Bildung an Berufsschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Im Beruf für’s Leben lernen: Der BRU zwischen Überforderung und Verheißung . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungen (Teile IV und V) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

»Die Antwort auf unsere behauptete oder tatsächliche Orientierungslosigkeit ist Bildung – nicht Wissenschaft, nicht Information, nicht die Kommunikationsgesellschaft, nicht moralische Aufrüstung, nicht der Ordnungsstaat« (von Hentig 1996, 15). Die erste These in v. Hentigs Bildungsessay auf der Suche nach pädagogischen Lösungen für die Aufgaben und Probleme unserer Zeit mündet in die Frage: »Was bildet den Menschen?« Diese Frage durchzieht in unterschiedlicher Formulierung die Geschichte der Pädagogik, mit ihr ringt jede Zeit erneut sowohl um eine grundlegende Fragestellung als auch um ihre Antwort. Bildungstheoretisch formuliert Schleiermacher in seiner »Erziehungslehre« eine wesentliche Perspektive für ein zukunftsfähiges Bildungsverständnis: »Was will eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren?« (Schleiermacher 1826, 9).1 In dieser Perspektive stellt sich die Frage nach der ›Bildung heute‹ als eine kritische Reflexion der gegenwärtigen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und pädagogischen Zielsetzungen, in denen sich die jüngere Generation entwickeln soll. Eine in Frage kommende Perspektive ist dabei auch die berufliche Bildung, die »nicht Selbstschöpfung, nicht creatio ex nihilo [ist], sondern geschichtliche und tätige Veränderung von etwas, das schon ist« (Benner 2003, 39). Illustriert wird das durch eine in Ostia (Rom) gefundene Grabplatte aus der Zeit Trajans (98 – 117 n. Chr.), auf der zwei Handwerker abgebildet sind: links ein Schuhmacher und rechts ein Weber. Die Grabplatte illustriert nicht nur die beruflichen Tätigkeiten der Verstorbenen und damit einen wesentlichen Aspekt ihrer Persönlichkeit, sondern ist zugleich ein Zeugnis für die Geschichte von Beruf und beruflicher Bildung.2 Die Berufspädagogik steht seit jeher in dem spannungsvollen Verhältnis von Bildung und Ausbildung einerseits und den Entwicklungen beim Berufsbild und auf dem Arbeitsmarkt andererseits. Im Fokus der Schleiermacher’schen Grundfrage sollen in dieser Untersuchung Beruf, Bildung und Ausbildung in1 Vgl. mehr dazu oben unter 2.3.1.1. 2 Vgl. zu antiken Grabplatten mit Berufsbezügen auch oben unter 1.1.

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Vorwort

tegrativ – am Beispiel des Religionsunterrichts an Berufsschulen (= BRU) – zusammengedacht werden. Dabei sollen auch die betreffenden sozialen und gesellschaftlichen Dimensionen in den Blick kommen, die Altbundespräsident Roman Herzog in seiner ›Bildungsrede‹ am 5. November 1997 ansprach: »Wer die Welt mit der Hand begreift«, der müsse genau so viel »gelten wie der scharfe Denker« (Herzog 1997).3 Vor diesem Hintergrund soll nach einer skizzierten Verhältnisbestimmung von Beruf und Religion die historische Entwicklung der beruflichen Bildung in ihren heutigen Hauptpositionen dargestellt werden (I Teil). Entscheidend für die Bestimmung und Beurteilung didaktischer Leitlinien für die Berufsschule ist der Kontext des Berufes, der gesondert in seinem Wandel durch die Zeiten darzustellen ist (II Teil). Ein biblisches Intermezzo soll eine Besinnung eröffnen über die anthropologische Grundbestimmung der menschlichen Würde in ihrer Relevanz für die Berufsbildung aus biblisch-theologischer Sicht (III Teil). Grundlegende Ausführungen zu Rahmenbedingungen eines integrativen Bildungsverständnisses unter besonderer Berücksichtigung religionspädagogischer Aspekte bilden die Grundlage für didaktische Überlegungen zu einer integrativen Didaktik des BRU (IV Teil). Konkrete didaktische und religionspädagogisch-inhaltliche Perspektiven eines berufsorientierten Religionsunterrichts sollen die pädagogische Relevanz eines integrativen Bildungsverständnisses schließlich exemplarisch vor Augen stellen (V Teil). Mein Dank gilt dem Team des Bonner evangelischen Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik (bibor) – Dr. Monika Marose, Prof. Dr. Michael Meyer-Blanck und StR Jan Völkel – für die Unterstützung, im Rahmen der Projektarbeit Zeit für die Abfassung des Buches zu finden. Motivierend waren beim Schreiben dieser didaktischen Leitlinien zum BRU die zahlreichen Gespräche im bibor über Gedanken dieser Arbeit und die kritischen Anmerkungen und kreativen Hinweise in zahlreichen Diskussionen. Zur inhaltlichen Schärfung haben auch viele Diskussionen mit Freunden und Kollegen beigetragen – für die exegetisch-neutestamentlichen Passagen sei in besonderer Weise Prof. Dr. Martin Karrer gedankt, für den profunden Praxisblick auf eine BRU-Didaktik den Kollegen Johan La Gro und Dr. Meinfried Jetzschke. Dem Verlag V& R unipress danke ich für die Möglichkeit der Veröffentlichung des Buches in ihrem Verlagsprogramm. Den Kollegen Prof. Dr. Dr. h.c. Gottfried Adam, Prof. Dr. Dr. h.c. Rainer Lachmann sowie Prof. Dr. Martin Rothgangel gilt mein Dank für die Aufnahme des Buches in die Reihe »Arbeiten zur Religionspädagogik« (ARP). Dem bibor danke ich nicht nur für die Zeit und die inhaltliche Unter-

3 Vgl. hierzu insgesamt auch Eliten und Demokratie – Wirtschaft und Wissenschaft im Dialog […], 1999.

Vorwort

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stützung, sondern auch für die Bereitstellung der finanziellen Mittel, die eine Veröffentlichung erst ermöglicht hat. Bonn, im April 2013

Andreas Obermann

I Teil: Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten – gesellschaftlich-wirtschaftliche und historisch-pädagogische Zugänge

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Von der Berufung zum Job – der existentielle Zusammenhang von Beruf und Lebensbiographie

1.1

Persönlichkeit und Beruf – von der Antike bis heute

Beruf und Arbeit prägten schon immer die Persönlichkeit von Menschen. Der Beruf und das Berufsethos vermitteln seit jeher eine gesellschaftliche Würde und Anerkennung in Form einer spezifischen Stellung und Sicherheit. Der Beruf eröffnete dem Menschen seit der Antike die Teilhabe an einem gesellschaftlichen Identifikationsrahmen. Berufe sind maßgeblich beteiligt am Aufbau des eigenen Selbstwertgefühls mit Auswirkungen auf alle Facetten des Lebens.4 Diese existentielle Bedeutung eines Berufes als identitätsstiftende Größe für einen Menschen zeigt sich z. B. in Familiennamen, die sich unmittelbar vom ausgeübten Beruf ableiten lassen (wie z. B. Müller, Becker, Schreiner oder Schuster). Wenn Goethe in »Wilhelm Meisters Lehrjahre« davon spricht, dass es unerträglich sei, »ein Handwerk, eine Kunst oder irgend eine Lebensart […] ohne inneren Bezug zu ergreifen«, wird diese Einstellung eindrucksvoll durch Friedhöfe als Orte des Erinnerns und des kollektiven Gedächtnisses aufgezeigt. So enthüllen viele Grabsteine den Zusammenhang von Person und Beruf und erinnern bilanzierend der Verstorbenen auch im Blick auf ihre berufliche Tätigkeit. Seit der Antike erzählen Friedhöfe von diesem Zusammenhang von Person und Beruf. Ein römisches Beispiel aus der 1. Hälfte des 1. Jhdt.’s n. Chr. ist z. B. die Urne der Sellia Epyre, die goldbestickte Kleider herstellte und vertrieb und ihr Geschäft an der ›via sacra‹ hatte [Abb. 1]5. Über den Tod hinaus ist der Beruf prägend für ihre Existenz und verleiht ihr Würde und Ansehen in der Erinnerung. Ein anderes 4 Vgl. hierzu Schapfel-Kaiser 2008, der in 14 ff. die Funktion von Berufen treffend als »Identifikationsfolien in der Begegnung mit dem Gegenüber« bezeichnet. 5 Alle Fotos/Abbildungen 1 – 7 von antiken Grabsteinen stammen aus: Museo Nazionale Romano o delle Terme (Thermenmuseum Rom – antike Diokletianthermen).

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Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

Beispiel ist die Grabplatte eines Handwerkers [Abb. 2], der bei marmornen Einlegearbeiten (Entarsien) zu beobachten ist (Rom, 2. Jhdt. n. Chr.). Seine Tätigkeit als Handwerker bestimmt seine Person und verleiht ihm Würde und einen gesellschaftlichen Status über sein irdisches Leben hinaus. Grabsteine des 1. Jhdt.’s aus Rom »erzählen« uns von dem im Showbusiness tätigen Komedian P. Vinicius Laces [Abb. 3] und von Anteros, der als Bänker seinen Lebensunterhalt verdiente und sich mit dieser Tätigkeit identifizierte [Abb. 4]. Aus dem griechischen Pella kennen wir das Relief eines unbekannten Mannes, dessen offensichtlich wegen seines Berufes gedacht werden soll: Er war ein Fischer aus dem 3. Jhdt. n. Chr. [Abb. 5]. Gleichfalls interessant ist der Denker bzw. intellektuelle Mann aus dem Ende des 2., Anfang des 1. Jhdt.’s v. Chr., der ein aufgerolltes Dokument als Zeichen seines Berufes bzw. seiner gesellschaftlichen Stellung in den Händen hält [Abb. 6]. Ein prächtiges Beispiel ist schließlich ein Relief, das neben dem Beruf auch die kulturellen Hobbies und Interessen des Verstorbenen anzeigt. Es stammt aus der Zeit Trajans (98 – 117 n. Chr.) und wurde in Ostia gefunden, dem antiken Hafen der Stadt Rom. Neben der griechischen Inschrift – hier werden zwei Stifter des Grabes für deren verstorbenen Freund Titus Flavius Trophimas genannt – sind auf der linken Seite zwei Handwerker abgebildet: ganz links ein Schuhmacher und rechts davon ein Weber. Höchstwahrscheinlich bilden diese beiden Figuren die berufliche Tätigkeit des Verstorbenen ab. Auf der rechten Seite sind ein Tänzer sowie ein Musiker für die kulturellen Vorlieben des Verstorbenen und seiner beiden Gönner dargestellt. Das Grab gibt persönliche Hinweise auf die Person des Verstorbenen und seinen Lebensstil [Abb. 7]. Ein großer Sprung führt uns von der Antike fast in die Gegenwart und vom Mittelmeerraum an die deutsche Nordseeküste auf die Insel Amrum. Der dortige Friedhof beherbergt viele Gräber und Grabsteine, die auf Grund der Berufstätigkeit zum Gedenken an die Verstorbenen einladen. Begraben ist hier z. B. der Schiffer und Kapitän Harck Nickelsen, der 1706 geboren wurde und dessen Gebeine neben diesem Stein »modern«. Die Inschrift unter dem Schiff gibt die Religiosität des Mannes an (»Durch Creutz und Leiden, zur Himmels-Freuden«), seine auf dem Sandstein niedergeschriebene Berufstätigkeit weckt an ihn die Erinnerung als tapferen Kapitän [Abb. 8].6 Bis heute geben Friedhöfe Auskünfte über den Zusammenhang von Berufstätigkeit und Persönlichkeit. Ein letztes Beispiel führt uns auf einen Kölner Friedhof, wo ein Truckfahrer seine letzte Ruhe gefunden hat und sein Grab seine Berufsidentität deutlich vor Augen stellt. Mit dem Tod hat er seine letzte große Fahrt angetreten. In Schrift und Bild werden hier Identitätsmerkmale des berufstätigen Mannes dargestellt, die die verstorbene Person über seinen Tod hinaus in der Erinnerung prägen [Abb. 9]. 6 Vgl. hierzu ausführlich Quedens 1994, 46 f.

Von der Berufung zum Job

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Grundlegend ist der Beruf zu verstehen als handlungsorientierter Begriff, der eine qualifiziert-spezifische Tätigkeit im Zusammenhang des Systems Wirtschaft und Gesellschaft benennt. Wesentlich ist der Beruf in seinen kommunikativen Zusammenhängen und Wechselwirkungen zu verstehen. Der Beruf integriert den Berufstätigen in die – notwendigerweise arbeitsteiligen (vgl. Thielicke 1959, 1494, S. 410) – wirtschaftlichen Zusammenhänge. Dabei initiiert und gewährleistet der Beruf die (kommunikative) Teilhabe an der Gesellschaft in doppelter Weise: Der Berufstätige leistet einen spezifischen Beitrag für die Gesellschaft und erhält in Folge dessen durch den monetären Ausgleich die Option zur Teilnahme am kulturellen Leben der Gesellschaft. In Zeiten eines noch ungetrübten Wachstums- und Wirtschaftsoptimismus konnte Helmut Thielicke festhalten: Der Beruf ist die Zuordnung eines Menschen zu einer Tätigkeit, die »er (1.) innerhalb der Gesellschaft als dauernde Aufgabe ergreift und verrichtet, für die er (2.) ein bestimmtes Können erwirbt und einbringt, die (3.) für die Ganzheit seiner Person Bedeutung hat und die (4.) in der Regel durch die geleistete Arbeit seinen (und seiner Familie) Lebensunterhalt gewährleistet. Alle diese Momente enthalten kommunikative Bezüge« (Thielicke 1964, 496, S. 147; vgl. dazu auch a. a. O. 145). Damit gehört Berufstätigkeit im idealen Fall wegen ihrer kontinuierlichen Anlage gewissermaßen zum Menschen (vgl. Thielicke 1964, 509, S. 150).7 Ausgehend von dieser – aus vorglobalisierter Sicht – verfassten Bestimmung zum Beruf gilt es nun die gegenwärtigen Rahmenbedingungen der Beruflichkeit sowie der beruflichen Bildung zu skizzieren.

1.2

Der Wandel der beruflichen Sozialisation in der Gegenwart

Der Beruf war lange Zeit ein »Integrationsmedium« zwischen Person, Arbeit und Gesellschaft (Baethge / Solga u. a. 2007, 74). Doch die modernen Ersatzbegriffe für den Terminus ›Beruf‹ – wie z. B. ›Tätigkeit‹ oder ›Job‹ – benennen nur noch bestimmte Teilaspekte des früher umfassenden Berufsbildes und verfehlen so deutlich die Spezifität des einzelnen Berufes bzw. die mit diesem Berufsbild verbundenen Persönlichkeitsmerkmale für den Arbeitnehmer und dessen gesellschaftliche Implikationen. Die Funktionen und Wirkungen des Berufs für die Arbeitenden sind lockerer geworden, seitdem der Beruf zur Arbeit und zum Job mutierte. Das Verhältnis von Beruf / Arbeit zum Arbeitenden hat sich verobjektiviert. Grundlegend impliziert ein subjektives oder ein objektives Verhältnis eines Menschen zu seiner Arbeit auch eine je unterschiedliche Wertung derselben: In 7 Helmut Thielicke ist einer der wenigen protestantischen Ethiker der letzten Jahrzehnte, der dem Phänomen ›Beruf‹ dezidierte Überlegungen widmete.

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Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

subjektiver Sichtweise wird Arbeit verstanden als »komplexe, institutionalisierte Bündelungen der marktrelevanten Arbeitsfähigkeiten von Personen« (Beck u. a. 1980, 20). In nichtpersonaler (objektiver) Perspektive wären Beruf und Arbeit verstanden als »relativ tätigkeitsunabhängige, gleichwohl tätigkeitsbezogene Zusammensetzungen und Abgrenzungen von spezialisierten, standardisierten u. institutionell fixierten Mustern von Arbeitskraft, die u. a. als Ware am Arbeitsmarkt gehandelt u. gegen Bezahlung […] eingesetzt werden« (Beck u. a. 1980, 20). Der Gesetzgeber reagierte auf den Wandel der Soziologie des Berufes mit einem weiten Berufsverständnis. So legt der Grundrechtsschutz Art. 12 GG nahe, unter »Beruf […] jede wirtschaftlich sinnvolle, erlaubte, in selbstständiger oder unselbstständiger Stellung ausgeübte Tätigkeit zu verstehen, die für den Grundrechtsträger Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftliche Gesamtleistung erbringt« (Seiffert / Hömig 2010, 118). Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass sich besonders junge Erwerbstätige und Frauen im Blick auf ihre Arbeit / ihren Beruf eine subjektiv sinnvolle und inhaltlich interessante Berufstätigkeit wünschen (vgl. Heinz 1995).8 Allerdings liegen Wunsch und Wirklichkeit heute oft weit auseinander und lassen sich wegen der Beschäftigungssituation (Arbeitslosigkeit) oder fehlender Qualifikationen nicht immer realisieren. Oft ist der gewählte Beruf nur die »2. Wahl«, ein Beruf auf Zeit oder aber auch der dritte oder vierte Beruf, den eine Person im Laufe ihres Erwerbslebens einschlagen muss. Diese Unsicherheit bei der Realisierung der Berufswahl hat zur Folge, dass der Beruf für Jugendliche heute keinen konstanten (und damit verlässlichen) Faktor mehr darstellt, der ihnen und ihrem Leben Würde verleihen kann (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 49/50).9 Diese Funktion kommt heute generell nur noch bei besonderen – exklusiven – Professionen mit einem hohen Ausbildungsniveau und Identifikationspotential vor wie z. B. bei Ärzten, Rechtsanwältinnen, Lehrerinnen oder Pfarrern (vgl. Wegner 2009, 97). Von daher kann in der Gegenwart von einer identitätsstiftenden Wirkung von Berufen nur noch ansatzweise die Rede sein. Zum Teil ist es sogar zynisch, von der Persönlichkeitsbildung und Identitätsbildung des Berufes zu sprechen (vgl. Wegener 2009, 71 f.), da der Wandel des Arbeitsmarktes im Blick auf die Anforderungen wie auch die Strukturen von Berufen10 neue Bedingungen geschaffen hat für den Zusammenhang von Beruf und Lebensbiographie.11 8 Nach Joachim Gerd Ulrich vom BIBB wünschen sich Jugendliche vor allem drei Aspekte von ihrer Erwerbsarbeit: finanzielle Sicherheit, Spaß und ein gutes Ansehen (mündlich bei einem Vortrag im bibor in Bonn am 12. Januar 2012). 9 Siehe auch Krewerth / Leppelmeier / Ulrich (2004), wo der Zusammenhang von Berufsbezeichnungen auf die Berufswahl von Jugendlichen deutlich herausgearbeitet wird. 10 Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 5. 11 Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf Sellmann 2012, 39, wo er generell das Wegbrechen

Von der Berufung zum Job

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Vor dem Hintergrund dieses Wandels ist es für Arbeitnehmer heute schwieriger, ihre Arbeitsleistung – wie früher den Beruf – in den eigenen Lebenslauf zu integrieren und daraus ein eigenes Persönlichkeitsprofil zu entwickeln. Die berufliche Sozialisationsforschung gibt hilfreiche Einblicke in den Zusammenhang von Identitätsbildung und Beruf. Entscheidende Faktoren dieses Wechselverhältnisses von Sozialisation und Beruf sind demnach das nötige (und erwartete) Engagement in einer lebenslangen Weiterentwicklung der berufsspezifischen Fähigkeiten und das Sich-Einlassen auf normierende Orientierungen in Bezug auf die Arbeitsleistung, die Aufstiegsoptionen sowie das kollegiale Miteinander : Engagement und Weiterbildung im Beruf bestimmen u. a. die Identifikationsmöglichkeiten der Person mit dem Beruf und damit die Sozialisationswirkungen. Weiterhin ist für den Sozialisationsprozess die berufliche Sinngebung entscheidend in ihrer Rückwirkung auf die Person selbst und deren Selbstverständnis. Dabei sind die Sozialisationsprozesse nicht als gewissermaßen mechanische Verinnerlichungen von Qualifikationen, Handlungsnormen oder Sinngebungen zu verstehen. Berufliche Sozialisationsprozesse erfolgen vielmehr durch Reflektionen und Interpretationen der Berufssituation vor dem Hintergrund der jeweiligen Biografie durch die Integration von Einsichten in die Lebensbiographie und ihre Vorgaben (vgl. Volmerg 1978). Entscheidend für die Anlage, die Struktur und die Veranlagung von Berufsbiographien sind als subjektive Faktoren die Erfahrungen der vorberuflichen Sozialisation, der Berufsausbildung und der betrieblichen Arbeitserfahrungen. Die durch die beruflichen Ausbildungsstrukturen, die Arbeitsmarktverhältnisse und die betriebliche Personalpolitik bestimmte Kontinuität oder Brüchigkeit von Berufsbiografien erweisen sich je als Prozess der Persönlichkeitsstrukturierung. Dieser Prozess entscheidet mit darüber, wie Arbeitsumstände wahrgenommen, interpretiert und in betriebliche sowie private Handlungsweisen umgesetzt und in die eigene Person integriert werden (vgl. Heinz 1995, 60). Die frühen berufsbiographischen Schritte sind mit entscheidend für die Anlage einer Berufsbiographie und die Option, diese aktiv mit zu gestalten in einer Zeit beruflicher Diskontinuität. An dieser Stelle ist auch das von Pierre Bourdieu entwickelte (professionstypische) Habituskonzept zu erwähnen, sofern hier in soziologischer Perspektive die subjektiven wie die objektiven Faktoren der Persönlichkeitsbestimmung in ihren gegenseitigen Wechselwirkungen deutlich zu Tage treten. Der Habitus ist zwar ein Resultat des Handelns einer Person, bestimmt aber zugleich wiederum das Handeln. In unserer Frageperspektive stellt das Habituskonzept die Komplexität der Identitätsbildung im Spannungsfeld von persönlichen, gesell»kollektiver Konsenslogiken und Konsenserfahrungen« (39) konstatiert, was in besonderer Weise beim Übergang von der Schule in den Beruf eine Bedeutung zukommt.

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schaftlichen und beruflichen Aspekten dar (vgl. Heil / Ziebertz 2005, 45). Von Gewinn ist diese Perspektive, sofern hier in Zeiten fehlender hinreichender berufstypischer Bestimmungsfaktoren für die Identitätsbildung die Vielfalt der Einflussnahmen in den Blick kommen und damit auch die Relevanz der Interpretationsvielfalt zur Bestimmung der Situation Jugendlicher deutlich wird.

1.3

Die Situation Jugendlicher auf dem Weg ins Berufsleben

Die Berufsperspektive heutiger Auszubildender ist oft getrübt: Kaum ein Jugendlicher wird sein Leben lang in dem erlernten Beruf bleiben, wenn er denn überhaupt die Chance hatte, einen ›ordentlichen‹ Beruf – einen Ausbildungsberuf nach dem Berufsausbildungsgesetz – zu erlernen. Der in früheren Zeiten erlernte Beruf – oft in Familientradition – mit seinem spezifischen Berufsethos gehört weitgehend der Vergangenheit an. Die Berufskarriere Jugendlicher ist kaum mehr planbar. Der Beruf hat seine stabilisierende Wirkung für die Lebensplanung verloren. In diese unwägbare Situation der Lebensplanung (und Berufskonstruktion) kommen mehr als die Hälfte aller Jugendlichen eines Jahrgangs [Abb. 10], sofern mehr als 50 % eines Jahrgangs eine immer noch sehr beliebte duale Ausbildung anstreben (vgl. auch Jungnitsch 2011 sowie Große Kracht 2011). Doch schon ein Blick auf die tatsächliche Wahl sieht anders aus: Nur ungefähr die Hälfte der Jugendlichen eines Jahrgangs, die einen dualen Ausbildungsplatz anstrebten, finden diesen auch [Abb. 11]. Weiter erklärten 76 % der Jugendlichen mit einem dualen Ausbildungsplatz, dass sie mit ihrer Berufswahl zufrieden sind [Abb. 12]. Es sind allerdings nur 76 % aus der Gruppe jener 50 % aller Jugendlichen, die überhaupt einen Ausbildungsplatz bekommen haben. Absolut dürften damit mehr als 50 % der Jugendlichen eines Berufsbildungsjahrgangs, die eine duale Ausbildung anstrebten, in einer unbefriedigenden Situation leben ohne den ersehnten Ausbildungsplatz. Schon vom Start weg ist dieses Ergebnis keine Basis für eine erfüllte Berufslaufbahn. Eine Mehrheit dieser jugendlichen Verlierer sind Hauptschüler12 mit einer Migrationsgeschichte. So jobben Jugendliche mit Migrationsgeschichte häufiger als Jugendliche ohne Migrationsgeschichte und bleiben dadurch (länger) im Übergangssystem13, arbeitslos oder ohne Regelbeschäftigung. Eine Studie des 12 Bei der gesamten folgenden Arbeit werden zur Bezeichnung von allen Gruppen wie Schülern oder Lehrern wegen der Leserfreundlichkeit jeweils die maskulinen Formen verwandt, wobei alle Geschlechter immer mit angesprochen sind. 13 Der Terminus des Übergangssystems unterliegt derzeit einem Wandel, sofern gegenwärtig immer öfter von einem Übergangsbereich gesprochen wird. Der Hintergrund ist hierfür die Erkenntnis, dass die Maßnahmen für Jugendliche im Übergang zwischen Schule und Beruf eben keiner besonderen Systematik folgen, sondern meist disparat nebeneinander existieren

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BIBB und der Bertelsmann-Stiftung zu Reformen des Übergangssystems kommt zu der Überzeugung, »dass in der jüngeren Vergangenheit die Komplexität der Arbeitswelt und damit einhergehend die Qualifikationsanforderungen der Betriebe deutlich gestiegen seien. Somit ist es plausibel, dass das Anwachsen des Übergangssystems zu einem gewissen Teil auch auf die zunehmende Überforderung niedrig qualifizierter Teilgruppen unter den Schulabgängern zurückgeführt wird« (Reform des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung 2011, 9). Dagegen urteilen Baethge und Solga, dass es keinen primären Zusammenhang gebe zwischen dem Anwachsen des Übergangssystems und einer entsprechend hohen Zahl von Jugendlichen mit einer ungenügenden Ausbildungsreife. Den Grund des Übergangssystems sehen sie in Arbeits- und Ausbildungsmarktproblemen und damit in wirtschaftlichen Zusammenhängen (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 39 ff.). Es gibt aus ökonomischen Gründen zu wenige Ausbildungsplätze: »Von einem auswahlfähigen Angebot [an Ausbildungsplätzen; A.O.] kann nirgends mehr die Rede sein« (Baethge / Solga u. a. 2007, 39). Den Verlust der Erfahrung des Berufes als einer verlässlichen Identität stiftenden Größe im Leben Jugendlicher illustriert eine Grafik des BIBB [Abb. 13], die den Verbleib von Jugendlichen 30 Monate nach ihrem Eintritt ins Übergangssystem aufzeigt (vgl. auch Beicht / Ulrich 2009). Während Jugendliche mit einem Ausbildungsplatz (und Studienplatz) relativ konstant in ihrem Bereich bleiben, variieren die Optionen bei Jugendlichen im Übergangssystem und ohne Ausbildung sehr stark. Eine bewusste Lebensplanung ist hier weder ersichtlich noch möglich: So verweilen von anfänglich fast 40 % der Jugendlichen nach drei Jahren immer noch über 30 % im Übergangssystem und von anfänglich fast 20 % Jugendlicher ohne Ausbildung sind nach drei Jahren immer noch über 50 % ohne Ausbildung. Die Maßnahmen bzw. die Optionen des Übergangssystems haben ihnen letztlich nicht viel gebracht und »können den angespannten Ausbildungsstellenmarkt nicht dauerhaft entlasten« (Baethge / Solga u. a. 2007, 57). Das Übergangssystem hat sich etabliert – und ist im Grunde ein neuer Bildungssektor im Schulsystem der BRD.14 Negativ beeinflussend zur Persönlichkeitsbildung im Jugendalter kommt oft die Erfahrung einer strukturellen Entwürdigung hinzu. Viele Jugendliche haben schon während ihrer bisherigen Schullaufbahn demütigende Erfahrungen gemacht, da dort die pädagogische Arbeit oft zu kurz kommt (vgl. Marks 2010, 99 – (in der folgenden Arbeit wird der Begriff Übergangssystem beibehalten, weil er in der zitierten Literatur in gleicher Weise gebraucht wird). 14 Die Kosten für das Übergangssystem belaufen sich allein in NRW für das Schuljahr 2009/ 2010 auf ca. 800 Mio. Euro (mdl. Auskunft von MD Roland Matzdorf, Ministerium für Arbeit, Integration, Integration und Soziales in NRW auf dem GEW-Bildungskongress 2011 am 17. März 2011 in Bochum).

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109). Neben der demütigenden Erfahrung als Lehrling im Betrieb – bis heute oft betraut mit der Erledigung von niedrig eingestuften Hilfsleistungen(-arbeiten) wie Putzen oder Aufräumen – erleben Berufsschüler auch in ihrem Schulalltag unter den Schülern selbst oder auch im Unterricht persönliche Demütigungen und Entwürdigungen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen erleben viele Jugendliche (besonders im Übergangssystem) auch eine intellektuelle Überforderung angesichts gestiegener kognitiver Anforderungen leicht als Entwürdigung. Zugleich erleben viele Berufsschüler angesichts ihrer Lebenssituation als junge Erwachsene und Berufstätige die Schule in ihrer konventionell-klassischen Form generell nicht mehr als die für sie lebensbiographisch angemessene Form des Lernens. Zu Tage tritt dieses ambivalente Erleben von Schule oftmals in spannungsvollen Begegnungen mit ihren Lehrern, die strukturell bedingt sind: Lebensbiographisch zur Welt der Lehrer aufschließend fühlen sich Auszubildende oftmals zu Lehrlingen und Schülern degradiert und entsprechend unwürdig behandelt.15 So stellt sich auch für die berufsbildenden Schulen als dringliche Aufgabe heraus, die Berufsbildung zu einem »Ort […] der Menschenwürde« (Marks 2010, 108) zu machen. Gleichfalls stellen auch Neuerungen in der beruflichen Bildung bzw. die Neukonzeption von Berufen Jugendliche heute vor Herausforderungen. So wird beispielsweise als Folge ökonomischer und arbeitsmarktpolitischer Entwicklungen eine Verschlankung von bestimmten Ausbildungsberufen vorgeschlagen in Form einer Modularisierung, in der nur bestimmte Teilfähigkeiten eines Berufs vermittelt werden.16 In diesem Kontext schlagen Baethge und Solga (2007, 79) eine »eingebettete Modularisierung« vor als »deutsche Variante des EQR […]. Eingebettete Modularisierung meint, dass Ausbildungsmodule / Bausteine im Rahmen von und mit Bezug auf übergreifende Berufsbilder bzw. Berufsfelder konstruiert werden sollten.«17 Für die Autoren steht mit der Lösung dieser Frage auch die Zukunft des dualen Ausbildungssystems auf dem Spiel, weil sich hier entscheidet, inwiefern das duale System in der heutigen Zeit eine angemessene Leistung erbringen kann. Sie fragen, ob das duale System noch mit der Wirk15 Mitunter sind auch der Umgangston und die Kommunikationsregeln zwischen Schülern und Lehrkräften – das allerdings nicht nur an Berufsschulen – mehr rau als freundlich, so dass viele Schüler Äußerungen der Lehrkräfte als Entwürdigung verstehen, wenn diese eigene entwürdigende Schulerfahrungen unverarbeitet in ihrer Gegenwart neu beleben (vgl. hierzu Marks 2010, 116 u. ö.). 16 Eine BIBB-Studie zeigt, dass die Mehrzahl der Befragten eine Zersplitterung (Modularisierung) der Ausbildungskomponenten in einzelne Ausbildungsbausteine und entsprechende Teilleistungen ablehnt (vgl. Reform des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung 2011, 24 ff.). 17 Die Autoren plädieren, die Systematik der »beruflichen Curricula« (a. a. O. 81) zu erweitern. Dahinter steckt die Grundidee der Schaffung von flexiblen Grundberufen und einer Modularisierung der Berufsbildung (vgl. ebd.).

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lichkeit übereinstimmt bzw. »wie weit das traditionelle Berufsprinzip noch tragfähig ist und in welchen Wirtschaftsbereichen es noch strukturbestimmend sein kann« (Baethge / Solga 2007 ebd.).18 Darüber hinaus eröffnet die Modularisierung eine stärkere Möglichkeit der Orientierung am einzelnen Jugendlichen und seinen individuellen Lernoptionen.19 So wurde beispielsweise im April 2008 ein Berufsgruppenmodell für die industriellen Elektroberufe auf den Weg gebracht.20 Seit dem 1. August 2009 können Ausbildungsbetriebe entscheiden, ob sie wie bisher ausschließlich HighTech-Berufe ausbilden oder als Modularisierungsmodell eine geringere »Grundausbildung Elektriker« anbieten, um dann je nach betrieblichen Belangen, Interessen und Fähigkeiten der Auszubildenden eine Spezialisierung anzuschließen. Die angedachte Struktur zukünftiger Ausbildungsberufe [Abb. 14] impliziert entsprechende Ausbildungsstrategien. Es gibt die Kernqualifizierung »Elektriker« – gewissermaßen die »Erstqualifizierung als Sockelqualifizierung« (Arnold / Gonon 2006, 197) – und darüber hinaus eine Zusatzqualifikation für verwandte Arbeitsgebiete. Dies schaffe, so die verantwortliche Innung, mehr Übersicht und Orientierung in der Berufslandschaft. Damit gibt es jetzt die Qual der Wahl, welcher Beschäftigte überhaupt und wenn ja welche Weiterqualifizierung erhält. Und zugleich gibt es eine fachliche Differenzierung, die die Chancen des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen können. Diese hier noch moderat gestaltete Teilqualifizierung – immerhin bleibt der Kernberuf »Elektriker« – kann am Ende zur Auflösung der klassischen Ausbildung führen. Trotz dieser wünschenswerten Flexibilisierung und individuellen Berücksichtigung besteht die Gefahr, dass am Ende einer »modularisierten Ausbildung« mit einer Teilqualifikation kein vollqualifizierender Berufsabschluss mehr steht wie bei klassischen Dualen Berufen. Die Modularisierung kann in dieser Perspektive als Ökonomisierung oder gar als »Ausdruck neoliberalen Denkens« angesehen werden (vgl. Ehrke 2009, 113 – 116). Arbeitsmarktpolitische Entwicklungen bekommen so unmittelbare existentielle Dimensionen, wenn es zu einer »Aushöhlung des Berufsprinzips« komme (Schapfel-Kaiser

18 Vgl. hierzu auch die Ausführungen unter 8.1. 19 Vgl. hierzu Schreier 2011, 13. Die mit der von Schreiers Statement verbundene Neuausrichtung der beruflichen Bildung auf die individuellen Voraussetzungen der Auszubildenden im Blick auf eine möglichst optimale Gestaltung ihres Bildungsweges ist uneingeschränkt zu begrüßen, bedarf jedoch vor allem des politischen Willens zur (finanziellen und schulorganisatorischen) Umsetzung, der Bereitstellung entsprechender Weiterbildungsmaßnahmen für die Lehrkräfte und schließlich auch der Bereitschaft dieser zum entsprechenden Engagement (vgl. a. a. O. 14 f.). Zur Flexibilisierung der Berufsausbildung vgl. auch Euler / Severing 2006. 20 Vgl. zu den entsprechenden Ausführungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.

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2008, 18).21 Umfassende Berufsbilder und fertige Berufe (Berufsausbildungen) gehören dann der Vergangenheit an. Jeder wird sich auf Grund der eigenen Interessenslage, des eigenen Willens und der eigenen Motivation weiterqualifizieren müssen. Die entsprechenden Ausbildungen stehen dann in der Gefahr, ihre identitätsbildende Bedeutung zu verlieren. In dieser Situation muss eine den Jugendlichen gegenüber verantwortliche Ausbildung Sorge tragen, dass die Auszubildenden willens und fähig sind zur Weiterbildung im Sinne eines lebenslangen Lernens. Und Jugendliche müssen sich heute darauf einstellen, dass sie den ersehnten und erlernten Beruf nicht bis an das Ende ihres Berufslebens ausführen werden: mögliche Berufswechsel, vorhersehbare Weiterbildungsmaßnahmen, Zeiten der Arbeitslosigkeit und Arbeitssuche verlangen eine hohe Flexibilität und Mobilität von zukünftigen Arbeitnehmern. Angesichts dieser Situation stellt sich zudem die Frage, wie ein Großteil von Jugendlichen ihr Leben als sinnvoll erfahren und als Person Würde empfinden können. Das Grundrecht der Menschenwürde erleben jedenfalls viele der Jugendlichen nicht, die keinen oder nur einen modularisierten Ausbildungsplatz haben und ihren Platz in der Gesellschaft noch suchen.22 Vor dem Hintergrund dieser existentiellen Reflektion des ›Arbeitsmarktes‹ für Jugendliche gilt es einen Blick auf den Religionsunterricht zu werfen und die Orientierungen, die dieser jugendlichen Auszubildenden auf ihre Lebensfragen bieten kann.

1.4

Beruf, Berufung und das Religiöse – erste Annäherungen

Die Vieldimensionalität des Berufs wird deutlich in einem – in seiner inhaltlichen Ausgestaltung typischen – Mindmap von Auszubildenden einer Lerngruppe von Zerspanungsmechanikern. Auf die Frage »Was ist Arbeit?« mit dem Auftrag, die einzelnen Aspekte aus ihrer Sicht positiv oder negativ zu bewerten, entstand ein aussagekräftiges Ergebnis [Abb. 15]: Vom Lebenssinn bis zum Stress, von neuen Kontakten bis hin zum Mittel zum Zweck, vom Lob bis zum Geld – Auszubildende benennen die Facetten des Phänomens ›Beruf‹ vor allem auch in den Widersprüchlichkeiten ihres eigenen Erlebens. Neben den berufsspezifischen Aspekten finden sich auch persönlichkeitsbildende Faktoren des Berufslebens wieder, die den Auszubildenden wichtig sind: z. B. eine vorgegebene Tagesstruktur oder die Selbstbestätigung durch die Arbeit als Teil des 21 Mit Verständnis für die Notwendigkeit der Modularisierung als schnelles Regulierungssystem auf Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt einerseits und gelassen im Blick auf die negativen Auswirkungen der Modularisierung andererseits reagiert Philipp Gonon (vgl. Obermann 2012, bes. 40 f.). 22 Welche Aspekte für die Jugendlichen bzw. Schüler zur Menschenwürde gehören siehe Feige / Gennerich 2010.

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Lebens. Auffällig ist jedoch, dass Aspekte der Freiheit nicht vorkommen – z. B. die freie Entfaltung bei der Berufswahl oder eine durch den Geldverdienst ermöglichte Gestaltungsfreiheit des eigenen Lebens. Die Ausbildung und der spätere Beruf werden kaum als Chance zur Selbstverwirklichung verstanden und wahrgenommen.23 Diese Assoziationen von Auszubildenden eines Wuppertaler Berufskollegs zeigen den Verlust der allgemeinen Potentiale des Berufes an. Der Beruf verliert seine integrierende Wirkung der Jugend in die Berufswelt bzw. die an der gesellschaftlichen Wertschöpfung beteiligten Bürgerinnen und Bürger (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 73). Das Problem der Verarmung der existentiellen Bedeutung des Berufs liegt zum großen Teil an der arbeitsmarktpolitischen Situation. Da der Lehrstellenmangel meist eine freie Wahl des Berufes verhindert, können Jugendliche eine Selbstverwirklichung in ihrem Ausbildungsverhältnis nicht erkennen und nur vereinzelt erfahren. Diese Einschränkung betrifft aber auch die Entwicklungsmöglichkeiten von Jugendlichen, sofern die Berufswahl oft nicht vor dem Hintergrund getroffen werden kann, was der Jugendliche werden will und wie er sich entfalten möchte. Wenn der ersehnte und den eigenen Fähigkeiten am besten entsprechende Beruf nicht erlernt und/oder ausgeführt werden kann, verliert der Beruf seine identitätsstiftende Funktion und gesellschaftliche Bedeutung: »Weil der Beruf ein wesentliches Mittel meiner Selbstverwirklichung ist, frage ich angesichts der Berufswahl nicht: ›Was soll ich tun?, sondern: ›Was soll ich werden?‹« (Thielicke 1964, 527 S. 156; Kursivierung im Original).24 Die Berufswahl ist nicht nur Ausdruck der eigenen Ermächtigung und Verantwortung zur Lebensgestaltung, sondern auch die Option, den Beruf bzw. die Arbeit mit der eigenen »Existenz verbinden« (Thielicke 1964, 529 S. 156) zu können. Verkommt der Beruf zum Job und generiert damit für den Erwerbstätigen zum Mittel der Erhaltung des Lebensunterhalts, verliert der Beruf seine Funktion als »Selbstausdruck« (Sölle 1988, 109)25 des Menschen. Dieser Verlust des Potentials der persönlichen Selbstverwirklichung im Beruf wird heute oft durch diverse Freizeitaktivitäten kompensiert (gegen Thielicke 1964, 536 S. 159). Die Freiheit der Berufswahl ist in Deutschland im Grundgesetz Art. 12.1 verankert: »Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbil23 Die bleibende Bedeutung des Berufes als gesellschaftliche Größe und als Kontinuum für die Entwicklung der Persönlichkeit von Berufstätigen betont auch Philip Gonon (siehe Obermann 2012, bes. 40). 24 Mitunter erhält der Eintritt in ein Ausbildungsverhältnis ohne wirkliche Option einer Berufswahl tragische Züge, wenn der Beruf nur die »zweite« Wahl ist und dadurch andere Lebensoptionen ausgeklammert werden und verhindern, dass sich ein Jugendlicher im Beruf verwirklichen (finden) kann, da sich das Leben als Prozess einer ständigen Wahl mit gleichzeitigem Ausschluss von Optionen ereignet. 25 Vgl. insgesamt Sölle 1988, 109 – 125 sowie 127 – 138, wo Sölle die sozialen Bezüge von Arbeit erörtert.

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Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

dungsstätte frei zu wählen.« Diese nicht weiter bestimmte Wahlfreiheit versteht sich zunächst als Ausschluss von erzwungener Arbeit (vgl. GG 12.2 und 3). Gab es in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 die Pflicht und damit ein implizites Recht auf Arbeit (Art 163 WRV)26, so findet sich im Grundgesetz dieses Recht auf Lohnarbeit nicht.27 Weiterhin lassen die Industrialisierung und vor allem die Globalisierung der Wirtschaft unter der Maxime der Gewinnoptimierung eine persönliche Selbstverwirklichung für die Mehrheit der Berufstätigen oft nicht mehr zu. Von seiner ursprünglichen Bestimmung und Intention her kann der Beruf um des Menschen willen jedoch nicht allein als Erwerbstätigkeit und Mittel der Gewinnsteigerung gesehen werden. So kommt es durch den Verlust der soziologischgesellschaftlichen Funktion des Berufs zu einer Entfremdung des einzelnen Berufstätigen gegenüber der Gesellschaft als arbeitsteiliger Gemeinschaft aller Bürger, da der Bezug der Arbeit des Einzelnen zur Gesellschaft nicht mehr erfahrbar und erlebbar wird.28 Der Mensch ist aber mehr als ein »Humankapital« (so der Titel von Keeley 2007). Daran knüpft die Forderung an, dass die Arbeit – und mit ihr der Beruf – human bleiben muss. Diese Sorge um die Humanität ist theologisch zu verstehen als die Verhinderung der Sünde der Inhumanität des Berufs (vgl. Körtner 1999, 308 f.). Festzuhalten ist diesbezüglich, dass nicht allein eine berufliche Tätigkeit den Berufstätigen zum Partner der anderen Mitglieder in der Gesellschaft macht. Auch aus der Sicht der theologischen Anthropologie wird der Bürger selbst nicht (allein) durch den Beruf zum Partner für die Gesellschaft. Die Intensität und Mündigkeit der Teilnahme des Einzelnen am gesellschaftlichen Leben ent26 Die ›Allgemeine Erklärung der Menschenrechte‹ formuliert in Art 23,1 ein Recht auf Arbeit: »Jeder hat das Recht auf Arbeit, freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.« Ein Recht auf einen Arbeitsplatz ist damit jedoch auch nicht gemeint – und wäre von der Erklärung her auch nicht justiziabel. 27 Zum Recht auf Arbeit vgl. auch Mieth 2010, 164 – 168. Gegen Thielicke ist aus rechtlicher Sicht gegen seine Aussage Widerspruch einzuwenden, dass »es sowohl ein Recht auf Arbeit wie eine Pflicht zur Arbeit gibt« (vgl. Thielicke 1959, 1513 S. 415; Kursivierungen im Original). In der heutigen Gesellschaft kann es ein solches einklagbares Recht nicht geben. Allerdings ist davon der gesellschaftliche Anspruch unberührt, dass der Arbeitsmarkt so zu organisieren und zu strukturieren ist, dass die Erwerbsarbeit zum Beruf in seinen vielfältigen Facetten werden kann. 28 Dass es sich hier um eine Problemanzeige und keine Pauschalkritik handelt, wird deutlich durch einen Blick in den Bereich der hoch spezialisierten Berufsgruppen wie z. B. den der Facharbeiter : Denn die – gegen die frühe proletarische Kritik – immer weiter fortschreitende Professionalisierung vieler Berufstätigkeiten bringt auch größere Chancen einer möglichen Selbstverwirklichung mit sich, was jedoch meist den Auszubildenden im durchschnittlichen Anforderungsniveau (und damit auch vielen Auszubildenden in so genannten theoriegeminderten Berufen) sowie vielen Jugendlichen im Übergangssystem nicht hilft. Wo allerdings die Arbeit auch heute noch als Beruf verstanden wird, hat der Beruf auch in der Moderne seine Potentialität als Signatur des Lebens und der Person nicht verloren.

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scheidet sich nicht »an dem Grad der Berufsausbildung« (so gegen Thielicke 1964, 516, S. 153; Kursivierungen im Original). Gegenüber Thielickes eher statisch-ontologischem Verständnis von einer Beruflichkeit ist es jede Tätigkeit und Funktion eines Menschen in einer Gesellschaft (eine Nichttätigkeit und Nichtfunktion eingeschlossen), die ihn zum Bürger macht. Das Sein des Menschen setzt ihn in Beziehung zu seiner Mitwelt, eröffnet neue Zugänge zu seinem Selbst und bestimmt so dessen Identität und Persönlichkeit entscheidend mit.29 Am Ende unserer Erörterungen zum Verhältnis von Beruf und Religion (sunterricht) soll der Blick schon einmal auf Martin Luthers Verständnis von Beruf(ung) und Arbeit gelenkt werden.30 Luther hat die Rede von der Berufung radikalisiert, sofern er jedes menschliche Handeln – unabhängig eines möglichen erwerbstätigen Bezugs – als eine Tätigkeit klassifizierte, die im Glauben unter dem Ruf Gottes anzusehen ist. Alles menschliche Handeln ereignet sich unter dem Ruf Gottes und stellt konstitutiv einen Bezug des Menschen über sich selbst hinaus dar. Jedes Tun vermittelt dem je handelnden Menschen einen Selbst- und Fremdbezug und damit potentiell Würde und Anerkennung. Dieses radikale Berufsverständnis hat, wird es ernst genommen, auch für die bundesrepublikanische Gegenwart im beruflichen Kontext theologisch-sozialethische Konsequenzen. Die professionssoziologischen Funktionen des Erwerbsberufes sind heute nicht nur im Blick auf die Erwerbstätigen zu verstehen, sondern als grundlegend-anthropologische Bestimmungen für alle Bürger einer Gesellschaft zu begreifen – diesseits und jenseits einer Beruflichkeit. Die im Beruf zuerkannte Würde und Anerkennung ist auch für die Menschen in der Gesellschaft einzufordern, die aus welchen Gründen auch immer vom ordentlichen Erwerbsleben – dem klassischen ersten Arbeitsmarkt – zeitweise oder permanent ausgeschlossen sind. Die gesellschaftliche Funktion des Berufes ist damit nicht auf die Art und Weise der Ausführung der Erwerbstätigkeit im Sinne eines kulturprotestantischen Berufsethos zu reduzieren. Vielmehr gilt es die professionssoziologischen Funktionen in der lutherischen Radikalität für alle am Erwerbsleben beteiligten wie auch ausgeschlossenen Personen zu formulieren. Eine soziale Gesellschaft steht vor der Aufgabe, allen Bürgern nicht allein durch die Bereitstellung von Arbeit ein berufenes Leben in dem Sinn zu ermöglichen, dass sie als integriertes Glied der Gesellschaft ihre Würde innerhalb dieser Gemeinschaft erfahren können. Dieser Anspruch gilt besonders für jene Mitglieder der Gesellschaft, die sich gerade anschicken ins Berufs- und Erwerbsleben einzutreten: die jugendlichen Auszubildenden sowie alle jungen Erwachsenen, die noch einen Ausbildungsplatz suchen und den Übergang von der Schule in den Beruf 29 Hier setzt die Kritik von Marx und Engels an der Entfremdung an (vgl. hierzu auch Rich 1987, 55). 30 Vgl. zum Themenfeld Berufung die detaillierteren Ausführungen unter 4.3.3.

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gut zu bewältigen hoffen. Gerade diese Jugendlichen mit Startschwierigkeiten in den Beruf wünschen sich eine angemessene Beteiligung am gesellschaftlichen Leben in Form einer sozialen Anerkennung und Zuerkennung ihrer Würde als Menschen. Der BRU eröffnet den Jugendlichen mit und ohne Ausbildungsverhältnis die Reflexion über Fragen der Berufsbiografie. Obgleich der BRU keine Antworten im Sinn von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen liefern kann, bereitet er auf eine berufliche Wirklichkeit vor, die sonst kaum kommuniziert wird und sich den meisten Jugendlichen nicht von selbst erschließt. Angesichts des Wandels der Ausbildungschancen und der Struktur von Ausbildungen können im BRU der Beruf bzw. die Arbeit als theologisch qualifizierte Tätigkeit und als ein für Auszubildende bekenntniswürdiges Thema zur Sprache gebracht werden. Die theologische Würdigung von Beruf und Arbeit kann Auszubildenden ein Selbstwertgefühl verleihen, neue Perspektiven des Selbstverständnisses eröffnen und neue Standpunkte vermitteln. Schöpfungstheologisch kann das geschehen, indem die Schöpfung als »zugesagte Welt« (in Aufnahme von Martin Luther vgl. Bayer 1990, 72) ins Gespräch gebracht wird. In Wort und Tat, Fühlen und Erleben kann der BRU ein Ort »anderer« Erfahrung werden. Aus den Ausführungen ergeben sich Fragen für den weiteren Fortgang unserer Überlegungen: – Wie lässt sich christliche Identität im Berufsalltag gewinnen und bewahren? – Wie kann eine christliche Ethik in Zeiten der Globalisierung und der freien Märkte auf Unternehmensleitbilder einwirken zugunsten der berufstätigen Menschen? – Welche Rolle spielen ethische Fragen in den fachspezifischen und den allgemeinbildenden Fächern der dualen Berufsausbildung? – Welche Relevanz hat der konfessionelle BRU im Kontext der beruflichen Bildung insgesamt? – Welche didaktischen Leitlinien bestimmen den BRU am spezifischen Ort der Berufskollegs (Berufsschulen)? – Mit welchen praktischen Fragen der betrieblichen Alltagsmoral werden Auszubildende und Ausbilder konfrontiert? – Wie wirkt sich das Christsein auf die Kommunikation und die Kollegialität im Unternehmen aus? – Macht sich ein christliches Bekenntnis auf der Leitungsebene eines Unternehmens in der Art der Mitarbeiterführung bemerkbar? – Erleben Christen durch ihren Glauben eine größere Berufszufriedenheit? – Wie beeinflusst eine christliche Sozialisation die berufliche Identitätsbildung?

Die Ausdifferenzierung des (beruflichen) Bildungsverständnisses

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Die Ausdifferenzierung des (beruflichen) Bildungsverständnisses – eine Skizze der Grundlegung der Berufspädagogik

Der Begriff der ›Bildung‹ ist einer der meist polarisierenden und einer der umstrittensten Termini der Gegenwart. Vom Bildungsnotstand zur Bildungsoffensive über die Bildungsreform zur Bildungsverantwortung – der Begriff der Bildung ist zu einem Schlüsselbegriff der Politik wie auch der Wirtschaft geworden. In Zeiten der Globalisierung ist die Bildung das große Kapital der deutschen Volkswirtschaft. Bildung ist »in« und stellt als solche eine der großen Herausforderungen der Gegenwart dar. Obgleich der Europäische (EQR) und der Deutsche Qualitätsrahmen (DQR)31 die bildungspolitische Diskussion unter dem Stichwort des ›lebenslangen Lernens‹ wesentlich bestimmen, wird Bildung immer noch »zumeist mit Schulbildung assoziiert« (Dörpinghaus u. a. 2006, 20). Phänomenologisch ist zu unterscheiden zwischen Bildung und Erziehung. Während letztere mit dem Ziel der Anpassung von Menschen an bestehende gesellschaftliche Gegebenheiten mit dem Ziel eines guten (oder besseren) Zusammenlebens einzuwirken sucht, ist Bildung in geisteswissenschaftlicher Perspektive als der Prozess zu verstehen, in dem der einzelne Mensch seine Fähigkeiten (Qualifikationen) und Kompetenzen fördern und sichern kann. Seine Wurzeln hat das deutsche Bildungswesen in der Aufklärung und wurde als Entfaltung der natürlichen Kräfte der Seele aufgefasst. Bildung sollte jene Zwänge, die das Menschsein beeinträchtigen, erfassen und für die Abschaffung der die Bildung hemmenden Kräfte sorgen. In diesem Sinne konnte Bildung als Grundrecht des Menschen verstanden werden. Im folgenden Abschnitt soll die klassische Diskussion um das Verhältnis von Allgemeinbildung und Berufsbildung skizziert werden, da sie bis heute die Grundlage der Theorie der Beruflichen Bildung – und damit auch des Berufsschulreligionsunterrichts – bestimmt.

2.1

Der Neuhumanismus (Wilhelm von Humboldt)

2.1.1 Die pädagogische Position des Neuhumanismus Im Zusammenhang der einsetzenden Industrialisierung zum Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt. Unzureichende allgemeine Bildungsprozesse hatten zur Folge, dass vielen Menschen die berufliche Handlungsfähigkeit fehlte, um den neuen Anforderungen der 31 Vgl. hierzu www.deutscherqualifikationsrahmen.de (ausführlicher zum EQR und DQR vgl. unten unter 3.3 und 7.1).

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Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

modernen Arbeitsplätze nachkommen zu können (vgl. zum Folgenden insgesamt Menze 1980, 60 f.). Im Zuge der mit der Aufklärung verbundenen Fokussierung auf das Wohl des Menschen wuchs auch der politische Wille, die Menschen dazu zu befähigen, sich auf die verändernden Situationen und Ansprüche einstellen und angemessen darauf reagieren zu können. Die in dieser Umbruchsituation auftretende Verunsicherung in gesellschaftlich-sozialer, politischer sowie ökonomischer Hinsicht führte nicht nur bei der arbeitenden Bevölkerung zum Ruf nach neuen tragfähigen Fundamenten. Die durch Descartes’ Philosophie eingeführte Betonung des eigenen Ichs – »cogito, ergo sum« – als alleiniger Instanz zur Sicherung des Menschen wies diesen wiederum auf sich selbst zurück, was auch Folgen für die Erziehung und Bildung hatte. Beide konnten nicht mehr ungebrochen auf die Tradition und Überlieferung zurückgreifen, sondern mussten die selbstreflexive Individualität in den Fokus nehmen. Entsprechend entwickelte sich die Erziehung von der Einübung in die Gesellschaft und ihre Konventionen hin zu einem stärker mit dem Begriff der ›Bildung‹ zu beschreibenden Prozess mit dem Ziel der Entwicklung der Persönlichkeit und der Befähigung des Selbst zum Leben in der Gegenwart. Es kam zur so genannten »anthropologischen Wende in der Pädagogik« (Menze 1980, 61). Zusammen mit anderen neuen Wissenschaften erwuchs der Pädagogik eine doppelte Aufgabe: Zunächst galt es (1.) unter Hinzuziehung der Nachbarwissenschaften und der Philosophie die neue Lebenswelt zu erfassen und im Blick auf die Bildung (Erziehung) zu deuten, um daraus (2.) eine Theorie der Bildung für den mündig gewordenen Menschen zu entwickeln und zu bestimmen (vgl. Menze 1980, 62). In diese Zeit hinein wurde Wilhelm von Humboldt am 22. Juni 1767 in Potsdam geboren (vgl. hierzu Meyer 1991). 1809 wurde er auf Veranlassung des Freiherrn vom und zum Stein zum Leiter des Kultus- und Unterrichtswesens in das preußische Innenministerium berufen. Wirkungsgeschichtlich ist die relativ kurze Zeit Humboldts als Leiter der preußischen Kultusbehörde (Februar 1809 – April 1810) von nachhaltiger Bedeutung gewesen. Seine theoretischen Überlegungen zielten auf eine bildungstheoretisch fundierte Organisation des Unterrichtswesens, wie sie im ›Königsberger und Litauischen Schulplan‹ von 1809 vorliegen. Eine Folge dessen war die Gründung der (bis) heute nach ihm benannten Humboldt-Universität zu Berlin sowie die Einrichtung des humanistischen Gymnasiums.32 Nach weiteren Diensten für den preußischen Staat führte Humboldts Ablehnung der Karlsbader Beschlüsse Ende 1819 zu seiner Entlassung aus dem Staatsdienst. Danach widmete er sich bis zu seinem Tod am 8. April 1835 in Berlin (Tegel) seinen Forschungen zur Sprachtheorie. 32 Wegen seines kurzen politischen Engagements wurden seine Reformschriften allerdings erst 100 Jahre später wiederentdeckt und gewürdigt (vgl. Spranger 1910, IXf.).

Die Ausdifferenzierung des (beruflichen) Bildungsverständnisses

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Die Biographie und die zeitlichen Umstände des Wirkens Humboldts sind auch inhaltlich maßgebend für sein pädagogisches Schaffen.33 Aus der Diagnose der aktuellen Tendenzen der Zeit in bildungspolitischer Perspektive resultieren für Humboldt Distanz und Kritik. Wir leben in einer Zeit, sagte Humboldt, »wo durch unzählige vereinte Umstände die Aufmerk-samkeit mehr auf Sachen, als auf Menschen, und mehr auf Massen von Menschen, als auf Individuen, mehr auf äussren Werth und Nutzen, als auf innere Schönheit und Genuss gerichtet ist, und wo hohe und mannigfaltige Kultur sehr weit von der ersten Einfachheit abgeführt hat« (Humboldt 1793b, 19). Diese Kritik benennt die Kriterien für die Einrichtung einer anders orientierten Bildungspolitik. Im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen nicht Verhältnisse, Sachen und Resultate, sondern der einzelne sich selbst verwirklichende Mensch, der nicht für ihm fremde Zwecke genutzt werden darf. Deshalb muss er sich selbst in seinen Eigentümlichkeiten verwirklichen und sich nicht äußerlichen Maßstäben, sondern seinem eigenen Maß unterstellen. Nur auf diese Weise kann er seinem Sein gerecht werden und dieses realisieren. Für Humboldt stellt der einzelne Mensch ein Beispiel eines je spezifischindividuellen Menschen dar, der erst zusammen mit der Fülle aller anderen menschlichen Charaktere und Individuen das Ideal der Menschheit bildet. Dabei waren für Humboldt die Griechen (der Antike) der Inbegriff einer Gemeinschaft von harmonischen und edlen Menschen, so dass er in der klassischen griechischen Kultur den Schlüssel zum universellen Verständnis der Menschheit sah. Folgerichtig war es für ihn das Studium der griechischen Sprache und der griechischen Kultur, das zur Erziehung gelungener Menschheit beitragen konnte: »Für Humboldt repräsentiert der griechische Mensch, genauer noch der Athener, das ideale Bild einer veredelten Menschheit, die dazu in der Lage ist, sich in einem unaufhörlichen Streben eine vollendete Gestalt zu verleihen« (Borst 2009, 86). Humboldt war überzeugt, dass jeder Mensch auf seine Weise die in ihm wurzelnde Idee und das Ideal der Menschheit hervorbringen könne: »Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welcher die wechselnde Neigung, sondern welche die ewige unveränderliche Vernunft in ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen« (Humboldt 1792, 64). Die auf der Sprachfunktion basierende Bildung weist nach Humboldt eine dreifache Perspektive auf: Es handelt sich dabei (1.) um das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, (2.) das Verhältnis zum Mitmenschen und (3.) das Verhältnis zur Welt (vgl. Dörpinghaus u. a. 2006, 68). Von daher hat 33 Humboldt profitierte bei der letztlich wirksamen Durchsetzung seiner Ideen und Vorstellungen auch davon, dass er diese in einer günstigen zeitgeschichtlichen und politischen Situation publizierte und institutionalisieren konnte, nämlich der Umbruchsituation und Neuorientierung in Folge von Industrialisierung und Aufklärung.

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die Bildung die Aufgabe, dass der Einzelne sich in Reinheit ausprägen kann, um in seinen Lebensverhältnissen und -bezügen das Ideal in die Fülle (Totalität) zu bringen – und mit dessen Fortschritt zugleich auch einen dauernden spezifischen Nutzen für die Menschheit insgesamt zu leisten (vgl. Menze 1963, 62 ff.). »Das Griechentum gilt ihm eher als ein normatives Muster, insofern es den zur Vervollkommnung begabten und verfeinerten Menschen der Moderne vorwegnimmt, den Menschen also, den es qua Bildung anzustreben gilt« (Borst 2009, 86). Aus diesen Erwägungen resultiert die Forderung nach dem Menschenrecht auf Bildung – nicht nur um des eigenen Nutzens eines Einzelnen willen, sondern zugleich auch um des Nutzens für andere Menschen willen. Die von fremden Zwecken unbeeinträchtigte Selbstdarstellung verhindert jene Entfremdung, die Humboldt schon 1793 dem Wort und der Sache nach als die eigentliche Gefahr der Zeit ansieht (vgl. Humboldt 1793a, 234 – 240), gegen die allein die Aktivierung der Bildung des Einzelnen als Heilmittel aufgeboten werden könne: Die Verzweckung der Bildung im Sinne Humboldts ist deshalb nichts anderes als der permanente Versuch der Aufhebung der den Menschen jeweils bedrohenden, ihn in fremde Abhängigkeiten verstrickenden Entfremdung. So ist Bildung nicht Bildung zu etwas, sondern Selbstbildung zum Wohle der Gesamtheit (Gesellschaft) wie auch der eigenen Person. Für Humboldt ist eine sich entwickelnde Bildung ein lebenslanger Prozess. Im Laufe des Lebens erst entwickeln sich manche Kräfte und Züge eines Menschen und kommen dann erst zur Geltung. So entdeckt Humboldt lebensbiographisch in seinem eigenen Leben auch im Alter immer noch neue Entwicklungen und Facetten, die im Wesen seiner Existenz angelegt sind. In diesem Sinne schreibt Humboldt in seinem 34. Brief an Charlotte Diede am 26. Juni 1832: »Die Entwicklung aller Keime aber, die in der individuellen Anlage eines Menschenlebens liegen, halte ich für den wahren Zweck des irdischen Daseins, nicht gerade das Glück« (Humboldt 1832, 171). Der gebildete Mensch, der um das ihm Eigene und dessen Entwicklung weiß, kann und muss auch Bürger sein, also Handelnder in bestimmten sozialen und gesellschaftlichen Kontexten. Er ist also nicht die Funktion von etwas ihm Vorgegebenen oder Aufgetragenen oder das Produkt seiner Umgebung, sondern vor allem anderen er selbst als ein selbstreflexives Selbst. Humboldt will den Menschen bilden, damit er die Wirrnis der Zeit aushalten und überdauern kann, damit er sich selbst nicht fremd wird, sich nicht verliert in die Anonymität gelenkter Massen oder in Abhängigkeiten gerät und von fremden Zielen und Zwecken bestimmt wird. 2.1.2 Humboldts Bildungsorganisation Zur Verwirklichung seiner pädagogischen Theorie der allgemeinen Menschenbildung entwickelte Humboldt die Vorstellung einer in Stufen gegliederten

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umfassenden Bildung: die Elementarschule für alle, das Gymnasium und die Universität. Die Vorbereitung auf den Übergang zu Universität und damit zum geistigen Leben ist Aufgabe der Gymnasien – allerdings so, »dass nicht sie als Schulen berufen sind, schon den Unterricht der Universitäten zu anticipieren, […] sondern dass der Uebertritt von der Schule zur Universität ein Abschnitt im jugendlichen Leben ist, auf den die Schule im Falle des Gelingens den Zögling so rein hinstellt, das er physisch, sittlich und intellectuell der Freiheit Selbstthätigkeit überlassen werden kann und […] eine Sehnsucht in sich tragen wird, sich zur Wissenschaft zu erheben, die ihm bis dahin nur gleichsam von fern gezeigt war« (Humboldt 1810, 260/261). Der Schulunterricht zielt nach Humboldt auf das Allgemeine der Bildung und nicht auf einen Kanon von Inhalten, den ›man‹ heute wissen muss und der zum Teil fälschlicherweise mit ›Allgemeinbildung‹ identifiziert wird (so z. B. bei Schwanitz 1999). Humboldt schreibt dazu im Litauischen Schulplan: »Der Schulunterricht führt den Schüler nun in Mathematik, Sprach- und Geschichtskenntnis bis zu dem Punkte, wo es unnütz seyn würde, ihn noch ferner an einen Lehrer und eigentlichen Unterricht zu binden, er macht ihn nach und nach vom Lehrer frei, bringt ihm aber alles bei, was seine Lehre beibringen kann« (Humboldt 1809c, 191). Dabei gilt: Lehre, Forschung und Wissenschaft sollten sich je in Freiheit entwickeln und verwirklichen können. Weder der Staat selbst noch eine staatliche Institution sollten Einfluss auf die Bildung nehmen können. Für Humboldt vollzieht sich Bildung nicht allein in gezielter pädagogischer Interaktion, sondern in der menschlichen Gesamtpraxis aller denkbaren gesellschaftlichen Tätigkeiten: in der Pädagogik, Politik, Arbeit, Kunst und Religion. Realisierbar hielt Humboldt sein Bildungsziel alleine im Zusammenwirken des einzelnen Menschen mit der Gesellschaft, mit der Kultur und mit organisierten Bildungseinrichtungen. Erst im Zusammenwirken individueller und gesellschaftlicher Charakteranlagen könne es zu gebildeten Menschen kommen, die dann selbst ein Ausdruck wahrer Humanität wären. Nicht die Nützlichkeit der Bildung war das Kriterium guter Bildung, sondern allein der Beitrag zur Vergrößerung der Humanität bzw. des humanitären Potentials der Gesellschaft bzw. der Menschheit. 2.1.3 Die Unterscheidung von allgemeiner und spezieller Bildung Humboldt unterscheidet bei seiner Konzeption von Bildung zwischen einer allgemeinen und einer speziellen Bildung. Die Argumentation Humboldts für diese Trennung verläuft auf insgesamt drei Ebenen. Die (1.) Ebene nimmt den Menschen in den Blick, für den die spezielle Bildung nicht auf Kosten der Allgemeinbildung stattfinden darf. In dem für die bildungsreformerischen Intentionen überaus wichtigen Verwaltungsbericht der Sektion des Kultus und Un-

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terrichts an den König vom Dezember 1809 äußert Humboldt: »Es giebt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besondern Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Giebt ihm der Schulunterricht, was hierzu erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufes nachher sehr leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschiehet, von einem zum anderen überzugehen« (Humboldt 1809a, 218).34 Der umgekehrte Weg, nämlich von einer speziellen Bildung auszugehen und eine allgemeine Bildung im Anschluss an die Spezialbildung zu verwirklichen, ist für ihn nicht gangbar : »Fängt man aber von dem besondern Berufe an, so macht man ihn einseitig, und er erlangt nie die Geschicklichkeit und die Freiheit, die nothwendig ist, um auch in seinem Berufe allein nicht bloss mechanisch, was Andere vor ihm gethan, nachzuahmen, sondern selbst Erweiterungen und Verbesserungen vorzunehmen. Der Mensch verliert dadurch an Kraft und Selbständigkeit« (Humboldt 1809a, 218). Humboldt stützt diese Argumentation mit einer pragmatischen Erwägung. Jede Spezialbildung bringe die Einschränkung einer vielseitigen Verwendung mit sich, so dass ein speziell gebildeter Mensch beruflich festgelegt sei, was auch für diesen Menschen als Person gelte. Zugleich schränke sich auch der Staat als Träger der Spezialbildung im Blick auf die gesellschaftliche »Verwendung« dieses Menschen mehr als nötig ein, was ihm selbst zur Last werden könne. Demgegenüber soll die allgemeine (»reine«) Bildung die Abhängigkeit des Menschen von bestimmten Berufen und vorgeprägten Lebenssituationen reduzieren und es ihm ermöglichen, sich schnell in verschiedenen speziellen Bildungen zurechtfinden zu können. Entsprechend thematisiert die (2.) Argumentationsebene die Gefahr der Verzweckung durch die Spezialbildung. Erst eine der Spezialbildung vorangehende und diese gründende Allgemeinbildung kann verhindern, dass der Schüler sein Selbst nicht entfaltet. Von daher ergibt sich, dass die Spezialbildung der Allgemeinbildung folgen müsse: »Alle Schulen aber«, so Humboldt, »deren sich nicht ein einzelner Stand, sondern die ganze Nation, oder der Staat für diese annimmt, müssen nur allgemeine Menschenbildung bezwecken. – Was das Bedürfniss des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muss abgesondert, und nach vollendetem allgemeinen Unterricht erworben werden. Wird beides vermischt, so wird die Bildung unrein, und man erhält weder vollständige Menschen, noch vollständige Bürger einzelner Klassen« (Humboldt 1809c, 188). Weiterhin brächte eine Vorordnung der Spezialbildung das Problem mit sich, dass viele Jugendliche erst im Laufe der 34 Vgl. hierzu auch Menze 1980.

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Entfaltung ihres Selbst die Reife erlangen, einen Berufswunsch zu entwickeln. Eine gelingende Spezialbildung setzt die Entwicklung des Selbst und damit die Entscheidungskompetenz der Jugendlichen voraus. Der historische Hintergrund der Humboldtschen Kritik war die Bürgerschule, in der allgemeine sowie auch berufliche Bildungsziele im Fokus standen, was eine frühe Spezialisierung zur Folge hatte. Laut einer Verfügung der Sektion vom 24. September 1811 würden in der Bürgerschule Schüler »aufs höchste mechanisch abgerichtet zu diesem und jenem, in dem aber die tiefste allgemeine Kraft des Menschen, die alle anderen Kräfte vereinigt, schlummerte, das also doch im Grunde einseitig und ungelenkig, dabei voll Egoismus und keines höheren Strebens fähig im Leben sich bewegen würde. Ja, selbst diesen Zweck, tüchtige Berufsmenschen zu erziehen, würde man nur höchst unvollkommen erreichen, indem das bloß historisches Erlernen des unmittelbar Praktischen durchaus kein lebendiges, gründliches Wissen erzeugen kann, und die Schüler folglich dennoch keine wirklich anwendbare Kenntnis ins Leben mit hinüber bringen würden« (Süvern 1829, 173). Humboldts Kampf gegen das berufsbezogene Schulwesen wendet sich gegen jene ökonomischen Kräfte, die Schulen zur eigenen Selbstreproduktion nutzen und auf eine damit verbundene Funktionalisierung des Menschen zielen. Humboldts Schule der reinen Menschenbildung will an dieser Stelle ein Korrektiv sein. Somit deckt sich der Ausbau des beruflichen Bildungswesens mit den Maßnahmen Humboldts, sofern die spezielle nicht mit der allgemeinen Bildung vermischt werden soll und so die eine Bildung die andere zu ersetzen sucht. So erklärt Humboldt, »dass es viele SpecialSchulen gebe und kein bedeutendes Gewerbe des bürgerlichen Lebens eine entbehre. Was man in Bürgerschulen in Technologie lernt, liesse sich sehr gut mit den Kunstschulen, in denen ja viele Handwerker schon jetzt unterrichtet werden, verbinden« (Humboldt 1809c, 175). Von Humboldts Konzept her bestehen somit nicht die geringsten Einwände gegen Berufsschulen, wenn sie auf der allgemeinen Menschenbildung aufbauen und nicht einer Verzweckung des Menschen dienen. So wird schon 1817 die Notwendigkeit betont, die allgemeine und die berufliche Bildung miteinander zu verschränken: »Nicht Bäcker, noch Bauer, noch Gerber, noch Verfertiger von Spinnstühlen sollen gebildet werden; nur das Dasein, nur die Grundsätze derjenigen Wissenschaften, worauf alle Gewerbe, die verarbeitenden vorzüglich, beruhen, sollen die jungen Leute in den Schulen kennen lernen; nur die Anregung weiter zu geben und geben zu können, soll gegeben und dies zugleich das Mittel zu ihrer höheren formellen Bildung werden. Nur darin möchte man die spezielle Bestimmung der Schule erkennen, dass die Beispiele in der Chemie, Physik, Maschinenlehre vorzüglich aus den den Schülern bekanntesten Gewerben gewählt, in der Naturgeschichte die Gegen-

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stände des Himmels vorzüglich Herausgehoben würden« (Kunth 1817, 363; zitiert nach Menze 1980, 69).35 Der (3.) Argumentationsgang sucht schließlich die Verbindung beider Bildungsebenen herzustellen. Vordergründig beruht die spezielle Bildung auf der allgemeinen Bildung, während sich die allgemeine Bildung in der Spezialbildung je und je aktualisiert und sich in dieser auch bewähren muss. Gleichzeitig ist die Spezialbildung abhängig von der allgemeinen Bildung, weil letztere die Basis für die Spezialbildung darstellt. Von daher schließen sich für Humboldt die allgemeine und die spezielle Bildung auch nicht gegenseitig aus. Ein wahrhaft gebildeter Mensch bedarf der Fähigkeit, sich gegen die vielfachen Anforderungen und Abhängigkeiten zu wehren, die ihn zu verzwecken suchen. Er muss sich diesen entziehen und sich auf sich selbst zurückziehen können. An dieser Stelle wird Bildung zu jenem Korrektiv, durch das ein Mensch die Gefahr der Verzweckung erkennen und sich gegen diese wehren kann. Zwar ist ein Mensch damals wie heute immer wieder gefordert, als Bürger und Arbeitnehmer zu fungieren, jedoch darf diese Funktion nur auf der Grundlage der reinen Menschenbildung verwirklicht werden. Der geforderte Mensch muss sich jederzeit von der Funktion ohne Verlust seines Selbst zurückziehen können. Der Mensch muss zwar bestimmte Funktionen ausüben, soll aber als Person in diesem Tätigsein nicht aufgehen (identisch werden). Auch eine Auslieferung an den Beruf bedeutet eine Fremdbestimmung und somit die Verhinderung von Selbstverwirklichung. Nach Humboldt wäre das Unbildung, weil sich der Einzelne nicht in der ihm eigenen Identität verwirklicht und seine Idealität so nicht zum Vorschein bringen kann. Der Mensch muss sich spezialisieren, sich aber gleichzeitig auch aus den jeweiligen bestimmten Spezialisierungen zurückziehen können – und dadurch die Fähigkeit entwickeln, auch in Zeiten beruflicher Neuorientierungen und Ausrichtungen sich selbst treu bleiben zu können36. Deshalb ist eine qualitative Trennung in eine allgemeine und eine spezielle Bildung erforderlich, ohne den konstitutiven Bezug der beiden zueinander zu verlieren. In Humboldts Worten lautet die Begründung: »Beide Bildungen – die allgemeine und die specielle – werden durch verschiedene Grundsätze geleitet. Durch die allgemeine sollen die Kräfte, d. h. der Mensch selbst gestärkt, geläutert und geregelt werden; durch die specielle soll er nur Fertigkeiten zur Anwendung erhalten. Für jene ist also jede Kenntnis, jede Fertigkeit, die nicht durch vollständige Einsicht der streng aufgezählten Gründe, oder durch Erhebung zu einer allgemeingültigen Anschauung […] die Denk35 Vgl. insgesamt Menze 1996, 417 – 434. 36 Als Anschlusshorizont für die Leistung der Unterscheidung von spezieller und allgemeiner Bildung heute siehe unter 7.1 die hier vertretene gegenwärtige Verantwortung einer polyvalenten Berufsausbildung von Jugendlichen angesichts unsicherer und gebrochener Berufsbiographien sowie unter 9.3.3 die entsprechende Rede von der Fähigkeit der Kontingenzbewältigung.

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und Einbildungskraft, und durch beide das Gemüth erhöht, todt und unfruchtbar. Für diese muss man sich sehr oft auf in ihren Gründen unverstandene Resultate beschränken, weil die Fertigkeit da seyn muss, und Zeit oder Talent zur Einsicht fehlt. […] Ein Hauptzweck der allgemeinen Bildung ist, so vorzubereiten, dass nur für wenige Gewerbe noch unverstandene, und also nie auf den Menschen zurückwirkende Fertigkeit übrig bliebe« (Humboldt 1809c, 188).

2.1.4 Humboldt heute – ein Ausblick Heute besteht unter Humboldtforschern der Konsens, dass Humboldt »den Grundsatz neuzeitlicher Bildungstheorie mitbegründet« hat (Benner 2003, 21). Allerdings gehen die Meinungen über das Verständnis seiner Bildungstheorie insgesamt, über ihre Interpretation und die gegenwärtige Bedeutung der humboldtschen Bildungstheorie weit auseinander. Nach Benner korrespondiert der ursprünglichen bildungstheoretischen Erkenntnis Humboldts die Einsicht Fichtes »in die Unhintergehbarkeit und Unableitbarkeit des Selbstbewusstseins, welche in ihrem tiefsten Kern darauf verweist, daß das Ich sich seiner selbst niemals reflexiv vollständig vergewissern kann, sondern in allem Wissen und Nicht-Wissen um sich selbst stets als Ich voraussetzen muß. Als vorausgesetztes Ich ist es immer zugleich Subjekt und Gegenstand des Um-sich-Wissens, also nicht reflexiv erzeugtes, sondern ursprünglich tätiges Ich« (Benner 2003, 31). Humboldt wusste also um die spannungsvolle Grundstruktur einer neuzeitlichen Bildung. Der sich in und durch Bildung realisierenden Selbstbestimmung des einzelnen Menschen ist affirmativ weder durch die Pädagogik selbst – noch durch die Politik – ein Ziel zu setzen. Jede affirmative Festlegung ist mit der neuzeitlichen Frage nach der bildenden Bestimmung des Menschen grundsätzlich unvereinbar. Die neuzeitliche Bildungstheorie begreift die Frage nach der Bestimmung des Menschen als Aufgabe einer fortschreitenden Verständigung über die je individuellen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen (vgl. hierzu Benner 2003, 14). Vor die bis heute diskutierte Alternative von materialer und formaler Bildung gestellt würde Humboldt tendenziell zur formalen Bildung tendieren, da ihm die Selbstbildung des Menschen am wichtigsten war. Zugleich waren für sein Bildungsverständnis die Welt als das bildende Gegenüber des Menschen und konkrete Fächer wie das klassische Griechentum wesentlich als bildungsfähige Faktoren. Für Humboldt war weder der Mensch alleine selbsttätig bildend noch die Welt einfach verfügbares Lernmaterial. Bildung ereignet sich vielmehr in der gegenseitigen Erschließung des Menschen mit der Welt als wechselseitigem Bildungsprozess – und findet ihr Ziel im Ertrag für das Individuum wie auch in dessen Folge für die Gemeinschaft (Gesellschaft).

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Die Reformpädagogik am Beispiel der Arbeitspädagogik (Georg Kerschensteiner)

2.2.1 Die anthropologischen Grundlagen der Pädagogik Kerschensteiners Georg Kerschensteiners pädagogisches Wirken – er wurde am 29. Juli 1854 in München geboren (vgl. hierzu Hemel 1992) – ist ohne seine Biographie nicht angemessen zu verstehen. Geprägt war er maßgeblich durch die Zeit obrigkeitlicher Stärke – vom wilhelminischen Zeitalter bis zur jungen deutschen Demokratie in ihrer Schwäche mit der Sehnsucht nach einem starken Staat. Entsprechend war Kerschensteiners pädagogisches Wirken bestimmt von seiner Anerkennung des Staates als vorgegebenem Kontext und Fokus jedes Handelns. Als Junglehrer ab 1871 in einer Dorfschule missfiel Kerschensteiner die strenge Aufsicht und das trostlose mechanische Auswendiglernen als Form des Unterrichtens. Kerschensteiner kritisierte die zu seiner Zeit übliche einseitige Betonung der akademischen Bildung, da das von Humboldt geprägte Bildungswesen viele junge Menschen nicht auf die Lebensnotwendigkeiten des Volkes vorbereitete und die Volksschule und die berufliche Fortbildungsschule verkümmern ließ. Zur Verbesserung seiner Bildung besuchte er 1874 das humanistische Gymnasium der Benediktiner (Abitur 1877), studierte anschließend an der Technischen Hochschule München Naturwissenschaft und Mathematik und promovierte dort abschließend. Von 1885 – 1895 arbeitete er an verschiedenen Gymnasien und wandte als Lehrer neue Methoden wie z. B. Wanderungen, Lehrgänge, Arbeit und Unterricht in Werkstätten, Schulgärten an. 1895 wurde er Stadtschulrat von München und reformierte dort das Schulwesen – z. B. durch die Einführung der fachlichen Fortbildungsschule. Nach einer Phase als Politiker wurde Kerschensteiner 1918 Honorarprofessor an der Universität München, wo er sich bis zu seinem Tod am 15. Januar 1932 der Arbeit an seinen pädagogischen Vorstellungen und Ideen widmete: Seiner Zeit erwachsend sah Kerschensteiner den Menschen primär in seiner »biologischen Natur«, d. h. als System von »Instinkten und Trieben« innerhalb derer der Egoismus vorherrscht: »Die sich kundgebende Einheit dieses Ganzen ist die funktionelle Einheit eines animalischen Triebwesens« (Kerschensteiner 1931, 6 f.).37 Jeder naturgegebenen Individualität ist nach Kerschensteiner eine ganz bestimmte Richtung auf ein bestimmtes Kulturgut angeboren: »Die Lebensform ist eine Entfaltungserscheinung der angeborenen Individualität« (Kerschensteiner 1953, 30). Das dem Menschen immanente Gesetz seiner Entwicklung ist sein individuelles Apriori. »Die angeborene Individualität trägt in ihrem Keime bereits ein individuelles Gesetz in sich, das sie zur Welt des objektiven Geistes in 37 Vgl. zum Ganzen Mühlmeyer 1956, bes. 53 – 88.

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eine bestimmte Beziehung setzt, man kann sagen ein Apriori, das der Individualität ihre Stellung zu den einzelnen Kultursystemen des objektiven Geistes von Anfang an anweist« (Kerschensteiner 1953, 37). Anthropologisch durchläuft ein Mensch in seiner Entwicklung drei Stadien: das Kulturschaffen, das Kulturerleben und das Wecken der Kulturempfänglichkeit. Die wesentliche Aufgabe der Bildung ist es nun, die Empfänglichkeit für Kulturwerte zu wecken und diese zu tradieren. Von daher versteht Kerschensteiner Bildung wesentlich als Tradierung der Kultur (vgl. hierzu Kerschensteiner 1953, 36 f.). Diese Tradierung ist bei Kerschensteiner zweckorientiert verstanden: »Das Leben des Menschen rollt sich ab in einer Verfolgung von Zwecken. […] Je höher der Wert eines Zweckes in unserem Bewusstsein steht, mit desto größerer Energie trachten wir nach seiner Verwirklichung. Die größere Kraftentfaltung wird der Zweck in uns auslösen, den als höchster Zweck anzuerkennen wir innerlich genötigt sind« (Kerschensteiner 1959, 3 f.). Dabei stellt Kerschensteiner die geistigen Fähigkeiten des Menschen – gegenüber der auf Gegenstände fokussierten Pädagogik – in den Mittelpunkt, sofern sie mit Hilfe von Kulturgütern Objektivationen schaffen und so Bildungsprozesse initiieren. Geistige Akte sind ihrem Wesen nach schöpferisch und damit auf Leistung bezogen, ihre Ausrichtung auf einen Wert und seine Verwirklichung sind Leistungen der geistigen Akte, die Kerschensteiner in Anlehnung an Spranger in »theoretische, ästhetische, religiöse, ökonomische, politische, soziale und pädagogische Akte« differenziert (so Mühlmeyer 1956, 56; vgl. auch 61 f.). Für das Gelingen von Bildungsprozessen ist in Kerschensteiners Anthropologie die biologische Veranlagung entscheidend, die er wiederum in vier wesentliche Merkmale unterteilt: »Willensstärke, Urteilskraft, Feinfühligkeit, Aufwühlbarkeit« (Kerschensteiner 1959, 75). Die Kunst der Erziehung bestehe nach Kerschensteiner nun darin, die die Bildung voranbringenden Triebe zu stärken und die sie hemmenden möglichst zu schwächen, dass beim Zögling selbst das Bedürfnis entsteht, gut zu sein (vgl. Kerschensteiner 1931, 168 f.). Aus der biologischen Spontaneität wird geistige Selbsttätigkeit, in deren Zentrum die Willenskraft steht. Die Willenskraft ist für Kerschensteiner der Integrationspunkt des Individuums. In den Willensakten zeichnet sich der geistige Charakter der Person aus und wird nach Inhalt und Form ansichtig. 2.2.2 Der bildungstheoretische Ansatz Kerschensteiners Kerschensteiners Bildungsidee beziehungsweise Bildungsideal besteht darin, den Sinn für Werte zu wecken, sofern Werteerlebnisse sich nicht von selbst eingestellt haben: »Bildung ist ein durch die Kulturgüter geweckter, individuell organisierter Wertsinn von individuell möglicher Weite und Tiefe« (Kerschensteiner 1954, 220). Unter Kulturgütern versteht Kerschensteiner dabei z. B. Wissenschaften, Kunstwerke, Religionssysteme, Gebräuche, Sitten oder sittliche

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Persönlichkeiten. Die Kulturgüter ihrerseits stehen im Dienst eines Überindividuellen und Außerindividuellen – z. B. der Wissenschaft und Kunst, Kirche und Gesellschaft oder des Staates. Nach Kerschensteiner ist man in den bisherigen Ansätzen von einem falschen Verständnis von Bildung ausgegangen, da man seiner Meinung nach die Allgemeinbildung bzw. die Formalbildung schon als Bildung verstanden und damit diese mit Bildung verwechselt hat. Das reine Wissen von Lernstoff und das Einüben bestimmter Funktionen sind zwar wichtig, aber nicht entscheidend für Bildung. Konstitutiv vor dem Hintergrund der Anthropologie Kerschensteiners ist die individuelle Seele – denn diese ergreift die Kulturgüter, um sich an ihnen zu bilden. Entsprechend der individuellen geistigen Struktur der Subjekte können Kulturgüter entsprechender Struktur ergriffen werden, die wiederum der Nachwelt als objektive Güter überliefert werden. Hierbei werden alle Seiten des Menschen in Tätigkeit gesetzt, nicht nur Gedächtnisleitung, sondern auch Gefühl und Wille: »Die Bildung des Individuums wird nur durch jene Kulturgüter ermöglicht, deren geistige Struktur ganz oder teilweise der jeweiligen Entwicklungsstufe der individuellen Lebensform adäquat ist« (Kerschensteiner 1953, 71). Hierin sieht Kerschensteiner das Grundaxiom der Bildung. Wie dabei objektiver Geist und angeborene Individualität bzw. subjektiver Geist zueinander in Beziehung stehen, stellt für Kerschensteiner das eigentliche Problem der Bildung dar. Ihm geht es einerseits um die Anerkennung des autonomen, gesetzgebenden Subjekts, das die Welt der Objekte schafft. Gleichzeitig ist dabei die Anerkennung der objektiven Welt als Ausdruck des objektiven Geistes, dem der Mensch nachgebildet sei, anzuerkennen bzw. zu konstatieren. Kerschensteiner versteht Bildung somit als eine Doppelbewegung von innen nach außen sowie gleichzeitig von außen nach innen – bzw. von Subjekt zu Objekt zugleich von Welt zu Mensch als Bewirkendem und Bewirktem.38 Der subjektive und der objektive Geist stehen in einem korrelativen Wirkungszusammenhang mit gleichem Anspruch: »Die Theorie des objektiven Geistes zeigt, dass objektiver und subjektiver Geist einander ebenso bedingen wie Subjekt und Objekt« (Kerschensteiner 1931, 5). Bildung ist nach Kerschensteiner damit wesentlich ein Selbstgestaltungsprozess des aktiven, spontan-schöpferischen Subjekts, der das Aktiv-Schöpferische im Menschen freilegt bzw. entfaltet. Bildungsprozesse sind von daher nichts anderes als je individuelle Reaktivierungen von objektiven Werten (des objektiven Geistes). Nach Kerschensteiner ist dann von Bildung zu sprechen, wenn ein in einem Kulturgut liegender Wert auf ein aktives Subjekt Einfluss gewinnend dem Subjekt zu einer sittlicheren Teilnahme am Überindividuellen verhilft. Neben aller Individualität ist bei Kerschensteiner die Rolle des Staates für sein 38 Kerschensteiner steht damit in der kulturpädagogischen Tradition von Dilthey, Spranger und Litt (so Mühlmeyer 1956, 68).

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Bildungsverständnis zu betonen, sofern die mit der Bildung mit intendierte Erziehung immer auch eine staatsbürgerliche Erziehung sei. Bildungstheoretisch beruht die staatsbürgerliche Erziehung auf der Betonung der Objektseite im Grundverhältnis der Erziehung, die die subjektive Eigentätigkeit des Menschen beschränken soll. Demzufolge ist Bildung weder als bloße Selbstbewegung und Selbstentfaltung des Subjekts, noch als formale Bildung von Kräften und Anlagen und ebenso nicht als ein bloßes Aufladen des Menschen mit materialen Gehalten zu verstehen. Gebildet ist derjenige, der aufnehmend, erlebend und weiterschaffend an der Tradierung teilnimmt. Die Verwirklichung von Traditionen und Werten ihrerseits kann dem Individuum nur mittels des Staates bzw. der Gesellschaft gelingen. Im Staat sieht Kerschensteiner das höchste und vollkommenste sittliche Gut; diese Ordnung des gemeinsamen Lebens zu erhalten bedarf es der staatsbürgerlichen Erziehung. Jeder Mensch muss eine Funktion im Staat erfüllen, um ein brauchbarer Bürger des Staates zu sein: »Der Weg zum idealen Menschen führt nur über den brauchbaren Menschen. Der brauchbare Mensch ist aber derjenige, der seine und seines Volkes Arbeit erkennt und den Willen und die Kraft besitzt, sie zu tun. Nur in dem Maß, wie ihm das gelingt, kann eine Nation ihn als Menschen bewerten. Dabei kann, wie Goethe sagt, der geringste Mensch komplett sein, wenn er sich innerhalb seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten bewegt« (Kerschensteiner 1954, 47/48). Dieses individuelle Maß bannt die Gefahr einer Überforderung – mit folgender gesellschaftlicher Ausgrenzung – des Einzelnen und eröffnet ihm vielmehr seinen Wert und seinen Platz in der Gesellschaft nach seinem originellen Vermögen. Vor dem Hintergrund dieses – auch beruflichen – Beitrags des Einzelnen für die Gesellschaft versteht Kerschensteiner auch die »Berufsbildung als Pforte der Menschenbildung« (Kerschensteiner 1954, 48). Deutlich wird die Bedeutung des Staates auch in Kerschensteiner Beurteilung von Lehrerfähigkeiten. Eine reine Wissensvermittlung ist bei ihm ein lernbares und mit Methoden anzureicherndes Handwerk. Wenn der Lehrer als Erzieher zum Gemeinsinn und zum sozialen Dienst wirken soll, bedürfe es mehr als Wissensvermittlung und Unterrichtsmethoden. Der Erziehungsauftrag der Schule gehe nicht in Belehrung und Unterweisung auf, sondern die Schulen müssen zu Stätten der Erziehung werden, die wesentlich zur Versittlichung der Gesellschaft beitragen (vgl. zum Bild der Lehrkörper Kerschensteiner 1952). Diese staatsbürgerliche Erziehung, die Kerschensteiner in seiner preisgekrönten Schrift »Die staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend« entfaltete, ist das wesentliche Anliegen der Pädagogik Kerschensteiners (vgl. hierzu Kerschensteiner 1901).

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2.2.3 Das Bildungsideal Kerschensteiners: Menschenbildung durch Berufsbildung Die Idee der Bildung, die nach Kerschensteiner die geistige Struktur der Arbeitsschule bestimmt, ist eine sittliche soziale Idee: »Die tiefste Schicht in der geistigen Struktur der Schule ist also bestimmt durch die Idee der Bildung und durch einen oder mehrere Zwecke, die in der Richtung der Bildungsidee und des Bildungsideals liegen. Man kann die Idee als eine sittlich soziale Idee bezeichnen. Denn der Mensch als Vernunftwesen ist eine sittliche Idee und damit der sittlichautonomen Persönlichkeit zugleich auch die Versittlichung der Gemeinschaft gesetzt ist, so ist die Idee auch eine soziale Idee im weitesten Sinne« (Kerschensteiner 1931, 376 f.). Bildung ist für Kerschensteiner damit grundlegend eine Bildung bzw. Erziehung aller zum Volk. Volksbildung ist Erziehung zur Volksgemeinschaft und damit Mittel zur Erreichung des idealen Endziels aller Kultur. Beginnen muss die Bildung, will sie erfolgreich sein, bei den praktischen Grundinteressen des Kindes: »Alle Erziehung muss mit den natürlichen Grundinteressen des Zöglings anheben, und ihr ganzer Erfolg hängt davon ab, wieweit es dem Erzieher gelingt, die Zwecke, die er beabsichtigt, mit den natürlichen Interessen des Zöglings durch Gewöhnung und Einsicht zu verknüpfen« (Kerschensteiner 1958, 40). Die Voraussetzung für die Wirksamkeit von Bildung ist der Erwerb der Kulturtechniken: lesen, schreiben und rechnen. Die Vermittlung dieser »ersten Bildungswerte« ist für Kerschensteiner die eigentliche Aufgabe der Grundschulbildung. Kerschensteiner geht es dabei um die »Weckung und Stärkung derjenigen Fähigkeiten, mit Hilfe deren die Übermittlung und Ergreifung der höheren theoretischen Bildungsgüter überhaupt erst möglich wird« (Kerschensteiner 1954, 265). Nach der Grundschulbildung führt dieser Bildungsweg letztlich weiter über die berufliche Bildung zur allgemeinen »Menschenbildung« (vgl. Kerschensteiner 1954, 48). Vor dem Hintergrund dieser pädagogischen Skizze proklamierte Kerschensteiner die Arbeitsschule als alternative Bildungsstätte gegenüber der reinen Lern- und Paukschule des 19. Jhdt.’s. Die Arbeitsschule stellte die handwerkliche Arbeit – im ursprünglichen Sinne Pestalozzis – in den Mittelpunkt. Arbeit wurde verstanden als ein pädagogisch-methodisches Prinzip, das nicht allein durch Handarbeit, sondern auch durch geistige Arbeit entfaltet werden kann. Der besondere Nutzen der Arbeitsschule ist es, dass sich der Wille des Schülers bei der Vollendung der Arbeit entwickelt (vgl. Kerschensteiner 1959, 48 f.), wenn »der Vollendungswert zum treibenden Motiv« (Kerschensteiner 1959, 50; vgl. 82 f.) geworden ist. Die Arbeitsschule ist also nicht auf einen reinen »Handfertigkeitsunterricht« (Kerschensteiner 1959, 78) oder die Arbeit im ökonomischen Sinn zu reduzieren. Vielmehr sollten durch die praktische Tätigkeit in der Schule die jugendlichen Schüler durch die Ausbildung ihres Wil-

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lens zu einer höheren Form der Allgemeinbildung geführt und ihr Weg ins Erwerbsleben geebnet werden.39 Neben dem Grundprinzip der Arbeitsschule – Erziehung durch die Tätigkeit von Körperarbeit und Handarbeit – gehören zur Arbeitsschule weiterhin das Prinzip der »Selbstprüfung« (Kerschensteiner 1959, bes. 54 ff.), der damit verbundenen »Selbsttätigkeit« (Kerschensteiner 1959, 55.59.62 u. ö.) und letztlich einer daraus wachsenden Selbstständigkeit und Selbstverantwortlichkeit. Die Hand-Arbeit der Arbeitsschule bewirke zudem eine Lebensnähe und Authentizität der Lernprozesse, vermittele durch die eigenständige Arbeit in Zusammenarbeit mit anderen Schülern die Fähigkeit zur Planung und methodischen Durchführung von Aufgaben, die soziale Ausrichtung in Arbeitsprozessen sowie letztlich auch die Fähigkeit unmittelbarer Anschauung und ganzheitlicher Wahrnehmung. Nach Kerschensteiner gibt es für »die Geister der Volksschüler […] keinen bessern Weg zur Selbstprüfung und zur Sachlichkeit als gerade mitten durch die konstruktiv-technische Arbeit hindurch, die a) der allgemeinen Spontaneität […] gerecht wird, b) zur Selbstprüfung […] zwingt und diese Selbstprüfung restlos bis aufs kleinste durchführen lässt« (Kerschensteiner 1959, 61). In der Möglichkeit der Selbstprüfung liegt ein Grundmerkmal der Arbeitsschule. Die Sachlichkeit, im Sinne eines den Gütern immanenten Wertes, in Übereinstimmung von vorgefasster Sache und Arbeitsprodukt, wird zum obersten Grundsatz der Arbeitsschule. Sachlichkeit wird willensmäßig vollzogen, d. h. die Sache geschieht um der Werte willen. Das Bildungsprinzip ist bei Kerschensteiner die Arbeit. Arbeit ist das Kriterium der Bildung und des im Beruf erfüllten Menschseins. Sie ist das, worum Bildung und Vollendung des Menschen kreisen. Ziel der Arbeitsschule ist die Ausbildung der Urteilskraft und der logischen Denkfähigkeit, die durch selbstständige geistige Arbeit erreicht werden – ein Ziel, das bestens auf eine spätere Berufstätigkeit vorbereitet. Die Aufgabe der Arbeitsschule war es demnach, dem Jugendlichen durch das Erlernen praktischer Tätigkeiten zu einer Arbeit zu verhelfen, die er als seinen Beruf in der Gesamtorganisation des Staates – bzw. als sein Amt im eigenen und staatlichen Interesse – versteht. Das bedeutet für Kerschensteiner einerseits die Versittlichung der Berufsbildung, andererseits soll die Berufsarbeit den Staat in Richtung seines Ideals fördern, so dass der subjektive Persönlichkeitswert zu einem objektiven wird. Letztlich steht damit hinter dem Anliegen der Arbeitsschule das sittliche Gut, den Menschen zum Dienst an seinen Mitmenschen und damit zur Gemeinschaft zu erziehen. Arbeitsschulen sind nötig, »um Menschen zu erziehen, die den Zweck und den Segen des Staatsverbandes an der Wurzel erfassen lernen und ihm in Dankbarkeit ihre Dienste widmen. Wir brauchen sie, 39 Für Kerschensteiner sollte die Arbeitsschule keine Handwerker als billige Arbeiter produzieren, sondern sie zielte auf die Charakterbildung jenseits aller Nützlichkeitserwägungen.

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weil nicht das Buch der Träger der Kultur ist, sondern die Arbeit, die hingebende, sich selbst aufopfernde Arbeit im Dienste der Mitmenschen oder einer großen Wahrheit« (Kerschensteiner 1954, 107). Damit wird die Idee der Bildung zur »staatsbürgerliche[n] Erziehung«. Die in der Arbeitsschule arrangierten Arbeitsgemeinschaften und die initiierte Schülerselbstregierung bzw. Schülermitverantwortung sind die wesentlichen Formen der Einübung sozialer Tugenden und des sozialen Verhaltens: »Volkserziehung ist die systematische Führung und Organisation des Volkes zu gemeinsamer Schaffensfreude« (Kerschensteiner 1954, 28). Für Kerschensteiner ist die Gewöhnung an den Dienst am Mitmenschen das recht verstandene staatsbürgerliche Verhalten – und die die soziale Bildung fördernde Arbeitsschule steht somit im Dienst der staatsbürgerlichen Erziehung: »Erst wenn unsere Bildungsanstalten in gleichem Maße die soziale Berufsarbeit ihrer Zöglinge praktisch aufgreifen, erst wenn sie es sich zum Grundsatz machen, die Kultur des Einzelnen, wo es immer möglich ist, in den freiwilligen Dienst einer Sozietät zu stellen, deren Sozius der Einzelne ist, erst dann wird die Brücke zur Versittlichung des Arbeitsberufes geschlagen. […] Wenn nun keine Veredelung des Arbeitsberufes eintritt, zum mindesten durch seine Bereitschaft auch dem physischen Wohl der Gemeinschaft zu dienen, dann steht nicht bloß die Selbsterhaltung der Gemeinschaft in Gefahr, dann droht auch nicht bloß durch die egozentrische Berufseinstellung dem geistigen Sein der Gemeinschaft der Untergang, sondern dann ist auch die sittliche Wertgestalt aller einzelnen Glieder selbst gefährdet« (Kerschensteiner 1931, 210 f.). Für Kerschensteiner ist demnach die Berufsbildung die eigentliche Menschenbildung, weil der Mensch immer in seiner Realität zu sehen ist und nie losgelöst von seinem Beruf bzw. seiner Arbeit gedacht werden kann. Der Mensch, um dessen Bildung es geht, ist ein ens sociale, das im Ideal der sittlich-autonomen Persönlichkeit erstrebt werden soll. Der gebildet Mensch erhält durch die Arbeitsschule einen festen Charakter und ist als Persönlichkeit umso freier, je öfter er sich willentlich gegen seine sinnlichen Neigungen und Motive entscheidet und für seine geistigen Neigungen und Motive. Mit der Versittlichung der Persönlichkeit wird nach Kerschensteiner zugleich auch immer die Versittlichung der Gesellschaft angestrebt. Die Arbeitsschule ist »jene Organisation der Schule, der die Charakterbildung über alles geht. […] Der Sinn der Arbeitsschule ist, mit einem Minimum von Wissensstoff ein Maximum von Fertigkeiten, Fähigkeiten und Arbeitsfreude im Dienste staatsbürgerlicher Gesinnung auszulösen« (Kerschensteiner 1959, 98/99). 2.2.4 Kerschensteiner heute – ein Ausblick Insgesamt bleibt von Kerschensteiners Bildungstheorie an gegenwärtig interessanten Aspekten festzuhalten, dass er – entsprechend seines Herkommens aus

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der Tradition Pestalozzis – auf die Bildung aller Menschen zielt. Bildung ist dabei konstitutiv als Volksbildung zu bestimmen, die in ihrer Organisationsstruktur auf die Volksschule und Arbeits- bzw. Berufsschule fokussiert ist. Die von ihm entwickelte Konzeption der Arbeitsschule als Schule staatsbürgerlicher Gewöhnung ist charakterbildend angelegt, initiiert die Berufsbildung bzw. deren Vorbereitung, führt zur Versittlichung der Berufsbildung und treibt die Versittlichung des Gemeinwesens voran (vgl. Kerschensteiner 1959, 15 f.). Bemerkenswert ist dabei aus religionspädagogischer Sicht die Intention Kerschensteiners, jedem Menschen nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten durch die berufliche Bildung einen je angesessenen Ort in der Gesellschaft zu ermöglichen. Gleichfalls kann die ethische Ausrichtung der Pädagogik Kerschensteiners jenseits ökonomischer Kriterien auch noch heute als Maß gelten für eine gesellschaftlich verantwortbare Bildungspolitik. Bis heute ist die ethische Orientierung des Berufs, da wahre Berufsbildung Arbeits- und Sozialbildung zugleich sei, eine der spezifischen Aufgaben der Berufsschule. Weiterhin erwähnenswert ist die bis heute geläufige Begrifflichkeit bei Kerschensteiner, sofern er im Kontext beruflicher Bildung – lange vor der modernen Rede von Kompetenzen – von Fertigkeiten und Fähigkeiten und der Motivation zum entsprechenden Tun spricht (vgl. Kerschensteiner 1959, 98 f.). Trotz der genannten und bis heute relevanten Einzelaspekte der Pädagogik Kerschensteiners ist diese in einer Hauptintention in keiner Weise auf heutige Verhältnisse übertragbar. Bildung als staatspolitische Erziehung zu verstehen und zu proklamieren ist angesichts unserer heutigen demokratischen Staatsverfassung, der Mündigkeit und Autonomie des einzelnen Bürgers sowie der zweckfreien Würde des Menschen pädagogisch nicht mehr als angemessen zu sehen. Vielmehr ist diese Pädagogik in ihren Grundsätzen deutlich zu kritisieren: Aus theologischer Sicht kann der Staat nicht der höchste Wert und damit Orientierung für Bildungsziele und -zwecke sein, weshalb auch der »ideale« Mensch nicht als mündiger Staatsbürger zu verstehen ist. Kerschensteiners Pädagogik kann aber heute unter Berücksichtigung der genannten Kritikpunkte eine Anregung für ein ganzheitliches pädagogisches Wirken sein.

2.3

Die Integration von Allgemeinbildung und Berufsbildung als Pädagogik nach ’68 (Herwig Blankertz)

2.3.1 Grundsätze der Pädagogik von Blankertz Nachdem Herwig Blankertz (1927 – 1983) selbst als Auszubildender in der Textilindustrie die berufliche Bildung in Form des dualen Systems in der BRD kennen gelernt hatte (Abschluss 1949 in der Textilingenieurschule), war ihm die

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Überwindung der Trennung von Allgemeinbildung und Berufsbildung (oder spezieller Bildung) ein pädagogisches Anliegen. Blankertz’ Wirken ist dabei in einer Linie mit Wilhelm von Humboldt und Eduard Spranger zu sehen: 200 Jahre nach Humboldts Wirken im preußischen Innenministerium (1809) als Startschuss des allgemeinbildenden Schulwesens, des Hochschulwesens in Deutschland (Preußen) und der gleichzeitigen Implementierung der Trennung von Berufs- und Allgemeinbildung und 100 Jahre nach Sprangers Humboldtrezeption (1909), die nach Blankertz die Basis legte für die in der »Berufsschule vorausgesetzte Möglichkeit von Bildung durch den Beruf« (Blankertz 1963, 126 Anm. 2), war es dann wieder 50 Jahre später Blankertz selbst mit seiner Dissertation (Blankertz 1959), der sich dieser vermeintlichen Fehlentwicklung im deutschen Bildungssystem erneut annahm und in der Schrift »Die berufsbildende Schule« 1960 vertiefte. Humboldt und Spranger kritisch aufnehmend suchte Blankertz aus einer systematisch-historischen Perspektive heraus eine neue – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes humboldtsche – Orientierung zu geben für eine Reform des bundesdeutschen Bildungssystems, was dann in dem Schulversuch Kollegschule in NRW seinen Ausdruck fand. Mit diesem Schulversuch wollte Blankertz ein mündiges und berufsbildungstheoretisch fundiertes Bildungsgangkonzept neu entwickeln und erproben, das zum deutschen Schulsystem konform war. Zugleich wollte er dadurch, dass dieses Konzept Aspekte sowohl des allgemeinbildenden wie des berufsbildenden Schulwesens in sich integrierte, diesen Dualismus auch in curricularer Hinsicht überwinden. Für Blankertz lag die Wahrheit der allgemeinen Bildung in einer Aufnahme (Integration) von beruflichen Bildungsaspekten in die Allgemeinbildung. Allgemeinbildung könne nach Blankertz nur im Medium des Berufs zum Abschluss gebracht werden. Blankertz wusste wovon er sprach, wenn er sich für die Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung einsetzte, da er die Arbeitswelt »von unten« selbst kennengelernt hatte.40 Der in dieser Untersuchung verwendete Begriff der ›Integration‹ deckt sich nicht mit der Verwendung in der neueren bildungspolitischen Diskussion, die seit 2006 das Programm einer inklusiven Pädagogik erörtert – initiiert durch die »UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen« (International Convention on the Protection and Promotion […] 2006). Wird in dieser Diskussion die Integration als eine Inklusion von Menschen mit Behinderung in alle Bereiche der jeweiligen Gesellschaft verstanden, sieht die vorliegende Un40 Blankertz ist mit dieser biographischen Erfahrung eine Ausnahmeerscheinung der bundesdeutschen Hochschulebene wie auch in der Bildungspolitik. Da kaum ein deutscher Hochschullehrer wie Bildungspolitiker die berufliche Bildung aus eigener Anschauung kennt, kommt das komplexe System Berufsschule – oder Berufskolleg – im Berufsfeld deutscher Pädagogikprofessoren nur am Rande aus theoretischer Kenntnis vor und fristet ein Schattendasein.

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tersuchung den Begriff der Integration als Beschreibung der Zusammenführung der meist nebeneinander existierenden Bildungsbereiche der allgemeinen und der beruflichen Bildung. Integration in diesem Sinn soll gewährleisten, dass Schüler in einem einzigen Bildungssystem so unterrichtet werden, dass in berufspädagogischer Perspektive »zugleich humane und gesellschaftlich-politische Kompetenzen erworben werden. Umgekehrt sollen allgemeine Kompetenzen so vermittelt werden, dass sie auch berufsrelevant sind« (Deutscher Bildungsrat 1974, 48; vgl. 47 f. u. ö.). 2.3.1.1 Mündigkeit als Grundprinzip der Pädagogik Der aufklärerische Begriff der Mündigkeit wird von Blankertz auf das gesamte Bildungssystem angewandt, indem er Mündigkeit als das Kriterium ansieht, nach dem im individuellen wie auch im gesellschaftlichen Kontext »neue Wege in Bildungspolitik und Bildungsreform zu suchen und auszuprobieren« sind (Dörpinghaus u. a. 2006, 35/36). Mündigkeit ist ein Zentralbegriff des Denkens und Wirkens von Blankertz. Von daher ist Blankertz’ Darstellung der Geschichte der Pädagogik zu sehen als eine Beschreibung der gesellschaftlichen Aufgabe einer kritischen wissenschaftlichen Pädagogik, die den Befreiungsprozess des Menschen als pädagogische Aufgabe in den Mittelpunkt rückt, was für Blankertz den reinsten Zweck von Bildung bedeutet (vgl. Dörpinghaus u. a. 2006, 42). Entsprechend war es sein Anliegen, die geisteswissenschaftliche Pädagogik als kritisches Korrektiv in einer Zeit wieder neu ins Gespräch zu bringen, als in der Pädagogik mehrheitlich empirische Studien und damit gewissermaßen eine zähl- und messbare Pädagogik als neues Paradigma immer stärker wurde (vgl. zum Ganzen Hentig 1983). Blankertz’ Theoriebeitrag »Theorien und Modelle der Didaktik« (Blankertz 1977) stellte hier wegweisend heraus, dass jenseits »der Tradition und der Statistik […] es eine Eigenstruktur der Pädagogik [gibt]. Sie ist aufklärerischer Natur« (Hentig 1983, 37). An Schleiermachers Grundfrage der Pädagogik – »Was will eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren?« (Schleiermacher 1826, 9)41 – erinnernde Überlegungen trieben auch Blankertz um, da er die Gefahr sah, dass Normen und Werte die geisteswissenschaftliche Basis der Pädagogik zu überdecken suchten und dass dabei das Grundziel der Pädagogik verloren zu gehen drohte, nämlich die Vorbereitung und Freigabe der jungen Generation in ihr Leben in kritischer Autonomie. Die Aufgabe der älteren Generation sei es jedoch, die jüngere Generation bestens auf ihre Aufgaben vorzubereiten, ohne sie auf ihrem Weg festzulegen. Allerdings sollte, wie aus seiner Geschichte der Pädagogik insgesamt zu ersehen sei, die Pädagogik historisch insofern aufgeschlossen sein, als dass sie in ihrem Wirken die Aufgabe habe, aus Fehlern der Vergangenheit zu 41 Vgl. dazu auch 28 und 67 sowie Blankertz 1977, 118 u. ö.

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lernen und Rückschritte in barbarische Zeiten zu verhindern. Für Blankertz heißt Mündigkeit in der Pädagogik die Bereitschaft, durch kritisches Fragen und Deuten der Gegenwart neue Wege der Bildung zu gehen und diese als Reform umzusetzen und auszuprobieren (vgl. Dörpinghaus u. a. 2006, 35): »Die bildungsphilosophisch akzentuierte Darstellung der Geschichte der Pädagogik von Herwig Blankertz beschreibt die gesellschaftliche Aufgabe einer kritischen wissenschaftlichen Pädagogik als die Herausarbeitung und Bewusstmachung des menschlichen Befreiungsprozesses hin zum unbedingten Zweck der Mündigkeit auf seinem jeweiligen geschichtlichen Stand« (Dörpinghaus u. a. 2006, 42). 2.3.1.2 Utilitarismus als kritischer Gradmesser der Pädagogik In seiner Schrift »Berufsbildung und Utilitarismus« erörtert Blankertz (1963) die Bedeutung und Relevanz eines Bildungsbegriffs im beruflichen Kontext zwischen (wirtschaftlich-utilitaristischer) Verzweckung einerseits und freier Fokussierung auf die Persönlichkeit des Lernenden andererseits. Der Hintergrund ist die allgemeine Meinung, nach der die Berufsbildung unter dem Verdacht stünde, letztlich doch nur einer »bloßen Utilität« zu dienen (Blankertz 1963, 7). Das Ziel seiner Ausführung ist letztlich die Entfaltung der früheren These Blankertz’, dass die »Wahrheit der Allgemeinbildung […] die Berufsbildung« sei (Blankertz 1959) – und die Berufsbildung die Aufhebung der Allgemeinbildung. In seiner Schrift legt Blankertz dar, dass die berufliche Bildung der Berufsschule seit ihren Anfängen bei Georg Kerschensteiner, Eduard Spranger und Aloys Fischer »eine vor aller gesellschaftlichen, ökonomischen und technischen Bedingtheit liegende Dimension« (Blankertz 1963, 12) hatte, die sie als eine »Bildungsschule« (Blankertz 1963, 12; vgl. auch 12 f.) ausweise. Blankertz wählt die genannten Pädagogen als Ausgangspunkt der heutigen Diskussion, sofern diese versuchten, die seit dem Neuhumanismus vorgenommene Trennung von Allgemeinbildung und Berufsbildung pädagogisch zu überwinden. Denn diese Trennung ging davon aus, dass jede Form der Berufsbildung deshalb keine Bildung im humboldtschen Sinn sein könne, da sie wegen des Berufsbezugs auf jeden Fall utilitaristisch – im Sinne ökonomischer Zweckmäßigkeit – geprägt sei. Blankertz betont dagegen, dass es vor allem bei Kerschensteiner genuin pädagogische Gedanken gewesen seien, mit denen er in der Wirtschaft bei Meistern, ihren Innungen und Kammern argumentierte, um diese von der pädagogischen Notwendigkeit einer Berufsschule als Bildungsschule zu überzeugen (vgl. Blankertz 1963, 17 f.). Letztlich blieben nach Simon Thyssen zwei Ansichten im Blick auf die berufliche Bildung bestehen: eine »humanistisch-idealistische« Richtung und eine »realistisch-utilitaristische« (so Thyssen 1954, 151 – 159). Im realen bundesdeutschen Berufsschulwesen setzte sich die erste Sicht durch und

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das Berufsschulwesen wurde zum pädagogisch eingegliederten »zweiten Bildungsweg«. Innerhalb der sich nach Kerschensteiner immer mehr autonom und selbstbewusst entwickelnden Berufspädagogik schwand jedoch zunehmend das Ansehen der neuhumanistischen Pädagogik, da gerade diese Richtung die Berufsbildung zugunsten der reinen Allgemeinbildung (vermeintlich) abwertete. So wird Humboldt hier z. B. als Vertreter dieser Pädagogik gesehen, der die Berufserziehung nicht als Menschenbildung gelten lassen wollte (vgl. Blankertz 1963, 20 ff.). Dem gegenüber betont Blankertz, dass Humboldt neben der scharfen Trennung zwischen der allgemeinen Menschenbildung und der Spezialbildung zugleich die Bedeutung der Spezialschulung immer wieder betonte und förderte – z. B. Kunstschulen für Handwerker, Ackerbau-, Handels- und Steuermannsschulen oder Anstalten für nichtwissenschaftliche Ärzte.42 Sie waren für Humboldt gewissermaßen Stätten der Weiterbildung für viele Menschen, die nach der allgemeinbildenden Schule eine Ausbildung in »Specialschulen« (Humboldt 1809b, 175 u. ö.) oder »Specialanstalten« (Humboldt 1809b, 176; vgl. auch Blankertz 1963, 22) erhalten würden. Bei aller Würdigung der Spezialbildung bei Humboldt bleibt jede Spezialbildung dennoch ein bloßer Anhang an die abgeschlossene Allgemeinbildung. Das Kriterium ist bei Humboldt zumindest latent immer wieder der Argwohn, dass jede berufliche Bildung unweigerlich eine Vorbereitung zu besonderen Berufsarten sei und damit nicht der allgemeinen Bildung diene. Blankertz’ Argumentation in der Linie Humboldts wird erst verständlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass er sich gegen eine primär auf die ökonomische Nützlichkeit ausgerichtete Pädagogik wandte. Das Ideal der Aufklärungspädagogik kann im ›homo oeconomicus‹ gesehen werden, dessen einzige Ausrichtung der Ertrag sei. Blankertz wie Humboldt wenden sich also gegen einen reinen Nützlichkeitsaspekt als Kriterium dessen, was gute Bildung sei (vgl. Evers 1807, 8). Das Ziel von Erziehung und Bildung wurde programmatisch unter das Gesetz der Gemeinnützigkeit und der beruflichen Brauchbarkeit gestellt. Bei dieser Priorität des Gemeinschafts- und Wirtschaftsinteresses als Leitbild für Bildung kommt es zur Spannung mit der Selbstentfaltung des Einzelnen als Grundanliegen humaner Bildung. Dieser schon von Humboldt benannte Widerspruch innerhalb des Bildungsverständnisses prägt bis heute die Diskussion – und ist bleibendes Thema.

42 Humboldt fordert vielmehr, »dass es viele SpecialSchulen gebe und kein bedeutendes Gewerbe des bürgerlichen Lebens eine entbehre« (Humboldt 1809b, 175).

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2.3.2 Die Integration von Allgemeinbildung und Berufsbildung: Arbeitslehre und Kollegschule Die von Blankertz (vgl. auch Arnold / Gonon 2006, 165 f.; 185 u. ö.) als Defizit wahrgenommene Trennung von Allgemeinbildung und spezieller Berufsbildung führte ihn zu pädagogischen Überlegungen, die die Trennung zu überwinden helfen sollten. Denn nach Blankertz steht die Pädagogik insgesamt konstitutiv vor der Aufgabe, auch auf die berufliche Bildung als wesentlichem Teil der Allgemeinbildung zu achten. Dies soll geschehen, weil die Schule die heutigen Jugendlichen auf ihre Rolle in der Gesellschaft vorbereiten solle, sei es in Form eines Studiums oder einer Berufsausbildung. Die bildungspolitische Aufgabe der Vorbereitung der Jugend auf ihre zukünftigen gesellschaftlichen Aufgaben bedarf mündiger Bürger, deren Persönlichkeitsbildung die Schule durch ein gleichzeitiges und gleichwertiges »studien- und berufsbezogenes Lernen« (Blankertz 1978, 6) zu gewährleisten habe. Von daher war es auch das Anliegen Blankertz’, das Duale System der Berufsausbildung zu stärken (vgl. Blankertz 1977, 186 f.), damit es seine Aufgaben in einer gesamtpädagogischen Perspektive verantwortlich in den Diskurs einbringen könne, nämlich beim Menschen auch den Prozess der Emanzipation zu initiieren mit dem Ziel des befreiten Menschen. In Blankertz’ pädagogischem Werk sind in dieser Richtung vor allem zwei Begriffe zu nennen, die er maßgeblich inhaltlich bestimmte und die die soeben skizzierte Richtung der Pädagogik anzeigen: die curriculare Einführung des neuen Unterrichtsfaches der »Arbeitslehre« sowie die Schulversuche der »Kollegstufe NW« (NRW). Beide sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. 2.3.2.1 Die Arbeitslehre Mit dem Unterrichtsfach Arbeitslehre ist die alte Frage verbunden, inwieweit die Lebensbereiche Arbeit und Beruf ein Gegenstand der Allgemeinbildung sein können (vgl. Blankertz 1993).43 Einen entscheidenden Impuls für die Idee und Entwicklung dieses Faches gab der »Deutsche Ausschuss für das Erziehungsund Bildungswesen« im Jahr 1964, der mit diesem Fach die kognitive Schulung und eine gleichzeitige manuelle Tätigkeit zusammenführen wollte. Das neue Fach sollte die ›alten‹ Fächer wie Werken, textiles Gestalten und Hauswirtschaft ersetzen. Fünf Jahre später folgte auf die Empfehlung eine Stellungnahme der Kultusministerkonferenz zur Hauptschule (1969). Die Zwischenzeit der bildungspolitischen Diskussion und didaktischen Erörterung prägte maßgebend auch Blankertz (vgl. auch Kledzik 2007). So bemühte er sich (vgl. zum ganzen 43 In der DDR gab es schon 10 Jahre früher (1958) das Bestreben, durch die Einführung des »Polytechnischen Unterrichts« – als einem spezifischen Teil einer umfassenden sozialistischen Allgemeinbildung – eine weite Bildung zu gewährleisten. Nach der politischen Wende 1989 wurde diese sozialistische Bildungserrungenschaft nicht übernommen.

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Folgenden Blankertz 1993, 191 ff.), die Arbeitslehre als »theoretisch anspruchsvolle[.] Lehrgänge[.]« so zu konzipieren, dass sie allgemein akzeptabel sein sollte, um durch die Integration berufsorientierter Kompetenzen in die Allgemeinbildung zu einer größeren Bildungsgerechtigkeit beitragen zu können. Anknüpfend an die Bedingungsfaktoren der sich – auch schon in den 60er Jahren – ändernden Arbeitswelt und Arbeitsbedingungen sowie der Krisensymptome der dualen Ausbildung weist die Arbeitslehre bzw. berufsorientierte Bildung genuin eine inhaltliche Nähe zur allgemeinen Berufspädagogik auf. Für Blankertz muss die Arbeitslehre in didaktischer wie auch curricularer Hinsicht folgende Aufgaben bzw. Ziele erfüllen: Die Arbeitslehre soll (1.) die Zusammenhänge von »Technik, Ökonomie und Politik« (Blankertz 1993, 192) eröffnen und (2.) zu einer »Berufswahlreife« verhelfen, nämlich sich »mit rationalen Kriterien immer wieder neu entscheiden zu können (Mobilität)« (Blankertz ebd.). Darüber hinaus solle die Arbeitslehre (3.) eine berufliche Grundbildung sicherstellen als »erste[r] Stufe einer reformierten Berufsausbildung, die die politisch-ökonomischen Voraussetzungen der Arbeit in der industriellen Gesellschaft« einbezieht. Letztlich soll die Arbeitslehre (4.) die »Theoretisierung des Gesamtzusammenhanges garantieren« (Blankertz je ebd.), damit die Arbeitslehre nicht als ein rein praktisches Unterrichtsfach schulisch als kognitiv defizitär abgestuft werde und zu einer reinen Vorstufe der praktischen Berufsausbildung degradiere und so als Kürzung der Ausbildungszeit fungiere. Die Arbeitslehre heute hat sich als Pflichtfach – außer in Schleswig-Holstein – vor allem in Hauptschulen und bedingt in Gesamtschulen und Realschulen etablieren können. Eine Eingliederung in den gymnasialen Fächerkanon hat die Arbeitslehre nicht geschafft. Die Arbeitslehre ist jedoch weiterhin eine Herausforderung, gegen die sich die Gymnasialtradition insgesamt sperrt, die in ihrer heutigen Ausrichtung in der BRD eine Trennung von Bildung und Ausbildung beibehält. Inhaltlich ist die Arbeitslehre heute geprägt durch fachdidaktische sowie fachwissenschaftliche Aspekte aus Wirtschaft, Technik und Sozialökologie unter besonderer Berücksichtigung der Handlungsfelder Arbeit, Beruf und Lebenswelt. Angesichts der wirtschaftlichen Krisensymptome auf dem Ausbildungsmarkt liegt ein Schwerpunkt auf der vorberuflichen Bildung sowie Berufsorientierung und Berufsvorbereitung. Durch die Vielzahl der Unterrichtsaspekte aus unterschiedlichen Fachbereichen und Disziplinen innerhalb der Arbeitslehre (z. B. Berufs- und Wirtschaftspädagogik; Industriesoziologie, spezifische Fachwissenschaften wie z. B. Metalltechnik) ergeben sich gute Möglichkeiten interdisziplinärer Forschungs- und Lehrvorhaben, die sowohl die Organisation wie auch vor allem die schulpraktischen Umsetzungsoptionen des Faches ›Arbeitslehre‹ prägen.44 44 Zur Aktualität des Faches ›Arbeitslehre‹ und der diesbezüglich diskutierten Themen siehe

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Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

2.3.2.2 Die Kollegschule War die in der Arbeitslehre konzipierte pädagogische Leitidee von Blankertz letztlich auf ein einziges Unterrichtsfach beschränkt, konnte er die Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung im Rahmen des Schulversuchs in NRW im Blick auf eine ganze Schulform, das heißt als Querschnittsaufgabe für alle Fächer und die Bildungsgänge der Schulform insgesamt, entwickeln und erproben: die Kollegschule bzw. Kollegstufe NRW.45 Die Kollegstufe war ein Modellversuch der integrierten Sekundarstufe II in NRW46 mit dem Ziel der Integration von der Allgemein- und der Berufsbildung. In Bildungsgängen der Kollegstufe war eine Doppelqualifikation in Form eines Berufsabschlusses und der Erlangung der (allgemeinen) Hochschulreife möglich und die Trennung von gymnasialer und beruflicher Bildung aufgehoben. Die Absolventen dieser Bildungsgänge hatten damit die Option der Ausübung eines Berufes und wegen der Vorbereitung auf das Hochschulstudium auch noch die Option auf das Studium selbst. Zugleich konnten Schüler durch die berufspraktische Öffnung die Fixierung auf das Hochschulstudium in der gymnasialen Oberstufe überwinden. Die Kollegstufe war der Versuch »einer Integration von studien- und berufsbezogenem Lernen« (Blankertz 1978, 5). Man ging bei der Einrichtung der Kollegstufe davon aus, dass nicht nur die fachlichen Kompetenzen, sondern auch die allgemeinen Kompetenzen durch den Berufsbezug vermittelt werden könnten und umgekehrt. Bildungstheoretisch sollten die Schüler, die einen Beruf erlernen, auch Fähigkeiten des Urteilens und der Verantwortlichkeit erwerben, während Schüler mit Studienabsichten befähigt werden sollten, erfolgreich ein Studium oder eine Berufsausbildung abzuschließen. Diese doppelte Qualifizierung sollte zum einen die Akzeptanz der Kollegstufe bei Schülern steigern und zum anderen zum Besuch der Kollegschule motivieren. Somit ist das Kolleg eine Kombination von der Berufsbildung im herkömmlichen Sinn und der Vorbereitung auf einen Hochschulbesuch. Bildungspolitisch war die Kollegstufe für Blankertz ein geeignetes Instrument, die Bildungsungerechtigkeit des dreigliedrigen deutschen Schulsystems mit seinem elitären Ansatz der frühen Auslese und Zuordnung von Schülern in eine Schulform auf Grund ihrer Begabung zu durchbrechen (vgl. Blankertz 1978, 7 – 11).47 Nach Blankertz spricht gerade die bildungspolitische Entwicklung für die Fachtagung 2 der Hochschultage Berufliche Bildung (jüngst: http://www.uni-due.de/ imperia/md/content/hochschultage-2013/fachtagung_02-arbeitslehre-1.pdf; abgerufen am 27. 12. 2012). 45 Vgl. hierzu zusammenfassend die von Blankertz stammenden einführenden Überlegungen zur Kollegstufe NW (siehe Blankertz 1972, 13 – 79 sowie Blankertz 1977, 201 – 226). 46 Es war der Versuch der Zusammenfassung aller – allgemeinbildender und berufsbildender – Bildungsgänge der Sekundarstufe II in einer Schule für alle Jugendliche. 47 Ergänzend zur Kollegstufe wäre die Gesamtschule das entsprechende Schulmodell für die Sekundarstufe I.

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die Kollegstufe und gegen das System getrennter Schulformen, da sich die gymnasiale Oberstufe in ihrer Differenzierung seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts von ihrem allgemeinbildenden Ideal immer mehr entfernte und sich gleichzeitig die Berufsbildung immer stärker wissenschaftlich orientiert fortentwickelte: »Also: Die Entwicklung in gymnasialer Oberstufe und Berufsbildung gehen aufeinander zu« (Blankertz 1978, 14). Für Blankertz geht es in der Kollegstufe – und als Zielperspektive in einer zukünftigen Kollegschule (vgl. Blankertz 1978, 15) – gerade auch um die europäische Verpflichtung für alle mit Bildung befassten Verantwortungsträger, »in einer technischen Welt die Humanität zu bewahren« (Blankertz 1978, 16). Blankertz sieht jetzt die Zeit gekommen, um frühere Ziele nun einzulösen, nämlich »gleiche Chancen an Bildung, Urteilskraft und gesellschaftlicher Teilhabe für alle« (Blankertz 1978, 16). 2.3.3 Blankertz heute – ein Ausblick Es ist das Verdienst von Blankertz, die Fragen nach der Bildungsgerechtigkeit und der Organisation der unterschiedlichen Schulformen in der BRD in einen didaktischen Zusammenhang gestellt zu haben. Von den Kriterien der Mündigkeit der Bürger eines Gemeinwesens und des Stellenwertes der ökonomischen Nützlichkeit für die Bildung ausgehend, hat er schulpraktische Modelle entwickelt und in der Praxis umgesetzt und wissenschaftlich begleitet, die den neueren bildungspolitischen Entwicklungen Rechnung trugen und ein höheres Maß an Bildungsgerechtigkeit versprachen.48 Im Blick auf den Religionsunterricht ist bei Blankertz’ Ansatz wesentlich, dass der evangelische Religionsunterricht eo ipso persönlichkeitsfördernde Ziele intendiert und die Humanität in anthropologischen wie auch ethischen Fragen als wesentliches Kriterium vertritt. Der Religionsunterricht ist also nicht nur integrationsfähig in den von Blankertz angedachten Modellversuchen, sondern vermag auch einen eigenen Beitrag zu den Metazielen von Bildung beizutragen – er ist gewissermaßen ein kreativer wie auch kritischer Faktor innerhalb des Bildungssystems zwischen einem berufs- und studienorientiertem Lernen.

48 Es ist beschämend, dass erst die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit mit der ansteigenden Zahl von Jugendlichen ohne Ausbildung die Bildungspolitik dazu veranlasst hat, diese Jugendlichen in den berufsvorbereitenden Bildungsgängen in den Berufskollegs NRW nun im Sinne von Blankertz zu beschulen: gleichermaßen und gleichwertig mit allgemeinbildenden wie auch berufsspezifischen Fächern, um ihnen eine Chance in der Arbeitswelt zu ermöglichen. Wie sähe die Lage dieser Schüler aus bei einer früheren Umsetzung integrativer Bildungsbemühungen, wie sie Blankertz schon lange gefordert hatte?

54 2.4

Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

Humboldt – Kerschensteiner – Blankertz: Historische Fährten für ein modernes Bildungsverständnis

Trotz aller theoretischen und gesellschaftspolitischen Veränderungen von Humboldt über Kerschensteiner und Blankertz bis heute blieb die Disjunktion von allgemeiner und beruflicher Bildung bestehen und auch für die Bildungsorganisation maßgeblich – unabhängig der Integration von Kollegstufen (Blankertz). Allerdings ist eine bezuglose Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung genauso wenig möglich wie eine aus einem Vereinheitlichungsstreben resultierende Integration. Der Mensch muss sich im Blick auf sich selbst und im Blick auf die Anforderungen der Gesellschaft bilden. Weil beide Bildungsperspektiven unerlässlich sind, schließen sich allgemeine und berufliche Bildung nicht aus, sondern bedingen einander. Für sich selbst genommen sind beide Bildungsperspektiven je alleine nicht in der Lage, den Anspruch Humboldts einzulösen, dass ein gebildeter Mensch sich auf das konkret-praktische (berufliche) Leben einlassen können muss und sich zugleich auch von ihm distanzieren können soll, um sich nicht in der Spezialität zu verlieren. Diese doppelte Bildungsperspektive könnte – über pragmatische Einzeleinwände hinausgehend – einen neuen Theorieentwurf nahelegen, der auch Möglichkeiten für eine angemessene bildungs- und schulorganisatorische Strukturierung von allgemeiner und spezieller Bildung zur Folge haben müsste. Die Lösung einer solchen Aufgabe wäre angesichts der hier diskutierten Bestimmungen einer integrativen Bildung einerseits wie auch der Komplexität gegenwärtiger Lebenswirklichkeiten unter der Berücksichtigung von speziellberuflichen Bildungsanforderungen andererseits zu realisieren. Die von Humboldt seiner zeitgenössischen Bildung vorgeworfene und bis heute identifizierbare Entfremdung des Menschen von Bildungsbemühungen – heute oft artikuliert als Ausdruck von Ängsten und Befürchtungen – sollte heute nicht mehr zum Rückschritt hinter gewonnene und errungene pädagogische Einsichten oder zur Reduktion gegenwärtiger Komplexitäten führen. Gefragt ist vielmehr ein Realismus, der unter Nutzung der wissenschaftlichen Potentiale und unter Beachtung der gegenwärtigen Zeitsituation eine der Gegenwart angemessene Bildung von den bildungstheoretischen und bildungspolitischen Fesseln der Vergangenheit befreit und vor kurzatmigen Lösungen schützt. So kann ein Bildungswesen entstehen, das wahrhaftig einzulösen vermag, was Humboldts Bildungsideal für den einzelnen Menschen an allgemeiner und spezieller Bildung vorgesehen hatte (vgl. zum Ganzen Menze 1980, 58 – 71).

Berufspädagogische Konzepte im Zeitalter der Globalisierung

3

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Berufspädagogische Konzepte im Zeitalter der Globalisierung – Allgemeinbildung zwischen Menschenbildung und Ökonomie

Nachdem bislang die großen Wegmarkierungen der Entwicklung der Berufspädagogik dargestellt wurden,49 gilt es nun einen Blick in die Gegenwart der Berufspädagogik zu werfen. Dies soll beispielhaft anhand von zwei charakteristischen Entwürfen aus der jüngeren Zeit erfolgen, die beide50 im Folgenden skizziert und auf die Kriterien für berufliche Bildung im dualen Kontext hin diskutiert werden.

3.1

Der berufspädagogische Ansatz von Andreas Schelten

Die »Einführung in die Berufspädagogik« von Andreas Schelten ist einer der führenden gegenwärtigen Entwürfe, die den Spagat zwischen allgemeiner und spezieller Bildung zu bedenken hat (siehe zum folgenden Ganzen Schelten 2004). Insgesamt zeichnet sich das enzyklopädische Werk Scheltens dadurch aus, dass es die gesellschaftlichen Rahmenvoraussetzungen der beruflichen Bildung in ihrer historischen Genese darlegt sowie in die Grundlagen der Pädagogik in beruflicher Perspektive einführt, so dass ihm eine systematisch-historische wie auch didaktisch-pädagogische Einführung gelingt. In seinen einleitenden Ausführungen setzt Schelten beim Begriff der Erziehung ein. Unter besonderer Betonung der Moralisierung als höchster Aufgabe der Erziehung nach Kant (vgl. Schelten 2004, 22 f.) ordnet er der Berufsschule die intentionale Erziehung zu, während die funktionale Berufs-Erziehung im Lehrbetrieb stattfindet (vgl. Schelten 2004, 20 f.; siehe insgesamt 18 – 32). Dazu kontrastiert er den Begriff der Bildung und betont, dass die formale Bildung im berufsbildenden Bereich immer mehr an Bedeutung gewinne (vgl. Schelten 2004, 28). Ausbildung bestimmt Schelten als »eine sehr straff organisierte Form von Bildung« (Schelten 2004, 29). Für unsere Fragestellung relevant betont Schelten die Gleichwertigkeit der Abschlüsse im berufsbildenden System zu denen der allgemeinbildenden 49 Zum Wandel der beruflichen Bildung bis in die Gegenwart vgl. auch Riedl 2010, 110 – 113. 50 Die Einführung in die Wirtschaftspädagogik von Sloane, Twardy und Buschfeld (vgl. Sloane 2004) ist auf den tertiären Bildungsbereich fokussiert und leistet nur rudimentäre Ausführungen zur uns interessierenden beruflichen Bildung des dualen Systems und bedarf von daher hier keiner ausführlichen Darstellung. Die Einführung in die Wirtschaftspädagogik anhand ihrer Strukturbegriffe (vgl. Rebmann u. a. 2003) ist als Studienbuch geeignet für eine Grundinformation über die wesentlichen Sachfelder und Perspektiven der Berufspädagogik, liefert jedoch keinen zusammenhängenden berufspädagogischen Entwurf an sich.

56

Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

Abschlüsse (vgl. Schelten 2004, 44).51 Die in dieser Untersuchung interessierenden Fragen zum Charakter der beruflichen Bildung erörtert Schelten unter dem Stichwort des »Bildungsauftrags der Berufsschule« (so Schelten 2004, 155 – 164). Im Blick auf die Allgemeinbildung benennt Schelten vier Aufgaben des allgemeinbildenden Unterrichts an der Berufsschule: Als Stätte der Fortführung der Allgemeinbildung hat sie die Funktion (1.) des Nachholens bei Defiziten in den Kulturtechniken (Rechnen, Lesen, Schreiben), (2.) der Verstärkung von allgemeinen Bildungsprozessen im Dienst des berufsbezogenen Unterrichts, (3.) der Kompensation einer einseitigen Ausrichtung allein auf berufliche Bildungsziele sowie (4.) des Ersatzes in Fragen z. B. der Umweltbildung oder Mediennutzung, wenn andere Institutionen / Gruppen dieser Aufgabe nicht (mehr) nachkommen, wie z. B. Elternhaus oder Lehrbetrieb (vgl. Schelten 2004, 156 f.). Als einer Stätte der Erziehung kommt der Berufsschule auch die Aufgabe der »Anbahnung von Personal- und Sozialkompetenz« (Schelten 2004, 158) zu, wobei Schelten unter Personal- bzw. Humankompetenz vornehmlich sittliche Tugenden und unter Sozialkompetenz die Fähigkeit zum Umgang mit anderen Menschen versteht. Als »Stätte der ergänzenden Bildung für den Beruf« (Schelten 2004, 158; Fettdruck im Original) soll die Berufsschule die betriebliche Bildung in kognitiven und psychomotorischen Bereichen ergänzen. Darüber hinaus ist die Berufsschule die »Stätte der zweckfreien Bildung durch den Beruf« (Schelten ebd.; Fettdruck im Original). An dieser Stelle geht es um das »›Mehr‹ als […] Nützlichkeitsbildung« (Schelten 2004, 158): »Bildung ist eine autonome Kategorie. Jedermann soll eine umfassende Bildung erhalten, die zuerst einmal dem Menschen selbst dient und über die nachgefragten Qualifikationen des Beschäftigungssystems hinausgeht« (Schelten 2004, 159). Zur Förderung der Berufskompetenz im umfassenden Sinne seien beim heutigen Stand der Entwicklung der Berufsbildung die beiden Lernorte Betrieb und Berufsschule verantwortlich und in der Pflicht (vgl. Schelten 2004, 160). Auch im Blick auf die Schlüsselqualifikationen der beruflichen Bildung betont Schelten die berufsübergreifenden Aspekte beruflicher Bildung und deren allgemeinbildende Intention und Relevanz (vgl. Schelten 2004, 167 – 170). Die Berufskompetenz resultiert für Schelten aus der »Vereinigungsmenge« der Fachund Methodenkompetenz, der Personalkompetenz sowie der Sozialkompetenz und geht zugleich über diese Schnittmenge hinaus, sofern das »Ziel der Bildung von Berufskompetenz […] Persönlichkeitsbildung ist. Der Lernende wird ganzheitlich angesprochen und gefordert« (Schelten 2004, 173, Grafik a. a. O. 172 [Abb. 16]). Gleichfalls wird die Relevanz der Allgemeinbildung bei Schelten deutlich im Kontext der von ihm sehr präferierten Handlungsorientierung gesehen, bei der Schelten deutliche Bezüge zur Reformpädagogik (vor allem 51 Vgl. hierzu ausführlicher unten unter 3.3.

Berufspädagogische Konzepte im Zeitalter der Globalisierung

57

Kerschensteiner und Petersen) ausmacht (vgl. Schelten 2004, 192 – 197). Für die Fragestellung der Arbeit wesentlich ist hier die Feststellung, dass die Handlungsorientierung nach Schelten und die Reformpädagogik eine »ganzheitliche Persönlichkeitsbildung« unter der Prämisse verfolgen, »dass der Mensch eine schöpferische Kraft hat und diese für Unterricht nur freigelegt, nicht aber erst durch Unterricht geschaffen werden muss« (Schelten 2004, 192). Von diesen pädagogischen und didaktischen Grundentscheidungen her kommt Schelten zu dem Ergebnis: »Berufsbildung ist Allgemeinbildung oder Allgemeinbildung ist Berufsbildung« (Schelten 2004, 135 vgl. auch Schelten 2005). Damit wehrt er alle Versuche ab, die berufliche Bildung als minderwertig einzustufen. Zugleich sieht er in den berufsübergreifenden Fächern eine kompensatorische Wirkung bzw. Relevanz (vgl. Schelten 2004, 157). Im Blick auf den Religionsunterricht hält Schelten fest, dass dieser an beruflichen Schulen »unentbehrlich« sei, da er »zusammen mit allen anderen Fächern im allgemeinbildenden und berufsbezogenen Bereich zur Menschenbildung« (Schelten 2007, 310) beiträgt. Die spezielle Funktion des Religionsunterrichts sieht Schelten in der von Immanuel Kant als höchste Aufgabe der Erziehung bezeichnete Moralisierung, sofern erst der Religionsunterricht innerhalb der beruflichen Bildung dafür Sorge trage, dass die Stufe der Moralisierung als Ziel der beruflichen Bildung weiter verfolgt werde. Generell bekommt der Religionsunterricht für Schelten seinen angestammten Platz im Fächerkanon der Berufsschule, weil er das für Bildung konstitutive Wahrheitsmoment aufnimmt und sich so der »Wachheit für letzte Fragen« (Schelten 2007, 309) stellt.

3.2

Der berufspädagogische Ansatz von Rolf Arnold / Philipp Gonon

Das Gemeinschaftswerk der beiden Berufspädagogen Rolf Arnold und Philipp Gonon (Arnold / Gonon 2006) befasst sich zunächst mit einer Standortbestimmung der Berufspädagogik. Entgegen des Buchtitels begründen die Autoren zunächst, dass sie die Berufspädagogik nur in einem disziplinären Kontext mit der Wirtschaftspädagogik behandeln können, da der Doppelbegriff erst ein »offenes Strukturmodell« (Arnold / Gonon 2006, 14; vgl. insgesamt 13 ff. ) anbietet, das den vielfältigen Bezügen beruflicher Bildung gerecht wird. In einem ersten historischen Rückblick wendet sich Gonon gegen den Vorwurf einer Ökonomisierungstendenz der Bildung. Diese gründe allein in der Betonung der Rationalität im Bereich der Bildung. Gonon stellt die These der Pädagogisierung der Gesellschaft dagegen, sofern die Pädagogik durch eine Übersetzung gesellschaftlicher Probleme in Erziehungsfragen die ihr heute zukommende Beachtung gewinne (vgl. Arnold / Gonon 2006, 16 – 26). In einem zweiten Gang zeichnet Gonon die Bedeutung der Berufsbildung für die Lösung der sozialen

58

Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

Frage in ihrer historischen Genese nach und betont den innovativen Charakter der beruflichen Bildung, sofern durch sie auf neue gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen reagiert werden kann. Bedeutsam ist dann die folgende Beurteilung von »Beruf bzw. ›Beruflichkeit‹ als zentrale[r] Kategorie der Berufs- und Wirtschaftspädagogik« (Arnold / Gonon 2006, 51; vgl. 51 – 61). Im Spannungsfeld eines prognostizierten generellen Endes der Beruflichkeit heute einerseits und ihrer ungebrochenen Weiterentwicklung andererseits stellen die Autoren den Wandel des Berufs als soziologische Größe heraus und bestimmen die Beruflichkeit als »pädagogisches Konzept« (Arnold / Gonon 2006, 60; Kursivierung im Original) – denn der Terminus ›Beruf‹ sei eine »Verständigungsformel für auf Arbeit bezogene Qualifikations- und Weiterqualifikationsprozesse« (Arnold / Gonon 2006, 60). Die Kategorie des Berufs macht die Frage nach der Qualifikation zur Berufsfähigkeit in Aus- und Weiterbildung deutlich und wird so zu einer entscheidenden Kategorie bei Fragen der beruflichen Bildung. Diese Bedeutung der Berufskategorie fortführend thematisieren Arnold und Gonon den Beruf als zentrales Ordnungsprinzip der deutschen Berufsausbildung. Die Ausbildungsberufe mit ihren Ausbildungsverordnungen garantieren den Erwerb einer umfassenden Handlungskompetenz im Gegensatz zu Ausbildungskonzepten anderer Länder, in denen Konzepte einer »kompetenzorientierten bzw. Teilkompetenzen bündelnden Ausbildung« (Arnold / Gonon 2006, 72; vgl. 72 – 78) bestimmend sind. Dabei wird auch die sozialpolitische Dimension der Beruflichkeit herausgestellt, sofern die Berufsausbildung auch als ein Mittel der Integration der jungen Generation in die Gesellschaft war und ist. Auch die religiösen Einflüsse betonend stellen die Autoren heraus, dass der Beruf in seinen ethischen, religiösen und sozialen Deutungs- und Interpretationsmustern ein »wesentliches Strukturierungsprinzip für die Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens einerseits und die individuelle Lebensführung andererseits« (Arnold / Gonon 2006, 75) darstellt. Das gegenwärtige Nachlassen der Orientierungsfunktion der Kategorie ›Beruf‹ führt zu einer stärkeren Betonung der Arbeit als neuem kategorialem Rahmen für die »berufliche« Bildung mit der Folge einer stärkeren Orientierung an berufsübergreifenden Inhalten und Qualifikationen. Das führt zur Beschäftigung mit dem Begriff der Arbeit. Anknüpfend an eine »Bildungstheorie der Arbeit« (Arnold / Gonon 2006, 78; Kursivierung im Original) in ihrer marxistischen und handlungsorientierten (Kerschensteiner) Ausprägung entfalten die Autoren, dass – vor dem Hintergrund der Umwälzungen in Berufsprofilen und deren lebensbiographischer Funktionen – nunmehr der Begriff der Arbeit »die eigentliche Zukunftskategorie berufs- und wirtschaftspädagogischen Denkens« (Arnold / Gonon 2006, 84) sei. Denn gegenüber den aus ihrer Historie heraus zum Teil idealistisch geprägten Begriffen ›Berufsbild‹ und ›Berufsethos‹ zeigt die Kategorie der Arbeit an, dass es sich hier um eine diskontinuierliche Tätigkeit

Berufspädagogische Konzepte im Zeitalter der Globalisierung

59

handelt, auf die der Mensch immer wieder neu reagieren muss im Sinne einer Anpassung durch Weiterbildung. Der Arbeitnehmer muss also nicht nur fachlich qualifiziert sein, sondern auch Kompetenzen der Weiterentwicklung und Weiterbildung erlangen. Über die konkrete Fachqualifikation hinausgehende Kompetenzen erfordern auch die modernen neuzeitlichen Fertigungstechniken mit einer zunehmenden Flexibilität und abnehmender arbeitsteiliger Spezialisierung. Die Folge für die berufliche Bildung sei eine »Reduzierung der Spezialisierung im Bereich der beruflichen Ausbildung« zugunsten einer Stärkung von »Aspekten einer Persönlichkeitsbildung sowie der Förderung methodischer und kommunikativer Kompetenzen« (Arnold / Gonon 2006, 88; vgl. insgesamt 85 – 89), die nach einer Grundausbildung unter anderem auch in betrieblichen Weiterbildungsprozessen gefragt sein werden (vgl. Arnold / Gonon 2006, 89 – 92). Auch der Tertiärisierungstrend der modernen Arbeitswelt bedürfe »[t]ertiäre[r] Kompetenzprofile«, die im höheren Alter nur schwer vermittelt werden können, da sie in »(frühen) Sozialisationsprozessen bereits angelegt« (Arnold / Gonon 2006, 94) sind. Das wird insgesamt zu einer weiteren Betonung überfachlicher Kompetenzen in der Berufsausbildung führen (Arnold / Gonon 2006, 94). An dieser Stelle fordern die Autoren folgerichtig über den Berufsbezug hinausgehende Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen nach dem spezifischen Verständnis der Berufspädagogik52, damit die Berufsbildung dem »Trend von der Erstausbildungs- zur Weiterbildungsgesellschaft« gerecht werden kann: »Integrale Berufsbildungsforschung steht dabei für einen Ansatz, der das berufliche Lernen in der Erstausbildungs- und Weiterbildungsphase in den Blick rückt, dabei aber auch die speziellen sowie die außer- und überfachlichen Kompetenzen gleichermaßen fokussiert« (Arnold / Gonon 2006, 186; Kursivierung im Original). Im Blick auf die konkrete Konzeption und Struktur der Berufsausbildung für die Zukunft fordern die Autoren eine »Erstqualifizierung als Sockelqualifizierung« (programmatisch Arnold / Gonon 2006, 197), auf die dann der Einzelne auf Grund seiner dort erworbenen Selbstlernkompetenzen selbstgeleitet für seine Weiterbildung im Rahmen des lebenslangen Lernens verantwortlich sein kann. Im Blick auf die »Grenze der Curricularisierbarkeit« und die »Nicht-Beherrschbarkeit von beruflichen Lernprozessen« (Arnold / Gonon 2006, 201 – 205; 206 – 211) sehen Arnold und Gonon eine neue Phase des beruflichen Lernens in der Entwicklung von der Handlungsorientierung zur Lernfelddidaktik, da hier Bedingungen für eine Selbstorganisation des Lernens 52 Für die Bildungsbemühungen insgesamt dürfte der Hinweis von Bedeutung sein, dass »70 % der Handlungskompetenz eines Erwachsenen außerhalb formeller Lernprozesse in Schule, beruflicher Ausbildung oder universitärer Bildung erworben werden« (Arnold / Gonon 2006, 98). Siehe zu den allgemeinbildenden Kompetenzen als Ziel der Berufsausbildung insgesamt a. a. O. 112 – 118 sowie die gegenwärtige Aufnahme klassischer Berufspädagogen mit ihrer Betonung des allgemeinbildenden Potentials der Berufsbildung a. a. O. bes. 157 f.

60

Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

durch den Lernenden selbst geschaffen werden und so neben der fachlichen Qualifikation auch der Erwerb extrafachlicher Kompetenzen erfolgen kann (vgl. Arnold / Gonon 2006, 211 – 220).53 Insgesamt zeichnet sich der Entwurf von Arnold und Gonon dadurch aus, dass sie zeitliche und sachliche Entwicklungen der Berufsbildung von der Vergangenheit auf die Zukunft hin darstellen und dabei immer den unmittelbaren Bezug zur betrieblichen und wirtschaftlichen Realität herstellen.

3.3

Bildungsstandards, Kompetenzen und DQR (EQR) – eine Skizze zur bildungstheoretischen Entwicklung der Allgemeinpädagogik (und Berufspädagogik)54

Schon früh wurde auf der politischen Bühne Europas die Bedeutung von Bildung als Voraussetzung wirtschaftlichen Erfolgs erkannt. Das trifft vor allem bei rohstoffarmen Ländern wie z. B. der BRD zu, in denen die Tertiärisierung der Arbeitsgesellschaften besonders weit fortgeschritten ist. Vor dem Hintergrund ökonomischer Fragen entwickelte sich ein europäischer Bildungsprozess, der, ohne es konkret zu benennen, an die alte Bildungsdiskussion über das Verhältnis von allgemeiner und beruflicher Bildung anknüpfte bzw. deren Grundfragen in sich integrierte. Dieser so genannte »Lissabon-Prozess« (oder Lissabon-Agenda) geht auf einen Sondergipfel der europäischen Staatschefs aus dem Jahre 2000 in Lissabon zurück, auf dem beschlossen wurde, dass bis 2010 Europa zum »wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt« werden solle (vgl. Europäischer Rat 2000). Noch vor dem Erreichen der Ziele dieses ehrgeizigen Projektes und angesichts eines absehbaren Scheiterns (vgl. Bütikofer 2010) wurde von der Europäischen Kommission mit dem Programm 2020 eine anschließende Wirtschaftsstrategie vorgeschlagen und vom Europäischen Rat verabschiedet. Hier werden nun drei Aspekte in den Vordergrund gestellt: intelligentes Wachstum, nachhaltiges Wachstum, integratives Wachstum (vgl. EUROPE 2020, 2010). Vorangegangen war diesen formellen Beschlüssen die so genannte Bologna-Erklärung, deren Ziel die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulsystems war. Durch die so genannten konsekutiven Studiengänge (Bachelor- und Masterstudiengänge) soll europaweit gewährleistet werden, dass die Studienabschlüsse auf Grund eines Leis53 Hinzuweisen ist auf die abschließenden Ausführungen der Autoren zu den schulorganisatorischen und schulsystemischen Konsequenzen einer integralen Berufsbildung – vgl. Arnold / Gonon 2006, 220 – 240 –, deren Behandlung jedoch an dieser Stelle aus Platzgründen nicht möglich ist. 54 Eine kritische Bewertung der Kompetenzorientierung und ihre Funktion für die Berufsbildung und speziell den BRU siehe ausführlich unten unter 7.2.

Berufspädagogische Konzepte im Zeitalter der Globalisierung

61

tungspunktesystems, des European Credit Transfer Systems (ECTS), vergleichbar sind und als solche in allen Mitgliedstaaten anerkannt werden können. Zudem soll auch durch eine erhöhte Mobilität der Studierenden in Europa der ›Bildungsraum Europa‹ gestärkt werden. Zur Realisierung dieser Ziele waren (und sind) bildungspolitische Lenkungsprozesse nötig. Alle diese Ziele können allerdings nur erreicht werden, wenn Bildung messbar und politisch operationalisierbar wird. Was allerdings mit Bologna vornehmlich für die Hochschulen begann, wurde spätestens mit Lissabons ökonomischer Zielsetzung auch relevant für die gesamte Bildungslandschaft und damit auch für die allgemeine und die berufliche Bildung. Eine höhere Mobilität und damit europäische Vernetzung soll auch für die berufliche Bildung erzielt werden. Allerdings bildet die berufliche Bildung, die in Folge dieser Entwicklungen auch die Kompetenzorientierung konsequent umsetzen sollte, insofern eine Ausnahme, als dass sie schon immer konstitutiv handlungsorientiert ausgerichtet war.55 Die dualen Partner erwarteten schon immer eine messbare, handlungsorientierte und effiziente Bildungsarbeit. Im allgemeinbildenden Kontext bzw. der allgemeinen Pädagogik setzten PISA und Co. neue und wesentliche Impulse für die neuere Entwicklung.56 Es kam zu einer intensiveren Sicht auf die Optimierung von Lernprozessen und die Zielsetzung von Bildungsprozessen insgesamt. Standen früher die Inhalte als Input am Anfang eines Bildungsprozesses mit dem Ziel der materialen Vermittlung, so fragt die Mehrheit der Pädagogen heute nach dem, was als Ziel am Ende des Prozesses als Ergebnis sichtbar sein soll. Diese Outputorientierung artikuliert sich in Kompetenzformulierungen. Gefragt sind Fähigkeiten, die die Schüler bzw. Auszubildenden am Ende eines jeweiligen Bildungsprozesses beherrschen sollen und die sie als Person ausmachen. In der öffentlichen und politischen Bildungsdiskussion wurde damit die Rede von Qualifikationen als Ausformulierungen von Bildungszielen abgelöst, sofern die in diesen formulierten operationalisierbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten in verkürzter Weise auf ihre jeweiligen Verwendungssituationen bezogen wären. Die Entwicklung des pädagogischen Konzepts der Kompetenzorientierung nimmt ihren inhaltlichen Anfang bei der Formulierung von Bildungsstandards. Unter Bildungsstandards sind normative Setzungen zu verstehen, »die präzise definieren, was von den Schülern erwartet wird. Sie sind klare und verbindliche Anforderungen an das Lernen und Lehren innerhalb eines schulformübergreifenden Rahmenkonzepts 55 Zu erinnern ist hier auch an die Trennung von allgemeiner und spezieller Bildung zu Humboldts Zeiten und dessen Argwohn gegenüber der utilitaristisch ausgerichteten speziellen Bildung. 56 Zur unterschiedlichen Entwicklung und differenten Verständnis von Kompetenzen und Kompetenzmodellen in der allgemeinen und beruflichen Pädagogik vgl. Hensge u. a. 2011, 133(f.).

62

Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

schulischer Bildung« (Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung 2006, 10). Das Verständnis von Bildungsstandards geht meist zurück auf das die Diskussion prägende Klieme-Gutachten der allgemeinen Bildungsziele: »Sie benennen die Kompetenzen, welche die Schule ihren Schülern vermitteln muss, damit bestimmte zentrale Bildungsziele erreicht werden« (Klieme 2003, 13).57 Die wiederum – in der allgemeinen Pädagogik – meistgenutzte Definition der Kompetenz geht auf Franz Emanuel Weinert zurück: Kompetenzen seien »die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können« (Weinert 2001, 27 f.). Wesentlich sind hier keine reinen Inhalte und in diesem Sinne Fertigkeiten für bestimmte Situationen, sondern es geht um die Fähigkeit, in spezifisch-aktuellen Situationen das erworbene Wissen mit Einstellungen, Werteinschätzungen und Interessen zu verknüpfen, um damit anstehende Probleme angemessen lösen zu können. Die Bildungsstandards stehen in Beziehung zu den Kompetenzen, die die Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt erworben haben sollen. Bildungsstandards sind Zielvorgaben, die sich in Kompetenzbeschreibungen konkretisieren. Dabei ergibt sich, dass die Bildungsstandards als Ziele von Lernprozessen auf jenen Kompetenzen aufbauen, die die Schüler zuvor schon hatten und die durch die neu erworbenen Kompetenzen erweitert werden. Als durch Kompetenzen konkretisierte und durch Festsetzungen standardisierte Ziele von Bildungsprozessen rückt deren Nützlichkeit stark in den Fokus, sofern der gesellschaftlich-politische Nutzen das Maß ist, an dem Bildung zu messen ist. Die Outputorientierung soll die Messung und die Kontrolle von Bildung ermöglichen, was für die Zeit nach PISA ein wesentliches Kriterium für gute Bildungsprozesse ist und konkret durch Lernstandserhebungen realisiert werden soll.

57 Die Definition der Klieme Expertise lautet vollständig: »Bildungsstandards formulieren Anforderungen an das Lehren und Lernen in der Schule. Sie benennen Ziele für die pädagogische Arbeit, ausgedrückt als erwünschte Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler. Damit konkretisieren Standards den Bildungsauftrag, den allgemein bildende Schulen zu erfüllen haben. Bildungsstandards, wie sie in dieser Expertise konzipiert werden, greifen allgemeine Bildungsziele auf. Sie benennen die Kompetenzen, welche die Schule ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln muss, damit bestimmte zentrale Bildungsziele erreicht werden. Die Bildungsstandards legen fest, welche Kompetenzen die Kinder oder Jugendlichen bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe erworben haben sollen. Die Kompetenzen werden so konkret beschrieben, dass sie in Aufgabenstellungen umgesetzt und prinzipiell mit Hilfe von Testverfahren erfasst werden können« (Kursivierungen im Original).

Berufspädagogische Konzepte im Zeitalter der Globalisierung

63

Festgeschrieben werden die nationalen wie international-europäischen Bildungsprofile in dem »Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen« (DQR) als nationaler Umsetzung des vorangehenden und übergeordneten Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR).58 Hintergrund ist jeweils die Perspektive des lebenslangen Lernens59, die schon länger aus der beruflichen Bildung bekannt ist. Bis 2012 sollten alle Mitgliedsstaaten einen nationalen, auf den EQR bezogenen Rahmen festgelegt haben. Zur Evaluierung benennt der DQR insgesamt acht Niveaustufen. Diese bilden »nicht individuelle Lern- und Berufsbiografien ab. Der Kompetenzbegriff, der im Zentrum des DQR steht, bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft des Einzelnen, Kenntnisse und Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten zu nutzen und sich durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten. Kompetenz wird in diesem Sinne als umfassende Handlungskompetenz verstanden« (Deutscher Qualifikationsrahmen 2011, Einführung). Dabei ist es im Sinne der europäischen Bildungspolitik konstitutiv, dass alle Wege zur Erlangung einer Kompetenz gleichwertig anerkannt werden. Entscheidend ist nunmehr nicht der Weg des Kompetenzerwerbs – egal ob formal, formell, informell … –, sondern dass eine Person ihre Kompetenzen erworben hat: Die er58 Auf nationaler Ebene ist der DQR vom Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (AK DQR) am 22. März 2011 nach fast 5-jährigem Entstehungsprozess verabschiedet worden (www.deutschequalifikations-rahmen.de/SITEFORUM?t=/contentManager/onStory& e=U TF-8& i=1215181395066& l=1& active=no& ParentID=1216806561491& StoryID=12925 91686488; teilweise gibt es in der Literatur für den Deutschen Qualifikationsrahmen die Abkürzung N[ationaler]QR). In einem Spitzengespräch zur Umsetzung des EQR auf einen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) am 31. Januar 2012 auf Einladung der KMK haben sich die Bundesregierung (Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie), die Kultusministerkonferenz, die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der Deutsche Gewerkschaftsbund und das Bundesinstitut für Berufsbildung auf eine gemeinsame Position zum DQR geeinigt. Die für uns wesentliche Übereinkunft ist die festgestellte Gleichwertigkeit von der beruflichen und allgemeinen Bildung in Deutschland. Dies scheint allerdings nur ein theoretischer Konsens zu sein, sofern in der folgenden Agenda der noch zu klärenden Themen die berufliche Bildung je nach Dauer in Niveau 3 und 4 eingestuft wird, die Abschlüsse der allgemeinen Bildung jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt eingruppiert werden sollen (vgl. hierzu: http://www.deutscherqualifika tionsrahmen.de/de/aktuelles/der-weg-f%C3 %BCr-die-einf%C3 %BChrung-des-deutschenqualifika_gq21oohc.html?; Zugriff: 3. 1. 2012; zur kontroversen Diskussion über die Gleichrangigkeit beruflicher wie allgemeiner Bildungsabschlüsse vgl. auch die BIBB-Pressemitteilung Nr. 50/2011 vom 1. 12. 2011 sowie ausführlicher unter 7.1 und 7.2). 59 Das europäische Programm zum lebenslangen Lernen formuliert Prioritäten, die auch im Kontext des BRU und der Entwicklung des Berufswesens eine Relevanz haben. Hierzu zählt unter anderem: »Steigerung der – vor allem in Bezug auf ältere und einfache Beschäftigte – geringen Teilnahme an der Erwachsenenbildung, um Beschäftigungshindernisse abzubauen und die Fähigkeit der Bürger, sich an schnell wechselnde Lebens- und Arbeitsumfelder anzupassen, zu erhöhen« (Programm für lebenslanges Lernen 2009, 5).

64

Beruf und Bildung im Lauf der Zeiten

worbene Kompetenz selbst ist das entscheidende Kriterium. Damit stellen EQR und DQR zugleich einen je individuellen Bildungsweg einer Person in den Mittelpunkt und betonen so auf ihre Weise das differenziert-individuelle Lernen.60 Der DQR bzw. der EQR sind somit die bildungspolitische Summe dessen, was sich die europäische Bildungspolitik unter Bildung generell vorstellt, was sie für die Zukunft erreichen möchte und wie sie die unterschiedlich erworbenen Bildungsabschlüsse generell sowie auch im Blick auf deren Vergleichbarkeit einstufen möchte. Der EQR wird als Chance gesehen zur Förderung einer Bildungsmobilität, die nach dem »was« des Gelernten fragt und nicht nach dem »wo« (Baethge / Solga u. a. 2007, 80).

60 Die europäische Bildungspolitik verlange nach einer Reorganisation der Sek I sowie die Anschlussfähigkeit der beruflichen Bildung an das Hochschulsystem (so Baethge / Solga u. a. 2007, 81).

Abbildungen (Teil I)

Abb. 1: Ó Andreas Obermann

Abb. 2: Ó Andreas Obermann

Abb. 3: Ó Andreas Obermann

Abb. 4: Ó Andreas Obermann

Abb. 5: Ó Andreas Obermann

Abb. 6: Ó Andreas Obermann

Abb. 7: Ó Andreas Obermann

Abb. 8: Ó Wolfgang Stoffels, Wuppertal

Abb. 9: Ó Andreas Obermann

Schaubild A3.1-1 : Berufliche Pläne von Schulabgängern und Schulabgängerinnen jeweils im Frühjahr - Jahresvergleich in %

100%

16

90%

5

80%

11

11

12

5

5

4

8

9

8

15

12

12

5

7

8

9

70%

12

60%

5

Sonstiges 3

Berufliche Vollzeitschule 2

Allgemeinbildende und berufliche Schule 1

50% Studium

40% 30%

57

56

54

56

Schulberufsausbildung, Beamtenausbildung

20%

Duale Ausbildung

10% 0%

2004

2005

2006

2008

Haupt-, Realschule, Integrierte Gesamtschule, Gymnasium, Fachoberschule, Fachgymnasium 2 Ein- oder zweijährige Berufsfachschule, die nicht zu einem Berufsabschluss führt, Berufsgrundbildungsjahr, Berufsvorbereitungsjahr 3 Arbeit, Praktikum, Wehr-/ Zivildienst, freiwilliges soziales/ökologisches Jahr, Sonstiges

1

Quelle: BIBB-Schulabgängerbefragungen, gewichtete Daten

Abb. 10: Quelle: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2009 des BIBB (2009): Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung, BIBB (Hg.), Bonn (Quelle: http:// datenreport.bibb.de/media2009/datenreport_bbb_090525_screen.pdf), 70 Schaubild A3.1-2 : Realisierte Bildungs- und Berufswege von Schulabgängern und Schulabgängerinnen jeweils im Herbst - Jahresvergleich in % 100%

Sonstiges 3

90%

17

80%

5

70%

15

60%

14

50% 11

40%

7

30%

3

18 8 15

11 14 7

17 6 14

20

11

11

10

9

11

10

10

3

2

30

30

2

20% 30

10%

26

Arbeitslos, ohne Beschäftigung

4

Berufliche Vollzeitschule 2 Allgemeinbildende und berufliche Schule 1 Studium Schulberufsausbildung, Beamtenausbildung Außerbetriebliche/schulische Ausbildung nach BBiG/HwO Betriebliche Ausbildung nach BBiG/HwO

0%

2004

2005

2006

2008

Haupt-, Realschule, Integrierte Gesamtschule, Gymnasium, Fachoberschule, Fachgymnasium Ein- oder zweijährige Berufsfachschule, die nicht zu einem Berufsabschluss führt, Berufsgrundbildungsjahr, Berufsvorbereitungsjahr 3 Arbeit, Praktikum, Wehr-/ Zivildienst, freiwilliges soziales/ökologisches Jahr, Sonstiges

1 2

Quelle: BIBB-Schulabgängerbefragungen, gewichtete Daten

Abb. 11: Quelle: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2009 des BIBB (2009): Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung, BIBB (Hg.), Bonn (Quelle: http:// datenreport.bibb.de/media2009/datenreport_bbb_090525_screen.pdf), 75

Schaubild A3.1-3: Übereinstimmung von Wunschberuf und Ausbildungsberuf Jahresvergleich in % 100% 10

7

11

9

90% 80%

15

15

21 21

70% 60% 50% 40%

nein 75

76

72

68

30%

teilweise

20%

ja

10% 0%

2004

2005

2006

2008

Quelle: BIBB-Schulabgängerbefragungen, gewichtete Daten

Abb. 12: Quelle: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2009 des BIBB (2009): Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung, BIBB (Hg.), Bonn (Quelle: http:// datenreport.bibb.de/media2009/datenreport_bbb_090525_screen.pdf), 80 Abb. H3-7: Übergangsstationen von Jugendlichen mit maximal Hauptschulabschluss 6,18 und 30 Monate nach Verlassen des allgemeinbildenden Schulsystems (in %)

Quelle: BIBB-Übergangsstudie

Abb. 13: Quelle: Bildung in Deutschland 2008 (2008). Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I. Autorengruppe Bildungsberichterstattung. Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusministerder Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Bielefeld 2008, 165

Abb. 14: www.bmwi.de/BMWi/

Abb. 15: Ó Andreas Obermann

Abb. 16: Quelle: Schelten, Andreas (2004): Einführung in die Berufspädagogik. Dritte, vollständig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart, 172

II Teil: ›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik – ein thematischer Zugang

In grundlegender Perspektive sind der Beruf und die Religion die wesentlichen Brennpunkte des Berufsschulreligionsunterrichts: Der Beruf und die entsprechende Berufsausbildung als bestimmende und prägende Kategorie für den lebensbiographischen Abschnitt der Auszubildenden in dieser Lernphase insgesamt sowie die Religion in ihren für den Beruf und die Berufssozialisation relevanten Impulsen und Einwürfen. Dadurch ergibt sich für die Erörterung von didaktischen Leitlinien für den BRU das Bild der Ellipse, innerhalb der sich die Überlegungen zu orientieren und zu bewähren haben. Neben dem Beruf selbst ist es insbesondere die Berufspädagogik, die in ihrer Bedeutung für den Religionsunterricht an beruflichen Schulen mit zu bedenken ist. Den BRU gilt es konsequent didaktisch innerhalb dieser Koordinaten in interdependenter Weise zu bestimmen: Der BRU hat sich innerhalb der beiden Brennpunkte Beruf (sausbildung) und deren Pädagogik auf der einen Seite sowie der Religion und ihrer theologischen wie gesellschaftlichen Beziehungsfelder auf der anderen Seite zu erklären und als relevant zu bewähren. Die skizzierte Perspektive eröffnet den Raum für die Bestimmung didaktischer Leitlinien für den BRU:

Ellipse der Didaktik des BRU

Beruf(sausbildung)

Religion

Berufspädagogik

Person des Lernenden

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›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik

Grundlegende didaktische Leitlinien müssen folglich die Kategorie des Berufes und der Berufsausbildung in deren gesellschaftlichen wie ökonomischen Implikationen sowie die jeweilige Person der Auszubildenden in ihren Lebensdimension in den Blick nehmen. Die von der lebensbiographischen Situation der Auszubildenden ausgehenden didaktischen Leitlinien erfüllen so ein konstitutives Kriterium der Didaktik (siehe vor allem Lämmermann 2005). Die Auszubildenden als junge Generation sind konstitutiv als Subjekte des Bildungsprozesses in den Blick zu nehmen, sofern sie sich bilden und ausbilden lassen im Blick auf ihre erstrebte berufliche Tätigkeit (Arbeit) im weiteren Kontext ihrer Lebensbezüge. An dieser Stelle kommt didaktisch auch der berufsorientierten Religionspädagogik in ihrer existentiell lebensbiographischen Dimension eine hohe Bedeutung zu als Anwalt für das Leben im Beruf. Andererseits erfahren sich die Auszubildenden auch als Objekt des Bildungsprozesses, sofern sie ausgebildet werden im Blick auf ihren Beitrag und ihre Funktion für die Wirtschaft und für die Gesellschaft. Die pädagogisch grundlegende Frage Schleiermachers, was denn »eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren« (Schleiermacher 1826, 9) will, gewinnt hier eine konkrete Antwort: Die Jugendlichen sollen befähigt werden die Anforderungen in einem speziellen Berufsfeld kompetent zu erfüllen. Berufsausbildung ist unter didaktischen Gesichtspunkten immer unter Beachtung dieser sie wesentlich bestimmenden gesellschaftlichen Vorgaben zu sehen. Es gilt in einer Didaktik den Beruf als Kategorie aufzunehmen, jedoch nicht als Anwendungsbezug oder als Themenressource.61

4

Vom unwürdigen Übel zum Luxusgut – eine Paraphrase des soziologischen Wandels des Berufsbildes von der Antike bis zur Gegenwart62

Während der Beruf ein relativ junger Begriff ist, der sich mit der reformatorisch initiierten Ausbildung der existentiellen Bezogenheit des Arbeitslebens im Blick auf die Identität des Arbeitenden entwickelte (Luther), ist der Begriff der Arbeit schon in der Antike zu finden und zugleich ein Phänomen des reflektierten Nachdenkens. Während der Beruf ausgehend von seiner etymologischen Her61 Gegen die landläufige Rede der Handlungsorientierung, bei der es vornehmlich um die Anpassung des BRU an beruflich vorgegebene Konkretionen geht. 62 Die folgende Darstellung kann aus Raumgründen nur eine Skizze sein. Bestimmend für die Auswahl der Themen ist dabei das Kriterium des besseren Verständnisses der gegenwärtigen Situation der Berufspädagogik und speziell des BRU in Korrelation zur gegenwärtigen Arbeits- und Berufspolitik im nationalen wie europäischen Kontext.

Vom unwürdigen Übel zum Luxusgut

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leitung des ›Berufens‹ die besondere Bedeutung der beruflichen Tätigkeit für die Existenz des jeweiligen Menschen ausmacht, tritt bei der Arbeit stärker der Handlungsbezug in den Mittelpunkt: Arbeit wird verstanden als ein bewusstes Tätigsein des Menschen, dessen primäres Ziel (bzw. auch Zweck) die Existenzsicherung ist und weniger die Befriedigung von Bedürfnissen oder die Sicherung der Anerkennung der eigenen Person. So stammt der Begriff der Arbeit in seiner Ableitung aus dem althochdeutschen – ar(a)beit – aus den Begriffsfeldern »Mühe« und »Plage«. Die Arbeit ermöglicht als Zweck zur Existenzsicherung sekundär auch die Befriedigung von Bedürfnissen und kann insofern indirekt auch ein Moment der Daseinserfüllung sein. Das Phänomen ›Beruf‹ ist ohne die Kategorie der Arbeit nicht denkbar, geht aber zugleich über die Arbeit hinaus, sofern der Beruf grundlegend die Persönlichkeit des Arbeitenden prägt und ausmacht.

4.1

Arbeit in der paganen Antike

Die klassische Antike unterscheidet bei der Arbeit die körperliche Arbeit von der wissenschaftlichen und politischen Tätigkeit – während letztere vornehmlich von freien Menschen betrieben wird, ist die körperliche Arbeit meist die Aufgabe von Unfreien und Sklaven und eines freien Mannes unwürdig. Ein Vertreter dieser Sicht ist der römische Philosoph und Politiker Cicero. Auffällig an seiner Darstellung ist neben der gesellschaftlichen Wertung und Anerkennung der Berufe die ethische Komponente, die als Kriterium der Wertung immer wieder anklingt. Cicero selbst kann diese Sicht am besten vor Augen führen: »Zuerst werden diejenigen Erwerbszweige missbilligt, die dem Hass der Menschen anheimfallen, wie die der Zolleinnehmer und Geldverleiher. Als eines Freien unwürdig aber und unanständig gelten die Erwerbszweige aller Tagelöhner, deren Dienste, nicht deren künstlerische Leistungen bezahlt werden; denn in ihrem Fall ist der Lohn selbst ein Handgeld für Dienstbarkeit. Auch müssen diejenigen als unanständig erachtet werden, die von Großhändlern kaufen, was sie sofort wieder verkaufen; denn sie dürften nicht davon profitieren, wenn sie nicht sehr schwindeln; und in der Tat gibt es nichts Schändlicheres als Unredlichkeit. Auch alle Handwerker betreiben ein unanständiges Gewerbe; denn eine Werkstatt kann nichts Anständiges an sich haben. Und keineswegs sind die Gewerbe zu billigen, die Dienerinnen des Vergnügens sind: ›Seefischhändler, Metzger, Köche, Geflügelmäster, Fischhändler‹, wie Terenz sagt. Nimm noch hinzu, wenn es beliebt, Salbenhändler, Pantomimen und das ganze Tanzspiel. Diejenigen Künste aber, denen entweder eine größere Einsicht innewohnt oder durch die ein nicht geringer Nutzen angestrebt wird wie die Medizin, die Architektur und der Unterricht in den ehrbaren Wissenschaften, sind schicklich

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›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik

für diejenigen, zu deren Stand sie passen. Der Handel jedoch, wenn er gering ist, muss für unanständig gehalten werden; wenn er aber groß und ausgedehnt ist, vieles von überall her herbeibringt und vielen ohne Betrügerei zuteilt, darf er nicht sehr getadelt werden; und auch, wenn der Kaufmann durch den Erwerb gesättigt oder vielmehr mit ihm zufrieden ist, scheint er, sowie er sich oft vom Meer in den Hafen und aus dem Hafen selbst auf das Land und seine Besitzungen begeben hat, mit vollem Recht gelobt werden zu können. Von all dem aber, durch das etwas erworben wird, ist nichts besser, nichts ergiebiger, nichts angenehmer, nichts eines freien Menschen würdiger als der Ackerbau« (Cicero 44 v. Chr., I, 150 – 151).63 Wir entdecken in der zitierten Passage eine deutliche Abwertung aller manuellen (handwerklichen) Tätigkeiten: Prestige und Anerkennung können nach Ciceros Sichtweise alleine die Tätigkeiten – bzw. Berufe – vermitteln, bei denen man keine schmutzigen Hände bekommt. Verbunden ist damit die Vorstellung im Hintergrund, dass allein die geistige Arbeit ein Ausdruck der Freiheit des betreffenden Menschen sein kann – ein in der Antike wesentliches Kriterium für die gesellschaftliche Reputation, das zugleich auch die vermeintliche Überlegenheit der Philosophie anzeigt. Selbst ehrenwerte Tätigkeiten zum Wohle der Gemeinschaft kommen in der Rangliste nicht an jene Tätigkeiten (des Autors) heran, nämlich die intellektuelle und ›saubere‹ Arbeit gegenüber den gewöhnlich zu verrichtenden Tätigkeiten.

4.2

Arbeit in der biblischen Welt

Die biblischen Autoren sind selbst auch Kinder der Antike. Von daher verwundert es nicht, dass sie Arbeit analog zu ihrer Umwelt verstehen: Die körperliche Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts wird generell als Mühsal und als Fluch empfunden (vgl. hierzu schon Gen 3,17 – 19). In diesem Sinn hat Arbeit etwas mit Anstrengung zu tun, zu der es dann auch der Überwindung bedarf. Die Scheu vor der Arbeit galt dagegen als verwerflich (siehe hierzu 1Thess 4,11 f; 2Thess 3,6 – 8.10 – 12). Die Arbeit gehört damit zum alltäglichen und notwendigen ›muss‹ des Lebens und nicht zur Lebensfreude. Die Mühen der Arbeit gehören zum hier und heute, zur diesseitigen Welt. Erst im Eschaton wird es keine Arbeiten und vergeblichen Mühen mehr geben (Jes 65,23). In traditioneller Vorstellung ist das Paradies der Ort, in dem es natürlich ohne Arbeit alles geben wird. Dennoch ist das Erlernen eines Berufes zum Verrichten einer Arbeit selbstverständlich, da Arbeit den Lebensunterhalt sichert. Arbeit wird als Basis des gesellschaftlichen Lebens und der Teilnahme an diesem vorausgesetzt. Auch 63 Vgl. auch die Ausführungen bei Kardinal Lehmann 2010, 164 f., 17 f. sowie Mieth 2010, 164 f.

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die christliche Gemeinde war an diesem Punkt nicht weltfremd, sondern hatte sich den Realitäten des Alltäglichen und den Maßstäben der Welt angepasst bzw. anpassen müssen. Das zeigt auch die metaphorische Sprache Jesu in der Gleichnistradition, die die antike ländliche Arbeitswelt widerspiegelt.64 In religiöser Perspektive wurde die normale (Erwerbs-)Arbeit theologisch primär als Dienst für Gott angesehen und nicht allein coram homine verstanden. Jede Arbeit sollte »von Herzen« in ehrfürchtigem Andenken an Gott und Gott zur Liebe verrichtet werden (vgl. Eph 6,7; Kol 3,23).65 Diese generelle Hochachtung der Arbeitsmühe galt dann auch im Blick auf die Schattenseiten des Arbeitens und bescherte der Wertung der Arbeit insgesamt entscheidende Interpretamente: Die Ambivalenz der Arbeit wird z. B. daran deutlich, dass die (körperliche) Arbeit nicht nur den Schatten der Erfolglosigkeit in sich trägt (vgl. Ps 90,10; Koh 2,11), sondern auch die höher anzusiedelnde Weisheit – und das Streben nach dieser – verhindern bzw. behindern kann (vgl. hierzu Sir 38,24 – 39,11). Ebenso bildete diese religiös begründete Hochachtung der Arbeit die Argumentationsgrundlage der Unterdrückung und Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung. Dem treuen und aufopferungsvollen Arbeiten ohne eine gerechte Entlohnung und den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen auf Erden wurde die kommende paradiesische Zeit ohne die Mühen der Arbeit kompensatorisch entgegen gestellt und den Unterdrückten als Lohn ihrer irdischen Entbehrungen vor Augen gemalt – um den status quo zu legitimieren und zu erhalten.66

4.2.1 Arbeit in schöpfungstheologischer Sicht Aus schöpfungstheologischer Perspektive gehört die Arbeit seit jeher zum Wesen der geschaffenen Welt des Menschen und ihrer Ordnung hinzu. Betrachten wir die biblischen Schöpfungsberichte im Blick auf erwähnte Errungenschaften der Agrar- und Viehwirtschaft, werden wir arbeitsterminologisch fündig: So sind in Gen 1 die Nennung der Felder sowie des Viehs (siehe Gen 1,25: »Tiere des Feldes« und das »Vieh«) Hinweise auf einen Kulturstand, der ein Wirtschaften in der Natur schon im vermeintlichen Anfangsstadium der Welt vorsieht, als es menschliche Kulturgüter eigentlich noch gar nicht hätte geben 64 So z. B. waren die Schriftgelehrten dazu verpflichtet, einen Beruf zu erlernen (vgl. hierzu Apg 20,34; 2 Thess 3,8 f.). Jesus selbst war ein gelernter Handwerker, nämlich Zimmermann (s. Mk 6,3a). 65 In diesem Sinn wird auch die häusliche Arbeit – d. h. die Arbeiten der Frauen – gesehen und geachtet (vgl. 1Tim 5,10). 66 Dieser Gedankengang bildete dann später auch einen der Hauptaspekte der kommunistischen Kritik von Marx und Engels an der durch die Kirche argumentativ gefestigten Benachteiligung bzw. an der Unterdrückung der arbeitenden Bevölkerung.

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›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik

können (oder dürfen).67 Schon im Prozess des Schaffens Gottes gehört damit die Arbeit des Menschen zu einem wesentlichen Bestandteil der Schöpfung und Gottes Wirken in ihr selbst (vgl. Gen 2,2). Als Kulturtreibender ist der Mensch von jeher Akteur in der Schöpfung und insofern am Schöpfungswirken Gottes aktiv – und konstitutiv – beteiligt. Von der Schöpfung her wird die Arbeit andererseits auch als göttlicher Auftrag verstanden (Gen 2,5.15; Spr 18,9; vgl. Spr 6,6 – 11), das heißt als Dienst an der Schöpfung und als Wirken für die menschliche Selbsterhaltung (Gen 1,28 f.; 3,17 – 19). Zugleich ist der Mensch dazu berufen die Erde zu bebauen und zu bewahren. Die biblische Tradition weiß sich der Mitwelt verpflichtet (Gen 2,15) und entwickelt eine antike Ökologie (siehe z. B. die Schilderung der Ordnung der Natur in Ps 104). Vor allem aber betont die Schöpfung die Ruhe von der Arbeit: Der Sabbat – und nicht der selbstherrliche Mensch – ist die Krone der Schöpfung, an dem die gesamte Schöpfung der Option der Ruhe nachkommen können soll. Der jüngere der beiden biblischen Schöpfungsberichte, der auch schon das Kulturschaffen des Menschen in seine Erzählung inkludiert, zollt damit indirekt aller Arbeit ungeachtet der sozialen Stellung der Akteure Respekt und Achtung, sofern der Gottesruhe am Sabbat die Ruhe aller Geschöpfe korrespondiert (vgl. Gen 2,3 in Verbindung mit Dtn 5,12 – 15). Diese Würdigung aller Geschöpfe zeigt die gegenwärtige Relevanz der biblischen Schöpfungstradition im Blick auf ökologische und sozialpolitische Fragen der Gegenwart, wie z. B. die Sorge für würdevolle Arbeits- und Ausbildungsbedingungen von Jugendlichen heute. Theologisch bedeutsam werden die Grundbedingungen der Arbeit in der Bibel immer auch vor der Folie des Schöpferwirkens Gottes selbst verstanden. Neben der schon erwähnten Sabbatruhe, als Gott selber nach der Vollendung von der Arbeit des Schöpfens ruhte (vgl. Gen 2,3), stehen auch andere Berufe und die in ihnen zu verrichtende Arbeit in einem unmittelbaren Bezug zu Gott, sofern Gott selbst z. B. als Weingärtner (vgl. Jes 5,7 sowie Joh 5,17) bezeichnet wird und diese Berufe damit die besondere Konnotation des Göttlichen erhalten.

4.2.2 Theologische Ethik und Arbeit Nicht nur die Arbeit (im Sinne von Beruf) an sich, sondern auch das menschliche Tun und Verhalten im Blick auf seine Arbeit ist Thema in der Bibel. Implizit geschieht dies auch durch den oben genannten göttlichen Bezug zur Arbeit. Denn wo Gott als Arbeitender erkennbar wird, verpflichtet dies jeden Menschen zum Ansporn angemessenen Arbeitens und zu einem gottgemäßen Verhalten 67 Diese Beobachtung zeigt, dass die biblischen Schöpfungsberichte keinen unberührten Urzustand im Sinne einer logischen Beschreibung einer Entwicklung schildern wollen, sondern sie spiegeln die kulturelle Entwicklung zur Zeit ihrer Entstehung wider.

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bei seiner Arbeit. Explizit werden Verhaltensansprüche zur Arbeit in den zehn Geboten (Ex 20; Dtn 5) und deren ethischen Perspektiven kommuniziert, womit die innere Qualität der Arbeit und des Arbeitens bestimmt wird. So soll das Arbeiten der jüngeren Generation Sorge tragen für das Wohl und die Lebensbasis der älteren Generationen (d. h. der Eltern). Von der Sache her gehören damit moderne Fragen der Rentenproblematik oder eines Generationenvertrags mit hinzu zur Reflektion der biblischen Perspektiven zur Arbeit. Auch das Tötungsverbot als bewusste Handlung impliziert nicht nur die Sorge für das Wohl des Lebens der Arbeitenden, sondern schließt auch die Folge der Arbeit und der produzierten Waren mit ein, sofern die Folge der Arbeit nicht ein absichtsvolles Töten sein soll: Die Herstellung und der Handel mit Waffen verträgt sich von daher nicht mit biblisch-ethischen Perspektiven zur Arbeit. Das Gebot »Du sollst nicht ehebrechen« bedeutet für die Arbeit nicht nur die Achtung und Wahrung des Menschenrechts der sexuellen Unversehrtheit, sondern auch einen fürsorglichen Umgang mit Menschen anderen Geschlechts ohne begehrlichverletzende Absichten (Menschen dürfen nicht in diffamierender Weise sexualisiert werden). Gleiches gilt für jede Art von Mobbing etc., wodurch einem Menschen seine Achtung und Anerkennung genommen würde. Arbeit und Ethik begegnen uns auch im Verbot des Stehlens – »Du sollst nicht stehlen!« –, sofern hier jegliche ungerechte Bereicherung und jede Form von Ausbeutung angesprochen ist. Dieses Gebot der Wahrhaftigkeit intendiert nicht allein die geschäftliche Aufrichtigkeit und Fairness, sondern gebietet vor allem einen fairen kollegialen Umgang. Obgleich Arbeit eine Existenzgrundlage und damit Notwendigkeit darstellt, verbietet sich zugleich jegliche Unterdrückung zur Steigerung eigener ökonomischer Vorteile (vgl. Dtn 24,14 f; Jer 22,13). Biblisch wird Arbeit verstanden als Wirken in und für die Gesellschaft, sofern dem Profit der Arbeit auch eine Gemeinschaftsperspektive – »Gemeinschaftsgerechtigkeit« (Klappert 1997) – innewohnt, nämlich die Hilfe und Fürsorge für die Armen und die sonst bedürftigen Menschen (s. z. B. Eph 4,28). Das Gebot der Eindämmung von Gier gebietet einen Konkurrenzkampf ohne das Ziel der Vernichtung des Konkurrenten. Ebenfalls ist hier das die Gier steigernde Werbemotto »Geiz ist geil!« angesprochen, sofern das Sparen als Ausdruck einer übermäßigen Entsagung (für den Nächsten wie für die eigene Person) und die eigene Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf das Wohl des Nächsten nicht Ziel des geschäftlichen Handelns sein kann. Von daher verbietet sich von der Sache her jede Form der Habsucht als Weise einer falschen Schwerpunktsetzung, nämlich des Geldes (ökonomischen Gewinns) als oberstem Handlungsziel (biblisch läge hier ein Fall von Götzendienst vor, vgl. Eph 5,5 oder Kol 3,5). Schließlich hat das Sabbatgebot einen unmittelbaren Bezug zum Thema Arbeit (Beruf), sofern die kollektive Ruhe als Ziel der Schöpfung ein humanes Gut ist, dessen Gefährdung immer zugleich eine Gefährdung der allgemeinen Humanität darstellt – denn

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»ohne Sonntage gibt es nur noch Werktage«.68 Die Begründung der Sabbatruhe vor dem Hintergrund der Exoduserfahrung als Befreiung aus der Sklaverei (so in Dtn 5,15) zeigt zudem deutlich die bleibende Aufgabe, alle Arbeitsverhältnisse menschenwürdig zu gestalten. Darüber hinaus wird hier der globale (schöpfungsweite) Horizont angezeigt, in dem die biblischen Traditionen die Arbeit sehen: Seit Anbeginn ist die Arbeit in die Schöpfung integriert und in ihren ethischen Implikationen auf die Schöpfung bezogen – Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermaßen eingeschlossen. Wesentlich für die biblische Beurteilung von Arbeit und Beruf ist demnach die auffällig theologische Konnotation und die sozialethische Dimension, die bei der Beschreibung des Phänomens Arbeit immer wieder einfließt. Zusammenfassend laufen dabei alle skizzierten biblisch-ethischen Implikationen der Arbeit auf das von Jesus hochgeschätzte Doppelgebot der Liebe (vgl. Lk 10,27) hinaus: Nach Jesus soll jedes ethische Handeln – sei es im Beruf oder in jedem anderen Kontext – als Ausdruck einer in Gottes Barmherzigkeit gründenden Liebe geschehen. Durch diese ethische Implikation erscheint die Arbeit automatisch auch als ein Wirken angesichts des Nächsten und zwingend dem Nächsten zum Guten. Arbeit ist, so sehr sie auch biblisch als Selbstzweck zum Lebensunterhalt gesehen werden kann, nach der jesuanischen Ethik der Liebe als gutes Werk für den Nächsten wie für sich selbst zu sehen – und schließt damit eine negative Motivation des Handelns sowie negative Auswirkungen von Arbeit für die Menschen und die gesamte Schöpfung aus.69

4.3

Die Anfänge von Arbeit und Beruf – eine Skizze

Die Gestaltung von Arbeit und Beruf ist ein Anliegen und eine Aufgabe des Menschen seit Anbeginn seiner Existenz und kulturellen Tätigkeiten im weiten Sinn. Von daher wundert es auch nicht, dass diese das Leben des Einzelnen wie auch der Gemeinschaft bestimmenden Faktoren ›Arbeit‹ und ›Beruf‹ ihren Niederschlag gefunden haben in Äußerungen des Menschen seit jeher. Als Grundbestimmung menschlichen Daseins haben Arbeit und Beruf von daher schon immer ihren Raum in den religiösen Anschauungen der Menschen gefunden. Gegenwärtig erschließt sich aus reformatorischer Perspektive die Aufgabe, »von der Rechtfertigungslehre her den beruflichen Alltag des modernen Menschen zu durchdringen und möglichst Orientierungen zu geben« (Pawlas 68 Vgl. hierzu die Kirchenkampagne zum Sonntagsschutz (www.ekd.de/sonntagsruhe/presse.html, abgerufen am 16. 1. 2011). 69 Vgl. zur Relevanz der hier für die Arbeit skizzierten ethischen Implikationen der Zehn Gebote und einer ausführlicheren exegetischen Darlegung des jesuanischen Doppelgebots unter 9.3.2.

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2000, 50). Denn Arbeit und Beruf dienen heute nicht mehr allein der Beschaffung der Lebensgrundlagen, sondern es geht um eine – auch theologisch zu wertende – »geistige Durchdringung und technische Beherrschung der Welt« (Auer 2010, 146). Arbeit und Beruf sind über die Jahrhunderte in ihrer »fortschreitende[n] Aufwertung gegenüber philosophischen, mönchischen und mystischen (kontemplativen) Vorbehalten« zu verstehen (Mieth 2010, 164; vgl. insgesamt 164 f.). 4.3.1 Steinzeitliche Anfänge Ihren Anfang nimmt die Entwicklung von organisierter Arbeit und Beruf mit dem Aufkommen von kulturellen Grundbedürfnissen einer Gesellschaft (Gemeinschaft). Die sprichwörtliche Bezeichnung der frühesten Menschengenerationen als »Jäger und Sammler« drückt diesen Tatbestand aus, sofern das Jagen von Wildtieren und das Sammeln von vegetarischer Nahrung die Versorgung der Sippe garantierte. Obgleich hier noch nicht im Sinne des modernen Begriffs von einem Beruf geredet werden kann, ist in der geteilten Wahrnehmung von Aufgaben eine Spezifizierung sichtbar, die in einer späteren Ausdifferenzierung zum Beruf führt. Die Ausdifferenzierung der elementaren Bedürfnisse führte über eine oftmals jahrhundertelange Tradition zu den frühgeschichtlichen Berufen, zu denen natürlich weiterhin der Jäger und Ackerbauer gehörten, aber z. B. auch der Zimmermann und der Drechsler, der Heiler, der Priester, der Wandererzähler, der Sänger oder auch der Wächter. Mit der fortschreitenden Weiterentwicklung technischer Möglichkeiten entstanden auch neue Berufsgruppen, wie beispielsweise seit der Bronzezeit der Schmied. Auf Grund der Konstanz der in frühen Gesellschaften benötigten und erwünschten Leistungen erklärt sich auch die frühe soziologische Erscheinung der Berufsvererbung (vgl. Lehmann 2010, 17 f.). 4.3.2 Zünfte und Gilden des Mittelalters Ein weiterer Entwicklungsschritt im Berufsverständnis und seiner Organisation war im Mittelalter (12. Jhdt.; erster urkundlicher Beleg: 1149 Zunft der Bettdeckenweber in Köln) der Zusammenschluss von handwerklichen Berufsgruppen in Zünften und Gilden. Diese Zusammenschlüsse gewährleisteten zum einen die gesellschaftliche Stellung der Berufe und übernahmen zum anderen die Ausbildung des beruflichen Nachwuchses. Geregelt waren damit auch der Erwerb der erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse durch eine praxisorientierte Ausbildung und eine gesteuerte Qualität der ausgeführten Arbeiten. Viele der einzelnen Handwerksberufe wurden aber weiterhin durch die Erbfolge innerhalb der Familie weitergegeben, während wissensintensive Berufe – wie z. B. der des Arztes – durch den Erwerb von Qualifikationen erlangt wurden. Auf

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Grund dieser spezifischen Qualifikationen für bestimmte Tätigkeiten des allgemeinen Interesses und Dienstes waren diese Handlungen in besonderer Weise verbunden mit einer inneren Beteiligung bzw. inneren Anteilnahme des Menschen an seinem Tun. Hieraus entwickelte sich die spätere Rede von der persönlichen Einstellung zum ausgeübten Beruf, die besonders bei hoch qualifizierten Tätigkeiten von Ärzten, Lehrern, Apothekern und Richtern sowie auch von Geistlichen anzutreffen sind. Parallel zu dieser Weiterentwicklung der Berufe der täglichen Lebensbedürfnisse an sich brachten Neuerungen in der Sicht und Organisation des Staatswesens den Bedarf von Tätigkeiten innerhalb dieses Staatswesens mit sich, womit das Beamtentum geboren war. Beamter wurde jemand in der Anfangszeit des Beamtentums durch einen bestimmten gesellschaftlichen Stand oder später durch den Erwerb bestimmter Fähigkeiten und die Legitimation zur Ausübung derselben durch Gelöbnisse. Insgesamt stand das Verständnis von körperlicher Arbeit und den entsprechenden Berufen in einem inneren Widerstreit zur geistigen Arbeit im Spannungsfeld von vita contemplativa und vita activa. Dieses Ringen führte im Mittelalter trotz der generellen Höherwertung des mönchischen Ideals des geistlichen Wirkens gegenüber der alltäglichen körperlichen Arbeit in der Welt zu ersten Versuchen, die Spannung der beiden Modi des Lebens miteinander in Einklang zu bringen – zu nennen sind hier vor allem Meister Eckart und Johannes Tauler (vgl. Mieth 2010, 156 – 162) –, was die theologische Grundlage war für die entsprechenden Überlegungen Martin Luthers. 4.3.3 Das Berufsverständnis bei Martin Luther Unabhängig von der Frage, wann der von Berufung abgeleitete terminus technicus »Beruf« als Bezeichnung einer berufsmäßig ausgeübten Tätigkeit erstmals in dieser spezifischen Semantik verwandt wurde, ist das Wirken Martin Luthers für die Wirkungsgeschichte des Begriffs wie auch der damit verbundenen Vorstellung nicht hoch genug einzuschätzen.70 Martin Luther kannte als Augustinermönch das mönchische Leben nur zu gut aus eigener Erfahrung. Seine reformatorischen Erkenntnisse – sola scriptura, sola fide und sola gratia – widersprachen dem von ihm erfahrenen mönchischen Leben und seinen theologischen Prämissen. Luther wurde so zu einem Gegner des Mönchtums, das er im Lichte der Reformation und der von ihm propagierten evangelischen Freiheit als Menschenwerk einstufte (vgl. Pawlas 2000, 52/53). Auf Grund dieser theologischen wie später auch lebensbiographischen Abkehr Luthers vom Mönchtum zielte dieser nicht nur auf eine Reform des Mönchtums, sondern auf eine »Auflösung des Mönchsstandes« (vgl. Frank 1983, 125). Luther wertete die 70 Vgl. hierzu neben Pawlas 2000 auch Hübner 2009, 13 – 33.

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evangelische Freiheit höher als das von ihm selbst gegebene Ordensgelübde und die für ihn nunmehr irdische Bindung an das Kloster und den Orden – Luther trat aus dem Augustinerorden aus. Diese biographische Wende ist auch die Basis für Luthers Verständnis und seine Rede von der Berufung. Zu Luthers Zeiten war der Terminus »Berufung« ausschließlich theologisch konnotiert und vor allem auf den geistlichen Stand bezogen: Der mönchische Ruf aus der Welt heraus ins Kloster zu einem – in Luthers Augen – werkgerechten Leben innerhalb der Klostermauern prägte Luthers Verständnis von der ›Berufung‹. Die ›Berufung‹ wurde für ihn so zum Signum mönchischer Lebenseinstellung gegenüber der »Welt« und das mönchische Wirken entsprechend zum Ausgangspunkt der Entwicklung seiner eigenen Vorstellung von der Berufung insgesamt. Mit seiner theologischen Kritik am Mönchtum einhergehend erweiterte Luther die Rede von der Berufung vom ausschließlichen Bezug auf das mönchische Leben als Gebot Gottes auf alle gesellschaftlichen Stände und Tätigkeiten. Mit der Reformation war damit die Höherwertung der klösterlichen Berufung gegenüber dem »Ruf« des Menschen in weltlichen Arbeitsbereichen entfallen (vgl. Conze 1972, 49). Der Leitgedanke ist hier bei Luther der der Freiheit: Gottes Ruf in den Alltag ereignet sich durch das Wort Gottes und befreit den Menschen von weltlichen Hierarchien und Wertungen seines Tuns. Gottes Wort be-ruft den Menschen inmitten seiner weltlichen Stellung und Arbeit in den geistlichen Stand dessen, der sein Werk im Namen Gottes verrichtet bzw. verrichten darf. Diese geglaubte Berufung befreit nun alle tätigen Menschen ihrer innerweltlichen Wertungen bzw. Klassifizierungen und benennt ihr Wirken als ein von Gott aufgetragenes Tun – und den Beruf als verantwortliche Antwort des Menschen auf Gottes Rufen. Luthers Neukonzeption des Berufsverständnisses wird der »heftigste Angriff und Stoß, der seit dem Urchristentum gegen die Welt geführt worden ist. Nun wird in der Welt gegen die Welt Stellung bezogen, der Beruf ist der Ort, an dem dem Ruf Christi geantwortet und verantwortlich gelebt wird« (Bonhoeffer 1981, 271/272; Kursivierung im Original). Das Kloster als vormaliger Ort der Berufung wird entgrenzt, sofern nunmehr auch außerhalb der Klostermauern Gottes Berufung im Wirken in der Welt erfahrbar ist – und sich gerade dort realisiert. Zugleich verpflichtet diese Freiheit bzw. die in die Welt ergehende Berufung zu einer gewissenhaften Erledigung auch noch so geringer Tätigkeiten in der Welt.71 Die theologisch rechtmäßige Rede von der Berufung verlangt somit keine sonderlichen Tätigkeiten in möglicherweise verfassten Institutionen, wie es Luther im Mönchtum selbst erlebt hatte, sondern die Berufung ist nunmehr überall möglich und kann von jedem Christenmenschen erfahren (er-glaubt)

71 Zu erinnern ist hier an die doppelte Bestimmung von der Freiheit und Knechtschaft eines Christenmenschen in Luthers reformatorischer Freiheitsschrift.

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werden: Damit war auch außerhalb der Kirchen bzw. Klöster eine Berufung möglich. Deutlich drückt dies Luther in einer Auslegung des Fischzugs des Petrus (Lk 5,1 – 11) in einer Haus-Postille aus dem Jahr 1534 aus: In Anspielung auf das Mönchtum sagt Luther, dass ein Gott wohlgefälliges Tun nicht eines besonderen äußeren Lebens und Handelns bedarf, sondern alles Tun und Lassen allein durch das Wort Gottes zu einem rechten Gottesdienst werden kann. Jeder bleibe »bei seinem Beruf, thue, was seine Obrigkeit, sein Amt und Stand erfordert und haben will. Das heißt Gott recht gedient, und geschieht ihm ein sonder Wohlgefallen daran, wird auch Glück und Heil dazu geben. Das ist eine nöthige Lehre, da sehr viel an gelegen ist, dass wir unsern Beruf in Gottes Wort fassen, und ein jeder dessen gewiss soll sein, daß alles, was er thut und läßt, in Gottes Namen und aus Gottes Befehl gethan und gelassen sei. So kann alsdann das Herz dem Teufel Trotz bieten, guter Dinge sein, und sagen: Ich habe heute dies und das gethan, und habs darum gethan, daß ich weiß, daß michs Gott geheißen und mir befohlen hat in seinem Wort; weiß derhalben, daß es ein gut und Gott wohlgefällig Werk ist« (Luther 1987b, 753/754). Martin Luthers Verständnis von Berufung und Beruf setzt allerdings, folgen wir dieser Auslegung der beruflichen Tätigkeit des Petrus in Luk 5, nicht nur im Blick auf ein engeres Verständnis von einer Berufung zu jeglicher Erwerbsarbeit neue Akzente, sondern auch darüber hinaus (vgl. auch Weber 1920, 96 – 101): Für Luther steht jedes Tun und Lassen unter dem Zeichen der Berufung Gottes durch sein Wort in der Heiligen Schrift. Luther wandte sich damit nicht nur gegen das mönchische Berufungsverständnis und die exklusiv mönchische Beanspruchung desselben, sondern er propagierte die »Unterstellung aller weltlichen Tätigkeit unter den Gedanken der Berufung« (Lange 1992, 129; Kursivierung im Original). Für Luther und seine Zeit wird hier ein sehr viel radikaleres Verständnis von Berufung deutlich, als dies in Luthers Wirkungsgeschichte der Fall war, wo die Rede von einer Berufung auf das jeweilige berufliche Wirken und seine treue Erfüllung beschränkt blieb (vgl. Lange 1992, 128 f. und Bonhoeffer 1981, 271). Luther erweiterte die Rede von der Berufung – und die damit verbundene Wertschätzung – nicht nur vom mönchischen Beruf hinter den Klostermauern auf alle erwerbsmäßigen Berufe in der Welt, sondern radikal auf jedes Tun und Lassen des Christenmenschen im beruflichen, privaten und – in heutiger Terminologie – ehrenamtlichen Wirkungsbereich. Diese radikale Sicht Luthers der Berufung wird in seiner Auslegung zu 1. Kor 7,17 – 24 im Zeichen der Freiheit des Evangeliums begründet und ausformuliert (vgl. Hübner 2009, 16 und Pawlas 2000, 54 – 58). Die Rede von der Berufung ist für Luther nämlich letztlich bestimmt durch den »evangelischen Ruf« durch Gottes Wort: »Wie dich das Evangelium trifft, und wie dich dein Rufen findet, so bleibe«, predigt Luther (Luther 1987b, 1073). Dieser Ruf trifft den Menschen an seinem je konkreten Ort und belässt ihn in diesem, allerdings

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nun gewandelt durch den Glauben, sofern selbst der Sklave und Knecht im Glauben zum Freien vor Gott wird. Von daher sind vor Gott alle Menschen, unabhängig ihrer sozialen Herkunft und Stellung oder ihrer Dispositionen, gleich wertvoll und würdig – sie gelten je an ihrem angestammten Ort als im und durch den Glauben Berufene. Die Berufung ist also für Luther weder an einen bestimmten Beruf noch an eine spezifische Tätigkeit gebunden, sondern grundsätzlich als eine theologische Kategorie zu verstehen. Vom Evangelium gerufen sind alle Christenmenschen je an ihrem konkreten Ort in der Welt als Berufene klassifiziert und als solche anzusehen. Das Signum der Berufung ist für Luther nicht ein besonderes Tun. Die Berufung bedarf auch nicht eines Wechsels der Erwerbstätigkeit oder des Berufes, sondern im Tun und Lassen der je gewöhnlich-konkreten Tätigkeit in der Liebe realisiert sich die Berufung. Die Nächstenliebe ist für Luther das Maß und die Motivation des Tuns und Lassens in der Berufung Gottes (vgl. Luther 1987b, 1073; vgl. auch Pawlas 2000, 58 f.; 64 – 67). Die Berufung Gottes bezieht sich ethisch auf das Doppelgebot der Liebe72 im zweifachen »Auftrag zum Dienst der Weltgestaltung (= Arbeit) und den Auftrag zum Dienst an und zu der Verbindung mit dem Nächsten (= Gemeinschaft)« (Thielicke 1964, 488, S. 145; Kursivierungen im Original). In theologischer Perspektive ist eine Berufstätigkeit immer mit dem Blick auf den Nächsten zu verstehen im Sinne einer arbeitsteiligen (stellvertretenden) Gesellschaftsstruktur als Dienst am Nächsten (vgl. Thielicke 1964, 513 f., S. 151/152). Der Mensch ist in eine Verantwortung gerufen, die alle Lebensbereiche umfasst – seien es organisatorisch-gestalterische (z. B. Wohnort, Urlaub, Freizeit, Tagesrhythmus und Lebensrhythmus …) oder kommunikative (z. B. Vorgesetzter, Kollegen, Kunden, Schüler, Freunde, Familie …) Lebensbereiche. Damit steht unter dem Signum der Berufung jede ethisch vertretbare Tätigkeit wie auch jeder ethisch vertretbare73 Beruf – sei sie theologisch gedacht oder soziologisch innerweltlich (säkular) interpretiert – konstitutiv im doppelten Verhältnis zu sich selbst und zum Nächsten, zur eigenen Lebenswelt und zur Mitwelt. Wenn »der primäre Sinn der Arbeit die physische Existenzerhaltung« (Thielicke 1959, 1490, S. 410) wäre, würde ein Beruf ohne diese wechselseitigen Bezüge egoistisch und letztlich nur (noch) ein Job zum Verdienst des Lebensunterhalts. Ein auch noch so egoistisches Berufsverständnis kann zwar den Bezug zum Nächsten subjektiv 72 Vgl. zu diesem biblisch-theologischen Zusammenhang ausführlicher unter 9.3.2. 73 Die theologische Rede von der Berufung darf nicht als Legitimation für alle mit ›Beruf‹ bezeichneten Tätigkeiten missverstanden werden. Ein Beruf in systematisch-theologischer Perspektive steht konstitutiv unter dem Anspruch der ethischen Ansprüche, die aus der biblischen Tradition abgeleitet sind und muss sich an diesen ethischen Prämissen messen lassen (zu denken ist z. B. an die Tätigkeit eines Henkers oder Ausbilders von Kindersoldaten). Von daher kann nicht jede als Beruf bezeichnete Tätigkeit beanspruchen, dass Menschen zu dieser Tätigkeit von Gott berufen werden.

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weitgehend ausblenden, wird ihn aber nie ganz ausschließen können. Auch jedes jobbende Arbeiten – jede berufliche Tätigkeit – realisiert sich unweigerlich in der Kommunikation und im Verhältnis in und mit der Gesellschaft und impliziert damit automatisch eine Wirkung nach außen auf einen Nächsten hin. Deutlich wird hier wieder die Radikalität des lutherischen Berufungsverständnisses: Beruf und Berufsethos sind bei Luther nicht gebunden an klassische Berufe und Erwerbstätigkeiten, sondern evangelisch zu verstehen. Jeder Christenmensch ist berufen an je seinem Ort mit je seiner Tätigkeit zu guten Werken im Glauben. Gute Werke sind nach Luther wesentlich von Gott geboten und im Glauben zu vollziehen (vgl. hierzu Luther 1948, 5 f. sowie Pawlas 2000, 60 – 64). Die Würde als Berufener Gottes zu zählen gründet im Evangelium und kommt von daher jedem Christenmenschen zu – und gleichermaßen allen anderen Menschen, die als Geschöpfe Gottes generell unter diesem Ruf Gottes stehen.74 Vor allem sind gute Werke nicht gebunden an die – z. B. beruflich verrichtete – Art der Tätigkeit oder den Modus des Handelns: »Hier kann nun ein jeglicher selbst merken und fühlen, wenn er Gutes und nicht Gutes tut: Denn findet er sein Herz in der Zuversicht, dass es Gott gefalle, so ist das Werk gut, wenn es auch so gering wäre als einen Strohhalmen aufheben« (Luther 1948, 6). Die Wirkungen und berufssoziologischen Konsequenzen aus Luthers Berufsethik – oder vielleicht besser genannt Berufungsethik – sind demnach nicht nur im beruflichen Kontext zu suchen, sondern haben Relevanz auch bei allen Menschen unabhängig von einer erwerbsmäßigen Berufstätigkeit. Die Radikalität des lutherischen Berufsverständnisses hat allgemein anthropologische und auch spezifisch professionssoziologische Konsequenzen. Der Ruf Gottes ereilt den Menschen an je seinem Ort und würdigt den angesprochenen Menschen an diesem seinen Ort als ein Glied einer größeren Gemeinschaft (Gesellschaft). Auch die die Persönlichkeit (mit) bildende und die gesellschaftliche Stellung (mit) beeinflussende Bedeutung des Berufes ist – analog zum theologischen Verständnis von Berufung – eine grundlegende Bestimmung des Menschen unabhängig seines gesellschaftlichen Standes und seiner (beruflichen) Tätigkeit.75

74 Dieser biblisch-theologische Aspekt zeigt die Offenheit des BRU für alle Schüler unabhängig ihrer Glaubensüberzeugungen oder weltanschaulichen Einstellungen und eröffnet einem plural angelegten berufsorientierten Religionsunterricht Optionen in interreligiöser Perspektive. 75 Zur Wertung realer Berufe bei Luther vgl. Pawlas 2000, 74 – 76 (zu Luthers Urteilen in Bezug auf die Wirtschaft des 16. Jhdt.’s vgl. ebd. 108 – 128).

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4.3.4 Der Beruf zwischen Agrargesellschaft und Industrialisierung In der Zeit nach Luther wurde der Beruf nicht mehr primär vor dem theologischen Hintergrund der evangelischen Berufung gedeutet, sondern im Kontext von Gesellschaft und Erwerbstätigkeit verstanden. Zugleich blieb die religiöse Reflektion des Berufungsgedankens auch im Erwerbskontext bestimmend.76 Diese berufsethisch-religiöse Perspektive führte zu der Entwicklung, die christliche Berufung vornehmlich im Kontext der Erwerbstätigkeit zu verorten – »Bewährung der Berufung im Beruf« (Pawlas 2000, 77). Die sorgfältige und entsagungsreiche berufliche Arbeit wurde vor allem in von Calvin geprägten Vorstellungen zum Kennzeichen göttlicher Berufung. Der Beruf wird im Zusammenhang von Calvins Lehre von der doppelten Prädestination zu einer Ordnungsgröße Gottes in der Welt. Calvin bezeichnet die von Gott eingesetzten Berufe als »Lebensgestalten« (Calvin 1984, 470), deren Verrichtung nicht so unansehnlich und gering sein kann, »daß es nicht vor Gott leuchtet und für sehr köstlich gehalten wird!« (Calvin 1984, 470). Dass die Erwählung jedoch am beruflichen (wirtschaftlichen) Erfolg abzulesen sei, stammt nicht von Calvin. Diese Option, die Erwählung am wirtschaftlichen Erfolg feststellen und messen zu können, erwuchs später auf Grund eines fälschlichen Bezugs auf Calvin in der Bewegung der englischen Puritaner (vgl. Lehmann 2010, 65). Seit dem 18. Jhdt. trat zur gehorsamen Christenpflicht die innere Neigung zu einem Beruf hinzu, womit auch die persönliche Entscheidung des Einzelnen für den Beruf ausschlaggebend wurde. Die Rede vom Beruf wurde – vor allem im Idealismus – konnotiert mit der individuellen Neigung. Neben der Individualisierung rückte zugleich der gesellschaftliche Aspekt in den Blickpunkt, sofern der Beruf und seine Funktion (seine Wirtschaftsleistung) im Kontext des ökonomischen Bedarfs der Gesellschaft gesehen wurden. Die ansetzende Industrialisierung, die damit verbundene Fraktionierung der Arbeitsprozesse sowie die beginnende Entwicklung der freien Marktwirtschaft veränderten die Einstellung der Menschen zu Arbeit und Beruf. Nicht allein das Individuum, sondern der Beitrag zum allgemeinen Wohlstand prägte nun maßgeblich das Verständnis von Beruf und Arbeit. Einhergehend wurde mit der Schwächung der mittelalterlichen Ständeordnung stärker der Bezug des Berufes zur Charakterund Persönlichkeitsentwicklung der Berufstätigen gesehen und proklamiert (vgl. Lehmann 2010, 24 f.). Die skizzierten Entwicklungen brachten durch die technischen Neuerungen und in deren Folge durch die Entstehung von neuen Berufen auch einen sozialen Wandel mit sich, da sich einhergehend auch die Arbeitsbedingungen stark änderten. Mit der industriellen Produktion wurde ab 76 Vgl. insgesamt die Intention des Ansatzes von Max Weber von der Prägekraft der protestantischen Ethik für den »Geist des Kapitalismus« (so Webers Titel) bei Lehmann 2011, 22 f. (vgl. auch insgesamt dazu Pawlas 2000, 78 – 81).

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der Mitte des 19. Jh. die soziale Frage und der Zusammenhang von Arbeit und Freiheit zum Thema der Arbeiterbewegung. Nach Karl Marx wird der Arbeiter zum Anhängsel der Maschine. Seine Tätigkeit in der Fabrik ist fremdbestimmt und abstrakt geworden. Es vollzieht sich der Übergang vom ganzheitlichen Arbeiten und einem das Individuum erfüllenden Beruf hin zu einem reinen Job. Dabei kommt es zur Entfremdung des Menschen von seiner beruflichen Tätigkeit (vgl. Kießling 2010, 123 f.). Der technische Fortschritt dient mehrheitlich nicht der Erleichterung der Arbeit, sondern der intensiveren Ausbeutung der Arbeitenden, was ethische Beurteilungen provozierte. Ein klassischer Text von Karl Marx drückt dies pointiert aus: »Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur« (Marx / Engels 1848, 466). Die Kirchen und ihre Denker waren den neuen Entwicklungen in der Arbeitswelt und den damit verbundenen sozialethischen Fragen sowie gesellschaftlichen Umwälzungen nicht gewappnet. Vor allem die etablierten Kreise, zu denen auch die Kirchen zählten, standen den sozialkritischen und den auf gesellschaftlich-hierarchischen Veränderungen abzielenden Überlegungen von Karl Marx und Friedrich Engels77 skeptisch gegenüber. Von der kirchlichen Tradition herkommend reagierten die Kirchen zunächst mehrheitlich ablehnend (konservativ) und moralisch-ethisierend auf die Forderungen nach einem Wandel der Arbeitsbedingungen, womit sie die menschenfeindliche Realität des 77 Die meist verkannte Bedeutung von Friedrich Engels in dem Zusammenwirken mit Karl Marx und seine Anteile für die Entwicklung der kommunistische Lehre stellt eindrücklich Hunt (2012) heraus.

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Erwerbslebens nicht verändern konnten (vgl. Auer 2010, 133 – 137) und in die Opposition zur sozialen Lage gerieten. Die Wahrnehmung der aufkommenden sozialen Fragen und die Erfahrung der Not der Arbeiterinnen und Arbeiter bedurfte Zeit: Erst langsam und vereinzelt kam es zur kirchlichen Reaktion in Form einer (katholischen) Soziallehre (vgl. Auer 2010, 137 – 145) bzw. zu sozialdiakonischen Initiativen auf protestantischer Seite, die zumeist von Einzelpersonen initiiert wurden wie Theodor Fliedner (1800 – 1864) oder Hinrich Wichern (1808 – 1881), dem Begründer des »Rauhen Hauses« in Hamburg und der »Inneren Mission«. Nach der Erweckungszeit wurde die evangelisch-soziale Bewegung geprägt durch Persönlichkeiten wie Rudolf Tödt (1839 – 1887) und Friedrich Naumann (1860 – 1919) bis hin zum religiösen Sozialismus eines Christoph Blumhardt (1842 – 1919) oder Leonhard Ragaz (1868 – 1945).78 Der skizzierte diakonische Zweig kirchlicher Stellungnahme und Parteinahme für in der Arbeitswelt benachteiligte Bürger wird in der Gegenwart unterstützt durch amtskirchliche Initiativen wie den »Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt« (KDA; http://www.kda-ekd.de) und diverse Kampagnen und Verlautbarungen zu berufsspezifischen oder arbeitsmarktpolitischen Fragen. Hier sei beispielhaft der EKD-Text »Evangelisches Bildungsverständnis in einer sich wandelnden Arbeitsgesellschaft« (1991) genannt, der den Wandel der Arbeit (z. B. verliere die Arbeit immer mehr ihren sinnstiftenden Wert und werde zum Luxusgut, vgl. a. a. O. 9) und auch den Wert des BRU durch dessen Beitrag für die »heute notwendige[.] Bildung zum Beruf« (a. a. O. 34) benennt. Der sozialethische Anspruch von EKD-Voten zur Arbeitswelt wird auch deutlich in der EKD-Denkschrift »Handwerk als Chance« (1997), in der nach einer historischen Herleitung die sozial-ökologischen Chancen des Handwerks für das Gemeinwohl der Gesellschaft dargelegt und Forderungen für das Erreichen dieses Standards genannt werden. Im Blick auf die Bildung sowie die berufliche Bildung in ihrer dualen Ausrichtung wird gefordert, die »[s]chulische Allgemeinbildung und berufliche Bildung [zu] verbessern« (a. a. O. 97), allerdings hier bedauerlicherweise ohne eine Erwähnung des Berufsschulreligionsunterrichts. Wenn auch das sozialethische Engagement der Kirchen in und für die Arbeitswelt gesellschaftlich präsent ist, zeigt sich doch zugleich deutlich die geringe Achtung des eigenen Wirkungsfeldes »Berufsschulreligionsunterricht« inmitten der Arbeitswelt und der beruflichen Bildung.

78 Vgl. hierzu als ein Beispiel in jüngerer Zeit die ökumenische Initiative des gemeinsamen Wortes der evangelischen wie der katholischen Kirche ›Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit‹ 1997.

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›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik

4.3.5 Vom Beruf zur »Ich-AG« Die Entwicklung von Beruf und Arbeit ist seit der Industrialisierung immer stärker mit einer ökonomischen Gewinnmaximierung verbunden und von dieser bestimmt. Der in Mitteleuropa fortschreitende Prozess der Abkehr von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft – jäh unterbrochen durch Kriege und deren Bedarf am grundlegend Lebensnotwendigen – ist verbunden mit einer steigenden Zahl von arbeitslosen Bürgern. Die Entwicklung der Arbeitslosenzahl macht deutlich, dass Arbeit heute in den klassischen Industrienationen keine Selbstverständlichkeit ist, sondern zum Luxusgut geworden ist [Abb. 17]. Dieser Befund ist zugleich auch eine Ursache sozialer Ungerechtigkeiten und birgt einen gesellschaftlichen Sprengstoff, der immer wieder die sozialethische Verantwortung der beiden großen Kirchen weckt und diese zu kirchlichen Stellungnahmen herausfordert (vgl. ›Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit‹ 1997, bes. 28 ff.; zur beruflichen Ausbildung 83/ 84; 206/207). Die anhaltend hohe Zahl von Erwerbslosen ist zum großen Teil ein strukturelles Problem des Arbeitsmarktes.79 Zugleich gibt es neben den offiziellen Arbeitslosenzahlen eine hohe Dunkelziffer, sofern verschiedene Gruppen durch differenzierte Wahrnehmungen (z. B. ABM-Kräfte oder Ein-Euro-Jobber) und gezielte Maßnahmen aus der statistischen Registrierung herausfallen. Für unsere Frageperspektive ist dies insofern von Belang, als dass zu den versteckten Arbeitslosen mehrere hunderttausend Jugendliche gehören, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben und meist in Maßnahmen der Berufsschulen »geparkt« werden (vgl. Bunzenthal 2009, 4). Und wenn jemand eine Erwerbsarbeit gefunden hat, ist er heute immer stärker gefordert, sich selbst auf dem Markt – z. B. als Leiharbeiter – zu vermarkten. Obgleich der Arbeitnehmer schon immer seine Fähigkeit und Zeit an den Arbeitgeber »verkaufte«, muss er sich als Person heute sehr viel mehr als ökonomisch zu verrechnende Ware präsentieren und auf dem Markt behaupten und ›verkaufen‹. Folgerichtig ist heute auch schon von einem »Arbeitskraftunternehmer« die Rede, der bei seiner eigenen Vermarktung zwar die Risiken eines Selbstständigen trägt, auf dem Markt jedoch als Arbeitnehmer gehandelt wird (und entsprechend abhängig ist und meist schlecht entlohnt wird). Die aus der wirtschaftlichen Not geborene Idee der Gründung von Kleinstunternehmen mit dem Namen der »Ich-AG« (Wegner 2009, 73 f.) steht ebenfalls für diese Tendenz der möglichst billigen und risikoarmen Vermarktung von Arbeitskräften aus Sicht der Arbeitgeber und des Kapitals – bzw. der Abwälzung aller ökonomischen Risiken auf die Einzelperson. Jeder Job ist 79 Vgl. zu berufspädagogischen Auswirkungen des Arbeitsplatzmangels für Jugendliche bes. unter 5.2 und 5.3.

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anzunehmen »vor dem Hintergrund eines wieder in Kraft gesetzten individualistischen Arbeitsideals, dem zufolge jeder eigenverantwortlich seinen Lebensunterhalt verdienen müsse, statt sich in einer würdelosen Fremd-Alimentation durch staatliche Sozialtransfers einzurichten« (Große Kracht 2009, 192; vgl. 192 f.) Der Arbeitnehmer als Arbeitskraftanbieter bzw. als Arbeitskraftunternehmer80 wird als Jobber zur schutzlosen Ware. Die berufliche Tätigkeit wird spätestens jetzt allein zum Job: »job« war »in der englischen Seefahrersprache ursprünglich ein Klumpen Ladung, den man beliebig hin und her schieben und schubsen konnte« (Große Kracht 2009, 193).

5

Gesellschaftliche und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen als Herausforderung für die Berufsbildung heute

Die heutigen Rahmenbedingungen für den Beruf in seiner soziologischen und gesellschaftlichen Bedeutung sind bestimmt von den skizzierten langfristigen Entwicklungen sowie von einem auch noch gegenwärtig in Gang befindlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel in den letzten Jahrzehnten. Deutlich zu identifizieren ist dieser Wan-del durch den »sektorale[n] Strukturwandel zur Wissensgesellschaft«, den »Anstieg des Qualifikationsniveaus«, die »verstärkte Internationalisierung der Güter und Arbeitsmärkte« sowie eine »Heterogenisierung und Alterung der Gesellschaftsstruktur« (je Baethge / Solga u. a. 2007, 7).

5.1

Das gegenwärtige Verständnis von Arbeit und Berufsbildung – ein Werbebeispiel

»Was wäre das Leben ohne das Handwerk?« – diese Frage steht am Anfang der mit dem Beginn des Jahres 2010 gestarteten und auf fünf Jahre angelegten Imagekampagne des Handwerks in Deutschland, mit der die »Leistungs- und Innovationskraft« des Handwerks herausgestellt werden soll.81 Mit einer hohen Medienpräsenz auf Plakatwänden, Printmedien und TV-Spots gestartet, will das Handwerk sein Erscheinungsbild verbessern. Der nicht eigens genannte Hin80 Der Arbeitskraftunternehmer vermarktet seine Arbeitskraft als Ware. Dahinter steht der Wandel der Lohnarbeit hin zu einer stärkeren »Selbst-Kontrolle der Arbeitenden« und zum »Zwang zur forcierten Ökonomisierung [von] Arbeitsfähigkeiten«, was zu einer »Vertrieblichung der alltäglichen Lebensführung« führt (zum Begriff des Arbeitskraftanbieters vgl. Voß / Pongratz 2005, 128/129 sowie Reichert 2005, 175 – 192). 81 So lautet die gleichnamige Beschreibung der Werbekampagne vom Januar 2010 (vgl. hierzu insgesamt unter http://www.handwerk.de/die-wirtschaftsmacht/kampagne.html).

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›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik

tergrund ist der Verlust des Ansehens des Handwerks in seiner wirtschaftlichen Basisfunktion für die Gesellschaft in einer Zeit, in der Berufe des Dienstleistungssektors in der öffentlichen Meinung ein besseres Image als Handwerksberufe zu haben scheinen. Die durch die glamouröse Welt des Fernsehens und der anderen Medien vermittelten ›sauberen‹ und scheinbar ›anspruchsvolleren‹ Berufe rangieren höher als der »Hände Werk«. Von daher war es ein erstes Ziel der Kampagne, das Handwerk als eine Berufssparte darzustellen, ohne die es die Moderne nicht gäbe. So wird versucht die großen wie kleinen Leistungen des Handwerks vor Augen zu stellen, wobei hier weltbewegend-innovative Entdeckungen wie auch alltägliche Fertigkeiten aufgelistet sind [Abb. 18]. Den Bezug der Arbeit der Hände von den aller ersten Anfängen handwerklicher Arbeit bis hin zu den Errungenschaften der modernen Luxuswelt demonstriert die Anzeigenkampagne des Handwerks eindrücklich durch die Aufnahme biblischer Motive in verbaler wie auch visueller Art [Abb. 19]. Das Handwerk wird hier gewissermaßen als göttliches Wirken bzw. als Impulsgeber für alle modernen Fertigkeiten in technologischer, zivilisatorischer und kultureller Hinsicht dargestellt. Dabei spielt der Fortschrittsgedanke eine entscheidende Rolle – denn ohne das Handwerk würden wir heute noch wie Steinzeitmenschen leben. Diesbezüglich werden im Kontrast zu Lebensstandards der modernen Welt dem Adressaten der Kampagne Welten ohne Handwerk vor Augen gestellt: Eigenheim [Abb. 20], Frühstückshörnchen [Abb. 21], Sonntagsbraten [Abb. 22] und Wellness [Abb. 23]. Das Handwerk will sich selbst als Garant des Fortschritts und des modernen Lebensstandards zurück ins Gespräch bringen und dabei als »Die Wirtschaftsmacht. Von nebenan«82 ins Bild setzen. Dabei wird pädagogisch und vor allem emotional geschickt das Ziel der Kampagne mit Impressionen aus der Vergangenheit des Handwerks verbunden, um so ein vermeintlich früheres gutes Bild des Handwerks ins Gedächtnis zurückzuholen und mit positiven Emotionen zu verbinden. Neben der allgemeinen Erhöhung der Aufmerksamkeit für das Handwerk und seiner Imageverbesserung ist die Kampagne auch vor dem Hintergrund der Zukunftssorgen des Handwerks zu verstehen, die sich schon heute beim Facharbeitermangel ankündigt. Die demographische Entwicklung der BRD benennt nämlich die realistische Gefahr, dass es in Zukunft zu wenig Jugendliche geben wird, die ein Handwerk erlernen werden. Von daher will die Kampagne vor allem »Jugendliche begeistern, damit sie sich vermehrt für einen der 151 Ausbildungsberufe des Handwerks entscheiden.«83 So werden Jugendliche nicht allein 82 So das Motto auf dem Logo des Handwerks auf allen Werbeplakaten und Spots des Handwerks (vgl. z. B. http://www.handwerk.de). 83 So die Werbeschrift Kein Leben ohne Handwerk. Startschuss für Imagekampagne des deutschen Handwerks (Januar 2010; abzurufen unter : http://www.handwerk.de/die-wirtschaftsmacht/news.html).

Gesellschaftliche und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen

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auf ihre Arbeitskraft hin angesprochen (und reduziert), sondern gezielt auf ihre Persönlichkeit bzw. ihren Typ: »Welcher Handwerker-Typ bist Du?« Im SMSSprachstil werden sie aufgefordert: »Jetzt Beruf wählen« oder : »Lass Dich beraten.«84 Suggeriert wird hier die ideelle Vorstellung der Option der freien Berufswahl nach Kriterien der eigenen Persönlichkeit. Ebenso wird hier ein Berufsbild vor Augen gemalt, bei dem die Person des Werktätigen – und damit die klassische persönlichkeitsbildende Funktion des Berufes – im Mittelpunkt steht. Durch solche Impressionen rückt die Kampagne das Handwerk und handwerkliche Berufe geschickt in ein romantisches Licht, betont die Erfolge des Handwerks für die Moderne, aber verschweigt die vor allem wirtschaftlichstrukturellen Veränderungen sowohl im Handwerk selbst als auch die auf dem Arbeitsmarkt insgesamt. Denn entgegen der impliziten Aussage der Kampagne, dass eine freie Berufswahl nach persönlichen Neigungen möglich sei, liegt genau hier für die Vielzahl von Jugendlichen das Problem: Heute gibt es kaum die Chance der Berufswahl auf Grund eigener Interessen, Neigungen und Lebenspläne. Die in der Kampagne implizit kommunizierten klassischen sozialen und soziologischen Funktionen des Berufes haben sich vor dem Hintergrund des Wandels der Anforderungen an die Berufe in der Moderne verändert: Es gibt heute nicht mehr eine genügende Anzahl von Ausbildungsplätzen, so dass für Jugendliche die Option der freien Berufswahl überhaupt nicht besteht (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 35 – 38).

5.2

Die Tertiärisierung der Gesellschaft und ihre Folgen für die Berufsausbildung

Neben der Veränderung bei den persönlichen berufsbiographischen Rahmenbedingungen haben sich auch gravierende Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt selbst ergeben (vgl. ausführlich Baethge / Solga u. a. 2007, 26 – 34): vom frühen Wandel von der Agrargesellschaft über die Industriegesellschaft bis hin zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Diese dritte große Umwälzung der gesellschaftlich-ökonomischen Paradigmen wird mit dem Terminus »Tertiärisierung« bezeichnet [Abb. 24]. Dieser Wandel hat eine Vielzahl von Folgen: Da ist (1.) der Wandel im Anforderungsprofil der angebotenen Arbeitsplätze zu nennen, sofern die Anzahl der Arbeitsplätze mit geringer Qualifikation in der Industrie, im Handwerk und auch in der Landwirtschaft drastisch zurückgegangen ist. Denn durch die Rationalisierung und Automatisierung der Produktionsprozesse, die Verlagerung kostenintensiver (einfacher) Arbeiten in Billiglohnländer (Globalisierung) 84 http://www.handwerk.de/fotobox.html.

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›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik

sowie die höheren Anforderungsniveaus bei Berufen des Dienstleistungssektors fällt eine Vielzahl von Arbeitsplätzen ohne besondere Qualifikationsniveaus weg. Das hat zur Folge, dass gering qualifizierte Arbeitnehmer leicht und schnell arbeitslos werden. Deutlich wird dieser Zusammenhang beim Blick auf die Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen. Da die neu eingerichteten hochqualifizierten Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor den Verlust der abnehmenden Arbeit in den ersten beiden Bereichen nicht ausgleichen können, steigt die Zahl der Arbeitslosen insgesamt [vgl. Abb. 17]. Mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen mit geringem Qualifikationsniveau geht (2.) der schon angesprochene Anstieg jener Arbeitsplätze einher, die für eine zufriedenstellende Erledigung der erwarteten Aufgaben ein spezifisches Sach- und Fachwissen erfordern. Früher gab es viele Berufe, die zu ihrer gelingenden Ausführung keines großen Sach- und Informationswissens bedurften, sondern zum großen Teil auf der Basis von Erfahrungswissens gelingen konnten, das während der Berufstätigkeit erworben worden war. Dies war auch noch in den Anfängen des Industriezeitalters so lange gut möglich. Das in der Berufsausbildung erworbene Wissen wies eine hohe Haltbarkeitszeit wies, d. h. es blieb lange aktuell. Mit zunehmender Spezialisierung und Technisierung auch der industriellen Produktion und Fertigung kam es in den letzten Jahrzehnten zu einer doppelten Veränderung. Die intellektuelle Anforderung zur Berufsausübung ist stetig gestiegen und in Folge dessen sind berufsbegleitende Weiterbildungen zur Wahrung des je aktuellen Berufswissens zur Notwendigkeit geworden. Mitten in der Entwicklung zur so genannten Tertiärgesellschaft reicht das Erfahrungswissen allein nicht mehr aus. Heutige Berufsanforderungen bedürfen eines lebenslangen Lernprozesses zum Erwerb der je aktuellen beruflichen Kompetenzen und Qualifikationen (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 9 f.). Die aktuellen Anforderungen an einen Berufstätigen erfordern eine Neuabstimmung des »Verhältnisses von Erfahrungs- und systematischem Wissen in der beruflichen Bildung« (Solga 2009, 3).85 Damit ist auch die frühere Haltbarkeit des Berufswissens verschwunden. Jeder Arbeitnehmer und auch jeder Auszubildende muss sich nicht nur auf den lebenslangen Lernprozess einlassen (wollen), sondern sich auch auf Zeiten der beruflichen Umorientierung – und gegebenenfalls zeitweiligen Arbeitslosigkeit – einstellen. Die Bedeutung des Sach- und Fachwissens zeigt sich auch deutlich auf dem Arbeitsmarkt [Abb. 25], wo die Zahl der Beschäftigten mit einem wissensintensiven Beruf deutlich über der Zahl der Berufstätigen mit einem nicht-wissensintensiven Beruf liegt. Der Dienstleistungsbereich stellt nicht nur insgesamt mehr Arbeitsplätze als das produzierende Gewerbe zur Verfügung, sondern in 85 Trotz der öffentlichen Rede vom lebenslangen Lernen ist die Weiterbildungsbeteiligung der Personen mit Berufsausbildung von 24 % auf 18 %, der ohne Berufsausbildung von 11 % auf 7 % gefallen (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 9).

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allen Bereichen sind die wissensintensiven Arbeitssektoren in der Überzahl, sofern automatisierte Industrieproduktionen, weltweite Marktprozesse und globale Finanztransaktionen eine hoch qualifiziere Sachbearbeitung verlangen. Eine weitere Folge der beschriebenen Wandlungen im Zusammenhang mit der immer weiter fortschreitenden Globalisierung ist (3.) das Wegbrechen ganzer Industriezweige in den ›alten‹ Industrienationen. Beispielhaft zeigt sich das an der besonders von der Globalisierung betroffenen Textilindustrie und den davon abhängigen Handwerksbetrieben [Abb. 26]: Die Anzahl der Arbeitsplätze hat in diesem Zweig der Industrie stark abgenommen, weil die Textilproduktion im Rahmen der weltweiten Produktion in Billiglohnländer verlagert wurde. Die Berufssituation der Gegenwart ist durch die Globalisierung und das oben dargestellte Anwachsen des Dienstleistungssektors wesentlich bestimmt. Der prägende Faktor der Arbeit in der nachindustriellen Zeit liegt – im Blick auf die auf theoretischem Wissen basierenden Berufe – weniger in manuellen Fertigkeiten als in der intellektuellen Kraft der Berufstätigen. Viele Berufsprofile z. B. von Bürokaufleuten, von leitenden Angestellten, von Managern, von Ingenieuren, von Technikern sowie von Medienfachleuten sind neu entwickelt worden und zahlenmäßig stark angestiegen (vgl. hierzu Arnold / Gonon 2006, 51 ff. und Gonon bei Obermann 2012, 40 f.). Zugleich haben die gestiegenen Qualifikationsanforderungen und Arbeitsanforderungen auch massive Auswirkungen auf die sozialen Herausforderungen von Arbeitnehmern mit sich gebracht. In der Dienstleistungsgesellschaft bestimmt der Arbeitsmarkt stärker als zuvor die Lebensumstände und Lebensläufe von Arbeitnehmern. Der permanente Prozess der beruflichen Weiterbildung führt zu einer – zum Teil unbewussten und impliziten – andauernden Auseinandersetzung mit der beruflichen oder betrieblichen Wirklichkeit, wenn z. B. ein Berufswechsel (evtl. sogar mit Ortswechsel – Stichwort Mobilität) immer auch neue Sozialisationsanstrengungen mit sich bringt. Wo früher das gesellschaftlich geprägte und allgemein akzeptierte Berufsethos den Status des Arbeitnehmers zum großen Teil mit bestimmte, muss der Berufstätige in der auf Globalität und Ökonomie basierenden Dienstleistungsgesellschaft im Kapitalismus selbst für seine gesellschaftliche Stellung sorgen und seine soziale Stellung eigenverantwortlich kreieren. Die Arbeitswelt stellt die Bedingungen der je eigenen Verwirklichung – und die eigene Leistung in der Arbeitswelt bestimmt die soziale Rolle in der Gesellschaft mit. Der Arbeitnehmer bekommt heute gewissermaßen nicht mehr mit dem Beruf eine soziale Anerkennung zuerkannt, sondern er muss sich seine gesellschaftliche Reputation auch außerberuflich verdienen. Der Arbeitsplatz wird so zum Ort der Auseinandersetzung mit der persönlichen Verwirklichung und gesellschaftlichen Stellung. Zugleich kann eine Dienstleistungsgesellschaft – trotz aller Gegensätze zum Agrar- und Industriezeitalter – ihrer Aufgabe und ihrem wirtschaftlichen

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Funktionieren nicht nachkommen, ohne die Tätigkeiten des Agrarsektors wie des Industriesektors. Die Dienstleistungsgesellschaft ist angewiesen auf fremde Tätigkeiten in den Bereichen, die in der tertiären Gesellschaft nur noch eine geringe Rolle spielen. Ohne die Gewinnung von Bodenschätzen, die handwerklichen Bautätigkeiten und die arbeitsintensive Fertigung und Produktion von Waren aller Art kann eine Wissensgesellschaft nicht erfolgreich existieren. Tätigkeiten des ersten und zweiten Sektors sind die bleibenden Grundlagen auch der Wissensgesellschaft – allerdings sind es fremde Leistungen, die die tertiäre Gesellschaft stützen und fördern, indem sie diese befreien zum mehrheitlichen Wirken im tertiären Bereich. Diese Abhängigkeiten von fremden Leistungen immer wieder zu bedenken und zu erinnern ist eine bleibende Aufgabe der Kirchen und der berufsbildenden Religionspädagogik.86

5.3

Die demographische Entwicklung der BRD und die Folgen für die Berufsausbildung

Die Altersstruktur einer Gesellschaft hat nicht nur einen direkten Einfluss auf die Art und Höhe der Ausstattung von politischen und sozialen Versorgungssystemen (z. B. die Schulpolitik im Blick auf junge oder die Renten- und Pflegesysteme im Blick auf alte Menschen), sondern auch auf die Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft, auf die Potentialität der Arbeits- und Wirtschaftskraft (Bruttosozialprodukt) sowie letztlich auch auf die Bedarfe an Ausbildungsplätzen samt der damit verbundenen zukünftigen Lebens- und Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft. Zur Feststellung der Bedarfe an Ausbildungsplätzen und der entsprechenden Chancen Jugendlicher auf eine umfassende Berufsausbildung gilt es den aktuellen und prognostizierten Zusammenhang von Demographie und Berufsausbildung in Erinnerung zu rufen: Die Altersstruktur der BRD wandelt sich dramatisch, sofern sich die so genannte Bevölkerungspyramide, nach der es im Normalfall über die Jahrhunderte mehr junge als alte Menschen gab, gerade auf den Kopf stellt. Die Zahl der jugendlichen Bevölkerung nimmt in der BRD kontinuierlich ab, während die Zahl der ›Alten‹ immer größer wird. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird es immer weniger junge Menschen und dafür immer mehr alte Menschen geben.87 Die prognostizierte Abnahme von Schulabgängern weist für die Zukunft ein »Rekrutierungsproblem« von Auszubildenden auf. Signifikant ist dabei in der 86 Diese hier nur angedeuteten Zusammenhänge und Verstrickungen der modernen Ökonomie mit einer zerstörenden Wachstumsvorstellung erörtert fundiert Niko Paech (2012). 87 Auf die besondere Rolle bzw. die spezifischen Herausforderungen des Arbeitsmarktes von morgen für die ältere Bevölkerung verweisen Bellmann / Leber 2011, 29 – 31.

Gesellschaftliche und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen

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BRD [Abb. 27] auch der typische Unterschied von alten und neuen Bundesländern (vgl. hierzu Reform des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung (2011), 10). So ist in den neuen Bundesländern schon seit ca. 2005 ein massiver Einbruch der Zahl der Jugendlichen erkennbar, die nicht studienberechtigt sind und zumeist eine Ausbildung im dualen System anstreben. Nach der prognostizierten Entwicklung ist der Tiefstand im Osten mittlerweile durchschritten und wird sich wohl auf niedrigem Niveau stabilisieren. In den alten Bundesländern hat der rapide Einbruch schon begonnen, wobei der Tiefpunkt nach dem Jahre 2020 noch bevorsteht. Deutlich zeigt sich eine langfristige Tendenz mit gravierenden Folgen für das duale Berufsbildungssystem. Vor allem die Zahl der Jugendlichen, die für eine Ausbildung im Dualen System zur Verfügung stehen, nimmt überproportional ab. »Die Berufsausbildung, die als arbeitsintegrierte ihre Begründung im Wesentlichen aus der Bindung an das Erfahrungswissen bezogen hat, gerät gegenüber der höheren Allgemein- und wissenschaftlichen Bildung immer weiter ins Hintertreffen, verliert […] an Attraktivität und entspricht auch nur noch einem geringer werdenden Bedarf der Wirtschaft« (treffend Baethge / Solga u. a. 2007, 75). Dennoch gibt es gegenwärtig für den Osten der BRD auch schon eine positive Folge des Langzeittrends. Wegen des Geburtenrückgangs gibt es dort gegenwärtig so wenige Ausbildungssuchende, dass selbst die wenigen Ausbildungsplätze den Bedarf decken und deshalb viele der in den neuen Bundesländern verbliebenen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz finden können [Abb. 28]. Obgleich die differenzierte Sicht auf die Entwicklung der Zahl der Bevölkerung vor dem Hintergrund der obigen Analyse deutlich zeigt, dass zukünftig Ausbildungsplätze in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen werden und entsprechend die Auszubildenden rar sein werden, verdeckt der Blick auf diese langfristig-positiven Entwicklungen, dass für die gegenwärtige Problematik der fehlenden Ausbildungsplätze die Wirtschaft selbst verantwortlich ist. In der Vergangenheit ist die Wirtschaft der hohen Nachfrage nach Ausbildungsplätzen mit ihrem geringen diesbezüglichen Angebot, was deutlich an den tatsächlich abgeschlossenen Ausbildungsverträgen sichtbar wird, nicht nachgekommen (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 24 – 27). Aber auch der kommende Mangel an Auszubildenden wird für viele Jugendliche – besonders mit schwächeren Schulzeugnissen – zu keiner Chancenverbesserung führen und das Übergangssystem88 überflüssig machen, da diese oft nicht das heutige Ausbildungsniveau 88 Datenmaterial zum Übergangssystem bietet die Studie Bildungswege und Berufsbiographie von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Anschluss an allgemein bildende Schulen (2006; kurz: BIBB-Übergangsstudie; vgl. auch Ausbildungschancen und Verbleib von Schulabsolventen 2008). Zu einem analogen Urteil kommt Euler 2010, wo er die Aktivierung des »Reservoir[s] an Kompetenzen und Begabungen im Übergangssystem« (21) als zukünftige Herausforderung und Aufgabe formuliert.

100

›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik

erreichen (können). Zudem wird auch zukünftig in strukturschwachen Gegenden immer noch ein Mangel an Ausbildungsplätzen herrschen, so dass dort weniger Jugendliche als gewollt in eine Ausbildung einmünden werden. Der Indikator für eine ausreichende Versorgung an Ausbildungsplätzen ist die so genannte »rechnerische Einmündungsquote« (Reform des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung (2011), 7; vgl. insgesamt 7/8). Sie besagt wie viele Jugendliche von 100 Schulabgängern einen Ausbildungsplatz erhalten. Experten sprechen von einem ausreichenden Ausbildungsplatzangebot, wenn über Jahre mindestens eine Quote von 66 % erreicht wird. Die derzeitige Entwicklung offenbart eine paradoxe Situation: Trotz des Geburtenrückgangs und dem damit verbundenen Überangebot an Ausbildungsplätzen wird es regional unversorgte Jugendliche auf Grund strukturschwacher Regionen geben. Vor allem zwei Gründe sind es, die die Zahl der unversorgten Jugendlichen erhöhen: Es werden (1.) auch in Zukunft viele Betriebe ihre Anforderungen nicht so absenken, »dass sie allen Schulabgängern unabhängig von ihrer Vorbildung und Motivationslage Ausbildungsplätze anbieten werden« (Reform des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung (2011), 10; Kursivierung im Original).89 Die fehlenden Ausbildungsplätze minimieren damit auch eine entscheidende Leistung des deutschen dualen Berufsbildungssystems: die Option des individuellen Kompetenzerwerbs und die Chancengleichheit von sozial benachteiligten Jugendlichen, sofern diese im dualen System eine zweite Chance für den eigenen Bildungsprozess erhalten (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 12 f.). Daneben gibt es (2.) einen hohen Rückstau von Jugendlichen, die in den letzten Jahren keinen Ausbildungsplatz finden konnten und immer noch auf der Suche nach einer Ausbildung sind. Von den beiden zuletzt genannten Gründen sind besonders Jugendliche mit geringer Qualifikation betroffen.90 Das Übergangssystem wird es also trotz des Geburtenrückgangs noch lange geben (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 25 ff. sowie Ulrich 2010, 2 – 5) – mit einer wahrscheinlich hohen Zahl an Jugendlichen, deren Einmündung in ein Ausbildungsverhältnis nicht 89 Die Studie urteilt weiter, »dass in der jüngeren Vergangenheit die Komplexität der Arbeitswelt und damit einhergehend die Qualifikationsanforderungen der Betriebe deutlich gestiegen seien. Somit ist es plausibel, dass das Anwachsen des Übergangssystems zu einem gewissen Teil auch auf die zunehmende Überforderung niedrig qualifizierter Teilgruppen unter den Schulabgängern zurückgeführt wird« (9). 90 Das gesamte Übergangssystem ist in seinen Auswirkungen als Ergebnis bzw. Ausdruck einer gravierenden Bildungsungerechtigkeit in Deutschland zu betrachten. Durch die doppelten Abiturjahrgänge der nächsten Jahre auf Grund der Einführung von G8 – Abitur nach acht Jahren Gymnasium – wird sich dieser Trend noch verschärfen, sofern dann Abiturienten ohne Studienabsicht oder -möglichkeit auf den beruflichen Ausbildungsmarkt drängen und auf Grund ihres höherwertigen Abschlusszeugnisses den Jugendlichen mit einem Hauptoder Realschulabschluss einen Ausbildungsplatz »wegschnappen« können (bei anzunehmender gleichbleibender Zahl von Ausbildungsplätzen).

Gesellschaftliche und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen

101

absehbar ist.91 Diese sachlich passend als Rückstaugeneration zu nennenden Jugendlichen bilden eine verlorene Generation derjenigen, die ohne Chance im Berufsbildungssystem verharren und irgendwann aus diesem in eine berufspädagogisch nicht zu verantwortende Existenz am Rande der Gesellschaft aufbrechen. Diese dramatischen Lebensbiographien sorgend in den Blick zu nehmen ist eine der bleibenden Aufgaben für den BRU. Dieser Befund signalisiert zugleich das langfristige Zukunftsproblem der Ausbildungsbetriebe: die vergebliche Suche nach Auszubildenden bzw. damit korrespondierend das massive arbeitsmarktpolitische Problem des Fachkräftemangels. »Zwischen 2005 und 2006 stieg der Bestand an offenen Stellen in den wichtigsten Metallberufen um 80 %, bei den Elektrikberufen um 92 %. In diesen Berufsgruppen sanken die Ausbildungsneuverträge seit Mitte der 1980er Jahre um 60 bis 80 Prozentpunkte. Ähnliches gilt für den Baubereich. Das zeigt: Die sich abzeichnende Fachkräftelücke ist hausgemacht« (Baethge / Solga u. a. 2007, 8). Der steigende Bedarf an Arbeitsplätzen korrespondiert mit einem gleichzeitigen Rückgang der Ausbildungsquote [Abb. 29 u. 30]. Vor allem im expandierenden tertiären Bereich tut sich eine Lücke auf in der Entwicklung der Zahl der Beschäftigten zu der der Auszubildenden. Die sich öffnende Schere zwischen diesen beiden Zahlen markiert das beginnende Problem des Fachkräftemangels. Besonders dramatisch ist dieser Fachkräftemangel in der BRD und für das duale System, da der Facharbeiter und die mit ihm verbundene Wertschöpfung das Rückgrat der auf Qualität basierenden deutschen Wirtschaft sowie die besondere Leistung der dualen Berufsbildung war und ist. Diese hohe Wertschöpfung in der deutschen Produktionsweise ist auch der Grund des hohen Exportüberschusses der deutschen Wirtschaft, der nicht nur Ausdruck dieser Qualität ist, sondern auch die ökonomische Basis für die Berufsbildung ist bzw. sein könnte (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 18 f.). Die vorangegangenen Ausführungen zu gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Faktoren des Wandels des Arbeitsmarktes und der Ausbildungssituation haben eines deutlich werden lassen. Die »Fiktion des ›Lebensberufs‹« (Solga 2009, 22) ist ausgeträumt! Arbeitnehmer müssen in Zukunft ihren Berufswerdegang kreativ in die Hand nehmen und im Zeitalter der Indi-

91 Einhergehend mit dieser Prognose über den bleibenden Bestand des Übergangssystems haben das BIBB und die Bertelsmann-Stiftung die bisherigen Vorschläge zur Verbesserung des Übergangssystems gesichtet und gewichtet. Als Ergebnis wurde eine Liste von 18 Reformvorschlägen präsentiert, die das Autorenteam aus den unterschiedlichen Kontexten abgeleitet und neu zusammengestellt hatte. In der Befragung sollten die Jugendlichen und die Experten diese Vorschläge sichten und werten, was mit einer überraschenden Übereinstimmung in der Wertung von Experten und Schülern geschehen ist (vgl. hierzu Reform des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung 2011).

102

›Beruf‹ als Kriterium der berufsorientierten Religionspädagogik

vidualisierung auch ihr Leben immer mehr selber steuern.92 Eine verantwortliche und zukunftsfähige Berufspädagogik wird ihrer Rolle gerecht werden, wenn sie diese geänderte Voraussetzung der Berufsbildung wahrnimmt und umsetzt – und zukünftig nicht mehr weiter monolinear ausbildet. Jugendliche heute bedürfen einer umfassenden Aus-Bildung mit Personalkompetenzen über den engen Berufsbezug ihres Lehrberufs hinaus. Sie müssen schon in ihrer (ersten) Ausbildung dazu befähigt werden, im Laufe ihrer Berufsbiographie aus eigenem Antrieb Weiterbildungen im erlernten Beruf zu besuchen. Heutige Auszubildende müssen für morgen lernen, mit ihrer Berufsfähigkeit auch andere Berufstätigkeiten ausführen zu können oder evtl. sogar einen neuen Beruf zu erlernen, wenn Zeiten der Arbeitslosigkeit durch ihre berufliche Bildung mit dem erlernten Beruf nicht langfristig zu vermeiden sind.93 Heutige Auszubildende müssen durch ihre berufliche Bildung zu einer »individuellen Stärke« kommen – sie benötigen eine »Veränderungskompetenz« (Wittwer 2011, 117.114(f.); vgl. insgesamt 113 – 130). Im Blick auf ihre zu prognostizierende lebenslange Berufsweiterbildung brauchen Jugendliche einen würdevollen Platz in der Gesellschaft zur Ermöglichung der Befähigung eines selbsttätigen lebenslangen Lernprozesses.

92 Den Faktor Zeit und seine Zwänge im Blick auf die Selbststeuerung moderner Lebensbiographien untersucht und erörtert Schapfel-Kaiser 2008, bes. 19 – 22. 93 Vgl. hierzu schon die Ausführungen von Humboldt, der bei aller beruflichen Spezialbildung eine allgemeine Weite in der beruflichen Bildung für unabdingbar hielt, um eine allzu große Beschränkung an Möglichkeiten durch eine enge Bildung zu vermeiden (vgl. dazu oben unter 2.1).

Abbildungen (Teil II)

Juli 2012

Entwicklung der Anzahl der Arbeitslosen in Deutschland, West- und Ostdeutschland - in Tausend 6.000 Schwache Konjunktur nach Ende des New-EconomyBooms, Hartz IV-Effekt 5.000

Rezession, Anpassungsprobleme der ostdeutschen Wirtschaft

Westdeutschland Ostdeutschland

4.000

Rezession durch Ölpreiskrise

3.000 Abbau der Nachkriegsarbeitslosigkeit

Rezession durch Ölpreiskrise

2.000

Vollbeschäftigung, zwischenzeitlich milde Rezession

1.000

0 1950 1)

Besserung am Arbeitsmarkt, unterbrochen durch Weltfinanzkrise

1)

Bundesgebiet

1955

1960

1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

2005

2010

2015

Bundesgebiet: bis 1949 ohne Berlin (W est) und Saarland, bis 1958 ohne Saarland, bis 1990 Bundesgebiet West (ohne das Gebiet der ehemaligen DDR).

Quelle: Arbeitslosenstatistik der BA

© Statistik der Bundesagentur für Arbeit

Abb. 17. Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2012): http://statistik.arbeitsagentur.de/StatischerContent/Statistische-Analysen/Analytikreports/Zentrale-Analytikreports/Jaehrliche-Analytikreports/Generische-Publikationen/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitreihen/Analyse-Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitreihen-2011.pdf

Abb. 18: Quelle: http://www.handwerk.de/die-wirtschaftsmacht/kampagne.html

Abb. 19: Quelle: http://www.handwerk.de/die-wirtschaftsmacht/kampagne.html

Abb. 20: Quelle: http://www.handwerk.de/die-wirtschaftsmacht/kampagne.html

Abb. 21: Quelle: http://www.handwerk.de/die-wirtschaftsmacht/kampagne.html

Abb. 22: Quelle: http://www.handwerk.de/die-wirtschaftsmacht/kampagne.html

Abb. 23: Quelle: http://www.handwerk.de/die-wirtschaftsmacht/kampagne.html

Abb. 24: Quelle der Grafik: Hauptsache Arbeit (2009): Wandel der Arbeitswelt nach 1945, hg. von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld, 22 Entwicklung der Zahl der Beschäftigten in verschiedenen Bereichen der gewerblichen Wirtschaft in Deutschland wissensintensive Dienstleistungen wissensintensives produzierendes Gewerbe

nicht-wissensintensive Dienstleistungen nicht-wissensintensives produzierendes Gewerbe

Index 130 120 110 100 90 80 70

Jahr

1995

1999

2003

2007

1991=100. Anteile an der Gesamtbeschäftigung in 2007: wissensintensives produzierendes Gewerbe 15 Prozent, sonstiges produzierendes Gewerbe 23 Prozent, wissensintensive Dienstleistungen 24 Prozent, sonstige Dienstleistungen 38 Prozent. Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Statistik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Berechnungen und Schätzungen des NIW.

Abb. 25: Quelle: http://www.e-fi.de/fileadmin/Gutachten/2009_deu.pdf, S. 57

Abb. 26: Quelle: Hauptsache Arbeit (2009): Wandel der Arbeitswelt nach 1945, hg. von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld, 86

600.000

200.000 180.000

500.000

160.000 140.000

400.000

120.000

West 300.000

Ost

100.000 80.000

200.000

60.000 40.000

100.000

20.000 0

0 1990

1995

2000

2005

nicht studienberech9gt

2010

2015

2020

studienberech9gt

2025

1990

1995

2000

2005

nicht studienberech9gt

Abb. 27: Quellen: StBA, KMK, Berechnungen des BIBB

2010

2015

2020

studienberech9gt

2025

Abb. 28: Quelle: Ulrich, Joachim Gerd (2010): Zur Lage junger Menschen beim Übergang Schule – Beruf. In: denk-doch-mal.de: Online-Magazin für Arbeit – Bildung – Gesellschaft 3 (2010), 8 S. (www.denk-doch-mal.de/node/299), 5

Schaubild 1: Entwicklung von Beschäftigung und Ausbildung nach ausgewählten Wirtschaftssektoren im Vergleich zum Basisjahr 1980 (=100) in den alten Ländern 160

140

120

Tertiärer Bereich : Beschäftigung Ausbildung

100 Sekundärer Bereich: Beschäftigung Ausbildung

80

60

2002

2000

1998

1996

1994

1992

1990

1988

1986

1984

1982

1980

40

Abb. 29: Quelle: http://www.bmbf.de/_media/bbb_pdf/bbb2005_schau01.pdf

Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge, Angebot und Nachfrage in der dualen Ausbildung im früheren Bundesgebiet* 1976 bis 2005 800.000

750.000

700.000

650.000

600.000

550.000

500.000

2005

2004

2001

1998

1995

1992

1991

1988

1985

1982

1979

400.000

1976

450.000

Abgeschlossene Neuverträge Angebot an Lehrstellen (Neuverträge + unbesetzte Stellen) Nachfrage nach Lehrstellen (Neuverträge und unvermittelte Bewerber) Nachfrage nach Lehrstellen (Neuverträge + Bewerber mit weiterem Vermittlungswunsch)

*) ab 1992 ohne Berlin (West) Quelle: Bundesinstitut für Berufsbildung, Erhebung zum 30.09., Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.

Abb. 30: Quelle: Baethge, Martin / Solga, Heike / Wieck, Markus unter Mitarbeit von Christiane Petsch (2007): Berufsbildung im Umbruch. Signale eines überfälligen Aufbruchs, hg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, 26

III Teil: Die Würde des Menschen als Kriterium von Bildung – ein biblisch-theologisches Intermezzo

In den bisherigen Ausführungen sind die Grundlagen für die konstruktive Erarbeitung und Darstellung einer integrativen Didaktik des BRU erörtert worden. In historischer Perspektive wurde das geistesgeschichtliche Bildungsverständnis im Blick auf die Berufspädagogik ausgehend von Humboldt bis zum (Reform-) Ansatz von Herwig Blankertz entfaltet und durch einen Ausblick auf die Bedingungen eines umfassenden Bildungsverständnisses in der Berufsbildung in den Zeiten der Globalisierung ausgedehnt. Den zweiten Zugang zum Thema bildete die Erörterung zum gegenwärtigen Berufsverständnis und der grundlegenden Entwicklungen, die bis heute den Berufsausbildungsmarkt bestimmen und damit in indirekter Weise auch die Kriterien der Berufsbildung. Bevor wir nun im dritten Teil der Arbeit die konstruktive Didaktik des BRU – vor dem Hintergrund der soeben geschilderten Hintergründe (Teil 1) – entwickeln und entfalten wollen, sollen in zwei Schritten biblisch-theologische Impressionen einen Raum eröffnen für die folgende Darstellung der integrativen Didaktik des BRU. In den Blick genommen werden dabei Begegnungen, die die biblische Tradition als wegweisende Begegnungen von Menschen mit Jesus schildert. Dabei will das biblisch-theologische Intermezzo keineswegs religionspädagogischen Vorgaben formulieren, sondern Perspektiven und Räume vor Augen stellen, in denen sich biblisch-theologische Erkenntnisse auch in religionspädagogischer und didaktischer Ausrichtung realisieren können. Der Hintergrund dieses Zwischenschrittes sind die Begegnungen, die Jesus als Lehrender mit unterschiedlichen Menschen hatte und bei denen grundlegende Kategorien biblischer Begegnungskultur deutlich werden. Diese in den Evangelien überlieferten Lehrsituationen Jesu sollen auf ihre Relevanz für heutige pädagogische Kriterien befragt und ausgelegt werden, wobei die vorangehenden Exegesen im Text allein paraphrasiert werden. Zwei dieser Begebenheiten sollen näher in den Blick genommen werden: Jesu Umgang mit Kindern und deren Bedeutung für die Lehrbotschaft Jesu (Mk 10,13 – 16 par.) sowie sein Aufeinandertreffen mit einer Ehebrecherin und deren Anklägern (Joh 7,53 – 8,11) – eine Episode, die meist nicht als Lehrsituation wahrge-

112

Die Würde des Menschen als Kriterium von Bildung

nommen wird. Die in den Blick genommenen biblisch-theologischen Zwischenrufe werden unter folgenden Schlagworten dargestellt werden: »In Freiräumen Würde erfahren« (Joh 8) und die »Begegnung mit Kindern als Maß der Pädagogik« (Mk 10).

In Freiräumen Würde erfahren – biblische Begegnungen Für Jesus war es eine gute Tradition, im Tempel zu Jerusalem zu lehren. Besonders der Evangelist Johannes betont immer wieder den Zusammenhang von Jesu Aufenthalten im Tempel und seiner Lehrtätigkeit. Prototypisch wird hierfür das nächtliche Lehrgespräch Jesu mit dem Schriftgelehrten namens Nikodemus geschildert, in dem Jesus typisch johanneisch durch ein doppelbödiges Frageund Antwortgespräch seine theologischen Erkenntnisse zu vermitteln sucht. Die Inhalte der Lehrgespräche sind meist theologische Zentralfragen wie die Frage nach dem Glauben (Joh 3 mit Nikodemus), die Frage nach einem erfüllten Leben (mit einer Samaritanerin in Joh 4) oder die Frage nach dem Tod und dem ewigen Leben (mit den Schwestern des Lazarus in Joh 12). Allen diesen Dialogen ist die geschilderte Wirkmächtigkeit der Worte Jesu im Dialog mit seinen Gesprächspartnern charakteristisch. Jesu Worte zielen auf eine Veränderung seiner Gesprächspartner über das kognitive Erfassen seiner Worte hinaus. Es geht um eine perspektivische Neueinstellung im Blick auf zentrale Lebensfragen aus Sicht des Glaubens und damit eine neue (oder korrigierte) Lebenseinstellung, die sich im Verlauf der Dialoge beim Gegenüber Jesu in Freiheit einstellte. Die Schilderungen im Johannesevangelium haben damit selbst eine zutiefst pädagogischdidaktische Intention. Ein Gespräch in der soeben charakterisierten Form stellt eine in Joh 8 geschilderte Begegnung Jesu im Tempel mit Schriftgelehrten und einer Frau dar, in der es um die Frage von Schuld und Vergebung geht. Diese Begegnung stellt eine besonders intensive Lehrsituation dar :94 Jesus war zum wiederholten Male im Tempel, um zu lehren. Er betritt mit dem Tempel nicht nur das Zentrum des religiösen Lebens des damaligen Judentums, sondern auch einen für seine Lehre bevorzugten und gewissermaßen schon institutionalisierten Raum. Am Abend zuvor hatte Jesus zuletzt im Tempel gelehrt und dabei Unterstützung erhalten 94 Dass dieser Abschnitt in den ältesten Handschriften nicht überliefert und von daher aus textkritischen Gründen als spätere (»sekundäre«) Hinzufügung anzusehen ist, sei an dieser Stelle erwähnt. Im Sinne unserer biblisch-theologischen (und nicht exegetischen) Besinnung auf didaktische Prämissen kann diese exegetische Erkenntnis unberücksichtigt bleiben, da wir gesamtkompositorisch von der theologischen Endgestalt des Evangeliums durch den Evangelisten (Redaktor) ausgehen (vgl. ausführlicher zur Geschichte und Deutung des Textes innerhalb des Johannesevangeliums Schnackenburg 1985, bes. 224 ff.).

In Freiräumen Würde erfahren – biblische Begegnungen

113

von Nikodemus, der sein Gesprächspartner im ersten im Johannesevangelium geschilderten Lehrgespräch war (Joh 3). Die Erinnerung an dieses prototypische Lehrgespräch leitet ein zu dem Gespräch, das wir im Folgenden näher in den Blick nehmen werden: Am Morgen kommt Jesus zurück an den Ort seiner Lehre. Eine große Menge von Zuhörern gesellt sich zu ihm. Gleichfalls kehren am Morgen auch die Schriftgelehrten und Pharisäer zurück. Mit sich bringen sie eine namentlich nicht genannte Frau, die sich nach jüdischem Recht des Ehebruchs schuldig gemacht hat. Der Auftritt dieser Gruppe mit ihrer »Gefangenen« steigert die Dynamik der jesuanischen Lehrgespräche mit den Schriftgelehrten und Pharisäern, da deren Interesse neben der Verurteilung der Frau als Ehebrecherin in der Klärung der offenen Frage liegt, was es mit der Person Jesu auf sich hat angesichts des jüdischen Gesetzes (und der Gesetzesauslegung). Denn der johanneischen Schilderung nach waren sie am Abend zuvor mit dieser offenen Frage uneins auseinander gegangen. Nun wollen sie mit dem konkreten Fall seine Rechtgläubigkeit überprüfen und ihn im Blick auf seine Gesetzestreue auf die Probe stellen. Und um nicht in die Gefahr zu geraten, in einem Rechtsstreit der Wirkung der Worte Jesu argumentativ zu unterliegen und damit ihr Ziel der Anklage gegen Jesus zu verfehlen, konfrontieren sie Jesus mit der Angeklagten, deren Schuldigkeit des Ehebruches außer Frage steht. Die konzentrierte Situation der Lehrtätigkeit Jesu ist damit gestört. Neben der Zuhörerschaft Jesu hat sich eine Front ihm gegenüber aufgebaut. Im Zentrum steht nun vor Jesus die Angeklagte, an deren Verurteilung er rein nach Gesetzeslage auch nicht vorbeikommen wird. Die rechtmäßige Verurteilung scheint nur noch reine Formsache zu sein. Juristisch und szenisch bewusst von den Schriftgelehrten in diese Entscheidungssituation gestellt und zu einer Stellungnahme zur Frage der Pharisäer gedrängt, reagiert Jesus befreiend, indem er die erzwungene Sozialkonstellation (religionspädagogisch gesprochen: Sozialform) der anwesenden Gruppen aufsprengt. Denn Jesus reagiert nicht wie erwartet mit einem Wortbeitrag zur Sache, sondern entzieht sich dem Antwortzwang, indem er sich bückt. Jesus macht sich klein, verringert rein körperlich die Angriffsfläche und nimmt so auch den Druck aus der Konfrontation. Sich bückend lenkt Jesus den Blick von der Angeklagten auf sich selbst. Mit diesem Perspektivwechsel schafft Jesus einen neuen Fokus. Er entlastet die Angeklagte von den sie durchbohrenden Blicken, befreit seine Zuhörer davon, allein auf die ängstliche Frau zu sehen, verunsichert die Ankläger durch die Ungewissheit der kommenden Reaktion und steigert so die Spannung bei seinen Widersachern (und Lesern des Evangeliums). Jesu unkonventionelles Handeln lenkt auch die ursprüngliche Erwartung aller Anwesenden eines Wortbeitrags auf den Fortgang seiner Handlung. Im absoluten Zentrum des Geschehens ist nun der gebückte Jesus, der mit dem Finger auf die Erde schreibt. Was Jesus auf den Boden schreibt ist nicht

114

Die Würde des Menschen als Kriterium von Bildung

überliefert. Waren es Notizen seiner Entgegnung? Waren es Punkte der Verteidigung, der Anklage oder gar des Freispruchs? Es ist nicht überliefert. Szenisch ist der Inhalt allerdings von geringer Relevanz, da die Aktion des Schreibens an sich schon eine große szenische Bedeutung gewinnt und dramaturgische Wirkung erzielt. Denn Jesus fokussiert nicht nur die volle Aufmerksamkeit auf sich, sondern bricht den Kontakt zu seiner Umwelt ab: Der sich bückende und auf den Boden schreibende Jesus ist szenisch allein vorstellbar, wenn er auf den Boden blickt. Beim Schreiben hat Jesus keinen verbalen als auch keinen visuellen Kontakt zu seiner Umwelt. Jesus steigert durch sein Verhalten die Spannung insgesamt und unterbricht zugleich den sich steigernden Zwang zur Reaktion auf die Provokation. Auch zeitlich steigert Jesus die Spannung und nimmt doch zugleich Druck aus dem Geschehen, sofern der Akt des Schreibens beim Rezipienten des Evangeliums Langsamkeit und Ruhe suggeriert. Die unkonventionelle Reaktion Jesus macht ihn zum handlungsbestimmenden Souverän der Szene. Die durch Jesu Verhalten in die Defensive gedrängten Pharisäer und Schriftgelehrten wollen ihre Handlungssouveränität wieder zurück erhalten und fragen deshalb hartnäckig weiter und reden auf den schreibenden Jesus ein. Schließlich nimmt dieser die Handlung wieder in seine Hand, indem er sich erhebt und seinen Gesprächspartnern die berühmte Frage stellt: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!« (Joh 8,7b). Anschließend lenkt Jesus wie zuvor die gesamte Aufmerksamkeit auf sich und seine eigene Aufmerksamkeit ab von seinen Herausforderern: Jesus bückt sich wieder und schreibt weiter. Jesus eröffnet so den – in ihrem gesetzlichen Urteil – selbstsicheren Anklägern der Frau einen unbeobachteten Abgang, ohne das Gesicht verlieren zu müssen. Die Szene ist gewissermaßen ein Gerichtsurteil ohne ausgesprochenen Schuldspruch. Jesu Verhalten und seine in keiner Weise verurteilende Frage werden zum selbstredenden Urteil (vgl. Schnackenburg 1985, 228 f. und 231). Jesu Konzentration auf das Schreiben und sein Blick von den Anklägern weg hin auf das Geschriebene ermöglicht den Anklägern das Eingeständnis ihrer eigenen Schuld sowie der unrechtmäßigen Anklage und eröffnet ihnen damit auch einen würdevollen Abgang: Sie können in der Einsicht und mit dem Eingeständnis ihrer eigenen Defizite gehen, ohne zu einer gebückten Büßerhaltung gezwungen zu werden. Langsam – einer nach dem anderen – verlassen alle Ankläger den Tempel und reinigen so die Situation, da mit ihnen auch die Anklage den Ort des Geschehens verlassen hat. Als alle Schriftgelehrten und Pharisäer gegangen sind, stehen Jesu Zuhörer und die Frau in der Mitte schweigend auf dem Tempelplatz. Da spricht Jesus erstmals zu der beim Ehebruch ertappten Frau. Mit seinen Worten eröffnet Jesus auch der Frau einen würdevollen Abgang, indem er sie auf die fehlende Anklage hinweist und sie aussprechen lässt, dass es keine Klage gegen sie gibt. Gleichwohl hält Jesus vor

In Freiräumen Würde erfahren – biblische Begegnungen

115

dem Forum seiner Zuhörerschaft die ethische Schuld aufrecht, ohne das mögliche Vergehen zu ahnden oder die Frau zu diffamieren: »Geh und sündige fortan nicht mehr!« (V. 8,11bb). Zuvor hatte Jesus rückwirkend die Autorität der ganzen Begegnung durch seine Worte als göttlichen Freispruch ohne Bagatellisierung gedeutet und manifestiert, indem er sagte: »Auch ich verurteile dich nicht.« (V. 8,11ba). Dramaturgisch bewusst so gestaltet erreicht die Geschichte am Ende ihren Höhepunkt – Jesus meistert die Probe, indem er eine situative Freiheit eröffnet, die alle Beteiligten zu einem authentischen Verhalten führt, das zugleich die je eigene Antwort auf die Herausforderung der Szene darstellt. Die Gestaltung der Szenerie zeigt Jesus als den Souverän, der die Beteiligten ohne Druck zu einem Perspektivwechsel führt und geläutert in ihren Alltag mit neuen Kompetenzen entlässt. Ich komme zu einer religionspädagogischen Bewertung der johanneischen Szene im Licht der oben paraphrasierten Deutung: Jesus gestaltet die Lehr- und Lernsituation mit Hilfe seiner eigenen Position und Stellung souverän, wodurch der Person des Lehrers hier eine bedeutende und prägende Rolle zukommt. Jesus schafft eine Atmosphäre der Freiheit, sofern er den beteiligten Personen einen Raum zur Selbstfindung und -reflexion eröffnet und sie durch den Perspektivwechsel zu einer neuen Einschätzung der Situation führt. Als Lehrer kommt Jesus aus seiner (anderen) Situation in die Gegenwart der Lernenden hinein und konfrontiert seinen Kontext und seine Sicht mit den Fragen seiner »Schüler« und eröffnet ihnen so neue Perspektiven der (Selbst-)Wahrnehmung und Horizonte neuer Handlungsoptionen.95 Jesus nimmt die anfängliche Situation der autoritativen und gewaltsamen Begegnung wahr, weitet deshalb die Begegnung perspektivisch und eröffnet damit auch die Option einer Begegnung in Würde. Diese Herbeiführung eines würdevollen Umgangs der beteiligten Personen – ohne erzwungene Emotionalisierung durch eine beispielsweise zur Schau getragene Versöhnung – erscheint hier als die Basis eines von Jesus heraufgeführten effektiven und nachhaltigen Lernprozesses. Neben den direkt beteiligten Personen – hier die Schriftgelehrten und Pharisäer und dort die angeklagte Frau – spielen auch die Zuhörer Jesu eine aktive Rolle darin, da sie die Zuerkennung der Würde des Nächsten als einen personenübergreifenden Akt bzw. eine Kommunikation innerhalb einer sozialen Gemeinschaft darstellen. In Wort und Tat sowie in einer passenden – weil auch durch die Personen mit Authentizität geprägten – Lernatmosphäre initiiert und begleitet Jesus Lernprozesse bei seinen Rezipienten (nämlich damaligen Zuhörern und heutigen Lesern des Evangeliums).

95 Zu dieser pädagogischen Leistung vgl. auch das Lehrgespräch zwischen Jesus und Nikodemus in Joh 3.

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Die Würde des Menschen als Kriterium von Bildung

Die Erfahrung des Angenommenseins als Maß der Pädagogik96 Begegnungen Jesu mit Kindern sind nur spärlich überliefert. Ob dieser Befund die tatsächlichen Begebenheiten wiederspiegelt enthebt sich jeder Verifikation. Dessen ungeachtet wird ein Aufeinandertreffen Jesu mit Kindern überliefert, das auch eine pädagogische Perspektive aufweist, die es nun darzustellen gilt: die sogenannte Kindersegnung.97 In eine Lehrsituation hinein (so Mk 10,1) tritt eine nicht näher bezeichnete Personengruppe auf, die Kinder in die schon bestehende Lehrszene hineinbringen. Wer die Kinder zu Jesus brachte, bleibt offen. Das Motiv jedoch nennt der Verfasser des Evangeliums: Jesus solle den Kindern die Hände auflegen. Erstaunen löst die Reaktion der Jünger gegenüber den Erwachsenen aus, die die Kinder zu Jesus bringen. Denn die Abwehr der Erwachsenen zur Verhinderung der Begegnung Jesu mit den Kindern trifft indirekt die Kinder gleichermaßen. Zu verstehen ist diese Reaktion der Jünger, sofern Kinder in der damaligen Gesellschaft keinen hohen Stellenwert besaßen und die Jünger sich vor dem Hintergrund dieser Haltung ein solches Verhalten erlauben konnten. Jesus unterbricht das abwehrende Handeln der Jünger und besteht ausdrücklich auf der Begegnung mit den Kindern. Jesus spricht die Kinder würdevoll als die an, für die die neue Wirklichkeit des Reiches Gottes Realität geworden ist. Kinder gehören vorbehaltlos in Gottes Reich. Jesus fordert seine Zuhörer auf, selbst wie ein Kind zu werden, um in das Reich Gottes zu gelangen: Klein »werden vor Gott und den Menschen, das Über-andere-herrschen-wollen beiseite legen, zum Abbau eigener Privilegien bereit sein« (Gnilka 1980, 81), lautet die Forderung Jesu. Zur Unterstützung dieser Botschaft an die Jünger und die umstehenden Menschen nimmt Jesus die Kinder in seine Arme, legt ihnen die Hände auf und segnet sie. Diese demonstrative Annahme der Kinder mitsamt der genannten Einzelmomente (in die Arme nehmen, Handauflegung und Segen) ist allein im Kontext der gesamten Szene und von dieser her zu interpretieren. Der Sinn ergibt sich aus der Dynamik der Szene, in der die körperliche Zuwendung Jesu als gegenwärtig sich ereignende Verwirklichung des angebrochenen Reiches Gottes zu verstehen ist. Die Kinder leben durch die Zuwendung Jesu mitten im Reich Gottes. Jesus vollzieht damit durch das Segenswort exemplarisch, was er inhaltlich den Erwachsenen in dem mit ›Amen‹ eingeleiteten Wort dargelegt hat. In dem zuvorkommenden Vertrauen der Kinder vollzieht sich die Aufnahme im Reich Gottes durch Gott. Der Segen spricht autoritativ zu und bestätigt, was 96 Vgl. zum Folgenden ausführlicher Obermann 1998, 75 – 79 (die die Szene darstellenden Passagen sind teilweise wörtlich dieser früheren Publikation entnommen). 97 Leitend ist die älteste Überlieferung in Mk 10,13 – 16 (die synoptischen Parallelstellen werden bei dieser deutenden Paraphrase nicht berücksichtigt).

Die Erfahrung des Angenommenseins als Maß der Pädagogik

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passiert. Die Kinder werden von Jesus in das Reich Gottes aufgenommen. Ihnen ist ein Leben unter der neuen Wirklichkeit des angebrochenen Reiches Gottes mitten in der Welt zugesagt. Diese Segenshandlung Jesu ist vor dem gesellschaftlich-historischen Hintergrund zu verstehen. Dem Segen liegt ein gemeinschaftsstiftender Aspekt inne, sofern die Annahme die Überwindung von Trennungen bedeutet. Jesu Zuwendung in Wort und Tat erfährt durch die prägnante Form ›Gesegnet seid ihr (von Gott)‹ ihre göttliche Erfüllung: Die neue Wirklichkeit des Angenommenseins durch Gott wird gewißmachend zugesagt und erfahrbar demonstriert (vgl. Obermann 1998, 78 f.). Ich komme nun auch hier zu einer religionspädagogischen Bewertung der Szene im Licht der oben paraphrasierten Deutung. Als die Lehre Jesu unterbrochen wird, reagiert Jesus wieder souverän gestaltend, indem er die Kinder umarmt und sie – gegen die Aktion der Jünger – in die Gemeinschaft aufnimmt. Jesu Lehre vollzieht sich wiederum im Wort und in einer dieses Wort unterstützenden Geste. Inhaltlich legt Jesus deutlich einen großen Wert auf eine Vermittlung der Würde aller Menschen einer Gesellschaft, die bei ihm auf der unbegründeten und unbedingten Liebe Gottes basiert. Im Blick auf die Kinder und deren Lernprozess – die Wahrnehmung des Angenommenseins durch Gott – schafft Jesus eine entsprechende Lernatmosphäre, indem er interveniert und die Kinder in den Arm nimmt. Diese die Herausbildung der Identität fördernde Erfahrung der Akzeptanz ist das pädagogische Fundament, auf dem Jesus seine Lehre aufbaut. Diese menschliche Grunderfahrung ist hier die Basis aller Lernprozesse bzw. die Grundlage aller umfassenden (ganzheitlichen) pädagogischen Prozesse. Dabei hat Jesus eine deutliche Option für die Gruppen einer Gesellschaft, deren Stellenwert in der Gesellschaft gering geachtet wird und deren Entfaltungsmöglichkeiten (auch ihrer Persönlichkeit) von der Mehrheitsgesellschaft (duldend) eingeschränkt werden. Die Annahme der Kinder symbolisiert die grundlegende Akzeptanz und Gleichwertigkeit aller Menschen.98 Zusammenfassend und zum biblisch-theologischen Intermezzo resümierend gilt es festzuhalten, dass die Lehre fünf pädagogische Leitlinien bzw. Perspektiven aufzeigt, die auch bei der Konzeption heutiger didaktischer Entwürfe zu bedenken und zu beherzigen sind: So ist die Erfahrung (1.) des Angenommenseins durch Mitmenschen (und Gott) und (2.) von Freiräumen zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ein Maß einer christlich-religiös geprägten Pädagogik. Diese religiösen Lernprozesse vollziehen sich (3.) je in einer die Würde der Lernenden (und Lehrenden) achtenden Lernatmosphäre sowie 98 Dieses pädagogische Anliegen wird z. B. auch deutlich ausgedrückt in der – eine didaktische Intention wie alle Gleichniserzählungen habende – Beispielerzählung vom »barmherzigen Samariter« (vgl. Lk 10,25 – 37).

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Die Würde des Menschen als Kriterium von Bildung

(4.) konstitutiv in der direkten Begegnung der Lernenden und Lehrenden (und untereinander). Die Vermittlung der Inhalte in diesen Lernprozessen erfolgt (5.) in einer Kombination der kognitiven Kommunikation und einer diese unterstützenden (performierenden) Gestik.

IV Teil: Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis von Allgemeinbildung in der Berufsbildung

In den bisherigen Ausführungen ist immer wieder die Entwicklung des Bildungsbegriffs und des Bildungsverständnisses im Zusammenhang von allgemeiner und beruflicher Bildung angesprochen worden. Beginnend bei Humboldt hatten wir das Verhältnis von allgemeiner und spezieller (beruflicher) Bildung nachgezeichnet. Diese beiden Pole bildungstheoretischen und –praktischen Denkens begegneten uns auch bei Kerschensteiner, Blankertz, Schelten, Gonon / Arnold sowie zuletzt in den bildungspolitischen Äußerungen zu Bildungsstandards und Kompetenzen bis hin zu DQR und EQR (I. Teil). Auch die Ausführungen zum modernen Berufsbild als Kriterium des BRU (II. Teil) und das biblisch-theologische Intermezzo (III. Teil) erfolgten immer wieder unter Aufnahme des Verhältnisses von Allgemeinbildung und Berufsbildung. Im folgenden Teil IV sollen nun die Leitlinien für ein integratives Bildungsverständnis von Allgemeinbildung in der Berufsbildung entworfen werden. Die nun darzustellenden Rahmenbedingungen in institutioneller (6.1), kirchlicher (6.2) und fachdidaktischer (6.3) Perspektive sollen den Weg eröffnen für eine Darstellung der berufspädagogischen Anforderungsprofile (7.1 bis 7.3) heute. Der letzte Teil V wird am Beispiel des Berufsschulreligionsunterrichts das Verhältnis und die Bezüge von allgemeiner zu spezieller Bildung im Kontext der gegenwärtigen berufspädagogischen Diskussion nachzeichnen. Eine besondere Berücksichtigung wird dabei der Würde als Leitbegriff einer integrativen Didaktik (8) sowie der Frage nach dem Religiösen im BRU (9) zuteil.

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

6

Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen – eine Standortbestimmung

6.1

Die institutionellen Rahmenbedingungen des BRU heute

6.1.1 Der BRU in der Vielfalt beruflicher Schulen Die landläufig klassische Bezeichnung »Berufsschule« als der für die Berufs(aus)bildung zuständige Schultyp in der BRD ist letztlich der Name für ein ganzes Schulsystem, unter dessen Namen eine Reihe von Schulen zusammengefasst sind, die alle unterschiedlichen Bereiche der beruflichen Bildung abdecken. Beispielhaft sei die Fülle der Schulformen der Berufsschule anhand des Berufskollegs in NRW99 dargestellt. Namensgebend mit dem Terminus »Berufsschule« ist als erste (1.) jene Schule zu nennen, in die Auszubildende mit einem Ausbildungsplatz an einem oder zwei Tagen zur Theorieschulung kommen und im Betrieb an den anderen Tagen arbeiten und »lernen«. Wegen dieser zwei Lernorte wird dieser Schultyp als duales System bezeichnet und ist der klassische Typus der bundesdeutschen Berufs(aus)bildung (vgl. Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen 2008, 6 – 9). Das Berufsorientierungsjahr wie auch das Berufsgrundschuljahr gehören als vollzeitliche Bildungsgänge der Berufsvorbereitung ebenfalls zur Berufsschule. Die Berufsfachschule ist (2.) eine Schule, die zweijährig entweder zu einer beruflichen Grundbildung oder einem Berufsabschluss nach Landesrecht je mit einem mittleren Schulabschluss (Fachoberschulreife) führen soll und an die sich eine Berufsausbildung im dualen System anschließen soll(te) (vgl. Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen 2008, 10 – 12). Daran schließt sich (3.) die »Höhere Berufsfachschule« mit dem Abschluss einer beruflichen Qualifikation (vollzeitschulischer Abschluss nach Landesrecht) und der Fachhochschulreife an (vgl. Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen 2008, 13 – 17). Das (4.) berufliche Gymnasium mit den möglichen Abschlüssen einer beruflichen Qualifikation und der Erlangung der allgemeinen Hochschulreife (vgl. Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen 2008, 18 – 21) sowie (5.) die Fachoberschule, die in der Kombination von schulischer und praktischer Ausbildung diverse Abschlüsse wie den gebundenen (Fachhochschulreife) oder freien (allgemeine Hochschulreife) Zugang zu einer Hochschule anbieten (vgl. 99 Für andere Bundesländer wäre ein fast analoges Bildungsangebot bei abweichender Bezeichnung der einzelnen Bildungsgänge darzustellen (vgl. z. B. für Baden-Württemberg: www.schule-bw.de/ schularten/berufliche-schulen/; für Niedersachsen: www.bbs.nieder sachsen.de/portal/live.php? navigation_id=1886& _psmand=8 oder für Bayern: www.verwaltung.bayern.de/egov-portlets/xview/Anlage/4010581/Die%20beruflichen%20Schulen% 20in%20Bayern.pdf; Zugriffe je am 14. 8. 2012). Eine generelle Beschreibung der einzelnen Richtungen von Berufsschulen in der BRD ist auf Grund der länderspezifischen Ausgestaltung des beruflichen Schulwesens im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten.

Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen

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Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen 2008, 22 – 25), runden das Angebot z. B. der Berufskollegs in NRW ab. Darüber hinaus schließen (6.) die Fachschulen (vgl. Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen 2008, 26 f.) für eine berufliche Weiterbildung und die Erlangung der Fachhochschulreife das Angebot der Berufskollegs ab.100 Diese beispielhaft an Nordrhein-Westfalen dargestellte – und in ihren länderspezifischen Variationen im Grundsatz bundesweit vergleichbare – komplexe Organisation des Berufsschulsystems schuldet ihre Vielfalt an angebotenen Bildungsgängen den neueren Entwicklungen des Arbeitsmarktes und der Berufsbildung. Die Chancenlosigkeit vieler Jugendlicher auf eine Ausbildungsstelle und die Ausweglosigkeit anderer Jugendlicher, mit einer Ausbildungsstelle das Übergangssystem verlassen zu können, schlägt sich im Angebot der nordrheinwestfälischen Berufskollegs (und der Berufsschulen bundesweit) nieder, sofern diesen Jugendlichen hier »Maßnahmen« geboten werden, um »ausbildungsreif« zu werden, um auf schulischem Weg einen Berufsabschluss zu erwerben oder um eine schulische Höherqualifizierung zur anschließenden Chancenerweiterung zu erreichen. Die gesamten berufsvorbereitenden und berufsqualifizierenden Maßnahmen im gewerblichen wie auch kaufmännischen Bereich101 der Berufskollegs (Berufsschulen) sind Spiegel und Reaktion auf die Ausbildungssituation für Jugendliche in den letzten Jahrzehnten. 6.1.2 Die rechtlichen Spielräume des BRU nach GG 7,3102 Unsere heutige juristische Bestimmung des Religionsunterrichtes in der BRD geht zurück auf den Weimarer Schulkompromiss. Damals verzichteten die Kirchen auf rein politischer Grundlage darauf, dass grundsätzlich alle Schulen als Bekenntnisschulen zu organisieren seien. Vor dem Hintergrund dieses Verzichtes und der damit möglichen Organisation eines staatlichen Schulsystems räumte die Nationalversammlung den Kirchen ein, auch in den Gemeinschaftsschulen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach erteilen zu können. Dabei sollte die inhaltliche Ausrichtung des Religionsunterrichtes jeweils in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erfolgen. Heute wird diese Bestimmung aus Art. 7,3 GG als sogenannte »institutionelle Garantie« bezeichnet. Als Folge dieses Weimarer Schulkompromisses hat der 100 Keine Berücksichtigung finden hier z. B. die Meisterkurse, die auch noch unter dem Dach der Berufskollegs angeboten werden – meist abends als berufsbegleitende Bildungsmaßnahme mit dem Abschluss des Meisters. 101 Anders verhält es sich bei den sozialen Berufen, deren Ausbildung meist nicht dual organisiert ist, sondern in vollzeitschulischen Bildungsgängen unterrichtet wird mit einem anschließenden Anerkennungsjahr als praktischem Teil der Ausbildung. 102 Auszüge der folgenden Ausführungen sind vorab erschienen in Obermann 2011a, 127 – 151.

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

Religionsunterricht als einziges Schulfach Eingang gefunden in unser Grundgesetz. Als ordentliches Lehrfach wird der Religionsunterricht in Art. 7.3 GG benannt: »Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.« Juristisch weitergehend stützt sich die Erteilung von Religionslehre insgesamt auf Art. 4.1 GG: »Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.« Nach Art. 7,3 GG in Folge von Art. 4,1 GG haben alle Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechtes die Option, ihren Anspruch auf Religionsunterricht zu erheben und die Inhalte ihres Unterrichtes im Rahmen der allgemeinen Bildungsziele und in »Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« – in der Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen – festzulegen. Die Wendung »Grundsätze der Religionsgemeinschaften« stammt aus der Weimarer Reichsverfassung und wurde dort verstanden als Ausdruck für die »positiven Lehrsätze und Dogmen« der einzelnen Religionsgemeinschaften – d. h. es ging um die Darstellung der eigenen Glaubenslehre im Gegenüber zur anderen Kirche. Das Ziel war die Einführung der Schüler in das Lehrgebäude der eigenen Kirche zur Stabilisierung dieser und der Gesamtgesellschaft. Eine deutliche Verschiebung dieses exklusiven Konfessionsverständnisses im Sinne einer monokonfessionellen Ausrichtung des Religionsunterrichts ereignete sich in Folge der 68er Jahre des letzten Jahrhunderts und ihrer gesellschaftlichen Umbrüche. Beide großen Kirchen plädierten für einen Religionsunterricht, »in dem es nicht primär um Übernahme bestimmter konfessioneller Glaubenstraditionen und um die Eingliederung in die konfessionelle Glaubensgemeinschaft gehen sollte, sondern um Hilfe für eine eigenständige religiöse Orientierung, die dialogisch argumentativ in Rede und Gegenrede geleistet werden müsse« (Schlüter 2000, 4). In dieser Linie bestimmte die Evangelische Kirche in Deutschland 1971 ihre Grundsätze neu (vgl. Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland 1971, 123 f.). Die EKD spricht »überkonfessionell« von den Grundsätzen des christlichen Glaubens in Verbindung mit dem »biblischen Zeugnis von Jesus Christus«, von der Beachtung der geschichtlichen Zusammenhänge von Bekenntnissen als heutigem Verstehensrahmen und von der Wahrung des Zusammenhangs von religiöser Vermittlungsaufgabe und dem »Zeugnis und Dienst der Kirche«. Von grundlegender Bedeutung bei der Vermittlung religiöser Inhalte seien auch die wissenschaftliche Durchdringung der Inhalte sowie die Gewissensfreiheit des Lehrenden. Darüber hinaus sei es ein evangelischer Grundsatz, sich mit den »geschichtli-

Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen

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chen Formen des christlichen Glaubens (Kirchen, Denominationen, Bekenntnisse) zu befassen, um den eigenen Standpunkt und die eigene Auffassung zu überprüfen […]. Entsprechendes gilt für die Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Religionen und nichtchristlichen Überzeugungen.« Letztlich soll die pädagogische Gestaltung des Religionsunterrichts den Grundsätzen entsprechen und in den Dialog und die Zusammenarbeit einüben. Auf katholischer Seite gab es Anfang der 70er Jahre analoge Entwicklungen: »In der künftigen Sekundarstufe II bzw. Kollegstufe können die katholischen Religionslehrer in Vereinbarung mit den nicht-katholischen mehrere Kurse anbieten, zwischen denen die Schüler wählen können. In diesem Fall soll der Religionsunterricht beim Religionslehrer des eigenen Bekenntnisses des Schülers den größeren Zeitraum einnehmen.«103 Aufgebrochen wurde damit die bislang gültige Trias des Religionsunterrichts: katholischer Inhalt, katholischer Schüler, katholischer Lehrer. Diskutiert wurde damals über »die Einrichtung von Kursen mit verschiedenen Ausbildungszielen, die von der Schülerzahl und vom Führungsstil wie von der Organisation her allen Konfessionen eine Mehrzahl von Religionskursen ermöglicht, zwischen denen die Schüler frei wählen könnten und die sie mit projektieren sollten. Gefordert wurde eine möglichst umfangreiche Kommunikation zwischen den verschiedenen Positionen, wobei der weltanschauliche Pluralismus der Gesellschaft bewusst hineingenommen und didaktisch aufgearbeitet werden sollte, was zu einem bekenntnisoffenen Religionsunterricht führen müsse« (Schlüter 2000, 5). Von beiden Kirchen wurde der Religionsunterricht damals verstanden als Unterricht, der theologisch und pädagogisch zu verantworten sei angesichts der Aufgabe der Identitätsfindung der Schüler. Die Grundsätze der Religionsgemeinschaften wurden angewandt als didaktische und pädagogische Kategorie. Dieser inhaltliche Konsens der Kirchen in einem weiten (ökumenischen) Verständnis von Konfessionalität im Religionsunterricht konnte sich aber in keiner der Kirchen durchsetzen. Stattdessen erfolgte wieder die Betonung der eigenen Bekenntnisse in monokonfessioneller Ausrichtung. Die heutige Diskussion bestimmen weniger die Erkenntnisse der 70er Jahre und pädagogisch-didaktischen Faktoren, sondern oft juristische Urteile zur Frage der Konfessionalität. So präzisiert das Bundesverfassungsgericht 1987 wegweisend, dass der Religionsunterricht als Unterricht (vgl. Füssel 2000, 33) in »konfessioneller Positivität und Gebundenheit« zu erteilen sei: »Sein Gegenstand ist […] der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheit zu vermitteln ist seine Aufgabe. Dafür, wie dies zu geschehen hat, sind grundsätzlich die Vorstellungen der Kirchen über Inhalt und Ziel der

103 So die Deutsche Bischofskonferenz 1970 (zitiert bei Schlüter 2000, 7).

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

Lehrveranstaltung maßgeblich« (Bundesverfassungsgericht 1987, 74, 244.252; vgl. Füssel 2000, 33). Vom Gesetzgeber her gilt der Religionsunterricht dann als konfessionell, wenn er in Verantwortung der jeweiligen Religionsgemeinschaft als der von »ihr gestaltete« Religionsunterricht anerkannt und ausgewiesen ist. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem 1987er-Urteil festlegt, dass es Schülern erlaubt sei, an dem Religionsunterricht einer Konfession ihres persönlichen Beliebens teilzunehmen, wenn diese das zulässt: »Die geordnete Teilnahme von Schülern einer anderen Konfession am Religionsunterricht ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich, solange der Unterricht dadurch nicht seine besondere Prägung als konfessionell gebundene Veranstaltung verliert« (Bundesverfassungsgericht 1987 (1BvR 47/84) B II).104 Der konfessionelle Religionsunterricht schließt demnach einen neutralen Standpunkt des Lehrenden aus. Konfessionell und damit ein Religionsunterricht im Sinne 7,3 GG ist ein Unterricht dann, wenn »Bekenntnisinhalte« – »nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft« (Bundesverfassungsgericht (1 BvR 47/84) B I.) – der Gegenstand des Unterrichts sind. Diese juristischen Bestimmungen eröffnen Spielräume für eine konfessionelle Gestaltung des BRU jenseits einer konfessionellen Engführung. Entscheidend ist hierfür die Bewertung der garantierten Religionsfreiheit, nämlich »einen bestimmten Glauben zu haben, zu bekennen und auszuüben, gerade diesen und keinen anderen.« Der Gesetzgeber nennt das die Ausschließlichkeit: »Die Religionsfreiheit setzt Ausschließlichkeit voraus. [… D]as Grundgesetz schützt diesen Ausschließlichkeitsanspruch. Niemand kann die Religionsgemeinschaften zwingen, neben dem eigenen Glauben auch noch einen anderen Glauben zu lehren« (je Richter 1994, 318; Kursivierungen im Original). So sehr nun die Religionsfreiheit die Ausschließlichkeit als »institutionelle Garantie« sicherstellt, bindet sie den Religionsunterricht an das Bekenntnis. Diese Argumentationsfolge schließt einen dialogisch-offenen Unterricht im Kontext der Pluralität aus.105 Die Rechtslage erlaubt jedoch auch eine andere 104 Vgl. ebenso den Runderlass zur ›Islamischen Unterweisung‹ des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 28. 9. 1999 sowie die Stellungnahme der Evangelischen Landeskirchen in NordrheinWestfalen dazu. »Namentlich beim Religionsunterricht liegt es auf der Hand, dass die Vermittlung von Glaubenssätzen gegenüber Angehörigen eines fremden Bekenntnisses inhaltlich und didaktisch einen anderen Ablauf der Lehrveranstaltung erfordern kann als bei Konfessionszugehörigen« (Bundesverfassungsgericht (1 BvR 47/84) B II). Zum sukzessiv – meist beginnend im Primarbereich – in vielen Bundesländern eingeführten Islamischen Religionsunterricht nach GG 7,3 vgl. beispielhaft für NRW die Mitteilung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung: http://www.schulministerium.nrw. de/BP/Islamischer_Religionsunterricht/index.html (abgerufen am 19. März 2013). 105 »Da das Freiheitsrecht nun aber die Ausschließlichkeit der jeweiligen Religion potentiell

Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen

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Lesart. Wenn nämlich der Inhalt der zu schützenden Organisationsform auf Grund der Religionsfreiheit von den Religionsgemeinschaften zu bestimmen ist, kann auch das »Strukturprinzip« der »Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften über die Inhalte des Religionsunterrichts« (Richter 1994, 321; Kursivierungen im Original) gestellt werden, wodurch den Religionsgemeinschaften Spielräume entstehen. Falls nämlich eine Religionsgemeinschaft von ihrer Lehre her eine plurale Offenheit und ein ökumenisches und/oder multireligiöses Miteinander als Wesensmerkmal ihres Glaubens postuliert, könnte sie auch einen modern offen-dialogischen Religionsunterricht in pluralen Kontexten verwirklichen.106 Auf dem Boden des Grundgesetzes stehen wir somit zwischen der Weite und Offenheit der 70er Jahre und den konfessionellen Profilierungstendenzen des neu beginnenden Jahrtausends. So gilt es heute in Rückbesinnung auf die pädagogische Weite der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zu reflektieren, wie die Grundsätze der Religionsgemeinschaften aus theologischer sowie aus pädagogischer Perspektive inhaltlich zu verstehen und für die Gegenwart zu bestimmen sind.

6.2

BRU und kirchlicher Anspruch: Was bedeutet Konfessionalität für den BRU heute?

6.2.1 Die kirchlichen Grundsätze für den BRU – systematisch-theologische Überlegungen Bei den »Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« (GG 7,3) geht es heute um die Bestimmung der systematisch-theologischen Grundlagen in einem gesellschaftlich-juristischen und (religions-)pädagogischen Kontext. Zur einvernehmlichen Klärung der Frage nach den Bekenntnisgrundlagen der Kirchen im Kontext Schule sind die verschiedenen theologischen und nichttheologischen Disziplinen gefragt. Biblisch-theologisch ist die Schrift seit jeher didaktisch zu umfasst, ist ein multireligiöser Religionsunterricht nach der historischen und systematischen Interpretation des Art. 7 III GG ausgeschlossen« (so pointiert Richter 1994, 320; Kursivierungen im Original). »Die institutionellen Garantien sind ›erfunden‹ worden, um bestimmte gesellschaftliche Sachverhalte festzuschreiben und gegen Veränderungen zu schützen« (Richter 1994, 321). 106 Nach Richter (1994, 322) wäre es im Rahmen von sich entwickelnden und verändernden kirchlichen Lehren auch mit der institutionellen Garantie des Art. 7,3 GG vereinbar, »im Rahmen eines Versuchs einen ›multireligiösen‹ Religionsunterricht auf Zeit« zuzulassen. Vgl. auch Ennuschat 2003, der insgesamt eine engere Auffassung vertritt und a. a. O. 93 darauf hinweist, dass der Religionsunterricht auf Grund des Konfessionalität nach dem Schulrecht und dem Kirchenvertragsrecht »jeweils einer Kirche oder Religionsgemeinschaft zuzuordnen« ist (Kursivierung im Original; vgl. auch Gloy 2000, 11).

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

verstehen und damit – religionspädagogisch gesprochen – zutiefst anwendungsorientiert. Die Texte des Alten und Neuen Testaments sind verfasst mit der Intention, ihre Leser zu belehren. Eine biblische Theologie allein für sich ist undenkbar und unbiblisch zugleich! Eine auf der Bibel gegründete Theologie ist konstitutiv ek-zentrisch und damit bezogen auf den Menschen als unmittelbaren Adressaten ihrer Botschaft: Zielte eine Theologie auf eine wie auch immer geartete Selbstgenügsamkeit, dann würde sie aufhören biblische Theologie zu sein. Damit kommt der christlichen Theologie konstitutiv eine religionspädagogische Dimension und eine didaktische Aufgabe zu. Der Religionspädagogik kommt hier die Aufgabe zu, durch Analysen der Gegenwart (1.) die Lebens- und Verständniskontexte zu beschreiben, in die hinein die theologischen Aussagen zu äußern sind und vor deren Hintergrund sich die Theologie didaktisch bewähren und bewahrheiten muss. Zugleich muss sie (2.) im Kontext allgemeiner pädagogischer Tendenzen und gesellschaftlicher Entwicklungen reflektieren, was überhaupt zu lehren sei, wie das geschehen kann und mit welchen Zielen das erfolgen soll: »Theologie ist vor allem religiöse Gegenwartsdeutung, und religiöse Hermeneutik in einem umfassenden Sinne. Sie kann sich keineswegs exklusiv auf historische Quellen und schon gar nicht auf Bekenntnistexte allein beziehen« (Kunstmann 2005, 43). In diesem Sinn trägt die Religionspädagogik (Praktische Theologie) genuin zur theoretischen Theologiebildung bei.107 Vor diesem Hintergrund gilt es nun nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften unter systematischen Gesichtspunkten zu fragen. Zur inhaltlichen Präzisierung hilft ein Blick in die Grundartikel und Bekenntnisse z. B. der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR)108 : Relevant und bestimmend sind hier bis heute neben den Schriften der Hebräischen Bibel und des Neuen Testaments auch die altkirchlichen Symbole, die Bekenntnisschriften der Reformation oder die Theologische Erklärung von Barmen (1934). Theologisch haben alle diese Texte als Bekenntnisgehalt ihren Wert bis heute. Bei ökumenischen oder interreligiösen Konsensgesprächen sind diese Texte auch zu diskutieren. Die Heilige Schrift ist und bleibt das entscheidende Kriterium für die Wahrhaftigkeit einer theologischen Aussage im christlichen Kontext. Wie z. B. die Grundsätze und Bekenntnisse der Rheinischen Kirche an der ökumenischen Praxis im BRU schon lange keinen Dissens mehr bilden (vgl. Schlüter 2000, 31 – 107 Siehe auch Rothgangel / Thaidigsmann 2005, 10, die über die Religionspädagogik ausführen: »Die im Evangelium angesprochenen und in ihrem Verstehen herausgeforderten Menschen in den Blick zu nehmen, kann nicht Sache einer nachgeordneten Anwendung sein. Vielmehr gehört diese Aufgabe in den Vollzug von Theologie hinein und bedarf sachlicher und methodischer Verantwortung.« 108 Vgl. hierzu die Grundartikel (www.ekir.de/www/downloads/-_KO_Sonderdruck-_2011. pdf) und die gültigen Bekenntnisse der EKiR (www.ekir.de/www/glauben/bekenntnisse. php; je abgerufen am 19. März 2013).

Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen

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153) und als (konfessionell-kontroverser) Gesprächsstoff zu keiner Diskussion mehr animieren, können sie auch kaum als persönlicher Bekenntnisgehalt für Schüler im BRU dienen: Die genannten Texte evozieren von sich aus für Schüler keine unmittelbar-selbstverständlichen Bezüge zu ihren Lebenswelten und können ihnen folglich keine Orientierungshilfen erschließen.109 Braucht es also neue positionelle Bekenntnistexte für Jugendliche heute? Fundamentaltheologisch reichen die klassischen Texte als »Grundsatz der Religionsgemeinschaft« aus. Was jedoch Not tut ist eine hermeneutische Reflexion des Verständnisses der Grundsätze für Jugendliche heute, da die fundamentaltheologische Positionalität der Bekenntnistexte in pädagogischer und didaktischer Hinsicht allein nicht ausreicht.110 Die theologischen Positionen sind – bildlich gesprochen – der eine Brennpunkt einer Ellipse. Der zweite Brennpunkt ist die Bildung bzw. der Religionsunterricht. Weiterführend gilt es zu reflektieren, was die Grundsätze der Religionsgemeinschaften im gegenwärtigen Kontext von Bildung und Religionspädagogik bedeuten und wie sie den Religionsunterricht heute konfessionell bestimmen können (vgl. Rothgangel / Thaidigsmann 2005, 9). Von daher stellt sich m. E. die Aufgabe zu klären, in welcher Art und Weise und mit welchen Interpretamenten der Heiligen Schriften und der Bekenntnistexte didaktische, religionspädagogische und gesellschaftlich reflektierte – und damit gegenwärtig relevante – konfessionelle Inhalte zu formulieren und festzulegen sind, die die religionspädagogische Wirklichkeit in allen Facetten ernst- und wahrnehmen. Die Überlegungen zur Konfessionalität heute können in vielfacher Hinsicht auch Orientierung sein für Referendare oder Lehrer, die zu Beginn oder während ihres Dienstes danach fragen, was ihren Religionsunterricht zu einem evangelischen Unterricht macht. Relevant wird diese Frage auch im Zusammenhang mit der kirchlichen Beauftragung und Bevollmächtigung – der evangelischen Vokation (bzw. der katholischen Missio) – zur Erteilung des Religionsunterrichts. Was sind die Grundsätze der evangelischen (katholischen) Kirche in Anlehnung an GG 7,3, die im Religionsunterricht kommuniziert werden sollen (müssen)? Die Frage nach didaktisch zeitgemäßen Bekenntnisinhalten kann auch für Lehrkräfte, die eine innere Distanz zur institutionellen Kirche und ihrer Lehre (aufgebaut) haben, in verschiedener Hinsicht Horizonte aufzeigen: didaktische Akzente eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichts anbieten, 109 Vgl. mit einem Bezug zu K.-E. Nipkow treffend Schlüter 2000, 152, wo er die religionspädagogische Arbeit mit den »alten« Bekenntnisinhalten als »problematisch« bezeichnet. 110 Ein neues Verständnis von Konfessionalität fordert auch Schlüter 2000, 151. In diesem Zusammenhang könnte den Kirchen die Aufgabe erwachsen, »sich im Religionsunterricht noch umfassender gemeinsam um ein Christsein heute, um die Auseinandersetzung um Religion und Christentum in unserer Gesellschaft, um die Sensibilisierung der religiösen Dimension etc. zu bemühen?«

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

auch eine kritisch-distanzierte Bindung des Religionsunterrichts an kirchliche Inhalte offerieren, neue Wege der Identifikation als Religionslehrkraft mit der offiziellen Kirche eröffnen und helfen, die implizite Rolle der Person der Religionslehrkraft als kirchlicher Repräsentant besser annehmen und gestalten zu können.

6.2.2 Lebensbiographisch-existentielle Grundsätze für den BRU – hermeneutische Überlegungen Für den Religionsunterricht kann eine Bestimmung von Konfessionalität nicht ohne Blick auf die ganze Lebenswelt der Schüler erfolgen! Für die Berufsschule bzw. das Berufskolleg ist dabei die Phase der Identitätsbildung und Individualentwicklung entscheidend. In Zeiten multireligiöser Gesellschaften, pluraler Öffentlichkeiten und transkultureller Systeme ist Orientierung alles andere als selbstverständlich. Kalkulierbare Welten als Sicherheit gebende Heimat gehören meist der Vergangenheit an. Die moderne Individualisierung ist eine Chance, zugleich aber auch eine Herausforderung und eine Bürde. Konfessionell ist der BRU heute dann, wenn er Schülern Chancen der Orientierung bietet und die Kompetenz der Orientierung vermittelt. Konfessionalität ist in dieser religionspädagogischen Perspektive nicht als inhaltliche Orientierung – pointiert ausgedrückt als urzeitliche und heute nicht mehr zeitgemäße inhaltliche Fixierung – zu verstehen. Die traditionellen Bekenntnisse der großen Kirchen, auf die bis heute Lehrer (und gleichermaßen Pfarrerinnen) voziert (oder ordiniert) werden, können wie oben gezeigt im Kontext von Schule

Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen

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nur sekundär eine didaktische Rolle spielen. Konfessionalität ist vielmehr didaktisch-strukturell zu verstehen als Hilfe zur Standortfindung im »Nebel des Aufwachsens« (Blasberg-Kuhnke 2004). Bekenntnisrelevant sind im Kontext Schule – und besonders an beruflichen Schulen – all jene Inhalte, die Schüler pädagogisch qualifizierte und erprobte Perspektiven zur Identitätsbildung eröffnen und Gehhilfen auf einem eigenen Lebensweg bereitstellen.111 6.2.3 Religionsdidaktische Grundsätze für den BRU – berufspädagogische Überlegungen Der BRU steht grundlegend vor der Aufgabe, jeden Auszubildenden als individuelle Person mit einem einzigartigen (beruflichen) Werdegang in den Blick zu nehmen. Für diese Personen sind religionspädagogische Lernprozesse zu entwickeln, durch die Auszubildende in ihrem Leben auch jenen Sinn und jene Würde erfahren können, die durch den Beruf vermittelt werden. Grundlegend eröffnet der BRU von daher den Jugendlichen mit und ohne Ausbildungsverhältnis die Reflexion über Fragen ihrer Berufsbiografie. Wie sie z. B. darauf reagieren können, wenn der »Beruf« ihnen keine Orientierung sowie Konstanz mehr liefern kann und sie sich darauf einstellen müssen, dass sie den erlernten Beruf nicht bis an das Ende ihres Berufslebens ausführen werden. Obgleich der BRU keine Antworten in Form von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zu liefern vermag, kann er auf eine berufliche Wirklichkeit vorbereiten, die sonst kaum kommuniziert wird und sich Jugendlichen nicht von selbst erschließt. Biblischtheologisch ergibt sich hier z. B. beim Thema Individualisierung eine breite Anschlussfähigkeit an die theologischen Topoi der Rechtfertigung, sofern hier der Einzelne inmitten der Brüchigkeit seiner Existenz Würde und Achtung erfährt. Diese Kommunikation würde im Blick auf den Auszubildenden die Grundsätze der Evangelischen Kirche konkret erfahrbar machen, ohne die grundsätzlichen dogmatisch-theologischen Aussagen expressis verbis zu thematisieren. Die Konfessionalität des BRU gilt es weiterhin vor dem Hintergrund des sich wandelnden Arbeitsmarktes und damit der Gesellschaft insgesamt aus didaktischer Perspektive zu bestimmen. Im Blick auf den BRU ist hier zu fragen, welche existentiellen und zugleich beruflichen Bezüge dieser für die Schüler des 111 Die Benennung einer allein formalen Orientierungshilfe wäre an dieser Stelle zu wenig und würde zudem die Gefahr der Fehlorientierung (und des Missbrauchs z. B. durch rechtsradikale Kräfte) einschließen. Von daher muss jede gesellschaftlich verantwortbare Orientierungshilfe eine pädagogisch wie gesellschaftlich angemessene inhaltliche Bestimmung inkludieren, die die Richtung der Orientierung angibt. Die Inhalte des christlichen Glaubens und ihre inhärenten Wertvorstellungen sind dabei für den wertneutralen Staat eine Option neben anderen verfassungskonformen gesellschaftlichen Kräften.

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

Berufsschulsystems eröffnen kann. Dabei würde eine Wiederholung der Diskussion um den Berufsbezug des BRU m. E. viel zu kurz greifen: Es geht vielmehr heute darum, über konkrete Berufsbezüge hinaus grundlegende Kategorien der gegenwärtigen Berufswelt in ihren Bezügen zur Religion zu benennen.112 Generell ist der Beruf als eine auch theologisch qualifizierte Tätigkeit ein für Auszubildende bekenntniswürdiges Thema – denn es betrifft die Schüler existentiell und eröffnet ihnen einen Blick auf ihr Tun aus theologischer Sicht. Die theologische Würdigung ihres Berufes kann Auszubildenden ein Selbstwertgefühl verleihen, neue Perspektiven des Selbstverständnisses eröffnen und eine neue Positionalität vermitteln. Schöpfungstheologisch kann das geschehen, indem die Schöpfung als »zugesagte Welt« (Bayer 1990, 72) ins Gespräch gebracht wird. In Wort und Tat, Fühlen und Erleben kann der Religionsunterricht ein Ort »anderer« Erfahrung werden: »Die ganze Welt ist das Medium eines Versprechens an mich, in und mit dem ich von Gott selbst angeredet, in gewährten Lebensraum, gewährten Rhythmus von Nacht und Tag, Sommer und Winter, Jugend und Alter hineingestellt bin und mich des Lebens freuen, es genießen kann« (Bayer 1990, 72). Die Unterscheidung von Glaube und Nichtglaube und die daraus folgende Sicht der Welt vom Glauben her war für Martin Luther entscheidend für das rechte Weltverständnis und Menschenverständnis. Die heutige Berufswelt und Lebenswelt aus der Schöpfungsperspektive zu entdecken und für sich als befreiend und stabilisierend zu erfahren kann ein Grundsatz der Kirchen für die Erteilung des BRU heute sein. Im Blick auf klassische Themen des Religionsunterrichts allgemein muss z. B. die dogmatische Rede von der Menschwerdung Gottes nicht bei der Kommunikation der altkirchlichen Symbole ansetzen, sondern kann die daraus abzuleitende unbedingte Personenwürde kommunizieren und im BRU als Raum der achtungsvollen Begegnungen versuchen erfahrbar zu machen. Der BRU kann erörtern und festhalten, worin die Menschenwürde gründet, warum sie inmitten der Gesellschaft oft missachtet wird und welche Aspekte für die Schüler zur Menschenwürde gehören (vgl. insgesamt Feige / Gennerich 2012). Dieses für Schüler relevante Thema kann z. B. – zunächst fern jedes Berufsbezuges – im Kontext moderner Medien erörtert werden. So sind Casting-Shows ein Teil der Lebenswelt Jugendlicher. Die »message« dieser Shows zielt oft allein auf eine öffentliche Demütigung und Bloßstellung der betroffenen Jugendlichen, womit die Würde und Achtung des Menschen mit Füßen getreten werden. An dieser Stelle das Thema »Geschöpfsein und Menschenwürde« zu thematisieren, eröffnet Jugendlichen einen Zugang zur situativ-konkreten Sinnhaftigkeit der christlichen Rede von der Schöpfung durch Gott und einer darin gegründeten Würde der Person: »Da die Personenwürde unverdient und unverdienbar zu112 Vgl. dazu besonders unter 9.2 und 9.3.

Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen

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gesprochen wird, kann Bildung die Würde einer Person nicht konstituieren – aber das Personsein ist als Bedingung der Möglichkeit von Bildung zu denken« (Dressler 2006, 71). Hier kann der BRU erfahrungsorientiert ansetzen. Positiv wäre die Rede von der Menschwerdung Gottes z. B. durch die Erörterung der Erfahrung der Jugendlichen zu entfalten, selber durch die Liebe und Zuwendung eines anderen Menschen ohne eine Gegenleistung Würde und Wert für sich selbst zu empfinden (vgl. hierzu auch Dressler 2006, bes. 69 – 74). Erfahrungsgemäß sind es in einer Partnerschaft oft die mit den Augen der Liebe erblickten kleinen Merkmale des Partners, die auf den Partner aufmerksam und ihn liebenswürdig machen. Zu vertiefen wäre eine solche Erfahrung beispielsweise durch die gegenseitige Zuschreibung positiv wahrgenommener Eigenschaften an einer Mitschülerin. Konkret kann das durch Portraits erfolgen, die die Jugendlichen voneinander anfertigen und die sie dann jeweils positiv (negative Einschätzungen sind verboten) charakterisieren: »Ich finde an Dir gut, dass …!« »Mich fasziniert an Dir …!« »Ich finde, Du kannst besonders gut …« Vor dem Hintergrund dieser Wertschätzungen werden die Jugendlichen sensibilisiert, ihren Nächsten wie sich selbst positiv zu sehen und die Kleinigkeiten des Menschlichen aneinander zu entdecken. Die Erfahrung der Entdeckung des Menschlichen eröffnet ihnen den Sinn, in der Liebenswürdigkeit des Nächsten das Antlitz Gottes zu entdecken – oder in nichtreligiöser Semantik das Geheimnis des Menschseins.113 Diesen Aspekt der positiven Wahrnehmung des Nächsten und des Selbst als Indiz der unbedingten Würde des Menschen wahrzunehmen befähigt sie, die kommunizierten Faktoren menschenwürdigen Lebens auch auf ihre Berufswelt durch einen Perspektivwechsel zu transformieren: Z.B. in der Erkenntnis, dass normale Formen einer betrieblichen Abhängigkeit keine Formen von Diskriminierung und persönlicher Geringschätzung mit sich bringen dürfen (in Lerngruppen des dualen Systems berichten Auszubildende immer wieder von diskriminierenden Erfahrungen im Unterricht). Die Kompetenz dieses Perspektivwechsels und Transfers wäre ein zeitgemäßer Grundsatz der christlichen Religionsgemeinschaften als pädagogisches Anliegen für einen modernen BRU. Konfessionell ist der BRU heute aus didaktischer Sicht immer dann, wenn er Inhalte kommuniziert, die für die Schüler bekenntnisfähig und bekenntnisrelevant sind. Ein adäquater Bekenntnisinhalt muss neben seiner Rückbindung an die kirchliche Bekenntnistradition vor allem anschlussfähig sein für die Lebenswelten der Auszubildenden. Ein Inhalt des BRU – und jedes anderen Religionsunterrichts – muss an die Lebenswelten anknüpfen und zudem eine 113 Vgl. hierzu auch das Projekt »Du kannst das!« des Bonner Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik (bibor): www.bibor.uni-bonn.de/projekte-1/projekt-zwischen-allenstuehlen.

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

zukünftige Relevanz für die Auszubildenden haben. Unvorstellbar sind von daher gewissermaßen antizyklische Verpflichtungen auf Inhalte, deren Plausibilität auf vergangenen Paradigmen basieren und die allenfalls gebrochen gegenwärtige Relevanzen erreichen können – oder deren theologisch-dogmatische Relevanz die meisten Schüler kognitiv überfordert. Eine recht verstandene Konfessionalität wird dagegen neben theologischen Inhalten konstitutiv bestimmt durch gesellschaftliche, soziologische, berufliche und existentielle Gegebenheiten und Entwicklungen, mit denen die Auszubildenden in Zukunft konfrontiert werden und auf die sie reagieren müssen (in Anlehnung an die didaktische Analyse von Klafki). In didaktischer Perspektive heißt das für die Berufliche Bildung zu eruieren, welche beruflichen Faktoren Anschlussinhalte bilden, aus denen sich Grundsätze der Religionsgemeinschaften nach GG 7,3 ableiten lassen. Religionspädagogisch gilt festzuhalten, dass eine Konfessionalität des BRU heute primär nicht das Einverständnis des Schülers und des Lehrers zu einem amtskirchlichen Bekenntnis meint, sondern auf das didaktisch notwendige Bekennen des Lehrers wie auch des Schülers abzielt. Das Prinzip der Konfessionalität als einem individuellen Bekennen ist ein pädagogisches ›Muss‹ für einen Religionsunterricht, der Schüler unterschiedlicher Meinung (und Religion) authentisch ins Gespräch führen möchte (vgl. Nipkow 2003, 34). In diesem Sinn bleibt in religionspädagogischer und didaktischer Perspektive die Frage des Bekennens und damit die Klärung des Problems einer zeitgemäß verstandenen Konfessionalität eine wesentliche Aufgabe für den zukünftigen Religionsunterricht. Die Konfessionalität ist dabei zu begreifen als didaktische Kategorie, die sich im individuellen konfessorischen wie im gemeinschaftlichen konfessionellen Aspekt realisiert.

6.3

Der BRU in der Aus- und Fortbildung – fachdidaktische Orientierungen

In den folgenden Erörterungen sollen die (berufs-)pädagogischen Faktoren für eine Fachdidaktik des BRU dargestellt werden. Hierfür werden zunächst die Zusammenhänge des BRU zur Theologie und zur Berufspädagogik insgesamt entfaltet, um anschließend die auf die Aus- und Fortbildung bezogenen Bestimmungen zum BRU als Ausbildungsgegenstand in den Blick zu nehmen. 6.3.1 Das Wesen des BRU im Spannungsfeld von Theologie und Pädagogik Eine Fachdidaktik des BRU zwischen Theologie und (Berufs-)Pädagogik kann heute nicht mehr einfach so funktionieren, dass dem BRU die Aufgabe zukommt, theologische Inhalte im berufsbildenden Kontext didaktisch operationalisiert zu

Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen

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kommunizieren. Der BRU ist mehr als eine reine Transferwissenschaft, die einen Weg darbietet zur »Übersetzung« fachwissenschaftlicher Inhalte in Kontexte der Berufsbildung. Rein abbildungsdidaktisch wäre sonst die Frage, was im BRU zu lehren sei, dahingehend zu beantworten, wie es zu Zeiten der Evangelischen Unterweisung geschehen ist: kirchlich-theologische Inhalte an der Berufsschule zu lehren. In Folge der 68er Jahre ist die Aufgabe und Wirksamkeit einer Didaktik des BRU darin zu sehen, unter Einbeziehung aller in Frage kommenden Wissenschaften jene Bedingungen zu reflektieren, die (religiöse) Berufsbildungsprozesse ausmachen und bestimmen. Bei der Erörterung der Fragen, was im BRU zu lehren sei, warum dies aus didaktischer Sicht zu geschehen habe und wie die Lehre und das Lernen gelingen könne, treffen nichttheologische und die theologische Disziplinen aufeinander. Die Komplexität und Kreativität dieser didaktischen Aufgabe weist die Eigenständigkeit der berufsorientierten Religionspädagogik aus.114 Wenn auch die Religionspädagogik z. B. keine Kriterien für die Exegese der Schrift oder gesellschaftliche Deutungsparameter als Kriterien für eine historische Exegese beitragen kann, leistet sie einen konstitutiven Beitrag zur hermeneutischen Frage, wie der biblische Text heute verstanden werden kann und was von diesem heute zum Verstehen gebracht werden soll.115 Die Religionspädagogik braucht einen konstruktiven Dialog mit allen Disziplinen der Theologie, die ihrerseits offen ist für pädagogische Erkenntnisse und zugleich ihre Standpunkte gleichermaßen coram mundi und coram deo reflektiert und artikuliert. Zu einer solchen Theologie kann die Religionspädagogik in ein Verhältnis wechselseitiger Indienstnahme treten. Die Religionspädagogik ist um ihrer theologischen Inhalte angewiesen auf eine Dogmatik, die gegenwartsbezogen theologische Positionen reflektiert und postuliert und so der Religionspädagogik hilft, ihre Gegenwart theologisch zu deuten. Andererseits bedarf die Systematische Theologie einer Religionspädagogik, die das didaktische Potential jeder Theologie wach hält und daran erinnert, dass theologische Aussagen erst in operationalisierbaren Kommunikationsprozessen zu ihrer wahrhaftigen theologischen Würde und Wirkung kommen, wenn sie nämlich nicht um ihrer selbst willen theologische Wahrheiten bzw. Wahrheits114 Zur Diskussion der Religionspädagogik als einer nur der Dogmatik nachgeordneten Anwendungswissenschaft siehe ausführlich Schlüter 2000, 4 ff. u. 19 – 24. 115 Nach Ratzinger 1983 wurde in der modernen Religionspädagogik die »Methode […] zum Maßstab des Inhalts« gemacht. Die Religionspädagogik verstehe sich »nicht mehr als Weiterführung und Konkretisierung der Dogmatik bzw. der Systematischen Theologie […], sondern als selbstständiger Maßstab.« Dagegen ist zu betonen, dass der Religionspädagogik heute eine spezifische theologische Positionalität und Richtungskompetenz in theologischen Fragen im Kontext der Gesellschaft und Welt zukommt (vgl. auch Rothgangel / Thaidigsmann 2005, 9).

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

ansprüche formuliert. Zu ihrer ek-zentrischen Wahrheit kommt die Theologie, wenn sie ihren Adressaten eine deren Welt wahrnehmende theologische Botschaft zu Gehör bringt und ihnen neue Perspektiven coram deo und coram mundi eröffnet.116 »Religionspädagogik nimmt die Theologie als ihren (besonderen) Gesprächspartner wahr, in diesem Sinne als eine Bezugswissenschaft. Dazu bedarf es aber einer Theologie, die offen genug ist, sich auf die Wandlungsprozesse und die Transformation religiöser Phänomene einzustellen. Sie müsste sich zugleich dem Dialog mit fremden Theologien verpflichten« (Zilleßen 2005, 131). 6.3.2 Der BRU in der Lehrerausbildung – fachdidaktische Perspektiven In fachdidaktischer Konkretion bedeutet dieses offen-konstruktive Gespräch für den BRU, dass der BRU neben der Fachwissenschaft »Theologie« und der »Erziehungswissenschaft« die dritte Säule der Lehrerbildung ausmacht (vgl. Schulte 2005, 10 sowie Kerncurriculum Fachdidaktik 2004). Der Fachdidaktik BRU kommt als dritter Säule dabei eine Doppelrolle zu, nämlich »im Spannungsfeld zwischen den Wissenschaftsbereichen ein eigenständiges Profil sowohl als Wissenschaftsdisziplin wie auch als Ausbildungsdisziplin« (Schulte 2005, 10) auszubilden. Die einzelnen Fachdidaktiken vereinen die Fachwissenschaft und die Pädagogik unter dem Gesichtspunkt der Vermittlung von Fachinhalten, d. h. der Erschließung des Lehr-Lern-Prozesses des jeweiligen Faches. In dieser Bestimmung kommt der berufsorientierten Religionspädagogik (wie der Religionspädagogik insgesamt) insofern eine besondere Funktion in der genannten Doppelrolle zu, als dass die berufsorientierte Religionspädagogik auch als eine Fachwissenschaft wahrzunehmen ist, die zugleich schon immer die didaktische Perspektive der Vermittlung mit einschließt. Gegenüber dem im Kerncurriculum genannten Drei-Säulen-Modell kommt es im Fall des BRU zu einer Verschmelzung von zwei der drei Säulen, da die fachlichen Horizonte des BRU sowohl die Fachwissenschaft »Theologie« als auch die »Pädagogik« miteinander vereinen und zugleich auch die Fachdidaktik in die Ausbildungsdisziplin BRU mit einbeziehen. Beim BRU ist die vom Kerncurriculum Fachdidaktik vorgeschlagene Trennung der Bereiche Fachwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik – anders als z. B. bei der Fachdidaktik Mathematik117 – nicht so

116 Zu erinnern ist hier an die 6. These der Theologischen Erklärung zu Barmen aus dem Jahr 1935, in der davon die Rede ist, dass es die Aufgabe der Kirche sei, das Evangelium »auszurichten an alles Volk.« 117 So ist z. B. eine Fachdidaktik Mathematik als »Ausbildungsdisziplin« (Kerncurriculum Fachdidaktik) eine eigenständige Säule der Lehrerfortbildung neben der Fachwissenschaft Mathematik einerseits und der ihr wissenschaftstheoretisch fremden Erziehungswissen-

Der BRU im Kontext gegenwärtiger Bildungsdiskussionen

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eindeutig durchzuführen, da im BRU konstitutiv die Elemente der drei Bereiche verschmelzen (vgl. hier insgesamt Schulte 2005). Der BRU als Fachrichtung des Lehramtsstudiums trägt damit einen fachwissenschaftlichen wie auch einen fachdidaktischen Charakter zugleich in sich. Im Studienfach ›BRU‹ – orientiert am ordentlichen Unterrichtsfach ›BRU‹ nach GG 7,3 – sind spezifisch-religiöse Inhalte in konfessorischer Intention zu lehren, die sich didaktisch erschließen im Fokus auf die Auszubildenden als sich bildende Persönlichkeiten im umfassenden Sinn durch die Reflexion dieser theologischen Inhalte unter Einbeziehung der die BRU-Inhalte bestimmenden Bezugsfelder : u. a. »Beruf«, »Berufsethos«, »Arbeit«, »Arbeitswelt«, »Jugendalter«, »Jugendkultur«, »Identitätsbildung«, »Persönlichkeitsbildung innerhalb der Gesellschaft«, »Lebensplanung«, »Lebensentwurf«, »kirchliche Lehre (Grundsätze)« oder »staatliche Vorgaben (z. B. GG 7,3)«. Verbunden sind mit diesen Stichworten auch aktuelle Problemfelder wie Arbeitslosigkeit, Klassen mit Schülern ohne Ausbildungsverhältnis (KSOB), Existenzangst, Ausbeutung im Betrieb, Begegnungen mit dem Fremden oder berufliche Fremdbestimmung. Durch die Kommunikation von entsprechend berufsspezifisch reflektierten theologischen Inhalten trägt der BRU zu einer die Berufsbildung und die Allgemeinbildung integrierenden Bildung bei, sofern die Weltsicht der Religion den Auszubildenden eine spezifische Perspektive zur Erschließung der Welt und ihrer Lebenswelt eröffnet (vgl. Dressler 2007). Alle diese didaktischen Faktoren machen den BRU im Blick auf seine Inhalte und die Bezugsgrößen seiner Vermittlungsaufgabe zu einem Religionsunterricht sui generis, der eine eigenständige Reflektion auch im Studium verlangt und verdient. Die genannten didaktischen Aspekte charakterisieren die universitäre Lehramtsausbildung des BRU einerseits als Fachwissenschaft ›Theologie in der Berufs- und Arbeitswelt‹ wie andererseits als ›berufsspezifische Fachdidaktik Religion‹. Durch die Reflektion der berufsspezifischen Faktoren des BRU erlangen die Studierenden bzw. die angehenden Lehrkräfte für den BRU – auch im Blick auf die eigene Person – die Kompetenz, christliche Inhalte, Perspektiven und Weltdeutungen berufsorientiert zu verstehen und im Unterricht zu kommunizieren.118 Fachdidaktisch ist an dieser Stelle anzumerken, dass auch für den BRU sowohl beim Studium des BRU als auch bei der schulischen Kommunikation religiöser Themen im Unterricht die Frage zu bedenken ist, inwieweit Religion überhaupt lehrbar sei: Kann Religion als Lebensanschauung Inhalt des Unterschaft andererseits mit klar abgrenzbaren inhaltlichen Bezügen zu beiden anderen Disziplinen, was beim BRU in dieser Klarheit nicht der Fall ist. 118 Vgl. Lindner 2012, 135, die in ihrer kompetenzorientierten Fachdidaktik den Religionsunterricht an beruflichen Schulen am Rande erwähnt und ihn in der Linie der klassischen Religionspädagogik fachdidaktisch bestimmt, was in der klassischen Religionspädagogik schon eine erwähnenswerte Ausnahme ist.

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

richts an einer öffentlichen Schule sein? So sehr der Glaube und eine pointierte Lebenseinstellung nicht primärer Gegenstand des BRU sein können (der RU ist keine missionarische Veranstaltung oder Kirche in der Schule), ist es die Kommunikation theologischer Themen, die den BRU ausmachen. Sofern die Erörterung theologischer Inhalte einen Perspektivwechsel provozieren und eine neue Weltsicht eröffnen, wird der BRU zu einer Sehschule der Welt aus christlicher Perspektive.

7

Das berufspädagogische Anforderungsprofil des 21. Jahrhunderts im Kontext gegenwärtiger bildungstheoretischer Diskussionen

Wesentliche Bestimmungsfaktoren für das berufspädagogische Anforderungsprofil sind der Anspruch an Bildung angesichts von PISA et al., das heißt die auf europäischem Boden durchgeführten Bildungsvergleichstests im Blick auf die Anschlussfähigkeit von Bildungsprozessen in Europa insgesamt (7.1). Zum besseren Verstehen wird dann darzustellen sein, welche Bedeutung die Kompetenzorientierung in der Berufspädagogik hat und was diese Rahmenbedingungen für die berufsorientierte Religionspädagogik bedeuten (7.2). Abschließend soll die Bedeutung der Religion für die europäische Bildungspolitik und insbesondere für die berufliche Bildung bzw. die berufsorientierte Religionspädagogik reflektiert werden (7.3).

7.1

Die Bildungspolitik im Zeichen der Tertiärisierung und nach PISA

Eine Bewertung gegenwärtiger berufspädagogischer Anforderungsprofile und Bildungsprozesse wird anzusetzen haben beim gesellschaftlichen Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft.119 Der Anstieg der Informationsverarbeitung im beruflichen Kontext hat gravierende Auswirkungen auf die Bildung insgesamt, die Berufsausbildung wie auch die berufliche Weiterbildung in doppelter Hinsicht. In quantitativer Hinsicht ist die Fülle der Informationen und Daten in den letzten Jahren im Rahmen der neuen Möglichkeiten elektronischer Datenverarbeitung stetig angewachsen. Das erfordert neben einem höheren Zeitbudget bei der Datenaufnahme und einer höheren Kapazität der Datenspeicherung vor allem auch eine (neue) Befähigung der Datenrezeption von Mitarbeitern, die zuvor ohne die Fülle von Informationsverarbeitungen er119 Vgl. dazu ausführlicher oben unter 1.1 bis 1.3.

Das berufspädagogische Anforderungsprofil des 21. Jahrhunderts

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folgreich ihren Beruf ausüben konnten.120 Dieser Wandel hat auch qualitative Veränderungen und Erweiterungen von Befähigungen in vielen Berufsgruppen mit sich gebracht, sofern die technischen Möglichkeiten und damit auch die Anforderungen gestiegen sind.121 Eingehende Untersuchungen (vgl. Dostal 2001) zeigen, dass neben dem wachsenden Tertiärbereich an sich bei allen Berufen der Anteil der Informationsverarbeitung an der zu leistenden Arbeit insgesamt bei mehr als 75 % liegt [Abb. 31]. Eine pädagogische Folge dieses überwältigenden Anteils von informationsgestützten Tätigkeiten sind einerseits verstärkte Bemühungen um eine entsprechende Ausbildung im berufsorientierten Informationsbereich und strukturierte Weiterbildungsmaßnahmen, die berufsbegleitend und lebenslang organisiert werden sollen. Diese von der Wirtschaft geprägte Entwicklung hin zu tertiären Gesellschaften in den ehemaligen Industrienationen der so genannten »1. Welt« bedingt andererseits einen starken Einfluss ökonomisch-wirtschaftlicher Kriterien auf pädagogische Entwicklungsprozesse und theoretische Überlegungen. So ist z. B. dieser Wandel zur Wissensgesellschaft in pädagogischer Perspektive nach Krautz (2007) trügerisch, da nicht die »Wissensgesellschaft die Industriegesellschaft ablöst, sondern umgekehrt, das Wissen in einem rasanten Tempo industrialisiert wird« (Liessmann, zitiert bei Krautz 2009, 89). Kritisiert ist hier die Relevanz von Kriterien für die Wertung von Bildungsprozessen, die nicht der Pädagogik selbst entstammen, sondern »fremde« Maßstäbe anlegen, die den Grundmaximen der klassisch-geisteswissenschaftlichen Bildungstheorie widersprechen oder zumindest deren Grundintentionen zuwider laufen. Der entscheidende Aspekt dieser Kritik ist die konsequente Anwendung einer durch Wirtschaftsinteressen geleiteten Output-Orientierung für das gesamte bundesdeutsche Schulwesen. Konstitutiv ist hier die verbindliche Vorgabe von Ergebnissen am Anfang eines jeden Bildungsprozesses (Output-Orientierung) durch formale und vorgegebene Kompetenzformulierungen. Gegenüber dem Ideal der humboldtschen Pädagogik liegt hier eine Einschränkung der Persönlichkeitsentwicklung des Individuums vor, sofern die Entwicklungsmöglichkeiten des sich entfaltenden Selbst durch wirtschaftliche Zielvorgaben eingeschränkt werden. Die Ökonomisierung – und im Sinne einer 120 So ist beispielsweise deutlich ein Wandel in der Bürokommunikation festzustellen von der elektronischen Schreibmaschine hin zu einer computergestützten Datenverarbeitung im internen Intranet bis hin zum weltweiten Internet mit einem vorher nicht dagewesenen Zugriff auf einen weltweiten Pool von Datenressourcen. 121 So hat sich z. B. das Anforderungsprofil des Berufsbilds des Gas- und Wasserinstallateurs dahingehend gravierend geändert, dass moderne Heizungsanlagen neben ökologischen Komponenten (z. B. thermische Solaranlagen zur Warmwasseraufbereitung und / oder Heizungsunterstützung) computergestützte Steuerungen aufweisen, für deren Installation und Wartung spezifische Kompetenzen gefordert sind.

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

Wirtschaftsorientierung dann auch Industrialisierung – der Pädagogik nimmt materiale Entscheidungen hinsichtlich der Bildungsprozesse vorweg und bestimmt Bildung dann für gut, wenn »ihre« wirtschaftsgeleiteten Kompetenzen hinsichtlich der Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland erreicht werden. Der Mensch als ein zu Selbstbewusstsein und Autonomie bestimmtes Geschöpf wird an dieser Stelle einseitig in seinen wirtschaftlichen Bezügen und Nützlichkeiten gesehen und daraufhin ausgebildet. Zur europaweiten Klassifizierung von Bildung und als Methode zum Erreichen der bildungspolitischen Ziele von outputorientierten Bildungsprozessen wurde der europäische Qualifikationsrahmen (EQR) beschlossen. Eine verbindliche Matrix von Bildungsabschlüssen aller Art in Form von Niveaustufen, die die Vergleichbarkeit von Bildung ermöglichen, die europaweite Bildung fördert, die Freizügigkeit erleichtert und so – letztlich und wesentlich – den auf Bildung basierenden Wirtschaftsstandort Europa stärkt. Was im EQR für Europa geregelt und verbindlich festgeschrieben wurde, soll für die einzelnen europäischen Staaten in jeweiligen landesweiten Bestimmungen geregelt und festgeschrieben werden. So wurde in der BRD der Deutsche Qualifikationsrahmen – DQR – entwickelt: eine »umfassende, bildungsbereichsübergreifende Matrix zur Einordnung von Qualifikationen […], die die Orientierung im deutschen Bildungssystem wesentlich erleichtert. Dazu beschreibt der DQR auf acht Niveaus fachliche und personale Kompetenzen, an denen sich die Einordnung der Qualifikationen orientiert, die in der allgemeinen, der Hochschulbildung und der beruflichen Bildung erworben werden« (Deutscher Qualifikationsrahmen 2011, 4). Spezifisch liegt dem DQR ein – entsprechend dem klassischen deutschen Bildungsverständnis – weiter Bildungsbegriff zugrunde, um so einer Engführung auf rein wirtschaftliche Komponenten von Bildung vorzubeugen (zum DQR Stand 2008 vgl. Sloane 2008). Bei aller wirtschaftlichen Fokussierung und Konzentration hält der DQR an allgemeinen Bildungsstandards fest. So nennt der DQR z. B. »Zuverlässigkeit, Genauigkeit, Ausdauer und Aufmerksamkeit, aber auch interkulturelle und interreligiöse Kompetenz, gelebte Toleranz und demokratische Verhaltensweisen sowie normative, ethische und religiöse Reflexivität«, die konstitutiv seien »für die Entwicklung von Handlungskompetenz« (Deutscher Qualifikationsrahmen 2011, 4). Der deutsche Qualifikationsrahmen ist nicht personenorientiert. Menschen werden demnach nicht auf Grund ihrer Kompetenzen als Individuum in die Matrix eingestuft, sondern dem Einzelnen werden allein die je erworbenen Kompetenzen zugeordnet. Dabei ist es letztlich unerheblich, wie eine Kompetenz erworben wurde. Die Umsetzung des DQR bietet die Chance, dass man in Deutschland dem Prinzip des Kompetenzerweises statt des Nachweises der Belegung eines bestimmten Bildungsprozesses näher kommt. Wichtig ist, was jemand kann, und nicht, wo es gelernt wurde. So soll der DQR zum lebenslangen

Das berufspädagogische Anforderungsprofil des 21. Jahrhunderts

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Lernen motivieren und dieses insgesamt gestärkt werden (siehe Deutscher Qualifikationsrahmen 2011, 5). »Der DQR unterscheidet zwei Kompetenzkategorien: ›Fachkompetenz‹, unterteilt in ›Wissen‹ und ›Fertigkeiten‹, und ›Personale Kompetenz‹, unterteilt in ›Sozialkompetenz und Selbständigkeit‹ (›Vier-Säulen-Struktur‹)« (Deutscher Qualifikationsrahmen 2011, 4). Obgleich also der DQR offen ist für personale Kompetenzen sowie ethisch-allgemeinbildende Aspekte in lebenslangen Bildungsprozessen und damit auch dem BRU Optionen der Mitwirkung an der beruflichen Kompetenzbildung eröffnet, bleibt die Frage, ob die Einlassungen des DQR ausreichen. Das von Schleiermacher in der Frage, was der jüngeren Generation mit auf den Weg zu geben sei122, intendierte Ziel jeder Pädagogik sollte sich bei ihm in aller Freiheit für das sich bildende Individuum im Rahmen je seiner Anlagen ereignen. Anders sieht das bei einer kompetenzorientierten Pädagogik aus, da diese konstitutiv auf die künftige Rolle (Funktion) der Lernenden in der Gesellschaft fokussiert ist, was z. B. die Sozialkompetenz und Selbstkompetenz des DQR deutlich zeigen. Bei aller theoretischen Weite im DQR bleibt es letztlich doch bei der pädagogischen Engführung durch die unmittelbare Verknüpfung von erfolgreichen Bildungsprozessen mit dem Ziel der Entwicklung Europas zum »wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt« bis 2010. Die europäischen Bildungsprämissen wie z. B. Lissabon 2010 oder die aus der Kompetenzorientierung nicht wegzudenkende Leistungsfokussierung sprechen eine andere Sprache als Humboldt und andere geisteswissenschaftliche Pädagogen. Zum teilhabenden Glied in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts wird der Mensch (nur), wenn er die »kulturellen Basiskompetenzen« (Baumert) weitgehend beherrscht und in der Matrix des DQR ein möglichst hohes Niveau erreicht, wodurch der Mensch leicht als reiner Funktionär (Funktionsträger) in den Blick kommt und eingestuft wird. Eine Konkretisierung zum EQR und zum DQR stellt der »Europäische Bezugsrahmen für die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung« (»Common Quality Assurance Framework« – CQAF)123 dar. Hier werden Rahmenvorgaben formuliert, die den europäischen Mitgliedsstaaten helfen sollen, auf Grund eines gemeinsamen Referenzsystems die berufliche Aus- und Weiterbildung kontinuierlich qualitativ zu steigern und diesen Prozess überwachen zu können. Dieser Bezugsrahmen beschreibt Prinzipien, Kriterien und Instrumente, die bei der Entwicklung von beruflichen Qualitätssicherungssys122 Vgl. hierzu auch oben unter 2.3.1.1. 123 Vgl. hierzu die EMPFEHLUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS 2008, die am 9. April 2008 verabschiedet wurde als Referenz bei der Entwicklung bzw. Reform von Qualitätssystemen in der Berufsbildung auf nationaler Ebene.

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

temen umzusetzen sind. Dadurch soll auch ein gegenseitiges Vertrauen in die jeweiligen nationalen Berufsbildungssysteme aufgebaut und ein Raum lebenslangen Lernens ohne Grenzen eröffnet werden. Genau zu untersuchen sind zuweilen auch die verwendeten Begrifflichkeiten, sofern deren Verständnis die Differenzen einer ökonomisch orientierten Bildung gegenüber einer humanistisch-geisteswissenschaftlichen Bildung aufzeigen. Wenn sich z. B. Baumert bei der ersten Basiskompetenz »Beherrschung der Verkehrssprache« auf Humboldt bezieht (vgl. Baumert 2006, 8), zeigt der historische Rückblick noch andere Nuancen als die heute bei Baumert konnotierten. Wenn Humboldt von der Bedeutung der Sprache für die Menschenbildung spricht, ist damit nicht nur – wie bei Baumert – die Fähigkeit und Beherrschung der Sprache als Kommunikationsmittel zu verstehen, sondern besonders im Blick auf das klassische Griechentum auch die kulturelle Beschäftigung mit der ›alten‹ Sprache. In der griechischen Gemeinschaft als dem Inbegriff einer Gemeinschaft von harmonischen und edlen Menschen sah Humboldt den Schlüssel zum universellen Verständnis der Menschheit, was sich durch das Studium der Sprache und in deren Folge der griechischen Kultur ereignen sollte.124 Ging es bei Schleiermacher um den Wert des Einzelnen, den er gebildet in die Gesellschaft einzubringen suchte, steht in der Gegenwart der ökonomische Kontext im Mittelpunkt, für den der Einzelne eine Funktion hat. Für PISA, dessen Bildungsschock die Kompetenzreform verstärkte, resümiert Volker Ladenthin (2003, 17): »Es geht erklärtermaßen der OECD (als Wirtschaftsorganisation) um die Durchsetzung eines zwar als ›angelsächsisch‹ bezeichneten, in Wirklichkeit aber längst auch bei uns bekannten, schlicht funktionalen Bildungsbegriff; es geht um Universalisierung (also ökonomische Globalisierung), d. h. die Auflösung föderaler und letztlich auch nationaler Bildungssysteme; es geht um die Transformation von Selbstbestimmung und Kulturidentität in funktionale Basiskompetenzen; es geht um Normierung und Vereinheitlichung statt um Individualisierung und Differenzierung.« In dieser Linie ist auch die Kritik von Krautz an der Bewertung des Menschen als Humankapital zu sehen, da hier vor allem dessen Potential für die Wirtschaft im Blick sei. Von daher sei ein Wirtschaftswachstum auch wesentlich durch »Investitionen in den Bildungsbereich zu generieren« (Krautz 2009, 90).125 124 Zu Humboldt siehe ausführlich unter 2.1. 125 Vgl. auch Frost 2010, 319: »Von Ökonomisierung der Bildung zu sprechen, bedeutet demgegenüber eine Transformation des genuinen pädagogischen Denkens und Handelns in ökonomische Begriffe und Strukturen und ökonomisches Kalkül. Diese Transformation wird mit der Erhebung von Bildungsstandards vorangetrieben, denn sie folgen dem Muster von Industrienormen zur Produktion von kontrollierter Qualität zur Bedienung des Marktes.«

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Eine Priorisierung von ökonomischen Kriterien zur Bestimmung von Bildung wird auch deutlich in den von Baumert eingebrachten Modi der Welterschließung und der damit in Zusammenhang stehenden Basiskompetenzen (Baumert 2006, 8 – 10). Im Vordergrund stehen hier nämlich mathematischnaturwissenschaftliche und moderne Kommunikationsbedarfe, die erst in wirtschaftlichen Bezügen ihre ganze Relevanz erweisen. Dagegen finden Fähigkeiten und Fertigkeiten im musischen und künstlerischen Bereich kaum Beachtung und Erwähnung. Nach dem DQR und dem EQR sollen zwar die Chancen lebenslangen Lernens allen Menschen zu Gute kommen, doch zugleich werden viele auf Grund der Engführung bei den Basiskompetenzen davon ausgeschlossen.126 So können z. B. Menschen mit Legasthenie oder Dyskalkulie ihre Defizite im Bereich der Basiskompetenzen nicht durch ästhetische oder musische Kompetenzen kompensieren, weil diese im Ranking der OECD oder im Blick auf den Wirtschaftsraum Europa keine Relevanz haben.127 Die hier vorgetragene Kritik trifft nicht den schon oben von Arnold / Gonon angesprochenen Aspekt der Pädagogisierung der modernen Gesellschaft, mit dem die beiden Autoren dem Vorwurf der Ökonomisierung von Bildung entgegen treten.128 Die Autoren führen aus, dass besonders ökonomische Kriterien (Maximen) wie Effizienz, Überprüfbarkeit und Vergleichbarkeit auch in pädagogischen Prozessen hilfreich sein können, um Bildungsprozesse evaluieren und Bildungssysteme effizient verbessern zu können. Dieser Lesart von einer Ökonomisierung der Bildung ist zuzustimmen, da diese Maximen auch für Bildungsprozesse gelten, die keiner ökonomischen Gewinnsteigerung dienen. Gerade in unübersichtlichen Zeiten und unvorhersehbaren Erwerbsverläufen ist keine bildungspolitische Konformität gefragt, sondern die Fähigkeit der Menschen zur Selbstorganisation. Eine der heutigen Arbeitswelt und der wirtschaftlichen Systeme angemessene berufliche Bildung muss von den heutigen Wirklichkeiten ausgehen. Viele Ausbildungsberufe haben heute ihre lebensbiographische Orientierungsfunktion eingebüßt, mit der sie früher ein ganzes Leben prägend gewesen sind. Heute ist es nicht mehr gewährleistet, dass junge Menschen nach ihrer Ausbildung ein Arbeitsleben lang in ihrem Erstberuf arbeiten werden. Im Blick auf unsere Fragestellung hat dies eine ethische sowie eine bildungstheoretische Konsequenz: Es ist (1.) heute ethisch nicht vertretbar, Auszubildende nur monovalent auszubilden – d. h. mit einem Bildungsab126 Zur Engführung im DQR im Blick auf allgemeinbildende Aspekte – besonders in der Spannung der Einleitung in Bezug auf die angestrebten Kompetenzen – siehe auch den Zwischenruf zum DQR aus evangelisch-religionspädagogischer Perspektive (www.bruportal.de/DQR.php). 127 An dieser Stelle ist auch auf die »Bildungsarmut« als sozialer Frage hinzuweisen (vgl. hierzu z. B. Tenorth 2009, 155 – 173). 128 Vgl. dazu ausführlicher oben unter 3.2.

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Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

schluss, der allein auf eine bestimmte Berufsausübung angelegt ist. Denn es ist heute absehbar, dass eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung nicht mehr sicherstellt, dass die Erstausbildung zu einem lebenslangen Broterwerb dienen kann. Gefordert ist vielmehr eine (polyvalente) Ausbildung, die den Auszubildenden die Fähigkeit vermittelt, sich in späterer Zeit mit Hilfe neuer Bildungsprozesse selbst neue Berufs- bzw. Arbeitsmöglichkeiten zu erschließen. Von daher ist es (2.) nötig, dass in der Erstausbildung bzw. »Sockelausbildung« (Arnold / Gonon 2006, 196 f.) die Ausbildungsprozesse über die Anforderungen und Qualitätsstandards des aktuellen Ausbildungsberufes hinausgehen. Schon hier gilt es die Jugendlichen gewissermaßen für die Zukunft und ihre beruflichen Herausforderungen zu qualifizieren und sie über mögliche Berufsverläufe zu beraten (vgl. hierzu Kohlrausch 2011, bes. 132 f.). Für die berufliche Bildung wird demnach konsequent nach den Kompetenzen zu fragen sein, die die Auszubildenden dazu befähigen, im Kontext ihres Berufslebens über den konkreten (engeren) Berufsbezug hinaus angemessen handeln zu können. Heutige Auszubildende müssen z. B. befähigt werden, Zeiten der Arbeitslosigkeit persönlich und im Blick auf Ihr Lebensumfeld zu bewältigen, berufsspezifische Anforderungen nach Ihrer Ausbildungszeit selbstständig zu verfolgen, sich eigenständig weiter zu bilden (zu qualifizieren) oder auch ihre Persönlichkeit permanent so weiter zu entwickeln, dass sie den erwarteten Personalkompetenzen entsprechend handeln können.129 In diesem Sinne gehören heute die berufliche Bildung und eine verantwortliche »Biografiekonstruktion« (Sellmann 2012, 51 u. ö.) konstitutiv zusammen. Dem Konstrukt der Kompetenz(en) in ihrer berufspädagogischen Relevanz werden wir uns im Folgenden genauer zuwenden.130

7.2

Der Kompetenzbegriff und die berufliche Bildung

7.2.1 Der Kompetenzbegriff und seine Relevanz für die Berufspädagogik Wir kommen nun zur Betrachtung des Kompetenzbegriffes im Zusammenhang mit der Berufspädagogik, in der der Terminus ›Kompetenz‹ seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts verwendet wird. Die Ausgangspunkte waren schon damals zum einen die immerwährenden und rasanten Veränderungen in der beruflichen Anforderung und zum anderen die Entwicklungen in der Informationstechnologie, vor deren Hintergrund der Ruf nach neuen Maßstäben in 129 Vgl. hierzu ausführlich oben unter 3.3 sowie unten unter 9.3.3. 130 Vgl. diesbezüglich auch schon Humboldts Forderung, dass der junge Mensch nach einer guten allgemeinen Bildung »die besondere Fähigkeit seines Berufes nachher sehr leicht« erlernt und die Freiheit behält, »wie im Leben so oft geschiehet, von einem zum anderen [Beruf; A.O.] überzugehen« (Humboldt 1809a, 218), unter 2.1.3 sowie unter 5.3.

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der beruflichen Bildung lauter wurde. Im Zuge dieser Fortschritte wurden grundlegend neue Standards nötig und entwickelt, wodurch sich eine frühe Outputorientierung in der Berufspädagogik implementierte. Fortan war vermehrt die Rede von Kompetenzen als den Beschreibungen von zeitgenössischen Bildungsprozessen, die vor dem Hintergrund postmoderner Ansprüche konstruiert wurden. »Kompetenzansätze sollen Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten bereitstellen, um den nationalen und internationalen Anforderungen und Herausforderungen im Bildungsbereich wirkungsvoll zu begegnen. Ständig stattfindende Veränderungen in der Arbeitswelt, neue Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie und die Auflösung stabiler Berufsverläufe führen dazu, dass die Menschen mit sich ständig ändernden Lernanforderungen konfrontiert sind« (Bethscheider u. a. 2011, 9; vgl. insgesamt a. a. O. 9 – 18).131 Der ›Deutsche Bildungsrat‹ hat im Jahr 1974 eine Unterscheidung zwischen Qualifikationen und Kompetenzen getroffen. Während als Kompetenzen ein »Lernerfolg im Hinblick auf den Lernenden selbst und seine Befähigung zu selbstverantwortlichem Handeln im privaten, beruflichen und gesellschaftlichsozialen Bereich« verstanden wurde, wurde die Qualifikation als Lernerfolg »im Hinblick auf die Verwertbarkeit im privaten Leben, im Beruf, in der Gesellschaft« verwendet (vgl. jeweils Deutscher Bildungsrat 1974, 65). Diese Bestimmung von Kompetenz und Qualifikation der frühen 70er Jahre des letzten Jahrhunderts erfuhr in der Folgezeit eine bedeutsame Verschiebung, sofern der Kompetenzbegriff – vor allem gegenüber dem geisteswissenschaftlichen Bildungsbegriff – immer stärker mit Aspekten der Utilitarität verbunden wurde. Die Verwendung von Kompetenzen als Lernzielformulierung rekurrierte auf Nützlichkeit und Brauchbarkeit. Angesichts neuer beruflicher Herausforderungen – und folgender Neuordnungen von Berufen – reagierte die Berufspädagogik mit der »Vermittlung von überberuflichen Qualifikationen (Schlüsselqualifikationen) und von Handlungskompetenz« (Wittwer 2011, 113). Vonken (2011, 29) vermerkt diesbezüglich eine »Abkehr von Ideen der Humanisierung von Arbeit und eines humanistischen Subjektbezugs […]. Schulische und berufliche Ausbildung soll die Absolventen zum Funktionieren ausrüsten.«132 Trotz dieser klaren wirtschaftlichen Bezüge und der impliziten Zielvorgaben gewann der Kompetenzbegriff keine Eindeutigkeit und blieb vielstimmig und damit unklar. Die allgemeine pädagogische Entwicklung von Kompetenzbe131 Zum Verständnis von Kompetenz als einem »sozial konstruierte[n] Begriff zur Beschreibung von etwas« vgl. Vonken 2011, 22(f.). 132 Eine detaillierte Übersicht in die kontroverse Diskussion um Schlüsselqualifikationen bietet Gonon (1996) in seiner Zusammenstellung wesentlicher Diskussionsbeiträge.

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stimmungen fand ihren Niederschlag auch in neueren Ausbildungsordnungen, wo vermehrt von Fähigkeiten die Rede ist »als Synonym für ›Befähigung‹« und somit ein »impliziter Zusammenhang zum Kompetenzbegriff« (Hensge / Lorig / Schreiber 2011, 134) hergestellt ist. In der nachfolgenden bildungspolitischen Entwicklung einer – auch so genannten – kompetenzorientierten Berufspädagogik wurde auch der Kompetenzbegriff selbst diskutiert, doch auch hier kristallisierte sich kein einheitliches Verständnis heraus. Statt dessen standen immer mehr unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen nebeneinander,133 so dass am Ende gefolgert wurde, dass das »Bestreben nach einem einheitlichen Kompetenzbegriff verfehlt wäre« (Kaufhold 2011, 35). Vonken schlägt ein Kompetenzverständnis vor, das Kompetenz als etwas versteht, »das zu kreativem Benutzen eines umfangreichen Handlungsregelwerks befähigt, um mit sich ändernden Verhältnissen umzugehen« (2011, 30). Für die Berufspädagogik bildete Mitte der 90er Jahre die Einführung der sogenannten Lernfelddidaktik mit der Formulierung von Schlüsselqualifikationen einen Meilenstein auch bei der Entwicklung des Kompetenzbegriffs (vgl. hierzu Bahl 2009, 26 – 30). Ein weiterer Meilenstein war 1997 das OECD-Projekt »Definition and Selection of Competencies: Theoretical and Conceptual Foundations« (DeSeCo) (vgl. Bahl 2009, 30 f.). Dieses Projekt konzentrierte sich »auf jene Kompetenzen, die für die Persönlichkeitsentwicklung, die persönliche Lebensgestaltung und für eine aktive, verantwortungsbewusste Teilnahme in der Wirtschaft und Gesellschaft wichtig sind« (Bahl 2009, 30). Bis 2002 wurden hier Kompetenzmodelle in drei – der deutschen Entwicklung analogen – Kategorien festgehalten (vgl. Bahl 2009, 31 f.): eine erste eher sachorientierte Kategorie (»Interaktive Nutzung von Medien und Mitteln«), eine zweite sozialorientierte Kategorie (»In sozialen heterogenen Gruppen handeln«) sowie drittens eine auf die Person und Autonomie fokussierte Kategorie (»Autonome Handlungsfähigkeit«). Gemeinsam für alle Kategorien wurde dabei als Querschnittsaufgabe die Fähigkeit der Selbstreflektion angesehen. In einer Handreichung definierte schließlich die Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahr 2007 die für die berufliche Bildung wesentliche Handlungskompetenz »als die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten. Handlungskompetenz entfaltet sich in den Dimensionen von Fachkompetenz, Humankompetenz und Sozialkompetenz« (Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz 2007, 10). 133 Zur generellen Diffusität des Kompetenzbegriffs und die Unschärfe seiner semantischen Bestimmung vgl. Kaufhold 2011, 35 – 39 oder Vonken, der plädiert »zurückzukehren zu wissenschaftlichen Standards des empirischen Umgangs mit geklärten oder zumindest klärbaren Begriffen« (2011, 30; vgl. auch Haase 2011, bes. 51 ff.).

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Parallel zu dieser Entwicklung kam es – durch eine Analogie bei der Entwicklung des Verständnisses von Schlüsselqualifikationen – zu einem »Schlüsselqualifikationsdilemma« (Vonken 2011, 23; Zitat J. Zabeck) in Folge der Ausarbeitung von immer mehr Schlüsselqualifikationen. Von der beruflichen Handlungsfähigkeit und ihrer Spezifikation in eine Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz ausgehend entwickelte sich eine ausdifferenzierte Fülle von immer spezifischeren und detaillierteren Schlüsselqualifikationen und in deren Folge von Kompetenzbestimmungen, die die ursprüngliche Präzision und den Bedeutungsgehalt des Begriffs auflösten. Nach Hensge / Lorig / Schreiber kann die Fülle der Kompetenzbegriffe und -definitionen für die Berufspädagogik nicht in ein einheitliches Kompetenzkonstrukt überführt bzw. zusammengeführt werden. Allerdings sei eine dreistufige Klassifizierung möglich: Es gebe (1.) Kompetenzen im Sinne allgemeiner Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben oder Schwimmen. Diese Befähigungen versetzen einen Menschen in die »Lage, ein bestimmtes Verhalten (Performanz) zu zeigen« (Hensge / Lorig / Schreiber 2011, 135; folgende Zitate siehe ebd.). Weiterhin sei (2.) davon eine Vielzahl von »(bereichs-)spezifischen Kompetenzdefinitionen« zu unterscheiden, die sich auf die Lösung bestimmter Aufgaben und Anforderungen beziehen und deren Befähigung allein »in bestimmten Kontexten erworben werden.« Hier wird auch der von Kognitionen dominierte domänenspezifische Kompetenzbegriff nach Weinert eingestuft als »Kompetenz mittlerer Reichweite«. Schließlich gebe es (3.) umfassende Kompetenzdefinitionen, die über konkrete Kontexte hinausgehen und als Kompetenzdefinition »großer Reichweite« zu verstehen seien. So beziehe sich z. B. die Handlungskompetenz auf die Gesamtheit aller Fähigkeiten eines Menschen. Für die Berufspädagogik und ihre Verwendung eines die berufliche Handlungsfähigkeit insgesamt umfassenden Kompetenzbegriffs ist weiterhin festzuhalten, dass sie auch die in der Allgemeinpädagogik mehrheitlich unkonkret bzw. allgemein vorkommenden Aspekte der »motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten« (so nach der in der outputorientierten Pädagogik zum Allgemeingut zählenden Kompetenzdefinition von Weinert) jeweils im Sinn einer allgemeinen Handlungskompetenz inkludiert sieht und versteht. Die sich insbesondere im Kontext der allgemeinen Pädagogik aufdrängende Frage, wie denn eigentlich Motivation, Wille und Bereitschaft gelehrt und erlernt werden sollen und können, stellt sich im Kontext einer beruflichen Tätigkeit so nicht. Berufspädagogisch werden die Motivation und die Bereitschaft zu beruflichen Tätigkeiten (im Ideal) als genuiner Bestandteil der beruflichen Befähigung (»Ausbildungsreife«) vorausgesetzt und nicht explizit als Gegenstand des Lernens und Lehrens angesehen.134 Im beruflichen Kontext sind 134 Vgl. hierzu ausführlich unter 9.3.2.

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die volitionalen und motivationalen Aspekte also nicht als operationalisierbare Lernziele zu verstehen, sondern – klassisch – als Grundmotivation der Beginn und somit die Voraussetzung eines jeden Lernprozesses (vgl. dazu Ladenthin 2011, 2 f.). Die Rede von Kompetenzen in der Berufspädagogik ist grundsätzlich bestimmt durch den Beruf an sich, die beruflichen Tätigkeiten sowie die allgemeine Bewältigung berufsspezifischer Anforderungen. Diese Konkretionen bedingen Befähigungen im fachlichen Bereich wie auch der persönlichen Dimensionen eines Menschen. Berufliche Kompetenzen können von daher nicht – wie meist in der allgemeinen Pädagogik geschehen – eingeschränkt in einer »Domänenexklusivität« (d. h. domänenspezifisch) bestimmt werden, da die berufliche Kompetenz konstitutiv durch die allgemeine Handlungskompetenz und deren Überfachlichkeit bestimmt ist. »Ein domänenspezifisches Kompetenzverständnis grenzt sich von Ansätzen zu überfachlichen Kompetenzen oder allgemeiner Handlungskompetenz ab […], da Kompetenzen in einem ›exklusiven Verständnis‹ genutzt werden« (Hensge / Lorig / Schreiber 2011, 137).135 In der Allgemeinbildung sind die Kompetenzen »kontextabhängig« und die Domäne begrenzt »sozusagen die Anzahl und die Ausprägung der anzuzeigenden Kompetenzen« (Hensge / Lorig / Schreiber 2011, 139). Die Rede von der umfassenden beruflichen Handlungsfähigkeit verhindert eine Aufsplitterung der geforderten Gesamtbefähigung in viele spezifische Einzelkompetenzen und integriert berufsübergreifende Befähigungen in die berufliche Handlungsfähigkeit. So verbietet beispielsweise die Lernfelddidaktik mit ihrem Blick auf die Gesamtheit der in einem Beruf geforderten Fähigkeiten die Rede von domänenspezifischen Kompetenzen (gleich »Domänenexklusivität«), da bei diesen die berufliche Handlungsfähigkeit nur unzulänglich in den Blick kommt. Die Berufspädagogik sieht die berufliche Handlungsfähigkeit als Zusammenspiel aller in Frage kommenden Befähigungen eines Berufes und nicht ausdifferenziert in Einzelbefähigungen. Dabei lassen sich bei der Kompetenzdiskussion in der Berufspädagogik letztlich drei miteinander verbundene und aufeinander bezogene Elemente ausmachen (je Hensge / Lorig / Schreiber 2011, 139; Kursivierungen im Original): Im beruflichen Bereich herrscht (1.) »ein Handlungskompetenzverständnis«, das (2.) auf ein »selbstständiges, selbstorganisiertes Handeln« zielt und sich (3.) in Dimensionen differenziert (wie z. B. Fach-, Methoden-, Personal- und Sozialkompetenz). Das berufsspezifische Kompetenzverständnis ohne »Domänenexklusivität« ist somit ein begründetes Korrektiv gegenüber ökonomisch ausgerichteten Bildungstheorien, die öffentlich zumeist im allgemeinpädagogischen Kontext von PISA und DQR diskutiert und formuliert wurden. 135 Vgl. hierzu auch ausführlicher unter 7.2.2.

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Die in der Berufspädagogik immer wieder aktuelle Frage der Verhältnisbestimmung von Spezialbildung und Allgemeinbildung erhält durch das weite Kompetenzverständnis eine neue Perspektive bzw. ein neues Paradigma. Das berufspädagogische Domänenverständnis zeigt deutlich, dass die berufliche Bildung von ihrem genuinen Verständnis der Kompetenzformulierung her eo ipso ein umfassenderes – allgemeineres – Bildungsziel intendiert (bzw. verfolgt) als die in ihrer »Domänenexklusivität« eingeschränkte (und gefangene) allgemeine Bildung. Gegenläufig zum pädagogischen Anspruch der Allgemeinbildung erfüllt die Berufspädagogik heute, was die Allgemeinbildung verspricht. Der Wandel der beruflichen Anforderungen und der damit einhergehenden berufspädagogischen Entwicklungen lassen die Berufspädagogik mit ihrer intendierten Handlungskompetenz sogar zu einer allgemeineren Bildung werden als es die allgemeine Pädagogik domänenspezifisch vermag. Die Betrachtung der Kompetenzen als Indikator des Wesens und der Ausrichtung von pädagogischen Konzepten führt zu einem verblüffenden Ergebnis. Die programmatisch so genannte allgemeine Pädagogik büßt auf Grund der domänenspezifischen Kompetenzen von ihrem allgemeinbildenden Charakter ein, während die früher als reine Spezialbildung abqualifizierte berufliche Bildung im Gegenzug deutlich an allgemeinbildendem Profil gewinnt. In diesem sich entwickelnden Spannungsfeld hat sich auch der BRU inhaltlich und konzeptionell zu verifizieren und zu behaupten – als ein kritisch-widerständiger Unterricht, der berufsspezifische Fragehorizonte mit allgemeinbildenden Aspekten verbindet durch seinen fachspezifisch-theologischen Blick auf den Menschen in der Arbeitswelt. In dieser Perspektive des weiten berufspädagogischen Kompetenzbegriffs kommt nun auch dem BRU konstitutiv eine grundlegende kritische Ausrichtung – und damit berufspädagogische Relevanz – zu. Ein in Dimensionen differenzierter und auf ein selbstständiges sowie selbstorganisiertes Handeln ausgerichteter BRU ist vorstellbar allein vor dem Hintergrund eines die allgemeine und die berufliche Bildung umfassenden Bildungsbegriffs, der im Kontext einer von der Ökonomie geprägten Bildungspolitik sperrig bzw. widerständig wirken muss. Ein Kriterium für diese Ausrichtung der beruflichen Bildung – insbesondere in religionspädagogischer Perspektive – ist der Aspekt der kritischen Widerständigkeit im Blick auf alle beruflichen Handlungsebenen und -dimensionen: So impliziert das hier vorgestellte Verständnis von beruflicher Bildung beispielsweise die Stärkung einer Kritikfähigkeit zukünftiger Arbeitnehmer. Die u. a. auf Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit fokussierte Berufsbildung impliziert als autonome Selbstbildung für die Initiatoren der Berufsbildung auch das Wagnis, dass der gebildete Berufstätige in seiner Mündigkeit

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widerständig wird:136 »Widerständige Bildung als Abweichung von der Norm (Individualität), Protest gegenüber Reduktionen (Humanität), Ungehorsam gegenüber Unvernunft und Ungerechtigkeit (Kritik, Moralität) und Ausbrechen aus der Sklaverei sachfremden Wissensmanagements (Wahrheitsfrage) wäre demgegenüber eine pädagogische Alternative, die neu zur Sprache gebracht zu werden verdient« (Frost 2010, 319). Dem Anspruch einer mündig-widerständigen Bildung als Erbe der klassischen geisteswissenschaftlichen Pädagogik kommt auch der BRU nach, sofern die Kommunikation theologisch-anthropologischer Aspekte das Selbstbild der Auszubildenden anreichert und so Widerstandskräfte stärkt und eine kreative Widerständigkeit fördert. Die bisherigen Darlegungen werfen nun auch ein Licht auf die Rede von religiösen Kompetenzen. Für den evangelischen Religionsunterricht hat eine Expertengruppe des Comenius-Instituts137 eine Matrix religiöser Kompetenzen formuliert138, wobei hier die berufliche Bildung nur in Abgrenzung vorkommt. Ausgehend vom Kompetenzbegriff Weinerts wird dann z. B. eine Kompetenz der interreligiösen Kommunikation als eine religiöse Kompetenz angesprochen. Streng genommen kann hier allerdings nicht von einer religiösen Kommunikation die Rede sein, da die Kommunikation als Akt der Verständigung an sich weder religiös noch nichtreligiös ist. In diesem Sinne gibt es keine religiöse Kommunikation – religiös ist allenfalls der Gehalt der Kommunikation (analoge Feststellungen lassen sich auch treffen im Blick auf die Befähigung hermeneutischen Urteilens oder ästhetischer Wahrnehmung). Wenn in Lehrplänen oder Richtlinien im Rahmen der politisch vorgegebenen Kompetenzorientierung von religiösen Kompetenzen die Rede ist, handelt es sich meist um »neutrale« Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich im speziellen Fall der religiösen Bildung im religiösen Raum (Kontext) ereignen oder in Verbindung mit religiösen Gehalten (Inhalten) zur Anwendung kommen. Bei diesen weltanschaulich und religiös neutralen Aktionsformen von ›religiösen Kompetenzen‹ zu sprechen kann fälschlicherweise den Eindruck erwecken, als ob es sich um spezifisch religiöse »Techniken« handeln würde wie beispielsweise das Addieren in der Mathematik. 136 Das kritische Potential der Subjektstärkung in der Berufsbildung allgemein – und speziell im BRU – betonen auch Arnold / Gonon 2006, 203. 137 Vgl. dazu Fischer / Elsenbast 2006 sowie auch Elsenbast / Fischer 2007, Obst 2008 oder Feindt / Elsenbast / Schreiner / Schöll 2009. 138 Dabei lag der Ausarbeitung von so genannten »religiösen Kompetenzen« bzw. den zu erwerbenden Kompetenzen im Bereich (»Domäne«) der Religion zunächst keine religionspädagogische Motivation zugrunde. Anfangs scheint vielmehr der Impuls gestanden zu haben, auf Grund der allgemeinen Diskussion um Kompetenzen und Bildungsstandards diese auch für den Religionsunterricht festlegen zu müssen: »Die grundsätzliche Frage, ob sich der RU überhaupt beteiligen soll an der Formulierung von und Orientierung an Bildungsstandards, wird nicht mehr explizit gestellt, sondern ist von der Faktizität notwendigen praktischen Handelns überrollt worden« (so Elsenbast / Fischer / Schreiner 2004, 15).

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Diese kulturtechnische Klärung widerspricht nicht der Rede von Kompetenzen als Gradmesser religiöser Bildung oder dem Anspruch, dass sich auch der Religionsunterricht an seinen Ergebnissen messen lassen muss. Es geht jedoch um die Abwehr erhöhter Ansprüche, nach denen es spezifisch religiöse Kompetenzen zu vermitteln gäbe – die kann der Religionsunterricht aus genannten Gründen nicht leisten. 7.2.2 Die Bedeutung des nicht-domänenspezifischen Kompetenzverständnisses der Berufspädagogik für die berufsorientierte Religionspädagogik Der BRU war bislang in der religionspädagogischen Kompetenzdiskussionen als eigenständige Fachrichtung kaum im Blick. Wenn er denn überhaupt ins Blickfeld der Diskutierenden kam, wurden kaum andere Akzente gesetzt als beim Religionsunterricht der allgemeinbildenden Schulformen. Für grundlegende religionspädagogische Tendenzen und Entwicklungen ist das nachvollziehbar : »Die didaktischen Ansätze, nach denen BRU unterrichtet wird, unterscheiden sich grundsätzlich nur wenig von den religionsdidaktischen Konzeptionen, die im RU allgemein existieren und zu bestimmten Zeiten Höhepunkte hatten« (so Biewald in seinem Teil in Biewald / Obermann 2011, 152 – 156). Im Blick auf die Diskussionen um Kompetenzen jedoch wird dem BRU eine parallele Behandlung mit der allgemeinen Pädagogik nicht gerecht.139 Vor dem Hintergrund dieses Befundes soll im Folgenden eine spezifische Kompetenzorientierung des BRU erörtert werden anhand aktueller kompetenzorientierter Lehrpläne (7.2.2) und dem Beruf als grundlegender Domäne des BRU (7.2.3). 7.2.2.1 Das Kompetenzverständnis in gegenwärtigen Lehrplänen – Beispiele Zur Sichtung des Kompetenzbegriffs in der gegenwärtigen Praxis der berufsorientierten Religionspädagogik sollen im Folgenden vier aktuelle Lehrpläne des dualen Systems hinsichtlich ihres Kompetenzverständnisses vorgestellt und diskutiert werden: (1.) der »Lehrplan zur Erprobung für das Fach Evangelische Religionslehre im Berufskolleg für die Bildungsgänge der Berufsfachschule in NRW«, (2.) die »Richtlinien und Lehrpläne zur Erprobung. Fachschulen des Sozialwesens. Fachrichtung Sozialpädagogik NRW«, (3.) die schon DQR-orientierten Rahmenrichtlinien für das Fach »Evangelische Religion für alle Bildungsgänge der beruflichen Bildung in Niedersachsen« sowie (4.) den »Vor139 So widmet eine Expertengruppe des Comenius-Instituts (siehe Fischer / Elsenbast 2006) dem BRU als einem Religionsunterricht mit spezifischen Voraussetzungen keine gesonderte Aufmerksamkeit hinsichtlich einer konstruktiven Entwicklung von Kompetenzformulierungen (und evtl. Folgerungen für die Charakterisierung des Religionsunterrichts allgemein und insgesamt).

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läufigen Rahmenlehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht an beruflichen Schulen der Evangelischen Kirche Berlin – Brandenburg – schlesische Oberlausitz«. Die Auswahl der vier genannten Lehrpläne erfolgt bewusst wegen der je vorausgesetzten unterschiedlichen Grundbedingungen, die zwar einen direkten Vergleich erschweren, aber den Einblick in die unterschiedliche Verwendung und den unterschiedlichen Entwicklungsstand von Kompetenzformulierungen deutlich aufzeigen. Während im »Lehrplan zur Erprobung für das Fach Evangelische Religionslehre« (1.) in klassischer Weise konkrete religiöse Kompetenzen benannt werden, formulieren die »Richtlinien und Lehrpläne [der] Fachschulen des Sozialwesens« (2.) allgemeine Kompetenzbereiche, aus denen die religiösen Anforderungen des prüfungsrelevanten Faches »Evangelische Religionslehre / Religionspädagogik« zu erarbeiten sind. Die (3.) niedersächsischen Rahmenrichtlinien nehmen schon die DQR-Matrix auf, während (4.) der »Vorläufige Rahmenlehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht an beruflichen Schulen« in Berlin/Brandenburg vor dem Hintergrund konzipiert ist, dass dort der Religionsunterricht in kirchlicher Verantwortung geschieht. Der (1.) Blick in den 2006 veröffentlichten »Lehrplan der Berufsfachschule und den Bildungsgängen der Fachoberschule« zeigt dessen dezidierte Bezugnahme auf Kompetenzformulierungen: »Die religiösen Kompetenzen werden im Unterrichtsfach Evangelische Religionslehre im Rahmen der für den jeweiligen Bildungsgang vorgesehenen Anzahl der Unterrichtsstunden erworben. Der inhaltliche Umfang, in dem dieser Kompetenzerwerb geleistet wird, richtet sich nach der Dauer des entsprechenden Bildungsgangs. Das Niveau, auf dem die Kompetenzen gefördert werden, ist auf den Abschluss ausgerichtet, der in dem Bildungsgang erreicht werden kann« (siehe Lehrplan zur Erprobung für das Fach Evangelische Religionslehre im Berufskolleg […] 2006, 14; vgl. 11 – 15). Kompetenzen werden hier als Grundlegung für den gesamten Bildungsgang gesehen. Nach dieser allgemeinen Beschreibung folgen sechs ausführliche Kompetenzformulierungen: »Kompetenz der Selbstreflexion Schülerinnen und Schüler formulieren Lebenserfahrungen und schätzen sie in ihrer Bedeutung für die eigene Entwicklung ein. Sie sehen die eigene Biographie als Entwicklungsprozess, der auch durch Krisen, Brüche und Veränderungen gekennzeichnet ist, und gewinnen ein tieferes Verständnis der eigenen Lebenserfahrung im Vergleich mit anderen Biographien. […]

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Kompetenz der Verständigung Schülerinnen und Schüler artikulieren Gefühle, Lebens- und Glaubenserfahrungen verständlich und lassen sich auf Erfahrungen und Einstellungen anderer ein. […] Sie sind vertraut mit Ausdrucksformen religiöser Sprache in unterschiedlichen Religionen und Konfessionen und kennen deren wesentliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Sie erkennen Verständigungsprobleme, bringen sie zur Sprache und suchen im Dialog nach Lösungen. […] Hermeneutische Kompetenz Die Schülerinnen und Schüler lernen religiöse Zeugnisse früherer und gegenwärtiger Generationen sowie eigener und anderer Kulturen – insbesondere biblische Texte – kennen und verstehen. Sie legen diese Zeugnisse auf Gegenwart und Zukunft hin aus und nehmen sie als Angebot zur Orientierung für das eigene Leben an. […] Ästhetische Kompetenz Die Schülerinnen und Schüler erleben bildende und darstellende Kunst, Musik und Literatur als Interpretation von Wirklichkeit und erkennen Zusammenhänge von Religion und künstlerischen Ausdrucksformen. Sie befragen gestalterische Arbeiten (Kunst, Literatur, Musik) auf religiöse Motive und Visionen hin. Sie entwickeln ästhetische Maßstäbe, werden gestaltend tätig und entfalten Kreativität. […] Kompetenz zur Weltdeutung Die Schülerinnen und Schüler kennen neben der christlichen andere Deutungen von Wirklich-keit. Sie befragen sie auf ihren geschichtlichen, sozialen oder biographischen Hintergrund und erkennen ihre Auswirkungen auf Individuum und Gesellschaft. Sie kennen Grundaussagen des biblischen Welt- und Menschenbildes. In Auseinandersetzung damit entwickeln sie Kriterien zur Beurteilung anderer Deutungsmuster und beziehen diese auf ihre Lebenswelt. […] Kompetenz zum ethisch begründeten Handeln Den Schülerinnen und Schülern sind wichtige ethische Fragestellungen bewusst. Sie kennen zentrale Leitgedanken christlicher Ethik und können sie mit anderen ethischen Orientierungen vergleichen. […].« Diese Kompetenzmatrix beschreibt jeweils den Bezug zum Erwerb religiöser Kompetenzen in verschiedenen Perspektiven. Das Anforderungsprofil der Kompetenzen folgt dabei den klassischen Handlungs- und Tätigkeitsmustern religiöser Praxis und Bildung in christlich-theologischer Tradition und benennt

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diese: das Verstehen / Identifizieren der eigenen Person im religiösen Kontext (Kompetenz der Selbstreflexion), die Kommunikation religiöser Inhalte und existentieller Empfindungen (Kompetenz der Verständigung), die Textinterpretation (hermeneutische Kompetenz), das Erleben der Religion in Kunst und Medien (ästhetische Kompetenz), die Deutung der (religiös-)pluralen Welt (Deutungskompetenz) und schließlich das ethische Handeln als Folge der Religion (ethische Dimension). Die (2.) aktuellen »Richtlinien und Lehrpläne zur Erprobung. Fachschulen des Sozialwesens. Fachrichtung Sozialpädagogik« (2010) formulieren – aus Lernfeldern erwachsene – Kompetenzen für alle Bereiche des Bildungsgangs, die die wesentlichen Elemente heutiger Kompetenzformulierungen der beruflichen Bildung aufnehmen und auch für den Lernbereich der »Evangelischen Religionslehre / Religionspädagogik« gelten: »Die erweiterte berufliche Handlungskompetenz, die an Fachschulen erworben wird, entfaltet sich in den Dimensionen Fachkompetenz, Human- und Sozialkompetenz sowie Methoden- und Lernkompetenz. – Durch Fachkompetenz werden die Studierenden befähigt, berufliche Aufgaben selbstständig, sachgerecht und methodengeleitet zu bearbeiten und die Ergebnisse zu beurteilen. – Human- und Sozialkompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, in gesellschaftlichen wie beruflichen Situationen verantwortungsvoll zu handeln. Insbesondere im Hinblick auf Teamarbeit bedeutet dies im beruflichen Kontext die Fähigkeit zur Gestaltung von Kommunikationsprozessen. – Die Methodenkompetenz ermöglicht zielgerichtetes, planmäßiges Vorgehen bei der Bearbeitung komplexer Aufgaben. Planungsverfahren, Arbeitstechniken und Lösungsstrategien sollen zur Bewältigung von Aufgaben und Problemen selbstständig ausgewählt, angewandt und weiterentwickelt werden. – Lernkompetenz ist die Grundlage, um aktiv und eigenständig an den gesellschaftlichen und beruflichen Veränderungen teilnehmen zu können. Zur Lernkompetenz gehört insbesondere auch die Fähigkeit und Bereitschaft, im Beruf und über den Beruf hinaus Lerntechniken und Lernstrategien zu entwickeln. Zu einer umfassenden Handlungskompetenz gehört auch die Sensibilisierung für die Wirkungen tradierter männlicher und weiblicher Rollenprägungen und die Entwicklung alternativer Verhaltensweisen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern (Gender Mainstreaming)« (Richtlinien und Lehrpläne zur Erprobung, 2010, 7/8). Die hier vorgestellte Kompetenzkonstruktion entspricht dem in dieser Untersuchung skizzierten Stand in der beruflichen Bildungsdiskussion: Hand-

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lungsorientierung, Selbstständigkeit, Selbstorganisation und die Differenzierung in Fach-, Methoden-, Personal- und Sozialkompetenz finden sich hier wieder. Anknüpfend an die früheren ›Schlüsselqualifikationen‹ werden in diesem Lehrplan auch die motivationalen und volitionalen Aspekte wahr- und aufgenommen und – wesentlich für die Berufspädagogik – als in jeweils beruflichen Kontexten integriert (aufgehoben) und zugleich konkretisiert verstanden. Die »Evangelische Religionslehre / Religionspädagogik« ist hier – nicht zuletzt durch ihre Einbettung in die Lernfelder und Beteiligung an konkreten Lernsituationen – gefordert, aus den grundlegenden Kompetenzformulierungen spezifische Kompetenzen religiöser Dimension zu erarbeiten, die den Auszubildenden zu einer besseren beruflichen Handlungsfähigkeit verhelfen können. Die Evangelische Religionslehre ist hier eingebunden in die berufsbezogenen Lernfelder und zugleich frei, über den Berufsbezug hinaus spezifische Aspekte in den Lernprozess einzubringen. Ein dezidiert kritisch-widerständiges Potential wird dem BRU allerdings nicht eingeräumt. Die (3.) »Rahmenrichtlinien für das Fach Evangelische Religion in der Berufseinstiegsschule Berufsschule; Berufsfachschule; Fachoberschule; Berufsoberschule; Fachschule – Heilerziehungspflege – Heilpädagogik – Sozialpädagogik« (Stand August 2010) des Landes Niedersachsen zeichnen sich durch ihre dem DQR entlehnte Struktur aus. Unter den Leitbegriffen Handlungsorientierung und Kompetenzorientierung werden die zu erwerbenden Kompetenzen in den Dimensionen der »Fachkompetenz« (Wissen und Fertigkeiten) und der »Personalen Kompetenz« (Selbst- und Sozialkompetenz) differenziert entfaltet. Die insgesamt sechs Lernfelder werden jeweils für bestimmte berufliche Schulformen als verbindlich vorgeschrieben und den vorgesehenen DQR-Niveaustufen zugeordnet (Rahmenrichtlinien 2010, 2), so dass eine Lehrperson flexibel ein Lernangebot je für ihren Bildungsgang hinsichtlich eines Lernfeldes mit verbindlichem Schwerpunkt auf einem vorgegebenen Niveau entwickeln kann. Dabei basiert die Vermittlung religiöser Kompetenzen »nicht nur auf dem Erwerb von Kompetenzen, die aus der Perspektive christlicher Tradition unverzichtbar sind«, sondern ist weiter gefasst und bezieht sich auch auf die »Stärkung der Kompetenz der Selbst- und Weltwahrnehmung sowie der Ermutigung zum verantwortlichen Handeln« (Rahmenrichtlinien 2010, 3). Für die Fachschule Heilerziehungspflege, Heilpädagogik und Sozialpädagogik ist z. B. auf Niveaustufe 5 die in Lernfeld D (»Den Menschen in seiner Religiosität wahrnehmen, bilden und begleiten«) zu erwerbende Kompetenz wie folgt beschrieben: Die Auszubildenden »interpretieren Einflussfaktoren der religiösen Sozialisation und begleiten Menschen in ihrer Religiosität« (Rahmenrichtlinien 2010, 6). Den Rahmenrichtlinien gelingt auf Grund der berufsschulspezifischen (beruflichen) Zuordnung von Lernfeldern bei gleichzeitiger Niveaueinstufung und der Beachtung des weiten Verständnisses religiöser Kompetenz eine sach-

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gemäße Beschreibung von unterrichtlichen Anforderungen für die Erlangung einer umfassenden beruflichen Handlungsfähigkeit durch den BRU bei heute notwendiger Betonung der personalen Kompetenzen der Auszubildenden. Die DQR-Niveaueinstufung verhilft hier zu einem differenzierten Rahmenlehrplan, der ohne explizite Bezugnahme anschlussfähig ist an die gegenwärtige Diskussion in der Berufspädagogik. Der (4.) Blick geht in den »Vorläufigen Rahmenlehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht an beruflichen Schulen der Evangelischen Kirche Berlin – Brandenburg – schlesische Oberlausitz«, der am 1. August 2012 in Kraft trat.140 Dieser ostdeutsche Rahmenlehrplan betont dezidiert die Anforderungen, die gegenwärtig an Jugendliche auf Grund der beruflichen Entwicklungen und Standards sowie der gesellschaftlichen Entwicklungen gestellt werden (neben muslimischen Schülern werden auch areligiös sozialisierte Schüler als Teilnehmende im BRU genannt; vgl. den Vorläufigen Rahmenlehrplan […] 2012, 7). Das Ziel des BRU sei es, »Fähigkeiten zu erwerben, die kontinuierliches Lernen, Anpassung an Innovationen sowie selbstständiges und verantwortliches Handeln im Beruf ermöglichen« (Vorläufiger Rahmenlehrplan […] 2012, 4). Über die Befähigung zur Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen auch neben der beruflichen Tätigkeiten »sollen die beruflichen Schulen […] auf Kernprobleme unserer Zeit eingehen. Dies sind zum Beispiel: Arbeit und Arbeitslosigkeit, demokratische Partizipation, friedliches Zusammenleben von Menschen, Völkern, Religionen und Kulturen, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlage sowie Gewährleistung der Menschenrechte« (Vorläufiger Rahmenlehrplan […] 2012, 4). In den Blick genommen sind damit die gegenwärtigen Problemfelder neben dem Beruf selbst, die heute die Jugendlichen wie die Berufspädagogik gleichermaßen herausfordern. Dem Lehrplan geht es um eine Weltbegegnung als »integraler Bestandteil allgemeiner wie beruflicher Bildung« (Vorläufiger Rahmenlehrplan […] 2012, 4). Fokussiert ist im Lehrplan auch die spezifische Lage der Auszubildenden. Die »Ablösung vom Elternhaus, das Gestalten von Part140 Dieser Rahmenlehrplan hat die Besonderheit, dass er ohne staatliche Kooperation bzw. ohne eine staatliche Verantwortungsübernahme entstand, da in Berlin / Brandenburg auf Grund der sogenannten Bremer Klausel (Art. 141 GG) – Religion als ordentliches Lehrfach nach Art. 7.3 GG muss nicht zur Geltung kommen, wenn am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand – das Schulgesetz vom 26. 06. 1948 festlegte, »dass ›Religionsunterricht Angelegenheit der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sei‹ und es sich somit um ein freiwilliges Unterrichtsangebot handelte« (so in: http://www.berlin.de/sen/kultur/bkrw/religionsunterricht.html; Zugriff am 15. 8. 2012). In den zur Berliner Kirche gehörenden Kirchengebieten auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen gelten die Lehrpläne des Freistaates Sachsen (die Einbeziehung der betreffenden Kirchen in Lehrplankommissionen etc. ist durch Verträge geregelt; die Lehraufsicht unterliegt auch den zuständigen Landeskirchen auf dem jeweiligen Landesgebiet; ich danke für Auskünfte Prof. Dr. Roland Biewald (TU Dresden) vom 20. 8. 2012).

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nerschaften und die beginnende wirtschaftliche Selbstständigkeit« stehen den vielfältigen »Möglichkeiten zur gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen Partizipation« (Vorläufiger Rahmenlehrplan […] 2012, 6) gegenüber. Angenommen ist in dieser Beschreibung der Analyse der Situation der Jugendlichen die in dieser Untersuchung vertretene Ansicht, dass die Berufsausbildung eine »entscheidende biografische Phase der Orientierung für den weiteren Lebensweg« (Vorläufiger Rahmenlehrplan […] 2012, 6) der Jugendlichen darstellt. Didaktisch knüpft der Lehrplan an die Kompetenzdiskussion an und versteht unter einer religiösen Kompetenz die »Fähigkeit, sich mündig und verantwortlich zu Religion als Form der Weltbegegnung zu verhalten« (Vorläufiger Rahmenlehrplan […] 2012, 8). Diese Fähigkeit wird beschrieben im Blick auf fünf Themenbereiche (z. B. »Verantwortlich Handeln in Beruf und Gesellschaft«), die je in einen ›kategorialen Berufsbezug‹141 gesetzt werden und sich jeweils in einer Deute- und Handlungskompetenz konkretisieren. Auf Grund des sehr differenzierten Schulsystems ›Berufsschule‹ mit sehr unterschiedlichen regional-gesellschaftlichen Voraussetzungen ist der Lehrplan als Rahmenlehrplan konzipiert, was eine didaktische Konkretisierung in Niveaustufen und eine zu erarbeitende Exemplarizität von den Lehrkräften erfordert. So nimmt der Rahmenlehrplan die Lehrkräfte in eine didaktische Verantwortung, indem er Bildungsstandards setzt mit Freiräumen zur Ausgestaltung und Ergänzung. Die Schüler (vgl. Vorläufigen Rahmenlehrplan […] 2012, 13) – »können ihre eigenen Wahrnehmungen und Deutungen von Christentum und Kirche mitanderen kommunizieren; – können unterschiedliche Perspektiven menschlicher Sinndeutung in Alltag und Beruf miteinander in Beziehung setzen; […] – können in gesellschaftlichen und beruflich-wirtschaftlichen Vollzügen ethische Fragestellungen identifizieren und reflektieren; – entwickeln vor dem Horizont des christlichen Verständnisses von Freiheit und Gerechtigkeit Perspektiven zur Teilhabe an gesellschaftlicher Verantwortung.« Der jüngste der hier vorgestellten Lehrpläne zeichnet sich als Rahmenlehrplan durch seine didaktische Grundorientierung aus. Besonders vor dem Hintergrund seiner Gesellschaftsanalyse gewinnt der Lehrplan so eine zu begrüßende Offenheit. Da der Rahmenlehrplan nicht unmittelbare Bezüge zu Einzelberufen ins didaktische Blickfeld rücken kann und stattdessen den Beruf in seinen Kontexten als Referenzrahmen des BRU fokussiert, eröffnet er dem BRU ›kategoriale‹ Berufsbezüge, wodurch dieser einen angemessenen Ort innerhalb be141 Vgl. zur Einführung der Begrifflichkeit ›kategorialer Berufsbezug‹ unmittelbar anschließend unter 7.2.3.

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ruflicher Bildungsgänge findet. Obgleich der Rahmenlehrplan von religiösen Kompetenzen redet und damit den Ansprüchen der Kompetenzdebatte nachkommt, verstrickt er sich nicht bei der Bezugnahme auf vorgegebene Kompetenzmodelle. Kritisch im Blick auf die generelle Möglichkeit des Lehrens von Religion sei die religiöse Kompetenz als eine Deute- und Handlungskompetenz im religiösen Kontext zu verstehen. 7.2.2.2 Kompetenzformulierungen für den BRU im Spiegel von Lehrplänen – eine Standortbestimmung Im Blick auf die genannten Lehrpläne fällt im Bereich der Kompetenzformulierungen zunächst generell die Beschreibung der zu erwerbenden Fähigkeiten in Anlehnung an die funktionalen Erscheinungsweisen der christlichen Religion auf. Dies trägt der pädagogischen Erkenntnis Rechnung, dass der Glaube als Existenzform dem – lernenden wie auch lehrenden – Menschen unverfügbar ist. Der christliche Glaube ist als Existenzweise nicht lehrbar (so schon Schleiermacher 1799)142 und entsprechend für den Unterricht auch nicht operationalisierbar.143 Der Religionsunterricht kann nicht Religion als existentielle Einstellung – christlich gesprochen als Glauben an sowie als Vertrauen zu Gott – lehren. Wäre Religion operationalisierbar und von daher lehrbar, könnte diese Vermittlung als eine – im Blick auf ihren Inhalt und ihre Methode – spezifische Technik kommuniziert und auch als religiöse Fähigkeit (Kompetenz) beschrieben werden. Der Konjunktiv verrät aber, dass das aus religionspädagogischer (Schleiermacher) wie auch aus biblisch-theologischer (vgl. Rö 10,16 f.) Sicht keine Möglichkeit ist. Dennoch nehmen die Lehrpläne einen konfessionellen Religionsunterricht nach 7,3 GG als Unterrichtsfach mit existentiell-unbedingtem Anspruch (Charakter) in den Blick, wenn sie Fragen der religiösen Einstellung oder ethische Fragen betreffs menschlicher Grenzsituationen (z. B. Eugenik oder Euthanasie) als Inhalte des Religionsunterrichts erörtern und dazu messbare Kompetenzen formulieren. Im Umkehrschluss zu dieser Strukturierung des Faches Religion in Einzelkompetenzen soll der Erwerb der Teilkompetenzen, folgen wir der Logik anderer Fächer, zum Erwerb einer umfassenden Kompetenz in Religion führen. Angesichts der oben genannten Vorbehalte ergeben sich aus theologischer wie auch religionspädagogischer Sicht Fragen: Wie verhält sich die in den Kompetenzformulierungen inkludierte Konfessionalität 142 Verstehen wir Religion auch als existentielles Angesprochensein durch Gott, als je persönliche Lebensorientierung und als reflexives Selbstverständnis coram deo, ist jedem, »der die Religion so sieht, Unterricht in ihr ein abgeschmacktes und sinnleeres Wort« (Schleiermacher 1799, 139/140; ursprüngliche Paginierung). 143 So spricht z. B. das Kompetenzpapier des Comenius-Instituts davon, dass Religion mehr beinhaltet als das, was in Kompetenzen formuliert werden kann (vgl. Fischer / Elsenbast 2006, 14 f.).

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als wesentlicher Bestandteil des BRU (z. B. bei den Kompetenzen Selbstreflexion oder Verständigung) zur Religionsfreiheit (GG Art. 4) in einem Unterricht, der religiöse Einstellungen und ethische Werthaltungen messbar machen will und damit auch inhaltliche Vorgaben macht, die jeder Schüler nur existentiellexklusiv für sich je individuell entscheiden kann?144 Besteht hier noch die Religionsfreiheit – insbesondere im System ›Schule‹ mit seinem Benotungszwang und dem damit auf Schüler ausgeübten Normierungsdruck? Inwieweit sind existentielle Einstellungen überhaupt messbar? Wie können Einstellungen in einer komplexen und pluralen Welt objektiv beurteilt werden? Noch weitergehender stellt sich die Frage, ob die vom Staat geforderten Kompetenzen in ihrer Verknüpfung von Person und Fertigkeiten (Fähigkeiten) nicht der Wertneutralität des Staates einerseits und der Religionsfreiheit andererseits widersprechen und die Schüler damit als Person zu wenig wahr und ernst genommen werden: »Kompetenzschulung bildet den Menschen nicht, sondern sie modelliert den Menschen. Er soll so werden, wie »man« ihn will, aber er soll diese Fremdbestimmung mit Freude – motiviert eben – über sich ergehen lassen. Er soll »motiviert« sein, diesen Willen will man ihn lehren, dahingehend will man ihn ›modifizieren‹. In den Kompetenztheorien wird das Lernen also subjektlos« (Ladenthin 2011, 6). Damit stellt sich die Frage, ob für den Religionsunterricht evaluierbare Kompetenzen das probate Mittel sind, Lernstandards zu formulieren und Kriterien für eine Leistungsbewertung festzulegen (vgl. die Kritik bei Ladenthin 2011, 3 ff.). In der Diskussion um die Kompetenzorientierung in den Lehrplänen spiegelt sich auch die ›alte‹ pädagogische Frage des Verhältnisses von Allgemeinbildung und Berufsbildung wieder. Wie schon zu Humboldts Zeiten ist es die Vernützlichung der allgemeinen Bildung bzw. die alleinige Fokussierung der speziellen Bildung auf ökonomische Ziele, die einen Keil treiben zwischen zwei genuine Aspekte von Bildung, die letztlich zusammen gehören. Von daher muss die Bestimmung von Kompetenzen als Basis und Kriterium für Bildung heute in der Spannung geschehen zwischen der Anforderung einerseits, dass Auszubildende umfassende Fähigkeiten erwerben müssen hinsichtlich lebenslanger beruflicher Lernprozesse und der Abwehr der Gefahr andererseits, dass berufliche Bildungsprozesse einseitig ökonomisiert werden und damit ihr spezifisch-bildungswirksames Potential verlieren. Von daher gilt es in Anknüpfung an die 144 Skeptisch gegenüber messbaren Bildungsstandards im Religionsunterricht ist auch Zimmermann 2008, 304: »Gerade weil Bildungsstandards nicht das gesamte Curriculum abdecken wollen und nur zentrale Kompetenzbereiche (Domänen) berücksichtigen, die im Verlauf der schulischen Bildung aufzubauen sind, sind sie für die Leistungsüberprüfung im RU fragwürdig, geht es bei religiösen Kompetenzen eben neben Wissen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auch um den Erwerb von Überzeugungen, Gesinnungen, habituellen Dispositionen u. a.«

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oben dargestellten klassischen Vertreter der Berufsbildung, die gegenwärtige Diskussion in der Berufspädagogik und die Kompetenzformulierungen der Lehrpläne den unspezifisch-weiten (nicht-domänenspezifischen) Kompetenzbegriff mit dem Ziel der Erlangung einer umfassenden beruflichen Handlungsfähigkeit zur Geltung zu verhelfen. Von daher sind die allgemeinbildenden Fächer wie Deutsch, Gesundheitserziehung (vormals: Sport), Gesellschaftslehre und Religion notwendigerweise sowie unbedingt in das Konzept der Vermittlung einer umfassenden beruflichen Handlungsfähigkeit zu integrieren. Auf diesem Weg kann die berufliche Bildung im deutschen »Dualen System« eine Stätte allgemeiner Bildung bleiben bzw. dem Anspruch der »Allgemeinbildung durch Berufsbildung« (Kerschensteiner) gerecht werden.145 Eine komplexer werdende Welt braucht die integrative Bildung von allgemeiner und spezieller Bildung. In der vorliegenden Untersuchung soll der BRU in der Fokussierung auf die duale Ausbildung mit seinem spezifischen didaktischen Ansatz in den Blick kommen und entsprechend in die Kompetenzdiskussion innerhalb der Berufspädagogik als seiner naheliegenden Bezugswissenschaft verortet werden.146 7.2.3 Der Beruf als Domäne des berufsorientierten Religionsunterrichts – Überlegungen zum kategorialen und materialen Berufsbezug des BRU In der allgemeinen Pädagogik werden Kompetenzen, so hatten wir oben festgestellt, domänenspezifisch entwickelt und formuliert. Kompetenzen im allgemeinbildenden Bereich sind damit auf bestimmte Fachkontexte bezogen und erhalten innerhalb dieser Kontexte ihre Gültigkeit und Relevanz als die entscheidende Maßgabe von Bildungsprozessen. Da die Berufspädagogik jedoch auf eine allgemeine Handlungskompetenz zielt, die durch die Vielfalt der be145 Vgl. hierzu ausführlich die Ausführungen unter 2.2. 146 An dieser Stelle ist an die Berufsschule (an das Berufskolleg NRW) als Oberbegriff vieler ›Schulen‹ zu erinnern, sofern es kaum möglich und sinnvoll erscheint, für alle Bildungsgänge einer Berufsschule (eines Berufskollegs NRW) gleiche Maßstäbe im Blick auf didaktische Ansätze und Kompetenzverständnisse zu formulieren. So ist zum Beispiel durch die staatlichen Vorgaben im Wirtschaftsgymnasium (bzw. Bildungsgängen der Anlage D der APO.BK NRW) durch die so genannten EPA’s (Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung. Evangelische Religionslehre) eine nicht nur strukturelle, sondern vor allem inhaltliche Nähe zum allgemeinbildenden Gymnasium und dessen Kompetenzorientierung (und Diskussion) gegeben, dass sich diese »berufliche Schulform« deutlich von Bildungsgängen der dualen Ausbildung unterscheidet. Vom System und der Anlage her müssen diese ›gymnasialen Bildungsgänge im beruflichen Ausbildungssystem‹ eher einem allgemeinpädagogisch-beruflichen Kompetenzansatz folgen, der nicht ohne Brüche für den BRU im Dualen System umgesetzt werden kann. Umgekehrt ist der spezifische didaktische Ansatz des BRU im Dualen System samt spezifischer Kompetenzorientierung nicht analog für die Bildungsgänge im EPA-Bereich anwendbar.

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ruflichen Handlungsfelder begründet und aus dieser Vielfalt heraus entwickelt ist, schließt dies eine exklusiv-fachspezifische Kontextualisierung des Kompetenzverständnisses aus.147 Dennoch gibt es die Domänendiskussion in der Berufsbildung, sofern der Beruf selbst zur bestimmenden Größe aller berufspädagogischen Theorieüberlegungen und zum entscheidenden Kriterium für die »Konstruktion von Domänen« in beruflicher Perspektive wurde (Hensge / Lorig / Schreiber 2011, 140; vgl. zum Folgenden 140 f.). So kann (1.) der Beruf selbst als Domäne herangezogen werden. Hierbei wären dann alle vorausgesetzten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten bestimmend für die Kompetenzkonstruktion, was die Schwierigkeit einer vollständigen Beachtung der anzueignenden Kompetenzen ausmachen würde. Ein Vorteil des Berufes als Kontext einer domänenspezifischen Konstruktion wäre die Option, dass hier dann auch normative und – aus Sicht des Religionsunterrichts – vor allem persönlichkeitsbestimmende Faktoren eine Rolle für die Domänenkonstruktion spielen würden. Einzelne Berufsoder Handlungsfelder wurden (2.) als Kontext zur Entwicklung domänenspezifischer Kompetenzen herangezogen. Hier sind es vornehmlich analoge und verwandte Berufsfelder bzw. Handlungsperspektiven unterschiedlicher Berufe – wie z. B. das Kommunizieren –, die den Rahmen der Domänenspezifikation bilden. Die Schwierigkeit besteht hier allerdings darin, dass nach außen verwandte berufliche Tätigkeiten in konkreten Berufen anders gewichtet und inhaltlich bestimmt sein können148, so dass die Domänen hier entweder an Deutlichkeit verlieren oder sich aber inflationär ausdifferenzieren werden (mit der Gefahr eines Domänendilemmas). Die (3.) Option zur Konstruktion berufspädagogischer Domänen ist die »Klassifizierung von Tätigkeiten in einem beruflichen Handlungskontext« (Hensge / Lorig / Schreiber 2011, 141). Hier werden berufliche Arbeits- und Geschäftsprozesse strukturell in ihren Teilschritten – gewissermaßen diachron – analysierend betrachtet und als Kontext für die Kompetenzentwicklung genutzt.149 Der Vorteil bei dieser Perspektive liegt in der konkreten Abbildung bzw. Kontextualisierung beruflichen Handelns in Kompetenzkonstruktionen. Dies ist zugleich aber auch ein Nachteil, da hier die Domänen entsprechend eine geringere Affinität zu berufsübergreifenden Kon147 Zu religionspädagogisch-didaktischen Konkretionen der folgenden Ausführungen zum Berufsbezug des BRU sowie zur Kompetenzbildung durch den BRU siehe ausführlich unter 9.3. 148 Zu denken ist hier beispielsweise an die Kompetenz der Kommunikation in ihrer unterschiedlichen Ausprägung in einem Verkaufsgespräch gegenüber einer Beratung oder gar die firmeninterne Kommunikation unter der Belegschaft. 149 Bei dieser Spielart wird angestrebt, unternehmerische Prozesse »zu identifizieren und zu respezifizieren, welche Aufgaben und Anforderungen eine berufstätige Person in diesen Handlungsfeldern übernimmt und welchen sie gerecht werden muss« (Hensge / Lorig / Schreiber 2011, 141).

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texten aufweisen. Insgesamt liegen damit drei Perspektiven für die Konstruktion der Domäne ›Beruf‹ im berufsbildenden Bereich vor: der Beruf, das Berufsfeld und die berufliche Tätigkeit. Für den BRU und seinen Beitrag zu beruflichen Kompetenzen gilt es von daher zu fragen, ob und – wenn ja – in welchen der genannten Bereiche der BRU fächerübergreifend Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln kann – Fertigkeiten, die den Auszubildenden helfen, »sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten« (Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen 2007, 10). Entscheidend für den BRU wird es immer mehr werden, inwiefern es ihm gelingt, in der Symphonie der Fächer beruflicher Bildung als eigenständige Stimme wahrgenommen zu werden, die in der Spanne von allgemeiner und spezieller Bildung angemessen-kritisch die Person des Auszubildenden in den Mittelpunkt stellt und so das Anliegen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik im Gespräch hält. Für den BRU wird von daher der Beruf selbst die entscheidende Domäne sein, was folgende Ausführungen zeigen sollen. Für die Frage nach der Rolle des BRU in der berufspädagogischen Domänendiskussion ist an die in der Religionspädagogik schon oft diskutierte Frage nach dem Berufsbezug des BRU anzuknüpfen. Dies bei den beruflichen Tätigkeiten zu tun ist klassisch, wenn vom Beruf her inhaltliche Bezüge zur Religion gesucht und diese didaktisch für den Unterricht operationalisiert werden (exemplarisch siehe Berufsbezug im Religionsunterricht. Werkheft […] 2003). Dieser Weg – ausgehend von den Beiträgen der Berufe für die Gesellschaft oder von den beruflichen Tätigkeitsfeldern – kommt aber sinnvoll nur in bestimmten Berufen zum Tragen150 und schmälert von daher eine berufsrelevante Rolle des BRU im Kontext der Berufsausbildung. Einen größeren Handlungshorizont gewinnt der BRU durch den Bezug auf die allgemeine berufliche Handlungsfähigkeit bzw. die im Beruf erforderlichen und die für diesen zu vermittelnden Fähigkeiten und Fertigkeiten. Gefragt sind hier religionspädagogische Lernprozesse, bei denen die umfassende berufliche Handlungsfähigkeit der Auszubildenden erweitert wird. Denkbar wäre dies beispielsweise bei einem Kompetenzzugewinn im Bereich der Kommunikationsfähigkeiten bei Gesprächen mit 150 In Frage käme dieser Weg vor allem bei Berufen mit einem direkt religiösen Bezug. Gegeben wäre das beispielsweise bei Erziehern und deren Aufgabe der religiösen Erziehung im Elementarbereich. Mit einem indirekten religiösen Bezug wäre beispielsweise an holzverarbeitende Berufe wie den Schreiner oder den Zimmermann zu denken, bei denen schöpfungstheologische Bezüge zum Material Holz und zur globalen Aufgabe der Bewahrung der Schöpfung (bzw. des Naturschutzes) zu bedenken sind. In vielen anderen Berufen wirken die dezidiert religiösen Bezüge vom Beruf zur Religion oftmals sehr künstlich, so dass sich kaum Inhalte ergeben für eine Kommunikation über einen gesamten Religionskurs in der Berufsausbildung.

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interreligiöser Beteiligung in Beruf und Gesellschaft. Aus dieser Schulung interreligiöser Gespräche mit dem dafür notwendigen Perspektivwechsel können die Auszubildenden die Fähigkeit erlangen, auch in anderen beruflichen, gesellschaftlichen oder privaten Kontexten ein besseres Verständnis für z. B. andersdenkende – fremde – Kollegen zu gewinnen und zu einem tieferen gegenseitigen Verständnis zu gelangen. Bei aller Beitragsfähigkeit des BRU zur Kompetenzerweiterung in der beruflichen Bildung gilt grundsätzlich im Blick auf diese zuletzt besprochenen Domänenperspektiven: Der BRU hat hier eine unterstützende Funktion. Der BRU vertieft und erweitert Bildungs- und Lernprozesse der anderen Fächer und hat damit eine kompensatorische Wirkung bzw. Relevanz innerhalb der beruflichen Bildung (vgl. Schelten 2004, 157). Bei der Frage nach dem Domänenbezug des BRU bleibt damit als letzte Perspektive für die Konstruktion von Domänen der Beruf selbst übrig. Obgleich nach dem ersten Schein der BRU zu dieser Perspektive die wenigsten Bezugspunkte haben dürfte, erweist sich bei weitergehenden Erörterungen der Beruf selbst sowie seine gesellschaftlichen wie auch lebensbiographischen Funktionen (Wirkungen / Auswirkungen) als das geeignete Feld zur Demonstration einer religionspädagogischen Relevanz für die berufliche Bildung. Der bis in die Gegenwart andauernde Wandel bei den Anforderungen an die beruflichen Tätigkeiten und die sich gleichzeitig ändernden Anforderungen an die selbstorganisierte Verwaltung der eigenen Arbeitskraft als »Arbeitskraftunternehmer« rückt die Person des Auszubildenden (bzw. des Arbeitnehmers) in den Mittelpunkt auch berufspädagogischer Überlegungen. Sofern die umfassende Handlungskompetenz in der Folge der früheren Rede von Schüsselqualifikationen immer mehr und deutlicher personale Fähigkeiten und Fertigkeiten auch für den beruflichen Bereich als konstitutiv für die berufliche Kompetenz erscheinen lässt, ist auch der BRU gefragt, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Bereich personaler Kompetenzen zu vermitteln bzw. zu erweitern. Die Qualitätsstandards in der berufspädagogischen Perspektive betonten schon lange die Fähigkeit des Selbstlernens als berufliche Anforderung im Blick auf eine Erwerbszeit, die auch schon früher oft ein mehrmaliges Um- und Neulernen erforderte: »Stand traditionell der Blick auf die Fachkompetenz und deren Förderung in formellen und formalisierten, d. h. curricular geplanten Ausbildungsprozessen im Vordergrund, so blickt sie heute stärker auch auf die außerfachlichen sowie fachübergreifenden Lernprozesse in formellen und informellen Kontexten« (Arnold / Gonon 2006, 97; Kursivierung im Original).151 151 Im Blick auf die »erweiterten Qualifikationen« habe man den Eindruck, »die derzeitige kompetenzorientierte Auseinandersetzung mit ›Qualifikation‹ basiere auf einem verspäteten Qualifikationsbegriff, der so heute eigentlich in der berufs- und erwachsenenpädagogischen Diskussion nicht mehr vertreten wird« (Arnold / Gonon 2006, 96; Kursivie-

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Damit betreten wir nun allerdings ein genuin zur religiösen Bildung gehörendes Terrain. Die Förderung und Bildung des Menschen in seinen existentiellen Lebensbezügen und deren Bedeutung für den beruflichen Werdegang sowie auch die Beschäftigung mit sich nicht selbst erschließenden existentiellen Dimensionen des (Berufs)Lebens war und ist eine Domäne religiöser Bildungsprozesse. Hier kommt religiöse Bildung ihren genuinen Aufgaben nach und erreicht den Höhepunkt (im Sinne einer Erfüllung) ihrer Bestimmung. Die gegenwärtige Forderung lebenslangen Lernens stellt die religiöse Bildung vor die Aufgabe, schon bei Auszubildenden die Bereitschaft und Motivation für diese Aufgabe vorbereitend zu wecken und vorsorgend die entsprechenden Fähigkeiten zu kommunizieren und anzulegen.152 Diese Funktion religiöser Bildung wird in Zukunft eine größere Bedeutung bekommen als berufsspezifische Bezüge, die der BRU mitunter aufweisen kann. Denn auch im Licht der immer wesentlicher werdenden umfassenden Handlungskompetenz für die berufliche Bildung wird der BRU gerade in der personalen Förderung und Ich-Stärkung der Auszubildenden seine effektivste Aufgabe finden.153 In der Linie der gerade ausgeführten Überlegungen ist es ein Anliegen dieser Untersuchung, zwischen einem kategorialen und einem materialen Berufsbezug des BRU zu unterscheiden (vgl. Obermann 2011b, 48 – 49): Als material sind alle jene Berufsbezüge zu bezeichnen, in denen eine berufliche Tätigkeit (Befähigung) unmittelbare Bezüge zur Religion aufweist – wie der Bezug der holzverarbeitenden Industrie zur Frage der Nachhaltigkeit bzw. Bewahrung der Schöpfung. In dieser Perspektive hat der BRU die auf das Lernobjekt bezogene – und oben besprochene – kompensatorische Funktion.154 Der BRU ergänzt und rungen im Original). Die KMK spricht bei Kompetenzen von der »Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten« (so die Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen […] 2011, 15). 152 Vgl. hierzu bei Baethge / Solga, u. a. 2007, die fundiert und wegweisend die zukünftigen Aufgaben beruflicher Bildung – und damit die Zukunft des Dualen Systems insgesamt – beschreiben. Das Zentrum zukünftiger Berufsbildung sei das lebenslange Lernen und eine entsprechende Kompetenzentwicklung, für die die »Kategorien der Selbststeuerung und -organisation der eigenen Lernbiografie« wesentlich seien. Eine diese Ziele anvisierende Berufspädagogik müsse »die kognitiven und emotionalen Grundlagen für ein solches Kompetenzkonzept bereits in den frühen Lernerfahrungen der Kinder und in der schulischen und beruflichen Bildung« anlegen und »nicht allein in separat institutionalisierten Weiterbildungseinrichtungen« zu realisieren suchen, sondern »es bedarf der Fundierung in den Alltagsstrukturen der Erwerbsarbeit« (Zitate 69 f.). 153 In dieser Hinsicht kann der BRU z. B. beitragen zu der hermeneutischen Fähigkeit der Wahrnehmung der Welt als einer immer wieder neu zu deutenden bzw. einer immer schon gedeuteten Wirklichkeit, wofür die Auszubildenden befähigt werden müssen, Kriterien des Wahrnehmens zu kennen und anzuwenden. 154 Die von Horstmann 2003, 13 (u. ö.) vorgeschlagene Unterscheidung eines »weiteren« und »engeren« Berufsbezugs weist in die Richtung der hier vorgeschlagenen Unterscheidung, bleibt in der Konkretisierung jedoch noch zu sehr dem materialen Berufsbezug verhaftet

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vertieft die – in NRW in Lernfeldern – vorgegebenen Lerninhalte additiv. Eine andere Stellung gewinnt der BRU, wenn wir ihn begreifen vor dem Kontext des Berufs selbst und seinen umfassenden Lebensbezügen und der beruflich geforderten Handlungskompetenz. Dieser als fundamental-kategorial zu bezeichnende Berufsbezug stellt den BRU zunächst vor die Aufgabe, alle jene beruflichen Aspekte zu identifizieren bzw. zu klassifizieren, die in Einfluss stehen zur persönlichen Entwicklung und Sozialisation der Auszubildenden, ihren berufsbiographischen Aussichten, ihrer persönlichen Wahrnehmung von Ausbildung und Berufswelt, ihrer vom Beruf abhängigen persönlichen Lebensplanung oder ihren damit verbundenen existentiellen Fragen nach dem Leben angesichts des lebensbiographisch wesentlichen Übergangs von der Schule ins Berufsleben. Dieser fundamental-kategoriale Berufsbezug nimmt – in Anlehnung an Klafki – das Subjekt der Auszubildenden als Maßgabe beruflicher Bezüge in den Blick. Kategorial ist dieser Berufsbezug insofern, als dass die soeben genannten Aspekte die Kategorien – Grundformen – benennen, in denen der Beruf in seinem Bezug zur Religion wahrgenommen wird und erfahren werden kann.155 Die oben genannten Fragen weisen auf grundlegende Perspektiven hin, wie das Verhältnis der Auszubildenden zum Beruf zu beschreiben ist, indem sie in je eigener Weise die elementaren Bezugspunkte eines Auszubildenden zum Beruf klassifizieren, zu verstehen geben und bewusst erfahrbar machen. Materiale Berufsbezüge können hinzukommen zu den kategorialen Berufsbezügen des BRU und so das Bild ergänzen, müssen dies aber nicht. Während nicht alle Ausbildungsberufe bzw. Berufsbildungsgänge materiale Bezüge zu religiösen Themen aufweisen, sind für alle Berufe fundamental-kategoriale Berufsbezüge zu identifizieren, zu beschreiben, zu analysieren, didaktisch zu elementarisieren, kommunikativ zu operationalisieren und methodisch zu vermitteln. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Beruflichkeit mit ihren impliziten Bezügen zu Fragen der Theologie und Religion wächst auch dem BRU eine andere Rolle zu. Der BRU ist in diesem Kontext nicht mehr allein in kompensatorischer Wirkung (Funktion) wahrnehmbar, sondern trägt umfassend durch eigene Bildungsinhalte und -aspekte zur angestrebten Handlungskompetenz (inklusive personenbezogener existentieller Kompetenzen) bei. Sucht der BRU den kategorialen Berufsbezug als Anschlusshorizont zur beruflichen Bildung und sucht den kategorialen Bezügen religionspädagogisch und didaktisch gerecht zu (ebenso die Hannoveraner Abhandlung zum Berufsbezug des BRU – Berufsbezug 2003; vgl. auch Bey, von der / Buhmann / Grote / Haardt / Oligmüller / Wittlinger 1999, 305 – 311). 155 Der kategoriale Berufsbezug impliziert für den BRU den Anspruch, die Bedingungsfaktoren herzustellen bzw. zu thematisieren, unter denen sich den Auszubildenden die Möglichkeit eröffnet, in ihren lebensbiographischen Wahrnehmungen in ihrem Berufsalltag – subjektive Seite – die religiösen Faktoren (Aspekte) zu entdecken und zu erkennen – objektive Seite –, so dass es hier zu einem Erschließungsprozess von Subjekt und Objekt bzw. von Beruf und Religion kommt.

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werden, ist seine Funktion und Wirkung als eine komplementäre zu bezeichnen. Ergänzend bringt der BRU dann eigene Inhalte und Aspekte ein in einen berufsbezogenen Bildungsprozess, der auf eine umfassende Handlungskompetenz hinzielt. Die Unterscheidung von materialem und kategorialem Berufsbezug des BRU ist als eine von der Grundbedeutung der Termini ausgehende Differenzierung zu verstehen, die dem BRU innerhalb der berufspädagogischen Diskussion zu einem besser nachvollziehbaren, einem präziser kommunikablen und vor allem einem profunden didaktisch-begründeten Ort innerhalb der Berufsbildung verhilft. Dabei ist es vor allem der kategoriale Berufsbezug, der dem BRU einen genuinen Ort sowie eine dezidierte Aufgabe (Funktion) innerhalb der berufsbildenden Fächer zuweist. Der BRU ist nicht als Appendix oder bloße Kür zu verstehen, sondern konstitutiver Teil der Berufsausbildung. Durch diese didaktische Verortung erweist sich der BRU nicht mehr nur als Kompensation etwaiger Defizite der anderen berufsbildenden Fächer, sondern als eigenständiger – komplementärer – Akteur beruflicher Bildung: In seiner Komplementärität bildet der BRU keinen Gegensatz zur Berufsbildung, sondern er bringt seinerseits seine spezifische Lebens- und Weltsicht ins Gespräch mit der Berufspädagogik ein. Der BRU bereichert so die berufspädagogische Vielfalt um eigene berufsrelevante Themenfelder, z. B. durch die Deutungskompetenz angemessener anthropologischer Formen und Modi beruflicher Existenz oder durch eine interreligiöse Kommunikationskompetenz oder die Fähigkeit der Konstruktion und Wahrnehmung religiös-ethischer Aspekte des Berufslebens. Darüber hinaus bereichert der BRU berufliche Bildungsprozesse um spezifisch eigene Nuancen bei Themen, die konstitutiv von den anderen beruflichen Fächern kommuniziert werden, wie z. B. die biblisch-theologische Fundierung von betrieblich geforderten Tugenden oder schöpfungstheologische Aspekte bei Themen der Nachhaltigkeit.

7.3

Die Verortung von Religion in der europäischen Bildungspolitik und ihre Folgen für eine berufsorientierte Religionspädagogik

Die (europäische) Berufsbildungspolitik ist – wie oben dargestellt – schon lange vor der gegenwärtigen Diskussion kompetenzorientiert und damit ökonomisch ausgerichtet.156 Das primäre Bildungsinteresse ist im beruflichen Kontext zu 156 Im Verfassungsentwurf bekommt die Europäische Union den Auftrag der Gewährleistung der Sorge für ein hohes Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung (so Art. III-117; Quelle: http://dipbt. bundestag.de/dip21/btd/15/049/1504900.pdf; abgerufen am 15. 2. 2011).

Das berufspädagogische Anforderungsprofil des 21. Jahrhunderts

165

sehen und erst zweitrangig im Ziel der allgemeinen Menschenbildung. So wird auch der Mensch weniger als sich selbst bildende Persönlichkeit in den Blick genommen, sondern in seiner Wirtschaftskraft als Humankapital. Der in Europa vorkommende Religionen- bzw. der Religionsunterricht spielt in der europäischen Berufsbildungstheorie keine Rolle (vgl. Obermann 2011d). Dieses Fehlen von Religion in europäischen Vorstellungen zur Berufsbildung bedeutet jedoch nicht, dass die Europäische Union gänzlich an den Religionen und ihren gesellschaftlichen Leistungen desinteressiert wäre. Die europäische Rede von Religion ist an grundsätzlicheren Orten der verfassungsgebenden Schriften zu finden als in der (europäischen) Berufspädagogik. Diese Schriften gilt es im Folgenden zu skizzieren und anschließend religionspädagogisch zu interpretieren, um daraus konkrete religionspädagogische Konsequenzen für die Berufsbildung abzuleiten. Eine grundlegende und dezidierte Positionierung der EU zur Bedeutung der Religionen in ihrem Selbstverständnis erklärte die parlamentarische Versammlung der EU in der Empfehlung 1804157 aus dem Jahr 2007. Hier wird festgestellt, dass die Religionen in Europa nicht nur eine historische Bedeutung haben (so in Pkt. 1), sondern in ihrer Vielfalt auch noch gegenwärtig die europäischen Gesellschaften prägen (Pkt. 2) und dass die institutionellen Religionen in ihrer Vielfalt respektiert und gewahrt werden sollen (Pkt. 3). Besonders hervorgehoben wird die Wichtigkeit des »intercultural dialogue and its religious dimension« (so in Pkt. 8). Bildung wird in diesem Zusammenhang als Schlüssel im Kampf gegen Ignoranz, Stereotypen und Mißverständnisse benannt (so Pkt. 12), wobei die Bedeutung der Schulen hervorgehoben und die Rolle der Religionen wie folgt beschrieben wird: »A knowledge of religions is an integral part of knowledge of human history and civilisations. It ist different from belief in, and practice of, a particular religion. Even countries where one religion prevails have a duty to teach the origins of all religions.« Bemerkenswert an dieser Bestimmung sind zum einen die herausragende Bedeutung, die die Religionen aus Sicht der Versammlung aktiv bei der Gestaltung der europäischen Gesellschaften haben und die passive Rolle, die den Religionen als Inhalt der Erziehung und Bildung zukommt. In diesem Sinne wird dem interkulturellen Dialog inklusive der religiösen Dimension eine besondere Bedeutung zugemessen, weshalb auch das interreligiöse Lernen eine Aktivität im Sinne der europäischen Bildungspolitik ist. Grundlegend finden sich Äußerungen zu den Religionen und Kirchen in der

157 Siehe Recommendation 1804 (2007): State, religion, secularity and human rights (Quelle: http://assembly .coe.int/Documents/AdoptedText/ta07/erec1804.htlm; abgerufen am 31. 10. 2007).

166

Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

»Charta der Grundrechte der Europäischen Union«158, wo die Religionen im Kontext der Festlegung der Menschenrechte thematisiert werden (Artikel 10: Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; Artikel 21: Nichtdiskriminierung; Artikel 22: Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen). Diese Grundartikel sowie die gesamte Charta der Grundrechte der Union waren auch eingeflossen in Teil II der Europäischen Verfassung, die nicht ratifiziert wurde und von daher nie Rechtsgültigkeit erhielt.159 Dennoch lassen sich am Verfassungsentwurf grundlegende Positionen erkennen: Die im Vorfeld der Verfassung diskutierte und abschlägig entschiedene Frage, ob die Präambel einen Gottesbezug enthalten sollte, ist für das kirchliche – und in unserem Sinne für das religionspädagogische – Interesse im Blick auf die Berufsausbildung von geringerer Tragweite, da die Rolle der Kirchen ausführlicher und damit weitaus bedeutender in den Folgeartikeln der Verfassung geklärt wurden. Dort wurde festgelegt, dass die Union den Status der Kirchen der einzelnen Mitgliedsstaaten achten und nicht beeinträchtigen sowie einen Dialog mit den Kirchen in Anerkennung ihres Beitrags pflegen wolle.160 Den Gedanken der Subsidiarität umsetzend wurde festgelegt, dass die Bestimmungen der Einzelländer – hier die bundesdeutsche Festlegung der Erteilung von Religionsunterricht in der Berufsbildung als ordentliches Lehrfach nach GG 7,3 – von der Europäischen Union her nicht gefährdet ist, sondern geachtet und gewahrt wird. Der die Anliegen der gescheiterten Verfassung aufnehmende Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2007 nimmt auch in der gerade beschriebenen Weise die Religionen unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte auf.161 Gleichfalls wurde die Rolle der (beruflichen) Bildung in der Europäischen Union grundlegend in dem nicht ratifizierten Europäischen Verfassungsvertrag beschrieben. Dort wurden in Abschnitt 5, Allgemeine Bildung, Jugend, Sport und berufliche Bildung in Artikel III-283 folgende Bestimmungen festgehalten:162 »(1) Die Union verfolgt eine Politik der beruflichen Bildung, welche die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für Inhalt und Gestaltung der beruflichen Bildung unterstützt und ergänzt. Die Tätigkeit der Union hat folgende Ziele: 158 Der Text ist abrufbar unter : http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf. 159 Der Text der geplanten Europäischen Verfassung ist abrufbar unter : http://dipbt.bundes tag.de/ dip21/btd/15/049/1504900.pdf. 160 Vgl. hierzu den Verfassungsentwurf Teil I. Titel VI. Art. I-52 (2) und (3). 161 Vgl. zum Beispiel Art. 5b zum Recht auf Nichtdiskriminierung (http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=oj.c..2007.306.0042.0133.de.PDF). 162 Eine ausführliche Darstellung der Entstehung der EU-Verfassung mit der Frage des Gottesbezugs in der Präambel sowie der Rolle der Religionsgemeinschaften in Europa erfolgt bei Lindner 2008.

Das berufspädagogische Anforderungsprofil des 21. Jahrhunderts

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(3)

167

a) Erleichterung der Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse, insbesondere durch berufliche Bildung und Umschulung; b) Verbesserung der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung zur Erleichterung der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt; c) Erleichterung des Zugangs zur beruflichen Bildung sowie Förderung der Mobilität der Ausbilder und der in beruflicher Bildung befindlichen Personen, insbesondere der Jugendlichen; d) Förderung der Zusammenarbeit in Fragen der beruflichen Bildung zwischen Unterrichtsanstalten und Unternehmen; e) Ausbau des Informations- und Erfahrungsaustauschs über gemeinsame Probleme der Berufsbildungssysteme der Mitgliedstaaten. Die Union und die Mitgliedstaaten fördern die Zusammenarbeit mit Drittländern und den für die berufliche Bildung zuständigen internationalen Organisationen. Als Beitrag zur Verwirklichung der Ziele dieses Artikels a) werden durch Europäisches Gesetz oder Rahmengesetz unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen festgelegt. Es wird nach Anhörung des Ausschusses der Regionen und des Wirtschafts- und Sozialausschusses erlassen; b) gibt der Rat auf Vorschlag der Kommission Empfehlungen ab.«

Grundlegend ist die europäische Berufsbildungspolitik ihren Grundsätzen insofern verpflichtet, als dass die Vereinbarungen in den Einzelländern Vorrang haben und die Rolle der Union eine begleitende ist. Die Maximen ihrer Berufsbildungsvorstellungen orientieren sich an den ökonomischen gegenwärtigen Notwendigkeiten, der wachsenden internationalen Zusammenarbeit und an der angestrebten hohen beruflichen Mobilität in Europa mit dem Ziel eines Zusammenwachsens der europäischen Mitgliedsländer und deren jeweiliger Bevölkerung.163 Verfolgen, fördern und unterstützen möchte die Union die Gewährleistung einer umfassenden beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung zur beruflichen Eingliederung der europäischen Bürger in den europäischen Arbeitsmarkt als wesentlichem Faktor der europäischen Politik insgesamt. Diese Bestimmungen nehmen Aspekte auf, die im so genannten »Bologna-Prozess« 163 Die Berufsbildung in der BRD ist auch auf Europa orientiert. So erklärte schon die Rahmenvereinbarung über die Berufsschule – gemäß dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15. März 1991 –, dass die Berufsschule das Ziel habe, die »berufliche Flexibilität zur Bewältigung der sich wandelnden Anforderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft auch im Hinblick auf das Zusammenwachsen Europas zu entwickeln« (vgl. Lehrplan zur Erprobung […] 2004, 37).

168

Die Rahmenbedingungen für ein integratives Bildungsverständnis

zur Vereinheitlichung der Hochschulen – Europäischer Hochschulraum – aus dem Jahr 1999 sowie dem spezifisch berufspädagogischen »Kopenhagen-Prozess« aus dem Jahr 2002 zuvor beschrieben wurden. Leitende Aspekte dieser bildungspolitischen Prozesse sind z. B. die Transparenz im Blick auf berufsqualifizierende Abschlüsse in nationalen Systemen, gemeinsame Kategorien des Qualitätsmanagements, die Anerkennung informeller Bildungsprozesse und Qualifikationen, der europäische Qualifikationsrahmen (EQR)164 sowie ein Leistungspunktesystem (ECVET).165 War für die erste Dekade des 21. Jahrhunderts im Lissabon-Prozess das Ziel der Europäischen Union die Entwicklung Europas zum »wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt«, so verfolgt die der Lissabon-Strategie nachfolgende zweite Dekade mehrere Ziele, die auch in Zusammenhängen stehen zu berufspädagogischen Fragen: die Erhöhung der Beschäftigungsquote und der bereitgestellten Mittel für Forschung sowie Entwicklung, die Steigerung der Anzahl erreichter Bildungsabschlüsse, die Senkung des Armutsrisikos und schließlich die Erhöhung des Klimaschutzes.166 Diese genannten Ziele sollen – je auf ihre Weise – alle kommunikativen Prozesse der beruflichen Bildung bestimmen. Die europäischen Berufsbildungsziele stellen damit die bundesdeutsche Berufspädagogik – und eine von der Sache und Berufsbildungspolitik her um einen Anschluss bemühte Religionspädagogik – vor neue und große Herausforderungen. Die weitest reichende Konsequenz aus dieser Herausforderung ist die Frage, inwiefern das duale System in der heutigen Zeit ein noch leistungsfähiges Bildungssystem darstellt, das den beruflichen Ansprüchen gerecht wird, noch mit der Wirklichkeit übereinstimmt und mit seinem ganzheitlichen Berufsbild ein noch aktuelles und realisierbares Berufsbild aufzeigt (vgl. Baethge / Solga u. a. 2007, 79). Aus bundesdeutscher Perspektive geht es vor diesem Hintergrund um die Auflösung der Spannung der von ganzheitlichen Berufsbildern ausgehenden deutschen Berufspädagogik gegenüber einem in Europa – festgeschrieben im EQR – konsequent outcome164 Die europäische Bildungspolitik zielt auf eine Gleichrangigkeit der allgemeinen und der beruflichen Bildung. Damit allerdings das Berufsbildungssystem vor dem Hochschulstudium bestehen kann, »müssen duale Ausbildung und Schulberufssystem stärker berufsübergreifendes systematisches Wissen aufnehmen« (so Baethge / Solga u. a. 2007, 76). 165 ECVET: European Credit System for Vocational Education and Training (www.include.ecvet.de/ecvet/downloads/ECVET_Final_Report_DE.pdf). 166 Bei Baethge / Solga u. a. 2007, 8, finden sich folgende Gedanken, die dieses europäische Ziel treffend wiedergeben: »Im Zentrum steht die Kategorie der Bildungsmobilität, die für die individuellen Berufsverläufe wie für die Sicherung der Humanressourcen einer modernen Wirtschaft gleichermaßen von entscheidender Bedeutung ist. Institutionell bedeutet Bildungsmobilität, dass die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Bildungsbereichen durchlässig sind, individuell äußert sie sich darin, dass die Jugendlichen die Kompetenzen erwerben, die für eine selbständige Organisation ihrer Bildungsbiografie in der Perspektive lebenslangen Lernens erforderlich sind.«

Das berufspädagogische Anforderungsprofil des 21. Jahrhunderts

169

orientiertem europäischen Berufsbildungsverständnis mit Tendenzen einer modularisierten Ausbildung. Letztlich scheint in dieser Gegenüberstellung wieder die alte Grundspannung der Berufspädagogik zwischen Allgemeinbildung und Berufsausbildung auf. In der folgenden Darstellung einer integrativen Berufsbildungstheorie sollen nun am Beispiel der berufsorientierten Religionspädagogik (Teil V) mögliche Lösungsansätze in die Diskussion eingebracht und diskutiert werden.

V Teil: Den berufsorientierten Religionsunterricht erneut bedenken – didaktische Perspektiven für einen zukunftsfähigen Berufsschulreligionsunterricht

8

Die Persönlichkeit fördern und achten – Würde167 als Leitbegriff einer integrativen Didaktik des evangelischen Berufsschulreligionsunterrichts

Die Entwicklung eines integrativen Bildungsbegriffs schließt (1.) allgemeinpädagogisch an die oben dargestellten Ausführungen von Herwig Blankertz an, da es hier um die Verschränkung von Allgemeinpädagogik und Berufspädagogik im evangelischen Religionsunterricht an Berufsschulen (Berufskollegs) geht. Aus religionspädagogischer Perspektive wird Integration (2.) auch noch in anthropologischer Hinsicht in die pädagogische Diskussion einzubringen sein. Integrativ meint hier die Beteiligung von Menschen an gemeinsamen Bildungsprozessen unabhängig ihrer Leistungen und ihres Leistungsvermögens im Kontext der Rede einer kompetenzorientierten Berufsbildung, die in ihrer ökonomischen Ausrichtung berufsfachlich eingeschränkt leistungsbezogen ausgerichtet ist. An dieser Stelle kommt der Religionspädagogik eine Wächterfunktion zu im Blick auf ein Bildungsverständnis, das alle Menschen einer Gesellschaft einschließt. Weiterhin steht im BRU (3.) als dem Garanten einer allgemeinen Bildung in der Berufsbildung im Sinne eines kategorialen Berufsbezugs eo ipso der Auszubildende im Mittelpunkt des didaktischen Interesses und aller didaktisch-kommunikativen Anstrengungen. Von daher sind im BRU zuvorderst nicht die materialen, sondern die formal-kategorialen Berufsbezüge der Religion zu betrachten – die Kategorie des Glaubens als Weltsicht und spezifische Handlungsoption. In dieser Perspektive kommen dem BRU grundlegende Handlungsorientierungen sowie ein – mitunter kritischer – Berufsbezug zu. Theologisch ist Bildung im und durch den BRU in Beziehungen zu denken: als Selbstbezug (Selbstentfaltung), in Sozialität und in politischem Handeln und Denken. Diese Aspekte gilt es in den abschließenden Erörterungen detailliert 167 Zum Begriff der Würde als religionspädagogischer Kategorie vgl. Schoberth 2005, 97 – 125.

172

Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

und differenziert zu entfalten. Seinen Ausgangspunkt nehmen diese Ausführungen in einer phänomenologisch-theologischen Erörterung zur Würde des Menschen als theologischer Grundlage berufspädagogischer Leitlinien in religiöser Perspektive (III. Teil).

8.1

Die Subjektorientierung des berufsorientierten Religionsunterrichts in Geschichte und Gegenwart

Die Gegenwart der berufsbildenden Schulen ist geprägt durch eine Vielfalt von gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüchen: Zuwanderungsgesellschaft, Massenarbeitslosigkeit, Globalisierung, Wissens- und Informationsgesellschaft, Politikverdrossenheit und revolutionäre Entwicklungen im Bereich der Biotechnologie seien exemplarisch als Schlagworte genannt, von denen die beruflichen Schulen herausgefordert sind. Korrespondierend hierzu ergeben sich auch Neu- und Umorientierungen im System der dualen Ausbildung selbst. Das duale System weist krisenhafte Symptome auf, sofern 45 % der Auszubildenden später nicht in ihrem Lehrberuf arbeiten, nur wenige Betriebe ausbilden, die Kooperation zwischen den Betrieben und Schulen zum Teil verbesserungsfähig ist und die Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsstätten zunimmt (vgl. Verhülsdonk 2001, 52 sowie Stratmann 1977). Als die im europäischen Kontext schon erprobte Lösung gilt die Modularisierung der Berufsausbildung, d. h. die Fraktionierung der Ausbildung in kleinere Einheiten. Die Modularisierungskonzepte haben für berufsübergreifende Fächer Konsequenzen, da sie nicht in die – rein ökonomisch ausgerichteten – Modularisierung integriert sind168 und so in der Gefahr stehen, weiter marginalisiert zu werden. Die soeben angesprochenen gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüche sowie die pädagogischen Diskussionen rund um die Kompetenzorientierung und das lebenslange Lernen stellen neue Herausforderungen für die Bildung in der Arbeitswelt dar. Es ist eine der zentralen Aufgaben der beruflichen Bildung, die Jugendlichen und jungen Auszubildenden an beiden Orten des Dualen Systems, in Schule und Betrieb, darauf gut vorzubereiten. Zudem zielt der Unterricht am Berufskolleg – auch im Blick auf lebenslanges Lernen – auf eine umfassende Kompetenz zur Lebensbewältigung, die ein berufsbegleitendes Lernen erst ermöglicht und den Religionsunterricht nicht nur mit einschließt, sondern ihm eine passende Rolle zumisst: »Der Erwerb von Handlungskompetenz als zentrales Ziel beruflicher Bildung erfordert Lernprozesse, in denen sich die Schüler auch hinsichtlich ihrer emotionalen Kompetenzentwicklung ernstgenommen und herausgefordert fühlen. […] Im Religionsunterricht 168 Vgl. – besonders zum europäischen Vergleich – Euler 1998, 38 f.

Die Persönlichkeit fördern und achten

173

muss es um die Erweiterung und den Ausbau von emotionaler Kompetenz, um die Erweiterung und den Ausbau von Beziehungsfähigkeit gehen« (Lohkemper-Sobiech 2002, 8/9). Die besondere pädagogische und didaktische Ausrichtung des Religionsunterrichts an Berufsschulen ist seit jeher in doppelter Weise durch das »Problemfeld Beruf« gegeben: Die berufliche Tätigkeit und das gleichzeitige Erlernen eines Berufes rücken (1.) Fragen und Probleme des Berufes in das Lebensumfeld der Auszubildenden und machen diese zum Thema auch im Religionsunterricht. Zu diesen fachlichen Problemorientierungen kommen an der Berufsschule (2.) noch die lebensbiographischen Fragen junger Erwachsener zu Beginn ihres Erwerbslebens bzw. im Übergang in die arbeitende (und Geld verdienende) Bevölkerung hinzu. Wegen dieser für Berufsschulen allgemein geltenden und gegenüber allen anderen Schulformen spezifischen Rahmenbedingungen bzw. Lebensfeldern nimmt der BRU in der Religionspädagogik (evangelisch wie katholisch) eine gesonderte Stellung ein. Hier prägen die Stichworte Handlungsorientierung, Berufsbezug, Lernfelddidaktik oder Modularisierung den didaktisch-pädagogischen Charakter des BRU sowie auch dessen Inhalte. Spezifisch für den BRU sind zudem Vereinbarungen zwischen den Kirchen und den außerschulischen Partnern des BRU (Betriebe; Gewerkschaften; Handelskammern). Auf Grund dieser Rahmenbedingungen und (dualen) Partnern ist der BRU spezifisch gebunden bzw. ausgerichtet, was ihn vom »normalen« Religionsunterricht unterscheidet. Vor allem aber steht der BRU als berufsübergreifendes und zugleich berufsbezogenes Fach mitten im Spannungsfeld von Allgemeinbildung und Berufsbildung. Diese Verortung zwischen beruflichen Anforderungen und theologischen Prämissen ließ den BRU immer fokussiert sein auf die von der Berufspädagogik formulierten Schlüsselqualifikationen, die die beruflichen Lernprozesse in ihrer Ganzheit in den Blick nahmen (vgl. Arnold / Gonon 2006, 94 ff.) und in der Allgemeinpädagogik heute mit dem Begriff der Kompetenzen beschrieben werden: »Das Berufskolleg vermittelt den Schülerinnen und Schülern eine umfassende berufliche, gesellschaftliche und personale Handlungskompetenz und bereitet sie auf ein lebensbegleitendes Lernen vor« (Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Berufskollegs 1999, § 1.1). Für den BRU und andere Fächer des berufsübergreifenden Bereichs werden die angestrebte Kompetenzen ebenfalls benannt: »Die Fächer des berufsübergreifenden Lernbereichs ergänzen die berufliche Qualifizierung und tragen darüber hinaus zur allgemeinen Kompetenzentwicklung bei, indem sie zentrale gesellschaftliche, kulturelle, ethische und religiöse Fragen in die Ausbildung einbeziehen« (Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Berufskollegs 1999, § 6.2). Didaktisch bedeutet diese gesellschaftlich-soziologische Einbettung des BRU zunächst eine inhaltliche Fokussierung des BRU – grundlegend auf die Situation des Berufs allgemein und speziell auf den je konkreten Ausbildungsberuf im

174

Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

Einzelnen. Von daher ist der Religionsunterricht an der Berufsschule konstitutiv ein kontextueller Religionsunterricht, der die Rahmenbedingungen der Ausbildung, das Profil des Ausbildungsberufs sowie die Situation des Auszubildenden in der Arbeitswelt in den Blick zu nehmen hat. Bei der didaktischen Frage nach den zu kommunizierenden Inhalten im Blick auf die zu erwerbenden Fähigkeiten und Fertigkeiten (Kompetenzen im Sinn berufspädagogischer Schlüsselqualifikationen) ist somit der Beruf – als Arbeit gegen Entlohnung (!) – ein wesentliches Kriterium zur Auswahl und Bestimmung. Der Beruf allein kann jedoch noch nicht den Religionsunterricht ausmachen. Von daher ist im BRU – gegenüber dem Religionsunterricht in Regelschulen wenig überraschend – der zweite grundlegende Schwerpunkt der Schüler als Auszubildender und als zukünftiger Erwerbstätiger. Insgesamt bilden damit das Berufsfeld auf der einen sowie die für die Auszubildenden relevanten theologischen Aspekte (z. B. Rechtfertigung; Schöpfung; Ethik oder Anthropologie) auf der anderen Seite die Brennpunkte, die den Religionsunterricht bestimmen. In einer pluralen Welt unterschiedlicher Lebenskontexte der Auszubildenden einerseits und je verschiedener Lebensbiographien (Individualisierung) andererseits kann ein Religionsunterricht mit jungen Erwachsenen nicht mehr primär vom (klassischen) Lernstoff ausgehen und auf diesen ausgerichtet sein, sondern ist eher als Raum eines freien Diskurses zu begreifen, in dem die Schüler im didaktischen Fokus stehen: Im freien Gespräch sind relevante Berufs- und Lebensaspekte in theologischer und spiritueller Hinsicht zu kommunizieren.169

8.2

Berufsorientierter Religionsunterricht als Schule der Persönlichkeit

Die Schüler als Auszubildende in den Blick zu nehmen bedeutet auf die gesellschaftliche wie auch auf die persönliche Bedeutung des Berufs zu achten. Besonders aus protestantischer Perspektive ist zumindest seit Luther der Beruf und das Berufsethos ein wesentliches Thema menschlicher Weltgestaltung.170 Dabei steht Beruf diametral einem reinen Verständnis von Arbeit als Broterwerb gegenüber : Systematisch-theologisch wurde unter Beruf vor allem auch eine Berufung konnotiert, so dass ein Berufserfolg – auch in wirtschaftlicher Hinsicht – theologisch konnotiert werden kann. Bis heute geschieht in dieser Linie eine hohe Identifizierung des Menschen mit seinem Beruf. »Was ist aus Dir geworden?« »Was bist Du?« Solche Fragen bei Klassentreffen oder anderen Gelegenheiten eines späten Wiedersehens mit ehemaligen Mitschülern werden durch169 Zur Bedeutung des an Jürgen Habermas erinnernden »herrschaftsfreien Gesprächs« vgl. Obermann 2006, 196 – 202. 170 Vgl. hierzu ausführlich unter 4.3.3 bis 4.3.5.

Die Persönlichkeit fördern und achten

175

gehend mit dem Beruf beantwortet, weshalb Arbeitslosigkeit gesellschaftlich und soziologisch weit mehr bedeutet als keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der Beruf ist ein wesentlicher Faktor gesellschaftlicher Integration und Anerkennung und damit auch der Identität sowie der Authentizität einer Person. Zugleich ist das mit jedem Beruf verbundene Ansehen (Milieu) prägend für das Denken und Handeln des in diesem Beruf tätigen Menschen (Berufsethos). Neben dem Beruf als Arbeit gegen Entlohnung ist auch der Beruf als soziologische Größe ein didaktisches Kriterium für den BRU – der Beruf als Indikator dessen, wer die ausübende Person ist und ein Ausdruck der ihr zugemessenen Würde.171 Die Bestimmung und Reflektion dieser Facetten des Berufes bedarf auch einer eingehenden Beschäftigung mit dem Auszubildenden als Person. Theologisch ist dabei der Auszubildende primär als Geschöpf in den Blick zu nehmen. Von den biblischen Schöpfungstexten (z. B. Gen 1; Gen 2; Ps 8) her ist der Mensch als je unvergleichbares Individuum – Gottes Ebenbild (Gen 1,27) – zu verstehen, dem unabhängig seiner Leistungen und Potentiale eine Würde zukommt (Gen 1,26). Diese dem Menschen zugesprochene Würde impliziert die Gleichwertigkeit aller Individuen unabhängig ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihrer Leistungen. Hierfür steht schöpfungstheologisch der siebte Tag der Schöpfung, der Sabbat. Als Krone der Schöpfung ebnet die Sabbatruhe alle menschlichen Errungenschaften etc. ein. Am 7. Tag dürfen alle ruhen: Herren und Sklaven, Kinder und Mägde und sogar das Vieh!172 Würdevolle Arbeit zielt konstitutiv auf einen würdevollen Ort des arbeitenden Menschen in der Gesellschaft. Die Ruhe aller Geschöpfe in individueller wie auch gesellschaftlicher Perspektive egalisiert nicht nur menschliche Hierarchien, sondern setzt gerade im Blick auf die Berufspädagogik Akzente in gegenwärtiger Relevanz. Die Sabbatruhe ist grundlegend höher zu werten als die alltägliche Arbeit des Berufslebens (vgl. Schnabel 2012), denn das Arbeitsleben als kulturelle Errungenschaft ist schon in den Schöpfungsbericht eingetragen, wie die dortige Rede von »Tieren des Feldes« zeigt (Gen 1,25).173 Arbeit und berufliche Tätigkeit sind ein konstitutiver Bestandteil des Lebens und eine wesentliche Aufgabe im Leben von Anfang an. Dieser biblisch-theologische Befund hat anthropologische wie auch ethische 171 Zu dem im Jahr 2006 beschlossenen Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife und seinen personenbezogenen Anforderungen an die berufliche Handlungsfähigkeit vgl. oben unter 9.3.2. 172 So die Interpretation der Sabbatruhe in der deuteronomistischen Variante der zehn Gebote (vgl. Dtn 5,12 ff.). 173 Die Rede von Feldtieren wäre sinnlos, wenn es noch gar keine Agrarwirtschaft gegeben hätte. Darüber hinaus sind die Feldtiere ein Indiz für die Gegenwartsrelevanz der Rede von der Schöpfung: Schöpfung ist kein von der Gegenwart getrennter Vorgang am absoluten Anfang (vgl. ausführlicher unter 4.2).

176

Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

Implikationen für die berufliche Bildung. Biblisch gespeist muss jede Bildungsinitiative wesentlich den einzelnen Menschen als Adressaten ihres Wirkens zu Gute kommen und dabei im Blick auf die anthropologische Würde ohne Unterschiede allen menschlichen Geschöpfen dienen. Die Entscheidungsfrage zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung rückt im Licht schöpfungstheologischer Aussagen den Menschen als Individuum und einzigartiges Geschöpf in den Mittelpunkt. Der Mensch ist und bleibt das konstitutive Kriterium für die Ausgestaltung der beruflichen Bildung und für die Beurteilung, wie eine Bildungstheorie zu bewerten ist. Für die berufsorientierte Religionspädagogik ist die Wertschätzung des einzelnen Menschen ein wesentliches Kriterium, was sich programmatisch schon bei Schleiermacher zeigt: »Stellet euch auf den höchsten Standpunkt der Metaphysik und der Moral, so werdet ihr finden, dass beide mit der Religion denselben Gegenstand haben, nämlich das Universum und das Verhältnis des Menschen zu ihm« (Schleiermacher 1799, 24; o.p.). Nach Schleiermacher ist der Mensch nicht Herr der Welt und der Geschichte, sondern ein Teil jenes Universums, welches Mensch und Welt gleichermaßen umfasst. Das Universum umfasst (1.) Mensch und Welt und das Unendliche kommt (2.) nur im Endlichen, im Individuellen zum Ausdruck. Dieses Verständnis von Religion impliziert bildungstheoretische Weichenstellungen. Wenn der endliche Mensch die Manifestation des Universums darstellt, dann dürfen die unterschiedlichen Gestaltungen des Menschseins bildungstheoretisch nicht gleichgültig sein. Im Religionsunterricht allgemein und im BRU im Besonderen geht es um die Entfaltung des Einzelnen und seiner individuellen Gestaltung des Universums als Beitrag für die Gemeinschaft. Damit muss der BRU seine Relevanz sowohl im Berufsleben als auch im Alltag der Schüler erweisen. Im Sinne Schleiermachers ist das Leben in seinen aktuellen Kontexten174 der Horizont, vor dem sich der Religionsunterricht als Lebenshilfe und Orientierungshilfe zu bewähren und zu bewahrheiten hat. Ein weiterer Aspekt von Würde als bildungstheoretisches Kriterium des BRU ergibt sich auf der Basis der Religionsphilosophie des jüdischen Gelehrten Martin Buber (1878 – 1965), der die Beziehung als Grundschema des Verhält-

174 An dieser Stelle ist an Rang 1939 zu erinnern, für den Grenzsituationen eine als didaktische Kategorien entscheidende pädagogische Bedeutung haben. Unter der Überschrift »Alltag und Grenzsituation« stellt Rang die religiöse Bedeutung von besonderen Begebenheiten – z. B. Geburt und Tod – dar, da das Evangelium erst durch das Erzählen von Grenzsituationen einer kognitiv erfassten (begriffenen) Situation am Rande des Alltags in seiner tröstenden und befreienden Dimension recht wahrgenommen und existentiell verstanden werden kann.

Die Persönlichkeit fördern und achten

177

nisses von Menschen in den Mittelpunkt stellt (Buber 1984, 22 oder 31).175 Das Wesen des Menschen machen nach Buber seine wahrhaften Beziehungen zu anderen Menschen aus. Aus diesen Beziehungen heraus erwächst dem Menschen Lebendigkeit (vgl. Buber 1984, 32 f.). Religionspädagogisch – besonders in interreligiösen Kontexten – ist hierbei entscheidend, dass sich die Identität des eigenen »Ich« eines Menschen in der Begegnung (Beziehung) mit einem anderen »Du« herausbildet, wodurch jedem Du und jedem Ich Würde zukommt. Erst in einer reziproken Bezogenheit von Ich und Du entwickelt sich Identität als die Basis wahrhafter Beziehung (und des Dialogs). Diese Grunddynamik von Beziehungen ist eine wesentliche Grundlage eines würdevollen BRU in pluralen Welten, in dem unterschiedliche Biographien miteinander unter theologischer Perspektive ins Gespräch kommen können.176 Auch eine auf Schleiermacher und Buber zurückgehende berufsorientierte Religionspädagogik findet ihren begründeten (und relevanten) Ort innerhalb der beruflichen Bildung. Der BRU unterstützt (fördert) eine pädagogisch gegründete und begründete Öffnung der beruflichen Bildung über den Fachbezug hinaus und leistet damit einen konstitutiven Beitrag für eine integrative Berufsbildung. Seine Relevanz zwischen Berufsbezug und Lebenswelt der Auszubildenden erreicht der dialogische BRU konkret in folgenden Aspekten: Ein dialogischer BRU wird (1.) eine inhaltliche Kommunikation zwischen Schülern unterschiedlicher Religionen und Kulturen initiieren und so helfen, dass die Auszubildenden die »Interkulturalität [als] eine Schlüsselkompetenz« (Frey 1999, 20 f.) angesichts interkultureller Arbeitsgemeinschaften im Beruf erwerben können. Der auf Dialog beruhende BRU vermittelt (2.) den Auszubildenden eine Kommunikationskompetenz, die in der modernen Arbeitswelt und darüber hinaus im gesellschaftlichen Diskurs eine immer größere Bedeutung gewinnt. Ein dialogischer BRU wird (3.) zu einer die Identität bildenden Ich-Stärkung beitragen, was als tragfähige Basis gelten kann für ein selbstbewusstes, autonomes und auch verantwortliches Denken und Handeln der Auszubildenden in ihrer zukünftigen Berufstätigkeit. In dieser Perspektive gewinnt der BRU (4.) durch den kategorialen Berufsbezug eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung, wenn beispielsweise im BRU die Kompetenz der Integration gesteigert wird und Begegnungen mit ›Fremden‹ tolerant und friedlich verlaufen. Als Schule der Persönlichkeit nimmt der BRU in einem offenen didaktischen Prozess das Subjekt des Auszubildenden – als Geschöpf – in den Fokus seiner inhaltlichen 175 Vgl. hierzu Obermann 2006, 203 ff.; zum pädagogischen Charakter von Bubers Gesamtwerk vgl. Ventur 2003, bes. 189. 176 Vgl. auch Nipkow 2002, der die von der Hebräischen Bibel geprägte Religionsphilosophie Martin Bubers hinsichtlich ihrer religionspädagogischen Relevanz gerade im Blick auf interkulturelle und interreligiöse Kommunikations- und Lernprozesse hervorhebt (vgl. auch Schweitzer 1996, bes. 154).

178

Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

und formalen Lernprozesse. Deutlich zu Tage tritt hier die Relevanz des BRU für den allgemeinbildenden Auftrag der Berufsschule insgesamt. Der dialogische BRU leistet im Spiegel neuer berufspädagogischer Ansätze einen wesentlichen Beitrag zu einer integrativen Berufsbildung im Spannungsfeld von allgemeinen und beruflichen Bildungsprozessen.

8.3

Lebens- und Orientierungshilfen durch den Religionsunterricht als konstitutiver Bestandteil beruflicher Bildung

Die Situation von heutigen Auszubildenden ist bestimmt durch eine fast unüberschaubare Fülle von Angeboten und einer daraus resultierenden großen Orientierungslosigkeit (vgl. Schwöbel 2003, 287 f.)177 – beispielsweise durch die gesellschaftliche Ausdifferenzierung im kulturellen, religiösen und politischen Bereich. Fremde Länder, Kulturen und Religionen sind aus vormals unerreichbarer Ferne nahe gerückt. Alte Grenzen und Barrieren haben angesichts der zunehmenden Mobilisierung und Medialisierung keine Wirkung mehr. Unsere Gesellschaft ist unübersichtlicher geworden. Für Kinder und Jugendliche, die ihren Weg ins Leben aktiv suchen, erwächst heute der Zwang, plural zu sein (vgl. Blasberg-Kuhnke 2004, 106 f.). Das geschlossene Weltbild früherer Tage, das Heimatgefühle und Geborgenheit leichter vermitteln konnte, existiert nicht mehr. Auch ist die eigene Existenz heute oft nicht mehr kalkulierbar. Was ein Leben morgen oder gar übermorgen prägen wird, kann heute kein Mensch voraussehen. In vielen Lerngruppen in Berufsschulen spielen die genannten Übergänge eine lebensbiographisch große Rolle bei Auszubildenden. Die Zeit der Berufsausbildung mit dem Eintritt in neue Sozialkontexte ist eine Phase großer Herausforderungen. Auszubildende verdienen ihr erstes Geld und beginnen finanziell selbständig und autonom zu werden. Für viele steht die Volljährigkeit und mit dem Führerschein die lang ersehnte Mobilität an. In diesen Umbrüchen stellen sich existentielle Fragen der Lebensplanung: Ist der gewählte Ausbildungsberuf ein direkter Weg oder ein Umweg zum Traumberuf ? Oder ist er gar eine Sackgasse auf dem Arbeitsmarkt? Viele Auszubildende haben auf Grund schulischer Vorleistungen und ökonomischer Angebote keine Wahl, sondern das einzige Lehrstellenangebot auf ihre Bewerbungen führt sie in bestimmte Berufsausbildungsgänge. Soziologisch wird hier ein Dilemma ansichtig. Auf der 177 Vgl. hierzu auch die ausführlichen Erörterungen von Mette 1989, 30 ff., wo er von der Tendenz der Individualisierung her die zunehmende »Ohnmacht und Wehrlosigkeit gegenüber den anonym gesteuerten und globale Ausmaße umfassenden Entwicklungen, auf die der einzelne keinen Einfluß mehr zu nehmen vermag« (35), benennt.

Die Persönlichkeit fördern und achten

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einen Seite die Qual der Wahl178 und auf der anderen Seite eine totale Einschränkung innerhalb einer einzigen Lebensphase. Für viele Jugendliche ist gerade während der Ausbildung die aktive Gestaltung der Lebensplanung eine große Herausforderung: Die »aktive und kreative Eigenleistung zur Identitätsbildung, die für junge Menschen immer erforderlicher geworden ist, kann nur gelingen, wenn den jungen Menschen die dafür notwendigen Ressourcen, Handlungsmöglichkeiten und Verwirklichungschancen zur Verfügung stehen« (Gille / Sardei-Biermann 2011, 32). Neben der sozialpolitischen Aufgabe der Bereitstellung der Rahmenbedingungen sind Jugendliche zu motivieren, sich ihnen bietende Gestaltungschancen für ihr Leben wahrzunehmen. Gleichermaßen gilt es ihr Selbstwertgefühl bzw. ihre Selbstachtung und -wahrnehmung zu stärken, damit sie einer aktiven Lebensgestaltung überhaupt nachkommen können. Denn es gibt einen Zusammenhang von Handlungsorientierung und Zukunftserwartung. Jugendliche mit einer schwach ausgeprägten Handlungsorientierung weisen auch eine wenig ausgeprägte Zukunftsperspektive bzw. -erwartung auf (wie auch umgekehrt; vgl. Gille / Sardei-Biermann 2011, 43 ff.). Die Voraussetzung für eine stärker ausgeprägte Handlungsorientierung und positivere Zukunftsperspektive ist ein gesundes Selbstwertgefühl und Vertrauen in die eigene Wertigkeit und Handlungsoptionalität. Daraus erwächst die Notwendigkeit, »junge Menschen bei der Entwicklung selbstständiger und aktiver Handlungs- und Zukunftsperspektiven und entsprechender Wertorientierungen zu unterstützen« (Gille / Sardei-Biermann 2011, 46). Dabei ist auch ein Augenmerk auf die informellen Lernprozesse zu werfen, in denen die Jugendlichen stehen. Die Integration dieser informellen Bildungsprozesse kann der BRU unterstützen, indem er die Jugendlichen für die ihnen nicht bewussten Lernprozesse und Lernorte sensibilisiert und die Bedeutung dieser Lernprozesse kommuniziert. In dieser Situation gilt es für einen theologisch inspirierten sowie am Subjekt des Auszubildenden fokussierten BRU, an den existentiellen Fragen der Auszubildenden anzuknüpfen und diesen eine Orientierungsfähigkeit zu vermitteln, damit sie mit ihrer Situation zurecht kommen können. Neben Orientierungen muss es in der heutigen Zeit auch um die Kompetenz gehen, die Brüchigkeit als auch die Inkontigenz des Lebens in der Moderne zu erkennen und in eigene Lebenspläne sinnhaft zu integrieren (als Beispiel siehe Obermann 2008). Im Blick auf den Wandel der »normalen« Erwerbsbiographie – im Sinne einer Entstandardisierung der beruflichen Erwartungssicherheit179 – wird es um die 178 Soziologisch erinnert dies an den von Gerhard Schulze so genannten Entscheidungssog, wenn Entscheidungen ihren Charakter des Entscheidens verlieren und zum reinen Befolgen vorgegebener Wege führen (vgl. hierzu Schulze 1993, bes. 58 f.). 179 In begrifflicher Analogie hierzu vgl. Sellmann 2012, der unabhängig der Berufsausbildung in allgemeiner Perspektive von einer »sozialen Erwartungssicherheit« (39) spricht.

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Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

Frage gehen, wie ein junger Mensch heute seine Identität(en) finden kann, wenn die berufliche Identität mehr und mehr als Identifikationsfaktor wegfällt. Diese Herausforderung und potentielle Aufgabe »begründet den fundamentalen Stellenwert der Lernkompetenz für die individuelle Biographiegestaltung« (Baethge / Solga u. a. 2007, 76). Dies gilt umso mehr, als dass es heute keinen Königsweg mehr in die Berufsausbildung gibt. Jugendliche brauchen Orientierungshilfen sowohl auf dem Weg in die Ausbildung als auch während der Ausbildungsphase selbst (vgl. Bednarz-Braun 2011, bes. 73 f.). In der skizzierten Perspektive der geisteswissenschaftlichen Pädagogik sind diese Fragestellungen als Bildungsprozesse zu verstehen, in deren Verlauf der Auszubildende alle seine Persönlichkeitskräfte entfalten und sich mit dem Ideal seiner Person in die Fülle einbringen kann (Humboldt). Gerade im Kontext beruflicher Aktivität eröffnen sich für den Auszubildenden Potentiale eines Selbstbildungsprozesses, in dem der junge Erwachsene zu sich selbst kommt und findet (Kerschensteiner). Der BRU leistet in dieser Linie einen spezifischen Beitrag zu einem Bildungsprozess, in dem sich berufliche und allgemeine Bildung ergänzen (Blankertz).

9

Was den BRU zum Religionsunterricht macht – religionspädagogische Neubestimmungen

9.1

Jugendliche und ihre religiösen Lebenswelten – eine Skizze

Die Situation der Jugendlichen im BRU als Anschlussraum für eine gelingende operationalisierte Kommunikation über Religion ist wesentlich bestimmt durch (1.) die Berufsschule als Ort der Erteilung des Religionsunterrichts und (2.) die Einstellung der Jugendlichen zur Religion. Allerdings zeigt sich gerade im BRU oft eine große Distanz der Jugendlichen zum klassischen Religionsunterricht: Wenn auch die Themen als interessant wahrgenommen werden und die Atmosphäre des Unterrichts als angenehm empfunden wird, betonen die Jugendlichen sowohl ihr grundlegendes Desinteresse an der institutionell verfassten Kirche und Religion, das Fehlen von religiösen Bezügen in ihrem Ausbildungsprozess sowie die unterrichtliche Dominanz von ethischen Themen ohne Religionsbezug im BRU. Die genannten Aspekte spiegelt das folgende Gespräch von Zerspanungsmechanikern im ersten Lehrjahr exemplarisch wider. Auf die Frage, ob es die Auszubildenden überrascht, in der Berufsschule in Religionsunterricht zu haben, antworten diese:

S1: Ich kann mir nicht vorstellen wieso wir Religionsunterricht haben. Ich war auch bis jetzt – ich meine früher in der Schule – nicht dort. Ich hab’ heute das erste Mal Religion. Von daher kann ich nicht sagen, was wir hier reden wollen.

Was den BRU zum Religionsunterricht macht

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S2: Nichts. S3: Das hat ja mit dem Beruf nichts zu tun. S4: Als Mechaniker braucht man eigentlich keine Religion. So sehe ich das auch. Wofür auch? S5: Es geht ja um menschliche Belange. Ich denke es geht um »Liebe deinen Nächsten«, wie man mit anderen umgeht. S6: Religion hat ja nicht nur was mit katholisch, evangelisch oder muslimisch zu tun, es geht ja auch um den Umgang mit Menschen, Ausgrenzung, Mobbing. S4: Ja, aber das hat doch nicht unbedingt ‹was mit Religion zu tun. S5: Ja klar. Religion heißt ja nicht nur, dass du 3 Mal im Monat in die Kirche gehst und betest, sondern es hat auch was damit zu tun wie du mit deinen Mitmenschen umgehst. Ich hätte ja auch heute Morgen sagen können: Ich kenne dich nicht, also gebe ich dir nicht die Hand, z. B. … S4: Das hättest du doch so oder so entschieden, ob du jetzt Religion hast oder nicht. S5: Es geht ja auch nicht in dem Sinne um Religion, aber im Religionsunterricht geht es auch darum wie man mit seinen Mitmenschen umgeht. S7: Ich sehe das eigentlich genau so. Religion hat mich sehr überrascht, dass es hier vorkommt, weil eigentlich hat das mit dem Beruf nichts zu tun, beispielsweise anders als Mathe oder Deutsch.180

Entgegen diesem deutlichen Votum zur fehlenden existentiellen Relevanz von Religion in Beruf und Alltag gestehen die Auszubildenden der Religion im zwischenmenschlichen Bereich eine Bedeutung zu. Die empirische Jugendforschung geht grundsätzlich davon aus, dass die meisten Jugendlichen zwar ein Interesse an der Religion (und Spiritualität) haben,181 aber diese Erfahrungen nicht mit der Kirche verbinden und auch nicht im Raum der Kirchen (bzw. verfassten Religionsgemeinschaften) suchen. Des weiteren stehe Jugendlichen auch keine eigene (spezifische) Semantik zur Verfügung.182 Eine Relevanz erfahren die Kirchen höchstens in dem Maße, in dem die Jugendlichen Religion und Spiritualität als Event wahrnehmen und erleben können (siehe Streib / Gennerich 2011, 66 f.). Entsprechend gibt es keine homogene Religiosität Jugendlicher, sondern eine Vielzahl differenzierter Varianten (siehe Streib / Gennerich 2011, 54).183 Trotz ihres geäußerten Desinteresses an Religion besitzen Jugendliche dennoch einen Kanon von Werten und Normen, die ihr Handeln bestimmen und 180 Das Interview entstammt dem bibor-Projekt »BRU in der Pluralität« (vgl. hierzu www.bibor.uni-bonn.de). 181 Vgl. hierzu beispielhaft in dieser pauschalen Weise Seibt 2012, 95. 182 Vgl. hierzu vor allem Streib / Gennerich 2011, bes. 32 ff. (zur Spiritualität im Gegensatz zur Religiosität siehe bes. 40 – 43, zur Akzeptanz traditionell organisierter Religiosität 63 – 68). 183 Nach Streib / Gennerich 2011, 111 f. sind Formen einer jugendlichen Religiosität jenseits von Konfession und religiöser Selbstbezeichnung insgesamt ein bislang kaum erforschtes Feld.

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Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

soweit auch ihr Leben. Dieser Wertekanon liefert zudem wesentliche Faktoren, die bei (Lebens)Entscheidungen und insofern auch bei der aktiven Gestaltung ihres Lebens eine Rolle spielen. Unabhängig davon, ob die Wertemuster den Jugendlichen bewusst sind und sie dezidiert darüber Auskunft geben können oder ob das nicht der Fall ist – schon die Reflektion über die Kriterien ihrer Entscheidungen eröffnet die Chance, die Jugendlichen nach den Faktoren ihrer Entscheidungsfindung zu befragen. Die Antworten geben dann unmittelbar Aufschlüsse über die für die Jugendlichen maßgeblichen Maßstäbe für ihr Leben – und lassen mittelbar (implizit) auch Rückschlüsse über ihre säkular-religiösen Vorstellungen zu. Hinsichtlich der oben anvisierten didaktischen Näherbestimmung des BRU vor dem Hintergrund jugendlicher Lebenswelten sollen nun zunächst die Bestimmungsfaktoren für die Werte und Handlungsweisen der Jugendlichen in der Ausbildung in den Blick genommen werden. Angesprochen ist damit die soziologische Frage nach den Milieus, in denen Jugendliche aufwachsen und die in den letzten Jahren durch die Milieu-Studien diverse Antworten bekommen hat. Aufzunehmen sind damit die soziologischen Erkenntnisse der Sinus-Milieus seit der Mitte der 1990er Jahre. Erkenntnisleitend ist hier die Einsicht, dass »jedes Milieu ein selbstreferentielles System mit eigenen Codes und Programmen« ist. Jedes Milieu stellt einen offenen Referenzrahmen dar, der jedoch für sich jeweils »semantisch eine eigene Welt« bildet. Die sich einem Milieu zugehörig fühlenden Menschen können ihre Umwelt allein aus ihrer Sicht mit »spezifischen Wahrnehmungskategorien« entdecken und erfahren (siehe Milieuhandbuch 2005, 7). Nach dieser – von der katholischen Kirche initiierten184 – Bewertung gehören Jugendliche in der Ausbildung von den ihre Lebenswelt bestimmenden Bedingungsfaktoren am ehesten und zugleich schwerpunktmäßig zu den »Hedonisten« (Milieuhandbuch 2005, bes. 297 – 314)185. Weltanschaulich gehen sie auf Distanz zu traditionellen Gruppierungen mit Wertorientierung (z. B. Parteien oder Kirchen), haben Schwierigkeiten mit dem traditionell überlieferten Gottesbild und zeigen ein »starkes Interesse für unkonventionelle, mittelalterliche oder exotische Weltanschauungen und Religionen« (Milieuhandbuch 2005, 313). Die Fortführung der Sinus-Milieu-Studie ›Wie ticken Jugend184 Die Betonung von den je katholischen Kontexten im genannten Milieuhandbuch spielt im beruflichen Kontext heute kaum mehr eine Rolle, da es spezifische religiöse Milieus unter Jugendlichen nicht mehr gibt und gerade bei Jugendlichen eine kirchlich-konfessionelle Prägung und Verortung nicht mehr relevant ist (vgl. hierzu Münchmeier 2004, 126 – 134, bes. 132 f.). 185 Gleichfalls könnten jugendliche Berufsschüler der Gruppe der »Experimentalisten« zugehören (vgl. Milieuhandbuch 263 – 283), wobei hier im Blick auf das Einkommen und den gehobenen Bildungsstand weniger zutreffende Beschreibungen zu erwarten sind wie bei den Hedonisten.

Was den BRU zum Religionsunterricht macht

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liche?‹ (2008) widmete sich speziell den Jugendmilieus, in denen sich ein analoges Urteil zeigt: Die von ihrem Bildungsgrad am häufigsten die Berufsschule besuchenden Jugendlichen gehören zum Milieu der »Hedonisten« und der »Experimentalisten«. Diese beiden Milieus werden zusammen mit dem Jugendmilieu »Performer« (diese haben ein durchschnittlich höheres Bildungsniveau) »von kirchlichen Angeboten kaum erreicht. Zusammen machen sie 65 % der deutschen Jugendlichen aus – Tendenz steigend« (NewsLetter »Initiative für wertorientierte Jugendforschung«, 14). Zu einer ähnlichen Grundeinschätzung bezüglich der die Berufsschulen besuchenden Jugendlichen kommen auch Hauschildt (u. a.) in ihrer Milieustudie auf evangelischer Seite, in der sie insgesamt sechs Milieus unterscheiden. Das für uns am ehesten zutreffende Milieu sind vom Alter wie von der Kirchenverbundenheit her die »Mobilen«, die den Umgang mit den modernen Medien jenseits gesellschaftlicher Gruppierungen pflegen und der Kirche mit ihren Glaubensüberzeugungen nicht gänzlich ablehnend gegenüber stehen (vgl. Schulz / Hauschildt / Kohler 2008, 63 – 69 sowie 116). Insgesamt bieten die Milieustudien im Blick auf konkrete didaktische Ansatzpunkte für den BRU in ihrer Beschreibung der Lebenswelten Jugendlicher erste konkrete Hinweise. Hilfreich ist hier der Befund, dass es unterschiedliche Jugendmilieus im Bereich der beruflichen Schulen gibt und diese Milieus auch analoge Lebensbezüge und -formen zu Gruppen anderen Alters und anderer Bildungsgrade aufweisen (können). Weitergehende Erkenntnisse über konkrete Anhaltspunkte für religionspädagogische Erörterungen zum BRU liefert die schon erwähnte Umfrage von Andreas Feige und Carsten Gennerich bei mehr als 8.000 Berufsschülern. Diese Umfrage fördert Werte und Anschauungen zu Tage, die Jugendliche von sich aus für ihr Leben als wichtig erachten. Durch diese Erkenntnisse bekommen die jugendlichen Lebenswelten, ihre Hoffnungsperspektiven und allgemeine Lebens- und Handlungsmaximen ein konkretes Bild und liefern so auch Rückschlüsse auf religiös-transzendente Aspekte, die den Jugendlichen fern ab der Kirchen oder verfassten Religionsgemeinschaften wichtig sind. So sehen die befragten Berufsschüler in ihrer Familie und damit ihrem engsten Umfeld die größte Bedeutung für ihren Lebenslauf. Deutlich wird hier die Wertschätzung des Vertrauens und der voraussetzungslosen Anerkennung, für die bei Jugendlichen die Familie steht. Diese implizite Betonung von Vertrauen und Anerkennung als wesentliche Bestimmungsfaktoren zeigt sich auch bei der Wertung von Freunden und der Clique. Den nahestehenden Freunden wird mehr Einfluss zuerkannt als der Clique, die soziologisch als weniger verbindlich und vertrauenswürdig empfunden wird. Neben dieser Einbettung in ihr vertrautes Zuhause sehen Jugendliche zugleich das eigene »Ich« als einflussreichen Bestimmungsfaktor. Berufsschüler sehen sich als autonome Persönlichkeiten und

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Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

pflegen diese im Blick auf Lebensentscheidungen. Dabei steht diese Autonomie in einer Spannung zur Kirche und verfassten Religion, sofern diese das Image einer autoritären und stark reglementierenden Größe hat und aus Sicht der Jugendlichen gegen ihr eigenes Autonomiestreben steht. Einen großen Einfluss auf den Lebenslauf der Jugendlichen [Abb. 32] haben auch die Arbeit bzw. der Beruf, sofern diese beiden Faktoren die Gegenwart wie auch die zukünftige Lebensgestaltung finanziell (und damit materiell) sowie gesellschaftlich unmittelbar beeinflussen werden. Deutlich weniger Einfluss haben hingegen Größen wie Gott (auffällig, aber nicht überraschend ist der hohe Einfluss von Gott – Allah – bei muslimischen Jugendlichen) oder andere religiös-übersinnliche Faktoren – wie auch z. B. Sternzeichen – auf die Lebensplanung der Jugendlichen. Bei der Frage nach den Bestimmungsquellen ihres Lebenssinns [Abb. 33] benennen die Jugendliche unmittelbar ihre eigenen Wertvorstellungen für ihr Leben. Bei den Antworten kristallisiert sich dabei die Erfahrung heraus, das eigene Leben zu verstehen als das »fraglose Vertrauen in die Existenz einer mehr oder minder geordneten Welt, eines Kosmos« (Feige / Gennerich 2010, 88). Grundlegend lehnen die Jugendlichen die Aussage ab, dass es so etwas wie Sinn überhaupt nicht gebe: »Weitestgehend einig sind sich also die befragten Jugendlichen/Jungen Erwachsenen nur im Dementi von ›Sinnlosigkeit‹« (Feige / Gennerich 2010, 90). Die skeptische Generation kann sich nicht vorstellen, dass es keine Erfahrungen wahrhaftigen Lebens und kein nicht selbstbewirktes Gefühl der Anerkennung und des unbedingten Getragenseins gibt. Dieses indifferente Gefühl nach so etwas wie Sinn findet seinen Ausdruck auch in der Zustimmung zu der vagen Aussage, dass das Leben etwas ausmacht, was man sich nicht selber machen könne.186 In dieser Spannung machen die Jugendlichen durch die doppelte Negation sowie die Beantwortung der Frage nach den Quellen für ihre Erfahrungen zur Chiffre »Sinn« deutlich, dass sie sich als Glied eines größeren Zusammenhangs sehen und verstehen (möchten). Die Unsicherheit der Jugendlichen bezüglich einer positiven Beschreibung eines gesetzten Sinns – verstanden als unbedingte Voraussetzung des Lebens – zeigt auch die höchste Zustimmung als Quelle von Sinn im eigenen aktiven Gestalten des Lebens – im Gegenüber zu einer »›Sozialität‹ als einem Element der Vorausgesetztheit der eigenen Existenz« (Feige / Gennerich 2008, 92). Deutlich – mit einer geringen, aber nicht signifikanten Abstufung bei muslimischen Jugendlichen – haben die Jugendlichen Vorstellungen, welche Konstanten es für sie gibt und worauf sie ihr Leben bauen können: »Es liegt in der Souveränitätsentscheidung jedes Einzelnen, wie man sein Leben gestaltet und eben in dieser

186 So die Frage v0202 bei Feige / Gennerich, 2010, 90 f.

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Gestaltung beruht die Selbstevidenz des Lebens – mithin sein ›Sinn‹« (Feige / Gennerich 2008, 92). Im Folgenden sollen nun die das Lebensgefühl der Jugendlichen bestimmenden Faktoren theologisch im Blick auf eine latent vorhandene religiöse Einstellung der Jugendlichen erörtert werden: Bei der Sinnfrage hatten wir bereits oben festgehalten, dass die Frage allein schon ein Indiz ist, dass die Auszubildenden eine Sinnlosigkeit der Existenz an sich als unvorstellbar ablehnen: (Lebens)Entscheidungen der Jugendlichen sind getragen von der Zuversicht, dass diese nachhaltig mit Tragweite (d. h. sinnvoll) zu treffen sind angesichts eines geordneten Kosmos mit geglaubtem Bestand (vgl. Feige / Gennerich 2008, 88 f.). Bei der Betrachtung der Bestimmungsfaktoren des eigenen Lebenslaufes fällt die horizontale Orientierung auf. Bis auf den stark vertretenen exklusiven Ich-Bezug sind es durchweg soziale Bezüge, in denen die Jugendlichen leben möchten. Das eigene Ich in seinen Lebensvollzügen wird von daher wesentlich verstanden als starkes und souveränes Ich, das zugleich eingebettet ist (bzw. sein muss) in einen größeren sozialen Zusammenhalt und Zusammenhang: Familie, Partnerschaft und Freunde. Die Bedeutung dieses sich der menschlichen Machbarkeit verschließenden Sozialgefüges macht dieses Beziehungsgefüge zu einer Größe mit transzendenter Qualität (vgl. auch Schnell 2012, bes. 87 f. und 95 – 102). Vom sozialen Nahbereich werden Leistungen bzw. orientierende Setzungen erwartet. Dabei ist der Jugendliche bereit, sich diesem sozialen Nahbereich auszusetzen und ihm zu vertrauen. Der Unterschied gegenüber einer vertikalen Transzendenz dürfte der Aspekt der Mitwirkung am sozialen Nahbereich sein. Während der Jugendliche seinen sozialen Nahbereich mit beeinflussen kann, ist er gegenüber der vertikalen Transzendenz »Gott« völlig machtlos und ausgeliefert. Während also funktional eine Nähe der Jugendpeergroup zu einer vertikalen Transzendenz zu bestehen scheint, ist dies auf keinen Fall gegeben im Blick auf eine semantische Attribution der Peergroup als Gott. Die hohe Bedeutung des sozialen Nahbereichs hat für Jugendliche – vor allem ohne Konfession – keine göttliche Konnotation (siehe zu den letzten Ausführungen Feige / Gennerich 2008, bes. 85 – 88). Einen analogen Befund zeigen auch die Vorstellungen der Jugendlichen, wie und nach welchen Werten sie zukünftig ihre Kinder erziehen wollen. Die erfragten »Maximen der künftigen Kindererziehung« [Abb. 34] sind Ausdruck der Wünsche der Jugendlichen für ihre Kinder. Sofern diese Zukunftswünsche stark reflexive Züge aufweisen, sind diese zutiefst auch als emotionale Selbstaussagen zu hören. Gut die Hälfte aller gewählten Antworten mit einer annähernd analog hohen Zustimmung benennen mehrheitlich als vornehmstes Erziehungsziel eine ausgeprägt autonome, reflexive und kritische Persönlichkeit ihrer Kinder : Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Toleranz, ein »ordentlicher« Lebenswandel und Standhaftigkeit sind die Tugenden, die für ein gelingendes Leben in der Zukunft

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Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

ausschlaggebend sind. Die Familie als engste soziale Bezugsgröße soll den Kindern ein warmes Nest sein, in dem sie erfahren (lernen), was »Liebe eigentlich ausmacht« (Feige / Gennerich 2008, 37). Obgleich die beiden letztgenenannten Aspekte sich der menschlichen Machbarkeit entziehen und somit keine unmittelbaren Erziehungsziele sein können, drücken doch gerade sie das »mehr« der erhofften Persönlichkeit aus. Die unverfügbaren Erfahrungen eines existentiellen Grundvertrauens in der Familie einerseits und der Liebe andererseits komplettieren das Gesamtbild der Attribute für ein gelingendes Leben. Zu diesem Gelingen gehört mehr als das Machbare. Es drückt sich die Sehnsucht nach Geborgenheit (Sicherheit) und Stärke zugleich aus, ohne dass die Jugendlichen explizit auf Gott oder Religion zurückgreifen. Obwohl die Erziehungswerte mit einer religiösen Konnotation nur am Ende der Relevanzskala rangieren, artikulieren die Jugendlichen deutlich den Wunsch nach einer unverfügbaren Sicherheit und einer unverfügbar zukommenden Anerkennung und Wertschätzung der Kinder innerhalb ihrer Sozialgefüge. Feige und Gennerich sprechen an dieser Stelle von einer »bedingten Transzendenz« (Feige / Gennerich 2008, 38).187 Dieser Aspekt des Unverfügbaren – das sehnsüchtige Hoffen auf eine personentranszendierende Kontinuität und Beständigkeit der Person – eröffnet Horizonte für eine Kommunikation über religiöse Inhalte als potentielle Reaktion auf die »bedingte Transzendenz« der von den Auszubildenden genannten Erziehungsziele. Die Lebenswelten und Lebensvorstellungen der Jugendlichen erschließen so Kommunikationsräume für Begegnungen mit dem Religiösen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen »auf der Ebene eines letzten Horizonts« (Gennerich 2010, 85; vgl. insgesamt 85 – 99). Zum Schluss sei noch ein Blick geworfen auf die spezifische religiöse Einstellung (Sozialisation) von christlichen und muslimischen Auszubildenden im Vergleich. Bei weltanschaulichen und ethischen Fragen gibt es kaum religiös erklärbare Unterschiede bei den Antworten [Abb. 32 – 34]. Bei dezidiert religiösen Fragen und religiösen Begründungen ethischer Fragen jedoch gestehen muslimische Auszubildende dem Islam als ihrer Religion und Allah eine deutlich höhere Wertschätzung zu als ihre christlichen Mitschüler. Bei vielen Gemeinsamkeiten in weltanschaulichen und gesellschaftlich-ethischen Fragen bestehen deutliche Unterschiede zwischen christlichen und muslimischen Auszubildenden hinsichtlich der existentiellen Bedeutung religiöser Traditionen, sofern diese bei muslimischen Auszubildenden (noch) stärker ausgeprägt sind.188 187 Von einer unbedingten Transzendenz wäre in Bezug auf Gott die Rede. 188 Der zeitliche Vorbehalt des »noch« signalisiert den auch schon in der muslimischen Community in der BRD erkennbaren Traditionsabbruch unter muslimischen Jugendlichen im Kontext einer Pluralisierung der Jugendszenen bei muslimischen Jugendlichen (vgl. Nordbruch 2010). Mit Verzögerungen gegenüber den kirchlichen Entwicklungen spüren auch die muslimischen Verbände und Moscheegemeinden eine rückläufige Beteiligung von

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Eine semantische und phänomenologische Verschiebung ergibt sich daraus, dass anscheinend immer mehr Jugendliche Alltagserfahrungen in Verbindung mit »Ekstase, Drogenkonsum und Grenzerfahrungen« als religiös benennen: »Was allerdings sehr wahrscheinlich für alle […] Adoleszenten als Indiz für die Religion außerhalb von religiösen Institutionen und Organisationen gelten kann, sind mystische Erfahrungen und, für die Mehrheit der dergestalt Religiösen, ein non-personales Gottesbild.« Dabei verweisen mystische Erfahrungen »auf individuelle, teils auch radikal-individualistische Unmittelbarkeit von Transzendenz; die Gottes- und Weltbildvorstellung verweist auf Symbolisierungen von Transzendenzerfahrungen.« Weiterführende Untersuchungen haben ergeben, dass die nichtpersonale Gottesvorstellung »nicht ›vertikal‹ auf einen Himmel mit Gott oder Gottheiten [verweist], sondern kann auch ›schiefe‹ oder ›horizontale‹ Transzendenzen einschließen« (je Streib / Gennerich 2011, 96).

9.2

Der BRU und seine implizite Religiosität – einige religionssoziologische und didaktische Überlegungen zur Frage der Religiosität des BRU

9.2.1 Die Kommunikation neutestamentlicher Religiosität in nichtreligiöser Sprache – ein Ansatzpunkt für den BRU Am Anfang der Erörterung sei die schon skizzierte Szene (III. Teil) zu Kindern aus dem Neuen Testament – Mk 10,13 – 16 (par.) – in den Blick genommen, obgleich die Jugendlichen des BRU älter und nicht mehr als Kinder zu benennen sind. Bis heute ist diese Begegnung Jesu mit den Kindern im christlichen Gottesdienst eine der am häufigsten kommunizierten bzw. zitierten Jesusgeschichten.189 Die Begegnung Jesu mit den Kindern symbolisiert die Grundlegung der jesuanischen Religiosität in Wort und Tat zeichenhaft: Die bedingungslose Annahme des Menschen durch Gott (»herzen« in lutherischer ÜbersetzungsJugendlichen an ihren Angeboten. Im Spannungsfeld von religiöser Tradition und säkularer Welt kommt es zu einer wachsenden Distanzierung gegenüber der religiösen Sozialisation ihrer Elterngeneration, ohne jedoch sich gänzlich von der Religion abzukehren (was auch durch das Leben als Minderheit in einer säkular geprägten Mehrheitsgesellschaft in der Diaspora zu erklären ist). Der sich hieraus entwickelnde und von den Jugendlichen frei gewählte und selbst gestylte Lebensstil wurde auch als »Pop-Islam« bezeichnet (vgl. hierzu Gerlach 2007). Gegenwärtig ist eine doppelte Entwicklung in Form einer Auflösung von Grenzen zu beobachten – nämlich die Öffnung des Pop-Islam hin zu einer religiös radikaleren Richtung wie auch hin zu weniger religiös geprägten Jugendlichen (vgl. hierzu Nordbruch 2010). 189 Zu denken ist hier beispielsweise an die Diskussion um die Kindertaufe im Neuen Testament und die Aufnahme dieser Überlieferung in diverse Agenden evangelischer Kirchen in Deutschland (vgl. Luz 1997, 114 – 117 und Gnilka 1980, 80).

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tradition) und der autoritative (performative) Zuspruch dieser göttlichen Annahme (Segen). Wort und Tat Jesu werden hier zur komplementären Ausdrucksweise der Sache Jesu. Für unsere Fragestellung, ob es zur latent-impliziten Religiostät von Jugendlichen heute eine Analogie im Neuen Testament gibt, ist an dieser Stelle die Handlung aus der Perspektive der Kinder in den Blick zu nehmen. Dieser Perspektivenwechsel erfolgt mit der Frageintention, in welcher Weise die Kinder die Begegnung mit Jesus als eine religiöse Begegnung wahrnehmen (können). Von der Erzählung her kommen drei Aspekte in Frage: Jesu zeichenhaftes Handeln an sich, Jesu Worte und die geschilderte Situation an sich. Die zeichenhafte Handlung Jesu ist auf der Handlungsebene für die Kinder als Erfahrung der Annahme und Wertschätzung zu verstehen, wobei die auf der Textebene intendierte religiöse Dimension auf der Handlungsebene weder zwingend vorauszusetzen noch eindeutig zu erkennen (bzw. wahrzunehmen) ist. Die Worte Jesu mit der begründenden Wertschätzung der Kinder als ›Besitzer‹ des Gottesreiches identifizieren die Begegnung für diese gleichfalls nicht als religiöse Begegnung, da sie erstens an die Erwachsenen gerichtet sind und zweitens auf ein kognitives Verstehen zielen und theologischen Sachverstand voraussetzen, was bei Kindern nicht gegeben ist. Für die Kinder ist die religiöse Dimension der Begegnung also nur aus der Situation selbst zu erschließen – nämlich schon von der deutlichen Absicht der Erwachsenen her, den Kindern eine Begegnung mit Jesus zu eröffnen. Denn vom Duktus des Evangeliums ist diese Absicht der Erwachsenen nur sinnvoll, wenn diese eine religiöse Begegnung für ihre Kinder herbeiführen wollen, ihnen Jesus als religiöser Mensch bekannt ist und die beabsichtigte Begegnung als eine religiöse vorbestimmt ist. Diese an Jesus herangetragene Erwartung, die den Erwachsenen alle Hindernisse zu überwinden hilft, wird auch den Kindern nicht verborgen geblieben sein und deren Erwartung gleichfalls bestimmt haben.190 Aus Sicht der Erwachsenen heißt das, dass sie eine religiöse Begegnung für ihre Kinder initiieren, ohne dass sich diese für die Kinder explizit als eine 190 In kommunikativen Prozessen sind es die an eine bestimmte Person herangetragenen Erwartungen, die dessen Bedeutung für die Erwartungsträger ausmachen. Die Begegnung mit dem Pfarrer oder der Religionslehrerin im Religionsunterricht ist zutiefst geprägt von der Erwartung, die die Schüler selbst mitbringen und in die Begegnung erwartend eintragen. Für den Religionsunterricht ist nicht die Selbsteinschätzung der Lehrkräfte entscheidend, sondern dass und wie die Religionslehrkraft von den Schülern eingeschätzt wird – nämlich als Personifizierung des Heiligen. Theoretisch ist in diesem Zusammenhang z. B. an die Ausführungen von van der Geest im Blick auf die Predigtwirkung zu erinnern, nach der die Archetypenlehre von C.G. Jung eine Erklärung dafür liefern kann, dass »Menschen in bestimmten Berufsträgern Personifizierungen der Lebenshilfe und Lebensweisung« und des Heiligen »erleben« (van der Geest 1978, 67). Für das geschilderte Phänomen ist die archetypische Lehre jedoch nicht konstitutiv, denn schon Schleiermacher sprach von dem »Einfluss des Angeschauten auf den Anschauenden« (Schleiermacher 1799, 31).

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religiöse Begegnung erschließt. Aus der Situation heraus gewinnt die Begegnung ihre religiöse Dimension auch ohne ein Verständnis der theologischen Zurechtweisung der Jünger durch Jesus und das gleichfalls nicht eindeutig als religiös wahrnehmbare Handeln Jesu. Bei der differenzierten Sicht auf die einzelnen Handlungsebenen der Erzählung erschließt sich uns die religiöse Dimension der Begegnung auf der Ebene der Kinder durch den Akteur Jesus und den Erzählrahmen. Für die Kinder vollzieht sich die Erfahrung von Religiosität in der Begegnung mit Jesus implizit, das heißt ohne eine explizite Bezugnahme und Nennung der Vokabel Gott, ohne das notwendige Verstehen der Worte Jesu und ohne einen dezidiert religiösen Kontext (wie zum Beispiel einen heiligen Ort wie eine Synagoge oder den Tempel): Die Religiosität der Begegnung realisiert sich für die Kinder implizit aus dem Kontext dieser Begegnung heraus, sofern dieser Kontext Jesus selbst als Personifikation des Göttlichen erscheinen lässt. Die perspektivische Analyse der einzelnen Erzählstränge der biblischen Begegnung lässt also die Unterscheidung einer implizit und explizit wahrnehmbaren (erlebten) Religiosität – und einer sich entsprechend erschließenden Religiosität – im Neuen Testament zu: Dabei wird für die Erwachsenen die arrangierte Begegnung ihrer Kinder mit Jesus – ungeachtet von deren implizit wahrgenommener religiösen Dimension – als explizite religiöse Begegnung erscheinen.191 Im Blick auf den BRU heute rechtfertigt die Begegnung der Kinder 191 An dieser Stelle ist die hermeneutische Frage nach dem biblischen Interpretationskontext und der Plausibilität der hier skizzierten Interpretation zu stellen. Ist eine nichtreligiöse Interpretation der Wirklichkeit vor der beginnenden Neuzeit mit der Aufklärung und des aufkommenden neuzeitlichen Geschichtsverständnisses überhaupt vorstellbar? Kennt die antik-biblische Vorstellung eine nicht-religiös verstandene Wirklichkeit? Obgleich wohl jede Deutung der Wirklichkeit ohne die Voraussetzung eines göttlichen (bzw. widergöttlichen) Einflusses vor der Aufklärung in der Theorie kognitiv nicht durchdrungen und literarisch festgehalten wurde, ist das subjektive Erleben der Wirklichkeit ohne explizite Bezüge zur Religion durchaus schon zuvor denkbar. Die Rede von der Schöpfung aus dem Nichts – siehe prägnant bei Paulus in Rö 4,17 – eröffnet theoretisch die Dimension des Erlebens einer Wirklichkeit ohne göttlich-religiöse Einflussnahme. Denn im Zusammenhang einer religiösen Deutung des Todes als Sphäre einer Existenz ohne Gott (oder zumindest ohne Gottes Ruf ins Leben) ergibt sich die Option, diese Lebenssphäre ohne Gottesbezug entsprechend nichtreligiös (oder zumindest nur implizit religiös) zu deuten. Die Vorstellung des Selbst als einer gottlosen Existenz – mit einer daraus zu folgernden nichtreligiösen Deutung des eigenen Erlebens – ist damit zumindest rein theoretisch in der Antike möglich. Das existentielle Erleben, ohne den Zuspruch Gottes den Tod als Gottesferne erfahren zu müssen, ist mit Rö 4,17 denkbar (ohne damit das Erleben aufklärerischer Mündigkeit zu implizieren). Zu erinnern sind hier auch an die biblisch inspirierten Überlegungen Bonhoeffers (siehe oben unter 9.2.2), der die nichtreligiöse Existenz auch als Option beschreibt, »vor und mit Gott […] ohne Gott« zu leben (vgl. Bonhoeffer 1985, 394). Das nichtreligiöse Erleben der eigenen Existenz ist damit zumindest denkbar. Obgleich diese Auslegungsperspektive nicht die genuinen Kriterien der neutestamentlichen Exegese in Gänze aufnimmt und widerspiegelt, liegt hier durch die dezidierte Orientierung an praktisch-theologischen Fragen ein Beispiel vor, wie nichtexegetische Fragestellungen neue

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mit Jesus damit einen Religionsunterricht, der als Raum der Religion wahrgenommen wird. In diesem Raum gewinnt die Religiosität ihre Gestalt auch durch die Kommunikation impliziter Themen und Modi von Religion. Dabei ist die Kommunikation implizit wahrnehmbarer Religiosität – unabhängig, ob diese Religiosität de facto wahrgenommen wird oder nicht – gegenüber der Kommunikation expliziter Religiosität nicht als defizitär einzustufen.192 Analoge Züge von nur implizit wahrnehmbaren religiösen Jesusbegegnungen – aber mit explizit religiöser Bedeutung für das Gegenüber Jesu – lassen sich auch in weiteren Jesusgeschichten ausmachen. Hier signalisiert der Kontext ›Krankheit‹ bzw. ›Heilung‹ den Raum der Religion: So kommt es für einen Blinden in Bethsaida (Mk 8,22 – 26) äußerlich ebenfalls zu einer Begegnung mit Jesus ohne religiöses Vokabular und ohne jeden Bezug auf die Religion. Die Begegnung selbst gewinnt dann allerdings für die Beteiligten einen zutiefst religiösen Charakter, als der Blinde geheilt wird, seine Annahme durch Jesus erfährt und unbewusst das Reich Gottes verkündet. Auch der seit 38 Jahren an einer Lähmung leidende Mann aus Jerusalem (Joh 5,1 – 17) erfährt eine für ihn erst im Nachhinein wahrnehmbare Religiosität einer Begegnung mit dem ihm unbekannten Jesus (V. 13), die ihm zunächst als nichtreligiöse Begegnung erscheinen muss: Ohne Gott explizit zu benennen fordert Jesus den Gelähmten auf zu gehen, was dieser auch tut (Vv. 2 – 7). Erst im Nachgang der Heilung (Vv. 9b – 13 und 14 – 15) eröffnet sich dem Ex-Gelähmten die implizit religiöse Dimension der Begegnung mit Jesus von Anfang an. Seine Erfahrung während der augenscheinlich nichtreligiösen Begegnung erweist sich als Erfahrung gegen alle Alltagserfahrungen der letzten 38 Jahre (V. 5), die sich nicht innerweltlich verstehen lässt: Sein Lebenswunsch nach Mobilität ist in Erfüllung gegangen. Die auch hier erst im Nachgang erkennbare religiöse Erfahrung bedarf in ihrer Initiation und Wertigkeit keiner explizit religiösen Rede oder eines religiösen Kontextes – sie realisiert sich als implizit-religiöse Erfahrung. Auch das erste Zeichen Jesu im Johannesevangelium (2,1 – 10) bedarf keiner explizit religiösen Rede oder gar eines spezifisch religiösen Kontextes. Auf einer Hochzeitsfeier wandelt Jesus jenseits des religiösen Hochzeitritus Wasser in Wein – die göttliche Zeichenhandlung spielt sich in weltlichen Kontexten ab.193 Wir entdecken hier im Neuen Testament eine Linie von Begegnungen mit Perspektiven der Auslegung implizieren (vgl. ausführlicher unter 6.2.1), die sich dann je in der Deutung der neutestamentlichen Texte kontextbezogen neben die klassische Exegese stellen und diese auch überlagern können. 192 Zum Begriff der impliziten Religiosität vgl. auch Schnell 2012, 91, wo sie den Begriff von Paul Tillich her definiert als »aktive Orientierung an dem, was persönlich bedeutsam ist, was eine Person ›unbedingt angeht‹«. 193 In der matthäischen Variante der Stillung des Seesturmes (8,23 – 27) erscheint den Beobachtern die Szene so nichtreligiös, dass sie am Ende erstaunt fragen: »Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar die Winde und der See gehorchen?« (V. 27).

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Jesus, deren religiöse Dimension zunächst latent bleibt und die auch mittels nichtreligiöser Terminologie und inmitten nichtreligiöser Situationen zu Tage tritt. Die religiöse Interpretation der Welt vollzieht sich hier implizit durch nichtreligiöse Sprache und realisiert sich in alltäglichen Kontexten. Zu religiösen Erfahrungen werden Begegnungen mit Jesus zwingend nicht erst durch die explizite Erwähnung Gottes oder die Verwendung religiöser Sprache bzw. religiöser Vorstellungen. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels der BRD hin zu einer immer deutlicher zu Tage tretenden Säkularisierung kann die skizzierte Linie des Neuen Testaments neue Perspektiven für Modi religiöser Erfahrungen eröffnen. So zeigen die Erörterungen der religiösen Lebenswelten von Jugendlichen (9.1) nicht nur neue Optionen einer Bestimmung des ›Religiösen heute‹ und neue Wege der Kommunikation dieser Religiosität, sondern weisen zudem biblische Parallelen auf. Konkret geht es um die Frage der Religiosität des BRU: Wie kann die von Jugendlichen heute erlebte implizite Religiosität vor dem Hintergrund etablierter religiöser Weltdeutungskonzepte – im BRU und darüber hinaus – als implizit religiöse Deutung der Welt kommuniziert werden? Diesen Fragehorizont gilt es im Folgenden weiter zu entfalten. 9.2.2 Eine kategorial-phänomenologische Religiosität und der BRU – zur Plausibilität nichtreligiöser Rede von Religion im Religionsunterricht heute Was macht den Religionsunterricht zum Religionsunterricht? Wann ist der berufsorientierte Religionsunterricht religiös? Obgleich der Religionsunterricht ohne religiösen Inhalt und ohne religiösen Charakter aufhört wahrhaft Religionsunterricht zu sein, stellt sich die Frage, was denn das Religiöse des Inhalts wie auch des Charakters ist angesichts einer fortgeschrittenen Säkularisierung. Viele Jugendliche im Kontext des BRU bringen heute keine traditionelle religiöse Sozialisation mit in den Unterricht, besitzen jedoch eigene Formen und Modi religiöser Erfahrungen und religiöser Sprache: Wie lassen sich in einem solchen Kontext angemessen religiöse Inhalte bestimmen? Wie können neben den etablierten Religionen andere (fremde) Formen der Religiosität wahrgenommen und gedeutet werden, um sie dann im BRU religionspädagogisch kommunizieren und in Beziehung zu den klassischen Mustern religiösen Lebens verstehen zu können? Juristisch stellt sich analog die Frage, ob der BRU aufhören würde nach GG 7,3 Religionsunterricht zu sein, wenn er seine Bekenntnisinhalte explizit weltlich formulieren würde, d. h. ohne die Verwendung einer religiösen Semantik und ohne eine begrifflich erkennbare religiöse Thematik. Hier gilt es also die Kriterien (neu) zu bestimmen, die die latente Religiosität des Religionsunterrichts ausmachen und die zugleich auch im weltlichen Kontext plausibel diese Reli-

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giosität des BRU aufzeigen können. Der Hinweis auf religiöse Kompetenzen wird hier nur dann hilfreich sein, wenn es gelingt, die spezifisch religiösen Aspekte jener Kompetenzen präzise zu entfalten. Inhaltlich wird dabei entscheidend sein, die Religiosität jugendlicher Lebenswelten verständlich und kommunizierbar darzulegen bzw. zu entfalten. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie sich religiöses Lernen grundlegend verhält: Im Modus des Erfahrens oder Lebens, im Modus des Faktenlernens und/oder im Modus des Deutens? Aus den Überlegungen ergibt sich als Leitfrage: In welchem Modus muss das »Religiöse« im BRU zu Wort kommen bzw. in Szene gesetzt werden, damit dieser als wahrhafter – und darüber hinaus auch als guter – Berufsschulreligionsunterricht bezeichnet zu werden verdient? Gibt es die Unterscheidung zwischen einer ›expliziten Religiosität‹ und einer ›impliziten Religiosität‹? Religionspädagogisch stehen wir damit vor der Aufgabe, religiöse Gehalte auf Grund ihrer bleibenden weiterführenden Semantik für Menschen auch in Zeiten der Säkularisierung und Rationalität zu vermitteln. Schon Dietrich Bonhoeffer stellte die Frage nach einer »nicht-religiösen« Interpretation des Christentums (wie auch anderer konkreter Religionen und der Religion allgemein). Hintergrund war das Ringen Bonhoeffers um ein verantwortliches Christentum in der Welt und die Frage, inwieweit Christus auch für eine religionslose Welt Bedeutung erlangen könne. Hermeneutisch suchte Bonhoeffer nach einem Weg von Gott und Religion zu reden, ohne die »Voraussetzungen der Metaphysik, der Innerlichkeit etc.« (Bonhoeffer 1985, 306). Bonhoeffer wollte eine Rede von Gott nicht erst an den Grenzen von Tod, Krankheit und Trauer, sondern »in der Mitte, […] im Leben und im Guten des Menschen« (Bonhoeffer 1985, 307). Die Welt an sich und in ihr die Religion(en) müssen gesehen werden »etsi deus non daretur«. Nach Bonhoeffer führt das moderne Mündigwerden zu einer »wahrhaftigeren Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen, dass wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden« (Bonhoeffer 1985, 394).194 Bonhoeffer eröffnete mit seinem Anliegen zugleich weitreichende Fragehorizonte auch für den BRU. Dieser soll verstehbar in der Mitte des Lebens von Gott und Religion in einer Gesellschaft reden, deren traditionell-christliche Sprachfähigkeit und Sprachwilligkeit nur noch rudimentär entwickelt ist. Für den BRU stellt sich die Frage, wie dies für Jugendliche geschehen kann, die kaum bis gar nicht religiös sozialisiert sind. Für die Postmoderne spricht Habermas von »einer rettenden Übersetzung religiöser Gehalte« (Habermas 2004, 472). In diesem Sinn führte Habermas 2001 in seiner Dankesrede anlässlich der Verlei194 Bonhoeffer a. a. O. führt fort: »Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt (Markus 15,34 f.)! Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.«

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hung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels aus: »Die ungläubigen Söhne und Töchter der Moderne scheinen in solchen Augenblicken zu glauben, einander mehr schuldig zu sein und selbst mehr nötig zu haben, als ihnen von der religiösen Tradition in Übersetzung zugänglich ist – so, als seien deren semantische Potenziale noch nicht ausgeschöpft. Diese Ambivalenz kann auch zu der vernünftigen Einstellung führen, von der Religion Abstand zu halten, ohne sich deren Perspektive aber ganz zu verschließen. Diese Einstellung kann die Selbstaufklärung einer vom Kulturkampf zerrissenen Bürgergesellschaft in die richtige Richtung lenken. Moralische Empfindungen, die bisher nur in religiöser Sprache einen hinreichend differenzierten Ausdruck besitzen, können allgemeine Resonanz finden, sobald sich für ein fast schon Vergessenes, aber implizit Vermisstes eine rettende Formulierung einstellt. Sehr selten gelingt das, aber manchmal. Eine Säkularisierung, die nicht vernichtet, vollzieht sich im Modus der Übersetzung. Das ist es, was der Westen als die weltweit säkularisierende Macht aus seiner eigenen Geschichte lernen kann« (Habermas 2001). Habermas weist damit der Religion einen ihr aus soziologischer Sicht angemessenen funktionalen Ort in der Gesellschaft zu, sofern die Religion Antworten auf letzte Fragen aufbewahrt auch für nichtreligiöse Bürger. Die Religion muss hierfür allerdings im Modus der Aufklärung zur Sprache gebracht werden, d. h. neu als verständliche Übersetzung ihrer Gehalte hinein in eine unreligiöse Welt. Dieser Erwartungshorizont schließt – ähnlich wie bei Bonhoeffer – das Bewährungsfeld des BRU mit ein. Als Religionsunterricht mitten in der Gesellschaft, für die eine religiöse Semantik nicht mehr (selbst)verständlich ist, muss sich der BRU um die Sprachfähigkeit der Religion neu bemühen.195 Von Bonhoeffer herkommend und an Habermas anknüpfend stellt sich angesichts der fortschreitenden Säkularisierung nicht nur für den BRU die Aufgabe, das semantische Potential traditionell-religiöser Rede in und für die Säkularität fruchtbar zu machen. Konkret stellt sich damit für den BRU die Aufgabe der Suche nach einer Religiosität, die strukturell wie auch phänomenal bei den Jugendlichen zu finden ist und die Anknüpfungspunkte für die (gezielt operationalisierte) Kommunikation bietet. Religionswissenschaftlich wie auch religionspädagogisch sind unterschiedliche Modi religiöser Zugänge für den BRU denkbar, wie die Forschungsdiskussion zeigt (vgl. Hock 2006, 15): So kann Religion (1.) substantialistisch bzw. material verstanden werden. Hier stehen dann die die jeweilige Religion bestimmenden Inhalte in Anlehnung an ihre spezifischen Bekenntnisse im Mit195 Vgl. hierzu Schärtl 2012, der in der Entwicklung einer religiösen Semantik die größte Herausforderung sieht, damit Jugendliche ihre Erlebnisse überhaupt religiös deuten können (siehe bes. 156).

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telpunkt. Für den BRU schließt sich dieses Verständnis von Religion weitgehend aus, da hier die Religiosität auf Grund ihrer traditionell inhaltlichen Prägung wie auch ihrer grundlegenden Anlehnung an kirchlichen Tradition für die Mehrheit der nicht religiös sozialisierten Schüler nicht anschlussfähig wäre angesichts ihrer eigenen (religiösen) Lebenswelten. Soll der BRU wesentlich durch bekenntnisgeleitete Inhalte charakterisiert sein, vergibt er Anschlussmöglichkeiten auf der funktionalen wie auch der semantischen Ebene von Religion. Zum anderen kann Religion (2.) unmittelbar funktional in den Blick genommen werden von ihren sozialen und gesellschaftlichen Wirkungen her. Dieses Verständnis eröffnet eine Vielzahl von Perspektiven einer Kommunikation religiösexistentieller Erfahrungen mit Jugendlichen, die meist nur latent sichtbar und unbewusst erfahren werden.196 Für den BRU stellt sich die Frage, welche Funktionen von Religion hier herangezogen werden können: Binnenkirchliche Funktionen wie z. B. gemeinschaftsstiftende Kräfte durch Mahlgemeinschaften werden weniger anschlussfähig sein als existentielle Funktionen wie beispielsweise die Erfahrung der Anerkennung in einer Gemeinschaft als Lebensgrundlage. Auch hier wird der nur rudimentär ausgebildeten religiösen Sozialisation religionspädagogisch Rechnung zu tragen sein. Daran anschließend kann Religion (3.) auch von ihrem semantischen (essentiellen) Potential – Habermas – her verstanden werden, durch das sie die Persönlichkeit eines Menschen gründen und die Erfahrung von Wirklichkeit beeinflussen kann. Grundsätzlich sollte Religion als ein offenes Zeichensystem verstanden werden, das in jeder seiner Ausformulierungen als konstruiertes System bewusst bleibt. Näherhin ist Religion dabei als ein Orientierungssystem anzusehen.197 Kategorial ist diese Sicht von Religion, sofern sie grundlegende – kategoriale – Dimensionen von Deutungen des Menschseins aufdeckt und kommuniziert. Phänomenologisch ist dieses Verständnis von Religion, sofern es die Kommunikation über die religiösen Interpretationsmuster von Weltdeutungen zur Sprache bringt und damit anthropologische Seinsverständnisse aufdeckt. Religion als Zeichensystem von Existenzdeutungen bringt immer wieder neu ans Licht, was als Deutung schon zuvor existent war, wie auch die Existenz dem Verständnis desselben voraus geht. Damit nimmt die Wendung »phänomenologische Religiosität« etymologische Aspekte auf: Entlehnt vom dem Lateinischen ›phaenomenon‹ – »Erscheinung« – und herkommend vom Griechischen va_my – pass. »sichtbar machen« oder »sehen lassen« – meint ein Phänomen entweder ein (ungewöhnliches) Objekt, dessen Erscheinung auffällt, oder eine 196 So Michael Meyer-Blanck in einem bislang unveröffentlichten Impulsvortrag zur »Religion des BRU« bei der Beiratssitzung des bibor Bonn (www.bibor.uni-bonn.de) am 8. März 2012. 197 Nach Waardenburg 1993, 34, ist Religion abstrakt zu verstehen als »Orientierung« und näher hin als »eine Art Orientierungssystem [.].«

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sich den Sinnen zeigende Erscheinung (bzw. im philosophischen Kontext ein sich der Erkenntnis erscheinender Bewusstseinsinhalt). Im Blick auf die Religionen wäre eine phänomenologische Religiosität vorzustellen als ein von jeher latent existierendes Deutungssystem der Wirklichkeit im Rahmen einer Religion, deren Gehalt und Struktur durch die Kommunikation ihrer Interpretamente immer wieder neu ansichtig werden bzw. sichtbar zu machen sind. Es handelt sich um eine Religion bzw. Religiosität, die es, obgleich sie unabhängig vom subjektiven Erkenntnisprozess existiert, sowohl strukturell und als dann auch inhaltlich neu zu entdecken, zu entfalten und zu deuten gilt. Es gilt die latente Religion als sublim vorhandenes Deutungsmuster ins Leben zu heben. In diesem Sinne wird Religiosität nicht erst durch das menschliche Erkennen derselben zur Religion (erst durch die menschliche Reaktion auf religiöse Impulse oder den Vollzug von religiösen Riten), sondern sie ist schon vorher da. Erst der Prozess der Wahrnehmung (kognitiv, affektiv oder performativ) einer alltäglich-weltlichen Erfahrung kann diese Erfahrung als eine religiöse Erfahrung bewusst machen, sofern sie die transzendierenden Züge der Alltäglichkeit ans Licht bringt. Der Prozess der Wahrnehmung erweist eine weltliche Erfahrung im Kontext nichtreligiöser Semantik dann als Form von Religiosität, wenn sie als grundlegende Kategorie menschlichen Lebens eine existentielle Bedeutung erlangt. Die Aufdeckung der Verborgenheit der Religion als Zeichensystem der Welt- und Selbstdeutung macht diese zum religiösen Phänomen – zu einer sich den Sinnen erschließenden Religiosität, aus der religiöse Erfahrungen erwachsen können. Erst die Wahrnehmung durch das Licht der Erkenntnis macht eine latente Religion zur sichtbaren Religion, indem sie zu einem die »Erkenntnis darbietende[n] Bewusstseinsinhalt« (Duden, Fremdwörterbuch z.St.) wird. 9.2.3 Eine kategorial-phänomenologische Religiosität und der BRU – biblisch-theologische Impulse Neben der soeben skizzierten religionssoziologischen Plausibilität einer phänomenologischen Religiosität weist diese auch genuin biblisch-theologische Züge – und insofern auch eine theologische Plausibilität – auf: Als eine erste neutestamentliche Reminiszenz mit systematischer Ausrichtung drängt sich der Johannesprolog (Joh 1,1 – 18) auf. Diese theologisch wie auch sprachlich-syntaktisch reflektierte und dichte Einleitung zum Johannesevangelium spricht davon, dass in Christus als dem Licht der Welt der Kosmos erst geworden ist. Im Licht wurde der Kosmos sichtbar und insofern zu seinem wahrnehmbaren Sein (Joh 1,9.10) – wobei der Modus dieses Schöpfungsprozesses theologisch das anfängliche Wort ist (Joh 1,1 als Eröffnung des gesamten Prologs). Der Rückgriff auf den biblischen Schöpfungsbericht und die dortige Rede von der Schöpfung

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aus dem Wort heraus (vgl. z. B. Gen 1,3a u. ö.) ist nicht zu überhören und dezidiert gewollt. Die Wirkmächtigkeit des Wortes signalisiert die Schöpfung aus dem Nichts in der erfahrbaren und sichtbaren Welt. Nichts ist ohne das Licht (Wort) zu dem geworden, was es in seiner Erscheinung darstellt und für die menschliche Wahrnehmung sein sollte. Die Rede vom Licht als der Kraft, die die Wirklichkeit erst zur Erscheinung kommen lässt, impliziert innerhalb der Religion als Zeichensystem der Weltdeutung die Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit (Signifikant) einerseits und ihrer religiös gedeuteten Erscheinung andererseits. Erst durch die erfahrene Energie des Lichtes erscheint die Welt als eine anzuschauende Welt. Es kommt erst durch das Licht zum Prozess des Angeschautwerdens, d. h. zu einer Leben schaffenden Begegnung (Buber). Ohne das Licht ist keine wahrnehmbare Welt – und damit Leben – möglich. Diesen Zusammenhang von Licht, Angesprochensein, Begegnung und Leben drückt auch schon der Beginn des Prologs in Joh 1,1 – 5 aus. Das Licht als das ansprechende Wort macht erst sichtbar und lässt alles so erscheinen, wie es existiert. Der Kosmos kommt nun so in den Blick, wie er zuvor schon latent, jedoch ohne Ansehen, existierte.198 Das Angesprochensein durch das Wort – und Licht – wird hier allerdings nicht allein im Modus des Wortes und des Hörens zu verstehen sein, sondern als sinnliche Wahrnehmung schlechthin, sofern der Modus der vom Licht ermöglichten Wahrnehmung primär das Sehen ist. Dieses Sehen eröffnet zugleich weitere körperliche Begegnungen, weil des rechte Sehen weitere Sinneswahrnehmungen in dem neuen Licht ermöglicht – z. B. ein gezielteres Tasten und Riechen (zu den Wahrnehmungsdimensionen des johanneischen Wortes vgl. Karrer 1998, 22 ff.). Vor dem Hintergrund dieses weiten Rezeptionsgeschehens bei Johannes ist festzuhalten: Initiiert durch die Anfangsbegegnung mit dem sich in der Welt ereignenden Wort kommt es zur Erkenntnis der Welt und in Folge dessen zur (neuen) Existenz alles Angeschauten (des Kosmos). Übertragen auf die Religion und Religiosität heißt das in johanneischer Denkweise: Die Religion (johanneisch der Glaube) ist der Modus dieser Erkenntnis des Geschaffenseins der Welt durch das Wort und das Licht. Die Religion ist der Modus der Erkenntnis dieses Geheimnisses. Eine phänomenologische Religiosität setzt nach dem Johannesevangelium ein durch die Wahrnehmung des johanneischen Deutungsangebotes der Welt und ihrer göttlichen 198 Die Vieldimensionalität des Wortes und Redens als uranfängliche Wahrnehmung der Welt betont im Blick auf den Johannesprolog auch Martin Karrer (2010), wo er in These 4 das vom Evangelium her gebotene und ermöglichte »freie Gespräch über alle Religions- und Weltanschauungsgrenzen hinaus« (Kursivierung im Original) als Perspektive für die gegenwärtige postmoderne Kommunikation des Evangeliums – und für den interreligiösen Dialog – benennt (zur Schöpfungsdimension des Wortes im Johannesprolog als menschlichem Lebensraum – mit einem Rückgriff auf Rose Ausländer – vgl. auch Karrer 1998).

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Anfänge. So beschreibt der Prolog eine latent seit jeher vorhandene Religiosität, die wahrhaftig durch das Licht der Wahrheit ansichtig wird und die im Schein des Lichtes erst in die Begegnung mit dem Menschen tritt.199 Johanneisch knüpft eine auf religiöse Dimensionen abzielende Kommunikation an die seit jeher vorhandenen menschlichen Interpretationsmuster der Wirklichkeit an, indem sie das Sein im Kosmos versucht in den Schein des wahren Lichtes der Welt zu stellen. Religiöse Kommunikation generiert also nichts Neues, was zuvor noch nicht da war. Religion als Zeichensystem der Weltdeutung interpretiert eine schon zuvor bestehende Wirklichkeit religiös und schafft damit im Modus neuer Perspektiven Neues. In johanneischer Perspektive folgt daraus, dass Menschen seit jeher ihre Welt in religiösen Zeichensystemen deuten und zu verstehen suchen, wofür das Johannesevangelium nach eigenem Selbstverständnis eine beispielhafte Deutung liefert. Sofern eine religiöse bzw. spirituelle Deutung der eigenen Existenz seit jeher ein Anliegen und ein Bedürfnis des Menschen ist, würde eine johanneisch inspirierte Religionspädagogik im BRU darauf abzielen, vor diesem hermeneutischen Hintergrund die je aktuell-gegenwärtigen Weltdeutungen von Auszubildenden zunächst wahrzunehmen und dann mit der johanneischen (christlichen) Weltdeutung ins Gespräch zu bringen. Religionspädagogisch kann hier ein Perspektivenwechsel initiiert werden, in dessen Vollzug die Auszubildenden ihre je eigene Weltdeutung in einem neuen Licht der christlichen (johanneischen) Weltdeutung wahrnehmen können.200 Dieser Blickwechsel kann einen grundlegenden Wandel auch der Weltsicht bewirken und darüber hinaus auch das Selbstverständnis des Menschen (Auszubildenden) kategorial ändern und erneuern. In diesem Perspektivwechsel erscheint das Vorhandene in einem neuen Licht, gewinnt eine neue Qualität und wird als neu Angesehenes selber neu (johanneisch wäre hier der Aspekt der Wiedergeburt zu sehen). Johanneisch greift eine religionspädagogische Kommunikation damit auf vorhandene Interpretationsmuster der Wirklichkeit – nämlich reli199 Theologischer Interpretationshintergrund ist hier die johanneische Vorstellung der Präexistenz des Wortes Gottes (Joh 1,1) und weniger die platonische Vorstellung einer analogia entis. Der johanneische Gedanke der Präexistenz ist für die Gegenwart nicht im Licht einer kaum vermittelbaren platonischen Deutung zu interpretieren, sondern im Verständnis von Religion als einem Zeichensystem zur Weltdeutung und dem praktischen Vollzug einer symbolkommunikativen Deutung der Welt und der eigenen Existenz. In der säkularisierten Welt kann die religiöse Kommunikation auf die seit jeher vorhandene und praktizierte Deutung der menschlichen Existenz in der Kategorie des (religiösen) Symbols zurückgreifen und auf diese aufbauen (vgl. hierzu insgesamt auch die Deutung des Johannesprologs bei Karrer 1998). 200 Vgl. hierzu auch Sloterdijk (2009), der bei seiner Gegenwartsdeutung folgert, dass es kognitiv Neues »unter der Sonne« (18) gebe, was der obigen johanneischen Interpretation partiell nahe kommt. Denn diese »Neuheit« geht »zurück auf die Auseinanderfaltung des Bekannten in größere, hellere, profilreichere Oberflächen.« Die Neuheit ist konstitutiv die »Fortsetzung des kognitiv Vorhandenen mit anderen Mitteln« (je 19).

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giöse oder säkulare – zurück und eröffnet durch Perspektivenwechsel eine neue – erhellende – Sicht auf die Wirklichkeit.201 Es geht damit für den BRU um einen konsequenten Ansatz bei den Schülern, ihren (religiösen) Lebenswelten und Erfahrungen sowie Wünschen mit transzendierendem Potential. In diese weltliche Situation hinein hat der BRU religiöse Dimensionen der Weltdeutung ins Gespräch zu bringen und den Jugendlichen durch Perspektivenwechsel diese religiösen Dimensionen aufzeigen, um diesen eine Perspektive eines neuen Selbstverständnisses – johanneisch ein Schöpfungsakt – zu eröffnen (vgl. hierzu Dressler 2007, bes. 36 – 44). Eine weitere theologische Dimension im Neuen Testament weisen die Gleichnisse Jesu auf. Vom Ricœur’schen Metaphernverständnis herkommend202 stellt sich eine Didaktik der Gleichnisse wie folgt dar : In den Gleichnissen Jesu wird das Subjekt der Hörenden angefragt auf die implizierte Differenz von Gott und Welt – bzw. Mensch und Gott – und existentiell auf ihre Differenzerfahrung hin sensibilisiert. Diese Frage an den Menschen als Pointe des Gleichnisses erfolgt durch eine parabolische Erzählung aus dem Kontext der Hörenden (d. h. aus den innerweltlichen Lebenszusammenhängen der Menschen). Die narrative Rede Jesu – seine Rede in Gleichnissen – wird ausdrücklich als Lehre bezeichnet (so Mk 4,2). Gleichnisse wollen zu lehren geben, indem sie zu überzeugen suchen. Als Metaphern nehmen sie ihre Rezipienten mit auf einen Weg des Verstehens und Erkennens, an dessen Ende ein Zugewinn an einer anderen Wirklichkeitswahrnehmung steht. Als Sprechakt eröffnen die Metaphern eine neue Sicht auf die bisherige Wahrnehmung von der Welt, wodurch dieser eine neue – nämlich zuvor noch nicht konnotierte – Realität zukommt: »Die Auseinandersetzung mit dem Gleichnistext verhilft den Lesenden, sich selbst und ihre konkrete Lebenswelt in einem neuen Licht zu sehen« (Zimmermann 2007, 13; vgl. hier insgesamt auch 9 – 12). Sofern Gleichnisse mittels dieses Prozesses eine Sinnesänderung hervorrufen können, provozieren sie im wahrsten Sinne des Wortes auch eine Erfahrung mit der bisherigen Erfahrung der Weltsicht (d. h. 201 Als interessanten parallelen Gedanken beizuziehen ist an dieser Stelle die bei Sloterdijk genannte Überlegung, dass Menschen seit jeher in – für Sloterdijk aus unserer Sicht religiös missverstandenen – »spirituellen Übungssystemen« (Sloterdijk 2009, 12) leben. Nach Sloterdijk ist es gegenwärtig nämlich nicht die Religion, die nach der Aufklärung eine Wiederkehr feiert, sondern die Einsicht, dass Menschen seit jeher »nicht nur in ›materiellen Verhältnissen‹« leben, sondern »vielmehr auch in symbolischen Immunsystemen und rituellen Hüllen existieren« (a. a. O. 13). Auch wenn Sloterdijk hier dezidiert antireligiös argumentiert, konstatiert er zugleich eine grundlegende anthropologische Funktion der Religion – nämlich das Bedürfnis nach der Erfahrung einer Existenz über die materiellen Verhältnisse hinaus und eine zeichensymbolische Deutung und Fixierung dieser Erfahrung. Nach Sloterdijk wäre es von daher gar eine vornehme Aufgabe (der religiösen Kommunikation), diese latent existierende Weltdeutung in der Kategorie des Symbolischen offenbar zu machen, was dem hier dargelegten Anliegen des BRU deutlich nahe kommt. 202 Zu nennen sind an dieser Stelle auch noch die Namen Hans Weder und Eberhard Jüngel.

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der Realität). Gleichnisse bringen in diesem Sinne ans Licht, was zuvor schon da war, jedoch bislang nicht im Fokus des Rezipienten lag. Die Gleichnis-Kommunikation initiiert im Rezipienten Prozesse der Wahrnehmung und Deutung von Welt, indem sie dem Rezipienten bislang Verborgenes ans Licht holt. Gleichnisse machen religiöse Strukturen und Gehalte in der Welt sichtbar, indem sie weltliche Gegebenheiten metaphorisch kommunizieren und durch eine Wirklichkeitserweiterung neue Perspektiven und Einsichten fördern. Eine an der Gleichniskommunikation angelehnte Pädagogik wird versuchen innerweltlich an die säkulare Welt anzuschließen, um durch die erhellende Wirklichkeitserweiterung den Rezipienten zu einer neuen Sicht auf die Welt zu verhelfen – bzw. als Angebot zu eröffnen –, dass alle »Begebenheiten in der Welt als Handlungen eines Gottes vorstell[bar]« (Schleiermacher 1799, 32) werden.203 Weisheitlich geprägt wäre dieser bibeldidaktische Ansatz auch im Sinne der der Welt innewohnenden Naturgemäßheiten seit jeher (vgl. Fischer 2007). Denn Jesu Rede, die naturgemäße und gesellschaftliche Normalitäten metaphorisch aufnimmt, ist insofern weisheitlich, als dass sie wesentlich eine indirekte Gottesrede ist, ohne explizit die Vokabel »Gott« zu verwenden: Weisheitlich muss nicht explizit von Gott gesprochen werden, damit von Gott die Rede ist. Neben diesen biblischen Impulsen weist eine phänomenologische Religiosität des BRU auch genuin systematisch-theologische Grundlagen auf. Die Struktur des Werdens des Selbst eines Menschen (seine Personalität) als die Herausbildung eines Ich (Selbst) – und in deren Folge die Wahrnehmung der Welt (Umwelt/Mitwelt) als konstitutives Gegenüber – ist ein Bildungsprozess (vgl. insgesamt Herms 2001), der immer wieder neu den uranfänglichen und urtümlichen Prozess jeder Entwicklung des menschlichen Selbst ausmacht. In theologischer Terminologie kommt diesem Bildungsprozess von daher eine schöpfungstheologische Würde zu. Diese Skizze orientiert sich an Schleiermachers Religions- und Bildungsverständnis aus seinen ›Reden‹ aus dem Jahr 1799: Eine Religion vermittelt sich für ihn – als angeborene Anlage – durch die Anschauung des Universums: »Anschauen des Universums […] ist die höchste Form der Religion« (Schleiermacher 1799, 31). Wesentlich ist für Schleiermacher die Doppelbewegung von Aktion und Reaktion im Blick auf die Wahrnehmung von Religion. Denn alles »Anschauen gehet aus von einem Einfluss des Angeschauten 203 Als Beispiele seien genannt: – Nathans Infragestellung von König David nach dessen Ehebruch mit Bathseba (2. Sam 12,1 – 7a), – Die implizite Zustimmung zur Anfrage des Gefundenseins (Luk 10: die Gleichnisse vom Verlorenen), – Die Anfrage an das Vertrauen in das automatische Wachsen (Mk 4,26 – 29; 4,30 – 32), – Die Frage des Vertrauens in die bedingungslose Gerechtigkeit (Mt 20,1 – 16), – Die Frage des Vertrauens in die eigene Stärke und deren gute Wirkung (Mt 25,14 – 30).

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auf den Anschauenden« (Schleiermacher 1799, 31). Dabei ist auch die Wahrnehmung des Einzelnen eine Frage der Deutung und damit der Sicht auf die säkulare Welt als Welt: »Alle Begebenheiten in der Welt als Handlungen eines Gottes vorstellen, das ist Religion, es drückt ihre Beziehung auf ein unendliches Ganzes aus« (Schleiermacher 1799, 32). Religion definiert sich dabei nicht auf Grund von vorgegebenen Traditionen oder Dogmen, sondern vor dem Hintergrund der je subjektiven Anschauung: »Religion haben, heißt das Universum anschauen, und auf der Art, wie Ihr es anschauet, auf dem Prinzip, welches Ihr in seinen Handlungen findet, beruht der Wert Eurer Religion« (Schleiermacher 1799, 70). Die Religion als »Geschmack für das Unendliche« (Schleiermacher 1799, 30) zeigt deutlich die Optionen, die diese Sicht der Religion für den BRU bietet: Eine säkulare, weltliche Rede von der Religion in der Sprache der Jugendlichen mit Inhalten und Gehalten, die ihrer Welt entstammen und doch zugleich religiöse Konnotationen aufweisen.

9.3

Berufsqualifikationen vertiefen und fürs Leben qualifizieren – Konkretionen

9.3.1 Religion als konstitutive Größe einer integrativen Berufspädagogik Worum geht es aber nun im BRU innerhalb der in den bisherigen Ausführungen aufscheinenden Spannung zwischen der Engführung einer allein ökonomisch ausgerichteten Kompetenzorientierung einerseits und den in den Kompetenzen berechtigt formulierten Anforderungen an ein lebenslanges Lernen (beruflich in Weiterbildungsprozessen) andererseits? Wie gestaltet sich der BRU religiös angesichts der fortgeschrittenen Säkularisierung? Wie kann das Phänomen ›Religion‹ sichtbar gemacht werden und im Leben der Jugendlichen Gestalt gewinnen? Die bisherigen Erörterungen zum BRU haben gezeigt, dass der BRU ein spezifischer und zugleich integraler Bestandteil der Berufsbildung ist. Der BRU geht über die reinen Fachbezüge hinaus und vermittelt dabei – im Sinne der »›Ganzheitswende‹ in der Berufspädagogik« (Bahl 2009, 25) – seine ihm eigenen Aspekte humaner, ethischer, kommunikativer und weltdeutender Schlüsselqualifikationen als umfassende berufliche Handlungsfähigkeit.204 Der BRU

204 Lohkemper-Sobiech 2002, 8/9, formuliert diesen Anspruch in der Kompetenzterminologie mit zugleich anklingender Distanz zum reinen Kompetenzbegriff: »Der Erwerb von Handlungskompetenz als zentrales Ziel beruflicher Bildung erfordert Lernprozesse, in denen sich die Schülerinnen und Schüler auch hinsichtlich ihrer emotionalen Kompetenzentwicklung ernst genommen und herausgefordert fühlen. […] Im Religionsunterricht

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bietet in einer offenen Kommunikation an, Weltdeutungssysteme in einem religiösen Kontext erneuert zu verstehen. So leistet der BRU seinen spezifischreligionspädagogischen Beitrag zur Allgemeinbildung in der Berufsbildung: »Wenn Ausbildung als ein Unterfall von Bildung verstanden werden kann, braucht die Wirtschaft nicht nur gut ausgebildete, sondern gut gebildete Arbeitskräfte, die zu sicheren Urteilen kommen über fachliche Fragen, ethisches Verhalten, soziales Geschehen, effiziente Arbeitsmethoden oder Urteile über Urteile, […] die man systematisch erwerben bzw. ausbilden kann« (de RieseMeyer / Biffar 2011, 13; siehe insgesamt 12 – 15). Zur Erlangung dieses Ziels durch seine spezifischen Beiträge gilt es im BRU die berufsspezifische (9.3.2) wie auch die phänomenologische (9.3.3) Dimension des BRU fruchtbar zu machen. Von daher sollen im Folgenden konkrete Bereiche benannt werden, in denen die berufliche Handlungsfähigkeit (Kompetenz) durch den BRU initiiert, gefördert oder vertieft wird.205 Zu berücksichtigen ist dabei auch eine erweiterte Rolle (Funktion) der Lehrkräfte in Unterrichtsprozessen, die auch auf die Erweiterung von personalen Kompetenzen zielen: »Traditionell lag die Autorität der Lehrkraft darin begründet, dass sie über das ›richtige Wissen‹ verfügte oder die ›richtige Vorgehensweise‹ kannte und bestimmte, welche Inhalte die Jugendlichen lernen sollten. Die Lehrkraft hört nun auf, der ›Wächter der Wahrheit‹ zu sein und übernimmt eine begleitende Rolle« (Schreier 2011, 14). Zugleich bleibt die Lehrperson unabhängig moderner Unterrichtsforschung der größte und entscheidende Faktor für die Gestaltung und das Gelingen von Lernprozessen.206 Dabei ist die Rolle der Religionslehrkraft spezifisch konnotiert, sofern Religionslehrer (und Schulpfarrer) von der Erwartung der Auszubildenden her neben der Institution ›Kirche‹ auch – als Personifikation des Heiligen – die Religion an sich verkörpern mit entsprechenden Erwartungen.207

muss es um die Erweiterung und den Ausbau von emotionaler Kompetenz, um die Erweiterung und den Ausbau von Beziehungsfähigkeit gehen.« 205 Dabei sollte in der heutigen Diskussion nicht verschwiegen werden, dass es auch guten (Religions)Unterricht geben kann ohne Bildungsstandards und Kompetenzformulierungen: »Man sollte nicht in Abrede stellen, dass Unterricht auch dort Schülerinnen und Schüler religiös kompetent zu machen in der Lage ist, wo keine expliziten ›Kompetenzstandards‹ für den Religionsunterricht vorliegen – genauso wenig wie Bildungsstandards von vorne herein als wirkungslos erklärt werden sollten, nur weil keine zentrale Überprüfung und Evaluation der Standards stattfindet« (Ziener 2008, 345). 206 Vgl. hierzu die umfassenden Studien von John Hattie 2009 zur entsprechenden Bedeutung der Person des Lehrers. 207 Vgl. hierzu ausführlicher oben in Anm. 190.

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9.3.2 Der berufsspezifische Beitrag des BRU zur beruflichen Handlungsfähigkeit Fachspezifisch im engeren Sinn kann der BRU in einigen Berufsfeldern religiöse Fakten und theologisch-ethische Werteinstellungen zur beruflichen Handlungsfähigkeit einbringen: Zum Beispiel im holzverarbeitenden Gewerbe Aspekte der Ökologie und Nachhaltigkeit oder in Berufen des Baugewerbes theologische Deutungen architektonischer Baustile.208 Darüber hinaus ergeben sich vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Entwicklungen der beruflichen Wirklichkeit – unabhängig einzelner Bildungsgänge – übergreifende berufliche Anforderungen, für deren Bewältigung der BRU Kompetenzen beitragen kann. Dies zeigt deutlich der im Jahr 2006 beschlossene Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife. Dieser Katalog beschreibt unter dem Stichwort »Psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit« (Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife 2006) vielfältige Fertigkeiten wie z. B. »Frustrationsfähigkeit«, »Selbstständigkeit«, »Konfliktfähigkeit« oder »Kritikfähigkeit«. Allen diesen Aspekten ist gemeinsam, dass sie als Voraussetzung der Ausbildung eine reife Persönlichkeit des Jugendlichen markieren. Die Ausbildung wird von der Industrie heute nicht mehr als eine Zeit der Erziehung angesehen.209 Allenfalls können personenbezogene Fähigkeiten und Eigenschaften während der Ausbildung vertieft und erweitert werden, was sich dann vornehmlich im berufsübergreifenden Ausbildungsbereich zu vollziehen hat und den Wert dieses Bereiches anzeigt. Der BRU unterstützt diese Entwicklung bei den Auszubildenden hin zu einer reifen Persönlichkeit durch seine subjektorientierte Reflektion des Lebens- und Berufsumfeldes der Auszubildenden. Die kritische Beschäftigung mit eigenen Lebenszielen im Spannungsfeld von Realität und Hoffnung angesichts der beruflichen Wirklichkeit hilft den Jugendlichen bei der Entwicklung eines selbstständigen Lebensentwurfs. Dieser dient ihnen als Standpunkt und befähigt sie, ihre Lebensperspektiven gegenüber konkurrierenden Entwürfen – gegebenenfalls im Konflikt – kritisch zu sehen und argumentativ als ihren Lebensentwurf – auch angesichts möglicher Frustrationen des Nichtverstehens – zu vertreten. Diese kreativ kritische Auseinandersetzung mit Lebensentwürfen im persönlichen Bereich lehrt die Auszubildenden für ihr Leben (ihre Überzeugung – Konfession) verantwortliche Entscheidungen zu treffen, für diese selbstständig einzutreten und auch gegenüber widerstreitenden Entwürfen zu vertreten. Diese Befähigung im per208 Siehe hier beispielsweise La Gro 2011, 12 – 15 sowie ausführlicher zum materialen und kategorialen Berufsbezug unter 7.2.3. 209 Die Absage an einen Erziehungsauftrag in der Berufsausbildung ist jedenfalls die offizielle Version. Inoffiziell spielt natürlich die Erziehung eine große Rolle, was besonders an den Vorgaben durch die so genannten Sekundärtugenden erkennbar ist.

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sönlichen Bereich u. a. durch die Mithilfe des BRU ist eine Voraussetzung für die Entwicklung der heute im Beruf erwarteten personalen Kompetenzen, wie sie im Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife genannt werden. Hinsichtlich einer beruflichen Handlungsfähigkeit nennt die gegenwärtige Literatur immer wieder im Kontext der Pluralität unserer Gesellschaft und der zunehmend für alle Wirtschaftsbereiche relevanten Globalisierung die »interkulturelle Kompetenz« als Anforderung an zukünftige Arbeitnehmer (vgl. Camerer 2009). Dass der BRU zu einem diesbezüglichen Kompetenzerwerb oder einer Erweiterung der Kompetenzen beitragen kann, liegt auf der Hand. Der BRU in multireligiös zusammengesetzten Lerngruppen fördert durch die Begegnung und den damit implizierten Dialog die interreligiöse (und interkulturelle) Kompetenz (vgl. insgesamt Obermann 2006) und bereitet die Auszubildenden so auf ihre berufliche Situationen – und darüber hinaus auf Begegnungen außerhalb des Berufslebens – vor. Im BRU erwerben die Auszubildenden mit der Befähigung interkultureller (interreligiöser) Kommunikation eine Schlüsselqualifikation im Rahmen ihrer angestrebten beruflichen Handlungsfähigkeit.210 Im Blick auf die von der Industrie, dem Handwerk und der Arbeitswelt insgesamt geforderten Tugenden wie z. B. Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Höflichkeit oder Fleiß (vgl. Obermann 2006, 62 – 72; bes. 70 f. sowie Breitmaier 2010, 192 ff. u. 202 ff.) kann der BRU ebenfalls spezifische Dienste leisten (darf aber in dieser Vermittlung nicht aufgehen). Alle in den Lerngruppen vertretenen Religionen betonen im Sinne eines gedeihlichen Zusammenlebens einer Gesellschaft die genannten Werte als ethische Lebensmaximen für ihre Gläubigen, da ohne diese grundlegenden ethischen Maßstäbe keine Zusammenarbeit und erst recht kein Zusammenleben, weder im privaten noch im beruflich-wirtschaftlichen Bereich, funktioniert. Diese Tugenden werden in der Bibel schon vor über 2500 Jahren unter den zehn Basisregeln des Zusammenlebens genannt, nämlich den Zehn Geboten. Die ethische Orientierung an den genannten Tugenden ist also ein zutiefst jüdisch-christliches Anliegen seit Jahrhunderten. Entsprechend gehört auch die ethische Bildung seit jeher zum Proprium der religiösen Bildung. Von der Frage ausgehend, wo die christlichen Lebensmaximen in betrieblichen Abläufen eine aktuelle Relevanz erzielen, werden diese christlich-ethischen Handlungsmuster im Unterricht in ganz unterschiedlichen Weisen kommuniziert: bei der Behandlung ethischer Maximen heiliger Schriften – wie den 10 Geboten oder den jesuanischen Geboten zur 210 Vgl. hierzu auch das Projekt »Unterrichtsforschung ›Interreligiöse Kompetenzentwicklung‹« des evangelischen wie des katholischen Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik in Tübingen (http://www.kibor-tuebingen.de/index.php?id=53; www.kibortuebingen.de; www.eibor.de).

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Nächstenliebe –, bei der Erörterung religiös motivierter Kriterien ethischen Handelns – z. B. bei der Bergpredigt – oder bei der Auseinandersetzung mit Dilemmageschichten (siehe Obermann 2006, 144 – 147). Im Kontext dieser ethischen Bildungsprozesse wird auch die berufliche Handlungsfähigkeit der von den Betrieben und Unternehmen gewünschten soft skills – wie z. B. Kollegialität, Solidarität und Teamfähigkeit – gefordert und gefördert. Der BRU qualifiziert die Auszubildenden zur angemessenen Kommunikation innerbetrieblich mit Kollegen sowie auch außerbetrieblich z. B. im Kontakt mit Kunden oder in der Außendarstellung des Arbeitgebers. Dabei ist der BRU mehr als nur Ethik und geht auch in ethischen Fragen allein nicht auf. Bei ethischen Fragen geht es nicht um ein Auswendiglernen rechten Verhaltens oder um das unreflektierte Befolgen vorgegebener (und erwarteter) Verhaltensmuster, sondern um das Verstehen und das Begreifen, warum welches Verhalten in bestimmten Situationen besser ist als ein alternatives Handeln. An dieser Stelle leistet der BRU einen wesentlichen und zugleich spezifischen Beitrag zur beruflichen Handlungsfähigkeit, da er an die biblische Tradition erinnernd alle ethischen Weisungen im Gefolge der jesuanischen Ethik in den Kontext der Liebe (Gottesliebe) stellt.211 Entsprechend ist das Doppelgebot der Liebe, das Jesus auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot formuliert, ein konstitutiver Grund und wesentlicher Bestandteil des BRU: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit allen deinen Kräften und mit allen deinen Gedanken, und: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (nach Lk 10,27). Für Jesus gehören die Gottesliebe und die Nächstenliebe untrennbar zusammen: Glaube (Religion) führt – gewissermaßen automatisch – zum Handeln. Dass der Gottesglaube ohne den Blick auf den Nächsten nach Jesus nicht denkbar ist, zeigt sich auch in der Goldenen Regel, die für Jesus die Erfüllung des Gesetzes darstellt – religionspädagogisch gesprochen die Erfüllung der christlich-ethischen Lebensmaxime: »Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!« (Lk 6,31). Anders herum führt die Gottesliebe die Tat der Nächstenliebe über das normale Maß hinaus, indem sie das normale soziale Handeln motivational bereichert. Von daher ist die doppelte Weisung der Liebe gerade auch in ihrer wechselseitigen Wirkung eine »Kurzfassung des Gotteswillens in seiner mitmenschlichen Dimension« (Stuhlmacher 1992, 100). Das Doppelgebot zeigt so die existentielle wie auch kognitive Beteiligung der Handelnden bei einer biblisch-theologischen Ethik. Jesus nimmt die Handelnden in die Verantwortung bei der Reflektion, welches Handeln das 211 Die urkundliche Grundlage bei der Rede von der jesuanischen Ethik ist an dieser Stelle auf Grund unserer religionspädagogischen Fragstellung die Textebene der Evangelien (die exegetisch-hermeneutische Frage nach den ursprünglich jesuanischen Äußerungen zur Ethik können aus Platzgründen nicht entfaltet werden).

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jeweils angemessene ist, indem er das aktive Handeln in den Kontext eines selbst erfahrbaren Erlebens stellt. Die jesuanische Ethik zielt nicht allein auf die äußere Tat des Guten, sondern auch auf die innere Bereitschaft und Motivation des Handelnden. Die von Jesu intendierte Reflektion von ethischen Handlungsoptionen nimmt bei der Barmherzigkeit Gottes nicht nur ihren Ausgang, sondern ist von dieser auch getragen: »Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist« (Lk 6,36). Von der Barmherzigkeit Gottes her ist nun auch die Nächstenliebe nicht alleine als eine äußere Handlung zu verstehen. Bei der Nächstenliebe geht es »um eine gleichzeitig von Gefühl und Willen getragene Verhaltensweise, die Vergebung (vgl. Mt 18,21 – 22), Fürbitte (Mt 5,44/Lk 6,28) und konkrete Hilfeleistungen […] umschließt (vgl. Lk 10,30 – 37; Mt 25,35 f.)« (Stuhlmacher 1992, 101). Das von der jesuanischen Ethik ausgehende ethische Lernen im BRU ist (1.) bestimmt von der Aufforderung einer eigenen ethischen Reflektion der Auszubildenden und von deren Verantwortung für ihr Handeln. Darüber hinaus ist das ethische Lernen im BRU (2.) ohne eine emotional-religiöse Beteiligung der Auszubildenden nicht denkbar. Gutes Handeln ist im umfassenden Sinn der Barmherzigkeit zu verstehen und soll damit getragen sein von der Überzeugung, Gutes zum Wohl des Nächsten und zum Lob Gottes zu tun. Dieser skizzierte Zusammenhang von Gottes- und Nächstenliebe steht dabei nicht nur im Mittelpunkt der ethischen Lernprozesse im BRU, sondern unterscheidet den Religionsunterricht (BRU) auch von einem »normalen« Ethikunterricht. Ethik im Religionsunterricht kommt immer vom Glauben her und stellt das konkrete Handeln – auch für den beruflichen Kontext – in das Licht des Nächsten. Auszubildende (und Erwerbstätige) sollen beispielsweise ihrem nächsten Menschen pünktlich und ehrlich begegnen, im Betrieb Verantwortung übernehmen und ihre Aufgaben möglichst hoch motiviert angehen, weil dieses Verhalten für den Nächsten und damit auch für die betrieblichen Abläufe – und nicht zuletzt auch für sie selbst – gut ist. Das ethische Handeln zugunsten des Nächsten um Gottes Willen ist das Spezifikum des BRU und sein Mehrwert, den er in die berufliche Ausbildung einbringen kann. Ethische Lernprozesse zur Stärkung und Förderung der genannten Tugenden in multireligiös zusammengesetzten Lerngruppen fördern zugleich die – oben schon erwähnte – Fähigkeit zur interkulturellen Begegnung und zum interreligiösen Dialog. Als konkrete Option einer unterrichtlichen Umsetzung ist in diesem Zusammenhang das von Hans Küng initiierte »Projekt Weltethos« zu nennen, in dem grundlegende gemeinsame ethische Normen aller Religionen entfaltet und kommuniziert werden (www.weltethos.org; siehe Obermann 2006, 107 – 110). Das ethische Lernen im Lichte der Ethik Jesu ist die Voraussetzung, dass Auszubildende in ihrem beruflichen Umfeld die dort angemessenen Verhaltensweisen nicht nur einfach befolgen, sondern aus Überzeugung umsetzen

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und auf ihre Einhaltung achten. Erst dann werden aus den Auszubildenden von heute die Mitarbeiter der Zukunft, die Verantwortung übernehmen und sich mit dem Betrieb identifizieren. Weiterhin trägt der BRU zu einer berufsspezifischen ethischen Bildung bei. So können sozialethische Handlungsmaximen der Religionen mit ihren spezifisch religiösen Argumenten die fächerübergreifend geführte Erörterung der ethischen Urteilsfindung bereichern.212 Sofern religiöse Aspekte zu einer erweiterten – und gegebenenfalls neuen – Beurteilung ethischer Sachverhalte führen, trägt der BRU zu einer umfassenden Fähigkeit der begründeten ethischen Urteilskraft bei. Unmittelbar geschieht dies z. B. im BRU in Bildungsgängen des Gesundheitswesens angesichts der Frage nach dem Tod bzw. der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod beim Abwägen der Berechtigung von lebensverlängernden medizinischen Maßnahmen (Wann darf ein Mensch sterben?), in heilpädagogischen Bildungsgängen bei Fragen von Grenzen religiös bedingter geschlechtsspezifischer Begegnungen (Wie sieht eine religiös angemessene Betreuung pflegebedürftiger muslimischer Mitbürger aus?) oder in kaufmännischen Bildungsgängen durch sozialethische Aspekte zu beruflichen Themenfeldern (Welche ethischen Implikationen ergeben sich aus den Weisungen der biblischen Propheten zum Zins für heutige Geschäftsmodelle angesichts der oft kritisierten schlechten Zahlungsmoral in der BRD?).213 Die Kompetenz ethischer Urteilsfindung ist auch insofern wesentlich als zukünftige Berufsqualifikation anzusehen, sofern Mitarbeiter eines Betriebes heute immer stärker in betriebliche Entscheidungsprozesse eingebunden werden sollen (siehe de Riese-Meyer / Biffar 2011, 27).

212 Für ein entsprechendes Gelingen ist es auch wichtig, dass die Auszubildenden gängige ethische Argumentationsmuster kennenlernen und in der Praxis erkennen, deuten und anwenden können (z. B. Argumentationsmuster des Behaiviorismus, der Situationsethik, des kategorischen Imperativs Immanuel Kants oder der Verantwortungsethik von Hans Jonas). Erst wenn Auszubildende ethische Argumentationsmuster und die Folgen der Argumente erkennen, können sie eine eigene ethische Position entwickeln und in der Praxis anwenden. 213 Vgl. zum kaufmännischen Bereich auch beispielhaft das Bonner bibor-Projekt »Ethische Orientierungen für den kaufmännischen Bereich – Entwicklung berufsbezogener Unterrichtskonzepte für den BRU in kaufmännischen Ausbildungsberufen des dualen Systems« (www.bibor.uni-bonn.de/projekte) sowie das Tübinger »Projekt Wertebildung. Religionsunterricht in der Berufsschule und Wertebildung« (www.eibor.de/content01/index. php?rubric=Projekte).

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9.3.3 Der kategorial-phänomenologische Beitrag des BRU zur beruflichen Handlungsfähigkeit Zunächst sollen die auch durch den BRU vermittelten Berufsfähigkeiten allgemeiner Art vergegenwärtigt werden. Grundlegend setzt die Umsetzung der bislang dargelegten Anforderungen der ethischen Handlungsfähigkeit einen hohen Grad der Identifikation des Auszubildenden mit dem Unternehmen (Betrieb) und seiner Unternehmenskultur voraus (vgl. Bachmann / Wägenbaur 2009, 74 ff.). Von daher ist es für den Auszubildenden entscheidend geboten, erst einmal zu erkennen, dass er sich nicht nur als Spezialist in fachlicher Hinsicht in den Betrieb einbringen soll, sondern auch als autonom-mündige Persönlichkeit mit seiner Meinung und Einschätzung gefragt ist. Diesen unternehmerischen Anspruch kann auch der BRU den Auszubildenden erst einmal bekannt machen, da er für die meisten Auszubildenden von ihrer bisherigen Erfahrung her unbekannt sein dürfte. Darüber hinaus ist die Identifikation mit dem Unternehmen den Auszubildenden ausdrücklich als Wertschätzung ihrer Person zu kommunizieren. Dass der Betrieb an den personalen Fähigkeiten der Auszubildenden interessiert ist, hat positive Einflüsse auf ihr Selbstbild und motiviert als Reaktion auf die erfahrene Wertschätzung zum Engagement im und für das Unternehmen. Die Wertschätzung der Auszubildenden durch ein Unternehmen ist theologisch zu werten mit Hilfe der Kategorie der Berufung.214 Diese Sozialisation hinein in den Beruf bzw. in ein konkretes Unternehmen oder in einen konkreten Betrieb setzt ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein des Auszubildenden voraus. Diese (Eigen)Verantwortlichkeit ist insgesamt eine Basisfähigkeit (Basiskompetenz) zur aktiven Gestaltung des Lebens in der Postmoderne im beruflichen wie im privaten Kontext. Eine unabdingbare Voraussetzung für eine gelingende Integration von Auszubildenden in das Unternehmen und die Übernahme von Verantwortung für den Betrieb ist die konkrete Auseinandersetzung mit der Frage, was den Auszubildenden an ihrem Betrieb wichtig ist und warum dies so ist. Erst wenn sich die Jugendlichen hierüber Gedanken gemacht haben, gewinnen sie die Motivation und Einsicht in die Übernahme von Verantwortung. Die Wahrnehmung der eigenen Wertschätzung im Betrieb generiert erst als Reaktion ein Verantwortungsbewusstsein für den Betrieb. Diese personale Berufsfähigkeit ist nicht allein kognitiv lehrbar und lernbar, sondern ist dem Auszubildenden durch eine entsprechende Begleitung und eine persönliche Förderung durch das Unternehmen während der Ausbildung erfahrbar zu machen. Auf schulischer Seite ist es neben anderen Fächern in besonderer Weise der BRU, der von seinem Grundanliegen der Achtung der unbedingten Menschenwürde her diese Lebensbegleitung leisten 214 Vgl. hierzu ausführlich unter 4.3 (bes. 4.3.4) u. ö.

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und initiieren kann. Die Voraussetzung ist dabei jeweils das Vertrauensverhältnis des Auszubildenden zum Ausbilder und zum Lehrer, das sich allein durch positive Erfahrungen im Laufe des Unterrichtens und Lernens einstellen kann. Neben dem Vertrauen ist dabei für Auszubildende vor allem eine Transparenz und eine Authentizität der Ausbilder und Lehrer (besonders der Religionslehrer) im Blick auf klar positionierte Einstellungen wichtig. Pointierte Stellungnahmen sind hilfreicher für die Orientierung suchenden Jugendlichen als eine ›Laissez-faire-Haltung‹ (im Blick auf jugendliches Rauschtrinken fordern das Beulich / Stauber 2011, 59 f.). Nicht zuletzt ist auch die spürbar wahrzunehmende Übernahme von Verantwortung durch den Religionslehrer für den BRU selbst wichtig in Form eines guten Unterrichts und der ernsthaften Begegnung mit den Auszubildenden. Neben diesen Anforderungen an ein zukünftiges Profil beruflicher Tätigkeiten bedarf es schließlich auch einer realistischen Selbsteinschätzung (siehe Bosche / Rohs 2011, 48 f.). Erst die angemessene Selbsteinschätzung versetzt einen Mitarbeiter in die Lage, in das Unternehmen hineinzuwachsen, im Betrieb seinen Ort zu finden, ein eigenständiges Profil zu entwickeln, eigenständige Werturteile zu kommunizieren und Verantwortung im und für den Betrieb zu übernehmen. Ein Training zur Erlangung dieser Selbsteinschätzung als Basis einer anspruchsvollen beruflichen Handlungsfähigkeit leistet auch der BRU, indem er von der geisteswissenschaftlichen Pädagogik und dem biblischen Menschenbild herkommend die (Aus)Bildung der Person des Auszubildenden als Feld beruflicher Bildung versteht und umzusetzen sucht. Konkret kann das geschehen in jedem ehrlich-authentischen Unterrichtsgespräch oder in ethischen Unterrichtsprozessen, die auch die Motivation zum ›guten Handeln‹ – und damit den Handelnden als autonom-verantwortlich handelnden Berufstätigen – in den Blick nehmen und so die Person der Auszubildenden stärken (vgl. hierzu unter 9.3.2). Theologisch erfolgt diese Kommunikation über eine positive Selbsteinschätzung vor der Negativfolie, nach der eine falsche Selbsteinschätzung eigener Lebensmöglichkeiten und deren Vernachlässigung als Zielverfehlung und damit theologisch als Sünde zu deklarieren ist. Dieser irreführenden Fehlausrichtung steht theologisch das selbstbewusste Wissen um die eigenen Fähigkeiten gegenüber und – nach Mt 25,14 – 30 – die praktische Umsetzung dieser Fähigkeiten im beruflichen wie privaten Leben. Die sich in der Dienstleistungsgesellschaft verändernden Ansprüche und Anforderungen an künftige Erwerbstätige zeigen sich auch im Anforderungsprofil, das die Industrie bzw. die Wirtschaft an ihre Bewerber im Blick auf die Betriebe als Sozialgefüge stellt. Entsprechen die Anforderungen der »Welt der Industrie« den bislang klassischen Erwartungsprofilen, so zielt die »Welt des Marktes« vermehrt auf den Außenkontakt bzw. das Dienstleistungs- und Kundengeschäft. Die »häusliche Welt« benennt dann persönlichkeitsbezogene Kri-

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terien, die die Sozialisation des Bewerbers im künftigen Arbeitsfeld und der Unternehmenskultur betreffen [Abb. 35]. Die personalen Fähigkeiten kulminieren beim personalen Kompetenzerwerb aus Sicht der Unternehmenskultur in der Persönlichkeitsentwicklung und der Identitätsentwicklung der Auszubildenden. Diese Entwicklungen sind ein wesentlicher Bestandteil einer beruflichen Handlungsfähigkeit der Zukunft. Gefragt sind heute nicht mehr allein fachlich-handwerkliche oder technische Fertigkeiten und ein profundes Fachwissen. Ausschlaggebend für eine umfassende Handlungsfähigkeit im Beruf ist eine autonome Persönlichkeit, die bereit und fähig ist sich als Person einzubringen, die Entwicklung des Unternehmens durch eigene Impulse voran zu bringen und Verantwortung zu übernehmen. Nach Karl Haußer sind es vor allem drei Aspekte – »Identitätskomponenten« (Haußer 1983, 56 u. ö.) –, die die Identität eines Menschen ausmachen und in ihren Wechselwirkungen bestimmen: das Selbstkonzept, das Selbstwertgefühl und die Kontrollüberzeugung. Das »Selbstkonzept ist definiert als generalisierte Selbstwahrnehmung, Selbstwertgefühl als generalisierte Selbstbewertung und Kontrollüberzeugung als generalisierte personale Kontrolle« (Haußer 1983, 56; Kursivierungen im Original; vgl. insgesamt 56 f. u. ö.). Aus der Dynamik dieser drei Identitätskomponenten erwächst die ›Kernidentität‹ eines Menschen bzw. einer Person. So geht es beim Selbstkonzept um den Klärungsprozess, inwieweit und ob verschiedene Selbstwahrnehmungen zueinander passen. Es geht um die Integration oder Desintegration des eigenen Verhaltens zu einem Ganzen, d. h. die Klärung der »Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit des eigenen Verhaltens in verschiedenen Erfahrungselementen« (Haußer 1983, 59; zum Selbstkonzept siehe 59 – 64). Das Selbstwertgefühl definiert Haußer als das Ergebnis der »Generalisierungen seiner erfahrungsabhängigen Selbstbewertungen«, wobei das Selbstwertgefühl generell von bestätigenden Erfahrungen abhängig ist. Das Selbstwertgefühl ist die »integrierte Befindlichkeit des Menschen« im Blick auf seine Selbstbewertungen vor dem Hintergrund seiner Bestätigungen (siehe Haußer 1983, 64 f.; insgesamt 64 – 68). Die Kontrollüberzeugung meint schließlich das Vorhandensein von generalisierten subjektiven Erklärungsmustern im Blick auf Ereignisse und deren Erklärbarkeit oder Vorhersehbarkeit, wobei interne oder externe Begründungsmuster zum Tragen kommen können (so werden z. B. schlechte Noten durch einen internen Generalverdacht »das liegt alles nur an mir« oder durch einen externen Grund »der Lehrer bewertet immer ungerecht« erklärt).215 Konkrete Anforderungen, mit denen sich Jugendliche in der Phase ihrer 215 Vgl. hierzu auch die Darstellung der identitätsstiftenden Komponenten bei Seibt 2012, wo er im Blick auf die Schulpastoral darauf aufmerksam macht, unter welchen Bedingungen Jugendliche heute gefordert sind, ihre Identität herauszubilden.

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beruflichen Identitätsbildung konfrontiert sehen, lassen sich durch folgende Stichworte charakterisieren: Selbstbild und Selbstkonzept, Selbstwertgefühl und Selbstakzeptanz sowie schließlich auch die Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugung. Die Stichworte bezeichnen einerseits die Spannungsfelder, in denen sich die Identitätsbildungsprozesse vollziehen.216 Andererseits zeigen sie, welchen beruflichen Zumutungen sich die Auszubildenden stellen müssen, um zu einer Identität zu finden, die ihre berufliche Handlungsfähigkeit fördert und unterstützt. Die Zusammenstellung der »Anforderungen und Problemfelder beruflicher Identität« [Abb. 36] ist eine Hilfe zur identitätspsychologischen Bewertung der Situation jugendlicher Auszubildender (z. B. konkret bei der Unterrichtsvorbereitung), die auch zu einer angemessenen religionspädagogischen Begleitung der Jugendlichen anregen kann. Es sind insbesondere die Bereiche (1.) des Problemfeldes des Selbstbildes sowie (2.) die Anforderungen und Problemfelder des Selbstwertgefühls und der Selbstakzeptanz, für deren Herausbildung auch der BRU einen spezifischen Beitrag leisten kann. Besonders gut ansetzen kann der BRU beim Selbstbild bzw. dem Selbstkonzept durch die ihm eigene Frage nach dem Selbstbild in der Spannung des »iustus et peccator«. So kann der BRU grundlegend den Raum eröffnen und für das Verständnis werben, dass das Nachdenken über die eigene Person unter Einbeziehung verschiedenster Einflussfaktoren für das eigene Leben und den Beruf nicht nur dienlich, sondern auch spannend und interessant ist. Zur Aufgabe des BRU gehört an dieser Stelle vor allem die Förderung des kognitiven Prozesses, dass die Jugendlichen einerseits die Anteile und Faktoren erkennen, die ihre Person nach innen wie nach außen repräsentieren und sich andererseits dieser Faktoren als Bausteine ihres Selbst- und Fremdbildes bewusst werden. Generell ist es hier von Vorteil, wenn die berufsorientierte Religionspädagogik Kenntnisse der Soziologie und der Psychologie zur qualifizierten (und damit professionellen) Deutung der Identitätsprozesse zu Rate zieht. Zu nennen sind hier vor allem die oben dargestellten Theorien des »Selbstkonzeptes« und der Identitätsbildung. So kann die Reflektion der Selbsterkenntnis in der Unterscheidung zwischen dem geglaubten (er-glaubten) »Ich« und der wiedergespiegelten »Ich«-Erfahrung der Realität (nach Römer 7) ein religionspädagogischer Beitrag sein zur Identitätsbildung. 216 Der Begriff der Identität selbst und der spezifisch religiöse Beitrag des BRU zur Identitätsbildung ist im Blick auf die postmoderne Welt – insbesondere in beruflichen Kontexten – kein alleiniges Spezifikum des BRU (denn hier leisten andere Fächer der Berufsschule und die betrieblichen Lernprozesse analog spezifische Beiträge), wohl aber von der lebensbiographischen Situation der Auszubildenden her ein wesentliches Handlungs- und Bezugsfeld für den BRU insgesamt (zur grundlegenden Bedeutung des Begriffs der Identität für die Religionspädagogik allgemein siehe Schweitzer 2012, bes. 119 f. sowie Käbisch 2012).

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Die Reflexion des eigenen Selbstwertgefühls im Zusammenhang mit eigenen Erfolgen und/oder Misserfolgen in der Selbstwahrnehmung wie auch der Fremdwahrnehmung kann auch eine reellere Einschätzung der eigenen Selbstwirksamkeit zur Folge haben, was mit zu einer erweiterten beruflichen Handlungsfähigkeit führt. Konkrete religionspädagogische Hilfen zur Findung der eigenen Identität im Beruf bietet der BRU in Form einer Reflektion von Identitätsmustern und Identitätskonstruktionen.217 Theologisch geprägt sind die religionspädagogischen Beiträge durch die Stichworte Anerkennung und Wertschätzung. Der BRU kommuniziert und inszeniert die theologischen Topoi von Rechtfertigung und Gnade in den zwischenmenschlichen Erfahrungshorizonten von gegenseitiger Anerkennung und dem daraus resultierenden Selbstwertgefühl, dessen Grund außerhalb des Vermögens der betreffenden Person liegt (z. B. durch die Erfahrung eines Auszubildenden, sich im BRU von der Lehrkraft unbedingt akzeptiert und angenommen zu wissen).218 Die Erkenntnis und Erfahrung zugesprochener Wertschätzung und Achtung – sei es z. B. in Liebesbeziehungen durch andere Menschen oder in religiöser Dimension durch Gott stellvertretend durch einen Geistlichen oder Religionslehrer – ist für Jugendliche eine tragende Gewissheit im beruflichen Kontext der Wirtschaft, in der die Wertigkeit auch an ökonomischen Zahlen festgestellt wird (allein schon durch den Zusammenhang von Gehaltsstufen und Wertigkeit in der Hierarchie eines Unternehmens).219 Liebe und Gnade als Maß göttlicher Wertschätzung sind nicht nur ein kritisches Korrektiv gegenüber den an Leistung orientierten Wertzuschreibungen der Ökonomie, sondern vor allem eine Quelle der Ich-Stärke. Ein extra personam gegründetes positives Selbstbild eröffnet einen konstruktiven Umgang mit möglichen Anfragen an das eigene Selbstbild und negativen Einschätzungen der eigenen Person durch Dritte im beruflichen Kontext (zum Beispiel durch die Erfahrung der Diskrepanz von Sein und Sollen im Beruf). Konkret können im BRU Spiele und/oder Arbeitsaufträge zur gegenseitigen Wahrnehmung der 217 Als Materialtipp sei hier Dietrich Bonhoeffers Gedicht »Wer bin ich?« (Bonhoeffer 1985, 381/382) genannt. Bonhoeffers Zeilen sind eine erprobte und auch Auszubildende ansprechende Beschreibung einer Existenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Eine Meditation (oder Erörterung) dieser Zeilen im Zusammenhang mit Bonhoeffers Biographie birgt das didaktische Potential, den Auszubildenden einen Transfer in das eigene Leben und Erleben zu eröffnen und damit Perspektiven der Selbstwahrnehmung neu zu erschließen. 218 Dieses Bemühen von Lehrkräften wäre ein Beitrag, den BRU als »Anerkennungskultur« zu verstehen und zu profilieren (vgl. hierzu Keupp 2012, 110). 219 An dieser Stelle ist hinzuweisen auf Sellmann (2012), der die Funktion religiöser Erfahrungen im Kontext der »Biografiekonstruktion« darin sieht, dass »[r]eligiöse Angebote […] absichern, wappnen, behüten, bergen, verwöhnen« (je 51) sollen: »Religiosität soll Sicherheit verleihen« (51).

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Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

Auszubildenden untereinander diese Prozesse der Selbsterkenntnis fördern. Gerade in beruflichen Anfangszeiten kommt dieser extrapersonal gegründeten – und von eigenen Leistungen unabhängigen – Wertschätzung eine hohe Bedeutung zu, sofern der Beruf spezifische Herausforderungen der Identitätskonstruktion mit sich bringt.220 Die berufliche Neukonstitution der eigenen Identität in beruflichen Kontexten bedarf – als Erweiterung der bisherigen Identitätskonstruktion – einer Orientierung u. a. an Vorbildern. Durch biographisches Lernen aus Bibel, Literatur und Zeitgeschichte, durch authentische Begegnungen – hier sind vor allem die Lehrkräfte als verbindlich-wahrhaftige Vertreter der Religionen in den Blick zu nehmen – sowie durch die Bereitstellung von authentischen Begegnungsräumen bietet der BRU für Auszubildende den Raum zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstbild mittels der Konfrontation mit fremden Identitätsentwürfen:221 Die initiierte reflexive Auseinandersetzung eröffnet die Wahrnehmung neuer Selbstbezüge und schafft so situativ-geerdete Orientierungen. Konkrete Unterrichtsprozesse im BRU mit dem Fokus der hier dargestellten Entwicklungsprozesse zur Erlangung einer personalen Kompetenz (Orientierung in der Berufsbiographie) im Sinne einer umfassenden beruflichen Handlungsfähigkeit können unter anderem durch die im folgenden Abschnitt besprochenen Grafiken und Diagramme initiiert und/oder durchgeführt werden, da diese den Auszubildenden eigene Berufsimages vor Augen führen und zur Selbstreflektion anregen. Ein wesentliches Bedürfnis bei Jugendlichen in der Ausbildung ist die Suche nach Sinn in der eigenen Berufsbiographie. Neben den oben schon genannten selbstreflexiven Orientierungen spielt für die Identitätssuche von Auszubildenden auch das öffentliche Image einzelner Berufe – neben dem Spaß am Beruf und der Möglichkeit der Sicherung der Zukunft durch den Beruf222 – eine wesentliche Rolle.223 Der Zeitgeist der Beurteilung beruflicher Wertigkeit im Ansehen der jugendlichen Öffentlichkeit konstituiert das Selbstwertgefühl ju220 Schon 1991 formulierte die EKD angesichts der veränderten Situation auf dem Arbeitsplatz, dass es die Kirche und auch die Religionspädagogik als eine »große Chance für die Menschen verstehen können, ihre Identität jenseits der Arbeit zu suchen und zu finden« (Evangelisches Bildungsverständnis 1991, 18). 221 Als konkrete Hilfe zur Identitätsbildung siehe als gelungenes Beispiel die religionspädagogischen Entwürfe biographischen Lernens mit biblischen Bezügen von Biewald / Husmann (2009). 222 Die BIBB Bewerberbefragung erbrachte drei Kriterien, die für die Berufswahl für Jugendliche entscheidend sind: (1.) der Spaß an der Tätigkeit im Beruf, (2.) die Möglichkeit durch diesen Beruf die Zukunft zu sichern und Lebensträume zu realisieren sowie (3.) das Image des Berufes in der Öffentlichkeit. 223 Die folgenden Daten zum vermuteten positiven wie negativen Berufsimage bei Berufsbewerbern entstammen der BIBB Bewerberbefragung (www.bibb.de/de/57741.htm) und zahlreichen Diskussionen im bibor mit Dr. Joachim G. Ulrich vom BIBB.

Was den BRU zum Religionsunterricht macht

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gendlicher Auszubildender und entscheidet über die Berufswahl. Die Berufswahl ist abhängig vom jeweiligen Berufsimage, wie die unter Jugendlichen verbreitete und bewusst wahrgenommene Wertigkeit einzelner Berufe deutlich zeigt [Abb. 37]. Das unter Jugendlichen öffentlich kommunizierte und damit transparente Berufsimage bestimmt maßgeblich ihre Berufswahl angesichts der damit zugleich implizierten Wahl des eigenen öffentlichen Ansehens. Die öffentliche Wertschätzung bestimmter Berufe setzt Jugendliche stark unter Druck. Für ihre Berufswahl sind nicht mehr die eigenen Fähigkeiten (Talente) und die eigenen Vorlieben entscheidend, sondern die nicht beeinflussbaren Setzungen Dritter (d. h. der Größe der Öffentlichkeit). Jugendliche erleben so mitunter den Beruf und die Berufswahl als eine Identitätszumutung. Die Wahl des Berufes stellt sie in ein Konfliktfeld der Wahl öffentlicher Setzungen, die sie durch ihre Berufswahl implizit mit wählen. Die mit bestimmten Berufen assoziierten Tugenden und Werte [Abb. 38] sind mit entscheidend für das Bild der Selbst- wie auch der Fremdwahrnehmung im Kontext der Berufswahl. Jugendliche sind zutiefst abhängig von der Fremdwahrnehmung »ihres« Berufes und können sich davon nicht frei machen. Der beste Beruf ist demnach unter anderem der, der das beste Ansehen vermittelt. Wobei dahinter ja nicht nur eine reine Werteassoziation steht, sondern auch die Vorstellung des eigenen Lebensgefühls, das mit dem Berufsimage mit erworben wird: Beispielsweise wird eine Gestalterin für visuelles Marketing – früher schlicht »Schauwerbegestalter/in« (»Dekorateur«) genannt224 – nicht nur das Ansehen mit den Werten verbinden wie z. B. gebildet, reich, intelligent (siehe Abb. 38), sondern diese Werte auch in ihr eigenes Lebensgefühl integrieren wollen. Als visuelle Gestalterin ist sie intelligent, mit hoher Wahrscheinlichkeit reich, körperlich fit und kontaktfreudig. Mit dem Image des Berufes gerät auch die Realisierung dieser Werte (Visionen) für das eigene Leben in den Blick. Das Berufsimage eröffnet die Chance, Lebensträume zu realisieren. Damit sind Jugendliche zu einem hohen Maß bestimmt durch eine (vermeintliche) Fremdwahrnehmung von Berufen und ihrer Sorge, durch eine falsche Berufswahl nicht nur die öffentliche Anerkennung und Wertschätzung zu verspielen, sondern auch Lebensträume nicht verwirklichen zu können. Der Beruf dient damit nicht nur als Indikator dafür, was eine Person tut, sondern vor allem, wer die ausübende Person ist. Das vermutete Negativimage eines Berufes steht weiterhin im Zusammen224 Mit der Umbenennung vom Dekorateur zum Gestalter für visuelles Marketing hat der Beruf im Blick auf die abgeschlossenen Ausbildungsverträge einen Aufschwung erlebt (Quelle: http://berufe.bibb-service.de/Z/B/30/7367.pdf; Auskunft von Dr. Joachim G. Ulrich (BIBB) am 12. Januar 2012 im bibor). Zum schlechten Image von Handwerksberufen in der Öffentlichkeit und der entsprechenden Medienkampagne des Deutschen Handwerks (www.handwerk.de) vgl. ausführlich oben unter 5.1.

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Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

hang zum Grad der Bildung [Abb. 39]. Bewerber mit maximal einem Hauptschulabschluss wählen bzw. erhalten eher einen Beruf mit einem hohen vermuteten Negativimage als Bewerber mit einem höheren Schulabschluss. Das Image eines Berufes korreliert mit den für diesen Beruf geforderten Schulabschlüssen. Berufe mit einem geringen Bildungsabschluss als Eignungsvoraussetzung haben ein schlechteres Image als Berufe mit einem hohen Schulabschluss. Gesellschaftssoziologisch bedeutet dieser Befund, dass die oben geschilderte Problematik der Fremdbestimmung von Bewerbern durch die vermuteten Berufsimages vor allem ein Problem von Jugendlichen mit schwachem Schulabschluss ist. Betroffen sind vor allem Hauptschüler bzw. Jugendliche, die eine duale Ausbildung im gewerblichen Bereich, im Restaurant- und Hotelgewerbe und im hauswirtschaftlichen Bereich anstreben.225 Ein prägendes Image für Jugendliche muslimischen Glaubens und die entsprechende Negativerfahrung ist die nachgewiesene Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt auf Grund der Religionszugehörigkeit. Bei identischen äußeren Voraussetzungen haben muslimische Jugendliche geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz als nichtmuslimische Jugendliche.226 Dieses unbegründete Verliererimage kommt zu den oben geschilderten Imagezumutungen bei muslimischen Jugendlichen erschwerend hinzu und stellt eine genuine Aufgabe des BRU in zweifacher Hinsicht dar : Die (1.) Arbeit am Selbstkonzept muslimischer Jugendlicher (bzw. Jugendlicher mit islamischer Migrationsgeschichte) als Bürger in der bundesrepublikanischen Gesellschaft mit einer entsprechenden Chance der gesellschaftlichen Identifikation und (2.) die Thematisierung von Toleranz und Anerkennung im interreligiösen Kontext sowie die Einübung derselben in den multireligiös zusammengesetzten Lerngruppen in den Berufsschulen. Den Beruf in obiger Weise als Brennpunkt sozialer Identität in den Blick zu nehmen gehört zur genuinen Aufgabe und Verantwortung des BRU. Dieser Unterstützung zur Ausbildung einer ganzheitlichen Entwicklung (Sozialisation) im Beruf kommt der BRU nach, indem er Jugendlichen im Gewirr ihrer soziologischen Identifikationsbemühungen theologische Perspektiven und Wertorientierungen eröffnet. Der BRU wird diesem doppelten Auftrag gerecht, indem er (1.) die Jugendlichen in ihren Identifikationssuchprozessen wahrnimmt und 225 Entsprechend weisen die Berufe aus diesen Berufsgruppen zugleich die meisten nicht besetzten Ausbildungsplätze auf, da diese Berufe bei Jugendlichen nicht beliebt sind (http:// statistik.arbeitsagentur.de/ Statistikdaten/Detail/201109/iiia5/d-ausbildungsstellenmarktmit-zkt/ausbildungsstellenmarkt-mit-zkt-d-0-pdf.pdf). 226 Vgl. hierzu die Studie Lebenswelten junger Muslime in Deutschland (2011), bes. 132 sowie eine Untersuchung aus dem Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald (siehe hierzu: www. turkishnews.com/de/content/2012/04/13/diskriminierung-v-a-muslimischer-jugen dlicher-beim-zugang-zu-ausbildungsplatzen-hin; Zugriff am 22. 8. 2012).

Was den BRU zum Religionsunterricht macht

215

ernstnimmt. Als Begleiter der Jugendlichen können die BRU-Lehrkräfte (2.) auf Basis eines unbedingten Vertrauensverhältnisses die Prozesse der Identitätssuche in der Umbruchsphase in den Beruf hinein kommunizieren. Vor diesem Hintergrund können sich (3.) die Jugendlichen im BRU reflexiv mit ihrem Selbstbild auseinandersetzen. In diesem Kontext kann auch die eigene Religiosität das »Bedürfnis nach biografischer Bestätigung« (Sellmann 2012, 39/40) stillen, indem die Religiosität die Chance eröffnet, »sich selbst über den Umweg der jenseitigen Welt als Ganzes zu behaupten und zu beobachten« (Sellmann 2012, 37). Entscheidend wird es dabei sein, inwieweit es gelingt, dass die Jugendlichen die Prozesse ihrer Identitätssuche in dem doppelten Beziehungsgefüge von Selbstbeziehung und Fremdbeziehung erkennen, für sich selbst situationsbezogen deuten und möglichst im »Kommunikationsprozess BRU« Spuren einer unbedingten Anerkennung erfahren können. Wesentlich hierfür sind hermeneutische Deutungsprozesse der Jugendlichen im Blick auf ihre Person im beruflichen Kontext. Die bewusste Wahrnehmung des eigenen Selbstbildes unter dem Einfluss der öffentlichen Fremdbeurteilung und dem eigenen Beziehungsgeflecht öffnet einen unverfälschten (und ungetrübten) Blick auf die eigene Person. Diese Perspektive fördert die Einflussfaktoren für die Konstruktion des eigenen Selbstbildes ans Licht. Erst wenn sowohl die fremden (z. B. das Berufsimage) als auch die eigenen (z. B. eigene Fähigkeiten und Talente) Einflussfaktoren dem Selbst bewusst werden, tritt der Jugendliche in eine neue Beziehung zu sich selbst. Der Jugendliche kommt in die Lage, auf Grund einer neu gesetzten Wertepriorität sein Selbstbild gegebenenfalls neu zu konstruieren. Die reflexive Auseinandersetzung mit sich selbst stärkt den Blick auf die eigenen Talente. Die Bewusstwerdung eigener Stärken und eigener Fähigkeiten rückt diese als wesentliche Kriterien der Konstruktion des eigenen Selbstbildes – und damit indirekt auch der Berufswahl – in Szene. Im Blick auf die Stärkung eines autarken und authentisch-bewussten Selbstbildes – und der Entwicklung einer autonomen Identität – kann der BRU beispielsweise wichtige Impulse setzen durch die Reflektion, dass aus theologischer wie auch gesellschaftlich-anthropologischer Perspektive der Wert eines Menschen weder an einer körperlichen (oder geistigen) Leistung für die Gesellschaft zu messen noch an der Höhe einer monetären Vergütung abzulesen ist. Geld ist weder ein angemessener Indikator beruflicher und geschweige denn menschlicher Wertigkeit noch ein Maß für die Anerkennung (Wertschätzung) eines Menschen. Gegen die Versuchung, die entlohnte Geldmenge als Grad der eigenen Wertigkeit zur Geltung zu bringen (bzw. zu verrechnen), kann der BRU stetige Werte als konstitutive Kriterien für die Erfahrung von Anerkennung ins Spiel bringen. Die monetäre Entlohnung als Indikator eigener Wertschätzung heranzuziehen birgt die Gefahr, dass die Erfahrung von Wertschätzung im Falle beispielsweise einer Entlassung verloren gehen würde. Demgegenüber ist gerade

216

Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

in der Phase des ersten selbstverdienten Geldes aus theologischer Sicht die dem Auszubildenden nicht verfügbare und nicht zu verdienende Anerkennung durch Gott zu kommunizieren. Als Gnade befreit die transzendente Anerkennung vor falschen irdischen Festlegungen des eigenen Selbstwertgefühls. Dabei besteht für den BRU nicht nur die Aufgabe, die Gnade als Basis eines autarken Selbstwertgefühls zu kommunizieren, sondern den Jugendlichen auch entsprechende Erfahrungsmöglichkeiten zu eröffnen. Die Frage der Identität zwischen Privatsphäre und Beruf ist damit eng verbunden mit der Suche nach einem Sinn im Beruf. Der Beruf als sozialer Identitätsstifter einerseits und die mit dem Beruf verbundene Ressource Lebenszeit andererseits provozieren die Frage nach dem Sinn und Zweck, sich auf dieses Konstrukt ›Beruf‹ als Modus gesellschaftlicher Anteilnahme einzulassen. Es geht im BRU nicht allein um Hilfen zur (schlichten) Identitätsbildung, sondern um identitätspsychologische Bewertungen der Jugendlichen und darauf aufbauende Neukonstruktionen des Selbstbildes. Diese Bewertungs- und Deutungsprozesse zu initiieren, zu begleiten und individuell Anstöße zur Selbstreflektion zu setzen ist eine genuine Aufgabe des BRU, die sich bei Auszubildenden im ersten Lehrjahr oder auch zum Ende ihrer Ausbildung stellt. Der BRU wird so zur Sprachschule existentiell-religiöser Identitätsdeutung, zum Raum einer reflexiven Auseinandersetzung mit der eigenen Person sowie zum Initiator einer Neukonstruktion des Selbstbildes auf Grund sich neu konstituierender (authentischer) Wertemuster. Insgesamt ist die Frage nach Sinn im BRU227 noch weiter zu fassen. So sind in der Ausbildungszeit mit dem ersten selbst verdienten Geld für die Jugendlichen auch die Partnersuche und Partnerwahl existentiell virulent. Mit dem Übergang von der Schulzeit in die Phase der Berufstätigkeit und der damit verbundenen neuen Rolle innerhalb der Gesellschaft spielen auch Fragen nach dem »woher« (Woher komme ich?) und »wohin« (Wohin gehe ich?) der eigenen Existenz eine Rolle. Diese für Jugendliche aktuellen Fragen lebensnah theologisch zu deuten und zu bewerten ist gleichfalls eine genuine Aufgabe des BRU, die dem Prozess der Identitätsfindung dient und damit indirekt auch der Erweiterung der beruflichen Handlungsfähigkeit. Zur beruflichen Handlungsfähigkeit trägt der BRU auch noch bei, sofern er die grundlegende Frage der Motivation bzw. der autonomen Anwendung gelehrter und gelernter Inhalte und Fertigkeiten im Beruf erörtert. Denn sowohl bei dem in der allgemeinen Pädagogik zugrunde gelegten Kompetenzbegriff von 227 Theologisch wird die Frage nach dem Sinn – ein entsprechendes Wort ›Sinn‹ findet sich in der biblischen Tradition nicht – als Suche nach der Wahrhaftigkeit bzw. nach einem wahrhaftigen Leben zu begreifen sein. Transformiert auf unsere berufspädagogischen Erörterungen wird an dieser Stelle aus identitätspsychologischer Perspektive die Frage nach Authentizität bzw. einem autonom-authentischen Leben zu stellen sein (vgl. Sauter 1982).

Was den BRU zum Religionsunterricht macht

217

Weinert, beim Kompetenzbündel der Berufspädagogik (Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz) als auch bei den im DQR festgelegten Kompetenzbereichen bleibt die grundlegende pädagogische Frage, wie es zur Motivation der Umsetzung der erworbenen Fertigkeiten kommt.228 Die Motivation als eine Entscheidung zur Durchführung eines gezielten beruflichen Handelns ist weder lehrbar noch lernbar. Der Wille zur Bewegung auf ein Ziel zu wächst und will in die Tat umgesetzt werden, wenn das Ziel deutlich vor Augen steht und das Erreichen des Zieles ein auch existentielles Anliegen der handelnden Person ist. Die Bewegungskraft (Motivation) zur Umsetzung einer Vorstellung (Idee) in die Wirklichkeit ist dann am präsentesten und kräftigsten, je stärker die Idee in ihrer Realisierung im Wertemuster der Person verankert liegt. So muss z. B. eine Person Gewaltlosigkeit als ein zu ihrer Person gehöriges Verhaltensmuster internalisiert haben, um in einer konkreten Situation von der inneren Einstellung her zu einer gewaltlosen Handlung bewegt zu werden. In diesem Sinne versucht der BRU grundlegende Werte menschlichen Zusammenlebens wie auch beruflicher Tätigkeiten mit dem Ziel zu kommunizieren, dass die Jugendlichen die Wertemuster als Handlungsorientierungen für ihr Tun wahrnehmen, annehmen und umzusetzen versuchen. Der BRU sucht die Relevanz und die Überzeugung zu vermitteln, eine wertorientierte Handlung als Tugend anzunehmen und zu befolgen. Eine theologische Gründung dieser Annahme wertorientierter Handlungsmuster liegt im Dreiklang von Gottesliebe, Selbstliebe und Nächstenliebe (vgl. Mk Doppelgebot der Liebe). Der Beweggrund des Handelns als ein Tun zugunsten einer anderen Person, aber mitunter auch zugunsten der eigenen Person als auch Gott zum Erweis von Liebe (und zum Dank), ist ein hoher Anreiz zum ethisch qualifizierten Handeln. Diese Übereinstimmung von einem theoretischen Verhaltenskodex und dem Streben der Umsetzung desselben ist mit dem Begriff der Authentizität (Professionalität) zu umschreiben. Wo Werte verinnerlicht und als zur eigenen Person zugehörig erfahren werden, kommt es zur Motivation, entsprechend der inneren Einstellung handeln zu wollen und alles daran zu setzen, es auch zu tun! Diese Wertbildungsprozesse als Grundlage jeder Motivation zu initiieren und plausibel erfahrbar zu machen ist eine wesentliche Möglichkeit des BRU, Jugendlichen zu einer beruflichen Handlungsfähigkeit zu verhelfen. Ein letzter Aspekt einer beruflichen Handlungsfähigkeit blickt über die Ausbildung hinaus, sofern eine zukunftsfähige Berufsbildung die Auszubildenden dazu befähigen muss, nach ihrer Erstausbildung – »Sockelbildung« – auf 228 Dabei hilft es dann auch nicht weiter, wenn dieser Aspekt in der Weinert’schen Definition als »volitionaler und motivationaler« Aspekt direkt vorkommt bzw. konstitutiv mit dem Kompetenzbegriff verbunden wird – denn Motivation kann nicht situationsbestimmt gelehrt und gelernt werden.

218

Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

berufliche Umbruchsituationen angemessen reagieren zu können. Diese Fähigkeit der Kontingenzbewältigung zeichnet sich z. B. durch den Willen und die Motivation aus, sich mittels Weiterbildungsmaßnahmen neue Wege beruflichen Wirkens zu erschließen (Veränderungskompetenz). Angesichts der Brüchigkeit heutiger Berufsbiographien kommt der BRU seiner Verantwortung der Vermittlung einer auch in der Zukunft tragfähigen Berufskompetenz nach, wenn die Auszubildenden mit diesen Optionen zukünftiger Krisenbewältigungen vertraut macht, im Dialog Lösungsoptionen kommuniziert und ihnen nahe legt, sich vorausschauend mit individuell passenden Reaktionsmustern – und möglichen Alternativen – vertraut zu machen.

10

Der BRU zwischen beruflicher Handlungsfähigkeit und existentieller Lebensorientierung – Ausblicke

10.1

Das kreative Potential des (evangelischen) Religionsunterrichts für eine integrative Bildung an Berufsschulen

Der BRU kann für die berufliche Bildung in der Berufsschule und für die Ausbildung im Betrieb ein Angebot berufsübergreifender Fähigkeiten und zugleich eine kritische Instanz gegenüber einer ökonomischen Engführung sein. Der Religionsunterricht kommuniziert die theologische Sicht des Menschen im Kontext von wirtschaftlichen Bezügen und wacht bzw. mahnt dabei die menschenwürdige Einbindung des Menschen in technisierte und digitalisierte Produktions- und Vermarktungsprozesse an (vgl. schulformspezifisch Biewald / Obermann, 2011). Seit seinen Anfängen bewährt sich der BRU in dem Spannungsfeld der ökonomischen Forderung nach einer möglichst optimalen Funktionalität des Menschen (Humboldt sprach von Verzweckung) und der dem Menschen zukommenden Würde als Grundrecht und arbeitsökonomische Grundlage seiner Berufsbildung und Berufstätigkeit. Die konstruktive und kreative Reaktion auf diese Spannung ist eine der wesentlichen Herausforderungen für den BRU. Die berufspädagogische Relevanz des Religionsunterrichts zeigt sich in seiner Sorge um »die Menschwerdung« der Schüler in deren Berufskontexten. Die Leistung des BRU liegt dabei keineswegs allein bzw. primär in der Kritik bestehender Verhältnisse (oder Missverhältnisse), wenn Menschen allein in ihrer ökonomischen Funktion gesehen und terminologisch als ›Faktor‹ oder gar als ›Humankapital‹ (siehe Krautz 2007, bes. 115 – 120) bezeichnet werden. Über diese berechtigte Kritik hinaus liegt die vornehmste Aufgabe des BRU in der konstruktiven Ausarbeitung einer menschenwürdigen Rolle von Berufstätigen in modernen Berufskontexten. »Partnerschaftlich mit den ande-

Zwischen beruflicher Handlungsfähigkeit und existentieller Lebensorientierung

219

ren Beteiligten an der beruflichen Bildung zusammen sind angemessene Konzepte zu entwickeln, die die Arbeitswelt – so hoch technisiert sie sein mag – als Lebenswelt für den Menschen begreifen und gestalten« (Biewald / Obermann 2011, 2). An dieser Stelle zeigt sich die Besonderheit des BRU gegenüber dem Religionsunterricht an nichtberuflichen Schulen, sofern in der Berufspädagogik mit dem Begriff der »beruflichen Handlungsfähigkeit« schon länger ein pädagogisches Paradigma vorliegt, das berufsspezifische und allgemeinbildnerische Aspekte miteinander verbindet bzw. integriert. Schlüsselqualifikationen erweisen sich als fachübergreifende, nicht tätigkeitsspezifische und vor allem langfristig nutzbare Kenntnisse und Fähigkeiten, die den berufstätigen Menschen zu einem selbsttätigen Handeln in seinen beruflichen Kontexten befähigen. Die Schlüsselqualifikationen beschreiben grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein Mensch zur Bewältigung der modernen Anforderungen im Berufsleben benötigt. Hierzu zählen u. a. eine Lern-, Kommunikations-, Kooperations- und Informationsverarbeitungsfähigkeit sowie die Fähigkeit analytisch und zugleich vernetzt zu denken – gepaart mit einer hohen Flexibilität, Sozialität und Teamfähigkeit. Der in der Berufspädagogik schon lange etablierte Begriff der Schlüsselqualifikation nimmt die Anliegen der Kompetenzorientierung betreffs des lebenslangen Lernens auf, ohne eine Standardisierung herbeizuführen. Im Blick auf den BRU besteht die Freiheit nach PISA und Co., eine allgemein geforderte Überprüfbarkeit (Evaluation) da auszusetzen, wo sich von der Sache her Überprüfungen als weniger sinnvoll erweisen. Wo der BRU die Humanität in Form von Identität, Selbstbewusstsein und Autonomie stärkt, eröffnet er den Raum zur Aneignung der beruflichen Handlungsfähigkeit, die über ihren individuellen Lebensbezug hinaus zugleich eine konstitutive Befähigung ist für eine anspruchsvolle Berufstätigkeit und eine Motivation für berufsbegleitende lebenslange Lernbemühungen. In dieser Weise leistet der Religionsunterricht einen wesentlichen Beitrag zur Berufsbildung, indem er die Auszubildenden auf einen lebenslangen Lernprozess vorbereitet, immer wieder neu das eigene Vermögen den momentanen beruflichen Anforderungen anzupassen ohne die Humanität aus den Augen zu verlieren. Berufliche Bildung kann heute gar nicht mehr angemessen und verantwortungsvoll geschehen, ohne humane und soziale Fähigkeiten mit zu berücksichtigen. Damit rückt der Mensch als Person mit seinen beruflichen wie auch sozialen und humanen Fähigkeiten (und Bedürfnissen) in den Mittelpunkt beruflicher Bildung zurück: »Die hypertrophe Forderung nach einer allein am Arbeitsmarkt orientierten Ausbildung der dort benötigten Kenntnisse und Fertigkeiten erzeugt eine Einseitigkeit, die schon Humboldt mit dem Hinweis zurückwies, dass jedem Menschen eine allgemeine Bildung angedeihen müsse, die ihn in den Stand versetzt, selbstbestimmt, aber unter Berücksichtigung seiner sozialen Umwelt,

220

Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

gegen seine eigene Funktionalisierung kritisch Position beziehen zu können« (Borst 2009, 87). Der Religionsunterricht in beruflichen Schulen hat genau in dieser Linie seine Stellung im Fächerkanon von Berufsschulen und seine Relevanz in der Berufsbildung insgesamt. Er stärkt die allgemeine Bildung, sofern er didaktisch vom Auszubildenden ausgeht und diesen als Person – theologisch gesprochen als Geschöpf – in den Mittelpunkt stellt. Obgleich es viele Bildungsgänge gibt, in denen der Religionsunterricht unmittelbar fachliche Bezüge aufweist (z. B. in Fachschulen für Sozialpädagogik mit dem Bildungsgang »Erzieher«), ist seine komplementäre und kompensatorische Funktion die ausschlaggebende. Der Religionsunterricht leistet einen wesentlichen Beitrag, dass – nach Blankertz – die Allgemeinbildung im Medium des Berufs zu ihrem Abschluss kommt. Der Religionsunterricht wird so zum Motor und Mahner für beide Bildungsanliegen der Berufsschule, nämlich der beruflichen und der allgemeinen Bildung: als Wahrer der Humanität und als Motivator, das eigene Leben in allen Facetten verantwortlich und kreativ in die Hand zu nehmen. Zur Erlangung der berufsübergreifenden Handlungsfähigkeit wie auch der fachspezifisch-beruflichen Handlungsfähigkeit kommt damit dem BRU eine besondere Rolle zu. Dabei überwindet der Religionsunterricht in seinem pädagogischen Anliegen die Kluft zwischen beiden Bildungsanliegen, indem er dem Auszubildenden in der Person des Religionslehrers einen authentischen Begleiter zur Seite stellt229, der beispielhaft Beruf und Leben in seiner Person (als Auszubildender) integriert.230 Am Beispiel des Religionsunterrichts wird deutlich, dass die Spannung von allgemeiner und beruflicher Bildung letztlich nicht auf einer unüberwindbaren Gegensätzlichkeit beruht, sondern durch einen didaktischen Perspektivwechsel schwindet und eine Integration von allgemeiner und spezieller Bildung erlaubt.231

229 Vgl. hierzu Benner 2008, der bes. 144 f. die begleitende Rolle der Religion betont. Generell solle sich der Religionsunterricht nicht von Schlüsselqualifikationen abhängig machen, sondern je und je sein eigenes Proprium in den Fächerkanon einbringen. 230 Zu den Themen des Religionsunterrichts siehe die einzelnen Lehrpläne zu den Ausbildungsberufen (wobei auch hier der Subjektbezug des Religionsunterrichts bei der Themenauswahl eine didaktisch begründete Freiheit erfordert, da die jeweiligen Schülerpersönlichkeiten die Inhalte der Unterrichtskommunikation mit bestimmen). 231 Gegen die Einschätzung von Menze 1980, 69 f., wo er von einer Gegensätzlichkeit redet, die eine Integration nicht zulässt. Heute ist es die ökonomisch geprägte Kompetenzorientierung der Allgemeinbildung und ihre immer stärker werdende Fokussierung auf eine spezifische Berufsvorbereitung (erkennbar z. B. durch die klar artikulierten Empfehlungen an Gymnasialschüler, im Differenzierungsbereich das Kriterium der späteren beruflichen Nützlichkeit bei der Wahl der Fächer zu bedenken), durch die sich die heutige Allgemeinbildung immer mehr von der klassischen Allgemeinbildung entfernt und den Unterschied zur Berufsbildung weitgehend nivelliert.

Zwischen beruflicher Handlungsfähigkeit und existentieller Lebensorientierung

10.2

221

Im Beruf für’s Leben lernen: Der BRU zwischen Überforderung und Verheißung

Es gibt keine voraussetzungsfreie Bildung. Alle Bildungstheorien sind letztlich utilitaristisch angelegt. Eine der Gegenwart verantwortliche Bildungstheorie muss immer kontextbezogen sein und bedarf einer Orientierung an Gegenwartsfragen. Bei der beruflichen Bildung sind das neben einer umfassenden beruflichen Handlungsfähigkeit die personalen Kompetenzen, deren Bedeutung im Kontext der Anforderungen eines modernen Berufsbegriffs und einer erwünschten Unternehmenskultur immer größer wird. Neben dem Kontext der unmittelbaren Beruflichkeit ist der größte mögliche, meist relevante und zutiefst spannende Zusammenhang des beruflichen Lernens das Leben an sich. Im Wandel bildungspolitischer Prämissen bildet die anthropologische Grundbestimmung des Menschen in seinen wirtschaftlichen Kontexten sowohl die Leitkategorie als auch das kritische Korrektiv für eine der Gegenwart verantwortlichen Berufsbildung. Vor dem Hintergrund des Wandels der gesellschaftlichen und der bildungspolitischen Prämissen zielt eine transparente Berufsbildung auf die Mündigkeit des lernenden Subjekts. Damit stellt die Trennung von beruflicher und allgemeiner Bildung, die gerne auf Humboldt zurückgeführt wird, keinen grundsätzlichen Gegensatz der beiden Bildungsräume mehr dar. Vielmehr verfehlen die Berufsbildung wie auch die Allgemeinbildung ihre Ziele, wenn sie sich jeweils exklusiv verstehen und die von ihnen initiierten Bildungsprozesse nicht gemeinsam integrativ ausgestalten. So gibt sich die Allgemeinbildung heute betont kontextuell berufsbezogen z. B. in Form der propädeutischen Leistungskurse der Sekundarstufe II im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Umgekehrt war die Berufsbildung immer auch allgemein bildungsdidaktisch tätig, sofern sie neben fachrelevanten Grundfertigkeiten Menschen als selbstbewusste Persönlichkeiten beruflich handlungsfähig zu machen suchte. Von daher gehören die allgemeine und die berufliche Bildung generell zusammen und führen erst gemeinsam zur Bildung der ›einen‹ Person. Eine Allgemeinbildung ohne jede berufliche Fokussierung droht perspektivlos zu werden, während eine Berufsbildung ohne die Einbeziehung der Auszubildenden als Persönlichkeiten im Berufsleben in der Gefahr steht, leblos zu werden. Ein wesentliches Ziel von integrativen Berufsbildungsprozessen liegt damit in der Stärkung personaler Kompetenzen sowie der Ausbildung von der Fähigkeit zur Lebensführung und von der Motivation zur Lebensgestaltung. Die integrative Bildung im humboldtschen Sinn entspricht einem zukunftsfähigen Bildungsverständnis. Sie strebt einen Bildungsprozess der Auszubildenden (Schüler) an, der fokussiert ist auf eine Entwicklung zu einer mündigen Persönlichkeit und auf eine aktive Gestaltung des Lebens im beruflichen, privaten

222

Den berufsorientierten Religionsunterricht neu denken

und gesellschaftlichen Kontext. Ein integratives Bildungsverständnis nivelliert soziale Ungleichheiten und leistet einen Beitrag zu einer höheren Bildungsgerechtigkeit. Die damit gestellten gegenwärtigen Herausforderungen für die Berufspädagogik sind im gleichen Maße eine Aufgabe für die berufsorientierte Religionspädagogik. Besonders die nachlassende Orientierungsfunktion des »Berufes« als Leitkategorie des menschlichen Lebens ist beispielhaft eine große theologische Herausforderung für den BRU und eine Zukunftsaufgabe für die berufliche Bildung insgesamt. Die Reflektion der personalen Kompetenz der verantwortlichen Lebensgestaltung für sich selbst, sein Nahumfeld und die Gesellschaft insgesamt lässt den BRU zu sich selbst kommen und offeriert ein spezifisch theologisches Thema. Die hier in pointierter Weise anklingende Frage nach der besonderen Verantwortung der älteren für die jüngere Generation erweist sich im Licht Schleiermachers als genuin religionspädagogische Fragestellung. Angesichts der Individualisierung vor dem Hintergrund der pluralglobalisierten Welt – mit einer Vielzahl sich differenzierender Jugendkulturen – leistet der berufsorientierte Religionsunterricht eine spezifische Hilfe bei der Identitätsfindung und eröffnet Perspektiven der Orientierung im Beruf und im Leben. Der BRU thematisiert existentielle Fragen des Lebens, indem er die Sorge um das Leben wahrnimmt und sich als Mittler des Lebens sieht zugunsten der Jugendlichen. In diesem Sinn ist der BRU ein Fürsprecher des Lebens, der Jugendlichen zur Sprache verhelfen will. Dem BRU stellt sich so die generelle Aufgabe, Prozesse kreativer und adaptiver religiöser Selbstsozialisation zu initiieren, zu begleiten und zu einem Abschluss zu führen. Der evangelische Religionsunterricht an beruflichen Schulen leistet so einen entscheidenden Beitrag für einen die allgemeinen wie auch die beruflichen Aspekte integrierenden Bildungsprozess. Obgleich der BRU wie gezeigt seinen spezifischen Ort innerhalb der Berufsbildung hat und dort einen eigenständigen Beitrag zur Erlangung einer umfassenden beruflichen Handlungsfähigkeit leistet, sind die Anstrengungen zur Bewältigung dieser Aufgaben immens. Die religionspädagogisch-didaktischen Reaktionen auf die anstehenden Herausforderungen werden die ganze Kraft, die volle Konzentration sowie die kreative Phantasie des BRU in Anspruch nehmen. Dabei bieten die berufspädagogischen Herausforderungen dem BRU ungeahnte Chancen. Die berufliche Bildung eröffnet dem BRU einen theologischen wie auch fachdidaktischen Profilierungsraum, in dem er die Gegenwartsrelevanz und die Lebensbezüge der Theologie coram mundi erweisen kann. Diese experimentelle Laborsituation des BRU ist seine Chance und Verheißung. Dem BRU kommt vor dem Hintergrund seines Anforderungsprofils eine religionspädagogische Vorreiterrolle zu, sofern er sein theologisches Potential und seine religionspädagogische Relevanz u. a. im Spannungsfeld zwi-

Zwischen beruflicher Handlungsfähigkeit und existentieller Lebensorientierung

223

schen Beruf und Bibel sowie zwischen Pluralität und Konfessionalität erweisen muss und kann. Dabei ist der BRU genötigt, neue didaktische Wege zu gehen und theologische Gedanken zu wagen. Die gegenwärtigen Herausforderungen des BRU werden mit einer zeitlichen Verzögerung auch die allgemeine Religionspädagogik fordern – und diese wird dann die ersten Erfahrungen der berufsorientierten Religionspädagogik aufnehmen können. Einem verantwortlich konzipierten, theologisch reflektierten und didaktisch kreativen BRU steht eine große Zukunft offen. Die Kehrseite dieser Chancen ist eine Überforderung und die Gefahr des Scheiterns, wenn das Ziel der didaktischen und kreativen Umsetzung nicht gelingen sollte. Diese Gefahr kann jedoch die Aussicht auf eine gute Zukunft des BRU nicht schmälern. Die reizvolle Aufgabe einer innovativen Religionspädagogik wird stärker sein als die Angst des Scheiterns. Nicht zuletzt werden die Ziele der religionspädagogischen Arbeit mit jugendlichen Auszubildenden eine tragende Motivation sein für die didaktische Neureflektion eines berufsorientierten Religionsunterrichts und die entsprechende religionspädagogische Umsetzung: Im Beruf Leben zu finden. Hinter aller theologischen, didaktischen und (religions)pädagogischen Reflektion steht das Leben der Auszubildenden im Zentrum. Inmitten der Alltäglichkeit in beruflicher wie auch privater Perspektive gilt es den jugendlichen Auszubildenden zu einer personalen Kompetenz zu verhelfen, damit diese ihr Leben angesichts der Anforderungen ›meistern‹ können: Der Beruf als wesentlicher Teil der Existenz soll nicht vom Leben ausgeschlossen sein, sondern vielmehr für die Jugendlichen lebenswert werden (und bleiben). Dieser Blick auf die gegenwärtigen Fragen der Berufspädagogik vom wertvollsten Gut des Menschen her, nämlich von seinem Leben, macht die Entwicklung einer Didaktik des BRU zu einem so spannenden Unternehmen. Im Beruf Leben finden – eine dahin führende operationalisierte Kommunikation zu entwickeln, zu konzipieren und umzusetzen ist und bleibt von daher eine dringliche und zugleich die vornehmste Aufgabe der beruflichen Bildung insgesamt sowie in besonderer Weise der berufsorientierten Religionspädagogik.

Abbildungen (Teile IV und V)

Das Vier-»Sektoren«-Modell 1882 – 2010

Prognose

60

Information 50

Landwirtschaft

Produktion

Anteil

40

30

20

Dienstleistungen

10

0 1882

1892

1902

1911

1921

1931

1941

1951

1961

1971

1981

1991

2001

2010

Jahr

Abb. 31: Quelle: Dostal, Werner (2001): Arbeit und Lernen in der Informationsgesellschaft (www.wissensgesellschaft.org/themen/bildung/arbeitundlernen.pdf)





Abb. 32: Quelle Grafik: Feige, Andreas / Gennerich, Carsten (2008): Lebensorientierungen Jugendlicher. Alltagsethik, Moral und Religion in der Wahrnehmung von Berufsschülerinnen und -schülern in Deutschland, Gütersloh, 84





















Abb. 33: Quelle: Feige, Andreas / Gennerich, Carsten (2008): Lebensorientierungen Jugendlicher. Alltagsethik, Moral und Religion in der Wahrnehmung von Berufsschülerinnen und -schülern in Deutschland, Gütersloh, 91



‹ ›







Abb. 34: Quelle: Feige, Andreas / Gennerich, Carsten (2008): Lebensorientierungen Jugendlicher. Alltagsethik, Moral und Religion in der Wahrnehmung von Berufsschülerinnen und -schülern in Deutschland, Gütersloh, 37

Abb. 35: Quelle der Grafik: BIBB Bewerberbefragung 2012 (siehe: www.bibb.de/de/57741.htm)

Abb. 36: Quelle: Joachim G. Ulrich bei einem bibor-Schlossgespräch am 12. Januar 2012 in der Universität zu Bonn (bisher unveröffentlicht)

Abb. 37: Quelle der Grafik: BIBB Bewerberbefragung 2012 (siehe: www.bibb.de/de/57741.htm) Schaubild: Das von Schülern vermutete Image des Bäckers/der Bäckerin (gestrichelte Linie) und des/der Gestalters/Gestalterin für visuelles Marketing (durchgezogene Linie). intelligent

gebildet

reich

ehrgeizig

geschickt

fit

fleißig

80

59

49

55

45

selbstlos

51

44

Gestalter/-in für visuelles Marketing

kontaktfreudig

43

38 49

21

49

angesehen

21 23

0

Bäcker/-in

dumm

-80

0

-5

-13 -26 ungebildet

-10

-23

arm

-26 anspruchslos

ungeschickt

schlaff

faul

einzelgängerisch

egoistisch

gering geachtet

Abgebildet werden die mittleren Einstufungen auf einer bipolaren Antwortskala von -100 bis +100 innerhalb eines Semantischen Differenzials. N = 420 Schüler/-innen, darunter n = 304, die das Image des Bäckers/der Bäckerin beurteilten, und n = 116, die das Image des/der Gestalter/Gestaltern für visuelles Marketing beurteilten. Mittelwerte, die sich signifikant unterscheiden, sind durch Fettdruck gekennzeichnet (T-Test für unabhängige Stichproben, zweiseitige Testung, alpha = 0,01). Quelle: BIBB-Schülerbefragung 2005

Abb. 38: Quelle der Grafik: BIBB Forschungsprojekt „Berufsbezeichnungen und ihr Einfluss auf die Berufswahl“

Abb. 39: Quelle: BIBB-Bewerberbefragung 2010

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Personenregister

Arnold, Rolf 23, 50, 57 – 60, 97, 119, 141 f., 148, 161, 173 Baethge, Martin 17 f., 21 – 23, 25, 64, 93, 95 f., 99 – 101, 110, 162, 168, 180 Bahl, Anke 144, 200 Baumert, Jürgen 139 – 141 Beicht, Ursula 21 Bethscheider, Monika 143 BIBB 7, 18, 21 f., 63, 70 f., 99, 108, 101, 212 f., 229 – 231 bibor (Bonner evangelisches Institut für berufsorientierte Religionspädagogik) 18, 131, 181, 194, 206, 212 f. Biewald, Roland 149, 154, 212, 218 f. Blankertz, Herwig 45 – 54, 111, 119, 171, 180, 220 Bonhoeffer, Dietrich 85 f., 189, 192 f., 211 Borst, Eva 31 f., 220 Buber, Martin 176 f., 196 Calvin, Johanes 89 Cicero 77 f. Dostal, Werner 137, 225 Dressler, Bernhard 131, 135, 198

Frost, Ursula 140, 148 Gennerich, Carsten 24, 130, 181, 183 – 187, 226 – 228 Gonon, Philipp 23 – 25, 50, 57 – 60, 97, 119, 141 – 143, 148, 161, 173 Große Kracht, Hermann-Josef 20, 93 Haase, Klaudia 144 Habermas, Jürgen 174, 192 – 194 Hattie, John 201 Hauschildt, Eberhard 183 Haußer, Karl 209 Hensge, Kathrin 61, 144 – 146, 159 Hentig, Hartmut von 11, 47 Humboldt, Wilhelm von 29 – 38, 46, 48 f., 54, 61, 102, 111, 119, 137, 139 f., 142, 157, 180, 218 f., 221 Karrer, Martin 196 f. Kerschensteiner, Georg 38 – 45, 48 f., 54, 57 f., 119, 158, 180 Keupp, Heiner 211 Klafki, Wolfgang 132, 163 Klieme, Eckhard 62 Krautz, Joachim 137, 140, 218

EKD 82, 91, 122, 212 Engels, Friedrich 27, 79, 90 Ennuschat, Jörg 125 Euler, Dieter 23, 99, 172

Ladenthin, Volker 140, 146, 157 Lehmann, Karl Kardinal 78, 83, 89 Lohkemper-Sobiech, Gudrun 173, 200 Lorig, Barbara 144 – 146, 159 Luther, Martin 27 f., 76, 84 – 89, 130, 174

Feige,Andreas 24, 130, 183 – 186, 226 – 228

Marks, Stephan 21 f.

252 Marx, Karl 27, 79, 90 Meyer-Blanck, Michael 194 Nipkow, Karl Ernst 127, 132, 177 Obermann, Andreas 24 f., 97, 116 f., 121, 149, 162, 165, 174, 177, 203 – 205, 218 f. Pawlas, Andreas 82, 84, 86 – 89 Pongratz, Hans J. 93 Ratzinger, Karl 133 Rothgangel, Martin 126 f., 133 Schapfel-Kaiser, Franz 15, 23, 102 Schärtl, Thomas 193 Schelten, Andreas 55 – 57, 73, 119, 161 Schleiermacher, Daniel Friedrich Ernst 11, 47, 76, 139 f., 156, 176 f., 188, 199 f., 222 Schlüter, Richard 122 f., 126 f., 133 Schnell, Tatjana 185, 190 Schreiber, Daniel 144 – 146, 159 Schweitzer, Friedrich 177, 210 Seibt, Sebastian 181, 209

Personenregister

Sellmann, Matthias 18, 142, 179, 211, 215 Sloane, Peter E.F. 55, 138 Sloterdijk, Peter 197 f. Solga, Heike 17 f., 21 – 23, 25, 64, 93, 95 f., 99 – 101, 110, 162, 168, 180 Streib, Heinz 181, 187 Stuhlmacher, Peter 204 f. Tenorth, Heinz-Elmar 141 Thaidigsmann, Edgar 126 f., 133 Thielicke, Helmut 17, 25 – 27, 87 Thyssen, Simon 48 Ulrich, Joachim Gerd 18, 21, 100, 109, 212 f., 229 Vonken, Matthias 143 – 145 Voß, Günter 93 Weber, Max 86, 89 Weinert, Franz Emanuel 62, 145, 148, 216 Wittwer, Wolfgang 102, 143 Zilleßen, Dietrich 134

Sachregister

Arbeit 15, 17 f., 20 – 22, 24 – 28, 38, 41 – 45, 50 f., 57 f., 76 – 85, 87 – 98, 135, 137, 141, 143, 151, 154, 159, 172, 174 f., 184, 212, 214, 218 – Arbeitslehre 50 – 52, 63 – Arbeitsschule 42 – 45 – Fachkräftemangel 101 – Job 25, 87, 90, 92 f. Arbeitslosigkeit 18, 24, 26, 53, 96, 102 f., 135, 142, 154, 172, 175 Ausbildung 20 – 25, 27 f., 42 f., 49, 50 – 53, 55, 58 f., 75 f., 83, 92, 94 f., 96, 98 – 102, 120 f., 129, 136 f., 141 – 143, 158, 163, 168 f., 172 – 174, 178 – 180, 182, 201 f., 205, 207, 212, 214, 216 – 221 – Ausbildungsreife 21, 145, 175, 202 f. – duale Ausbildung 20, 22 f., 28, 45, 50 f., 55, 61, 91, 99 – 101, 120 f., 149, 158, 162, 168, 172 f., 206, 214 – Einmündungsquote 100 Beruf 11 f., 15 – 28, 33 f., 36, 75 – 98, 102, 129 f., 137, 141 – 143, 146, 152, 154 f., 158 – 163, 168, 172 – 175, 177, 181, 184, 202 f., 207, 209 – 216, 220 – 223 Berufsbezug 48, 52, 59, 102, 130, 142, 153, 155, 158 – 164, 171, 173, 177 – kategorialer 155, 158, 162 – 164, 171, 177 – materialer 158 f., 162 – 164, 171 Berufsbildung 22, 41 – 46, 48 – 53, 56 – 60, 93, 98 – 102, 111, 119 – 121, 135 f., 147 f.,

157 – 160, 162, 169, 173, 176 – 180, 200 – 202, 217 – 222 – integrative 12, 53 f., 111, 119, 158, 169, 171, 177 f., 200, 221 f. – polyvalente 36, 142 Berufsbiographie 19, 36, 99, 102, 212, 218 Berufsethos 15, 20, 27, 58, 88, 97, 135, 174 f. Berufspädagogik 11, 49, 51, 55, 57, 59 f., 75 f., 102, 132, 136, 142 – 147, 153 f., 158, 162, 164 f., 168 f., 171, 173, 175, 200, 217, 219, 222 f. Berufsschule 12, 28, 35, 45 f., 48, 55 – 57, 92, 120 f., 128, 133, 153, 155, 158, 167, 171, 173 f., 178, 180, 183, 214, 218, 220 – Berufskolleg 25, 28, 46, 53, 120 f., 128, 149 f., 158, 171 – 173 – Kollegstufe NW 50, 52 Berufswahl 18, 20, 25 f., 95, 212 f., 215, 230 Berufung 27, 84 – 89, 174, 207 Bibel 80, 126, 203, 212, 223 – Dtn 5 80 – 82, 175 – Ex 20 81 – Gen 1 79 f., 175, 196 – Gen 2 80, 175 – Gen 3 78 – Gleichnis 79, 117, 198 f. – Jesus 79, 82, 111 – 117, 122, 187 – 191, 204 – Joh 1,1 – 18 195 – 198 – Joh 2,1 – 10 190 – Joh 3 112 f., 115

254 – Joh 5,1 – 17 80, 190 – Joh 7,53 – 8,11 111 f., 114 – Lk 5,1 – 11 86 – Lk 6,31 204 – Lk 10,27 82, 117, 204 – Mk 8,22 – 26 190 – Mk 10,13 – 16 111 f., 116 f. 187 – 190 – Paulus 189 – Rö 4,17 189 – 1. Kor 7,17 – 24 86 f. Bildung 11 f., 28, 91, 96, 99, 102, 111, 119 f., 127, 131 f., 135 f., 138, 140 – 144, 146 – 149, 151 f., 154, 157 f., 160 – 169, 171 f., 176 – 178, 203, 206, 208, 214, 218 – 223 – Allgemeinbildung 29, 33 f., 40, 43, 45 f., 48 – 51, 55 – 57, 91, 119, 135, 146 f., 157 f., 169, 173, 176, 201, 220 f. – Bildungspolitik 31, 45 – 47, 53, 63 f., 136, 147, 164 f., 168 – Menschenbildung 32, 34 – 36, 41 f., 44, 49, 57, 140, 165 – Ökonomisierung 23, 57, 93, 137 f., 140 f. – Spezialbildung 34 – 36, 49, 102, 147 Ethik 28, 45, 58, 80 – 82, 87 – 92, 139 – 141, 151 f., 174, 180, 203 – 206, 207 f. – Doppelgebot der Liebe 82, 87, 204, 217 – Tugend 44, 56, 164, 185, 202 – 205, 213, 217 Europa 29, 60 – 64, 136, 138 – 141, 164 – 169 – Bologna 60 f., 167 – Grundrechtecharta 166 – Lissabon 60 f., 139, 166, 168 Fachdidaktik 132, 134 f. – Fachdidaktik BRU 134 f. Gesellschaft – multikulturell e/transkulturelle/multikulturelle 128 – plurale 124 f., 123 – 125, 128, 152, 157, 174, 177 f., 186, 203, 213, 222 f. – säkulare 87, 187, 191 – 193, 197 – 200

Sachregister

Globalisierung 26, 28 f., 95, 97, 140, 172, 203 Grundgesetz 124 f. – Artikel 4.1 122, 157, – Artikel 7.3 121 f., 124 – 127, 132, 135, 154, 156, 166, 191 – Artikel 12.1 25 f., 18 Handwerk 15 f., 34 f., 41, 43, 49, 63, 77, 79, 83, 91, 93 – 98, 203, 213 – Imagekampagne 93 – 95, 104 – 106 Humankapital 26, 140, 165, 218 – Arbeitskraftanbieter 93 – Arbeitskraftunternehmer 92 f., 161 – Ich-AG 92 f. Integration 45 – 47, 50 – 54, 171, 175, 177, 220 – Inklusion 46 Islam (allg.) 124, 154, 181, 184, 186 f., 214 Kompetenz 45, 47, 51 f., 56, 58 – 64, 128, 131, 137 – 164, 171 – 174, 177, 179, 200 – 206, 212, 221 – 223 – Basiskompetenz 139 – 141, 207 29, – berufliche Handlungsfähigkeit 145 f., 153 f., 158, 160, 200 – 204, 207 – 212, 216 – 222 – Bildungsstandard 60 – 62, 138, 140, 148, 155, 157, 201 – domänenspezifisch 145 – 147, 157 – 161 – domänenunspezifisch 146, 149, 158 f. – Fachkompetenz 139, 144, 152 f., 161 – input 61 – interreligiöse (interkulturelle) Kommunikation 138, 148, 161, 164, 203, 205 – Kerncurriculum 59, 134 f., 157 – Lernfeld 153, 163 – Lernfelddidaktik 59, 144, 146, 173 – output 61 f., 137 f., 143 – PISA 61 f., 136, 140, 146, 219 – Qualifikation 29, 56, 61 – 63, 95 f., 120, 138, 143, 161, 168 – Qualifikationsrahmen 29, 63, 138 f., 168

Sachregister

– DQR 29, 63 f., 138 – 141, 146, 149 f., 153 f., 217 – EQR 22, 29, 63 f., 138 f., 141, 168 – Rahmenlehrplan 150, 154 – 156, 160 – Religiöse Kompetenz 62, 148 – 157 – Schlüsselkompetenz 177 – Schlüsselqualifikation 56, 59, 143 – 145, 153, 173 f., 200, 203, 219 f. – Selbstkompetenz 139, 217 – Sozialkompetenz 56, 139, 144 – 146, 152 f. – Veränderungskompetenz 102, 218 Konfessionalität (konfessionell) 28, 122 – 125, 127 – 129, 131 f., 156, 182, 202, 223 – Barmer Theologische Erklärung 126, 134 – Bekenntnis 28, 122 – 129, 130 – 132, 191 – Orientierung 23 f., 58, 82, 122, 127 – 129, 141, 151, 155 f., 176, 178 – 180, 185, 189 f., 194, 208, 212, 221 f. – Orientierungslosigkeit 11, 178 – Vokation 127 Lehrplan 148 – 168, 153 – 155, 167, 220 Lerngruppe (multireligiöse) 203, 205, 214 Menschenrechte 26, 154, 166 – Humanität 26, 33, 53, 81, 148, 219 f. – Menschenwürde 22, 24, 82, 130 f., 207 f., 218 – Würde 12, 15 f., 18, 45, 88, 111 – 118, 129 – 131, 133, 171 f., 175 – 177, 199, 218

255 Modularisierung 22 – 24, 169, 172 f. Mündigkeit 45 f., 47 f., 53, 147 f., 155, 192, 207, 221 Religionspädagogik – allgemeine 126 f., 133 – 135, 150, 212, 223 – berufsorientierte 76, 98, 131, 133 – 136, 149, 152 f., 160, 164, 168 – 170, 171, 173, 176 f., 197, 203, 210, 222 f. Religionsunterricht – interreligiöser 88, 161, 165, 177, 203, 205, 214 – konfessioneller 28, 122 – 125, 127 f., 131 f., 156, 182 – multireligiöser 125 Schöpfung 28, 79 – 82, 130, 160, 162, 174 – 176, 189, 195 f., 199 – Sabbat 80 – 82, 175 Tertiärisierung 55, 59 f., 95, 98, 101, 136 f. – Dienstleistungsgesellschaft 92 – 98, 107, 208 – Wissensgesellschaft 93, 95, 98, 136 f.

Übergangssystem 20 – 22, 26, 99 – 101, 121 – Übergangsbereich 20 Utilitarismus (utilitaristisch) 48, 61, 221 – Verzweckung 32, 34 – 36, 48, 218